Unterwegs in Kriminologie und Strafrecht - Exploring the World of Crime and Criminology.: Festschrift für Hans-Jörg Albrecht zum 70. Geburtstag. 9783428182510, 9783428582518, 3428182510

Am 24. Januar 2020 hat Hans-Jörg Albrecht, emeritierter Direktor am Max-Planck-Institut für ausländisches und internatio

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Unterwegs in Kriminologie und Strafrecht - Exploring the World of Crime and Criminology.: Festschrift für Hans-Jörg Albrecht zum 70. Geburtstag.
 9783428182510, 9783428582518, 3428182510

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Unterwegs in Kriminologie und Strafrecht – Exploring the World of Crime and Criminology Festschrift für Hans-Jörg Albrecht zum 70. Geburtstag

Herausgegeben von

Rita Haverkamp, Michael Kilchling, Jörg Kinzig, Dietrich Oberwittler und Gunda Wössner

Duncker & Humblot . Berlin

RITA HAVERKAMP, MICHAEL KILCHLING, JÖRG KINZIG, DIETRICH OBERWITTLER und GUNDA WÖSSNER (Hrsg.)

Festschrift für Hans-Jörg Albrecht zum 70. Geburtstag

Kriminologische und sanktionenrechtliche Forschungen Begründet als „Kriminologische Forschungen“ von Prof. Dr. Hellmuth Mayer Herausgegeben von Prof. Dr. Kirstin Drenkhahn

Band 25

Unterwegs in Kriminologie und Strafrecht – Exploring the World of Crime and Criminology Festschrift für Hans-Jörg Albrecht zum 70. Geburtstag

Herausgegeben von

Rita Haverkamp, Michael Kilchling, Jörg Kinzig, Dietrich Oberwittler und Gunda Wössner

Duncker & Humblot · Berlin

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Alle Rechte, auch die des auszugsweisen Nachdrucks, der fotomechanischen Wiedergabe und der Übersetzung, für sämtliche Beiträge vorbehalten © 2021 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Satz: 3w+p GmbH, Rimpar Druck: medialis Offsetdruckerei GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 0933-078X ISBN 978-3-428-18251-0 (Print) ISBN 978-3-428-58251-8 (E-Book) Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706 Internet: http://www.duncker-humblot.de

Vorwort Am 24. 01. 2020 hat Hans-Jörg Albrecht sein 70. Lebensjahr vollendet. Aus diesem Anlass haben sich einige seiner früheren Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zusammengefunden, um zu seinen Ehren eine Festschrift herauszugeben. Unter dem Titel „Unterwegs in Kriminologie und Strafrecht – Exploring the World of Crime and Criminology“ versammelt dieses Buch eine große, sehr internationale Runde von Autorinnen und Autoren aus nicht nur diesen beiden Disziplinen. Zugleich ist damit auf Hans-Jörg Albrechts schon fast sprichwörtliche unermüdliche weltweite Reisetätigkeit verwiesen. Wichtige Stationen des Lebens des Jubilars finden sich in einem kleinen Abriss verzeichnet. Auf eine ausführliche Laudatio haben wir in Abstimmung mit dem zu Ehrenden bewusst verzichtet. Stattdessen fanden wir es wesentlich interessanter, Hans-Jörg Albrecht selbst mit Gedanken zu seiner bisherigen Forschungstätigkeit und seiner Person zu Wort kommen zu lassen. Die Herausgabe eines derartigen Werks benötigt die tatkräftige Mithilfe vieler Personen. Besonders bedanken möchten wir uns bei Maria Pessiu (Tübingen) und Ulrike Auerbach (Freiburg), die viel Mühe in die Gestaltung des Layouts investiert haben. Sarah Schreier (Tübingen) und Dr. Christopher Murphy (Freiburg) haben das Interview mit Hans-Jörg Albrecht ins Englische übersetzt, Kathleen Straka (Freiburg) und Natalie Gehringer (Freiburg) Unterstützung bei der Erstellung des Schriftenverzeichnisses geleistet. Dr. Carolin Hillemanns hat den Kontakt zum Verlag Duncker & Humblot gehalten, dessen Verantwortlichen wir eine reibungslose Zusammenarbeit verdanken. Verschiedene Tätigkeiten erledigten Franca Langlet (Tübingen) und Lara Tomassi (Tübingen). Schließlich möchten wir dem neuen Direktorium des Max-Planck-Instituts zur Erforschung von Kriminalität, Sicherheit und Recht, Prof. Dr. Tatjana Hörnle, Prof. Dr. Ralf Poscher und Prof. Dr. Dr. JeanLouis van Gelder danken, die bereitwillig einen Teil der finanziellen Kosten für den Druck dieses Bandes und auch personelle Ressourcen für dessen Herstellung zur Verfügung gestellt haben. Damit wünschen wir allen Leserinnen und Lesern – vor allem aber dem Adressaten dieser Festschrift – eine spannende Lektüre und viele interessante Einsichten! Freiburg i. Br. und Tübingen, im Dezember 2020

Rita Haverkamp Michael Kilchling Jörg Kinzig Dietrich Oberwittler Gunda Wössner

Inhaltsverzeichnis – Table of Contents Unterwegs in Kriminologie und Strafrecht. Ein Interview mit Hans-Jörg Albrecht

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Exploring the World of Crime and Criminology. An Interview with Hans-Jörg Albrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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I. Sicherheit und Prävention – Safety/Security and Prevention Ulrich Sieber Die Auslandsübermittlung von Daten aus der strafprozessualen Telekommunikationsüberwachung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

53

Jörg Arnold Zum Verhältnis von (Straf-)Recht, Sicherheit und Freiheit. Unter Berücksichtigung von Transformationen der Sicherheit, des Begriffs des „Gefährders“ sowie sicherheitsrelevanter Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts . .

71

Christoph Gusy Anonymität im Recht – Eine Problemskizze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

99

Thomas Feltes Innere Sicherheit in unruhigen Zeiten. Von Ängsten und anderen Unsicherheiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Ferenc Irk Risikomanagement und Kriminalitätskontrolle. (Lokale Antworten auf globale Herausforderungen?) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

125

László Ko˝ halmi Einige evidenz- und nicht evidenzbasierte Gedanken über die Sicherheit . . . .

137

Andreas Armborst Der Präventionskomplex – Sicherheitsbedürfnis, Innere Sicherheit und Sicherheitsforschung in Zeiten terroristischer Bedrohung . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

149

Thomas Görgen, Eva Sevenig und Jochen Wittenberg Lokale (Un-)Sicherheiten in der Migrationsgesellschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . .

169

Isolde Geissler-Frank und Jessica Krebs Soziale Arbeit als Akteurin bei der Herstellung von Sicherheit – wie Soziale Arbeit Sicherheit ohne Sicherungs- oder Ermittlungsauftrag herstellt. Eine qualitative Studie zum Selbstverständnis von Sozialarbeiter*innen . . . . . . . . .

185

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Inhaltsverzeichnis – Table of Contents

Tim Lukas Vom Hochhaus zum Wohnturm. Strategien der Kriminalprävention im vertikalen Wohnen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Harald Arnold Un-/Sicherheit: Äußere Realität und innere Welt. Anmerkungen zu einer (nicht nur) kriminologischen Thematik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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II. Kriminologie und Kriminalpolitik – Criminology and Crime Policy John A. Winterdyk Putting a ‘New’ Label on an Old Bottle of Wine. A Call for Global Criminology

261

Karl-Ludwig Kunz Über unbeabsichtigte Folgen des Strafrechts und der Strafverfolgung . . . . . . .

279

Salvatore Palidda Limitations and Gaps of Philosophy of Law, of Criminology and of Sociology of Deviancy. How to Reverse the Approach . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

289

Helmut Kury Zum Transfer straffälligen Verhaltens über Generationen . . . . . . . . . . . . . . . . .

307

Rita Haverkamp Heiß und hitzig – Was hat der Klimawandel mit der Kriminologie zu tun? . . .

329

Dieter Dölling und Ludmila Hustus Korruption in der Wirtschaft – individuelle oder organisationale Devianz? . . .

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Cyrille Fijnaut Giovanni Falcone’s Prediction of the Italian Mafia’s Expansion into North-West Europe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Michael Levi Reflections on the Money Trail . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Roland Hefendehl Tausendsassa Alkoholverbot. … im Dienste von Gesundheit, Kriminalität und Kommerz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

379

László Korinek Gibt es die ideale Polizei? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

397

Detlef Nogala Von der Policey zur PolizAI. Vorüberlegungen zur weiteren Aufklärung eines zukunftsfesten Polizeibegriffs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

409

Peter Sutterer Bodycams als Einsatzmittel der Polizei – präventiv oder (doch nur) repressiv. Ergebnisse zur Akzeptanz und Wirksamkeit in Bayern . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Inhaltsverzeichnis – Table of Contents

9

Horst Entorf und Gabriele Lichmann Welche Faktoren beeinflussen häusliche Gewalt und ihre teilweise Akzeptanz? Ein Literaturüberblick und eine Analyse anhand des World Values Survey . . .

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Shuhong Zhao Understanding Offender and Victim of Intimate Partner Homicide in China – Compared with Previous Findings in Other Countries . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Anna-Maria Getosˇ Kalac (Cyber) Bullying by Faceless Bureaucracy in Research Funding. A Case Study from the Balkans . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

511

III. Strafe und Strafzumessung – Punishment and Sentencing Albin Eser Straftheorien – reflektiert aus der Sicht von Hans-Jörg Albrecht . . . . . . . . . . .

543

William Schabas The Twilight of Capital Punishment . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

561

Liling Yue Contemporary Death Penalty Issues in China . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

569

Thomas Weigend Schuldangemessene Strafzumessung im Völkerstrafrecht . . . . . . . . . . . . . . . . .

587

Franz Streng Strafzumessungsschuld oder/und Tatproportionalität? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

603

Wolfgang Frisch Auf dem Weg zu einer einheitlicheren Strafzumessung. Ein Nachwort zum 72. Deutschen Juristentag 2018 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

619

Kai Ambos Einheitlichere und transparentere Strafzumessung durch Strafzumessungsrichtlinien? Die englischen Sentencing Guidelines als lohnenswertes Untersuchungsobjekt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Stephan S. Terblanche Comparing Sentencing for Robbery with “Strafzumessung für Raub” . . . . . . .

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IV. Strafrechtliche Sozialkontrolle und Sanktionen – Penal Social Control and Sanctioning Luis Arroyo Zapatero Torture and Inhumanity . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

691

Roger Hood Public Opinion Surveys and the Abolitionist Cause: Findings from the Eastern Carribean. A Contribution in Honour of Professor Albrecht’s Initiative in China

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Inhaltsverzeichnis – Table of Contents

Karl-Heinz Reuband Dynamiken der Punitivität. Konsistenz und Ambivalenz als Strukturmerkmale der Einstellung zur Todesstrafe, 1964 – 2014 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Walter Perron Transitional Justice in Deutschland – die Mauerschützen vor Gericht . . . . . . .

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Frieder Dünkel Elektronische Überwachung in Europa – kriminologische und kriminalpolitische Überlegungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

761

Martin Killias Geld- statt Freiheitsstrafen: Die Mittelschicht kommt nicht ins Gefängnis. Wenig beachtete Folgen der Reform des schweizerischen Sanktionenrechts von 2002/2007 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Wolfgang Heinz Die Staatsanwaltschaft – „der“ kriminalpolitische Akteur im System strafrechtlicher Sozialkontrolle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

805

Jörg Kinzig „Und immer geht’s ums Geld“. Einstellung gegen Geldauflage, Verwarnung mit Strafvorbehalt und Geldstrafe im Vergleich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Feridun Yenisey Die Auswirkungen von zwei Aktenuntersuchungen auf den Verlauf des Strafverfahrens in der Türkei . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Carina Tetal Analysen zur Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus nach § 63 StGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Volker Grundies Die Sanktionierung von Vergewaltigungsdelikten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

885

Davor Derencˇ inovic´ and Anna-Maria Getosˇ Kalac Croatian Drug Policy. Penal Liberalisation, its Impact, and Current Trends . . .

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Pablo Galain Palermo A Difficult Relationship: Coexistence Between a Regulated Cannabis Market and a Prohibitionist Banking Policy . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Georgi Glonti Decriminalization of Drug-Related Crimes in Georgia. Legal Approaches and Comparative Analyses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

933

V. Jugendkriminalität und Jugendkriminalrecht – Youth Crime and Juvenile Justice Thomas Naplava Rückgang der Kriminalität junger Menschen im Kontext des Wandels der Jugendphase . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Inhaltsverzeichnis – Table of Contents

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Effi Lambropoulou Juvenile Delinquency in Greece. An Analysis of Prevention Mechanisms . . . .

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Dietrich Oberwittler und Dominik Gerstner Eine sozialräumliche Perspektive auf den Kriminalitätsrückgang. Die Entwicklung der Jugenddelinquenz in Köln nach den MPI-Schulbefragungen 1999 und 2011 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Angelika Pitsela Die Entwicklung des Jugendstrafrechts in Griechenland . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1013 Gerhard Spiess Jugend als Strafschärfungsgrund? Zur Rechtswirklichkeit der jugendstrafrechtlichen Sanktionspraxis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1035 Jing Lin Juvenile Criminal Justice in Mainland China. Between Welfare and Justice . . 1049 Helena Válková The Juvenile Justice System in the Czech Republic: Successes and Failures . . 1065

VI. Folgewirkungen von Strafe und Strafvollzug – Consequences of Conviction and the Correctional System Michael Kilchling Strafen über Strafen. Strafrechtliche und nichtstrafrechtliche Zusatzsanktionen in Deutschland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1075 José Luis de la Cuesta Hidden and Less Visible Consequences of Conviction in the Spanish Criminal Justice System . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1095 Axel Dessecker Rechtliche und soziale Folgen von Strafen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1109 Anthozoe Chaidou Prison Privatization as a Potential Hazard to Democratic States . . . . . . . . . . . . 1121 Arthur Kreuzer Äquivalente Gesundheitsversorgung in Pflegeheimen und Haftanstalten . . . . . 1133 Norbert Nedopil Risikomanagement bei Straftätern als interdisziplinäre Aufgabe . . . . . . . . . . . 1147 Joachim Obergfell-Fuchs Die Entwicklung des Strafvollzugs in Deutschland seit der Jahrtausendwende

1159

Wang Ping On the Relationships Needed to Be Properly Handled in the Process of Penalty Execution in Prisons . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1179

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Inhaltsverzeichnis – Table of Contents

Gunda Wössner Sexualstraftäter in sozialtherapeutischen Anstalten des Freistaates Sachsen. Vergleichende Rückfallanalysen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1207 Publikationsverzeichnis – List of Publications von/by Hans-Jörg Albrecht . . . . . . 1225 Autorinnen und Autoren – List of Authors . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1275

Unterwegs in Kriminologie und Strafrecht Ein Interview mit Hans-Jörg Albrecht Hans-Jörg Albrecht wurde 1950 in Esslingen geboren. Er studierte von 1968 bis 1973 Rechtswissenschaft und Soziologie an den Universitäten Tübingen und Freiburg i. Br. Im Jahr 1979 wurde er mit einer Arbeit zur Strafzumessung und Vollstreckung bei Geldstrafen unter besonderer Berücksichtigung des Tagessatzsystems an der Juristischen Fakultät der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg promoviert. Von 1976 bis 1991 war er wissenschaftlicher Referent am Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Strafrecht, Freiburg i. Br. Im Jahr 1991 folgte die Habilitation mit der Arbeit “Strafzumessung bei schwerer Kriminalität – Eine vergleichende theoretische und empirische Studie zur Herstellung und Darstellung des Strafmaßes”; dabei wurde ihm die Venia Legendi in Strafrecht, Jugendstrafrecht, Strafvollzugsrecht und Kriminologie verliehen. Im März 1992 erhielt er einen Ruf auf eine C3-Stelle für Strafrecht und Nebengebiete an die Universität Konstanz, wo er bis zum Sommersemester 1993 unterrichtete. Im Juni 1993 nahm er den Ruf auf den Lehrstuhl für Strafrecht, Jugendstrafrecht, Strafvollzugsrecht und Kriminologie an der Technischen Universität Dresden an, wo er bis zum Wintersemester 1996/97 lehrte. Im November 1995 erhielt Albrecht einen Ruf der Max-Planck-Gesellschaft an das Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Strafrecht. Seit 1. März 1997 war er Direktor und Leiter der kriminologischen Abteilung und seit dem Wintersemester 1997/98 auch Honorarprofessor und Mitglied der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg. Im April 2000 erhielt Albrecht den Status eines Gastprofessors am Institut für Strafrecht der China-Universität für Politik und Recht, Beijing, V.R. China, im April 2001 den eines Gastprofessors an der Juristischen Fakultät der Universität Hainan, V.R. China, und im Januar 2004 den eines Gastprofessors an der Juristischen Fakultät der Renmin-Universität, V.R. China. Seit Mai 2003 ist er Life Member am Clare Hall College der Universität Cambridge, Vereinigtes Königreich, und seit Mai 2004 Professor und permanentes Fakultätsmitglied der Rechtswissenschaftlichen Fakultät des Qom High Education Center der Universität Teheran, Iran. Im März 2005 wurde ihm die Ehrendoktorwürde der Juristischen Fakultät der Universität Pécs, Ungarn, verliehen. Im Mai 2005 folgte die Ernennung zum Gastprofessor an der Juristischen Fakultät der Universität Wuhan, V.R. China, im Mai 2006 zum Gastprofessor an der Juristischen Fakultät der Universität Beijing (Beijing Normal University), V.R. China, und im Mai 2008 erneut zum Gastprofessor an der China-Universität für Politik und Recht. In Würdigung seiner Verdienste bei der Entwicklung der ungarischen Kriminologie und Kriminalpo-

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Interview mit Hans-Jörg Albrecht

litik wurde Albrecht im Mai 2010 zum Ehrenmitglied der Ungarischen Gesellschaft der Kriminologie ernannt. Im September 2010 berief ihn die Serbische Kriminologische Gesellschaft ebenfalls zum Ehrenmitglied. Im Mai 2012 wurde ihm die Ehrendoktorwürde der Grigol-Robakidze-Universität Tiflis, Georgien, verliehen, im Juni 2013 eine Ehrenprofessur der Maria-Curie-Skłodowska-Universität Lublin, Polen. Im September 2013 erhielt er den Academic Honor Award des dritten internationalen Crime & Punishment Film-Festivals in Istanbul, Türkei, für seine wegweisenden Beiträge zur kriminologischen Forschung zu Kindern und Jugendlichen. Es folgten die Ehrendoktorwürde der Law Enforcement-Universität Ulan Bator, Mongolei (September 2016), sowie die Ehrendoktorwürde der Technischen Universität Tiflis, Georgien (Mai 2017). Ebenfalls im Mai 2017 wurde er für seine Verdienste um die deutsch-chinesische akademische Zusammenarbeit und Lehre mit dem „2016 International Educator in China Award“ des Information Research Center of International Talents bei der State Administration of Foreign Experts Afairs (SAFEA) der V.R. China ausgezeichnet und im November desselben Jahres mit dem Carlos Lloyd Braga Chair 2017 der Minho Universität in Braga, Portugal. Seit Februar 2018 ist Hans-Jörg Albrecht Direktor Emeritus an dem mit Amtsantritt des neuen Direktoriums inhaltlich komplett neu ausgerichteten und umbenannten Max-Planck-Instituts zur Erforschung von Kriminalität, Sicherheit und Recht.

Persönlicher Rückblick (in drei Teilen)1 Teil 1: Wissenschaftlicher Werdegang Lieber Hans-Jörg, Du hast sowohl Jura als auch Soziologie studiert. Wie würdest Du aus heutiger Sicht das Verhältnis der beiden Disziplinen für Deinen Werdegang beschreiben? War eine der beiden Disziplinen wichtiger oder war es ausschlaggebend für Dich, beide zu beherrschen? Ja, ich denke schon, dass beide beherrscht werden müssen. Es handelt sich um unterschiedliche Perspektiven, die nur schwer zusammengeführt werden können. Auf der einen Seite die normative Perspektive, die im Wesentlichen auf Diskurse ausgerichtet ist und die Frage was richtig und was nicht richtig ist: die sog. ,wrongs‘, Unrecht und Recht. Auf der anderen Seite die sozialwissenschaftliche Perspektive, die natürlich vom Ansatz her sehr stark darauf zielt, Zusammenhänge zu beobachten und zu verstehen. Das schließt selbstverständlich mit ein, dass deutliche Berührungspunkte zwischen beiden Perspektiven vorhanden sind, weil die Ansatzpunkte für eine Soziologie des Strafrechts oder eine Soziologie abweichenden Verhaltens eben Normen sind. Diese enge Verbindung wurde in Deutschland in den 1970er Jahren hervorgehoben und hat dazu geführt, dass die Sozialwissenschaften stärker in die Rechtswissenschaften eingeführt worden sind: mit Ansätzen an den Universitäten in 1 Persönliches Interview, das Michael Kilchling und Gunda Wössner im August 2020 mit Hans-Jörg Albrecht geführt haben.

Unterwegs in Kriminologie und Strafrecht

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Bremen und Hamburg und natürlich auch am Max-Planck-Institut (MPI) hier in Freiburg. Damit wurde etwas geschaffen, das, wie ich denke, auch heute nichts von seiner Bedeutung eingebüßt hat, nämlich die Integration der unterschiedlichen Perspektiven. Das hat dazu beigetragen, dass Normen als das betrachtet werden, was sie eigentlich auch sind: Etwas, das gesellschaftlich produziert wird und eine soziale Erscheinung darstellt, die erklärt werden kann und im Hinblick auf Entstehung, Anwendungspraktiken und Konsequenzen auch erklärt werden muss. Um die Verschränkung von juristischen und soziologischen Fragestellungen einigermaßen erfassen zu können, ist es notwendig, dass sozialwissenschaftliche Theoriebestände und Methoden ebenso berücksichtigt werden wie normative Zugänge. Das bringt uns zu der nächsten Frage, die ursprünglich darauf gerichtet war, wie Du die Bedeutung von Theorie und Empirie in der Kriminologie gewichten würdest; eigentlich müssen wir jetzt noch die Normativität als weiteren Aspekt berücksichtigen. Vielleicht noch ergänzend: Kann man nur Theoretiker sein – ohne empirische Fundierung? Das geht natürlich, und die Freiburger Kriminologie ist ein ziemlich gutes Beispiel dafür. Auf der einen Seite sehen wir die juristische Fakultät mit der strafrechtswissenschaftlichen Perspektive, stets auch mit einer theoretischen Orientierung, auf der anderen Seite das soziologische Institut, das in der Tradition von Popitz und Dux weniger auf quantitative empirische Forschung ausgerichtet war und auch heute im Grunde noch nicht ist. Der Schwerpunkt liegt dort bei qualitativen Ansätzen, die weniger auf systematische Datenerhebungen ausgerichtet sind. Die quantitative Forschung ist dann eher am MPI angesiedelt, das, jedenfalls mit seiner ursprünglichen Forschungskonzeption, die anderen Traditionen jeweils mit aufnimmt. Und wo würdest Du Dich selbst verorten? Ich würde mich eher bei den quantitativen Ansätzen einordnen, weil das zunächst, so denke ich jedenfalls, ein Zugang ist, der eine einigermaßen realistische Einordnung dessen ermöglicht, was im relevanten Beobachtungsfeld passiert. Natürlich sind auch qualitative Zugänge wichtig, vor allem wenn es um die Fragen geht, wie Akteure Situationen verstehen, warum sie handeln, und so weiter – das lässt sich quantitativ natürlich weniger gut einschätzen. Und diese qualitativen, verstehenden Zugänge werden umso bedeutsamer, je mehr es um die Erfassung von Situationen oder Phänomenen geht, bei denen Quantität keine Rolle spielt, Phänomene der organisierten Kriminalität oder des internationalen Terrorismus, wie beispielsweise der sog. Islamische Staat. Aktivitäten des Islamischen Staats können natürlich auch partiell aus einer quantitativen Perspektive erfasst werden, aber seine Entstehung, die Entwicklung und unter Umständen die weitere Fortsetzung – all dies ist allein mit einem qualitativen Zugang erfassbar. Im Kern geht es hier um Verstehen und die Einordnung.

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Interview mit Hans-Jörg Albrecht

Wann hast Du eigentlich angefangen zu forschen und was hat Dich dazu bewogen, diese Richtung einzuschlagen als Jurist und Soziologe? Das ist eine etwas knifflige Frage, die ich mir bereits vor einigen Jahren gestellt habe in einem Beitrag für John Winterdyks Sammelband zu „Lessons from International/ Comparative Criminology/Criminal Justice“. Darin durften Kriminologen und Kriminologinnen erklären, warum sie sich der Kriminologie zugewandt haben. Bei mir war das an sich eine relativ einfache Entwicklung, weil bereits mein Zugang zu den Rechtswissenschaften nicht durch sehr viel Empathie geprägt war, sondern im Wesentlichen durch eine pragmatische Entscheidung, die sehr stark darauf zurückzuführen ist, dass ich nach dem Abitur nicht wusste, was ich machen sollte. Ich war damals bei der Berufsberatung in Esslingen, und nach der Auswertung meines Tests konnte die Berufsberaterin anscheinend keine eindeutige Präferenz erkennen und meinte mit einem leichten Kopfschütteln: „Das Beste wird sein, Sie studieren Jura. Danach haben Sie die meisten Optionen“. Und das habe ich tatsächlich zum Anlass genommen, Jura zu studieren. Was mir an sich keine großen Schwierigkeiten gemacht hat; und ehrlich gesagt war es auch relativ langweilig, jedenfalls habe ich das Reizvolle daran seinerzeit (noch) nicht gefunden. Auch mit den Berufsbildern, die damit primär verbunden waren, also Richter, Staatsanwalt, Verwaltungslaufbahn oder Rechtsanwalt, konnte ich mich nicht anfreunden. Das hat natürlich meine Entscheidung, mit Soziologie weiterzumachen, beeinflusst. Dies wurde durch den Umstand befördert, dass ich nach dem ersten Staatsexamen das Angebot von Günter Kaiser für eine Mitarbeit am MPI bekam. Dadurch konnte ich beide Disziplinen gut kombinieren. Die Fragestellungen, die damals hier gerade bearbeitet worden sind, waren allesamt neu und interessant: Dunkelfeldstudien wie die Emmendinger Jugendbefragung, die Rolle der Staatsanwaltschaft in der strafrechtlichen Sozialkontrolle und Betriebsjustiz. Ich habe mich dann auch bei den Soziologen relativ viel mit Fragen in Zusammenhang mit Devianz befasst. Prägend waren dabei auf der einen Seite Trutz von Trotha, dessen Zugang mir immer sehr gut gefallen hat, und Baldo Blinkert, der für meine methodische Ausbildung (Einführung in SPSS, Statistik, usw.) wichtig war. Das hat letztlich dazu geführt, dass ich mich für diese Schiene entschieden habe. Du warst ja insgesamt sehr lange am MPI. Welche Bedeutung hatten denn dann die beiden Zwischenstationen Konstanz und Dresden? Hat die Zeit dort nachhaltige Spuren hinterlassen? Ach, die Zeit in Konstanz war sehr stark strafrechtlich geprägt. Ich habe damals im Strafrecht den Allgemeinen Teil gelehrt und auch in Dresden Strafrecht Allgemeiner Teil mit den dazugehörenden Übungen samt Prüfungen. Neben der Lehre im Schwerpunkt habe ich dann auch hier in Freiburg Staatsexamensprüfungen weiter gemacht, bis zum letzten Jahr. Am Anfang habe ich das ganz gerne gemacht, das war etwas Neues. Ich musste eine Vorlesung aufbauen und mich in Wissens- und Verständnisvermittlung versuchen. Aber nach zwei, drei Jahren hat mich das etwas gelangweilt, muss ich zugeben. Ich verstehe Dogmatik und habe den inneren Zugang dazu; aber ich konnte mich dafür nie begeistern. Ich habe sogar manchmal versucht dazu zu schreiben, und manchmal ist es mir vielleicht auch gelungen.

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Das Besondere an der Zeit in Dresden war ja dann diese Umbruchs- und Aufbauzeit: War da irgendetwas anders als an westdeutschen Universitäten? Was die Ausbildung anging, überhaupt nicht. Als ich nach Dresden kam, 1993, war an sich der wesentliche Teil des Aufbaus schon erledigt. Damals waren Knut Amelung und Günter Heine ebenfalls noch in Dresden. Der gesamte Lehrkörper der Juristischen Fakultät war aus dem Westen importiert, wie überall in der ehemaligen DDR. Daher gab es an sich keine großen Unterschiede. Und die Atmosphäre mit den Studierenden? Dresden war immer beliebt. Es waren ja junge Leute, ich hatte nie Probleme mit ihnen und sie auch nicht mit mir. Der Aufbau hat sich noch etwas niedergeschlagen in der umfangreichen Renovierungstätigkeit. Die alten Hörsäle sind erst nach und nach hergerichtet und modernisiert worden, das war weniger angenehm. In Dresden haben mir Universität und Stadt aber gut gefallen. Es waren insgesamt dreieinhalb oder vier schöne Jahre. Den Erstwohnsitz habe ich allerdings immer hier in Freiburg behalten, auch weil sich abgezeichnet hat, dass ich die Direktorenposition am MPI als Nachfolger von Günther Kaiser einnehmen werde. Und welche Forschungsschwerpunkte lagen Dir jetzt rückblickend besonders am Herzen? Was ich schon in Konstanz begonnen hatte, war die Beschäftigung mit Schattenwirtschaften und vor allem der Drogenwirtschaft. Teilweise auch in Zusammenarbeit mit den französischen Kolleginnen und Kollegen. Daraus entstand dann auch das Laboratoire Européen Associé (LEA), das insgesamt über zwölf Jahre lief. Ein Forschungsschwerpunkt war auch in diesem Verbund der Bereich Schattenwirtschaften. An dem Thema war neben den französischen Kriminologen und Kriminologinnen und Sozialwissenschaftlerinnen auch die englische Kriminologie interessiert, was in den Band zur „Informal Economy“ mündete, den ich zusammen mit Joanna Shapland herausgegeben habe. Ihre Einbindung in den französischen Zirkel war an sich eine relativ seltene Konstellation gewesen, und daraus entstand ein sehr gutes Projekt über Schattenwirtschaften in der Großstadt. Diese Thematik hat sich im Grunde durch meine Zeit als aktiver Forscher hindurchgezogen. Drogen interessieren mich auch heute noch – nicht als Substanz, sondern als Gegenstand der Untersuchung [lacht]. Was wären zentrale Einsichten, die Du gewonnen hast im Laufe der forscherischen Laufbahn? Eine zentrale Einsicht hat sich an sich schon früh festgesetzt, und zwar, dass Strafrecht und Strafjustiz als Kontrollsysteme große Bedeutung haben. Auf der einen Seite, weil sie Gesellschaften mitformen. Auf der anderen Seite ist es mir nicht gelungen, irgendein Feld oder irgendeinen Bereich zu identifizieren, in dem die Setzung von Strafrecht bzw. die Verstärkung oder Reduzierung von Strafrecht irgendwelche bedeutsamen Folgen gehabt hätte. Darin ist ein gewisser Widerspruch enthalten, der schlecht aufgelöst werden kann. So würde ich einerseits nicht vorschlagen,

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das Strafrecht abzuschaffen, weil dann mutmaßlich Folgen eintreten würden, die nicht sonderlich erstrebenswert sind. Anderseits wäre meine Schlussfolgerung für die weitere Fortentwicklung von Kriminalpolitik und Strafrecht, dass Strafrecht und Strafe jedenfalls nur sehr zurückhaltend als Instrument der Sozialkontrolle genutzt werden sollten. Denn – und das wird natürlich auch aus vergleichenden Ansätzen sichtbar – unabhängig davon, wie viele Menschen ins Gefängnis gehen, oder für wie lange sie im Gefängnis bleiben: Was dann im Ergebnis in Form der Kriminalitätsbelastung in einer Gesellschaft beobachtet werden kann, unterscheidet sich nicht sonderlich. Das wird besonders deutlich in den unterschiedlichen Feldern der Schattenwirtschaften: Wenn Menschen nach Drogen oder nach Waffen oder nach sonst irgendetwas fragen, dann wird diese Nachfrage bedient. Es ist nur eine Frage des Preises. Deshalb ist gerade die Drogenpolitik ein besonders interessantes Feld, weil man sehen und beobachten kann, dass sich im Laufe der letzten sechzig Jahre seit der Einheitskonvention von 1961, mit der die heutige Drogengesetzgebung ihren Anfang nahm, nichts wirklich verändert hat. Die Preise für verschiedene Drogen sind relativ stabil geblieben, und Kokain ist heute sogar billiger als vor zwanzig, dreißig Jahren. Was sich freilich verändert hat, ist die Zusammensetzung der Population in den Gefängnissen. Hier kommt noch etwas ins Spiel, das hat mich gerade in den letzten Jahren wieder mehr beschäftigt: Immigration und Kriminalität sowie strafrechtliche Sozialkontrolle. Es deutet alles darauf hin, dass durch Immigration keine Mehrbelastung im Hinblick auf Kriminalität entsteht. Dazu gibt es in den letzten Jahren in westlichen Ländern auch immer mehr Untersuchungen. Das ist freilich nur die eine Seite. Auf der anderen Seite ist zu konstatieren, dass in den Gefängnissen – egal ob in Frankreich, England, Deutschland oder den Niederlanden – zu einem erheblichen Teil Menschen inhaftiert sind, die entweder ausländische Staatsangehörige sind oder jedenfalls einen Migrationshintergrund haben und damit Minderheiten angehören. Der Strafvollzug hat sich ethnisiert und damit auf eine Art und Weise verändert, die nach den Gründen fragen lässt. Offensichtlich hat sich die Zusammensetzung der sozial Randständigen verändert. Das stellt auch einen ganz wesentlichen Unterschied zu den USA dar. Auch wenn Trump etwas anderes behauptet, spielt die Immigration dort für die Kriminalitätsbelastung und die Gefängnisse keine große Rolle. Gerade die größten Immigrantengruppen, aus Lateinamerika und Asien, sind an gesellschaftlichem Fortkommen und Aufstieg interessiert, möchten Geld verdienen und würdig leben. Daher sieht man in den USA eine andere Zusammensetzung der Gefängnisinsassen, was im Übrigen auch auf kriminalpolitische Entscheidungen zurückgeht. In den amerikanischen Gefängnissen sind insbesondere Afroamerikaner überrepräsentiert und eben nicht Immigranten. Was sich in europäischen Gefängnissen abzeichnet – und das ist ein gutes Feld, um Veränderungen zu beobachten –, ist eine Konzentration von Personen mit Migrationshintergrund, Einwanderer aus der Türkei, aus Afrika oder aus arabischen und nordafrikanischen Ländern. Diese Veränderungen, denke ich, sollten in der Zukunft in der kriminologischen Forschung eine Rolle spielen, beispielsweise bei der Untersuchung, welche Auswirkungen die Immigration und die

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ethnische, religiöse Heterogenisierung – heute sagt man ja auch cultural diversity – auf die Kriminaljustizsysteme haben. Was ist Dir in Bezug auf Deine Forschungsprojekte besonders gelungen bzw. misslungen? Ich würde sagen, besonders gelungen ist vor allem, dass fast alle Forscherinnen und Forscher, die sich hier an Projekte gesetzt und diese entwickelt haben, ihre Projekte in großartiger Weise abgeschlossen haben. Das kann man nicht zuletzt an den (bisherigen) Veröffentlichungsreihen des MPI sehen. Die Vorhaben waren, worauf ich als ehemaliger Institutsleiter ein bisschen stolz bin, zum Teil sehr aufwendig und innovativ und haben in vielen Bereichen zu einem erheblichen Mehrwert geführt. Ich kann nicht alle Projekte und alle Personen aufzählen, denke aber vor allem an die Projekte, die aus dem deutsch-französischen Verbund hervorgingen, die Jugenduntersuchungen, die Forschungen zu den Schattenwirtschaften in verschiedenen Ländern, die Arbeiten zur grenzüberschreitenden polizeilichen Zusammenarbeit und nicht zu vergessen die Längsschnittuntersuchungen und die Sozialtherapieprojekte, darunter die einzige nennenswerte experimentelle Studie im deutschsprachigen Raum. Außerdem waren die vielen justizbezogenen Untersuchungen ein wichtiger Baustein, darunter auch wegweisende vergleichende Studien zur Strafzumessung. Des Weiteren sind zu nennen die Untersuchungen zu neuen Sanktionsformen und verdeckten Ermittlungsmaßnahmen – gemeinnützige Arbeit, elektronische Überwachung, Telekommunikationsüberwachung, Verkehrsdatenabfragen und Vorratsdatenspeicherung sowie Rasterfahndung –; die sind wirklich gut gemacht. Ein wichtiges Anliegen war mir auch stets, die Datensätze so zu archivieren und zu ordnen, dass man in Zukunft wieder daran anknüpfen kann. Was man vielleicht noch besser hätte ausbauen und weiter entwickeln können, sind Replikationsstudien. In Einzelfällen ist auch das ganz gut gelungen, z. B. bei der Untersuchung zur Vollzugspraxis im Umweltstraf- und Ordnungswidrigkeitenrecht, wo eine Replikation der ersten empirischen Studie aus den 1980er Jahren nach mehr als zwanzig Jahren vorgenommen worden ist. Einzigartig war und ist im Übrigen die auf Dauer angelegte Kohortenuntersuchung, die noch unter Günther Kaiser angelegt wurde und deren Datenbestand und Analysepotenzial bis heute kontinuierlich angewachsen ist. Gab es auch unangenehme oder belastende Aspekte der Direktorentätigkeit? Hier kann ich ebenfalls sagen, dass ich mich insgesamt glücklich schätzen kann, dass es nur wenige Probleme gegeben hat. Auch das ist im Wesentlichen meinen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern zuzuschreiben. Im Rückblick auf die fast 23 Jahre seit 1997 gibt es vor allem eines, das mich belastet hat, aber vielleicht auch gar nicht vollständig hätte vermieden werden können. Ich meine damit Projekte, die begonnen, aber nicht zu Ende gebracht worden sind. Das betraf Einzelne, die ich als sehr fähig eingeschätzt habe und die wahrscheinlich auch sehr fähig sind. Das hat im Übrigen dazu geführt, dass ich im Hinblick auf einige Projekte noch immer in der Bringschuld stehe.

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Und innerhalb der Max-Planck-Gesellschaft (MPG)? Gab es hier Zusatzbelastungen, die nichts mit Forschungstätigkeit im engeren Sinne zu tun haben? Ja, was sicherlich als belastend gelten kann, ist der Spagat zwischen Universität und MPG. Innerhalb der MPG werden allein durch die Sektionssitzungen erhebliche zeitliche Ressourcen gebunden. Die Sektion funktioniert im Grunde so ähnlich wie eine Fakultät mit einer Vielzahl von administrativen und organisatorischen Aufgaben, die zusätzlich zu den universitären Verpflichtungen durch Prüfungen und Fakultätssitzungen hinzukommen. Salopp gesprochen ist halt alles doppelt. Wie hast Du insgesamt die Work-Life-Balance wahrgenommen? Das könnt Ihr wahrscheinlich besser beurteilen. Ich bin an diesem Institut groß geworden und habe nichts anderes gelernt. Von daher habe ich die Geschichte auch nie unter dem Gesichtspunkt von Work-Life-Balance betrachtet. Ich war ja sehr viel im In- und Ausland unterwegs. Das hat Spaß gemacht und macht immer noch Spaß, sodass ich nicht wüsste, wo ich da etwas ausbalancieren sollte [lacht]. Eine Balance brauche ich da nicht herzustellen. Das ist ein gutes Stichwort und führt uns zum nächsten Punkt. Reisen und die Präsenz im Ausland waren ja ein sehr prägendes Charakteristikum Deiner Tätigkeit. In Deinem früheren Direktorenzimmer fielen die ganzen Ehrenurkunden und Geschenke aus allen Teilen der Welt sofort ins Auge. Gibt es irgendwelche Kooperationen oder Länder oder Regionen, die Dir besonders in Erinnerung bleiben werden? Es gab unterschiedliche Phasen mit verschiedenen Prioritäten. Etwa der Austausch mit Südafrika und Namibia, wo ich über fünfzehn Jahre lang in verschiedene Reformprojekte eingebunden war und daher zwischen 1994 und 2005 sehr häufig nach Windhoek, Pretoria und Kapstadt gereist bin. Das hat aus zwei Gründen Spaß gemacht: Einmal, weil ich natürlich sehr viel Gelegenheit zur wissenschaftlichen Begleitforschung hatte, auch in Form von systematischer Datenerhebung. So konnte ich in Namibia zum Beispiel Justizdaten sammeln und auswerten, die, so hoffe ich, damals auch ein gewisses Interesse ausgelöst haben, das dann auch kriminalpolitische Konsequenzen hatte. Ich konnte dann auf der anderen Seite auch sehen, wie schwierig es sein kann, Reformprozesse anzustoßen und umzusetzen, die wegen der sozialen Struktur auf sehr viele Widerstände stoßen. Zu erwähnen sind dann natürlich China und damit zusammenhängend auch Korea und Japan – ein Schwerpunkt, der schon von Günter Kaiser und Hans-Heinrich Jescheck eingeleitet worden ist und der sich insgesamt recht gut entwickelt hat. Diese Verbindungen sind heute noch sehr gut. Wir hatten eine ganze Reihe von Doktorandinnen und Doktoranden am Institut, die mit sehr guten Ergebnissen abgeschlossen haben und heute an Universitäten in ganz China tätig sind. Zu diesen beiden Schwerpunktregionen kamen dann der Iran und die Kaukasusregion hinzu. Teilweise hat sich aus Kooperationen allerdings nichts Langfristiges entwickelt. Das gilt auch für ein Afghanistan-Projekt, in das das Institut eingebunden war. Insgesamt haben sich die Kontakte deutlich erweitert. Die iranische Strafrechtswissenschaft war zum Beispiel bis in die 1990er Jahren sehr stark auf Frankreich ausgerichtet. Das MPI hat sicherlich dazu beigetra-

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gen, dass sich die Verbindung zwischen Deutschland und Iran stärker entwickelt hat. Was Südamerika betrifft, dort bin ich aktuell immer noch mit mehreren Forschungsprojekten in Kooperation mit Pablo Galain aktiv. Hier geht es erstens um Fragestellungen im Kontext mit der Legalisierung von Marihuana und Drogenmärkten in Südamerika und zweitens um die Frage der Gewalt. Südamerika ist ja im internationalen Vergleich eine Region, in der tödliche Gewalt in besonderem Maße ausgeprägt ist. Schließlich ist die dortige Entwicklung der empirischen Kriminologie von Interesse. Eine empirische Kriminologie wollen wir jetzt in Santiago de Chile ansiedeln, im Sinne einer Kriminologie, die sich nicht bloß theoretisch und normativ präsentiert – wie das in Südamerika derzeit teilweise noch der Fall ist –, sondern als eine empirische Wissenschaft, die auf systematische Erhebung von Daten zielt, mit denen Kriminalpolitik kritisch begleitet werden kann. Auch die Beziehungen in den englischsprachigen Raum, insbesondere Nordamerika und England, waren recht gut. Wichtig war mir darüber hinaus auch die Fortsetzung der Zusammenarbeit mit den Ländern der früheren Sowjetunion. Dabei spielte natürlich die Ukraine eine besondere Rolle, vor allem auch durch meine Mitwirkung in der Timoschenko-Mission der Europäischen Union, die fast zwei Jahre gedauert hat. Diese Aufgabe war auch deshalb interessant, weil ich da ganz nah an der Politik war; das hatte mit Recht eigentlich nur am Rande zu tun [lacht]. Letzten Endes ging es um politische Auseinandersetzungen, die mit Mitteln des Strafrechts ausgetragen worden sind. Basierend auf Vorwürfen, die hier nicht einmal für einen Bußgeldbescheid ausgereicht hätten. Dennoch hat jeder Richter sofort Haftbefehle unterschrieben. Nicht zuletzt will ich die Balkan Criminology Group nennen, die als Partnergruppe der MPG entstanden ist und der es gelungen ist, verschiedene kriminologische Projekte in der Balkan-Region anzustoßen und durchzuführen. Sie ist mit großem Erfolg aktiv, wobei ich nicht nur auf die Implementierung empirischer Projekte abstelle, sondern auch auf die erfolgreiche Schaffung eines kriminologischen Netzwerkes, das heute fast ganz Südosteuropa abdeckt. Jetzt hast Du es schon angesprochen: China. Wie würdest Du auf der Grundlage Deiner reichen Erfahrung heute die politische Entwicklung in China und ihre Auswirkungen auf die Wissenschaft einschätzen? Aktuell gerade auch mit Blick auf Hongkong? Das ist schwierig. Ich würde grundsätzlich trennen zwischen der allgemeinen Entwicklung in China und der besonderen Entwicklung in Hongkong. Die allgemeine gesellschaftliche und wirtschaftliche Entwicklung hat China in den letzten zwanzig, dreißig Jahren deutlich verändert. Vor allem ist allerdings in den letzten Jahren der Zugriff der Kommunistischen Partei auf fast alle Lebensbereiche wieder sehr viel intensiver geworden, obwohl – und das muss man stets berücksichtigen – Freiheitsräume immer noch vorhanden sind. Insbesondere können die Menschen reisen. Es gibt in Festland-China selbst auch – mit einigen Ausnahmen – keine Diskussionsverbote. Die Ausnahmen betreffen vor allem die territoriale Einheit. Deshalb ist Hongkong (im Übrigen auch Taiwan und Tibet) für die Zentralregierung in Peking von so großer

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Bedeutung. Wenn wir die neue Sicherheitsgesetzgebung in Hongkong betrachten, denke ich, es geht weniger um Sicherheit, sondern schlicht und einfach um die Durchsetzung des Anspruchs, dass diese territoriale Einheit nicht angerührt werden darf. Damit sind drei Regionen insoweit aus dem öffentlichen Diskurs ausgenommen: Tibet, Hongkong und Taiwan. Diese Themen können nur mit äußerster Vorsicht diskutiert werden. Daneben gibt es natürlich noch ein zweites Minenfeld, in das man sich wirklich nicht begeben sollte, das ist der Anspruch der Kommunistischen Partei, die Politik und die Führung der Volksrepublik alleine zu bestimmen. Es gibt keine Opposition und keine klassische Demokratie, wie sie sich in Europa entwickelt hat. Im Vordergrund steht die Führungsrolle der Kommunistischen Partei, die nicht angetastet werden darf. Davon abgesehen kann ich allerdings keine Diskussionsverbote erkennen. So ist zum Beispiel auch die Todesstrafe selbst kein Tabu. Es gibt natürlich bestimmte sensible Themen innerhalb solcher Themenbereiche, die zu Problemen führen, vor allem wenn die politische Führung den Eindruck eines hierdurch entstehenden Gesichtsverlustes hat. Im Zusammenhang mit der Todesstrafe ist mir das einmal aufgefallen bei einer Veranstaltung, die wir zusammen mit der deutschen Botschaft im Zusammenhang mit dem deutsch-chinesischen Rechtsstaatsdialog durchgeführt haben. Dort hat ein chinesischer Teilnehmer ein Referat zur Organentnahme im Zusammenhang mit der Todesstrafe gehalten. Dies hat dann auch zu Reaktionen geführt. Aber nicht wegen der Todesstrafe als solcher, sondern wegen der Thematisierung, dass nach Exekutionen eine Organentnahme stattfindet. Daneben gibt es dann noch einen dritten sensiblen Bereich, der auch in der hiesigen Diskussion eine Rolle spielt: Überwachung. In jüngerer Zeit hatte ich manchmal Schwierigkeiten in China bestimmte Websites anzusteuern, wenn ich über chinesische Netzwerke gegangen bin. Das konnte manchmal die New York Times betreffen, manchmal andere, aber nie deutsche Zeitschriften und Zeitungen. Der Ausbau der Datenverarbeitung und die Einführung von Techniken, die in hohem Maße persönliche Daten produzieren, haben natürlich in einer Art und Weise zugenommen, die das hierzulande Gewohnte bei Weitem in den Schatten stellt. Dabei handelt es sich um technologische Modernisierungen in einem Bereich, in dem Deutschland immer noch rückständig ist. Das hat sich in den letzten Jahren auch dadurch gezeigt, dass Bargeld in China heute im Alltagsleben praktisch keine Rolle mehr spielt. Ich bin letztes Jahr mit dem Zug von Peking nach Tianjin gefahren, wollte in dem Zugrestaurant etwas trinken und habe einen Yuan-Schein hingehalten – das ging aber nicht, möglich ist das Bezahlen nur noch mit Mobiltelefon oder auf andere Weise bargeldlos. Diese Entwicklung erzeugt natürlich einen ungeheuren Datenanfall, der auch nur schwer auszuwerten ist bei einer Bevölkerung von 1,3 Milliarden Menschen, von denen die meisten nicht nur ein Smartphone besitzen. Die in solchen Technisierungsprozessen angelegten Überwachungsmöglichkeiten werden natürlich genutzt, das ist ganz klar. Ich gehe aber nicht davon aus, dass diese Veränderungen in der chinesischen Gesellschaft selbst größere Bedeutung haben werden. Insgesamt habe ich den Eindruck, dass die chinesischen Kolleginnen und Kollegen, mit denen ich zu tun habe, im Wesentlichen der Auffassung sind, dass die chinesische Staatsführung und die Politik das Eine ist und die Frage, wie sie ihr Leben organisieren und gestal-

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ten, das Andere. Und solange die chinesische Führung es schafft, für jedenfalls einen bedeutsamen Teil der Bevölkerung Wohlstand zu garantieren und Entwicklungschancen sichtbar zu machen, solange werden die meisten Chinesen – jedenfalls habe ich diesen Eindruck – keine Probleme mit dem politischen System sehen. Ähnliches sieht man ja auch im Iran. Die Iranerinnen und Iraner machen Witze über ihre Führung – was natürlich auch nicht schwer fällt bei diesem Personal. Im Übrigen arrangieren sie sich, ungeachtet des immer weiter sinkenden Lebensstandards. Aber was sind das für Lebensstandards? Das ist natürlich ein weiteres grundsätzliches Problem solcher Systeme. Wenn man das zurückbindet auf kriminologische Fragestellungen, wird diese Problematik an sich schon in der Anomietheorie aufgegriffen. Die Anomietheorie, entwickelt in den USA, besagt im Kern ja auch, dass die politische Stabilität im Großen und Ganzen solange aufrechterhalten werden kann, wie es der Mittelschicht gelingt, den Lebensstandard im Wesentlichen zu erhalten und vor allem jungen Menschen Chancen zu bieten. Probleme entstehen dann, wenn auch in der Mittelschicht anomische Zustände auftreten. Und damit, denke ich, sind auch Fragestellungen aufgeworfen, die etwas wegführen von der Kriminologie selbst und die Entwicklung sozialer Strukturen, gesellschaftlicher Zustände und so weiter betreffen. In die natürlich auch Kriminalität eingebettet ist. Etwas, das in kriminologischen Perspektiven immer auch mit enthalten ist, ist die Frage von Umwälzung und Veränderung. An welchen Punkten kommt es zu einem Zustand, in dem Menschen einfach sagen: Es reicht jetzt, wir machen nicht mehr mit. Das führt zu einer interessanten Frage, die mich seit den 1970er/80er Jahren beschäftigt hat: Unter welchen Bedingungen werden Strafnormen abgeschafft? Am MPI wurde das detailliert im Zusammenhang mit dem Schwangerschaftsabbruch bearbeitet. Was mir von damals immer noch in Erinnerung ist, ist das berühmte Stern-Coverbild „Wir haben abgetrieben“. Eine offene Ansage: Wir haben Normen verletzt – und was jetzt? Die Reaktion war interessant – passiert ist nämlich nichts. Angesprochen wird damit eine Fragestellung, zu der ich viel von Trutz von Trotha gelernt habe. Trutz hat zu diesem Punkt, nämlich Norm und Sanktion, lange gearbeitet. Was bedeuten Sanktion und Bestrafung? Die deutsche Justiz verhängt momentan, glaube ich, ca. 700.000 Kriminalstrafen pro Jahr. Trotzdem herrscht gesellschaftlich Ruhe. Ganz offensichtlich gelingt es unter bestimmten Bedingungen zu strafen, ohne dass große Aufregung entsteht. Es existieren Gefängnisse, viele Menschen werden bestraft, alle haben sich daran gewöhnt, und das Leben geht seinen gewohnten Gang. Das war und ist nicht immer so, und es ist auch nicht überall so. In Afghanistan oder Somalia sieht es ganz anders aus. Daher betreffen Sanktionen und ihre Folgen einen wichtigen Punkt: Unter welchen Bedingungen gelingt es, Strafe so erscheinen zu lassen, dass sie (jedenfalls von den meisten) als legitim akzeptiert wird und nicht als Unrecht, auf das wiederum mit Sanktionen reagiert werden muss.

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Jetzt haben wir noch zwei Schlussfragen in diesem ersten Block: Welche Bedeutung hatte die Lehre und der wissenschaftliche Nachwuchs in Deiner Arbeit? In Konstanz und in Dresden stand die Lehre natürlich im Mittelpunkt. Das waren zwischen acht und zehn Stunden die Woche, einschließlich Seminaren. Diese Last hat sich etwas reduziert am MPI in Freiburg. Dafür haben Doktorandinnen und Doktoranden natürlich eine größere Bedeutung, vor allem auch in Form der „International Max Planck Research Schools“, bekommen. Und das waren eben nicht wenige. Sehr viele Fragestellungen können nur in Form einer Dissertation bearbeitet werden, und da war ich eigentlich immer sehr gut ausgelastet. Das sieht man ja auch an der großen Zahl der Dissertationen am Institut. Und wer hat Dich wissenschaftlich geprägt? Das sind ganz unterschiedliche Personen gewesen, wobei ich jetzt nicht eindeutige Prioritäten setzen könnte. Das war auf der einen Seite natürlich Günther Kaiser. Von Kaiser habe ich das systematische Vorgehen gelernt. Also nicht nur beim ersten Literaturhinweis stehen zu bleiben, sondern ganz systematisch zu recherchieren, wer beschäftigt sich mit welchen Fragestellungen, und welche Unterschiede bestehen und wie kann man sie einordnen. Dieses systematische Vorgehen beinhaltet eine breite Suche, die Psychiatrie ebenso wie Sozialwissenschaften, Ökonomie, Strafrecht oder Politikwissenschaft einschließt. Sobald eine Publikation irgendeinen Bezug hatte zu einem meiner Themen, habe ich dies aufgegriffen. Das ist jetzt mit der Digitalisierung natürlich auch zunehmend leichter geworden. Sie hat den schnellen Zugang zu den unterschiedlichsten Zeitschriften und Zeitungen und sonstigen Quellen möglich gemacht. Von Baldo Blinkert habe ich viel gelernt im Zusammenhang mit Statistik. Er hat mir mit viel Verständnis in seinen Kursen den Zugang zu statistischen Verfahren und ihrer Interpretation leicht gemacht. Etwas, was mir sofort eingeleuchtet hat, war das Prinzip „garbage in, garbage out“: Sobald du Mist eingibst in ein Statistikprogramm, kann nur Mist herauskommen. Statistik per se macht nichts besser. Das Andere war der praktische Umgang mit den Statistikpaketen wie SPSS, die sehr viel anbieten, feinste Detailanalysen. Im Endeffekt können aber Zusammenhänge auch ganz einfach an den Grunddaten und ihren Verteilungen erkannt werden. Deshalb ist das Erste, was man machen sollte, stets der einfache Blick auf diese Grundverteilungen. Einfache Zugänge sind unter Umständen wirksamer als „very sophisticated statistics“. Und historische Figuren? Klassische Kriminologen? Kriminologinnen? Natürlich kommen noch einige weitere Personen dazu. Wie schon gesagt, Trutz von Trotha, von dem habe ich viel gelernt. Allerdings auch Popitz. Er hat viel mit kriminologischem Bezug geschrieben, und es hat mich immer überzeugt. Ebenso Spittler. Im Bereich des Strafrechts haben mich vor allem zwei Personen überzeugt (womit ich freilich niemanden aus dem Kollegenkreis ausschließen möchte). Das war zum einen Jakobs. Er hat als Einziger, denke ich, den Versuch unternommen, eine systematische und auf eine Theorie aufgebaute Dogmatik zu entwickeln. Und die Grundlage ist eine soziologische Theorie. Nach meiner Einschätzung ist sein Ansatz der

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einzige, der – vielleicht nicht in allen Einzelheiten, aber in der Gesamtperspektive – alles einigermaßen konsistent erklären oder ableiten kann. Wenn es etwa darum geht, welche Entscheidung getroffen werden soll, ob jemand schuldig oder nicht schuldig ist. Zum anderen Jescheck. Was mich an Jescheck immer beeindruckt hat: Er hat klare Vorstellungen von Strafrecht, Strafe und Kriminalpolitik. Mit diesen musste man nicht unbedingt übereinstimmen, aber sie waren sehr klar und im Endeffekt auch einfach. Und seine Sprache hat mich überzeugt. Die Sprache, in der er geschrieben hat, in seinem Lehrbuch und auch sonst, war ebenfalls immer sehr gut zu verstehen und nachvollziehbar. Was bei Jakobs übrigens anders ist; für Erst-, Zweit-, Drittsemester sind seine Texte eher schwer verständlich. Jescheck hingegen kann auch ein Erstsemester lesen und verstehen. Und er hat dadurch natürlich auch einen Zugang geschaffen. Als ich meinen Habilitationsvortrag vorbereitet habe, musste ich mich mit einem Strafrechtsthema auseinandersetzen. Es ging um den Verbotsirrtum. Das hat mir auf der einen Seite Spaß gemacht, auf der anderen Seite bin ich an einem bestimmten Punkt nicht weitergekommen; irgendwas passte am Ende immer nicht zusammen. In meiner Verzweiflung habe ich Jescheck um Rat gefragt. Seine einfache Antwort war: „Denken Sie nicht mehr drüber nach, machen Sie an diesem Punkt einfach Schluss!“ Und das war dann auch in Ordnung. Teil 2: Entwicklung der Kriminologie Das leitet jetzt über zum zweiten Themenblock zur Entwicklung der Kriminologie in Deutschland und weltweit. Was waren bahnbrechende Entwicklungen in Deiner Zeit, theoretisch, inhaltlich, methodisch? Theoretisch am wichtigsten war, denke ich, die Entwicklung des Konzepts informeller Sozialkontrolle und damit im Zusammenhang auch die Selbstkontrolle. Das ist ein Ansatz, der auf der einen Seite die unmittelbare Nachbarschaft wie auch größere soziale Strukturen und einzelne Personen zusammenfassen lässt. Auf der anderen Seite enthält die Selbstkontrollüberlegung zusammen mit der informellen Sozialkontrolle natürlich auch eine Verbindung zwischen psychologischen Konzepten, psychoanalytischen Konzepten und soziologischen Ansätzen. Darüber kann man ferner auch normative Konzepte legen, denn diese Vorstellung von Selbstkontrolle ist darauf ausgerichtet, wie sich Vorstellungen über sich selbst entwickeln und welche Bedeutung dieses Selbst auf der Entscheidungsebene bekommt. Dafür sind natürlich informelle Systeme verantwortlich, Eltern, Nachbarschaft, Schule, usw., alles wichtige Sozialisationsinstanzen, die die Menschen in der Entwicklung, im Großwerden, begleiten. Und das führt letztlich auch dazu, dass die eigentlich interessanten Fragen darin bestehen, wie man es schafft, Menschen ein Selbstbild zu vermitteln, das ihnen ermöglicht Entscheidungen, und zwar möglichst die richtigen Entscheidungen, zu treffen. Dazu gab es in den letzten zwanzig, dreißig Jahren auch ganz interessante Entwicklungen in der Verhaltensökonomie wie auch in der Psychologie, die darauf ausgerichtet sind festzustellen, an welchem Punkt ein Mensch sagt, „Das mache ich nicht, weil das nicht zu mir passt. Das kann ich mit meiner Vorstellung von mir selbst

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nicht vereinbaren“. Und die Frage, wie das mit dem Lernverhalten und deviantem Verhalten zusammenhängt, ist natürlich deshalb so interessant, weil Menschen dazu fähig sind, normative Forderungen mit diesem Selbst zusammenzubringen. In dem System steckt natürlich auch eine gewisse Elastizität, sodass die individuelle Entscheidung auch lauten kann: „Naja, wenn ich das jetzt mache, dann ist das an sich doch nicht so schlimm.“ Es geht in dem Bereich also auch um Rechtfertigungssysteme. Und Rechtfertigungsmöglichkeiten sind offensichtlich dann leichter verfügbar, wenn Normen oder darin enthaltene Begriffe elastisch sind. Steuerhinterziehung oder Trunkenheitsfahrten sind gute Beispiele. Niemand hat ein Alkoholmessgerät bei sich, und wenn jemand zwei oder drei Biere trinkt, sind es vielleicht doch nicht ganz 0,5 Promille, sondern nur 0,49. Das können wir in einem Personenkreis finden, der niemals volltrunken fahren würde. Oder wenn es um Steuerhinterziehung geht oder Versicherungsangelegenheiten oder Mogeln in anderen Kontexten. Ich denke, die Ansätze in diesem Bereich sollten weiterentwickelt werden, weil sie gerade im Zusammenhang mit der Selbstkontrolle Bedeutung haben und uns im Übrigen auch Auskunft geben über unsere Vorstellungen von Normen oder wie Normen beschaffen sein sollten. In dem Konzept der informellen Sozialkontrolle sehe ich noch einiges an Entwicklungspotenzial. Fragen, die noch nicht sonderlich gut untersucht sind, betreffen etwa die Auswirkungen stabiler Nachbarschaften. Oder die Frage, wie sich überhaupt so etwas wie eine funktionierende informelle Sozialkontrolle herstellen lässt unter den Bedingungen der Postmoderne, die ja offensichtlich, wenn ich das richtig sehe, mit einem kalkulierenden Menschen verbunden wird. Moderne heißt ja, dass Freiheitsgrade erhöht werden. Ich muss nicht mehr auf vieles Rücksicht nehmen; was meine Nachbarn sagen, ist mir im Prinzip egal, in der Kirche bin ich sowieso nicht, und Vereine sind mir auch egal, außer vielleicht der Schützenverein. Menschen können also kalkulieren, weil das, was die anderen sagen, nicht mehr von großer Bedeutung ist. Dadurch ergeben sich natürlich Veränderungen in den Bedingungen informeller Sozialkontrolle wie auch für Selbstbilder. Wobei ich grundsätzlich davon ausgehe, dass dieser kalkulierende Mensch der Mensch der Zukunft sein wird – obwohl es diesen Menschentypen auch schon in der Vergangenheit gab. Dieser ist nicht mehr sonderlich an Normen orientiert, sondern einfach an der Frage, welche Vorteile habe ich von irgendeiner Entscheidung. Und das stimmt auch mit den meisten Postmodernitätsüberlegungen überein, die davon ausgehen, dass Rücksichtnahme nicht mehr existiere. Aber das stimmt nicht unbedingt. Menschen kalkulieren heute, denke ich, genauso viel oder genauso wenig wie vor dreißig, vierzig, fünfzig Jahren. Wie das zusammenpasst, dahinter bin ich auch noch nicht gekommen. Welche Relevanz hat die deutsche Kriminologie in Europa und weltweit? Das ist schwer zu beantworten. Die Kriminologie als Forschung zu Fragen von Devianz, Kriminalität, soziale Kontrolle, Strafrecht und so weiter hat sich nach meinem Eindruck sehr ungleichmäßig entwickelt. Bis in das 20. Jahrhundert hinein lagen die Schwerpunkte in Nordamerika, England, Skandinavien und dann in den Niederlanden, Deutschland und Frankreich. Seitdem hat sich etwas verändert; es gibt jetzt auch entsprechende Ansätze – „Kriminologien“ – in Osteuropa, China, Japan, Südamerika

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sowie Afrika, insbesondere in Südafrika. Trotzdem sehe ich den Schwerpunkt nach wie vor in den eingangs genannten „klassischen“ Kriminologie-Regionen. Speziell Deutschland hat hier jedenfalls bis in die 1950er/60er Jahre, bezogen auf eine ätiologische Kriminologie, eine große Rolle gespielt. Das hat sich in den letzten zwanzig, dreißig Jahren in vielerlei Hinsicht dadurch verändert, dass in Deutschland die Kriminologie nie eine institutionelle Verankerung erfahren hat. Kriminologie ist im Wesentlichen an die rechtswissenschaftlichen Fakultäten angehängt und hat dadurch natürlich ein gewisses Handicap zu tragen, das darin besteht, dass die juristischen Fakultäten sich im Wesentlichen ihrer Hauptaufgabe widmen, nämlich Juristinnen und Juristen auszubilden. Kriminologie war, wenn man so will, spätestens seit den 1980er Jahren, nachdem die Reform- und Integrationsüberlegungen vollkommen zerflossen sind, nur noch ein Anhängsel. Das konnte man zwar ganz gut integrieren durch die Schaffung der Schwerpunktbereiche mit ihrer Kombination von Strafrecht, Strafverfahrensrecht, Strafvollzug und Kriminologie. Sie hat aber keine selbstständige Rolle mehr gespielt. Und auf der anderen Seite hat sich die Kriminologie als Fragestellung und als Schwerpunktfach in der Soziologie und Psychologie nicht etablieren können. Der Unterschied zu den Niederlanden, England, USA, Kanada, Australien, Südafrika und vielen anderen Ländern liegt somit darin, dass dort Criminology ein selbstständiges Fach darstellt, mit Prüfungen und Examen und entsprechenden Berufswegen. Diese Stellung hat sie hier eben nicht. Und die Entwicklungen der letzten fünfzehn Jahren deuten darauf hin, dass die Bedeutung sowohl in der Psychologie als auch der Soziologie und in der Rechtswissenschaft kontinuierlich weiter zurückgefahren wird. Das wird deutlich an dem Abbau der Lehrstühle für Kriminologie. Neben den kriminologischen Instituten bzw. Lehrstühlen für Strafrecht und Kriminologie, deren Bestand im Kern noch vorhanden ist, hat sich eine Verselbstständigung ergeben. Wir haben heute nicht mehr als zwei oder drei Masterstudiengänge in Bochum, Hamburg und Greifswald. Und was große Forschungszentren angeht, so gibt es außer dem MPI in Freiburg, dem KFN in Hannover und der Kriminologischen Zentralstelle in Wiesbaden nicht mehr viel. Diese strukturelle Schwäche hast Du ja dann vor einigen Jahren aufgegriffen mit dem Freiburger Memorandum. Hat das irgendwas bewirkt? Ja, das war an sich ganz interessant. Es ist damals auf großes Interesse gestoßen, und zwar vor allem aus dem Bereich der Universitäten, aber auch von Seiten der Polizeihochschulen, bei denen das Interesse an Kriminologie heute sehr deutlich ausgeprägt ist. Inzwischen habe ich sogar den Eindruck, dass Kriminologie dort eine sehr viel zentralere Bedeutung hat als an Universitäten. Aber insgesamt kann ich mir derzeit nicht vorstellen, dass der Aufruf tatsächlich zu einer substanziellen Stärkung der Kriminologie führen wird. Und wie verortest Du das ,alte‘ und das ,neue‘ MPI mit Blick in die Vergangenheit und in die Zukunft? Das MPI hat, denke ich, neben dem KFN nach wie vor das größte Potenzial im deutschsprachigen Bereich. Das galt in der Vergangenheit und das wird sicher

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auch in der Zukunft so sein; unabhängig davon, wie sich die Forschungsschwerpunkte verändert haben und weiter entwickeln werden. Das hängt zu einem Gutteil mit den vorhandenen Ressourcen zusammen, die, ähnlich wie in Hannover, so groß sind, dass ich hier keinen Bedeutungsverlust erwarte. Als Ulrich Sieber und ich das Strategiepapier an die Sektion zur Weiterführung des Instituts auch nach unserer Emeritierung verfasst haben, hatten wir keine konkreten Vorstellungen zu dem künftigen Forschungsprogramm. Ich bin jedenfalls optimistisch für die Zukunft, weil ich neben einigen der langjährigen Forscherinnen und Forschern, die geblieben sind, auch eine Reihe von jüngeren Leuten im Institut sehe, die, meine ich, das Potenzial haben in den nächsten zehn, zwanzig Jahren hier Projekte durchzuführen und Forschungsansätze zu verfolgen, die für die Fortführung der Kriminologie von Bedeutung sind. Gibt es neue Herausforderungen für eine zeitgemäße Kriminologie? Muss sie eventuell auch politischer werden? Da habe ich meine Zweifel. Kriminologie sollte eher zurückhaltend agieren. Inhaltlich hat mich der Zusammenhang zwischen Politik und Kriminologie aber immer sehr interessiert. Als ich als Mitarbeiter bei Kaiser hier angefangen habe – [schmunzelt] das ist schon lange her – hat er mich gleich zu Beginn auf eine deutsch-amerikanische Tagung in Berlin geschickt – wahrscheinlich wegen der englischen Sprache. Es war meine erste Teilnahme an einer solchen Veranstaltung, bei der sehr bekannte Leute vorgetragen haben. Es ging um das Verhältnis von Politik und Wissenschaft und die Frage, ob Wissenschaft auf Politik Einfluss nehmen kann, Einfluss nehmen soll. In bestimmten Fällen habe ich mich zu Politikberatung durchgerungen. Ich sehe sie aber vor allem deshalb als problematisch an, weil die Fragen, die Politiker häufig stellen – soll man Sanktionen verschärfen, welchen Einfluss, welche Wirkungen haben bestimmte Strafrechtsreformen etc. –, und die Antworten, die sie in der Regel erwarten, nicht befriedigend behandelt werden können. Es gibt schlicht keine Möglichkeit im Detail tatsächlich nachzuweisen, wie und in welchem Umfang Sanktionen Effekte haben. Und von daher ist es, denke ich, auch nicht sonderlich überzeugend, etwa Empfehlungen zu bestimmten Strafen abzugeben. Das sind Entscheidungen, die müssen am Ende des Tages Parlamente und dann Gerichte treffen. Ich kann dem Gesetzgeber als Wissenschaftler nur sagen, der erwünschte Effekt wird mutmaßlich nicht sichtbar sein oder so klein ausfallen, dass er jedenfalls zum Einsatz in politischen Prozessen kaum taugt. Wissenschaft und Forschung sollten daher eher zurückhaltend argumentieren. Das Trauerspiel um die Rolle der Virologen und Virologinnen in der Politik- und Öffentlichkeits-Beratung rund um die Corona-Pandemie spricht in dieser Hinsicht ja auch Bände. In Erinnerung bleiben wird mir auch immer eine Veranstaltung der Humboldt-Stiftung in Bamberg zu Strafrecht und Kriminalitätsentwicklungen. Es war zu Beginn der 2000er Jahre, und damals war der allgemeine Rückgang der Kriminalität schon abzusehen. Ich habe den Eingangsvortrag zu diesem Thema gehalten und die vorgestellten Daten und Argumente zum Rückgang der Kriminalität begründet

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und belegt. In der anschließenden Diskussionsrunde gab es dann Stellungnahmen unter anderem von Politikern, darunter auch ein oder zwei Bundestagsabgeordnete. Und die beharrten darauf: „Die Kriminalität nimmt zu“. Ich dachte, ich höre nicht richtig. Ähnliches habe ich Ende der 1990er Jahre bei einer Diskussionsveranstaltung im bayerischen Fernsehen erlebt, als ich erläutert habe, dass Sexualmorde an Kindern zurückgehen, und zwar seit vier Jahrzehnten und recht deutlich. Da entgegnet mir doch ein Politiker, das sei ihm egal, selbst ein Fall sei zu viel. Wozu braucht man dann noch Daten? Ein solcher Ansatz ist auf der einen Seite verständlich. Wenn ich mit Betroffenen rede, die ihr Kind verloren haben, würde ich selbst auch nicht sagen: Beruhigen Sie sich, das ist ein tragischer Einzelfall gewesen. Was ich kritisiere, ist die dahinterstehende Attitüde. Diesen Eliminierungsfantasien begegnet man auch in der Drogenpolitik, in Kreisen, die immer neue Pläne zur Beseitigung von Drogen kreieren. Ich weiß nicht, wie es kommt, dass gestandene Menschen ernsthaft davon ausgehen, in einer Großstadt würde sich die Verfügbarkeit von Drogen – vielleicht wie im Fünfjahresplan auf Befehl des Zentralkomitees – reduzieren lassen. Ein ähnliches Muster sehe ich leider auch in der Istanbul-Konvention. Auch sie ist vor dem Hintergrund einer solchen Geisteshaltung entstanden: „Wir schaffen die Gewalt gegen Frauen ab“. Ganz abgesehen davon, dass andere Formen von Gewalt anscheinend auf weniger Interesse stoßen – das sind im Grunde totalitäre Vorstellungen, und ich frage mich seitdem, wie es zu einer Entwicklung kommen konnte, die Menschenrechte für die Ausweitung von Strafrecht und Strafrechtsverschärfungen in Anspruch nimmt. Letzte Frage in diesem Block: Wo wird die Kriminologie in 50 Jahren stehen? Oder wo könnte sie idealerweise stehen? Also ich denke, dass die Kriminologie, so wie sie heute in Westeuropa und anderen Regionen aufgestellt ist, auch in fünfzig Jahren noch existieren wird. Denn der Bedarf, insbesondere der Bedarf an entsprechenden Daten und Erklärungen, wird bleiben. Das sehen wir gerade auch hier in Deutschland selbst, wo jetzt ebenfalls regelmäßige Victim Surveys durchgeführt werden sollen. Es wird zunehmende Möglichkeiten geben, Daten auszuwerten und vor allem auch langfristig über Längsschnitte hinweg Daten zu sammeln, die dann auch für die Politik an irgendeinem Punkt wieder sinnvoll genutzt werden können. Was mich ehrlich gesagt wundert und auch immer wieder beschäftigt, ist die Frage, warum niemand in der Politik diesen drastischen Kriminalitätsrückgang für sich in Anspruch nimmt. Autodiebstähle, Einbrüche haben sich praktisch pulverisiert, verglichen mit der Situation in den 1980er und 90er Jahren. Die Reduzierung bei Tötungsdelikten, schweren Gewaltdelikten, schweren Eigentumsdelikten bedeutet eigentlich eine Entwicklung, die so dramatisch ist, dass man irgendeine politische Reaktion erwarten würde. Ähnliches sehen wir bei den Gefangenenraten. In den Justizvollzugsanstalten hat sich die Belegung bundesweit in den letzten zwanzig Jahren deutlich reduziert. Lehrreich ist hier Hamburg, wo der Rechnungshof 2009 den signifikanten Rückgang der Gefangenenzahlen aufgegriffen und eine deutliche Reduzierung bei Gefängnispersonal und Haftplätzen verlangt hat.

