Vertrag und Verteilung: Die Bedeutung der iustitia distributiva im Vertragsrecht 9783161530364, 9783161529863

Traditionell gilt das Vertragsrecht als Reich der Freiheit, als seine Gerechtigkeitsform die iustitia commutativa (Austa

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Vertrag und Verteilung: Die Bedeutung der iustitia distributiva im Vertragsrecht
 9783161530364, 9783161529863

Table of contents :
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Vorwort
Inhaltsübersicht
Inhaltsverzeichnis
§ 1 Einführung
§ 2 Rechtsphilosophische Grundlegung
A. Ziele des Vertragsrechts
B. Gerechtigkeit als Idee des Vertragsrechts
I. Gerechtigkeit als objektive Rechtsidee
II. Gerechtigkeit als Idee des Vertragsrechts
1. Flume, von Hayek und die vermeintliche Sinnlosigkeit der Frage nach der Gerechtigkeit im Vertragsrecht
2. Canaris und die Gerechtigkeit des rechtlichen Gesamtsystems unter Einbeziehung des Vertragsrechts
a) Zur Bedeutung der Fragestellung nach der Gerechtigkeit des rechtlichen Gesamtsystems
b) Vertragsrechtsordnung und iustitia commutativa
c) Vertragsrechtsordnung und iustitia distributiva
d) Zur Relativierung der Gerechtigkeitsfrage
3. Zwischenbemerkung
C. Die Entdeckung der Grundstruktur der iustitia distributiva in der Gerechtigkeitstheorie des Aristoteles
I. Der Kontext der aristotelischen Gerechtigkeitslehre
II. Gerechtigkeit als Tugend
III. Die zwei Grundformen der Gerechtigkeit bei Aristoteles
1. Zur universalen Gerechtigkeit
2. Zur Partikulargerechtigkeit
IV. Iustitia distributiva und iustitia commutativa als die beiden Formen der Partikulargerechtigkeit
1. Übersicht über die Unterscheidung der Gerechtigkeitsformen
2. Einheitlichkeit der Grundlage in der menschlichen Natur
3. Die unterschiedlichen Strukturen von iustitia distributiva und iustitia commutativa
a) Die iustitia distributiva als Gerechtigkeit der relativen Gleichheit nach geometrischer Proportion
b) Der politische Charakter der iustitia distributiva
c) Die iustitia commutativa als Gerechtigkeit der absoluten Gleichheit nach arithmetischer Proportion
d) Der politische Charakter der iustitia commutativa
V. Zur Vergeltungsgerechtigkeit bei Aristoteles
VI. Zum Nutzen der aristotelischen Gerechtigkeitslehre für die heutige Vertragstheorie
1. Widerspruch der Marginalisierung der Bedeutung der Verteilungsgerechtigkeit im Vertragsrecht zur aristotelischen Gerechtigkeitstheorie
2. Form und Inhalt der Gerechtigkeitslehre
3. Unmöglichkeit einer strikten Trennung von Form und Inhalt
D. Das bonum commune und der gemeinsame Vertragszweck in der Gerechtigkeitslehre des Thomas von Aquin
I. Das bonum commune als Zentralbegriff der Thomas’schen Gerechtigkeitslehre
II. Gerechtigkeit als Tugend
III. Universalgerechtigkeit
IV. Iustitia distributiva und iustitia commutativa als Erscheinungsformen der Partikulargerechtigkeit
V. Der politische Charakter der iustitia distributiva bei Thomas von Aquin
VI. Die Weiterentwicklung der iustitia commutativa bei Thomas von Aquin: Die Entdeckung des gemeinsamen Vertragszwecks
VII. Zu der Entwicklung nach Thomas von Aquin in der spätscholastischen Literatur
E. Iustitia distributiva in Form sozialer Gerechtigkeit
I. Soziale Gerechtigkeit in Rawls’ Gerechtigkeitstheorie
II. Soziale Gerechtigkeit als Teil der objektiven Rechtsidee
1. Vorzüge sozialer Gerechtigkeit
2. Zu einigen Einwänden gegen die Anerkennung sozialer Gerechtigkeit als Teil der Rechtsidee
III. Die Funktion des Vertragsrechts und die Bedeutung der iustitia distributiva im Vertragsrecht eines Rawls’schen Staates
1. Das Vertragsrecht als Teil der basic structure? – Teil 1: Eine Exegese
2. Das Vertragsrecht als Teil der basic structure? – Teil 2: Eine funktionale Analyse
3. Das Vertragsrecht im System der gesamten basic structure
F. Zum Bedeutungswandel des Begriffs der iustitia distributiva und zur Leistungsfähigkeit ihres Konzepts
G. Das Verhältnis der iustitia distributiva zum öffentlichen und zum privaten Recht
I. Die These von der Verteilungsgerechtigkeit als Gerechtigkeitsform des öffentlichen Rechts
II. Die Wurzeln der Trennung der öffentlichen von der privaten Sphäre
1. Die freiheitliche Philosophie der Aufklärung als Wurzel der Trennungsthese
2. Markttheoretische Wurzeln der Trennungsthese
3. Konsequenzen für das Vertragsrecht
III. Die Grenzen der Trennungsthese und deren Konsequenzen für die Formen der Gerechtigkeit
1. Zum Stellenwert der Kritik an der Unterscheidung des öffentlichen vom privaten Recht
2. Die Überordnung des Staates und die Funktion staatlicher Gewalt in der öffentlichen Sphäre als Grundlage der Trennungsthese
3. Die US-amerikanische Rechtsprechung zur Vertragsfreiheit als Anlass der Kritik der herkömmlichen Sichtweise
4. Der analytische Charakter der Kritik
5. Die Hohfeld’sche Analyse rechtlicher Beziehungen als Ausgangspunkt der Kritik
6. Zur Unmöglichkeit hoheitlicher Eingriffe in abstrakte Freiheitsrechte „als solche“
7. Mechanismen privater und öffentlicher Gewalt in der Privatrechtsgesellschaft
a) Hale und die durch Vertrag und Eigentum begründeten Zwangselemente der privaten Sphäre
b) Zur analytischen Natur der Kritik
c) Private und öffentliche Zwangsmechanismen
d) Zur Unvermeidbarkeit der zwangsgeprägten Verteilung in der Privatrechtsgesellschaft
e) Die Widerlegung des Einwands der Trivialität
IV. Zur Ablösung der Dichotomie öffentlich-privat durch ein Modell der Polykontexturalität
V. Die Trennung des öffentlichen vom privaten Recht als rechtspolitisches Gebot
1. Zur strukturellen Ordnungsaufgabe der Trennung des öffentlichen vom privaten Recht
2. Zur inhaltlichen Ordnungsaufgabe der Trennung des öffentlichen vom privaten Recht
VI. Zwischenergebnis
H. Die iustitia distributiva als Ausprägung der Gerechtigkeitsidee im Vertragsrecht und in ihrem Verhältnis zur iustitia commutativa
I. Die Bedeutung des Verhältnisses der iustitia distributiva zur iustitia commutativa
II. Zum Begriff des Vertragsrechts
III. Zur Unterscheidung der iustitia distributiva von der iustitia commutativa
1. Keine Unterscheidbarkeit nach der Art des Verhältnisses der beteiligten Personen – Hierarchie versus Gleichordnung
2. Vertragsfremdheit – Vertragsimmanenz
a) Zur Unbestimmtheit der Begriffe Vertragsfremdheit und Vertragsimmanenz
b) Zum rechtspolitischen Charakter der Unterscheidung von Vertragsfremdheit und Vertragsimmanenz
c) Zur erkenntnistheoretischen Unmöglichkeit der Beschränkung der Perspektive auf vertragsimmanente Kriterien
3. Zur „Ansehung der Person“
a) Die Frage nach der Ansehung der Person als Abgrenzungsmerkmal zwischen iustitia distributiva und iustitia commutativa
b) Zur Unbestimmtheit der Frage nach der Ansehung der Person
c) Prozedurales Gerechtigkeitsmodell zur Fiktion faktischer Gleichheit
d) Erkenntnistheoretische Grenzen des prozeduralen Gerechtigkeitsmodells
4. Iustitia distributiva und iustitia commutativa als Perspektiven der Gerechtigkeitsidee im Vertragsrecht
a) Charakteristika der iustitia commutativa
b) Charakteristika der iustitia distributiva
c) Beispiele für die Perspektive der iustitia distributiva
aa) Verhaltenssteuerung
bb) Paternalismus und Schwächerenschutz
cc) Soziale Gerechtigkeit und Umverteilung
dd) Allgemeinwohlbelange
d) Iustitia distributiva durch dispositives Vertragsrecht?
e) Vorzüge der iustitia distributiva, Vorzüge der iustitia commutativa
5. Das Verhältnis der iustitia distributiva zur iustitia commutativa
a) Zur Notwendigkeit, über die formal verstandene Grundstruktur der iustitia distributiva hinauszugehen
b) Der erkenntnistheoretische Vorrang der iustitia distributiva
c) Das normative Verhältnis zwischen iustitia distributiva und iustitia commutativa
aa) Die These vom normativen Vorrang der iustitia distributiva gegenüber der iustitia commutativa
bb) Die These vom normativen Vorrang der iustitia commutativa gegenüber der iustitia distributiva
cc) Die normative Gleichrangigkeit von iustitia distributiva und iustitia commutativa
§ 3 Das Verhältnis der iustitia distributiva zum Grundsatz der Vertragsfreiheit
A. Einführung
B. Historische Entwicklung der Vertragsfreiheit
C. Verfassung und Vertragsfreiheit
I. Dogmatische Verortung der Vertragsfreiheit im Grundgesetz
II. Dimensionen des verfassungsrechtlichen Schutzes
1. Status negativus
2. Status positivus
3. Institutsgarantie
4. Adressaten der verfassungsrechtlichen Bindung
III. Verfassungsrechtliche Rechtfertigung bei Eingriffen in die Vertragsfreiheit
1. Allgemeines
2. Das Sozialstaatsprinzip als verfassungsrechtliche Schranke der Vertragsfreiheit
a) Das Sozialstaatsprinzip im Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland
b) Das Sozialstaatsprinzip im europäischen Primärrecht
c) Soziale Gerechtigkeit als notwendiges Ziel der positiven Rechtsordnung
d) Die historische Bedingtheit inhaltlicher Konkretisierungen des Sozialstaatsprinzips
e) Zu Neuners Konkretisierung des Sozialstaatsprinzips
f) Konturen des Sozialstaatsprinzips als Grenze der Vertragsfreiheit
3. Formales versus materielles Verständnis der verfassungsrechtlichen Schranken der Vertragsfreiheit
4. Grundrechtliches Schutzgebot
5. Verfassungsrechtliche Maßstäbe zur Lösung der Fälle gestörter Vertragsparität
D. Formales versus materiales Verständnis der Vertragsfreiheit in ihrem jeweiligen Verhältnis zur iustitia distributiva
I. Die klassische Konzeption der Vertragsfreiheit als weitgehend formal verstandenes Institut zur Sicherung formaler Freiheit
1. Abstraktion als Kennzeichen formaler Konzepte
2. Vertragsfreiheit als private Selbstgesetzgebung durch Verträge
3. Staat und Recht in einem durch die Privatautonomie beherrschten Vertragsrecht
4. Der bipolare Austauschvertrag als Paradigma der Vertragsfreiheit
5. Formale Freiheit als Idee des Vertragsrechts
6. Funktionserhaltung durch Verfahren im Einklang mit prozeduralen Gerechtigkeitstheorien
II. Materialisierung der Vertragsfreiheit
1. Materialisierung als Ausprägung der iustitia commutativa
2. Konkretisierung als Kennzeichen materialer Konzepte
3. Vertragsfreiheit als Funktionselement objektiver Gerechtigkeit
4. Grenzen der Vertragsfreiheit
a) Grenzen des Freiheitsbegriffs
b) Die Brüchigkeit des bipolaren Paradigmas: Vertragsfreiheit und Drittinteressen
c) Die Brüchigkeit des Autonomiebegriffs: Entscheidungsfreiheit und Determinismus in den Neurowissenschaften
d) Grenzen der Selbstregulierungsfähigkeit durch Vertragsfreiheit
5. Staat und Recht in einer material geprägten Vertragsordnung
6. Verallgemeinerung als Paradigma material verstandener Vertragsfreiheit
7. Materialisierung prozeduraler Grenzen
8. Sozialisierung des Vertragsrechts?
E. Das Postulat der Vertragsfreiheit
§ 4 Das Vertragsrecht als Instrument zur Implementierung der iustitia distributiva
A. Vertragsrecht als pure procedural justice?
I. Pure procedural justice im Vertragsrecht in Analogie zu Rawls’ Gerechtigkeitstheorie
II. Zwingende Geltung der perfect procedural justice im Vertragsrecht?
B. Eignung des Vertragsrechts zur Konkretisierung der iustitia distributiva
I. Vorzüge des Vertragsrechts als Medium der iustitia distributiva
II. Iustitia distributiva durch dispositives Vertragsrecht?
III. Zur Notwendigkeit der Differenzierung nach verschiedenen Aspekten der iustitia distributiva im Vertragsrecht
IV. Das Vertragsrecht als Instrument sozialstaatlicher Vermögensumschichtung
1. Effizienzverluste
2. Effektivitätseinbußen
3. Unerwünschte Regulierungswirkungen
4. Präzisionsdefizite
5. Fazit
V. Verhaltenssteuerung, Prävention
VI. Paternalismus und Schwächerenschutz
VII. Berücksichtigung von Interessen- oder Risikogemeinschaften
VIII. Gemeinwohlinteressen
C. Das Verteilungsverfahren im Vertragsrecht
I. Verteilende Instanz
1. Gesetzgeber
2. Richter
3. Der Schatten des Rechts
II. Verteilungsgegenstände und die von der Verteilung betroffenen Privatrechtssubjekte
III. Verteilungsmaßstäbe
1. Verteilungsmaßstäbe in der Verfassung
2. Verteilungsmaßstäbe in den gesetzlichen Regeln des Vertragsrechts
3. Sonstige Verteilungsmaßstäbe, insbesondere nach freier Entscheidung des Richters?
4. Zur Bedeutung privatrechtlicher Dogmatik
§ 5 Konkretisierungen der iustitia distributiva im positiven Vertragsrecht
A. Paternalismus, Schwächerenschutz, menschliche Grundbedürfnisse
I. Allgemeine Überlegungen
II. Mieterschutzvorschriften
1. Das soziale Mietrecht als hervorstechendes Beispiel der iustitia distributiva im Vertragsrecht
2. Verteilung im Mietvertragsrecht – ein Gedankenexperiment
3. Preußische Sozialgesetzgebung versus liberale Konzeption des BGB in seiner ursprünglichen Fassung
4. Kritik und Verteidigung des sozialen Mietrechts – Vertragsrecht und Rechtspolitik
5. Die Konkretisierung der iustitia distributiva durch das positive soziale Mietrecht
a) Zu § 549 Abs. 2 BGB
aa) § 549 Abs. 2 Nr. 1 BGB
bb) § 549 Abs. 2 Nr. 2 BGB
b) Das Postulat der Vertragsfreiheit bei der Bestimmung der Miethöhe
aa) Vertragsfreiheit bei der Vereinbarung der Ausgangsmiete
bb) Vertragsfreiheit bei der Vereinbarung von Mieterhöhungen
cc) Vertragsfreiheit im Rahmen sozialer Wohnraumförderung
c) Schwächerenschutz als Verteilungsmaßstab bei der Auflösung des Mietverhältnisses
aa) Verfassungsrechtliche Anforderungen
bb) Die Konkretisierung der verfassungsrechtlichen Vorgaben durch das gesetzliche Mietvertragsrecht: Das System der Beendigung von Mietverträgen über Wohnraum
cc) Verlust der sozialen Schutzbedürftigkeit des Mieters: § 573 Abs. 2 Nr. 1 BGB (schuldhafte erhebliche Pflichtverletzung)
dd) Würdigkeit und Bedarf: § 573 Abs. 2 Nr. 2 BGB (Die Eigenbedarfskündigung)
ee) Gewinnerzielung: Die Verwertungskündigung gem. § 573 Abs. 2 Nr. 3 BGB
(1) Verwertungsinteresse, Gemeinwohlinteressen und Schutzgesichtspunkte als zentrale Maßstäbe
(2) Der Schutz des Verwertungsinteresses als verfassungsrechtliches Postulat
(3) Zur richterlichen Konkretisierung des § 573 Abs. 2 Nr. 3 BGB
(4) Zur Konkretisierung der iustitia distributiva in der Anwendung und Auslegung des Vertragsrechts
(5) Beispiele für das Konkretisierungsverfahren
6. Soziales Mietrecht als integrativer Bestandteil des Vertragsrechts
III. Verbraucherschutz
1. Zur Entwicklung des Verbraucherschutzrechts
2. Verbraucherschutzrecht als Schwächerenschutz und darüber hinausgehendes Regulierungsinstrument
a) Verbraucherschutzrecht als Schwächerenschutz
b) Relativierung des Schutzgedankens durch die Formalisierung des Verbraucherbegriffs
c) Über den Schutzgedanken hinausgehende Instrumentalisierung des Verbraucherschutzrechts (insbesondere die Binnenmarktförderung)
3. Das Informationsmodell als Spiegel eines formal liberalen Konzepts der Marktförderung und der formal verstandenen Vertragsfreiheit
a) Das Informationsmodell als Modell prozeduraler Gerechtigkeit
b) Iustitia distributiva innerhalb des prozeduralen Modells
c) Grenzen des Informationsmodells
4. Umverteilung durch Verbraucherschutzrecht?
5. Zur integrierenden Kraft des Bürgerlichen Gesetzbuchs
6. Der Richter als verteilende Instanz
IV. Schutz durch Aufklärungspflichten
1. Ein Gedankenexperiment zu den Verteilungseffekten von Aufklärungs- und Informationspflichten
2. Das Sozialstaatsprinzip als Grundlage vertragsrechtlicher Aufklärungspflichten
3. Zum Prinzip der Eigenverantwortung
V. Diskriminierungsschutz durch das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG)
1. Diskriminierungsschutz in der Ausgestaltung durch das AGG
a) Zielbestimmung und Anwendungsbereich
b) Das zivilrechtliche Benachteiligungsverbot aus § 19 AGG
aa) Massengeschäfte
bb) Massengeschäftsähnliche Geschäfte
cc) Versicherungsgeschäfte, Ausnahmen und Erweiterungen
c) Rechtfertigung
2. Diskriminierungsschutz des AGG als Ausdruck der iustitia distributiva im Vertragsrecht
3. Zur Kritik an der Integration des Diskriminierungsschutzes im Vertragsrecht
4. Kontrahierungszwang als dogmatisch stimmige Rechtsfolge unzulässiger Diskriminierungen in einem von der iustitia distributiva geprägten Vertragsrecht
a) Der Kontrahierungszwang als Eingriff in die Privatautonomie?
b) Zur Verortung des Kontrahierungszwangs in § 21 Abs. 1 S. 1 AGG
c) Kontrahierungszwang als effektives Medium des Diskriminierungsschutzes
B. Verhaltenssteuerung und Prävention
I. Motivation zu fairem Geschäftsgebaren
1. Anreiz zu fairer Darlehensvergabe – Die Wucherproblematik in der Perspektive der iustitia distributiva
a) Zu den dogmatischen Konstruktionsmöglichkeiten
b) Mögliche Maßstäbe für die Verteilung der Folgen eines Wucherdarlehens
c) Zur politisch-diskursiven Prägung der dogmatischen Lösung
d) Der durch den Präventionsgedanken gebotene Ausschluss jeglicher Ansprüche des Wucherers
2. Das Verbot der geltungserhaltenden Reduktion
II. Prävention unlauteren Wettbewerbs
1. Die Haftung des Unternehmers wegen Gewinnzusagen (§ 661a BGB)
2. Die Zusendung unbestellter Leistungen (§ 241a BGB)
III. Zur Kritik an der Instrumentalisierung des Vertragsrechts zu Verhaltenssteuerung und Prävention
C. Soziale Gerechtigkeit und Umverteilung
I. Allgemeines
II. Soziale force majeur bei Geldschulden?
III. Zur Dogmatik des § 275 BGB: Unmöglichkeit der Leistung bei Geldschulden
D. Allgemeinwohlbelange
I. Entlastung der Sozialhilfeträger durch §§ 519, 528 BGB
II. Kontrahierungszwänge
1. Facetten der iustitia distributiva bei Kontrahierungszwängen
2. Spezialgesetzliche Kontrahierungszwänge
3. Kontrahierungszwänge nach den allgemeinen Regeln des Bürgerlichen Rechts
4. Kontrahierungszwänge als integraler Bestandteil eines auch die iustitia distributiva verwirklichenden Vertragsrechts
5. Kontrahierungszwänge als vertragsrechtliches Regulierungsmedium
6. Zur vertragstheoretischen Fundierung der Kontrahierungszwänge
7. Zum Kontrahierungszwang durch die Einführung des Basistarifs im Rahmen der Gesundheitsreform 2007
E. Interessen- und Risikogemeinschaften
I. Die Repartierungspflicht des Schuldners bei der begrenzten Gattungsschuld
II. Wegfall der Geschäftsgrundlage
§ 6 Zusammenfassung
Literaturverzeichnis
Namensregister
Stichwortverzeichnis

Citation preview

JUS PRIVATUM Beiträge zum Privatrecht Band 182

Stefan Arnold

Vertrag und Verteilung Die Bedeutung der iustitia distributiva im Vertragsrecht

Mohr Siebeck

Stefan Arnold, geboren 1976; Studium der Rechtswissenschaften in Erlangen und Cambridge; 2007 Promotion; 2013 Habilitation; seit 2013 akad. Oberrat a.Z. am Institut für Internationales Recht – Rechtsvergleichung der LMU München; WS 2013/14 Lehrstuhlvertretung an der Universität Regensburg (Professur für Bürgerliches Recht, Internationales Privatrecht und Rechtsvergleichung sowie Zivilprozessrecht).

Gedruckt mit Unterstützung des Förderungs- und Beihilfefonds Wissenschaft der VG WORT. e-ISBN PDF 978-3-16-153036-4 ISBN 978-3-16-152986-3 ISSN 0940-9610 (Jus Privatum) Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliographie; detaillierte bibliographische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar.

© 2014 Mohr Siebeck Tübingen. www.mohr.de Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechts ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Das Buch wurde von Textservice Zink in Schwarzach aus der Garamond Antiqua gesetzt, von Gulde-Druck in Tübingen auf alterungsbeständiges Werkdruckpapier gedruckt und von der Buchbinderei Spinner in Ottersweier gebunden.

Vorwort Diese Arbeit lag im Wintersemester 2012/2013 der Juristischen Fakultät der Ludwig-Maximilians-Universität München als Habilitationsschrift vor. Für die Drucklegung wurde sie auf den Stand von Februar 2014 gebracht. Mein Dank gilt in erster Linie meinem verehrten akademischen Lehrer, Prof. Dr. Stephan Lorenz für seine Unterstützung und sein Vorbild. Danken möchte ich auch den weiteren Mitgliedern des Fachmentorats, Prof. Dr. Hans Christoph Grigoleit sowie Prof. Dr. jur. Dr. phil. Dr. h.c. Alfons Bürge, der das Zweitgutachten erstellt und die Arbeit schon in ihrer Entstehung durch wertvolle Anregungen begleitet hat. Prof. em. Dr. jur. Dr. jur. h.c. mult. Bernd Schünemann danke ich für ein ergänzendes Gutachten und Ratschläge zum rechtsphilosophischen Teil der Arbeit. Dank schulde ich auch dem viel zu früh verstorbenen Prof. Dr. Hannes Unberath, der die Arbeit in vielerlei Hinsicht gefördert hat. Prof. em. Dr. Dr. h.c. mult. Claus-Wilhelm Canaris danke ich für wertvolle Hinweise im Nachgang zu einem Vortrag, den ich an der Bayerischen Akademie der Wissenschaften gehalten habe. Prof. Dr. Brigitta Lurger danke ich dafür, dass sie mir ihre ungekürzte Grazer Habilitationsschrift zukommen ließ. Franz-Alois Fischer danke ich für die Korrektur der Arbeit, stete Gesprächsbereitschaft und unschätzbare Anregungen. Veronika Eichhorn, Alexandra Martens, Nicolai Thum und Susanne Zwirlein danke ich für die Korrektur von Teilen der Arbeit. Ferner danke ich der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, die mich mit meinem Habilitationsprojekt in ihr Junges Kolleg aufgenommen und die Arbeit in vielerlei Hinsicht gefördert hat. Der VG Wort danke ich für ihre Unterstützung der Drucklegung. Für ihr Vertrauen und ihre Begleitung gilt größter Dank meiner Familie, vor allem meiner Frau Katrin Arnold und unseren Töchtern Marlene und Franziska. München, im März 2014

Stefan Arnold

Inhaltsübersicht Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Inhaltsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 1 Einführung

V IX

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

1

§ 2 Rechtsphilosophische Grundlegung . . . . . . . . . . . . . . . . .

5

A. Ziele des Vertragsrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B. Gerechtigkeit als Idee des Vertragsrechts . . . . . . . . . . . C. Die Entdeckung der Grundstruktur der iustitia distributiva in der Gerechtigkeitstheorie des Aristoteles . . . . . . . . . D. Das bonum commune und der gemeinsame Vertragszweck in der Gerechtigkeitslehre des Thomas von Aquin . . . . . E. Iustitia distributiva in Form sozialer Gerechtigkeit . . . . . F. Zum Bedeutungswandel des Begriffs der iustitia distributiva und zur Leistungsfähigkeit ihres Konzepts . . . . . . . . . . G. Das Verhältnis der iustitia distributiva zum öffentlichen und zum privaten Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . H. Die iustitia distributiva als Ausprägung der Gerechtigkeitsidee im Vertragsrecht und in ihrem Verhältnis zur iustitia commutativa . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

. .

5 11

.

26

. .

55 66

.

92

.

99

.

135

§ 3 Das Verhältnis der iustitia distributiva zum Grundsatz der Vertragsfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

191

A. B. C. D.

Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Historische Entwicklung der Vertragsfreiheit . . . . . . . . Verfassung und Vertragsfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . Formales versus materiales Verständnis der Vertragsfreiheit in ihrem jeweiligen Verhältnis zur iustitia distributiva . . . E. Das Postulat der Vertragsfreiheit . . . . . . . . . . . . . . .

. . .

191 192 200

. .

226 259

§ 4 Das Vertragsrecht als Instrument zur Implementierung der iustitia distributiva . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

263

A. Vertragsrecht als pure procedural justice? . . . . . . . . . . . .

264

VIII

Inhaltsübersicht

B. Eignung des Vertragsrechts zur Konkretisierung der iustitia distributiva . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . C. Das Verteilungsverfahren im Vertragsrecht . . . . . . . . . . .

268 285

§ 5 Konkretisierungen der iustitia distributiva im positiven Vertragsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

297

A. Paternalismus, Schwächerenschutz, menschliche Grundbedürfnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . B. Verhaltenssteuerung und Prävention . . . . . . C. Soziale Gerechtigkeit und Umverteilung . . . . D. Allgemeinwohlbelange . . . . . . . . . . . . . . E. Interessen- und Risikogemeinschaften . . . . .

. . . . .

. . . . .

. . . . .

. . . . .

. . . . .

. . . . .

. . . . .

. . . . .

297 391 406 409 432

§ 6 Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

439

Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Namensregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Stichwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

447 481 483

Inhaltsverzeichnis Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Inhaltsübersicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 1 Einführung

V VII

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

1

§ 2 Rechtsphilosophische Grundlegung . . . . . . . . . . . . . . . . .

5

A. Ziele des Vertragsrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

5

B. Gerechtigkeit als Idee des Vertragsrechts

. . . . . . . . . . . . . .

11

I. Gerechtigkeit als objektive Rechtsidee . . . . . . . . . . . . .

11

II. Gerechtigkeit als Idee des Vertragsrechts . . . . . . . . . 1. Flume, von Hayek und die vermeintliche Sinnlosigkeit der Frage nach der Gerechtigkeit im Vertragsrecht . . 2. Canaris und die Gerechtigkeit des rechtlichen Gesamtsystems unter Einbeziehung des Vertragsrechts a) Zur Bedeutung der Fragestellung nach der Gerechtigkeit des rechtlichen Gesamtsystems . . . . b) Vertragsrechtsordnung und iustitia commutativa . . c) Vertragsrechtsordnung und iustitia distributiva . . d) Zur Relativierung der Gerechtigkeitsfrage . . . . . . 3. Zwischenbemerkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

. .

15

. .

16

. .

17

. . . . .

. . . . .

17 19 20 22 24

C. Die Entdeckung der Grundstruktur der iustitia distributiva in der Gerechtigkeitstheorie des Aristoteles . . . . . . . . . . . . .

26

I. Der Kontext der aristotelischen Gerechtigkeitslehre . . . . .

26

II. Gerechtigkeit als Tugend

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

27

III. Die zwei Grundformen der Gerechtigkeit bei Aristoteles . . 1. Zur universalen Gerechtigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Zur Partikulargerechtigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . .

28 29 32

IV. Iustitia distributiva und iustitia commutativa als die beiden Formen der Partikulargerechtigkeit . . . . . . . . . . . . . . . 1. Übersicht über die Unterscheidung der Gerechtigkeitsformen . . . . . . . . . . . . . . . . . .

32 32

X

Inhaltsverzeichnis

2. Einheitlichkeit der Grundlage in der menschlichen Natur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Die unterschiedlichen Strukturen von iustitia distributiva und iustitia commutativa . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Die iustitia distributiva als Gerechtigkeit der relativen Gleichheit nach geometrischer Proportion . . . . . . b) Der politische Charakter der iustitia distributiva . . . c) Die iustitia commutativa als Gerechtigkeit der absoluten Gleichheit nach arithmetischer Proportion d) Der politische Charakter der iustitia commutativa . .

.

35

.

36

. .

37 38

. .

41 43

V. Zur Vergeltungsgerechtigkeit bei Aristoteles . . . . . . . . . .

45

VI. Zum Nutzen der aristotelischen Gerechtigkeitslehre für die heutige Vertragstheorie . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Widerspruch der Marginalisierung der Bedeutung der Verteilungsgerechtigkeit im Vertragsrecht zur aristotelischen Gerechtigkeitstheorie . . . . . . . . . 2. Form und Inhalt der Gerechtigkeitslehre . . . . . . . 3. Unmöglichkeit einer strikten Trennung von Form und Inhalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

. . .

47

. . . . . .

47 48

. . .

50

D. Das bonum commune und der gemeinsame Vertragszweck in der Gerechtigkeitslehre des Thomas von Aquin . . . . . . . . . .

55

I. Das bonum commune als Zentralbegriff der Thomas’schen Gerechtigkeitslehre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

55

II. Gerechtigkeit als Tugend

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

57

III. Universalgerechtigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

58

IV. Iustitia distributiva und iustitia commutativa als Erscheinungsformen der Partikulargerechtigkeit . . . . . . .

59

V. Der politische Charakter der iustitia distributiva bei Thomas von Aquin . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

61

VI. Die Weiterentwicklung der iustitia commutativa bei Thomas von Aquin: Die Entdeckung des gemeinsamen Vertragszwecks . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

62

VII. Zu der Entwicklung nach Thomas von Aquin in der spätscholastischen Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . .

65

E. Iustitia distributiva in Form sozialer Gerechtigkeit . . . . . . . . .

66

I. Soziale Gerechtigkeit in Rawls’ Gerechtigkeitstheorie

. . . .

67

II. Soziale Gerechtigkeit als Teil der objektiven Rechtsidee . . . 1. Vorzüge sozialer Gerechtigkeit . . . . . . . . . . . . . . .

71 73

Inhaltsverzeichnis

XI

2. Zu einigen Einwänden gegen die Anerkennung sozialer Gerechtigkeit als Teil der Rechtsidee . . . . . . . . . . . .

74

III. Die Funktion des Vertragsrechts und die Bedeutung der iustitia distributiva im Vertragsrecht eines Rawls’schen Staates . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Das Vertragsrecht als Teil der basic structure? – Teil 1: Eine Exegese . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Das Vertragsrecht als Teil der basic structure? – Teil 2: Eine funktionale Analyse . . . . . . . . . . 3. Das Vertragsrecht im System der gesamten basic structure . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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78

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78

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86

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90

F. Zum Bedeutungswandel des Begriffs der iustitia distributiva und zur Leistungsfähigkeit ihres Konzepts . . . . . . . . . . . . .

92

G. Das Verhältnis der iustitia distributiva zum öffentlichen und zum privaten Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

99

I. Die These von der Verteilungsgerechtigkeit als Gerechtigkeitsform des öffentlichen Rechts . . . . . . . . . .

99

II. Die Wurzeln der Trennung der öffentlichen von der privaten Sphäre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die freiheitliche Philosophie der Aufklärung als Wurzel der Trennungsthese . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Markttheoretische Wurzeln der Trennungsthese . . . . . . 3. Konsequenzen für das Vertragsrecht . . . . . . . . . . . . III. Die Grenzen der Trennungsthese und deren Konsequenzen für die Formen der Gerechtigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Zum Stellenwert der Kritik an der Unterscheidung des öffentlichen vom privaten Recht . . . . . . . . . . . . . . 2. Die Überordnung des Staates und die Funktion staatlicher Gewalt in der öffentlichen Sphäre als Grundlage der Trennungsthese . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Die US-amerikanische Rechtsprechung zur Vertragsfreiheit als Anlass der Kritik der herkömmlichen Sichtweise . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Der analytische Charakter der Kritik . . . . . . . . . . . . 5. Die Hohfeld’sche Analyse rechtlicher Beziehungen als Ausgangspunkt der Kritik . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Zur Unmöglichkeit hoheitlicher Eingriffe in abstrakte Freiheitsrechte „als solche“ . . . . . . . . . . . . . . . . . 7. Mechanismen privater und öffentlicher Gewalt in der Privatrechtsgesellschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . .

103 103 104 107 108 108

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110 111 112 115 117

XII

Inhaltsverzeichnis

a) Hale und die durch Vertrag und Eigentum begründeten Zwangselemente der privaten Sphäre b) Zur analytischen Natur der Kritik . . . . . . . . . c) Private und öffentliche Zwangsmechanismen . . . d) Zur Unvermeidbarkeit der zwangsgeprägten Verteilung in der Privatrechtsgesellschaft . . . . . e) Die Widerlegung des Einwands der Trivialität . .

. . . . . . . . .

118 119 120

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122 123

IV. Zur Ablösung der Dichotomie öffentlich-privat durch ein Modell der Polykontexturalität . . . . . . . . . . . . . . .

125

V. Die Trennung des öffentlichen vom privaten Recht als rechtspolitisches Gebot . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Zur strukturellen Ordnungsaufgabe der Trennung des öffentlichen vom privaten Recht . . . . . . . . . . . . 2. Zur inhaltlichen Ordnungsaufgabe der Trennung des öffentlichen vom privaten Recht . . . . . . . . . . . .

130 131 132

VI. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

134

H. Die iustitia distributiva als Ausprägung der Gerechtigkeitsidee im Vertragsrecht und in ihrem Verhältnis zur iustitia commutativa . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

135

I. Die Bedeutung des Verhältnisses der iustitia distributiva zur iustitia commutativa . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

135

II. Zum Begriff des Vertragsrechts . . . . . . . . . . . . . . . . .

136

III. Zur Unterscheidung der iustitia distributiva von der iustitia commutativa . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Keine Unterscheidbarkeit nach der Art des Verhältnisses der beteiligten Personen – Hierarchie versus Gleichordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Vertragsfremdheit – Vertragsimmanenz . . . . . . . . . . a) Zur Unbestimmtheit der Begriffe Vertragsfremdheit und Vertragsimmanenz . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Zum rechtspolitischen Charakter der Unterscheidung von Vertragsfremdheit und Vertragsimmanenz . . . . c) Zur erkenntnistheoretischen Unmöglichkeit der Beschränkung der Perspektive auf vertragsimmanente Kriterien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Zur „Ansehung der Person“ . . . . . . . . . . . . . . . . a) Die Frage nach der Ansehung der Person als Abgrenzungsmerkmal zwischen iustitia distributiva und iustitia commutativa . . . . . . . . . . . . . . . . b) Zur Unbestimmtheit der Frage nach der Ansehung der Person . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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XIII

Inhaltsverzeichnis

c) Prozedurales Gerechtigkeitsmodell zur Fiktion faktischer Gleichheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Erkenntnistheoretische Grenzen des prozeduralen Gerechtigkeitsmodells . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Iustitia distributiva und iustitia commutativa als Perspektiven der Gerechtigkeitsidee im Vertragsrecht . a) Charakteristika der iustitia commutativa . . . . . . . b) Charakteristika der iustitia distributiva . . . . . . . . c) Beispiele für die Perspektive der iustitia distributiva . aa) Verhaltenssteuerung . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Paternalismus und Schwächerenschutz . . . . . . cc) Soziale Gerechtigkeit und Umverteilung . . . . . dd) Allgemeinwohlbelange . . . . . . . . . . . . . . . d) Iustitia distributiva durch dispositives Vertragsrecht? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Vorzüge der iustitia distributiva, Vorzüge der iustitia commutativa . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Das Verhältnis der iustitia distributiva zur iustitia commutativa . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Zur Notwendigkeit, über die formal verstandene Grundstruktur der iustitia distributiva hinauszugehen b) Der erkenntnistheoretische Vorrang der iustitia distributiva . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Das normative Verhältnis zwischen iustitia distributiva und iustitia commutativa . . . . . . . . . aa) Die These vom normativen Vorrang der iustitia distributiva gegenüber der iustitia commutativa . bb) Die These vom normativen Vorrang der iustitia commutativa gegenüber der iustitia distributiva . cc) Die normative Gleichrangigkeit von iustitia distributiva und iustitia commutativa . . . . . . .

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§ 3 Das Verhältnis der iustitia distributiva zum Grundsatz der Vertragsfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

191

A. Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

191

B. Historische Entwicklung der Vertragsfreiheit . . . . . . . . . . . .

192

C. Verfassung und Vertragsfreiheit

. . . . . . . . . . . . . . . . . . .

200

I. Dogmatische Verortung der Vertragsfreiheit im Grundgesetz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

201

II. Dimensionen des verfassungsrechtlichen Schutzes . . . . . . 1. Status negativus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

205 205

XIV

Inhaltsverzeichnis

2. Status positivus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Institutsgarantie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Adressaten der verfassungsrechtlichen Bindung . . . . . . III. Verfassungsrechtliche Rechtfertigung bei Eingriffen in die Vertragsfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Das Sozialstaatsprinzip als verfassungsrechtliche Schranke der Vertragsfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . a) Das Sozialstaatsprinzip im Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland . . . . . . . . . . . . b) Das Sozialstaatsprinzip im europäischen Primärrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Soziale Gerechtigkeit als notwendiges Ziel der positiven Rechtsordnung . . . . . . . . . . . . . . d) Die historische Bedingtheit inhaltlicher Konkretisierungen des Sozialstaatsprinzips . . . . . . e) Zu Neuners Konkretisierung des Sozialstaatsprinzips . . . . . . . . . . . . . . . . . f) Konturen des Sozialstaatsprinzips als Grenze der Vertragsfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Formales versus materielles Verständnis der verfassungsrechtlichen Schranken der Vertragsfreiheit . . . . . . . . 4. Grundrechtliches Schutzgebot . . . . . . . . . . . . . . . 5. Verfassungsrechtliche Maßstäbe zur Lösung der Fälle gestörter Vertragsparität . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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223

D. Formales versus materiales Verständnis der Vertragsfreiheit in ihrem jeweiligen Verhältnis zur iustitia distributiva . . . . . . .

226

I. Die klassische Konzeption der Vertragsfreiheit als weitgehend formal verstandenes Institut zur Sicherung formaler Freiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Abstraktion als Kennzeichen formaler Konzepte . . 2. Vertragsfreiheit als private Selbstgesetzgebung durch Verträge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Staat und Recht in einem durch die Privatautonomie beherrschten Vertragsrecht . . . . . . . . . . . . . . . 4. Der bipolare Austauschvertrag als Paradigma der Vertragsfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Formale Freiheit als Idee des Vertragsrechts . . . . . 6. Funktionserhaltung durch Verfahren im Einklang mit prozeduralen Gerechtigkeitstheorien . . . . . . .

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II. Materialisierung der Vertragsfreiheit . . . . . . . . . . . . . .

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XV

Inhaltsverzeichnis

1. Materialisierung als Ausprägung der iustitia commutativa . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Konkretisierung als Kennzeichen materialer Konzepte 3. Vertragsfreiheit als Funktionselement objektiver Gerechtigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Grenzen der Vertragsfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . a) Grenzen des Freiheitsbegriffs . . . . . . . . . . . . . b) Die Brüchigkeit des bipolaren Paradigmas: Vertragsfreiheit und Drittinteressen . . . . . . . . . c) Die Brüchigkeit des Autonomiebegriffs: Entscheidungsfreiheit und Determinismus in den Neurowissenschaften . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Grenzen der Selbstregulierungsfähigkeit durch Vertragsfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Staat und Recht in einer material geprägten Vertragsordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Verallgemeinerung als Paradigma material verstandener Vertragsfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7. Materialisierung prozeduraler Grenzen . . . . . . . . . 8. Sozialisierung des Vertragsrechts? . . . . . . . . . . . .

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E. Das Postulat der Vertragsfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

259

§ 4 Das Vertragsrecht als Instrument zur Implementierung der iustitia distributiva . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

263

A. Vertragsrecht als pure procedural justice? . . . . . . . . . . . . . .

264

I. Pure procedural justice im Vertragsrecht in Analogie zu Rawls’ Gerechtigkeitstheorie . . . . . . . . . . . . . . . . . .

264

II. Zwingende Geltung der perfect procedural justice im Vertragsrecht? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

266

B. Eignung des Vertragsrechts zur Konkretisierung der iustitia distributiva . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

268

I. Vorzüge des Vertragsrechts als Medium der iustitia distributiva . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

268

II. Iustitia distributiva durch dispositives Vertragsrecht?

. . . .

270

III. Zur Notwendigkeit der Differenzierung nach verschiedenen Aspekten der iustitia distributiva im Vertragsrecht . . . . . .

272

IV. Das Vertragsrecht als Instrument sozialstaatlicher Vermögensumschichtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Effizienzverluste . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Effektivitätseinbußen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

272 274 276

XVI

Inhaltsverzeichnis

3. Unerwünschte Regulierungswirkungen . . . . . . . . . . . 4. Präzisionsdefizite . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Verhaltenssteuerung, Prävention

277 278 279

. . . . . . . . . . . . . . . .

280

VI. Paternalismus und Schwächerenschutz . . . . . . . . . . . . .

282

VII. Berücksichtigung von Interessen- oder Risikogemeinschaften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

284

VIII. Gemeinwohlinteressen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

284

C. Das Verteilungsverfahren im Vertragsrecht . . . . . . . . . . . . .

285

I. Verteilende Instanz 1. Gesetzgeber . . 2. Richter . . . . . 3. Der Schatten des

. . . . . . . . . . . . . . . Rechts

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II. Verteilungsgegenstände und die von der Verteilung betroffenen Privatrechtssubjekte . . . . . . . . . . . . . . . .

288

III. Verteilungsmaßstäbe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Verteilungsmaßstäbe in der Verfassung . . . . . . . . . 2. Verteilungsmaßstäbe in den gesetzlichen Regeln des Vertragsrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Sonstige Verteilungsmaßstäbe, insbesondere nach freier Entscheidung des Richters? . . . . . . . . . . . . . . . 4. Zur Bedeutung privatrechtlicher Dogmatik . . . . . .

. . . .

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290 294

§ 5 Konkretisierungen der iustitia distributiva im positiven Vertragsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

297

A. Paternalismus, Schwächerenschutz, menschliche Grundbedürfnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

297

I. Allgemeine Überlegungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Mieterschutzvorschriften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Das soziale Mietrecht als hervorstechendes Beispiel der iustitia distributiva im Vertragsrecht . . . . . . . . 2. Verteilung im Mietvertragsrecht – ein Gedankenexperiment . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Preußische Sozialgesetzgebung versus liberale Konzeption des BGB in seiner ursprünglichen Fassung 4. Kritik und Verteidigung des sozialen Mietrechts – Vertragsrecht und Rechtspolitik . . . . . . . . . . . . . 5. Die Konkretisierung der iustitia distributiva durch das positive soziale Mietrecht . . . . . . . . . . . . . .

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Inhaltsverzeichnis

XVII

a) Zu § 549 Abs. 2 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) § 549 Abs. 2 Nr. 1 BGB . . . . . . . . . . . . . . . bb) § 549 Abs. 2 Nr. 2 BGB . . . . . . . . . . . . . . . b) Das Postulat der Vertragsfreiheit bei der Bestimmung der Miethöhe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Vertragsfreiheit bei der Vereinbarung der Ausgangsmiete . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Vertragsfreiheit bei der Vereinbarung von Mieterhöhungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Vertragsfreiheit im Rahmen sozialer Wohnraumförderung . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Schwächerenschutz als Verteilungsmaßstab bei der Auflösung des Mietverhältnisses . . . . . . . . . aa) Verfassungsrechtliche Anforderungen . . . . . . . . bb) Die Konkretisierung der verfassungsrechtlichen Vorgaben durch das gesetzliche Mietvertragsrecht: Das System der Beendigung von Mietverträgen über Wohnraum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Verlust der sozialen Schutzbedürftigkeit des Mieters: § 573 Abs. 2 Nr. 1 BGB (schuldhafte erhebliche Pflichtverletzung) . . . . . . . . . . . . . dd) Würdigkeit und Bedarf: § 573 Abs. 2 Nr. 2 BGB (Die Eigenbedarfskündigung) . . . . . . . . . . . . ee) Gewinnerzielung: Die Verwertungskündigung gem. § 573 Abs. 2 Nr. 3 BGB . . . . . . . . . . . . (1) Verwertungsinteresse, Gemeinwohlinteressen und Schutzgesichtspunkte als zentrale Maßstäbe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Der Schutz des Verwertungsinteresses als verfassungsrechtliches Postulat . . . . . . . . . . (3) Zur richterlichen Konkretisierung des § 573 Abs. 2 Nr. 3 BGB . . . . . . . . . . . (4) Zur Konkretisierung der iustitia distributiva in der Anwendung und Auslegung des Vertragsrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . (5) Beispiele für das Konkretisierungsverfahren . . 6. Soziales Mietrecht als integrativer Bestandteil des Vertragsrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

308 309 310

III. Verbraucherschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Zur Entwicklung des Verbraucherschutzrechts . . . . . . 2. Verbraucherschutzrecht als Schwächerenschutz und darüber hinausgehendes Regulierungsinstrument . . . . .

348 349

312 313 317 320 322 322

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338 339 340

342 343 346

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XVIII

Inhaltsverzeichnis

3.

4. 5. 6.

a) Verbraucherschutzrecht als Schwächerenschutz . . . . b) Relativierung des Schutzgedankens durch die Formalisierung des Verbraucherbegriffs . . . . . . . . c) Über den Schutzgedanken hinausgehende Instrumentalisierung des Verbraucherschutzrechts (insbesondere die Binnenmarktförderung) . . . . . . . . . . . . . . . Das Informationsmodell als Spiegel eines formal liberalen Konzepts der Marktförderung und der formal verstandenen Vertragsfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . a) Das Informationsmodell als Modell prozeduraler Gerechtigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Iustitia distributiva innerhalb des prozeduralen Modells . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Grenzen des Informationsmodells . . . . . . . . . . . Umverteilung durch Verbraucherschutzrecht? . . . . . . Zur integrierenden Kraft des Bürgerlichen Gesetzbuchs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Der Richter als verteilende Instanz . . . . . . . . . . . .

IV. Schutz durch Aufklärungspflichten . . . . . . . . . . . . 1. Ein Gedankenexperiment zu den Verteilungseffekten von Aufklärungs- und Informationspflichten . . . . 2. Das Sozialstaatsprinzip als Grundlage vertragsrechtlicher Aufklärungspflichten . . . . . . . 3. Zum Prinzip der Eigenverantwortung . . . . . . . . V. Diskriminierungsschutz durch das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) . . . . . . . . . . . . . 1. Diskriminierungsschutz in der Ausgestaltung durch das AGG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Zielbestimmung und Anwendungsbereich . . . . . b) Das zivilrechtliche Benachteiligungsverbot aus § 19 AGG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Massengeschäfte . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Massengeschäftsähnliche Geschäfte . . . . . . cc) Versicherungsgeschäfte, Ausnahmen und Erweiterungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Rechtfertigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Diskriminierungsschutz des AGG als Ausdruck der iustitia distributiva im Vertragsrecht . . . . . . . 3. Zur Kritik an der Integration des Diskriminierungsschutzes im Vertragsrecht . . . . . . . . . . . . . . .

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XIX

Inhaltsverzeichnis

4. Kontrahierungszwang als dogmatisch stimmige Rechtsfolge unzulässiger Diskriminierungen in einem von der iustitia distributiva geprägten Vertragsrecht a) Der Kontrahierungszwang als Eingriff in die Privatautonomie? . . . . . . . . . . . . . . . . b) Zur Verortung des Kontrahierungszwangs in § 21 Abs. 1 S. 1 AGG . . . . . . . . . . . . . . . . c) Kontrahierungszwang als effektives Medium des Diskriminierungsschutzes . . . . . . . . . . .

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B. Verhaltenssteuerung und Prävention . . . . . . . . . . . . . . . . .

391

I. Motivation zu fairem Geschäftsgebaren . . . . . . . . . . 1. Anreiz zu fairer Darlehensvergabe – Die Wucherproblematik in der Perspektive der iustitia distributiva . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Zu den dogmatischen Konstruktionsmöglichkeiten b) Mögliche Maßstäbe für die Verteilung der Folgen eines Wucherdarlehens . . . . . . . . . . . . . . . . c) Zur politisch-diskursiven Prägung der dogmatischen Lösung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Der durch den Präventionsgedanken gebotene Ausschluss jeglicher Ansprüche des Wucherers . . . 2. Das Verbot der geltungserhaltenden Reduktion . . . .

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391

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392 392

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II. Prävention unlauteren Wettbewerbs . . . . . . . . . . . . . . 1. Die Haftung des Unternehmers wegen Gewinnzusagen (§ 661a BGB) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die Zusendung unbestellter Leistungen (§ 241a BGB) . .

400 401 402

III. Zur Kritik an der Instrumentalisierung des Vertragsrechts zu Verhaltenssteuerung und Prävention . . . . . . . . . . . .

403

C. Soziale Gerechtigkeit und Umverteilung

. . . . . . . . . . . . . .

406

I. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

406

II. Soziale force majeur bei Geldschulden?

. . . . . . . . . . . .

407

III. Zur Dogmatik des § 275 BGB: Unmöglichkeit der Leistung bei Geldschulden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

408

D. Allgemeinwohlbelange

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

409

I. Entlastung der Sozialhilfeträger durch §§ 519, 528 BGB . . .

410

II. Kontrahierungszwänge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Facetten der iustitia distributiva bei Kontrahierungszwängen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Spezialgesetzliche Kontrahierungszwänge . . . . . . . . .

411 411 412

XX

Inhaltsverzeichnis

3. Kontrahierungszwänge nach den allgemeinen Regeln des Bürgerlichen Rechts . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Kontrahierungszwänge als integraler Bestandteil eines auch die iustitia distributiva verwirklichenden Vertragsrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Kontrahierungszwänge als vertragsrechtliches Regulierungsmedium . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Zur vertragstheoretischen Fundierung der Kontrahierungszwänge . . . . . . . . . . . . . . . . 7. Zum Kontrahierungszwang durch die Einführung des Basistarifs im Rahmen der Gesundheitsreform 2007 . .

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414

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417

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418

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420

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424

E. Interessen- und Risikogemeinschaften . . . . . . . . . . . . . . . .

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I. Die Repartierungspflicht des Schuldners bei der begrenzten Gattungsschuld . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

432

II. Wegfall der Geschäftsgrundlage . . . . . . . . . . . . . . . . .

434

§ 6 Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Namensregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Stichwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

447 481 483

§ 1 Einführung Die Bedeutung der iustitia distributiva (zu Deutsch: Verteilungsgerechtigkeit1) im Vertragsrecht ist in der rechtswissenschaftlichen Forschung bisher nur selten explizit erörtert worden. Im deutschen Rechtskreis hat ihr allein Canaris eine Monographie gewidmet.2 In der anglo-amerikanischen Literatur wird das Verhältnis der iustitia distributiva zum Vertragsrecht ebenfalls nur in wenigen Aufsätzen ausdrücklich als Thema aufgeworfen.3 Das überrascht umso mehr, als die aristotelische Gerechtigkeitslehre als solche in den Privatrechtswissenschaften mit großem Interesse rezipiert wird,4 in jüngerer Zeit auch in Deutschland.5 Dabei wird jedoch die Frage nach der Bedeutung der iustitia distributiva im Vertragsrecht in der Regel allenfalls am Rande berührt.6 Das geringe Interesse an dieser Fragestellung könnte in einem Konsens über die Antwort auf sie begründet liegen, einem Konsens dahingehend, dass der iustitia distributiva im Vertragsrecht keine wesentliche Bedeutung zukommen kann. Als überragendes Prinzip des Vertragsrechts gilt die Vertragsfreiheit. Als die Vertragsfreiheit ergänzende Gerechtigkeitsform wird die iustitia commutativa angesehen, also die der iustitia distributiva bei Aristoteles entgegengesetzte Gerechtigkeitsform.7 So verbleibt für die iustitia distributiva in einem von Vertragsfreiheit und iustitia commutativa beherrschten Vertragsrecht kein

1 Die Begriffe iustitia distributiva und Verteilungsgerechtigkeit werden in dieser Arbeit synonym verwendet. 2 Canaris, Die Bedeutung der iustitia distributiva im deutschen Vertragsrecht. 3 Kronman, Yale Law Journal 1980, 472; Kennedy, Maryland Law Review 1982, 563; Lucy, Oxford Journal of Legal Studies 1989, 132; Richardson, Legal Studies 1990, 258; Collins, Current Legal Problems 1992, 49. 4 Etwa Weinrib, in: Panagiotou (Hrsg.), Justice, Law and Method in Plato and Aristotle, 1987, S. 133; Coleman, The Practice of Principle; ders., Risks and Wrongs; Wright, Iowa Law Review 1992, 625. 5 Vgl. etwa Jansen, Die Struktur des Haftungsrechts, S. 76 ff. über die Funktion der iustitia distributiva im Haftungsrecht. 6 Das Rezeptionsinteresse fokussiert insbesondere auf das Deliktsrecht. S. etwa Jansen, Die Struktur des Haftungsrechts; Coleman, Risks and Wrongs; Weinrib, in: Panagiotou (Hrsg.), Justice, Law and Method in Plato and Aristotle, 1987, S. 133; s. auch Lucy, in: Robertson/Wu (Hrsg.), The Goals of Private Law, 2009, S. 47, 52 m.w.N. in Fn. 17 und 18. 7 Radbruch, Rechtsphilosophie, S. 122; Lucy, Oxford Journal of Legal Studies 1989, 132; differenzierend: Canaris, Die Bedeutung der iustitia distributiva im deutschen Vertragsrecht, S. 126.

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§ 1 Einführung

Raum. Die iustitia distributiva scheint zugleich das Vertragsrecht als privates Reich der Freiheit zu gefährden. Als ihre Domäne gilt das öffentliche Recht.8 Diese Arbeit hinterfragt diese Paradigmen. In ihrer Grundthese versucht sie zu zeigen, dass die iustitia distributiva das Vertragsrecht ebenso stark prägt und durchdringt wie die iustitia commutativa. Der in dieser Arbeit entwickelte Begriff der iustitia distributiva reicht weit über den Begriff der sozialen Gerechtigkeit hinaus. Die iustitia distributiva wird als Gerechtigkeitsperspektive entfaltet werden, die den Blick von den unmittelbar am Vertrag beteiligten Privatrechtssubjekten löst, die zur Entscheidung stehenden Sachverhalte verallgemeinert und die über das konkrete Vertragsverhältnis hinausgehenden Wirkungen vertragsrechtlicher Regulierung einschließt.9 Die iustitia distributiva fordert keineswegs dazu auf, das Vertragsrecht zu Zwecken einer sozial motivierten Vermögensumverteilung zu instrumentalisieren. Vielmehr versteht sich die Arbeit als Plädoyer für eine funktionale Sicht des Vertragsrechts, die dieses als Instrument der Regulierung betrachtet und grundsätzlich offen für die Umsetzung unterschiedlicher im politischen Diskurs zu bestimmender Zielsetzungen ist.10 Dabei will diese Untersuchung keine konkreten und allgemeingültigen Verteilungsmaßstäbe bestimmen, an denen sich die Rechtsanwendung zu orientieren hätte. Das Erkenntnisinteresse dieser Arbeit bezieht sich vor allem auf die Offenlegung vertragsrechtlicher Wertungsentscheidungen und ist insofern methodischer Natur. Dabei geht es insbesondere auch darum, rechtspolitische Verteilungsentscheidungen des Vertragsrechts aufzudecken. In der rechtsphilosophischen Grundlegung dieser Arbeit wird zunächst die Notwendigkeit einer funktionalen und zweckgerichteten Theorie des Vertragsrechts verteidigt werden. In einem nächsten Schritt gilt es zu begründen, dass die Gerechtigkeit die Idee des Vertragsrechts ist. Damit kann die Untersuchung auf die iustitia distributiva als Ausprägung der Gerechtigkeitsidee fokussiert werden. Dabei wird der Begriff der iustitia distributiva in seiner geschichtlichen Entwicklung und seiner gegenwärtigen Erklärungskraft erarbeitet werden. Die eingangs skizzierte Zuordnung der iustitia distributiva zum öffentlichen Recht wird sodann expliziert und im Rahmen einer Analyse der Trennung des öffentlichen vom privaten Recht kritisiert werden. Damit ist der Weg für eine Präzisierung der iustitia distributiva als Ausprägung der Gerechtigkeitsidee im Vertragsrecht eröffnet. Diese Präzisierung wird insbesondere das Verhältnis der iustitia distributiva zur iustitia commutativa zum Gegen8

Radbruch, Rechtsphilosophie, S. 122; Adomeit, Rechts- und Staatsphilosophie, S. 103; Coing/Honsell, in: Staudinger, Eckpfeiler des Zivilrechts, Einleitung zum BGB, Rn. 47; MacCormick, Institutions of Law, S. 263 f.; Wright, Iowa Law Review 1992, 625, 640 ff. und 707 ff. 9 S. insbesondere S. 135 ff. Zu den Chancen der regulativen Perspektive im Vertragsrecht etwa Riesenhuber/Möslein, in: Riesenhuber (Hrsg.), Perspektiven des europäischen Schuldvertragsrechts, 2008, S. 1 sowie 4 ff. 10 Zu dieser Perspektive auch Möslein, JZ 2010, 72.

§ 1 Einführung

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stand haben. Anschließend werden das Verhältnis der iustitia distributiva zum Grundsatz der Vertragsfreiheit und die Eignung des Vertragsrechts als Medium vertraglicher Verteilung untersucht. Dem schließen sich Überlegungen zum Verteilungsverfahren im Vertragsrecht an. Auf dieser Grundlage werden einige Konkretisierungen der iustitia distributiva im geltenden deutschen Vertragsrecht untersucht werden.

§ 2 Rechtsphilosophische Grundlegung A. Ziele des Vertragsrechts Die Grundthese dieser Arbeit, wonach die Gerechtigkeit auch in ihrer Ausprägung als iustitia distributiva die Idee des Vertragsrechts bildet, führt zu einem funktionalistischen Ansatz, der das Vertragsrecht auch in seiner regulativen Kapazität analysiert und bewertet. Das Vertragsrecht kann in dieser Perspektive nicht funktionslos, nicht frei von Zielen sein. Diesem Ansatz stehen deontologische Ansätze gegenüber, die eine nicht instrumentalistische Sicht des Vertragsrechts propagieren. Die in jüngerer Zeit vielleicht einflussreichste deontologische Theorie des Privatrechts in diesem Sinne hat Weinrib entwickelt. Er erklärt das Privatrecht – und damit auch das Vertragsrecht – zum Selbstzweck.1 Sein Grundanliegen beschreibt Weinrib in seinem Hauptwerk The Idea of Private Law mit einer aussagekräftigen Metapher: „Explaining love in terms of extrinsic ends is necessarily a mistake, because love does not shine in our lives with the borrowed light of an extrinsic end. Love is its own end. My contention is that, in this respect, private law is just like love.“2

Weinrib konstruiert das Privatrecht als funktionslos. Privatrecht müsse aus sich selbst heraus verstanden werden.3 Strukturprägendes Element des Privatrechts sei seine Bipolarität, die Rechte und Pflichten zweier Parteien zueinander.4 Diese müssten aus sich selbst heraus verstanden werden. Gerechtigkeitserwägungen, die sich nicht allein aus dem bipolaren Verhältnis der Privatrechtssubjekte erklären lassen, werden als Angriff auf die Reinheit des Privatrechts abgelehnt.5 Die Gerechtigkeitsform des Privatrechts ist für Weinrib folgerichtig „corrective justice“, die korrigierende bzw. ausgleichende Gerechtigkeit.6 Weinrib meint dabei die zweite Form der Partikulargerechtigkeit 1 Im deutschen Rechtskreis entwirft etwa Picker eine ähnliche Vertragstheorie. Einziges Ordnungsziel des Vertragsrechts ist dabei die Freiheit der Individuen, die allein durch die Freiheit der anderen limitiert wird, s. Picker, in: Riesenhuber (Hrsg.), Privatrechtsgesellschaft, 2007, S. 207, 209 ff. 2 Weinrib, The Idea of Private Law, S. 6; s. auch Weinrib, Corrective Justice, passim und dazu Steel, Oxford Journal of Legal Studies 2013, S. 607 f. 3 Weinrib, The Idea of Private Law, S. 11 ff. 4 Weinrib, The Idea of Private Law, S. 11 f. und S. 63 ff. 5 Weinrib, The Idea of Private Law, S. 6 ff. 6 Weinrib, The Idea of Private Law, S. 56 ff.

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§ 2 Rechtsphilosophische Grundlegung

in der aristotelischen Gerechtigkeitstheorie, die in dieser Arbeit als iustitia commutativa bezeichnet wird.7 Die iustitia commutativa (in der Terminologie Weinribs: corrective justice) ist in einzelnen Interaktionen der Privatrechtssubjekte unmittelbar wirksam, ohne Vermittlung durch eine übergeordnete Instanz.8 Sie bewirkt einen unmittelbaren Ausgleich zwischen den als gleich betrachteten Beteiligten, indem sie einen ungerechtfertigten Verlust des einen, der zu einem Gewinn des anderen geführt hat, unmittelbar von diesem anderen wegnimmt und dem einen zuordnet.9 Diese Zuordnung der iustitia commutativa zum Privatrecht entspricht mit Blick auf das Vertragsrecht der aristotelischen Zweiteilung der besonderen Gerechtigkeit, wie sie sich aus einer unkritischen ersten Lektüre der Nikomachischen Ethik ergibt: „Von der Gerechtigkeit im speziellen Sinn (kata meros) und dem in ihrem Sinne Gerechten findet sich die eine Form bei der Verteilung (dianomē) von Ehre, Geld oder anderen Gütern, die unter den Mitgliedern der Staatsgemeinschaft teilbar sind (denn in diesen Dingen kommt es vor, dass jemand einen ungleichen oder den gleichen Betrag hat wie ein anderer). Die andere Form betrifft den Ausgleich (diorthōtikōn) in Transaktionen (synallagma) zwischen Menschen. Diese hat wiederum zwei Teile. Von den Transaktionen sind nämlich die einen gewollt (hekousion), die anderen gegen das eigene Wollen (akousion). Gewollt sind zum Beispiel Kauf, Verkauf, Darlehen, Bürgschaft, Nutznießung, Deposition, Miete (man bezeichnet diese als gewollt, weil der Ursprung der Transaktionen im eigenen Wollen liegt).“10

Aristoteles ordnet hier Kauf, Verkauf, Darlehen, Bürgschaft, Miete – also zentrale Formen des Vertrags– ausdrücklich der iustitia commutativa zu. Ein näherer Blick auf die aristotelische Unterscheidung nährt indes Zweifel daran, ob die kategoriale Zuordnung der Austauschgerechtigkeit zum Vertragsrecht für das heutige Vertragsrecht der aristotelischen Differenzierung noch gerecht wird. Davon ist an späterer Stelle noch ausführlich zu handeln.11 In einem gerade für das Anliegen Weinribs zentralen Punkt unterscheidet sich aber Weinribs Privatrechtsverständnis fundamental von der aristotelischen Lehre und ihrer Tradition. Die Gerechtigkeitslehre des Aristoteles ist in die Nikomachische Ethik eingebettet, die eine pragmatische Theorie des rich7 Dazu im Einzelnen unten, S. 41 ff. Weinribs Terminologie legt für den Bereich gesetzlicher Schuldverhältnisse auch etwa Wendehorst zugrunde, vgl. Wendehorst, Anspruch und Ausgleich, S. 14 f. 8 Dazu Wright, Iowa Law Review 1992, 625, 691 ff. 9 S. dazu mit Unterschieden im Detail etwa Weinrib, The Idea of Private Law, S. 63 ff.; Wright, Iowa Law Review 1992, 625, 702 ff. 10 Aristoteles, Nikomachische Ethik (NE), 1130 b 30 ff. (S. 166 in der Übersetzung Wolfs). Die zu dieser Fußnote gehörige und die folgenden Übersetzungen der NE stammen von der neueren Übersetzung von Ursula Wolf (Aristoteles, Nikomachische Ethik). Die konkreten Angaben folgen wie international üblich der von Bekker ab 1831 herausgegebenen Ausgabe der Königlich-Preußischen Akademie der Wissenschaften (Berlin), die sich in Seiten, Spalten (a und b) sowie Zeilen untergliedert. Zur Übersetzung dieser Stelle näher S. 33 (Fn. 142). 11 Unten, S. 32 ff.

A. Ziele des Vertragsrechts

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tigen, tugendhaften Handelns begründet.12 Dies lässt bereits ein erster Blick auf die Gliederung der Nikomachischen Ethik erahnen, deren erstes Buch sich mit den Begriffen des Ziels, des Guten und des Glücks befasst. Gerechtes Handeln lässt sich deshalb für Aristoteles nicht ohne Einbeziehung der Zwecke und Ziele des Handelns beurteilen.13 Dies gilt auch für die Tugend der Gerechtigkeit, die für Aristoteles zwingend mit dem höchsten Gut verknüpft ist. Dessen Verwirklichung ist aber in Aristoteles’ Konzeption die zentrale Aufgabe der politischen Gemeinschaft, auf die deshalb auch die Gerechtigkeit als Tugend zwingend ausgerichtet ist.14 Dieser Zusammenhang muss auch in einer auf Aristoteles basierenden Gerechtigkeitstheorie des Privatrechts berücksichtigt werden. Auch wenn Weinrib also die Gerechtigkeitsdefinitionen des Aristoteles weitgehend übernimmt, so kann sich seine Privatrechtstheorie doch letztlich nicht auf die Gerechtigkeitskonzeption des Aristoteles stützen.15 Wichtiger als die Frage, ob sich Weinrib zu Recht auf Aristoteles als Pate seiner formalen Privatrechtstheorie stützt, ist die Frage nach der inhaltlichen Überzeugungskraft der Reduktion des Privatrechts auf die Form bipolarer Verhältnisse und auf die Reinigung des Privatrechts von außerhalb dieser Bipolarität stehenden materiellen Elementen (Effizienz, Utilitarismus, materielle Gleichheit). Der Ausschluss externer Gerechtigkeitsmaßstäbe reduziert Komplexität. Privatrecht wird reduktiv erfasst, interpretiert und angewendet. Dies hat Vorteile. Je komplexer ein System ist, desto schwieriger wird sein Verständnis. Für das Privatrecht bedeutet dies konkret: Je mehr Fakten, Umstände und Besonderheiten der Gesetzgeber oder Richter bei der Falllösung berücksichtigen muss, desto komplexer und schwieriger ist die Entscheidung – sei es in Form eines Urteils, sei es in Form eines Gesetzes im weitesten Sinne. Umgekehrt führt Komplexitätsreduzierung zu einer einfacheren Handhabung des Systems. Entscheidungen werden einfacher – und dadurch potentiell auch besser vorhersehbar und schneller erreichbar. Die Reduzierung von Komplexität hat aber auch Nachteile. Je weniger Fakten, Umstände und Besonderheiten Gesetzgeber oder Richter berücksichtigen, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit, Relevantes nicht zu berücksichtigen. Je formaler die Analyse des Vertragsrechts erfolgt, desto stärker wird der gesamtgesellschaftliche Kontext vernachlässigt, in dem das Vertragsrecht steht. Dies zeigt sich auf makroskopischer ebenso wie auf mikroskopischer Ebene. Auf makroskopischer Ebene gilt mit Blick auf das Vertragsrecht: Durch Verträge werden in unserer 12

Vgl. Gordley, Foundations of Private Law, S. 7 f. Vgl. nur Aristoteles, NE, 1094 a 1 (S. 43 in der Übersetzung Wolfs): „Jedes Herstellungswissen und jedes wissenschaftliche Vorgehen, ebenso jedes Handeln und Vorhaben strebt, so die verbreitete Meinung, nach einem Gut. Deshalb hat man ,Gut‘ zu Recht erklärt als ,das, wonach alles strebt‘“. 14 Heyman, Iowa Law Review 1992, 851, 853 f. 15 Heyman, Iowa Law Review 1992, 851, 853 ff.; Gordley, in: Benson (Hrsg.), The Theory of Contract Law, 2007, S. 265 sowie S. 309 f. 13

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§ 2 Rechtsphilosophische Grundlegung

Wirtschaftsordnung permanent und in großem Umfang knappe Ressourcen verteilt. Verträge ermöglichen Güteraustausch, das Vertragsrecht weist Risiken zu und bildet eine wichtige Grundlage für die Konstituierung der Märkte. Verträge dienen daher auch dazu, den gesamten Wohlstand der Gesellschaft zu erhöhen. Verträge und Vertragsrecht sind allerdings nicht hinreichende Bedingung für funktionsfähige Märkte. Diese bedürfen vielmehr insbesondere auch eines funktionsfähigen Kartell- und Wettbewerbsrechts.16 Daher steht das Vertragsrecht auch in einem Abhängigkeitsverhältnis zu diesen Rechtsgebieten: In echten Monopolen, eingeschränkt auch in Oligopolen, führen Verträge zu gänzlich anderen Verteilungsergebnissen als bei annähernd vollständigem Wettbewerb. Zugleich führt das Vertragsrecht im Zusammenspiel mit den Regeln des Marktes zwingend zu massiven Verteilungseffekten. Diese Regeln des Marktaustausches gibt der Staat vor, den man deshalb auch als externe Verteilungsinstanz betrachten kann. Eine Fokussierung allein auf das bipolare Verhältnis der Vertragsparteien wird diesen Zusammenhängen kaum gerecht. Die Nachteile einer komplexitätsreduzierenden, formalen Sichtweise des Vertragsrechts zeigen sich zugleich auf mikroskopischer Ebene. Die Rechte und Pflichten, die sich aus einem konkreten Einzelvertrag ergeben, lassen sich bei einer formalen Betrachtung nur schwer vollständig erfassen. Das gilt schon deshalb, weil dabei allzu leicht die Bindungskraft und die Vertrauensgenerierung außer Acht gelassen werden, die durch Verträge geschaffen werden. Dieses Vertrauen wird dabei auch durch die Vollstreckbarkeit vertraglicher Rechte gestärkt. Die Parteien wissen um diese Vollstreckbarkeit – die nicht zwingend umgesetzt wird, die aber die Erwartungshaltung im Hintergrund entscheidend mitbestimmt. Viele Unterscheidungen des positiven Rechts kann eine formale Analyse kaum erklären. Das Vertragsrecht betrachtet etwa Verträge zwischen Verbrauchern und Unternehmern anders als Verträge, bei denen beide Vertragsschließende Unternehmer sind. Solcherlei Differenzierungen können nur erklärt werden, wenn Unternehmereigenschaft und Verbrauchereigenschaft in das Privatrechtssystem integriert werden. Bereits damit tut sich indes eine formale Betrachtung des Vertragsrechts erstaunlich schwer.17 Zudem lässt sich die bereits an vielen anderen Schnittstellen erfolgte Materialisierung des Vertragsrechts18 mit Weinribs Analyse kaum erklären. Letztlich gibt es freilich keine mit logischen Argumenten verifizierbare Antwort auf die Frage, wie sehr man das Vertragsrecht reduziert auf das paradigmatisch bipolare Verhältnis betrachten will oder wie sehr man im Gegensatz dazu externe Effekte des Vertragsrechts berücksichtigen möchte. Die Antwort ist vor allem eine Frage der Perspektive. Das lässt sich an Weinribs

16 17 18

Vgl. etwa Mestmäcker, AcP 1968, 235; Canaris, AcP 2000, 273, 293 ff. Näher dazu unten, S. 226 ff. Dazu insbesondere Canaris, AcP 2000, 273.

A. Ziele des Vertragsrechts

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anschaulicher Metapher vom Privatrecht als Liebe veranschaulichen.19 Liebe ist Selbstzweck, so Weinrib, Liebe verfolgt keinen über sie selbst hinausgehenden Zweck. Das ist ein Standpunkt, den man durchaus einnehmen kann. Mit Blick auf die romantische Liebe werden viele diesen Standpunkt bevorzugen: Nach Zwecken einer romantischen Liebe zu fragen, scheint berechnend, instrumentalistisch, geradezu unromantisch. Der Blick auf die Liebe als Selbstzweck ermöglicht am ehesten die Kraft und den Mut, Liebe auch gegen Widrigkeiten durchzusetzen. Dennoch ist es keineswegs zwingend, Liebe als Selbstzweck zu betrachten.20 Andere Standpunkte sind durchaus denkbar und nachvollziehbar: Ein Evolutionsbiologe mag auch für die romantische Liebe die Frage nach deren Zweck stellen und auch Antworten geben können. Gleiches gilt für Soziologen oder Psychologen.21 Mit Blick auf die Liebe der Eltern zu ihren Kindern gilt Ähnliches. Keiner dieser Standpunkte ist dabei den anderen überlegen. Sie stehen vielmehr für verschiedene Betrachtungsweisen, verschiedene Perspektiven, unter denen man sich einem Phänomen annähern kann. Dieser Aspekt lässt sich auf das Vertragsrecht übertragen. Auch für dieses kann gefragt werden, welche Zwecke es in unserem Rechtssystem, in unserem Wirtschaftssystem und in unserer Gesellschaft verfolgt, verfolgen kann und verfolgen soll.22 Das heißt nicht, dass jede vertragsrechtliche Entscheidung durch den Richter unmittelbar unter Analyse möglicher Zwecke des Vertragsrechts erfolgen darf. Vertragsrecht wird täglich vor Gerichten und unter Parteien verhandelt und entschieden. Formalisierung schafft dabei Kohärenz und Vorhersehbarkeit. Die Rechtssicherheit wäre empfindlich beeinträchtigt, wenn rasche und sichere Entscheidungen nicht durch die Reduzierung von Komplexität ermöglicht würden. Zugleich ermöglicht eine formale Sichtweise des Vertragsrechts, dass Konflikte rascher entschieden werden können: Der Richter wird davon entbunden, etliche Umstände zu berücksichtigen, er kann seine Entscheidung auf einen eng umgrenzten Ausschnitt des jeweiligen Lebenssachverhalts stützen und muss nicht in jedem Einzelfall eine eingehende Analyse unter Berücksichtigung möglicher Funktionen und des Gesamtzusammenhangs des Vertragsrechts vornehmen. Für den Gesetzgeber, aber auch für Revisionsrichter gilt dies dagegen schon im Ausgangspunkt nicht in gleichem Maße. Der Gesetzgeber gestaltet das Recht, doch auch der Revisionsrichter wirkt maßgeblich an der Fortentwicklung des Rechts mit. Sie dürfen – der Revisionsrichter freilich nur innerhalb der Grenzen zulässiger richterlicher Rechtsfortbildung – Fehlentwicklungen korrigie-

19

Weinrib, The Idea of Private Law, S. 6. Hedley, in: RobertsonWu, (Hrsg.), The Goals of Private Law, 2009, S. 193, 197. 21 Hedley, a.a.O., S. 197. 22 Eindringlich etwa Collins, Regulating Contracts, passim; Campbell, Oxford Journal of Legal Studies 2000, 477; G. Wagner, AcP 2006, 352, insbes. 422 ff.; Robertson, in: Robertson/Wu (Hrsg.), The Goals of Private Law, 2009, S. 261. 20

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§ 2 Rechtsphilosophische Grundlegung

ren, neue Anstöße geben und die Reduktionsbedingungen des Vertragsrechts modifizieren.23 Es zeigt sich also: Eine formale Analyse des Vertragsrechts ist in Grenzen nötig. Die Formalisierung darf indes keine Ausschließlichkeit beanspruchen. Das Vertragsrecht ist in vielen Bereichen bereits materialisiert.24 Aspekte wie Vertrauensschutz25, Verbraucherschutz26, aber auch soziale Verantwortung27 haben ihren Platz im Vertragsrecht. Auch die Generierung „fairer“, in Grenzen solidarischer Verhaltensweisen lässt sich als materielles Ziel des Vertragsrechts betrachten. Betrachtet man das Vertragsrecht unter der externen Perspektive der Verteilungsgerechtigkeit, so sind diese Ziele integraler Bestandteil des Vertragsrechts. Nur diese Perspektive ermöglicht eine kohärente und flexible Fortentwicklung des Vertragsrechts, die in ihrer Zielgerichtetheit auch methodologisch offen ist. Daher ist diese Arbeit insbesondere ein Plädoyer für eine funktionalistische Betrachtung des Vertragsrechts.28 Ziele des Vertragsrechts werden also zumindest als existent postuliert. Diese Ziele sind ebenso mannigfaltig wie die Verteilungsmaßstäbe. Zwar würden Kohärenz und Sicherheit zumindest auf den ersten Blick gefördert, wenn lediglich ein einzelner Verteilungsmaßstab gelten würde, etwa das ökonomische Effizienzkriterium.29 Eine solche einseitige Analyse überzeugt aber kaum.30 Sie widerspricht bereits 23 Dabei sollte die richterliche Rechtsfortbildung offen begründet werden, vgl. nur Rüthers, NJW 2011, 434 m.w.N. Zur Bindung des Richters an das Gesetz etwa Hassemer, in: Kaufmann/ Hassemer/Neumann (Hrsg.), Einführung in die Rechtsphilosophie und Rechtstheorie der Gegenwart, S. 251 ff. 24 S. auch Lurger, Grundfragen der Vereinheitlichung des Vertragsrechts in der Europäischen Union, Habilitationsschrift an der Universität Graz, Juni 1998, S. 540 ff. 25 Grundlegend Canaris, Die Vertrauenshaftung im deutschen Privatrecht, 1971. 26 Dazu jüngst umfassend Tamm, Verbraucherschutzrecht. 27 Grundlegend Wieacker, Das Sozialmodell der klassischen Privatrechtsgesetzbücher und die Entwicklung der modernen Gesellschaft. Schon 1952 hält er dort (S. 18) fest: „Unter Führung des Reichsgerichts hat die Rechtsprechung ….im letzten halben Jahrhundert die formale Freiheitsethik, die der deutschen Privatrechtsordnung zugrundelag, in eine materiale Ethik sozialer Verantwortung zurückverwandelt.“. 28 Ebenso etwa Collins, Regulating Contracts, passim, insbes. S. 56 ff.; Kronman, Yale Law Journal 1980, 472; Collins, Current Legal Problems 1992, 49; G. Wagner, AcP 2006, 352 mit Blick auf Verhaltenssteuerung und Prävention, nicht allerdings bezüglich sozialer Umverteilung, vgl. G. Wagner, ZEuP 2007, 180; eingeschränkend auch T. Ackermann, Der Schutz des negativen Interesses, S. 107 ff. (Einsatz ausschließlich zur Verwirklichung negativer Freiheit des einzelnen). 29 Eine monistische Theorie des Rechts aus jüngerer Zeit haben beispielsweise Kaplow und Shavell entwickelt. Ihnen zu Folge ist alles Recht – auch das Vertragsrecht – ausschließlich am Maßstab der Wohlfahrtsmaximierung zu messen. S. insbesondere Kaplow/Shavell, Fairness versus Welfare; zu ihrer Konzeption instruktiv Coleman, Yale Law Journal 2003, 1511; Selbstverständlich sind keineswegs alle Spielarten von law and economics ähnlich monistisch, vgl. nur Chang, Yale Law Journal 2000, 173. 30 Die Theorie Kaplow und Shavells wird eindrucksvoll kritisiert bei Coleman, Yale Law Journal 2003, 1511; s. auch Ferzan, Law and Philosophy 2004, 73; Markovits, George Mason Law Review 2005, 511.

B. Gerechtigkeit als Idee des Vertragsrechts

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dem Wertepluralismus, den die deutsche ebenso wie die europäische Verfassung zum Manifest unserer Gesellschaft erheben. Dies muss sich auch im Vertragsrecht widerspiegeln. Es besteht kein Grund, das Vertragsrecht davon zu befreien, Werte wie Fairness, Familienschutz, Vertrauen, Sicherheit, Solidarität und Schwächerenschutz zu verwirklichen. Dabei kann die objektive Gerechtigkeitsidee selbstverständlich auch den Effizienzgedanken berücksichtigen. Wenn Verträge auf dem Boden von Markt und Wettbewerb Chancen und Risiken verteilen, bietet eine effiziente Ausgestaltung die Chance jedes Marktteilnehmers auf größeren Wohlstand. Andererseits sind grundlegende Forderungen der iustitia distributiva wie etwa eine im Ausgangspunkt gleiche Ausstattung mit Bürgerrechten und Freiheitsbedürfnissen Voraussetzung dafür, dass Privatrechtssubjekte wirtschaftliche Kräfte freisetzen.

B. Gerechtigkeit als Idee des Vertragsrechts I. Gerechtigkeit als objektive Rechtsidee Radbruch bringt in seiner Rechtsphilosophie einen Grundsatz zum Ausdruck, dem sich auch diese Untersuchung anschließt: „Recht ist die Wirklichkeit, die den Sinn hat, dem Rechtswerte, der Rechtsidee zu dienen. Der Rechtsbegriff ist also ausgerichtet an der Rechtsidee. Die Idee des Rechts kann nun keine andere sein als die Gerechtigkeit.“31 Die Idee des Rechts wird auch in dieser Arbeit in der Gerechtigkeit erblickt.32 Da aber auch das Vertragsrecht Teil des Rechts ist, folgt: Gerechtigkeit ist das Ziel des Vertragsrechts. Inhaltlich lässt sich die Gerechtigkeit als Idee des Rechts nur schwer durch eine abstrakte Formulierung umschreiben.33 Als objektives Ideal ist die Gerechtigkeitsidee für unterschiedliche Annäherungen offen.34 31 Radbruch, Rechtsphilosophie, S. 119 f. (Kursivdruck im Originaltext). Bei Radbruch wird die Idee des Rechts von der Zweckmäßigkeit als Leitgedanke für die Gewinnung von Rechtsinhalten und der Rechtssicherheit als Bedingung der positiven Geltung dieser Inhalte ergänzt, vgl. Radbruch, Rechtsphilosophie, S. 164 ff. 32 So auch etwa Braun, Rechtsphilosophie im 20. Jahrhundert, S. 314 ff.; Wright, Notre Dame Law Review 2000, 1859; weitergehend etwa Engisch, Auf der Suche nach der Gerechtigkeit, S. 186 ff., der als zur Rechtsidee gehörig neben der Gerechtigkeit auch weitere Prinzipien (Zweckmäßigkeit, Willkürfreiheit) ansieht. 33 Dreier begrenzt den Begriff der Gerechtigkeit auf einen Teilbereich des sittlich Guten und gelangt so zu einer praktikablen Definition, die gleichwohl (notwendiger Weise) inhaltsarm ist: „Gerechtigkeit ist diejenige Eigenschaft einer Handlung, eines Handlungssubjekts, einer Norm oder einer Normenordnung, durch die eine gute Ordnung der Verteilung und des Ausgleichs von Gütern und Lasten bewahrt oder hergestellt wird.“, s. Dreier, in: Dreier (Hrsg.), RechtStaat-Vernunft, 1991, S. 8, 12 f. 34 Lamont, Philosophy 1941, 3, 4 f.; ebenso aus diskurstheoretischer Perspektive Alexy, Theorie der juristischen Argumentation, S. 399 ff. (insbes. S. 414).

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§ 2 Rechtsphilosophische Grundlegung

Dieser Standpunkt ist keineswegs unumstritten. Die Trennungsthese des Rechtspositivismus postuliert mit Differenzierungen im Detail, dass Recht und Moral voneinander getrennt betrachtet werden müssen.35 Rechtliche Regelungen müssen nicht notwendig moralischen Grundsätzen entsprechen. Rechnet man daher die Gerechtigkeit der Moral, nicht aber dem Recht zu, so ist die Gerechtigkeit nicht das Ziel des Rechts. In besonders klarer Form hat Kelsen diese Position entwickelt. Der Titel seines Hauptwerks ist dabei programmatisch. Die „Reine Rechtslehre“ zielt darauf ab, das Recht „rein“ zu halten.36 Kelsen geht es darum, das positive Recht zu erkennen, nicht aber die Frage zu beantworten, wie es gemacht werden soll. Die Reinheit des Rechts ist dabei als Reinheit von moralischen, politischen und empirischen Erwägungen zu verstehen.37 Moral und Recht sind bei Kelsen in wissenschaftlicher Betrachtung getrennt zu haltende soziale Normen.38 So gelangt er zu einer Beschreibung der Rechtsordnung als Normsystem, das zu seiner Begründung nicht auf außerhalb seiner selbst liegende Elemente zurückgreift. Zur Vermeidung eines infiniten Regresses oder eines hermeneutischen Zirkels entwirft Kelsen seine berühmt gewordene Idee einer „Grundnorm“, die wir zur Erklärung der für Kelsen notwendigen Verpflichtung zur Verfassungsgebung voraussetzen müssen.39 Kelsen verzichtet also für die Erklärung des Rechts und seiner Geltung auf jegliche empirische Aspekte. Dadurch unterscheidet sich seine Rechtstheorie in markanter Weise von denen anderer Rechtspositivisten, die die Rechtsgeltung zumindest auch von im Einzelnen unterschiedlichen empirischen oder sozialen Aspekten abhängig machen (etwa die Anerkennung durch die Rechtsgemeinschaft40 oder die Autorität des Rechts41). Die mit dem Postulat einer Grundnorm verbundenen Schwierigkeiten liegen außerhalb des Erkenntnisinteresses dieser Arbeit. Die Grundidee der „reinen Rechtslehre“ verdeutlicht aber die für Kelsen bestehende Notwendigkeit, das Recht außerhalb der Moral erklären und beschreiben zu können. Aus dieser Idee ergibt sich noch nicht, ob das Verhältnis von Recht und Gerechtigkeit mit dem Verhältnis von Recht und Moral übereinstimmen muss. Dies hängt vielmehr davon ab, ob man Gerechtigkeit als ausschließliche Forderung der Moral betrachtet, oder ob man sie auch als Forderung des Rechts akzeptieren kann. Kelsen führt diesbezüglich präzise aus: 35 Etwa Austin, The Province of Jurisprudence Determined, Lecture 5, S. 157 ff.; Hart, The Concept of Law, passim; Raz, The Authority of Law; einen umfassenden Überblick bietet etwa Ott, Der Rechtspositivismus; einführend Ellscheid, in: Kaufmann/Hassemer/Neumann (Hrsg.), Einführung in die Rechtsphilosophie und Rechtstheorie der Gegenwart, S. 214 ff. 36 Kelsen, Reine Rechtslehre, S. 1. 37 Vgl. etwa Merkl, Österreichische Zeitschrift für öffentliches Recht 1961, 293, 296 ff. 38 Kelsen, a.a.O., S. 60 ff. Dazu etwa Dreier, in: Dreier (Hrsg.), Recht, Moral, Ideologie, 1981, S. 217, 221 ff. 39 Kelsen, a.a.O., S. 47 und S. 196 ff. 40 Hart, The Concept of Law. 41 Raz, The Authority of Law.

B. Gerechtigkeit als Idee des Vertragsrechts

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„Insofern Gerechtigkeit eine Forderung der Moral ist, ist in dem Verhältnis von Moral und Recht das Verhältnis von Gerechtigkeit und Recht inbegriffen.“42

Da Kelsen aber nun die Gerechtigkeit nicht dem Normensystem zuschreibt, von dem die Rechtsordnung konstituiert wird, steht die Gerechtigkeit außerhalb des Rechts.43 Es kann nicht mit analytischen Argumenten bewiesen werden, dass die Trennungsthese des Rechtspositivismus – etwa in der von Kelsen vertretenen Form „falsch“ oder „richtig“ ist.44 Zudem ist der Rechtspositivismus – auch in der Form Kelsens – vor mehreren Vorwürfen in Schutz zu nehmen. Der erste Einwand betrifft die Stellung der Moral in einer rechtspositivistisch konzipierten Gesellschaftsordnung. Die Moral wird durch die Trennungsthese des Rechtspositivismus nicht notwendig geschwächt. Es besteht zwar keine notwendige Verbindung zwischen ihr und dem Recht. Das lässt die Bedeutung der Moral außerhalb des Rechts aber zumindest unberührt. Man könnte vielmehr in der Trennungsthese sogar eine Stärkung der Moral erblicken.45 Diese kann gerade dadurch Gewicht erlangen, dass sie nicht schon im Recht integriert ist. Sie behält so ihre Eigenständigkeit als regulativer Mechanismus neben dem Recht. Die Stabilität der Gesellschaftsordnung als Ganzes könnte dadurch sogar erhöht sein. Denn die Mitglieder der Gesellschaft können ihr Verhalten auch dann, wenn es nicht dem Recht entspricht, dadurch erklären und für sich und andere Gesellschaftsmitglieder nachvollziehbar erscheinen lassen, dass das Verhalten dem eigenständigen Normensystem der Moral entspricht.46 Dieses Argument führt bereits zu dem zweiten Vorzug der rechtspositivistischen Trennungsthese. Sie vermeidet, dass dem Einzelnen mit dem Vorwurf der Rechtsverletzung zugleich ein moralischer Vorwurf gemacht wird. Wer gegen Rechtsnormen verstößt, kann gleichwohl moralisch richtig handeln. Dies zu begründen fällt schwerer, wenn Moral und Gerechtigkeit bereits im Recht inkludiert sind.47 Die vom Recht vorgesehenen Sanktionen genügen zur Bewährung des Rechts; dazu bedarf es keines zusätzlichen moralischen Vorwurfs etwa des Inhalts: Du hast ungerecht gehandelt.48 Auch die Gefahr, die für eine Gesellschaftsordnung von Bestrebungen zur Etablierung diktatorischer Regime ausgeht, ist durch die Trennungsthese des Rechtspositivismus kaum erhöht. Vielmehr kann gerade die Verbindung von Recht und Moral ein

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Kelsen, a.a.O., S. 60 f. Kelsen, a.a.O., S. 60 ff. sowie 357 ff. 44 S. auch Osterkamp, Juristische Gerechtigkeit, S. 25 ff. 45 Merkl, Österreichische Zeitschrift für öffentliches Recht 1961, 293, 299. 46 Hart, The Concept of Law, S. 153 ff., insbes. S. 180 ff. 47 Hart, a.a.O., S. 180 ff. 48 So wird die Freiheit moralischer Reflexion geschützt, vgl. Ellscheid, in: Kaufmann/Hassemer/Neumann (Hrsg.), Einführung in die Rechtsphilosophie und Rechtstheorie der Gegenwart, S. 226. 43

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§ 2 Rechtsphilosophische Grundlegung

Rechtssystem ideologieanfällig machen.49 Wenn die Funktion offener Tatbestände auch darin besteht, dass diese auf die Auffüllung durch moralische Prinzipien ausgerichtet sind, ist die Rechtsordnung grundsätzlich auch offen für moralische Prinzipien, die zumindest im Nachhinein als evident ungerecht empfunden werden. Ein Beispiel dafür bietet das nationalsozialistische Rechtssystem, in dem nationalsozialistisches Gedankengut auch über die Generalklauseln des Rechts Eingang in das positive Recht gefunden haben.50 Trotzdem kann die These, dass keine notwendige Verbindung zwischen Recht und Moral und damit auch keine notwendige Verbindung zwischen Recht und Gerechtigkeit besteht, letztlich nicht überzeugen. Eine Rechtsordnung, die nicht den Anspruch erhebt, Gerechtigkeit zu verwirklichen, ist in ihrer Stabilität gefährdet. Die Mitglieder einer Gemeinschaft müssen zumindest erwarten dürfen, dass die in Gesetzen und Rechtsprechung verkörperten Normen Teil eines Rechtssystems sind, das im Großen und Ganzen Gerechtigkeit realisiert.51 Andernfalls werden sie ihr Vertrauen in die Rechtsordnung verlieren und die Regeln des Rechts als beliebige Sätze ansehen, die ihre Grundlage in zufälligen Diskursen, nicht aber in auch moralisch akzeptablen Grundsätzen findet. Die Verbundenheit von Recht und Zwang verstärkt dieses Argument. Das Recht ist nicht nur mit der Befugnis zu zwingen verbunden, der Zwang wird auch praktische und unmittelbare Realität für die Rechtsunterworfenen. Offenkundig zeigt sich dies in der Vollstreckung – im Strafrecht im Vollzug der Strafe, im Zivilrecht im Erzwingen der geschuldeten Leistung. Staatlicher Zwang richtet sich hier mit all seiner Gewalt gegen einzelne Bürger. Dies zu akzeptieren wird diesen leichter fallen, wenn sie immerhin annehmen können, dass die zwangsbegründenden Regeln und das ihnen vorausgehende Recht zumindest ihrem Anspruch nach der Verwirklichung von Gerechtigkeit dienen. Wenn man die Geltung des Rechts auch oder vornehmlich auf seine Anerkennung durch die Rechtsunterworfenen stützt, lässt sich dieser Gedanke auch auf der Ebene der Rechtsgeltung formulieren. Die Stabilität der Anerkennung durch die Normunterworfenen ist erhöht, wenn die Normunterworfenen dem Recht einen Anspruch auf Gerechtigkeitsverwirklichung ansinnen können. Gerechtigkeit als Ziel des Rechts ermöglicht auch zwangslos eine breite Argumentationsbasis für den Diskurs in Rechtsfragen. Wenn das Recht die Gerechtigkeitsidee verwirklichen soll, wird der Streit um das Recht 49 Zum Ideologieproblem eingehend etwa Dreier, in: Dreier (Hrsg.), Recht, Moral, Ideologie, 1981, S. 180, 204 ff.; Beispiele aus der Geschichte des Rechts bietet Merkl, Österreichische Zeitschrift für öffentliches Recht 1961, 293, 301 ff. 50 Vgl. dazu van Look, JR 2000, 89. Van Look ist zwar skeptisch gegenüber einer naturrechtlichen Rennaisance, auch er gibt allerdings zu, dass „fundamentale rechtsethische Prinzipien“… „als Wirksamkeitsgrenzen einer Auslegung und einer gesetzlichen Regelung anerkannt werden“ können, „wobei diese wiederum einer konkreten Begründung und Ableitung zumindest aus der Gesamtrechtsordnung bedürfen“, vgl. van Look, JR 2000, 89, 97. 51 Braun, Rechtsphilosophie im 20. Jahrhundert, S. 320.

B. Gerechtigkeit als Idee des Vertragsrechts

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zum Anwendungsfall eines Streites im Bereich praktischer Philosophie. Dies schließt die Möglichkeit ein, auch moralische Argumente im juristischen Diskurs fruchtbar zu machen. So eröffnet sich gerade dort, wo das Recht in besonderem Maße interpretationsbedürftig ist – man denke nur an unbestimmte Rechtsbegriffe –, eine breite Argumentationsgrundlage. Mit Blick auf das positive Vertragsrecht lässt sich ein weiteres Argument gewinnen. Die integrative These bildet das deutsche positive Vertragsrecht stimmiger ab, als es die rechtspositivistische Trennungsthese vermag. In juristischen Diskursen etwa zum Begriff der guten Sitten (§ 138 BGB) werden auch moralische Argumente gebraucht und gegeneinander abgewogen. Die Stabilität unserer Gesellschaft wird noch unter einem weiteren Gesichtspunkt gefördert, wenn man Gerechtigkeit als Ziel des Rechts betrachtet. Dieser Aspekt scheint im Vertragsrecht weniger hell als auf anderen Gebieten des Rechts. Gleichwohl verdient er auch hier Erwähnung. Wenn Gerechtigkeit Ziel des Rechts und moralische Argumente zu seinen integrativen Bestandteilen gehören, fällt es leichter, „ungerechtes positives Recht“ als Nicht-Recht zu deklarieren und stabilitätssichernde Konsequenzen zu ziehen.52 Dies erleichtert auch die historische und juristische Aufarbeitung von Unrechtsregimen wie etwa des Dritten Reichs.53 Sicherheit vor diktatorischen Unrechtsregimen vermag natürlich auch die Integrationsthese nicht zu gewähren. Deren Abwehr setzt vielmehr vor allem innerlich wehrhafte Gesellschaftsmitglieder und sozial, ökonomisch und kulturell stabile Verhältnisse voraus.

II. Gerechtigkeit als Idee des Vertragsrechts Hat sich die Gerechtigkeit als Idee des Rechts erwiesen, so liegt an sich der Schluss nahe, dass die Gerechtigkeit auch die Idee des Vertragsrechts sein muss.54 Diese Arbeit versteht sich in der Tat als Plädoyer für diese These. Die Schlussfolgerung ist allerdings nicht unbestritten. Gerade mit Blick auf das Vertragsrecht sind verschiedentlich spezifische Einwände erhoben worden, die dieses der Verwirklichung der Gerechtigkeitsidee entziehen sollen. So ist auch die Position denkbar, dass zwar das Recht generell die Gerechtigkeit zum Ziel hat, nicht aber auch das Vertragsrecht dieses Ziel in allen Beziehungen teilt.

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Braun, Rechtsphilosophie im 20. Jahrhundert, S. 321 f. Dies ermöglicht etwa die „Radbruch’sche Formel“, die dieser nach der Erfahrung der nationalsozialistischen Unrechtsordnung entwickelt hat, Radbruch, Rechtsphilosophie, S. 345 und dazu Dreier, in: Dreier (Hrsg.), Recht, Moral, Ideologie, 1981, S. 180, 188 ff. 54 So auch etwa Wendehorst, Anspruch und Ausgleich, S. 7 f.; Zweigert, in: Festschrift für Max Rheinstein, Band II, Tübingen 1969, S. 493, 501. 53

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§ 2 Rechtsphilosophische Grundlegung

1. Flume, von Hayek und die vermeintliche Sinnlosigkeit der Frage nach der Gerechtigkeit im Vertragsrecht So ist etwa für Flume und von Hayek die Frage nach der Gerechtigkeit im Vertragsrecht sinnlos.55 Dabei bezieht Flume die Gerechtigkeitsfrage primär auf einzelne Verträge, von Hayek nimmt dagegen die durch privatautonome Akte generierten Verteilungsergebnisse in den Blick. Für Flume folgt die Sinnlosigkeit der Gerechtigkeitsfrage im Privatrecht aus der Geltung der Privatautonomie, die das gesamte Privatrecht einschließlich des Vertragsrechts beherrscht und objektive Gerechtigkeitsüberlegungen nicht nur entbehrlich macht, sondern verbietet: „Die Geltung des Grundsatzes der Privatautonomie bedeutet die Anerkennung der ,Selbstherrlichkeit‘ des einzelnen in der schöpferischen Gestaltung der Rechtsverhältnisse. Für den Bereich der Privatautonomie gilt der Satz: stat pro ratione voluntas. Wenn ein Vater in seinem Testament die Kinder ungleich bedenkt, so gilt dies als Rechtens, auch wenn für die ungleiche Behandlung keine Gründe ersichtlich sind und sie als ,ungerecht‘ erscheint.“56

Die Rechtfertigung privatautonomer Gestaltung besteht für Flume ausschließlich darin, dass der Einzelne diese Gestaltung will.57 Nach der objektiven Richtigkeit und damit Gerechtigkeit privatautonomer Akte darf nicht gefragt werden.58 Denn: „Die Gestaltung aus Selbstbestimmung in einem Rahmen, der nach der Rechtsordnung der Selbstbestimmung überlassen ist, ist einem rechtlichen Urteil, ob sie ,richtig‘ ist, unzugänglich.“59

Während sich die Analyse Flumes auf den Inhalt einzelner privatautonomer Akte konzentriert, nimmt von Hayek mit dem gleichen Ergebnis die durch die Verträge generierte Verteilung materieller Güter in der Gesellschaft in den Blick.60 Die Frage, ob diese Verteilung gerecht oder ungerecht sei, hält er für irreführend und falsch: „We are of course not wrong in perceiving that the effects of the processes of a free society on the fates of the different individuals are not distributed according to some recognizable principle of justice. Where we go wrong is in concluding from this that they

55 Flume, Das Rechtsgeschäft, S. 6 ff. (§ 1, 5 und 6.a); v. Hayek, Law, Legislation and Liberty, Vol. 2: The Mirage of Social Justice, S. 67 ff. 56 Flume, a.a.O., S. 6 (§ 1, 5.). 57 Flume, a.a.O., S. 6 (§ 1, 5.). 58 Ähnlich etwa Picker, in: E. Lorenz (Hrsg.), Karlsruher Forum 2004, 2005, S. 7, 20, 27 f. und 60 ff.; s. auch Honsell, in: Schermaier/Rainer/Winkel (Hrsg.), Iurisprudentia universalis, 2002, S. 287, 296: „Die Verwirklichung materieller Vertragsgerechtigkeit im Einzelfall ist nicht Aufgabe des Privatrechts.“. 59 Flume, a.a.O., S. 6 (§ 1, 6.a). 60 v. Hayek, Law, Legislation and Liberty, Vol. 2: The Mirage of Social Justice, S. 67 ff.

B. Gerechtigkeit als Idee des Vertragsrechts

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are unjust and that somebody is to be blamed for this. In a free society … the differences in reward simply cannot be meaningfully described as just or unjust.“61

2. Canaris und die Gerechtigkeit des rechtlichen Gesamtsystems unter Einbeziehung des Vertragsrechts Canaris beantwortet die Frage nach der Gerechtigkeit des Vertragsrechts wiederum unter einem anderen Blickwinkel. Ihm geht es nicht um die Bewertung einzelner Vertragsinhalte als „richtig“ (im Sinne Flumes), und ihm geht es auch nicht um die Bewertung der Verteilungsergebnisse des Marktes als „gerecht“ (im Sinne von Hayeks). Mit Blick auf diese beiden Aspekte stimmt er von Hayek und Flume – wenngleich mit gewissen Einschränkungen – im Grundsatz zu.62 Canaris fragt vielmehr unter dem Aspekt möglicherweise ungerechter Verträge und aus Verträgen resultierender ungerechter Verteilungsergebnisse nach der Gerechtigkeit der rechtlichen Ordnung als solcher: „Davon völlig unberührt bleibt indessen die ganz andere, eine Stufe tiefer liegende Frage, wie denn eine rechtliche Ordnung als solche, d.h. als Gesamtsystem, mit den Postulaten der Gerechtigkeit vereinbar sein kann, wenn sie unvernünftige Verträge und zufallsbedingte Ergebnisse, also Willkür und damit das Gegenteil von Gerechtigkeit hinnimmt, ja geradezu durch staatliche Gewährleistung und zwangsweise Durchsetzung privilegiert.“63

a) Zur Bedeutung der Fragestellung nach der Gerechtigkeit des rechtlichen Gesamtsystems Zunächst drängt sich die Frage auf, inwieweit sich diese Fragestellung von denjenigen Flumes und von Hayeks tatsächlich unterscheidet. Ein Unterschied könnte darin bestehen, dass Canaris ausdrücklich die gesamte Rechtsordnung in den Blick nimmt, nicht lediglich das Privatrecht. Für von Hayek trifft dies allerdings ebenso zu. Flume dagegen fokussiert in der Tat auf privatautonome Akte und lässt andere Regulierungsmechanismen des Rechts außer Betracht. Demgegenüber ist für die Gerechtigkeitsfrage auch von Subsystemen des Rechts (wie dem Vertragsrecht oder einzelnen Verträgen) vorzugswürdig, solche anderen Mechanismen einzubeziehen. Denn das Vertragsrecht ist integrativer Teil der Rechtsordnung und nicht die einzige Materie, innerhalb derer die Idee der Gerechtigkeit verwirklicht werden kann. Mit Canaris und von Hayek muss die Frage nach der Gerechtigkeit als Idee des Vertragsrechts daher mit Blick auf die gesamte Rechtsordnung untersucht werden. Das bedeutet insbesondere, dass die Gerechtigkeit auch insoweit Idee des Ver61 v. Hayek, a.a.O., S. 69 f. ähnlich auch Busche, Privatautonomie und Kontrahierungszwang, S. 85 insbesondere mit Blick auf die richterliche Rechtsanwendung. 62 Canaris, Die Bedeutung der iustitia distributiva im deutschen Vertragsrecht, S. 45, Einschränkungen nimmt Canaris allerdings auf den S. 55 ff. vor. 63 Canaris, a.a.O, S. 45. (Hervorhebungen im Originaltext).

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tragsrechts sein kann, als dieses jene zwar nicht unmittelbar konkretisiert, sich aber auf ihre Konkretisierung durch andere Regulierungsmechanismen des Rechts verlassen kann. Selbst wenn man diese anderen Mechanismen ausblenden möchte, ist es vorzugswürdig, die Vertragsrechtsordnung als solche in den Blick zu nehmen. Dabei wäre freilich zu fragen, worin die Vertragsrechtsordnung als solche besteht, wenn nicht aus der Summe der einzelnen Verträge (das Untersuchungsobjekt Flumes ergänzt um weitere privatautonome Akte) und der Summe der durch diese Verträge generierten Verteilungsergebnisse (so das Untersuchungsobjekt von Hayeks). Die Vertragsrechtsordnung umfasst zunächst auch und insbesondere die Normen des Vertragsrechts. Doch auch diese sind in den Fragestellungen Flumes und von Hayeks insofern integriert, als sich das mit Blick auf einen einzelnen Vertrag geltende Recht ebenso wenig wie die Verteilungsergebnisse des Vertrages bestimmen lassen, ohne die Normen des Vertragsrechts in den Blick zu nehmen. Die Untersuchung des Vertragsrechtssystems als objektiver Ordnung ist gleichwohl vorzugswürdig. Zunächst mag man in idealistischer Tradition in der Gesamtheit der Einzelverträge eine objektive Idee oder Ordnung erblicken wollen, die von der bloßen Summe der Einzelverträge getrennt ist und über sie hinausweist.64 Vor allem aber ist die Fragestellung gerade unter gerechtigkeitstheoretischen Gesichtspunkten schlüssig. Die Fokussierung Flumes auf den einzelnen Vertrag versperrt einen verallgemeinernden Blick. Man muss nicht – wie Flume – vor der Gerechtigkeitsfrage nur deshalb kapitulieren, weil einzelne Verträge offensichtlich ungerecht erscheinen. Auch eine Rückkehr zur Trennungsthese des Positivismus ist durch diesen Befund nicht angezeigt. Vielmehr kann die Verwirklichung der Gerechtigkeitsidee unter Inkaufnahme einzelner ungerechter Verträge erfolgen, wenn die zu dieser einzelnen Ungerechtigkeit führenden Regeln insgesamt (also etwa mit Blick auf den Gerechtigkeitsgehalt der meisten anderen Verträge) gerecht sind. Die gerechtigkeitstheoretische Fragestellung darf deshalb nicht auf einzelne Verträge begrenzt bleiben, sie ist vielmehr auf die objektive Vertragsrechtsordnung und ihr Verhältnis zu anderen Ausgleichsmechanismen der Rechtsordnung zu erstrecken. Nur so ist ein hinreichend differenzierter Zugang zu der Gerechtigkeitsfrage im Vertragsrecht gesichert. Gleichwohl ist der Zusammenhang zwischen der Vertragsrechtsordnung (als solcher im Sinne Canaris) und den einzelnen Verträgen (im Sinne Flumes) und ihrer Verteilungsergebnisse (im Sinne Hayeks) nicht aus den Augen zu verlieren. Die Fokussierung auf das Vertragsrechtssystem als solcher kann nicht erfolgen, ohne die einzelnen Verträge und deren Verteilungsergebnisse in den Blick zu nehmen. Der einzelne Vertrag und die Verteilungsergebnisse sind immer Teil der objektiven Vertragsrechtsordnung. Diese wird zumindest auch durch die Gesamtheit der einzelnen Verträge und deren Vertei64

Zu diesem Aspekt s. etwa Leisching, Österreichische Zeitschrift für Öffentliches Recht und Völkerrecht 1961, 15.

B. Gerechtigkeit als Idee des Vertragsrechts

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lungsergebnisse konstituiert. Dieser Zusammenhang verspricht aber zugleich Rückschlüsse, die aus der Antwort auf die Fragestellung Canaris’ mit Blick auf die Gerechtigkeit einzelner Verträge (im Sinne Flumes) und deren Verteilungsergebnisse (im Sinne Hayeks) gezogen werden können. Zum Verständnis dieser Rückschlüsse ist eine ausführliche Auseinandersetzung mit der Gerechtigkeitsanalyse Canaris’ hilfreich. Das von Canaris durchgeführte Prüfungsprogramm offenbart ein im Ausgangspunkt anspruchsvolles Gerechtigkeitsverständnis. Er untersucht die Vertragsrechtsordnung zunächst unter der Perspektive der iustitia commutativa,65 sodann aber auch unter der Perspektive der iustitia distributiva.66 Eine Vertragsrechtsordnung, die Gerechtigkeit verwirklicht, muss Canaris zufolge unter beiden Perspektiven als gerecht beurteilt werden können. Dabei untersucht er die Konkretisierung der Gerechtigkeitsformen durch das positive deutsche Vertragsrecht. Er stellt dabei jedoch auch gerechtigkeitstheoretische Überlegungen an, die für die Frage nach der Gerechtigkeit als Idee des Vertragsrechts fruchtbar gemacht werden können. b) Vertragsrechtsordnung und iustitia commutativa Mit Blick auf die Perspektive der iustitia commutativa hält Canaris die Gerechtigkeitsidee durch das positive deutsche Vertragsrecht weitgehend für verwirklicht. Die iustitia commutativa – für Canaris „die spezifische Gerechtigkeitsform des Vertragsrechts“67 – gewähre die Gerechtigkeit der geltenden Vertragsrechtsordnung.68 Dabei legt er einen weitgehend prozeduralen Gerechtigkeitsbegriff zu Grunde. Seine Analyse beruht vor allem auf dem Gedanken der durch Verfahren bewirkten Gerechtigkeit. Dieser Gedanke lässt sich für die iustitia commutativa in der Konzeption Canaris’ fruchtbar machen. Iustitia commutativa beinhaltet danach einen prozeduralen Grundcharakter.69 Canaris entwickelt so den von Flume mit Blick auf die einzelnen Verträge entwickelten Vorrang privatautonomer Gestaltung weiter. Die inhaltliche Richtigkeit der erzielten Regelung sei irrelevant, so dass etwa die Frage nach dem gerechten Preis nicht gestellt werde.70 Die Vertragsrechtsordnung könne auf diese Frage aber deshalb verzichten, weil sie die Freiwilligkeit des Vertragsschlusses sichert.71 Canaris sieht die Funktion einer Reihe rechtlicher Institutionen gerade in der Sicherung der Freiwilligkeit. Zunächst betrifft dies 65

Canaris, Die Bedeutung der iustitia distributiva im deutschen Vertragsrecht, S. 45 ff. Canaris, a.a.O., S. 63 ff. 67 Canaris, a.a.O., S. 45. (Hervorhebung im Original). 68 Canaris, a.a.O., S. 45. 69 Ebenso Lauber, Paritätische Vertragsfreiheit durch reflexiven Diskriminierungsschutz, S. 130. Zu prozeduralen Gerechtigkeitstheorien vgl. eingehend Tschentscher, Prozedurale Theorien der Gerechtigkeit, S. 118 ff.; einführend Ellscheid, in: Kaufmann/Hassemer/Neumann (Hrsg.), Einführung in die Rechtsphilosophie und Rechtstheorie der Gegenwart, S. 181 ff. (3.2.7.). 70 Canaris, a.a.O., S. 46. 71 Canaris, a.a.O., S. 47 ff. 66

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Bestimmungen über Drohung, Täuschung und Irrtum, aber auch Widerrufsregeln und Aufklärungspflichten.72 Materielle Entscheidungsfreiheit (im Sinne tatsächlicher Wahlmöglichkeiten) sieht Canaris durch die Regeln des Wettbewerbs- und Kartellrechts als gesichert an.73 Darüber hinaus gewähre – in Einschränkung der These Schmidt-Rimplers von der Richtigkeitsgewähr des Vertrages – eine gewisse Richtigkeitschance durch den Mechanismus des Vertragsschlusses, dass auch die Ergebnisse einzelner Verträge häufig gerecht sein werden.74 Die Verwirklichung der Gerechtigkeitsidee im Vertragsrecht erhält in der Analyse Canaris’ mit Blick auf die iustitia commutativa im Vertragsrecht eine prozedurale Form: Der Gerechtigkeitsgehalt der iustitia commutativa besteht nicht im materiellen Vertragsergebnis, sondern in der Sicherung fairer Bedingungen für das Zustandekommen dieses Ergebnisses.75 c) Vertragsrechtsordnung und iustitia distributiva Canaris untersucht die Verwirklichung der Gerechtigkeitsidee im Vertragsrecht auch unter der Perspektive der iustitia distributiva.76 Dabei betrachtet er als zentrale Verteilungsmaßstäbe diejenigen der Besitzstandsgerechtigkeit, der Bedarfsgerechtigkeit, der Leistungsgerechtigkeit und der Chancengerechtigkeit.77 Die Besitzstandsgerechtigkeit sieht Canaris als nahezu optimal gewährleistet an.78 Der Grundsatz der Vertragsfreiheit verhindere, dass geschützte Rechtspositionen ohne Einverständnis ihrer Inhaber aufgegeben werden müssen. Dem ist zumindest mit Blick auf die konkrete Ausgestaltung der Vertragsfreiheit in der positiven deutschen Vertragsrechtsordnung zuzustimmen, wenn zugleich auch die Eigentumsordnung in den Blick genommen wird. Daraus erhellt, dass die Verwirklichung von Besitzstandsgerechtigkeit durch ein positives Vertragsrecht möglich ist und insofern der Gerechtigkeit als Idee des Vertragsrechts keine Bedenken entgegenstehen. Bei der Bedürfnisgerechtigkeit unterscheidet Canaris zwischen objektiven und subjektiven Bedürfnis72

Canaris, a.a.O., S. 47 f. Canaris, a.a.O., S. 48. Vgl. auch Hönn, Jura 1984, 57, 63 f. Zum Zusammenhang von Privatrecht und dem Recht der Wettbewerbsbeschränkungen Mestmäcker, AcP 1968, 235. 74 Canaris, a.a.O., S. 48 f.; So auch schon M. Wolf, Rechtsgeschäftliche Entscheidungsfreiheit und vertraglicher Interessenausgleich, S. 73 f. 75 Vgl. Canaris, a.a.O., S. 50 f., 58; ähnlich Lauber, Paritätische Vertragsfreiheit durch reflexiven Diskriminierungsschutz, S. 130; zu diesem Aspekt prozeduraler Gerechtigkeit vgl. Tschentscher, Prozedurale Theorien der Gerechtigkeit, S. 118 ff.; Ellscheid, in: Ellscheid, in: Kaufmann/Hassemer/Neumann (Hrsg.), Einführung in die Rechtsphilosophie und Rechtstheorie der Gegenwart, S. 182. 76 Canaris, a.a.O., S. 63 ff.; ebenso etwa Picker, in: E. Lorenz (Hrsg.), Karlsruher Forum 2004, 2005, S. 7, 48 ff. 77 Canaris, a.a.O., S. 63; Canaris, in: Lerche/Badura/Scholz (Hrsg.), Wege und Verfahren des Verfassungslebens, 1993, S. 873, 884. 78 Canaris, Die Bedeutung der iustitia distributiva im deutschen Vertragsrecht, S. 64; Canaris, in: Lerche/Badura/Scholz (Hrsg.), Wege und Verfahren des Verfassungslebens, 1993, S. 873, 885. 73

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sen.79 Die Verwirklichung subjektiver Präferenzen werde in einer auf dem Grundsatz von Vertragsfreiheit und Marktwirtschaft basierenden Vertragsrechtsordnung optimal realisiert.80 Die Verwirklichung aller beliebigen Bedürfnisse der Einzelnen dürfe dabei kein Gerechtigkeitspostulat darstellen. Denn diese könne immer nur auf Kosten anderer erreicht werden, wodurch ein Selbstwiderspruch entstünde. In realistischer Begrenzung dessen, was das Recht erreichen kann, beschränkt Canaris den Anspruch an die Vertragsrechtsordnung daher darauf, ein „möglichst breites Angebot für die Befriedigung subjektiver Bedürfnisse bereit zu halten“.81 Die wettbewerblich verfasste Marktwirtschaft sei hierzu das ideale Instrument.82 Doch auch zur Befriedigung objektiver Bedürfnisse leiste die Vertragsrechtsordnung einen wichtigen Beitrag. Markt und Wettbewerb würden starke Anreize zur Produktion und Verbesserung von Gütern schaffen.83 Auch werde durch sie der Gesamtwohlstand aller Menschen insgesamt wohl am meisten erhöht.84 Auch Sozialhilfeempfänger würden von der Vertragsrechtsordnung profitieren, weil ihnen die Ausgestaltung des Sozialhilferechts (insbesondere durch Geldzahlungen) ermögliche, am Markt mittels Verträgen selbstbestimmt aufzutreten.85 In der Analyse Canaris’ wird daher auch die iustitia distributiva durch die geltende Vertragsrechtsordnung verwirklicht. Selbstverständlich wird mit Blick auf die Erfüllung objektiver Mindestbedürfnisse des Menschen – die eine aus dem Sozialstaatsprinzip ableitbare Aufgabe des Staates ist86 – besonders virulent, dass die Konkretisierung der Gerechtigkeitsidee nicht nur dem Vertragsrecht obliegt. Vielmehr darf sich das Vertragsrecht auch dadurch entlasten, dass objektive Grundbedürfnisse des Menschen durch Institutionen des Sozialrechts, des Zwangsvollstreckungsrechts und des Steuerrechts gesichert werden.87 Auch die Verteilung nach Maßstab der Leistung hält Canaris zu Recht für einen le79 Canaris, Die Bedeutung der iustitia distributiva im deutschen Vertragsrecht, S. 64 ff.; ohne explizite Differenzierung noch Canaris, in: Lerche/Badura/Scholz (Hrsg.), Wege und Verfahren des Verfassungslebens, 1993, S. 873, 885. 80 Canaris, a.a.O., S. 64; vgl. auch Canaris, in: Lerche/Badura/Scholz (Hrsg.), Wege und Verfahren des Verfassungslebens, 1993, S. 873, 885; ebenso etwa T. Ackermann, Der Schutz des negativen Interesses, S. 110 ff.; Lobinger, in: Repgen/Lobinger/Hense u.a. (Hrsg.), Vertragsfreiheit und Diskriminierung, 2007, S. 99, 109 ff. 81 Canaris, Die Bedeutung der iustitia distributiva im deutschen Vertragsrecht, S. 65. 82 Canaris, a.a.O., S. 65; ähnlich insoweit die Einschätzung Pickers, vgl. Picker, ZfA 2005, 167, 173 f. 83 Zur Anreizfunktion privatrechtlicher Selbstbindung auf Märkten instruktiv T. Ackermann, Der Schutz des negativen Interesses, S. 117 ff. 84 Canaris, a.a.O., S. 65 f.; Canaris, in: Lerche/Badura/Scholz (Hrsg.), Wege und Verfahren des Verfassungslebens, 1993, S. 873, 885; ebenso Picker, in: E. Lorenz (Hrsg.), Karlsruher Forum 2004, 2005, 7, 52 f. 85 Canaris, Die Bedeutung der iustitia distributiva im deutschen Vertragsrecht, S. 66. 86 Dazu im Einzelnen unten, S. 211 ff. 87 Ebenso etwa Picker, in: E. Lorenz (Hrsg.), Karlsruher Forum 2004, 2005, S. 7, 52; C. Fried, Contract as Promise, 1981, 103 ff.

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gitimen Verteilungsmaßstab der iustitia distributiva.88 Eine auf Vertragsfreiheit, Markt und Wettbewerb beruhende Rechtsordnung belohne mit guten Gründen Leistungen und damit Tugenden (wie etwa Fleiß, Ausdauer, Willenskraft, Selbstdisziplin, Risikobereitschaft, Wagemut89). Canaris sieht aber zugleich, dass auch Menschen benachteiligt werden können, die für ihre geringeren Leistungen keine Verantwortung tragen – wie etwa Behinderte oder unintelligente Menschen.90 Auch beruhe die konkrete Verteilung oft weniger auf Leistung als auf Zufall:91 „Der Markt ,bestraft‘ eben nicht nur den, der versagt, sondern allzu oft auch den, der einfach nur Pech gehabt hat.“92 Ähnliche Schwierigkeiten konstatiert Canaris mit Blick auf die Chancengerechtigkeit.93 Er betont zu Recht, dass Markt und Vertragsrecht keine Chancengerechtigkeit schaffen, sondern zunächst den begünstigen, der unter soliden Voraussetzungen am Markt mittels Verträgen operiert.94 Die resultierenden Verteilungen werden dabei – wie Canaris zutreffend bemerkt – bestehende Chancenungleichgewichte weiter verstärken.95 Allerdings würden diese durch andere rechtliche Institutionen (Bildungs-, Sozial- und Steuerrecht) ausgeglichen; außerdem würden vor allem Wettbewerbs- und Kartellrecht in Grenzen auch Chancengerechtigkeit herstellen, indem sie Marktzutrittschancen gewähren.96 Canaris betont zudem die wohlfahrtsmaximierenden Effekte einer auf Vertrag und Wettbewerb beruhenden Gesellschaftsordnung.97 Das Gesamtergebnis seiner Gerechtigkeitsanalyse ist unter der Perspektive der iustitia distributiva differenzierter als unter der Perspektive der iustitia commutativa: Verteilungsgerechtigkeit werde durch das Vertragsrecht „nur partiell und mittelbar verwirklicht“.98 Insgesamt verstoße aber eine auf Vertragsfreiheit, Markt und Wettbewerb basierende Rechtsordnung nicht gegen die iustitia distributiva. d) Zur Relativierung der Gerechtigkeitsfrage Der Befund Canaris’ gilt zunächst der positiven deutschen Rechtsordnung. Canaris ergänzt diesen Befund aber mit weitreichenden gerechtigkeitstheore88

Canaris, Die Bedeutung der iustitia distributiva im deutschen Vertragsrecht, S. 67. Vgl. Canaris, a.a.O., S. 68 und 69; ders., in: Lerche/Badura/Scholz (Hrsg.), Wege und Verfahren des Verfassungslebens, 1993, S. 873, 885; s. auch Picker, in: E. Lorenz (Hrsg.), Karlsruher Forum 2004, 2005, S. 7, 52 ff. 90 Canaris, Die Bedeutung der iustitia distributiva im deutschen Vertragsrecht, S. 69 f. 91 Canaris, a.a.O., S. 70 f.; ders., in: Lerche/Badura/Scholz (Hrsg.), Wege und Verfahren des Verfassungslebens, 1993, S. 873, 885. 92 Canaris, Die Bedeutung der iustitia distributiva im deutschen Vertragsrecht, S. 72 (Kursivdruck im Original). 93 Canaris, a.a.O., S. 72 ff. 94 Canaris, a.a.O., S. 72; vgl. auch ders., in: Lerche/Badura/Scholz (Hrsg.), Wege und Verfahren des Verfassungslebens, 1993, S. 873, 886. 95 Canaris, Die Bedeutung der iustitia distributiva im deutschen Vertragsrecht, S. 72. 96 Canaris, a.a.O., S. 73; s. zu diesem Aspekt auch Mestmäcker, AcP 1968, 235. 97 Canaris, a.a.O., S. 74 f. 98 Canaris, a.a.O., S. 76. 89

B. Gerechtigkeit als Idee des Vertragsrechts

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tischen Schlussfolgerungen. Insbesondere relativiert er die Frage nach der Gerechtigkeit in grundsätzlicher Weise, indem er sie auf die Negation grober Ungerechtigkeit bescheidet.99 Sein oben beschriebenes Fazit hält Canaris auch deshalb für erfreulich, weil schon viel gewonnen sei, „wenn wenigstens grobe Ungerechtigkeit vermieden werden kann“.100 Die Gerechtigkeitsfrage sollte man Canaris zufolge „grundsätzlich negativ stellen und sich demgemäß weitgehend mit der Verhinderung klarer Ungerechtigkeiten begnügen, statt positiv geradezu die Gewährleistung von Gerechtigkeit zu fordern.“101 Gerechtigkeitstheoretisch stellt Canaris also an ein Vertragsrechtssystem nicht den Anspruch, Gerechtigkeit positiv zu verwirklichen. Insofern ist die Gerechtigkeit für Canaris nur in der eingeschränkten Form der Negation von Ungerechtigkeit Ziel des Vertragsrechts. Dafür spreche – mit Blick auf die im Vertragsrecht herrschende Vertragsfreiheit – der hohe Wert der Freiheit, der eine Ergebniskontrolle im Grundsatz ausschließe.102 Auch sei die inhaltliche Richtigkeit schwer zu bestimmen.103 In einer pluralistischen und auf dem Konzept der Menschenwürde aufbauenden Gesellschaftsordnung würden objektiv richtige Präferenzen nicht bestimmt, sondern nur Untragbares verboten.104 Was die rechtspolitische Frage anbelangt, ob eine positive Rechtsordnung deshalb negativ zu bewerten ist, weil sie die objektive Gerechtigkeitsidee unvollständig verwirklicht, ist Canaris ohne jede Einschränkung zuzustimmen. Mit Blick auf die – bei Canaris ebenfalls anklingende – gerechtigkeitstheoretische Fragestellung, ob und inwieweit Gerechtigkeit Ziel einer positiven Vertragsrechtsordnung sein soll, ist allerdings zu differenzieren. Canaris ist darin zuzustimmen, dass eine freiheitliche Rechtsordnung bei der Vorgabe von Präferenzen zurückhaltend agieren muss. Auch trifft sicher zu, dass viel erreicht ist, wenn es dem Vertragsrecht gelingt, Ungerechtigkeiten weitgehend zu vermeiden. Ein solches Vertragsrecht ist sicher besser als ein Vertragsrecht, das Ungerechtigkeiten weitgehend verwirklicht. Die Zielsetzung Canaris’ ist darüber hinaus insofern bescheiden und realistisch, als sie die immensen Schwierigkeiten berücksichtigt, die sich in der Rechtspraxis stellen, wenn das hehre 99 Zum Konzept der umgekehrten Annäherung an den Gerechtigkeitsbegriff über den Begriff der Ungerechtigkeit s. insbesondere Rottleuthner, Ungerechtigkeiten, S. 7 ff. 100 Canaris, a.a.O., S. 77 (Kursivdruck im Originaltext). Ähnlich ders., in: Lerche/Badura/ Scholz (Hrsg.), Wege und Verfahren des Verfassungslebens, 1993, S. 873, 883. 101 Canaris, Die Bedeutung der iustitia distributiva im deutschen Vertragsrecht, S. 77 (Kursivdruck im Originaltext). S. auch ders., in: Lerche/Badura/Scholz (Hrsg.), Wege und Verfahren des Verfassungslebens, 1993, S. 873, 883: „Wie soeben schon angedeutet, sollte man grundsätzlich nicht fordern, daß die Vertragsfreiheit richtige Ergebnisse gewährleistet, sondern sich auf die negative Fragestellung beschränken, ob und inwieweit sich unter ihrem Regime Ungerechtigkeiten vermeiden lassen.“. 102 Canaris, in: Lerche/Badura/Scholz (Hrsg.), Wege und Verfahren des Verfassungslebens, 1993, S. 873, 884. 103 Canaris, a.a.O., S. 873, 884. 104 Canaris, a.a.O., S. 873, 884.

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§ 2 Rechtsphilosophische Grundlegung

Ziel der Gerechtigkeit im konkreten Einzelfall gesucht wird. Gleichwohl überzeugt die Einschränkung des Gerechtigkeitspostulats letztlich nicht.105 Zunächst gelten die für das Verhältnis von Recht und Gerechtigkeit oben vorgebrachten Argumente auch im Rahmen des Vertragsrechts: Insbesondere ist das Vertragsrecht in seiner Geltung auf die Anerkennung durch die Privatrechtssubjekte oder zumindest die maßgeblichen Entscheidungsträger angewiesen. Diese Anerkennung ist aber nur dann stark genug, wenn dem Vertragsrecht insgesamt ein Anspruch auf die Verwirklichung von Gerechtigkeit zugeschrieben werden kann. Zudem wäre es unbefriedigend, wenn gerade das Vertragsrecht, das einen zentralen Teil des privaten Rechts ausmacht, mit Blick auf seine Ziele anders behandelt werden sollte als andere Rechtsgebiete. Das Vertragsrecht ordnet einen wesentlichen Teil menschlicher Rechtsbeziehungen. Privatrechtssubjekte werden in ihrer Wahrnehmung dessen, was Recht ist, maßgeblich auch von der Ausgestaltung des Vertragsrechts geprägt. Sie dürfen daher den Anspruch erheben, dass dieses ihre Lebenswirklichkeit massiv beeinflussende Gebiet des Rechts vor dem allgemeinen Anspruch des Rechts nicht flüchtet, sondern ihn sich ebenfalls zum Gebote macht. Der von Canaris plausibel dargestellte Befund der partiellen Verwirklichung der Gerechtigkeitsidee im positiven deutschen Vertragsrecht steht dem nicht entgegen. Eine vollständige Realisierung der Gerechtigkeitsidee war von vornherein nicht zu erwarten. Denn die Idee der Gerechtigkeit ist in ihrer vollständigen Ausprägung ein durch positives Recht nie ganz realisierbares objektives Ideal.106 3. Zwischenbemerkung Insgesamt lässt sich die Frage nach der Gerechtigkeit als Ziel des Vertragsrechts gerechtigkeitstheoretisch bejahen: Die Verwirklichung der Gerechtigkeitsidee ist Ziel des Vertragsrechts.107 Die Lösung der Gerechtigkeitsfrage ermöglicht auch eine Antwort auf die von Flume und von Hayek gemiedenen Gerechtigkeitsfragen. Flume erklärte die Frage nach der Gerechtigkeit einzelner Verträge für unsinnig, sie dürfe nicht gestellt werden. Doch die Frage lässt sich nicht nur stellen, sondern auch in einem positiven Sinne bejahen: Denn auch der einzelne scheinbar ungerechte Vertrag kann zumindest insofern gerecht sein, als die objektive Vertragsrechtsordnung zur Erreichung distributi105 So i.E. auch Singer, Selbstbestimmung und Verkehrsschutz im Recht der Willenserklärungen, S. 43. 106 S. auch Osterkamp, Juristische Gerechtigkeit, S. 73 f.; Lamont, Philosophy 1941, 3; auch aus diskurstheoretischer Sicht lässt sich dieses Ideal als regulative Idee rechtfertigen, vgl. Alexy, Theorie der Juristischen Argumentation, S. 399 ff. (insbes. S. 414). 107 So auch aus rechtsvergleichender Perspektive Zweigert, in: Festschrift für Max Rheinstein, Band II, Tübingen 1969, S. 493, 501; zu den Gerechtigkeitskonzepten für ein Europäisches Vertragsrechts jüngst Lurger, in: S. Arnold (Hrsg.), Grundlagen eines europäischen Vertragsrechts, München 2014, S. 101 ff.

B. Gerechtigkeit als Idee des Vertragsrechts

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ver Gerechtigkeitsziele auch die rechtsgestaltende Macht inhaltlich augenscheinlich ungerechter Verträge akzeptiert und erfordert. Ähnliches gilt für die Verteilungsergebnisse von Verträgen, wie sie auf Märkten erzielt werden: Das Verteilungsergebnis individueller Vereinbarungen kann auch dann, wenn es bei isolierter Betrachtung ungerecht erscheint, deshalb gerecht sein, weil es sich als Teil der objektiven Vertragsrechtsordnung rechtfertigen lässt, die darüber hinaus auch von Mechanismen anderer Regelungsbereiche ergänzt werden kann. Die hier angestellten Überlegungen sind gerechtigkeits- und vertragstheoretischer Natur. Sie begründen, weshalb die Gerechtigkeit auch die Idee des Vertragsrechts ist. Damit ist über die Verwirklichung der Gerechtigkeitsidee im positiven Vertragsrecht nichts gesagt, wenngleich zur Beantwortung der gerechtigkeitstheoretischen Fragestellungen auch Erscheinungsformen des positiven Vertragsrechts herangezogen wurden. Dieser Vorgriff auf die positive Ausgestaltung des Vertragsrechts ist aber auch in erkenntnistheoretischer Sicht unvermeidlich: Die Geltung eines Konzepts (der Gerechtigkeit) in einem System (das Vertragsrecht) lässt sich nicht ohne begriffliche Annäherung an das System entscheiden. Wenn auch die vollständige Verwirklichung der Gerechtigkeitsidee in der Realität des Vertragsrechts unerreichbar sein mag, so übernimmt das Festhalten an ihr als Ideal eine wichtige Funktion: Sie verpflichtet alle am Prozess der Rechtsentstehung Beteiligten dazu, sich um die Realisierung der Gerechtigkeitsidee mit aller Anstrengung zu bemühen. Dies wiederum ist keineswegs unerreichbar, sondern sollte den Beteiligten als Fundament ihrer täglichen Arbeit dienen. Dass die Gerechtigkeitsidee selbst sich einem klaren Zugriff entzieht und sich nicht in einzelne, konkret subsumierbare Tatbestandselemente aufgliedern lässt, steht der Gerechtigkeit als Ziel des Rechts nicht entgegen. Das Ringen darum, die Gerechtigkeitsidee fassbar zu machen und zu konkretisieren, zeigt, dass die Idee als Vorstellung und Idealbild existiert.108 Und wiederum hilft eben dieses Ringen um Gerechtigkeit, Recht und damit auch das Vertragsrecht in einem den Anforderungen einer sich ständig wandelnden Gesellschaft entsprechenden Sinne fortzuentwickeln. Welche materiellen Vorgaben aus der Gerechtigkeitsidee folgen, lässt sich nicht für alle Zeiten und mit absoluter Gültigkeit festlegen. Die Manifestation der Gerechtigkeitsidee ist relativ zu historischen und situationsspezifischen Umständen.109 Die Idee selbst bleibt aber unverbrüchlich – Aristoteles teilte sie mit den Römern, Thomas von Aquin und vielen Juristen unserer Zeit. Sie sollte als Ziel des heutigen Vertragsrechts bestehen bleiben.

108 Diskurstheoretisch betrachtet ermöglicht dieses Ideal den Diskursteilnehmern als regulative Idee den Anspruch, dass sie die einzig richtige Antwort finden und geben können, vgl. Alexy, Theorie der juristischen Argumentation, S. 414. 109 S. etwa Braun, Rechtsphilosophie im 20. Jahrhundert, S. 314 ff.

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§ 2 Rechtsphilosophische Grundlegung

C. Die Entdeckung der Grundstruktur der iustitia distributiva in der Gerechtigkeitstheorie des Aristoteles Als objektive Rechtsidee hat sich auch für das Vertragsrecht die Gerechtigkeit erwiesen. Damit ist der Weg für die spezifischere Frage bereitet, in welcher Weise die Gerechtigkeit auch in Form der iustitia distributiva im Vertragsrecht wirken kann. Der Begriff der iustitia distributiva ist untrennbar mit der Person des Aristoteles assoziiert.110 Aristoteles hat die Verteilungsgerechtigkeit als spezifische Gerechtigkeitsform ausführlich im V. Buch der Nikomachischen Ethik behandelt. Seine Ausdifferenzierung der Gerechtigkeitsformen hat die Diskussion um die Verteilungsgerechtigkeit bis heute bestimmt.111 Sein Einfluss betrifft auch die Rechtswissenschaften und die Rechtsphilosophie;112 Aristoteles wird dabei immer wieder auch als Autorität für konkrete Gerechtigkeitsaussagen herangezogen.113 Für eine moderne Vertragstheorie werden sich indes im Wesentlich nur die von Aristoteles erarbeiteten Strukturen fruchtbar machen lassen.114 Zwar wird sich zeigen, dass diese selbst schon zwingend normative Elemente beinhalten. Sie werden sich aber als offen genug erweisen, auch heute maßgebliche Wertungskriterien in sich aufzunehmen und zu ordnen.115

I. Der Kontext der aristotelischen Gerechtigkeitslehre Entgegen einer verbreiteten Annahme116 hat Aristoteles die Unterscheidung der verschiedenen Gerechtigkeitsformen (insbesondere von iustitia commutativa und iustitia distributiva) nicht entwickelt. Diese Unterscheidung und insbesondere die Entwicklung und Ausführung des Begriffs der Verteilungsgerechtigkeit hat vielmehr schon Platon geleistet.117 Die Maßstäbe der arithmetischen und der geometrischen Gleichheit hat Aristoteles dagegen wohl von 110

Zu seinem Leben und Werk aus jüngerer Zeit eindrucksvoll Flashar, Aristoteles. Vgl. nur Weinrib, in: Panagiotou (Hrsg.), Justice, Law and Method in Plato and Aristotle, 1987, S. 133. 112 S. nur Weinrib, a.a.O., S. 133; Oechsler, Gerechtigkeit im modernen Austauschvertrag, S. 56. 113 Etwa Aubenque, in: Heinaman (Hrsg.), Aristotle and Moral Realism, 1995, S. 35 ff.; Nussbaum, Fordham Law Review 1997, 273. 114 Dazu schon Trude, Der Begriff der Gerechtigkeit in der aristotelischen Rechts- und Staatsphilosophie, S. 104 ff. 115 S. zunächst nur Jansen, Die Struktur des Haftungsrechts, S. 80. Zum Verhältnis von Form und Inhalt der Gerechtigkeitsformen vgl. genauer unten, S. 48 ff. 116 Etwa Canaris, Die Bedeutung der iustitia distributiva im deutschen Vertragsrecht, S. 9; Bien, in: Höffe (Hrsg.), Aristoteles, 1995, S. 135, 138. 117 In seinen Schriften Gorgias (507e-508a) und Nomoi (757b und 775a). Näher dazu Gordon, Aristoteles über Gerechtigkeit, S. 121 f. m.w.N. 111

C. Die iustitia distributiva in der Gerechtigkeitstheorie des Aristoteles

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Pythagoras und seinen Schülern übernommen.118 Gleichwohl hat Aristoteles mit seiner Ausarbeitung die Diskussion um die Verteilungsgerechtigkeit entscheidend bestimmt. Auch diese Untersuchung nähert sich daher dem Begriff der Verteilungsgerechtigkeit an, indem sie bei den aristotelischen Ausführungen ihren Ausgang nimmt. Aristoteles’ Erörterung der Verteilungsgerechtigkeit darf dabei nicht isoliert betrachtet werden. Denn sie steht in einem besonderen begrifflichen wie systematischen Kontext. Diesen gilt es für das Verständnis der aristotelischen Gerechtigkeitstheorie zumindest in groben Zügen zu klären. Dabei sind vor allem zwei Aspekte bedeutsam, auf die schon hier hinzuweisen ist. Erstens verkörpert für Aristoteles die Gerechtigkeit eine menschliche Disposition, also eine Form der menschlichen Tugend bzw. Charakterhaltung (aretē). Zweitens betrifft die berühmte Unterscheidung zwischen iustitia distributiva und iustitia commutativa ausschließlich die „Gerechtigkeit im speziellen Sinn“, nicht dagegen die von dieser streng zu unterscheidende „Gerechtigkeit im allgemeinen Sinn“.

II. Gerechtigkeit als Tugend In der nikomachischen Ethik beschreibt Aristoteles die Gerechtigkeit als menschliche aretē (Tugend bzw. Charakterdisposition).119 Er fasst Gerechtigkeit also als Eigenschaft bzw. Habitus (hexis) auf: Gerechtigkeit disponiert den Einzelnen, das Gerechte anzustreben und zu tun.120 „Nun sehen wir, dass alle mit Gerechtigkeit diejenige Disposition meinen, die Menschen so beschaffen macht, dass sie das Gerechte tun, das heißt auf gerechte Weise handeln und Gerechtes wünschen. Auf dieselbe Weise versteht man unter Ungerechtigkeit diejenige Disposition, die Menschen Unrecht tun und Ungerechtes wünschen lässt.“121

Nimmt man diese Zuordnung wörtlich, so entfällt jegliche Relevanz der Gerechtigkeitstheorie für die Rechtswissenschaften. Denn wenn Gerechtigkeit lediglich eine menschliche Charaktereigenschaft ist, kann sie innerhalb des weitgehend staatlich generierten Vertragsrechts keine Bedeutung entfalten – es sei denn, man wollte mittels Fiktionen dem Staat und dem Recht menschliche 118

Manthe, Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte, Romanistische Abteilung 1996, 1. 119 Zu diesem Aspekt Williams, in: Rorty (Hrsg.), Essays on Aristotle’s Ethics, 1980, S. 189; Trude, Der Begriff der Gerechtigkeit in der aristotelischen Rechts- und Staatsphilosophie, S. 4 ff. 120 S. auch Wolf, Aristoteles’ „Nikomachische Ethik“, S. 97. 121 Aristoteles, Nikomachische Ethik (NE), 1129 a 6–10. Die zu dieser Fußnote gehörige und die folgenden Übersetzungen der NE entstammen – soweit nichts anderes vermerkt ist – der Übersetzung von Ursula Wolf aus der von ihr 2006 herausgegebenen Fassung der Nikomachischen Ethik. Die konkreten Angaben folgen wie international üblich der von Bekker ab 1831 herausgegebenen Ausgabe der Königlich-Preußischen Akademie der Wissenschaften (Berlin), die sich in Seiten, Spalten (a und b) sowie Zeilen untergliedert.

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§ 2 Rechtsphilosophische Grundlegung

Tugenden oder Charakterdispositionen zuschreiben.122 Diese Schlussfolgerung lässt sich allerdings vermeiden, wenn der Kontext der Ausführungen einbezogen wird. Aristoteles fokussiert wohl deshalb auf die Gerechtigkeit als Charaktereigenschaft, weil er mit der Nikomachischen Ethik eine ethische Schrift verfasst, die sich mit dem Handeln und den Tugenden des Menschen befasst.123 Er entwickelt hier eine Handlungslehre. Dass Aristoteles die Gerechtigkeit auch im Kontext von Staat und Recht für relevant hält, ergibt sich insbesondere aus seiner Politik. Hier erörtert Aristoteles auch ausführlich die politische Gerechtigkeit als Gerechtigkeit des Staates, ebenso befasst er sich mit der Gerechtigkeit der Gesetze. Dabei stellt er klar, dass sich die Individualtugend der Gerechtigkeit nur innerhalb des Staates entfalten kann, der auf das gemeinsame Wohl gerichtet ist.124 In der Nikomachischen Ethik steht die Gerechtigkeit des einzelnen Menschen im Vordergrund. Beide Aspekte sind allerdings verwoben: Der gerechte Mensch wird die Veranlagung in sich tragen, das von den Gesetzen als gerecht Bestimmte zu erstreben und an von ihnen bewirkten gerechten Verteilungsmustern festzuhalten.125 Insofern liegt die Gerechtigkeitslehre der Politik den Differenzierungen der Nikomachischen Ethik zu Grunde.126

III. Die zwei Grundformen der Gerechtigkeit bei Aristoteles Systematisch unterscheidet Aristoteles zunächst zwei grundlegende Bedeutungen der Tugend „Gerechtigkeit“.127 Diese Unterscheidung ist der Trennung von iustitia distributiva und iustitia commutativa vorgelagert. Die zwei Grundformen der Gerechtigkeit tragen verschiedene Bezeichnungen. Diese Arbeit orientiert sich an dem wohl vorherrschenden Sprachgebrauch.128 Danach ist die erste Form der Gerechtigkeit die „gesetzliche Gerechtigkeit“ bzw. die universale Gerechtigkeit (iustitia legalis sive universalis sive generalis). Die 122

Auch dieser Hintergrund lässt die These von Byrd und Hruschka plausibel erscheinen, wonach Kant die Gerechtigkeitsformen nicht als Tugenden sondern als Institutionen (im status civilis, dem Rechtszustand der Bürgerlichen Gesellschaft) entwickelt, vgl. Byrd/Hruschka, Kant’s Doctrine of Right, S. 71 ff. 123 Vgl. Wolf, Aristoteles’ „Nikomachische Ethik“, S. 105. 124 Heyman, Iowa Law Review 1992, 851, 852 f. 125 Für Aristoteles besteht ohnehin zwischen Recht, Moral, Gerechtigkeit und Politik ein enger Zusammenhang, vgl. allgemein dazu Wright, Iowa Law Review 1992, 625, 683 ff. Weinrib zufolge ist der Fokus auf die Gerechtigkeit als Tugend bei der Universalgerechtigkeit am größten, er nimmt bei der Erörterung der Partikulargerechtigkeit ab, und innerhalb der Partikulargerechtigkeit sei er bei der Verteilungsgerechtigkeit größer als bei der Austauschgerechtigkeit, vgl. Weinrib, in: Panagiotou (Hrsg.), Justice, Law and Method in Plato and Aristotle, 1987, S. 133, 134 f. 126 Heyman, Iowa Law Review 1992, 851, 853. 127 Flashar erklärt diese Unterscheidung mit der Notwendigkeit, die Gerechtigkeitslehre in das Tugendsystem der Nikomachischen Ethik zu integrieren, s. Flashar, Aristoteles, S. 85. 128 Bien, in: Höffe (Hrsg.), Aristoteles, 1995, S. 135, 139.

C. Die iustitia distributiva in der Gerechtigkeitstheorie des Aristoteles

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andere Form ist die „Teilgerechtigkeit“ bzw. die „Partikulargerechtigkeit“ oder „partikulare/partikuläre Gerechtigkeit“ (iustitia particularis). Dieser Sprachgebrauch trifft die Unterscheidung der Sache nach nur unpräzise: Denn die Adjektive „universal“ bzw. „partikular“ differenzieren nicht die Gerechtigkeit, sondern die Tugend. „Nun scheinen in der Tat ,Gerechtigkeit‘ und ,Ungerechtigkeit‘ mehrere Bedeutungen zu haben. Da aber die verschiedenen Bedeutungen eng zusammen sind, bleibt die Mehrdeutigkeit verborgen und ist nicht so offensichtlich wie dort, wo die Bedeutungen weit auseinanderliegen.“129

Die beiden Bedeutungen der Gerechtigkeit stellt Aristoteles sodann wie folgt gegenüber. „Stellen wir nun fest, wie viele Bedeutungen der Ausdruck ,der Ungerechte‘ hat. Als ungerecht gilt zum einen, wer das Gesetz verletzt (paranomos), zum anderen, wer mehr haben will (pleonektēs), das heißt eine Einstellung der Ungleichheit (anisos) hat. Daher ist klar, dass gerecht derjenige sein wird, der die Gesetze beachtet (nomimos) und eine Einstellung der Gleichheit hat. Das Gerechte (dikaion) ist also das Gesetzliche und das Gleiche, das Ungerechte das Gesetzwidrige und Ungleiche.“130

Aristoteles unterscheidet also zwischen der Gerechtigkeit durch Gesetzesbeachtung einerseits und der Gerechtigkeit durch Einstellung der Gleichheit andererseits. Die erste Form (universale Gerechtigkeit) meint Gerechtigkeit in einem allgemeinen, umfassenden Sinn: Sie ist die ganze Tugend schlechthin und entspricht der Moralität im weitesten Sinne.131 Die zweite Form ist die Partikulargerechtigkeit: Sie ist ein „Teil der ganzen Tugend“. Universale Gerechtigkeit bedeutet die Übereinstimmung des persönlichen Tuns und Strebens mit den gesetzlichen Regelungen. Erinnert man sich daran, dass Aristoteles die Gerechtigkeit als Tugend beschreibt, so lässt sich mit Blick auf den Einzelnen sagen: Derjenige handelt gerecht (im universalen Sinne), der die Gesetzte beachtet. Umgekehrt zeichnet sich die gerechte Handlung dadurch aus, dass sie den Gesetzen entspricht. Die Partikulargerechtigkeit verlangt dagegen „eine Einstellung der Gleichheit“, das partikulär Gerechte ist „das Gleiche“. Gerecht ist aber nur der, der beiden Bedeutungen Genüge tut, also die Gesetze beachtet und zugleich eine Einstellung der Gleichheit hat. 1. Zur universalen Gerechtigkeit Die universale Gerechtigkeit steht außerhalb der Unterscheidung von iustitia distributiva und iustitia commutativa, genauer gesagt geht sie dieser Unterscheidung voraus. Dennoch sind hier einige Bemerkungen zur universalen 129

Aristoteles, NE, 1129 a 26–29. Aristoteles, NE, 1129 a 31–36. 131 Wright, Iowa Law Review 1992, 625, 688 f.; Bien, in: Höffe (Hrsg.), Aristoteles, 1995, S. 135, 139; Wright, Notre Dame Law Review 2000, S. 1859, 1872 ff. 130

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§ 2 Rechtsphilosophische Grundlegung

Gerechtigkeit veranlasst,132 insbesondere, was ihr Verhältnis zur Partikulargerechtigkeit betrifft.133 Das Verhältnis der universalen Gerechtigkeit zur Partikulargerechtigkeit spiegelt eine rechtsphilosophisch fundamentale Frage wider: Die Frage nach dem Verhältnis von Gesetz und Gerechtigkeit, das Problem des „ungerechten Gesetzes“. Diese Frage stand nicht im Mittelpunkt des Erkenntnisinteresses Aristoteles’,134 schon deshalb, weil er die Gerechtigkeit als Tugend, also als menschliche Charaktereigenschaft bzw. Charakterdisposition betrachtete. Sie klingt aber in den aristotelischen Ausführungen durchaus an. Heute wird das Problem des ungerechten Gesetzes meist in seiner radikalen Form gesehen und erörtert: Sind menschenverachtende Gesetze eines diktatorischen Regimes Recht, wenn sie formal ordnungsgemäß erlassen wurden? Paradigma dieser Fragestellung ist die Frage nach der Rechtsnatur der Gesetze, die im Dritten Reich erlassen wurden. Diese radikale Fragestellung hatte Aristoteles selbstverständlich nicht vor Augen. Das Verhältnis von Gesetz und Gerechtigkeit lässt sich aber auch heute in einer weniger scharfen Form als Problem aufwerfen: Darf ein Gesetz unanwendbar bleiben, weil es den Erfordernissen der Partikulargerechtigkeit widerspricht? Aristoteles beschreibt ein klares Verhältnis von Universalgerechtigkeit und Partikulargerechtigkeit. Der letzteren schreibt er eine begrenzte Rolle zu. Ihr Spielfeld ist im Grundsatz erst außerhalb des Gesetzlichen eröffnet. Insbesondere steht die Verteilungsgerechtigkeit ebenso wenig wie die Austauschgerechtigkeit über dem Gesetz: Iustitia distributiva und iustitia commutativa können nicht dazu instrumentalisiert werden, dem Gesetze zuwider zu handeln. Diese These des Aristoteles scheint noch stärker dadurch zu werden, dass er ein äußerst weites Verständnis von Gesetzen hat.135 Gesetze (nomoi) sind nicht bloß die in einer Polis förmlich in Kraft gesetzten positiven Gesetze. Zu ihnen gehören auch gesellschaftliche Konventionen, Regeln der Höflichkeit und die jeweiligen rituellen Kultvorschriften. Vor allem aber gehören zum Gesetz auch die ungeschriebenen, göttlichen und „natürlichen“ Gesetze. So findet der starke Vorrang der Universalgerechtigkeit (und damit der Vorrang des Gesetzes) vor der Partikulargerechtigkeit doch eine Einschränkung. Aristoteles betrachtet beispielsweise das Recht zur Totenbestattung als Gesetz. Dieses Verbot verteidigte die Antigone des Sophokles auch gegen das ausdrückliche Verbot des Kreon, um ihren 132 Lehrreich zur universalen Gerechtigkeit Gordon, Aristoteles über Gerechtigkeit, S. 38 ff.; Salomon, Der Begriff der Gerechtigkeit bei Aristoteles, S. 10 ff. 133 Das Verhältnis der Universalgerechtigkeit zur Partikulargerechtigkeit ist im Einzelnen schwer nachzuvollziehen und zu begründen, wenn diese beiden Formen als Tugenden des einzlnen Menschen verstanden und ernstgenommen werden. Hier geht es nur um einen eng umrissenen Ausschnitt dieses Verhältnisses. Zur philosophischen Diskussion vgl. einerseits Salomon, Der Begriff der Gerechtigkeit bei Aristoteles, S. 17 ff., andererseits mit heftiger Kritik an Salomon Trude, Der Begriff der Gerechtigkeit in der aristotelischen Rechts- und Staatsphilosophie, S. 75 ff. (Fn. 371). 134 Flashar, Aristoteles, S. 85. 135 Dazu Bien, in: Höffe (Hrsg.), Aristoteles, 1995, S. 135, 136.

C. Die iustitia distributiva in der Gerechtigkeitstheorie des Aristoteles

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Bruder Polyneikes zu bestatten. Das Gesetz ist Aristoteles zufolge hier nicht verletzt, sondern beachtet. Das Problem des ungerechten Gesetzes in seiner scharfen Form könnte Aristoteles also weitgehend innerhalb der Universalgerechtigkeit lösen: Selbst wenn ein Gesetz formal ordnungsgemäß erlassen ist, kann es doch von einem vorrangigen göttlichen bzw. „natürlichen“ Gesetz verdrängt werden. Vor diesem Hintergrund ist die prima facie allzu optimistische Haltung des Aristoteles den Gesetzen gegenüber einzuordnen. Gesetze sind für Aristoteles per definitionem „in gewisser Weise“ gerecht: „Da nun, wie sich zeigte, jemand, der die Gesetze verletzt, ungerecht ist, und wer die Gesetze beachtet, gerecht, so ist klar, dass alles, was den Gesetzen entspricht, in gewisser Weise gerecht ist. Denn was von der Gesetzgebung festgelegt wird, ist gesetzlich, und jede einzelne gesetzliche Bestimmung nennen wir gerecht.“136

Hier scheinen die Gesetze das Gerechte zu verkörpern, als würde außer Frage stehen, dass die gesetzlichen Regelungen (also etwa die Normen des Vertragsrechts) gerecht sind. Eine kleine Einschränkung ist aber schon daran zu erkennen, dass Aristoteles ein sprachliches caveat einfügt: Das, was den Gesetzen entspricht ist nur „in gewisser Weise“ gerecht. Aus dieser Einschränkung kann durchaus gefolgert werden, dass Aristoteles das Problem des „ungerechten Gesetzes“ auch in seiner ganzen Schärfe erkannt hat.137 Aus heutiger Sicht ist jedenfalls eine weniger optimistische Einschätzung vorzuziehen: Gesetze können auch ungerecht sein.138 Diese Arbeit steht denn auch auf dem Standpunkt, dass die Frage nach der Gerechtigkeit der gesetzlichen Regelungen des Vertragsrechts gestellt werden kann und gestellt werden muss. Gleichwohl bleibt die bei Aristoteles formulierte grundlegende Erkenntnis auch ein Leitbild für ein von der iustitia distributiva geprägtes Vertragsrecht: Das Gerechte ist zunächst und zuvörderst im Gesetz selbst zu suchen; diese Suche darf nicht leichter Hand aufgegeben werden, wenn sich Hindernisse und Schwierigkeiten in den Weg stellen. So wird sich auch in dieser Arbeit zeigen, dass etwaige Erfordernisse der Verteilungsgerechtigkeit nicht ohne Weiteres die Anwendung des positiv geschriebenen Rechts in Frage stellen können und dürfen. Vielmehr gilt der aristotelische Gedanke auch für dieses Projekt: Die Verteilungsgerechtigkeit muss vordringlich im anzuwendenden Gesetz selbst gesucht werden. Gerade die Offenheit der iustitia distributiva für unterschiedli136

Aristoteles, NE, 1129 b 11–14. So Bien, in: Höffe (Hrsg.), Aristoteles, 1995, S. 135, 140 ff.; ähnlich Wolf, Aristoteles’ „Nikomachische Ethik“, S. 98. Diese Auffassung erfährt in den Ausführungen Aristoteles zum „natürlich Gerechten“ und „gesetzlich Gerechten“ eine Stütze, vgl. Aristoteles, NE 1134 b 18 – 1135 a 15 (S. 179 f. in der Übersetzung Wolfs) sowie Aristoteles, Politik, 1276 b 1 ff. (S. 107 in der Übersetzung Gigons). 138 Ein weiteres Problem besteht darin, dass Gesetze aus heutiger Sicht nicht alle Lebensbereiche abdecken, was das Konzept der allgemeinen Gerechtigkeit unvollständig macht. Für Aristoteles bezogen sich Gesetze dagegen tatsächlich auf alles, vgl. Wolf, Aristoteles’ „Nikomachische Ethik“, S. 97 f. 137

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§ 2 Rechtsphilosophische Grundlegung

che rechtspolitische Wertungen fordert dies heute auch unter demokratietheoretischen Gesichtspunkten. 2. Zur Partikulargerechtigkeit Der inhaltliche Fokus der Nikomachischen Ethik liegt auf der zweiten Hauptform der Gerechtigkeit, der Partikulargerechtigkeit.139 Die Partikulargerechtigkeit besteht im Streben nach dem Gleichen und im Tun des Gleichen. Sie wird auch als „Gerechtigkeit im speziellen Sinn“140 oder „partikulare Gerechtigkeit“141 bezeichnet. Eine erste Präzisierung gibt Aristoteles bereits bei seiner systematischen Unterscheidung der beiden Gerechtigkeitsbedeutungen: „Da nun der Ungerechte mehr haben will, wird er es mit Gütern zu tun haben, nicht mit allen Gütern, sondern mit denen, auf die sich äußeres Glück (eutychia) und Unglück (atychia) beziehen, mit Gütern also, die als solche immer Güter sind, für einen bestimmten Menschen aber nicht in jedem Fall…Der Ungerechte wählt aber nicht immer das Mehr, sondern [manchmal] auch das Weniger, nämlich bei den Dingen, die als solche Übel sind. Doch da auch das kleinere Übel in gewisser Weise als Gut gilt, das Mehrhabenwollen (pleonexia) sich aber auf Güter bezieht, deswegen gilt er als einer, der mehr haben will. So ist er jemand, der eine Einstellung der Ungleichheit hat (anisos). Denn dies umfasst beides [mehr Güter und weniger Übel haben wollen] und ist beidem gemeinsam.“

Ungerecht ist also derjenige, der mehr (von guten Dingen) oder weniger (von Übeln) will: der „Mehrhabenwollende“ (pleonektēs). Er ist anisos, also ungleich bzw. der Feind der Gleichheit.

IV. Iustitia distributiva und iustitia commutativa als die beiden Formen der Partikulargerechtigkeit 1. Übersicht über die Unterscheidung der Gerechtigkeitsformen Erst vor diesem systematischen und begrifflichen Kontext lässt sich die zentrale Textstelle des fünften Kapitels der Nikomachischen Ethik (1130b 30 ff.) verstehen. Hier unterteilt Aristoteles die Partikulargerechtigkeit in zwei Arten: Iustitia distributiva (dianemetikē) und iustitia commutativa (diorthōtikē). Diese bis heute einflussreiche Passage lautet: „Von der Gerechtigkeit im speziellen Sinn (kata meros) und dem in ihrem Sinne Gerechten findet sich die eine Form bei der Verteilung (dianomē) von Ehre, Geld oder anderen Gütern, die unter den Mitgliedern der Staatsgemeinschaft teilbar sind (denn in diesen Dingen kommt es vor, dass jemand einen ungleichen oder den gleichen Betrag hat wie ein anderer). Die andere Form betrifft den Ausgleich (diorthōtikōn) in Transak139 140 141

S. nur Flashar, Aristoteles, S. 86. Vgl Wolf, Aristoteles’ „Nikomachische Ethik“, S. 96. Vgl. Bien, in: Höffe (Hrsg.), Aristoteles, 1995, S. 135, 139.

C. Die iustitia distributiva in der Gerechtigkeitstheorie des Aristoteles

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tionen (synallagma) zwischen Menschen. Diese hat wiederum zwei Teile. Von den Transaktionen sind nämlich die einen gewollt (hekousion), die anderen gegen das eigene Wollen (akousion). Gewollt sind zum Beispiel Kauf, Verkauf, Darlehen, Bürgschaft, Nutznießung, Deposition142, Miete (man bezeichnet diese als gewollt, weil der Ursprung der Transaktionen im eigenen Wollen liegt). Von den Transaktionen gegen das Wollen sind die einen heimlich, zum Beispiel Diebstahl, Ehebruch, Giftmischerei, Kuppelei, Verführung von Sklaven, Meuchelmord, falsches Zeugnis. Die anderen sind gewaltsam, zum Beispiel Misshandlung, Freiheitsberaubung, Totschlag, Raub, Verstümmelung, Verleumdung, Beleidigung.“143

Die Verteilungsgerechtigkeit (iustitia distributiva) ist die erste Form der Partikulargerechtigkeit. Aristoteles spricht nicht von Verteilungsgerechtigkeit, sondern „dem Gerechten“, das bei der Verteilung gerecht ist; er hat also „das Gerechte“ als Objekt im Blick.144 Das Gerechte bei der Verteilungsgerechtigkeit ist demnach – da die Gerechtigkeit eine Tugend ist – das jeweilige Ziel des Menschen. Als gerecht erweist sich nach Aristoteles derjenige, der bei der Verteilung von Ehre, Geld oder anderen teilbaren Gütern ein Gleiches anstrebt. Ungerecht ist dagegen derjenige, der ein Ungleiches anstrebt. Die zweite Form der Partikulargerechtigkeit ist die Austauschgerechtigkeit (iustitia commutativa). Sie betrifft die Ermittlung des Gleichen (als Mittleres) bei Transaktionen. Diese Form ist wiederum in zwei Teile geschieden: Gerechtigkeit bei gewollten Transaktionen sowie Gerechtigkeit bei ungewollten Transaktionen. Will man diese Zweiteilung mit den heutigen Kategorien erfassen, so betreffen die ungewollten Transaktionen (die wiederum in „heimliche“ und „gewaltsame“ aufgeteilt sind), das Strafrecht, aber wohl vor allem auch den durch Delikte ausgelösten zivilrechtlichen Schadensausgleich.145 Die gewollten Transaktionen betreffen dagegen insbesondere das Vertragsrecht. Die in der Diskussion verwendete Terminologie dieser Gerechtigkeitsform ist alles andere als einheitlich.146 Canaris verwendet etwa für die Gerechtigkeit bei gewollten Transaktionen den Begriff der iustitia commutativa, für die Gerechtigkeit bei ungewollten Transaktionen dagegen den Begriff der iustitia correctiva.147 Ähnlich differenziert Gordon: bei einem unfreiwilligen Austausch gehe es um „wiedergutmachende Gerechtigkeit“, bei einem freiwilligen Aus-

142 Dirlmeier übersetzt parakatathêkê mit „Hinterlegung“ vgl. S. 100 der Übersetzung Dirlmeiers; nahe läge wohl auch die Übersetzung mit „Verwahrung“. 143 Aristoteles, NE 1130 b 20 ff. (S. 166 der Übersetzung Wolfs). 144 Küster, in: Baur (Hrsg.), Funktionswandel der Privatrechtsinstitutionen, S. 541, 541 f.; Gordon, Aristoteles über Gerechtigkeit, S. 112 m.w.N. 145 Dazu etwa Jansen, Die Struktur des Haftungsrechts, S. 85 ff. 146 Vgl. auch Wendehorst, Anspruch und Ausgleich, S. 4 ff.; Englard, Corrective and Distributive Justice, S. 3, führt folgende Übersetzungen auf: iustitia regulativa, iustitia directiva, iustitia correctiva, iustitia correctrix, iustitia commutativa, iustitia commutatrix, iustitia rectificativa, iustitia, iustium in corrigendo, iustitia expletrix. 147 Canaris, Die Bedeutung der iustitia distributiva im deutschen Vertragsrecht, S. 30 f.

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§ 2 Rechtsphilosophische Grundlegung

tausch dagegen um „Tauschgerechtigkeit“.148 Die gängigste Bezeichnung im Lateinischen ist jedoch im Anschluss an die einflussreiche Aristoteles-Interpretation des Thomas von Aquin der Begriff iustitia commutativa. In der anglo-amerikanischen Diskussion wird dagegen weit überwiegend ohne jede Differenzierung von corrective justice gesprochen.149 Diese Präferenz lässt sich vor allem damit erklären, dass sich die Diskussion ganz überwiegend auf das Delikts- und Bereicherungsrecht fokussiert. Der Gedanke einer Korrektur (eines Schadens oder einer ungerechtfertigten Bereicherung) liegt entsprechend nahe. Für die Bedeutung der zweiten Form der Partikulargerechtigkeit im Vertragsrecht ist indes der Begriff der iustitia commutativa vorzugswürdig. Er betont den Aspekt des gegenseitigen Güteraustauschs, der für das Vertragsrecht zentral ist. Honsell wendet sich gegen diesen Begriff mit dem Argument, dass es bei Austauschgeschäften „nicht um austauschende Gerechtigkeit, sondern nur um eine allfällige Korrektur des Austausches gehe.“150 Auch zur Bestimmung dessen, wie und wann ein Austausch korrigiert wird, ist es jedoch hilfreich zu verstehen, welches Gerechtigkeitskonzept dem Austausch selbst innewohnt. Für Honsell kann darüber hinaus nie den Vertragsparteien selbst, sondern immer nur dem Staat die zweite Form der Partikulargerechtigkeit obliegen.151 Ob diese These für ein modernes Vertragsrecht westlicher Prägung zutrifft, mag an dieser Stelle offenbleiben. Jedenfalls lässt sich diese Einschätzung nicht mit der Gerechtigkeitstheorie des Aristoteles in Einklang bringen. Denn diese ist ihrer Konzeption nach eine Tugendlehre, die sich an den einzelnen Menschen wendet. Aristoteles beschreibt auch die Partikulargerechtigkeit nicht etwa als Staatsaufgabe, sondern als den Bürgern zukommende Eigenschaft. Auch insoweit drängt sich die in thomasischer Tradition herrschende Bezeichnung als iustitia commutativa gerade für das Vertragsrecht auf. Ein gewisser Nachteil mag darin bestehen, dass die anglo-amerikanische Begrifflichkeit nicht gespiegelt wird. Da in dieser Arbeit aber der Fokus anders als dort gerade auf dem Vertragsrecht liegt, wird im Folgenden die zweite Form der Partikulargerechtigkeit als iustitia commutativa bzw. als „Austauschgerechtigkeit“ bezeichnet werden.152 148

Gordon, Aristoteles über Gerechtigkeit, S. 165 ff. Vgl. stellvertretend Benson, Iowa Law Review 1992, 515; Perry, in: Horder (Hrsg.), Oxford Essays in Jurisprudence; Fourth Series, S. 237; Wright, Iowa Law Review 1992, 625; Gordley spricht dagegen von commutative justice. vgl. Gordley, California Law Review 1981, 1587, 1589 ff.; Gordley, Foundations of Private Law, S. 11 ff. 150 Honsell, in: Schermaier/Rainer/Winkel (Hrsg.), Iurisprudentia universalis, 2002, S. 287, 289 (Kursivdruck im Original). 151 Honsell, in: Schermaier/Rainer/Winkel (Hrsg.), Iurisprudentia universalis, 2002, S. 287, 289. 152 Auch Unberath entscheidet sich nur deshalb für die Verwendung des Begriffs „ausgleichende Gerechtigkeit“, weil der Begriff der Austauschgerechtigkeit (iustitia commutativa) nicht ohne weiteres bei unfreiwilligen Vorgängen (also insbesondere dem Delikts- und Bereicherungsrecht) passt, vgl. Unberath, Die Vertragsverletzung, S. 82. 149

C. Die iustitia distributiva in der Gerechtigkeitstheorie des Aristoteles

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2. Einheitlichkeit der Grundlage in der menschlichen Natur Nach Aubenque haben die zwei Gerechtigkeitsarten auch zwei unterschiedliche Grundlagen in der menschlichen Natur:153 Die Verteilungsgerechtigkeit betreffe die politische Gemeinschaft, in der sich der Einzelne in seiner jeweiligen Gleichheit oder Ungleichheit den anderen Gemeinschaftsmitgliedern gegenüber sieht und entsprechend dieser Gleichheit das ihm (je unterschiedlich) Zustehende erwarten darf (relatives Gleichheitskonzept). Anders liege es bei der iustitia commutativa: Diese gründe in einem absoluten Gleichheitskonzept: Unabhängig vom jeweiligen Status im Verhältnis zu anderen Gemeinschaftsmitgliedern betrachte sich der Mensch als absolut gleich: jeder habe eine Reihe unveräußerlicher absoluter und universeller Rechte.154 Die Unterscheidung Aubenques sieht den Menschen zum einen als Mitglied einer politischen Gemeinschaft, zum anderen als von dieser losgelöstes Individuum. Seine Erklärung bietet sich auch als rechtsphilosophisches Fundament für die Zuordnung der Gerechtigkeitsformen zu verschiedenen Rechtsgebieten an: Man könnte das öffentliche Recht als diejenige Teilrechtsordnung betrachten wollen, die den Menschen als Mitglied einer politischen Gemeinschaft sieht, das private Recht dagegen als diejenige Teilrechtsordnung, die von dieser Eigenschaft abstrahiert und absolute Gleichheit zugrunde legt. Die daraus resultierende Zuordnung der iustitia distributiva zum öffentlichen, der iustitia commutativa zum privaten Recht wird noch eingehend zu untersuchen und zu kritisieren sein.155 Als Fundament dieser Unterscheidung taugt die Analyse Aubenques indes kaum. Die von ihm entwickelte Differenzierung lässt sich dem aristotelischen Text nicht entnehmen. Dass die iustitia commutativa bei Aristoteles auf einem Konzept absoluter Gleichheit beruht, ist nicht zwingend: Denn auch bei der iustitia commutativa ergibt sich die Ungleichheit nur in Relation zu dem jeweiligen Gemeinschaftsmitglied, dem gegenüber der Ungleiche ein Zuviel hat. Es liegt näher, dass Aubenque neuere egalitaristische Konzepte und die moderne Idee unveräußerlicher Grundrechte Aristoteles untergeschoben hat.156 Zudem steht die Theorie Aubenques mit der systematischen Einordnung der Gerechtigkeitsformen bei Aristoteles in einem offenkundigen Widerspruch. Für Aristoteles sind iustitia commutativa und iustitia distributiva Ausprägungen der Partikulargerechtigkeit, die von einem einheitlichen Leitgedanken geprägt ist, nämlich der Suche nach der Mitte.157 Überzeugender ist es daher, mit Salomon158 anzunehmen, dass Aristoteles lediglich verschiedene Anwendungsgebiete der Partikulargerechtigkeit beschrieben hat, in de153

Aubenque, in: Heinaman (Hrsg.), Aristotle and Moral Realism, 1995, S. 35,39 ff. Aubenque, a.a.O., S. 35, 45 ff. 155 Unten, S. 99 ff. 156 Engberg-Pedersen, in: Heinaman (Hrsg.), Aristotle and Moral Realism, 1995, S. 48, 50 ff. 157 Vgl. auch Englard, Corrective and Distributive Justice, S. 6. 158 Salomon, Der Begriff der Gerechtigkeit bei Aristoteles, S. 24 ff. Ebenso Trude, Der Begriff der Gerechtigkeit in der aristotelischen Rechts- und Staatsphilosophie, S. 104 ff. 154

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§ 2 Rechtsphilosophische Grundlegung

nen das Gleiche grundsätzlich auf unterschiedliche Weise bestimmt werden muss. Ihre Tugendgrundlage hat die Gerechtigkeit aber bei allen Anwendungsgebieten in einer einheitlichen Charakterhaltung: der Einstellung der Gleichheit. Wären zwei unterschiedliche Tugendausprägungen maßgeblich, hätte Aristoteles den Gerechten (im Sinne der Partikulargerechtigkeit) wohl nicht stets gleich bezeichnet (nämlich als isos, der Gerechte).159 Gleichwohl betont Aubenque einen wichtigen Aspekt: Entscheidend für den konkreten Inhalt der Partikulargerechtigkeit ist die Gleichheit. Gleichheit lässt sich nach Aristoteles aber in der Tat auf zwei grundsätzlich unterschiedliche Arten bestimmen. So stehen sich zwei Gleichheitsformen gegenüber, die nach Aristoteles eine je eigene Struktur aufweisen. Doch wie ist diese Struktur beschaffen? 3. Die unterschiedlichen Strukturen von iustitia distributiva und iustitia commutativa Aristoteles erklärt die unterschiedlichen Strukturen von iustitia distributiva und iustitia commutativa anhand mathematischer Überlegungen. Die Mathematik galt zu Aristoteles Zeiten als hohe, reine Wissenschaft. Wenn Aristoteles nun die Ethik mit mathematischen Überlegungen anfüllt, rückt er sie zugleich in deren Nähe. Die Ethik nimmt damit an dem hohen Nimbus der Wissenschaftlichkeit teil, der der Mathematik zuteil wird.160 Gleichwohl dürfen die mathematischen Illustrationen des Aristoteles nicht als Anachronismus ohne erklärende Funktion beiseite gelassen werden. Denn sie verdeutlichen, welche Struktur Aristoteles den Formen der Gerechtigkeit gegeben hat. Die Partikulargerechtigkeit ist für Aristoteles eine Form der Gerechtigkeit des Gleichen. Das Gleiche bedeutet in der mesos-Lehre des Aristoteles ein Mittleres; wer dieses anstrebt, handelt gerecht.161 „Da nun der ungerechte Mensch ungleich eingestellt und das Ungerechte ungleich ist, gibt es offensichtlich auch zwischen dem Ungleichen [auf Seiten der beiden Extreme] ein Mittleres. Dies ist das Gleiche. Denn bei jeder Handlungsweise, bei der es ein Zuviel und ein Zuwenig gibt, gibt es auch das Gleiche. Wenn also das Ungerechte ungleich ist, ist das Gerechte gleich, wovon auch ohne Begründung alle überzeugt sind. Und da das Gleiche ein Mittleres ist, wird das Gerechte ein Mittleres sein.“162

Das Mittlere bemisst sich bei den beiden Formen der Partikulargerechtigkeit nach unterschiedlichen Proportionen: Bei der iustitia distributiva bedeutet das Mittlere „relative“ Gleichheit nach geometrischer Proportion, bei der iustitia commutativa geht es dagegen um „absolute“ Gleichheit nach arithmetischer Proportion. Das ist im Folgenden näher zu erläutern. 159

Wolf, Aristoteles’ „Nikomachische Ethik“, S. 103. Salomon, Der Begriff der Gerechtigkeit bei Aristoteles, S. 161. 161 Zur mesos-Lehre des Aristoteles s. etwa Rottleuthner, Ungerechtigkeiten, S. 12 ff.; Wolf, in: Höffe (Hrsg.), Aristoteles, 1995, S. 83. 162 Aristoteles, NE 1131 a 10–14 (S. 167 in der Übersetzung Wolfs). 160

C. Die iustitia distributiva in der Gerechtigkeitstheorie des Aristoteles

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a) Die iustitia distributiva als Gerechtigkeit der relativen Gleichheit nach geometrischer Proportion Bei der Verteilungsgerechtigkeit bedeutet Gleichheit nicht absolute, sondern relative Gleichheit – relativ einmal zum Wert des zu verteilenden Gutes, relativ aber auch zum „Wert“ der Person, die das Gut empfängt. „Das Gleiche enthält nun mindestens zwei Glieder. Demnach muss das Gerechte sowohl ein Mittleres wie ein Gleiches sein und ein Bezogenes (pros ti), nämlich für bestimmte Partner. Als ein Mittleres wird es die Mitte zwischen zwei Dingen sein (die zu groß und zu klein sind), als ein Gleiches das Gleiche von zweien und als ein Gerechtes für bestimmte Personen gerecht. Also muss das Gerechte in wenigstens vier Gliedern liegen. Denn die Personen, für die es das Gerechte ist, sind zwei, und die Sachen, in denen es sich zeigt, sind ebenfalls zwei. Weiterhin wird dieselbe Gleichheit zwischen den Personen und den Sachen bestehen, die beteiligt sind. Wie sich diese zueinander verhalten, die Sachen, so auch jene, die Personen. Wenn diese nicht gleich sind, werden sie nicht gleiche Anteile haben – und hier haben die Streitigkeiten und Anklagen ihren Ursprung, wenn Gleiche ungleiche Anteile oder Ungleiche gleiche Anteile haben und zugeteilt bekommen.“163

Das Gerechte wird also als Gleichheit zweier Beziehungen erklärt. Eine Verteilung ist gerecht zwischen (mindestens) zwei Personen und in Bezug auf (mindestens) zwei Sachen. Das Wertverhältnis zwischen den Gütern muss dem Wertverhältnis der Personen entsprechen. Jede Person muss die Menge an Gütern erhalten, die ihrem Wert entspricht.164 Insofern kann man also auch von einer Wertungleichheit der betroffenen Personen sprechen; diese entspricht einer Wertungleichheit zwischen den verschiedenen Verteilungsgegenständen. Diese Gleichheit der Beziehung nannten die Griechen auch geometrische (bzw. diskrete) Gleichheit.165 Das Gerechte ist das Proportionale, als Mitte (bzw. Mittleres) zwischen dem, was den Proportionen zuwiderläuft. Die Verteilungsgerechtigkeit verlangt also, wie Aubenque zu Recht betont, dass die Verteilungsgegenstände auch ungleich zu verteilen sind, wenn die Personen nicht gleich sind.166 Das rechtfertigt Aristoteles in der soeben zitierten Passage: Streitigkeiten entstehen, wenn Ungleiche Gleiches oder Gleiche Ungleiches erhalten. Diese Annahme ist ohne weiteres plausibel und wird auch in psychologischen Studien bestätigt.167 Die Relation zwischen den Personen ist damit für die Findung der gerechten Mitte im Sinne der geometrischen Gleichheit von entscheidender Bedeutung. Damit wird aber zur entscheidenden Frage, nach welchem Maßstab 163

Aristoteles, NE 1131 a 15–24 (S. 167 in der Übersetzung Wolfs). Vgl. auch Wright, Iowa Law Review 1992, 625, 699 f. 165 Bien, in: Höffe (Hrsg.), Aristoteles, 1995, S. 135, 155; Aubenque, in: Heinaman (Hrsg.), Aristotle and Moral Realism, 1995, S. 35, 39. 166 Aubenque, in: Heinaman (Hrsg.), Aristotle and Moral Realism, 1995, S. 35, 39. 167 Vgl. nur Deutsch, Distributive Justice, S. 50 f. und 133 ff. m.w.N. 164

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§ 2 Rechtsphilosophische Grundlegung

diese Relation zu ermitteln ist. Die Antwort sieht Aristoteles in der Würdigkeit (axia). Diese bietet aber keinen feststehenden Verteilungsmaßstab sondern nur einen relativen. Denn worin die Würdigkeit der Personen zu suchen ist, hängt entscheidend von der jeweiligen Staatsform ab. „Die Verteilung nach der Würdigkeit (axia) macht dies ebenfalls deutlich. Denn alle stimmen darin überein, dass das Gerechte bei Verteilungen einer Art von Würdigkeit entsprechen muss, doch nennen nicht alle dieselbe Art von Würdigkeit, sondern die Demokraten nennen den Status des freien Menschen, die Oligarchen den Reichtum, manche auch die adlige Abstammung, die Aristokraten die Gutheit des Charakters.“168

Die iustitia distributiva wird damit zu einer relativen Gerechtigkeitsform, konkrete inhaltliche Forderungen ergeben sich bei ihr nicht absolut, sondern nur in Abhängigkeit von den Maßstäben, die von der Staatsform vorgegeben sind. Dies begründet die rechtspolitische Natur der iustitia distributiva, zu der einige weiterführende Anmerkungen angezeigt sind. b) Der politische Charakter der iustitia distributiva Die Mitte im Sinne geometrischer Person ist für Aristoteles nicht absolut und a priori ermittelbar. Die Gerechtigkeit der iustitia distributiva ist deshalb relativ, nicht absolut. Die iustitia distributiva erhält durch diesen Relativismus einen politischen Charakter.169 Wie Verteilungsgüter gerecht verteilt werden, betrachtet Aristoteles als politische Fragestellung. Denn die Verteilung nach geometrischer Proportionalität hängt maßgeblich von der Würdigkeit (axia) ab. Diese ist Maßstab der gerechten Verteilung. Die Würdigkeit ist aber nur im politischen Prozess zu ermitteln: Unterschiedliche politische Systeme bestimmen sie auf unterschiedliche Weise. Soll Würdigkeit nach Freiheit bemessen werden, nach Reichtum, Abstammung oder Charakter? Diese Wertungsfragen sind nicht absolut, sondern nur relativ zu bestimmen, sie hängen vom politischen System und den politischen Entscheidungen der Verteilungsinstanz ab.170 Zugleich empfiehlt sich die iustitia distributiva als Gerechtigkeitsform für eine funktionale Vertragstheorie, die offen für die Verwirklichung verschiedener im politischen Diskurs zu ermittelnden Verteilungsmaßstäbe ist. Die Verteilungsgerechtigkeit ist also schon für Aristoteles eine Form der politischen Gerechtigkeit. So nimmt es nicht wunder, dass er die Verteilungsgerechtigkeit auch in der Politik eingehend diskutiert.171 „Das politisch Gute ist das Gerechte, und dieses ist das, was der Allgemeinheit zuträglich ist. Das Gerechte scheint nun Gleichheit für alle zu sein, und bis zu einem gewissen 168

Aristoteles, NE 1131a 24–29 (S. 167 f. in der Übersetzung Wolfs). Vgl. auch Heyman, Iowa Law Review 1992, 851, 854 f. 170 S. auch Heyman, Iowa Law Review 1992, 851, 854 f. 171 Insbesondere im Dritten Buch der Politik, S. Aristoteles, Politik, 1280 a 7 ff. (S. 115 ff. in der Übersetzung Gigons). 169

C. Die iustitia distributiva in der Gerechtigkeitstheorie des Aristoteles

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Grade stimmt dies mit den philosophischen Erwägungen der Ethik überein. Denn diese stellen fest, was und für wen etwas gerecht sei, und daß Gleiche Gleiches erhalten sollen. Worin aber Gleichheit und Ungleichheit zu bestehen haben, muß man auch wissen. Denn auch dies ist eine Frage und bedarf staatsphilosophischer Untersuchung.“172

Im 3. Buch seiner Politik interessiert Aristoteles vornehmlich die Gerechtigkeit einer bestimmten Verteilung: Der Vergabe von Regierungsämtern, die Leitung des Staates. Diese Verteilungsentscheidung hängt für ihn vor allem von der konkreten Staatsform ab; seine Erörterung ist auch in einer Diskussion der Verfassungsformen entwickelt.173 Aristoteles legt das klassische Schema der sechs Formen zu Grunde: Einer regiert, einige regieren, alle regieren; dabei ist je eine gute und eine schlechte Alternative zu unterscheiden.174 Die Würdigkeit für politische Ämter bemisst sich dabei nach den Kriterien, die für die Leitung des Staates relevant sind. Andere Kriterien dürfen diese Verteilungsentscheidung nicht beeinflussen. Das illustriert Aristoteles anhand seines berühmten Flötenbeispiels.175 „Man könnte sagen, daß die Ämter je nach dem Vorrang in irgendeinem Gute ungleich verteilt werden müßten, wenn auch im übrigen keine Unterschiede bestünden, sondern alle gleich wären. Denn wo überhaupt Unterschiede vorhanden sind, da ist auch die Gerechtigkeit und die Würdigkeit eine andere. Wenn aber dies stimmt, so müssen auch jene, die sich an Farbe, Größe und sonst einem Gute auszeichnen einen Überschuß an politischer Gerechtigkeit erfahren. Oder liegt hier nicht der Fehler zutage? In den anderen Wissenschaften ist es klar: wo Flötenspieler von gleichem Können vorhanden sind, da wird man nicht etwa den Vornehmeren die besseren Flöten geben. Denn sie werden darum nicht besser spielen. Wer sich also in der Leistung auszeichnet, der soll auch das bessere Werkzeug erhalten. Wenn dies noch nicht deutlich genug ist, so wird es doch im weitern Verlaufe klar werden. Wenn sich nämlich einer in der Flötenkunst auszeichnet, aber an Vornehmheit oder Schönheit zurückbleibt, so würde man doch, obschon die beiden Güter Vornehmheit und Schönheit für sich höher stehen als die Flötenkunst, um im Verhältnis höher über der Flötenkunst stehen als der Flötenspieler durch seine Kunst über den andern, dem Flötenspieler die besseren Flöten geben. Denn der Vorrang in Adel und Reichtum müßte zur Leistung beitragen, aber das tut er nicht.“176

172

Aristoteles, Politik, 1282 b 16–23 (S. 122 in der Übersetzung Gigons). Diese und die folgenden Zitierungen der Politik geben die Übersetzung Gigons wieder; die konkretisierenden Angaben entsprechen wie bei der Nikomachischen Ethik der von Bekker ab 1831 herausgegebenen Ausgabe der Königlich-Preußischen Akademie der Wissenschaften, die sich in Seiten, Spalten (a und b) sowie Zeilen untergliedert. 173 Aristoteles, Politik, 1281 a (S. 118 ff. in der Übersetzung Gigons). 174 Allerdings konzentriert sich Aristoteles in seiner Erörterung insbesondere auf die Staatsformen der Oligarchie und der Demokratie. Dazu Gigon, in: Gigon (Hrsg.), Politik, S. 30 f. 175 Anschaulich diskutiert ist dieses Beispiel etwa bei Trude, Der Begriff der Gerechtigkeit in der aristotelischen Rechts- und Staatsphilosophie, S. 94 f. sowie bei Canaris, Die Bedeutung der iustitia distributiva im deutschen Vertragsrecht, S. 19 ff. 176 Aristoteles, Politik, 1282 b 23–1283 a 2 (S. 122 f. in der Übersetzung Gigons).

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§ 2 Rechtsphilosophische Grundlegung

Aristoteles gibt sodann auf die richtige Ämterverteilung eine konkrete, wenngleich natürlich nicht ins Einzelne ausdifferenzierte Antwort: Für das Bestehen des Staates sind Adelige, Freie und Reiche nötig. Das mag aus heutiger Sicht verwundern, für Aristoteles scheint jedoch selbstverständlich gewesen zu sein, dass ein Staat weder aus Armen noch aus Sklaven bestehen kann. Da der Staat nach Aristoteles aber auf das glückliche Leben seiner Bürger ausgerichtet ist (eudaimonia)177, gebühren die wichtigsten Ämter denjenigen, die an Tugend und Charakterhaltung (arete) sowie Klugheit (phronēsis) hervorstechen.178 Andere Eigenschaften mögen bei anderen Verteilungsentscheidungen eine Rolle spielen, nicht aber bei der Ämterverteilung.179 Die Würdigkeit, die für die gerechte Verteilung entscheidend ist, hängt im aristotelischen Konzept also entscheidend von dem konkreten Verteilungsgegenstand ab. Verteilungsgerechtigkeit ist für ihn ein Konzept relativer Gerechtigkeit. Ihre konkreten Forderungen können nur und erst im politischen Diskurs gefunden werden. Diese Strukturüberlegung lässt sich auch für eine instrumentalistische Vertragstheorie fruchtbar machen. Was das „Gleiche“ als entscheidendes Merkmal der Verteilungsgerechtigkeit im Einzelnen ist, lässt sich nicht absolut fassen. Es kann auch nicht durch mathematische Formeln ermittelt werden.180 Es ist vielmehr Gegenstand einer politischen Entscheidung, die vom jeweiligen Anwendungszusammenhang und den politischen Zielen der Verteilungsentscheidung abhängt. Dadurch erhält die Verteilungsgerechtigkeit eine Flexibilität und Offenheit für neue Anwendungsgebiete. Diese Wandlungsfähigkeit erklärt zu einem großen Teil, weshalb die Verteilungsgerechtigkeit in ihrer aristotelischen Struktur auch für moderne Rechtstheorien nutzbar gemacht werden kann. Mit ihrer Hilfe lassen sich Gerechtigkeitsfragen der heutigen Zeit auch im Vertragsrecht analysieren und bewerten. Dabei ermöglicht die Relativität der iustitia distributiva und ihre generelle Offenheit für die verschiedensten politischen Wertungen auch die Chance, rechtspolitische Diskussionen offen zu führen. Ein Argument, mit dem eine bestimmte Verteilung als ungerecht kritisiert wird, weil die iustitia distributiva eine andere Verteilung fordert, ist stets unvollständig. Vollständig wird das Argument erst dann, wenn der jeweilige Verteilungskontext und die jeweiligen politischen Wertungen explizit benannt sind, die aus Sicht des Argumentierenden die kritisierte Verteilung „ungerecht“ machen. 177 Aristoteles, Politik, 1280 b 40 ff. (S. 118 in der Übersetzung Gigons); vgl. auch Aristoteles, NE 1134 a 26 ff. (S. 177 f. in der Übersetzung Wolfs). 178 Wolf, Aristoteles’ „Nikomachische Ethik“, S. 106. 179 Daher geht etwa Leyden, Aristotle on Equality and Justice – His Political Argument, S. 48 wohl fehl, wenn er das entscheidende Kriterium für die Ämterverteilung im Verdienst des Einzelnen sieht, also in vergangenen Beiträgen zur Gemeinschaft. Der Verdienst dürfte für Aristoteles allenfalls ein Indiz dafür sein, dass die verdienstvolle Person für die Staatsleitung geeignet ist. 180 Vgl. auch Leyden, Aristotle on Equality and Justice – His Political Argument, S. 6 ff. sowie zusammenfassend S. 63 f.

C. Die iustitia distributiva in der Gerechtigkeitstheorie des Aristoteles

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c) Die iustitia commutativa als Gerechtigkeit der absoluten Gleichheit nach arithmetischer Proportion Die zweite Form der Partikulargerechtigkeit (neben der iustitia distributiva) ist bei Aristoteles die iustitia commutativa (oder Austauschgerechtigkeit).181 Im Vertragsrecht hat gerade sie Bedeutung erlangt, die iustitia commutativa gilt herkömmlich als Gerechtigkeitsform des Vertragsrechts.182 Der Text des Aristoteles legt dieses Verständnis durchaus nahe.183 Seinen Ausführungen zufolge betrifft die iustitia commutativa Transaktionen zwischen den Menschen. Dabei unterscheidet Aristoteles zwischen gewollten und ungewollten Transaktionen. Gewollte Transaktionen umfassen nun aber gerade die Geschäfte, die auch heute typische Beispiele für Verträge bieten. Aristoteles nennt Kauf, Verkauf, Darlehen, Bürgschaft, Nutznießung, Verwahrung184 und Miete. Die unwillentlichen Transaktionen betreffen dagegen die Lebensbereiche, die heute im Wesentlichen im Strafrecht und im zivilen Deliktsrecht reguliert sind. Diese unwillentlichen Transaktionen unterteilt Aristoteles weiter in heimliche sowie gewaltsame. Heimliche sind für ihn etwa Diebstahl, Ehebruch und Meuchelmord, gewaltsame Freiheitsberaubung, Totschlag und Raub. Auch bei der iustitia commutativa als Unterform der Partikulargerechtigkeit geht es für Aristoteles um die Suche nach der Mitte als Gleiches. Allerdings ist das Gleiche im Sinne der iustitia commutativa anders zu ermitteln als bei der iustitia distributiva. Auch diese Proportionalität bezieht sich auf vier Relationsglieder: zwei Personen und zwei Sachen. Das Gleiche wird aber nicht nach „geometrischer“, sondern „arithmetischer“ Proportionalität ermittelt: „Dagegen ist das Gerechte in Transaktionen zwar in gewisser Weise ein Gleiches – und das Ungerechte ein Ungleiches –, aber nicht nach der genannten Proportion, sondern nach der arithmetischen. Denn es ist gleichgültig, ob ein guter Mensch einen schlechten betrogen hat oder ein schlechter Mensch einen guten, und ebenso, ob ein guter oder ein schlechter Mensch Ehebruch begangen hat. Vielmehr sieht das Gesetz nur auf den Unterschied, der durch den zugefügten Schaden entstanden ist, und behandelt die Personen als gleiche und fragt nur, ob der eine Unrecht tut, der andere Unrecht erleidet und ob der eine einen Schaden zugefügt, der andere Schaden erlitten hat.“185

Aristoteles bedient sich des Gegensatzes zwischen „geometrischer“ und „arithmetischer“ Proportionalität, um den zentralen Unterschied zu verdeutlichen, den die iustitia commutativa gegenüber der iustitia distributiva auf181 Zur iustitia commutativa vgl. etwa Oechsler, Gerechtigkeit im modernen Austauschvertrag, S. 57 ff. 182 Vgl. nur Oechsler, a.a.O., S. 57 ff.; Wendehorst, Anspruch und Ausgleich, S. 14 ff. sowie S. 444 ff.; Radbruch, Rechtsphilosophie, S. 122; Adomeit, Rechts- und Staatsphilosophie, S. 103. 183 Wendehorst, Anspruch und Ausgleich, S. 4 f. 184 Vgl. oben S. 33 (Fn. 142). 185 Aristoteles, NE 1132 a 1–7 (S. 170 in der Übersetzung Wolfs).

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weist. Inhaltlich erhellt dieser Unterschied vor allem durch die präzisierende Begründung des Aristoteles: Das Gleiche im Austausch ist nicht davon abhängig, ob ein guter oder ein schlechter Mensch eine Handlung begangen hat. Vielmehr sei nur der durch den Schaden entstandene Unterschied maßgeblich, um zu einem gerechten Ausgleich zu gelangen. Mit dem Schadensbeispiel dürfte Aristoteles typische deliktsrechtliche Konstellationen im Blick gehabt haben. Gleichwohl gelten seine Erwägungen auch für das Vertragsrecht. Aristoteles erklärt damit ausdrücklich eine bestimmte Eigenschaft der Person – ihren Charakter als „guter“ oder „schlechter“ Mensch – für irrelevant: Das Gleiche muss im Vertragsrecht unabhängig von dieser persönlichen Eigenschaft ermittelt werden. Dieser Aussage des Aristoteles wird häufig ein verallgemeinerungsfähiger Inhalt zugemessen: Das Wesen der iustitia commutativa bestehe gerade darin, generell davon abzusehen, welche konkreten Personen beteiligt sind.186 So führt etwa Canaris aus, dass bei der Austauschgerechtigkeit „beide Personen ganz schematisch als schlechthin gleich behandelt werden“187 und konkretisiert: „Für diese beiden Formen der ,Beziehungen von Mensch zu Mensch‘ – die ,freiwilligen‘ wie die ,unfreiwilligen‘ – gilt, daß es nicht darauf ankommt, welche der beiden Personen die Handlung vorgenommen hat bzw. von ihr betroffen worden ist, sondern beide insoweit völlig gleich behandelt werden.“188

Nicht nur von der Frage, ob eine Person „gut“ oder „schlecht“ ist, sondern überhaupt von jeder Ansehung der Person muss danach die iustitia commutativa absehen.189 Gerade in diesem Aspekt besteht also für viele Interpreten des Aristoteles der Unterschied zwischen Austauschgerechtigkeit und Verteilungsgerechtigkeit. Diese ermittle das Gleiche in Ansehung der Person, jene dagegen ohne Ansehung der Person.190 Der Text des Aristoteles lässt sich mit dieser Unterscheidung in Einklang bringen. Aristoteles brachte vielleicht seinen Grundgedanken („iustitia commutativa ermittelt Gleiches ohne Ansehung der Person“) durch ein spezifisches Beispiel zum Ausdruck („iustitia commutativa sieht davon ab, ob eine Person gut oder schlecht ist“). In eine vertragstheoretische Analyse fügt sich diese Interpretation ebenfalls stimmig ein. Gerade etwa die hohe Abstraktion des deutschen Schuldrechts, das in seinem allgemeinen Teil zunächst „Schuldner“ und „Gläubiger“ nur mit Blick auf minimale Ausschnitte eines Lebensbereiches festzurrt, führt in ihrem Aus186 Salomon, Der Begriff der Gerechtigkeit bei Aristoteles, S. 26 und S. 126 ff.; Küster, in: Baur (Hrsg.), Funktionswandel der Privatrechtsinstitutionen, 1974, S. 541, 550; Canaris, Die Bedeutung der iustitia distributiva im deutschen Vertragsrecht, S. 10 ff. 187 Canaris, a.a.O., S. 10. 188 Canaris, a.a.O., S. 11. 189 Canaris, a.a.O., S. 11. 190 Salomon, Der Begriff der Gerechtigkeit bei Aristoteles, S. 26 und S. 126 ff.; Canaris, a.a.O., S. 11; ähnlich auch Wright, Iowa Law Review 1992, 625, 701 f.; Wright, Notre Dame Law Review 2000, 1859, 1887 f.

C. Die iustitia distributiva in der Gerechtigkeitstheorie des Aristoteles

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gangspunkt dazu, von persönlichen Eigenschaften der Beteiligten so weit wie möglich abzusehen.191 Diese Interpretation der Austauschgerechtigkeit ermöglicht auch die Annahme, Vertragsrecht könne weitgehend frei von politischen Wertungen realisiert werden.192 Diese Annahme soll in einem nächsten Schritt untersucht werden. d) Der politische Charakter der iustitia commutativa Auf den ersten Blick scheint die iustitia commutativa nicht in gleicher Weise politischer Natur zu sein wie die Verteilungsgerechtigkeit: Ob ein guter oder schlechter Mensch Ehebruch begangen hat, ist für den Ausgleich dieser Ungerechtigkeit ja zunächst irrelevant. Bei näherem Hinsehen zeigt sich aber, dass auch die Austauschgerechtigkeit nicht ohne politische Wertungen konkrete Gerechtigkeitsaussagen liefern kann.193 Das lässt sich an einem der wenigen Beispiele für das Vertragsrecht zeigen, das Aristoteles diskutiert. Die Vielzahl seiner (etlichen) Beispiele bezieht sich auf die unfreiwilligen Transaktionen. Zur Illustration führt Aristoteles aber auch ein Beispiel aus dem Vertragsrecht an, das Tauschgeschäft: „Denn mehr als das zu haben, was einem gehörte, nennt man „gewinnen“, und weniger als ursprünglich zu haben, „verlieren“, zum Beispiel beim Kaufen und Verkaufen und in allen anderen Dingen, in denen das Gesetz keine Sanktionen erlassen hat. Wenn Menschen aber weder mehr noch weniger erhalten, sondern genau das, was sie eingebracht haben, sagt man, dass sie das haben, was ihnen gehört, und weder verlieren noch gewinnen.“194

Gerechtigkeit bei Tauschgeschäften bedeutet für Aristoteles also, dass jede Partei nach Abschluss der Transaktion das Gleiche erhalten hat, was sie eingebracht hat. Gleiches soll mit Gleichem eingetauscht werden. Die Gleichheit hängt dabei nicht von der Beschaffenheit der Personen ab; es spielt keine Rolle, ob ein guter Mensch an einen schlechten Menschen verkauft hat. Die Würdigkeit ist – anders als bei der Verteilungsgerechtigkeit – kein Maßstab für die Ermittlung des Gleichen im Sinne der iustitia commutativa.195 Ob der eine den anderen an Würdigkeit übertrifft, ist irrelevant. Deshalb ist die Austauschgerechtigkeit zumindest insofern unpolitischer Natur, als sie von der Würdigkeit der Beteiligten im Ausgangspunkt abstrahiert. Trotzdem gilt auch 191 Vollständig ist dies in der praktischen Rechtsanwendung letztlich nicht möglich, vgl. unten, S. 143 ff. 192 So schließt etwa Wright die Berücksichtigung jeglicher utilitaristischer, effizienzorientierter oder sonst aggregativer Kriterien für den Anwendungsbereich der Austauschgerechtigkeit (bei Wright wegen seines Fokusses auf das Deliktsrecht corrective justice) aus, vgl. Wright, Iowa Law Review 1992, 625, 701 f. 193 S. auch Heyman, Iowa Law Review 1992, 851, 475 f. 194 Aristoteles, NE 1132 b 12–17 (S. 171 f. in der Übersetzung Wolfs). 195 S. etwa Trude, Der Begriff der Gerechtigkeit in der aristotelischen Rechts- und Staatsphilosophie, S. 98 f.

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§ 2 Rechtsphilosophische Grundlegung

für die iustitia commutativa, dass das „Gleiche“ nicht unabhängig vom jeweiligen Verteilungskontext bestimmt werden kann.196 Was bei einer Transaktion das „Gleiche“ (bzw. die Mitte) ist, hängt von den Umständen der Transaktion ab. Auch hier stellen sich Bemessungsschwierigkeiten. Bei den „unfreiwilligen“ Vertragsformen, also im deliktischen Bereich, muss etwa bewertet werden, worin die Gleichheit als Ausgleich für die Tötung eines Menschen besteht. Das lässt sich nur in Abhängigkeit vom Kontext der Tötung sowie mittels politischer (straf- oder ausgleichspolitischer) Wertungen entscheiden. Diese haben in den gesetzlichen Regelungen der Polis ihren Ausdruck gefunden, die wiederum auf das gemeinschaftliche Wohl ausgerichtet sind.197 Ähnlich liegt es auch bei den freiwilligen Transaktionen, also etwa beim Tauschgeschäft. Hier muss entschieden werden, unter welchen Voraussetzungen die Parteien das „Gleiche“ erhalten. Auch diese Frage ist abhängig vom jeweiligen Kontext des Geschäfts sowie von politischen Entscheidungen, die das jeweils geltende Vertragsrecht geprägt haben.198 Aus heutiger Sicht würde eine liberale Vertragstheorie etwa zu der Annahme neigen, das „Gleiche“ erhielten die Parteien grundsätzlich dann, wenn der Austausch ihren freien Vereinbarungen entspricht. Schon diese Sichtweise ist aber politisch von liberalem Gedankengut geprägt; es wäre auch voreilig, sie Aristoteles zu unterstellen. Natürlich ist denkbar, die Privatautonomie als Maßstab für das Gleiche zu betrachten. Darin liegt aber bereits eine politische Wertung: ein Bekenntnis zur Privatautonomie als Bestandteil einer liberalen Marktordnung. Denkbar ist auch, das „Gleiche“ nach objektiven Kriterien zu bestimmen. Dabei stellen sich freilich schwierige Bewertungsfragen; so müsste etwa der objektive Preis einer Ware anhand ihres Marktpreises bestimmt werden. Eine Theorie des Marktes, insbesondere der Preisbildung durch Märkte, kannte aber Aristoteles ebenso wenig wie eine Theorie des „gerechten Preises“. Die Selbstbestimmung der Parteien als Maßstab für das Gleiche zu nehmen, entspringt also durchaus dem modernen Vertragsdenken; Aristoteles legt diesen Gedanken aber nicht zu Grunde. Wie etwa der Warenwert bei einem Austauschgeschäft genau zu bestimmen sei, erörtert Aristoteles nicht ausdrücklich. Das hat in der AristotelesLiteratur zu einer Vielzahl von Interpretationen geführt, welche Kriterien Aristoteles wohl als relevant für die Preisermittlung angesehen haben würde.199 Diese Diskussion soll hier nicht im Einzelnen nachgezeichnet werden. Allein das Bestehen dieses Streites verdeutlicht indes, dass auch das Gleiche bei der Austauschgerechtigkeit nicht unabhängig vom jeweiligen Kontext ermittelt werden kann und von politischen Wertentscheidungen abhängt. 196

Leyden, Aristotle on Equality and Justice – His Political Argument, S. 6 ff. Heyman, Iowa Law Review 1992, 851, 856. 198 Zu einem parallelen Argument für das Deliktsrecht s. Heyman, Iowa Law Review 1992, 851, 855 f. 199 Vgl. Gordon, Aristoteles über Gerechtigkeit, S. 189 m.w.N. 197

C. Die iustitia distributiva in der Gerechtigkeitstheorie des Aristoteles

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V. Zur Vergeltungsgerechtigkeit bei Aristoteles Aristoteles erörtert in seiner Gerechtigkeitstheorie auch die Vergeltungstheorie. Zu dieser sind hier nur wenige Bemerkungen veranlasst. Welchen Stellenwert die Vergeltungsgerechtigkeit (antipeponthos: Wiedervergeltung, Reziprozität) einnimmt, ist streitig. Manche sehen sie als eigenständige dritte Kategorie der speziellen Gerechtigkeit an.200 Immerhin schreibt Aristoteles, dass die Wiedervergeltung von der verteilenden und von der wiederherstellenden Gerechtigkeit verschieden ist.201 Allerdings dienen die Ausführungen des Aristoteles eher dazu, die von den Pythagoreern entwickelte Theorie der Wiedervergeltung zu widerlegen. Aristoteles behandelt die Wiedervergeltung nur, um zu zeigen, dass ihr Gedanke zu kurz greift, um die Partikulargerechtigkeit zu erfassen; das Talionsprinzip lässt seiner Einschätzung nach zu wenige Differenzierungen zu.202 „Einige sind der Ansicht, dass auch das Reziproke (antipeponthos) ohne weiteres gerecht ist. Diese Auffassung haben die Pythagoreer vertreten: Sie haben das Gerechte überhaupt bestimmt als reziprokes Erleiden dessen, was man einem anderen zugefügt hat. Das Reziproke passt aber weder auf das verteilende (nemētikon) noch auf das ausgleichende (diorthōtikon).“203

Aristoteles führte die Vergeltungsgerechtigkeit also wohl nicht als dritte, eigenständige Form der Partikulargerechtigkeit ein. Vielmehr weist er die pythagoreische Lehre von der Wiedervergeltung als Gerechtigkeitsform als Irrlehre zurück.204 Das illustriert Aristoteles auch anhand der Gerechtigkeit in Tauschbeziehungen.205 Dabei nutzt er die Gelegenheit zu einem Exkurs über den Warenaustausch.206 Hier entwickelt Aristoteles eine der ersten Theorien des Geldes.207 Die Gerechtigkeitsdiskussion ist durch den Exkurs dagegen eher verwirrt als beflügelt worden, weil der Text zu einigen Missverständnissen Anlass geboten hat.208 Für die Zwecke dieser Arbeit genügen einige generelle Anmerkungen. Für Aristoteles beruht Partikulargerechtigkeit nicht auf einfacher Gleichheit nach dem Talionsprinzip. Vielmehr zeige der Tausch von Waren in einer Polis, dass nach einem bestimmten Maß getauscht wird.209 Der Tausch 200

Scaltsas, Archiv für Geschichte der Philosophie 1995, 248; ähnlich Trude, Der Begriff der Gerechtigkeit in der aristotelischen Rechts- und Staatsphilosophie, S. 104. 201 Aristoteles, NE 1132 b 24 (S. 172 in der Übersetzung Wolfs). 202 Aristoteles, NE 1132 b 21 – 1133 a 5 (S. 172 f. in der Übersetzung Wolfs). 203 Aristoteles, NE 1132 b 21 ff. (S. 172 in der Übersetzung Wolfs). 204 Trude, Der Begriff der Gerechtigkeit in der aristotelischen Rechts- und Staatsphilosophie, S. 104; Wolf, Aristoteles’ „Nikomachische Ethik“, S. 110. 205 Aristoteles, NE 1132 b 32 ff., 1133 a und 1133 b (S. 173 ff. in der Übersetzung Wolfs). 206 Aristoteles, NE 1132 b 32 ff. (S. 173 f. in der Übersetzung Wolfs). 207 Ausführlich dazu Wittreck, Geld als Instrument der Gerechtigkeit, S. 165 ff. 208 Dazu eindringlich Salomon, Der Begriff der Gerechtigkeit bei Aristoteles, S. 145 ff. 209 Aristoteles, NW 1133 a 10 ff. (S. 173 in der Übersetzung Wolfs).

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§ 2 Rechtsphilosophische Grundlegung

von Gütern und Leistungen konstituiert auch die Gemeinschaft innerhalb der Struktur einer arbeitsteiligen Gesellschaft. Der Tausch beruht aber nicht auf quantitativer, sondern auf qualitativer Gleichheit.210 Ein Tausch kann nur stattfinden, wenn das Werteverhältnis der zu tauschenden Güter ermittelt wird. Die Dinge müssen dabei verschiedenen Wert haben, andernfalls bedarf es keines Tausches. Die Dinge werden durch den Bedarf miteinander verbunden; so kann etwa ein Schuster Getreide benötigen, ein Landwirt dagegen Schuhe.211 Um nun Schuhe und Getreide zu verknüpfen, ist ein einheitlicher Maßstab erforderlich. Das ist der Preis der Dinge; Maßstab des Preises ist wiederum das Geld.212 Der Preis errechnet sich nach dem Bedarf, wobei die Preisermittlung vor dem Austausch erfolgen muss, denn nach dem Austausch hat jeder schon, was er wollte und wird es nicht mehr gerecht bewerten. Tiefe Erkenntnisse verbergen sich hier aus heutiger Sicht nicht. Was Aristoteles aber in seinen Berechnungsbeispielen nicht zum Ausdruck bringen wollte, ist, dass der Wert der beteiligten Personen, also ihre Würdigkeit, über den Wert der von ihnen je getauschten Produkte entscheidet.213 Das maßgebliche Kriterium für den Austauschwert der Produkte ist für Aristoteles vielmehr der Bedarf (chreia): Er ist notwendige Bedingung für den Tausch. Hier liegt auch der Ansatzpunkt für Aristoteles’ Theorie des Geldes. Das Geld macht nicht nur verschiedene Produkte kommensurabel. Es ermöglicht darüber hinaus Tausch auch dann, wenn verschiedene Bedürfnisse nicht zeitgleich bestehen.214 Aus heutiger Sicht würde man an dieser Stelle auch eine Diskussion darüber erwarten, unter welchen Umständen der Preis für die jeweiligen Produkte gerecht ist. Diese Diskussion um das iustum pretium interessiert Aristoteles hier aber wohl nicht: Der Tausch diente ihm lediglich als anschauliches Beispiel dafür zu zeigen, dass ein schlichtes Talionsprinzip – wie von den Pythagoreern befürwortet – nicht mit der Struktur der Partikulargerechtigkeit zu vereinbaren ist.215 Für dieses Argument ist es aber schlicht nicht erforderlich, zu bestimmen, was einen gerechten Preis (iustum pretium) ausmacht. Es ist daher nur konsequent, wenn Aristoteles diese Frage nicht diskutiert.216

210

Aristoteles, NE 1133 a 20 ff. (S. 174 f. in der Übersetzung Wolfs). Aristoteles, NE 1133 a 6 ff. (S. 173 in der Übersetzung Wolfs). 212 Aristoteles, NE 1133 b 12 ff. (S. 174 in der Übersetzung Wolfs). 213 Salomon, Der Begriff der Gerechtigkeit bei Aristoteles, S. 145 ff. 214 Zu den Funktionen des Geldes in der Geldlehre des Aristoteles eingehend Wittreck, Geld als Instrument der Gerechtigkeit, S. 218 ff. 215 Wolf, Aristoteles’ „Nikomachische Ethik“, S. 112. 216 Küster, in: Baur (Hrsg.), Funktionswandel der Privatrechtsinstitutionen, 1974, S. 541, 550 f. 211

C. Die iustitia distributiva in der Gerechtigkeitstheorie des Aristoteles

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VI. Zum Nutzen der aristotelischen Gerechtigkeitslehre für die heutige Vertragstheorie Aristoteles hat für die Gerechtigkeitstheorie eine grundlegende Unterscheidung ausdifferenziert, die bis heute Bestand hat und gegenwärtige Gerechtigkeitstheorien prägt. Doch welchen Nutzen hat die Lehre des Aristoteles für die Vertragstheorie? Diese Frage gilt es im Folgenden zu beantworten. 1. Widerspruch der Marginalisierung der Bedeutung der Verteilungsgerechtigkeit im Vertragsrecht zur aristotelischen Gerechtigkeitstheorie Die aristotelische Einteilung der Gerechtigkeitsformen und Aristoteles’ Analyse der iustitia distributiva sind für das Erkenntnisinteresse dieser Arbeit unverzichtbar. Das Vertragsrecht wird in der bisherigen Diskussion selten oder allenfalls am Rande unter der Perspektive der iustitia distributiva betrachtet. Die iustitia distributiva wird vielmehr als Gerechtigkeitsform des öffentlichen Rechts diskutiert. Die Gerechtigkeitstheorie des Aristoteles gibt diesem Verständnis auf den ersten Blick durchaus eine Stütze. Denn die von Aristoteles als zentrales Anwendungsfeld der iustitia commutativa aufgeführten gewollten Transaktionen fallen aus heutiger Sicht im Wesentlichen in den Regelungsbereich des Vertragsrechts. Gleichwohl nährt die Lektüre des Aristoteles’ auch Zweifel. Zunächst sind iustitia distributiva und iustitia commutativa für Aristoteles keineswegs Gegensätze. Sie sind lediglich verschiedene Ausprägungen der einen Partikulargerechtigkeit, deren Zentrum die Mitte als Gleichheit (bzw. das Streben nach dieser Mitte) ist. Bei der Frage nach der Konkretisierung dieser Mitte zeigt sich eine weitere Parallele in den beiden Formen der Partikulargerechtigkeit: Das Gleiche lässt sich bei iustitia commutativa wie bei iustitia distributiva nur in Abhängigkeit von politischen Wertungen bestimmen. Einen exklusiven Anwendungsbereich hat Aristoteles darüber hinaus in seiner Gerechtigkeitstheorie kaum festzurren wollen. Damit stimmt es nicht überein, wenn die Bedeutung der iustitia distributiva für das Vertragsrecht geleugnet wird. Darüber hinaus mahnt die Abhängigkeit der Gerechtigkeitsformen vom jeweiligen historischen, sozialen und politischen Kontext zur Vorsicht. Das Vertragsrecht moderner westlicher Gesellschaft darf nicht unbesehen mit der Welt gewollter Transaktionen im Athen Aristoteles’ gleichgesetzt werden.217

217

Zur Kontingenz auch vertragstheoretischer Konzeptionen instruktiv O’Reilly, Virginia Law Review 2006, 1581.

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§ 2 Rechtsphilosophische Grundlegung

2. Form und Inhalt der Gerechtigkeitslehre Schon wegen ihrer historischen Kontingenz sind allerdings die materiellen, inhaltlichen Aussagen Aristoteles’ zu konkreten Einzelfragen wenig hilfreich für die Zwecke dieser Untersuchung. Fruchtbar lassen sich aber vor allem die strukturierenden Elemente der verschiedenen Gerechtigkeitsformen machen.218 Kelsen hält die Gerechtigkeitslehre des Aristoteles für inhaltsleer.219 Aus der sie fundierende Lehre von der gerechten Mitte ließen sich keine konkreten inhaltlichen Gerechtigkeitsforderungen ableiten.220 Sie diene lediglich dazu, die bestehenden positiven Normen der Moral und des Rechts zu bekräftigen.221 Kelsen ist insofern zuzustimmen, als konkrete inhaltliche Gerechtigkeitsaussagen kontingent sind und nicht aus den gerechtigkeitstheoretischen Überlegungen des Aristoteles unmittelbar herzuleiten sind.222 Denn das herausragende Merkmal von iustitia distributiva und iustitia commutativa ist ihre strukturelle Offenheit für unterschiedliche Konkretisierungen, die sie in Abhängigkeit von den jeweiligen historischen Kontexten erfahren können. Die Nikomachische Ethik ist insofern durch die Politik des Aristoteles zu ergänzen, auf der sie beruht. Welche konkreten Forderungen also etwa die iustitia distributiva stellt, hängt Aristoteles zufolge maßgeblich von der jeweiligen Staatsverfassung ab.223 Was allerdings die Bedeutung der iustitia distributiva im Vertragsrecht anbelangt, sind auch die konkreten Gerechtigkeitsinhalte, die Aristoteles in der Politik erörtert, von geringem Interesse. Aristoteles hatte letztlich bei der iustitia distributiva im Wesentlichen eine einzige konkrete Verteilungsentscheidung vor Augen: die Entscheidung über die Vergabe politischer Ämter innerhalb eines Stadtstaates (polis).224 Dabei war die Vergabeentscheidung von vornherein auf einen denkbar kleinen Personenkreis begrenzt, nämlich auf die erwachsenen, männlichen Staatsbürger der polis. Aus möglichen Antworten auf die gerechte Verteilung politischer Ämter in der polis lassen sich keine unmittelbaren Rückschlüsse auf die Bedeutung der iustitia distributiva im Vertragsrecht ziehen. Deutlich wird allerdings der Charakter der iustitia distributiva als Ausfluss der objektiven Gerechtigkeitsidee, die in Ab-

218

Ähnlich für das Haftungsrecht Jansen, Die Struktur des Haftungsrechts, S. 79. Kelsen, What is Justice?, S. 110, 117 ff. und 125 ff.; Kelsen, Reine Rechtslehre, S. 366 ff. Dazu etwa Dreier, in: Dreier (Hrsg.), Recht-Staat-Vernunft, 1991, S. 8. 220 Kelsen, What is Justice?, S. 110, 117 ff. 221 Kelsen, Reine Rechtslehre, S. 366 ff., insbes. S. 375 f. In dieser konservativen Funktion sieht Kelsen die politische Leistung der Lehre von der gerechten Mitte, vgl. Kelsen, a.a.O., S. 367 und 376. 222 S. Oechsler, Gerechtigkeit im modernen Austauschvertrag, S. 17 ff.; Auch dies wird allerdings befürwortet, s. insbesondere die Arbeiten Nussbaums, etwa Nussbaum, Fordham Law Review 1997, 273 sowie Wright, Iowa Law Review 1992, 625. 223 S. dazu schon oben, S. 36 ff. 224 Dazu Gordon, Aristoteles über Gerechtigkeit, S. 328 ff. 219

C. Die iustitia distributiva in der Gerechtigkeitstheorie des Aristoteles

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hängigkeit kontingenter Wertungen unterschiedliche Konkretisierungen erfahren kann.225 Für die Zwecke dieser Untersuchung sind also nicht die konkreten inhaltlichen Aussagen, sondern vielmehr die strukturierenden Aspekte der aristotelischen Differenzierung relevant. Diese strukturierenden Elemente bleiben für eine moderne Vertragstheorie bedeutsam.226 Sie stellen zwar in abstracto keine konkreten Gerechtigkeitsinhalte zur Verfügung. Sie sind vielmehr – und hier liegt der zutreffende Kern der Kritik Kelsens – kontingent. Konkrete Gerechtigkeitserfordernisse ergeben sich aus der iustitia distributiva ebenso wie aus der iustitia commutativa erst und nur im rechtspolitischen Diskurs der jeweiligen Zeit. Sie hängen von den sozialen, ökonomischen, kulturellen und gesellschaftlichen Kontexten ab, innerhalb derer sie diskutiert und ermittelt werden.227 Die Gerechtigkeit bedarf also für ihre inhaltliche Konkretisierung des Verbundes mit kontingenten Wertungsgesichtspunkten.228 Eher verdeckt wird diese Erkenntnis, wenn man dem Konzept der Gerechtigkeit konkrete Inhalte schon kraft „der Natur der Sache“ zuschreiben möchte.229 Das hat unter anderem Canaris vertreten: Das Konzept der Verteilungsgerechtigkeit sei keineswegs inhaltsleer. Es beziehe konkreten Inhalt vielmehr aus dem jeweiligen konkreten Kontext, nämlich aus „der Natur der Sache“.230 Die „Natur der Sache“ ist letztlich ein Kunstgriff, der die Kontingenz jeder Konkretisierung der Gerechtigkeitsidee verbirgt. Die Frage, was die Natur einer Sache im Einzelnen ausmacht, ist nämlich ihrerseits eine normative Frage. Sie lässt sich nur durch politische Diskussion und Wertung entscheiden. Je nach Kontext und in Abhängigkeit von den jeweils für maßgeblich betrachteten Wertungen lassen sich unterschiedliche Antworten auf die Frage geben, worin die Natur der Sache besteht oder nicht besteht.231 Der Inhalt der Gerechtigkeitsentscheidung folgt aber dann aus den wiederum kontingenten Wertungen, die zur „Natur der Sache“ geführt haben. Die Abhängigkeit konkreter Gerechtigkeitsinhalte von normativen und politischen Wertungen ist indes keineswegs fatal. Es entspricht vielmehr der hier vertretenen Konzeption der Gerechtigkeitsidee, dass die Gerechtigkeit als Ideal nie vollständig erreicht werden kann. Zwar leitet die Gerechtigkeit als Idealbild die Rechtsanwendung.232 Als Idee ist sie objek225

Dazu auch Oechsler, Gerechtigkeit im modernen Austauschvertrag, S. 17 ff. Insofern auch treffend Weinrib, in: Panagiotou (Hrsg.), Justice, Law and Method in Plato and Aristotle, 1987, S. 133, S. 143 ff. auch zum Zusammenhang Kelsens Aristoteles-Kritik mit seiner eigenen Rechtstheorie. 227 S. auch Dreier, in: Dreier (Hrsg.), Recht-Staat-Vernunft, 1991, S. 8, 16 f.; Oechsler, Gerechtigkeit im modernen Austauschvertrag, S. 17 ff. 228 Vgl. auch Engisch, Auf der Suche nach der Gerechtigkeit, S. 178. 229 Dreier, Zum Begriff der „Natur der Sache“, passim, zusammenfassend S. 127 f. 230 Canaris, Die Bedeutung der iustitia distributiva im deutschen Vertragsrecht, S. 85 ff. 231 Dreier, Zum Begriff der „Natur der Sache“, S. 83 ff. 232 Ähnlich Osterkamp, Juristische Gerechtigkeit, S. 73 f.; Lamont, Philosophy 1941, 3, 4 f.; Alexy, Theorie der juristischen Argumentation, S. 414. 226

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§ 2 Rechtsphilosophische Grundlegung

tiv und absolut. Dies ändert aber nichts daran, dass die durch das positive Recht versuchten Annäherungen an die Gerechtigkeitsidee relativ und entwicklungsoffen sind. Diese Annäherungen können – je nach den historischen, sozialen und ökonomischen Kontexten – unterschiedlich ausfallen. Auch die Unterscheidung zwischen geometrischer und arithmetischer Gleichheit ermöglicht einen metaphorischen Zugriff auf die hier zu entwickelnde Unterscheidung zwischen iustitia commutativa und iustitia distributiva.233 Arithmetische Gleichheit als Merkmal der iustitia commutativa lässt sich anschaulich als gerade Verbindung zwischen zwei Punkten denken; so ist die auf das unmittelbare Vertragsverhältnis reduzierte Perspektive der iustitia commutativa auch plastisch eingefangen. Geometrische Gleichheit als Merkmal der iustitia distributiva verkörpert dagegen als Dreieck eher das Bild einer Fläche. Dies gibt ein anschauliches Bild für die über das einzelne Vertragsverhältnis hinausreichende Perspektive der iustitia distributiva, die das Vertragsrecht auch in seiner regulativen Kapazität erklären und formen kann. 3. Unmöglichkeit einer strikten Trennung von Form und Inhalt Für die Zwecke dieser Untersuchung sind damit insbesondere die formellen Aspekte der aristotelischen Gerechtigkeitstheorie fruchtbar. Dabei ist allerdings eine gewisse Vorsicht geboten. Denn eine strikte Trennung von Form und Inhalt kann auch hier nicht gelingen.234 Form und Inhalt sind stets ineinander verwoben und bedingen sich gegenseitig.235 Nur aus dem konkreten Inhalt heraus lässt sich die Struktur erfassen; ihrerseits gewinnt die Struktur nur im Blick auf mögliche Inhalte Form. Das zeigt sich auch anhand der Partikulargerechtigkeit. Die spezifische Form einer Unterart dieser Gerechtigkeitsform (also: Die Struktur der iustitia distributiva und die Struktur der iustitia commutativa) lässt sich nur mit einem vorausschauenden Blick auf (mögliche) Inhalte erklären und verstehen. Das Verständnis der Struktur setzt das Verständnis möglicher Inhalte und konkreter Gerechtigkeitsaussagen voraus. So konnte etwa die Unterscheidung des Aristoteles’ zwischen iustitia distributiva und iustitia commutativa erst durch eine Analyse seiner konkreten Anwendungsbeispiele verstanden werden. Umgekehrt wird der konkrete Inhalt von Gerechtigkeitsaussagen nur begreifbar, wenn diese einer Struktur zugeordnet werden, die bereits als gegeben gedacht werden muss. Die Form gibt den Maßstab für mögliche Inhalte von Gerechtigkeitsaussagen vor. Diese zwingende Verbindung von Form bzw. Struktur und Inhalt ändert aber nichts daran, dass normative Erwägungen soweit als möglich von Strukturierungsfragen ge233

Eingehend dazu unten, S. 137 ff. So aber insbesondere Weinrib, in: Panagiotou (Hrsg.), Justice, Law and Method in Plato and Aristotle, 1987, S. 133, 137 ff. 235 S. dazu im privatrechtlichen Kontext Kennedy, Harvard Law Review 1976, 1685; Oetken, The Yale Law Journal 1999, 2209. 234

C. Die iustitia distributiva in der Gerechtigkeitstheorie des Aristoteles

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trennt und nicht schon mit der Klassifizierung der Konzepte selbst vermengt werden sollten. Eine solche Vermengung zeigt sich etwa in der Annahme, die Konzepte von Austauschgerechtigkeit und Verteilungsgerechtigkeit unterschieden sich danach, ob die Gerechtigkeit in Ansehung der Person oder aber ohne Ansehung der Person entscheidet.236 Diese Unterscheidung ist keineswegs analytischer Natur. Sie ist vielmehr eine normative Frage und betrifft den Inhalt von Gerechtigkeitsaussagen.237 Jansen zeigt dies mit instruktiven Beispielen:238 So werde heute etwa überwiegend verlangt, dass bestimmte Ressourcen und Lebenschancen ohne Ansehung der Person zu verteilen seien.239 Dennoch, so Jansen, würde wohl niemand verneinen wollen, dass diese Verteilung eine Form der Verteilungsgerechtigkeit ist.240 So möchte auch Jansen die Kategorienbildung möglichst frei von normativen Wertungen halten.241 Das ist als Ziel unbedingt begrüßenswert, insbesondere deshalb, weil ein redlicher Diskurs erschwert wird, wenn normative Überlegungen nicht offen ausgesprochen werden. Dabei müssen aber die Grenzen der Strukturierungsmöglichkeiten beachtet werden. Die zwingende wechselseitige Abhängigkeit von Form und Inhalt verhindert rein strukturelle Konzeptionen. Das zeigt sich selbst bei Jansen, der, wie soeben gezeigt, in seiner sorgsamen Abschichtung diesen Zusammenhang erkennt. Dennoch beinhaltet auch seine Analyse von Form und Struktur der Verteilungsgerechtigkeit normative Aussagen. Sie läuft letztlich auf die von Jansen selbst kritisierte Unterscheidung hinaus, nämlich diejenige zwischen Gerechtigkeit in Ansehung der Person einerseits und Gerechtigkeit ohne Ansehung der Person andererseits. Dies lässt sich an folgender Passage der Ausführungen Jansens zeigen: „Soweit dies bewusst bleibt, lässt sich durchaus daran festhalten, dass die distributive Gerechtigkeit auf einzelne Individuen als Mitglieder einer Gesellschaft bezogen ist. Die distributive Gerechtigkeit knüpft an diese Mitgliedschaft an, während die ausgleichende die Folgen von Interaktionen regelt und dabei auf den angemessenen Ausgleich von Gewinnen und Verlusten zielt. Grundsätze der distributiven Gerechtigkeit bilden dementsprechend normative Argumente, die für jedes Mitglied einer relevanten Gesellschaft oder Gruppe gelten, während Grundsätze der ausgleichenden Gerechtigkeit nur an die Beteiligten in entsprechenden Interaktionen gerichtet sind. Die beiden Gerechtigkeitskategorien beziehen sich also auf unterschiedliche Arten sozialer Beziehungen.“242 236 Vgl. insbesondere Weinrib, in: Panagiotou (Hrsg.), Justice, Law and Method in Plato and Aristotle, 1987, S. 133, 137 ff.; Canaris, Die Bedeutung der iustitia distributiva im deutschen Vertragsrecht, S. 10 ff. 237 Jansen, Die Struktur des Haftungsrechts, S. 81. 238 Jansen, a.a.O., S. 81. 239 Jansen, a.a.O., S. 81. 240 Jansen, a.a.O., S. 81. 241 Jansen, a.a.O., S. 79 f. 242 Jansen, a.a.O., S. 82 f.

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§ 2 Rechtsphilosophische Grundlegung

In dieser Passage bildet Jansen eine prima facie formale Abgrenzungskategorie. Die Verteilungsgerechtigkeit soll an die Mitgliedschaft des Einzelnen in einer Gesellschaft anknüpfen und nach Wertungskriterien entscheiden, die für jedes einzelne Gruppenmitglied gelten. Doch auch diese Kategorienbildung ist nicht inhaltsfrei. Sie rückt vielmehr die Eigenschaft des Einzelnen als Gruppenmitglied in den Vordergrund. Erst aus dieser Mitgliedschaft resultieren die vorab nicht bestimmbaren Wertungskriterien. Damit muss aber Jansen zufolge die iustitia distributiva schon ihrer formellen Struktur nach die Eigenschaft der Person als Gruppenmitglied berücksichtigen. Dafür ließe sich aber griffiger formulieren: „Gerechtigkeit in Ansehung der Person“. Jansen bringt indes die normative Offenheit des Konzepts für unterschiedlichste Wertungskriterien klar zum Ausdruck; auch der einleitende Relativsatz „Soweit dies bewusst bleibt“, ist gerade auf die Notwendigkeit normativer Entscheidungen schon im Vorfeld seiner Kategorienbildung zu verstehen. Denn Jansen arbeitet in den vorangegangenen Passagen, auf die sich der Einschub bezieht, heraus, dass sowohl die Bestimmung der relevanten Verteilungsgemeinschaft als auch die Entscheidung darüber, dass überhaupt etwas zu verteilen ist, normativer Art sind.243 Dennoch ist die Kategorienbildung Jansens letztlich nur eine andere Formulierung der von ihm selbst kritisierten Kategorisierung nach „Ansehung“ oder „Nicht-Ansehung“ der Person. Der Versuch Jansens, für die Gerechtigkeitsformen als Kategorien eine rein formale Abgrenzung vorzunehmen, die von inhaltlichen Wertungen abstrahiert, mit diesen aber kontextabhängig angereichert werden kann und muss, verdient noch eine etwas tiefer gehende Behandlung. Die Analyse verdeutlicht exemplarisch den untrennbaren Zusammenhang von Struktur und Inhalt. Jansen ist gegenüber der Möglichkeit einer rein formalen Erfassung der Gerechtigkeit optimistisch und setzt sich diese auch zum Ziel: „Der Begriff der Gerechtigkeit sollte folglich ganz generell nicht mittels eines Hinweises auf den Inhalt von Gerechtigkeitsgrundsätzen bestimmt werden; vielmehr läßt die Gerechtigkeit sich formal, also normativ neutral, als ein höchststufiger inhaltlicher Maßstab der moralischen Richtigkeit verstehen.“244

Die verschiedenen Gerechtigkeitsformen (iustitia commutativa und iustitia distributiva) betrachtet er demzufolge als „kategorial, also nicht als bloß inhaltlich verschiedene Grundsätze“.245 Eine solche kategoriale Unterscheidung, die von normativen Wertungen frei ist, erblickt Jansen in der aristotelischen Trennung von iustitia commutativa und iustitia distributiva:

243

Jansen, a.a.O., S. 82. Jansen, a.a.O., S. 79 f. Vgl. dazu näher schon Jansen, Die Struktur der Gerechtigkeit, S. 46 ff. 245 Jansen, Die Struktur des Haftungsrechts, S. 80. 244

C. Die iustitia distributiva in der Gerechtigkeitstheorie des Aristoteles

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„Nach Aristoteles besteht das primäre Unterscheidungskriterium der ausgleichenden von der distributiven Gerechtigkeit nun darin, daß die distributive Gerechtigkeit Verteilungsfragen innerhalb einer Gesellschaft beurteile, während die ausgleichende auf Interaktionen bezogen sei und also nur die an einer konkreten Interaktion Beteiligten betreffe. Dies bildet eine kategoriale Unterscheidung in dem erläuterten Sinn: Sie benennt nicht unterschiedliche normative Grundsätze, sondern bezeichnet verschiedene Gesichtspunkte für die Beurteilung von Fragen der Gerechtigkeit. Dieser Gegensatz zwischen gesellschaftlichen Verteilungen und dem Ausgleich von Interaktionen bildet den intuitiven begrifflichen Kern der teleologischen Unterscheidung der distributiven von der ausgleichenden Gerechtigkeit;“246

Die maßgebliche Form sieht Jansen bei Aristoteles also einerseits in der „Beurteilung von Verteilungsfragen innerhalb einer Gesellschaft“ (Form der iustitia distributiva), andererseits in dem Bezug auf Interaktionen und das Betreffen der „an einer konkreten Interaktion Beteiligten“ (Form der iustitia commutativa). Beide Formen sind nach Jansen normativ neutrale Kategorien, die von bestimmen Inhalten und Wertungen unabhängig sind. Diese These lässt sich wegen der notwendigen Verflechtung von Form und Inhalt, Struktur und Wertung aber letztlich nicht aufrechterhalten. Betrachten wir zunächst die Form der Verteilungsgerechtigkeit bei Jansen, also die Beurteilung von Verteilungsfragen innerhalb einer Gesellschaft. Worin dieser Verteilungsgegenstand besteht, lässt sich nicht wertungsfrei erfassen, er erhellt nur durch konkrete inhaltliche Aussagen. Das betrifft zunächst den Begriff der Gesellschaft. Wodurch zeichnet sich diese aus? Ist das gesamte Staatsvolk gemeint? Oder ist nur eine nach bestimmten Merkmalen definierte Personenklasse betroffen? Nur durch inhaltliche Wertungen lässt sich dies beantworten, wobei die Antwort in höchstem Maße politisch umstritten sein kann. Das zeigt sich etwa bei der Verteilung der Kosten und Leistungen eines Gesundheitssystems durch ein staatliches Versicherungssystem. Soll hier die Verteilung innerhalb des gesamten Staatsvolkes erfolgen? Oder sollen Einzelne (etwa Beamte, Rentner oder Bezieher hoher Einkommen) aus der Versicherungsgemeinschaft ausgeschlossen werden? Das Beispiel veranschaulicht, dass schon der Begriff der Gesellschaft nur unter Zuhilfenahme normativer Kriterien gefasst werden kann. Ähnliches gilt auch für die Form der iustitia commutativa. Ihr scheinbar formales konstitutives Merkmal ist der Bezug auf Interaktionen und das Betreffen der an einer konkreten Interaktion Beteiligten. Auch diese Merkmale lassen sich nicht wertungsfrei ermitteln. Schon der Begriff der „Interaktion“ muss durch inhaltliche Bezugnahmen geklärt werden. Sicher erfasst er Aktionen zwischen mindestens zwei Personen. Doch bei näherem Hinsehen ist hier stets auch die Frage zu stellen, unter welchen Voraussetzungen eine Personenmehrheit nicht schon als „Gesellschaft“ im Sinne der Verteilungsgerechtigkeit anzusehen ist. Denkbar wäre etwa eine Beschränkung der „Gesellschaft“ in 246

Jansen, a.a.O., S. 81.

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§ 2 Rechtsphilosophische Grundlegung

diesem Sinne auf eine bestimmte Personenzahl. Eine solche nimmt Jansen aber nicht an, sie dürfte auch nur schwer zu rechtfertigen sein: Zumindest theoretisch lässt sich eine Form des Naturzustandes denken, die aus lediglich zwei Personen besteht. Wenn diese Personen untereinander Güter zuordnen, oder eine den beiden übergeordnete Instanz Güter an sie verteilt, würde wohl auch Jansen die Zuteilung den Regeln der Verteilungsgerechtigkeit unterwerfen wollen. Auch der Begriff der „konkreten Interaktion“ lässt sich nur mittels inhaltlicher Wertungen bestimmen. Wenn etwa ein schadhaftes Produkt, das ein Verkäufer an einen Endverbraucher verkauft, letzterem einen Schaden zufügt, so ist es eine politische Wertungsfrage, worin die konkrete Interaktion besteht: Man kann die Interaktion alleine auf den Kauf und die Schadensfolgen begrenzen; andererseits lässt sich aber auch der Herstellungsprozess und mögliche Zwischenverkäufe in die Betrachtung einbeziehen. Dann ist der Beteiligtenkreis weiter gezogen; entsprechend erweitert sich auch der Anwendungsbereich der iustitia commutativa. Jansen erkennt selbst, dass sein Konzept für unterschiedliche normative Wertungen offen ist; er sieht diese Offenheit sogar als Vorteil an: Denn die Wertungsfragen können dann „ausdrücklich und direkt angesprochen werden, anstatt sie unter dem Deckmantel einer Begriffsklärung zu behandeln.“247 Er erkennt auch viele dieser Wertungsfragen, die etwa für den Begriff der Gesellschaft zu stellen sind und ergänzt seine Kategorienbildung mit einem entsprechenden caveat.248 Jansen unterschätzt aber die normative Offenheit der von ihm gewählten Merkmale und die Sprengkraft dieser Offenheit für die Möglichkeit formaler Kategorienbildung. Worin die Interaktion zwischen Beteiligten konkret besteht, ist eine politisch geprägte Kategorie. Sie lässt sich ohne Rückgriff auf normative Wertungen nicht beantworten. Ebenso ist die Frage der maßgeblichen „Gesellschaft“, die von der Verteilung betroffen ist, politischer Natur. So zeigt sich auch an der normativen Durchsetzung der von Jansen als formal verstandenen Kategorienbegriffe die Unmöglichkeit einer strikten Trennung von Form und Inhalt der Gerechtigkeitsformen. Die strukturierenden Elemente der aristotelischen Gerechtigkeitstheorie sind damit zwar zwingend auf bestimmte Inhalte bezogen, von denen sie sich nicht strikt trennen lassen. Gleichwohl ermöglichen sie eine geordnete Diskussion, die nach Wertungskriterien strukturiert ist. Zugleich können die formalen Elemente der aristotelischen Lehre helfen, Wertungen offen zu legen und als solche zu diskutieren.

247 248

Jansen, a.a.O., S. 79. Jansen, a.a.O., S. 81 und 82.

D. Bonum commune und gemeinsamer Vertragszweck

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D. Das bonum commune und der gemeinsame Vertragszweck in der Gerechtigkeitslehre des Thomas von Aquin Die Entwicklungsgeschichte des Begriffs der iustitia distributiva und des diesen ergänzenden Begriffs der iustitia commutativa muss in ihrer gesamten Breite nicht nachgezeichnet werden, um die Bedeutung der iustitia distributiva für das Vertragsrecht zu erfassen.249 Unverzichtbar ist indes eine kurze Darstellung der Gerechtigkeitslehre des Thomas von Aquin. Diese hat nicht nur die rechtsphilosophische Gerechtigkeitsdebatte maßgeblich beeinflusst.250 Die zeitgenössische Diskussion verdankt Thomas von Aquin beispielsweise die heute für die beiden Gerechtigkeitsformen der Partikulargerechtigkeit maßgebliche Terminologie, nämlich die Unterscheidung zwischen iustitia distributiva und iustitia commutativa.251 Für die Vertragstheorie ist die Gerechtigkeitslehre des Thomas von Aquin insbesondere deshalb von besonderer Relevanz, weil dieser den gemeinsamen Vertragszweck in seiner herausragenden Relevanz für die Vertragsgerechtigkeit entdeckt hat. Damit gibt Thomas von Aquin insbesondere der iustitia commutativa Konturen, die auch für eine moderne Vertragstheorie bedeutsam sind. Dies ist zugleich für das Verständnis der iustitia distributiva im Vertragsrecht entscheidend, denn der Begriff der iustitia distributiva kann nur in seinem Verhältnis zur iustitia commutativa erarbeitet werden. Darüber hinaus bietet die Gerechtigkeitstheorie des Thomas von Aquin unabhängig von ihrer theologischen Fundierung eine naturrechtliche Grundlage dafür, dass Gerechtigkeit die Idee auch des Vertragsrechts ist. Thomas von Aquin hat seine Gerechtigkeitslehre im Wesentlichen im zweiten Teil des zweiten Buches der Summa Theologica entwickelt.252 Sein Ausgangspunkt ist die Gerechtigkeitstheorie des Aristoteles, die er verfeinert und weiterentwickelt.

I. Das bonum commune als Zentralbegriff der Thomas’schen Gerechtigkeitslehre Die Gerechtigkeitslehre des Thomas von Aquin lässt sich nur begreifen, wenn Klarheit über einen Zentralbegriff in der Moralphilosophie des Thomas von 249 S. dazu m.w.N. Fleischacker, A Short History of Distributive Justice; Englard, Corrective and Distributive Justice; Coyle, Jurisprudence, S. 597 sowie einführend Holzleithner, Gerechtigkeit, S. 19 ff. 250 S. nur Harke, Vorenthaltung und Verpflichtung, S. 34. 251 Vgl. Harke, a.a.O., S. 34. 252 Systematisch ist die Summa Theologica in Bücher und Teile untergliedert. Die Erörterung nimmt bei Titelfragen ihren Ausgangspunkt (etwa quaestio 58 = q. 58), die weitere Gliederung bezieht sich zunächst auf nummerierte Artikel (etwa 9. Artikel = a. 9). Es folgen Argumente (objectiones) und die Antwort (conclusio = c), die neben einem allgemeinen und durch „respondeo“ eingeleiteten Teil auch unmittelbare Antworten auf die zuvor geschilderten und nummerierten Argumente darstellen (etwa Antwort auf das dritte Argument = ad 3).

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Aquin gewonnen ist, namentlich des Begriffs des bonum commune.253 Mit „Allgemeinwohl“ wäre der Begriff in missverständlicher Weise übersetzt. Das bonum commune ist das, was jeder Einzelne in seinem Handeln bezwecken soll.254 Ebenso zielen die Gesetze auf seine Verwirklichung, und auch die Gerechtigkeit in all ihren Facetten dient dem bonum commune.255 Das bonum commune darf aber nicht als „Allgemeinwohl“ im Sinne des Wohls einer Gemeinschaft verstanden werden, das dem Wohl der Einzelpersonen gegenübersteht. Zugleich unterscheidet es sich Thomas von Aquin zufolge durch ein formales Unterscheidungskriterium von der bloß aufaddierten Summe des Wohles aller Gesellschaftsmitglieder: „Bonum commune civitatis et bonum singulare unius personae non differunt solum secundum multum et paucum, sed secundum formalem differentiam: alia enim est ratio boni communis et boni communis et boni singularis, sicut et alia est ratio totius et partis.“256

Thomas von Aquin geht dabei anscheinend von der Vorstellung aus, dass sich die Summe aller Einzelwohle allein noch nicht zum bonum commune verdichten, sondern dass dieses vielmehr durch eine zusätzliche Vernunftsgrundlage (ratio) von der bloßen Summe unterschieden ist. Leisching und Lippert sehen darin eine Koordination „ad totum“, die zum Wohl des Ganzen ebenso wie zum Wohl der einzelnen Teile erfolgt.257 Die verschiedenen Einzelwohle werden ihnen zufolge zum Wohl der Gesamtheit in Übereinstimmung gebracht. Das bonum commune sei deshalb als Inbegriff aller für die Gemeinschaft 253 S. dazu nur Leisching, Der Begriff der bonum commune bei Thomas von Aquino, Österreichische Zeitschrift für Öffentliches Recht und Völkerrecht 1961, 15; Wittreck, Geld als Instrument der Gerechtigkeit, S. 75 f., beide m.w.N. 254 Thomas von Aquin, Die deutsche Thomas-Ausgabe: Recht und Gerechtigkeit, 1953, S. 47 (II-II, q. 58, a. 9 ad 3): „Bonum commune est finis singularum personarum in communitate existentium (Das Gemeinwohl ist das Ziel der einzelnen zu einer Gemeinschaft gehörenden Personen)“. Die hier wiedergegebene Übersetzung entstammt wie die folgenden Übersetzungen des zweiten Teils des zweiten Buches der Deutschen Thomas-Ausgabe. Die Übersetzungen sind von Dominikanern und Benediktinern Deutschlands und Österreich erstellt. 255 Vgl. für die Universalgerechtigkeit Thomas von Aquin, a.a.O., S. 47 (II-II, q. 58, a. 9 ad 3): „…iustitia legalis, quae ordinatur ad bonum commune… (…die Gesetzesgerechtigkeit, die auf das Gemeinwohl ausrichtet …)“. Vgl. auch Thomas von Aquin, a.a.O., S. 33 (II-II, q. 58, a. 5, c.): „… inde est quod talis justitia … dicitur justitia legalis: quia scilicet per eam homo concordat legi ordinanti actus omnium virtutum in bonum commune. (…so kommt es, daß diese Gerechtigkeit… auch Gesetzesgerechtigkeit genannt wird. Denn durch sie steht der Mensch in Übereinstimmung mit dem Gesetz, das die Akte aller Tugenden auf das Gemeinwohl ausrichtet.)“. Das Verhältnis der Partikulargerechtigkeit zum bonum commune ist weniger eindeutig. 256 Thomas von Aquin, a.a.O., S. 40 f. (II-II, q. 58, a. 7, ad 2): „Das Gemeinwohl eines Gemeinwesens und das Einzelgut einer [Einzel-]Person unterscheiden sich nicht nur nach Viel und Wenig, sondern auf Grund eines formgebenden Unterschiedes; denn eine je andere ist die Bewandtnis des Gemeingutes und des Einzelgutes, wie auch eine je andere die Bewandtnis des Ganzen und des Teiles ist“. 257 Leisching, Österreichische Zeitschrift für Öffentliches Recht und Völkerrecht 1961, 15, 20 ff.; Lippert, Recht und Gerechtigkeit bei Thomas von Aquin, S. 76.

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wichtigen Güter zu begreifen, die nicht von Einzelnen, sondern nur von der Gemeinschaft erreicht werden können. Daher ist durch die Förderung des bonum commune immer zugleich auch den Interessen der einzelnen Gesellschaftsmitglieder gedient. Umgekehrt kann zwar die Präferenzverfolgung des Einzelnen auch dem bonum commune dienen, zwingend ist dies jedoch nicht. Die Konzeption Thomas’ unterscheidet sich insoweit von Theorien des Utilitarismus, als bei diesen der Nutzen der einzelnen Gesellschaftsmitglieder zu einem zu maximierenden Gesamtnutzen addiert wird.258 Dunkel bleibt allerdings, worin die Vernunftsgrundlage (ratio) besteht, durch die sich das bonum commune von der Summe aller Einzelwohle unterscheiden soll. Das bonum commune erfüllt als Ideal menschlichen Handelns und menschlicher Gesetze unabhängig davon jedenfalls eine wichtige Funktion innerhalb der Thomas’schen Gerechtigkeitslehre: Sie erklärt die Ungerechtigkeit praktischen Handelns, das isoliert und unreflektiert nur individuelle oder partikulare Interessen verfolgt.259 Dies lässt sich auch für das Verständnis des Vertragsrechts fruchtbar machen. Eine Gerechtigkeitsperspektive, die sich vom unmittelbaren Austauschverhältnis löst, ermöglicht die Einbeziehung auch der Interessen Dritter und öffentlicher Anliegen.

II. Gerechtigkeit als Tugend In Anlehnung an Aristoteles versteht Thomas von Aquin die Gerechtigkeit als „Tugend“ bzw. „Habitus“ des Menschen.260 Die Gerechtigkeit ist bei ihm also ebenfalls eine menschliche Eigenschaft. Ähnlich wie bei Aristoteles lässt sich diese zunächst eingeschränkte Perspektive dadurch erklären, dass auch Thomas von Aquin eine moralische Handlungslehre entwickelt, so dass nicht Normen und Prinzipien des Rechts, sondern das Handeln des Menschen im Vordergrund seiner Betrachtung liegen. Der Grund für unsere Möglichkeit, Gerechtigkeit als Handlungsideal erkennen zu können, liegt dabei in der

258 Beispielsweise als „größtes Glück der größten Zahl“. Einführend zum Utilitarismus Hörster, Utilitaristische Ethik und Verallgemeinerung, auch zu wichtigen Differenzierung zwischen den verschiedenen Spielarten des Utilitarismus wie Handlungsutilitarismus und Regelutilitarismus. 259 Enger Wittreck, Geld als Instrument der Gerechtigkeit, S. 76. 260 Thomas von Aquin, Die deutsche Thomas-Ausgabe: Recht und Gerechtigkeit, 1953, S. 19 (II-II, q. 58, a. 1): „Iustitia enim, secundum philosophum, in V Ethic., est ,habitus a quo sunt aliqui operativi iustorum, et a quo operantur et volunt iusta‘. (Nach dem Philosophen im Fünften der Ethik ist die Gerechtigkeit ,jenes Gehaben, auf Grund dessen man gerechte Taten setzt und auf Grund dessen man das Gerechte vollbringt und will‘)“. Thomas von Aquin präzisiert sein Verständnis der aristotelischen Formel später, s. Thomas von Aquin, a.a.O., S. 21 (IIII, q. 58, a. 1, c.) „iustitia est habitus secundum quem aliquis dicitur operativus secundum electionem iusti (Gerechtigkeit ist ein Gehaben, auf Grund dessen einer tätig heißt gemäß der Wahl dessen, was gerecht ist)“.

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menschlichen Vernunft.261 Kraft dieser kann der Mensch erkennen, welche Ziele und Möglichkeiten verfolgenswert sind. Dieser rationalistische Ansatz gibt der Theorie des Thomas von Aquin jenseits ihrer theologischen Verankerung Erklärungskraft: Seine Gerechtigkeitslehre hängt nicht von einem göttlichen Befehl des Inhalts „Handle gerecht!“ ab, sie gründet vielmehr in der Vernunft des Menschen.

III. Universalgerechtigkeit Thomas von Aquin übernimmt von Aristoteles auch die Unterscheidung von Universalgerechtigkeit und Partikulargerechtigkeit. Im Wesentlichen versteht auch Thomas von Aquin Universalgerechtigkeit als Gesetzesgerechtigkeit – bezogen auf die positiven Gesetze (lex humana seu positiva), die von der lex aeterna und der lex naturalis zu unterscheiden sind.262 Entscheidend ist dabei, dass die positiven Gesetze dazu dienen, das bonum commune zu verwirklichen. In der Konsequenz handelt derjenige, der die Gesetze befolgt, deshalb gerecht, weil sein Handeln dann ohnehin dem bonum commune dient.263 Das Problem des „ungerechten Gesetzes“ erörtert Thomas von Aquin an dieser Stelle nicht.264 Thomas von Aquin hat es allerdings an anderer Stelle eingehend behandelt.265 Für Thomas von Aquin ergibt sich die Gerechtigkeit in menschlichen Angelegenheiten aus deren Übereinstimmung mit der Vernunft. Auch das positive Gesetz beruht für Thomas von Aquin aber auf einem menschlichen Akt. Maßstab positiver Gesetze ist also deren Übereinstimmung mit der praktischen Vernunft.266 Da aber die Vernunft gerade auch das Naturrecht um-

261

Vgl. auch Finnis, Natural Law and Natural Rights, S. 45. Dazu Welzel, Naturrecht und materiale Gerechtigkeit, S. 58. 263 Thomas von Aquin, Die deutsche Thomas-Ausgabe: Recht und Gerechtigkeit, 1953, S. 33 (II-II, q. 58, a. 5, c.): „Et quia ad legem pertinet ordinare in bonum commune, ut supra habitum est, inde est quod talis iustitia, praedicto modo generalis, dicitur ,iustitia legalis‘: quia scilicet per eam homo concordat legi ordinanti actus omnium virtutum in bonum commune. (Und weil es Sache des Gesetzes ist, die Ordnung zum Gemeinwohl herzustellen, so kommt es, daß diese Gerechtigkeit, die in besagter Weise allgemein ist, auch ,Gesetzesgerechtigkeit‘ genannt wird. Denn durch sie steht der Mensch in Übereinstimmung mit dem Gesetz, das die Akte aller Tugenden auf das Gemeinwohl ausrichtet.).“. 264 Zur Problematik bei Aristoteles s. oben, S. 29 ff. 265 Vgl. Thomas von Aquin, Die deutsche Thomas-Ausgabe: Das Gesetz, 1977 (I-II, q. 90– 105). Zur Problematik s. auch Lippert, Recht und Gerechtigkeit bei Thomas von Aquin, S. 140 ff. 266 Thomas von Aquin, a.a.O., S. 5 (I-II q. 90 a. 1 c): „Regula autem et mensura humanorum actuum est ratio, quae est primum principium actuum humanorum (Regel und Richtmaß der menschlichen Tätigkeiten ist aber die Vernunft, die erster Seinsgrund der menschlichen Handlungen ist.)“. Die Übersetzung stammt wie alle nachfolgenden des Gesetzestraktats aus Thomas von Aquin, Die deutsche Thomas-Ausgabe: Das Gesetz, 1977 und ist von Otto Hermann Pesch auf Grundlage eines Übersetzung von P. Dr. Eberhard Welty erstellt. 262

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fasst267, können positive Gesetze nicht gerecht sein, die gegen das Naturrecht verstoßen. So hat sich Thomas von Aquin im Wesentlichen der Konzeption des Augustinus angeschlossen: Ein ungerechtes Gesetz ist für ihn kein Gesetz.268 Das Naturrecht wird damit für Thomas von Aquin einerseits durch die Gesetze ausgedrückt – soweit sie in Übereinstimmung mit der Vernunft dieses konkretisieren und entfalten. Andererseits setzt das Naturrecht den positiven Gesetzen auch eine äußerste Grenze. So ermöglicht die naturrechtliche Konzeption des Thomas von Aquin, Regelungen mit ungerechtem Inhalt vom Gesetzesbegriff auszunehmen.269 Eine andere Frage ist freilich die nach einer Widerstandspflicht des Einzelnen: Müssen oder dürfen wir positiven Gesetzen den Gehorsam verweigern, soweit sie gegen das Naturrecht verstoßen? Thomas von Aquin schränkt auch aus Praktikabilitätserwägungen diese Widerstandspflicht ein: Nur wenn positives Recht gegen das lex divinae verstößt, muss es der einzelne Mensch missachten.270

IV. Iustitia distributiva und iustitia commutativa als Erscheinungsformen der Partikulargerechtigkeit Die Partikulargerechtigkeit füllt bei Thomas von Aquin die Lücken, die von der Universalgerechtigkeit offengehalten werden.271 Gesetze decken nicht alle Bereiche ab, in denen sich die Frage nach dem gerechten praktischen Handeln stellen kann. Auch hier gilt, dass der Einzelne in seinem Tun und Streben das bonum commune verwirklichen muss. Auch mit der zentralen Unterscheidung von iustitia distributiva und iustitia commutativa orientiert sich Thomas 267

Thomas von Aquin betrachtet die Konstituierung der lex naturalis letztlich als einen Akt der praktischen Vernunft (ratio naturalis). Dazu eingehend Rhonheimer, Praktische Vernunft und Vernünftigkeit der Praxis, S. 530 ff. 268 Thomas von Aquin, Die deutsche Thomas-Ausgabe: Das Gesetz, 1977, S. 97 (I-II, q. 95, a.2 c.): „…sicut Augustinus dicit, in 1 de libero Arbitrio, ,non videtur esse lex, quae iusta non fuerit‘. Unde inquantum habet de iustitia, intantum habet de virtute legis. In rebus autem humanis dicitur esse aliquid iustum ex eo quod est rectum secundum regulam rationis. Rationis autem prima regula est lex naturae, ut ex supradictis patet. Unde omnis lex humanitus posita intantum habet de ratione legis, inquantum a lege naturae derivatur. Si vero in aliquo, a lege naturali discordet, iam non erit lex sed legis corruptio. (Augustinus bemerkt: „Ein ungerechtes Gesetz ist gar kein Gesetz.“ Deswegen besitzt ein Gesetz soviel an Geltungskraft, als es an der Gerechtigkeit teilhat. In menschlichen Angelegenheiten heißt aber etwas gerecht, wenn es gemäß der Regel der Vernunft recht ist. Die erste Regel der Vernunft ist aber das Naturgesetz. Somit hat jedwedes vom Menschen erlassene Gesetz soweit die Bewandtnis des Gesetzes als es sich vom Naturgesetz herleitet. Wenn es hingegen irgendwo vom natürlichen Gesetz abweicht, ist es nicht mehr Gesetz, sondern eine Zerstörung des Gesetzes.)“. Ausführlich dazu Kretzmann, American Journal of Jurisprudence 1988, 99. 269 S. dazu auch Lutz-Bachmann, Medieval Philosophy and Theology 2000, 1, 10 ff. 270 S. Thomas von Aquin, Die deutsche Thomas-Ausgabe: Das Gesetz, 1977, S. 115 ff. (I-II, q. 96, a. 3 und a.4). 271 Vgl. Thomas von Aquin, Die deutsche Thomas-Ausgabe: Recht und Gerechtigkeit, 1953, S. 40 (II-II, q. 58, a. 7, c.).

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von Aquin an Aristoteles. Dabei betrachtet Thomas von Aquin ebenso wie Aristoteles die beiden Gerechtigkeitsformen als verschiedene Ausprägungen einer einheitlichen Gerechtigkeitsidee, wenngleich seine Ausführungen dazu nicht immer ganz klar sind.272 Er begründet die Notwendigkeit dieser Unterscheidung damit, dass Gerechtigkeit strukturell in zwei verschiedenen Verhältnissen hergestellt werden kann. Das erste Verhältnis ist für Thomas von Aquin das der Gemeinschaft zu einzelnen Gemeinschaftsmitgliedern. Das zweite Verhältnis ist das der einzelnen Gemeinschaftsmitglieder untereinander. Das Verhältnis der Gemeinschaft zu den einzelnen Gemeinschaftsmitgliedern ist der Herrschaftsbereich der iustitia distributiva, das Verhältnis der einzelnen Gemeinschaftsmitglieder untereinander der Herrschaftsbereich der iustitia commutativa. Die Textpassage, in der Thomas von Aquin diese Differenzierung vornimmt, sei wörtlich wiedergegeben, weil in ihr die bis heute maßgebliche Terminologie begründet wird: „iustitia particularis ordinatur ad aliquam privatam personam, quae comparatur ad communitatem sicut pars ad totum. Potest autem ad aliquam partem duplex ordo attendi. Unus quidem partis ad partem, cui similis est ordo unius privatae personae ad aliam. Et hunc ordinem dirigit commutativa iustitia, quae consistit in his quae mutuo fiunt inter duas personas ad invicem. Alius ordo attenditur totius ad partes, et huic ordini assimilatur ordo eius quod est commune ad singulas personas. Quem quidem ordinem dirigit iustitia distributiva, quae est distributiva communium secundum proportionalitatem. Et ideo duae sunt iustitiae species, scilicet commutativa et distributiva.“273

Thomas von Aquin nimmt also nicht wie Aristoteles lediglich eine exemplarische Unterscheidung der Wirkungsbereiche von iustitia distributiva und iustitia commutativa vor. Er liefert vielmehr eine systematische, strukturelle Differenzierung: Die iustitia distributiva ist die Gerechtigkeitsform der Über- und Unterordnung: Eine Person verteilt etwas unter mindestens zwei anderen Personen. Auch Thomas von Aquin dürfte die Verteilung durch die Gemeinschaft – also staatliche Verteilung im modernen Sinne – im Blick gehabt haben.274 Allerdings bezieht Thomas von Aquin auch Verteilungen ohne staatliche Beteiligung in den Anwendungsbereich der iustitia distributiva ein.275 So ordnet er 272

Eingehend dazu Finnis, Aquinas, S. 215 ff. Thomas von Aquin, Die deutsche Thomas-Ausgabe: Recht und Gerechtigkeit, 1953, S. 92 f. (II-II, q. 61 a. 1 c.): „Die Einzelgerechtigkeit ist ausgerichtet auf eine Privatperson, die sich zur Gemeinschaft verhält wie der Teil zum Ganzen. Man kann aber zu einem Teil eine doppelte Ordnung feststellen. Einmal die Ordnung vom Teil zum Teil; der entspricht die Ordnung der einen Privatperson zur anderen. Und diese Ordnung regelt die ausgleichende Gerechtigkeit, die in jenen Handlungen obwaltet, die zwischen Personen gegenseitig gesetzt werden. – Die andere Ordnung ist die des Ganzen zu den Teilen. Und dieser Ordnung entspricht die Ordnung dessen, was gemeinsam ist, zu den einzelnen Personen. Und diese Ordnung regelt die austeilende Gerechtigkeit, die die Gemeinschaftsgüter nach einem bestimmten Verhltnis zuteilt. Und so gibt es zwei Arten von Gerechtigkeit: die ausgleichende und die austeilende.“. 274 Vgl. Thomas von Aquin, a.a.O., S. 93 (II-II, q. 61, 1, ad 1 und ad 2). 275 Vgl. auch Finnis, Natural Law and Natural Rights, S. 186. 273

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ausdrücklich etwa die Verteilung von Geschenken der iustitia distributiva zu.276 Bei diesen plädiert er ebenso für Mäßigung und gegen Übermaß wie bei der Verteilung von Gemeinschaftsgütern. Ebenso soll etwa der Familienvorstand iustitia distributiva walten lassen, wenn er Güter zwischen den Familienmitgliedern verteilt.277 Die strikte Zuordnung der iustitia distributiva zum öffentlichen Recht findet in der Konzeption des Thomas von Aquin daher unabhängig davon keine Stütze, dass die Trennung des öffentlichen vom privaten Recht zu Thomas’ Zeiten noch nicht in der heute akzeptierten Form entwickelt war. Es ist zwar zutreffend, dass das öffentliche Recht teilweise gerade die hierarchische Struktur aufweist, die für die iustitia distributiva im Sinne der Thomas’schen Konzeption typisch ist. Diese Struktur findet sich aber zumindest immer dann auch im Privaten, wenn einer der Beteiligten anderen gegenüber in gewisser Weise übergeordnet ist. Die Ausklammerung der iustitia distributiva vom privaten Recht ist mit der Konzeption Thomas’ nur insoweit vereinbar, als sich in einer Gemeinschaft private Sphären erkennen und beschreiben lassen, in denen keine hierarchischen Verhältnisse herrschen. Das betrifft nicht nur das Verhältnis der Privaten zueinander, sondern auch die Rolle des Staates im Privatrecht: Nur, wenn man von möglichen staatlichen Involvierungen im Verhältnis zwischen Privaten abstrahieren kann, ist im Privatrecht ausschließlich die iustitia commutativa Verkörperung der objektiven Gerechtigkeitsidee.

V. Der politische Charakter der iustitia distributiva bei Thomas von Aquin Auch bei Thomas von Aquin gelangt der politische Charakter der Verteilungsgerechtigkeit deutlich zum Ausdruck. Konkrete Gerechtigkeitsforderungen lassen sich aus der Thomas’schen Idee der Verteilungsgerechtigkeit alleine nicht gewinnen. Thomas von Aquin diskutiert etwa die Zuteilung von Gemeinschaftsgütern an einzelne Gesellschaftsmitglieder278 – was an die Frage der Verteilung politischer Ämter bei Aristoteles erinnert. Auch die Verteilung innerhalb der Familie ist keine Umverteilung von reich zu arm, ebenso wenig ist bei Geschenken dieser Problemkreis betroffen. Die Verteilung hat nach einem als „Auszeichnung“ („principalitas“) bezeichneten Maßstab zu erfolgen.279 Doch wodurch zeichnet sich diese „Auszeichnung“ aus? Thomas von Aquin erkennt durchaus die Offenheit der Verteilungsgerechtigkeit für unterschiedliche Maßstäbe. In Anlehnung an Aristoteles führt Thomas von Aquin 276 Thomas von Aquin, Die deutsche Thomas-Ausgabe: Recht und Gerechtigkeit, 1953, S. 93 (II-II, q. 61 a. 1 ad 1). 277 Thomas von Aquin, a.a.O., S. 93 (II-II, q. 61 a. 1 ad 3). 278 Thomas von Aquin, a.a.O., S. 95 f. (II-II, q. 61 a. 1 c.). 279 Thomas von Aquin, a.a.O., S. 95 (II-II, q. 61 a. 2 c.).

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aus, dass die Frage nach dem richtigen Verteilungsmaßstab von der Staatsform abhängt und keine allgemeingültige Antwort zulässt.280 Damit können erst durch politische Entscheidungen über den treffenden Maßstab konkrete Forderungen der Verteilungsgerechtigkeit ermittelt werden. Der intrinsisch politische Charakter der Verteilungsgerechtigkeit bleibt auch in ihrer Fortentwicklung durch Thomas von Aquin erhalten. Die konkret erörterten Verteilungsprobleme lassen keinen Bezug zu Fragen des sozialen Ausgleichs erkennen.281 Im Fokus des Thomas von Aquin standen also wohl ebenso wenig wie bei Aristoteles die Probleme, die spätestens seit John Rawls’ „A Theory of Justice“ unter dem Schlagwort der Verteilungsgerechtigkeit diskutiert werden: Die Fragen eines sozialen Ausgleichs zwischen Armen und Reichen durch eine Umverteilung von Reichtum innerhalb der Gesellschaft.282 Thomas von Aquin lebte zu einer Zeit, in der die Verrechtlichung sozialer Ausgleichsmaßnahmen in ferner Zukunft lag. Als Theologe lagen für ihn auch Lösungen auf der Hand, die außerhalb von Recht und Gerechtigkeit liegen. Christliche Nächstenliebe verlangt vom Einzelnen auch Wohltätigkeit und Spenden: Die Reichen sollten aus einer moralischen Verpflichtung zur Wohltätigkeit von sich aus den Armen geben.283 Dabei kommt die Tugend der Freigebigkeit (liberalitas) zum Tragen, als Gebot der Gerechtigkeit oder des Rechts sieht Thomas von Aquin dies aber eher nicht an.284

VI. Die Weiterentwicklung der iustitia commutativa bei Thomas von Aquin: Die Entdeckung des gemeinsamen Vertragszwecks Die Bedeutung der iustitia distributiva für das Vertragsrecht kann nur im Zusammenspiel mit der Bedeutung der iustitia commutativa erfasst werden. Gerade um diese hat sich Thomas von Aquin durch seine differenzierte Fortentwicklung der aristotelischen Gerechtigkeitslehre verdient gemacht.285 Zum einen systematisiert er die von ihm in der Rechtswirklichkeit vorgefundenen

280

Thomas von Aquin, a.a.O., S. 95 (II-II, q. 61 a. 2 c.). Englard, Corrective and Distributive Justice, S. 16 (Fn. 57). 282 Dies betont zu Recht Fleischacker, A Short History of Distributive Justice, S. 21 ff., 31 ff. 283 Thomas von Aquin, Die deutsche Thomas-Ausgabe: Tugenden des Gemeinschaftslebens, 1943 (II-II, q. 117 a. 4 c.). 284 Thomas von Aquin, Die deutsche Thomas-Ausgabe: Recht und Gerechtigkeit, 1953, S. 101 (II-II, q. 61 a. 3. c.): „Et si quidem simpliciter in alterum transferat rem suam absque debito, sicut in donatione, non est actus iustitiae, sed liberalitatis. (Und zwar, wenn er sein Eigentum schlechthin auf den anderen überträgt ohne Entgelt, wie bei der Schenkung, so ist das kein Akt der Gerechtigkeit, sondern der Freigebigkeit.)“; vgl. auch Gordley, The Philosophical Origins of Modern Contract Doctrine, S. 13 f.; Gordley, in: Benson (Hrsg.), The Theory of Contract Law, 2007, S. 265, 287 ff. Missverständlich Finnis, Natural Law and Natural Rights, S. 186, der Thomas von Aquin eine Zuordnung zur iustitia distributiva zu unterstellen scheint. 285 Harke, Vorenthaltung und Verpflichtung, S. 34 ff. 281

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Verträge.286 Vor allem aber entwickelt er einen vertraglichen Äquivalenzgedanken, der insbesondere im Verbot wucherischer Geschäfte seinen Ausdruck findet.287 Der Äquivalenzgedanke beruht darauf, dass Thomas von Aquin in den Rechtsgeschäften einen gemeinsamen Vertragszweck erkennt. So dient etwa die emptio venditio dem gemeinsamen Nutzen (utilitas commune) der Parteien: „venditio videtur esse introducta pro communi utilitate utriusque“.288 Dieser Gedanke ermöglicht es Thomas von Aquin, die gerechte Mitte zu spezifizieren: die ratio commutationis wird zum Maßstab dessen, was in Verträgen gerecht ist.289 Die Vertragsparteien werden hier weniger als Gegner denn als Partner betrachtet. Sicher würde auch Thomas von Aquin nicht leugnen wollen, dass die Menschen vordergründig eigene Interessen und Zwecke verfolgen, zu deren Erreichung sie den Vertrag als Instrument einsetzen. Und doch erlaubt auch die Verfolgung je eigener Interessen, dass im Vertrag ein gemeinsam verfolgter Zweck entsteht, der über die jeweils individuell verfolgten Ziele hinausgeht. Letztlich geht es dabei auch um freundschaftliches Verhalten, Umsicht und fairness im Verhältnis zwischen den Vertragsparteien.290 Der Gedanke eines gemeinsamen Vertragszwecks und die damit einhergehende Erweiterung der Perspektive des Vertrags leuchtet vor allem bei langfristigen Vertragsbeziehungen unmittelbar ein, die über einen bloß punktuellen und zeitlich begrenzten Austausch hinausgehen. In Vertragsbeziehungen, die auf Dauer angelegt sind, wird häufig und in unterschiedlichen Konkretisierungen eine gedeihliche und langfristige Zusammenarbeit zwischen den Parteien bezweckt sein. In jüngerer Zeit wurde dieser Gedanke insbesondere von den Vertretern der relational contract-Lehre aufgegriffen.291 So erklärt sich insbesondere aus der von Thomas von Aquin betonten Gemeinschaft der Vertragsparteien, dass bei ihm die der iustitia distributiva gegenübergestellte Form der Partikulargerechtigkeit gerade den Namen iustitia commutativa erhält.292 „Commutativa“ bringt schon begrifflich die Gemeinschaft der Vertragsparteien zum Ausdruck. Der gemeinschaftliche Zweck des Vertrages kommt so schon im Namen der ihn beherrschenden Gerechtigkeitsform zum Ausdruck. Die Perspektive der iustitia commutativa geht allerdings nicht über die von 286 Thomas von Aquin, Die deutsche Thomas-Ausgabe: Recht und Gerechtigkeit, 1953, S. 98 ff. (II-II, qu. 61 a. 3 und a. 4). Einzelheiten bei Harke, Vorenthaltung und Verpflichtung, S. 35 ff. 287 Vgl. insbesondere Thomas von Aquin, a.a.O., S. 94 ff. und S. 103 ff. (II-II, q. 61 a. 2 und a. 4). Dazu instruktiv Wittreck, Geld als Instrument der Gerechtigkeit, S. 442 ff. 288 Thomas von Aquin, a.a.O., S. 345 (II-II, q. 77 a. 1 c). 289 Thomas von Aquin, a.a.O., S. 94 ff. (II-II, q. 61 a. 2); vgl. auch Harke, Vorenthaltung und Verpflichtung, S. 34 f. 290 Finnis, Aquinas, S. 197. 291 Protagonist dieser Vertragstheorie ist Ian R. Macneil, vgl. insbesondere Macneil, The New Social Contract; s. auch Macneil, Northwestern University Law Review 1983, 340; kritisch etwa Barnett, Virginia Law Review 1992, 1175. 292 Harke, Vorenthaltung und Verpflichtung, S. 35.

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den unmittelbar beteiligten Personen gebildete Gemeinschaft hinaus. Die iustitia commutativa bleibt auf die Verwirklichung der Gerechtigkeit zwischen den Parteien beschränkt, in Abstraktion von möglichen Auswirkungen ihres einzelnen Verhältnisses auf die Allgemeinheit. Gesamtwirtschaftliche oder soziale Kontexte dieses Vertragsverhältnisses bleiben für die Gerechtigkeitsperspektive der iustitia commutativa, so wie sie Thomas von Aquin versteht, außer Betracht. Die Entdeckung des gemeinsamen Vertragszwecks erlaubt es Thomas von Aquin aber, spezifische Gerechtigkeitsgehalte der iustitia commutativa zu erklären. Da der vertragliche Austausch einen gemeinsamen Nutzen beider Vertragsparteien bezweckt, ist ein Austausch schon in der Perspektive der iustitia commutativa ungerecht, wenn er den gemeinsamen Nutzen verfehlt, weil nur die eine Seite gewinnt: „Et secundum hoc emptio et venditio videtur esse introducta pro communi utilitate utriusque … Quod autem pro communi utilitate est inductum, non debet esse magis in gravamen unius quam alterius. Et ideo debet secundum aequalitatem rei inter eos contractus institui. Quantitas autem rerum quae in usum hominis veniunt mensuratur secundum pretium datum, ad quod est inventum numisma, ut dicitur in V Ethic. Et ideo si vel pretium excedat quantitatem valoris rei, vel e converso res excedat pretium, tolletur iustitiae aequalitas. Et ideo carius vendere aut vilius emere rem quam valeat est secundum se iniustum et illicitum.“293

Die iustitia commutativa erhält durch den gemeinsamen Nutzen der Vertragsparteien durch den Vertrag eine objektive Bedeutung, die über die bloß subjektiv orientierte Parteivereinbarung hinausreicht. Dieser objektive Äquivalenzansatz steht in einem markanten Gegensatz zu den liberalen Vertragstheorien der Neuzeit, die weniger objektive Gerechtigkeitsgehalte als vielmehr eine formal verstandene Privatautonomie in das Zentrum rücken. Zugleich ist Thomas von Aquin pragmatisch genug, um zu akzeptieren, dass sich der iustitia commutativa keine exakten Preise entnehmen lassen.294 Er akzeptiert aus praktischer Notwendigkeit, dass das Recht nicht schon deshalb ungerecht ist, weil es in bestimmten Grenzen zulässt, dass objektive Wertrelationen in einzelnen Geschäften verletzt sind. Eine Sünde ist für Thomas von Aquin allerdings jeder Betrug, der eingesetzt wird, um den Vertragspartner zu schädigen 293 Thomas von Aquin, Die deutsche Thomas-Ausgabe: Recht und Gerechtigkeit, 1953, S. 345 f. (II-II, q. 77 a.1 c): „Und danach scheint Kauf und Verkauf zum gemeinsamen Nutzen beider Teile eingeführt worden zu sein … Was aber zum gemeinsamen Nutzen beider eingeführt ist, darf nicht zu Lasten mehr des einen als des anderen ausschlagen. Und so muss der [Kauf-, Verkauf-] Vertrag auf Grund des Gleichmaßes der Sache unter ihnen geschlossen werden. Die Werthöhe der Dinge aber, welche zum Gebrauch bei den Menschen in Umlauf sind, wird bemessen nach dem bezahlten Preis. Dazu ist die Münze erfunden, wie es im Fünften der Ethik heißt. Wenn also der Preis den Wert der Sache übersteigt oder umgekehrt die Sache den Preis übersteigt, ist das Gleichmaß der Gerechtigkeit aufgehoben. Teurer verkaufen oder billiger kaufen, als die Sache wert ist, ist also an sich ungerecht und unerlaubt.“. 294 Thomas von Aquin, a.a.O., S. 347 f. (II-II, q. 77 a.1 ad 1).

D. Bonum commune und gemeinsamer Vertragszweck

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und ein günstiges Geschäft zu machen.295 Auch abgesehen von solch klaren Betrugsfällen lässt sich aus der Idee des gemeinsamen Vertragszwecks begründen, dass allein die Diskrepanz zwischen dem Marktpreis einer Sache und ihrem Preis in einzelnen Verträgen gegen die iustitia commutativa verstößt.296 Denn der Kauf soll der communi utilitate dienen und nicht nur der einen Seite nutzen. Der Nutzwert einer Sache findet im Marktpreis seinen Ausdruck, der im Ausgangspunkt das Gerechtigkeitsideal für jeden einzelnen Vertrag bildet. Dabei sieht Thomas von Aquin pragmatische Ausnahmen vor: Die Sache kann dem Käufer mehr Wert sein als der Marktpreis, auch darf das Recht individuelles Gewinnstreben berücksichtigen, selbst wenn das Ideal objektiver Gerechtigkeit dieses nicht gutheißt. Thomas von Aquin sieht auch die Schwierigkeiten, einen objektiven Marktpreis zu bestimmen. In Maßen sind Abweichungen daher kein Verstoß gegen die iustitia commutativa.297 Mit einer pragmatischen Herangehensweise diskutiert Thomas von Aquin auch weitere wichtige Anwendungsbereiche des Vertragsrechts aus der Perspektive der iustitia commutativa sehr detailliert und mit umfassender Argumentation. Zu den Themenkomplexen gehört etwa das kaufrechtliche Gewährleistungsrecht.298 Die Interessen von Käufer und Verkäufer werden dabei genau analysiert, um auf Grundlage dieser Interessen zu zweckmäßigen objektiven Inhalten der iustitia commutativa zu gelangen. Thomas von Aquin untersucht Aufklärungspflichten, Rügeobliegenheiten und typische Fälle von Sachmängeln. Die Perspektive der durch die einzelnen Verträge in ihrer Verallgemeinerung generierten Verteilungswirkungen nimmt Thomas von Aquin allerdings nicht ein. Seine Analyse bleibt auf die konkrete Austauschbeziehung zwischen den Vertragspartnern beschränkt.

VII. Zu der Entwicklung nach Thomas von Aquin in der spätscholastischen Literatur Die Unterscheidung der Gerechtigkeitsformen wurde nach Thomas von Aquin von Aquin insbesondere in der spätscholastischen Literatur diskutiert und weiterentwickelt.299 Autoren wie Antoninus Florentinus300, Domingo de Soto301, Leonardus Lessius302 und viele andere Denker fügten den Gerechtigkeitsformen weitere Differenzierungen und Applikationen hinzu. Den Einfluss dieser Tradition auf das neuzeitliche Privatrechtsverständnis hat insbe295 296 297 298 299 300 301 302

Thomas von Aquin, a.a.O., S. 347 (II-II, q. 77 a.1 ad 1). Thomas von Aquin, a.a.O., S. 347 f. (II-II, q. 77 a.1 ad 1). Thomas von Aquin, a.a.O., S. 348 (II-II, q. 77 a.1 ad 1). Thomas von Aquin, a.a.O., S. 349 ff. (II-II, q. 77 a.2). Wittreck, Geld als Instrument der Gerechtigkeit, S. 718 ff. Antoninus, Summa theologica (Pars 3), Buch 5, Cap. 2 und 3. Soto Segobiensis, De iustitia et iure libri decem, Buch 3, Quaestio 5. Lessius, De iustitia et iure caeteris virtutibus cardinalibus libri quatuor, Buch 2, Kapitel 1.

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sondere James Gordley immer wieder beschrieben und betont.303 Die von Aristoteles entdeckten und von Thomas von Aquin präzisierten strukturellen Ausprägungen der Gerechtigkeitsformen sind dabei aber wohl im Wesentlichen beibehalten worden.304 Daher verzichtet diese Arbeit auf eine nähere Auseinandersetzung mit den Gerechtigkeitslehren der spätscholastischen Tradition.305

E. Iustitia distributiva in Form sozialer Gerechtigkeit Unverzichtbar für das Verständnis der iustitia distributiva im Vertragsrecht moderner Rechtsordnungen ist die Gerechtigkeitstheorie John Rawls. Dabei steht seine Arbeit insbesondere Pate für den Vollzug eines inhaltlichen Wandels, den der Begriff der Verteilungsgerechtigkeit erfahren hat. John Rawls hat in seinem berühmten Hauptwerk A Theory of Justice zentrale Forderungen der Verteilungsgerechtigkeit herausgearbeitet, Forderungen, die auch heute oft im Fokus des politischen und philosophischen Diskurses stehen. Mit seiner Arbeit beschreibt er ein modernes, sozial orientiertes Verständnis von Verteilungsgerechtigkeit und erfasst dabei den Geist der Gegenwartsdiskussion. Zu A Theory of Justice und Rawls existiert eine kaum mehr zu überblickende Literatur.306 Sein Einfluss blieb dabei keineswegs auf die Philosophie beschränkt. Rawls Gerechtigkeitstheorie hat regen Eingang in die Lehrpläne der juristischen Fakultäten in den USA gefunden. Auch auf die Sozialwissenschaften307 und die Wirtschaftswissenschaften308 nahm Rawls profunden Einfluss. Gleiches gilt für die Psychologie. Hier reizte die Rawls’sche Gerechtigkeitsphilosophie auch Experimentalpsychologen. Viele Forscher haben im Labor die von Rawls entwickelte berühmte Ausgangssituation für den Gesellschaftsvertrag nachgestellt und durch Experimente untersucht, ob sich die Versuchsteilnehmer tatsächlich auf die von Rawls propagierten Gerechtigkeitsmaximen 303 Vgl. insbesondere Gordley, California Law Review 1981, 1587; Gordley, The Philosophical Origins of Modern Contract Doctrine; Gordley, in: Owen (Hrsg.), Philosophical Foundations of Tort Law, 1997, S. 131, Gordley, in: Benson (Hrsg.), The Theory of Contract Law, 2007, S. 265. 304 Eingehend aufgearbeitet etwa bei Englard, Corrective and Distributive Justice, S. 27 ff. Vgl. allerdings Finnis, Natural Law and Natural Rights, S. 185 mit Hinweis auf die Unterscheidung dreier Formen der Partikulargerechtigkeit bei Cajetan. 305 Zur Entwicklung eingehend Englard, Corrective and Distributive Justice, S. 27 ff.; Gordley, The Philosophical Origins of Modern Contract Doctrine, S. 15 ff.; Langholm, The Legacy of Scholasticism in Economic Thought. 306 Ausführliche Literaturnachweise etwa bei Corlett (Hrsg.), Equality and Liberty, S. 330 ff. 307 Vgl. Freeman, Choice against Choice; Schmidt, Bedingte Gerechtigkeit, beide m.w.N. 308 Dazu nur Roemer, Theories of Distributive Justice, m.w.N.

E. Iustitia distributiva in Form sozialer Gerechtigkeit

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einigen würden, oder nicht.309 Die Diskussion um Rawls kann in all ihren Dimensionen hier nicht nachgezeichnet werden. Dies ist für das Verständnis der iustitia distributiva im Vertragsrecht aber auch entbehrlich. Für die Bedeutung der Verteilungsgerechtigkeit im Vertragsrecht sind vor allem zwei Fragen zu klären. Zum einen muss das von Rawls entwickelte und verteidigte Konzept der Verteilungsgerechtigkeit inhaltlich dargestellt und kritisch gewürdigt werden. In diesem Zusammenhang wird sich auch ein begriffsgeschichtlicher Wandel präzisieren lassen: Verteilungsgerechtigkeit versteht Rawls im Wesentlichen als soziale Gerechtigkeit. Darüber hinaus wird im Fokus der nachstehenden Ausführungen die Funktion stehen, die das Vertragsrecht in der Rawls’schen Gerechtigkeitskonzeption übernehmen kann. Diesem Aspekt ist in der bisherigen Diskussion – soweit ersichtlich – nur wenig Aufmerksamkeit geschenkt worden. Die Gründe dafür sind naheliegend: Das Vertragsrecht scheint auf den ersten Blick in der Gerechtigkeitstheorie Rawls’ keine Rolle zu spielen. Es besteht ein fast unerschütterter Konsens darüber, dass soziale Gerechtigkeit auf Boden der Gerechtigkeitstheorie Rawls’ durch ein System der Besteuerung und Transferzahlungen erfolgt.310 Es wird allerdings zu zeigen sein, dass dieser Konsens auf falschen Annahmen beruht. Die Verwirklichung des Rawls’schen Gerechtigkeitskonzepts ist auch – wenngleich nicht ausschließlich – durch vertragsrechtliche Regelungen möglich und geboten. Das Vertragsrecht, so wird zu zeigen sein, sollte auch in einer auf Rawls’ Postulaten der Gerechtigkeit basierenden Gesellschaftsordnung dazu beitragen, Gerechtigkeit zu verwirklichen.

I. Soziale Gerechtigkeit in Rawls’ Gerechtigkeitstheorie Rawls hat seinen Gerechtigkeitsbegriff insbesondere in seinem Hauptwerk „A Theory of Justice“ entwickelt.311 Dabei schenkt er der iustitia distributiva besonderes Augenmerk. Vorab ist eine Bemerkung zur Terminologie nötig. Rawls verwendet eher selten den Begriff der Verteilungsgerechtigkeit (distributive justice), meist spricht er von sozialer Gerechtigkeit (social justice).312 Dabei betrachtet er allerdings alle Geltungsbereiche und Erscheinungsformen der sozialen Gerechtigkeit als Fragen einer gerechten Verteilung.313 Schon diese Begrifflichkeit ermöglicht erste Rückschlüsse auf die Agenda Rawls. Seine Begriffsfärbung zeigt, dass er ganz andere Verteilungsfragen vor Augen hat, als sie noch Aristoteles oder Thomas von Aquin geleitet haben. Rawls geht es nicht mehr nur um die Verteilung politischer Aufgaben oder Ämter. Er hat 309

Deutsch, Distributive Justice, m.w.N. In diesem Sinne werden Rawls Ausführungen zu den Institutionen der Gerechtigkeit interpretiert, vgl. Rawls, A Theory of Justice, S. 274 ff. 311 Rawls, A Theory of Justice. 312 Rawls, a.a.O., S. 7. 313 Kersting, Theorien der sozialen Gerechtigkeit, S. 59. 310

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die Verteilung der Ressourcen in einer staatlichen Gemeinschaft im Blick, Fragen des sozialen Ausgleichs und sozialer Bürger- und Teilhaberechte. Sein Fokus liegt auf den grundlegenden Gesellschaftsstrukturen, den Menschenrechten und der umfassenden Verteilung von Rechten, Pflichten und Wohlstand in der Gesellschaft.314 Diese Idee der Verteilungsgerechtigkeit versucht Rawls als Meta-Prinzipien zu konkretisieren, aus denen sich dann Maximen für einzelne Gerechtigkeitsentscheidungen ableiten lassen sollen. „For us the primary subject of justice is the basic structure of society, or more exactly, the way in which the major social institutions distribute fundamental rights and duties and determine the division of advantages from social cooperation.“315

Inhaltlich begründet Rawls die zentralen Forderungen der iustitia distributiva mit seiner einflussreichen Ausprägung der Theorie vom Staats- bzw. Gesellschaftsvertrag.316 Rawls findet die zentralen Forderungen der Verteilungsgerechtigkeit in seinem berühmten Gedankenexperiment einer fiktiven Ursprungssituation (original position), in denen die späteren Staatsmitglieder über die Grundregeln ihres Zusammenlebens einig werden sollen. Dabei sind die Personen, die über die künftigen Regeln der Gesellschaft entscheiden, von einem „Schleier des Nichtwissens“ (veil of ignorance) umgegeben. Der veil of ignorance lässt sie über Vieles im Unklaren, etwa über ihre konkrete Position in der Gesellschaft und anderes mehr. Dieses fiktive Verfahren soll möglichst neutrale und faire Gerechtigkeitsprinzipien generieren, die zunächst ausblenden, welche Verteilungsergebnisse eine Gesellschaft hervorbringt, die auf ihnen beruht.317 Das Ergebnis seines Gedankenexperiments formuliert Rawls in grundlegenden Gerechtigkeitsmaximen zunächst wie folgt: „First: each person is to have an equal right to the most extensive basic liberty compatible with a similar liberty for others. Second: social and economic inequalities are to be arranged so that they are both (a) reasonably expected to be to everyone’s advantage, and (b) attached to positions and offices open to all.“318

Das erste Gerechtigkeitsprinzip sichert jeder Person einen Bestand verfassungsmäßig verbürgter Freiheitsrechte. Die grundlegenden Freiheitsrechte sollen so weit wie möglich verwirklicht werden; begrenzt sind sie nur wechselseitig: Die Grundfreiheit jeder Person muss mit der Grundfreiheit jeder anderen Person vereinbar sein. Dieser Grundsatz erinnert in seiner Formulierung stark an Kants Allgemeines Prinzip des Rechts: 314

S. auch Rawls, in: Corlett (Hrsg.), Equality and Liberty, 1996, S. 145 ff. Rawls, A Theory of Justice, S. 302. 316 Rawls, a.a.O., S. 114 ff. Dazu etwa Braun, Rechtsphilosophie im 20. Jahrhundert, S. 130 ff. 317 Vgl. dazu auch unten, S. 264 ff. 318 Rawls, A Theory of Justice, S. 60. 315

E. Iustitia distributiva in Form sozialer Gerechtigkeit

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„Eine jede Handlung ist recht, die oder nach deren Maxime die Freiheit der Willkür eines jeden mit jedermanns Freiheit nach einem allgemeinen Gesetze zusammen bestehen kann.“319

Kant nähert sich dem System sich nur wechselseitig begrenzender Freiheiten allerdings aus der Sicht des Einzelnen und entwickelt Handlungsmaximen für die Rechtsunterworfenen.320 Rawls entwickelt dagegen das erste Gerechtigkeitspostulat als objektive Gerechtigkeitsmaxime, für deren Geltung der Staat zu sorgen hat. Inhaltlich wird aber ähnlich wie bei Kant ein liberales System von Freiheitsrechten entwickelt, deren Grenzen nur in den entsprechenden Freiheiten der anderen liegen. In seinem ersten Gerechtigkeitspostulat bringt Rawls so ein Bekenntnis zu einer freiheitlichen Gesellschaft gleichberechtigter Bürger zum Ausdruck. Aus dem ersten Prinzip heraus wird allein jedoch nicht deutlich, welche Funktion die iustitia distributiva im Rawls’schen Idealstaat spielen soll. Diese wird erst in der zweiten Maxime konkretisiert. Die zunächst gewählte Formulierung präzisiert Rawls im weiteren Verlauf seiner Arbeit. Insbesondere lehnt er eine effizienzorientierte Konkretisierung der unter 2.a. formulierten Maxime ab321 und plädiert für ein liberal-demokratisches Gleichheitsverständnis der unter 2.b. formulierten Maxime.322 So lautet seine Neuformulierung des zweiten Gerechtigkeitssatzes: „Social and economic inequalities are to be arranged so that they are both (a) to the greatest benefit of the least advantaged, and (b) attached to offices and positions open to all under conditions of fair equality of opportunity.“323

Die unter 2.a. formulierte Gerechtigkeitsmaxime wird auch als „Differenzprinzip“ (difference principle) bezeichnet und diskutiert.324 Nach diesem Ge319 Kant, Die Metaphysik der Sitten, Akademie-Ausgabe, Bd. VI, Einleitung in die Rechtslehre, § C, S. 230. 320 In der Formulierung des allgemeinen Rechtsgesetzes tritt die für Kants Rechtsphilosophie prägende Beschränkung des Rechts auf die äußere Übereinstimmung der Handlung mit den Gesetzen (unabhängig von den inneren Gründen) deutlicher zutage: „Also ist das allgemeine Rechtsgesetz: Handle äußerlich so, daß der freie Gebrauch deiner Willkür mit der Freiheit von jedermann nach einem allgemeinen Gesetze zusammen bestehen könne…“, vgl. Kant, Die Metaphysik der Sitten, Akademie-Ausgabe, Bd. VI, Einleitung in die Rechtslehre, § C, S. 230 f. 321 Rawls, A Theory of Justice, S. 65 ff. 322 Rawls, a.a.O., S. 83 ff. 323 Rawls, a.a.O., S. 83. Die „endgültige“ Fassung seiner Gerechtigkeitsmaximen sei hier nur der Vollständigkeit halber nachgetragen – sie bringt für die Zwecke dieser Untersuchung keinen weiteren Gewinn: (First Prinziple):„ Each person is to have an equal right to the most extensive total system of equal basic liberties compatible with a similar system of liberty for all.“ (Second Principle): “Social and economic inequalities are to be arranged so that they are both: (a) to the greatest benefit of the least advantaged, consistent with the just savings principle, and (b) attached to offices and positions open to all under conditions of fair equality of opportunity.“, vgl. Rawls, a.a.O., S. 302. 324 Vgl. Rawls, a.a.O., S. 76; Koller, in: Höffe (Hrsg.), John Rawls, Eine Theorie der Gerechtigkeit, 2006, S. 45, 50.

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rechtigkeitsgrundsatz müssen soziale und wirtschaftliche Ungleichheiten auch dadurch gerechtfertigt sein, dass sie sich für die am wenigsten begüterten und bevorteilten Gesellschaftsmitglieder vorteilhaft auswirken.325 Insbesondere diese Fokussierung auf die Bedürfnisse der am wenigsten bevorteilten Gesellschaftsmitglieder war nicht nur eine neue und faszinierende Interpretation dessen, was Inhalt eines hypothetischen Gesellschaftsvertrags sein kann. Sie zeigt auch die Fokussierung Rawls’ auf sozialen Ausgleich und Menschenund Teilhaberechte. Denn jede Verteilung innerhalb der Grundstruktur der Gesellschaft muss auch den Ärmsten und Schwächsten der Gemeinschaft zugutekommen. Das Differenzprinzip kommt als Ausdruck der Verteilungsgerechtigkeit auch in der zusammenfassenden Formulierung des Gerechtigkeitsprinzips durch Rawls zum Ausdruck: “All social primary goods – liberty and opportunity, income and wealth, and the bases of self-respect – are to be distributed equally unless an unequal distribution of any or all of these good is to the advantage of the least favored.“326

Rawls Konzept der Verteilungsgerechtigkeit benennt als zentrale Verteilungsmaßstäbe also zum einen die Gleichheit, zum anderen – bei ungleicher Verteilung – die Bevorzugung der schwächsten Mitglieder der Gemeinschaft. Verteilungsgerechtigkeit ist bei ihm ein Konzept sozialen Ausgleichs und der Verteilung von materiellen Gütern, aber auch Chancen und Risiken, von der gerade die schwächsten Glieder der Gemeinschaft profitieren sollen.327 Natürlich wirft das Differenzprinzip schwierige Fragen auf. Rawls hat es in Präzisierung der intuitiv wesentlich leichter akzeptablen ursprünglichen Form formuliert, nach der Ungleichheiten zum Vorteil aller gereichen müssen. Diese Präzisierung stellt eine überraschende Wendung dar. Weshalb sollte allein die Fokussierung auf die am schwächsten positionierten Personen dazu führen, dass alle profitieren? Rawls zufolge ist dies zwar im Allgemeinen der Fall.328 Man kann an dieser These und ihrer Begründung aber mit guten Gründen zweifeln.329 Für die Zwecke dieser Untersuchung soll diese spezifische Problematik nicht weiter verfolgt werden. Ein Vorgriff scheint dennoch angebracht. Die Rawls’schen Gerechtigkeitspostulate erfassen das geltende positive Vertragsrecht nicht vollständig. Das Differenzprinzip kann im Vertragsrecht nicht das allein maßgebliche Verteilungskriterium sein. Es weist allerdings den Weg zu Ausprägungen der iustitia distributiva im Vertragsrecht, die im Gedanken des 325 Für eine Zuordnung in Abhängigkeit von der subjektiven Wertschätzung der jeweiligen Verteilungsgegenstände dagegen Arneson, Philosophy and Public Affairs 1990, 158. 326 Rawls, a.a.O., S. 303. 327 Wobei Rawls vor allem die Gruppe der „least advantaged“, also der am wenigsten Bevorzugten, im Blick hat. S. zu dem Wandel in Rawls Definition der „least advantaged“ Weatherford, in: Corlett (Hrsg.), Equality and Liberty, 1996, S. 37. 328 Rawls, A Theory of Justice, S. 76 ff. 329 Etwa Koller, in: Höffe (Hrsg.), John Rawls, Eine Theorie der Gerechtigkeit, S. 45, 51 ff.; Arneson, Philosophy and Public Affairs 1990, 158.

E. Iustitia distributiva in Form sozialer Gerechtigkeit

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Schwächerenschutzes verankert sind.330 Im Vertragsrecht kommen jedoch auch viele andere Verteilungsmaßstäbe zur Anwendung. Dies gilt es unten näher zu erläutern;331 schon hier sei aber im Vorgriff erwähnt, dass die Fokussierung auf einen sozialen Ausgleich die Komplexität vertraglicher Gerechtigkeitselemente nicht erfassen kann. Diese Arbeit versucht daher einen über diese enge Zielsetzung hinausreichenden Begriff der iustitia distributiva zu entwickeln, der unterschiedliche Verteilungsmaßstäbe berücksichtigt, in denen sich spezifische Gerechtigkeitsaspekte des Vertragsrechts widerspiegeln.332 Das Differenzprinzip allein kann dies nicht leisten. Fruchtbarer ist die Gerechtigkeitslehre Rawls, wenn die erste Gerechtigkeitsmaxime mitbedacht wird.333 Diese kann eine gerechtigkeitstheoretische Fundierung für grundlegende Konzepte des Vertragsrechts bieten – etwa für die Inkorporation einer Form der Vertragsfreiheit.334 Das Differenzprinzip erklärt zu einem großen Teil die Attraktivität und Faszination der Rawlsschen Gerechtigkeitstheorie. Im Zusammenspiel mit dem ersten Gerechtigkeitsgrundatz ermöglicht das Differenzprinzip, ökonomische und soziale Anforderungen an eine gerechte Gesellschaftsordnung zu erklären. Gerade mit der Idee einer sozialen Marktwirtschaft lässt sich seine Theorie daher gut vereinbaren.

II. Soziale Gerechtigkeit als Teil der objektiven Rechtsidee Die Gerechtigkeitstheorie Rawls’ begründet insbesondere die Notwendigkeit sozialstaatlicher Umverteilungsgerechtigkeit auf staatsvertraglicher und damit letztlich liberaler Grundlage. Die von Aristoteles erarbeitete Grundstruktur der Verteilungsgerechtigkeit hat spätestens seit den Arbeiten John Rawls’ eine inhaltliche Fokussierung auf Probleme der sozialen Gerechtigkeit erfahren. Vor allem Sen und Nussbaum haben dem Begriff der sozialen Gerechtigkeit durch ihren Fokus auf grundlegende Befähigungen (capabilities) neue Konturen verliehen.335 Auch in modernen Diskursen ist der Begriff der iustitia distributiva häufig mit Problemen sozialer Gerechtigkeit assoziiert. In der feuilletonistischen Gegenwartsdiskussion etwa wird unter Verteilungsgerechtigkeit häufig allein die Verteilung nach sozialen Aspekten beschrieben. Auch in der rechtswissenschaftlichen Literatur wird dieser Aspekt häufig besonders be330

S. unten, S. 297 ff. S. 289 ff. 332 Unten, S. 135 ff. 333 Dies hängt natürlich davon ab, ob auch das Vertragsrecht Teil der basic structure im Sinne Rawls’ ist. Dazu eingehend sogleich unten, S. 78 ff. 334 Näher dazu unten, S. 78 ff. sowie S. 259 ff. 335 S. aus der Vielzahl ihrer Arbeiten insbes. Sen, Inequality Reexamined; Sen, in: Nussbaum/Sen, The Quality of Life, S. 30; Sen, The Idea of Justice, S. 225 ff.; Nussbaum, Frontiers of Justice: Disability, Nationality and Species Membership. Einführend Alexander, Capabilities and Social Justice, S. 53 ff. 331

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tont. So sind beispielsweise die von Canaris als Anwendungsbeispiele der iustitia distributiva diskutierten Fälle oft solche, bei denen es um soziale Aufgaben des Vertragsrechts geht:336 Betroffen sind etwa der Schutz Schwangerer und der Arbeitnehmerschutz. Verteilungsgerechtigkeit wird in dieser Erscheinungsform vor allem als Umverteilungsgerechtigkeit verstanden: Der Staat verteilt zielgerichtet Vermögen, Rechte und Chancen zugunsten bestimmter Bürger und zulasten anderer Bürger.337 Dies führt zu der Frage, ob die iustitia distributiva auch in Form sozialer Gerechtigkeit von der objektiven Gerechtigkeitsidee umfasst ist. Diese Frage lässt sich nicht allein durch einen Blick auf das positive Recht bejahen. Man mag zwar – etwa mit Aristoteles und Thomas von Aquin – das positive Gesetzesrecht im Ausgangspunkt als Ausdruck der objektiven Gerechtigkeitsidee betrachten. Doch wird die Idee in ihrer Manifestierung durch das positive Recht nie vollständig und nicht zwingend zutreffend abgebildet. Daher lohnt auch die rechtsphilosophische Suche nach der sozialen Gerechtigkeit. Zudem hat eine über das positive Recht hinausgehende Fundierung den Vorteil, nicht von der positiven und damit auch wandelbaren Konkretisierung der Verteilungsgerechtigkeit abhängig zu sein. Die Frage nach der Gerechtigkeit sozialer Umverteilung kann hier nicht ansatzweise vollständig untersucht werden. Allein in den vergangenen 40 bis 50 Jahren hat sich zu dieser Frage eine kaum mehr zu überblickende rechtsphilosophische Diskussion entwickelt.338 Dabei stehen sozial-liberale oder egalitäre Rechtfertigungen sozialer Gerechtigkeit339 libertären Theorien340 gegenüber. Während die ersteren soziale Gerechtigkeit als Teil der Rechtsidee verteidigen, verlangen die letzteren einen Minimalstaat, der sich auf den Schutz der Rechte seiner Bürger beschränken soll. Jeder staatliche Ansatz zur Verwirklichung von Umverteilungsgerechtigkeit wird dabei als unzulässiger Eingriff in die Rechte Einzelner verstanden, soziale Gerechtigkeit ist danach kein Bestandteil der Gerechtigkeit als Idee des Rechts. Sozialstaat und Verteilungsgerechtigkeit werden so grundsätzlich in Frage gestellt. Das Ziel der nachstehenden Überlegungen ist es nicht, eine eigenständige Theorie sozialer Gerechtigkeit zu begründen. Vielmehr soll lediglich die Grundidee sozialer Gerechtigkeit – wie sie sich in unterschiedlichen Ausprägungen in westlichen Demokratien findet – als rechtsphilosophisch plausibler Bestandteil der Gerechtigkeitsidee gerechtfertigt werden. 336

Canaris, Die Bedeutung der iustitia distributiva im deutschen Vertragsrecht, passim. Zur den Begriffen der Verteilung und der Umverteilung in diesem Kontext etwa Zacher, DÖV 1970, 3, 4. 338 S. etwa Sen, The Idea of Justice; Ackerman, Social Justice in the Liberal State; Kersting, Theorien der sozialen Gerechtigkeit; ein Überblick findet sich etwa bei Holzleithner, Gerechtigkeit, S. 39 ff. und Eichenhofer, JZ 2005, 209. 339 Etwa bei Sen, The Idea of Justice, Ackerman, Social Justice in the Liberal State, 1980. 340 Insbesondere bei Nozick, Anarchy, State, and Utopia; Hayek, The Constitution of Liberty. 337

E. Iustitia distributiva in Form sozialer Gerechtigkeit

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1. Vorzüge sozialer Gerechtigkeit Dafür, dass die Rechtsidee auch die Verteilungsgerechtigkeit in ihrer Erscheinungsform als sozialer Gerechtigkeit umfasst, lassen sich gute Gründe anführen.341 Der politische Diskurs zeigt, dass Menschen ungleiche Vermögensverteilungen ab einem bestimmten Punkt als ungerecht und problematisch empfinden. Das Schlagwort von der sich immer weiter öffnenden sozialen Schere veranschaulicht dieses menschliche Grundempfinden: Starke Ungleichheiten werden – wie eine Schere auch – als potenziell gefährlich wahrgenommen: Die Schneiden der Schere können Verletzungen herbeiführen. Überträgt man dieses Bild auf den Staat, tritt die Gefahr sozialer Unruhen in den Vordergrund: Ab einem bestimmten Punkt kann die Stabilität der Gesellschaftsordnung verletzt sein, weil diejenigen rebellieren, die im Vergleich zu anderen Gesellschaftsmitgliedern sehr wenig besitzen. Auch entspricht der Gedanke sozialer Gerechtigkeit einem weiteren menschlichen Grundempfinden, nämlich dem der Solidarität: Die meisten Gesellschaftsmitglieder sehen sich als Mitglieder einer Solidargemeinschaft; dabei zeigt sich Solidarität auch darin, dass diejenigen, die viel haben, etwas von ihrem Reichtum denjenigen geben, die wenig haben.342 Dazu kommt die Schwierigkeit, die bestehende Vermögensverteilung überzeugend zu verteidigen. Damit ist die schwierige Frage nach der Rechtfertigung des Privateigentums berührt.343 Die Anerkennung sozialer Umverteilungsgerechtigkeit als Teil der Gerechtigkeitsidee führt keineswegs zu einer „Vergesellschaftung“ der Rechte, Talente und Besitztümer des Einzelnen. Dieses nicht selten anzutreffende Missverständnis344 beruht wohl auf einer Fehlinterpretation Rawls’ durch Nozick.345 Rawls betrachtet die Verteilung individueller Fähigkeiten und Talente als der Gesellschaft gehörig, nicht aber die Fähigkeiten und Talente selbst:

341

Ausführlich etwa Ackerman, Social Justice in the Liberal State; s. auch Eichenhofer, JZ 2005, 209, 211 ff.; Barry, Political Theory 1975, 331, 334 ff. 342 Ansatzweise hat auch Thomas von Aquin diesen Aspekt im Vertragsrecht herausgearbeitet, s. dazu oben, S. 55 ff. Eine Isolation des einzelnen in seinen Partikularinteressen lehnt er ab; im Vertrag ist der Einzelne zum anderen hingerichtet und begründet eine Gemeinschaft mit ihm. Von dort ist nur ein kleiner Schritt zu Pflichten, die aus der Gemeinschaft erwachsen können. Natürlich übernimmt in der praktischen Philosophie des Thomas von Aquin die Barmherzigkeit als Tugend die Aufgabe, den einzelnen Menschen hin zu seinem ärmeren Mitmenschen zu wenden. 343 Als stärkster Begründungsansatz lassen sich Rechtsfrieden und Rechtssicherheit heranziehen, die empfindlich beeinträchtigt wären, wenn eine historisch gegebene Eigentumsordnung eine nach anderen Prinzipien vorgenommene Neuordnung erfahren sollte. Eingehend zur Rechtfertigung des Privateigentums etwa Kramer, John Locke and the Origins of Private Property, sowie Brandt, Eigentumstheorien von Grotius bis Kant. 344 Etwa bei Nozick, Anarchy, State, and Utopia, S. 228; Kersting, Theorien der sozialen Gerechtigkeit, S. 134 ff. 345 Aufgedeckt wohl zunächst bei Pogge, Realizing Rawls, S. 73 ff.

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„We see then that the difference principle represents, in effect, an agreement to regard the distribution of natural talents as a common asset and to share in the benefits of this distribution whatever it turns out to be.“346

Nozick zitiert Rawls zunächst vollständig und zutreffend.347 Im Laufe seiner Kritik dieser Vergesellschaftung lässt er das Wort „distribution“ allerdings verschwinden. Gleich im Anschluss des längeren korrekten Zitates folgt die Verkürzung: „People will differ in how they view regarding natural talents as a common asset.“348

Er kritisiert sodann die Vergesellschaftung der Fähigkeiten und Talente einzelner. Rawls hält aber nur die Ergebnisse der individuellen Fähigkeiten und Talente für verteilungsfähig. Dagegen lässt Rawls völlig außer Zweifel, dass die Talente selbst den Individuen unveräußerlich zustehen: niemand darf sie dem Einzelnen wegnehmen, die Fähigkeiten besteuern oder das Individuum dazu zwingen, seine Talente auch auszuüben.349 Auch von einer liberalen Warte aus ist Verteilungsgerechtigkeit durchaus möglich. Wenn Rawls die Verteilung der Talente als gemeinsames Verteilungsgut betrachtet, lässt sich das auf seine Differenzierung zwischen den Talenten und Fähigkeiten einerseits sowie deren finanzielles Ergebnis andererseits zurückführen: Das aus den Talenten entspringende Vermögen ist von diesen getrennt; dieses steht Rawls zufolge dem Einzelnen nicht ebenso zwingend und unveräußerlich zu wie die Talente selbst. Die Kritik Nozicks beruht daher auf einer Fehlinterpretation Rawls und geht insofern ins Leere. Auch ein utilitaristischer Gedanke lässt sich für die Verteilungsgerechtigkeit anführen:350 Es lässt sich plausibel annehmen, dass Vermögen und Eigentum einen sinkenden Grenznutzen haben: Der Nutzen des ersten 100-EuroScheins ist für einen, der gar nichts besitzt, sehr groß. Dagegen ist der Nutzen eines zusätzlichen 100-Euro-Scheins für einen, der schon Millionen besitzt, gering. Diese Annahme lässt den Schluss zu, dass Umverteilung den Gesamtnutzen innerhalb der Gesellschaft vermehrt. Denn für die Nutznießer der Umverteilungsmaßnahme erzeugen die umverteilten Gegenstände einen höheren Nutzen als für die Opfer der Umverteilungsmaßnahme. 2. Zu einigen Einwänden gegen die Anerkennung sozialer Gerechtigkeit als Teil der Rechtsidee Rechtsphilosophisch ist die Anerkennung sozialer Gerechtigkeit als Teil der Gerechtigkeitsidee und Ziel des Rechts insbesondere in der politischen Philo346 347 348 349 350

Rawls, A Theory of Justice, S. 101 f. Nozick, Anarchy, State, and Utopia, S. 228. Nozick, a.a.O., S. 228. Pogge, Realizing Rawls, 1989, S. 75. Vgl. nur Eidenmüller, Effizienz als Rechtsprinzip, S. 276 f.

E. Iustitia distributiva in Form sozialer Gerechtigkeit

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sophie libertärer Autoren attackiert worden.351 Die wohl einflussreichste und bekannteste Theorie eines auf jegliche Umverteilungsgerechtigkeit verzichtenden Idealstaates bietet Nozick’s Anarchy, State and Utopia.352 Jede Form staatlicher Umverteilung ist für Nozick inakzeptabel, weil sie für ihn letztlich einem Diebstahl gleichsteht. Der erste Teil des Buches bietet eine Rechtfertigung für Ordnungsaufgaben eines Idealstaates, der allein die äußere Stabilität der Rechtsordnung zu gewähren und die Durchsetzung von Verträgen zu garantieren hat.353 Der zweite Teil von Anarchy, State and Utopia versucht sodann zu begründen, dass jede Aktivität des Staates, die über die im ersten Teil begründete Minimalrolle hinausgeht – insbesondere jede Verteilung oder Umverteilung von Vermögen – unrechtmäßig ist, weil sie eine Verletzung subjektiver Rechte der Bürger beinhaltet.354 Nozick unterteilt Gerechtigkeitsprinzipien in drei Grundformen: historical, end-state und patterned.355 Nur reine historische Gerechtigkeitsprinzipien können gerechtfertigt werden, jede Gerechtigkeitsform, die Rechtsänderungen auf der Grundlage von außerhistorischen Gerechtigkeitsprinzipien beurteilt (etwa Gleichheit, Proportionalität, moralischer Wert oder ähnliches), sei nicht rechtfertigbar.356 Nozick lehnt damit jede Umverteilung ab; Einkommensbesteuerung setzt er mit Zwangsarbeit gleich.357 Diese politische Theorie wendet sich explizit gegen die Gerechtigkeitstheorie Rawls’358, aber implizit auch gegen eine Konzeption von Recht und Staat, wie sie etwa in der deutschen oder europäischen Ausprägung des Sozialstaatsprinzips zu finden ist. Nozicks Theorie leidet indes an konstruktiven Schwächen. Ihr fehlt zuvorderst eine plausible Theorie der Erstbegründung individueller Eigentumsrechte.359 Das wiegt umso schwerer, als die in Nozicks Utopie mögliche extreme Ungleichgewichtslage zwischen reich und arm eine besonders starke

351 Zu den wichtigsten Autoren gehören von Hayek, Milton Friedman und Nozick; die Hauptwerke sind Friedman, Capitalism and Freedom, Hayek, The Constitution of Liberty, Nozick, Anarchy, State, and Utopia. In den USA scheint libertäres Ideengut auch gesellschaftlich stärker verbreitet zu sein als in westeuropäischen Staaten. 352 Nozick, Anarchy, State, and Utopia. 353 Nozick, Anarchy, State, and Utopia, S. 3 ff. Näher zu dieser Rechtfertigung, die eine eigentümliche Version einer Staatsvertragslehre darstellt, etwa Barry, Political Theory 1975, 331, 332 ff. 354 Nozick, Anarchy, State, and Utopia, S. 149 ff. 355 Nozick, a.a.O., S. 153 ff. 356 Nozick, a.a.O., S. 155 ff.; Ähnlich schon etwa Friedman, Free to Choose; a Personal Statement, a.a.O., S. 27 ff.; Friedman, Capitalism and Freedom, S. 161 ff.; Hayek, The Constitution of Liberty, S. 253 ff. 357 „Taxation of earnings from labor is on a par with forced labor.“ Nozick, Anarchy, State, and Utopia, S. 169. 358 Vgl. insbesondere Nozick, a.a.O., S. 183 ff. 359 Das gesteht Nozick selbst ein, vgl. Nozick, a.a.O., S. xvi. Dazu stellvertretend Kersting, Theorien der sozialen Gerechtigkeit, a.a.O., 305 ff.

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Rechtfertigung individuellen Ersterwerbs erfordern würde.360 Nozicks Theorie ist darüber hinaus aber auch inkohärent und selbstwidersprüchlich, wie vor allem Kavka eingehend und eindrucksvoll zeigen konnte.361 So lässt sich aus Nozicks eigener prozeduralen Gerechtigkeitstheorie entgegen seinem Vorhaben herleiten, dass Umverteilung und soziale Gerechtigkeit Erfordernisse der iustitia distributiva sind. Dieser Selbstwiderspruch lässt sich nur nachvollziehen, wenn die historisch-prozedurale Gerechtigkeitstheorie Nozicks in ihren Grundzügen vor Augen liegt: Für Nozick beruhen historische Gerechtigkeitsprinzipien auf drei Komponenten: Ein Prinzip anfänglichen Erwerbs (principle of justice in acquisition),362 ein Übertragungsprinzip (principle of justice in transfer)363 und ein Wiedergutmachungsprinzip (principle of rectification of injustice)364. Nozicks zentrale Aussage lautet, dass jede Vermögensverteilung innerhalb der Gesellschaft dann und nur dann gerecht ist, wenn diese Verteilung auf der rechtmäßigen Übertragung von rechtmäßig erworbenen Vermögenspositionen beruht. Jeder Besitz (im weiten Sinn) muss sich auf eine ununterbrochene Folge legitimen Erwerbs, legitimer Übertragung oder legitimer Wiedergutmachung zurückführen lassen.365 Das Wiedergutmachungsprinzip betrifft die nachgelagerte Frage, wie auf eine Verletzung der ersten beiden Prinzipien zu reagieren ist.366 Das Prinzip anfänglichen Erwerbs arbeitet Nozick nur ansatzweise aus.367 Seinen Ausführungen lässt sich aber entnehmen, dass er einen rechtmäßigen Ersterwerb grundsätzlich unter nur wenigen Voraussetzungen für möglich hält. Das zeigt die einzige Einschränkung des Eigentumserwerbs, die Nozick ausdrücklich erörtert.368 Sie ist an die Eigentumstheorie Lockes angelehnt. Zwar hält Nozick die Locke’sche Arbeitstheorie des Eigentums (Eigentumserwerb kraft Vermischung eigener Arbeit mit dem anzueignenden Gegenstand) insgesamt für unbefriedigend; zu viele Fragen lasse sie im Dunkeln.369 Immerhin entwickelt Nozick aus dieser Theorie aber die für ihn allein mögliche Einschränkung des grundsätzlichen Aneignungsrechts (the Lockean Proviso):370 Der Eigentumserwerb tritt nicht ein, wenn er die Position Dritter, die den anzueignenden Gegenstand nach dem Eigentumserwerb nicht mehr benutzen dürfen, verschlechtert. Verschlechterung bedeutet aber nicht Reduzierung von Aneignungsmöglichkeiten; auch schließt die Kompensation der Dritten durch 360 361 362 363 364 365 366 367 368 369 370

Scanlon, Philosophy and Public Affairs 1976, 3, 23 f. Kavka, in: Corlett (Hrsg.), Equality and Liberty, 1996, S. 298 ff. Nozick, Anarchy, State, and Utopia, S. 150. Nozick, a.a.O., S. 151. Nozick, a.a.O., S. 152 f. Nozick, a.a.O., S. 151 ff. Nozick, a.a.O., S. 152 f. Nozick, a.a.O., S. 150 ff. Auch dies gesteht Nozick selbst ein, vgl. Nozick, a.a.O., S. xvi. Nozick, a.a.O., S. 174 ff. Nozick, a.a.O., S. 154 ff. Nozick, a.a.O., S. 174 ff.

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den Aneignenden eine Verschlechterung deren Situation aus.371 Zugleich geht Nozick davon aus, dass in marktwirtschaftlichen Systemen das Lockean Proviso kaum jemals einem Eigentumserwerb entgegenstehen wird. Denn die Produktivität des Einzelnen würde generell die materiellen Lebensbedingungen der anderen Bürger verbessern.372 Nozick nimmt dabei an, dass auch diejenigen, die keinen Besitz ererbt haben und sich etwa als Lohnarbeiter durch ihr Leben schlagen, auf indirekte Weise so stark vom kapitalistischen Eigentumssystem profitieren, dass die Nachteile aus der Ressourcenerschöpfung aufgewogen sind.373 Die Ressourcenerschöpfung ergibt sich dabei daraus, dass nach einer gewissen Reihe von Erwerbsvorgängen keine anderen Ressourcen als die eigene Arbeitskraft zur Aneignung frei sind. Nozick selbst steht allerdings auf dem Standpunkt, dass die Beeinträchtigung jeder Rechtsposition bzw. die Verkürzung von Aneignungsmöglichkeiten nur zulässig ist, wenn der durch sie Benachteiligte nach den Gesetzen des Marktes einen finanziellen Ausgleich erhält: Der Beeinträchtigte muss für die Beeinträchtigung bzw. die Aneignung zahlen (wobei ein gewisser Verhandlungsspielraum besteht).374 Wenn aber letztlich alle Eigentumserwerbsvorgänge eine Ausgleichszahlung an die anderen Bürger voraussetzen, lässt sich auch ein staatlich bewirktes Ausgleichssystem beispielsweise in Form des Steuer- und Sozialrechts auf dem Boden der Theorie Nozicks begründen.375 Ein staatliches Umverteilungssystem ist für sie zwar nicht zwingend erforderlich. Es lässt sich aber auch nicht a limine als unzulässig verwerfen. Zudem dürfte der finanzielle Ausgleich auch seiner Höhe nach von Nozick substantiell unterschätzt werden: Der geschuldete Ausgleich kann leicht die denkbaren indirekten Vorteile des kapitalistischen Systems bei weitem überschreiten.376 Denn die Benachteiligten und deren Erben können sich ihre Benachteiligung bezahlen lassen, müssen also an den Vorteilen des Bevorteilten beteiligt werden.377 Das bedeutet aber letztlich nichts anderes als eine Umverteilung: Die durch das Recht zum Eigentumserwerb Bevorteilten müssen die dadurch Benachteiligten an ihrem Gewinn beteiligen.378 Die Erwerbstheorie Nozicks ist daher trotz ihrer scheinbar geringen Voraussetzungen innerlich inkohärent. Aus dem Lockean Proviso lässt sich – entgegen Nozicks eigener Annahme – die Notwendigkeit einer Umverteilung herleiten.379 Augustinus hat in de civitate dei die berühmte Frage gestellt, was denn den Staat von einer Räuberbande unterscheide. Für Nozick wäre die Frage mit 371 372 373 374 375 376 377 378 379

Nozick, a.a.O., S. 178. Nozick, a.a.O., S. 179 ff. Kavka, in: Corlett (Hrsg.), Equality and Liberty, 1996, S. 300. Nozick, Anarchy, State, and Utopia, S. 63 ff. Kavka, in: Corlett (Hrsg.), Equality and Liberty, 1996, S. 301 f. Kavka, a.a.O., S. 300 ff. Kavka, a.a.O., S. 301 f. Kavka, a.a.O., S. 300 ff. Kavka, a.a.O., S. 300 ff.

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„nichts“ zu beantworten. Denn er betrachtet jede Form staatlicher Umverteilung, wie sie insbesondere durch das Steuersystem erzielt und erreicht wird, als eine nicht zu rechtfertigende Enteignung. Dagegen lässt sich mit Augustinus die Frage weiterhin in einem befriedigenderen Sinne beantworten: Der Unterschied liegt in der Gerechtigkeit begründet, auf die sich staatliche Akte sozialer Umverteilung stützen lassen. Die wesentlichen Einwände, die gegen die soziale Gerechtigkeit als Teil der Gerechtigkeitsidee vorgebracht werden, haben sich als nicht stichhaltig erwiesen. Verteilungsgerechtigkeit lässt sich auch in ihrer Komponente sozialer Umverteilungsgerechtigkeit und mit dem Inhalt einer Vermögensumschichtung zwischen den Gemeinschaftsmitgliedern als Bestandteil der Gerechtigkeitsidee rechtfertigen.380 Im Grundsatz bestehen daher auch keine Einwände dagegen, wenn das positive Recht soziale Gerechtigkeit als Bestandteil und Ziel der Rechtsordnung integriert.

III. Die Funktion des Vertragsrechts und die Bedeutung der iustitia distributiva im Vertragsrecht eines Rawls’schen Staates Die Identifizierung der Gerechtigkeitspostulate einer idealen Gesellschaftsordnung gibt noch nicht vor, durch welche Einrichtungen diese Postulate verwirklicht werden sollen. Denn Rawls beschränkt die Geltung seiner Gerechtigkeitsmaximen auf die basic structure der Gesellschaft. Doch welche Funktion übernimmt das Vertragsrecht in der Gerechtigkeitstheorie Rawls? Kommt die iustitia distributiva seiner Konzeption zu Folge auch im Vertragsrecht zum Tragen? Diese für die Zwecke dieser Untersuchung maßgebliche Frage gilt es im Folgenden zu beantworten. Die dabei gewonnen Erkenntnisse weisen über die spezifische Gerechtigkeitstheorie Rawls’ hinaus und lassen sich auch etwa auf Interpretationen sozialer Gerechtigkeit als Gleichheit grundlegender Befähigungen (capabilities)381 anwenden. 1. Das Vertragsrecht als Teil der basic structure? – Teil 1: Eine Exegese Rawls beschäftigt sich in seiner Gerechtigkeitstheorie auch mit der Frage, wie die Gerechtigkeitspostulate im Staat institutionell und systemisch umgesetzt werden können und müssen. Der Staat hat die Aufgabe, die Verwirklichung der Gerechtigkeit durch die Einrichtung geeigneter Institutionen zu ermöglichen.382 Allerdings – und dies ist mit Blick auf die Funktion des Vertragsrechts entscheidend – erfassen die beiden Gerechtigkeitspostulate nur die Grund380

Ebenso etwa Eichenhofer, JZ 2005, 209. S. insbesondere Sen, Inequality Reexamined, Oxford; Sen, The Idea of Justice, S. 225 ff.; Nussbaum, Fordham Law Review 1997, 273; Nussbaum, Frontiers of Justice: Disability, Nationality and Species Membership; Alexander, Capabilities and Social Justice, S. 53 ff. 382 Rawls, A Theory of Justice, S. 54 ff. 381

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struktur der Gesellschaft (basic structure), soweit sie Güter ersten Ranges (primary goods) zur Verfügung stellt. „For us the primary subject of justice is the basic structure of society, or more exactly, the way in which the major social institutions distribute fundamental rights and duties and determine the division of advantages from social cooperation.“383

Mit Gütern ersten Ranges (primary goods) meint Rawls – wie er später präzisiert384 – Güter, von denen die Parteien in der ursprünglichen Position vernünftiger Weise annehmen können, dass sie ganz unabhängig von den konkreten Zwecken der Parteien gewollt werden.385 Es geht um Rechte, Freiheiten, Möglichkeiten, Einkommen und Wohlstand sowie die gesellschaftlichen Grundlagen des Selbstrespekts.386 Die Theorie dieser „Güter ersten Ranges“ bietet insofern einen Maßstab, der es erlaubt, politische und rechtliche Institutionen zu vergleichen. Wenn verschiedene Institutionen zur Wahl stehen, gilt es diejenige zu wählen, die bei der Verteilung der genannten Güter die beiden Gerechtigkeitsmaximen insgesamt am besten verwirklicht.387 Nimmt man nun das Vertragsrecht als rechtliche Institution in den Blick, so wird offenbar, dass die Verteilung der primary goods auch über das Vertragsrecht erfolgt. Das Vertragsrecht hat einen entscheidenden Anteil daran, wie in einer Rechtsgemeinschaft Wohlstand, Vermögen, aber auch Rechte und Freiheiten verteilt werden. Verträge bestimmen einen Großteil der in der Rechtsgemeinschaft vorkommenden Verteilungsvorgänge. Das Vertragsrecht kann diese Verteilung zwar nicht isoliert bewirken, sondern ist auf die Ergänzung durch andere Institutionen wie Wettbewerb, Markt, Sachenrechtsordnung und Vollstreckungsrecht angewiesen.388 Jedoch ist in einer marktwirtschaftlich verfassten Rechtsordnung das Vertragsrecht für die konkreten Verteilungsergebnisse unabdingbar. Einkommen, Wohlstand, Rechte, Freiheiten und Möglichkeiten werden ebenso durch die Ergebnisse vertraglichen Austauschs bestimmt und vorgezeichnet wie – damit zusammenhängend – die Grundlagen des Selbstrespekts.389 Insofern läge es nahe, dass die Konzeption Rawls’ auch dem Vertragsrecht die Funktion zuschreibt, die Gerechtigkeitspostulate zu verwirklichen. Wenn die Zuteilung von Vorteilen und Lasten des gemeinsam Erwirtschafteten Gegenstand der basic structure ist, weshalb sollte das Vertrags383

Rawls, a.a.O., S. 7. Rawls, in: Freeman (Hrsg.), Collected papers, 1999, S. 232, 240. 385 Rawls, A Theory of Justice, S. 61 f. 386 Rawls, in: Freeman (Hrsg.), Collected papers, 1999, S. 232, 241. 387 Kordana/Tabachnick, George Washington Law Review 2005, 598, 601 f. 388 Vgl. exemplarisch Mestmäcker, AcP 1968, 235. 389 Unter welchen Voraussetzungen Menschen Selbstrespekt entwickeln können, ist selbstverständlich eine komplexe psychologische Frage, der hier nicht im Detail nachgegangen werden kann. Plausibel scheint aber jedenfalls die Annahme, dass zumindest für viele Menschen ihre Achtung vor sich selbst auch davon abhängt, welche Freiheiten, Rechte, Möglichkeiten aber auch materielle Güter ihnen offen stehen. 384

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recht von der Geltung der Rawls’schen Gerechtigkeitsprinzipien ausgeklammert bleiben?390 Die Zugehörigkeit des Vertragsrechts zu der „Grundstruktur der Gesellschaft“ (basic structure) ist vor allem deshalb problematisch, weil Rawls diese Zugehörigkeit nirgends explizit ausspricht und sie möglicher Weise sogar verneint. Nur soweit aber das Vertragsrecht die Verteilung der Güter ersten Ranges innerhalb der basic structure betrifft, greifen die Gerechtigkeitspostulate Rawls’, nur insoweit ist die Verteilungsgerechtigkeit Rawls’scher Prägung tragende Maxime auch im Vertragsrecht. Rawls gibt auf diese entscheidende Frage prima facie eine verneinende Antwort. Zunächst beschränkt Rawls in „A Theory of Justice“ seinen Untersuchungsgegenstand in einer Weise, die das Vertragsrecht auszuschließen scheint: „There is no reason to suppose ahead of time that the principles satisfactory for the basic structure hold for all cases. These principles may not work for the rules and practices of private associations or for those of less comprehensive social groups. They may be irrelevant for the various informal conventions and customs of everyday life; they may not elucidate the justice, or perhaps better, the fairness of voluntary cooperative arrangements or procedures for making contractual agreements.“391

Rawls stellt hier klar, dass es ihm nicht darum geht, Gerechtigkeitsstrukturen zu entwickeln, die darüber Auskunft geben, ob einzelne vertragliche Vereinbarungen fair sind oder nicht. Die Frage nach der Gerechtigkeit einzelner Verträge lässt sich allerdings von der Frage nach der Gerechtigkeit des Vertragsrechts als Institution trennen.392 So könnte man auf Grundlage dieser Äußerung doch annehmen, dass das Vertragsrecht immerhin als Institution zur basic structure gehört und somit der Geltung der Gerechtigkeitsgrundsätze unterliegt.393 In späteren Schriften scheint Rawls zudem das Vertragsrecht als Institution zumindest teilweise der basic structure zuzuordnen:394 Rawls beschreibt die basic structure als Maßstab, nach dem sich soziale Einrichtungen zu einem System fügen können – die Verfassung, die rechtlich anerkannten Formen des Eigentums, die Ordnungspolitik und die Natur der Familie rechnet er ihr ausdrücklich zu.395 Hier spricht nun Rawls auch das Vertragsrecht an. Zunächst zeigt er auf, dass die Grundstrukturen der Gesellschaft auch im Rahmen einer Kantianischen Gesellschaftsvertragstheorie relevant sind. Hier würden sich, so Rawls, die sozialen Verhältnisse über die Zeit in Übereinstim390 So insbesondere Kordana/Tabachnick, George Washington Law Review 2005, 598, 607 ff.; Kordana/Blankfein Tabachnick, Social Philosophy & Policy 2008, 288, 294 ff. 391 Rawls, A Theory of Justice, S. 8. 392 Oben, S. 16 ff. 393 Diese Trennung ist bei Canaris deutlich artikuliert, vgl. Canaris, Die Bedeutung der iustitia distributiva im deutschen Vertragsrecht, S. 45 und dazu eingehend oben, S. 17 ff. 394 Vgl. Rawls, Political Liberalism, S. 257 ff. 395 Rawls, a.a.O., S. 258.

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mung mit freien Vereinbarungen entwickeln.396 Doch auch eine solche Gesellschaft müsse Regeln darüber entwickeln, unter welchen Voraussetzungen Vereinbarungen „frei“ getroffen wurden und die sozialen Verhältnisse, innerhalb derer sie getroffen wurden, „fair“ seien.397 Vor allem könnten sich auch zunächst faire Ausgangspositionen in unfaire Situationen verändern. Die Einrichtungen der basic structure müssten in diesem Kontext gerechte Bedingungen sichern.398 Die von Rawls hier ins Auge gefassten Bedingungen eines fairen Vertragsschlusses betreffen allerdings lediglich den (hypothetischen) Gesellschaftsvertrag im Rahmen einer „Kantian social contract theory“399. Positivrechtliche Ausgestaltungen des Rechts privater Verträge zur Bedürfnisbefriedigung hatte Rawls nicht im Blick. Vielmehr betont er erneut, dass zumindest die konkreten Verteilungsergebnisse einzelner Verträge nicht zur basic structure gehören: „We recognize this fact when we say, for example, that the distribution resulting from voluntary market transactions (even if all the ideal conditions for competitive efficiency obtain) is not, in general, fair, unless the antecedent distribution of income and wealth, as well as the structure of the system of markets, is fair.“400

Generell sei die unmittelbare Verteilung, wie sie durch Transaktionen auf Märkten bewirkt werde, nicht gerecht – selbst bei perfekten Marktbedingungen. Vielmehr neige die durch Verträge und Markt bewirkte Verteilung tendenziell dazu, immer stärkere Ungleichgewichte zu schaffen. „…the tendency is rather for background justice to be eroded even when individuals act fairly: the overall result of separate and independent transactions is away from and not toward background justice. We might say: in this case the invisible hand guides things in the wrong direction and favors an oligopolistic configuration of accumulations that succeeds in maintaining unjustified inequalities and restrictions on fair opportunity.“401

Rawls zieht daraus aber nicht den Schluss, dass die Verteilungsvorgänge per se so gesteuert werden sollten, dass sie zur Gerechtigkeit hinführen und nicht von ihr weg. Vielmehr müsse die basic structure in ihren Institutionen dieser Entwicklung entgegenwirken. Eine Gesellschaft müsse durch besondere Einrichtungen permanent darauf hinwirken, dass eine im Hintergrund wirkende Gerechtigkeit (background justice) bewahrt werde: „Therefore, we require special institutions to preserve background justice, and a special conception of justice to define how these institutions are to be set up.“402 396 397 398 399 400 401 402

Rawls, a.a.O., S. 265 f. Rawls, a.a.O., S. 266. Rawls, a.a.O., S. 266. Rawls, a.a.O., S. 265. Rawls, a.a.O., S. 266. Rawls, a.a.O., S. 267. Rawls, a.a.O.,, S. 267.

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Die Forderung nach besonderen Einrichtungen innerhalb der basic structure spricht dafür, dass Rawls Ausgleichsmechanismen vor Augen schweben, die erst auf einer zweiten Stufe die durch Vertrag und Wettbewerb generierten ungerechten Verteilungen ausgleichen.403 Auch betont Rawls, dass es keine praktisch umsetzbaren Regeln gäbe, die vernünftigerweise den einzelnen Marktteilnehmern auferlegt werden könnten, um die Erosion der background justice zu verhindern: Solche Regeln wären zu komplex, zu wenig effizient und würde den einzelnen Bürger überfordern.404 Gerade derartige Regeln wären aber auch solche eines positiven Vertragsrechts. So scheint sich die die Rawls’sche Theorie der Gerechtigkeit in einer Gemeinschaft nur arbeitsteilig verwirklichen zu lassen. Zwei verschiedene soziale Regelsysteme müssten sich in je unterschiedlicher institutioneller Form ergänzen. Auf der ersten Eben bewirken Wettbewerb, Markt und auch das Vertragsrecht als Institution die Akkumulation und primäre Verteilung von Vermögen, Einkommen und Rechten. Auf der zweiten Ebene reguliert die basic structure den sozialen Hintergrund und gleicht durch Anpassungen und Kompensationen Ungleichheiten aus, die aus der Markt- und Eigentumsordnung resultieren. Insbesondere würden zu der so verstandenen Grundstruktur der Gesellschaft die Einkommens- sowie die Erbschaftssteuer gehören: „Thus…we arrive at the idea of a division of labor between two kinds of social rules, and the different institutional forms in which these rules are realized. The basic structure comprises first the institutions that define the social background and includes as well those operations that continually adjust and compensate for the inevitable tendencies away from background fairness, for example, such operations as income and inheritance taxation designed to even out the ownership of property.“405

Die so entstehende Zweistufenordnung entspricht der klassischen liberalen Tradition. Das Vertragsrecht scheint dabei den Gerechtigkeitsmaximen nicht unterworfen zu sein, weil es sich auf die gerechte Verteilung auf zweiter Stufe (paradigmatisch durch das Steuer- und Sozialrecht) verlassen kann. Gleichwohl ist die Funktion des Vertragsrechts in der Konzeption Rawls’ aber nicht völlig eindeutig. Denn Rawls hebt als weitere Aufgabe der basic structure hervor, die zwangsweise Verwirklichung der Regeln sicherzustellen, die Transaktionen und Vereinbarungen zwischen Einzelpersonen und Gesellschaften betreffen. Hier nennt er nun ausdrücklich vertragsrechtliche Institutionen als Beispiele: „This structure also enforces through the legal system another set of rules that govern the transactions and agreements between individuals and associations (the law of contract, and so on). The rules relating to fraud and duress, and the like, belong to these 403 404 405

Kordana/Tabachnick, George Washington Law Review 2005, 598, 605 f. Rawls, Political Liberalism, S. 267 f. Rawls, a.a.O., S. 268.

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rules, and satisfy the requirements of simplicity and practicality. They are framed to leave individuals and associations free to act effectively in pursuit of their ends and without excessive constraints.“406

Der erste Satz dieses Zitates legt bei isolierter Lektüre nahe, dass lediglich die Durchsetzung des Vertragsrechts – also insbesondere die Regeln und Einrichtungen einer effektiven Zwangsvollstreckung – zur basic structure gehören. Interessanterweise bezieht Rawls aber im zweiten Satz ausdrücklich die Regeln über „fraud and duress, and the like“ ein. Mit diesen Instituten sind wichtige vertragsrechtliche Institution angesprochen – im deutschen Recht wären etwa insbesondere die §§ 138 und 123 BGB betroffen. Dies spricht dafür, dass Rawls zumindest Teile des positiven Vertragsrechts auch der basic structure zurechnen wollte – mit der Konsequenz, dass die Gerechtigkeitsprinzipien zumindest auf diese Regeln Anwendung finden würden. Allerdings bleibt im Dunkeln, welche Regeln des Vertragsrechts Rawls im Einzelnen neben den Regeln über fraud und duress im Blick hat. Dass überhaupt weitere Regeln in Betracht kommen, ergibt sich aus der Formulierung aber gewiss („and the like“). Jedenfalls müssen die betroffenen Regeln einfach und praktisch handhabbar sein. Zudem sollen sie darauf abzielen, Privatrechtssubjekten die effektive Erfüllung ihrer eigenen subjektiven Zwecksetzungen zu ermöglichen. Allerdings muss im Rahmen der von Rawls anvisierten Arbeitsteilung auch Platz für Regeln bleiben, die unmittelbar auf einzelne Transaktionen anwendbar sind, aber eben nicht zur basic structure gehören. Rawls schwebt hier eine Sphäre größerer Freiheit vor, in denen die vielleicht zu strengen Forderungen der Gerechtigkeitsmaximen kontraproduktiv wären: „What we look for, in effect, is an institutional division of labor between the basic structure and the rules applying directly to individuals and associations and to be followed by them in particular transactions. If this division of labor can be established, individuals and associations are then left free to advance their ends more effectively within the framework of the basic structure, secure in the knowledge that elsewhere in the social system the necessary corrections to preserve background justice are being made.“407

Diese Trennung fasst er an einer weiteren Stelle erneut zusammen. Die hier formulierte Konzeption weist freilich starke Ähnlichkeiten zu dem liberalen Paradigma einer – vergleichsweise strikten – Beschränkung des Vertragsrechts auf Wohlstandsmaximierung auf, bei dem die Umverteilung des dann Erwirtschafteten im Wesentlichen Einrichtungen des öffentlichen Rechts vorbehalten ist:408

406 407 408

Rawls, a.a.O., S. 268. Rawls, a.a.O., S. 268 f. Vgl. dazu S. 99 ff.

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„Thus, the principles of justice, in particular the difference principle, apply to the main public principles and policies that regulate social and economic inequalities. They are used to adjust the system of entitlements and earnings and to balance the familiar everyday standards and precepts which this system employs. The difference principle holds, for example, for income and property taxation, for fiscal and economic policy. It applies to the announced system of public law and statues and not to particular transactions or distributions, nor to the decisions of individuals and associations, but rather to the institutional background against which these transactions and decisions take place.“409

Die Exegese der Aussagen Rawls’ soll damit abgeschlossen werden. Eine eindeutige Antwort auf die Frage, ob das Vertragsrecht zur basic structure gehört, lässt sich Rawls’ Ausführungen nicht entnehmen. Klar ist, dass die Regeln privater Transaktionen einfach und praktikabel sein sollen, während die Regeln der basic structure Gerechtigkeit herstellen und bewahren. Rawls’ oben diskutierten Äußerungen zeichnen zwar kein für den Vertragsrechtsdogmatiker befriedigendes Bild. Zumindest aber dürften für Rawls nicht alle Regeln des Vertragsrechts auch Teil der basic structure sein. Andererseits scheinen ihr zumindest manche Teile des Vertragsrechts anzugehören – namentlich die Regeln über duress, fraud und ähnliche Bestimmungen des Vertragsrechts. Die Exegese der Texte Rawls’ führt insofern nicht zu einer eindeutigen Antwort. Liest man die hier untersuchten Textstellen in ihrem Zusammenhang, scheint Rawls aber das Vertragsrecht von der basic structure ausnehmen zu wollen. Dies entspricht auch der Auffassung etlicher Interpreten Rawls. Die herrschende Interpretation beschränkt die basic structure im Wesentlichen auf verfassungsrechtliche Grundfreiheiten und ein Besteuerungs- und Umverteilungssystem, das vornehmlich durch Einrichtungen des öffentlichen Rechts verwirklicht wird.410 Nur diese Institutionen sind demnach den Gerechtigkeitsprinzipien unterworfen. Das herrschende Verständnis spricht ein klares Urteil über das Vertragsrecht und sein Verhältnis zur basic structure: Das Vertragsrecht gehört danach – anders als wesentliche Teile des Verfassungsrechts und des Steuerrechts – nicht zu den Grundstrukturen der Gesellschaft (basic structure), die den Gerechtigkeitsprinzipien unterworfen sind.411 Die Exegese Rawls’ gibt 409

Rawls, Political Liberalism, S. 282 f. Vgl. Ackerman, Social Justice in the Liberal State, S. 195; Kronman, Yale Law Journal 1980, 472, 474 und 500; Mendola, The Monist 1988, 437, 439; Lucy, Oxford Journal of Legal Studies 1989, 132; Lyons, Ethics and the Rule of Law, S. 131 f.; Ripstein, Fordham Law Review 2004, 1811, 1813; Pogge, Realizing Rawls, S. 23. 411 Vgl. nur etwa Ackerman, Social Justice in the Liberal State, S. 195; Lyons, Ethics and the Rule of Law, S. 131 f.; Kronman, Yale Law Journal 1980, 472, 474 und 500; Mendola, The Monist 1988, 437, 439; Ripstein, Fordham Law Review 2004, 1811, 1813; Pogge, Realizing Rawls, S. 23; skeptisch dagegen Eidenmüller, in: Pies/Leschke (Hrsg.), John Rawls’ politischer Liberalismus, 1995, S. 123, 125, der die Grundregeln des Privatrechts – insbesondere die Eigentumsund Vertragsfreiheit als elemantere Bestandteile der Marktwirtschaftsordnung zur basic structure zählt. 410

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diese Einschätzung ohne weiteres her. Sie lässt sich aber auch mit Blick auf den größeren Kontext des Vertragsrechts erklären. Die Ausklammerung des Vertragsrechts aus der basic structure spiegelt das für den politischen Liberalismus maßgebliche Verständnis von Markt, Wettbewerb und sozialem Ausgleich wider.412 Freie Individuen generieren auf den durch Vertrag und Wettbewerb konstituierten Märkten möglichst hohe Gewinne. Die Gerechtigkeitsprinzipien – insbesondere das Differenzprinzip – könnten diese Funktion gefährden. Die gerechte Verteilung des so erzielten gesamtgesellschaftlichen Vermögens bleibt deshalb Institutionen vorbehalten, die von Markt, Wettbewerb und Vertragsrecht verschieden sind, insbesondere steuerrechtlichen und sozialrechtlichen Einrichtungen. Diese Konzeption ermöglicht es, potentielle Vorteile eines auf Freiheit und Wettbewerb basierten Marktsystems zu realisieren. Anreizfunktionen und Auslesefunktionen bleiben erhalten, Tüchtige werden für effiziente Entscheidungen auf den Märkten belohnt und zur Aufrechterhaltung oder weiteren Verbesserung ihrer Leistung motiviert. Die Verteilung des insgesamt Erwirtschafteten auf zweiter Stufe dient dem sozialen Ausgleich. Verteilungsgerechtigkeit wird erst hier – insbesondere auf der Ebene des öffentlichen Rechts – bewirkt. So lassen sich die Vorteile von Markt und Wettbewerb realisieren, ohne Ungerechtigkeiten besorgen zu müssen, die durch die zunächst ungefilterte Machtausübung Privater entstehen können. Kein Privater muss wegen seines schlicht den Bedingungen des Marktes gehorchenden Verhaltens ein „sozial schlechtes Gewissen“ haben; auch ein „kollektiv“ schlechtes Gewissen wird verhindert, da Gerechtigkeit auf zweiter Ebene realisiert wird. Der große Erfolg der Rawls’schen Gerechtigkeitstheorie lässt sich zu einem großen Teil mit diesen Vorzügen seiner Theorie erklären. Auch sind die so verstandenen Ergebnisse im Wesentlichen mit Gesellschaftsordnungen europäischer Prägung kompatibel. Die Attraktivität dieser Konzeption wird auch dadurch erhöht, dass Rawls zur Herleitung zumindest vordergründig nicht auf das Naturrecht zurückgreifen muss. Die Fiktion eines Gesellschaftsvertrages unter einem Schleier des Nichtwissens (veil of ignorance) führt zu Ergebnissen, die im Wesentlichen prozedural und kommunikativ begründet werden.413 Rawls führt zunächst die grundlegenden Gerechtigkeitsprinzipien auf einen fiktiven Diskurs in der original position zurück.414 Aber auch die Lösung sonstiger Verteilungs- und Vorrangkonflikte innerhalb der Gerechtigkeitsprinzipien erfolgt prozedural.415 412 S. dazu auch unten, S. 103 ff. Zu den Spielarten des politischen Liberalismus sowie Gegenströmungen in der politischen Theorie der Neuzeit von der Pfordten, Zeitschrift für philosophische Forschung 2000, 491. 413 Tschentscher, Prozedurale Theorien der Gerechtigkeit, S. 124 ff. 414 Rawls, A Theory of Justice, S. 120 ff. 415 Vgl. insbesondere Rawls, a.a.O., S. 83 ff. und S. 274 ff. Dazu auch Tschentscher, Prozedurale Theorien der Gerechtigkeit, S. 124 ff.; Ellscheid, in: Kaufmann/Hassemer/Neumann (Hrsg.), Einführung in die Rechtsphilosophie und Rechtstheorie der Gegenwart, S. 186 ff.

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2. Das Vertragsrecht als Teil der basic structure? – Teil 2: Eine funktionale Analyse Beschränkt man sich auf eine textnahe Exegese Rawls, lässt sich nur schwer begründen, weshalb das gesamte Vertragsrecht Teil der basic structure sein sollte. Dies legt nahe, sich von der Frage zu lösen, welche Rolle Rawls selbst letztlich dem Vertragsrecht zumisst. Stattdessen kann man sich der allgemeineren Frage zuwenden, welche Funktion das Vertragsrecht im Rahmen der Gerechtigkeitstheorie Rawls sinnvoll einnehmen kann. Im Folgenden wird das Vertragsrecht als Teil der basic structure unter diesem Blickwinkel untersucht. Könnte und sollte das Vertragsrecht auf der Grundlage einer Rawls’schen Gerechtigkeitstheorie zur basic structure gehören, so dass auch das Vertragsrecht von den Gerechtigkeitsprinzipien geleitet wird, die Rawls entwickelt hat? Insbesondere Kordana und Tabachnik haben in einer Reihe von Arbeiten die These entwickelt, dass sich das Vertragsrecht funktional der basic structure im Rawls’schen Sinne zuordnen lassen kann und soll.416 Konsequenz ihrer These ist, dass das Vertragsrecht als Teil der basic structure den Gerechtigkeitspostulaten Rawls’ unterliegt. Schon G.A. Cohen hatte vertreten, dass letztlich alle Bereiche des sozialen Lebens, die Auswirkungen auf die Güterverteilung der Gesellschaft haben, zur basic structure gehören.417 Die Grundthese G.A. Cohens lautet dabei: Das Persönliche ist politisch – The personal is political.418 Auch individuelle Entscheidungen und einzelne Verträge haben dieser Auffassung zufolge politischen Charakter, da sie an der Verteilung von Gütern, Chancen, Risiken und Möglichkeiten teilhaben. Diese Annahme raubt der basic structure jede konstruktive und einschränkende Bedeutung. In der Rechtspraxis scheint sie nur schwer verwirklichbar. Die Anwendung der spezifischen, aber begrenzten Gerechtigkeitsprinzipien auf jeden Einzelfall würde eine vertragsrechtliche Dogmatik, die ganz unterschiedliche Verteilungsgesichtpunkte ordnet und strukturiert, unmöglich machen. Die auch für die Rechtssicherheit, den Vertrauensschutz und die Vorhersehbarkeit so wichtige Filterfunktion juristischer Dogmatik ließe sich auf dem Boden dieser Auffassung kaum verwirklichen.419 416 Kordana/Tabachnick, George Washington Law Review 2005, 598; Kordana/Tabachnick, Social Philosophy & Policy 2006, 142; Kordana/Blankfein-Tabachnick, Social Philosophy & Policy 2008, 288; s. auch schon Eidenmüller, in: Pies/Leschke (Hrsg.), John Rawls’ politischer Liberalismus, 1995, S. 123, 125 ff. In neueren Schriften lehnt Eidenmüller freilich das Privatrecht wegen Effizienzverlusten und seiner geringen Effektivität und Präzision zumindest als Instrument zur Realisierung sozialer Umverteilungsgerechtigkeit ab, vgl. Eidenmüller, in: Schulze/von Bar/Schulte-Nölke (Hrsg.), Der akademische Entwurf für einen Gemeinsamen Referenzrahmen, 2008, S. 73, 83 ff. und dazu näher unten, S. 272 ff. 417 G.A. Cohen, Philosophy and Public Affairs 1997, 3. 418 G.A. Cohen, Philosophy and Public Affairs 1997, 3. 419 Zum Wert der juristischen Dogmatik auch etwa Esser, in: Baur (Hrsg.), Funktionswandel der Privatrechtsinstitutionen, 1974, S. 517; Collins, Regulating Contracts, S. 42 f.; R. Stürner, JZ 2012, 10.

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Kordana und Tabachnik verteidigen die Zuordnung des Vertragsrechts zur basic structure mit einer subtileren Argumentation. In ihren Augen kann das Vertragsrecht als Teil der basic structure betrachtet werden, ohne dass die Gerechtigkeitstheorie Rawls’ konturenlos würde. Dieser Ausgangspunkt ist schon deshalb begrüßenswert, weil sie den von G.A. Cohen postulierten Zusammenbruch420 Rawls’ Gerechtigkeitstheorie vermeidet. Kordana und Tabachnik zufolge erfassen die Gerechtigkeitsprinzipien Rawls alle sozialen Einrichtungen, die Einfluss auf die Lebensaussichten einzelner haben.421 Dazu gehöre auch das Vertragsrecht, das demnach den Gerechtigkeitsprinzipien unterworfen sei. Ihre Argumentation nimmt ihren Ausgangspunkt bei dem oben erläuterten422 ersten Gerechtigkeitsprinzip, das im Wesentlichen verfassungsmäßig gesicherte Freiheitsrechte gewährt, die allein durch die entsprechenden Freiheitsrechte aller anderen wechselseitig begrenzt sind. Dieses Gerechtigkeitsprinzip lege zwar keine spezifische Version des Vertragsrechts fest. Aus ihm folge allerdings, dass zumindest manche Vertragsschlussoptionen offen stehen müssten, und der Staat zumindest manchen Aspekten privater Versprechen und Verträge zur Durchsetzung verhelfen müsse.423 Dabei stünden dem Staat aber verschiedene Optionen offen. Insofern können sich Kordana und Tabachnik auch auf eine Bemerkung Rawls’ stützen, wonach die Vertragsfreiheit, wie sie in der Auffassung eines laissez-faire-Liberalismus verstanden werde, nicht unter das erste Gerechtigkeitsprinzip falle.424 Einige Aspekte des Vertragsrechts könnten etwa zu einer größeren Freiheit führen, auf vertragliche Vereinbarungen zu vertrauen und so der nach der ersten Gerechtigkeitsmaxime angestrebten Maximierung individueller Freiheiten führen.425 Vor allem aber leiten Kordana und Tabachnik die Zugehörigkeit des Vertragsrechts zur basic structure aus dem zweiten Gerechtigkeitsprinzip ab, insbesondere dem Differenzprinzip.426 Nach diesem Gerechtigkeitsgrundsatz müssen ungleiche Verteilungen dadurch gerechtfertigt sein, dass sie sich zum Vorteil der schwächsten Glieder der Gesellschaft auswirken.427 Dieses Prinzip verlange nun – anders als im herkömmlichen Verständnis propagiert – nicht, dass die Verteilung durch Institutionen des öffentlichen Rechts bewirkt wird. Vielmehr könne die vom Differenzprinzip geforderte Verteilung auch unmittelbar 420

G.A. Cohen, Philosophy and Public Affairs 1997, 3, 11: „I shall show that it shipwrecks not only the basic structure objection but also the whole approach to justice that Rawls has taught so many to pursue.“ Dagegen Kordana/Tabachnick, George Washington Law Review 2005, 598, 606; Kordana/Tabachnick, Social Philosophy & Policy 2006, 142, 147 ff. 421 Kordana/Tabachnick, George Washington Law Review 2005, 598, 607; Kordana/Blankfein-Tabachnick, Social Philosophy & Policy 2008, 288, 300 ff. 422 S. oben, S. 68 f. 423 Kordana/Tabachnick, George Washington Law Review 2005, 598, 610. 424 Rawls, in: Freeman (Hrsg.), Collected papers, 1999, S. 232, 239. 425 Kordana/Tabachnick, George Washington Law Review 2005, 598, 612. 426 Kordana/Tabachnick, a.a.O., 614 ff. 427 S. dazu schon oben, S. 69 ff.

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durch eine Regulierung des Vertragsrechts erfolgen.428 Die Gerechtigkeitsprinzipien Rawls – insbesondere das Differenzprinzip – beinhalten Kordana und Tabachnik zufolge keine Entscheidungskriterien bezüglich der Frage, welche rechtlichen Institutionen zu instrumentalisieren sind, um die richtigen Verteilungsergebnisse zu realisieren.429 Es verlange lediglich, dass der Staat überhaupt Institutionen zur Verfügung stelle, mittels derer diese Realisierung erfolgen kann.430 Die herkömmliche Differenzierung zwischen den Funktionen des Vertragsrechts einerseits und öffentlichen Ausgleichsmechanismen andererseits passe nicht gut mit der institutionellen Offenheit der Konzeption Rawls zusammen. Selbst wenn man ein Besteuerungssystem in empirischer Betrachtung am besten dafür geeignet hält, die Rawls’schen Gerechtigkeitsprinzipien zu verwirklichen, diene das Vertragsrecht diesen Prinzipien insofern, als es sich zugunsten einer Verteilung durch das Besteuerungssystem zurückziehe.431 Allerdings melden Kordana und Tabachnik auch berechtigte Zweifel daran an, ob gerade die Rawls’schen Gerechtigkeitsforderungen am besten über ein öffentlich-rechtlich organisiertes Steuer- und Übertragungssystem erreicht werden können.432 Sie weisen insbesondere auf die sozialen Grundlagen des Selbstrespekts hin, die zu den grundlegenden Gütern gehören, die nach Prinzipien der Verteilungsgerechtigkeit verteilt werden. Dadurch könnte ein vertraglicher Ausgleichsmechanismus gerechtfertigt sein, selbst wenn bei reiner Effizienzbetrachtung materielle Ungleichgewichte über öffentliche Ausgleichsinstitutionen auszugleichen wären.433 Dies zeige auch, dass sich die Gerechtigkeitskonzeption Rawls’ nicht gut damit vereinbaren lasse, das Vertragsrecht ausschließlich als Instrument zu betrachten, das im Zusammenspiel mit Markt und Wettbewerb der Maximierung des zu verteilenden Gesamteinkommens dient.434 Die Analyse Kordanas und Tabachniks ist bis zu diesem Punkte beifallswert, weil sie die Neutralität der Rawls’schen Gerechtigkeitskonzeption mit Blick auf die zur Verteilung geeigneten Institutionen herausarbeitet. Die Trennung zwischen Vertragsrecht, Markt und Wettbewerb auf der einen Seite und öffentlichen Verteilungsmechanismen auf der anderen Seite, bildet eine naheliegende institutionelle Umsetzung der Gerechtigkeitsmaximen Rawls’. Sie ist aber keineswegs zwingend. Rawls’ Konzeption schließt nicht aus, dass Verteilungsgerechtigkeit auch unmittelbar durch eine Regulierung des Vertragsrechts realisiert wird. Kordana und Tabachnik gehen allerdings über diese be428

Kordana/Tabachnick, George Washington Law Review 2005, 598, 615 f. Auch Zacher hält die soziale Aufgabe des Rechts für universal, s. Zacher, DÖV 1970, 3. 430 Kordana/Tabachnick, George Washington Law Review 2005, 598, 616. 431 Kordana/Tabachnick, George Washington Law Review 2005, 598, 616 f. Dies vertreten etwa für das Effizienzkriterium Kaplow/Shavell, The Journal of Legal Studies 1994, 667. 432 Kordana/Tabachnick, George Washington Law Review 2005, 598, 617 f. 433 Kordana/Tabachnick, George Washington Law Review 2005, 598, 617 f. 434 Kordana/Tabachnick, George Washington Law Review 2005, 598, 617 f. 429

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grenzte Einsicht weit hinaus. Sie fordern, dass nicht nur manche Regeln des Vertragsrechts, sondern alle Regeln des Vertragsrechts zur basic structure gehören und den Gerechtigkeitspostulaten Rawls’ unterliegen.435 Alle Vertragsregeln seien dem Differenzprinzip unterworfen, selbst soweit das Vertragsrecht scheinbar unbegrenzte Freiheitsausübung zulasse.436 Denn von einer externen Perspektive betrachtet, würden auch solche Vertragsregeln den Forderungen des Differenzprinzips nachkommen. Potentiell würden alle Verträge, ja alle sozialen Arrangements politischen und rechtlichen Verteilungsentscheidungen unterliegen.437 Wo bei einer internen Betrachtung unbegrenzte Freiheit herrsche, habe sich bei externer Betrachtung in Anwendung des Differenzprinzips ergeben, dass diesem am besten durch unbeschränkte Freiheit gedient ist. Selbst wenn die Regeln des Vertragsrechts zur Erfüllung des Differenzprinzips einer Ergänzung durch andere Institute bedürften, folge nicht, dass das Vertragsrecht außerhalb der basic structure liege. Vielmehr folge daraus lediglich, dass das Vertragsrecht für sich allein genommen den Gerechtigkeitsprinzipien nicht vollständig genügt.438 Wenn das Vertragsrecht den Gerechtigkeitsprinzipien unterworfen ist – wie Kordana und Tabachnik annehmen – scheint logische Konsequenz zu sein, jede Vertragsbeziehung unmittelbar den Gerechtigkeitsprinzipien (insbesondere dem Differenzprinzip) zu unterwerfen. Diese Konsequenz ziehen Kordana und Tabachnik aber nicht. Vielmehr seien einzelne Verträge frei von einer direkten Steuerung durch das Differenzprinzip.439 Dies begründen sie insbesondere mit dem ersten Gerechtigkeitsprinzip: Dieses rechtfertige ein weites Verständnis der Vertragsfreiheit, selbst wenn deren Umfang mit dem zweiten Gerechtigkeitsprinzip konfligiert. Dies lasse sich mit dem von Rawls entwickelten Vorrang des ersten Gerechtigkeitsprinzips rechtfertigen.440 Kordana und Tabachnik weisen dem Vertragsrecht so mit überzeugenden Argumenten einen Platz innerhalb der Rawls’schen Gerechtigkeitsprinzipien zu. Das Vertragsrecht sollte als eine von vielen Institutionen betrachtet werden, die in einer Rechtsordnung instrumentalisiert werden können, um die Gerechtigkeitsidee zu verwirklichen. Eine Sonderrolle des Vertragsrechts ist auch im Rahmen der Gerechtigkeitstheorie John Rawls’ nicht überzeugend zu rechtfertigen. Vielmehr bietet das Vertragsrecht subtile Regulierungsmöglichkeiten, die nicht von vornherein ausgeschlossen werden sollten. In einer Demokratie obliegt es natürlich in erster Linie dem Gesetzgeber, in welchem Umfang und 435

Kordana/Tabachnick, George Washington Law Review 2005, 598, 618 ff. Zur erkenntnistheoretischen Unmöglichkeit unbegrenzter Freiheit s. im Kontext der Privatautonomie auch Wagner-von-Papp, AcP 2005, 342. 437 Kordana/Tabachnick, George Washington Law Review 2005, 598, 619: „We maintain that all social arrangements are considered as possible subjects of political and legal policy.“. 438 Kordana/Tabachnick, George Washington Law Review 2005, 598, 619. 439 Kordana/Tabachnick, George Washington Law Review 2005, 598, 620 ff. 440 Rawls, A Theory of Justice, S. 40 ff. 436

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mit welchen konkreten Verteilungsmaßstäben auch das Vertragsrecht zur Erreichung distributiver Ziele eingesetzt wird. Das Vertragsrecht aus den Gerechtigkeit schaffenden Institutionen vollständig auszuklammern, ist aber gerade im Rahmen einer Marktwirtschaft kaum nachvollziehbar.441 Faktisch erfolgt hier der Großteil aller Vermögensverteilungen innerhalb eines durch Vertrag und Wettbewerb konstituierten Marktes. Für das Vertragsrecht kann die Frage nie lauten, ob verteilt wird. Fragen kann man nur, nach welchen Maßstäben und Regeln die Verteilung erfolgen soll. 3. Das Vertragsrecht im System der gesamten basic structure Die Analyse Kordanas und Tabachniks bestätigt, dass auch das Vertragsrecht in einer Rechtsordnung der Gerechtigkeit dienen kann. Dies gilt zunächst für die insgesamt durch das Vertragsrecht generierten Verteilungen. Diese Verteilungen dürfen zunächst auf lange Sicht zumindest nicht zu offenkundig ungerechten Ergebnissen führen.442 Darüber hinaus können sich aber auch die einzelnen Vertragsergebnisse als gerecht in der Verteilung bewähren. Die Flexibilität der Verteilungsgerechtigkeit, ihre Offenheit für verschiedene Verteilungsmaßstäbe ermöglicht dies. So lässt sich auch das Verteilungsergebnis eines Vertrages als gerecht bewerten, bei dem die eine Partei ein sehr schlechtes Geschäft gemacht hat, ohne dass die Grenzen des § 138 BGB erreicht wären. Denn auch die Vertragsfreiheit lässt sich grundsätzlich als Forderung des ersten Gerechtigkeitsprinzips verstehen.443 Selbstbestimmung muss in Grenzen auch zulässig sein, wenn keine vollständige Leistungsäquivalenz erreicht ist. Im Rahmen einer Marktwirtschaft ist dies unerlässlich. Kehrseite des schlechten Geschäftes ist das gute Geschäft. Wenn hierzu keine Freiheit besteht, werden Chancen beschnitten; die Motivation, geschäftliche Geschicklichkeit und Leistungsfähigkeit zu entwickeln, nimmt ab. Zugleich darf die vertragsrechtliche Analyse nie übersehen, dass das Vertragsrecht nur eines von vielen Instituten ist, die in einer Rechtsgemeinschaft der Gerechtigkeit dienen können. So sichert das Sozialrecht menschliche Grundbedürfnisse und gewährt ein menschenwürdiges Existenzminimum. Dazu treten etliche Vorschriften des Zwangsvollstreckungsrechts, die dem Schuldner sozialen Mindestschutz gewähren. Schließlich trägt im deutschen Recht ebenso wie in vielen anderen Rechtsordnungen die Möglichkeit einer Privatinsolvenz dazu bei, das Vertragsrecht von der Bürde zu entlasten, in jeder Situation ausschließlich alleinverantwortlich für das sozial gerechte Gesamtergebnis zu sein. Auch wenn eine isolierte Betrachtung des konkreten Verteilungsergebnisses einer Transaktion intuitiv zunächst ungerecht erscheint: Das Ergebnis kann mit Blick 441 Vgl. auch Campbell, Oxford Journal of Legal Studies 2000, 477; Collins, Current Legal Problems 1992, 49. 442 Canaris, Die Bedeutung der iustitia distributiva im deutschen Vertragsrecht, S. 63 ff. 443 Näher dazu unten, S. 259 ff.

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darauf gerecht sein, dass unbillige Härten durch andere Institutionen ausgeglichen werden. Von dieser Warte aus betrachtet können auch die Verteilungsergebnisse einzelner Verträge die Gerechtigkeitsidee verwirklichen. Auch wenn das Vertragsrecht der iustitia distributiva als Leitidee verpflichtet ist, gehört – in noch zu erarbeitenden Grenzen444 – auch eine formal verstandene Vertragsfreiheit zu den grundlegenden Verteilungsmaßstäben. Dies gilt schon wegen der durch diese ermöglichte Rechtssicherheit. Andere Forderungen der Gerechtigkeit – etwa der Grundsatz des Vertrauensschutzes, Äquivalenzkriterien oder Gedanken des Schwächerenschutzes – treten dabei ergänzend hinzu. Das so durch verschiedene Maßstäbe gebildete positive Vertragsrecht konkretisiert die Idee der Gerechtigkeit auch in ihrer Form der iustitia distributiva. In der richterlichen Rechtsanwendung bieten die positiven Regeln des Vertragsrechts die wichtigste Orientierung für den Richter. Das in Anwendung dieser Regeln generierte Verteilungsergebnis ist grundsätzlich als gerecht anzusehen. Der Richter darf dieses Ergebnis deshalb im Regelfall nicht korrigieren, etwa weil er in unmittelbarer Anwendung des Differenzprinzips aus sozialen Gründen ein anderes Ergebnis für richtig hält (etwa nach dem „deep pocket“-Gedanken). Dieser Vorrang des positiven Rechts hat allerdings Grenzen. Die erste Grenze folgt aus der mangelnden Determiniertheit des positiven Vertragsrechts. Oft ist nicht außer Zweifel, welches Verteilungsergebnis das positive Vertragsrecht als Ergebnis bestimmt. Hier muss der Richter auf der Grundlage herkömmlicher Auslegungskriterien das Ergebnis suchen.445 In deren Rahmen spielen auch die für die Verteilungsgerechtigkeit wichtigen Maßstäbe eine entscheidende Rolle. Die zweite Grenze hängt mit der ersten Grenze zusammen. Die Normen des Vertragsrechts können für bestimmte Fragen das konkrete Verteilungsergebnis offenlassen. Trotz redlicher Anwendung herkömmlicher Auslegungsmethoden kann der Richter auf Lücken stoßen, Lücken im Vertrag, aber auch Lücken im Gesetz. Auch hier ist aber keine freie Rechtsfindung zulässig, die auf bestimmte Verteilungskriterien (etwa der Bevorzugung der schwächsten Partei im Sinne des Differenzprinzips) gestützt wird. Dies würde eine verdeckte und auch aus verfassungsrechtlichen Gründen unzulässige Rechtsfortbildung darstellen.446 Vielmehr muss der Richter nun die zur Fortentwicklung des Rechts entwickelten Regeln beachten, die einen Ausgleich der verschiedenen Verteilungsmaßstäbe eher garantieren als eine freie Rechtsschöpfung des Richters.447 Die Dogmatik der Auslegung von Verträgen und 444

Unten, S. 226 ff. Grundlegend zur Gesetzesinterpretation durch den Richter Schünemann, in: Festschrift für Ulrich Klug, Band I, 1983, S. 169. 446 Foerste, JZ 2007, 122. S. zur legitimationstheoretischen Notwendigkeit und der sprachtheoretischen Möglichkeit der Gesetzesauslegung Schünemann, a.a.O. Die richterliche Rechtsfortbildung sollte offen als solche begründet werden, vgl.etwa Rüthers, NJW 2011, 434 m.w.N. 447 Zu diesen Regeln etwa Langenbucher, Die Entwicklung und Auslegung von Richterrecht; Neuner, Die Rechtsfindung contra legem. 445

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Gesetzen bietet ebenso wie die Dogmatik der rechtsfortbildenden Auslegung den vorrangigen Orientierungspunkt für die richterliche Entscheidung. Letzte Bestimmtheit können allerdings auch diese Regeln nicht erreichen. Dies ist auch der zwingenden Unbestimmtheit der Sprache geschuldet, die stets verschiedene Auslegungsmöglichkeiten zulässt.448 So lässt sich nicht vermeiden, dass letztlich auch die persönlichen Gerechtigkeitsüberzeugungen des Richters zur Konkretisierung der iustitia distributiva im Vertragsrecht beitragen.

F. Zum Bedeutungswandel des Begriffs der iustitia distributiva und zur Leistungsfähigkeit ihres Konzepts Der Bedeutungswandel der iustitia distributiva bei Rawls führt zu der Frage nach der Leistungsfähigkeit dieses Gerechtigkeitsbegriffs für eine moderne Vertragstheorie. Verteilungsgerechtigkeit als soziale Gerechtigkeit, wie ihn Rawls in seiner Gerechtigkeitstheorie ausformt, kommt dem nahe, was in einigen modernen Diskursen und oft auch in den Feuilletons der Tageszeitungen, unter Verteilungsgerechtigkeit verstanden wird. Rawls nimmt dieses Begriffsverständnis schon in seiner Terminologie vorweg. Er spricht kaum von Verteilungsgerechtigkeit (distributive justice), sondern verwendet meist den Begriff der „sozialen Gerechtigkeit“ (social justice). Der inhaltliche Schwerpunkt seiner Gerechtigkeitstheorie liegt dementsprechend bei sozialen Aspekten. Es geht ihm etwa um eine gerechte Vermögensverteilung innerhalb der Gesellschaft, um Bildungsgerechtigkeit und um Fragen einer menschenwürdigen Existenz. Diese Fokussierung teilen auch modernere Theorien sozialer Gerechtigkeit wie beispielsweise die Entwürfe Sens und Nussbaums, die soziale Gerechtigkeit vor allem als Gleichheit bestimmter grundlegender Befähigungen (capabilities) interpretieren.449 Die Konzentration auf Fragen der sozialen Gerechtigkeit bildet einen auffälligen Gegensatz zur Gerechtigkeitstheorie des Aristoteles. Diesem ging es im Wesentlichen um die Verteilung von Ämtern innerhalb einer politischen Gemeinschaft. Unterschiedlicher könnten die Fragestellungen kaum sein. Die Arbeit John Rawls verkörpert daher auch einen Bedeutungswandel des Begriffs der Verteilungsgerechtigkeit. Die einzelnen Schritte dieses Bedeutungswandels hat Fleischacker eindrucksvoll herausgearbeitet.450 Fleischacker bestreitet vehement, dass Verteilungsgerechtigkeit (distributive justice) – so wie der Begriff heute verstanden 448

Etwa Röhl, Allgemeine Rechtslehre, S. 33 ff.; Schnapp, JZ 2004, 473. S. inbes. Sen, Inequality Reexamined; Sen, in: Nussbaum/Sen, The Quality of Life, S. 30; Sen, The Idea of Justice, S. 225 ff.; Nussbaum, Frontiers of Justice: Disability, Nationality and Species Membership. Einführend Alexander, Capabilities and Social Justice, S. 53 ff. 450 Fleischacker, A Short History of Distributive Justice. 449

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wird – überhaupt auf Aristoteles zurückgeführt werden kann.451 Er exemplifiziert seine Kritik anhand einer Definition Roemers, die Fleischacker als adäquate Wiedergabe des modernen Begriffs der iustitia distributiva ansieht. „The theory of distributive justice – how a society or group should allocate its scarce resources or product among individuals with competing needs or claims – goes back at least two millennia. Aristotle and Plato wrote on the question, and the Talmud recommends solutions to the distribution of an estate among the deceased’s creditors.“452

Fleischacker zufolge lässt sich das hier beschriebene Konzept der Verteilungsgerechtigkeit, das auch die Gerechtigkeitstheorie Rawls einfängt, nicht auf Aristoteles zurückführen. Er führt im Wesentlichen drei Gründe an:453 1. Aristoteles habe das Problem der Zuordnung knapper Ressourcen nie unter der Überschrift „distributive justice“ erörtert und außerdem den Bedarf (need) nicht als Grundlage von Ansprüchen auf Ressourcen angesehen. 2. Plato habe bei seinen Ausführungen zur Aufteilung von Gemeinschaftseigentum nicht die gesamte Gesellschaft im Blick gehabt, er habe die Aufteilung auch nicht als Gerechtigkeitsforderung betrachtet. 3. Die Nachlassverteilung unter konkurrierenden Gläubigern hänge normaler Weise nicht von den Grundsätzen ab, nach denen eine Gemeinschaft oder Gruppe ihre Ressourcen verteilt. Erst in deutlich jüngerer Zeit werde die Güterverteilung in der Gemeinschaft als Gerechtigkeitsproblem betrachtet. Die Einwände Fleischackers sind auf den ersten Blick bestechend. Die von Aristoteles untersuchten konkreten Verteilungsprobleme haben mit den von Rawls ins Auge gefassten Fragestellungen nur wenig gemeinsam. Allerdings beruht Fleischackers Kritik auf einem äußerst engen Begriff der iustitia distributiva, der die formale Leistungsfähigkeit der von Aristoteles erarbeiteten Grundstrukturen der Verteilungsgerechtigkeit unterschätzt. Natürlich hätte Aristoteles das Konzept sozialer Gerechtigkeit in seiner modernen Prägung nicht geteilt. Aristoteles’ Analyse der Gerechtigkeitsformen und seine Ausarbeitung der Verteilungsgerechtigkeit hat gleichwohl auch dieses moderne Konzept geprägt. Die oben explizierte Diskussion der Gerechtigkeitsformen im 5. Kapitel der Nikomachischen Ethik entwickelt einen Begriff der Verteilungsgerechtigkeit, der in seiner weitgehenden Offenheit für unterschiedliche Maßstäbe auch die Verteilung bestimmter Ressourcen durch eine übergeordnete Instanz an die Rechtsunterworfenen erklären kann. Diese Verteilungsvorgänge erörtert Aristoteles zwar nicht explizit. Sie lassen sich aber ohne weiteres der von Aristoteles erarbeiteten Struktur der iustitia distributiva zuordnen – ohne diese freilich zu erschöpfen. Dies wird auch deutlich, wenn man das von Aristoteles in seiner Politik entwickelte Bild des Idealstaats einbezieht: 451 452 453

Fleischacker, A Short History of Distributive Justice. Roemer, Theories of Distributive Justice, S. 1. Fleischacker, A Short History of Distributive Justice, S. 3 ff.

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Dieser hat unter anderem die Aufgabe, „Gleichheit“ zu gewähren. Dies ist selbstverständlich mit vielen Einschränkungen zu lesen. Insbesondere hatte Aristoteles nur die männlichen volljährigen Vollbürger der polis im Blick. Dies mag aus heutiger Sicht kritikwürdig sein, ist aber im Kontext seiner Zeit zumindest nachvollziehbar. Interessant ist aber doch, dass Aristoteles in diesem Zusammenhang auch von der Verteilung von Lebensmitteln und Grundeigentum spricht.454 Damit soll Aristoteles keinesfalls als Vorreiter des modernen Sozialstaates dargestellt werden. Sozialstaatliche Gedanken sind hier allenfalls angedeutet.455 Wieder gilt daran zu erinnern, dass Aristoteles bei der Verteilungsgerechtigkeit im Wesentlichen nur eine Ressource im Blick hatte, nämlich die Verteilung von Ämtern. Die Ausführungen Aristoteles’ in der Politik lassen es aber doch als wahrscheinlich erscheinen, dass Aristoteles die in seiner Ethik entwickelte Struktur der Verteilungsgerechtigkeit auch etwa auf die Verteilung von Brot oder Boden angewendet hätte. Zur Verteilungsgerechtigkeit im Sinne Rawls sind von dort aus aber nicht mehr so viele Schritte zu gehen wie Fleischacker suggeriert. In struktureller Hinsicht ist der Einwand Fleischackers ohnehin nicht aufrecht zu erhalten. Aristoteles entwickelt eine Differenzierung der Gerechtigkeitsformen, die für unterschiedliche Kontexte fruchtbar gemacht werden kann. Daher kann sie auch für moderne Problemstellungen hilfreich sein; sie bildet auch die Grundlage für den hier zu entwickelnden Begriff der iustitia distributiva.456 Der zweite Kritikpunkt Fleischackers betrifft den Bedarf. Fleischacker betont im Ausgangspunkt zutreffend, dass der Bedarf als Entscheidungsmaßstab bei Aristoteles nicht ausdrücklich herausgestellt wird. Er setzt ihn aber doch als Grundlage voraus. Aristoteles dürfte dieses Element als so selbstverständlich betrachtet haben, dass er seine ausdrückliche Erwähnung für überflüssig hielt. Nur, wenn mindestens zwei Personen des zu verteilenden Gegenstands bedürfen, stellt sich ein Verteilungsproblem. Das lässt sich an dem viel zitierten Flötenbeispiel illustrieren. Hier ist es sinnlos, die gerechte Flötenverteilung zu diskutieren, wenn keiner der Flöten bedarf. Jeder Flötenspieler bedarf einer Flöte, sonst kann er seinem Beruf oder seiner Leidenschaft nicht nachgehen. Bei der Frage nach der richtigen Verteilung politischer Ämter scheint die Rede vom „Bedarf“ zweier Konkurrenten um die Ämtervergabe nur auf den ersten Blick keinen Sinn zu machen. Doch auch hier können die Personen des Amtes bedürfen: Sei es, um ihren Lebensunterhalt aus dem Sold zu bestreiten, sei es, um persönliche Eitelkeiten zu befriedigen. Auch der dritte Einwand Fleischackers, wonach sich die Verteilungsentscheidung erst im modernen Ver454 Aristoteles Politik, 1328 b 5–6 (Siebtes Buch, Kapitel 8: Nahrung), 1329 b 39 ff. (Siebtes Buch, Kapitel 10: Verteilung des Grundeigentums). S. dazu auch Frohlich, Social Justice Research 2007, 250, 250, 252. 455 Deutlich weitergehend, allerdings ohne hinreichende Belege Frohlich, Social Justice Research 2007, 250, 252. 456 Dazu eingehend unten, S. 135 ff.

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ständnis auf die gesamte Gesellschaft erstreckt, greift letztlich nicht durch. Fleischacker verkennt, dass Verteilungsentscheidungen stets auf bestimmte Gruppen begrenzt sind. Immer, wenn innerhalb einer nach bestimmten Kriterien definierten Personengruppe Verteilungsgegenstände zu verteilen sind, kann die Frage nach der Gerechtigkeit dieser Verteilung gestellt werden. Die Größe der Gruppe ist dabei von untergeordneter Bedeutung. Steuerentscheidungen etwa verteilen Lasten zwischen potentiellen Steuerzahlern der steuererhebenden Körperschaft. Betrachtet man dagegen Vorschriften des Verbraucherschutzrechts unter dem Aspekt der Verteilungsgerechtigkeit, so findet die Verteilung vor allem zwischen Verbrauchern und Unternehmern einer Rechtsordnung statt. Auch Fleischackers dritter Einwand geht ins Leere: Es muss keineswegs jede Verteilungsentscheidung von den gleichen Verteilungsmaßstäben bestimmt sein. Der Begriff der Verteilungsgerechtigkeit ist flexibel genug, auch unterschiedliche Verteilungssituationen mit unterschiedlichen Verteilungsmaßstäben zu erfassen. Gerade in dieser Flexibilität der iustitia distributiva liegt ihre Beständigkeit und Erklärungskraft für immer neue Entwicklungen von Recht und Gesellschaft. Fleischackers Kritik beruht auf einem überaus engen Begriff der iustitia distributiva:457 „Distributive justice in its modern sense calls on the state to guarantee that prosperity is distributed throughout society so that everyone is supplied with a certain level of material means.458

Diese Definition erfasst die iustitia distributiva von vornherein nur in ihrer Ausprägung als soziale Gerechtigkeit, wie sie etwa in den Arbeiten Rawls, Sens oder Nussbaums erarbeitet wird. Dieser Aspekt der Verteilungsgerechtigkeit ist in jüngerer Zeit auch durch das Bundesverfassungsgericht wieder betont worden: auch die Ärmsten der Gesellschaft haben danach einen Anspruch gegen den Staat, am Wohlstand der Gesellschaft teilhaben zu dürfen und mit den materiellen Bedürfnissen für ein menschenwürdiges Leben ausgestattet zu werden. Dieser spezifische Gedanke, der dem Konzept der Verteilungsgerechtigkeit durchaus zugeordnet werden kann (wenngleich er aus dem Konzept keineswegs zwingend folgt), ist in der Tat ein junger Gedanke. Nur mit Blick auf diesen engen Begriff ist die Kritik Fleischackers nachvollziehbar und berechtigt. Die von ihm aufs Korn genommene soziale Gerechtigkeit hat sicher Aristoteles und Platon kaum beschäftigt. Auch bei Thomas von Aquin ist das, was heute als Frage sozialer Gerechtigkeit diskutiert wird, keine Frage der Gerechtigkeit, sondern der Barmherzigkeit. Erst Jahrhunderte später ent457 Paden zieht aus der engen Begriffsbildung die Konsequenz, dass die These Fleischackers zwingend aus seiner Definition distributiver Gerechtigkeit folgt, vgl. Paden, Social Theory and Practice 2007, S. 352, 354. 458 Fleischacker, A Short History of Distributive Justice, S. 4.

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wickelt sich der Gedanke, die Gerechtigkeit könne verlangen, dass alle Bürger in ihrer Existenz gesichert werden müssten; modern ist auch die Idee, der Staat könne die Pflicht haben, für diese Existenzsicherung zu sorgen. Und äußerst jung ist die Vorstellung, der Einzelne könne gar einen Anspruch gegen den Staat etwa auf Gewährung eines menschenwürdigen Existenzminimums haben. „Armenrechte“ wurden lange Zeit eher als Gegenstand der Gnade als des Rechts betrachtet – ein Ansatz, den auch heute manche für vorzugswürdig halten.459 Hier betont Fleischacker einen oft vernachlässigten Punkt. Erst und ausgerechnet Adam Smith entwickelte diesen spezifischen Gedanken, wenngleich freilich in – nach heutigen Maßstäben – deutlich schwächerer Ausprägung.460 Fleischacker beklagt daher nur für diesen spezifischen Inhalt der Verteilungsgerechtigkeit zu Recht, dass ältere Vorbilder (etwa Aristoteles) zu Unrecht als Väter benannt werden. Die Kritik Fleischackers lässt die Erklärungskraft der bei Aristoteles und Thomas von Aquin erarbeiteten Differenzierung der Gerechtigkeitsformen unberührt. Das Konzept der iustitia distributiva lässt sich daher auch in seiner Funktion für das Vertragsrecht untersuchen und fruchtbar machen. Dabei entspricht nur ein weites Konzept der iustitia distributiva der bei Aristoteles und Thomas von Aquin erarbeiteten Offenheit und Flexibilität. Nur ein solches weites Verständnis erlaubt einen breiten Zugriff auf die Funktionen des Vertragsrechts, aber auch auf mögliche Gerechtigkeitsaspekte und deren Umsetzung.461 Soziale Umverteilungsgerechtigkeit ist dagegen nur ein spezifischer Aspekt der iustitia distributiva. Hier zeigt sich auch die Notwendigkeit, zwischen der Idee der Gerechtigkeit und den spezifischen Ausprägungen der Gerechtigkeitsidee zu unterscheiden.462 Die Gerechtigkeitsidee ist ein weit zu verstehender Oberbegriff und kann in ganz unterschiedlichen Ausprägungen spezifiziert sein. H.L.A. Hart illustriert dies anschaulich anhand des Prinzips, gleiche Fälle gleich zu behandeln.463 Dieses Prinzip ist universeller Bestandteil der Gerechtigkeitsidee. Eine Rechtsordnung, die dieses Prinzip nicht zu Grunde legt, stünde mit dieser Idee im Widerspruch. Sie würde auf Willkür basieren, Entscheidungen wären nicht vorhersehbar. Eine solche Rechtsordnung könnte nicht als gerecht bezeichnet werden. Der Gleichbehandlungsgrundsatz gehört daher zum Inbegriff der Gerechtigkeitsidee. Allerdings bietet dieses fundamentale Gerechtigkeitsprinzip für sich genommen keine Aussage darüber, welche Entscheidung im Einzelfall gerecht, welche ungerecht ist. 459 Nozick, Anarchy, State, and Utopia. In Deutschland dürfte diese Ansicht im politischen Diskurs in ihrer starken Form derzeit wohl nur von einer Minderheit geteilt werden. In den USA scheint sie dagegen im politischen Diskurs auch in ihrer starken Form verbreitet zu sein. 460 Fleischacker, A Short History of Distributive Justice, S. 17 ff. 461 Paden, Social Theory and Practice 2007, S. 352, 354 ff. 462 Hart, The Concept of Law, S. 159 ff.; Rawls, A Theory of Justice, S. 4 ff. 463 Hart, The Concept of Law, S. 59 ff. Vgl. auch Dreier, in: Dreier (Hrsg.), Recht-Staat-Vernunft, 1991, S. 8.

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Denn dazu muss bekannt sein, welche Fälle gleich, welche ungleich sind. Das Gleichbehandlungsprinzip ist an sich nur Form. Es ist offen für und angewiesen auf inhaltliche Konkretisierung. Diese inhaltliche Konkretisierung ist es erst, aus der Entscheidungen darüber möglich werden, was in bestimmten Einzelfällen gerecht, was ungerecht ist. Über die inhaltliche Konkretisierung des Gleichbehandlungsgrundsatzes sagt dieser Grundsatz selbst nichts aus.464 Die unterschiedlichsten Ausprägungen sind denkbar. So waren etwa für Aristoteles Menschen in bestimmten Aspekten nicht schon kraft ihres Menschseins gleich. Männliche Vollbürger der Polis waren anders zu behandeln als Frauen. Der Gleichbehandlungsgrundsatz würde also Aristoteles zufolge nicht verlangen, dass Frauen ebenso wie männlichen Vollbürgern der Polis das Wahlrecht zustehen muss. Dagegen dürfte zumindest in den westlichen Gesellschaften heute außer Frage stehen, dass Männer und Frauen mit Blick auf das Wahlrecht gleich zu behandeln sind. Die Gerechtigkeitsidee kann so unter dem Aspekt des Gleichbehandlungsgrundsatzes unterschiedliche Ausprägungen erfahren. Was für das Prinzip, gleiche Fälle gleich zu behandeln, gilt, gilt auch für das Prinzip gerechter Verteilung.465 Aus der Idee der Gerechtigkeit ergibt sich, dass die Verteilung potentiell knapper Güter unter vielen nach einem Maßstab erfolgen muss. Die Gerechtigkeitsidee würde eine maßstabsfreie Verteilung ausschließen, ganz ähnlich wie ein Prinzip des Inhalts, gleiche Fälle ungleich zu behandeln. Willkürliche Verteilung potentiell knapper Güter ist mit der Gerechtigkeitsidee daher nicht zu vereinbaren. Nach welchen Maßstäben und in welchen Situationen die Verteilung aber vorzunehmen ist, darüber kann man trefflich streiten. In der Tat werden viele politische und rechtliche Diskurse gerade über diese Frage geführt. Die Abhängigkeit konkreter Verteilungsinhalte von normativen Entscheidungen lässt sich etwa an dem von Aristoteles diskutierten Beispiel der Verteilung von Flöten illustrieren. Verteilungsmaßstab könnte hier zum einen die Begabung zum Flötespielen sein. Die besten Flöten müssten dann an die begabtesten Flötenspieler verteilt werden. Denkbar wäre aber auch, die Verdienste für die Gesellschaft zum Maßstab zu nehmen. Wer sich am meisten um die Gesellschaft verdient gemacht hat, müsste die besten Flöten erhalten. Auch innerhalb der jeweiligen Verteilungsmaßstäbe ist Streit darüber denkbar, wie diese zu konkretisieren sind. Der Maßstab der „Begabung“ könnte etwa daran bemessen werden, wie viele Konzerte ein Flötenspieler gegeben hat, wie gut diese Konzerte besucht sind oder welche Resonanz das Flötenspiel bei Musikkennern hervorgerufen hat. Denkbar ist aber auch, Begabung noch nicht als ausgeformte Könnerschaft zu verstehen, sondern als Talent, das später Großes erwarten lässt. So ließe sich etwa denken, die Begabung anhand der Erfolge in Nachwuchswettbewerben vor 464 465

Eingehend dazu Oechsler, Gerechtigkeit im modernen Austauschvertrag, S. 10 ff. S. auch Rawls, A Theory of Justice, S. 4 ff.

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Publikum und/oder Fachjuroren zu bestimmen. Ähnliches gilt für den Maßstab der Verdienste um die Gesellschaft. Hier könnte trefflich darüber gestritten werden, welche Verdienste zu berücksichtigen sind. Soll es nur um Verdienste auf musikalischem oder kulturellem Gebiet gehen? Oder können auch politische oder soziale Verdienste Berücksichtigung finden? Das Beispiel illustriert, dass die Idee der Verteilungsgerechtigkeit – ganz ähnlich wie der Gleichbehandlungsgrundsatz – offen für die unterschiedlichsten spezifischen Ausprägungen ist. Fleischacker hält die Differenzierung zwischen der Idee der Gerechtigkeit und ihren unterschiedlichen Ausprägungen dagegen mit Blick auf die Verteilungsgerechtigkeit nicht für hilfreich.466 Zu unterschiedlich seien die Vorstellungen, die Aristoteles und Rawls vertreten. Insbesondere sei für Aristoteles Verteilungsgerechtigkeit schon ihrer Idee nach mit dem Kriterium des Verdienstes verbunden. Damit lasse sich – schon der Idee nach – eine Verteilung nach Bedarf nicht vereinbaren. Gerade der Bedarf spiele aber in modernen Theorien der Verteilungsgerechtigkeit eine herausragende Rolle. Diese Argumentation kann letztlich nicht überzeugen. Fleischacker hebt mit Blick auf die unterschiedlichen Fragestellungen und Verteilungsentscheidungen etwa bei Aristoteles und Rawls hervor, dass manifest unterschiedliche Ergebnisse unter dem Banner der Verteilungsgerechtigkeit begründet werden können. Diese Beobachtung ist sicher zutreffend. Sie beschreibt aber kein Spezifikum der Verteilungsgerechtigkeit. Die Gerechtigkeitsidee zeichnet sich gerade dadurch aus, dass sie weitestgehend nur Form ist. Daraus ergibt sich zwangsläufig die Offenheit der Gerechtigkeitsidee für unterschiedliche Ausprägungen. Die Verteilungsgerechtigkeit als Bestandteil der Gerechtigkeitsidee unterscheidet sich in dieser Hinsicht etwa in keiner Weise von dem Gleichheitsgrundsatz. Das Beispiel des Wahlrechts illustriert, dass auch der Gleichheitsgrundsatz Raum für manifest unterschiedliche Ausprägungen lässt. Ein Vergleich der Gesellschaftsordnung Athens zu Zeiten Aristoteles etwa mit dem Deutschland von heute dürfte fast diametral entgegengesetzte Ausformungen des Prinzips ergeben, gleiche Fälle gleich zu behandeln. Gleichwohl können beide Gesellschaftsordnungen den Anspruch erheben, den Gleichheitsgrundsatz als Teil der objektiven Gerechtigkeitsidee in ihrer jeweiligen historischen Kontingenz zu konkretisieren.467 Darüber hinaus sei auch daran erinnert, dass der Bedarf als Ausgangspunkt jeder Verteilungsentscheidung auch bei Aristoteles nicht funktionslos ist. Zuzustimmen ist Fleischacker natürlich insoweit, als sich die von Aristoteles diskutierten Verteilungsprobleme von denjenigen unterscheiden, die im Fokus moderner Diskurse über Verteilungsgerechtigkeit stehen. Gerade diese Unterschiede beweisen aber das Verdienst des Aristoteles’ mit 466

Fleischacker, A Short History of Distributive Justice, S. 13 ff. Zur Kontingenz vertragstheoretischer Konzeptionen O’Reilly, Virginia Law Review 2006, 1581. 467

G. Verhältnis der iustitia distributiva zum öffentlichen und privaten Recht

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seiner Unterscheidung der Gerechtigkeitsformen Argumentationsstrukturen herausgearbeitet zu haben, die in ihrer weitgehenden formellen Offenheit ermöglichen, auch die heute akut erscheinenden Verteilungsprobleme aufzunehmen und zu verarbeiten.

G. Das Verhältnis der iustitia distributiva zum öffentlichen und zum privaten Recht Unabhängig von dem Bedeutungswandel des Begriffs der iustitia distributiva findet sich immer wieder ein fundamentaler Einwand gegen die Konkretisierung der Gerechtigkeitsidee als iustitia distributiva im Privatrecht – und damit auch im Vertragsrecht: Die iustitia distributiva sei die Gerechtigkeitsform des öffentlichen Rechts, die das Privatrecht beherrschende Gerechtigkeitsform sei dagegen die iustitia commutativa. Die bisherigen gerechtigkeitstheoretischen Überlegungen widerlegen diese These nicht. Selbst wenn sich die Gerechtigkeit als Idee des Vertragsrechts erwiesen hat und die iustitia distributiva eine Ausprägung der objektiven Gerechtigkeitsidee ist, folgt daraus nicht zwingend, dass die iustitia distributiva auch die Idee des Vertragsrechts ist. Denkbar ist vielmehr, dass das Vertragsrecht von anderen Ausformungen der objektiven Gerechtigkeitsidee – insbesondere von der iustitia commutativa – beherrscht wird. Für die Frage nach der Bedeutung der iustitia distributiva im Vertragsrecht ist daher der soeben formulierte Einwand zu widerlegen, der die iustitia distributiva dem öffentlichen Recht zuordnet und aus dem Privatrecht ausscheidet. Das Vertragsrecht ist Teil des Privatrechts und damit des privaten Sektors. Die iustitia distributiva kann im Vertragsrecht aber allenfalls eine marginale (etwa subsidiäre oder ergänzende) Funktion einnehmen, wenn die das Vertragsrecht beherrschende Gerechtigkeitsform die iustitia commutativa ist und es vielmehr das öffentliche Recht ist, das von der Gerechtigkeitsform der iustitia distributiva bestimmt ist. Diese Annahme gilt es in diesem Kapitel zu widerlegen.

I. Die These von der Verteilungsgerechtigkeit als Gerechtigkeitsform des öffentlichen Rechts Immer wieder wird die iustitia distributiva als diejenige Gerechtigkeitsform dargestellt, die das öffentliche Recht beherrscht, während dem Privatrecht im Wesentlichen die iustitia commutativa zugeordnet wird. Gustav Radbruch formuliert diese These einprägsam und prägnant: „Die ausgleichende Gerechtigkeit ist die Gerechtigkeit der Nebenordnung, die austeilende Gerechtigkeit will im Verhältnis der Über- und Unterordnung gelten. Die aus-

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§ 2 Rechtsphilosophische Grundlegung

gleichende Gerechtigkeit ist die Gerechtigkeit des Privatrechts, die austeilende Gerechtigkeit die Gerechtigkeit des öffentlichen Rechts.“468

Die für die Gerechtigkeitsformen maßgeblichen Sphären des Rechts sind dieser Auffassung zufolge geschieden. Die Sphäre der iustitia distributiva ist das öffentliche Recht, die der iustitia commutativa ist dagegen das Privatrecht. Das Vertragsrecht als zentraler Bestandteil des Privatrechts wird in dieser These von der iustitia commutativa beherrscht, der iustitia distributiva kann dagegen allenfalls eine subsidiäre oder ergänzende Funktion zukommen. Diese These von der iustitia distributiva als Gerechtigkeitsform des öffentlichen Rechts setzt zwingend voraus, dass öffentliches und privates Recht voneinander getrennt werden können und müssen. In der Radbruch’schen Formulierung kommt zugleich das für diese These maßgebliche Kriterium zum Ausdruck, das die Scheidung des öffentlichen vom privaten Recht ermöglichen soll: Das öffentliche Recht ist das Recht der Über- und Unterordnung, das Privatrecht das Recht der Nebenordnung.469 Diese Annahme ist in der politischen Theorie des 19. und des frühen 20. Jahrhunderts fest verwurzelt.470 Sie war von der Vorstellung beherrscht, private und öffentliche Sphären könnten und müssten streng auseinander gehalten werden.471 Im Reich privater Projekte herrsche Freiheit einzelner Individuen.472 Das öffentliche Recht sei dagegen – wie der Begriff der „Über- und Unterordnung“ plastisch macht – vom Herrschen einer den Individuen übergeordneten Hoheitsgewalt geprägt. In der öffentlichen Sphäre kann es danach zu Eingriffen in die Freiheit der Individuen kommen. Die Hoheitsgewalt setzt durch ihre Polizeigewalt das Recht gegen den ihr gegenüber stehenden, aber untergeordneten Bürgern notfalls mittels Zwangsgewalt durch. Das Private prägt dagegen das gleichberechtigte Nebeneinander der Individuen. Diese setzen dabei im Bereich des Vertragsrechts selbst das zwischen ihnen geltende 468 Radbruch, Rechtsphilosophie, S. 122. Ähnlich etwa Adomeit, Rechts- und Staatsphilosophie, S. 103; Coing/Honsell, in: Staudinger, Eckpfeiler des Zivilrechts, Einleitung zum BGB, Rn. 47; Honsell, in: Schermaier/Rainer/Winkel (Hrsg.), Iurisprudentia universalis, 2002, S. 287, 296; Lucy, Oxford Journal of Legal Studies 1989, 132; MacCormick, Institutions of Law, S. 263 f.; Wright, Iowa Law Review 1992, 625, 640 ff. und 707 ff.; Picker, in: E. Lorenz (Hrsg.), Karlsruher Forum 2004, 2005, S. 7, 20 und 28 ff.; M. Stürner, Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit im Schuldvertragsrecht, S. 361 f. Canaris sieht für das Vertragsrecht „ein deutliches Regel-Ausnahme-Verhältnis mit einem grundsätzlichen Vorrang der ausgleichenden Gerechtigkeit bei erheblichen Ergänzungen und Korrekturen durch die austeilende Gerechtigkeit“, vgl. Canaris, Die Bedeutung der iustitia distributiva im deutschen Vertragsrecht, S. 126. 469 S. dazu Radbruch, Rechtsphilosophie, S. 220 ff. Radbruch betrachtet die Rechtsbegriffe „privates“ und „öffentliches“ Recht als apriorische Begriffe. Die Unterscheidung sei bereits in der Rechtsidee angelegt. Geschichtlichen Wandlungen und Unterschieden in der Weltanschauung sei lediglich das Wert- und Rangverhältnis öffentlichen und privaten Rechts unterworfen. 470 Zur geschichtlichen Entwicklung Horwitz, University of Pennsylvania Law Review 1982, 1423; Habermas, Strukturwandel der Öffentlichkeit, S. 94 ff. 471 Horwitz, University of Pennsylvania Law Review 1982, 1423. 472 Horwitz, University of Pennsylvania Law Review 1982, 1423, 1424.

G. Verhältnis der iustitia distributiva zum öffentlichen und privaten Recht

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Recht. Die öffentliche Sphäre hat auf diesen privaten Herrschaftsbereich grundsätzlich keinen Zugriff. Vielmehr soll der private Sektor im Namen der Freiheit gegen staatliche Eingriffe verteidigt und geschützt werden.473 Wie weit das Private reicht, und wie weit das Öffentliche sich erstrecken darf, darüber könne und müsse im politischen Diskurs entschieden werden.474 Einigkeit herrscht aber darüber, dass das Private grundsätzlich gegenüber „öffentlicher“ Einmischung immun ist.475 Unbedenklich sei in der Privatrechtsgesellschaft allein die zwangsweise Durchsetzung des frei gesetzten privaten Rechts durch öffentliche Zwangsgewalt.476 Franz Böhm hat diese auch das 20. Jahrhundert prägende Konzeption der Privatrechtsgesellschaft477 bildhaft mit folgenden Worten umschrieben: „Die Privatrechtsgesellschaft bedarf, damit die Privatrechtsordnung die Pläne aller ihrer Mitglieder systemgerecht koordinieren kann, einer Mitwirkung politischer Herrschaftsfunktionen, wenn auch nur in bescheidenem Umfang und wenn auch bloß pfleghaft-gärtnerischen Charakters. Sie braucht, im Interesse ihres Kreislaufs, einen bewaffneten Nachtwächter; im übrigen aber werden die Pläne ihrer Mitglieder mit Hilfe des Privatrechts geräuschlos, automatisch und mit einem erstaunlichen Minimum von Reibungs- und Ungehorsamswiderstand gelenkt.“478

Diese Konzeption der Privatrechtsgesellschaft prägte die Entwicklung des modernen Vertragsrechts maßgeblich.479 Natürlich gibt es auch eine Tradition kritischer Reflexion dieses Verständnisses.480 Der privatrechtstheoretische Diskurs wird aber bis in die heutige Zeit vom traditionellen Konzept der Privatrechtsgesellschaft als „Reich der Freiheit“ dominiert.481 Das Vertragsrecht hat in dieser Konzeption im Grundsatz von distributiven Kriterien frei zu bleiben, die iustitia distributiva bildet vielmehr die Gerechtigkeitsform des öffentlichen Rechts. Diese These wird freilich heute stärker differenziert und 473

Mnookin, University of Pennsylvania Law Review 1982, 1429. Zu diesem politischen Diskurs vgl. Mnookin, University of Pennsylvania Law Review 1982, 1429, 1430 ff. 475 Habermas, Strukturwandel der Öffentlichkeit, S. 98 f. 476 Dazu aus libertärer Sicht eingehend Hayek, The Constitution of Liberty, S. 133 ff. 477 Zum Konzept der Privatrechtsgesellschaft jüngst Riesenhuber, in: S. Arnold (Hrsg.), Grundlagen eines europäischen Vertragsrechts, München 2014, S. 139 ff. 478 Böhm, Ordo 1966, 75, 87 f. 479 Grundlegend Böhm, Ordo 1966, 75; Böhm, Ordo 1971, 11; mit Unterschieden im Detail s. auch etwa Bydlinski, Das Privatrecht im Rechtssystem einer „Privatrechtsgesellschaft“; Zöllner, AcP 1988, 85; Bydlinski, AcP 1994, 319; Canaris, Die Bedeutung der iustitia distributiva im deutschen Vertragsrecht; Habermas, Strukturwandel der Öffentlichkeit, S. 94 ff.; Zöllner, Die Privatrechtsgesellschaft im Gesetzes- und Richterstaat, S. 22 ff. 480 Etwa Henkel, Einführung in die Rechtsphilosophie, S. 312 ff.; Röhl, in: Kaulbach/Krawietz (Hrsg.), Recht und Gesellschaft, 1978; Wiethölter, in: Baur (Hrsg.), Funktionswandel der Privatrechtsinstitutionen, 1974, S. 645. 481 Zur Privatrechtsgesellschaft im Europäischen Vertragrecht jüngst Riesenhuber, in: S. Arnold (Hrsg.), Grundlagen eines europäischen Vertragsrechts, München 2014, S. 139. 474

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§ 2 Rechtsphilosophische Grundlegung

weniger apodiktisch formuliert. Stellvertretend sei dies etwa an der Stellungnahme von Eidenmüller, Faust, Grigoleit, Jansen, Wagner und Zimmermann zum Gemeinsamen Referenzrahmen illustriert. Die Autoren bringen die auch für das Spielfeld des Europäischen Privatrechts wohl herrschende Trennungsthese zum Ausdruck. Sie kritisieren den Referenzrahmen, weil er über das Verhältnis potentiell konfligierender Grundprinzipien (wie Freiheit und Solidarität, Effizienz und Gerechtigkeit, Gerechtigkeit und Rechtssicherheit) schweigt und fahren fort: „Hier hätte man zumindest eine Stellungnahme zu der Frage erwarten dürfen, wie sich im Bereich des Vertragsrechts Effizienz – die Maximierung des Kuchens – und Solidarität bzw. iustitia distributiva – die Verteilung des Kuchens – zueinander verhalten, ob also das Vertragsrecht als Instrument zur Umverteilung von Vermögen überhaupt geeignet ist. Jedenfalls lässt sich zeigen, dass Umverteilungseffekte effizienter – also mit geringeren Wohlfahrtsverlusten – mittels Steuern und Transferzahlungen als mit privatrechtlichen Normen zu erzielen sind. Ähnlich dürfte der geeignetere Platz zur Verwirklichung von Solidarität, sozialer Verantwortung oder Nicht-Diskriminierung eher im öffentlichen Recht als im Privatrecht liegen. Es hätte eine gewisse Entlastung des Tableaus der Wertungsgrundlagen gebracht, wenn deutlicher zwischen Privatrecht und öffentlichem Recht unterschieden und die maßgeblichen Ziele auf genuin privatrechtliche beschränkt worden wären. Je mehr Ziele dem Privatrecht aufgebürdet werden, desto mehr gehen Rechtssicherheit und -klarheit verloren.“482

Auch im anglo-amerikanischen Rechtskreis ist die Trennung öffentlicher und privater Sphären und die korrespondierende Zuordnung der Gerechtigkeitsformen weit verbreitet. Besonders deutlich zeigt sich dies an Weinribs Theorie des Privatrechts. Privatrecht zeichnet sich für Weinrib ähnlich wie für Radbruch gerade dadurch aus, dass es frei von jeglicher Gerechtigkeitskonkretisierung in Form der iustitia distributiva ist und vielmehr von der iustitia commutativa beherrscht wird.483 Weinrib sieht im Zentrum privatrechtlicher Rechtsverhältnisse die Bipolarität von Kläger und Beklagtem. Die Gerechtigkeitsform des Privatrechts sei daher zwingend und ausschließlich die iustitia commutativa (in der Terminologie Weinribs: corrective justice).484 Aspekte der Verteilungsgerechtigkeit dürften im Privatrecht nicht berücksichtigt werden. Andernfalls würde das Privatrecht seine innere Stimmigkeit, seine Kohärenz verlieren.485

482 483 484 485

Eidenmüller/Faust/Grigoleit/Jansen/Wagner/Zimmermann, JZ 2008, 529, 535. Vgl. insbesondere Weinrib, The Idea of Private Law, S. 73 ff. und S. 210 ff. Weinrib, a.a.O., S. 73 ff. Weinrib, a.a.O., S. 73 ff.

G. Verhältnis der iustitia distributiva zum öffentlichen und privaten Recht

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II. Die Wurzeln der Trennung der öffentlichen von der privaten Sphäre Die Verbannung der iustitia distributiva aus dem Privatrecht lässt sich besser nachvollziehen, wenn die maßgeblichen Wurzeln der Trennung der öffentlichen von der privaten Sphäre erfasst sind. 1. Die freiheitliche Philosophie der Aufklärung als Wurzel der Trennungsthese Die Forderung nach einem Rückzug des Staates aus dem Privaten gründet zum einen in der freiheitlichen Philosophie der Aufklärung.486 Der absolutistische Staat behielt sich den Zugriff auf alle Lebensbereiche des Einzelnen vor. Staatsfreie Rückzugsorte des Einzelnen gab es nicht. Der aufgeklärte Staat akzeptiert sie dagegen. Ein wichtiges Kennzeichen dieser Akzeptanz ist die konzeptionelle Trennung von Staat und Gesellschaft. Diese Trennung ist geistesgeschichtlich insofern durchaus ein Erfolg. Die Philosophie der Aufklärung betonte die Freiheit des Einzelnen. Zugleich erblickte sie in der Zwangsgewalt des Staates eine Bedrohung individueller Freiheit.487 Paradigmatisch, wenngleich zugespitzt, formulierte etwa Herbert Spencer, für Köndgen der „wohl konsequenteste Theoretiker des Hochliberalismus“,488 im Jahre 1884: Liberalism habitually stood for individual freedom versus State-coercion.489

Welche staatlichen Eingriffe in private Sphären berechtigt sind, war freilich im Einzelnen höchst umstritten.490 Einigkeit bestand aber darin, dass jede Einmischung des Staates eines guten Grundes bedarf.491 Denn stets bedeute der staatliche Eingriff einen Eingriff in die zuvor unberührte Freiheit einzelner In-

486

Zur Geschichte der Unterscheidung Bullinger, Öffentliches Recht und Privatrecht, S. 13 ff.; Ehmke, in: Hesse (Hrsg.), Festgabe für Rudolf Smend, 1962, S. 23; Stolleis, in: Hoffmann-Riem (Hrsg.), Öffentliches Recht und Privatrecht als wechselseitige Auffangordnungen, 1996, S. 41; Grimm, Recht und Staat der bürgerlichen Gesellschaft, S. 84 ff.; für das Common Law vgl. etwa Horwitz, University of Pennsylvania Law Review 1982, 1423. 487 Collini, Liberalism and Sociology; L.T. Hobhouse and Political Argument in England 1880–1914, S. 13 ff. 488 Köndgen, Selbstbindung ohne Vertrag, S. 122. 489 Spencer, Social Statics, Abridged and Revised; Together with The Man Versus the State, S. 279. S. zum Individualismus auch von der Pfordten, in: Schulz (Hrsg.), Verantwortung zwischen materialer und prozeduraler Zurechnung, 2000, S. 17; von der Pfordten, Zeitschrift für philosophische Forschung 2000, 491. Zum „liberalen“ Ursprung der Trennung s. auch Benn/ Gaus, in: Benn/Gaus (Hrsg.), Public and Private in Social Life, 1983, S. 31; Cane, in: Eekelaar (Hrsg.), Oxford Essays in Jurisprudence, 1987, S. 57. 490 B. Fried, The Progressive Assault on Laissez Faire, S. 30 ff.; Collini, Liberalism and Sociology; L.T. Hobhouse and Political Argument in England 1880–1914, S. 16 ff. 491 B. Fried, a.a.O., S. 30.