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Teil 3: Zur Person Abschließend haben wir noch einen kurzen Block zur Person. Wenn Du zurückschaust wie Du aufgewachsen bist: Kindheit, Elternhaus – war Dir da irgendwas in die Wiege gelegt? Das Interesse für Kriminalität, forscherische Neugier? Das Einzige, womit ich sehr früh und auch sehr beständig angefangen habe: Lesen. Kindgerechte Literatur natürlich, Lesen war mir sehr viel lieber als Spazierengehen. Im Alter von acht, neun, zehn, elf Jahren habe ich sämtliche Karl May-Bände gelesen. Ich habe heute noch alle Bände – die müssten im Übrigen alle umgeschrieben werden, eingedenk vieler problematischer Begriffe. Gibt es irgendwelche Erfahrungen, die Dich in der Kindheit und Jugendzeit geprägt haben? Ich hatte eigentlich eine unbelastete Kindheit und Jugend. Ich komme ja aus einer protestantischen Gegend, da war in jeder Hinsicht alles sehr homogen. Katholiken gab es nicht, allenfalls ein paar vereinzelte. Und Ausländer sowieso nicht. In der Klasse gab es vielleicht einmal einen Flüchtling, und der kam aus Ostpreußen [lacht]. Aber er hat sich gut integriert. In dieser protestantischen Ecke wurde natürlich auch nicht Fasching gefeiert. Rosenmontag als gesellschaftliches Ereignis habe ich erstmals erlebt, als ich zum Studium nach Freiburg kam. Mit Blick auf dieses kulturelle Umfeld ist die nächste Frage umso interessanter. Wenn wir an die berühmte Ubiquitätsthese denken: Erinnerst Du Dich an irgendwelche eigenen Jugendverfehlungen? Gab es das überhaupt? Aber ja, selbstverständlich, das ist freilich immer zeitabhängig. An körperliche Auseinandersetzungen kann ich mich durchaus erinnern, im Rahmen dessen, was vor, in oder nach der Schule üblicherweise stattfinden kann. Aber nichts von großer Bedeutung. Nach 1968 kam dann auch Haschisch. Das war damals aber noch keine große Geschichte. Die Problematisierung der Drogen hatte damals erst begonnen. Am Anfang lag der Strafrahmen für Drogendelikte bei maximal drei Jahren. Hier hat sich seither vieles verändert. Was wäre denn damals ein typisches niederschwelliges Alltagsdelikt gewesen, vergleichbar mit den heute verbreiteten illegalen Downloads? Das sind völlig neue Entwicklungen, die mit technologischen und auch kulturellen Veränderungen in Zusammenhang stehen. Heute sitzen junge Menschen viel mehr vor dem Bildschirm und überlegen, wie sie sich die neuesten Filme oder Musiktitel beschaffen können. Früher gab es dagegen viel mehr Gelegenheiten und Anlässe, auf der Straße Dummheiten zu begehen. Du hast gerade schon ein weiteres wichtiges Stichwort angesprochen: 1968. Wie hast Du denn diese Zeit erlebt? Ach [lacht], das war an sich ganz angenehm. Es gab in dieser Zeit tatsächlich große Umwälzungen, die zu weitreichenden Reformen geführt haben. Die klassische Uni-

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versität ist damals untergegangen. Das hat etwa zu einem grundlegenden Umbau in der Zusammensetzung der Gremien geführt. Die bis dahin üblichen universitären Festlichkeiten mit Talaren und so weiter waren spätestens 1969 weitgehend verschwunden. Diese Entwicklung ging sehr schnell, auch deshalb, weil der Protest so vehement war, dass sich keiner der alten Ordinarien mehr getraut hat, zu einer Vollversammlung in einer bis dahin akzeptierten Kleidung zu erscheinen. Ich kann mich gut erinnern, dass in Tübingen noch einige Professoren in Amt und Würden waren, die mit der NS-Ideologie verbandelt waren. Das Gleiche ereignete sich natürlich auch hier in Freiburg, wo es ebenfalls immer wieder zu Demonstrationen und Auseinandersetzungen an der Universität kam. Das setzte sich praktisch die ganzen 1970er Jahre hindurch fort, obwohl die konservative Grunderscheinungsform der Universitäten wie gesagt relativ schnell verschwunden war. In einigen anderen Ländern wie etwa in Frankreich existieren traditionelle Rituale bei Prüfungen oder festlichen Anlässen überraschenderweise ja fort. Dagegen haben sich die Universitäten in Deutschland in dieser Hinsicht relativ schnell umgestellt. Das hat wahrscheinlich auch damit zu tun, dass 1969 die sozialliberale Koalition zustande kam und eine allgemeine politische Reformära eingeläutet hat. Wie kam es denn überhaupt zu dem Wechsel von Tübingen nach Freiburg während Deines Studiums? Nach Tübingen bin ich ursprünglich gegangen, weil es nicht weit weg von meiner Heimatstadt Esslingen lag. Ich bin zwar nach Tübingen umgezogen, bin aber noch häufig nach Esslingen gefahren, etwa zum Tennisspielen. Die Entscheidung, nach Freiburg zu wechseln, wurde in meinem Kommilitonenkreis geboren. In der Gruppe haben einige überlegt, ob sie nicht nach Freiburg gehen sollten. Die Idee hat mir gleich gefallen. Es lag etwas weiter weg, und Tübingen war doch ziemlich klein und auch nicht so attraktiv. In Freiburg hat es mir dann von Anfang an gut gefallen. Auf alten MPI-Fotos kann man sehen, dass es in Deinem Leben auch verschiedene Mobilitätsphasen gab. Es gab erst eine Motorrad- und später eine Porsche-Phase. War das auch mit Lebensphasen verbunden? Ja, ich bin gerne Motorrad gefahren. Ich habe auch zweimal einen Porsche gekauft. Das waren schöne Autos, mit denen ich gerne gefahren bin. Aber irgendwann war mein Bedarf am Autofahren und mein Interesse an Autos dann am Nullpunkt. Ich fahre jetzt nur noch in die Stadt und manchmal zum Flughafen. Wie sehen Deine Pläne für die Zukunft aus? Wirst Du weiterhin reisen und Dich mit Kriminologie befassen? Also ich werde jetzt zunächst noch einige Vorhaben und nachlaufende Dissertationsbeurteilungen aus der MPI-Ära abschließen. Anschließend stehen einige neue Projekte in Südamerika an. Wenn die Grenzen wieder offen sind, werde ich auch einige Aktivitäten in China wieder aufnehmen. Ich fühle mich also voll ausgelastet.

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Würdest Du im Rückblick etwas anders machen? Wenn ich in der gleichen Situation wäre, eigentlich nicht. Was mir immer wichtig war, war ein hohes Maß an beruflicher Freiheit. Deshalb war für mich immer klar, dass Richter oder Staatsanwalt oder irgendeine bürokratische Tätigkeit nicht in Frage kommt. Auch als Rechtsanwalt hätte ich mich nicht wohlgefühlt, auch wenn man in diesem Beruf viel Geld verdienen kann. Lesen und Schreiben – das hat mich immer am meisten interessiert. Das ist doch ein schöner Schluss. Vielen Dank für das Gespräch.

Exploring the World of Crime and Criminology An Interview with Hans-Jörg Albrecht Hans-Jörg Albrecht was born in 1950 in the southern German city of Esslingen. He studied law and sociology at the University of Tübingen and subsequently at the University of Freiburg, where he received his doctorate in 1976. Between 1977 and 1991, Hans-Jörg Albrecht worked as a research fellow at the Max Planck Institute for Foreign and International Criminal Law in Freiburg. In 1991, he completed his habilitation in Freiburg on the topic of comparative sentencing practices in cases of serious crime and received the venia legendi for criminal law, juvenile criminal law, prison law, and criminology. In 1991, he was offered a professorship for criminal law and criminology at the University of Konstanz. Two years later, Hans-Jörg Albrecht assumed the Chair for Criminal Law, Juvenile Criminal Law, Prison Law, and Criminology at the Technical University of Dresden, which he held until the end of the winter semester 1996/97. Hans-Jörg Albrecht’s return to Freiburg and the Max Planck Society was prompted by his appointment as director at the Max Planck Institute for Foreign and International Criminal Law in November 1995. In this new role, he was to head the Institute’s Department of Criminology and also join the University of Freiburg Law Faculty as an honorary professor. A few years later he was awarded the status of guest professor at the Institute for Criminal Law at the China University of Political Science and Law, Beijing, China (2000), at the University of Hainan, China (2001), and the Faculty of Law at Renmin University, China (2004). In 2003, he was bestowed the honor of a life membership at Clare Hall College, University of Cambridge, United Kingdom, and in 2004 he accepted a professorship and received permanent faculty membership at the Law Faculty of the Qom Higher Education Center, University of Tehran, Iran. In 2005, he was awarded an honorary doctorate from the Faculty of Law of the University of Pécs, Hungary, followed by a guest professorship at the Faculty of Law of Wuhan University, China (also in 2005), at Beijing Normal University, China (2006), and, once again, at China University of Political Science and Law, Beijing, China (2008). In 2010, he was appointed as an honorary member of the Hungarian Society of Criminology in recognition of his activities in the development of criminology and criminal policy in Hungary. In 2010, he was made an honorary member of the Serbian Society of Criminology. In 2012, he was awarded an honorary doctor at Grigol Robakidze University in Tbilisi, Georgia. During the 2013 International Crime & Punishment Film Festival in Istanbul, Turkey, he received the festival’s Academic Honor Award for his lifetime contribution to criminological research on children and youths. That same year he also accepted an honorary professorship at Maria

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Curie-Skłodowska University in Lublin, Poland, followed by honorary doctorates from the Law Enforcement University in Ulaanbaatar, Mongolia (2016) and the Technical University in Tbilisi, Georgia (2017). For his contribution to Sino-German academic cooperation and education, Hans-Jörg Albrecht received the 2016 International Educator in China Award (presented by the State Administration of Foreign Experts Affairs (SAFEA)), and in 2017, the Carlos Lloyd Braga Chair at the University of Minho, Portugal. Since February 2018, Hans-Jörg Albrecht has held the position of director emeritus at the Max Planck Institute in Freiburg, which under its new directorship has since been re-aligned and renamed the Max Planck Institute for the Study of Crime, Security and Law.

A Personal Retrospective (in Three Parts)1 Part 1: Academic Career Hans-Jörg, you studied both law and sociology at university. From today’s perspective, how would you describe the relationship between the two disciplines for your career? Was one of the disciplines more important or was it crucial for you to have a strong command of both? To be honest, I think that it was important to have a strong command of both. These disciplines offer very different perspectives that are sometimes difficult to reconcile. On the one hand, there is the normative perspective, which is essentially geared towards discourse and the question of what is right and what is not right: so-called wrongs. On the other hand, there is the social science perspective, which naturally aims to observe and understand relationships. This perspective incorporates clear points of contact between the two disciplines: after all, legal norms form the starting points for a sociology of criminal law or a sociology of deviant behavior. This close connection was emphasized in Germany during the 1970s and consequently led to ideas from the social sciences being introduced more strongly into the law. Approaches at the universities of Bremen and Hamburg are of particular note in this regard, and of course also the work conducted here at the Max Planck Institute (MPI) in Freiburg. This eventually resulted in the creation of something that I think has lost none of its importance today, namely the integration of the two different perspectives. This integration has contributed to the fact that norms are seen for what they actually are: something that is socially produced and represents a social phenomenon that can be explained – and also has to be explained – in terms of origin, application practices, and consequences. In order to be able to grasp the interlinking nature of legal and 1 Personal interview with Hans-Jörg Albrecht, conducted in August 2020 by Gunda Wössner and Michael Kilchling. Translated into English by Christopher Murphy and Sarah Schreier.

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sociological questions, it is equally necessary that both social science theories and methods as well as normative approaches be considered. That brings us to our next question, which was originally about how you would weigh the importance of theory and empiricism in criminology. Well, I guess now we actually have to consider normativity as a further aspect of this equation. Perhaps in addition: Can one only be a theorist – that is, conduct research without an empirical foundation? That’s absolutely possible and Freiburg criminology is indeed a pretty good example of this. On the one hand, we have a university law faculty with a clear criminal law perspective that has always had a strong theoretical orientation; on the other hand, we have a sociological institute, which in the tradition of Popitz and Dux, has traditionally been less oriented towards quantitative empirical research: this remains the case to this day. The focus there is on qualitative approaches that are less geared towards systematic data collection. Quantitative research is much more likely to be based at the MPI, which, at least with its original research concept, incorporates the other traditions. And where do you place yourself on the quantitative-qualitative spectrum? I see myself more as an advocate of the quantitative approach, because I think, at least initially, that this approach enables a reasonably realistic classification of what is happening in the relevant field of observation. Of course, qualitative approaches are also important, especially when it comes to questions of how actors understand situations, why they act, and so on: this is less easy to assess quantitatively. And these qualitative approaches become all the more important for understanding situations or phenomena in which quantity does not play a role, such as in certain areas of organized crime or international terrorism (i. e., the so-called Islamic State). As an example, the activities of the Islamic State can of course also be partially chronicled from a quantitative perspective, but the organization’s origin, development, and – under certain circumstances – further continuation can only be understood with the aid of qualitative data. In essence, the issue is about understanding and classification. When did you actually start conducting research and what led you to continue down this path as a lawyer and sociologist? That’s a bit of a tricky question and, funnily enough, one that I asked myself a few years ago in a contribution to John Winterdyk’s anthology on “Lessons from International/Comparative Criminology/Criminal Justice.” In this work, criminologists were asked to explain why they turned to the study of criminology. In my case this way was a relatively simple development because my approach to law was not characterized by a great deal of empathy: my decision to study law was of a very pragmatic nature and had a lot to do with the fact that I didn’t know what I should do after graduating from high school. Upon graduating I went to a career counseling service in Esslingen and, after completing a test and several evaluation forms, the career counselor could apparently not identify a clear preference and said, with a

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slight shake of the head, “The best thing for you is to study law. That will leave the most options available.” So, I actually took this advice as an opportunity to study law. While my law studies did not cause me much trouble per se, if I am honest, I found the subject matter fairly boring and, at least back then, unappealing. Moreover, I couldn’t see myself in any of the traditional job profiles that one associates with a law degree: judge, public prosecutor, administrative official, or lawyer. This of course influenced my decision to continue my studies in sociology. This was promoted by the fact that after the first state examination, I received an offer from Günter Kaiser to work at the MPI. This enabled me to meld both disciplines nicely. The questions that were being dealt with here at the time were all new and interesting, including studies on unreported crime (such as the Emmendingen Youth Survey) and assessments of the role of the public prosecutor in criminal social control. It was during this time that I also delved into sociological perspectives on the topic of deviance. On the one hand there was Trutz von Trotha, whose approach has always struck a chord with me; on the other hand there was Baldo Blinkert, who was tremendously important for my methodical training (introduction to SPSS, statistics, etc.). Ultimately, this experience in Freiburg led me to continue down the path of criminology. You spent the majority of your career at the MPI. Nevertheless, how significant were the two intermediate stops along the way at the universities in Konstanz and Dresden? Oh, the time in Konstanz was heavily influenced by criminal law. Well, actually, in both Konstanz and Dresden I lectured on criminal law. In addition, I held the state examinations (something I continued to do in Freiburg until last year). To begin with, I really enjoyed this new challenge as it was something new. I had to set up a series of lectures and try to convey my knowledge and understanding. But after two or three years I got a bit bored of it. While I understand legal doctrine, I could never really get excited about it. Sometimes I even tried to write about it, and on occasion I have actually succeeded. Your time in Dresden was during a period of great change and upheaval. What was different when compared to West German universities? As far as the legal training and teaching itself, there was no difference at all. When I came to Dresden in 1993, the bulk of the administrative changes had already occurred. Knut Amelung and Günter Heine were also still in Dresden at that time. In fact, the whole teaching body of the law faculty was imported from the West, as occurred in all the universities of the former East Germany. As such, there weren’t any major differences to write home about. How was the cooperation with the students? Dresden has always been popular. The students were young people, I never had problems with them and they never had problems with me. The state of the university buildings was a different matter as they were undergoing extensive renovation work. The old lecture halls were very slowly being modernized and refurbished,

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which made lecturing somewhat difficult. That said, I really liked the university and the city. It was three and a half or four years that I spent there in total. However, I never gave up my primary residence here in Freiburg, in particular because it had become clear that I would take the position of director at the MPI as the successor to Günther Kaiser. In retrospect, which areas of research particularly interested you during in the past? During my time in Konstanz, I began to research informal economies, with a particular emphasis on drug markets. This research was partly in cooperation with several French colleagues and eventually gave rise to the Laboratoire Européen Associé (LEA), which ran for twelve years. In addition, English criminologists were also interested in the subject, which led to myself and Joanna Shapland editing a book. This tri-national involvement was in itself a relatively rare constellation, and the result was a very good project on underground economies in several large cities. In fact, this topic has continued to interest me throughout my career as an active researcher. Drugs still interest me today: not as a substance, but as an object of investigation [laughs]. What are some of the key insights you have gained over the course of your academic career? One central insight established early on is that criminal law and criminal justice are of great importance as control systems. On the one hand, they help shape societies. On the other hand, I have not been able to identify any field or area in which the establishment of criminal law or its more harsh or lenient application has had any significant consequences. There is a certain contradiction in this that is difficult to resolve. I would not propose abolishing criminal law because this would presumably result in consequences that are not particularly desirable. Yet my conclusion for the further development of criminal policy and criminal law would be that punishment should be used very cautiously as an instrument of social control. Because – and this can of course also be seen from comparative approaches – regardless of how many people go to prison or how long they stay in prison, what can be observed is that actual levels of crime in society do not differ that much. This is particularly clear concerning informal economies: when people want drugs, or weapons, or anything else for that matter, this demand will be met. It’s purely a matter of price. That is why drug policy is a particularly interesting field, because you can see and observe that nothing has really changed over the last six decades since the Single Convention on Narcotic Drugs of 1961. Drug prices have remained relatively stable, and cocaine is even cheaper today than it was twenty or thirty years ago. What has changed, of course, is the composition of the prison population. Something else that has also been on my mind in recent years is immigration and crime, specifically the social control role of the criminal justice system. There is no indication that immigration results in an additional burden in terms of crime: an increasing number of studies in many Western countries have further cemented this finding. However, that is only one side of the equation. For on the other side it can be seen that in prisons – regardless of whether they are in France, England, Germany, or the Netherlands – a considerable number of those imprisoned

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are either foreigners or have a migrant background. The prison system has thus become ethnicized in a way that makes one wonder why. Obviously, the composition of those groups that are socially marginalized has changed. What is interesting is that in the USA this has not occurred and, even if Donald Trump claims otherwise, the country’s prisons are not full of immigrants. Most immigrants to the USA, particularly those from Latin America and Asia, are interested in social advancement and want to earn money and live in dignity. Therefore, one sees a different composition of the prison inmates in the USA, which incidentally is also due to criminal policy decisions. In US prisons, African-Americans are overrepresented, not immigrants. What can be witnessed (and this is a field in which changes can be observed) is that in Europe there is an increasing concentration of prison inmates with a migrant background, especially immigrants from Turkey or North African as well as Arab countries. I think such changes should play a role in future criminological research, for example by investigating the effects that immigration and ethnic and/or religious heterogenization – today we say cultural diversity – have on criminal justice systems. In terms of your research projects over the years, what have your biggest successes and failures been? I would say that a major success has been that almost all of the researchers who have worked on and developed projects here at the MPI have completed their projects in a splendid manner. You can clearly see this in the many publications and book series of the MPI. As director emeritus, I am also a bit proud to say that in many cases the projects conducted during my directorship were very complex and innovative and resulted in considerable added value to the broader community. It is impossible to list all the projects and all the people from over the years, but I am thinking above all of the projects that emerged from the Franco-German network, the youth surveys, the research on informal economies in various countries, the work on cross-border police cooperation, and not least the longitudinal studies and the social therapy projects, including the only noteworthy experimental study to have thus far taken place in a German-speaking country. In addition, several justice-related investigations formed an important component of the research conducted at the MPI, including pioneering comparative studies on sentencing. Furthermore, the investigations into new forms of sanctions and covert investigative measures – information sharing, electronic surveillance, telecommunication surveillance, traffic data queries, data retention laws, and dragnet policing – were really well done. It was also always important to me to properly archive and organize data records in such a way that they can be returned to if required. What could perhaps have been expanded and further developed would be the use of replication studies. In individual cases this did occur successfully, as in the investigation of enforcement practices concerning environmental and regulatory offenses, where a replication of the first empirical study from the 1980s was conducted more than twenty years later. Incidentally, the longitudinal Freiburg Cohort Study, which began under Günther Kaiser and whose database and analysis potential has continued to grow, remains unique to this day.

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Were there any unpleasant or stressful aspects of being a director? Here, too, I can say that overall, I am lucky that there were only a few problems along the way. This was largely due to my employees. Looking back on the almost twentythree years since 1997, there is one thing in particular that bothers me, but perhaps it could not have been completely avoided. It is the projects that were started but not finished. This applies to individuals whom I judged to be very capable and who probably are indeed very capable, but for one reason or another did not complete the project. Incidentally, this means that for some projects I still have obligations that have yet to be discharged. What about the Max Planck Society (MPG)? Were there any additional obligations that had nothing to do with research in the narrow sense? Yes, what I certainly considered to be stressful was the balancing act between the university and the MPG. Within the MPG, a considerable amount of time is tied up by the section meetings; the section basically functions in a similar way to a faculty with a large number of administrative and organizational tasks that need to be completed on top of the regular university obligations of examinations and faculty meetings. To put it bluntly, everything is doubled. How did you perceive the overall work-life balance? You can probably judge that better than me. I grew up at this Institute and haven’t really experienced anything else. As such, I’ve never really assessed my time here from the perspective of work-life balance. I’ve certainly been on the road a lot, both at home and abroad. That was fun and still is fun, so I don’t really know what needs to be balanced out [laughs]. Whilst we are talking about travel, a particularly eye-catching characteristic of your director’s office was the sheer number of honorary certificates and souvenirs from all over the world. Are there any cooperation partners, countries, or regions that you particularly associate with your time as director? There were different phases with different priorities. For example, the exchange with South Africa and Namibia, where I was involved in various reform projects for over fifteen years, saw me often travel to Windhoek, Pretoria, and Cape Town in the years between 1994 and 2005. That was rewarding for two reasons. Firstly, because it gave me ample opportunities to conduct accompanying scientific research, including the systematic collection of data. In Namibia, for example, I was able to collect and evaluate judicial data which, I hope, not only sparked interest at the time but also had consequences for the country’s criminal policy. Secondly, I was able to see how difficult it can be to initiate and implement reform processes which, due to social structures, often encounter a great deal of resistance. Of course, China and, in connection with it, Korea and Japan, should also be mentioned: the focus on these countries began with Günter Kaiser and Hans-Heinrich Jescheck and has, on the whole, continued to develop positively. Indeed, the connections are still very strong today and we have had a number of doctoral students at the Institute who graduated with very

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good grades and are now working at universities across China. Other priorities were Iran and the Caucasus region. However, in some cases nothing long-term developed out of these collaborations. This also applies to an Afghanistan project in which the Institute was involved. What did occur, however, was a significant expansion of contact with other countries and regions. For example, Iranian criminal law was very much oriented towards France until the 1990s: the work of the MPI certainly contributed to a strengthening of connection between Germany and Iran on this front. As far as South America is concerned, I am currently still active there with several research projects in cooperation with Pablo Galain. These deal with the legalization of marijuana and drug markets in South America as well as questions of violence. Concerning the latter topic, in international comparisons South America is a region in which lethal violence is particularly pronounced. The development of empirical criminology on the continent is also of special interest and we are currently seeking to establish empirical criminology in Santiago de Chile, in the sense of a criminology that is not just theoretical and normative – as is currently still the case in South America – but one that is an empirical science that aims to systematically collect data and can assist in the critical monitoring of criminal policy. Cooperation with researchers in the English-speaking world, especially North America and England, was also quite good. It was also important to me to continue working with the countries of the former Soviet Union. Ukraine naturally played a special role, especially through my involvement in the European Union’s Tymoshenko mission, which lasted almost two years. This task was interesting because it was closely related to politics and not necessarily the law [laughs]. At the end of the day, it was about political disputes that were carried out by means of criminal law. Based on allegations that wouldn’t even have been enough to issue a fine in a jurisdiction like Germany. Yet every judge immediately signed arrest warrants. Last but not least, I want to mention the Balkan Criminology Group, which emerged as a partner group of the MPG and which has succeeded in initiating and carrying out various criminological projects in the Balkans. It remains active with great success, whereby I mean not only the implementation of empirical projects, but also the successful creation of a criminological network that now covers almost all of Southeast Europe. You already mentioned China, a country that is frequently in the news at the moment. Based on your experience, how would you assess current political developments in the country and their impact on academic research? Perhaps also with regards to the situation in Hong Kong? It’s tricky. Firstly, I would make a fundamental distinction between general developments in China and particular developments in Hong Kong. Broad social and economic developments have significantly changed China over the past twenty or thirty years. However, in recent years the Communist Party’s access to almost all areas of life has once again become more intense, although – and this must always be taken into account – room for individual freedoms is still available. In particular, people can

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now freely travel. In mainland China itself – with a few exceptions – discussions are not prohibited. The exceptions mainly concern the country’s territorial integrity. That is why Hong Kong, as well as Taiwan and Tibet, are so important to the central government in Beijing. When we look at the new security legislation in Hong Kong, I think it is less about security and more about enforcing the claim that its territorial integrity must not be touched. This means that three regions are excluded from public discourse: Tibet, Hong Kong, and Taiwan. These issues can only be discussed with extreme caution. In addition, a second minefield in which one must cautiously tread is that the Communist Party (and it alone) determine the politics and the leadership of the People’s Republic. There is no opposition party and no classical form of democracy akin to what has developed in Europe. In the foreground is the leadership role of the Communist Party, which must not be touched. Apart from this, however, I cannot see any prohibitions of thought and discussion. For example, the death penalty itself is not a taboo topic. There are of course certain sensitive topics within such subject areas that can lead to problems, especially if the country’s political leadership has the impression that this has resulted in a loss of face. In connection with the death penalty, I once noticed this at an event that we held together with the German embassy in connection with the German-Chinese rule of law dialogue. A Chinese participant gave a lecture on organ removal and the death penalty. This led to strong reactions, not because of the death penalty itself but rather the removal of prisoners’ organs after their execution. A third sensitive area that also plays a role in the discussion here is that of surveillance. Recently, I have on occasion had difficulty accessing certain websites from within China. Sometimes this has affected the New York Times, sometimes other information sources, but thus far not the sites of German magazines or newspapers. China’s expansion of data processing abilities and the introduction of technologies that collect vast amounts of personal data are unmatched elsewhere. Indeed, Germany still lags far behind in the introduction of many of these technologies. One example of this is the disappearing role of cash in everyday life in China. Last year, I took the train from Beijing to Tianjin; when I went to the restaurant car to buy a drink and held up a yuan bill I was told that only mobile or other cashless methods are accepted. This shift to a cashless economy naturally generates a tremendous amount of data, which is difficult to process with a population of 1.3 billion people (many of whom use multiple smartphones). The monitoring possibilities created by such processes are of course used, that is very clear. However, I do not assume that these changes will have any great significance on Chinese society itself. Overall, I have the impression that the Chinese colleagues with whom I work are essentially of the opinion that the Chinese government and politics are one thing and the question of how they organize and shape their lives is a completely different matter. And as long as the Chinese leadership manages to guarantee prosperity for a significant proportion of the population and to make personal developmental opportunities visible, most Chinese – at least I have this impression – will not have any problems with the political system. You see something similar in Iran. The Iranians joke about their leadership, which is of course not difficult given those that are in charge. Apart

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from that, they come to terms with their situation, irrespective of the ever-worsening standards of living. But what type of standards are these? Poor standards of living are a fundamental problem with such political systems. If you link this back to criminological questions, this problem is taken up in anomie theory. Anomie theory, developed in the USA, basically says that political stability can be maintained as long as the middle class succeeds in essentially maintaining its standard of living and, above all, when young people are offered opportunities. Problems arise when anomie emerges in the middle class. Thus, criminological questions also concern the development of social structures, social conditions, and so on (in which crime, of course, is also embedded). Something that is always included in criminological perspectives is the question of upheaval and change. At what point does a situation arrive where people say “Enough is enough, we refuse to participate any longer.” This leads to an interesting question that I have been preoccupied with since the 1970s: under which circumstances are criminal norms abolished? This was dealt with in detail at the MPI in connection with the topic of abortion. I still remember from back then the famous Stern-magazine cover image titled “Wir haben abgetrieben” (We had Abortions). This was a deliberate provocation on a magazine cover: “We have violated norms – what now?” The reaction was interesting – nothing happened. This addresses a question about which I learned a lot from Trutz von Trotha. Trutz studied the topic, namely norm and sanction, for a long time. What do sanction and punishment mean? The German judiciary currently imposes, I believe, around 700,000 criminal sentences per year. Nevertheless, society remains calm. Obviously, under certain conditions, it is possible to punish without causing a great ruckus. There are prisons, many people are punished, everyone has gotten used to it, and life goes on as normal. That was and is not always the case, nor is it the case everywhere either. In Afghanistan or Somalia, the situation is very different. Therefore, sanctions and their consequences concern an important point: which conditions enable punishment to appear in such a way that it is accepted (at least by most) as legitimate and not as a form of injustice, which in turn must be responded to with further sanctions. Now we have two final questions for you in this part of the interview. First, what significance did teaching and working with young researchers have on your work? In Konstanz and Dresden, teaching was obviously paramount. Course contact time amounted to about eight to ten hours a week, including seminars. This load was somewhat reduced at the MPI in Freiburg. At the same time, the supervision of doctoral students, particularly from the Institute’s research schools, became increasingly important. Many criminological questions can only be dealt with in the form of a dissertation, and I was always busy in this regard. You can see this from the large number of dissertations conducted at the Institute.

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Second, who has shaped your scientific approach? Many people helped shape the way I research and it is impossible for me to prioritize one person over another. On the one hand, of course, there was Günther Kaiser. I learned the systematic approach to research from him. Don’t just stop at the first reference, but rather dig deeper in a systematic manner to see what differences exist and how you can classify them. This systematic approach involves a broad quest that includes gathering information from many fields, including psychiatry, social sciences, economics, criminal law, or political science. As soon as I found a publication that had any relation to one of my topics, I read it. Of course, this has now become increasingly easier through digitalization. It enables one to quickly access a wide variety of magazines, newspapers, and other sources. On the other hand, I learned a lot about statistics from Baldo Blinkert. His courses enabled me to not only understand and access, but also to interpret, statistical methods. Something that immediately made sense to me was the principle of “garbage in, garbage out”: if you enter nonsense into a statistics program, you will only get nonsense back out. The other thing I learnt from him was the practical handling of statistical programs like SPSS, which offer a lot of possibilities to conduct detailed analyzes. Ultimately, however, relationships can often be easily recognized from basic data and descriptive statistics. Therefore, the first thing you should always do is take a simple look at the basic data. Simple statistical approaches can be more effective than complicated ones. What about other criminologists? Oh yes, there are certainly a few more people. As I said, I learned a lot from Trutz von Trotha. The same applies to Popitz. Much of his writing had a criminological angle, and I have always been won over by it. This was also the case with Spittler. In the area of criminal law, I was particularly impressed by two people (although I certainly don’t want to exclude anyone from my group of colleagues). The two individuals were Jakobs and Jescheck. As far as I know, Jakobs was the only person who attempted to develop a theory of systematic and structured doctrines, the basis of which is a sociological theory. In my opinion, his approach is the only one that can – perhaps not in absolute detail but from an overall perspective – explain things reasonably consistently. For example, when it comes to deciding what decision to take as to whether someone is guilty or not. And then of course there is Jescheck. What always impressed me about Jescheck was his salient approach to criminal law, punishment, and criminal policy. You didn’t necessarily have to agree with these ideas to appreciate that they were clearly structured and, at the end of the day, simple. His way with language was also impressive. His textbooks and manuscripts were always very easy to understand. Which, by the way, was not the case with Jakobs; his texts were, and remain, rather difficult to understand for new undergraduates. This never applied to Jescheck: his texts are much more “accessible”, if you will. I remember that when I was preparing my habilitation lecture, I had to discuss a criminal law issue. It dealt with mistake of law. Whilst I enjoyed this, at a certain point I got stuck and couldn’t move forward. In my desperation, I asked Jescheck for advice. His simple answer

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was: “Don’t think about it anymore, just stop at this point!” At the end of the day, this was sound and simple advice. Part 2: Developments in Criminology Now let’s move to the second part of the interview. This will focus on developments in criminology, both in Germany and worldwide. In your time as director, what would you say were groundbreaking criminological advancements: not only from a theoretical and methodological standpoint but also in terms of content? In terms of theory, I think that one of the most important advancements was coming up with the concepts of informal social control and self-control. On the one hand, this approach encompasses the immediate neighborhood as well as larger social structures and individual persons. On the other hand, these two theoretical concepts also contain and combine psychological, psychoanalytical, and sociological elements. Moreover, one can apply a normative framework as the notion of self-control is intertwined with the idea of how the self is developed and what meaning or influence the self has in the decision-making process. It’s the informal systems such as parents, neighborhoods, schools, and so on – the important pillars of socialization so to speak – that accompany and form people whilst they grow up. Eventually, this leads to very interesting questions as to how it is possible to equip people with a self-concept that allows them to not only make decisions but to make the right decisions. In fact, during the last thirty years there have been some rather interesting developments in the field of psychology and behavioral economics: these developments ask at what point a person will come to say “I’m not going to do this. That’s not who I am. I can’t in good conscience act like this and be fine with it.” Hence, the question about how this is connected to both learning behavior and deviant behavior is so interesting because humans are capable of combining normative claims with this concept of the self. Naturally, this system offers a certain flexibility which is why an individual decision may also be “Well, if I actually do this, it shouldn’t be too bad.” Justifications play an important role in such contexts and it appears that coming up with suitable justifications is easier when norms are, to a certain degree, flexible. Tax evasion or driving under the influence are good examples of this. No one usually carries a breathalyzer around and if someone has two or three beers his or her blood-alcohol concentration might not even be at 0.5 per mil. Maybe it’s only at 0.49 per mil. Such reasoning can be found among people who would never drive in a completely drunken state. Similar justifications for “cheating the system” can also be observed in the context of tax evasion, insurance fraud, or the like. I think that theoretical approaches in such contexts should be further developed because they are especially important with regard to self-control. In addition, they provide us with insights about our normative concepts. In terms of the concept of informal social control, I see a lot of potential for further scientific advancement. Under-researched aspects include the effects of stable neighborhoods or the question of how it is even possible to establish working instances of informal social control in a

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post-modern world which assumes – if I understand correctly – that humans will behave in a calculating manner in line with the idea of the rational agent (homo economicus). Modern in this sense obviously means increased personal degrees of freedom, so that I don’t have to make concessions to (almost) anyone or anything, I don’t care about what my neighbors say or think, I don’t go to church, and I don’t really care for clubs or associations except for maybe my local rifle club. Hence, people are able to weigh their options according to their own inner compass because what other people say does not really matter anymore. This naturally also impacts self-concepts and forms of informal social control. With that being said, I still assume that this rational agent is the human of the future even though this type did, in fact, already exist in the past. Homo economicus does not necessarily put a lot of thought into norm conformity; the main objective of this rational agent is the consideration of advantages gained by any given decision. In fact, this conforms with the majority of post-modernist thought which presumes that thoughtfulness toward others no longer exists. But that’s not necessarily true. I think that people today calculate and weigh their options just as much and just as often as they did thirty, forty, or even fifty years ago. However, I have yet to figure out how all of this goes together. How relevant is German criminology in Europe and further afield? That’s a tough question. In my opinion, criminology as a discipline – that is, a discipline that focuses on concepts of deviance, crime, social control, criminal law, and many other aspects of crime – has developed extremely unevenly. Up until and throughout the 20th century, the home base of criminology and criminological research was primarily North America, England, and Scandinavia; later on, the Netherlands, Germany, and France also joined the fold. Since then, things have changed. Now, criminology as a discipline and research tradition has expanded and become increasingly diverse; distinct “criminologies” exist in Eastern Europe, in China, in Japan, in South America, and in Africa – especially in South Africa. Nevertheless, I would say that the major focus of criminology is still on the abovementioned “traditional” countries. Germany played a major criminological role up until the 1950s and 1960s due to its focus on the etiology of crime. In recent decades, however, its role as big player in the criminological world has changed because criminology in Germany never really achieved the status of a fully independent discipline with its own institutions and facilities. Instead, criminology has essentially become an add-on to law faculties. This, however, comes at a certain price because the main task of law faculties is educating future lawyers. To put it quite drastically, ever since the 1980s and the discarding of any consideration to integrate it more closely into the legal curriculum, criminology has become more of an afterthought. While law students and students from other disciplines can elect to take courses in criminology, it has nevertheless lost its role as an independent discipline in the German higher education system. Interestingly, nor was criminology able to anchor itself as an integral component of sociology or psychology.

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In countries such as the Netherlands, England, the US, Canada, Australia, South Africa, and many others, however, criminology is an independent discipline and field of study with specific university programs and degrees, exams, and lots of employment perspectives. This standing of criminology is much higher than in Germany. Moreover, developments in Germany over the last fifteen years suggest that the impact and importance of criminology will further decline in the fields of law, psychology, and sociology. An indication is the ongoing downsizing of criminology chairs at German universities. Aside from a small core of criminological institutes and department chairs, criminology has more or less disappeared from the German academic radar. As of today, we only have two or three master programs for criminology in Germany: in Bochum, Hamburg, and Greifswald. And in terms of major criminological research centers, there is the MPI in Freiburg, the Criminological Research Institute of Lower Saxony in Hannover (KFN), and the Center for Criminology in Wiesbaden. That is about it. You addressed these structural weaknesses a few years ago in the Freiburger Memorandum. Has this resulted in change? Yes, well, it was quite interesting. The Freiburger Memorandum piqued the interest of both traditional universities but also especially of universities of applied police sciences, where criminology plays a much more integral part in the curriculum of future police officers. In fact, my impression is that criminology plays a much more central role in these academies when compared to traditional universities. Still, as of right now I do not really believe that the Freiburger Memorandum will lead to a substantial strengthening of the discipline of criminology. How do you see the “old” and the “new” MPI with respect to the past and the future? From my point of view, the MPI and the KFN have the broadest criminological research potential. This has been the case in the past and will remain the case in the future, irrespective of how their research agendas have changed over time and will no doubt continue to change over time. A major factor here are the considerable resources found both in Freiburg and Hannover, which is why I don’t expect either of the institutions to lose standing or influence. When Ulrich Sieber and I worked on the petition addressed to the MPG that called for the continuance of the MPI after we were granted emeritus status, we did not have any concrete ideas or plans in mind in terms of a future research agenda for the Institute. I, for one, am optimistic about the direction of things to come because, in addition to some researchers who have already been at the Institute for a long time and decided to stay, a number of younger researchers have recently come to the MPI who, in my opinion, have the potential to conduct very interesting and ground-breaking research within the next ten to twenty years, thereby contributing to the continuation and evolvement of criminology in Germany.

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What challenges does contemporary criminology face? Does it need to be more political? Well, I have my doubts about that because criminology should be applied rather cautiously in terms of politics. Nevertheless, I was always very interested in the link between politics and criminology. When I started working here as a researcher for Kaiser – [smiling] that was a long time ago – he sent me to a German-American conference in Berlin. It was probably due to the English language because it was the first time I went to such a conference where very well-known people presented their work and gave talks. The topic was the relationship between politics and science and the main question was whether science can and/or should influence politics. In some cases, I brought myself to give advice to politicians over the years. Still, I think this is problematic because the questions that politicians tend to ask – should sanctions be increased, what influence will specific reforms of criminal law have, etc. – and the answers that they want to hear cannot be dealt with in a satisfactory way. It is simply not possible to establish the detailed effects of criminal sanctions in general. Consequently, it is equally difficult to make projections and suggestions concerning specific sanctions. At the end of the day, such decisions need to be taken by parliament and finally, by the courts. As a researcher I can only tell the legislature whether the targeted effect will likely be noticeable or not, that is, whether the likely effect warrants the required political process. Science and researchers should act and instruct rather cautiously. What happens when this caution is thrown to the wind can be plainly observed by looking at the fiasco concerning the role of virologists in advising politicians and the public during the current COVID-19 pandemic. On another note, I will always remember a conference in Bamberg on criminal law and crime developments organized by the Humboldt-Foundation. It took place in the early 2000s during an era in which a general decline in crime rates was already noticeable. I was the keynote speaker and presented data and hypotheses on this decline. In the discussion following my presentation a couple of politicians – including one or two members of parliament – delivered conflicting statements, insisting that “crime rates are on the rise.” I was flabbergasted and could not believe what they had just said. In the late 1990s, I had a similar experience during a panel discussion broadcasted by a Bavarian TV network. There, I talked about lethal sexual assaults on children and the fact that they have declined significantly over the last four decades. Having presented the data, one of the other participants, who was a politician, said to me that the statistics and the data don’t matter to him as one case of lethal sexual assault of a child is already one too many. So, what do you need the data for? To a certain extent this is totally understandable. When I talk to parents who have lost their child to such offenders, I obviously would also not just tell them to calm down as it was only an unfortunate exception that their child was murdered. No, what I’m criticizing here is the political attitude. Such elimination fantasies can also be encountered in the context of drug policies, where certain circles of decision makers are constantly trying to develop new plans on how to eliminate drug consumption. Honestly, I don’t know how it is possible that these presumably smart individuals are so convinced

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that it is possible to reduce the amount of drugs available in any major city – in the manner of some five-year plan. Unfortunately, I see a similar pattern in the Istanbul Convention as it is also rooted in the idea that it is possible to “eliminate or abolish all violence against at women.” Aside from the fact that other forms of violence are apparently less interesting to many of our politicians, such abolitionist ideas are essentially totalitarian at their core. That’s why I myself have been wondering how it was possible to argue for more extensive and stricter criminal laws in reference to universal human rights. And now the final question for this part of the interview. Where do you see criminology in fifty years? Or where would it be in an ideal world? Well, I think that criminology as it exists today in Western Europe and other regions will still be around fifty years from now because there will still be a need and demand for the data and explanations that it provides. In the German context, for example, victim surveys have been widely implemented and are now set to be regularly conducted. Moreover, additional opportunities to collect and analyze data will arise, especially in the context of longitudinal studies. These studies may be of great political interest. What I am honestly wondering is why no political actors have thus far claimed the drastic decline in crime for themselves or their political party. Compared to the situation in the 1980s and 1990s, the number of car thefts and cases of burglary has quite literally evaporated. Moreover, the decline in homicides, violent crimes, robbery, and larceny has been so significant that one would have expected some form of political reaction to it. The situation is similar regarding imprisonment rates. In fact, the number of inmates in the German prison system has noticeably declined over the last two decades. In Hamburg, this significant decline in the prison population was addressed by the city’s audit office in 2009; the subsequent findings resulted in a significant reduction in the number of corrections officers and capacity for inmates. Part 3: Personal Questions As we near the end of the interview, we would like to now ask you some more personal questions. Looking back at your early years, your childhood, your family – would you say you were born with an interest in criminology or a sort of “researcher’s curiosity”? Well, the only thing I can think of is reading. I was an avid reader from very early on and I voraciously read children’s literature. In fact, I very much preferred reading a book over things like taking a walk. Between the ages of eight and eleven I read all books by Karl May. I still have all those books by the way – but in today’s world the books would have to be rewritten and edited due to numerous problematic terms.

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Are there any specific experiences during your childhood and adolescence which you would say helped form your character during that time? Honestly, I did have a happy childhood and teenage years. I am originally from an area classed as very Protestant; it was also a very homogenous region. There were next to no Catholics in the area when I grew up. There were also absolutely no foreigners. In my class at school, we once might have had a refugee who was from East Prussia [laughing]. But he was well integrated. Obviously, there were also no carnival or “Fasching” celebrations taking place in this Protestant area, which is why my first experience with “Rosenmontag” celebrations dates back to when I first came to Freiburg as a student. Keeping this cultural background in mind and talking about the ubiquity of juvenile delinquency, do you remember any personal instances of deviant behavior in your youth? Of course, absolutely! Obviously, what is considered to be deviant is always closely linked to a specific period or point in time. I do remember being involved in some instances of fighting with friends and classmates before, during, and after school. But nothing major. From 1968 onwards, marijuana became a thing but at that time it was not a big deal yet, as drugs and problems surrounding drug consumption only started to become controversial later on. Back in those days, drug-related crimes came with a maximum sentence of three years. Obviously, a lot has changed since then. Back then, what would have been considered an everyday offense, similar perhaps to illegal downloading today? Such developments are completely new and result from technological and cultural changes. Today, young people spend a lot more time in front of their screens and while they are doing so they are often also contemplating how to get access to the latest movies and songs. Back in the days, the streets provided much more opportunities for committing stupid things. You mentioned 1968. How did you experience the West German student movement? Well, [laughing] it was actually quite pleasant. The time was characterized by radical changes and far-reaching reforms. The university in its classical sense vanished, which led to a complete restructuring of university-wide committees and structures. Old customs and traditions in which members of the university wore academic gowns disappeared by 1969. This change was rapid and had to do with the fact that the protest movement was so powerful: it meant that none of the older professors dared to go to a general assembly wearing the previously accepted attire of an academic gown. I clearly remember that some professors had still been working at the University of Tübingen even though they were previously linked to the National Socialist ideologies. The situation was similar in Freiburg where demonstrations, debates, and arguments were a regular occurrence at the university. Even though the conservative appearance of the universities was cast-off relatively quickly, these protests and argu-

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ments continued throughout the 1970s. Interestingly, some of the old rituals associated with exams or university festivities still exist today in many countries. In comparison, German universities changed rather quickly which was probably also due to the social-liberal political coalition of 1969 which heralded the dawn of a new political era. Why did you decide to transfer your studies from Tübingen to Freiburg? I originally decided to study in Tübingen because it was not too far away from my hometown of Esslingen. While I did move to Tübingen, I still used to go home to Esslingen quite regularly – to play tennis for instance. The idea to move to Freiburg was born out of discussions with fellow students who were also considering transferring to Freiburg. To be honest, I liked the idea a lot because Freiburg was a little further away from my hometown. Tübingen was also comparatively small and a lot less attractive for young people like myself at that age. Right from the beginning, I felt completely at home in Freiburg. When looking at old pictures of you from the MPI photo archive, you appear to have gone through several “mobility phases” in your life. First you seemed to be into motorcycles then later Porsches. Did these choices correspond to different stages in your life? Yes, I loved motorcycling. And yes, I also bought two Porsches in my time. They were beautiful cars and I really enjoyed driving them. However, at some point in my life I needed to drive far less and ultimately lost interest in cars. Nowadays, I only use my car to drive into the city and sometimes when I have to go to the airport. What are your plans for the future? Will you continue to travel and conduct criminological research? Well, first of all, I still have to wrap-up a variety of research projects and I have to conduct a number of dissertation examinations from my time as director. After that, I have scheduled a couple of new projects in South America. Once the borders open up again and we are free to travel, I will also continue my activities in China. I am definitely not going to get bored any time soon. If you could go back in time, would you change anything about your life? Honestly, I don’t think I would change anything. It was always important for me to have a certain degree of freedom in the work context which is why it was out of the question to work as a prosecutor, as a judge, or in any comparable bureaucratic position. Similarly, I also would not have been happy or satisfied working as a lawyer even though I could have earned a lot of money choosing said career path. Reading and writing: that is what has continued to interest me most of all. That is a good note to end on. Thank you for taking the time to talk with us today.

I. Sicherheit und Prävention – Safety/Security and Prevention

Die Auslandsübermittlung von Daten aus der strafprozessualen Telekommunikationsüberwachung Von Ulrich Sieber Als ich Hans-Jörg Albrecht vor ca. 45 Jahren kennenlernte, war er die rechte Hand seines akademischen Lehrers Prof. Dr. Günther Kaiser, den er – auch später und bis in dessen hohes Alter hinein – in der Kriminologischen Forschungsgruppe des Freiburger Max-Planck-Instituts für ausländisches und internationales Strafrecht unterstützte. Bekannt war Hans-Jörg Albrecht damals besonders für seine empirische Forschung zu Sanktionen, insbesondere Behandlungsprogrammen im Strafvollzug, zur Geldstrafe und zum Rückfall, zu Jugendkriminalität und Jugendstrafrecht. In seinen Vorträgen und Gesprächen mit Gästen des Instituts überzeugte er vor allem durch sein breites Wissen in Kriminologie und Strafrecht sowie durch seine klaren, mit fundierter empirischer Forschung unterlegten Standpunkte, die bei ausschließlich normativ arbeitenden Kollegen manche vermeintliche Gewissheit über das Strafrecht und das Strafen erschütterten. Der damalige „rising star“ des Instituts beeindruckte Besucher aber auch durch Hilfsbereitschaft, Freundlichkeit und sein Auftreten, Letzteres nicht nur, wenn er in Ledermontur auf sein Motorrad stieg und mit wehendem Haar durch die Günterstalstraße Richtung Schauinsland fuhr. Als Assistenten von Prof. Dr. Günther Kaiser und Prof. Dr. Klaus Tiedemann organisierten wir 1975, 1980 und 1985 gemeinsam die Südwestdeutschen Kriminologischen Kolloquien, die in Freiburg von der Kriminologischen Forschungsgruppe des Max-Planck-Instituts und dem Lehrstuhl für Kriminologie und Wirtschaftsstrafrecht der Universität Freiburg veranstaltet wurden.1 Gerne erinnere ich mich an diese Zeit und unsere frühen Kolloquien zurück, auf denen ich viel über Kriminologie und ihre Bedeutung für eine rationale Sozialkontrolle lernte. Nach unseren Berufungen zu Direktoren des Freiburger Max-Planck-Instituts leiteten wir diese Institution ab 2003 gemeinsam. Die Zusammenarbeit mit Hans-Jörg Albrecht war ebenso wie in den frühen Jahren unserer Assistentenzeit unkompliziert und produktiv, vor allem auch in unseren beiden gemeinsamen International Max Planck Research Schools. Anstehende Fragen wurden nicht in formalen Direktoriumsbesprechungen entschieden, sondern bei einem Gespräch auf der Dachterrasse.

1 Vgl. Sieber 1976, 37 – 38; Albrecht & Sieber 1980, 162 – 171; Albrecht & Sieber 1985, 244 – 248.

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Ulrich Sieber

Sein trockener Humor brachte mich innerlich oft zum Schmunzeln. In manchen Eigenschaften gegensätzlich, ergänzten wir einander in den Leitungsaufgaben sehr gut. Das wissenschaftliche Konzept „Strafrecht und Kriminologie unter einem Dach“, das der Institutsgründer Prof. Dr. Hans-Heinrich Jescheck ausgerufen hatte, erwies sich als fruchtbar, erfolgreich und unverzichtbar für eine zukunftsorientierte Forschung in jedem der beiden Gebiete. Hans-Jörg Albrecht vertrat beide Disziplinen mit einem unermüdlichen Einsatz, vor allem auch im Ausland. In den letzten Jahren entwickelten wir dieses interdisziplinäre Konzept dann weiter im Hinblick auf ein rechtsstaatlich begrenztes Straf- und Sicherheitsrecht, das für eine wirksame Sozialkontrolle über das Strafrecht hinausreichen muss.2 Ich bin Hans-Jörg-Albrecht für diese lange und gute Zusammenarbeit sehr dankbar. Für diese wissenschaftliche Kooperation war besonders vorteilhaft, dass unsere Forschungsinteressen und Forschungsprogramme thematisch in weiten Teilen die gleichen Sachbereiche abdeckten. Wir interessierten uns beide für die Auswirkungen von Globalisierung und Digitalisierung auf Kriminalität, Strafrecht und Risikoprävention. Ein spezieller Interessenschwerpunkt von Hans-Jörg Albrecht war dabei die Telekommunikationsüberwachung einschließlich Verkehrsdatenabfragen und Vorratsdatenspeicherung.3 Vor diesem Hintergrund behandelt der vorliegende Beitrag zu seinem 70. Geburtstag die – in Rechtsprechung und Literatur bisher kaum problematisierte – Auslandsübermittlung von Telekommunikationsdaten im Wege der Rechtshilfe, die wegen aktueller technischer Fortschritte derzeit neue und bisher unbearbeitete Fragestellungen aufwirft.4

1. Problemstellung Die Auslandsübermittlung von Daten aus der strafprozessualen Telekommunikationsüberwachung (TKÜ) erfolgt im Rahmen der Rechtshilfe bisher vor allem in der Form von „Konserven“, mit denen die aufgezeichneten Daten auf körperlichen Datenträgern oder über Datenleitungen zeitversetzt an die ausländischen Strafverfolgungsbehörden übermittelt werden. Die Richtlinie 2014/41/EU über die Europäische Ermittlungsanordnung in Strafsachen (RL EEA) und ebenso bereits das Übereinkommen vom 29. Mai 2000 über die Rechtshilfe in Strafsachen zwischen den Mitgliedstaaten der Europäischen Union (EU-RhÜbk) sehen jedoch die Übermittlung von TKÜ-Daten vor allem (so das EU-RhÜbk) oder alternativ (so die RL EEA) in Echtzeit vor, so dass der aufgezeichnete Datenstrom unmittelbar („real time“) an die ersuchende ausländische (Anordnungs-)Stelle ausgeleitet wird. Diese „unmittel2

Vgl. Sieber 2018, S. 3 – 35. Vgl. insbes. Albrecht et al. 2003; Albrecht & Kilchling 2009; Albrecht 2010, S. 1 – 21; Albrecht 2014, S. 767 – 794. 4 Für wertvolle Unterstützung zu dem folgenden Beitrag danke ich herzlich meinem früheren Mitarbeiter Herrn Thomas Wahl. 3

Auslandsübermittlung von Daten aus der Telekommunikationsüberwachung

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bare Übertragung des Telekommunikationsverkehrs“5 befindet sich derzeit noch im Teststadium. Mit diesen Veränderungen spitzen sich Fragen zu, die bereits bei der klassischen zeitversetzten Auslandsübermittlung von TKÜ-Daten bestanden, in der Praxis bisher aber noch nicht beachtet wurden. Im Kern geht es darum, ob mit dieser Auslandsübermittlung die vergleichsweise strengen deutschen Schutzvorschriften zur Begrenzung der TKÜ auf der Strecke bleiben, wenn im Ausland keine entsprechenden nationalen Regelungen – beispielsweise zum Schutz von Berufsgeheimnissen oder des (nur in Deutschland anerkannten) „Kernbereichs der privaten Lebensgestaltung“ – bestehen und das deutsche Recht nicht anwendbar ist. Ein Teil dieser Probleme wird durch den – in allen TKÜ-Rechtshilferegelungen und auch für die vertragslose Rechtshilfe geltenden – Grundsatz der „doppelten parlamentarischen Ermächtigung“ gelöst: Die beantragte TKÜ-Maßnahme muss – sowohl für die Leistungsermächtigung als auch für die Vornahmeermächtigung im Rechtshilfeverfahren – nicht nur nach dem Recht des ersuchenden, sondern auch nach dem Recht des ersuchten Staates erlaubt sein.6 Aus diesem Grund hat das Gericht bei der Anordnung der TKÜ zu prüfen, ob die Überwachungsmaßnahme auch in einem vergleichbaren innerstaatlichen Fall gerechtfertigt wäre. Mit dieser Prüfung können nicht nur TKÜ-Anträge ausgeschlossen werden, in denen kein Verdacht auf eine Katalogtat vorliegt. Ausgeschieden werden z. B. auch Fälle, in denen eine TKÜ gegen Geistliche oder Verteidiger angeordnet werden soll,7 oder in Fällen, in denen tatsächliche Anhaltspunkte für die Annahme vorliegen, dass „allein Erkenntnisse aus dem Kernbereich der privaten Lebensgestaltung erlangt werden“.8 Dieses „Doppeltürmodell“ berücksichtigt die deutschen Schutzvorschriften in den vorgenannten Beispielsfällen dadurch, dass es bestimmte TKÜ-Maßnahmen überhaupt nicht zulässt. In einzelnen Fällen gilt dies auch dann, wenn vor, bei oder nach Umsetzung der TKÜ-Maßnahme noch auf deutschem Territorium festgestellt wird, dass die angeordnete Überwachung nicht hätte erfolgen dürfen.9 Eine solche Konstellation ist jedoch praktisch nicht möglich, da zwischen der TKÜ-Anordnung und der Datenausleitung nur ausnahmsweise neue Erkenntnisse über die Rechtswidrigkeit der Maßnahme gewonnen werden. Durch die unmittelbare Datenausleitung in der internationalen Rechtshilfe verschärft sich dieses Problem, da ein Verstoß gegen deutsche Schutzvorschriften in vielen Fällen erst bei der „händischen“ Datenauswertung durch die sachnahen Ermittlungsbeamten im Ausland erkennbar wird, wo die deutschen Schutzvorschriften jedoch nicht mehr gelten. Denn erst hier, bei der Datenauswertung, kann z. B. festge5

Vgl. Art. 30 Abs. 6 lit. a und b RL EEA sowie ähnlich bereits Art. 18 Abs. 2 EU-RhÜbk. Vgl. Art. 6 Abs. 1, Art. 30 Abs. 5 RL EEA sowie § 91c Abs. 2 lit. c) dd) IRG und (ebenso) § 59 Abs. 3 IRG, der vor allem für den vertraglosen Rechtshilfeverkehr gilt. 7 §§ 160a Abs. 1 Satz 1 – 4 StPO i.V. m. § 53 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und 2 StPO. 8 § 100d Abs. 1 StPO. 9 §§ 100d Abs. 1 und 2, 100e Abs. 5, 160a StPO. 6

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stellt werden, dass die Zielperson der TKÜ zwar kein Geistlicher ist, sie jedoch mit einem Geistlichen kommuniziert, was die deutschen Schutzvorschriften ebenfalls verletzt.10 Dieses Beispiel verdeutlicht die Fragestellung des vorliegenden Beitrages: Macht die – fast immer bestehende abstrakte oder konkrete – Gefahr der Übermittlung von unverwertbaren Daten etwa aus dem Kernbereich der privaten Lebensgestaltung die Ausleitung der TKÜ-Daten ins Ausland rechtswidrig und steht so der Rechtshilfe entgegen? Oder erfordert die Gefahr einer Verletzung von deutschen Schutzrechten vor der Ausleitung der Daten eine Prüfung und Filterung des gesamten Datenbestandes? Oder gibt es andere Möglichkeiten, um das Interesse an einer effektiven grenzüberschreitenden Kooperation mit dem Schutz der (Grund-)Rechte der betroffenen Personen zu vereinbaren und wie verlaufen dabei die entsprechenden Grenzlinien? Der nachfolgende Beitrag geht diesen Fragen am Beispiel der Richtlinie 2014/41/ EU über die Europäische Ermittlungsanordnung in Strafsachen (RL EEA) nach; die Ergebnisse gelten jedoch grundsätzlich auch für andere Rechtshilfeabkommen und die vertragslose Rechtshilfe. Im Vergleich mit den völkerrechtlich ratifizierten und damit unmittelbar geltenden Rechtshilfeverträgen ist allerdings zu beachten, dass die RL EEA kein unmittelbar geltendes Recht ist, sondern über ihre Umsetzung im zehnten Teil des Gesetzes über die Internationale Rechtshilfe in Strafsachen gilt (§§ 91a – 91j IRG).11

2. Mögliche Lösungsansätze Die Frage, wie die Auslandsübermittlung von TKÜ-Daten in Rechtshilfeverfahren mit potentiell unverwertbaren Datenbeständen umzugehen hat, wird in der einschlägigen Rechtsprechung und Literatur bisher nicht erörtert. Einzelne Literaturstellen könnten zwar so gedeutet werden, dass in diesen Fällen eine Ausleitung der TKÜ-Daten rechtswidrig ist und zu unterbleiben hat,12 eine solche Interpretation ist jedoch gewagt, da die Problematik der erst bei der ausländischen Datenauswertung erkennbaren Verwertungsverbote in diesen Stellungnahmen, soweit ersichtlich, nicht ausdrücklich angesprochen und vermutlich auch nicht speziell gesehen wird. Eine weitgehende Ablehnung der Datenübermittlung ins Ausland zur Verhinderung der Weitergabe von unverwertbaren Daten stünde nicht zuletzt im Widerspruch zu den Zielsetzungen der RL EEA, dem EU-RhÜbk und dem IRG, die eine unmittelbare Datenausleitung vorsehen. Eine grundsätzliche Unterbindung der Weiterleitung von Daten würde zudem die internationale Kooperation in Strafsachen im Be10

§ 160a Abs. 1 Satz 5 StPO. Genannt werden dabei im Folgenden vor allem die Bestimmungen der RL EEA, da diese auch die Vorgaben für andere Mitgliedstaaten der EU zeigen. 12 So möglicherweise Brodowski 2016, S. 403, der von einer „unzulässigen Weitergabe“ spricht. Vgl. dazu auch Trautmann & Zimmermann 2020, IRG § 59 Rn. 34. 11

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reich der TKÜ unmöglich machen, in die Deutschland eingebunden ist. Die Verhinderung der Datenweiterleitung an die mit dem Sachverhalt vertrauten ausländischen Ermittler würde schließlich auch nicht dem in innerdeutschen Fällen üblichen Verfahren entsprechen. Sie kommt daher allenfalls in besonderen Ausnahmefällen in Betracht, wenn keine anderen Lösungen ersichtlich sind. Um das System der TKÜ-Rechtshilfe aufrechtzuerhalten, könnte deswegen versucht werden, die aufgezeichneten TKÜ-Daten vor ihrer Ausleitung zunächst in Deutschland auf mögliche Verwertungsverbote zu überprüfen und ggf. sensible Daten vor ihrer Übermittlung auszuscheiden. Ein solches Filterverfahren würde jedoch ebenfalls die (von Art. 30 RL EEA als Möglichkeit und Art. 18 EU-RhÜbk sogar als Regelfall vorgesehene) direkte Datenausleitung unmöglich machen. Ein Filtersystem zur Aufrechterhaltung deutscher Beweisverwertungsverbote im Ausland wäre aber wegen der anfallenden großen Datenmengen auch bei einer nachträglichen und zeitversetzten Datenübermittlung nicht praktizierbar. Die „Filterung“ von TKÜ-Daten wird vom BVerfG allgemein auch nur im Hinblick auf Beschränkungen diskutiert, bei denen dies „mit praktisch zu bewältigendem Aufwand“ möglich ist.13 Im Übrigen könnte eine Suche der deutschen Behörden nach den Daten von bestimmten Berufsgeheimnisträgern oder Daten aus dem Kernbereich der privaten Lebensgestaltung zwecks deren Aussonderung die Interessen der betroffenen Personen stärker gefährden als die Weitergabe der Daten ins Ausland, da diese Daten ohne eine solche Suche in großen Datenmengen möglicherweise überhaupt nicht entdeckt werden würden. Eine „Filterlösung“ wäre schließlich auch nicht umfassend möglich, weil viele Beweisverwertungsverbote (z. B. bei nicht absolut geschützten Berufsgeheimnisträgern) sich erst im nachfolgenden Strafprozess verbindlich feststellen lassen. Vorbeugende „Filterpflichten“ vor der Datenausleitung ins Ausland sind daher ein ebenso wenig gangbarer Weg. Die Lösung der vorliegenden Problematik kann daher nur unter Rückgriff auf die in Art. 30 Abs. 5 RL EEA vorgesehenen Möglichkeiten zur Stellung von Bedingungen liegen, die in dem Umfang möglich sind, in dem sie in einem vergleichbaren innerstaatlichen Fall zu erfüllen wären. Auf der Grundlage einer solchen Regelung kann Deutschland die Übermittlung von TKÜ-Daten unter die Bedingung stellen, dass bei der Datenauswertung bestimmte deutsche Beweisverwertungsregeln und Schutzpflichten zu berücksichtigen sind. Die Einhaltung derartiger Bedingungen ist sanktionsbewehrt, da Verstöße gegen eine völkerrechtlich wirksame Bedingung im ausländischen Strafverfahren zu einem Verwertungsverbot führen. Die Stellung von Bedingungen und die Forderung von Zusicherungen wird auch in den deutschen Richtlinien für den Verkehr mit dem Ausland in strafrechtlichen Angelegenheiten (RiVASt) in Nr. 77a genannt.14 Diese untergesetzliche Normierung 13

Vgl. BVerfG v. 20. 4. 2016 – 1 BvR 966/09 (BKA-Gesetz), Rn. 128. Der deutsche Gesetzgeber hat im Rahmen der Umsetzung der Art. 30 und 31 RL EEA auf Nr. 77a RiVASt verwiesen (vgl. BT-Drucks. 18/9757, S. 27, 33, 42, 43, 44) und von 14

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ist vorliegend vor allem deswegen interessant, weil sie speziell zur TKÜ-Rechtshilfe Beispiele für Bedingungen zur Aufrechterhaltung der deutschen Schutzstandards nennt. Nr. 77a RiVASt15 bestimmt: (1) […] Zulässig ist die Überwachung des Telekommunikationsverkehrs gemäß § 77 IRG nach Maßgabe der Bestimmungen der StPO (§§ 100a, 100b, 101).16 Soweit sich aus einer Vereinbarung nicht etwas anderes ergibt oder die Stellung von Bedingungen bei Übermittlung von Erledigungsstücken nicht ausreicht, muss die ausländische Behörde zusichern, dass a) die Voraussetzungen der Telefonüberwachung vorlägen, wenn diese im ersuchenden Staat durchgeführt werden müsste, b) die gewonnenen Erkenntnisse nur zur Aufklärung der in dem Ersuchen genannten Straftat(en) verwendet werden und c) die Überwachungsprotokolle vernichtet werden, sobald sie zur Strafverfolgung nicht mehr erforderlich sind.

Die Praxis hat damit für die Rechtshilfe zur TKÜ ein Lösungsmodell skizziert, dessen Anwendbarkeit und Grenzen im Folgenden vor allem im Hinblick auf die Bestimmung und Einschränkung des maßgeblichen Kontrollmaßstabes zu untersuchen sind.

3. Bestimmung des Kontrollmaßstabs 3.1 Erfordernis der Einschränkung Im Hinblick auf die erheblichen rechtlichen Unterschiede zwischen den verschiedenen nationalen Rechtsordnungen stellt sich hinsichtlich der Bestimmung des Kontrollmaßstabes zunächst die Frage, ob ein „Export“ deutscher Schutzvorschriften über Bedingungen jede Verwertungs- und Begrenzungsnorm des deutschen Strafprozessrechts zur Maßgabe einer Auslandsübermittlung von TKÜ-Daten machen kann oder muss. Wenn Letzteres der Fall wäre, würde Deutschland bei der Leistung von Rechthilfe vielen ausländischen Verfahren in weitreichendem Umfang seine Normen aufzwingen. Das internationale Rechtshilfesystem würde jedoch unpraktikabel, wenn jeder Staat mit solchen Bedingungen die Geltung seiner – nicht selten komplexen – strafprozessualen Regelungen zur TKÜ-Auswertung verbinden würde. Dies führt zur Frage nach den Grenzen von Bedingungen im TKÜ-Rechtshilfeverkehr. Die Antwort darauf ergibt sich aus dem Erfordernis, die Schutzinteressen des von der TKÜ Betroffenen mit dem Interesse an einer funktionierenden internationaweitergehenden Regelungen abgesehen, so dass er die Grundsätze der Bestimmungen auch im Rahmen der EU-Kooperation weiter für anwendbar hielt. 15 Hervorh. v. Verfasser. 16 Jetzt: §§ 100a, 100d, 100e, 101 StPO.