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§ 2 Rechtsphilosophische Grundlegung

dividuen.492 Selbst fortschrittliche Denker teilten diesen Ausgangspunkt. So schreibt etwas Oliver Wendell Holmes in 1881: State interference is an evil, where it cannot be shown to be a good.493

Als eine der bedeutsamsten Freiheiten, die es vor staatlichen Eingriffen zu schützen galt, wurde die Vertragsfreiheit betrachtet.494 In der Vertragsfreiheit kulminiert die wirtschaftliche Betätigungsfreiheit des Einzelnen. Sie gestattet ihm, am Markt und am Wettbewerb teilzunehmen. In der Marktwirtschaft ist sie unverzichtbare Teilhabevoraussetzung. Die Gerechtigkeitsperspektive der iustitia distributiva, aus der sich Relativierungen der Vertragsfreiheit ergeben können, legt so einen unerwünschten staatlichen Eingriff in das aufklärerische Freiheitsideal nahe. 2. Markttheoretische Wurzeln der Trennungsthese Die zentrale marktwirtschaftliche Funktion der Vertragsfreiheit führt zu der zweiten maßgeblichen Wurzel der Trennung von Staat und Gesellschaft: den frühen Theorien des Marktes. So gründet die Trennung maßgeblich auch in den vornehmlich utilitaristischen Theorien des Marktes als Wohlstand maximierendes Idealinstrument. Diese Markttheorien sind aus heutiger Sicht simplizistisch, gleichwohl kommt ihnen prima facie hohe Plausibilität zu. Wohl deshalb liegen sie auch heute noch vertragsrechtlichen Theorien zu Grunde495 – freilich mit etlichen Differenzierungen und Einschränkungen: Anerkannt ist inzwischen, dass der Markt institutioneller Grenzen bedarf, die insbesondere durch das Kartell- und Wettbewerbsrecht gesetzt werden.496 Der Fokus richtet sich dabei aber stets darauf, die Funktionsbedingungen des Marktes zu sichern. Unberührt bleibt der Glaube an den Markt als optimalen Mechanismus der Vermögensmehrung einer Volkswirtschaft. Diese Vorstellung vom Markt lässt sich mit Fokus auf die Vertragsfreiheit grob wie folgt skizzieren.497 Freie Märkte gelten als bestes Mittel, den Gesamtwohlstand der Gesellschaft zu maximieren. Denn freiwillige Tauschgeschäfte maximieren die Gewinne einzelner Marktteilnehmer.498 Deshalb soll der private Sektor unter der 492

B. Fried, a.a.O., S. 30; Köndgen, Selbstbindung ohne Vertrag, S. 120. Holmes, The Common Law, S. 96 (Lecture 3). 494 Etwa Graham, English Political Philosophy from Hobbes to Maine, S. 360 ff.; Spencer, Social Statics, Abridged and Revised; Together with The Man Versus the State, S. 275 ff. 495 Vgl. auch Köndgen, Selbstbindung ohne Vertrag, S. 119. 496 S. dazu etwa Biedenkopf, in: Coing (Hrsg.), Wirtschaftsordnung und Rechtsordnung, 1965, S. 113; Mestmäcker, AcP 1968, 235. 497 Aus libertärer Sicht zu den Marktfunktionen etwa Friedman, Free to Choose; a Personal Statement, S. 9 ff. Zur Freiheitsidee als Grundlage der Markttheorien s. auch etwa H. Cremer, in: Fehling (Hrsg.), Regulierungsrecht, § 5. 498 Collini, Liberalism and Sociology; L.T. Hobhouse and Political Argument in England 1880–1914, S. 13 ff.; Böhm, Ordo 1966, 75; Kötz, in: Immenga/Möschel/Reuter (Hrsg.), Festschrift für Ernst-Joachim Mestmäcker, 1996, S. 1037, 1039 und 1046. 493

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Herrschaft der Vertragsfreiheit im Wesentlichen das gesamte Vermögen einer Gesellschaft mehren und aggregieren – ohne dass es auf die Verteilung dieses Vermögens unter den Bürgern ankommt.499 Diese Aggregierung erfolgt unter der Herrschaft des Marktes und durch die Handlungsfreiheit der Einzelnen. Der Freiheit im Privaten steht die Zwangsgewalt im Öffentlichen gegenüber. Nur der Staat darf Gewalt anwenden. Sein Gewaltmonopol gilt insbesondere auch für die zwangsweise Durchsetzung von Verträgen. So ist das Private das Reich der Freiheit, das Öffentliche das Reich der Zwangsgewalt.500 Der öffentliche Sektor wird zugleich offen für Forderungen der iustitia distributiva. So kann auf der Ebene des öffentlichen Rechts etwa die gerechte Verteilung bzw. Umverteilung der aggregierten Vermögen erfolgen.501 Dabei wird nicht übersehen, dass der Markt faktisch distributive Effekte hat.502 Das hieße ja, die Augen vor einer allzu offensichtlichen Realität zu verschließen: Die große Masse an Vermögensverteilungen erfolgt im marktwirtschaftlichen System naturgemäß auf und mittels Märkten.503 Entscheidend ist aber: Eingriffe in den Markt dürfen die Freiheit der Individuen nicht durch distributive Gerechtigkeitserwägungen beschneiden.504 Das würde die Funktionsfähigkeit des Marktes als vermögensmaximierende Instanz gefährden. Markteingriffe dienen vielmehr im Wesentlichen lediglich dazu, die Funktionsbedingungen des Marktes zu sichern. Die Funktionsfähigkeit des Marktes wird insbesondere durch das Verbot von Kartellen und sonstigen Wettbewerbsbeschränkungen gewährleistet.505 Das Vertragsrecht muss dagegen von Erfordernissen der iustitia distributiva freigehalten werden. Die iustitia distributiva erfolgt insbesondere in ihrer Erscheinungsform als soziale Umverteilungsgerechtigkeit auf einer vom Markt völlig getrennten Ebene: der Ebene des öffentlichen Rechts.506 Der liberalen Gerechtigkeitstheorie Rawls entspricht dieses Konzept, wenn das Vertragsrecht aus der basic structure ausgeklammert wird. Paradigma dieser Verteilung ist das Steuerrecht in Ergänzung durch das Sozialrecht. Das Steuer499

Dazu und zum Folgenden eingehend Collini, Liberalism and Sociology; L.T. Hobhouse and Political Argument in England 1880–1914, S. 13 ff.; s. auch Kersting, Theorien der sozialen Gerechtigkeit, S. 24 f. 500 So treffend B. Fried, The Progressive Assault on Laissez Faire, S. 31 unter Gegenüberstellung von Markt (market) und Regierung (government). 501 Etwa Kersting, Theorien der sozialen Gerechtigkeit, S. 24 ff.; Lucy, Oxford Journal of Legal Studies 1989, 132. 502 Auer, Materialisierung, Flexibilisierung, Richterfreiheit, S. 32 (w.N. dort in Fn. 70). 503 Dazu nur Collins, Regulating Contracts, S. 11. 504 In der ökonomischen Analyse des Rechts ist dieser Standpunkt ebenfalls herrschend, vgl. etwa Shavell, American Economic Review (Papers and Proceedings) 1981, 414; Kaplow/ Shavell, The Journal of Legal Studies 1994, 667; Kaplow/Shavell, Fairness versus Welfare, passim; G. Wagner, ZEuP 2007, 180; Eidenmüller, in: Schulze/von Bar/Schulte-Nölke (Hrsg.), Der akademische Entwurf für einen Gemeinsamen Referenzrahmen, 2008, S. 73, 83 ff., Eidenmüller, European Review of Contract Law 2009, 109, 121. 505 S. auch Mestmäcker, AcP 1968, 235. 506 Zacher, DÖV 1970, 3, 4; C. Fried, Contract as Promise, S. 103 ff.

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§ 2 Rechtsphilosophische Grundlegung

recht kann – etwa mittels progressiver Einkommensbesteuerung – Vermögen von reich nach arm umschichten, das Sozialrecht bewirkt durch Leistungszuweisungen die jeweils erwünschten weiteren Verteilungen.507 Ob und inwieweit solche Verteilungen oder Umverteilungen vorzunehmen sind, ist eine politische Frage, die freilich höchst umstritten und ständiger Gegenstand politischer Diskussionen ist. Je sozialer man die Marktwirtschaft gestalten will, je stärkeres Gewicht man auf – auch materielle – Gleichheit legt, desto mehr Verteilungsmaßnahmen durch das öffentliche Recht wird man für wünschenswert halten. Legt man dagegen größeres Gewicht auf die Eigenverantwortung des Einzelnen und will man Leistungsbereitschaft motivieren und stärken, wird man Verteilung nur in geringerem Maße propagieren. Dieser durchaus tagesaktuelle politische Streit beruht indes auf einer meist unausgesprochen Einigkeit im Gesamtkonzept: die Aggregierung des gesamtgesellschaftlichen Vermögens erfolgt durch den Mechanismus des Marktes, der das Privatrecht konstituiert. Erst auf der Ebene des öffentlichen Rechts wird dagegen Verteilungsgerechtigkeit bewirkt.508 Doch nicht nur in ihrer Erscheinungsform als soziale Umverteilungsgerechtigkeit gefährdet die iustitia distributiva Freiheit und Markt. Auch wenn die iustitia distributiva zur Inkorporation anderer regulativer Interessen herangezogen werden soll, können Freiheit und Markt nicht mehr ungehindert ihrer zentralen Aufgabe der Vermögensakkumulation nachkommen. Auch in der zeitgenössischen deutschen Philosophie finden sich deutliche Ausprägungen dieser Trennungsthese. So betrachtet etwa Kersting die Solidargemeinschaft (öffentliches Recht) als Ausgleichsmechanismus der effizienten – aber nicht notwendig gerechten – Ergebnisse des Marktes als „Kooperationsgemeinschaft“ (insbesondere Vertragsrecht): „Zwischen Kooperationsgemeinschaften und Solidaritätsgemeinschaften, insbesondere modernen Solidaritätsgemeinschaften, besteht eine eindeutige logische und historische Beziehung: Solidaritätsgemeinschaften sind logisch und geschichtlich später als Kooperationsgemeinschaften; sie therapieren die Versorgungsmängel und Ungleichheitsopfer von Kooperationsgemeinschaften, insbesondere der effizientesten Kooperationsgemeinschaft, die die Menschen bislang entwickelt haben, des kompetitiven Marktes.“509

Dabei erachtet Kersting – durchaus prototypisch – nur die Verteilungsergebnisse der Solidaritätsgemeinschaft als Verteilung durch den Staat:

507 Zur im Einzelnen natürlich komplexeren Systematik sozialer Umverteilung Zacher, DÖV 1970, 3, 5 ff. 508 Vgl. auch Adomeit, Arbeitsrecht für die 90er Jahre, S. 79, für den die „Ermöglichung der Rentabilität von Unternehmen …, frei gebildete Gewerkschaften und frei gewählte Betriebsräte vorausgesetzt, der gradeste Weg zur sozialen Gerechtigkeit“ ist. 509 Kersting, Theorien der sozialen Gerechtigkeit, S. 24.

G. Verhältnis der iustitia distributiva zum öffentlichen und privaten Recht

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„Wird einmal die Verteilung der materialen Güter den Tauschmechanismen des dezentralen Marktsystems überlassen, so wird die Verteilung im anderen Fall der markt-externen Instanz einer zentralistischen Bürokratie übertragen. Damit aber diese zweite solidargemeinschaftliche Verteilungsquelle überhaupt fließen kann, müssen Umverteilungen vorgenommen werden, müssen kooperativ erwirtschaftete Ressourcen der Verteilungshoheit des Marktes entzogen werden und in die Verteilungszuständigkeit des Staates übergehen.“510

3. Konsequenzen für das Vertragsrecht Für das Vertragsrecht führt die hier skizzierte Trennungsthese im Wesentlichen zur oben bereits diskutierten Position Hayeks:511 Das Vertragsrecht kann seine Rechtfertigung nicht aus den Verteilungsergebnissen gewinnen, zu denen es im Zusammenspiel mit Markt und Wettbewerb gelangt. Vielmehr ist die Grundlage des Vertragsrechts außerhalb dieser Effekte und jeglicher nicht marktorientierter Aufgaben zu suchen. Es überrascht mit Blick auf die Wurzeln der Trennungsthese keineswegs, dass die Grundlage des Vertragsrechts insbesondere in der Privatautonomie gefunden wurde. Die konstitutive Bedeutung der Privatautonomie für das Privatrecht gerade im Gegensatz zum öffentlichen Recht formuliert etwa Scherrer eindringlich: „Die Befugnis einer Partei, ohne Anlehnung an ein bestimmtes Gesetz oder sogar im Widerspruch zu dessen Wortlaut sich jemanden mit rechtlicher Wirkung zu verpflichten, wird heute allgemein Privatautonomie genannt. Nur solange eine solche anerkannt ist, wird man überhaupt noch ein besonderes Privatrecht in einen Gegensatz zum jus publicum stellen können. Ihr Verbot würde daher zur völligen Aufhebung des Privatrechtes führen.“512

Das Privatrecht hat in der Konsequenz frei von distributiven Steuerungsversuchen zu bleiben. Logische Folge ist die schon mehrfach erwähnte Zuordnung der iustitia distributiva ausschließlich zum öffentlichen Recht.513 Mit einiger Vereinfachung lässt sich dies in einer Aufgabenteilung von privater und öffentlicher Domäne anhand einer Gegenüberstellung von Vertragsrecht (als Privatrecht) und Steuerrecht (als öffentlichem Recht) veranschaulichen: Das Vertragsrecht ist blind gegenüber möglichen Anforderungen der distributiven Gerechtigkeit. Die iustitia distributiva – insbesondere die Umverteilung von Vermögen – wird erst über das Steuerrecht als öffentlichem Recht verwirk510

Kersting, a.a.O., S. 25. Oben, S. 16 ff. 512 Scherrer, Die geschichtliche Entwicklung des Prinzips der Vertragsfreiheit, S. 7. 513 Vgl. aus Sicht der ökonomischen Analyse des Rechts auch insbesondere Shavell, American Economic Review (Papers and Proceedings) 1981, 414; Kaplow/Shavell, The Journal of Legal Studies 1994, 667; Kaplow/Shavell, Fairness versus Welfare, passim; G. Wagner, ZEuP 2007, 180; Eidenmüller, in: Schulze/von Bar/Schulte-Nölke (Hrsg.), Der akademische Entwurf für einen Gemeinsamen Referenzrahmen, 2008, S. 73, 83 ff., Eidenmüller, European Review of Contract Law 2009, 109, 121; Polinsky, An Introduction to Law and Economics, S. 158 ff. 511

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§ 2 Rechtsphilosophische Grundlegung

licht.514 Dieses Konzept prägt den Stellenwert der iustitia distributiva im Vertragsrecht fundamental: Sie wird nicht als das Vertragsrecht prägende Gerechtigkeitsform angesehen. Auch Canaris kommt in seiner grundlegenden Schrift zur Bedeutung der iustitia distributiva im deutschen Vertragsrecht515 grundsätzlich zu diesem Ergebnis – freilich mit gewichtigen Einschränkungen. Canaris sieht in nahezu allen Vorschriften des dispositiven Vertragsrechts Ausprägungen nicht der iustitia distributiva, sondern der iustitia commutativa. Im Übrigen gelangt er zwar zu differenzierten Ergebnissen. Gleichwohl sieht er aber ein Regel- und Ausnahmeverhältnis zulasten der iustitia distributiva: Nur in eng begrenzten Ausnahmekonstellationen sind Vertragsparteien an Gebote der iustitia distributiva gebunden. Ebenso dürfen Normen des Vertragsrechts nur ausnahmsweise eingesetzt werden, um spezifisch distributive Zwecke zu erreichen.516 Insgesamt führt die Trennung öffentlicher und privater Sphären zu einer grundsätzlichen – allerdings durchlässigen – Zuordnung der jeweils passenden Gerechtigkeitsformen. In der öffentlichen Sphäre verteilt die Hoheitsgewalt an die ihr unterworfenen Bürger Rechte, Pflichten, Güter und andere Verteilungsgegenstände. Dabei soll sie die Gebote der iustitia distributiva möglichst beachten. Im Privaten fehlt dagegen eine verteilende Instanz. Die Bürger ordnen sich selbst das ihnen jeweils Zustehende durch freie Vereinbarung zu. Paradigma ist der Tausch, die maßgebliche Gerechtigkeitsform die der iustitia commutativa.

III. Die Grenzen der Trennungsthese und deren Konsequenzen für die Formen der Gerechtigkeit 1. Zum Stellenwert der Kritik an der Unterscheidung des öffentlichen vom privaten Recht Soweit die Zuordnung der iustitia distributiva zum öffentlichen Recht auf der Unterscheidung zwischen öffentlichen und privaten Sphären beruht, kann sie letztlich nicht überzeugen. Die Trennung der öffentlichen von der privaten Sphäre ist aus verschiedenen Perspektiven heraus kritisiert worden. Zugleich wurde auch die Trennung des öffentlichen vom privaten Recht mit gewichtigen Argumenten in Zweifel gezogen. Die Kritik nahm dabei je nach Ausgangspunkt und Zwecksetzung verschiedene Stoßrichtungen. Dies rührt aus 514 Prägnant etwa bei H. Roth, in: E. Lorenz (Hrsg.), Karlsruher Forum 2011: Verbraucherschutz – Entwicklungen und Grenzen (VersR-Schriften 47), 2012, S. 40; C. Fried, Contract as Promise, S. 103 ff. 515 Canaris, Die Bedeutung der iustitia distributiva im deutschen Vertragsrecht. 516 Canaris, a.a.O., S. 35, 78 ff., 119 ff.

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der Mannigfaltigkeit der mit der Trennung verfolgten Zwecke.517 Die Kritik soll hier nicht in ihrer Breite referiert werden.518 Erwähnenswert ist allerdings die Kritik Kelsens. Er lehnte den Dualismus zwischen öffentlichem und privatem Recht ab.519 Dieser ist für den strengen Rechtspositivisten Kelsen nämlich „die Maske, hinter der gewisse politische, d.h. aber naturrechtliche Elemente in die Darstellung des positiven Rechts einschleichen.“520 Kelsens Kritik bringt indes erstaunlich klar zum Ausdruck, dass die Trennung des öffentlichen vom privaten Recht politischen Charakter hat. Noch eindringlicher haben dies Autoren des Legal Realism zum Ausdruck gebracht. Deren Dekonstruktion der Unterscheidung des öffentlichen vom privaten Recht ist für eine Analyse der Bedeutung der iustitia distributiva im Vertragsrecht ausgesprochen fruchtbar. 2. Die Überordnung des Staates und die Funktion staatlicher Gewalt in der öffentlichen Sphäre als Grundlage der Trennungsthese Für das Verständnis dieser Kritik ist eine entscheidende Grundlage zu betonen, auf die sich die Zuteilung der iustitia distributiva allein zum öffentlichen Recht stützt. Diese exklusive Zuordnung und ihr Ausschluss aus dem Privatrecht (vor allem aus dem Vertragsrecht) beruht auf einer zentralen Prämisse: In der öffentlichen Sphäre wird der Staat als den gleichberechtigten Bürgern übergeordnete Instanz angesehen. Die öffentliche Gewalt, die hier Güter, Chancen und Risiken verteilt, ist gerade auch wegen ihrer Überordnung an die iustitia distributiva gebunden. Insofern kann sich die Trennungsthese auch auf die von Aristoteles und Thomas von Aquin entwickelten Strukturen der iustitia distributiva stützen: In deren Ausarbeitung setzt die für die iustitia distributiva maßgebliche Verwirklichung der Gleichheit als Ziel der Gerechtigkeit eine geometrische Proportion voraus. Deren Realisierung verlangt aber paradigmatisch nach mindestens drei Personen, die bildlich nach Art eines Dreiecks geordnet sind. Dabei verteilt ein übergeordneter Beteiligter an idealtypisch zwei Beteiligte nach einem Maßstab. In der privaten Sphäre herrscht die öffentliche Gewalt dagegen nicht in gleichem Maße. Sie wacht hier lediglich darüber, dass gleichberechtigte Privatrechtssubjekte in Ausübung ihrer Frei517 Vgl. dazu Lucy, in: Robertson/Wu (Hrsg.), The Goals of Private Law, 2009, S. 47; Cane, in: Eekelaar (Hrsg.), Oxford Essays in Jurisprudence, 1987, S. 57 (beide m.w.N.). S. aus dem deutschen Rechtskreis etwa Bachmann, der einen Mittelweg vorschlägt, Bachmann, Private Ordnung, S. 72 ff. und 413 ff.; Zumbansen, Ordnungsmuster im modernen Wohlfahrtsstaat, S. 212 ff. 518 Eindringliche Auseinandersetzungen mit der Trennungsthese aus mannigfaltigen Blickwinkeln heraus finden sich etwa in den Beiträgen bei Benn/Gaus (Hrsg.), Public and Private in Social Life, 1983; Passerin d’Entrèves/Vogel (Hrsg.), Public and Private, 2000 und Weintraub (Hrsg.), Public and Private in Thought and Practice, 1997. Für den deutschen Rechtskreis s. etwa Böckenförde, Die verfassungstheoretische Unterscheidung von Staat und Gesellschaft als Bedingung der individuellen Freiheit. 519 Kelsen, Hauptprobleme der Staatsrechtslehre (Vorrede), S. VIII f. 520 Kelsen, Hauptprobleme der Staatsrechtslehre, Vorrede, S. VIII.

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heitsrechte sich gegenseitig frei geben und nehmen. Insoweit scheint sich die von Aristoteles und Thomas von Aquin erarbeitete Grundstruktur der iustitia commutativa zu bewähren. Die sie beherrschende arithmetische Gleichheit setzt keine drei Beteiligten voraus, sondern lässt sich prototypisch allein im Verhältnis zweier Personen realisieren. Allein die Funktionsbedingungen von Markt und Autonomie sind im Bereich des Privatrechts nach der Trennungsthese durch öffentliche Gewalt zu sichern. Jede staatliche Kontrolle der konkreten Verteilungsergebnisse auf der Ebene des vertraglichen Austauschs wird vor diesem Hintergrund als grundsätzlich unzulässiger Eingriff in Freiheit und Autonomie der Privatrechtssubjekte suspekt. Diese Prämisse wurde insbesondere von Robert Hale und Morris Cohen – zwei herausragenden Vertretern des sog. Legal Realism – einer tiefgreifenden Kritik unterzogen.521 Für die Öffnung des Vertragsrechts zugunsten Forderungen der Verteilungsgerechtigkeit sind im Wesentlichen zwei Elemente ihrer Kritik wichtig. Hale und Cohen konnten erstens die Annahme widerlegen, dass die staatliche Kontrolle konkreter Verteilungsergebnisse von Vertrag und Markt ein grundsätzlich unzulässiger Eingriff in Freiheit und Autonomie von Privatrechtssubjekten ist. Zweitens – und mit dem ersten Punkt zusammenhängend – zeigten sie, dass das Privatrecht strukturell in gleicher Weise vom Wirken öffentlicher Gewalt durchzogen ist wie das öffentliche Recht. Diese Kritik kann wesentlich besser verstanden und eingeordnet werden, wenn man ihre Entstehungsgeschichte in den Blick nimmt. Diese gilt es daher in einem ersten Schritt zu erläutern, bevor Inhalt und Implikationen der Kritik im Einzelnen dargestellt werden. 3. Die US-amerikanische Rechtsprechung zur Vertragsfreiheit als Anlass der Kritik der herkömmlichen Sichtweise Der entscheidende Auslöser für die im US-amerikanischen Legal Realism entwickelte Kritik an der Unterscheidung öffentlich-privat waren eine Reihe von Urteilen des US Supreme Court. Sie betrafen Fragen der Regulierung des Arbeitsmarktes, in einem Klima höchster politischer Brisanz.522 Die Rechtsprechung hatte die Vertragsfreiheit zu einem verfassungsrechtlich durch die due progress clauses des 5. und 14. Amendments der US-amerikanischen Verfassung erhoben. Auf dieser Grundlage erklärte der Supreme Court in einer Reihe von Entscheidungen etliche Gesetze für verfassungswidrig, in denen er 521 Die Literatur zum US-amerikanischen Legal Realism ist unüberschaubar. S. insbesondere Horwitz, The Transformation of American Law, S. 33 ff., insbes. S. 169 ff. und 193 ff.; B. Fried, The Progressive Assault on Laissez Faire; Hale, Political Science Quarterly 1923, 470; M. Cohen, The Cornell Law Quarterly 1927, 8; M. Cohen, Harvard Law Review 1933, 553; Hale, Columbia Law Review 1943, 605; einführend Fisher/Horwitz/Reed, American Legal Realism, 1993. Zum Verhältnis des Legal Realism zu dem Critical Legal Studies Movement s. etwa Frankenberg, in: Buckel (Hrsg.), Neue Theorien des Rechts, 2006, S. 97 m.w.N. 522 B. Fried, The Progressive Assault on Laissez Faire, S. 32 und 230.

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Einschränkungen der Vertragsfreiheit bei Arbeitsverträgen zugunsten der Arbeitnehmer erblickte.523 In Lochner v. State of New York hob der Supreme Court etwa ein Gesetz des Staates New York über höchstzulässige Arbeitszeiten von Bäckern als Verstoß gegen die Vertragsfreiheit auf.524 Coppage v. Kansas erklärte ein Gesetz für verfassungswidrig, dass es Arbeitgebern verbot, von ihren Arbeitnehmern die Unterzeichnung sog. „yellow-dog contracts“ zu unterzeichnen.525 Solche Verträge machten es zur Anstellungsvoraussetzung, dass die Arbeitnehmer während ihres Arbeitsverhältnisses keiner Gewerkschaft beitreten würden.526 Sie waren ein Mittel, um die Entstehung oder Ausbreitung von Gewerkschaften zu verhindern. Entscheidungen dieser Art527 setzten den Rahmen für die progressiven Arbeiten junger US-amerikanischer Rechtswissenschaftler, die für den „American Legal Realism“ stehen. Ein zentraler Angriffspunkt dieser Autoren galt der Trennung der öffentlichen und der privaten Sphäre. Diese Kritik gilt es im Folgenden zu skizzieren und gegen denkbare Einwände zu verteidigen. Es wird zu zeigen sein, dass die Kritik in ihrem Kern auch heute noch berechtigt ist. Mit Blick auf den Untersuchungsgegenstand dieser Arbeit lässt sich aus dieser Kritik herleiten: Die iustitia distributiva kann nicht ausschließlich die Gerechtigkeitsform des öffentlichen Rechts sein, weil die Trennung des öffentlichen vom privaten Recht nicht in einer Form aufrecht erhalten werden kann, aus der sich die Zuordnung spezifischer Gerechtigkeitsformen herleiten ließe. 4. Der analytische Charakter der Kritik Der politische Hintergrund, in dem die American Realists schrieben, war höchst brisant:528 Es ging um die „soziale Frage“ und insbesondere um Gründe und Grenzen des Arbeitnehmerschutzes. Die herkömmliche Kritik an den arbeitgeberfreundlichen Entscheidungen der US-amerikanischen Gerichte bewegte sich dabei auf der Grundlage anerkannter politischer Theorien.529 Die Kritiker akzeptierten die fraglichen Arbeitnehmerschutzbestimmungen als hoheitlichen Eingriff in die Vertragsfreiheit und versuchten, diesen Eingriff zu rechtfertigen. Solche Rechtfertigungsversuche waren etwa die Bedeutung des Arbeitnehmerschutzes, das Erfordernis einer auch nachfrageorientierten Politik oder Argumente des Rechtsfriedens und der gesamtgesellschaftlichen Stabilität.530 Diese herkömmliche Kritik akzeptierte allerdings grundsätzlich die oben skizzierte Trennung der privaten und der öffentlichen 523 524 525 526 527 528 529 530

B. Fried, a.a.O., S. 32 ff. 198 U.S. 45 (1905). 236 U.S. 1 (1915). Vgl. B. Fried, The Progressive Assault on Laissez Faire, S. 32 f. Weitere Einzelheiten und Nachweise bei B. Fried, a.a.O., S. 32 ff. B. Fried, a.a.O., S. 32 ff. B. Fried, a.a.O., S. 33 ff. Vgl. B. Fried, a.a.O., S. 33 f.

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Sphäre.531 Dagegen bestand das Programm der American Legal Realists gerade darin, diese Trennung grundlegend anzugreifen und zu widerlegen. Sie versuchten zu zeigen, dass die herkömmliche Dichotomie privat-öffentlich nicht aufrechterhalten werden kann. Der Anlass dieser Kritik war politischer Natur. Ihr Inhalt ist indes strukturell-analytischer Natur und nicht mit einer bestimmten politischen Aussage verbunden. 5. Die Hohfeld’sche Analyse rechtlicher Beziehungen als Ausgangspunkt der Kritik Wegbereiter der Kritik an der Trennung des Öffentlichen vom Privaten sind die Analysen rechtlicher Beziehungen durch Wesley Hohfeld.532 Sie konnten fruchtbar gemacht werden, um die Grundlagen der Trennungsthese anzugreifen.533 Hohfeld wendete sich gegen das herkömmliche Verständnis von Eigentum und Vertrag als abstrakte Rechtspositionen, die ohne wesentliche Involvierung des Staates534 auf privater Ebene Vertragsrecht und Eigentumsordnung begründen können.535 Hohfeld schaffte eine präzise Terminologie zur Analyse der komplexen funktionalen Rechtsbeziehungen, die hinter abstrakten Konzepten wie „Eigentum“ oder „Vertragsfreiheit“ stehen. Zum Verständnis seiner Kritik gilt es zu vergegenwärtigen, dass Eigentum und Vertragsfreiheit keine fassbaren konkreten Phänomene dieser Welt sind (wie etwa Tische oder Bücher). Als abstrakte Rechtsbegriffe dienen sie Juristen, tatsächliche Phänomene zu erklären und Verbindlichkeiten zu beschreiben und zu begründen. Mit Begriffen wie dem des Eigentumsrechts umschreiben wir bei genauerer Betrachtung eine Reihe ganz unterschiedlicher Fähigkeiten und Befugnisse. Hohfeld erkannte vier Gruppen rechtlicher Kategorien: Ansprüche („rights“ bzw. „claim-rights“), Freiheiten („privileges, liberties“), Befugnisse („powers“) und Immunitäten („immunities“).536 Ein Anspruch gibt dem Anspruchsinhaber das Recht, von anderen ihm gegenüber eine bestimmte Hand-

531 Zum Streit über den faktischen Einfluss der politischen Theorie des Liberalismus auf Politik und Rechtsprechung in den USA s. B. Fried, The Progressive Assault on Laissez Faire, S. 31 und 229 m.w.N. 532 Hohfeld, Fundamental Legal Conceptions as Applied in Judicial Reasoning and Other Legal Essays. Zum Verständnis der Hohfeld’schen Analyse lehrreich Corbin, Yale Law Journal 1920–1921, 226; Einen bedeutsamen Vorgänger fand Hohfeld in Holmes, der die von Hohfeld konzeptualisierte Aufsplittung abstrakter Rechtsbegriffe an einigen Beispielen bereits vorwegnahm, vgl. insbesondere Holmes, Harvard Law Review 1894, 1. 533 Kramer, in: Kramer (Hrsg.), In the Realm of Legal and Moral Philosophy, 1999, S. 112, 115 f.; B. Fried, The Progressive Assault on Laissez Faire, S. 51 ff. 534 Der Staat ist in dieser Konzeption nur am Rande involviert. Seine Funktion besteht darin, die privat begründeten Rechte notfalls mit Gewalt durchzusetzen. 535 B. Fried, The Progressive Assault on Laissez Faire, S. 50 f. 536 Hohfeld, Fundamental Legal Conceptions as Applied in Judicial Reasoning and Other Legal Essays, 1919, S. 35 ff.

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lung oder Unterlassung zu verlangen.537 Das entspricht im Wesentlichem dem Anspruchsbegriff des deutschen Rechts (§ 194 BGB). Ein Freiheitsrecht erlaubt dem Inhaber, sich auf eine bestimmte Weise zu verhalten, ohne dass ihn andere daran hindern.538 Eine Befugnis meint die Fähigkeit, die rechtlichen Möglichkeiten seiner selbst oder anderer zu ändern.539 Ein Beispiel bilden Gestaltungsrechte im deutschen Recht, aber auch die Fähigkeit, anderen Personen Gegenstände zu verkaufen. Immunitäten bedeuten die Freiheit davon, in den eigenen rechtlichen Möglichkeiten von anderen beschränkt zu werden.540 Entscheidend ist nun, dass jede dieser rechtlichen Kategorien zugleich entsprechende Negativ-Rechte der anderen Seite implizieren.541 Jede rechtliche Kategorie korreliert mit einer entsprechenden Negativ-Berechtigung. So steht dem Anspruch die Pflicht („duty“) gegenüber:542 § 194 BGB verpflichtet den Anspruchsgegner, die entsprechende Handlung oder Unterlassung vorzunehmen. Den Freiheitsrechten stehen Unterlassungspflichten gegenüber („norights“):543 Wenn ich das Freiheitsrecht habe, auf der Straße zu spazieren, hat jeder andere die Pflicht, mich nicht daran zu hindern. Befugnissen stehen Duldungspflichten gegenüber („liabilities“):544 Der Gegner eines Gestaltungsrechts muss die Änderung seiner Befugnisse dulden. Immunitäten steht ein Unvermögen anderer gegenüber:545 Diese können die Freiheit des Inhabers nicht in einer bestimmten Art und Weise beschränken. Die genannten Implikationen sind nicht bloß mögliche Folgen der genannten Kategorien. Sie sind echte Implikationen, also logisch zwingende Folge dessen, dass die Hauptkategorie vorliegt. So lässt sich ein Anspruch schlicht nicht denken, ohne dass zugleich die mit ihm korrelierende Pflicht gedacht wird. Die Beziehung zwischen Anspruchsinhaber und Anspruchsgegner konstituiert den Anspruch ebenso wie die gegenüber stehende Pflicht. In gleicher Weise implizieren Freiheitsrechte zwingend Unterlassungspflichten, beide sind wiederum konstituiert durch die Rechtsbeziehungen zwischen den Inhabern der Freiheitsrechte und den Inhabern der Unterlassungspflichten. Hohfelds Analyse der Rechte und Rechtsbegriffe zeigt: Abstrakte Konzepte wie „Vertragsfreiheit“ oder „Eigentumsrecht“ sind überhaupt nur als Relation einzelner Berechtigungen und diesen stets zwingend gegenüberstehenden Verpflichtungen denkbar: Der Eigentümer eines Grundstücks darf etwa auf diesem spazieren gehen, ohne dass ich ihn daran hindere. Dieses Recht impliziert 537 538 539 540 541 542 543 544 545

Hohfeld, a.a.O., S. 35 ff. Hohfeld, a.a.O., S. 38 f. Hohfeld, a.a.O., S. 50 ff. Hohfeld, a.a.O., S. 60 ff. Hohfeld, a.a.O., S. 35 ff. Vgl. Hohfeld, a.a.O., 35 ff. Hohfeld, a.a.O., S. 38 f. Hohfeld, a.a.O., S. 50 ff. Hohfeld, a.a.O., S. 60 ff. Hohfeld spricht von „Disability“.

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aber zwingend meine Pflicht, den Eigentümer nicht am Spazierengehen auf seinem Grundstück zu hindern. Ähnliches gilt für die Freiheit des Anspruchsinhabers (§ 194 BGB), vom Anspruchsgegner ein Tun oder Unterlassen verlangen zu dürfen. Dieses Recht impliziert zwingend die Pflicht des Anderen zu eben diesem Tun oder Unterlassen. Es zeigt sich: Die Freiheitssphären einer Seite zu mehren impliziert, die Freiheitssphären einer anderen Seite zu vermindern. Es gibt keine „Freiheit als solche“, sondern nur einzelne Freiheitsaspekte, die zudem nur in ihrer notwendigen Relation zu Aspekten der Unfreiheit einer anderen Seite verstanden werden können. Dies bedeutet auch: Argumente, die sich gegen die Beschränkung von „Freiheit als solcher“ wenden, sind notwendig verkürzt. Vollständig werden sie erst, wenn klargestellt ist, welche Freiheitsaspekte beschränkt, welche dagegen befördert werden. Ein Beispiel für ein solches verkürztes Argument ist etwa die Aussage, dass eine Entscheidung „die Privatautonomie beschränkt“.546 In den deutschen Rechtswissenschaften hat auch Raiser betont, dass es keine unbeschränkten Rechtspositionen geben kann: Vielmehr sei der Inhaber einer Rechtsposition stets auch durch mit dieser Position einhergehenden „Parallelpflichten“ in seiner Freiheit beschränkt.547 Raiser betont allerdings – anders als Hohfeld – nicht das Relationendenken. Ihm geht es nicht darum, dass Freiheitsaspekte auf der Seite des Inhabers der jeweiligen Befugnis Aspekte der Unfreiheit auf der Seite eines anderen Individuums implizieren. Raiser legt vielmehr Wert auf die mit Freiheitsrechten einhergehenden Pflichten und Belastungen des Inhabers dieser Freiheit. Auch dies ist ein oft unterschätzter Aspekt. Die Notwendigkeit, rechtliche Kategorien als Implikationen ihrer jeweiligen Negativ-Kategorien zu verstehen, wird in der deutschsprachigen Rechtstheorie ebenfalls akzeptiert. So formuliert etwa Bydlinski klar: „Aber selbst wo Privatautonomie besteht, ist mit dem Zustandekommen der vertraglichen Einigung – um bloß das wichtigste Rechtsgeschäft zu nennen – die jedermann zustehende, im Zusammenwirken der Beteiligten ausübbare Vertragsfreiheit erschöpft und jeder Beteiligte, ohne sich dagegen sträuben zu können, fortan den einseitig auszuübenden Vertragsrechten des anderen Teiles ausgesetzt. Der damit angesprochene Begriff des subjektiven Rechts, ein Zentralbegriff der Privatrechtsdogmatik, ist nichts anderes als die technische Darstellung des Sachverhaltes, daß ein Privatrechtssubjekt eine besondere Rechtsmacht gegenüber einem anderen Privatrechtssubjekt oder im Hinblick auf bestimmte Güter der Außenwelt (und damit in546 Vgl. etwa Honsell, in: Schermaier/Rainer/Winkel (Hrsg.), Iurisprudentia universalis, 2002, S. 287, 297: „Nach einem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts, der die Privatautomie erheblich einschränkt, ist der Richer bei belastenden Verträgen, die das Ergebnis eines ,strukturellen Ungleichgewichts‘ sind, zu einer kontrollierenden Inhaltskontrolle verpflichtet.“ (Kursivdruck nicht im Originaltext). Vollständig wird das Argument Honsells erst, wenn die konkreten Freiheitssphären in den Blick genommen werden: Der Beschluss beschränkt Rechte und Befugnisse bestimmter Bürgschaftsgläubiger zugunsten bestimmter Bürgen. 547 Raiser, JZ 1961, 465, 465 ff.

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direkt auch gegenüber anderen, an denselben Gütern interessierten Personen) besitzt, kraft welcher der Eintritt von Rechtsfolgen gegen den Verpflichteten oder sonst Betroffenen vom Willen des Berechtigten abhängt.“548

Ähnlich treffend formuliert Merz diese Einsicht: „Ganz allgemein kommt in diesen Überlegungen die alte und von politischen Eiferern oft vergessene Wahrheit zum Ausdruck, daß es nicht nur eine Freiheit gibt, sondern verschiedene Freiheiten, die miteinander kollidieren. Kartellgesetze und Inhaltskontrollen der Allgemeinen Geschäftsbedingungen schränken die Freiheit einer Gruppe von Unternehmern in der Vertragsgestaltung ein, um dafür andern Wirtschaftssubjekten eine größere Bewegungsfreiheit zu gewähren. Ähnliche Gegenüberstellungen lassen sich in allen rechtlichen, in allen politischen, ja in allen menschlichen Beziehungen überhaupt vornehmen. Diese Feststellung mahnt zur Vorsicht und Zurückhaltung, entbindet aber niemals von der Bewertung, vom Entscheid, welcher Freiheit größerer, welcher geringerer Raum zu gewähren sei.“549

6. Zur Unmöglichkeit hoheitlicher Eingriffe in abstrakte Freiheitsrechte „als solche“ Die Hohfeld’sche Analyse rechtlicher Kategorien bildete eine entscheidende Grundlage für die Kritik der Legal Realists an der Unterscheidung des öffentlichen vom privaten Recht.550 Diese Kritik richtete sich in ihrem Kern gegen die Möglichkeit, hoheitliche Eingriffe in abstrakt verstandene Freiheitsrechte „als solche“ annehmen und das Private als Sphäre der Freiheit vom Öffentlichen als Sphäre der Zwangsgewalt trennen zu können.551 Besonders einflussreich und bedeutsam waren in diesem Zusammenhang die Arbeiten von Morris Cohen und Robert L. Hale.552 Staatliche Regulierungsmaßnahmen im privaten Bereich – etwa vertragsrechtliche Vorschriften zum Schutz Schwächerer – können in ihrer Analyse nie einen erstmaligen Eingriff in eine zuvor unberührte private Freiheitssphäre begründen.553 Diese Vorstellung beruht den Legal Realists zufolge auf einem unzutreffenden Modell der privaten Sphäre, das einer näheren Betrachtung nicht standhält.554 Für die Legal Realists führt jede staatliche Regulierungsmaßnahme lediglich zu einer Neuverteilung von Frei548 549 550

Bydlinski, in: Baltl (Hrsg.), Walter Wilburg zum 70. Geburtstag, 1975, S. 53, 58. Merz, Privatautonomie heute – Grundsatz und Rechtswirklichkeit, S. 15. Kramer, in: Kramer (Hrsg.), In the Realm of Legal and Moral Philosophy, 1999, S. 112,

115 f. 551 Grundlegend: Hale, Political Science Quarterly 1923, 470; M. Cohen, Harvard Law Review 1933, 553; M. Cohen, The Cornell Law Quarterly 1927, 8; Hale, Columbia Law Review 1943, 605; einführend: Kennedy, University of Pennsylvania Law Review 1982, 1349. 552 Vgl. nur Kennedy, University of Pennsylvania Law Review 1982, 1349, S. 1351 f.; zu Hales Werk und Bedeutung eingehend B. Fried, The Progressive Assault on Laissez Faire. 553 Kramer, in: Kramer (Hrsg.), In the Realm of Legal and Moral Philosophy, 1999, S. 112, 115. 554 Kramer, a.a.O., S. 112, 115 f.

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heitsbefugnissen und den mit diesen einhergehenden Zwangsbefugnissen.555 Zugleich beherrschen Zwang und – zumindest latent – Gewalt stets und zwingend auch die scheinbar unregulierten privaten Freiheitssphären.556 Ob eine staatliche Maßnahme zu mehr oder weniger Freiheit führt, ist in den Augen der Legal Realists eine ungenau formulierte Frage, die in dieser Form unbeantwortbar ist.557 Sinnvoll ist in dieser Perspektive alleine die Frage, zu welcher Neuverteilung von Freiheitsaspekten die Maßnahme führt.558 In diesem Lichte betrachtet bedeutet etwa ein Gesetz, das aus Gründen des Arbeitnehmerschutzes zwingende Bestimmungen zur Arbeitszeit einführt, keinen Eingriff in „die Vertragsfreiheit“ und keine staatliche Regulierung in einen zuvor freien privaten Markt. Für die Legal Realists führt ein solches Gesetz lediglich zu einer Umverteilung von Freiheitsberechtigungen – hier im Verhältnis zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgebern.559 Für die Bedeutung der iustitia distributiva im Vertragsrecht ist diese Auffassung vor allem deshalb interessant, weil sie die durch das Vertragsrecht zwingend erfolgenden Verteilungswirkungen unmittelbar in den Blick nimmt. Zugleich steht diese Perspektive der hier vertretenen funktionalen Analyse des Vertragsrechts560 nahe. Welche konkrete Verteilungswirkung sich jeweils ergibt, ist eine empirische Frage.561 Dies betrifft auch die Frage nach der Gesamtwirkung vertragsrechtlicher Regulierung. Es kann etwa sein, dass Regulierungsmaßnahmen insgesamt zu weniger Freiheit führen; ebenso gut können sie aber zu mehr Freiheit führen.562 Keinesfalls bedeutet aber etwa eine zwingende Bestimmung des Vertragsrechts einen hoheitlichen Eingriff in eine zuvor unberührte private Sphäre – etwa als hoheitlicher Eingriff in die Vertragsfreiheit per se. Wenn der Gesetzgeber scheinbar durch zwingendes Vertragsrecht die Vertragsfreiheit „als solche“ beschneidet oder der Richter scheinbar in die Privatautonomie „als solche“ eingreift – etwa, indem er einen Bürgschaftsvertrag als sittenwidrig und nichtig betrachtet –, liegt bei genauer Analyse kein Eingriff in eine abstrakt verstehbare Freiheit vor. Vielmehr kommt es lediglich zu einer Neuverteilung unterschiedlicher Freiheitsaspekte. Wenn Richter Bürgschaften als sittenwidrig beurteilen, beschneiden sie in der Tat Freiheitsaspekte auf Seiten des konkret betroffenen Gläubigers – mittelbar 555

Hale, Political Science Quarterly 1923, 470, 475 f.; Hale, Columbia Law Review 1943, 605, 625 ff. 556 Hale, Political Science Quarterly 1923, 470, 475 f.; Hale, Columbia Law Review 1943, 605, 625 ff. 557 Sie wäre allenfalls empirisch zu beantworten, wenn die durch die jeweilige Regulierung veränderten Freiheitsaspekte qualitativ und quantitativ verglichen würden. 558 B. Fried, The Progressive Assault on Laissez Faire, S. 36. 559 Hale, Political Science Quarterly 1923, 470, 475 f. 560 Dazu oben, S. 5 ff. 561 B. Fried, The Progressive Assault on Laissez Faire, S. 36. 562 Streng genommen müsste der Antwort auf diese Frage ein quantitativer und qualitativer Vergleich unterschiedlicher Freiheitsaspekte vorausgehen.

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auch aller potentiellen Bürgschaftsgläubiger. Zugleich erhöhen sie aber Freiheitsaspekte des konkret betroffenen Bürgen – und mittelbar auch die Freiheitsbefugnisse potentieller künftiger Bürgen in vergleichbaren Umständen. Auch Freiheitsaspekte der Hauptschuldner können berührt sein. Vertragsrechtliche Regulierung führt also immer zu einem neuen Gleichgewicht der der Privatrechtsgesellschaft immanenten Freiheitsbefugnisse. Auch bei zwingenden Normen des Vertragsrechts steht daher nie die Einschränkung eines abstrakten Konzepts von „Freiheit“ auf dem Spiel, das zugunsten eines anderen, vielleicht als höher bewerteten Guts aufgegeben werden soll. Vielmehr geht es nur darum, welche spezifischen Freiheitsbefugnisse gefördert, und welche spezifischen Freiheitsbefugnisse begrenzt werden sollen und können. Dabei hängt die Entscheidung stets davon ab, dass die betroffenen Freiheitsaspekte normativ bewertet werden, letztlich also auch von rechtspolitischen Weichenstellungen. Hier berührt sich die Kritik der Legal Realists mit der Kritik Kelsens am Dualismus zwischen öffentlichem und privatem Recht:563 Die politische Natur auch des Vertragsrechts ist letztlich unvermeidbar. Die iustitia distributiva liegt in der Logik dieser Kritik auch wegen der mit ihr einhergehenden Politisierung des Rechts als Gerechtigkeitsperspektive des Vertragsrechts nahe. Dabei liegt die Stärke der Kritik der American Realists in ihrer analytischen Natur, die als solche frei von rechtspolitischen Wertungen ist. Die Kritik kann selbstverständlich auch für politische Zwecke gebraucht werden. Dies ist überwiegend von politisch eher progressiv orientierten Rechtswissenschaftlern in den USA im sog. Critical Legal Studies Movement unternommen worden.564 Diese später erfolgte Politisierung lässt aber die analytische Natur der hier beschriebenen Kritik unberührt. 7. Mechanismen privater und öffentlicher Gewalt in der Privatrechtsgesellschaft Die Unmöglichkeit einer Beschränkung der Freiheit als abstraktes Rechtsgebilde und die unvermeidbar politische Natur auch des Vertragsrechts wird durch eine Analyse der im Staat wirkenden Zwangsmechanismen noch verstärkt.565 Denn die jeweils geförderten Freiheitsbefugnisse werden in der privaten Sphäre ebenso durch Zwangsmechanismen geprägt wie in der öffentlichen Sphäre. Die Offenlegung dieser Mechanismen staatlicher Gewalt durch den American Legal Realism gilt es im Folgenden zu skizzieren. Aus diesen 563

Kelsen, Hauptprobleme der Staatsrechtslehre (Vorrede) S. VIII. Programmatisch und einflussreich dazu Unger, Harvard Law Review 1983, 561. Instruktiv zum Critical Legal Studies Movement: Lurger, Grundfragen der Vereinheitlichung des Vertragsrechts in der Europäischen Union, S. 406 ff.; Frankenberg, in: Buckel (Hrsg.), Neue Theorien des Rechts, 2006, S. 97. 565 Grundlegend Hale, Political Science Quarterly 1923, 470; M. Cohen, The Cornell Law Quarterly 1927, 8; aus jüngerer Zeit etwa Goldberg, Harvard Law Review 125 (2012), 1640, 1658 ff. 564

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Zwangsmechanismen ergibt sich, dass die Vorstellung einer zwangsfreien privaten Sphäre fehlgeht, in der die iustitia commutativa Gleichheit nach dem Ideal arithmetischer Proportionalität unabhängig von der Perspektive der iustitia distributiva herstellen kann. Die Freiheitsverteilung in der privaten Sphäre ist nämlich notwendiger Weise ebenso von staatlich zumindest gesichertem Zwang geprägt wie die Freiheitsverteilung in der öffentlichen Sphäre. Dadurch wird eine zweckorientierte und funktionale Betrachtung des Vertragsrechts unter Berücksichtigung der Gerechtigkeitsperspektive der iustitia distributiva unvermeidbar. Jedwede Ausgestaltung des Vertragsrechts führt zu einer durch staatliche Gewalt gesicherte Verteilung von Freiheitsbefugnissen. So kann es nur noch um die rechtspolitisch zu beantwortende Frage gehen, welche Freiheitsbefugnisse durch staatlichen Zwang gefördert, welche dagegen durch staatlichen Zwang beschränkt werden sollen.566 a) Hale und die durch Vertrag und Eigentum begründeten Zwangselemente der privaten Sphäre Robert Hale formulierte die Mechanismen privaten Zwangs in der Privatrechtsgesellschaft in besonderer Eindringlichkeit.567 Besonders anschaulich ist seine Illustration anhand des Arbeitsvertrages568 – das Beispiel war mit Blick auf den historischen Hintergrund seiner Arbeiten naheliegend. Hales argumentativer Ausgangspunkt ist die Annahme, dass wir essen müssen, um zu überleben. Das ist uns nicht gesetzlich verboten. Essen ist abstrakt erlaubt; jedermann hat die formale Freiheit zu essen.569 Doch die Eigentumsordnung verbietet, Lebensmittel zu essen, die im Eigentum anderer stehen. Von Ausnahmen abgesehen570 sind das alle Lebensmittel. Die Eigentümer der Lebensmittel haben die Hohfeld’sche Befugnis, unsere Pflicht, ihr Essen nicht zu essen, aufzuheben.571 Sie haben aber auch das Freiheitsrecht, dies nur unter Konditionen zu tun, die sie selbst stellen; wahrscheinlich werden sie zum Marktpreis des Lebensmittels ihre Befugnis ausüben.572 Natürlich könnten wir, so spinnt Hale sein Gedankenexperiment fort, auch versuchen, selbst Le-

566

B. Fried, The Progressive Assault on Laissez Faire, S. 46 f. Insbesondere Hale, Political Science Quarterly 1923, 470; Hale, Columbia Law Review 1943, 605. 568 Hale, Political Science Quarterly 1923, 470. Vgl. zu entsprechenden Situationen aus deutscher Perspektive nur etwa M. Wolf, Rechtsgeschäftliche Entscheidungsfreiheit und vertraglicher Interessenausgleich, S. 12 ff. 569 Hale, Political Science Quarterly 1923, 470, 472. 570 Etwa Waldfrüchte, vgl. Art. 141 Abs. 3 S. 1 der Bayerischen Verfassung: „Der Genuss der Naturschönheiten und die Erholung in der freien Natur, insbesondere das Betreten von Wald und Bergweide, das Befahren der Gewässer und die Aneignung wildwachsender Waldfrüchte in ortsüblichem Umfang ist jedermann gestattet.“. 571 Hale, Political Science Quarterly 1923, 470, 472 f. 572 Hale, Political Science Quarterly 1923, 470, 473. 567

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bensmittel herzustellen. Abstrakt betrachtet dürfen wir auch das.573 Wir haben die formale Freiheit, Lebensmittel zu produzieren. Aber wiederum verhindert unsere Eigentumsordnung, dass wir Land bewirtschaften, das uns nicht gehört.574 Wir haben die Pflicht, das Land der Eigentümer nicht ohne ihre Zustimmung zu nutzen. Diese Pflicht können natürlich wiederum die Grundeigentümer aufheben; aber auch dies werden sie in aller Regel nur gegen Zahlung des Marktpreises für das Grundeigentum tun.575 Wenn wir Geld haben – so Hale weiter – können wir Lebensmittel oder Boden erwerben; wir müssen nur bereit dazu sein, den Eigentümern das Geld zu geben.576 Dabei sehen wir uns allerdings ständig der Drohung ausgesetzt, dass die Eigentümer uns Land oder Boden nicht überlassen, wenn wir sie nicht entlohnen.577 Hale führt seine Überlegungen auch mit Blick auf abstrakt bestehende Möglichkeiten des Gelderwerbs weiter, die freilich ihrerseits durch die Befugnisse von Eigentümern eingeschränkt sind.578 Im Ergebnis sieht Hale für mittellose Individuen kaum eine Alternative als die Tätigkeit als Arbeitnehmer für einen Arbeitgeber, der über Produktionsmittel verfügt.579 Mit diesem Bild fängt Hale die auch unserer Privatrechtsgesellschaft immanenten faktischen Zwänge plastisch ein, die durch die Eigentums- und Vertragsordnung konstituiert werden. b) Zur analytischen Natur der Kritik Das Bild des mittellosen Arbeiters, der im Kapitalismus gezwungen ist, für einen reichen Fabrikanten zu diktierten Bedingungen zu arbeiten, passt in den Kontext der 1920er Jahre. Aus heutiger Sicht ist es gleichwohl unglücklich gewählt. Zum einen spielen fassbare Güter und Grundeigentum in der postindustriellen Gesellschaft nicht mehr die herausragende Rolle wie noch in den 20er und 30er Jahren des vergangenen Jahrhunderts. Doch dieser Einwand ist leicht zu beseitigen: Die faktischen Zwänge der heutigen Zeit bleiben strukturell auch in der Informations- und Dienstleistungsgesellschaft gleich. Bedauerlich ist indes, dass das Beispiel leicht zu einem Missverständnis führen kann. Das anschauliche Bild des armen Arbeiters und des reichen Fabrikanten legt nahe, Hales Analyse als rein politisch motivierte Kritik des kapitalistischen Systems zu verstehen. Dadurch würde allerdings der apolitische Inhalt des Arguments verkannt werden. Hale veranschaulicht den analytischen Charakter seines Arguments durch die Fortführung seines Beispiels, in der die Zwangsrichtung umgekehrt ist: Hale betont, dass die Eigentums- und Vertragsord-

573 574 575 576 577 578 579

Hale, Political Science Quarterly 1923, 470, 473. Hale, Political Science Quarterly 1923, 470, 473. Hale, Political Science Quarterly 1923, 470, 473. Hale, Political Science Quarterly 1923, 470, 473. Hale, Political Science Quarterly 1923, 470, 472 f. Hale, Political Science Quarterly 1923, 470, 472 ff. Hale, Political Science Quarterly 1923, 470, 473.

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nung auch einfachen Arbeitern faktische Zwangsgewalt vermitteln kann.580 Jeder Fabrikeigentümer, so Hale, braucht Arbeiter, um seine Produktionsmittel gewinnbringend einsetzen zu können.581 Unsere Rechtsordnung spricht dem Einzelnen aber Eigentum an seiner Person zu und verbietet Sklaverei.582 Daher hält es Hale auch für möglich, dass die Arbeiter den Fabrikanten zwingen, ihnen Lohn zu zahlen, damit sie ihre Befugnis zur Arbeitsverweigerung nicht ausüben.583 Letztlich demonstriert dieses auf industrielle Verhältnisse zugeschnittene Beispiel anschaulich, dass private Rechtsverhältnisse aus wechselseitigen Rechten und Pflichten bestehen, die letztlich auch durch Zwang und Gewalt abgesichert werden. Dies gilt es in einem nächsten Schritt durch eine Analyse privater und öffentlicher Zwangsmechanismen näher zu beleuchten. c) Private und öffentliche Zwangsmechanismen Das Private ist nie frei von Gewalt und Zwang, sondern vielmehr grundsätzlich von ihnen geprägt. Privater Zwang kann dabei schlicht in der Weigerung liegen, außerhalb bestimmter Bedingungen zu kontrahieren. Ein formelles Konzept der negativen Vertragsfreiheit gesteht dies im Ausgangspunkt jedem Individuum zu. Zwang kann dabei auch im Privaten durch staatliche Stellen erfolgen: In der Zwangsvollstreckung setzt der Staat mit Zwangsgewalt etwa die Erfüllung vertraglicher Pflichten oder die Zahlung von Schadensersatz durch.584 Die staatliche Zwangsvollstreckung wird zwar nur selten Realität.585 Auch werden die Parteien kaum bei Abschluss und Durchführung der Verträge die Vollstreckung durch den Staat thematisieren. Gleichwohl sind die Parteien in ihrem vertraglichen Verhalten von dem Hintergrundwissen geprägt, dass sie vertragliche Rechte notfalls staatlich durchsetzen können. Das Wissen um die Möglichkeit der Vollstreckung stärkt das Vertrauen und die Sicherheit des vertraglichen Verkehrs.586 Umgekehrt prägt aber die Vollstreckungsgewalt auch die durch Verträge und vertragsrechtliche Normen bewirkten Verteilungsergebnisse. Das Bild geometrischer Proportionalität, bei dem Gleichheit paradigmatisch in einem Dreiecksverhältnis realisiert wird, passt auf das Vertragsrecht daher in gleicher Weise wie etwa auf das Steueroder Sozialrecht. Somit unterscheidet sich die private Sphäre keineswegs grundlegend durch eine Freiheit von Zwang und Gewalt von der öffentlichen Sphäre. Zugleich stehen sich private und öffentliche Gewaltausübung im Be580

Hale, Political Science Quarterly 1923, 470, 474. Hale, Political Science Quarterly 1923, 470, 474. 582 Hale, Political Science Quarterly 1923, 470, 474. 583 Hale, Political Science Quarterly 1923, 470, 474. 584 Fechner, in: Forsthoff (Hrsg.), Rechtsstaatlichkeit und Sozialstaatlichkeit, 1968, S. 73. 585 Vgl. nur Fechner, in: Forsthoff (Hrsg.), Rechtsstaatlichkeit und Sozialstaatlichkeit, 1968, S. 73, 84; Schwartz/Scott, Yale Law Journal 2003, 543, 557. 586 Weber, Wirtschaft und Gesellschaft, MWG I/22–3, S. 238 ff.; offen gelassen bei Fechner, in: Forsthoff (Hrsg.), Rechtsstaatlichkeit und Sozialstaatlichkeit, S. 73, 83. 581

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reich des Privatrechts in ihrer Wirkungsweise nahe.587 Staatliche Gewalt unterscheidet sich nicht etwa dadurch von privater Gewalt, dass sie „absolut“ zwingt, also keine Alternativen offenlässt.588 Wenn von staatlicher Zwangsgewalt die Rede ist, mag der Gedanke einer „vis absoluta“ nahe liegen. Es scheint, als würde die Durchsetzung durch den Staat keine andere Wahl lassen, als zu erfüllen; Gewalt scheint dagegen nicht vorzuliegen, wenn eine oder mehrere Wahlmöglichkeiten bestehen.589 Mit dieser Unterscheidung könnte versucht werden, den Zwang Privater vom hoheitlichen Zwang zu unterscheiden:590 Der Arbeiter muss schließlich den Arbeitsvertrag nicht unterschreiben; der Verbraucher muss den Kredit der Bank nicht zu deren Bedingungen aufnehmen. So ließe sich argumentieren, dass die Individuen in der privaten Sphäre stets „frei“ bleiben, dem Zwang Privater nicht nachzugeben, sondern sich für eine Alternative zu entscheiden. Diese Überlegung ist indes verkürzt und letztlich unzutreffend.591 Direkte physische Gewalt im Sinne einer vis absoluta begegnet in der Praxis höchst selten. In den allermeisten Fällen haben wir eine Wahl; oft sind allerdings die Alternativen so unerfreulich, dass wir uns zu einer bestimmten Entscheidung gedrängt sehen. Das gilt für das Private ebenso wie für das Öffentliche. Selbst, wenn uns jemand mittels einer geladenen Pistole zur Vertragsunterschrift bewegen möchte, können wir durchaus die Unterschrift verweigern.592 Allein, die Alternative (unser Leben zu verlieren) wird in der Regel als so unerfreulich angesehen, dass wir uns meist für die Alternative „Unterschrift“ entscheiden. Ähnliches gilt aber auch für die staatliche Zwangsgewalt. In der Zwangsvollstreckung lassen die meisten Zwangsmittel Handlungsalternativen offen; die unmittelbare vis absoluta ist allenfalls bei der Wegnahme eines herauszugebenden Gegenstandes denkbar; faktisch dürfte sie eine seltene Ausnahme darstellen. Auch der Zwang durch Gesetze erfolgt regelmäßig nicht mittels „vis absoluta“. § 138 BGB hindert niemanden mit absoluter Zwangsgewalt daran, einen Vertrag mit sittenwidrigen Bedingungen zu formulieren und zu unterschreiben. Die Regelung mag allerdings solche Phänomene faktisch zurückdrängen, weil die fehlende gerichtliche Durchsetzbarkeit präventiv wirken kann. Absoluter Zwang besteht hier allein unter rechtlichen Gesichtspunkten: Gesetze können mit Gewissheit und ohne, dass wir wählen könnten, verhindern, dass wir bestimmte Rechtswirkungen erzielen können. Auch diese Form „absoluten“ Zwangs lässt uns aber die Freiheit, andere, vielleicht ähnliche Rechtswirkungen zu erzielen. Im Wesentli587

S. insbesondere Hale, Columbia Law Review 1943, 605. Hale, Columbia Law Review 1943, 605, 615 ff. 589 Dazu auch B. Fried, The Progressive Assault on Laissez Faire, S. 48 f. 590 Vgl. B. Fried, a.a.O., S. 48 f. 591 Hale, Columbia Law Review 1943, 605; B. Fried, The Progressive Assault on Laissez Faire, S. 48 ff. 592 Vgl. B. Fried, a.a.O., S. 48 ff. (m.N. zu diesem Bild aus der US-amerikanischen Rechtsprechung). 588

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chen gilt daher: Privater und öffentlicher Zwang erfolgen regelmäßig in sanfter Form und operieren im Hintergrund des Geschehens.593 So wird etwa ein Käufer häufig zur Kaufpreiszahlung durch weiche Mechanismen gezwungen. Selten kommt es zu einer faktischen Vollstreckung.594 Doch der Käufer zahlt – wenn nicht aus moralischem Gefühl, dies zu schulden, doch jedenfalls wegen der ihm drohenden Vollstreckung, wenn er es nicht tut. Die Zahlung ist dem Käufer angenehmer als die drohende Vollstreckung. Tauschgeschäfte des „freien Marktes“ basieren deshalb auf einem komplexen Netzwerk wechselseitiger Zwangsandrohungen, die jeweils bestimmte Freiheitsaspekte sichern und verwirklichen helfen.595 Auch wenn Marktteilnehmer auf bestimmte Güter oder Dienstleistungen besonders angewiesen sind, können Vertragsrecht und Eigentumsordnung den Anbietern die Befugnis einräumen, die Güter oder Dienstleistungen nur gegen den von ihnen geforderten Preis aufzugeben.596 Ergänzt werden die Zwangsmechanismen auch durch gesellschaftlichen Druck.597 Vertragsbrüchigen droht die Entziehung der Anerkennung durch die jeweiligen sozialen Gruppierungen, innerhalb derer sie sich bewegen. Solche privaten Zwangsmechanismen zeigen, dass das Bild arithmetischer Proportionalität die praktische Wirklichkeit, in der das Vertragsrecht zur Geltung kommt, nur verzerrt widerspiegelt. Wenn vertragsrechtliche Normen oder Entscheidungen unter Gesichtspunkten der iustitia distributiva eine Neuverteilung vertraglicher Freiheitsbefugnisse und mit diesen verknüpften Zwangsbefugnissen schaffen, liegt kein Eingriff in eine zuvor zwangsfreie Beziehung vor.598 Vielmehr bewirken solche Konkretisierungen der iustitia distributiva lediglich eine neue Verteilung von Zwangsbefugnissen und damit auch von Gütern, Rechten und Vermögen. d) Zur Unvermeidbarkeit der zwangsgeprägten Verteilung in der Privatrechtsgesellschaft Zwang ist auch in einer Privatrechtsgesellschaft unvermeidbar. Er prägt das Privatrecht, obwohl er nur selten offen sichtbar nach außen in Erscheinung tritt. Zwang, der durch Institutionen des Staates abgesichert ist, bestimmt die 593 Hale, Columbia Law Review 1943, 605; B. Fried, The Progressive Assault on Laissez Faire, S. 48 ff.; Kramer, in: Kramer (Hrsg.), In the Realm of Legal and Moral Philosophy, 1999, S. 112, 114 ff. 594 S. nur Schwartz/Scott, Yale Law Journal 2003, 543, 557. 595 Hale, Political Science Quarterly 1923, 470; M. Cohen, The Cornell Law Quarterly 1927, 8; B. Fried, The Progressive Assault on Laissez Faire, S. 46 ff., insbes. S. 56. 596 Grundlegend Hale, Political Science Quarterly 1923, 470. Selbstverständlich kann das Vertragsrecht in diesen Fällen auch korrigierend eingreifen, etwa durch Kontrahierungszwänge. Dazu eingehend unten, S. 284 f. sowie S. 411 f. 597 Dazu Ehrlich, Grundlegung der Soziologie des Rechts, S. 63 ff.; Bäuerle, Vertragsfreiheit und Grundgesetz, S. 90 ff. 598 Unterschätzt wird die zwingende Durchdringung der Gesellschaft durch diese Zwangsmechanismen etwa bei H. Cremer, in: Fehling (Hrsg.), Regulierungsrecht, § 5 Rn. 120 ff.

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Verteilung von Rechten, Befugnissen, Gütern und Vermögen der Privatrechtsgesellschaft. Er ist maßgeblich daran beteiligt, die relativen Freiheitsgrade Privater, die rechtlichen Relationen und Beziehungen zwischen Privatrechtssubjekten auszutarieren. Fechner beschreibt diesen Zusammenhang als „innere Bezogenheit von Freiheit und Zwang“.599 Argumente, die einen staatlichen Eingriff – der etwa von Überlegungen der iustitia distributiva motiviert sein kann – in ein bis dato unberührtes Freiheitsrecht – etwa die Vertragsfreiheit – als unzulässigen staatlichen Zwang ablehnen, sind verkürzt. Ein solches Argument wäre etwa die Aussage, verbraucherschützende Widerrufsrechte seien ein Eingriff in die Privatautonomie und deshalb nur in engen Grenzen zu rechtfertigen. Richtig ist vielmehr: Solche Widerrufsrechte verteilen Freiheitssphären und Zwangsbefugnisse um. Sie schränken die Freiheitsrechte und die mit ihnen verbundenen Zwangsbefugnisse von Unternehmern ein. Auf der anderen Seite erweitern sie aber Freiheitsrechte und damit verbundene Zwangsbefugnisse auf Seiten der Verbraucher. Ob diese Besserstellung von Verbrauchern gegenüber Unternehmern zu befürworten ist, hängt von einer politischen Wertungsentscheidung ab. Die maßgeblichen Argumente sind dabei rechtspolitischer Natur und prägen im Verbraucherschutzrecht auch die vertragsrechtliche Diskussion.600 Widerrufsrechte sind dagegen nicht etwa deshalb kritikwürdig, weil sie einen unzulässigen „Verteilungseingriff“ in das Privatrecht darstellen würden. Die iustitia distributiva kann als Ausdruck der objektiven Gerechtigkeitsidee aus dem Vertragsrecht nicht ausgeklammert werden. e) Die Widerlegung des Einwands der Trivialität Gegen die hier skizzierte Kritik könnte vorgebracht werden, dass die Bedeutung der staatlichen Zwangsgewalt in der Privatrechtsgesellschaft trivial ist.601 Schon Kant betonte in seiner Rechtslehre, dass das Recht mit der Befugnis zu zwingen verbunden ist.602 Staatliche Einrichtungen, die Freiheitsrechte des Einzelnen schützen und durchsetzen, werden in der politischen Theorie liberaler Tradition durchaus betont.603 Die staatliche Durchsetzung von Freiheitsrechten und Eigentum und das Gewaltmonopol des Staates gelten als Be599

Fechner, in: Forsthoff (Hrsg.), Rechtsstaatlichkeit und Sozialstaatlichkeit, 1968, S. 73,

S. 83. 600

Näher dazu unten, S. 348 ff. Eingehende Widerlegung dieses Einwands bei Kramer, in: Kramer (Hrsg.), In the Realm of Legal and Moral Philosophy, 1999, S. 112 ff. Kramer widerlegt auch den Einwand, die Trennungsthese lasse sich damit begründen, dass Privatrechtssubjekte in ihren Transaktionen frei agieren können, während die Bediensteten des Staates öffentliche Interessen verfolgen müssten. Dieser Einwand wird hier nicht weiter verfolgt. 602 Kant, Die Metaphysik der Sitten, Akademie-Ausgabe, Bd. VI, Einleitung in die Rechtslehre, § D, S. 231. 603 Bydlinski, Das Privatrecht im Rechtssystem einer „Privatrechtsgesellschaft“, S. 60; Böhm, Ordo 1966, 75, 85 ff. 601

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dingung von Rechtsfrieden und Freiheitssicherung. Zwangsgewalt in der Privatrechtsgesellschaft ist eine nie geleugnete Realität und Notwendigkeit. Sie ist auch etwa von Franz Böhm in seinem grundlegenden Aufsatz zur Privatrechtsgesellschaft durchaus erkannt und beschrieben.604 Damit, so ließe sich argumentieren, beruht die Kritik auf einem „Fundament“ nichts sagender Trivialitäten. Dieser Einwand überzeugt indes nicht, weil er Wirkung und Bedeutung von Gewalt und Zwang in der Privatrechtsgesellschaft unterschätzt.605 Die staatlichen Einrichtungen zur zwangsweisen Durchsetzung privater Freiheits- und Eigentumsrechte sind nicht lediglich Grundvoraussetzung für die Entfaltung individueller Freiheiten. Vielmehr wird die Verteilung von Freiheits- und Eigentumsrechten durch staatlichen Zwang überhaupt erst geschaffen.606 Wem in welcher Situation welche Zwangsbefugnisse verliehen werden, entscheidet darüber, wer in welchem Maße Freiheitsrechte faktisch ausleben kann. Zwang ist allumfassend anwesend und bestimmt auch die Vermögensverteilung in der Gesellschaft maßgeblich mit.607 Grundlagen und Ergebnisse privater Interaktionen werden so durch staatlichen Zwang vorgegeben.608 Daneben spielen natürlich auch andere Faktoren eine Rolle: Talent, Verhandlungsgeschick und vieles mehr. Aber es geht fehl, staatliche Zwangsgewalt als bloßen institutionellen Rahmen freier Aktivität zu analysieren. Sie ist an den Verteilungsergebnissen der Gesellschaft maßgeblich mitbeteiligt. Die Kritik an der Unterscheidung öffentlicher und privater Rechte lässt sich auch nicht damit widerlegen, dass die unmittelbare, direkte Quelle privater Rechte bei Verträgen in der Autonomie der Parteien liegt, im öffentlichen Recht dagegen externe Ursprünge Rechte und Pflichten begründen. Dieses Argument scheitert zum einen bereits daran, dass auch private Rechte und Pflichten nur Substanz erhalten, wenn sie zwangsweise durchsetzbar sind. Die faktische Durchsetzung wird zwar nicht unbedingt praktisch. Doch prägt die Durchsetzbarkeit durch staatlich ermöglichte Zwangsgewalt private Rechte und Pflichten ebenso wie dies in der öffentlichen Sphäre der Fall ist. Zum anderen greift es zu kurz, als Quelle vertraglicher Ansprüche allein die Autonomie zu erblicken. Dies zeigt sich schon daran, dass wir einen Anspruch auf Kaufpreiszahlung zumindest auch mit einer gesetzlichen Vorschrift begründen, nämlich § 433 Abs. 2 BGB. Zudem hängt auch der wirksame Vertragsschluss davon ab, dass wir den Vertrag als innerhalb der Grenzen der Vertragsfreiheit geschlossen betrachten. Das verneinen wir etwa, wenn der Vertrag gegen Gesetz (§ 134 BGB) oder die guten Sitten (§ 138 BGB) verstößt.609 Doch 604 605 606 607 608 609

Böhm, Ordo 1966, 75, 89 ff. Kramer, in: Kramer (Hrsg.), In the Realm of Legal and Moral Philosophy, S. 112 ff. Kramer, in: Kramer (Hrsg.), In the Realm of Legal and Moral Philosophy, S. 112 ff. Kramer, a.a.O., S. 112 ff. Kramer, a.a.O., S. 112 ff. Kronman, Yale Law Journal 1980, 472.

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lässt sich allein mit Blick auf die Autonomie der Parteien nicht beantworten, ob diese Grenzen gewahrt sind oder nicht. Davon wird weiter unten noch eingehend zu handeln sein.610

IV. Zur Ablösung der Dichotomie öffentlich-privat durch ein Modell der Polykontexturalität Da öffentliche und private Sphären, wie gezeigt, nicht nach den in ihnen jeweils herrschenden Gerechtigkeitsformen getrennt werden können, liegt der Gedanke nahe, die Dichotomie öffentlich-privat aufzugeben. Diesen Ansatz verfolgt beispielsweise Teubner, dem zufolge die Trennung des Öffentlichen und des Privaten durch ein anspruchsvolleres Modell der Polykontexturalität ersetzt werden muss.611 Der Gegensatz privat-öffentlich sei aufzuheben, die Pluralität und Komplexität der Gesellschaft müsse sich im Recht widerspiegeln.612 Im Ausgangspunkt hält Teubner die Kritik an der Unterscheidung der öffentlichen von der privaten Sphäre für ein anerkanntes Ritual, das letztlich verfehlt sei.613 Zutreffend sei, dass das bipolare Denken unvollständig ist.614 Nötig sei eine stärkere Ausdifferenzierung des Rechts, die auf die jeweiligen Besonderheiten einzelner Gesellschaftsbereiche (Musik, Kultur, Medizin, Handel und so weiter) Rücksicht nimmt.615 Eine Vertragstheorie, die das Vertragsrecht auch als Anwendungsfeld der iustitia distributiva zu erklären sucht, kann dieser Forderung gerecht werden. Die iustitia distributiva zeichnet sich ja gerade dadurch aus, dass die Gerechtigkeitsperspektive sich vom unmittelbar betroffenen Vertragsverhältnis löst und zu einer stärkeren Kontextualisierung und Differenzierung des Rechts beitragen kann. Im Ausgangspunkt stimmt Teubner mit der Kritik an der Unterscheidung des öffentlichen vom privaten Recht überein: Er sieht sogar einen Konsens dahingehend, dass das Privatrecht im Laufe der Privatisierung öffentlich-rechtlicher Aufgaben zunehmend öffentlich-rechtliche Elemente in sich aufnimmt.616 Dieser Konsens sei aber falsch, weil es keine simple Zweiteilung von öffentlichem versus privaten Sektor gäbe.617 Vielmehr sei das entscheidende Problem, ob sich das Privatrecht einer Pluralität von unterschiedlichen privaten Autonomien öffnen könne.618 Zudem müsse das Privatrecht in ein Verfassungsrecht diverser privater Regelungssysteme umgewandelt werden. So werde es zu610 611 612 613 614 615 616 617 618

Vgl. unten, S. 226 ff. Teubner, Zeitschrift für Rechtssoziologie 1998, 8. Teubner, Zeitschrift für Rechtssoziologie 1998, 8, 10 ff. Teubner, Zeitschrift für Rechtssoziologie 1998, 8, 10. Teubner, Zeitschrift für Rechtssoziologie 1998, 8, 10 f. Teubner, Zeitschrift für Rechtssoziologie 1998, 8, 11 ff. Teubner, Zeitschrift für Rechtssoziologie 1998, 8, 9 ff. Teubner, Zeitschrift für Rechtssoziologie 1998, 8, 9 ff. Teubner, Zeitschrift für Rechtssoziologie 1998, 8, 11 ff.

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gleich stark fragmentiert und hybridisiert.619 Viele Perspektiven seien dabei einzunehmen; die Pluralität unserer Gesellschaft(en) müsse sich im Recht abbilden.620 Auf diese Weise sei der Gegensatz privat – öffentlich aufzuheben.621 Ob Teubners Kritik an der Kritik der Unterscheidung des privaten vom öffentlichen Recht vollends überzeugt, kann hier offen bleiben. Denn diese von Teubner kritisierte Kritik wurde hier nur unter einem eingeschränkten Gesichtspunkt fruchtbar gemacht. Sie diente als Fundament für ein zentrales Argument: Verteilungsgerechtigkeit spielt nicht schon deshalb keine Rolle im Vertragsrecht, weil sie die Gerechtigkeitsform des öffentlichen Rechts ist, während das Vertragsrecht von anderen Gerechtigkeitsformen beherrscht wird. Teubners Modell ist zumindest kongruent zu dieser These – auch nach seinem Modell scheidet die Zuordnung der iustitia distributiva allein zum öffentlichen Recht aus. Dennoch lohnt sich eine nähere Auseinandersetzung mit den Thesen Teubners, weil sich die Erklärungskraft einer auf Verteilungsgerechtigkeit basierenden Vertragstheorie an ihnen veranschaulichen lässt. Die soziologische Sicht Teubners auf das tatsächliche Wirken und die realen Bedingungen des Vertrages ist für die Rechtsdogmatik im Ausgangspunkt hilfreich. Denn letztlich geht es auch Teubner darum, die für das Vertragsrecht zentrale Problematik zu formulieren, wie das Privatrecht auf seine gesellschaftliche, wirtschaftliche und kulturelle Einbettung reagieren soll. Kann das Vertragsrecht spontane Normbildung in anderen sozialen Welten (etwa Erziehung, Forschung, Medien, Kunst, Wirtschaft oder Gesundheit) berücksichtigen?622 Wie muss das Privatrecht mit der zunehmenden Übernahme klassisch hoheitlicher Aufgaben durch Private reagieren (private ordering, private governance)?623 Wenn das Vertragsrecht mit Blick auf seinen Gerechtigkeitsgehalt auch unter dem Gesichtspunkt der iustitia distributiva erklärt wird, stehen denkbare Reaktionen des Vertragsrechts auf solche Herausforderungen auf solider theoretischer Grundlage. Dies lässt sich an einigen Beispielen illustrieren, die Teubner als „hervorstechendste Konflikte“624 heranzieht, um seine Theorie der Polykontexturalität des Vertragsrechts zu veranschaulichen. Das erste Beispiel betrifft die „strukturelle Korruption“, die Teubner anhand von Studenten erläutert, die er als „pink students“ bezeichnet.625 Gemeint sind Kinder, deren Eltern als Alumni ihrer alma mater großzügige Geldzuwendungen zukommen lassen und die nicht allein ihrer Begabung halber Studienplätze an diesen Universitäten erlangen, sondern vielmehr als Dank der Universitäten für die Spenden der 619 620 621 622 623 624 625

Teubner, Zeitschrift für Rechtssoziologie 1998, 8, 10, 29 ff. Teubner, Zeitschrift für Rechtssoziologie 1998, 8, 10 ff. Teubner, Zeitschrift für Rechtssoziologie 1998, 8, 9 ff. Teubner, Zeitschrift für Rechtssoziologie 1998, 8, 13 ff. Teubner, Zeitschrift für Rechtssoziologie 1998, 8, 26 ff. Teubner, Zeitschrift für Rechtssoziologie 1998, 8, 20. Teubner, Zeitschrift für Rechtssoziologie 1998, 8, S 20.

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Eltern. Teubner stellt zu Recht fest, dass anerkannte Verteilungsmaßstäbe (Chancengleichheit, Leistungsprinzip) in dieser Konstellation strukturell korrumpiert werden.626 Das Beispiel scheint zumindest das deutsche Vertragsrecht auf den ersten Blick nur am Rande zu berühren: Bei öffentlich-rechtlichen Hochschulen erfolgt die Immatrikulation durch Verwaltungsakt, nicht durch Vertrag. Jedenfalls bei privat organisierten Hochschulen, an denen die Aufnahme der Studenten mittels Vertrag erfolgt, spricht bei einem klaren Verstoß gegen die Maßstäbe der Chancengleichheit und des Leistungsprinzips allerdings vieles für deren Nichtigkeit gem. § 138 BGB. Im englischen Recht kommt Unwirksamkeit wegen Verstoßes gegen die public policy in Betracht. Das Beispiel illustriert die Bedeutung der iustitia distributiva im Vertragsrecht in diesen Fällen sogar besonders anschaulich: Denn hier geht es geradezu um einen „klassischen“ Anwendungsbereich der iustitia distributiva, nämlich der Verteilung potentiell knapper Güter (Studienplätze) nach bestimmten Maßstäben an viele. Natürlich führt diese Perspektive nicht schon zwingend zu einem konkreten Ergebnis. Sie nötigt aber dazu, die Diskussion am entscheidenden Punkt zu führen, namentlich der Frage nach dem angemessenen Verteilungsmaßstab. So ließe sich etwa argumentieren, die Verteilung sei zumindest auch am Interesse der Familien auszurichten, ihre Familientradition (Studium an einer bestimmten Universität) fortzuführen. Auch könnte man die effektive Finanzierung der Universität als Maßstab einführen, und unter diesem Aspekt die Auswahl rechtfertigen: Die großzügigen Spenden der Alumni tragen wesentlich zur Finanzierung der Universität bei, wovon alle Studenten profitieren. Die Aufnahme der Kinder großzügiger Spender regt eine entsprechende Spendenbereitschaft der Alumni an. Ob man solche Maßstäbe bei der Verteilung von Studienplätzen heranziehen möchte oder nicht, ist – wie stets bei Streit um den anzuwendenden Verteilungsmaßstab – eine rechtspolitische Frage. Gleiches gilt für die nachgelagerte Frage, wie diese Aspekte in ihrem Verhältnis zu anerkannten Verteilungskriterien (Gleichheit, Eignung und Leistung) zu bewerten sind. Die mit der Gerechtigkeitsperspektive der iustitia distributiva verbundene Politisierung wird hier virulent. Ähnliches gilt für die von Teubner besorgte soziale Exklusion im Gesundheitssektor, in öffentlichen Versorgungsbetrieben und im Telekommunikationsbereich.627 Wenn diese gesellschaftlichen Bereiche allein nach marktwirtschaftlichen Gesichtspunkten geordnet blieben, würden Arme oder Behinderte nicht gleichen Zugang zu den hier verteilten Gütern erhalten wie Reiche und Gesunde. Hier müssten zwingende Normen eingesetzt werden, um entgegen der Logik des Marktes und im Widerspruch zur Vertragsfreiheit allgemeinen Zugang zu gewähren bzw. aufrecht zu erhalten.628 Dies dürfe „nicht als 626 627 628

Teubner, Zeitschrift für Rechtssoziologie 1998, 8, 21. Teubner, Zeitschrift für Rechtssoziologie 1998, 8, 22 f. Teubner, Zeitschrift für Rechtssoziologie 1998, 8, 23.

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politischer Interventionismus, als Eindringen der politischen in die ökonomische Rationalität verstanden werden.“629 Vielmehr befinde sich die „interne Rationalität“ der genannten Sektoren im Konflikt mit dem des Marktes.630 Daher müsse das Privatrecht mittels alter und neuer Rechtsformen den wirtschaftlichen Transaktionen „Fundamentalnormen anderer Sozialsysteme aufoktroyieren.“631 Schon Canaris befasste sich mit einem Teilbereich der von Teubner aufgeführten Phänomene, nämlich der privatrechtlichen Verteilung menschlicher Organe und Körpersubstanzen, die er als Zukunftsaufgabe des Vertragsrechts erkannte.632 Wenn die Rechtsordnung die Entscheidung über deren Verteilung in private Hand lege, liege „ein Paradigma für die Durchbrechung der Vertragsfreiheit zugunsten distributiver Kriterien“ vor.633 Canaris zufolge darf „von vornherein nicht einmal erwogen werden, daß die Inhaber einer ,Organbank‘ oder dgl. die gewünschten Organe einfach dem ,Meistbietenden‘ zukommen lassen, wie das dem Grundsatz der Vertragsfreiheit entspräche. Daß das mit den ,guten Sitten‘ unvereinbar wäre und also gegen die §§ 138, 826 BGB verstieße, bedarf keiner Begründung.“634 Die Verteilung könne „vielmehr grundsätzlich nur nach spezifisch distributiven Kriterien wie vor allem den medizinischen Bedürfnissen und der medizinischen Eignung der potentiellen Empfänger erfolgen.“635 Die Ausführungen Canaris’ illustrieren wiederum, dass die Analyse des Vertragsrechts unter dem Gesichtspunkt der Verteilungsgerechtigkeit ermöglicht, die Diskussion auf den entscheidenden Punkt zu lenken, namentlich die Frage, welche Verteilungsmaßstäbe bei der Verteilung menschlicher Organe und Körpersubstanzen anzuwenden ist. Dabei ist die rechtspolitische Wertung Canaris’ unbedingt zu unterstützen. Bei dieser spezifischen Verteilung geht es unmittelbar um Leben und Tod der betroffenen Patienten. Eine der Menschenwürde verpflichtete Rechtsordnung muss dem Primat marktwirtschaftlicher Verteilung im Sinne einer formal verstandenen Vertragsfreiheit in diesem Bereich Grenzen setzen. Die rechtspolitische Diskussion darüber wird sich indes kaum vermeiden lassen. Insbesondere von der Warte der ökonomischen Analyse des Rechts werden durchaus auch Argumente in die Diskussion eingebracht, die sich gegen eine Verteilung nach medizinischen und bedarfsorientierten Maßstäben wenden und für eine Verteilung über einen weitgehend unregulierten Markt einsetzen.636 Solchen 629

Teubner, Zeitschrift für Rechtssoziologie 1998, 8, 23. Teubner, Zeitschrift für Rechtssoziologie 1998, 8, 23. 631 Teubner, Zeitschrift für Rechtssoziologie 1998, 8, 23. 632 Canaris, Die Bedeutung der iustitia distributiva im deutschen Vertragsrecht, S. 42 f. 633 Canaris, a.a.O., S. 42. 634 Canaris, a.a.O., S. 42. 635 Canaris, a.a.O., S. 42 f. 636 Etwa Hansmann, in: Blumstein/Sloan (Hrsg.), Organ Transplantation Policy, 1989, S. 57; L. Cohen, Increasing the supply of Transplant Organs; Mahoney, in: Shelton/Balint (Hrsg.), The Ethics of Organ Transplantation, 2001, S. 65. Diese in den USA nicht selten vertretene Auffassung ist wohl noch nicht in die deutsche Diskussion importiert worden; Für den deutsch630

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Ansätzen ist freilich bereits entgegenzuhalten, dass die Effizienz einer unregulierten Marktverteilung in diesem Bereich mehr als zweifelhaft ist.637 Mit Blick auf die grundgesetzlich verpflichtende Orientierung unserer Rechtsordnung an der Menschenwürde ist eine derartige Verteilungsentscheidung abzulehnen. Wenn das Vertragsrecht für die Verteilung menschlicher Organe oder Körpersubstanzen eingesetzt wird, darf die Verteilung nicht allein nach dem Maßstab formal verstandener Vertragsfreiheit erfolgen. In der Terminologie Teubners erfordert die innere Rationalität dieses sensiblen Sektors zumindest auch die Berücksichtigung weiter reichender materieller Verteilungsmaßstäbe. Teubner führt als weiteres herausragendes Beispiel neuer Konflikte ein, was er als „Kontraktualisierung und Externalitäten“ betitelt.638 Darunter versteht er die Verwandlung multilateraler öffentlicher Dienste in private Vertragsregimes.639 Sie habe zur Folge, dass „ein forcierter Bilateralismus komplexe soziale Strukturen zerschneidet.“640 Diese Beobachtung Teubners ist zutreffend. Das Vertragsrecht konstruiert komplexe Beziehungen durch eine Häufung einzelner, in der Regel bipolarer Verträge. Dies führt in der Tat im Ausgangspunkt dazu, dass die Einzelverträge auch isoliert behandelt und beurteilt werden. Teubner sieht – wie vor ihm schon eindringlich Hugh Collins641 – dabei zu Recht die Gefahr, dass diese Konstruktion Gefahr läuft, die wirtschaftlichen, sozialen, politischen und organisatorischen Zusammenhänge aus dem Blick zu verlieren.642 Die Perspektive der iustitia distributiva ermöglicht dabei, die im Hintergrund der einzelnen Verträge stehenden Kontexte zu berücksichtigen und diese als integrale und logische Bestandteile der Vertragsdogmatik zu betrachten, wenngleich letztere hier freilich vor neue Herausforderungen gestellt wird. Die iustitia distributiva ließe sich in diesem Bereich etwa zum Teil dadurch verwirklichen, dass der Netzvertrag bei komplexen Vertragsbündeln als Rechtskonstrukt anerkannt wird.643 So lässt sich etwa mit der von Rohe entwickelten Figur des „einheitlichen Netzzwecks“ die funktionale und wirtschaftliche Verbundenheit einzelner Verträge in komplexen Vertragsstrukturen angemessen berücksichtigen. Mit einem formalen Verständnis, das auf die bipolaren Verträge allein fokussiert, ist dies hingegen nur auf Kosten dogmatischer 637 sprachigen Raum differenzierend Schott, Patientenauswahl und Organallokation. Zur deutschen Diskussion und den verfassungsrechtlichen Anforderungen vgl. stellvertretend Höfling, JZ 2007, 481 sowie Gutmann/Fateh-Moghadam, NJW 2002, 3365. Auch Canaris übersieht diese Diskussion freilich nicht, s. seine Fußnote 82 in Canaris, a.a.O., S. 42. 637 Tietzel etwa hält aus ökonomischer Sicht eine marktwirtschaftlicher Verteilung für ineffizient, vgl. Tietzel, European Journal of Law and Economics 2001, 159. 638 Teubner, Zeitschrift für Rechtssoziologie 1998, 8, 23. 639 Teubner, Zeitschrift für Rechtssoziologie 1998, 8, 23. 640 Teubner, Zeitschrift für Rechtssoziologie 1998, 8, 23. 641 Collins, in: Rawlings (Hrsg.), Law, Society, and Economy, 1997, S. 63, 76 f. 642 Teubner, in: Wilhelmsson, Thomas (Hrsg.), Perspectives of Critical Contract Law, 1993, S. 211; Teubner, Zeitschrift für Rechtssoziologie 1998, 8, 24. 643 Grundlegend und differenzierend zu Netzverträgen Rohe, Netzverträge.

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Brüche möglich644. Mit den Figuren des Netzvertrages und des einheitlichen Netzzwecks lässt sich auch innerhalb der Vertragsdogmatik auf die besonderen Verteilungsprobleme reagieren, die von den jeweiligen Netzwerken aufgeworfen werden. Teubners Kritik der Kritik der Trennung des privaten vom öffentlichen Recht und sein Modell der Polykontexturalität stehen daher im Einklang mit einer Vertragstheorie, die der iustitia distributiva im Vertragsrecht Wirkungsmacht zuschreibt. Betrachtet man die iustitia distributiva als Fremdkörper im Vertragsrecht, und erklärt dieses im Wesentlichen allein durch Vertragsfreiheit und Austauschgerechtigkeit, lassen sich dagegen die von Teubner aufgezeigten Kontexte der Verträge schwer in das Vertragsrecht integrieren. Vertragsfreiheit und Austauschgerechtigkeit sind zu starr auf die prototypisch bipolaren Austauschverhältnisse der Parteien ausgerichtet. Demgegenüber ermöglicht die iustitia distributiva der Rechtsdogmatik, die sozialen und wirtschaftlichen Einbettungen der Verträge zu berücksichtigen. Die Perspektive der Verteilung mittels des Vertragsrechts ermöglicht es dem Rechtsanwender, den Blick über das bipolare Austauschverhältnis hinaus zu richten, auf den gesamtwirtschaftlichen, sozialen oder kulturellen Kontext des betroffenen Vertrages und der betroffenen Vertragstypen. Ob Teubners Modell der Polykontexturalität die Dialektik „privat-öffentlich“ gänzlich aufzuheben vermag, kann dabei offen bleiben. Seine Analyse bekräftigt aber, dass es zu kurz greift, die Verteilungsgerechtigkeit allein dem öffentlichen Recht zuzuordnen. Nur unter diesem Aspekt wurde die von Teubner kritisierte und weitergeführte Kritik der Unterscheidung der privaten von der öffentlichen Sphäre fruchtbar gemacht.

V. Die Trennung des öffentlichen vom privaten Recht als rechtspolitisches Gebot Teubners Überlegungen geben Anlass zu einigen weiteren Bemerkungen über das Verhältnis des öffentlichen zum privaten Recht. Dabei sei zunächst wiederholt: Diese tradierte Zweiteilung wurde hier nur unter einem ganz spezifischen Aspekt kritisiert: Die Bedeutung der iustitia distributiva im Vertragsrecht ist nicht schon deshalb marginal, weil sie die Gerechtigkeitsform allein des öffentlichen Rechts bilden würde. Unter dem Aspekt des Wirkens verschiedener Gerechtigkeitsformen lässt sich die Zweiteilung nicht aufrechterhalten. Damit ist aber nicht die viel weiterreichende und schwerer begründbare These verbunden, das Recht müsse die tradierte Zweiteilung zwischen öffentlichem und privatem Recht aufgeben. Diese Position wird hier nicht vertreten.

644

Dazu im Einzelnen Rohe, a.a.O., S. 65 ff. sowie zusammenfassend S. 491 ff.

G. Verhältnis der iustitia distributiva zum öffentlichen und privaten Recht

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1. Zur strukturellen Ordnungsaufgabe der Trennung des öffentlichen vom privaten Recht Die Unterscheidung zwischen öffentlichem und privatem Recht erfüllt in unserer Rechtsordnung zunächst wichtige Aufgaben struktureller Natur. Sie bestimmt insbesondere, welche Regelungskomplexe auf einen Lebenssachverhalt zur Anwendung kommen und welche Institutionen Streitfälle entscheiden müssen. So ist etwa die Rechtswegszuständigkeit der ordentlichen Gerichte nach § 13 GVG in bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten, Familiensachen und Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit, also im Wesentlichen für privatrechtliche Streitfälle eröffnet. Demgegenüber steht der Verwaltungsrechtsweg gem. § 40 Abs. 1 S. 1 VwGO grundsätzlich für öffentlich-rechtliche Streitigkeiten offen. Die Unterscheidung des öffentlichen vom privaten Recht ermöglicht damit eine funktionale Zuständigkeitstrennung zwischen den ordentlichen Gerichten und der Verwaltungsgerichtsbarkeit. Auch im europäischen Zivilprozessrecht erfüllt die Dichotomie öffentlich-privat eine wichtige Ordnungsaufgabe.645 Sie bestimmt hier, wie weit das europäische Zivilprozessrecht in seinem Anwendungsbereich reicht. Art. 1 Abs. 1 S. 1 EuGVVO646 bringt diese Funktion anschaulich zum Ausdruck: Die EuGVVO ist „in Zivil- und Handelssachen anzuwenden, ohne dass es auf die Art der Gerichtsbarkeit ankommt.“ Die EuGVVO erfasst also das Privatrecht und ist dagegen für das öffentliche Recht nicht anwendbar.647 Wie weit die Harmonisierung des europäischen Verfahrensrechts (und damit der Aufbau eines „Raums der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts“648) reicht, hängt daher auch davon ab, wie die Grenzen zwischen dem öffentlichen und dem privaten Recht abgesteckt werden.649 In diesen jeweiligen Funktionszusammenhängen sind in der höchstrichterlichen Rechtsprechung und der rechtswissenschaftlichen Literatur Kriterien entwickelt worden, die eine funktionale Abgrenzung der jeweiligen Lebensbereiche ermöglichen. So ermöglicht die Trennung des öffentlichen vom privaten Recht, Lebenssachverhalte bestimmten Regelungskomplexen und Entscheidungsträgern zuzuordnen. Sie kann dadurch Rechtssicherheit schaffen und gewährt den Beteiligten Klarheit darüber, welchen Normen ihr Streitfall zuzuordnen ist. Darüber hinaus entscheidet idealiter ein spezialisierter und auf 645

Ausführlich dazu S. Arnold, ZEuP 2012, 315. Verordnung (EG) Nr. 44/2001 des Rates vom 22.12.2000 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (EuGVVO), ABl. 2001 L 12/1, ber. ABl. 2001 L 307/28, zuletzt geändert durch Art. 1 ÄndVO (EU) 416/2010 vom 12.5.2010, ABl. 2010 L 119/7. 647 Fast identische Formulierungen finden sich in jüngeren Verordnungen des europäischen Zivilprozessrechts, vgl. etwa Art. 2 Abs. 1 S. 1 EuVTVO, Art. 2 Abs. 1 S. 1 EU-BagatellVO; ebenso Art. 1 Nr. 1 S. 1 des Reformvorschlags für die EuGVVO (KOM (2010) 748 endg.). 648 Vgl. Art. 3 Abs. 2 EUV. 649 Vgl. S. Arnold, ZEuP 2012, 315. 646

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dem jeweiligen Gebiet erfahrener Entscheidungsträger, der dabei auch Normkomplexe anwenden kann, die zur Lösung der jeweiligen Konflikte besonders gut geeignet sind. Die Zweiteilung unserer Rechtsordnung in das private und das öffentliche Recht erfüllt damit eine wichtige Strukturierungsaufgabe. 2. Zur inhaltlichen Ordnungsaufgabe der Trennung des öffentlichen vom privaten Recht Darüber hinaus ist die Trennung der privaten von der öffentlichen Sphäre in unserer Rechtsgemeinschaft auch politisch wünschenswert und erfüllt insofern eine inhaltliche Ordnungsaufgabe.650 Sie entspringt einem grundlegenden menschlichen Bedürfnis. Wir wollen uns als private Individuen betrachten dürfen, frei und autonom Wünsche entwickeln und befriedigen können und für unsere selbstbestimmten Projekte Gestaltungskraft entwickeln und Verantwortung übernehmen. Wir nehmen uns zwar selbstverständlich auch als soziale Wesen wahr, die in gesellschaftliche Kontexte eingebunden und durch staatliches Handeln beschränkt werden. Daneben tritt aber – je nach Sozialisierung in unterschiedlich starkem Ausmaß – unser Selbstverständnis als freie Individuen. Dieses Selbstverständnis honoriert das Recht mit der konzeptuellen Trennung des öffentlichen vom privaten Recht. Die Behauptung des privaten Rechts verwirklicht im Recht die Behauptung einer privaten Sphäre. Soweit diese Sphäre reicht, können wir unsere Sehnsucht nach individueller Verwirklichung und Autonomie als erfüllt betrachten. Das Privatrecht – insbesondere das Vertragsrecht – erscheint unter dieser Perspektive als privater Rückzugsort des Einzelnen, als Sphäre individueller und freier Projektverwirklichung.651 Daraus erklärt sich zugleich die herausragende Rolle einer im Ansatz formell verstandenen Vertragsfreiheit. Diese ermöglicht uns die Vorstellung, in freier Selbstherrlichkeit unser eigenes Recht zu setzen und zu verwirklichen. Nur, wenn wir die Vorstellung haben können, uns frei und autonom Bindungen aufzuerlegen und Rechte und Pflichten zu generieren, können wir unserem menschlichen Bedürfnis nahekommen, uns zumindest auch als autonome, frei bestimmte Wesen wahrzunehmen. Die Trennung des privaten Rechts vom öffentlichen Recht bedeutet die Anerkennung dieser Sehnsucht durch das Recht. Das Recht drückt durch diese Trennung aus, dass Staat und Recht Orte privater Selbstverwirklichung akzeptieren und das grundlegende Bedürfnis des Menschen berücksichtigen, sich auch als frei und auto-

650 Vgl. zum Folgenden auch die Ausführungen N.E. Simmonds, die eine ähnliche Stoßrichtung verfolgen: Simmonds, in: Tasioulas (Hrsg.), Law, Values, and Social Practices, 1997, S. 129, 139 ff. sowie Simmonds, in: Passerin d’Entrèves/Vogel (Hrsg.), Public and Private, 2000, S. 149, 157 ff. 651 Vgl. auch Ripstein, Virginia Law Review 2006, S. 1391, 1395 ff.

G. Verhältnis der iustitia distributiva zum öffentlichen und privaten Recht

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nom betrachten zu dürfen.652 Aus politischen Gründen ist die Trennung des öffentlichen vom privaten Rechts trotz der dieser Unterscheidung inhärenten Schwierigkeiten daher wünschenswert. Die Trennung berücksichtigt ein fundamentales menschliches Bedürfnis und kommt einem weit verbreiteten menschlichen Selbstverständnis entgegen. Ob dieses Selbstverständnis zutrifft oder nicht, ist für diese Begründung irrelevant. Inwieweit wir in privaten Sphären frei und individuell Projekte verwirklichen und Verantwortung übernehmen können, kann deshalb offen bleiben. Dies gibt der hier versuchten Rechtfertigung der Trennung des öffentlichen vom privaten Recht auch den Vorzug, immun gegenüber denkbaren Angriffen auf die Konzepte von Freiheit und Autonomie zu sein.653 Zugleich kann die politische Rechtfertigung der Trennungsthese trotz der Abhängigkeit privater Freiheitsrechte von staatlicher Zwangsgewalt654 und trotz der Mechanismen privaten Zwangs in der Privatrechtsgesellschaft655 bestehen bleiben. Sie ist mit einer Vertragstheorie vereinbar, die der iustitia distributiva im Vertragsrecht Bedeutung zumisst. Zum einen ist mit der Wirkungsmacht der iustitia distributiva im Vertragsrecht keineswegs ein Abschied von der Vertragsfreiheit verbunden. Von dem Verhältnis zwischen iustitia distributiva und dem Grundsatz der Vertragsfreiheit wird noch eingehend zu handeln sein.656 Schon hier sei aber vorweggenommen, dass die Vertragsfreiheit auch im Sinne eines weitgehend formal verstandenen Prinzips Bedeutung im Vertragsrecht entfaltet. Allerdings erfolgt die Konkretisierung der objektiven Gerechtigkeitsidee unter Aspekten der iustitia distributiva auch mit Blick auf andere Verteilungsmaßstäbe. Inwieweit der Vertragsfreiheit zur Befriedigung des menschlichen Bedürfnisses, sich als frei verstehen zu dürfen, Vorrang eingeräumt wird, wird durch diese Perspektive ihrerseits als politische Entscheidung explizit gemacht. Die Notwendigkeit, das Vertragsrecht auch aus der Perspektive der iustitia distributiva zu erklären, lässt sich rechtspolitisch ebenfalls legitimieren. Dazu gilt es nur, das oben zugrunde gelegte menschliche Selbstverständnis weiterzuentwickeln. Unser Selbstverständnis erschöpft sich nämlich nicht darin, uns als freie, autonome Individuen zu sehen. Wir sind uns zugleich mehr oder weniger unserer Einbettung in soziale, wirtschaftliche, kulturelle und öffentliche Kontexte bewusst. Wir sehen uns auch 652 Ähnlich Böckenförde, der die Unterscheidung von Staat und Gesellschaft als Bedingung individueller Freiheit entwickelt, vgl. Böckenförde, Die verfassungstheoretische Unterscheidung von Staat und Gesellschaft als Bedingung der individuellen Freiheit sowie Böckenförde, in: Böckenförde (Hrsg.), Staat, Gesellschaft, Freiheit, 1976, S. 185, S. 193 ff. 653 Etwa G. Roth, Fühlen, Denken, Handeln, S. 494 ff.; Singer, in: Rosenzweig (Hrsg.), Nicht wahr?!, 2009, S. 233; Wegner, The Illusion of Conscious Will. Dazu eingehend unten, S. 249 ff. 654 Oben, S. 120 ff. 655 Oben, 117 ff. 656 S. 191 ff.

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§ 2 Rechtsphilosophische Grundlegung

als soziale Wesen.657 Nun könnte man daran denken, diese Kontexte eben ausschließlich in der öffentlichen Sphäre des Rechts zum Durchbruch kommen zu lassen. Doch dies ist schon damit unvereinbar, dass die iustitia distributiva nicht ausschließlich dem öffentlichen Recht zuzuordnen ist. Und es würde zudem auf einer zu simplen Analyse unseres Selbstverständnisses beruhen. Die beiden Hauptaspekte unseres Selbstverständnisses – privates Individuum versus soziales Wesen – sind nicht klar voneinander getrennt, sondern vielmehr auf vielfältige Weise miteinander verwoben. Wir sind uns dessen bewusst, dass unser privates Sein und unser öffentliches Sein eng verknüpft und nicht präzise trennbar sind. Unsere privaten Projekte verwirklichen wir auch als soziale Wesen in bestimmten gesellschaftlichen Kontexten. Wenn etwa ein Jazzenthusiast Selbstverwirklichung darin sucht, eine Jazzbar zu eröffnen, mag er einen privaten, autonomen Traum realisieren. Er agiert aber zugleich als soziales Wesen, in Interaktion mit den Besuchern seiner Bar, den engagierten Musikern, aber auch den Behörden, die ihm den Bau seiner Bar und die Ausübung seines Gewerbes ermöglichen und so fort. Solcher Verschränkungen sind wir uns auch bewusst. Auch deshalb vermag eine Vertragstheorie, die nicht nur der Vertragsfreiheit und der iustitia commutativa, sondern auch der iustitia distributiva Bedeutung zumisst, die Wirklichkeit der vom Vertragsrecht erfassten Lebenswelten einzufangen.

VI. Zwischenergebnis Die Trennungsthese, wonach die iustitia distributiva die Gerechtigkeit des öffentlichen Rechts, die iustitia commutativa die Gerechtigkeit des privaten Rechts ist, lässt sich nicht aufrechterhalten. Die Verteilungsergebnisse und -strukturen sind in der privaten Sphäre in gleicher Weise durch Zwang und Hoheitsgewalt determiniert wie in der öffentlichen Sphäre. Mit Blick auf die in ihnen herrschenden Gerechtigkeitsprinzipien lassen sich öffentliches und privates Recht nicht unterscheiden. Die Möglichkeit einer funktionalen Unterscheidung des öffentlichen vom privaten Recht bleibt davon unberührt. Die Trennung öffentlicher und privater Sphären ist als rechtspolitisch wünschenswertes Postulat in der Rechtsordnung widerzuspiegeln.

657

Zur demokratiebezogenen Komponente dieses Aspekts vgl. etwa H. Cremer, in: Fehling (Hrsg.), Regulierungsrecht, § 5 Rn. 141 ff.

H. Iustitia distributiva und iustitia commutativa

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H. Die iustitia distributiva als Ausprägung der Gerechtigkeitsidee im Vertragsrecht und in ihrem Verhältnis zur iustitia commutativa Für die Frage nach der Bedeutung der iustitia distributiva im Vertragsrecht ist erforderlich, dem Begriff der iustitia distributiva inhaltliche Konturen zu verleihen. Dieser zentralen Aufgabe ist dieses Kapitel gewidmet. Es geht um die Beschreibung der iustitia distributiva als Ausprägung der Gerechtigkeitsidee im Vertragsrecht. Dabei ist unerlässlich, auch das Verhältnis der iustitia distributiva zur iustitia commutativa näher zu untersuchen. Im Ergebnis wird zu zeigen sein, dass iustitia commutativa und iustitia distributiva das Vertragsrecht in normativ gleichwertiger Weise prägen.

I. Die Bedeutung des Verhältnisses der iustitia distributiva zur iustitia commutativa Die Untersuchungen zum Verhältnis der iustitia distributiva zum öffentlichen und zum privaten Recht haben erwiesen, dass sich die iustitia distributiva als Konkretisierung der objektiven Gerechtigkeitsidee nicht ausschließlich dem Öffentlichen Recht zuordnen lässt. In welcher Form die iustitia distributiva aber auch als Gerechtigkeit des Vertragsrechts wirken kann, ist damit noch nicht geklärt. Näherer Analyse bedarf dazu insbesondere das Verhältnis der iustitia distributiva zur iustitia commutativa. In der rechtsphilosophischen Diskussion stehen sich seit der Entdeckung ihrer Strukturen durch Aristoteles iustitia distributiva und iustitia commutativa als maßgebliche Ausprägungen der Partikulargerechtigkeit gegenüber. Die Spezifika der iustitia distributiva müssen deshalb gerade auch in ihrem Verhältnis zur iustitia commutativa erarbeitet werden. Für das Vertragsrecht ergibt sich eine weitere Besonderheit daraus, dass dieses in hohem Maße von der Vertragsfreiheit charakterisiert ist. Die Vertragsfreiheit wiederum steht aber in einer besonderen Nähe zur iustitia commutativa. Der zwischen den Vertragsparteien vorgenommene Austausch wird ja zunächst von der vertraglichen Vereinbarung bestimmt. Deshalb ist auch eine Klärung des Verhältnisses der iustitia distributiva zum Grundsatz der Vertragsfreiheit unerlässlich. Die Aufgabe, die iustitia distributiva einerseits von der iustitia commutativa, andererseits von der Vertragsfreiheit abzugrenzen, ermöglicht eine erste negative Annäherung, die in einer ersten These formuliert werden kann: Die iustitia distributiva drückt im Vertragsrecht die objektive Gerechtigkeitsidee aus, soweit diese nicht durch den Grundsatz der Vertragsfreiheit oder durch die iustitia commutativa bestimmt wird. Diese erste Annäherung soll sogleich durch eine weitere These ergänzt werden, die auch einen positiven Zugriff ermöglicht: Die iustitia distributiva drückt im Vertragsrecht die objektive Gerechtigkeitsidee immer dann aus, wenn sich die

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§ 2 Rechtsphilosophische Grundlegung

Gerechtigkeitsanalyse den durch das Vertragsrecht generierten Verteilungen auch mit Blick auf ihre über das bipolare Austauschverhältnis hinausgehenden Folgewirkungen nähert. Diese soeben formulierte positive Seite der iustitia distributiva bedarf für ein besseres Verständnis zunächst einer näheren Erläuterung des Begriffs des Vertragsrechts.

II. Zum Begriff des Vertragsrechts Der Zugriff auf das Problem der iustitia distributiva als Ausprägung der Gerechtigkeitsidee im Vertragsrecht wird erleichtert, wenn das Vertragsrecht in einem weiten Sinne verstanden wird. Das Vertragsrecht besteht im hier maßgeblichen Kontext zum einen aus den Normen des Rechts, deren Gegenstand die Regelung vertraglicher Rechtsverhältnisse ist. So sind etwa die Regeln des besonderen Schuldrechts im Bürgerlichen Gesetzbuch Vertragsrecht in diesem Sinne. Aber auch Regeln des Allgemeinen Teils sind insoweit betroffen, als sich ihr Gegenstand auch auf vertragliche Schuldverhältnisse beziehen kann. Beispiele bieten etwa die Vorschriften über Willenserklärungen, aber auch die §§ 134 und 138 BGB. Vertragsrecht besteht zum anderen aus Entscheidungen des Rechtsanwenders, die vertragliche Schuldverhältnisse zum Gegenstand haben. In der Rechtsanwendung liegt dabei immer eine Konkretisierung der Normen des Vertragsrechts. Paradigma für Entscheidungen des Rechtsanwenders ist das Urteil eines Zivilgerichts, soweit es seinem Gegenstand nach auf vertragliche Schuldverhältnisse bezogen ist. Aber auch etwa Normkonkretisierungen durch Anwälte konstituieren das Vertragsrecht in diesem Sinne. Diese Konkretisierungen müssen sich keineswegs in gerichtlichen Entscheidungen niederschlagen. Sie gehören gleichwohl zum Vertragsrecht, weil auch sie einen Teil des in der Praxis gelebten und angewendeten Vertragsrechts bilden können. Privatrechtssubjekte orientieren sich in ihrem Handeln auch an den Konkretisierungen vertragsrechtlicher Normen, die ihnen von Anwälten vermittelt werden. Diese Konkretisierungen sind insofern vorläufig, als sie durch gerichtliche Entscheidungen aufgehoben werden können. Ihre Geltung als positives Recht ist auch deshalb problematisch. Um diese Geltungsfrage und um die Legitimität dieser Konkretisierungen vertraglicher Normen soll es hier allerdings nicht gehen. Entscheidend ist für den hier verfolgten Zweck, ein weites Verständnis des Vertragsrechts zugrunde zu legen, das nicht ausschließlich auf seine gesetzlichen Normen beschränkt ist, sondern auch die Konkretisierungen dieser Normen in der praktischen Rechtsanwendung einbezieht. Die iustitia distributiva kann also insbesondere die objektive Gerechtigkeitsidee von Normen des Vertragsrechts zum Ausdruck bringen. Sie kann aber als Gerechtigkeitsidee auch Konkretisierungen vertragsrechtlicher Normen in der praktischen Rechtsanwendung erklären und bestimmen.

H. Iustitia distributiva und iustitia commutativa

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III. Zur Unterscheidung der iustitia distributiva von der iustitia commutativa Das Vertragsrecht im soeben erläuterten Sinne wird nach der hier entwickelten These von der iustitia distributiva in gleicher Weise beherrscht wie von der iustitia commutativa. Dabei setzt der Zugriff auf den spezifischen Gerechtigkeitsgehalt der iustitia distributiva voraus, dass der spezifische Gerechtigkeitsgehalt der iustitia commutativa ermittelt wird. Beide Gerechtigkeitsformen können nur in ihrem Verhältnis zueinander gemeinsam entwickelt und bestimmt werden. 1. Keine Unterscheidbarkeit nach der Art des Verhältnisses der beteiligten Personen – Hierarchie versus Gleichordnung Ein Hauptunterschied zwischen den Gerechtigkeitsformen wird oft darin erblickt, dass die Handhabung des Gleichheitssatzes mit Blick auf das Verhältnis der beteiligten Personen auf verschiedene Art und Weise strukturiert ist.658 Die iustitia commutativa betrifft demnach Gleichordnungsverhältnisse. Sie verwirkliche Gerechtigkeit im Binnenverhältnis zwischen mindestens, aber auch idealiter, zwei Personen. Die iustitia distributiva gelte dagegen in hierarchischen Verhältnissen, bei denen ein Über-Unterordnungsverhältnis besteht. Sie setze mindestens drei Personen voraus: eine verteilende Person (oder Instanz) und mindestens zwei Personen, die der verteilenden Person gegenüber untergeordnet sind und unter denen ein Gut verteilt wird.659 Die Unterscheidung nach Gleichordnungsverhältnissen und hierarchischen Verhältnissen bildet häufig den Ausgangspunkt der Zuordnung nach den großen Rechtsmaterien. Sie mündet in der Zuordnung der iustitia commutativa zum Privatrecht und der iustitia distributiva zum öffentlichen Recht.660 Dass diese Zuordnung einer näheren Analyse nicht standhält, wurde oben schon eingehend erörtert.661 Ergänzend bleibt nur auf zwei Punkte hinzuweisen. Der erste betrifft die Stüt658 Canaris, Die Bedeutung der iustitia distributiva im deutschen Vertragsrecht, S. 10 ff.; Henkel, Einführung in die Rechtsphilosophie, S. 310 ff. Canaris erkennt allerdings, dass dieses Kriterium wegen der Beteiligung staatlicher Instanzen Unterscheidungskraft einbüßt, vgl. Canaris, a.a.O., S. 13. 659 Henkel, Einführung in die Rechtsphilosophie, 1964, S. 310; Honsell wendet sich gegen die Unterscheidung mit dem Argument, auch in einem hierarchischen Verhältnis komme die iustitia commutativa zur Anwendung. Zur Begründung führt er im Wesentlichen aus, dass die Verwirklichung materieller Vertragsgerechtigkeit keine Aufgabe des Privatrechts sei und eine Bindung an Postulate der iustitia distributiva mit der Privatautonomie nicht zu vereinbaren sei, vgl. Honsell, in: Schermaier/Rainer/Winkel (Hrsg.), Iurisprudentia universalis, 2002, S. 287, 295 f. 660 So etwa bei Honsell, in: Schermaier/Rainer/Winkel (Hrsg.), Iurisprudentia universalis, 2002, S. 287, 296; Radbruch, Rechtsphilosophie, S. 122; differenzierend Henkel, Einführung in die Rechtsphilosophie, S. 312. 661 S. 99 ff.

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§ 2 Rechtsphilosophische Grundlegung

zung dieser These auf die Entdeckung der Grundstruktur von iustitia distributiva und iustitia commutativa bei Aristoteles. Diese legt zwar die Annahme zweier grundsätzlich unterschiedlicher Strukturverhältnisse nahe.662 Indes lässt sich aus dieser Struktur keine Unterscheidung gewinnen, die mit Gültigkeit auch für das moderne Vertragsrecht die Aufgabenbereiche der Gerechtigkeitsformen scheidet. Der zweite Hinweis betrifft die – der Trennung des öffentlichen Rechts vom privaten Recht vorausgehende – Annahme, die Bedeutung der iustitia distributiva im Vertragsrecht lasse sich nur im Rahmen eines Über-Unterordnungsverhältnisses begründen. Diese These ist bereits mit Blick auf die iustitia distributiva in ihrer bei Aristoteles entwickelten Grundstruktur unzutreffend. Die iustitia distributiva setzt ihrer Struktur nach keineswegs ein Über-Unterordnungsverhältnis voraus. Sie verlangt lediglich, dass ein Verteilungsgegenstand nach einem Verteilungsmaßstab unter vielen verteilt wird. Den Verteilungsakt kann dabei eine übergeordnete Person ausüben. Zwingend ist dies aber keineswegs. Das zeigt Jansen schon anhand eines einfachen Verteilungsbeispiels außerhalb des rechtlichen Kontexts:663 Ein Kuchen kann durch einverständliche Regelung verteilt werden, ohne dass eine übergeordnete Instanz den Kuchen verteilen müsste. Wenn Kinder einen Kuchen unter sich aufteilen, kann die iustitia distributiva ebenso zur Anwendung gelangen, wie wenn ein Elternteil den Kuchen unter den Kindern verteilt. Für die Gerechtigkeit des Vertragsrechts gilt diese Beobachtung im gleichen Maße. Auch wenn man das Vertragsrecht im Wesentlichen als die Regelung von Gleichordnungsverhältnissen betrachtet, lassen sich die unter den Parteien erfolgenden Verteilungen von Chancen, Risiken, Gütern und Vermögen als Akte der iustitia distributiva denken. Letztlich kann die Unterscheidung nach der Handhabung des Gleichheitsgrundsatzes aber vor allem deshalb nicht überzeugen, weil sie in die Zuordnung der iustitia distributiva zum öffentlichen, der iustitia commutativa zum privaten Recht mündet. Die gegen diese These sprechenden Gründe sind hier nicht vollständig zu wiederholen. Zur Erinnerung sei nur in aller Kürze darauf hingewiesen, dass die Verwirklichung jeder Form von Gerechtigkeit im verfassten Rechtsstaat auf die Möglichkeit zwangsweiser Durchsetzung angewiesen und von ihr bestimmt ist. Da jegliche Form dieser Durchsetzung durch staatliche Gewalt ermöglicht oder abgesichert ist, lässt sich auch im Vertragsrecht stets ein hierarchisches Verhältnis konstruieren, das auf dem Boden der Unterscheidung nach hierarchischen und gleichstufigen Verhältnissen die Anwendung der iustitia distributiva rechtfertigen kann.664 662

Dazu oben, S. 36 ff. Jansen, Die Struktur des Haftungsrechts, S. 83. 664 Auch die von Verträgen bewirkte Gerechtigkeit zeigt sich letztlich erst in der Durchsetzung des von dieser Gerechtigkeitsform geforderten Ergebnisses. Das erfolgt im Staat im Ausgangspunkt durch die Inanspruchnahme der Gerichte. Diese sind aber den Vertragsparteien übergeordnet; insoweit besteht also auch hier ein hierarchisches Verhältnis. Man mag dagegen 663

H. Iustitia distributiva und iustitia commutativa

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2. Vertragsfremdheit – Vertragsimmanenz Zur Unterscheidung der iustitia distributiva und der iustitia commutativa werden insbesondere auch die Kriterien der Vertragsfremdheit und der Vertragsimmanenz herangezogen. Im deutschen Rechtskreis hat sich dabei insbesondere Canaris um eine sorgsame Ausarbeitung verdient gemacht. Canaris entwickelt in seiner grundlegenden Arbeit zur Bedeutung der iustitia distributiva im Vertragsrecht verschiedene Kriterien zur Abgrenzung der iustitia distributiva von der iustitia commutativa.665 Eine wichtige Funktion spielt dabei die Unterscheidung von vertragsfremden und vertragsimmanenten Kriterien. Im angloamerikanischen Rechtskreis stammt die wohl einflussreichste Ausarbeitung dieser Unterscheidung von Ernest J. Weinrib. Ähnlich wie Canaris beschränkt Weinrib in seiner Theorie des Privatrechts die Gerechtigkeitsanalyse auf vertragsimmanente Elemente.666 Für Weinrib ist die iustitia commutativa (in Weinribs Terminologie: corrective justice) die Form des Privatrechtsverhältnisses.667 Sie zeichnet sich insbesondere dadurch aus, dass sie auf das bipolare Austauschverhältnis zwischen den Parteien fokussiert.668 Dieses nimmt im Vertragsrecht die Form des Vertragsverhältnisses an. Die Vertragsgerechtigkeit darf bei Weinrib konsequentermaßen nur unter Berücksichtigung von Aspekten bestimmt werden, die den Verträgen immanent sind.669 Die Vertragstheorie Canaris ist deutlich stärker ausdifferenziert. Für Canaris ist zunächst die Unterscheidung zwischen vertragsfremden und vertragsimmanenten Kriterien nicht das einzige oder gar das vorrangig anzuwendende Abgrenzungsmoment. Vielmehr nennt Canaris in seiner Analyse der aristotelischen Gerechtigkeitstheorie zwei Hauptkriterien zur Unterscheidung der iustitia distributiva von der iustitia commutativa. Zum einen werde der Gleichheitssatz unterschiedlich gehandhabt:670 „Iustitia distributiva ist Gerechtigkeit in Ansehung der Person, iustitia commutativa Gerechtigkeit ohne Ansehung der Person“.671 Auf die Schwierigkeiten, die dieses Abgren665 einwenden, dass die gerichtliche Durchsetzung weder die empirische Regel darstellt, noch dass sie begriffsnotwendig gerecht ist. Entscheidend ist aber, dass die Möglichkeit der Durchsetzung vor den Gerichten besteht. Diese Möglichkeit darf in ihrer faktischen Kraft nicht unterschätzt werden. Die vertragsbrüchige Partei hat sie stets vor Augen, der Vertragsbruch wird oft nur deshalb unterbleiben, weil die andere Partei das gerechte Ergebnis notfalls vor den Gerichten einklagen und unter Zuhilfenahme staatlichen Zwangs auch gewaltsam durchsetzen kann. S. dazu schon oben, S. 117 ff. 665 Canaris, Die Bedeutung der iustitia distributiva im deutschen Vertragsrecht, S. 9 ff. 666 Weinrib, The Idea of Private Law, S. 75 ff.; Weinrib, in: Panagiotou (Hrsg.), Justice, Law and Method in Plato and Aristotle, 1987, S. 133; Weinrib, Iowa Law Review 1992, 403. 667 Weinrib, The Idea of Private Law, S. 11 f. und S. 56 ff. 668 Weinrib, a.a.O., S. 11 f. und S. 63 ff. 669 Weinrib, The Idea of Private Law, S. 6 ff. Vgl. exemplarisch für den Vertragsschluss und Schadensersatzpflichten Weinrib, a.a.O., S. 136 ff. 670 Canaris, Die Bedeutung der iustitia distributiva im deutschen Vertragsrecht, S. 10 ff. 671 Canaris, a.a.O., S. 11 (Hervorhebungen im Original).

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§ 2 Rechtsphilosophische Grundlegung

zungskriterium aufwirft, wird noch einzugehen sein.672 Das zweite maßgebliche Unterscheidungskriterium sieht Canaris, wie oben schon erläutert, im Verhältnis der Beteiligten.673 Für die iustitia distributiva sei ein „Verhältnis rechtlicher Über- und Unterordnung“ kennzeichnend, für die iustitia commutativa dagegen ein „Verhältnis rechtlicher Gleichordnung“.674 Canaris erkennt allerdings, dass – wie soeben erläutert – dieses zweite Kriterium durch die Beteiligung staatlicher Instanzen an Unterscheidungskraft einbüßt.675 Um dies abzufedern, führt Canaris nun die Unterscheidung zwischen vertragsimmanenten und vertragsfremden Kriterien ein, von der sich die Bestimmung des Verhältnisses der Beteiligten leiten lassen soll: „Bei vertragsrechtlichen Normen ist daher stets im Wege der Auslegung zu ermitteln, ob die betreffende Güterzuordnung in dem Sinne von einem ,Dritten‘ – d.h. hier in der Tat der staatlichen Rechtsordnung – vorgenommen wird, daß sie auf vertragsfremden Kriterien beruht – dann handelt es sich im Zweifel um iustitia distributiva – oder ob sie sich als Ausprägung vertragsimmanenter Wertungen, also (noch) als das Ergebnis eines Austauschs zwischen redlichen und vernünftigen Partnern verstehen läßt – dann geht es um iustitia commutativa.“676

Damit wird für die Entscheidung über das maßgebliche Verhältnis der Beteiligten entscheidend, ob die Güterzuordnung nach vertragsimmanenten oder nach vertragsfremden Kriterien erfolgt.677 Canaris konkretisiert zugleich, welche Aspekte er für vertragsimmanent hält: Sie müssen sich „(noch) als das Ergebnis eines Austauschs zwischen redlichen und vernünftigen Partnern verstehen“ lassen. Erwägungen, die dieses Kriterium nicht erfüllen, sind für Canaris vertragsfremd und gehören zur iustitia distributiva.678 a) Zur Unbestimmtheit der Begriffe Vertragsfremdheit und Vertragsimmanenz Die Unterscheidung zwischen vertragsfremden und vertragsimmanenten Kriterien drückt einen zutreffenden und bedeutsamen Grundgedanken aus: Die iustitia distributiva löst sich mit Blick auf die vertraglich generierten Vertei672

Unten, S. 143 ff. Canaris, a.a.O., S. 9 f. 674 Canaris, a.a.O., S. 10. Ähnlich Perry, in: Horder (Hrsg.), Oxford Essays in Jurisprudence; Fourth Series, S. 237, 238 f. Zur geringen Überzeugungskraft dieser Unterscheidung s. oben, S. 137 f. 675 Canaris, a.a.O., S. 13. Ausführlich zu dieser Problematik oben, S. 99 ff. 676 Canaris, a.a.O., S. 13 (Hervorhebungen im Original). 677 In ähnlicher Weise betont Wright, dass die Austauschgerechtigkeit (in der Terminologie Wrights: corrective justive) Ansprüche aus individuellen Interaktionen betrifft und sich die Gerechtigkeitsanalyse auf diese Interaktion beschränkt, vgl. Wright, Iowa Law Review 1992, 625, 677 f.; Wright, Notre Dame Law Review 2000, S. 1859, 1883 ff. Auch Weinrib betont die bipolare Natur der Austauschgerechtigkeit, vgl. Weinrib, Iowa Law Review 1992, 403, 409 ff. sowie Weinrib, The Idea of Private Law, S. 63 ff. 678 Vgl. auch Benson, Iowa Law Review 1992, 515, 615. 673

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lungen von der Perspektive der unmittelbar am Vertrag Beteiligten. Insofern kann man auch davon sprechen, dass sie Vertragsfremdes berücksichtigt, wenn man die vertragliche Immanenz auf diese enge Beteiligtenperspektive beschränkt. Als Kriterium der Abgrenzung zwischen den beiden Gerechtigkeitsformen ist die Vertragsfremdheit allerdings nur bedingt geeignet.679 Sie führt zu Unbestimmtheit und Unsicherheit. Die Abgrenzung setzt voraus, dass bekannt oder bestimmt ist, was Fremdheit und Immanenz bedeuten, und wie diese Merkmale voneinander abgegrenzt werden können. Der Begriff des Vertragsfremden ist allerdings ebenso wenig wie der Begriff des Vertragsimmanenten einer analytischen Definition zugänglich.680 Wenn – was Canaris freilich nicht vorschlägt – vertragsfremd immer das sein soll, was sich aus Forderungen der iustitia distributiva ergibt, ist für die Definition der iustitia distributiva nichts gewonnen. Denn die Vertragsfremdheit soll ja gerade Auskunft darüber geben, welche Aspekte zur iustitia distributiva gehören und welche nicht. Gleiches gilt mutatis mutandis für die Vertragsimmanenz und ihr Verhältnis zur iustitia commutativa.681 Die Unterscheidung zwischen vertragsfremden und vertragsimmanenten Kriterien ist daher für das Verhältnis der iustitia distributiva zur iustitia commutativa insofern aufschlussreich, als sie den jeweiligen Gerechtigkeitsperspektiven inhärente Eigenschaften beschreibt. Sie ist allerdings nur begrenzt geeignet, vertragsrechtliche Phänomene den jeweiligen Gerechtigkeitsformen zuzuordnen. Diese Zuordnung lässt sich vielmehr nur unter rechtspolitischen Aspekten treffen. Bei Canaris lässt sich die rechtspolitische Natur der Abgrenzung zwischen vertragsfremden und vertragsimmanenten Aspekten unter anderem daran erkennen, dass die maßgeblichen Abgrenzungskriterien in den unbestimmten Begriffen des „redlichen und vernünftigen Ausgleichs zwischen den Parteien“ beinhaltet sind.682 Der rechtspolitische Charakter der Abgrenzung bedarf indes noch näherer Erläuterungen. b) Zum rechtspolitischen Charakter der Unterscheidung von Vertragsfremdheit und Vertragsimmanenz Die rechtspolitische Natur der Unterscheidung von vertragsfremden und vertragsimmanenten Kriterien zeigt sich beispielsweise bei der Erörterung des dispositiven Rechts, das Canaris der iustitia commutativa zuordnet.683 Den 679 Vgl. auch Simmonds, in: Passerin d’Entrèves/Vogel (Hrsg.), Public and Private, 2000, S. 149, 153 ff. 680 Grundlegend zu dieser Problematik aus sprachanalytischer Perspektive van Quine, in: van Quine (Hrsg.), From a Logical Point of View, 1964, S. 20. 681 Was vertragsimmanent ist, lässt sich analytisch nicht bestimmen. Wenn sich das Vertragsimmanente dadurch auszeichnet, dass es Geboten der iustita commutativa entspringt, liegt mit Blick auf die iustitia commutativa wiederum eine definitio idem per idem vor. 682 Canaris, Die Bedeutung der iustitia distributiva im deutschen Vertragsrecht, S. 13. 683 Canaris, a.a.O., S. 14.

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Grund hierfür sieht Canaris darin, dass die Funktion des dispositiven Vertragsrechts „grundsätzlich in der angemessenen Ausformung der Postulate der ausgleichenden Gerechtigkeit“ liege.684 Dies begründet Canaris mit Blick auf die Regeln der Rechts- und Sachmängelhaftung damit, dass sie „dem anderen Teil lediglich das“ zusprechen, „was ihm nach dem Vertrag ,eigentlich‘ ohnehin gebührt oder was er doch zumindest vernünftiger- und redlicherweise erwarten darf.“685 Die Argumentation Canaris’ ist in der Sache durchaus plausibel. Man kann gute Gründe dafür finden, weshalb beispielsweise dem Käufer im Verhältnis zum Verkäufer Gewährleistungsrechte gebühren und dass es im Verhältnis zwischen den beiden vernünftig ist, wenn der Käufer etwa bei einem Sachmangel zunächst Nachbesserung verlangen kann. Diese Argumentation ist auf die Perspektive der unmittelbar am Vertrag Beteiligten beschränkt und blendet Auswirkungen aus, die sich aus einer Verallgemeinerung oder Kontextualisierung ergeben können. In der so beschränkten Perspektive ist die Argumentation nachvollziehbar. Sie zeigt allerdings keine Leitlinien auf, die begründen, inwieweit das Vertragsrecht (etwa seine dispositiven Regelungen) nur aus diesem Blickwinkel heraus betrachtet werden sollen und die externe, verallgemeinernde Perspektive der iustitia distributiva ausgeschlossen ist. Diese Perspektive ist – ebenso plausibel – bei der Rechts- und Sachmängelhaftung möglich. So lassen sich etwa die Regeln der Rechts- und Sachmängelhaftung auch aus einer externen und verallgemeinernden Perspektive erklären: Sie schaffen, um nur einen Aspekt aufzugreifen, einen ökonomisch und gesellschaftlich wünschenswerten Anreiz zur Vermeidung von Rechts- und Sachmängeln. Dieser Aspekt könnte etwa die Antwort auf die in der Terminologie Canaris’ maßgebliche Frage geben, weshalb den Parteien das Verteilungsergebnis dispositiver Regelungen „eigentlich gebührt“ oder sie es „redlicherund vernünftigerweise erwarten dürfen“. Gerade die Konkretisierung dieser unbestimmten Rechtsbegriffe legt aber den Rückgriff auf außerhalb des konkreten Einzelvertrages liegende Gesichtspunkte nahe, jedenfalls aber ist sie für solche außervertraglichen Aspekte offen. Man kann diese normativen Begriffe auch als Einfallstore für externe Bewertungsmaßstäbe verstehen, die mit dem konkreten Vertrag selbst nur noch wenig zu tun haben. Jansen kritisiert die Abgrenzung Canaris’ mit Blick auf das Haftungsrecht unter einem ähnlichen Aspekt: Wenn die dispositiven Regeln des Vertragsrechts zur iustitia commutativa gehören, weil sie vertragsimmanente Wertungen beinhalten, müsste, so Jansen, für Canaris das gesamte deliktische Haftungsrecht Gegenstand der iustitia distributiva sein. Denn deliktsrechtliche Regeln sind nie vertragsimmanent, sondern schon ihrem Gegenstand nach außervertraglicher Natur. Jansen sieht hier eine grundlegende Unterscheidung missachtet: „Der Irrtum eines solchen Verständnisses besteht darin, daß der 684 685

Canaris, a.a.O., S. 14. Canaris, a.a.O., S. 14.

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Regelungsgegenstand einer Norm, nämlich die Frage, ob sie auf Interaktionen oder auf Verteilungen bezogen ist, nicht von der Frage getrennt wird, wer die fragliche Norm in Geltung gesetzt hat.“686 Die Kritik Jansens übersieht indes, dass Canaris seinen Untersuchungsgegenstand von vornherein auf das Vertragsrecht begrenzt hat. Es ist aber durchaus möglich, das Wesen der iustitia distributiva im vertragsrechtlichen Kontext nach anderen Kriterien zu beurteilen als im Haftungsrecht. c) Zur erkenntnistheoretischen Unmöglichkeit der Beschränkung der Perspektive auf vertragsimmanente Kriterien Die Abgrenzung zwischen iustitia distributiva und iustitia commutativa durch die Kriterien der Vertragsfremdheit bzw. der Vertragsimmanenz wirft ein weiteres Problem erkenntnistheoretischer Natur auf. Wenn das Recht nur vertragsimmanente Kriterien berücksichtigt, hat es eine Entscheidung bereits getroffen, nämlich die Entscheidung dafür, nur vertragsimmanente Kriterien zu berücksichtigen (und damit, die Perspektive der iustitia commutativa einzunehmen und die Perspektive der iustitia distributiva auszublenden). Diese Entscheidung lässt sich aber nicht treffen, ohne dass potentiell relevante Kontexte und Folgewirkungen zumindest versuchsweise in den Blick genommen wurden.687 3. Zur „Ansehung der Person“ a) Die Frage nach der Ansehung der Person als Abgrenzungsmerkmal zwischen iustitia distributiva und iustitia commutativa Viele Autoren – etwa Canaris, Honsell, Radbruch, Weinrib oder Wright – betrachten die Handhabung des Gleichheitssatzes als wesentliches Kriterium bei der Abgrenzung von iustitia distributiva und iustitia commutativa.688 Diese Einordnung steht im Einklang mit der von Aristoteles entwickelten Unterscheidung der Gerechtigkeitsformen: Bei der iustitia commutativa bedeutet Gleichheit arithmetische Proportionalität, bei der iustitia distributiva dagegen geometrische Proportionalität.689 Die von Aristoteles explizit erörterten Beispiele betreffen Lebenssachverhalte, die im Wesentlichen deliktischen Kategorien angehören: Bei Ehebruch und Betrug müsse arithmetische Proportionali-

686

Jansen, Die Struktur des Haftungsrechts, S. 85. Dies ergibt sich aus dem erkenntnistheoretischen Vorrang der iustitia distributiva. Dieser ist unten eingehend beschrieben, S. 172 ff. 688 Radbruch, Rechtsphilosophie, S. 121 f.; Canaris, Die Bedeutung der iustitia distributiva im deutschen Vertragsrecht, S. 10; Weinrib, in: Panagiotou (Hrsg.), Justice, Law and Method in Plato and Aristotle, 1987, S. 133, 135 ff.; Wright, Iowa Law Review 1992, 625, 702 ff., 706; Wright, Notre Dame Law Review 2000, 1859, 1887 f.; Honsell, in: Schermaier/Rainer/Winkel (Hrsg.), Iurisprudentia universalis, 2002, S. 287, 294 ff. 689 Dazu eingehend oben, S. 36 ff. 687

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tät herrschen.690 Im historischen Kontext lässt sich hier ein fortschrittlicher Gedanke erkennen. Arithmetische Proportionalität lässt unerheblich sein, ob es die Gerechtigkeit mit einer armen oder reichen, mächtigen oder schwachen Person zu tun hat.691 Auch ein Adeliger muss einem einfachen Bürger Schadensersatz zahlen, wenn er ihn verletzt hat. Dieser Gedanke ist über die von Aristoteles erörterten Beispiele und auch über den Kontext seiner Zeit hinaus verallgemeinerungsfähig. Auch im Vertragsrecht kommt ihm einige Überzeugungskraft zu: Der Käufer muss den Kaufpreis unabhängig davon zahlen, ob er reich oder arm ist. Insofern ist gut nachvollziehbar, das Wesen der Austauschgerechtigkeit in der Abstraktion zu erblicken. Austauschgerechtigkeit soll immer dann vorliegen, wenn Gerechtigkeit ohne Ansehung der Person konkretisiert wird692 und „beide Personen ganz schematisch als schlechthin gleich behandelt werden“693. Für Weber ist diese Vorgehensweise für den Markt typisch, der „nur Ansehen der Sache, kein Ansehen der Person“ kenne.694 Wright betont zu Recht, dass die iustitia commutativa insofern bereits Kants Konzept eines absoluten, unveräußerlichen moralischen Eigenwertes jedes einzelnen Menschen vorwegnimmt.695 Die iustitia commutativa betont die moralische und rechtliche Gleichwertigkeit aller Menschen.696 Die deutsche Dogmatik steht in besonderer Nähe zu dieser Analyse: Der hohe Abstraktionsgrad des bürgerlichen Rechts zeigt sich besonders deutlich im allgemeinen Schuldrecht: Schuldner und Gläubiger werden allein in ihren spezifischen und minimalistisch definierten rechtlichen Funktionsrollen betrachtet. Dagegen bleiben die sozialen und wirtschaftlichen Verhältnisse, innerhalb derer diese Rollen ausgeübt werden, grundsätzlich ausgeblendet. Canaris sieht auch im Zusammenspiel verschiedener Grundsätze – insbesondere der Grundsätze pacta sunt servanda sowie des Prinzips der Selbstverantwortung – 690

Vgl. oben, S. 41 f. Vgl. auch Weinrib, in: Panagiotou (Hrsg.), Justice, Law and Method in Plato and Aristotle, 1987, S. 133, 135 f. 692 Salomon, Der Begriff der Gerechtigkeit bei Aristoteles, S. 26 und 126 ff.; Küster, in: Baur (Hrsg.), Funktionswandel der Privatrechtsinstitutionen, 1974, S. 541, 550; Canaris, Die Bedeutung der iustitia distributiva im deutschen Vertragsrecht, S. 10 ff.; ähnlich auch Weinrib, in: Panagiotou (Hrsg.), Justice, Law and Method in Plato and Aristotle, 1987, S. 133, 135 ff. 693 Canaris, a.a.O., S. 10; ebenso Weinrib, in: Panagiotou (Hrsg.), Justice, Law and Method in Plato and Aristotle, 1987, S. 133, 137 f. 694 Weber, Wirtschaft und Gesellschaft, MWG I/22–1, S. 194. 695 Wright, Iowa Law Review 1992, 625, 702. Kant begründet die Würde und Selbstzweckhaftigkeit des einzelnen insbesondere in seiner Grundlegung zur Metaphysik der Sitten, s. Kant, Grundlegung zur Metaphysik der Sitten, Akademie-Ausgabe, Bd. IV. Vgl. auch Perry, in: Horder (Hrsg.), Oxford Essays in Jurisprudence; Fourth Series, S. 237, 256. Die Begründung des Aristoteles ist freilich pragmatischer Natur und teilt nicht den idealistischen und vernunftstheoretischen Charakter der Begründung Kants. 696 Einen ähnlichen Ansatz verfolgt Benson, der auf dem Boden von Hegels Rechtsphilosophie zu einem autonomen Verständnis der iustitia commutativa gelangt, vgl. Benson, Iowa Law Review 1992, 515, 549 ff. 691

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keinerlei distributiven Kriterien impliziert.697 Zutreffend betont er, dass es keine schrankenlose Vertragsfreiheit geben könne, und insbesondere der Einzelne auch das Risiko nachteiliger Geschäfte tragen müsse.698 Umgekehrt bedürfe aber auch die „Übervorteilung“699 der anderen Partei im Grundsatz keiner besonderen Legitimation.700 Nur bei besonders qualifizierten Beeinträchtigungen der Entscheidungsfreiheit wie Zwang, Drohung oder Täuschung müsse die Rechtsordnung korrigierend eingreifen.701 Dabei gehe es aber um die iustitia commutativa, weil diese Beeinträchtigungen unabhängig von der Person der Beteiligten unerlaubt seien, „nicht nur durch den Starken gegen den Schwachen, den Listenreichen gegen den Unbeholfenen, sondern auch umgekehrt durch diese gegen jene“.702 Zutreffend betont Canaris hier die schon bei Aristoteles erarbeitete Eigenheit der iustitia commutativa, von bestimmten persönlichen Eigenschaften der Beteiligten abzusehen.703 b) Zur Unbestimmtheit der Frage nach der Ansehung der Person Auch die Ansehung oder Nichtansehung der Person ermöglicht allerdings keine klare Abgrenzung der iustitia distributiva von der iustitia distributiva. Dies liegt an der Unbestimmtheit der Frage nach der Ansehung oder NichtAnsehung der Person. Diese Unbestimmtheit ermöglicht zudem, die entscheidenden Wertungskriterien in strukturellen Konzepten zu verbergen, statt sie offen als inhaltliche Fragen zu diskutieren. Inwieweit das Vertragsrecht besondere Eigenschaften der Personen berücksichtigt, ist eine normative Frage, die auf die inhaltliche Konkretisierung der Gerechtigkeitsidee bezogen ist. Solche inhaltlichen Wertungsfragen sollten aber möglichst offen als solche angesprochen werden. Dass es bei der Frage nach der Ansehung der Person im Vertragsrecht um solche normativen Gesichtspunkte geht, lässt sich leicht ersehen. Die Abstraktion des Vertragsrechts geht nie so weit, vollständig von allen Eigenschaften der beteiligten Personen zu abstrahieren.704 Selbst der Schuldner des allgemeinen Schuldrechts wird eben in seiner persönlichen Eigenschaft als Schuldner betrachtet. Insofern ermittelt das allgemeine Schuldrecht das Gerechte auch in Ansehung eines in seiner Person liegenden Merkmals. Bliebe das Vertragsrecht dabei stehen, könnte man diesen Einwand natürlich leicht widerlegen. Irrelevant, so könnte man einwenden, sind dann eben alle Eigen697

Canaris, Die Bedeutung der iustitia distributiva im deutschen Vertragsrecht, S. 61. Canaris, a.a.O., S. 61 f. 699 Dies ist die Übersetzung Canaris’ des von Kronman verwendeten Begriffs des „advantage-taking“, vgl. Kronman, Yale Law Journal 1980, 472. 700 So auch Lucy, Oxford Journal of Legal Studies 1989, 132, 143 ff. 701 Canaris, Die Bedeutung der iustitia distributiva im deutschen Vertragsrecht, S. 62. 702 Canaris, a.a.O., S. 62. 703 Zustimmend auch M. Stürner, Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit im Schuldvertragsrecht, S. 361. 704 Auch das Deliktsrecht und das Strafrecht müssen interne, persönliche Eigenschaften der Beteiligten berücksichtigen, vgl. dazu Wright, Iowa Law Review 1992, 625, 646. 698

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schaften der Beteiligten, außer diejenigen, die zum Verständnis ihrer jeweiligen vertragsrechtlichen Position unbedingt erforderlich sind. Indes muss das Vertragsrecht zwingend auch weitere in der Person der Beteiligten liegende Eigenschaften berücksichtigen. Dies zeigt sich wiederum in besonderer Eindringlichkeit bei den Grenzen der Vertragsfreiheit. So mag man etwa versuchen, § 138 BGB nicht als Ausdruck der iustitia distributiva zu erklären, sondern als die iustitia commutativa flankierende Regelung, die eine freie Willensentscheidung schützt und dadurch die Einnahme der Perspektive der iustitia commutativa ermöglicht.705 Das entscheidende Problem dabei ist aber, dass nur vertragsexterne Kriterien Auskunft darüber erteilen können, ob eine Entscheidung frei war oder nicht.706 Die Entscheidungsfreiheit einer Person verneinen wir deshalb, weil wir ihre Person betrachten und sie für nicht vollständig frei erachten. Wenn sich das Vertragsrecht dafür entscheidet, bestimmte Kontexte und Verallgemeinerungen nicht zu berücksichtigen und sich auf die Perspektive des konkreten Vertrages zu beschränken, stellt sich das Vertragsrecht im Ergebnis zwar als Anwendung der iustitia commutativa dar. Von Folgerungen unserer Zuschreibung oder Nicht-Zuschreibung von Entscheidungsfreiheit für andere Verträge und andere Personen wird dann ebenso abgesehen wie von sozialen und ökonomischen Implikationen. Diese Perspektive ist nicht von der Hand zu weisen. Sie hat den Vorzug größerer Einfachheit, kann die Rechtssicherheit erhöhen und auch unter ökonomischen Gesichtspunkten vorzugswürdig sein. Diese Vorzüge verdeutlichen aber bereits, dass die Entscheidung für die Perspektive der iustitia commutativa auch durch den Blick auf vertragsexterne Gesichtspunkte begründbar wird. Diese heteronomen Faktoren können zwar im Ergebnis bewirken, dass die Perspektive auf den konkreten vertraglichen Austausch beschränkt wird. Der Grund liegt jedoch gerade darin, dass bestimmte Fehlsteuerungen vermieden werden sollen, die aus einer vertragsexternen Perspektive erkennbar oder zumindest vermutet werden. Dies zeigt aber, dass bereits die Einnahme der Perspektive der iustitia commutativa eine rechtspolitische Entscheidung voraussetzt, für die wiederum selbstverständlich gute Gründe sprechen können. Die Beschränkung auf die Perspektive der iustitia commutativa wird auch im Ergebnis erst dann fragwürdig, wenn die Folgewirkungen der Verallgemeinerung anders beurteilt werden. Auch dafür können im Einzelfall gute rechtspolitische Gründe sprechen. Die Unbestimmtheit der Frage nach der Ansehung oder Nicht-Ansehung der Person lässt sich an der Regelung des § 138 Abs. 2 BGB näher veranschaulichen. § 138 Abs. 2 BGB erklärt ein Rechtsgeschäft für nichtig, bei dem der eine unter „Ausbeutung einer Zwangslage, der Unerfahrenheit, des Mangels an Urteilsvermögen oder der erheblichen Willensschwäche eines anderen“ ei705 706

So Canaris, Die Bedeutung der iustitia distributiva im deutschen Vertragsrecht, S. 51 ff. Grundlegend dazu Kronman, Yale Law Journal 1980, 472.

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nen auffällig hohen Vorteil erlangt. Die spezifischen Schwächesituationen – Zwangslage, Unerfahrenheit, mangelndes Urteilsvermögen und erhebliche Willensschwäche – lassen sich aber in Abstraktion von der Person des Betroffenen nicht ermitteln. Ob sich jemand in einer Zwangslage befindet, lässt sich nur in Ansehung des Betroffenen entscheiden. Für die Unerfahrenheit, das mangelnde Urteilsvermögen und die erhebliche Willensschwäche gilt nichts anderes. Auch wenn § 138 Abs. 2 BGB nicht angewendet wird: Das Vertragsrecht zwingt dazu, zumindest einen vorläufigen Blick auf die Person der Beteiligten zu werfen. Anders lässt sich die Anwendbarkeit des § 138 Abs. 2 BGB nicht ausschließen. Dieser Gedanke ist verallgemeinerungsfähig. So wird zwar der Zweck des § 138 BGB zutreffend dahingehend beschrieben, dass er die freie Willensbestimmung schützen soll.707 Das grundlegende Erkenntnisproblem zeigt sich aber auch hier. Ohne Zuhilfenahme externer Entscheidungskriterien kann nicht ermittelt werden, in welchen Fällen eine Willensbestimmung frei ist, in welchen Fällen sie dagegen nicht frei ist.708 Dabei spielt eine entscheidende Rolle, welche konkreten Personen mit welchen persönlichen Eigenschaften beteiligt sind: Die Entscheidungsfreiheit des Bürgen etwa kann das Vertragsrecht – hier in Form einer § 138 BGB konkretisierenden richterlichen Entscheidung – eben gerade deshalb verneinen, weil der konkret betroffene Bürge keine freie Entscheidung treffen konnte. Eine Entscheidung darüber lässt sich aber ohne Ansehung der Person ebenso wenig treffen wie ohne Zuhilfenahme von Entscheidungskriterien, die außerhalb des konkreten Vertrages liegen. Dass für § 123 BGB Ähnliches gilt, liegt auf der Hand: Ob eine Person arglistig getäuscht oder bedroht wirkt, hängt wiederum von konkreten Eigenschaften der Person ab. Beides wird im Rechtsverkehr bei einem schüchternen und unerfahrenen Jugendlichen eher bejaht werden als bei einem geschäftserfahrenen Kaufmann. Ohne Ansehung der betroffenen Personen lässt sich damit keine Entscheidung darüber treffen, ob die Grenzen der Vertragsfreiheit gewahrt sind oder nicht. c) Prozedurales Gerechtigkeitsmodell zur Fiktion faktischer Gleichheit Der Notwendigkeit zur Berücksichtigung vertragsexterner Kriterien, um zwischen der Ansehung oder Nicht-Ansehung der Person und zwischen den Perspektiven der iustitia commutativa und der iustitia distributiva zu unterscheiden, kann man durch ein prozedurales Gerechtigkeitsmodell entgehen wollen. Ausgangspunkt solcher Modelle ist letztlich der Gleichheitssatz. Der Gedanke der Austauschgerechtigkeit beruht auf dem Konzept gleichberechtigter und gleichmächtiger Tauschpartner. Wenn und soweit die am Vertrag Beteiligten in allen relevanten Hinsichten als „gleich“ beurteilt werden können, scheint gerechtfertigt zu sein, dass externe Bewertungselemente ausgeklam707 708

Vgl. Canaris, a.a.O., S. 50. Kronman, Yale Law Journal 1980, 472.

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mert bleiben. Dieser Gleichheitsgedanke ist für das von Aristoteles entwickelte Konzept der iustitia commutativa konstitutiv. Die von der iustitia commutativa erzielte Gerechtigkeit verwirklicht arithmetische Gleichheit und ermöglicht Aristoteles die im historischen Kontext bemerkenswert fortschrittliche These, dass aus der Perspektive der iustitia commutativa heraus kein Grund besteht, etwa bei Schadensersatzpflichten (auch im Vertragsrecht) zwischen Adeligen und einfachen Bürgern der Polis zu unterscheiden. Der Adelige mag zwar in einer Aristokratie kraft seiner Herkunft der Würde nach über dem Bürger stehen. Diese Würde rechtfertigt aber keine Bevorzugung im Anwendungsbereich der iustitia commutativa. Hier wird virulent, inwiefern sich iustitia commutativa als Gerechtigkeit „ohne Ansehung der Person“ verstehen lässt und von möglichen besonderen Eigenschaften der Beteiligten abstrahiert. Diese gelten für die iustitia commutativa als gleich. Diese Gleichheit ist allerdings eine Fiktion, die in der Realität oft nicht zutrifft: Die Vertragsbeteiligten können mit Blick auf relevante Eigenschaften gerade nicht gleich sein.709 Daher gewinnen Verfahren einen besonderen Reiz, die diese Ungleichheit ausgleichen und Gleichheit schaffen können. Wenn etwa das Informationsdefizit einer Partei durch Aufklärungspflichten der anderen Partei ausgeglichen ist, erhält die Perspektive der iustitia commutativa, die auf der Annahme der Gleichheit der Vertragsparteien beruht, eine reale Grundlage: Die Gleichheit besteht mit Blick auf die Informationen, über die die Parteien verfügen, nun nicht nur fiktiv, sondern auch tatsächlich. Der Gleichheitsgedanke eröffnet so den Weg zu einem prozeduralen Gerechtigkeitsmodell.710 Die Anwendung der iustitia commutativa setzt Gleichheit (in allen relevanten Aspekten) voraus. Wenn diese Gleichheit fehlt, kann das Recht versuchen, sie herzustellen. Ein möglicher Weg besteht in der Einrichtung von Verfahren. Im Vertragsrecht resultieren faktische Ungleichheiten häufig daraus, dass die Beteiligten hinsichtlich der ihnen zur Verfügung stehenden Informationen tatsächlich nicht gleich sind. Der Käufer eines asbestverseuchten Grundstücks kann etwa von der Verseuchung im Gegensatz zum Verkäufer nichts wissen. So besteht mit Blick auf das Wissen um die Verseuchung eine Ungleichheit zwischen den Vertragsparteien. Das Wissen um eine solche Verseuchung kann das Recht auch mit guten Gründen als relevant behandeln.711 Diese Ungleichheit lässt sich dadurch beseitigen, dass die über die relevante Information verfügende Partei diese Informationen der anderen Partei zukommen lassen muss. Dies verwirklicht das deutsche Vertragsrecht bei709

Fleischer, Informationsasymmetrie im Vertragsrecht, passim.; Reymann, Das Sonderprivatrecht der Handels- und Verbraucherverträge, S. 146 f.; Repgen, Kein Abschied von der Privatautonomie, S. 11 ff. 710 Zu dessen Vorzügen etwa Tschentscher, Prozedurale Theorien der Gerechtigkeit, S. 118 ff. 711 Zu möglichen Gründen etwa Grigoleit, Vorvertragliche Informationshaftung, S. 64 ff. und 70 ff.

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spielsweise durch Aufklärungspflichten.712 Die in diesem Kontext entscheidende Qualität dieses Informationsmodells besteht in seiner Prozeduralität, die eine vertragsimmanente Lösung zulässt.713 Informations- und Aufklärungspflichten dienen lediglich der Herstellung der Gleichheit zwischen den Vertragsparteien und ermöglichen so die Anwendung der iustitia commutativa, ohne dass dabei die externe Perspektive der iustitia distributiva eingenommen werden muss.714 Ein prozedurales Verständnis der Austauschgerechtigkeit scheint daher den Anwendungsbereich der iustitia commutativa gegenüber der iustitia distributiva zu erweitern und die Anwendung der iustitia commutativa ohne Ansehung persönlicher Eigenschaften der Vertragsparteien zu ermöglichen. d) Erkenntnistheoretische Grenzen des prozeduralen Gerechtigkeitsmodells Doch auch die Verfahrensregeln, durch die die Perspektive der iustitia commutativa ermöglicht und gesichert werden soll, lassen sich nicht bestimmen, ohne zunächst die externe Perspektive der iustitia distributiva eingenommen zu haben. Für Aufklärungspflichten etwa ist zunächst relevant, ob die faktische Ungleichheit der Parteien mit Blick auf bestimmte Informationen als relevant beurteilt werden soll oder nicht.715 Bei der Entscheidung über diese Frage führt eine auf den Vertrag beschränkte Analyse aber kaum weiter. Erst aus einer verallgemeinernden Analyse lässt sich bestimmen, welche Informationsunterschiede relevant sind und welche nicht. Der Blick muss dabei vom einzelnen Sachverhalt gelöst werden. Wenn etwa Käufer oder Verkäufer jegliches Wissen über den Kaufgegenstand an die andere Partei weitergeben müssen, entfallen Anreize, solches Wissen durch Investitionen zu beschaffen. Schon diese einfache Überlegung zeigt, dass eine Aufklärung über alle Informationen ökonomisch nicht ratsam sein kann. Das Vertragsrecht muss im Einzelnen schwierige Entscheidungen darüber treffen, welcher Informationsvorsprung erwünscht ist oder erduldet werden soll. Dabei sind aber nicht nur die konkret Beteiligten in ihren unmittelbaren Interessen zu berücksichtigen. Vielmehr muss das Vertragsrecht hier die gesellschaftlichen und ökonomischen Konsequenzen bedenken, die sich aus einer Verallgemeinerung des konkret zur Entscheidung stehenden Sachverhalts oder Regelungskomplexes ergeben können.716 Das Ergebnis dieser Entscheidung kann durchaus sein, den Wissensun712

Zur dogmatischen Verortung Grigoleit, Vorvertragliche Informationshaftung. Canaris, AcP 2000, 273, 303 ff.; Drexl, Die wirtschaftliche Selbstbestimmung des Verbrauchers, S. 445 ff. 714 Vgl. auch Fastrich, in: Heldrich/Prölss/Koller (Hrsg.), Festschrift für Claus-Wilhelm Canaris, 2007, S. 1071, 1075. 715 Näher dazu unten, S. 368 ff. 716 Dazu etwa Grigoleit, Vorvertragliche Informationshaftung, S. 71 ff.; ausführlich zu den wirtschaftswissenschaftlichen Aspekten dieser Frage Fleischer, Informationsasymmetrie im Vertragsrecht, S. 93 ff. 713

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terschied nicht als relevanten Unterschied zwischen den Parteien zu betrachten. Diese werden vom Vertragsrecht dann (mit Blick auf diesen Umstand) als gleich betrachtet. Im Ergebnis bedeutet dies zwar die Anwendung der iustitia commutativa. Doch konnte dieses Ergebnis nicht erzielt werden, ohne zuvor auch die Perspektive der iustitia distributiva eingenommen zu haben. Das Vertragsrecht kann einen bestimmten Wissensunterschied aber auch für relevant halten und Aufklärungspflichten konstatieren. Die erfüllte Aufklärungspflicht stellt dann Gleichheit her und ermöglicht wiederum die Anwendung der iustitia commutativa. Die verletzte Aufklärungspflicht lässt sich vordergründig ebenfalls als Anwendung der iustitia commutativa erklären, weil die rechtliche Sanktion (etwa Vertragsaufhebung oder Schadensersatz717) lediglich die von ihren Eigenschaften unabhängige Gleichheit zwischen den Beteiligten herzustellen scheint. Doch auch hier gilt, dass die Entscheidung des Vertragsrechts über die Relevanz des Wissensunterschiedes nicht ohne Einnahme der externen Perspektive der iustitia distributiva erzielt werden konnte. Erst diese Perspektive vermag prozeduralen Gerechtigkeitsmodellen Erklärungskraft zu verleihen. Prozesse können in letzter Konsequenz mit Blick auf ihren Gerechtigkeitsgehalt nur bewertet werden, wenn die konkreten Ergebnisse der Prozesse in den Blick genommen werden. Eine auf die Gleichheit der Prozessteilnehmer beschränkte Sicht, die nur die Anwendbarkeit der iustitia commutativa sicherstellen sollen, ist erkenntnistheoretisch ausgeschlossen und auch gerechtigkeitstheoretisch nicht zwingend.718 Ein weiteres Beispiel mag diese Überlegungen veranschaulichen. In einer dem Bürgschaftsbeschluss des Bundesverfassungsgerichts719 zugrunde liegenden Konstellation720 war eine geschäftlich unerfahrene Bürgin vom Vertreter der Gläubigerin über die ihr unbekannten Risiken der Bürgschaft im Unklaren gelassen worden.721 Bei der Unterzeichnung sagte ihr der Vertreter, sie gehe keine große Verpflichtung ein, er brauche das für seine Akten.722 In dieser Konstellation ist auch eine auf Aufklärungspflichten beruhende Lösung denkbar. Das Vertragsrecht könnte diese Ungleichheit durch eine Aufklärungspflicht des Gläubigers beseitigen, durch die Gleichheit hergestellt wird. Als Sanktion könnte etwa ein auf Vertragsaufhebung qua Naturalrestitution gerichteter Schadensersatzanspruch der Bürgin verhängt werden.723 Auf den ers717 Einzelheiten bleiben hier außer Betracht, s. dazu etwa Grigoleit, Vorvertragliche Informationshaftung, S. 84 ff.; S. Lorenz, Der Schutz vor dem unerwünschten Vertrag, S. 313 ff. und S. 383 ff. 718 Vgl. auch Gordley, in: Benson (Hrsg.), The Theory of Contract Law, 2007, S. 265, 283 f. 719 BVerfGE 89, 214. 720 Diese Konstellation gelangte mit dem Aktenzeichen 1 BvR 567/89 zum Bundesverfassungsgericht. 721 BVerfGE 89, 214, 218 f. 722 BVerfGE 89, 214, 218 f. 723 Vgl. dazu umfassend und differenzierend S. Lorenz, Der Schutz vor dem unerwünschten Vertrag, S. 487 ff.

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ten Blick scheint diese Lösung eine Anwendung der iustitia commutativa darzustellen: Die Aufklärungspflicht der Bank dient dazu, die für die Perspektive der iustitia commutativa vorausgesetzte Gleichheit auch faktisch zu realisieren. Doch lässt sich die Entscheidung des Vertragsrechts über die Annahme einer solchen Pflicht kaum ohne Berücksichtigung externer Konsequenzen treffen. Die Annahme einer Aufklärungspflicht fällt schwer, wenn von Folgerungen der konkreten Entscheidung für ähnliche Konstellationen (Bürgschaften naher Familienangehöriger ohne geschäftliche Erfahrung) abstrahiert wird. Erst eine externe Perspektive liefert die maßgeblichen Argumente. So werden etwa möglicher Weise Banken weniger bereitwillig Kredite an Darlehensnehmer vergeben, die keine dinglichen Sicherheiten bieten können. Es liegt aber keineswegs fern, ein öffentliches Interesse daran anzunehmen, die private Kreditvergabe auch in diesen Fällen zu fördern oder zumindest zu ermöglichen.724 Auch ist die Rechtssicherheit gefährdet, wenn es nicht gelingt, klare und für die Berater nachvollziehbare Kriterien für das Bestehen von Aufklärungspflichten zu entwickeln. Andererseits ist es ein legitimes Anliegen des Rechts, unerfahrene Angehörige zu schützen, die in einer besonderen Drucksituation stehen, wenn sie ihnen nahestehenden Menschen Hilfe in Form einer Bürgschaft gewähren sollen. Erst auf der Ebene der iustitia distributiva kann daher die Entscheidung darüber getroffen werden, ob Aufklärungspflichten angenommen werden sollen oder nicht. Deshalb kann es auch nicht überzeugen, wenn etwa Honsell die in den Bürgschaftsentscheidungen zum Ausdruck kommenden Gerechtigkeitssätze in der iustitia commutativa verankert sieht.725 Dabei wendet er sich in missverständlicher Weise auch gegen Canaris: „Nach einem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts, der die Privatautonomie erheblich einschränkt, ist der Richter bei belastenden Verträgen, die das Ergebnis eines ,strukturellen Ungleichgewichts‘ sind, zu einer korrigierenden Inhaltskontrolle verpflichtet. Auch dies lässt sich – wie immer man verfassungsrechtlich und ordnungspolitisch dazu stehen mag – einfach als Fall der iustitia correctiva verstehen. Es erscheint gekünstelt, in solchen Eingriffen mit Canaris einen Akt proportionaler (distributiver)

724

Ähnlich etwa mit Blick auf die Möglichkeit, die Ehewohnung als Kreditsicherheit zu stellen, Lord Browne-Wilkinson in der undue influence-Leitentscheidung Barclays Bank v O’Brien [1994] 1 AC 180: “It is easy to allow sympathy for the wife who is threatened with the loss of her home at the suit of a rich bank to obscure an important public interest, viz the need to ensure that the wealth currently tied up in the matrimonial home does not become economically sterile. If the rights secured to wives by the law renders vulnerable loans granted on the security of matrimonial homes, institutions will be unwilling to accept such security, thereby reducing the flow of loan capital to business enterprises. It is therefore essential that a law designed to protect the vulnerable does not render the matrimonial home unacceptable as security to financial institutions.“. 725 Honsell, in: Schermaier/Rainer/Winkel (Hrsg.), Iurisprudentia universalis, 2002, S. 287, 297.

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Gerechtigkeit zu sehen, indem man argumentiert, dass der Staat dem Schwächeren ,in Ansehung der Person‘ quasi zum Ausgleich seiner ,Bedürftigkeit‘ proportional mehr Rechte zuteilt.“726

Honsell zitiert dabei die Seiten 35 und 39 von Canaris’ grundlegender Untersuchung zur Bedeutung der iustitia distributiva im deutschen Vertragsrecht. Der Zusammenhang, in den Honsell die Zitierung stellt, legt dabei den Eindruck nahe, Canaris könne auch die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zur Sittenwidrigkeit von Bürgschaften naher Familienangehöriger in Fällen strukturellen Ungleichgewichts der iustitia distributiva zuordnen. Allerdings erörtert Canaris auf den von Honsell zitierten Seiten lediglich den Gleichbehandlungsgrundsatz für Mehrheitsbeschlüsse in Gesellschaften sowie den arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz. Die Bürgschaftsrechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ordnet er weder dort noch andernorts der iustitia distributiva zu. Für Canaris dürfte daher vielmehr der von ihm postulierte Vorrang der iustitia commutativa727 zum Tragen kommen. Auch bietet sich zur Lösung dieser Fallgruppe auch das von Canaris geschätzte prozedurale Modell der Austauschgerechtigkeit an.728 Man mag zwar in den Grundsätzen „pacta sunt servanda“ und dem Prinzip der Selbstverantwortung Optimierungsgebote sehen, die per se keine distributive Komponente beinhalten.729 In der rechtspraktischen Konkretisierung dieser Optimierungsgebote muss aber zwingend ihr Anwendungsbereich ermittelt werden. Der Grundsatz „pacta sunt servanda“ lässt sich in seiner Bedeutung nur erfassen, wenn sein Anwendungsbereich und damit seine Grenzen bestimmt sind. Das Beispiel der Vertragsfreiheit veranschaulicht dies besonders deutlich. Denn die Bedeutung der Vertragsfreiheit in einer Rechtsordnung lässt sich nur erkennen, wenn die Grenzen der Vertragsfreiheit erkannt sind.730 Auch sozialistische Rechtsordnungen erkennen Privatautonomie und Vertragsfreiheit im Grundsatz an.731 In ihnen sind diese Maximen allerdings von vornherein auf einen sehr engen Anwendungsbereich begrenzt. Ihre Bedeutung ist daher in sozialistischen Gesellschaften eine völlig andere als die, die sie in freiheitlich ausgerichteten Gesellschaftsordnungen europäischer Prägung einnehmen. Erst ein Blick auf die Grenzen der Vertragsfreiheit ermöglicht also, die Bedeutung dieses Grundsatzes in der jeweiligen Gesellschaftsordnung wirklich zu erfassen.

726

Honsell, in: Schermaier/Rainer/Winkel (Hrsg.), Iurisprudentia universalis, 2002, S. 287,

297. 727 Canaris, Die Bedeutung der iustitia distributiva im deutschen Vertragsrecht, S. 119 ff. Dazu noch eingehend unten, S. 181 ff. 728 Canaris, a.a.O., S. 48 ff. 729 Canaris, a.a.O., S. 61. 730 Vgl. auch Raiser, JZ 1958, 1. 731 Flume, Das Rechtsgeschäft, S. 1 (§ 1, 1.).

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4. Iustitia distributiva und iustitia commutativa als Perspektiven der Gerechtigkeitsidee im Vertragsrecht Mit der Frage nach der Vertragsimmanenz und der Vertragsfremdheit sowie nach der „Ansehung der Person“ hat insbesondere Canaris maßgebliche Aspekte erarbeitet, die für die Bedeutung der Gerechtigkeitsformen im Vertragsrecht entscheidend sind. Wegen der soeben erörterten notwendigen Unbestimmtheit dieser beiden Merkmale bieten sie allerdings keine vollständig befriedigende Beschreibung der Charakteristika der Gerechtigkeitsformen. Die Aspekte lassen sich im Sinne der bereits angedeuteten Unterscheidung732 weiterentwickeln und präzisieren. Iustitia distributiva und iustitia commutativa lassen sich als Perspektiven der Gerechtigkeitsidee im Vertragsrecht beschreiben. Beide Gerechtigkeitsformen konkretisieren die objektive Gerechtigkeitsidee unter jeweils eigenständigen und unterschiedlichen Blickwinkeln. a) Charakteristika der iustitia commutativa Die iustitia commutativa geht mit einer Fokussierung auf das Verhältnis der konkret betroffenen Vertragsparteien einher, wobei Verallgemeinerungen im Wesentlichen ausgeblendet werden. Die Perspektive der iustitia commutativa ist für das vertragsrechtliche Paradigma des bipolaren Austauschvertrages die prima facie naheliegendste Gerechtigkeitsform. Ihre Perspektive lässt sich gerade auch in ihrer Verschiedenheit von der Perspektive der iustitia distributiva anschaulich anhand des Gleichnisses der Arbeiter im Weinberg aus dem Matthäus-Evangelium nachvollziehen. „Das Himmelreich ist gleich einem Hausvater, der am Morgen ausging, Arbeiter zu mieten in seinen Weinberg. Und da er mit den Arbeitern eins ward um einen Groschen zum Tagelohn, sandte er sie in seinen Weinberg. Und ging aus um die dritte Stunde und sah andere an dem Markte müßig stehen und sprach zu ihnen: Gehet ihr auch hin in den Weinberg; ich will euch geben, was recht ist. Und sie gingen hin. Abermals ging er aus um die sechste und die neunte Stunde und tat gleich also. Um die elfte Stunde aber ging er aus und fand andere müßig stehen und sprach zu ihnen: Was steht ihr hier den ganzen Tag müßig? Sie sprachen zu ihm: Es hat uns niemand gedingt. Er sprach zu ihnen: Gehet ihr auch hin in den Weinberg, und was recht sein wird, soll euch werden. Da es nun Abend ward, sprach der Herr des Weinberges zu seinem Schaffner: Rufe die Arbeiter und gib ihnen den Lohn und heb an an den Letzten bis zu den Ersten. Da kamen, die um die elfte Stunde gedingt waren, und empfing ein jeglicher seinen Groschen. Da aber die ersten kamen, meinten sie, sie würden mehr empfangen; und sie empfingen auch ein jeglicher seinen Groschen. Und da sie den empfingen, murrten sie wider den Hausvater und sprachen: Diese haben nur eine Stunde gearbeitet, und du hast sie uns gleich gemacht, die wir des Tages Last und die Hitze getragen haben. Er antwortete aber und sagte zu einem unter ihnen: Mein Freund, ich tue dir nicht Unrecht. Bist du 732

Oben, S. 2 sowie S. 135 ff.

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nicht mit mir eins geworden für einen Groschen? Nimm, was dein ist, und gehe hin! Ich will aber diesem letzten geben gleich wie dir.“733

Hier ist selbstverständlich nicht der Ort für eine theologische Deutung dieses Gleichnisses. Es lässt sich aber auch für die Gerechtigkeitstheorie fruchtbar machen. Ob die unterschiedslose Entlohnung aller Arbeiter mit je einem Groschen gerecht ist oder nicht, darüber lässt sich trefflich streiten.734 Der tiefere Grund dafür, dass das Gleichnis irritiert und keine eindeutige Antwort auf die Gerechtigkeitsfrage zuzulassen scheint, liegt in den unterschiedlichen Perspektiven, aus denen heraus die gleiche Entlohnung aller beurteilt werden kann. Gerade deshalb ist das Gleichnis mit Blick auf die Unterscheidung der iustitia commutativa von der iustitia distributiva so lehrreich. Die iustitia commutativa würde die Gerechtigkeitsanalyse auf die einzelnen bipolaren Verhältnisse zwischen den Arbeitern und dem Herrn des Weinbergs beschränken.735 Die Entlohnung der Arbeiter, die den ganzen Tag gearbeitet haben, ist aus der Perspektive der iustitia commutativa gerecht. Sie haben den Groschen erhalten, der in ihren jeweiligen Vertragsverhältnissen mit dem Herrn des Weinbergs als Tagelohn vereinbart war. Den Blick auf das Gesamtgeschehen eröffnet die iustitia commutativa nicht. Für sie ist irrelevant, welche Entlohnung die später dazugekommenen Arbeiter empfangen. Im Vertragsrecht bezieht sich die iustitia commutativa insoweit auf Vertragsimmanentes, als das Vertragsrecht die Entscheidung für diese abstrakte Perspektive und gegen eine verallgemeinernde Betrachtung unter Einbeziehung möglicher Folgewirkungen getroffen hat.736 Die iustitia commutativa bleibt dem Vertrag insofern „immanent“, als ihr Blickwinkel auf den konkreten Austausch der unmittelbar am Vertrag Beteiligten beschränkt ist.737 Weinrib begrenzt die iustitia commutativa dementsprechend ausnahmslos auf das bipolare Verhältnis von maximal zwei Parteien.738 Auch soweit im Sinne der Entdeckung des gemeinsamen Vertragszwecks durch Thomas von Aquin vertragliche Solidarität und Fairness berücksichtigt werden, wird die Austausch733 Mt 20,1–16 in der Übersetzung Martin Luthers. Zur gerechtigkeitstheoretischen Deutung des Gleichnisses vgl. schon Kelsen, Reine Rechtslehre, S. 382 f. (Fn. 27) sowie S. 387; Engisch, Auf der Suche nach der Gerechtigkeit, S. 167 f.; Simmonds, in: Passerin d’Entrèves/Vogel (Hrsg.), Public and Private, 2000, S. 149, 161 ff. 734 Dafür etwa Aubenque, in: Heinaman (Hrsg.), Aristotle and Moral Realism, 1995, S. 35, 40 ff.; dagegen Engberg-Pedersen, in: Heinaman (Hrsg.), Aristotle and Moral Realism, 1995, S. 53 f. 735 Simmonds, in: Passerin d’Entrèves/Vogel (Hrsg.), Public and Private, 2000, S. 149, 161. 736 Vgl. dazu auch – wenngleich zu apodiktisch – Weinrib, in: Panagiotou (Hrsg.), Justice, Law and Method in Plato and Aristotle, 1987, S. 133, 138 ff. 737 Dazu auch Wüst, Die Interessengemeinschaft, S. 26; Lucy, Oxford Journal of Legal Studies 1989, 132; Fastrich, in: Heldrich/Prölss/Koller (Hrsg.), Festschrift für Claus-Wilhelm Canaris, 2007, S. 1071, 1075. 738 Weinrib, in: Panagiotou (Hrsg.), Justice, Law and Method in Plato and Aristotle, 1987, S. 133, 140.

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ebene der konkret Beteiligten nicht verlassen. In sie wird allerdings insbesondere ein Äquivalenzgedanke integriert. Die iustitia commutativa ist im Gegensatz zur iustitia distributiva in ihrer Perspektive auf die Gerechtigkeit nur zwischen den unmittelbar beteiligten Personen beschränkt.739 Mögliche Fernwirkungen werden in dieser Perspektive allenfalls konstatiert, zur Konkretisierung der iustitia commutativa im Vertragsrecht sind sie aber nicht relevant.740 Insofern lehnt eine Analyse vertraglicher Probleme unter dem Blickwinkel der iustitia commutativa auch Verallgemeinerungen ab. Vielmehr betrachtet die iustitia commutativa das betroffene Austauschverhältnis unter einem Brennglas, das Aspekte ignoriert, die über das unmittelbare Verhältnis der Beteiligten hinausgehen. Die iustitia commutativa abstrahiert von solchen Aspekten, die zwar nicht geleugnet, aber eben nicht beachtet werden. Damit ist eine weitgehende Dekontextualisierung verbunden. In welchen sozialen oder ökonomischen Rollen die Beteiligten agieren, wird ausgeblendet, weil die durch Verallgemeinerung der konkreten Regelung möglichen Auswirkungen der vertraglichen Verteilungsentscheidung auf Personen einer bestimmten sozialen oder ökonomischen Rolle irrelevant sind.741 Diese Charakteristika der iustitia commutativa entsprechen auch dem Prinzip arithmetischer Gleichheit im von Aristoteles verwendeten Sinn.742 Die iustitia commutativa ist in ihrer Dimension auf das bipolare Austauschverhältnis begrenzt, das sich als Gerade veranschaulichen lässt. Die Perspektive der iustitia commutativa eröffnet insbesondere den Blick auf die jeweilige Vereinbarung der Parteien. Diese bildet zumindest in der jüngeren Tradition des Vertragsrechts das Herz des konkreten Vertrages. Soweit die Vereinbarung der Vertragsparteien als autonom gesetztes Recht die subjektiven Befugnisse, Pflichten und Freiheitsrechte der Vertragsparteien bestimmt, wird die durch die Vereinbarung konstituierte autonome Entscheidung der Parteien zum entscheidenden Maßstab der durch das Vertragsrecht bewirkten Verteilung. Es zeigt sich insofern eine nahe Affinität der iustitia commutativa zur Vertragsfreiheit. Soweit sich vertragliche Rechte, Pflichten und Befugnisse auf die Vertragsfreiheit stützen lassen, abstrahiert das Vertragsrecht vom sozialen, gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Kontext des Vertrages. Das Vertragsrecht konzentriert sich allein auf den Austausch der unmittelbar Beteiligten und orientiert sich an der Konkretisierung ihres Austauschverhältnisses, das dieses durch die kraft Vertragsfreiheit 739 S. auch Wendehorst, Anspruch und Ausgleich, S. 599, die das von ihr entwickelte Modell allokatorischer Anspruchsausfüllung der iustitia commutativa (bzw. in ihrer Terminologie: correctiva) zuordnet. Dabei führt sie mit Blick auf die dabei zur Anwendung gelangenden Kriterien aus: „Sie sind alles andere als distributiv im Sinne der iustitia distributiva, weil sie allein das bipolare Privatrechtsverhältnis zwischen Gläubiger und Schuldner betreffen…“. 740 Vgl. auch Weinrib, in: Panagiotou (Hrsg.), Justice, Law and Method in Plato and Aristotle, 1987, S. 133, 141 f. 741 Lucy, Oxford Journal of Legal Studies 1989, 132. 742 Oben, S. 41 ff.

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geschlossene Vereinbarung genommen hat. Die Perspektive der iustitia distributiva kommt insoweit nicht zum Tragen. b) Charakteristika der iustitia distributiva Die iustitia distributiva berücksichtigt dagegen vertragsfremde Aspekte insoweit, als das Vertragsrecht die Entscheidung getroffen hat, den Blick vom konkreten Vertragsverhältnis zu lösen und Folgewirkungen im sozialen und ökonomischen Kontext des Falles durch Verallgemeinerung und Folgenanalyse einzubeziehen.743 Das Gleichnis des Matthäus-Evangeliums von den Arbeitern im Weinberg würde aus dieser Perspektive heraus die einzelnen Verhältnisse nicht in ihrer jeweils exklusiven Bipolarität betrachten.744 Vielmehr wäre der gesamte Kontext des Geschehens zu berücksichtigen, und die vertraglichen Arrangements zur Ermöglichung der Ernte wären in ihren Folge- und Verteilungswirkungen zu analysieren. Für die iustitia distributiva ist die Entlohnung der zuerst eingestellten Arbeiter nicht schon deshalb gerecht, weil ein Groschen als Lohn verabredet war. Vielmehr ist auch der Lohn zu berücksichtigen, den die später dazugestoßenen Arbeiter empfangen haben, die weniger gearbeitet haben. Der Hausvater kann in der Perspektive der iustitia distributiva als verteilende Instanz betrachtet werden, der Lohn nach einem bestimmten Maßstab an die Arbeiter verteilt. Als Verteilungsmaßstab ist zwar auch der vertraglich vereinbarte Lohn denkbar. Ebenso könnte man aber eine Verteilung nach Maßstab der Zahl der Arbeitsstunden fordern. Aus der Perspektive der iustitia distributiva kann die Entlohnung der zuerst gekommenen Arbeiter also durchaus ungerecht erscheinen. Für das Vertragsrecht bedeutet die iustitia distributiva eine Erweiterung des vertragsrechtlichen Horizonts. Ihrer Struktur nach ist sie auf externe Effekte des Vertragsrechts ausgerichtet und berücksichtigt auch potentielle Folgen und auf diese bezogene Steuerungsmöglichkeiten.745 Diese Erweiterung der Perspektive bedeutet selbstverständlich keine vollständige Ausblendung des unmittelbar betroffenen Verhältnisses. Entscheidend ist vielmehr, dass die Analyse bei diesem nicht stehen bleiben darf.746 Diese weite Perspektive bleibt nicht ohne Konsequenzen. Die iustitia distributiva zwingt dazu, die Einbettung des Sachverhalts in soziale, ökonomische und gesellschaftliche Kontexte zu berücksichtigen. Die iustitia distributiva verlangt dabei nicht, sämtliche 743 Zur Kontextualisierung instruktiv Rehbinder, Stanford Law Review 1971, 941, 950 ff. (allerdings ohne expliziten Bezug zur iustitia distributiva). 744 Simmonds, in: Passerin d’Entrèves/Vogel (Hrsg.), Public and Private, 2000, S. 149, S. 161 f. 745 Für ein solches Verständnis des Vertragsrechts auch etwa Wilhelmsson, European Law Journal 2004, 712; Riesenhuber/Möslein, in: Riesenhuber (Hrsg.), Perspektiven des europäischen Schuldvertragsrechts, 2008, 1, 27 ff. 746 Vgl. auch Wüst, Die Interessengemeinschaft, S. 25 und anschaulich auf S. 27: „Wir sind also frei, den isolierten Blickpunkt dann zu verlassen, wenn er sich einer angemessenen Bewältigung konkreter Rechtsprobleme in den Weg stellt.“.

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Einbettungen als relevant zu berücksichtigen. Sie verlangt aber, dass die Gerechtigkeitskriterien nicht ausschließlich auf die Folgen für die unmittelbar am Vertrag Beteiligten beschränkt bleiben.747 Mögliche Fernwirkungen des Vertragsrechts werden nicht nur konstatiert, sondern potentiell auch berücksichtigt. Die iustitia distributiva setzt Regelungsbereiche und Sachverhalte in einen größeren Kontext. Dabei können die sozialen und ökonomischen Rollen der Beteiligten Bedeutung erlangen. Auch gesamtgesellschaftliche Auswirkungen vertraglicher Entscheidungen werden berücksichtigt. Die iustitia distributiva geht dabei aber differenziert vor: nicht alle Kontexte und Auswirkungen werden berücksichtigt. Auch bedeutet ihre erweiterte Perspektive nicht, dass die für die iustitia commutativa maßgeblichen Aspekte ausgeblendet werden müssen. Vielmehr ergänzen diese die iustitia distributiva. Insbesondere ist der Blick auf die Vertragsvereinbarungen durch die Einnahme der Perspektive der iustitia distributiva nicht verschlossen. Diese müssen zwar nicht zwingend als entscheidender Verteilungsmaßstab herangezogen werden. Sie werden aber die Verteilungsentscheidung zumindest beeinflussen. Damit führt die iustitia distributiva typischer Weise zu einer erweiterten Perspektive des Vertragsrechts – sowohl, was vertragliche Normen anbelangt, als auch, was deren Konkretisierungen betrifft. Das Recht darf unter ihrer Herrschaft nicht ausschließlich das Verhältnis zwischen den Vertragspartnern in den Blick nehmen, sondern muss über dieses Verhältnis hinausgehen.748 Wiederum lassen sich die Charakteristika der iustitia distributiva mit dem von Aristoteles herangezogenen Bild mathematischer Gleichheit veranschaulichen.749 Als geometrische Gleichheit formt die iustitia distributiva ein Dreieck, das eine mehrdimensionale, flächige Betrachtungsweise nahelegt. Aus dem Blickwinkel der iustitia distributiva kann das Vertragsrecht also insbesondere auch als Mittel für bestimmte Zwecke gesetzt, betrachtet, bewertet oder angewendet werden. So kann und darf das Vertragsrecht in dieser Perspektive instrumentalisiert werden.750 Aus der Perspektive der iustitia distribu747

Wilhelmsson, European Law Journal 2004, 712, 720. Deshalb überzeugt es nicht, dass Wright zweiseitige privatrechtliche Ansprüche ablehnt, die auf eine Konkretisierung der iustitia distributiva beruhen. Für Wright ergibt sich nur in dem seltenen Ausnahmefall ein „bilateral distributive justice claim“, dass nur eine einzige Person zu viel und eine einzige Person zu wenig hat, vgl. Wright, Iowa Law Review 1992, 625, 705. Das Vertragsrecht kann aus der Gerechtigkeitsperspektive der iustitia distributiva heraus vielmehr einzelnen Ansprüche deshalb gewähren, weil auf lange Sicht in verallgemeinernder Perspektive die Gewährung solcher Ansprüche Verteilungseffekte zeitigen kann, deren Erreichung die iustitia distributiva konkretisiert. 749 Oben, S. 37 f. 750 S. dazu auch Steindorff, in: Baur (Hrsg.), Funktionswandel der Privatrechtsinstitutionen, 1974, S. 621; E. Schmidt, JZ 1980, 153; Westermann, AcP 2008, 141, 149 f.; Riesenhuber/Möslein, in: Riesenhuber (Hrsg.), Perspektiven des europäischen Schuldvertragsrechts, 2008, S. 1, 27 ff.; kritisch zur Instrumentalisierung des Privatrechts Fastrich, in: Heldrich/Prölss/Koller (Hrsg.), Festschrift für Claus-Wilhelm Canaris, 2007, S. 1071, 1073 ff. 748

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tiva heraus bestehen keine Einwände gegen einen Gesetzgeber, der durch die vertraglich bewirkte Verteilung von Chancen, Risiken und Vermögen gesamtgesellschaftliche Ziele unterschiedlichster Art verfolgen möchte. Natürlich stellt sich dabei die Frage, inwieweit das Vertragsrecht als Mittel für die Erreichung dieser Ziele geeignet ist.751 Dies ist aber bereits eine Binnenfrage der iustitia distributiva, die nicht mehr ihre Abgrenzung von iustitia commutativa und Vertragsfreiheit betrifft. Sie betrifft vielmehr die Konkretisierung der iustitia distributiva in spezifischen Anwendungskontexten. c) Beispiele für die Perspektive der iustitia distributiva Der Zugriff auf den spezifischen Charakter der iustitia distributiva wird erleichtert, wenn ein erster Blick auf einige Beispiele geworfen wird, an denen sich die besondere Perspektive der iustitia distributiva im Vertragsrecht deutlich zeigt.752 In dieser Perspektive kann Vertragsrecht durch die Verteilung von Chancen, Risiken und Vermögen mannigfaltige Zwecke zu erreichen suchen. aa) Verhaltenssteuerung So mag das Vertragsrecht dazu dienen, das Verhalten der Privatrechtssubjekte zu steuern, sie also zu einem als wünschenswert angesehenen Verhalten zu zwingen.753 Ein Beispiel hierfür bietet etwa das Wucherdarlehen. Das Vertragsrecht verwirklicht hier auch die Idee, Kreditgeber davon abzuhalten, wucherische Zinsen zu verlangen. Diese Idee drückt sich zum einen in § 138 Abs. 2 BGB, zum anderen aber auch in § 817 S. 2 BGB aus. Wenn der Bundesgerichtshof diese Normen dahingehend konkretisiert, dass der Wucherer für die Kapitalüberlassung auch keine marktübliche Vergütung verlangen kann (weder auf der Ebene des Vertragsrechts noch auf der Ebene des Bereicherungsrechts), lässt sich diese Konkretisierung aus der Perspektive der iustitia distributiva dadurch erklären, dass sie die präventive Wirkung der §§ 138 Abs. 2, 817 S. 2 BGB weiter verstärkt.754 In ähnlicher Weise lässt sich die Anerkennung einer präventiven Funktion des Schmerzensgeldes bei Persönlichkeitsrechtsverletzungen erklären.755 bb) Paternalismus und Schwächerenschutz Auch paternalistischer Schutz bestimmter Personengruppen ist aus dem Blickwinkel der iustitia distributiva ein mögliches legitimes Ziel des Vertrags751

Dazu eingehend unten, S. 263 ff. Eine ausführlichere Darstellung von Beispielen für die iustitia distributiva im positiven deutschen Vertragsrecht findet sich in § 5. 753 Zu Prävention und Verhaltenssteuerung im Privatrecht instruktiv G. Wagner, AcP 2006, 352. Eingehend dazu noch unten, S. 391 ff. 754 Einzelheiten dazu unten, S. 392 ff. 755 Dazu näher R. Stürner, Zeitschrift für Medien- und Kommunikationsrecht (AfP) 1997, 1, 7 ff.; G. Wagner, AcP 2006, 352, 380 ff.; weitergehend Kern, AcP 1991, 247, der im Schmerzensgeld mit Blick auf seine Genugtuungsfunktion eine Privatstrafe erblickt. 752

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rechts.756 Das naheliegendste Beispiel hierfür ist der Schutz Minderjähriger.757 Eine auf die konkreten Verträge beschränkte Betrachtung vermag das Minderjährigenrecht oft nicht vollständig zu erklären. Erweitert man aber die Perspektive auf die gesamtgesellschaftlichen Auswirkungen des Minderjährigenschutzes, so fügt sich der paternalistische Schutz Minderjähriger stimmig in das Vertragsrecht ein. Ähnliches gilt generell für den Schutz bestimmter Personengruppen – etwa Verbraucher, Bürgen als nahe Angehörige der Hauptschuldner oder auch Ehegatten in bestimmten Konstellationen. Der vertragsrechtliche Schutz solcher Personengruppen lässt sich aus der Perspektive des konkreten Einzelvertrages heraus nur unzureichend erklären. Dazu ist vielmehr eine Verallgemeinerung erforderlich, die über den einzelnen Fall hinausblickt und Konsequenzen für die jeweils betroffenen Personengruppen und Lebensbereiche berücksichtigt. So lässt sich etwa das soziale Mietvertragsrecht aus einer auf die konkreten Mietverhältnisse beschränkten Perspektive und als Ausfluss der Vertragsfreiheit nicht erklären. Das soziale Mietrecht wäre aus dieser Perspektive ein Fremdkörper. Dagegen lässt es sich aus der Betrachtungsweise der iustitia distributiva heraus zwanglos als Teil des Vertragsrechts erklären, der durch Kontextualisierung und Materialisierung die Gerechtigkeitsidee der iustitia distributiva verwirklicht.758 Die Ermittlung vertragsexterner Folgewirkungen des Vertragsrechts begegnet natürlich Prognoseschwierigkeiten. Dabei lässt sich rechtspolitisch darüber streiten, ob bestimmte Konkretisierungen der iustitia distributiva etwa bei Bürgschaften naher Familienangehöriger oder auch im Verbraucherschutzrecht gelungen sind oder nicht. Jedenfalls aber zeigt sich auch in diesen Teilen des Vertragsrechts die Perspektive der Verteilungsgerechtigkeit. Mit dem Schutz Schwächerer hängen auch viele Fälle privatrechtlicher Kontrahierungszwänge zusammen. Der Kontrahierungszwang bietet auch insofern ein anschauliches Beispiel für die Perspektive der iustitia distributiva im Vertragsrecht.759 Er lässt sich in Abstraktion vom ökonomischen und gesellschaftlichen Kontext des Vertrages nicht erklären. Vielmehr wird der Vertrag hier zur Erreichung unterschiedlicher ökonomischer oder gesellschaftlicher Ziele diktiert. Dazu gehört auch der Schutz Schwächerer, wenn etwa die Versorgung mit lebensnotwendi-

756 Näher unten, S. 297 ff. Zum in jüngerer Zeit diskutierten Konzept des liberalen Paternalismus s. nur Eidenmüller, JZ 2011, 814. Der liberale Paternalismus versucht, Verhaltenssteuerung zum Wohle der Betroffenen ohne Zwang oder wesentliche Freiheitsbeschränkungen zu erreichen, s. Eidenmüller, a.a.O. m.w.N. Das Konzept scheint mit den oben erarbeiteten Grenzen eines absoluten Freiheitsbegriffs nur schwer vereinbar zu sein, s. oben, S. 115 ff. Zum Verhältnis verschiedener Formen des Paternalismus und der Vertragsfreiheit s. auch Kronman, Yale Law Journal 1983, 472. 757 S. nur Enderlein, Rechtspaternalismus und Vertragsrecht, S. 189 ff. 758 Dazu eingehend unten, S. 299 ff. 759 Näher unten, 411 ff.

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gen Ressourcen (wie Wasser oder Energie) durch Kontrahierungszwang sichergestellt wird.760 cc) Soziale Gerechtigkeit und Umverteilung Ein weiteres mögliches Ziel der iustitia distributiva ist die Verwirklichung sozialer Gerechtigkeit – etwa in dem von John Rawls erarbeiteten Sinne. Dazu gehört im Grundsatz auch eine soziale Umverteilung von Vermögen – grob vereinfacht gesprochen von reichen hin zu armen Bürgern.761 Bei diesem Aspekt der iustitia distributiva steht die Geeignetheit des Vertragsrechts als Medium der Verteilung besonders in Frage.762 Immerhin ist es aber mit der Gerechtigkeitstheorie John Rawls’ vereinbar, auch das Vertragsrecht als Teil der gesellschaftlichen Grundstruktur zu betrachten, innerhalb derer Gerechtigkeitsprinzipien gelten und umgesetzt werden können.763 In der Wissenschaft sind auch durchaus Vorschläge zu finden, das Vertragsrecht unmittelbar als Medium der Umverteilung von Vermögen einzusetzen.764 Zumindest für die positive deutsche Rechtsordnung werden sich allerdings nur wenige Anwendungsbereiche für die Konkretisierung der iustitia distributiva in ihrer Ausprägung als soziale Umverteilungsgerechtigkeit eröffnen.765 dd) Allgemeinwohlbelange Das Vertragsrecht kann vom Gesetzgeber auch zur Erreichung von Allgemeinwohlbelangen eingesetzt werden. Ein Beispiel dafür ist etwa das Allgemeininteresse an einer angemessen Gesundheitsversorgung aller Bürger. So konstituiert der im Zuge der Gesundheitsreform 2007 eingeführte Kontrahierungszwang privater Krankenversicherungen eine Indienstnahme des privaten Vertragsrechts zur Erreichung gesundheitspolitischer Ziele. Inwieweit die iustitia distributiva hier überzeugend konkretisiert ist, wird im Laufe der Arbeit noch eingehend zu erörtern sein.766 Die zentrale Problematik dieses Kontrahierungszwangs besteht darin, dass mit ihm letztlich auch eine Umverteilung von Vermögen zulasten der Gruppe der privat versicherten Personen verbunden ist, die insoweit ein Sonderopfer für die Verwirklichung eines Allgemeinwohlbelanges erbringen.767

760

Dazu eingehend unten, S. 411 ff. Im einzelnen sind die Mechanismen sozialer Umverteilung deutlich komplexer, s. dazu nur Zacher, DÖV 1970, 3, 5 ff. 762 Generell zum Vertragsrecht als Medium der Verteilung unten, S. 268 ff. 763 Dazu oben, S. 78 ff. S. auch Zacher, DÖV 1970, 3, der die Universalität der sozialen Aufgabe betont, die nicht von vornherein auf bestimmte Rechtsgebiete festgelegt werden könne. 764 Dazu näher unten, S. 272 ff. 765 Unten, S. 272 ff. 766 Unten, S. 424 ff. 767 Dazu eingehend unten, 424 ff. 761

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d) Iustitia distributiva durch dispositives Vertragsrecht? In den letzten Jahren ist dispositives Recht unter Aufnahme einer vor allem im angloamerikanischen Rechtskreis geführten Diskussion auch in der deutschen Literatur eindringlich untersucht worden.768 Das Vertragsrecht bildet einen zentralen Anwendungsbereich dispositiver Regelungen. Der Primat der Vertragsfreiheit bedeutet für das Vertragsrecht: Ausgangspunkt ist die Disponibilität aller vertragsrechtlichen Regelungen. Zwingendes Recht, das die Parteien nicht abbedingen können, wird so im Vertragsrecht zur begründungsbedürftigen Ausnahme. Die iustitia distributiva betrachtet das Vertragsrecht aber auch unter den jeweiligen gesellschaftlichen, sozialen oder kulturellen Kontexten und ist daher für die Verwirklichung vertragsexterner Ziele offen. Sie ermöglicht eine Materialisierung und Politisierung des Vertragsrechts. Sind auch nachgiebige Regeln des Vertragsrechts ein legitimes Mittel zur Erreichung solcher außerhalb der unmittelbaren Vertragsbeziehung liegenden Ziele? Die Verwirklichung der iustitia distributiva durch dispositives Recht wäre dann zweifelhaft, wenn dispositives Recht nur das ausdrückt, was die Parteien ohnehin gewollt haben bzw. den Willen der Parteien „bloß zu Ende denkt“. Wenn dispositives Recht nur den wirklichen oder mutmaßlichen Willen der Vertragsparteien ausspricht, muss sein Gerechtigkeitsgehalt auch nur unter der Perspektive des konkret betroffenen Vertrages ermittelt werden. Die besondere Affinität der iustitia commutativa zur Vertragsfreiheit würde in diesem Fall durchschlagen. Dispositives Recht sollte die objektive Gerechtigkeitsidee dann nur unter der Perspektive der iustitia commutativa verwirklichen. Die Gerechtigkeit würde ihren Ausdruck im Wesentlichen im Inhalt der konkreten Verträge und unter einer auf diese bezogenen und beschränkten Perspektive finden. Wenn sich dagegen die Regeln des dispositiven Vertragsrechts nicht darauf beschränken, den Willen der Parteien auszudrücken oder zu Ende zu denken, kann ihr Gerechtigkeitsgehalt auch außerhalb des Parteiwillens und der konkreten Vertragsverhältnisse liegen. Dispositives Vertragsrecht könnte dann auch unter der Perspektive der iustitia distributiva die objektive Gerechtigkeitsidee verwirklichen. Für das Verständnis der Natur des dispositiven Vertragsrechts ist die um 1900 geführte Kontroverse über das Verhältnis dispositiven Rechts zur Privatautonomie hilfreich.769 Besonders einflussreich war der Standpunkt Savignys.770 Seine Vertragstheorie legte – beeinflusst wohl auch von der Philosophie 768 Vgl. nur die dazu erschienenen Monographien aus jüngerer Zeit: Cziupka, Dispositives Vertragsrecht; Bechtold, Die Grenzen zwingenden Vertragsrechts; Möslein, Dispositives Recht; Kähler, Begriff und Rechtfertigung abdingbaren Rechts. 769 S. schon S. Arnold, Die Bürgschaft auf erstes Anfordern im deutschen und englischen Recht, S. 104 ff. 770 Weick, NJW 1978, 11.

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Kants771 – großes Gewicht auf die Autonomie der Parteien. Auch Gründe und Grenzen des dispositiven Rechts verortete Savigny in der Privatautonomie. Savigny beschreibt das dispositive Recht im System der Rechtsregeln wie folgt: „Ein anderer Theil läßt zunächst dem individuellen Willen freye Macht, und nur wo dieser unterlassen hat seine Macht auszuüben, tritt die Rechtsregel an seine Stelle, um dem Rechtsverhältnis die nöthige Bestimmtheit zu geben: Diese Regeln, die man als Auslegungen des unvollständig gebliebenen Willens betrachten kann, nenne ich vermittelnde.“772

Bezeichnend ist bereits die Begrifflichkeit Savignys, der Regeln des dispositiven Rechts als „vermittelnde“ Regeln bezeichnet. Ihre Aufgabe ist seiner Konzeption nach nur die Vermittlung zwischen dem individuellen Parteiwillen und der Bestimmtheit und Vollständigkeit der Rechtsverhältnisse. Aufschlussreich ist auch die Kritik Savignys an der Bezeichnung dispositiver Regeln als „erlaubende“: „Endlich ist bei der dritten Art das, worauf es ankommt, gar nicht das Erlauben, sondern vielmehr die Ergänzung einer mangelhaften Willensbestimmung. Das Erlauben könnte überhaupt nur Sinn haben in Beziehung auf ein vorausgedachtes Verbot: sey es, daß dieses durch die Erlaubnis aufgehoben, oder ausnahmsweise beschränkt werden solle.“773

Für Savigny kann dispositives Vertragsrecht den Privatrechtssubjekten nichts „erlauben“, denn schon kraft ihrer Autonomie haben sie die Macht, ihre Rechtsverhältnisse frei zu gestalten. Die Rede von der „Erlaubnis“ würde dagegen Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers nahelegen; zur Verwirklichung vertragsexterner Zwecke auch durch dispositive Regeln wäre es nur ein kleiner Schritt. Für Savigny liegt dieses Verständnis aber fern; folgerichtig bekämpft er auch einen Sprachgebrauch, der es stützen könnte. Savigny akzentuiert dagegen auch sprachlich die Autonomie der Vertragsparteien, wenn er die Regeln dispositiven Rechts als „Auslegungen des unvollständig gebliebenen Willens“ bezeichnet. In diesem Sprachgebrauch kommt die limitierte Funktion dispositiven Rechts klar zum Ausdruck. Dispositives Recht hat in dieser Konzeption eine der Privatautonomie dienende, ihr untergeordnete Funktion.774 771 Zum Einfluss Kants auf Savigny vgl. etwa Ikadatsu, Der Paradigmawechsel der Privatrechtstheorie und die Neukonstruktion der Vertragstheorie in seinem Rahmen, S. 105 ff.; Unberath, Die Vertragsverletzung, S. 63 ff. sowie Unberath, Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte (Germanistische Abteilung) 2010, 142. 772 Von Savigny, Pandekten. Obligationenrecht, Allgemeiner Teil, S. 57 f. 773 Von Savigny, Pandekten. Obligationenrecht, Allgemeiner Teil, S. 59. 774 So in jüngerer Zeit auch etwa Unberath, Die Vertragsverletzung, S. 156, für den es bei der Anwendung dispositiven Rechts allein um die Ermittlung des Parteiwillens geht. Auch die aus dieser Anwendung resultierenden subjektiven Rechte finden für Unberath ihre Grundlage nicht im Gesetz, sondern im Willen der Parteien, den das Gesetz typisierend aufgreife.