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len Rechtshilfe abzuwägen.17 Diese Abwägung führt dazu, dass die Einhaltung von überwiegend formalen prozessualen Ordnungsvorschriften des deutschen Rechts (hinter denen jedoch in vielen Fällen auch substantielle materielle Schutzinteressen stehen) nicht zur Bedingung der Rechtshilfeleistung gemacht werden kann. Dagegen wird für wichtige deutsche Beweiserhebungs- und Beweisverwertungsregeln, vor allem im Bereich des deutschen ordre public, eine Schutzpflicht des deutschen Staates angenommen, fundamentale prozessuale Garantien auch im Ausland durchzusetzen, wenn das deutsche Rechtssystem mit einer TKÜ zur Verurteilung des Betroffenen beiträgt. Denn es wäre nicht akzeptabel, wichtige Garantien der StPO, die häufig das deutsche Verfassungsrecht widerspiegeln, außer Kraft zu setzen, indem die aufgezeichneten Daten ins Ausland übermittelt werden, wo solche Garantien nicht gelten. In Rechtsprechung und Literatur wird deswegen bei der Rechtshilfe und insbesondere bei der Auslieferung bezüglich der Heranziehung von Bedingungen vor allem auch auf die in Art. 79 Abs. 3 GG genannten unantastbaren Verfassungsgrundsätze und besonders auch auf die Garantie der Menschenwürde abgestellt.18 Diese Begrenzung der TKÜ-Rechtshilfe auf den ordre public lässt sich insbesondere damit begründen, dass dieser für die deutsche Rechtsordnung auch sonst die Grenze bei der Prüfung ihrer Leistungsverpflichtung zur Rechtshilfe bildet, z. B. wenn Rechtshilfe für die USA nur unter der Bedingung geleistet wird, dass der Beschuldigte dort nicht zur Todesstrafe verurteilt wird. Darüber hinaus gilt diese Grenze unter anderem auch, wenn die deutsche Rechtsordnung nach dem Grundsatz des forum regit actum im Ausland erhobene Beweise verwertet, die dort unter Verstoß gegen das ausländische Recht erhoben wurden: Verstöße gegen das ausländische Recht sind hier für das deutsche Strafverfahren grundsätzlich so lange unbeachtlich, wie sie die Grenze des ordre public nicht tangieren.19 Die deutsche Rechtsordnung sollte daher – schon unter dem Gesichtspunkt der Gegenseitigkeit – auch nicht verlangen, dass ausländische Strafprozesse nach der Leistung von Rechtshilfe in zu weitgehender Weise auf der Grundlage des deutschen Verfahrensrechts geführt werden. Die vorliegend relevanten Bedingungen an ausländische Rechtsordnungen müssen folglich ebenfalls auf gravierende Verstöße beschränkt werden. § 73 IRG definiert den Maßstab des deutschen ordre public wie folgt: „Die Leistung von Rechtshilfe sowie die Datenübermittlung ohne Ersuchen ist unzulässig, wenn sie wesentlichen Grundsätzen der deutschen Rechtsordnung widersprechen würde“. Diese Grenze wird in Rechtsprechung und Literatur vor allem für die Auslieferung näher konkretisiert. Wie sie speziell für die Übermittlung von TKÜ-Daten 17

Vgl. dazu näher unten 3.2.1. Vgl. dazu näher unten 3.2 sowie Bock 2019, 301 ff., 305, die vorschlägt, die Menschenwürdegarantie restriktiv auszulegen und auf ihren „wahrhaft unantastbaren Kern“ zurückzuführen. 19 Vgl. z. B. BGH v. 21. 11. 2012 – 1 StR 310/12, NStZ 2013, 596 (Rechtshilfe Tschechien); OLG Bremen v. 18. 12. 2020 – 2 Ws 162/20; HansOLG v. 29. 1. 2021 – 1 Ws 2/21; Böse 2014, 161 ff. 18

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im Rahmen der Rechtshilfe zu bestimmen ist, wurde in Rechtsprechung und Literatur bisher nicht thematisiert und muss daher im Folgenden geklärt werden. Zur Bewertung dieses Maßstabes muss zunächst entschieden werden, ob der deutsche und/oder der europäische ordre public heranzuziehen ist. Der europäische ordre public ist als Mindeststandard für den EU-Bereich insbesondere mit Blick auf die Leistungsermächtigung der Rechtshilfe anwendbar, da es hier um die Umsetzung einer EU-Richtlinie geht und nach Art. 1 Abs. 4 und Art. 11 Abs. 1 lit. f) RL EEA die Anerkennung oder Vollstreckung einer EEA versagt werden kann, wenn berechtigte Gründe für die Annahme bestehen, dass die Vollstreckung einer in der EEA angegebenen Ermittlungsmaßnahme mit den Verpflichtungen des Vollstreckungsstaates nach Art. 6 EUVund der Charta unvereinbar wäre.20 In Umsetzung dieser Bestimmung hat der deutsche Gesetzgeber in § 91b Abs. 3 IRG auch nochmals klargestellt, dass Rechtshilfe nur auf Grundlage dieses europäischen ordre public möglich ist (vgl. auch die Generalnorm in § 73 Satz 2 IRG, auf die § 92b Abs. 3 IRG verweist).21 Da die erforderlichen Bedingungen bei der Entscheidung über die Grenzen der innerstaatlichen Vornahmeermächtigung gesetzt werden, kann Maßstab aber auch der deutsche ordre public sein. Das folgt daraus, dass die RL EEA die Verwertbarkeit der auf dem Rechtshilfeweg erlangten Beweismittel – ebenso wie die völkerrechtlichen Verträge der traditionellen Rechtshilfe (z. B. EU-RhÜbk, EuRhÜbk) – nicht substantiiert regelt22 und die Frage nach den Grenzen von Bedingungen dem ersuchten Staat überlässt.23 Der deutsche ordre public kann dabei im Ergebnis auch nicht durch den europäischen außer Kraft gesetzt werden, weil die Richtlinie dem Vollstreckungsstaat erlaubt, Rechtshilfe unter Berufung auf sein entgegenstehendes innerstaatliches Recht ganz abzulehnen. Sollte der europäische ordre public dagegen strengere Maßstäbe als der deutsche verlangen, so wäre dies für die vorliegende Fragestellung der Auslandsübermittlung unproblematisch, da die entsprechenden Vorgaben dann für alle involvierten europäischen Rechtsordnungen gelten und damit kein spezifisches Übermittlungshindernis entsteht. Speziell zu der hier untersuchten unmittelbaren Direktausleitung von TKÜ-Daten sind bisher allerdings noch keine Gerichtsentscheidungen zum ordre public-Standard bekannt. Die folgenden Abschnitte konzentrieren sich daher auf den Maßstab des deutschen ordre public, der sich anhand der Entscheidung des BVerfG zum BKA-Gesetz näher konkretisieren lässt.

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§ 73 Satz 2 IRG verweist für Ersuchen nach dem zehnten Teil des IRG auf die „in Artikel 6 des Vertrages über die Europäische Union enthaltenen Grundsätze“. 21 Vgl. zur zunehmenden Bedeutung der Europäischen Grund- und Menschenrechte im Strafverfahren zuletzt Safferling & Rückert 2021, 287 ff. 22 Vgl. Art. 14 RL EEA. 23 So auch Böse 2014, 154 f.

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3.2 Maßstab des BVerfG Das Bundesverfassungsgericht hat die Grenzen der Auslandsübermittlung von personenbezogenen Daten in seinem Urteil vom 20. 04. 2016 zum BKA-Gesetz definiert; die Ergebnisse fasste es in seiner Entscheidung zum BND-Gesetz nochmals zusammen.24 Beide Urteile betreffen zwar primär den Bereich der inneren Sicherheit und die Übermittlung von allgemeinen präventiv-polizeilich und nachrichtendienstlich genutzten Daten, adressieren jedoch ähnliche Problemstellungen wie die Datenübermittlung bei der Rechtshilfe in Strafsachen: Sowohl bei der Rechtshilfe als auch bei den allgemeinen Polizeidaten geht es zentral um die Frage, wie das Interesse an einer effektiven internationalen Sicherheitskooperation mit den Schutzinteressen der betroffenen Personen abzuwägen ist. Das Urteil zum BKA-Gesetz ist für die vorliegende Fragestellung besonders deswegen interessant, weil es die Grenzen der Auslandsübermittlung von personenbezogenen Daten nicht nur allgemein anspricht, sondern auch an den speziellen Fragestellungen der Zweckbindung und des Datenschutzes exemplifiziert. 3.2.1 Allgemeine Aussagen Das BVerfG stellt in seinem Urteil zum BKA-Gesetz (in Abschnitt D.IV.) zunächst die allgemeinen Abwägungsprinzipien und Kriterien für die Auslandsübermittlung von polizeilichen TKÜ-Daten fest, die den Grundsätzen zum ordre public in anderen Bereichen der Rechtshilfe entsprechen (Rn. 323 ff.). Dabei erläutert das Gericht (Rn. 325 ff.) die fehlende Geltung des deutschen Rechts im (ersuchenden) Empfängerstaat sowie die gebotene Respektierung der ausländischen Rechtsordnung durch das deutsche Recht. Auf dieser Grundlage betont das Gericht, dass das Grundgesetz der Datenübermittlung ins Ausland „nicht grundsätzlich“ entgegenstehe, da es die Bundesrepublik Deutschland in die internationale Gemeinschaft einbinde und auf die internationale Zusammenarbeit mit anderen Staaten ausrichte; dies gelte „auch dann, wenn deren Rechtsordnungen und -anschauungen nicht vollständig mit den deutschen innerstaatlichen Anschauungen übereinstimmen“ (Rn. 325). Das Gericht postuliert gleichzeitig aber auch die Geltung der eigenen verfassungsrechtlichen Regelungen (Rn. 324). Es nennt dazu im Anschluss an seinen übermittlungsfreundlichen Ansatz zwei wesentliche Gesichtspunkte, die eine solche Übermittlung beschränken: Zum einen bleibe die deutsche Staatsgewalt bei der Datenübermittlung „im Ausgangspunkt“ an die Grundrechte gebunden. Die grundgesetzlichen Grenzen der inländischen Datenerhebung und -verarbeitung dürften durch den Austausch zwischen den Sicherheitsbehörden daher nicht „in ihrer Substanz unterlaufen“ werden und der Grundrechtsschutz bei der Datenübermittlung ins Ausland „nicht ausgehöhlt“ werden (Rn. 326, 327). Zum andern ergäben sich Grenzen der Da24 BVerfG v. 20. 4. 2016 – 1 BvR 966/09 (BKA-Gesetz), insbes. Rn. 323 ff.; BVerfG v. 19. 5. 2020 – 1 BvR 2835/17 (Ausland-Ausland-Fernmeldeaufklärung nach BND-Gesetz), insbes. Rn. 231 ff.

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tennutzung durch den Empfängerstaat, wenn „Menschenrechtsverletzungen zu besorgen“ seien. Zwingend auszuschließen sei eine Datenübermittlung daher an Staaten, wenn zu befürchten sei, dass „elementare rechtsstaatliche Grundsätze“ verletzt werden (Rn. 328). Diese allgemeinen Kriterien sind sehr unbestimmt. Das Gericht konkretisiert sie dann allerdings bei der Analyse von zwei Sachbereichen, die es als zentral ansieht: der Zweckbindung der übermittelten Daten sowie dem allgemeinen Datenschutz. 3.2.2 Insbesondere Zweckbindung Zur Zweckbindung der Daten fordert das BVerfG zunächst (Rn. 329 ff.), dass die Übermittlung von Daten ins Ausland an hinreichend gewichtige Zwecke gebunden sein müsse. Zur Konkretisierung geht das Gericht von dem – im deutschen Strafprozessrecht allgemein anerkannten – Kriterium der hypothetischen Datenerhebung aus, das darauf abstellt, ob die Daten auch für die neue Zwecksetzung hätten erhoben werden können. Die Zweckbegrenzungen der ausländischen Rechtsordnung müsse dabei jedoch nicht im Einzelnen identisch zur deutschen Rechtsordnung abgebildet werden: Es sei auch möglich, dass die Zweckbindung nur in Form eines Hinweises, nicht aber durch eine förmliche Verpflichtung abgesichert werde und dass zum Löschungszeitraum nur ein informatorischer Hinweis auf die deutsche Rechtslage vorgeschrieben sei (Rn. 352). Ob diese Feststellung auch für die vergleichsweise sensiblen TKÜ-Daten in dem formalen Rechtshilfeverfahren gilt, erscheint allerdings zweifelhaft. Die Anforderungen des BVerfG sind damit jedenfalls großzügiger als der strenge Spezialitätsgrundsatz, den Nr. 77a RiVASt fordert und nach dem „die gewonnenen Erkenntnisse nur zur Aufklärung der in dem Ersuchen genannten Straftat(en) verwendet werden“ dürfen.25 3.2.3 Insbesondere Begrenzungen des Datenschutzes Für die Auslandsübermittlung der polizeilichen Daten fordert das BVerfG (Rn. 332 ff.) im Hinblick auf den Datenschutz (1.) „einen datenschutzrechtlich angemessenen und mit elementaren Menschenrechtsgewährleistungen vereinbaren Umgang mit den übermittelten Daten im Empfängerstaat“ und (2.) eine entsprechende „Vergewisserung“ hierüber seitens des deutschen Staates. Für die Prognose eines „hinreichend rechtsstaatlichen Umgangs mit den Daten im Empfängerland“ verlangt das Gericht (Rn. 333 ff.) allerdings nur, dass ein solcher „zu erwarten“ sei. Nicht erforderlich sei, dass im Empfängerstaat vergleichbare Regelungen zur Verarbeitung personenbezogener Daten wie in der deutschen Rechtsordnung gelten oder ein gleichartiger Schutz wie der nach dem Grundgesetz vorhanden sei (Rn. 352). Gleichzeitig stellt das Gericht allerdings auch wieder fest, dass eine Übermittlung der Daten nur erlaubt sei, wenn im Ausland der menschenrechtliche Schutz personenbezogener 25

Vgl. zum Grundsatz der Spezialität Barbosa & Silva 2019, 485 ff.

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Daten nicht unterlaufen würde. In Betracht zu nehmen sei dabei vor allem, ob für die Verwendung der Daten die – bei der Übermittlung mitgeteilten – Grenzen durch Zweckbindung und Löschungspflichten sowie grundlegende Anforderungen an Kontrolle und Datensicherheit wenigstens grundsätzlich Beachtung fänden. Zu der erforderlichen „Vergewisserung“ des deutschen Staates über die Berücksichtigung der vorgenannten Grundsätze führt das BVerfG aus, dass die Gewährleistung des geforderten Schutzniveaus im Empfängerstaat nicht für jeden Fall einzeln geprüft und durch völkerrechtlich verbindliche Einzelzusagen abgesichert werden müsste. Der Gesetzgeber könne diesbezüglich auch eine generalisierende tatsächliche Einschätzung der Sach- und Rechtslage in den Empfängerstaaten ausreichen lassen. Soweit sich Entscheidungen mit Blick auf einen Empfängerstaat nicht auf solche Beurteilungen stützen ließen, bedürfe es jedoch einer mit Tatsachen unterlegten Einzelfallprüfung, aus der sich ergebe, dass die Beachtung jedenfalls der grundlegenden Anforderungen an den Umgang mit Daten hinreichend gewährleistet sei. Erforderlichenfalls könnten und müssten verbindliche Einzelgarantien abgegeben werden. Grundsätzlich sei jedoch eine verbindliche Zusicherung geeignet, etwaige Bedenken hinsichtlich der Zulässigkeit der Datenübermittlung auszuräumen (Rn. 338). Das BVerfG zeigt mit dieser detaillierten Prüfung, dass die rechtliche Beurteilung der Übermittlung von polizeilichen Daten ins Ausland eine erhebliche Bedeutung gewonnen hat. Die vom Gericht entwickelten Anforderungen an die Datenübermittlung ins Ausland lassen sich auch nicht mit dem pauschalen Argument relativieren, dass sie allgemeine polizeilichen Daten und nicht die Rechtshilfe betreffen. Im Gegenteil: Die Ausführungen des BVerfG müssen für den Export von TKÜ-Daten im Wege der Rechtshilfe umso mehr gelten, als es sich hier um besonders sensible Daten und ein stark formalisiertes rechtliches Verfahren handelt, das zu erheblichen strafrechtlichen Folgen für die Betroffenen führen kann.

4. Konsequenzen für die TKÜ-Rechtshilfe Die vorstehende Analyse der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts liefert Leitlinien für die Bestimmung des deutschen ordre public bei der Auslandsübermittlung von Daten zur Verhütung und Verfolgung von Straftaten. Die Übertragung dieser Rechtsprechung auf die Rechtshilfe in Strafsachen soll im Folgenden exemplarisch an vier zentralen Fragestellungen verdeutlicht werden. Diese betreffen die Grenzen des ordre public (1.) bei der Zweckbindung der Daten, (2.) beim allgemeinen Datenschutz, (3.) beim Schutz des Kernbereichs der privaten Lebensgestaltung und (4.) beim Schutz der Berufsgeheimnisträger.26 Als Referenzpunkt für die Dar26

Auf die gleichermaßen wichtige Frage des Rechtsschutzes gegen die Anordnung der TKÜ kann hier aus Platzgründen nicht mehr eingegangen werden. Vgl. dazu den Lösungsansatz in Art. 14 Abs. 7 der RL EEA: „Der Anordnungsstaat berücksichtigt eine erfolgreiche Anfechtung der Anerkennung oder Vollstreckung einer EEA im Einklang mit seinem nationalen Recht. Unbeschadet der nationalen Verfahrensvorschriften stellen die Mitgliedstaaten

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stellung der Ergebnisse dient die oben genannte Regelung in Nr. 77a RiVASt, die für die zuständigen Gerichte zwar nicht bindend ist, jedoch einen anschaulichen Ausgangspunkt für die praktische Umsetzung der erforderlichen Veränderungen und Lösungen bildet. 4.1 Zweckbindung Nach den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts erfordert die Auslandsübermittlung der Daten eine Regelung der Zweckbindung, die allerdings nicht der deutschen Zweckbindungslehre entsprechen muss. Soweit in den einschlägigen Rechtshilfeinstrumenten der Spezialitätsgrundsatz gilt, bestehen im Hinblick auf diese Forderung keine Probleme, da dieser fundamentale Grundsatz der Rechtshilfe jegliche zweckentfremdete Verwendung der Daten ausschließt, was über die Anforderungen des BVerfG deutlich hinausgeht. Das Gleiche gilt für die Vorgaben von Nr. 77a Abs. 1 b) RiVASt, nach denen die gewonnenen Erkenntnisse nur zur Aufklärung der im Ersuchen genannten Straftat(en) verwendet werden dürfen. Zusätzliche Bedingungen zur Gewährleistung der Zweckbindung über die RiVASt hinaus sind daher auf dieser Grundlage für die TKÜ-Rechtshilfe nicht erforderlich. 4.2 Allgemeiner Datenschutz Nach der Entscheidung des BVerfG erfordert die Auslandsübermittlung von personenbezogenen Daten auch einen bestimmten Datenschutz im Empfängerstaat, der allerdings ebenfalls nicht dem deutschen Datenschutzstandard entsprechen muss. Zentrales Element eines solchen Datenschutzsystems ist bei der Rechtshilfe in Strafsachen zunächst die bereits genannte Zweckbindung der Daten, die durch den Spezialitätsgrundsatz oder die Bedingungen der RiVASt in weitgehender Weise erreicht wird. Zum datenschutzrechtlichen Mindeststandard gehört weiter, dass die erhobenen TKÜ-Daten gelöscht werden, sobald sie zur Strafverfolgung nicht mehr erforderlich sind, wie dies in Nr. 77a Abs. 1 b) RiVASt ebenfalls bereits vorgesehen ist. Eine Sicherung der Verhältnismäßigkeit der Datenerhebung erfolgt bei der Prüfung der Vornahmeermächtigung, z. B. über die Forderung nach einem Verdacht auf eine Katalogtat. Für die Mitgliedstaaten der Europäischen Union gelten – inzwischen auch für den Bereich des Strafverfahrens – zusätzlich die Garantien der EU-Charta und der EMRK sowie als Sekundärrecht die Richtlinie 2016/680.27 sicher, dass in einem Strafverfahren im Anordnungsstaat bei der Bewertung der mittels einer EEA erlangten Beweismittel die Verteidigungsrechte gewahrt und ein faires Verfahren gewährleistet werden.“ 27 Richtlinie (EU) 2016/680 v. 27. 4. 2016 zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten durch die zuständigen Behörden zum Zwecke der Verhütung, Ermittlung, Aufdeckung oder Verfolgung von Straftaten oder der Strafvollstreckung. Vgl. dazu Singelnstein 2020, 639 ff. Das damit verbundene Datenschutzniveau der EU im

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Falls keine besonderen Umstände vorliegen, erfüllen diese Sicherungen des formalen Rechtshilfeverfahrens die Vorgaben des BVerfG zur Garantie des ordre public. Weitergehende datenschutzrechtliche Konzepte, wie die Pflicht zur Kennzeichnung der Daten nach § 101 Abs. 3 StPO, Berichtspflichten oder das Bestehen einer unabhängigen Aufsichtsbehörde sind dagegen spezifische Organisationsmaßnahmen, die nicht mehr zum ordre public zählen. Weitere, über Nr. 77a RiVASt hinausgehende Bedingungen sind daher zur Gewährleistung des ordre public im Bereich des Datenschutzes für den Normalfall nicht erforderlich. Etwas anderes kann allerdings gelten, wenn insbesondere außerhalb der EU im ersuchenden Staat zentrale datenschutzrechtliche Regeln – rechtlich oder faktisch – nicht gelten.28 4.3 Kernbereichsschutz der privaten Lebensgestaltung Der Schutz des Kernbereichs privater Lebensgestaltung beruht in Deutschland auf der Garantie der Menschenwürde in Art. 1 Abs. 1 GG in Verbindung mit den jeweils einschlägigen Einzelgrundrechten. Er garantiert dem Einzelnen einen Bereich höchstpersönlicher Privatheit, der vor Überwachung geschützt ist. Er umfasst insbesondere Äußerungen innerster Gefühle, Ausdrucksformen der Sexualität oder Erlebnisse höchstpersönlicher Art. Nicht geschützt ist die Kommunikation mit einem Sozialbezug, zu der auch die Kommunikation über Straftaten zählen kann, wenn nicht ausschließlich innere Eindrücke und Gefühle ohne Hinweise auf konkrete Straftaten enthalten sind oder es um spezielle Gespräche mit bestimmten Personen geht (wie Beichtgespräche oder vertrauliche Gespräche mit einem Psychotherapeuten oder Strafverteidiger).29 Der Schutz des Kernbereichs der persönlichen Lebensgestaltung ist im einfachen Gesetzesrecht in § 100d Abs. 1 und 2 StPO näher geregelt. Bestehen Anhaltspunkte, dass mit der TKÜ allein Erkenntnisse aus dem Kernbereich privater Lebensgestaltung erlangt werden, ist eine TKÜ-Maßnahme von vornherein unzulässig. Darüber hinaus dürfen Erkenntnisse aus dem Kernbereich der privaten Lebensgestaltung nicht verwertet werden. Entsprechende Aufzeichnungen sind – in einem dokumentierten Verfahren – unverzüglich zu löschen. Der Kernbereich der persönlichen Lebensgestaltung ist nach dem BVerfG ein „absolut unantastbar geschützter“ Bereich, bei dem selbst überragende Interessen der Allgemeinheit (einschließlich SicherheitsStrafverfahren zeigt sich z. B. in Deutschland an den §§ 474 – 500 StPO einschließlich der Verweisung von § 500 Abs. 1 StPO auf die §§ 45 ff. BDSG. 28 Vgl. dazu für die Übermittlung von personenbezogenen Daten in die USA die entsprechenden Safe-Harbor-Regelungen mit den Ausführungen in EUGH v. 6. 10. 2015 – C-362/14 NJW 2015, 3151 (Schrems I); EUGH v. 16. 7. 2020 – C-311/18, ZD 2020, 511 (Schrems II). Für die Rechtshilfe ist allerdings aufgrund des o.g. Interesses an der internationalen Kooperation in Strafsachen nur eine Regelung auf dem Niveau des ordre public erforderlich. 29 Vgl. BVerfG v. 7. 12. 2011 – 2 BvR 2500/09 (Wohnraumüberwachung), Rn. 99; BVerfG v. 20. 4. 2016 – 1 BvR 966/09 (BKA-Gesetz), Rn. 120 – 122; BVerfG v. 19. 5. 2020 – 1 BvR 2835/17 (Ausland-Ausland-Fernmeldeaufklärung), Rn. 200 – 202.

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interessen) nicht nach dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz abgewogen werden dürfen und damit auch keinen Eingriff rechtfertigen können.30 Der Kernbereich der persönlichen Lebensgestaltung zählt damit zweifellos zum Kerngehalt der entsprechenden deutschen Grundrechte und zum ordre public. Allerdings wird er in Nr. 77a RiVASt nicht erfasst. In Nr. 77a RiVASt muss daher die weitere Bedingung aufgenommen werden, dass Erkenntnisse aus dem Kernbereich privater Lebensgestaltung nicht verwertet werden dürfen und Aufzeichnungen über solche Erkenntnisse unverzüglich und in dokumentierter Form zu löschen sind. Die ergänzenden Regelungen zur Kennzeichnung der erlangten Daten sowie zur Erstellung von Statistiken und Berichten zählen dagegen als organisatorische Absicherungen nicht mehr zum ordre public. 4.4 Schutz der Berufsgeheimnisträger Das deutsche Recht garantiert weiter in § 160a StPO einen vergleichsweise weitreichenden Schutz von zeugnisverweigerungsberechtigten Berufsgeheimnisträgern. Ermittlungsmaßnahmen gegen Geistliche (§ 53 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StPO), Verteidiger (Nr. 2), bestimmte Abgeordnete (Nr. 4) sowie Rechtsanwälte, Kammerrechtsbeistände und bestimmte Hilfspersonen (§ 53a StPO) zur Erlangung von Erkenntnissen, die von deren Zeugnisverweigerungsrechten abgedeckt werden, sind unzulässig, soweit nicht der Verdacht auf eine Tatbeteiligung besteht. Dennoch erlangte Erkenntnisse dürfen nicht verwendet werden. Aufzeichnungen hierüber sind unverzüglich zu löschen. Anders als die vorgenannten Personen erhalten zahlreiche weitere zeugnisverweigerungsberechtigte Personen dagegen keinen absoluten, sondern nur einen relativen Schutz gegen Ermittlungsmaßnahmen, der von einer Interessenabwägung abhängt (§ 160a StPO). Der deutsche Gesetzgeber hat damit für bestimmte Berufsgeheimnisträger durch das absolute und keiner Abwägung unterliegende Ermittlungsverbot die zentrale Bedeutung des entsprechenden Schutzes dokumentiert. Damit sprechen gute Gründe dafür, die Ermittlungsverbote bezüglich der absolut geschützten Geistlichen und der Verteidiger ebenfalls dem ordre public zuzurechnen. Die weiteren absolut geschützten Geheimnisträger können ebenfalls einbezogen werden; allerdings lässt sich auch ein Ausschluss begründen, soweit es bei ihnen nicht um den Schutz der Menschenwürde oder des Persönlichkeitsrechts geht, sondern um die Funktionsfähigkeit von bestimmten Institutionen.31 Die weiteren und nur relativ geschützten Berufsgeheimnisträger dürften allein wegen ihrer Berufszugehörigkeit nicht mehr generell durch den ordre public geschützt sein, da die entsprechenden Ermittlungsver30 BVerfG v. 7. 12. 2011 – 2 BvR 2500/09 (Wohnraumüberwachung), Rn. 99; BVerfG v. 20. 4. 2016 – 1 BvR 966/09 (BKA-Gesetz), Rn. 124; BVerfG v. 19. 5. 2020 – 1 BvR 2835/17 (Ausland-Ausland-Fernmeldeaufklärung), Rn. 200. 31 Vgl. zu diesen unterschiedlichen Zielsetzungen BVerfG v. 3. 3. 2004 – 1 BvR 2378/98, NJW 2004, 999, 1004 („Großer Lauschangriff“).

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bote vom Gesetzgeber unter dem Vorbehalt einer Abwägung stehen. Für sie kann allerdings im Einzelfall wegen des spezifischen Gesprächsinhalts ein Kernbereichsschutz der privaten Lebensgestaltung in Betracht kommen (etwa bei psychotherapeutischen Gesprächen).32 Nr. 77a RiVASt muss daher zumindest dahingehend ergänzt werden, dass Aufzeichnungen über die Kommunikation von Geistlichen und Verteidigern unverwertbar und zu löschen sind, soweit nicht aufgrund von bestimmten Tatsachen der Verdacht der Tatbeteiligung besteht.

5. Ergebnis Als Ergebnis ist damit festzuhalten: Die Probleme, die sich aus den rechtlichen Unterschieden zwischen den verschiedenen nationalen Rechtsordnungen für die internationale Rechtshilfe zur TKÜ ergeben, können mit den beiden – auch in Art. 30 Abs. 5 RL EEA genannten – zentralen Beschränkungen der TKÜ-Rechtshilfe33 gelöst werden, d. h. dem Erfordernis einer TKÜ-Ermächtigung nach deutschem Recht und der Stellung von Bedingungen durch die deutschen Gerichte. Über diese Bedingungen können die auf deutschem Territorium geltenden Garantien bei der Datenauswertung in den Grenzen des ordre public auf die ausländischen Ermittlungsbehörden übertragen werden. Dadurch entfallen Prüf- und Filterpflichten der deutschen Behörden, die andernfalls eine ungeprüfte direkte Ausleitung der TKÜ-Daten verhindern könnten. In der Sache sind diese Bedingungen daher auch keine zusätzlichen Erschwernisse der Rechtshilfe, sondern Ausgleichsmaßnahmen für den fehlenden Schutz auf der Auswertungsebene, ohne den eine Ausleitung der TKÜ-Daten nicht möglich wäre. Aus diesem Grund müssen diese Bedingungen im Interesse der betroffenen Bürger in der Praxis auch tatsächlich gestellt werden. Daher sollte auch in Nr. 77a RiVASt als weitere Bedingung aufgenommen werden, dass Erkenntnisse aus dem Kernbereich der privaten Lebensgestaltung nicht verwertet werden dürfen und Aufzeichnungen über solche Erkenntnisse unverzüglich und in dokumentierter Form zu löschen sind. Die Regelung muss weiter dahingehend ergänzt werden, dass zumindest Aufzeichnungen über die Telekommunikation von Geistlichen und Verteidigern unverwertbar und zu löschen sind, soweit gegen diese Personen nicht aufgrund von bestimmten Tatsachen der Verdacht der Tatbeteiligung oder einer Anschlussstraftat besteht. Geprüft werden muss weiter, inwieweit die hier aus Platzgründen nicht vertiefte Regelung von Art. 14 Abs. 7 der RL EEA über die erfolgreiche Anfechtung einer EEA im Hinblick auf das – ebenfalls vom ordre public erfasste – Rechtsstaatsprinzip zusätzlich abzusichern ist. Die entsprechenden Garantien sollten dabei in der Form von völkerrechtlich verbindlichen Bedingungen erfolgen, auf die der Betrof-

32 33

BVerfG v. 20. 4. 2016 – 1 BvR 966/09 (BKA-Gesetz), Rn. 258. Ebenso z. B. Art. 18 Abs. 5 lit. b EU-RhÜbk.

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Ulrich Sieber

fene sich – auch in einem gegen ihn im Ausland geführten Strafverfahren – berufen kann. Dieses Vorgehen sollte nicht nur für ein zukünftig geplantes Rechtshilfesystem mit Direktausleitung der übermittelten Daten genutzt werden, sondern auch schon bei jeder klassischen Übermittlung von TKÜ-Daten ins Ausland. Da die genannten Beschränkungen der Rechtshilfe durch die Forderung einer doppelten Ermächtigung zur Vornahme der TKÜ nach dem Recht des ersuchenden und dem des ersuchten Staates sowie durch die mögliche Stellung von Bedingungen in den weiteren Rechtshilfeabkommen und in der vertragslosen Rechtshilfe gelten (vgl. insbes. § 59 Abs. 3 IRG), sind sie grundsätzlich auch bei anderen Rechtshilferegelungen für Nicht-Mitgliedstaaten der EU anwendbar, bei denen erforderlichenfalls weitere Bedingungen hinzukommen können. Dadurch kann die TKÜ bei einer unmittelbaren Datenausleitung nicht nur effektiver werden, sondern auch einen angemessenen Schutz der Betroffenen gewährleisten. Die vorliegenden Ergebnisse machen damit vor allem auch zwei allgemeine Erkenntnisse deutlich. Sie zeigen zum einen, wie wichtig – gerade auch in der internationalen Zusammenarbeit – ein angemessener Ausgleich zwischen dem Interesse an einer funktionierenden internationalen Strafrechtspflege und den Freiheitsrechten der Bürger ist, für die Hans-Jörg Albrecht sich in seinen Forschungen – allgemein und besonders im Bereich der Telekommunikationsüberwachung – stets eingesetzt hat. Zum anderen zeigen die behandelten komplexen Probleme und Lösungen aber auch deutlich, welch hohen Preis Europa dafür bezahlen muss, dass die Angleichung der nationalen Strafrechtssysteme noch nicht ausreichend vorangekommen ist.34 Die für eine solche Rechtsharmonisierung erforderliche vergleichende – empirische und normative – Forschung ist ebenfalls ein zentrales Anliegen von Hans-Jörg Albrecht, das sein beeindruckendes Lebenswerk nachhaltig geprägt hat, und das ihn – dessen bin ich sicher – auch weiterhin beschäftigen wird. Literaturverzeichnis Albrecht, H.-J. (2010): Telekommunikationsverkehrsdaten, Vorratsdatenspeicherung und Strafverfahren, in: A.G. Pitsela (Hrsg.), Criminology: Searching for Answers. Essays in Honour of Professor Stergios Alexiadis. Athen, S. 1 – 21. Albrecht, H.-J. (2014): Vorratsdatenspeicherung von Telekommunikationsverkehrsdaten und die Richtlinie 2006/24 EG, in: A. Nuhog˘ lu, S. Altunç & C.Z. Pirim (Hrsg.), Prof. Dr. Feridun Yenisey’e Armag˘ an. Vol. Cilt I, S. 767 – 794. Albrecht, H.-J., Dorsch, C. & Krüpe, C. (2003): Rechtswirklichkeit und Effizienz der Überwachung der Telekommunikation nach den §§ 100a, 100b StPO und anderer verdeckter Ermittlungsmaßnahmen – Eine rechtstatsächliche Untersuchung im Auftrag des Bundesministeriums der Justiz. Kriminologische Forschungsberichte aus dem Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Strafrecht, Band 115. Freiburg i.Br. 34

Vgl. Sieber 2009, S. 201 – 208.

Auslandsübermittlung von Daten aus der Telekommunikationsüberwachung

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Albrecht, H.-J. & Kilchling, M. (2009): Die Überwachung von Telekommunikations-Verkehrsdaten, in: Jahrbuch 2008 der Max-Planck-Gesellschaft. Albrecht, H.-J. & Sieber, U. (1980): Evaluation von Behandlungsprogrammen im Strafvollzug und Wirtschaftsdelinquenz multinationaler Unternehmen. Monatsschrift für Kriminologie und Strafrechtsreform 63, S. 162 – 172. Albrecht, H.-J. & Sieber, U. (1985): Bericht über das 20. Kolloquium der Südwestdeutschen Kriminologischen Institute. Monatsschrift für Kriminologie und Strafrechtsreform 68, S. 244 – 248. Ambos, K., König, S. & Rackow, P. (Hrsg.) (2020): Internationaler Rechtshilfeverkehr in Strafsachen. Baden-Baden/Wien/Basel. Barbosa e Silva, J. (2019): The speciality rule in cross-border evidence gathering and in the European Investigation Order. ERA-Forum, S. 486 – 504. Bock, S. (2019): Rechtskulturelle Differenzen in der internationalen Rechtshilfe in Strafsachen. ZIS, S. 298 – 306. Böse, M. (2014): Die europäische Ermittlungsanordnung – Beweistransfer nach neuen Regeln. ZIS, S. 152 – 164. Brodowski, D. (2016): Verdeckte technische Überwachungsmaßnahmen im Polizei- und Strafverfahrensrecht. Tübingen. Grützner, H., Pötz, P.G., Kreß, C. & Gazeas, N. (Hrsg.) (2020), Internationaler Rechtshilfeverkehr in Strafsachen. 3. Aufl., Teil 1, München. Ligeti, K., Garamvölgyi, B., Ondrejová, A. & von Galen, M. (2020): Admissibility of Evidence in Criminal Proceedings. eucrim, S. 201 – 208. Safferling, C. & Rückert, C. (2021): Europäische Grund- und Menschenrechte im Strafverfahren – ein Paradigmenwechsel? NJW, S. 287 – 292. Sieber, U. (1976): Aktuelle Kriminologie. JuristenZeitung 31, S. 37 – 38. Sieber, U. (2009): Die Zukunft des Europäischen Strafrechts. Zeitschrift für die gesamte Strafrechtswissenschaft 121, S. 1 – 67. Sieber, U. (2018): The New Architecture of Security Law – Crime Control in the Global Risk Society, in: U. Sieber, V. Mitsilegas, C. Myonopulos, E. Billis & N. Knust (Hrsg.), Alternative Systems of Crime Control. Berlin, S. 3 – 35. Singelnstein, T. (2020): Folgen des neuen Datenschutzrechts für die Praxis des Strafverfahrens und die Beweisverbote. NStZ, S. 639 – 644. Trautmann, S. & Zimmermann, F. (2020): § 59 IRG, in: W. Schomburg, & O. Lagodny (Hrsg.), Internationale Rechtshilfe in Strafsachen. 6. Aufl., München.

Zum Verhältnis von (Straf-)Recht, Sicherheit und Freiheit Unter Berücksichtigung von Transformationen der Sicherheit, des Begriffs des „Gefährders“ sowie sicherheitsrelevanter Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts Von Jörg Arnold Auf Einladung des mit dem Max-Planck-Institut (MPI) jahrelang verbundenen russischen Kriminologen Dmitry Shestakov weilten Hans-Jörg Albrecht und ich in der Zeit vom 11. Oktober bis zum 14. Oktober 2018 in St. Petersburg. Wir haben an der Tagung „Criminology – criminal law – security law“ teilgenommen, die vom St. Petersburger Internationalen kriminologischen Club veranstaltet wurde. Mein dort gehaltener Vortrag wurde in russischer Sprache veröffentlicht.1 Zu Ehren von Hans-Jörg Albrecht ist es mir ein Anliegen, den Beitrag hier auch auf deutsch zu dokumentieren.2 Denn der gemeinsame Aufenthalt in St. Petersburg und die dort von uns vorgetragenen Texte symbolisieren für mich eine sowohl wissenschaftliche wie freundschaftliche Verbundenheit mit dem Jubilar, als auch einen mir durch ihn zuteil gewordenen menschlichen Beistand.

1. Transformationen von Sicherheit 1.1 Biographisches Am Beginn meiner Überlegungen zu dem Verhältnis von (Straf-)Recht, Sicherheit und Freiheit sollen einige wenige „autobiographische“ Bemerkungen stehen. Meine juristische Sozialisation – Studium, Tätigkeit in der (Straf-)Justiz sowie in der (Strafrechts-)Wissenschaft – habe ich zunächst in der DDR, und zwar im Bezirk Dresden und in Berlin erfahren. Mit 34 Jahren wechselte ich im Jahre 1991 an das renommierte Freiburger Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales 1 Arnold 2018, 20 – 29 (die Quellenangaben dazu im Literaturverzeichnis am Ende des Beitrages erfolgen entsprechend dem bibliographischen russischen Nachweis auf englisch). 2 Der Vortragsstil wurde im Wesentlichen beibehalten. Inhaltlich wurden geringfügige Überarbeitungen vorgenommen, die vor allem einige notwendige Aktualisierungen betrafen. Aktualisierungen konnten sich leider nicht mehr der Frage nach den Auswirkungen der „Corona-Krise“ auf Sicherheit, Freiheit und Sicherheits(straf)recht widmen. Es bedarf aber wohl keiner allzugroßen Phantasie, um sich vorzustellen, dass ein ohnehin schon erweiterter Sicherheitsbegriff politisch und rechtlich weiter aufgeladen werden wird.

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Strafrecht. Dieser persönliche Wechsel ging konform mit dem politischen Systemwechsel des Untergangs der DDR und der staatlichen Vereinigung mit der Bundesrepublik Deutschland. Dies war zunächst die Wahrnehmung, besser aber vielleicht die Vorstellung eines Wechsels von einem Sicherheitsstaat – der DDR – in einen demokratischen, freiheitlichen Rechtsstaat, der Bundesrepublik Deutschland. Vielleicht kommt einigen von Ihnen, die schon in der Sowjetunion als Juristen tätig waren, aufgrund gewisser Gemeinsamkeiten zwischen den Strafrechtssystemen der DDR und der UdSSR das Nachfolgende nicht gänzlich unbekannt vor.3 In der DDR stand die Sicherheit gewissermaßen über dem Recht. Die staatlichen Sicherheitsvorstellungen richteten sich vor allem auf den Schutz der Bevölkerung vor Kriminalität, den Schutz des Staates vor feindlichen Angriffen von innen wie von außen und nicht zuletzt auf die Gewährleistung von sozialer Sicherheit. Diese staatlichen Sicherheitsvorstellungen deckten sich weitgehend mit den Sicherheitsvorstellungen der Bevölkerung. Das Recht in der DDR wurde auf diese Sicherheitsvorstellungen ausgerichtet, es war Instrument zu deren Gewährleistung. Dieses Recht war kein bürgerliches Recht eines bürgerlich-demokratischen Rechtsstaates, denn die DDR war erklärter- wie faktischermaßen ein solcher Staat gerade nicht. In der Verfassung der DDR findet sich übrigens das Wort „Sicherheit“ nur in dem Wort „Rechtssicherheit“. Hinsichtlich der Rechte des Einzelnen betont die DDR-Verfassung die sozialen Rechte, nicht aber die politischen und die Freiheitsrechte. Das entsprach dem Menschenbild im Staatssozialismus, das von dem Menschen als einem „Kollektivwesen“ ausging, das sich als Teil des Fürsorgestaates entwickelt. In solchem Entwicklungsprozess hatten politische und Freiheitsrechte des Einzelnen schon deswegen keinen zugesicherten Platz, weil sie sich in der systemimmanenten Logik als störend für die sozialistische Gesellschaft hätten erweisen können. Wichtiger als die politischen und Freiheitsrechte des Einzelnen war vielmehr die Sicherheit des Staates. Denn wenn die Sicherheit des Staates gewährleistet war – so die Logik – lasse sich auch die soziale Sicherheit der Staatsbürger im Rahmen der Fürsorgepflicht des gesicherten Staates garantieren.4 Ich selbst habe als Student der Rechtswissenschaften, als Jurist wie auch als Wissenschaftler in der DDR dieses herrschende Verständnis von Sicherheit und Recht längere Zeit im Wesentlichen mitgetragen. Es entsprach auch meinem gesellschaftspolitischen Verhältnis zu diesem Staat und meinen damaligen Überzeugungen.5 Erst nach 1985 reifte eine liberalere Erkenntnis. Das geschah im Zusammenhang mit der Auseinandersetzung über die Ursachen der Kriminalität im Sozialismus. Unter Federführung des namhaften DDR-Kriminologen und Strafrechtswissenschaftlers John Lekschas wurde die Diskussion über die Frage angestoßen, ob die 3

Vgl. Schittenhelm 1994. Vgl. zum Ganzen Arnold 1995; Böckenförde 1967. 5 Vgl. Eser & Arnold 2012, 1, dortige Fn. 3; Arnold 2016, 62 (S. 86 mit Anmerkung 16). 4

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Kriminalität in der DDR neben Einflüssen aus der BRD nicht auch maßgeblich eigene, innere sozialistisch-systemimmanente Ursachen habe.6 Das wurde von führenden DDR-Wissenschaftlern wie Erich Buchholz und vor allem von Justizfunktionären der Praxis, besonders aber von den für diese Fragen zuständigen politisch Herrschenden in Zweifel gezogen. Ich selbst war hin und hergerissen. Die Diskussion über die Ursachen der Kriminalität in der DDR entstand nicht zuletzt im Zusammenhang mit Überlegungen, die unter dem Einfluss von Glasnost und Perestroika die gesellschaftlichen Verhältnisse in der DDR auf die Grundlage eines freiheitlicheren und menschlicheren Sozialismus stellen wollten. Damit verbunden waren nicht etwa der „Abgesang“ auf die DDR und den Sozialismus als solches und schon gar nicht die „Übernahme“ der DDR durch die Bundesrepublik Deutschland, sondern die politische, demokratische Erneuerung der DDR. Das fand seinen nachhaltigen Ausdruck in dem Verfassungsentwurf des sogenannten Runden Tisches im April 1990. Politisch, ökonomisch und staatsrechtlich ist es aber anders gekommen. Seit nunmehr fast auf den Tag genau 27 Jahren existiert ein staatlich vereintes Deutschland und nicht mehr die DDR. Für mich persönlich war damit nicht zuletzt auch in juristischer Hinsicht ein tiefgreifender persönlicher Wandlungs- und Lernprozess verbunden.7 1.2 Aneignungen von Sicherheit und Freiheit Dieses vereinte Deutschland versteht sich anders als die DDR als ein bürgerlichdemokratischer Rechtsstaat. Recht soll staatliche und politische Macht begrenzen und freiheitlich sein, weil im Gemeinwesen alles als erlaubt angesehen wird, was nicht ausdrücklich rechtlich verboten ist. Freiheitsrechte sind Abwehrrechte gegenüber dem Staat. Als eine Leitlinie gilt das in Art. 20 Abs. 3 GG verankerte Rechtsstaatsprinzip. Interessanterweise enthält aber auch das Grundgesetz der BRD das Wort „Sicherheit“ nicht. Selbstverständlich aber wird man in den Strafgesetzbüchern sowohl der DDR wie der BRD fündig – im StGB der BRD beispielsweise im Zweiten Abschnitt, der mit „Landesverrat und Gefährdung der äußeren Sicherheit“ überschrieben ist (§§ 93 ff. StGB) sowie in § 125 StGB (Landfriedensbruch), der u. a. die Bedrohung der öffentlichen Sicherheit betrifft. Im StGB der DDR betraf das 7. Kapitel „Straftaten gegen die allgemeine Sicherheit“ (§§ 185 ff. DDR-StGB), wozu beispielsweise die „Gefährdung der Brandsicherheit“ sowie die „Gefährdung der Bausicherheit“ (§ 195 DDR-StGB) gehörten. Ein besonders problematischer Tatbestand war im Rahmen des 8. Kapitels normiert, 6

Lekschas et al. 1983; Arnold 1995, 455 ff. Vgl. dazu Arnold 1995, IX; Eser 1996, 813; Eser & Arnold 2012, 1, dortige Fn. 3; Vormbaum 2000, VII. 7

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der „Straftaten gegen die staatliche Ordnung“ betraf. Hier war durch § 249 DDRStGB sogenanntes „asoziales Verhalten“ als Beeinträchtigung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit mit Strafe bedroht. Die Diskussion um diese Strafvorschrift entzündete sich bereits in der DDR an der Möglichkeit, dass Beschuldigte, die aus sogenannter „Arbeitsscheu“ ihrer geregelten Arbeit unter bestimmten Voraussetzungen, wie einem längeren Zeitraum, fernblieben, verurteilt werden konnten. Der Blick in die Verfassung der DDR wie in das Grundgesetz der BRD, als auch in die jeweiligen Strafgesetzbücher zeigt also, dass der Sicherheitsbegriff hier einerseits entweder gänzlich fehlt oder eine gewisse strafrechtliche Normierung gefunden hat, im StGB der DDR stärker als in jenem der BRD. Vor dem Hintergrund dieses Befundes haben wir es nun mit der Realität zu tun, dass sowohl in der Politik als auch in der Wissenschaft, Strafrechtswissenschaft und Kriminologie bilden da keine Ausnahme, das Wort Sicherheit allenthalben im Munde geführt wird. Es handelt sich fast schon um einen inflationären Gebrauch, der nicht neu ist. Für die alte Bundesrepublik sind wohl die Gewaltverbrechen der Rote-ArmeeFraktion (RAF) die Zäsur gewesen, um seit Mitte der 1970er Jahre bis vielleicht Anfang der 1980er Jahre dem Thema „innere Sicherheit“ besondere Aufmerksamkeit zu widmen. Die Gewaltverbrechen der RAF waren für die damalige Kriminalpolitik der Anlass, um im materiellen Strafrecht wie auch besonders im Strafverfahrensrecht einen massiven Abbau von individuellen Schutzrechten zu betreiben, die bis dahin in Strafverfahren garantiert waren. Das ging einher mit gravierenden Beschneidungen des Rechts auf Verteidigung und mit dem Ausbau von Strafvorschriften, mit denen das komplexe RAF-Gewaltgeschehen in Zukunft besser erfasst werden sollte.8 Diese Situation hatte sich dann in den 1980er Jahren wieder etwas beruhigt. Der sicherheitspolitische Diskurs wurde leiser. Auch in der Kriminologie spielte er in dieser Zeit bis etwa Mitte der 1990er Jahre jedenfalls in Bezug auf die Bundesrepublik keine dominante Rolle mehr. Das Wort „Sicherheit“ kommt beispielsweise weder in der 2. Auflage des Lehrbuches Kriminologie von Kaiser von 19889 noch in der 3. Auflage des Kleinen Kriminologischen Wörterbuches von Kaiser et al. aus dem Jahre 1993 vor.10 Kritische Richtungen, die zu dieser Zeit in der Kriminologie und auch in der Strafrechtswissenschaft der alten Bundesrepublik wohl noch sehr viel stärker als es heute der Fall ist existierten, betrachteten den Sicherheitsbegriff aber unvermindert als Gewaltherrschaftskonstante des Staates. Damit war vor allem Staatskritik verbunden.11 Solche Stimmen verstummten oder ruderten zurück, als im Zusammenhang mit dem Untergang der DDR der gesellschaftliche Diskurs in der BRD von der Debatte um 8

Vgl. u. a. Müller 1980; Mehlich 2012; Honecker & Kaleck 2016, 557. Kaiser 1988. 10 Kaiser et al. 1993. 11 Vgl. u. a. Janssen & Schubert 1990. 9

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Rolle und Funktion des Ministeriums für Staatssicherheit der DDR und um jene Menschen bestimmt wurde, die für dieses Ministerium in verschiedener Weise tätig waren. Einen neuen innenpolitischen Aufschwung erlebte und erlebt die Debatte um die Sicherheit seit den Anschlägen auf das World Trade Center am 11. September 2001. Seit dieser Zeit konkurrieren die Begriffe „Sicherheit“ und „Terrorismus“ in der Häufigkeit ihres Gebrauches miteinander. Mit dieser Bemerkung soll eine – allerdings diffuse und disparate – terroristische Gefahr nicht geleugnet werden, gleichwohl lassen sich nicht die Augen davor verschließen, dass diese Gefahr das trojanische Pferd für einen Abbau des Rechtsstaates ist – und zwar in einer europäischen Dimension. In der deutschen Wissenschaft wird diese Entwicklung teilweise nachhaltig begleitet, und dies durchaus kritisch, wenngleich die Kritik in unterschiedlicher Gewichtung ausfällt. Die Kritik kulminierte im Hinblick auf die Figur des sogenannten Feindstrafrechts, wie diese von dem Strafrechtslehrer Günther Jakobs aus Bonn postuliert wird. 1.3 „Feindstrafrecht“ Das „Feindstrafrecht“ soll nach Jakobs das rechtsstaatliche Strafrecht für Feinde der Gesellschaft außer Kraft setzen, soll entpersonalisieren, weil jenes nur für bürgerliche Rechtspersonen zuständig sei, nicht aber für Feinde der bürgerlichen Gesellschaft, wie islamistische Terroristen.12 Der Täter des „Feindstrafrechts“ ist Gefahrenquelle, die weit im Vorfeld einer eintretenden bzw. drohenden Schädigung auftritt.13 Das aber ist ein auf die Spitze getriebenes Sicherheitsrecht. Ich selbst habe mich auf dem Strafverteidigertag im Jahre 2006 kritisch damit auseinandergesetzt.14 Das wiederum hatte mir in der Diskussion Kritik insbesondere von dem Strafrechtslehrer Klaus Lüderssen aus Frankfurt eingebracht; dies aber nicht deswegen, weil ich Jakobs kritisiert hatte, sondern weil Lüderssen der Meinung war, es stehe mir als früherem Juristen aus der DDR, der selbst einmal in Kategorien einer Art „Feindstrafrecht“ gedacht hatte, freilich unter anderen historischen Bedingungen und Einflüssen, nicht zu, jene zu kritisieren, die als westdeutsche Strafrechtler den Rechtsstaat einschränken wollen. Sich „vom Saulus zum Paulus“ wandeln zu können, wird mir damit abgesprochen, sozusagen mein „Damaskuserlebnis“ nicht zugestanden. Doch um in diesen umgangssprachlichen Bibelmetaphern zu bleiben: Die Wandlung vom sicherheitsdominanten DDR-Strafrecht in das freiheitliche rechtsstaatliche Strafrecht der BRD ist in der Realität eben gerade nicht eine eindimensionale Wandlung vom Bösen zum Guten, oder hinsichtlich des „Damaskuserlebnisses“ die metaphorische Begegnung 12

Vgl. nur Jakobs 2006, 289. Vgl. dazu auch Brunhöber 2018, 193 (196). 14 Arnold 2006, 303. 13

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mit Jesus Christus und die damit verbundene einschneidende Erkenntnis eines wunderbaren Strafrechts in der Bundesrepublik Deutschland. Die Theorie des rechtsstaatlichen Strafrechts hält der Wirklichkeit mitnichten stand. Und das liegt nicht zuletzt an der Instrumentalisierung des Sicherheitsbegriffs für die Erosion rechtsstaatlichen Strafrechts. Es ist nicht populistisch, eher vielleicht metaphorisch, wenn ich die These vertrete, dass sich das Strafrecht der BRD zurück zum Strafrecht der DDR entwickelt.15 In Wirklichkeit ist diese Aussage Teil einer Kontinuitätsdebatte, die auch im Zusammenhang mit der Kritik am „Feindstrafrecht“ als einer Form des Sicherheitsstrafrechts geführt worden ist.16 Ohne diese Debatte hier nachzeichnen zu können, sei jedenfalls festgestellt, dass der Abbau des rechtsstaatlichen Strafrechts eine lange historische Tradition hat. Das betrifft beispielsweise die generelle Ausdehnung der Strafbarkeit in den Bereich der Vorbereitung hinein, die noch darüber hinausgehende weite Vorverlagerung der Strafbarkeit bei politischen Delikten, sowie die Beseitigung der obligatorischen Strafmilderung beim Versuch. Mit der Devise gegen Ende des 19. Jahrhunderts, dass das zweckmäßige Strafrecht das gerechte Strafrecht sei, wird das Strafrecht Machtmittel für Machthaber, gründet sich auf seine faktische Durchsetzung und ist austauschbar gegen andere Machtmittel wie das Zivilrecht, das Polizeirecht oder das Ordnungswidrigkeitenrecht. Diese Entwicklung mündet in die Maßregeln der Besserung und Sicherung mit ihrer Betonung von Schuldunabhängigkeit und präventiver Effektivität, mit ihrer Einebnungsfunktion von Strafrecht, Polizeirecht, Zivilrecht und Unterbringungsrecht und ihrer Erwartung, von wechselnden politischen Systemen benutzt zu werden. Dieser historische Verlauf, der in seinen tatsächlichen Ausprägungen hier nur sehr verkürzt wiedergeben werden konnte und zu dem auch das deutsche Kolonialstrafrecht in der Zeit von 1886 bis 1918 gehört, lässt sich interpretieren als eine weit ausgreifende historische Entwicklungslinie von einem liberalen rechtsstaatlichen Strafrecht der Aufklärung zu einem „Feindstrafrecht“ der Moderne. Je nach politisch-historischen Entwicklungsphasen schlägt das Pendel des „Feindstrafrechts“ besonders stark aus. Das lässt sich an der NS-Zeit im deutschen faschistischen Staat nachweisen, aber auch an Teilen der Strafrechtsentwicklung und -praxis in der DDR. Nach einer Phase gewisser Beruhigung in der alten Bundesrepublik, die sich trotz des vorhandenen besonderen „Feindstrafrechts“ gegen den politischen Gegner einstellte, beginnt das Pendel seit einiger Zeit unter den Schlagwörtern oder besser hinter den Fassaden von Globalisierung, Risikogesellschaft, Sicherheitsgesellschaft und Informationsgesellschaft wieder besonders heftig zu schlagen, egal ob diese Pendelschläge beispielsweise Sicherheitsstrafrecht, Interventionsstrafrecht oder Risikostrafrecht genannt werden. In all diesen Strafrechtsformen ist die 15 16

Arnold 1995, 1, 20; vgl. dazu Vormbaum 2015, 3. Arnold 2006, 303 (308 f.); Naucke 2010, 129.

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Entpersonalisierung in der beschriebenen Weise der Bekämpfung des gefährlichen Feindes tendenziell angelegt und tritt mehr oder weniger klar zu Tage.17 Auch wenn es seit ca. 10 Jahren um das „Feindstrafrecht“ in der Wissenschaft ruhiger geworden ist, ist dieses in Wirklichkeit aber jedenfalls indirekt Bestandteil der Diskussion um den Sicherheitsbegriff.

2. Wissenschaftliche Reflexionen des Sicherheitsbegriffes 2.1 Richtungsweisende Arbeiten aus dem Max-Planck-Institut Unter der Überschrift „Wissenschaftliche Reflexionen des Sicherheitsbegriffs“ will ich mich zunächst vor allem auf zwei Arbeiten aus dem MPI beziehen, weil an dieser Wissenschaftsstätte der bestehende Schwerpunkt der Forschungen zum Sicherheitsrecht als zukunftsweisend für das Institut und die nationale wie internationale Grundlagenforschung auf diesem Gebiet sein könnte. Mittlerweile – und dies sei aus aktuellen Gründen dem vorgetragenen Text hinzugefügt – hat sich diese Annahme bewahrheitet. Denn am MPI besteht seit kurzem eine neue Abteilung „Recht der öffentlichen Sicherheit“, die von Ralf Poscher als einem von drei neuen Direktoren geleitet wird. Das Institut trägt mittlerweile auch einen neuen Namen: „Max-PlanckInstitut zur Erforschung von Kriminalität, Sicherheit und Recht“. Ohne Rosinenpickerei betreiben zu wollen, sei angemerkt, dass es wohl programmatisch angemessener gewesen wäre, das Recht vor die Sicherheit zu setzen, denn Sicherheit muss im Recht ihre Grenzen finden. „Max-Planck-Institut zur Erforschung von Kriminalität, Recht und Sicherheit“ – so hätte der neue Name des MPI dann besser lauten können. 2.1.1 Vortrag Hans-Jörg Albrecht Als einer der Ersten am Max-Planck-Institut hat sich Hans-Jörg Albrecht mit dem Sicherheitsbegriff befasst. Er hielt bereits im Jahre 2003 vor kritischen Anwältinnen und Anwälten in Berlin, dem Republikanischen Anwältinnen- und Anwälteverein (RAV), einen Vortrag zu dem Thema: „Der erweiterte Sicherheitsbegriff und seine Folgen“. Hier erfährt man schon vor 15 Jahren alles, was auch heute noch relevant ist. Das wird beispielsweise deutlich an dem aktuellen Pendant des Beitrages von Albrecht, der aus der Feder von Tobias Singelnstein stammt und in der Festgabe zum 40. Jahrestag des RAV gerade erschienen ist.18 Nur kurze, aber wichtige Gedanken aus dem Vortrag von Albrecht zum Verständnis für unser Thema:19 17

Arnold 2006, 303 (308 f.); Naucke 2010, 129. Singelnstein 2019, 309. 19 Albrecht 2003, 6; https://www.rav.de/publikationen/infobriefe/archiv/infobrief-91-2003/ der-erweiterte-sicherheitsbegriff-und-seine-folgen/ [06. 09. 2018]. 18

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Albrecht behandelt vor allem den sogenannten erweiterten Sicherheitsbegriff und seine Folgen. Unübersehbar habe es wie kaum ein anderes Thema der Gegenwart die öffentliche und politische Aufmerksamkeit auf sich gezogen und damit den Sicherheitsdiskurs zu einer Dauerangelegenheit gemacht. Die Sicherheitspolitik habe sich aus der einst strengen Trennung zwischen innerer und äußerer Sicherheit gelöst. Auch staatliche und zivile Sicherheit sowie eine einst vorhandene Unterscheidung zwischen Prävention und Repression würden keine scharfen Trennlinien mehr aufweisen. Das betreffe auch die Rollenverteilung der entsprechend zugeordneten Institutionen. Die Gewaltenteilung werde aufgegeben. Es bestätige sich die These, dass die Stabilisierung politischer Herrschaft auch maßgeblich über die Thematisierung der Kriminalität erfolge. Kriminalpolitik erweise sich dabei immer mehr als Politik der Prävention. Im Ergebnis komme es zu immer mehr Bedeutungsverlagerungen im Strafprozess von der Hauptverhandlung zum Ermittlungsverfahren, wobei auch die geheimen Ermittlungsmethoden drastisch ausgeweitet würden. Es ist die sich überlagernde Gemengelage, die das neue Sicherheitsdenken unter freiheitlich-rechtsstaatlichen Gesichtspunkten so problematisch macht. Albrecht nennt dies „Querschnittseigenschaft“, die aus Immigrationsrecht, Recht der Polizei und der Geheimdienste, Telekommunikationsrecht, allgemeines Strafrecht und Strafverfahrensrecht, Wirtschaftsrecht (vor allem Außenhandelsrecht), allgemeinem Ordnungsrecht (beispielsweise Recht der Vereinigungen sowie Versammlungsrecht) und Sicherheitsüberprüfungsgesetzgebung besteht. Diese neue Gesetzgebung greife in einer Weise in die Zivilgesellschaft ein, „die deren Freiräume und damit die Substanz der Zivilgesellschaft als potentielle Gefahr versteht und unter einen allgemeinen Verdacht stellt. Immigration und Asyl, religiöse Vereinigungen und politische Bewegungen, ethnische Minderheiten, ausländische Staatsangehörige und transnationale Gemeinschaften, sicherheitsrelevante Arbeitsplätze und Tätigkeitsfelder sowie schließlich ganze Regionen oder Länder werden zu Anknüpfungspunkten für Überwachung und gegebenenfalls für sozialen und wirtschaftlichen Ausschluss.“20

Ich will ergänzen, dass in diesem Kontext auch internationale Kriege zu sehen sind, die sich „humanitäre Interventionen“ nennen, oder die aus sogenannter „Schutzverantwortung“ (responsibilty to protect) bzw. gegen sogenannte „unfähige und unwillige Staaten“ aus vorgetäuschter kollektiver Selbstverteidigung geführt werden, wobei es sich aber in Wirklichkeit um völkerrechtswidrige Präventivoder Vergeltungskriege handelt.21 Albrecht hebt hervor, dass sich nationale wie europäische Sicherheitskonzepte, denen der erweiterte Sicherheitsbegriff zu Grunde liegt, durch das Sicherheitsgefühl legitimiert sehen.22 Begleitet wird die Berufung auf das Sicherheitsgefühl durch me20

Albrecht 2003, 3. Paech; https://hinter-den-schlagzeilen.de/das-neue-voelkerrecht [12. 09. 2018]. 22 Vgl. zum Sicherheitsgefühl Gusy 2010, 111.

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diale Erzeugung desselben, was wiederum zu einer Eskalation repressiver Reaktionen und Aktionismen des Gesetzgebers in bestimmten besonders im Fokus der Öffentlichkeit stehenden Sicherheitsbereichen wie dem Sexualstrafrecht stehen. Dazu kommt jene für das Strafrecht bedenkliche Tendenz einer immer stärker festzustellenden Opferbezogenheit. Strafrecht wird ausgeweitet zu einem „Opferrecht“ unter Preisgabe von Schutzrechten Beschuldigter und Angeklagter.23 Was vor 15 Jahren, als Hans-Jörg Albrecht jenen Vortrag hielt, noch nicht in der Weise, wie das heute der Fall ist, relevant war, betrifft die medial skandalisierte und vom Sicherheitsgefühl als quasi permanent-reale Bedrohung aufgefasste Ausländerkriminalität in Deutschland, wobei ich hier in erster Linie zunächst gewaltsame Ausländerkriminalität ohne terroristischen Hintergrund anspreche. Zu beobachten ist eine problematische „Dialektik“ von Empörung aus der Bevölkerung gegenüber dieser Kriminalität, aber auch gegenüber Justiz und Polizei wegen deren angeblichen Versagens, sprich wegen vermeintlich fehlender bzw. zu geringer Bestrafung und Repression bei Ausländerkriminalität. Von neonazistischen Strömungen wird Ausländerkriminalität zu menschen- und staatsfeindlichen Bekundungen und auch gewaltsamem Verhalten instrumentalisiert. Politik und Medien wiederum nutzen die Empörung und die Ängste von Teilen der Bevölkerung, um diese den neonazistischen Strömungen zuzurechnen. Auf diese Weise wird ein wichtiger Bestandteil des Sicherheitsgefühls der Bevölkerung ausgeklammert, nämlich jener der sozialen Sicherheit. Ein sich seit Jahren aus der Verantwortung für soziale Sicherheit zurückziehender Staat instrumentalisiert letztlich rechtsradikale Ausschreitungen für die Geringschätzung und Missachtung von berechtigten sozialen Sorgen und Nöten von nicht geringen Teilen der Bevölkerung.24 Der bekannte Bielefelder Sozialwissenschaftler Wilhelm Heitmeyer macht indes auch darauf aufmerksam, dass allein durch die Verbesserung der sozialen Lage eine vorhandene „gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit“ sowie „rohe Bürgerlichkeit“ sich nicht wesentlich abbauen lasse. Die kulturellen Probleme rund um die Flüchtlingsbewegung, um „den“ Islam etc. seien besonders schwerwiegend, weil sie die eigene kollektive Identität als „Deutsche“ berührten. Auch das Gefühl, von der etablierten bzw. regierenden Politik nicht wahrgenommen zu werden, sei als weitere Komponente schwerwiegend. Denn wer nicht wahrgenommen werde, der sei ein Nichts. Daraus entstünden Anerkennungsdefizite, die dann dazu führten, dass sich die Menschen „alternative“ Anerkennungsquellen suchen.25 Zu beobachten ist, dass es mitunter an einem konsequenten Vorgehen des Staates gegen rechtsextreme Ausschreitungen ebenso wie an einer politischen Auseinandersetzung mit der seit der letzten Bundestagswahl im deutschen Parlament vertretenen äußerst rechten Partei „Alternative für Deutschland“ (AfD) fehlt. Das verhilft der 23

Vgl. dazu auch Arnold 2019a, 137. Vgl. Arnold 2019b, 56. 25 Heitmeyer 2018, 197 ff. 24

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AfD zu immer größeren Wahlerfolgen. Insbesondere die Große Koalition unter CDU/CSU sowie SPD überbietet sich mit immer neuen Sicherheitskonzepten zur Zurückdrängung von Ausländerkriminalität, zur Zurückdrängung von Migranten überhaupt, wobei die CSU mit Bundesinnenminister Horst Seehofer den Ton angibt. Politiker wie der CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt sprechen gar von dem notwendigen Kampf gegen eine „Abschiebeindustrie“ und meinen dabei insbesondere Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte, die in Asylverfahren tätig sind und die gesetzlich zustehenden Rechtsmittel ausschöpfen, was nicht selten die Verfahren deutlich verlängert.26 Dies in der Weise wie durch Dobrindt zu kritisieren, erscheint jedenfalls verbal als ein Frontalangriff auf den freiheitlich-demokratischen Rechtsstaat im Namen der Sicherheit. Hier erscheint zunächst nur in dieser Verbalität das Modell eines starken Staates als Sicherheitsstaat. Aber dieses Modell ist das Ziel eines faktischen Sicherheitsstaates unter Preisgabe von Rechtsstaat und Sozialstaat. Dieser Sicherheitsstaat ist Herrschaftssicherheitsstaat und Kontrollstaat.27 Seine Grundlegung ist Entgrenzung von Sicherheit.28 Was nun mittlerweile auch in Deutschland angekommene terroristische Straftaten betrifft, so wird vor deren Hintergrund ein sogenanntes Terrorismusstrafrecht entwickelt.29 Auch dieses ist Beispiel dafür, dass sich Sicherheit in einem Kampf um Hegemonie etabliert hat und ihre Vormachtstellung zudem weiter bekräftigt. Zentrale Elemente des Terrorismusstrafrechts der letzten Jahre sind dafür bedeutende Strafrechtserweiterungen und hiermit zusammenhängend der Ausbau der Befugnisse von Polizei, Geheimdiensten und mittlerweile auch der Bundeswehr. Terrorismusstrafrecht ist das Mittel einer Bekämpfungssstrategie, die das real vergleichsweise geringe Ausmaß der konkreten terroristischen Bedrohung für Leib und Leben einzelner Personen in Deutschland nicht berücksichtigt. Terrorismus wird vielmehr als ein exzeptionelles Phänomen ausgewiesen. Sicherheitsbestrebungen orientieren sich an einer möglichen terroristischen Bedrohung. Sicherheit der Bevölkerung ist dabei der drängendste Punkt, der bei terroristischen Anschlägen oder Anschlagsversuchen diskutiert wurde. Wie der Strafrechtswissenschaftler Jens Puschke von der Universität Marburg und sein Mitarbeiter Jannik Rienhoff schreiben, wird Sicherheit damit zum universellen Interesse, das es zu schützen gilt und vornehmlich über die Abwehr terroristischer Gefahren hergestellt werden soll. Angst ist dabei sowohl Maßstab der Politik als auch Bezugspunkt der Legislative. Sicherheit wird als Wert an sich und zugleich Voraussetzung für die Ermöglichung von Werten verstanden. Diese Debatte ist auch rechtswissenschaftlich mit verschiedentlich erhobenen Forderungen nach einem Grundrecht auf Sicherheit verbunden.30

26

Vgl. Arnold 2019b, 21 ff. Vgl. Singelnstein & Stolle 2012. 28 Vgl. Arnold 2019b, 51. 29 Vgl. Puschke & Rienhoff 2018, 243 (252 ff.). 30 Puschke & Rienhoff 2018, 244 ff. (252).