H. Iustitia distributiva und iustitia commutativa

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Diese Funktion lässt sich kaum mit der Perspektive der iustitia distributiva vereinbaren, die über die konkrete vertragliche Vereinbarung hinausgeht und ihren Gerechtigkeitsgehalt auch in einer Verallgemeinerung und Materialisierung sucht. Die Offenheit der iustitia distributiva für unterschiedliche Verteilungsmaßstäbe, die auch soziale, kulturelle und ökonomische Kontexte des Vertragsgeschehens berücksichtigen können, ist mit Savignys Erklärung dispositiven Rechts unvereinbar. Für Savigny kann die Gerechtigkeitsidee nur in Form der iustitia commutativa ausgedrückt werden. Denn deren auf den konkreten Vertrag begrenzte Perspektive ermöglicht und verlangt insbesondere den Zugriff auf die konkrete Parteivereinbarung und begrenzt die Gerechtigkeitsanalyse auf das konkrete Vertragsgeschehen, ohne dieses zu verallgemeinern oder durch heteronome Aspekte zu erweitern. Diese Erklärung, die das dispositive Recht bei Savignys fand, ist um die Jahrhundertwende zunehmend kritisiert worden.775 Bülow brachte die Gegenposition in einer einflussreichen Schrift zum dispositiven Zivilprozessrecht im Jahre 1881 besonders klar und eindringlich zum Ausdruck.776 Schon im Titel seiner Abhandlung Dispositives Civilprozeßrecht und die verbindliche Kraft der Rechtsordnung deutet er seinen für das dispositive Recht zentralen Gedanken an: Auch dieses ist für ihn Teil der „verbindlichen Kraft der Rechtsordnung“. Die verbindliche Kraft der Rechtsordnung ist in diesem Verständnis aber gerade nicht auf den Parteiwillen beschränkt. Vielmehr gibt es dieser Konzeption nach objektive Ausprägungen der Rechtsidee, die vom Willen der Parteien verschieden und diesem nicht untergeordnet sind. Diese objektive Rechtsidee drückt sich für Bülow in der verbindlichen Kraft der Rechtsordnung aus, die den Parteien in Gestalt des dispositiven Rechts zwar größere Freiheit einräumt als in Gestalt zwingenden Rechts, nie aber vollkommene Freiheit: „Auch dem dispositiven Recht wohnt verbindliche Kraft inne, aber diese Kraft ist schwächer als die des absoluten. Das dispositive Recht ist nachgiebiger, elastischer gestaltet: die Gebundenheit durch dispositive Rechtssatzung ist eine weniger knappe und enge, sie läßt den Rechtssubjecten im Rechtsverkehr und Prozeßgange eine weiter reichende Bewegungsfreiheit, als es durch die absoluten Rechtssätze geschieht. Aber nirgends dürfen in Folge dispositiven Rechtssatzes die Einzelnen das bestehende Recht ändern, nirgends vom Rechtswege abweichen. Ueberall ist eine äußerste Grenze gesteckt, über welche die Rechtsdisposition nicht hinausschweifen darf, falls sie nicht die rechtliche Wirksamkeit einbüßen soll.“777

Bülow nähert sich dem dispositiven Recht nicht wie Savigny von der Willensautonomie her. Vielmehr entwickelt er seinen Begriff des dispositiven Rechts 775 S. dazu schon S. Arnold, Die Bürgschaft auf erstes Anfordern im deutschen und englischen Recht, S. 105. 776 Bülow, AcP 1881, 1. 777 Bülow, AcP 1881, 1, 46 f.

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aus einer Gegenüberstellung zu zwingenden Rechtssätzen. Schon diese unterschiedliche Vorgehensweise verdeutlicht die gegensätzliche Auffassung Bülows. Über die Annäherung von zwingenden Rechtssätzen her kann er die dem dispositiven Recht innewohnende Ausprägung einer objektiven Rechtsidee überzeugend begründen. Diese Wendung gegen eine zu stark auf den Willen der Parteien fokussierte Auffassung bringt er auch eindringlich zum Ausdruck: „Jene Auffassung gründet sich auf eine Ueberschätzung und Ueberhebung des individuellen Willens und der individuellen Willensmacht: sie ist in ihrem tiefsten Grunde nur eine Folge der subjectivistischen und individualistischen Richtung, welche noch in der Rechtswissenschaft vorherrscht.“778

Die Befähigung dispositiver Rechtssätze zur Verwirklichung objektiver Gerechtigkeitselemente beschreibt auch Stammler plastisch: „Auch der ergänzende Rechtssatz, der sich an häufigen Parteidispositionen anlehnt, bringt inhaltlich objektive Interessen des Verkehrs, Bedürfnisse des socialen Lebens überhaupt zum Ausdruck, nicht blos – aber auch nur in erster Linie – den im einzelnen Fall zu vermutenden Willen der Privaten.“779

Bülow und Stammler sehen also auch in den Regelungen des dispositiven Rechts die objektive Gerechtigkeitsidee unter der Perspektive vertragsheteronomer Gesichtspunkte als verwirklicht an. Von dieser Warte aus ist Gerechtigkeit im dispositiven Vertragsrecht nicht nur unter der auf den konkreten Vertrag beschränkten Perspektive zu suchen und zu bewirken. Vielmehr können dispositive Regeln auch den größeren sozialen, ökonomischen und kulturellen Kontext des Vertragsgeschehens berücksichtigen. Dispositives Recht wird in dieser Konzeption offen für die Verwirklichung der Gerechtigkeitsidee unter der Perspektive der iustitia distributiva. Möslein rechnet auch Canaris dieser Konzeption zu.780 Dabei beruft er sich darauf, dass Canaris dispositive Regelungen weitgehend der iustitia commutativa zuordnet und er ihre Funktion in der „angemessenen Ausformung der Postulate der ausgleichenden Gerechtigkeit“781 sieht.782 Dieser Einschätzung dürfte ein Missverständnis der Konzeption Canaris’ zu Grunde liegen. Möslein beobachtet völlig zutreffend, dass Canaris dispositives Vertragsrecht der iustitia commutativa zuordnet.783 Allerdings bedeutet diese Zuordnung in der gerechtigkeitstheoretischen Analyse Canaris’ keineswegs, dass – so die Formulierung Mösleins – der „Inhalt dispositiver Regeln … heteronom, also unabhängig vom Willen der Parteien…“784 gilt. Heteronomität ist für Canaris 778 779 780 781 782 783 784

Bülow, AcP 1881, 1, 92. Stammler, AcP 1868, 1, 28. Möslein, in: Grundmann (Hrsg.), Festschrift für Klaus J. Hopt, 2010, S. 2861, 2863. Canaris, Die Bedeutung der iustitia distributiva im deutschen Vertragsrecht, S. 14. Möslein, in: Grundmann (Hrsg.), Festschrift für Klaus J. Hopt, 2010, S. 2861, 2863. Vgl. Canaris, a.a.O., S. 14. Möslein, in: Grundmann (Hrsg.), Festschrift für Klaus J. Hopt, 2010, S. 2861, 2863.

H. Iustitia distributiva und iustitia commutativa

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gerade kein Merkmal der iustitia commutativa, sondern der iustitia distributiva.785 Eine Güterzuordnung vertragsrechtlicher Normen, die auf „vertragsfremden Kriterien beruht“786, fällt für ihn daher in den Anwendungsbereich der iustitia distributiva. Dagegen zeichnet sich die iustitia commutativa für Canaris gerade auch dadurch aus, dass sich „die betreffende Güterordnung … als Ausprägung vertragsimmanenter Wertungen, also (noch) als das Ergebnis eines Austauschs zwischen redlichen und vernünftigen Partnern verstehen läßt“.787 Mit Blick auf die iustitia commutativa – und damit auch auf dispositives Vertragsrecht – gilt für Canaris: Gerechtigkeit ist ohne Ansehung der Person788 und unter vertragsimmanenten Gesichtspunkten zu ermitteln. Dadurch ist aber zugleich ein notwendiger Zusammenhang zur Autonomie der Vertragsparteien hergestellt.789 Vertragsimmanent ist insbesondere der wirkliche oder nicht vollständig zu Ende gedachte Wille der Parteien. Für das dispositive Vertragsrecht bedeutet dies: Die Erklärung dispositiven Vertragsrechts steht bei Canaris in deutlichem Gegensatz zu den heteronomen Ansätzen Stammlers und Bülows. Vielmehr liegt sie grundsätzlich nahe bei der von Stammler und Bülow bekämpften Konzeption Savignys. Über diese geht Canaris freilich insofern hinaus, als seiner Konzeption nach auch im Anwendungsbereich der iustitia commutativa ergänzend materiale Kriterien berücksichtigt werden müssen.790 Ein starkes Argument dafür, dass auch dispositives Vertragsrecht der Verwirklichung vertragsexterner Ziele dienen und daher offen für die Gerechtigkeitsperspektive der iustitia distributiva sein kann, lässt sich aus dem Verhältnis Allgemeiner Geschäftsbedingungen und der Verkehrssitte zum dispositiven Gesetzesrecht herleiten. Allgemeine Geschäftsbedingungen wurden schon bald nach Inkrafttreten des BGB als Gegenspieler der Regeln des dispositiven Rechts entdeckt.791 Wenn den Interessen spezifischer Marktteilnehmer mit dem vom dispositiven Recht bestimmten Ausgleich nicht genügend gedient ist, können diese Marktteilnehmer versuchen, mittels Allgemeiner Geschäftsbedingungen ihnen günstigere Bestimmungen durchzusetzen.792 Eine entsprechend starke Marktposition ist natürlich erforderlich, damit sich die Allgemeinen Geschäftsbedingungen durchsetzen können. Wenn dies aber über einen längeren Zeitraum gelingt, mag man versucht sein, den durch die Allgemeinen Geschäftsbedingungen konstituierten Interessenausgleich als 785

Canaris, Die Bedeutung der iustitia distributiva im deutschen Vertragsrecht, S. 13. Canaris, a.a.O., S. 13 (Kursivdurck im Original). 787 Canaris, a.a.O., S. 13 (Kursivdruck im Original). 788 Canaris, a.a.O., S. 11. 789 S. schon oben, S. 155 f. 790 Canaris, a.a.O., S. 51 ff., zum dispositiven Recht insbesondere S. 54. 791 Vgl. zur Entwicklung Danz, Die Auslegung der Rechtsgeschäfte, S. 141 ff. 792 S. dazu auch schon S. Arnold, Die Bürgschaft auf erstes Anfordern im deutschen und englischen Recht, S. 105 f. 786

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Gewohnheitsrecht zu betrachten. Der vom dispositiven Gesetzesrecht vorgesehene Interessenausgleich wäre dann durch den gewohnheitsrechtlich konstituierten Interessenausgleich verdrängt, der seinerseits auf Allgemeinen Geschäftsbedingungen beruht.793 Würde man diese Entwicklung vom Standpunkt Savignys aus beurteilen, wäre wohl wenig einzuwenden. Dispositives Recht komplettiert nur einen unvollständig gebliebenen Willen. Wenn dieser Wille aber von den Parteien selbst durch allgemeine Geschäftsbedingungen vollständiger zum Ausdruck gebracht ist, besteht keine Notwendigkeit, auf das dispositive Recht zurückzugreifen. In der Literatur wurde dieser Entwicklung aber gerade auch mit Blick auf den objektiven Gerechtigkeitsgehalt der dispositiven Rechtsregeln entgegengetreten. Für Oertmann etwa sind die Regeln des dispositiven Rechts „auch wenn nicht geradezu als zwingende ausgestaltet, doch in ihrem rechtspolitischen Wertgehalt keineswegs belanglos: sie stellen das vom Gesetzgeber wohlerwogene Kompromiß dar zwischen dem Gegensatz der bei diesem und jenem Geschäft typisch beteiligten Parteiinteressen, die damit tunlichst gerecht geschlichtet werden sollen.“794 Dabei mag es nicht als Zufall erscheinen, dass die objektive Gerechtigkeitsidee gerade zu Beginn des 20. Jahrhunderts einer formal verstandenen Freiheitsidee entgegengehalten wird. Die geschichtliche Erfahrung der auch durch ungezügelte Marktfreiheiten geschaffenen sozialen Frage dürfte Autoren wie Oertmann durchaus geprägt haben. Allein die Diskussion über den Wirkungsbereich des dispositiven Rechts und über das Verhältnis des dispositiven Rechts zur Verkehrssitte wäre kaum verständlich, würden die Diskursteilnehmer um die Jahrhundertwende nicht auch angenommen haben, dass auch dispositives Recht die Verteilung von Chancen, Risiken und Güter in der Privatrechtsgesellschaft maßgeblich mitbestimmen kann: Die Erfahrung zeigt, dass dispositives Vertragsrecht in der Rechtspraxis sehr häufig zur Anwendung gelangt, also nicht abbedungen wird.795 Wenn man dies berücksichtigt, ist kaum einzusehen, weshalb nicht auch eine verallgemeinernde und kontextualisierende Gerechtigkeitsanalyse bei diesen Normen angewendet werden sollte. Der Versuch, die in ihnen zum Ausdruck kommenden Verteilungsmaßstäbe mittels Verkehrssitte und Geschäftsbedingungen durch andere Maßstäbe zu ersetzen, verweist ebenfalls auf die Mächtigkeit dispositiver Regelungen in diesem Kontext. Heute kommt die Idee eines objektiven Gerechtigkeitsgehalts dispositiver Regelungen in der positiven Vertragsrechtsordnung natürlich insbesondere im Leitbildgedanken des § 307 Abs. 2

793 Vgl. zu diesem Mechanismus Oertmann, Rechtsordnung und Verkehrssitte, S. 318, 332 ff.; Schneider, Jherings Jahrbücher für die Dogmatik des bürgerlichen Rechts (JhJb) 1911, 383, 384, 386 f. 794 Oertmann, Rechtsordnung und Verkehrssitte, S. 332. 795 Dazu eingehend und differenzierend Kähler, Begriff und Rechtfertigung abdingbaren Rechts, S. 161 ff. m.w.N.

H. Iustitia distributiva und iustitia commutativa

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Nr. 1 BGB zum Ausdruck.796 Es ist das Verdienst Raisers, dieser Entwicklung den Boden bereitet zu haben. Er analysiert das dispositive Recht mit scharfem Blick als Ausdruck einer objektiven Gerechtigkeitsidee und nimmt auch dessen Fähigkeit, Verteilungsgerechtigkeit zu verwirklichen, bereits vorweg: „Dieses dispositive Gesetzesrecht spricht sich zwar selbst nur subsidiäre Geltung hinter den Vertragsordnungen zu, aber es ist doch keine beliebige Ordnung, sondern ‚Recht‘ in dem besonderen Sinn einer Objektivierung der Rechtsidee durch die Gesamtrechtsgemeinschaft, das heißt: es darf im allgemeinen … als der angemessene, natürliche Ausgleich der widerstreitenden Partei- und der übergeordneten Gemeinschaftsinteressen angesehen werden, als die ‚normale‘ Ordnung des betreffenden Lebensverhältnisses. Dieser Rechtscharakter verleiht den Dispositivnormen die Tendenz, sich auch gegenüber den Vertragsordnungen immer wieder durchzusetzen;“797

Raiser begründet hier, weshalb eine Inhaltskontrolle allgemeiner Geschäftsbedingungen auch am Maßstab des dispositiven Rechts vorgenommen werden kann: Dieses ist eine Verkörperung der objektiven Rechtsidee, die durch Geschäftsbedingungen nicht grenzenlos aufgegeben werden darf. In dieser Rechtsidee ist ein Ausgleich zwischen den Interessen der Beteiligten vorgesehen, den der Gesetzgeber unter Anwendung verschiedener Verteilungsmaßstäbe mit höherem und niedrigerem Abstraktionsgrad vornehmen kann.798 So erhellt, dass auch das dispositive Recht ein institutionelles Mittel der Privatrechtsordnung zur Verwirklichung der Gerechtigkeit unter der Perspektive der iustitia distributiva darstellen kann. Nachgiebiges Recht ist daher im Grundsatz ein legitimes Mittel zur Verwirklichung der Gerechtigkeitsidee in Form der iustitia distributiva. Inwieweit dispositives Vertragsrecht im Einzelnen auch dazu geeignet ist, die iustitia distributiva zu konkretisieren, wird freilich noch eingehend zu untersuchen sein.799 e) Vorzüge der iustitia distributiva, Vorzüge der iustitia commutativa Iustitia distributiva und iustitia commutativa drücken die objektive Gerechtigkeitsidee im Vertragsrecht in unterschiedlichen Perspektiven aus. Die Entscheidung über die jeweilige Perspektive ist rechtspolitischer Natur und von dem jeweiligen Regelungsbereich abhängig. Gleichwohl lassen sich tendenziell Vorzüge der einen wie der anderen Gerechtigkeitsperspektive formulieren. Die iustitia distributiva berücksichtigt die jeweiligen sozialen, ökonomischen oder gesellschaftlichen Kontexte, in denen einzelne Verträge und das 796 Vgl. auch Cziupka, Dispositives Vertragsrecht, S. 126 ff.; S. Arnold, Die Bürgschaft auf erstes Anfordern im deutschen und englischen Recht, S. 106 ff. 797 Raiser, Das Recht der allgemeinen Geschäftsbedingungen, S. 293. 798 Cziupka, Dispositives Vertragsrecht, S. 128 ff. unter Bezugnahme auf die so ermöglichte Materialisierung des Rechts. 799 Unten, S. 263 ff.

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Vertragsrecht stehen. Diese Kontextualisierung kann dazu führen, dass das Vertragsrecht die objektive Gerechtigkeitsidee gelungener konkretisiert. Dies gilt zumindest insoweit, als der jeweils berücksichtigte Kontext auch in der rechtspolitischen Bewertung des Normanwenders berücksichtigungspflichtig ist. Distributive Kriterien können konkrete Inhalte von Entscheidungen eher bestimmen, als dies aus der Perspektive der iustitia commutativa möglich ist. Ohne Rückgriff auf distributive Aspekte lassen sich konkrete Forderungen der iustitia commutativa schwer bestimmen.800 Die Perspektive der iustitia distributiva kann deshalb auch zur Sicherung des Rechtsfriedens beitragen. Private können Entscheidungen des Vertragsrechts möglicher Weise eher akzeptieren, wenn in ihnen die soziale, ökonomische und gesellschaftliche Einbettung des Vertragsgeschehens Berücksichtigung findet. Private möchten als soziale Wesen wahrgenommen werden, nicht als Vertreter abstrakter und blutleerer Rollen. Das Selbstverständnis des Menschen erschöpft sich nicht darin, freies und autonomes Individuum zu sein. Wir sind uns vielmehr auch unserer Einbettung in soziale, wirtschaftliche, kulturelle und öffentliche Kontexte bewusst und nehmen uns als soziale Wesen wahr. Diesen Aspekt des menschlichen Selbstverständnisses kann die Perspektive der iustitia distributiva einfangen und dadurch die Akzeptanz des Vertragsrechts erhöhen und zur Stabilisierung der Gesellschaft und zum Rechtsfrieden beitragen. Doch auch die iustitia commutativa weist Vorzüge auf. Die mit ihr verbundene Abstraktion und Dekontextualisierung kann dem Selbstbild des Menschen insoweit entsprechen, als wir uns als private Individuen verstehen, die nicht alle Aspekte und Kontexte ihres Lebens der rechtlichen Beurteilung preisgeben möchten. Die iustitia commutativa ermöglicht auch einen unmittelbaren Zugriff auf die vertragliche Vereinbarung. Deren Relevanz bestätigt die Privatrechtssubjekte in ihrem Selbstverständnis als frei und autonom. Die Geneigtheit der Menschen hin zu anderen Menschen und zur Verfolgung gemeinsamer Projekte und Ziele kann die iustitia commutativa spätestens seit der Betonung des gemeinsamen Vertragszwecks durch Thomas von Aquin ebenfalls berücksichtigen. Die mit der Perspektive der iustitia commutativa verbundene weitgehende Abstraktion von faktischen Kontexten kann zudem die Rechtsanwendung erleichtern, beschleunigen und vorhersehbar machen. Für die Privatrechtssubjekte mag gerade mit Blick auf vertragsrechtliche Gerichtsentscheidungen schwer vorhersehbar sein, welche externen Auswirkungen der vertraglichen Verteilung das Gericht in seiner Analyse berücksichtigen wird. Diese Unsicherheit vermeidet die Perspektive der iustitia commutativa zwar nicht vollständig, weil das Recht zumindest probeweise die Perspektive der iustitia distributiva einnehmen muss.801 Gerade die Bereiche des Vertrags800

Vgl. auch Simmonds, in: Tasioulas (Hrsg.), Law, Values, and Social Practices, 1997, S. 129,

134 ff. 801

Dazu noch eingehend unten, S. 172 ff.

H. Iustitia distributiva und iustitia commutativa

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rechts, in denen externe Zusammenhänge weitgehend ausgeblendet sind, lassen jedoch einen vergleichsweise hohen Grad an Vorhersehbarkeit und Rechtssicherheit zu.802 Dies gilt etwa für viele Bereiche des allgemeinen Schuldrechts, das in seiner Abstraktion besonders weit geht und die Beteiligten auf ihre vom faktischen Kontext weitgehend losgelösten Rollen als „Schuldner“ oder „Gläubiger“ beschränkt. Die Tendenz der iustitia commutativa zur Abstraktion kann dazu beitragen, die Kosten von Rechtsstreitigkeiten gering zu halten und eine schnelle und rasche Anwendung des Rechts zu gewährleisten. Diese Aspekte weisen der iustitia commutativa dort eine entscheidende Bedeutung zu, wo Schnelligkeit und Sicherheit wichtig sind, etwa im Handelsrecht.803 5. Das Verhältnis der iustitia distributiva zur iustitia commutativa Aus den jeweiligen Vorzügen und Charakteristika von iustitia distributiva und iustitia commutativa lässt sich das Verhältnis der beiden Gerechtigkeitsformen zueinander nicht herleiten. Iustitia distributiva und iustitia commutativa sind lediglich spezifische Ausdrucksformen der objektiven Gerechtigkeitsidee im Vertragsrecht und zeichnen sich durch bestimmte Perspektiven aus. Wie sie sich zueinander verhalten, ist damit aber noch nicht geklärt. Insbesondere bleibt offen, ob gegebenenfalls der einen oder anderen Perspektive ein normativer oder faktischer Vorrang zukommt. Die damit aufgeworfene Frage nach dem Verhältnis der iustitia distributiva zur iustitia commutativa gilt es im Folgenden zu erörtern. a) Zur Notwendigkeit, über die formal verstandene Grundstruktur der iustitia distributiva hinauszugehen Dabei ist zunächst einem logisch möglichen, für die Zwecke dieser Untersuchung aber letztlich nicht zielführenden Verständnis der iustitia distributiva im Vertragsrecht vorzubeugen. Ziel des Rechts ist die Gerechtigkeit – dies gilt auch für das Vertragsrecht.804 Die Verteilung von Gütern, Chancen, Risiken und Vermögen wird in einer Marktwirtschaft im Wesentlichen durch Verträge bewirkt. Die Ausgestaltung des Vertragsrechts hat also erhebliche Verteilungswirkungen. Diese Aussage ist so selbstverständlich, dass sie selten formuliert oder begründet wird. Sie ist gleichwohl für das Verständnis des Vertragsrechts zentral. Verteilungswirkungen hat jede Regelung des Vertragsrechts, nicht etwa bloß solche, denen Verteilungswirkungen tendenziell zugeschrieben 802 S. auch Fastrich, in: Heldrich/Prölss/Koller (Hrsg.), Festschrift für Claus-Wilhelm Canaris, 2007, S. 1071, 1077. 803 Zu den Charakteristika des Handelsrecht etwa Reymann, Das Sonderprivatrecht der Handels- und Verbraucherverträge, S. 8 ff. 804 Oben, S. 11 ff.

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werden.805 Dies lässt sich an Regelungen des allgemeinen Schuldrechts illustrieren, die durch ihren hohen Abstraktionsgrad zunächst als besonders „unanfällig“ für Verteilungen gelten dürften. Man stelle sich etwa eine Änderung der §§ 280 ff. BGB vor mit dem Inhalt, dass Schuldner Schadensersatz nur bei vorsätzlichem Verhalten leisten müssen. Dies würde bewirken, dass weniger Schuldner Schadensersatz an Gläubiger zahlen. Das Vermögen der Gruppe der Gläubiger würde verringert, das der Schuldner vermehrt. Die konkreten Auswirkungen hängen dabei von den Reaktionen des Marktes ab – so könnten etwa möglicher Weise Gläubiger kostengünstig Vorkehrungen gegen fahrlässige oder grob fahrlässige Schädigungen durch Schuldner treffen. Zugleich könnten sie – wieder nur theoretisch gesprochen – diese Kosten vielleicht auch ganz oder teilweise vertraglich auf die Schuldner abwälzen. Wenn diese Kosten niedriger sind als die ohne diese Maßnahmen zusätzlich entstehenden Schadensersatzzahlungen der Schuldner, hätten Schuldner wie Gläubiger insgesamt ein höheres Vermögen durch eine solche Regelung. Diese Marktreaktionen sollen hier keinesfalls als wahrscheinlich dargestellt werden. Ihre bloße Denkbarkeit verdeutlicht jedoch, dass die konkret durch das Vertragsrecht generierten Verteilungen von vielen empirischen Faktoren abhängig sind, die oft schwer vorherzusehen und zu ermitteln sind. Dass es aber überhaupt zu Reaktionen auf den Märkten und zu entsprechenden Verschiebungen der Vermögensverteilung kommen wird, dürfte unzweifelhaft sein. Das Beispiel illustriert also, wie durch Regeln des Vertragsrechts Vermögen, Chancen, Risiken und Güter zwischen den Bürgern verteilt werden. Dies übersieht etwa Kersting.806 Seiner Einschätzung nach erfolgt die Verteilung der ersten Stufe (Markt als Kooperationsgemeinschaft) nicht durch den Staat, sondern sie wird den Tauschmechanismen des dezentralen Marktsystems überlasen. Dagegen wird erst bei der Verteilung der zweiten Stufe (Solidargemeinschaft) durch die markt-externe Instanz einer zentralistischen Staats-Bürokratie verteilt. Kersting unterschätzt die fundamentale Rolle der Marktspielregeln, die der Staat aufstellt: Das Vertragsrecht bewirkt mit seinen Regelungen zwingend massive Verteilungseffekte. Die Verteilung erster Stufe kann daher von vornherein nicht rein intern durch die Tauschmechanismen des Marktes erfolgen. Sie wird strukturiert und geprägt durch die Regeln des Marktaustausches, die der Staat als externe Verteilungsinstanz vorgibt. Zu diesen Regeln zählt insbesondere das Vertragsrecht. Wenn aber nun das Vertragsrecht verteilt, und zugleich das Vertragsrecht die Gerechtigkeit zum Ziel hat, so folgt, dass auch die vertragsrechtliche Verteilung gerecht sein muss.807 Daraus ergibt sich, dass das Vertragsrecht auch die Herstellung von Verteilungsgerechtigkeit zum Ziel haben muss. Man könnte 805 806 807

Solche Materien sind etwa das Arbeitsvertragsrecht oder das soziale Mietrecht. Kersting, Theorien der sozialen Gerechtigkeit, S. 24 ff. Vgl. dazu näher schon oben, S. 11 ff.

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nun hiergegen einwenden, dass die Verteilung durch das Vertragsrecht nur ein unwesentlicher Nebenaspekt des Vertragsrechts ist. Das Vertragsrecht könnte seinen Gerechtigkeitsgehalt auch aus anderen Aspekten herleiten. Dieses Argument ist aus Sicht etwa einer deontologischen Analyse des Vertragsbegriffs stichhaltig. So kann der Vertrag selbst – beispielsweise als Ausdruck der Autonomie der Parteien – unabhängig von seinen Verteilungsergebnissen als Verkörperung der Gerechtigkeitsidee betrachtet werden. Diese Sichtweise des Vertragsrechts ist möglich. Sie lässt per definitionem die Konsequenzen der Verträge und der vertragsrechtlichen Regelungen außer Betracht. Eine solche deontologische Sichtweise lässt sich nicht argumentativ widerlegen. Es lassen sich lediglich plausible Argumente dahingehend anführen, dass eine folgenorientierte Analyse des Vertragsrechts vorzugswürdig ist.808 Dem allgemeinen Rechtsverständnis kommt eine solche Analyse des Vertragsrechts näher. Auch in Alltagsdiskussionen wird zur Beurteilung einer Handlung als richtig oder falsch oft auf deren Konsequenzen rekurriert. So lässt sich etwa ein Selbstmord als „falsch“ bezeichnen, weil sich der Selbstmörder den Verpflichtungen entziehen mag, die er im Leben etwa seiner Familie gegenüber hatte. Auch führt eine deontologische Betrachtung der beschriebenen Art dazu, dass das soziale Umfeld und der ökonomische Kontext, in dem Verträge stehen, nur schwer berücksichtigt werden können. Das Recht ist aber zumindest insofern eine Sozialwissenschaft, als das Recht unabdingbar für das Zusammenleben vieler in einer Gemeinschaft ist. Insofern gilt, was schon zu den Zielen des Vertragsrechts ausgeführt wurde:809 Eine auch in der praktischen Rechtsanwendung wirkungsvolle Vertragstheorie sollte auch eine folgenorientierte Perspektive einnehmen, die ökonomische, soziale und sonstige Kontexte der Vertragswelt umfassen kann. Daraus lässt sich schließen: Die Gerechtigkeit ist auch in ihrer Verkörperung als iustitia distributiva Ziel des Vertragsrechts. Nun darf aus der zwingend und permanent erfolgenden Verteilung durch das Vertragsrecht aber nicht geschlossen werden, dass die iustitia distributiva die einzige Gerechtigkeitsform des Vertragsrechts ist. Diese Schlussfolgerung wäre theoretisch denkbar.810 Sie legt ein weites Verständnis der iustitia distributiva zu Grunde und betrachtet die weitgehend formale Struktur der iustitia distributiva in ihrer grundlegenden Ausarbeitung durch Aristoteles als prägend für diese Gerechtigkeitsform. Diese Analyse wäre aber für die Zwecke 808

S. auch schon oben, S. 5 ff. Vgl. oben, S. 5 ff. 810 So letztlich Engisch, Auf der Suche nach der Gerechtigkeit, S. 160 ff., der die iustitia commutativa als (allerdings eigenständige) Unterart der iustitia distributiva betrachtet; ähnlich Dworkin, Law’s Empire, S. 297 ff. Auch die Gerechtigkeitstheorie John Rawls wird zum Teil dahingehend interpretiert, vgl. Wright, Iowa Law Review 1992, 625, 705. Perry versteht Rawls dagegen nicht in diesem Sinne, vgl. Perry, in: Horder (Hrsg.), Oxford Essays in Jurisprudence; Fourth Series, S. 237, 240. Rawls’ Position dürfte in der Tat nicht ganz eindeutig sein, s. insbesondere Rawls, A Theory of Justice, S. 10 f. 809

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dieser Untersuchung kaum zielführend. Sie würde die Forderung nach sich ziehen, das gesamte Vertragsrecht unterschiedslos als Ausdruck der iustitia distributiva zu betrachten. Die Unterscheidung der Gerechtigkeitsformen der iustitia commutativa und der iustitia distributiva wäre dadurch ihrer Erklärungskraft weitgehend beraubt, obgleich diese Unterscheidung funktional ergiebig sein kann. Die iustitia distributiva wäre als weitgehend formales Prinzip für mannigfaltige und auch gegenläufige Verteilungsmaßstäbe offen. So könnte etwa auch die vertragliche Vereinbarung ein Maßstab der Verteilung sein. Ebenso könnte sich eine gerechte Verteilung allein mit Blick auf das ergeben, was für den konkreten Austausch der konkret am Vertrag Beteiligten etwa unter Äquivalenzgesichtspunkten gerecht ist. Damit wären sowohl die Vertragsfreiheit als auch die iustitia commutativa der iustitia distributiva untergeordnet bzw. begrifflich in sie integriert. Die Erklärungskraft der Unterscheidung ließe sich von dieser Warte aus nur wieder herstellen, wenn Unterformen der iustitia distributiva konstruiert würden. Man könnte innerhalb der Maßstäbe einer gerechten Verteilung eine iustitia distributiva im engeren Sinne definieren, die dann der iustitia commutativa als gegenläufiger Verteilungsmaßstab entgegengesetzt werden könnte. Damit wären allerdings die Grenzen des herkömmlichen Sprachgebrauchs ohne Not verletzt. Daher ist diesem soeben skizzierten weitest möglichen Verständnis der iustitia distributiva nicht zu folgen. Gleichwohl eröffnet dieses Verständnis eine wichtige Erkenntnis: Das hier skizzierte Modell einer umfassenden iustitia distributiva bringt deren offenen Charakter für unterschiedliche politische Wertungen zum Ausdruck. Dieser Charakter war in der Diskussion des Aristoteles nicht nur erkennbar, er wurde von Aristoteles explizit beschrieben. Erinnert sei insbesondere an seine Diskussion der Frage nach der Würdigkeit und die Abhängigkeit der Antwort auf diese Frage vom jeweiligen Staatsverständnis.811 Diese Relativität der iustitia distributiva spiegelt auch wider, dass man die Gerechtigkeit eines Verteilungsprozesses unter vielerlei Aspekten betrachten und bewerten kann. Darüber hinaus lässt die wertungsoffene Grundstruktur der iustitia distributiva erkennen, dass auch das Vertragsrecht in letzter Konsequenz nicht frei von politischen Wertungen sein kann. Auch das Vertragsrecht ist politisches Recht – wenngleich seine politische Durchdringung in mancher Hinsicht geringer sein mag als die anderer Rechtsgebiete. b) Der erkenntnistheoretische Vorrang der iustitia distributiva Die obigen Erläuterungen zur Abgrenzung der beiden Gerechtigkeitsformen812 lassen den Schluss auf einen erkenntnistheoretischen Vorrang der iustitia distributiva zu, den es hier explizit zu machen gilt: Die iustitia distributiva 811 812

Oben, S. 38 ff. Oben, inbesondere S. 143, S. 145 ff. sowie S. 149 ff.

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ist der iustitia commutativa insofern vorrangig, als die Entscheidung für die Einnahme der Perspektive der iustitia commutativa immer voraussetzt, dass probehalber die Perspektive der iustitia distributiva eingenommen wurde. Denn die Entscheidung des Rechtsanwenders, bestimmte Kontexte nicht zu berücksichtigen, ist immer schon getroffen, wenn der Anwender diese Kontexte nicht berücksichtigt und die Perspektive der iustitia commutativa einnimmt. Diese Entscheidung wird freilich nur selten explizit formuliert. Explizit wird sie dann gemacht, wenn ausdrücklich die Einbeziehung bestimmter bekannter Faktoren verneint wird. Sie ist aber implizit auch dann getroffen, wenn es an einer solchen Explizit-Machung fehlt. In Gerichtsurteilen zeigt sich dieses Fehlen daran, dass der Sachverhalt von vornherein nur eine Auswahl der für die Anwendung des Rechts maßgeblichen Aspekte wiedergibt. Wenn bei dieser Auswahl Sachverhaltselemente nicht zu finden sind, bedeutet dies keine reine und ohne Kenntnis des Vertragsrechts getroffene Entscheidung. Vielmehr liegt stets eine implizite Entscheidung gegen die Kontextualisierung des Vertragsrechts mit Bezug auf den nicht explizit gemachten Umstand vor. Auch wenn die Vertragsfreiheit in ihrem formalen Sinne im konkreten Vertragsverhältnis als entscheidender (oder alleiniger) Gerechtigkeitsmaßstab zur Anwendung gebracht wird, hat das Vertragsrecht bereits eine Entscheidung getroffen, nämlich die Entscheidung, den genannten Maßstab einer formal verstandenen Vertragsfreiheit (und keine anderen Maßstäbe) anzuwenden. Diese Entscheidung beinhaltet also ihrerseits immer zugleich eine Entscheidung gegen die Perspektive der iustitia distributiva. Doch wie gelangt das Vertragsrecht – in Form einer rechtlichen Norm oder ihrer Konkretisierung durch den Rechtsanwender – zu dieser Entscheidung? Das Vertragsrecht muss dazu die Perspektive der iustitia distributiva zumindest versuchsweise eingenommen haben.813 Erst nach einem kurzen Schielen auf externe Implikationen und mögliche Folgen, die sich aus deren Berücksichtigung ergeben können, kann das Vertragsrecht sich gegen die Perspektive der iustitia distributiva aussprechen. Ein kurzes Wandern des Blicks zu den Kontexten und Verallgemeinerungen der Norm bzw. der Entscheidung bleibt unausweichlich. Der Vertrag und das Vertragsrecht müssen insofern also auch in ihren sozialen, gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Zusammenhängen betrachtet werden. Wiederum gilt, dass dieses Schielen des Blickes auf externe Implikationen dem Vertragsrecht zwar inhärent ist, aber keineswegs in den Erscheinungsformen des Rechts explizit gemacht worden sein muss. Die Perspektive der iustitia distributiva tritt weder in vertragsrechtlichen Normen noch in seinen Entscheidungen stets sichtbar in Erscheinung. Die Wahl der richtigen Perspektive ist vielmehr mit Blick auf die Normen des Vertragsrechts 813 Diesen Aspekt vernachlässigt Benson in seiner Hegelianischen Konzeption einer auch erkenntnistheoretisch autonomen iustitia commutativa, vgl. Benson, Iowa Law Review 1992, 515, 559 ff. und 607.

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im Wesentlichen im politischen Prozess weitgehend ausdifferenziert. Die Abstraktion von bestimmten Kontexten und Zusammenhängen zeigt sich im Fehlen von Tatbestandsmerkmalen, die eine solche Kontextualisierung und Verallgemeinerung zugelassen oder erfordert hätten. Mit Blick auf die Normkonkretisierung in der Rechtsanwendung sind die Ergebnisse einer vorläufigen Prüfung vertragsheteronomer Aspekte insbesondere durch die Regeln der Dogmatik aufgearbeitet und gewissermaßen automatisiert.814 So verhindert etwa die Dogmatik des Unmöglichkeitsrechts (wie sie in Gerichtsentscheidungen, Kommentaren und Lehrbüchern zum allgemeinen Schuldrecht zu finden ist), dass die ökonomischen und sozialen Konsequenzen im Tatbestand der Unmöglichkeit berücksichtigt werden, die aus der Zahlung einer Geldschuld für den Schuldner resultieren.815 In Gerichtsentscheidungen ist die vorläufige Einnahme der Perspektive der iustitia distributiva ebenfalls selten ausdrücklich formuliert. Denn soziale, ökonomische und gesellschaftliche Kontexte des jeweils zu entscheidenden Lebenssachverhalts bleiben weitgehend ausgeblendet, sie finden insbesondere keinen Eingang in die Sachverhaltsschilderung des Gerichts. Wenn etwa der Verkäufer einer Immobilie den Käufer auf Kaufpreiszahlung verklagt, wird der Sachverhalt die (denkbare) Arbeitslosigkeit und Krebserkrankung des Käufers nicht schildern. Denn diese Aspekte sieht das positive Vertragsrecht als irrelevant für die Frage der Zahlungspflicht des Käufers an. Das Vertragsrecht hat gleichwohl zunächst die Perspektive der iustitia distributiva eingenommen, sich aber im Anwendungsergebnis gegen die Berücksichtigung dieser vertragsexternen Aspekte entschieden. Diese rechtspolitische Entscheidung lässt sich auch gut begründen – die Gründe kommen aber in Gerichtsentscheidungen nicht zum Ausdruck. Sie müssen dies auch nicht, weil sie schon in den entsprechenden Regeln der Dogmatik ihren Ausdruck gefunden haben. Diese Regeln ermöglichen es dem Richter, distributive Aspekte der genannten Art von vornherein auszuklammern. Selbstverständlich erleichtern solche Mechanismen die praktische Rechtsanwendung ganz erheblich.816 Doch zeigt sich auch hier die erkenntnistheoretische Notwendigkeit für das Vertragsrecht, die externe Perspektive der iustitia distributiva zumindest probehalber einzunehmen. Illustrieren lässt sich dieser Vorrang der iustitia distributiva einmal mehr anhand der Grenzen der Vertragsfreiheit. Dies liegt daran, dass die Entscheidung des Vertragsrechts für oder gegen die Perspektive der iustitia distributiva bei den Grenzen der Vertragsfreiheit verhältnismäßig oft ausdrücklich begründet wird. Besonders offenkundig ist dies, wenn die Anwendung der §§ 134 und 138 BGB im Raume steht. Wenn etwa bei der Bürgschaft eines nahen Familienangehörigen auch 814

S. auch Collins, Regulating Contracts, S. 42 f. Näher dazu unten, S. 408 f. 816 Esser, in: Baur (Hrsg.), Funktionswandel der Privatrechtsinstitutionen, 1974, S. 517, 537 ff.; Collins, Regulating Contracts, S. 42 f. 815

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das Einkommen des Bürgen Erwähnung findet, bleibt eine explizite und sichtbare Entscheidung gegen oder für die Berücksichtigung dieses vertragsexternen Aspekts im Rahmen der Anwendung des § 138 BGB oft unausweichlich. Damit ist die Perspektive der iustitia distributiva in erkenntnistheoretischer Hinsicht der Perspektive der iustitia commutativa vorrangig. Unabhängig davon, ob das Vertragsrecht die eine oder die andere Perspektive einnimmt, gilt: Die Wahl der maßgeblichen Gerechtigkeitsform impliziert, dass die distributive Perspektive versuchsweise eingenommen wurde. Diese Vorrangstellung der iustitia distributiva ist erkenntnistheoretischer Natur. Der erkenntnistheoretische Vorrang der iustitia distributiva beantwortet lediglich die Frage nach den Bedingungen der Möglichkeit einer Wahl zwischen den Gerechtigkeitsformen. Normative Folgerungen lassen sich aus diesen Bedingungen nicht ableiten. Insbesondere lässt sich aus dem zwingenden Schielen des Vertragsrechts auf distributive Konsequenzen nicht etwa herleiten, dass im Zweifel die iustitia distributiva auch die im Ergebnis zu wählende Gerechtigkeitsperspektive ist. c) Das normative Verhältnis zwischen iustitia distributiva und iustitia commutativa Von dem erkenntnistheoretischen Vorrang der iustitia distributiva im soeben geschilderten Sinne ist die Frage nach dem normativen Verhältnis der beiden Gerechtigkeitsformen streng zu trennen. Das normative Verhältnis der Gerechtigkeitsformen beantwortet nicht die Frage nach den Bedingungen der Möglichkeit der Perspektivenwahl. Das normative Verhältnis beantwortet vielmehr die Frage, ob die objektive Gerechtigkeitsidee im Vertragsrecht von einer der beiden Gerechtigkeitsformen vorrangig inhaltlich konkretisiert werden soll. Ein solcher Vorrang ist normativer Natur, denn aus ihm ließen sich Regeln ableiten, die das Verhalten der am Vertragsrecht Beteiligten inhaltlich bestimmen würde. So könnte ein Vorrang der einen oder anderen Gerechtigkeitsform zu konkreten Handlungsanweisungen für den Vertragsrechtsgesetzgeber, aber auch für den Zivilrichter führen. Inhalt dieser normativen Anweisungen wäre insbesondere eine Regel für den Fall, dass der Gesetzgeber oder der Rechtsanwender im Ungewissen sind, ob die Perspektive der iustitia distributiva oder aber die Perspektive der iustitia commutativa zur Anwendung gelangen soll. Ein normativer Vorrang der einen oder anderen Gerechtigkeitsform würde verlangen, dass bei einem Konflikt zwischen iustitia distributiva und iustitia commutativa die Konkretisierung der Gerechtigkeitsidee in Form der vorrangigen Gerechtigkeitsform erfolgt. Ob ein solcher Vorrang im normativen Sinne besteht, gilt es im Folgenden zu untersuchen.

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aa) Die These vom normativen Vorrang der iustitia distributiva gegenüber der iustitia commutativa Die iustitia commutativa wird teilweise als gegenüber der iustitia distributiva nachrangiges Ausgleichsinstrument verstanden.817 Mit Blick auf die historischen Wurzeln der Unterscheidung der beiden Gerechtigkeitsformen bei Aristoteles ließe sich hierfür zunächst ein historisches Argument finden. Die Überlegenheit der iustitia distributiva könnte für Aristoteles darin begründet sein, dass zu Aristoteles’ Zeiten die Geometrie als der Arithmetik überlegene, anspruchsvollere Wissenschaft galt.818 Der normative Vorrang der iustitia distributiva beinhaltet dabei auch eine fiktive zeitliche Komponente. Den Ausgangspunkt dieser These bildet die Ausgleichsfunktion der iustitia commutativa. Dies spiegelt sich vor allem im angloamerikanischen Raum auch in der Bezeichnung der iustitia commutativa als „corrective justice“ wider.819 Nach der These vom Vorrang der iustitia distributiva steht am fiktiven zeitlichen Ursprung aller Gerechtigkeitskonkretisierungen ein Akt der iustitia distributiva: Dieser hat eine gerechte Ursprungsverteilung von Rechten, Vermögen, Chancen, Risiken etc. geschaffen. Erst auf der Grundlage dieser historisch ursprünglichen Ausgangsverteilung operiert die iustitia commutativa.820 Dabei folgen die Gerechtigkeitskonkretisierungen durch die iustitia commutativa nicht nur in zeitlicher Hinsicht den ursprünglichen Konkretisierungen durch die iustitia distributiva nach. Die iustitia commutativa ist auch inhaltlich gegenüber der iustitia distributiva nachrangig, weil ihre Aufgabe lediglich darin besteht, die gerechte Verteilung wiederherzustellen.821 Die iustitia commutativa ist insofern der iustitia distributiva untergeordnet.822 Gerechtigkeit wird vorrangig durch die iustitia distributiva verwirklicht. In diesem Sinne bezeichnet etwa Radbruch die Verteilungsgerechtigkeit als „Urform der Gerechtig-

817 Lamont, Philosophy 1941, 3; Radbruch, Rechtsphilosophie, S. 121 ff.; Engisch, Auf der Suche nach der Gerechtigkeit, S. 160 ff.; Dworkin, Law’s Empire, S. 276; Gordley, California Law Review 1981, 1587; Waluchow, in: Panagiotou (Hrsg.), Justice, Law and Method in Plato and Aristotle, 1987, S. 153, 156; Heidt, Washington and Lee Law Review 1990, 347, ff.; Gordley, in: Benson (Hrsg.), The Theory of Contract Law, 2007, S. 265, 307 ff.; Gordley, Foundations of Private Law, S. 12 ff.; Dagan, Michigan Law Review 1999, 138, 150 ff.; ff.; T. Ackermann, in: Riesenhuber (Hrsg.), Die „Angemessenheit“ im Urheberrecht, Tübingen 2013, S. 9, 12 f. 818 Vgl. etwa Honsell, in: Schermaier/Rainer/Winkel (Hrsg.), Iurisprudentia universalis, 2002, S. 287, 292. Dazu schon oben, S. 36 ff. 819 S. dazu auch schon oben, S. 33 f. 820 Lamont, Philosophy 1941, 3; Engisch, Auf der Suche nach der Gerechtigkeit, S. 161 f.; Gordley, California Law Review 1981, 1587; Waluchow, in: Panagiotou (Hrsg.), Justice, Law and Method in Plato and Aristotle, 1987, S. 153, 155 ff. 821 Lamont, Philosophy 1941, 3. 822 Engisch, Auf der Suche nach der Gerechtigkeit, S. 160 ff. Radbruch setzt einen etwas anderen Akzent: Die iustitia commutativa setzt für ihn als Gerechtigkeit zwischen Gleichberechtigten einen Akt der iustitia distributiva voraus, der die für die iustitia commutativa erforderliche Statusgleichheit schafft, vgl. Radbruch, Rechtsphilosophie, S. 122.

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keit“.823 Die iustitia commutativa greift dagegen erst und nur ein, wenn diese ursprüngliche Ausgangssituation gestört ist.824 Ihre Aufgabe besteht danach darin, als Hilfsinstrument die zuvor qua iustitia distributiva bestehende Gerechtigkeitsrealisierung wieder herbeizuführen.825 Diese Konzeption findet eine deutliche Artikulation in der Interpretation der aristotelischen Gerechtigkeitskonzeption von James Gordley: „Commutative justice … is concerned not with sharing resources, but with preserving each citizen’s share. Therefore, the party who has lost resources to another has a claim for the amount necessary to restore his original position.“826

Gordley löst die praktischen Schwierigkeiten einer gerechten Ausgangsverteilung pragmatisch. Bestimmte Abweichungen vom Ideal einer gleichen Ressourcenverteilung sind für ihn nötig, um Anreize zu schaffen und Streitigkeiten zu verhindern.827 Ungerechte Ausgangsverteilungen müssten aber nicht auf der Ebene des Privatrechts, sondern durch zentrale Entscheidungen ausgeglichen werden.828 Ungerechtigkeiten, die durch vertragliche Umverteilungen entstehen könnten, seien im Grundsatz hinzunehmen, so dass in der praktischen Rechtsanwendung die iustitia commutativa trotz ihrer theoretischen Nachrangigkeit das Vertragsrecht prägt.829 Nur in extremen Ausnahmefällen könne der Bedarf einzelner Menschen so gewichtig sein, dass die Regeln der iustitia commutativa nicht mehr vorrangig anzuwenden seien.830 Als Beispiel führt er den von spätscholastischen Autoren eingeführte Fall eines verhungernden Menschen auf, der anderen das Überlebensnotwendige ohne deren Erlaubnis nehmen dürfe.831 Waluchow bezeichnet die iustitia commutativa (in seiner Terminologie corrective justice) gar als „parasitär“: „Corrective justice, then, is in a sense parasitic. It presupposes an independently definable just status quo; a status quo of equality in which each party has, by law, his due – his entitlements – and which owing to the actions of the defendant, has been disturbed. Those actions introduce an imbalance which must be rectified.“832 823

Radbruch, Rechtsphilosophie, S. 122. S. nur Engisch, Auf der Suche nach der Gerechtigkeit, S. 161 f. 825 So etwa Dworkin, Law’s Empire, S. 276 ff.; Gordley, California Law Review 1981, 1587; Waluchow, in: Panagiotou (Hrsg.), Justice, Law and Method in Plato and Aristotle, 1987, S. 153, 156. 826 Gordley, California Law Review 1981, 1587, 1589. 827 Gordley, in: Benson (Hrsg.), The Theory of Contract Law, 2007, S. 265, 287 ff. und 307 f. 828 Gordley, in: Benson (Hrsg.), The Theory of Contract Law, 2007, S. 265, 307 f; Gordley, Foundations of Private Law, S. 14. 829 Gordley, a.a.O., S. 265, 287 ff. und 307 f. 830 Gordley, a.a.O., S. 265, 287 ff. und 307 f. 831 Gordley, a.a.O., S. 265, 307 f. 832 Waluchow, in: Panagiotou (Hrsg.), Justice, Law and Method in Plato and Aristotle, 1987, S. 153, 156. 824

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Es überzeugt jedoch weder in rechtsphilosophischer Hinsicht noch speziell mit Blick auf das Vertragsrecht, die iustitia commutativa als der iustitia distributiva untergeordneten Ausdruck der Gerechtigkeitsidee zu erklären.833 Wenn die iustitia commutativa gegenüber der iustitia distributiva nachrangig ist, und ihre Aufgabe nur darin besteht, die Verwirklichung der iustitia distributiva hilfsweise abzusichern, stellt sich die strukturelle Frage nach dem Sinn der Unterscheidung der beiden Gerechtigkeitsformen. Die Unterscheidung des Aristoteles zwischen zwei Formen der Gerechtigkeit mit je unterschiedlicher Ermittlung des „Gleichen“ – arithmetische versus geometrische Proportion – wäre weitgehend sinnentleert. Für ein Prinzip der iustitia commutativa, das sich strukturell und konzeptionell von dem Prinzip der iustitia distributiva unterscheidet, gibt es dann keinen Raum. Vielmehr würde die iustitia commutativa vollkommen in der iustitia distributiva aufgehen.834 Damit könnte die über Jahrhunderte bewährte und in mannigfaltigen Kontexten genutzte und angewandte Unterscheidung für die Gerechtigkeitstheorie von vornherein nicht mehr fruchtbar gemacht werden. Diese Konsequenz sucht etwa Gordley zu vermeiden.835 Er unterscheidet im Anschluss an Lessius die beiden Gerechtigkeitsformen danach, ob es um die Feststellung dessen geht, was dem Einzelnen zuzuteilen ist (iustitia distributiva) oder aber um den Akt der Zuteilung selbst (iustitia commutativa).836 Eine für die Theorie der Gerechtigkeit nützliche Differenzierung liegt hierin aber nicht. Denn in der Unterscheidung zwischen der Ermittlung des Zuzuteilenden und dem Zuteilungsakt liegt keine konzeptuelle Unterscheidung zweier normativ gleichwertiger Konkretisierungsformen der Gerechtigkeit.837 Vielmehr zeigt diese Unterscheidung nur eine mit Blick auf den Zeitablauf natürlich ohne weiteres mögliche Trennung von Erkenntnisakt und Vollzugsakt auf. Beide Akte bewirken jedoch erst in ihrem Zusammenspiel eine Konkretisierung der Gerechtigkeit. Der Vollzugsakt beinhaltet lediglich die Ausführung des zuvor als gerecht ermittelten Ergebnisses. Die konzeptionelle Eigenständigkeit der iustitia commutativa lässt sich mit der von Gordley vorgenommenen Differenzierung daher nicht retten. Nun spricht nicht zwingend gegen den Vorrang der iustitia distributiva, dass die iustitia commutativa als gleichberechtigte und strukturell eigenstän833 So im Ergebnis auch Canaris, Die Bedeutung der iustitia distributiva im deutschen Vertragsrecht, S. 26 ff. 834 Weinrib, The Idea of Private Law, S. 70 ff.; Benson, Iowa Law Review 1992, 515, 530 f.; Perry, in: Horder (Hrsg.), Oxford Essays in Jurisprudence; Fourth Series, S. 237, 241. 835 Gordley, in: Owen (Hrsg.), Philosophical Foundations of Tort Law, 1997, S. 131, 136 und S. 157 f. Gordley, in: Benson (Hrsg.), The Theory of Contract Law, 2007, S. 265, 308; Gordley, Foundations of Private Law, S. 13 f. 836 Gordley, in: Owen (Hrsg.), Philosophical Foundations of Tort Law, 1997, S. 131, 136 und 157 f. 837 Perry, in: Horder (Hrsg.), Oxford Essays in Jurisprudence; Fourth Series, S. 237, 241.

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dige Gerechtigkeitsform aufgegeben wird. Die Vertreter der Vorrangthese könnten diese etwa dadurch aufrechterhalten, dass sie die Sinnhaftigkeit und Fruchtbarkeit der Unterscheidung zwischen iustitia distributiva und iustitia commutativa bestreiten.838 Indes stehen der These vom Vorrang der iustitia distributiva weitere substantielle Einwände entgegen. Zunächst ist diese These gerade für das Vertragsrecht wenig überzeugend. Die Erklärung der iustitia commutativa als der iustitia distributiva normativ nachgeordnete Gerechtigkeitsform hat prima facie eine gewisse Plausibilität, wenn das Delikts- und Bereicherungsrecht in den Blick genommen werden. Eine Möglichkeit, das Deliktsrecht zu erklären, ist der Gedanke des Ausgleichs erlittener Einbußen: Schadensersatzpflichten gleichen aus, was der Geschädigte an ihm zugeteilten Gütern oder Interessen verloren hat. Ähnliches gilt für das Bereicherungsrecht. Dieses kann mit dem Restitutionsgedanken erklärt werden. Wenn gegenüber der als gerecht empfundenen Verteilung ein Zuviel bei dem einen, ein Zuwenig bei dem anderen vorliegt, wird die gerechte Verteilung durch den Bereicherungsausgleich wiederhergestellt. Für das Vertragsrecht ist eine ähnliche prima facie Plausibilität nicht erkennbar, weil das Vertragsrecht nicht ohne erhebliche konstruktive Anstrengungen in gleicher Weise als Schadensoder Bereicherungsausgleich konzeptualisiert werden kann. Als Gerechtigkeitstheorie des Vertragsrechts ist die These vom Vorrang der iustitia distributiva auch deshalb unbefriedigend, weil sie auf einer wenig überzeugenden Vorstellung von den Verteilungsvorgängen in einer Gemeinschaft beruht. Der normative Vorrang der iustitia distributiva soll sich daraus ergeben, dass eine fiktive Ausgangsverteilung zeitlich den durch Austauschvorgänge erfolgenden Verteilungen vorausgeht. Die These basiert also auf der fiktiven Annahme, dass eine „Ursprungsverteilung“ unbeweglich und unveränderbar vorhanden ist. Jeder weitere Austausch muss nur noch so konstruiert werden, dass diese Ursprungsverteilung wiederhergestellt wird.839 Die fiktive Annahme einer gerechten Ursprungsverteilung ist zwar nur hypothetischer Natur. Gleichwohl ist sie von der praktisch erlebbaren Vermögensverteilung in marktwirtschaftlich verfassten Gesellschaften so weit entfernt, dass sie die Vorrangthese jeglicher Plausibilität beraubt. Verträge führen neben zahlreichen anderen Instituten auf Märkten zu einer ständig fließenden und sich durchgängig weiter verändernden Verteilung von Gütern, Dienstleistungen, Chancen, Risiken und Vermögen.840 Die Annahme einer statischen Ausgangsverteilung ist fiktiv und künstlich; sie geht an den Realitäten des Wirtschafts838

Vgl. Simmonds, in: Passerin d’Entrèves/Vogel (Hrsg.), Public and Private, 2000, S. 149, 160, der sich dieser These aber nicht anschließt, sondern an der Sinnhaftigkeit der konzeptuellen Unterscheidung zwischen iustitia distributiva und iustitia commutativa festhält. Vgl. auch schon Simmonds, in: Tasioulas (Hrsg.), Law, Values, and Social Practices, 1997, S. 129, 153 ff. 839 Vgl. zur hypothetischen, statischen Verteilungssituation (Status originalis) nur Küster, in: Baur (Hrsg.), Funktionswandel der Privatrechtsinstitutionen, 1974, S. 541 und 546. 840 S. auch Collins, Regulating Contracts, S. 11 und 225 ff.

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lebens vorbei. Auch eine Gerechtigkeitstheorie muss aber auf das gelebte und erfahrbare Recht Rücksicht nehmen. Dieses zeichnet sich aber gerade dadurch aus, dass eine permanente fließende Verteilung erfolgt, bei der sich kein fixer Ausgangspunkt festmachen lässt, von dem aus weitere Verteilungen erklärt werden können.841 Diesem Befund wird eine hochgradig fiktive, statische Konzeption kaum gerecht, bei der die Verteilungsparameter klar erkennbar und abgegrenzt sind. Tatsächlich resultieren Verteilungsergebnisse aus einem komplexen Zusammenspiel unterschiedlicher und sich wechselseitig beeinflussender Komponenten. Sie werden durch Normen des Rechts, aber auch durch gesellschaftliche Konventionen bewirkt, ebenso von der zwangsweisen Durchsetzung des Rechts sowie der Möglichkeit zu dieser Durchsetzung. Die konkreten Verteilungswirkungen hängen von einer Vielzahl von Parametern ab, die ihrerseits nicht feststehend sind, Veränderungen unterliegen und sich gegenseitig beeinflussen. Dazu gehören auch wenig greifbare Aspekte wie etwa das Vertrauen der Verkehrskreise untereinander oder auf rechtliche Mechanismen. Auch die Entscheidungen der Gerichte sind ein Baustein innerhalb dieses Verteilungsmechanismus. Sie können die rechtlich generierten Verteilungen auf unterschiedliche Weise beeinflussen. Dabei ist die konkrete Verteilungswirkung auf die Verhältnisse der unmittelbar beteiligten Personen nur der am deutlichsten sichtbare, keineswegs aber der für die Verteilungswirkung einzig maßgebliche Aspekt. Stärker fällt etwa ins Gewicht, dass die betroffenen Verkehrskreise ihr Verhalten an Entscheidungen hochrangiger Gerichte ausrichten werden. Auch können Urteile das Vertrauen der Privatrechtssubjekte lenken und beeinflussen. Mit Blick auf das Vertragsrecht und die in ihm maßgeblichen Gerechtigkeitsformen der iustitia distributiva und der iustitia commutativa stellt sich dabei vor allem die Frage, welche dieser möglichen Aspekte vom Vertragsrecht berücksichtigt werden können und sollen, welche dagegen nicht. Das fiktive Bild einer statischen Ursituation, die einen fixen Orientierungspunkt für die Arbeit der iustitia commutativa bieten könnte, taugt dagegen kaum als Erklärung des Vertragsrechts in seiner praktisch erlebbaren Realität. Unabhängig von ihrer mangelhaften Erklärungskraft mit Blick auf das Vertragsrecht bestehen weitere konzeptionelle Einwände gegen die These vom Vorrang der iustitia distributiva. Wenn die iustitia commutativa nur ein Hilfsinstrument zur Wiederherstellung oder Aufrechterhaltung einer ursprünglich gerechten Ausgangsverteilung ist, müssten Gerichte den sogenannten „Robin Hood“-Einwand zulassen:842 Robin Hood könnte einwenden, dass die von ihm etwa durch Raub von den Reichen und Verteilung an die Armen veränderte Verteilung sogar noch gerechter ist als die ursprüngliche Ver841 Ähnlich Rawls, A Theory of Justice, S. 87 ff.; Perry, in: Horder (Hrsg.), Oxford Essays in Jurisprudence; Fourth Series, S. 237, 246 f. 842 Zutreffend insofern Weinrib, The Idea of Private Law, S. 79.

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teilung.843 Gerade im Delikts- oder Bereicherungsrecht könnten so offensichtlich unerwünschte Ergebnisse gerechtigkeitstheoretisch gerechtfertigt werden. Ebenso müssten zufällig erfolgte Störungen der Ausgangsverteilung – man denke nur an Lotteriegewinne – korrigiert werden. Zwar lassen sich pragmatische Argumente finden, die diese ausschließen und vor allem auf faktischen Unsicherheiten und Schwierigkeiten mit Blick auf die jeweiligen Vermögensverteilungen beruhen.844 Gleichwohl untermauert die theoretische Stimmigkeit des „Robin Hood“-Einwands die Fragwürdigkeit der These vom Vorrang der iustitia distributiva. Sowohl der spezifische Blick auf das Vertragsrecht wie auch allgemeine rechtsphilosophische Überlegungen führen damit zu einem eindeutigen Befund: Ein normativer Vorrang der iustitia distributiva ist abzulehnen. bb) Die These vom normativen Vorrang der iustitia commutativa gegenüber der iustitia distributiva Mit Blick auf das normative Verhältnis von iustitia distributiva und iustitia commutativa ist von einigen Autoren auch die These vertreten worden, dass – zum Teil auf das Vertragsrecht beschränkt – die iustitia commutativa Vorrang gegenüber der iustitia distributiva beanspruchen kann.845 Weinrib ist der vielleicht einflussreichste, sicher aber der radikalste Vertreter dieser Position. Für Weinrib ist die iustitia commutativa (in seiner Terminologie corrective justice) „the intelligible structure inhering in private law, the conceptual pattern that constitutes private law as what it is rather than something else.“846 Weinrib betrachtet die iustitia commutativa (corrective justice) als die Gerechtigkeitsform, die das Privatrecht definiert und ausschließlich beherrscht.847 Dies ist nicht in einem lediglich definitorischen Sinne derart zu verstehen, dass das Privatrecht die iustitia commutativa eben auch dann verwirklicht, wenn es etwa heteronome Aspekte des Vertrages berücksichtigt – und damit in der in dieser Arbeit verwendeten Terminologie die Perspektive der iustitia distributiva einnimmt. Dann würde der Ansatz Weinribs nur in terminologischer Hinsicht 843

Weinrib, The Idea of Private Law, S. 79. Eingehend dazu Simmonds, in: Passerin d’Entrèves/Vogel (Hrsg.), Public and Private, 2000, S. 149, 156 f.; vgl. auch Gordley, in: Benson (Hrsg.), The Theory of Contract Law, 2007, S. 265, 288 ff. 845 Insbesondere Weinrib, in: Panagiotou (Hrsg.), Justice, Law and Method in Plato and Aristotle, 1987, S. 133; Weinrib, The Idea of Private Law; Canaris, Die Bedeutung der iustitia distributiva im deutschen Vertragsrecht, S. 27 ff.; Wright, Iowa Law Review 1992, 625, 702 ff.; Röckrath, ARSP 1997, 506, 530 f.; Fastrich, in: Heldrich/Prölss/Koller (Hrsg.), Festschrift für Claus-Wilhelm Canaris, 2007, S. 1071, 1075 ff.; M. Stürner, Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit im Schuldvertragsrecht, S. 362. 846 Weinrib, in: Panagiotou (Hrsg.), Justice, Law and Method in Plato and Aristotle, 1987, S. 133, 147. S. dazu auch schon oben, S. 5 ff. 847 Weinrib, in: Panagiotou (Hrsg.), Justice, Law and Method in Plato and Aristotle, 1987, S. 133, 147; Weinrib, The Idea of Private Law, S. 75. 844

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von der hier vertretenen Unterscheidung der Gerechtigkeitsformen differieren. Über eine solche begriffliche Differenz geht die Privatrechtstheorie Weinribs aber weit hinaus. Für Weinrib ist jegliche vertragsrechtliche Erscheinung, die der Form der iustitia commutativa nicht entspricht und etwa heteronome Aspekte berücksichtigt, fehlerhaft und ungerecht. Gerechtigkeitskonkretisierungen qua iustitia distributiva sind für Weinrib mit der bipolaren Struktur des Privatrechts unvereinbar.848 In deutlich schwächerer Form hat im deutschen Rechtskreis Canaris die These vom Vorrang der iustitia commutativa vertreten. Für Canaris ist die im Vertragsrecht vorrangige Gerechtigkeitsform die der iustitia commutativa.849 Vorrang ist dabei sowohl empirisch wie auch normativ zu verstehen. In seiner Analyse des positiven deutschen Vertragsrechts gelangt Canaris zunächst zu einem empirischen Vorrang. Gerechtigkeit werde im positiven Vertragsrecht im Wesentlichen und grundsätzlich in Form der iustitia commutativa verwirklicht.850 Für diesen empirischen Vorrang legt Canaris aber auch ein gerechtigkeits- und vertragstheoretisches Fundament: Die iustitia commutativa bilde ein der iustitia distributiva gleichwertiges Gerechtigkeitskonzept.851 Wegen der spezifischen Ordnungsaufgabe des Vertragsrechts in einer marktwirtschaftlich verfassten Privatrechtsgesellschaft müsse aber die iustitia commutativa diejenige Gerechtigkeitsform sein, die das Vertragsrecht grundsätzlich beherrscht.852 Der iustitia distributiva könne dagegen nur eine ergänzende Funktion zugemessen werden.853 Für die prinzipielle normative Gleichwertigkeit der iustitia commutativa beruft sich Canaris zunächst auf liberale Lehren vom Staatsvertrag. Der legitimationstheoretische Staatsvertrag setze voraus, die betreffenden Personen als „schlechthin und schematisch gleich im Sinne der iustitia commutativa“ zu betrachten:854 Es gebe keinen dem Vertragsschluss vorrangigen Akt der iustitia distributiva, kraft dessen den Menschen der Rechtsstatus verliehen werde, der Voraussetzung für den Abschluss des Staatsvertrages ist.855 Vielmehr sei, wie etwa Kant annehme, dieser Status dem Menschen kraft seines Personseins angeboren.856 Canaris sieht hier auch einen egalitaristischen Gehalt der iustitia commutativa insofern, als der Staatsvertrag Gleichheit in dem Sinne voraussetzt, dass jedem 848

Weinrib, The Idea of Private Law, S. 76. Canaris, Die Bedeutung der iustitia distributiva im deutschen Vertragsrecht, S. 27 ff., zusammenfassend S. 119 f. Ähnlich Wright, Iowa Law Review 1992, 625, 702 ff. Für Honsell spielt die iustitia distributiva im Vertragsrecht überhaupt keine Rolle, alle Gerechtigkeit im Vertragsrecht ist ausgleichende Gerechtigkeit, s. Honsell, in: Schermaier/Rainer/Winkel (Hrsg.), Iurisprudentia universalis, 2002, S. 287. 850 Canaris, a.a.O., S. 44 ff. 851 Canaris, a.a.O., S. 27 ff. und S. 45 ff. 852 Canaris, a.a.O., S. 75 ff. und S. 119 ff. 853 Canaris, a.a.O., S. 75 ff. und S. 119 ff. 854 Canaris, a.a.O., S. 28. 855 Ähnlich Röckrath, ARSP 1997, 506, 530 f. 856 Canaris, a.a.O., S. 28. 849

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Menschen gleichermaßen der für den Abschluss des Staatsvertrages erforderliche Status innewohnt. Die staatsvertragliche Erklärung Canaris’ widerlegt die Begründung Radbruchs vom Vorrang der iustitia distributiva.857 Für Radbruch setzt die Anwendung der iustitia commutativa voraus, dass den Menschen ein gleicher Ausgangsstatus zukommt.858 Dieser Status muss Radbruch zufolge aber durch einen Akt der iustitia distributiva erst geschaffen worden sein.859 Auf dem Boden der Theorie Canaris’ ist aber ein weiterer Schritt zu gehen: Die Befugnis für den distributiven Akt, der Statusgleichheit sichert, ist ihm zufolge eben durch einen Akt der iustitia commutativa geschaffen. Canaris verweist auch im Anschluss an Adam Smith auf einen elementaren humanen Gehalt des Austauschvorgangs.860 Personen wollen ihm zufolge nicht auf Wohltätigkeiten angewiesen sein, sondern für den Empfang von Gütern als gleichwertig empfundene Gegengaben geben dürfen. So berücksichtige die iustitia commutativa auch Forderungen der Menschenwürde. Im Übrigen vermeide eine auf dem Gedanken der iustitia commutativa beruhende Marktwirtschaft mittelbar demütigende Herrschaftsverhältnisse und schaffe einen mittelbaren Diskriminierungsschutz.861 Der iustitia commutativa komme insofern ein absoluter Wert zu, sie entspreche auch dem Prinzip gegenseitigen Achtens und weise wegen ihrer Präferenzenneutralität auch eine Affinität zur pluralistischen Gesellschaft auf.862 Die iustitia distributiva stehe dagegen schon von ihrer Struktur her in einem Spannungsverhältnis zum Vertragsrecht.863 Für das Vertragsrecht sei der Güteraustausch zwischen zwei Personen typisch, die Würdigkeit der Beteiligten grundsätzlich irrelevant. Diesen Aspekt betont auch Wright: Für ihn sind die beiden Gerechtigkeitsformen unabhängig und qualitativ unterschiedlich;864 dabei ergänzen sie sich gegenseitig.865 Wenn aber ein individuelles, bipolares Verhältnis betroffen sei und Privatrechtssubjekte nicht gerade in ihrem Status als Gesellschaftsmitglieder betroffen seien, herrsche nicht die iustitia distributiva, sondern die iustitia commutativa.866 Der These vom normativen Vorrang der iustitia commutativa in der von Canaris vertretenen Form dürfte sich Wright daher anschließen können. Canaris sieht auch einen grundlegenden Konflikt zwischen Privatautonomie und iustitia 857

Radbruch, Rechtsphilosophie, S. 121 f. Radbruch, Rechtsphilosophie, S. 122. 859 Radbruch, Rechtsphilosophie, S. 122. 860 Canaris, Die Bedeutung der iustitia distributiva im deutschen Vertragsrecht, S. 29 f. 861 Canaris, a.a.O., S. 29 f. 862 Canaris, a.a.O., S. 30 ff. 863 Canaris, a.a.O., S. 33. 864 Wright, Iowa Law Review 1992, 625, 705 f.; ders., Notre Dame Law Review 2000, 1859, 1883 ff. 865 Wright, Iowa Law Review 1992, 625, 707; ders., Notre Dame Law Review 2000, 1859, 1890 f. 866 Wright, Iowa Law Review 1992, 625, 702 f.; ders., Notre Dame Law Review 2000, 1859, 1890 f. (Wright spricht von corrective justice). 858

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§ 2 Rechtsphilosophische Grundlegung

distributiva. Die das Vertragsrecht beherrschende Privatautonomie harmonisiere schlecht mit dem Gebot teleologischer Folgerichtigkeit, das die Handhabung der iustitia distributiva bestimme. Es würde Canaris zufolge einen Selbstwiderspruch darstellen, wenn sich das Recht einerseits für die Vertragsfreiheit entscheide, sich andererseits aber vorbehalten würde, die auf Grundlage der Vertragsfreiheit erzielten Ergebnisse anhand von Kriterien der iustitia distributiva zu überprüfen.867 Canaris sieht einen klaren Vorrang der Vertragsfreiheit mit Blick auf die Frage nach der Bindung der Vertragsparteien.868 Diese seien nur in seltenen Ausnahmen an Forderungen der iustitia distributiva gebunden.869 Gerechtigkeit werde in der geltenden Vertragsrechtsordnung grundsätzlich in Form der iustitia commutativa gewährleistet.870 Diese weise einen prozeduralen Grundcharakter auf,871 werde aber von materialen Kriterien ergänzt.872 Normen des Privatrechts würden ebenfalls nur in Ausnahmefällen distributive Zwecke verwirklichen.873 Insbesondere zeigt Canaris Beispiele aus dem Arbeitsrecht auf.874 Insgesamt habe die iustitia distributiva in vertragsrechtlichen Normen nur ein kleines Anwendungsfeld in eng umgrenzten Ausnahmefällen, bei denen vor allem schutzbedürftige Personen in das Berufsund Wirtschaftsleben integriert würden.875 Mit Blick auf seinen empirischen Befund und seine gerechtigkeits- und vertragstheoretischen Annahmen fasst Canaris zusammen: „Es gilt im Privatvertragsrecht ein Regel-Ausnahme-Verhältnis zwischen iustitia commutativa und iustitia distributiva. Demgemäß dürfen vertragsrechtliche Normen zwar grundsätzlich zur Verwirklichung distributiver Zwecke eingesetzt werden, doch bedarf es dazu einer besonderen Legitimation.“876

Zur Begründung führt Canaris insbesondere an, dass Privatrechtssubjekte davor zu schützen seien, distributiv bedingte Lasten nach dem Zufallsprinzip tragen zu müssen.877 Es sei meist nicht zu rechtfertigen, einzelne Private anstelle der Steuergemeinschaft (oder einer spezifischen Solidargemeinschaft) zu belasten. Ausnahmen seien allerdings denkbar, etwa wenn schutzbedürftigen Personen ein Arbeitsplatz gesichert oder verschafft würde.878 In einer Markt867

Canaris, Die Bedeutung der iustitia distributiva im deutschen Vertragsrecht, S. 33. Canaris, a.a.O., S. 34. 869 Canaris, a.a.O., S. 34 ff. 870 Canaris, a.a.O., S. 45 ff. 871 Canaris, a.a.O., S. 46 ff. 872 Canaris, a.a.O., S. 51 ff. 873 So auch Fastrich, in: Heldrich/Prölss/Koller (Hrsg.), Festschrift für Claus-Wilhelm Canaris, 2007, S. 1071, 1076. 874 Canaris, a.a.O., S. 78 ff. 875 Canaris, a.a.O., S. 90 f. 876 Canaris, a.a.O., S. 119 f. 877 Canaris, a.a.O., S. 119 f. 878 Canaris, a.a.O., S. 120. 868

H. Iustitia distributiva und iustitia commutativa

185

wirtschaft sei dies nicht anders möglich als durch die Inpflichtnahme Privater. Canaris sieht insoweit auch eine „Sozialpflichtigkeit der Privatautonomie“.879 Bei finanziellen Lasten sei dagegen in erster Linie der Fiskus oder die sozialversicherungsrechtliche Solidargemeinschaft zu belasten.880 Canaris zieht aus dem Vorrang der iustitia commutativa eine wichtige Konsequenz. Die Verwirklichung distributiver Postulate mit Hilfe des Vertragsrechts bedürfe grundsätzlich besonderer Legitimation.881 Daher treffe die Argumentationslast denjenigen, der für diesen Weg plädiert. Dafür spreche auch, dass andere rechtliche Mechanismen (etwa steuer- oder sozialrechtlicher Natur) meist besser geeignet seien, distributive Zwecke der Gemeinschaft umzusetzen.882 Auch sieht Canaris etwa in Regeln des sozialen Mietvertragsrechts verfassungsrechtlich bedenkliche Tendenzen zu distributiv motivierten Einschränkungen der Privatautonomie.883 Insbesondere sei mit Blick auf den Gleichheitsgrundsatz schwer begründbar, weshalb die mit dem Mieterschutz verfolgten distributiven Ziele gerade durch eine Belastung der Vermieter realisiert würden. Steuerzahler, die ihr Geld nicht in als Wohnraum vermietete Objekte anlegen, sondern in gewerbliche Objekte oder Aktien, würden so den Vermietern von Wohnraum gegenüber bevorzugt.884 Der normative Vorrang der iustitia commutativa lässt sich auch mit einem rechtspolitischen Anliegen erklären, das in den oben bereits erwähnten Vorzügen der Perspektive der iustitia commutativa gute Gründe findet. Die Perspektive der iustitia distributiva bietet in ihrer Offenheit für heteronome Aspekte ein möglicherweise gefährliches Einfallstor dafür, Private zu bevormunden. Sie kann einem paternalistischen, bevormundenden Rechtsverständnis Vorschub leisten.885 Insofern gefährdet die Perspektive der iustitia distributiva potentiell das Selbstverständnis Privater, die sich als freie und autonome Individuen wahrnehmen. Natürlich bietet die Beschränkung der iustitia commutativa auf den unmittelbar zur Beurteilung stehenden Vertrag auch weitere Vorzüge, die diese Perspektive empfehlen. Die Rechtssicherheit kann durch die Beschränkung auf die vertragsimmanente Perspektive erhöht sein. Je weniger für die konkrete Realisierung der Gerechtigkeit zu ermitteln ist, je mehr an Kontexten ausgeblendet bleibt, desto schneller kann die Realisierung erfolgen. Die Kosten der Rechtsfindung können dadurch niedrig bleiben, ihre Effizienz 879

Canaris, a.a.O., S. 120 (Hervorhebung im Original). Canaris, a.a.O., S. 120 f. 881 Canaris, a.a.O., S. 119; einschränkend Lurger, Grundfragen der Vereinheitlichung des Vertragsrechts in der Europäischen Union, Habilitationsschrift an der Universität Graz, Juni 1998, S. 540 ff.: Besonderer Rechtfertigungsdruck bei stark umverteilenden Maßnahmen. 882 Canaris, a.a.O., S. 66 f. und S. 77. 883 Canaris, a.a.O., S. 129. 884 Canaris, a.a.O., S. 129. 885 Das Konzept eines liberalen Paternalismus kann dieser Gefahr nur eingeschränkt vorbeugen, vgl. Eidenmüller, JZ 2011, 814, 819 ff. 880

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§ 2 Rechtsphilosophische Grundlegung

erhöht werden. Auch unter diesem Aspekt scheint die Perspektive der iustitia commutativa die Gesamtwohlfahrt einer Rechtsgemeinschaft zu erhöhen. Auch die These vom Vorrang der iustitia commutativa im Vertragsrecht kann letztlich aber nicht überzeugen. Wenn Canaris in der iustitia distributiva als Vertragsgerechtigkeit eine Belastung von Bürgern nach dem Zufallsprinzip erblickt und das Steuer- und Sozialsystem für die besseren Instrumente hält, so trifft dies möglicher Weise für spezifische Aspekte der iustitia distributiva zu.886 Die Belastungsintensität und -art sind indes ebenso wie die Eignung verschiedener Regelungssysteme nur empirisch feststellbar. Plausibilität mag die Auffassung Canaris’ durchaus für bestimmte Konstellationen beanspruchen können; grundlegende Schlussfolgerungen für das Verhältnis der Gerechtigkeitsformen lassen sich daraus aber nicht herleiten. Vielmehr greift auch mit Blick auf vertragsrechtliche Normen im demokratisch verfassten Rechtsstaat die Einschätzungsprärogative des Gesetzgebers. Das Vertragsrecht ist dabei eines von mehreren Ordnungsinstrumenten, derer sich der Gesetzgeber zur Erreichung politisch motivierter distributiver Zwecke bedienen kann. Ob hierzu das Vertragsrecht besser oder schlechter geeignet ist als andere Instrumente, hängt von vielen Parametern ab, die eine zuverlässige Prognose erschweren. Diese Prognose zu treffen ist grundsätzlich Aufgabe des Gesetzgebers.887 Dieser unterliegt dabei zwar verfassungsrechtlichen Grenzen, die im Einzelfall eine Konkretisierung der Gerechtigkeit qua iustitia distributiva verbieten mögen. Ein genereller Vorrang zugunsten anderer Steuerungsinstrumente lässt sich allerdings unabhängig vom konkret betroffenen Regelungsbereich nicht begründen. Dazu treten die oben bereits beschriebenen Vorzüge der Gerechtigkeitsperspektive der iustitia distributiva, die den Vorzügen der iustitia commutativa entgegengehalten werden können. Die stärkere Kontextualisierung rechtlicher Entscheidungen erhöht die Chance, dass das Recht alle zur Ermittlung eines gerechten Ergebnisses relevanten Umstände berücksichtigt. Die Chance, Einzelfallgerechtigkeit zu erzielen, kann dadurch steigen. Mittelbar erhöht die Perspektive der iustitia distributiva auch die Anerkennung des Rechts in der Gemeinschaft und kann so zu stabilen und friedlichen Verhältnissen beitragen. Auch die These vom normativen Vorrang der iustitia commutativa ist daher abzulehnen. cc) Die normative Gleichrangigkeit von iustitia distributiva und iustitia commutativa Insgesamt lässt sich gerechtigkeitstheoretisch weder ein Vorrang der einen noch der anderen Gerechtigkeitsform überzeugend begründen. Iustitia distri886

Dazu im Einzelnen unten, S. 268 ff. Auch Entscheidungen des Richters müssen mit Blick auf ihre Legitimitätsfähigkeit grundsätzlich auf gesetzgeberische Entscheidungen zurückgeführt werden können, wie Schünemann betont, s. Schünemann, in: Festschrift für Ulrich Klug, Band I, 1983, S. 169, 173. 887

H. Iustitia distributiva und iustitia commutativa

187

butiva und iustitia commutativa sind normativ gleichrangige Formen der objektiven Gerechtigkeitsidee. Dies gilt insbesondere auch mit Blick auf das Vertragsrecht. In struktureller Hinsicht lassen sich iustitia distributiva und iustitia commutativa im vertragsrechtlichen Kontext durch ihre unterschiedlichen Perspektiven unterscheiden. Die iustitia distributiva kontextualisiert den einzelnen Vertrag und blickt auf mittelbare Folgen der rechtlichen Regelungen des Vertrages. Ihre Perspektive ist extern, verallgemeinernd und regulativ. Die iustitia commutativa betont dagegen das unmittelbar betroffene Vertragsverhältnis. Sie dekontextualisiert und blickt auf die unmittelbaren Folgen für die konkret Beteiligten. Ihre Perspektive ist intern, ihr Paradigma ist das bipolare Austauschverhältnis und die Abstraktion. Iustitia distributiva und iustitia commutativa können dabei zu identischen Forderungen gelangen. Sie können aber auch in einem Widerspruch zueinander stehen. Normen oder Anwendungsergebnisse, die aus der Perspektive der iustitia commutativa gerecht erscheinen, können aus der Perspektive der iustitia distributiva ungerecht erscheinen. Auch der umgekehrte Fall ist möglich. Wie soll nun eine Gerechtigkeitstheorie des Vertragsrechts mit solchen Widersprüchen umgehen? Die Frage danach, inwieweit die objektive Gerechtigkeitsidee als iustitia commutativa oder als iustitia distributiva konkretisiert wird, lässt keine generelle Antwort zu. Die beiden Gerechtigkeitsformen lassen sich zwar gerechtigkeitstheoretisch als eigenständige Konkretisierungen der Gerechtigkeitsidee beschreiben. Ihr jeweiliger Anwendungsbereich ist aber nicht in grundsätzlicher Weise bestimmbar. Auch die Trennung der Gerechtigkeitsformen im Sinne der hier vorgeschlagenen Fortentwicklung der Kriterien der „Vertragsimmanenz“ bzw. der „Vertragsfremdheit“ bietet keine kontextunabhängige Leitlinie. Diese Trennung gibt keine mit eindeutigem Ergebnis subsumierbare Kriterien an die Hand. Sie liefert keine allgemeingültigen Aspekte, aus denen sich zwingend ergibt, welche Perspektive in welchen Situationen vorrangig eingenommen werden soll. Auch sind iustitia distributiva und iustitia commutativa in der praktischen Rechtsanwendung ineinander verwoben.888 Häufig lässt sich eine konkrete Realisierung des Vertragsrechts sowohl aus der einen wie auch aus der anderen Perspektive begründen. Welcher Perspektive im Konfliktfall der Vorrang einzuräumen ist, lässt sich damit nur unter Berücksichtigung der historischen, sozialen, ökonomischen und politischen Verhältnisse entscheiden. Das gesellschaftliche und wirtschaftliche Umfeld der jeweiligen Regelungsmaterie spielt dabei eine entscheidende Rolle. Die Perspektivenwahl hängt aber auch von den rechtspolitischen Überzeugungen der jeweils beteiligten Rechtsanwender und Normsetzer ab. Nur mit großer Zurückhaltung lassen sich daher einige Leitlinien skizzieren, die bei der Wahl zwischen der iustitia distributiva und der iustitia commutativa hilfreich sein können. Für die Gesetzgebung ist ebenso wie für die An888

Wilhelmsson, European Law Journal 2004, 712, 717.

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§ 2 Rechtsphilosophische Grundlegung

wendung des Vertragsrechts unerlässlich, das Vertragsrecht nicht isoliert zu betrachten, sondern die gesamte positive Rechtsordnung in den Blick zu nehmen. Das Vertragsrecht muss und darf bestimmte Ordnungsaufgaben nicht alleine bewerkstelligen. Es ist vielmehr nur einer von vielen Bestandteilen der positiven Rechtsordnung, durch die die objektive Gerechtigkeitsidee konkretisiert wird. Besonders deutlich zeigt sich dies bei der Frage, inwieweit auch das Vertragsrecht der Verwirklichung sozialer Gerechtigkeit im Sinne einer Vermögensumschichtung dienen kann und soll. Die Antwort auf diese Frage kann ohne rechtspolitische Wertungen selbstverständlich nicht gegeben werden. Keine der denkbaren Antworten darf aber außer Acht lassen, dass das Vertragsrecht nicht das einzige Instrument zur Realisierung sozialer Gerechtigkeit ist. Die objektive Gerechtigkeitsidee wird insoweit durch eine Vielzahl unterschiedlicher rechtlicher Mechanismen konkretisiert. Dazu gehören insbesondere Regelungen des Zwangsvollstreckungsrechts, des Sozialrechts und des Insolvenzrechts (einschließlich des Verbraucherinsolvenzrechts). Auch empfehlen sich iustitia distributiva und iustitia commutativa in bestimmten Regelungszusammenhängen in unterschiedlicher Intensität. In Kontexten etwa, die in besonderer Weise auf Schnelligkeit und Sicherheit angewiesen sind, liegt ein Vorrang der iustitia commutativa nahe. Der Handelsverkehr bedarf sicherer und effizienter Entscheidungen, die im Rahmen der Kontextoffenheit und der Verallgemeinerungsgedanken der iustitia distributiva oft nicht erreichbar sein mögen. Rechtsgebiete, in denen es in besonderer Weise um den Schutz Schwächerer geht, stehen dagegen in besonderer Nähe zur iustitia distributiva. Die mit der iustitia commutativa einhergehende Abstraktion und Fokussierung auf die konkreten Vertragsverhältnisse können den regulativen Zweck des Vertragsrechts in diesen Bereichen oft nicht gewährleisten. Jede Entscheidung über den Vorrang der einen oder anderen Gerechtigkeitsform im Vertragsrecht ist allerdings historisch und politisch kontingent.889 Der Zeitgeist spielt dabei eine nicht zu unterschätzende Rolle. In jüngerer Zeit ist dies beispielsweise im Verbrauchervertragsrecht zu beobachten. Diese Entwicklung wird noch eingehend zu untersuchen sein.890 Der Verbraucher wird tendenziell und unabhängig von seiner konkreten Schutzwürdigkeit als schutzbedürftig angesehen. Dieser Zeitgeist, der sich in einer Vielzahl verbraucherschützender Normen niedergeschlagen hat, wirkt sich auch in der Anwendung dieser Normen aus. Er führt zu einer distributiven Gerechtigkeitsperspektive, die in ihrer Kontextualisierung stark eingeschränkt ist. Die Verteilung erfolgt in aller Regel schon dann zugunsten des Verbrauchers, 889 Zur Kontingenz jeglicher materiellen Gerechtigkeitsentscheidung vgl. Oechsler, Gerechtigkeit im modernen Austauschvertrag, S. 16 ff.; Lauber tritt etwa für normative Gleichrangigkeit von iustitia distributiva und iustitia commutativa im Bereich des vertragsrechtlichen Diskriminierungsschutzes ein, vgl. Lauber, Paritätische Vertragsfreiheit durch reflexiven Diskriminierungsschutz, S. 129 ff., insbes. S. 131. 890 Unten, S. 348 ff.

H. Iustitia distributiva und iustitia commutativa

189

wenn die formal verstandenen Tatbestandsvoraussetzungen der verbraucherschützenden Normen erfüllt sind. Eine innerhalb der Perspektive der iustitia distributiva mögliche weitergehende Kontextualisierung findet nicht statt. Auch Verbraucher, die im Einzelfall wenig schutzwürdig erscheinen, gelangen in den Genuss des Verbraucherschutzrechts. Dies mag insofern kritikwürdig erscheinen, als in materieller Hinsicht nur schutzwürdige Personen geschützt werden sollten. Andererseits aber führt diese eingeschränkt distributive Perspektive zu einer Milderung eines wesentlichen Nachteils der iustitia distributiva, nämlich der Gefahr erhöhter Rechtsunsicherheit.891 Insofern erhöht die eingeschränkt distributive Perspektive die Rechtssicherheit und erlaubt Unternehmen, die durch die Verteilungsentscheidung des Verbraucherrechts entstehenden Kosten vorherzusehen und – je nach den Marktverhältnissen – auf die Preise umzulegen. Ob die objektive Gerechtigkeitsidee im Vertragsrecht als iustitia distributiva oder als iustitia commutativa verwirklicht wird, ist somit eine kontingente Entscheidung. Sie wird unter anderem vom sozialen und wirtschaftlichen Umfeld der Regelungsmaterie, von historischen Umständen, aber auch von individuellen Präferenzen und Neigungen der jeweils Entscheidenden beeinflusst. Daher lässt sich auch nur unter Zuhilfenahme rechtspolitischer Kriterien entscheiden, ob im Konfliktfall die Perspektive der iustitia commutativa oder die Perspektive der iustitia distributiva eingenommen werden soll. Dieser Befund mag auf dem ersten Blick unbefriedigend erscheinen. Die Unterscheidung zwischen iustitia distributiva und iustitia commutativa lässt sich gerechtigkeitstheoretisch nicht nach subsumierbaren Kriterien treffen. Dies scheint die Objektivität des Rechts zu gefährden. Auch fehlen klar subsumierbare Momente, die den Normgeber oder den Rechtsanwender mit Sicherheit in ihrer Wahl führen könnten. Letztlich ist dies aber unvermeidbar und auch nicht beunruhigend. In ihrer Objektivität leitet die Gerechtigkeit das Recht als Idee.892 Eine vollständige und vorherbestimmbare Konkretisierung im positiven Recht kann und wird sie nie erfahren. Dies ist aber auch entbehrlich. Denn auch als ideales Leitbild kann die objektive Gerechtigkeitsidee die an der Gestaltung des Rechts Beteiligten in ihren Entscheidungen lenken und bestimmen. Konfligierende Werte und Moralvorstellungen sind auch in der sozialen Lebenswirklichkeit alltäglich. Das Recht ist in diese Wirklichkeit untrennbar eingebettet, auf sie angewiesen und sie zugleich bedingend.893 Widersprüchliche Präferenzen und Gerechtigkeitskonzepte begegnen sich in gesellschaftlichen Diskursen, in denen sie historisch und politisch kontingenten praktischen Lösungen zugeführt werden.894 Auch diese Lösungen können 891 So mag etwa Unsicherheit über die tatsächliche Schutzbedürftigkeit bestehen. Kritisch zu Bedenken der Rechtssicherheit insoweit etwa Collins, Regulating Contracts, S. 268 ff. 892 Lamont, Philosophy 1941, 3, 4 f. 893 S. dazu Simmonds, in: Tasioulas (Hrsg.), Law, Values, and Social Practices, 1997, S. 129, 130 f. 894 Oechsler, Gerechtigkeit im modernen Austauschvertrag, S. 19 ff.

190

§ 2 Rechtsphilosophische Grundlegung

aber weder objektive Vorhersehbarkeit noch universelle Gültigkeit beanspruchen. Im juristischen Diskurs zeigen sich ebenfalls unterschiedliche Vorstellungen und Konzeptionen von Richtigkeit und Gerechtigkeit. Auch die in diesen Diskursen getroffenen Lösungen bleiben historisch und politisch relativ.895 Dass auch im Bereich des Vertragsrechts die Entscheidung zwischen iustitia distributiva und iustitia commutativa historisch, sozial und ökonomisch bedingt ist, kann vor diesem Hintergrund ebenso wenig überraschen, wie dass die Wahl zwischen diesen Gerechtigkeitsperspektiven auch von den rechtspolitischen Überzeugungen der Rechtsanwender und Normgeber abhängt. So schlägt sich letztlich auch gerechtigkeitstheoretisch nieder, dass das Recht eine soziale Einrichtung zur Koordinierung menschlichen Zusammenlebens und zur Sicherung des Friedens ist. Die Konkretisierung der Gerechtigkeit als objektive Idee des Rechts ist wegen dieser sozialen und historischen Einbettung stets relativ. Nur eine Gerechtigkeitstheorie des Vertragsrechts, die diese Kontingenzen akzeptiert, Wertkonflikte integriert und den Streit rechtspolitischer Ideen abbildet, macht die Konkretisierung der Gerechtigkeitsidee im Vertragsrecht wirklich explizit.

895

Lamont, Philosophy 1941, 3, 4 f.

§ 3 Das Verhältnis der iustitia distributiva zum Grundsatz der Vertragsfreiheit Im Vertragsrecht wird die objektive Gerechtigkeitsidee sowohl durch die iustitia distributiva als auch durch die iustitia commutativa konkretisiert. Die besondere Affinität der iustitia commutativa zur Vertragsfreiheit führt dabei zu einer schwierigen Frage: In welchem Verhältnis steht das Prinzip der Vertragsfreiheit zur iustitia distributiva? Die Antwort auf diese Frage setzt voraus, dass Gründe und Grenzen der Vertragsfreiheit näher beleuchtet werden. Dabei wird zu zeigen sein, dass die Vertragsfreiheit einer durchschlagenden Bedeutung der iustitia distributiva für das Vertragsrecht nicht entgegensteht.

A. Einführung Im herkömmlichen Verständnis ist die Bedeutung der iustitia distributiva für das Vertragsrecht auch deshalb gering, weil das Vertragsrecht nach diesem Verständnis wesentlich von dem Prinzip der Vertragsfreiheit beherrscht wird. Die Vertragsfreiheit gilt als vielleicht bedeutsamste Ausprägung der Privatautonomie1 für das Vertragsrecht unserer Wirtschaftsverfassung als konstitutiv. Diese Prämisse dürfte nahezu unbestritten sein. Auch in dieser Arbeit soll sie keineswegs grundsätzlich kritisiert werden. Eine differenziertere Perspektive ist indes insoweit angezeigt, als es um die Bedeutung dieser Prämisse für das Vertragsrecht geht.2 Aus der konstitutiven Bedeutung der Vertragsfreiheit wird oft als vertragsrechtlicher Grundsatz gefolgert: Verträge und deren Verteilungsergebnisse sind hinzunehmen, weil und soweit sie auf der freien Vereinbarung der Privatrechtssubjekte beruhen. Damit scheint prima facie der iustitia distributiva im Vertragsrecht nur eine ergänzende Funktion zuzukommen. Der freie Wille der Privatrechtssubjekte scheint die Frage nach der Gerechtigkeit vertraglicher Verteilung zu ersetzen oder zu beantworten.3 Von diesem Standpunkt aus ist es nur ein kleiner Schritt dahin, das Vertragsrecht 1 2

So etwa Hönn, Jura 1984, 57; Bruns, JZ 2007, 385. Vgl. auch Zweigert, in: Festschrift für Max Rheinstein, Band II, Tübingen 1969, S. 493,

501. 3

S. dazu auch schon oben, S. 15 ff.

192

§ 3 Iustitia distributiva und Vertragsfreiheit

im Wesentlichen entweder als „gerechtigkeitsneutral“ oder als „kraft Vertragsfreiheit gerecht“ zu erklären. Die Frage nach der Gerechtigkeit der Verträge – soweit sie nicht allein aus der freien Vereinbarung begründet ist – wird dementsprechend teilweise zumindest für einzelne Verträge ausgeklammert: „stat pro ratione voluntas“. Aus gerechtigkeitstheoretischer Sicht ist diese Sichtweise bereits eingehend kritisiert worden.4 Ziel allen Rechts – einschließlich des Vertragsrechts – ist die Gerechtigkeit. Zugleich wurde gezeigt, dass auch die iustitia distributiva die objektive Gerechtigkeitsidee im Vertragsrecht konkretisieren kann. Gleichwohl bedarf das Verhältnis der iustitia distributiva zur Vertragsfreiheit einer umfassenden Klärung. Dabei wird vor allem auch zu zeigen sein, dass ein formal oder prozedural fokussierendes Verständnis der Vertragsfreiheit nicht nur inhaltlich zu kurz greift, sondern auch analytisch kaum begründbar ist. Das bedeutet aber nicht, dass Privatautonomie und Vertragsfreiheit in ihrer Bedeutung für das Vertragsrecht gering zu schätzen wären. Das Gegenteil ist der Fall. Missverständnisse in diese Richtung wären fatal, ihnen soll gleich zu Beginn der weiteren Ausführungen entgegengetreten werden. Ziel der nachstehenden Überlegungen ist es nicht, das Prinzip der Vertragsfreiheit in Frage zu stellen. Vielmehr soll lediglich das Verhältnis der Vertragsfreiheit zur iustitia distributiva analysiert und neu bewertet werden. Dies kann nur gelingen, wenn die Vertragsfreiheit insbesondere in ihrer historischen Entwicklung, ihrer verfassungsrechtlichen Fundierung und ihrer positivrechtlichen Ausprägung analysiert ist.

B. Historische Entwicklung der Vertragsfreiheit Aus heutiger Sicht scheint es geradezu selbstverständlich, dass die Vertragsfreiheit ein überragendes Prinzip des Privatrechts ist.5 In welcher Form Vertragsfreiheit in einer Rechtsordnung praktisch wird, ist jedoch in hohem Maße historisch bedingt. Auch deshalb verspricht ein kurzer Überblick über die historische Entwicklung der Vertragsfreiheit einen wichtigen Erkenntnisgewinn.6 Dabei fällt ins Auge, dass die Vertragsfreiheit in ihrer heutigen Dominanz als ein das Vertragsrecht beherrschendes Rechtsprinzip erst verhältnismäßig spät

4

Oben, S. 15 ff. Vgl. etwa Bruns, JZ 2007, 385, 386: „Der Grundsatz der Vertragsfreiheit gehört, so kann man ohne Übertreibung sagen, zum gemeinsamen rechtskulturellen Erbe der westlichen Welt.“; Luig, in: Festgabe für Helmut Coing, 1982, S. 171. 6 Hier ist für eine ausführliche Untersuchung der Geschichte der Vertragsfreiheit kein Raum. Die nachstehende Skizze dient lediglich dazu, die Bedeutung der Vertragsfreiheit mit Blick auf die Funktion der iustitia distributiva im Vertragsrecht verorten zu können. 5

B. Historische Entwicklung der Vertragsfreiheit

193

anerkannt wurde. Im klassischen römischen Recht lassen sich zwar schon etwa im Zwölftafelgesetz Verbürgungen der Vertragsfreiheit erkennen.7 Das römische Recht erkannte also Vertragsfreiheit im Grundsatz durchaus an.8 Eine erste ganz wesentliche Einschränkung ergibt sich aber bereits im Hinblick auf die Personen, die überhaupt von der Vertragsfreiheit Gebrauch machen konnten: Der Kreis handlungsfähiger Privatrechtssubjekte war selbstverständlich beschränkt. Insbesondere schieden grundsätzlich Sklaven und – mit Einschränkungen – auch Frauen aus9. Zudem kannte das römische Recht bereits etliche Einschränkungen und Relativierungen dieses Prinzips.10 Neben inhaltlichen Schranken der Vertragsfreiheit11 fallen insbesondere die strengen Formvorschriften auf, die Verträge in der Regel wahren mussten, um sich auch in der Durchsetzung bewähren zu können.12 Auch im Germanischen Recht galt zwar der Sache nach die Vertragsfreiheit;13 allerdings bestanden neben den Grenzen des Sitten- oder des Gesetzesverstoßes wiederum etliche Formschriften – neben dem Eid auch etwa die Hergabe des Gottespfennigs oder der Handschlag.14 Erst mit dem Eindringen des kanonischen in das weltliche Recht erfolgte eine Lockerung der Formvorschriften.15 Im Gemeinen Recht bildete sich das Konsensualprinzip nur zögerlich heraus.16 Und auch das allgemeine preußische Landrecht von 1794 bekannte sich nur in Grenzen zum Konsensualprinzip,17 was sich etwa an vielfachen Schriftformerfordernissen zeigt.18 Historisch betrachtet bestanden also lange Zeit Vorbehalte, freien Vereinbarungen per se Wirksamkeit zu verleihen.19 Formvorschriften bringen diese Zurückhaltung zum Ausdruck. Man kann in ihnen einen Ausdruck eines gewissen Misstrauens gegenüber dem grenzenlos frei vereinbarten Recht erblicken. Daneben gab es natürlich auch andere Gründe für die Formvorschrif7 So heißt es dort etwa: „cum nexum faciet mancipiumque, uti lingua nucupassit, ita ius esto“ (zu Deutsch: „Wenn einer eine Bürgschaft oder ein Darlehen eingeht, soll das als Recht gelten, was er mündlich versprochen hat“). 8 Bäuerle, Vertragsfreiheit und Grundgesetz, S. 44 ff.; Heinrich, Formale Freiheit und materiale Gerechtigkeit, S. 14 ff. 9 Scherrer, Die geschichtliche Entwicklung des Prinzips der Vertragsfreiheit, S. 10 f. m.w.N. 10 Eher fern lag dem römischen Rechtsdenken auch die Vorstellung, der Vertrag könnte eine von den Parteien gesetzte normative Verhaltensordnung bilden, vgl. Bucher AcP 1986, 1, 19 f. 11 Dazu Scherrer, a.a.O., S. 11 ff. m.w.N. 12 Bäuerle, Vertragsfreiheit und Grundgesetz, S. 44 f.; Scherrer, Die geschichtliche Entwicklung des Prinzips der Vertragsfreiheit, S. 14 ff.; Röhl, in: Kaulbach/Krawietz (Hrsg.), Recht und Gesellschaft, 1978, S. 458; vgl. exemplarisch zur stipulatio Zimmermann, The Law of Obligations, S. 82 ff. 13 Heinrich, Formale Freiheit und materiale Gerechtigkeit, S. 21 ff. 14 Scherrer, Die geschichtliche Entwicklung des Prinzips der Vertragsfreiheit, S. 17 ff. 15 Scherrer, a.a.O., S. 20 ff. 16 Vgl. von Savigny, Pandekten. Obligationenrecht, Allgemeiner Teil, §§ 76 ff. (S. 225 ff.). 17 S. etwa Wieacker, Privatrechtsgeschichte der Neuzeit, S. 331 ff.; Bäuerle, Vertragsfreiheit und Grundgesetz, S. 69 f. 18 Vgl. §§ 109–110, 131, 133, 137 und 142–143 des allgemeinen preußischen Landrechts. 19 Röhl, in: Kaulbach/Krawietz (Hrsg.), Recht und Gesellschaft, 1978, S. 458 ff.

194

§ 3 Iustitia distributiva und Vertragsfreiheit

ten – neben der Beweissicherung etwa ein archaischer Glaube an die magische Kraft der förmlichen Bindung.20 Historisch betrachtet steht jedenfalls die Durchsetzung vertraglicher Rechte allein kraft der freien Willensübereinstimmung der Parteien keinesfalls an der Spitze der Rechtsentwicklung. Atiyah sieht auch für das Vertragsrecht des Common Law bis zum Jahre 1770 kaum Ansätze, vertragliche Pflichten allein aus der freien Vereinbarung entstehen zu lassen.21 Vielmehr vermutet er die Geltungsgründe dieser Pflichten in zwei anderen Aspekten: Entweder hat jemand tatsächlich einen Vorteil von einem anderen erlangt,22 oder er hat zu seinem Nachteil im Vertrauen auf dessen Äußerungen gehandelt.23 Die rechtliche Bindung kraft freier Vereinbarung entwickelte sich in der Geschichte des Common Law erst im 18. Jahrhundert.24 Ob Atiyahs These der Geltungsgründe vertraglicher Pflichten zutrifft, kann hier offen bleiben. Von Interesse für die vorliegende Untersuchung ist vor allem die Erkenntnis, dass vertragliche Bindung kraft freier Vereinbarung eine verhältnismäßig junge Entwicklung des Rechts darstellt.25 Auch in der spätscholastischen Aristoteles-Rezeption war Willensfreiheit zwar Bestandteil der Rechtslehre. Die Freiheit wurde aber nicht per se als schutzwürdig betrachtet. Vielmehr war der Zweck der Vereinbarung entscheidend. Willensfreiheit wurde auch im Vertragsrecht als schutzwürdig angesehen, weil und soweit sie für die richtigen Zwecke instrumentalisiert wird.26 Der Aufstieg einer formalen Konzeption der Vertragsfreiheit und des Prinzips, dass vertragliche Pflichten allein kraft freier Willensübereinstimmung entstehen und durchsetzbar sind, erfolgte erst im 18. und 19. Jahrhundert.27 Die Wurzeln dieser Entwicklung sind mit denen der Trennung des öffentlichen vom privaten Recht weitgehend identisch28 und müssen daher hier nur kurz wiederholt werden. Sie liegen zum einen in der Philosophie der Aufklärung, die den Menschen als mündige, zur Selbstbestimmung und Selbstverantwortung fähige Person betrachtet.29 In der Konsequenz dieses Menschenbildes 20 21 22 23 24 25

Zimmermann, The Law of Obligations, S. 82 m.w.N. Atiyah, The Rise and Fall of Freedom of Contract, S. 139 ff. Atiyah, a.a.O., S. 181 ff. Atiyah, a.a.O., S. 184 ff. Simpson, A History of the Common Law of Contract, S. 466 ff. Scherrer, Die geschichtliche Entwicklung des Prinzips der Vertragsfreiheit, S. 20 ff. und

73 ff. 26 Eingehend dazu Gordley, in: Benson (Hrsg.), The Theory of Contract Law, 2007, S. 265, 268 ff. 27 Vgl. für das deutsche Recht ausführlich und differenzierend Hofer, Freiheit ohne Grenzen?; Kaiser, Zum Verhältnis von Vertragsfreiheit und Gesellschaftsordnung während des 19. Jahrhunderts, S. 27 ff.; für das Common Law ausführlich Atiyah, The Rise and Fall of Freedom of Contract, S. 398 ff. sowie Gordley, in: Benson (Hrsg.), The Theory of Contract Law, 2007, S. 265. 28 Zu diesen eingehend oben, S. 103 ff. 29 S. auch Heinrich, Formale Freiheit und materiale Gerechtigkeit, S. 26 ff.; Weller, Die Vertragstreue, S. 74 ff. Natürlich verlief auch diese geistesgeschichtliche Entwicklung nicht strom-

B. Historische Entwicklung der Vertragsfreiheit

195

liegt es, dem Menschen in freier Selbstbindung die Verwirklichung seiner selbst gesetzten Ziele zu ermöglichen.30 Ein weitgehend liberales Konzept der Vertragsfreiheit verwirklicht dieses Menschenbild auf dem Gebiet des bürgerlichen Rechts.31 Zum anderen liegen die Wurzeln in den Theorien des Marktes als wohlstandsmaximierendes Idealinstrument, die vor allem im 19. Jahrhundert erarbeitet wurden.32 Der Markt als Ort des Güteraustauschs, der Preise durch Angebot und Nachfrage bestimmt, setzt grundlegend voraus, dass Menschen ihre Projekte frei verwirklichen und sich dazu frei vereinbarter Verträge bedienen können. So entsprach auch den marktwirtschaftlichen Theorien im Wesentlichen ein Leitbild des Vertrages, in dem freie Bürger in freier Selbstverantwortung ihre Interessen eigenständig ordnen und verantworten.33 Der Sog dieses Gedankenguts wurde durch die gesellschaftliche Entwicklung von einer vielfältigen Beschränkungen unterliegenden Feudalgesellschaft hin zu einer bürgerlichen Marktgesellschaft verstärkt. Maine hat diese Entwicklung treffend und einprägsam in folgenden berühmten Worten umschrieben: „… we may say that the movement of the progressive societies has hitherto been a movement from Status to Contract.“34

Der freie Wille und die autonome sittliche Verantwortlichkeit wurden als Geltungsgrund des Vertragsrechts in der Pandektistik der romanistischen (historischen) Rechtsschule zu seiner das BGB prägenden Bestimmungskraft entwickelt.35 Was die Parteien in Ausübung ihrer Selbstgesetzgebungskompetenz 30 linienförmig. Fichte etwa ist als früher Kritiker der im politischen Liberalismus entwickelten Konzeption des Vertragsrechts aufgetreten. Er wandte sich gegen eine formal verstandene Vertragsfreiheit, und zwar interessanterweise ebenfalls im Namen von Autonomie und Freiheit. Freiheit – verstanden als positive Entfaltungsmöglichkeiten – verlangt für ihn nicht nach formellen Selbstbestimmungsrechten, sondern nach materieller Möglichkeit, Bedürfnisse und Interessen inhaltlich verwirklichen zu können. Vgl. insbesondere Fichte, Der geschlossene Handelsstaat, Gesamtausgabe der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 7, 1988, S. 65 ff. sowie Fichte, Grundlage des Naturrechts, Abschnitt II, §§ 18 und 19, Gesamtausgabe der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 4, 1970, S. 20 ff. Dazu Harke, Vorenthaltung und Verpflichtung, S. 64 ff. 30 Vgl. nur Weller, Die Vertragstreue, S. 156 ff. 31 Rehbinder, Stanford Law Review 1971, 941. Zurückhaltend allerdings die Einschätzung Hofers mit Blick auf die differenzierte privatrechtliche Diskussion des 19. Jahrhunderts, s. Hofer, Freiheit ohne Grenzen?, S. 13 ff. 32 S. dazu Kaiser, Zum Verhältnis von Vertragsfreiheit und Gesellschaftsordnung während des 19. Jahrhunderts, S. 33 ff.; Bäuerle, Vertragsfreiheit und Grundgesetz, S. 62 ff. 33 S. etwa E. Schmidt, JZ 1980, 153, 154; Bruns, JZ 2007, 385, 386. 34 Maine, Ancient Law, its Connection with the Early History of Society and its Relation to Modern Ideas, S. 165. Dazu etwa Rehbinder, Stanford Law Review 1971, 941; Bruns, JZ 2007, 385. 35 Grundlegend: v. Savigny, System des heutigen römischen Rechts, Band III. In der privatrechtlichen Diskussion des 19. Jahrhunderts wurde das Konzept grenzenloser Freiheit allerdings nur ausnahmsweise vertreten, vgl. Hofer, Freiheit ohne Grenzen?, S. 13 ff. und zusammenfassend S. 275 ff.

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§ 3 Iustitia distributiva und Vertragsfreiheit

bestimmen, gilt kraft freier Vereinbarung. Im Vertragsschluss kommt der freie Wille als Ausdruck der Vernunft verantwortlicher Bürger zum Ausdruck. Die vertraglich begründeten Rechte müssen keinem Gerechtigkeitsmaßstab genügen, der außerhalb des freien Willens liegt. Welche Zwecke sie verfolgen, welche Verteilungen sie bewirken, welche Ordnungen sie hervorrufen, all dies ist grundsätzlich unerheblich.36 Anders gewendet: Die Vertragsfreiheit ist von materiellen Begrenzungen weitgehend befreit. Die Geltung der Vereinbarung kraft freier Willensübereinstimmung entspricht der weitgehend formalen Methode der historischen Rechtsschule.37 Sie ermöglicht, die Analyse auf die begrifflichen Voraussetzungen des freien Willens zu reduzieren. Die Handhabung des Vertragsrechts als Teil des rechtlichen Systems wird dadurch erleichtert. Das Bürgerliche Gesetzbuch beruht in seiner vertragsrechtlichen Konzeption weitgehend auf diesem liberalen Gedankengut.38 Zwar wurde durchaus erkannt, dass materielle Gleichheit der Vertragspartner in vielen Bereichen nicht existiert und Fehlentwicklungen – wie etwa die Bildung von Kartellen – die Funktionsfähigkeit des freien Marktes gefährden.39 Berühmt und aus heutiger Perspektive weitsichtig ist insbesondere die Kritik Otto v. Gierkes, der ausdrücklich davor warnte, die Vertragsfreiheit in ihrer pandektistischen Form zu kodifizieren: „Schrankenlose Vertragsfreiheit zerstört sich selbst. Eine furchtbare Waffe in der Hand des Starken, ein stumpfes Werkzeug in der Hand des Schwachen wird sie zum Mittel der Unterdrückung des Einen durch den Anderen, der schonungslosen Ausbeutung geistiger und wirtschaftlicher Übermacht. Das Gesetz, welches mit rücksichtslosem Formalismus aus der freien rechtsgeschäftlichen Bewegung die gewollten oder als gewollt anzunehmenden Folgen entspringen läßt, bringt unter dem Schein einer Friedensordnung das bellum omnium contra omnes in legale Formen. Mehr als je hat auch das Privatrecht den Beruf, den Schwachen gegen den Starken, das Wohl der Gesamtheit gegen die Selbstsucht der Einzelnen zu schützen.“40

Bei der Kodifikation des BGB konnten sich diese Stimmen indes letztlich nicht durchsetzen. Das BGB von 1900 beinhaltet ein weitgehend formales Konzept der Vertragsfreiheit.41 Die vertraglichen Inhalte gelten, weil sie ge36 Bäuerle, Vertragsfreiheit und Grundgesetz, S. 60; die privatrechtswissenschaftliche Diskussion im 19. Jahrhundert verlief dabei keineswegs stromlinienförmig, dazu eingehend Hofer, Freiheit ohne Grenzen?, S. 13 ff., die auch stärker materiell orientierte Konzeptionen der Vertragsfreiheit betont (etwa die Röders, vgl. Hofer, Freiheit ohne Grenzen?, S. 66 ff. 37 Schlosser, Grundzüge der neueren Privatrechtsgeschichte, S. 152 ff. 38 Wieacker, Privatrechtsgeschichte der Neuzeit, S. 480 ff.; Hönn, Jura 1984, 57, 58; Bruns, JZ 2007, 385, 386. 39 Busche, Privatautonomie und Kontrahierungszwang, S. 49 f. m.w.N. 40 v. Gierke, Die soziale Aufgabe des Privatrechts, S. 22 f. Vgl. dazu auch Schlosser, Grundzüge der neueren Privatrechtsgeschichte, S. 167 ff. 41 Wieacker, Privatrechtsgeschichte der Neuzeit, S. 474 f.

B. Historische Entwicklung der Vertragsfreiheit

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wollt sind. Dispositive Regelungen werden von frei vereinbarten Verträgen verdrängt. §§ 134 und 138 BGB setzen der Privatautonomie zwar Grenzen. Doch weder die laesio enormis noch ein allgemeines Äquivalenzprinzip noch die clausula rebus sic stantibus wurden kodifiziert.42 Die vertragsrechtlichen Normen des BGB von 1900 verhalten sich gegenüber möglichen Konzepten einer gerechten Sozialordnung weitgehend neutral. Insofern lässt sich das BGB auch als Verwirklichung der Kant’schen Forderung nach einer Trennung von Recht und Moral verstehen: Der freie Wille, der sich im Vertrag manifestiert, begründet rechtliche Herrschaftsmacht auch dann, wenn er moralisch nicht schutzwürdig erscheint.43 Zugleich legt das BGB im Wesentlichen Privatrechtssubjekte zugrunde, die – gemäß dem in der Aufklärung und im Liberalismus geformten Ideal – ihre Angelegenheiten selbstverantwortlich und auf Augenhöhe regeln und bestimmen können und dürfen.44 Das BGB entlastete sich weitgehend von der Aufgabe, inhaltliche Vertragsgerechtigkeit herzustellen. Die Grundlage dafür hatten die ökonomischen Theorien des Marktes geschaffen. Der Wettbewerb schafft danach über einen durch Angebot und Nachfrage regulierten Markt den richtigen Preis und die angemessenen Vertragsinhalte. So kann das Vertragsrecht im Zusammenspiel mit dem Marktmechanismus den Gesamtwohlstand der Gesellschaft maximieren. Dabei konnte sich das Vertragsrecht auch damit entlasten, dass tatsächlich bestehende Ungleichheiten oder soziale Schieflagen auf der Ebene des öffentlichen Rechts ausgeglichen werden können und müssen.45 Im Vertragsrecht kommt dem Staat dagegen im Wesentlichen nur die Funktion zu, die Funktionsfähigkeit des frei ausgehandelten Vertrages zu sichern – etwa indem dispositive Regelungen zur Verfügung stehen, die bei Vertragslücken einen angemessenen Ausgleich bewirken und indem die Vollstreckung privater Rechte durch öffentliche Zwangsgewalt gesichert ist. Mit diesem liberalen Konzept der Vertragsfreiheit lässt sich die Gerechtigkeitsperspektive der iustitia distributiva nur schwer vereinbaren. Denn die Vertragsfreiheit abstrahiert in der oben geschilderten Form von der sozialen und ökonomischen Einbettung der Verträge ebenso wie von den konkret bewirkten Verteilungsergebnissen. Ihr Fokus ist das bipolare Austauschverhältnis. Einer Politisierung und Materialisierung des Vertragsrechts steht die so verstandene Vertragsfreiheit grundsätzlich feindlich gegenüber. Das Vertragsrecht soll gerade nicht dazu fruchtbar gemacht werden, materielle Gerechtigkeit zu verwirklichen. Das Dogma vom allüberragenden Prinzip der Vertragsfreiheit erweist sich in der historischen Betrachtung als brüchig. Die aus heutiger Sicht selbstverständlich erscheinende Dominanz der Vertragsfreiheit im Vertragsrecht ist ei42 Wieacker, Privatrechtsgeschichte der Neuzeit, S. 482; Schlosser, Grundzüge der neueren Privatrechtsgeschichte, S. 66. 43 Bäuerle, Vertragsfreiheit und Grundgesetz, S. 62. 44 Wieacker, Privatrechtsgeschichte der Neuzeit, S. 483. 45 Bäuerle, Vertragsfreiheit und Grundgesetz, S. 62.

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§ 3 Iustitia distributiva und Vertragsfreiheit

ner vergleichsweise jungen historischen Entwicklung geschuldet. Sie wird nur aus der geistesgeschichtlichen Tradition des Liberalismus und aus der Entwicklung ökonomischer Markttheorien heraus erklärbar und verständlich.46 So zeigt sich, dass die Ausgestaltung der Vertragsfreiheit in ihrer positivrechtlichen Form keineswegs ein nicht hinterfragbares Axiom darstellt. Vielmehr ist jede Konzeption von Vertragsfreiheit kontingent und kann nur im Rahmen ihres jeweiligen historischen, sozialen und ökonomischen Rahmens Geltung beanspruchen.47 Dabei sind rechtspolitisch verschiedene Bewertungen des liberalen Erbes denkbar.48 Formal verstandene Vertragsfreiheit auf weitgehend unregulierten Märkten ermöglicht und fördert eine kompetitive Vertragsordnung.49 Jedem steht es frei, aus seinen Talenten auf dem Markt mittels Verträgen Gewinn zu ziehen. Dies mag Anreize schaffen, Leistung belohnen und Wirtschaftsleistung generieren.50 Dies ist sicher ein positiver Aspekt des liberalen Erbes und der formal verstandenen Vertragsfreiheit. Das liberale Erbe bringt andererseits auch Nachteile mit sich. Die kompetitive Wirtschaftsordnung erlaubt auch jedem Einzelnen, sich selbst der nächste zu sein und nach Kräften Verträge zum eigenen Vorteil zu schließen, solange er nicht droht oder Zwang anwendet.51 Überlegenes Wissen, auch überlegene Wirtschaftsmacht darf er aber ohne weiteres ausnutzen. Die Gerichte haben die Verträge dabei nicht zu korrigieren: Wenn leistungsstarke, fähige Individuen ihre Talente zum eigenen Vorteil durch günstige Verträge ausnutzen, ist dies ihr gutes Recht. Diese Tendenz hin zu einem egoistischen Verhalten der Gesellschaftsmitglieder wird weiter dadurch gefördert, dass jeder Einzelne weiß, dass auf der Ebene des öffentlichen Rechts soziale Gerechtigkeit hergestellt werden kann – insbesondere über das Steuer- und Sozialsystem. Dieses Wissen bekräftigt den Gesetzgeber, ein auf formaler Freiheit beruhendes Vertragsrecht zu schaffen, es ermutigt auch den Richter, Aspekte materieller Gerechtigkeit vom Vertragsrecht fern zu halten. Auch vor diesem Hintergrund ist die Ablehnung der laesio enormis durch die Väter des BGB zu verstehen,52 ebenso das im angloamerikanischen Rechtskreis bestehende Verbot, die adequacy of consideration zu kontrollieren.53

46

Zu Strömungen des Liberalimus in der Neuzeit und Gegenströmungen s. von der Pfordten, Zeitschrift für philosophische Forschung 2000, 491. 47 Huber, Die verfassungsrechtliche Bedeutung der Vertragsfreiheit, S. 16 ff.; Bruns, JZ 2007, 385, 386. 48 Köndgen, Selbstbindung ohne Vertrag, S. 118 ff. 49 Hönn, Jura 1984, 57, 60. 50 Bruns betont zu Recht auch die durch formal verstandene Vertragsfreiheit ermöglichte Innovationskraft, vgl. Bruns, JZ 2007, 385, 390. 51 Vgl. Köndgen, Selbstbindung ohne Vertrag, S. 122 ff. 52 Zur geschichtlichen Entwicklung s. Emmert, Auf der Suche nach den Grenzen vertraglicher Leistungspflichten, S. 178 ff. 53 Köndgen, Selbstbindung ohne Vertrag, S. 122.

B. Historische Entwicklung der Vertragsfreiheit

199

Selbstverständlich haben Gesetzgebung und Rechtsprechung in den vergangenen gut 100 Jahren die Augen vor bestehenden materiellen Ungerechtigkeiten keineswegs verschlossen. In unzähligen Teilbereichen und Teilfragen des Vertragsrechts ist die formelle Vertragsfreiheit inzwischen durch ein Vertragsrecht ersetzt, in dem das materiell gerechte Ergebnis – nicht die formal freie Vereinbarung – unmittelbares Regelungsziel ist. Das BGB bemüht sich heute etwa in den Bereichen des Arbeitsrechts, des Verbraucherrechts und des Mietrechts offensichtlich auch darum, materiell gerechte Verteilungsergebnisse sicherzustellen. Auch die Rechtsprechung hat in ihrer Ausgestaltung der Vertragsfreiheit den Weg für ein Vertragsrecht geöffnet, das auch für eine unmittelbare Verwirklichung der objektiven Rechtsidee offen ist. Sie hat beispielsweise durch die Entwicklung des Wegfalls der Geschäftsgrundlage, der vertraglichen Schutzpflichten, aber auch durch ihre Ausgestaltung des Rechts der Aufklärungspflichten, maßgeblich zu einer Materialisierung des Vertragsrechts beigetragen.54 Darin lässt sich ein vielleicht unbewusstes Bekenntnis erkennen, dass auch das Vertragsrecht als Teil der Rechtsordnung die Verwirklichung der Gerechtigkeit zum Ziel haben muss.55 Allerdings werden auch heute noch diejenigen Bereiche des Vertragsrechts, bei denen die traditionelle Konzeption einer formal verstandenen Vertragsfreiheit in ihrer Bedeutung zurückgedrängt ist, häufig als begründungsbedürftige Sonderfälle angesehen. Dabei lassen sich auch aus der in der Literatur herrschenden Begrifflichkeit Rückschlüsse ziehen. So ist häufig von „Sonderprivatrecht“ die Rede, wenn für bestimmte Teilbereiche des Lebens – etwa Verbrauchergeschäfte oder Arbeitsverhältnisse – materielle Kriterien die vertraglich generierten Ergebnisse bestimmen sollen.56 Eine Erklärung für diese Betrachtungsweise könnte sich durch einen Blick auf das Grundgesetz finden lassen. Wenn dort die Vertragsfreiheit in ihrer herkömmlichen liberalen Konzeption als zentrales Entscheidungskriterium des Bürgerlichen Rechts verankert ist, bleibt ihre prägende Erklärungskraft für das Bürgerliche Recht positivrechtlich nachvollziehbar. Auch unter diesem Aspekt ist es erforderlich, die verfassungsrechtliche Stellung der Vertragsfreiheit näher zu untersuchen.

54 Wieacker, Das Sozialmodell der klassischen Privatrechtsgesetzbücher und die Entwicklung der modernen Gesellschaft, S. 16 ff.; Köndgen, Selbstbindung ohne Vertrag, S. 123 f. 55 Dazu eingehend oben, S. 5 ff. 56 Vgl. etwa Westermann, AcP 1978, 150; für das soziale Mietvertragsrecht Wolter, Mietrechtlicher Bestandsschutz, S. 156; Lammel, in: Börstinghaus/Armbrüster (Hrsg.), Theorie und Praxis des Miet- und Wohnungseigentumsrechts, 2006, S. 713. Dazu auch Lieb, AcP 1978, 196.

200

§ 3 Iustitia distributiva und Vertragsfreiheit

C. Verfassung und Vertragsfreiheit In zahlreichen Landesverfassungen finden sich – ebenso wie in Art. 152 Weimarer Reichsverfassung – explizite Gewährleistungen der Vertragsfreiheit.57 Ausdrückliche Zitierung verdient nicht nur wegen seiner anschaulichen und prägnanten Formulierung Art. 151 der Bayerischen Verfassung (BV). (1) Die gesamte wirtschaftliche Tätigkeit dient dem Gemeinwohl, insbesonders der Gewährleistung eines menschenwürdigen Daseins für alle und der allmählichen Erhöhung der Lebenshaltung aller Volksschichten. (2) Innerhalb dieser Zwecke gilt Vertragsfreiheit nach Maßgabe der Gesetze. Die Freiheit der Entwicklung persönlicher Entschlußkraft und die Freiheit der selbständigen Betätigung des einzelnen in der Wirtschaft wird grundsätzlich anerkannt. Die wirtschaftliche Freiheit des einzelnen findet ihre Grenze in der Rücksicht auf den Nächsten und auf die sittlichen Forderungen des Gemeinwohls. Gemeinschädliche und unsittliche Rechtsgeschäfte, insbesonders alle wirtschaftlichen Ausbeutungsverträge sind rechtswidrig und nichtig.

In Art. 151 BV ist die Vertragsfreiheit keineswegs als Selbstzweck verankert. Der die liberale Philosophie der Aufklärung prägende Autonomiegedanke scheint hier kaum auf. Ausgangspunkt der Bestimmung sind vielmehr das Gemeinwohl, das menschenwürdige Leben und die allmähliche Verbesserung des Lebensstandards aller. Nur innerhalb dieser Zielsetzung darf die Vertragsfreiheit Geltung und Anerkennung beanspruchen. So hebt die Bayerische Verfassung die ökonomische, aber auch die soziale Einbindung der Vertragsfreiheit in klarer Sprache hervor. Art. 151 Abs. 2 S. 2 BV erkennt in diesem Rahmen die wirtschaftliche Betätigungsfreiheit an. Zugleich werden allerdings in Art. 151 Abs. 2 S. 3 und 4 BV deren soziale Grenzen betont. Auch das Gebot, Rücksicht auf den Nächsten zu nehmen und die sittlichen Forderungen des Gemeinwohls sind ausdrückliche Schranken der wirtschaftlichen Freiheit. Zudem gilt die Vertragsfreiheit nur innerhalb der in Art. 151 Abs. 1 BV genannten Zwecke. Sie soll also dazu beitragen, ein menschenwürdiges Dasein für alle zu gewährleisten und den Lebensstandard aller Volksschichten zu erhöhen. Art. 151 BV lässt sich daher durchaus auch als Anerkennung der objektiven Gerechtigkeitsidee im Vertragsrecht verstehen, der die Vertragsfreiheit untergeordnet ist. Die Dominanz der Vertragsfreiheit als Grundlage des Privatrechts und ihre herkömmliche formale Konzeption in liberaler Tradition ließe sich mit Blick auf Art. 151 BV kaum rechtfertigen. Die Vorschrift legt vielmehr eine dienende Funktion der Vertragsfreiheit nahe, die übergeordneten Zielen des Gemeinwohls im Ausgangspunkt unterzuordnen wäre. Freilich lassen sich aus Art. 151 BV keine positiv-rechtliche Folgerungen ziehen. Der bayerische Verfassungsgerichtshof legt Art. 151 BV in seiner Rechtsprechung 57

Höfling, Vertragsfreiheit, S. 4 m.w.N.

C. Verfassung und Vertragsfreiheit

201

als bloßen Programmsatz aus, der zu keinen unmittelbaren Rechtsansprüchen führt.58 Was das positive Recht anbelangt, ist daher die Position der Vertragsfreiheit im Grundgesetz maßgeblich.59 Im Bonner Grundgesetz ist die Vertragsfreiheit nicht ausdrücklich erwähnt. Gleichwohl besteht im Grundsatz Einigkeit darüber, dass das Grundgesetz die Vertragsfreiheit verfassungsrechtlich garantiert.60 Der Schutz von Vertragsfreiheit und Privatautonomie wird dabei im Wesentlichen aus deren grundlegender Bedeutung für die freie Entfaltung der Persönlichkeit des Menschen als „homo oeconomicus“ hergeleitet.61 Hier spiegeln sich die oben62 erarbeiteten historischen Entstehungsgründe der Vertragsfreiheit wider. Die „Persönlichkeit des Menschen“ ist wesentliches Erbe der Aufklärung. Den Einzelnen als „homo oeconomicus“ eingebettet in seine wirtschaftliche Tätigkeit zu betrachten, lässt sich ohne die vor allem im 19. Jahrhundert entwickelten ökonomischen Theorien des Marktes nicht erklären. Ihrem Inhalt nach umfasst der verfassungsrechtliche Schutz der Vertragsfreiheit die Abschlussfreiheit ebenso wie die Gestaltungsfreiheit.63

I. Dogmatische Verortung der Vertragsfreiheit im Grundgesetz Während über den Schutz als solchen Einigkeit besteht, ist umstritten, welche Vorschriften die Vertragsfreiheit im Einzelnen schützen.64 Lange Zeit wurde die in Art. 2 Abs. 1 GG verankerte allgemeine Handlungsfreiheit als zentraler Sitz der verfassungsrechtlichen Gewährleistung der Vertragsfreiheit betrachtet.65 Das Bundesverfassungsgericht hat allerdings schon früh betont, dass es die Vertragsfreiheit als spezifische Ausdrucksform der allgemeinen Handlungsfreiheit betrachtet und daher als von Art. 2 Abs. 1 GG geschützt ansieht.66 Zugleich ist seine Rechtsprechung zu Art. 2 Abs. 1 GG früh vom Sub58

BayVGH, BayVBl 2010, 43, 46 m.w.N. Der Schutz der Vertragsfreiheit im europäischen Primärrecht bleibt hier außer Betracht, weil er für die Zwecke der Bedeutung der iustitia distributiva keine wesentlichen Erkenntnisse bietet. S. zum primärrechtlichen Schutz der Vertragsfreiheit nur Leistner, Richtiger Vertrag und lauterer Wettbewerb, S. 347 ff. 60 BVerfGE 8, 274, 328; BVerfGE 70, 115, 123; BVerfGE 72, 155, 170; BVerfGE 89, 214, 231; BVerfG NJW 2011, 1427; aus der Lit. stellvertretend Di Fabio, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz, Art. 2 GG Rn. 101; Canaris, in: Lerche/Badura/Scholz (Hrsg.), Wege und Verfahren des Verfassungslebens, 1993, S. 873; S. Lorenz, Der Schutz vor dem unerwünschten Vertrag, S. 18. 61 Di Fabio, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz, Art. 2 GG Rn. 101. 62 S. 192 ff. 63 Di Fabio, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz, Art. 2 GG Rn. 101. 64 Zur Methodik der Verfassungsauslegung Neuner, Privatrecht und Sozialstaat, S. 5 ff.; zur dogmatischen Verortung der Vertragsfreiheit ausführlich Heinrich, Formale Freiheit und materiale Gerechtigkeit, S. 70 ff. 65 Dies entsprach insbesondere der Einschätzung des BVerwG, vgl. etwa BVerwGE 1, 321, 323; BVerwGE 4, 24, 31; Höfling, Vertragsfreiheit, S. 6 m.w.N. 66 BVerfGE 8, 274, 328; BVerfGE 12, 341, 347; BVerfGE 70, 115, 123. 59

202

§ 3 Iustitia distributiva und Vertragsfreiheit

sidiaritätsdogma geprägt. Art. 2 Abs. 1 GG ist nur anwendbar, soweit spezifische Lebensbereiche nicht schon durch besondere Grundrechtsbestimmungen geschützt sind.67 Die Subsidiarität des Art. 2 Abs. 1 GG schlägt also auch gegenüber der Verbürgung von Privatautonomie und Vertragsfreiheit durch. Dabei kommen verschiedene speziellere Berechtigungskomplexe in Betracht. Für die berufsbezogene Vertragsgestaltung greift etwa Art. 12 Abs. 1 GG (Berufsfreiheit), eigentumsrelevante Vereinbarungen unterfallen Art. 14 Abs. 1 GG. Dies ist auch deshalb relevant, weil die Schrankenvorbehalte spezieller Grundrechtsgewährleistungen anders ausgestaltet sein können als der allgemeine Gesetzesvorbehalt des allgemeinen Persönlichkeitsrechte (Art. 2 Abs. 1 GG). So können die Grenzen je nach dem verfassungsrechtlichen Schutzort enger oder weiter ausfallen, oder auch nach unterschiedlichen Maßstäben zu bestimmen sein. Dieser letzte Aspekt zeigt zugleich einen weiteren Gesichtspunkt auf, unter dem die Streitfrage bedeutsam wird. Sie hat auch Einfluss auf das verfassungsrechtlich bestimmte Verhältnis der Vertragsfreiheit zur iustitia distributiva. Denn nach Maßgabe der differenzierenden Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist der Rechtsanwender bei der verfassungsrechtlichen Analyse zu einer differenzierten Betrachtung der jeweiligen konkreten Lebensumstände gezwungen: Wenn Vertragsfreiheit als Teil der Berufsausübung geschützt ist, zwingt Art. 12 Abs. 1 GG, den Lebensbereich penibel genau zu berücksichtigen, der die in Frage stehende Berufsausübung determiniert. Bei der verfassungsrechtlichen Prüfung geht die Abstraktion also weniger weit, als im Rahmen einer rein zivilrechtlichen Analyse zwingend erforderlich scheint: Der Lebenssachverhalt ist zumindest insoweit mit einzubeziehen, als er darüber Auskunft gibt, welcher Berechtigungskomplex einschlägig ist und welche verfassungsrechtlichen Grenzen den Schutz der Vertragsfreiheit beschränken. Damit legt gerade die primäre verfassungsrechtliche Verankerung der Vertragsfreiheit in spezifischen Grundrechten eine Kontextualisierung und Konkretisierung nahe, die der Gerechtigkeitsperspektive der iustitia distributiva entspricht. Der Weg zu einer Materialisierung und Politisierung der Vertragsfreiheit liegt so auch aus verfassungsrechtlicher Sicht nahe. Die spezifischen Grundrechtsbestimmungen ermöglichen also eine passgenauere Analyse als Art. 2 Abs. 1 GG. Dies spiegelt sich in der vom Bundesverfassungsgericht entwickelten Dogmatik wider. Art. 2 Abs. 1 GG kommt nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts nur die Aufgabe zu, die Vertragsfreiheit subsidiär zu schützen, wenn sie nicht schon von einer besonderen Grundrechtsbestimmung erfasst ist. Diese Betrachtungsweise ist auch heute noch herrschend: Soweit der zur Entscheidung stehende Lebenssachverhalt einen speziellen Berechtigungskomplex betrifft, in dem Vertragsfreiheit unterstützend oder ergänzend eine Rolle spielt, so wird auch die 67

BVerfGE 13, 290, 296; BVerfGE 44, 1, 18 f.; vgl. auch Weller, Die Vertragstreue, S. 168 m.w.N.

C. Verfassung und Vertragsfreiheit

203

Vertragsfreiheit als Annexberechtigung von diesem „herrschenden“ Berechtigungskomplex geschützt. Zahlreichen Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts lässt sich der dogmatische Vorrang spezifischer Grundrechtsbestimmungen entnehmen.68 Das Bundesverfassungsgericht hat den Schutz der Vertragsfreiheit etwa vielfach in Art. 14 Abs. 1 GG verortet.69 Dies wird insbesondere auch dadurch ermöglicht, dass der Schutzbereich des Art. 14 Abs. 1 GG nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts im Wesentlichen alle privatnützigen vermögenswerten Rechtspositionen umfasst.70 So ist etwa die Veräußerungsbefugnis des Eigentümers ein „elementarer Bestandteil der Handlungsfreiheit im Bereich der Eigentumsordnung“.71 Auch prüft das Bundesverfassungsgericht eine preisrechtliche Regelung am Maßstab des Art. 14 Abs. 1 S. 2 GG.72 Dies ermöglicht, das Sozialstaatsprinzip auch als Schranke der Vertragsfreiheit zu betonen.73 Die auch von Art. 151 BV hervorgehobene soziale und ökonomische Einbettung des Vertragsrechts lässt sich auf diese Weise angemessenen berücksichtigen. Auch die Sozialbindung des Eigentums aus Art. 14 Abs. 2 GG lässt sich in diesem Rahmen auf die Vertragsfreiheit übertragen. Dabei gilt es, im Wege praktischer Konkordanz einen Ausgleich zwischen den Eigentümerinteressen und der Sozialpflichtigkeit zu schaffen. Die verfassungsrechtlichen Vorgaben stehen insoweit in besonderer Affinität zur iustitia distributiva. Wenn im Rahmen der Eigentumsfreiheit ein Ausgleich zwischen Eigentümerinteressen und Sozialpflichtigkeit zu ermitteln ist, greift eine auf das (paradigmatisch) bipolare Austauschverhältnis beschränkte Analyse zu kurz. Vielmehr sind Verallgemeinerungen rechtlicher Wirkungen ebenso zwingend geboten wie eine Einbettung der Entscheidung in den jeweiligen ökonomischen, sozialen und gesellschaftlichen Kontext. Eine solche Analyse entspricht aber gerade der Perspektive der iustitia distributiva. Die Reichweite des Art. 14 Abs. 1 GG in seinem Verhältnis zu Art. 2 Abs. 1 GG ist allerdings umstritten.74 In der verfassungsrechtlichen Literatur besteht Uneinigkeit darüber, ob Art. 14 Abs. 1 GG auch schon den Erwerb von Rechtspositionen schützt.75 Bejaht man diese vom Bundesverfassungsgericht

68

Eingehend dazu Höfling, Vertragsfreiheit, S. 9 ff. Höfling, Vertragsfreiheit, S. 9 ff.; Di Fabio, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz, Art. 2 GG Rn. 103. 70 BVerfGE 83, 201, 209; BVerfGE 89, 1, 6; BVerfGE 91, 294, 307; BVerfGE 95, 267, 300. 71 BVerfGE 26, 215, 222 (Versagung der Genehmigung zur Grundstücksveräußerung nach § 9 Grundstückverkehrsgesetz). 72 BVerfGE 21, 87, 90 f. 73 Zur Bedeutung des Sozialstaatsprinzips für die Vertragsfreiheit vgl. auch W. Cremer, in: Butzer/Kaltenborn/Meyer (Hrsg.), Organisation und Verfahren im sozialen Rechtsstaat, 2008, S. 29. 74 Höfling, Vertragsfreiheit, S. 14 ff.; Heinrich, Formale Freiheit und materiale Gerechtigkeit, S. 86 ff.; Di Fabio, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz, Art. 2 GG Rn. 103. 75 Dazu grundlegend Kloepfer, Grundrechte als Entstehenssicherung und Bestandsschutz. 69

204

§ 3 Iustitia distributiva und Vertragsfreiheit

offengelassene76 Frage,77 schützt Art. 14 GG die Vertragsfreiheit bei dem Großteil aller Verträge, nämlich allen, die mit dem Erwerb einer eigentumsrechtlich (i.S.d. Art. 14 Abs. 1 GG) geschützten Rechtsposition verbunden sind. Für diese weite Auslegung des Art. 14 Abs. 1 GG führt Kloepfer ins Felde, dass ein „entsprechungsrechtlicher Grundrechtsverbund“78 zwischen Erwerb und Bestand bestehe: Der Erwerb sei ein Hilfsrecht der Bestandsrechte, die aus dem Eigentum fließen.79 Diese Betrachtungsweise überzeugt indes vor allem deshalb nicht, weil der Erwerb geschützter Rechtspositionen einen entscheidenden Schnitt in der Ordnungsaufgabe des Rechts bedeutet. Erworbenes muss deshalb besonders geschützt werden, weil wir Erworbenes besonders wertschätzen – und zwar allein deshalb, weil wir es erworben haben. Der Schutz dessen, was uns gehört, ist uns mehr wert als der Schutz von Dingen, die wir vielleicht erwerben können.80 Dies lässt sich auch daran erkennen, dass wir in aller Regel deutlich mehr verlangen, wenn wir Erworbenes hergeben sollen, als wir auszugeben bereit sind, um eben dieses als Neues zu erwerben.81 Auch verfassungsrechtlich sollte deshalb der besonders sensible Eigentumsschutz davon abhängig gemacht werden, dass bereits ein Eigentumserwerb stattgefunden hat. Dafür spricht auch, dass Art. 14 GG seiner Systematik nach nicht auf ein Eigentumserwerbsrecht zugeschnitten ist.82 Papier führt zu Recht aus, dass eine Verfügungsbeschränkung die Freiheit des Veräußerers zur Eigentumsnutzung garantiert, aber als Inhalts- und Schrankenbestimmung nach Art. 14 Abs. 1 S. 2 GG unbedenklich sein kann. Ebendiese Verfügungsbeschränkung würde aber das Erwerbsrecht Dritter völlig aufheben, müsste also konsequenterweise als Enteignung betrachtet werden und könnte nur in wesentlich engeren Grenzen – und unter Entschädigungspflicht – nach Art. 14 Abs. 3 gerechtfertigt werden.83 Aus diesen Gründen greift Art. 14 Abs. 1 GG bei Erwerbsvorgängen nicht ein. Der Vorrang spezifischer Grundrechtsgarantien zeigt sich ferner bei berufsbezogenen Vertragsregeln. Hier zieht das Bundesverfassungsgericht regelmäßig Art. 12 Abs. 1 GG heran.84 Das Bundesverfassungsgericht erachtet also Art. 12 Abs. 1 GG als lex specialis, soweit Verträge berufliche Beziehungen reglementieren. Dies gilt auch für die Schutzpflicht des Staates gegenüber

76

BVerfGE 21, 73, 76. So etwa Kloepfer, Grundrechte als Entstehenssicherung und Bestandsschutz, S. 46 ff.; Höfling, Vertragsfreiheit, S. 15. 78 Kloepfer, Grundrechte als Entstehenssicherung und Bestandsschutz, S. 47. 79 Kloepfer, Grundrechte als Entstehenssicherung und Bestandsschutz, S. 46 ff. 80 Vgl. zu diesem Effekt auch unten, S. 270 ff. 81 Dazu grundlegend Kennedy, Stanford Law Review 1981, 387. 82 Papier, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz, Art. 14 GG Rn. 224. 83 Papier, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz, Art. 14 GG Rn. 224. 84 BVerfGE 57, 139, 158 ff. (Schwerbehindertengesetz); BVerfGE 77, 84, 106 ff. (Arbeitnehmerüberlassung); vgl. auch Höfling, Vertragsfreiheit, S. 17. 77

C. Verfassung und Vertragsfreiheit

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schwächeren Vertragspartnern.85 Auch den durch die Gesundheitsreform 2007 eingeführten Kontrahierungszwang privater Krankenkassen (Basistarif) prüft das Bundesverfassungsgericht mit Blick auf die Vertragsfreiheit lediglich im Rahmen des Art. 12 Abs. 1 GG.86

II. Dimensionen des verfassungsrechtlichen Schutzes Der verfassungsrechtliche Schutz der Vertragsfreiheit umfasst der herkömmlichen verfassungsrechtlichen Dogmatik zufolge im Wesentlichen zwei Dimensionen: Vertragsfreiheit ist zum einen als Abwehrrecht des Bürgers gegen den Staat geschützt (status negativus). Zum anderen bedeutet die verfassungsrechtliche Verankerung der Vertragsfreiheit aber auch einen Gewährleistungsauftrag für den Staat (status positivus). 1. Status negativus In ihrer klassischen Ausprägung wenden sich Grundrechte als Abwehrrechte gegen Eingriffe des Staates in Freiheitsrechte des Bürgers. Die Vertragsfreiheit wird in dieser Konzeption als weitgehend formal geprägtes, abstraktes Freiheitsrecht verstanden.87 Der status negativus steht in der Tradition liberaler Gesellschaftstheorien. Die Sphäre des Privaten ist danach vor hoheitlichen Eingriffen durch die öffentliche Gewalt zu schützen. Jede Konkretisierung der iustitia distributiva im Vertragsrecht wird in dieser Perspektive als rechtfertigungsbedürftiger Eingriff in die das Private beherrschende Vertragsfreiheit betrachtet. So kann ein Bürger etwa geltend machen, dass ein gesetzlicher Kontrahierungszwang seine Vertragsfreiheit in Form der Abschlussfreiheit verletzt,88 oder aber inhaltliche Vorgaben bei der Preisbildung seine Vertragsfreiheit in Form der Gestaltungsfreiheit.89 Dabei wird grundsätzlich jede gesetzliche Beschränkung der vertraglichen Willensfreiheit als rechtfertigungsbedürftig betrachtet.90 Insofern beruht das Konzept des status negativus bei der Vertragsfreiheit auf einem liberalen Konzept autonomer Willensfreiheit. 85 BVerfGE 81, 242, 254 (Handelsvertreter); BVerfGE 97, 169, 176ff. (Kündigungsschutz bei Kleinbetrieben). Im Bürgschaftsbeschluss verortete das Bundesverfassungsgericht hingegen den Schutz der Vertragsfreiheit in Art. 2 Abs. 1 GG, vgl. BVerfGE 89, 214. 86 BVerfGE 123, 186, 236 ff.; zur Bedeutung des Urteils s. etwa Hufen, NZS 2009, 649. 87 Dies steht freilich im Widerspruch zu Hohfelds Präzisierung rechtlicher Relationen, vgl. oben, S. 112 ff. 88 Vgl. BVerfGE 123, 186. Kontrahierungszwänge können verfassungsrechtlich gleichwohl unbedenklich sein, wie BVerfGE 123, 186 illustriert: Der Kontrahierungszwang zulasten der privaten Krankenversicherungen durch die Einführung des Basistarifs im Zuge der Gesundheitsreform ist mit Blick auf das Sozialstaatsgebot gerechtfertigt. Dazu näher unten, S. 424 ff. 89 BVerfGE 8, 274, 328 (Preisgesetz); BVerfGE 70, 1, 25 (Höchstpreissystem). Weitere Beispiele etwa bei Di Fabio, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz, Art. 2 GG Rn. 102. 90 Di Fabio, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz, Art. 2 GG Rn. 102.

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§ 3 Iustitia distributiva und Vertragsfreiheit

Das Verfassungsrecht nimmt in dieser Perspektive den Standpunkt ein, dass Willensfreiheit zumindest als ideales Konstrukt existiert und auch Einschränkungen durch staatliche Akte erfahren kann. Diese Konzeption beruht auf der herkömmlichen Auffassung von der Trennung des privaten vom öffentlichen Recht.91 Die oben erarbeitete Kritik an dieser Trennungsthese92 hat insofern auch verfassungsdogmatische Implikationen. Insbesondere ist die Vorstellung eines hoheitlichen Eingriffs in ein zuvor unreguliertes abstraktes Konzept von Vertragsfreiheit verkürzt: Jedwede vertragsrechtliche Konkretisierung der Vertragsfreiheit führt auch in der verfassungsrechtlichen Perspektive lediglich zu einer Neuverteilung von Freiheitsbefugnissen, die aus der Vertragsfreiheit fließen.93 Auch in der verfassungsrechtlichen Beurteilung lässt sich die Vertragsfreiheit nur als Bündel verschiedener sich wechselseitig beschränkender Freiheitsbefugnisse verstehen. Dabei ist auch dispositives Vertragsrecht am Maßstab der Verfassung zu messen.94 Dispositives Recht beinhaltet Rechte und Pflichten der Normunterworfenen, obgleich diese die Möglichkeit haben, das gesetzte Recht zu derogieren. Denn trotz ihrer Abdingbarkeit können diese Regeln der Konkretisierung der Gerechtigkeitsidee im Vertragsrecht dienen.95 Dann ist es aber nur konsequent, wenn das Verfassungsrecht als höchststufiges positives Recht einen inhaltlichen Rahmen für die Konkretisierung der Gerechtigkeitsidee qua iustitia distributiva bereithält. 2. Status positivus Private können ihre aus der Vertragsfreiheit resultierenden Freiheitsbefugnisse materiell nur ausüben, wenn der Staat den dazu erforderlichen rechtlichen Rahmen bereitstellt. Dies ergibt sich zwingend aus dem besonderen Inhalt der Vertragsfreiheit, die als rechtliche Befugnis normativ geprägt ist. Zwar kann ich – in Anlehnung an das berühmte Beispiel Gerhart Husserls96 – auch im Naturzustand, fernab jeder Zivilisation Versprechen austauschen, etwa Melonen gegen Fleisch versprechen. Juristische Geltung entfalten diese Versprechen aber nicht in der Weise, wie es vertragliche Versprechen im Rahmen einer Rechtsordnung vermögen.97 Erst die Rechtsordnung und insbesondere die vom Staat zur Verfügung gestellten vertragsrechtlichen Institute geben dem Einzelnen überhaupt die Fähigkeit, vertragliche Rechte und Pflichten zu begründen. Georg Jellinek spricht in diesem Zusammenhang an-

91

Oben, S. 99 ff. S. 108 ff. 93 S. 115 ff. 94 Canaris, AcP 1984, 201, 214; Neuner, Privatrecht und Sozialstaat, S. 227 f.; Hager, Verkehrsschutz durch redlichen Erwerb, S. 36 f. 95 Oben, S. 161 ff. 96 Husserl, Rechtskraft und Rechtsgeltung, S. 39. 97 Höfling, Vertragsfreiheit, S. 23. 92

C. Verfassung und Vertragsfreiheit

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schaulich von einem „rechtlich verliehenen Können“98, das erst durch den rechtlichen Regelungsrahmen begründet wird. Private sind daher darauf angewiesen, dass das Recht die Bedingungen gewährt, unter denen sie wirksam vertragliche Rechte und Pflichten begründen und durchsetzen können. Von dieser Erkenntnis aus ist es nur ein kleiner Schritt zur Institutsgarantie der Vertragsfreiheit. 3. Institutsgarantie Privatrechtssubjekte können, wie soeben erläutert, ihre Projekte nur dann mittels Verträgen realisieren, wenn der Staat den institutionellen Rahmen bereitstellt, innerhalb dessen Verträge geschlossen und durchgesetzt werden können.99 Dies betrifft etwa die Regeln über das Zustandekommen und die Wirksamkeit von Verträgen. Ein zentraler Bestandteil des für die Vertragsfreiheit konstitutiven institutionellen Rahmens liegt auch in einem funktionsfähigen Zwangsvollstreckungssystem. Dazu gehören zum einen die Regeln des Zwangsvollstreckungsrechts, zum anderen aber auch die Gewährleistung eines staatlichen Apparats zur faktischen Umsetzung dieser Regeln. Ohne diesen institutionellen Rahmen können sich die aus der Vertragsfreiheit resultierenden Befugnisse nicht in der Rechtswirklichkeit etablieren. In einer bloß als law in the books geltenden Absichtserklärung darf sich aber die verfassungsrechtliche Garantie der Vertragsfreiheit nicht erschöpfen. Ein effektiver Weg zur Garantie einer auch faktisch wirksamen Vertragsfreiheit liegt in der Konstruktion eines subjektiven Rechts des Einzelnen mit dem Inhalt, dass der Staat die zur Realisierung der Vertragsfreiheit unerlässlichen privatrechtlichen Normen und Institute bereitstellt.100 Der Staat ist danach dem Einzelnen gegenüber verpflichtet, die Vertragsfreiheit als auch praktisch lebbares Institut zu garantieren. Diese Konstruktion kann verfassungsdogmatisch auch auf Art. 79 Abs. 3 GG gestützt werden.101

98 Jellinek, System der subjektiven öffentlichen Rechte, S. 47: „Denn alle Bestimmungen, welche die Gültigkeit von Rechtshandlungen und Rechtsgeschäften betreffen, statuieren ein von der Rechtsordnung ausdrücklich verliehenes rechtliches Können. Dieses Können steht in scharfem Gegensatze zum Dürfen. Es wäre nicht richtig zu sagen, der Geschäftsunfähige dürfe keinen Vertrag schliessen, er kann es vielmehr nicht, was immer er auch tue, es kommt kein Vertrag zustande. Das vermeintliche Rechtsgeschäft, das er abgeschlossen hat, ist nicht vorhanden, er hat eine im Rechtssinne nichtige Handlung begangen.“ (Hervorhebungen im Original). 99 Höfling, Vertragsfreiheit, S. 25 ff. 100 Alexy, Theorie der Grundrechte, S. 442 ff.; Höfling, Vertragsfreiheit, S. 28 ff.; Weller, Die Vertragstreue, S. 174 f. 101 Neuner, Privatrecht und Sozialstaat, S. 223 ff.; Canaris, JZ 1987, 993; Bydlinski, Das Privatrecht im Rechtssystem einer „Privatrechtsgesellschaft“, S. 16; abweichend etwa Heinrich, Formale Freiheit und materiale Gerechtigkeit, S. 107, der die Institutsgarantie einer „Gesamtschau der Vertragsfreiheit gewährleistenden Grundrechtsartikel“ entnimmt.

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§ 3 Iustitia distributiva und Vertragsfreiheit

4. Adressaten der verfassungsrechtlichen Bindung Grundrechte werden in ihrer klassischen Funktion des status negativus als Abwehrrechte gegen den Staat konstruiert. Auch wenn diese Konzeption die durch die Vertragsordnung und Zwangsbefugnisse konstituierte Verteilung von Freiheitsbefugnissen nur verkürzt erfasst, lässt sich von einer Bindung des Staates an die verfassungsrechtliche Gewährleistung der Vertragsfreiheit sprechen. Art. 1 Abs. 3 GG drückt dementsprechend die Bindung der drei Staatsgewalten (im Sinne der klassischen Drei-Gewalten-Lehre) an die Grundrechte aus. Dementsprechend ist heute im Wesentlichen anerkannt, dass zunächst der Gesetzgeber an die verfassungsrechtliche Gewährleistung der Vertragsfreiheit gebunden ist.102 Dies gilt nicht nur im Rahmen öffentlich-rechtlicher Gesetzgebung, sondern auch für die privatrechtliche Gesetzgebung.103 Dies folgt zum einen schon aus Art. 1 Abs. 3 GG, der die Gesetzgebung ohne weitere Differenzierung an die Grundrechte bindet.104 Privatrechtliche Gesetze können Freiheitssphären der Privatrechtssubjekte ebenso intensiv betreffen wie Gesetze im öffentlich-rechtlichen Bereich.105 Auch lässt sich privatrechtliche Gesetzgebung kaum trennscharf von öffentlich-rechtlicher Gesetzgebung trennen. Besonders deutlich zeigt sich dies, wenn der Gesetzgeber Kontrahierungszwänge festlegt. Dies betrifft etliche Lebensbereiche wie zum Beispiel den Energiebereich (vgl. §§ 18 und 36 EnWG), aber auch das Gesundheitswesen, wie der im Zuge der Gesundheitsreform eingeführte Basistarif illustriert (§ 12 Abs. 1a VAG).106 Neben dem Gesetzgeber ist die Rechtsprechung an die Grundrechte und damit an die Gewährleistung der Vertragsfreiheit gebunden.107 Dies lässt sich wiederum aus Art. 1 Abs. 3 GG herleiten.108 Auch für die Rechtsprechung sind die Grundrechte unmittelbar geltendes Recht. Die Grenzen dieser Bindung sind für die Judikatur aber andere als für den Gesetzgeber. Die Rechtsprechung ist gem. Art. 20 Abs. 3 GG an Gesetz und Recht gebunden. In erster Linie muss die privatrechtliche Judikatur die Normen des Vertragsrechts anwenden und auslegen. Besondere Bedeutung entfalten die Grundrechte allerdings bei der Anwendung und Auslegung der Generalklau-

102 Di Fabio, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz, Art. 2 GG Rn. 105; Canaris, Grundrechte und Privatrecht, S. 11 ff. 103 Di Fabio, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz, Art. 2 GG Rn. 105; Canaris, Grundrechte und Privatrecht, S. 11 ff.; a.A.: Diederichsen, in: Starck (Hrsg.), Rangordnung der Gesetze, 1995, S. 39, 46 f.; Diederichsen, AcP 1998, 171, 225 f. 104 Eingehend dazu Canaris, Grundrechte und Privatrecht, S. 11 ff. 105 Eindrucksvolle Beispiele bei Canaris, Grundrechte und Privatrecht, S. 13 f. 106 Dazu BVerfGE 123, 186 sowie unten, S. 424 ff. 107 Canaris, Grundrechte und Privatrecht, S. 23 ff. 108 Neuner, Privatrecht und Sozialstaat, S. 149 f.; Canaris, Grundrechte und Privatrecht, S. 23 ff. Canaris leitet ein zusätzliches Argument aus der Regelung des Art. 93 Abs. 1 Nr. 4 a GG ab, der auch gegen Akte der Rechtsprechung die Verfassungsbeschwerde zum Bundesverfassungsgericht eröffnet.

C. Verfassung und Vertragsfreiheit

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seln.109 Dies veranschaulicht etwa die Rechtsprechung zu § 138 BGB bei sittenwidrigen Bürgschaften naher Familienangehöriger.

III. Verfassungsrechtliche Rechtfertigung bei Eingriffen in die Vertragsfreiheit 1. Allgemeines Die herkömmliche Verfassungsdogmatik nimmt in Übereinstimmung mit der liberalen Tradition an, dass Regelungen der Vertragsfreiheit einen Eingriff in ein abstrakt verstehbares Konzept von Vertragsfreiheit bilden. Damit wird jede Regulierung der Vertragsfreiheit rechtfertigungsbedürftig. Soweit die Vertragsfreiheit von speziellen Freiheitsbereichen wie Art. 12 Abs. 1 oder Art. 14 Abs. 1 GG geschützt ist, richtet sich die verfassungsrechtliche Rechtfertigung von Eingriffen in die Vertragsfreiheit in der klassischen Konzeption nach den in diesen Garantien verankerten Schranken. Die Schrankentrias aus Art. 2 Abs. 1 GG kommt dagegen zur Anwendung, wenn Privatautonomie und Vertragsfreiheit als Teil der allgemeinen Handlungsfreiheit geschützt werden – so etwa im Bürgschaftsbeschluss des Bundesverfassungsgerichts110. Die Debatte um diese Rechtsprechung soll hier nicht im Einzelnen nachgezeichnet werden. Hervorhebung verdient allerdings die ablehnende Einschätzung Neuners. Er lehnt ein allgemeines Recht auf Kompensation von Ungleichgewichtslagen ab, da die Privatautonomie nur negativ durch rechtsethische Mindestanforderungen einzuschränken sei. Dabei komme ein Ausgleichsanspruch nur ausnahmsweise in Betracht, wenn in einer Gesamtschau liberaler und sozialer Paradigmen das Ergebnis zu missbilligen sei. Das Ergebnis müsse „durch Defizite im eigenverantwortlichen Bereich der Willensbildung geprägt“ sein „und zugleich Elemente einer Fremdbestimmung“ aufweisen.111 Neuners Lösung geht dabei vom verfassungsrechtlichen Primat der Privatautonomie aus, wonach es jedem Kreditgeber freistehe, Kredite nur zu geben, wenn ein Bürge gestellt werde.112 Er dürfe dabei aber Schwächepositionen nicht unbillig ausnutzen, etwa durch Verharmlosung der Bürgschaftsübernahme oder sonstiges zu missbilligendes Verhalten.113 Nach dem Gedanken des § 123 BGB sei auch unbilliges Verhalten Dritter in dessen Grenzen zurechenbar, so dass bei Bürgschaften naher Angehöriger möglicher Druck der Verwandten zurechenbar sei, der die Entscheidungsfreiheit aufheben könne. Indes eröffnet die Gerechtigkeitsperspektive der iustitia distributiva 109 Etwa Simitis, Gute Sitten und ordre public, S. 162 ff.; Canaris, AcP 1984, 201, 222 ff.; weitergehend: Hager, JZ 1994, 373. 110 BVerfGE 89, 214. 111 Neuner, Privatrecht und Sozialstaat, S. 269. 112 Neuner, a.a.O., S. 270 f. 113 Neuner, a.a.O., S. 270 f.

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ein über diese Analyse hinausgehendes Verständnis der Grenzen der Vertragsfreiheit. Dabei kann daran angeknüpft werden, dass Schranken der Vertragsfreiheit zum einen auch aus kollidierenden Grundrechtspositionen abgeleitet werden können.114 Vor allem aber beinhaltet die verfassungsmäßige Ordnung auch eine Orientierung am Sozialstaat und am Gemeinwohl. Der Staat kann und muss einer rein formal verstandenen Vertragsfreiheit Grenzen setzen. Der von Neuner kritisierte Bürgschaftsbeschluss kann in diesem Lichte als unmittelbarer Beitrag des Bundesverfassungsgerichts zu einer offeneren Berücksichtigung der objektiven Gerechtigkeitsidee auch im Vertragsrecht verstanden werden. Die verfassungsmäßige Ordnung, Sozialstaat und Gemeinwohl sind in eine auf das bipolare Vertragsverhältnis fokussierten Vertragstheorie nicht erklärbar. Aus der Perspektive der iustitia distributiva heraus lassen sich jedoch auch sozialstaatliche und gemeinwohlorientierte Ziele als Gegenstand des Vertragsrechts erklären. Das Bundesverfassungsgericht führt dementsprechend mit Blick auf die Schranken der Vertragsfreiheit schon im Handelsvertreterbeschluss aus: „Solche Schranken sind unentbehrlich, weil Privatautonomie auf dem Prinzip der Selbstbestimmung beruht, also voraussetzt, daß auch die Bedingungen freier Selbstbestimmung tatsächlich gegeben sind. Hat einer der Vertragsteile ein so starkes Übergewicht, daß er vertragliche Regelungen faktisch einseitig setzen kann, bewirkt dies für den anderen Vertragsteil Fremdbestimmung. Wo es an einem annähernden Kräftegleichgewicht der Beteiligten fehlt, ist mit den Mitteln des Vertragsrechts allein kein sachgerechter Ausgleich der Interessen zu gewährleisten. Wenn bei einer solchen Sachlage über grundrechtlich verbürgte Positionen verfügt wird, müssen staatliche Regelungen ausgleichend eingreifen, um den Grundrechtsschutz zu sichern.“115

Der Schutz des fremdbestimmten Partners lässt sich zwar unter der Perspektive der iustitia commutativa auch erklären, wenn der gemeinsame Vertragszweck in die Analyse einbezogen wird. Vertragliche Pflichten zu Solidarität und Rücksichtnahme können auch aus Gründen der iustitia commutativa eine Fremdbestimmung des Schwachen durch den Starken verbieten. Eine stärkere Begründung erfährt dieser Schutzgedanke aber aus einer Verallgemeinerung heraus. Eine Vertragsordnung, in der es den Stärkeren erlaubt ist, Schwächere nach Belieben zu dominieren, ist nicht mehr gerecht. Sie ist auch nicht mehr dazu geeignet, Rechtsfrieden zu sichern und zu wahren. Denn auf lange Sicht werden sich die Schwachen gegen die Ausnutzung seitens der Starken möglicher Weise auch außerhalb rechtlicher Rahmen wehren wollen. Der betroffene Einzelne erfährt von dieser Warte aus als Teil der schutzwürdigen Gruppe der Schwächeren Schutz.

114 115

Di Fabio, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz, Art. 2 GG Rn. 104. BVerfGE 81, 242, 254 f.

C. Verfassung und Vertragsfreiheit

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2. Das Sozialstaatsprinzip als verfassungsrechtliche Schranke der Vertragsfreiheit Eine für das Verständnis der iustitia distributiva im Vertragsrecht zentrale Schranke der Vertragsfreiheit bildet das Sozialstaatsprinzip. Dieses wird im Folgenden zunächst in seinen positiv-rechtlichen Normierungen zu erfassen und sodann in seiner Bedeutung als Schranke der Vertragsfreiheit zu würdigen sein. Vorab mag eine kurze Bemerkung zum Verhältnis des Sozialstaatsprinzips zur objektiven Gerechtigkeitsidee hilfreich sein. Die iustitia distributiva ist auch in ihrer Erscheinungsform als soziale Gerechtigkeit Ausdruck der objektiven Gerechtigkeitsidee, die Ziel des Vertragsrechts ist.116 Das Verfassungsrecht konkretisiert diesen Gerechtigkeitsaspekt insbesondere im Sozialstaatsprinzip. Die verfassungsrechtliche Verankerung des Sozialstaatsprinzips lässt sich daher als Ausdruck der Gerechtigkeitsidee verstehen und analysieren.117 Zwar kann das positive Recht die Gerechtigkeit als objektives Ideal nicht vollständig verwirklichen, aber doch als Versuch einer Annäherung an dieses Ideal verstanden und interpretiert werden.118 Dabei kommt insbesondere dem Verfassungsrecht als höchststufige Wertegrundlage der positiven Rechtsordnung herausragende Bedeutung zu. Die so erfolgende Konkretisierung der Gerechtigkeit betrifft freilich nur einen Teilaspekt der iustitia distributiva, nämlich die soziale Gerechtigkeit. In dieser Form kommt der iustitia distributiva spätestens seit den Arbeiten John Rawls’ besondere Aufmerksamkeit in der Wissenschaft, aber auch in der Öffentlichkeit zu.119 Gleichwohl ist die soziale Gerechtigkeit – wie sie durch das Sozialstaatsprinzip gefordert wird – nur eine spezifische Erscheinungsform der iustitia distributiva. Die folgenden Ausführungen beschränken sich auf die Konkretisierungen der Gerechtigkeitsidee, wie sie durch das in der positiven deutschen Rechtsordnung geltende Sozialstaatsprinzip als notwendiges Ziel vorgegebenen sind. a) Das Sozialstaatsprinzip im Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland Die Bundesrepublik Deutschland ist gem. Art. 20 Abs. 1 GG ein demokratischer und sozialer Bundesstaat. Damit ist in unserer Verfassungsordnung das Sozialstaatsprinzip „unabänderlich“ im Sinne des Art. 79 Abs. 3 GG verankert.120 Auch einzelnen Grundrechten kommt ein sozialstaatlicher Gehalt zu, insbesondere Art. 2 Abs. 1 GG, Art. 2 Abs. 2 GG, Art. 3 GG und Art. 6 GG.121 Das Sozialstaatsprinzip sichert in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG etwa jedem Hilfebedürftigen die physische Existenz, aber auch ein Mindest116 117 118 119 120 121

Eichenhofer, JZ 2005, 209. Eichenhofer, JZ 2005, 209. S. dazu bereits oben, S. 11 ff. sowie Alexy, Theorie der juristischen Argumentation, S. 414. Eingehend oben, S. 66 ff. Neuner, Privatrecht und Sozialstaat, S. 123 ff. Neuner, a.a.O., S. 124 f.

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maß an Teilhabe am gesellschaftlichen, kulturellen und politischen Leben.122 Diese Teilhabe ist dem Einzelnen ohne Ausstattung mit materiellen Mitteln unmöglich. Unter der plausiblen Annahme, dass nicht alle Bürger aus eigener Kraft diese Mittel erlangen können, erzwingt die deutsche Verfassung daher verteilungspolitische Maßnahmen. Das Sozialstaatsprinzip wird darüber hinaus durch die Allgemeinwohlverpflichtung des Eigentums flankiert. Art. 14 Abs. 2 GG verhindert, dass der Eigentümer sein Eigentum ausschließlich zum eigenen Nutzen verwendet. b) Das Sozialstaatsprinzip im europäischen Primärrecht Auch im europäischen Primärrecht ist das Sozialstaatsprinzip verankert.123 So wirkt die Europäische Union gem. Art. 3 Abs. 3 S. 2 EUV unter anderem auf eine „soziale Marktwirtschaft“ hin, die ihrerseits auch auf sozialen Fortschritt abzielt. Gem. Art. 3 Abs. 3 UAbs. 2 EUV fördert die Union außerdem soziale Gerechtigkeit und sozialen Schutz. Freilich war und ist das Ziel der Union zunächst die Errichtung eines gemeinsamen Binnenmarktes (vgl. Art. 3 Abs. 3 S. 1 EUV).124 Die Wirtschafts- und Währungsunion wurden vornehmlich von wirtschaftlichen Interessen vorangetrieben. So war die Union zunächst auch am Bedarf grenzüberschreitender Unternehmen ausgerichtet; Verteilungsgesichtspunkte und sozialstaatliche Gedanken standen dabei im Hintergrund.125 Der Vorwurf, dass die Europäische Union soziale Aspekte nur unzureichend berücksichtigt, hat den Integrationsprozess ständig begleitet.126 So beschränken sich in der Tat die genannten Zielbestimmungen in ihren Wirkungen auf die Anwendung konkreter Politiken, etwa im unmittelbaren Anwendungsbereich des Sozialrechts. Eine stärkere Ausprägung eines europäischen Sozialmodells konnte sich nur als verhältnismäßig vage Zielbestimmung durchset-

122 Vgl. BVerfG NJW 2010, 505; Eichenhofer, JZ 2005, 209, 212; kritisch noch etwa Forsthoff, in: Forsthoff (Hrsg.), Rechtsstaatlichkeit und Sozialstaatlichkeit, 1968, S. 165. Neuner entwickelt ein differenziertes System sozialer Menschenrechte auf Grundlage der Menschenrechte, vgl. Neuner, Privatrecht und Sozialstaat, S. 98 ff. Neuner sieht dabei die Menschenrechte als universal geltende „vor- und überstaatliche Fundamentalrechte, die von keiner legislativen Entscheidung abhängen“, vgl. Neuner, a.a.O. Ob diese Auffassung zutrifft, kann hier offen bleiben, da das System Neuners jedenfalls auch mit den positiven Bestimmungen der Art. 1 ff. GG übereinstimmt. 123 Ausführlich Eichenhofer, Sozialrecht der Europäischen Union. 124 Etwa Terhechte, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, Das Recht der Europäischen Union, Art. 3 EUV Rn. 38. 125 S. nur Kahl, in: Festschrift für Reiner Schmidt, 2006, S. 75, 81; Dies lässt verständlich erscheinen, dass früher im Schrifttum zum Teil ein normativer Vorrang marktorientierter Ziele der EU vertreten wurde, vgl. Basedow, in: Due (Hrsg.), Festschrift für Ulrich Everling, 1995, S. 49, 56 ff. Heute lässt sich ein solcher Vorrang nicht mehr aufrecht erhalten, vgl. Terhechte, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, Das Recht der Europäischen Union, Art. 3 EUV Rn. 22 m.w.N. 126 Vgl. etwa Study Group on Social Justice in European Private Law, European Law Journal 2004, 653.

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zen.127 Dennoch hat sich im europäischen Primärrecht ein grundsätzliches Sozialstaatsprinzip herausgebildet.128 So widmet sich Titel X des EUV ausschließlich der gemeinsamen Sozialpolitik; auch der gesamte Titel IV der Grundrechtecharta widmet sich sozialen Grundrechten und gemeinschaftlicher Solidarität. Vor allem aber der Europäische Gerichtshof hat in seiner Rechtsprechung Leitlinien europäischer Sozialpolitik entwickelt und vorangetrieben.129 Ein wichtiges Instrumentarium war dabei die Allgemeinwohlschranke als Grenze der Freiheiten des Binnenmarktes. Als solche Schranken hat der EuGH etwa den Schutz der Arbeitnehmer130 oder die Erfordernisse eines Sozialhilfesystems131 anerkannt.132 Dabei erfolgt die Umsetzung der europäischen Gerechtigkeitsidee auch innerhalb des Privatrechts.133 c) Soziale Gerechtigkeit als notwendiges Ziel der positiven Rechtsordnung Die deutsche Rechtsordnung hat somit ebenso wie das europäische Primärrecht eine Grundsatzentscheidung für das Sozialstaatsprinzip getroffen. Mit dieser Grundsatzentscheidung ist zunächst ein liberalistischer Minimalstaat, der jeden staatlichen Akt sozialer Gestaltung als Eingriff in die Bürgerrechte betrachtet,134 nicht vereinbar. Auch das extreme Gegenstück eines solchen Maximalstaats stünde freilich mit diesen Vorgaben nicht im Einklang. Wenn etwa im Sinne marxistischer Ideologien jedes Freiheitsrecht den Solidarinteressen der Gemeinschaft untergeordnet würde, würden soziale Grundrechte zu inhaltsleeren Hülsen, die letztlich der Etablierung einer totalitären Gesellschaftsordnung dienen würden.135 Positiv verlangt das Sozialstaatsprinzip auch eine gerechte Verteilung von Einkommen und Vermögen, um jedem Bürger gesellschaftliche Teilhabemöglichkeiten zu eröffnen.136 Die iustitia distributiva gehört daher auch in ihrer Erscheinungsform als soziale Gerechtigkeit nach dem positiven Recht zu einem notwendigen Ziel des Rechts.

127

Dazu etwa Ruffert, in: Calliess/Ruffert, in: Calliess/Ruffert EUV/EGV, Art. 2 EGV Rz. 18; Terhechte, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, Das Recht der Europäischen Union, Art. 3 AEUV Rn. 47. 128 Zur Entwicklung etwa Eichenhofer, Sozialrecht der Europäischen Union, S. 28 ff. und de Búrca, in: de Búrca (Hrsg.), EU Law an the Welfare State; in search of solidarity, 2005, S. 1; kritisch fällt die Bewertung der Entwicklung bei Kahl aus, s. Kahl, in: Festschrift für Reiner Schmidt, 2006, S. 75. 129 Dazu BVerfGE 123, 267, 428 ff.; Kahl, in: Festschrift für Reiner Schmidt, 2006, S. 75, 84 ff. 130 EuGH v.15.3.2001, Rs. C-165/98, Mazzoleni, Slg. 2001, S. I-2189 Rn. 27. 131 EuGH v. 17.6.1997, Rs. C-70/95, Sodemare, Slg. 1997, S. I-3395 Rn. 32. 132 Zum Ganzen eingehend BVerfGE 123, 267, 426 ff. (Lissabon). 133 Dazu umfassend Micklitz, Yearbook of European Law 1999/2000, 167. 134 Insbesondere Nozick, Anarchy, State, and Utopia, passim. Zu dieser Konzeption schon oben, S. 74 ff. 135 Neuner, Privatrecht und Sozialstaat, S. 85 f. 136 Etwa Eichenhofer, JZ 2005, 209, 212 f.

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§ 3 Iustitia distributiva und Vertragsfreiheit

d) Die historische Bedingtheit inhaltlicher Konkretisierungen des Sozialstaatsprinzips Die inhaltliche Konkretisierung des Sozialstaatsprinzips lässt sich nur in Relation zu den historischen Besonderheiten einer Gesellschaftsordnung bewirken. Als Ausdruck der sozialen Gerechtigkeitsidee ist sie von ökonomischen, gesellschaftlichen und historischen Bedingungen abhängig. Die konkrete Ausgestaltung dieser Idee kann und wird schon deshalb zu verschieden Zeiten verschiedene Inhalte haben. Für das Sozialstaatsprinzip gilt eine weitere Besonderheit. Seine konkrete Ausgestaltung unterliegt mehr als der Inhalt vieler anderer Prinzipien dem politischen Streit. Je nach der politischen Überzeugung der Diskursteilnehmer wird ein anderer Inhalt als richtige konkrete Ausgestaltung dieses Prinzips angesehen werden. Die Konkretisierung fällt dabei umso schwerer, als es in Zeiten wirtschaftlicher Rezession auch um die Verteilung des insgesamt weniger werdenden Vorhandenen gehen kann. Bei der Frage nach dem Ausmaß der vom Sozialstaatsprinzip geforderten sozialen Gerechtigkeit kommt daher dem Gesetzgeber ein großer Spielraum zu. Besonders deutlich formuliert das Bundesverfassungsgericht dies in der Entscheidung zum Teilkindergeld: „Das Sozialstaatsprinzip gemäß Art. 20 Abs. 1 GG verpflichtet den Staat, für eine gerechte Sozialordnung zu sorgen. Angesichts der Weite und Unbestimmtheit dieses Prinzips lässt sich daraus jedoch regelmäßig kein Gebot entnehmen, soziale Leistungen in einem bestimmten Umfang zu gewähren…. Wie der Gesetzgeber den Gestaltungsauftrag des verfassungsrechtlich nicht näher konkretisierten Sozialstaatsprinzips erfüllt, ist seine Sache …. Zwingend ist lediglich, dass der Staat die Mindestvoraussetzungen für ein menschenwürdiges Dasein seiner Bürger schafft….“137

Die Entscheidung über konkrete Einzelheiten der inhaltlichen Ausgestaltung bleibt danach grundsätzlich dem Gesetzgeber vorbehalten. Das Bundesverfassungsgericht räumt ihm dabei einen weiten Entscheidungsspielraum ein. Gleichwohl behält es sich die Letztentscheidungsbefugnis auch mit Blick auf bestimmte Inhalte und Vorgaben vor. So hat das Bundesverfassungsgericht etwa aus Art. 1 Abs. 1 GG138 i.V.m. dem Sozialstaatsprinzip des Art. 20 Abs. 1 GG verhältnismäßige konkrete Vorgaben hergeleitet, wie ein menschenwürdiges Existenzminimum auszugestalten ist.139 Die Kontingenz der inhaltlichen Konkretisierung des Sozialstaatsprinzips bleibt davon unberührt. Auch das Bundesverfassungsgericht entwickelt inhaltliche Forderungen nur in Abhängigkeit der sozialen und ökonomischen Verhältnisse im Zeitpunkt seiner Entscheidung. 137

BVerfGE 110, 412, 446. Zur Verankerung des Sozialstaatsprinzip auch in Art. 1 Abs. 1 GG vgl. Neuner, Privatrecht und Sozialstaat, S. 129 ff. mit ausführlichen Nachweisen auch zur Gegenauffassung. 139 Vgl. etwa aus jüngerer Zeit BVerfG NJW 2010, 505. 138

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e) Zu Neuners Konkretisierung des Sozialstaatsprinzips Um eine ausdifferenzierte Konkretisierung inhaltlicher Forderungen aus dem Sozialstaatsprinzip hat sich mit Blick auf das Privatrecht insbesondere Neuner in seiner Schrift zu Privatrecht und Sozialstaat verdient gemacht. Die wichtigsten inhaltlichen Verteilungsaufgaben des Staates, die aus dem Sozialstaatsprinzip folgen, hat er in Form spezifischer subjektiver Rechte herausgearbeitet, die den Aufgaben des Staates gegenüberstehen.140 Er unterscheidet zwischen materiellen Leistungsrechten, informationellen Leistungsrechten, ideellen Schutzrechten und kollektiven Schutzrechten.141 Diese Ausarbeitung Neuners bietet ein anschauliches Beispiel für eine historisch kontingente Konkretisierung der Idee sozialer Gerechtigkeit. So kann das Privatrecht Neuner zufolge auch eine Funktion beim Schutz existentieller Lebensbereiche übernehmen.142 Ein offenkundiges Beispiel hierfür bieten das soziale Mietrecht und das Arbeitsvertragsrecht. Neuner plädiert im Anschluss an Canaris143 auch dafür, dass das Sozialstaatsprinzip eine Existenzvernichtung des Einzelnen ausschließt.144 So könne es etwa bei ungewöhnlich hohen Schadensersatzpflichten geboten sein, eine volle Haftung auszuschließen, wenn andernfalls die Existenz des Schuldners vernichtet würde, und der Gläubiger nicht auf die Forderung angewiesen sei. Derartige Situationen sind auch bei vertraglichen Schadensersatzpflichten durchaus denkbar. Allerdings steht eine solche Instrumentalisierung des Vertragsrechts heute in einem schwierigen Spannungsfeld zur Möglichkeit einer Verbraucherinsolvenz. Diese erübrigt in der Regel eine inhaltliche Korrektur vertraglicher Verpflichtungen durch das Vertragsrecht. Die Verbraucherinsolvenz gibt jedem Schuldner die Perspektive, zumindest nach sieben Jahren schuldenfrei sein zu können und lässt so die Aussicht auf einen hoffnungsvollen Neubeginn bestehen. Das Vertragsrecht sollte gleichwohl in diesem Bereich nicht völlig aus der Pflicht genommen werden. Insbesondere darf die mittels der Verbraucherinsolvenz gewährte Hoffnung nicht illusorisch sein. Wenn die Voraussetzungen der Restschuldbefreiung so streng sind, dass sie sich praktisch für viele Schuldner nicht realisieren lassen, kann potenziell auch das Vertragsrecht dazu beitragen, dem Einzelnen sein Recht auf Hoffnung zu bewahren. Unter diesem Gesichtspunkt unproblematisch sind dagegen die von Neuner aufgeführten Einschränkungen von Ansprüchen wegen Zeitablaufs (Verjährung, Verwirkung, Ersitzung).145 Ein erster intuitiver Zugriff auf diese Institute lässt ihre Verankerung im Sozialstaatsprinzip allerdings fragwürdig er140 141 142 143 144 145

Neuner, Privatrecht und Sozialstaat, S. 100 ff. Neuner, a.a.O., S. 100 ff. Neuner, a.a.O., S. 102 ff. Canaris, JZ 1987, 993. Neuner, Privatrecht und Sozialstaat, S. 105 f. Neuner, a.a.O., S. 106.

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§ 3 Iustitia distributiva und Vertragsfreiheit

scheinen. Denn die Beschränkung von Ansprüchen mit Blick auf den Zeitablauf dient im herkömmlichen Verständnis der Rechtssicherheit, nicht aber der sozialen Gerechtigkeit. Mittelbar ergibt sich aber auch eine sozialstaatliche Funktion. Der durch die Anspruchsbeschränkung erreichte Bestandsschutz dient dem Rechtsfrieden. Die Verteilungseffekte dieser Regelungen werden daher auch im Interesse des Friedens und des gesunden sozialen Miteinanders einer Rechtsgemeinschaft in Kauf genommen.146 Neuner sieht das Privatrecht auch beim Schutz der Familie nicht als funktionslos an.147 Dieser Schutz scheint zwar insbesondere durch das Steuerrecht und das Sozialrecht realisierbar zu sein. Doch kann das Vertragsrecht in diesem Bereich ebenfalls einen Beitrag leisten. So kann effektiver Familienschutz etwa auch mittels einer Inhaltskontrolle von Eheverträgen effektuiert werden. Das deutsche positive Vertragsrecht illustriert dies durch die Anwendung insbesondere der §§ 138, 242 und 313 BGB auf Eheverträge.148 Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist der Schutz von Ehe und Familie (Art. 6 Abs. 1 GG) auch mittels einer vertraglichen Inhaltskontrolle zu gewährleisten. Eheverträge dürfen in ihrer Freiheitssphären zwischen Mann und Frau gestaltenden Funktion nicht zu einer Ehe führen, in der Mann und Frau sich nicht als gleichberechtigte Partner gegenüberstehen, wenn der Vertragsinhalt eine auf ungleichen Verhandlungspositionen basierende einseitige Dominanz eines Ehepartners widerspiegelt.149 f) Konturen des Sozialstaatsprinzips als Grenze der Vertragsfreiheit Die Konkretisierung der Vertragsfreiheit durch das positive Recht muss die Entscheidung unserer Verfassung zugunsten des Sozialstaatsprinzips berücksichtigen.150 Das Bundesverfassungsgericht fordert dies im Handelsvertreterbeschluss mit besonderer Deutlichkeit ein: „Gesetzliche Vorschriften, die sozialem und wirtschaftlichem Ungleichgewicht entgegenwirken, verwirklichen hier die objektiven Grundentscheidungen des Grundrechtsabschnitts und damit zugleich das grundgesetzliche Sozialstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 1, Art. 28 Abs. 1 GG).“151

Die gesetzliche und richterrechtliche Ausgestaltung der Vertragsfreiheit hängt damit zwingend auch von der politisch geprägten Ausgestaltung des verfassungsrechtlichen Sozialstaatsprinzips ab.152 Politisch maßgeblicher Entscheidungsträger ist dabei kraft seiner demokratischen Legitimation der Gesetzge146

Vgl. Neuner, a.a.O., S. 106. Neuner, a.a.O., S. 108. 148 Grundlegend BVerfGE 103, 89 sowie BVerfG NJW 2001, 2248. 149 BVerfGE 103, 89 sowie BVerfG NJW 2001, 2248. 150 Vgl. schon Raiser, JZ 1958, 1, 4 ff.; W. Cremer, in: Butzer/Kaltenborn/Meyer (Hrsg.), Organisation und Verfahren im sozialen Rechtsstaat, 2008, S. 29. 151 BVerfGE 81, 242, 255. 152 Vgl. auch Habermas, Faktizität und Geltung, S. 479 ff. 147

C. Verfassung und Vertragsfreiheit

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ber.153 Er unterliegt dabei verfassungsrechtlichen Grenzen, die sich insbesondere aus dem Verhältnismäßigkeitsprinzip, dem Willkürverbot sowie der Wesensgehaltsgarantie ergeben.154 Mit Blick auf die Bedeutung der iustitia distributiva sind dazu insbesondere einige Anmerkungen zur Verhältnismäßigkeit angezeigt. Das Verhältnismäßigkeitsprinzip verlangt, dass die gesetzgeberischen Maßnahmen zur Erreichung des legislatorischen Ziels geeignet und erforderlich sind; auch muss der vom Gesetzgeber anvisierte Zweck als solcher legitim sein. Bei der Beurteilung des letzten Punktes dürfen keine zu strengen Maßstäbe angelegt werden; andernfalls würde die politische Entscheidungsprärogative des demokratisch legitimierten Gesetzgebers unnötig eingeschränkt. Legitim ist auch aus verfassungsrechtlichen Gründen jedenfalls im Ausgangspunkt, sozial schwächere Personen zu schützen.155 So erklärt sich im Grundsatz auch die Befugnis des Gesetzgebers, Ungleichgewichtslagen zu kompensieren. Ein bekanntes Beispiel bietet die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zum Schutz vermögensloser Bürgen in bestimmten Situationen.156 Die Eignung des Vertragsrechts zur Realisierung des Sozialstaatsprinzips unterliegt in einem demokratisch verfassten Gemeinwesen der Entscheidung des Gesetzgebers. Das Bundesverfassungsgericht leitet aus dem Verfassungsrecht zu Recht keine Vorgaben zur institutionellen Verwirklichung des Sozialstaatsprinzips ab: „Zwar begründet die Wertentscheidung des Art. 6 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Sozialstaatsprinzip die allgemeine Pflicht des Staates zum Ausgleich familienbedingter finanzieller Belastungen, lässt aber die Kriterien dafür, in welchem Umfang und in welcher Weise ein solcher sozialer Ausgleich vorzunehmen ist, weitgehend offen. Im Hinblick auf konkrete Folgerungen für die einzelnen Rechtsgebiete und Teilsysteme, in denen der Familienleistungsausgleich zu verwirklichen ist, besteht grundsätzlich Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers …“157

Letztlich kann die tatsächliche Eignung nur ex post auf Grundlage empirischer Beobachtungen verifiziert werden. Der Gesetzgeber muss die Eignung dagegen im Vorfeld ex ante beurteilen. Es hieße seinen politischen Spielraum grundlos einzuschränken, würde man dem Gesetzgeber nicht auch das Vertragsrecht als Regelungsinstrument generell offen halten wollen. So kann etwa ein aus sozialen Gründen eingeführter Kontrahierungszwang als Konkretisierung des Sozialstaatsprinzips eine verfassungsrechtlich zulässige legislative Umgestaltung von Freiheitssphären sein. Das Urteil des Bundesverfassungs153

Vgl. BVerfGE 81, 242, 255. Eingehend dazu Neuner, Privatrecht und Sozialstaat, S. 229 ff. 155 Vgl. etwa BVerfGE 26, 16, 37; BVerfGE 35, 202, 236; Neuner, Privatrecht und Sozialstaat, S. 230, 274. 156 BVerfGE 89, 214. 157 BVerfGE 110, 412, 436. 154

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§ 3 Iustitia distributiva und Vertragsfreiheit

gerichts zur Einführung des Basistarifs im Zuge der Gesundheitsreform 2007 bietet ein instruktives Anwendungsbeispiel.158 Das Bundesverfassungsgericht betont hier, dass der Schutz der Bevölkerung vor Krankheitsrisiken eine Kernaufgabe des Staates in der sozialstaatlichen Ordnung des Grundgesetzes darstellt;159 daher sei es ein legitimes Anliegen des Gesetzgebers, bezahlbaren Krankenversicherungsschutz in der gesetzlichen oder privaten Krankenversicherung für alle Bürger zu schaffen.160 Auch eine Pflichtversicherung – und der damit einhergehende Eingriff in die ihrerseits verfassungsrechtlich geschützte Vertragsfreiheit durch den Kontrahierungszwang161 – sei ein legitimes Konzept sozialpolitischer Gestaltung.162 Einen Vorrang etwa öffentlich-rechtlicher Umsetzungen dieser sozialpolitischen Entscheidung sieht das Bundesverfassungsgericht also nicht. Der Kontrahierungszwang ist daher ein grundsätzlich geeignetes Mittel, die angemessene Gesundheitsversorgung der Allgemeinheit zu realisieren. Das Vertragsrecht ist keineswegs aus verfassungsrechtlichen Gründen dazu ungeeignet, Forderungen aus dem Sozialstaatsprinzip zu erfüllen. Auf einem anderen Blatt steht selbstverständlich die Frage, ob die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts inhaltlich eine überzeugende Konkretisierung der iustitia distributiva im Vertragsrecht darstellt.163 3. Formales versus materielles Verständnis der verfassungsrechtlichen Schranken der Vertragsfreiheit Die Dogmatik der verfassungsrechtlichen Grenzen der Vertragsfreiheit weist auf ein grundlegendes Spannungsverhältnis zwischen einer stärker formal und einer stärker materiell fokussierten Konzeption der Vertragsfreiheit. Dieses Spannungsverhältnis ergibt sich aus der grundlegenden Funktion des Vertragsrechts. Das Vertragsrecht konstituiert den Rahmen für die Verteilung von Chancen und Risiken zwischen Privatrechtssubjekten. Die Ergebnisse dieser Verteilung können durch die Ausgestaltung des Vertragsrechts zugunsten der einen oder anderen Gruppe beeinflusst werden.164 Aus der Verfassung selbst ergeben sich dabei nur wenig konkrete Vorgaben für die Gesetzgebung und die Rechtsprechung. Dabei kann Vertragsfreiheit mehr oder weniger formal ausgestaltet werden. Materielle Konkretisierungen der aus der Vertragsfreiheit fließenden Freiheitsbefugnisse sind freilich unentbehrlich. Sie sind schon erforderlich, um den Kreis der autonomen Privatrechtsakteure zu bestimmen. Kann ein Kind Verträge mit Rechtsgeltung schließen? Welche Personen wer158 159 160 161 162 163 164

BVerfGE 123, 186. BVerfGE 123, 186 (Rz. 171). BVerfGE 123, 186 (Rz. 170 ff.). S. zu diesem Aspekt des Urteils eingehend unten, S. 424 ff. BVerfGE 123, 186 (Rz. 170 ff.). Dazu eingehend unten, S. 424 ff. Dazu näher unten, S. 263 ff.

C. Verfassung und Vertragsfreiheit

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den aufgrund bestimmter Eigenschaften wie etwa psychischer Krankheiten nicht in vollem Maße als autonome Akteure akzeptiert? Antworten auf diese Fragen können in letzter Konsequenz nicht ohne materielle Wertentscheidungen gegeben werden. Gleichwohl lassen sich Grenzen in ganz unterschiedlicher Ausprägung formulieren. Insbesondere der Inhalt der Verträge kann mehr oder weniger stark einer Kontrolle unterworfen werden. Ein gutes Beispiel hierfür bietet etwa die laesio enormis, die den Gerichten grundsätzlich Zugang zu einer Überprüfung des Vertragsinhalts auf seine materielle Gerechtigkeit hin ermöglichte. Das BGB lehnte die Übernahme dieses Instituts dagegen ab und steht unter diesem Aspekt für eine stärker formell orientierte Ausprägung der Vertragsfreiheit. Auch in der verfassungsrechtlichen Diskussion um die Schranken der Vertragsfreiheit tritt häufig ein eher formal orientiertes Verständnis der Schranken der Vertragsfreiheit zutage. So bezeichnet es di Fabio als eines der wichtigsten Ziele des öffentlichen Rechts, die auf Willensfreiheit und formaler Gleichheit beruhende Privatrechtsordnung zu sichern.165 Dieser Gedanke ist dem liberalen Privatrechtsdenken des 19. Jahrhunderts verpflichtet. Ganz im Sinne dieser Tradition erinnert di Fabio zum einen an die freie, verantwortliche Selbstbestimmung des Menschen, zum anderen an die durch die Selbstverwirklichung des Menschen als homo oeconomicus freigesetzten Kräfte.166 Hier zeigt sich das Erbe sowohl der Aufklärung als auch der ökonomischen Theorien des Marktes. Vor diesem Hintergrund warnt auch di Fabio im Ausgangspunkt vor übermäßigen Einschränkungen einer im Wesentlichen formal gedachten Vertragsfreiheit: „Das im Privatrecht gehütete Gerechtigkeitsideal kann indes in einer Arbeitsteilung der unterschiedlichen Rechtsordnungen nur wirksam werden, wenn die Grundideen zivilrechtlichen Denkens mit ihren formalen Gleichheits- und Willensvorstellungen, mit ihren Verantwortungs- und Haftungszurechnungen, mit ihrem spezifisch zivilrechtlichen Gerechtigkeitskonzept einen Freiraum behaupten können, ohne durch übermäßige hoheitliche Interventionen oder ein Zuviel publizistischer Aufladung um ihre Entfaltungsvoraussetzungen gebracht zu werden.“167

4. Grundrechtliches Schutzgebot Aus der verfassungsrechtlichen Verankerung der Vertragsfreiheit lässt sich eine Institutsgarantie ableiten.168 Diese soll Vertragsfreiheit als auch rechtspraktisch realisierbare Freiheit ermöglichen. Der Begriff der „Vertragsfreiheit“ umschreibt dabei allerdings ein Bündel verschiedenster Befugnisse im

165 166 167 168

Di Fabio, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz, Art. 2 GG Rn. 105. Di Fabio, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz, Art. 2 GG Rn. 105. Di Fabio, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz, Art. 2 GG Rn. 105. Etwa Weller, Die Vertragstreue, S. 177 ff. S. dazu schon oben, S. 207.

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§ 3 Iustitia distributiva und Vertragsfreiheit

Hohfeld’schen Sinn.169 Ich habe etwa das Freiheitsrecht, mein Auto an einen Kaufinteressenten zu verkaufen. Habe ich von diesem Freiheitsrecht Gebrauch gemacht, gewinne ich einen Anspruch auf Kaufpreiszahlung. Wenn ich mir den Rücktritt vom Kaufvertrag vorbehalten habe, kommt mir die Befugnis zu, den Rücktritt zu erklären, dadurch gewinne ich wiederum etwa einen Anspruch auf Rückübereignung, wenn ich das Auto bereits übereignet habe. Diesen Freiheiten stehen aber zwingend entsprechende „Un-Freiheiten“ gegenüber: Meinem Freiheitsrecht, mein Auto zu verkaufen, korreliert die Pflicht jedes anderen, mich daran nicht zu hindern. Meinem Anspruch auf Kaufpreiszahlung korrespondiert die Zahlungspflicht des Käufers. Und meiner Rücktrittsbefugnis steht eine entsprechende Duldungspflicht des Käufers gegenüber. Wenn also Vertragsfreiheit als praktisch ausübbares Institut gewährleistet werden soll, muss zunächst entschieden werden, welche mit dem Sammelbegriff „Vertragsfreiheit“ erfassten Freiheitsaspekte gemeint sind. Schon daraus folgt, dass die Ausgestaltung des Instituts „Vertragsfreiheit“ in ihrem konkreten Inhalt nicht verfassungsmäßig determiniert sein kann. Zudem ist die Vertragsfreiheit als normgeprägtes Schutzrecht auf ihre Konkretisierung durch den Gesetzgeber hingerichtet und angewiesen. Dazu tritt der Grundkonflikt aus formaler und materieller Freiheit, wie er ebenfalls oben bereits beschrieben wurde.170 Die formale Freiheit des Bettlers, sich einen Neuwagen zu kaufen, wird erst dann zur entsprechenden materiellen Freiheit, wenn er das nötige Geld dazu hat. Die Geschichte hat gezeigt, dass materielle Überlegenheit dem Starken ermöglicht, seine Freiheitsbefugnisse auch zulasten materiell Unterlegener auszuüben. Vor diesem Hintergrund betont das Bundesverfassungsgericht auch im Bereich der Privatautonomie eine grundrechtliche Schutzpflicht des Staates.171 Gesetzgebung und Rechtsprechung müssen insbesondere verhindern, dass materielle Unterschiede zwischen den Privatrechtssubjekten dem Stärkeren ermöglichen, seine materielle Freiheit auf Kosten des Schwächeren auszuleben. Der Fokus liegt hier also auf den Freiheitsaspekten materiell unterlegener Vertragsparteien: Nicht die Befugnisse und Freiheitsrechte des Überlegenen, sondern diejenigen des Unterlegenen werden gefördert, um materielle Vertragsfreiheit auch für ihn zu garantieren. Dieser Gedanke ermöglicht es dem Gesetzgeber ebenso wie der Rechtsprechung, soziale und wirtschaftliche Schieflagen zu mildern.172 Wenn das 169

Dazu oben, S. 112 ff. S. 117 f. 171 BVerfGE 89, 214, 232; BVerfGE 103, 89 (zum Ehevertrag, dazu etwa Röthel, NJW 2001, 1334); BVerfG NJW 2001, 2248 (ebenfalls zum Ehevertrag). Di Fabio, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz, Art. 2 GG Rn. 107; vgl. auch Neuner, Privatrecht und Sozialstaat, S. 158 ff.; W. Cremer, in: Butzer/Kaltenborn/Meyer (Hrsg.), Organisation und Verfahren im sozialen Rechtsstaat, 2008, S. 29, der ergänzend das Sozialstaatsprinzip als Begründung der staatlichen Schutzpflicht heranzieht. 172 Di Fabio, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz, Art. 2 GG Rn. 107. 170

C. Verfassung und Vertragsfreiheit

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Vertragsrecht diesen Weg beschreitet, geht es um die Konkretisierung der objektiven Gerechtigkeitsidee als iustitia distributiva: Die formelle und abstrakte Betrachtungsweise der iustitia commutativa ist zugunsten einer konkreten und verallgemeinernden Perspektive aufgegeben. Die Kontexte, aus denen sich die materiellen Schranken der Beteiligten ergeben, werden berücksichtigt und das Vertragsrecht für eine Materialisierung und Politisierung geöffnet. Die mit dem Begriff „Vertragsfreiheit“ erfassten Freiheitsaspekte, die sich auch als widerstreitende Interessen gegenüberstehen, hat das Bundesverfassungsgericht im Handelsvertreterbeschluss prägnant beschrieben: „…(Der Gesetzgeber) muss dann aber beachten, daß jede Begrenzung der Vertragsfreiheit zum Schutze des einen Teils gleichzeitig in die Freiheit des anderen Teils eingreift. Wird die Zulässigkeit von Vertragsklauseln mit Rücksicht auf die Berufsfreiheit der für einen Unternehmer tätigen Vertragspartner eingeschränkt, bewirkt das einen Eingriff in die Freiheit der Berufsausübung des Unternehmers. Der Gesetzgeber muß diesen konkurrierenden Grundrechtspositionen ausgewogen Rechnung tragen. Auch insoweit besitzt er eine weite Gestaltungsfreiheit.“173

Vor allem Zöllner bezweifelt, dass die Grundrechte im Verhältnis zwischen den Vertragspartnern Schranken der Vertragsfreiheit begründen können.174 Dies begründet er unter anderem damit, dass sich im Privatrechtsverhältnis typischerweise zwei Bürger als Grundrechtsträger gegenüberstünden. Der Staat sei (in Form des Richters oder Gesetzgeber) hier eher Schlichter zwischen zwei Parteien, die sich gleichermaßen auf Freiheitsrechte berufen können. Er könne daher nicht seinerseits derjenige sein, gegen den das Freiheitsrecht schützt. Aus dieser Überlegung heraus lehnt er die Geltung der Vertragsfreiheit als grundrechtliches Schutzgebot ab. Andere wollen dieser Besonderheit durch eine besonders behutsame Bestimmung des grundrechtlichen Bedeutungsgehalts Rechnung tragen.175 Bei genauer Betrachtung besteht im Privatrechtsverhältnis keine Besonderheit der von Zöllner beschriebenen Art. Zunächst stehen auch im öffentlichen Recht häufig zwei Grundrechtsträger mit widerstreitenden Interessen dem Staat gegenüber.176 Man denke nur an die Drittanfechtung einer Baugenehmigung durch einen Nachbarn des Bauherrn. Vor allem aber unterschätzt diese Sichtweise die Bedeutung des Staates im Privatrechtsverhältnis. Die durch das Vertragsrechtssystem erfolgende Verteilung wird maßgeblich dadurch bestimmt, wie der Gesetzgeber (also der Staat) das Vertragsrecht im Einzelnen ausgestaltet. Auch die Durchsetzung vertraglicher Ansprüche erfolgt ganz wesentlich dadurch, dass der Staat durch

173 174 175 176

BVerfGE 81, 242, 255. Zöllner, AcP 1996, 1. Di Fabio, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz, Art. 2 GG Rn. 109. Canaris, Grundrechte und Privatrecht, S. 19.