27

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2.1.2 Untersuchungen Ulrich Sieber In einem Beitrag zur Erinnerung an den viel zu früh verstorbenen Münchner Strafrechtslehrer Joachim Vogel befasst sich Ulrich Sieber mit dem „Paradigmenwechsel vom Strafrecht zum Sicherheitsrecht“.31 Sozialwissenschaftlich ist für Sieber die moderne Risikogesellschaft der Ausgangspunkt. Hier erfolge die Hinwendung zu Prävention und Sicherheit, die sich sowohl innerhalb als auch außerhalb des Strafrechts zeige. Klassisches repressives Strafrecht entwickle sich zu einem unmittelbar präventiven Strafrecht. Es verschwimme zugleich mit anderen Rechtsregimen zu einem allgemeinen „Sicherheitsrecht“ mit einer „neuen Sicherheitsarchitektur“, die nicht mehr wie früher durch ein Monopol des Strafrechts und seiner Schutzgarantien dominiert werde, sondern eine Vielzahl von unterschiedlichen Rechtsregimen enthalte. Der damit verbundene Verlust an rechtlichen Regelungen werde durch den zusätzlichen Wandel zur Informationsgesellschaft und durch die Globalisierung als den beiden weiteren Veränderungen der Gesellschaft noch wesentlich verstärkt.32 Diese Analyse deckt sich mit jener von Albrecht, die dieser – wie erwähnt – als „Querschnittseigenschaft“ des Sicherheitsrechts bezeichnet hat. Sieber spricht freilich davon, dass dieses „neue disziplinübergreifende Sicherheitsrecht“ gegenüber der rein strafrechtlichen Kriminalitätskontrolle über Mittel verfüge, „die für eine effektive Kontrolle der neuen objektiven Herausforderungen in der globalen Risikogesellschaft grundsätzlich genutzt werden sollten und teilweise sogar unverzichtbar sind.“33

Der präventive Ansatz habe darüber hinaus sogar ganz allgemein – besonders aus Sicht des (potenziellen) Opfers – gegenüber der strafrechtlichen Repression Vorzüge. Dies gelte zumal in Bereichen, in denen die Sanktionsdrohung des Strafrechts – wie gegen terroristische Selbstmordattentäter – weitestgehend wirkungslos seien.34 Sieber kritisiert jedoch, dass einige der neuen rechtlichen Präventionsregime höchst problematisch seien, weil sie die Schutzgarantien nicht gewährleisteten. Eine Bewertung des neuen Sicherheitsrechts erfordere daher eine differenzierte Auseinandersetzung mit seinen einzelnen Regelungen, was sehr viel mehr rechtliche und kriminologische Forschung als bisher erfordere.35 Insgesamt gehe es um die Gewährleistung von Sicherheit und den Schutz von Freiheit. Die Strafrechtswissenschaft müsse über ihre bisherige klassische Selbstbeschränkung hinausdenken, weil sie sonst nicht bemerke und nicht verhindere, dass die Aufgabe des Strafrechts in wichtigen Bereichen von anderen Rechtsregimen wahrge31

Sieber 2016, 351; vgl. auch Sieber & Vogel 2015. Sieber 2016, 354 f. 33 Sieber 2016, 369. 34 Sieber 2016, 369. 35 Sieber 2016, 370.

32

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nommen und seine zentralen Garantien unter einem anderen Etikett (z. B. der Verwaltungssanktionen) umgangen werden.36 Möglicherweise sind diese Überlegungen von Sieber anschlussfähig an Auseinandersetzungen mit einer Trennungsthese, die besagt, dass das Risikostrafrecht vom übrigen Strafrecht getrennt werden soll, um damit die Rechtsstaatsprinzipien für das klassische Strafrecht zu erhalten.37 Aber auch in Auseinandersetzung mit der von Ulrich Sieber präferierten Verbindung von „Sicherheitsarchitektur“ und „Freiheitsarchitektur“38 können Erkenntnisse einer wieder stärker in Erscheinung tretenden kritischen Kriminologie aus jüngerer Zeit hilfreich sein.39 Hierzu gehört auch die Aufgabenstellung, nach den tieferen Rahmenbedingungen, wenn nicht Ursachen für die (internationale bzw. transnationale) „Sicherheitsgesellschaft“ zu fragen. Dabei wird man nicht umhinkommen, sich aufdrängende insbesondere ökonomische und politische Zusammenhänge bzw. Determinanten zu erforschen. So erscheint es keineswegs als Zufall, dass die internationale „Sicherheitsgesellschaft“ mit einem weltweit entgrenzten Neoliberalismus und einem parallel dazu verlaufendem Gefährdungsprozess von Demokratien einhergeht,40 verbunden mit einer menschenfeindlichen, durch die Staaten immer mehr deregulierten Finanzökonomie, ebenso wie mit der Vertiefung von Erscheinungen des Rechtsextremismus, Rassismus und Antisemitismus sowie Abwertung und Diskriminierung von Homosexuellen, Obdachlosen, Behinderten, Flüchtlingen, Muslimen.41 In diese Aufgabenstellung sollte auch die wissenschaftliche Diskussion von alternativen politischen Handlungsoptionen zur Veränderung dieser realen gesellschaftlichen Verhältnisse einbezogen werden. Denn – so wie das jedenfalls im Grundsätzlichen beispielsweise auch der emeritierte Direktor des Max-Planck-Instituts für Gesellschaftsforschung Wolfgang Streeck sieht –42 nur sozial gerechtere, friedlichere, demokratischere und emanzipatorischere gesellschaftliche Verhältnisse können sich als Garanten für Freiheit, Recht und Sicherheit erweisen.

36

Sieber 2016, 371 f. Brunhöber 2018, 193 (205). 38 Sieber 2016, 372; kritisch zu dieser Verbindungslinie aus strafrechtswissenschaftlicher Sicht u. a. Naucke 2010, 129 (135 f.). 39 Vgl. nur Albrecht 2003; Albrecht 2010a; Albrecht 2010b; Hefendehl 2000, 174; Hefendehl 2011, 209; Hefendehl 2013a, 19; Hefendehl 2013b, 729; Kölbel & Borck 2012; Singelnstein & Stolle 2012; Kunz & Singelnstein 2016; Puschke & Singelnstein 2018. 40 Vgl. insbes. Singelnstein & Stolle 2012. 41 Heitmeyer 2018. 42 Streeck, http://www.faz.net/aktuell/feuilleton/debatten/die-zukunft-der-linken-platzfuer-gerechtigkeitspolitik-15721464.html [07. 09. 2018]; Streeck, https://www.zeit.de/2018 /26/lokalpatriotismus-politik-kosmopolitismus-grenzen-identitaet/komplettansicht [07. 09. 2018]; Streeck, https://www.zeit.de/2018/36/sammelbewegung-aufstehen-die-linke-unter stuetzung [07. 09. 2018]. 37

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3. Zum Begriff des „Gefährders“ In der aktuellen Sicherheitsdebatte erlangt in den letzten Jahren ein besonderer Begriff einen immer größeren Stellenwert, nämlich der des „Gefährders“. Dieser Begriff und die darauf bezogene Sicherheits- und Kriminalpolitik stehen wohl wie kaum ein anderer diesbezüglicher Diskurs für die immer mehr verschwimmenden Grenzen zwischen Prävention, Gefahrenabwehrrecht und Strafrecht. Strafrecht wird „Gefährdungsrecht“, Gefahrenabwehrrecht wird Strafrecht. Diese These lässt sich belegen mit der bisher wohl ausführlichsten öffentlichrechtlichen wissenschaftlichen Analyse des Begriffs „Gefährder“, die von dem Verfassungsrechtler Felix Hanschmann stammt.43 Hervorzuheben ist ferner die unter Betreuung von Hans-Jörg Albrecht am MPI entstandene und mittlerweile publizierte rechtsvergleichende Promotionsarbeit von Vasiliki Chalkiadaki über „Gefährderkonzepte in der Kriminalpolitik“.44 Erwähnenswert ist auch die an der Universität Hamburg vorgelegte und von der Soziologin Susanne Krasmann und teilweise auch von mir betreute Promotion von María Laura Böhm zu „Der ,Gefährder‘ und das ,Gefährdungsrecht‘“.45 Diese drei Arbeiten sind im Zusammenhang zu sehen und lassen die Konturen einer Theorie des „Gefährdungsrechts“ erkennen.46 Einzubeziehen sind auch dazu vorliegende einschlägige Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts. 3.1 Beitrag Felix Hanschmann Hanschmann untersucht die Figur des „Gefährders“ im Gefahrenabwehrrecht. Über das im Jahre 2002 verabschiedete Terrorismusbekämpfungsgesetz und nachfolgende sicherheitsrechtliche Gesetze sei der Begriff des „Gefährders“ jedenfalls der Sache nach in Gesetztestexte eingeflossen. Was ein „Gefährder“ in diesem Sinne ist, werde allerdings bis heute weder in Landes- noch in Bundesgesetzen exakt und einheitlich definiert. Nur vereinzelt fänden sich in Gesetzen Versuche der Umschreibung von Elementen, die einen „Gefährder“ aus der Perspektive der Gesetzgeber ausmachten.47 Genannt werden beispielsweise das Aufenthaltsgesetz und der dort in § 58a Abs. 1 Satz 1 enthaltene Erlass einer Abschiebungsanordnung ohne vorhergehende Ausweisung „auf Grund einer auf Tatsachen gestützten Prognose zur Abwehr einer besonderen Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik oder einer terroristischen Gefahr“.48 Erwähnung findet auch das jüngst in Bayern erlassene „Gesetz zur effek43

Hanschmann 2017, 434. Chalkiadaki 2017. 45 Böhm 2011. 46 Vgl. zur Thematik auch v. Denkowski 2007, 325; Wegner & Hunold 2017, 367; Wartenphul 2017, 423. 47 Hanschmann 2017, 434. 48 Hanschmann 2017, 434. 44

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tiveren Überwachung gefährlicher Personen“. § 3 Abs. 4 Satz 1 der bayerischen Zuständigkeitsverordnung zum Ausländerrecht weise zwar bestimmen Behörden Zuständigkeiten „für ausländerrechtliche Maßnahmen gegen islamistische und sonstige ausländerextremistische Gefährder“ zu, verzichte aber ebenfalls auf eine Klärung des Begriffs.49 Hanschmann verweist jedoch auch auf § 2 Abs. 1 Nr. 23 der BKA-Daten-Verordnung (BKA: Bundeskriminalamt). Dort wird hinsichtlich personenbezogener Daten, die vom BKA gespeichert, verändert oder genutzt werden dürfen, auf den Status einer Person nach der polizeifachlichen Definition wie „Gefährder“ verwiesen. Jene polizeifachliche Definition sei von der Arbeitsgemeinschaft der Leiter der Landeskriminalämter und des BKA im Jahr 2004 bundeseinheitlich geprägt. Danach ist ein Gefährder eine Person, „bei der bestimmte Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass sie politisch motivierte Straftaten von erheblicher Bedeutung, insbesondere im Sinne des § 100a StPO, begehen wird.“50 § 100a StPO regelt die Telekommunikationsüberwachung (TKÜ) ohne Wissen des Betroffenen für einen ganzen Katalog von im Einzelnen aufgezählten schweren Straftaten. Diese reichen hier – beispielhaft nur erwähnt – von Hochverrat, über Straftaten gegen die öffentliche Ordnung, bis hin zu Straftaten nach dem Völkerstrafgesetzbuch. Laut Bundesinnenministerium werden als Gefährder erfasst: Führungspersonen, Unterstützer, Logistiker oder sonstige Akteure innerhalb des extremistischen bzw. terroristischen Spektrums, denen Sicherheitsbehörden aufgrund ihrer „Lageerkenntnisse“ die Begehung, Förderung oder Unterstützung eines Terroranschlags zutrauen, auch wenn Hinweise auf konkrete Terroranschläge fehlen. Die Vorstellung besteht hier in erster Linie in einem islamistischen Gefährder.51 Hanschmann betont, dass die Kriterien für die Einstufung einer Person als Gefährder nicht öffentlich bekannt sind. Bekannt sei lediglich, dass das BKA mit einem achtstufigen Prognosemodell arbeite, mit dem nach Angaben des Bundesinnenministeriums angeblich jedoch ausschließlich Gefährdungseinzelsachverhalte bewertet würden, nicht aber die Gefährlichkeit einzelner Personen. In Zukunft soll das vom BKA in Zusammenarbeit mit der Arbeitsgruppe Forensische Psychologie der Universität Konstanz entwickelte Risikobewertungsinstrument „RADAR-iTE“ zum Einsatz kommen, das eine transparente, nachvollziehbare und „bundesweit einheitliche Bewertung des Gewaltrisikos von polizeilich bekannten militanten Salafisten“ ermöglichen soll.52 Meinen Vortragstext ergänzend sei darauf verwiesen, dass mit einer jüngsten Arbeit die Aktualität der Ergebnisse von Hanschmann indirekt bestätigt werden.53 49

Hanschmann 2017, 434 f. Hanschmann 2017, 435. 51 Hanschmann 2017, 435. 52 Hanschmann 2017, 436. 53 Goertz 2019, 61.

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Stefan Goertz – seines Zeichens Beamter der Bundespolizei und Dozent an der Hochschule des Bundes – spricht davon, dass es keine gesetzliche Definition des Begriffes „Gefährder“ gebe; es lägen aber bundeseinheitlich abgestimmte polizeiliche Definitionen vor. Den Autor veranlasst das zu der erstaunlichen Schlussfolgerung, dass dies „rechtliche Definitionen“ seien,54 obwohl er nicht umhinkommt, zu erwähnen, dass diese nach Ansicht des Wissenschaftlichen Dienstes des Bundestages keine rechtliche Verbindlichkeit besitzen.55 Den Inhalt der polizeilichen Definitionen gibt Goertz wie folgt wieder: „Ein Gefährder ist eine Person, zu der bestimmte Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass sie politisch motivierte Straftaten von erheblicher Bedeutung, insbesondere solche im Sinne des § 100a der Strafprozessordnung (StPO), begehen wird. Eine Person ist als relevant anzusehen, wenn sie innerhalb des extremistischen/terroristischen Spektrums die Rolle a. einer Führungsperson, b. eines Unterstützers/Logistikers, c. eines Akteurs einnimmt und objektive Hinweise vorliegen, die die Prognose zulassen, dass sie politisch motivierte Straftaten von erheblicher Bedeutung, insbesondere solche im Sinne des § 100a StPO fördert, unterstützt, begeht oder sich daran beteiligt, oder d. es sich um eine Kontakt- oder Begleitperson oder eines Verdächtigen einer politisch motivierten Straftat von erheblicher Bedeutung, insbesondere einer solchen im Sinne des § 100a StPO handelt.“56

In der Untersuchung zum „Paradigmenwechsel vom Strafrecht zum Sicherheitsrecht“ erwähnt Sieber auch den Begriff von Gefährderansprachen als ein Instrument im Polizei- und Verwaltungsrecht.57 Bei Hanschmann ist zu erfahren, dass dieser Begriff schon länger bekannt sei; er erscheine als niederschwelligere Intervention gegenüber dem mit dem Begriff des „Gefährders“ ermöglichten Eingriff, da es inhaltlich darum gehe, Hooligans, potenziell gewaltbereite Demonstranten, Anhänger ausländischer politischer Gruppierungen, jugendliche Intensiv- oder häusliche Gewalttäter mündlich oder schriftlich anzusprechen, sie darauf aufmerksam zu machen, dass in Bezug auf ihre Person polizeirechtlich relevante Informationen vorliegen und sie deshalb unter besonderer Beobachtung stehen.58 Hanschmann spricht

54

Goertz 2019, 62. Goertz 2019, 63. 56 Goertz 2019, 63. Goertz bezieht sich dabei auf die Bundestags-Drucksache 18/11369 (2017) und verweist zusätzlich zu dem Begriff „Gefährder“ auch auf den Begriff „Relevante Person“, der ebenfalls von dieser Definition umfasst sei. Die Unterschiede werden allerdings nicht klar. Goertz behandelt sodann auch die „operativen Reaktionen auf Gefährder“, worauf hier nicht weiter eingegangen werden kann (Goertz 2019, 64 ff.). 57 Sieber 2016, 359. 58 Hanschmann 2017, 437. 55

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davon, dass der „Gefährder“ ein neuer Typ im Vergleich mit dem Adressaten der „Gefährderansprache“ ist.59 Es drängt sich geradezu auf, an dieser Stelle auf das neue Bayerische Polizeiaufgabengesetz (PAG)60 kurz einzugehen, das als Modellgesetz für die anderen Bundesländer diente.61 Das PAG62 sieht eine massive Ausweitung der polizeilichen Befugnisse vor. So soll es der Polizei dort künftig möglich sein, auch ohne konkreten Verdacht Personen zu durchsuchen, Telefone abzuhören, verdeckte Ermittler einzusetzen, Daten auszulesen, zu speichern und zu verändern. Möglich wird das durch die Einführung der Kategorie „drohende Gefahr“:63 Bisher müssen für ein präventives Handeln der Polizei konkrete Verdachtsmomente vorliegen, künftig soll das nicht mehr erforderlich sein. Die „drohende Gefahr“ wurde in Bayern bereits im letzten Sommer mit dem „Gesetz zur effektiveren Überwachung gefährlicher Personen“ als rechtliche Kategorie eingeführt.64 Dieses Gesetz erlaubt unter anderem, Menschen, die als Gefährder eingestuft werden, theoretisch unbegrenzt in Präventivhaft zu nehmen – im März hat die bayerische Grünen-Fraktion dagegen Klage vor dem Bundesverfassungsgericht eingereicht. Der renommierte Journalist der Süddeutschen Zeitung Heribert Prantl nennt dieses Gesetz „eine Schande für einen Rechtsstaat“.65 Als Hanschmann seine Untersuchung im vorangegangenen Jahr durchführte, war die „drohende Gefahr“ noch nicht wirklich ein Thema. Deshalb konnte er sich auch noch nicht explizit damit auseinandersetzen, sondern legte den Fokus entsprechend des damals aktuellen Diskurses zur „konkreten Gefahr“ auf solche damit im Zusammenhang unterbreiteten dogmatischen Vorschläge zur Erfassung des Begriffs des „Gefährders“, wie „Gefahrverdacht“ und „Risiko“, einhergehend mit der Etablierung eines „Gefahrenaufklärungsrechtes“.66 Mittlerweile beziehen sich kritische Äußerungen zu dem neuen PAG aber auch auf neben der Präventivhaft bestehende weitere Konsequenzen, die sich aus der „Abwehr einer Gefahr oder einer drohenden Gefahr für ein bedeutendes Rechtsgut“ 59

Hanschmann 2017, 436 ff. https://www.merkur.de/politik/polizeiaufgabengesetz-in-bayern-steht-wirklich-drin-inh halt-9887440.html [20. 08. 2018]. 61 https://taz.de/Seehofers-neues-Gesetz/!5499809/ [20. 08. 2018]; zum Modellcharakter des PAG für andere Bundesländer und dem dabei beschrittenen Weg in den Polizeistaat siehe Mertens, https://www.freitag.de/autoren/der-freitag/es-kann-jetzt-jeden-treffen-1 [31. 08. 2018]. 62 http://www.gesetze-bayern.de/Content/Document/BayPAG/true?AspxAutoDetectCookie Support=1 [20. 08. 2018]. 63 https://www.lto.de/recht/hintergruende/h/neues-polizeigesetz-bayern-befugnisse-daten schutz-postgeheimnis-explosivmittel/ [20. 08. 2018]. 64 Vgl. zum Inhalt dieses Gesetzes Müller 2018, 109. 65 http://www.sueddeutsche.de/bayern/gefaehrder-gesetz-bayern-fuehrt-die-unendlichkeits haft-ein-1.3594307 [20. 08. 2018]. 66 Hanschmann 2017, 442 ff.; kritisch dazu Bautze 2018, 205. 60

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(Art. 16 Abs. 2 Nr. 2b PAG) ergeben können.67 Unter diesen Voraussetzungen kann einer Person verboten werden, „ihren Wohn- oder Aufenthaltsort oder ein bestimmtes Gebiet zu verlassen.“ Der Münchener Strafverteidiger Hartmut Wächtler nennt dies „Verbannung“ und zeigt aufgrund der Regelung des „bedeutenden Rechtsgutes“ auf, dass die „Verbannung“ die exklusiven Gebiete der politischen Systemopposition verlassen hat und „in der Vorbeugung gegen Durchschnittskriminalität angekommen“ ist.68 Die Prognose Wächtlers ist, dass die „Verbannung“ zunächst vor allem gegen Ausländer angewandt werden wird, die aus irgendeinem Grund den Argwohn der Behörden auf sich gezogen haben; würde sie sich bewähren, wäre auch „Heinz Müller“ davor nicht mehr sicher.69 An der Vorschrift über die Präventivhaft (Vorbeugehaft – Art. 17 PAG) kritisiert Wächtler vor allem die fehlenden Rechtsschutzmöglichkeiten. Es gebe keinen Pflichtverteidiger, der Festgenommene sei auf sich gestellt, wenn er mittellos ist. Es stelle sich die Frage, wie er dem Richter klar machen kann, dass von ihm keine Gefahr ausgeht. Die Beschwerde zum Landgericht könne, müsse aber nicht zu einer neuen Verhandlung führen. Es könne nach Aktenlage entschieden werden, die der Inhaftierte aufgrund fehlender anwaltlicher Verteidigung womöglich gar nicht kennt.70 3.2 Die BKAG-Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) hatte sich mit der Frage zu befassen, ob das Bundeskriminalamtsgesetz (BKAG) mit seinen seit dem Jahre 2009 geltenden Ermächtigungen zum Einsatz von heimlichen Überwachungsmaßnahmen zur Abwehr von Gefahren des internationalen Terrorismus mit dem Grundgesetz vereinbar ist. Diese Befugnisse ermächtigen das BKA im Rahmen der Gefahrenabwehr und Straftatenverhütung zur heimlichen Erhebung personenbezogener Daten und begründen – je nach Befugnis – Eingriffe in die Grundrechte der Unverletzlichkeit der Wohnung, des Telekommunikationsgeheimnisses und der informationellen Selbstbestimmung sowie in das Grundrecht auf Vertraulichkeit und Integrität informationstechnischer Systeme.71 Dagegen richteten sich die Verfassungsbeschwerden. Mit Entscheidung vom 20. April 201672 stellt das BVerfG dazu fest, dass die Ermächtigung des BKA zum Einsatz von heimlichen Überwachungsmaßnahmen zur 67

Wächtle, 2019, 305. Wächtler 2019, 306. 69 Wächtler 2019, 306. 70 Wächtler 2019, 307 f. 71 https://www.bundesverfassungsgericht.de/SharedDocs/Pressemitteilungen/DE/2016/ bvg16-019.html;jsessionid=37558C69E97174384D583E19F82628A0.1_cid370 [14. 09. 2018]. 72 BVerfGE 141, 220 – 378; https://www.bundesverfassungsgericht.de/SharedDocs/Entschei dungen/DE/2016/04/rs20160420_1bvr096609.html [13. 09. 2018]. 68

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Abwehr von Gefahren des internationalen Terrorismus zwar im Grundsatz mit den Grundrechten vereinbar ist. Die derzeitige Ausgestaltung von Befugnissen genüge aber in verschiedener Hinsicht nicht dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz. Das führte dazu, dass verschiedene Regelungen aus dem Gesamtkomplex zu beanstanden waren. Eine ganze Reihe derartiger Regelungen erklärte das BVerfG für nichtig und mit dem Grundgesetz nicht vereinbar. Für die Thematik des „Gefährders“ bzw. der „drohenden Gefahr“ von Bedeutung sind die Ausführungen in der Urteilsbegründung zu § 20k Abs. 1 Satz 2 BKAG. Diese Vorschrift eröffnet die Möglichkeit, auch schon im Vorfeld einer konkreten Gefahr Maßnahmen durchzuführen, wenn bestimmte Tatsachen auf eine im Einzelfall drohende Gefahr einer Begehung terroristischer Straftaten hinweisen. Dies sei dahingehend auszulegen, dass Maßnahmen nur erlaubt sind, wenn die Tatsachen den Schluss auf ein wenigstens seiner Art nach konkretisiertes und zeitlich absehbares Geschehen zulassen, auch wenn erkennbar ist, dass bestimmte Personen beteiligt sein werden, über deren Identität zumindest so viel bekannt ist, dass die Überwachungsmaßnahme gezielt gegen sie eingesetzt und weitgehend auf sie beschränkt werden kann. Ausreichend sei insoweit auch, wenn zwar noch nicht ein seiner Art nach konkretisiertes und zeitlich absehbares Geschehen erkennbar ist, jedoch das individuelle Verhalten eines Betroffenen eine konkrete Wahrscheinlichkeit begründet, dass er solche Straftaten in überschaubarer Zukunft begehen wird.73 Es ist gerade dieser letzte Satz, mit dem die vorhergehenden Sätze, die sich durchaus an einem Festhalten an der „konkreten Gefahr“, gewissermaßen als ein Anker für die „drohende Gefahr“ lesen lassen könnten, in ihr Gegenteil verkehrt werden. Denn wenn nun das individuelle Verhalten eines Betroffenen für die Begründung einer konkreten Wahrscheinlichkeit, dass er solche Straftaten in überschaubarer Zukunft begehen wird, ausreichend sein soll, scheint genau das der sicherheitspolitischen Auffassung des Verständnisses vom „Gefährder“ zu entsprechen. Es bleibt ein Geheimnis, wie sich in der Wirklichkeit eine konkrete Wahrscheinlichkeit dafür begründen lassen soll, dass die betreffende Person in überschaubarer Zukunft terroristische Straftaten begehen wird. Hier sind einem letztlich willkürlichen polizeilichen Agieren Tür und Tor geöffnet.74 Es nimmt somit nicht wunder, dass die Begründung des Bayerischen Polizeiaufgabengesetzes sich für die „drohende Gefahr“ genau darauf beruft.

73

BVerfGE 141, 220 – 378 – Rn. 211 – 213; https://www.bundesverfassungsgericht.de/Sha redDocs/Entscheidungen/DE/2016/04/rs20160420_1bvr096609.html [14. 09. 2018]. 74 Vgl. auch die – wenngleich nicht so scharfe – Kritik bei Bautze 2017, 206. Bautze kritisiert am BKAG-Urteil des BVerfG in Zusammenhang mit ihrer Kritik besonders an Hanschmann, dass einziges „Merkmal“ des Gefährders die Tatsache sei, dass beim Gefährder „ein seiner Art nach konkretisiertes und zeitlich absehbares Geschehen“ noch nicht erkennbar sei. Folgerichtig stelle Hanschmann dann auch fest, dass „die Figur des Gefährders das Recht […] im Hinblick auf dessen Umgang mit Unwissen herausfordert.“ Der „Gefährder“ erscheine somit als eine „Rechtsfigur im Nebel“ und solle dort auch bleiben.

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So heißt es in einer offiziellen Kommentierung für Examenskandidatinnen und -kandidaten dazu: „Durch die neue Gefahrenkategorie der drohenden Gefahr – Hervorhebg. wie auch die Folgd. i. Orig. (J.A.) – kann die Polizei Maßnahmen schon im Vorfeld einer konkreten Gefahr anordnen. Dabei orientiert sich der Gesetzgeber stark an der bisherigen Rspr., insbesondere an dem BKAG-Urteil des BVerfG, wonach der Gesetzgeber die Grenzen des Gefahrenbegriffs weiterziehen kann, indem er die Anforderungen an den Kausalverlauf reduziert. Im Vergleich zur konkreten Gefahr kommt es daher nicht zu einer direkten Absenkung des Wahrscheinlichkeitserfordernisses, sondern vielmehr zu reduzierten Anforderungen an die Vorhersehbarkeit des konkreten Kausalverlaufs, d. h. es muss noch keine konkrete Gefahrenlage eingetreten sein, aber aufgrund des Verhaltes einer konkreten Person die Entstehung einer solchen (ohne konkreten Umstände, wie Ort, Zeit, etc.) erwartet werden.“75

Die BKAG-Entscheidung des BVerfG befindet sich auf einer Linie mit anderen Entscheidungen des höchsten deutschen Gerichts, die das Sicherheitsrecht betreffen, darunter Entscheidungen, die so wie das BKAG-Urteil auch die Thematik des „Gefährders“ beinhalten. Die Entscheidungen des BVerfG, die das Sicherheitsrecht und Sicherheitsgesetze betreffen, werden durch kritische Stimmen als sogenannte „Ja-Jedoch-Walzerschritt-Rechtsprechung“ bezeichnet.76 Die Sicherheitsgesetze werden in ihren Grundstrukturen für verfassungskonform gehalten, jedoch wegen der Schwere der damit verbundenen Grundrechtseingriffe werden eine Vielzahl von Einzelregelungen für unvereinbar mit dem Bestimmtheitsgebot und/oder dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz erklärt.77 Bei der verfassungsgerichtlichen Prüfung des Antiterrordateigesetzes ging es um die Regelungen einer Verbunddatei zwischen den Polizeibehörden des Bundes und der Länder sowie den Geheimdiensten. Begründet wird dieses damit, dass Dateien von Personen besonderer Gefährlichkeit heimlich gespeichert werden dürfen. Gesetzlich ist der Begriff des „Gefährders“ hier zwar nicht expressis verbis enthalten, aber indirekt. Die Antiterrordatei (ATD) sei auch eine Gefährderdatei, eine Sammlung von Daten, betreffend kraft einer heimlichen Prognose als besonders gefährlich eingestufter Grundrechtsträger.78 Der Begriff „Gefährder“ gilt als Rechtfertigung für die heimlichen Interventionen in Verknüpfung mit dem Ziel einer „optimierten Früherkennung terroristischer Strukturen“.79 Lediglich aufgrund der bloßen Annahme einer als dauerhaft sowie als „erhöht“ bezeichneten „abstrakten Gefährdungslage“ werde die Überwachung vollzogen. Die Figur des „Gefährders“ gelte in diesem Sinne als Chiffre und als Konstrukt,

75

Life & LAW 2018, 491 f. Vgl. Plöse 2014, 124. 77 Plöse 2014, 124. 78 v. Denkowski 2007, 325, zit. nach Böhm 2011, 225. 79 v. Denkowski 2007, 326, zit. nach Böhm 2011, 226. 76

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das sicherheits- und kriminalpolitische Ziele jenseits traditioneller strafrechtlicher Grundsätze und Mechanismen erfordere und rechtfertige.80 3.3 Dissertation María Laura Böhm Schon sechs Jahre vor der Veröffentlichung von Hanschmann hatte María Laura Böhm ihre Promotion über den „Gefährder“ und das „Gefährdungsrecht“ vorgelegt.81 Sie unternimmt eine rechtssoziologische Untersuchung am Beispiel der Urteile des BVerfG über die nachträgliche Sicherungsverwahrung und die akustische Wohnraumüberwachung. Im Anschluss an Charles von Denkowski ist Ausgangspunkt für Böhm, dass die Figur des „Gefährders“ bis heute explizit normativ ungeschrieben bleibe.82 In Wirklichkeit aber sei das „Gefährderkonstrukt“ längst Bestandteil des Strafrechts.83 Unabhängig von dem Nachweis, den Böhm dazu anhand der nachträglichen Sicherungsverwahrung und der akustischen Wohnraumüberwachung führt, zeigt sich dies besonders am Terrorismusstrafrecht. Indem die genannten Sicherheitsgesetze BKAG sowie ATDG als Voraussetzungen für die dort geregelten weitreichenden Ermittlungsbefugnisse an Terrorismusstraftatbestände und die Ermittlungsbefugnisse dazu in der StPO anknüpfen, offenbare sich die Durchdringung des Gefährderbegriffs und dessen Austauschbarkeit im Gefahrenabwehrrecht und im Straf- und Strafprozessrecht. Straf- und Strafprozessrecht würden auf diese Weise selbst zu einem Gefahrabwehrrecht. Dies sei zugleich verbunden mit einer Normierung der entsprechenden Straftatbestände, die eine weite Vorverlagerung der Strafbarkeit bedeuteten. Was die Vorverlagerung der Strafbarkeit in den Terrorismustatbeständen betreffe, so lasse sich hier fast sinnbildlich von einer Synchronität zwischen der Nebulosität des Gefährderbegriffs und der Vorverlagerung der Terrorismusstraftatbestände in eine abstrakte Gefahr sprechen, die solcher Nebulosität letztlich gleichkomme. Aber so nebulös erscheine diese Situation nur auf den ersten Blick. In Wirklichkeit gerieten StGB und StPO in diesem vermeintlichen Gefährdernebel zur Legitimation für immer mehr außerstrafrechtliche Eingriffsbefugnisse und Ermittlungen durch Polizei und Staatsanwaltschaften. Wie Böhm zutreffend schreibt, kommt der Diskurs des Strafrechts in einer diffusen und angreifenden Form und in der Materialisierung des Strafsystems zum Ausdruck: „diffus in der Konstruktion der Adressaten, angreifend in der Form der Reaktion“.84 Es gehe dabei nicht lediglich um Risikomanagement, sondern auch um die angreifende Abwehr gegenüber allen möglichen Schäden, die durch die Risikoerkennung berechenbar gemacht werden. Das Strafrecht bilde zusammen mit dem Risikomanagement und der Gefahrenabwehr 80

Böhm 2011, 226. Böhm 2011, 226. 82 Böhm 2011, 227. 83 Böhm 2011, 229. 84 Böhm 2011, 229. 81

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ein diskursives Kontinuum, das im Gefährdungsrecht zum Ausdruck komme85. Dieses Gefährdungsrecht konkretisiere Feinde, Verbrecher, Gefahren und Risiken in einer einzigen Figur: der von ihm modellierten Figur des Gefährders.86 Böhm hebt zurecht hervor, dass es sich bei den Gefährdern nicht um Subjekte handelt, also gefährliche Verbrecher, von denen Gefahren ausgehen, sondern um Konstrukte, die als Summe gefährdender Faktoren und Merkmale entstanden sind. Es handele sich um die Materialisierung einer Verflechtung multipler gefährdender Risikofaktoren. Durch dieses Verständnis rücke das Gefährdungspotenzial in den Vordergrund und das Subjekt löse sich auf.87 Nach Böhm drückt sich das Gefährderrecht in einer Form aus, die das Strafrecht bis zu den Grenzen des Rechts erweitert und sich sogar über dieses auszudehnen scheint. Das Gefährdungsrecht soll eine der ältesten Funktionen des Staates erfüllen, nämlich der Sicherheit dienen.88 Die Untersuchung zum Gefährderrecht führt Böhm zu der Schlussfolgerung, dass der Rechtsstaat sowohl Präventionsstaat wie auch Sicherheitsstaat sei.89 Unter Anlegung rechtskritischer Maßstäbe von Walter Benjamin, Jacques Derrida, Michel Foucault und Giorgio Agamben gelangt Böhm zu der Auffassung, dass sich das Gefährdungsrecht als eine neue Rechtsform erweise, da es, der Logik eines administrativen Risikomanagements folgend, seinen Adressatenkreis diffus bestimmt und die gefährdenden Figuren zugleich offensiv bekämpft. Solch ein Gefährdungsrecht könne nicht weit und scharf genug sein. Dabei entsprächen sich die Weite der Logik des Risikomanagments und die Schärfe der Logik der Bekämpfung. Das Gefährdungsrecht lege das Strafrecht neu aus, wobei die Fusion beider Rationalitäten eine grenzenlose Erweiterung und Verschärfung des Strafrechts bewirke.90 3.4. Dissertation Vasiliki Chalkiadaki Vasiliki Chalkiadaki vergleicht die Gefährderkonzepte in der Kriminalpolitik zwischen Deutschland, Frankreich und England. Dabei untersucht sie schwerpunktmäßig Gefährderkonzepte im Bereich des Fußballhooliganismus, des Terrorismus sowie Gefährderkonzepte im Bereich des Rückfalls bei haftentlassenen Sexualstraftätern. Hier erweist sich aber bereits, dass die sogenannte „Gefährderansprache“, wie sie oben wiedergegeben worden ist, ihre Funktion insbesondere beim Fußballhooliga-

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Böhm 2011, 229. Böhm 2011, 229. 87 Böhm 2011, 235. 88 Böhm 2011, 240. 89 Böhm 2011, 249. 90 Böhm 2011, 302. 86

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nismus sowie bei den haftentlassenen Sexualstraftätern erfüllt, wenn auch mit unterschiedlichen Mitteln und in unterschiedlicher Weise. Worum es eigentlich bei dem Begriff des „Gefährders“ und damit bei der Abwehr der Terrorismusgefahr geht, arbeitet Chalkiadaki länderspezifisch heraus. Für Deutschland stehe im Mittelpunkt die Kombination von Strafnormen und Vorschriften aus dem Recht der Nachrichtendienste einerseits und Praktiken der polizeilichen und nachrichtendienstlichen Sicherheitsbehörden andererseits. Hinsichtlich des Strafrechts werde kein spezieller Gesamt-Straftatbestand für das Phänomen Terrorismus geschaffen, sondern der Gesetzgeber kriminalisiere in einer Anzahl von terrorismusspezifischen, terrorismusrelevanten oder sonstigen allgemeinen Vorschriften des StGB vielfältige konstitutive Elemente des Terrorismus.91 Auf diese Weise stehe die Vorverlagerung der Strafbarkeit weit in das Vorfeld von terroristischen Handlungen im Fokus. Außerdem werde das Recht der Nachrichtendienste eingesetzt, und zwar überwiegend die Vorschriften, die für den Datenaustausch zwischen den verschiedenen Nachrichtendiensten und der Polizei relevant sind.92 Es sei hier angefügt, dass mit diesem Konglomerat von Maßnahmen nicht verhindert worden ist, dass der Attentäter Amri des Berliner Weihnachtsmarktes 2016 seine Terrortaten dort verüben konnte, und dies, wie sich immer mehr herausstellt, obwohl der Verfassungsschutz ihn längst im Visier hatte, was durch seinen damaligen Präsidenten Maaßen wieder besseres Wissen bestritten wird.93 In diesem Zusammenhang sorgt in Deutschland nach wie vor für Unklarheiten und Diskussionen, dass die Terroranschläge des „Nationalsozialistischen Untergrunds“ (NSU) so ohne weiteres möglich waren, obwohl der Verfassungsschutz in diese terroristische Vereinigung involviert war.94 Deutlich wird, dass zwischen Deutschland und Frankreich kaum signifikante Unterschiede bei der Terrorismusbekämpfung bestehen.95 Etwas anders sieht die Situation in England aus. Dieses Land verfügt nach Chalkiadaki aufgrund der IRA-Erfahrungen über das umfassendste Arsenal zur Terrorismusbekämpfung, was bis zur Ingewahrsamnahme ohne Haftbefehl reicht.96 Hinsichtlich eines solchen Vergleichs zwischen den drei Ländern hebt Chalkiadaki jedoch zunächst die Gemeinsamkeiten hervor: Vorverlagerung der Strafbarkeit, Entwicklung von gefahrenabwehrrechtlichen administrativen Maßnahmen; Gewinnung von Erkenntnissen und die relevante Nutzung von Daten; Zusammenarbeit der 91

Chalkiadaki 2017, 428. Chalkiadaki 2017, 428. 93 https://www.neues-deutschland.de/artikel/1100562.fall-amri-geheimdienst-war-am-atten taeter-dran.html [16. 09. 2018]. 94 Vgl. Schultz 2018, 131 ff., 264 ff., 353 ff. 95 Chalkiadaki 2017, 429 f. 96 Chalkiadaki 2017, 313. 92

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Behörden beim Umgang mit der Gefahrprognose und gemeinsame Ansätze der Länder zur Prävention von schwerer Gewalt, aber auch Gemeinsamkeiten im Hinblick auf den Gefährderbegriff.97 Kritisch betrachtet Chalkiadaki die strafrechtliche Entwicklung und fordert, dass das Strafrecht sich gegenüber dem präventiven Druck des Sicherheitsansatzes behaupten und seine Eigenschaften und Garantien verteidigen müsse. Dieser Ansatz habe drei Aspekte: erstens müssten alle Wünsche auf Sicherheit, die auch außerhalb des Strafrechts mit denselben erfolgreichen Ergebnissen verfolgt werden können, außerhalb des Strafrechts bleiben, um den Charakter des Strafrechts als ultima-ratioLösung zu garantieren; zweitens sei die Verhältnismäßigkeit nicht die einzige Schranke für ein Sicherheitsstrafrecht, vielmehr müsse die Würde des Betroffenen und der damit verbundene Schutz seiner Eigenständigkeit immer noch mehr im Mittelpunkt des Strafrechts stehen; drittens müsse wahrgenommen werden, dass auch im Rahmen eines sicherheitsorientierten Strafrechts eine totale Sicherheit nicht gewährleistet werden kann, sondern vielmehr nur eine Sicherheit nach den normativen Grenzen, die ihr das Strafrecht zuschreibt, was für alle Rechtsgüter gelte.98 Es bleibt freilich fraglich, wie die Autorin ihre Auffassung zu den Grenzen des Strafrechts in Wirklichkeit mit einem rechtsstaatlichen Sicherheitsstrafrecht verbinden will,99 womit sich der Kreis auch wieder zu den Überlegungen Siebers, Sicherheitsarchitektur mit Freiheitsarchitektur zusammenzuführen, schließt.

4. Zusammenfassung Der Begriff der Sicherheit hat in den letzten Jahren einen erheblichen Wandel erfahren. Es handelt sich nicht um einen im wahrsten Sinne des Wortes „gesicherten“ Rechtsbegriff. Tautologisch ist die Sicherheit danach juristisch ungesichert. Das hat eigentlich seinen guten Grund, denn Rechtsstaat und Sicherheit verhalten sich wie Antipoden zueinander. Die Sicherheit befindet sich jedoch im sicherheitspolitischen Diskurs und erweist sich als ein schleichendes kriminalpolitisches Gift für den Rechtsstaat, der damit ausgehöhlt wird. Sicherheitsgefühle, eingeschlossen Ängste und Bedrohungen, sind aber real, was besonders für islamistischen Terrorismus und zunehmend auch für strafbaren Rechtsradikalismus diskutiert wird und nicht zu übersehen ist. Die Reaktionen darauf bestehen in der Konstruktion eines weit verzweigten Geflechts sicherheitspolitischer Maßnahmen mit den Mitteln des Rechts, die in ein Sicherheitsrecht münden sollen. In meinem Referat wurde dieses Geflecht durch die Wiedergabe wichtiger wissenschaftlicher Untersuchungen dargestellt. 97

Chalkiadaki 2017, 433 ff. Chalkiadaki 2017, 451. 99 Chalkiadaki 2017, 451.

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Der im sicherheitspolitischen Diskurs entwickelte Begriff des „Gefährders“ erweist sich sozusagen als der flexible Springer in diesem Geflecht. Mal springt er im Präventivbereich, mal in der Gefahrenabwehr, hin und wieder auch im Strafrecht. Er könnte, um in diesem Bild zu bleiben, ein großer Grashüpfer sein, der das Ziel hat, durch das ständige Springen zwischen den unterschiedlichen Rechtsbereichen deren Konturen und Strukturen, aber auch ihre exklusiven Kompetenzen zu überdecken. Das Geflecht wird durchlässiger, die Rechts- und Gefährdungsbereiche nähern sich an, sie nehmen mit vereinten Kräften den Grashüpfer, in Wahrheit den Gefährder ins Visir. Diese Flexibilität nun eignet sich in idealer Weise dazu, hinsichtlich der Sicherheitsgefühle in der Bevölkerung zu zeigen, wie ernst diese genommen werden und dass alles Erforderliche besonders für die Erkennung und Abwehr relevanter Gefahren getan wird. Vor einer kritischen Wissenschaft stehen mehrere Aufgaben: 1. Zunächst müssen diese Entwicklungen in Bezug auf die bestehenden konkreten Gefahrenlagen weiter genau analysiert werden. 2. Es ist vor dem Hintergrund der konkreten empirischen Befunde danach zu fragen, ob es ausreichend ist, Sicherheitsrecht und Freiheitsrecht zu einem rechtsstaatlichen Sicherheitsrecht zu vereinen, so wie das Winfried Hassemer auf dem Strafverteidigertag im Jahre 2006 getan hat.100 Damit wird sich zumindest auseinanderzusetzen sein, wozu auch die Erkenntnisse kritischer Kriminologie herangezogen werden müssen. Die richtige Bestimmung von Strafrecht, Sicherheit, Rechtsstaat und Freiheit sollte sich auch nicht so sehr nach der Tagesaktualität richten, schon gar nicht nach den Medien, und erst recht nicht im Zusammenhang mit demokratischen Wahlen jegliche redliche und intellektuelle Reflektierung vermissen lassen. Zu fragen ist auch nach den gesellschaftlichen, sozioökonomischen, sozialen, politischen und kulturellen Hintergründen und Wandlungen, die zu einer veränderten Sicherheitsarchitektur geführt haben. 3. Wie kann die Freiheitsarchitektur gerade in den Rahmen dieser grundlegenden gesellschaftlichen Wandlungsprozesse unter den Stichpunkten von weltweitem Neoliberalismus und den dadurch bedingten Verarmungs- und Ungerechtigkeitsverhältnissen, zugleich aber auch vor dem Hintergrund des Erstarkens von rechtsradikalen und prä- bzw. protofaschistischen Entwicklungen101 in einer ganzen Reihe von europäischen Ländern eingepasst werden, damit sie sich als ein Korrektiv für derartige Gefährdungen der „Weltgesellschaft“ erweist? 4. Wichtig ist der Erfahrungsaustausch mit anderen Ländern, nicht nur jenen der Europäischen Union, sondern auch mit solchen, die gesellschaftspolitisch bisher einen anderen Weg als westliche Demokratien gegangen sind und in denen 100

Hassemer 2006, 130. Vgl. dazu Quent, https://www.sueddeutsche.de/politik/landtagswahl-thueringen-hoecke1.4658751 [30. 12. 2019]; Quent 2019; Arnold 2019c. 101

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auch die Transformationen von Sicherheit anders erfolgen, ja mitunter auch anders erfolgen müssen als in westlichen Ländern. Mein Beitrag nimmt nicht für sich Anspruch, die Wahrheit und Richtigkeit des Verhältnisses von Strafrecht, Sicherheit und Freiheit zu kennen und schon gar nicht, diese für andere Länder als Vorbild erscheinen zu lassen. Meine Ausführungen beinhalten deswegen auch keine inzidente Kritik am Sicherheitsverständnis in Russland. Ich kenne dieses auch nicht gut genug, kann mir aber vorstellen, dass es hier und da noch in der sowjetischen Tradition steht und ihm auch spezifische nationale, konkret-historische, politische, ökonomische und kulturelle wie soziale Bedingungen und Verhältnisse zu Grunde liegen. Gleichwohl erscheint es mir unverzichtbar, sich über die allgemeingültigen menschenrechtlichen Voraussetzungen für einen demokratischen, freiheitlichen Sicherheitsbegriff, bzw. ein darauf bezogenes Sicherheitsrecht, diskursiv zu verständigen.102 Bei alledem sollte ein Satz nicht vergessen werden, den der frühere Bundesverfassungsrichter und Professor für Staatsrecht an der Universität Freiburg Ernst-Wolfgang Böckenförde schon vor vielen Jahren postuliert hat: „Der freiheitliche, säkularisierte Staat lebt von Voraussetzungen, die er selbst nicht garantieren kann. Das ist das große Wagnis, das er, um der Freiheit willen, eingegangen ist. Als freiheitlicher Staat kann er einerseits nur bestehen, wenn sich die Freiheit, die er seinen Bürgern gewährt, von innen her, aus der moralischen Substanz des einzelnen und der Homogenität der Gesellschaft, reguliert. Anderseits kann er diese inneren Regulierungskräfte nicht von sich aus, das heißt mit den Mitteln des Rechtszwanges und autoritativen Gebots zu garantieren suchen, ohne seine Freiheitlichkeit aufzugeben und – auf säkularisierter Ebene – in jenen Totalitätsanspruch zurückzufallen, aus dem er in den konfessionellen Bürgerkriegen herausgeführt hat.“103

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Anonymität im Recht – Eine Problemskizze Von Christoph Gusy1 Mit Hans-Jörg Albrecht durfte ich in Fragen der Sicherheitsforschung zusammenarbeiten. Dies ermutigt mich zu einer Skizze, die Fragen aus anderen von mir betriebenen Forschungsprojekten für unser gemeinsames Thema stellen kann. Ihr Thema ist eine Herausforderung an alle Rechtsgebiete, an Kriminologie, Rechts- und Gesellschaftswissenschaften, Theorie und Empirie. Sie möchte zu weiteren Forschungen, aber auch zu Widerspruch anregen, also Diskussionen eröffnen, nicht abschließen.

1. Anonymität als Namenlosigkeit Anonymität zählt zu den viel genannten, aber wenig erforschten Phänomenen. Dabei verdient sie aus zwei Gründen größere Aufmerksamkeit. Die Verlagerung von Kommunikation und Interaktion in das Netz ermöglicht schon aus technischen Gründen Anonymität in höherem Umfang als früher.2 Die neuen Medien haben auch hier nicht nur neue Fragen gestellt, sondern auch ältere Fragen sichtbarer gemacht und bisweilen radikalisiert. Neben die praktische Relevanz tritt ihre theoretische Dringlichkeit. War und ist der Schutz der Privatheit ein Schlüsselthema der Wissenschaft im letzten Jahrzehnt, so blieb das sich damit partiell überschneidende Phänomen der Anonymität am Rande der Betrachtungen. Hier sollen einige Rechtsfragen zumindest skizziert werden. Anonymität (von griechisch !m~mulor anónymos „ohne Namen“) bezeichnet das Fehlen der Zuordnung einer Person zu einer von ihr ausgeübten Handlung bis hin zur absichtlichen Geheimhaltung (wikipedia). Dies geschieht nicht durch Geheimhaltung der Handlung, sondern derjenigen Person, welche sie vorgenommen oder veranlasst hat. Diese Person wird nicht namhaft gemacht, ihr Name fehlt, sie bleibt anonym. Das kann auf unterschiedliche Weise geschehen: Sei es durch bloßes Weglassen des Namens, sei es durch offene Ersetzung des Namens durch eine Chiffre („N.N.“), sei es durch Nennung eines Allerwelts- oder eines offenkundig falschen

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Mein Dank gilt den Kolleginnen und Kollegen im Forschungsprojekt „Strukturwandel des Privaten“, das von der VW-Stiftung gefördert wird, und J.P. Möhle. 2 Grundlegend Brunst 2009; siehe auch Willand 2003; Gröschner 2004, S. 369: „Agora statt E-Gora“.

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Namens („Pseudonymität“),3 welche die Zurechnung der Handlung zu einer bestimmten existierenden Person im Kommunikationsprozess unmöglich machen soll. Konstituierendes Element der Anonymität ist somit ein Kommunikationsvorgang, welcher auf Menschen zurückführbare Handlungen, Eigenschaften oder Zustände betrifft, wobei der Name dieser Person nicht genannt oder verfälscht wird. Es geht um Aussagen von oder über Menschen, ohne diese zu benennen. Das Fehlen der Namensangabe kann ganz heterogene Gründe haben. Was fehlt, ist der Name. Diesem kommen zwar auch, aber keineswegs nur rechtliche Funktionen zu. Für die Einzelnen ist der Name unentbehrlicher Bestandteil der Persönlichkeitsbildung und der Herausbildung von Identität. Hier ist er mehr als eine bloße Bezeichnung. Viel spricht dafür, dass der Name ein Persönlichkeitselement darstellt, welches die Herausbildung der Einzelnen, ihre Individualisierung und ihr Selbstkonzept mitprägt. Er ist Teil der Selbstwahrnehmung und des Selbst-Bewusstseins seiner Träger. Hier zählt er neben dem Aussehen und wichtigen Eigenschaften zu den Grundelementen der Herausbildung personaler Unterscheidbarkeit der Menschen, der Herausbildung ihrer Eigenständigkeit und Eigenheiten und damit als Grundlage und Teil der Persönlichkeitsentwicklung. Hier kann seine Bedeutung kaum überschätzt werden: Er steht neben physischen und psychischen Eigenheiten, die ererbt oder anerzogen sind. Er ist zentraler Bestandteil des Integritätsschutzes einer Person. Und als solcher ist er rechtlich auch geschützt.4 Über die individuelle kommt dem Namen zugleich eine wichtige soziale Funktion zu. Er ist neben dem Aussehen und dem Bild das konstituierende Differenzierungsund Zurechnungsmerkmal. Er macht eine Person im Wissen Anderer erkennbar und erinnerbar: Was eine Person über eine andere weiß, wird ihr über den Namen zugeordnet. Die Nennung des Namens ruft die Person sowie das über sie vorhandene Wissen und sie betreffende Einstellungen auf und öffnet diese Informationen für Einordnungen und Abstrahierungen, Korrekturen und Reflexionen und Generalisierungen. Sie prägen nicht nur das Wissen Anderer über eine Person, sondern können auch deren Einschätzungen und ihr Verhalten ihr gegenüber beeinflussen. Der Name ruft ein Informationsbündel über eine Person ab, welches sich vor die Person selbst, ihr Verhalten, ihre Einstellungen oder Gedanken schieben kann. Im Wissen Anderer bestimmt so der Name die Person und kann sie überlagern bzw. verdrängen. Der Name bestimmt in der Gesellschaft weitgehend die Rolle einer Person.5 Das mag auf den ersten Blick widersprüchlich erscheinen: Was durch die individuelle Funktion begründet wird, wird durch die gesellschaftliche Funktion wieder relativiert. Denn die Einstellungen Anderer hängen eben nicht nur von der Person ab, welche sie betreffen. Sie hängen mindestens ebenso sehr von der Informationslage, von Erinnerungen, Zuschreibungen und Werthaltungen ihrer Träger ab. Die 3 Bisweilen wird das Phänomen der Pseudonymität mit ihr gleichgesetzt; z. B. bei Weichert 2003, S. 95; Probst 2003, S. 179. 4 Zur Entwicklung Klippel 1985; siehe auch Luckmann et al. 1980. 5 Dazu soziologisch Goffmann 1983.

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Rolle, welche dem Träger eines Namens zugewiesen ist, hängt nicht allein, vielleicht nicht einmal zentral von ihr selbst ab. Ob der Name zum Heldenmythos oder zum Stigma wird, ist allenfalls ansatzweise eine Frage der Selbstbestimmung und -definition des Trägers, sondern mindestens ebenso der Einstellungen und Erwartungen der Gesellschaft. Und mit ihr können sie sich auch wandeln. Der Weg vom Helden zum Schurken oder umgekehrt setzt Kontinuität des Namens voraus. Zugleich zeigt sich: Je stärker und verfestigter Rollenbilder und -zuweisungen sind und je weniger sie von der betroffenen Person selbst beeinflusst werden können, umso intensiver können sie Persönlichkeitsbildung und -entfaltung der Betroffenen behindern. Aus der Rolle als Adeliger, als Angehöriger städtischer Oberschichten oder andernorts privilegierter Kasten, aber auch als Jude, als nichteheliches Kind, als Vorbestrafter oder Zuwanderer kam man jahrhundertelang nicht heraus. Kulminationspunkt dieser Zuweisungen ist der Name: Er ist sprachlicher Ausdruck und Abkürzung nicht nur für die Identifikation einer Person, sondern zugleich für die Summe der auf sie bezogenen Erfahrungen, Einstellungen und Erwartungen. Und aus ihnen formieren sich Vorstellungen und Verhaltensweisen Dritter. Je verfestigter Rollenbilder und -zuweisungen sind, umso unmöglicher wird Betroffenen das Ausweichen durch Selbstbestimmung und Selbstdefinition. Individueller Zurechnungsfaktor solcher Zuschreibungen war und ist der Name. Hier kommt dem Phänomen der Anonymität Bedeutung zu: Namenlosigkeit ermöglicht das Heraustreten aus bestehenden Rollenerwartungen. Historisierend formuliert: In der Dorfgemeinschaft, wo jeder jeden und dessen Rolle kannte, waren Selbstbestimmung und -entfaltung außerhalb der Rollenzwänge kaum möglich. Letztere setzten die Möglichkeit des Heraustretens aus dem allgemeinen „Wissen“ und auch solchen Zuschreibungen voraus. Wo und wenn der Name nicht mehr bloß Festlegung und Fortschreibung ist, sondern gemacht werden kann, fangen Freiheit und Selbstbestimmung an. Und dies setzt ein gewisses Maß an Anonymität voraus. Die gegenüber dem Dorf anonymere Stadt war in diesem Sinne Anfang und Vorbedingung der Freiheit.

2. Kontexte 2.1 Öffentlichkeit als Vorbedingung und Wirkungsraum von Anonymität Anonymität ist Anderes als Privatheit. Zwar weisen beide eine Gemeinsamkeit auf, nämlich das begrenzte Wissen Außenstehender über Personen. Darin erschöpfen sich aber ihre Überschneidungen. Wo eine Person ganz für sich und mit sich allein ist, braucht sie keinen Namen und keine Anonymität. Das ist der seltene Extremfall von Privatheit. Nach klassischer Auffassung zeichnet sich Privatheit durch die Möglichkeit der Selbstbestimmung über den Zugang zu Informationen einer Person aus.6 Je privater ein Lebensvorgang ist, desto höher sind tendenziell die Zugangsmöglichkeiten zu den Informationen der Beteiligten untereinander. Dass von dieser erhöhten Zu6

Dazu etwa Worms & Gusy 2012, S. 92; Gusy 2018, S. 246 ff.

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gangsmöglichkeit ausgerechnet der Name eben dieser Beteiligten betroffen sein soll,7 ist zwar nicht logisch ausgeschlossen, aber doch eher unwahrscheinlich. Anonymität ist also keine Konstitutionsbedingung von Privatheit. Und umgekehrt ist Privatheit auch keine Konstitutionsbedingung von Anonymität. Die klassischen Fälle der Inanspruchnahme von Namenlosigkeit betreffen gerade Vorgänge, welche der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden sollten: Flugblätter, Aufsätze, Bücher, Kunstwerke, Meinungen, deren Autoren – aus welchen Gründen auch immer – nicht namentlich hervortreten wollten.8 Motivierende Bedingung für diese Namenlosigkeit war nicht, dass ihr Werk vertraulich blieb, sondern umgekehrt, dass es bestimmten oder allen Dritten zugänglich würde. An sie richtete sich eine Botschaft, deren Inhalt aber von der Person ihres Urhebers (oder Verbreiters) abgelöst werden sollte. Viel spricht dafür: Anonymität ist ein Modus öffentlicher, kaum je privater Handlungen.9 Auch ist Anonymität nicht gleichbedeutend mit informationeller Selbstbestimmung. Gewiss: Ob eine Person ihre Urheberschaft veröffentlicht, ist eine Ausprägung jener Selbstbestimmung. Hier hat sie mehrere Möglichkeiten: Sie kann in der Öffentlichkeit vollständig anonym bleiben, etwa das völlige Absehen von Namensangaben. Sie kann aber auch mehrere Identitäten aufbauen, indem sie in der Öffentlichkeit einen anderen Namen benutzt, dessen Zuordnung zu der benutzenden Person nicht (jedem) erkennbar ist. So kann auch die Benutzung mehrerer Identitäten eine Form der Anonymität darstellen,10 etwa die digitale Identität11 von der analogen verschieden sein. Aber damit enden die Überschneidungen. Anonymität schützt die Nicht-Erkennbarkeit bzw. Nicht-Identifizierbarkeit einer anonymen Person mit einer bekannten Person: Ist diese erkennbar bzw. erkannt, endet jene. Das ist hinsichtlich der informationellen Selbstbestimmung anders: Sie betrifft auch den Umfang des Zugangs zu Informationen bekannter Personen. Auch hier sind die Überschneidungen also allenfalls partieller Art. Aus jenen Gründen können Erkenntnisse der Privatheitsforschung auch nur mit Vorsicht auf Anonymitätsfragen übertragen werden, wenn und soweit Problemlagen und Antwortbedürfnisse vergleichbar sind. 2.2 Relativität der Anonymität: Die anonyme Person in der Öffentlichkeit Anonymität ist relativ.12 Wohl kein Mensch ist vollständig anonym. Auch wer auf sie großen Wert legt, wird anderen Menschen persönlich bekannt sein. Name, persönliches Umfeld, Anschrift: Es gibt nahezu stets Menschen, die diese kennen und die 7

Zu einer solchen Ausnahme Helm 2017. Historisch Pabst 2011; Pabst 2018. 9 Rössler 2003, S. 29 f. 10 Dies ist etwa in Agentenfilmen, aber auch ganz real bei verdeckten Ermittlern oder VLeuten anzutreffen. 11 Zu ihr Hornung & Engemann 2016. 12 Rössler 2003, S. 29 f. 8

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Person namentlich ansprechen, begrüßen oder zu Hause besuchen. Das werden am ehesten Menschen aus dem persönlichen Umfeld sein, können aber auch Arbeitskollegen, Nachbarn oder Mitglieder desselben Vereins sein. Dass eine Person vollständig und gegenüber Jedermann anonym ist, ist zwar theoretisch nicht ausgeschlossen, aber wohl eher selten. Allerdings werden auch die Bekannten vielfach nicht wissen, dass die ihnen persönlich bekannte Person andernorts anonym auftritt. Wer im Internet anonym Hatespeeches verbreitet, kann in seinem persönlichen Bekanntenkreis unter seinem richtigen Namen und mit ganz anderen oder aber auch denselben Eigenschaften bekannt sein – nur weiß dieser Kreis zumeist nicht, dass die ihnen bekannte Person identisch mit dem anonymen User ist. Anonymität ist regelmäßig relativ, besteht in einzelnen sozialen Relationen und in anderen gleichzeitig nicht. Dies ist wenig überraschend, sind doch auch Privatheit und Öffentlichkeit keine vollständigen Gegensätze, sondern eher Endpunkte einer gleitenden Skala der Ausgestaltung sozialer Kontakte. Die Relativität der Anonymität reicht aber noch weiter. Unter den normalen Bedingungen der unvollständigen wechselseitigen Kenntnis und Rollenzuweisung ist fast niemand vollständig bekannt oder vollständig unbekannt, und zwar weder gegenüber allen Anderen noch aber auch in allen Eigenschaften und Zuschreibungen. Wer im Heimatort bei „rot“ über die Ampel geht, bei einer öffentlichen Veranstaltung laut schnarchend eingeschlafen ist oder von einer Überwachungskamera erfasst worden ist, wird von den meisten Anwesenden zwar als Person gesehen und ist insoweit nicht anonym („Das ist der, der bei „rot“ über die Ampel ging“), doch ist er namentlich unbekannt. Nur in Ausnahmefällen ist eine Person so prominent, dass alle Anwesenden ihren Namen kennen. Insoweit bleibt die Person (relativ) anonym – jedenfalls so lange, wie Dritte diese nicht aufheben. Steht am nächsten Tag in der Zeitung, wer die Verkehrsregel übertrat oder in der Veranstaltung schnarchte, so ist es mit der relativen Anonymität vorbei. Relative Anonymität ist voraussetzungsvoll. Einerseits ist sie (auch) Gegenstand der Selbstbestimmung ihres Trägers. Er kann grundsätzlich selbst entscheiden, gegenüber wem er anonym auftritt und gegenüber wem nicht. Dies ist ein Element der Freiheit, welche so nicht nur Folge, sondern auch Grundlage der Anonymität sein kann. Andererseits ist sie aber auch Folge gesellschaftlicher Zuweisung: Solange diejenigen, welche die Umstände kennen, die Anonymität respektieren, kann sie bestehen. Wenn sie hingegen „auspacken“, kann die Anonymität rasch zerstört sein. Wichtig ist dabei: Die Kenntnis von diesen Umständen ist Teil des Wissens anderer Menschen. Sie dürfen von ihrem Wissen Gebrauch machen, wie und gegenüber wem sie wollen. Dies ist Teil ihrer Kommunikationsfreiheit. Außerhalb spezieller rechtlicher oder vertraglicher Regelungen hat kein Mensch einen Anspruch darauf, dass Andere von ihrem Wissen keinen oder nur einen bestimmten Gebrauch machen.

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3. Anonymität in der Öffentlichkeit In der Öffentlichkeit wirkt Anonymität ambivalent. Einerseits kann eine Person unter ihrem Deckmantel in die Öffentlichkeit gehen und so Teil der öffentlichen Kommunikation werden: Sie kann Meinungen äußern, andere Meinungen bekämpfen und an der Bildung der öffentlichen Meinung teilhaben. Umgekehrt ist die anonyme Person selbst gerade nicht Teil der Öffentlichkeit: Sie wirkt mit, ohne aber selbst ein öffentliches Subjekt zu sein. Anonymität ist individualschützend: Je riskanter die Teilnahme an einem öffentlichen Diskurs ist, desto attraktiver mag es sein, an ihm nur anonym teilzunehmen. Gerade in Terror- oder Überwachungsstaaten mag eine politische Diskussion so überhaupt erst entstehen; der „Arabische Frühling“ war dafür ein Beispiel. Aber auch in funktionierenden demokratischen Rechtsstaaten kann es bisweilen attraktiv erscheinen, in die Öffentlichkeit zu gehen und dort zugleich anonym zu bleiben. Dies mag für Stellungnahmen gelten, die außerhalb des rechtlich oder sozial anerkannten Spektrums liegen; für solche, welche zwar keine rechtlichen, wohl aber soziale Sanktionen drohen können, etwa Tabubrüche; für innovative Äußerungen, welche vorhandene Mainstreams in Frage stellen; schließlich für Personen, denen in bestimmten Foren kein Zugang eröffnet ist,13 weil es am vorausgesetzten Status fehlt. In diesen Fällen kommt der Anonymität primär freiheitskonstituierende Bedeutung für die Einzelnen zu: Sie kann Wirkungsmöglichkeiten garantieren und zugleich deren Risiken minimieren, solange und soweit sie aufrechterhalten werden kann. Sie ermöglicht Teilnahme an der Öffentlichkeit und schützt zugleich vor deren Folgen. Ist Anonymität zugleich gesellschaftsschützend? Gibt es einen gesellschaftlichen Bedarf nach Anonymität, der über die Sicherung des Einzelnen hinausgeht? Diese Frage wird erst in jüngerer Zeit diskutiert.14 Gewiss: Anonymität erscheint als Eckpfeiler einer offenen Gesellschaft15 und als eine wesentliche Grundlage sozialer Differenzierung. Hier wird ihr auch eine Funktion für die bürgerliche Gesellschaft zugesprochen.16 Der Schutz des Wahlgeheimnisses in dem ansonsten öffentlichen Wahlvorgang17 lässt sich auch als Schutz der Anonymität der abgegebenen Stimme lesen. Insoweit kommt ihr auch eine wichtige überindividuelle Funktion zu: Sie sichert die Freiheit der Stimmabgabe als ein konstituierendes Element einer auf Freiheit und Gleichheit angelegten Demokratie. Aber genau das sind Wirkmechanismen ihrer zuvor genannten individualschützenden Dimension: Sie sichert Beteiligung an der Öffentlichkeit, also dem Wahlvorgang, bei gleichzeitigem Schutz vor der Öffentlichkeit. Im Übrigen erscheint die überindividuelle Funktion der Anonymität jeden13

Historisch aufschlussreich Kord 1996. Explizit Thiel 2017, S. 152. Die Fragestellung ist bislang eher unter dem Aspekt von Privatheit und Demokratie untersucht; dazu Seubert & Helm 2017, S. 120; Eichenhofer 2017, S. 133; Gusy 2015. 15 Dix 2003, S. 52. 16 Rost 2003, S. 62. 17 BVerfGE 123, 39, 68 ff. 14

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falls noch ungeklärt. Gesellschaftsbildend ist sie allenfalls in Extremsituationen18 und setzt auf jeden Fall entsprechend Vereinbarungen zwischen den Beteiligten voraus. Jedenfalls die Bildung stabiler Kommunikationsverhältnisse, von Vereinigungen oder Organisationen, welche auch nach außen wirken, setzt ein gewisses Maß an wechselseitiger Kenntnis und Information voraus, welches mit Anonymität zwar nicht unvereinbar, aber doch schwer vereinbar ist. Das gilt erst recht für Parteien und Wahlen, welche auf politisches Wirken in der Öffentlichkeit angelegt sind. Sie sind mit dem Gedanken der Anonymität jedenfalls führender Parteimitglieder, der Kandidaten oder Organisationen wohl unvereinbar. Schlagwortartig im Sinne neuerer Forschungsparadigmata lässt sich formulieren: Wo es in Gesellschaft, Wirtschaft, Politik und Staat auf generalisierbares Vertrauen oder gar auf Transparenz ankommt, ist Anonymität eher hinderlich. Sie ist ein Element in der freien Gesellschaft, setzt sie aber wohl voraus und bringt diese nicht hervor. Das ist gewiss auch theorieabhängig. Gesellschaftsbildende Funktionen von Anonymität in freien und demokratischen Gemeinwesen können selbstverständlich mit derart wenigen Strichen nicht von vornherein ausgeschlossen werden. Doch bleiben sie noch zu entdecken.19 Bislang scheinen also die individualschützenden Dimensionen der Anonymität klarer erkennbar als ihre gesellschaftlichen Funktionen. Jedenfalls dort, wo man sich ohnehin frei und gleich am öffentlichen Diskurs beteiligen darf, erscheint sie eher als Weg aus der Gesellschaft heraus als in sie hinein. Ob ihr gesellschaftlicher Mehrwert über die Summe ihrer individuellen Leistungen hinausgehen kann, ist bislang nicht hinreichend erkennbar. Doch wäre schon die individualschützende Wirkung allein nicht zu unterschätzen.

4. Rechtliche Rahmenbedingungen So komplex die relative Anonymität erscheint, so komplex erscheinen auch ihre rechtlichen Rahmenbedingungen. Nach avancierter Auffassung ist sie grundrechtlich geschützt. Die Rechtsgrundlage wird in Art. 1 i.V.m. Art. 2 Abs. 1 GG gesehen20 und so die Nähe zum Grundrechtsschutz der Privatheit bzw. der informationellen Selbstbestimmung hervorgehoben. Angesichts des verbreiteten Konsenses ist die Frage danach, ob die einzelnen Freiheitsrechte (etwa: Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG) eine Annexdimension enthalten, die garantierte Freiheit offen oder anonym auszuüben, bislang nur in Einzelfällen erörtert worden. Im Zentrum standen Art. 8 GG und 18 Hierzu mag das besonders intensiv untersuchte Beispiel der anonymen Alkoholiker zählen; dazu Helm 2017. 19 So etwa auch Thiel 2017, S. 156 f., der hierfür eine republikanische Theorie mobilisieren möchte (S. 158 f.), deren „normatives Vokabular für die empirischen Fragen der Wirkung von Anonymität auf Handlungspositionen sehr offen“ und stärker verallgemeinernden Theorien daher überlegen sei (S. 159). 20 von Mutius 2003, S. 12; Denninger 2003, S. 41; Schmahl 2018, S. 583 ff.

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das Vermummungsverbot.21 Einen Sonderfall thematisieren die Debatten um anonyme Geburt und „Babyklappe“,22 welche neben der eigen- eher eine drittschützende Anonymitätsgarantie begründen sollen. Einen mittelbaren Schutz kommunikativer Anonymität kann auch Art. 10 GG begründen. Zwar garantiert er keinen Schutz des einen Teilnehmers gegenüber dem Anderen – auch nicht seiner Identität –, wohl allerdings das Recht auf Vertraulichkeit des Kommunikationsvorgangs und der Teilnehmenden gegenüber Dritten. Mit dem Kommunikationsvorgang bleiben so auch sie anonym. Doch gilt dieser Schutz nur bei Eingriffen in die Kommunikation selbst, nicht hingegen etwa bei nachträglichen Zugriffen auf deren Medien. Hier ist dann wieder Art. 2 Abs. 1 GG einschlägig.23 Differenzierte Regelungen zu einem speziellen und thematisch begrenzten rechtlichen Anonymitätsschutz finden sich im Gesetzesrecht. Sie reichen vom Zivil-24 über das Strafprozessrecht,25 das Presse-,26 Ausweisrecht27 bis zum Sozialrecht.28 Auch kennt die Rechtsordnung keine allgemeine gesetzliche Namensführungspflicht. Eine besondere Erwähnung findet sie in § 13 Abs. 6 TMG.29 Dort gilt auch der allgemeine Schutz des Art. 10 GG. Damit ist der rechtliche Schutz der Anonymität auch von der Wahl der Kommunikationsmedien abhängig. Zugleich ist dort aber über Umfang und Grenzen ihres Schutzes keine nähere Aussage getroffen. Sie sind rechtlich nirgends (vollständig) vorgegeben, sondern (jedenfalls auch) aufgegeben. Auffällig ist im Gesetzesrecht das Fehlen eines allgemeinen Anonymitätsschutzes. Kontroversen in Rechtswissenschaft und Praxis deuten an: Bereichsspezifisch sehr unterschiedlich sind Schutzbedürfnisse und kollidierende Identifikationsinteressen,30 und durchaus unterschiedlich kann dann auch ihre Zuordnung und Abwägung im Einzelfall sein. Von „dem“ rechtlichen Schutz „der“ Anonymität kann allenfalls auf grundrechtlicher Ebene gesprochen werden. Und gerade hier ist er wegen der ein-

21

Zu § 17a VersG näher Dürig-Friedl & Enders 2016, § 17a Rn. 23 ff.; Kniesel 2016, § 17a Rn. 6 ff. 22 Siehe dazu grundlegend Hassemer & Eidam 2011; Mielitz 2006; Kuhn 2005. 23 Zum Ganzen BVerfGE 115, 166, 181 ff.; Gusy 2018, Art. 10 Rn. 18 f., 65. 24 Nietsch 2014. Zum Recht auf Kenntnis der eigenen Abstammung und dem Anonymitätsschutz etwa von Samenspendern BVerfGE 79, 256, 268 ff.; 96, 56, 63; siehe auch Bergmann 2014. 25 Dazu Backes & Lindemann, 2006. 26 Zum Informantenschutz Welchering & Kloiber 2017. 27 Hornung & Möller 2011, § 5 Rn. 8. 28 Zum Recht auf Schweigen über den Kindsvater BVerfGE 96, 56, 61, 63; zu dessen Relativierung im Sozialrecht BVerwG, DVBl 1983, 1244, 1245 f. 29 Dazu Spindler & Schmitz 2018, § 13 Rn. 66. Sehr weitreichende Konsequenzen ziehend Hoeren 2014, S. 491 ff. 30 Exemplarisch Härting 2013. Beck-online weist über 50 Nachweise zum Thema Anonymität in allen Rechtsgebieten auf.

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schlägigen Gesetzesvorbehalte in weitem Umfang ausgestaltungs- und einschränkungsfähig.31 Umso eher stellt sich die Frage nach kollidierenden rechtlichen Interessen. Eine Reihe von Spezialnormen regeln auch hier Einzelfragen. Die bekannteste ist Art. 103 Abs. 1 GG, welcher ein Grundrecht auf Kenntnis des Prozessgegenstands und des Akteninhalts und damit der Beteiligten und Zeugen begründet.32 Generell stellt sich aber auch die Frage: So, wie Anonymität und ihr Schutz vielfach weniger in als vielmehr hinter Einzelregelungen stehen – sie betreffen andere Fragen, mittelbar aber auch Anonymitätsfragen –, stellt sich auch die Frage nach hinter kollidierenden Einzelregelungen stehenden Identifikationsinteressen. Sie ermöglichen Abwägungen, soweit sie ihrerseits im Einzelfall rechtlich anerkannt sind. Hier stellt sich zunächst das in unterschiedlichen Erscheinungsformen positivierte Zurechnungsprinzip als Schranke.33 Es ist eine zentrale rechtliche Grundlage der Anwendbarkeit von Normen auf Menschen. Rechte und Pflichten und erst recht ihre Durchsetzung erfordern eine gewisse Kenntnis der handelnden, betroffenen und beteiligten Personen. Konkret geht es dann um Fragen danach, wer eine Handlung, aus welcher er berechtigt oder verpflichtet sein kann, vorgenommen hat. Hier knüpft das Recht an handelnde Personen an, die als solche berechtigt und verpflichtet sind. Deren Kenntnis kann oftmals – aber nicht stets! – erst die Beurteilung maßgeblicher Voraussetzungen für Rechte oder Pflichten erkennen lassen:34 Hat die Person gehandelt? Hat sie für sich oder für Dritte gehandelt? Hat sie vorsätzlich oder fahrlässig gehandelt? Ist sie strafrechtlich verantwortlich? Ist ihre Aussage glaubwürdig und daher beweisgeeignet? Wenn solche oder vergleichbare Fragen entstehen und für die Beurteilung einer Rechtsfrage oder des Ausgangs eines Verwaltungs- oder Gerichtsverfahrens relevant werden, kann der Schutz der Anonymität rechtlich relevant werden. Soweit Gesetze, Rechte und Pflichten oder deren Durchsetzbarkeit an einzelne Personen und die Kenntnis von ihnen anknüpfen, kann ein Anonymitätsrecht damit in Kollision geraten.35 Schon die Erhebung der Klage setzt jedenfalls die hinreichende Bestimmung und damit Identifizierbarkeit des Klägers voraus.36 Die Relevanz dieser Frage stellt sich in voller Schärfe, wenn die Frage nach der Anerken31 Dreier 2013, Art. 2 Abs. 1 Rn. 71, wonach das Recht auf Anonymität im Verfassungsrecht „changiert und daher noch keine festen Konturen gewonnen hat.“ Zuletzt LSAVerfGH, NVwZ 2019, 1198, Rn. 77, zu Polizeibeamten im Dienst: Ihre „Anonymität gehört aber nicht zu dem durch Art. 4 LSAVerf geschützten Bereich der Menschenwürde.“ 32 Näher zu Art. 103 GG Nolte & Aust 2018, Art. 103 Rn. 29 ff. 33 Dazu näher Muthorst 2011, S. 254. Röhl & Röhl 2008, §§ 60 f., behandeln ähnliche Figuren unter dem Aspekt der Kausalität. 34 Jüngst BVerwG, U. v. 26. 09. 2019, 2 C 32.18 (Namenschilder für Polizeibeamte im Dienst). 35 Diskutiert bei Gusy 1998, S. 220 ff. (dort auch zum folgenden). Bekanntester Streitfall ist der Schutz von V-Leuten im Prozess; klassisch Lüderssen 1978; neuer Korn 2005. 36 So für das verwaltungsgerichtliche Verfahren Schübel-Pfister 2013, § 2 Rn. 11 ff.; Kopp & Ramsauer 2018, § 82 Rn. 3 ff.

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nung bzw. Nichtanerkennung des Anonymitätsschutzes nicht bloß die binären Interessen von Prozessparteien betrifft: Wer im Zivilprozess seine Identität nicht enthüllen möchte und deshalb seinen Anspruch verliert, wird entsprechend dem Prinzip der Zurechenbarkeit behandelt, weil an sein eigenes Verhalten angeknüpft wird und nur seine eigenen Rechte in Rede stehen. Das ist nicht mehr der Fall, wenn die Durchsetzbarkeit von Pflichten von der Kenntnis einer Person abhängt. Und es ist schon gar nicht der Fall, wenn zugleich Interessen Dritter betroffen sind. Wenn die Durchsetzbarkeit staatlicher Strafansprüche von der Kenntnis der Identität der Angeklagten oder der Zeugen abhängt, berührt der Anonymitätsschutz auch rechtlich geschützte Interessen der Allgemeinheit und ggf. Dritter, welche etwa Schadens- oder Schmerzensgeldersatzansprüche geltend machen wollen. Jedenfalls Opfern von Straftaten gegenüber ist der Schluss, wonach das Misslingen der Beweisführung wegen Zurückhaltens beweisrelevanter Tatsachen durch Staatsorgane zum Schutz der Anonymität von Zeugen eine strafrechtliche Verurteilung ausschließt, schwer begründbar, erst recht nach Beendigung des Einsatzes von verdeckten Ermittlern (§ 110b Abs. 3 StPO). Ein weiteres kollidierendes Prinzip kann ein in der Öffentlichkeit vorausgesetztes Symmetrieprinzip sein. Anonymität begründet Asymmetrie von Kommunikation, soweit nicht alle Beteiligten anonym bleiben.37 Wenn die Bildung der öffentlichen Meinung aus der Möglichkeit von Rede und Gegenrede besteht, schränkt Anonymität diese Möglichkeit ein. Der Anonyme kann seine Rede vorbringen, andere Auffassungen und deren Träger kritisieren und Dritte angreifen, im Extremfall unmöglich machen. Diesen fehlt die Möglichkeit der Gegenrede jedenfalls insoweit, als sie nicht mit gleicher Münze zurückgeben können, etwa indem sie die Glaubwürdigkeit des Anonymen widerlegen oder ihn in vergleichbarer Weise kritisieren. Der Eine kann angreifen, der Andere nur verteidigen. Es fehlt die Möglichkeit von Rede und Gegenrede, Schlag und Gegenschlag insbesondere dort, wo den Kritisierten nicht die Möglichkeit bleibt, selbst anonym zu handeln, weil für sie die Öffentlichkeit ihres Handelns vorgeschrieben oder vorausgesetzt ist. Wer in der Demokratie politische Verantwortung übernehmen will oder trägt, muss öffentlich handeln. Daraus kann allerdings nicht einfach abgeleitet werden, dass in politischen Debatten Anonymität stets unzulässig wäre. Vielmehr wäre zunächst zu begründen, wie weit in der Öffentlichkeit das Symmetrieprinzip Geltung beanspruchen kann; ob – im Falle seiner Anerkennung – dem Prinzip auch anders als durch eine allgemeine Öffentlichkeitspflicht Genüge getan werden kann, etwa indem Anonymität grundsätzlich gestattet, aber unter bestimmten Voraussetzungen im Einzelfall durchbrochen oder aufgehoben werden kann. Auch hier gilt nicht einfach ein Vor- oder Nachrang, sondern das Prin-

37 Terminologie nach Rössler 2003, S. 27, 36 ff. Dort wird allerdings das Symmetrieprinzip in andere Richtungen konkretisiert. Siehe auch Schmahl 2017, S. 588, am Beispiel von Bewertungsportalen (Nachw.).

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zip praktischer Konkordanz. Die rechtlichen Einzelfragen folgen auch hier nicht aus der bloßen Abwägung der Prinzipien allein, sondern aus konkreten Rechtsnormen.38

5. Sind Anonymitätsgarantien paradox? Zahlreiche Rechtsfragen der Anonymität sind also noch offen, manche noch nicht einmal gestellt. Ist sie eher Freiheitsverbürgung oder Freiheitsgefährdung oder beides? Abschließend soll hier auf einen scheinbar paradoxen Effekt hingewiesen werden. Vielfach wird Anonymität als Absicherung von Notwehr oder Widerstandsrecht gegen totalitäre, menschenrechtsfeindliche Regime angesehen. Wo die Menschenrechte nicht garantiert sind oder nicht eingehalten werden, ist sie besonders wichtig – aber gleichzeitig kein Teil der Rechtsordnung. Wo hingegen grundrechtliche Garantien wirksam sind, bedürfen Meinungs- und Handlungsfreiheiten weniger dringend ihrer Absicherung durch Anonymität, die gerade hier jedenfalls nicht verboten ist. Wo also Anonymität gebraucht wird, ist sie nicht anerkannt. Und wo sie anerkannt sein kann, wird sie weniger dringend gebraucht. Ist das paradox? Es gibt also wesentlich mehr offene als beantwortete Fragen. Sie bedürfen der interdisziplinären Diskussion auch in der Sicherheitsforschung und auch mit HansJörg Albrecht. Literaturverzeichnis Backes, O. & Lindemann, M. (2006): Staatlich organisierte Anonymität als Ermittlungsmethode bei Korruptions- und Wirtschaftsdelikten. Heidelberg. Bergmann, S. (2014): Ausweichrouten der Reproduktion: Biomedizinische Mobilität und die Praxis der Eizellspende. Wiesbaden. Brunst, P. (2009): Anonymität im Internet – rechtliche und tatsächliche Rahmenbedingungen. Berlin. Denninger, E. (2003): Anonymität – Erscheinungsformen und verfassungsrechtliche Fundierung, in: H. Bäumler & A. von Mutius (Hrsg.), Anonymität im Internet. Wiesbaden, S. 41 – 51. Dreier, H. (2013): Grundgesetz I, 3. Aufl. Tübingen. Dürig-Friedl, C. & Enders, C. (2016): Versammlungsrecht. Die Versammlungsgesetze des Bundes und der Länder. München. Eichenhofer, J. (2017): Privatheit und Transparenz in der Demokratie. Forschungsjournal Soziale Bewegungen 30/2, S. 133 – 142. Goffman, E. (1983): Wir alle spielen Theater. München. 38 Ob etwa weitere Prinzipien wie etwa ein Anerkennungsprinzip – dazu Gusy 2013, S. 111 – einschlägig sein können, muss hier offenbleiben.

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Gröschner, R. (2004): Transparente Verwaltung – Konturen eines Informationsverwaltungsrechts, in: B. Weber-Dürler (Red.), Veröffentlichungen der Vereinigung der Deutschen Staatsrechtslehrer 63. Berlin, S. 346 – 369. Gusy, C. (1998): Richterliche Kontrolle des Verfassungsschutzes, in: Bundesministerium des Innern (Hrsg.), Verfassungsschutz: Bestandsaufnahme und Perspektiven – Beiträge aus Wissenschaft und Praxis. Halle (Saale), S. 182 – 223. Gusy, C. (2013): Die Sprache der Ausgrenzung, in: H. Bielefeldt, U. Davy, V. Deile, S. Dornhöfer, C. Gusy, B. Hamm, F. Hutter & H. Tretter (Hrsg.), Jahrbuch Menschenrechte 2012/ 2013: Meinungsfreiheit – Quo vadis? Wien, S. 111 – 125. Gusy, C. (2015): Privatheit und Demokratie. Kritische Vierteljahresschrift für Gesetzgebung und Rechtswissenschaft 98/4, S. 430 – 461. Gusy, C. (2018): Datenschutz als Privatheitsschutz oder Datenschutz statt Privatheitsschutz? Europäische GRUNDRECHTE-Zeitschrift 45/9, S. 244 – 255. Härting, N. (2013): Anonymität und Pseudonymität im Datenschutzrecht. Neue Juristische Wochenschrift 66/29, S. 2065 – 2071. Hassemer, M. & Eidam, L. (2011): Babyklappen und Grundgesetz: Am Beispiel des Projekts „Findelbaby“ in Hamburg. Baden-Baden. Helm, P. (2017): Suchtkultur und Gruppentherapie: Vom anonymen Ich zum anonymen Wir. Wiesbaden. Hoeren, B. & Bensinger, V. (2014): Haftung im Internet: Die neue Rechtslage. Berlin. Hornung, G. & Engemann, C. (2016): Der digitale Bürger und seine Identität. Baden-Baden. Hornung, G. & Möller, A. (2011): Passgesetz – Personalausweisgesetz. München. Klippel, D. (1985): Der zivilrechtliche Schutz des Namens: Eine historische und dogmatische Untersuchung. Paderborn. Kniesel, M. (2016): Schutzwaffen- und Vermummungsverbot, in: A. Dietel, A. Gintzel & M. Kniesel (Hrsg.), Versammlungsgesetze. Köln, S. 343 – 360. Kopp, F. & Ramsauer, U. (2018): Verwaltungsgerichtsordnung. 24. Aufl. München. Kord, S. (1996): Sich einen Namen machen: Anonymität und weibliche Autorschaft 1700 – 1900. Stuttgart. Korn, D. (2005): Defizite bei der Umsetzung der EMRK im deutschen Strafverfahren: V-Leute, Lockspitzel, Telefonüberwachung von Rechtsanwälten. Berlin. Kuhn, S. (2005): Babyklappen und anonyme Geburt: Sozialregulation und sozialpädagogischer Handlungsbedarf. Augsburg. Luckmann, T., Döring, H. & Zulehner, P.M. (1980): Anonymität und persönliche Identität, in: F. Böckle, F.X. Kaufmann, K. Rahner, B. Welte & R. Scherer (Hrsg.), Christlicher Glaube in moderner Gesellschaft: Enzyklopädische Bibliothek in 30 Teilbänden, Bd. 25. Freiburg, S. 5 – 22. Lüderssen, K. (1978): V-Leute – Die Falle des Rechtsstaats. Frankfurt. Mielitz, C. (2006): Anonyme Kindesabgabe. Babyklappe, anonyme Übergabe und anonyme Geburt zwischen Abwehr- und Schutzgewährrecht. Baden-Baden.

Anonymität im Recht – Eine Problemskizze

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Innere Sicherheit in unruhigen Zeiten Von Ängsten und anderen Unsicherheiten Von Thomas Feltes „Regierungen haben kein Interesse daran, die Ängste ihrer Bürger zu besänftigen. Ihnen liegt vielmehr daran, die Angst zu schüren, die aus der Ungewissheit der Zukunft und dem ständigen, allgegenwärtigen Unsicherheitsgefühl erwächst …“ (Bauman 2016, 33). „Let me assert my firm belief that the only thing we have to fear is fear itself“ (Roosevelt 1933). „Contrary to the objective evidence, it is the people who live in the greatest comfort on record, more cosseted and pampered than any other people in history, who feel more threatened, insecure and frightened, more inclined to panic, and more passionate about everything related to security and safety than people in most other societies past and present“ (Bauman 2006, 130).

1. Sicherheit in der postmodernen Gesellschaft Sicherheit hat viele Facetten und Konzepte (vgl. Albrecht 2017). Die Kriminologie geht seit Jahrzenten der Frage nach, wie „Innere Sicherheit“ definiert und wie sie hergestellt werden kann. Manche sehen Innere Sicherheit als Sicherheit vor Kriminalität, Terrorismus und vergleichbaren Bedrohungen, für andere steht der Begriff für den „Teilbereich des politischen Systems, welcher die Handelnden (Akteure), die Strukturen (Polity), die Entscheidungsprozesse (Politics) und die materiellen Inhalte bzw. Programme (Policy) enthält, die an der Herstellung der Politik der ,Innere Sicherheit‘ beteiligt sind und diese kennzeichnen“ (Lange 2006, 123). Innere Sicherheit sei infolgedessen das System von staatlichen Institutionen und Einrichtungen, „welches durch Verfassung und Organe der demokratischen Willensbildung legitimiert ist, das öffentliche Gewaltmonopol im Rahmen kodifizierter Regeln exekutiv unter Anwendung auch von unmittelbarem Zwang auszuüben“ (Lange 2006, 123). Richtig ist, dass weder der Staat alleine die Verantwortung für die „Innere Sicherheit“ trägt (wie wohl Lange und einige politische Parteien meinen), noch „Innere Sicherheit“ ein Teilbereich des politischen Systems ist. Innere Sicherheit ist viel mehr, nicht nur nach dem Empfinden der meisten Bürgerinnen und Bürger. Zwar mag die Gewährung von Sicherheit eine Kernaufgabe des demokratischen Staats sein; die Gewährung geht aber weit über das hinaus, was staatliche Institutionen regeln und gewährleisten können. Innere Sicherheit ist nicht nur als ein rechtliches Konstrukt,

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sondern auch als politisches und mediales zu verstehen, und sie wird ganz wesentlich auch von Privaten hergestellt. Sie ist Gegenstand eines fortgesetzten Ringens um die Durchsetzung bestimmter Definitionen und Inszenierungen von Unsicherheit zu Zwecken, die auch jenseits der Erreichung und Erhaltung von Sicherheit liegen können. Die historische Wandlungsfähigkeit des Verständnisses ist Ausdruck dafür, dass der Diskurs immer auch von gesellschaftlichen Interessen und Machtkonstellationen durchdrungen ist (Stegmaier o. J.). Schließlich ist Innere Sicherheit nicht nur eine Frage des Gewährleistungsversprechens gegenüber rechtswidrigem Verhalten, wie sie (partei-)politisch immer wieder verkürzt diskutiert wird. Sie geht einher mit dem Phänomen der Kriminalitätsfurcht, das unterschiedliche Facetten hat. Dabei existieren weder Sicherheit noch Furcht per se oder lassen sich objektiv definieren oder feststellen. Vielmehr sind sie das Produkt der politischen und soziokulturellen Konstruktion von Bedrohung und Bedrohungsbewältigung. Der folgende Beitrag beschäftigt sich daher mit der Frage, was (und wer) den Menschen derzeit Angst macht, welche Auswirkungen dies für die Innere Sicherheit hat und welche rechtpolitischen Konsequenzen notwendig sind.

2. Definition von „Innerer Sicherheit“ Innere Sicherheit muss gesehen werden als Summe der Faktoren, die das subjektive oder objektive Sicherheitsgefühl der Bürger in ihrem persönlichen Umfeld prägen. Sie kann umgekehrt auch als Konzept zur sicherheitspolitischen Verfasstheit einer Gesellschaft definiert werden (vgl. Feltes o. J.). Der sog. „Höcherl-Entwurf“ für eine Notstandsverfassung (1962) gilt als Beginn der Entwicklung eines politischen Konzeptes der Inneren Sicherheit. In den siebziger Jahren wird der Begriff erstmals zu einem Schlüsselbegriff der innenpolitischen Debatte. Als Reaktion auf die Anschläge von RAF-Terroristen werden die Exekutivorgane gestärkt, 1972 wird erstmals ein Programm für die „Innere Sicherheit“ beschlossen. Gefährdungen werden jetzt als Gefährdungen von Staat und Demokratie gesehen. In den 1980er Jahren führten militante Protestformen am Rande der Ökologiebewegung (Gorleben, StartbahnWest) zu einem weiteren Bündel von Gesetzen. Auch diese sollten die Innere Sicherheit stärken, führten aber zu einer weiteren Beschneidung von Individualrechten. In den 1990er Jahren und insbesondere nach dem Fall der Mauer wurden neue Gefahren definiert, insbesondere durch die (angebliche) transnationale organisierte Kriminalität, den Handel mit Menschen, Waffen und Drogen. Deutschland reagierte (wie viele anderen Länder auch) mit neuen Gesetzen und der Ausweitung der Tätigkeitsfelder und Methoden der Sicherheitsbehörden, noch bevor die angeblichen Gefahren genauer analysiert werden konnten. Staatsschutz- und Verfassungsschutzbehörden machten von ihren neuen Befugnissen extensiven Gebrauch, ausgelöst durch angeblich steigende Kriminalität (vgl. Albrecht, Dorsch & Krüpe 2003; Albrecht, Grafe & Kilchling 2008). Ausweitung und Anwendung staatlicher Eingriffsrechte stießen

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zwar auf erhebliche Widerstände (vgl. Andersen & Woyke 2013), die jedoch verpufften. Mit den Anschlägen auf das World Trade Center im Jahre 2001 wurde eine neue Eskalationsstufe erreicht. Der Deutsche Bundestag verabschiedete mit zwei „AntiTerror-Paketen“ ein umfangreiches Programm zur Ausdehnung der Befugnisse und Ressourcen von Polizei, Nachrichtendiensten sowie anderen Behörden (CILIP o. J.). Mit einer „Anti-Terror-Datei“ wurden weitere Möglichkeiten zwischenbehördlicher Kooperation geschaffen, das „Trennungsgebot“ zwischen Polizei und Nachrichtendiensten aufgeweicht. Letztlich ist der Begriff der Inneren Sicherheit zu einem Synonym für alles geworden, was Bürgern und Politiker gleichermaßen Angst einzuflößen geeignet ist oder von dem man glaubt, dass es dazu geeignet ist und man es daher für die Ausweitung staatlicher Eingriffsbefugnisse verwenden kann. Vielfach werden tatsächliche, angenommene oder unterstellte Gefahren genutzt, um symbolische Kriminalpolitik zu betreiben (Funk 1991; Sack 2011). „Anti-Terror-Pakete“ wurden und werden auf den Weg gebracht, was dazu führte, dass in Bezug auf die Geheimdienste von der „Behörde Nimmersatt“ gesprochen wurde (Biselli 2017), auch weil Details der vielen Neuregelungen oftmals unklar blieben. Diese Entwicklungen passten und passen in die gesamtgesellschaftliche Verfasstheit und die zunehmenden Ängste, die einhergehen mit der Bereitschaft, Einschränkungen von Bürgerrechten zu akzeptieren, wenn dafür „mehr Sicherheit“ versprochen wird. Eine (wissenschaftlich seriöse) Überprüfung, ob dieses Versprechen dann tatsächlich eingehalten wird, erfolgt nicht. Die Sanktionseinstellung der Bevölkerung weisen auf eine gestiegene Punitivität hin (vgl. Kury & Obergfell-Fuchs 2003, 2006; Sack 2011; Baier et al. 2017; Dollinger 2018), was wiederum diese Tendenz unterstützt. Dabei müsste Sicherheit als gemeinsame, gesamtgesellschaftliche Aufgabe definiert werden, die Gegenstand eines wertebasierten und moralisch beeinflussten (und beeinflussbaren) gesellschaftlichen Aushandlungsprozesses ist. Neben dem Staat, der traditionell verantwortlich für die Sicherheitsgewährleistung sein soll, vertreten heute weitere Akteure die Sicherheit, die mitbestimmen, bzw. eine neue Sicherheitskultur konstruieren. Dazu gehören private Sicherheitsunternehmen ebenso wie Einrichtungen zur Betriebsjustiz, neuerdings „compliance“ genannt oder selbsternannte Bürgerwehren. Daher muss Innere Sicherheit verstanden werden als die „Summe der Überzeugungen, Werte und Praktiken von Institutionen und Individuen …, die darüber entscheiden, was als eine Gefahr anzusehen ist (und für wen, TF) und wie und mit welchen Mitteln dieser Gefahr begegnet werden soll“ (Daase 2010, 9). Die Herstellung von Innerer Sicherheit ist das Ergebnis eines komplexen Zusammenwirkens lokaler, regionaler und überregionaler Praktiken. Staatliche Sicherheitsaufgaben werden gesellschaftlich neu verteilt. Damit geht einher, dass Gesetzgebung im zunehmenden Maße auch „tentativen“ Charakter hat, um auf wechselnde Verhältnisse schnell reagieren zu können, wobei die Mediatisierung nicht nur für die Ver-

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breitung symbolischer Politik eine Rolle spielt, sondern sie wird genutzt, um Institutionalisierungen und Veränderungen zu legitimieren und durchzusetzen. Dies bringt eine neue Form öffentlicher Ordnung hervor. Aus der „Behütungsutopie“ wird das „Steuerungsparadigma“. Der Staat mit seinen Mitteln der physischen Gewaltsamkeit und Sozialkontrolle, seinem Verwaltungsstab und seinen Legitimitätsansprüchen verschwindet gleichwohl nicht einfach, er bleibt Akteur (vgl. Reichertz & Feltes 2015; Feltes & Reichertz 2019).

3. Die Polizeiliche Kriminalstatistik – kein Abbild der Realität Fundierte Erkenntnisse über Kriminalität und Sicherheitsgefühl der Bürger sind für politische Entscheidungen ebenso wichtig wie für rational begründetes polizeiliches Handeln. Dennoch wird die Polizeiliche Kriminalstatistik (PKS) seit Jahrzehnten als wichtigste, vermeintlich richtige, und oftmals alleinige Datenbasis zur Identifizierung von kriminalpolitischen Problemen herangezogen. Dabei erfasst diese Statistik, von anderen Beschränkungen und Mängeln wie Fehlerfassungen und Manipulationen abgesehen (Heinz 2019; Derin & Singelnstein 2019), nur das Hellfeld, also jene Straftaten, die der Polizei bekannt werden, und sie berücksichtigt nicht die Tatsache, dass weniger als ein Viertel der registrierten Taten und Tatverdächtigen vor Gericht landen. Dunkelfeldstudien zeichnen ein umfassenderes Bild der Kriminalitätslage. Die Bochumer Dunkelfeldstudie setzte zuletzt 20161 eine Reihe von Untersuchungen fort, die erstmals 1975 durchgeführt wurden und die Kriminalitätsentwicklung, Anzeigeverhalten, Kriminalitätsfurcht und Ansehen der Polizei beleuchten (vgl. Schwind 2018; Feltes 2019; Feltes & Reiners 2019). Rechnet man die in der Befragung 2016 angegebenen Straftaten auf die Bochumer Einwohner ab 14 Jahren hoch, dann kommt auf jede in der Polizeilichen Kriminalstatistik ausgewiesene Tat zusätzlich mindestens eine nicht zur Anzeige gebrachte Tat. Schon früher wurde darauf hingewiesen, dass ein Anstieg der polizeilich registrierten Straftaten ganz wesentlich auf eine Veränderung des Anzeigeverhaltens zurückzuführen ist. Kriminalitätsanstiege in der polizeilichen Statistik sind eher selten mit einem tatsächlichen Anstieg der Kriminalität verbunden. Während 1998 bspw. nur rund 20 % der damals Befragten angaben, einen Diebstahl angezeigt zu haben, waren es 2016 fast 60 %. Im Vordergrund der Motive, die zu einer Anzeige führten, steht heute das Interesse an der Bestrafung des Täters, ganz im Gegensatz zu den früheren Befragungen, in denen dieses Motiv auf den hinteren Plätzen landete. Damit wird der häufig beschriebene punitive turn (Sack 2010) auch in dieser Befragung deutlich. Während 1998 nur 1

Die Studie wurde als Online-Bevölkerungsumfrage Mitte 2016 durchgeführt. Für die Umfrage wurde eine Zufallsstichprobe von 0,5 % der Bochumer Bevölkerung ab 14 Jahren aus der Einwohnermeldekartei gezogen. Die Netto-Rücklaufquote betrug 24,2 %. Die Informationen über das Hell- und Dunkelfeld beziehen sich rückblickend auf das Jahr 2015, die Angaben zur Kriminalitätsfurcht und zum Ansehen der Polizei auf das Befragungsjahr 2016.

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8,4 % als Motiv die Bestrafung des Täters angaben, waren es 2016 24,5 %. Im Verlauf der letzten vier Jahrzehnte haben repressive Motive bei der Anzeigeerstattung erheblich zugekommen, während das in früheren Jahren stark ausgeprägte Bedürfnis nach Kompensation und Wiedergutmachung deutlich in den Hintergrund gerückt ist. Der Langzeitvergleich zeigt aber vor allem, dass die Befragten eine zum Teil massive Zunahme der Kriminalität annehmen. Der Anteil derjenigen, von einer Zunahme von Einbrüchen in der eigenen Wohngegend ausgehen, hat sich im Vergleich zu 1998 fast verdoppelt. Die Befragten überschätzen vor allem die Häufigkeit schwerer Straftaten. Besonders deutlich wird dies in Bezug auf die Tötungsdelikte Mord und Totschlag, deren Vorkommen um den Faktor 125 überschätzt wurde. Während Mord und Totschlag regelmäßig nur 0,04 % der polizeilich registrierten Straftaten ausmachen, vermuteten die Befragten den Anteil dieser Delikte bei 5 %. Generell wird von einem Anstieg der Taten ausgegangen, obwohl diese (zumindest in der PKS) teilweise deutlich rückläufig waren. Dabei spielt das eigene Erleben keine Rolle: Obwohl nur 0,3 % der Befragten angaben, im vergangenen Jahr Opfer eines Raubdeliktes geworden zu sein, halten es 21,6 % für wahrscheinlich, in den kommenden 12 Monaten Opfer einer solchen Straftat zu werden. Die subjektive Kriminalitätsfurcht und die objektive Wahrscheinlichkeit, Opfer einer Straftat zu werden, klaffen weit auseinander. Weiterhin weicht das Sicherheitsempfinden in der eigenen Wohnung deutlich von dem Sicherheitsempfinden in der eigenen Wohngegend ab. Die Befragten neigen dazu, das Ausmaß der Kriminalität und vor allem ihr eigenes Risiko, Opfer einer Straftat zu werden, deutlich zu überschätzen (vgl. Feltes 2019; Feltes & Reiners 2019).

4. Innere Sicherheit vs. gesellschaftliche Verunsicherung: Die wabernde Angst der Deutschen Seit geraumer Zeit werden alle sich bietenden symbolträchtigen Anlässe ergriffen, um das Feld der Sicherheit (angeblich oder auch tatsächlich) neu zu ordnen und repressive Veränderungen zu legitimieren. In den vergangenen Jahren fanden gleich mehrere Perspektivenwechsel in der Kriminal- und Innenpolitik statt, der mit einer Umorganisation der Institutionen, die für die Herstellung und Erhaltung ,innerer Sicherheit‘ zuständig sind, einhergingen. Dies führt, wie Bauman & Donskis dies beschreiben, „to a form of governing that at least since Thomas Hobbes has been viewed as no longer possible: a government that is not legitimized by promising protection and security. Contrary to the old rule of a domination that demands obedience in exchange for protection, neo liberal governing proceeds primarily through social insecurity, through regulating the minimum of assurance while simultaneously increasing instability. In the course of the dismantling and remodelling of the welfare state and the rights associated with it, a form of government is established that is based on the greatest possible insecurity, promoted by proclaiming the alleged absence of alternatives“ (Bauman & Donskis 2016, 63).

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Dabei zerbricht der bisherige Kontrollmythos der nationalstaatszentrierten Moderne, denn der Staat kommt immer schneller an die Grenzen seiner Regierungsund Regulierungsmöglichkeiten. Die globalisiert organisierte Kriminalität stellt gemeinsam mit der globalisiert organisierten Wirtschaft, die spätestens seit den Banken- und Dieselskandalen nicht mehr von der organisierten Kriminalität zu trennen ist, die Staaten hinsichtlich der Effektivität ihrer nationalen Konzepte und supranationalen Kooperationen auf den Prüfstand. Sicherheit wird immer weniger unter Gemeinwohlaspekten definiert und hergestellt (vgl. Stegmaier & Feltes 2007). Gleichzeitig verlagerte sich das kriminalpräventive Interesse von der tat- und täterbezogenen Reaktion hin zur möglichst risikoarmen Gestaltung von Alltag. Das Strafrecht wird zunehmend zum Mittel gegen allgemeine gesellschaftliche Verunsicherung und das subjektive Sicherheitsgefühl gewinnt an Legitimationskraft für „law and order“-Kampagnen. Dies wird besonders in der Flüchtlings- und Migrationsdebatte deutlich, wo jede Gelegenheit genutzt wird, Unsicherheiten den Migranten zuzuordnen und dies für politisch rechtsextreme Forderungen auszubeuten. Hinzu kommt, dass Wut und Hass in der Gesellschaft wieder zunehmen (Heinz 2019). Nicht nur die europäische Einigung führte seit Ende der neunziger Jahre zu einer Vermischung der bis dato getrennten inneren und äußeren Sicherheit. Wanderungsbewegungen, zuerst aus Ost- und Südosteuropa, dann aus Nordafrika leiteten die heftige Asyl- bzw. Flüchtlingsdiskussion ein. Dies begünstigte und begünstigt in der Bevölkerung ein Gefühl der Bedrohung der inneren Sicherheit durch „Überfremdung“, ohne dass es empirisch-kriminologische Belege dafür oder für eine reale Bedrohung gibt (Feltes 2018; Schellhoss 2019; Fuchs 2019). Für die USA liegen sogar empirische Studien vor, die nachweisen, dass Migranten weniger oft straffällig werden als Einheimische, und dies gilt auch für illegale Migranten (Orrenius & Zavodny 2019). Eine „wabernde Angst“ macht sich breit (Feltes 2019a), die „frei flottierende Unsicherheit“ ist „auf der Suche nach einem Anker (Bauman 2016, 27). Die Deutschen glauben, in zunehmend unsicheren Zeiten zu leben. Das Thema Sicherheit bestimmt wesentlich den gesellschaftlichen und medialen Diskurs. In Deutschland, wie in vielen anderen Ländern, ist zeitgleich eine zunehmende soziale Differenzierung in der Gesellschaft festzustellen. Arme werden ärmer, Reiche immer reicher. Rund ein Drittel der Menschen bleibt den Wahlen fern. Sie fühlen sich nicht mehr durch die Politik repräsentiert und verlieren den Glauben an diese Gesellschaft und die Demokratie. So ist der Anteil der Menschen, für die Demokratie essentiell ist für eine Gesellschaft, in Europa von 60 % auf weniger als 45 % zurückgegangen (Foa & Mounk 2016). Zygmunt Bauman hat diesen Zustand bereits 2006 mit dem Begriff der „liquid fear“ umschrieben: In „liquid times“ (Bauman 2007) verlieren die Menschen die Zuversicht und das Vertrauen in die Steuerbarkeit ihrer eigenen Zukunft (vgl. Beilharz 2013). Ihr „liquid life“ ist ein „precarious life, lived under conditions of constant uncertainty“, in dem es auch ein „spiritual lumpenproletariat“ gibt (Bauman 2005, 7).

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Die Welt ist, so Bauman & Donskis (2016, 40) in „a chaotic aggregate, or rather incessant flow of dismembered and dislocated fragments with little, if any, rhyme or reason @ and nothing can be clone to make sense of it, let alone to make it more amenable to reason and reason-guided preventing, amending or rectifying actions.“ Die regelmäßigen politischen Verkündungen, alles gegen „die Kriminalität“ zu tun, verunsichern die Menschen. Menschen, die gesellschaftliche Entwicklungen nicht verstehen oder sich zunehmend gesellschaftlich abgehängt fühlen, sind grundlegend verunsichert. Fukuyama (2019) hat nicht nur auf die steigende Ungleichheit in der Gesellschaft hingewiesen, sondern auch das Stärker werden nationalistischer Strömungen, die sich vom etablierten politischen System lösen, analysiert. Es sieht in (fehlender) Anerkennung und Würde einen der Gründe dafür. Angst vor Kriminalität zu haben, ist ein Ventil, weil diese Angst im Vergleich zu den anderen Ängsten greifbar und personalisierbar ist. Die Menschen verlagern ihre allgemeinen gesellschaftlichen Ängste in einen konkreten, wie man glaubt definierbaren Bereich, denn: „Fear is at its most fearsome when it is diffuse, scattered, unclear, unattached, unanchored, free floating …“ (Bauman 2006, 2). Kriminalität und „Kriminelle“ bieten sich hier zum Andocken an, und dies, obwohl es zum einen „die Kriminalität“ nicht gibt, nicht zuletzt, weil das Risiko, Opfer einer Straftat zu werden, von Alter, Geschlecht, Wohnort und sozialer Lage abhängig ist, und weil paradoxerweise zum anderen die Wahrscheinlichkeit, direktes Opfer einer Gewalttat zu werden, sehr gering ist: „lacking direct personal experiences of threat, they are prone to let their imaginations … run loose“ (Bauman 2006, 3). Bauman hat auch deutlich gemacht, dass diese Ängste „born of global social insecurity“ transferiert werden in lokale Sicherheitsbedenken und dass diese Transformation sehr effektiv ist und eine „foolproof strategy“ für die globale (und nationale) Elite darstellt (Bauman 2006, 159) und vorzüglich dazu geeignet ist, von anderen Problemen abzulenken. Er zitiert in diesem Zusammenhang aus einer Dokumentationssendung der BBC: „In an age when all the grand ideas have lost credibility, fear of a phantom enemy is all the politicians have left to maintain their power“ (Bauman 2006, 149). Der „Phantomfeind“ können dabei die RAF, die Attentäter von 9/11 oder eben jetzt die Flüchtlinge sein2. Irrationale Ängste können nicht mit rationalen Argumenten bekämpft werden. Wir wissen, dass die Verbrechensfurcht dort niedriger ist, wo der soziale Zusammenhalt hoch ist. Allerdings scheinen Ethik und Moral als Voraussetzungen für solchen Zusammenhalt in unserer Gesellschaft zunehmend verloren zu gehen. Wir verlieren die Orientierung auch, weil „Moralinstitutionen“ wie die Kirchen ihre Glaubwürdigkeit grundlegend verloren haben. Faktoren wie Globalisierung, das (so wahrgenommene) Versagen der politischen Eliten und der Politik generell (Abgas-Skandal, Rechtsstaats- und Rentendiskussion, 2 „There are, indeed, many ways to capitalize on the growing supplies of free-floating, unanchored and unfocused fears; for instance, gaining political legitimacy and approval by flexing government muscles in declaring war on crime and more generally on ,disturbances of public order‘“ (Bauman 2006, 145); s. dazu auch Rauls & Feltes 2020.

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Alters- und Kinderarmut) spielen eine deutlich wichtigere Rolle für das latente Gefühl der Verunsicherung, ebenso wie die zunehmenden, als negativ empfundenen Veränderungen im Verhältnis unter- und zueinander in unserer Gesellschaft. Für Ulrich Beck (2014) sind die Bürger der „liquid cities“ zu „displaced persons“ geworden, die sich in Armeen von Konsumenten verwandeln. Sie leben in Städten der Angst, wobei es diffuse, auf nichts Konkretes gerichtete Ängste sind. Diese Ängste klammern sich an alles, was ihnen angeboten wird, wider alle Vernunft, wider alle Erfahrung. Gleichzeitig wird das Unsagbare gesagt, das Undenkbare gedacht, beides ohne Widerspruch oder gar Aufschrei in der Gesellschaft. Als Konsequenz entwickelt sich ein „Treibsand-Gefühl“ (Feltes 2019a). Der (moralische) Kompass geht verloren, die Gesellschaft driftet auseinander, Individualismus und Egoismus werden zu alleingültigen Maßstäben. Grundlegende moralische Werte lösen sich auf, die Gesellschaft verliert an Zusammenhalt, Extreme nehmen zu, und im Alltag spielt die Frage, warum es wichtig ist, die Demokratie zu schützen, keine Rolle mehr. Die Gesellschaft sucht sich Feindbilder, auf die sie ihre Ängste und Aggressionen abladen kann. Gleichzeitig verlieren die Menschen das Vertrauen in Institutionen, und eben auch in die Polizei. Neuere Entwicklungen z. B. im Zusammenhang mit der „Fridays for Future“-Bewegung werden zeigen müssen, ob sie sich diesem Trend entgegenstellen können, denn inzwischen haben die Polarisierungen die Mitte der Gesellschaft erreicht und beeinflussen sie – auch, weil das Beispiel USA zeigt, dass man mit radikalen Äußerungen an die Macht kommen und diese bewahren kann. In Deutschland geht, wie die Studien von Zick u. a. zeigen (2019), die herkömmliche gesellschaftliche Mitte zunehmend verloren. Die Menschen wenden sich einer vermeintlich neuen, radikalen Mitte zu, die ihren Zusammenhalt aus der Abwertung von anderen schöpft. Oder um es mit Bauman zu sagen: „The biggest fear of our time is the fear of being left out“. … „,Fear‘ is the name we give to our uncertainty in the face of the dangers that characterize our liquid modern age, to our ignorance of what the threat is and our incapacity to determine what can and can’t be done to counter it“ (Bauman 2006). Bauman (2006, 17) bezeichnet dies als „Titanic syndrome“: Die Angst davor, dass das Schiff der Zivilisation sinkt und man untergeht. Bauman hat in Liquid Times (2007, 1 ff.) die Ursachen für dieses Leben in einem Zeitalter der Unsicherheit („Living in an Age of Uncertainty“) an folgenden Punkten festgemacht: „First of all, the passage from the ,solid‘ to a ,liquid‘ phase of modernity: that is, into a condition in which social forms (structures that limit individual choices, institutions that guard repetitions of routines, patterns of acceptable behaviour) can no longer (and are not expected) to keep their shape for long, because they decompose and melt faster than the time it takes to cast them, and once they are cast for them to set. (…) Second, the separation and divorce of power and politics. (…) Third, the gradual yet consistent withdrawal or curtailing of communal, state-endorsed insurance against individual failure and ill fortune deprives collective action of much of its past attraction and saps the social foundations of social solidarity; ,community‘, as a way of referring to the totality of the population inhabiting the sovereign territory of the state, sounds increasingly hollow. Interhuman bonds, once woven into a security net worthy of a large and continuous investment of-time and eff ort, and worth

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the sacrifice of immediate individual interests (…), become increasingly frail and admitted to be temporary. (…) Fourth, the collapse of long-term thinking, planning and acting, and the disappearance or weakening of social structures … lead to a splicing of both political history and individual lives into a series of short-term projects and episodes which are in principle infinite.“

Diese massiven Veränderungen im Webzustand unserer Gesellschaft haben zu massiven Verunsicherungen geführt, obwohl es den meisten Menschen so gut geht wie nie. Gleichzeitig aber verändert sich auch unsere Einstellung zu den Gesellschaftsmitgliedern, die nicht wie die meisten anderen am Wohlstand teilnehmen können. Während früher „the poor provided a handy @ prolific and constantly within @ reach occasion for good deeds: a God’s gift to every Christian worried about salvation of their soul and reserving posthumous residence in Heaven“ … „it ,stood to reason‘ to take care of keeping them in good shape @ well fed, shod and sheltered, always ready be recalled into active service; the need for a welfare state, concerned precisely with securing this condition, was ,beyond left and right‘, just as is now the belief that lifting the impoverished and the indolent out of their hardship and anguish is a waste of taxpayers’ money. Few of us are nowadays concerned with the salvation of our soul …“ (Bauman & Donskis 2016, 129).

Wenn Psychologen uns bestätigen, dass die meisten Angstgefühle entstehen, weil wir denken, etwas sei gefährlich, dann sind es unsere Gedanken, die Angstgefühle erzeugen. Hier muss angesetzt werden. Durch Aufklärung, allen voran durch die Politik, die sich dem Reflex verweigern muss, jeden Verdacht einer Straftat mit „Fremden“ als Tatverdächtige mit der Forderung nach „mehr desselben“ (mehr Gesetze, härtere Strafen, schnellere Abschiebung) zu quittieren.

5. Ergebnis und Lösung Sozialpsychologisch betrachtet ist „Innere Sicherheit“ ein Konstrukt, das mehr durch subjektive Empfindungen als durch objektive Gefährdungen gebildet wird. Wir wissen, dass es keinen statistischen Zusammenhang zwischen objektiver Kriminalitätslage und Verbrechensfurcht gibt. Offensichtlich sind es andere Faktoren, die die Verbrechensfurcht beeinflussen. Aber in einer angsterfüllten öffentlichen Kultur ist es schwierig, zu einer objektiven Schlussfolgerung über Gefahren zu gelangen. In unregelmäßigen Abständen, derzeit allerdings relativ beständig, wird ein (zusätzlicher) Bedarf an innerer Sicherheit attestiert – interessanterweise meist von denen, die für diese Sicherheit verantwortlich sind (Innenminister, Polizeivertreter). Die dabei gebetsmühlenartig vorgetragenen Forderungen nach Gesetzesverschärfungen greifen auf Argumente zurück, die alt und rein rhetorisch sind, auf der unbestimmt vorhandenen Angst der Bürger aufbauen und sie für politische oder Standesinteressen ausbeuten. Die allgemein vorhandene Angst hat auch dazu geführt, dass der Staat als Ordnungsmacht wiederentdeckt wird. Der Staat möge gefälligst den Schutz von Leib und Leben gewährleisten, lautet die Forderung. Also mehr Geld, mehr Personal,

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mehr Befugnisse für Polizei und Geheimdienste. Rasterfahndung nach „Schläfern“ und Lauschangriffe gegen Unverdächtige, die vielleicht einen Verdächtigen kennen. Mehr von allem, was Halt und Trost verspricht und somit die dunklen Alpträume vertreibt. Als Kriminologe und Polizeiwissenschaftler sollte man die Dinge untersuchen und kommentieren, die in seinen Tätigkeitsbereich fallen. Wissenschaftskollegen, die glauben, das Feld der veröffentlichten Meinung den Medien und den politischen Akteuren überlassen zu können, tragen dazu bei, dass ihre jeweilige Disziplin, vor allem aber die wissenschaftlich fundierten Ergebnisse nicht wahrgenommen werden. Entsprechend liegt die Meinungsbildung in der Bevölkerung auch und gerade in den Händen der für die Innere Sicherheit zuständigen Wissenschaftsvertreter – auch und vielleicht, weil die „öffentlichkeitsscheuen“ Vertreter der Wissenschaft der Auffassung sind, dass Meinungsbildung auf Griechisch „Demagogie“ heißt und es daher nicht ihr Job sei, sich daran zu beteiligen – wie mir jüngst ein Kollege mitteilte. Doch damit verfehlen Kriminologen und Polizeiwissenschaftler nicht ihren Beruf, sondern nehmen ihn und die damit verbundene gesellschaftliche Verantwortung ernst. Es ist Hans-Jörg Albrecht hoch anzurechnen, dass er im In- und Ausland dafür Sorge getragen hat, dass sich die deutsche Kriminologie artikuliert und an der öffentlichen Meinungsbildung mitwirkt. Literaturverzeichnis Albrecht, H.-J. (2017): The Shift of Security: Changing Concepts of Security?, in: Z. Zhou (Trans.), Z. Chen, New Reports in Criminal Law. Beijing, 10, S. 329 – 347. Albrecht, H.-J., Dorsch, C. & Krüpe, C. (2003): Rechtswirklichkeit und Effizienz der Überwachung der Telekommunikation nach den §§ 100a, 100b StPO und anderer verdeckter Ermittlungsmaßnahmen. Kriminologische Forschungsberichte Band 115. Freiburg i.Br. Albrecht, H.-J., Grafe, A. & Kilchling, M. (2008): Rechtswirklichkeit der Auskunftserteilung über Telekommunikationsverbindungsdaten nach §§ 100g, 100h StPO. Kriminologische Forschungsberichte Band K 139. Berlin. Andersen, U. & Woyke, W. (Hrsg.) (2013): Handwörterbuch des politischen Systems der Bundesrepublik Deutschland. 7. aktualisierte Aufl. Heidelberg. Baier, D., Fleischer, S. & Hanslmaier, M. (2017): Entwicklung der Punitivität und ausgewählter Einflussfaktoren in der deutschen Bevölkerung in den Jahren 2004 bis 2014. Monatsschrift für Kriminologie und Strafrechtsreform 100/1, S. 1 – 25. Bauman, Z. (2005): Liquid Life. Cambridge/Malden. Bauman, Z. (2006): Liquid Fear. Cambridge/Malden. Bauman, Z. (2007): Liquid Times. Cambridge/Malden. Bauman, Z. (2016): Die Angst vor den anderen. Ein Essay über Migration und Panikmache. Berlin. Bauman, Z. & Donskis, L. (2016): Liquid Evil. Cambridge/Malden.

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Risikomanagement und Kriminalitätskontrolle (Lokale Antworten auf globale Herausforderungen?)1 Von Ferenc Irk

1. Gesellschaftlicher und wirtschaftlicher Wandel – alte und neue Risiken Die sich im letzten halben Jahrhundert in immer schnellerem Tempo anbahnenden Veränderungen überall in der Welt stellen die Sozialwissenschaften vor neue Aufgaben. Es ist an sich schon schwierig, diese Wandlungsprozesse zu verfolgen und ihre Triebkräfte zu verstehen, aber die Tendenzen der real-time-Veränderungen und ihre potentiellen Zukunftsfolgen zu prognostizieren, ist eine noch größere Herausforderung. Der Umgang mit diesen Folgen, die in einem sich vom Möglichen bis zum Wahrscheinlichen erstreckenden Spektrum vorkommen können, liegt nach unserem Wissen nahe an der Grenze des Unmöglichen. Diese Feststellung wird durch die Tatsache bestätigt, dass die Wahrnehmung der in der Vergangenheit einsetzenden und in der Gegenwart weiter fortschreitenden Veränderungen genauso oft unterbleibt wie die Bestandsaufnahme ihrer direkten und indirekten Folgen und im Fall ungünstiger Entwicklungen die entsprechende gesetzliche Reaktion sowie die Umsetzung der notwendigen Maßnahmen. Für richtige Entscheidungen wären Risikoanalyse und darauf basierendes Risikomanagement notwendig, um sozialgefährliche Phänomene der Gegenwart und für die Zukunft prognostizierte Ereignisse zu erschließen und in eine hierarchische Ordnung zu stellen. Da wir in einer Risikogesellschaft2 leben, ist die richtige Gewichtung unterschiedlicher Risiken wohl der wichtigste Aspekt bei der Entscheidungsfindung. Beim Aufstellen einer Prioritätenliste und bei der kontinuierlichen veränderungsbedingten Neudefinierung einzelner Risiken ist die jeweilige Vergangenheit als eine mit der jeweiligen Gegenwart und der Zukunft überlappende soziale Zeitdimension nicht außer Acht zu lassen. Diese sich immer rascher verändernde Komplexität verursacht eine wieder und wieder verzögerte Perzeption der Situation und die verspätete Identifizierung ihrer potentiellen und wirklichen Folgen als Herausforderungen, und die anschließend 1

Aus dem Ungarischen übersetzt von Dr. Szilveszter Póczik, PhD, CSc, sprachliche Überarbeitung von Dr. Michael Kilchling. 2 Siehe hierzu die Werke von Ulrich Beck, insbes. Beck 2007, Kapitel XI: Kritische Theorie der Weltrisikogesellschaft, 334 – 374.

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ebenfalls verspätet – öfters ohne Realitätskenntnis hastig – getroffenen Entscheidungen. Die auf die Herausforderungen gegebenen Reaktionen beruhen auf diesen Entscheidungen, deshalb sind sie oft falsch. Die Entscheidungen der Gegenwart werden auf der Basis der Erfahrungen und Reaktionen aus der Vergangenheit getroffen. Manche Entscheidungsträger kümmern sich infolge der mit der zunehmend rascher voranschreitenden Entwicklungen zusammenhängenden zwangsläufigen Verkürzung der Erwägungszeiten wenig um die möglichen Folgen ihrer aktuellen Entscheidungen für die Zukunft. Daraus folgt logisch, dass manche aktuell falschen oder fehlenden Entscheidungen irreparable Negativfolgen nach sich ziehen. Verzögerte und fehlende Reaktionen können also gleichermaßen gefährlich sein, wenn die Entscheidungsträger die Gefahren aus welchem Grunde auch immer nicht erkennen oder wenn diese zwar erkennen, aber wissentlich nicht berücksichtigen. Dies hängt damit zusammen, dass ein guter Teil der gegenwärtigen Risiken von den gewöhnlichen Risiken früherer Jahrzehnte und Jahrhunderte abweicht, und neue, ungewöhnliche Mittel und Methoden des Risikomanagements erfordern, welche die mittlerweile globalen Risiken zu bekämpfen geeignet sind. Da das neue Risikomanagement auf Risiken der Gegenwart und der Zukunft reagiert, betreffen seine Auswirkungen alle Akteure – sowohl die realen Opfer in der Gegenwart als auch die potentiellen Opfer in der Zukunft.

2. Risikomanagement, moralische und rechtliche Verantwortung Das Risikomanagement von heute ist scheinheilig. Sein Janusgesicht wirkt tief auf unsere Gesellschaften ein. Diese Feststellung gilt besonders für Risiken, die das Leben, das körperliche Wohl und die Gesundheit der Menschen gefährden. Das erwähnte Doppelgesicht spiegelt sich in dem Dilemma wider, welches Maß eines Risikos noch akzeptabel ist bzw. welche Maßnahmen zur Minderung eines realen Risikos zu ergreifen oder eben nicht zu ergreifen sind. Als gute Beispiele für diese Scheinheiligkeit bieten sich die Scheinmaßnahmen zur Minderung schädlicher Auswirkungen der Motorisierung oder die Behandlung der bekannten Negativfolgen des gesellschaftlichen Zusammenlebens ohne Empathie an. Wissenschaft und politische Entscheidungsträger sind sich im Klaren über die gegenwärtige Praxis von Produktion und Konsum wie auch über den Großteil ihrer schädlichen Folgen – trotzdem verschweigen sie diese vor den Bürgern. Anstelle effektiver (aber ggf. unpopulärer) Eingriffe benennen sie lieber Sündenböcke oder schieben die systemspezifischen Fehler und prognostizierbar eintretenden Folgeschäden den Bürgern in die Schuhe, die am Ende des Prozesses oder der Handlungskette stehen. Daraus folgt direkt der heute bereits unmissverständliche Negativtrend eines zunehmenden Verfalls des Vertrauens in die Rechtsinstitutionen. Das Moralgefühl eines bedeutenden Teils der Bevölkerung funktioniert heute noch mehr oder weniger befriedigend. So sind sich viele bewusst, dass die Rechtsprechung auf der Grundlage der heutigen prozessualen Rahmenbedingungen oftmals nicht die Wahrheit ans Licht zu bringen vermögen, sondern

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eher gemeinschaftsschädliche Tätigkeiten durchsetzungsstarker Gruppen zu verschleiern suchen. Die traditionelle Justiz zeugt des Öfteren von ihrer Unfähigkeit, die neuen gesellschaftlichen Konflikte handzuhaben.3 Unter Beachtung der obigen Feststellungen ist das Verhältnis der Sozialwissenschaften zu den Konflikten zu untersuchen. Soziologen, Philosophen – aber auch Gelehrte in Kriminologie und Strafrecht – erweiterten und systematisierten ihre theoretischen Kenntnisse, um die Verbindung zwischen moralischem und rechtlichem Fehlverhalten (Sünde) und Verantwortlichkeit zu klären.4 Sie stellten die Frage, inwieweit die kodifizierten Rechtsnormen unserer sich rasch wandelnden Gesellschaften mit den Begriffen des ethisch Guten und Schlechten in Einklang stehen. Ihnen ist aufgefallen, dass viele rechtliche Vorschriften, welche bestimmte Handlungen pönalisieren, mit moralischen Imperativen und Verboten nichts zu tun haben. Das bedeutet, dass die Wertbegriffe der Moralität und des Rechts eine erhebliche Divergenz aufweisen. Eine unter schwere Strafe gestellte rechtliche Schuld kann aus Sicht der Ethik positiv, neutral oder milde bewertet werden. Dies gilt auch umgekehrt. Im Zuge dieser Analysen wurde nachgewiesen, dass das rechtskonforme Verhalten je nach sozialer Stellung bedeutende Unterschiede in einzelnen Bereichen desselben National- oder Regionalrechts aufweist, und auch von freiwilligen und erzwungenen Elementen abhängt. Im Sinne des Doppelbegriffs der Sünde ist ein Verstoß gegen schriftliche Normen ein Rechtsbruch, der im Fall kodifizierter Verfehlungen als Straftat gilt. Aber der Bruch ethischer Normen ohne Verstoß gegen das geltende Recht gilt „nur“ als unethisches Verhalten. Oft begründet das unethische Verhalten auch (straf-)rechtliche Verantwortung, diese beiden hängen jedoch nicht unbedingt zusammen. Moralische und rechtliche Verfehlungen können teilweise oder gänzlich zusammenfallen, aber auch auseinanderfallen. Heute werden Sünden und Strafen neu definiert, und zwar tendenziell so, dass je kleiner die Straflast einer begangenen Straftat ist, umso wahrscheinlicher die Strafe ergeht.

3. Gesellschaftliche Gefährlichkeit von (Straf-)Taten Kriminologen und (Straf-)Juristen beurteilen viele sozialgefährliche Phänomene unterschiedlich. Die Juristen gehen bei der Bewertung sozialgefährlicher Handlungen und Versäumnisse vom jeweils geltenden, zeit- und ortsgebundenen Recht aus. Für Kriminologen bedeutet gesellschaftliche Gefährlichkeit a priori die drohende Möglichkeit oder den tatsächlichen Eintritt eines hochgefährlichen Schadensrisikos. Bei der Bewertung einer Straftat durch die Kriminologen spielt also Rechtsgebundenheit eine zwar wichtige, aber keinesfalls primäre Rolle. Für sie ist der moralische 3

Siehe hierzu noch Irk 2006. Ágnes Heller analysierte diese Fragen in einem in jungen Jahren geschriebenem Buch in moralphilosophischer Perspektive. Siehe Heller 1970; detaillierte Sekundärdarstellung durch Irk 2018. 4

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Inhalt einer (Straf-)Tat zumindest genauso wichtig. In Fortsetzung dieses Gedankenganges können zahlreiche Bedenken formuliert werden, zum Beispiel: • ob es die gewichtigsten sozialgefährlichen Handlungen der Gegenwart und Zukunft sind, die als Straftaten kodifiziert sind; • ob die Strafregeln geeignet sind, auf das Ultima-Ratio-Prinzip gestützte Aufgaben zu lösen. Solche und ähnliche Feststellungen und Fragen sind für Gelehrte aus den Sozialwissenschaften, der Ökonomie und anderen Grenzwissenschaften der Kriminologie evident, sind aber viel weniger selbstverständlich für Forscher, die aus Juristen zu Kriminologen wurden. Daraus ergibt sich die für Reformkriminologen seltsame Situation, dass die Viktimologie, also ein Unterbereich der Kriminologie, diejenigen Opfer, bei denen – im Sinne des Strafrechts – keine konkret bestimmbaren Straftäter existieren sind, aus ihren Forschungen ausklammert. So bleiben Kriminologie und Viktimologie auf der Mikroebene des Täter-Opfer-Verhältnisses stecken, und lassen die auf der Makroebene, das heißt durch Menge und Qualität der globalisierungsbedingten sozialen Gefahren am meisten betroffenen und massenhaft zu Opfern gewordenen Menschen und Gruppen außer Acht, die in sich demokratisierenden Gesellschaften und reifen Demokratien eine immer wichtigere Rolle, sogar eine Schlüsselrolle spielen. So werden im „Normalbetrieb“ unserer Welt die Opfer schwerer Umweltschädigung durch industrielle Produktion regelrecht missachtet. Ein weiterer Unterschied der Perspektiven von Strafrechtlern und Kriminologen ist der, dass, während im Fokus des strafrechtlichen Interesses die Klärung der Handlungen von Akteuren, das heißt des Täters und des Opfers, stehen, der systematisch denkende Kriminologe versucht Systemdefizite zu klären und zu deren Korrektur beizutragen. In dieser forscherischen und analytischen Arbeit ist die Frage unvermeidlich, ob in der globalisierten Welt der Umgang mit den Risiken der Makroebene risikogerecht ist, defizitär – oder gänzlich ausbleibt. An dieser Stelle ist der dreifache Zusammenhang zu erwähnen, der zwischen sozialgefährlichen Handlungen, ihren Tätern und ihren Opfern besteht. In kriminologischer Perspektive bestimmt die existierende oder fehlende gesellschaftliche Gefahr, ob eine Straftat Täter bzw. Opfer hat. Der erste Zusammenhang besagt, dass eine sozialgefährliche Handlung auch dann Opfer hat, wenn sie mit keinem als Person identifizierbaren Täter zu verbinden ist. Der zweite besagt, dass eine sozialgefährliche Tat auch dann Täter hat, wenn sie keine bekannten Opfer aufweist. Im Sinne des dritten ist eine Tat, die weder Täter noch Opfer hat, nicht sozialgefährlich. Die jeweilige Einschränkung für alle diese drei Zusammenhänge ist aber die, dass der zeitliche und räumliche Umfang der gesellschaftlichen Gefährlichkeit nicht auf das gegenwärtige Zeit- und Raumintervall zu limitieren ist, in dem Dasein oder Fehlen des Risikos gerade untersucht wird. Die kriminologischen Dimensionen der gesellschaftlichen Gefährlichkeit sind nämlich im Prinzip in Zeit und Raum zwar unendlich, beschränken sich jedoch in der Tat jeweils auf die realen Zeit- und Raumperspektiven der gerade getätigten Untersuchung.

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Kurz sind auch die Folgen der Situation zu erwähnen, wenn die gesellschaftliche Gefährlichkeit zwar existiert, aber in einem weiten Kreis unbemerkt bleibt. Ein bisschen vereinfacht gesagt, gibt es zwei Interpretationen des voranschreitenden sozialen Wandels unserer Welt. Die eine zeichnet ein optimistisches, die andere ein eher pessimistisches Bild über die in Zukunft zu erwartenden Veränderungen. Nach der optimistischen Version sei das Wachstum, wie man es sich früher vorstellte, nicht aufrechtzuerhalten, obwohl die Chance auf „sustainable development“ für alle Weltregionen nach wie vor offenbleibe. Nach der pessimistischen Version habe die Welt einen Zustand erreicht, in dem kein weiterer Fortschritt, keine nachhaltige Entwicklung mehr möglich sei. Von dieser fundierten Prognose wollen die meisten Politiker genauso wenig Kenntnis nehmen, wie die am raschen Wirtschaftswachstum orientierten Unternehmen und mit diesen verbündeten behördlichen Organisationen. (Siehe hierzu zum Beispiel den Zusammenhang zwischen der Regierung des Donald Trump und dem Wiedererstarken der US-Kohlelobby). Die neue Qualität der gesellschaftlichen Gefährlichkeit beschreiben unter anderen Allan Schnaiberg und Paul Stretesky, Vertreter der sogenannten Treadmill-Theorie.5 Sie fokussieren ihre Kritik am Sozial-Kriminalitätsmanagement der Regierungsmacht direkt auf Ausbeutung (als Ursache) und Umweltkriminalität (als Wirkung).

4. Offene Fragen und Dilemmas der Problembehandlung Nach dieser Einführung können weitere Fragen gestellt werden, wie: • Haben nur die strafrechtlich definierten Handlungen Opfer? Sind diejenigen keine Opfer, die unter den Folgen strafrechtlich nicht definierter Verhaltensweisen leiden? • Ist die Gefährlichkeit der kodifizierten Verfehlungen höher als die der nicht kodifizierten? • Sind die nicht als Straftat definierten, aber moralwidrigen und sozial hochgefährlichen und hochschädlichen Handlungen irrelevant für die Kriminologie, bzw. sind ihre Opfer uninteressant für die Opferforschung? • Ist es moralisch akzeptabel, dass Bequemlichkeit und Vermeidung politischer Konflikte oder – wie man oft argumentiert – die Gefahr der Ausuferung die Kriminologen zurückhalten, ihr Interesse auf die oben erwähnten Verhaltensformen zu auszuweiten? • Bilden diese (nicht als Straftat definierten) Verfehlungen einen Teil des kriminellen Dunkelfelds?

5 Die Darstellung dieser Theorie und die Erörterung ihres Nutzens für die forensische Wissenschaften würden den Umfang dieser Studie sprengen. Siehe hierzu Stretesky et al. 2014.

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• Wenn sozial hochgefährliche und hochschädliche, aber strafrechtlich nicht normierte Handlungen keinen Teil der Kriminalitätslatenz bilden, sollten diese dann als normale oder als zwar abweichende, aber nicht strafbare Verhaltensweisen gelten? Wie sind sie zu bewerten? • Sind verheerende Negativfolgen der Modernisierung durch eine Neudefinition sozialgefährlicher Verhaltensformen zu vermeiden? • Darf nach heutigem Stand der Globalisierung die diskriminierende Behandlung der Wertesysteme der Dritten Welt (Entwicklungsländer) durch die Erste Welt (hochentwickelte Industrieländer) fortbestehen? Oder ist die heute bereits vorherrschende politische und ökonomische Ansicht akzeptabel, dass die im Sinne der westlichen Rechtskultur verbotenen Handlungen in der Dritten Welt wertneutral seien oder gar ein positives Vorzeichen bekommen dürften? • Ist die Strafdrohung durch völkerrechtliche Normen im Fall von Straftaten überhaupt sinnvoll, wenn die Strafe nicht vollzogen werden kann? • Können tatgerechte Strafen für bereits verübte oder für die Zukunft prognostizierte hochgefährliche Straftaten ins traditionelle System der Strafzumessung eingegliedert werden, und wenn ja, wie? Wenn die Experten in der Kriminologie für diese und weitere, hier nicht aufgezählte Fragen beruhigende Antworten finden möchten, wäre es wünschenswert, im Bereich der forensischen Wissenschaften über die Dimensionen der Kriminalisierung und Entkriminalisierung hinauszublicken und den Fokus auf die vergleichende Analyse moralisch und rechtlich akzeptabler und unakzeptabler Handlungen zu erweitern. In unserer sich wandelnden Welt ist es wirklich wichtig (um nur zwei Beispiele zu nennen), die Veränderungen der seit tausend Jahren traditionsreichen Kriminalitätsphänomene in den Bereichen Prostitution und Menschenhandel zu beobachten und auf diese zugeschnittene neue Instrumente für eine erfolgsversprechende Prävention zu entwickeln. Dies bedeutet keinesfalls, dass die Analyse der mit neuen Erscheinungen der grenzüberschreitenden Kriminalität und Errungenschaften der wissenschaftlich-technischen Entwicklung zusammenhängenden moralischen Verfehlungen, die oft selbst Folgen der neuen Methoden des Risikomanagements sind, mit dem Argument außer Acht zu lassen wäre, dass diese in bestimmten Ländern und Regionen als normal oder mindestens als tolerierbar betrachtet werden. Daraus folgt eine weitere Frage, nämlich die, in welchen Fällen die Meinungsäußerungen gut bezahlter Fachexperten und Lobbisten verantwortungsvoll sind bzw. welche Entscheidungen und Handlungen die Vertreter der wirtschaftlichen und politischen Macht mit der Begründung als verantwortungsvoll hinstellen könnten, diese seien humanitär und ethisch. Die Frage ist nicht, inwieweit die rechtlichen Regelungen auszudehnen oder zu reduzieren wären. Viel wichtiger wären wissenschaftlich fundierte Stellungnahmen dazu, welche problemadäquaten rechtlichen Regelungen notwendig wären, um heute als unethisch angesehene Handlungen zu verhindern und Entscheidungen zu treffen, die im Interesse der den normwidrigen Handlungen aus-

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gelieferten Einzelmenschen und der ganzen Menschheit stehen. Dabei wäre auch die Frage zu stellen, welche Maßnahmen in diesem Prozess der Ausführung der erwähnten Entscheidungen erforderlich wären. Zur Klärung all dieser Fragen ist eine auf Netzwerk- und Risikoanalyse basierende Gesellschaftsplanung notwendig, bei der die Verantwortung der Entscheidungsträger besonders wichtig ist. Aus moralischer Perspektive ist keine Lösung akzeptabel, welche die Bekämpfung einer rechtswidrigen Handlung, zum Beispiel die Beendigung umweltschädlicher Produktionstätigkeit, unter Berufung auf Massenarbeitslosigkeit, die innerhalb kurzer Zeit nicht zu beheben wäre, ablehnt oder verzögert. Wenn sich der moralische Imperativ und der Imperativ des Rechts widersprechen, dann soll(t)en in unserer Kultur immer die moralischen Gebote Vorrang haben.

5. Neue Straftaten im globalen Kräftespiel Infolge der Verflechtung wirtschaftlicher Kraftzentren mit politischen Machtgruppen können die oben erörterten Zusammenhänge (heute noch) ignoriert werden. Die meisten Mainstream-Kriminologen, die sich an den jeweiligen Trends der politischen Macht und an ihren zum Gesetz erhobenen Willenserklärungen orientieren und bei ihren Forschungen auf der Mikroebene hängen bleiben, halten die makrokriminologische Analyse der Erscheinungen neuer Kriminalitätsformen für unnötig oder – schlimmstenfalls – erkennen dieses Bedürfnis überhaupt nicht. Ein Paradebeispiel hierfür ist die gegenwärtige Behandlung der Umweltkriminalität. Die Staaten versuchen immer noch mit nationalen Gesetzen Phänomene in Schranken zu halten, welche nicht nur die Grenzen der Staaten, sondern auch die der Kontinente längst überschritten haben. Die kriminologische Fachliteratur reflektiert dieses Thema noch kaum. Deshalb wird das Bedürfnis nach Aufklärung und Darstellung zahlreicher grenzüberschreitend organisierter Straftaten und Netzwerke von Tätergruppen im Zuge der Produktketten bestimmter, für die Verbraucher in den Wohlfahrtstaaten besonders attraktiver (preiswerter) Waren von der Herstellung bis zu ihrer Verwendung nicht einmal formuliert. Solche Gruppen werden von den Wohlfahrtstaaten und ihren gesetzgebenden Organen nicht nur toleriert, sondern in vielen Fällen sogar unterstützt. Hans-Jörg Albrecht schreibt: „Die objektive Sicherheitslage wird heute nämlich weitgehend an Hand von Phänomenen beurteilt, die in empirischen Untersuchungen zu Sicherheitserwartungen oder Sicherheitsgefühlen, mit Ausnahme des Terrorismus, bislang keine Rolle spielen. Phänomene der organisierten Kriminalität werden, da typische Transaktionskriminalität wie Drogen- und Menschenhandel, Organisation von Prostitution und Glückspiel, Korruption und Geldwäsche betroffen ist, durch die auf konventionelle Kriminalität ausgerichtete Befragungsforschung zu Sicherheitserwartungen nicht erfasst.“6

6

Albrecht 2016, 129.