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§ 3 Iustitia distributiva und Vertragsfreiheit

seinen Vollstreckungsapparat staatliche Zwangsgewalt zur Durchsetzung zur Verfügung stellt.177 Das Bundesverfassungsgericht hat das grundrechtliche Schutzgebot im Zusammenhang mit der Vertragsfreiheit zunächst vor allem im Handelsvertreterbeschluss entwickelt,178 um es dann bei Bürgschaften naher Familienangehöriger,179 aber auch bei Eheverträgen180 fortzuführen. Bei der Ausgestaltung des grundrechtlichen Schutzgebotes billigt das Bundesverfassungsgericht vor allem dem Gesetzgeber einen weiten Spielraum zu. Dies ist nur folgerichtig. Aus der Verfassung lassen sich kaum konkrete Vorgaben für die spezifische Ausgestaltung der Vertragsfreiheit herleiten. Auch die oft berufene prinzipielle Entscheidung des Grundgesetzes zugunsten der Privatautonomie, die der Gesetzgeber nicht vollständig aufheben dürfe, bleibt in ihrer Ausgestaltung vage, wenn sie nicht mit inhaltlichen und politischen Ergänzungen aufgefüllt wird. Im Wege praktischer Konkordanz sind die konfligierenden Freiheitsaspekte in einen Ausgleich zu bringen. Mit Blick auf das Schutzgebot, das unterlegene Parteien vor ihrer Instrumentalisierung durch überlegene Partner schützt, gilt insbesondere: Eine Inhaltskontrolle von Verträgen kann von Verfassung wegen dann geboten sein, wenn Verträge einen der beiden Vertragspartner ungewöhnlich stark belasten und das Ergebnis strukturell ungleicher Verhandlungsstärke sind.181 Das grundrechtliche Schutzgebot veranschaulicht den politischen Charakter des Vertragsrechts, das Verteilungsentscheidungen trifft und treffen muss: Jede Schutzmaßnahme zugunsten des wirtschaftlich Unterlegenen bewirkt im Ausgangspunkt eine Verteilung von Chancen, Risiken und letztlich auch Gütern und Vermögen von einer Personengruppe zu einer anderen Personengruppe. Das Vertragsrecht nimmt in diesen Situationen die Perspektive der iustitia distributiva ein. In welchem Ausmaß materieller Schutz vor Fremdbestimmung gewährt werden soll, ist dementsprechend auch eine hochgradig umstrittene politische Entscheidung. Die heftige Diskussion um den Bürgschaftsbeschluss des Bundesverfassungsgerichts veranschaulicht dies in großer Deutlichkeit. Je mehr man die Eigenverantwortung des Einzelnen betont und die Chancen einer Leistungsgesellschaft herausstreicht, desto weniger wird man zu einem Schwächerenschutz im Vertragsrecht bereit sein und desto eher wird man auch das Vertragsrecht als Recht formaler Gleichheit interpretieren. Je stärker man dagegen auf einen Ausgleich sozialer Schieflagen bedacht ist, desto eher wird man Materialisierung und Schwächerenschutz auch im Vertragsrecht begrüßen. Vor diesem Hintergrund wird verständlich, dass di Fabio 177 178 179 180 181

Dazu im Einzelnen bereits oben, S. 120 ff. BVerfGE 81, 242, 253 ff. Vgl. auch BVerfGE 85, 191, 213 sowie BVerfGE 98, 365, 395. BVerfGE 89, 214, 229ff.; BVerfG, NJW 1994, 2749; BVerfG NJW 1996, 2021. BVerfGE 103, 89; BVerfG NJW 2001, 2248. BVerfGE 89, 214, 229 ff.

C. Verfassung und Vertragsfreiheit

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das grundrechtliche Schutzgebot im Bereich der Privatautonomie als „Achillesferse im Verhältnis von Zivilrecht und Grundrechtsgeltung“ beschreibt.182 Das grundrechtliche Schutzgebot ist für eine Analyse der iustitia distributiva im Vertragsrecht aufschlussreich. Vertragsfreiheit kann als Gerechtigkeitskonzept die Verteilungsgerechtigkeit nicht ersetzen. Vielmehr müssen die Forderungen der iustitia distributiva bei der konkreten Ausgestaltung der Vertragsfreiheit und deren Grenzen Berücksichtigung finden. Besonders anschaulich wird dies bei der Anwendung und Auslegung der Generalklauseln des Bürgerlichen Rechts wie § 138 oder § 242 BGB.183 5. Verfassungsrechtliche Maßstäbe zur Lösung der Fälle gestörter Vertragsparität Das Bundesverfassungsgericht hat vor allem im „Handelsvertreterbeschluss“184 und im „Bürgschaftsbeschluss“185 verfassungsrechtliche Maßstäbe entwickelt, mittels derer Fälle gestörter Vertragsparität gelöst werden können. Wenn es an einem annäherndem Kräftegleichgewicht zwischen den Vertragsparteien fehlt, können Rechtsprechung und Gesetzgeber verfassungsrechtlich verpflichtet sein, der unterlegenen Partei Schutz zu gewähren. Solcher Schutz ist Ausdruck der iustitia distributiva im Vertragsrecht. Dem Gesetzgeber steht zur Umsetzung seiner verfassungsrechtlichen Verpflichtung das Gesetzgebungsverfahren zur Verfügung. Die Rechtsprechung muss sich mit dem dogmatischen Arsenal des Rechtsanwenders begnügen. Dogmatisch bietet sich neben der Vertragsauslegung auch die Anwendung der vertragsrechtlichen Generalklauseln (etwa der §§ 138 und 242 BGB) zur Umsetzung der verfassungsrechtlichen Vorgaben an. Im Zivilrechtsverkehr darf die Geltung der Privatautonomie im Vertragsrecht nach der ausdrücklichen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts nicht dazu führen, dass nur das Recht des Stärkeren gilt.186 Vielmehr müsse dem Einzelnen ermöglicht werden, Selbstbestimmung auch faktisch ausüben zu können. Die wechselseitigen Freiheitssphären der beteiligten Privatrechtssubjekte müssen im Wege praktischer Konkordanz zu einem Ausgleich gebracht werden. Daraus ergeben sich handfeste Konsequenzen: „Die Zivilgerichte müssen gegebenenfalls im Rahmen der Generalklausel des geltenden Zivilrechts korrigierend eingreifen, wenn der Inhalt des Vertrages für eine Seite ungewöhnlich belastend und als Interessenausgleich offensichtlich unangemessen ist. Sie dürfen sich nicht mit der Feststellung begnügen: ,Vertrag ist Vertrag‘“.187 Bekannt sind die konkreten Ergebnisse aus dem Bürg182

Di Fabio, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz, Art. 2 GG Rn. 107. Zur Bedeutung von Generalklauseln für die Regulierung von Verträgen s. auch Collins, Regulating Contracts, S. 266 ff. 184 BVerfGE 81, 242. 185 BVerfGE 89, 214. 186 BVerfGE 89, 214. 187 BVerfGE 89, 214. 183

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§ 3 Iustitia distributiva und Vertragsfreiheit

schaftsbeschluss: Wenn ein unterlegener Bürge ein hohes und schwer abschätzbares Risiko übernimmt, ohne ein Eigeninteresse am gesicherten Geschäft zu haben, gebietet die Verfassung ein Eingreifen der Gerichte. Gleiches kann gelten, wenn der Bräutigam seiner schwangeren Braut einen Ehevertrag als Bedingung der Heirat vorlegt, der Unterhaltsansprüche auch für gemeinsame Kinder ausschließt.188 Hier berücksichtigt das Bundesverfassungsgericht insbesondere, dass schwangere Frauen häufig besonderen Druck zur Ehe verspüren, weil sie sich davon Sicherheit für sich und das Kind erhoffen und zudem befürchten, vor ihrem gesellschaftlich-sozialen Umfeld ihre Ehre zu verlieren, wenn sie ein unverheiratetes Kind zur Welt bringen. Das verfassungsrechtliche Gebot, die Entscheidungsfreiheit der schwangeren Braut zu sichern, wird hier natürlich von dem verfassungsrechtlichen Schutzauftrag zugunsten schwangerer Frauen aus Art. 6 Abs. 4 GG flankiert. Ehemännern wird dagegen kein Freiheitsrecht eingeräumt, Frauen nur unter Bedingung der Unterzeichnung eines entsprechenden Ehevertrages zu heiraten. Diese Berechtigung wird zugunsten der materiellen Entscheidungsfreiheit der Ehefrauen beschnitten. Auch hier kommt die verallgemeinernde, kontextualisierende und rechtspolitische Natur der iustitia distributiva besonders deutlich zum Vorschein. Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts hat in der Literatur viele zum Teil leidenschaftliche Reaktionen ausgelöst. Diese Diskussion soll hier keineswegs einmal mehr wiedergegeben werden.189 Vielmehr sollen lediglich einige Punkte herausgegriffen werden, die für die Bedeutung der Verteilungsgerechtigkeit im Vertragsrecht aufschlussreich erscheinen. Interessant ist zum einen die Leidenschaftlichkeit, mit der die Diskussion in der Literatur geführt wurde. So bezeichnete etwa Löwe den Bürgschaftsbeschluss des Bundesverfassungsgerichts als „Meilenstein zur Gewährleistung der Vertragsgerechtigkeit“.190 Auch etliche andere Autoren stimmten der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts in ihrer grundsätzlichen Tendenz befriedigt zu.191 Viele Autoren haben indes auch heftige, teils empörte Kritik an der Linie des Bundesverfassungsgerichts geübt.192 Dabei wurde zum Teil argumentiert, das Bundesverfassungsgericht habe seinen verfassungsrechtlichen Auftrag überdehnt und sich als Superrevisionsinstanz betätigt.193 Zöllner sah wegen der weitreichenden Begrenzungen der Vertragsfreiheit durch die Verfassung das Modell der Privatrechtsgesellschaft und die „prinzipielle Fähigkeit der Privat-

188

BVerfGE 103, 89. Vgl. insoweit nur etwa S. Lorenz, Der Schutz vor dem unerwünschten Vertrag, S. 251 ff. 190 Löwe, ZIP 1993, 1759. 191 Etwa Honsell, NJW 1994, 565; Grün, NJW 1994, 2935; Reich, NJW 1994, 2128. 192 Etwa Adomeit, NJW 1994, 2467; Eschenbach/Niebaum, NVwZ 1994, 1079; Zöllner, AcP 1996, 1. 193 S. etwa Eschenbach/Niebaum, NVwZ 1994, 1079. 189

C. Verfassung und Vertragsfreiheit

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rechtssubjekte zur Selbstregelung ihrer Angelegenheiten“ in Gefahr.194 Auch fürchtete er die „damit ausgeweitete ständige Präsenz des big brother“, die „ein neues obrigkeitsstaatliches Element in das Privatrecht“ brächte.195 Zusammenfassend ist für Zöllner die Bürgschaftsentscheidung „in ihren allgemeinen Grundsätzen ein Fehlgriff, der korrigiert werden muß“196. Die Leidenschaftlichkeit der Stellungnahmen in der Diskussion um die verfassungsrechtlichen Vorgaben bei Fällen gestörter Vertragsparität veranschaulicht in besonderer Deutlichkeit den politischen Charakter des Vertragsrechts. Es liegt nahe, dass die Stellungnahmen der Literatur gerade deshalb zum Teil eindringlich ausfielen, weil die Autoren in dem Bürgschaftsbeschluss eine politische Einflussnahme auf privatrechtliche Strukturen erblickten, die sie – je nach ihrer politischen Überzeugung – befürworteten oder ablehnten. Wer Leistungsbereitschaft fördern will, Erfolg angemessen belohnen und soziale Gerechtigkeit nur in engen Grenzen befürwortet, wird der inhaltlichen Vertragskontrolle skeptisch gegenüber stehen. Umso stärker muss er sich gegen verfassungsrechtliche Vorgaben wehren, die eine derartige Inhaltskontrolle zur Pflicht des Zivilrichters machen. Ihm wird daran gelegen sein, klare vertragsrechtliche Grundstrukturen zu entwickeln und durchzusetzen, die dem Rechtsverkehr ein Höchstmaß an Rechtssicherheit gewähren. Dazu gehört insbesondere ein formelles Konzept der Vertragsfreiheit. Solange bestimmte Mindestbedingungen des Vertragsschlusses erfüllt sind, ist der Vertragsinhalt durchzusetzen. Die Mindestbedingungen des Vertragsschlusses umfassen dabei etwa die Geschäftsfähigkeit der Parteien und die Abwesenheit von Drohung oder Zwang. Faktische Überlegenheiten etwa kraft wirtschaftlicher Macht oder Informationsvorsprungs spielen dabei nur insoweit eine Rolle, als die überlegene Partei unter Umständen zur Aufklärung verpflichtet sein kann. Wer dagegen soziale Aspekte der Marktwirtschaft betont, dürfte einen offeneren Blick für Versuche haben, materielle Gerechtigkeit in das Vertragsrecht hineinzutragen. Die Einbußen an Rechtssicherheit und die möglichen Komplikationen des Vertragsrechts wird er zur Erreichung materieller Vertragsgerechtigkeit tendenziell in Kauf nehmen. Das Bundesverfassungsgericht hat den Grundkonflikt aus formalem und materiellem Vertrags- und Freiheitsverständnis klar erkannt, beschrieben und für spezifische Fälle auch einer Lösung zugeführt. So beschreibt Canaris den Bürgschaftsbeschluss treffend als Ausprägung des verfassungsrechtlichen Schutzgebotes, „möglichst weitgehend zu gewährleisten, daß der privatautonome Akt, durch den ein Grundrecht eingeschränkt wird, nicht nur formal, d.h. rechtlich, sondern auch material, d.h. faktisch auf einer freien

194 195 196

Zöllner, AcP 1996, 1, 3. Zöllner, AcP 1996, 1, 3. Zöllner, AcP 1996, 1, 36.

226

§ 3 Iustitia distributiva und Vertragsfreiheit

Entscheidung der betreffenden Vertragspartei beruht.“197 Kerngedanke der Entscheidung sei, „daß die – verfassungsrechtlich gewährleistete – Privatautonomie nicht nur formal, sondern auch material zu verstehen ist und daß eine Vertragspartei daher unter bestimmten Voraussetzungen vor der Bindung an einen für sie nachteiligen oder gefährlichen Vertrag geschützt werden muß, sofern sie bei dessen Abschluß in ihrer faktischen Möglichkeit zu privatautonomer Selbstbestimmung erheblich beeinträchtigt war“.198 Die Verfassung schützt zum einen die Vertragsfreiheit auch in ihren formellen Aspekten und das Bedürfnis nach Rechtssicherheit. Zum anderen verpflichtet sie aber auch zur Berücksichtigung der materiellen Aspekte der Vertragsfreiheit und zur Umsetzung der grundgesetzlichen Entscheidung für den Sozialstaat.199

D. Formales versus materiales Verständnis der Vertragsfreiheit in ihrem jeweiligen Verhältnis zur iustitia distributiva Die historische Entwicklung der Vertragsfreiheit hat ebenso wie ihre verfassungsrechtliche Stellung ein grundlegendes Spannungsfeld der Vertragsfreiheit aufgezeigt, das für die Bedeutung der iustitia distributiva im Vertragsrecht zentral ist.200 Vertragsfreiheit lässt sich einerseits in einem eher formalen Sinne verstehen. Verfassungsdogmatisches Paradigma dieser Konzeption ist die Vertragsfreiheit als status negativus, ihre Gerechtigkeitsform ist die iustitia commutativa. Verallgemeinerungen und Kontextualisierungen steht ein formales Verständnis der Vertragsfreiheit skeptisch gegenüber; spezifische Gerechtigkeitsinhalte verbietet die formale Konzeption prima facie weitgehend. Andererseits lässt sich Vertragsfreiheit auch mit einer materialen Bedeutung aufladen. Vertragsfreiheit wird dann nicht als inhaltsleere Hülse analysiert, sondern als Instrument zur Erreichung spezifischer Gerechtigkeitszwecke. Verfassungsdogmatisches Paradigma dieser Konzeption ist die Vertragsfreiheit als verfassungsrechtlicher Schutzauftrag, ihre Gerechtigkeitsform ist die iustitia distributiva. Ein materiales Verständnis der Vertragsfreiheit ist offen für Verallgemeinerungen und Kontextualisierungen; spezifische Gerechtigkeitsinhalte lassen sich als Ausdruck der objektiven Gerechtigkeitsidee in die Ver197

Canaris, Grundrechte und Privatrecht, S. 49. Canaris, a.a.O., S. 49. 199 S. auch W. Cremer, in: Butzer/Kaltenborn/Meyer (Hrsg.), Organisation und Verfahren im sozialen Rechtsstaat, 2008, S. 29. 200 Das Spannungsfeld formal-material geht wohl insbesonder auf Max Weber zurück, vgl. Weber, Wirtschaft und Gesellschaft, MWG I/22–3, S. 510 ff. Kritisch dazu – mit Blick auf Webers Konzept der Rechtsrationalität Habermas, Faktizität und Geltung, S. 542 ff. 198

D. Formales versus materiales Verständnis der Vertragsfreiheit

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tragsfreiheit integrieren. Für die Bedeutung der iustitia distributiva im Vertragsrecht ist daher entscheidend, die Strukturen der jeweiligen Konzeptionen der Vertragsfreiheit (formal versus material) zu verstehen.201

I. Die klassische Konzeption der Vertragsfreiheit als weitgehend formal verstandenes Institut zur Sicherung formaler Freiheit Der liberale ideologische Hintergrund des 19. Jahrhunderts führte für die Dogmatik des deutschen Vertragsrechts zu einem im Wesentlichen formalen Verständnis der Vertragsfreiheit.202 Für dieses sind materiale Korrekturen eine begründungsbedürftige Ausnahme. Ziel der formalen Konzeption der Vertragsfreiheit ist insbesondere, Verkehrssicherheit und Wettbewerb zu fördern. Max Weber ist ein früher und einflussreicher Protagonist dieses Verständnisses: „Für die Gütermarktsinteressenten bedeutete die Rationalisierung und Systematisierung des Rechts, allgemein und unter dem Vorbehalt späterer Einschränkung gesprochen: zunehmende Berechenbarkeit des Funktionierens der Rechtspflege – eine der wichtigsten Vorbedingungen für ökonomische Dauerbetriebe, speziell solche kapitalistischer Art, welche ja der juristischen ,Verkehrssicherheit‘ bedürfen. Sondergeschäftsformen und Sonderprozeduren wie der Wechsel und der Wechselprozeß dienen diesem Bedürfnis nach rein formaler Eindeutigkeit der Rechtsgarantie.“203

Die aus dem Versprechen abgeleitete Bindung der Vertragsparteien wird dementsprechend streng verstanden und als Grundlage funktionierender Märkte betrachtet: „Rationale Zweckinteressen bestimmen die Marktvorgänge in besonders hohem Maße, und rationale Legalität, insbesondere: formale Unverbrüchlichkeit des einmal Versprochenen, ist die Qualität, welche vom Tauschpartner erwartet wird und den Inhalt der Marktethik bildet, welche in dieser Hinsicht ungemein strenge Auffassungen anerzieht“204

201 Zum historischen und sozialen Kontext formeller und materieller Konzepte im Recht Wiethölter, in: Teubner, Gunther (Hrsg.), Dilemmas of Law in the Welfare State, 1986, S. 221; zur Materialisierung des Vertragsrechts unter dem Gesichtspunkt des Diskriminierungsschutzes s. Lauber, Paritätische Vertragsfreiheit durch reflexiven Diskriminierungsschutz, 2010, S. 105 ff. 202 Vgl. auch Huber, Die verfassungsrechtliche Bedeutung der Vertragsfreiheit,, S. 14 f. Differenzierend für die Privatrechtsdiskussion des 19. Jahrhunderts allerdings Hofer, Freiheit ohne Grenzen?, passim, die auf die keineswegs einseitige Orientierung des privatrechtlichen Diskurses im 19. Jahrhundert verweist. 203 Weber, Wirtschaft und Gesellschaft, MWG I/22–3, S. 619 f. Weber bringt in den folgenden Ausführungen (MWG I/22–3, S. 620 ff.) aber auch sehr deutlich Tendenzen des Privatrechts zu seiner Materialisierung zum Ausdruck. 204 Weber, Wirtschaft und Gesellschaft, MWG I/22–1, S. 194.

228

§ 3 Iustitia distributiva und Vertragsfreiheit

Die spätestens bei Weber rationalisierte klassische Konzeption der Vertragsfreiheit beherrscht die Vertragstheorie bis in die heutige Zeit. Sie zeichnet sich durch verschiedene Merkmale aus, die im Folgenden näher dargestellt werden sollen. 1. Abstraktion als Kennzeichen formaler Konzepte Ein herausragendes Kennzeichen formaler Konzeptionen der Vertragsfreiheit, ist die Abstraktion, die Ausklammerung potentiell relevanter Phänomene der Welt.205 Individuelle Besonderheiten der am Vertrag beteiligten Personen werden ebenso ausgeblendet wie äußere Rahmenbedingungen und Umstände, die den Vertrag in der sozialen Welt umgeben. Die Systematik des BGB gibt beredtes Zeugnis dieses Konzepts: Das 1. Buch des BGB ist mit „Allgemeiner Teil“ umschrieben: Hier finden sich grundlegende Regeln etwa zu Vertragsschluss, Willensmängeln, Auslegung und Stellvertretung. Das „Allgemeine“ dieses Teils bedeutet bereits als systematische Forderung: „Besonderheiten“ bleiben hier außer Betracht. Die Bestimmungen erfassen Verträge zur Restrukturierung eines Konzerns ebenso wie den Semmelkauf beim Bäcker, den Autoverkauf des Autohändlers ebenso wie den des Privatmannes an einen Freund. Gleiches gilt – auf einer tieferen Abstraktionsebene – für das Allgemeine Schuldrecht, also den ersten Teil des zweiten Buchs im BGB. Der Schutz der tatsächlichen Entscheidungsfreiheit wird in dieser Konzeption nur unter den verhältnismäßig engen Grenzen insbesondere der §§ 104 ff., 119 ff., 123, 138 BGB sichergestellt.206 Der hohe Abstraktionsgrad des Bürgerlichen Gesetzbuches207 verwirklicht neben anderen Funktionen auch ein formales Verständnis der Vertragsfreiheit, für das wirtschaftliche Machtrelationen, Informationsgefälle, individuelle Fähigkeiten und ähnliche Besonderheiten irrelevant sind.208 Weber hat die Abstraktionskraft formal verstandener Vertragsfreiheit mit Blick auf den Markt vorweggenommen. Dieser kenne „nur Ansehen der Sache, kein Ansehen der Person, keine Brüderlichkeits- und Pietätspflichten, keine der urwüchsigen von den persönlichen Gemeinschaften getragenen menschlichen Beziehungen“.209 Diese Sichtweise ist typisch für die iustitia commutativa, nicht dagegen die iustitia distributiva. 205 Vgl. Köndgen, Selbstbindung ohne Vertrag, S. 126; Kramer, Die „Krise“ des liberalen Vertragsdenkens, S. 21; s. auch Enderlein, Rechtspaternalismus und Vertragsrecht, S. 78 f. 206 Dazu etwa Kötz, in: Immenga/Möschel/Reuter (Hrsg.), Festschrift für Ernst-Joachim Mestmäcker, 1996, S. 1037, 1039 ff. Canaris, AcP 2000, 273, 280 ff.; S. Lorenz, Der Schutz vor dem unerwünschten Vertrag, S. 88 ff. und S. 213 ff.; zum typisierten Schutz der Entscheidungsfreiheit außerhalb des BGB vgl. nur S. Lorenz, a.a.O., S. 122 ff. 207 Skeptisch mit Blick auf den praktischen Nutzwert dieses Abstraktionsgrads aus rechtsvergleichender Perspektive Zweigert, in: Festschrift für Max Rheinstein, Band II, Tübingen 1969, S. 493, 499 ff. 208 Hönn, Jura 1984, 57, 72. 209 Weber, Wirtschaft und Gesellschaft, MWG I/22–1, S. 194.

D. Formales versus materiales Verständnis der Vertragsfreiheit

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2. Vertragsfreiheit als private Selbstgesetzgebung durch Verträge Dem herkömmlichen Verständnis der Vertragsfreiheit zufolge ist die Vertragsfreiheit eine Ausprägung der Privatautonomie.210 Privatautonomie heißt Selbstgesetzgebung Privater. Mit Flume lässt sie sich in einer vom Bundesverfassungsgericht übernommenen211 Formulierung als „das Prinzip der Selbstgestaltung der Rechtsverhältnisse durch den einzelnen nach seinem Willen“ bezeichnen.212 Canaris umschreibt sie als „Selbstbestimmung der Person durch rechtliche Selbstgestaltung“213, Bydlinski als „rechtliche Anerkennung der Möglichkeit, durch Willensäußerungen Rechtsfolgen herbeizuführen oder zu verhindern.“214 Die Privatautonomie wird so als zentraler Bestandteil menschlicher Selbstbestimmung verstanden und erklärt.215 Soweit Privatautonomie reicht, wird der Inhalt von Rechten und Pflichten nicht von einer dritten Instanz wie etwa dem Staat festgelegt. Vielmehr bestimmen die privatautonom handelnden Akteure diesen Inhalt selbst.216 Der Staat hat also nicht die Aufgabe und auch nicht das Recht, den Inhalt privatautonom begründeter Rechtssätze festzulegen oder zu modifizieren. Die Bürger – als „frei“ und „gleich“ gedacht217 – sollen beanspruchen dürfen, ohne Einmischung durch den Staat selbst zu bestimmen, wie sie ihre Interessen angemessen ausgleichen möchten.218 Die Gerechtigkeitsperspektive der iustitia distributiva steht in einem Spannungsverhältnis zu der so verstandenen Privatautonomie. Denn die Perspektive der iustitia distributiva bezieht in die Gerechtigkeitsanalyse vertragsfremde Aspekte ein, sie ist gerade nicht auf die Selbstgestaltung durch Selbstbestimmung beschränkt.219 Und sie ist auch offen für eine Implementierung heteronomer Zwecke und Ziele in das Vertragsrecht. Privatautonomie als Selbstbestimmung verbietet dagegen jede Fremdbestimmung. Solche Fremdbestimmung ist aber mit jeder regulativen Konzeption verbunden, die das Ver210 Stellvertretend Heinrich, Formale Freiheit und materiale Gerechtigkeit, S. 43 f.; Weller, Die Vertragstreue, S. 154 m.w.N. 211 BverfGE 72, 155, 170. 212 Flume, Das Rechtsgeschäft, S. 1. Übernommen etwa bei Singer, Selbstbestimmung und Verkehrsschutz im Recht der Willenserklärungen, S. 1; S. Lorenz, Der Schutz vor dem unerwünschten Vertrag, S. 16. 213 Canaris, Die Vertrauenshaftung im deutschen Privatrecht, 1971, S. 413. 214 Bydlinski, Privatautonomie und objektive Grundlagen des verpflichtenden Rechtsgeschäftes, S. 127. 215 Flume, Das Rechtsgeschäft, S. 1.; E. Wolf, in: Forstmoser (Hrsg.), Festschrift für Max Keller zum 65. Geburstag, 1989, S. 359; Habermas, Faktizität und Geltung, S. 481 f.; Heinrich, Formale Freiheit und materiale Gerechtigkeit, S. 43 f. 216 Deutlich Busche, Privatautonomie und Kontrahierungszwang, S. 85: „Aufgabe der staatlichen Gewalt ist es, Hüter der Vertragsfreiheit zu sein und den Vorrang der individuellen Willensfreiheit im rechtsgeschäftlichen Bereich zu respektieren.“. 217 Di Fabio, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz, Art. 2 GG, Rz. 101. 218 Zu den ideologischen Hintergründen dieses Gedankens Kramer, Die „Krise“ des liberalen Vertragsdenkens, S. 36 f. 219 Dazu eingehend oben, S. 156 ff.

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§ 3 Iustitia distributiva und Vertragsfreiheit

tragsrecht auch für heteronome Zwecke und verteilungspolitische Ziele fruchtbar zu machen sucht. 3. Staat und Recht in einem durch die Privatautonomie beherrschten Vertragsrecht Gleichwohl wird der Staat in einem von der formal verstandenen Privatautonomie beherrschten Vertragsrecht keineswegs funktionslos.220 Der Staat garantiert die Geltung des privatautonom begründeten Inhalts. Auch stellt er seinen Vollstreckungsmechanismus zur Verfügung, wenn privatautonom begründete Rechte verletzt sind.221 Von einem rechtspositivistischen Standpunkt aus lassen sich die Vollstreckbarkeit und die Geltung des Rechts auch verbinden. Rechtsgeltung setzt danach die Möglichkeit voraus, das Recht zwangsweise und auf von der Rechtsordnung zumindest gebilligtem Wege durchsetzen zu können. Auch wird die Privatautonomie nicht als naturrechtlicher Grundsatz betrachtet, der den Staat unabhängig von Verfassung und Rechtsordnung bindet. Vielmehr ist die Privatautonomie als Bestandteil der geltenden Rechtsordnung von dieser garantiert und gewährt.222 Staatsfrei ist damit nur der Inhalt der jeweiligen Rechtssätze, nicht auch der Geltungsanspruch, der sich erst aus den in der Rechtsordnung enthaltenen Durchsetzungsanordnungen ergibt. Mit Blick auf den Inhalt aber ist der Staat blind. S. Lorenz etwa zieht daraus ausdrücklich die Konsequenz, dass sich die Privatautonomie als rechtliches Korrelat zur Anerkennung der menschlichen Freiheit schlechthin nicht lediglich aus Zweckmäßigkeitserwägungen rechtfertigen muss.223 Privatautonom gesetzter Inhalt gelte nicht deshalb, weil er zweckmäßig ist, sondern weil er privatautonom gesetzt ist.224 Was S. Lorenz für die Zweckmäßigkeit formuliert, lässt sich auch für die Gerechtigkeit formulieren: Privatautonomer Inhalt gilt nicht, weil oder soweit er gerecht ist. Er gilt, weil er privatautonom gesetzt ist. Auf die Spitze getrieben hieße dies: Auch ungerechte Inhalte werden geltendes Recht, wenn und weil sie privatautonom begründet sind. Mit Blick auf diese weitreichende Konsequenz leuchtet ein, dass die Konturen der Privatautonomie von der Rechtsordnung immerhin selbst bestimmt und begrenzt werden. So formuliert S. Lorenz einprägsam: „Die privatautonome Gestaltung von Rechtsverhältnissen kann nur in dem von der Rechtsordnung zur Verfügung gestellten Rahmen erfolgen. Sie allein bestimmt, unter welchen Voraussetzungen formeller und inhaltlicher Art sie dem privatautonomen 220

Dazu Flume, Das Rechtsgeschäft, S. 2 ff.; S. Lorenz, Der Schutz vor dem unerwünschten Vertrag, S. 16; Weller, Die Vertragstreue, S. 163 ff. 221 Höfling, Vertragsfreiheit, 1991, S. 22; Weller, Die Vertragstreue, S. 173 f. 222 Eindringlich Huber, Die verfassungsrechtliche Bedeutung der Vertragsfreiheit,, S. 18 ff.; Flume, Das Rechtsgeschäft, S. 2 ff. 223 S. Lorenz, Der Schutz vor dem unerwünschten Vertrag, S. 15. 224 S. Lorenz, a.a.O., S. 15.

D. Formales versus materiales Verständnis der Vertragsfreiheit

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Handeln des einzelnen rechtsfolgensetzende Kraft beimißt, sie also den Privatrechtssubjekten die Kompetenz zur selbstbestimmten Rechtsfolgenbestimmung verleiht, und wie weit diese Rechtsfolgen gehen.“225

4. Der bipolare Austauschvertrag als Paradigma der Vertragsfreiheit Paradigma der formal verstandenen Vertragsfreiheit ist der bipolare Austauschvertrag. In der Vertragsfreiheit treffen sich Selbstbestimmungsakte mindestens zweier Parteien, die ihre Selbstgesetzgebungskompetenz in Übereinstimmung zur Selbstbindung ausüben.226 Vertragsfreiheit bedeutet daher Selbstgestaltung vertraglichen Rechts durch private Akteure. S. Lorenz hat sie als „die Möglichkeit zur selbstbestimmten Gestaltung der Rechtsverhältnisse durch die Vertragsparteien selbst“ umschrieben.227 Die Konzentration auf das bipolare Austauschverhältnis zeigt sich schon in der Konzeption der Abschlussfreiheit der Vertragsparteien. Private Akteure dürfen danach frei entscheiden, ob sie überhaupt kontrahieren wollen und sind in der Wahl des Vertragspartners sowie der Vertragsart und -form frei. So bestimmen die Bürger in der auf den Austauschvertrag begrenzten Perspektive selbst, mit welchen Partnern sie in bipolare Relationen treten wollen. Auch die inhaltliche Gestaltungsfreiheit als konstitutiver Bestandteil der Vertragsfreiheit veranschaulicht die Fokussierung auf den bipolaren Austauschvertrag. Die Vertragsparteien – und nur sie – sind in dieser Perspektive die Herren über den Inhalt ihrer Verträge, den sie in Eigenverantwortung bestimmen und ändern können. Weder für die staatliche Anerkennung noch die In-Geltung-Setzung oder Vollstreckung ist in dieser Perspektive im Grundsatz relevant, welchen Inhalt die Verträge haben. Auch unzweckmäßige Inhalte werden geltendes Recht und als solches staatlicherseits anerkannt und vollstreckt. Die rechtliche Analyse bleibt insoweit auf das unmittelbare Verhältnis zwischen den Vertragsparteien beschränkt. Dadurch wird zugleich die iustitia commutativa zum dominanten Gerechtigkeitsprinzip. Auch Äquivalenzaspekte lassen sich allerdings in diese auf den bipolaren Austauschvertrag beschränkten Perspektive integrieren. Denn das Prinzip eines gleichwertigen Austauschs lässt sich als Gerechtigkeit unmittelbar zwischen den Parteien erklären. Auch aus diesem Blickwinkel heraus ist der vertragliche Austausch nicht mehr gleich, wenn der eine Teil wesentlich mehr erhält als der andere Teil.228 225

S. Lorenz, a.a.O., S. 16 (Kursivdruck im Original). Vgl. S. Lorenz, a.a.O., S. 17. 227 S. Lorenz, a.a.O., S. 17. 228 Vgl. zur natürlichen Dominanz der iustitia commutativa und dem Äquivalenzprinzip etwa Canaris, Die Bedeutung der iustitia distributiva im deutschen Vertragsrecht, S. 46. Zur historischen Entwicklung des Äquivalenzprinzips und der damit zusammenhängenden Lehre vom iustum pretium vgl. auch Scherrer, Die geschichtliche Entwicklung des Prinzips der Vertragsfreiheit, S. 27 f.; zum gemeinen Recht: Luig, in: Festgabe für Helmut Coing, 1982, S. 171, 173 ff. 226

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§ 3 Iustitia distributiva und Vertragsfreiheit

5. Formale Freiheit als Idee des Vertragsrechts Trotz der materialen Ergänzungen, die von der iustitia commutativa in den bipolaren Austauschvertrag getragen werden, gilt traditionell formale Freiheit als Idee des Vertragsrechts.229 In diesem Sinne wird auch die Vertragsfreiheit formal interpretiert.230 Das Vertragsrecht soll gerade nicht objektiven Gerechtigkeitserwägungen untergeordnet sein. Vielmehr soll den Vertragsparteien die Freiheit zugestanden werden, beliebige Inhalte Recht werden zu lassen. Der Staat darf dagegen nicht darüber entscheiden, welche Inhalte „gut“, welche Inhalte „schlecht“ sind. Auch das subjektive Äquivalenzprinzip lässt sich auf dieser Grundlage erklären. Der vereinbarte Preis gilt nicht kraft seiner materialen oder objektiven Angemessenheit, er gilt, weil er in einem bestimmten Verfahren von frei handelnden Individuen autonom vereinbart wurde.231 In diesem Gedanken liegt der liberale Kern der klassischen Konzeption der Vertragsfreiheit. Weller spricht anschaulich vom „freiheitsoptimierenden Ansatz des BGB“.232 Inhaltsbezogene Materialisierungen des Vertragsrechts gelten als begründungsbedürftige Ausnahme, wenngleich sie als ergänzende Elemente akzeptiert werden.233 Diese Konzeption geht häufig mit der Einschätzung einher, dass die Gerechtigkeit kein Ziel des Vertragsrechts sei.234 Flume hat diese Position etwa bezeichnender Weise gerade im Kontext seiner Grundlegung der Privatautonomie ausgeführt:235 An die Stelle der Gerechtigkeit tritt danach eine formal verstandene Freiheit, die zugleich die Idee des Vertragsrechts bildet. Darin liegt eine Absage an jeden Versuch, die Vertragsfreiheit instrumental oder funktional zu erklären. Freiheit auch in Form der Vertragsfreiheit ist nicht deshalb schützenswert, weil ihr Gebrauch andere Zwecke befördert (wie 229 Etwa Oechsler, Gerechtigkeit im modernen Austauschvertrag, S. 23 ff.; S. zu diesem Verständnis einführend und kritisch Kramer, Die „Krise“ des liberalen Vertragsdenkens, S. 20 ff. S. auch schon Weber, Wirtschaft und Gesellschaft, MWG I/22–1, S. 193 ff. sowie MWG I/22–3, S. 308 ff. und 604 ff. 230 Bydlinski, System und Prinzipien des Privatrechts, S. 147 ff. m.w.N.; Canaris, Die Vertrauenshaftung im deutschen Privatrecht, insbes. S. 412 ff.; differenzierend Singer, Selbstbestimmung und Verkehrsschutz im Recht der Willenserklärungen, S. 39 ff. Singer plädiert für einen Vorrang formaler Selbstbestimmungsfreiheit, hält materiale Ergänzungen aber in Grenzen für geboten. 231 Zu diesem Aspekt vgl. näher Canaris, AcP 2000, 273, 282 ff. 232 Weller, Die Vertragstreue, S. 170 und 171. 233 Etwa Drexl, Die wirtschaftliche Selbstbestimmung des Verbrauchers, S. 214; Enderlein, Rechtspaternalismus und Vertragsrecht, S. 93; S. Lorenz, Der Schutz vor dem unerwünschten Vertrag, S. 22 ff.; Singer, Selbstbestimmung und Verkehrsschutz im Recht der Willenserklärungen, S. 39 ff. Ausnahmen können sich auch aus dem Vertrauensschutz ergeben, vgl. etwa Bydlinski, System und Prinzipien des Privatrechts, S. 152 ff. 234 Vgl. dazu schon oben, S. 5 ff. S. auch Luhmann, Rechtssoziologie, S. 327. 235 S. dazu eingehend oben, S. 16 ff. Vgl. auch Honsell, in: Schermaier/Rainer/Winkel (Hrsg.), Iurisprudentia universalis, 2002, S. 287, 294: „Im Privatrecht … herrscht im Grundsatz Willkür, was in der alten Tradition dieses Wortes plastisch zum Ausdruck kommt, das jahrhundertelang geradezu als Begriff für den Vertrag gestanden hat.“.

D. Formales versus materiales Verständnis der Vertragsfreiheit

233

etwa Gerechtigkeit, Nutzen, Wohlfahrt oder Glück). Freiheit gilt vielmehr unabhängig vom konkreten Inhalt ihres Gebrauchs als Zweck an sich. Canaris hat den Stellenwert der Vertragsfreiheit als formales Freiheitsrecht einprägsam zusammengefasst: „Die Vertragsfreiheit wird um der Freiheit, nicht um der Gerechtigkeit willen gewährleistet.“236 6. Funktionserhaltung durch Verfahren im Einklang mit prozeduralen Gerechtigkeitstheorien Die klassische Konzeption der Vertragsfreiheit steht in einer besonderen Nähe zu prozeduralen Gerechtigkeitstheorien. Nicht Inhalte, sondern inhaltsneutrale Verfahrensregeln sichern danach Gerechtigkeit.237 Dieses prozedurale Gerechtigkeitsverständnis ist für die klassische Konzeption attraktiv.238 Denn auch das Vertragsrecht ist danach grundsätzlich unabhängig von konkreten Inhalten zu erklären und zu legitimieren. Dabei stößt die Erklärungskraft des klassischen Verständnisses der Vertragsfreiheit auf offensichtliche Grenzen: Vertragsfreiheit besteht nur im Rahmen der Gesetze – und damit auch im Rahmen der richterlichen Gesetzesauslegung. Vertragsfreiheit kann daher in all ihren Elementen nicht den Charakter eines absoluten Freiheitsrechts beanspruchen, das dem Gesetzgeber naturrechtlich vorgegeben wäre.239 Und zugleich vermittelt schon ein erster kurzer Blick auf einzelne Elemente der Vertragsfreiheit deren relativen Charakter: Die Abschlussfreiheit ist dort negiert, wo Kontrahierungszwang herrscht. Formvorschriften heben die Formfreiheit auf. Zwingendes Recht relativiert in seinem Anwendungsbereich die inhaltliche Gestaltungsfreiheit der Parteien. All dies wird in der klassischen Konzeption der Vertragsfreiheit keineswegs verkannt.240 Es ist allgemein akzeptiert, dass die formal verstandene Dominanz der Vertragsfreiheit materieller Korrekturen bedarf. Materialisierung wird dabei aber nicht als Einschränkung oder gleichwertige Ergänzung des Prinzips der Vertragsfreiheit verstanden. Vielmehr wird im Einklang mit einem prozeduralen Gerechtigkeitsverständnis versucht, die Materialisierungstendenzen in das Prinzip der Vertragsfreiheit zu integrieren.241 Der Hebel zu dieser Integration ist der Gedanke, dass die Be-

236 Canaris, in: Lerche/Badura/Scholz (Hrsg.), Wege und Verfahren des Verfassungslebens, 1993, S. 873, 886. 237 Tschentscher, Prozedurale Theorien der Gerechtigkeit, S. 118 ff.; Ellscheid, in: Kaufmann/Hassemer/Neumann (Hrsg.), Einführung in die Rechtsphilosophie und Rechtstheorie der Gegenwart, S. 182. 238 Bruns, JZ 2007, 853, 854. 239 Alexy, Theorie der Grundrechte, S. 220 ff.; Leisner, Grundrechte und Privatrecht, S. 328; Flume, Das Rechtsgeschäft, S. 18 f. 240 S. etwa Kötz, in: Immenga/Möschel/Reuter (Hrsg.), Festschrift für Ernst-Joachim Mestmäcker, 1996, S. 1037, 1039 ff. 241 Vgl. auch E. Schmidt, JZ 1980, 153, 156.

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§ 3 Iustitia distributiva und Vertragsfreiheit

dingung der Möglichkeit formaler Freiheit gesichert werden muss. So formuliert etwa Busche mit Blick auf Materialisierungstendenzen im Vertragsrecht: „Diese Reaktionsmechanismen sind freilich nicht als Abkehr vom Prinzip privatautonomer Rechtsgestaltung zu werten, sondern in ihrem Bemühen zu würdigen, die für das Funktionieren der Privatautonomie notwendigen Freiheitsräume (wieder-) herzustellen.“242

Dieses Zitat ist für die vorherrschende Analyse materialer Elemente des Vertragsrechts durchaus typisch. Materialisierung wird nicht als Grenze oder Gegenspieler der Vertragsfreiheit verstanden. Vielmehr wird sie in das Konzept der Vertragsfreiheit inkorporiert: Was auf den ersten Blick wie eine Grenze der Vertragsfreiheit aussieht, dient in Wirklichkeit lediglich ihrer Verwirklichung: Nicht um „Grenzen“ sondern um „Funktionsbedingungen“ geht es dabei: Wahre Freiheit kann dieser Vorstellung zufolge nur erreicht werden, wenn ungezügelter Freiheitsausübung Grenzen auferlegt werden. In Busches Worten: „Wenn in diesem Sinne von ,Beschränkungen‘ der Vertragsfreiheit durch Maßnahmen der staatlichen Gewalt die Rede ist, bedeutet das nicht notwendig eine Einschränkung des Selbstbestimmungsprinzips, sondern kann im Gegenteil erst die Schaffung oder Sicherung jener Voraussetzungen zum Ziel haben, die jedem Rechtssubjekt und nicht nur einzelnen Rechtssubjekten die Benutzung des Vertrages zur individuellen Interessenwahrnehmung erlauben.“243

Der liberale Glaube an eine der Selbstverwirklichung freier und rational entscheidender Individuen dienende formale Freiheit wird dabei aufrechterhalten. Materialisierungen des Vertragsrechts sind bloße Voraussetzungen dafür, dass sich die Privatautonomie entfalten kann.244 Als solche ändern sie nichts an der dominanten Stellung einer formal verstandenen Vertragsfreiheit. Canaris sieht etwa einen Primat der Vertragsfreiheit, wobei das Rechtssystem durch etliche Institutionen hinreichend gegen grob ungerechte Ergebnisse gesichert sei. Das positive Recht müsse „in vielfältiger Weise ergänzend und korrigierend eingreifen, um die Anforderungen der Gerechtigkeit durchzusetzen und … Beeinträchtigungen der faktischen Entscheidungsfreiheit zu kompensieren.“245 Dazu zählt Canaris unter anderem das Wettbewerbsrecht, das Recht der Willensmängel, Informationspflichten und Widerrufsrechte.246 Stets gelte 242

Busche, Privatautonomie und Kontrahierungszwang, S. 52. Busche, a.a.O., S. 52. 244 Vgl. etwa Lobinger, Rechtsgeschäftliche Verpflichtung und autonome Bindung, S. 96 f.; differenzierend Singer, Selbstbestimmung und Verkehrsschutz im Recht der Willenserklärungen, S. 20 ff. und S. 247 ff., der eine materiale Ergänzung von Vertragsfreiheit und iustitia commutativa auch aus heterogenen Gründen für möglich hält. Für die Austarrierung der Grenzen sieht Singer eine Prärogative des Gesetzgebers. 245 Canaris, in: Lerche/Badura/Scholz (Hrsg.), Wege und Verfahren des Verfassungslebens, 1993, S. 873, 886. 246 Canaris, a.a.O., S. 873, 886 f. 243

D. Formales versus materiales Verständnis der Vertragsfreiheit

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aber der Primat der Vertragsfreiheit insoweit, als sich Einschränken der Vertragsfreiheit verfassungsrechtlich legitimieren lassen müssten. Ein genereller Vorbehalt gegenüber dem Inhalt der durch Vertragsfreiheit erzielten Ergebnisse, würde dagegen einen Selbstwiderspruch der Rechtsordnung bedeuten.247 Auch die Idee einer Richtigkeitsgewähr durch den Mechanismus des Vertragsschlusses lässt sich als Ausdruck des Verfahrensgedankens erklären.248 Denn das Verfahren des Vertragsschlusses selbst ist es, das unabhängig von den konkreten Inhalten der Verträge zu richtigen Inhalten führt. SchmidtRimplers bekannte Konzeption vertraut auf die Verfahrensmechanismen bei Vertragsschluss.249 Vertraglich generierte Vorteile einer Vertragspartei sind danach in der Regel eine richtige Rechtsfolge, weil auch die benachteiligte Vertragspartei diesem Vorteil zugestimmt hat; dies würde sie jedoch nicht tun, wenn es nicht auch mit Blick auf ihre Interessen richtig wäre. Durch die wechselseitige Berücksichtigung auch der Interessen der anderen Vertragspartei werden so objektiv richtige Inhalte produziert,250 zumindest kann man von einer „Richtigkeitschance“ des Vertragsschlussmechanismus‘ sprechen.251 Freilich vermag diese Lehre materiale Ergänzungen formaler Freiheit leichter zu erklären. Denn Autonomie und Vertragsfreiheit sind ihr zufolge nicht per se schutzwürdig.252 Sie sind es vielmehr, weil sie zu den richtigen Ergebnissen führen können. Dies kommt bereits dadurch zum Ausdruck, dass es um „Richtigkeitsgewähr“ bzw. „Richtigkeitschancen“ geht. Diese Grundlegung führt auch zu den Grenzen von Autonomie und Vertragsfreiheit: Es liegt in der Logik der Lehre Schmidt-Rimplers, Grenzen dort zu setzen, wo die richtigen Ergebnisse nicht erreicht werden. Dabei geht es nicht darum, die Bedin247

Canaris, a.a.O., S. 873, 887. Vgl. Canaris, Die Bedeutung der iustitia distributiva im deutschen Vertragsrecht, S. 49; Canaris, AcP 2000, 273, 284 f.; Cziupka, Dispositives Vertragsrecht, S. 97 ff. 249 Schmidt-Rimpler, AcP 1941, 130, 152 ff. 250 Schmidt-Rimpler, AcP 1941, 130, 152 ff. Vgl. auch Schmidt-Rimpler, in: Baur (Hrsg.), Funktionswandel der Privatrechtsinstitutionen, 1974, S. 3. Dass Schmidt-Rimpler natürlich nicht annahm, der Mechanismus führe ausnahmslos zur Richtigkeit, sondern nur von einer gewissen Regelmäßigkeit ausging, mit der richtige Ergebnisse resultieren werden, betont Auer, s. Auer, Materialisierung, Flexibilisierung, Richterfreiheit, S. 36 (Fn. 84). 251 So etwa M. Wolf, Rechtsgeschäftliche Entscheidungsfreiheit und vertraglicher Interessenausgleich, S. 73 f.; Canaris, Die Bedeutung der iustitia distributiva im deutschen Vertragsrecht, S. 49; einschränkend M. Stürner, Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit im Schuldvertragsrecht, S. 7 ff. 252 So etwa deutlich Schmidt-Rimpler, AcP 1941, 130, 131 f.: „Das Ziel muß sein … zu prüfen, inwieweit eine richtige Gemeinschaftsordnung auf volksgenössische Initiative und Gestaltung gegründet werden kann, welche Wege dabei eingeschlagen werden können und welcher von ihnen für unsere Gemeinschaft ein richtiges Ergebnis am sichersten verbürgt.“ Diese Einschränkung ist in ihrem historischen Kontext zu sehen: Sie ermöglichte die konzeptionelle Wahrung einer begrenzten aber substanziell erfüllbaren Vertragsfreiheit außerhalb des totalitären Zugriffs. Zur historischen Bewertung dieses Ansatzes eingehend Rüthers, Die unbegrenzte Auslegung, S. 366 ff. 248

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§ 3 Iustitia distributiva und Vertragsfreiheit

gungen der Möglichkeit von Freiheit zu schaffen. Vielmehr geht es unmittelbar um das der Freiheit übergeordnete, objektive Ziel, dem Autonomie und Vertragsfreiheit funktional zu dienen bestimmt sind.253

II. Materialisierung der Vertragsfreiheit Das traditionelle Leitbild eines mündigen Bürgers, der mit anderen mündigen Bürgern auf Augenhöhe Verträge aushandelt und durchführt, war schon bei Inkrafttreten des BGB eine allenfalls in wenigen Situationen treffende Vorstellung.254 Wirtschaftliche oder kompetenzielle Ungleichgewichtslagen bestanden damals wie heute.255 Viele Parteien stehen ihren Vertragspartnern zwar formal gleich gegenüber. Sie können diese Freiheit aber faktisch kaum ausüben, weil sie existentiell auf den anderen angewiesen sind.256 Die nur formelle Freiheit, die auf der abstrakten Gleichheit der Personen beruht, ist diesen Menschen kaum als heere Errungenschaft vermittelbar. Dies hat Anatol France in seinem Roman Le lys rouge einprägsam und treffend umschrieben, als „…majestueuse égalité des lois, qui interdit au riche comme au pauvre de coucher sous les ponts, de mendier dans les rues et de voler du pain.“257 Ein materiell freier, autonomer Vertragswille, der von gesellschaftlichen und ökonomischen Bedingungen unabhängig ist, scheint auch heute eher Fiktion als Wirklichkeit sein.258 Diese Erkenntnis wird von den Arbeiten Webers und Durckheims bestätigt.259 Die klassische Konzeption der Vertragsfreiheit kann deshalb zu einem Vertragsrecht führen, dass die objektive Gerechtigkeitsidee nur mehr unbefriedigend verwirklicht, weil es die sozialen, ökonomischen und gesellschaftlichen Realitäten nicht ausreichend berücksichtigt.260 Für den 253 Dies zeigt schon die grundlegende Formulierung des Problems, das Schmidt-Rimpler zu lösen versucht, vgl. Schmidt-Rimpler, AcP 1941, 130, 149: „Inwiefern kann die Richtigkeit der Rechtsfolge dadurch gewährleistet werden, daß sie von einem oder beiden an einem Rechtsverhältnis Beteiligten gewollt ist?“ (Kursivdruck ist im Original gesperrter Druck); kritisch unter der Perspektive liberalen Vertragsdenkens Cziupka, Dispositives Vertragsrecht, S. 99 ff. 254 Deutlich etwa bei Zweigert, in: Festschrift für Max Rheinstein, Band II, Tübingen 1969, S. 493, 503 f.; Kramer, Die „Krise“ des liberalen Vertragsdenkens, S. 9; Rehbinder, Stanford Law Review 1971, 941, 950. 255 Zweigert, in: Festschrift für Max Rheinstein, Band II, Tübingen 1969, S. 493, 503 f. 256 Dazu etwa Bäuerle, Vertragsfreiheit und Grundgesetz, S. 74 ff.; M. Wolf, Rechtsgeschäftliche Entscheidungsfreiheit und vertraglicher Interessenausgleich, S. 12 ff.; Kramer, Die „Krise“ des liberalen Vertragsdenkens, S. 20 ff. 257 France, Le lys rouge, S. 81 (Zu Deutsch etwa: „…die majestätische Gleichheit der Gesetze, die es dem Reichen ebenso wie dem Armen verbietet, unter Brücken zu schlafen, auf Straßen zu betteln und Brot zu stehlen.“). 258 Repgen, Kein Abschied von der Privatautonomie, S. 11 ff.; vgl. auch Habermas, Faktizität und Geltung, S. 482 ff. 259 Weber, Wirtschaft und Gesellschaft, MWG I/22–3, S. 306 ff.; Durkheim, De la Division du Travail Social, S. 184 ff., insbesondere S. 189. 260 Vgl. auch Raiser, JZ 1958, 1, 2 ff. Kramer, Die „Krise“ des liberalen Vertragsdenkens, S. 9, 65; Hart, KJ 1974, 274, 276 ff.

D. Formales versus materiales Verständnis der Vertragsfreiheit

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Liberalismus ist diese Konsequenz allerdings nicht fatal. Sie lässt sich vielmehr auch als Chance begreifen, wie sie Kramer eindringlich beschrieben hat: „Gewiß muß die Verwirklichung fundamental-liberaler Ideen im Vertragsrecht eine Krise konventionell, d.h. formal verstandenen Liberalismus bewirken, gleichzeitig aber ist sie insofern „konservative“ Besinnung auf dessen verwässerte, oft ganz verschüttete revolutionär-freiheitliche Wurzeln, Ernstmachen mit seiner eigentlichen, lange genug lediglich normativ vorgespiegelten Voraussetzung: Der den Kern des Privatrechts ausmachenden radikal-demokratischen Idee der Selbstverwirklichung des Menschen in Freiheit.“261

Kübler resümiert 1990 einen Wandel des privatrechtlichen Verständnisses. Während im ausgehenden 19. Jahrhundert das Privatrecht als „formal-abstraktes und politisch neutrales Gefüge“262 gegolten habe, sei es in der Folgezeit in immer stärker werdendem Ausmaß zu einer Materialisierung des gesamten Privatrechts gekommen: „Privatrecht übernimmt Aufgaben der Wirtschaftsordnung und -steuerung; sein bislang formal-abstraktes Regelgefüge wird zunehmend mit materialen Inhalten aufgefüllt; das Recht des privaten Güter- und Leistungsaustauschs wird „funktionalisiert“ und von einem ,Wirtschaftsrecht‘ überlagert und absorbiert, in dem die Elemente der privat- und der öffentlich-rechtlichen Tradition verschmelzen.“263

Auch Wiethölter erkannte früh, dass ein formal verstandenes Privatrecht die Wirklichkeit einer modernen Vertragswelt kaum angemessen erfassen konnte: „Unser Privatrechtssystem wurzelt eben weniger in gemein-europäischer kirchlichabendländischer Tradition als in einem spezifisch deutschen Zweig der Naturrechtslehre. Seine an Kant orientierte Freiheits- und Pflichtenethik unter Ausschluß früher vorhandener materialethischer Ordnungsprinzipien paßte wie angegossen zur formalen Rechtsstaatlichkeitsidee des politischen Liberalismus, mit dessen Auslauf auch das Privatrechtssystem leerlaufen mußte, inhaltlich überholt oder überfordert wurde.“264 261

Kramer, Die „Krise“ des liberalen Vertragsdenkens, S. 65 f. Kübler, in: Baur/Hopt/Mailänder u.a. (Hrsg.), Festschrift für Ernst Steindorff, 1990, S. 687, 691. 263 Kübler, in: Baur/Hopt/Mailänder u.a. (Hrsg.), Festschrift für Ernst Steindorff, 1990, S. 687, 693. In Busches Analyse sieht Kübler das Privatrecht „durch Beschränkungen für Zwecke der Wirtschaftsordnung und -steuerung in sachfremder Weise in Dienst genommen.“, vgl. Busche, Privatautonomie und Kontrahierungszwang, S. 10 f. Diese Auffassung lässt sich Küblers Ausführungen kaum entnehmen, der die Materialisierung des Privatrechts hier als historischen Befund beschreibt und im Folgenden die These entwickelt, dass Argumenten aus der ökonomischen Analyse des Rechts durchaus ein legitimer Platz zukommt. 264 Wiethölter, in: Coing (Hrsg.), Wirtschaftsordnung und Rechtsordnung, 1965, S. 41, S. 57. Wiethölter erkennt in vielen vertragsrechtlichen Entwicklungen Tendenzen zu einer Materialisierung und „Sozialisierung“, so „die veränderte Funktion der Generalklauseln als Vehikel für die Einführung und Verarbeitung materialer Wertprinzipien, (…) die Fortbildung der Willenserklärungs- und Rechtsgeschäftstheorie von psychologisch-empirischer Erfassung zu normativer Gestaltung, die Verantwortungs- und Risikosphären im Sinne guter Ordnung abgrenzt; die 262

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§ 3 Iustitia distributiva und Vertragsfreiheit

Die positiv-rechtliche Entwicklung wurde insbesondere durch die Rechtsprechung geprägt.265 So setzte insbesondere das Reichsgericht – später auch der BGH – materielle Gegengewichte zu einer formal verstandenen Vertragsfreiheit.266 Dabei geht es in dogmatischer Hinsicht zum einen um das Erfordernis tatsächlicher nicht nur rechtlicher Entscheidungsfreiheit, zum anderen aber auch um die objektive inhaltliche Gerechtigkeit von Vertragsinhalten.267 Mit der Anerkennung der culpa in contrahendo268 wurden vertragliche Rechtsfolgen schon vor dem autonomen Vertragsschluss konstruiert.269 Die Anerkennung faktischer Vertragsverhältnisse brach ebenfalls mit dem Willensdogma des klassisch-liberalen Verständnisses.270 Auch das Prinzip des „pacta sunt servanda“ wurde durch das Institut des Wegfalls der Geschäftsgrundlage271 und die Lehre von der wirtschaftlichen Unmöglichkeit272 eingeschränkt. So trug die Rechtsprechung – freilich in engen Grenzen273 – auch dem Äquivalenzprinzip und damit dem Ideal eines auch materiell gerechten Vertragsschlusses Rechnung. Nur so konnte das Bürgerliche Gesetzbuch seine soziale Ordnungsaufgabe erfüllen. Ohne die fortschrittliche Jurisprudenz wäre eine allgemeine Anerkennung des positiv geltenden Vertragsrechts kaum erreichbar gewesen. Wieacker ist in seiner berühmt gewordenen Bewertung dieser Rechtsprechung zuzustimmen: „Vielleicht die bedeutendste Leistung einer oft weltfremd gescholtenen Ziviljurisprudenz ist eine Umwälzung, welche der großen Kodifikation von 1900 ein neues Sozialmodell unterlegte, ohne ihre Tradition preiszugeben. Unter Führung des Reichsge265 Verwendung des Schuldverhältnisses als Gestaltungsmittel (Sanktion verkehrs- und marktgerechter inhaltlicher Qualitäten vorfabrizierter Massenverträge); die Entdeckung der sozialen Dimension in Eigentum, Vertrag und Erblasserfreiheit (…), die Ablösung von Parteivorstellungen und Durchschnittsleistungen durch normative Entscheidungen etwa in der Lehre von der Auslegung der Geschäftsgrundlage (…)“. 265 Vgl. Habermas, Faktizität und Geltung, S. 486 ff.; Zur Entwicklung auch etwa Hönn, Kompensation gestörter Vertragsparität, S. 5 ff. 266 Die Funktion des BGH betont mit Blick auf die Rechtsprechung zu Allgemeinen Geschäftsbedingungen M. Wolf, in: 50 Jahre Bundesgerichtshof, München 2000, S. 111. 267 Vgl. Canaris, AcP 2000, 273, 276 f., der treffend darauf hinweist, dass zugleich auch die das Vertragsrecht prägende politische Geisteshaltung der maßgeblichen Akteure betroffen ist. Für eine formale Freiheitsethik tritt etwa ausdrücklich Reuter ein, vgl. Reuter, AcP 1989, 200; für eine materiale Ethik sozialer Verantwortung etwa Wilhelmsson, Critical Studies in Private Law. Vgl. auch Joerges, in: Pappi (Hrsg.), Wirtschaftsethik, 1989, S. 127. 268 RGZ 78, 239 (Linoleumrollenfall); Das Institut geht auf Rudolf von Jhering zurück: v. Jhering, Culpa in contrahendo. 269 Grigoleit bezeichnet dies treffend als „Materialisierung“ der rechtsgeschäftlichen Selbstverantwortung, s. Grigoleit, Vorvertragliche Informationshaftung, S. 64. 270 Vgl. BGHZ 21, 319 (Hamburger Parkplatzfall); grundlegend: Haupt, Über faktische Vertragsverhältnisse; s. auch Spiros, Die faktischen Vertragsverhältnisse. 271 RGZ 50, 255; RGZ 103, 328; grundlegend: Oertmann, Die Geschäftsgrundlage. 272 RGZ 94, 45; RGZ 102, 272. 273 Das Reichsgericht betonte etwa, dass nur in Ausnahmefällen ein Wegfall der Geschäftsgrundlage bejaht werden könne, vgl. etwa RGZ 50, 255, 257 f.

D. Formales versus materiales Verständnis der Vertragsfreiheit

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richts hat die Rechtsprechung, von der Öffentlichkeit kaum beachtet, im letzten halben Jahrhundert die formale Freiheitsethik, die der deutschen Privatrechtsordnung zugrundelag, in eine materiale Ethik sozialer Verantwortung zurückverwandelt;“274

Nicht nur die Rechtsprechung sondern auch die Gesetzgebung hat das formelle Vertragskonzept des BGB ergänzt. Schon Ende des 19. Jahrhunderts wurden das Abzahlungsgesetz und das UWG erlassen. 1901 folgte das Versicherungsaufsichtsgesetz, 1908 das Versicherungsvertragsgesetz. Das erste Mieterschutzgesetz der neueren Zeit stammt aus dem Jahre 1923; im gleichen Jahr wurde eine Kartellaufsicht geschaffen, die dem Missbrauch wirtschaftlicher Macht vorbeugte. Selbstverständlich trug auch die verstärkte Ermöglichung vertraglicher Inhaltskontrolle durch das AGB-Gesetz erheblich zu einer Materialisierung des Vertragsrechts bei.275 All diese Gesetze stehen für eine Beschränkung formeller Vertragsfreiheit und versuchen, punktuell zu verhindern, dass formale Freiheit bestehende Ungleichheiten verstärkt. Risiken und Chancen wurden in all diesen Gesetzen zugunsten materiell schwächerer Parteien verteilt.276 Auf der Grundlage einer nur formal verstandenen Vertragsfreiheit lässt sich Freiheit in ihrem positiven, materiellen Gehalt kaum erreichen.277 Vielmehr dürfte eine unbeschränkt herrschende formal verstandene Vertragsfreiheit auf unregulierten Märkten wohl sehr schnell zur Aufhebung jeder materiellen Freiheit führen.278 Daher lässt sich auch das Ideal eines selbstbestimmten und selbstverantwortlichen Menschen angesichts der faktisch herrschenden Ungleichheiten nicht allein durch ein formales Konzept der Vertragsfreiheit erreichen.279 Einigkeit besteht daher darüber, dass die Vertragsfreiheit notwendig begrenzt sein muss. So ist denn auch die Geschichte der Vertragsfreiheit – wie Leisner einprägsam formuliert, im Wesentlichen die Geschichte ihrer Beschränkungen.280 Solche Materialisierung durch Begrenzung einer formal verstandenen Vertragsfreiheit findet sich in hervorstechendster Weise im Ar274 Wieacker, Das Sozialmodell der klassischen Privatrechtsgesetzbücher und die Entwicklung der modernen Gesellschaft, S. 18. 275 S. nur Canaris, AcP 2000, 273, 320 ff.; M. Wolf, in: 50 Jahre Bundesgerichtshof, München 2000, S. 111. 276 M. Wolf, in: 50 Jahre Bundesgerichtshof, München 2000, S. 111, 127. Bruns sieht in diesen und neuesten Entwicklungen insbesondere auf europäischer Ebene eine Tendenz hin zu einem paternalistischen Verständnis der Vertragsfreiheit, vgl. Bruns, JZ 2007, 385, 389, 394. 277 S. nur E. Schmidt, JZ 1980, 153, 155 ff. 278 Vgl. auch Neuner, Privatrecht und Sozialstaat, S. 231 f. Zu erkenntnistheoretischen Problemen des Freiheitsparadoxons im Kontext der Privatautonomie vgl. Wagner-von-Papp, AcP 2005, 342, 350 ff. 279 So auch aus rechtsvergleichender Perspektive Zweigert, in: Festschrift für Max Rheinstein, Band II, Tübingen 1969, S. 493, 501: Die Funktion des Vertragsrechts ist daher … die „Vertragsgerechtigkeit“. Sie – nicht mehr die Vertragsfreiheit – ist heute in aller Welt das materiale Funktionsprinzp des Vertragsrechts. 280 Leisner, Grundrechte und Privatrecht, S. 323.

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§ 3 Iustitia distributiva und Vertragsfreiheit

beitsvertragsrecht, im Mietrecht und im Verbrauchervertragsrecht. In ihrem konkreten Inhalt sind diese Materialisierungen rechtspolitisch stets umstritten.281 1. Materialisierung als Ausprägung der iustitia commutativa Auch die iustitia commutativa kann Grundlage für eine Materialisierung der Vertragsfreiheit sein. Der gemeinsame Austauschzweck der Parteien ermöglicht, in der Gerechtigkeitsanalyse über den formal definierten unmittelbaren Austausch hinauszugehen.282 So beschreibt etwa Köndgen eine „solidarische Verantwortung für das Gelingen des Vertrages“.283 Dies zeige sich an zunehmenden Aufklärungspflichten, Kooperationspflichten, Mitwirkungspflichten.284 Man dürfe den Vertragspartner in unterschiedlichsten Kontexten nicht einfach „im Regen stehen lassen“. Der strukturelle Antagonismus der Tauschbeziehung werde von der solidarischen Verantwortung zwar nicht beseitigt. Köndgen sieht in dieser Verantwortung aber immerhin ein „marktkomplementäres Instrument, selbstdestruktive Auswüchse der rivalisierenden Parteiegoismen zu mildern.“285 Dieser als Ausfluss der iustitia commutativa erklärbare Materialisierungsansatz ist letztlich auch die Grundlage für die Lehre vom relationalen Vertrag.286 Auch kann man in den zwingenden und dispositiven Regeln des Vertragsrechts, die auf die Herstellung objektiver bzw. materieller Äquivalenz gerichtet sind, Ausprägungen der iustitia commutativa erblicken.287 Ähnliches gilt letztlich für den Wegfall der Geschäftsgrundlage.288 In diesen Fällen kommt das Erbe des Thomas von Aquin zum Tragen, der in seiner Vertragstheorie die herausragende Bedeutung des gemeinsamen Vertragszwecks erarbeitet hat. Allerdings bleibt die Perspektive der iustitia commutativa auf die unmittelbar am konkreten Austauschverhältnis beteiligten Personen beschränkt. Die Perspektive der iustitia distributiva ermöglicht dagegen eine stärkere Kontextualisierung, Konkretisierung und Politisierung des Vertragsrechts. Dabei lassen sich in plakativer Gegenüberstellung zur klassischen Konzeption der Vertragsfreiheit spezifische Merkmale erkennen, in denen die 281 Kritisch zu Theorien materialer Gerechtigkeit, die das Vertragsrecht durch vorrechtliche Gerechtigkeitsinhalte (wie etwa Effizienz, Verbraucherschutz oder Kompensation gestörter Vertragsparität) korrigieren wollen Oechsler, Gerechtigkeit im modernen Austauschvertrag, S. 54 ff., insbes. S. 86 ff. 282 Aus soziologischer Sicht dazu insbesondere Röhl, in: Kaulbach/Krawietz (Hrsg.), Recht und Gesellschaft, 1978, S. 441 ff., der individuelle Kooperation und soziale Kontrolle im Prinzip der Reziprozität integriert, das letztlich dem Gedanken der iustitia commutativa entspricht. 283 Köndgen, Selbstbindung ohne Vertrag, S. 125. 284 Vgl. die Beispiele bei Köndgen, Selbstbindung ohne Vertrag, S. 124 f. 285 Köndgen, Selbstbindung ohne Vertrag, S. 125. 286 Vgl. Macneil, The New Social Contract; Macneil, Northwestern University Law Review 1983, 340. 287 Canaris, AcP 2000, 273, 285. 288 Dazu noch unten, S. 434 ff.

D. Formales versus materiales Verständnis der Vertragsfreiheit

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Materialisierung der Vertragsfreiheit typischer Weise Ausprägung der iustitia distributiva ist. 2. Konkretisierung als Kennzeichen materialer Konzepte Ein materiales Verständnis der Vertragsfreiheit setzt an die Stelle der Abstraktion die Konkretisierung. Die vertragsrechtliche Analyse berücksichtigt den spezifischen gesellschaftlichen, sozialen und ökonomischen Kontext.289 Individuelle Eigenschaften der beteiligten Personen finden ebenso Berücksichtigung wie der äußere Rahmen des Vertragsgeschehens. Auch wirtschaftliche oder informationelle Machtrelationen zwischen den beteiligten Personen werden in die Analyse einbezogen.290 Diese Sichtweise entspricht der Gerechtigkeitsperspektive der iustitia distributiva in besonderem Maße. Als Ausprägung der iustitia distributiva lässt es sich daher erklären, wenn die konkreten ökonomischen und politischen Hintergründe in vertragsrechtlichen Entscheidungen berücksichtigt werden. Dogmatisch lassen sich dabei insbesondere Generalklauseln fruchtbar machen, die in ihrer Textoffenheit erlauben, Entscheidungen zu kontextualisieren und die ihnen zu Grunde liegenden Besonderheiten zu berücksichtigen.291 Die berühmte Entscheidung des Reichsgerichts zur Lieferung galizischer Eier in RGZ 99, 1 gibt hiervon beredtes Zeugnis. Die Vertragsparteien waren Mitte Oktober 1914 in Berlin über die Lieferung von 115 Kisten Kalkeier aus Bochnia (Galizien) nach Berlin in der Zeit vom 4. bis zum 12. November 1914 handelseinig geworden. Die Lieferung erfolgte nicht.292 Das Reichsgericht hielt es hier für zwingend erforderlich, die konkreten politischen und ökonomischen Umstände zu berücksichtigen:293 Der Verkäufer berief sich darauf, dass es seit dem 1. November wegen der Kriegsunruhen unmöglich gewesen war, zu liefern. Am 5. November sei wegen des drohenden Einmarschs der Russen der Zivilfrachtverkehr eingestellt worden und er habe am 8. November mit seiner Familie auf einem Bauernwagen nach Krakau flüchten müssen. Die Vorinstanz lehnte die Berücksichtigung dieser konkreten Umstände ab – eine Abstraktion, die ganz im Einklang mit der klassischen Konzeption einer formal verstandenen Vertragsfreiheit steht. Das Reichsgericht hielt indes die Berücksichtigung dieser Umstände für zwingend geboten. § 279 BGB a.F. schließe nicht aus, dass nach dem Grundsatz von Treu und Glauben (§ 242 BGB) höhere Gewalt oder ähnliche Umstände berücksichtigt werden, die das Erfüllungsverlangen des Käufers 289

Rehbinder, Stanford Law Review 1971, 941, 9450 ff.; Enderlein, Rechtspaternalismus und Vertragsrecht, S. 79 f.; Möslein, JZ 2010, 72, 76 f. 290 Hönn, Jura 1984, 57, 72. 291 Zu diesen Eigenschaften der Generalklauseln s. nur etwa Collins, Regulating Contracts, S. 266 ff.; Heinrich, Formale Freiheit und materiale Gerechtigkeit, S. 317 ff. 292 RGZ 99, 1. 293 RGZ 99, 1, 2.

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§ 3 Iustitia distributiva und Vertragsfreiheit

unbillig erscheinen lassen.294 Ein ähnliches materielles Verständnis der Vertragsfreiheit lässt sich erkennen, wenn das Recht insbesondere im Rahmen des Wegfalls der Geschäftsgrundlage (§ 313 BGB) auf extreme Inflation reagiert. Zwar gilt der Grundsatz des geldschuldrechtlichen Nominalismus nach der Rechtsprechung als tragende Grundlage der Rechts- und Wirtschaftsordnung.295 Der Nominalismus steht einer formalen und abstrahierenden Konzeption der Vertragsfreiheit nahe.296 Mit dem geldschuldrechtlichen Nominalismus und der damit einhergehenden strengen Bestimmung der Geldschuld als Nennwertschuld brachte der Gesetzgeber des BGB daher auch seine Absage an eine grundsätzlich materiale Ausgestaltung der Vertragsrechtsordnung zum Ausdruck.297 Der Wert einer Geldschuld ist in Abstraktion von der konkreten Kaufmacht der Währung definiert und verändert sich prinzipiell trotz möglichen Wertverlustes nicht. Auch diese Abstraktion steht im Dienste der Rechtssicherheit, denn sie vermeidet im Ausgangspunkt Zweifel und Streit über den mit Blick auf den Wertverlust tatsächlich geschuldeten Betrag. Die konkrete Geldentwertung findet allerdings dann Berücksichtigung, wenn der Richter in Sonderfällen vom Nominalismus abweicht und den geschuldeten Betrag der Höhe nach anpasst.298 Möglich ist dies sogar, wenn die Parteien das Inflationsrisiko mit einer Wertsicherungsklausel regeln wollten, die Klausel ihren Zweck aber nicht mehr erfüllen kann.299 In diesen Situationen verwirklicht das Vertragsrecht die objektive Gerechtigkeitsidee auch als iustitia distributiva. Die konkrete ökonomische Einbettung der Verträge führt dabei zur Materialisierung der Vertragsfreiheit. Ein weiteres Beispiel für die mit der Materialisierung verbundene Konkretisierung als Merkmal der iustitia distributiva im Vertragsrecht bieten Aufklärungspflichten. So stellt der BGH etwa in seiner Entscheidung vom 27.2.1974300 vergleichsweise offen distributive paternalistische Überlegungen an, in denen er die sozialen und wirtschaftlichen Verhältnisse der Beteiligten vergleicht und konkrete Folgerungen aus dem Kräfteungleichgewicht zieht. Für die Aufklärungspflicht der Bank war zunächst der konkrete Vertragszweck relevant: Der BGH hielt es für zwingend, den Zweck des Darlehens zu berücksichtigen, nämlich Wohnungseigentum zu einem angemessenem Preis zu schaffen. Mag man dies auch nach als Ausprägung der iustitia commutativa erklären wollen, so ist dies kaum mehr möglich, wenn der BGH darüber hin294

RGZ 99, 1, 2. BGHZ 61, 31, 38; BVerfG NJW 1973, 530; BVerfGE 50, 57, 78. 296 Vgl. zum Grundsatz des Nominalismus etwa Horn, Geldwertveränderungen, Privatrecht und Wirtschaftsordnung, S. 18 ff. sowie kritisch etwa Simitis, AcP 1960, 406, 407. 297 Wieacker, Privatrechtsgeschichte der Neuzeit, S. 482. 298 Zu Einzelheiten vgl. stellvertretend Finkenauer, in: MünchKomm BGB, § 313 BGB Rn. 185 ff. 299 So BGH NJW 2012, 526 für eine Wertsicherungsklausel in einem Erbbaurechtsbestellungsvertrag. Vgl. dazu auch Lang/Häcker, Zeitschrift für Immobilienrecht (ZfIR) 2012, 120. 300 BGH NJW 1974, 849. 295

D. Formales versus materiales Verständnis der Vertragsfreiheit

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aus auch die konkreten Einkommens- und Vermögensverhältnisse als relevant ansieht. Für den BGH ist die konkrete Antwort auf die Frage fallentscheidend, ob sich die Darlehensnehmer das Darlehen in materieller Hinsicht leisten konnten. Eingehend wird dabei der Beruf des Klägers als Schneider in abhängiger Stellung und die daraus resultierende begrenzte Einkommenssituation geschildert und berücksichtigt. Diese Umstände dürften bei einer formal verstandenen Konzeption der Vertragsfreiheit keine Rolle spielen; im Dienste der Rechts- und Verkehrssicherheit müsste von diesen Aspekten abstrahiert werden. Für die Gerechtigkeitsperspektive der iustitia distributiva ist die Berücksichtigung dagegen konsequent: die materielle Aufladung der Vertragsfreiheit steht im Einklang mit der Konkretisierung als typisches Kennzeichen der iustitia distributiva. Den Ausführungen des BGH lässt sich deutlich entnehmen, dass es dabei nicht mehr nur um iustitia commutativa sondern um iustitia distributiva geht. Der BGH spricht offen aus: „Eine solche Hinweispflicht gebietet die Redlichkeit vor allem gegenüber unerfahrenen Angehörigen der sozial schwächeren Bevölkerungsschicht, um der Gefahr ihrer finanziellen Überforderung vorzubeugen.“301

Es geht in dieser Entscheidung um mehr als um den Schutz der konkret betroffenen Schneiderfamilie. Die Entscheidung betrifft als potentiell verallgemeinerungsfähige Konkretisierung der objektiven Gerechtigkeitsidee den Schutz aller Menschen, die sich in einer – dem Schneider vergleichbaren – sozialen und ökonomischen Situation befinden. Die Beispiele für die mit der Materialisierung der Vertragsfreiheit verbundene Konkretisierung und deren Affinität zur iustitia distributiva ließen sich unschwer fortsetzen. Geschlossen werden soll hier mit nur einer weiteren Illustrierung. Wenn bei der Vorratsschuld der Vorrat des Schuldners teilweise untergeht, so dass er nach der Rechtsprechung und zutreffenden herrschenden Literaturaufassung dazu berechtigt und verpflichtet ist, seine Gläubiger anteilig zu befriedigen,302 so werden die jeweiligen Verträge nicht mehr in ihrer Abstraktion und Isolation betrachtet.303 Vielmehr wird der konkrete ökonomische Gesamtkontext in die Analyse einbezogen: Die Verträge hängen mit Blick auf die konkrete Leistungsstörung zusammen, die Gläubiger lassen sich auch als eine Art Risikogemeinschaft betrachten. Erst der Blick auf die konkrete Einbettung aller Verträge eröffnet allerdings den Blick für diese Analyse. Die Konkretisierung als Kennzeichen eines materialen Verständnisses der Vertragsfreiheit erhöht die Anzahl potenziell berücksichtigungsfähiger und 301

BGH NJW 1974, 849. RGZ 84, 125, 128 f; 100, 134, 136 f; Gsell, Beschaffungsnotwendigkeit und Leistungspflicht, S. 169 ff. m.w.N.; Emmerich, in: MünchKomm BGB (6. Aufl.), § 243 Rn. 17; Medicus/ Lorenz, Schuldrecht I, § 19 III. 2. a.A.: Emmerich, in: MünchKomm BGB (5. Aufl.), § 243 Rn. 17; Schiemann, in: Staudinger, BGB, § 243 Rz. 20. 303 Näher dazu auch unten, S. 432 ff. 302

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§ 3 Iustitia distributiva und Vertragsfreiheit

-pflichtiger Umstände. Sie ist deshalb notwendig mit Einbußen an Rechtssicherheit und Verkehrsschutz verbunden. Sowohl für die Parteien wie auch für die Entscheidungsträger ist oft nicht vorhersehbar, welche Umstände in welchen Situationen Teil der Konkretisierung werden, von welchen weiterhin abstrahiert werden soll. Zwischen der Konkretisierung und dem Bedürfnis nach Rechtssicherheit besteht daher ein schwieriges Spannungsfeld. Eine häufig anzutreffende Strategie zum Ausgleich dieser Spannung liegt darin, die Konkretisierung auf typisierende Weise vorzunehmen.304 Beispiele dafür sind etwa das Verbraucherrecht oder das soziale Mietrecht. Kerngedanke beider Regelungskomplexe ist, schutzbedürftige Personen in ihren materiellen Freiheitsrechten zu schützen. So wird etwa der konkrete Zweck des Mietvertrages oder des Verbrauchervertrages berücksichtigt. Diese Berücksichtigung ist aber von vornherein begrenzt. Sie geht nur soweit, als erforderlich ist, um zu klären, ob ein bestimmter Typus vorliegt – ob also etwa das soziale Mietrecht anwendbar ist oder die Verbrauchereigenschaft vorliegt. Das Vertragsrecht kristallisiert typische Elemente als abgrenzbare Tatbestände heraus, die zur Annahme eines bestimmten „Typus“ führen, für den besondere Regeln gelten, Regeln, die gerade die konkreten Besonderheiten berücksichtigen, die bei diesem „Typus“ normalerweise vorliegen. Die Schutzbedürftigkeit wird also nicht in jedem Einzelfall konkret festgestellt, sondern bei Vorliegen bestimmter Kriterien unterstellt. Ob ein Verbraucher oder Mieter im konkreten Einzelfall der spezifischen Schutzregeln bedarf, ist unerheblich. Dies nimmt das Recht zugunsten der so erhöhten Rechtssicherheit in Kauf. 3. Vertragsfreiheit als Funktionselement objektiver Gerechtigkeit Die Materialisierung der Vertragsfreiheit führt auch dazu, Vertragsfreiheit als Funktionselement objektiver Gerechtigkeit zu betrachten.305 Die Idee einer im Ausgangspunkt per se nicht hinterfragbaren Selbstgesetzgebung Privater wird so in ihrem Begründungskern hinterfragt. An die Stelle des Schutzes der Vertragsfreiheit der Freiheit wegen tritt der Schutz der Vertragsfreiheit der Gerechtigkeit wegen. Auch die Vertragsfreiheit wird so in ihrer funktionalen Einbettung in der Rechtsordnung analysiert.306 Insbesondere wird die Vertragsfreiheit als gerechtigkeitsförderndes Mittel, nicht aber als Selbstzweck betrachtet. Dieser Materialisierungsgedanke entspricht der Grundthese dieser Arbeit, wonach Ziel und Zweck auch des Vertragsrechts die Verwirklichung objektiver Gerechtigkeit ist. Die Gerechtigkeitsperspektive der iustitia distributiva steht diesem Materialisierungsgedanken nahe. Sie ermöglicht gerade die 304 Dies wird für das Verbrauchervertragsrecht unten noch eingehend geschildert werden, s. unten S. 348 ff. 305 Vgl. Zweigert, in: Festschrift für Max Rheinstein, Band II, Tübingen 1969, S. 493, 503 ff. 306 So deutlich auch schon Raiser, JZ 1958, 1; Röhl, in: Kaulbach/Krawietz (Hrsg.), Recht und Gesellschaft, 1978, S. 441 ff.

D. Formales versus materiales Verständnis der Vertragsfreiheit

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Berücksichtigung auch vertragsfremder Aspekte307 und sie ist für die Realisierung heteronomer Zwecke und Ziele durch das Vertragsrecht offen. Man könnte gegen diese Konzeption einwenden wollen, dass sie ebenso offen für totalitäre Gesellschaftskonzepte ist. Doch ist es ohnehin kaum möglich, mittels der Vertragstheorie solchen Konzepten vorzubeugen. Schutz gegen Totalitarismus bietet vielmehr eine wehrhafte Gesellschaft, die durch Erziehung, Bildung und offene politische Diskurse formiert werden kann. Die Vertragsfreiheit als Funktionselement objektiver Gerechtigkeit zu betrachten, hat auch den Vorzug, gegenüber denkbaren Angriffen auf das der Freiheit zugrunde liegende Konzept der Willensfreiheit weitgehend immun zu sein.308 Der Rechtsfrieden dürfte durch ein materielles Verständnis der Vertragsfreiheit ohnehin gefördert werden, das diese nicht als Selbstzweck sondern als Dienerin der Gerechtigkeit betrachtet. Die Akzeptanz des Vertragsrechts durch die Rechtsunterworfenen ist so eher gewährleistet als im Rahmen einer formalen Konzeption.309 4. Grenzen der Vertragsfreiheit Die mit der Materialisierung der Vertragsfreiheit einhergehende funktionale Analyse der Vertragsfreiheit, die diese nicht mehr als Zweck an sich betrachtet, ist auch mit Blick auf die Grenzen der Vertragsfreiheit realistisch. Diese sind so vielschichtig und umfangreich, dass es kaum mehr überzeugt, sie lediglich als Sicherungsposten zur Gewährung der Bedingungen der Möglichkeit der Vertragsfreiheit zu verstehen.310 Schon im Ausgangspunkt ist die Vertragsfreiheit wesentlich weniger erklärungsmächtig als die königliche Stellung suggeriert, die ihr in der traditionellen Konzeption zugeschrieben wird.311 Dies liegt zunächst an der Lückenhaftigkeit vertraglicher Vereinbarungen. Oft lässt sich diesen nur sehr wenig Konkretes klar entnehmen, sei es, weil die Parteien bestimmte Gesichtspunkte übersehen, sei es, weil sie sich über Manches nicht einigen können. Zu diesem Lückenproblem treten die Schwierigkeiten der Auslegung. § 157 BGB verlangt auch zu berücksichtigen, wie nach Treu und Glauben die Erklärung verstanden werden durfte. So wird der Wille auch in der Form, in der ihn der andere zu erkennen glaubt, zum Maßstab der Auslegung. Der empirisch feststellbare Wille kann dabei eine untergeordnete Rolle spielen.312 Noch deutlicher werden die Grenzen der Erklärungskraft einer als 307

Dazu eingehend oben, S. 156 ff. Vgl. G. Roth, Fühlen, Denken, Handeln, S. 494 ff.; Wegner, The Illusion of Conscious Will; dazu ausführlich unten, S. 249 ff. 309 Dazu schon eingehend oben, S. 236 ff. 310 Dies gilt auch in rechtsvergleichender Hinsicht, vgl. Zweigert, in: Festschrift für Max Rheinstein, Band II, Tübingen 1969, S. 493, 503 ff. 311 S. schon Rehbinder, Stanford Law Review 1971, 941, 949. 312 Vgl. etwa BGH NJW 1965, 387, 388. 308

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§ 3 Iustitia distributiva und Vertragsfreiheit

Selbstgesetzgebung durch Selbstbestimmung verstandenen Vertragsfreiheit bei der ergänzenden Vertragsauslegung. Diese hat letztlich mit einer Selbstbestimmung Privater nichts mehr zu tun.313 Vielmehr entscheidet der Richter nach objektiven Gerechtigkeitskriterien und setzt heteronome Gerechtigkeitsvorstellung durch, die er unter dem Topos der Privatautonomie einführen kann. Diese Aspekte offen anzuerkennen, ist ein Gebot der Methodenehrlichkeit. Bei der ergänzenden Vertragsauslegung geht es nicht mehr um die Ermittlung und Durchsetzung dessen, was die Parteien gewollt haben.314 Es geht vielmehr darum, das durchzusetzen, was der Richter aus übergeordneten Gerechtigkeitsaspekten heraus für gerecht hält. So können die objektiven Gründe vertragsrechtlicher Entscheidungen als solche und offen ausgesprochen werden. Die daraus resultierende offene Entscheidungsbegründung kann insgesamt auch zum Rechtsfrieden beitragen. Der Vertragsfreiheit sind darüber hinaus in der Rechtsordnung viele Grenzen gesetzt.315 Das Recht erkennt also Vertragsfreiheit von vornherein nicht als unbegrenzt per se schutzwürdige Freiheit an. Vielmehr wird der Selbstbestimmung Privater nur in nicht gesondert regulierten Teilbereichen des Lebens ein Entfaltungsspielraum eingeräumt. Dabei geht es nicht nur um die dem BGB immanenten Grenzen etwa der §§ 134, 138, 242 oder 305 ff. BGB. Grenzen der Vertragsfreiheit finden sich auch in vielen Spezialgesetzen. So schränkt etwa die Gebührenordnung für Ärzte freie Preisvereinbarungen weitgehend ein. Diese Ordnung ist als Grenze der Vertragsfreiheit letztlich natürlich nur ein Zahnrad innerhalb eines komplizierten Verteilungsmechanismus im Gesundheitswesen, das Kosten und Einkommen im Bereich von Gesundheitsleistungen zwischen Ärzten, Krankenkassen, privaten und gesetzlich Versicherten verteilt. Dabei stellt ein funktionierendes, effizientes und hochwertiges Gesundheitswesen einen wichtigen Verteilungsmaßstab dar. Eine weitere wichtige Grenze der Vertragsfreiheit wird durch die zahlreichen Kontrahierungszwänge unserer Rechtsordnung begründet.316 a) Grenzen des Freiheitsbegriffs Die traditionelle Konzeption versucht die Vertragsfreiheit als weitgehend formale Idee zu erklären. Verträge sind bindend, weil und soweit sich die Parteien in freier Willensübereinstimmung geeinigt haben. Voraussetzung für die Geltung des Prinzips „stat pro ratione voluntas“ ist der herkömmlichen Konzeption zufolge aber auch, dass die Willensübereinstimmung „frei“ erfolgt ist – also insbesondere weder Zwang noch Drohung noch Täuschung vorliegen. 313

Hart, KritV1986, 211, 225 ff. Hart, KritV1986, 211, 226 f. 315 Vgl. etwa Zweigert, in: Festschrift für Max Rheinstein, Band II, Tübingen 1969, S. 493, 503 ff.; Hönn, Kompensation gestörter Vertragsparität, S. 135 ff. und S. 236 ff. 316 Dazu eingehend unten, S. 411 ff. 314

D. Formales versus materiales Verständnis der Vertragsfreiheit

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Nun lässt sich aber, wie insbesondere Kronman317 herausgearbeitet hat, aus der Kategorie der Freiheit oder Selbstbestimmung selbst schlicht nicht beantworten, wann Freiheit in diesem Sinne vorliegt.318 Vielmehr sind zwingend heteronome Wertungsgesichtspunkte erforderlich, um diese Entscheidung zu ermöglichen.319 Für Canaris kann es „immer nur darum gehen, den Grundsatz pacta sunt servanda für einzelne Störungstatbestände aus besonderen Gründen hintanzusetzen.“320 Aber selbst, wenn man die Begründungslast für eine Einschränkung von „pacta sunt servanda“ mit Canaris demjenigen zuschiebt, der für die Einschränkung plädiert, so impliziert jede Anwendung von „pacta sunt servanda“, dass die Entscheidung gegen das Vorliegen von „Störungstatbeständen“ (in der Terminologie von Canaris) bereits getroffen wurde.321 Schon in erkenntnistheoretischer Sicht lässt sich daher auch die konzeptionelle Idee einer formal verstandenen Vertragsfreiheit nicht ohne vertragsexterne Gesichtspunkte verwirklichen. Die Anwendung von „stat pro ratione voluntas“ setzt bereits die Entscheidung darüber voraus, dass von bestimmten Aspekten oder Kontexten abstrahiert wird, aus denen man die „Unfreiheit“ des Vertragsschlusses hätte folgern können. Offen angesprochen wird diese Abstraktion freilich nur dort, wo Grenzen der Vertragsfreiheit explizit erörtert werden, wenn also etwa auch aus Sicht des Entscheidungsträgers die Anwendbarkeit der §§ 123, 134 oder 138 BGB im Raume steht. Diese Grenzen sind aber Ausdruck der Gerechtigkeitsperspektive der iustitia distributiva, weil die in ihnen zum Ausdruck kommenden Wertungsgesichtspunkte in einer auf das Verhältnis der unmittelbar Beteiligten beschränkten Perspektive nicht vollständig erarbeitet werden können.322 In gewisser Hinsicht zeigt sich auch hier 317

Kronman, Yale Law Journal 1980, 472; zustimmend etwa Auer, Materialisierung, Flexibilisierung, Richterfreiheit, S. 32 f. 318 Insoweit auch zustimmend Canaris, Die Bedeutung der iustitia distributiva im deutschen Vertragsrecht, S. 61. 319 Ähnlich auch Collins, Current Legal Problems 1992, 49. Für Collins ist ein Vertragsrecht undenkbar, dass auf rein prozedural verstandener und ergebnisunabhängiger Gerechtigkeit beruht. Denn auch die Verfahrensregeln der Gerechtigkeit konstituieren sich Collins zufolge inhaltlich in Abhängigkeit davon, wie stark die diese Regeln bestimmenden Diskursteilnehmer risikobereit sind. Zu Collins eingehend S. 264 ff. 320 Canaris, Die Bedeutung der iustitia distributiva im deutschen Vertragsrecht, S. 56, Fn. 108 (Kursivdruck im Original). 321 Eingehend dazu schon oben, S. 143, S. 149 ff. sowie S. 172 ff. Canaris kritisiert Kronman auch wegen des von ihm gewählten Zentralbegriffs des advantage taking, das stets rechtfertigungsbedürftig sei, vgl. Canaris, Die Bedeutung der iustitia distributiva im deutschen Vertragsrecht, S. 56, Fn. 108 sowie S. 60 ff.; ähnlich Lucy, Oxford Journal of Legal Studies 1989, 132, 143 ff.; die von Canaris gewählte Übersetzung Übervorteilung dürfte allerdings einen stärkeren pejorativen Einschlag besitzen, vor dem sich Kronman explizit verwahrt, vgl. Kronman, Yale Law Journal 1980, 472, 480. Der erkenntnistheoretische Vorrang distributiver Aspekte bleibt aber unabhängig davon bestehen. 322 Dazu oben, S. 172 ff. Anders Canaris, Die Bedeutung der iustitia distributiva im deutschen Vertragsrecht, S. 62, der Zwang, Drohung und Täuschung als klassische Beispiele der iustitia commutativa betrachtet.

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der erkenntnistheoretische Vorrang der Perspektive der iustitia distributiva:323 Ohne vertragsexterne, heteronome Wertungen lässt sich keine Entscheidung darüber denken, dass das Prinzip der Selbstbestimmung durch Selbstgesetzgebung eingreifen soll. Wenn nur die freie Entscheidung zur Vertragsbindung führt, müssen heteronome Kriterien herangezogen werden, um über die Freiheit des Vertragsschlusses zu entscheidend. Das Recht rechnet den Privatrechtssubjekten unter Anwendung dieser Kriterien Entschlüsse als frei zu. Dadurch wird aber ein ausschließlich formales Konzept der Vertragsfreiheit erkenntnistheoretisch unmöglich, da materielle Konzepte zur Entscheidung über den Anwendungsbereich der Vertragsfreiheit zwingend erforderlich sind. Dieser Aspekt tritt letztlich auch bei der zum Teil heftig geführten Diskussion über möglicher Weise sittenwidrige Bürgschaftsverträge (§ 138 BGB) zutage. In dieser Diskussion prallen unterschiedliche Konzeptionen von Freiheit aufeinander. Dabei geht es letztlich um Fragen, die nur aus der Perspektive der iustitia distributiva heraus beantwortet werden können. Man mag zwar in § 138 BGB eine Bestimmung zum Schutz der freien Willensbestimmung erblicken.324 Die Natur dieser Bestimmung ist damit aber noch nicht ausreichend skizziert; denn entscheidend ist, in welcher Form die freie Willensbestimmung gesichert werden soll. Darüber können aber letztlich nur externe Kriterien Auskunft geben. Maßgeblich sind dabei Fragen, die rechtspolitischer Natur sind: Soll die strukturell unterlegene Partei in dieser oder jenen Situation geschützt werden? Soll das Vertragsrecht Banken sanktionieren, die wichtige Informationen vorenthalten oder Risiken herunterspielen? Ist gesellschaftspolitisch eine Kreditsicherungspraxis erwünscht, in der altruistisch handelnde Angehörige ausgenützt werden? Soll unsere Rechtsordnung in Kauf nehmen, dass bestimmte Geschäftsprojekte nicht mehr realisiert werden können, weil die Gefahr unwirksamer Bürgschaftsverträge Banken von der Kreditvergabe abhalten wird? All diese Fragen lassen sich letztlich nur unter heteronomen Gesichtspunkten beantworten. Weder eine formale Idee der Vertragsfreiheit noch die Idee privater Selbstbestimmung helfen dabei weiter. Das bedeutet allerdings keinen Abschied von der Idee der Freiheit: Soweit Einigkeit über die Freiheit des Vertragsschlusses herrscht oder hergestellt wurde, kann das Prinzip der Vertragsfreiheit auch in formaler Ausprägung zum Tragen kommen. b) Die Brüchigkeit des bipolaren Paradigmas: Vertragsfreiheit und Drittinteressen Eine Materialisierung der Vertragsfreiheit verlangt nach einer Perspektive, die über den bipolaren Austauschvertrag hinausblickt. Wenn auch die Vertrags323

Oben, S. 172 ff. So etwa Canaris, Die Bedeutung der iustitia distributiva im deutschen Vertragsrecht, S. 51 f. 324

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freiheit als Gerechtigkeit verwirklichendes Instrument gilt, ist eine auf das bipolare Verhältnis beschränkte Analyse unvollständig. Denn der Gerechtigkeitswert von Verträgen kann sich auch aus den Wirkungen ergeben, die Verträge auf nicht unmittelbar Beteiligte haben.325 So wird die Berücksichtigung von Drittinteressen in einer materialen Analyse der Vertragsfreiheit zur Notwendigkeit.326 Dies steht wiederum in auffälliger Nähe zur Gerechtigkeitsperspektive der iustitia distributiva. Denn diese zeichnet sich gerade dadurch aus, dass die Gerechtigkeitsanalyse über das Verhältnis der unmittelbar beteiligten Vertragsparteien hinausreicht. c) Die Brüchigkeit des Autonomiebegriffs: Entscheidungsfreiheit und Determinismus in den Neurowissenschaften Das traditionelle Konzept einer weitgehend formal verstandenen Vertragsfreiheit beruht auf einer starken Prämisse der Willensfreiheit. Wenn Vertragsfreiheit als formale Selbstgesetzgebung Privater nach ihrem Willen gilt, liegt der fundamentale Geltungsgrund vertraglicher Pflichten in der Willensfreiheit des Menschen.327 Deutlich bringt dies in jüngerer Zeit Weller zum Ausdruck: „Die Vertragsfreiheit baut auf der vorrechtlichen Grundfähigkeit des Menschen zur Selbstbestimmung bzw. Willensfreiheit auf.“328 Diese Grundlegung scheint die klassische Konzeption aber angreifbar zu machen. Der Vertragsfreiheit könnte ihre legitimationstheoretische Grundlage entzogen sein, wenn Menschen gar keine Willensfreiheit zukommt. Solche Angriffe auf die Willensfreiheit sind in jüngerer Zeit insbesondere von Neurowissenschaftlern geführt worden.329 Der Fokus dieser Angriffe liegt freilich nicht auf dem zivilen Vertragsrecht, sondern vielmehr auf dem Strafrecht:330 Soweit dessen Schuldprinzip auf dem Gedanken individueller Verantwortlichkeit des Einzelnen beruht, wird die Grundlage der Strafe zweifelhaft, wenn die freie Entscheidung des Täters als Illusion entlarvt wird, und die Straftat vielmehr naturwissenschaftlich determiniert erscheint. Im Privatrecht wird der Diskussion um die Willensfreiheit dagegen noch wenig Aufmerksamkeit ge-

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Martens, AcP 1977, 113, 124 ff.; Habersack, Vertragsfreiheit und Drittinteressen, S. 17 ff. Vgl. Martens, AcP 1977, 113; Habersack, Vertragsfreiheit und Drittinteressen. 327 Vgl. etwa M. Wolf, Rechtsgeschäftliche Entscheidungsfreiheit und vertraglicher Interessenausgleich, S. 25: „Der Wille der Parteien wird damit zum bestimmenden Element der vertraglichen Beziehungen.“. 328 Weller, Die Vertragstreue, S. 156. 329 Stellvertretend G. Roth, Fühlen, Denken, Handeln, S. 494 ff.; Singer, in: Rosenzweig (Hrsg.), Nicht wahr?!, 2009, S. 233; Wegner, The Illusion of Conscious Will. 330 Stellvertretend G. Roth, Fühlen, Denken, Handeln, S. 536; ders., in: Roth/Grün (Hrsg.), Das Gehirn und seine Freiheit, S. 9; Markowitsch, Psychologische Rundschau 2004, 163. Zur Funktion des Schuldprinzips in einem präventiv verstandenen Strafrecht grundlegend Schünemann, in: Schünemann (Hrsg.), Grundfragen des modernen Strafrechtssystems, 1984, S. 153 sowie Schünemann, in: Dölling (Hrsg.), Jus humanum, 2003, S. 537. 326

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schenkt, was sich unter anderem mit der Herrschaft objektiver Sorgfaltsmaßstäbe erklären lässt.331 Für Vertragstheorien, die die Vertragsfreiheit als Privatautonomie auf den freien Willen des Menschen stützt, scheinen Theorien aber in gleicher Weise bedrohlich, die der Rede von der Willensfreiheit eine Absage erteilen.332 Grundlage dieser willensskeptischen Positionen sind empirische Befunde aus einer Vielzahl von Studien, die den freien Willen als bloße Illusion des Menschen enttarnen sollen. Besondere Berühmtheit haben dabei die Libet-Experimente erlangt, die bei einfachen Handlungen (simple Schnippbewegung oder Beugung des Handgelenks) das zeitliche Verhältnis der neuronalen Auslösung menschlicher Handlungen zu Handlungsbewusstsein und Handlungsabsicht des Handelnden untersuchten.333 Später wurden diese Experimente zum Teil mit Blick auf komplexere Handlungen (unter anderem Drücken einer linken oder einer rechten Taste) und unter verfeinerten Bedingungen wiederholt und bestätigt.334 Im Kern lassen sich die Ergebnisse dahingehend zusammenfassen, dass die neuronalen Auslöser menschlicher Handlungen zeitlich vor dem Zeitpunkt erfolgen, zu dem der Handelnde ein Handlungsbewusstsein oder eine Handlungsabsicht entwickelt. Das Gehirn scheint also schon entschieden zu haben, bevor ein Willensakt auftritt.335 Wolf Singer zieht daraus die Schlussfolgerung: „Wir sollten aufhören, von Freiheit zu reden.“336 Die Diskussion um die Tragfähigkeit dieser Überlegungen kann hier nicht in ihrer vollen Breite dargestellt werden. Für die Willensfreiheit in ihrer Funktion als Grundlage der Vertragsfreiheit ist aber in letzter Konsequenz die Bedrohung aus den skizzierten neurobiologischen Befunden eher gering.337 Dies liegt zunächst daran, dass selbst dann, wenn Handlungen in ihrer Kausalität neural determiniert sind, Willensfreiheit jedenfalls dann denkbar bleibt, wenn man auf dem Standpunkt des Kompatibilismus steht:338 Danach sind Determi331 Vgl. Laufs, MedR 2011, 1, 4 ff.; s. aber Mankowski, AcP 2011, 153; frühe Auseinandersetzungen etwa bei Pawlowski, Rechtsgeschäftliche Folgen nichtiger Willenserklärungen; Waldstein, in: Strasser/Schwimann/Hoyer (Hrsg.), Festschrift Fritz Schwind zum 65. Geburtstag, 1978, S. 329. 332 So etwa G. Roth, Fühlen, Denken, Handeln, S. 504 ff.; Wegner, The Illusion of Conscious Will. 333 Libet, Mind Time, S. 159 ff. Ausführlicher Überblick über weiter Studien bei Wegner, The Illusion of Conscious Will, sowie bei Rösler, in: Köchy/Stederoth (Hrsg.), Willensfreiheit als interdisziplinäres Problem, 2006, S. 165; Überblick und Kritik auch bei Mankowski, AcP 211 (2011), 153, 160 ff. 334 Haggard/Eimer, On the Relation between Brain Potentials and the Awareness of Voluntary Movements; dazu etwa G. Roth, Fühlen, Denken, Handeln, 2003, S. 521 ff. 335 Vgl. G. Roth, Fühlen, Denken, Handeln, S. 523. 336 Singer, Ein neues Menschenbild?, S. 12. 337 So generell auch etwa Pauen, in: Rosenzweig (Hrsg.), Nicht wahr?!, 2009, S. 209; Kling, Sprachrisiken im Privatrechtsverkehr, S. 191 f.; Mankowski, AcP 2011, 153. 338 Walde, in: Köchy/Stederoth (Hrsg.), Willensfreiheit als interdisziplinäres Problem, 2006, S. 305; Beckermann, in: Köchy/Stederoth (Hrsg.), Willensfreiheit als interdisziplinäres Problem,

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nismus und Willensfreiheit keineswegs kontradiktorische Gegensätze. Vielmehr ist Willensfreiheit auch denkbar, obwohl unser Leben und Tun auch von etlichen Faktoren (etwa unserem inneren und äußeren Milieu) determiniert ist.339 Zudem besteht ein erkenntnistheoretischer Einwand gegen die aus der Hirnforschung gezogenen Konsequenzen für die Willensfreiheit: Neurowissenschaftlich kann von vornherein nur der Zugriff auf empirisch Greifbares gelingen. Die Willensfreiheit als Grundlage der Vertragsfreiheit ist aber ein metaphysisches Konzept, das sich einem empirischen Zugriff von vornherein entzieht. Empirisch lässt sich das Konzept der Willensfreiheit als Grundlage der Vertragsfreiheit weder nachweisen noch widerlegen. Letztlich setzt die jüngere Debatte nur die fundamentale Frage fort, inwieweit der Mensch frei oder determiniert ist. Trotz der beeindruckenden Fortschritte der Hirnwissenschaften kann auch die detaillierteste Analyse neuraler, physikalischer und chemischer Vorgänge im menschlichen Gehirn den Standpunkt der Willensfreiheit nicht ausschließen. Selbst wenn die Willensfreiheit als tatsächliches Phänomen nicht nachweisbar existiert, so können wir uns dennoch frei denken. Dies zeigt sich schon daran, dass wir jeden Tag eine Vielzahl von Entscheidungen treffen, die wir uns als mehr oder weniger freie Entscheidungen zuschreiben.340 Dass wir dabei ganz wesentlich von unseren bisherigen Lebenserfahrungen, unseren Wünschen und Zielen geleitet werden,341 ändert an der Autonomie unserer Entscheidungen nichts.342 Die Naturwissenschaften können Freiheit als metaphysisches Konzept von vornherein nicht ausschließen. Auch die Vertragstheorie kann sich deshalb weiterhin auf den Standpunkt der Freiheit stellen und die Willensfreiheit zur Grundlage der Vertragsfreiheit und des bürgerlichen Rechts erklären.343 Für diesen Standpunkt sprechen auch durchaus pragmatische Gründe. Wir Menschen betrachten uns überwiegend als frei, wir schreiben uns Autonomie und Willensfreiheit zu. 339 2006, S. 289; an der Heiden, in: Köchy/Stederoth (Hrsg.), Willensfreiheit als interdisziplinäres Problem, 2006, S. 319; Pauen, in: Rosenzweig (Hrsg.), Nicht wahr?!, 2009, S. 209; skeptisch allerdings Grün, in: Roth/Grün (Hrsg.), Das Gehirn und seine Freiheit, 2006, S. 89. 339 Dazu eingehend Walde, in: Köchy/Stederoth (Hrsg.), Willensfreiheit als interdisziplinäres Problem, 2006, S. 305; vgl. auch Walter, Psychologische Rundschau 2004, 169, 174 ff. und Goschke, Psychologische Rundschau 2004, 186. 340 Vgl. Walde, in: Köchy/Stederoth (Hrsg.), Willensfreiheit als interdisziplinäres Problem, 2006, S. 305, 316. 341 Zu neuropsychologischen Fallstudien, die die Mächtigkeit dieser Determinanten illustrieren vgl. etwa Markowitsch, Psychologische Rundschau 2004, 163, 165 ff.; Stephan/Willmann, in: Köchy/Stederoth (Hrsg.), Willensfreiheit als interdisziplinäres Problem, 2006, S. 53 ff.; s. auch Goschke, in: Roth/Grün (Hrsg.), Das Gehirn und seine Freiheit, 2006, S. 108; zur molekularen Ebene Hucho, in: Köchy/Stederoth (Hrsg.), Willensfreiheit als interdisziplinäres Problem, 2006, S. 39. 342 S. etwa Nida-Rümelin/Singer, in: Bonhoeffer/Gruss (Hrsg.), Zukunft Gehirn, 2011, S. 255 f. und S. 270 ff. 343 Vgl. etwa Thorhauer, in: Roth/Grün (Hrsg.), Das Gehirn und seine Freiheit, 2006, S. 67, S. 77 ff.

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Diese Wahrnehmung der Menschen steht zu naturwissenschaftlichen Erkenntnissen auch nicht im Widerspruch.344 Und es entspricht diesem Selbstverständnis, Autonomie und Willensfreiheit auch zur Grundlage des Vertragsrechts zu machen. Ein caveat bleibt freilich einzufügen. Wenn es einer Theorie der Vertragsfreiheit gelingt, die Möglichkeit zu integrieren, dass Willensfreiheit eine Illusion ist, kann ihre Erklärungskraft und Durchsetzungskraft erhöht sein. Denn sie kann Autorität auch für diejenigen entfalten, die mit den physikalisch-reduktiven skeptischen Stimmen der jüngeren Zeit einen Determinismus für richtig halten, der mit der Idee der Freiheit unvereinbar – also nicht-kompatibilistisch – ist.345 d) Grenzen der Selbstregulierungsfähigkeit durch Vertragsfreiheit Die Idee einer durch den Mechanismus des Vertragsschlusses gewährten Richtigkeitsgewähr oder Richtigkeitschance stößt an ihre Grenzen, wenn Vertragsinhalte objektiv ungerechte Inhalte aufweisen. Dies scheint mit Blick auf die Rechtspraxis naheliegend zu sein. Ein gleichberechtigtes Geben und Nehmen dürfte in der gelebten Vertragswelt vergleichsweise selten sein; ebenso wenig lässt sich – selbst unter der Prämisse eines funktionsfähigen Informationsmodells – oft nicht annehmen, dass Parteien wirklich auf gleicher Augenhöhe stehen.346 Nur unter diesen Voraussetzungen würde aber materielle Richtigkeit entstehen können. Der vollständige Verzicht auf das Erfordernis eines inhaltlich gerechten Vertrages überschätzt letztlich die Leistungsfähigkeit eines formal verstandenen Konsensprinzips. Die materiale Betrachtung der Vertragsfreiheit eröffnet dagegen den Blick für die regulative Ordnungsaufgabe des Vertragsrechts. Nicht qua Freiheit gelten Verträge, sondern weil sie bestimmte soziale oder ökonomische Steuerungsaufgaben erfüllen. Dabei bleibt freilich eine wichtige Abwägungsaufgabe bestehen. Die durch stärkere materielle Richtigkeit der Vertragsergebnisse gewonnenen Gewinne an objektiver Gerechtigkeit können mit Einbußen an Rechtssicherheit erkauft sein. Da auch die Idee des Vertragsrechts die Gerechtigkeit ist, kann eine materiale Ergänzung von Vertragsinhalten auch als Ausdruck der iustitia distributiva erforderlich werden. In die von Schmidt-Rimpler vertretene Theorie lassen sich solche Ergänzungen konzeptuell einfügen: Autonomie und Vertragsfreiheit sind in ihr ja nur mittelbar schutzwürdig, weil und soweit sie zu richtigen Ergebnissen führen. Die Logik dieser Lehre berücksichtigt also die Notwendigkeit, Vertragsfreiheit dort zu ergänzen, wo ungerechte Vertragsinhalte wahrscheinlich sind. Gegen diesen Gedanken der Richtigkeitsgewähr ist vorgebracht worden, dass die Vertragsgerechtigkeit kein materiales Funktions344 Pauen, in: Rosenzweig (Hrsg.), Nicht wahr?!, 2009, S. 209; anders: Singer, in: Rosenzweig (Hrsg.), Nicht wahr?!, 2009, S. 233. 345 Dazu unten, S. 259 ff. 346 S. auch Raiser, JZ 1958, 1, 2 ff.

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prinzip sei, das die Selbstbestimmung ersetzen könne.347 Neuner zufolge gäbe es für Dritte keine Legitimation, privatautonome Vereinbarungen auf ihre inhaltliche Richtigkeit zu prüfen, solange die Beteiligten „sich an die Vorgaben der Rechtsordnung halten und nicht gegen übergeordnete Menschenrechte sowie Kollektivgüter verstoßen“.348 An der Legitimation der Gerichte, privatautonome Vereinbarungen inhaltlich zu überprüfen, kann aber kaum ein Zweifel bestehen. Selbstverständlich müssen und dürfen Gerichte die Wahrung der Grenzen der Vertragsfreiheit prüfen, also etwa die §§ 134 oder 138 BGB. Dies scheint auch bei Neuner letztlich nicht in Zweifel gezogen zu sein. Denn auch seiner Forderung nach müssen Gerichte doch immerhin „die Vorgaben der Rechtsordnung“ prüfen sowie mögliche Verstöße gegen „übergeordnete Menschenrechte sowie Kollektivgüter“.349 Weil das Ziel auch des Vertragsrechts die Gerechtigkeit ist, findet auch eine Gerechtigkeitskontrolle durch die Gerichte statt. Selbstverständlich bedeutet dies keinesfalls eine freie Inhaltskontrolle von Verträgen durch die Gerichte. Die Konkretisierung der objektiven Gerechtigkeitsidee obliegt in erster Linie der Gesetzgebung, die auch das Bedürfnis nach Rechts- und Verkehrssicherheit berücksichtigen muss. Letzteres wäre durch eine freie Inhaltskontrolle gefährdet. Das Ausmaß der Inhaltskontrolle ist dementsprechend durch die gesetzlich formulierten Grenzen der Vertragsfreiheit bestimmt. In der richterrechtlichen Konkretisierung und Fortbildung sind die Gerichte wiederum den Regeln der Auslegung und Rechtsfortbildung unterworfen. Auf diese Weise lässt sich auch im Rahmen einer materialen Analyse der Vertragsfreiheit berücksichtigen, dass das Recht die konkreten Gerechtigkeitsvorstellungen der Parteien grundsätzlich anerkennen muss, die sich in ihren Vereinbarungen widerspiegeln können.350 5. Staat und Recht in einer material geprägten Vertragsordnung In einer material geprägten Vertragsrechtsordnung gehen die Funktionen von Staat und Recht weit über das freiheitlich-liberale Paradigma hinaus. Der Staat garantiert nicht lediglich die Geltung des frei bestimmten Vertragsinhaltes.351 Das Recht setzt nicht bloß einen äußeren, prozedural erklärbaren Rahmen für die inhaltlich freie Ausgestaltung durch die Privatrechtssubjekte. Vielmehr sind Staat und Recht in einem material aufgeladenen Konzept der Vertragsfreiheit unverzichtbare Mittel zur Verwirklichung objektiver Gerechtigkeit. Der Staat darf und soll eine aktive Rolle in der Bewertung und Bestimmung von 347

Neuner, Privatrecht und Sozialstaat, S. 222; Cziupka, Dispositives Vertragsrecht, S. 99 ff. Neuner, Privatrecht und Sozialstaat, S. 222. 349 Neuner, a.a.O., S. 222. 350 So die Forderung Neuners auf Grundlage eines prozeduralen Verständnisses der Vertragsfreiheit, vgl. Neuner, Privatrecht und Sozialstaat, S. 223; aus ökonomischer Sicht etwa Cziupka, Dispositives Vertragsrecht, S. 290 f. 351 S. auch Röhl, in: Kaulbach/Krawietz (Hrsg.), Recht und Gesellschaft, 1978, S. 441 ff. 348

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Inhalten und Zielen einnehmen. Wenn privatautonomer Inhalt gilt, weil oder soweit er gerecht ist, nicht aber schon deshalb, weil er privatautonom gesetzt ist, liegt die Legitimation dieser aktiven Rolle in der objektiven Gerechtigkeit als Idee auch des Vertragsrechts. Von dieser Warte aus wird die verteilende Funktion staatlichen Handelns auf dem Gebiet des Vertragsrechts als Notwendigkeit akzeptiert. Die Frage ist in dieser Perspektive nicht, ob überhaupt eine Verteilung durch den Staat erfolgt, sondern nur noch, durch welche Mittel, nach welchen Maßstäben und in welche Richtung die Verteilung erfolgt bzw. erfolgen soll. Die aktive Rolle von Staat und Recht könnte den Einwand hervorrufen, ein materiales Konzept der Vertragsfreiheit trage die Gefahr des Totalitarismus in sich, der Entstehung einer Gesellschaftsordnung, in der individuelle Präferenzen nichts zählen und ein starker Staat ohne Rücksicht auf die Bedürfnisse des Einzelnen das durchsetzt, was die maßgeblichen Funktionäre des Staates für gerecht halten. Dieser Einwand ist aber nicht durchschlagend. Individuelle Präferenzen und Bedürfnisse sind auch auf dem Boden einer materialen Theorie der Vertragsfreiheit als herausragende Parameter zur Bestimmung des objektiv Gerechten maßgeblich zu berücksichtigen. Die zur Bestimmung des objektiv Gerechten erforderlichen Wertungen lassen sich vor allem auch auf dem Boden der klassischen, formalen Konzeption nicht vermeiden. Die Verteilungseffekte und die Relevanz materialer, objektiver Wertungen ist unvermeidbar. In der klassischen Konzeption der Vertragsfreiheit sind diese lediglich in den Geltungsbedingungen der Vertragsfreiheit, in den „Bedingungen der Möglichkeit von Freiheit“ versteckt. Auch in diesem dogmatischen Rahmen wären sie für eine totalitäre Aufladung ebenso zugänglich wie im Rahmen einer materialen Theorie, die diese Wertungen offen ausspricht. Man könnte mit Blick auf die Funktionsgebundenheit von Staat und Recht auch einwenden wollen, dass die Idee objektiver Gerechtigkeit als Ziel des Vertragsrechts illusorisch ist. In der Tat scheint es auf den ersten Blick wegen unvermeidbar ungerechter Ergebnisse der positiven Rechtsordnung gänzlich unmöglich zu sein, der objektiven Gerechtigkeit nahe zu kommen. Soll man wirklich Staat und Recht die Verwirklichung von etwas Unmöglichem zur Pflicht machen? Auch dieser Einwand greift letztlich nicht durch. Die Idee der Gerechtigkeit ist ein Ideal, das nie vollständig erreicht werden kann.352 Die maßgeblichen Akteure auch des Vertragsrechts an dieses Ideal als Ziel ihres Handelns zu binden, hat gleichwohl einen wichtigen Zweck. Die Anerkennung des Vertragsrechts durch die Privatrechtssubjekte wird gestärkt, wenn die Privatrechtssubjekte das Vertragsrecht als Materie wahrnehmen können, deren Idee die Verwirklichung objektiver Gerechtigkeit ist.353 Dies betrifft die Wahrnehmung 352

Dazu eingehend oben, S. 11 ff. Dazu näher oben, S. 15 ff. S. auch Braun, Rechtsphilosophie im 20. Jahrhundert, S. 320; aus diskurstheoretischer Sicht dazu Alexy, Theorie der juristischen Argumentation, S. 399 ff. 353

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rechtlicher Normen ebenso wie die Begegnung mit öffentlicher Gewalt zur Durchsetzung des Vertragsrechts. 6. Verallgemeinerung als Paradigma material verstandener Vertragsfreiheit Ein materiales Verständnis der Vertragsfreiheit löst sich von dem Paradigma des bipolaren Austauschvertrages, das die rechtliche Analyse im Grundsatz auf das Verhältnis der unmittelbar am Vertrag beteiligten Personen konzentriert und beschränkt. Zum Paradigma der Vertragsfreiheit wird vielmehr ein Prinzip der Verallgemeinerung, wonach zur Entscheidungsgrundlage auch die Wirkungen gehören, die sich erst aus einer hypothetischen Verallgemeinerung der konkreten Sachverhalte und Rechtsfragen ergeben und die nicht nur die unmittelbar Beteiligten betreffen, sondern auch andere Privatrechtssubjekte. Die Frage ist also nicht allein, was zwischen den Parteien gerecht ist. Die Frage ist vielmehr auch, was gerecht ist, wenn die zu entscheidenden Sachverhalte in einer Vielzahl weiterer Fälle auftreten würden und wenn die über das einzelne Verhältnis hinausgehenden Steuerungswirkungen der Regel berücksichtigt werden. Insofern wird die iustitia distributiva zur natürlichen Gerechtigkeitsperspektive auch des Vertragsrechts. Die Notwendigkeit einer verallgemeinernden Analyse wird besonders augenfällig, wenn der Präventionsgedanke im Vertragsrecht aufscheint.354 Mit der Prävention ist stets die Verhinderung eines bestimmten Verhaltens in der Zukunft anvisiert. Damit stellt das Recht in Rechnung, dass es künftig gleichgelagerte Sachverhalte geben kann, mit Blick auf die es die in Zukunft potentiell Beteiligten zu einem bestimmten Verhalten anhalten möchte. Der Verallgemeinerungsgedanke ist notwendige Voraussetzung für eine funktionale Analyse des Vertragsrechts, das diesem die aktive Verwirklichung der objektiven Gerechtigkeitsidee zuschreibt. Die konkrete Ausgestaltung des Vertragsrechts hängt dabei auch von politischen Wertungen ab. Auch dies lässt sich besonders deutlich ersehen, wenn der Präventionsgedanke im Raum steht: Welches Verhalten in künftigen Sachverhalten als unerwünscht verhindert werden soll, hängt auch ganz entscheidend von politischen Wertungen ab.355 Insofern bestätigt eine materiale Theorie der Vertragsfreiheit eine der zentralen Thesen Wiethölters, wonach das gesamte Privatrecht, also auch das Vertragsrecht, letztlich politisches Recht ist.356 7. Materialisierung prozeduraler Grenzen Eine materiale Konzeption der Vertragsfreiheit versteht Grenzen der Vertragsfreiheit als objektive materielle Grenzen mit eigenständiger funktionaler 354

S. dazu unten, S. 391 ff. Vgl. dazu etwa unten, S. 312 ff. 356 Vgl. grundlegend Wiethölter, in: Coing (Hrsg.), Wirtschaftsordnung und Rechtsordnung, 1965, S. 41. 355

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Bedeutung. Sie löst sich insofern von der klassischen Konzeption, als diese nicht lediglich prozedural im Sinne der Sicherung der Bedingungen von Freiheit verstanden und erklärt werden. Materialisierung ist insofern nicht in das Prinzip der Vertragsfreiheit integriert, sondern steht gleichberechtigt – ergänzend und beschränkend – neben der Vertragsfreiheit. Insofern beschränkt eine materiale Konzeption der Vertragsfreiheit auch die Idee der freien Selbstverwirklichung rational und autonom entscheidender Individuen. Der Gedanke einer Richtigkeitsgewähr durch den Mechanismus des Vertragsschlusses steht dieser Konzeption nahe, wenn man mit dem Ausgangspunkt Schmidt-Rimplers die objektive Richtigkeit der Vertragsinhalte als Ziel betrachtet. Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang auch M. Wolfs Theorie materieller Entscheidungsfreiheit als Grundlage vertraglicher Bindung.357 Er betrachtet weder eine formal verstandene Konzeption der Vertragsfreiheit noch die Vertragsgerechtigkeit als Selbstzweck. Für M. Wolf geht es bei der Vertragsfreiheit vielmehr darum, den Privatrechtssubjekten Entscheidungen zu ermöglichen, die nicht nur fiktiv, sondern tatsächlich in materieller Hinsicht eigenverantwortlich und selbstbestimmt sind.358 Vertragsfreiheit wird damit zum „Institut zur Sicherung und Ermöglichung der beiderseitigen Selbstbestimmung“.359 M. Wolf nimmt insofern die in der traditionellen Konzeption oft allenfalls noch fiktiv erklärliche Idee der Entscheidungsfreiheit ernst und interpretiert sie materiell im Sinne tatsächlicher Freiheit. Materielle Entscheidungsfreiheit der Vertragsschließenden wird für M. Wolf konsequentermaßen zu einer Wirksamkeitsvoraussetzung des Rechtsgeschäfts.360 Nur, wenn die tatsächlichen Voraussetzungen einer in materieller Hinsicht freier Selbstbestimmung gegeben sind, kann der von den Vertragsparteien vereinbarte Interessenausgleich anerkannt werden.361 Die Theorie Wolfs ermöglicht im Einklang mit der Gerechtigkeitsperspektive der iustitia distributiva eine Konkretisierung des Vertragsrechts, eine Berücksichtigung etwa auch sozialer und ökonomischer Umstände des Vertragsschlusses oder der materiellen Bedürfnisstruktur, die den Vertrag begleiten. Insofern steht der Ansatz Wolfs einer materialen Analyse der Vertragsfreiheit362 und der iustitia distributiva durchaus nahe. Zugleich versucht Wolf, das in der klassischen Konzeption postulierte Fundament des Vertragsrechts ernst zu nehmen: Entscheidungsfreiheit wird bei ihm nicht als formale Hülse interpretiert, sondern als materielle Wirksamkeitsbedingung des Vertrages. In der Literatur wurde die Theorie 357 M. Wolf, Rechtsgeschäftliche Entscheidungsfreiheit und vertraglicher Interessenausgleich, insbes. S. 59 ff., zusammenfassend S. 292 ff. 358 M. Wolf, a.a.O., S. 59 f. und passim, zusammenfassend S. 293. 359 M. Wolf, a.a.O., S. 60. 360 M. Wolf, a.a.O., S. 111 ff. 361 M. Wolf, a.a.O., S. 123 ff. sowie S. 293. 362 Positiv daher auch die Aufnahme etwa bei Lüderitz, JZ 1972, 222; Kramer, Die „Krise“ des liberalen Vertragsdenkens, S. 58 f.

D. Formales versus materiales Verständnis der Vertragsfreiheit

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Wolfs aber zum Teil auch kritisiert.363 Die Kritik nimmt ihren Ausgangspunkt insbesondere bei der Rechtssicherheit und ist im Ansatz nachvollziehbar. Wenn jeder Vertragsschluss nur bei materieller Entscheidungsfreiheit wirksam ist, müssen Gerichte jeden zur Beurteilung stehenden Vertrag zumindest potentiell darauf untersuchen, ob die Parteien materiell entscheidungsfrei waren oder nicht.364 Das Ergebnis der Prüfung steht nicht von vornherein fest, mag man auch versuchen, Unsicherheit durch Vermutungsregeln oder ähnlichem zu mindern. Aus Sicht der Parteien bedeutet dies schon im Vorfeld Ungewissheit darüber, ob die von ihnen geschlossenen Verträge die intendierten Wirkungen entfalten können und gegebenenfalls einer gerichtlichen Kontrolle standhalten werden. Dazu gesellt sich die Schwierigkeit, das Erfordernis materieller Entscheidungsfreiheit inhaltlich zu konkretisieren.365 Daneben lässt sich mit Blick auf die Bedeutung der iustitia distributiva im Vertragsrecht ein weiterer Einwand gegen Wolfs Theorie der materiellen Entscheidungsfreiheit formulieren. Für die Entscheidung darüber, ob rechtsgeschäftliche Entscheidungsfreiheit tatsächlich vorliegt, müssen wiederum Kriterien angegeben werden, die ihrerseits nicht mit dem psychologischen Phänomen der Entscheidungsfreiheit erklärt werden können: Ob etwa die Drohung meines Vertragspartners meine Entscheidungsfreiheit materiell beeinträchtigt, hängt auch davon ab, wie ich sein Verhalten beurteile, welche Interessen er und ich haben und vielem mehr. Dies hat für die materielle Entscheidungsfreiheit die Konsequenz, die mit Blick auf die formale Konzeption der Vertragsfreiheit schon für das Vorliegen der Funktionsbedingungen eines freien Vertragsschlusses zu ziehen war: Die Entscheidung über ihr Vorliegen lässt sich nicht treffen, ohne dass externe Maßstäbe und Kriterien als Entscheidungsgrundlage herangezogen werden. Deshalb ist Neuner zwar insoweit zuzustimmen, als der Schutz vor externer Beeinträchtigung der Entscheidungsfreiheit „keine soziale Umverteilung“ darstellt.366 Denn die Verteilung wird nicht nach Maßstäben sozialer Gerechtigkeit vorgenommen. Das bedeutet aber nicht, dass dieser Schutz der iustitia commutativa zuzuordnen ist.367 Vielmehr geht es um eine auf 363 Singer, Selbstbestimmung und Verkehrsschutz im Recht der Willenserklärungen, S. 18 ff.; Neuner, Privatrecht und Sozialstaat, S. 220; Heinrich, Formale Freiheit und materiale Gerechtigkeit, S. 193 ff. 364 Kritisch unter diesem Aspekt etwa Fikentscher, in: Möhring/Ulmer/Wilde (Hrsg.), Neue Entwicklungen im Wettbewerbs- und Warenzeichenrecht, 1971, S. 41, 49. Kramer hält den darauf beruhenden Einwand freilich nicht für stichhaltig, vgl. Kramer, Die „Krise“ des liberalen Vertragsdenkens, S. 59. 365 M. Wolf sieht diese Probleme durchaus und bemüht sich um ausgeglichene Lösungen. vgl. M. Wolf, Rechtsgeschäftliche Entscheidungsfreiheit und vertraglicher Interessenausgleich, S. 123 ff. Auch erkennt er die Brüchigkeit des Autonomiebegriffs und versucht, ihn vom Erfordernis eines nicht-deterministischen Standpunktes zu lösen, vgl. M. Wolf, a.a.O., S. 111 ff. 366 Neuner, Privatrecht und Sozialstaat, S. 269. 367 So insbesondere Canaris, Die Bedeutung der iustitia distributiva im deutschen Vertragsrecht, S. 46 ff.; s. auch Neuner, Privatrecht und Sozialstaat, S. 269.

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§ 3 Iustitia distributiva und Vertragsfreiheit

Grundlage der iustitia distributiva getroffene Entscheidung. Die iustitia distributiva umfasst als weitgehend formales Gerechtigkeitsprinzip auch die Verteilung nach anderen als sozialen Kriterien. Dazu gehört hier zum einen die Sanktionierung des unmoralischen Verhaltens des Drohenden, zum anderen auch die Abschreckung und Prävention als Elemente der Verhaltenssteuerung. Die Rechtsordnung will auch mittels des Vertragsrechts verhindern, dass sich für Drohende ihr Verhalten lohnen kann. Wieder zeigt sich der regulative und verallgemeinernde Ansatz der Gerechtigkeitsperspektive der iustitia distributiva im Vertragsrecht. Die tatbestandlichen Parallelen zum Deliktsrecht368 sind schon deshalb kein hinreichendes Argument gegen die Zuordnung zur iustitia distributiva, weil auch die ausschließliche Zuordnung des Deliktsrechts zur ausgleichenden Gerechtigkeit zu Recht in Zweifel gezogen wird.369 8. Sozialisierung des Vertragsrechts? Eine materielle Konzeption der Vertragsfreiheit eröffnet zugleich den Blick für eine Sozialisierung des Vertragsrechts.370 Die Notwendigkeit zur verallgemeinernden Betrachtung vertragsrechtlicher Fragestellungen ermöglicht dies im Zusammenspiel mit der Offenheit des Materialisierungsbegriffs für soziale Aspekte. Dabei spielt auch eine Rolle, dass das Medium des Vertrages erhebliche Vermögensverteilungen bewirkt. Letztlich lassen sich Verträge als risikound güterverteilende Instrumente betrachten, so dass die große Masse von Vermögensverteilungen und -umschichtungen in einer Rechtsordnung auf der Grundlage von Verträgen erfolgen. Unter dieser Perspektive lassen sich soziale Vertragstheorien im Ansatz nachvollziehen, die sozial- und gesellschaftspolitische Ziele auch mit Hilfe des Vertragsrechts umsetzen wollen.371 In ihrem Ausgangspunkt sind diese Vorhaben mit einer materialen Betrachtung der Vertragsfreiheit kompatibel und stellen zugleich den Versuch einer inhaltlichen Konkretisierung der Gerechtigkeitsidee der iustitia distributiva dar. Gleichwohl sind diese Konkretisierungsversuche im Ergebnis abzulehnen. Sie vernachlässigen insbesondere, dass das Vertragsrecht in einer Rechtsordnung nicht das einzige Medium zur Verwirklichung der objektiven Gerechtigkeitsidee ist. Viele sozial- und gesellschaftspolitische Ziele – für die sich rechtspolitisch vielleicht gute Argumente finden lassen – werden aber durch andere Institute des Rechts bereits umgesetzt; eine zusätzliche Instrumentalisierung des 368

Vgl. dazu Grigoleit, Vorvertragliche Informationshaftung, S. 19 ff. Auch das Deliktsrecht lässt sich als Zusammenspiel ausgleichender und verteilender Gerechtigkeit wohl am besten konzeptualisieren, vgl. Honoré, in: Owen (Hrsg.), Philosophical Foundations of Tort Law, 1997, S. 73, 78 ff.; Jansen, Die Struktur des Haftungsrechts, S. 76 ff.; Perry, in: Horder (Hrsg.), Oxford Essays in Jurisprudence; Fourth Series, S. 237. 370 Vgl. dazu Wiethölter, in: Coing (Hrsg.), Wirtschaftsordnung und Rechtsordnung, 1965, S. 41, S. 57 ff. 371 Vgl. etwa Wilhelmsson, Critical Studies in Private Law; Wilhelmsson, Social Contract Law and European Integration. 369

E. Das Postulat der Vertragsfreiheit

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Vertragsrechts würde daher oft die gesetzgeberische Entscheidung zur Wahl eines bestimmten Regulierungsinstrumentes konterkarieren.372 Zu den hier häufig eingesetzten Instituten gehören etwa das Sozial- und Steuerrecht, aber auch das Vollstreckungs- und Insolvenzrecht (einschließlich des Rechts der Verbraucherinsolvenz). Ein weiterer Nachteil einer weitgehenden Öffnung des Vertragsrechts für soziale Ziele ist die mit dieser einhergehende Gefahr, den Privatrechtssubjekten die Vorstellung zu nehmen, in substantiellen Teilbereichen ihres Lebens autonom Präferenzen setzen und in Kooperation mit anderen eigenverantwortlich umsetzen zu können. Dieses Argument führt unmittelbar zur Notwendigkeit eines Postulats der Vertragsfreiheit als Fundament des Vertragsrechts und als integrativer Bestandteil der objektiven Gerechtigkeitsidee.

E. Das Postulat der Vertragsfreiheit Die klassische Konzeption der Vertragsfreiheit als weitgehend formales Rechtsinstitut zur Sicherung einer formal interpretierten Freiheit hat sich als Fundament des Vertragsrechts nicht bewährt. Sie berücksichtigt zwar das Selbstverständnis des Einzelnen als frei und autonom handelndes und entscheidendes Individuum. Ihr gelingt indes keine überzeugende Integration der in der Sache anerkannten notwendigen materialen Ergänzungen formaler Freiheit. Zu sehr ist die klassische Konzeption zudem auf die Gerechtigkeitsperspektive der iustitia commutativa beschränkt und vernachlässigt die normativ gleichrangige373 Gerechtigkeitsperspektive der iustitia distributiva. Mit ihrem Fokus auf Autonomie und Eigenverantwortung weist sie dennoch den Weg für ein Konzept der Vertragsfreiheit, das materiale Ergänzungen stimmig in sich aufnehmen kann und im Einklang auch mit der Gerechtigkeitsperspektive der iustitia distributiva steht. Inwieweit Willensfreiheit als empirisches Phänomen tatsächlich existiert oder als gedankliches Konstrukt überzeugt, kann dabei offen bleiben. Entscheidend ist vielmehr das grundlegende Bedürfnis des Menschen, sich als zumindest auch freies und verantwortliches Individuum denken zu können. Dieses Selbstbild – ob zutreffend oder nicht – muss das Vertragsrecht berücksichtigen, wenn es seine soziale Regelungsaufgabe erfüllen will. Die Regelungsmacht des Vertragsrechts ist entscheidend höher, wenn es den Privatrechtssubjekten zugesteht, sich als frei und eigenverantwortlich wahrnehmen zu dürfen. Nur ein solches Vertragsrecht ist mit dem Selbstverständnis der meisten Menschen kompatibel und berücksichtigt zugleich die den meisten von uns inhärente Ablehnung von Bevormundung und 372 373

Zur Eignung des Vertragsrechts als Medium der Verteilung s. unten, S. 268 ff. Vgl. oben, S. 186 ff.

260

§ 3 Iustitia distributiva und Vertragsfreiheit

Fremdbestimmung.374 Zugleich setzt ein solches Verständnis Selbstentfaltungskräfte frei und setzt Anreize zu individueller Anstrengung und Leistung.375 All dies ist zugleich erforderlich, um den Rechtsfrieden zu sichern. Dieser hängt ganz wesentlich von der Akzeptanz des Rechts durch die Rechtsunterworfenen ab und wird gefördert, wenn diese im Recht ihr Selbstbild gespiegelt sehen. Diese Überlegungen begründen das Postulat der Vertragsfreiheit: Das Vertragsrecht muss im Grundsatz den Privatrechtssubjekten Autonomie und Eigenverantwortung zuschreiben und ihnen deshalb in substantiellen Teilbereichen ihres Lebens ermöglichen, ihre eigenen Präferenzen in Kooperation mit anderen Privatrechtssubjekten durch Verträge umsetzen zu können. Vertragsfreiheit ist danach die dem Einzelnen durch das Vertragsrecht zugeschriebene Autonomie und Eigenverantwortung zur kooperativen Umsetzung ihrer eigenen Präferenzen. Die Vertragsfreiheit verwirklicht zugleich Rawls erste Gerechtigkeitsmaxime;376 sie gehört zu den notwendigen Bedingungen menschlichen Selbstrespekts und damit zur Grundstruktur der Gemeinschaft.377 Das Postulat der Vertragsfreiheit wird wirksam, wenn das Vertragsrecht Rechte und Pflichten unmittelbar aus der vertraglichen Einigung der Parteien herleitet. Es zeigt sich etwa in der Pflicht des Käufers, den mit dem Verkäufer vereinbarten Kaufpreis von 1000 € für den erworbenen Gebrauchtwagen zu zahlen. Die aus dem Postulat der Vertragsfreiheit resultierenden Rechte und Pflichten entsprechen der objektiven Gerechtigkeitsidee in ihrer Form der iustitia commutativa. Aus der Autonomiezuschreibung durch das Postulat der Vertragsfreiheit folgt, dass die Konkretisierung der iustitia commutativa unmittelbar durch die Vertragsparteien selbst erfolgt. Eine Kontrolle des Vertragsinhalts durch das Recht – insbesondere eine offene richterliche Inhaltskontrolle – ist dann ausgeschlossen. Gerecht ist insofern vielmehr, was die Parteien selbst in Ausübung der ihnen durch das Vertragsrecht zugeschriebenen Autonomie vereinbart haben. Die Vereinbarung selbst bringt zwischen den Parteien zum Ausdruck, was sie mit Bezug auf diese konkrete Transaktion für richtig und gerecht halten. Das Postulat der Vertragsfreiheit sichert insofern die Präferenzautonomie der Privatrechtssubjekte. Die objektive Gerechtigkeitsidee der iustitia commutativa wird dabei durch die subjektive übereinstimmende Gerechtigkeitsvorstellung der Vertragsparteien konkretisiert. Der erkenntnistheoretische Vorrang der iustitia distributiva ist durch das Postulat der Vertragsfreiheit nicht verletzt. Auch vor der Anwendung des Postulats der Vertragsfreiheit und der resultierenden Begründung 374

F. von Hippel, Das Problem der rechtsgeschäftlichen Privatautonomie, S. 79; Enderlein, Rechtspaternalismus und Vertragsrecht, S. 7 ff. 375 So im Ansatz auch Bruns, JZ 2007, 385, 390 („Gewähr für eine Chance zur Veränderung und Verbesserung der eigenen Situation“); ähnlich Ripstein, Virginia Law Review 2006, S. 1391, 1395 ff. 376 S. 67 ff. 377 S. oben S. 67 ff. sowie S. 86 ff.

E. Das Postulat der Vertragsfreiheit

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von Rechten und Pflichten qua formal verstandener Vertragsfreiheit hat das Vertragsrecht – oft nicht erkennbar und nur mittelbar – geprüft, ob das Postulat der Vertragsfreiheit zur Annahme einer freien Entscheidung führen kann oder nicht. Jede Bejahung dieser Frage setzt voraus, dass die Grenzen der Vertragsfreiheit nicht verletzt sind – einschließlich derer, die aus der Gerechtigkeitsperspektive der iustitia distributiva erklärlich sind. Auf der Grundlage des Postulats der Vertragsfreiheit lässt sich deshalb die Vertragsfreiheit als Teilaspekt der objektiven Gerechtigkeitsidee harmonisch erklären. Das Postulat der Vertragsfreiheit bildet zum einen ein theoretisches, axiomatisches Fundament für die qua formal verstandener Freiheit begründeten Rechte und Pflichten der Vertragsparteien. Zugleich aber integriert es die Grenzen der Vertragsfreiheit, die nicht als Ausnahme erklärt werden müssen, sondern lediglich die im rechtlichen und politischen Diskurs immer neu zu ermittelnden Grenzen desjenigen Lebens- und Aktionsbereiches aufzeigen, innerhalb dessen das Vertragsrecht dem Einzelnen Autonomie und Eigenverantwortung zuschreibt. Wenn in der rechtlichen Praxis formal verstandene Vertragsfreiheit faktisch nur noch in verhältnismäßig eng umgrenzten Lebensbereichen wirkt, ist dies vertragstheoretisch unproblematisch. Rechtspolitisch mag man freilich für eine Ausweitung der Autonomiezuschreibung durch das Vertragsrecht eintreten wollen.

§ 4 Das Vertragsrecht als Instrument zur Implementierung der iustitia distributiva Als Idee des Vertragsrechts hat sich in der rechtsphilosophischen Grundlegung dieser Arbeit die Gerechtigkeit erwiesen. Konkretisierungen der Gerechtigkeitsidee können sowohl in der Form der iustitia commutativa als auch in der Form der iustitia distributiva erfolgen. Damit ist aber noch nicht die Frage beantwortet, in welchen Situationen das Vertragsrecht zur Konkretisierung der iustitia distributiva geeignet ist. Dies ist letztlich eine von empirischen Faktoren und rechtspolitischen Aspekten abhängende Fragestellung. Selbst, wenn man akzeptiert, dass die iustitia distributiva Teil der Rechtsidee ist, kann man immer noch die These vertreten, dass ihre Verwirklichung durch das Privatrecht stets (oder zumindest grundsätzlich) weniger vollkommen ist als ihre Verwirklichung durch andere Institutionen des Rechts. Dieser Standpunkt findet sich sehr häufig, er ist im Rahmen dieser Abhandlung auch schon zutage getreten.1 Mit besonderer Schärfe wird diese skeptische Position für das Vertragsrecht vertreten. Eidenmüller etwa hält es für grundsätzlich unmöglich, Verteilungsgerechtigkeit in ihrer Form sozialer Umverteilungsgerechtigkeit mittels des Vertragsrechts zu realisieren.2 Diese Position beruht auf dem Gedanken, dass eine Vermögensumverteilung zwischen Privatrechtssubjekten durch das Privatrecht nicht zu erreichen und daher auch nicht anzustreben ist.3 Die faktischen distributiven Folgen einzelner vertragsrechtlicher Regelungen werden von diesen Vertragstheorien freilich nicht geleugnet. Sie übersehen keineswegs, dass die Regeln des Vertragsrechts zu den wichtigsten Spielregeln des Marktes gehören und insofern zwingend Vermögenswerte, Chancen und Risiken zwischen den Marktbeteiligten verschieben. Diese Vermögensverschiebungen werden aber vom Vertragsrecht selbst nicht beabsichtigt sondern lediglich ermöglicht. Welche konkreten Verteilungseffekte er1

Vgl. oben, S. 78 ff. Apodiktisch etwa Eidenmüller, in: Schulze/von Bar/Schulte-Nölke (Hrsg.), Der akademische Entwurf für einen Gemeinsamen Referenzrahmen, 2008, S. 73, 83; differenzierter dagegen noch die Einschätzung von Eidenmüller, Effizienz als Rechtsprinzip, S. 289 ff. sowie Eidenmüller, in: Pies/Leschke (Hrsg.), John Rawls’ politischer Liberalismus, 1995, S. 123. 3 Dieser traditionellen Auffassung liegt unter anderem die Vorstellung zu Grunde, das Vertragsrecht sei vom Prinzip der Vertragsfreiheit beherrscht. Das Vertragsrecht sichere nur die Möglichkeit freier Vertragsschlüsse. Gegenüber den individuellen Resultaten der frei geschlossenen Verträge verhalte sich das Vertragsrecht aber neutral. Dazu differenzierend oben, S. 191 ff. 2

264

§ 4 Vertragsrecht als Instrument zur Implementierung

folgen, ist in dieser Perspektive nicht von den vertragsrechtlichen Regeln abhängig, sondern von anderen Faktoren, insbesondere der individuellen Leistungsfähigkeit und Geschicklichkeit der Marktteilnehmer. Den Verteilungseffekten, die durch den Markt resultieren, soll das Vertragsrecht selbst aber neutral gegenüberstehen. Die Zuordnung der iustitia distributiva zum öffentlichen Recht hängt eng mit dieser Position zusammen. Wenn sie zutrifft, empfiehlt es sich nicht, das Vertragsrecht als Instrument zur Konkretisierung der iustitia distributiva zu betrachten und einzusetzen. Im Folgenden wird dieser These eine differenzierte Analyse gegenübergestellt:4 Auch das Vertragsrecht ist grundsätzlich zur Konkretisierung der iustitia distributiva geeignet. Ob das Vertragsrecht allein, das Vertragsrecht zusammen mit anderen Regulierungsinstrumenten oder ausschließlich andere Regulierungsinstrumente zur Konkretisierung der iustitia distributiva vorzugswürdig sind, hängt von den jeweiligen verteilungspolitischen Zielsetzungen, den zum Einsatz gelangenden Verteilungsmaßstäben und dem ökonomischen und sozialen Hintergrund der Verteilungsentscheidung ab.

A. Vertragsrecht als pure procedural justice? I. Pure procedural justice im Vertragsrecht in Analogie zu Rawls’ Gerechtigkeitstheorie Die Neutralität des Vertragsrechts gegenüber verteilungspolitischen Zielen kann mit der Unterscheidung zwischen pure und perfect procedural justice erklärt werden. Diese Unterscheidung liegt Rawls liberaler Gerechtigkeitstheorie zu Grunde;5 auch Nozick bedient sich ihrer mit etwas abweichender Terminologie bei seiner Kritik sozialer Gerechtigkeit als Staatsaufgabe.6 Pure procedural justice, also reine prozedurale Gerechtigkeit7 zeichnet sich dadurch aus, dass ein Verteilungsergebnis ausschließlich wegen des Verfahrens gerecht ist, das zu dem Verteilungsergebnis geführt hat.8 Es fehlt ein über das bloße Ver4

S. auch Collins, Regulating Contracts, S. 56 ff.; Lewinsohn-Zamir, Minnesota Law Review 2006, 326. 5 Rawls kennt vier Formen prozeduraler Gerechtigkeit: pure, perfect, imperfect und quasipure, vgl. Rawls, A Theory of Justice, S. 85 ff. und passim. Dazu instruktiv Tschentscher, Prozedurale Theorien der Gerechtigkeit, S. 124 ff. Für die Bedeutung des Vertragsrechts als Verteilungsmedium ist nur die Unterscheidung von pure und perfect procedural justice relevant. Auf diese sind die folgenden Ausführungen beschränkt. 6 Nozick, Anarchy, State, and Utopia, S. 153 ff. (historical principles of justice nehmen bei Nozick die Stellung der pure procedural justice ein, end-result bzw. patterned principles of justice die der perfect procedural justice). 7 So etwa Tschentscher, vgl. Tschentscher, Prozedurale Theorien der Gerechtigkeit, S. 125 f. 8 Rawls, A Theory of Justice, S. 86 f.

A. Vertragsrecht als pure procedural justice?

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fahren hinausgehendes, externes Kriterium, mit dem die Gerechtigkeit des Ergebnisses beurteilt wird. Das Ergebnis ist allein deshalb gerecht, weil ein bestimmtes Verfahren zu ihm geführt hat. Demgegenüber kommt bei der perfect procedural justice, also der vollkommenen prozeduralen Gerechtigkeit ein unabhängiges, externes Kriterium (wie Würde, Leistung oder Gleichheit) zur Anwendung. Das Ergebnis einer Verteilung ist nur dann gerecht, wenn das gewählte Verfahren garantiert, dass das Ergebnis auch nach Maßgabe dieses externen Entscheidungskriteriums gerecht ist. Rawls bedient sich eines einfachen klassischen Verteilungsfalles zur Illustration der perfect procedural justice:9 Mehrere Personen sollen einen Kuchen untereinander aufteilen. Das externe Gerechtigkeitskriterium ist Gleichheit: Die Verteilung soll dazu führen, dass alle möglichst ein gleich großes Stück erhalten. Nun gilt es, ein Verfahren zu wählen, das sicherstellen kann, diese gewünschte Idealverteilung zu erreichen. Als solches Verfahren bietet sich an, einer der Personen den Kuchen teilen zu lassen; zugleich soll die teilende Person das letzte Stück des Kuchens erhalten. Als Beispiel für pure procedural justice wählt Rawls das Spiel:10 Mehrere Personen nehmen an einer Reihe fairer Spiele teil. Die Verteilung der Spieleinsätze ist allein deshalb gerecht, weil die Spielregeln beachtet werden. Hier fehlt ein externes Kriterium, anhand dessen die Gerechtigkeit des Ergebnisses beurteilt werden könnte. Die Verteilung ist allein deshalb gerecht, weil sie durch ein bestimmtes Verfahren (die Verfahrensregeln des Spiels) generiert ist. Das Spiel dient Rawls als Illustration dafür, dass allein die Beachtung eines bestimmten Verfahrens zu gerechten Ergebnissen führen kann, ohne dass zur Wertung der Ergebnisse der Rückgriff auf ein externes Beurteilungskriterium erforderlich ist.11 Das Verfahren führt zu einer bestimmten Verteilung; die möglichen Ergebnisse sind auf Grundlage der Verfahrensregeln auch vorhersehbar. Die Verfahrensregeln dienen aber – anders als bei der Verteilung des Kuchens – nicht dazu, bestimmte Verteilungsergebnisse zu generieren. In Analogie zu Spiel und Wette entwickelt Rawls die grundlegenden Gerechtigkeitsprinzipien einer Gesellschaft als Beispiel von pure procedural justice.12 In diesem Rahmen entwickelt er sein berühmtes Gedankenspiel der Entscheidungsfindung von Gesellschaftsmitgliedern in einer ursprünglichen Position, in der die Beteiligten von einem „Schleier des Nichtwissens“ (veil of ignorance) umgegeben sind. Der veil of ignorance lässt die Gesellschaftsmitglieder im Unklaren etwa über ihre konkrete Position in der Gesellschaft und anderes mehr; er will im Wesentlichen – ähnlich wie die Regeln bei Spiel und Wette – verhindern, dass die Beteiligten „betrügen“ können. In ganz ähnlicher Weise könnte man auch die Regeln des Vertragsrechts als reine Verfahrensregelungen 9 10 11 12

Rawls, A Theory of Justice, S. 85. Rawls, a.a.O., S. 86. Rawls, a.a.O., S. 86. Rawls, a.a.O., S. 118 ff. (Kapitel 3).

266

§ 4 Vertragsrecht als Instrument zur Implementierung

betrachten wollen. Wenn das Vertragsrecht nur Verfahrensregeln beinhaltet, führt es zwar gleichwohl zu bestimmten Verteilungsergebnissen. Diese Ergebnisse sind aber keineswegs Ziel oder Richtigkeitsmaßstab des Vertragsrechts. Die Gerechtigkeit der Verteilungsergebnisse bleibt dann von einem unabhängigen, externen Verteilungskriterium unberührt.

II. Zwingende Geltung der perfect procedural justice im Vertragsrecht? Collins zufolge ist es allerdings aus analytischen Gründen unmöglich, ein inhaltsneutrales Vertragsrecht zu konstruieren, das lediglich auf Prinzipien der pure procedural justice beruht.13 Jedes Vertragsrecht benötigt eine Reihe von Verfahrensregeln, die etwa die Wirksamkeitsvoraussetzungen von Verträgen bestimmen. Nun sei aber ohne materiale Wertung nicht bestimmbar, welchen Inhalt diese Verfahrensregeln nehmen sollen. Im politischen Diskurs kann und wird über diesen Inhalt oft Streit bestehen. Die Verfahrensregeln können mehr oder weniger liberal sein, mehr oder weniger starke und umfangreiche Schutzmechanismen einbauen, die etwa Schwächere vor den Risiken des Marktmechanismus schützen. Welche Regeln man bevorzugt, hänge von der Risikoaversion der Teilnehmer des politischen Diskurses ab.14 Eine Einigung auf eine bestimmte Form von Verfahrensregeln hält Collins dabei für schwierig, hier sei nur schwer ein Konsens zu finden.15 Für Collins rückt deshalb die alternative Lösung in den Vordergrund: Wenn keine Einigung über die maßgeblichen Regeln erfolgt, soll die Lösung vertragsrechtlicher Probleme anhand von Gerechtigkeitsregeln erfolgen, auf die man sich bei anderer Gelegenheit verständigt. Daraus folgt für Collins, dass das Vertragsrecht nicht mehr als Form der pure procedural justice angesehen werden kann. Denn welchen Inhalt die maßgeblichen Gerechtigkeitsregeln auch immer nehmen: sie bilden einen externen Beurteilungsmaßstab, der darüber entscheidet, ob die durch Verträge und Vertragsrecht erzielten Verteilungsergebnisse gerecht sind oder nicht. Canaris hat bezweifelt, dass die Ausschließlichkeit der Unterscheidung zwischen perfect procedural justice und pure procedural justice für das Vertragsrecht überzeugt.16 Canaris sieht in der Vertragsrechtsordnung eine zwischen diesen beiden Polen liegende Form der prozeduralen Gerechtigkeit: Diese sei zwar grundsätzlich ergebnisneutral, weil sie nicht auf die Erzielung bestimmter materialer Verteilungsergebnisse abziele. Andererseits sei das Vertragsrecht aber „nicht völlig ,blind‘ gegenüber den Ergebnissen von Verträ-

13 14 15 16

Collins, Current Legal Problems 1992, 49. Collins, Current Legal Problems 1992, 49, 62 f. Collins, Current Legal Problems 1992, 49, 63. Canaris, Die Bedeutung der iustitia distributiva im deutschen Vertragsrecht, S. 59.

A. Vertragsrecht als pure procedural justice?

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gen“.17 Wenn aber das Vertragsrecht – wenn auch im Ergebnis nur in krassen Fällen – bestimmte Verteilungsergebnisse als ungerecht korrigiert, so kann die in ihm herrschende Gerechtigkeitsform nicht mehr rein prozeduraler Natur sein. Denn auch dann, wenn das Vertragsrecht im Ergebnis keine krasse Ungerechtigkeit bejaht, so muss die Gerechtigkeitsanalyse zur Findung dieser Entscheidung geprüft haben, ob eine solche Ungerechtigkeit vorliegt oder nicht. Dann hat aber auch in den Fällen, in denen das Vertragsrecht im Ergebnis die vertraglich generierte Verteilung unabhängig von ihrem Gerechtigkeitsinhalt akzeptiert, eine Überprüfung dieser Entscheidung anhand eines externen Gerechtigkeitsmaßstabes stattgefunden, so dass auch insoweit keine pure procedural justice herrscht. Daher ist Collins in seiner Grundthese beizupflichten. Die Regeln des Vertragsrechts können nicht als Form der pure procedural justice erklärt werden. Collins ist lediglich insofern zu kritisieren, als dass seine Skepsis gegenüber der Einigung auf bestimmte Verfahrensregeln des Vertrages nicht überzeugt. Zuzugeben ist zwar, dass eine Einigung über Form und Inhalt der maßgeblichen Regeln mit Schwierigkeiten verknüpft ist. Dies lässt sich in rechtspolitischen Diskussionen über Gesetzgebungsvorhaben im Bereich des Vertragsrechts nachvollziehen, wie sie etwa im Zusammenhang mit der Entwicklung eines europäischen Vertragsrechts geführt werden.18 Gleichwohl ist eine Einigung nicht nur theoretisch denkbar, sie erfolgt auch faktisch häufig. Dieser Kritikpunkt ändert aber nichts an der Überzeugungskraft der Grundthese Collins. Auch wenn eine diskursive Einigung über den Inhalt vertragsrechtlicher Verfahrensregeln möglich ist, bedürfen diese Regeln doch einer inhaltlichen Konkretisierung durch vertragsexterne Maßstäbe und sind insofern offen für Erwägungen der iustitia distributiva.19 Dies wurde im Zusammenhang mit den Grenzen der Vertragsfreiheit bereits ausgeführt.20 Der Gedanke privatautonomer Selbstbestimmung kann nicht begründen, dass ein Vertragsschluss in Abwesenheit von Drohung oder Zwang erfolgte.21 Auch die der Selbstbestimmung gegenläufigen Prinzipien (wie pacta sunt servanda oder das Prinzip der Selbstverantwortung) geben auf diese Frage nicht immer eine Antwort.22 Die Antwort kann sich aus diesen Prinzipien zwar ebenso herleiten lassen wie aus dem Gedanken der iustitia commutativa. Sie kann aber auch aus dem Gedanken der iustitia distributiva plausibel begründet werden.23 17

Canaris, a.a.O., S. 59. Stellvertretend Eidenmüller/Faust/Grigoleit/Jansen/Wagner/Zimmermann, JZ 2008, 529; zum Common European Sales Law stellvertretend S. Lorenz, AcP 2012, 702. 19 Grundlegend Kronman, Yale Law Journal 1980, 472. 20 Oben, S. 245 ff. 21 Zustimmend insoweit auch Canaris, Die Bedeutung der iustitia distributiva im deutschen Vertragsrecht, S. 61. 22 Sie können es aber im Einzelfall, vgl. Canaris, a.a.O., S. 61. 23 Dies gesteht Canaris letztlich ebenfalls zu, der in der Frage nach möglichen Einschränkungen der Entscheidungsfreiheit ein „Einfallstor für distributive Kriterien“ erblickt, vgl. Canaris, a.a.O., S. 62 f. 18

268

§ 4 Vertragsrecht als Instrument zur Implementierung

Auch besteht kein normativer Vorrang der iustitia commutativa im Vertragsrecht, vielmehr sind beide Gerechtigkeitsformen normativ gleichwertig. In welcher Form das Vertragsrecht die objektive Gerechtigkeitsidee konkretisieren kann und soll, bleibt daher eine von kontingenten empirischen Faktoren und politischen Wertungsentscheidungen abhängige Frage.

B. Eignung des Vertragsrechts zur Konkretisierung der iustitia distributiva Inwieweit das Vertragsrecht zur Konkretisierung der iustitia distributiva instrumentalisiert werden kann und soll, wird kontrovers diskutiert.24 Dabei ist ein grundsätzlicher Aspekt nicht aus den Augen zu verlieren. Das Vertragsrecht ist nur einer von vielen Regelungskomplexen, die zur Realisierung der objektiven Gerechtigkeitsidee fruchtbar gemacht werden können.25 Der Einsatz von Verträgen in unserer Gesellschaft wird auch durch die Regeln des Wettbewerbs- und Kartellrechts ermöglicht und gesichert.26 Auch bestehen vollstreckungs- und sozialrechtliche Regulierungsmöglichkeiten, die der iustitia distributiva dienen können. Für die Gerechtigkeit als Idee des Vertragsrechts ist es deshalb nicht zwingend fatal, wenn die iustitia distributiva mit vertragsrechtlichen Mitteln nicht oder nur eingeschränkt umgesetzt werden kann.27

I. Vorzüge des Vertragsrechts als Medium der iustitia distributiva Das Vertragsrecht weist als Instrument zur Konkretisierung der iustitia distributiva einige grundsätzliche Vorzüge auf, die es im Folgenden zu skizzieren gilt. So ermöglicht das Vertragsrecht häufig einen flexiblen Selbstvollzug rechtlicher Normen.28 Ein Beispiel dafür bietet die Präventivnorm des § 241a BGB.29 Ein Selbstvollzug rechtlicher Normen dürfte regelmäßig auch geringere Durchsetzungskosten generieren als Maßnahmen auf der Ebene des

24 Zur Umsetzung von Gerechtigkeitskonzepten im Europäischen Vertragsrecht jüngst Lurger, in S. Arnold (Hrsg.), Grundlagen eines europäischen Vertragsrechts, München 2014, S. 101 ff. 25 Zu den Facetten privater Regulierung s. nur Cafaggi, in: Cafaggi (Hrsg.), Reframing Selfregulation in European Private Law, 2006, S. 3; Prosser, The Regulatory Enterprise, S. 4 ff. 26 Etwa Mestmäcker, AcP 1968, 235; Hönn, Jura 1984, 57, 63 f. (beide m.w.N.). 27 Collins etwa plädiert dafür, regelmäßig eine Kombination der Regulierungsmedien einzusetzen, vgl. Collins, Regulating Contracts, S. 62. 28 Collins, Regulating Contracts, S. 65 ff. 29 Dazu eingehend unten, S. 402 f.

B. Eignung des Vertragsrechts

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Steuer- und Sozialsystems.30 Die Wahl des Vertragsrechts als Medium auch sozialgestaltender Verteilung hat aber einen weiteren Vorzug. Die Instrumentalisierung des Vertragsrechts trägt dazu bei, dass sich auch schwächere und benachteiligte Personen in ihrem Selbstbewusstsein bestätigt fühlen dürfen, wenn ihnen eine Leistung nicht durch eine zentrale Stelle, sondern auf dem unmittelbar regulierten Markt zugutekommt. Kersting sieht in der nachgelagerten Umverteilung durch den Wohlfahrtsstaat gar einen „strukturellen Entmündigungseffekt“, der mit einer Marginalisierung der Persönlichkeit einhergehen kann.31 Die distributiven Wirkungen etwa miet- oder arbeitsrechtlicher Schutzbestimmungen sind für den Bevorzugten weniger als Umverteilungsmaßnahme sichtbar als dies direkte Transferleistungen des Staates wären. Auch unter diesem Aspekt dient die Instrumentalisierung des Vertragsrechts zur Realisierung der iustitia distributiva dem Frieden der Rechtsgemeinschaft.32 Würde das Vertragsrecht auf jede Korrektur einer formal verstandenen Vertragsfreiheit verzichten, hieße dies letztlich auch, eine Aufgabe der Menschenwürde der sozial Schwächeren in Kauf zu nehmen, denen in letzter Konsequenz nicht erspart würde, den aus wirtschaftlicher Überlegenheit heraus diktierten Vertragsbedingungen unter allen Umständen zustimmen zu müssen.33 Zu Recht weist etwa auch Neuner darauf hin, dass die in letzter Vollendung einer nur formal verstandenen Vertragsfreiheit und Marktordnung entstehenden Resultate den Frieden der Rechtsgemeinschaft insgesamt gefährden würden.34 Nach Überschreitung einer gewissen Toleranzschwelle wären Proteste, vielleicht auch Gewaltausschreitungen der unterlegenen Bürger zu erwarten. In besonders sensiblen Bereichen wie dem Arbeitsrecht oder dem Mietrecht bestehen zudem existentielle Bedürfnisse schwächerer Marktteilnehmer, die ihnen im Rahmen einer unregulierten Marktwirtschaft von vornherein versagen, materielle Freiheit auszuüben.35 All diese Situationen lassen es geradezu unausweichbar erscheinen, Gerechtigkeit im Vertragsrecht auch in Form der iustitia distributiva zu konkretisieren. Nur durch die mit der iustitia distributiva verbundene Erweiterung der Perspektive kann die hier aufscheinende Regulierungsaufgabe erfüllt werden.

30

Einzelheiten dazu bei Collins, Regulating Contracts, S. 65 ff. Kersting, Theorien der sozialen Gerechtigkeit, S. 222. 32 Vgl. auch v. Gierke, Die soziale Aufgabe des Privatrechts; Menger, Das bürgerliche Recht und die besitzlosen Volksklassen, S. 226 ff.; M. Wolf, Rechtsgeschäftliche Entscheidungsfreiheit und vertraglicher Interessenausgleich, S. 10 ff. 33 Vgl. insofern auch oben, S. 117 ff. 34 Neuner, Privatrecht und Sozialstaat, S. 232; s. auch Hönn, Kompensation gestörter Vertragsparität, S. 304. 35 Neuner, Privatrecht und Sozialstaat, S. 232; zum Mietrecht etwa Lammel, JZ 1986, 832. 31

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§ 4 Vertragsrecht als Instrument zur Implementierung

II. Iustitia distributiva durch dispositives Vertragsrecht? Nun zeichnet sich allerdings das Vertragsrecht zum Teil dadurch aus, dass seine Vorschriften dispositiv sind. Die Parteien können von ihnen also durch Vereinbarung abweichen. Oben wurde bereits erarbeitet, dass die iustitia distributiva grundsätzlich ein legitimes Ziel dispositiven Vertragsrechts bildet. Auch dispositive Regeln können grundsätzlich die objektive Gerechtigkeitsidee in Form der iustitia distributiva zum Ausdruck bringen. Eine andere Frage ist indes, ob Ziele der iustitia distributiva auch faktisch durch dispositives Recht realisiert werden können. Denn wenn die Regeln durch Parteivereinbarung ersetzt werden können, wie sollen sie dann der Verwirklichung vertragsexterner Zwecke dienen? Ist zur Materialisierung des Vertragsrechts nicht vielmehr zwingendes Recht erforderlich? Exemplarisch für Bedenken dieser Art formuliert Schwartz: „Finally, it usually is futile to pursue either distributional goals or contractual fairness when firms are permitted a large measure of contractual freedom. This is because firms will contract away from redistributive or fair legal rules that do not maximize joint surplus.“36

Dispositives Recht kann dieser Logik zufolge die iustitia distributiva nicht konkretisieren, weil es durch die Parteivereinbarung zugunsten größtmöglicher Effizienz abbedungen werden wird. Dieser Einwand greift allerdings zu kurz. Dispositive Regeln können insbesondere deshalb vertragsexterne Ziele effektiv verfolgen, weil sie häufig selbst dann wirksam bleiben, wenn sie für die Parteien aus Effizienzgesichtspunkten nachteilig sind. Der Inhalt des dispositiven Rechts bestimmt unabhängig von seiner Effizienz den Inhalt der Verträge.37 Dies wird von einer Reihe experimenteller Studien bestätigt. Dabei wurden in der Psychologie und Soziologie anerkannte Verhaltensmuster auch in vertragsrechtlichen Kontexten untersucht und im Wesentlichen bestätigt. Im Zentrum steht dabei der „Besitz-Effekt“ (endowment effect).38 Dieser Effekt bietet eine Erklärung dafür, weshalb Menschen Güter höher bewerten, wenn sie diese schon besitzen, als wenn sie diese noch nicht haben.39 Die Preise, die wir für Dinge verlangen, die uns gehören, sind höher als die Preise, die wir bieten würden, um diese Dinge zu erlangen.40 Dieser Effekt wurde 36

Schwartz/Scott, Yale Law Journal 2003, 543, 546. Eingehend dazu: Kähler, Begriff und Rechtfertigung abdingbaren Rechts, S. 179 ff. 38 Zum endowment effect und ähnlichen in der Verhaltenspsychologie anerkannten Effekten s. stellvertretend Bechtold, Die Grenzen zwingenden Vertragsrechts, S. 227 ff. m.w.N. 39 Grundlegend Thaler, Journal of Economic Behavior and Organization 1980, 39; Kahneman/Knetsch/Thaler, The Journal of Political Economy 1990, 1325. 40 Die fundamentalen Schwierigkeiten, die sich aus diesem Phänomen für Kosten-NutzenRechnungen ergeben, beschreibt eindrucksvoll Kennedy, Stanford Law Review 1981, 387. Behavioral Law and Economics versuchen, diese und andere Unzulänglichkeiten herkömmlicher ökonomischer Theorien des Rechts in die ökonomische Analyse des Rechts zu integrieren, vgl. dazu etwa Jolls/Sunstein/Thaler, Stanford Law Review 1998, 1471. 37

B. Eignung des Vertragsrechts

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auch für vertragliche Regeln untersucht, die sich ökonomisch ebenso als Gut betrachten lassen wie die „University-Mugs“ in den bekannten Experimenten von Kahnemann, Knetsch und Thaler.41 Dabei hat sich gezeigt, dass Vertragspartner dispositive Regeln als ihnen gehörige Güter ansehen und die Reaktionsmuster des endowment effect auch hier zu beobachten sind. Der Preis, den die Vertragspartner dafür verlangen, einer von existierenden dispositiven Regelungen abweichenden Vereinbarung zuzustimmen, ist signifikant höher als der Preis, den sie zu zahlen bereit sind, damit die inhaltsgleiche Regelung Vertragsinhalt wird, wenn sie nicht schon qua dispositives Recht gilt.42 Die Vertragsparteien bevorzugen also den status quo – unabhängig von seinem Inhalt. Korobkin spricht daher auch anschaulich vom status quo bias.43 In den von Korobkin durchgeführten Studien ging es um die Abbedingung verschiedener Regelungen (unter anderem zum Umfang des Schadensersatzes und zu den anwaltlichen Prozesskosten).44 Dabei bildete Korobkin zwei Teilnehmergruppen, für die jeweils eine andere Kostenregelung als dispositives Recht galt. Deren Abbedingung war aber stets völlig transaktionskostenfrei ohne weiteres möglich. Welche Prozesskostenregelung den vom dispositiven Recht vorgegebenen status quo bildete, beeinflusste massiv die Entscheidung der Teilnehmer: Mehrheitlich kam stets die bereits als dispositives Recht geltende Regelung zum Tragen. Zu ähnlichen Ergebnissen gelangte DiMatteo in einem vergleichbaren Experiment, das Vertragsstrafenklauseln betraf.45 Den Grund für dieses Verhalten mag man etwa in einer angeborenen Scheu vor dem Risiko erblicken, Nachteile durch aktives Verändern einer bestehenden Situation zu erleiden.46 Auch mag der Mensch psychologisch dazu tendieren, beim „Normalen“ zu bleiben: als „normal“ mag aber das erscheinen, was der Gesetzgeber als generell passende Regelung zur abdingbaren Norm erhoben hat.47 Die Zuweisung auch einer vorläufigen und dispositiven Rechtsposition durch die Rechtsordnung mag zudem auch das Gefühl vermitteln, diese Rechtsposition „zu Recht“ innezuhaben.48 Kähler verweist auch auf die „Macht der Gewohnheit“ und die mit einer gesetzlichen Norm verbundenen Autorität.49 Unabhängig davon, welche dieser Erklärungen psychologisch zutrifft:50 Der experi41

Kahneman/Knetsch/Thaler, The Journal of Political Economy 1990, 1325. Korobkin, Cornell Law Review 1998, 608; Korobkin, in: Sunstein (Hrsg.), Behavioral Law and Economics, 2000, S. 116. 43 Korobkin, Cornell Law Review 1998, 608. 44 Korobkin, Cornell Law Review 1998, 608, 633 ff. 45 DiMatteo, Law Review of Michigan State University 2006, 839. 46 So etwa Unberath/Cziupka, AcP 2009, 37, 73. 47 Wiederum Unberath/Cziupka, AcP 2009, 37, 73. 48 Vgl. etwa Kelman, A Guide to Critical Legal Studies, S. 147; Eidenmüller, Effizienz als Rechtsprinzip, S. 131. 49 Kähler, Begriff und Rechtfertigung abdingbaren Rechts, S. 180. 50 Weitergehende Darstellung dazu etwa bei Kähler, Begriff und Rechtfertigung abdingbaren Rechts, S. 181 ff. m.w.N. 42

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§ 4 Vertragsrecht als Instrument zur Implementierung

mentell nachgewiesene endowment-effect führt dazu, dass die iustitia distributiva auch durch dispositive Regeln im Vertragsrecht konkretisiert werden kann. Die „stickiness“ des dispositiven Rechts51 bewirkt, dass auch die vom Gesetzgeber anvisierten verteilungspolitischen Ziele nur unter Überwindung hoher Widerstände zunichte gemacht werden können. Diese Widerstände und damit der Hang bei den durch das dispositive Recht verkörperten status quo zu verbleiben dürfte nicht unwesentlich dadurch verstärkt werden, dass auch die Privatrechtssubjekte oft über die tatsächlichen Effekte vertraglicher Regelungen auf ihre eigene Position im Ungewissen sind.52

III. Zur Notwendigkeit der Differenzierung nach verschiedenen Aspekten der iustitia distributiva im Vertragsrecht Dass das Vertragsrecht die Augen vor Gerechtigkeitserfordernissen der iustitia distributiva nicht grundsätzlich verschließen kann und darf, bedeutet nicht, dass das Vertragsrecht Verteilungsgerechtigkeit in jeglicher Erscheinungsform konkretisieren kann und soll. Entscheidend ist vielmehr, nach unterschiedlichen Konkretisierungsformen der iustitia distributiva zu differenzieren. Die Eignung des Vertragsrechts ist dabei letztlich eine empirische Frage, deren Antwort von den tatsächlichen Auswirkungen vertragsrechtlicher Regeln in der gelebten Rechtspraxis abhängt. Apodiktische Aussagen verbieten sich schon deshalb; auch hängt die Antwort stets von Prognoseentscheidungen ab, so dass keine endgültigen Lösungen möglich sind.53 Die Frage nach der Eignung des Vertragsrechts als Verteilungsmedium wird letztlich in einem fortlaufenden Entdeckungsverfahren zu beantworten sein, an dem insbesondere der Gesetzgeber und die Rechtsprechung teilnehmen. Endgültige Antworten können daher auch die folgenden Überlegungen nicht bieten. Es kann vielmehr nur darum gehen, einige Aspekte aufzuzeigen, die bei der Instrumentalisierung des Vertragsrechts zur Konkretisierung der iustitia distributiva mit Blick auf spezifische Konkretisierungsformen berücksichtigt werden müssen.

IV. Das Vertragsrecht als Instrument sozialstaatlicher Vermögensumschichtung Mit einigen Schwierigkeiten ist die Konkretisierung der iustitia distributiva im Vertragsrecht verbunden, was ihre Erscheinungsform als sozialstaatliche Umverteilungsgerechtigkeit anbelangt. Dabei geht es um die Umschichtung 51 Dazu umfassend insbesondere Ben-Shahar/Pottow, Florida State University Law Review 2006, 651. 52 Kähler, Begriff und Rechtfertigung abdingbaren Rechts, S. 181. 53 G. Wagner, AcP 2006, 352 mit Blick auf Prävention und Verhaltenssteuerung; Collins, Regulating Contracts, S. 56 ff. und 223 ff.; Kronman, Yale Law Journal 1980, 472.

B. Eignung des Vertragsrechts

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von Vermögen von bestimmten Personengruppen (paradigmatisch: den „Reichen“) zu anderen Personengruppen (paradigmatisch: den „Armen“). Grundsätzlich ist eine solche Umverteilung rechtspolitisch wünschenswert, etwa um – auch aus Gründen der Rechtssicherheit und des Rechtsfriedens – Ungleichheiten der Vermögensverteilung in einer Gesellschaft auszugleichen.54 Die iustitia distributiva in Form sozialer Umverteilungsgerechtigkeit hat sich oben auch als integraler Bestandteil der objektiven Gerechtigkeitsidee erwiesen.55 Einem fortlaufenden politischen Diskurs unterliegt freilich die Frage nach dem Ausmaß, in dem Umverteilungsgerechtigkeit erwünscht ist. Die folgende Analyse betrifft die Frage nach der Möglichkeit, soziale Umverteilungsgerechtigkeit zumindest auch mittels des Vertragsrechts vorzunehmen. Viele Autoren stehen der Instrumentalisierung des Vertragsrechts insoweit skeptisch gegenüber.56 Die dabei diskutierten Argumente sind indes auch für andere Aspekte der iustitia distributiva fruchtbar, weil sie sich zum Teil auf diese übertragen lassen. In seiner Analyse des Draft Common Frame of Reference bringt Eidenmüller seine skeptische Position gegenüber der Eignung des Vertragsrechts zur Realisierung sozialer Gerechtigkeit deutlich zum Ausdruck: „Es wäre besser gewesen, wenn der DCFR überhaupt nicht versuchen würde, verteilungspolitische Ziele mit Hilfe des Privatrechts zu erreichen: Umverteilung durch Privatrecht ist nämlich zum einen immer ineffizienter als Umverteilung durch Steuer- und Sozialrecht, und zum anderen ist sie im Vertragsrecht in der Regel sogar überhaupt nicht möglich.“57

Verteilungsgerechtigkeit (in Form der Vermögensumverteilung) durch das Vertragsrecht zu erreichen, wird hier als geradezu unmöglich betrachtet. Womit wird diese Skepsis begründet? Im Wesentlichen finden sich zwei Argumentationslinien. Die erste Argumentationslinie betrifft die Effizienzverluste durch vertragsrechtliche Umverteilung. Diese seien höher als bei einer Umverteilung mittels des Steuer- und Sozialrechts. Daher sei eine Umverteilung durch das Steuer- und Sozialrecht kostengünstiger und deshalb vorzugswür54

S. nur Zacher, DÖV 1970, 3. Oben, S. 160. 56 Shavell, American Economic Review (Papers and Proceedings) 1981, 414; Ott/Schäfer, JZ 1988, 213, 222; Lucy, Oxford Journal of Legal Studies 1989, 132; Reuter, AcP 1989, 200; Wright, Iowa Law Review 1992, 625, 709; Kaplow/Shavell, The Journal of Legal Studies 1994, 667; G. Wagner, ZEuP 2007, 180, 210; Franck, in: Riesenhuber/Nishitani (Hrsg.), Wandlungen oder Erosion der Privatautonomie?, 2007, S. 71, 85; Eidenmüller, in: Schulze/von Bar/Schulte-Nölke (Hrsg.), Der akademische Entwurf für einen Gemeinsamen Referenzrahmen, 2008, S. 73, 83 ff.; Eidenmüller, European Review of Contract Law 2009, 109, 119 ff.; Polinsky, An Introduction to Law and Economics, S. 153 ff. 57 Eidenmüller, in: Schulze/von Bar/Schulte-Nölke (Hrsg.), Der akademische Entwurf für einen Gemeinsamen Referenzrahmen, 2008, S. 73, 83; die Gegenposition findet sich etwa bei Wilhelmsson, European Law Journal 2004, 712. 55

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§ 4 Vertragsrecht als Instrument zur Implementierung

dig.58 Die zweite Argumentationslinie betrifft die Erfolgsaussichten der Umsetzung verteilungspolitischer Ziele mittels des Vertragsrechts. Eine Umverteilung durch das Vertragsrecht sei weitgehend ausgeschlossen, weil jedweder Verteilungseffekt durch Überwälzung auf die Preise zunichte gemacht würde.59 Die Schlussfolgerung aus diesen Überlegungen ist häufig, dass das Vertragsrecht keine Konkretisierung der Verteilungsgerechtigkeit anstreben soll, sondern vielmehr höchstmögliche Effizienz erreichen soll.60 Diese Annahme steht im Einklang mit der traditionellen Dichotomie öffentlicher und privater Sphären.61 Während das Vertragsrecht mittels Wettbewerb und Markt Vermögen aggregieren soll, bleibt die gerechte Verteilung des so erwirtschafteten Aggregates Aufgabe des öffentlichen Rechts. Die Annahme entspricht auch dem Freiheitsanliegen des Liberalismus, das die private Sphäre dem hoheitlichen Zugriff entziehen möchte.62 So fürchtet etwa Rawls, dass verteilungspolitisch motivierte Eingriffe in das Privatrecht zu starken Beschränkungen der Freiheit eines jeden Einzelnen führen könnten.63 Allerdings ist nicht einsichtig, weshalb die Intensität der Freiheitsbeschränkung durch Umverteilungsmaßnahmen nur deshalb höher sein sollte, weil sie über das Vertragsrecht erfolgt. Auch Umverteilungsmaßnahmen durch das Steuer- und Sozialsystem gehen mit erheblichen Freiheitsbeeinträchtigungen einher.64 1. Effizienzverluste Was die Effizienzverluste anbelangt, so findet sich zunächst häufig das Argument, dass die mit einer über das Vertragsrechtssystem verbundenen Verwal58 S. zu dieser Argumentationslinie insbesondere Shavell, American Economic Review (Papers and Proceedings) 1981, 414; Kaplow/Shavell, The Journal of Legal Studies 1994, 667; ebenso Eidenmüller/Faust/Grigoleit/Jansen/Wagner/Zimmermann, JZ 2008, 529, 535; Eidenmüller, in: Schulze/von Bar/Schulte-Nölke (Hrsg.), Der akademische Entwurf für einen Gemeinsamen Referenzrahmen, 2008, S. 73, 83 ff. Deutlich weniger apodiktisch allerdings die Einschätzung bei Eidenmüller, Effizienz als Rechtsprinzip, S. 289 ff. 59 So etwa Behrens, Die ökonomischen Grundlagen des Rechts, S. 193; G. Wagner, ZEuP 2007, 180; Eidenmüller, in: Schulze/von Bar/Schulte-Nölke (Hrsg.), Der akademische Entwurf für einen Gemeinsamen Referenzrahmen, 2008, S. 73, 84 f.; Eidenmüller, European Review of Contract Law 2009, 109, 120; Polinsky, An Introduction to Law and Economics, S. 156 f. 60 Nachdrücklich etwa Shavell, American Economic Review (Papers and Proceedings) 1981, 414; Kaplow/Shavell, The Journal of Legal Studies 1994, 667; Kaplow/Shavell, Fairness versus Welfare, passim; Eidenmüller, in: Schulze/von Bar/Schulte-Nölke (Hrsg.), Der akademische Entwurf für einen Gemeinsamen Referenzrahmen, 2008, S. 73, 83 ff.; Eidenmüller, European Review of Contract Law 2009, 109, 121. 61 Dazu eingehend oben, S. 99 ff. 62 Dazu schon oben, S. 103 f. 63 Rawls, A Theory of Justice, S. 276 ff. Ähnlich C. Fried, Right and Wrong, S. 143 ff.; Trebilcock, The Limits of Freedom of Contract, S. 100 f. Vgl. zu dieser Argumentation auch Kronman, Yale Law Journal 1980, 472, 506 ff. sowie differenzierend Keren-Paz, McGill Law Journal 2005, 327, 344 ff. 64 Kronman, Yale Law Journal 1980, 472, 506 ff.; S. auch Eidenmüller, in: Pies/Leschke (Hrsg.), John Rawls’ politischer Liberalismus, 1995, S. 123, 125.

B. Eignung des Vertragsrechts

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tungskosten höher seien als die des Steuer- und Sozialsystems.65 Nun ist Umverteilung sicher nie ein verlustfreies Unterfangen. Okun vergleicht Umverteilungsmaßnahmen mit dem Tragen eines löchrigen Wassereimers:66 Man schöpft bei den „Reichen“ und trägt den Eimer zu den „Armen“, stets kommt wegen der Löcher im Eimer weniger an. Die Löcher im Eimer versinnbildlichen die Kosten der Umverteilung. Ob nun die Kosten vertragsrechtlicher Umverteilung oder öffentlich- und sozialrechtlicher Umverteilung höher sind, ist indes eine nur sehr schwer zu ermittelnde empirische Frage.67 Jedenfalls sind auch mit dem Steuer- und Sozialsystem erhebliche Verwaltungskosten verbunden, man denke nur an die zur Beitreibung von Steuern erforderliche Infrastruktur.68 Eine generelle Aussage über die jeweiligen Kosten ist unmöglich. Jedenfalls kann mit dem Hinweis auf die Verwaltungskosten nicht schlüssig begründet werden, weshalb das Vertragsrecht grundsätzlich weniger gut zur Erreichung distributiver Ziele geeignet ist, als das Steuer- und Sozialrecht.69 Darüber hinaus wird auch auf Effizienzverluste hingewiesen, die sich bei Umverteilungsmaßnahmen qua Vertragsrecht ergeben und insbesondere in negativen Anreizen bestehen: So können vertragsrechtliche Regeln distributiver Natur wegen der Kosten für die belastete Partei etwa den negativen Anreiz schaffen, auf Arbeits- und Verdienstmöglichkeiten zu verzichten.70 Auch dieses Argument vermag indes nicht zu überzeugen. Denn auch bei der Umverteilung durch das Steuer- und Sozialsystem können solche negativen Anreize entstehen, die private Allokationsentscheidungen verzerren und zu Ineffizienzen führen. So mag etwa auch eine Erhöhung der Einkommenssteuer einen Anreiz darstellen, weniger zu arbeiten und auf Verdienstmöglichkeiten zu verzichten.71 Effizienzverluste sind also in gleicher Weise bei Umverteilungsmaßnahmen durch das Steuer- und Sozialsystem hinzuneh-

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Betont etwa bei Polinsky, An Introduction to Law and Economics, S. 159. Okun, Equality and Efficiency, the Big Tradeoff, S. 91 ff. 67 S. nur Kronman, Yale Law Journal 1980, 472, 507; Eidenmüller, Effizienz als Rechtsprinzip, S. 287 f. 68 Eidenmüller, Effizienz als Rechtsprinzip, S. 287. 69 Kronman, Yale Law Journal 1980, 472, 507 ff.; Eidenmüller, Effizienz als Rechtsprinzip, S. 287 f. 70 Zu diesen Anreizwirkungen etwa Shavell, American Economic Review (Papers and Proceedings) 1981, 414; Polinsky, An Introduction to Law and Economics, S. 154 f.; Kaplow/ Shavell, The Journal of Legal Studies 1994, 667, 669 ff.; Eidenmüller, Effizienz als Rechtsprinzip, S. 290 f. 71 Die tatsächlichen Effekte sind in ökonomischer Hinsicht natürlich wesentlich komplexer, vgl. nur Rothschild, Ethik und Wirtschaftstheorie, S. 96 ff.; Eidenmüller, Effizienz als Rechtsprinzip, S. 288 m.w.N. Allerdings kommt es hier auf Einzelheiten nicht an. Entscheidend ist, dass Effizienzverluste sowohl bei der Umverteilung durch das Vertragsrecht als auch bei der Umverteilung durch andere Regulierungsinstrumente auftreten, so dass sich kein zwingendes Argument gegen das Vertragsrecht als Medium der Verteilung gewinnen lässt. 66

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§ 4 Vertragsrecht als Instrument zur Implementierung

men.72 Damit sind aber grundsätzliche Aussagen über die Kosten der jeweiligen Umverteilungsmedien (Vertragsrecht versus Steuer- und Sozialsystem) ausgeschlossen.73 Es ist möglich, dass das Vertragsrecht gegenüber dem Steuerund Sozialsystem das kostengünstigere Umverteilungsmedium ist. Ebenso ist auch möglich, dass das Steuer- und Sozialsystem Umverteilung kostengünstiger ermöglicht als das Vertragsrecht.74 2. Effektivitätseinbußen Die zweite Argumentationslinie betrifft die vermutete fehlende Effektivität von Umverteilungsmaßnahmen durch das Vertragsrecht. Diese gilt es im Folgenden näher zu untersuchen. Wenn es um die Effektivität einer Umverteilung durch Vertragsrecht im Vergleich zur Umverteilung durch das Steuer- und Sozialrecht geht, muss ein wichtiger Punkt im Auge behalten werden. Auch das Steuer- und Sozialsystem ist kein perfektes Umverteilungsinstrument. Effizienzverluste zeigen sich auch hier. Steuern werden in einer beträchtlichen Größenordnung hinterzogen. Auch das Sozialsystem wird zum Teil ausgenutzt und führt zu Zahlungen an materiell nicht schutzwürdige Personen.75 Dabei wird zunächst darauf hingewiesen, dass die von der Umverteilungsmaßnahme belastete Partei die ihr entstehenden höheren Kosten schlicht durch Preiserhöhungen auf die begünstigte Partei abwälze.76 So würde die angestrebte Regulierungswirkung zunichte gemacht. Der Gedanke lässt sich anhand eines einfachen Beispiels veranschaulichen. Gesetzt, der Gesetzgeber möchte aus po72 Kronman, Yale Law Journal 1980, 472, 507 ff. Vgl. auch Eidenmüller, in: Pies/Leschke (Hrsg.), John Rawls’ politischer Liberalismus, 1995, S. 123, der auch darauf hinweist, dass bestimmte Steuern zwar nicht zu Effizienzverluste führen (etwa unvermeidbare Steuern), diese aber regelmäßig nicht zur Verfolgung verteilungspolitischer Ziele geeignet sind. 73 Anders Kaplow/Shavell, The Journal of Legal Studies 1994, 667: Umverteilung durch das Steuer- und Sozialsystem sei immer effzienter. Bei der Umverteilung durch das Rechtssystem entstünden zusätzliche Ineffizienzen daraus, dass Regeln nicht wohlfahrtsoptimierend ausgestaltet seien. Kritisch zu diesem als „double-distortion argument“ bezeichneten Gedankengang Eidenmüller, in: Pies/Leschke (Hrsg.), John Rawls’ politischer Liberalismus, 1995, S. 123; Markovits, George Mason Law Review 2005, S. 511. 74 So überzeugend Eidenmüller, in: Pies/Leschke (Hrsg.), John Rawls’ politischer Liberalismus, 1995, S. 123. Anders freilich Eidenmüller, in: Schulze/von Bar/Schulte-Nölke (Hrsg.), Der akademische Entwurf für einen Gemeinsamen Referenzrahmen, 2008, S. 73, 83 ff.; Eidenmüller, European Review of Contract Law 2009, 109, 120 f. 75 Drastisch, aber plastisch die Darstellung bei Kersting, Theorien der sozialen Gerechtigkeit, S. 223 f. Kersting propagiert freilich im Ergebnis einen libertären Minimalstaat und dürfte auch einer – von ihm nicht diskutierten – vertragsrechtlichen Verwirklichung sozialer Umverteilung skeptisch gegenüber stehen. 76 Vgl. nur Behrens, Die ökonomischen Grundlagen des Rechts, S. 193; Polinsky, An Introduction to Law and Economics, S. 156 f.; G. Wagner, ZEuP 2007, 180, 204 f.; Eidenmüller, in: Schulze/von Bar/Schulte-Nölke (Hrsg.), Der akademische Entwurf für einen Gemeinsamen Referenzrahmen, 2008, S. 73, 83 f.; Eidenmüller, European Review of Contract Law 2009, 109, 120.

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litischen Gründen Autokäufer gegenüber Autoverkäufern besserstellen. Er könnte zu diesem Zweck etwa für den Verkauf von Autos eine zwingende dreijährige Garantie einführen. Ziel wäre es, die Käufer gegenüber den Verkäufern besserzustellen. Gegenüber dem alten Rechtszustand würde diese Regelung eine Verschlechterung für die Verkäufer bedeuten. Die zwingende Garantie ist für sie mit Kosten verbunden; betriebswirtschaftlich lassen sich diese nach den Wahrscheinlichkeiten von Garantiefällen und deren Kosten spezifizieren. Gerade diese Kosten wird nun aber der Verkäufer auf den Preis der Autos aufschlagen. Sie wären für die Käufer nur mehr teurer zu erhalten. Damit würde letztlich die intendierte Besserstellung der Käufer konterkariert. Nun ist allerdings wiederholt nachgewiesen worden, dass das hier gezeichnete Bild stark verzerrt und viel zu undifferenziert ist.77 Welche Wirkungen durch regulierende Maßnahmen im Bereich des Vertragsrechts konkret ausgelöst werden, ist nur schwer ermittelbar und noch schwerer vorhersehbar.78 Die tatsächlichen Auswirkungen hängen sehr stark von den Gegebenheiten der jeweils betroffenen Märkte ab. Es sind zwar Marktkonstellationen denkbar, in denen eine entsprechende Abwälzung möglich ist.79 Ebenso gut sind aber Marktkonstellationen denkbar, die eine Abwälzung durch die belastete Partei nicht zulassen.80 Maßgeblich dafür ist insbesondere die Elastizität von Angebot und Nachfrage.81 Damit lässt sich Umverteilung mittels des Vertragsrechts auch nicht mit dem Argument ablehnen, die Parteien würden die intendierte Umverteilungswirkung ohnehin wieder zunichte machen. Auch hier gilt, dass verallgemeinernde Aussagen unmöglich sind und die konkreten Marktgegebenheiten entscheiden. Effektive Umverteilung mittels des Vertragsrechts ist durchaus möglich, insbesondere bei inelastischem Angebot (das nicht wesentlich auf Preisänderungen reagiert) und elastischer Nachfrage (die stark auf Preisänderungen reagiert). 3. Unerwünschte Regulierungswirkungen Vertragsrechtliche Umverteilung kann allerdings in seinen tatsächlichen Auswirkungen unerwünschte Folgen nach sich ziehen. Insbesondere können vertragsrechtliche Umverteilungsmaßnahmen dazu führen, dass die marginalen Nachfrager ausgepreist werden. Diejenigen Nachfrager, die sich vor der Um77 Grundlegend: Kennedy, Maryland Law Review 1982, 563; Craswell, Stanford Law Review 1991, 361; s. auch Collins, Regulating Contracts, S. 276 ff.; Eidenmüller, Effizienz als Rechtsprinzip, S. 198 ff. 78 Collins, Regulating Contracts, S. 276 f. Zur Komplexität aller Versuche, die tatsächlichen Auswirkungen vertraglicher Regulierung zu ermitteln, grundlegend schon Williamson, The Journal of Law and Economics 1979, 233; Williamson, Journal of Law, Economics, and Organization 1985, 177. 79 Kennedy, Maryland Law Review 1982, 563. 80 Eidenmüller, Effizienz als Rechtsprinzip, S. 298. 81 Kennedy, Maryland Law Review 1982, 563.

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§ 4 Vertragsrecht als Instrument zur Implementierung

verteilungsmaßnahme das betroffene Gut gerade noch leisten konnten, können dies nun nicht mehr, sofern das Gut nur ein kleines bisschen teurer wird.82 Die marginalen Schutzpersonen werden damit aus dem Markt „ausgepreist“. Dieser Einwand ist durchaus ernst zu nehmen, insbesondere deshalb, weil die marginalen Nachfrager eines Gutes häufig gerade diejenigen Personen sein werden, die besonderen sozialen Schutz verdienen können.83 Wenn sich der Gesetzgeber zu einer verteilungspolitischen Maßnahme durch das Vertragsrecht entschließt, muss er sich dieses Nachteils bewusst sein. Dazu tritt ein weiterer unerwünschter Nebeneffekt vertragsrechtlicher Regulierung. Diese führt regelmäßig zu einer Kross-Subventionierung innerhalb der Gruppierung der bevorzugten Gruppe. Diejenigen, die die Verbesserung durch die Umverteilungsmaßnahme besonders zu schätzen wissen, werden durch diejenigen subventioniert, denen die Umverteilungsmaßnahme eigentlich nichts oder nur wenig wert ist.84 Auch dieser Aspekt spricht zwar nicht zwingend gegen jede vertragsrechtlich bewirkte Umverteilung, darf aber nicht aus dem Auge verloren werden. 4. Präzisionsdefizite Ein weiteres Argument, das gegen einen Einsatz des Vertragsrechts zur Vermögensumschichtung von „reich“ zu „arm“ spricht, liegt in der vergleichsweise geringen Präzision vertragsrechtlicher Umverteilung. Gerade hier bietet das Steuer- und Sozialsystem Vorteile. So setzt etwa das Einkommenssteuerrecht am Einkommen an. Damit ist zumindest im gesetzlichen Zielpunkt zwar kein perfektes, aber ein relativ präzises und plausibles Kriterium zur Ermittlung der „Reichen“ gegeben. Das Sozialrecht wiederum kann die Bedürftigkeit in unterschiedlichen Facetten unter anderem auch anhand der Einkommensverhältnisse ermitteln. Ähnlich präzise Maßstäbe fehlen aber im Vertragsrecht, weil „Reiche“ und „Arme“ in allen vertragsrechtlichen Stellungen auftreten können. Das Raster der hier einsetzbaren Abgrenzungskriterien ist regelmäßig zu grob.85 So ist nicht etwa jeder Mieter von Wohnraum sozial bedürftig. Auch reiche Personen können Mieter sein. Auch ist nicht jeder Vermieter zwingend reich. Ähnliches trifft für die in jüngerer Zeit enorm an Bedeutung gewinnende Kategorie des Verbrauchers zu. Reiche können 82 Eidenmüller, Effizienz als Rechtsprinzip, S. 298; Polinsky, An Introduction to Law and Economics, S. 154 f. 83 Eidenmüller, Effizienz als Rechtsprinzip, S. 304 formuliert mit Blick auf ein mietrechtliches Beispiel plastisch: „Diese marginalen Mieter sind die ,Ärmsten der Armen‘“. 84 G. Wagner, ZEuP 2007, 180, S. 180, 208 ff.; Eidenmüller, in: Schulze/von Bar/SchulteNölke (Hrsg.), Der akademische Entwurf für einen Gemeinsamen Referenzrahmen, 2008, S. 73, 85; Eidenmüller, European Review of Contract Law 2009, 109, 121. 85 Vgl. etwa Polinsky, An Introduction to Law and Economics, S. 160; Ott/Schäfer, JZ 1988, 213, 222.

B. Eignung des Vertragsrechts

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ebenso gut wie Arme als Verbraucher auftreten.86 Ein weiteres Problem, das die mangelnde Präzision anbelangt, ist die wohl geringere Bandbreite vertragsrechtlicher Umverteilung.87 Diese erstreckt sich immer nur auf die Teile der anvisierten Personengruppe, die tatsächlich die jeweils regulierten Verträge schließen. 5. Fazit Mit Mitteln des Vertragsrechts lassen sich gezielte und systematische Umschichtungen von Vermögen nur mit erheblichen Schwierigkeiten erreichen. Zum einen ist nicht sichergestellt, dass vertragsrechtliche Regulierung tatsächlich zu einer Umverteilung von sozial Starken hin zu sozial Schwachen führt. Auch wenn dies der Fall ist, können immer nur Teilgruppen der Bevölkerung erreicht werden.88 Zugleich werden gerade die am schutzwürdigsten erscheinenden marginalen Nachfrager aus dem Markt herausgepreist. Daher kann es insgesamt zu Fehlsteuerungen kommen, so dass die verteilungspolitisch erwünschten Wirkungen nicht vollständig oder überhaupt nicht eintreten. Intelligente Regulierungsmodelle können diesen Nachteilen allerdings in Grenzen abhelfen.89 So könnte etwa der Schutz marginaler Nachfrager durch zusätzliche staatliche Subventionen sichergestellt werden.90 Insgesamt ist die Verwirklichung der iustitia distributiva als soziale Umverteilungsgerechtigkeit mittels des Vertragsrechts durchaus möglich.91 Der oft pauschal geäußerte Verdacht, der Markt würde jegliche Regulierungswirkung durch den Preismechanismus kompensieren, ist nicht haltbar.92 Gleichwohl empfiehlt sich das Vertragsrecht durch die fehlende Präzision und Effektivität seiner Mechanismen jedenfalls nicht als ausschließliches Instrument der Umverteilung. Inwieweit das Vertragsrecht ergänzend neben dem Steuer- und Sozialsystem auch zur Verwirklichung sozialer Umverteilungsgerechtigkeit eingesetzt wird, ist letztlich eine von schwierigen Prognosen abhängige rechtspolitische Frage. Aus vertragstheoretischer Sicht bestehen aber keine grundsätzlichen Bedenken, das Vertragsrecht zumindest in Einzelfällen ergänzend zum Steuer- und Sozialrecht auch als Medium der Umverteilung zu instrumentalisieren.93 Selbstverständ86 Das Verbraucherschutzrecht wäre natürlich ohnehin als Maßnahme sozialer Umverteilungsgerechtigkeit nur unzutreffend charakterisiert. 87 Eidenmüller, Effizienz als Rechtsprinzip, S. 304 f. 88 Eidenmüller, Effizienz als Rechtsprinzip, S. 304 f. 89 Dazu Eidenmüller, a.a.O., S. 305 f. 90 Eidenmüller, a.a.O., S. 306. 91 So auch mit Blick auf den Schwächerenschutz, der mit Umverteilungsmaßnahmen einhergeht Gsell, JZ 2012, 809, 815. 92 Fastrich, in: Heldrich/Prölss/Koller (Hrsg.), Festschrift für Claus-Wilhelm Canaris, 2007, S. 1071, 1079 ff. 93 Ebenso i.E. Zacher, DÖV 1970, 3; Neuner, Privatrecht und Sozialstaat, S. 231 ff.; Gsell, JZ 2012, 809, 815; s. auch zu verschiedenen Regulierungsmöglichkeiten etwa Collins, in: Wilhelmsson/Paunio/Pohjolainen (Hrsg.), Private Law and the Many Cultures of Europe, 2007, S. 155,

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§ 4 Vertragsrecht als Instrument zur Implementierung

lich ist der Gesetzgeber dabei insbesondere dem Verhältnismäßigkeitsprinzip unterworfen.94 Neuner zufolge ist dabei als Vorzug einer Verteilung durch das Vertragsrecht auch zu bedenken, dass durch diese verfassungsrechtliche Vorgaben des Sozialstaatsprinzips möglicherweise verwirklicht werden können, ohne die Staatskasse unmittelbar zu belasten: Denn die Vermögensumschichtung erfolgt idealerweise ja unmittelbar im Verhältnis zwischen den Privatrechtssubjekten.95 Dieses Argument stimmt freilich nur „cum grano salis“. Denn ökonomisch betrachtet führt die unmittelbare Belastung eines Privatrechtssubjekts mittelbar auch zu einer Belastung der Staatskasse, insbesondere wenn es sich um eine ineffiziente Regulierungsmaßnahme handelt.96

V. Verhaltenssteuerung, Prävention Die Gerechtigkeitsperspektive der iustitia distributiva liegt immer dann vor, wenn die durch das Vertragsrecht generierten Verteilungen in ihrer Gerechtigkeit auch in ihren Folgewirkungen beurteilt werden, die über die unmittelbare vertragliche Verteilungswirkungen hinausgehen. Die mit der iustitia distributiva einhergehende Verallgemeinerung ermöglicht es, vertragsrechtliche Regelungen insbesondere mit Blick auf ihre Auswirkungen auf das künftige Verhalten der Privatrechtssubjekte zu analysieren. Vertragsrecht wird insoweit nicht lediglich als ex post zum Einsatz gelangendes Ausgleichsinstrument verstanden, sondern als Instrument der Verhaltenssteuerung.97 Insbesondere kann das Vertragsrecht auch in seinen präventiven Wirkungen betrachtet werden, wenn es darum geht, ein von der Rechtsordnung unerwünschtes Verhalten zu verhindern.98 Im Fokus der Diskussion steht dabei insbesondere das Haftungsrecht.99 Doch auch etliche vertragsrechtliche Regelungen lassen sich als Ausdruck der iustitia distributiva insofern erklären, als sie Privatrechtssubjekte zu 15994ff.; Eidenmüller, Effizienz als Rechtsprinzip, S. 306; anders allerdings die Position Eidenmüllers in seinen jüngeren Schriften, s. Eidenmüller, in: Schulze/von Bar/Schulte-Nölke (Hrsg.), Der akademische Entwurf für einen Gemeinsamen Referenzrahmen, 2008, S. 73, 85: „Insgesamt ist daher die Schlussfolgerung wohlbegründet, dass Umverteilung kein sinnvolles rechtspolitisches Ziel im Vertragsrecht ist.“ sowie Eidenmüller, European Review of Contract Law 2009, 109, 121: „Therefore, there is good reason to conclude that redistribution is not a reasonable aim of legal policies in contract law.“. 94 Dazu eingehend Neuner, Privatrecht und Sozialstaat, S. 231 ff. 95 Neuner, a.a.O., S. 115 f. 96 Die Ineffizienz einer vertragsrechtlichen Regulierungsmaßnahme spricht dabei nicht schon zwingend gegen sie: Man mag die Ineffizienz der erzielten Verteilungswirkungen willen in Kauf nehmen wollen. 97 S. zu dieser Perspektive auch Riesenhuber/Möslein, in: Riesenhuber (Hrsg.), Perspektiven des europäischen Schuldvertragsrechts, 2008, S. 1, 10 ff.; Möslein, JZ 2010, 72, 76 f. 98 Dabei ist der Präventionsgedanke von der Strafe zu trennen, vgl. Ebert, Pönale Elemente im deutschen Privatrecht, S. 366 ff.; G. Wagner, AcP 2006, 352, 362 ff. 99 Zur Verhaltenssteuerung durch Haftungsrecht stellvertretend Jansen, Die Struktur des Haftungsrechts, S. 146 ff. sowie zusammenfassend S. 631 ff.