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Wenn man zum Beispiel im Warenhausnetz eines multinationalen Unternehmens Fast-Fashion-Bekleidung, Mobiltelefone oder Gemüse kauft, 1. denkt man – mangels einschlägiger Informationen – nicht daran, in einer als legitim angesehenen Rechtsordnung ein Glied einer Produktions- und Handelskette zu sein, an deren beiden Enden mit hoher Wahrscheinlichkeit ausgebeutete Menschen arbeiten, die mindestens als Opfer moderner Sklaverei zu betrachten wären;7 2. oder ist sich der Ausbeutung dank der einschlägigen Medienberichte zwar bewusst, will aber mangels Eingriffsmöglichkeiten keine Verantwortung auf sich nehmen, sondern die Verantwortung von sich weisen und Regierungen, Interessenvertretungen, Staaten oder internationalen Organisationen auferlegen. Die wünschenswerte Strategieänderung erfordert die Wiederherstellung der Normalverhältnisse von Moral, Macht und Recht. Die aus Individuen, Gruppen und communities zusammengesetzte Gesellschaft verfügt über die moralischen Werte, die im günstigen Fall als Handlungsmaßstäbe gelten können. Die – egal, ob wirtschaftliche oder politische – Macht hat nur Interessen, auch wenn einzelne Mitglieder der Machtapparate von moralischen (oder halt amoralischen) Werten gelenkt werden. Das Recht legt für Menschen und Gemeinschaften einen Teil der durch Interessen der politischen Macht filtrierten Moralwerte als kodifizierte Normen fest. Die durch die Politik ausgeklügelten neuen Reaktionen auf neue Verbrechensformen sind zunächst eher bedenklich als vielversprechend.8 In der globalisierten Welt sind die konsumorientierten Gesellschaften der Industrieländer meistens auf die Befriedigung ihrer Alltagsbedürfnisse und Sehnsüchte konzentriert und lassen die zeitlichen und räumlichen Kettenglieder des Prozesses ihrer Bedürfnisbefriedigung außer Acht. Die spektakulären Folgen dieser Sackgasse lassen sich im Klimawandel, in den Aktivitäten der Leugner des Konsum-Mainstreams, in den aggressiven Aktionen junger Klimaaktivisten und in den Wirkungen ihrer Aktivitäten auf Regierungen und internationale Organisationen erkennen.9 Die für die Gesellschaft gefährlichen bzw. schädlichen Handlungen bilden jedoch ein verflochtenes Netzwerk, in dem Ursachen und Wirkungen miteinander in wechselseitiger Beziehung stehen. Der offensichtliche Überkonsum steht im ursächlichen Zusammenhang unter anderem mit der

7

Siehe beispielweise Braun et al. 2014; Rowlatt & Deith 2015; Changing Markets Foundation 2017; Lorenzo & Kelly 2017; Oxfam Australia Media Releases 2017; Zeit Online v. 24. 07. 2014, https://www.zeit.de/2014/31/elektroschrott-ghana-afrika-accra [20. 09. 2019]. 8 Siehe hierzu die Kritik an der deutschen Klimapolitik: Zeit Online v. 20. 09. 2019, https://www.zeit.de/politik/deutschland/2019-09/klimapolitik-beschluss-klimaschutzpaket-reak tionen-klimakabinett [24. 09. 2019]; ferner Zeit Online v. 23. 09. 2019, https://www.zeit.de/poli tik/deutschland/2019-09/klimapolitik-klimaschutz-klimapaket-bundesregierung-kritik [24. 09. 2019]. 9 Siehe die Rede von Greta Thunberg beim UN-Weltklimagipfel 21. – 23. September 2019; Thunberg 2019.

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Überproduktion, die wiederum (vor allem, aber nicht ausschließlich) mit der in den Entwicklungsländern typischen Sklavenarbeit zusammenhängt. An dieser Stelle ist zu betonen, dass der demokratische Rechtstaat sowohl die Freiheitsrechte als auch die Sicherheit seiner Bürger zu gewähren hat. Diese beiden Grundsätze müssen im Gleichgewicht stehen. Die politische Macht ist jedoch im Stande, unter Berufung auf den Schutz der Sicherheit die Menschen- bzw. Freiheitsrechte zu beschneiden und damit das sensible Gleichgewicht zu kippen, das zwischen diesen Prinzipien in einem demokratischen Rechtsstaat bestehen soll.10 László Korinek machte auf die Gefahren einer Situation aufmerksam, in der das Dilemma des Verhältnisses von Freiheit versus Sicherheit zu lösen ist.11 Die evident gesellschaftsgefährlichen Handlungen zu bekämpfen ist eine Sicherungspflicht des Rechtsstaates. Diese handlungsorientierte Einstellung wird aber in Gesetzgebung und Rechtspraxis der Staaten Europas, die sich zum Rechtsstaat bekennen und dessen Grundsätze in ihren Flaggen tragen, in immer schnellerem Tempo durch eine personenorientierte Gefährlichkeits- bzw. Sicherheitsbetrachtung abgelöst. Wie Hans-Jörg Albrecht schrieb: „Der Blick richtet sich stärker in die Zukunft, die Wahrnehmung der Gefährlichkeit wird im Kern zu einer Gefahrenprognose, die sich auf Auskünfte der forensischen Psychiatrie und Psychologie stützt.“12

Das Justizwesen des demokratischen Rechtsstaates hat heute also einen Widerspruch zu lösen, der früher nicht im Fokus der Aufmerksamkeit gestanden hat. Die Theoretiker der forensischen Wissenschaften konzentrieren sich in Europa auf die Begrenzung des wachsenden Interesses von Polizisten und Politikern an kurzfristig eintretenden Gefahren bzw. an potentiellen Kriminellen, die solche Gefahren hervorrufen könnten. Dieses einseitig auf kurze Zeitstrecken der nahen Zukunft fokussierte Präventionskonzept ist in Anbetracht der Zielsetzung einer Minimierung der Ängste der Bevölkerung vor neuen Formen des Terrorismus verständlich. Diejenigen, die die tatsächliche oder scheinbare Stärkung der Sicherheit durch Freiheitsbeschränkung anstreben, möchten die Notwendigkeit der Einschränkung der oben dargestellten schädlichen Aktivitäten der globalen Wirtschaftsnetzwerke lieber vergessen. Kriminologen und Strafrechtler halten aus dem Gesichtspunkt der Moral sehr richtig die Verfahren gegen potentielle Straftäter für bedenklich, die aufgrund unzuverlässiger Prognosen als gefährlich ausgewählt wurden. Aus dem Gesichtspunkt der Moral ist es aber grundsätzlich falsch, wenn sie die Opfer der Aktivitäten der Gewinner in Wirtschaft und Politik im defizitär funktionierenden Globalsystem der Risikogesellschaft ignorieren. Dies zu verändern wäre umso dringender als im ersten Fall nur die Rechte (potentieller) Straftäter, im letzteren Fall aber die Menschenrechte von Millionen durch schädliches Tun (von der Sklavenarbeit bis hin zur Umweltzerstörung) verletzt werden, einschließlich ihres Rechts auf Leben, körperliche Unversehrtheit und Ge10

Vgl. Ádám 2005, zitiert nach Korinek 2010, 533. Korinek 2010, 533. 12 Albrecht 2012, 18; siehe auch Sieber 2016, 365, Finszter 2014. 11

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sundheit. Eine voreingenommene Justiz, die mit zweierlei Maß misst, senkt im Endeffekt in beiden Fällen das Vertrauen der Bürger in die Verlässlichkeit der Rechtsordnung.

6. Zusammenfassung und Ausblick Auf der Basis der Analyse der Eigentümlichkeiten der Risikogesellschaft ist festzustellen, dass die von Philosophen und anderen Wissenschaftlern formulierten Thesen bei der Umsetzung in die Praxis nicht hinreichend berücksichtigt werden. In unserer Kultur ähnelt der Umgang mit den für die Gesellschaft bedrohlichen Aktivitäten eher einem hastigen Feuerlöschen als einer konzept-basierten Strategie, die auf neue Herausforderungen adäquate Reaktionen zu geben vermag. Beobachtungen der Forschung lassen darauf schließen, dass die meisten Menschen trotz des üppigen Angebots an Medieninformationen wenig Ahnung von den unsere Gegenwart und Zukunft bedingenden Zusammenhängen haben, und sich für diese auch nicht interessieren. Dies ist für die Akteure in Wirtschaft und Politik auf kurze Frist ausgesprochen günstig, und auf lange Frist zu planen mögen sie nicht. Ein beträchtlicher Teil der Bevölkerung in den wirtschaftlich hochentwickelten Ländern ist nicht nur Opfer, sondern je nach ihrer Einkommenslage zugleich auch Mittäter an der Verursachung von Schäden, deren antisozialer Charakter nicht zu leugnen ist. Als Konsumenten beteiligen sie sich indirekt, aber aktiv an der Ausbeutung ihrer Mitmenschen und an der irreversiblen Zerstörung der Umwelt. Die Kriminalpolitik konnte auf die neuen Verbrechensformen bislang keine entsprechenden Antworten finden. Deshalb ist es höchste Zeit, über die Zukunft nachzudenken und abzuwägen, welche unserer Grundsätze aufzugeben bzw. beizubehalten sind. Soll alles nach wie vor weitergehen, bis eines Tages die traurige Wahrheit erkannt wird, dass keine bisher bekannte Form des Kapitalismus aufrechtzuerhalten ist? Bewegt sich die Welt wirklich auf einem Laufband, das entweder jetzt zu stoppen ist, oder nie mehr zum Stillstand gebracht werden kann?13 Es ist also Zeit für eine grundsätzliche und umfassende Erneuerung. Literaturverzeichnis Ádám A. (2005): A biztonság mint jogi érték [Sicherheit als rechtlicher Wert], in: Á. Balogh & Sz. Hornyák (Hrsg.), Tanulmánykötet Erdo˝ sy Emil professzor 80. születésnapja tiszteletére [Studienband zum 80. Geburtstag von Prof. Emil Erdo˝ sy]. Pécs, S. 13 – 30. 13 Die Literatur der Umweltsoziologie betont, dass der Wachstumszwang im Kapitalismus strukturell kodiert ist, der theoretisch als Laufband oder Tretmühle der Produktion (treadmill of production) beschrieben wird. Siehe zum Beispiel Schnaiberg et al. 2002; Gould et al. 2008, zitiert von Dombi & Málovics 2015, 208.

Risikomanagement und Kriminalitätskontrolle

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Einige evidenz- und nicht evidenzbasierte Gedanken über die Sicherheit Von László Ko˝ halmi

1. Konzeptionelle Abenteuer Eine ziemliche „wissenschaftliche Bürde“ halst sich auf, wer versucht, den Begriff „Sicherheit“ kurz, aber präzise zu definieren. Die Achillesferse des Problems wurzelt in der Tatsache, dass der Umfang der Subjekte, Objekte und Inhalte, die für die Definition relevant sind, praktisch unbegrenzt ist. Als Ausgangspunkt kann der in der Rechtswissenschaft oft angewandte sogenannte Ansatz negativer Art einen ersten Ansatzpunkt liefern, da Sicherheit mit Mangel an Sicherheit korreliert. Antal Ádám versteht unter Unsicherheit eine Art Bedrohung, Gefahr, Schaden, Schädigung, Benachteiligung, Leiden mit Angst und/oder Qual. Sicherheit ist also ein Gegenpol zu dem, was gerade beschrieben wurde, d. h. sie stellt einen spezifischen Schutz- bzw. Erhaltungszustand dar (Vida 2013, 89). Der Begriff von Sicherheit impliziert, dass er nicht bedeutet, dass ein Schaden für Rechtsgüter völlig ausgeschlossen werden kann (Albrecht 2010, 17). Aus alledem lässt sich auch schließen, dass das begriffliche Gegenteil von Sicherheit nicht Unsicherheit ist, da letztere nicht automatisch mit einem Nachteil verbunden ist (Ádám 2005a, 33). Das Gegensatzpaar von Sicherheit ist der Mangel an Sicherheit. Laut Ferenc Gazdag und Éva Remek bedeutet dies – bezogen auf den Menschen –, dass die Person in Sicherheit ist, die sich nicht in Gefahr befindet. Ängste und Sorgen habe derjenige keine, der die Bedrohung nicht wahrnimmt, das heißt sie nicht „perzipiert“ (Gazdag & Remek 2018, 17). Die Erweiterung des Sicherheitsbegriffs hat eine substanzielle und eine formelle Dimension. „Substanziell geht es um die Frage, was Sicherheit ist, durch was Sicherheit bedroht und durch wen Sicherheit hergestellt wird. Formell geht es um die Frage, auf welchem Wege Sicherheitspolitik entworfen und umgesetzt wird“ (Albrecht 2005, 9). Sicherheit und deren Mangel erschienen und erscheinen in den verschiedenen Zivilisationen in äußerst vielfältigen Interpretationen, und die Interpretation hängt vom Umfang, der räumlichen Ausdehnung, dem technischen Kapazitätsbestand usw. einer bestimmten Gefahr bzw. eines bestimmten Nachteils ab.

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Bei der staatlichen Handhabung und Herangehensweise an Sicherheit stellt das Entstehen von Nationalstaaten und die in realen oder fiktiven „Gesellschaftsverträgen“ ausdrücklich oder impliziert enthaltene staatliche Sicherheitsgarantie eine wesentliche Zäsur dar. Staaten sind grundsätzlich damit beauftragt drei „Sicherheitsprodukte“ herzustellen: staatliche Sicherheit, nationale Sicherheit und öffentliche Sicherheit. Die „Ablieferung“ dieser Sicherheitstriade an die Kunden – die Staatsangehörigen – erfolgte und geschieht jedoch nicht durch nette Worte und freundliches Überreden, sondern auf mehr oder weniger grobe Weise, gegebenenfalls unter Einsatz gewaltsamer, militanter Mechanismen (Ádám 2005b, 13). Während die Konfrontation des Kalten Krieges der Vergangenheit angehört, nimmt das Wettrüsten und die Zahl der blutigen Kriegskonflikte nicht ab und die Menschheit kommt der erstrebten friedlichen und sicheren Weltordnung nicht näher. Nach der Auflösung des rigiden bipolaren Gegensatzes wurde sowohl von Vertretern der Rechtswissenschaft als auch der Politik das Bedürfnis formuliert, ein komplexes Sicherheitskonzept zu entwickeln und anzuwenden, das alle traditionellen und neuartigen Bedrohungen für den Menschen und die menschliche Gemeinschaft berücksichtigt (Kondorosi 2015, 127; Ádám 2005b, 15). Die verschiedenen internationalen politischen, fachlichen und militärischen Kooperationsmechanismen (z. B. UNO, NATO, Europäische Union) hatten eine bedeutende Rolle und bedeutendes Verdienst bei der immer weiter verfeinerten Definition des Sicherheitskonzepts. Unter den zahlreichen Ansätzen für den Sicherheitsbegriff verdient der UN-Bericht aus dem Jahr 1994 mit dem Titel „Redefining Security: The Human Dimension“ (Holiday & Howe 2011, 73 – 73) besondere Erwähnung. Laut Eniko˝ Száraz ist dieses Dokument die Grundlage für die umfangreiche, jedoch bei weitem noch nicht abgeschlossene Forschung, für die Formulierung von Schlussfolgerungen und Änderungen und für die teilweise Anwendung der inhaltlichen Bestandteile der sog. humanen Sicherheit gewesen (Száraz 2003, 204). Der Begriff der humanen Sicherheit (Szászi 2019, 112 – 113) muss mit holistischem Ansatz unter Berücksichtigung aller Bedrohungen und Schäden für Menschen und menschliche Gemeinschaften und auf interdependente Weise angegangen werden, und das alles schließt die Anforderung und den Schutz der nationalen Sicherheit, der internationalen Sicherheit oder der kollektiven Sicherheit nicht aus. Antal Ádám zufolge sind die für die humane Sicherheit unerlässlichen differentia specifica die Folgenden: (a) vorrangige Orientierung an der Menschenwürde, (b) bevorzugter Schutz für Ausgestoßene, Benachteiligte, für körperlich und geistig behinderte Menschen, (c) Bekämpfung von Hunger, Armut, Arbeitslosigkeit und verbotener Diskriminierung, (d) Maßnahmen gegen ansteckende und unheilbare Krankheiten menschlichen, tierischen und pflanzlichen Ursprungs und gegen zwanghafte Verhaltensweisen, (e) Maßnahmen gegen Naturkatastrophen und technische Katastrophen, Umweltschäden und schockierende Verkehrsunfälle, (f) Bekämpfung der organisierten und sonstigen Kriminalität und des Terrorismus, sowie (g) lokale, regionale,

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staatliche, zwischenstaatliche und globale, aber in jedem Fall koordinierte Maßnahmen zur Bekämpfung von Zerstörungen durch Vandalismus (Ádám 2006, 32 – 35). Es muss erkannt werden, dass der wirksame Kampf gegen die schwerwiegenden Bedrohungen und Probleme heutiger und künftiger Generationen von Einzelpersonen, sozialen Gemeinschaften, dem Staat oder den Staaten allein und isoliert nicht geführt werden kann. Der koordinierte, gemeinsame Kampf gegen die oben genannten Bedrohungen ist das Gebot der Stunde. Die integralen Bestandteile dieses Kampfes reichen natürlich von der Prävention der die Gefahr auslösenden Umstände, über den Einsatz von kontinuierlichen Monitoring-Diensten bis hin zu Mechanismen zur Behebung eingetretener Kataklysmen und Katastrophen (Ádám 2008, 52). Humane Sicherheit (human security) bedeutet daher grundsätzlich, frei von allen Gefahren und Schäden unserer Zeit zu sein. Da eine Sicherheit solchen Inhalts leider unerreichbar ist, erfordert menschenzentrierte Sicherheit ein äußerst umfangreiches, komplexes Anforderungssystem und vielfältige Präventions-, Abwehr-, Schutz- und Rehabilitationsmaßnahmen. Die humane Sicherheit ist untrennbar mit dem Schutz, der sog. human security defence, und der Erreichung, Vorbeugung, Abwehr und auch Wiederherstellung beinhaltenden Protektion, der safety, verbunden. All dies erfordert einen holistischen Ansatz, eine komplexe und koordinierte Prävention und die Anwendung sich ständig ändernder Prioritäten, die an die Art, Nähe und Schwere der Bedrohungen angepasst sind.

2. Sicherheit als Rechtsgut Nach der pluralistischen Axiologie ist der Wert das, was das bewertende Subjekt als Wert ansieht. Der Wert ist somit das Produkt der menschlichen Bewertung, die Qualität des Objekts, die diesem vom Bewerter beigemessen wird (Losonczy 2002, 20). Welche Werte, in welcher Zusammensetzung und in welcher Reihenfolge sie ein Wertesystem bilden, hängt in erster Linie auch von den bewertenden Subjekten ab. Werte, die weit verbreitet und langfristig verwirklicht/befolgt werden, führen zu Wertvorstellungen, z. B. religiösen Normen. Die menschlichen Bedürfnisse und Ansprüche bringen Werte hervor, und diese schaffen Wertehierarchien. Die sich gegenseitig voraussetzende Korrelation der sogenannten entgegengesetzten Qualitäten – z. B. Hell und Dunkel, Gesundheit und Krankheit, usw. – ist auch in der Dualität von Wertvollem und Wertlosem feststellbar. Es kann festgestellt werden, dass das Gewicht und die hierarchische Position eines jeden Wertes vom Grad der Schädlichkeit, des Nachteils, des Schadens usw. der als sein Gegenteil bestehenden Gefahr bestimmt oder zumindest stark beeinflusst wird (Ádam 1997, 7). Es gibt tagtäglich unzählige wirkungsreiche Orientierungseinflüsse auf Wertewahl und Wertorientierung, z. B. Religionen, Ethik, Schulbildung, Mode, Politik, Social-Media-Portale, usw.

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Bei den Werten kommt den rechtlichen Werten eine Schlüsselrolle zu, da sie auch durch Rechtsnormen geschützt sind. Im Bereich der rechtlichen Werte können je nach Art der betroffenen Rechtsnormen und dem Grad und Inhalt der Hierarchie Stufen und Gruppen unterschieden werden, z. B. völkerrechtlicher/supranationaler rechtlicher Wert (Ádam 2010, 116). Von den rechtlichen Werten sind die sogenannten rechtlichen Grundwerte von herausragender Bedeutung, die den Rahmen und die inhaltlichen Hauptbestandteile anderer rechtlicher Werte bestimmen und hierdurch auch nicht-rechtliche – z. B. wirtschaftliche, künstlerische, kulturelle, usw. – Werte beeinträchtigen. Rechtliche Grundwerte können auch aus bestimmten herausragenden internationalen Dokumenten, supranationalen Verträgen oder sogar aus nationalen Verfassungen abgeleitet werden (Ádam 2002, 19). Bei der Ausarbeitung und Bereicherung der rechtlichen Grundwerte haben die fortschrittlichen Kräfte und Organisationen der Menschheit – unter Berücksichtigung auch der diktatorischen historischen Erfahrungen – nach dem Zweiten Weltkrieg hervorragende Ergebnisse erzielt. Diese Entwicklung ist jedoch kein abgeschlossener Prozess, da Veränderungen der Lebensbedingungen und der wissenschaftliche, technische und wirtschaftliche Fortschritt neue Bedürfnisse, unvorhergesehene Probleme und schwerwiegende Gefahren generieren. Denken wir nur an die Problemlösungspotentiale von Quantencomputern: Selbst die leistungsstärksten herkömmlichen Computer würden Zehntausende von Jahren benötigen – für sie ist es praktisch unlösbar –, um bestimmte Codes zu entschlüsseln. Bisher waren die im internationalen Bankensystem verwendeten kryptografischen Lösungen „sicher“, denn selbst wenn ein Superbösewicht aus einem James Bond-Film eine Armee von Supercomputern zum Zweck einer Code-Entschlüsselung aufrüsten würde, würde sein Urenkel den entzifferten Klartext noch nicht erhalten. Für die Entstehung von Sicherheit als rechtlicher Grundwert können eine Reihe von klassischen rechtsstaatlichen Grundchartas als regulatorischer Vorläufer angesehen werden, wie zum Beispiel: • Die amerikanische Unabhängigkeitserklärung (1776), in der es heißt: „Wir halten diese Wahrheiten für ausgemacht, daß alle Menschen gleich erschaffen worden, daß sie von ihrem Schöpfer mit gewissen unveräußerlichen Rechten begabt worden, worunter sind Leben, Freyheit und das Bestreben nach Glückseligkeit.“ • Die Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte (1789) der französischen Revolution, die in Punkt II darauf hinweist, dass Freiheit, Eigentum, Sicherheit und Widerstand gegen Unterdrückung natürliche und unveräußerliche Menschenrechte sind. Nach Punkt XII setzt die Gewährung von Rechten die Aufrechterhaltung einer force publicique voraus, die dem Wohl des Ganzen und nicht dem der Personen, denen diese Befugnis übertragen wurde, zugutekommen soll. • Die Verfassung von Massachusetts aus dem Jahr 1780, die besagt (Teil I Artikel X), dass ein jedes Mitglied der Gesellschaft das Recht hat, dass es durch die bestehenden Gesetze beim Genuss seines Lebens, seines Eigentums und seiner Freiheit geschützt wird (Szikinger 2012, 19).

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Die Beziehungen zwischen den rechtlichen Grundwerten sind konsistent – im Fall eines „Qualitätsgesetzgebers“ –, d. h. sie sind widerspruchsfrei und kohärent, das wiederum heißt, sie bauen aufeinander auf und unterstützen sich gegenseitig in ihrer Durchsetzung. Erfahrungsgemäß funktioniert jedoch eine in der Theorie harmonisch scheinende Beziehung in der Praxis nicht unbedingt. Darüber hinaus besteht häufig eine Konkurrenz zwischen rechtlichen Grundwerten, und spektakuläre Konflikte und Kollisionen sind ebenfalls nicht selten. Verschiedene Versionen der Sicherheit – nationale Sicherheit, staatliche Sicherheit, internationale Sicherheit, kollektive Sicherheit, öffentliche Sicherheit, Rechtssicherheit, soziale Sicherheit, Gesundheitssicherheit, persönliche Sicherheit, Sicherheit am Arbeitsplatz, Eigentumsschutz, usw. – werden aufgrund des Ergebnisses einer rechtlichen Regelung angemessenen Grades und Inhalts zu rechtlich geschützten Werten, vereinfacht gesagt, zu rechtlichen Werten (Ádám 2005a, 36). Die verfassungsmäßige (grundgesetzliche) Definition der humanen Sicherheit bzw. ihrer bestimmten Bestandteile mit dem entsprechenden Inhalt impliziert, dass solche Sicherheit zu einem Verfassungswert wird und somit einen inhaltlichen Einfluss auf die Gesetze und Vorschriften hat, die die Aufrechterhaltung und den Schutz der Sicherheit regeln. Die direkte Folge dieses Prozesses ist, dass die humane Sicherheit als Verfassungswert einen anderen Schutz durch das Verfassungsgericht und die öffentliche Gewalt im Vergleich zu „niedrigeren“ gesetzlichen Werten und dem Schutz vor nicht wertbezogenen Gefahren und Schäden genießt. Im Falle eines Konflikts im Bereich der Rechtsanwendung in Bezug auf die Rivalität oder Kollision zwischen Sicherheit als Verfassungswert und einem anderen Verfassungswert, kann das Verfassungsgericht als letztes Forum – nach Erschöpfung des ordentlichen Rechtsweges – über Art, Inhalt und Verhältnis des Verfassungsschutzes für die Sicherheit in dieser Rivalität und Kollision entscheiden (Ádam 2005a, 36).

3. Kritik an Sicherheitstheorien Einer der beliebtesten sicherheitspolitischen Ansätze unserer Zeit ist die sogenannte Balance Theory (Balogh 2003, 41 – 45), die zu dem Schluss kommt, dass Sicherheit und Menschenrechte in umgekehrtem Verhältnis zueinander stehen (Korinek 2006, 83). Sicherheit kann nur durch die Einschränkung von Menschenrechten und Freiheiten gesteigert werden, und umgekehrt bedeutet die Erweiterung der Freiheiten eine Verringerung des Sicherheitsniveaus (Finszter 2017, 153). Die ideengeschichtlichen Keime dieser Konzeption finden sich, wie István Szikinger feststellte, bereits in Thomas Hobbes’ Werk, nämlich dass Menschen in einem von der öffentlichen Hand nicht beschränkten Freiheitszustand nicht in der Lage sind, ihre individuellen Interessen und Bestrebungen den allgemeinen Erwartungen der Gesellschaft zu unterwerfen. Aufgrund der gegenseitigen Bedrohung kann nur

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eine in ihren Handlungsmöglichkeiten unbegrenzte Kraft bzw. Macht angemessenen Schutz bieten, und diese Macht wäre die Staatsmacht (Szikinger 2012, 18). Nach Ansicht von Josef Isensee hat sich die Rolle des Staates in unserer Zeit verschoben, und um das erwartete Niveau der sozialen Sicherheit aufrechtzuerhalten, müsse das Konzept der rein liberalen Macht übertroffen werden (Isensee 1983, 17 – 18). Anstatt des auf das bloße Überwachen beschränkten Funktionierens brauche man immer mehr die Wahrnehmung organisatorischer und dienstleistender Aufgaben, die aktives Eingreifen erfordern. Es bestehe weiterhin die Verpflichtung seitens des Staates von negativer Ausprägung, die Grundrechte zu achten, aber es sei auch notwendig, Schutz zu gewähren, der Aktivität voraussetzt. Letzterem entspreche das Grundrecht auf Sicherheit (Szikinger 2012, 23). Uwe Volkmann weist dagegen neben der eigentlichen Fürsorge- und Gefahrenabwehrpflicht des Staates auch auf die Gefahren staatlicher Exzesse hin. Staatliche Aktivitäten können nämlich so weit gehen, dass sie die Täter von noch nicht begangenen Straftaten negligieren oder liquidieren (Volkmann 2004, 700 – 703). Dies wiederum fällt bereits in die Kategorie „Gedankenverbrechen“ sozialistischer Diktaturen. In diesem Fall kann das Schild „Rechtsstaat“ in Bezug auf einen solchen Staat entfernt und muss stattdessen das Aushängeschild „Polizeistaat“ aufgehängt werden. Die Schwäche der von Isensee vertretenen Auffassung über das Grundrecht auf Sicherheit besteht darin, dass die öffentliche Gewalt in der Praxis, im tatsächlichen, alltäglichen Leben die größte Bedrohung für die menschliche Freiheit darstellt bzw. darstellen kann. Der Ordnungsfanatismus, die Neugierde, die Machtlust und der Unterwerfungseifer erfordern nach Ansicht von Winfried Hassemer den Schutz der klassischen Grundrechte – die Unverletzlichkeit der Wohnung, die Meinungsfreiheit usw. – durch verfassungsmäßige Mittel. Man muss erkennen, dass das Recht auf Sicherheit nur durch Beschränkungen anderer Grundrechte verwirklicht wird. Wenn wir das akzeptieren, unterschreiben wir einen Blankoscheck, der unsere Freiheit einschränkt. Freiheit kann nicht dem Wert nach der Auffassung der öffentlichen Macht ausgeliefert werden (Hassemer 2001, 232 – 233). Staatliche Macht, die die Garantie der Sicherheit verspricht, entwertet nämlich die Freiheit (Szikinger 2012, 25) und sendet eine Botschaft an die Staatsangehörigen, dass Sicherheit ein „primus inter pares“ der Grundrechte sei. Die obigen Ansätze sehen die Verwirklichung von Sicherheit noch im Rahmen der Rechtsstaatlichkeit (Albrecht 2000, 36 – 37), aber es gibt Konzepte, die bereits den Rubikon der Rechtsstaatlichkeit („rule of law“) überschritten haben (Szikinger 2005, 73). Im Falle von Ausnahmezuständen, Ausnahmesituationen – z. B. Großkatastrophen, Aufstände, Kampfeinsätze gegen Terroristen und organisierte Kriminelle, usw. – wird das Aufhängen eines Schildes mit der Aufschrift „wegen Funktionsstörung vorübergehend geschlossen“ als zulässig angesehen. Es ist kein Zufall, dass sich das Konzept der „Sekurisation“ in Literatur und Politik etabliert hat. Sekurisation bedeutet eigentlich das Scheitern normaler politischer Prozesse, nämlich dass der demokratische Rechtsstaat eine Funktionsstörung hat (Szikinger 2006, 28). All

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dies ist gefährlich, da Diktator-Kandidaten, die Sicherheit versprechen, leicht zu entscheidenden politischen Akteuren werden und die Garantieeinrichtungen des demokratischen institutionellen Systems (z. B. Gerichte, Verfassungsgerichtsbarkeit) in Bereitschaftszustand („Stand-by-Modus“) versetzen können, wie es auch die aktuellen politischen Schwankungen zeigen. Einige politische Akteure generieren praktisch eine kontinuierliche virtuelle Kriegssituation, um ihre eigenen politischen und rechtlichen Untaten zu legitimieren. Die rechtliche Projektion dieser politischen Stimmungsmache ist das Anti-Terror-Recht, da der rechtliche Grundwert der Sicherheit die legitimierende Basis für die Annahme und Anwendung von Sonderrechten bedeutet, z. B. Standgericht, Ausschluss der Berufung. Die Anti-Terror-Rechtsnormen ermöglichen eine stärkere und radikalere Einschränkung des Rechts als je zuvor unter Berufung auf das Versprechen einer „schönen neuen Welt“. In diesem politischen Klima ist natürlich das Konzept der rechtmäßigen Folter oder des Auslöschens des Lebens eines mutmaßlichen Terroristen, das im Kern bereits bei Jeremy Bentham zu finden ist, aber welches in seiner postmodernen Fassung Alan Dershowitz zugeschrieben wird, sympathisch (Dershowitz 2003, 275 – 278). Der brasilianische Elektriker Jean Charles de Menezes, der irrtümlicherweise in London aufgrund einer Verwechslung aus nächster Nähe mit sieben Schüssen praktisch hingerichtet wurde, stellt den Preis dieser sicheren Weltordnung dar. Er war zur falschen Zeit am falschen Ort. Die Sicherheit, die durch die Einschränkung der Garantienormen des Strafverfahrens (Finszter & Korinek 2015, 575) und durch die Missachtung der Menschenrechte erreicht werden kann, ist wertlos, da ein solcher Zustand die schöpferische Kraft der Gesellschaft zerstört (Finszter 2009, 168).

4. Sicherheit und Migration Migration als soziales Phänomen ist ein wertneutraler Ausdruck, der eindeutig positive (z. B. Bevölkerungszuwachs) und nachteilige (z. B. Menschenhandel) Auswirkungen haben kann (Rácz 2007, 71). Bereits seit den 1980er Jahren ist ein sicherheitspolitisches Narrativ wahrzunehmen, das die Migration als Gefahrenquelle darstellt. Dieser Ansatz wurde insbesondere nach den Terroranschlägen vom 11. September verstärkt (Gyeney 2014, 32 – 33). Heutzutage sind viele wirtschaftlich fortschrittliche Länder der Welt unbemerkt zu multinationalen Gesellschaften geworden, doch die theoretischen Grundlagen für das Verständnis der Kräfte, die die Migration antreiben, fehlen oder sind jedenfalls lückenhaft. Da wir keine evidenzbasierte Antwort auf die Frage „qui prodest?“ geben können, dient Migration Pro und Contra als Feld für verschiedene politische Spiele (Ko˝ halmi 2016, 83). Einige zivilgesellschaftliche Theorien, die den Marxismus leugnen oder zumindest kritisieren und die Migration als potenzielle Quelle des Arbeits-

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kräfteangebots betrachten, stützen sich grundsätzlich auf die marxistische ideologische Basis. Die Bewegung von Menschen lässt sich durch die die Migration strukturell bestimmende Dynamik der sich immer weiter internationalisierenden kapitalistischen Wirtschaft, das Interesse des Kapitals, erklären. Alle anderen Argumente sind lediglich – euphemistisch ausgedrückt – ideologisches Gewäsch. Die Erstellung einer einwanderungsbezogenen Bilanz ist eine scheinbar einfache Aufgabe (Vida 2011, 36), da durch eine SWOT-Analyse die potenziellen Vorteile (z. B. Bevölkerungswachstum, Arbeitskräfteangebot, Bevölkerung in bestimmten Ländern, Dienstleistungsvielfalt) und Nachteile (z. B. Inzidenz tropischer Krankheiten, Anstieg der Kriminalität, vermindertes Sicherheitsgefühl, Schwarzarbeit, Wettbewerb auf dem Arbeitsmarkt für die Ärmeren) modelliert werden können (Szabó 2006, 11). Diese Kosten-Nutzen-Analysen sind jedoch aus historischer Sicht eher kurzfristig und sie können nicht zeigen, welche günstigen oder ungünstigen Entwicklungen die innerhalb einiger Jahre potenziell auftretenden Vor- oder Nachteile nach zwei, drei Jahrzehnten in sich bergen. Soziale Wahrnehmungsprozesse sind schwer vorhersehbar und sind mit der Gefahr einer Janusköpfigkeit behaftet (Póczik 2011, 49 – 50). Die Nähe oder die Distanz zwischen sozialen, kulturellen, religiösen, rechtlichen Unterschieden und solchen in der Lebensführung zwischen verschiedenen Völkern stellt inhärent einen Problemfaktor dar. Die die Wahrheit verdrehende Wirkung von auf im Grundsatz richtigen Zielsetzungen basierender Ersatzreligion und politischer Korrektheit – z. B. liefern die Behörden keine oder nur verzerrte Informationen über die Täter von schwerer Kriminalität – macht es schwierig, eine klare Sicht auf der Grundlage von wissenschaftlicher Evidenz zu haben. Einige Migranten sind nicht bereit, sich zu assimilieren, sie wollen nach ihren eigenen „Regeln“ leben. Dies kann sogar zu einer Entstehung paralleler Rechtssysteme in dem betreffenden Land führen. In der No-Go-Zone, die es nicht gibt und die es doch gibt, ist die Polizei nicht mehr Herr der Lage. Als Jo-Jo-Effekt ist jedoch auch vor den Gefahren einer Verschärfung der politischen Extreme (z. B. Fremdenfeindlichkeit) zu warnen (Póczik 2006, 32 – 33). Migranten können von bestimmten politischen Kräften leicht mit kriminellen Risikoprofilen in Verbindung gebracht werden, was rassistische Tendenzen verstärken kann (Albrecht 2006, 23) bzw. als Bezugsgrundlage für die Verbreitung stigmatisierender Kriminalpolitik dienen kann (Albrecht 2002, 31). Einflussnahme auf Migrantengruppen bietet günstige Gelegenheiten für verschiedene Geheimdienste (Laufer 2013, 69 – 70). Der Flüchtlingszustrom, mit dem Europa heute konfrontiert ist, würde eindeutig erfordern, dass die politischen Entscheidungsträger die finanziellen und personellen Ressourcen erhöhen, die für nationale Sicherheitszwecke eingesetzt werden sollen (Resperger 2017, 57 – 61). Die neue Migration, die derzeit stattfindet, bedeutet einen massiven Zustrom von Menschen, der keinen gründlichen „Sicherheitsfilter“ auf der Ebene der nationalen Sicherheit ermöglicht; das Feedback auf diesem Gebiet ist nur minimal (Csatlós 2014, 165).

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Man kann nur hoffen, dass verschiedene Terroristengruppen ihre Zellen nicht eingeschleust haben bzw. einschleusen (Ko˝ halmi 2017, 80).

5. Schlussbemerkungen Sicherheit ist ein bestimmender politischer Mainstream unserer Zeit (Albrecht 2006, 3), der Jolly Joker der Politiker, die eine Null-Toleranz-Politik empfehlen (Albrecht 2016, 131). Durch die Propagierung des Schlagworts Sicherheit kann jede gemeine Idee oder jedes gemeine Ziel an die Öffentlichkeit verkauft werden. Es gibt jedoch ein Sicherheitsproblem, das heutzutage noch relativ oberflächlich behandelt wird, nämlich das Problem des Klimawandels und der damit einhergehenden Folge des Wassermangels, der an die Tür Europas klopft. Einige multinationale Unternehmen privatisieren bereits das Trinkwasser und die apokalyptisch-futuristischen Bilder von Mad-Max-Filmen könnten sogar Realität werden. Wer die Kontrolle über das Wasser hat, wird der Herr sein. Trinkwasser wird in absehbarer Zeit von Polizei, Sicherheitskräften und Freiwilligen bewacht werden. Dies ist die größte Sicherheitsherausforderung der Menschheit. Aber auch wenn diese nicht ganz so schmeichelhafte Vision Wirklichkeit werden sollte, sollte man die richtige Einstellung nicht aufgeben: in dubio pro libertate. Literaturverzeichnis Ádám, A. (1997): Értékek és értékelméletek. Társadalmi Szemle LII/5, S. 3 – 20. Ádám, A. (2002): Az alkotmányi értékek fejlo˝ dési irányairól. JURA 8/1, S. 5 – 20. Ádám, A. (2005a): A biztonság az értékek között. JURA 11/1, S. 33 – 41. Ádám, A. (2005b): A biztonság mint jogi érték, in: Á. Balogh & S. Hornyák (Hrsg.), Tanulmánykötet Erdo˝ sy Emil professzor 80. születésnapja tiszteletére. Pécs, S. 13 – 30. Ádám, A. (2006): A jogi alapértékek harmóniája és versengése. Polgári Szemle 2/7 – 8, S. 26 – 41. Ádám, A. (2008): Az alkotmányos jogállam újszeru˝ feladata és mu˝ ködése, in: F. Csefkó (Hrsg.), Ünnepi kötet Ivancsics Imre egyetemi docens, decan emeritus 70. születésnapjára. Pécs, S. 45 – 58. Ádám, A. (2009): A magyar alkotmányos jogállam fejlesztési leheto˝ ségeiro˝ l. Társadalomkutatás 27/4, S. 423 – 439. Ádám, A. (2010): Az alkotmányi értékek értelmezéséro˝ l. JURA 16/2, S. 115 – 127. Albrecht, H.-J. (2000): A bünteto˝ jog európaizálódása és a belso˝ biztonság Európában. Belügyi Szemle 48/3, S. 17 – 41. Albrecht, H.-J. (2002): A bu˝ nözésben mutatkozó változások, ezek okai és a kriminálpolitika szerepe. Belügyi Szemle – Külföldi Figyelo˝ , S. 3 – 42.

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Der Präventionskomplex – Sicherheitsbedürfnis, Innere Sicherheit und Sicherheitsforschung in Zeiten terroristischer Bedrohung Von Andreas Armborst

1. Einleitung1 Die Auswirkungen terroristischer Anschläge reichen bis tief in die Gesellschaft. Terrorakte richten materiellen Schaden und menschliches Leid an, und sie beeinflussen darüber hinaus das Sicherheitsempfinden der Bevölkerung als Ganzes. Obwohl Terrorismus per definitionem und de facto Furcht verbreitet, gibt es bisher erstaunlich wenig empirische Forschung über Entstehung, Ausmaß und die sozialen Folgen terrorismusbezogener Ängste, während kriminologische Studien zur Furcht vor Alltagskriminalität ein etabliertes Forschungsfeld ausmachen. Zahlreiche Studien bestätigen, dass Menschen unterschiedliche Arten von Unsicherheiten hinsichtlich Kriminalität äußern. Klar unterscheiden lässt sich z. B. die Angst davor, selber Opfer eines Verbrechens zu werden (personale Kriminalitätsfurcht), von der Angst vor Kriminalität als einem sozialen Problem, das nicht die eigene Person, sondern die Gesellschaft als Ganzes bedroht (soziale Kriminalitätsfurcht).2 Auch beim Terrorismus lassen sich diese beiden Ängste differenzieren. In Umfragedaten von 2012 aus dem „Barometer Sicherheit“ des Max-Planck-Instituts für ausländisches und Internationales Strafrecht äußert jeder Zehnte (10 Prozent) der 2525 befragten Personen „starke Sorgen Opfer eines terroristischen Anschlags zu werden“, wohingegen schon mehr als jeder Vierte (29 Prozent) „gesellschaftliche Sorgen vor terroristischen Anschlägen“ äußert.3 Eine ähnlich hohe Differenz zwischen diesen beiden Ängsten, aber auf insgesamt höherem Niveau zeigt sich auch bei Umfragen, die unmittelbar nach der Serie von Anschlägen im Sommer 2016 durchgeführt wurden. So hatten zu diesem Zeitpunkt drei Viertel der Deutschen

1 Dieser Beitrag erschien zuerst unter dem gleichen Titel in Rechtswissenschaft 10/4, S. 435 – 451. Für die freundliche Genehmigung zum Zweitdruck möchten wir uns bei den Herausgebern der Zeitschrift und beim Verlag NOMOS herzlich bedanken. Der Autor dankt außerdem Frederike Wistuba für ihre Hilfe bei der Überarbeitung des Manuskripts. 2 Vgl. Boers 1991. 3 Vgl. Haverkamp, Hummelsheim & Armborst 2013.

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(73 Prozent) Angst davor, dass „terroristische Vereinigungen Anschläge verüben“,4 aber nur etwas mehr als ein Drittel (36 Prozent) hatten Angst davor „selber einmal von einem Anschlag betroffen zu sein“.5 Insgesamt waren 2017 laut einer Langzeitstudie Terrorismus und politischer Extremismus die beiden größten Ängste der Deutschen.6 Gesellschaftliche Verunsicherung solchen Ausmaßes erzeugt unweigerlich politischen Handlungsdruck. Lösungen wie „Wegsperren für immer“, „Ende der Verständnispädagogik“ oder Forderungen nach Wiedereinführung der Todesstrafe sind typische Reaktionen von weiten Teilen der Öffentlichkeit auf sogenannte Signal Crimes (z. B. Sexualstraftaten), zu denen auch der Islamistische Terrorismus gehören dürfte.7 Auch angesichts der verbreiteten Befürchtung vom „Kontrollverlust des Staates“ reagiert dieser auf terroristische Bedrohungen mit besonderer Entschlossenheit, um Stärke zu demonstrieren und um die Innere Sicherheit zu gewährleisten. Dass der Staat die Innere Sicherheit gewährleistet, erscheint auf den ersten Blick selbstverständlich. Was aber die „Innere Sicherheit“ heute und in Zukunft genau ausmacht, darüber gibt es unterschiedliche Vorstellungen. Der vorliegende Beitrag liefert keine neuen empirischen Erkenntnisse über die Beziehungen zwischen Terrorismus, Sicherheitsbedürfnissen der Bevölkerung und staatlichen Maßnahmen zur Prävention des Terrorismus. Stattdessen trifft er konzeptionelle und definitorische Vorüberlegungen für künftige Studien auf diesem Gebiet. Dazu nimmt er Bezug zur Schweizer „Studienreihe Sicherheit“, die Indikatoren zur Messung terrorismusbezogener Unsicherheiten enthält und die sich auch für den bundesdeutschen Kontext adaptieren lassen dürften. Die Studie gibt darüber hinaus ein aufschlussreiches Bild, wie die Schweizer Bevölkerung zwischen ihrem Schutzbedürfnis und der Einschränkung ihrer Freiheitsrechte durch die Terrorismusbekämpfung abwägt. Der Schlussteil des vorliegenden Aufsatzes schließt daran an, beschreibt staatliche Reaktionen gegen den Terrorismus und zielt dabei insbesondere auf das ihnen innewohnende Verständnis von Sicherheit ab.

2. Furcht vor Terrorismus, Sicherheitsbedürfnis und Punitivität Signal crimes sind definiert durch ihren überproportionalen Einfluss auf die Kriminalitätsfurcht und das Sicherheitsempfinden.8 Studien deuten darauf hin, dass be4 R+V Versicherung 2016; https://www.ruv.de/presse/aengste-der-deutschen/aengste-derdeutschen-langzeitvergleich [13. 12. 2019]. 5 Befragung von TNS Infratest 26./27. Juli, in: DER SPIEGEL 31/2016, 16. Die Befragung fand unmittelbar nach den Anschlägen von München, Würzburg und Ansbach statt. 6 R+V Versicherung, 2016; https://www.ruv.de/presse/aengste-der-deutschen/aengste-derdeutschen-langzeitvergleich [13. 12. 2019]. 7 Innes & Fielding 2002, 1. 8 Innes & Fielding 2002, 1.

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stimmte Delikte (insbesondere Sexualdelikte) mehr Furcht evozieren, als andere Delikte. Terrorismus ist aufgrund seiner intendierten Absicht Furcht zu verbreiten ein signal-crime par excellence. Kriminalitätsfurcht wiederum beeinflusst, wie Personen gegenüber staatlich-repressiven Maßnahmen und härteren Kriminalstrafen eingestellt sind (sogenannte punitive Einstellungen).9 Dieser Einfluss verläuft nicht linear und selbst die Richtung der Kausalität ist nicht abschließend geklärt. Ergebnisse deuten aber darauf hin, dass die soziale Kriminalitätsfurcht (Angst vor Kriminalität als eine Bedrohung für die Gesellschaft) einen stärkeren Einfluss auf die Formierung punitiver Einstellungen hat, als die individuelle Kriminalitätsfurcht (Angst vor Kriminalität als eine Bedrohung für die eigene Person).10 Eine mögliche theoretische Erklärung dieses empirisch beobachtbaren Zusammenhangs besagt, dass Personen härtere Strafen und repressiveres Vorgehen speziell für solche kriminellen Bedrohungen befürworten, die außerhalb ihres persönlichen Einflussbereiches liegen (locus of control).11 Gegen individuelle Viktimisierung im eigenen Einflussbereich kann man sich durch entsprechende Gegenmaßnahmen (z. B. Einbruchsschutz, Selbstverteidigung) ggf. noch selber schützen, gegen Kriminalität als eine Bedrohung für das gesellschaftliche Miteinander hilft nach punitiver Sichtweise nur ein hartes Durchgreifen des Staates. Aus den in der Einleitung zitierten Umfragedaten geht hervor, dass Menschen in Deutschland den Terrorismus vor allem als eine Bedrohung gegen die Gesellschaft ansehen, und nur im geringeren Maße als eine direkte Gefahr für sie persönlich. Das begründete die Annahme, dass Terrorismus in einem engen Zusammenhang mit Punitivität steht. Eingehendere kriminologische Studien, die diesen vermuteten Zusammenhang untersuchen, gibt es für Deutschland bisher noch nicht. Hier mangelt es alleine schon an einem einheitlichen Erhebungsinstrument zur Erfassung von terrorismusbezogenen Ängsten und Sicherheitsempfinden. 2.1 Die Schweizer Studienreihe „Sicherheit“ Für die Schweiz hingegen liegen entsprechende Daten aus Längsschnittstudien vor. Die Eidgenössische Technische Hochschule (ETH) Zürich erhebt seit 1999 jährlich u. a. das Sicherheitsempfinden der Schweizer (wahlberechtigten) Bevölkerung.12 Die Umfragedaten aus den jüngeren Erhebungswellen zeigen außerdem detailliert, wie die Schweizer Bevölkerung die Bedrohung durch den Terrorismus wahrnimmt und welche Meinungen sie über staatlich-repressive und -präventive Maßnahmen gegen ihn vertritt.

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Armborst 2017, 464. Armborst 2014, 129. 11 Rotter 1966, 1; Armborst 204, 477. 12 Vgl. Tresch & Wenger 2018. 10

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Zur Messung der (personalen) Kriminalitätsfurcht verwendet die Schweizer Sicherheitsstudie den sogenannten Standardindikator, der auf einer 4-stufigen Skala danach fragt: „Wie sicher fühlen Sie sich nach Einbruch der Dunkelheit alleine zu Fuß in der eigenen Wohngegend?“.13 Zur Erfassung der Terrorismusfurcht gibt es bisher keinen Standardindikator. Da die Studienautoren hier nicht auf ein vielfach erprobtes Fragebogenitem zurückgreifen konnten, entwickelten Sie zur Messung terrorismusbezogener Unsicherheiten einen neuen Indikator. Dieser fragt auf einer 4stufigen Skala „Wie sicher fühlen Sie sich an öffentlichen Orten, wo es viele Leute hat, zum Beispiel an Sportanlässen, Konzerten und Bahnhöfen?“. Ob diese Frage tatsächlich Terrorismusfurcht oder vielleicht Kriminalitätsfurcht im öffentlichen Raum (anstatt im eigenen Wohnumfeld) misst, bleibt vorerst offen, und müsste z. B. durch kognitive Pretests näher untersucht werden. Aber vor dem Hintergrund, dass terroristische Anschläge an öffentlichen und belebten Plätzen stattfinden, ist es erst einmal plausibel davon auszugehen, dass eine wahrgenommene terroristische Bedrohung das Antwortverhalten beeinflusst. Geht man davon aus, dass diese beiden Indikatoren zum einem Kriminalitätsfurcht und zum anderen Terrorismusfurcht valide und reliabel abbilden, zeichnet sich in den Ergebnissen der Schweizer Sicherheitsstudie ein ungefähres Bild vom Zusammenhang zwischen Angst vor Terrorismus und dem Sicherheitsbedürfnis. Zum einen zeigt sich, dass die Mehrheit der Bevölkerung (55 Prozent) den Schutz ihrer persönlichen Freiheit höher bewertet, als den Schutz ihrer persönlichen Sicherheit im Allgemeinen. Die Terrorismusfurcht (c = .20) korreliert dabei stärker als die Kriminalitätsfurcht (c = .17) mit der Präferenz für persönliche Sicherheit auf Kosten der persönlichen Freiheit.14 Bezieht man in die Frage nach dem präferierten Verhältnis zwischen Sicherheit und Freiheit explizit den Kampf gegen den Terrorismus ein, zeigt sich hingegen ein ganz anderes Meinungsbild: fast zwei Drittel der befragten Personen (64 Prozent) bewerten den Schutz vor Terrorismus höher als den Schutz ihrer persönlichen Freiheit.15 Auch fällt hier die Korrelation zwischen Terrorismusfurcht und Schutzabwägung (Schutz vor Terrorismus vs. Schutz der persönlichen Freiheit) mit c = .22 noch einmal höher aus, und bleibt bei multivariater Kontrolle sozialdemografischer Variablen (Alter, Geschlecht, Bildung) robust.16 Schließlich befürworten ebenfalls fast zwei Drittel (63 Prozent) der Bevölkerung den präventiven Freiheitsentzug als Mittel zur Verhinderung von terroristischen Anschlägen. Als Grund für die im Vergleich zu den Vorjahren höheren Zustimmungsraten vermuten die Autoren ebenfalls die zum Zeitpunkt der Erhebung (2018) aktu13

Kury et al. 2004, 141; Reuband 2000, 185. Tresch & Wenger 2018, 102. 15 Tresch & Wenger 2018, 103. Fragebogenitem: „Für unsere Sicherheit ist es wichtig, dass wir den Terrorismus mit allen Mitteln bekämpfen, auch wenn dabei unsere persönliche Freiheit eingeschränkt werden muss.“ 16 Tresch & Wenger 2018, 104. 14

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elle „Diskussion über den Umgang mit Dschihad-Reisenden und RückkehrerInnen […] und Prozessen gegen mutmaßliche TerroristInnen, welche in der Schweiz einen Anschlag geplant haben“.17 In Bezug auf den Islamistischen Terrorismus hält mehr als ein Drittel der Schweizer Bevölkerung (35 Prozent) die Überwachung von Moscheen für ein probates Mittel terroristische Anschläge zu verhindern.18 Insgesamt stützen die Ergebnisse aus der Studienreihe Sicherheit die These, dass wahrgenommene Bedrohungen außerhalb des eigenen Einflussbereiches (Terrorismus im öffentlichen Raum) die Akzeptanz freiheitseinschränkender Maßnahmen tendenziell stärker erhöhen, als Bedrohungen innerhalb der eigenen Einflusssphäre (Kriminalität im eigenen Wohnumfeld). Wie stark dieser Einfluss in Abhängigkeit von weiteren Einflussfaktoren variiert, kann hier nicht abschließend geklärt werden. 2.2 Datenlage in Deutschland Für Deutschland liegen Ergebnisse aus vergleichbaren Studien bedauerlicherweise nicht vor, während die (personale und soziale) Kriminalitätsfurcht nicht zuletzt durch die Befragung von rund 35.000 Personen (2012 und 2017/18) im Rahmen des Deutschen Viktimisierungssurveys als gut erforscht angesehen werden kann.19 Gerade weil Terrorismus, anders als gewöhnliche Kriminalität, ganz gezielt Furcht erzeugen soll, wäre es aber aufschlussreich – analog zu Studien über die Verbreitung und Ursachen von Kriminalitätsfurcht – die sozialpsychologischen und sozialstrukturellen Mechanismen zu untersuchen, durch die sich diese Furcht verbreitet. Gegen eine solche Forschungsagenda spricht wiederum, dass ihre Ergebnisse auch den Terroristen Anhaltspunkte für den Erfolg ihrer Strategie liefern könnten (Stichwort Dual Use). Die Bevölkerung hat ein legitimes Bedürfnis nach Sicherheit und dem Schutz vor terroristischer Bedrohung. Dieser Abschnitt regt an, zu untersuchen wie sozialpsychologische Einflussfaktoren die Ausprägung terrorismusbezogener Unsicherheiten beeinflussen und welche politischen Forderungen sich daraus auf der kollektiven Ebene ergeben. Ein solches Forschungsthema kann auf kriminologischen Studien zur Kriminalitätsfurcht und Punitivität aufbauen. Eine mögliche Plattform für entsprechende Untersuchungen könnte in Zukunft der deutsche Viktimisierungssurvey sein. Der Rat für Sozial- und Wirtschaftsdaten sagt in seiner Stellungnahme zum Konzept der Bund-Länder-Projektgruppe „Verstetigung einer bundesweiten Dunkelfeld-Opferbefragung“: „Insbesondere das subjektive Kriminalitäts- und Sicherheitsempfinden der Bevölkerung ist ein wichtiger politischer Indikator und interagiert mit weiteren Politikfeldern. […] Neben der Viktimisierung ist auch das subjektive Sicherheitsempfinden der Bevölkerung ein ele17 „… dass Personen auch auf den blossen Verdacht hin, dass sie eine Tat planen, verhaftet und vorsorglich eingesperrt werden können“ – Tresch & Wenger 2018, 105. 18 Ferst & Tresch 2018, 6. 19 Vgl. Guzy, Birkel & Mischkowitz 2015.

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mentarer Bestandteil des Surveys. Aus wissenschaftlicher Perspektive und im Sinne einer evidenzbasierten Politikberatung ist es wichtig, außerdem auch Informationen mit Bezug zu übergeordneten gesellschaftspolitischen Fragestellungen und Diskursen mit den Daten aus den Viktimisierungssurveys in Verbindung setzen zu können.“20

Der nächste Abschnitt widmet sich den staatlichen Maßnahmen zur Herstellung von Sicherheit, insbesondere aus dem Bereich der Terrorismusprävention.

3. Prävention von Terrorismus und gewaltbereitem Extremismus Eine kriminologische Anomalie des Terrorismus ist die Art und Weise wie der Staat auf dieses Verbrechen reagiert. Überspitzt könnte man sagen: Als Reaktion auf gewöhnliche Kriminalität wendet der Staat das Strafrecht auf die Täter an; als Reaktion auf den Terrorismus passt der Staat das Strafrecht an die Täter an. Gewöhnliche Kriminalität, gleich welchen Ausmaßes, rührt normalerweise nicht in dem Maße an den Grundfesten des Rechts, wie es die Bedrohung durch den Terrorismus tut. Rechtswissenschaftler stellen z. B. eine immer konsequentere Übernahme der Präventionslogik im Strafrecht und Gefahrenabwehrrecht fest, durch die Strafbarkeit und Eingriffsbefugnisse immer weiter ins Vorfeld verlagert werden.21 Der Staat hat die Aufgabe seine Bürger zu beschützen (Thomas Hobbes), ohne dabei selber zu einer Gefahr für deren Grundrechte zu werden (John Locke). Staatliches Handeln mit diesem Ziel rekurriert auf den Begriff der Sicherheit (z. B. Innere Sicherheit, öffentliche Sicherheit). Damit wiederum eng verbunden sind Konzepte wie Gefahrenabwehr und Prävention. Entsprechende Normen, wie das Strafrecht (StGB und StPO), das Gefahrenabwehrecht und die Polizeigesetze der Länder regeln die Befugnisse der Sicherheits- und Justizbehörden.22 Aber nicht nur im Recht hinterlassen die Forderungen nach „mehr Sicherheit“ ihre Spuren. Die Rationalität der Sicherheit expandiert buchstäblich in Zeit und Raum, und dringt dabei auch in gesellschaftliche Bereiche vor, die traditionell nicht für Aufgaben der Inneren Sicherheit zuständig sind. Insbesondere bei Ansätzen gegen den Terrorismus verschwimmen die Grenzen zwischen staatlicher Gefahrenabwehr und zivilgesellschaftlicher Prävention zunehmend. Zivile Beratungsstellen z. B. im Bereich der Ausstiegsarbeit sind angehalten den Sicherheitsbehörden unter bestimmten Voraussetzungen Auskünfte über Ihre Klienten zu erteilen. Die hierzu geschaffenen Formate für diesen Informationsaustausch (z. B. die UAG Früherkennung) werden insbesondere von Vertretern der Zivilgesellschaft kritisch gesehen.23 Sie fordern z. B. ein Zeugnisverweigerungsrecht für Fallberater.24 20

Rat für Sozial- und Wirtschaftsdaten (RatSWD) 2018, 8. Vgl. Müller 2011; Carvalho 2017. 22 Für eine umfangreiche kommentierte Sammlung einschlägiger Gesetze siehe Schenke, Graulich & Ruthig 2019. 23 Siehe auch Gemeinsames Terrorabwehrzentrum (GTAZ) 2012. 21

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Extremismusprävention ist in Deutschland und in anderen Ländern zu einem neuen Berufsfeld avanciert, das neue juristische Fragen aufwirft.25 In Schulen, Sozialen Netzwerken, in Familien, Justizvollzugsanstalten, Vereinen, Moscheen und im Wohnquartier arbeiten Menschen in Deutschland täglich daran, Anzeichen von Radikalisierung frühzeitig zu erkennen und diesen Tendenzen entgegenzuwirken. Die Vernetzung mit den Sicherheitsbehörden ist in vielen Bundesländern und auf Bundesebene fester Bestandteil ihrer Strategie gegen gewaltbereiten Extremismus. Die Zusammenarbeit von staatlichen Justiz- und Sicherheitsbehörden mit zivilen Einrichtungen im Bereich der Extremismusprävention könnte die immer weiter fortschreitende Vorfeldverlagerung im Präventivstrafrecht begrenzen, weil die sozialen Berufsfelder Prävention nicht so sehr als Mittel zur Herstellung Innerer Sicherheit begreifen. Ihre Arbeitsansätze schränken folglich auch nicht die Freiheitsrechte ihrer Klienten in dem Maße ein, wie etwa strafverfolgende Behörden. Dem entgegen stehen könnte ein von Kriminologen als net-widening26 bezeichneter Effekt: Erst durch die Kooperation mit zivilgesellschaftlichen Präventionsakteuren geraten immer mehr Menschen in den Fokus von Sicherheitsbehörden, die ansonsten gar nicht zum Ziel staatlicher Überwachung geworden wären. 3.1 Terrorismusprävention durch Strafrecht „Der Begriff der inneren Sicherheit ist in keinem Gesetz definiert oder geregelt. Er bezeichnet vielmehr eine Vielzahl an Maßnahmen und Instrumenten, die dem Schutz einer staatlichen Ordnung und der Bürger dieses Staates dienen.“27 Der Begriff Sicherheit ist dabei nicht nur juristisch, sondern auch allgemeinsprachlich sehr abstrakt, weil er von sich aus erst einmal überhaupt keine Anhaltspunkte gibt, wodurch dieser (Ideal-)Zustand definiert sein könnte.28 Die implizite Definition von „Sicherheit“ in den entsprechenden Gesetzen erscheint zirkulär. Definiert man Sicherheit als die Abwesenheit von Gefahren, erklärt man einen undeutlichen Begriff mit einem Anderen: „Dangers are dangers for someone – for specific individuals or groups or species, under certain conditions – nothing is dangerous as such. On the other hand, anything and everything has the potential to become a danger to something or someone. All that is required is that there are interests or values that the thing may adversely affect.“29

Sicherheit beschreibt demnach also einen Zustand, bei dem die Interessen von Einzelpersonen, Gruppen oder eines ganzen Staates geschützt sind. Rechtlich aner24

Baaken et al. 2018, 24. International ist für dieses Handlungsfeld die Bezeichnung CVE/PVE (Countering/ Preventing Violent Extremism) gebräuchlich. 26 Vgl. Cohen 1985. 27 Vgl. Jesse & Urban 2013. 28 Valverde 2011, 5. 29 Garland 2003, 51. 25

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kannte Interessen, die durch die staatlichen Institutionen geschützt sind, bezeichnet man als Rechtsgüter.30 Definiert man Sicherheit folglich als die Abwesenheit von Gefahren für Rechtsgüter, dann wandert die Bürde der Definition für den Begriff der Sicherheit über den Begriff der Gefahr zum Rechtsgüterbegriff.31 Hypothetisch jedenfalls kann jedwedes Interesse den Status eines Rechtsgutes erreichen, wenn es gelingt dieses Interesse im öffentlichen Diskurs zu einer Frage der (Inneren) Sicherheit zu erheben. Dieser definitorische Regress bringt uns zurück zur Ausgangsfrage: Was ist Sicherheit und was gefährdet diesen Zustand? „[D]a es nichts gibt, was nicht als Bedrohung wahrgenommen oder zur Bedrohung deklariert werden könnte, kann alles zur Zielscheibe präventiver Anstrengungen werden.“32 Verfassungsrechtliche Grenzen schützen das Strafrecht vor den Ambitionen des Staates „alles zu versicherheitlichen“. Insbesondere die Anforderungen der Terrorismusprävention fordern die verfassungsrechtlichen Grenzen des Strafrechts und des Gefahrenabwehrrechts aber in besonderer Weise heraus.33 Ein Blick auf die vier (relativen) Strafzwecktheorien34 lässt erkennen, warum das Strafrecht von seiner dogmatischen Auffassung her nicht besonders geeignet erscheint Terrorismus zu verhindern. Abschreckung durch Strafandrohung (negative Generalprävention) scheint wenig geeignet für politisch oder religiös motivierte Personen, die bereit sind ein persönliches Opfer für eine als gerecht empfundene Sache zu erbringen, und die staatliche Repression ohnehin als gegebenen, wenn nicht gar als Legitimation für ihr Handeln ansehen.35 Die Positive Generalprävention soll durch die unermüdliche Sanktionierung von Normbrüchen das Vertrauen der Bevölkerung in die Gültigkeit von Regeln stärken, obwohl diese offensichtlich ständig verletzt werden.36 Gerade häufige und regelmäßige Regelverletzungen (z. B. Ladendiebstahl) können das Vertrauen in die prinzipielle Gültigkeit der Regel zusätzlich erodieren. Für terroristische Gewalt ist der Effekt der positiven Generalprävention vermutlich schwach. Terroristische Ereignisse sind so außergewöhnlich und so ungeheuerlich, dass es schlichtweg nicht notwendig er30

Jakobs 2012, 22. „Nach allgemeiner Auffassung liegt eine ,Gefahr‘ vor, wenn eine Sachlage oder ein Verhalten bei ungehindertem Ablauf des objektiv zu erwartenden Geschehens mit Wahrscheinlichkeit ein polizeilich geschütztes Rechtsgut schädigen wird.“ – BVerGE 45, 51 (57). 32 Bröckling 2008, 39. 33 Vgl. Steinsiek 2012; Thiel 2011. 34 Siehe z. B. Hörnle 2017. 35 Vgl. Black 2004. 36 Die soziologische Theorie spricht von „kontrafaktischer Normstabilisierung“, um die Fähigkeit von sozialen Systemen zu beschreiben, an Erwartungen festzuhalten, obwohl diese Erwartungen fortwährend faktisch enttäuscht werden (contra factum). In diesem Sinne ist Terrorismus, anders als z. B. Steuerhinterziehung, kein kontrafaktisches Ereignis, weil die Menschen in Übereinstimmung mit ihrer sozialen Erwartung erleben, dass Terroranschläge gegen gesellschaftliche Regeln verstoßen und dieser Erwartung entsprechend auch tatsächlich selten stattfinden (zumindest in westlichen Gesellschaften). Vgl. Luhmann 1993. 31

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scheint, die Bevölkerung daran zu erinnern, dass Anschläge, obwohl Personen sie hin und wieder begehen, prinzipiell verboten sind. Anders als z. B. das Schwarzfahren hat das willkürliche Töten unschuldiger Personen nicht das Potential die Gültigkeit der Norm als solche in Frage zu stellen. Bei Kriminalität im Vorfeld eines Anschlages (z. B. Finanzierung ausländischer Terrororganisationen) hingegen erscheint die positive Generalprävention eher zweckmäßig. Während das Strafrecht auf der gesellschaftlichen Ebene kaum (general-)präventive Strahlkraft auf den Terrorismus haben dürfte, kann es auf der individuellen Ebene mitunter mehr bewirken. Ein Aspekt der sogenannten Spezialprävention ist die Sicherung: Eine Person, die eine Haftstrafe verbüßt stellt in der Regel keine unmittelbare Gefahr mehr für die Öffentlichkeit dar (negative Spezialprävention). Inwiefern die Hafterfahrung Personen abgeschreckt oder aber ermutigt, ihre extremistische Karriere innerhalb und außerhalb des Vollzugs fortzusetzen, ist eine andere Frage. Auch gibt es Fälle, bei denen eine Islamistische Radikalisierung erst durch Kontakte zu Mithäftlingen aus der islamistischen oder salafistischen Szene im Vollzug in Gang gesetzt oder verstärkt wurde. Terrorismusprävention durch Freiheitsentzug ist ferner möglich durch Polizeigewahrsam (auch Unterbindungsgewahrsam oder Präventivhaft), Abschiebehaft, Untersuchungshaft, nachträgliche Sicherungsverwahrung und den Maßregelvollzug.37 Berücksichtigt man, dass viele Anhänger des sogenannten Islamischen Staates Jugendliche sind, kann man diese Aufzählung noch durch die Jugendstrafe bzw. den Jugendarrest erweitern. Neben dem Zweck der Abschreckung und Sicherung ist das deutsche Strafrecht stark geprägt durch das Ideal der Rehabilitation von Straffälligen (positive Spezialprävention). In der Vollzugspraxis erweist sich die Umsetzung dieses Ideals allerdings häufig als schwierig. Für rechtsextremistische Straftäter existieren zwar etablierte Ausstiegsprogramme. Die Resozialisierung islamistisch motivierter Straftäter steht im Vergleich dazu in ihrer praktischen Entwicklung und kriminologischen Erforschung noch ganz am Anfang.38 Als Zwischenfazit lässt sich festhalten, dass das Strafrecht als Instrument zur Ahndung von begangenen Straftaten augenscheinlich kein besonders effektives Instrument zur Prävention von Terrorismus sein kann. Sicherung und die Rehabilitierung dürften dabei die wichtigsten Strafzwecke darstellen. „Um die angestrebte präventive Wirkung mit der repressiven Natur des Strafrechts zu verbinden, greift der Gesetzgeber zunehmend auf den Ansatz des strafrechtlichen Vorfeldschutzes zurück.“39 Diesen Trend sehen viele Rechtswissenschaftler kritisch.40 Demnach werden für die Terrorismusbekämpfung zunehmend Handlungen unter Strafe gestellt, die (noch) keine Rechtsgüter verletzen.41 Straftatbestände wie die Vorbereitung einer 37

Vgl. Müller 2011. Gerlach & Pfalzer 2015, 295. 39 Chalkiadaki 2017, 20; Ashworth & Zedner 2014, 4. 40 Vgl. Huster & Rudolph 2008. 41 Biehl 2015, 304.

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schweren staatsgefährdeten Gewalttat (§ 89a StGB) betreffen die vorsätzliche Vorbereitung von anderen Straftaten, deren Begehung erst eine tatsächliche Rechtsgutverletzung nach sich ziehen würde (Gefährdungsdelikte als mala prohibita statt mala in se).42 Befürworter der Vorfeldkriminalisierung, wie Jakobs und Pawlik argumentieren, dass sie vor allem Personen beträfe, die gewissermaßen selbstgewählt außerhalb unserer Rechtsordnung stehen und für die folglich andere Maßstäbe gelten müssten.43

3.2 Terrorismusprävention durch polizeiliche Gefahrenabwehr Die Abwehr unmittelbar bevorstehender Gefahren regelt das Gefahrenabwehrrecht, d. h. „die Gesamtheit der verwaltungsrechtlichen Vorschriften […] die auf die Verhinderung und Beseitigung von konkreten Gefahren zielt und auf kurzfristig wirksame Maßnahmen angelegt ist“.44 Insbesondere die Polizeigesetze der Länder regeln die Eingriffsbefugnisse der Polizei zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit.45 Die Schuld einer Person muss zur Anwendung von anlassbezogenen Maßnahmen zur Gefahrenabwehr nicht erst festgestellt werden.46 In sogenannten Fusion Centers, wie dem Gemeinsamen Terrorismusabwehrzentrum (GTAZ), dem Gemeinsamen Extremismus- und Terrorismusabwehrzentrum (GTEZ) und den Gemeinsames Internetzentrum (GIZ) fassen Behörden (BKA, LKÄ, BfV, LfV, BAMF und andere) ihre Erkenntnisse zu täglichen Lagebewertungen zusammen. Die „,AG Operativer Informationsaustausch‘ empfiehlt und koordiniert dann unter Berücksichtigung des Trennungsgebots Maßnahmen der Gefahrenabwehr und Strafverfolgung, insbesondere für als ,Islamistische Gefährder‘ oder ,relevant‘ eingestufte Personen“.47 Parallel zur Vorfeldverlagerung der Strafbarkeit beobachten Kriminologen und Rechtswissenschaftler auch im Bereich des Gefahrenabwehrrechts einen Trend, Eingriffsbefugnisse auszuweiten auf Sachlagen, die an sich noch keine Gefahr darstellen, aber geeignet sind eine Gefahr herbeizuführen.48 In diesem Zusammenhang spricht man von der sogenannten „Gefahrenvorsorge“, oder von „Prävention II“ in Abgrenzung zum klassischen Gefahrenabwehrrecht (Prävention I).49 Insbesondere Maßnahmen aus dem Bereich Gefahrenvorsorge (Videoüberwachung, Schleierfahndung, Vorratsdatenspeicherung) schüren Befürchtungen in Tei42

Vgl. Puschke & Rienhoff 2018, 243; Bützler 2017. Bützler 2017, 141. 44 Chalkiadaki 2017, 16 f. 45 Vgl. Kretschmann & Legnaro 2019; Groß 2019. 46 Streng genommen ist das Strafrecht das Mittel für staatliche Repression und das Gefahrenabwehrrecht ein Mittel für staatliche Prävention. Als Sinn und Zweck der Strafe tritt neben der Retribution aber eben auch der Gedanke der Prävention. 47 Deutscher Bundestag 2018, 11. 48 Egbert & Paul 2018, 87. 49 Chalkiadaki 2014, 27. 43

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len der Öffentlichkeit vor einem Überwachungsstaat. Aber auch die nachrichtendienstlichen Aktivitäten der Terrorismusabwehr, die nicht Gegenstand dieses Artikels sind,50 betreffen Fragen der Rechtsstaatlichkeit und der parlamentarischen Kontrolle im Spannungsverhältnis zwischen Sicherheit und Freiheit.51 Die Enthüllungen von Whistleblowern wie Julian Assange, Chelsea Manning und Edward Snowden zeigen zudem das globale Ausmaß an Überwachungspraktiken.52 Die Fragen aus der Schweizer Sicherheitsstudie (s. o., unter 2.1) zeigen, wie die Schweizer Bevölkerung den Schutz vor Terrorismus gegenüber dem Schutz ihrer persönlichen Freiheit gewichtet (Schutz durch den Staat und Schutz vor dem Staat). Einige Indizien deuten darauf hin, dass die wahrgenommene Bedrohung durch den Terrorismus das Schutzbedürfnis der Bevölkerung verschiebt, wobei die persönliche Freiheit an Bedeutung verliert und die Akzeptanz für freiheitseinschränkende Maßnahmen der Terrorabwehr steigt. Es wurde gezeigt, dass es keinen natürlichen Fixpunkt für den (Ideal-)Zustand der Inneren Sicherheit geben kann. Sicherheit konstituiert sich über den effektiven Schutz von Rechtsgütern, die wiederum rechtlich geschützte, und prinzipiell verhandelbare Interessen abbilden. Über diesen Mechanismus kann die Rationalität der Sicherheit hypothetisch endlos expandieren. Stößt sie an verfassungsrechtliche Grenzen kann es zu Konflikten zwischen konkurrierenden Schutzbedürfnissen der Bevölkerung kommen. Die Extremismusprävention, auf die der nächste Abschnitt eingeht, kann das klassische Spannungsverhältnis zwischen Sicherheit und Freiheit entlasten, weil es weniger auf Überwachung und Strafverfolgung ausgerichtet ist, sondern mit zivilgesellschaftlichen Mitteln einen Beitrag zur Prävention von Terrorismus leistet. Gleichzeitig steigt dadurch aber das Risiko für den net-widening-effect der im Ergebnis nicht weniger, sondern mehr soziale Kontrolle durch den Staat bedeutet. 3.3 Extremismusprävention Sicherheitsbehörden können immanente terroristische Gefahren abwehren; die sozialen und politischen Ursachen von gewaltbereiter Radikalisierung erreichen sie nicht. Dieses Ziel verfolgen Ansätze der Extremismusprävention, wie bspw. Die UK Prevent Strategy,53 der US Strategic Implementation Plan for Empowering Local Partners to Prevent Violent Extremism,54 The European programme Preventing Terrorism and Countering Violent Extremis and Radicalization,55 der UN Plan of Action to Prevent Violent Extremism,56 die Strategie der Bundesregierung zur Extremis50

Hierzu siehe Dietrich & Eiffler 2017. Vgl. Poscher 2014. 52 Schulze 2015, 197. 53 Vgl. Secretary of State for the Home Department (UK) 2011. 54 Vgl. White House 2016. 55 Vgl. Organization for Security and Co-operation in Europe (OSCE) 2014. 56 Vgl. United Nations General Assembly 2015. 51

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musprävention und Demokratieförderung und das Nationale Präventionsprogramm gegen Islamistischen Extremismus (NPP).57 Die Deutschen Programme lassen den geförderten Akteuren großen Spielraum bei der Gestaltung und Umsetzung konkreter Präventionsmaßnahmen. Entsprechend vielfältig und zahlreich ist das Präventionsangebot. Eine Bestandsaufnahme von 2017 durch das BKA zählt 721 individuelle Projekte zur Prävention von Rechtsextremismus (Rex), Linksextremismus (Lex) und religiös motiviertem Extremismus (RelEx).58 Sie befanden sich zum Zeitpunkt der Erhebung etwa zur Hälfte in ziviler Trägerschaft (336) oder in staatlicher Trägerschaft auf Landes- oder Bundesebene (385).59 Der Infodienst Radikalisierungsprävention führt in seiner Datenbank Ende 2019 für den Bereich Salafismus ca. 100 Anlaufstellen.60 Das Spektrum der angebotenen Leistungen ist groß und umfasst Beratungsstellen, therapeutische Betreuung, pädagogische Maßnahmen, religiöse Seelsorge, Ausstiegsbegleitung, Aufklärung und Informationsvermittlung für Multiplikatoren, Vernetzung und vieles mehr.61 Das Handlungsfeld ist zu unstrukturiert und groß, um es hier in seiner ganzen Vielfalt beschreiben zu können.62 Grob voneinander abgrenzen kann man Ansätze, die sich an einen sehr breiten Personenkreis ohne erkennbare Anzeichen einer Radikalisierung richten (universelle und primäre Prävention); die sich an risikobelastete Personengruppen richten (selektive und sekundäre Prävention); oder die sich an einzelne strafrechtlich auffällige Personen mit klaren extremistischen Tendenzen richten (indizierte und tertiäre Prävention). Letztere unterscheiden sich noch einmal in Demobilisierungs-, Distanzierungs- und Deradikalisierungsansätze, womit jeweils unterschiedliche Behandlungsziele beschrieben werden, nämlich Verzicht auf Gewalt, Distanzierung aus extremistischen Milieus und kognitive Abkehr von extremistischen Ideologien und Einstellungen.63 Kennzeichnend für das Handlungsfeld ist, entsprechend des ganzheitlichen Ansatzes der Bundesprogramme, die Beteiligung vieler unterschiedlicher Berufsgruppen und Professionen, die jeweils ihre eigenen berufsständischen Arbeitsansätze, Ausbildungsinhalte, Mentalitäten und Denkschulen ins Spiel bringen. Qualitätsstandards, Zielvorstellungen, Berufsprofile oder berufliche Qualifizierungen für die Arbeit im Bereich der Extremismusprävention und Deradikalisierung existieren in dem Arbeitsfeld weitestgehend nebeneinander, sofern es überhaupt welche gibt. Diese Angebotsvielfalt hat den Vorteil, dass viele un57

Vgl. Bundesministerium des Innern 2017; siehe auch: Bundeszentrale für Politische Bildung (BpB) 2018. 58 Siehe Gruber & Lützinger 2017. Die Autoren haben sogar fast 2000 Projekte identifiziert, konnten aber nur für 721 ausreichend viele Informationen erheben. 59 Vgl. Gruber & Lützinger 2017. 60 Vgl. Bundeszentrale für politische Bildung (BpB) n.d. 61 Vgl. Said & Fouad 2018; Baaken et al. 2018. 62 Ausführlich dazu siehe Trautmann & Zick 2016. 63 Für eine alternative Systematisierung von Ansätzen zur Prävention gegen gewaltbereiten Extremismus siehe Köhler 2016.

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terschiedliche Formate erprobt und weiterentwickelt werden könnten. Allerdings gibt es erhebliche Widerstände und methodische Vorbehalte gegen komparative Evaluationsstudien,64 weshalb dieser Vorteil in der Praxis oft gar nicht zutragen kommt. Die Extremismusprävention erzeugt keine so unmittelbare Spannung zwischen Sicherheit und Freiheit, wie die staatlichen Maßnahmen der Überwachung und Repression. Aber auch in diesem Handlungsfeld steckt ein gewisses Konfliktpotential. Extremismusprävention birgt das Risiko, bislang unbescholtene Personen als eine (latente) Bedrohung für die Sicherheit zu stigmatisieren. Dies ist aber kein spezifisches Problem der Extremismusprävention, sondern betrifft die Prävention sozialer Probleme ganz allgemein. Für die Extremismusprävention spezifisch hingegen sind Bedenken hinsichtlich seiner inhärenten politischen Dimension: „As authorities push upstream to intervene before terrorist-related crimes are committed, we have to be careful to avoid patrolling ideologies. What seems to be a sensible preventive measure can slide into policing beliefs.“65

Extremismusprävention, so die Befürchtung, könnte Reform und politischen Wandel unterdrücken, wenn sie jede Form von Abweichung, radikalen Ideen und kritischem Denken als eine potentielle Ausprägung von Extremismus behandelt. Besonders virulent wird diese Frage im Bereich der Deradikalisierung, weil hier politische und/oder religiöse Überzeugungen zum Gegenstand staatlicher (oder staatlich geförderter) Maßnahmen werden. Leimbach et al. konstatieren in diesem Zusammenhang: „niemand, auch kein Straftäter, braucht sich dafür rechtfertigen, welche politischen oder religiösen Grundüberzeugungen er hat und wofür er eintritt […] Die verfassungsrechtliche Legitimation von ,deradikalisierenden‘ Maßnahmen ist daher jedenfalls nicht unproblematisch. […] Als abstraktes Ziel ist die Deradikalisierung […] bei einstellungsbezogener Kriminalität konsequent und verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Problematisch ist es jedoch, wenn die von den Präventionsprojekten verfolgten Ziele in diesem Punkt unklar bleiben: Ohne klar definierte Zielbestimmung fehlen die Erfolgskriterien, anhand derer sich beurteilen lässt, an welchem Punkt die präventiven Begleitung eines Betroffenen als ,erfolgreich‘ und damit als abgeschlossen angesehen werden kann oder umgekehrt als ,gescheitert‘ angesehen werden muss.“66

Und schließlich gibt es noch ein großes Erkenntnisdefizit in Hinblick auf die Wirksamkeit und Qualitätssicherung der vielen staatlich geförderten Initiativen gegen den Extremismus. Zwar sind Evaluationen in den Förderrichtlinien teilweise verbindlich vorgeschrieben, jedoch bleiben diese hinsichtlich ihres Untersuchungsziels und der dazu angewandten Methodik ebenso vage wie viele der Maßnahmen selbst, und erbringen folglich selten belastbare oder aussagekräftige Erkenntnisse.67 64

Milbradt 2019. Vgl. Jenkins, Hoffman & Crenshaw 2016. 66 Leimbach, Mathiesen & Meier 2017, 417. 67 Vgl. Armborst et al. 2018. 65

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Insgesamt betrachtet macht die Extremismusprävention in Deutschland einen wesentlichen Teil der staatlichen Reaktionen auf den Terrorismus aus. Dieser Abschnitt hat gezeigt, wie sie polizeiliche und nachrichtendienstliche Ansätze ergänzt. Zusammen bilden diese Bereiche einen Präventionskomplex, der wiederum im Zusammenhang mit dem Sicherheitsempfinden der Bevölkerung steht. Hierzu wären Studien nach dem Vorbild der Schweizer Studienreihe wünschenswert und aufschlussreich.

4. Fazit Wahrgenommene, herbeigeredete und tatsächliche Bedrohung durch den Terrorismus werden auch in Zukunft Politik, Recht und Gesellschaft prägen. Ein genaueres Verständnis über den Zusammenhang zwischen Sicherheitsempfinden sowie sicherheits- und kriminalpolitischen Forderungen erscheint daher weiterhin ein lohnendes Ziel zukünftiger sozial- und rechtswissenschaftlicher Forschung zu sein. Hans-Jörg Albrecht widmet sich diesem Themenkomplex seit langem und hat am Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Strafrecht unseren Blick für diesen Gegenstand geschärft.68 Dieser Beitrag möchte daran anschließen, indem er einen konkreten Vorschlag zur demoskopischen Erfassung terrorismusbezogener Ängste unterbreiten. Für die Messung von Kriminalitätsfurcht greifen Meinungsforschungsinstitute, der Deutsche Viktimisierungssurvey und zahlreiche weitere kriminologische Umfragen auf das sogenannte Standarditem zurück. Die ETH Zürich stützt sich zur Messung von Terrorismusfurcht auf eine im Wortlaut an dieses Item angelehnte Frage. Um die Frage an den bundesdeutschen Befragungskontext anzupassen, wäre die Benennung von Weihnachtsmärkten als ein weiteres Beispiel für öffentliche Orte sinnvoll. Nach dem Anschlag des Islamisten Anis Amri auf den Weihnachtsmarkt am Berliner Breitscheidplatz 2016, und dem Anschlag auf den Straßburger Weihnachtmarkt zwei Jahre später, sind Weihnachtsmärkte in der öffentlichen Wahrnehmung mit terroristischer Bedrohung konnotiert. Im Wortlaut der Frage könnte sich außerdem der allgemeinere Ausdruck „belebte Orte“ wiederfinden, da Befragte auch hiermit eine Anschlagsgefahr assoziieren könnten. Das Verständnis und Antwortverhalten von Befragten sollte in experimentellen Pretest genauer untersucht werden. Für den bundesdeutschen Befragungskontext könnten dann Variationen des folgenden Fragebogenitems Aufschluss über Ausmaß und Verbreitung terrorismusbezogener Unsicherheiten geben: „In Bezug auf die Gefahr durch terroristische Anschläge: Wie sicher fühlen Sie sich persönlich an belebten Orten, wie bspw. Fußgängerzonen, Weihnachtsmärkten und öffentlichen Versammlungen“.

(1) sehr sicher; (2) ziemlich sicher; (3) ziemlich unsicher; (4) sehr unsicher; (8) ich bin nie an belebten Orten (9) weiß nicht/k.A. 68

Vgl. Albrecht 2010; Albrecht 2007.

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Daran anschließend stehen zwei weitere, als Frage formulierte Fazits am Ende dieses Beitrags: erstens die offene Frage nach dem politischen Umgang mit dem Sicherheitsempfinden der Bevölkerung, und zweitens die Bedeutung der Extremismusprävention im Spannungsfeld von Sicherheit und Freiheit. Soll sich der Staat, neben der Gewährleistung der Inneren Sicherheit auch um das Sicherheitsempfinden der Bevölkerung kümmern? Kann das legitime aber subjektive Bedürfnis nach Sicherheit selbst zu einer Frage der Inneren Sicherheit werden?69 Die präventive Sicherheitsordnung wäre in dem Moment nicht mehr nur rein hypothetisch unbegrenzt, wenn das Sicherheitsempfinden der Bevölkerung Rechtsgüterstatus erlangt oder von Sicherheitsbehörden als solches angesehen würde. Christian Stöcker schrieb dazu in einer Kolumne auf SPIEGEL ONLINE: „Wer gefühlte Bedrohungen bekämpft, betreibt Sicherheitstheater, schränkt dazu im Zweifel Bürgerrechte ein und verschwendet Steuergelder.“70 Kann die Extremismusprävention das Spannungsverhältnis zwischen Sicherheit und Freiheit lockern? Einerseits schon, denn sie eröffnet den Behörden neue Möglichkeiten, sich unterhalb der Schwelle strafprozessualer oder polizeilicher Maßnahmen an radikalisierte Personen zu wenden. Dadurch könnte sich der „Präventionsdruck“, der auf dem Strafrecht und dem Gefahrenabwehrrecht lastet, abmildern. Mit anderen Worten: der Staat muss Personen nun nicht kriminalisieren, um überhaupt erst einen Ansatzpunkt für Präventionsarbeit mit ihnen zu bekommen. Die Kehrseite dieser Medaille könnte ein sogenannter net-widening-effect sein, der im Ergebnis nicht weniger sondern mehr soziale Kontrolle bedeutet.71 Verkürzt gesprochen bedeutet das, dass sich der Einfluss von Sicherheitsbehörden insgesamt ausweitet, wenn anderen Behörden oder zivilen Einrichtungen sicherheitsrelevante Präventionsaufgaben übertragen werden. Dieser Nettoeffekt (Einflusszunahme trotz Kompetenzabgabe) kommt dadurch zu Stande, dass soziale und zivile Träger einen Zugang zum Feld haben, der Sicherheitsbehörden aus rechtlichen und anderen Gründen oft verschlossen bleibt. Denkbar ist aber auch eine wechselseitige Beeinflussung, bei der soziale Fragen der Prävention zunehmend auch in die Sicherheitsbehörden hineingetragen werden. Die enge Kooperation zwischen den ansonsten „unwahrscheinlichen Partnern“ Familienministerium (BMFSFJ) und Innenministerium (BMI) im Bereich der Extremismusprävention ist hierfür ein Beispiel. Sehr pointiert formuliert läuft dies hinaus auf die Frage, ob eine Versicherheitlichung des Sozialen oder eine Versozialung der Sicherheit stattfindet. Etwas neutraler gefast, könnte man auch von einer zunehmenden Überlagerung beider Zuständigkeiten ohne klare Abgrenzung sprechen.

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Siehe hierzu Bützler 2017, 95. Stöcker 2018. 71 Vgl. Cohen 1985.

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Lokale (Un-)Sicherheiten in der Migrationsgesellschaft Von Thomas Görgen, Eva Sevenig und Jochen Wittenberg Als ab 2014 die Zahl der nach Deutschland flüchtenden und hier Asyl suchenden Menschen stark anstieg und im Jahr 2016 auch die Größenordnungen der frühen 1990er Jahre – einer Zeit, in der nach dem Zerfall der sozialistischen Regime in Osteuropa und während der Bürgerkriege im ehemaligen Jugoslawien ebenfalls viele Menschen in Deutschland Zuflucht gesucht hatten – bei weitem übertraf1, wurde dieser Umstand in vielfacher Hinsicht als Herausforderung wahrgenommen2. Starke Zuwanderung bringt stets Anforderungen an die Integrationsleistung von Gesellschaften insgesamt, wie auch insbesondere von Kommunen und Wohnquartieren mit sich (vgl. u. a. Gesemann & Roth 2009). Gerade auf kommunaler Ebene sind Fragen der Unterbringung und Versorgung von Geflüchteten und im weiteren Verlauf ihrer Integration in den verschiedenen Facetten des Begriffs (mit Bezug auf Arbeitsmarkt, Bildung, Sprache etc.) von unmittelbarer Bedeutung. Kommunalen Verwaltungen stellten sich Aufgaben, auf die sie nicht in jedem Fall hinreichend vorbereitet waren (Bogumil, Hafner & Kastilan 2017a, 2017b); von sich abzeichnenden Überforderungen wurde berichtet (Landsberg 2015). Der in den letzten Jahren intensiv geführte gesellschaftliche Diskurs um Flucht und Zuwanderung war von Beginn an in mehrfacher Hinsicht auch eine Auseinandersetzung um Fragen öffentlicher Sicherheit: • Zuwanderung und damit verknüpfte Bedrohungen gesellschaftlicher Stabilität und öffentlicher wie individueller Sicherheit wurden zu einem bedeutsamen Topos politischer Diskussionen, der von Parteien (insbesondere der AfD) und politischen Bewegungen (wie Pegida und den zahlreichen lokalen Ablegern) aufgegriffen wurde (vgl. etwa Geiges 2018; Geiges, Marg & Walter 2015; Häusler 2016). Es waren Radikalisierungstendenzen in Teilen der Bevölkerung erkennbar (Rauschenbach 2016, 3), die sich u. a. in gewalttätigem Protest, verbalen und kör1 Nach Angaben des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (2019, 5 f.) wurden in Deutschland im Jahr 2014 insgesamt 202.834 und im Jahr 2015 476.649 Asylanträge gestellt. Vergleichbar hohe Werte waren davor zuletzt in den Jahren 1991 bis 1993 verzeichnet worden; 2006 bis 2009 hatte die jährliche Zahl der Asylanträge hingegen in einer Größenordnung von nur ca. 30.000 gelegen. 2016 stieg die Zahl der Anträge auf 745.545 und war seither rückläufig (185.853 Anträge im Jahr 2018). 2 Der berühmt gewordene „Wir schaffen das!“-Satz der Bundeskanzlerin, gesprochen bei der Sommerpressekonferenz Ende August 2015, bringt den Herausforderungscharakter der Konfrontation der Gesellschaft mit starker fluchtbedingter Migration in knapper Form auf den Punkt (vgl. Schuler 2018).

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perlichen Übergriffen auf Migranten und Migrantinnen und Angriffen auf Flüchtlingsunterkünfte äußerten. • Insbesondere im Gefolge der sogenannten Kölner Silvesternacht 2015 (siehe dazu u. a. Behrendes 2016; Egg 2017) war eine starke Konzentration des öffentlichen und medialen Diskurses auf Bedrohungen der Sicherheit durch junge männliche Zuwanderer und Geflüchtete zu konstatieren. Der inhaltliche Fokus lag in Teilen auf der Befürchtung, dass mit der Zuwanderung aus muslimisch geprägten Ländern die Potenziale salafistischer Radikalisierung in Deutschland wachsen könnten, vor allem jedoch auf Gewalt- und Sexualdelikten, Eigentumskriminalität und Drogendelikten (siehe dazu auch Goeckenjan, Schartau & Roy-Pogodzik 2019). • Das Sicherheitsempfinden in Teilen der Bevölkerung erschien als beeinträchtigt, und Zuwanderung und Zugewanderte wurden zum Bezugspunkt entsprechender Befürchtungen gemacht. So sahen nach Daten des Eurobarometers im Herbst 2015 76 % der Deutschen „Einwanderung“ als größtes Problem sowohl für ihr Land als auch für die EU (Europäische Kommission 2016, 15, 18). In repräsentativen Befragungen des Sozialwissenschaftlichen Instituts der EKD zur „Flüchtlingssituation“ äußerte im Mai 2016 die Mehrzahl der Befragten Besorgnisse hinsichtlich steigender Kriminalität (65 %), eines wachsenden muslimischen Extremismus (71 %), mehr noch wegen zunehmender rechtsextremer Tendenzen (83 %; Ahrends 2017, 25). • Die Zuwanderung hat auch die Anforderungen an die Arbeit der Polizei und anderer Akteure mit Sicherheitsaufgaben geprägt. So diagnostizieren Perthus & Belina (2017) eine wesentlich von den Sicherheitsbehörden getragene Moralpanik um junge Geflüchtete in Bautzen (Sachsen) im Jahr 2016, durch die „der Kriminalisierung Geflüchteter in nationalen Diskursen eine qua Amt einflussreiche Legitimation“ gegeben wurde (S. 257). Das durch das Bundesministerium für Bildung und Forschung geförderte Projekt „Sicherheitsanalysen und -vernetzung für Stadtquartiere im Wandel“ (SiQua)3 greift diesen Diskurs in qualitativen und quantitativen Datenerhebungen und -analysen auf. Im Rahmen des Projekts werden in den Städten Berlin, Dresden und Essen Hell- und Dunkelfelddaten insbesondere für durch Zuwanderung geprägte Quartiere erhoben, die Analysen zu lokaler Sicherheit und zu sicherheitsbezogenen Wahrnehmungen ermöglichen. Dabei werden Sichtweisen und Erfahrungen verschiedener Bevölkerungsgruppen und sicherheitsrelevanter Akteure aus Behörden und anderen Organisationen miteinander verknüpft. Im weiteren Verlauf des Projekts werden in einem strukturierten partizipativen Verfahren gemeinsam mit lokalen Akteuren auf die jeweiligen Gegebenheiten im Quartier bezogene kooperative Ansätze zur Stärkung der Sicherheit und des Sicherheitsempfindens entwickelt (und in der Folge umgesetzt).

3 Das Projekt wird im Rahmen des Programms „Forschung für die zivile Sicherheit“ der Bundesregierung gefördert (Förderkennzeichen: 13N14518 bis 13N14522).

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Am Beispiel zweier Fallstudiengebiete in Essen werden im Folgenden ausgewählte Befunde aus der noch laufenden Studie dargestellt. Es wird versucht, erste Antworten auf die Frage zu geben, wie es wenige Jahre nach dem Höhepunkt der sogenannten Flüchtlingskrise um die Sicherheit – insbesondere im Sinne der von den dort lebenden Menschen empfundenen und wahrgenommenen Sicherheit – in Großstadtvierteln bestellt ist. Zu klären ist, welche Bedeutung hierbei Flucht und Zuwanderung in diesem Kontext zukommt – ohne zugleich andere Bedingungsfaktoren und Erklärungsansätze aus dem Blick zu verlieren. Neben der Perspektive der Bewohnerinnen und Bewohner wird auch die Sichtweise von Personen, die (professionelle) Bezüge zur Sicherheit in den Stadtteilen haben, berücksichtigt.

Ausgewählte Fallstudiengebiete der SiQua-Studie Die im Folgenden dargestellten empirischen Befunde basieren auf in zwei Fallstudiengebieten in Essen erhobenen Daten. Das erste der beiden Fallstudiengebiete umfasst die Stadtteile Stadtkern und Nordviertel, das andere den Stadtteil Altendorf. Die Einwohnerschaft der drei Stadtteile hat sich in den letzten zehn Jahren erkennbar verändert, zugleich bestehen seit langem existierende soziale Problemlagen kontinuierlich fort. Die durchschnittliche Wohndauer liegt unter derjenigen anderer Stadtteile, die Bevölkerungsdichte steigt durch Wanderungs- und/oder Geburtenüberschüsse an. Diese Entwicklung wird durch Migrationsprozesse mitgeprägt, so ist in Altendorf der Anteil von Personen mit ausschließlich deutscher Staatsangehörigkeit seit 2010 von 67 auf etwa 52 % gefallen. Im gleichen Zeitraum stieg der Anteil von Personen ohne deutsche Staatsangehörigkeit von 22 % auf 36 %. Es handelt sich hierbei um langfristige Entwicklungen, wobei jedoch seit 2015 ein Anstieg von Menschen irakischer und besonders syrischer Herkunft erkennbar ist. Vergleichbare Entwicklungen lassen sich auch im Nordviertel und im Stadtkern beobachten (vgl. Stadt Essen 2019b; 2019c; 2019e). Auch wenn in den letzten Jahren die Arbeitslosenquoten in den Stadtteilen gesunken sind, zählen sie noch zu den höchsten in Essen (13 – 14 %). Der Anteil der Personen, die existenzsichernde Leistungen (gem. SGB II, XII und AsylbLG) beziehen, liegt in den letzten Jahren zwischen 33 und 37 %; für 62 bis 72 % der Kinder unter 15 Jahren werden solche Leistungen gezahlt. Damit zählen die drei Stadtteile zu denjenigen mit den größten sozialen Problemlagen (vgl. Stadt Essen 2019d). Die Polizei definiert für Essen zwei sogenannte „gefährliche und verrufene Orte“ (gemäß § 12 Abs. 1 Nr. 2 PolG NRW), die beide in den ausgewählten Fallstudiengebieten liegen. Die in der Polizeilichen Kriminalstatistik registrierten Straftaten gingen in den letzten Jahren in Essen und in den drei Stadtteilen zurück. In den Fallstudiengebieten zeigen sich jedoch beim Vergleich der Häufigkeitszahlen mehr Gewalttaten und Dro-

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gendelikte als in anderen Stadtteilen (Polizeipräsidium Essen 2019; Landeskriminalamt NRW 2019). In beiden Fallstudiengebieten wurden umfangreiche qualitative und quantitative Daten erhoben; ausgewählte Befunde zu lokalen Sicherheitsaspekten werden im Folgenden dargestellt.

Ergebnisse der qualitativen Befragungen Zwischen Dezember 2018 und Juli 2019 wurden 21 Gruppen- und Einzelgespräche mit Personen geführt, die Bezüge zur Sicherheit in den Stadtteilen hatten. Zu ihnen gehörten Mitarbeiter sozialer Dienste, engagierte und ehrenamtlich tätige Bewohnerinnen und Bewohner, Mitarbeiter des Ordnungsamtes und der Polizei. Die Akteure betonten, dass zwar das historische Ereignis der massenhaften Flucht aus Syrien und anderen Krisen- und Kriegsgebieten in den Jahren ab 2015 auch für Aspekte lokaler Sicherheit eine Herausforderung gewesen sei und es Konflikte und Schwierigkeiten gegeben habe. Jedoch konnte diesen – auch mit viel Engagement und Mithilfe seitens der Bevölkerung – gut begegnet werden4. Andere mit Zuwanderung assoziierte Probleme (wie beispielsweise Clanstrukturen in den Stadtteilen) sind aus Sicht der meisten sozialen Akteure und Bewohnerinnen und Bewohner von größerer Bedeutung. Die Fluchtmigration der letzten Jahre stellt sich aus Sicht der Bewohnerinnen und Bewohner vor allem als eine Facette eines länger andauernden Prozesses der Zunahme „sichtbarer Fremder“ und des Verlustes an sozialem Zusammenhalt und insgesamt als ein kleineres Element in dem größeren Komplex der Veränderung von Sicherheit und sozialem Zusammenleben durch Zuzug sichtbarer Fremder dar. Dies wurde in Gesprächen mit Bewohnerinnen und Bewohnern deutlich; es wurden qualitative Interviews mit Bewohnerinnen und Bewohnern mit und ohne Flucht- und Migrationshintergrund im Alter zwischen 18 und 86 Jahren geführt. Hierbei wurden Informanten gewählt, die den Diskurs des Stadtteils kennen, reproduzieren und selbst mitgestalten. Dieser Diskurs wird hier abgebildet. Die Daten sind nicht repräsentativ: die Gespräche bilden ab, was bestimmte Akteure zu einem bestimmten Zeitpunkt in einer Interviewsituation ausgedrückt haben. Die Gespräche wurden in häuslicher Umgebung geführt und dauerten zwischen 20 und 120 Minuten. In den Gesprächen spielte Kriminalitätsfurcht im Sinne einer „emotionalen Reaktion auf eine persönliche Bedrohung durch Kriminalität oder auf Symbole, die mit Kriminalität assoziiert werden“ (Hirtenlehner & Hummelsheim 2015, 481), gegen4 Die durch Zuwanderer verübten Straftaten stiegen nach Aussage der Sicherheitsakteure im Jahr 2015 zunächst an. Die Zunahme vollzog sich vor allem in Bereichen, die das Sicherheitsempfinden der Bevölkerung nicht zentral tangieren. So kam es zu Auseinandersetzungen in den Unterkünften, die Zahl der Ladendiebstähle und der Fälle von Beförderungserschleichung wuchs. Die Lage beruhigte sich u. a. dadurch, dass die Zugewanderten mit dem deutschen Ticketsystem vertrauter wurden. Außerdem wurden Geflüchtete zügig in Wohnungen und Einrichtungen auf Quartiere im Norden der Stadt verteilt.

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über einem diffusen Unsicherheitsempfinden5, verbunden mit Wahrnehmungen sinkender Lebensqualität, eine nachgeordnete Rolle. Im Diskurs zeigen sich vor allem fünf Punkte: (1) Sichtbarkeit von Fremden, zunehmende wahrgenommene ethnische Heterogenität; (2) schwindende soziale Kohäsion im Quartier, Anonymität; (3) Auftreten junger Männer aus ethnischen Minoritäten im öffentlichen Raum; (4) Incivilities/Disorders (Wahrnehmung physischer und sozialer Ordnungsstörungen, Verfallserscheinungen und Verletzungen sozialer und normativer Ordnung); (5) Konkurrenz um soziale, sozialräumliche und materielle Ressourcen. Die genannten Komplexe sind miteinander verwoben und gehen ineinander über. Besonders bei älteren Bewohnerinnen und Bewohnern ist zu beobachten, dass sich die zunehmende Sichtbarkeit von Fremden im Stadtteil negativ auf die erlebte Wohnqualität und auf das Sicherheitsempfinden auswirkt6 (Punkt 1). Diese Bewohnerinnen und Bewohner fühlen sich durch die steigende Anzahl sichtbarer Migranten beengt und ihrem Stadtteil – dem sie sich dennoch nach wie vor zugehörig sehen – entfremdet. Dies lässt sich im Lichte der Ethnischen-Heterogenitäts-These betrachten, nach der die Wahrnehmung eines steigenden Anteils sichtbarer Migranten im Quartier – weitgehend unabhängig von der polizeilich registrierten Kriminalitätsbelastung – zu Verunsicherung und Furcht beitragen kann (vgl. Glas, Engbersen & Snel 2018; Hirtenlehner & Groß 2018; Hooghe & De Vroome 2016; Oberwittler et al. 2017; Schartau et al. 2018, 12). Weitere Aspekte, die das Unwohlsein vor allem älterer Bewohnerinnen und Bewohner ausmachen, sind wachsende Anonymität, mangelnder Respekt, Verrohung im Umgang miteinander, zunehmende Segregation und – daraus resultierend – eine Abwanderung Alteingesessener in den wohlhabenderen und ethnisch homogeneren Süden der Stadt7 (Punkt 2). Es wird eine romantisierende Sehnsucht nach einer Vergangenheit erkennbar, in der es noch soziale Kohäsion und eine funktionierende Nachbarschaft gab. Diese Aspekte können mit der Generalisierungsthese interpretiert werden: Allgemeine Ängste, wie die vor gesellschaftlichen Veränderungen 5

Auf den Unterschied zwischen „Angst“ und „Unsicherheit“ kann hier nicht detailliert eingegangen werden. „Angst“ wird gemeinhin eher im Sinne einer Bedrohung verwendet und Unsicherheit eher im Sinne einer Risikowahrnehmung. 6 Auch Menschen mit Migrationshintergrund, die schon länger in Essen leben (und manche Geflüchtete), fühlen sich durch die vermehrte Zuwanderung und die damit einhergehenden Veränderungen auf gewisse Weise bedroht. Sie befürchten, von der Mehrheitsgesellschaft abgelehnt zu werden. In diesem Rahmen soll jedoch nicht vertieft darauf eingegangen werden. 7 Während manche dieser Bewohnerinnen und Bewohner die Gründe für gesellschaftliche Missstände in einer „Übernahme des Stadtteils durch Ausländer“ sehen, bringen jüngere Bewohnerinnen und Bewohner diese eher mit Modernisierungsprozessen in Verbindung.

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(wie Globalisierung, Anonymisierung der Gesellschaft oder der Verlust traditioneller Werte und Gemeinschaften), werden auf „die Fremden“ projiziert und entwickeln sich zu einem diffusen Bedrohungsgefühl (Hirtenlehner & Hummelsheim 2015; Schartau et al. 2018, 9). Außerdem (Punkt 3) wird das Sicherheitsgefühl durch als solches wahrgenommenes „Potenzgehabe“ männlicher, „ausländisch aussehender“ Jugendlicher und Jungerwachsener beeinträchtigt, die von manchen Bewohnerinnen und Bewohnern als so bedrohlich wahrgenommen werden, dass bestimmte Straßen und Plätze gemieden werden. Die Ängste beziehen sich meist auf die große Anzahl, das Verhalten und die Unverständlichkeit der Sprache der jungen Männer. Tatsächlich „passiert“ sei jedoch noch nie etwas, berichten die Befragten. Dies wird auch in anderen Städten beobachtet: „Junge Männer mit Migrationshintergrund fungieren als Inbegriff des Straftäters, an dem sich alle auf Kriminalität gerichteten Stereotype und Gefühle des Unbehagens festmachen lassen“ (Hirtenlehner & Groß 2018, 530). Vor allem trägt die Wahrnehmung von Incivilities zum Unbehagen vieler Bewohnerinnen und Bewohner bei (Punkt 4). Dies sind „Verhaltensweisen und deren sichtbare physische Spuren, die die Regeln ,zivilisierten‘ Verhaltens in der Nachbarschaft verletzen“ (Oberwittler et al. 2017, 184; vgl. auch Hirtenlehner & Groß 2018, 527). In den untersuchten Quartieren werden offener Drogenhandel und Unordnungserscheinungen wie Müllansammlungen – oft in Zusammenhang mit bestimmten ethnischen Gruppen – an erster Stelle als Grund für Unbehagen und für das Entstehen von Ängsten genannt.8 Der fünfte Punkt, der wiederum vor allem manche älteren Bewohnerinnen und Bewohner der durch Migration geprägten Quartiere beschäftigt, ist eine wahrgenommene Konkurrenz gegenüber Migranten. Entsprechende Sichtweisen erscheinen in der Bevölkerung nicht weit verbreitet, prägen jedoch – so auch die Sichtweisen der befragten Sicherheitsakteure – in gewissem Umfang den Diskurs in den Stadtteilen. Migrantinnen und Migranten werden als Konkurrenz um die Nutzung des öffentlichen Raumes sowie um staatliche Hilfen (Wohnungs- oder Arbeitslosengeld etc.) gesehen. Wie auch Küpper et al. (2016) und Schartau et al. (2018) es beschreiben, wird in den beiden Fallstudiengebieten eine kollektive Bedrohung „der Deutschen“ durch sichtbare Migranten (Küpper et al. 2016, 88 ff.; Schartau et al. 2018, 14) wahrgenommen. Dies führt weniger zu Kriminalitätsfurcht (vgl. Schartau et al. 2018, 14; Hirtenlehner & Groß 2018, 527) als zu dem oben angesprochenen diffusen Unsicherheitsempfinden. Obwohl die Bewohnerinnen und Bewohner Sympathie für Geflüchtete und deren Schicksal bekunden, existieren neben Unsicherheiten und Ängsten bei manchen gleichzeitig generalisierende und stereotype Zuschreibungen, Vorbehalte, 8 Oberwittler et al. (2017) binden die Wahrnehmung von Incivilities nicht nur an die Sichtbarkeit von Fremden, sondern vor allem an die Einstellungen der Bewohnerinnen und Bewohner: je xenophober die Einstellung, desto stärker werden Verwahrlosungen im Stadtteil wahrgenommen, es findet insofern eine Wahrnehmungsverzerrung statt. Ein direkter Zusammenhang zwischen Xenophobie und veränderter Wahrnehmung in Bezug auf Unordnungserscheinungen lässt sich anhand des qualitativen Interviewmaterials nicht nachweisen.

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Vorurteile und essentialistische Sichtweisen9 (vgl. hierzu Baumann 1999). Beispielsweise beschweren sich manche Bewohnerinnen und Bewohner pauschal über lärmende „Zigeuner“ oder „Ausländer“, die für die Vermüllung bestimmter Plätze und Straßenzüge in beiden Fallstudiengebieten verantwortlich seien. Besonders ältere Bewohnerinnen und Bewohner tendieren hier zu Vermeideverhalten. Diese Menschen geben an, unsicher im interethnischen Zusammenleben zu sein. Obwohl sie sich generell ein „buntes“ Quartier wünschen, das durch lebendigen Dialog und interkulturellen Zusammenhalt charakterisiert wird, lassen sie Kontakt nur bis zu einem gewissen Grad zu. Kontakt und gute nachbarschaftliche Beziehungen können dabei sehr wichtig für ein transkulturelles Zusammenleben im Quartier sein (vgl. Schartau et al. 2018, 13; Weber 2016; Weins 2011). In den Fallstudiengebieten existieren viele soziale Projekte, die Begegnungen ermöglichen. Ein Fruchtbarmachen dieser Möglichkeiten wird jedoch durch oben genannte Einstellungen und Verhaltensweisen erschwert. Die Kontaktmöglichkeiten werden zwar teilweise genutzt, die Wirkung verpufft jedoch. Wichtig wäre die individuelle Bereitschaft, eigene Wertevorstellungen und Sichtweisen zu reflektieren. Würde darüber offener Austausch stattfinden, könnten Möglichkeiten gefunden werden, in der Andersartigkeit einen Wert zu sehen und keine Bedrohung (vgl. hierzu Platenkamp 2014). Dann könnten Kontakte hergestellt werden, die eine transkulturelle Nachbarschaft ermöglichen, in der Unsicherheiten offen angesprochen und angegangen werden können. Diese werden nie ganz verschwinden, doch der Umgang damit kann verändert werden.

Befunde der quantitativen Befragungen Die standardisierte Bevölkerungsbefragung fand zwischen Juni und September 2019 als postalische Befragung statt. Der Fragebogen wurde in deutscher Sprache verschickt; Versionen in türkischer, englischer, russischer und arabischer Sprache waren verfügbar, ebenso bestand die Möglichkeit, den Fragebogen online auszufüllen. Für beide Fallstudiengebiete wurde eine Zufallsstichprobe 17 – 85-jähriger Einwohnerinnen und Einwohner gezogen (jeweils mit N = 5.000). In die hier vorgenommenen Auswertungen gehen 1.171 Fragebögen aus Altendorf sowie 821 aus dem Stadtkern und dem Nordviertel ein. Das entspricht einem Rücklauf von 25 bzw. 19 % bezogen auf die zustellbaren Briefe.10 Von den Befragten der drei Stadtteile sind insgesamt 53 % weiblich, 47 % männlich. Das durchschnittliche Alter liegt im Stadtkern bei 44 Jahren, im Nordviertel bei 46 Jahren und in Altendorf bei 52 Jahren. Damit sind in der Stichprobe junge und männliche Befragte etwas unterrepräsentiert, was in deskriptiven Analysen durch 9 So werden beispielsweise „die Türken“ als homogene Gruppe mit bestimmten zugeschriebenen, unveränderlichen Eigenschaften gesehen. 10 Zum Vergleich wurde auch eine Stichprobe aller anderen Stadtteile gezogen (N = 2.198, Rücklauf ca. 37 %). Deren Daten werden hier jedoch noch nicht genutzt. Vergleichbare Befragungen wurden zudem in Berlin und Dresden durchgeführt.

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ein Gewichtungsverfahren kompensiert wird. Der Anteil der Menschen mit Migrationshintergrund ist im Nordviertel am höchsten (44 %), im Stadtkern und in Altendorf liegt er jeweils etwa bei einem Drittel der Befragten (33 bzw. 31 %).11 Kriminalitätsfurcht: Bereits ein Blick auf zwei Standardindikatoren verdeutlicht das hohe Maß an Kriminalitätsfurcht und erlebter Unsicherheit in den drei hier untersuchten Stadtteilen. Auf die Frage nach dem Sicherheitsempfinden im Wohngebiet nach Einbruch der Dunkelheit12 gibt eine klare Mehrheit der Befragten an, sich eher oder sehr unsicher zu fühlen. Im Stadtteil Altendorf sind es sogar über drei Viertel der Befragten. Erwartungsgemäß fallen die Anteilswerte erheblich niedriger aus, wenn man stattdessen nach dem Sicherheitsgefühl tagsüber fragt (vgl. Tabelle 1). Jedoch schätzen auch hier 12 – 26 % der Anwohnerinnen und Anwohner ihr Wohngebiet als (eher) unsicher ein. Diese ganz allgemeine Furchteinschätzung liegt erheblich über dem Niveau, das für das Bundesland Nordrhein-Westfalen insgesamt im Rahmen des Deutschen Viktimisierungssurveys 2017 erhoben wurde. Dort lagen die Werte für NRW bei 25 % für eher/sehr unsicher bei Dunkelheit (Birkel et al. 2019, 46). Tabelle 1 Standardindikatoren der Kriminalitätsfurcht (in %) Stadtkern

Nordviertel

bei bei tagsüber tagsüber Dunkelheit Dunkelheit sehr unsicher eher unsicher eher sicher sehr sicher

26 39 29 6

3 9 49 39

28 35 30 7

1 13 47 39

Altendorf bei tagsüber Dunkelheit 40 37 18 4

4 22 49 25

gewichtete Daten

Neben den Standardindikatoren wurde auch deliktspezifisch nach dem Beunruhigungsgefühl und dem wahrgenommenen Risiko gefragt, Opfer eines Verkehrsunfalls oder einer der folgenden Taten zu werden: Wohnungseinbruchsdiebstahl, Raub, Körperverletzung durch fremde/bekannte Personen, Diebstahl, Beleidigung/Pöbelei, Betrug und sexuelle Belästigung. Ebenso wurde erfragt, ob die Befragten tagsüber und bei Dunkelheit bestimmte Orte und Situationen meiden, Schutzmaßnahmen treffen oder sich gar bewaffnen. Die deliktspezifischen Beunruhigungsgefühle sind in allen Stadtteilen niedriger als die allgemeine Kriminalitätsfurcht bei Dunkelheit; im Mittel zeigt sich jeweils 11

Von einem Migrationshintergrund wird hier ausgegangen, wenn Befragte nicht in Deutschland geboren wurden, wenn sie eine andere als die deutsche Staatsbürgerschaft haben oder wenn ein Elternteil nicht in Deutschland geboren wurde. 12 Frageformulierung „Wie sicher fühlen Sie sich – oder würden Sie sich fühlen –, wenn Sie … nach Einbruch der Dunkelheit alleine zu Fuß in Ihrem Wohngebiet unterwegs sind? … tagsüber alleine zu Fuß in Ihrem Wohngebiet unterwegs sind?“

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ein Drittel bis knapp die Hälfte der Befragten von den erfragten Delikten ziemlich oder sehr beunruhigt. Die Unterschiede zwischen den Delikten sind insgesamt nicht sehr groß; lediglich körperliche Auseinandersetzungen mit ihnen bekannten Personen sind für die Befragten weniger Grund zur Beunruhigung, darüber hinaus für die männlichen Befragten auch sexuelle Belästigungen. Schaut man auf die wahrgenommenen Viktimisierungsrisiken, zeigt sich, dass mit Blick auf das kommende Jahr kaum eines der Delikte von mehr als einem Viertel der Befragten für wahrscheinlich oder sehr wahrscheinlich gehalten wird. Es stechen nur die Wahrscheinlichkeit, von jemandem angepöbelt zu werden (etwas mehr als die Hälfte hält dies für wahrscheinlich oder sehr wahrscheinlich), sowie – durch die geringe angenommene Wahrscheinlichkeit (2 – 3 % der Befragten) – Körperverletzungen durch Personen des nahen Umfeldes heraus. Um sich vor Kriminalität zu schützen, haben über zwei Drittel im zurückliegenden Jahr bestimmte Orte, Straßen und Plätze im Wohngebiet – insbesondere bei Dunkelheit – gemieden. Auch anderes Vermeideverhalten findet sich häufig (u. a. bei Dunkelheit keine Wege zu Fuß, alleine oder mit öffentlichen Verkehrsmitteln zurückzulegen). Ein recht hoher Befragtenanteil von über einem Viertel berichtet, zum eigenen Schutz Pfeffersprays oder Ähnliches mitzunehmen. Etwa 5 % tragen nach eigener Auskunft aus Sicherheitserwägungen sogar ein Messer oder eine andere Waffe bei sich. Insgesamt ergibt sich für die beiden Fallstudiengebiete ein recht konsistentes Bild eines sehr stark gestörten Sicherheitsempfindens, das zwar deutliche Niveauunterschiede nach Tageszeit erkennen lässt, sich aber hinsichtlich von Situationen bzw. konkreter Delikte kaum unterscheidet. Hierbei überlappen sich die einzelnen Perspektiven stark: Höhere Furcht tagsüber geht auch stark mit höherer Unsicherheit bei Dunkelheit einher (r = 0,6), die Angst vor Wohnungseinbrüchen korreliert mit der vor Raub und Körperverletzungen (r = 0,7 bzw. 0,6). Ebenso zeigen sich starke Zusammenhänge, wenn die Einzelmessungen zur Kriminalitätsfurcht zu den Dimensionen ,Beunruhigung‘ (emotional), ,Entdeckungsrisiko‘ (kognitiv) und Vermeideverhalten (konativ) gebündelt werden (Werte liegen hier bei etwa r = 0,5). Diese Befunde bilden den Ausgangspunkt für die folgenden Analysen, die Zusammenhänge zwischen individuellen Erfahrungen, Wahrnehmungen des Wohngebietes sowie Einstellungen gegenüber dort lebenden Mitmenschen einerseits und der Kriminalitätsfurcht andererseits betrachten. Gerade dort, wo sich ein (niedriges) allgemeines Sicherheitsempfinden zum Teil losgelöst von Situationen und Erscheinungsformen der Kriminalität präsentiert, erscheint dies vielversprechend. Zur Vereinfachung der Darstellung wird in den folgenden Analysen besonderes Augenmerk auf das Beunruhigungsgefühl gelegt, das die emotionale Dimension der Kriminalitätsfurcht in besonderem Maße charakterisiert.13 13 Im Fragebogen werden die Fragen eingeleitet mit „Inwieweit fühlen Sie sich persönlich beunruhigt, dass …“ gefolgt von Formulierungen zu spezifischen Delikten. Die hier zu einem Index gebündelten sieben Items weisen faktorenanalytisch eine eindimensionale Struktur auf:

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Viktimisierungserfahrungen: Die Befragten wurden gebeten, für elf Delikte zu berichten, ob sie in den letzten 5 Jahren bzw. 12 Monaten Opfer dieser Straftaten geworden waren.14 Etwa 49 % der Befragten, die im Stadtkern und in Altendorf leben, wurden im letzten Jahr Opfer mindestens einer dieser Straftaten.15 Im Nordviertel liegt der Wert mit 42 % nur wenig niedriger. Besonders häufig werden Sachbeschädigungen und Diebstahlsdelikte berichtet, aber auch Körperverletzungen (4 bis 9 %), sexuelle Belästigungen (7 bis 9 %) und Raub (2 bis 5 %) zeigen relativ hohe Belastungen an. Die Struktur des Dunkelfeldes unterscheidet sich zwischen den Untersuchungsgebieten nicht erheblich. Tendenziell berichten Frauen etwas häufiger solche Viktimisierungserfahrungen. Erst im höheren Lebensalter gehen die Viktimisierungsraten deutlich zurück. Differenziert man nach dem Migrationshintergrund, ergeben sich keine systematischen Unterschiede. Wer im letzten Jahr als Opfer Erfahrungen mit Straftaten machen musste, zeigt ein erkennbar niedrigeres Sicherheitsgefühl (je nach Stadtteil r = 0,21 bis 0,27). Incivilities: Wie bereits zuvor deutlich wurde, wird Kriminalitätsfurcht in den Essener Fallstudiengebieten mit der Wahrnehmung von Missständen im Wohngebiet verknüpft. Hierbei handelt es sich überwiegend um Störungen von Ordnungsvorstellungen (sog. Incivilities). Untersucht wurden sowohl physische Spuren von abweichendem Verhalten im öffentlichen Raum als auch störendes Verhalten, das direkt beobachtet wird.16 Zwei Problembereiche lassen sich stadtteilübergreifend feststellen: Herumliegender Abfall und rücksichtloses Verhalten im Straßenverkehr sind die beiden Themen, die von deutlich mehr als der Hälfte der Anwohnerinnen und Anwohner als schlimm bewertet und zugleich sehr häufig wahrgenommen werden. Fasst man die Einschätzungen zu allen Incivilities zusammen,17 zeigt sich eine starke

Wohnungseinbruch, Raub, Körperverletzung (durch Fremde), Diebstahl, Pöbelei/Beleidigung, Betrug und sexuelle Belästigung. Die vierstufige Antwortskala reichte von „gar nicht beunruhigt“ bis „sehr stark beunruhigt“. 14 Gefragt wurde nach versuchtem Einbruch, Einbruchsdiebstahl, Sachbeschädigung, KfzDiebstahl, Fahrraddiebstahl, sonstigen Diebstählen, Körperverletzung, Raub, sexueller Belästigung, Betrug und Trickbetrug („Enkeltrick“). 15 Für die jeweils letzte berichtete Tat haben die Befragten das Wohngebiet als Tatort angegeben; ein Teil der Opfererfahrungen ist jedoch in anderen Wohngebieten bzw. außerhalb Essens gemacht worden. 16 Hierbei wird im Fragebogen zwischen der Bewertung dieser Incivilities („gar nicht schlimm“ bis „sehr schlimm“) und ihrer Häufigkeit („nie“ bis „sehr oft“) unterschieden. Abgefragt wurden: herumliegender Abfall, Sachbeschädigungen/Vandalismus, Hinterlassenschaften von Drogenkonsumenten, herumstehende Menschengruppen, lärmende Menschen, Streitereien, Drogenhandel, rücksichtloses Verhalten im Straßenverkehr und Pöbeleien/Beleidigungen. 17 Vor der Zusammenfassung werden jeweils Bewertung und Häufigkeitswahrnehmung miteinander multipliziert. Wird ein Verhalten nie beobachtet, wird seine Bewertung für unerheblich erachtet. Insgesamt soll so einer wahrgenommenen Störung nur dann besonderes Gewicht zukommen, wenn sie als (eher) schlimm und zugleich als (eher) häufig angesehen wird.

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Beziehung zum Sicherheitsempfinden: Je intensiver Incivilities wahrgenommen werden, desto stärker ist die Kriminalitätsfurcht ausgeprägt (r = 0,4). Soziale Kohäsion: Wohngebiete und Stadtteile sind zwar einerseits Tatorte, zugleich aber auch die Orte, an denen Einwohnerinnen und Einwohner sich gegenseitig vor Kriminalität schützen und ihr Sicherheitsempfinden stärken können. Die Befragungsdaten weisen darauf hin, dass die soziale Kohäsion18 eines Wohngebietes stark mit der Bereitschaft einhergeht, mit der dort eingegriffen wird, wenn sich Regelverstöße und Straftaten ereignen. Gleiches gilt für die Beobachtung von Konflikten zwischen Bevölkerungsgruppen. In beiden Fallstudiengebieten gibt die Mehrheit der Befragten zum sozialen Zusammenhalt im Wohngebiet mittlere bis leicht negative Einschätzungen ab. Im Vergleich zu weiteren (hier nicht näher dargestellten) Essener Stadtteilen zeigt sich hierin eher geringe soziale Kohäsion. Innerhalb der Fallstudiengebiete gilt, dass diejenigen, die höheren Zusammenhalt in ihrem direkten Wohnumfeld wahrnehmen, gleichzeitig ein höheres Sicherheitsempfinden aufweisen (r = 0,3). Wahrnehmung von Zuwanderung: Vor dem Hintergrund des Wandels in der Bevölkerungsstruktur der Fallstudiengebiete wurden mit Blick auf die letzten 5 Jahre vor der Befragung mehrere Statements formuliert, die positive und negative Einstellungen gegenüber Zuwanderung zum Ausdruck bringen. Aus messtheoretischen Gründen und aufgrund größerer Übersichtlichkeit werden hier die zuwanderungskritischen Positionen berücksichtigt.19 Im Fallstudiengebiet Stadtkern/Nordviertel äußert etwas mehr als die Hälfte der Befragten zumindest der Tendenz nach negative Einstellungen gegenüber Zuwanderung und den zugewanderten bzw. geflüchteten Menschen in Essen. In Altendorf ist dies noch deutlicher zu erkennen (etwa 66 %). Ausgeprägt negative Positionen (Mittelwerte über 3,5 auf der vierstufigen Skala) finden sich bei 13 bis 18 % der Befragten. Befragte ohne Migrationshintergrund sehen die Zuwanderung zwar tendenziell etwas kritischer, große Herkunftsunterschiede sind in den durch Zuwanderung geprägten Fallstudiengebieten jedoch interessanterweise nicht auszumachen. Ältere Befragte äußern erkennbar häufiger (extrem) kritische Positionen. Bivariat zeigt auch die Wahrnehmung von Zuwanderung eine starke Übereinstimmung mit der Kriminalitätsfurcht: Je kritischer Zuwanderung gesehen wird, desto eher berichten Befragte von höherer Furcht (r = 0,3 bis 0,4).

18 In Bezug auf das Wohngebiet der Befragten sollten folgende Statements bewertet werden: „Die Leute hier helfen sich gegenseitig“, „Man kann den Leuten in der Nachbarschaft vertrauen“, „Die Leute hier haben keine gemeinsamen Werte“ (umgepolt) und „Die Leute hier haben Respekt vor dem Gesetz“. 19 Die Formulierungen waren: „Die Zuwanderung aus ärmeren Ländern ist eine Belastung für das Sozialversicherungssystem“, „Die Zuwanderung aus Kriegs- und Krisengebieten trägt die dortigen Konflikte nach Essen“, „Dass hier Menschen aus verschiedenen Ländern und Kulturen leben, ist ein Gewinn für Essen“ (umgepolt), „Die Zuwanderung hat zu mehr Kriminalität in Essen geführt“ und „Dass in Essen Zuwanderer aufgenommen wurden, ist insgesamt ein Nachteil für die Stadt“.

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Die nachfolgende multivariate Regressionsanalyse (vgl. Tabelle 2) soll als ein erster Versuch verstanden werden, die Überlappungen in den betrachteten Zusammenhangsstrukturen zu reduzieren. Auch wenn Kausalbeziehungen allenfalls unterstellt werden können, verdeutlicht die Analyse, wie stark die Beziehungen zur Kriminalitätsfurcht ausgeprägt sind, wenn alle Konzepte simultan berücksichtigt werden. Vergleicht man die Koeffizienten der verschiedenen Stadtteile bzw. Fallstudiengebiete, sind die Erklärungsleistung und die Grundstruktur der Modelle recht ähnlich. Viktimisierungserfahrungen und die intensive Wahrnehmung von Incivilities führen zu höherer Kriminalitätsfurcht. Gleiches trifft mit Blick auf zuwanderungskritische Einstellungen zu. Im Vergleich kommt Opfererfahrungen insgesamt etwas geringere Bedeutung zu als den anderen beiden furchtsteigernden Merkmalen. Demgegenüber ist der sicherheitssteigernde Effekt der sozialen Kohäsion deutlich schwächer ausgeprägt und zum Teil nicht stark genug, um signifikant nachgewiesen zu werden. Über die genannten Zusammenhänge hinaus finden sich keine Alterseffekte hinsichtlich der Kriminalitätsfurcht sowie nur teilweise signifikante Effekte des Migrationshintergrundes, die tendenziell in Richtung höherer Furcht bei nicht in Deutschland geborenen Personen weisen. Die höhere Kriminalitätsfurcht bei weiblichen Befragten bleibt auch unter Kontrolle der anderen Merkmale erkennbar. Tabelle 2 Regressionsanalyse zur Kriminalitätsfurcht (standardisierte Koeffizienten der OLS-Regression) abhängige Var.: Beunruhigungsgefühl Viktimisierung (0 = keine) Incivilities soziale Kohäsion Kritik an Zuwanderung Geschlecht (0 = weiblich) männlich Alter Migrationshintergrund (0 = keiner) ja, in Deutschland geboren ja, nicht in Deutschland geboren

Stadtkern

Nordviertel

Altendorf

0,15 0,25 -0,14 0,19

0,13 0,30 -0,01 0,18

0,10 0,29 -0,10 0,24

-0,11 0,03

-0,17 -0,01

-0,13 0,01

0,09 0,14

0,05 0,11

-0,01 0,02

N

225

441

961

R2

29,1 %

25,5 %

29,3 %

ungewichtete Daten, kursiv gesetzte Koeffizienten sind nicht signifikant (p > 0,05)

Fazit Wenige Jahre nach dem Höhepunkt der sogenannten „Flüchtlingskrise“ wurden vielfältige Aspekte lokaler Sicherheit am Beispiel von stark durch Migration und soziale Probleme geprägten Stadtteilen einer westdeutschen Großstadt mittels quanti-

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tativer und qualitativer Daten untersucht. Welches Bild lässt sich anhand der bisherigen Befunde skizzieren? Das Sicherheitsempfinden der Bevölkerung in den untersuchten Stadtteilen ist – jedenfalls im Vergleich mit Daten auf der Ebene des Bundes oder des Landes Nordrhein-Westfalen – beeinträchtigt; insbesondere bei Dunkelheit wird das eigene Wohnquartier als ein wenig sicherer Ort erlebt. Dies ist insofern erwartungskonform, als die hier in den Blick genommenen Stadtteile gerade im Hinblick auf ihren Charakter als Räume mit überdurchschnittlichen sozialen Problemlagen ausgewählt wurden; das Ausmaß der zum Ausdruck gebrachten Verunsicherung muss dennoch als beträchtlich erachtet werden. Auf der Basis der qualitativen (Interview-)Daten lässt sich das gestörte Sicherheitsempfinden der Bewohnerinnen und Bewohner in erster Linie als diffuse Beunruhigung und Verunsicherung charakterisieren und weniger als unmittelbar auf Straftaten im Allgemeinen oder auf spezifische Deliktsbereiche bezogene Kriminalitätsfurcht im engeren Sinne. In den quantitativen Analysen wird das große Ausmaß des Unsicherheitsempfindens ebenfalls deutlich. Zugleich finden sich auch hier Hinweise, dass dieses Empfinden allgemeiner Natur und nicht nur an Kriminalitätsphänomene gebunden ist. Erlebte Unsicherheit weist – den quantitativen wie den qualitativen Daten zufolge – deutliche Bezüge zu wahrgenommenen Störungen der sozialen Ordnung und „Verfallserscheinungen“ der sozialen und physischen Umwelt auf. Diese Wahrnehmungen von Incivilities/Disorder haben – jedenfalls in Teilen – Bezüge zu Fragen von Migration und Zuwanderung. Wahrgenommene Störungen der sozialen Ordnung können etwa mit Fragen der Nutzung des öffentlichen Raumes und z. B. mit dem Verhalten von Gruppen junger Männer mit Zuwanderungsgeschichte auf Plätzen und Straßen verknüpft sein. Kritische Einstellungen zu Zuwanderung und die Wahrnehmung einer zunehmenden Prägung des Wohnquartiers durch sichtbare ethnische Minderheiten gehen mit der Wahrnehmung und dem Erleben beeinträchtigter oder beschädigter Sicherheit einher; zum Teil wird Zuwanderung mit einer langfristigen Schwächung sozialen Zusammenhalts in Verbindung gebracht. Romantisierende Vorstellungen einer „guten alten Zeit“, in der man im Quartier noch zusammenhielt, mögen hier eine Rolle spielen und auch Ausdruck eines allgemeinen Unbehagens angesichts gesellschaftlicher Modernisierungs- und Individualisierungsprozesse sein. In den zurückliegenden Jahren wurden Bezüge zwischen erlebter Unsicherheit auf der einen Seite und Haltungen gegenüber Fremden (insbesondere Angehörigen sichtbarer ethnischer Minoritäten) sowie dem Erleben gesellschaftlicher Wandlungsprozesse auf der anderen Seite in verschiedenen Studien als bedeutsam herausgearbeitet (vgl. etwa Hirtenlehner 2009; Hirtenlehner & Farrall 2013; Hirtenlehner & Groß 2018; Janssen, Oberwittler & Gerstner 2019; Oberwittler, Janssen & Gerstner 2017).

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Die starke fluchtbedingte Migration insbesondere in den Jahren 2015 und 2016 wurde zu einem zentralen Gegenstand politischer Auseinandersetzungen und gesellschaftlicher Diskurse und ist es in Teilen bis heute geblieben. In den Sicherheitswahrnehmungen der Menschen in den untersuchten Stadtvierteln sind Migration, Zuzug sichtbarer Minderheiten und damit assoziierte gesellschaftliche Veränderungen durchaus von Bedeutung für Sicherheitsempfinden und sicherheitsbezogene Wahrnehmungen. Die vorliegenden Befunde weisen zugleich darauf hin, dass dem historischen Ereignis der Flucht vor allem aus dem von Krieg und Krisen erschütterten Vorderen Orient und (Nord-)Afrika hierbei nicht die dominierende Stellung zukommt, die es im Rahmen der in den letzten Jahren in Deutschland geführten politischen Kontroversen hatte. Literaturverzeichnis Ahrends, P.A. (2017): Skepsis und Zuversicht – Wie blickt Deutschland auf Flüchtlinge? Hannover. Baumann, G. (1999): The multicultural riddle: Rethinking national, ethnic and religious identities. New York. Behrendes, U. (2016): Die Kölner Silvesternacht 2015/2016 und ihre Folgen: Wahrnehmungsperspektiven, Erkenntnisse und Instrumentalisierungen. Neue Kriminalpolitik 28/3, S. 322 – 343. Birkel, C., Church, D., Hummelsheim-Doss, D., Leitgöb-Guzy, N. & Oberwittler, D. (2019): Der Deutsche Viktimisierungssurvey 2017. Opfererfahrungen, kriminalitätsbezogene Einstellungen sowie die Wahrnehmung von Unsicherheit und Kriminalität in Deutschland. Wiesbaden. Bogumil, J., Hafner, J. & Kastilan, A. (2017a): Städte und Gemeinden in der Flüchtlingspolitik: Welche Probleme gibt es – und wie kann man sie lösen? Essen. Bogumil, J., Hafner, J. & Kastilan, A. (2017b): Verwaltungshandeln in der Flüchtlingspolitik – Vollzugsprobleme und Optimierungsvorschläge für den Bereich der kommunalen Integration. Verwaltungsarchiv 108/4, S. 467 – 488. Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (2019): Aktuelle Zahlen, Ausgabe September 2019; http://www.bamf.de/SharedDocs/Anlagen/DE/Downloads/Infothek/Statistik/Asyl/aktuellezahlen-zu-asyl-september-2019.pdf?__blob=publicationFile [08. 11. 2019]. Egg, R. (2017): Kölner Silvesternacht 2015: Verlauf, Ursachen und Folgen. Forensische Psychiatrie, Psychologie, Kriminologie 11/4, S. 296 – 303. Europäische Kommission (Hrsg.) (2016): Die öffentliche Meinung in der Europäischen Union. Standard-Eurobarometer 84, Herbst 2015. Erste Ergebnisse. Brüssel. Geiges, L. (2018): Wie die AfD im Kontext der „Flüchtlingskrise“ mobilisierte: eine empirischqualitative Untersuchung der „Herbstoffensive 2015“. Zeitschrift für Politikwissenschaft 28/ 1, S. 49 – 69. Geiges, L., Marg, S. & Walter, F. (2015): Pegida: die schmutzige Seite der Zivilgesellschaft? Bielefeld.

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Soziale Arbeit als Akteurin bei der Herstellung von Sicherheit – wie Soziale Arbeit Sicherheit ohne Sicherungs- oder Ermittlungsauftrag herstellt Eine qualitative Studie zum Selbstverständnis von Sozialarbeiter*innen Von Isolde Geissler-Frank und Jessica Krebs

1. Einleitung, Sicherheitsdiskurs und Erkenntnisinteresse Kriminalität eignet sich für mediale Darstellung und mediale Skandalisierung (Ostendorf 2018, 11; Dollinger & Schmidt-Semisch 2018, 3). In der Diskussion um Sicherheit wird sie als Bedrohung für ein sorgloses Leben in besonderer Weise fokussiert. Angst vor Straftaten steht nach den Ergebnissen der aktuellen R+V-Studie (2019) nicht auf den vorderen Rängen. Allerdings verbergen sich möglicherweise bei den die beiden ersten Plätze einnehmenden Ängsten vor „Überforderung des Staats durch Flüchtlinge“ und vor „Spannungen durch Zuzug von Ausländern“ (R+V Versicherung 2019) zugleich Ängste vor kriminellen Handlungen, die von den genannten Populationen begangen werden könnten. Mediale Fokussierung auf Kriminalität ändert sich nicht mit dem tatsächlichen Aufkommen. Kommt das Ereignis seltener vor, zum Beispiel von Jugendlichen begangene Gewaltdelikte, wird es, so Pfeiffer, Baier & Kliem (2018, 70), häufiger in den Medien aufgegriffen werden. Eine Mehrheit in der Bevölkerung vermutet einen Anstieg von Kriminalität und sieht sich dadurch größeren Risiken ausgesetzt, auch wenn statistische Zahlen einen Rückgang der Kriminalität dokumentieren (Dollinger & Schmidt-Semisch 2018, 3). Der Ruf nach Sicherheit scheint eine von objektiven Sicherheitslagen losgelöste Größe zu sein (Bundeskriminalamt 2018, 3). Politische Akteure und Akteurinnen, an die der Wunsch nach Minimierung von nicht kontrollierbaren Risiken adressiert wird, können sich in diesem Feld profilieren, auf jeden Fall müssen sie sich positionieren (Frevel & Rinke 2017, 6). Versprechen, für mehr Sicherheit zu sorgen, wirken beruhigend und suggerieren zugleich, es bestünden Bedarfe. Dadurch wird eine Ausrichtung der sicherheitspolitischen Maßnahmen an Risiken und an einem schlimmstmöglichen Szenarium befördert (Kreissl 2018, 19). Gestillt wird dadurch die Sehnsucht nach einem Leben ohne (selbstgewählte) Risiken nicht. Installationen, die Sicherheit fördern sollen, wie Videoüberwachungen an öffentlichen Plätzen oder an sogenannten Hotspots der Kriminalität, signalisieren demjenigen, der den Platz betritt, er könnte gefährdet sein. Zudem verstärken Dokumentationen

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von devianten Verhaltensweisen an solchen Plätzen, wenn sie medial verbreitet werden, Bedrohungsgefühle (Haverkamp & Arnold 2015, 3). Der Begriff und das Konstrukt Sicherheit werden von unterschiedlichen Fachdisziplinen umfassend, und wie nicht anders zu erwarten, kontrovers diskutiert. Soziale Arbeit ist in zahlreichen Tätigkeitsfeldern mit Personen befasst, von denen Risiken für Sicherheit ausgehen. Als solchermaßen risikobehaftet gelten sie als Bedrohung, sei es indem sie sich abweichend oder gar delinquent verhalten oder durch auffälliges Verhalten die öffentliche Ordnung stören. Vor allem in Zwangskontexten arbeiten Fachkräfte der Sozialen Arbeit mit Menschen, die sich gefährdend verhalten haben und von denen angenommen wird, auch zukünftig würde von ihnen, könnten sie den Zwangskontext verlassen, eine Gefahr für die Rechtsgüter anderer ausgehen. Fachvertreter*innen der Sozialen Arbeit sehen sich in unterschiedlichen Tätigkeitsfeldern mit der Frage konfrontiert, inwieweit sie Akteur*innen bei der Herstellung von Sicherheit sind oder ob sie ein derartiges Ansinnen abwehren wollen, weil sie sich allein den Interessen ihrer Klientel verpflichtet fühlen und allenfalls mittelbar durch deren Stärkung Bedrohungspotentiale reduzieren können. Verbunden damit ist auch die Frage, ob es im Selbstverständnis der Sozialen Arbeit um „eindeutige Parteinahme für die Adressat*innen“ (Kühne, Schlepper & Wehrheim 2017, 339) oder um Hilfe für die der Sicherheitsherstellung verpflichteten Institutionen geht1. Der an die Soziale Arbeit zum Beispiel im Rahmen der Sozialen Dienste in der Strafjustiz adressierte Auftrag könnte zumindest mittelbar auch als Sicherheit generieren durch Kontrolle und Unterstützung verstanden werden. Zudem sieht sich die Profession mit der Erwartung konfrontiert, Verhalten zu normalisieren (Olk 1986). Eine Erwartung, der sie möglicherweise nicht entsprechen möchte. Sicherheit wird als facettenreicher und zugleich schillernder Begriff wahrgenommen. Die unterschiedlichen Zugänge zum Konstrukt Sicherheit und zum Prozess der Sicherheitsherstellung sollen mit Blick auf ihre Relevanz für die Wissenschaft und Profession Soziale Arbeit diskutiert werden. Dabei wird zugleich analysiert, inwieweit sich Soziale Arbeit am Diskurs beteiligt. Sodann werden Risiken und Nebenwirkungen benannt, denen die Klientel der Sozialen Arbeit ausgesetzt sind. Risiken ergeben sich aus dem Umfeld und aus Tatabläufen, Nebenwirkungen aus dem Vollzug von Sanktionen, in dessen Kontext Gefährdungen und möglicherweise Viktimisierungen auftreten. Wenig Raum nimmt bislang in der Diskussion die Frage ein, inwieweit diejenigen, die in Zwangskontexten mit Menschen arbeiten, von denen Risiken ausgehen können, ihre Sicherheit bedroht sehen. Sodann wird ein Aspekt der Sicherheit diskutiert, dem sich Soziale Arbeit in besonderem Maße verpflichtet sieht – die soziale Sicherheit. Zudem wird zunächst professionstheoretisch und sodann empirisch erkundet, mit welchem Sicherheits- und Selbstverständnis Soziale Arbeit sich in Tätigkeitsbereichen positioniert, in denen sie sich mit der Frage nach Sicherheitsherstellung in besonderer Weise herausgefordert sehen könnte. Im Rahmen des 1 Eine klassische Fragestellung in der Sozialen Arbeit, die u. a. in der Replikationsstudie von Kühne et al. (2017) erforscht wird.