B. Eignung des Vertragsrechts

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einem bestimmten Verhalten anhalten oder ein bestimmtes Verhalten verhindern wollen.100 So lassen sich etwa die Regeln über Verzugszinsen (insbesondere § 288 BGB) erklären.101 Sie dienen dazu, Verzug im Geschäftsverkehr zu verhindern, wie der Titel der Zahlungsverzugsrichtlinie102 deutlich zum Ausdruck bringt. Als jüngere Beispiele fallen die §§ 241a und 661a BGB ins Auge, die bestimmte unerwünschte Wettbewerbsverhalten (das Zusenden unbestellter Waren bzw. irreführende Gewinnmitteilungen) verhindern sollen.103 Aber auch vertragsrechtliche Gerichtsentscheidungen lassen sich manchmal vor allem damit erklären, dass Privatrechtssubjekte zu einem bestimmten Verhalten angehalten werden sollen. So schuf der BGH etwa in BGHZ 179, 289 zusätzliche Anreize für Vermieter, sozial erwünschte Sanierungen von Mietwohnungen durchzuführen.104 Dass das Zivilrecht generell dazu geeignet sein kann, das Verhalten der Privatrechtssubjekte in bestimmte Richtungen zu beeinflussen, liegt auf der Hand.105 Gegenüber öffentlich-rechtlichen Mechanismen weist das Vertragsrecht als Mittel der Verhaltenssteuerung auch den Vorzug auf, dass das Wissen und die Initiative Privater regulativ genutzt werden kann.106 Die Durchsetzung des Regulierungszieles kann dabei im besten Fall im Wege des Selbstvollzugs der rechtlichen Regelungen erfolgen, der keine Kosten der Rechtsdurchsetzung generiert.107 § 241a BGB bietet ein gutes Beispiel, scheint die Norm doch die Praxis wettbewerbswidriger Gewinnzusagen wirksam eingedämmt zu haben, ohne dass die Gerichte damit belastet worden wären.108 Der Grund für die mögliche Effektivität des Vertragsrechts als Mittel zu Verhaltenssteuerung und Prävention liegt auf der Hand. Selbstverständlich orientieren sich Private in ihrem Handeln an dem regulativen Rahmen, den die Vertragsrechtsordnung zur Verfügung stellt.109 Zugleich haben mögliche Effizienzverluste hier kein hohes Gewicht. Denn der Gesetzgeber mag es als wünschenswert betrachten, Effizienzverluste in Kauf zu nehmen. Die Verhaltenssteuerung kann dem Gesetzgeber nämlich aus außerhalb des Effizienzkriteriums liegenden Gründen ein Anliegen sein. Wenn er diese Gründe höher einschätzt als die befürchteten Effizienzverluste, ist dagegen aus vertragstheoretischer Sicht nichts einzuwenden. Indes kann auch die Effektivität vertragsrechtlicher Verhaltens100

S. inbesondere G. Wagner, AcP 2006, 352, 364 ff. Ebert, Pönale Elemente im deutschen Privatrecht, S. 403 f.; G. Wagner, AcP 2006, 352, S. 387. 102 Richtlinie 2000/35/EG des Europäischen Parlaments und des Rates zur Bekämpfung von Zahlungsverzug im Geschäftsverkehr v. 29.6.2000, ABl. EG L 2000/35 v. 8.8.2000. 103 Dazu nur G. Wagner, AcP 2006, 352, 369 ff. m.w.N. 104 Dazu näher unten, S. 340 f. 105 Collins, Regulating Contracts, S. 65 ff.; G. Wagner, AcP 2006, 352, 445 ff. 106 G. Wagner, AcP 2006, 352, 446 f. 107 Collins, Regulating Contracts, S. 65 ff.; G. Wagner, AcP 2006, 352, 447. 108 Olzen, in: Staudinger, BGB, § 241a BGB Rn. 1. 109 Eindringlich dazu G. Wagner, AcP 2006, 352, 426 f. 101

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§ 4 Vertragsrecht als Instrument zur Implementierung

steuerung problematisch sein. Die Parteien mögen etwa die zivilrechtliche Sanktion ihrerseits in Kauf nehmen wollen, um das jeweilige Verhalten auszuführen. Entscheidend ist dabei aus ökonomischer Sicht die Relation der Sanktionskosten zu den Gewinnen aus dem Verhalten.110 Welche konkreten Wirkungen vertragliche Regelungen haben werden, ist stets eine schwierige Prognosefrage, die von den im Einzelnen komplexen wirtschaftlichen und sozialen Zusammenhängen abhängt. Maßgeblich ist dabei die Einschätzungsprärogative des Gesetzgebers, dem es keineswegs verwehrt ist, Vertragsrecht auch zur Steuerung des Verhaltens von Privatrechtssubjekten einzusetzen.111 Für die Rechtsprechung gilt im Ausgangspunkt dasselbe. Selbstverständlich müssen Zivilrichter die Einschätzungsprärogative des Gesetzgebers beachten. In diesem Rahmen und innerhalb der verfassungsrechtlichen Grenzen können sie aber auch mögliche oder wahrscheinliche Effekte berücksichtigen, die ihre Entscheidungen auf das Verhalten der Privatrechtssubjekte haben.

VI. Paternalismus und Schwächerenschutz Mit der Perspektive der iustitia distributiva geht eine gegenüber der iustitia commutativa stärkere Kontextualisierung einher. Die Privatrechtssubjekte werden nicht mehr nur in ihrer abstrakten Rolle (insbesondere als Schuldner oder Gläubiger) betrachtet, sondern auch in ihrer konkreten sozialen Rolle (etwa als Mieter, Arbeitnehmer oder Bürge). Vertragsrechtliche Regulierung kann nun auch dazu dienen, schwächere Privatrechtssubjekte zu stärken, ihnen stärkere Rechtspositionen gegenüber ihren Vertragspartnern einzuräumen.112 Dabei lassen sich einige regulative Ziele (wie etwa der Schutz des Arbeitnehmers vor Kündigungen) kaum anders als durch vertragsrechtliche Regeln erreichen.113 Auch ermöglicht die Perspektive der iustitia distributiva einen paternalistischen Ansatz etwa zur Vermeidung von Rationalitätsdefiziten114 oder zum Schutz bestimmter Personengruppen.115 Paradigma dieses Schutzes ist der Minderjährigenschutz. Die tatsächlichen Folgen solcher Regulierungswirkungen sind allerdings wiederum oft schwer zu prognostizieren. Dabei sind jedoch generelle Zweifel an ihrer Effektivität nicht angezeigt. Der Minderjährigenschutz bietet hierfür ein gutes Beispiel. Es kann kein Zweifel bestehen, dass Minderjährige in unserer Gesellschaft auch durch das sie schüt110 Vgl. zur Problematik der Effektivität zivilrechtlicher Sanktionen insbesondere Collins, Regulating Contracts, S. 90 ff. 111 G. Wagner, AcP 2006, 352, 426. 112 S. etwa Lewinsohn-Zamir, Minnesota Law Review 2006, S. 326, 380 ff. 113 Canaris, Die Bedeutung der iustitia distributiva im deutschen Vertragsrecht, S. 78 ff. 114 Dieser Aspekt ist wesentliches Ziel des liberalen Paternalismus, s. Eidenmüller, JZ 2011, 814, 815 ff. 115 Vgl. auch Kroman, Yale Law Journal 1983, 472 Neuner, JZ 2003, 57, 60 ff.

B. Eignung des Vertragsrechts

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zende Vertragsrecht vor möglichen negativen Folgen rechtsgeschäftlichen Handelns effektiv geschützt werden. Bei paternalistischen Zielen und dem Schutz Schwächerer steht rechtspolitisch auch der Streit über die Berechtigung der jeweiligen Ziele an sich im Vordergrund. Dies zeigt etwa die Diskussion um den Schutz von Bürgen naher Familienangehöriger. Ein weiteres Beispiel für den Schutz Schwächerer bieten Kontrahierungszwänge, die einen fairen Zugang aller Bürger zu lebenswichtigen Einrichtungen wie Wasser oder Strom sicherstellen.116 Eine wichtige Rolle spielt dabei die Sicherung materieller Grundbedürfnisse der Menschen – etwa nach einer Wohnung, nach einem Arbeitsplatz, nach der Versorgung mit Wasser oder Energie. Große Teile des Individualarbeitsrechts, aber auch des sozialen Mietrechts lassen sich mit diesem Gedanken erklären, der letztlich eine Umordnung von Freiheitssphären zugunsten der schwächeren Personen bedeutet. Auch vertragsrechtliche Diskriminierungsverbote gehören hierher.117 Effizienzverluste können ähnlich wie bei der Instrumentalisierung des Vertragsrechts zur Umverteilung von Vermögen selbstverständlich auftreten.118 Doch auch hier gilt: Diese Verluste mag der Gesetzgeber zur Erreichung eines regulativen Ziels in Kauf nehmen wollen. Der Schwächerenschutz mag sich zwar möglicher Weise auch als effizient erweisen, er muss es aber nicht, weil er ein von der Effizienz getrennter, eigenständiger Bestandteil der objektiven Gerechtigkeitsidee ist. Schwierigkeiten kann aber auch hier die fehlende Präzision des Vertragsrechts bereiten. Kriterien, die materielle Schutzbedürftigkeiten verbürgen sollen, sind nicht immer passgenau. Mieter können reicher als ihre Vermieter sein. Auch führt die aus Gründen der Rechtssicherheit gebotene Formalisierung der Schutzbedürftigkeit dazu, dass Personen in den Genuss einer Besserstellung gelangen können, die dies konkret kaum zu verdienen scheinen. Der Einsatz des Vertragsrechts bietet hier aber auch Vorzüge. Die Schwächeren können sich in den genannten Bereichen mittels Verträgen auf Märkten bewegen. Dies fördert ihre Wahrnehmung als frei und autonom agierende Individuen, was für die Stabilität unserer Gesellschaftsordnung und ihren Frieden wünschenswert erscheint. Hoheitliche Regulierung zum Schutz Schwächerer geht dagegen immer mit der Gefahr einher, dass sich der Einzelne als Subjekt nicht mehr ernstgenommen, sondern vielmehr als Objekt staatlicher Wohltaten verwaltet fühlt. Unter diesem Aspekt kann auch der Schutz Schwächerer das Postulat der Vertragsfreiheit sichern. Zudem darf selbstverständlich auch hier nie vergessen werden, dass die alternativ zur Verfügung stehenden Regulierungsmittel ihrerseits nie vollständig effizient, effektiv und präzise sein können. Der 116

S. dazu im Einzelnen unten, S. 411 ff. Ebenso etwa Neuner, in: Leible/Schlachter (Hrsg.), Diskriminierungsschutz durch Privatrecht, 2006, S. 73, 80 f. Thüsing beschreibt auch den Diskriminierungsschutz durch das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz treffend als Ausdruck der Suche des Rechts nach Gerechtigkeit, Thüsing, ZGS 2005, 49. 118 Eingehend dazu oben, S. 274 ff. 117

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§ 4 Vertragsrecht als Instrument zur Implementierung

Einsatz des Vertragsrechts als Verteilungsmedium ist damit wiederum eine Frage des Einzelfalles und hängt insbesondere von der vorrangigen Einschätzung durch die Gesetzgebung ab.

VII. Berücksichtigung von Interessen- oder Risikogemeinschaften Weil die iustitia distributiva den Blick von dem unmittelbar betroffenen Vertragsverhältnis löst, kann sie auch mehrere Vertragsbeziehungen in ihrer Verbundenheit betrachten, selbst wenn bei einer formalen Analyse keine rechtliche Verbindung besteht. Ein Paradebeispiel hierfür bietet die Rechtsprechung zur Repartierungspflicht des Schuldners bei der Vorratsschuld. Wenn der Vorrat des Schuldners teilweise untergeht, so dass er nicht mehr alle Gläubiger vollständig bedienen kann, muss er nach der Rechtsprechung gem. § 242 BGB den verbliebenen Vorrat anteilig auf die verschiedenen Gläubiger aufteilen.119 Aus der Perspektive der iustitia commutativa lässt sich dieses Ergebnis kaum begründen. Jeder der betroffenen Gläubiger steht in einem bei formaler Analyse rechtlich eigenständigen Vertragsverhältnis zum Schuldner. Die Auswirkungen der Knappheit auf andere Verträge interessieren aus Binnensicht der jeweiligen bipolaren Austauschverhältnisse nicht. Die iustitia distributiva ermöglicht allerdings, alle betroffenen Vertragsverhältnisse in ihrer ökonomischen Verbundenheit zu betrachten. Dem Gebot der iustitia distributiva entspricht es, alle Gläubiger als Teil einer Risikogemeinschaft zu betrachten. Daher sind die aus der Verwirklichung des Risikos – der Verknappung des Vorrats – resultierenden Nachteile von allen Gläubigern gleich, also grundsätzlich nach der ratio der jeweiligen Bestellmengen zu tragen.120 Die Eignung des Vertragsrechts zur Verwirklichung der iustitia distributiva steht hier kaum in Frage. Das Vertragsrecht kann die gerechte Risikoteilung in diesen Fällen sicher kostengünstiger und effektiver umsetzen als eine hoheitliche regulative Maßnahme. Auch die Präzision des Vertragsrechts dürfte hier besonders hoch sein. Man mag wiederum rechtspolitisch über die Kriterien streiten wollen, aus denen sich eine Risikogemeinschaft im oben beschriebenen Sinne ergibt. Gleichwohl dürften diese Kriterien in der Regel zumindest treffsicherer sein als die Kriterien zur Ermittlung besonderer Schutzbedürftigkeiten.

VIII. Gemeinwohlinteressen Die iustitia distributiva erweitert die Perspektive des Vertragsrechts auch für Belange und Interessen der Allgemeinheit. Ein Beispiel bietet der Kontrahierungszwang privater Krankenversicherer zur Realisierung gesundheitspoliti119 RGZ 84, 125, 128 f; 100, 134, 136 f; Gsell, Beschaffungsnotwendigkeit und Leistungspflicht, S. 169 ff. 120 Einzelheiten unten, S. 432 ff.

C. Das Verteilungsverfahren im Vertragsrecht

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scher Ziele.121 Die grundsätzliche Eignung des Vertragsrechts zur Erreichung dieses Ziels lässt sich kaum mehr bestreiten, weil der Markt für private Krankenversicherung trotz der Einführung des Basistarifs keine nennenswerten Einbrüche erlitten hat.122 Problematisch ist hier allerdings wiederum die fragwürdige Präzision der durch den Kontrahierungszwang bewirkten Umverteilung zulasten der privat Versicherten. Man könnte zwar vermuten, dass privat Versicherte generell finanzstärker sind als Mitglieder der gesetzlichen Krankenkassen. Indes gibt es auch viele Mitglieder privater Krankenversicherer, die nicht besonders finanzstark sind.123 Wie die dadurch begründeten Präzisionsverluste einzuschätzen sind, ist letztlich eine empirische Frage, die mangels verlässlicher Studien der Einschätzungsprärogative des Gesetzgebers unterliegt.124 Als weiteres Beispiel für ein Gemeinwohlinteresse könnte man die Stärkung des europäischen Binnenmarktes mittels verbraucherschutzrechtlicher Regelungen betrachten. Effizienzverluste mag man auch hier zugunsten des Regulierungszieles in Kauf nehmen wollen.

C. Das Verteilungsverfahren im Vertragsrecht Das Vertragsrecht hat sich als potentielles Medium zur Konkretisierung der objektiven Gerechtigkeitsidee in Form der iustitia distributiva erwiesen. Seine konkrete Eignung hängt von den jeweiligen ökonomischen und gesellschaftlichen Kontexten des einzelnen Anwendungsbereiches ab. Verteilung durch das Vertragsrecht entspricht nicht dem traditionellen Bild.125 Als dessen Paradigma mag das Flötenbeispiel des Aristoteles dienen: Die Polis verteilt unter ihren Bürgern die besten Flöten nach dem Maßstab der besten Fähigkeiten im Flötenspiel.126 Traditionell verteilt also eine übergeordnete Instanz ein (potentiell knappes) Gut unter mehreren Personen. Wie aber vollzieht sich das Verteilungsverfahren im Vertragsrecht? Das traditionelle Bild lässt sich – mit einigen Präzisierungen – auch auf das Vertragsrecht übertragen und für die Analyse des Vertragsrechts furchtbar machen.

121

S. dazu schon eingehend oben S. 211 ff. Dazu ausführlich unten, S. 424 ff. 123 S. auch unten, S. 431. 124 Zu den verfassungsrechtlichen Grenzen dieser Prärogative in diesem Kontext Hufen, NZS 2009, 649. 125 Klassische Verteilungsentscheidungen und -verfahren analysieren etwa Malaviya, Verteilungsentscheidungen und Verteilungsverfahren; Wollenschläger, Verteilungsverfahren. 126 Dazu Canaris, Die Bedeutung der iustitia distributiva im deutschen Vertragsrecht, S. 19 f. 122

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§ 4 Vertragsrecht als Instrument zur Implementierung

I. Verteilende Instanz Im Flötenbeispiel ist die polis die Instanz, die die Flöten verteilt. Auch im Vertragsrecht einer Privatrechtsgesellschaft ist letztlich stets der Staat die verteilende Instanz, auch wenn ihm nicht für jede vertragsrechtliche Verteilung ein konkreter Verteilungsakt zugeschrieben werden kann.127 1. Gesetzgeber In erster Linie ist der Gesetzgeber die im Vertragsrecht verteilende Instanz. Die Regelungen des Vertragsrechts bestimmen einen großen Teil aller durch das Vertragsrecht erzielten Verteilungseffekte maßgeblich mit. Dabei kann der Gesetzgeber Verteilungsentscheidungen nicht nur mit zwingenden (oder halbzwingenden) Normen treffen, sondern auch mittels dispositiver Regelungen. Dispositives Recht ist nicht nur wegen seiner stickiness dazu geeignet, Gerechtigkeit im Sinne der iustitia distributiva zu verwirklichen.128 Es prägt das Verhalten der Privatrechtssubjekte als im Hintergrund wirkende normale Ordnung auch schon bei ihren Vertragsverhandlungen, indem es informiert und Verhandlungslasten schafft.129 Auch was die Erscheinungsform der Verteilungsgerechtigkeit als soziale Gerechtigkeit anbelangt, ergibt sich aus der Verfassung eine Einschätzungs- und Handlungsprärogative zugunsten des Gesetzgebers. Diese folgt schon aus dem Gewaltenteilungsprinzip und der Gesetzesbindung der Judikative (Art. 20 Abs. 2 und 3 GG). Diese Prärogative bedeutet allerdings keine unbegrenzte Freiheit des Gesetzgebers.130 Formell ist der Gesetzgeber nur im Rahmen der von der Verfassung gezogenen Grenzen frei, materiell ist er zusätzlich durch gesellschaftliche Grundkonsense und parteipolitische Zwänge begrenzt. 2. Richter Neben dem Gesetzgeber gehören insbesondere die Zivilgerichte zu den im Vertragsrecht maßgeblichen verteilenden Instanzen.131 Jede Entscheidung des Richters bedeutet eine Verteilung von Risiken, Lasten, Chancen und Vermö127

Diese Analyse stimmt mit der Gerechtigkeitslehre Kants insofern überein, als auch für Kant die iustitia distributiva nur im Rechtszustand der bürgerlichen Gesellschaft und durch staatliche Gerichte ausgeübt werden kann, vgl. Kant, Die Metaphysik der Sitten, AkademieAusgabe Band VI, § 41, S. 306. Dazu Byrd/Hruschka, Kant’s Doctrine of Right, S. 73 f.; Harke, ARSP 2005, 459. 128 Oben, S. 270 ff. 129 Dazu eingehend Kähler, Begriff und Rechtfertigung abdingbaren Rechts, S. 162 ff. 130 Neuner zieht zu Recht eine Grenze dort, wo der Kern oberster Rechtsprinzipien verletzt ist, vgl. Neuner, Privatrecht und Sozialstaat, S. 117 m.w.N. 131 Kant versteht die von staatlichen Gerichten im status civilis ausgeübte Gerechtigkeit als iustitia distriva, vgl. Kant, Die Metaphysik der Sitten, Akademie-Ausgabe Band VI, § 41, S. 306. S. auch Byrd/Hruschka, Kant’s Doctrine of Right, S. 38 f., Harke, ARSP 2005, 459.

C. Das Verteilungsverfahren im Vertragsrecht

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gen zwischen den betroffenen Vertragsparteien. Solche Verteilungswirkungen bestehen potentiell aber auch über die konkrete Entscheidung hinaus. Wenn iustitia distributiva von einer Vertragspartei geübt werden soll – etwa bei der Repartierung des noch vorhandenen Vorrats bei der Vorratsschuld auf mehrere Gläubiger – wird dieser Partei die Anwendung eines Gerechtigkeitsmaßstabs aufgezwungen, der etwa die Gleichbehandlung aller Vertragspartner sein kann. Auch in dieser Struktur beruht die Verteilung aber auf der Entscheidung des Gerichts, die der Vertragspartei die Anwendung des Gerechtigkeitsmaßstabs aufoktroyiert. Teilweise wird die Legitimität richterlicher Verteilungsentscheidungen angezweifelt.132 Insbesondere habe die Rechtsprechung keine Legitimation dazu, Verteilungsgerechtigkeit in Form sozialer Umverteilungsgerechtigkeit durchzusetzen. Die politische Natur solcher Umverteilungsmaßnahmen erfordere eine demokratische Legitimation, die Richtern nicht zukomme.133 Diese grundlegende Skepsis gegenüber richterlichen Verteilungsentscheidungen ist im Ausgangspunkt nachvollziehbar, aber nicht vollständig gerechtfertigt.134 Dass in der richterlichen Entscheidung auch rechtspolitische Aspekte Eingang finden, ist nicht zu vermeiden. Jeder richterlichen Entscheidung kommt zwingend Verteilungswirkung zu, der Richter kann daher kaum ohne Berücksichtigung dieser Wirkungen seine Entscheidungen treffen. Selbstverständlich gilt der Vorrang gesetzgeberischer Entscheidungen, der sich in Form der Gesetzesbindung auswirkt und freie Verteilungsentscheidungen des Richters von vornherein ausschließt.135 3. Der Schatten des Rechts Nicht jede durch Verträge bewirkte Verteilung lässt sich einer konkreten Rechtsnorm (und damit einem Akt der Legislative) oder einer konkreten Entscheidung (und damit einem Akt der Judikative) zuordnen. Vielmehr erfolgt die große Mehrzahl der durch Verträge bewirkten Verteilungen von selbst, durch Handlungen der Vertragsparteien, die vertragliche Verpflichtungen begründen und umsetzen. In diesen Fällen scheint die Verteilung auf den ersten Blick ohne staatliche Beteiligung nur durch die Privatrechtssubjekte selbst zu erfolgen. Doch auch die durch die Privatrechtssubjekte selbst durchgeführte Verteilung durch Verträge lässt sich dem „Schatten des Rechts“ als staatliche Instanz zuordnen. Die Normen des Vertragsrechts, inklusive der jeweils maß132

S. etwa Weinrib, The Idea of Private Law, S. 211; E. Wolf, in: Forstmoser (Hrsg.), Festschrift für Max Keller zum 65. Geburstag, 1989, S. 359, 361 ff. 133 Weinrib, The Idea of Private Law, S. 211. 134 Treffend die Formulierung Bürges, vgl. Bürge, Rechtsdogmatik und Wirtschaft, S. 241: „Weder kann das Heil in einer zentralen Steuerung liegen, noch in einer dezentralen richterlichen Rechtsschöpfung. Beides hat zu seiner Zeit und an seinem Ort seinen guten Sinn.“. 135 Dazu näher unten, S. 290 ff.

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§ 4 Vertragsrecht als Instrument zur Implementierung

geblichen Leitentscheidungen, bilden im Zusammenspiel mit der staatlich gewährten Rechtsdurchsetzungsmöglichkeit nicht nur den formalen Rahmen, innerhalb dessen autonome Individuen frei verteilen.136 Sie entscheiden vielmehr über die Zuordnung der jeweiligen Freiheitssphären und lenken im Hintergrund das Handeln der Privatrechtssubjekte.137 Das Vertragsrecht ist kein „unbeflecktes“ Reich der Freiheit, auch wenn es faktisch selten zu staatlicher Zwangsvollstreckung kommt. Vertrauen und Sicherheit im geschäftlichen Verkehr werden maßgeblich auch durch das Wissen der Vertragsparteien gestärkt, ihre vertraglichen Rechte im Ernstfall mit Hilfe staatlicher Zwangsgewalt durchsetzen zu können.

II. Verteilungsgegenstände und die von der Verteilung betroffenen Privatrechtssubjekte Wenn die Polis im Flötenbeispiel Flöten verteilt, was verteilt der Staat im Vertragsrecht? Zur Antwort auf diese Frage muss das Vertragsrecht in seinem funktionalen Zusammenhang betrachtet werden. Im Zusammenspiel mit Märkten und Wettbewerb generieren Verträge den Großteil aller Vermögensverteilungen innerhalb einer Gemeinschaft.138 Güter, Geld, Chancen und Risiken fließen durch Verträge vom einen zum anderen Privatrechtssubjekt. Dieser Vorgang ist uns so selbstverständlich geworden, dass er nicht mehr ohne weiteres ins Auge springt. Dabei wird die Verteilung von Chancen, Risiken, Gütern und Geld in der Perspektive der iustitia distributiva nicht nur zwischen den unmittelbar an den jeweiligen Verträgen beteiligten Personen bewirkt. Vielmehr ermöglicht die iustitia distributiva auch die Verteilungswirkung auf Personen einzubeziehen, die nicht Vertragspartner oder unmittelbare Drittbetroffene sind. Dies ergibt sich aus der mit der iustitia distributiva einhergehenden verallgemeinernden Perspektive: Es geht auch um die Wirkungen des Vertragsrechts auf künftige ähnliche Fälle, etwa um den Schutz Schwächerer in Zukunft oder die Verhinderung eines unerwünschten Verhaltens anderer Marktteilnehmer. Wenn etwa der Wucherer auch keinen marktüblichen Zins für die Kapitalnutzungsmöglichkeit verlangen kann, findet nicht nur eine Vermögensverteilung zwischen dem konkret betroffenen Wucherer und dem konkret betroffenen Bewucherten statt.139 Es findet auch eine Verteilung zwischen anderen, noch nicht feststehenden Individuen statt, die in Zukunft möglicher Weise als Wucherer oder Bewucherter auftreten. Zwischen ihnen findet eine Lastenverteilung zugunsten des potentiell Bewucherten statt, weil dieser den Wert der Kapitalnutzung bei Wucherkrediten entgeltfrei behalten kann. 136 137 138 139

S. dazu schon oben, S. 117 ff. Dazu auch schon oben, S. 120 ff. Vgl. nur Collins, Regulating Contracts, S. 11. Näher unten, S. 391 ff.

C. Das Verteilungsverfahren im Vertragsrecht

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III. Verteilungsmaßstäbe Die iustitia distributiva ist zunächst ein weitgehend formales Gerechtigkeitsprinzip. Welche materiellen Gerechtigkeitsgedanken in ihrem formalen Rahmen verwirklicht werden, hängt von den Maßstäben ab, nach denen sich die Verteilung richtet. Rechtsphilosophisch bedeutet jede Realisierung eine Annäherung an die objektive Gerechtigkeit, die das Vertragsrecht als Idee leitet. Positivrechtlich tritt die iustitia distributiva im deutschen Vertragsrecht nicht in Form einer singulären Konkretisierung, eines einheitlichen und allumfassenden Verteilungsmaßstabs zutage. Es kommen vielmehr viele Verteilungsmaßstäbe zur Anwendung, die sich auch in ihrem Ursprung unterscheiden. Dabei ergibt sich die Hierarchie der Verteilungsmaßstäbe aus dem Stufenbau der Rechtsordnung. 1. Verteilungsmaßstäbe in der Verfassung An der Spitze der Normenhierarchie steht das Verfassungsrecht.140 Das Grundgesetz beinhaltet insbesondere in den Grundrechten materielle Verteilungsmaßstäbe, die auch im Vertragsrecht Bedeutung erlangen.141 Verfassungsrechtliche Maßstäbe sind allerdings nur selten zur unmittelbaren Anwendung berufen. Die Verfassung bildet das Fundament des gesamten Rechts. In ihr enthaltene Maßstäbe sind in den seltensten Fällen konkret genug, um die Entscheidung eines Einzelfalls im Detail zu bestimmen. Die Umsetzung verfassungsrechtlicher Maßstäbe obliegt daher im Wesentlichen dem Gesetzgeber. In den Spielräumen, die das Verfassungsrecht eröffnet, ist der Gesetzgeber bei der Konkretisierung verfassungsrechtlicher Verteilungsmaßstäbe frei. Unmittelbare Bedeutung erlangt das Verfassungsrecht im Vertragsrecht daher zunächst dort, wo zweifelhaft erscheinen mag, ob der Gesetzgeber diese Spielräume gewahrt oder überschritten hat. Diese Frage drängt sich etwa bei dem im Zuge der Gesundheitsreform 2007 eingeführten Kontrahierungszwang zulasten privater Krankenversicherer auf.142 Darüber hinaus wird das Verfassungsrecht im Vertragsrecht vor allem relevant, wenn die gesetzlichen Bestimmungen unbestimmt sind und weiten Raum für ihre inhaltliche Ausgestaltung belassen. Dies betrifft insbesondere Generalklauseln des Vertragsrechts, deren unbestimmte Begriffe materieller Konturierung bedür-

140

Das Verhältnis des nationalen Verfassungsrechts zum europäischen Primärrecht bleibt hier ausgeblendet. 141 Zur Wirkung der Grundrechte im Privatrecht vgl. nur Alexy, Theorie der Grundrechte, 1986; Canaris, AcP 1984, 201; eine Sonderstellung nimmt die Konzeption Schwabes ein, der für eine unmittelbare Wirkung eintritt, vgl. Schwabe, Die sogenannte Drittwirkung der Grundrechte sowie Schwabe, AöR 1975, 442. 142 Dazu eingehend oben, S. 217 f. sowie unten, S. 424 ff.

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§ 4 Vertragsrecht als Instrument zur Implementierung

fen. Ein Beispiel bietet etwa die Relevanz des Verfassungsrechts bei der Rechtsprechung zur Sittenwidrigkeit von Bürgschaften naher Familienangehöriger (§ 138 BGB).143 2. Verteilungsmaßstäbe in den gesetzlichen Regeln des Vertragsrechts In erster Linie finden sich Verteilungsmaßstäbe unmittelbar in den gesetzlichen Regeln des Vertragsrechts. Dies gilt für zwingendes ebenso wie für halbzwingendes und dispositives Recht. Auch dispositives Recht eignet sich zur Konkretisierung der iustitia distributiva im Vertragsrecht.144 Gesetzliche Verteilungsmaßstäbe sind etwa in Widerrufsrechten und dem Recht allgemeiner Geschäftsbedingungen (§§ 305 ff. BGB) festgelegt, ebenso etwa in den Regeln des sozialen Wohnraummietrechts145. Der Privatrechtsgesetzgeber erweist sich insofern als die maßgebliche verteilende Instanz des Vertragsrechts, als der Großteil aller durch und in Verträgen bewirkten Verteilungen durch die gesetzlichen Bestimmungen des Vertragsrechts bewirkt wird. Die Verteilungsmaßstäbe der gesetzlichen Regeln können sich unmittelbar aus einzelnen Bestimmungen ergeben. Mit Blick auf den gesetzlich anvisierten Regelfall kann der Verteilungsmaßstab dabei verhältnismäßig klar sein. So ist die Schutzbedürftigkeit des Mieters in § 573 Abs. 2 Nr. 3 Hs. 2 BGB für den Fall festgelegt, dass der Vermieter durch eine anderweitige Vermietung als Wohnraum eine höhere Miete erzielen kann. Verteilungsmaßstäbe können aber auch als allgemeine Rechtsgedanken in verschiedenen Regelungen des Vertragsrechts zum Ausdruck kommen. So kann die Verteilung vertragsrechtlicher Risiken auch nach Maßstäben der Verhaltenssteuerung und der Prävention erfolgen.146 3. Sonstige Verteilungsmaßstäbe, insbesondere nach freier Entscheidung des Richters? Gibt es Verteilungsmaßstäbe, die weder in der Verfassung noch in den vertragsrechtlichen Normen zu finden sind? Diese Frage hängt eng damit zusammen, dass auch die Rechtsprechung zu den im Vertragsrecht maßgeblichen verteilenden Instanzen gehört. Wenn der Richter vertragsrechtliche Entscheidungen trifft, muss er zunächst den Vorrang einer formal verstandenen Vertragsfreiheit berücksichtigen, soweit ausdrückliche vertragliche Regelungen 143

BVerfGE 89, 214. Oben, S. 270 ff. 145 Dazu eingehend unten, S. 299 ff. 146 Diesen Maßstab mag man etwa der Regelung des § 817 S. 2 BGB oder der bei Urheberrechtsverletzungen anerkannten dreifachen Schadensberechnung entnehmen wollen; er findet sich aber etwa auch in Form von Aufklärungspflichten, die „grauen“ Warenterminoptionshandel verhindern sollen, vgl. G. Wagner, AcP 2006, 352, 371 f. Zu diesem Komplex grundlegend G. Wagner, AcP 2006, 352. 144

C. Das Verteilungsverfahren im Vertragsrecht

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zu einem klaren Ergebnis führen, das mit höherrangigen Verteilungsmaßstäben (aus Verfassung oder Gesetz) vereinbar ist. Der erkenntnistheoretische Vorrang der iustitia distributiva führt aber bereits hier dazu, dass der Richter ergänzend auf externe Maßstäbe zurückgreifen muss. Dies zeigt sich deutlich bei der Ermittlung der Grenzen der Vertragsfreiheit, insbesondere bei der Frage nach einem freien Vertragsschluss und der Beeinträchtigung der Rechte Dritter. Wenn keine Vereinbarung vorliegt, die den Richter in seiner Entscheidung bindet, sind die Verteilungsmaßstäbe im Gesetz zu suchen. Die Gesetzesauslegung des Richters hat dabei nach den herkömmlichen Kriterien insbesondere im Rahmen der teleologischen Auslegung auch die verteilungspolitischen Grundentscheidungen des Gesetzgebers zu berücksichtigen. Dies gilt insbesondere bei Lücken des Gesetzes. Auch aus einer Gesamtschau des jeweiligen Regelungskomplexes können sich Verteilungsmaßstäbe finden lassen. So mag etwa ein Regelungsbereich von einem überragenden Grundprinzip (wie etwa demjenigen des Verbraucherschutzes) überlagert sein. Auch grundlegende Strukturprinzipien des Vertragsrechts – wie etwa das Vertrauensschutzprinzip – können die richterliche Verteilungsentscheidung prägen. In all diesen Entscheidungsfacetten ist die Entscheidung durch die primären Verteilungsentscheidungen überlagert, die im höherrangigen Recht verankert sind, also vor allem der Verfassung und dem europäischen Primärrecht. Insgesamt zeigt sich, dass der Richter als Verteilungsinstanz vor allem an das Gesetz gebunden ist. Die gesetzlich festgelegten Verteilungsmaßstäbe beanspruchen bei der Anwendung des Vertragsrechts durch den Richter Vorrang. Dieser Vorrang ist in der demokratischen Legitimation des Privatrechtsgesetzgebers begründet und kommt in der Bindung der Rechtsprechung an das Gesetz (Art. 20 Abs. 3 GG) zum Ausdruck. Der Richter ist bei der Entscheidung von Einzelfällen daher im Wesentlichen daran gebunden, die seitens des Gesetzgebers festgelegten Verteilungsmaßstäbe umzusetzen. Formell ist der Richter also nur frei im Rahmen der durch die Gesetze gezogenen Grenzen. Materiell operieren selbstverständlich noch weitere Grenzen. So kann der Richter zunächst offensichtlich nur die ihm zur Entscheidung vorgelegten Fälle entscheiden. Darüber hinaus binden ihn in der Praxis auch die maßgeblichen Leitentscheidungen der Rechtsprechung. Eine zusätzliche Grenze mag man in gesellschaftlich anerkannten Grundkonsensen erblicken. Eine freie Entscheidung des Richters unter Anwendung von Verteilungsmaßstäben, die dem Richter etwa aus politischen Gründen angemessen erscheinen, scheidet aus.147 Gerichte sind dazu zunächst als Institutionen schlecht geeignet. Politische Ent147 Dazu eingehend Robertson, in: Robertson/Wu (Hrsg.), The Goals of Private Law, 2009, S. 261. Die Abgrenzung ist dabei im Einzelfall nicht immer leicht. Robertson gesteht dem Richter die „formal legal considerations of certainty, consistency and coherence“ zu (S. 263). In welchem Maße der Richter aber der Rechtssicherheit zum Durchbruch verhelfen möchte, ist durchaus auch eine Frage der politischen Überzeugung des Richters.

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scheidungen setzen Prognosen über künftige Entwicklungen voraus, deren Grundlage empirische Erkenntnisse etwa über die Entwicklung der Märkte sind. Diese Kenntnisse stehen den Gerichten oft aber nicht zur Verfügung, zu ihrer Beibringung sind sie institutionell nicht optimal ausgestattet.148 Überdies hätten freie Verteilungsentscheidungen der Gerichte eine erhebliche Rechtsunsicherheit zur Folge. Sie sind auch wegen der fehlenden demokratischen Legitimation des Richters nicht begründbar. Die gesetzlich festgezurrten Verteilungsmaßstäbe können allerdings lückenhaft und ihrem Inhalt nach zweifelhaft sein. In diesen Fällen kann Rechtssicherheit so weit als möglich nur durch die Regeln privatrechtlicher Dogmatik hergestellt werden. Insbesondere muss der Richter mit Hilfe der anerkannten Auslegungsmethoden versuchen, Unklarheiten zu beseitigen und Zweifel auszuräumen. In diesem Rahmen kann und muss der Richter auch auf materielle Gerechtigkeitskonzeptionen zurückgreifen. Dabei ist er allerdings nicht vollständig frei. Vielmehr muss er insbesondere die grundlegenden materiellen Gerechtigkeitsvorstellungen berücksichtigen, die im Verfassungsrecht zum Ausdruck kommen. Dieser interpretatorische Vorgang ist nicht vollständig determiniert und kann keine absolute Vorhersehbarkeit und Sicherheit gewähren. Die objektive Gerechtigkeitsidee ist dadurch aber nicht beeinträchtigt. Die Verwirklichung der objektiven Gerechtigkeitsidee ist ein Ideal, das der Rechtspraxis als höchster Orientierungspunkt vorgegeben ist. Der Richter muss im Wege interpretatorischen Ringens um die je gerechte Lösung dieses Ideal vor Augen haben und sich ihm in seiner Entscheidung anzunähern versuchen.149 Die argumentative Auseinandersetzung mit dem konkret zu entscheidenden Fall, dem positiven Gesetzesrecht und vorhandenen Präjudizien spielen dabei eine entscheidende Rolle. Auch wenn das Ideal der objektiven Gerechtigkeit nie vollständig erreicht werden kann, so hilft seine Vorstellung doch, das Vertragsrecht vorhersehbar und akzeptabel sein oder werden zu lassen. Insbesondere bei Gesetzeslücken kann der Richter in extremen Ausnahmefällen bei der Rechtsfortbildung auch befugt sein, soziale Gerechtigkeit durchzusetzen.150 Dabei ist stets zu bedenken, dass soziale Gerechtigkeit ein rechtspolitisch besonders stark umstrittenes Konzept bildet und zudem besondere Schwierigkeiten bei der Umsetzung aufwirft.151 Gleichwohl ist es nicht völlig unmöglich, soziale Gerechtigkeit auch mittels etablierter Auslegungsmetho148 S. nur Collins, Regulating Contracts, S. 74 und 82 ff.; Williamson, Journal of Law, Economics, and Organization 1985, 177, 201. 149 Ähnlich aus diskurstheoretischer Sicht Alexy, Theorie der juristischen Argumentation, S. 399 ff. 150 Neuner, Privatrecht und Sozialstaat, S. 117 m.w.N. Die Rechtsfortbildung sollte schon aus Gründen der Methodenehrlichkeit offen als solche begründet werden, s. nur Rüthers, NJW 2011, 434 m.w.N. 151 Dazu eingehend oben, S. 272 ff.

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den normativ zu konkretisieren. Neuner bezeichnet es in diesem Kontext zu Recht als eine der „ureigensten Aufgaben der Judikative, Gesetze auf ihre Verfassungs- und Menschenrechtskonformität zu überprüfen, so daß es nur folgerichtig ist, soziale Schutzpflichtverletzungen wie jede andere Rechtsverletzung im Wege praeter- oder contralegaler Rechtsfortbildung zu berücksichtigen.“152 Das bedeutet aber keinesfalls, dass der Richter vorrangig zur Anwendung sozialer Ausgleichsgedanken berechtigt oder verpflichtet ist.153 Dies ließe sich schon mit der grundgesetzlichen Bindung des Richters an die Entscheidungen des Gesetzgebers nicht vereinbaren, wie sie sich aus Art. 20 Abs. 3 GG ergibt.154 Der Richter ist zur Anwendung des gesamten Rechts, nicht zur Verwirklichung spezifisch sozialer Gerechtigkeitsgedanken verpflichtet. Dies steht Forderungen nach einer stets sozialen Auslegung155 entgegen. Insbesondere muss der Zivilrichter die Einbettung des Vertragsrechts in die gesamte Rechtsordnung berücksichtigen. Neben der durch das Steuer- und Sozialrecht faktisch erfolgenden Vermögensumverteilung dürfte eine zusätzliche Umverteilung mittels des Zivilrechts daher nur in extremen Ausnahmefällen erforderlich sein. Auch verbietet sich etwa mit Blick auf die Möglichkeit einer Verbraucherinsolvenz, dem Geldschuldner aus sozialen Gründen die Berufung auf Unmöglichkeit zuzugestehen.156 Wenn es um den Schutz bestimmter Personengruppen geht, ist die Konkretisierung der gesetzlichen Verteilungsmaßstäbe durch den Richter stets eine Frage des konkret zu entscheidenden Einzelfalls und des Regelungskontexts, in dem dieser Fall steht. Die Auslegung des Gesetzes kann den Richter dabei zu sozialen oder verbraucherfreundlichen Ergebnissen führen, sie muss es aber nicht. Naheliegend ist die Anwendung verbraucherfreundlicher Maßstäbe etwa im Bereich des europäisch determinierten Verbraucherschutzrechts.157 Ob dies rechtspolitisch eine begrüßenswerte Entwicklung darstellt, ist freilich schon deshalb zweifelhaft, weil der Verbraucherschutz als Steuerungsinstrument Schwächerenschutz nur in Grenzen realisieren kann und wohl vor allem gut gebildete Bevölkerungskreise vom Verbraucherschutz-

152

Neuner, Privatrecht und Sozialstaat, S. 118. Deutlich und treffend Neuner, Privatrecht und Sozialstaat, S. 229. 154 S. dazu etwa BVerfG NJW 2011, 836 (Grenzen der Rechtsfortbildung bei der Bemessung nachehelichen Unterhalts gem. § 1578 Abs. 1 BGB); BVerfG NJW 2012, 669 (unter dem Aspekt der Grenzen richtlinienonformer Auslegung). 155 So die Tendenz bei Reifner, Alternatives Wirtschaftsrecht am Beispiel der Verbraucherverschuldung, vgl. etwa S. 91 ff. 156 Näher unten, S. 408 f. 157 Aus dieser Perspektive heraus lässt sich etwa die Entscheidung des EuGH in Weber und Putz, NJW 2011, 2269 erklären, vgl. dazu Purnhagen, EuZW 2011, 626. Kritisch zu dieser Entscheidung mit gewichtigen dogmatischen und rechtspolitischen Argumenten S. Lorenz, NJW 2011, 2241. 153

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recht profitieren,158 die bei einer Einzelfallbetrachtung kaum materiell schutzwürdig erscheinen.159 4. Zur Bedeutung privatrechtlicher Dogmatik Die privatrechtliche Dogmatik ist für die Verwirklichung vertragsrechtlicher Verteilungsgerechtigkeit von hohem Wert.160 Die iustitia distributiva erscheint dabei der Struktur der vertragsrechtlichen Verteilung entsprechend zunächst als vertragsrechtliche Norm. Normen bedürfen der Auslegung und Konkretisierung durch die Rechtsanwender. Dabei kommt der privatrechtlichen Dogmatik eine Schlüsselfunktion zu.161 Die anerkannten Regeln der Gesetzesauslegung und -anwendung tragen dazu bei, Willkür bei der Anwendung des Vertragsrechts zu verhindern.162 Die Dogmatik schafft in ihrer auszäselierten Systematik Fallgruppen, die dem Richter ermöglichen, Gleiches gleich zu behandeln.163 Sie hilft, Konsistenz in den tragenden Verteilungsgesichtspunkten vertragsrechtlicher Regeln zu wahren.164 Zugleich trägt sie dazu bei, die Rechtsanwendung in einem bestimmten Rahmen vorhersehbar sein zu lassen. Und sie ermöglicht erst die praktische Handhabung des Rechts,165 weil sie verhindert, dass der Rechtsanwender in jedem Anwendungsfall mühsam die maßgeblichen Verteilungsgesichtspunkte neu herausarbeiten darf und muss. Die Dogmatik führt aber nicht immer zu eindeutigen Ergebnissen. Das Vertragsrecht ist wie alles Recht lückenhaft. Auch die anerkannten Methoden der Gesetzesauslegung führen nicht immer zu einer eindeutigen Antwort. Vertragsrechtliche Regelungen können zudem unterschiedliche Verteilungsmaßstäbe beinhalten oder voraussetzen, oder zumindest mit verschiedenen Verteilungsmaßstaben erklärt und konkretisiert werden. Gerade an diesen neuralgischen Punkten kann dogmatischer Streit entstehen. Dabei geht es immer auch um die 158

Dazu etwa Howells, Journal of Law and Society 2005, 349, 357. Für ein anschauliches Beispiel für zweifelhafte materielle Schutzwürdigkeit s. beispielsweise BGHZ 190, 28. 160 Zum Gerechtigkeitsbezug juristischer Dogmatik s. Esser, in: Baur (Hrsg.), Funktionswandel der Privatrechtsinstitutionen, 1974, S. 517, 522 ff.; zur überragenden Bedeutung der Dogmatik im Zivilrecht etwa R. Stürner, JZ 2012, 10. 161 S. dazu im Kontext des europäischen Vertragsrechts auch S. Arnold, in: S. Arnold (Hrsg.), Grundlagen eines europäischen Vertragsrechts, München 2014, S. 1. 162 S. dazu schon oben, S. 286 f. sowie Collins, Regulating Contracts, S. 42 f.; R. Stürner, JZ 2012, 10, 11. 163 Diesen Aspekt betont auch etwa Oechsler, Gerechtigkeit im modernen Austauschvertrag, S. 25 ff. Zur Bedeutung der Dogmatik für den Gleichheitssatz aus wissenschaftstheoretischer Perspektive Eike von Savigny, in: ders. (Hrsg.), Juristische Dogmatik und Wissenschaftstheorie, München 1976, S. 100 ff.; s. auch Wieacker, in: Rüdiger Bubner (Hrsg.), Hermeneutik und Dialektik (Hans-Georg Gadamer zum 70. Geburtstag), Band II, S. 311. 164 Zur Entscheidungskonsistenz als zentrales Kriterium juristischer Dogmatik s. auch Oechsler, Gerechtigkeit im modernen Austauschvertrag, S. 27 f. 165 Dazu im Kontext des europäischen Vertragsrechts jüngst Gutmann, in: S. Arnold (Hrsg.), Grundlagen eines europäischen Vertragsrechts, München 2014, S. 19. 159

C. Das Verteilungsverfahren im Vertragsrecht

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Ermittlung der richtigen Verteilungsmaßstäbe, um das, was rechtspolitisch vorzugswürdig erscheint.166 Die Politik steht allerdings nicht im Vordergrund. Dies ist wiederum das Verdienst der Dogmatik. Sie verhindert eine offene politische Auseinandersetzung, weil ihre Regeln dem Spielraum der Diskurse enge Grenzen setzt: Nur, soweit das Recht Lücken oder Offenheit belässt, ist Raum für rechtspolitisch divergierende Verteilungsentscheidungen des Anwenders. So trägt die Dogmatik auch zur Gesetzesbindung des Richters bei.167 Die Konkretisierung der Verteilungsgerechtigkeit erfolgt hier im juristischen Fachdiskurs und dabei insbesondere durch die Entscheidungen des Bundesgerichtshofs. Die Konkretisierung der iustitia distributiva durch vertragsrechtliche Normen drückt zugleich einen Vorrang gesetzgeberischer Verteilungsentscheidungen im Vertragsrecht aus. Dabei liegen vertragsrechtlichen Normen, in denen die iustitia distributiva konkretisiert ist, oft eine längere Entwicklung zugrunde. Den Ausgangspunkt bilden Lebenssachverhalte, die etwa wegen neuer gesellschaftlicher oder ökonomischer Entwicklungen verteilungspolitische Entscheidungen erfordern. Wenn diese vor Zivilgerichte gelangen, fällt es ihnen schwer, sie mittels der herkömmlichen vertragsrechtlichen Dogmatik auf der Grundlage von Vertragsfreiheit und iustitia commutativa zu lösen. Die Gerechtigkeitsperspektive der iustitia commutativa ermöglicht vielleicht gerade keinen Zugriff auf die entscheidenden Kontexte, in denen die Entscheidung steht.168 Zur Aufnahme dieser Kontexte in das vertragsrechtliche System liegt deshalb für die Gerichte nahe, bestehende Vertragsinstitute auszuweiten und insbesondere Generalklauseln (wie die §§ 242 oder 138 BGB) zur Anwendung zu bringen. Eine andere Lösungsmöglichkeit besteht darin, das Konzept der Privatautonomie mit objektiven Gerechtigkeitserwägungen anzureichen. Dies zeigt sich bei der ergänzenden Vertragsauslegung an der Funktion des „fiktiven Parteiwillens“, der heterogene Gerechtigkeitsaspekte im Sinne der iustitia distributiva berücksichtigen kann. Hier zeigt sich, dass das Vertragsrecht trotz seiner dogmatischen Geschlossenheit Spielräume für die Anwendung distributiver Gerechtigkeitsüberlegungen offenhält. Entscheidungen, die sich von den hergebrachten dogmatischen Grenzen lösen oder diese erweitern, werden dabei zunächst oft kritisiert. Dies dürfte vor allem daran liegen dürfte, dass sie sich in das geschlossene System vertragsrechtlicher Dogmatik nicht bruchlos einfügen lassen, wenn diese auf Vertragsfreiheit und iustitia commutativa basiert. Wenn sich aber die Ergebnisse der Rechtsprechung in der Praxis bewähren, können sie schließlich von den poli166 Vgl. etwa Dauner, JZ 1980, 495, 504: Korrektur der in § 817 S. 2 BGB vorgesehenen Totalnichtigkeit als „rechtspolitisch motiviertes Postulat“. 167 S. nur Hassemer, in: Kaufmann/Hassemer/Neumann (Hrsg.), Einführung in die Rechtsphilosophie und Rechtstheorie der Gegenwart, S. 264 m.w.N. 168 Vgl. aus regulativer Perspektive auch Collins, Regulating Contracts, S. 37 ff.

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tischen Entscheidungsträgern aufgenommen werden. Die Folge sind vertragsrechtliche Normen, die Richterrecht bestätigen und weiter konkretisieren können. Ein prominentes Beispiel bietet etwa die Einbeziehungs- und Inhaltskontrolle allgemeiner Geschäftsbedingungen. Diese erfolgte zunächst richterrechtlich insbesondere auf der Grundlage des § 242 BGB, bevor sie nach einiger Zeit durch das AGB-Gesetz in eine vertragsrechtliche Norm gegossen wurde, die schließlich im Zuge der Schuldrechtsreform 2002 in das BGB integriert wurde (§§ 305 ff. BGB).169

169

Zur Entwicklung stellvertretend Basedow, in: MünchKomm BGB, Vor §§ 305 ff. BGB Rn. 8 ff.; M. Wolf, in: 50 Jahre Bundesgerichtshof, München 2000, S. 111.

§ 5 Konkretisierungen der iustitia distributiva im positiven Vertragsrecht Als Idee des Vertragsrechts hat sich die Gerechtigkeit auch in Form der iustitia distributiva erwiesen. Das Vertragsrecht ist zudem grundsätzlich ein geeignetes Medium zur Konkretisierung der iustitia distributiva. Das positive Vertragsrecht bietet eine kaum überschaubare Vielzahl an Beispielen für das Wirken der iustitia distributiva als Ausdruck der objektiven Gerechtigkeitsidee im oben entwickelten Sinne. Die folgenden Ausführungen streben keine Vollständigkeit an, die erreichen zu wollen ohnehin illusorisch wäre. Sie wollen lediglich einen exemplarischen Einblick in die Wirkweise der iustitia distributiva als Gerechtigkeitsperspektive des Vertragsrechts geben. Die im Folgenden verwendeten Kategorien verkörpern verschiedene Ordnungsaufgaben, die das Vertragsrecht in Konkretisierung der iustitia distributiva wahrnimmt. Diese Ordnungsaufgaben sind dabei häufig ineinander verwoben. So sind auch die Kategorien nicht streng voneinander abgegrenzt, vielmehr überlappen sie sich häufig. So dienen Kontrahierungszwänge, um nur ein Beispiel zu geben, der Sicherung materieller Grundbedürfnisse als Allgemeinwohlbelang. Dieser Aufgabe folgt die hier vorgenommene Zuordnung. Ebenso gut ließe sich allerdings der Kontrahierungszwang auch der Kategorie des Schwächerenschutzes zuordnen.

A. Paternalismus, Schwächerenschutz, menschliche Grundbedürfnisse I. Allgemeine Überlegungen Die Perspektive der iustitia distributiva ermöglicht dem Vertragsrecht auch, paternalistische Ziele und den Schutz Schwächerer zu verwirklichen. Mit dem Schutz Schwächerer geht zugleich die Verwirklichung anderer externer Ziele einher. Die Ordnungsfunktion des Vertragsrechts geht dabei über die Perspektive der individuell betroffenen Privatrechtssubjekte hinaus und verfolgt objektive Interessen der Gemeinschaft.1 Häufig geht es dabei um die Siche1

Westermann, AcP 1978, 150, 157 sowie 166 ff.; Kronman, Yale Law Journal 1983, 472. Die Spielart des Liberalen Paternalismus versucht, Verhaltenssteuerung zum Wohle der Betroffenen

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§ 5 Konkretisierungen der iustitia distributiva im positiven Vertragsrecht

rung materieller Grundbedürfnisse des Menschen. So lässt sich etwa das soziale Mietrecht als Schutzrecht zugunsten der Mieter auch als Regulierung zur Erfüllung des menschlichen Bedürfnisses nach einer Wohnung erklären. In ähnlicher Weise schützt das Individualarbeitsrecht auch das Bedürfnis des Menschen, dem eigenen Leben durch Arbeit Sinn und materielle Sicherheit geben zu können. Auch Kontrahierungszwänge zugunsten schwächerer Privatrechtssubjekte ermöglichen häufig zugleich den Zugang aller Bürger zu lebenswichtigen Ressourcen. Die mit dem Schwächerenschutz oft einhergehende Verteilungswirkung zugunsten schwächerer Parteien ist im Ausgangspunkt ebenfalls ein legitimer Verteilungsmaßstab der iustitia distributiva im Vertragsrecht. Zugleich lässt sich der Schwächerenschutz auch als eine Forderung des Sozialstaatsprinzips erklären. Das Sozialstaatsprinzip legitimiert als verfassungsrechtlicher Grundsatz den Schutz Schwächerer als von der positiven Rechtsordnung gut geheißenes und daher legitimes Ziel vertraglicher Regulierung.2 Neuner zieht allerdings der Umverteilung zulasten anderer Privatrechtssubjekte enge Grenzen: Es müssten „privatrechtsspezifische Sachgründe einen Interventionsbedarf aufzeigen“, der Begriff des „Schwächeren“ dürfe nicht „beliebig instrumentalisiert“ werden.3 Daraus folgt für Neuner: „Ein sozialgestaltender Eingriff kommt deshalb primär nur zur Behebung konkret-entscheidungsbezogener Defizite in Betracht, wohingegen eine generelle Berücksichtigung von strukturellen Imparitäten zu Kollisionen mit dem Grundsatz formaler Rechtsgleichheit im Privatrecht führt.“4 Wenn Neuner allerdings von einem „sozialgestaltenden Eingriff“ spricht, setzt er bereits voraus, dass es einen festen Bestand vertraglicher Rechte gebe, in die der Gesetzgeber oder Richter eingreifen könne. Indes ergibt sich erst aus der jeweiligen Ausgestaltung vertraglicher Rechte durch Gesetzgeber und Richter, wem in welcher Situation welche Rechte zustehen. So steht etwa dem Bürgschaftsgläubiger von vornherein kein Zahlungsanspruch gegen den Bürgen zu, wenn die Bürgschaft sittenwidrig ist. Darin liegt aber kein sozialgestaltender Eingriff in ein abstrakt verstehbares Freiheitsrecht des Bürgschaftsgläubigers. Diesem wird vielmehr von vornherein kein aus der Bürgschaft resultierender Zahlungsanspruch zugeordnet; damit korrelieren die durch die Anwendung des § 138 BGB bewirkten Erweiterungen von Freiheitsbefugnissen des Bürgen. Neuner scheint diese zwingende Verteilungswirkung durchaus zu sehen. Er sieht gerade die formale Rechtsgleichheit gefährdet, wenn struk-

2 ohne Zwang oder wesentliche Freiheitsbeschränkungen zu erreichen, s. Eidenmüller, JZ 2011, 814, 815 m.w.N. Dieser Ansatz scheint mit Blick auf die oben erarbeiteten Grenzen eines absoluten Freiheitsbegriffs problematisch, s. oben, S. 115 ff. 2 Neuner, Privatrecht und Sozialstaat, S. 274 ff. 3 Neuner, a.a.O., S. 274. 4 Neuner, a.a.O., S. 274.

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turelle Imparitäten generell berücksichtigt werden.5 Implizit liegt in seiner Einschränkung also eher ein plausibles Bekenntnis zu einer im Ausgangspunkt formal verstandenen Vertragsfreiheit.

II. Mieterschutzvorschriften 1. Das soziale Mietrecht als hervorstechendes Beispiel der iustitia distributiva im Vertragsrecht Ein besonders klares Beispiel für die Wirkung der iustitia distributiva bietet das soziale Mietrecht bei Mietverhältnissen über Wohnraum.6 Schon im Namen dieses Rechtsgebiets kommt zum Ausdruck, dass vertragsexterne Aspekte in der Ausgestaltung des Wohnraummietrechts Berücksichtigung finden. Die damit einhergehende Kontextualisierung ist ein typisches Merkmal der iustitia distributiva. In ihrer Gesamtheit bewirken die Regeln des sozialen Mietrechts auch eine Verteilung von Risiken, Chancen und Vermögen im Verhältnis zwischen Mietern und Vermietern. Dabei lässt sich verallgemeinernd eine klare Verteilungsrichtung erkennen. Die Freiheitssphären der Mieter sind im hypothetischen Vergleich zu einem Mietrecht ohne Sonderbestimmungen für Wohnräume erhöht, diejenigen der Vermieter dagegen gemindert. So prägt die iustitia distributiva auch in ihrer Erscheinungsform als soziale Gerechtigkeit das Vertragsrecht. Vertragsrecht dient hier nicht mehr bloß einem individuellen Ausgleich zwischen zwei Parteien. Es wird zur Verwirklichung des öffentlichen Interesses an einer ausreichenden Versorgung weiter Bevölkerungsteile mit dem lebensnotwendigen Gut „Wohnung“ instrumentalisiert. Das für die iustitia commutativa kennzeichnende Paradigma des bipolaren Austauschvertrages ist zugunsten der für die iustitia distributiva kennzeichnenden verallgemeinernden und funktionalen Analyse verlassen. Soziale Gesichtspunkte spielen im Wohnraummietrecht eine herausragende Rolle, weil Menschen für ein gesichertes und gesundes Überleben auf Wohnraum besonders angewiesen 5

Neuner, a.a.O., S. 274. Vgl. auch Canaris, Die Bedeutung der iustitia distributiva im deutschen Vertragsrecht, S. 85; Rolfs, in: Staudinger, BGB, § 573 BGB Rn. 7; Cziupka, Dispositives Vertragsrecht, S. 36; Weller zufolge denkt man an den Wohnraummietvertrag „intuitiv, wenn von der ,sozialen Verantwortung‘ des Privatrechts die Rede ist“, vgl. Weller, JZ 2012, 881; a.A.: Honsell, in: Schermaier/Rainer/Winkel (Hrsg.), Iurisprudentia universalis, 2002, S. 287, 297 sowie Honsell, AcP 1986, 117. Honsell ordnet das Wohnungsmietrecht – letztlich von seiner Perspektive aus konsequent – dem öffentlichen Recht zu. Honsell erkennt durchaus, dass das Wohnungsmietrecht von der iustitia distributiva beherrscht wird. Indes ordnet er die iustitia distributiva ausschließlich dem Bereich des öffentlichen Rechts zu. Deutlich wird diese Einschätzung bei Honsell, AcP 1986, 117: „Das Wohnungsmietrecht in seiner heutigen Form ist trotz seiner Kodifizierung im Bürgerlichen Gesetzbuch nicht als Privatrecht im herkömmlichen Sinne zu qualifizieren. Mit seinen überwiegend zwingenden Normen hat das Mietrecht eine größere Affinität zum öffentlichen Recht als zum Privatrecht.“. 6

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§ 5 Konkretisierungen der iustitia distributiva im positiven Vertragsrecht

sind.7 Dazu kommt, dass in vielen Städten Wohnraum ein knappes Gut ist. Natürlich kann und muss das Vertragsrecht nicht alleine dafür sorgen, dass im Lebensbereich „Wohnen“ soziale Gerechtigkeit erreicht wird. Es wird bei dieser Aufgabe von anderen Mechanismen unterstützt, etwa von den Bestimmungen des Sozialhilferechts. Dieses kennt staatliche Unterstützung auch in Form von Beihilfen zur Mietzahlung als direkte Transferleistung zugunsten bedürftiger Mieter. So hat etwa gem. § 7 SGB I jeder ein Recht auf einen Zuschuss für eine angemessene Wohnung, wenn ihm die hierfür erforderlichen Aufwendungen nicht zugemutet werden können.8 Ergänzt wird der mietvertragsrechtliche Schutz auch von besonderen Regeln des Zwangsvollstreckungsrechts,9 die sozialen Mindestschutz vor unzuträglicher Räumung bieten und insofern eine weitere Konkretisierung sozialer Gerechtigkeit darstellen. So kann die Zwangsräumung gem. § 765a ZPO im Einzelfall sogar auf Dauer unzulässig sein, wenn der Mieter sehr alt und krank ist.10 Diese ergänzenden Mechanismen dürfen nicht außer Acht gelassen werden, wenn wertungsoffene Verteilungsmaßstäbe im Bereich des sozialen Mietvertragsrechts konkretisiert werden. 2. Verteilung im Mietvertragsrecht – ein Gedankenexperiment Ein Gedankenexperiment lässt beim sozialen Mietvertragsrecht besonders anschaulich werden, dass das Vertragsrecht zwingend Risiken, Chancen, Güter und letztlich Vermögen nach Verteilungsmaßstäben verteilt. Was wäre die Konsequenz, wenn der deutsche Gesetzgeber sich zur Streichung aller Regelungen des BGB entschließen würde, die dem sozialen Mietrecht angehören? Auch ohne empirische Stütze lassen sich plausible Folgen beschreiben. Die Maßnahme würde zu einer massiven Änderung der Freiheitsbefugnisse von Mietern und Vermietern führen, die letztlich in eine Vermögensumverteilung münden könnte. Diese Wirkung hatte auch etwa der Kronberger Kreis vor Augen, als er für eine Liberalisierung des Mietrechts eintrat.11 Vermieter könnten voraussichtlich höhere Preise für die von ihnen vermieteten Objekte verlangen. Die Wohnraumpreise würden daher zunächst steigen. Sehr wahrschein7

Derleder sieht das soziale Mietrecht dementsprechend im Sozialstaatsprinzip verankert, vgl. Derleder, ZMR 2011, 96. 8 Einzelheiten sind im Wohngeldgesetz geregelt. 9 Insbesondere durch Räumungsfristen gem. § 721 oder § 794a ZPO, den Schutzantrag gem. § 712 ZPO und den Vollstreckungsschutz gem. § 765a ZPO. 10 Vgl. etwa BVerfG NJW 1992, 1155 sowie dazu Bindokat, NJW 1992, 2872. 11 Der Kronberger Kreis begründete sein Eintreten für eine Liberalisierung des Mietrechts gerade damit, dass die so erhoffte Verteilung zugunsten der Vermieter insgesamt unter verschiedenen Aspekten wünschenswert ist, vgl. Engels/Möschel, Mehr Mut zum Markt, S. 182; vgl. zur Kehrseite auch Engels/Möschel, a.a.O., S. 184: „Das, was man ,Hilfe für den Bedürftigen‘ oder ,Schutz des Schwachen gegen den Starken‘ nennt, ist im Kern nichts anderes als eine Umverteilungsabsicht.“.

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lich würden viele Mieter aus den Zentren der Städte verdrängt, da sie sich nur noch außerhalb dieser die Mietpreise leisten könnten. Diese Verteilung würde im Wesentlichen die Freiheitssphäre privater Wohnraumeigentümer erhöhen; eingeschränkt wären im Gegenzug die Freiheitsrechte der Mieter. Das Gedankenexperiment zeigt: Auch ein Mietrecht ohne soziale Schutzvorschriften verteilt Risiken, Chancen und Freiheitsbefugnisse innerhalb der Privatrechtsgesellschaft. Die je bewirkte Verteilung ist dabei natürlich davon abhängig, wie der status quo der Verteilungssituation vor der jeweiligen gestaltenden Maßnahme beschaffen ist. Dieses Gedankenexperiment soll keineswegs die Aufhebung der Regelungen des sozialen Mietrechts als wünschenswertes oder nicht wünschenswertes Szenario darstellen. Inwieweit das soziale Mietrecht in seiner konkreten Ausgestaltung im BGB rechtspolitisch überzeugt oder nicht, ist nicht unmittelbarer Gegenstand dieser Abhandlung. Das Gedankenexperiment unterstreicht lediglich eine zentrale These dieser Untersuchung: Das Vertragsrecht darf in seiner Macht als Steuerungsinstrument sozialen Lebens schon deshalb nicht vernachlässigt werden, weil seine Regeln zwingend und permanent zur Verteilung von Chancen, Risiken, Gütern und Freiheitsbefugnissen führen. Die Frage ist also nicht, ob das Vertragsrecht überhaupt zur Verteilung instrumentalisiert werden soll, sondern nur, in welche Richtung die vertragsrechtlich bewirkten Verteilungen gelenkt werden sollen. Die Gerechtigkeitsperspektive der iustitia distributiva ermöglicht die Berücksichtigung dieser Steuerungswirkungen und lenkt den Blick auf den rechtspolitischen Charakter des Vertragsrechts in diesem Bereich. Die faktische Wirkungsbreite des sozialen Mietvertragsrechts ist dabei enorm. Weite Bevölkerungsteile und ein Großteil der sozial schlechter gestellten Bevölkerungsgruppen wohnen zur Miete. Schon deshalb sind die durch das soziale Mietvertragsrecht generierten Verteilungseffekte massiv. Vor diesem Hintergrund lässt sich das soziale Mietrecht auch nicht überzeugend mit dem Gedanken der gestörten Vertragsparität erklären.12 Es trifft zwar zu, dass das soziale Mietrecht auch für konkrete Einzelfälle einen Ausgleich im bipolaren Verhältnis zwischen Vermietern und Mietern schafft. Diesen Ausgleich vermag die Gerechtigkeitsperspektive der iustitia commutativa erklären. Insofern ist auch denkbar, dass im Einzelfall ein ökonomisches Ungleichgewicht zwischen diesen Personen ausgeglichen wird. Ein solches Ungleichgewicht wird in der Praxis häufig bestehen, zwingend ist dies aber mit Blick auf den Einzelfall nicht.13 Es mag auch reiche Mieter und – zumindest verhältnismäßig – arme Vermieter geben. Die gestörte Vertragsparität könnte in diesen Fällen Vorschriften des sozialen Mietrechts nicht rechtfertigen. Sieht man dagegen das soziale Mietvertragsrecht als Ausdruck der iustitia distributiva, fällt diese Erklärung leicht. Die insgesamt in einem Rechtssystem durch das soziale 12 13

So etwa Lammel, JZ 1986, 832, 835. Eidenmüller, Effizienz als Rechtsprinzip, S. 304.

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§ 5 Konkretisierungen der iustitia distributiva im positiven Vertragsrecht

Mietvertragsrecht erzielte Steuerungswirkung kann in solchem Maße wünschenswert sein, dass Fehlsteuerungen in Einzelfällen – etwa wenn der Vermieter im konkreten Einzelfall schutzwürdiger ist als der Mieter – in Kauf zu nehmen sind. Hier zeigt sich auch die grundlegende Schwäche der gestörten Vertragsparität als Erklärungskonzept. Sie fokussiert ihrem Konzept nach zu sehr auf den Einzelfall und lässt die faktischen Auswirkungen des Vertragsrechts im Gesamtgefüge des sozialen Regelungsbereiches außer Acht. Diese lassen sich nur berücksichtigen, wenn das soziale Mietrecht in seiner gesamtgesellschaftlichen Funktion betrachtet wird. Der einzelne Fall wird dabei nicht unbeachtlich; er wird allerdings in dem sozialen und wirtschaftlichen Kontext betrachtet, in dem er steht. So lässt sich das soziale Mietvertragsrecht stimmig als Ausdruck der iustitia distributiva im Vertragsrecht erklären und verstehen.14 3. Preußische Sozialgesetzgebung versus liberale Konzeption des BGB in seiner ursprünglichen Fassung Lehrreich ist ein Blick zurück auf die Geschichte des sozialen Mietrechts in Deutschland. Er zeigt, wie weit gesetzgeberische Ziele reichen können, die auch durch eine Instrumentalisierung des Vertragsrechts realisiert werden sollen. Das Bürgerliche Gesetzbuch bestimmte in § 580 BGB in seiner ursprünglichen Fassung: „Die Vorschriften über die Miethe von Grundstücken gelten auch für die Miethe von Wohnräumen und anderen Räumen“. Vom sozialen Kontext des jeweiligen Mietvertrages sieht das BGB in seiner ursprünglichen Form also grundsätzlich ab.15 Deutlich sichtbar ist hier der Einfluss des Liberalismus, verbunden mit einem großen Vertrauen in die selbstregulierende Kraft der Märkte. Nur nach erbitterter politischer Auseinandersetzung fand immerhin die Regel „Kauf bricht nicht Miete“ Eingang in die Urfassung des Bürgerlichen Gesetzbuches.16 Dagegen hatte Schutzgesetzgebung im Mietrecht im 18. Jahrhundert noch zum Bestand der preußischen Sozialgesetzgebung gehört.17 Insbesondere Friedrich II. wendete sich gegen Wuchermieten und Wohnungsnotstand, wie er sie im Berlin des 18. Jahrhunderts beobachten musste. Dabei schienen sich einige gewerbliche Vermieter auf Kosten der Mieter zu bereichern.18 So erließ Friedrich II. zunächst am 10.1.1754 das „Edict, wie es mit denen Miethen und 14

Vgl. auch Lammel, JZ 1986, 832, 835. Zur jüngeren Entwicklung etwa Derleder, in: Artz/Börstinghaus (Hrsg.), 10 Jahre Mietrechtsreformgesetz, 2011, S. 93. 16 Zur lebhaften Gesetzgebungsgeschichte vgl. Hattenhauer, in: Jickeli/Kreutz/Reuter (Hrsg.), Gedächtnisschrift für Jürgen Sonnenschein, 2003, S. 153, 154 ff. 17 Vgl. Hattenhauer, in: Jickeli/Kreutz/Reuter (Hrsg.), Gedächtnisschrift für Jürgen Sonnenschein, 2003, S. 153, 169; M. Brand, JZ 2012, 349, 351. 18 Hattenhauer, in: Jickeli/Kreutz/Reuter (Hrsg.), Gedächtnisschrift für Jürgen Sonnenschein, 2003, S. 153, 169. 15

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Aufkündigung der Logiamenter auch Ein- und Ausziehungs-Terminen in hiesigen Königl. Residenzien gehalten werden solle“.19 Darin sind insbesondere eine Schriftform für Mietverträge und Kündigungsfristen statuiert. Interessanter Weise begründete Friedrich II. sein Tätigwerden vor allem damit, dass eine Prozesswelle zu Rechtsunsicherheit geführt hätte, zumal unterschiedliche Gerichtszuständigkeiten bestehen könnten. Insofern stellt sein Edict auch eine harmonisierende Maßnahme dar, die Rechtssicherheit bewirken soll. Empört über fortdauernde soziale Missstände erließ Friedrich II. sodann am 15.4.1765 das „Rescript an das Cammer-Gericht wegen des bisher eingerissenen Wuchers, mit Käufern, nebst Steuerung der Haus-Miete, nebst Beylage“.20 Hier führt Friedrich II. ausdrücklich und mit sorgsamen Detailbestimmungen die Regel „Kauf bricht nicht Miete“ ein. Bemerkenswert ist dabei, dass er sich damit gegen die bis dato ganz herrschende Meinung in Rechtswissenschaft und Rechtsprechung wendete.21 Dabei stand wohl auch die Sorge um die Leiden der Mieter im Fokus des Königs. Vor allem aber sollte das Rescript an das Reichsgericht dazu beitragen, Friede und Sicherheit seines Reiches aufrecht zu erhalten; es ging darum, Bevölkerungsunruhen zu vermeiden.22 Der hier aufscheinende Aspekt wird in der heutigen Diskussion oft vernachlässigt. Mindeststandards sozialen Schutzes können auch im Interesse begüterter Gesellschaftsschichten sein, denen dieser Schutz nicht unmittelbar zugutekommt, und der sie sogar – etwa, weil sie Vermieter sind – etwas kostet. Diese Kosten werden zumindest zum Teil dadurch ausgeglichen, dass Frieden und Stabilität unserer Gesellschaft auch in ihrem Interesse erhalten bleiben.23 Das „Rescript an das Cammer-Gericht“ illustriert in seinen praktischen Auswirkungen zudem die faktische Wirkmacht, die vertragsrechtlichen Regelungen zukommen kann: Nach seinem Erlass und Bekanntwerden beruhigte sich der Mietmarkt schnell und nachhaltig.24

19 Novum Corpus Constitutionum Prussico-Brandenburgensium Praecipue Marchicarum, abrufbar unter http://web-archiv.staatsbibliothek-berlin.de/altedrucke.staatsbibliothek-berlin.de/Rechtsquellen/NCCT11754/start.html, zuletzt aufgerufen am 31. Januar 2014. 20 Verordnung No. 35, Novum Corpus Constitutionum Prussico-Brandenburgensium Praecipue Marchicarum, abrufbar unter http://web-archiv.staatsbibliothek-berlin.de/altedrucke.staatsbibliothek-berlin.de/Rechtsquellen/NCCT31765/start.html, zuletzt abgerufen am 31. Januar 2014. 21 Vgl. dazu eingehend Hattenhauer, in: Jickeli/Kreutz/Reuter (Hrsg.), Gedächtnisschrift für Jürgen Sonnenschein, 2003, S. 153, 166 ff.; s. auch M. Brand, JZ 2012, 349, 351. 22 Häublein/Lehmann-Richter, in: Oberhammer/Cerini (Hrsg.), Soziales Mietrecht in Europa, 2011, S. 33 f. 23 Dazu auch Lammel, in: Börstinghaus/Armbrüster (Hrsg.), Theorie und Praxis des Mietund Wohnungseigentumsrechts, 2006, S. 713. 24 Hattenhauer, in: Jickeli/Kreutz/Reuter (Hrsg.), Gedächtnisschrift für Jürgen Sonnenschein, 2003, S. 153, 170 ff.

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4. Kritik und Verteidigung des sozialen Mietrechts – Vertragsrecht und Rechtspolitik Anhand des sozialen Mietrechts lässt sich auch der enge Zusammenhang von Vertragsrecht und Rechtspolitik besonders anschaulich nachvollziehen. Das soziale Mietrecht ist ein Brennpunkt, auf dem sich unterschiedliche Weltanschauungen und politische Überzeugungen bündeln.25 Die konkrete Ausgestaltung des Mieterschutzes ist rechtspolitisch umstritten. Man kann ganz unterschiedlicher Auffassung darüber sein, wie stark die Befugnisse der Vermieter zugunsten der Mieter eingeschränkt werden dürfen, wie viel Freiheitssphären dem Mieter durch Schutzvorschriften zulasten des Vermieters gewährt werden sollen. Die in der Rechtswissenschaft geführten Fachdiskussionen spiegeln wider, wie streitig die konkrete Ausgestaltung des Mieterschutzes und damit die Konkretisierung der iustitia distributiva im Vertragsrecht ausfallen können. Dabei werden allerdings nur zum Teil offene rechtspolitische Diskurse geführt. Vielmehr drücken gegensätzliche Konzeptionen über die Leistungsfähigkeit und Angemessenheit des sozialen Mietrechts ihrerseits politische Standpunkte aus oder gehen mit diesen Standpunkten einher. Einerseits mag man etwa mit der Konzeption eines sozialen Vertragsrechts für eine stärkere Bevorzugung der Mieter streiten, um vermeintliche Unterprivilegierungen der Mieter auszugleichen.26 Andererseits kann man für eine Deregulierung des sozialen Mietvertragsrechts eintreten.27 Hier kann man zum einen offen dafür eintreten, das soziale Schutzniveau zu senken.28 Man kann aber auch argumentieren, dass die angestrebten Sozialeffekte mit einer Steuerung durch das Vertragsrecht nicht gut erreichbar sind.29 Honsell etwa beklagt auch, dass das soziale Mietrecht zu einer übermäßigen Einschränkung der Privatautonomie führt, so dass es kaum noch als privates Rechtsverhältnis bezeichnet werden könne.30 Diese Kritik weist auf wichtige Aspekte hin, die Gesetzgebung und Rechtsprechung bei der Ausformung des sozialen Mietrechts berücksichtigen müssen.31 Die Verwirklichung der iustitia distributiva durch privatrechtliche Regelungsinstrumente ist zwar möglich, unterliegt zugleich aber Grenzen.32 Die 25

Vgl. nur etwa Eidenmüller, Effizienz als Rechtsprinzip, S. 296; Emmerich, in: Staudinger, Eckpfeiler des Zivilrechts, O. (Miete), Rn. 120. 26 Etwa Wilhelmsson, Critical Studies in Private Law, S. 140 ff. 27 Etwa Emmerich, in: Immenga/Möschel/Reuter (Hrsg.), Festschrift für Ernst-Joachim Mestmäcker, 1996, S. 989; Emmerich, in: Heinze/Schmitt (Hrsg.), Festschrift für Wolfgang Gitter, 1995, S. 241. 28 Etwa Engels/Möschel, Mehr Mut zum Markt, S. 182 ff. 29 Etwa Eidenmüller, Effizienz als Rechtsprinzip, S. 296 ff.; Reuter, AcP 1989, 200, 203 ff. 30 Honsell, AcP 1986, 117. 31 Zur Einfügung des Wohnraummietvertrages in das System der Privatrechtsdogmatik s. Weller, JZ 2012, 881. 32 Dazu eingehend oben, S. 268 ff.

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Gestaltungskraft des Vertragsrechts hängt insbesondere von den jeweiligen Marktbedingungen ab.33 Hier liegt es vor allem am Gesetzgeber, Eignung und Wirkung vertragsrechtlicher Regelungen einzuschätzen, zu bewerten und gegebenenfalls zu korrigieren. Auch muss der Sozialschutz als staatliche Zielbestimmung mit anerkannten Idealen der Leistungsgesellschaft in Einklang gebracht werden. Leistungsbereitschaft und Leistungsfähigkeit dürfen auch in einer auf sozialen Ausgleich bedachten Gesellschaft nicht unbelohnt bleiben. Gleichwohl zeigt auch die geschichtliche Erfahrung, dass die hohe Sensibilität des Gutes „Wohnung“ grundsätzlich nach einer Steuerung durch das Vertragsrecht verlangt. Um die Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert war das Mietrecht durch eine kaum begrenzte, formal verstandene Vertragsfreiheit beherrscht.34 In dieser Phase standen viele Wohnungen leer; zudem gab es viele mobile Mieter, die den Leerstand auch nutzen konnten.35 In dieser Situation hätten an sich Angebot und Nachfrage auf unregulierten Märkten zu günstigen Bedingungen für die Mieter führen müssen.36 Marktverzerrungen durch soziales Mietrecht existierten in dieser Periode nahezu nicht. Hier stellte die Geschichte also einer formal verstandenen Vertragsfreiheit eine Spielwiese zur Verfügung, die gerade mit Blick auf die Verteilungseffekte unregulierter Privatautonomie besonders interessant ist.37 Die in dieser Situation generierten Verteilungsergebnisse sprechen eine deutliche Sprache: Im Ergebnis konnten die Vermieter den Mietern Vertragsbedingungen diktieren; auch bei der Kündigung der Mietverhältnisse herrschte im Wesentlichen uneingeschränkte Freiheit der Vermieter. Die wirtschaftliche Position der Vermieter wurde erheblich auf Kosten der Mieter verbessert.38 Vor diesem Hintergrund wird gut verständlich, dass sich der Gesetzgeber in der Folgezeit dazu entschied, sozialen Mieterschutz auch durch unmittelbare Regulierung des Mietvertragsrechts durchzusetzen.39 Zentrale Anliegen waren die Einschränkung der Kündbarkeit, eine sozialverträgliche Begrenzung der Miethöhe und zum Teil auch Kontrahierungszwänge.40 Der Gesetzgeber zielte mit dieser Regulierung auf die Gewährleistung sozialer Gerechtigkeit ab.41 Insofern ist das im 20. Jahrhundert entstandene soziale Mietrecht ein deutliches Beispiel für eine vertragsrechtliche Konkretisierung der iustitia distributiva in ihrer Erscheinungs33

S. etwa Weitemeyer, in Artz/Börstinghaus, 10 Jahre Mietrechtsreformgesetz, 2011, S. 660. Wolter, Mietrechtlicher Bestandsschutz, S. 102 ff. 35 Wolter, a.a.O., S. 102. 36 Wolter, a.a.O., S. 102. 37 Lammel, JZ 1986, 832, 834. 38 Wolter, Mietrechtlicher Bestandsschutz, S. 105 ff. 39 Einzelheiten dazu bei Lammel, in: Börstinghaus/Armbrüster (Hrsg.), Theorie und Praxis des Miet- und Wohnungseigentumsrechts, 2006, S. 713. 40 Zur Entwicklung vgl. Häublein/Lehmann-Richter, in: Oberhammer/Cerini (Hrsg.), Soziales Mietrecht in Europa, 2011, S. 33, 37 ff. 41 Häublein/Lehmann-Richter, in: Oberhammer/Cerini (Hrsg.), Soziales Mietrecht in Europa, 2011, S. 33, 36 f. 34

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form sozialer Gerechtigkeit. Die Regelungen waren lange Zeit überwiegend in Spezialgesetzen außerhalb des Bürgerlichen Gesetzbuches verankert.42 Diese Trennung erleichterte es herkömmlichen Vertragskonzeptionen, die Vorstellung eines formal verstandenen Vertragsrechts im Grundsatz aufrecht zu halten. Soziales Mietrecht konnte mit gutem Grund als Sonderrecht betrachtet werden, das eine Ausnahme von der prinzipiellen Konzeption des bürgerlichen Vertragsrechts konstituiert. Erst mit der Mietrechtsreform aus dem Jahre 2001 führte der Gesetzgeber das soziale Mietrecht im Wesentlichen im Bürgerlichen Gesetzbuch zusammen. Auch dies ist ein Ausdruck des Wandels hin zu einem funktionalen Verständnis des Vertragsrechts und einer Offenheit zur Indienstnahme seiner instrumentalen Kapazitäten. Denn auch räumlich besteht nun durch die Integration in den §§ 535 ff. BGB eine unmittelbare Verwurzelung im Vertragsrecht des BGB. Inhaltlich ist gegen die Instrumentalisierung des Vertragsrechts zur Erreichung sozialpolitischer und wohnungspolitischer Ziele grundsätzlich nichts zu erinnern. Natürlich lassen sich dabei Fehlsteuerungen nicht gänzlich vermeiden. Nicht jeder Vermieter ist reich, nicht jeder Mieter ist arm. Gleichwohl zeichnet sich die Position des Vermieters zumindest dadurch aus, dass er dem Mieter das potentiell überlebenswichtige Gut „Wohnen“ zur Verfügung stellen kann. Auch ist zumindest nachvollziehbar, wenn sich der Gesetzgeber dazu entschließt, solche Fehlsteuerungen partiell in Kauf zu nehmen, um dadurch Verteilungen zugunsten einer zumindest existenten Gruppe auch materiell benachteiligter Mieter zu bewirken. Die geschichtliche Erfahrung zeigt, dass eine formell verstandene Vertragsfreiheit, die vor allem Freiheitsaspekte auf Seiten der Vermieter stärkt, kaum in der Lage ist, zu einer ausgeglichenen und sozial verträglichen Wohnungsverteilung zu gelangen.43 Aus ökonomischen Analysen hergeleitete Argumente gegen das soziale Mietrecht sind noch aus einem anderen Grund im Mietrecht nur von schwacher Überzeugungskraft. Im Modell bietet die ökonomische Analyse des Rechts ein kraftvolles Werkzeug zur Beschreibung ökonomischer Effekte rechtlicher Regelungen. Man mag auch unterstellen, dass Effizienz bei der Frage nach dem geeigneten Regelungsmechanismus zumindest neben anderen Aspekten ein berücksichtigungspflichtiges Kriterium sein sollte. Dann hängt aber die Überzeugungskraft des ökonomischen Arguments immer noch davon ab, ob die im Modell bestehenden Annahmen bestimmt genug sind, und ob sich diese Annahmen zumindest mit einiger Plausibilität im realen Umfeld des jeweiligen Regelungsbereichs bewähren können. Die Unbestimmtheit der ökonomischen Analyse ist ein grundsätzliches Problem, das hier nicht weiter verfolgt werden

42 Häublein/Lehmann-Richter, in: Oberhammer/Cerini (Hrsg.), Soziales Mietrecht in Europa, 2011, S. 33, 36. 43 Lammel, JZ 1986, 832, 835.

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soll.44 Im mietrechtlichen Kontext ist indes die zuletzt genannte Problematik von besonderem Interesse, nämlich die notwendige Bewährungskraft der Modellannahmen im realen Kontext auf Mietmärkten. Eine zentrale Annahme der ökonomischen Analyse ist die, dass die untersuchten Güter substituierbar sind. Auf den Mietmarkt gewendet bedeutet dies: Für einen Mieter muss eine andere als „seine“ Wohnung verfügbar sein, die für seine Zwecke genauso gut ist, die „seine“ Wohnung also substituieren kann. Ist für den Mieter „seine“ Wohnung dagegen nicht oder nur unter ganz unrealistischen Annahmen ersetzbar – etwa, wenn man ihm eine Million Euro dafür zahlt, umzuziehen –, dann werden Regulierungseffekte kaum zu Reaktionen des Mieters führen. Die Frage der Substituierbarkeit ist aber gerade im Mietrecht besonders heikel. Denn selbst, wenn – was sicher gebietsabhängig ist – der Markt ausreichend objektiv vergleichbare Wohnungen zur Verfügung stellt: Oft hängen Mieter aus ideellen Gründen sehr stark an den von ihnen gemieteten Wohnungen.45 Auch solche Gründe erfasst die ökonomische Analyse des Rechts zwar mittels einer geldwerten Berechnung.46 Gleichwohl sind hier reale Zahlen für Kosten, Nutzen und Gewinne besonders schwer ermittelbar. Zudem besteht die Gefahr, dass die emotionalen Bindungen finanziell unterbewertet werden und die angenommenen Bewertungen fiktiv sind.47 Auch rationale Gründe können die Substituierbarkeit der Wohnung im Übrigen erschweren: Selbst wenn in anderen Orten geeignete Wohnungen vorhanden sein mögen, verbieten vielleicht der Arbeitsplatz oder Familienverpflichtungen einen Umzug – es sei denn, dass mit dem Umzug besonders hohe Gewinne verbunden sind. Das soziale Mietrecht wird auch deshalb kritisiert, weil es in besonderer Weise problematische Urteile provoziere.48 Die vielen Generalklauseln würden oft unbestimmte Rechtsbegriffe beinhalten, mit deren Konkretisierung die Richter überfordert seien. Zudem bestehe eine Tendenz, den ohnehin schon weitgehenden gesetzlichen Sozialschutz durch mieterfreundliche Auslegung noch weiter zugunsten der Mieter und zulasten der Vermieter auszudehnen. Diese Schwierigkeiten sind allerdings keine mietrechtliche Besonderheit: Die Konkretisierung unbestimmter Rechtsbegriffe gehört zu den vornehmsten und schwierigsten Aufgaben der Rechtsprechung. Gleichwohl sichern diese auch die Flexibilität des Rechts und seine Offenheit für gesellschaftliche und soziale Entwicklungen.49 In der Weiterentwicklung des sozialen Mietrechts durch die Gerichte wird auch besonders anschaulich, dass Gerichte bei der Anwendung des Rechts auf den konkret zu entscheidenden 44

Zu dieser grundlegenden und soweit ersichtlich ungelösten Problematik Kennedy, Stanford Law Review 1981, 387; aus jüngerer Zeit etwa Hershovitz, Stanford Law Review 2010, 67. 45 Vgl. Lammel, JZ 1986, 832, 835. 46 S. nur Kaplow/Shavell, Fairness versus Welfare, S. 18 f. 47 Polinsky, An Introduction to Law and Economics, S. 170 f. 48 Honsell, AcP 1986, 117, 136 ff. 49 Etwa Auer, Materialisierung, Flexibilisierung, Richterfreiheit, S. 175 ff.

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Einzelfall immer zugleich auch die Verallgemeinerung dieses Falles, sein denkbares Erstarken zur Rechtsregel mitbedenken müssen. Denn insoweit setzen auch Richter letztlich für die Zukunft Recht – wenngleich dieses nur ein vorläufiges Recht ist, das sich in der weiteren Entwicklung argumentativ und inhaltlich bewähren muss, um Bestand zu haben. 5. Die Konkretisierung der iustitia distributiva durch das positive soziale Mietrecht Das soziale Mietrecht ist in all seinen Facetten auch wegen seiner hohen praktischen Bedeutung ein umfangreicher Teil des Vertragsrechts. In Deutschland beschränkt sich das soziale Mietrecht gem. § 549 Abs. 1 BGB auf Wohnraummietverhältnisse. Insofern berücksichtigt der Gesetzgeber die herausragende Bedeutung, die das Wohnen für ein menschenwürdiges Leben einnimmt.50 Dabei zeigt sich die typischerweise mit der Gerechtigkeitsperspektive der iustitia distributiva einhergehende Konkretisierung des Rechts. Mietverhältnisse werden gerade auch in ihrem sozialen Kontext betrachtet, der Interessenausgleich im unmittelbar betroffenen Vertragsverhältnis rückt gegenüber der instrumentellen Bedeutung des Vertragsrechts in den Hintergrund. Mieter von Geschäftsräumen genießen dagegen zumindest keinen besonderen gesetzlichen Schutz. In all seinen Details kann das Mietrecht hier nicht dargestellt werden.51 Für die Zwecke dieser Untersuchung gewinnbringend ist aber eine exemplarisch vertiefte Erörterung einzelner Bestandteile des sozialen Mietrechts. Sie erhellt, mit welchen Mitteln, mit welcher Intensität und nach welchen Maßstäben das Vertragsrecht Freiheitssphären zwischen bestimmten Personengruppen – hier Mietern und Vermietern – verteilt. Zugleich veranschaulicht sie die vertragsrechtliche Relevanz der iustitia distributiva in einem sozialpolitisch und gesellschaftspolitisch bedeutsamen Regelungsbereich. Die Offenheit der iustitia distributiva für unterschiedliche Verteilungsmaßstäbe zeigt sich ebenfalls deutlich, da das soziale Mietrecht die Gerechtigkeitsidee der iustitia distributiva mittels verschiedener Verteilungsmaßstäbe konkretisiert, die sich gegenseitig ergänzen und beschränken. a) Zu § 549 Abs. 2 BGB Die Konkretisierung der iustitia distributiva mittels unterschiedlicher Verteilungsmaßstäbe lässt sich bereits an § 549 Abs. 2 BGB illustrieren, der wesentliche Regeln des sozialen Mietrechts bei bestimmten Mietverhältnissen für unanwendbar erklärt. Die von diesen Regelungen bewirkte Verteilung zugunsten der Mieter wird zugunsten bestimmter Vermieter also zurückgenommen. Die 50

Neuner, Privatrecht und Sozialstaat, S. 103 f.; Roellecke, NJW 1992, 1649, 1654 f. Einen rechtsvergleichenden Überblick über das soziale Mietrecht in Europa bieten Oberhammer/Cerini (Hrsg.), Soziales Mietrecht in Europa, 2011. 51

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Vermieter kommen dabei aus ganz unterschiedlichen Lebensbereichen; die Maßstäbe, nach denen der Gesetzgeber dabei entschieden hat, sind heterogen. aa) § 549 Abs. 2 Nr. 1 BGB § 549 Abs. 2 Nr. 1 BGB ist Ausdruck des Gedankens, dass der Mieter weniger schutzwürdig ist, wenn er die Wohnung von vornherein nur vorrübergehend verwendet und diese daher nicht den Lebensmittelpunkt des Mieters bildet.52 Damit beschränkt der Gesetzgeber Freiheitssphären der Mieter zugunsten von Vermietern etwa von Ferienwohnungen, Hotelzimmern oder Zimmern für kurzfristige Forschungsaufenthalte eines Wissenschaftlers.53 Die Reichweite dieser gesetzgeberischen Verteilungsentscheidung wird von den Gerichten und mittelbar auch von der Literatur bestimmt. Dabei tragen die Regeln der Dogmatik zur Rechtssicherheit bei.54 Der gesetzliche Verteilungsmaßstab ist mit Blick auf die demokratische Legitimation des Gesetzgebers verbindlich. Diese gesetzgeberische Entscheidung darf nur im Rahmen der Grenzen richterlicher Rechtsfortbildung konkretisiert und ergänzt werden.55 Dies illustriert etwa der in Universitätsstädten praktisch bedeutsame Fall der Vermietung von Studentenwohnungen. Die am Wortlaut und am Telos ausgerichtete Auslegung des Gesetzes führt hier dazu, dass Studentenwohnungen grundsätzlich nicht von § 549 Abs. 2 Nr. 1 BGB erfasst sind.56 Der Wortlaut allein führt zwar nicht zwingend zu diesem Ergebnis; er ist indes auch wenig ergiebig, da die Miete stets zeitlich beschränkt ist.57 Damit kommt der teleologischen Auslegung besonderes Gewicht zu. § 549 Abs. 2 Nr. 1 BGB nimmt vorrübergehende Wohnraummietverhältnisse nur deshalb vom Anwendungsbereich des sozialen Mietrechts weitgehend aus, weil die Wohnung hier nicht als Lebensmittelpunkt des Mieters erhalten werden muss. Für Studenten bildet ihre Wohnung aber zumindest für den Lebensabschnitt des Studiums auch den Mittelpunkt ihres Lebens. Etwas anderes gilt mit Blick auf den soeben umrissenen Gesetzeszweck nur in besonderen Konstellationen, etwa wenn die Wohnung nur zum Aufenthalt für eine Sommerschule gemietet wird.58

52

Weitemeyer, in: Staudinger, BGB, § 549 Rz. 22; vgl. auch Neuner, Privatrecht und Sozialstaat, S. 262. 53 Vgl. Weitemeyer, in: Staudinger, BGB § 549 BGB Rn. 23. 54 S. auch schon oben, S. 294 ff. sowie Collins, Regulating Contracts, S. 42 f.; Oechsler, Gerechtigkeit im modernen Austauschvertrag, S. 25 ff. 55 Die Methodenehrlichkeit gebietet dabei, Rechtsfortbildungen als solche offen zu begründen, vgl. Rüthers, NJW 2011, 434 m.w.N. 56 Vgl. etwa OLG Bremen, MDR 1981, 586; OLG Hamm NJW 1981, 290; aus der Literatur: Martinek, NZM 2004, 6, 7 f.; Weitemeyer, in: Staudinger, BGB, § 549 BGB Rz. 24 (beide m.w.N.); aA: AG Münster, WuM 1977, 233. 57 Weitemeyer, in: Staudinger, BGB, § 549 Rz. 22. 58 Martinek, NZM 2004, 6, 8.

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bb) § 549 Abs. 2 Nr. 2 BGB Ganz andere Verteilungsmaßstäbe konkretisieren die iustitia distributiva dagegen in § 549 Abs. 2 Nr. 2 BGB. Die Regelung schützt zunächst die Interessen der Vermieter, wenn der Wohnraum zu der von ihnen selbst bewohnten Wohnung gehört und auch überwiegend vom Vermieter einzurichten ist. In dieser Situation hält es das Gesetz grundsätzlich für angemessen, die Freiheitsrechte des Vermieters zulasten derer des Mieters zu stärken.59 Dem dürfte die Beobachtung zugrunde liegen, dass die Lebens- und Wohnsphären der Parteien in diesen Situationen enger verknüpft sind. Daraus entsteht ein Konfliktpotential, so dass vor allem stärkere Lösungsrechte auch des Vermieters dem Gesetzgeber grundsätzlich angemessen erscheinen. Dieser Maßstab – der letztlich in der Friedenswahrung begründet liegt – wird allerdings durch einen weiteren Maßstab verdrängt, mit dem Familien und dauerhafte Lebensgemeinschaften geschützt werden: Wenn der Mieter die Räume mit seiner Familie oder im Rahmen einer dauerhaften häuslichen Gemeinschaft nutzt, kommen die Regelungen des sozialen Mietvertragsrechts zur Anwendung. Der Gesetzgeber berücksichtigt durch diese Rückausnahme die auch in Art. 6 GG zum Ausdruck kommende Wertung, dass Familien und Lebensgemeinschaften besonders schutzwürdig sind.60 Bei diesen soll die Verteilung von Freiheitssphären zulasten der Vermieter und zugunsten der Mieter selbst dann durchgreifen, wenn der Vermieter mit Blick auf die potentielle Vermengung seiner und fremder Lebens- und Wohnsphären an sich schutzwürdig erscheint. In der Rechtsanwendung ist auch dieser Maßstab grundsätzlich bindend, seine Konkretisierung, Anwendung und Fortentwicklung obliegt wiederum der Rechtsprechung. Dies lässt sich zunächst anhand einer Detailfrage illustrieren. Der Gesetzeswortlaut des § 549 Abs. 2 Nr. 2 ist mit Blick auf die Lebensgemeinschaften nicht eindeutig. Das Gesetz spricht von „Personen … mit denen“ der Vermieter „einen auf Dauer angelegten gemeinsamen Haushalt führt“. Offen bleibt dem Wortlaut nach, ob nur eheähnliche Lebensgemeinschaften oder weitergehend auch sonstige Haushaltsgemeinschaften erfasst sein können. Die Dogmatik weist wiederum den Weg zur Lösung dieser Frage. Aufschlussreich sind die Entstehungsgeschichte sowie der Zweck der Rückausnahme. Der Gesetzgeber reagierte mit der Ergänzung des Familienschutzes durch das Mietrechtsreformgesetz61 auf eine zuvor bestehende Streitfrage: Können Partner einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft unter den Begriff der „Familie“ i.S.d. Ausnahmetatbestandes subsumiert werden?62 Dazu führt nun die Bundesregierung in der Gesetzesbegründung aus: 59

Bieber, in: MünchKomm BGB, § 549 BGB Rn. 15. Weitemeyer, in: Staudinger, BGB, § 549 BGB Rz. 32. 61 Gesetz zur Neugliederung, Vereinfachung und Reform des Mietrechts (Mietrechtsreformgesetz) vom 19.6.2001, BGBl. I 2001, S. 1149. 62 Weitemeyer, in: Staudinger, BGB, § 549 BGB Rz. 34. 60

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„Unter dem Begriff ,auf Dauer angelegter gemeinsamer Haushalt‘ ist eine Lebensgemeinschaft zu verstehen, die auf Dauer angelegt ist, keine weiteren Bindungen gleicher Art zulässt und sich durch innere Bindungen auszeichnet, die ein gegenseitiges Füreinandereinstehen begründen und die über eine reine Wohn- und Wirtschaftsgemeinschaft hinausgehen.“63

Daraus erschließt sich zumindest die subjektive Intention des historischen Gesetzgebers in großer Deutlichkeit: Bloße Haushaltsgemeinschaften – wie sie etwa in einer studentischen Wohngemeinschaft vorkommen – genügen den Anforderungen der Unterausnahme nicht. Vielmehr sollten im Wesentlichen nichteheliche Lebensgemeinschaften den gleichen Schutz wie Familien genießen. Dabei sollten die Kriterien der bis dato bestehenden Rechtsprechung zur „eheähnlichen Gemeinschaft“ herangezogen werden. Als Beispiele führt die Regierungsbegründung konkretisierend hetero- oder homosexuelle Partnerschaften an, aber auch ein dauerhaftes Zusammenleben alter Menschen, die etwa durch gegenseitige Vollmachten dokumentieren, dass sie füreinander einstehen wollen.64 Hier ergeben sich die Konturen der gesetzgeberischen Verteilungsentscheidungen erst – aber immerhin – durch den Rückgriff auf die Gesetzesbegründung.65 § 549 Abs. 2 Nr. 2 BGB verteilt die sich aus dem sozialen Mieterschutz ergebenden Vorteile also trotz einer an sich schutzwürdigeren Situation des Vermieters zu dessen Lasten, wenn die Wohnung von einer Familie oder einer Lebenspartnerschaft genutzt wird. Diese Verteilungsentscheidung ist vorrangig; der Rechtsanwender darf nicht etwa seine eigene Vorstellung von einer gerechten Verteilung dieser Risiken an die Stelle der gesetzgeberischen Entscheidung setzen. Nur so kann auch Gleichheit und Vorhersehbarkeit der Rechtsanwendung gesichert werden. Die Grenzen der richterlichen Bindung sind erst dann erreicht, wenn das Gesetz verfassungswidrig ist. Auch dann kommt dem anwendenden Richter allerdings keine Normverwerfungskompetenz zu (vgl. Art. 100 GG). Die verfassungsrechtlichen Grenzen der gesetzgeberischen Verteilungsentscheidungen lassen sich ebenfalls exemplarisch an § 549 Abs. 2 Nr. 2 BGB illustrieren. Die gesetzgeberische Verteilungsentscheidung, Familien und Partnerschaften im Rahmen des § 549 Abs. 2 Nr. 2 BGB gegenüber Einzelpersonen zu privilegieren, wurde und wird mit Blick auf Art. 3 GG auch einer verfassungsrechtlichen Kritik unterzogen.66 Im Fokus steht dabei die Benachteiligung von Einzelpersonen gegenüber Familien und Lebenspartnerschaften.67 Diese sei kaum mehr rechtfer63

Begründung des Gesetzesentwurfes der Bundesregierung, BT-Ds. 14/4553 vom 9.11.2000,

S. 38. 64

Begründung des Gesetzesentwurfes der Bundesregierung, BT-Ds. 14/4553 vom 9.11.2000,

S. 38. 65 Kritisch dazu mit Blick auf das insoweit vergleichbare Eintrittsrecht von Familienangehörigen und Partnern Sprau, NZM 2001, 220, 222. 66 Weitemeyer, in: Staudinger, BGB, § 549 BGB Rn. 35; Martinek, NZM 2004, 6, 9 f. 67 So Weitemeyer, in: Staudinger, BGB, § 549 BGB Rn. 35.

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tigbar, weil seit dem Mietrechtsreformgesetz auch Formen des Zusammenlebens privilegiert seien, deren Schutz Art. 6 GG nicht erfordere.68 Auch sei nicht einzusehen, weshalb dem Vermieter eher ein Näheverhältnis mit einer ganzen Familie zuzumuten sei, als ein Näheverhältnis nur zu einer einzelnen Person, die vielleicht weniger Rücksichtnahme verlangt.69 Martinek schlägt eine Gleichbehandlung in der Weise vor, dass auch Einzelpersonen in den Fällen des § 549 Abs. 2 Nr. 2 als Mieter in den Schutz des sozialen Mietrechts gelangen – wovon etwa der Mieter einer klassischen „Studentenbude“ in Form der Untermiete eines möblierten Zimmers – profitieren würde.70 Rechtspolitisch mag man mit der Verteilungsentscheidung Martineks Sympathie hegen, auch, weil die Einbeziehung von Einzelpersonen in der Praxis gerade einer eher einkommensschwachen Bevölkerungsgruppe zugutekommen würde, wie das Beispiel der Studentenbude nahelegt. Verfassungsrechtlich liegt allerdings eine willkürliche Ungleichbehandlung fern. Die für die Einbeziehung genannten Argumente sind stark, aber nicht zwingend; der Gesetzgeber hat seinerseits die Einbeziehung von Lebenspartnerschaften zumindest plausibel begründet. Als solidarische Auffanggemeinschaft können Lebensgemeinschaften auch eine gesamtgesellschaftlich begrüßenswerte Entlastung des Staates bewirken, die eine Privilegierung rechtfertigen kann. Vor diesem Hintergrund wirkt sich der Vorrang der politischen Entscheidung und Einschätzung des Gesetzgebers aus. Selbst, wenn ein Richter gerne etwa den Mieter einer „Studentenbude“ in den Genuss des sozialen Mietrechts kommen lassen möchte: Er darf mit Blick auf den klaren Wortlaut des Gesetzes die Verteilungsentscheidung des Gesetzgebers nicht durch seine eigene ersetzen. b) Das Postulat der Vertragsfreiheit bei der Bestimmung der Miethöhe Die Vertragsfreiheit ist im sozialen Mietrecht keineswegs bedeutungslos. Vielmehr verwirklicht auch das soziale Mietrecht das Postulat der Vertragsfreiheit und nutzt die auf diesem beruhenden Vorteile. Allerdings schreibt das Vertragsrecht im Bereich der Wohnraummiete den Privatrechtssubjekten nur in verhältnismäßig geringem Umfang Autonomie und Selbstbestimmung zu. So bleibt nur ein kleiner Anwendungsbereich für eine formal verstandene Vertragsfreiheit. Im Ausgangspunkt begründet aber gerade dieser Gedanke der Vertragsfreiheit etwa den Anspruch des Vermieters auf Zahlung einer bestimmten Geldsumme als Miete in dem zwischen ihm und dem Mieter geschlossenen Mietvertrag. Dabei sind allerdings besondere Grenzen der Vertragsfreiheit zu berücksichtigen.

68 69 70

Martinek, NZM 2004, 6, 9 f. Martinek, NZM 2004, 6, 9 f. Martinek, NZM 2004, 6, 9 f.

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aa) Vertragsfreiheit bei der Vereinbarung der Ausgangsmiete Das BGB sieht für die Vereinbarung der Miethöhe grundsätzlich keine besonderen Regeln vor. Mittelbar wird die formal verstandene Freiheit bei der Preisgestaltung durch eine Einschränkung des Kündigungsrechts des Vermieters begrenzt. Die Befugnis des Vermieters zur Kündigung des Mietverhältnisses setzt gem. § 573 Abs. 1 S. 1 BGB ein berechtigtes Interesse des Vermieters an der Vertragsbeendigung voraus. Explizit schließt § 573 Abs. 1 S. 2 BGB eine Vermieterkündigung aus, die bezweckt, eine Mieterhöhung zu erreichen. Diese Regelung hat entscheidenden Einfluss auf die realen Machtverhältnisse im Verhältnis zwischen Mietern und Vermietern. Sie zeigt, wie Macht- und Zwangsbefugnisse einzelner Personen durch die Zuweisung vertraglicher Rechte und Pflichten begründet und strukturiert werden. Wenn der Vermieter entgegen § 573 Abs. 1 S. 2 BGB auch die Befugnis hätte, das Mietverhältnis zu beenden, um eine höhere Miete durchzusetzen, würde dies seine durch staatlichen Zwang abgesicherte Machtposition erheblich stärken. Er könnte – ohne vom Mieter gehindert werden zu können – den Vertrag kündigen. Er könnte dies etwa tun, um einen neuen Vertrag mit einem anderen Mieter zu einem höheren Entgelt abzuschließen. Zu einer solchen Kündigung müsste es aber gar nicht tatsächlich kommen. Der Vermieter könnte seine Macht, die ihm diese Befugnis verleihen würde, auch ausspielen, um den Mieter zu Vertragsänderungen oder Zahlungen zu bewegen. Er könnte etwa die Kündigung für den Fall ankündigen, dass der Mieter einer Mieterhöhung nicht zustimmt. Stimmt der Mieter zu, hat der Vermieter die ihm günstige Vertragsänderung erreicht. Stimmt der Mieter nicht zu, kann der Vermieter immer noch seine Kündigungsbefugnis nutzen. All diese Befugnisse nimmt § 573 Abs. 1 S. 2 BGB dem Vermieter. Er erhöht dadurch die Macht- und Zwangsbefugnisse auf Seiten der Mieter. Die Regelung ist auch eine Reaktion auf die Erfahrungen, die im 19. Jahrhundert auf einem weitgehend unregulierten Mietmarkt unter Herrschaft einer formal verstandenen Vertragsfreiheit gemacht wurden. Mieter waren materiell weitgehend von den Vermietern abhängig. Im Jahre 1878 spricht Roscher in seinen volkswirtschaftlichen Betrachtungen des Mietrechts seiner Zeit von einem „Wohnungsfeudalismus“.71 Die Machtposition, die ein unregulierter Mietmarkt auf Nachfragemärkten zugunsten der Vermieter bewirken kann, fasst er eindringlich zusammen: „Zu den schlimmsten Seiten der Wohnungsnoth gehört die große, oft in demüthigendster, aufregendster gemißbrauchte Abhängigkeit, in welche sie den Miether gegenüber dem Hausherrn versetzt.“72

71 72

Roscher, Ansichten der Volkswirthschaft aus dem geschichtlichen Standpunkte I, S. 373. Roscher, Ansichten der Volkswirthschaft aus dem geschichtlichen Standpunkte I, S. 373.

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Das soziale Mietrecht schließt solche unregulierte Machtausübung auch durch eine Beschränkung des Kündigungsrechts der Vermieter in § 573 Abs. 1 S. 2 BGB aus. Selbstverständlich gelten zudem die allgemeinen Grenzen zulässiger Preisvereinbarungen – insbesondere § 138 BGB. Zusätzlich wirkt auch eine strafbewehrte Norm auf den Inhalt der Mietverträge ein. Gem. § 5 Abs. 1 Wirtschaftsstrafgesetz begründet die vorsätzliche oder leichtfertige Vermietung von Wohnraum zu unangemessen hohem Entgelt eine Ordnungswidrigkeit. Die Miete ist dabei gem. § 5 Abs. 2 Wirtschaftsstrafgesetz bereits ungemessen erhöht, wenn sie 20 Prozent über den innerhalb der letzten vier Jahre üblichen Mietpreisen für vergleichbare Objekte vor Ort liegt.73 Zusätzlich muss die Höhe subjektiv infolge der Ausnutzung eines geringen Angebots an vergleichbaren Räumen erfolgt sein. Neben den ordnungswidrigkeitsrechtlichen Sanktionen hat Mietwucher dieser Art auch vertragsrechtliche Folgen.74 Die gesetzgeberische Verteilungsentscheidung ist in ihrer Reichweite allerdings unklar. Aus dem Gesetz ergibt sich, dass § 5 Wirtschaftsstrafgesetz ein gesetzliches Verbot i.S.d. § 134 BGB ist.75 Auch folgt aus der Gesetzesauslegung nahezu zwingend, dass die Rechtsfolge des § 134 BGB hier nicht die Gesamtnichtigkeit des Mietvertrages ist. Andernfalls würde sich der von § 5 Wirtschaftsstrafgesetz bezweckte Schutz des Mieters in sein Gegenteil verkehren. Im Übrigen ist aber die Reichweite der mit § 5 Wirtschaftsstrafgesetz für das Vertragsrecht getroffenen Verteilungsentscheidung nicht in ihren Einzelheiten klar.76 Das Gesetz lässt nur insoweit keine Zweifel, als der die 20 Prozent übersteigende Teil der vereinbarten Miete dem Vermieter nicht zustehen darf. Abgesehen davon kann die gesetzgeberische Verteilungsentscheidung aber ganz verschieden konkretisiert werden. Die Spezifizierung der vertraglichen Risikoverteilung obliegt daher der Rechtsprechung. Eine freie Verteilung des Richters nach eigenen rechtspolitischen Maßstäben ist auch hier abzulehnen. Vielmehr muss sich der Richter bei der Konkretisierung der Rechtsfolgen an die Dogmatik der Gesetzesauslegung halten. Auch wenn diese nicht zu einer eindeutigen Antwort führt, so ermöglicht sie doch eine sorgsame Ausdifferenzierung der Rechtsfolgen. Wenn diese Ausdifferenzierung in Form einer höchstrichterlichen Entscheidung erfolgt, kann sie bei sorgsamer Begründung auch Teil des positiven Rechts werden. Zumindest in der praktischen Rechtsanwendung werden dabei vor allem die Entscheidungen des BGH – so sie dogmatisch und methodisch sorgsam begründet sind – maßgeblich sein. Eine 73

Kritisch zu dieser fixen Grenze etwa Emmerich, in: Immenga/Möschel/Reuter (Hrsg.), Festschrift für Ernst-Joachim Mestmäcker, 1996, S. 989, 1000. Die Fixierung bietet aber immerhin den Vorzug größerer Rechtssicherheit als der Verzicht auf eine prozentuale Obergrenze. 74 Vgl. zum Mietwucher unter pönalen und präventiven Aspekten auch Ebert, Pönale Elemente im deutschen Privatrecht, S. 379 ff. 75 Canaris, Gesetzliches Verbot und Rechtsgeschäft, 29. 76 Vgl. nur Kothe, NJW 1982, 2803.

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entsprechende Ausdifferenzierung der iustitia distributiva im Mietvertragsrecht hat der BGH mit seiner Grundsatzentscheidung vom 11.1.1984 vorgenommen.77 Nach Auffassung des BGH ist die Vereinbarung nur insoweit nichtig, als der Mietzins die ortsübliche Vergleichsmiete mehr als nur unwesentlich übersteigt. Der BGH entscheidet sich damit im Ergebnis für eine geltungserhaltende Reduktion der Zinsvereinbarung auf die gesetzlich noch zulässige Höhe. Dies überrascht zunächst deshalb, weil der BGH in seiner Rechtsprechung einer solchen geltungserhaltenden Reduktion grundsätzlich kritisch gegenübersteht.78 Auch lehnt der BGH beim sittenwidrigen Darlehen ab, dem Darlehensgeber ein angemessenes oder marktübliches Entgelt zuzusprechen.79 Für S. Lorenz ist diese Diskrepanz ein „eklatanter Wertungswiderspruch“.80 Auch Canaris hält sie für „geradezu indiskutabel…insoweit, als sie einen Anspruch auf den gesetzlich noch zulässigen und nicht nur auf den ortsüblichen Mietzins zubilligt“ und sieht darin „untragbare Wertungswidersprüche“.81 Diese Kritik ist gut nachvollziehbar. Im Ergebnis nimmt die Rechtsprechung hier dem Vermieter das Risiko seines Rechtsbruchs zumindest für das Privatrecht ab. Zugleich schafft sie – wiederum beschränkt auf das Privatrecht – einen Anreiz dafür, überhöhte Mieten zu verlangen. Darüber hinaus erfolgt dies im augenscheinlichen Gegensatz zu ähnlichen Verteilungsentscheidungen des BGH, etwa seiner Ablehnung eines Anspruchs des Darlehenswucherers auf marktübliche Zinsen.82 In seiner Begründung lehnt es der BGH ab, § 5 Wirtschaftsstrafgesetz ein Gebot zu einer angemessenen Preisvereinbarung in Mietverträgen über Wohnraum zu entnehmen. Vielmehr sieht der BGH in der Regelung die ausdrückliche Befugnis, Mieten zu vereinbaren, die ihrer Höhe nach ortsübliche Vergleichsmieten überschreiten – so lange eben die Unangemessenheitsschwelle nicht erreicht ist. Der BGH beruft sich zur Begründung auch auf die Privatautonomie. § 5 Wirtschaftsstrafgesetz zeige, dass „der Gesetzgeber einen Eingriff in die privatautonome Gestaltung 77

BGHZ 89, 316. Eine eingehende Kritik dieser Entscheidung findet sich bei Hager, JuS 1985, 264. 78 Vgl. etwa BGHZ 72, 206, 208; BGHZ 84, 109, 114 ff. BGHZ 86, 284, 297; BGHZ 92, 312, 314 f.; BGHZ 114, 338, 342 f.; BGH NJW 2000, 1110, 1113; demgegenüber forderte schon Raiser, „daß mißbräuchliche Bestimmungen … wo das möglich ist, auf das rechte Maß herabgesetzt werden“, vgl. Raiser, Das Recht der allgemeinen Geschäftsbedingungen, S. 324; für die Gegenauffassung s. Hager, Gesetzes- und sittenkonforme Auslegung und Aufrechterhaltung von Rechtsgeschäften, S. 63 ff.; H. Roth, JZ 1989, 411; Hager, JZ 1996, 175. 79 Vgl. BGHZ 80, 153, 172; BGH NJW 1983, 2692, 2693; NJW 1989, 3217. Dazu eingehend unten, S. 392 ff. 80 S. Lorenz, in: Staudinger, BGB, § 817 BGB Rn. 12; Zustimmung findet die Rechtsprechung des BGH dagegen etwa bei M. Stürner, Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit im Schuldvertragsrecht, S. 61 f. 81 Canaris, in: Baur/Hopt/Mailänder u.a. (Hrsg.), Festschrift für Ernst Steindorff, 1990, S. 519, 529; vgl. auch Canaris, Gesetzliches Verbot und Rechtsgeschäft, S. 30. 82 Dazu näher unten, S. 392 ff. Betont werden die Wertungswidersprüche in der Rechtsprechung des BGH mit Blick auf verschiedene Konstellationen besonders bei Hager, JuS 1985, 264.

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der Rechtsbeziehungen von Mietvertragsparteien in allen Fällen erst dann für geboten hält, wenn die Angemessenheitsschwelle überschritten und der Mieter als in der Regel schwächere Vertragspartei unangemessen benachteiligt würde.“ Diese Argumentation beruht auf einem formalen Verständnis der Privatautonomie. Die entscheidende Frage ist, in welchen Grenzen formale Vertragsfreiheit es Vermietern auf ihnen günstigen Märkten erlauben soll, ihre Freiheitsrechte zulasten der materiellen Freiheitsrechte von Mietern durchzusetzen. Der BGH entscheidet sich dafür, diese Grenzen weit zu ziehen und verhilft der formalen Vertragsfreiheit so auch im sozialen Mietrecht zu einer etwas stärkeren Bedeutung. Daran lässt sich ein gut begründetes Unbehagen erkennen, das Vertragsrecht generell einer objektiven Preiskontrolle zu unterziehen. Und man kann in dieser Rechtsprechung eine Verteilung zugunsten der Vermieter erkennen, die wohl auch einen Ausgleich für etliche Verteilungswirkungen des sozialen Mietrechts zugunsten der Mieter darstellen soll. Die Entscheidung des BGH illustriert insofern, dass auch dogmatische Fragen – wie die Grenzen des Verbots der geltungserhaltenden Reduktion – nicht ohne Rückgriff auf verteilungspolitische Aspekte entschieden werden können. Von der Warte des BGH aus ist die von § 5 Wirtschaftsstrafgesetz ins Auge gefasste Konstellation gerade nicht mit den Fällen des Darlehenswuchers vergleichbar. Rechtspolitisch lässt sich dies zum einen damit begründen, dass das Verhalten des Mietwucherers typischer Weise ethisch weniger verwerflich ist als dasjenige des Darlehenswucherers. Insbesondere ist die gesetzlich fixierte Grenze von 20 Prozent vergleichsweise niedrig. Zum anderen läßt sich die unterschiedliche Behandlung damit begründen, dass ein Schutz der Mieter vor zu hoher Miete auch und ergänzend durch andere Institute – insbesondere durch § 138 BGB und die begrenzte Möglichkeit zu Mieterhöhungen erreicht wird.83 An praktischer Bedeutung hat § 5 Wirtschaftsstrafgesetz darüber hinaus durch die Rechtsprechung des BGH zur Ermittlung der relevanten Vergleichsmiete stark verloren.84 Danach beurteilt sich nach dem gesamten Gebiet einer Gemeinde und nicht nur nach den konkret betroffenen Stadtteilen, ob der Vermieter ein geringes Angebot an vergleichbaren Räumen ausgenutzt hat.85 Vor allem in großen Gemeinden gelangt daher § 5 Wirtschaftsstrafgesetz praktisch kaum noch zur Anwendung.86 Damit bleibt auch im sozialen Mietrecht der Fokus der Angemessenheitskontrolle auf § 138 BGB sowie auf § 134 BGB i.V.m. § 291 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 StGB (Mietwucher).87 Bei § 138 Abs. 2 BGB sowie bei § 291 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 StGB muss der Vermieter eine Schwä83

Dazu im Einzelnen unten, S. 317 ff. Häublein/Lehmann-Richter, in: Oberhammer/Cerini (Hrsg.), Soziales Mietrecht in Europa, 2011, S. 33, 53 f.; Jungemeyer, ZMR 2007, 936. 85 BGH NJW 2005, 2156. 86 Jungemeyer, ZMR 2007, 936. 87 Vgl. Häublein/Lehmann-Richter, in: Oberhammer/Cerini (Hrsg.), Soziales Mietrecht in Europa, 2011, S. 33, 53 f. Aus der Rechtsprechung etwa AG Hamburg, WuM 2008, 565. 84

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chesituation des Mieters ausgenutzt haben.88 Die Unangemessenheitsschwelle für die Miethöhe liegt dafür niedriger als bei der Anwendung der Generalklausel des § 138 Abs. 1 BGB.89 Das Vertragsrecht berücksichtigt bei seiner Verteilungsentscheidung also auch, ob das Verhalten des Vermieters rechtsethisch in besonderem Maße verwerflich ist. Dies ist bei Ausnutzung einer Schwächesituation indiziert. Liegt ein solches verwerfliches Verhalten vor, erfolgt die Verteilung zugunsten des Mieters unter im Übrigen weniger strengen Voraussetzungen. So verlangt die Rechtsprechung im Rahmen des § 138 Abs. 1 BGB, dass die Miete doppelt so hoch ist wie die entsprechende Vergleichsmiete,90 während bei der Anwendung des § 138 Abs. 2 BGB bzw. des § 134 BGB i.V.m. § 291 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 StGB eine fünfzigprozentige Erhöhung genügen kann.91 bb) Vertragsfreiheit bei der Vereinbarung von Mieterhöhungen Die Vertragsfreiheit bei der Vereinbarung von Mieterhöhungen ist in den §§ 557–561 BGB stark eingeschränkt. Die Regelungen berücksichtigen auch das Interesse des Vermieters, ein angemessenes Entgelt für seine Leistung erlangen zu können. Die Miete ist ein Dauerschuldverhältnis, so dass die Inflation dazu führen kann, dass die Miete mit Blick auf ihre Kaufkraft über die Zeit immer weniger wert ist. Diesen Wertverlust berücksichtigt das Vertragsrecht nicht automatisch. Dies folgt aus dem Grundsatz des geldschuldrechtlichen Nominalismus, der zu den tragenden Grundlagen unserer Rechtsordnung gehört.92 Trotz seines faktischen Wertverlustes bleibt der Euro unabhängig von seinem Kaufwert nominell gleichwertig. Wenn also im Jahre 2003 eine Miete i.H.v. 1000 Euro vereinbart wurde, schuldet der Mieter im Jahre 2013 nicht etwa den Geldbetrag, der seiner Kaufkraft nach dem entspricht, was 1000 Euro im Jahre 2003 an Kaufkraft beinhalteten. Der Vermieter trägt daher als Geldgläubiger das Inflationsrisiko. Das Gesetz erlaubt dem Vermieter aber, dieses Risiko in Grenzen durch vertragliche Vereinbarungen zu mindern. § 557 Abs. 1 BGB bringt dies unzweifelhaft zum Ausdruck und verwirklicht so das Postulat der Vertragsfreiheit – wenngleich in engen Grenzen. So lässt § 557b BGB schriftliche Vereinbarungen zu, bei denen die Miete durch den vom Statistischen Bundesamt ermittelten Preisindex für die Lebenshaltung aller privaten Haushalte in Deutschland bestimmt wird. Die Grenzen zulässiger Indexmieten sind in § 557b Abs. 2 und 3 BGB definiert; insbesondere muss die Miete gem. § 557b Abs. 2 BGB grundsätzlich mindestens ein Jahr unverändert 88

BGHSt 30, 280; OLG Düsseldorf, ZMR 1998, 788. Häublein/Lehmann-Richter, in: Oberhammer/Cerini (Hrsg.), Soziales Mietrecht in Europa, 2011, S. 33, 54. 90 BGHZ 128, 255, 260. 91 Vgl. AG Hamburg, WuM 2008, 565. 92 BVerfGE 50, 57, 78; BGHZ 61, 31, 38; BVerfG NJW 1973, 530; kritisch zum Nominalismus Simitis, AcP 1960, 406, 407. 89

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bleiben. Hier berücksichtigt das Gesetz das Interesse des Mieters an Planungssicherheit für seine Lebensführungskosten. In der Praxis sind Indexmieten wenig verbreitet.93 Bedeutsamer ist die Staffelmiete nach § 557a BGB.94 Nach dieser Vorschrift sind schriftlich vereinbarte Mieterhöhungen für bestimmte Zeiträume zulässig; auch hier muss die Miete je mindestens ein Jahr unverändert bleiben (§ 557a BGB). Bemerkenswert ist, dass § 557a Abs. 3 BGB ausdrücklich zulässt, dass das Kündigungsrecht des Mieters bis zu vier Jahre ausgeschlossen werden kann. Wenn weder eine Indexmiete noch eine Staffelmiete vereinbart ist, kann der Vermieter gem. § 557 Abs. 3 BGB Mieterhöhung nach den Regelungen der §§ 558–560 BGB verlangen. § 558 BGB gewährt dem Vermieter ein Recht auf Zustimmung zur Mieterhöhung bis zur ortsüblichen Vergleichsmiete, wobei die Miete 15 Monate unverändert geblieben und die letzte Mieterhöhung ein Jahr zurückliegen muss. Auch besteht gem. § 558 Abs. 3 S. 1 BGB eine Kappungsgrenze i.H.v. 20 Prozent innerhalb der letzten drei Jahre.95 § 558 BGB stellt eine Konkretisierung der Idee eines objektiv gerechten Preises dar. Für die Gerichte ist es auch hier oft schwierig, diese Gerechtigkeitsidee in der Praxis anzuwenden.96 Die Maßstäbe der konkreten Verteilungsentscheidung sind also nur in den Grundsätzen, nicht aber in der Anwendung gesetzlich konkretisiert. Insbesondere beinhalten § 558 Abs. 2 BGB sowie die §§ 558c, 558d und 558e BGB einen Rahmen zur Ermittlung der ortsüblichen Vergleichsmiete. Bei der konkreten Ermittlung der im Einzelfall maßgeblichen Miete besteht allerdings viel Raum für Streit.97 Die Konkretisierung einer objektiven Gerechtigkeitsidee durch das Vertragsrecht obliegt also letztlich auch hier den Gerichten. Man mag an der Effizienz dieser Regulierungsform Zweifel hegen. Die durch das Gericht erfolgende Festlegung des angemessenen Preises im Einzelfall ist nur mit einem hohen Aufwand an Zeit und Kosten erreichbar. Diese Kosten sind allerdings mit Blick auf die besondere Sensitivität des hier betroffenen Lebensbereiches gerechtfertigt. Das Gut „Wohnen“ gehört zu den zentralen Voraussetzungen einer menschenwürdigen Existenz. Wenn die Idee der Gerechtigkeit hier auch in vielen Einzelfällen durch den Richter konkretisiert wird, besteht eine hohe Chance auf zwei für die Stabilität und den Frieden der Rechtsgemeinschaft entscheidende Elemente: Zum einen wird im konkreten Einzelfall oft ein für beide Seiten zumindest hinnehmbarer Interes93 Häublein/Lehmann-Richter, in: Oberhammer/Cerini (Hrsg.), Soziales Mietrecht in Europa, 2011, S. 33, 55. 94 Häublein/Lehmann-Richter, a.a.O., S. 33, 55. 95 Seit dem 1.5.2013 können die Landesregierungen die Kappungsgrenze gem. § 557 Abs. 3 S. 2 und 3 unter bestimmten Voraussetzungen auf 15 Prozent senken, dazu nur Flotow, NJW 2013, 1185, 1189. 96 Positiv fällt gleichwohl die Gesamtbilanz Weitemeyers aus, vgl. Weitemeyer, in: Artz/ Börstinghaus, 10 Jahre Mietrechtsreformgesetz – Eine Bilanz, München 2011, S. 660, 664 f. 97 § 558 BGB ist häufig Gegenstand gerichtlicher Entscheidungen, vgl. Häublein/Lehmann-Richter, in: Oberhammer/Cerini (Hrsg.), Soziales Mietrecht in Europa, 2011, S. 33, 55.

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senausgleich geschaffen. Zum anderen können die entschiedenen Einzelfälle in ihrer Gesamtheit und in ihrer rechtskonkretisierenden Ausstrahlungswirkung eine insgesamt gerechte Verteilung der betroffenen Chancen und Risiken erreichen. Das Gesetz versucht, bei seinen Verteilungsentscheidungen im Vertragsrecht auch gesamtgesellschaftlich wünschenswerte Anreize zu setzen. Dies zeigt sich etwa in den §§ 559 und 536 Abs. 1a BGB: Gem. § 559 BGB kann der Vermieter elf Prozent der Kosten für bestimmte Modernisierungskosten auf den Mieter abwälzen. Flankiert wird § 559 BGB durch einen dreimonatigen Ausschluss des Mietminderungsrechts (§ 536 Abs. 1a BGB) bei energetischen Modernisierungsmaßnahmen. Weil das Minderungsrecht die Gleichwertigkeit von Leistung und Gegenleistung im Mietvertragsrecht sicherstellt, schränkt § 559 Abs. 1a BGB das vertragsrechtliche Äquivalenzprinzip ein, das wiederum für die Gerechtigkeitsperspektive der iustitia commutativa charakteristisch ist. So steht § 536 Abs. 1a BGB auch für einen Wechsel der Gerechtigkeitsperspektive von der iustitia commutativa hin zur iustitia distributiva. Zugleich ist die für die iustitia distributiva typische Kontextualisierung und Politisierung unübersehbar: Mit § 559 Abs. 1a BGB erhöhte der Gesetzgeber im Rahmen des Mietrechtsänderungsgesetzes 201398 die Kalkulationssicherheit der Vermieter und schaffte einen zusätzlichen Anreiz für energetische Modernisierungen.99 Das neu eingeführte Kapitel 1a im zweiten Untertitel des Mietrechts (Erhaltungs- und Modernisierungsmaßnahmen) lässt keinen Zweifel an dem gesamtgesellschaftlichen Regulierungsanliegen des Gesetzes. Das vertragliche Wohnraummietrecht wird dazu instrumentalisiert, Investitionsanreize zugunsten von Modernisierungsmaßnahmen zu setzen, die im öffentlichen Interesse liegen. Dabei geht es vor allem darum, knappe Ressourcen (wie Energie und Wasser, vgl. § 555b Nr. 1 und Nr. 2 BGB) zu schonen; zudem wird eine – ebenfalls gesellschaftspolitisch erstrebenswerte – nachhaltige Verbesserung der Wohnsituation angestrebt (vgl. § 555b Nr. 5 BGB). Die vertragsrechtlichen Vorschriften der §§ 559, 536 Abs. 1a BGB sind so ein besonders deutlicher Ausdruck der iustitia distributiva im Vertragsrecht. Sie zeigen darüber hinaus, dass auch im Wohnraummietrecht Verteilungsentscheidungen keineswegs immer zu Lasten der Vermieter erfolgen; auch das Wohnraummietrecht kann Freiheitssphären der Vermieter zu Lasten derjenigen der Mieter erweitern. So tragen hier innerhalb des gesetzlichen Rahmens die Mieter Teile der Lasten von Maßnahmen, die im Allgemeininteresse liegen; die Vermieter werden dagegen entlastet. Verfassungsrechtlich ist dies mit Blick auf die Verbesserungsmaßnahmen (§ 555b Nr. 5 BGB) schon deshalb unbedenklich, weil dem Mieter die verbesserte Gebrauchsmöglichkeit zugutekommt. Doch auch bezüglich der energie- und klimapolitisch erwünschten Modernisierungs98 99

Mietrechtsänderungsgesetzes vom 11. März 2013, BGBl I Nr. 13/2013, S. 434. Hinz, NZM 2013, 209, 210.

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maßnahmen greifen verfassungsrechtliche Bedenken kaum durch.100 Auch die energiepolitisch wünschenswerten Maßnahmen kommen den Mietern zumindest in ideeller Hinsicht zugute, sofern sie es bevorzugen, ressourcenschonend zu wohnen. Zudem tragen die Mieter nur einen geringen Teil der gesamtgesellschaftlich wünschenswerten Modernisierungskosten und sind zusätzlich insbesondere durch die Härteklauseln der §§ 555d Abs. 2, 559 Abs. 4 BGB geschützt.101 cc) Vertragsfreiheit im Rahmen sozialer Wohnraumförderung Eine starke Zurückdrängung formal verstandener Vertragsfreiheit findet sich bei Vertragsverhältnissen, die im Rahmen der sozialen Wohnraumförderung geschlossen werden. Der Maßstab der Vertragsfreiheit kommt zwar auch bei Mietverhältnissen im Rahmen sozialer Wohnraumförderung zur Anwendung. Er ist in diesem Rahmen allerdings materiell von den Verteilungszwecken bestimmt, die der Gesetzgeber mit der sozialen Wohnraumförderung verfolgt. Die soziale Wohnraumförderung ist daher ein besonders klares Beispiel für eine konkrete Verteilungsentscheidung des Gesetzgebers, die mittels des Vertragsrechts auch soziale Gerechtigkeit zu realisieren sucht. Die Wohnungsförderung fällt seit dem 1.9.2006 gem. Art. 70 GG in die ausschließliche Gesetzgebungsbefugnis der Länder.102 Die bundesrechtlichen Regelungen des Gesetzes über die soziale Wohnraumförderung (WoFG) sollen nur gelten, bis entsprechende landesrechtliche Regelungen geschaffen sind.103 Die konkrete Ausgestaltung der sozialen Wohnraumförderungen kann deshalb in Einzelheiten von Land zu Land unterschiedlich ausgestaltet sein. Landestypische Besonderheiten können so durch die Gesetzgeber berücksichtigt werden. Soweit ersichtlich, haben sich aber alle Länder dafür entschieden, die soziale Wohnförderung auch durch eine spezifische Regulierung des privaten Mietrechts umzusetzen.104 Zur Illustration sollen daher im Folgenden exemplarisch die Regelungen des WoFG sowie des bayerischen Wohnraumförderungsgesetzes (BayWoFG)105 herangezogen werden. Mit der Wohnraumförderung werden sozialverträgliche Mieten ebenso gesichert, wie die Zuteilung von Wohnraum an bestimmte Personengruppen. Die freie Verteilung von Wohnungen 100

Im Ergebnis ebenso Hinz, NZM 2013, 209, 210 f. mit Hinweis vor allem auf Art. 20a GG (Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen). Art. 20a GG kann indes für sich genommen kein Sonderopfer der Mieter rechtfertigen. 101 Zu Einzelheiten s. Hinz, NZM 2013, 209, 223 ff. 102 Die zuvor beim Bund liegende Gesetzgebungskompetenz wurde durch die Förderalismusreform den Ländern zugewiesen, vgl. Gesetz zur Änderung des Grundgesetzes vom 28.8.2006, BGBl I, Nr. 41 vom 31.8.2006 sowie Förderalismusreform-Begleitgesetz vom 5.9.2006, BGBl I, Nr. 42 vom 11.9.2006. 103 Ein Überblick über die jeweiligen Landesgesetze findet sich bei Feßler, WuM 2010, 267. 104 Vgl. Feßler, WuM 2010, 267. 105 Gesetz über die Wohnraumförderung in Bayern (Bayerisches Wohnraumförderungsgesetz – BayWoFG) vom 10.4.2007, GVBl S. 260.

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durch den Markt ist im Anwendungsbereich der Wohnraumförderung stark eingeschränkt und das Postulat der Vertragsfreiheit nur mehr in engen Grenzen verwirklicht. Diese Beschränkung dient den Interessen sozial schwach gestellter Mieter. Das ergibt sich bereits aus § 1 Abs. 2 S. 1 WoFG bzw. Art. 1 Abs. 1 BayWoFG, wonach die soziale Wohnraumförderung Haushalten zugutekommen soll, die sich am Markt nicht angemessen mit Wohnraum versorgen können. Mit der Mietwohnraumförderung werden daher gem. § 1 Abs. 1, Abs. 2 S. 2 Nr. 1 WoFG und Art. 1 Abs. 2 S. 2 BayWoFG insbesondere ältere oder behinderte Menschen und Familien unterstützt. Interessant sind Details, in denen sich die Zielsetzung nach dem Bayerischen Gesetz von denen des Bundesgesetzes unterscheidet. Sie illustriert, dass die iustitia distributiva eine Verteilung zugunsten unterschiedlicher Personengruppen bewirken kann, je nach der politischen Zielsetzung. So werden in Art. 1 Abs. 2 S. 2 BayWoFG anders als in der bundesrechtlichen Regelung weder einkommensschwache Bevölkerungsgruppen noch Obdachlose besonders erwähnt. Dafür hebt der bayerische Gesetzgeber Studierende als Zielgruppe hervor. Die Unterschiede in der konkreten Förderungspolitik dürften gleichwohl eher gering ausfallen. Dies folgt schon daraus, dass die konkret aufgeführten Personen keine abschließende Aufzählung darstellen („insbesondere“) und die Einkommensschwäche ohnehin Förderungsvoraussetzung ist (vgl. Art. 11 BayWoFG). Die geförderten Mieter und ihre Vermieter bedienen sich zur Umsetzung der Förderung des Vertrages. Der konkrete Inhalt ihrer Vereinbarung ist allerdings zugunsten der Mieter zu einem großen Teil fremdbestimmt. So darf der Vermieter gem. § 28 Abs. 2 S. 1 WoFG bzw. Art. 15 Abs. 1 BayWoFG die Wohnung nur gegen eine höchstzulässige Miete vermieten, die in der Förderzusage bestimmt wird. Der „gerechte Preis“ wird dabei durch im Einzelnen komplexe Berechnungen bestimmt, wobei entweder die Kosten des Vermieters auf der Angebotsseite oder aber der Vergleich zu ähnlichen Mietobjekten Maßstab sein kann.106 Für Mieterhöhungen gelten zwar die allgemeinen Regeln des BGB, allerdings darf die Mieterhöhung gem. § 28 Abs. 3 WoFG bzw. Art. 15 Abs. 2 S. 2 BayWoFG wiederum nur bis zur höchstzulässigen Miete gehen. Auf diese Regelungen kann sich der Mieter gem. § 28 Abs. 5 WoFG bzw. Art. 15 Abs. 2 S. 1 Hs. 2 BayWoFG auch unmittelbar dem Vermieter gegenüber berufen. Die verteilungspolitischen Zwecke der Wohnraumförderung sind durch unterschiedliche Zwangsmechanismen sanktioniert. Zunächst ist die Mietvereinbarung unwirksam (§§ 28 Abs. 2 und 6 WoFG bzw. Art. 15 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 S. 3 BayWoFG), soweit sie den höchstzulässigen Betrag übersteigt. Darin liegt eine Teilnichtigkeit des Rechtsgeschäfts, die Rechtsunsicherheit auch für den Mieter verhindert und andererseits auch die Interessen des Vermieters berücksich106

267.

Zu Einzelheiten und Unterschieden dieser Berechnungsarten vgl. Feßler, WuM 2010,

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tigt. Wenn die Wohnung an Personen vermietet ist, die nicht zur förderungswürdigen Zielgruppe gehört, ist der Vermieter auf Verlangen der zuständigen Behörde zur Kündigung des Mietvertrages verpflichtet (§ 27 Abs. 6 WoFG bzw. Art. 16 Abs. 2 S. 2 BayWFG). Im Verhältnis zu dem nicht förderungswürdigen Mieter ist der Vermieter in diesen Fällen auch zur Kündigung berechtigt.107 Die hier geschilderten Regelungen führen dazu, dass Vertragsfreiheit nur mehr in engen Grenzen in ihrem formalen Verständnis ausgeübt werden kann. Soziale Förderung wird in diesem Kontext auch durch eine Instrumentalisierung des Vertragsrechts erreicht. Darin liegt ein besonders klares Beispiel für die Verwirklichung sozialer Gerechtigkeit unter Instrumentalisierung auch des Vertragsrechts. Die Vertragsfreiheit erfüllt dabei trotz der weitreichenden Fremdbestimmung des Vertragsinhalts eine wichtige Funktion: Die geförderten Personen werden in ihrem Selbstverständnis als autonome Individuen ernst genommen. Sie schließen selbst einen Mietvertrag mit einem Vermieter, ganz genauso wie Mieter außerhalb der sozialen Wohnraumförderung. Würde ihnen dagegen eine geförderte Wohnung etwa kraft Verwaltungsaktes hoheitlich zugewiesen, würde dies das Selbstverständnis der Betroffenen ändern. Sie könnten sich im hier betroffenen Kontext nicht mehr als selbstbestimmte Individuen betrachten, sondern müssten sich als bloß Begünstigte eines hoheitlichen Hilfeaktes betrachten. Dieser Vorzug der Vertragsfreiheit vor einer formell rein öffentlich ausgestalteten Förderung sollte nicht gering geschätzt werden.108 Die Stabilität einer Rechtsgemeinschaft hängt auch davon ab, dass zumindest eine Mehrheit gerade der schlechter gestellten Mitglieder Frieden wahren. Dazu trägt aber wiederum bei, dass diese sich als freie und selbst bestimmte Mitglieder der Rechtsgemeinschaft wahrnehmen dürfen. c) Schwächerenschutz als Verteilungsmaßstab bei der Auflösung des Mietverhältnisses Das Recht der Auflösung von Wohnraummietverhältnissen bietet ein Beispiel dafür, dass die iustitia distributiva im Wohnraummietrecht vornehmlich in Form des Schwächerenschutzes erscheint. aa) Verfassungsrechtliche Anforderungen Im deutschen Mietrecht spielen die Grundrechte gerade bei der Auflösung von Wohnraummietverhältnissen eine entscheidende Rolle. Der Vermieter ist meist auch Privateigentümer des vermieteten Wohnraums. Insofern wird er in seiner eigentumsrechtlichen Position durch Art. 14 Abs. 1 GG geschützt.109 107

Vgl. OLG Hamm NJW 1982, 2563; BayObLG MDR 1985, 1030. S. dazu schon oben, S. 259 ff. 109 Dies ist unstreitig, vgl. nur v. Mutius, in: Jickeli/Kreutz/Reuter (Hrsg.), Gedächtnisschrift für Jürgen Sonnenschein, 2003, S. 69, 82 m.w.N. Ausführlich zur verfassungsrechtlichen Eigentumsdogmatik im hier interessierenden Kontext Ibler, AcP 1997, 565, 567 ff. 108

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Dazu gehört das Innehaben, Nutzen und Schützen des Eigentums ebenso wie die Verfügung darüber.110 Der verfassungsrechtliche Schutz des Vermieters umfasst daher die Nutzung der Wohnung zu eigenen Zwecken und die Verfügung über die Wohnung. Ergänzend kann Art. 12 GG zu berücksichtigen sein, etwa wenn der Vermieter die Vermietung von Wohnraum zu seinem Beruf gemacht hat oder als gewerblicher Zwischenmieter fungiert.111 Kontraintuitiv ist dagegen die verfassungsrechtliche Position, die das Bundesverfassungsgericht dem Wohnraummieter einräumt.112 Nach seiner Rechtsprechung ist das Besitzrecht des Wohnraummieters Eigentum i.S.d. Art. 14 Abs. 1 S. 1 GG. Die Intuition vor allem des Privatrechtlers führt dagegen nicht zu dieser Auffassung.113 Denn eines der zentralen Prinzipien des Bürgerlichen Sachenrechts ist die sorgsame Trennung von Besitz und Eigentum, die in ihrer dogmatischen Ausdifferenzierung vom allgemeinen Sprachgebrauch abweicht.114 Besitz ist danach nur die faktische (wenngleich besitzrechtlich geschützte), Eigentum dagegen die umfassende Herrschaft über eine Sache. Schon vor diesem Hintergrund ist nur allzu verständlich, dass die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts nicht nur auf Zustimmung115 sondern vor allem unter Zivilrechtlern auch auf teils vehemente Kritik116 gestoßen ist. Zumindest der Wi110 BVerfGE 89, 1, 6; v. Mutius, in: Jickeli/Kreutz/Reuter (Hrsg.), Gedächtnisschrift für Jürgen Sonnenschein, 2003, S. 69, 82. 111 Dazu etwa Ibler, AcP 1997, 565, 576 ff. Von Mutius weist zu Recht darauf hin, dass auch die allgemeine Handlungsfreiheit aus Art. 2 Abs. 1 GG als Auffanggrundrecht fungieren kann, wenn der Vermieter nicht zugleich Eigentümer ist, vgl. v Mutius, in: Jickeli/Kreutz/Reuter (Hrsg.), Gedächtnisschrift für Jürgen Sonnenschein, 2003, S. 69, 82 f. Dies ist etwa bei Untervermietern relevant und lässt auch die von Emmerich anvisierten Konstellationen verfassungsrechtlich ohne weiteres lösbar erscheinen, vgl. Emmerich, in: Heinze/Schmitt (Hrsg.), Festschrift für Wolfgang Gitter, 1995, S. 241, 246 f. 112 Grundlegend BVerfGE 89, 1. Zur dieser Entscheidung vorangegangenen Entwicklung in der Rechtsprechung des BVerfG vgl. etwa Henschel, NJW 1989, 937; Sternel, MDR 1993, 728. 113 Möller spricht anschaulich von einem „Überraschungseffekt sowohl für den Laien als auch besonders für den Zivilrechtler“, vgl. Möller, AcP 1997, 537, 538. 114 Vgl. nur die auch unter diesem Aspekt lancierte Kritik an der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts bei Franke, DWW 1993, 281, 282; Emmerich, in: Heinze/Schmitt (Hrsg.), Festschrift für Wolfgang Gitter, 1995, S. 241, 243 f.; Roellecke, JZ 1995, 75. Zur Entwicklung im klassischen römischen Recht, das zumindest Tendenzen hin zu einer Verdinglichung der Rechte des Mieters kannte, siehe Möller, AcP 1997, 537, 544 ff. 115 S. etwa Derleder, WuM 1993, 514; Sternel, MDR 1993, 728; Sonnenschein, NJW 1993, 161; Ibler, AcP 1997, 565; Papier, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz, Art. 14 GG Rn. 202. 116 S. etwa Depenheuer, NJW 1993, 2561; Rüthers, NJW 1993, 2587; Sendler, NJW 1994, 709; Emmerich, in: Heinze/Schmitt (Hrsg.), Festschrift für Wolfgang Gitter, 1995, S. 241; Roellecke, JZ 1995, 75; Emmerich, in: Immenga/Möschel/Reuter (Hrsg.), Festschrift für Ernst-Joachim Mestmäcker, 1996, S. 989. Roellecke hat auch einen verfassungsdogmatischen Gegenentwurf zum Ansatz des Bundesverfassungsgerichts entwickelt, vgl. Roellecke, NJW 1992, 1649. Nach seiner Konzeption sind Mietverhältnisse verfassungsrechtlich zunächst nach dem Prinzip der Vertragsfreiheit zu beurteilen. Das zweite Prinzip sei die Menschenwürde, die insbesondere erniedrigende Mietverhältnisse verbiete. Und schließlich gebiete das Sozialstaatsprinzip die menschenwürdige Unterbringung aller Menschen. Dieses letzte Prinzip sei eine öffentliche Aufgabe, deren Kosten von allen Bürgern nach Aufopferungskriterien zu tragen seien.

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derspruch zu dieser ersten Intuition des Privatrechtlers ist allerdings leicht aufzuheben. Der Eigentumsbegriff des Art. 14 GG muss mit demjenigen des Bürgerlichen Sachenrechts nicht identisch sein. Die Normenhierarchie der Rechtsordnung wäre missachtet, wollte man eine Entsprechung des verfassungsrechtlichen Eigentumsbegriffs mit demjenigen des BGB fordern.117 Das Bundesverfassungsgericht hat dementsprechend auch schon lange vor seiner Grundsatzentscheidung zum verfassungsrechtlichen Schutz der mietrechtlichen Besitzposition einen eigenständigen verfassungsrechtlichen Eigentumsbegriff entwickelt.118 Mit Blick auf das Privatrecht soll das Eigentum danach dem Eigentümer die selbstbestimmte Verwirklichung seiner Freiheit vor allem im wirtschaftlichen Bereich ermöglichen. Eigentum im Sinne des Art. 14 Abs. 1 S. 1 GG sind daher nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts schon vor seiner Leitentscheidung zum Besitzrecht des Mieters „im Bereich des Privatrechts grundsätzlich alle vermögenswerten Rechte, die dem Berechtigten von der Rechtsordnung in der Weise zugeordnet sind, daß er die damit verbundenen Befugnisse nach eigenverantwortlicher Entscheidung zu seinem privaten Nutzen ausüben darf“.119 Diese Formel nimmt die verfassungsrechtliche Einbeziehung des Besitzrechts in den Schutzbereich der Eigentumsfreiheit gem. Art. 14 GG bereits vorweg.120 Eine formale Eigentumsbetrachtung lehnt das Bundesverfassungsgericht zugunsten einer material verstandenen Eigentumsfreiheit ab, die ihren Umfang aus ihrer Funktion gewinnt.121 Die Eigentumsgarantie soll „dem einzelnen damit die Entfaltung und eigenverantwortliche Gestaltung seines Lebens ermöglichen.“122 Von Mutius betont in diesem Zusammenhang zu Recht, dass die Eigentumsgarantie vor allem dazu dient, Freiheit vermögensrechtlich abzusichern.123 Die Erstreckung auf das Besitzrecht des Mieters liegt in der Konsequenz dieses materiellen Eigentumsverständnisses. Der Mieter erhält die Wohnung gerade zur Entfaltung seiner persönlichen Freiheit. Dabei ist er fundamental auf die Wohnung als Mittelpunkt seiner privaten Existenz angewiesen.124 Das Bundesver117

Vgl. auch Ibler, AcP 1997, 565, 567. Die Leitentscheidung des Bundesverfassungsgerichts in BVerfGE 89, 1 stellt auch insofern eine konsequente Weiterentwicklung der bisherigen verfassungsrechtlichen Rechtsprechung dar. Vgl. dazu auch Derleder, WuM 1993, 514; Möller, AcP 1997, 537 f., 562 ff.; Ibler, AcP 1997, 565, 581 ff.; kritisch zur Dogmatik, nicht aber zur Kernaussage auch Neuner, Privatrecht und Sozialstaat, S. 260. 119 BVerfGE 84, 201. 120 Vgl. auch Gärtner, JZ 1994, 440, 446. 121 Vgl. Möller, AcP 1997, 537, 561 f. 122 BVerfGE 89, 1, 6. 123 v. Mutius, in: Jickeli/Kreutz/Reuter (Hrsg.), Gedächtnisschrift für Jürgen Sonnenschein, 2003, S. 69, 83 f. 124 Vgl. BVerfGE 89, 1, 6; s. auch Weller, JZ 2012, 881, 883; Sendler weist mit einiger Berechtigung darauf hin, dass Räume eine ähnlich existenzielle Bedeutung für den Einzelnen haben können, wenn er die Räume nicht als Wohnung, sondern etwa als Atelier, Glaubensort oder Unterrichtsraum benützt, vgl. Sendler, NJW 1994, 709. Anders als bei der Wohnraummiete ist 118

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fassungsgericht weist zu Recht darauf hin, dass der Gesetzgeber diese existenzielle Bedeutung des mietrechtlichen Besitzrechts durch seine privatrechtliche Ausgestaltung anerkannt hat.125 So betrachtet es das Bundesverfassungsgericht folgerichtig als Aufgabe des Gesetzgebers, die konkurrierenden Eigentumspositionen in ihrem Verhältnis zueinander zu konkretisieren und auszugestalten.126 Im Kündigungsrecht muss der Gesetzgeber dabei das Bestandsinteresse des Mieters mit dem Erlangungsinteresse des Vermieters in Einklang bringen. Diesem verfassungsrechtlichen Auftrag ist der Gesetzgeber durch die detaillierten Regelungen zur Auflösung von Wohnraummietverhältnissen nachgekommen. Die dort beinhalteten Formregelungen, Fristen und materiellen Grenzen der einseitigen Auflösbarkeit dienen dazu, praktische Konkordanz zwischen den grundrechtlichen Positionen von Mieter und Vermieter zu erreichen. Die Konkretisierung dieser gesetzgeberischen Ausgestaltung obliegt wiederum den Gerichten, die ihrerseits die berechtigten Interessen von Mieter und Vermieter in einen angemessenen Ausgleich bringen müssen.127 Mit der gesetzgeberischen Ausgestaltung und der richterlichen Konkretisierung sozialen Mietrechts ist unweigerlich eine Verteilungsentscheidung verbunden. Die Möglichkeit zur Nutzung der Wohnung wird zwischen Mietern und Vermietern nach den verfassungsrechtlich vorgezeichneten und gesetzlich konkretisierten Maßstäben verteilt. Roellecke kritisiert die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts unter anderem mit Blick auf diese Verteilungsentscheidung: „Im Streit zwischen Bürgern um Haben oder Nichthaben des Wirtschaftsgutes ,Wohnung‘ fungiert der Staat primär als Schiedsrichter, nicht als Verteiler von Gütern. Das BVerfG hat den Staat indessen nicht nur zum Verteiler von Gütern gemacht, die ihm gar nicht gehören, es hat auch die Unterscheidung zwischen Besitz und Eigentum eingeebnet, die als Errungenschaft des modernen deutschen Rechtes gilt.“128

Diese Einschätzung ist unter dem Aspekt der Verteilungsgerechtigkeit im Vertragsrecht bemerkenswert. Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts wird hier gerade deshalb kritisiert, weil durch sie der Staat zu einer Güter verteilenden Instanz wird. Dies sei nicht die Aufgabe des Staates, der im hier betroffenen privaten Streit primär als Schiedsrichter zu fungieren habe. Diese Einschätzung beruht auf der für die iustitia commutativa typische Perspektive und auf der herkömmlichen These der Trennung öffentlicher und pri125 allerdings eine gesetzliche Konkretisierung in diesen Bereichen nicht ratsam, weil die konkrete Bedeutung der Räume in anderen grundrechtsrelevanten Bereichen stark von den Umständen des Einzelfalles abhängt. Zur Konkretisierung der iustitia distributiva ist hier die Judikative berufen. 125 Vgl. BVerfGE 89, 1, 6 f. 126 BVerfGE 89, 1, 8 f. S. auch Sonnenschein, NJW 1993, 161, 172 f. 127 Vgl. BVerfGE 89, 1, 9 f. 128 Roellecke, JZ 1995, 75.

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vater Sphären. Diese Sichtweise ist verkürzt und verkennt die ständig fließende Verteilung innerhalb der Privatrechtsgesellschaft.129 Staat und Recht können auch im sozialen Mietrecht gar nicht verhindern, als verteilende Instanz aufzutreten. So hätte umgekehrt eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts, die den Mieter weniger stark geschützt hätte, in gleicher Weise erhebliche Verteilungswirkungen nach sich gezogen. Geändert hätten sich lediglich die Verteilungsmaßstäbe und das Verteilungsergebnis. Nicht Freiheitssphären der Mieter sondern diejenigen der Vermieter wären durch eine gegenläufige verfassungsrechtliche Einschätzung befördert worden. Die verteilungspolitischen Konsequenzen der verfassungsrechtlichen Rechtsprechung hat auch Rüthers klar analysiert. Er diagnostiziert, dass das Grundsatzurteil des Bundesverfassungsgerichts weitreichende Folgen für die Verteilung von Chancen und Risiken im Verhältnis zwischen Mietern und Vermietern haben werde.130 Die Grundrechtsposition der Eigentümer werde zugunsten der Mieter als Besitzer geschmälert.131 So werde die Wohnungswirtschaft „durch die Steuerungswirkung der Entscheidung erheblich umgestaltet“.132 Räumungsklagen wegen Eigenbedarfs würden weniger Aussicht auf Erfolg haben, Verfassungsbeschwerden unterlegener Mieter zunehmen.133 In ähnlicher Weise bewertet Depenheuer das Grundsatzurteil des Bundesverfassungsgerichts als eine „Umverteilung von Grundrechtssubstanz“.134 Es sei zu erwarten, dass die Mieterinteressen im Zweifel oft diejenigen der Vermieter verdrängen werden. Mit dem Wohnrecht als Mittelpunkt privater Existenz und Grundlage elementarer Lebensbedürfnisse könne das Vermieterinteresse an freier wirtschaftlicher Verwertbarkeit der Wohnung in der Regel nicht konkurrieren.135 Diese Analysen erkennen zutreffend, dass mit der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts die Anwendung mieterfreundlicher Verteilungsmaßstäbe im Wohnraummietrecht zugenommen hat. Rüthers und Depenheuer sehen darin eine Fehlentwicklung und plädieren damit mittelbar für die Anwendung anderer Verteilungsmaßstäbe, die die Freiheitsrechte und das wirtschaftliche Interesse der Vermieter stärker in den Vordergrund rücken.136 Rüthers betont dabei auch die Steuerungswirkung der verfassungsrechtlichen Rechtsprechung mit Blick auf das wirtschaftliche Handeln der Beteiligten.137 Der Wohnungsmarkt hänge von den Investitionen kapitalkräftiger Anleger ab, die zumindest auch von den Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts beeinflusst werden 129

S. 179 f. Rüthers, NJW 1993, 2587, 2588. Vgl. auch Möller, AcP 1997, 537, 538 und 564. 131 Rüthers, NJW 1993, 2587, 2588. 132 Rüthers, NJW 1993, 2587, 2588. 133 Rüthers, NJW 1993, 2587, 2588. 134 Depenheuer, NJW 1993, 2561, 2564. 135 Depenheuer, NJW 1993, 2561, 2564. 136 Anders etwa Derleder, WuM 1993, 514, der im Ergebnis allerdings nur eine leichte Verbesserung für den Mieter sieht, vgl. Derleder, WuM 1993, 514, 523. 137 Rüthers, NJW 1993, 2587, 2588 f. 130

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könnten. Investitionen könnten weniger attraktiv werden. So sei die Entscheidung mittelfristig auch nicht im Interesse der Mieter: „Wenn der privatwirtschaftliche Wohnungsmarkt zum Erliegen kommt, geht die Reise in die staatliche Bewirtschaftung.“138 Ob diese Steuerungseffekte sich faktisch in der von Rüthers besorgten Form realisiert haben, ist indes zweifelhaft. Die unmittelbare Besserstellung der Mieter im Wohnraummietrecht ist dagegen kaum zu bestreiten, auch wenn der verfassungsrechtliche Bestandsschutz freilich diejenigen Menschen außen vorlässt, die sich in einer sozial noch schwächeren Position befinden als Mieter, weil sie keine Wohnung besitzen. Probleme der Obdachlosigkeit können allerdings mit dem Medium des Vertragsrechts allein wohl kaum wirkungsvoll bekämpft werden. Wie man die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts bewertet, bleibt daher im Wesentlichen eine rechtspolitische Frage.139 Unbestreitbar bleibt aber immerhin die Erkenntnis, dass auch die verfassungsrechtliche Einbettung der Rechte von Vermietern und Eigentümern einerseits und Mietern andererseits die Verteilungsentscheidungen des Vertragsrechts auf dem Gebiet des Mietvertragsrechts entscheidend prägt. bb) Die Konkretisierung der verfassungsrechtlichen Vorgaben durch das gesetzliche Mietvertragsrecht: Das System der Beendigung von Mietverträgen über Wohnraum Das BGB konkretisiert die verfassungsrechtlichen Anforderungen an den Schutz des Mieters vor ungerechtfertigter Auflösung des Mietvertrages. Den Kern dieser Konkretisierung bildet die Vorschrift des § 573 BGB.140 Die Regelung bezweckt eine Verteilung zugunsten des Mieters und ist gem. § 573 Abs. 4 BGB zwingendes Recht. § 573 Abs. 1 S. 1 BGB beinhaltet den verteilungspolitischen Grundsatz des Beendigungssystems: Die Befugnis des Vermieters zur Auflösung des Mietverhältnisses setzt voraus, dass der Vermieter ein berechtigtes Interesse an der Beendigung des Mietverhältnisses hat.141 Diese Bestimmung stellt das Bestandsinteresse des Mieters in den Vordergrund, das der Gesetzgeber auch wegen der verfassungsrechtlichen Position des Mieters berücksichtigen muss.142 § 573 Abs. 3 BGB unterstreicht die Bedeutung dieses Bestandsinteresses: Nur, wenn die Gründe für das berechtigte Vermieterinteresse im Kündigungsschreiben angegeben sind, können sie berücksichtigt werden.143 Eine Ausnahme gilt gem. § 573 Abs. 3 S. 2 BGB nur, 138

Rüthers, NJW 1993, 2587, 2589; ähnlich Roellecke, JZ 1995, 75. Sonnenschein, NJW 1993, 161. 140 Zur Regelungstechnik des § 573 BGB vgl. Beyer, Zeitschrift für Vertragsgestaltung, ZGS 2011, 21. 141 Zur Bedeutung dieses Grundsatzes etwa Weller, JZ 2012, 881, 883. 142 Oben, S. 322 ff. 143 Zur rechtspraktischen Bedeutung der Begründungspflichten gerade im sozialen Mietrecht s. Henschel, NJW 1989, 937, 939 f. 139

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wenn Gründe nachträglich entstanden sind. Das Bestandsinteresse des Mieters ist umso stärker, je mehr er existenziell darauf angewiesen ist, die Räume als Wohnung zu nutzen. Der Gesetzgeber berücksichtigt dies insbesondere durch die in § 574 BGB vorgesehene Widerspruchsmöglichkeit des Mieters. Er kann die Fortsetzung des Mietverhältnisses verlangen, wenn die Beendigung für ihn, seine Familie oder seine Haushaltsangehörige eine nicht zu rechtfertigende Härte darstellt (§ 574 Abs. 1 S. 1 BGB). § 574 Abs. 1 S. 1 BGB verlangt aber ausdrücklich, bei der Härteprüfung auch die berechtigten Interessen des Vermieters zu würdigen. Der verfassungsrechtliche Auftrag, die beiderseitigen Interessen zu einem Ausgleich zu bringen, ist hier anschaulich umgesetzt. Dass die Widerspruchsmöglichkeit gerade dann gegeben sein soll, wenn der Mieter existenziell auf die Nutzung der Räume als Wohnung besonders angewiesen ist, illustriert auch § 574 Abs. 2 BGB. Ein Mieter, der keinen angemessenen Ersatzwohnraum beschaffen kann, befindet sich in existenziellen Schwierigkeiten. Auch im Rahmen des Widerspruchs gilt, dass die Vermieterinteressen grundsätzlich nur berücksichtigt werden, wenn sie in dem Kündigungsschreiben enthalten sind (vgl. § 574 Abs. 3 BGB). Die mit diesen Regelungen verbundene Verteilungswirkung zulasten der Vermieter und zugunsten der Mieter wurde mit Blick auf die Kündigung zum Zwecke der Mieterhöhung (vgl. § 573 Abs. 1 S. 2 BGB) bereits näher analysiert.144 Die Verteilungswirkung des § 573 Abs. 1 S. 1 BGB greift ebenso ein, wenn es um Kündigungen zu anderen Zwecken als denen der Mieterhöhung geht. Eine wichtige Ergänzung des § 573 BGB findet sich in § 575 BGB. Gem. § 575 Abs. 1 S. 1 BGB kann ein auf eine von vornherein bestimmte Zeit begrenztes Mietverhältnis nur unter bestimmten Voraussetzungen vereinbart werden. Liegen diese nicht vor, so gilt das Mietverhältnis gem. § 575 Abs. 1 S. 2 BGB als auf unbestimmte Zeit geschlossen. Diese Vorschriften verhindern, dass die mieterschützenden Regelungen durch den Abschluss befristeter Mietverträge umgangen werden können. Allerdings ist die Vereinbarung eines Zeitmietverhältnisses leichter möglich als die Kündigung gem. § 573 BGB. Diese gesetzgeberische Entscheidung lässt sich damit erklären, dass der Mieter bei einem Zeitmietverhältnis von vornherein weiß, dass die Mietdauer beschränkt ist.145 Zum anderen wird § 573 BGB durch das Dauerschuldverhältnissen stets immanente Recht zur außerordentlichen Kündigung (§§ 543 und 569 BGB) ergänzt. cc) Verlust der sozialen Schutzbedürftigkeit des Mieters: § 573 Abs. 2 Nr. 1 BGB (schuldhafte erhebliche Pflichtverletzung) Man kann Mieter als weniger schutzwürdig ansehen, wenn sie ihrerseits Vertragspflichten schuldhaft verletzt haben. Der Gesetzgeber steht auf diesem 144 145

Oben, S. 313 f. Häublein, in: MünchKomm BGB, § 573 BGB Rn. 3.

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Standpunkt. Wenn der Vermieter schuldhaft Vertragspflichten verletzt hat, kehrt sich gem. § 573 Abs. 2 Nr. 1 BGB die zunächst zu seinen Gunsten erfolgte Verteilungsentscheidung um. § 573 Abs. 2 Nr. 1 BGB verlangt allerdings eine „nicht unerhebliche“ Pflichtverletzung des Mieters. Der Zugang zu dieser doppelten Verneinung erschließt sich erst, wenn man § 543 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 BGB berücksichtigt. Ein wichtiger Grund, der eine außerordentliche Kündigung rechtfertigt, liegt danach vor, wenn der Mieter die Rechte des Vermieters auf näher bestimmte Weise „in erheblichem Maße verletzt“. Das außerordentliche Kündigungsrecht gibt dem Vermieter aber weiterreichende Befugnisse als das ordentliche Kündigungsrecht. Dies wird normativ angemessen berücksichtigt, indem § 573 Abs. 2 Nr. 1 BGB nicht erst dann erfüllt ist, wenn die Pflichtverletzung des Mieters ihrer Schwere nach einer erheblichen Pflichtverletzung i.S.d. § 543 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 BGB entspricht.146 Die vom Gesetzgeber gewählte doppelte Verneinung lässt sich als Versuch des Gesetzgebers verstehen, diese normative Differenz sprachlich zum Ausdruck zu bringen. Diese gesetzliche Normierung bildet einen ersten und maßgeblichen Rahmen für die Verwirklichung der iustitia distributiva in diesem Bereich. Mieter können danach nicht losgelöst von ihrem eigenen Vertragsverhalten als schutzwürdig gelten. Der Gesetzgeber zwingt die Gerichte also das besondere Band zweier Privatrechtssubjekte zu berücksichtigen, die durch den Vertrag in ein besonderes Näheverhältnis gerückt sind. Konsequent ist dabei, auch das Verschuldensprinzip im Verteilungsmaßstab zu integrieren. § 573 Abs. 2 Nr. 1 BGB erreicht dies dadurch, dass die Pflichtverletzung des Mieters schuldhaft sein muss. Im Einzelnen unterliegt die Konkretisierung der in § 573 Abs. 2 Nr. 1 BGB enthaltenen Grundsätze einer fortlaufenden und immer weiter ausdifferenzierten Konkretisierung durch Wissenschaft und Rechtsprechung. Hier ist nicht der Ort, diese Ausdifferenzierung der Verteilungsgerechtigkeit im positiven Mietvertragsrecht im Einzelnen nachzuzeichnen.147 Herausgegriffen sei jedoch exemplarisch die Entscheidung des BGH vom 25.10.2006,148 die das Verschuldenskriterium konkretisiert. Hier hatte der Mieter längere Zeit keine Vorauszahlungen für Betriebskosten geleistet. Zu dieser Vorgehensweise hatte ihm sein Mieterverein geraten. Der Vermieter hatte dem Mieter trotz seiner Aufforderung keine Fotokopien der Belege für die Betriebskostenabrechnung geschickt. Der BGH hatte insbesondere darüber zu entscheiden, ob die Pflichtverletzung des Mieters schuldhaft war. Immerhin hatte er sich auf den Rat seines Mietervereins verlassen. Der BGH bejahte die Frage. Dem Mieter sei das Verschulden des Mietervereins gem. § 278 146

S. nur Rolfs, in: Staudinger, BGB, § 573 BGB Rn. 39 m.w.N. S. dazu etwa Rolfs, in: Staudinger, BGB, § 573 BGB Rn. 33 ff.; Häublein, in: MünchKomm BGB, § 573 BGB Rn. 52 ff.; Honsell, AcP 1986, 117, 141. 148 BGH NJW 2007, 428. 147

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BGB zuzurechnen; der Verein sei als sein Erfüllungsgehilfe tätig geworden.149 § 573 Abs. 2 Nr. 1 BGB setze kein eigenes schuldhaftes Verhalten des Mieters voraus. Denn ein berechtigtes Kündigungsinteresse könne sich für den Vermieter auch daraus ergeben, dass seine Beeinträchtigung aus dem allgemeinen Einflussbereich des Mieters herrührt.150 Auch ein denkbarer Rechtsirrtum des Mieterschutzvereins entlaste den Mieter nicht.151 Der BGH rekurriert insofern auf die in ständiger Rechtsprechung begründeten strengen Erfordernisse, die erfüllt sein müssen, damit ein unverschuldeter Rechtsirrtum angenommen werden kann.152 Dabei treffen den Schuldner strenge Prüfungsobliegenheiten.153 Ein Rechtsirrtum scheidet nur aus, wenn der Irrende bei Anwendung der verkehrserforderlichen Sorgfalt nicht mit einer anderen Beurteilung durch die Gerichte rechnen musste. Fahrlässig handelt, wie der BGH ausführt, bei einer zweifelhaften Rechtsfrage schon, „wer sich erkennbar in einem Grenzbereich des rechtlich Zulässigen bewegt, in dem er eine von der eigenen Einschätzung abweichende Beurteilung der rechtlichen Zulässigkeit des fraglichen Verhaltens in Betracht ziehen muss“.154 Unter Anwendung dieses Maßstabs gelangt der BGH zur Fahrlässigkeit des Rechtsirrtums. Die Beratung des Mietervereins, die darauf basierte, dass der Mieter wegen der fehlenden Übersendung von Belegen zu den Nebenkostenabrechnungen ein Zurückbehaltungsrecht bezüglich der Vorauszahlungen geltend machen konnte, hielt er für schuldhaft falsch.155 Ob der Mieter die Übermittlung von Fotokopien der Abrechnungsbelege oder nur Einsichtnahme verlangen kann, war bis zur Entscheidung des BGH vom 8.3.2006156 in Rechtsprechung und Literatur umstritten.157 Eine herrschende Meinung hatte sich noch nicht herausgebildet. Konsequenterweise sei es schuldhaft, darauf zu vertrauen, die eigene Auffassung werde sich vor Gericht durchsetzen. Der BGH sah keinen Anlass, von den zum unverschuldeten Rechtsirrtum entwickelten Kriterien im Rahmen des § 573 Abs. 2 Nr. 1 BGB abzuweichen.158 Dem Mieter sei zumutbar, bei unklarer Rechtslage die Miete zumindest unter Vorbehalt oder auf ein Anderkonto zu zahlen, um einer Kündigung zu entgehen. Zudem sei er ausreichend dadurch geschützt, dass § 573 Abs. 2 Nr. 1 BGB eine nicht unerheb-

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BGH NJW 2007, 428, 429 ff. BGH NJW 2007, 428, 429. 151 BGH NJW 2007, 428, 430 f. 152 BGH NJW 1974, 1903; BGH NJW 1983, 2318; BGH NJW 2006, 2371. Vgl. auch schon RGZ 119, 265, 268. Zur Entwicklung stellvertretend Bauer, in: Jahr (Hrsg.), Gedächtnisschrift für Dietrich Schultz, 1987, S. 21. 153 S. etwa Löwisch/Caspers, in: Staudinger, BGB, § 276 BGB Rn. 58 ff. m.w.N. 154 BGH NJW 2007, 428, 430. 155 BGH NJW 2007, 428, 430. 156 BGH NJW 2006, 1419. 157 Umfassende Literaturnachweise bei BGH NJW 2006, 1419, 1421. 158 BGH NJW 2007, 428, 430 f. 150

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liche Pflichtverletzung voraussetze, nicht lediglich eine Pflichtverletzung wie etwa § 280 BGB. Beyer sieht in dieser Entscheidung eine angemessene Risikoverteilung.159 Der Mieter könne sich seinen Berater aussuchen, müsse deshalb aber auch das Risiko einer Falschberatung tragen. Wenn der Mieter im Vertrauen auf die von ihm selbst gewählte Beratung handle, geschehe dies auf eigenes Risiko; das soziale Mietrecht könne ihn davor nicht schützen.160 Die von Beyer als angemessen beurteilte Risikoverteilung beruht vor allem auf den generell strengen Anforderungen, die der BGH in ständiger Rechtsprechung bei der Frage anlegt, ob ein Rechtsirrtum unverschuldet ist. Diese Verteilung überzeugt indes nur, wenn die Grundsätze beifallswert sind, auf denen sie beruht. Insoweit ist wenig überraschend, dass das Urteil des BGH gerade unter dem Aspekt kritisiert wurde, dass die Anforderungen an einen unverschuldeten Rechtsirrtum zu streng sind.161 Klees etwa fordert, dass ein Rechtsirrtum schon dann nicht verschuldet sein dürfe, wenn der Irrende bei einer unklaren oder umstrittenen Rechtslage einer vertretbaren Auffassung folgt.162 Die grundsätzliche Frage nach den Voraussetzungen, unter denen ein Rechtsirrtum unverschuldet ist, weist über den Kontext des sozialen Mietvertragsrechts hinaus. Sie wird hier nicht weiter verfolgt. Mit Blick auf den spezifischen Kontext des sozialen Mietvertragsrechts lassen sich aber spezifische Argumente finden, aus denen sich Zweifel daran ergeben, dass die vom BGH erreichte Risikoverteilung angemessen ist. Grundgedanke des § 573 Abs. 2 Nr. 1 BGB ist die fehlende Schutzwürdigkeit des Mieters, die seine Freiheitsbefugnisse zugunsten der freien Nutzungsbefugnis des Vermieters einschränken. Wenn § 573 Abs. 2 Nr. 1 BGB erfüllt ist, hat der Vermieter die Befugnis zur Auflösung des Mietverhältnisses, das materielle Freiheitsrecht des Mieters zur Wohnungsnutzung ist dagegen aufgehoben. Diese weitreichenden Konsequenzen sollten den BGH veranlassen, die Übertragung der allgemeinen Grundsätze zum Rechtsirrtum auf § 573 Abs. 2 Nr. 1 BGB zu überdenken. Denn die Konsequenzen aus der Anwendung des § 573 Abs. 2 Nr. 1 BGB sind einschneidend. Es geht hier nicht lediglich darum, dem Vermieter finanzielle Nachteile zu ersetzen. Vielmehr steht für den Mieter der Entzug des Rechts zur Nutzung der Wohnung auf dem Spiel. Mit Blick auf die existentielle Bedeutung der Wohnung für die Lebensentfaltung des Mieters sollte ein Verschulden nur unter engeren Voraussetzungen eintreten dürfen. Diese für die iustitia distributiva typische Konkretisierung scheint angemessen, weil der Mieter nicht den Verlust seiner Wohnung fürchten müssen sollte, wenn er sich auf eine zumindest vertretbare 159

Beyer, ZGS 2011, 21, 23. Beyer, ZGS 2011, 21, 22 f. 161 Klees, NJW 2007, 431. Grundlegend zur Problematik Rittner, in: Esser/Thieme (Hrsg.), Festschrift für Fritz von Hippel zum 70. Geburtstag, 1967, S. 391; Mayer-Maly, AcP 1970, 134 sowie monographisch Mayer, Der Rechtsirrtum und seine Folgen im bürgerlichen Recht. 162 Klees, NJW 2007, 431. 160

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Rechtseinschätzung eines Mietervereins oder eines Anwalts verlässt. Der Wohnungsverlust kann zudem nur in wenigen Fällen durch einen Regressanspruch gegen die Beratungsperson kompensiert werden, wie ihn der BGH dem Mieter in Aussicht stellt.163 Die existenzielle Angewiesenheit des Menschen auf eine Wohnung zur Entfaltung seiner Persönlichkeit rechtfertigt zumindest eine Sonderbehandlung des Rechtsirrtums im Kontext des § 573 Abs. 2 Nr. 1 BGB. In einem vergleichbaren Kontext existenzieller Bedürfnisse hat das Bundesarbeitsgericht diesen für die iustitia distributiva kennzeichnenden Gedanken bereits umgesetzt. In seinem Urteil vom 29.11.1983164 lehnte es eine Kündigungsbefugnis des Arbeitgebers gem. § 626 BGB ab, die sich auf eine durch Rechtsirrtum verursachte Pflichtverletzung stützen hätte können. Der Arbeitnehmer hatte auf den Aufruf seiner Gewerkschaft hin an einem Streik teilgenommen, der bei einer später erfolgten Prüfung als rechtswidrig beurteilt wurde. Den Streikenden war im Streikzeitpunkt allerdings bekannt, dass die Rechtmäßigkeit des Streiks umstritten war. Das Bundesarbeitsgericht hält den Arbeitnehmern – ganz ähnlich wie der BGH dem Mieter – daher zunächst vor, dass sie „willentlich in Kauf genommen haben, an einem rechtswidrigen Streik teilzunehmen und damit ihre Arbeit rechtswidrig zu verweigern“.165 Auch das Bundesarbeitsgericht verneint die Schuldlosigkeit des Rechtsirrtums. Aber es trifft überzeugende Modifizierungen bei der Rechtsfolge: Eine Kündigungsbefugnis des Arbeitgebers leitet es daraus nicht ab. In der Begründung hebt es dabei hervor, dass die Arbeitnehmer nur die Wahl hatten, an einem vielleicht rechtswidrigen Streik teilzunehmen oder aber nicht teilzunehmen und damit die tarifvertraglichen Ziele ihrer Gewerkschaft aufzugeben. Eine verlässliche und endgültige Antwort über die Rechtmäßigkeit des Streiks konnten sie nicht erhalten – diese erfolgt erst ex post. In einer ähnlichen Situation befindet sich der Mieter: er kann die Zahlung möglicherweise rechtswidrig verweigern, oder aber zahlen und damit ein Mittel zur Durchsetzung vermeintlicher Ansprüche aufgeben. Aus Sicht des Mieters bestand sogar noch weniger Anlass an der Rechtmäßigkeit seiner Handlung zu zweifeln, weil er sich auf die Auskunft des Mietervereins verlassen hatte. In dieser Situation sollte der Mieter, der ein faktisches Druckmittel zur Durchsetzung vermeintlicher Ansprüche ausüben möchte, nicht von der Gefahr bedroht sein, die Nutzungsbefugnis an der Wohnung vollständig zu verlieren, falls sich sein vermeintliches Recht als nichtexistent entpuppt. Der Vermieter sollte in solchen Auseinandersetzungen keine einseitige Auflösungsbefugnis als Druckmittel an die Hand erhalten.166 Dies gilt umso mehr, als der Vermieter auch 163 BGH NJW 2007, 428, 431. Skeptisch zu den Erfolgsaussichten solcher Regressklagen Klees, NJW 2007, 431. 164 BAG NJW 1984, 1371. 165 BAG NJW 1984, 1371, 1372. 166 Ebenso mit beeindruckenden Beispielen zu den drohenden praktischen Konsequenzen Blank, NZM 2007, 788.

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durch die Möglichkeit einer Klage im Urkundenprozess die Zahlung des Mieters regelmäßig rasch durchsetzen kann.167 Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts legt nahe, dass dieses Ergebnis auch verfassungsrechtlich geboten ist. In seinem Beschluss vom 15.3.1989168 sah das Bundesverfassungsgericht nämlich einen gerechten Ausgleich zwischen den Interessen von Vermietern und Mietern auch deshalb gewährleistet, weil der Mieter Gegenrechte ohne Kündigungsangst geltend machen kann.169 Eine Änderung der Rechtsprechung des BGH wäre hier überdies aus einem anderen Grunde wünschenswert, der sich gerade in der Gerechtigkeitsperspektive der iustitia distributiva erschließt. Die Entscheidung des BGH betrifft unmittelbar zwar nur einen spezifischen Einzelfall. Sie hat aber über den konkret entschiedenen Fall hinaus erhebliche Auswirkungen auf die Verteilung von Risiken und Freiheitssphären zwischen Mietern und Vermietern. Betroffen sind nicht lediglich solche Fallgestaltungen, die der vom BGH entschiedenen im Wesentlichen entsprechen. Diese dürften künftig ohnehin in der Praxis kaum mehr zu entscheiden sein. Denn inzwischen ist höchstrichterlich geklärt, dass der Mieter keinen Anspruch gegen den Vermieter auf Übersendung von Belegen der Nebenkostenabrechnungen hat. Indes beruhte die Entscheidung des BGH auf der Übertragung der zum Rechtsirrtum entwickelten Grundsätze auf die Kündigungsbefugnis des Vermieters gem. § 573 Abs. 2 Nr. 1 BGB. Insoweit beinhaltet die Entscheidung einen verallgemeinerungsfähigen Verteilungsmaßstab, der die Konkretisierung der iustitia distributiva auch für anders gelagerte Konstellationen vorauszeichnen kann. Die Entscheidung kann also potentiell weit über den entschiedenen Einzelfall hinaus Bedeutung erlangen. Dies ist umso wahrscheinlicher, als gerade im Mietrecht Rechtsirrtümer häufig auftreten dürften und viele Rechtsfragen noch nicht höchstrichterlich geklärt sind.170 dd) Würdigkeit und Bedarf: § 573 Abs. 2 Nr. 2 BGB (Die Eigenbedarfskündigung) Die Eigenbedarfskündigung nach § 573 Abs. Nr. 2 BGB ist nicht nur in der Rechtspraxis von erheblicher Bedeutung. Sie bildete auch den Ausgangspunkt für die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zur Bedeutung des Art. 14 GG im sozialen Mietrecht. Zugleich illustriert sie die Offenheit der iustitia distributiva für unterschiedliche Verteilungsmaßstäbe, die als gegenläufige Rechtsprinzipien vollständig erst durch die Anwendung auf den Einzelfall konkretisiert werden können. Diese Konkretisierungsaufgabe obliegt der Rechtsprechung. Sie ist dabei aber an die gesetzgeberische Leitentschei167 168 169 170

BGH NJW 1999, 1408; BGH NJW 2005, 2701. BVerfGE 80, 48. Näher Blank, NZM 2007, 788. Blank, NZM 2007, 788, 789.

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dung ebenso gebunden wie an die aus der Verfassung ableitbaren Vorgaben. Diese durch die Dogmatik der Gesetzesanwendung vermittelte Bindung des Richters vermag in der Praxis zwar keine vollständige Vorhersehbarkeit zu begründen. Sie ist aber einer freien Entscheidungsbefugnis des Richters vorzuziehen, die nur an eigene verteilungspolitische Überzeugungen gebunden ist. Denn die durch die Dogmatik erreichte Bindung schafft immerhin ein akzeptables Maß an Rechtssicherheit.171 In § 573 Abs. 2 Nr. 2 BGB berücksichtigt der Gesetzgeber im Ausgangspunkt das Interesse des Vermieters, die Wohnung für eigene Zwecke zu nutzen: Ihm wird ein berechtigtes Kündigungsinteresse für den Fall eingeräumt, dass er die Räume als Wohnung für sich oder Angehörige benötigt. „Benötigen“ ist allerdings ein für unterschiedliche Wertungen offener Begriff. Der Richter ist dabei in seiner normativen Konkretisierung nicht frei. Dies verkennt etwa Emmerich, wenn er in der vom Bundesverfassungsgericht vorgegebenen Abwägungspflicht der Instanzgerichte eine „Aufforderung zur grenzenlosen Revolutionierung des Privatrechts nach Maßgabe beliebiger, letztlich allein vom Bundesverfassungsgericht definierter sog. ,verfassungsrechtlicher‘ Maßstäbe“172 erkennt. Anders als Emmerich impliziert, erlauben die verfassungsrechtlichen Vorgaben keine Konkretisierung nach Beliebigkeit.173 Natürlich besteht keine vollständige Determinierung des Richters – dies stellt aber keine Besonderheit des sozialen Mietrechts dar. Der Richter muss vielmehr durch Abwägung ermitteln, ob der Vermieter die Räume als Wohnung „benötigt“. Dabei ist er verfassungsrechtlich verpflichtet, die betroffenen grundrechtlich geschützten Rechtspositionen zu berücksichtigen. Seine Aufgabe ist es also, die gesetzgeberische Konkretisierung der iustitia distributiva im Sinne praktischer Konkordanz auch für den je zu entscheidenden Einzelfall nachzuvollziehen und auszufüllen.174 Seine Verteilungsentscheidung muss zum einen das durch Art. 14 Abs. 1 GG geschützte Vermieterinteresse berücksichtigen. Dieses umfasst insbesondere das Interesse des Vermieters, die Räume als Wohnung für sich und seine Angehörige nutzen zu können. Zum anderen muss die Verteilungsentscheidung des Richters aber auch das ebenfalls durch Art. 14 Abs. 1 GG geschützte Besitzrecht des Mieters berücksichtigen. Die richterliche Pflicht, die Interessen von Mieter und Vermieter in Ausgleich zu bringen, besteht im Übrigen auch dann, wenn man der Verankerung der Mieterinteressen in Art. 14 Abs. 1 GG durch das Bundesverfassungsgericht kritisch gegenübersteht.175 Diese Abwägungspflicht ließe sich nämlich auch durch die Sozialpflichtigkeit des Eigentums (Art. 14 Abs. 2 GG) oder durch das verfassungs171

Eingehend oben, S. 294 ff. Emmerich, in: Heinze/Schmitt (Hrsg.), Festschrift für Wolfgang Gitter, 1995, S. 241, 244. 173 Oben, S. 322 ff. 174 Eingehend dazu etwa v. Mutius, in: Jickeli/Kreutz/Reuter (Hrsg.), Gedächtnisschrift für Jürgen Sonnenschein, 2003, S. 69, 81 ff. 175 S. etwa Franke, DWW 1993, 281, 282. 172

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rechtliche Sozialstaatsprinzip begründen.176 Die Abwägungsentscheidung des Richters ist zunächst durch den Wortlaut des Gesetzes determiniert: Der Vermieter ist in seinem Nutzungsinteresse im Rahmen des § 573 Abs. 2 Nr. 2 BGB nur geschützt, soweit er die Räume als Wohnung benutzen möchte. Andere Nutzungsinteressen dürfen also zumindest hier nicht in die Verteilungsentscheidung des Richters einfließen. Der Wortlaut begrenzt zudem den Kreis der möglichen Wohnungsnutzer: Nur die Nutzung zugunsten des Vermieters oder seiner Angehörigen ist schutzwürdig. Die gesetzliche Determinierung der richterlichen Abwägungsentscheidung geht aber noch weiter. Das Gesetz verlangt, dass der Vermieter die Räume tatsächlich für Wohnzwecke benötigt. Daraus folgt, dass es nicht ausreichen kann, wenn der Vermieter diesen Zweck bloß vorspiegelt. Der Vermieter muss vielmehr ernsthaft dazu entschlossen sein, die Räume als Wohnung für sich oder Angehörige zu nutzen. Die Dogmatik weist der richterlichen Verteilungsentscheidung weitere Schranken, die dem Wortlaut des § 573 Abs. 2 Nr. 2 BGB nicht zwingend zu entnehmen sind, sich aber aus seinem Zweck herleiten lassen. § 573 Abs. 2 Nr. 2 BGB nimmt seinen Ausgangspunkt bei den verfassungsrechtlich geschützten Interessen des Vermieters. Insofern stellt die Regelung auch den verfassungsrechtlich geforderten Gegenpol zu § 573 Abs. 1 S. 1 BGB dar, der auf das Bestandsinteresse des Mieters fokussiert. Das Eigentumsrecht des Vermieters umfasst aber insbesondere auch die Freiheit zur eigenen Nutzung seiner Wohnung. Dazu kommt, dass das Grundgesetz dem Einzelnen grundsätzlich die Wahl seiner Präferenzen selbst überlässt. Welche Wünsche wir hegen, auf welche Weise wir unser Leben gestalten möchten, können wir grundsätzlich selbst entscheiden. Das Bundesverfassungsgericht hat deshalb zu Recht entschieden, dass der subjektive Wunsch des Eigentümers, seine Wohnung für eigene Wohnzwecke zu nutzen, im Ausgangspunkt geachtet werden muss.177 Der Entschluss des Vermieters, die Wohnung für sich zu nutzen, ist deshalb nur in engen Grenzen überprüfbar.178 Andererseits darf die subjektive Präferenzentscheidung des Vermieters nicht vollständig unüberprüft bleiben. Wenn Eigenbedarf bejaht wird, ist der Mieter in seinen materiellen Freiheitsbefugnissen beeinträchtigt, weil er seine Wohnung nicht mehr nutzen darf. Das Nutzungsinteresse des Mieters hat indes einen hohen Rang, weil der Mieter wie alle Personen auf die Wohnung zur Entfaltung seiner selbst in besonderem Maße angewiesen ist.179 Dies würde unberücksichtigt bleiben, wenn allein die subjektive Präferenzentscheidung des Vermieters zum Maßstab gemacht würde. Daher darf der Mieter auch in diesem Rahmen nicht völlig schutzlos gestellt bleiben. Das Bundes176 Dies zeigt sich etwa bei Roellecke, NJW 1992, 1649; vgl. zum Verhältnis des Sozialstaatsprinzips zum sozialen Mietrecht auch Derleder, Die Sozialstaatsdebatte und das Wohnungsrecht, Zeitschrift für Miet- und Raumrecht (ZMR) 2011, 96. 177 BVerfGE 68, 361, 375; BVerfG NJW 1994, 309, 310. 178 BVerfGE 68, 361, 373 f.; BVerfGE 79, 292, 304; BVerfG NJW 1994, 309, 310. 179 S. auch Weller, JZ 2012, 881, 883.

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verfassungsgericht verlangt deshalb zu Recht, dass die Gerichte nicht nur überprüfen dürfen und müssen, ob der Erlangungswunsch des Vermieters ernsthaft ist.180 Vielmehr darf der geltend gemachte Wohnbedarf des Vermieters auch nicht missbräuchlich sein. Das Bundesverfassungsgericht führt diesbezüglich aus: „Von den Gerichten zu prüfende Grenzen des Erlangungswunsches sind, ob dieser ernsthaft verfolgt wird, ob er mißbräuchlich ist, etwa weil der geltend gemachte Wohnbedarf weit überhöht ist oder weil die gekündigte Wohnung die Nutzungswünsche des Vermieters überhaupt nicht erfüllen kann, oder ob der Wohnbedarf in einer anderen (frei gewordenen) Wohnung des Vermieters ohne wesentliche Abstriche befriedigt werden kann“181

Daher gilt: Der Vermieter muss über seine ernsthafte Präferenzentscheidung hinaus auch objektiv vernünftige und nachvollziehbare Gründe für seine Nutzungsentscheidung haben.182 Diese Grenze wird dogmatisch überwiegend im Verbot rechtsmissbräuchlichen Verhaltens gem. § 242 BGB verortet.183 Näher liegt es allerdings, am Tatbestand des § 573 Abs. 2 Nr. 2 BGB anzusetzen.184 Der Gesetzeswortlaut ermöglicht eine teleologische Auslegung, mit der die verfassungsrechtlichen Vorgaben berücksichtigt werden. Denn das Wort „benötigen“ ist offen für eine zweckgerichtete Interpretation, die verlangt, das Nutzungsinteresse der Mieter zu berücksichtigen. Dabei muss das Wort „benötigen“ in seiner objektiven Konnotation verstanden werden: Der Vermieter benötigt nicht zwingend das, was er will, sondern nur das, wofür er objektiv nachvollziehbare und vernünftige Gründe hat. Das Selbstbestimmungsrecht des Vermieters erfährt so im Selbstbestimmungsrecht des Mieters eine Beschränkung. Allerdings stößt die Leistungsfähigkeit zivilrechtlicher Dogmatik hier an ihre Grenzen: Die Dogmatik kann nicht mit letzter Sicherheit bestimmen, worin eine objektiv nachvollziehbare Entscheidung des Vermieters liegt, wie also im Einzelfall die Freiheitssphären zwischen Mieter und Vermieter verteilt werden. Die Konkretisierung der iustitia distributiva erfolgt hier erst und ohne dogmatische Letztbestimmtheit durch das richterliche Fallrecht. Die einzelne Entscheidung ist dabei keine gesetzesähnliche Konkretisierung der iustitia distributiva. Sie bindet Richter, die ähnliche Fälle zu einem späteren Zeitpunkt entscheiden, nicht in formeller Hinsicht. Sie ist andererseits aber für diese nachfolgenden Entscheidungen keineswegs unbedeutsam. Insbesondere die Entscheidungen des BGH werden in der Praxis regelmäßig von den Instanzgerichten befolgt. Eingeschränkt gilt dies aber auch für instanzge180

BVerfG NJW 1994, 309, 310. BVerfG NJW 1994, 309, 310. 182 BVerfG NJW 1994, 309, 310. 183 S. etwa Häublein, in: MünchKomm BGB, § 573 BGB Rn. 79; Rolfs, in: Staudinger, BGB, § 573 BGB Rn. 112 und 118. 184 So im Ergebnis etwa Derleder, WuM 1993, 514, 522; LG Bremen WuM 1994, 541. 181

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richtliche Entscheidungen. Diese materielle Bindungswirkung ist für die Vorhersehbarkeit des Rechts in der Praxis von hoher Bedeutung. Die Bindungswirkung ist aber begrenzt – sie kann zum einen dadurch ausgeschaltet werden, dass die Richter nachfolgender Fälle den von ihnen zu entscheidenden Sachverhalt von dem zuvor entschiedenen Sachverhalt unterscheiden. Und sie ist auch dadurch begrenzt, dass jede Entscheidung inhaltlich auf den Prüfstand gestellt werden kann. Wenn die Argumentation widersprüchlich oder unplausibel ist oder geworden ist, werden Gerichte auch offen von der vorhergehenden Entscheidung abweichen und die Verteilungsgerechtigkeit im Vertragsrecht neu konkretisieren. Die Leitlinien der Rechtsprechung zur Eigenbedarfskündigung stellen also stets nur eine kontingente Annäherung an die iustitia distributiva dar. Hier ist nicht der Ort, diese Leitlinien in all ihren Einzelheiten darzustellen.185 Hingewiesen sei nur etwa darauf, dass sich der Bedarf des Vermieters insbesondere aus veränderten Lebensumständen ergeben kann, die beispielsweise aus einem Umzug oder einem Berufswechsel resultieren können. Auch die soziale Stellung der Beteiligten spielt eine nicht zu unterschätzende Rolle. So hat etwa das LG Frankfurt den Bedarf eines Vermieters für dessen 22-jährige Tochter verneint, die als Studentin mit ihrem Freund in die 107 m2 große Wohnung der Eltern ziehen wollte:186 In seiner Begründung berücksichtigte das LG Frankfurt ausdrücklich, dass die Tochter einen „durchschnittlichen bürgerlichen Lebenszuschnitt gewöhnt“187 ist, dem es entspreche, „studierende…Kinder dieses Alters mit vergleichsweise unaufwendigem Wohnraum auszustatten“.188 Dieser übliche Rahmen sei aber durch die 107 m2 große 4-Zimmerwohnung drastisch überschritten.189 Dagegen hat das LG Gießen den Bedarf einer Gräfin bejaht, die sich in ihr 200 m2 großes Gartenschloss zurückziehen wollte, um traditions- und standesgemäß ihrem Sohn nach dessen Heirat das Herrschaftshaus zu Repräsentationszwecken zu überlassen.190 Beide Entscheidungen bringen die für die iustitia distributiva typische Konkretisierung sehr anschaulich zum Ausdruck. Die individuellen Lebensverhältnisse sind im Rahmen des § 573 Abs. 2 Nr. 2 BGB von herausragender Bedeutung. Zugleich ermöglicht der wertungsoffene Charakter der iustitia distributiva flexible Entscheidungen, die auch eine Integration gesellschaftlicher Werte und Konventionen ermöglicht. Bei der im Rahmen des § 573 Abs. 2 Nr. 2 BGB zu treffenden Abwägung weist auch die Gesetzessystematik dem Richter den Weg. Der Eigenbedarf des Vermieters darf nicht deshalb verneint werden, weil die Kündigung den Mieter 185 186 187 188 189 190

Instruktiv zur Entwicklung immer noch Lammel, NJW 1994, 3320. LG Frankfurt NJW 1990, 3277. LG Frankfurt NJW 1990, 3277. LG Frankfurt NJW 1990, 3277. LG Frankfurt NJW 1990, 3277. LG Gießen NJW-RR 1994, 910.

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im konkreten Fall besonders hart treffen würde. Denn dieser Aspekt ist systematisch an anderer Stelle berücksichtigt: Der Kündigungsschutz wird durch § 574 Abs. 1 BGB ergänzt. Der Mieter kann nach dieser Vorschrift der Kündigung des Mietverhältnisses widersprechen und die Fortsetzung des Mietverhältnisses verlangen, wenn die Beendigung für ihn und seine Familie eine besondere Härte bedeutet. Hier ist der Ort, die besondere Härte einer Kündigung für den Mieter zu berücksichtigen. So liegt etwa eine unzumutbare Härte vor, wenn beide Mieter über 80 Jahre alt sind und eine Mieterin schwer krebskrank und sehbehindert ist.191 ee) Gewinnerzielung: Die Verwertungskündigung gem. § 573 Abs. 2 Nr. 3 BGB Die iustitia distributiva verwirklicht im Wohnraummietrecht vornehmlich den Schwächerenschutz. Gleichwohl berücksichtigt es auch das Anliegen, in diesem Lebensbereich wirtschaftliche Initiativen lohnenswert bleiben zu lassen. Herausragendes Beispiel für diesen Gedanken ist die Verwertungskündigung gem. § 573 Abs. 2 Nr. 3 BGB. Die Regelung illustriert, dass die funktionale Kapazität des Vertragsrechts in der Perspektive der iustitia distributiva auch im Rahmen eines primär dem Schwächerenschutz verpflichteten Regelungsbereichs für die Verfolgung anderer externer Ziele fruchtbar gemacht werden kann. Die Mechanismen der Konkretisierung der iustitia distributiva lassen sich daher an § 573 Abs. 2 Nr. 3 BGB anschaulich darstellen. (1) Verwertungsinteresse, Gemeinwohlinteressen und Schutzgesichtspunkte als zentrale Maßstäbe § 573 Abs. 2 Nr. 3 BGB verteilt in seinem gesetzlichen Ausgangspunkt Freiheitsbefugnisse zugunsten der Vermieter und zulasten der Mieter. Das Gesetz schützt dabei ausdrücklich das Gewinnerzielungsinteresse des Vermieters, das dieser durch die Verwertung des Grundstücks befriedigen kann. Die autonome Verwertungsentscheidung des Vermieters kann aber in einer verallgemeinernden und funktionalen Perspektive auch gesamtgesellschaftlich nutzbringend sein. Private Initiative kann für die Vermehrung des Gesamtwohlstands einer Gesellschaft fruchtbar gemacht werden. Das setzt aber voraus, dass sich private Initiative auch materiell für den lohnt, der sie ergreift. Andererseits gibt der Gesetzgeber den Gerichten auch auf, das Bestandsinteresse des Mieters zu beachten. Die angestrebte wirtschaftliche Verwertung muss „angemessen“ sein, auch müssen dem Vermieter gerade wegen der Fortsetzung des Mietverhältnisses „erhebliche Nachteile“ drohen. Diese unbestimmten Rechtsbegriffe sind flexibel genug, dem Richter auch die Berücksichtigung der Mieterinteressen zu ermöglichen. Sie veranschaulichen zugleich die Komplexität vertragsrechtlicher Verteilungsstrukturen. In der Anwendung des 191

BGH NZM 2005, 143.

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§ 573 Abs. 2 Nr. 3 BGB begegnen sich verschiedene Verteilungsmaßstäbe, die nicht isoliert zur Anwendung gelangen. Sie fungieren vielmehr als gegenläufige Rechtsprinzipien, die vom Richter bei der Anwendung auf die konkret zu entscheidenden Fälle interpretatorisch in Ausgleich gebracht werden können und müssen. In welcher Form und mit welchem konkreten Verteilungsergebnis die iustitia distributiva konkretisiert wird, hängt daher auch maßgeblich durch den interpretatorischen Ausgleich gegenläufiger Verteilungsmaßstäbe durch richterliche Entscheidungen ab. (2) Der Schutz des Verwertungsinteresses als verfassungsrechtliches Postulat Der in § 573 Abs. 2 Nr. 3 BGB verankerte Schutz des Verwertungsinteresses ergibt sich auch als verfassungsrechtliches Postulat. Der Vermieter ist häufig auch Eigentümer und dann durch die Eigentumsfreiheit aus Art. 14 Abs. 1 GG darin geschützt, sein Eigentum wirtschaftlich so zu verwerten, dass er durch die Verwertung einen Gewinn erzielt.192 Das Bundesverfassungsgericht hält dieses Interesse allerdings für weniger gewichtig als das Bedürfnis, Eigentum als Wohnung selbst oder durch Familienangehörige zu nutzen: Der freien wirtschaftlichen Verfügbarkeit fehle ein entsprechender personaler Bezug.193 Reuter ist dieser Einschätzung entgegengetreten. Die wirtschaftliche Verwertung könne eng mit den persönlichen Plänen, Vorstellungen und Bedürfnissen der Menschen zusammenhängen. Selbstbestimmung sei deshalb auch bei der wirtschaftlichen Verwertung erforderlich und gleichermaßen schützenswert.194 In ihrer empirischen Einschätzung ist die Analyse Reuters durchaus plausibel. Wer Gewinne erzielt, wird dabei oft sehr persönliche Wünsche und Bedürfnisse im Auge haben, deren Realisierung er durch die anvisierte Gewinnerzielung näher kommen mag. Ohne Autonomie bei der Verwertung von Grundeigentum können solche persönlichen Wünsche unrealisiert bleiben. Gleichwohl besteht ein Unterschied zwischen der ökonomischen Verwertung und der persönlichen Nutzung als Wohnung. Die Nutzung als Wohnung hat als solche einen unmittelbaren persönlichen Bezug. Bei der ökonomischen Verwertung ergibt sich dieser Bezug erst mittelbar aus denkbaren Präferenzen oder Entscheidungen, die von der Verwertung selbst getrennt sind. Reuter weist aber zutreffend auf einen weiteren, ganz wesentlichen Gesichtspunkt hin: „Gewinnstreben ist in einer Marktwirtschaft nicht unangemessen.“195 Diese Aussage trifft insbesondere auch für die soziale Marktwirtschaft zu, und sie gälte auch, wenn diese in einem Sinne zu interpretieren wäre, der soziale Schutzbedürftigkeiten und egalitär verstandene soziale Gerechtigkeit in ho192

BVerfGE 79, 283; BVerfG NJW-RR 2004, 371. BVerfGE 79, 283 (Rn. 20). 194 Reuter, in: Jickeli/Kreutz/Reuter (Hrsg.), Gedächtnisschrift für Jürgen Sonnenschein, 2003, S. 329, 336. 195 Reuter, in: Jickeli/Kreutz/Reuter (Hrsg.), Gedächtnisschrift für Jürgen Sonnenschein, 2003, S. 329, 336. 193

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hem Maße betont. Gewinnstreben ist für eine solche Gesellschaftsordnung bedeutsam, weil es wesentliche Voraussetzung dafür ist, dass sich der Wohlstand einzelner, mittelbar aber auch der Wohlstand aller erhöhen kann. Diesen Aspekt dürfen die Gerichte bei ihrer interpretativen Konkretisierung des § 573 Abs. 2 Nr. 3 BGB keinesfalls unbeachtet lassen.196 (3) Zur richterlichen Konkretisierung des § 573 Abs. 2 Nr. 3 BGB Während die Instanzgerichte lange zu mieterfreundlichen Entscheidungen bei der Anwendung des § 573 Abs. 2 Nr. 3 BGB tendierten, rückt der BGH seit seiner Grundsatzentscheidung vom 28.1.2009197 die berechtigten Verwertungsinteressen der Vermieter in den Vordergrund.198 Ausgangspunkt ist die autonome Verwertungsentscheidung des Vermieters. Der Umfang des Autonomieschutzes ist allerdings durch die gesetzliche Verteilungsentscheidung in mehrfacher Hinsicht begrenzt. Geschützt wird zunächst nur die konkrete Entscheidung des Vermieters zur wirtschaftlichen Verwertung der Mietsache.199 In der praktischen Rechtsanwendung lässt sich dies je nach der Verwertungsform unterschiedlich umsetzen. So kann der Verkäufer etwa durch Makleraufträge Verkaufsabsichten dokumentieren, Umbauabsichten durch einen Antrag auf Erteilung einer Baugenehmigung.200 Doch selbst wenn er seine Entscheidung dokumentieren kann: Der Vermieter ist nicht in jeder konkreten Verwertungsabsicht geschützt. § 573 Abs. 2 Nr. 3 Hs. 2 BGB schließt ausdrücklich die anderweitige Vermietung als Wohnraum aus. Auch eine Umwandlung in Wohnungseigentum kommt nicht in Betracht (§ 573 Abs. 2 Nr. 3 Hs. 3 BGB).201 Die maßgeblichen Verteilungen sind hier sehr detailliert bereits durch den Gesetzeswortlaut vorbestimmt. Der Vollzug der gesetzlichen Verteilungsergebnisse wird dabei sehr häufig außerhalb gerichtlicher Entscheidungen durch den „Schatten des Rechts“ erfolgen, indem Private ihr Handeln an den Vorgaben des Gesetzes ausrichten. Der exakte Inhalt der gesetzlichen Verteilungsentscheidung muss aber auch bei der Anwendung und Auslegung der genannten Vorschriften durch die Gerichte bestimmt werden.202 Dabei sind sie auch im sozialen Mietrecht an die herkömmlichen Regeln der Geset196 Am Gelingen dieser Umsetzung wurden zum Teil Zweifel angemeldet. So beschreibt etwa Häublein die Anforderungen der Rechtsprechung an rechtmäßige Verwertungskündigungen als „teilweise extrem hoch“, vgl. Häublein, in: MünchKomm BGB, § 573 BGB Rn. 83; Henschel spricht von einer „Fülle zum Teil schwer erfüllbarer Anforderungen“. Vgl. auch Reuter, in: Jickeli/Kreutz/Reuter (Hrsg.), Gedächtnisschrift für Jürgen Sonnenschein, 2003, S. 329. 197 BGHZ 179, 289. 198 BGHZ 179, 289 ist bestätigt in BGH NJW-RR 2011, 1517; BGH WuM 2011, 690. Rolfs und Schlüter sehen in dem Grundsatzurteil des BGH eine Korrektur zugunsten der Vermieter, vgl. Rolfs/Schlüter, JZ 2009, 693. 199 Häublein, in: MünchKomm BGB, § 573 BGB Rn. 84. 200 Einzelheiten bei Häublein, in: MünchKomm BGB, § 573 BGB Rn. 85. 201 Zu Einzelheiten vgl. Häublein, in: MünchKomm BGB, § 573 BGB Rn. 84. 202 S. auch Rolfs/Schlüter, JZ 2009, 693, 695.

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zesauslegung gebunden.203 Die Gerichte tragen dabei zu einer immer feineren Ausdifferenzierung der Idee der Verteilungsgerechtigkeit durch das positive Vertragsrecht bei. Ein Beispiel für eine solche Konkretisierung bietet die Grundsatzentscheidung des BGH vom 28.1.2009.204 Der Vermieter hatte beabsichtigt, die sanierungsbedürftigen Wohnhäuser abzureißen, um neue Wohnhäuser zu errichten, die sodann als neu zu vermietender Wohnraum genutzt werden sollten. Im Zentrum der Entscheidung steht § 573 Abs. 2 Nr. 3 Hs. 3 BGB, der das Verwertungsinteresse beschränkt, indem er die Berufung auf eine Veräußerung untersagt, die mit einer Umwandlung in Wohnungseigentum zusammenhängt. Seinem Wortlaut nach ist § 573 Abs. 2 Nr. 3 Hs. 3 BGB nicht anwendbar. Denn der Vermieter wollte die Wohnung nicht veräußern, sondern abreißen. Der BGH lehnt aber auch eine analoge Anwendung ab. Eine planwidrige Regelungslücke sei nicht gegeben, weil der Vermieter ein berechtigtes Kündigungsinteresse habe, da umfassende Sanierungen erforderlich seien.205 Die teleologische Auslegung bestätigt die Auffassung des BGH. Sie spricht für eine enge Eingrenzung dieser Bestimmung, weil der Zweck des § 573 Abs. 2 Nr. 3 BGB im Ausgangspunkt darin besteht, das Verwertungsinteresse des Vermieters zu schützen. Dieses Individualinteresse wird darüber hinaus oft auch von einem Sozialinteresse unterstützt. Es liegt auch im Interesse der Allgemeinheit, wenn sanierungsbedürftiger Wohnbestand durch modernen Wohnbestand ersetzt wird.206 Eine enge Auslegung der im dritten Halbsatz formulierten Ausnahme trägt dazu bei, Anreize für solche Verwertungsmaßnahmen zu setzen. Das Vertragsrecht konkretisiert die iustitia distributiva hier also keineswegs nur unter dem Aspekt des Schwächerenschutzes. Die iustitia distributiva zeigt sich vielmehr auch in einer Funktionalisierung des Vertragsrechts zur Verhaltenssteuerung. Dabei geht es nicht um Prävention, sondern um positive Verhaltensanreize: Vermieter werden durch das Vertragsrecht dazu motiviert, sozialpolitisch wünschenswerte Sanierungen vorzunehmen. Mit Blick auf die Entscheidung des BGH wird diese Instrumentalisierung des Vertragsrechts wiederum erst durch die für die iustitia distributiva typische verallgemeinernde Perspektive sichtbar. Natürlich ist mit der teleologischen Auslegung durch den BGH auch eine unvermeidbar rechtspolitisch gefärbte Verteilungsentscheidung verbunden, die unmittelbar den Vermietern, mittelbar aber auch der Allgemeinheit zugutekommt. Diese Restfunktion der Rechtspolitik bei der Anwendung und Auslegung selbst einer so detaillierten gesetzlichen Bestimmung wie § 573 Abs. 2 Nr. 3 BGB bleibt unvermeidbar. Sie ist aber auch deshalb unbedenklich, weil die jeweilige Konkretisierung der Gerechtigkeitsidee nicht unveränderlich ist, sondern einem fort203 204 205 206

Häublein, WuM 2010, 391 (mit mietrechtlichen Beispielen zur Analogie). BGHZ 179, 289. BGHZ 179, 289. Vgl. auch BGH NJW 2011, 1135 und dazu unten S. 345 f.

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dauernden Bekräftigungsverfahren durch die wissenschaftliche Diskussion und die folgenden gerichtlichen Entscheidungen unterliegt. (4) Zur Konkretisierung der iustitia distributiva in der Anwendung und Auslegung des Vertragsrechts Gerichte konkretisieren also durch die Anwendung und Auslegung gesetzlicher Regelungen des Vertragsrechts in einem fortdauernden Prozess die objektive Gerechtigkeitsidee der iustitia distributiva. Dabei ist unvermeidbar, dass sie zur inhaltlichen Ausgestaltung auch auf Maßstäbe rechtspolitischer Natur zurückgreifen. Dieser Mechanismus der Verwirklichung von Verteilungsgerechtigkeit im Vertragsrecht wird besonders bei unbestimmten Rechtsbegriffen deutlich. Diese eröffnen dem Richter einen Spielraum207 zur Ausgestaltung mit Blick auf den Einzelfall. In § 573 Abs. 2 Nr. 3 BGB sind es vor allem die Merkmale des „erheblichen Nachteils“ sowie der „angemessenen“ Verwertung, die sich zur Illustration des Konkretisierungsmechanismus eignen, den Gerichte und Wissenschaft erzeugen. Die oben bereits angerissenen Auslegungsleitlinien müssen bei der inhaltlichen Autonomie des Vermieters ansetzen. Wenn dem Vermieter zugebilligt werden soll, Ziele und Absichten ökonomischer Natur selbst festzulegen und zu verwirklichen, darf die Verwertungsabsicht keiner vollständigen objektiven Kontrolle unterworfen werden. Dies gilt auch deshalb, weil der Respekt vor der autonomen Verwertungsentscheidung des Vermieters auch sein Selbstverständnis als frei handelndes und autonomes Subjekt fördert. Vor diesem Hintergrund ist beifallswert, dass Gerichte nicht überprüfen dürfen, ob die wirtschaftlichen Ziele des Vermieters auch auf anderem Wege erreicht werden können, oder gar, ob die vom Vermieter ins Auge gefasste Verwendung seines finanziellen Erlöses vernünftig ist:208 Selbst, wenn ein Vermieter seinen Gewinn nur dazu einsetzen möchte, in Champagner zu baden, ist seine Verwertungsabsicht nicht unangemessen – auch wenn viele Richter solcherlei Verwendung mit guten Gründen als unsinnige Verschwendung tadeln wollten. Diese Begrenzung ist unter zwei Punkten bemerkenswert. Sie illustriert die Grenzen positiven Rechts als Steuerungsmechanismus einer Gesellschaft. Nicht alle Aspekte des Lebens können und dürfen sinnvoll durch das Recht reguliert werden. Zum anderen verdeutlicht sie, dass Rechtssicherheit nur durch Reduktion und Abstraktion erreichbar ist. Lebenssachverhalte müssen in ihrer vollständigen Komplexität zwingend reduziert werden, um für das Vertragsrecht in einer Weise handhabbar zu sein, die Rechtssicherheit realisierbar sein lässt. Richterliche Entscheidungen konkretisieren die iustitia distributiva im Vertragsrecht dabei hier wie andernorts nur innerhalb eines dialektischen Entwicklungsprozesses, den es kurz zu veranschaulichen gilt. Einzelne Gerichts207 208

Natürlich kann der Spielraum einer Kontrolle durch eine höhere Instanz unterliegen. Vgl. Häublein, in: MünchKomm BGB, § 573 BGB Rn. 87 f.

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entscheidungen können isoliert und für sich genommen unbestimmte Rechtsbegriffe wie den der „Angemessenheit“ nie unabänderlich festzurren. Die einzelne Entscheidung ist vielmehr nur eine spezifische Konkretisierung für die spezifischen Umstände, die ihr zu Grunde lagen. Gesetzt, ein Gericht hat eine bestimmte Verwertung nicht für angemessen gehalten. Eine ähnliche Verwertung kann von einem anderen oder dem gleichen Gericht in einem später zu entscheidenden ähnlichen Fall als angemessen beurteilt werden. Dies bedeutet aber nicht, dass die einzelne Entscheidung für spätere Entscheidungen völlig unerheblich wäre. Sie ist eine erste These zur Konkretisierung solcher und so ähnlich gelagerter Fälle. Sie trägt zwar keine Richtigkeitsvermutung in sich und ist der Aufhebung durch nachfolgende Gerichtsurteile zugänglich. Wenn ein Gericht in einer späteren Entscheidung gute Gründe findet, eine ähnliche Verwertung doch als angemessen zu beurteilen, steht die Vorentscheidung auch in einem materiellen Sinne der neuen Konkretisierung des § 573 Abs. 2 Nr. 3 BGB nicht entgegen. Auch ein Vermieter kann sich in seiner faktischen Orientierung an der Rechtsprechung mit guten Gründen dafür entscheiden wollen, dass die von ihm beabsichtigte Verwertung in der spezifischen Situation, in der er sich befindet, angemessen ist. Auch wenn die Verwendung ihrem Zuschnitt nach nicht mehr von der zunächst beurteilten Verwendung unterschieden werden kann, haben Gerichte in später zu entscheidenden Konstellationen die Möglichkeit, die Vorentscheidung argumentativ abzulehnen und durch gute Gründe weitere Folgeentscheidungen anzuregen, die ihrer Begründung und Entscheidung folgen. Auf diese Weise wird die Erstentscheidung als erste These inhaltlicher Konkretisierung durch Folgeentscheidungen überprüft und aufgehoben in einem dreifachen Sinn. Erstens wird die konkrete Gerechtigkeitsaussage negiert. Zweitens wird die Entscheidung bewahrt, da ihre Begründung als erste Konkretisierung von der Folgeentscheidung zu berücksichtigen war und die jetzt erfolgte Konkretisierung ihre Qualität nur durch die erste Entscheidung erreichen konnte. Drittens kann man in der Aufhebung der Erstentscheidung auch einen Fortschritt hin zu einer immer neuen Konkretisierung der iustitia distributiva erblicken, die dem objektiven Ideal der Gerechtigkeit näher kommt. (5) Beispiele für das Konkretisierungsverfahren Das soeben beschriebene Konkretisierungsverfahren lässt sich anhand einiger Beispiele aus der Anwendung des § 573 Abs. 2 Nr. 3 BGB beschreiben. Zunächst lohnt es, „spekulative“ Verwertungen in den Blick zu nehmen. Manche Instanzgerichte haben solche Verwertungen als unangemessen beurteilt.209 Dies ist natürlich schon deshalb fragwürdig, weil Spekulation in einer Markt209 So deutlich das LG Hamburg WuM 1991, 185; s. auch LG Düsseldorf NJW-RR 1992, 522 (als obiter dictum, da das LG Düsseldorf hier kein anstößiges und spekulatives Profitstreben des Eigentümers erkannte).

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wirtschaft – auch in einer sozialen Marktwirtschaft – nicht per se unzulässig sein darf. Gewinnstreben einzelner äußert sich auch in Geschäftsvorhaben, deren Erfolg unsicher ist. Wirtschaftlicher Tätigkeit ist solche Unsicherheit sogar immanent, weil die Akteure die künftige Entwicklung der Märkte nie sicher vorhersehen können. Auch spekulatives Gewinnstreben muss dem Einzelnen erlaubt sein, wenn er zur Vermögensmehrung motiviert werden soll. Dabei muss gerade im Wohnraummietrecht darauf geachtet werden, dass substantielle Anreize für Vermieter geschaffen werden, mit ihrem Wohneigentum Gewinne erzielen zu können. Daher ist zu begrüßen, wenn etwa Reuter und manche instanzgerichtliche Urteile ausdrücklich auch Verwertungen spekulativer Natur als angemessen beurteilen.210 Auch der Grundsatzentscheidung des BGH vom 28.1.2009211 dürfte diese Auffassung der sozialen Marktwirtschaft zu Grunde liegen. Denn der BGH hielt es ausdrücklich für unbedenklich, dass die Vermieterin hier das Grundstück wegen seiner Sanierungsbedürftigkeit von vornherein erworben hatte, um einen Neubau durchzuführen und dadurch voraussichtlich einen erheblichen Gewinn zu realisieren. Ein solches Projekt werde von der Rechtsordnung nicht missbilligt.212 Andererseits dürfen bei der Konkretisierung der unbestimmten Rechtsbegriffe des § 573 Abs. 2 Nr. 3 BGB auch die Interessen der Mieter nicht außer Acht gelassen werden. Auch hier wirkt sich die verfassungsrechtlich begründete Aufgabe aller staatlichen Gewalt aus, im Wohnraummietrecht einen Ausgleich zwischen den widerstreitenden Interessen der Mieter und der Vermieter zu schaffen. Große Zurückhaltung scheint allerdings angebracht, wenn Gerichte in diesem Zusammenhang zulasten eines wohl „reichen“ Vermieters entscheiden, weil dieser „reich“ ist.213 So könnte die Entscheidung des Landgerichts Freiburg vom 17.5.1990 missverstanden werden. Die Verwertung der Wohnräume wurde dem Vermieter unter anderem deshalb versagt, weil er „als liquidationsberechtigter Chefarzt einer Kurklinik über überdurchschnittliche monatliche Einkünfte verfügt.“214 Das Landgericht Freiburg hat hier allerdings nicht eine schlichte Verteilung zugunsten des Ärmeren vorgenommen. Vielmehr sah es sich nur außer Stande, einen erheblichen finanziellen Nachteil des Vermieters als gegeben anzusehen, weil dieser keine Angaben über seine finanzielle Einkommens- und Vermögenssituation gemacht hatte. Dies rückt die Entscheidung in ein anderes Licht und ermöglicht, sie jenseits schlichter Umverteilungspolitik zu begründen: Wenn Vermieter ihrer prozessualen Obliegenheit

210

Vgl. Reuter, in: Jickeli/Kreutz/Reuter (Hrsg.), Gedächtnisschrift für Jürgen Sonnenschein, 2003, S. 329, 336. 211 BGHZ 179, 289. 212 BGHZ 179, 289. 213 Allgemein zur Kapazität des Vertragsrechts, solche Vermögensumverteilungen zu bewirken, oben, S. 272 ff. 214 LG Freiburg WuM 1991, 183 (Rn. 12).

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zur Tatsachenbeibringung nicht nachkommen, kann dies die Verteilungsentscheidung des Gerichts zu ihren Lasten beeinflussen. Die Gerichte können sich in ihrer Entscheidung auch davon leiten lassen, welche Auswirkungen die Verwertungsentscheidung des Vermieters für die allgemeine Wohnversorgung hat. So lässt sich in der Perspektive der iustitia distributiva das Vertragsrecht auch zur Erreichung von Allgemeinwohlbelangen instrumentalisieren. Dies illustriert die Entscheidung des BGH vom 9.2.2011.215 Der Vermieter hatte die Absicht, eine ihm gehörende veraltete Wohnsiedlung komplett abzureißen, um modernere und für Familien geeignete Mietwohnungen neu zu errichten. Dieses Vorhaben wurde auch durch öffentliche Fördermittel unterstützt. Nur eine Mieterin verweigerte den Auszug. Der BGH bejahte hier auch vor dem Hintergrund der Sozialpflichtigkeit des Eigentums und den schützenswerten Interessen des Mieters einen erheblichen Nachteil des Vermieters durch den Fortbestand des Mietverhältnisses. Denn dieses hätte die Verwirklichung seines Baukonzepts gefährdet. Die Verwertungsentscheidung des Vermieters konnte hier gerade deshalb als vorrangig berücksichtigt werden, weil sie ihrem Inhalt nach auch das öffentliche Interesse am Erhalt modernen und familientauglichen Wohnraums befriedigt.216 Die Konkretisierung der iustitia distributiva erfolgt auch bei der Frage nach der Erheblichkeit des Nachteils im Rahmen einer fortwährenden Entwicklung durch die wissenschaftliche und gerichtliche Auseinandersetzung. Aus der Sozialpflichtigkeit des Eigentums und den auch verfassungsrechtlich geschützten Interessen des Mieters ergibt sich, dass nicht jeder Nachteil des Vermieters erheblich sein kann. Andererseits dürfen wegen der ihrerseits geschützten Freiheits- und Eigentumsrechte des Vermieters die Anforderungen an die Erheblichkeit auch nicht überspannt werden. Deshalb liegt Erheblichkeit nicht erst dann vor, wenn der Vermieter in seiner Existenz gefährdet ist.217 Das Bundesverfassungsgericht hat dem Gedanken praktischer Konkordanz entsprechend auch gefordert, dass die Einbußen des Vermieters die Nachteile des Mieters nicht weit übersteigen dürfen.218 Diesem Abwägungsgedanken ist der Bundesgerichtshof in seiner Grundsatzentscheidung zur Verwertungskündigung gefolgt.219 Das eigentliche Problem liegt natürlich in der fehlenden Kommensurabilität dieser gegenläufigen Interessen. Objektive Maßstäbe lassen sich dabei 215

BGH NJW 2011, 1135. Der BGH spricht dies nicht ausdrücklich aus; diese Erwägung dürfte seiner Entscheidung gleichwohl zu Grunde gelegen haben. Vgl. auch Häublein, in: MünchKomm BGB, § 573 BGB Rn. 89. 217 BVerfGE 79, 283; BVerfG NZM 2004, 134. 218 BVerfGE 79, 283, 289 f.; BVerfG NZM 2004, 134. Anders Reuter, der die Erheblichkeit allein nach dem objektiven Maßstab beurteilt, ob die Verwertung im unvermieteten Zustand zehn Prozent mehr Erlös bringt, vgl. Reuter, in: Jickeli/Kreutz/Reuter (Hrsg.), Gedächtnisschrift für Jürgen Sonnenschein, 2003, S. 329, 399 ff. 219 BGHZ 179, 289 (Rn. 14). 216

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nur schwer festlegen.220 Auch legt der allgemeine Sprachgebrauch nahe, die persönlichen Vermögens- und Einkommensverhältnisse des Vermieters zu beachten.221 Allerdings gilt zu berücksichtigen, dass besondere soziale Härten für den Mieter systematisch unmittelbar im Widerspruchsrecht des Mieters zu berücksichtigen sind (vgl. § 574 BGB). Bei der vom Bundesverfassungsgericht geforderten umfassenden Abwägung aller Umstände des Einzelfalls222 schon im Rahmen des Kündigungstatbestands des § 573 Abs. 2 Nr. 3 BGB sollte die ergänzende Wirkung dieses Widerspruchsrechts mitbedacht werden. Es besteht aber kein Anlass, diese Aspekte im Rahmen des Kündigungstatbestands vollständig unberücksichtigt zu lassen.223 Bedeutsam ist außerdem, ob der Vermieter die Wohnung bereits vermietet erworben hat. Dann wird für ihn kaum ein erheblicher Nachteil darin begründet liegen, dass er sie im vermieteten Zustand zu einem geringeren Preis veräußern kann.224 Häublein betont zu Recht, dass andernfalls auch Regelungen zur Miethöhe ausgehebelt werden könnten.225 Die Verteilungsentscheidung des Gerichts kann auch berücksichtigen, wie schutzwürdig der Mieter erscheint. So kann etwa ein erheblicher Nachteil der Vermieterin auch damit begründet werden, dass der Mieter das Mietverhältnis nur durch ein wegen Gläubigerbenachteiligung anfechtbares Rechtsgeschäft erlangt hat.226 Insgesamt zeigt sich, dass die Konkretisierung der iustitia distributiva nur unter sorgsamer Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles erfolgen kann. Die Konkretisierungszuständigkeit liegt insoweit bei den Instanzgerichten; revisionsrechtlich ist die von ihnen getroffene Entscheidung nur eingeschränkt überprüfbar.227 6. Soziales Mietrecht als integrativer Bestandteil des Vertragsrechts Das soziale Mietrecht wurde gelegentlich als Sondermaterie betrachtet, die sich mit den im Vertragsrecht geltenden Prinzipien nicht überzeugend erklären lässt und eigenen Regeln unterliegt.228 Diese These des Mietvertragsrechts 220 Dies lässt sich auch der Konstruktion Reuters entgegenhalten, vgl. Reuter, in: Jickeli/ Kreutz/Reuter (Hrsg.), Gedächtnisschrift für Jürgen Sonnenschein, 2003, S. 329, 399 ff. 221 Häublein, in: MünchKomm BGB, § 573 BGB Rn. 90 m.w.N. 222 BVerfG NZM 2004, 134, 135. 223 Weitergehend Reuter, in: Jickeli/Kreutz/Reuter (Hrsg.), Gedächtnisschrift für Jürgen Sonnenschein, 2003, S. 329, 340; Häublein, in: MünchKomm BGB, § 573 BGB Rn. 90. 224 BVerfG NZM 2004, 134, 135; BGH NZM 2008, 281, 282 f. (als obiter dictum). Deutlich LG Hamburg NZM 2001, 1029, 1030: „Die Kl. haben bei Erwerb der Wohnung lediglich den Kaufpreis für ein vermietetes Objekt angelegt. Aus dem Aspekt der Alterssicherung ist kein Anrecht darauf herzuleiten, den durch Freiwerden der Wohnung erzielbaren Mehrerlös zu realisieren“. 225 Häublein, in: MünchKomm BGB, § 573 BGB Rn. 90. 226 BGH NZM 2008, 281. 227 BGH NJW-RR 2011, 1517, 1518; BGH WuM 2011, 690 (Rn. 10); BGHZ 179, 289, 294. 228 Vgl. Wolter, Mietrechtlicher Bestandsschutz, 156; Lammel, in: Börstinghaus/Armbrüster (Hrsg.), Theorie und Praxis des Miet- und Wohnungseigentumsrechts, 2006, S. 713. Kritisch

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als Sondermaterie ist nur auf der Grundlage der herrschenden Konzeptionen des Vertragsrechts nachvollziehbar. Wenn das Vertragsrecht von Vertragsfreiheit und Austauschgerechtigkeit beherrscht wird, ist es konsequent, das soziale Mietrecht als Fremdkörper zu betrachten. Dagegen fügt sich das soziale Mietrecht harmonisch in das Vertragsrecht des BGB, wenn man anerkennt, dass dieses im Grundsatz ebenso wie andere Teilbereiche unseres Rechtssystems Gerechtigkeit auch in ihrer Form der iustitia distributiva als Ziel vor Augen hat. Mit Blick auf die Bedeutung der Vertragsfreiheit ist das soziale Mietvertragsrecht als integrativer Bestandteil des Vertragsrechts ebenso erklärbar. Vertragsfreiheit wird nie, also auch nicht durch das soziale Mietrecht, per se beschränkt.229 Missverständlich ist deshalb etwa die Interpretation der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts im sozialen Mietrecht durch Emmerich, der diese als Intervention „gegen den Markt, gegen die Freiheit und gegen das Privateigentum“ versteht.230 Der Sache nach verfolgt Emmerich mit dieser Aussage ein rechtspolitisches Anliegen, das darin besteht, Freiheitsbefugnisse stärker zugunsten der Vermieter zu verteilen. Zugleich kritisiert er die umgekehrte Tendenz in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts. Die Gerechtigkeitsperspektive der iustitia distributiva ermöglicht, diese politische Wertung als solche offenzulegen und zu diskutieren. Das soziale Mietrecht beschränkt lediglich Freiheitsaspekte der Vermieter zugunsten derjenigen der Mieter. Die Befugnis des Vermieters, das Mietverhältnis durch einseitige Erklärung aufzuheben, ist etwa durch Kündigungsvorschriften beschränkt. Der Vermieter hat durch diese grundsätzlich nur die Befugnis, das Mietverhältnis wegen eines berechtigten Interesses an der Beendigung zu kündigen (vgl. § 573 Abs. 1 S. 1 BGB). Der Mieter hat dagegen das Freiheitsrecht, im Rahmen der vereinbarten und gesetzlichen Grenzen das Wohneigentum zu benutzen, ohne dass ihn der Vermieter daran hindern kann. Jede Kritik an dieser Verteilung von Freiheitssphären durch das positive Recht kann sich nicht pauschal darauf stützen, dass Änderungen zu mehr oder weniger Freiheit per se führen. Die Kritik ist erst dann hinreichend präzisiert, wenn spezifiziert ist, welche Freiheitsbefugnisse gemeint sind. Diese Präzisierung hat insbesondere den Vorzug, rechtspolitische Argumente als solche offenzulegen.

zur229Vermengung von Vertragsrecht und Sozialrecht auf dem Gebiet der Wohnraummiete auch Hattenhauer, in: Jickeli/Kreutz/Reuter (Hrsg.), Gedächtnisschrift für Jürgen Sonnenschein, 2003, S. 153, 178 f. Weller ordnet dagegen den Wohnraummietvertrag in die allgemeine Dogmatik des Dauerschuldverhältnis ein, s. Weller, JZ 2012, 881, 882 ff. 229 Oben, S. 115 ff. 230 Emmerich, in: Heinze/Schmitt (Hrsg.), Festschrift für Wolfgang Gitter, 1995, S. 241, 249.

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III. Verbraucherschutz Das Verbraucherschutzrecht bietet ein weiteres anschauliches Beispiel für die Konkretisierung der iustitia distributiva zum Schutz Schwächerer im Vertragsrecht.231 Auch hier ist die Wirkungsweise der iustitia distributiva mit dem Topos „Schwächerenschutz“ nur plakativ angedeutet. Auch im Verbraucherschutzrecht sind der Schwächerenschutz und paternalistisches Rechtsdenken keineswegs die einzigen Maßstäbe, die zur Konkretisierung materieller Gerechtigkeitsinhalte herangezogen werden. Gerade im Verbraucherschutzrecht zeigt sich der politische Charakter deutlich, den die Suche nach den richtigen Verteilungsmaßstäben bedeutet. Die Diskussion darüber kreist grob vereinfacht um den typischen Konflikt, der Fragen einer Materialisierung der Vertragsfreiheit zu Grunde liegt: Den Streit zwischen eher sozial regulierenden und eher liberal und marktorientierten Konzepten des Vertragsrechts.232 So werden etwa Teile des Verbraucherschutzrechts auf dem Boden traditionell-liberal ausgerichteter Marktkonzeptionen als paternalistisch und entmündigend abgelehnt.233 Mit dem Schutz des Verbrauchers, der vordergründig als Schutz des im geschäftlichen Verkehr unterlegenen Privatrechtssubjekts angelegt ist, können und werden allerdings auch weit über paternalistische Schutzaspekte hinausgehende Ziele verfolgt. Mit Blick auf die Bedeutung der iustitia distributiva im Vertragsrecht zeigt sich dabei: Die Gerechtigkeitsanalyse des Verbrauchervertragsrechts löst sich in ihrem Ausgangspunkt vom Vorrang formal verstandener Vertragsfreiheit und blickt über das unmittelbare Austauschverhältnis hinaus. Verbraucherschutz ist regulatives Vertragsrecht, in dem auch das Vertragsrecht instrumentalisiert wird, um den Schutz einer bestimmten Gruppe zu gewähren. Daher steht das unmittelbare Austauschverhältnis nicht im Fokus des Interesses. Zugleich geht das Verbraucherschutzrecht – zumindest seinem Grundgedanken nach234 – mit der für die iustitia distributiva typischen Konkretisierung der betroffenen Lebenssachverhalte einher. Das Verbraucherschutzrecht knüpft an spezifische Rollen der Vertragsparteien an, insbesondere an ihre ökonomischen Rollen als Verbraucher und Unternehmer. Weil Verbraucherschutzrecht darauf angelegt ist, die Verbraucher als ökonomische Gruppe zu schützen, spielt auch die für die iustitia distributiva kennzeichnende Verallgemeinerung der geregelten oder entschiedenen Sachverhaltskomplexe eine herausragende Rolle. In den Vordergrund der Diskussion 231

Cziupka, Dispositives Vertragsrecht, S. 36. Vgl. auch Gsell, JZ 2012, 809, 814. 233 So etwa Reuter, AcP 1989, 200; Adomeit, NJW 2004, 579; G. Wagner, in: Eidenmüller/ Faust/Grigoleit/Jansen/Wagner/Zimmermann (Hrsg.), Revision des Verbraucher-acquis, 2011, S. 1; auch das Verbraucherrecht bietet allerdings Anwendungsfelder für das Konzept eines Liberalen Paternalismus, das den Paternalismus mit traditionell-liberalen Marktkonzeptionen versöhnen möchte, dazu Eidenmüller, JZ 2011, 814. 234 Zu Relativierungen dieses Gedankens s. unten, S. 351 ff. 232

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rücken häufig funktionale Aspekte, Fragen nach den Gründen und Grenzen der Steuerung sozialen und ökonomischen Lebens durch das Vertragsrecht. Auch trägt das Verbraucherschutzrecht erheblich zu einer Materialisierung des Vertragsrechts bei. Es verwirklicht in seinem Ausgangspunkt einen sozialen Schutzgedanken und integriert das Erfordernis des Schwächerenschutzes in ein Vertragsrecht, das in seiner traditionellen, formalen Konzeption solcher Materialisierung feindlich gegenüber steht. Damit geht zugleich eine erhebliche Politisierung des Vertragsrechts einher. 1. Zur Entwicklung des Verbraucherschutzrechts Die Politisierung des Vertragsrechts durch das Verbraucherschutzrecht hat eine vergleichsweise junge Geschichte.235 Man kann ihren Beginn – von einigen eher ordnungspolitischen Vorläufern abgesehen236 – im deutschen Vertragsrecht auf das Abzahlungsgesetz von 1894 legen, das bis 1990 gültig war.237 Das Abzahlungsgesetz illustriert bereits den politischen Charakter des Verbraucherschutzrechts, denn es war eine politische Reaktion auf das im Laufe des 19. Jahrhunderts immer virulenter werdende ökonomische und soziale Phänomen der Abzahlungsgeschäfte.238 Auch das Versicherungsvertragsgesetz von 1908 bewirkte einen punktuellen Konsumentenschutz.239 In den 1970er Jahren intensivierten sich gesetzgeberische Aktivitäten, die den Verbraucherschutz auf einzelne Bereiche ausdehnten.240 Verbraucher wurden etwa bei bestimmten Haustürgeschäften und bei Pauschalreisen geschützt, ebenso bei Gerichtsstandsvereinbarungen. Ebenfalls muss in diesem Zusammenhang das AGBG aus dem Jahre 1976 genannt werden, das im Anwendungsergebnis insbesondere Konsumenten schützte.241 Seit den 1980er Jahren verlagerte sich die Initiative zum europäischen Recht, das bis in die heutige Zeit das Verbraucherschutzrecht prägt.242 Der Europäische Gerichtshof trieb die Etablierung des Verbraucherschutzrechts als Teil europäischer Rechtspolitik voran.243 Der Ge235

Zur historischen Entwicklung eingehend etwa Tamm, Verbraucherschutzrecht, S. 180 ff. Zu diesen v. Stromer Reichenbach, in: Dichtl/Berekoven (Hrsg.), Verbraucherschutz in der Marktwirtschaft, 1975, S. 97, 98 ff. 237 Dazu Schubert, ZRG (Germanistische Abteilung) 1985, 130; Drexl, Die wirtschaftliche Selbstbestimmung des Verbrauchers, S. 18 ff. 238 Schubert, ZRG (Germanistische Abteilung) 1985, 130, 131. 239 O. Brand, in: E. Lorenz (Hrsg.), Karlsruher Forum 2011: Verbraucherschutz – Entwicklungen und Grenzen (VersR-Schriften 47), 2012, S. 55, 59 m.w.N. 240 Drexl, Die wirtschaftliche Selbstbestimmung des Verbrauchers, S. 23 ff. 241 Tamm, Verbraucherschutzrecht, S. 185 ff. 242 Vgl. nur Drexl, Die wirtschaftliche Selbstbestimmung des Verbrauchers, S. 45 ff.; Micklitz, in: MünchKomm BGB, Vor §§ 13, 14 BGB Rn. 24 ff.; Micklitz, Yearbook of European Law 1999/2000, 167. 243 Zur Entwicklung des europäischen Verbraucherrechts ausführlich Reich/Micklitz, Europäisches Verbraucherrecht, S. 11 ff.; zur Funktion des Gerichtshof im europäischen Verbraucherschutzrecht eingehend Unberath/Johnston, Common Market Law Review (CMLR) 2007, 1237, 1239 ff. 236

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richtshof hat schon früh die unmittelbare Wirkung von bestimmten und unbedingten Vorschriften des Primärrechts entwickelt244 und den Vorrang des Gemeinschaftsrechts etabliert.245 Zugleich erkannte der EuGH in Cassis de Dijon den Verbraucherschutz als eine der wichtigsten immanenten Schranken der Warenverkehrsfreiheit an: Verbraucherschutz kann in der Rechtsprechung des EuGH Binnenmarkthemmnisse rechtfertigen.246 Die Kommission hat die Vereinheitlichung dieser Schranke früh in den Fokus genommen. In ihrer Mitteilung vom 3. Oktober 1980 über die Auswirkung von Cassis de Dijon gab sie vor, sich „in erster Linie um die Angleichung der sich auf das Funktionieren des Gemeinsamen Marktes auswirkenden einzelstaatlichen Rechtsvorschriften bemühen“247 zu müssen. Von dieser Warte aus ging es also zunächst lediglich darum, Einschränkungen des Binnenmarktes durch Verbraucherschutz wenigstens harmonisch auszugestalten.248 Über dieses Minimalanliegen rückte das Europäische Verbraucherrecht allerdings weit hinaus. Verbraucherrecht wurde rasch nicht mehr bloß als Ärgernis für den gemeinsamen Markt betrachtet, das es zumindest einheitlich zu gestalten gilt. Vielmehr wurde der Verbraucher selbst in seiner Bedeutung für die Fortentwicklung und Förderung des gemeinsamen Marktes entdeckt.249 Von entscheidender Bedeutung war die Einheitliche Europäische Akte von 1986, die Mehrheitsentscheidungen des Rates bei Regelungen des Binnenmarktes ermöglichte (heute Art. 114 Abs. 1 AEUV).250 Auch erfolgte eine ausdrückliche Aufnahme des Verbraucherschutzes in den EWG-Vertrag (heute Art. 114 Abs. 3 AEUV). Der Maastrichter Vertrag begründete spezifische Kompetenzen im Bereich des Verbraucherschutzes (heute Art. 169 i.V.m. Art. 4 Abs. 2 lit. f AEUV). Der europäische Gesetzgeber machte von diesen Kompetenzen regen Gebrauch und fungiert bis in die heutigen Tage als Motor des Verbraucherschutzrechts.251 Dies lässt sich insbesondere an einer Vielzahl verbraucherschützender Richtli-

244

EuGH, Rs. 26/62, Slg. 1963, 1 (Van Gend & Loos/Niederländische Finanzverwaltung); EuGH, Rs. 106/77, Slg. 1978, 629 (Staatliche Finanzverwaltung/Simmenthal). Zu Einzelheiten s. Ruffert, in: Calliess/Ruffert, EUV, AEUV, Art. 288 AEUV Rn. 47 ff. 245 EuGH, Rs. 6/64, Slg. 1964, 1251 (Costa/ENEL). 246 EuGH, Rs. 120/78, Slg. 1979, 649 (Rewe/Bundesmonopolverwaltung für Branntwein). Einzelheiten zur Entwicklung der Rechtsprechung bei Unberath/Johnston, Common Market Law Review (CMLR) 2007, 1237; Kingreen, in: Calliess/Ruffert, EUV, AEUV, Art. 36 AEUV Rn. 80 ff. 247 Europäische Kommission, in: Mitteilung der Kommission über die Auswirkungen des Urteils des Europäischen Gerichtshofes vom 20. Februar 1979 in der Rechtssache 120/78 („Cassis de Dijon“), Nr. C 256/2. 248 Zu diesem Leitgedanken eingehend Unberath/Johnston, Common Market Law Review (CMLR) 2007, 1237. 249 Dazu noch eingehend unten, S. 357 ff. 250 Dazu Micklitz, in: MünchKomm BGB,Vor §§ 13, 14 BGB Rn. 26 f. 251 Tamm, Verbraucherschutzrecht, S. 189 ff. („Triebkraft ,Europa‘“); S. Arnold, in: S. Arnold (Hrsg.), Grundlagen eines europäischen Vertragsrechts, 2014, S. 1, 5 ff.

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nien ablesen.252 Regelungsgegenstände sind etwa Haustürgeschäfte,253 Pauschalreisen,254 unfaire Vertragsbestimmungen,255 Verbraucherkreditverträge,256 Fernabsatzverträge257 und Verbrauchsgüterkäufe.258 Die jüngsten Entwicklungen wurden insbesondere durch das Grünbuch zur Revision des VerbraucherAcquis angestoßen.259 In der Folgezeit wurden die Verbraucherkreditrichtlinie und die Time-Sharing-Richtlinie überarbeitet.260 Haustürgeschäfte und Fernabsatzgeschäfte wurden in der Verbraucherrechterichtlinie neu geregelt.261 Auch der Kommissionsvorschlag für eine Verordnung über ein Gemeinsames Europäisches Kaufrecht enthält verbraucherschützende Sonderregelungen.262 2. Verbraucherschutzrecht als Schwächerenschutz und darüber hinausgehendes Regulierungsinstrument In seinem Ausgangspunkt verfolgt das Verbraucherschutzrecht den Schutz Schwächerer.263 Diesen Ausgangspunkt gilt es daher zunächst näher zu beleuchten. Das Verbraucherschutzrecht ist inzwischen allerdings weit über den ursprünglichen Schutzgedanken hinausgegangen. Heute sind die mit dem Verbraucherschutzrecht verfolgten und diskutierten externen Zwecke vielschichtig. Sie spiegeln sich insbesondere in der Diskussion um den Verbraucherbegriff wider.264 Daher wird auch die über den Schwächerenschutz hinausgehende Instrumentalisierung des Verbraucherschutzrechts zu untersuchen sein. Die Diskussion um die Zwecke und die damit zusammenhängende Ausgestaltung des Verbraucherschutzrechts hat auch Rückwirkungen auf die Gerechtigkeitsperspektive des Verbrauchervertragsrechts, die es im Folgenden zu beleuchten gilt. 252 Vgl. auch Micklitz, in: MünchKomm BGB, Vor §§ 13, 14 BGB Rn. 28 mit Hinweis darauf, dass sich die „wahre Bedeutung“ der prima facie unkoordinierten Instrumente erst erschließt, wenn man sie im systematischen Kontext zueinander interpretiert. 253 RL 1985/477/EWG. 254 RL 1990/314/EWG. 255 RL 1993/13/EWG. 256 RL 1987/102/EWG sowie jetzt die Verbraucherkreditrichtlinie 2008/48/EG. 257 RL 1997/7/EG. 258 RL 1999/44/EG. 259 KOM (2006) 744 endg. 260 Die heute maßgebliche Verbraucherkreditrichtlinie ist RL 2008/48/EG, die heute maßgebliche Time-Sharing-Richtlinie ist RL 2008/122/EG. 261 RL 2011/83/EU. 262 KOM (2011) 635. Dazu eingehend S. Lorenz, AcP 2012, 702 sowie zur Verortung im Kontext des europäischen Vertragsrechts S. Arnold, in: S. Arnold (Hrsg.), Grundlagen eines europäischen Vertragsrechts, 2014, S. 1, 11 f. 263 Micklitz, Yearbook of European Law 1999/2000, 167, 168 f. 264 Zu den unterschiedlichen Konzeptionen etwa v. Vogel, Verbrauchervertragsrecht und allgemeines Vertragsrecht, S. 39 ff.; Denkinger, Der Verbraucherbegriff, S. 131 ff.; H. Roth, in: E. Lorenz (Hrsg.), Karlsruher Forum 2011: Verbraucherschutz – Entwicklungen und Grenzen (VersR-Schriften 47), 2012, 21 ff.

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a) Verbraucherschutzrecht als Schwächerenschutz Die iustitia distributiva wird im herkömmlichen deutschen Verbrauchervertragsrecht als Schutz des Schwächeren verwirklicht.265 Es gilt, die ökonomisch und/oder intellektuell schwächere Vertragspartei vor der stärkeren Vertragspartei zu schützen. Verbraucherschutzrecht verwirklicht insofern Sozialpolitik.266 Das Paradigma vom unterlegenen Verbraucher führt dabei zu einem paternalistischem Schutzmodell,267 das Privatrechtssubjekte als schutzwürdig betrachtet, wenn sie nur in ihrer Rolle als Konsument agieren.268 Dabei findet eine gerade für die iustitia distributiva typische verallgemeinernde Betrachtung statt: Es geht nicht um den Schutz konkreter Einzelpersonen in ihren jeweiligen individuellen Vertragsverhältnissen, sondern um einen gruppenspezifischen Schutz. Das Postulat der Vertragsfreiheit269 wird durch diesen Schutz seinem Inhalt nach geprägt: Die Sphären formal verstandener Handlungsfreiheiten werden enger umfasst. Der gruppenspezifische Schutz des Verbrauchers als schwächere Vertragspartei muss in unserer Rechtsordnung allerdings keinesfalls alleine vom Vertragsrecht getragen werden. Verbraucherschutz kann etwa auch durch Wettbewerbsrecht oder auf der Ebene des Verwaltungsrechts realisiert werden.270 Die durch das Verbraucherschutzrecht bewirkte enge Ausgestaltung formal verstandener Handlungs- und Vertragsfreiheit wird in der Kritik oft als Entmündigung des Menschen und bedrohliche Einengung seiner Autonomie empfunden.271 Wie weit der Schutz der Verbraucher reichen kann und soll, gerade darüber wird auch in der rechtswissenschaftlichen Diskussion gestritten.272 So 265 Etwa Denkinger, Der Verbraucherbegriff, S. 133 ff. Einflussreich war insoweit auch die berühmte Verbraucherbotschaft des US-Präsidenten Kennedy vom 15.3.1962, abgedruckt bei E. von Hippel, Verbraucherschutz, S. 281 ff. 266 Micklitz, in: MünchKomm BGB, Vor §§ 13, 14 BGB Rn. 66. Dies erhellt bereits die Analyse des Abzahlungsgesetz (1894) als Mittel der Sozialpolitik, vgl. Schubert, ZRG (Germanistische Abteilung) 1985, 130. 267 Micklitz, in: MünchKomm BGB, Vor §§ 13, 14 BGB Rn. 66. 268 Denkinger, Der Verbraucherbegriff, S. 134 f. Grundlegend zur rollenspezifischen Analyse des Verbrauchers Reich, ZRP 1974, 187. 269 Oben, S. 259 ff. 270 Dazu eingehend Micklitz, in: Brownsword (Hrsg.), The Foundations of European Private Law, 2011, S. 563; s. auch schon E. von Hippel, Verbraucherschutz, S. 25 ff., insbesondere S. 41 ff. sowie Gärtner, JZ 1992, 73, 76. 271 S. etwa Schünemann, in: Brandner/Pfeiffer/Kummer u.a. (Hrsg.), Festschrift für Hans Erich Brandner, 1996, S. 279; Rohe, BKR 2003, 267; Adomeit, NJW 2004, 579; aus ökonomischer Sicht auch Sinn, Perspektiven der Wirtschaftspolitik, 281, 282. 272 Vgl. etwa einerseits Eidenmüller/Faust/Grigoleit/Jansen/Wagner/Zimmermann, in: Eidenmüller/Faust/Grigoleit/Jansen/Wagner/Zimmermann (Hrsg.), Revision des Verbraucheracquis, 2011, S. 267 (These 1.3), die eine konstitutionelle Schwäche des Menschen in der Rolle eines Verbrauchers verneinen und daher auch als Grundlage für rechtliche Schutzmechanismen ablehnen; andererseits etwa Study Group on Social Justice in European Private Law, European Law Journal (ELJ) 2004, 653, 661 ff. die gerade für eine stärkere Berücksichtigung solcher Schwächen durch Regulierung plädieren.

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hält etwa Neuner zwar im Grundsatz auch Verbraucherschutz für legitim, da Verbraucher wegen fehlender Gewandtheit und Routine in Geschäftsangelegenheiten schutzwürdig seien.273 Nicht mehr zu rechtfertigen sei aber, den Verbraucher generell für unterlegen zu halten. Neuner sieht hier eine Abkehr von formaler Rechtsgleichheit und Rechtssicherheit: „Sofern die Grundbedingungen formaler und materialer Entscheidungsfreiheit gegeben sind, ist für eine Kompensation von Ungleichgewichtslagen grundsätzlich kein Raum, sondern es ist vielmehr vom Prinzip der Gleichheit aller Privatrechtssubjekte auszugehen.“274

Neuner hält daher weder intellektuelle noch wirtschaftliche Unterlegenheit für relevant.275 Von Neuners Warte aus wird Verbraucherschutz daher problematisch, „soweit dieser über die Kompensation konkreter Gefährdungen des Willensbildungsprozesses hinausgeht und aufgrund allgemein-struktureller Imparitätsprämissen unmittelbar in den Inhalt privatautonomer Regelungen eingreift oder in sonstiger Form den Verbraucher privilegiert“.276 Er lehnt deshalb ein soziales Verbraucherschutzmodell ab, das ein ausgleichsbedürftiges Machtgefälle zwischen Unternehmern und Verbrauchern sieht und den Verbraucher auch deshalb als schutzwürdig ansieht, weil dieser auf Konsum angewiesen sei, während der Unternehmer reine Gewinninteressen verfolge.277 Neuner hält diesem Bild entgegen, dass auch der Verbraucher nicht immer notwendige Gegenstände konsumiere.278 Auch rechtfertigen seiner Einschätzung nach mögliche Unterlegenheiten eher spezifischen Schutz, etwa vor suggestiver Werbung oder durch Aufklärung.279 Zudem sei der Verbraucher zusätzlich durch Sozialhilfe geschützt, so dass er wegen des ihm garantierten Existenzminimums nicht existentiell auf den Kauf von Gütern angewiesen sei.280 Dieser Argumentation ist zunächst zuzugeben, dass das Vertragsrecht nicht das einzige Instrumentarium zur Verwirklichung des Verbraucherschutzes ist. Vielmehr ist das Vertragsrecht nur ein einzelnes Instrument, das von anderen Rechtsgebieten und Instituten – dazu gehören das Sozialrecht, das Zwangsvollstreckungsrecht und das Insolvenzrecht ebenso wie das Wettbewerbsrecht – ergänzt wird. Indes bestehen keine grundsätzlichen Einwände dagegen, wenn das Vertragsrecht auch intellektuelle und wirtschaftliche Unterlegenheiten von Verbrauchern berücksichtigt. In der Perspektive der iustitia distributiva führt dies lediglich zu einer stärkeren Kontextualisierung und 273 274 275 276 277 278 279 280

Neuner, Privatrecht und Sozialstaat, S. 277. Neuner, a.a.O., S. 277. Neuner, a.a.O., S. 277. Neuner, a.a.O., S. 277. Neuner, a.a.O., S. 277. Neuner, a.a.O., S. 277 f. Neuner, a.a.O., S. 278. Neuner, a.a.O., S. 278.

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Differenzierung vertragsrechtlicher Verteilungsmaßstäbe. Das Vertragsrecht ist dadurch keineswegs in seinen Fundamenten erschüttert. Die Relevanz intellektueller und wirtschaftlicher Unterlegenheit lässt sich auch mit dem Befund rechtfertigen, dass es nach wie vor eine Gruppe besonders verletzlicher Verbraucher gibt, die von den Anforderungen und Herausforderungen einer modernen Konsumgesellschaft überfordert sind.281 Verbrauchergeschäfte weisen eine Vielzahl besonderer Risiken auf, die teils ökonomischer, teils psychologischer und soziologischer Natur sind.282 Die hier angerissene Frage nach der vertragsrechtlichen Inschutznahme des Verbrauchers ist zudem nur rechtspolitisch zu entscheiden. Eine zumindest psychische Abhängigkeit vieler Verbraucher vom Konsum bestimmter Güter – eine Abhängigkeit, die der Soziologe beobachten und der Ökonom in Marktanalysen einbeziehen kann – ist zumindest hochgradig plausibel. Im Ergebnis ist Neuner dennoch aus rechtspolitischen Gründen zuzustimmen. Die Konsumabhängigkeit der Verbraucher steht der Begründung eines auch auf formaler Freiheit und Gleichheit beruhenden Vertragsrechts nicht entgegen. Denn die vertragsrechtliche Verteilung von Chancen und Risiken muss zu einem gewissen Grad auf formalen Gesichtspunkten beruhen, wenn den wirtschaftlichen Akteuren Rechtssicherheit und Leistungsanreize beiseite gestellt werden sollen, ohne die sich ihre Tätigkeit auf Märkten nicht lohnen kann. Dies wiederum würde aber zumindest langfristig auch den Interessen der sozial besonders schutzwürdigen Personen entgegenlaufen, weil auf lange Sicht der Gesamtwohlstand der Gesellschaft verringert würde, was wiederum teils auf ihren Schultern auszutragen wäre. Dazu kommt ein weiteres Argument: Selbst wenn sich in psychologischen und soziologischen Hinsichten Abhängigkeiten konstatieren lassen, muss diese objektive Beobachtung nicht mit der subjektiven Wahrnehmung der Betroffenen übereinstimmen. Verbraucher können sich vielmehr auch dann als „frei handelnd“ wahrnehmen, wenn sie – in psychologischer Analyse – ein bestimmtes Mobiltelefon oder Computergerät letztlich wegen äußerer oder innerer Zwänge erwerben. Dieses Selbstverständnis ist aber für eine funktionsfähige Privatrechtsordnung deshalb so wichtig, weil es zur Stabilität der Gemeinschaft beiträgt. Wer seine eigene Handlungen als frei bewertet, wird die Gesellschaft, die in seiner Wahrnehmung den Rahmen dieser Freiheit zur Verfügung stellt, schätzen und zu ihrer Stabilität beitragen. Insgesamt scheint deshalb rechtspolitisch für das Vertragsrecht Zurückhaltung angezeigt, wenn es um den besonderen Schutz verletzlicher Verbraucher etwa durch vertragliche Nichtigkeitssanktionen geht. Der rechtspolitische Charakter des Verbraucherschutzrechtes zeigt sich auch bei Diskussionen um die Sinnhaftigkeit zwingender Normen. So mag 281 S. Micklitz/Oehler/Piorkowsky u.a., Der vertrauende, der verletzliche oder der verantwortungsvolle Verbraucher?, http://www.bmelv.de/ (Stand: 17.9.2012), S. 2 f. 282 Rösler, Europäisches Konsumentenvertragsrecht, S. 17 ff.

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man etwa mit G. Wagner die zugunsten des Verbrauchers zwingende Mindestgewährleistung für gebrauchte Gegenstände (§§ 475 Abs. 2, 437 BGB) kritisieren wollen, weil Handlungsoptionen des Verbrauchers reduziert werden.283 Der Verbraucher kann sich etwa nicht dafür entscheiden, einen Gebrauchtwagen vom Händler ohne jede Gewährleistung, dafür aber günstig, zu kaufen.284 Andererseits mag man diese paternalistische Entscheidung des Rechts mit Gsell auch rechtfertigen wollen, etwa weil der durchschnittliche Verbraucher nicht erkennt, dass er ein Risikogeschäft tätigt und sich vielleicht vom „schönen Schein der gegenwärtig sichtbaren Eigenschaften des Wagens blenden“ lässt.285 Welche Position man in solchen Debatten einnimmt, hängt letztlich von rechtspolitischen Grundüberzeugungen ab.286 Debatten wie diese veranschaulichen daher einmal mehr den intrinsisch politischen Charakter des durch die iustitia distributiva geprägten Verbraucherrechts. b) Relativierung des Schutzgedankens durch die Formalisierung des Verbraucherbegriffs Als Ausgangspunkt des deutschen Verbrauchervertragsrechts konnte der Schutzgedanke identifiziert werden. Dieser Ausgangspunkt hat indes mannigfaltige Relativierungen erfahren. Ein wichtiges Anliegen ist dabei, innerhalb des Massenphänomens der Verbrauchergeschäfte dem Verbrauchervertragsrecht eine auch für die Wirtschaft sichtbare und berechenbare Kontur zu verleihen. Für Unternehmer wird sinnvolles Wirtschaften schwierig, wenn sie nicht einschätzen können, unter welchen konkreten Voraussetzungen und in welchem Umfang ihre Vertragspartner ihnen gegenüber etwa durch Widerrufsrechte oder ähnliche Instrumente bevorteilt werden. Haben sie dagegen eine solche Einschätzungsmöglichkeit, können sie die Effekte der verbraucherschützenden Regelungen kalkulieren und geeignete Strategien zum Umgang mit den von ihnen verursachten Kosten suchen und anwenden. Das Bedürfnis nach Rechtssicherheit in diesem Bereich veranschaulicht eine oben bereits beschriebene Gefahr der iustitia distributiva. Kontextualisierung und Konkretisierung kennzeichnen die iustitia distributiva und können zu einer Beeinträchtigung der Rechtssicherheit führen. Diese Gefahr ist allerdings im Verbraucherschutzrecht weitgehend gebannt, indem die Materialisierung des Vertragsrechts formalisiert wird: Diese Formalisierung innerhalb der Materialisierung zeigt sich nirgends so deutlich wie bei den zentralen Begriffen „Verbraucher“ und „Unternehmer“. Verbraucherbegriff und Unternehmerbegriff formalisieren den materiellen Gedanken der Schutzwürdigkeit einer Vertrags283 Etwa G. Wagner, in: Eidenmüller (Hrsg.), Revision des Verbraucher-acquis, 2011, S. 1 sowie S. 37 ff. 284 G. Wagner, in: Eidenmüller (Hrsg.), Revision des Verbraucher-acquis, 2011, S. 1 und S. 38 f. 285 Gsell, JZ 2012, 809, 815. 286 So auch deutlich Gsell, JZ 2012, 809, 815.

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partei im Verhältnis zu einer anderen. „Verbraucher“ und „Unternehmer“ sind formale Typenbegriffe.287 Mit dieser Formalisierung soll Rechtssicherheit geschaffen werden. Sie soll den beteiligten und betroffenen Geschäftskreisen ermöglichen, die Voraussetzungen zu bestimmen, unter denen das Verbrauchervertragsrecht zur Anwendung gelangt. Erkauft wird dieser Gewinn an Rechtssicherheit freilich durch Einbußen der im Ausgangspunkt erwünschten materiellen Effekte. Es kann zu Fehlsteuerungen kommen.288 Verbraucherschutz wird aus einer entindividualisierten und formalisierten Perspektive heraus gewährt.289 Verbrauchervertragsrecht verteilt Freiheitsbefugnisse zugunsten jeder Person, die den hochgradig formalisierten Schutzvoraussetzungen des Verbraucherbegriffs entspricht. Völlig irrelevant ist dabei, ob die Person, die in den Genuss des Verbraucherschutzrechts gelangt, im Einzelfall auch materiell schutzwürdig ist.290 Als „strukturell unterlegen“ wird etwa mit Blick auf die bei einer Darlehensaufnahme verbundenen Informationspflichten auch jeder Anwalt oder Richter behandelt, sofern er nur einen Kredit zu privaten Zwecken aufnimmt.291 Schon die formale Materialisierung des Vertragsrechts bestätigt daher die bereits eingangs formulierte These, wonach das Verbrauchervertragsrecht nur mehr eingeschränkt als Recht zum Schutze Schwächerer verstanden werden kann. Die tatsächlichen Effekte des Verbraucherschutzrechts stützen diesen Gedanken. Das Verbraucherschutzrecht schützt in seinen praktischen Auswirkungen insbesondere gut informierte Mitglieder der Mittelschicht.292 Schon daran zeigt sich, dass sich das Verbrauchervertragsrecht kaum mit dem Gedanken sozialer Umverteilungsgerechtigkeit rechtfertigen lässt.293 In welchem Umfang Rechtssicherheit auf Kosten materieller Zielsicherheit erstrebenswert ist, ist freilich eine rechtspolitische Frage, bei deren Antwort dem Gesetzgeber einmal mehr eine Einschätzungsprärogative zukommt. Die durch die formale Materialisierung erzielten Gewinne an Rechtssicherheit können die mit ihr verbundenen Fehlsteuerungen jedenfalls grundsätzlich durchaus rechtfertigen.

287 Micklitz spricht von einer „normativ-typisierenden Modell- oder Zielgröße“, vgl. Micklitz, in: MünchKomm BGB, Vor §§ 13, 14 BGB Rn. 7. S. auch Denkinger, Der Verbraucherbegriff, S. 452 ff. 288 S. nur Fleischer, Informationsasymmetrie im Vertragsrecht, S. 269 f. 289 Rösler, Europäisches Konsumentenvertragsrecht, S. 140; Micklitz, in: MünchKomm BGB, Vor §§ 13, 14 BGB Rn. 70. 290 Kritisch unter diesem Aspekt gegenüber der personenbezogenen Anknüpfung von Informationspflichten auch Fleischer, Informationsasymmetrie im Vertragsrecht, S. 269 f. 291 Vgl. auch Fleischer, Informationsasymmetrie im Vertragsrecht, S. 270. 292 Vgl. Howells, Journal of Law and Society 2005, 349, 357; s. auch schon Gärtner, JZ 1992, 73, 76: „Das Verbraucherrecht der modernen Industriegesellschaften ist nicht auf Habenichtse und auf gesellschaftliche Randgruppen zugeschnitten, sondern auf den durchschnittlichen Wohlstandsbürger.“. 293 Insoweit treffend Rösler, Europäisches Konsumentenvertragsrecht, S. 68 f.

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c) Über den Schutzgedanken hinausgehende Instrumentalisierung des Verbraucherschutzrechts (insbesondere die Binnenmarktförderung) Die entscheidende Relativierung des Schwächerenschutzes liegt indes nicht in den Effekten formaler Materialisierung, sondern in der Instrumentalisierung des Verbraucherschutzrechts auf der Ebene des Europäischen Rechts. Für das Europäische Recht ist Verbraucherrecht schon im Ausgangspunkt kein Recht, das Schwächere schützen soll. Vielmehr soll das Verbraucherrecht den Europäischen Binnenmarkt vollenden helfen. Der Verbraucher ist als Nachfrage generierender Marktteilnehmer interessant, nicht als Person, die wegen ihrer Unterlegenheit schutzwürdig ist.294 Diese Entwicklung erklärt sich zum einen schon aus kompetenzrechtlichen Gründen.295 Die EU hat keine originäre Verbandskompetenz für verbraucherschutzrechtliche Maßnahmen.296 Zwar leistet sie gem. Art. 4 Abs. 2 lit. f) AEUV einen „Beitrag zur Verbesserung des Verbraucherschutzes“. In Art. 169 Abs. 1 AEUV wird zudem als Ziel unter anderem auch die Gewährleistung eines hohen Verbraucherschutzniveaus als Ziel beschrieben und konkretisiert. Indes verweist Art. 169 Abs. 2 lit. a) AEUV auf die allgemeine Kompetenz zur Verwirklichung des Binnenmarktes in Art. 114 AEUV. Verbraucherschutzrechtliche Initiativen der Europäischen Union müssen sich daher schon aus kompetenzrechtlichen Gründen zumindest auch unter dem Blickwinkel der Binnenmarktverwirklichung rechtfertigen lassen. Unter diesem Aspekt lässt sich die im Verbraucherrecht zu beobachtende formale Materialisierung sogar kohärenter rechtfertigen als unter Schutzgesichtspunkten. Zur Verwirklichung des Binnenmarktes ist es sinnvoll, den Verbraucher als Marktteilnehmer zu erschließen und zu motivieren.297 Eine vergleichsweise frühe und offene Formulierung dieses marktorientierten Ansatzes bietet der Sutherland-Report aus dem Jahre 1992, der die Bedeutung des privaten Konsums für das Gelingen des Binnenmarktes besonders betont.298 Der Versuch, die Verbraucher als treibende Kraft der Binnenmarktvollendung zu erschließen, ist im Ausgangspunkt gut nachvollziehbar. Privater Konsum darf in seiner volkswirtschaftlichen Bedeutung nicht unterschätzt werden.299 Schon deshalb ist es plausibel, dass das Verbraucherschutzrecht zumindest auch mit der ökonomischen Funktion des Verbrauchers als Marktteilnehmer begründet wird.300 Diese Entwicklung ist auch in politischer Hinsicht eine logische Kon294 Vgl. Heiss, ZEuP 1996, 625, 629; Reymann, Das Sonderprivatrecht der Handels- und Verbraucherverträge, S. 84 ff. 295 S. etwa Denkinger, Der Verbraucherbegriff, S. 241 ff. 296 Vgl. nur Krebber, in: Calliess/Ruffert, EUV, AEUV, Art. 169 AEUV Rn. 2 f. 297 S. auch schon Behrens, EuR 1992, 145, 159 f. 298 Sutherland, The Internal Market after 1992. 299 Micklitz spricht davon, das 50% des Bruttosozialproduktes aus dem privaten Konsum rühren, vgl. Micklitz, Brauchen Konsumenten und Unternehmen eine neue Architektur des Verbraucherrechts?, S. A13. 300 S. schon Heiss, ZEuP 1996, 625, 626 f.

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sequenz dessen, dass die Europäische Union zur treibenden Kraft im Verbraucherschutzrecht geworden ist. Im Zentrum der Europäischen Union steht der gemeinsame Binnenmarkt, zu dessen Verwirklichung auch das europäische Verbrauchervertragsrecht instrumentalisiert werden kann.301 Unter der Perspektive des gemeinsamen europäischen Marktes ist das Verbraucherschutzrecht also letztlich ein regulatives Medium zur Förderung der Wirtschaft, insbesondere des grenzüberschreitenden Handels zwischen den Mitgliedstaaten. Dieses Erklärungsmodell ist im Übrigen auch immun gegenüber Effekten des Verbraucherschutzrechts, die man von der Warte des Schwächerenschutzes aus als Fehlsteuerung bezeichnen könnte. Für die Förderung des Binnenmarktes ist schlicht irrelevant, wenn etwa gut informierte Anwälte oder Richter bei Privatgeschäften trotz ihres dem Unternehmer vielleicht sogar überlegenen Wissens in den Genuss verbraucherrechtlicher Informationspflichten gelangen. Ebenso irrelevant ist es, wenn Verbraucherschutzrecht insbesondere einer gut informierten und gebildeten Mittelschicht zugutekommt.302 Den zuletzt genannten Verteilungseffekt wird man aus ökonomischer Sicht vielleicht sogar begrüßen wollen. Denn die Bürger, die einer gebildeten und gut informierten Mittelschicht angehören, dürften in aller Regel über beachtliche Kaufkraft verfügen, die es für die Vollendung des Binnenmarktes zu gewinnen gilt. Von dieser Warte aus ergibt sich auch das den Verbraucherschutz auf europäischer Ebene bestimmende Verbraucherleitbild. Es geht darum, einen aktiven, selbstbewussten Marktteilnehmer für den Binnenmarkt zu gewinnen.303 Micklitz spricht von einer „gestandenen Rechtsfigur“, die dem Bild eines Kleinunternehmers nahekomme.304 Der Schwächerenschutz ist dagegen keine Leitlinie der europäischen Verbraucherpolitik, ebenso wenig soziale Gerechtigkeit oder Umverteilung von reich nach arm.305 Die Instrumentalisierung des Vertragsrechts als Mittel zur Förderung des Binnenmarktes führt insgesamt zu einer kohärenten Rechtfertigung des Verbrauchervertragsrechts als Konkretisierung der objektiven Gerechtigkeitsidee in Form der iustitia distributiva. Mit der Förderung des Binnenmarktes wird sogleich deutlich, dass das Verbraucherschutzrecht für die Verwirklichung externer Ziele instrumentalisiert werden kann, für Ziele, die sich in der Perspektive der iustitia commutativa nicht erfassen und erklären lassen.306 Aus der Perspektive der iustitia distribu301 Rösler, Europäisches Konsumentenvertragsrecht, S. 129 f.; Denkinger, Der Verbraucherbegriff, S. 241 ff. auch zu den kompetenzrechtlichen Ursachen. 302 Dazu Howells, Journal of Law and Society 2005, 349 m.w.N. 303 Denkinger, Der Verbraucherbegriff, S. 244 f. 304 Micklitz, Brauchen Konsumenten und Unternehmen eine neue Architektur des Verbraucherrechts?, S. A14 und A36. 305 Denkinger, Der Verbraucherbegriff, S. 245 f.; Rösler, Europäisches Konsumentenvertragsrecht, S. 209. 306 Zur Entwicklung weiterer funktionaler Aspekte des Verbraucherrechts auf europäischer Ebene etwa Denkinger, Der Verbraucherbegriff, S. 247 ff.

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tiva wird deren Einbeziehung aber möglich. Welche Ziele dies sein können und sollen, ist eine rechtspolitische Frage, die zu beantworten vorrangig eine Aufgabe der Gesetzgebung ist. Aus gerechtigkeitstheoretischer Sicht spricht aber jedenfalls nichts dagegen, auch andere externe Belange – etwa kulturelle, ökologische oder soziale – in das Verbraucherschutzrecht zu integrieren.307 Auch hier gilt die Einschätzungsprärogative des Gesetzgebers mit Blick auf die Frage, inwieweit die Verfolgung solcher Ziele wünschenswert ist, und mit welchen regulativen Mitteln sie gegebenenfalls verfolgt werden sollen. Das Vertragsrecht ist einmal mehr nur eines von mehreren potentiellen Steuerungsinstrumenten. 3. Das Informationsmodell als Spiegel eines formal liberalen Konzepts der Marktförderung und der formal verstandenen Vertragsfreiheit Die Instrumentalisierung des Verbraucherschutzrechts als Instrument der Binnenmarktförderung spiegelt sich insbesondere im Informationsmodell wider, das weiten Teilen des europäisch geprägten Verbraucherrechts zugrunde liegt.308 Seine Relevanz lässt sich an dem immer stärker werdenden Umfang von Informationspflichten nachvollziehen.309 Auf europäischer Ebene schreibt Art. 169 Abs. 1 AEUV die Förderung der Verbraucherrechte auf Information vor. Zudem liegt das Informationsmodell etlichen verbraucherschützenden Richtlinien zugrunde.310 Im nationalen Recht spiegelt sich die Bedeutung des Informationsmodells am deutlichsten in der Verordnung über Informations- und Nachweispflichten nach bürgerlichem Recht wider.311 a) Das Informationsmodell als Modell prozeduraler Gerechtigkeit Das Informationsmodell steht dabei in einer besonderen Nähe zu weitgehend prozeduralen Gerechtigkeitsmodellen.312 Insofern liegt es auch näher bei der iustitia commutativa als bei der iustitia distributiva. Denn es soll die Annahme gerechter Vertragsergebnisse ermöglichen, ohne dass auf die externen Folgen 307 Dazu Reisch, in: Reisch/Røpke (Hrsg.), The Ecological Economics of Consumption, 2004, S. 175; Belz/Bilharz, in: Belz (Hrsg.), Nachhaltiger Konsum und Verbraucherpolitik im 21. Jahrhundert, 2007, S. 21; Lurger, in: Brownsword (Hrsg.), The Foundations of European Private Law, 2011, S. 89. 308 S. nur Grundmann, NJW 2000, 14, 18; Grundmann, JZ 2000, 1133; Fleischer, Informationsasymmetrie im Vertragsrecht, S. 203 ff.; Micklitz, Brauchen Konsumenten und Unternehmen eine neue Architektur des Verbraucherrechts?, S. A14 ff. 309 Micklitz, Brauchen Konsumenten und Unternehmen eine neue Architektur des Verbraucherrechts?, S. A15. 310 Etwa die Verbraucherkreditrichtlinie (2008/48/EG), die Richtlinie über Rechte der Verbraucher (2011/83/EU), die Timesharingrichtlinie (2008/122/EG) und die Pauschalreiserichtlinie (RL 1990/314/EWG). 311 BGBI. I Nr. 2 vom 2.1.2002, S. 342. 312 Wilhelmsson, European Law Journal 2004, 712, 719; Diese Verwandschaft unterschätzt Sedlmeier, vgl. Sedlmeier, Rechtsgeschäftliche Selbstbestimmung im Verbrauchervertrag, S. 40.

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des Vertragsschlusses eingegangen werden muss. Dies bedarf der Erläuterung. Ein formales Verständnis der Vertragsfreiheit geht davon aus, dass zwei Vertragsparteien auf Augenhöhe am besten wissen, welche Verträge welchen Inhalts für sie gut sind. Dann werden die Parteien ihre Interessen wechselseitig vertreten und ihre freie Übereinstimmung wird im Marktmechanismus einen inhaltlich gerechten Ausgleich finden.313 Dahinter steht Schmidt-Rimplers Gedanke der Richtigkeitsgewähr des Vertragsmechanismus.314 In der liberalen Vertragskonzeption ist anerkannt, dass dieser Mechanismus von Zwang, Drohung und vielleicht Irrtum gestört werden kann, deren Fehlen also sichergestellt werden muss, um die „Funktionsbedingungen“ der Vertragsfreiheit wiederherzustellen. Im Verbrauchervertragsrecht steht nun eine andere Störung im Mittelpunkt des Interesses: Der Wissensvorsprung der Unternehmer gegenüber den Verbrauchern. Wenn aber – so die Logik des Informationsmodells, das dem europäischen Verbraucherbegriff zugrunde liegt – der Verbraucher nur ausreichend informiert und aufgeklärt ist, kann er als autonomer Teilnehmer am Markt selbst seine Interessen am besten wahrnehmen und verteidigen.315 Dagegen gibt es von dieser Warte aus keinen Grund, ihn aus anderen Motiven etwa paternalistischer Natur besserzustellen. Geschützt wird der Verbraucher lediglich in seiner rechtsgeschäftlichen Entscheidungsfreiheit und Selbstbestimmung.316 Verbrauchervertragsrecht lässt sich insoweit mit der Privatautonomie als klassisches Fundament des Vertragsrechts begründen.317 Das Informationsmodell wird gerade unter diesem Aspekt häufig als vorrangig und gegenüber inhaltlich zwingenden Gestaltungsregeln vorzugswürdig behandelt.318 In den Worten von Grundmann sind Informationspflichten auf die „Ausübung von Privatautonomie ausgerichtet“.319 Vertragsfreiheit und die durch den Mechanismus des Vertragsschlusses gewährte Richtigkeitschance können dann zumindest im Großen und Ganzen auch zu materiell gerechten Einzelergebnissen und materiell gerechten Gesamtvertei-

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Wilhelmsson, European Law Journal 2004, 712, 719. Eingehend dazu schon oben, S. 233 ff. 315 Vgl. auch Drexl, Die wirtschaftliche Selbstbestimmung des Verbrauchers, S. 26 ff. sowie S. 89 ff. unter Verteidigung des ordoliberalen Gesellschaftsmodells, in dem die wettbewerblich verfasste Marktwirtschaft selbst zur sozialen Institution wird. 316 Deutlich etwa bei Sedlmeier, Rechtsgeschäftliche Selbstbestimmung im Verbrauchervertrag, S. 195 ff.; s. auch schon Dauner-Lieb, Verbraucherschutz durch Ausbildung eines Sonderprivatrechts für Verbraucher, S. 103 ff. sowie Drexl, Die wirtschaftliche Selbstbestimmung des Verbrauchers, S. 206 ff. 317 Canaris, AcP 2000, 273, 303 f.; Fleischer, Informationsasymmetrie im Vertragsrecht, S. 205 f.; Grundmann, NJW 2000, 14, 18; Grundmann, JZ 2000, 1133, 1137 f.; Bydlinski, AcP 2004, 309, 362. 318 Grundmann, NJW 2000, 14, 18; Grundmann, JZ 2000, 1133, 1137 f.; Riesenhuber, in: Riesenhuber/Nishitani (Hrsg.), Wandlungen oder Erosion der Privatautonomie?, 2007, S. 1, 5; s. aus ökonomischer Sicht auch etwa Sinn, Perspektiven der Wirtschaftspolitik 2003, 281, 282 f. 319 Grundmann, NJW 2000, 14, 18. 314

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lungen führen.320 Das Informationsmodell verkörpert also letztlich ein Modell prozeduraler Gerechtigkeit, das die Bedingungen der Möglichkeit von Freiheit gewährleisten soll.321 Eine Überprüfung des Gerechtigkeitsgehalts vertraglicher Verteilungen auf ihren Inhalt wird dagegen entbehrlich.322 Das Informationsmodell steht damit in der Tradition eines von liberalem Gedankengut geprägten Vertragsverständnisses und fügt sich in die klassische Auffassung der Trennung des privaten vom öffentlichen Recht.323 Zugleich vertraut es auf die Kraft der Märkte – in europäischer Perspektive insbesondere des Binnenmarktes – zur Maximierung des gesamtgesellschaftlichen Wohlstands.324 Dementsprechend wird ein Vorrang des Informationsmodells auch gerade darin erblickt, dass es „markterhaltend oder -wiederherstellend“ wirkt.325 Unter all diesen Aspekten steht das Informationsmodell auch nahe bei der iustitia commutativa. Insofern ist gut nachvollziehbar, wenn in jüngeren Entwicklungen des Verbraucherschutzrechts eine De- und Entpolitisierung erblickt wird.326 Für Micklitz führt die europäisch geleitete Instrumentalisierung des Verbrauchers für Zwecke des Binnenmarktes zu einer „Entmaterialisierung des Verbraucherrechts, die mit einer Re-Formalisierung korreliert“.327 Mit dem Informationsmodell geht deshalb auch eine Reduzierung der Gerechtigkeitsperspektive der iustitia distributiva einher. Die für die iustitia distributiva typische Konkretisierung ist begrenzt auf die Erfüllung formal definierter Merkmale, allen voran der typisierend definierten Verbrauchereigenschaft. Dazu kommen weitere formale Voraussetzungen, insbesondere die Erfüllung von Informationspflichten. Für die Unternehmer hat diese Reduzierung zunächst zur Konsequenz, dass sie die jeweils vorgeschriebenen Informationen erfüllen müssen. Dies ist zwar prima facie nicht in ihrem Interesse, weil die Erfüllung der Informationspflichten Aufwand und Kosten mit sich bringt. Zugleich ermöglichen aber die detaillierten Vorgaben auch im Interesse der Unternehmer, die Erfüllung der Informationspflichten durch Formblätter und standardisierte Informationspapiere sicherstellen zu können. Für die Unternehmer ist dieser Aspekt vorteilhaft, denn er ermöglicht ihnen 320 Für Sedlmeier verwirklicht dagegen die Normgestaltung durch Selbstbestimmungsschutz das genuine Gerechtigkeitsanliegen einer „Gerechtigkeit der Freiheit“, vgl. Sedlmeier, Rechtsgeschäftliche Selbstbestimmung im Verbrauchervertrag, S. 34 ff. und S. 209 ff. 321 Eingehend etwa Canaris, AcP 2000, 273, 303 ff.; s. auch Drexl, Die wirtschaftliche Selbstbestimmung des Verbrauchers, S. 210, 445 ff. 322 Grundmann, NJW 2000, 14, 18; gleiches gilt für eine ergebnisorientierte Marktkontrolle, vgl. Wilhelmsson, European Law Journal 2004, 712, 719. 323 Dazu insbesondere S. 103 ff. 324 Drexl, Die wirtschaftliche Selbstbestimmung des Verbrauchers, S. 26 f. 325 Grundmann, NJW 2000, 14, 18. 326 So pointiert Micklitz, Brauchen Konsumenten und Unternehmen eine neue Architektur des Verbraucherrechts?, S. A17. 327 Micklitz, Brauchen Konsumenten und Unternehmen eine neue Architektur des Verbraucherrechts?, S. A16.

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nicht nur eine klare Kalkulation der mit der Informationspflicht verbundenen Kosten. Es gewährleistet den Unternehmern auch weitgehend Sicherheit darin, die Wirksamkeit der von ihnen mit Verbrauchern geschlossenen Verträge sicherstellen zu können. Selbstverständlich führt auch das vom Informationsmodell geprägte Vertragsrecht zu Vermögensumschichtungen innerhalb der Gesellschaft, wobei im Wesentlichen wiederum die Mitglieder einer gebildeten und aufgeklärten Mittelschicht profitieren dürften.328 Rechtspolitisch kann man diese Verteilungseffekte aus guten Gründen für wünschenswert halten. Man mag darin einen Anreiz sehen, für sich und nahestehende Personen eine gute Bildung anzustreben, sich über verbraucherrechtliche Regeln zu informieren und Verbraucherschutzrechte gegebenenfalls auch geltend zu machen. Wiederum ist es eine rechtspolitische Frage, inwieweit man in den beschriebenen Verteilungseffekten etwa eine solche Anreize stiftende und deshalb wünschenswerte Belohnung für die Leistung der Betroffenen oder ihres Umfelds erblicken mag. Die Konsequenzen stehen jedenfalls mit den Anforderungen einer Leistungsgesellschaft im Einklang. Die Kontextualisierung, die für die iustitia distributiva typisch ist, ist konsequenterweise reduziert; insbesondere bleibt die konkrete Schutzbedürftigkeit unberücksichtigt. Diese Entwicklung spiegelt sich auch im Europäischen Verbraucherbegriff wider. Der aufgeklärte Konsument kann den Binnenmarkt fördern und damit ein zentrales Anliegen der Europäischen Union verwirklichen helfen. b) Iustitia distributiva innerhalb des prozeduralen Modells Freilich lassen sich auch im Anwendungsbereich des Informationsmodells die für die iustitia distributiva typische Kontextualisierung und Politisierung nicht vollständig vermeiden. Als Idee hat das Informationsmodell den Vorzug, eine autonome Entscheidung durch ein standardisierbares und formales Verfahren zu sichern. Dies geschieht durch Informationen, die einen vermuteten Wissensvorsprung der Unternehmer ausgleichen. So wird die nicht-wissende Partei durch ein Verfahrenskonzept geschützt. Doch letztlich verbergen sich auch hinter dem angestrebten Schutz der Entscheidungsfreiheit externe Anliegen unterschiedlicher Natur, mag es dabei um die Förderung des Binnenmarktes, die Maximierung des gesamtgesellschaftlichen Wohlstands, Verhaltensanreize oder Leistungsimpulse gehen. Für Gsell ist allerdings ein Streit darüber, ob oder in welchem Umfang ein Verbraucher aus materiellen Gründen Schutz verdient, insoweit entbehrlich, als anerkannte Mechanismen – wie die Kontrolle etwaiger durch Marktversagen ausgelöster Informationsasymmetrien – die privatautonome Selbstbestimmung sichern.329 Doch letztlich ist auch die Sicherung der privaten Selbstbestimmung durch Ausgleich von Informationsasymmetrien nicht ihrerseits durch das Prinzip der Autonomie zu rechtferti328 329

Vgl. nur Howells, Journal of Law and Society 2005, 349, 357; Gärtner, JZ 1992, 73, 76. Gsell, JZ 2012, 809, 814.

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gen. Denn die Grenzen der Autonomie können ihrerseits nur unter Rückgriff auf externe Kriterien bestimmt werden.330 Diese Bestimmung erfolgt durch die konkrete Ausgestaltung der Informationspflichten durch den Gesetzgeber, der insoweit die maßgeblichen politischen Entscheidungen kanalisiert und verstetigt. Auch die dem Informationsmodell zugrunde liegende Autonomiesicherung durch Ausgleich von Informationsassymetrien ist daher ein regulativer Ansatz, über deren Reichweite nur unter Einbeziehung rechtspolitischer Wertungen entschieden werden kann. So lässt sich das Informationsmodell zwar vordergründig als Ausdruck der iustitia commutativa erklären. Letztlich kann es aber die Perspektive der iustitia distributiva im Verbrauchervertragsrecht nicht vollständig vermeiden.331 c) Grenzen des Informationsmodells Der Ruf nach einer intelligenteren Ausgestaltung des Informationsmodells wird allerdings immer lauter.332 Das Informationsmodell ist theoretisch nicht ausreichend fundiert und kann seine intendierten Wirkungen in der rechtspraktischen Ausgestaltung kaum erreichen. Auch Micklitz kritisiert in seinem Gutachten für den Deutschen Juristentag 2012 die fehlende Effektivität und Sinnhaftigkeit weiter Bereiche der durch das Informationsmodell geprägten Informationspflichten.333 Ein mittlerweile auch in der deutschen Diskussion gut aufgearbeitetes Problem des Informationsmodells besteht in der Überfrachtung mit Information.334 Diese Schwierigkeit wird – der Herkunft der Diskussion aus der anglo-amerikanischen Forschung entsprechend – als information overload beschrieben. Die maßgebliche Erkenntnis ist simpel. Zu viele Informationen führen zur Verwirrung und lassen den Verbraucher letztlich uninformiert zurück.335 Mit Blick auf die zum Teil überwältigend hohe Anzahl an Informationen, die dem Verbraucher dem geltenden Recht entsprechend in vielen Bereichen zukommen müssen,336 liegt nahe, dass die kritische 330

Vgl. S. 172 ff. Vgl. auch Collins, Regulating Contracts, S. 282 ff. Auch hier zeigt sich letztlich der erkenntnistheoretische Vorrang der iustitia distributiva (S. 172 ff.). 332 S. nur Rösler, Europäisches Konsumentenvertragsrecht, S. 151 ff.; Eidenmüller, JZ 2005, 216, 221; Rehberg, in: Eger/Schäfer (Hrsg.), Ökonomische Analyse der europäischen Zivilrechtsentwicklung, 2007, S. 284; Bechtold, Die Grenzen zwingenden Vertragsrechts, S. 48 ff. 333 Micklitz, Brauchen Konsumenten und Unternehmen eine neue Architektur des Verbraucherrechts?, S. A 15 f.: Der Verbraucher nehme die Informationen kaum wahr, der Unternehmer könne sie zu standardisierten Formularen verarbeiten, um seine Haftung zu vermeiden. 334 Eingehend etwa Eidenmüller, JZ 2005, 216; Rehberg, in: Eger/Schäfer (Hrsg.), Ökonomische Analyse der europäischen Zivilrechtsentwicklung, 2007, S. 284, 319 ff.; Bechtold, Die Grenzen zwingenden Vertragsrechts, S. 57 ff. 335 Rehberg, in: Eger/Schäfer (Hrsg.), Ökonomische Analyse der europäischen Zivilrechtsentwicklung, 2007, S. 284, 287 ff.; Eidenmüller, JZ 2011, 814, 816. 336 Beispiele und Einzelheiten etwa bei Rehberg, in: Eger/Schäfer (Hrsg.), Ökonomische Analyse der europäischen Zivilrechtsentwicklung, 2007, S. 284, 287 ff.; Bechtold, Die Grenzen zwingenden Vertragsrechts, S. 57 ff. 331

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Schwelle dessen, was ein Mensch inhaltlich auch verarbeiten und verstehen kann, häufig überschritten ist. In der Praxis werden die Informationen dementsprechend oft überhaupt nicht zur Kenntnis genommen.337 Dieses Problem lässt sich zum Teil innerhalb des Informationsmodells lösen, indem die Menge der Informationspflichten reduziert und ihre Qualität – etwa durch besondere Hervorhebungen der wichtigsten Informationen – erhöht wird.338 Denkbar ist auch die Einschaltung Dritter, die Informationen aufarbeiten und weitervermitteln (sog. Informationsintermediäre).339 Diese Lösungen können allerdings viele andere Erkenntnisbarrieren nicht überwinden, die von verhaltenspsychologischen Studien nachgewiesen wurden.340 Diese Barrieren wecken Zweifel an dem grundlegenden Ausgangspunkt des Informationsmodells, nämlich an der Annahme, dass der Verbraucher vollständig rationale Entscheidungen treffen kann, wenn er nur ausreichend informiert ist. Ein bekanntes Beispiel ist der sog. „framing-Effekt“.341 Menschliche Entscheidungen werden maßgeblich auch von dem Rahmen beeinflusst, innerhalb dessen Entscheidungsvariablen begegnen. Die Einkleidung einer Frage kann für die Antwort auf sie entscheidend sein.342 Effekte wie diese sind vor allem in der angloamerikanischen Forschung eingehend analysiert, beschrieben und für das Recht fruchtbar gemacht worden (behavioral law and economics).343 Mittlerweile werden sie auch in der deutschen Rechtswissenschaft eingehend rezipiert.344 Im Verbraucherkreditrecht stellt etwa der Überoptimismus der Verbraucher in Frage, ob diese eine rationale Kreditentscheidung treffen können, wenn sie nur hinreichend informiert sind.345 Die zu optimistische Einschätzung der eigenen Lage und Fähigkeiten ist ein kognitionswissenschaftlich gut abgesichertes und auch nach allgemeiner Lebenserfahrung plausibles Phäno337 Howells, Journal of Law and Society 2005, 349, 356; Klöhn, Kapitalmarkt, Spekulation und Behavioral Finance, S. 185 f. Dazu, dass dieses Verhalten sogar rational sein kann, s. nur Bechtold, Die Grenzen zwingenden Vertragsrechts, S. 59 m.w.N. 338 Vgl. etwa Eidenmüller, JZ 2005, 216, 221; Eidenmüller, JZ 2011, 814, 818 f.; Bechtold, Die Grenzen zwingenden Vertragsrechts, S. 61 f. 339 Dazu nur Bechtold, Die Grenzen zwingenden Vertragsrechts, S. 62 m.w.N. Kritisch zur Fruchtbarkeit des Einsatzes von Finanzintermediären Klöhn, Kapitalmarkt, Spekulation und Behavioral Finance, S. 146. 340 Zu diesen Barrieren eingehend etwa Bechtold, Die Grenzen zwingenden Vertragsrechts, S. 68 ff. 341 Grundlegend Tversky/Kahneman, Science 1981, 453. 342 Beispiele bei Tversky/Kahneman, Science 1981, 453. 343 Grundlegend Tversky/Kahneman, Science 1981, 453; Kahneman/Knetsch/Thaler, The Journal of Political Economy 1990, 1325; Sunstein (Hrsg.), Behavioral Law and Economics, 2000. Ausführliche Nachweise etwa bei Klöhn, Kapitalmarkt, Spekulation und Behavioral Finance, S. 139. 344 S. zu einigen dieser Effekte schon Eidenmüller, Effizienz als Rechtsprinzip, S. 125 ff.; eingehende Analyse bei Klöhn, Kapitalmarkt, Spekulation und Behavioral Finance, S. 80 ff.; Bechtold, Die Grenzen zwingenden Vertragsrechts, S. 68 ff. 345 Bechtold, Die Grenzen zwingenden Vertragsrechts, S. 71 ff.

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men.346 Dazu gesellt sich das Problem, dass Menschen künftige Belastungen in ihrer Auswirkung unterschätzen.347 Verbraucher werden also selbst durch gut aufbereitete Informationen über die mit einem Kredit verbundenen Risiken nicht von Kreditaufnahmen abgehalten, die irrational sind, ihre finanzielle Kraft in der Zukunft gefährden und im schlimmsten Fall zu ihrem Ruin führen können.348 Eine Lösung dieser Schwierigkeiten innerhalb des Informationsmodells ist derzeit nicht ersichtlich.349 Konzeptionell sind die kognitiven und psychologischen Barrieren rationaler Entscheidungen allerdings für das Informationsmodell nicht unbedingt fatal. Versteht man dieses Modell als Mittel zum Schutz von Entscheidungsfreiheit und Privatautonomie, werden solche Barrieren bedeutungslos, wenn man ein weites Verständnis der Entscheidungsfreiheit zugrunde legt. Ein weites Verständnis von Entscheidungsfreiheit schließt nämlich auch die Freiheit zu irrationalen oder nur begrenzt rationalen Entscheidungen ein; Autonomie bedeutet dann auch, sich für inkonsistente Präferenzen und anhand irrationaler Entscheidungsheuristiken entscheiden zu können und zu dürfen. Gleichwohl legt die iustitia distributiva de lege ferenda auch eine materielle Ergänzung des Informationsmodells im Verbraucherschutzrecht nahe. Sozialwissenschaftliche Erkenntnisse der soeben beschriebenen Art fordern dazu auf, dass das verbraucherschützende Vertragsrecht auch mittels einer behutsamen Inhaltskontrolle von Verträgen regulierend eingreifen kann und soll.350 Dabei sind stärkere Differenzierungen innerhalb des Verbraucherbegriffs angezeigt. Insbesondere sollten unterschiedliche Typisierungen bestimmter Verbrauchertypen berücksichtigt werden, wie sie in den Sozial- und Wirtschaftswissenschaften herausgearbeitet werden und wurden.351 Auch dabei gilt allerdings stets zu beachten, dass das Vertragsrecht nur eines von einer Vielzahl möglicher Regulierungsinstrumente ist, derer sich der Gesetzgeber zur Erreichung politisch wünschenswerter Ziele bedienen kann.352

346 Klöhn, Kapitalmarkt, Spekulation und Behavioral Finance, S. 116; Eidenmüller, JZ 2011, 814, 816 (beide m.w.N.). 347 Klöhn, Kapitalmarkt, Spekulation und Behavioral Finance, S. 116 ff.; Bechtold, Die Grenzen zwingenden Vertragsrechts, S. 73 ff. 348 Vgl. Bechtold, Die Grenzen zwingenden Vertragsrechts, S. 79 f. 349 Im Einzelnen dazu Bechtold, Die Grenzen zwingenden Vertragsrechts, S. 81 ff. 350 Bechtold, Die Grenzen zwingenden Vertragsrechts, S. 87. 351 Shove, in: Reisch/Røpke (Hrsg.), The Ecological Economics of Consumption, 2004, S. 111; Howells, Journal of Law and Society 2005, 349; Micklitz, Brauchen Konsumenten und Unternehmen eine neue Architektur des Verbraucherrechts?, S. A36 ff. Zu neueren Differenzierungen des Verbraucherbegriffs vgl. nur Eckert/Karg/Zängler, in: Belz (Hrsg.), Nachhaltiger Konsum und Verbraucherpolitik im 21. Jahrhundert, 2007, S. 53. 352 S. nur Eckert/Karg/Zängler, in: Belz (Hrsg.), Nachhaltiger Konsum und Verbraucherpolitik im 21. Jahrhundert, 2007, S. 139.

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4. Umverteilung durch Verbraucherschutzrecht? Das Verbraucherschutzrecht führt in seiner konkreten positivrechtlichen Ausgestaltung stets zu einer massiven Verteilung von Vermögen innerhalb verschiedener Bevölkerungsgruppen. Diese Verteilungseffekte sind zwingend und lassen sich nicht vermeiden. Fraglich ist nur, wer von den Verteilungseffekten profitiert und wer durch sie benachteiligt wird. Das Informationsmodell tendiert zu Vermögensumschichtungen, die den besonders aufmerksamen und gut informierten Marktteilnehmern zugutekommen.353 Auch von der Europäisierung des Verbraucherrechts dürften im Wesentlichen gut gebildete und vergleichsweise wohlhabende Konsumenten profitieren.354 Umgekehrt dürfte die Verteilung eher nicht zugunsten schlecht gebildeter und weniger wohlhabender Verbrauchern ausfallen.355 Man mag diese Verteilungswirkungen – etwa weil sie wünschenswerte Belohnungen bieten, Anreize setzen oder die Leistungsgesellschaft kennzeichnen – durchaus auch begrüßen wollen. Dagegen kann man auch mit einer stärker sozialstaatlich ausgerichteten Konzeption der Marktwirtschaft Phänomene besonderer Schutzwürdigkeit – beispielsweise wegen Alter, Behinderung, Krankheit oder Bildungsarmut – in das Verbraucherrecht integrieren wollen und mittels des Verbrauchervertragsrechts Umverteilungen zugunsten solcher materiell schutzwürdiger Menschen zu erreichen suchen. Allerdings greifen auch hier die Grenzen, innerhalb derer das Vertragsrecht zur Umverteilung von Vermögen geeignet ist. Soziale Gerechtigkeit lässt sich durch das Vertragsrecht auch mit Blick auf das Verbrauchervertragsrecht nur mit Einbußen an systematischer Kohärenz und Effizienz erreichen.356 Dies schließt eine Instrumentalisierung des Vertragsrechts allerdings nicht von vornherein aus, weil auch andere Medien der Umverteilung mit ähnlichen Einbußen verknüpft sind. 5. Zur integrierenden Kraft des Bürgerlichen Gesetzbuchs Micklitz hat in seinem Gutachten zum Deutschen Juristentag 2012 die Diskussion um das Verbraucherrecht als Sonderprivatrecht aufgegriffen und weitergeführt.357 Er hält das Verbraucherrecht wegen der rasanten ökonomischen und sozialen Entwicklungen, auf die es reagieren muss, für zu dynamisch, als 353 Vgl. Whitford, Wisconsin Law Review 1973, 400; Howells, Journal of Law and Society 2005, 349, 357 m.w.N.; Micklitz, Brauchen Konsumenten und Unternehmen eine neue Architektur des Verbraucherrechts?, S. A 17. 354 Micklitz, Brauchen Konsumenten und Unternehmen eine neue Architektur des Verbraucherrechts?, S. A 17. 355 Vgl. Micklitz, Brauchen Konsumenten und Unternehmen eine neue Architektur des Verbraucherrechts?, S. A 17. 356 S. oben, S. 272 ff. 357 Micklitz, Brauchen Konsumenten und Unternehmen eine neue Architektur des Verbraucherrechts?, passim; s. auch Reymann, Das Sonderprivatrecht der Handels- und Verbraucherverträge, passim.

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dass es sinnvoll in das BGB integriert werden könne. Das Verbraucherrecht sei zu vielseitig und wandlungsfähig; ratsam sei deshalb de lege ferenda ein eigenständiges Verbrauchergesetzbuch.358 Hier ist nicht der Ort, diese Diskussion umfassend aufzugreifen und fortzuentwickeln.359 Mit Blick auf die durch das Verbrauchervertragsrecht angestrebte Verwirklichung objektiver Gerechtigkeit im Sinne der iustitia distributiva scheint nur ein Aspekt erwähnenswert. Die iustitia distributiva bestimmt in mannigfachen Erscheinungsformen ohnehin schon das geltende Vertragsrecht. Das Verbraucherschutzrecht fällt dabei keineswegs aus dem Rahmen – ebenso wenig wie etwa das soziale Mietvertragsrecht. Selbstverständlich bedeutet dies nicht, dass die iustitia distributiva im Bereich privaten Konsums zwingend ausschließlich mittels des im BGB geregelten Vertragsrechts verwirklicht werden muss. Vielmehr bietet sich an, nach flexiblen Regulierungsansätzen zu suchen, die auch außerhalb des BGB liegende Regelungen einschließen.360 Wegen seiner Multifunktionalität und Dynamik muss jedenfalls das Verbraucherschutzrecht nicht aus dem Vertragsrecht des BGB gebannt werden.361 Dieses ist flexibel genug, auf neue Anforderungen der Zeit zu reagieren.362 6. Der Richter als verteilende Instanz Die Legislative ist im Bereich des Verbrauchervertragsrechts die maßgebliche verteilende Instanz. Die Initiative liegt dabei zur Zeit im Wesentlichen bei der Europäischen Union. Die nötigen politischen Entscheidungen werden deshalb auch durch die demokratisch legitimierten Entscheidungsträger getroffen. Unvermeidbar ist allerdings, dass auch der Richter Verteilungsentscheidungen trifft, wenn er das Verbrauchervertragsrecht im konkreten Fall anwendet. Selbstverständlich ist der Vorrang der gesetzgeberischen Entscheidung aber auch hier durch die Gesetzesbindung des Richters gesichert. Der Richter hat insbesondere keine Befugnis, seine persönlichen Gerechtigkeitsüberzeugungen durchzusetzen. Bei der Auslegung der Gesetze ist er an die herkömmlichen Auslegungsregeln gebunden. Dabei kann allerdings der Verbraucherschutz als Topos im Rahmen der teleologischen Auslegung eine entscheidende Bedeutung für die Konkretisierung einzelner Normen oder Tatbestandsmerkmale erhalten. Darüber hinaus besteht kein Anlass, einen eigenständigen Aus358 Micklitz, Brauchen Konsumenten und Unternehmen eine neue Architektur des Verbraucherrechts?, S. A 11 ff. und A 25 ff.; ebenso etwa Rösler, Europäisches Konsumentenvertragsrecht, S. 250 ff. 359 Vgl. schon Dauner-Lieb, Verbraucherschutz durch Ausbildung eines Sonderprivatrechts für Verbraucher; aus jüngerer Zeit etwa Gsell, JZ 2012, 809, 812 ff. 360 Dazu Micklitz, in: Brownsword (Hrsg.), The Foundations of European Private Law, 2011, S. 563. 361 Für eine nach verschiedenen Entwicklungsphasen differenzierende Lösung v. Vogel, Verbrauchervertragsrecht und allgemeines Vertragsrecht, S. 227 ff. 362 Gsell, JZ 2012, 809, 813 f.

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legungsgrundsatz „in dubio pro consumatore“ anzunehmen.363 Trotz dieser methodologischen Vorgaben lässt sich allerdings die normative Auslegung des Verbraucherschutzrechts nicht vollständig ohne politische Wertungen treffen.

IV. Schutz durch Aufklärungspflichten Die Gerechtigkeitsperspektive der iustitia distributiva zeigt sich im Vertragsrecht auch bei den Aufklärungspflichten.364 Diese sind in ihrer Herleitung offen für eine Kontextualisierung des Vertragsrechts und verwirklichen durch die mit ihnen einhergehende Materialisierung objektive Gerechtigkeit auch in Form der iustitia distributiva. Zugleich spiegelt ihre konkrete Ausgestaltung und Reichweite die rechtspolitischen Wertentscheidungen wider, die der Vertragsordnung zugrunde liegen.365 Je stärker formal verstandene Freiheit und Eigenverantwortung betont werden, desto enger werden die Voraussetzungen solcher Aufklärungs- und Koordinationspflichten sein. Die Ausgestaltung von Aufklärungs- und Informationspflichten ist zudem zwingend mit massiven Vermögensverteilungen verbunden. Auch Wissen und Information sind Güter, die ökonomisch betrachtet wertvoll sind.366 Wenn nun einer Partei aufgegeben wird, Wissen oder Information an die andere Partei zu vermitteln ohne dafür eine konkret bemessbare Gegenleistung zu erhalten, wird ein wertvolles Gut von der belasteten Partei zugunsten der Aufklärung erhaltenden Partei verteilt.367 Die konkrete Ausgestaltung der Voraussetzungen von Aufklärungspflichten – insbesondere durch die Rechtsprechung – hat insofern unbestreitbar Verteilungseffekte. Die Diskussion über diese Ausgestaltung ist wiederum Ausdruck des politischen Ringens um die Verwirklichung der objektiven Gerechtigkeitsidee. 1. Ein Gedankenexperiment zu den Verteilungseffekten von Aufklärungs- und Informationspflichten Die mit den Aufklärungspflichten verbundenen Verteilungseffekte lassen sich durch eine stark überzeichnete Darstellung denkbarer Extremwelten verdeutlichen.368 In der einen Extremwelt – die „Welt kapitalistischer Egoisten“ – be363 Riesenhuber, JZ 2005, 829; Riesenhuber, JZ 2006, 404; letztlich im Ergebnis ebenso Tonner, JZ 2006, 402 und Rösler, JZ 2006, 400: „in dubio pro consumatore“ nur als in die teleologische Auslegung integrierter Aspekt. Missverständnisse werden allerdings vermieden, wenn die Rede von einem Grundsatz „in dubio pro consumatore“ vermieden wird. 364 Canaris, Die Bedeutung der iustitia distributiva im deutschen Vertragsrecht, 1997, S. 62 f. 365 Köndgen, Selbstbindung ohne Vertrag, S. 124 ff.; Rehm, Aufklärungspflichten im Vertragsrecht, S. 15 ff. 366 Vgl. nur Grigoleit, Vorvertragliche Informationshaftung, S. 73 m.w.N. 367 Kennedy, Maryland Law Review 1982, 563, 582 ff. 368 Ähnlich Kennedy, Maryland Law Review 1982, 563, 582 ff.

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stehe ein Vertragsrecht, das überhaupt keine Aufklärungspflichten beinhaltet. Niemand muss seinem Vertragspartner irgendwelches Wissen offenbaren. In einer solchen Welt gilt in besonders starkem Maße, dass Wissen Macht ist, und jeder Einzelne die durch das Wissen verliehene Macht zu seinem eigenen Vorteil einsetzen darf. Keiner muss dem anderen offenlegen, was er weiß, selbst dann nicht, wenn dem anderen die Information sehr nützen würde.369 Der andere muss sich selbst um Informationen bemühen; auf Aufklärung durch sein Gegenüber kann er nicht hoffen. In dieser Welt darf jeder seine eigenen Interessen verfolgen, ohne die des anderen in den Blick nehmen zu müssen. Nehmen wir nun den zweiten Extremfall in den Blick, ein Privatrecht solidarisierter Information – die „Welt altruistischer Kommunisten“. Hier gehört niemandem spezifisches Wissen, dieses ist vielmehr Allgemeingut und muss insbesondere denen offengelegt werden, die damit etwas anfangen können. Die Privatrechtssubjekte sind hier solidarisch verbunden; jede Vertragspartei hat Verantwortung für sein Gegenüber. Jede Partei muss bedenken, welche Konsequenzen das angestrebte Geschäft für den jeweils anderen hat. In dieser Welt ist Wissen solidarisiert, es verschafft dem Wissenden keine Macht. Wissen wird zum öffentlichen Gut.370 Selbstverständlich ist keine dieser Extremwelten durch das deutsche Vertragsrecht tatsächlich verwirklicht. Die objektive Gerechtigkeitsidee dürfte am ehesten in der Mitte dieser beiden Extremformen zu suchen sein. Wo diese Mitte liegt und liegen soll, ist allerdings wiederum eine rechtspolitische Frage. Manche sehen die Mitte näher bei der „Welt kapitalistischer Egoisten“, andere wiederum näher bei der „Welt altruistischer Kommunisten“. Verstärkte Aufklärungs- und Kooperationspflichten führen nicht geradewegs in die Welt „altruistischer Kommunisten“, aber sie bewirkt doch, dass das Vertragsrecht stärker auf einen Interessenausgleich gerichtet ist, in dem der Einzelne nicht bloß dem eigenen Interesse sondern auch dem Anliegen seiner Vertragspartner verpflichtet ist. So stellt etwa Köndgen in seiner Analyse des positiven deutschen Rechts fest: „Ermutigt (und nötigenfalls mit Haftungssanktionen erzwungen) wird heute vielmehr die solidarische Verantwortung der Parteien für den Geschäftserfolg“.371

2. Das Sozialstaatsprinzip als Grundlage vertragsrechtlicher Aufklärungspflichten Neuner leitet vertragsrechtliche Aufklärungspflichten – von den Fällen des Betrugs abgesehen – insofern aus dem grundgesetzlich verankerten Sozialstaatsprinzip ab, als die Privatrechtsgesellschaft und das Vertragsmodell die

369 370 371

Vgl. Kennedy, Maryland Law Review 1982, 563, 581. Kennedy, Maryland Law Review 1982, 563, 583. Köndgen, Selbstbindung ohne Vertrag, S. 123.

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Möglichkeit eines Informationszugangs voraussetzen.372 Auch Schumacher sah Aufklärungspflichten bereits als verfassungsrechtliche Forderung des Sozialstaatsprinzips, die sich in der Rechtsprechung zu den Generalklauseln manifestiert und konkretisiert habe.373 Die Aufklärung Unerfahrener erhöhe die materielle Chancengleichheit, was eine Forderung des Sozialstaatsprinzips sei. Schumacher und Neuner weisen durch die Verbindung von Sozialstaatsprinzip und Aufklärungspflicht auf spezifisch soziale Schutzaspekte, die auch mittels Aufklärungspflichten verfolgt werden können. Ob Privatrechtsgesellschaft und Vertragsrecht allerdings den Zugang zu Informationen durch andere voraussetzen, ist zweifelhaft. Es mag zutreffen, dass Informationen erforderlich sind, damit die Vertragsordnung funktionieren kann. Allerdings lässt sich aus dem Sozialstaatsprinzip nur schwer herleiten, dass Informationen gerade durch die jeweiligen (potentiellen) Vertragspartner zur Verfügung gestellt werden.374 Als alleinige dogmatische Grundlage zur Begründung konkreter Aufklärungspflichten scheint das Sozialstaatsprinzip regelmäßig ungeeignet zu sein.375 Allerdings kann das Sozialstaatsprinzip die Annahme von Aufklärungspflichten in Fällen rechtfertigen, in denen eine Partei auch aus sozialen Gesichtspunkten besonders schutzwürdig erscheint.376 Dabei lassen sich im Einzelfall auch aus paternalistischen Gründen Aufklärungspflichten konstruieren. Ein Beispiel dafür bietet das Urteil des BGH vom 27.2.1974, in dem der BGH letztlich eine objektiv fatale Vermögensentscheidung eines Anlegers materiell korrigiert.377 Der BGH begründete hier eine Aufklärungspflicht der Bank über die monatliche Dauerbelastung aus einem Hauskauf auch mit den erkennbar beengten Verhältnissen des Vertragspartners: „Dem Vertreter der Beklagten … hätten … angesichts des im Teilnahmeantrag angegebenen Berufes des Erstklägers (Schneider in abhängiger Stellung) und des verhältnismäßig geringen Eigenkapitals Zweifel kommen müssen, ob es genüge, mit ihnen nur einen Finanzierungsplan aufzustellen, ohne ihnen auch im einzelnen zu eröffnen, welche monatliche Dauerbelastung für Tilgung und Zinsen sie übernehmen müßten. Eine solche Hinweispflicht gebietet die Redlichkeit vor allem gegenüber unerfahrenen Angehöri-

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Neuner, Privatrecht und Sozialstaat, S. 246. Neuner tritt allerdings keineswegs für eine weitreichende Ausweitung von Aufklärungspflichten aus sozialen Gründen ein. Er betont vielmehr das Prinzip der Eigenverantwortung und die Grenzen, innerhalb derer der Vertragspartner in die Pflicht genommen werden könne. 373 Schumacher, Vertragsaufhebung wegen fahrlässiger Irreführung unerfahrener Vertragspartner, S. 79 ff. 374 Rehm, Aufklärungspflichten im Vertragsrecht, S. 146 f. 375 Eingehend Rehm, Aufklärungspflichten im Vertragsrecht, S. 140 ff. 376 Deutlich LG Frankfurt, BB 1970, 943, das von einem „Ausbau der sozialen Schutzfunktion des Privatrechts zugunsten des einzelnen isolierten Bürgers in einer modernen Leistungsgesellschaft“ spricht. 377 BGH NJW 1974, 849.

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gen der sozial schwächeren Bevölkerungsschicht, um der Gefahr ihrer finanziellen Überforderung vorzubeugen.“378

Die Aufklärungspflicht erfüllt hier einen regulativen Zweck, der sich aus der Verallgemeinerung der Entscheidung und ihrer Wirkung für die Zukunft ergibt. Ziel ist, die sozial schwächere Bevölkerungsschicht zu schützen und ihrer finanziellen Überforderung vorzubeugen. Damit wird materieller Schutz einer unterlegenen Bevölkerungsgruppe über das Vehikel der Aufklärungspflichten erreicht.379 Die iustitia distributiva zeigt sich hier deutlich in ihrer Ausprägung des Schwächerenschutzes. 3. Zum Prinzip der Eigenverantwortung Bei der Begründung von Aufklärungspflichten sind allerdings auch gegenläufige Rechtsprinzipien zu beachten, die stärker formal orientiert sind und in der Tradition eines Vertragsverständnisses liberaler Prägung stehen. Herausragend ist dabei das Prinzip der Eigenverantwortung zu nennen. Freiheit und Verantwortung gehen Hand in Hand.380 Soweit wir uns als frei agierende Personen wahrnehmen wollen, die in ihrer Freiheit von anderen ernst genommen werden, müssen wir uns auch als verantwortliche Personen wahrnehmen wollen, die für unsere Präferenzen und deren Verwirklichung selbst zuständig sind.381 Das Prinzip der Eigenverantwortung besagt unter anderem, dass sich jeder selbst und in eigener Verantwortung über Risiken, Gefahren und Folgen seiner vertraglichen Unternehmungen unterrichten und diese auch eigenständig bewerten muss.382 Vertragspartner müssen sich nach diesem Maßstab nur ausnahmsweise um die Belange der anderen Partei bemühen. Aufklärungspflichten liegen umso ferner, je stärker dieses Prinzip betont wird. Das Recht der Aufklärungspflichten stellt so insgesamt einen Ausgleich zwischen verschiedenen Verteilungsmaßstäben dar, die sich gegenseitig beschränken. Schon deshalb bedürfen Aufklärungspflichten einer ausführlichen Begründung. Der Richter ist dabei an die herkömmlichen Methoden der Auslegung gebunden. Die besondere Relevanz des Prinzips der Eigenverantwortung lässt sich etwa bei den sog. „Lehmann-Entscheidungen“ des BGH383 erken378

BGH NJW 1974, 849, 851. Kritisch dazu etwa Rehm, Aufklärungspflichten im Vertragsrecht, S. 154 ff. mit weiteren Beispielen aus der Rechtsprechung. 380 S. nur Rehm, Aufklärungspflichten im Vertragsrecht, S. 107 f. m.w.N. 381 Vgl. dazu schon S. Arnold, Die Bürgschaft auf erstes Anfordern im deutschen und englischen Recht, S. 74 f. 382 Vgl. etwa BGH NJW 1982, 376; BGH NJW 1989, 763, 764; für eine ökonomische Herleitung vgl. Kötz, in: Drobnig/Basedow/Hopt (Hrsg.), Festschrift für Ulrich Drobnig zum siebzigsten Geburtstag, 1998, S. 563; für eine autonomiefokussierte Begründung vgl. C. Fried, Contract as Promise, S. 77 ff. 383 S. insbesondere BGH NJW-RR 2012, 43; BGH NJW 2012, 66 sowie BGH BB 2012, 1677; BGH NJW 2012, 2873; BGH BKR 2013, 17; BGH vom 26.6.2012, XI ZR 356/11 (juris); BGH NJW-RR 2013, 244 und XI ZR 368/11 (juris). 379

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nen. Sie illustrieren zugleich, dass die Entscheidung über Aufklärungspflichten zu einer massiven Verteilung von Vermögen zwischen verschiedenen Personengruppen der Privatrechtsgesellschaft führt. Wohl auch wegen ihrer weitreichenden regulativen Effekte sind die „Lehmann-Entscheidungen“ sogar in der Tagespresse erörtert worden. Die Entscheidungen betreffen die finanziellen Folgen, die sich aus der Insolvenz von Lehman-Brothers für Banken und Anleger ergeben.384 Die Urteile des BGH über Reichweite und Erfüllung von Aufklärungspflichten verteilen damit letztlich den aus der Insolvenz resultierenden Schaden zwischen Anlegern und Banken. Dieser ökonomische Kontext darf bei der Entscheidung über die Annahme einer Aufklärungspflicht nicht aus den Augen verloren werden. Das heißt aber nicht, dass der Richter lediglich einen Vergleich anzustellen hat, welche der beteiligten Parteien jetzt eher in der Lage ist, die zu verteilenden Schäden zu verkraften. Vielmehr muss es dabei auch darum gehen, Rechtssicherheit zu schaffen und das Prinzip der Eigenverantwortung ausreichend zu berücksichtigen. Vor diesem Hintergrund stellen die Lehmann-Urteile des BGH insgesamt eine gelungene Konkretisierung der iustitia distributiva im deutschen Vertragsrecht dar. Der BGH hat sich davor gehütet, die Verteilung der Schadensrisiken nach „deep-pocket“-Gedanken zu lösen. Ein erster Gerechtigkeitsreflex könnte die Urteile in ihrem Ergebnis deshalb kritisieren, weil der BGH den Schaden letztlich zugunsten der – oft pauschal als „reich“ vermuteten – Banken und zulasten der – oft pauschal als „arm“ vermuteten – Anleger trifft. Die Grenzen einer Instrumentalisierung des Vertragsrechts zu einer sozial motivierten Vermögensumverteilung lassen sich hier einmal mehr illustrieren: Es ist keineswegs sicher, dass es sich bei der Gruppe der betroffenen Anleger um eine aus sozialen Gesichtspunkten schutzwürdige Personengruppe handelt. Gerichte sind auch schlecht geeignet, dies zu überprüfen. Mit Blick auf die Konsequenzen der Entscheidungen für künftige Fälle und ähnliche Situationen gewinnt zudem das Bedürfnis nach Rechtssicherheit an Bedeutung.385 Diesem können nur Entscheidungen gerecht werden, die anhand der bisher anerkannten Dogmatik eine Konkretisierung der Aufklärungspflichten der Banken versuchen. Dem entspricht eine starke Gewichtung des Prinzips der Eigenverantwortung in diesem Bereich. Einzelheiten mögen dabei freilich in dogmatischer oder methodischer Hinsicht kritikwürdig erscheinen.386 384 Zur Bewertung der Urteile vgl. etwa Köndgen, JZ 2012, 260; Herresthal, ZBB 2012, 89; Klöhn, ZIP 2011, 2244. 385 Grundlegend zum Aspekt der Rechtssicherheit im Kontext der Aufklärungspflichten Grigoleit, Vorvertragliche Informationshaftung, S. 78 f. 386 S. etwa Klöhn, ZIP 2011, 2244, der insbesondere kritisiert, dass der BGH seiner Entscheidung faktische Annahmen zugrunde legt, die sich nicht mit den Rationalitätsdefiziten und Verhaltensmustern vereinbaren lassen, die in der behavioral law and economics-Forschung berücksichtigt werden; kritische Einwände auch bei Köndgen, JZ 2012, 260, der insbesondere ein

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V. Diskriminierungsschutz durch das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) Ein weiteres Beispiel für die Konkretisierung der iustitia distributiva im deutschen Vertragsrecht zum Schutz Schwächerer bietet das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG), das in Umsetzung von vier EU-Richtlinien Schutz gegen Diskriminierungen gewährleistet.387 Dabei reichen der Anwendungsbereich und die Bedeutung des AGG weit über das Individualarbeitsrecht hinaus und erstrecken sich auch auf das allgemeine Vertragsrecht.388 Auf dieses sind die folgenden Ausführungen beschränkt.389 Zum Verständnis der Bedeutung der iustitia distributiva im vertragsrechtlichen Diskriminierungsrecht ist ein einführender Überblick über seine positiv-rechtliche Ausgestaltung hilfreich.390 1. Diskriminierungsschutz in der Ausgestaltung durch das AGG a) Zielbestimmung und Anwendungsbereich § 1 AGG legt als gesetzliche Zielbestimmung die Verhinderung oder Beseitigung von Diskriminierungen nach acht personenbezogenen Merkmalen fest (Rasse, ethnische Herkunft, Geschlecht, Religion oder Weltanschauung, Behinderung, Alter und sexuelle Identität).391 Die Regelung dürfte insbesondere im Rahmen der teleologischen Auslegung des AGG durch die Gerichte Bedeutung erlangen. Der in § 1 AGG festgesetzte Diskriminierungsschutz muss bei der Anwendung einzelner Bestimmungen des AGG wesentlicher Maßstab der Auslegung sein.392 Insofern bringt der Gesetzgeber die von ihm angestrebte Konkretisierung der Gerechtigkeitsidee in Form der iustitia distribu387 schutzwürdiges Anlegerinteresse postuliert, über die Höhe des von den Banken erzielten Gewinns informiert zu werden. Außer Acht bleibt hier die Frage nach der Vorlagepflicht des BGH gem. Art. 267 Abs. 3 AEUV, dazu etwa Herresthal, ZBB 2012, 89. 387 Zur Entstehungsgeschichte etwa Richardi, NZA 2006, 881; Warnecke, DWW 2006, 268. Zu den Kompetenzgrundlagen für den Erlass dieser Richtlinien auf europäischer Ebene vgl. nur Streinz, in: Leible/Schlachter (Hrsg.), Diskriminierungsschutz durch Privatrecht, 2006, S. 11; zum europarechtlichen Hintergrund etwa Schöbener/Stork, ZEuS2004, 43; Riesenhuber/ Franck, JZ 2004, 529; zur Frage eines über die konkret normierten Tatbestände hinausgehenden allgemeinen Rechtsgrundsatzes der Nichtdiskriminierung vgl. (i.E. ablehnend) Basedow, ZEuP 2008, 230. 388 Zu Einzelheiten s. etwa Wackerbarth, ZIP 2007, 453. Praktisch mag es freilich die meisten Auswirkungen auf das Arbeitsrecht haben, s. etwa Maier-Reimer, NJW 2006, 2577, 2578. 389 Dies bedeutet natürlich nicht, dass die iustitia distributiva beim arbeitsrechtlichen Diskriminierungsschutz irrelevant ist. 390 Zu ausführlichen Darstellungen s. etwa Röttgen, Der zivilrechtliche Schutz vor Diskriminierung und seine verfahrensrechtliche Gewährleistung; Adomeit/Mohr (Hrsg.), Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz. 391 Zu Einzelheiten der Merkmale s. etwa Mohr, in: Adomeit/Mohr (Hrsg.), Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz, § 1 AGG Rn. 40 ff. 392 Thüsing, in: MünchKomm BGB, § 1 AGG Rn. 1 f.

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tiva als Schutz von Personen mit den genannten Diskriminierungsmerkmalen zum Ausdruck. § 2 AGG zeigt im Zusammenspiel mit § 19 AGG auf, welche Geschäfte der Diskriminierungsschutz des AGG erfasst.393 Dabei ist für das allgemeine Vertragsrecht zunächst § 2 Abs. 1 Nr. 8 AGG interessant, der Diskriminierungen beim Zugang zu und der Versorgung mit Gütern und Dienstleistungen erfasst, die der Öffentlichkeit zur Verfügung stehen. § 2 Abs. 1 Nr. 8 AGG dürfte rechtspraktisch die bedeutsamsten Fälle des allgemeinen vertragsrechtlichen Diskriminierungsschutzes beinhalten.394 Wohnraum ist ausdrücklich in den Anwendungsbereich eingeschlossen, unterliegt allerdings einer Reihe von Sondervorschriften (insbesondere § 19 Abs. 3 sowie § 19 Abs. 5 S. 2 und S. 3 AGG) und ist vom zivilrechtlichen Diskriminierungsverbot des Art. 19 AGG nur in Sonderkonstellationen erfasst.395 Die Versorgung mit Gütern und Dienstleistungen kann abgesehen von Mietverträgen auch etwa durch Dienstverträge, Werkverträge, Geschäftsbesorgungsverträge oder Kredit- und Versicherungsverträge erfolgen.396 Allerdings müssen die Güter oder Dienstleistungen „der Öffentlichkeit zur Verfügung stehen“. In der Gesetzesbegründung ist dies dahingehend konkretisiert, dass „Güter und Dienstleistungen praktisch dann der Öffentlichkeit zur Verfügung gestellt“ sind, „wenn ein Angebot zum Vertragsschluss durch Anzeigen in Tageszeitungen, Schaufensterauslagen, Veröffentlichungen im Internet oder auf vergleichbare Weise öffentlich gemacht wird. Es kommt nicht darauf an, wie groß die angesprochene Öffentlichkeit ist, sondern nur darauf, dass die Erklärung über die Privatsphäre des Anbietenden hinaus gelangt“.397 Diese deutliche gesetzgeberische Konkretisierung und das auch aus § 1 AGG fließende Gebot eines möglichst effektiven Diskriminierungsschutzes sprechen dagegen, das Merkmal restriktiv auszulegen.398 Daher ist nicht erforderlich, dass „typischerweise in einer Vielzahl von Fällen und ohne Ansehen der Person der anderen Partei kontrahiert“ wird,399; auch sind nicht lediglich „vorrangig der Öffentlichkeit gewidmete und zugängliche Einrichtungen“400 betroffen. Die entsprechenden 393 Franck, in: Riesenhuber/Nishitani (Hrsg.), Wandlungen oder Erosion der Privatautonomie?, 2007, S. 71, 75. 394 Thüsing, in: MünchKomm BGB, § 19 AGG Rn. 7. 395 Näher dazu unten, S. 377 sowie eingehend etwa Warnecke, DWW 2006, 268, 270 ff.; Mohr, in: Adomeit/Mohr (Hrsg.), Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz, § 2 AGG Rn. 152 ff. 396 Amtliche Begründung, BT-Drs. 16/1780, S. 32; Thüsing, in: MünchKomm BGB, § 2 AGG Rn. 35. 397 Amtliche Begründung, BT-Drs. 16/1780, S. 32. 398 Schwab, DNotZ 2006, 649, 658 f.; Franck, in: Riesenhuber/Nishitani (Hrsg.), Wandlungen oder Erosion der Privatautonomie?, 2007, S. 71, 75; Singer, in: Hanau/Thau/Westermann (Hrsg.), Gegen den Strich, 2008, S. 703, 712. 399 So Maier-Reimer, NJW 2006, 2577, 2580. 400 So Reichold, JZ 2004, 384, 389. Ähnlich Thüsing, NJW 2003, 3441: „Hier geht es um eine Vielzahl von Angeboten, die entsprechend der Nachfrage in engerem oder weiterem Umfang zu Verträgen führen, potenziell aber jedem zugute kommen, der die Bedingungen der invitatio-

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Vorschläge illustrieren allerdings, dass der rechtspolitische Charakter des Diskriminierungsschutzes auch auf der Ebene der Gesetzesauslegung fortgesetzt wird. Dies ist etwa bei Reichold klar zum Ausdruck gebracht, der das rechtspolitische Anliegen der von ihm befürworteten restriktiven Auslegung deutlich formuliert: „Eine solch vertretbar restriktive Interpretation der Rechtsquelle würde die soziale Inpflichtnahme des Zivilrechts in seiner gesamten gesellschaftlichen Breite verhindern.“401

Für das Vertragsrecht haben ferner § 2 Abs. 1 Nr. 5–7 AGG Bedeutung. § 2 Abs. 1 Nr. 5 AGG erfasst zunächst den Sozialschutz, einschließlich der sozialen Sicherheit und der Gesundheitsdienste. Soziale Sicherheit wird auch durch das Vertragsrecht hergestellt, wenn es etwa um private Altersvorsorge oder Krankenversicherungen geht.402 Auch Gesundheitsdienste erfolgen häufig auf der Basis privatrechtlicher Verträge mit Ärzten, Heilpraktikern oder Krankenhäusern.403 Gleiches gilt für soziale Vergünstigungen i.S.d. § 2 Abs. 1 Nr. 6 AGG, die auf der Basis von Verträgen erbracht werden und daher vom Vertragsrecht beherrscht sein können.404 Beispiele sind etwa Ermäßigungen für die Nutzung von Bus oder Bahn oder beim Zutritt zu kulturellen Veranstaltungen (etwa vergünstigte Opernkarten für Studenten). Das zivilrechtliche Diskriminierungsverbot erfasst zudem gem. § 2 Abs. 1 Nr. 7 AGG auch privatrechtliche Verträge im Bildungsbereich, etwa mit privaten Schulen, Hochschulen oder Fortbildungseinrichtungen.405 Das AGG lässt gem. § 2 Abs. 3 und § 32 die Geltung sonstiger Benachteiligungsverbote oder Gebote der Gleichbehandlung unberührt.406 b) Das zivilrechtliche Benachteiligungsverbot aus § 19 AGG § 19 AGG stellt das zentrale allgemein-zivilrechtliche Benachteiligungsverbot dar. § 19 Abs. 1 AGG erklärt Benachteiligungen wegen der schon in § 1 AGG genannten Merkmale (mit Ausnahme der Weltanschauung) bei der Begrünad 401 offerendum annehmen will. … Gemeint sind daher viel eher öffentliche Verkehrsmittel, Restaurants und Hotels, Warenhäuser und jegliche unmittelbar der Öffentlichkeit gewidmete und durch sie nutzbare Einrichtung.“. 401 Reichold, JZ 2004, 384, 389. 402 Mohr, in: Adomeit/Mohr (Hrsg.), Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz, § 2 AGG Rn. 137 m.w.N. Zu unterschiedlichen Tarifen für Männer und Frauen in der privaten Krankenversicherung siehe Wrase/Baer, NJW 2004, 1623. 403 Thüsing, in: MünchKomm BGB, § 2 AGG Rn. 31 m.w.N. 404 Beispiele bei Thüsing, in: MünchKomm BGB, § 2 AGG Rn. 32; Mohr, in: Adomeit/ Mohr (Hrsg.), Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz, § 2 AGG Rn. 138, beide m.w.N. 405 Mohr, in: Adomeit/Mohr (Hrsg.), Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz, § 2 AGG Rn. 140 m.w.N. 406 S. zu diesen etwa Thüsing, in: MünchKomm BGB, § 1 AGG Rn. 12 ff. (arbeitsrechtliche Institute) sowie § 1 AGG Rn. 39 ff. (zivil- und wirtschaftsrechtliche Institute).

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dung, Durchführung und Beendigung zivilrechtlicher Schuldverhältnisse für unzulässig. § 19 Abs. 1 AGG ist allerdings auf bestimmte Vertragstypen beschränkt. aa) Massengeschäfte § 19 Abs. 1 AGG erfasst erstens Massengeschäfte, die legaldefiniert sind als Schuldverhältnisse, die „typischerweise ohne Ansehen der Person zu vergleichbaren Bedingungen in einer Vielzahl von Fällen zustande kommen“ (§ 19 Abs. 1 Nr. 1 Alt. 1 AGG).407 Damit nicht Bereiche ausgeklammert werden, in denen Diskriminierungen an der Tagesordnung sind, bedarf die Konkretisierung dieser Voraussetzung einer normativen Ergänzung.408 Thüsing schlägt mit guten Gründen vor, dass es bei den Schuldverhältnissen „auf Merkmale des Vertragspartners typischerweise und vernünftigerweise nicht ankommt, sondern der Anbieter dieses im Rahmen seiner Kapazitäten grundsätzlich mit jeder zahlungswilligen und zahlungsfähigen Person abschließen würde“.409 Dabei ist eine objektivierende Perspektive angezeigt.410 Als Beispiele führt die Gesetzesbegründung Freizeiteinrichtungen wie Badeanstalten oder Fitnessclubs auf, die üblicher Weise jedem offenstehen.411 Kreditgeschäfte sollen nach der amtlichen Begründung regelmäßig keine Massengeschäfte sein, weil diese meist auf einer individuellen Risikoprüfung beruhen.412 Sie können gleichwohl erfasst sein, insbesondere, wenn eine individuelle Risikoprüfung entfällt, etwa weil es um Kleinkredite geht.413 Auch Giroverträge werden zu Recht als mögliche Massengeschäfte eingeordnet.414 Die gesetzliche Konkretisierung der iustitia distributiva ist hier zwar offen; denn auch bei Giroverträgen findet in der Regel eine Ansehung der Person statt: insbesondere die Bonität des Kunden ist für die Bank relevant. Die im Wege der Auslegung erfolgende Konkretisierung sollte indes Giroverträge deshalb einbinden, weil Banken vernünftigerweise nur an objektiven Merkmalen in der Person ihrer 407

Zum europarechtlichen Hintergrund vgl. Thüsing, in: MünchKomm BGB, § 19 AGG Rn. 9 ff.; Mohr, in: Adomeit/Mohr (Hrsg.), Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz, § 19 AGG Rn. 8 f. 408 So überzeugend Thüsing, in: MünchKomm BGB, § 19 AGG Rn. 17. 409 Thüsing, in: MünchKomm BGB, § 19 AGG Rn. 17. 410 Thüsing, in: MünchKomm BGB, § 19 AGG Rn. 18; a.A. Wendtland, in: BeckOK BGB, § 19 AGG Rn. 3, die für die Sicht des Anbieters plädiert. Dies gefährdet allerdings das objektive Gerechtigkeitsziel des Diskriminierungsschutzes. 411 Amtliche Begründung, BT-Drs. 16/1780, S. 41. Anschauliche Anwendungsbeispiele auch bei Rath/Rütz, NJW 2007, 1498. 412 Amtliche Begründung, BT-Drs. 16/1780, S. 42. 413 Thüsing, in: MünchKomm BGB, § 19 AGG Rn. 24 f.; a.A. Bachmann, ZBB 2006, 257, 266 f.; Schürnbrand, BKR 2007, 305, 306 f (beide m.w.N.); kritisch auch Dammann, Die Grenzen zulässiger Diskriminierung im allgemeinen Zivilrecht, S. 346 ff., der die Grundsätze des § 305 Abs. 1 S. 1 BGB heranziehen möchte. 414 Bachmann, ZBB 2006, 257, 266; Schürnbrand, BKR 2007, 305, 306; Thüsing, in: MünchKomm BGB, § 19 AGG Rn. 26.

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Vertragspartner interessiert sein dürfen.415 Nur so lässt sich in einem in der Marktwirtschaft substantiellen Bereich der Lebensführung effektiver Diskriminierungsschutz verwirklichen. bb) Massengeschäftsähnliche Geschäfte Zweitens sind massengeschäftsähnliche Geschäfte (auch: „massenähnliche Geschäfte“416) erfasst, „bei denen das Ansehen der Person nach der Art des Schuldverhältnisses eine nachrangige Bedeutung hat und die zu vergleichbaren Bedingungen in einer Vielzahl von Fällen zustande kommen“ (§ 19 Abs. 1 Nr. 1 Alt. 2 AGG). Die Konkretisierung der objektiven Gerechtigkeitsidee ist hier durch den Gesetzgeber noch weniger klar vorgezeichnet als sie es bei den Massengeschäften ist. Welche Relevanz die Ansehung der Person für die Art des Schuldverhältnisses hat, lässt sich nur im Wege normativer Auslegung unter Berücksichtigung des gesetzgeberischen Schutzziels ermitteln.417 Ein praktisch wichtiger Anwendungsfall des § 19 Abs. 1 Nr. 1 Alt. 2 AGG dürften die Fälle der Wohnraumvermietung oder der Gewerbemiete sein, bei denen große Wohnungsanbieter eine Vielzahl von Wohnungen anbieten.418 Bei der herkömmlichen Vermietung von Wohnraum spielt indes die Ansehung der Person eine erhebliche Rolle.419 Je mehr Wohnungen ein Vermieter vermietet, desto anonymer wird die Vertragsbeziehung und desto weniger bedeutsam sind tendenziell außerhalb der Solvenz des Mieters liegende Merkmale der Person.420 § 19 Abs. 5 S. 3 AGG konkretisiert eine maßgebliche Grenzzahl vermieteter Wohnungen als Regelbeispiel: In der Regel kann § 19 Abs. 1 Nr. 1 AGG nur erfüllt sein, wenn der Vermieter insgesamt mehr als 50 Wohnungen vermietet.421 Soweit die Wohnraummiete erfasst ist, erlaubt § 19 Abs. 3 AGG unterschiedliche Behandlungen zur Schaffung oder Erhaltung sozial stabiler Wohnstrukturen, ausgewogener Siedlungsstrukturen und ausgeglichener wirtschaftlicher, sozialer und kultureller Verhältnisse.422

415 Bachmann, ZBB 2006, 257, 266; Schiek, Differenzierte Gerechtigkeit, 261; Thüsing, in: MünchKomm BGB, § 19 AGG Rn. 26 f. 416 Franck, in: Riesenhuber/Nishitani (Hrsg.), Wandlungen oder Erosion der Privatautonomie?, 2007, S. 71, 76. 417 Thüsing, in: MünchKomm BGB, § 19 AGG Rn. 37 ff. 418 Amtliche Begründung, BT-Drs. 16/1780, S. 42, s. auch Rolfs, NJW 2007, 1489, 1489 f. Zu praktischen Konstellationen und Anwendungsbeispielen Derleder, ZMR 2007, 625. 419 Thüsing, in: MünchKomm BGB, § 19 AGG Rn. 43; Warnecke, DWW 2006, 268, 271. 420 Thüsing, in: MünchKomm BGB, § 19 AGG Rn. 44. 421 Eingehend dazu Rolfs, NJW 2007, 1489; Thüsing, in: MünchKomm BGB, § 19 AGG Rn. 119 ff. 422 Zu Einzelheiten s. Mohr, in: Adomeit/Mohr (Hrsg.), Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz, § 19 AGG Rn. 44 ff.

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cc) Versicherungsgeschäfte, Ausnahmen und Erweiterungen Drittens sind Versicherungsgeschäfte erfasst (§ 19 Abs. 1 Nr. 2 AGG).423 Vom zivilrechtlichen Benachteiligungsverbot sind gem. § 19 Abs. 4 AGG familienrechtliche und erbrechtliche Schuldverhältnisse ausgenommen. § 19 Abs. 5 S. 1 AGG enthält eine weitere Legalausnahme für zivilrechtliche Schuldverhältnisse, die ein besonderes Nähe- oder Vertrauensverhältnis der Parteien oder ihrer Angehörigen begründen. Diese Ausnahme wird in § 19 Abs. 5 S. 2 und 3 AGG für Mietverhältnisse konkretisiert.424 § 19 Abs. 2 AGG erweitert für die dort genannten Diskriminierungsmerkmale (Rasse und ethnische Herkunft) das Diskriminierungsverbot auf alle von § 2 Abs. 1 Nr. 5–8 AGG erfassten Schuldverhältnisse.425 Eine Differenzierung nach Rasse oder ethnischer Herkunft ist also auch außerhalb von Massengeschäften oder massengeschäftsähnlichen Geschäften ausgeschlossen. Bedeutsam ist insbesondere der Zugang zu und die Versorgung mit Gütern oder Dienstleistungen i.S.d. § 2 Abs. 1 Nr. 8 AGG.426 c) Rechtfertigung Das AGG ermöglicht in § 5 unterschiedliche Behandlungen zunächst bei positiven Maßnahmen, die bestehende Diskriminierungen verhindern oder beseitigen sollen.427 Klassisches Beispiel für eine solche unterschiedliche Behandlung wäre etwa der bevorzugte Vertragsschluss mit Frauen zur Erzielung einer angemessenen Ratio der Geschlechter, etwa in einem Fitnessclub. Darüber hinaus besteht gem. § 20 Abs. 1 AGG keine Verletzung des Benachteiligungsverbots, wenn ein sachlicher Grund für die Benachteiligung wegen Religion, Behinderung, Alters, sexueller Identität oder des Geschlechts vorliegt. Benachteiligungen wegen der Rasse oder der ethnischen Herkunft sind dabei nicht erfasst.428 § 20 Abs. 1 S. 2 AGG beinhaltet Regelbeispiele für das Vorliegen sachlicher Gründe. Die Konkretisierung dieser Beispiele sowie generell des Vorliegens eines sachlichen Grundes obliegt der Rechtsprechung.429 Dabei ist eine einzelfallbezogene normative Beurteilung angezeigt.430 § 20 Abs. 2 AGG beinhaltet eine Sonderregel für Versicherungsverträge. Sie erlaubt die 423 S. zu diesen Wrase/Baer, NJW 2004, 1623; Armbrüster, VersR 2006, 1297; sowie Thüsing, in: MünchKomm BGB, § 19 AGG Rn. 47 ff. 424 Dazu etwa Warnecke, DWW 2006, 268, 271 f. 425 Thüsing, in: MünchKomm BGB, § 19 AGG Rn. 62. 426 Thüsing, in: MünchKomm BGB, § 19 AGG Rn. 63. 427 Zu Einzelheiten s. Mohr, in: Adomeit/Mohr (Hrsg.), Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz § 5 AGG Rn. 1 ff. 428 Dazu etwa Mohr, in: Adomeit/Mohr (Hrsg.), Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz, § 20 AGG Rn. 2. 429 Franck, in: Riesenhuber/Nishitani (Hrsg.), Wandlungen oder Erosion der Privatautonomie?, 2007, S. 71, 79. 430 Amtliche Begründung, BT-Drs. 16/1780, S. 43. Einzelheiten bei Thüsing, in: MünchKomm BGB, § 20 AGG Rn. 7 ff.

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geschlechterbezogene Ungleichbehandlung bei Prämien und Leistungen gem. § 20 Abs. 2 S. 1 AGG nur dann, wenn das Geschlecht ein ausgewiesener bestimmender Faktor der Risikobewertung ist.431 § 20 Abs. 2 S. 2 AGG verbietet unterschiedliche Prämien und Leistungen mit Blick auf Kosten, die im Zusammenhang mit Schwangerschaft und Mutterschaft stehen. Nur, wenn sie sich auf die risikoadäquate Kalkulation auswirken, dürfen zudem gem. § 20 Abs. 2 S. 3 AGG Religion, Behinderung, Alter und sexuelle Identität Maßstäbe unterschiedlicher Behandlung sein.432 2. Diskriminierungsschutz des AGG als Ausdruck der iustitia distributiva im Vertragsrecht Der durch das AGG bewirkte Schutz vor Diskriminierungen stellt ein besonders deutliches Beispiel für das Wirken der iustitia distributiva im Vertragsrecht dar.433 Das AGG verlangt, den Blick vom konkreten Vertragsverhältnis auf den sozialen Kontext des jeweiligen Lebensbereiches zu lenken.434 Die das Vertragsrecht im klassischen Verständnis kennzeichnende Abstraktion und die damit einhergehende Reduktion auf typisierte Minimalrollen werden zugunsten dieser Konkretisierung aufgegeben. Dabei wird das Vertragsrecht bewusst als Medium eingesetzt, um ein rechtspolitisches Ziel zu verwirklichen, das mit dem jeweiligen Vertragsverhältnis selbst keinen unmittelbaren Zusammenhang hat. Das Vertragsrecht soll dazu beitragen, Menschen vor Diskriminierungen wegen bestimmter personenbezogener Merkmale zu schützen.435 Dies beruht auch auf der Einsicht, dass in einer freiheitlich verfassten Marktordnung ohne spezifischen Schutz vor Diskriminierungen diese tendenziell fortbestehen werden.436 Dabei ist die für die iustitia distributiva kennzeichnende Verallgemeinerung entscheidend, die Auswirkungen einzelner Normen und Entscheidungen mit Blick auf potentielle künftige Fälle berücksichtigt. Das Vertragsrecht wird in seiner Steuerungswirkung zukunftsorientiert eingesetzt.437 Die Instrumentalisierung des Vertragsrechts zur Erreichung vertragsexterner Ziele ist wiederum ein typisches Kennzeichen der iustitia distribu431

Einzelheiten bei Thüsing, in: MünchKomm BGB, § 20 AGG Rn. 55 ff. Dazu Thüsing, in: MünchKomm BGB, § 20 AGG Rn. 88 ff. 433 Schiek, Differenzierte Gerechtigkeit, S. 307; Lauber, Paritätische Vertragsfreiheit durch reflexiven Diskriminierungsschutz, S. 124 ff.; Singer, in: Hanau/Thau/Westermann (Hrsg.), Gegen den Strich, 2008, S. 703, 707; Adomeit, in: Adomeit/Mohr (Hrsg.), Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz, Einl AGG Rn. 6 bezüglich des Vertragsschlusses; s. auch etwa Picker, ZfA 2005, 167, 169, der dies freilich kritisch bewertet. 434 Dazu unter der Perspektive der Vertragsfreiheit Schiek, Differenzierte Gerechtigkeit, S. 354 ff.; s. auch Neuner, JZ 2003, 57, 58 f. 435 Lauber, Paritätische Vertragsfreiheit durch reflexiven Diskriminierungsschutz, S. 124 ff., inbes. S. 128. 436 Sunstein, Free Markets and Social Justice, S. 151 ff. 437 G. Wagner und Potsch betonen etwa die durch Schadensausgleich erzeugte Präventionswirkung, vgl. Wagner/Potsch, JZ 2006, 1085. 432

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tiva. Im Bereich des Diskriminierungsschutzes bewährt sich auch das häufig für maßgeblich gehaltene Abgrenzungskriterium der iustitia distributiva.438 Das Diskriminierungsrecht verlangt eine Entscheidung „in Ansehung der Person“. Auf den ersten Blick überrascht dies, denn das AGG verlangt ja unmittelbar, von bestimmten personenbezogenen Merkmalen abzusehen. Insofern soll also, so könnte man meinen, eine Entscheidung gerade nicht „in Ansehung der Person“ getroffen werden. Dies wäre allerdings ein verkürztes Verständnis dessen, was mit der „Ansehung der Person“ gemeint ist. Denn erst die Berücksichtigung der jeweiligen Merkmale der Personen erlaubt eine Antwort auf die Frage, ob eine Diskriminierung vorliegt oder nicht. Das Gesetz gibt zugleich die wesentlichen Verteilungsmaßstäbe vor, indem es eine ungleiche Behandlung unter Berufung auf bestimmte personenbezogene Merkmale verbietet. So formuliert auch etwa Neuner deutlich: „Das Gebot der gleichmäßigen Behandlung lässt sich somit nur als eine soziale Inanspruchnahme im Sinne der iustitia distributiva erklären, die man als Gerechtigkeit in Ansehung der Person definiert.“439

Auch Thüsing meint in seiner Analyse der Bedeutung des AGG für das allgemeine Zivilrecht, „dass der entscheidende Schritt hin zur Etablierung des Gedankens der Verteilungsgerechtigkeit im allgemeinen Zivilrecht vom Gesetzgeber gegangen wurde“.440 Das AGG bedeutet damit zweifellos eine Verwirklichung der objektiven Gerechtigkeitsidee in Form der iustitia distributiva im Vertragsrecht. Darin ist allerdings kein grundsätzlicher Paradigmenwechsel zu erkennen, weil das Vertragsrecht ohnehin auch vom Wirken der iustitia distributiva gekennzeichnet ist. 3. Zur Kritik an der Integration des Diskriminierungsschutzes im Vertragsrecht Die Etablierung des Diskriminierungsschutzes in das allgemeine Vertragsrecht durch das AGG ist im Schrifttum teilweise einer massiven Kritik unterzogen worden. Die Diskussion kreist um viele der im Laufe dieser Arbeit bereits erörterten Problemkreise. Sie berührt die Fragen nach dem Wesen des Vertragsrechts, den Gründen und Grenzen der Vertragsfreiheit und dem Verhältnis öffentlicher und privater Sphären. Gerade der letzte Punkt ist häufig der gedankliche Ausgangspunkt der Kritik. So wurde die Einführung eines vertragsrechtlichen Diskriminierungsschutzes oft mit dem Argument bekämpft, dass das Privatrecht gerade im Gegensatz zum öffentlichen Recht keine grundsätzliche Gleichbehandlungspflicht kenne, und dass der Gleichheitssatz zwar im 438

Oben, S. 143 ff. Neuner, in: Leible/Schlachter (Hrsg.), Diskriminierungsschutz durch Privatrecht, 2006, S. 73, 79. 440 Thüsing, in: MünchKomm BGB, Einl. AGG Rn. 61. 439

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öffentlichen, nicht aber im privaten Recht Geltung beanspruchen könne.441 So wirkt der privatrechtliche Diskriminierungsschutz etwa für Jestaedt „wie ein der autochthonen Zivilrechtskultur implantierter Fremdkörper“.442 Basedow ist mit Blick auf das Europäische Privatrecht ebenfalls zum Ergebnis gelangt, dass dessen grundlegenden Wertungen und Prinzipien nicht den allgemeinen Gleichheitsgrundsatz einschließt.443 Vielmehr werde das Vertragsrecht von Privatautonomie und Vertragsfreiheit beherrscht, Prinzipien, mit denen Ungleichbehandlungen und das Recht zur Ungleichbehandlungen konzeptionell einhergingen.444 Privatautonomie wird dabei – im Anschluss an Flume – weit im Sinne einer privaten Willkür verstanden.445 Im Ausganspunkt soll die Privatautonomie auch die Freiheit umfassen, andere Privatrechtssubjekte ohne Angabe von Gründen zu diskriminieren.446 Zur so verstandenen Privatautonomie steht ein vertragsrechtlicher Diskriminierungsschutz in einem offensichtlichen Widerspruch. Säcker etwa sieht insbesondere im – auch durch Beweislastregeln bewirkten – Zwang der Privatrechtssubjekte zur Begründung ihrer autonomen Entscheidungen den „Tod der Privatautonomie“.447 Repgen hört gar die „Todesglocke des Privatrechts“ läuten.448

441 Bezzenberger, AcP 1996, 395; Picker, JZ 2003, 540, 543; Picker, in: E. Lorenz (Hrsg.), Karlsruher Forum 2004, 2005, S. 7, 20 ff. und 60 ff.; Riesenhuber, in: Riesenhuber/Nishitani (Hrsg.), Wandlungen oder Erosion der Privatautonomie?, 2007, S. 19, 26; Lobinger, in: Repgen/ Lobinger/Hense u.a. (Hrsg.), Vertragsfreiheit und Diskriminierung, 2007, S. 99, 113 ff.; vgl. etwa die anschauliche Formulierung bei Franck, in: Riesenhuber/Nishitani (Hrsg.), Wandlungen oder Erosion der Privatautonomie?, 2007, S. 71, 82: „Privatautonomie bezeichnet einen Freiheitsraum, den der Staat zu respektieren hat und der dem Einzelnen die Freiheit zu selbstbestimmtem, ,selbstherrlichem‘ Handeln gibt. Die Ausübung von Privatautonomie im Wirtschaftsverkehr geht stets mit ,Ungleichbehandlung‘ einher“; aus verfassungsrechtlicher Sicht differenzierend Dammann, Die Grenzen zulässiger Diskriminierung im allgemeinen Zivilrecht, S. 48 ff. 442 Jestaedt, in: Huber (Hrsg.), VVdStRL 2005, 298, 350. 443 Basedow, ZEuP 2008, 230. 444 Franck, in: Riesenhuber/Nishitani (Hrsg.), Wandlungen oder Erosion der Privatautonomie?, 2007, S. 71, 82; dazu schon F. von Hippel, Das Problem der rechtsgeschäftlichen Privatautonomie, S. 61 ff. 445 F. von Hippel, Das Problem der rechtsgeschäftlichen Privatautonomie, S. 61 ff.; Flume, Das Rechtsgeschäft, S. 6 ff. (§ 1, 5 und 6.a); Picker, JZ 2003, 540, 543; Picker, ZfA 2005, 167, 174; Lobinger, in: Repgen/Lobinger/Hense u.a. (Hrsg.), Vertragsfreiheit und Diskriminierung, 2007, S. 99, 102 ff. 446 Riesenhuber, in: Riesenhuber/Nishitani (Hrsg.), Wandlungen oder Erosion der Privatautonomie?, 2007, S. 19, 25. 447 Säcker, ZRP 2002, 286, 289; Säcker, ZG 2005, 154, 163; s. auch schon Adomeit, NJW 2002, 1622, 1623: „Ein Privatrecht, das den Teilnehmern am Rechtsverkehr nicht mehr die freie Entscheidung belässt, wen man sich als Vertragspartner wünscht und wen nicht, ist eigentlich kein Privatrecht mehr.“. 448 Repgen, in: Repgen/Lobinger/Hense u.a. (Hrsg.), Vertragsfreiheit und Diskriminierung, 2007, S. 11. Ähnlich auch etwa C. Wagner, der von einem „massiven Eingriff in die grundgesetzlich garantierte Vertragsfreiheit“ spricht, s. C. Wagner, ZRP 2005, 136, 137.

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Ein Fundament dieser Kritik liegt in der konzeptionellen Trennung privater von öffentlichen Sphären.449 Das Private müsse dem Einzelnen einen Rückzugsort eröffnen, innerhalb dessen er vor Eingriffen des Staates immun ist.450 Die Willkür des einzelnen Menschen, die im Privaten herrscht, ist Spiegelbild der Begrenzung staatlicher Befugnisse in diesem Bereich. Der Staat dürfe in der privaten Sphäre gerade nicht kontrollieren und dem Menschen Inhalte vorgeben.451 Der Staat dürfe Privaten keine „politisch verordnete Moral“ vorschreiben.452 Auf dieser konzeptionellen Grundlage erscheinen Diskriminierungsverbote im Vertragsrecht als staatlicher „Eingriff“ in „die Vertragsfreiheit“ bzw. „die Privatautonomie“.453 Diesen Vorstellungen liegt ein formaler Begriff von Freiheit zu Grunde, der sich gegenüber möglichen inhaltlichen Konkretisierungen der Freiheit blind verhält.454 Gelegentlich findet die Kritik auch Ergänzungen, die mit dem klassischen ordoliberalen Marktverständnis in Einklang stehen.455 So kritisiert etwa Franck aus einer ordnungspolitischen Perspektive heraus insbesondere den durch das AGG hervorgerufene Rechtfertigungsdruck. Dieser führe zu unnötigen Funktionsverlusten des „Wettbewerbs als Entdeckungsverfahren“.456 Oben457 wurde bereits gezeigt, dass die Vorstellung verkürzt ist, wonach der vertragsrechtliche Diskriminierungsschutz in die Privatautonomie oder die Vertragsfreiheit als bis dato unberührte und abstrakte Freiheitsrechte eingreift.458 Das AGG bedeutet lediglich eine 449

Deutlich etwa bei Picker, JZ 2003, 540, 541; Lobinger, in: Repgen/Lobinger/Hense u.a. (Hrsg.), Vertragsfreiheit und Diskriminierung, 2007, S. 99, 115 ff. und 151 ff. 450 Deutlich etwa bei Braun, JuS 2002, 426; Picker, in: E. Lorenz (Hrsg.), Karlsruher Forum 2004, 2005, S. 7, 43 ff. 451 Picker, in: E. Lorenz (Hrsg.), Karlsruher Forum 2004, 2005, S. 7, 43 ff. 452 Braun, JuS 2002, 426; ähnlich Picker, JZ 2003, 540, 541 ff.; dagegen etwa Badura, ZaöRV 2008, 347, 355: Das AGG verbiete nur, bestimmte Gesinnungen durch Diskriminierung ins Werk zu setzen; daher handele es sich „nicht um eine Grenzüberschreitung in den Bezirk der Moral oder eine wohlfahrtsstaatliche Bevormundung durch Unterdrückung bestimmter Meinungen oder weltanschaulicher Haltungen.“. 453 Etwa v. Koppenfels, WM 2002, 1489, 1491 und 1496; Picker, ZfA 2005, 167, 184; Jestaedt, in: Huber (Hrsg.), VVdStRL 2005, S. 298, 332 ff.; Repgen, in: Repgen/Lobinger/Hense u.a. (Hrsg.), Vertragsfreiheit und Diskriminierung, 2007, S. 11, 39 ff.; Riesenhuber, in: Riesenhuber/ Nishitani (Hrsg.), Wandlungen oder Erosion der Privatautonomie?, 2007, S. 19, 45. 454 Zu den unterschiedlichen Begriffen von Vertragsfreiheit im Kontext des Diskriminierungsschutzes Neuner, in: Leible/Schlachter (Hrsg.), Diskriminierungsschutz durch Privatrecht, 2006, S. 73, 75 ff. Neuner selbst vertritt einen relativierten formalen Freiheitsbegriff: Formale Freiheit ist ein Optimierungsgebot, das von anderen Prinzipien ergänzt und begrenzt wird, vgl. Neuner, a.a.O., S. 73, 76 f. sowie Neuner, Privatrecht und Sozialstaat, S. 85 ff. 455 Picker, JZ 2003, 540, 543; Picker, ZfA 2005, 167, 172 f.; Lobinger, in: Repgen/Lobinger/ Hense u.a. (Hrsg.), Vertragsfreiheit und Diskriminierung, 2007, S. 99, 105 ff. 456 Franck, in: Riesenhuber/Nishitani (Hrsg.), Wandlungen oder Erosion der Privatautonomie?, 2007, S. 71, 85 ff. 457 S. insbesondere S. 115 ff. 458 S. dazu im Kontext des vertragsrechtlichen Diskriminierungsschutzes auch Baer, ZRP 2002, 290, 291 f.; Wölfl, ZRP 2003, 297; Schulte/Treichler, Integration und Antidiskriminierung, 134 f.

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Änderung in der Verteilung von Freiheitsbefugnissen. Das Vertragsrecht verteilt zwingend und permanent Freiheitbefugnisse und die mit diesen korrelierenden Unfreiheiten zwischen Privaten.459 Dies zeigt einmal mehr der einfache Gedanke, dass selbstverständlich auch die Abschaffung des AGG zu einer neuen Verteilung von Freiheitssphären zwischen den Privatrechtssubjekten führen würde. Dogmatisch lässt sich der Diskriminierungsschutz im Prinzip der Gleichbehandlung verankert sehen, das man mit Neuner als der Vertragsfreiheit gegenläufiges Prinzip betrachten kann.460 Grundsätzliche Zweifel an der Kompetenz des Gesetzgebers zu einer entsprechenden Aus- und Umgestaltung von Freiheitssphären sind nicht angezeigt.461 Vielmehr besteht grundsätzlich eine weite Einschätzungsprärogative des Gesetzgebers innerhalb der verfassungsrechtlichen Grenzen.462 Die Ausgestaltung von Freiheitssphären zwischen Privaten ist Ausdruck der Suche nach einem objektiv gerechten Ausgleich von formal verstandener Freiheit und materiellen Freiheitssphären, die als Schutzaspekte eingefangen werden.463 Sie ist eine kontingente Frage, die unabhängig vom historischen, sozialen und ökonomischen Kontext nicht beantwortet werden kann. Gerade deshalb wird über die richtige Austarierung im politischen Diskurs gestritten.464 Dass die Entscheidung darüber in erster Linie beim Gesetzgeber465 liegt, ist in einem demokratischen Staatswesen selbstverständlich. Im Übrigen dürfte das AGG kaum eine wirklich grundlegende Umwälzung der bestehenden Verteilung von Freiheitssphären nach sich ziehen. Staatliche Willkürkontrolle ist in weniger scharfer Form ohnehin lange anerkannt.466 Erkenntnistheoretisch gilt zudem: Auch wenn vertragsrechtliche Entscheidungen im Ergebnis eine Diskriminierung verneinen, haben sie geprüft, ob sie in Form „sittenwidriger Diskriminierung“ vorlag. Der BGH etwa 459

Oben, S. 122 f. Neuner, in: Leible/Schlachter (Hrsg.), Diskriminierungsschutz durch Privatrecht, 2006, S. 73, 78. 461 Baer, ZRP 2002, 290; Wölfl, ZRP 2003, 297; Neuner, in: Leible/Schlachter (Hrsg.), Diskriminierungsschutz durch Privatrecht, 2006, S. 73, 84 m.w.N. 462 Schreier, KJ 2007, 278, 284; Jestaedt, in: Huber (Hrsg.), VVdStRL 2005, S. 298, 346. Jestaedt entwickelt – unter Betonung ihrer Relativität – einige Abwägungsleitlinien, vgl. Jestaedt, in: Huber (Hrsg.), VVdStRL 2005, S. 298, 347 ff. 463 Ähnlich der Sache nach Singer, in: Hanau/Thau/Westermann (Hrsg.), Gegen den Strich, 2008, S. 703, 704 f.; Schiek, Differenzierte Gerechtigkeit, S. 305 ff. 464 Dies zeigt sich etwa bei Picker, ZfA 2005, 167, 178 f., der für ein mietrechtliches Beispiel die Verteilung von Freiheitsbefugnissen zugunsten der Mieter und zulasten der Vermieter beklagt. 465 Schreier, KJ 2007, 278, 184; zum Verhältnis des gemeinschaftsrechtlichen zum nationalen Gesetzgeber s. etwa Badura, ZaöRV 2008, 347, 350 ff. 466 Franzen, in: Juristische Studiengesellschaft Karlsruhe (Hrsg.), Jahresband 2004, 2005, S. 47, 63 ff.; Riesenhuber, in: Riesenhuber/Nishitani (Hrsg.), Wandlungen oder Erosion der Privatautonomie?, 2007, S. 19, 24 ff.; s. auch etwa v. Koppenfels, WM 2002, 1489, 1492 f.; Picker, JZ 2003, 540, 544; Picker, ZfA 2005, 167, 171 ff.; Wendtland hält die bisherigen Schutzmechanismen allerdings für nicht effektiv genug, vgl. Gaier/Wendtland, Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz, S. 2 f. 460

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spricht davon, dass § 138 BGB bei Verstößen gegen den Gleichheitsgrundsatz erfüllt ist, „die aus besonderen Gründen als anstößig empfunden werden“.467 Auch mit Blick auf die Wirtschaftsordnung gilt daher schon immer: Die Freiheit zur Ungleichbehandlung ist nie schrankenlos.468 Die rechtspolitische Diskussion um den vertragsrechtlichen Diskriminierungsschutz steht zugleich in einem engen Zusammenhang zur Frage nach der Gerechtigkeit als Ziel des Vertragsrechts.469 Das Diskriminierungsrecht beinhaltet eine objektive Konkretisierung der Gerechtigkeitsidee, es bewertet Diskriminierungen als objektiv unrichtig.470 Wenn aber, wie oft vertreten wird, die Gerechtigkeit nicht das Ziel des Vertragsrechts ist und statt dessen stat pro ratione voluntas gilt, ist dem Diskriminierungsrecht im Vertragsrecht die theoretische Grundlage entzogen. Dass diese Sichtweise des Vertragsrechts nicht überzeugen kann, ist oben schon eingehend begründet worden.471 Teils wird auch kritisiert, dass das Diskriminierungsverbot zu einer Vermögensumverteilung unter den Marktteilnehmern führt.472 Darin liegt die in ihrem Kern nicht unplausible Befürchtung, das Vertragsrecht würde als Medium der Umverteilung eingesetzt werden, obwohl mit Blick auf die konkreten Verteilungsziele andere Umverteilungsmedien effektiver und effizienter sein könnten.473 Daher sollte der vertragsrechtliche Diskriminierungsschutz seine Grundlage auch nicht in der durch ihn bewirkten Umschichtung von Vermögen zwischen Privatrechtssubjekten finden. Man mag diese im Großen und Ganzen politisch für wünschenswert halten, etwa weil die Vermutung naheliegt, dass potentiell diskriminierte Menschen im Zweifel sozial besonders bedürftig sind. Gleichwohl sollte die Umverteilung von Vermögen nicht als unmittelbares Ziel des Diskriminierungsschutzes betrachtet werden.474 Man kann sie aber als Nebenfolge des Schutzes vor Diskriminierungen akzeptieren, der selbst als objektive Gerechtigkeitsidee Ziel des Vertragsrechts sein kann. Aus regulativer Perspektive bestehen keine grundsätzlichen Bedenken, die Umverteilung von Vermö467

BGHZ 70, 313, 325. Zur Diskriminierung aus ethnischen Gründen vgl. auch schon Bezzenberger, AcP 1996, 395, 396 ff. 468 Franck, in: Riesenhuber/Nishitani (Hrsg.), Wandlungen oder Erosion der Privatautonomie?, 2007, S. 71, 83. 469 Baer, ZRP 2002, 290; Reichold, JZ 2004, 384, 390 f.; Repgen, in: Repgen/Lobinger/Hense u.a. (Hrsg.), Vertragsfreiheit und Diskriminierung, 2007, S. 11, 77 ff.; Picker sieht den Diskriminierungsschutz als Gefahr für die von ihm bevorzugte Trennung von Recht und Moral, s. Picker, JZ 2003, 540; Picker, ZfA 2005, 167, 20 f., 27 und 60 ff. 470 Ähnlich Baer, ZRP 2002, 290, 292. 471 Oben, S. 15 ff. sowie S. 226 ff. 472 Vgl. etwa Franck, in: Riesenhuber/Nishitani (Hrsg.), Wandlungen oder Erosion der Privatautonomie?, 2007, S. 71, 80 ff.; Repgen, in: Repgen/Lobinger/Hense u.a. (Hrsg.), Vertragsfreiheit und Diskriminierung, 2007, S. 11, 80 f. 473 Dazu eingehend oben, S. 272 ff. 474 Anders Franck, in: Riesenhuber/Nishitani (Hrsg.), Wandlungen oder Erosion der Privatautonomie?, 2007, S. 71, 85, der im Diskriminierungsschutz eine Instumentalisierung des Vertragsrechts zu Zwecken der Vermögensumverteilung sieht.

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gen zwischen Privatrechtssubjekten in Kauf zu nehmen, um ein übergeordnetes Gerechtigkeitsziel wie den Diskriminierungsschutz zu erreichen. Zum Teil wird die Instrumentalisierung des Vertragsrechts zum Schutz vor Diskriminierungen auch deshalb kritisiert, weil mittels des Vertragsrechts kein effektiver Diskriminierungsschutz erreicht werden könne und mit den diesen umsetzenden Regeln Effizienzverluste einhergehen.475 Die Grundüberlegung ist naheliegend: Wer diskriminieren möchte, werde eben nach unverfänglichen Gründen suchen.476 Die Suche nach solchen Gründen erhöhe aber die Kosten der Anbieter, so dass es insgesamt zu höheren Preisen kommen werde.477 Dies habe sozial unerwünschte Effekte.478 Insbesondere würden gerade die schwächsten Marktteilnehmer aus den betroffenen Märkten ausgepreist, weil die marginalen Nachfrager sich die entsprechenden Produkte nicht mehr leisten können.479 Wenn aus politischen Gründen Diskriminierungsschutz angestrebt werde, seien andere Regulierungsinstrumente einzusetzen, etwa das Steuerrecht und das Bildungssystem.480 Franck kritisiert aus ordnungspolitischer Sicht insbesondere, dass der Markt als Entdeckungsverfahren beeinträchtigt ist, wenn Diskriminierungsschutz den Marktakteuren Möglichkeiten nimmt, zu experimentieren.481 So sei etwa eine aggressive Form der Werbung mit Rabatten für bestimmte Zielgruppen („Frauen“ oder „Rentner“) faktisch ausgeschlossen.482 Zur grundsätzlichen Eignung des Vertragsrechts, paternalistische Ziele zu verwirklichen, ist oben bereits das Notwendige gesagt.483 Mit Blick auf den Diskriminierungsschutz sollte indes ein Aspekt nicht aus den Augen verloren werden. Das Vertragsrecht setzt den rechtlichen Rahmen, innerhalb dessen Privatrechtssubjekte geschützt agieren. Wenn dieser Rahmen Diskriminierungen wegen bestimmter Effekte nicht mehr zulässt, kann dies die Einstellung einzelner Privatrechtssubjekte ändern. Wer zu Diskriminierungen wegen bestimmter Merkmale neigt, kann sich in seiner Einstellung nämlich nicht mehr durch die gesellschaftliche Konvention bestätigt sehen, die von diesem rechtlichen Rahmen maßgeblich mitgeprägt wird. Auch das Ver475 Vgl. insbesondere Picker, in: E. Lorenz (Hrsg.), Karlsruher Forum 2004, 2005, S. 7, 64 ff.; Repgen, in: Repgen/Lobinger/Hense u.a. (Hrsg.), Vertragsfreiheit und Diskriminierung, 2007, S. 11, 80 ff.; Eidenmüller, in: Schulze/von Bar/Schulte-Nölke (Hrsg.), Der akademische Entwurf für einen Gemeinsamen Referenzrahmen, 2008, S. 73, 86 f. 476 Etwa Eidenmüller, in: Schulze/von Bar/Schulte-Nölke (Hrsg.), Der akademische Entwurf für einen Gemeinsamen Referenzrahmen, 2008, S. 73, 86. 477 Eidenmüller, a.a.O., S. 87. 478 Etwa Eidenmüller, a.a.O., S. 87. 479 Etwa Eidenmüller, a.a.O., S. 87. 480 Eidenmüller, a.a.O., S. 73, 87; Repgen, in: Repgen/Lobinger/Hense u.a. (Hrsg.), Vertragsfreiheit und Diskriminierung, 2007, S. 11, 72 f. 481 Franck, in: Riesenhuber/Nishitani (Hrsg.), Wandlungen oder Erosion der Privatautonomie?, 2007, S. 71, 83 ff. 482 Franck, a.a.O., S. 71, 83 ff. 483 Oben, S. 272 ff.

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tragsrecht kann zur Änderung des gesellschaftlichen Klimas also einen Beitrag leisten. Ausweichende Begründungen zur Umgehung des Diskriminierungsverbotes sind kostspielig. Sie können auch entdeckt werden. Und zudem werden sich Anbieter auf Dauer vielleicht unwohl fühlen, weil sie sich gegen den rechtlichen Rahmen stellen, der ihren Aktionen einen geschützten Raum bietet. So kann sich die gesellschaftliche Einstellung gegenüber Randgruppen auf lange Sicht insgesamt verändern, wenn Diskriminierung nicht zulässig ist.484 Dass gleichwohl Effizienzverluste oder Beeinträchtigungen des Marktes als Entdeckungsverfahren485 zu befürchten sind, wenn das Vertragsrecht als Mittel zur Verwirklichung des Diskriminierungsschutzes eingesetzt wird, ist durchaus zuzugeben, wenngleich erste praktische Erfahrungen mit dem AGG keine Hinweise auf unverhältnismäßige Effizienzverluste ergeben.486 Doch mag man diese Nachteile und Einbußen in Kauf nehmen wollen, auch mit Blick darauf, dass die anderen Wege zur Effektuierung des Diskriminierungsschutzes ihrerseits kostspielig sein können. Dies gilt für das Steuersystem ebenso wie für das Bildungswesen. Insgesamt ist es letztlich eine legitime Entscheidung des Gesetzgebers, Diskriminierungsschutz auch mittels des Vertragsrechts realisieren zu wollen. 4. Kontrahierungszwang als dogmatisch stimmige Rechtsfolge unzulässiger Diskriminierungen in einem von der iustitia distributiva geprägten Vertragsrecht Umstritten ist, ob zu den Mitteln des vertragsrechtlichen Diskriminierungsschutzes nach dem AGG auch ein Kontrahierungszwang gehört.487 Dies war bereits im Gesetzgebungsverfahren Gegenstand heftiger Auseinandersetzungen.488 In der Gesetz gewordenen Rechtsfolgenbestimmung des § 21 AGG findet sich keine ausdrückliche Regelung, aber auch kein ausdrücklicher Ausschluss des Kontrahierungszwangs als Rechtsfolge unzulässiger Diskriminierung. § 21 Abs. 1 S. 1 AGG räumt dem Benachteiligten einen Beseitigungsanspruch ein, der in § 21 Abs. 1 S. 2 AGG durch einen Unterlassungsanspruch 484 S. auch Franck, in: Riesenhuber/Nishitani (Hrsg.), Wandlungen oder Erosion der Privatautonomie?, 2007, S. 71, S. 91; dazu schon Coester-Waltjen, ZRP 1982, 217 mit Hinweisen aus der US-amerikanischen Gesetzgebung zur Bekämpfung der Rassendiskriminierung; ausführlich zu den Möglichkeiten des Rechts, Vorurteile abzubauen etwa Jolls/Sunstein, California Law Review 2006, 969. 485 Franck, in: Riesenhuber/Nishitani (Hrsg.), Wandlungen oder Erosion der Privatautonomie?, 2007, S. 71, 83 ff. 486 vgl. etwa Franke, Neue Justiz (NJ) 2010, 233. 487 Zum Streitstand Thüsing/v. Hoff, NJW 2007, 21; Armbrüster, NJW 2007, 1494 sowie Mohr, in: Adomeit/Mohr (Hrsg.), Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz, § 21 AGG Rn. 10 f. (alle m.w.N.). 488 Thüsing/v. Hoff, NJW 2007, 21; Gaier/Wendtland, Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz, S. 104 ff.

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ergänzt wird. Gem. § 21 Abs. 2 AGG kann der Benachteiligte zudem Schadensersatz fordern.489 § 21 Abs. 2 S. 3 AGG sieht auch eine angemessene Entschädigung für immaterielle Schäden vor. a) Der Kontrahierungszwang als Eingriff in die Privatautonomie? Gegen den Kontrahierungszwang wird wiederum häufig das verkürzte Argument vorgebracht, dieser sei ein schwerer Eingriff in „die Privatautonomie“.490 So hält etwa Armbrüster den Kontrahierungszwang für „einen schwerwiegenden Eingriff in die grundgesetzlich verbürgte Privatautonomie“.491 Im Wege einer verfassungsorientierten Auslegung gelangt er sodann wegen der herausragenden Bedeutung der negativen Abschlussfreiheit dazu, dass sich die Ansprüche des § 21 AGG nicht auf einen Kontrahierungszwang erstrecken.492 Dahinter steht wiederum das rechtspolitische Anlegen, formal verstandene Freiheitssphären zu fördern und dabei Defizite an materieller Gerechtigkeit hinzunehmen. So zeigt sich auch im Rahmen der verfassungsorientierten Auslegung letztlich die Kontingenz der Frage nach dem Ausgleich formal verstandener Freiheit und materieller Gerechtigkeitsaspekte.493 Legt man ein größeres Gewicht auf die Entfaltung des Gleichheitssatzes und die auch aus dem Sozialstaatsprinzip fließende staatliche Pflicht zum Schutz diskriminierter Menschen, gelangt man unschwer dazu, dass § 21 AGG auch einen Kontrahierungszwang beinhalten kann.494 Armbrüster hält nun freilich den Anspruch auf immateriellen Schadensersatz aus § 21 Abs. 2 S. 3 AGG im Vergleich zum Kontrahierungszwang für das mildere Mittel zur effektiven Sanktionierung einer Benachteiligung.495 Der Schadensersatz treffe den Verpflichteten zwar wirtschaftlich härter, der Kontrahierungszwang bedeute aber einen besonders schwer wiegenden Grundrechtseingriff, „weil er dem Anbieter über ein rein wirtschaftliches Opfer hinaus einen Vertragspartner aufzwingt.“496 Auch sanktioniere § 21 Abs. 2 S. 3 AGG passgenau die persönliche Herabwürdi489

Zu Fragen des Schadensersatzes s. etwa G. Wagner/Potsch, JZ 2006, 1085, 1098 ff. Etwa Armbrüster, NJW 2007, 1494, 1495 und 1497; Mohr, in: Adomeit/Mohr (Hrsg.), Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz, § 21 AGG Rn. 10; Wendt/Schäfer, JuS 2009, 206, 207. 491 Armbrüster ZRP 2005, 41, 43; ebenso Armbrüster, NJW 2007, 1494, 1495: „…schwerwiegenden Eingriff in die durch Art. 2 I GG geschützte Privatautonomie“; ähnlich auch NJW 2007, 1494, 1497, wo Armbrüster ausführt, dass der „Kontrahierungszwang einen definitiven und einschneidenden Eingriff in die Privatautonomie“ darstelle. 492 Armbrüster, NJW 2007, 1494, 1495 ff. 493 Zu verfassungsrechtlichen Aspekten des vertragsrechtlichen Diskriminierungsrechts s. auch Isensee, in: Repgen/Lobinger/Hense u.a. (Hrsg.), Vertragsfreiheit und Diskriminierung, 2007, S. 239. 494 So etwa Thüsing/v. Hoff, NJW 2007, 21, obwohl auch sie den Kontrahierungszwang in rechtspolitischer Hinsicht für verfehlt halten; ebenso Baer, ZRP 2002, 290, 293. 495 Armbrüster, NJW 2007, 1494, 1496; s. auch schon Armbrüster ZRP 2005, 41, 43; Mohr hält den Entschädigungsanspruch für effektiver, vgl. Mohr, in: Adomeit/Mohr (Hrsg.), Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz, § 21 AGG Rn. 10. 496 Armbrüster, NJW 2007, 1494, 1496. 490

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gung durch die Diskriminierung.497 Auch diese Argumentation überzeugt letztlich nicht.498 Welche Rechtsfolge den Verpflichteten härter trifft, ist eine Frage des Einzelfalles.499 Nicht immer trifft es den Verpflichteten besonders hart, einen Vertragspartner zu bekommen, den er als solchen nicht wollte. Im Übrigen scheint der Kontrahierungszwang seiner Art nach als passgenauere Konsequenz einer Benachteiligung. Denn diese besteht ja häufig gerade darin, dass der anvisierte Vertrag nicht mit dem Benachteiligten geschlossen worden ist. b) Zur Verortung des Kontrahierungszwangs in § 21 Abs. 1 S. 1 AGG Dogmatisch ist umstritten, ob der Kontrahierungszwang sich als schadensersatzrechtliche Konsequenz erklären lässt. Teils wird er als Form der Naturalrestitution anerkannt und befürwortet, teils abgelehnt.500 Mit Blick auf das AGG ist es aber dogmatisch jedenfalls möglich, den Kontrahierungszwang als Bestandteil des Beseitigungsanspruchs aus § 21 Abs. 1 S. 1 AGG zu betrachten. Insofern legt auch schon die Auslegung nach dem Wortlaut nahe, einen Kontrahierungszwang zu bejahen.501 Armbrüster wendet hiergegen ein, dass die Kausalitätserwägung zweifelhaft sei, wonach ohne diskriminierendes Verhalten ein Vertrag geschlossen worden wäre: Schließlich dürfe jedermann einen Vertragsschluss grundlos ablehnen.502 Das AGG ändere dies nicht, sondern wende sich lediglich gegen die Diskriminierung; andernfalls würden auch die Diskriminierten grundlos gegenüber allen anderen Vertragsinteressenten bessergestellt.503 Armbrüster ist insofern zuzustimmen, als auch Fragen der Kausalität keineswegs ohne normative Überlegungen beantwortet werden können. Dies gilt besonders bei hypothetischen Kausalverläufen. Die Kausalität lässt sich aber keineswegs pauschal verneinen, wenn es möglich ist, eine effektive Prävention von Diskriminierungen durch Kontrahierungszwänge zu erreichen.504 Dass niemand zum Kontrahieren verpflichtet ist, ist freilich eine petitio principii. Denn die Frage nach der Kontrahierungspflicht gilt es gerade zu beantworten. Grundsätzlich spricht deshalb nichts gegen die Möglichkeit, dass eine Diskriminierung für das Unterbleiben des Vertragsschlusses kausal geworden ist. Einzelheiten des Kausalitätserfordernisses kann die Rechtspre497

Ähnlich insoweit Thüsing/v. Hoff, NJW 2007, 21, 25, die allerdings den rechtspolitischen Charakter dieses Gedankens klar erkennen und daher lediglich eine Änderung de lege ferenda befürworten. 498 Ebenso etwa Thüsing/v. Hoff, NJW 2007, 21, 25 f. 499 Entgegengesetzt zur Einschätzung Armbrüster halten etwa Thüsing und von Hoff die Schadensersatzpflicht für die härtere Maßnahme, s. Thüsing/v. Hoff, NJW 2007, 21, 25. 500 Zur Diskussion stellvertretend Busche, Privatautonomie und Kontrahierungszwang, S. 220 f., der den Kontrahierungszwang als schadensrechtliche Folge ablehnt. 501 Thüsing/v. Hoff, NJW 2007, 21, 22; Wendt/Schäfer, JuS 2009, 206, 207. 502 Armbrüster, NJW 2007, 1494, 1497. 503 Armbrüster, NJW 2007, 1494, 1497. 504 G. Wagner/Potsch, JZ 2006, 1085, 1098.

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chung mit Blick auf die jeweils zu entscheidenden Gestaltungen konkretisieren. Dabei trägt der Diskriminierte die Darlegungs- und Beweislast, § 22 AGG hilft insofern nicht weiter, da sich diese Regelung nur auf die Benachteiligung selbst bezieht.505 In der Regel dürfte die Kausalität zum einen bei Massengeschäften zu bejahen sein, da bei diesen der Anbieter regelmäßig und vernünftigerweise mit jedem potentiellen Kunden kontrahiert.506 Ebenso liegt es, wenn der Diskriminierte der einzige Interessent ist.507 Die Kausalität kann selbstverständlich im konkreten Einzelfall auch zu verneinen sein, etwa wenn mehrere Interessenten eine Wohnung mieten wollten, und der Vermieter auch bei einer diskriminierungsfreien Auswahl einen anderen Interessenten bevorzugt hätte, etwa weil dieser über eine höhere Bonität verfügt als der Benachteiligte.508 Dogmatisch liegt ein Kontrahierungszwang im Bereich des allgemeinen zivilrechtlichen Diskriminierungsverbotes auch aus systematischen Gründen nahe. Denn hier fehlt gerade eine Regelung wie die des § 15 VI AGG, die Kontrahierungszwänge für arbeitsrechtliche Benachteiligungsverbote ausschließt.509 Zwingend ist auch dieses Argument freilich nicht. Wenig ergiebig ist zudem die Entstehungsgeschichte des Gesetzes.510 Blickt man auf den Telos des § 21 AGG, so lässt sich als konsensfähiger objektiver Zweck der Regelung wohl der effektive Schutz vor Diskriminierungen im zivilrechtlichen Bereich durch geeignete Rechtsfolgen festhalten.511 Damit hängt die Frage danach, ob § 21 Abs. 1 S. 1 AGG einen Kontrahierungszwang beinhaltet, maßgeblich von der Antwort auf die Frage ab, ob im Kontrahierungszwang ein effektives Mittel zur Beseitigung unzulässiger Diskriminierungen liegt. c) Kontrahierungszwang als effektives Medium des Diskriminierungsschutzes Busche hält den Kontrahierungszwang für ein untaugliches Mittel.512 Er sei nicht effektiv, da bis zur rechtskräftigen Entscheidung zu viel Zeit vergehe und einstweiliger Rechtsschutz nur in Form der Leistungsverfügung gewährt werden könnte, was im Regelfall eine unzulässige Vorwegnahme der Haupt505

Thüsing/v. Hoff, NJW 2007, 21, 23. Thüsing/v. Hoff, NJW 2007, 21, 23. 507 Eingehend dazu Thüsing/v. Hoff, NJW 2007, 21, 23. 508 Thüsing/v. Hoff, NJW 2007, 21, 24. 509 Thüsing/v. Hoff, NJW 2007, 21, 22; Wendt/Schäfer, JuS 2009, 206, 207. 510 Eingehend dazu Thüsing/v. Hoff, NJW 2007, 21, 22; s. auch Schwab, DNotZ 2006, 649, 667; anders Bachmann, der sich allerdings im Wesentlichen auf „Äußerungen aus dem politischen Umfeld“ stützt, vgl. Bachmann, ZBB 2006, 257, 266. Solchen Äußerungen sollte indes auch im Rahmen der historischen Auslegung kein maßgebliches Gewicht zukommen. 511 Dies bildet auch den Ausgangspunkt der Überlegungen Armbrüsters, der indes den immateriellen Schadensersatz für vorzugswürdig hält, vgl. Armbrüster, NJW 2007, 1494, 1496 f. 512 Busche, in: Leible/Schlachter (Hrsg.), Diskriminierungsschutz durch Privatrecht, 2006, S. 159, 174 f. 506

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sache wäre;513 außerdem ginge es den Betroffenen nicht darum, mit dem Diskriminierenden zu kontrahieren, sondern einen Ausgleich für die mit der Diskriminierung verbundene Ehrbeeinträchtigung zu erhalten. Dies werde aber durch die Zahlung von Schadensersatz erreicht.514 Der Ansatz Busches betont den präventiven Aspekt der iustitia distributiva in Form des Diskriminierungsschutzes: Es geht vor allem auch um die regulative Wirkung der AntiDiskriminierungsgesetzgebung mit Blick auf die Zukunft. Diese fordert für Busche „wirksame, verhältnismäßige und abschreckende Sanktionen“.515 Dieser Überlegung ist im Ausgangspunkt zuzustimmen. Diskriminierungsschutz verwirklicht auch den Präventionsgedanken als Ausdruck der iustitia distributiva im Vertragsrecht.516 Die Effektivität des Kontrahierungszwangs sollte gleichwohl nicht leichter Hand beseite gewischt werden.517 Dabei geht es weniger um die Möglichkeit, diesen gerichtsförmig durchzusetzen,518 als vielmehr um mögliche positive Auswirkungen auf die gesellschaftliche Haltung gegenüber potentiell benachteiligten Gruppen und Minderheiten. Dabei kann der Schatten des Rechts519 als Durchsetzungsmechanismus bedeutsam werden. So raten etwa Autoren aus der Anwaltschaft Vermietern dazu, ihre Auswahl nach objektiven Kriterien zu treffen und ihre Entscheidungsfindung zu dokumentieren.520 Solche Empfehlungen und ihre mögliche Umsetzung in der Praxis können erheblich dazu beitragen, das gesellschaftliche Klima zu verändern und Diskriminierungen zu vermeiden. Dass Kontrahierungszwänge möglicher Weise dazu führen, dass die Verpflichteten den aufgezwungenen Vertrag kundtun und sich mit allen Mitteln von ihm zu lösen versuchen werden,521 steht dem nicht entgegen. Solche Kundgaben und Versuche können vielmehr zu in der Gesellschaft ausgetragenen Diskursen über die Berechtigung des Diskriminierungsschutzes führen, die auch eine erhöhte Sensibilität der Bevölkerung nach sich ziehen können.522 Die damit vielleicht einhergehenden Streitigkeiten523 können als Preis für die effektive Durchsetzung von Diskriminierungsverboten in Kauf genommen werden. Gerichtsförmigen Durchsetzungen kommt darüber hinaus auch eine Signalwirkung für künftige Fälle zu. Busche mag zwar darin zuzustimmen sein, dass den Betroffenen 513

Busche, a.a.O., S. 174. Busche, a.a.O., S. 174 f. 515 Busche, a.a.O., S. 176. 516 Gaier/Wendtland, Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz, S. 107. 517 Differenzierend zu der Frage der Effektivität von Diskriminierungsverboten als Regulierungsinstrument Schöckel ZRP 2005, 170; Jolls/Sunstein, California Law Review 2006, 969. 518 Zu den damit verbundenen Schwierigkeiten s. Röttgen, Der zivilrechtliche Schutz vor Diskriminierung und seine verfahrensrechtliche Gewährleistung, S. 213 ff. 519 Oben, S. 287 f. 520 Warnecke, DWW 2006, 268, 275. 521 So die Einschätzung von Armbrüster, NJW 2007, 1494, 1497. 522 Schulte/Treichler, Integration und Antidiskriminierung, S. 141 ff. 523 Vermutet etwa bei Thüsing/v. Hoff, NJW 2007, 21, 25. 514

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durch eine gerichtlich erwirkte Kontrahierung häufig weniger geholfen ist als durch Schadensersatzzahlung.524 Die Gerechtigkeitsperspektive der iustitia distributiva verlangt aber, den Blick von der Wirkung auf die unmittelbar Betroffenen zu lösen und auf die regulative Steuerungsfunktion des Vertragsrechts für zukünftige Sachverhalte zu richten. Gerade unter diesem Aspekt bestehen an der Effektivität des Kontrahierungszwangs als effektive Sanktionierung unzulässiger Diskriminierungen keine grundsätzlichen Zweifel. Insgesamt umfasst deshalb § 21 Abs. 1 S. 1 AGG auch den Kontrahierungszwang als dogmatisch stimmige Rechtsfolge unzulässiger Diskriminierungen im Vertragsrecht.

B. Verhaltenssteuerung und Prävention Die Eignung des Vertragsrechts zur Effektuierung des Diskriminierungsschutzes weist den Weg zu der im Folgenden zu erörternden Facette der iustitia distributiva im Vertragsrecht. Die Gerechtigkeitsperspektive der iustitia distributiva erlaubt, das Vertragsrecht auch in seiner regulativen Kapazität wahrzunehmen und einzusetzen. Ein wichtiger Aspekt dieser Kapazität ist die Steuerung des Verhaltens von Privatrechtssubjekten.525 Das Vertragsrecht kann als Regulierungsinstrument betrachtet werden, das unerwünschtes Verhalten verhindern, erwünschtes Verhalten erzeugen helfen kann.526 Dabei hat sich oben bereits gezeigt, dass an der generellen Eignung des Vertragsrechts zur Wahrnehmung dieser Regulierungsaufgabe keine grundsätzlichen Zweifel bestehen.527 Im Folgenden gilt es, einige Beispiele aus dem deutschen Vertragsrecht herauszugreifen, anhand derer die Konkretisierung der iustitia distributiva in Form von Verhaltenssteuerung und Prävention deutlich wird.

I. Motivation zu fairem Geschäftsgebaren Das Vertragsrecht kann dazu dienen, die Privatrechtssubjekte zu fairem Verhalten im Rechtsverkehr anzuhalten. Die Verhaltensanreize, die das Vertragsrecht setzt, werden erst dadurch sichtbar, dass der Blick vom unmittelbar betroffenen Vertragsverhältnis gelöst wird, und die Wirkung rechtlicher Normen und Entscheidungen für potentielle zukünftige Lebenssachverhalte in 524 Busche, in: Leible/Schlachter (Hrsg.), Diskriminierungsschutz durch Privatrecht, 2006, S. 159, 174 f. 525 Dazu G. Wagner, AcP 2006, 352. 526 Vgl. auch Riesenhuber/Möslein, in: Riesenhuber (Hrsg.), Perspektiven des europäischen Schuldvertragsrechts, 2008, S. 1, 10 ff.; Möslein, JZ 2010, 72, 76. 527 Oben, S. 280 ff.

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den Blick genommen wird. Diese in die Zukunft orientierte und verallgemeinernde Betrachtungsweise ist für die iustitia distributiva typisch. 1. Anreiz zu fairer Darlehensvergabe – Die Wucherproblematik in der Perspektive der iustitia distributiva Die Instrumentalisierung des Vertragsrechts durch Verhaltensanreize lässt sich an der Wucherproblematik veranschaulichen. Das Vertragsrecht verwirklicht die iustitia distributiva insofern, als es gesellschaftspolitisch wünschenswerte Anreize setzt, Kreditnehmern faire Kreditbedingungen zu gewähren. Die hier im Fokus stehende Wucherproblematik bietet zugleich ein anschauliches Beispiel für Macht und Grenzen privatrechtlicher Dogmatik, die einerseits einen engen Rahmen für rechtspolitische Diskussionen setzt, andererseits diese aber nicht vollständig vermeiden kann. Dabei geht es um Fälle, in denen Darlehen zu weit überhöhten Bedingungen ausgereicht werden. Der juristische Diskurs betrifft hier viele Detailfragen. Aus § 138 Abs. 2 BGB ergibt sich, dass solche Darlehensverträge unter bestimmten Voraussetzungen zumindest teilnichtig sind. Einzelheiten dazu sind hier zunächst nicht relevant.528 Der Fokus der folgenden Ausführungen bezieht sich auf eine Folgefrage. In der Regel wird der Bewucherte die Darlehensvaluta erhalten und wohl auch für seine individuellen Zwecke verwendet haben. Muss er nun für diese Kapitalnutzungsmöglichkeit zahlen? In der Diskussion um diese Frage zeigt sich zum einen, dass die vertragsrechtliche Bedeutung der iustitia distributiva auch in ihrem Zusammenspiel mit dem Bereicherungsrecht ermittelt werden muss. Zum anderen treten in ihr die Grenzen zivilrechtlicher Dogmatik deutlich hervor, zugleich aber ihre begrenzende Funktion. a) Zu den dogmatischen Konstruktionsmöglichkeiten Dogmatisch ließe sich ein Anspruch des Wucherers einerseits durch die Konstruktion eines vertraglichen Zinszahlungsanspruchs begründen, indem die Nichtigkeit der Zinsabrede auf einen sittenwidrigen Teil beschränkt wird.529 Doch mag man an der Teilbarkeit der vertraglichen Vereinbarung ebenso zweifeln wie an der Zulässigkeit einer Teilnichtigkeit in Anwendung des § 139 BGB.530 Andererseits lässt sich bereichungsrechtlich ein Anspruch auf Vergütung der Kapitalnutzungsmöglichkeit aus §§ 812 Abs. 1 S. 1 Alt. 1, 818 Abs. 2 BGB konstruieren: Geld nutzen zu können, ist ein finanzieller Wert; nach den Grundsätzen des § 818 Abs. 2 BGB wäre dann der objektive Wert dieser Ka528

Dazu stellvertretend Armbrüster, in: MünchKomm BGB, § 138 BGB Rn. 143 ff. Anders H. Roth, ZHR 1989, 423, 433 ff., der § 134 BGB i.V.m. strafrechtlichen Wuchertatbeständen für vorrangig hält. 529 So etwa Koziol, AcP 1988, 183, 518 ff.; H. Roth, ZHR 1989, 323, 436 ff.; erwogen, aber abgelehnt bei Medicus, in: Hueck/Richardi (Hrsg.), Gedächtnisschrift für Rolf Dietz, 1973, S. 61. 530 S. etwa Bucher, AcP 1986, 1, 35 f.

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pitalnutzungsmöglichkeit herauszugeben.531 Dieser Konstruktion steht allerdings – von weiteren dogmatischen Schwierigkeiten abgesehen532 – seinem Wortlaut nach § 817 S. 2 BGB entgegen – die Vorschrift müsste in ihrer Wirkung also auf einen sittenwidrigen Teil der Zinszahlungsabrede reduziert werden.533 So hielt auch das Reichsgericht im Jahre 1936 den durch § 817 S. 2 BGB bewirkten vollständigen Anspruchsausschluss rechtspolitisch für bedenklich, da „dem Bewucherten ein Gewinn zufällt, auf den er weder rechtlich noch sittlich einen Anspruch hat“.534 Gleichwohl sah sich das Reichsgericht zu einer Rechtsfortbildung angesichts der klaren gesetzgeberischen Entscheidung in § 817 S. 2 BGB nicht befugt.535 Auch der BGH gewährt dem Darlehensgeber keinen Anspruch auf Nutzungsvergütung.536 Die Versagung eines Anspruchs auf Nutzungsvergütung stellt eine Verteilungsentscheidung zulasten der Darlehensgeber dar, während die Darlehensnehmer von ihr profitieren. Leitgedanke dieser Verteilungsentscheidung ist es, wucherisches Geschäftsgebaren zu verhindern und Darlehensgeber dazu anzureizen, faire Kreditbedingungen zu gewähren.537 Der Wucherer soll sich nicht auf den Erhalt des üblichen Zinssatzes verlassen können.538 In der Literatur wird dagegen oft eine Pflicht zur Zahlung eines marktüblichen Zinses gem. § 818 Abs. 2 BGB gefordert.539 Die Funktion der Dogmatik bei der Konkretisierung der iustitia distributiva kommt hier klar zum Vorschein. Die vertrags- und bereicherungsrechtliche 531

S. Arnold, RIW 2008, 264, 272 m.w.N. Zu Umfang und Inhalt der Herausgabepflicht bei der Leistungskondiktion rechtsvergleichend auch W. Lorenz, in: Ungerechtfertigte Bereicherung, 1984, S. 127. 532 S. dazu etwa Dauner, JZ 1980, 495, 504. 533 So Medicus, in: Hueck/Richardi (Hrsg.), Gedächtnisschrift für Rolf Dietz, 1973, S. 61. Ein anderer dogmatischer Weg zur Erreichung dieses Ergebnisses besteht darin, dass eine Eingriffskondiktion angenommen wird, so dass § 817 S. 2 BGB nicht zur Anwendung gelangt. Diesen Weg wählen etwa Flume, Das Rechtsgeschäft, S. 394 und Zimmermann, Richterliches Moderationsrecht oder Totalnichtigkeit?, S. 173 f. Das „die Leistung-endgültig-behalten-Dürfen“ (so Zimmermann, a.a.O., S. 174) sei nicht durch die Leistung erlangt. 534 RGZ 151, 70, 74; s. dazu S. Lorenz, in: Staudinger, BGB, § 817 BGB Rn. 12. 535 RGZ 151, 70, 74. 536 BGH NJW 1962, 1148; BGH WM 1977, 72 f.; BGH NJW 1989, 3217; BGH NJW 1993, 2108. 537 Canaris, in: Baur/Hopt/Mailänder u.a. (Hrsg.), Festschrift für Ernst Steindorff, 1990, S. 519, 523 ff.; S. Lorenz, in: Staudinger, BGB, § 817 BGB Rn. 5; skeptisch: Bunte, NJW 1983, 2674, 2676 f. Zum Präventionsgedanken im Zivilrecht vgl. allgemein G. Wagner, AcP 2006, 352. 538 S. Lorenz, in: Staudinger, BGB, § 817 BGB Rn. 12. 539 So vor allem Medicus, in: Hueck/Richardi (Hrsg.), Gedächtnisschrift für Rolf Dietz, 1973, S. 61, 62 und 74; ebenso Hadding, in: Soergel, BGB, § 817 BGB Rn. 21; Koppensteiner/ Kramer, Ungerechtfertigte Bereicherung, S. 66; Reuter/Martinek, Ungerechtfertigte Bereicherung, S. 217 ff.; Bunte, NJW 1983, 2674; Peters, AcP 2005, 159, 197; S. Lorenz, in: Staudinger, BGB, § 817 BGB Rn. 12 m.w.N.; dagegen: Dauner, JZ 1980, 495, 502 ff.; Reifner, JZ 1984, 637; Tiedtke, JZ 1987, 853; Canaris, in: Baur/Hopt/Mailänder u.a. (Hrsg.), Festschrift für Ernst Steindorff, 1990, S. 519; Wendehorst, in: BeckOK BGB, § 817 BGB Rn. 21; Schwab, in: MünchKomm BGB, § 817 BGB Rn. 37; Prinz von Sachsen Gessaphe, in: Dauner-Lieb/Langen (Hrsg.), Nomos-Kommentar BGB, 2012, § 817 BGB Rn. 18.

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Dogmatik lässt hier zwar einerseits verschiedene Antworten zu.540 Sie begrenzt aber andererseits die Diskussion von vornherein auf die Frage, ob und in welcher Höhe dem Wucherer für die Nutzungsmöglichkeit ein Ausgleich zusteht. Dogmatisch sind verschiedene Möglichkeiten denkbar, um einen Anspruch zu bejahen. Zimmermann etwa sieht den Anwendungsbereich der Leistungskondiktion in diesen Fällen nicht eröffnet, wodurch § 817 S. 2 BGB nicht zur Anwendung gelangt.541 Diese Lösung führt zu einem Bereicherungsanspruch in Höhe des objektiven Wertes. Auch sie bewirkt daher im Ergebnis, dass der Richter die Vergütung auf ein angemessenes Maß herabsetzt.542 Zimmermann gelangt zu der Anwendung der Eingriffskondiktion auch durch eine teleologische Auslegung des § 817 S. 2 BGB, der er keine Straffunktion zumessen möchte.543 Honsell schränkt die Folgen des § 817 S. 2 BGB durch eine restriktive Interpretation ihres Anwendungsbereichs ein. § 817 S. 2 BGB erfasst ihm zufolge lediglich Fälle beiderseitigen Sittenverstoßes, die per se sittenwidrig sind.544 Er stützt sich dabei im Wesentlichen auf historische Argumente. § 817 BGB sei als Festschreibung der römisch-rechtlichen bzw. gemeinrechtlichen condictio vel turpem causam zu verstehen.545 Von dieser seien nur Fälle beiderseitiger Verwerflichkeit erfasst gewesen.546 Im Wesentlichen sei es um Zahlungen gegangen, mit denen der Empfänger zu einem außerhalb der Rechtsordnung stehenden, sittenwidrigen und meist kriminellen Verhalten veranlasst werden sollte – also beispielsweise zum Mord oder zur Bestechung.547 Stets gehe es um Verhaltensweisen, die schon als solche sittenwidrig oder kriminell seien.548 Honsell zufolge sollte mit der Übernahme der actio vel turpem causam in das Bürgerliche Gesetzbuch keine Ausdehnung dieses ursprünglich sehr engen Anwendungsbereichs verbunden sein.549 Die Strafidee beruhe auf einem Missverständnis, das den Sinn der condictio ob turpem causam verdecke und sei daher abzulehnen.550 Er zieht daraus die Konsequenz, 540 Bürge warnt dabei davor, das Bereicherungsrecht zur Lösung originär vertragsrechtlicher Probleme zu instrumentalisieren, vgl. Bürge, Rechtsdogmatik und Wirtschaft, S. 113 ff. 541 Zimmermann, Richterliches Moderationsrecht oder Totalnichtigkeit?, S. 173 f.; so i.E. auch Flume, Das Rechtsgeschäft, S. 394; kritisch dazu etwa S. Lorenz, in: Staudinger, BGB, § 817 BGB Rn. 12. 542 Funktional steht die Annahme einer Eingriffskondiktion in Höhe des objektiven Wertes daher der richterlichen Moderation gleich, der Zimmemann tendenziell eher skeptisch gegenübersteht, vgl. zusammenfassend Zimmermann, Richterliches Moderationsrecht oder Totalnichtigkeit?, S. 177 ff. 543 Zimmermann, Richterliches Moderationsrecht oder Totalnichtigkeit?, S. 174. Für einen pönalen Charakter des § 817 S. 2 BGB dagegen etwa Schäfer, AcP 2002, 397, 407 ff. 544 Honsell, Die Rückabwicklung sittenwidriger oder verbotener Geschäfte. 545 Honsell, a.a.O., S. 65 ff. 546 Honsell, a.a.O., S. 75 ff. 547 Honsell, a.a.O., S. 86. 548 Honsell, a.a.O., S. 86. 549 Honsell, a.a.O., S. 98 ff. 550 Honsell, a.a.O., S. 101.

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dass § 817 S. 2 BGB auf seinen historisch betrachtet „ursprünglichen“ Anwendungsbereich reduziert werden muss: Die Rückforderung soll nur dann ausgeschlossen sein, wenn der Zahlende eine Handlung erkauft, die per se die Rechts- oder Sittenordnung verletzt.551 Diese Lösung habe auch rechtspolitische Vorzüge.552 Zimmermann und Dauner-Lieb haben zu Recht darauf hingewiesen, dass die auf eine historische Auslegung des § 817 BGB fokussierte Begrenzung der Regelung methodisch einseitig und schon deshalb nicht zwingend ist.553 Ihr steht schon der Wortlaut des § 817 S. 2 BGB entgegen, aus dem sich eine derartige Begrenzung nicht entnehmen lässt. Auch wäre oft nur schwer zu entscheiden, welche Handlungen per se rechts- oder sittenwidrig sind, welche nicht. b) Mögliche Maßstäbe für die Verteilung der Folgen eines Wucherdarlehens Sucht man nach den angemessenen Maßstäben für die vertrags- und bereicherungsrechtliche Verteilung der Folgen eines Wucherdarlehens, so springen verschiedene Prinzipien des Vertrags- und Bereicherungsrechts ins Auge. Zum einen könnte man den bereicherungsrechtlichen Abschöpfungsgedanken heranziehen: Rechtsgrundlos erlangte Vorteile sollen in Anwendung ausgleichender Gerechtigkeit wieder zurückfließen. Dieses Prinzip ist allerdings im positiven Recht in den §§ 812 ff. BGB weiter ausdifferenziert. Insbesondere kennt es, wie § 817 BGB zeigt, gerade für sittenwidrig handelnde Personen Einschränkungen. Auch der Gedanke der Austauschgerechtigkeit könnte für einen Ausgleich des Wucherers angeführt werden: Im Rechtsverkehr soll eine Überlassung eines werthaltigen Gegenstandes zumindest mit dem entlohnt werden, was der Gegenstand objektiv wert ist. Die für das Vertragsrecht herkömmlich als vorrangig betrachtete Perspektive der iustitia commutativa könnte daher einen Anspruch des Wucherers begründen. Allerdings bleibt in dieser Perspektive die funktionale Kapazität des Vertragsrechts ungenutzt. Diese erschließt sich erst in der Perspektive der iustitia distributiva, in der das Vertragsrecht auch als Medium der Verhaltenssteuerung eingesetzt werden kann.554 Wenn das Verhalten des Wucherers rechtspolitisch unerwünscht und möglichst verhindert werden soll, sollte der Wucherer keine „Entlohnung“ erhalten – auch nicht in eingeschränkter Form als objektiven Wertersatz. Denn die Präventionswirkung der §§ 138, 817 S. 2 BGB ist stärker, wenn der Wucherer überhaupt kein Entgelt für seine Kapitalüberlassung erhält. Demgegenüber würden sich vielleicht weniger potentielle Wucherer davon abhalten 551

Honsell, a.a.O., S. 136 ff. Honsell, a.a.O., S. 63 f., 154 f. 553 Zimmermann, Richterliches Moderationsrecht oder Totalnichtigkeit?, S. 163 ff.; Dauner, JZ 1980, 495, 501. Inhaltlich bringt Dauner-Lieb der Auffassung Honsells allerdings – anders als Zimmermann – Sympathie entgegen, vgl. Dauner, JZ 1980, 495, 501 f. 554 Ebert, Pönale Elemente im deutschen Privatrecht, S. 368 ff.; dagegen Honsell, in: Aderhold (Hrsg.), Festschrift für Harm Peter Westermann zum 70. Geburtstag, 2008, S. 315, 334 f. 552

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lassen, sittenwidrig hohe Zinsen zu verlangen, wenn ihnen zumindest ein marktübliches Entgelt für die Kapitalüberlassung gesichert wäre.555 Schwieriger fällt es allerdings, den Präventionsgedanken als Grundlage dafür heranzuziehen, dass gerade der Bewucherte die Vorteile dieser Verteilungsentscheidung erhalten sollte – ein Aspekt, den bereits das Reichsgericht hervorgehoben hatte.556 Auch Canaris etwa gesteht zu, dass dem Bewucherten „ein unberechtigter Vorteil zufällt“.557 Dies sei aber in Kauf zu nehmen, weil Alternativen nicht ersichtlich seien und das Recht unberechtigte Vorteile nicht verhindern müsse, sofern der korrespondierende Nachteil den anderen nicht unbillig treffe. Die Verteilungsentscheidung zugunsten des Bewucherten lässt sich aber zumindest dadurch rechtfertigen, dass der regulative Vollzug von § 817 S. 2 BGB erleichtert wird, wenn der Vermögensvorteil schlicht beim Bewucherten belassen wird. Ein viel schwerer wiegendes Grundproblem des Präventionsgedankens ist ein anderes: Er setzt empirische Wirkungen von Urteilen voraus, die zwar plausibel erscheinen, aber keineswegs durch rechtstatsächliche Untersuchungen belegt sind. c) Zur politisch-diskursiven Prägung der dogmatischen Lösung Diese wenigen Überlegungen zeigen, dass die Entscheidung in die eine oder andere Richtung von der vertragsrechtlichen Dogmatik nicht präjudiziert ist. Die Entscheidung kann nur mit politischen Wertungen und in einem sich immer weiter ausdifferenzierenden Diskurs erfolgen. Die diskursiv zu findende Lösung wird gerade für die Rechtspraxis von der Rechtsprechung des BGH bestimmt. Allerdings bedeutet die autoritative und begründete Verteilungsentscheidung des BGH in diesem Zusammenhang keine einem Gesetz vergleichbare Entscheidung des Sachproblems. Vielmehr steht auch die begründete Entscheidung des BGH nur als zunächst verbindliche These im Raum des Rechts und ist als solche einer Aufhebung zugänglich.558 Wenn die Gründe im weiteren Diskurs zu schwach sind, um Gegenargumenten standzuhalten, kann die Rechtsprechung des BGH unter zunehmenden Druck geraten und sich letztlich auch ändern. Die Diskussion um den Anspruch des Wucherers auf Zinszahlung in marktüblicher Höhe verdeutlicht den politischen Charakter des Vertragsrechts besonders deutlich. Die Entscheidung um diesen Anspruch 555 Anschaulich formuliert dies Canaris, vgl. Canaris, in: Baur/Hopt/Mailänder u.a. (Hrsg.), Festschrift für Ernst Steindorff, 1990, S. 519, 525: Die Differenz zwischen dem angemessenen und dem gerade noch nicht sittenwidrigen Zins sei „zu gering und die Motivationslage des Wucherers zu schlicht, um auf diese Weise den Präventionsgedanken hinreichend effizient zu verwirklichen; hier gilt es vielmehr, auf einen groben Klotz einen groben Keil zu setzen.“. 556 RGZ 151, 70, 74. 557 Canaris, in: Baur/Hopt/Mailänder u.a. (Hrsg.), Festschrift für Ernst Steindorff, 1990, S. 519, 525. 558 Zu diesem Prozess s. auch schon oben, S. 342 f.

B. Verhaltenssteuerung und Prävention

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ist immer auch eine Verteilungsentscheidung zugunsten und zulasten bestimmter Personengruppen. Welcher Maßstab dabei anzuwenden ist, lässt sich im Wesentlichen nur rechtspolitisch entscheiden. Die Dogmatik hilft zwar, diese Entscheidungen zu strukturieren, zu versachlichen und vergleichbar zu machen.559 Sie eröffnet in kritischen Fällen aber verschiedene Wege zur Erreichung der jeweiligen rechtspolitischen Zielvorstellungen. Wenn dem Wucherer ein bereicherungsrechtlicher Anspruch auf Wertersatz zuerkannt wird, bedeutet dies im Ergebnis, dass der wucherische Vertrag auf der Ebene des Bereicherungsrechts doch noch Wirkungen entfaltet. Der Wucherer kann zwar das anvisierte Entgelt für die Kapitalnutzung nicht erlangen, doch ermöglicht ihm der angestrebte Vertrag immerhin, ein Entgelt in marktüblicher Höhe zu erreichen. Damit lässt sich die Zuerkennung eines bereicherungsrechtlichen Anspruchs zugespitzt als Korrektur des Vertragsinhalts bezeichnen.560 Im rechtspraktischen Ergebnis stehen die Parteien so, als hätten sie einen gültigen Vertrag mit objektiv angemessenem Vertragsinhalt geschlossen.561 Dauner-Lieb wertet dies als eine erhebliche Erweiterung richterlichen Gestaltungsspielraums. Der Richter werde letztlich zur Festsetzung eines angemessenen Ersatzbetrages verpflichtet.562 Während die Vertreter eines Bereicherungsanspruchs dieses Ergebnis durch die Anwendung des § 818 Abs. 2 BGB auf bereicherungsrechtlicher Ebene erreichen, ließe sich dieses dogmatisch ebenso durch eine offen rechtsfortbildende Beschränkung der Totalnichtigkeit bei der Anwendung des § 138 Abs. 2 BGB erreichen.563 Auch eine unmittelbare Anpassung der Verträge könnte dogmatisch das Ergebnis herbeiführen, dass in Anwendung des Bereicherungsrechts angestrebt wird. Unabhängig von dem dogmatisch bevorzugten Weg sind die inhaltlich entscheidenden Fragen jedoch rechtspolitischer Natur: Ist eine Ausdehnung des richterlichen Moderationsrechts wünschenswert?564 Lässt sich die entgeltfreie Kapitalnutzung des Darlehensnehmers rechtfertigen? Darf der Wucherer darauf vertrauen, dass das Vertragsrecht ihm auch dann einen angemessenen Zinsanspruch sichert, wenn die von ihm anvisierte Zinshöhe sittenwidrig ist? Auch die bereicherungsrechtliche Lösung ist dabei keineswegs rechtspolitisch neutral.565 Auch sie verwirklicht eine Ausdehnung des richterlichen Moderationsrechts mit potenziell weitreichenden Folgen. Formell verstandene Privatautonomie wird 559

S. etwa Oechsler, Gerechtigkeit im modernen Austauschvertrag, S. 25 ff. Dauner, JZ 1980, 495, 504; einen vertragsimmanenten Lösungsansatz bietet H. Roth, ZHR 1989, 423. 561 Dauner, JZ 1980, 495, 504. 562 Dauner, JZ 1980, 495, 504 f. 563 Dogmatisch ist dieser Weg insbesondere bei Hager beleuchtet und ausdifferenziert, vgl. Hager, Gesetzes- und sittenkonforme Auslegung und Aufrechterhaltung von Rechtsgeschäften, S. 169 ff. 564 Dazu eingehend und in rechtsvergleichender Perspektive Bürge, Rechtsdogmatik und Wirtschaft. 565 Vgl. Dauner, JZ 1980, 495, 504 f. 560

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auch in dieser Lösung nicht mehr verwirklicht. Dies ist vor allem deshalb bemerkenswert, weil sich gerade die Vertreter einer bereicherungsrechtlichen Lösung darauf berufen, dass ihre Lösung eine Ausdehnung richterlicher Gestaltungsbefugnisse zulasten der Privatautonomie verhindern kann.566 d) Der durch den Präventionsgedanken gebotene Ausschluss jeglicher Ansprüche des Wucherers Die vom BGH vorgenommene Konkretisierung der iustitia distributiva ist vor allem mit Blick auf den Präventionsgedanken als gelungen zu betrachten. Auf den ersten Blick scheint die Erklärungskraft des Präventionsgedankens bei der Bevorteilung des Bewucherten an ihre Grenze zu stoßen.567 Die Prävention wäre in gleicher Weise verwirklicht, wenn marktübliche Zinsen nicht an den Bewucherten, sondern etwa an eine gemeinnützige Einrichtung zu zahlen wären. Rechtspolitisch wird diese Lösung durchaus erwogen.568 Deren Realisierung wäre allerdings wohl mit Kosten und Aufwand verbunden, die die gemeinnützigen Vorteile der Zahlung insgesamt aufzehren dürften. Eine Zahlung an eine gemeinnützige Einrichtung ist auch deshalb entbehrlich, weil die Verteilung zugunsten des Bewucherten durch ergänzende Verteilungsmaßstäbe, letztlich aber auch durch das Präventionsprinzip begründet werden kann. Zwischen dem Bewucherten und dem Wucherer ist durch den angestrebten, wenngleich zumindest in Teilen nichtigen Vertrag ein Näheverhältnis entstanden. Schon dieses Band zwischen Wucherer und Bewucherten legt nahe, dem Bewucherten Zufallsgewinne zufließen zu lassen. Zugleich bedeutet die Verteilung zugunsten der Bewucherten bei verallgemeinernder Betrachtung eine Besserstellung der Gruppe der Bewucherten. Diese Verteilung kann ergänzend auch unter dem Aspekt des Schwächerenschutzes gerechtfertigt werden. Häufig werden sich gerade Personen, die zu sittenwidrigen Bedingungen Kredite aufnehmen, in einer wie auch immer gearteten wirtschaftlich, persönlich oder sozial schwachen Stellung befinden. Natürlich ist dies nicht zwingend der Fall, so dass Fehlsteuerungen nicht ausgeschlossen werden können. Wenn Richter aber auch mit Blick auf die von ihnen entschiedenen Konstellationen insgesamt von einer tendenziellen Schwäche der Bewucherten ausgehen, können sie bei ihren Entscheidungen auch diesen Maßstab berücksichtigen. Auch der Präventionsgedanke kann die Verteilung zugunsten der Bewucherten erklären. Wenn sittenwidriges Verhalten wirkungsvoll vermieden werden soll, muss solches Verhalten aufgedeckt und der mit solchem Gebaren erstrebte Profit vereitelt werden. Es besteht also ein gesamtgesellschaftliches Interesse daran, Fälle von Wucherdarlehen der gerichtlichen Klärung 566

Vgl. Medicus, in: Hueck/Richardi (Hrsg.), Gedächtnisschrift für Rolf Dietz, 1973, S. 61,

71 f. 567 Vgl. stellvertretend S. Lorenz, in: Staudinger, BGB, § 817 BGB Rn. 12: „Nur der Strafgedanke ergibt die völlig unentgeltliche Kapitalüberlassung“. 568 Vgl. etwa Bydlinski, AcP 2004, 309, 351 ff.

B. Verhaltenssteuerung und Prävention

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zuzuführen. Wenn nun diejenigen, die einen Wucherkredit mit Erfolg bekämpfen, finanziell davon profitieren, entsteht ein erhöhter Anreiz, sich gegen das Wucherdarlehen notfalls auch mit gerichtlichen Mitteln zu wehren. Dies kann weiter dazu beitragen, dass sittenwidriges Verhalten aufgedeckt wird. Insofern kann der Präventionsgedanke zumindest ergänzend die Bereicherung des Bewucherten rechtfertigen. Soweit der Bewucherte durch die Aussicht auf solche Gewinne zum Kampf um sein Recht gebracht wird, kann sittenwidriges Verhalten im Rechtsverkehr noch effektiver eingedämmt werden. 2. Das Verbot der geltungserhaltenden Reduktion Ein weiteres Beispiel für die vertragsrechtlich angestrebte Motivation zu fairem Geschäftsgebaren bietet das Verbot der geltungserhaltenden Reduktion insbesondere im Recht allgemeiner Geschäftsbedingungen. Dieses Verbot legt der BGH seiner ständigen Rechtsprechung zugrunde.569 Das Verbot der geltungserhaltenden Reduktion wird nur aus einer verallgemeinernden Sichtweise verständlich, wie sie für die iustitia distributiva typisch ist. Die geltungserhaltende Reduktion ist nicht etwa wegen der zwischen den unmittelbar am Vertrag beteiligten Personen ausgeschlossen, in deren Verhältnis man oft auch gute Gründe für eine solche Reduktion finden kann. Vielmehr geht es um die Steuerungswirkung des Rechts allgemeiner Geschäftsbedingungen für die künftige Ausgestaltung allgemeiner Geschäftsbedingungen im Allgemeinen. Letztlich wird daher im Interesse der Allgemeinheit eine unerwünschte Verwendung allgemeiner Geschäftsbedingungen für die Zukunft vermieden.570 Die präventive Wirkung wird so zum Ziel vertragsrechtlicher Rechtsprechung.571 Ob die durch das Verbot der geltungserhaltenden Reduktion erfolgende Konkretisierung der iustitia distributiva inhaltlich überzeugt, soll damit allerdings nicht entschieden sein. Für die Aufrechterhaltung eines tragfähigen Minimalkonsenses der Parteien lassen sich häufig gute Gründe finden,572 zumal auch der BGH in seiner Rechtsprechung zur Teilbarkeit von Vertragsklauseln sowie zur ergänzenden Vertragsauslegung im praktischen Ergebnis oft nicht weit von einer geltungserhaltenden Reduktion entfernt ist.573 569

S. etwa BGHZ 72, 206, 208; BGHZ 84, 109, 114 ff.; BGHZ 86, 284, 297; BGHZ 114, 338, 342 f.; für den kaufmännischen Verkehr vgl. etwa BGHZ 92, 312, 314 f.; BGH NJW 2000, 1110, 1113. 570 Ebert, Pönale Elemente im deutschen Privatrecht, S. 376 ff.; Cahn, JZ 1997, 14 f. 571 Vgl. auch Sosnitza, BB 2000, 2317, 2321. 572 Vgl. schon Raiser, Das Recht der allgemeinen Geschäftsbedingungen, S. 324, der forderte, „daß mißbräuchliche Bestimmungen … wo das möglich ist, auf das rechte Maß herabgesetzt werden“; s. im Übrigen insbesondere Hager, Gesetzes- und sittenkonforme Auslegung und Aufrechterhaltung von Rechtsgeschäften, S. 63 ff. sowie H. Roth, JZ 1989, 411; Hager, JZ 1996, 175; und Uffmann, NJW 2012, 2225, 2229, alle m.w.N. 573 Vgl. auch im Kontext des Bürgschaftsrechts S. Arnold, Die Bürgschaft auf erstes Anfordern im deutschen und englischen Recht, S. 94 f. und 164 f.

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§ 5 Konkretisierungen der iustitia distributiva im positiven Vertragsrecht

II. Prävention unlauteren Wettbewerbs Die Verhinderung unlauterer Wettbewerbsmethoden ist eine zentrale Funktion des Wettbewerbsrechts. Sie ist insofern Gegenstand spezieller Regelungen – insbesondere im UWG sowie ergänzend im GWB. In jüngerer Zeit ist indes auch eine Instrumentalisierung des Vertragsrechts zur Verhinderung unlauterer Wettbewerbsmethoden zu beobachten. So haben insbesondere § 241a BGB sowie § 661a BGB zum Ziel, bestimmte Wettbewerbsmethoden zu verhindern. Gegen diese Instrumentalisierung des Vertragsrechts werden immer wieder Bedenken erhoben. In der Tradition einer marktliberalen Perspektive ermöglichen die wettbewerbsrechtlichen Spezialregelungen (insbesondere das UWG und das GWB) dem Vertragsrecht, auf der Grundlage von Vertragsfreiheit und iustitia commutativa zu operieren, ohne wettbewerbsrechtliche Aspekte berücksichtigen zu müssen. Finkenauer artikuliert diesen Aspekt in seiner rechtspolitischen Kritik des § 241a BGB besonders deutlich: „An der liberalen Konzeption des Privatrechts als eines weitgehend staatsfreien Raumes ist, soweit es im Zeitalter des Verbraucherschutzes noch möglich ist, festzuhalten und den verbreiteten Tendenzen, auch mit der Hilfe des Privatrechts Verhalten zu steuern, entgegenzuwirken.“574

Die Instrumentalisierung des Vertragsrechts zu Zwecken der Verhaltenssteuerung scheint Finkenauer als Angriff auf die klassische, liberale Konzeption des Privatrechts zu verstehen.575 Eine klare Trennung der jeweiligen Ordnungsaufgaben von Wettbewerbsrecht und Vertragsrecht lässt sich mit den jüngeren Entwicklungen in der Tat kaum vereinbaren. Doch unabhängig davon ist eine Isolierung des Vertragsrechts von wettbewerbsrechtlichen Ordnungsaufgaben kaum möglich. Das Vertragsrecht steht ohnehin in einem engen Zusammenhang zum Wettbewerbsrecht.576 Leistner beschreibt treffend den angestrebten Vertragsschluss als „gemeinsamen Fluchtpunkt“ von Vertrags- und Wettbewerbsrecht.577 Beide Regelungsmaterien greifen bei einer funktionsorientierten Analyse ergänzend ineinander.578 So sind auch etwa vertragsrechtliche Sanktionen bei wettbewerbswidrigen Verträgen durchaus anerkannt. So können die §§ 134, 138 BGB – freilich in engen Grenzen – auch zur Nichtigkeit wettbewerbswidriger Verträge führen.579 Auch wegen des gemeinsamen europarechtlichen Rahmens und des verbraucherschutzrechtlichen Anliegens lässt 574

Finkenauer, in: MünchKomm BGB, § 241a BGB Rn. 5. Vgl. auch Casper, ZIP 2000, 1602, 1606: „Sanktionsnormen gehören ins öffentliche Recht, zumindest aber ins Wettbewerbsrecht.“. 576 Zum Zusammenhang von Wettbewerbsfreiheit und Vertragsrecht s. exemplarisch Bürge, Zeitschrift für Schweizerisches Recht N.F. 102 I 1983, 427, 441 ff. 577 Leistner, Richtiger Vertrag und lauterer Wettbewerb, S. 251. 578 Leistner, a.a.O., passim, zusammenfassend S. 1084 ff. 579 Etwa Ohly, in: Piper/Ohly/Sosnitza, Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb, Einführung D Rn. 67 f.; Leistner, Richtiger Vertrag und lauterer Wettbewerb, S. 527 ff. 575

B. Verhaltenssteuerung und Prävention

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sich ein unberührtes Nebeneinander der beiden Regelungsmaterien kaum mehr überzeugend begründen. Betrachtet man das Vertragsrecht unter der Perspektive der iustitia distributiva, ist nur konsequent, dass das Vertragsrecht auch einen Beitrag zur Verhinderung unlauteren Wettbewerbs leistet. 1. Die Haftung des Unternehmers wegen Gewinnzusagen (§ 661a BGB) Gewinnzusagen sind als Werbemittel unbedenklich, solange die Unternehmen sie nur geben, wenn sie auch beabsichtigen, die versprochenen Gewinne herauszugeben und dies dann auch verwirklichen.580 Dagegen liegt ein Missbrauch dieses Werbemittels vor, wenn der Verbraucher gar keinen Gewinn erhalten soll, sondern vielmehr lediglich auf bestimmte Produkte aufmerksam gemacht oder dazu angeleitet wird, wegen nachfolgender Gewinnchancen Geld auszugeben oder teure Rufnummern anzurufen.581 Wettbewerbsrechtlich war dieses unerwünschte Verhalten nicht in den Griff zu bekommen.582 § 661 a BGB ergänzt insoweit das wettbewerbsrechtliche Instrumentarium583 durch einen vertragsrechtlichen Anspruch auf Herausgabe des Gewinns. Mit dem wettbewerbsrechtlichen Instrumentarium lässt sich ein solcher Anspruch nicht begründen. Insofern verfolgt § 661a BGB einen generalpräventiven Zweck, der darin besteht, wettbewerbswidrige Werbemaßnahmen zu verhindern.584 Der präventive Regelungszweck wird dabei vom Verbraucherschutz als Zielbestimmung ergänzt.585 Seiler spricht in diesem Zusammenhang treffend von „berechtigten und wichtigen Zielen innerhalb einer modernen Privatrechtsordnung.“586 Schäfer hält § 661a BGB für eine Bestätigung des pönalen Prinzips als „Teil des geltenden Bürgerlichen Rechts“.587 Dem BGH zufolge geht es dabei auch darum, dass der Unternehmer „für sein täuschendes Versprechen ,bestraft‘ werden“ soll, „indem er dem Verbraucher gem. § 661a BGB auf Erfüllung haftet“.588 Dabei steht aber das Wort „bestraft“ in der Ent580 Schmidt-Räntsch, in: Baums/Wertenbruch/Lutter u.a. (Hrsg.), Festschrift für Ulrich Huber zum siebzigsten Geburtstag, 2006, S. 575. 581 Schmidt-Räntsch, in: Baums/Wertenbruch/Lutter u.a. (Hrsg.), Festschrift für Ulrich Huber zum siebzigsten Geburtstag, 2006, S. 575, Fn. 2. 582 S. Lorenz, IPRax 2002, 192; Schmidt-Räntsch, in: Baums/Wertenbruch/Lutter u.a. (Hrsg.), Festschrift für Ulrich Huber zum siebzigsten Geburtstag, 2006, S. 575. 583 Schmidt-Räntsch, in: Baums/Wertenbruch/Lutter u.a. (Hrsg.), Festschrift für Ulrich Huber zum siebzigsten Geburtstag, 2006, S. 575. 584 BGHZ 165, 172, 183 f. m.w.N.; S. Lorenz, IPRax 2002, 192; Schröder/Thiessen, NJW 2004, 719; Vollkommer, in: Krause (Hrsg.), Recht der Wirtschaft und der Arbeit in Europa, 2004, S. 845, 857 ff.; Schäfer, JZ 2005, 981, 986. Der BGH hat inzwischen klargestellt, dass § 661a BGB keine Strafvorschrift i.S.d. Art. 103 Abs. 2 GG, § 1 StGB darstellt, s. BGH NJW 2003, 3620. 585 Vgl. etwa Seiler, in: MünchKomm BGB, § 661a BGB Rn. 1. 586 Seiler, in: MünchKomm BGB, § 661a BGB Rn. 1. Vgl. auch Schäfer, JZ 2005, 981, 987. 587 Schäfer, JZ 2005, 981, 987. 588 BGHZ 165, 172, 183 f.; so schon Vollkommer, in: Krause (Hrsg.), Recht der Wirtschaft und der Arbeit in Europa, 2004, S. 845, 857 f.

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scheidung des BGH nicht grundlos in Anführungszeichen. Es geht nicht um eine zivilrechtlich verkappte Kriminalstrafe im engeren Sinn,589 sondern um die generalpräventive Wirkung der Regelung.590 Diese soll dadurch erreicht werden, dass § 661a BGB das Risiko eines Missbrauchs von Gewinnzusagen erheblich erhöht591. Die Effektivität der Regelung ist allerdings faktisch dadurch beeinträchtigt, dass Unternehmer ihren Sitz verschleiern und in das Ausland ausweichen können.592 2. Die Zusendung unbestellter Leistungen (§ 241a BGB) Unbestellte Waren zuzusenden wird seit Langem als unlautere Form des Wettbewerbs angesehen.593 So stellt das UWG auch die klassischen wettbewerbsrechtlichen Sanktionen zur Bekämpfung solchen Geschäftsgebarens zur Verfügung. Diese Sanktionen können aber nicht verhindern, dass der Empfänger der Waren zivilrechtlichen Ansprüchen des Versenders ausgesetzt ist.594 Gerade hier setzt § 241a BGB an. Die Regelung schließt nicht nur eine Verwahrungspflicht des Empfängers unbestellter Waren aus, sondern auch denkbare Folgeansprüche des Absenders auf Rückgabe.595 Flume forderte, die Regelung als „pro non scripta“ zu behandeln,596 wozu freilich rechtspolitische oder stilistische Einwände gegen die Norm nicht berechtigen.597 Auch § 241a BGB verfolgt einen präventiven Regelungszweck, der die iustitia distributiva konkretisiert. Die Regelung soll eine unlautere Geschäftsmethode zu verhindern

589 Zur Abgrenzung etwa R. Stürner, Zeitschrift für Medien- und Kommunikationsrecht 1997, 1, 7 f. 590 BGH NJW 2003, 3620; näher etwa Schröder/Thiessen, NJW 2004, 719, 720. 591 Schmidt-Räntsch, in: Baums/Wertenbruch/Lutter u.a. (Hrsg.), Festschrift für Ulrich Huber zum siebzigsten Geburtstag, 2006, S. 575, 590; zur Passivlegitimation und zum einstweiligen Rechtsschutz in diesem Kontext Vollkommer, in: Krause (Hrsg.), Recht der Wirtschaft und der Arbeit in Europa, 2004, S. 845, 850 ff. 592 Schmidt-Räntsch, in: Baums/Wertenbruch/Lutter u.a. (Hrsg.), Festschrift für Ulrich Huber zum siebzigsten Geburtstag, 2006, S. 575, 590. Zu Fragen der internationalverfahrensrechtlichen und kollisionsrechtlichen Qualifikation des § 661a BGB s. etwa S. Lorenz, IPRax 2002, 192; Leipold, in: Heinrich (Hrsg.), Festschrift für Hans-Joachim Musielak zum 70. Geburtstag, 2004, S. 317; Vollkommer, in: Krause (Hrsg.), Recht der Wirtschaft und der Arbeit in Europa, 2004, S. 845. Der EuGH hat sich für das europäische Zivilverfahrensrecht der vertragsrechtlichen Qualifikation angeschlossen, vgl. EuGH, NJW 2005, 811 (Engler) und dazu stellvertretend Leible, NJW 2005, 796. 593 Dazu stellvertretend Köhler, in: Köhler/Bornkamm/Baumbach u.a. (Hrsg.), Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb, § 7 UWG Rn. 82 ff. 594 Einzelheiten etwa bei Sosnitza, BB 2000, 2317, 2318. 595 Dazu etwa S. Lorenz, in: Rauscher/Mansel (Hrsg.), Festschrift für Werner Lorenz zum 80. Geburtstag, 2001, S. 193, 198 ff.; Deckers, NJW 2001, 1474. 596 Flume, ZIP 2000, 1427, 1429. Sehr kritisch auch etwa Altmeppen, in: Genzow (Hrsg.), Zwischen Vertragsfreiheit und Verbraucherschutz, 2010, S. 1. 597 S. Lorenz, in: Rauscher/Mansel (Hrsg.), Festschrift für Werner Lorenz zum 80. Geburtstag, 2001, S. 193, 199 f.

B. Verhaltenssteuerung und Prävention

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helfen. Vertragsrecht dient hier der Generalprävention.598 S. Lorenz charakterisiert § 241a BGB deshalb treffend als „bürgerlich-rechtliche Sanktion wettbewerbswidriger Verhaltensweisen, wodurch der Gesetzgeber wettbewerbsrechtlichen Verhaltensgeboten größere Effektivität verschaffen will.“599

III. Zur Kritik an der Instrumentalisierung des Vertragsrechts zu Verhaltenssteuerung und Prävention Die Instrumentalisierung des Vertragsrechts zu Verhaltenssteuerung und Prävention wird immer wieder kritisiert. Die Kritik wurzelt in der Regel in der oben bereits eingehend erörterten Trennung öffentlicher und privater Sphären,600 die mit der Zuordnung der je maßgeblichen Gerechtigkeitsformen (iustitia distributiva im öffentlichen, iustitia commutativa im privaten Bereich) einhergeht. Dass die These von der iustitia distributiva als Gerechtigkeitsform des öffentlichen Rechts nicht überzeugt, ist oben schon eingehend erörtert.601 An dieser Stelle mag daher eine kursorische Auseinandersetzung mit einigen Kritikpunkten genügen. Berger etwa wendet sich grundsätzlich dagegen, mit zivilrechtlichen Mitteln Sanktion und Abschreckung erreichen zu wollen; dies sei Aufgabe des Strafund Ordnungswidrigkeitenrechts“.602 Auch Honsell spricht sich gegen die Instrumentalisierung des Zivilrechts für präventive Zwecke aus.603 Im Ausgangspunkt ordnet er den Präventionsgedanken freilich zutreffend der iustitia distributiva zu.604 Seine Ablehnung des Präventionsgedankens ist insofern konsequent, als die iustitia distributiva Honsell zufolge keine Rolle im Vertragsrecht spielen darf.605 Für präventive Aspekte zieht Honsell die von dieser Warte aus schlüssige Konsequenz: 598 Sosnitza, BB 2000, 2317, 2320; Vollkommer, in: Krause (Hrsg.), Recht der Wirtschaft und der Arbeit in Europa, 2004, S. 845, 858. 599 S. Lorenz, in: Rauscher/Mansel (Hrsg.), Festschrift für Werner Lorenz zum 80. Geburtstag, 2001, S. 193, 199. Ähnlich G. Wagner, AcP 2006, 352, 469: „§ 241a BGB ist damit eine wettbewerbsrechtliche Sanktion im Gewand einer zivilrechtlichen Norm.“. 600 Deutlich etwa bei Kloepfer, Natur + Recht 1997, 337, 339. 601 S. 99 ff. Im Kontext von Verhaltenssteuerung und Prävention s. auch G. Wagner, AcP 2006, 352, 423 f. 602 Berger, JuS 2001, 649, 651; s. auch S. 654: „Im übrigen sollte § 241a BGB wegen seines zivilrechtspolitisch nicht unbedenklichen Sanktionscharakters eng ausgelegt werden.“. 603 Honsell, in: Aderhold (Hrsg.), Festschrift für Harm Peter Westermann zum 70. Geburtstag, 2008, S. 315. Honsell spricht im Wesentlichen von „pönalen Elementen“ oder „Strafe“, bemerkt dazu allerdings, dass darunter heute vor allem Generalprävention verstanden werde, vgl. Honsell, in: Aderhold (Hrsg.), Festschrift für Harm Peter Westermann zum 70. Geburtstag, 2008, S. 315, 319: „Wer heute für das Zivilrecht pönale Elemente reklamiert, meint in der Regel Genugtuung oder Generalprävention.“. 604 Honsell, in: Aderhold (Hrsg.), Festschrift für Harm Peter Westermann zum 70. Geburtstag, 2008, S. 315. 605 Honsell, in: Schermaier/Rainer/Winkel (Hrsg.), Iurisprudentia universalis, 2002, S. 287.

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„Pönale Elemente sind im Zivilrecht ein Fremdkörper, bewirken eine schleichende Entprivatisierung des Privatrechts, widersprechen dem Prinzip der Privatautonomie, beachten die Funktionsteilung zum Strafrecht nicht und sind schließlich ungerecht, weil sie tendenziell nicht schuldangemessen sind und auf eine ungerechtfertigte Bereicherung des Geschädigten zielen.“606

Durchaus beifallswert ist die Zuordnung des Präventionsgedankens zur iustitia distributiva. Indes hat sich gezeigt, dass Regelungen mit präventivem Charakter integraler Bestandteil des Zivilrechts sind. Ein Widerspruch zur Privatautonomie liegt darin nicht, weil das Prinzip formaler Selbstbestimmung auch im Privatrecht keine uneingeschränkte Geltung beanspruchen kann, sondern notwendig durch materielle Gerechtigkeitsprinzipien ergänzt wird. Im Übrigen ist ein formal verstandenes Prinzip der Privatautonomie auch konzeptionell nicht in der Lage, die für die rechtspraktische Konkretisierung des Vertragsrechts erforderlichen Inhalte zu generieren.607 Schließlich kann die Dogmatik auch die Abgrenzung zum Strafrecht leisten.608 Der Begriff der Strafe, wie er insbesondere Art. 103 Abs. 2 GG und § 1 StGB zugrunde liegt, ist auf die Kriminalstrafgesetze ausgelegt.609 Die in diesen sanktionierten Tatbestände sind „mit einem ehrenrührigen, autoritativen Unwerturteil über eine Verhaltensweise des Betroffenen, dem Vorwurf einer Auflehnung gegen die Rechtsordnung und der Feststellung der Berechtigung dieses Vorwurfs verbunden“.610 Auch wenn sich Strafrecht und Zivilrecht in generalpräventiven Regelungsanliegen berühren mögen, lässt sich daher der Begriff der Kriminalstrafe von präventiven Regelungszwecken des Zivilrechts trennen.611 Zivilrechtlich bietet sich zugleich an, auf den gar zu vielfältig konnotierten Begriff der „Strafe“ zu verzichten und lediglich von Verhaltenssteuerung und Prävention zu sprechen. Für diese Zwecke kann das vertragsrechtliche Instrumentarium Vorzüge bieten, derer sich der Gesetzgeber im Rahmen seiner Einschätzungsprärogative bedienen kann. Dem Gesetzgeber steht es frei, im Rahmen der verfassungsrechtlichen Grenzen auch vertragsrechtliche Normen mit präventivem

606 Honsell, in: Aderhold (Hrsg.), Festschrift für Harm Peter Westermann zum 70. Geburtstag, 2008, S. 315, 335. 607 G. Wagner, AcP 2006, 352, 423 f. 608 G. Wagner, AcP 2006, 352, 360 ff. sowie 433. 609 BVerfGE 43, 101, 105. G. Wagner unterscheidet zivilrechtliche Normen mit präventiver Wirkung auch hinsichtlich ihrer Rechtfertigung von Straftaten. Bei der Kriminalstrafe sei die Sanktion – anders als bei präventiven Zivilrechtsnormen – aus der Straftat und deren Unrecht heraus als Vergeltung gerechtfertigt, vgl. G. Wagner, AcP 2006, 352, 433. Ob diese Unterscheidung trägt, soll hier offenbleiben, auch deshalb, weil sie die schwierige Frage nach dem Zweck der Kriminalstrafe berührt. Dazu stellvertretend Schünemann, in: Dölling (Hrsg.), Jus humanum, 2003, S. 537. 610 BVerfGE 43, 101, 105; s. auch BVerfGE 22, 49, 80. 611 Dazu G. Wagner, AcP 2006, 352, 360 ff.

B. Verhaltenssteuerung und Prävention

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Charakter zu schaffen.612 Ihm kommt bei der Einschätzung der Effektivität des Vertragsrechts als Regelungsinstrument eine Einschätzungsprärogative zu.613 Dabei liegt keineswegs fern, eine effektivere Prävention auch durch die Mittel des Vertragsrechts zu bewirken.614 Wie schon § 817 S. 2 BGB illustriert, ist der Präventionsgedanke dem Zivilrecht weder neu noch fremd.615 Und an den faktischen Auswirkungen der Ausgestaltung des Vertragsrechts auf das Verhalten der Privatrechtssubjekte kann kein ernsthafter Zweifel bestehen.616 Die mögliche Effektivität des Vertragsrechts zur Verhaltenssteuerung ist oben schon eingehend erläutert worden.617 So ermöglichen etwa Regelungen wie §§ 241a und 661a BGB einen Selbstvollzug des Rechts. Weder ist die Durchsetzung des gesetzgeberischen Anliegens durch eine Behörde notwendig, noch müssen die staatlichen Einrichtungen privater Zwangsvollstreckung fruchtbar gemacht werden. Die Vollstreckung erfolgt vielmehr im Idealfall durch den Schatten des Vertragsrechts.618 Denn die jeweils erfassten Wettbewerbshandlungen können ohne weitere Maßnahmen allein deshalb unterbleiben, weil die durch die Regelungen begründeten Kosten des wettbewerbswidrigen Handelns dieses unattraktiv machen. Bei den Gewinnzusagen, also im Anwendungsbereich des § 661a BGB, bleibt den Unternehmern allerdings der Ausweg, ihre Tätigkeit zu verschleiern und vom Ausland aus zu operieren.619 Im Bereich des § 241a BGB scheint sich dagegen dieser potenzielle Vorzug selbstregulierender Vorschriften auch realisiert zu haben. Die Konkretisierung der iustitia distributiva durch § 241a BGB erfolgt durch einen kostengünstigen Selbstvollzug der Vorschrift.620

612 S. Lorenz, in: Rauscher/Mansel (Hrsg.), Festschrift für Werner Lorenz zum 80. Geburtstag, 2001, S. 193, 200. Für Verfassungswidrigkeit des § 241a BGB plädiert wegen einer „Entkernung“ des Eigentumsrechts Schwarz, NJW 2001, 1449, 1454. 613 S. Lorenz, in: Rauscher/Mansel (Hrsg.), Festschrift für Werner Lorenz zum 80. Geburtstag, 2001, S. 193, 200; Sosnitza warnt deshalb mit Blick auf § 241a BGB zu Recht vor einer Korrektur der gesetzgeberischen Entscheidung durch Rechtsprechung und Wissenschaft, s. Sosnitza, BB 2000, 2317, 2320. 614 G. Wagner, AcP 2006, 352, 424 f. Vgl. auch Sosnitza, BB 2000, 2317, 2320 mit Blick auf § 241a BGB: „Der Schutz ist allerdings sicher höher, wenn … der Herausgabeanspruch beseitigt wird“. 615 S. Lorenz, in: Rauscher/Mansel (Hrsg.), Festschrift für Werner Lorenz zum 80. Geburtstag, 2001, S. 193, 200 f.; aA: Honsell, in: Aderhold (Hrsg.), Festschrift für Harm Peter Westermann zum 70. Geburtstag, 2008, S. 315, 317. 616 G. Wagner, AcP 2006, 352, 424. 617 Oben, S. 280 ff. 618 Dazu schon oben, S. 280 ff. sowie S. 287 f. 619 Vgl. etwa OLG Thüringen OLG-NL 2006, 241. S. Lorenz bezeichnet Gewinnmitteilungen vor diesem Hintergrund als „unausrottbares Übel“, s. S. Lorenz, NJW 2006, 472. 620 Dazu auch oben, S. 280 ff.

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C. Soziale Gerechtigkeit und Umverteilung I. Allgemeines Die Perspektive der iustitia distributiva erstreckt sich auch auf die Verwirklichung sozialer Gerechtigkeit durch die Umverteilung von Vermögen zwischen Privatrechtssubjekten. Paradigmatisch ist dabei die soziale Umverteilung von reichen hin zu armen Bürgern.621 Ob und in welchem Umfang solche Umverteilungsmaßnahmen vorgenommen werden sollen, ist eine hochgradig umstrittene gesellschafts- und rechtspolitische Frage.622 Das Vertragsrecht ist indes, wie oben erörtert, zur Realisierung systematischer Umverteilung aus sozialen Gründen nur begrenzt geeignet. Zudem wird es in dieser Aufgabe durch andere rechtliche Institutionen ergänzt. Aus diesen Gründen sollten Vorschläge zur Instrumentalisierung des Vertragsrechts als Medium der Vermögensumverteilung mit Zurückhaltung aufgenommen werden.623 Die iustitia distributiva begegnet im positiven Recht als soziale Umverteilungsgerechtigkeit letztlich auch immer dann, wenn die Zuweisung von Schadensrisiken oder Schadensfolgen schlicht nach dem Gedanken finanzieller Leistungsfähigkeit erfolgen soll. Im deutschen Deliktsrecht ist dieser „deep pocket“-Gedanke in § 829 BGB verwirklicht, und findet immer wieder Verwendung.624 Das Argument scheint aber auch dann durch, wenn nicht die Finanzkraft als solche, sondern die relative Versicherbarkeit von Risiken als Argument Verwendung findet.625 Für eine weitergehende Instrumentalisierung des Vertragsrechts zur Erreichung sozialer Gerechtigkeit durch Vermögensumverteilung hat sich insbesondere Wilhelmsson eingesetzt.626 Im Herzen seiner Arbeiten steht die Forderung, ein soziales Vertragsrecht zu entwickeln, das an menschlichen und so621 Zu der im Einzelnen deutlich komplexeren Systematik und Wirkung sozialer Umverteilung s. nur Zacher, DÖV 1970, 3, 5 ff. 622 Dazu schon oben, S. 71 ff. und S. 272 ff. Zu unterschiedlichen Konzepten sozialer Gerechtigkeit im Kontext des europäischen Vertragsrechts Wilhelmsson, European Law Journal 2004, 712. Umfangreich zu wichtigen Vertragstheorien mit Blick auf das Europäische Vertragsrecht Lurger, Grundfragen der Vereinheitlichung des Vertragsrechts in der Europäischen Union, Habilitationsschrift an der Universität Graz, Juni 1998, S. 372 ff. sowie (etwas knapper) dies., Grundfragen der Vereinheitlichung des Vertragsrechts in der Europäischen Union, 2002, S. 393 ff. 623 S. dazu schon oben, S. 272 ff. 624 Gärtner, JuS 1988, 579, 580 m.w.N. 625 Vgl. dazu etwa Katzenmeier, VersR 2002, 1449. Die deutsche Diskussion konzentriert sich bislang im Wesentlichen auf die deliktische Haftung; s. dazu etwa Rohe, AcP 2001, 117, 147 ff. 626 S. etwa Wilhelmsson, Critical Studies in Private Law; Wilhelmsson, Social Contract Law and European Integration. Zu Wilhelmsson’s Ansatz und ähnlich sozial geprägten Vertragstheorien instruktiv Lurger, Grundfragen der Vereinheitlichung des Vertragsrechts der Europäischen Union, Habilitationsschrift an der Universität Graz, Juni 1998, S. 511 ff. sowie (etwas knapper) dies., Grundfragen der Vereinheitlichung des Vertragsrechts in der Europäischen Union, 2002, S. 427 ff.

C. Soziale Gerechtigkeit und Umverteilung

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zialen Bedürfnissen sowie an Fairness-Gedanken orientiert ist.627 Dieses Konzept würde die Verteilungsstrukturen des Vertragsrechts erheblich verändern und soll seiner Zielrichtung nach eine Umverteilung von Vermögen von wohlhabenden zu weniger wohlhabenden Personen bewirken. Ein besonders anschauliches Beispiel für das Konzept des sozialen Vertragsrechts bietet etwa Wilhelmssons’ Doktrin der „sozialen force majeur“,628 die sich auch an dem von Reifner entwickelten Konzept629 orientiert. Dieser Vorschlag lohnt einer näheren Betrachtung, weil sich an seinem Beispiel die grundsätzlichen Schwierigkeiten einer Instrumentalisierung des Vertragsrechts für Ziele sozialer Umverteilungsgerechtigkeit exemplarisch und deutlich illustrieren lassen.

II. Soziale force majeur bei Geldschulden? Der Grundgedanke der „sozialen force majeur“ ist folgender: Wenn der Schuldner durch ein unvorhersehbares und unverschuldetes Ereignis (wie Arbeitslosigkeit oder Krankheit) an der Zahlung gehindert ist, müsste das soziale Vertragsrecht reagieren – etwa durch die Reduzierung von Zahlungspflichten oder auch durch die Einräumung von Kündigungsbefugnissen bei langfristigen Verträgen.630 Der Gedanke einer sozialen force majeur bietet ein anschauliches Beispiel für die Perspektive der iustitia distributiva mit dem spezifischen Ziel einer Vermögensumschichtung von reich nach arm. Auch begegnet es keinen grundsätzlichen Einwänden, das Vertragsrecht für die Realisierung sozial- und gesellschaftspolitischer Ziele einzusetzen. Die Politisierung des Vertragsrechts ist auch in anderen Zusammenhängen kaum zu vermeiden. Allerdings kann das Vertragsrecht Umverteilungsmaßnahmen nur unter engen Bedingungen systematisch erfolgreich erreichen. Das Konzept der sozialen force majeur illustriert einmal mehr die fehlende Passgenauigkeit des Vertragsrechts: Gewinnen wurden nur diejenigen in Armut Gefallenen, die Geldschulden belasten. Verlieren würden außerdem nur die Reichen, die das „Pech“ haben, dass gerade ihre Schuldner in Armut geraten sind. Diese mangelnde Präzision und Effektivität vertragsrechtlicher Umverteilungsmaßnahmen ist allerdings noch kein zwingendes Gegenargument: Man mag die erzielte Verteilungswirkung so hoch bewerten wollen, dass Fehlsteuerungen und Unvollständigkeiten in Kauf genommen werden. Indes würde dies einen weiteren wichtigen Aspekt vernachlässigen. Die iustitia distributiva wird in unserer Rechtsordnung nicht ausschließlich durch das Vertragsrecht realisiert. Vielmehr wird das Vertragsrecht insbesondere durch das Sozial- und 627

Wilhelmsson, Critical Studies in Private Law, S. 21 ff. Wilhelmsson, Critical Studies in Private Law, S. 180 ff. 629 Reifner, Alternatives Wirtschaftsrecht am Beispiel der Verbraucherverschuldung, S. 291 ff. 630 Zu Einzelheiten Wilhelmsson, Critical Studies in Private Law, S. 180 ff. 628

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§ 5 Konkretisierungen der iustitia distributiva im positiven Vertragsrecht

Steuerrecht, aber auch durch das Vollstreckungs- und Insolvenzrecht unterstützt. Dazu gehört insbesondere das Recht der Verbraucherinsolvenz gem. §§ 304 ff. InsO. Welches Verteilungsmedium für welche Lebensbereiche eingesetzt wird, ist aber eine rechtspolitische Entscheidung, die in die Einschätzungsprärogative des Gesetzgebers fällt. Mit der Implementierung einer Doktrin der sozialen force majeur in das Unmöglichkeitsrecht würde die gesetzgeberische Entscheidung der §§ 304 ff. InsO konterkariert, privaten Schuldnern die Verbraucherinsolvenz zu eröffnen, wenn sie aus sozialen Gründen (wie Armut oder Krankheit) Geldschulden nicht mehr zahlen können. Wegen dieser gesetzgeberischen Entscheidung dürfte auch der Vorschlag nicht mehr aufrecht zu erhalten sein, bei außergewöhnlich hohen Schäden in Ausnahmefällen Schadensersatzansprüche zu reduzieren, wenn die Zahlung den Schuldner ruinieren würde und der Gläubiger auf die volle Befriedigung nicht angewiesen ist.631

III. Zur Dogmatik des § 275 BGB: Unmöglichkeit der Leistung bei Geldschulden In der dogmatischen Ausgestaltung des Unmöglichkeitsrechts sollten die oben aufgezeigten maßgeblichen Wertungskriterien einen offenen Ausdruck finden. Die h.M. wendet § 275 Abs. 1 BGB nicht auf Geldschulden an.632 Zur Begründung wird häufig der Topos „Geld hat man zu haben“ aufgeführt.633 Das Ergebnis der h.M. wird allerdings durch diesen Topos nicht getragen. Der Wortlaut des § 275 Abs. 1 BGB gibt die Begrenzung auf andere Schulden als Geldschulden nicht her. Und die historische Gesetzesauslegung spricht ebenfalls gegen die h.M. In § 275 des Diskussionsentwurfs zur Schuldrechtsreform war eine Ausnahme der Geldschuld vom Unmöglichkeitsrecht ausdrücklich vorgesehen. In den endgültigen Gesetzestext fand diese Regelung allerdings keinen Eingang. Der Wortlaut des § 275 Abs. 1 BGB und die Gesetzessystematik sprechen eine deutliche Sprache und verlangen, § 275 Abs. 1 BGB auch auf die Geldschuld anzuwenden.634 Diese Anwendung führt jedoch keineswegs dazu, dass etwa die oben angesprochene Doktrin der sozialen force majeur in § 275 Abs. 1 BGB zu integrieren wäre. Vielmehr lassen sich die oben angesproche631 So noch vor der Einführung der Verbraucherinsolvenz Canaris, JZ 1987, 993, S. 1002 f.; auch danach allerdings ebenso noch Neuner, Privatrecht und Sozialstaat, S. 105 f. Rechtspolitische Überlegungen zur Problematik bei Gärtner, JuS 1988, 579. 632 BGH NJW 1989, 1276, 1278; BGHZ 143, 373, 379 = NJW 2000, 1496, 1497 f; BGH NJW 2002, 1872, 1874; K. Schmidt, in: Staudinger, Rn. C 30 ff. vor §§ 244 ff.; Grundmann, in: MünchKomm BGB, § 245 Rn. 21; Huber, in: Heinze/Söllner (Hrsg.), Gedächtnisschrift für Meinhard Heinze, 2005, S. 395 f. 633 S. nur Huber, in: Staudinger, Eckpfeiler des Zivilrechts, D. Rn. 106 m.w.N. 634 Dazu und zur Anwendung des § 275 BGB bei Geldschulden grundlegend Kähler, AcP 2006, 805.

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nen Wertungen dogmatisch ohne jeden Bruch in die Anwendung des § 275 Abs. 1 BGB integrieren. Die Regelung verlangt, dass die Leistungserbringung unmöglich ist. Objektive Unmöglichkeit ist bei Geldschulden ohnehin kaum denkbar. Subjektive Unmöglichkeit ließe sich zwar konzeptuell durchaus auch in dem etwa von Wilhelmsson und Reifner vertretenen Sinne einer sozialen force majeur verstehen: Subjektive Unmöglichkeit würde danach etwa vorliegen, wenn der Schuldner wegen Krankheit oder Ähnlichem in Armut verfallen ist. Und zugleich ist es eine normative Frage, ob diese Umstände subjektive Unmöglichkeit begründen können: Jenseits aller Wertungen lässt sich die Frage nach dem Tatbestand der Unmöglichkeit nicht beantworten. Indes ist auch bei schwer Kranken oder Arbeitslosen keineswegs ausgeschlossen, dass sie durch einen Glücksfund oder eine Erbschaft zu Vermögen gelangen (so dass sie doch noch oder wieder zahlen können). Diese unwahrscheinlichen Begebenheiten sollten aber aus normativen Gründen gerade wegen der oben ausgeführten Wertungen berücksichtigt werden. Denn die möglicherweise zur subjektiven Unmöglichkeit führenden Umstände sind bereits durch andere Rechtsinstitute geregelt, insbesondere durch das Sozialhilferecht und das Recht der Privatinsolvenz insbesondere in den §§ 304 ff. InsO.635 Dieses Ergebnis lässt sich durch eine Anwendung des § 275 Abs. 1 BGB begründen. Dieser Weg ist dogmatisch gegenüber dem Ansatz der h.M. vorzugswürdig. Denn er zwingt den Rechtsanwender, die maßgeblichen Wertungskriterien offen auszusprechen. Diese sollten nicht hinter einem Topos wie „Geld hat man zu haben“ versteckt werden.

D. Allgemeinwohlbelange Aus der Perspektive der iustitia distributiva lässt sich das Vertragsrecht auch zur Verwirklichung von Allgemeinwohlbelangen einsetzen und damit zum Schutz von Interessen, an denen die Allgemeinheit ein objektives Interesse hat – selbst wenn einzelne Privatrechtssubjekte subjektiv dieses Interesse nicht teilen.636 635 Zu den verbleibenden Anwendungsfällen des § 275 Abs. 1 BGB bei Geldschulden vgl. Kähler, AcP 2006, 805, 823 ff. Diese Fälle berühren die iustitia distributiva nicht in spezifischer Weise und werden hier nicht weiter erörtert. 636 Jüngst bietet das Wohnraummietrecht eine weitere, besonders anschauliche Konkretisierung der iustitia distributiva, die das Vertragsrecht für Allgemeinwohlbelange instrumentalisiert: Ein wesentliches Ziel des Mietrechtsänderungsgesetzes vom 11. März 2013 (BGBl I Nr. 13/2013, S. 434) bestand im Klimaschutz, den der Gesetzgeber auch über das Mietvertragsrecht zu fördern sucht. Dazu wurden zugleich Freiheitssphären der Vermieter zulasten derjenigen des Mieters erweitert, indem die Duldungspflichten des Mieters bei umweltfreundlichen Modernisierungsmaßnahmen (i.E. §§ 555a ff. BGB) ausgedehnt wurden. S. dazu nur Derleder, NZM 2013, 441 m.w.N. sowie oben, S. 319 f.

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I. Entlastung der Sozialhilfeträger durch §§ 519, 528 BGB Ein anschauliches Beispiel für den Schutz von Allgemeinwohlbelangen durch das Vertragsrecht bieten die §§ 519, 528 BGB. Gem. § 519 Abs. 1 BGB steht dem Schenker die Einrede des Notbedarfs gegen die Erfüllung seines Schenkungsversprechens zur Seite. Voraussetzung ist, dass er das Versprechen nur unter Gefährdung seines angemessenen Unterhalts oder seiner gesetzlichen Unterhaltspflichten erfüllen kann.637 Ursprünglich ließ sich § 519 Abs. 1 BGB noch vornehmlich als soziale Schutzvorschrift verstehen, die den Ruin des Schenkers durch seine Freigebigkeit verhindern wollte.638 Auch in dieser Zwecksetzung ließe sich freilich ein Wirken der iustitia distributiva unter dem Aspekt des Schwächerenschutzes erblicken. Indes ließe sich dieser Gedanke auch der iustitia commutativa zuordnen, wenn man im Verhältnis zwischen Schenker und Beschenkten gesteigerte Solidaritätspflichten erblickt, die danach verlangen, dass der Schenker die Wohltat im Notbedarf verweigern darf. Diese Aspekte erfassen allerdings die heute maßgeblichen Wirkungsaspekte des § 519 Abs. 1 BGB nicht mehr im Kern. Der Notbedarf von Menschen wird in unserem Sozialstaat vornehmlich durch das Sozialhilferecht aufgefangen. § 519 Abs. 1 BGB verhindert deshalb insbesondere auch, dass das Sozialsystem zugunsten des Beschenkten und durch die Freigebigkeit des Schenkers in Anspruch genommen wird.639 Dahinter steht letztlich ein fiskalpolitisches Interesse der Allgemeinheit, die Sozialhilfeträger finanziell zu entlasten. Ist die Schenkung bereits vollzogen, so zeigt sich auf der Ebene der Rückabwicklung ein ganz ähnlicher Mechanismus. Gem. § 528 Abs. 1 BGB kann der Schenker die Herausgabe des Geschenkes verlangen, soweit er nach der Vollziehung der Schenkung seinen angemessenen Unterhalt und bestimmte Unterhaltspflichten nicht mehr erfüllen kann.640 Auch diese Regelung dient dem Interesse der Allgemeinheit daran, dass die Sozialhilfeträger nicht durch die Freigebigkeit des Schenkers belastet werden.641 Dies zeigt sich hier unmittelbar in Form der sozialhilferechtlichen Überleitungsvorschrift des § 93 SGB XII. Die Sozialhilfeträger können den Rückforderungsanspruch des Schenkers auch noch nach seinem Tod bis zur Höhe des angemessenen Bedarfs des Schenkers geltend machen. Damit verwirklicht der Anspruch aus § 528 BGB im Zusammenspiel mit der sozialhilferechtlichen Überleitung durch § 93 SGB XII das Interesse der Allgemeinheit an einer Entlastung der Sozialhilfeträger. Dieses Interesse rechtfertigt auch ohne weiteres die von der Rechtsprechung praktizierte und von der wohl h.M. gestützte anspruchsfreundliche Auslegung des 637

Zu Einzelheiten s. nur Koch, in: MünchKomm BGB, § 519 BGB Rn. 2 ff. Wimmer-Leonhardt, in: Staudinger, § 519 BGB Rn. 1 m.w.N. 639 Neuner, Privatrecht und Sozialstaat, S. 242 und 280. 640 Zu Einzelheiten s. etwa Koch, in: MünchKomm BGB, § 528 BGB Rn. 3 ff. 641 St. Rspr. des BGH, s. etwa BGHZ 137, 76, 82; BGHZ 147, 288, 290; BGH NJW 2003, 1384, 1387; BGH NJW 2010, 2655, 2656; BGHZ 190, 281, 285. 638

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§ 528 BGB.642 Dabei kommt es allerdings mittelbar auch zu einer Vermögensumverteilung des Beschenkten hin zum Schenker. Bedenken, die aus der sehr beschränkten Eignung des Vertragsrechts zur systematischen Umverteilung von Vermögen resultieren könnten, sind hier allerdings nicht angezeigt. Denn § 528 BGB zielt keineswegs auf eine systematische Umverteilung von Vermögen, seine Funktion besteht vielmehr im Schutz des Allgemeinwohlbelangs an einer finanziellen Entlastung der Sozialhilfeträger. Wenn es in diesem Rahmen zu einer Umverteilung von Vermögen kommt, ist dies lediglich eine Nebenfolge der primären Zwecksetzung, die um dieser willen in Kauf genommen wird. Dabei lässt sich die Inpflichtnahme des Beschenkten damit rechtfertigen, dass das Geschenk sein Vermögen zunächst bereichert hatte. Hier zeigt sich, dass das Vertragsrecht im Einzelfall ein durchaus geeignetes Medium sein kann, um Allgemeinwohlbelange auch mittels des Vertragsrechts zu erreichen.

II. Kontrahierungszwänge 1. Facetten der iustitia distributiva bei Kontrahierungszwängen Besonders deutlich zeigt sich der Einfluss der iustitia distributiva auf das Vertragsrecht in den Fällen des Kontrahierungszwangs. Herkömmlich sind Vertragsfreiheit und Austauschgerechtigkeit Leitpfeiler von Gerechtigkeitsargumentationen im Vertragsrecht. Der Kontrahierungszwang widersetzt sich diesen Prinzipien. Die Vertragsfreiheit ist aufgehoben, wenn der Vertragsschluss schon im Ansatz nicht „frei“ erfolgt, sondern die Parteien durch Gesetz oder kraft Richterspruchs dazu verpflichtet sind, den Vertrag zu schließen. Bydlinski sieht den Kontrahierungszwang als „der Vertragsfreiheit in einer sonst nicht anzutreffenden Radikalität entgegengesetzt“.643 Und auch eine auf die iustitia commutativa gestützte Begründung von Kontrahierungszwängen ist kaum möglich, weil Kontrahierungszwänge schwer aus dem bipolaren Verhältnis zwischen den Parteien heraus erklärt werden können. Die Freiheit der Parteien, den Inhalt des Vertrages selbst zu gestalten, ist zudem in vielen Fällen des Kontrahierungszwangs sehr weitgehend aufgehoben. Busche hält dementsprechend gleich zu Beginn seiner monographischen Untersuchung fest: „Legitimierende Sachgründe für seine Anordnung ergeben sich offenbar allein aus dem Bedürfnis des Wirtschaftsverkehrs an einer güterbezogenen Sicherung von Vertragsgelegenheiten, nicht jedoch aus den Wertungen des Vertragsrechts selbst.“644

642 S. etwa BGH NJW 2010, 2655, 2656; Knütel, NJW 1989, 2504; Wimmer-Leonhardt, in: Staudinger § 528 BGB Rn. 49 m.w.N. 643 Bydlinski, AcP 1980, 1, 5. 644 Busche, Privatautonomie und Kontrahierungszwang, S. 3.

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Hier ist die für die iustitia distributiva typische Berücksichtigung vertragsfremder Aspekte klar zum Ausdruck gebracht. Kontrahierungszwänge lassen sich durch eine auf das konkrete Vertragsverhältnis beschränkte Gerechtigkeitsanalyse nicht erklären, sie nötigen dazu, den ökonomischen und sozialen Kontext des Vertragsverhältnisses zu berücksichtigen. Dabei überlappen sich hier verschiedene für die iustitia distributiva kennzeichnende Elemente.645 Zum einen sollen Kontrahierungszwänge häufig Schwächerenschutz realisieren. Kontrahierungszwänge lassen sich nämlich meist als Reaktion auf Ungleichheiten erklären. Typischer Weise steht ein mächtiges einem schmächtigen Privatrechtssubjekt gegenüber. Das Prinzip der Selbstbestimmung wird mittels der Kontrahierungszwänge nicht mehr formell, sondern vielmehr materiell verwirklicht: Könnte ein Hausbesitzer keinen Vertrag über die Versorgung seines Hauses mit Wasser, Energie und dergleichen abschließen, würde ihm seine formell verstandene Autonomie hierzu kaum nützen. Der Energieoder Wasserversorger wird dagegen in seiner formellen Nicht-Abschlussfreiheit eingeschränkt, er muss kontrahieren. Dadurch wird dem Hausbesitzer die materielle Verwirklichung seiner Freiheit ermöglicht, die in der Verfolgung seiner privaten Interessen in seinem Haus liegt. Zum anderen geht es aber auch um die Sicherung von Allgemeinwohlbelangen. So können Kontrahierungszwänge beispielsweise das menschliche Grundbedürfnis befriedigen, Zugang zu lebenswichtigen Ressourcen zu erhalten. Auch gesundheitspolitische Anliegen können als Allgemeinwohlbelang mittels eines Kontrahierungszwanges verfolgt werden. So dient etwa der Kontrahierungszwang privater Krankenkassen beim Basistarif letztlich dem Ziel, allen Bürgern eine angemessene Gesundheitsversorgung zukommen zu lassen. Sowohl der Schwächerenschutz wie auch die Allgemeinwohlbelange zielen letztlich auf die Wahrung des Rechtsfriedens ab. Die Instrumentalisierung des Vertragsrechts zu vertragsexternen Zwecken wird so bei Kontrahierungszwängen unübersehbar.646 2. Spezialgesetzliche Kontrahierungszwänge Besonders deutlich wird die Bedeutung der iustitia distributiva bei spezialgesetzlichen Ausprägungen des Kontrahierungszwangs.647 Sie betreffen insbesondere sensible Güter und Dienstleistungen, die für unser Leben und Überleben wichtiger sind als andere Güter und Dienstleistungen. Der Staat muss im Rahmen der Daseinsvorsorge dafür Sorge tragen, dass diese Güter und Leistungen allen Bürgern zur Verfügung stehen. Kontrahierungszwänge von Anbietern solcher Güter und Leistungen sind ein Mittel zur Realisierung dieses

645 Eine Differenzierung nach Markttypen und aus diesen folgenden Ordnungsaufgaben bietet Kilian, AcP 1980, 47, 74. 646 Kilian, AcP 1980, 47, 76. 647 S. auch Jestaedt, in: Huber (Hrsg.), VVdStRL 64, 2005, S. 298, 343.

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Ziels. Beispiele finden sich etwa im Energierecht.648 So trifft Energieversorgungsunternehmen gegenüber Letztverbrauchern eine allgemeine Abschlussund Versorgungspflicht gem. §§ 18, 36 EnWG.649 Auch Postanbieter trifft gegenüber ihren Kunden ein Kontrahierungszwang hinsichtlich bestimmter grundlegender Postleistungen gem. §§ 12 und 18 PostG i.V.m. § 3 der Postdienstleistungsverordnung. Ähnliches gilt für Unternehmen, die Personenbeförderung durch Straßenbahnen, Omnibusse oder Kraftfahrzeuge anbieten (§§ 22, 47 PBefG, § 10 AEG und §§ 8, 9 EVO) sowie für Luftverkehrsunternehmen (§ 21 Abs. 2 S. 3 LuftVG). Auch der Bereich der Rechtsberatung ist erfasst. Anwälte trifft gem. §§ 48 und 49 BRAO in den dort genannten Grenzen ebenfalls ein Kontrahierungszwang. Ein weiteres Spielfeld des spezialgesetzlichen Kontrahierungszwangs bieten Girokonten.650 Diese gehören in einer vom bargeldlosen Zahlungsverkehr geprägten Welt zu den Grundbedingungen eines menschenwürdigen Lebens.651 Ohne Konto kann ein Mensch nur in eingeschränkter Weise am Markt teilnehmen und sich kaum als vollwertigen Teilnehmer der Privatrechtsgesellschaft verstehen. Dies berücksichtigen landesrechtliche Regelungen, die für Sparkassen einen Kontrahierungszwang zum Abschluss von Girokonten anordnen.652 In der Literatur finden sich auch Stimmen, die de lege ferenda für Girokonten einen gesetzlich begründeten allgemeinen Kontrahierungszwang für alle Banken fordern.653 Diese Forderung könnte bald durch eine europäische Regelung umgesetzt werden. Die Kommission hat die Mitgliedstaaten zunächst in einer Empfehlung aufgefordert, Verbrauchern die Führung eines Girokontos zu ermöglichen.654 Das Parlament sah diese Maßnahme nicht als ausreichend an und forderte die Kommission auf, einen Richtlinienvorschlag zur Gewährleistung des Zugangs zu grundlegenden Bankdienstleistungen für alle rechtmäßig in der Union ansässigen Verbraucher vorzulegen.655

648 Zu Vor- und Nachteilen der privatrechtlichen Regulierungskomponenten in diesem Bereich etwa Britz, in: Fehling (Hrsg.), Regulierungsrecht, § 9 Rn. 36 ff. 649 Umfangreiche Beispiele und Nachweise stellvertretend bei Busche, in: MünchKomm BGB, Vor § 145 BGB Rn. 14 ff. 650 Dazu etwa Niekiel, Das Recht auf ein Girokonto; Grüneklee, Der Kontrahierungszwang für Girokonten bei Banken und Sparkassen. 651 Steuer, WM 1998, 439; Derleder, ZRP 1999, 139; Kaiser, VuR 2000, 335; Linnert, ZRP 2009, 37. 652 S. etwa § 5 der bayerischen Sparkassenordnung. Weitere Nachweise bei Bunte, in: Schimansky/Bunte/Lwowski (Hrsg.), Bankrechts-Handbuch, § 2 Rn. 28. 653 Linnert, ZRP 2009, 37; ablehnend etwa Rohe, ZRP 1995, 260. 654 Empfehlung der Kommission vom 18.7.2011 über den Zugang zu einem Konto mit grundlegenden Zahlungsfunktionen („Basiskonto“), 2011/442/EU, ABl EU vom 21.7.2011, L 190, 87. 655 Entschließung des Europäischen Parlaments vom 4. Juli 2012 mit Empfehlungen an die Kommission zum Zugang zu grundlegenden Bankdienstleistungen, 2012/2055 (INI).

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3. Kontrahierungszwänge nach den allgemeinen Regeln des Bürgerlichen Rechts Kontrahierungszwänge entstehen aber nicht nur in Form von Spezialgesetzen, die besonders sensible Bereiche explizit regeln. Sie können auch als allgemeiner Kontrahierungszwang nach den allgemeinen Regeln des Bürgerlichen Rechts – insbesondere gem. § 826 BGB oder gem. § 21 Abs. 1 AGG – begründet sein.656 Ein anschauliches Beispiel für den allgemeinen Kontrahierungszwang bietet die Rechtsprechung des BGH zum Aufnahmezwang von Vereinen, denen eine monopolartige Stellung zukommt.657 Dabei ist ausreichend, dass den Vereinen eine erhebliche wirtschaftliche und soziale Machtstellung zukommt; der Bewerber muss zugleich auf die Mitgliedschaft angewiesen sein, um seine Interessen wahren zu können.658 Der dieser Rechtsprechung innewohnende Gerechtigkeitsgedanke lässt sich als Anwendungsbeispiel der iustitia distributiva erklären. Vereine und Verbände erfüllen in der Gemeinschaft wichtige soziale, wirtschaftliche und kommunikative Bedürfnisse. Sie tragen auf diese Weise erheblich zum Frieden einer Gesellschaft bei. Ihre Aufgaben dürfen sie – auch vermittels ihrer Satzungsautonomie659 – frei verfolgen. Ihre Freiheit unterliegt dabei aber Grenzen. Mit einer willkürlichen Aufnahmeverweigerung beeinträchtigt ein Verein Freiheitsrechte des die Aufnahme anstrebenden Privatrechtssubjekts. Denn dieses kann möglicherweise materielle Freiheitsrechte nicht effektiv ausüben, ohne in den Verein aufgenommen zu werden und so am Vereinsleben teilnehmen zu können. Wenn dem Verein nun eine monopolartige Stellung zukommt, kann diese Ausübung auch nicht durch die Mitgliedschaft in einem anderen Verein ermöglicht bzw. kompensiert werden. Wenn der BGH in bestimmten Konstellationen den Verein als aufnahmepflichtig betrachtet, bewirkt diese Rechtsprechung eine Verteilung von Freiheitssphären: Die freie Gestaltung vereinsmäßiger Angelegenheiten durch den Verein wird zugunsten der Freiheit des die Aufnahme erstrebenden Privatrechtssubjekts beschränkt. Ein wichtiger Verteilungsmaßstab ist dabei auch der Gleichheitssatz, der willkürliche Aufnahmeverweigerungen sanktioniert. Auf nachgelagerter Ebene wird Verteilungsgerechtigkeit auch im Verhältnis zwischen dem Verein und potentiellen Mitgliedern bewirkt. Die Auf656

Ausführlich dazu Busche, Privatautonomie und Kontrahierungszwang, S. 124 ff. Zum Kontrahierungszwang als dogmatisch schlüssige Rechtsfolge unzulässiger Diskriminierungen im Bereich des allgemeinen vertragsrechtlichen Diskriminierungsverbots des AGG s. eingehend oben, S. 386 f. 657 Grundlegend dazu Nicklisch, JZ 1976, 105 sowie Grunewald, JZ 1982, 181. Aus der Rechtsprechung vgl. insbes. BGHZ 63, 282 (Deutscher Sportbund); BGH NJW 1980, 186 (Hamburgischer Anwaltsverein). 658 Busche verlangt zusätzlich, dass der Anbieter generell zum Abschluss von Verträgen der angestrebten Art (nicht: mit der Person, die konkret Vertragsschluss verlangt) geneigt und leistungsfähig ist, vgl. Busche, Privatautonomie und Kontrahierungszwang, S. 141. 659 Die allerdings nicht unbegrenzt ist, vgl. insbesondere BGHZ 63, 282 sowie Nicklisch, JZ 1976, 105.

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nahmeentscheidungen des Vereins im Verhältnis zu potentiell aufnahmewilligen Privatrechtssubjekten erfolgen nach sachgerechten Maßstäben, nicht aber willkürlich. In ähnlicher Weise kann ein Kontrahierungszwang zugunsten einzelner Privatrechtssubjekte auch begründet werden, wenn diese Zugang zu kulturellen Einrichtungen anstreben. Wer sein formelles Freiheitsrecht, am Kulturleben teilzuhaben, auch materiell ausleben will, ist auf den Zugang zu kulturellen Einrichtungen angewiesen. Wenn es dabei um Formen anspruchsvoller Kunst geht, wird oft eine monopolartige Position der Einrichtung bejaht werden müssen. Wenn Kunst anspruchsvoll ist, ist sie in aller Regel einzigartig. Die materielle Freiheit, eine Neuinszenierung eines Rings in der Berliner Staatsoper unter den Linden erleben zu können, kann nicht durch die Freiheit ersetzt werden, einer entsprechenden Neuinszenierung der Züricher Oper beiwohnen zu dürfen. Dies freilich nicht, weil die eine oder andere Inszenierung besser oder schlechter ist, sondern weil sie je eigenständige Kunstwerke darstellen und – trotz gleichen Stücks – nicht wechselseitig ersetzbar sind. Natürlich ist die Verteilungsentscheidung zugunsten des kultursuchenden Bürgers unter dem Aspekt des Gleichheitssatzes nicht zwingend. Allerdings sollte ein hoher Maßstab an die Gründe angelegt werden, die den Ausschluss eines Kultursuchenden rechtfertigen können. Daher ist der Kritik an RGZ 133, 388 zuzustimmen. Das Reichsgericht billigte die Entscheidung des Bochumer Stadttheaters, einem Kritiker den Theaterzugang zu verwehren, da von diesem nur Negativrezensionen zu erwarten seien.660 Die Entscheidung des Reichsgerichts zum Bochumer Theaterkritiker ist auch deshalb interessant, weil sie die notwendige Verknüpfung privater Freiheitsrechte mit öffentlicher Zwangsgewalt veranschaulicht. Der Kritiker wurde bei den Neuinszenierungen von Faust 1 sowie Faust 2 von Angestellten des Theaters unter Zuhilfenahme der beigerufenen Polizei aus dem Theater entfernt. Umgekehrt wäre ebenso denkbar, dass sich der Theaterkritiker staatlicher Vollstreckungshilfe bedient hätte, um Zugang zum Theater zu erhalten. So hätte etwa ein Polizist den Angestellten des Theaters verbieten und sie im Ernstfall daran hindern können, den Kritiker aus dem Saal zu verweisen. Deutlich wird hier, dass öffentlicher Zwang auch bei der Durchsetzung privater Freiheitsrechte allgegenwärtig ist. Die Frage kann also hier wie auch sonst nicht sein, ob Freiheit gegen Unfreiheit durchgesetzt wird, sondern welche Freiheitsrechte – die des Theaters oder die des Kritikers – auf Kosten welcher anderen Freiheitsrechte durchgesetzt werden können. Die Entscheidung des Reichsgerichts ist unter diesem Aspekt eine Verteilung von Freiheitsrechten nach dem Maßstab einer formal verstandenen Vertragsfreiheit zugunsten des Theaters. Mit Blick auf die hohe Bedeutung der Kunst für die Entfaltung der Persönlichkeit jedes

660

Eckert, in: BeckOK BGB, § 145 BGB Rn. 18; im Grundsatz der Linie des RG zustimmend Eidenmüller, NJW 1991, 1439.

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Menschen wäre eine Entscheidung zugunsten der materiellen Freiheitsrechte des Kritikers vorzugswürdig gewesen. Ein weiteres Beispiel für einen allgemeinen Kontrahierungszwang bietet das sog. „Girokonto für jedermann“. Dieses ließe sich mittels einer Verpflichtung aller Geschäftsbanken umsetzen, Verbrauchern Zugang zu grundlegenden Finanzdienstleistungen zu gewähren. Der innere Grund für die Belastung der Banken mit dieser Gemeinwohlaufgabe kann darin gefunden werden, dass die Banken mit ihrem Geschäftsmodell Gewinne gerade in dem Sektor erzielen, dessen Erschließung für den Einzelnen unverzichtbar ist. Auch ist die Einrichtung von Girokonten oft wesentlicher Teil des Bankengeschäfts. Daher bestünden auch unter verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten keine grundsätzlichen Bedenken gegen die Einführung eines solchen Kontrahierungszwangs.661 Richterrechtlich lässt sich schon de lege lata in besonderen Konstellationen ein allgemeiner Kontrahierungszwang aus § 826 BGB oder einer Gesamtanalogie zu den spezialgesetzlichen Ausprägungen des Kontrahierungszwangs herleiten, wenn der Kunde auf das Girokonto angewiesen ist, keine zumutbaren Alternativen bestehen und die Bank keinen berechtigten Ablehnungsgrund hat.662 Die Konkretisierung der iustitia distributiva ist zwar auch in diesem Bereich eine Frage der rechtspolitischen Ausgestaltung materieller und formeller Freiheitsbefugnisse. Grundsätzlich müssen dabei Richter Zurückhaltung bei der Durchsetzung eigener Gerechtigkeitsvorstellungen üben. Dies gilt auf den ersten Blick hier umso mehr, als sich legislative Initiativen zur Einführung eines allgemeinen Kontrahierungszwangs bei Girokonten nicht durchsetzen konnten.663 Deshalb kann ein allgemeiner Kontrahierungszwang aus § 826 BGB oder einer Gesamtanalogie vor allem dann nicht angenommen werden, wenn dem potentiellen Kunden zumutbare Ausweichmöglichkeiten zur Seite stehen, um an ein Girokonto zu gelangen.664 Indes lässt sich aus der bisherigen Zurückhaltung des Gesetzgebers nicht herleiten, dass eine vorrangige gesetzgeberische Entscheidung gegen die Annahme eines allgemeinen Kontrahierungszwangs besteht. Dies gilt insbesondere deshalb, weil der nationale Gesetzgeber sich vorbehalten hat, die Selbstverpflichtung der Banken zur Gewährung eines Girokontos für jedermann auf ihre Effektivität zu überprüfen und gegebenenfalls zu reagie661

Anders Rohe, ZRP 1995, 260. LG Berlin ZIP 2009, 119; Bunte, in: Schimansky/Bunte/Lwowski (Hrsg.), BankrechtsHandbuch, § 2 Rn. 30; Niekiel, Das Recht auf ein Girokonto, 178 ff.; Bachmann, ZBB 2006, 257, 263 f.; aA: Casper, in: MünchKomm BGB, § 675f BGB Rn. 24. 663 Dazu Bunte, in: Schimansky/Bunte/Lwowski (Hrsg.), Bankrechts-Handbuch, § 2 Rn. 31; einen rechtsvergleichenden Blick auf die Thematik bietet etwa Kaiser, VuR 2000, 335. 664 Günnewig, ZIP 1992, 1670, 1691 f.; Grüneklee, Der Kontrahierungszwang für Girokonten bei Banken und Sparkassen, S. 180 ff. Dabei sollten allerdings die Anforderungen auch mit Blick auf die sozialen Kontexte, in dem der Anspruch auf ein Girokonto in der Regel relevant wird, nicht überspannt werden. 662

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ren.665 Dies folgt aus einer von den meisten Banken befolgten Empfehlung des zentralen Kreditausschusses, wonach Banken allen Bürgern in ihrem Geschäftsgebiet grundsätzlich ein Girokonto in ihrem Geschäftsgebiet ermöglichen sollen.666 Zwar ergibt sich aus dieser Empfehlung kein gerichtlich durchsetzbarer Anspruch des potentiellen Kunden.667 Dennoch erscheint das gesetzgeberische Schweigen vor dem Hintergrund dieser Empfehlung in einem anderen Licht. Die Entscheidung des Gesetzgebers dürfte eher auf einem Vertrauen auf den praktischen Erfolg dieser Empfehlung beruhen668 als auf einer impliziten Entscheidung gegen das Girokonto für jedermann. Der Gesetzgeber verzichtet noch auf einen unmittelbaren Einsatz des Vertragsrechts zur Konkretisierung der iustitia distributiva und vertraut auf die selbstregulierende Kraft innerhalb der Bankenbranche. Dies ermöglicht aber die richterrechtliche Begründung eines Kontrahierungszwangs dann, wenn die Selbstregulierung versagt und betroffenen Bürgern im Einzelfall die Eröffnung eines Girokontos verwehrt wird. 4. Kontrahierungszwänge als integraler Bestandteil eines auch die iustitia distributiva verwirklichenden Vertragsrechts Kontrahierungszwänge lassen sich als Ausdruck der iustitia distributiva im Vertragsrecht stimmig erklären und rechtfertigen. Busche sieht in den Kontrahierungszwängen „einen vertragsrechtlichen Paradigmenwechsel im Sinne einer Abkehr vom Prinzip der Selbstbestimmung hin zu einer Indienstnahme des Vertrages für Zwecke einer gleichmäßigen Güterverteilung, von der formalen Freiheitsethik zur materialen Verantwortungsethik“.669 Sieht man die iustitia distributiva als Ziel des Vertragsrechts an, lässt sich freilich kaum mehr von einem Paradigmenwechsel sprechen. Vielmehr veranschaulicht der Kontrahierungszwang lediglich die Berechtigung einer Perspektive des Vertragsrechts, die dieses auch aus einem externen Blickwinkel unter Aspekten der Verteilungsgerechtigkeit betrachtet. Unter dieser Perspektive fügt sich der Kontrahierungszwang auch bruchlos in die Dogmatik des Vertragsrechts ein. Er lässt sich als ein Element sozialer Steuerung in das Vertragsrecht und das

665 Umfassend dazu die Berichte der Bundesregierung zur Umsetzung der Empfehlung des Zentralen Kreditausschusses zum Girokonto für jedermann vom 14.7.2006 (BT-Drs. 16/2265), vom 16.12.2008 (BT-Drs. 16/11495) sowie vom 27.12.2011 (BT-Drs. 17/8312). 666 Einzelheiten dazu etwa bei Bunte, in: Schimansky/Bunte/Lwowski (Hrsg.), BankrechtsHandbuch, § 2 Rn. 32 ff.; Geschwandtner/Bornemann, NJW 2007, 1253. 667 LG Berlin, ZIP 2009, 119; ausführlich Segna, BKR 2006, 274; Bachmann, ZBB 2006, 257, 260 ff.; Rösmann, Kontrahierungspflichten der Kreditwirtschaft aufgrund von Selbstverpflichtungen und § 21 AGG, S. 95 ff. 668 Bunte, in: Schimansky/Bunte/Lwowski (Hrsg.), Bankrechts-Handbuch, § 2 Rn. 33; LG Berlin, ZIP 2009, 119, 121. 669 Busche, Privatautonomie und Kontrahierungszwang, S. 7.

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Prinzip der Vertragsfreiheit integrieren.670 Die Gerechtigkeitsform, die das Vertragsrecht beim Kontrahierungszwang beherrscht, ist damit die iustitia distributiva. Nur wenn man vornehmlich oder ausschließlich das öffentliche Recht als Anwendungsbereich der iustitia distributiva betrachtet, fällt es schwer, den Kontrahierungszwang als integralen Bestandteil des Vertragsrechts zu akzeptieren.671 Als Lösungsmöglichkeit könnte man zum einen den Kontrahierungszwang dem öffentlichen Recht zuordnen. Zum anderen könnte man den Kontrahierungszwang als Fremdkörper im Vertragsrecht betrachten. Er würde dann als Ausnahmeerscheinung erklärt werden, von der die herkömmlichen Prinzipien des Vertragsrechts potentiell bedroht werden. Dies überzeugt aber schon deshalb kaum, weil damit sehr umfangreiche Teile des Vertragsrechts als Ausnahmefälle gelten müssten. Und auch die Zuordnung zum öffentlichen Recht kann nicht überzeugen.672 Denn das öffentliche Recht ist keineswegs die alleinige Domäne der iustitia distributiva. Vielmehr wird auch das Privatrecht von der iustitia distributiva geprägt und beherrscht.673 Aus dieser Perspektive erscheinen Kontrahierungszwänge als integraler Bestandteil des Vertragsrechts, nicht aber als begründungsbedürftige Ausnahmeerscheinung. Das Vertragsrecht wird bei ihnen insbesondere in seiner regulativen Steuerungsfunktion fruchtbar gemacht,674 indem einzelne Privatrechtssubjekte verpflichtet werden, auch gegen ihren Willen Leistungen an andere Privatrechtssubjekte zu erbringen. Die regulative Kapazität des Vertragsrechts wird dabei häufig insoweit ausgeschöpft, als Kontrahierungszwänge auch die inhaltliche Gestaltung der Verträge maßgeblich vorgeben. 5. Kontrahierungszwänge als vertragsrechtliches Regulierungsmedium Der Kontrahierungszwang ist ein vertragsrechtliches Regulierungsinstrument.675 Als solches ist der Kontrahierungszwang nur eines von mehreren möglichen und nebeneinander zum Einsatz gelangenden Rechtsinstituten.676 Durch den Kontrahierungszwang wird die formelle Entscheidungsfreiheit der Versorger zugunsten der materiellen Freiheit der Versorgten im öffentlichen 670 S. schon Nipperdey, Kontrahierungszwang und diktierter Vertrag, S. 105: „Gerade da der Kontrahierungszwang ein Stück Sozialisierung des Privatrechts ist, so muß er auch dem sozialen Gedanken des § 242 Rechnung tragen.“; s. weiter etwa Hart, KritV1986, 211; Kilian, AcP 1980, 47, 49 ff. und 76 ff. 671 Apodiktisch etwa E. Wolf, in: Forstmoser (Hrsg.), Festschrift für Max Keller, 1989, S. 359, 361: „Beim sogenannten ,Kontrahierungszwang‘ ist nicht die Vertragsfreiheit ausgeschlossen oder gar eingeschränkt, sondern liegt gar kein Vertrag vor. Ein ,diktierter‘ Vertrag ist kein Vertrag.“. 672 Vgl. im Kontext des Kontrahierungszwangs Kilian, AcP 1980, 47, 78. 673 Vgl. oben, S. 108 ff. 674 Kilian, AcP 1980, 47, 76 m.w.N. 675 Kilian, AcP 1980, 47, 76 m.w.N. 676 Zur Vielfalt des regulierungsrechtlichen Instrumentenmixes s. nur Fehling, in: Fehling (Hrsg.), Regulierungsrecht, § 20 Rn. 1 ff. m.w.N.

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Interesse beschränkt.677 Freiheitssphären werden etwa nach dem Maßstab angemessener und sicherer Versorgung mit lebenswichtigen Gütern über das Medium des Vertragsrechts verteilt. Kontrahierungszwänge tragen so zur Verwirklichung der objektiven Gerechtigkeitsidee der iustitia distributiva bei. Mit Blick auf die herkömmliche Zuordnung der iustitia distributiva zum öffentlichen Recht wird verständlich, dass die Regulierung der Energiewirtschaft auch durch das Vertragsrecht die herkömmliche Trennung des öffentlichen vom privaten Recht auf die Probe gestellt hat.678 Wiederum gilt aber, dass die iustitia distributiva auch durch das Vertragsrecht konkretisiert wird, und unter diesen Gesichtspunkten kein Anlass besteht, Kontrahierungszwänge dem öffentlichen Recht zuzuordnen. Letztlich bedient sich der Gesetzgeber zur Erfüllung seiner Aufgaben etwa im Bereich der Daseinsvorsorge häufig eines gemischten Systems.679 Traditionell-hoheitliche Regulierungsformen durch öffentliches Recht werden durch das Vertragsrecht ergänzt. So bestehen etwa im Energierecht Formen traditionell-öffentlicher Regulierung680 neben vertragsrechtlichen Instrumenten der richterlichen Kontrolle allgemeiner Geschäftsbedingungen und Preisanpassungen insbesondere gem. § 315 BGB. Die Instrumentalisierung des Vertragsrechts zeigt sich zunächst in gesetzlichen Sondervorschriften über die Preisgestaltung im Energiebereich. So regelt etwa zunächst § 24 Abs. 3 der Verordnung über allgemeine Bedingungen für die Versorgung mit Fernwärme die Preisgestaltung durch den Wettbewerb und berücksichtigt so das unternehmerische Interesse an einer Absicherung gegen Inflationsrisiken, das bei langfristigen Verträgen grundsätzlich schützenswert ist. Grenzen setzt zum einen das Preisklauselgesetz, zum anderen das Recht der allgemeinen Geschäftsbedingungen (§§ 305 ff. BGB). Beispielsweise sind Preisanpassungsklauseln eines Gasversorgers unwirksam, wenn sie dem Versorger ein einseitiges Erhöhungsrecht einräumen, ihn aber nicht zugleich verpflichten, Kostensenkungen an die Kunden weiterzureichen.681 Die iustitia distributiva wird insofern im Bereich des Vertragsrechts ergänzend auch durch Richterrecht konkretisiert. Im regulativen Ausgangspunkt ist die Instrumentalisierung des Vertragsrechts begrüßenswert.682 Auch wenn mit Blick auf die sektorspezifischen Besonderheiten allgemeine Aussagen schwer fallen, so fällt doch ein Vorzug ins Auge, der dem Kontrahierungszwang als Idee generell anhaftet. Er bietet den Vorzug, die Märkte für die jeweiligen Güter und Dienstleistungen nicht aufzuheben. Sie bleiben vielmehr grundsätzlich bestehen, so dass Unternehmen 677

Einzelheiten dazu bei Lepsius, in: Fehling (Hrsg.), Regulierungsrecht, § 19 Rn. 1 ff. Vgl. etwa Hermes, ZHR 2002, 433. 679 Fehling, in: Fehling (Hrsg.), Regulierungsrecht, § 20 Rn. 1 ff. 680 Dazu stellvertretend Britz, in: Fehling (Hrsg.), Regulierungsrecht, § 9 Rn. 55 ff. 681 BGH NJW 2010, 993 m.w.N.; s. auch etwa Büdenbender, NJW 2009, 3125; Hilber, BB 2011, 2691; zu den Rechtsfolgen s. Uffmann, NJW 2012, 2225. 682 S. auch Gsell, JZ 2012, 809, 816 m.w.N. 678

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auf ihnen mittels Verträgen Gewinne realisieren können. Allerdings unterliegen die Märkte in diesen sensiblen Bereichen besonderen Einschränkungen, die unsere Versorgung sicherstellen sollen. So kann privates Eigeninteresse für öffentliche Anliegen nutzbar gemacht werden. Im Bereich der Versorgung der Bevölkerung mit Energie bedeutet dies konkret: Die Versorgung der Allgemeinheit wird auch dadurch ermöglicht, dass etwa Energieversorgungsunternehmen die Chance wahrnehmen möchten, auf dem Energiemarkt Gewinne zu erwirtschaften. Auch ein weiterer grundsätzlicher Vorzug des Vertragsrechts als Verteilungsmedium materialisiert sich hier. Die Indienstnahme des Marktes ermöglicht auch die Selbstwahrnehmung der geschützten Personen als autonome Teilnehmer des Rechtsverkehrs. Sie können sich als Vertragspartner, nicht als Empfänger von Zuwendungen verstehen. So können die Verbraucher sich am Markt selbst versorgen, was auch ihr Selbstverständnis als autonome Wesen fördert und insofern dem Postulat der Vertragsfreiheit entspricht. Ob sich dieses System im Vergleich etwa mit anderen Regulierungssystemen bewähren kann, wird der Systemwettbewerb zeigen; selbstverständlich hat der Gesetzgeber hier eine relativ weitreichende Einschätzungsprärogative.683 Dies liegt auch an den unvermeidbaren rechtspolitischen Detailfragen nach dem Verhältnis sozialer und wettbewerbsrechtlicher Aspekte.684 6. Zur vertragstheoretischen Fundierung der Kontrahierungszwänge Busche lehnt eine einheitliche theoretische Fundierung der verschiedenen Ausprägungen des Kontrahierungszwangs ab.685 Er unterscheidet insbesondere den besonderen Kontrahierungszwang durch Spezialgesetzgebung vom allgemeinen Kontrahierungszwang des Vertragsrechts. Der besondere Kontrahierungszwang begründe durch Sonderregelungen einzelne Beschränkungen der Vertragsbegründungsfreiheit. Diese Beschränkungen führt Busche auf öffentliche Interessen zurück, insbesondere dem Interesse der Allgemeinheit an einer gerechten Sozialordnung. Er schlägt daher auch den Begriff des „gemeinwohlverpflichteten Kontrahierungszwangs“ vor.686 Der Vertragsbegründungsfreiheit und der Selbstbestimmung der Einzelnen werde hier eine heteronome Grenze gesetzt, da „die Fundamente einer auf dem Zusammenleben von Individuen basierenden Sozietät durch gerechtigkeitsstiftende und damit notwendig individuellfreiheitsbeschränkende Regularien gesichert werden 683

S. auch Gsell, JZ 2012, 809, 816. Dazu etwa Lepsius, in: Fehling (Hrsg.), Regulierungsrecht, § 19, Rn. 32 ff.; Collins, in: Wilhelmsson/Paunio/Pohjolainen (Hrsg.), Private Law and the Many Cultures of Europe, 2007, S. 155. 685 Busche, Privatautonomie und Kontrahierungszwang, S. 645 ff. 686 Busche, a.a.O. S. 646. Diese Funktion prägt seiner Einschätzung nach auch den besonderen deliktsrechtlichen Kontrahierungszwang. 684

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müssen.“687 Seiner Analyse nach wird so die individuelle Freiheit zugunsten der „Freiheit der Sozietät“688 beschränkt. Dabei bleibt allerdings zunächst im Dunkeln, was mit der „Freiheit der Sozietät“ gemeint ist. Zu sehr liegt der Fokus auch auf einer Beschränkung der Freiheit „als solche“. Denn in letzter Konsequenz beschränkt das Privatrecht nicht Freiheit als abstrakte Idee, sondern verteilt Rechte und Befugnisse, so dass manchem mehr, manchem weniger Handlungsspielräume zukommen.689 Die durch die spezialgesetzlichen Kontrahierungszwänge bewirkten Verteilungsvorgänge erkennt Busche allerdings durchaus klar: „Gemeinwohlverpflichteter Kontrahierungszwang ist damit gleichbedeutend mit einer Umverteilung individueller Freiheitssphären im Interesse der Sozietät.“690

Das Maß der Umverteilung bestimme der Gesetzgeber, der „unter Instrumentalisierung des besonderen Vertragsrechts einzelne Privatrechtssubjekte zur Umsetzung dieser Ziele ausdrücklich in Pflicht nehmen“ dürfe.691 Der Kontrahierungszwang bewege sich „insoweit im Spannungsfeld zwischen größtmöglicher individueller Freiheitssicherung und der im Interesse der Sozietät notwendigen Umverteilung von Freiheitssphären.“692 Funktional sei er mit anderen sozialgestaltenden Regeln des Vertragsrechts vergleichbar. Inhaltlich ziele er auch auf einen maßstabsgetreuen Inhalt des Schuldverhältnisses, da die jeweils verfolgten Zwecke andernfalls nicht erreichbar seien.693 Scharf unterscheidet Busche den soeben skizzierten allgemeinen Kontrahierungszwang. Diesen sieht er in der Privatautonomie selbst begründet.694 Er sei ein „Instrument zur individuellen Freiheitssicherung“ und nicht darauf angelegt, gerechte Vertragsergebnisse zu erreichen. Privatautonomie begründe eine rechtlich gebundene Freiheit, der allgemeine Kontrahierungszwang optimiere das Vertragsrecht „im Sinne des Gedankens allseitiger Selbstbestimmung“.695 Die Parteien würden hier nicht gelenkt, vielmehr würden durch den allgemeinen Kontrahierungszwang individuell formulierte Interessen ausgeglichen.696 Bei ihm handle es sich „nicht eigentlich um eine Begrenzung der Vertragsfrei687

Busche, a.a.O., S. 646. Busche, a.a.O., S. 646. 689 Dazu oben, S. 115 ff. 690 Busche, Privatautonomie und Kontrahierungszwang, S. 646 f. 691 Busche, a.a.O., S. 647. 692 Busche, a.a.O., S. 647. Auch hier ist die Terminologie missverständlich, weil „größtmögliche individuelle Freiheitssicherung“ nicht „als solche“, sondern nur mit Bezug auf die Träger dieser Freiheit hergestellt werden kann. Die größtmögliche individuelle Freiheit der Vertragssuchenden verlangt nach Kontrahierungszwängen, die größtmögliche individuelle Freiheit der Anbieter verbietet Kontrahierungszwänge. 693 Busche, a.a.O., S. 648. 694 Busche, a.a.O., S. 139 f., 648 ff. 695 Busche, a.a.O., S. 139. 696 Busche, a.a.O., S. 648. 688

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heit, sondern vielmehr um eine inhaltliche Konkretisierung des Vertragsbegriffs und damit um die Sicherung des Vertrages als Rechtsinstitut“.697 Daraus folgert Busche, dass Drittinteressen (einschließlich öffentlicher Interessen wie Gemeinwohl, Volksgesundheit und Daseinsvorsorge) beim allgemeinen Kontrahierungszwang nicht berücksichtigt werden dürften.698 Aufgabe sei nicht „die Umverteilung von Freiheitssphären, sondern die Bewahrung individueller Freiheit nach dem Gestaltungsplan des allgemeinen Vertragsrechts“.699 Die inhaltliche Ausgewogenheit vertraue der Kontrahierungszwang der Privatautonomie der Parteien an, nur bei deren Versagen könne der Vertragsinhalt notfalls einseitig oder durch richterliche Anordnung festgesetzt werden.700 Auch dabei müsse aber eine Ausrichtung an den Parteiinteressen erfolgen, „nicht an einem heteronom formulierten, sozialen Lenkungsziel“.701 Dabei erkennt Busche auch in diesem Rahmen, dass die Vertragsbegründungsfreiheit nicht „als solche“ gefördert werden kann.702 Der Vertrag solle „allseitige Selbstbestimmung ermöglichen“, so dass jede Partei ihre Interessen verwirklichen könne. Niemandem könne daher vollständige Selbstbestimmung zustehen. Die Rechtsordnung halte nur einen Rahmen bereit, der es ermögliche, je nach Geschick die eigenen Interessen durchzusetzen.703 Von dieser Warte aus beschreibt Busche folgerichtig den allgemeinen Kontrahierungszwang als immanente Schranke des Instituts der Vertragsfreiheit.704 Damit beziehe er – anders als der spezialgesetzliche Kontrahierungszwang – seine Rechtfertigung aus der Privatautonomie selbst.705 Er füge sich deshalb systematisch ohne Weiteres in das allgemeine Vertragsrecht des BGB.706 Die Analyse Busches steht im Widerspruch zu der hier vertretenen Auffassung, wonach die iustitia distributiva auch den vertragsrechtlichen Kontrahierungszwang in all seinen Facetten prägt. Für Busche liegt der allgemeine Kontrahierungszwang gerade nicht in der Gerechtigkeitsidee begründet, sondern vielmehr im Prinzip der Selbstbestimmung.707 Im Wesentlichen konkretisiert Busche in seiner Analyse den Gedanken des „stat pro ratione voluntas“, wie ihn vornehmlich Flume geprägt und ausgearbeitet hat.708 Dieser Erklärungsansatz überschätzt allerdings die Aussagekraft und Leistungsfähigkeit des Be697

Busche, a.a.O., S. 140. Busche, a.a.O., S. 140. 699 Busche, a.a.O., S. 647. 700 Busche, a.a.O., S. 648. 701 Busche, a.a.O., S. 648 f. 702 Busche, a.a.O., S. 649: „Vollständige vertragliche Selbstbestimmung eines Kontrahenten führt zur rechtlichen Diktatur über den anderen Kontrahenten.“. 703 Busche, a.a.O., S. 649. 704 Busche, a.a.O., S. 649 f. 705 Busche, a.a.O., S. 650. 706 Busche, a.a.O., S. 650. 707 Busche, a.a.O., S. 140. 708 S. dazu schon oben, S. 16 ff. 698

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griffs der Privatautonomie. Der allgemeine Kontrahierungszwang lässt sich als Ausdruck der Privatautonomie alleine nicht erklären. Es ist eine reine Fiktion, etwa dem Bochumer Theaterbetreiber – wenn man den oben erörterten Fall des Reichsgerichts dem hier vertretenen Vorschlag entsprechend löst – einen erzwungenen Vertragsschluss als Ausdruck seiner Privatautonomie zuzurechnen. Seine Selbstbestimmung weist ja gerade in die andere Richtung. Selbst wenn er generell bereit ist, Verträge mit Theaterbesuchern zu schließen,709 so umfasst diese Bereitschaft doch gerade nicht den Willen, den Vertrag mit dem ungeliebten Kritiker zu schließen. Der Grund des Vertragsschlusses kann daher nicht, wie von Busche postuliert, im Gedanken der Privatautonomie liegen. Vielmehr ist auch hier zwingend erforderlich, auf außerhalb des Willens der Parteien liegende Gerechtigkeitsgesichtspunkte zurückzugreifen. Dass auch in diesem Rahmen heteronome Aspekte berücksichtigt werden müssen und auch berücksichtigt werden, illustriert wiederum der Fall des Bochumer Theaterkritikers. Eine Pflicht des Theaters zum Vertragsschluss ist auch deshalb gerecht, weil Privatrechtssubjekte generell ein von unserer Rechtsordnung geschütztes Interesse haben, an kulturellen Veranstaltungen teilhaben zu können. Dieses Interesse hat aber nicht nur der konkret betroffenen Kritiker. Es trägt potentiell jeder Bürger in sich, der kulturinteressiert ist. Die konkrete Entscheidung über den Kontrahierungszwang ist dabei auch in ihren über den Einzelfall hinausweisenden rechtspraktischen Wirkungen zu sehen, die sich aus einer Verallgemeinerung der konkret entschiedenen Sache ergeben. Zugang zu kulturellen Einrichtungen zu gewähren, ist ein öffentliches Interesse, man kann es auch als staatliche Aufgabe der Daseinsvorsorge dem Sozialstaatsprinzip entnehmen.710 Im Falle des Theaterkritikers spielen unterstützend auch die Interessen von Medienvertretern eine Rolle, die ohne Zugang zu kulturellen Einrichtungen keine Berichterstattung bieten könnten. Auch diese Interessen haben einen öffentlichen Aspekt, weil an solcher Berichterstattung wiederum ein öffentliches Interesse besteht. Diese heteronomen Gesichtspunkte auszublenden hieße, Vertragsfreiheit auf ein formales Verständnis zu verengen und die aus Gerechtigkeitsgründen entscheidenden Aspekte unter einem Schleier der Selbstbestimmung zu verbergen.711 Damit erweist sich auch der allgemeine Kontrahierungszwang als Ausprägung der Gerechtigkeitsidee der iustitia distributiva. Er unterscheidet sich von den spezialgesetzlich begründeten Kontrahierungszwängen unter diesem Aspekt lediglich mit Blick auf die zur Anwendung kommenden Verteilungsmaßstäbe. 709

Dieses Erfordernis stellt Busche zusätzlich auf, vgl. Busche, Privatautonomie und Kontrahierungszwang, S. 136 ff. In der Rechtspraxis dürfte es indes keine große Rolle spielen, weil in den relevanten Fallkonstellation eine generelle Vertragsschlussbereitschaft grundsätzlich gegeben sein dürfte. 710 Vgl. dazu Neuner, Privatrecht und Sozialstaat, S. 100 ff. S. auch schon oben, S. 215 f. 711 Zur fiktiven Natur des Parteiwillens bei der Teilnichtigkeit von Verträgen vgl. Bürge, Rechtsdogmatik und Wirtschaft, S. 62, 69 f.

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Bei diesen stehen tendenziell soziale Aspekte der Versorgungssicherheit zu angemessen Bedingungen im Vordergrund. Dagegen spielt beim allgemeinen Kontrahierungszwang die materielle Verteilung von Freiheitsberechtigungen im Verhältnis zwischen den konkret Beteiligten eine wichtige Rolle. Auch hier kommen allerdings ergänzend heteronome Maßstäbe zur Anwendung, die unterschiedlichste Aspekte kultureller, ökonomischer und sozialer Natur beinhalten können. 7. Zum Kontrahierungszwang durch die Einführung des Basistarifs im Rahmen der Gesundheitsreform 2007 Kontrahierungszwänge stellen ein besonders deutliches Beispiel für das Wirken der iustitia distributiva im Vertragsrecht dar. Sie werfen zugleich häufig schwierige verfassungsrechtliche Fragen auf. Denn zum einen gestalten sie die Konturen der Vertragsfreiheit, zum anderen verwirklichen sie andere verfassungsrechtliche Gebote etwa aus dem Sozialstaatsprinzip. Sie führen also zu einer Verteilung von verfassungsrechtlich geschützten Freiheitsbefugnissen zwischen Privaten. Diese Verteilung darf aber nur innerhalb des verfassungsrechtlichen Rahmens erfolgen. Insbesondere konkretisieren Kontrahierungszwänge auch die Bedeutung der Vertragsfreiheit und ihrer Grenzen innerhalb der Privatrechtsgesellschaft. Dieses Problemfeld ließe sich an vielen Formen des Kontrahierungszwangs erörtern. Im Folgenden soll diese verfassungsrechtliche Problematik exemplarisch anhand des im Zuge der Gesundheitsreform 2007 eingeführten Kontrahierungszwangs privater Krankenkassen beim Basistarif beleuchtet werden. Dass es dabei um eine vor allem auch rechtspolitisch umstrittene Materie geht, kann nicht verwundern. Denn die Analyse des Rechts auch in seinen rechtspolitischen Facetten ist ein herausragendes Merkmal der iustitia distributiva. Im Zentrum steht dabei das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 10. Juni 2009, dem zufolge der Basistarif die verfassungsrechtlichen Grenzen wahrt.712 Im Rahmen einer ausführlichen Analyse dieser Entscheidung wird deutlich werden, wie weit der Entscheidungsspielraum des Gesetzgebers bei sozialgestaltenden Eingriffen in die Vertragsfreiheit reicht. Der Basistarif liefert zugleich ein äußerst anschauliches Beispiel für die Bedeutung der iustitia distributiva im Vertragsrecht. Unerlässlich ist allerdings vorab ein Blick auf einige Einzelheiten zur Einführung des Basistarifs durch die Gesundheitsreform 2007. Im Rahmen des Gesetzes zur Stärkung des Wettbewerbs in der gesetzlichen Krankenversicherung713 verpflichtete der Gesetzgeber in § 12 Abs. 1a VAG die privaten Krankenversicherungen zur Einführung eines Basistarifs, dessen Leistungen denjenigen der gesetzlichen 712 BVerfGE 123, 186; skeptisch dagegen etwa Boetius, VersR 2007, 431, der für Verfassungswidrigkeit und Europarechtswidrigkeit des Basistarifs plädiert; zu den Konsequenzen der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts differenzierend Butzer, MedR 2010, 283. 713 Gesetz vom 26.3.2007, BGBl. I, S. 378.

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Krankenversicherungen entsprechen müssen. Darin liegt ein Kontrahierungszwang zulasten der Unternehmen der privaten Krankenversicherung: Sie sind im Rahmen der gesetzlichen Regelungen verpflichtet, einen Versicherungsvertrag mit jedem vertragsschlusswilligen Privatrechtssubjekt zu schließen. Nicht nur die Abschlussfreiheit, auch die Inhaltsfreiheit ist aufgehoben: Der Leistungskatalog und damit der Inhalt des Versicherungsvertrages muss dem Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung entsprechen. Darin liegt ohne Zweifel ein Eingriff in verfassungsrechtlich geschützte Freiheitsbefugnisse der privaten Versicherungsunternehmen. Die Vertragsfreiheit ist, wenn man der herkömmlichen Verfassungsdogmatik folgt, in ihrer Ausprägung als status negativus betroffen.714 Daher bedurfte die Einführung des Basistarifs mit Blick auf die Vertragsfreiheit einer verfassungsrechtlichen Rechtfertigung. Im Einklang mit seiner bisherigen Rechtsprechung nahm das Bundesverfassungsgericht die in Art. 12 Abs. 1 GG geschützte Berufsfreiheit zum Maßstab. Denn der Kontrahierungszwang trifft die Unternehmen der privaten Krankenversicherung ausschließlich im Rahmen der Ausübung ihrer beruflichen Tätigkeit. Zugleich kann ein Krankenversicherungsunternehmen seinen Beruf nur durch den Abschluss von Versicherungsverträgen ausüben. Es steht daher im Einklang mit der Grundrechtsdogmatik des Bundesverfassungsgerichts, dass die Vertragsfreiheit der Unternehmen insoweit über Art. 12 Abs. 1 GG geschützt ist und ein Rückgriff auf die Auffangklausel des Art. 2 Abs. 1 GG weder geboten noch dogmatisch zulässig ist. Zugleich bedeutet die verfassungsrechtliche Verortung in Art. 12 GG eine Einbettung des Sachverhalts in den regulierten Kontext. Dies entspricht der Perspektive der iustitia distributiva, die ebenfalls die Berücksichtigung der sozialen, ökonomischen und gesellschaftlichen Zusammenhänge verlangt.715 Für die verfassungsrechtliche Rechtfertigung des durch den Kontrahierungszwang konstituierten Eingriffs war im Einklang mit der zu Art. 12 GG entwickelten Grundrechtsdogmatik ganz entscheidend, ob der Eingriff lediglich die Ausübung des Berufs oder schon die Wahl des Berufs betrifft. Eingriffe in die Berufsausübungsfreiheit sind nach der gefestigten Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts deutlich leichter zu rechtfertigen als Eingriffe in die Berufswahlfreiheit: Wenn nur die Ausübung des Berufes beschränkt wird, kann unter Beachtung der Verhältnismäßigkeit716 jede vernünftige Gemeinwohlerwägung den Eingriff rechtfertigen.717 Beschränkungen der Berufswahl sind dagegen nur zum Schutz überragender Gemeinwohlgüter zu-

714 Oben, S. 205 f. Die folgenden Ausführungen verwenden weitgehend die herkömmlichen Begrifflichkeiten, um die Darstellung der Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts zu erleichtern. 715 Zu den sozialen Zusammenhängen Heinz, Verwaltungsrundschau 2011, 151. 716 Vgl. BVerfGE 108, 150, 160. 717 BVerfGE 103, 1, 10.

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lässig.718 Die erste entscheidende Frage lautete also: Wird durch den Basistarif der Beruf des privaten Krankenversicherers gänzlich unmöglich gemacht? Dies war eine vor allem in der Versicherungsbranche, aber auch in der politischen Landschaft durchaus häufig vertretene Einschätzung. Oder können private Krankenversicherer weiterhin ihrem Beruf nachkommen und müssen lediglich Einschränkungen bei seiner Ausgestaltung hinnehmen? Dies war unter anderem die Einschätzung des Gesetzgebers. Das Bundesverfassungsgericht weigerte sich in seiner Entscheidung, diese Einschätzung zu korrigieren. Es sah im Basistarif lediglich eine Beschränkung der Berufsausübungsfreiheit, die in ihrer Schwere einer Beschränkung der Berufswahlfreiheit nicht nahekommt.719 Die Regelung selbst verbietet den Beruf natürlich nicht, sie verpflichtet allein dazu, den Basistarif anzubieten und im gesetzlichen Rahmen zu kontrahieren. Das Bundesverfassungsgericht sah aber auch die sinnvolle Ausübung des Berufs eines privaten Krankenversicherers nicht gefährdet.720 Zwar sei es ausgeschlossen, die Versicherungsbedingungen nach herkömmlichen Methoden risikogerecht auszugestalten.721 Die dadurch entstehenden Mehrkosten würden die Unternehmen aber nicht selbst tragen.722 Diese Beobachtung des Bundesverfassungsgerichts beruht darauf, dass die Mehrkosten, die durch die Versicherung von Personen mit Vorerkrankungen im Basistarif entstehen, auf die in der privaten Krankenversicherung versicherten Bürger umgeleitet werden. Die durch die absolute Beitragsgrenze entstehenden Mehrkosten werden zunächst in einem Risikoausgleichsverfahren (§ 12g VAG) zwischen den einzelnen privaten Unternehmen gleichmäßig verteilt. Dann können sie im Wege eines Zuschlags auf alle privat Krankenversicherten umgelegt werden. So bewirkt der Basistarif auch eine Umverteilung von Risiken und Vermögen zwischen verschiedenen Bevölkerungsgruppen. Dabei wird das Vertragsrecht instrumentalisiert, um ein gesundheitspolitisch erwünschtes Verteilungssystem zu erreichen. Die Gemeinschaft der privat Krankenversicherten trägt dabei die finanziellen Lasten, die sich aus der Einführung des Basistarifs ergeben. Finanziell dürfte der Basistarif vor allem für Personen mit Vorerkrankungen interessant sein, so dass die Gemeinschaft der privat Versicherten insbesondere die Kosten der Behandlung dieser Menschen trägt. Auch aus den befürchteten Prämienerhöhungen in den Normaltarifen ergibt sich nach Einschätzung des Bundesverfassungsgerichts keine Gefahr für das Geschäftsmodell der privaten Krankenversicherung.723 Hierzu bediente sich das Bundesverfassungsgericht einerseits der Sachkunde der angehörten 718 719 720 721 722 723

BVerfGE 7, 377, 406 f.; BVerfGE 102, 197, 214. BVerfGE 123, 186, 238 ff. BVerfGE 123, 186, 239 ff. BVerfGE 123, 186, 239. BVerfGE 123, 186, 239 f. BVerfGE 123, 186, 239 f.

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Experten.724 Andererseits betont es aber vor allem mit Blick auf die notwendigen Prognosen, dass es die Aufgabe und Pflicht des Gesetzgebers sei, die künftige Entwicklung zu beurteilen.725 Dabei komme dem Gesetzgeber ein weiter Prognose- und Einschätzungsspielraum zu.726 Das Bundesverfassungsgericht nimmt für sich lediglich in Anspruch, zu überprüfen, ob die Prognosen des Gesetzgebers auf hinreichend gesicherter Grundlage beruhen.727 Auch die Auswirkungen des Gesetzes müssten nicht mit großer Wahrscheinlichkeit oder gar Sicherheit übersehbar sein; eine vertretbare Argumentation des Gesetzgebers lässt das Bundesverfassungsgericht genügen.728 Dieser zurückhaltende Ausgangspunkt des Bundesverfassungsgerichts ist begrüßenswert. Schon mit Blick auf die demokratietheoretische Legitimation müssen rechtspolitisch eingebettete und schwer determinierbare Prognosen in erster Linie dem Gesetzgeber obliegen. Damit schließen nach Auffassung des Bundesverfassungsgerichts die wirtschaftlichen Folgen des Basistarifs die Ausübung des Berufs privater Krankenversicherer nicht aus.729 Der Kontrahierungszwang führe lediglich zu einer Beschränkung der Berufsausübungsfreiheit.730 Diesen Eingriff sieht das Bundesverfassungsgericht als durch beachtliche Gemeinwohlinteressen gerechtfertigt an. Insbesondere das Sozialstaatsgebot aus Art. 20 Abs. 1 GG mache es zu einem legitimen gesetzgeberischen Ziel, allen Bürgern bezahlbaren Krankenversicherungsschutz in der gesetzlichen oder der privaten Krankenversicherung zu gewähren.731 Auch die Verhältnismäßigkeit der Regelung sah das Bundesverfassungsgericht als gegeben an.732 In ihrem Ausgangspunkt illustriert das Bundesverfassungsgericht, dass Grenzen der Vertragsfreiheit nur mit Blick auf die Konsequenzen ermittelt werden können, die über die jeweiligen Austauschverhältnisse hinaus für die betroffenen Personengruppen entstehen. Das Bundesverfassungsgericht hat damit im Ausgangspunkt völlig zutreffend den zur Rede stehenden Kontrahierungszwang unter dem Aspekt der iustitia distributiva erklärt und gerechtfertigt. Nur unter dieser Gerechtigkeitsperspektive wird ein integrativer Zugriff auf die maßgeblichen Sachfragen möglich. Eine andere Frage ist, ob dem Bundesverfassungsgericht eine auch inhaltlich überzeugende Konkretisierung der objektiven Gerechtigkeitsidee im Vertragsrecht gelungen ist. Dabei springt ein entscheidender Punkt ins Auge: Die angemessene medizinische Versorgung hätte auch durch eine direkte staatliche 724 725 726 727 728 729 730 731 732

BVerfGE 123, 186, 240. BVerfGE 123, 186, 241. BVerfGE 123, 186, 241. BVerfGE 123, 186, 241; diese Grenze betont Hufen, NZS 2009, 649, 650 f. BVerfGE 123, 186, 241. BVerfGE 123, 186, 242. BVerfGE 123, 186, 242. BVerfGE 123, 186, 242. BVerfGE 123, 186, 243 ff.

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§ 5 Konkretisierungen der iustitia distributiva im positiven Vertragsrecht

Finanzierung gesichert werden können. Nach Auffassung des Bundesverfassungsgerichts ist allerdings der Gesetzgeber nicht gehalten, von einer finanziellen Belastung einer bestimmten Gruppe abzusehen, wenn die Belastung in der einen oder anderen Weise über den öffentlichen Haushalt auch der Allgemeinheit auferlegt werden könnte. Die Begründung des Bundesverfassungsgerichts ist an dieser Stelle befremdlich knapp.733 Das Bundesverfassungsgericht beruft sich lediglich auf drei vorhergehende Entscheidungen.734 Diese können allerdings die besondere Belastung gerade der privaten Krankenversicherer und der Gruppe der privat Versicherten nicht vollständig rechtfertigen. In seinem Beschluss vom 16. März 1971 entschied das Bundesverfassungsgericht, dass die Bevorratungspflicht für Erdölerzeugnisse die bevorratungspflichtigen Unternehmen nicht in ihrer Berufsfreiheit verletzt.735 Auch hier wird eine verhältnismäßig kleine Gruppe Privater zur Erfüllung von Aufgaben in die Pflicht genommen, die im Interesse der Öffentlichkeit liegen. Mit der Erdölbevorratung waren Importeure von Mineralölprodukten betroffen. Die Bevorratungspflicht trifft diese im Interesse an Versorgungssicherheit im Erdölbereich. Anders als in seiner Entscheidung zum Basistarif begründete das Bundesverfassungsgericht hier eindringlich, weshalb die Belastung der Importeure verhältnismäßig ist: Die vollständige Übernahme der Vorratshaltung durch den Staat sei kein gleichwertiges Mittel und würde zu unmittelbaren Interventionen des Staates auf dem Energiemarkt führen.736 Auch habe der Gesetzgeber sich mit nachvollziehbarer Argumentation dafür entschieden, die unabhängigen Importeure zu belasten, statt lagerhaltende Großhändler, Großverteiler oder Großverbraucher in die Pflicht zu nehmen.737 Das Bundesverfassungsgericht begründet dabei eindringlich, weshalb für die vom Gesetzgeber gewählte Lösung „beachtliche, jedenfalls nicht eindeutig widerlegbare Gründe sprechen.“738 Die Importeure stehen auch in besonderer Sachnähe zu dem hier verfolgten öffentlichen Interesse. Ihre wirtschaftliche Tätigkeit trägt zu der Problematik der Versorgungssicherheit bei. Gerade darin liegt aber das vom Bundesverfassungsgericht entschiedene Problemfeld. Anders als in seiner Entscheidung zum Basistarif überprüfte das Bundesverfassungsgericht hier also sehr genau, ob der Gesetzgeber sich mit guten Gründen dafür entscheiden durfte, einer überschaubaren Gruppe Privater ein Sonderopfer zugunsten aller aufzuerlegen. Weniger eindringlich ist schon die Begründung des Bundesverfassungsgerichts in seinem Urteil vom 23. Januar 1990 zur Erstattungspflicht des Arbeit733

BVerfGE 123, 186, 243 ff. BVerfGE 123, 186, 243 f. Die Entscheidungen, auf die sich das Bundesverfassungsgericht beruft, sind BVerfGE 30, 292, BVerfGE 81, 156 sowie BVerfGE 85, 226. 735 BVerfGE 30, 292. 736 BVerfGE 30, 292, 319. 737 BVerfGE 30, 292, 321 f. 738 BVerfGE 30, 292, 321 f. 734

D. Allgemeinwohlbelange

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gebers nach § 128 Arbeitsförderungsgesetz. Nach dieser Regelung müssen Arbeitgeber, die Arbeitsverhältnisse mit älteren, langjährig beschäftigten Arbeitnehmern beendet haben, das an diese gezahlte Arbeitslosengeld einschließlich der Beiträge zur gesetzlichen Kranken- und Rentenversicherung der Bundesanstalt für Arbeit erstatten. Gesetzgeberische Alternativen zur Belastung gerade der Arbeitgeber hätte es durchaus gegeben.739 Der Gesetzgeber durfte sich aber dafür entscheiden, gerade die Arbeitgeber zu belasten.740 Denn er habe einen weiten Gestaltungsraum bei der Verfolgung wirtschafts- und sozialpolitischer Vorhaben.741 Zugleich verweist das Bundesverfassungsgericht auf die mit der Erstattungspflicht verfolgten Ziele des Gesetzgebers742 und damit indirekt darauf hin, dass die Belastung von Arbeitgebern, die an der Beendigung des Arbeitsverhältnisses mitgewirkt haben, aus Sachgründen naheliegt. Diese Arbeitgeber tragen einen Teil der Verantwortung für die Folgen sozial unerwünschter Frühverrentung. Auch hier findet also durchaus eine Plausibilitätsprüfung mit Blick auf das Sonderopfer der Arbeitgeber statt. Kaum mehr verständlich ist schließlich, dass sich das Bundesverfassungsgericht zur Begründung auch auf seinen Beschluss vom 11. Februar 1982 beruft.743 Nach dieser Entscheidung verletzt die Pflicht zur vollen und ausgleichsfreien Entgeltfortzahlung während eines Sonderurlaubs für Zwecke der Jugendpflege die betroffenen Arbeitgeber in Art. 12 Abs. 1 GG. In seiner Begründung stellt das Bundesverfassungsgericht maßgeblich darauf ab, dass es an hinreichend gewichtigen Gründen dafür fehlt, diese einem Gemeinschaftsinteresse dienende Belastung allein dem Arbeitgeber aufzuerlegen.744 Die Förderung der Jugendarbeit der Vereine, der öffentlichen Jugendpflege und des Jugendsports sei zwar ein wichtiges Gemeinschaftsgut.745 Dieses Gemeinschaftsgut gebe aber keineswegs vor, dass der Arbeitgeber für seine Kosten allein aufzukommen habe: „Die Bereitschaft eines Arbeitnehmers, für Zwecke der Jugendarbeit Sonderurlaub zu nehmen, wird durch die Entgeltfortzahlung zweifellos erhöht, doch fehlen hinreichend gewichtige Gründe dafür, diese Belastung allein dem einzelnen Arbeitgeber aufzuerlegen. Daß gerade er dafür aufzukommen hat, ist vom Gemeinwohlinteresse her nicht vorgegeben. In einer solchen Lage bedarf die Zumutbarkeit eines Eingriffs in die Berufsfreiheit weiterer Rechtfertigung. Zwar besteht, wie dargelegt, eine Verantwortungsbeziehung. Sie ist aber für den einzelnen Arbeitgeber nicht so eng, daß gerade ihm die vollen Lohnkosten aufgebürdet werden dürften.“746 739 740 741 742 743 744 745 746

BVerfGE 81, 156. BVerfGE 81, 156. BVerfGE 81, 156, 193 f. BVerfGE 81, 156, 194. BVerfGE 85, 226. BVerfGE 85, 226, 236 f. BVerfGE 85, 226, 234. BVerfGE 85, 226, 237.

430

§ 5 Konkretisierungen der iustitia distributiva im positiven Vertragsrecht

Das Bundesverfassungsgericht zeigt in BVerfGE 85, 226 also gerade Grenzen des gesetzgeberischen Prognose- und Entscheidungsspielraums auf. Die Kernaussage dieser Entscheidung lautet: Die Belastung einer bestimmten Personengruppe ist nur gerechtfertigt, wenn sie sich aus dem jeweils verfolgten gesetzgeberischen Ziel heraus erklären lässt. Vor diesem verfassungsrechtlichen Hintergrund hätte das Bundesverfassungsgericht eingehend analysieren müssen, ob das Sonderopfer der privat Versicherten plausibel begründet werden kann. Denn grundsätzlich darf der Staat seine aus dem Sozialstaatsprinzip herleitbare Verpflichtungen im sozialen Bereich nicht ohne spezifische Sachgründe auf einzelne Privatrechtssubjekte abwälzen.747 Das Ausgleichssystem des § 12g Abs. 1 VAG führt letztlich zu einer Umlage der Mehraufwendungen für den Basistarif auf alle privat Krankenversicherten. Konnten also die mit der Einführung des Basistarifs verfolgten Ziele erklären, dass mit den hieraus resultierenden Risiken und Kosten gerade die privaten Versicherungsunternehmen und die Gemeinschaft der privat Krankenversicherten belastet werden sollen? Man mag dies mit guten Gründen bezweifeln. Die Versorgung aller Bürger mit einer angemessenen Krankenversicherung ist zwar ein hohes Gemeinwohlinteresse. Allerdings fällt es nicht leicht, die Belastung der privat Krankenversicherten mit den Kosten und Risiken dieses Gemeinwohls zu erklären. Kategorien der Kausalität helfen hier kaum weiter. Die Bevorratungspflicht der Importeure von Mineralölprodukten in BVerfGE 30, 292 und die Belastung der Arbeitgeber in BVerfGE 81, 156 ließ sich mit dieser Kategorie noch rechtfertigen. Das besondere Schutzbedürfnis potentieller Interessenten des Basistarifs haben die privat Krankenversicherten dagegen kaum verursacht. Vor diesem Hintergrund wird argumentiert, dass der Basistarif eine Gruppe Privater ohne hinreichenden Grund zur Erfüllung öffentlicher Aufgaben verpflichtet.748 Der durch den Basistarif konstituierte Kontrahierungszwang justiert Freiheitsberechtigungen zugunsten der Interessenten des Basistarifs und zulasten der Gemeinschaft privat Versicherter. Die Zahlung erhöhter Prämien durch die Privatversicherten zeigt die ökonomischen Konsequenzen dieser Verteilungsentscheidung plastisch. Die entscheidende Frage, die auch für die verfassungsrechtliche Rechtfertigung ausschlaggebend ist, muss daher sein, ob sich diese Verteilungsentscheidung mit einem verfassungsrechtlich zulässigen Verteilungsmaßstab rechtfertigen lässt. In der Kategorie der Verursachung lässt sich ein solcher Maßstab kaum finden. Dieser könnte allenfalls darin gefunden werden, dass bei privaten Krankenversicherungen viele finanzstarke Privat747 Vgl. Neuner, Privatrecht und Sozialstaat, S. 234; Fastrich verlangt für die Auferlegung sozialdistributiver Lasten im Privatrecht generell unter anderem eine „überzeugende Verantwortungsbeziehung“, vgl. Fastrich, in: Heldrich/Prölss/Koller (Hrsg.), Festschrift für Claus-Wilhelm Canaris, 2007, S. 1071, 1090 f. 748 Vgl. etwa Wilms, ZVersWiss 2011, 325, 330 f.

D. Allgemeinwohlbelange

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personen versichert sind, die sich nicht an dem durch die gesetzlichen Kassen konstituierten Solidarsystem beteiligen. Ihr Sonderopfer ließe sich dann damit rechtfertigen, dass für soziale Aufgaben diejenigen besonders belastet werden können, die wirtschaftlich besonders leistungsfähig sind. Die Aufrechterhaltung sozialen Friedens, die durch den Basistarif und der mit ihm zusammenhängenden umfassenden Krankenversicherung aller Bürger erreicht wird, liegt zudem auch im Eigeninteresse der belasteten Gruppe. Denn die Aufrechterhaltung sozialen Friedens sichert auch ihnen die Chance, ein glückliches Leben führen zu können. Ein offensichtlicher Schwachpunkt dieses Verteilungsmaßstabes besteht allerdings in seiner Grobschlächtigkeit: Die Gruppe privat versicherter Personen ist weniger homogen als oben suggeriert. So sind in der privaten Krankenversicherung auch viele selbständige Handwerker und Freiberufler versichert, deren Finanzkraft nicht zwingend besonders hoch ist. Andererseits wären Differenzierungen nach der finanziellen Leistungsfähigkeit im Umlageverfahren ihrerseits mit Unsicherheiten verbunden und würden einen erhöhten Verwaltungsaufwand nach sich ziehen. Auch dürfte vielen Betroffenen der Weg in die freiwillige gesetzliche Krankenversicherung offenstehen. Die vorstehend angestellten Überlegungen sind zu einem großen Teil spekulativer Natur. Sie beruhen auf Plausibilitätserwägungen, die kaum empirisch gesichert sind. Zudem bleibt es im Wesentlichen eine rechtspolitische Frage, ob Fehlsteuerungen der soeben beschriebenen Art zur Sicherung einer angemessenen Gesundheitsversorgung und wegen der sonstigen Vorzüge vertragsrechtlicher Regulierung749 in Kauf genommen werden sollen. Das Bundesverfassungsgericht hat sich vielleicht auch deshalb nicht näher mit solchen Überlegungen befasst. Die Entscheidung ist in diesem Lichte betrachtet insbesondere ein Ausdruck dafür, dass das Bundesverfassungsgericht den gesetzgeberischen Entscheidungsspielraum sehr weit verstehen möchte. Dies lässt sich vielleicht dadurch rechtfertigen, dass die Ausgestaltung des Gesundheitssystems ein politisch besonders sensibles Themenfeld ist. Nur deshalb kann letztlich die Einführung des Basistarifs noch als verfassungsrechtlich gerechtfertigt betrachtet werden.750 Bedauernswert ist jedenfalls, dass das Bundesverfassungsgericht die Gelegenheit versäumt hat, sich mit den oben erörterten Fragen zur Rechtfertigung des Basistarifs näher auseinanderzusetzen. Unabhängig von der inhaltlichen Frage nach der spezifischen Konkretisierung der iustitia distributiva durch das Bundesverfassungsgericht illustriert das Urteil die Bedeutung dieser Gerechtigkeitsform im Vertragsrecht in besonders anschaulicher Weise. 749

Dazu oben, S. 268 ff. Dagegen etwa Wilms, ZVersWiss 2011, 325, 332 f., der im Basistarif eine verfassungswidrige Sonderabgabe sieht; kritisch auf Grund seiner engen Auslegung des Sozialstaatsprinzips auch Heinz, Verwaltungsrundschau 2011, 151; die Verfassungsgemäßheit bejahen etwa Musil, NZS 2008, 113; Steiner, RPG 2011, 3; differenzierend Marlow/Spuhl, VersR 2009, 593. 750

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§ 5 Konkretisierungen der iustitia distributiva im positiven Vertragsrecht

E. Interessen- und Risikogemeinschaften Die iustitia distributiva zeichnet sich vor allem dadurch aus, dass sie die Perspektive über das konkrete, individuelle Vertragsverhältnis hinaus auf den sozialen und ökonomischen Kontext des Lebenssachverhalts erweitert. Diese Gerechtigkeitsperspektive ist im Vertragsrecht auch dort maßgeblich, wo das Vertragsrecht Interessenverflechtungen in den Blick nimmt, die nicht innerhalb vertraglicher oder gesellschaftsrechtlicher Bindungen geregelt sind.

I. Die Repartierungspflicht des Schuldners bei der begrenzten Gattungsschuld Das vielleicht deutlichste Beispiel für das Wirken der iustitia distributiva bei Interessengemeinschaften ist die Repartierungspflicht des Schuldners bei der begrenzten Gattungsschuld. Auf deren Darstellung sind die folgenden Zeilen beschränkt.751 Dieses Rechtsphänomen lässt sich anhand der Zuckerrübensamenentscheidung des Reichsgerichts aus dem Jahre 1914752 veranschaulichen:753 Ein Samenzüchter hatte 1909 Lieferverträge für die kommenden Jahre mit mehreren Kunden geschlossen. Im Februar jeden Jahres sollte er ihnen Zuckerrübensamen aus seiner Spezialzüchtung liefern. Dieser besondere Samen war sonst nirgends erhältlich. Wegen der Dürre im Sommer 1911 hatte der Züchter im folgenden Februar nur 1000 statt der gewöhnlichen 5000 Zentner Samen zur Verfügung – zu wenig, um alle Kunden vollständig beliefern zu können. Das Reichsgericht entschied, dass der Züchter alle Kunden nach dem Verhältnis ihres Bestellumfangs anteilig befriedigen muss.754 Diese Entscheidung ist in der Literatur auf Kritik gestoßen.755 Jeder individuelle Kaufvertrag begründe ein je eigenständiges Rechtsverhältnis, das nach Grund und Wirkung von den jeweils anderen Rechtsverhältnissen zu trennen sei.756 Dem Schuldner allein stehe die Entscheidung darüber zu, welchen Gläubiger er in welchem Umfang befriedigen möchte. Jede andere Lösung sei ein Eingriff in die ihm rechtlich zustehende Entscheidungsfreiheit.757 Löwisch und Caspers akzentuieren diesen Gedanken durch die Anwendung des Prioritätsprinzips: 751 Zu anderen Fällen der Interessengemeinschaft s. etwa Wüst, Die Interessengemeinschaft. Neuner führt auch den Fall mehrerer Schenkungsversprechen bei der Notbedarfseinrede aus § 519 BGB auf, bei der ebenfalls anteilig zu kürzen sei, vgl. Neuner, in: Leible/Schlachter (Hrsg.), Diskriminierungsschutz durch Privatrecht, 2006, S. 73, 87. 752 RGZ 84, 125. 753 Anschaulich auch zu einer aktuelleren Konstellation Westermann, AcP 2008, 141, 168 ff. 754 RGZ 84, 125. 755 S. etwa Rabel, Juristische Wochenschrift 1922, 158; Rabel, Das Recht des Warenkaufs, S. 152; E. Wolf, JuS 1962, 101, 103 ff. 756 Deutlich E. Wolf, JuS 1962, 101, 104. 757 E. Wolf, JuS 1962, 101, 104.

E. Interessen- und Risikogemeinschaften

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Wer seinen Anspruch als erster verfolge, könne ihn eben auch voll durchsetzen.758 Diese Analyse ist in sich schlüssig, sie ist allerdings auf die Gerechtigkeitsperspektive der iustitia commutativa begrenzt, die auf das unmittelbare Vertragsverhältnis fokussiert und in die rechtliche Analyse keine über dieses hinausreichenden Aspekte einbezieht. Der erkenntnistheoretische Vorrang der iustitia distributiva wird in den kritischen Stimmen ebenfalls deutlich: Probeweise verlassen die Autoren in ihrer Analyse die Perspektive der iustitia commutativa und prüfen eingehend – freilich mit verneinendem Ergebnis –, ob die besonderen ökonomischen Umstände des Falles es rechtfertigen, eine Verteilungsgemeinschaft anzunehmen.759 Inzwischen ist überwiegend anerkannt, dass in diesen Fällen die Gerechtigkeitsperspektive der iustitia distributiva vorrangig ist.760 Die iustitia distributiva löst den Blick von den individuellen Rechtsverhältnissen und lenkt ihn auf das ökonomische Gesamtgeschehen. So lässt sich die Entscheidung des Reichsgerichts ohne weiteres als Ausdruck der iustitia distributiva im Vertragsrecht erklären: Der Züchter muss das knappe Gut „Zuckerrübensamen“ unter mehreren Kunden verteilen. Der Verteilungsmaßstab ist dabei der jeweilige proportionale Bestellanteil. Nur in der Perspektive der iustitia distributiva lässt sich der ökonomische Kontext des Gesamtgeschehens angemessen erfassen. Die Dürre des Sommers 1911 hat die Kunden zu einer Art Schicksalsgemeinschaft verbunden. Dieser Besonderheit wird nur eine Betrachtungsweise gerecht, die den Blick vom einzelnen Vertrag auf alle beteiligten Vertragsverhältnisse erstreckt. Erst diese Perspektive der iustitia distributiva gibt dem Urteil Kohärenz und Überzeugungskraft. Die Verknappung des Vorrats verbindet die Gläubiger zu einer Schicksalsgemeinschaft, bei der eine ungebundene Entscheidung des Schuldners Missbrauchsmöglichkeiten eröffnen würde.761 Selbstverständlich sind mit der Entscheidung für die Perspektive der iustitia distributiva noch keine konkreten Ergebnisse verbunden. Diese hängen von dem konkret zur Anwendung gelangenden Verteilungsmaßstab ab. Grundsätzlich ist dies in den Fällen der Interessengemeinschaft proportionale Gleichheit nach Maßgabe der jeweiligen Bestellungen. Allerdings ermöglicht das Gerechtigkeitsprinzip der iustitia distributiva auch die ergänzende Anwendung anderer Maßstäbe. So könnte man etwa berücksichtigen wollen, wie 758

Löwisch/Caspers, in: Staudinger, BGB, § 275 BGB Rn. 21. E. Wolf, JuS 1962, 101, 103 f; Schiemann, in: Staudinger, BGB, § 243 BGB Rn. 20. 760 RGZ 84, 125, 128 f; 100, 134, 136 f; Gsell, Beschaffungsnotwendigkeit und Leistungspflicht, S. 169 ff. m.w.N.; Emmerich, in: MünchKomm BGB (6. Aufl. 2012), § 243 BGB Rn. 17; Medicus/Lorenz, Schuldrecht I, § 19 III. 2.; Westermann, AcP 2008, 141, 168 ff.; a.A.: Emmerich, in: MünchKomm BGB (5. Aufl.), § 243 BGB Rn. 17 (aufgegeben in der 6. Aufl. 2012); Schiemann, in: Staudinger, BGB, § 243 BGB Rn. 20; Löwisch/Caspers, in: Staudinger, BGB, § 274 BGB Rn. 21. 761 Wüst, Die Interessengemeinschaft, S. 100 f. Wüst weist auch zu Recht auf die Parallele der Interessenlage zur Insolvenz hin, s. Wüst, a.a.O., S. 102. 759

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§ 5 Konkretisierungen der iustitia distributiva im positiven Vertragsrecht

stark die jeweiligen Gläubiger auf Lieferung angewiesen sind. Für die Rechtsanwendung würde diese Maßstabsergänzung freilich mit Unsicherheiten verbunden sein. Auch läßt sich das Erfordernis eines Anteils für den eigenen Gebrauch ohne weiteres berücksichtigen.762 Welcher konkrete Verteilungsmaßstab hier im Einzelfall zum Einsatz gelangt, ist wiederum eine Frage der rechtspolitischen Diskussion.763 Diese Diskussion lässt sich im Rahmen der iustitia distributiva offen führen und explizit machen. Auf den ersten Blick scheint die Struktur der iustitia distributiva hier eine andere zu sein als in anderen Konstellationen. Der Schuldner verfügt über knappe Ressourcen, die er im Wege der Repartierung an die Gläubiger verteilt. In der herkömmlichen Analyse der iustitia distributiva verteilt eine übergeordnete Instanz Güter nach einem Maßstab an ihr untergeordnete Teile. Die verteilende Instanz scheint hier aber der Schuldner, also ein Privater zu sein. Dies stünde im Widerspruch zu der oben vertretenen Auffassung, dass im Rechtsstaat die Verteilung staatlich erfolgt (sei es durch Gesetzgebung, Richter oder den „Schatten des Rechts“).764 Dies ist allerdings nicht der Fall: Zwar verteilt vordergründig ein Privatrechtssubjekt an andere Privatrechtssubjekte. Auch hinter dieser Verteilung stehen aber das Vertragsrecht staatlichen Ursprungs und der staatliche Zwangsapparat, der die dem Recht entsprechende Verteilungsentscheidung durchsetzt.765

II. Wegfall der Geschäftsgrundlage Während die Repartierungspflicht des Schuldners bei der Vorratsschuld ein sehr deutliches und unzweifelhaftes Beispiel für das Wirken der iustitia distributiva im Vertragsrecht bietet, entzieht sich der heute in § 313 BGB normierte Wegfall der Geschäftsgrundlage766 einer eindeutigen Zuordnung zur iustitia distributiva. Anders als bei der Repartierungspflicht geht es bei der Geschäftsgrundlage ja nicht um die Gerechtigkeit zwischen nicht vertraglich verbundenen Personen. Vielmehr geht es zunächst um die Gerechtigkeit innerhalb eines Austauschverhältnisses. Zwar zeigt das Institut die typischerweise mit der iustitia distributiva verbundene Konkretisierung und Kontextualisierung. Zugleich ist das Institut aber auch als Ausdruck einer weit verstandenen iustitia commutativa erklärbar. Wenn sich bei langfristigen Verträgen etwa die Kosten 762 Vgl. etwa RGZ 91, 312. Hier ging es um die Lieferung von Milch; der Verkäufer durfte Milch für die Aufzucht hofeigener Kälber und Ferkel zurückhalten. 763 Eingehend zu möglichen Fallkonstellationen etwa Wüst, Die Interessengemeinschaft, S. 98 ff.; Gsell, Beschaffungsnotwendigkeit und Leistungspflicht, S. 169 ff. 764 S. oben S. 286 ff. 765 Die staatliche Verteilung erfolgt hier auch durch rechtlich bestimmte und koordinierte Handlungen der Privatrechtssubjekte, was im Vertragsrecht aber ohnehin nicht unüblich ist. 766 Zum historischen Ursprung vgl. Scherrer, Die geschichtliche Entwicklung des Prinzips der Vertragsfreiheit, S. 29 f.

E. Interessen- und Risikogemeinschaften

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für die Leistungserbringung einer Partei stark erhöht haben,767 wird dies – entgegen dem schuldrechtlichen Prinzip des Nominalismus – ausnahmsweise berücksichtigt. Der Preis für die Leistung erhöht sich ebenfalls. Aus der Vertragsfreiheit lässt sich dieses Ergebnis nicht herleiten. Die Einbeziehung der Kostenerhöhung bedeutet natürlich eine Lösung vom rein formalen Austauschprinzip; erst die Perspektive der iustitia distributiva führt dazu, diese Kostenerhöhung ausnahmsweise zu berücksichtigen. Diese Konkretisierung ist also ein Merkmal der iustitia distributiva. Andererseits lassen sich aber auch Merkmale der iustitia commutativa erkennen. Der Wegfall der Geschäftsgrundlage stellt auch materielle Äquivalenz im Verhältnis der Vertragsparteien her.768 Der gemeinsame Vertragszweck und die solidarische Verbindung der Parteien können gerade bei langfristigen Geschäftsbeziehungen in ihrem unmittelbaren Vertragsverhältnis berücksichtigt werden. Man kann die Parteien in vielen Fällen – etwa der durch Krieg oder politische Krisen ausgelösten Inflation – auch als Interessengemeinschaft betrachten, die Risiken aus unvorhersehbaren Entwicklungen teilen.769 So lässt sich auch aus der Perspektive der iustitia commutativa erklären, weshalb die finanziellen Nachteile der Kostensteigerung nicht von einer Partei alleine getragen werden sollen. Welcher konkrete Ausgleich dabei zum Tragen kommt, wird allerdings von externen Kriterien bestimmt, die sich dem Vertrag auch nicht unter Fokussierung auf den gemeinsamen Vertragszweck entnehmen lassen. Die Rechtsprechung arbeitet dabei häufig mit Vereinbarungsfiktionen. Ein Beispiel bietet die Rechtsprechung des BGH zu unwirksamen Wertsicherungsklauseln. An deren Stelle tritt eine andere interessengerechte und wirksame Wertsicherungsklausel, wenn „unter Berücksichtigung des objektiven Vertragszwecks angenommen werden“ kann, dass die Parteien sie vereinbart hätten.770 Die Lehre von der Geschäftsgrundlage zeichnet sich gerade dadurch aus, dass sie sich von der formalen Analyse der jeweiligen Verträge löst und externe Aspekte einschließt. Heterogene Momente werden so in die Austauschbeziehung internalisiert, der soziale und ökonomische Kontext des Geschäfts wird

767

S. etwa RGZ 100, 129. S. Chiotellis, Rechtsfolgenbestimmung bei Geschäftsgrundlagenstörungen in Schuldverträgen, S. 18 ff. 769 Köhler etwa erklärt die Geschäftsgrundlage dementsprechend als Lehre von der Risikobefreiung, vgl. Köhler, in: Canaris (Hrsg.), 50 Jahre Bundesgerichtshof, Band I, 2000, S. 295; in ähnlicher Weise sieht Fikentscher die Geschäftsgrundlage als Frage des Vertragsrisiko an, vgl. Fikentscher, Die Geschäftsgrundlage als Frage des Vertragsrisikos, passim; kritisch zur Fundierung der Geschäftsgrundlage als Risikozurechnung etwa Häsemeyer, in: Weitnauer/Ehmann/ Hefermehl u.a. (Hrsg.), Privatautonomie, Eigentum und Verantwortung, 1980, S. 67. 770 BGH NJW 1986, 932, 933 m.w.N. Im Anwendungsbereich des Preisklauselgesetzes kann diese Vertragsergänzung allerdings wegen der besonderen Rechtsfolgenregelung in § 8 Preisklauselgesetz künftig nur in Ausnahmefällen vorgenommen werden, vgl. Kirchhoff, DNotZ 2007, 913, S. 923. 768

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§ 5 Konkretisierungen der iustitia distributiva im positiven Vertragsrecht

zum Vertrag gezogen.771 Die Geschäftsgrundlage des Vertrages wird dabei zum Teil vom Vertragsinhalt selbst getrennt.772 Teilweise wird die dogmatische Verortung unmittelbar in der Vertragsauslegung gesucht, so dass letztlich die Geschäftsgrundlage unmittelbarer Vertragsbestandteil ist.773 Externe Bewertungsfaktoren werden so als „vertragsimmanente Fortentwicklung der Vereinbarung“774 in den Vertrag integriert.775 Diese dogmatischen Erklärungsversuche ermöglichen durch die Integration an sich externer Elemente in die Austauschbeziehung die Erklärung der Geschäftsgrundlage als Ausfluss der iustitia commutativa.776 Die entscheidenden materiellen Wertungsgesichtspunkte lassen sich allerdings den Verträgen selbst nicht mehr entnehmen. Die Notwendigkeit objektiver normativer Erwägungen, die um vertragsexterne Elemente kreisen, ist nicht zu vermeiden.777 Sie zeigen sich auch dann, wenn versucht wird, den hypothetischen Willen der Parteien zu ermitteln. Dieser Wille ist bloße Fiktion. Eine Rechtfertigung in der Privatautonomie scheitert deshalb.778 Dabei geht es auch nicht um die Aufrechterhaltung des Vertrages, sondern gerade um die Änderung des von den Parteien konkret Vereinbar-

771 Aus der Perspektive der ökonomischen Analyse des Rechts wird die Rechtsprechung zur Geschäftsgrundlage etwa erklärt und im Grundsatz gerechtfertigt von Brockmeyer, Das Rechtsinstitut der Geschäftsgrundlage aus der Sicht der ökonomischen Analyse des Rechts, S. 59 ff.; dagegen beispielsweise Finkenauer, in: MünchKomm BGB, § 313 BGB Rn. 45. 772 Insbesondere Oertmann, Die Geschäftsgrundlage, S. 31 ff., 132. 773 Finkenauer, in: MünchKomm BGB, § 313 BGB Rn. 41 ff. m.w.N.; auch für Littbarski ist die strukturelle Aufgabe der Geschäftsgrundlage mit derjenigen der ergänzenden Vertragsauslegung identisch, vgl. Littbarski, JZ 1981, 8; s. auch Nicklisch, BB 1980, 949. Kritisch zum Versuch, die Geschäftsgrundlage als ergänzende Vertragsauslegung zu erklären G.H. Roth, in: Bernat/Böhler/Weilinger (Hrsg.), Festschrift Heinz Krejci zum 60. Geburtstag, 2001, S. 1251, S. 1253 ff. 774 Finkenauer, in: MünchKomm BGB, § 313 BGB Rn. 4; s. auch Finkenauer, in: MünchKomm BGB, § 313 BGB Rn. 104. Ziel dieser Einschätzung ist es, so weit als möglich den subjektiven Präferenzentscheidungen der Privatrechtssubjekte Vorrang gegenüber richterrechtlichem Richtigkeitsempfinden einzuräumen; ähnlich auch Ulmer, AcP 1974, 167, 182 ff. 775 Ähnlich Ehmann, JZ 2003, 702, 708 f., der die Geschäftsgrundlage als Zweckverfehlung interpretiert. 776 Zur Geschäftsgrundlage als Gebot der iustitia commutativa eingehend Häsemeyer, in: Weitnauer/Ehmann/Hefermehl u.a. (Hrsg.), Privatautonomie, Eigentum und Verantwortung, 1980, S. 67. 777 Deutlich G.H. Roth, in: Bernat/Böhler/Weilinger (Hrsg.), Festschrift Heinz Krejci zum 60. Geburtstag, 2001, S. 1251, 1253: „Man kann und darf der Einsicht nicht ausweichen, daß es letzten Endes und in den wirklich problematischen Fällen um normative Entscheidungen geht, die sich an objektiver Interessenwertung orientieren und für die der tatsächlich nachweisbare Parteiwille keine Hilfestellungen mehr bietet, die Verweisung auf den hypothetischen Parteiwillen aber nicht mehr als eine methodische Leerformel ist.“. 778 S. nur Häsemeyer, in: Weitnauer/Ehmann/Hefermehl u.a. (Hrsg.), Privatautonomie, Eigentum und Verantwortung, 1980, S. 67, 71; gerade deshalb wurde auch immer wieder für eine Einschränkung der Lehre von der Geschäftsgrundlage als eigenständiges Rechtsinstitut plädiert s. etwa Flume, in: Hundert Jahre Deutsches Rechtsleben, Band I, 1960, S. 135, 207 ff.; Flume, Das Rechtsgeschäft, S. 494 ff.; Littbarski, JZ 1981, 8, 13 f. m.w.N.

E. Interessen- und Risikogemeinschaften

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ten.779 Wenn diese letztlich vom Richter vorgenommene Vertragsänderung780 noch als iustitia commutativa erklärt wird, kommt damit insbesondere zum Ausdruck, dass der Richter die Änderung möglichst anhand von Kriterien vornehmen sollte, die den Präferenzentscheidungen der Vertragsparteien entsprechen und für den gemeinsamen Vertragszweck förderlich sind. Letztlich kann dies aber nicht ohne Rückgriff auf außerhalb der Verträge selbst liegende objektive Elemente geschehen.781 Damit schlagen auch hier wesentliche Aspekte der iustitia distributiva durch. Besonders deutlich zeigt sich dies freilich bei der sogenannten „großen Geschäftsgrundlage“782, bei der es um Ausnahmesituationen wie Kriegszustände oder Naturkatastrophen geht und die formale Vertragsdurchführung die Sozialexistenz eines Vertragspartners gefährdet. Soweit in diesen Fällen (noch) keine legislative Reaktion erfolgt ist, steht der Instrumentalisierung des Vertragsrechts zur Verwirklichung des öffentlichen Belangs an der Existenzsicherung der Privatrechtssubjekte nichts entgegen.

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Finkenauer, in: MünchKomm BGB, § 313 BGB Rn. 3. Zu den Funktionen des Richters insoweit etwa G.H. Roth, in: Bernat/Böhler/Weilinger (Hrsg.), Festschrift Heinz Krejci zum 60. Geburtstag, 2001, S. 1251, 1258 ff. Grundlegend und rechtsvergleichend zum richterlichen Moderationsrecht Bürge, Rechtsdogmatik und Wirtschaft. 781 Häsemeyer, in: Weitnauer/Ehmann/Hefermehl u.a. (Hrsg.), Privatautonomie, Eigentum und Verantwortung, 1980, S. 67, 71 f.; G H. Roth, in: Bernat/Böhler/Weilinger (Hrsg.), Festschrift Heinz Krejci zum 60. Geburtstag, 2001, S. 1251, 1252 ff. Zurückhaltung ist freilich geboten, was die Vertragszweckvereitelung anbelangt, dazu stellvertretend Finkenauer, in: MünchKomm BGB, § 313 BGB Rn. 252 ff. Zur Abgrenzung von § 313 BGB und § 275 Abs. 2 BGB s. nur Finn, Erfüllungspflicht und Leistungshindernis, m.w.N. 782 Schmidt/Esser/Weyers, Schuldrecht, § 24 II. S. etwa RGZ 101, 81; RGZ 94, 45. 780

§ 6 Zusammenfassung Die iustitia distributiva prägt das Vertragsrecht ebenso stark wie die iustitia commutativa. Iustitia distributiva und iustitia commutativa sind normativ gleichrangige Konkretisierungen der objektiven Gerechtigkeitsidee im Vertragsrecht. 1. Die Idee des Rechts ist die Gerechtigkeit. Als objektives Ideal ist die Gerechtigkeit offen für unterschiedliche materielle Konkretisierungen. Als höchstes Ziel allen Rechts trägt die Gerechtigkeit insbesondere zur Stabilisierung der Anerkennung des Rechts und damit letztlich zu Sicherheit und Frieden bei. Das Vertragsrecht ist als Teil des Rechts ebenfalls auf die Verwirklichung der Gerechtigkeit ausgerichtet. Es konkretisiert die Gerechtigkeitsidee auch im Zusammenspiel mit anderen Institutionen des Rechts. 2. In der Gerechtigkeitstheorie des Aristoteles zielt die Partikulargerechtigkeit auf die Verwirklichung der Gleichheit ab, die als Mitte zwischen Extrempolen zu verstehen ist. Aristoteles unterscheidet innerhalb der Partikulargerechtigkeit zwischen der iustitia distributiva und der iustitia commutativa. Beide Gerechtigkeitsformen führen erst im Zusammenspiel mit Wertungen zu konkreten inhaltlichen Forderungen. Gleichheit im Sinne der iustitia distributiva versteht Aristoteles als relative Gleichheit nach geometrischer Proportion. Demgegenüber bedeutet Gleichheit im Sinne der iustitia commutativa für Aristoteles absolute Gleichheit nach arithmetischer Proportion. Diese Unterscheidung ermöglicht einen metaphorischen Zugriff auf das hier entwickelte Verständnis von iustitia commutativa und iustitia distributiva als Ausprägungen der objektiven Gerechtigkeitsidee: Die arithmetische Gleichheit als Merkmal der iustitia commutativa lässt sich als gerade Verbindung zwischen zwei Punkten verstehen. Dies spiegelt die auf das unmittelbare Vertragsverhältnis reduzierte Perspektive der iustitia commutativa wider. Die geometrische Gleichheit als Merkmal der iustitia distributiva bildet dagegen ein Dreieck. So wird die über die einzelnen Vertragsverhältnisse hinausreichende Perspektive der iustitia distributiva veranschaulicht, die das Vertragsrecht auch in seiner regulativen Kapazität wahrnimmt. 3. Thomas von Aquin betont in seiner Gerechtigkeitstheorie den gemeinsamen Vertragszweck der Parteien als Wesensmerkmal der iustitia commutativa. Die iustitia commutativa versteht Thomas von Aquin als Gerechtigkeitsform der Gleichordnung, die iustitia distributiva als Gerechtigkeitsform der Überund Unterordnung. Diese Differenzierung stützt die Zuordnung der iustitia

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distributiva zum öffentlichen Recht allerdings schon deshalb nicht, weil die Trennung des öffentlichen vom privaten Recht in der heute bekannten Form deutlich später entwickelt wurde. 4. Die Gerechtigkeitstheorie John Rawls’ spiegelt den inhaltlichen Wandel wider, den der Begriff der iustitia distributiva in jüngerer Zeit erfahren hat. Rawls versteht die iustitia distributiva als soziale Gerechtigkeit, deren Ziel die angemessene Verteilung von Gütern und Vermögen innerhalb der Gesellschaft ist. Seine staatsvertragstheoretische Herleitung der Prinzipien sozialer Gerechtigkeit steht im Einklang mit einem freiheitlich orientierten Staatsverständnis. Mit der Einengung der iustitia distributiva auf Aspekte der sozialen Gerechtigkeit entfernt sich Rawls weit von den Konzeptionen Aristoteles’ und Thomas von Aquins. Auch das Vertragsrecht kann in einer auf Rawls’ Postulaten der Gerechtigkeit basierenden Gesellschaftsordnung dazu beitragen, Gerechtigkeit zu verwirklichen. Rawls Theorie steht im Einklang mit einer Instrumentalisierung des Vertragsrechts zur Verwirklichung sozialer Gerechtigkeit. Sie fordert diese Instrumentalisierung allerdings nicht zwingend ein. 5. Die iustitia distributiva ist im Vertragsrecht nicht schon deshalb bedeutungslos, weil sie die Gerechtigkeitsform des öffentlichen Rechts ist, während das Privatrecht von der iustitia commutativa beherrscht wird. Öffentliches und privates Recht können nicht nach den jeweils dominierenden Ausprägungen der Gerechtigkeitsidee unterschieden werden. Die Konzeption einer privaten Sphäre der Gleichordnung im Unterschied zu einer öffentlichen Sphäre der Über- und Unterordnung geht fehl. Die staatliche Zwangsgewalt manifestiert sich im Bereich des Vertragsrechts nicht allein in der Sicherung der Funktionsbedingungen von Vertragsfreiheit und Wettbewerb. Vielmehr ist das Privatrecht in gleicher Weise von Gewalt und Zwang geprägt wie das öffentliche Recht. Die Vertragsfreiheit ist nur als Relation einzelner Freiheitsbefugnisse und von diesen implizierten Unfreiheiten fassbar. Die Mehrung bestimmter Freiheitssphären geht stets mit einer Verminderung anderer Freiheitssphären einher. Jedwede Regulierung des Vertragsrechts führt daher lediglich zu einer Neuverteilung von Freiheitsbefugnissen und den mit diesen einhergehenden Zwangsbefugnissen. Die Perspektive der iustitia distributiva führt im Vertragsrecht nicht zu einem erstmaligen Eingriff in eine abstrakt verstehbare Freiheit. Sie trägt lediglich zu der ständigen und fließenden Verteilung konkreter Freiheitsbefugnisse zwischen Privaten bei. Gleichwohl ist die Trennung des öffentlichen vom privaten Recht als rechtspolitisches Gebot aufrecht zu erhalten. Sie ermöglicht die Zuordnung der passenden Regelungskomplexe zu unterschiedlichen Lebenssachverhalten und die Sicherung der Entscheidungszuständigkeit geeigneter Institutionen. Darüber hinaus berücksichtigt sie das grundlegende menschliche Bedürfnis nach Freiheit, Autonomie und Verantwortung. Die Behauptung des privaten Rechts als institutionell eigenständiges Rechtsgebiet verwirklicht im Recht die Etablierung einer privaten Sphäre, in-

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nerhalb derer das Verlangen nach individueller Verwirklichung und Autonomie als erfüllt betrachtet werden kann. 6. Negativ formuliert drückt die iustitia distributiva im Vertragsrecht die objektive Gerechtigkeitsidee aus, soweit diese nicht durch den Grundsatz der Vertragsfreiheit oder durch die iustitia commutativa bestimmt wird. In positiver Hinsicht ist die iustitia distributiva im Vertragsrecht Ausdruck der objektiven Gerechtigkeitsidee, wenn die Gerechtigkeitsanalyse den Blick von den unmittelbar am Vertrag beteiligten Privatrechtssubjekten löst, die zur Entscheidung stehenden Sachverhalte verallgemeinert und die über das Vertragsverhältnis hinausgehenden Wirkungen vertragsrechtlicher Regulierung einschließt. 7. Iustitia commutativa und iustitia distributiva sind als Perspektiven der Gerechtigkeit zu verstehen. Sie konkretisieren die objektive Gerechtigkeitsidee unter jeweils eigenständigen und unterschiedlichen Blickwinkeln. Die iustitia commutativa fokussiert auf das Verhältnis der konkret betroffenen Vertragsparteien und blendet Verallgemeinerungen im Wesentlichen aus. Ihr Paradigma ist der bipolare Austauschvertrag. Mögliche Fernwirkungen der vertragsrechtlich generierten Verteilungsergebnisse werden weitgehend ausgeblendet. Damit geht eine Dekontextualisierung einher; ökonomische oder soziale Aspekte bleiben tendenziell unberücksichtigt. Zugleich zeigt die iustitia commutativa eine hohe Affinität zum Grundsatz der Vertragsfreiheit in seiner formalen Ausprägung. Die iustitia distributiva blickt dagegen über das konkrete Vertragsverhältnis hinaus. Kennzeichnend für sie sind Verallgemeinerung und Kontextualisierung. Die iustitia distributiva ist offen für die Berücksichtigung sozialer und ökonomischer Zusammenhänge. Das Vertragsrecht wird in der Perspektive der iustitia distributiva insbesondere auch in seinen funktionalen Möglichkeiten betrachtet. Die iustitia distributiva kann im Vertragsrecht auch durch dispositive Normen konkretisiert sein. 8. Der iustitia distributiva kommt ein erkenntnistheoretischer Vorrang gegenüber der iustitia commutativa zu. Die Einnahme der Perspektive der iustitia commutativa impliziert eine Entscheidung gegen die Perspektive der iustitia distributiva. Diese Entscheidung setzt ihrerseits voraus, dass ebendiese Perspektive der iustitia distributiva probeweise eingenommen wurde. Aus dem erkenntnistheoretischen Vorrang der iustitia distributiva lässt sich für das normative Verhältnis der beiden Gerechtigkeitsformen nichts herleiten. Iustitia distributiva und iustitia commutativa sind normativ gleichrangige Ausprägungen der objektiven Gerechtigkeitsidee im Vertragsrecht. Die These vom normativen Vorrang der iustitia distributiva ist abzulehnen, weil sie der iustitia commutativa eine rechtsphilosophisch kaum begründbare Hilfsaufgabe zuweist und das Vertragsrecht in seiner praktischen Realität nicht überzeugend erklären kann. Auch die These vom normativen Vorrang der iustitia commutativa ist abzulehnen. Sie enthält insofern einen richtigen Kern, als die iustitia distributiva in ihrer Offenheit für heteronome Aspekte nicht zur Implemen-

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tierung eines paternalistischen Rechtsverständnisses missbraucht werden darf. Ein normativer Vorrang der iustitia commutativa würde indes insbesondere die Einschätzungsprärogative des Gesetzgebers im demokratisch verfassten Rechtsstaat unnötig einschränken und die regulative Kapazität des Vertragsrechts vernachlässigen. Die Entscheidung über den Vorrang lässt sich nur im Einzelfall mit Blick auf den jeweiligen historischen, sozialen, ökonomischen und politischen Kontext treffen. 9. Das Prinzip der Vertragsfreiheit steht der hier entwickelten These von der Bedeutung der iustitia distributiva im Vertragsrecht nicht entgegen. Ein formales Verständnis der Vertragsfreiheit steht in besonderer Affinität zur iustitia commutativa. Ein materiales Verständnis der Vertragsfreiheit entspricht dagegen im Wesentlichen der Gerechtigkeitsform der iustitia distributiva. Die Materialisierung der Vertragsfreiheit führt zu einem funktionalen Verständnis der Vertragsfreiheit. Das Vertragsrecht wird so auch als Instrument zur Realisierung objektiver Gerechtigkeitsziele betrachtet. Die mit der Materialisierung der Vertragsfreiheit verbundene funktionsorientierte Sichtweise stimmt mit den umfangreichen und vielschichtigen Grenzen der Vertragsfreiheit überein. Diese schmälern die Erklärungskraft einer als Selbstgesetzgebung durch Selbstbestimmung formal verstandenen Vertragsfreiheit. Das Vertragsrecht muss das grundlegende Bedürfnis des Menschen spiegeln, sich als zumindest auch freies und verantwortliches Individuum zu denken. Nur so können Selbstentfaltungskräfte angeregt und Anreize zu individueller Anstrengung und Leistung gesetzt werden. Die Anerkennung dieses grundlegenden Bedürfnisses ist auch für die Sicherung der Anerkennung des Rechts erforderlich. Dies führt zum Postulat der Vertragsfreiheit: Das Vertragsrecht muss im Grundsatz den Privatrechtssubjekten Autonomie und Eigenverantwortung zuschreiben und ihnen in substantiellen Teilbereichen ihres Lebens ermöglichen, ihre eigenen Präferenzen in Kooperation mit anderen Privatrechtssubjekten durch Verträge umsetzen zu können. Vertragsfreiheit ist danach die den Privatrechtssubjekten durch das Vertragsrecht zugeschriebene Autonomie und Eigenverantwortung zur kooperativen Umsetzung ihrer eigenen Präferenzen. Das Postulat der Vertragsfreiheit bildet ein axiomatisches Fundament für die durch formal verstandene Freiheit begründeten Rechte und Pflichten der Vertragsparteien. Zugleich integriert es die Grenzen der Vertragsfreiheit, die den Lebens- und Aktionsbereich abstecken, innerhalb dessen das Vertragsrecht dem Einzelnen Autonomie und Eigenverantwortung zuschreibt. 10. Das Vertragsrecht ist grundsätzlich ein zur Konkretisierung der iustitia distributiva geeignetes Medium. Ob es für sich genommen oder im Zusammenspiel mit anderen Regulierungsinstrumenten zur Konkretisierung der iustitia distributiva geeignet ist, hängt von den jeweiligen kontingenten Umständen ab, insbesondere dem ökonomischen und sozialen Kontext. Die Antwort kann nur in einem fortlaufenden Entdeckungsverfahren gegeben wer-

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den, an dem insbesondere der Gesetzgeber und die Rechtsprechung teilnehmen. Dem Gesetzgeber kommt dabei eine Einschätzungsprärogative zu. Er kann Effizienzverluste zur Erreichung des jeweiligen regulativen Ziels in Kauf nehmen. Das Vertragsrecht kann einen flexiblen und kostengünstigen Selbstvollzug rechtlicher Normen ermöglichen. Ziele der iustitia distributiva können grundsätzlich auch durch dispositives Vertragsrecht erreicht werden. Dispositive Regelungen werden häufig auch dann nicht abbedungen, wenn andere Regelungen für beide Vertragsparteien effizienter wären. Wegen der fehlenden Präzision und Effektivität seiner Mechanismen ist das Vertragsrecht als ausschließliches Instrument sozial motivierter Umverteilung tendenziell wenig geeignet. Als Instrument der Verhaltenssteuerung weist das Vertragsrecht gegenüber öffentlich-rechtlichen Mechanismen unter anderem den Vorzug auf, Wissen und Initiativen Privater regulativ nutzbar machen zu können. 11. Die im Sinne der iustitia distributiva verteilende Instanz ist im Vertragsrecht stets der Staat. Dabei tritt er zunächst als Gesetzgeber auf. Auch die staatlichen Gerichte gehören zu den verteilenden Instanzen. Die Gesetzesbindung der Rechtsprechung schließt freie Verteilungsentscheidungen des Richters aus. Schließlich erfolgt die Verteilung auch durch den Schatten des Rechts. Damit ist die Vielzahl der durch Verträge bewirkten Verteilungen angesprochen, die insbesondere allein durch die Initiative Privater vollzogen werden, die vertragliche Verpflichtungen begründen und umsetzen. Auch in diesen Fällen kann die Verteilung aber dem Staat zugerechnet werden. Das Vertragsrecht bildet im Zusammenspiel mit der staatlich gewährten Rechtsdurchsetzungsmöglichkeit nicht nur einen formalen Rahmen, innerhalb dessen autonome Individuen frei verteilen. Rechtsordnung und Zwangsbefugnisse entscheiden vielmehr konstitutiv über die Zuordnung der jeweiligen Freiheitssphären und lenken im Hintergrund das Handeln der Privatrechtssubjekte. Als weitgehend formales Gerechtigkeitsprinzip ist die iustitia distributiva für unterschiedliche Verteilungsmaßstäbe offen. Die Hierarchie der Verteilungsmaßstäbe folgt dem Stufenbau der Rechtsordnung. Der Großteil aller Verteilungsmaßstäbe findet sich in den gesetzlichen Regeln des Vertragsrechts. Wenn Richter vertragsrechtliche Entscheidungen treffen, müssen sie die gesetzlich festgelegten Verteilungsmaßstäbe anwenden. Eine freie Entscheidung des Richters unter Anwendung von Verteilungsmaßstäben, die ihm etwa aus politischen Gründen angemessen erscheinen, scheidet aus. Lücken und Zweifel müssen so weit als möglich unter Anwendung der herkömmlichen Regeln der Dogmatik beseitigt werden. Die Dogmatik ist für die Verwirklichung vertragsrechtlicher Verteilungsgerechtigkeit von hohem Wert. Sie verhindert Willkür in der Anwendung des Vertragsrechts, sichert die Konsistenz der tragenden verteilungspolitischen Erwägungen und schafft Vorhersehbarkeit und Rechtssicherheit. Zugleich verhindert die Dogmatik offene und ungeordnete politische Auseinandersetzungen innerhalb der rechtlichen Diskurse.

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12. Das positive Vertragsrecht bietet anschauliche Beispiele für Konkretisierungen der iustitia distributiva als Ausdruck der objektiven Gerechtigkeitsidee. Die iustitia distributiva nimmt dabei unterschiedliche und sich oft überlappende Ordnungsaufgaben wahr. 13. Die iustitia distributiva zeigt sich im Vertragsrecht, wenn paternalistische Ziele und der Schutz Schwächerer verfolgt werden. Ein herausragendes Beispiel bietet das soziale Mietrecht bei Mietverhältnissen über Wohnraum. Dieses verfolgt in seiner Gesamtheit das Anliegen, die Freiheitssphären der Mieter zu erweitern. Zugleich wird das Vertragsrecht zur Verwirklichung des öffentlichen Interesses an einer ausreichenden Versorgung weiter Bevölkerungsteile mit einer Wohnung instrumentalisiert. Dabei findet das Vertragsrecht Unterstützung in anderen Instituten und Mechanismen, etwa des Sozialhilferechts oder des Vollstreckungsrechts. Das Gesetz setzt im sozialen Mietvertragsrecht aber auch über den Mieterschutz hinausgehende, gesamtgesellschaftlich wünschenswerte Anreize. Insgesamt fügt es sich harmonisch in das Vertragsrecht des BGB. 14. Ein weiteres Beispiel für die Konkretisierung der iustitia distributiva zum Schutz Schwächerer bietet das Verbraucherschutzrecht. Verbraucherschutzrecht ist regulatives Vertragsrecht. In seinem Ausgangspunkt verfolgt es den Schutz des Verbrauchers als gegenüber dem Unternehmer schwächeren Vertragspartner. Das Paradigma vom unterlegenen Verbraucher führt dabei zu einem paternalistischen Schutzmodell. Dieses ist allerdings auf vielfältige Weise relativiert worden. Unter der Perspektive des gemeinsamen europäischen Marktes ist das Verbraucherschutzrecht ein regulatives Medium zur Förderung der Wirtschaft, insbesondere des grenzüberschreitenden Handels zwischen den Mitgliedstaaten. Dieser Ansatz ermöglicht eine kohärente Rechtfertigung des Verbrauchervertragsrechts als Konkretisierung der objektiven Gerechtigkeitsidee in Form der iustitia distributiva. Das weiten Teilen des Verbrauchervertragsrechts zugrunde liegende Informationsmodell spiegelt das Konzept einer formal verstandenen Vertragsfreiheit wider. Es steht in besonderer Nähe zu prozeduralen Gerechtigkeitsmodellen und damit auch zur iustitia commutativa. Das Informationsmodell ist allerdings theoretisch nicht hinreichend fundiert und verfehlt die praktisch intendierten Wirkungen weitgehend. Kognitive und psychologische Barrieren verhindern rationale Entscheidungen trotz perfekter Information. Die iustitia distributiva legt de lege ferenda eine materielle Ergänzung des Informationsmodells im Verbraucherschutzrecht nahe, etwa durch eine behutsame Inhaltskontrolle von Verträgen. 15. Ein weiteres Beispiel für die iustitia distributiva im Vertragsrecht bieten Aufklärungspflichten. Sie sind mit einer Kontextualisierung des Vertragsrechts verbunden und spiegeln in ihrer konkreten Ausgestaltung die rechtspolitischen Wertentscheidungen wider, die der Vertragsordnung zugrunde liegen.

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16. Das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) beinhaltet eine deutliche Ausprägung der iustitia distributiva im Vertragsrecht. Es bewirkt die für die iustitia distributiva typische Konkretisierung und sieht den Einsatz des Vertragsrechts als Medium zur Erreichung eines rechtspolitischen Ziels vor. Dieser regulative Ansatz begründet keinen grundsätzlichen Paradigmenwechsel. Vertragsrechtliche Diskriminierungsverbote bewirken keinen Eingriff in eine zuvor unberührte Vertragsfreiheit als abstraktes Konzept. Sie ändern lediglich die zwingend durch die Rechtsordnung konstituierte Verteilung von Freiheitsbefugnissen. Zur Aus- und Umgestaltung dieser Freiheitssphären ist der Gesetzgeber befugt, wobei ihm eine weite Einschätzungsprärogative innerhalb der verfassungsrechtlichen Grenzen zukommt. Die Perspektive der iustitia distributiva legt nahe, als Rechtsfolge unzulässiger Diskriminierungen auch einen auf § 21 Abs. 1 S. 1 AGG gestützten Kontrahierungszwang anzunehmen. Der Kontrahierungszwang kann Diskriminierungen verhindern helfen. Dies ergibt sich weniger aus der Möglichkeit, den Kontrahierungszwang gerichtsförmig durchzusetzen, als aus der Chance eines positiven Einflusses auf das gesellschaftliche Klima Minderheiten gegenüber. 17. Die regulative Kapazität des Vertragsrechts eröffnet den Blick für die Steuerung des Verhaltens von Privatrechtssubjekten. In der Perspektive der iustitia distributiva kann das Vertragsrecht als Regulierungsinstrument betrachtet werden, das unerwünschtes Verhalten verhindern, erwünschtes Verhalten erzeugen helfen kann. Ein Beispiel dafür bietet die Rechtsprechung zum Wucherdarlehen, die als Anreiz zur Darlehensvergabe zu fairen Bedingungen erklärt werden kann. Dabei erschließt sich die vertragsrechtliche Bedeutung der iustitia distributiva erst im Zusammenspiel von Vertragsrecht und Bereicherungsrecht. Die Präventionswirkung der §§ 138, 817 S. 2 BGB ist stärker, wenn der Wucherer überhaupt kein Entgelt für seine Kapitalüberlassung erhält. Auch das in der Rechtsprechung verteidigte Verbot der geltungserhaltenden Reduktion insbesondere im Recht allgemeiner Geschäftsbedingungen lässt sich als Ausdruck des Präventionsgedankens im Vertragsrecht erklären. Das Vertragsrecht kann zudem etwa zur Verhinderung unlauterer Wettbewerbsmethoden instrumentalisiert werden und dabei das Wettbewerbsrecht regulativ unterstützen. Dies illustrieren insbesondere die §§ 241a und 661a BGB. Diese Regelungen ergänzen den ohnehin bestehenden engen Zusammenhang zwischen Vertragsrecht und Wettbewerbsrecht. Unter der Perspektive der iustitia distributiva ist konsequent, dass das Vertragsrecht auch einen Beitrag zur Verhinderung unlauteren Wettbewerbs leistet. 18. Das deutsche Vertragsrecht bietet nur wenige Beispiele für die Verwirklichung sozialer Gerechtigkeit. Die iustitia distributiva wird in dieser Form im Wesentlichen durch das Sozial- und Steuerrecht, aber auch durch das Vollstreckungs- und Insolvenzrecht konkretisiert. Dazu gehört auch das Recht der Verbraucherinsolvenz gem. §§ 304 ff. InsO. Mit der Implementierung einer Doktrin der sozialen force majeur in das Unmöglichkeitsrecht würde die ge-

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setzgeberische Entscheidung konterkariert, privaten Schuldnern die Verbraucherinsolvenz zu eröffnen, wenn sie aus sozialen Gründen (wie Armut oder Krankheit) Geldschulden nicht mehr zahlen können. Diese gesetzgeberische Wertung ist auch der Grund dafür, dass § 275 Abs. 1 BGB bei Geldschulden nicht erfüllt ist, wenn der Schuldner wegen Krankheit oder Ähnlichem in Armut gefallen ist. 19. Das Vertragsrecht konkretisiert die iustitia distributiva auch immer dann, wenn es Allgemeinwohlbelangen dient. Dies ist etwa bei der durch §§ 519 und 528 BGB intendierten Entlastung der Sozialhilfeträger der Fall. Besonders deutlich zeigt sich diese Zielsetzung auch beim Kontrahierungszwang. Vertragsfreiheit und iustitia commutativa können keine plausible Erklärung dieses vertragsrechtlichen Phänomens bieten. Kontrahierungszwänge dienen der Verwirklichung externer Ziele. Sie lassen sich nur durch den für die iustitia distributiva typischen Blick auf den ökonomischen und sozialen Kontext erklären und rechtfertigen. Häufig sind sie zugleich eine Ausprägung des Schwächerenschutzes. Spezialgesetzliche Kontrahierungszwänge verfolgen das Ziel, alle Bürger mit bestimmten sensiblen Gütern und Dienstleistungen zu versorgen. Auch die Kontrahierungszwänge nach den allgemeinen Regeln des Bürgerlichen Rechts verwirklichen die Gerechtigkeitsidee in Form der iustitia distributiva. Sie lassen sich nur durch weitgehende Kontextualisierung und Verallgemeinerung und mit Blick auf die regulative Kapazität des Vertragsrechts erklären. Kontrahierungszwänge sind ein integraler Bestandteil eines auch die iustitia distributiva verwirklichenden Vertragsrechts. In ihrer Ordnungsaufgabe werden sie häufig von anderen Regulierungsinstrumenten unterstützt. 20. Die iustitia distributiva zeigt sich im Vertragsrecht auch, wenn es Interessenverflechtungen in den Blick nimmt, die nicht innerhalb vertraglicher oder gesellschaftsrechtlicher Bindungen geregelt sind. Das deutlichste Beispiel bietet die Repartierungspflicht des Schuldners bei der begrenzten Gattungsschuld. Die iustitia distributiva gebietet, den Blick von den individuellen Rechtsverhältnissen zu lösen und auf das ökonomische Gesamtgeschehen zu richten. Die Verknappung des Vorrats verbindet die Gläubiger zu einer Schicksalsgemeinschaft, bei der eine ungebundene Entscheidung des Schuldners Missbrauchsmöglichkeiten eröffnen würde. Ein weiteres Beispiel für die Berücksichtigung von Interessen- und Risikogemeinschaften bietet der Wegfall der Geschäftsgrundlage. Auch dieses Institut erfordert die typischerweise mit der iustitia distributiva verbundene Konkretisierung und Kontextualisierung. Besonders deutlich wird die Bedeutung der iustitia distributiva bei der sogenannten „großen Geschäftsgrundlage“, die gesellschaftliche Ausnahmesituationen wie Krieg oder Katastrophen betrifft.

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Namensregister Aristoteles 1, 6 f., 25 ff., 50, 53, 55, 57 f., 60 ff., 66 f., 71 f., 92 ff., 110, 135, 138, 143 ff., 155, 157, 171 f., 176, 178, 194, 285, 439 f. Armbrüster, Christian 387 f. Atiyah, Patrick 194 Aubenque, Pierre 35 ff. Augustinus 59, 77 f. Basedow, Jürgen 381 Berger, Christian 403 Beyer, Dietrich 331 Böhm, Franz 101, 124 Bülow, Oskar 163 ff. Busche, Jan 234, 389 f., 411, 417, 420 ff. Bydlinski, Franz 114, 229, 411 Canaris, Claus-Wilhelm 1, 17 ff., 33, 42, 49, 72, 108, 128, 139 ff., 151 ff., 164 f., 182 ff., 215, 225, 229, 233 f., 247, 266, 315, 396 Casper, Matthias 432 Cohen, Gerald Allan 86 f. Cohen, Morris Raphael 110, 115 Collins, Hugh 129, 266 f. Dauner-Lieb, Barbara 395, 397 Depenheuer, Otto 326 Di Fabio, Udo 219, 222 DiMatteo, Larry A. 271 Durckheim, Émile 236 Eidenmüller, Horst 102, 263, 273 Emmerich, Volker 334, 347 Faust, Florian 102 Fechner, Erich 123 Finkenauer, Thomas 400 Fleischacker, Samuel 92 ff., 98

Flume, Werner 16 ff., 24, 229, 232, 381, 402, 422 France, Anatole 236 Franck, Jens-Uwe 382, 385 Gierke, Otto von 196 Gordley, James 66, 177 f. Gordon, John-Stewart 33 Grigoleit, Hans Christoph 102 Grundmann, Stefan 360 Gsell, Beate 355, 362 Hale, Robert Lee 110, 115, 118 ff. Hart, Herbert Lionel Adolphus 96 Häublein, Martin 346 Hayek, Friedrich August von 16 ff., 24, 107 Hohfeld, Wesley Newcomb 112 ff., 118, 220 Holmes, Oliver Wendell 104 Honsell, Heinrich 34, 143, 151 f., 304, 394, 403 Husserl, Gerhart 206 Jansen, Nils 51 ff., 102, 138, 142 f. Jellinek, Georg 206 Jestaedt, Matthias 381 Kähler, Lorenz 271 Kahnemann, Daniel 271 Kant, Immanuel 68 f., 123, 144, 162, 82, 97 Kavka, Gregory 76 Kelsen, Hans 12 f., 48 f., 109, 117 Kersting, Wolfgang 106, 170, 269 Klees, Andreas 331 Kloepfer, Michael 204 Knetsch, Jack L. 271 Köndgen, Johannes 103, 240, 369

482

Namensregister

Kordana, Kevin A. 86 ff. Korobkin, Russell 271 Kramer, Ernst A. 237 Kronman, Anthony 247 Kübler, Friedrich 237

Roellecke, Gerd 325 Roemer, John E. 93 Rohe, Mathias 129 Roscher, Wilhelm 313 Rüthers, Bernd 326 f.

Leisching, Peter 56 Leisner, Walter 239 Leistner, Matthias 400 Lessius, Leonardus 65, 178 Libet, Benjamin 250 Lippert, Stefan 56 Locke, John 76 f. Lorenz, Stephan 230 f., 315, 403 Löwe, Walter 224 Löwisch, Manfred 432

Säcker, Franz Jürgen 381 Salomon, Max 35 Savigny, Friedrich Carl von 161 ff., 165 f. Schäfer, Carsten 401 Scherrer, Werner 107 Schmidt-Rimpler, Walter 20, 205, 252, 256, 360 Schumacher, Rolf 370 Schwartz, Alan 270 Seiler, Hans Hermann 401 Sen, Amartya 71, 92, 95 Singer, Wolf 250 Smith, Adam 96, 183 Soto Segobiensis, Dominicus 65 Spencer, Herbert 103 Stammler, Rudolph 164 f.

Maine, Henry Sumner 195 Martinek, Michael 312 Merz, Hans 115 Micklitz, Hans-Wolfgang 358, 361, 363, 366 Möslein, Florian 164 Mutius, Albert von 324 Neuner, Jörg 209 f., 215 f., 253, 257, 269, 280, 293, 298, 353 f., 369 f., 380, 383 Nozick, Robert 73 ff., 264 Nussbaum, Martha Craven 71, 92, 95 Oertmann, Paul 166 Okun, Arthur Melvin 275 Papier, Hans-Jürgen 204 Platon 26, 95 Radbruch, Gustav 11, 99 f., 102, 143, 176, 183 Raiser, Ludwig 114, 167 Rawls, John 62, 66 ff., 73 ff., 78 ff., 92 ff., 98, 105, 160, 211, 260, 264 f., 274, 440 Reichold, Hermann 375 Reifner, Udo 407, 409 Repgen, Tilman 381 Reuter, Dieter 339, 344

Tabachnik, David H. 86 ff. Teubner, Gunther 125 ff. Thaler, Richard 271 Thomas von Aquin 25, 34, 55 ff., 67, 72, 95 f., 109 f., 154, 168, 240, 439 f. Thüsing, Gregor 376, 380 Wagner, Gerhard 102 Waluchow, Wilfrid J. 177 Weber, Max 144, 227 f., 236 Weinrib, Ernest J. 5 ff., 102, 139, 143, 154, 181 f. Weller, Marc-Philippe 232, 249 Wieacker, Franz 238 Wiethölter, Rudolf 237, 255 Wilhelmsson, Thomas. 406 f., 409 Wolf, Manfred 256 f. Wright, Richard W. 143 f., 183 Zimmermann, Reinhard 102, 394 f. Zöllner, Wolfgang 221, 224 f.

Stichwortverzeichnis abstrakte Freiheitsrechte 115 ff., siehe auch rechtliche Relationen Abstraktion als Kennzeichen formaler Konzepte 228 f. Abzahlungsgesetz 239, 349 Allgemeine Geschäftsbedingungen 165 f. Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz 373 ff., 386 ff., 414, 417, 445 – und Diskriminierungsschutz 373 ff., 379 ff. – und Kontrahierungszwang 386 ff. – und Massengeschäfte 376 f. – und massengeschäftsähnliche Geschäfte 377 f. – und Versicherungsgeschäfte 378 Allgemeinwohlbelange als Ziel der iustitia distributiva 160 f., 409 ff. Ansehung der Person, siehe Gerechtigkeit Aufklärung 103, 149, 194, 197, 200 f., 219, siehe auch öffentliches Recht Aufklärungspflichten 20, 65, 148 ff., 199, 240, 242, 368 ff., 444 Austauschgerechtigkeit, siehe Gerechtigkeit Autonomie, siehe Entscheidungsfreiheit, Vertragsfreiheit, Willensfreiheit basic structure 68, 71, 78 ff., 89 f., 105 Basistarif, siehe Kontrahierungszwang begrenzte Gattungsschuld 432 ff., siehe auch Repartierungspflicht Behavioral Law and Economics 364 bipolarer Austauschvertrag 231 f., 248 f. bipolares Paradigma, siehe bipolarer Austauschvertrag Binnenmarktförderung, siehe Verbraucherrecht und Binnenmarktförderung

bonum commune 55 ff. Bürgschaftsbeschluss des Bundesverfassungsgerichts, siehe Bürgschaft, Sittenwidrigkeit Bürgschaft 114, 116 f., 150 ff., 159 ff., 174, 193, 205, 209 f., 222 ff., 248, 290, 298, siehe auch Sittenwidrigkeit Charta der Grundrechte der Europäischen Union 213 commutative justice, siehe Gerechtigkeit corrective justice, siehe Gerechtigkeit Contract Governance, siehe Regulierung, Ziele des Vertragsrechts Critical Legal Studies 110, 117 Determinismus 249, 252 Differenzprinzip 69 ff., 85, 87 ff., 91 Diskriminierungsschutz 183, siehe auch Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz dispositives Recht 161 f., 166, 206, 270 f., 286, 290 – und iustitia distributiva 270 ff. – und objektive Gerechtigkeitsidee 161 ff. – und Parteiwille 161 ff. – und vertragsheteronome Ziele 164 ff. Dogmatik 86, 91 f., 144, 166, 174, 202, 205, 218, 227, 292, 294 ff., 309 f., 324, 334, 340 ff., 347, 372, 392 ff., 404, 408, 417, 443 Drittinteressen, siehe Vertragsfreiheit Effizienz 7, 102, 129, 185, 270, 274, 283, 306, 318, 366 Ehevertrag 216, 222, 224 Eigentum 74, 76, 80, 112, 118, 120, 123, 203 f., 212, 323 ff., 334 ff., 339, 345

484

Stichwortverzeichnis

Eignung des Vertragsrechts zur Konkretisierung der iustitia distributiva 268 ff., siehe auch Verteilungsverfahren einstweiliger Rechtsschutz 339 endowment effect 270 ff. Entscheidungsfreiheit 20, 145 ff., 209, 224, 228, 234, 238, 249, 256 f., 353, 360, 362, 365, 418, 432, siehe auch Vertragsfreiheit, Willensfreiheit ergänzende Vertragsauslegung 246, 295, 399 erkenntnistheoretische Grenzen des prozeduralen Gerechtigkeitsmodells, siehe Gerechtigkeit, prozedurale erkenntnistheoretischer Vorrang der iustitia distributiva 143, 172 ff. Europäischer Gerichtshof 203, 349 Europäisches Primärrecht 212 f., 291 Europäisches Privatrecht 102, 381 Europäisches Vertragsrecht 267 formale Freiheit als Idee des Vertragsrechts 232 f. formales Verständnis der Vertragsfreiheit, siehe Vertragsfreiheit Form und Inhalt – der Gerechtigkeitslehre des Aristoteles 48 ff. – Verhältnis von 50 ff. Freiheitsbefugnisse, siehe rechtliche Relationen funktionale Betrachtung des Vertragsrechts, siehe Regulierung, Ziele des Vertragsrechts Funktionen des Vertragsrechts, siehe Regulierung, Ziele des Vertragsrechts Geldschulden 407 ff., 446 geltungserhaltende Reduktion 315, 399 gemeinsamer Vertragszweck 55 ff. Gemeinwohlinteressen 284 f., 338, 427, siehe auch Allgemeinwohlbelange Generalklauseln 14, 223, 237, 241, 289, 295, 307, 317, 370 Gerechtigkeit – als Idee des Vertragsrechts 11 ff. – als objektive Rechtsidee 11 ff.

– als Tugend 7, 27, 29 f., 57 – Ansehung der Person als Unterscheidungskriterium 143 ff. – Austauschgerechtigkeit, siehe iustitia commutativa – bei Aristoteles 26 ff. – bei Thomas v. Aquin 55 ff. – commutative justice 34, 177 – corrective justice 5 f., 34 f., 43, 102, 139 f., 176 f., 181, 183 – erkenntnistheoretischer Vorrang der iustitia distributiva 143, 172 ff. – Hierarchie und Gleichordnung als Unterscheidungskriterien 137 ff. – iustitia commutativa 1 f., 6, 19 f., 22, 26 ff., 32 ff., 41 ff., 47 ff., 52 ff., 59 ff., 99 f., 102, 108, 110, 118, 134 f., 137 ff., 161 ff., 167 ff., 171 ff., 175 ff., 210, 221, 226, 228, 231 f., 234, 240, 242 f., 247, 257, 259 f., 263, 267 f., 282, 284, 295, 299, 301, 319, 325, 358 f., 361, 363, 395, 400, 403, 410 f., 433 ff., 439 ff., 444, 446 – iustitia correctiva 33, 151, 155 – iustitia distributiva in Form sozialer Gerechtigkeit 66 ff. – Iustitia distributiva und iustitia commutativa als Perspektiven der Gerechtigkeitsidee im Vertragsrecht 153 ff. – normative Gleichrangigkeit von iustitia distributiva und iustitia commutativa 169 ff. – Partikulargerechtigkeit 5, 29 f., 32 ff., 41, 45 ff., 50, 55, 58 f., 63, 135, 439 – Perfect procedural justice 264 ff. – prozedurale 19 f., 76, 103, 147 ff., 152, 184, 233, 253, 255, 264 ff., 359 ff., 444 – Pure procedural justice 264 ff. – Universalgerechtigkeit 28, 30 f., 56, 58 f. – Vergeltungsgerechtigkeit 45 – Verhältnis von iustitia distributiva und iustitia commutativa 135 ff. – Vertragsfremdheit als Unterscheidungskriterium 139 ff. – Vertragsimmanenz als Unterscheidungskriterium 139 ff.

Stichwortverzeichnis

Gerechtigkeitsformen, siehe Gerechtigkeit Gerechtigkeitsprinzipien 68, 70, 75 f., 80, 83 ff., 96, 134, 160, 231, 258, 265, 289, 404, 433, 443 gestörte Vertragsparität 223 ff., 301 Gesundheitsreform 2007, siehe Kontrahierungszwang Gewinnzusage 281, 401 f., 405 Gleichbehandlungsgrundsatz 96 ff., 152, siehe auch Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz Gleichheit 7, 26, 29, 32, 35 ff., 41, 43 ff., 50, 69 f., 73, 75, 78, 82, 92, 94, 98, 106, 109 f., 118, 120, 127, 137 f., 143, 147 ff., 155, 157, 176, 182 f., 185, 196 f., 219, 222, 236, 239, 265, 273, 294, 298, 311, 353 f., 370, 380 f., 384, 387, 412, 414 f., 433, 439 – absolute, siehe Gleichheit nach arithmetischer Proportion – nach arithmetischer Proportion 36, 41, 439 – nach geometrischer Proportion 36, 37, 439 – relative, siehe Gleichheit nach geometrischer Proportion Gleichordnung 137 f., 138, 439 f., siehe auch Gerechtigkeit, Gleichheit Haftungsrecht 1, 48, 142 f., 280 Hierarchie, siehe Gerechtigkeit Idee des Vertragsrechts, siehe Gerechtigkeit als Idee des Vertragsrechts Individualarbeitsrecht 283, 298, 373 Inflation 242, 317, 419, 435 Informationsmodell 149, 252, 359 ff., 444 Interessengemeinschaft 284, 432 ff., siehe auch Risikogemeinschaft iustitia commutativa, siehe Gerechtigkeit iustitia correctiva, siehe Gerechtigkeit Kartellrecht 20, 22, 268 Kompatibilismus 250 f. Konkretisierung als Kennzeichen materialer Konzepte 241 ff.

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Konsensualprinzip 193 Kontrahierungszwang 122, 159 f., 205, 208, 217 f., 229, 233 ff., 237, 246, 283, 284 f., 289, 297 f., 305, 386 ff., 411 ff., 445 f. – als effektives Medium des Diskriminierungsschutzes 389 ff. – als Eingriff in die Privatautonomie 387 f., 420 ff. – als integraler Bestandteil des Vertragsrechts 417 f. – als vertragsrechtliches Regulierungsmedium 418 ff. – durch den sog. Basistarif im Rahmen der Gesundheitsreform 2007 424 ff. – im Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz, siehe Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz – nach den allgemeinen Regeln des Bürgerlichen Rechts 414 ff. – vertragstheoretische Begründung 420 ff. Kosten-Nutzen-Rechnung 270 laesio enormis 197 f., 219 Legal Realism 109 ff., 117 liberaler Paternalismus 159 Liberalismus 85, 87, 103, 112, 195, 197 f., 237, 274, 276, 302 Markt 8, 11, 17, 21 f., 25, 44, 77, 79, 81 f., 85, 88, 90, 104 ff., 110, 116, 122, 127 f., 144, 153, 170, 179, 195 ff., 201, 219, 227 f., 239, 263 f., 269, 274, 277 ff., 283, 285, 288, 292, 302, 305, 307, 316, 321, 344, 347, 350, 354, 358, 360 f., 385 f. markttheoretische Wurzeln der Trennung des öffentlichen vom privaten Recht, siehe öffentliches Recht Massengeschäfte, siehe Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz Massengeschäftsähnliche Geschäfte, siehe Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz materielles Verständnis der Vertragsfreiheit, siehe Vertragsfreiheit Mietrecht 299 ff.

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Stichwortverzeichnis

– Beendigung von Mietverhältnissen 313, 327 f., 338, 347, 376, – Eigenbedarfskündigung 326, 333, 335, 337 – Kritik und Verteidigung des sozialen Mietrechts 304 ff. – Mieterhöhungen im Wohnraummietrecht 317 f., 321 – Mietrechtsänderungsgesetz 2013 319, 409 – soziales 299 ff. – soziales Mietrecht als integrierter Bestandteil des Vertragsrechts 346 ff. – Verwertungskündigung 338 ff. Minderjährigenschutz 159, 282 Naturrecht 14, 55, 58 f., 85, 109, 195, 230, 233, 237 Neurowissenschaften 249 nichteheliche Lebensgemeinschaft 310 f. Nikomachische Ethik 6 f., 26 ff., 48, 93 Nominalismus 242, 317, 435 objektive Rechtsidee, siehe Gerechtigkeit als objektive Rechtsidee öffentliches Recht 100, 102, 106 f., 419 – Aufklärung als Grundlage der Trennung vom Privatrecht 103, 116 ff., 194, 197 – markttheoretische Wurzeln als Grundlage der Trennung vom privaten Recht 118 ff. – und Privatrecht 99 ff., 123 ff. – und Verteilungsgerechtigkeit 99 ff., 113 ff. Öffentliche und private Sphären, siehe öffentliches Recht Organverteilung 128 f. Partikulargerechtigkeit, siehe Gerechtigkeit Paternalismus 158, 180 ff., 282, 297, 321 ff. Perfect procedural justice, siehe Gerechtigkeit Polykontexturalität 15 f., 130

politischer Gehalt der iustitia commutativa 48 ff. politischer Gehalt der iustitia distributiva 42 ff., 69 f. Positivismus 12 f., 15, 18, 109, 230 Postulat der Vertragsfreiheit, siehe Vertragsfreiheit Prävention 10, 121, 158, 249, 255 ff., 258, 268, 272 280 f., 290, 314, 319 ff., 341, 379, 388, 390 ff., 403 ff., 445, siehe auch Verhaltenssteuerung, Ziele des Vertragsrechts preußische Sozialgesetzgebung 302 Prinzip der Eigenverantwortung 371 f., siehe auch Aufklärungspflichten Privatrechtsgesellschaft 101, 117 ff., 133 ff., 166, 182, 224, 286, 301, 326, 369 ff., 413, 424 – und Mechanismen privater und öffentlicher Gewalt 134 ff. – zwangsgeprägte Verteilung in der 139 f. Privatrecht und öffentliches Recht, siehe öffentliches Recht prozedurale Gerechtigkeit, siehe Gerechtigkeit Pure procedural justice, siehe Gerechtigkeit Rechtspolitik 304 ff., 341, 349 Rechtspositivismus, siehe Positivismus Rechtssicherheit 9, 86, 91, 102, 131, 146, 151, 169, 185, 189, 216, 225 f., 242, 244, 252, 257, 273, 283, 292, 303, 309, 334, 342, 353 ff., 372, 443 regulative Perspektive des Vertragsrechts, siehe Regulierung, Ziele des Vertragsrechts Regulierung 2, 17 f., 88 f., 110, 115 ff., 209, 252, 259, 264, 268 f., 276 ff., 298, 304 ff., 318 ff., 351, 365 ff., 385, 391, 417 ff., 431, 440 ff., siehe auch Ziele des Vertragsrechts rechtliche Relationen 112 ff., 123, 205, 440 relational contract 63, 240 relationaler Vertrag, siehe relational contract

Stichwortverzeichnis

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Repartierungspflicht 284, 432 ff., 446 Richterrecht 216, 253, 296, 416 ff. Richtigkeitsgewähr 20, 235, 252, 256, 360 Risikogemeinschaft 243, 284, 432 f., 446

Trennungsthese (des Rechtspositivismus) 12 ff., 102 ff., 107 ff., 133 f., 206 Trennungsthese (öffentliches Recht und Privatrecht), siehe öffentliches Recht

Schatten des Rechts 287 f., 340, 390, 434, 443 Schenkung 410 Schuldrechtsreform 296, 408 Schwächerenschutz 11, 71, 91, 158 ff., 222, 282 ff., 293, 297 f., 322 ff., 371, 398, 410 ff., 446 Selbstgesetzgebung 195, 229 ff., 244 ff., 442 Selbstregulierung durch Vertragsfreiheit 252 f. sittenwidrige Bürgschaft, siehe Bürgschaft, Sittenwidrigkeit Sittenwidrigkeit 116 f., 121 ff., 152, 209 f., 248, 290, 298, 315, 383, 392 ff., siehe auch Bürgschaft Sonderopfer 160, 428 ff. Sonderprivatrecht 199, 366 soziale force majeur 407 ff. 446 soziales Mietrecht, siehe Mietrecht Sozialpflichtigkeit der Privatautonomie 185 Sozialpflichtigkeit des Eigentums 334, 345 Sozialstaatsprinzip 21, 75, 203, 211 ff., 280, 298, 300, 323, 335, 369 f., 387, 423 f., 430 f. – als notwendiges Ziel der positiven Rechtsordnung 213 f. – als verfassungsrechtliche Schranke der Vertragsfreiheit 211 ff. – im Grundgesetz 211 – inhaltliche Konkretisierungen des 214 ff. Steuerrecht 21 f., 84 f., 105, 107, 216, 259, 278, 385, 408, 445 Steuersystem 78, 386, siehe auch Steuerrecht

Umverteilung 2, 10, 61 f., 71 ff., 83 f., 86, 96, 102, 105 ff., 116, 160, 177, 257, 263, 269, 272 ff., 283, 285, 287, 293, 298, 300, 326, 344, 356, 358, 366, 372, 384, 406 ff., 411, 421 f., 426, 443 – durch Verbraucherschutzrecht 366 – und soziale Gerechtigkeit 76, 160, 406 ff., 411 unbestellte Leistung 281, 402, Universalgerechtigkeit, siehe Gerechtigkeit unlauterer Wettbewerb, siehe Verhaltenssteuerung und Prävention unlauteren Wettbewerbs Unmöglichkeit und Geldschuld 293, 408 f., 445

Trennung des öffentlichen vom privaten Recht, siehe öffentliches Recht

Verallgemeinerung 65, 142, 146 f., 149, 153, 155 f., 159, 163, 173 f., 188, 203, 210, 226, 255, 280, 308, 348, 371, 379, 423, 441, 446 Verbraucherbegriff, siehe Verbraucherrecht Verbraucherinsolvenz, siehe Verbraucherrecht Verbraucherrecht 189, 199, 244, 348 ff., 355, 355 ff., 361 ff., 366 f. – als Regulierungsinstrument 351 ff., 357 ff. – als Schwächerenschutz 352 ff. – Entwicklung 348 ff. – Formalisierung des Verbraucherbegriffs 355 ff. – und Binnenmarktförderung 357 ff. – und Informationsmodell 359 ff. – und Umverteilung 366 – Verbraucherbegriff 351, 355 ff., 360, 362, 365 – Verbraucherinsolvenz 188, 215, 259, 293, 408, 445 f. – verletzlicher Verbraucher 354

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Stichwortverzeichnis

Verbraucherschutz 10, 95, 108, 123, 159, 188 f., 240, 279, 285, 291, 293, 348 ff., 400 f., 444 f., siehe auch Verbraucherrecht Verbraucherschutzrecht, siehe Verbraucherrecht, Verbraucherschutz Vergeltungsgerechtigkeit, siehe Gerechtigkeit Verhaltenssteuerung 10, 158 f., 258, 272, 280 ff., 290, 297, 341, 391 ff., 443, siehe auch Prävention, Regulierung, Ziele des Vertragsrechts – und Motivation zu fairem Geschäftsgebahren 391 ff. – und Prävention unlauteren Wettbewerbs 400 ff., siehe auch unbestellte Leistung, Gewinnzusage – und Rechtspolitik 396 ff. – und Verbot der geltungserhaltenden Reduktion 399, 445 – und Wucher 392 ff. verletzlicher Verbraucher, siehe Verbraucherrecht Versicherungsvertragsgesetz 239, 349 Verteilungsgegenstände 37, 95, 108, 288 ff. Verteilungsmaßstäbe – gesetzliche 290 – verfassungsrechtliche 289 f. Verteilungsverfahren im Vertragsrecht 285 ff., siehe auch Verteilungsgegenstände, Verteilungsmaßstäbe – und Dogmatik 294 ff. – Verteilung durch den Gesetzgeber 286 – Verteilung durch den Richter 286 – Verteilung durch den Schatten des Rechts 287 f. – Verteilung im Mietvertragsrecht 300 ff. – Verteilung nach freier Entscheidung des Richters 290 ff. Vertragsfreiheit 1, 3, 20 ff., 71, 84, 87, 89 ff., 104 f., 107, 110 ff., 116, 120, 122 ff., 127 ff., 132 ff., 145 ff., 152, 155, 158 f., 161, 172 ff., 184, 188, 191 ff., 266 f., 269, 283, 290 f., 295, 299, 305 f., 312 ff., 316 f., 320 ff., 347 f., 352,

359 f., 379 ff., 400, 402, 411, 415, 418, 420, 422 ff., 427, 434 f., 440, siehe auch Entscheidungsfreiheit, Willensfreiheit – als Funktionselement objektiver Gerechtigkeit 244 f. – als grundrechtliches Schutzgebot 219 ff. – als Institutsgarantie 207, 219 – als private Selbstgesetzgebung durch Verträge 229 f. – formales und materiales Verständnis 227 ff. – Grenzen 124, 146 f., 152, 174, 191, 210, 218, 245 ff., 253, 255, 261, 267, 291, 312, 380, 427, 442 – historische Entwicklung 192 ff., 226 – im Verhältnis zur iustitia commutativa 226 ff. – im Verhältnis zur iustitia distributiva 226 ff. – klassische Konzeption 227 ff. – Postulat der 259 ff., 283, 312, 317, 321, 352, 420, 442 – status negativus 205, 208, 226, 425 – status positivus 206 – und Drittinteressen 248 f. – und Sozialstaatsprinzip 211 ff., siehe auch Sozialstaatsprinzip – und Verfassung 201, 235 – und Willensfreiheit 249 ff. – Verortung im Grundgesetz 201 ff. Vertragsfremdheit, siehe Gerechtigkeit Vertragsimmanenz, siehe Gerechtigkeit Vertragsrecht als Medium der iustitia distributiva 268 ff., siehe auch Regulierung, Umverteilung Vertrauensschutz 10, 86, 91, 291 Verzugszinsen 281 Vollstreckungsrecht 21, 79, 90, 188, 207, 300, 353, 444 Vorratsschuld 243, 284, 287, 434, siehe auch begrenzte Gattungsschuld, Repartierungspflicht Wegfall der Geschäftsgrundlage 240, 434 f., 446 Wettbewerbsrecht 8, 104, 234, 352 f., 400 ff., 420, 445

Stichwortverzeichnis

Widerrufsrechte 123, 234, 290, 355 Willensfreiheit 194, 205 f., 219, 245, 249 ff., 259, siehe auch Entscheidungsfreiheit, Vertragsfreiheit Wucher 63, 158, 288, 302 f., 314 ff., 392 ff., 445, siehe auch Verhaltenssteuerung und Wucher Zahlungsverzugsrichtlinie 281 Ziele des Vertragsrechts 5, 7, 9 f., siehe auch Regulierung

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Zivilrechtliches Benachteiligungsverbot 375, 378, 389, siehe auch Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz, Diskriminierungsschutz Zusendung unbestellter Leistungen, siehe unbestellte Leistung Zwang 117 ff., 120 ff., siehe auch öffentliches Recht Zwangsvollstreckung 21, 83, 90, 120 f., 188, 207, 288, 300, 353, 405 zwingendes Recht 161, 233, 270, 327, siehe auch dispositives Recht