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qualitativen Forschungsdesigns werden Expert*innen aus den Arbeitsfeldern Bewährungshilfe, Forensik, Psychiatrie, Strafvollzug und Jugendstrafvollzug interviewt und das Material mittels integrativem Basisverfahren ausgewertet. Soziale Arbeit wird in den genannten Bereichen von Sicherheitsbedürfnissen und dem ausgeprägten Wunsch nach Risikovermeidung in besonderer Weise betroffen sein2.

2. Dimensionen der Sicherheit und Sicherheitslagen Sicherheit kann erforscht werden in Systemen und Strukturen, in Bezug auf Individuen, auf geographische und virtuelle Räume, mithin auf Lebenswelten und Lebenslagen (Kraus 2019, 104 ff.). Je nachdem, worauf fokussiert wird, auf Spezifika des Risikos, auf Bedingungen, die eine Realisierung des Risikos fördern oder hindern, auf Schadensfolgen, auf Methoden der Prävention, auf Resilienz, differenziert sich das Thema weiter aus. Für die Analyse des Begriffs und die Einordnung von Themen im empirischen Teil ist es hilfreich zu strukturieren, unterschiedliche Felder zu identifizieren und sie zu clustern. Die von Daase bereits in den 90er Jahre entwickelten und später erweiterten Dimensionen des Sicherheitsbegriffes eignen sich um das sich wandelnde Konstrukt zu systematisieren und zugleich bieten die Raum-, Sach-, Gefahren- und Referenzdimension (Daase 2013, 25) für die Praxis der Sozialen Arbeit passende Ordnungskriterien. Gesellschaft und Individuum, Strukturen und Systeme, Räume und Gefahren werden in den Blick genommen (Daase 2013) und damit klassische Kategorien des Wissenschaftsdiskurses der Sozialen Arbeit aufgegriffen (Kraus 2018; 2019). Blinkert, Eckert & Hoch unterschieden bei ihren Sicherheitsprofilen auf der Dimension Gefahren Normverletzungen und Katastrophen und differenzieren zudem zwischen persönlicher Situation und strukturellen Problemen, die Einflussfaktoren für das Messen der persönlichen Sicherheit sein können (2015, 171). Die befragten Personen sehen ihre persönliche Sicherheit am ehesten durch Kriminalität, durch Krankheiten, Unfälle, Incivilities und durch Abrutschen in prekäre Verhältnisse bedroht (2015, 171). In den Forschungsansätzen sollte zudem eine Fokussierung auf die negativen, Sicherheit bedrohenden Aspekte vermieden werden (Haverkamp & Arnold 2015, 11; Frevel 2012, 18). Bei dem, wie (Un-)Sicherheit empfunden wird, kommen auch Aspekte zum Tragen wie Lebenszufriedenheit, Vertrauen und Wohlbefinden (Haverkamp & Arnold 2015, 11). Letzteres speist sich wiederum aus Variablen wie Einbindung in soziale Netzwerke und finanzielle Absicherung (Grimm 2006, 18 ff.; Grimm & Raffelhüschen 2019, 40 ff.). Die Komplexität der Themen und die Vielfalt der beteiligten Disziplinen kann unterschiedlichen Publikationen zu Sicherheit entnommen werden (Haverkamp & Arnold 2015; Fischer & Masala 2016; Steinbrecher et al. 2018; Puschke & Singelnstein 2 Wir danken Mareike Ochs für die wertvolle Unterstützung und Hilfe, insbesondere im Rahmen der qualitativen Studie.

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2018). Mit der Einführung einer „Sicherheitskultur als interdisziplinäres Forschungsprogramm“ (Daase 2013, 23) sollten Dimensionen des Sicherheitsbegriffs und „ungleichzeitige Veränderungen von objektiver und subjektiver, nationaler und internationaler, sozialer und militärischer Sicherheit“ beschrieben und analysiert werden können. Nur ein interdisziplinäres Forschungsprogramm, in das auch die „Studien zum Barometer Sicherheit in Deutschland (BaSid)“3 einzuordnen wären, eignet sich, um die Dimensionen des Sicherheitsdiskurses zu erfassen. Zudem bedarf es eines interdisziplinären Vorgehens um Risiken und Nebenwirkungen einschätzen zu können, wenn in der Praxis Sicherheit oder zumindest das Sicherheitsempfinden durch Implementation von Sicherheit fördernden Instrumenten gestärkt werden soll. Auf Interdisziplinarität beruhende Forschungsbefunde können auch diejenigen stützen, die sich ausufernden Sicherheitsbegehren verweigern und einem vermeintlichen sorglosen Leben ein Konzept eines guten Lebens mit Risiken und Gefährdungen entgegensetzen wollen. Dollinger et al. (2017, 206) beklagen, dass sich die Soziale Arbeit, obgleich der „Tatsache, dass [sie] in jeder ihrer heterogenen Erscheinungsformen mit der Realisierung von Projekten der Sicherheit verbunden ist“, „außerhalb einzelner Arbeitsfelder – allen voran der Kinderschutz – bislang kaum nachhaltig an der gegenwa¨ rtigen Sicherheitsdebatte beteiligt“; nun sei es „an der Zeit […] nach dem Stellenwert von Sicherheit in der Sozialen Arbeit zu fragen“ und „sich mit dem Projekt Sicherheit auch aus der Perspektive Sozialer Arbeit zu befassen“ (Dollinger et al. 2017, 207). Soziale Arbeit sollte als Wissenschaft ein Teil des interdisziplinären Vorgehens sein, kommt aber weder im Sicherheitsbarometer noch in anderen Programmen und Publikationen mit eigenen Beiträgen vor (Haverkamp & Arnold 2015; Fischer & Masala 2016; Puschke & Singelnstein 2018; Zoche, Kaufmann & Haverkamp 2010). Ein objektives Maß, anhand dessen sich Sicherheit messen lässt, gibt es nicht. Je nachdem, welcher Sicherheitssektor und welche Gefahrendimension in den Blick genommen wird, unterschieden sich die möglichen Instrumente. Grundsätzlich kann angezweifelt werden, ob Sicherheitslagen objektiv erfasst werden können. „Es gibt Ereignisse, an deren objektivem Vorliegen kein Zweifel besteht“ (Haverkamp & Arnold 2015, 11). Häufig spielen bei der Beschreibung von Sicherheitslagen sozial konstruierte Ereignisse, deren normative Wertung abhängig von Kultur und Gesellschaft ist, eine Rolle (siehe oben). Auch bei der Wahrnehmung von Ereignissen, die allenfalls von Verschwörungstheoretiker*innen geleugnet werden können, wird die jeweilige subjektive Deutung für das eigene Sicherheitsgefühl eine maßgebliche Rolle spielen. Jedes Ereignis wird aufgrund des eigenen Erfahrungshorizontes bewertet, verarbeitet, klassifiziert und damit individualisiert. Erfasst wird demnach 3 Das Projekt „BaSiD“ lief von 2010 bis 2015. An dem interdisziplinären Verbundprojekt waren Vertreter der gesellschaftswissenschaftlichen Disziplinen Soziologie, Kriminologie, Medien- und Kommunikationswissenschaft, Psychologie, Rechtswissenschaft und Ethik beteiligt. Konsortialführer war das Max-Planck-Institut ausländisches und internationales Strafrecht (Abteilung Kriminologie) Freiburg. Weitere Informationen unter: https://basid. mpicc.de/de/basid_home.html [07. 02. 2020]. Vgl. dazu auch Haverkamp & Arnold 2015.

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von Adressat*innen allenfalls eine objektivierte Sicherheit. Auch hier gibt es eine Schnittmenge zu wissenschaftlichen Diskursen in der Sozialen Arbeit, insbesondere zu konstruktivistischen, in denen grundlegend das Verhältnis von realen Lebenslagen und konstruierten Lebenswelten thematisiert wird (Kraus 2019)4. Ergebnisse der Viktimisierungsforschung können auf dem Hintergrund konstruktivistischer Überlegungen gedeutet werden. Diskrepanzen zwischen statistischen Risiken und diffusen Ängsten, durch delinquentes Verhalten viktimisiert zu werden, die gerade bei jenen, die weniger Risiken ausgesetzt sind, besonders ausgeprägt sind, offenbaren die eingeschränkten Möglichkeiten durch tatsächliche Veränderungen der Gefahrendimension Kriminalität das subjektive Sicherheitsgefühl nachhaltig zu verstärken (Frevel & Rinke 2017, 6).

3. Sicherheit, Kriminalität und Angst Hinsichtlich Kriminalität müssen weitere subjektive Faktoren berücksichtigt werden. Unter der affektiven Dimension wird die Furcht verstanden, künftig Opfer einer Straftat zu werden (Pritsch & Oberwittler 2015, 231). Hirtenlehner, HummelsheimDoss & Sessar (2018, 460) verstehen darunter kriminalitätsbezogene Unsicherheitsgefühle. Auch das BKA (2019, 45) subsumiert darunter „Gefühle der Unsicherheit und Kriminalitätsfurcht“. Furcht zu operationalisieren ist äußerst schwierig, da sie sich aus jeweils individuellen und lebenslaufgeprägten Facetten speist, die über Erfahrungen mit Kriminalität hinausgehen (Hirtenlehner, Hummelsheim-Doss & Sessar 2018, 459). Der deutsche Viktimisierungssurvey, der ein repräsentatives Bild zur Verteilung kriminalitätsbezogener Unsicherheit liefert (Hummelsheim-Doss 2017, 36), ergab insgesamt eine Zunahme der Unsicherheitsgefühle seit 2012 (BKA 2019, 48). Die Sorge, Opfer von Straftaten zu werden, nehme zu. 2011 machten sich 26 % Sorgen, sie könnten durch Kriminalität persönlich gefährdet sein, 2016 lag der Anteil bei 51 % (Institut für Demoskopie Allensbach 2016, 2). Soziostrukturelle Faktoren beeinflussen das Unsicherheitsgefühl der befragten Personen. Je besser die finanzielle Situation und je höher der Bildungsgrad, desto geringer das Unsicherheitsgefühl. Hummelsheim-Doss (2017, 37) vermutet, dass Menschen mit einer besseren materiellen Ausstattung sich besser vor Kriminalität schützen, mit Risiken behaftete Situationen besser meiden und erlittene Schäden eher ausgleichen können. Mit der kognitiven Dimension wird die „subjektive Einschätzung der Wahrscheinlichkeit, Opfer einer Straftat“ (Pritsch & Oberwittler 2015, 231) zu werden, bezeichnet. Im Deutschen Viktimisierungssurvey hält ein Großteil der Befragten es für unwahrscheinlich, in den nächsten zwölf Monaten Opfer einer Straftat zu werden (BKA 2019, 55). Die konative Dimension umfasst das Vermeidungs- und Schutzverhalten aufgrund von antizipierten kriminellen Gefahren (Pritsch & Ober4 Als Lebenslage gelten die materiellen und immateriellen Lebensbedingungen eines Menschen. Als Lebenswelt gilt das subjektive Wirklichkeitskonstrukt eines Menschen, welches dieser unter den Bedingungen seiner Lebenslage bildet (Kraus 2019, 35).

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wittler 2015, 231). Die Wohnsituation hat erhebliche Bedeutung für das Sicherheitsgefühl der Bewohner (Pritsch & Oberwittler 2015). Oberwittler (2008) zeigte mit einer postalischen Befragung von 2500 Bewohnern und Bewohnerinnen in 61 Wohngebieten in Köln, Freiburg sowie ländlichen Gemeinden, dass die Sozialhilferate der unter 18-Jährigen im Wohngebiet den stärksten Effekt auf die Kriminalitätsfurcht hat. Vor allem auf zwei Ebenen scheinen soziale Ausstattungen für die Ausprägung von Kriminalitätsfurcht eine wichtige Rolle zu spielen. Auch in diesem Kontext können also Sicherheit fördernde Effekte durch soziale Transferleistungen erzielt werden. Insgesamt kann von einem „robusten Ergebnis der bisherigen Forschung“ (Pritsch & Oberwittler 2015, 238) gesprochen werden: Personen, die über bessere sozioökonomische Ressourcen verfügen, haben eine geringere Furcht vor Kriminalität als Personen, die sich in prekären Lebenssituationen befinden. Befunde, die die Disziplin Soziale Arbeit ermuntern sollten, sich mit ihrer Expertise stärker am Sicherheitsdiskurs zu beteiligen.

4. Mobilität und Informationsdichte Mobilität und Informationsdichte könnten Gründe für den geringen Einfluss des Rückgangs der Zahl der begangenen Delikte auf die soziale Kriminalitätseinstellung sein. Mit sozialer Kriminalitätseinstellung ist nicht die individuelle Bedrohungswahrnehmung5, sondern die Wahrnehmung der gesellschaftlichen Bedrohung durch Kriminalität gemeint (Hirtenlehner, Hummelsheim-Doss & Sessar 2018, 460). Auch wenn aufgrund der kartographischen Lage des eigenen Wohnsitzes die Gefahr, Opfer einer Naturkatastrophe zu werden, gering ist, kann aus Berichten über solche Ereignisse ein Gefühl der Unsicherheit und „ständigen Bedrohung“ (Haverkamp & Arnold 2015, 3) entstehen. Zufällig könnte man sich da befinden, wo ein Vulkan ausbricht oder ein Tsunami Küstenorte verwüstet. Mobilität verstärkt die Angst vor Risiken, da diese sich globalisiert. Ferne Bedrohungen werden auch zu nahen. Dies trifft grundsätzlich auch für Kriminalität zu. Die Angst, Opfer einer Straftat zu werden, wird durch Mobilität verstärkt. Auch wenn der Wohnort in einem relativ sicheren Umfeld liegt, könnte eine Viktimisierung stattfinden, wenn dieser verlassen und andere weniger sichere Orte betreten werden. Grundsätzlich wird die unmittelbare Wohnumgebung tendenziell positiv wahrgenommen, während die „fremde, entfernte, unvertraute Welt“ eher als gefahrenbehaftet eingeschätzt wird (Mühler 2015, 8). Der Wunsch, vor Kriminalität zu schützen, passt sich an die eigene Mobilität an. Sicherheit soll nicht nur im eigenen nahen Umfeld, sondern auch in ent5

Das Sicherheits-Paradoxon oder auch Sicherheitsdilemma erfährt durch Globalisierung eine zusätzliche Dynamik. Es kommen weitere Risiken dazu, die neue Nachfragen entstehen lassen, die wiederum nicht in einem Maße befriedigt werden können, dass das Gefühl, sich in Sicherheit wiegen zu können, nachhaltig gestärkt wird. Zum Sicherheitsparadoxon vgl. Evers & Novotny 1987, zum Sicherheitsdilemma Münkler 2010, 12 m.w.N.

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fernten Regionen geschaffen werden. Die Angst umfasst alle Räume, regionale, nationale, internationale und seit einigen Jahren auch virtuelle. Bedrohungsgefühle und Sicherheitsbedarfe wachsen mit der Vielzahl der Orte und Länder, in denen man sich tatsächlich, medial oder virtuell bewegt. Zunehmende Mobilität verstärkt möglicherweise auch die Angst vor Risiken, die vermeintlich den Personen anhaften, die hierherkommen.

5. Sicherheit herstellen und Sichtbarkeit Kriminalität des Hellfeldes lässt sich durch polizeiliche Kriminalstatistik, Kriminalität des Dunkelfeldes durch Dunkelfeldbefragungen jeweils nur annähernd messen6. Die Ergebnisse dieser Messungen werden zudem unterschiedlich wahrgenommen. Diese sogenannte objektivierte Sicherheit erhält eine eigene Dimension für die Klientel, deren Verhalten gezählt wird. Während Sie im Rahmen der Erfassung des Hellfeldes als tatverdächtige Personen erfasst werden, sind Sie als Täter zugleich einem erhöhten Risiko ausgesetzt gewesen, selbst Opfer einer Straftat zu werden, wie dies für Jugendliche mehrfach nachgewiesen wurde (Bereswill & Neuber 2018, 360; Willems & van Santen 2018). Eine Sanktionierung aufgrund sicherheitsgefährdenden Verhaltens erhöht das Risiko für eigene Viktimisierung, wenn zu Freiheits- oder Jugendstrafe verurteilt und diese vollstreckt wird (Boxberg 2017, 92 m.w.N.). Das Verletzungsrisiko im Strafvollzug scheint hoch zu sein, allerdings gibt es Forschungsbedarfe (Neubacher et al. 2011; Neubacher & Schmidt 2018). Die Diskussion um Sicherheit erhöht zudem die Wahrscheinlichkeit entdeckt oder auch kriminalisiert zu werden. Verhalten, das in einer weniger auf Sicherheit bedachten Gesellschaft möglicherweise im Dunkelfeld bliebe7, wird zum einen durch Installationen, die Sicherheit herstellen sollen, offenbart und zum anderen verlagert sich der Schutz vor abweichendem Verhalten in einer Weise auf Regel- und Normverletzungen, die in einer weniger Sicherheit einfordernden Gesellschaft nicht strafbewehrt wären. Veränderungen in den Häufigkeitszahlen, mit denen Kriminalitätsbelastung gemessen wird, sind häufig Ergebnis von Verschiebungen zwischen Hellfeld und Dunkelfeld, es gibt also kein Mehr an Unsicherheit sondern ein Mehr an Aufhellung (Heinz 2003). Die Adressat*innen der Sozialen Arbeit sind in besonderer Weise der zunehmenden Observierung von öffentlichen Räumen und Plätzen ausgesetzt. Zum einen bewegt sich die stärker risikobehaftete, aber auch gefährdete Population, junge männliche Personen, häufiger als andere in sogenannten Hotspots. Sie sind damit auch eher Objekte der Beobachtung. Zum anderen wird dieses sich im öffentlichen Raum Bewegen zusätzlich verstärkt durch möglicherweise schwierige Lebenssituationen. Nach Birkel & Guzy sind „junge Männer mit mittlerer Reife, die arbeitslos sind und – im Vergleich zu Personen, die dies nur einmal im Monat tun – mehrmals 6 Die Befunde der Dunkelfeldstudien sind divergent, vgl. hierzu Ostendorf 2018; Birkel & Guzy 2015; Boers & Reinecke 2007. 7 Vgl. zum Verhältnis Hellfeld und Dunkelfeld u. a. Birkel, Hecker & Haverkamp 2015, 44.

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in der Woche ausgehen“ von einem besonders hohen Risiko betroffen, Opfer mindestens einer Körperverletzung oder mindestens eines Raubes zu werden (2015, 133). Wem genügend Wohnraum zur Verfügung steht und wer sich in eigenen großzügig bemessenen vier Wänden aufhalten kann, wird weniger in öffentlichen Räumen unterwegs sein. Sicherheitsrisiken kumulieren mithin bei jenen, denen der Makel anhaftet, sie trügen zu Unsicherheit bei. Sollte zukünftig Künstliche Intelligenz im Kontext von Predictive Profiling stärker genutzt werden, würden die Daten dieser Population verwendet und Prognoseverfahren entwickelt werden, die Entdeckungswahrscheinlichkeiten zusätzlich erhöhen (Egbert 2017, 19). Möglicherweise könnte sich Sicherheitspolitik in einer Weise etablieren, in der Risiken, die Personen zugeschrieben werden und daraus folgende zukünftige schädigende Ereignisse identifiziert und vor ihrem Eintritt verhindert werden (Albrecht 2016, 210).

6. Soziale Sicherheit und Risiken Zum Selbstverständnis der Profession Soziale Arbeit gehört es, soziale Gerechtigkeit herzustellen (Kraus 2018).8 Wie oben im Kontext der Viktimisierungsforschung dargestellt, beeinflussen die soziale Lebenslage und damit die Versorgung mit Ressourcen die individuelle Sicherheitseinstellung. Soziale Arbeit sorgt demnach durch den Auftrag soziale Gerechtigkeit zu fördern für ein höheres Maß an subjektiv empfundener Sicherheit. Auch in Zwangskontexten ist ein Auftrag der Sozialen Arbeit unter anderem Unterstützung anzubieten für eine Zeit danach. Soziale Sicherheit nimmt im Sicherheitsdiskurs keinen dominanten Platz ein. Scherr kritisiert die Fokussierung auf mehr Überwachung, auf Vorverlagerungen von Strafbarkeit und auf Exklusion derjenigen, die mit dem Makel eines möglichen Risikos behaftet sind (Scherr 2014). Soziale Arbeit schafft Sicherheit, indem sie durch Unterstützung und Beratung den Zugang zu sozialen Transferleistungen ebnet. Wer diese in Anspruch nimmt, könnte zukünftig resilient sein und sich nicht mehr riskant oder gar delinquent verhalten. Daher sieht Scherr in der Gewährleistung sozialer Sicherheit einen Beitrag zur Herstellung von allgemeiner Sicherheit für die Gesellschaft und kritisiert zugleich die Reduzierung und Einschränkung von Sozialleistungen und den nach seiner Einschätzung erschwerten Zugang zu sozialen Transferleistungen (Scherr 2014, 11 ff.). Soziale Arbeit ließe sich also nicht direkt als Akteurin zur Sicherheitsherstellung gewinnen, sondern wäre allenfalls mittelbar beteiligt, indem Personen, die sich aufgrund ihrer sozialen Situation delinquent verhalten, der Zugang 8 Nach der Definition der International Federation of Social Workers (IFSW) fördert Soziale Arbeit „[…] soziale Entwicklungen und den sozialen Zusammenhalt sowie die Stärkung der Autonomie und Selbstbestimmung von Menschen. Die Prinzipien sozialer Gerechtigkeit, die Menschenrechte, die gemeinsame Verantwortung und die Achtung der Vielfalt bilden die Grundlage der Sozialen Arbeit […].“, DBSH 2016, Deutschsprachige Definition Sozialer Arbeit.

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zu Sozialleistungen eröffnet wird. Dabei sind nicht nur monetäre Leistungen, sondern auch soziale Dienstleistungen wie Beratungsangebote und sonstige Angebote der Kinder- und Jugendhilfe bedeutsam, wohingegen mit Blick auf die Kontrolle etwa Aufgaben des Wächteramtes des Staates zu diskutieren sind. Was die Erklärung von Kriminalität angeht, lassen sich Überschneidungen etwa zur Anomietheorie oder auch der Kontrolltheorie (Investment, Involvement) erkennen (Lamnek 2018, 145 ff.). Ein „robustes Ergebnis“ (Birkel & Guzy 2015, S. 133, siehe oben) der Viktimisierungsforschung legt zudem nahe, dass durch soziale Absicherung nicht nur die Zahl der Straftaten minimiert, sondern die Betroffenen selbst in geringerem Umfang viktimisiert würden. Allerdings entstehen durch soziale Sicherung Kosten, die nicht direkt in der Rubrik Sicherheit schaffen verbucht werden können. Stärkung von sozialen Sicherungssystemen hat sich in diesem Kontext als taugliches Instrument (noch) nicht adäquat etabliert und den ihr gebührenden Platz bislang nicht einnehmen können.

7. Sicherheit im Lichte der professionstheoretischen Diskussion Die Kurzformel „Bewältigung sozialer Probleme“ (Engelke 2004, 301) kann als gemeinsamer Nenner eines großen Teils der vielfältigen Gegenstandsbestimmungen gelten9, die mit den Kernaussagen der IFSW-Definition Sozialer Arbeit übereinstimmt. Problematische Devianz – wie psychische Krankheit – und Kriminalität werden von Dollinger & Raithel (2006, 12) als soziale Probleme gefasst, woraus eine Zuständigkeit der Sozialen Arbeit resultiert. Den vorherigen Ausführungen nach sind die benannten Probleme mit dem Konstrukt Sicherheit verwoben. Bleibt also zu fragen, wie letzteres in das Selbstverständnis von Sozialarbeiter*innen integriert ist. Hierzu wird die professionstheoretische Diskussion innerhalb der Sozialen Arbeit beleuchtet10. Der strukturfunktionalistischen Position zufolge – wie sie Parsons (1939) vertritt – sind Professionen Strukturen, die moderne Gesellschaften zum Erhalt ihrer selbst hervorbringen. Professionen werden mit der Bewältigung von Problemen betraut, die eine Gefahr für die Integrität von Individuen darstellen, vor allem aber eine Bedrohung für den Bestand von Gesellschaften. Während Parsons eine theoretische Bestimmung des Verhältnisses von Individuum und Gesellschaft leistet, bleibt diese in späteren professionstheoretischen Entwürfen häufig aus. Parsons gesellschaftsund sozialisationstheoretischen Überlegungen gemäß sind Individuen durchweg gesellschaftlich geformt und handeln im Regelfall systemkonform. Im Falle der Abweichung ist das solidarische Handeln von Professionen gefragt. Dabei hat sich professionelles Handeln an den gesellschaftlichen Zentralwerten zu orientieren und Fach9

Zur Übersicht und kritischen Diskussion siehe Kraus 2018, 2019, 145 – 169. Lambers (2018) unterscheidet verschiedene Theorieformen: Disziplintheorien, Professionstheorien, Professionalisierungstheorien sowie Arbeitsfeldtheorien. 10

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wissen zugrunde zu legen. Um ihre kollektive Funktion zu erfüllen, wird den Professionen ein gewisses Maß an Autonomie zugestanden (Schnurr 2012, 100 f.). Ergo zeichnen sich klassische Professionen durch Gemeinwohlorientierung, Expertenwissen und Autonomie aus. Zwar sind Parsons Ausführungen nicht auf Soziale Arbeit bezogen und die Erfüllung der eben benannten Merkmale fraglich, doch ist die funktionstheoretische Perspektive der Sozialen Arbeit nicht unbekannt11. Olk (1986) hat Soziale Arbeit zum Beispiel explizit als „Normalisierungsarbeit“ konzipiert. Oevermann (2013) deklariert den Bestand von Gesellschaften – wie schon Parsons – als funktionalen Bezugspunkt professionellen Handelns – allerdings als einen neben anderen. Ausgehend von sozialisationstheoretischen Überlegungen versteht Oevermann Individuum und Gesellschaft nicht als gleichursprünglich, sondern beschreibt eine reziproke Abhängigkeit bezogen auf deren Rechte und Pflichten (Oevermann 2013, 124 f.). So gesehen bedarf es im Krisenfall einerseits Professionen, die den Erhalt der Gemeinschaft sichern, und andererseits solchen, die sich um das Funktionieren der Lebenspraxis Einzelner bzw. kleiner Vergemeinschaftungen bemühen. In der professionstheoretischen Diskussion vertritt Oevermann eine strukturale Position, die neben Funktionen Bedingungen und Möglichkeiten professionellen Handelns beleuchtet. Er beschreibt drei Funktionsfoci, die mit divergenten Loyalitäten und Praxisformen einhergehen. Während sich Therapie und Rechtspflege klar einem Bereich zuordnen lassen, in dem sie ihr Handeln professionalisieren können, verortet Oevermann Soziale Arbeit gleichermaßen in zwei Bereichen, die in Abbildung 1 dargestellt sind.

Abbildung 1: Widersprüchliche Funktionsfoci (Oevermann 2013, 125)

Aufgrund der staatlichen Fürsorgepflicht dient sozialarbeiterisches Handeln nicht nur der „Erzeugung, Aufrechterhaltung und Wiederherstellung der somato-psychosozialen Integrität einer je partikularen Lebenspraxis“ (Oevermann 2013, 124). Überdies ist Soziale Arbeit „weitgehend mit den Aufgaben und Funktionen sozialer Kontrolle im Dienst der Aufrechterhaltung von Recht und Gerechtigkeit verwoben“ (Oevermann 2013, 125). Mit Blick auf die tägliche Handlungspraxis ergeben sich 11 Diese findet sich auch „in modernisierungstheoretischen (Galuske 2002; Rauschenbach 1992), regulationstheoretischen (Schaarschuch 1990), systemtheoretischen (Bommes & Scherr 2012) oder machtanalytischen Arbeiten (Kessl 2005)“ (Kessl 2017, 238).

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daraus Paradoxien und Ambivalenzen, deren Auftreten nicht anzunehmen ist, sofern – wie bei Parsons – von einem übereinstimmenden Fluchtpunkt individuellen und professionellen Handelns ausgegangen wird. Für Oevermann resultiert aus der obigen Konstellation „das schier unlösbare Grundproblem für deren kohärente Professionalisierung, dass sie [die Soziale Arbeit] nämlich nicht nur latent, sondern manifest, in beiden strukturlogisch sich widersprechenden Foci gleichermaßen wirksam sein muss und sich dadurch in ihrer Wirksamkeit behindern muss“ (Oevermann 2013, 125). Eine Professionalisierung im Bereich der Hilfe setzt Oevermann zufolge Freiwilligkeit und Unabhängigkeit von Strukturen voraus, um Arbeitsbündnisse zu realisieren und im Modus der stellvertretenden Deutung zu operieren, womit Hilfe zur Selbsthilfe sowie der Rückgewinn von Autonomie für Klient*innen möglich wird. Diese Voraussetzungen erfülle Soziale Arbeit wegen ihrer doppelten Eingebundenheit nicht12. Meist sei das Selbstbekenntnis zur Notlage nicht Ausgangspunkt sozialarbeiterischen Handelns, sondern bereits Ergebnis sozialarbeiterischer Intervention, und Handeln nicht frei von standardisierten Rezepten (Oevermann 2013, 139, 146). Die einzige Lösung für das „gravierendste Strukturproblem der Sozialarbeit“ (Oevermann 2013, 139) sei eine institutionelle und personale Trennung gemäß der beiden Funktionsfoci. Schützes interaktionistische Position fußt auf rekonstruktiven Erkenntnissen bezüglich der Praxis professionalisierter Berufe (Schnurr 2012, 97). Ähnlich wie Oevermann sieht Schütze die sozialarbeiterische Praxis von vielfältigen Paradoxien geprägt, doch begreift Schütze diese nicht als Professionalisierungshindernis, sondern als dem professionellen Handeln immanent. „Die unaufhebbaren Kernprobleme bzw. die Paradoxien des professionellen Handelns sind der paradoxe Interaktionsund Arbeitsausdruck der Strukturkomponenten der gesellschaftlichen Institution Profession“ (Schütze 1996, 187). Derart natürliche Paradoxien sind im Handeln anderer Professionen ebenso zu finden, doch erscheinen sie in der Sozialen Arbeit in besonderer Intensität (Schütze 1992, 163), da diese „nie ein in ihrem Tätigkeitsbereich vorherrschendes eindeutiges Paradigma entwickeln konnte“ (Schütze 1992, 163) und Handlungs- sowie Orientierungsparadoxien virulent werden, wenn Paradigmengrenzen transzendiert werden (Schütze 1992, 163). Als eine der wesentlichen Paradoxien beschreibt Schütze „professionelle Ordnungs- und Sicherungsgesichtspunkte und die Eingrenzung der Entscheidungsfreiheit des Klienten“ (Schütze 1992, 156 – 158). Schütze (1996, 225) beklagt die nicht selten fehlerhafte Bearbeitung solcher Paradoxien. Beobachtbar seien Strategien, die vom einseitigen Auflösen bis Ignorieren der Paradoxien im täglichen Handeln reichen. Ein (Auf-)Lösen sei jedoch nicht möglich. Die Paradoxien „können nur umsichtig in Rechnung gestellt und bearbeitet werden“ (Schütze 1992, 163)13. Aufgrund des oben konstatierten Unterschieds zu anderen Professionen, ist das 12

Exemplarisch führt Oevermann (2013, 145) Arbeitsfelder an, in denen Resozialisierung eine Rolle spielt. 13 Ähnlich argumentiert Thiersch (2002, 191 ff.), der die sozialpädagogische Berufsidentität als Spagat beschreibt.

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„Bewußtsein über die Wirksamkeit der Paradoxien des professionellen Handelns [in der Sozialen Arbeit] auch besonders ausgeprägt, und deshalb konnte es gerade hier […] zur Entwicklung der neuen Verfahren der Selbstvergewisserung und Selbstreflexion […] kommen“ (Schütze 1992, 163).

So gesehen ist die Profession Soziale Arbeit anderen in der Entwicklung von Bewältigungsstrategien solcher Paradoxien voraus, die diese in Anbetracht zunehmend komplexer werdender Problemlagen noch entwickeln müssen. Bezogen auf den flexiblen fallbezogenen interdisziplinären Diskurs kann Soziale Arbeit Vorbild sein (Schütze 1992, 165 f.). Staub-Bernasconi (2018) gelangt vom beruflichen „doppelten Mandat“ (Böhnisch & Lösch 1973, 27 ff.) zum professionellen Tripelmandat und sieht sozialarbeiterisches Handeln mit „höchst unterschiedlichen Machtpositionen, Interessen und Forderungen“ (Böhnisch & Lösch 1973, 114) der Mandatsträger konfrontiert. Entsprechend seien „Loyalitäts-, Rollen-, Handlungs- und Identitätskonflikte […] vorprogrammiert“ (Böhnisch & Lösch 1973, 114). Wie schon Schütze sieht Staub-Bernasconi darin kein Professionalisierungshindernis, sondern verdeutlicht, dass „der Umgang mit dieser sozialen Konstellation […] unabweisbar zu den Merkmalen der Disziplin und Profession Sozialer Arbeit“ (Böhnisch & Lösch 1973, 114) gehört. Doch sei die Formulierung eines eigenen professionellen Mandats erforderlich sowie die Auseinandersetzung mit den Konsequenzen für die fortbestehenden Mandate der Klient*innen und der Gesellschaft beziehungsweise der Träger (Böhnisch & Lösch 1973, 114). Das professionelle Mandat charakterisiert Staub-Bernasconi mittels der Kurzformel „,nach bestem Wissen und Gewissen‘ […] handeln“ (Böhnisch & Lösch 1973, 114) und erklärt „die wissenschaftlich und ethisch begründete relative Autonomie im Zusammenhang mit Entscheidungs- und Handlungsspielräumen zum konstitutiven Merkmal der Profession“ (Böhnisch & Lösch 1973, 116). Daraus ergibt sich mit Blick auf das Mandat der Klient*innen die Priorisierung im professionellen Handeln deren Sichtweisen zu eruieren, bevor die „gemeinsame Suche nach Erklärungen und subjektiven Begründungen, warum es so ist, wie es ist, und welche Veränderungen aufgrund welcher Werte und Arbeitshypothesen, Ressourcen und Arbeitsweisen/Methoden angestrebt werden sollen“ (Böhnisch & Lösch 1973, 117)

anschließt. Für das gesellschaftliche Mandat respektive das Mandat des Trägers ergibt sich die Forderung, dass die „organisationellen Rahmenbedingungen und Policy-Vorgaben fachliches sowie professionsethisches Handeln ermöglichen“ (Böhnisch & Lösch 1973, 118). Das dritte Mandat schafft die Gelegenheit zu „Formen von Selbstmandatierung“ (Böhnisch & Lösch 1973, 118), das heißt zur Möglichkeit der eigenständigen Thematisierung und Bearbeitung von Problemen unter Beteiligung der entsprechenden Akteure, wobei sie deutlich macht, dass sich Sozialarbeiter*innen auch im Falle der Inanspruchnahme ihres Mandats nicht im „rechtsfreien Raum“ (Böhnisch & Lösch 1973, 120) bewegen. Sofern die Mandate nicht ineinander aufgehen, seien die Widersprüchlichkeiten gegenüber den Klient*innen transparent zu halten und von institutionalisierten Möglichkeiten der Selbstreflexion Gebrauch

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zu machen. Im Falle der Kompromisslosigkeit setzt Staub-Bernasconi auf demokratische Verfahren der Konfliktbearbeitung (Böhnisch & Lösch 1973, 121). Ausgehend vom erkenntnistheoretischen Konstruktivismus befasst sich Kraus (2016) mit den Kernfunktionen Sozialer Arbeit, insbesondere mit den Möglichkeiten von Hilfe und Kontrolle. Infolge der Auseinandersetzung mit dem Phänomen Macht gelangt Kraus zur Unterscheidung von „instruktiver“ und „destruktiver Kontrolle“ (Kraus 2016, 119). „Instruktive Kontrolle zielt auf das Einhalten von Vorgaben mittels instruktiver Macht – solche Kontrollbestrebungen können auf das Zeigen erwünschter und/oder das Unterlassen unerwünschter Verhaltensweisen zielen und ebenso wie die eingesetzte instruktive Macht am Eigensinn der Adressat/-innen scheitern. Destruktive Kontrolle zielt auf das Einhalten von Vorgaben mittels destruktiver Macht – solche Kontrollbestrebungen können nur auf Verhinderung unerwünschter Verhaltensweisen zielen und deren Erfolg ist ebenso wenig vom Eigensinn der Adressat/-innen abhängig, wie die eingesetzte destruktive Macht.“ (Kraus 2016, 120)

Im Gegensatz zu beiden Formen der Kontrolle liegt die Entscheidungshoheit im Falle der Hilfe bei den Klient*innen (Kraus 2016, 124). In den kontrastiv ausgewählten professionstheoretischen Positionen ist das Konstrukt Sicherheit enthalten, wenngleich diesem kein zentraler Stellenwert beigemessen wird und die explizite Thematisierung weitestgehend ausbleibt. Gleichwohl kann Sicherheit im Lichte der professionstheoretischen Diskussion als verschiedenartiger Bezugspunkt (professionellen) sozialarbeiterischen Handelns gefasst werden. Der Bezugspunkt unterscheidet sich gemäß dem angelegten Sicherheitsverständnis, wobei zu berücksichtigen ist, wem die Definitionsmacht obliegt: Einer funktionalistischen professionstheoretischen Position wird man sich eher anschließen, wenn Sicherheit primär als öffentliche Sicherheit verstanden wird; während man einer strukturfunktionalistischen professionstheoretische Position eher zustimmen kann, wenn neben der Sicherheit für die Gesellschaft die Sicherheit des Einzelnen mitgedacht wird, wobei eine Professionalisierung nur im Falle der Priorisierung eines Referenzobjekts möglich ist. Einer solchen Priorisierung – um Willen der Professionalisierung – bedürfte es weder im Falle des Vertretens einer interaktionistischen professionstheoretischen Position noch im Falle des Annehmens eines professionellen Tripelmandats. Die Perspektive, wer, wessen und welche Sicherheit, wie herstellen kann, wird in diesem Zusammenhang für ergiebig befunden. In jedem Fall sind Sozialarbeiter*innen in der Bewältigung von Orientierungs- und Handlungsparadoxien gefragt. Zusammenfassend bleibt festzuhalten: Am interdisziplinären Sicherheitsdiskurs beteiligt sich Soziale Arbeit kaum und in der professionstheoretischen Diskussion wird das Konstrukt Sicherheit unzureichend beleuchtet. Indessen werden in jüngster Vergangenheit erste Überlegungen zum Zusammenhang von Sicherheit und Sozialer Arbeit innerhalb der Disziplin angestellt. So betont Dollinger (2017) die Eignung von Sicherheit als „Rahmenkonzept, das unterschiedliche historische wie aktuelle

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Positionen und Veränderungen der Sozialen Arbeit zu integrieren mag“ (Dollinger 2017, 223). Während Kessl (2017, 241) konstatiert, dass Soziale Arbeit nur „Sicherheitsexpertin“ sein kann, wenn sie gleichermaßen „Unsicherheitsgarantin“ bleibt. Insofern bedürfe es einer Relationierung funktionstheoretischer und bildungstheoretischer Bestimmungen Sozialer Arbeit (Kessel 2017, 241 f.). Lutz (2017) argumentiert, dass mit der zunehmenden gesellschaftlichen Sicherheitsorientierung eine Neujustierung des professionellen Selbstverständnisses von Sozialarbeiter*innen verbunden sein kann, indem die „öffentliche Sicherheit […] höher bewertet [wird] als der individuelle Anspruch auf Zugehörigkeit“ (Lutz 2017, 294), aber auch ein widerständiges professionelles Selbstverständnis in Form einer „Orientierung auf subjektive Sicherheit und Autonomie, deren Nebenprodukt auch protektive Sicherheit sein kann“ (Lutz 2017, 295). In Anbetracht der bis dato unzureichenden expliziten Thematisierung von Sicherheit als Bezugspunkt professionellen Handelns in Abhängigkeit des Sicherheitsverständnisses von Sozialarbeiter*innen, wird die Frage, wie das Konstrukt Sicherheit in das (professionelle) Selbstverständnis von Fachkräften der Sozialen Arbeit integriert ist, unsererseits empirisch untersucht.

8. Forschungsfragen und methodisches Vorgehen Die empirische Untersuchung soll Aufschluss geben über die Rolle der Sozialen Arbeit bei der Herstellung von Sicherheit, wobei Selbstbeschreibungen von Sozialarbeiter*innen in der Praxis von besonderem Interesse sind. Im Einzelnen werden folgende Forschungsfragen formuliert: • Wie wird Sicherheit von Fachkräften der Sozialen Arbeit verstanden und erfahren? • Wie ist der Sicherheitsauftrag in das professionelle Selbstverständnis integriert? • Wie wird der Sicherheitsauftrag praktisch ausgestaltet? In Anbetracht der methodologischen Forschungsgegenstände, die diese Fragen nahelegen (subjektive Konzepte, Selbstverständnisse sowie gedeutete und präsentierte Erfahrungen und Handlungen), wird ein qualitatives Forschungsdesign konzipiert und realisiert. Aufgrund des vorhandenen Interesses an der Perspektive von Fachkräften der Sozialen Arbeit, werden Expert*inneninterviews geführt, wobei die spezifische Zielgruppe keinen eigenen Interviewtypus begründet. Vielmehr sind Expert*inneninterviews als „anwendungsfeldbezogene Variante von Leitfadeninterviews“ (Kruse 2015, 166) einzuordnen. Insofern bedarf es – wie bei jedem qualitativen Interview – einer Verhältnisbestimmung von Offenheit und Strukturierung. Hierfür eignet sich die Unterscheidung verschiedener Expert*inneninterviewformen von Bogner, Littig & Menz (2005). In Anbetracht des eingangs beschriebenen Desiderats wird sich für

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die Form des explorativen Expert*inneninterviews entschieden. Der explorative Charakter fordert die Zurückstellung eigener Relevanzen in der Interviewer*innenrolle und das Eröffnen von Erzählräumen, um den befragten Expert*innen die Möglichkeit zu geben, eigene Schwerpunkte zu setzen und ihr Relevanzsystem zu entfalten. Dieses Gebot hat Konsequenzen für die Leitfadenentwicklung und -gestaltung. Der Leitfaden wird mithilfe des SPSS-Verfahrens nach Helfferich (2011, 182 – 185)14 entwickelt und dem Aufbauprinzip von Kruse (2015, 213) entsprechend gestaltet, womit gewährleistet wird, dass der verwendete Leitfaden dem „Prinzip vom ,Offenen zum Strukturierenden‘“ (Kruse 2015, 214) folgt. Das Grundgerüst des Leitfadens bilden drei Themenblöcke: Sicherheitsverständnis, professionelles Selbstverständnis und konkrete Handlungspraxis. Diese Blöcke werden mit je einer offenen Erzählbzw. Explikationsaufforderung oder Fragestellung eingeführt, um eigenstrukturierte Erzählungen der befragten Expert*innen zu erzeugen, wobei sich der für die Zielgruppe typische, argumentativ-diskursive Kommunikationsstil zeigt (Kruse 2015, 180). Lediglich am Ende der jeweiligen Blöcke werden Nachfragen zu inhaltlichen Aspekten gestellt, die bislang nicht eigeninitiativ thematisiert wurden, aber essenziell für die Beantwortung der Forschungsfragen sind. Bis dahin beschränkt sich die Interviewer*innenrolle auf Fragen, die die Erzählung aufrechterhalten oder unmittelbar daran anschließen. Im Zuge des qualitativen Samplings sind Fälle – dem Prinzip der maximalen strukturellen Variation folgend – aus einer definierten Grundgesamtheit auszuwählen, welche die Heterogenität des Untersuchungsfeldes repräsentieren (Kruse 2015, 242). Hier bilden Fachkräfte der Sozialen Arbeit die Grundgesamtheit, die in Arbeitsfeldern tätig sind, in denen es um die Resozialisation von (jungen) Erwachsenen geht15. Letztlich werden fünf Fachkräfte der Sozialen Arbeit interviewt, die sich wegen ihrer Position als jeweils repräsentante Sprecher für eines der folgenden Arbeitsfelder erweisen: Forensik, Psychiatrie, Strafvollzug, Jugendstrafvollzug und Bewährungshilfe. Ferner ist eine Varianz hinsichtlich der Berufserfahrung (zwischen 2 und 25 Jahren) und Studienabschlüsse (von Diplom bis Promotion) zu konstatieren, während alle Befragten männlichen Geschlechts sind. Die Interviews werden wahlweise als face-to-face-Interviews oder Telefoninterviews realisiert. Die qualitativen Interviews beanspruchen mehr Zeit als angenommen (Interviewdauer zwischen 45 und 90 Minuten), werden von Seiten der Forschenden für ergiebig befunden und von den Interviewten als impulsgebend erlebt. Die aufgezeichneten Interviews werden vollständig wörtlich transkribiert, so dass Textdaten die Auswertungsgrundlage bilden. Um zu vielfältigen Selbstbeschreibungen der Rolle Sozialer Arbeit bei der Herstellung von Sicherheit zu gelangen, werden die Daten mittels integrativem Basisver14 SPSS steht für die Phasen Sammeln, Prüfen, Sortieren und Subsummieren bei der Leitfadenerstellung. 15 Ausgehend von der Arbeitsfeldtypisierung nach Heiner (2007, 91), wobei unter Resozialisation die Wiedereingliederung bei bzw. nach Verhaltensauffälligkeit oder Straffälligkeit verstanden wird.

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fahren nach Kruse (2015, 361 ff.) analysiert, das in der Mannheimschen Wissenssoziologie verortet ist und die Prinzipien qualitativer Forschung konsequent berücksichtigt. Kruse pointiert die Grundidee sowie den Anspruch des Verfahrens wie folgt: „Im Verlaufe einer offenen, (mikro-)sprachlich-deskriptiven Analyse eines Texts kommt man zur integrativen Anwendung von spezifischen forschungsgegenständlichen und methodischen Analyseheuristiken, um so die zentralen Sinnstrukturen in einem Prozess der fortschreitenden Abstrahierung herauszuarbeiten“ (Kruse 2015, 463). Zum Erschließen der zentralen Sinnstrukturen wird also ein „Schlüsselbund“ (Kruse 2015, 465) eingesetzt, der mehrere, geeignete Suchstrategien umfasst. Hier wird neben den forschungsgegenständlichen Analyseheuristiken vor allem auf die Argumentationsanalyse, die Agency-Analyse, die Positioninganalyse und die Diskursanalyse zurückgegriffen. Infolge der Herausarbeitung zentraler Motive und Thematisierungsregeln für einzelne Fälle werden diese vergleichend betrachtet. In regelmäßigen Abständen wird um Willen der kollegialen Validierung eine Analysegruppe hinzugezogen. Die Ergebnisse der fallvergleichenden Auswertung werden im folgenden Kapitel präsentiert.

9. Präsentation und Diskussion der Forschungsergebnisse Die Ergebnisse werden entlang der formulierten Forschungsfragen dargestellt, an den bisherigen Kenntnisstand rückgebunden und diskutiert. 9.1 Differenziertes Sicherheitsverständnis Um zu fallübergreifenden Aussagen über das Sicherheitsverständnis der Interviewpersonen zu gelangen, werden Daases (2013) Dimensionen des Sicherheitsbegriffs (siehe Kapitel 2) als Analyseheuristiken an das Material herangetragen und entsprechende Kategorien gebildet, die Abbildung 2 zusammenfassend darstellt. Die Kategorien beantworten Fragen, die sich gemäß den Dimensionen des Sicherheitsbegriffs stellen. • Referenzobjekt: Wessen Sicherheit soll gewährleistet werden? • Sachdimension: In welchem Bereich des menschlichen Seins werden Sicherheitsgefahren festgestellt? • Raumdimension: Für welches geographische Gebiet wird Sicherheit angestrebt? • Gefahrendimension: Wie wird das Problem konzeptualisiert, auf das reagiert werden soll? Ferner unterscheiden die Experten in den Interviews zwischen objektiver Sicherheitslage und subjektivem Sicherheitserleben. Das differenzierte Sicherheitsverständnis legen die interviewten Experten ihren Ausführungen zugrunde, womit eine vielschichtige Erzählung, Analyse und Be-

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Abbildung 2: Differenziertes Sicherheitsverständnis

schreibung der Rolle Sozialer Arbeit bei der Herstellung von Sicherheit möglich wird. Sicherheit wird nicht nur als öffentliche Sicherheit gedacht, so dass keine rein funktionalistische Bestimmung Sozialer Arbeit im Parsonsschen Sinne zu erwarten ist. 9.2 Subjektives Sicherheitserleben in unsicheren Arbeitskontexten Die Institution wird in den Experteninterviews als geographisches Gebiet thematisiert, für das neben privaten und öffentlichen Räumen Sicherheit angestrebt wird. Dabei werden sowohl Klient*innen als auch Fachkräfte als Referenzobjekte angeführt, deren Sicherheit gewährleistet werden soll16. Die Darstellung von subjektivem Sicherheitserleben in unsicheren Arbeitskontexten entfaltet einzelfallübergreifend Relevanz.

16 Die Herstellung von Sicherheit für Klient*innen innerhalb der Institution, im Sinne eines Schutzes voreinander, wird von Experten der Arbeitsfelder Strafvollzug und Jugendstrafvollzug thematisiert, jedoch als bedingt (I2) bis nicht realisierbar (I5) eingeordnet.

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Die Experten beschreiben ihre Arbeitskontexte als per se unsicher. In den Interviews wird auf existente Risiken und unmittelbare Bedrohungen hingewiesen, die mit problematischer Devianz respektive Kriminalität verbunden sind, und Sicherheitsgefahren für Körper und Seele der Fachkräfte bedeuten. Ein Experte mit beruflichen Vorerfahrungen abseits des Jugendstrafvollzugs macht darauf aufmerksam, dass Sozialarbeiter*innen nicht nur in den beforschten Arbeitsfeldern mit derartigen Sicherheitsgefahren konfrontiert sind, sondern auch in weiteren Handlungszusammenhängen wie bspw. der Kinder- und Jugendhilfe oder dem Streetwork. Im Unterschied zu letzteren schildert der Experte ein weitaus stärker ausgeprägtes subjektives Sicherheitserleben im Jugendstrafvollzug, was er mit dem Bemühen verbindet, Sicherheit im Arbeitskontext herzustellen. Mit Blick auf ihre derzeitigen Arbeitsfelder beschreiben die Experten allesamt subjektives Sicherheitserleben. Drei der fünf Interviewten (I1, I3, I5) thematisieren eine Abhängigkeit des subjektiven Sicherheitserlebens von der objektiven Sicherheitslage. Demzufolge sorgt die Erfahrung eines Übergriffs für subjektives Unsicherheitserleben. Lediglich einer der Experten mit langjähriger Berufserfahrung in ein und demselben Arbeitsfeld (I3) berichtet von einem körperlichen Übergriff im Arbeitskontext und der danach zeitweise erlebten Unsicherheit. Ansonsten schildern die Experten lediglich eine wiederkehrende Betroffenheit von verbalen Übergriffen, die als nachvollziehbar und bewältigbar eingeordnet werden. Für andere Berufsgruppen (Pflege und Vollzugsdienst), die wegen ihrer andersgearteten Zuständigkeit vermehrt Übergriffen ausgesetzt sind, wird dahingegen ein ausgeprägtes subjektives Unsicherheitserleben beschrieben (I1, I2, I5). Abbildung 3 fasst die vielfältigen Aussagen der interviewten Experten hinsichtlich der Frage zusammen, wie Sicherheit im Arbeitskontext für sie hergestellt wird.

Abbildung 3: Wie wird Sicherheit im Arbeitskontext hergestellt?

Sicherheit wird räumlich durch andere Akteure hergestellt, indem Freiheiten der Klient*innen im Fall akuter Fremdgefährdungen räumlich begrenzt werden und Fachkräften der Sozialen Arbeit Büros als Rückzugsmöglichkeiten zur Verfügung stehen (I1, I5). Technische Alarmgeräte sorgen den Darstellungen zufolge ebenfalls

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für Sicherheit (I1, I3, I4, I5). Organisatorisch wird Sicherheit durch entsprechende Strukturen, Regeln und Vorschriften hergestellt (I3, I4, I5). Ferner werden Fortbildungsangebote zu den Themen Sicherheit, Deeskalation und Prävention in verschiedenen Interviews hervorgehoben (I2, I3, I5). Auch die Thematisierung des objektiv unsi-cheren Arbeitskontextes und des geeigneten Umgangs mit eben diesem dient der Herstellung von Sicherheit (I2); genauso wie Reflexion und Supervision einen Beitrag leisten (I1). Methodisch lässt sich Sicherheit herstellen, indem ein geeignetes Setting gewählt wird und die Gesprächsführung die Besonderheiten der Situation berücksichtigt (I1, I5). Eine gute Arbeitsbeziehung sei ebenso zuträglich (I1, I2, I5). Ferner wird in den Experteninterviews erörtert, welche Instrumente zur Herstellung von Sicherheit ungeeignet oder gar kontraproduktiv wirksam sind. Eine klare Positionierung zeigt sich mit Blick auf den Sicherheitsdienst (I1), wobei es sich um „eingekaufte Sicherheit“ handle, „die sich so mal nicht herstellt“17, und Waffen (I2, I5), denen eine gegenteilige Wirkung zugesprochen wird, während sich diese Mittel für andere Berufsgruppen zur Herstellung von Sicherheit eignen. Außerdem wird diskutiert, inwiefern Mittel sowohl Sicherheit herstellen als auch gefährden können. „in dem wir davon ausgehen dass wir, (.) mit gefährlichen klienten zu tun haben. verhalten se sich vielleicht auch, (.) ähm geFÄHrlich. oder in dem ich als vorgesetzter des thema sicherheit kommunizier, (.) ähm. wirds erscht bei den MITARBEITERN präsent und sie fühlen sich vielleicht UNsicherer und brauchens- hams gefühl sie brauchen noch mehr ABsprachen. (.) sie brauchen mehr technische, (.) devices. sind im gespräch dann vielleicht auch UNSICHERER und des=des setzt so ne DYNAmik (.) in GANG wo (.) wos dann vielleicht auch eher zu, (.) zu konfliktären ähm. (.) situationen zwischen (.) bewährungshelfer und äh klient kommt.“ (I4)

Fallübergreifend zeigt sich mit Blick auf die unsicheren Arbeitskontexte – im Gegensatz zu anderen Berufsgruppen, die sich im selben Kontext bewegen – ein ausgeprägtes subjektives Sicherheitserleben der Sozialarbeiter, bedingt durch ausbleibende Viktimisierungserfahrungen und diverse Mittel zur Herstellung von Sicherheit im besagten Kontext, deren kontraproduktive Wirkung nicht auszuschließen ist. In Anbetracht des differenzierten Sicherheitsverständnisses gerät die Sicherheit von Fachkräften ins Blickfeld, die mit Klient*innen befasst sind, denen ein Sicherheitsrisiko attestiert wird, das trotz institutioneller Zuständigkeit fortbesteht. Dementsprechend ist die Sicherheit anderer Klient*innen in geschlossenen Institutionen genauso bedroht. Eine systematische Betrachtung der Betroffenheit beider Akteursgruppen steht bis dato aus. Unsere Studienergebnisse deuten darauf hin, dass die Möglichkeiten von Sozialarbeiter*innen, die Klient*innen voreinander zu schützen, begrenzt sind. Entgegen unserer Erwartungen scheint das subjektive Sicherheitserleben von Sozialarbeiter*innen durch das fortbestehende Sicherheitsrisiko nicht nennenswert beeinträchtigt. Es ergeben sich keine Hinweise auf erhöhte Sicherheitsbedürfnisse oder Forderungen nach mehr Instrumenten zur Gewährleistung der eigenen 17 Transkript-Auszüge werden im Fließtext um der besseren Lesbarkeit Willen geglättet und bleiben bei abgesetzten Zitaten im Original erhalten.

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Sicherheit im Arbeitskontext, wie dies mit Blick auf den bisherigen Kenntnisstand anzunehmen wäre. Dahingegen werden derartige Reaktionen für andere Berufsgruppen beschrieben. Eine mögliche Erklärung für die verschiedenen Reaktionsweisen könnte das unterschiedliche Mobilitätsmaß sein. Während Sozialarbeiter*innen weniger auf Station beziehungsweise im Vollzug umhergehen, Rückzugsräume stärker nutzen und mehr Handlungsspielräume haben, um Nähe und Distanz im Kontakt mit Klient*innen zu regulieren, sehen sich Pflegekräfte und Mitarbeitende im Vollzugsdienst dem Sicherheitsrisiko der höheren Mobilität wegen stärker ausgesetzt. Das ausgeprägte Sicherheitserleben der Sozialarbeiter*innen könnte neben den ihrerseits vorgebrachten Erklärungen durch deren Selbstverständnis bedingt sein, demnach es gilt, Unsicherheiten in gewissem Maß auszuhalten (siehe Kapitel 9.4). Ferner legen die Ergebnisse eine reflexive Kompetenz von Sozialarbeiter*innen nahe, bezogen auf die Möglichkeiten, Sicherheit im Arbeitskontext für Fachkräfte herzustellen. Das Sicherheits-Paradoxon respektive Sicherheitsdilemma ist Teil der Erzählungen. 9.3 Hilfe als konstitutiver Akt für Sicherheit Hilfe wird in allen Experteninterviews als konstitutiver Akt für Sicherheit thematisiert. Diesem einzelfallübergreifenden Muster zufolge stellen Fachkräfte der Sozialen Arbeit Sicherheit her, indem sie Klient*innen helfen. Dabei rekurrieren alle interviewten Experten auf Sicherheit für die Gesellschaft im öffentlichen Raum18, während der Bewährungshelfer eine Konkretisierung vornimmt. „wir tragen ja schon dazu BEI, dass die gesellschaft. (.) ähm. (1) sicherer isch. […] inwiefern wir zum !SUB!JEKTIVEN sicherheitsempfinden der bevölkerung beitragen, (.) des (.) isch glaub ich eher gering. (.) dazu sind wir NET (1) äh: in der öffentlichen: (.) WAHRnehmung präsent genug.“

Hier wird dem Kollektiv der Bewährungshelfer*innen in der Modalität fragloser Gewissheit dahingehend Wirkmächtigkeit zugeschrieben, dass dessen Handeln den Zustand öffentlicher Sicherheit mitunter bedingt. Infolge wird die Wirkmächtigkeit auf die objektive Sicherheitslage beschränkt. Die Experten beschreiben Sicherheit konsequent als Zieldimension sozialarbeiterischen Handelns. Primär wird die Herstellung von öffentlicher Sicherheit mit der Gesellschaft als Auftraggeberin verbunden. Gleichwohl klassifizieren die Interviewten den Auftrag nicht als gänzlich fremdzugewiesen, sondern verorten diesen zugleich in der eigenen Profession und bei den Klient*innen. Besonders deutlich zeigt sich dies in Erzählpassagen infolge der hypothetischen Nachfrage, welcher Stellenwert Sicherheit noch zukäme, angenommen Soziale Arbeit wäre frei von fremden Aufträgen. Ein Experte äußert sich beispielsweise wie folgt: „ich denke, die Richtung und das Ergebnis, wenn man so will, oder zumindest das Ziel wird das Gleiche sein“ (I5). Andere Experten führen 18 Vereinzelt finden Personen aus dem nahen Umfeld der Klient*innen gesondert Erwähnung, die bereits Opfer geworden sind; die Sicherheit dieser Gruppe in privaten Räumen wird durch sozialarbeiterisches Hilfehandeln ebenfalls gewährleistet.

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in diesem Zusammenhang aus, dass Sicherheit auch in diesem Fall „indirekt“ (I4) als „Folgeeffekt“ (I2) des originären sozialarbeiterischen Hilfehandelns hergestellt würde. Plausibilisiert wird dieser Effekt mit folgendem Konzept: „wenn ich davon ausgehe dass dann bei dieser perSON aufgrund der (.) ganz speziellen konstellaTION ja oder ganz speziellen sachlage STRAFtaten passieren (.) ja (.) dann is ja JEde handlung die ich (.) MACHe (.) um diese NOT (.) zu lindern (.) ähm: (.) wär dann ja für die sicherheit (.) ne,“ (I1)

Demnach bedingen spezifische situative Kontexte – wie z. B. Obdachlosigkeit, Arbeitslosigkeit, Armut, Verschuldung, stoffgebundene Süchte oder andere Erkrankungen – im Einzelfall problematische Devianz bzw. Kriminalität, die öffentliche Unsicherheit erzeugen. Im Umkehrschluss kann öffentliche Sicherheit wiederhergestellt werden, indem solchen Personen Hilfe zuteilwird. Dieses Konzept wird in nahezu allen Experteninterviews zur Plausibilisierung eingesetzt. Allerdings wird nicht nur die Gesellschaft als Referenzobjekt in den Interviews angeführt, sondern auch das hilfeerfahrende Individuum, für das (mehr) Sicherheit durch Hilfe gewährleistet werden soll; etwa durch den Versuch von Sozialarbeiter*innen in der Psychiatrie „das Knäul an objektiven Verunsicherungen [wie z. B. Wohnungslosigkeit oder fehlende Krankenversicherung] zu entwirren“ und die Patient*innen zu befähigen, sich infolge der Entlassung „in ihrer Unsicherheit dann auch bewegen [zu] können“. Das einzelfallübergreifende Muster – Hilfe als konstitutiver Akt für Sicherheit – enthält zudem qualitative Aussagen zum zeitlichen Horizont. So wird durchgängig bekundet, dass Sicherheit mit sozialarbeiterischem Hilfehandeln prospektiv hergestellt wird, will heißen über den Aufenthalt in den entsprechenden Institutionen hinaus, die öffentliche Sicherheit durch Einschluss herstellen. In den Interviews finden sich Positionierungen der Experten, die mit Distanzierungen vom institutionellen Sicherungsauftrag verbunden sind, wie das folgende Zitat exemplarisch verdeutlicht. „also der vollzug hat ja nicht nur diese=diesen behandlungsauftrag sondern des is auch en sicherungsAUFtrag. das heißt die gesellschaft soll vor straftaten gesSCHÜTZT werden. durch die inhafTIERung durch die sicherungmaßnahmen der inhaftierung. äh daran seh ich mich gar nicht beteiligt. da seh ich auch keine aufgabe des sozialDIENstes also ich werde niemanden fesseln, ähm ich seh mich auch nich=äh (2) jetzt in der situation irgendjemanden in seinen GRUNDrechten einzuschü=äh einzu=zu=schränken,“ (I2)

Wenngleich die Wirksamkeit von Freiheitsbeschränkungen bezogen auf die nachhaltige Herstellung von Sicherheit in allen Interviews infrage gestellt bis kritisch bewertet wird, betonen die Experten mehrheitlich das Erfordernis im Einzelfall sowie den ermöglichenden Charakter hinsichtlich der Entscheidung ihrer Klient*innen für Hilfe und das eigentliche sozialarbeiterische Hilfehandeln. Fallübergreifend bleibt festzuhalten: Soziale Arbeit stellt Sicherheit für die Gesellschaft prospektiv vermittelt über Hilfe her, die zunächst Sicherheit für Klient*innen schafft. Dieser Aussage liegt ein spezifisches Konzept von Devianz zugrunde.

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Der Sicherheitsauftrag, den Soziale Arbeit von verschiedenen Akteuren – sich selbst eingeschlossen – erhält, unterscheidet sich vom Sicherungsauftrag der Institution. Aufgrund der Verwobenheit von Selbstverständnis und Handlungspraxis werden die je fallübergreifenden Erkenntnisse am Ende des Kapitels 9.4 gemeinsam diskutiert. 9.4 Sicherheitshandeln und Grenzen Sicherheit war, ist und wird den interviewten Experten zufolge stets Ziel und im Idealfall auch Ergebnis sozialarbeiterischen Handelns sein. In den Passagen, in denen die Rede vom beruflichen Alltag ist, steht der Hilfscharakter des Handelns im Vordergrund. In Anbetracht der Präsenz beschreibt ein Experte den gesellschaftlichen Auftrag als weniger handlungsleitend wie den der Klient*innen. „jetzt hab ich grad eben GROß mit der gesellschaft un so weiter (.) diese verpflichtung spür ich im alltag fast NIE (.) ja weil des so was diFUSSes is es is ja nich so dass hier jetzt jemand klopft un sagt (.) herr [NAME_1] (.) ich wohn in [STADT_1] bitte machen sie ihren job gut ja (.) des heißt natürlich is man im alltag immer mit dem patienten konfrontiert“ (I1)

Während ein anderer betont, dass Soziale Arbeit seinen Erfahrungen nach auch von den Klient*innen „eher [als] Hilfsangebot“ (I5) gedeutet wird. Das sozialarbeiterische Hilfehandeln umfasst zum einen die Besserung der spezifischen situativen Kontexte, in denen Devianz zustande kommt, „wenn ich nämlich (.) im laufe der behandlung hier feststelle (.) jemand lebt auf der straße un hat in diesem ganzen kontext ganz viele straftaten begangen (.) […] un ich dann ganz AKtiv mit dem zusammen dafür sorge dass der zukünftig NICH mehr obdachlos is sondern einen (.) festen wohnrahmen hat“ (I1) zum anderen die Befähigung des Einzelnen, „aber auch bei der alltagsbeWÄltigung im allgemeinen=Also m:m:m KEnntnisse und fähigkeiten zu verMITTeln also erfolgreich den eigenen alltag zu bewältigen OHNE dabei straftaten zu begehen.“ (I2)

womit primär Sicherheit für einzelne Klient*innen hergestellt wird und sekundär Sicherheit für andere Gesellschaftsmitglieder. Die Mitwirkung der Klient*innen in Form von „Koproduzent*innen“ (I4) wird in allen Experteninterviews als wesentliche Voraussetzung für sozialarbeiterisches Hilfehandeln beschrieben. In dem Zusammenhang wird darauf hingewiesen, dass die Vorstellungen von Klient*innen und Fachkräften auseinanderfallen können, weshalb das Erzeugen von intrinsischer Veränderungsmotivation als vorgängige Aufgabe dargestellt wird, für die Beziehungsarbeit höchst bedeutsam ist. Eine gute Arbeitsbeziehung sei auch der Qualität von Prognosen zuträglich, woran Sozialarbeiter*innen neben anderen Akteuren beteiligt sind (I1, I5). Dabei sind Chancen und Risiken in Verbindung mit mehr Freiheiten für die Klient*innen abzuwägen. Von der Annahme ausgehend, dass Menschen nicht steuerbar sind (I1, I5), werden Instrumente zur Standardisierung der Ri-

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sikoanalyse und -bewertung lediglich als „Hilfswerkzeug“ (I5) eingeordnet, die eine fachliche Abwägung keineswegs ersetzen können. Der Experte aus dem Arbeitsfeld Forensik legt dar, dass jedes Zugeständnis von Freiheit „einen Moment der Unsicherheit bedeutet […], die in Kauf“ zu nehmen sei. Die Position des Experten aus dem Arbeitsfeld Strafvollzug schließt hieran an. Aus sozialarbeiterischer Perspektive seien solche Unsicherheiten gerade in „kritischen Fällen“ auszuhalten und im Team entsprechende „Überzeugungsarbeit“ zu leisten. Im Zuge der Begleitung der Klient*innen in Freiheit obliegt den Fachkräften der Sozialen Arbeit gemäß den Ausführungen der Interviewten der prüfende Blick sowie Problembewertungen und -anzeigen gegenüber anderen Akteuren mit Sicherheitsauftrag, wobei Spielräume existieren (I1, I4). In mehreren Interviews (I1, I2, I3) wird die Zuschreibung „Sozialarbeiter*innen seien immer die Netten und Guten“ eingeschränkt. Die Beteiligung an Prognosen und die gerade benannten Kontrollaufgaben sind ebenfalls sozialarbeiterischem Sicherheitshandeln zuzurechnen, wenngleich mit Blick auf das erzählende und erzählte Ich die Hilfe im Vordergrund steht. „man will des ja nicht ständig im VORdergrund haben […] des heißt man versucht dann en besuch auch WOHLwollend und HELfend [zu gestalten] ja (.) aber mit einem auge kuckt man natürlich SCHON un überlegt bei Jedem- (.) bei jeder KRIse oder bei jedem problematischen thema (2) geht des, geht des nicht,“ (I1)

In allen Experteninterviews werden Veränderungen im Kontext einer verstärkten gesellschaftlichen Sicherheitsorientierung beschrieben, die nicht zuletzt durch mediale Falldarstellungen befördert wird (I4, I5), welche die Idee einer „heile[n] Welt“ (I5) deskonstruieren. Die originär gesellschaftliche Forderung nach dem Ausschluss von Risiken schlage sich im Arbeitsfeld nieder, führe zu Handlungsunsicherheiten bei Fachkräften, einer akribischen Dokumentationspraxis, da im Falle fehlerhafte Einschätzungen die Suche nach Verantwortlichen beginnt (I4), und zur Zurückhaltung anderer Akteure mit Sicherheitsauftrag beim Zugeständnis etwaiger Freiheiten (I4, I5). Ferner sei zu beobachten, dass den Institutionen mehr Klient*innen zugewiesen würden (I2, I5). In diesem Zusammenhang betonen die interviewten Experten allesamt die Notwendigkeit einer Positionierung der Sozialen Arbeit. Einerseits um Willen des Erhalts ihres professionellen Selbstverständnisses. So äußert der Bewährungshelfer klar, „das ist nicht unser Handlungsauftrag, da Ermittlungsarbeit zu tun“. Andererseits um als Korrektiv wirksam zu werden, was die Handlungspraxis im Arbeitsfeld betrifft. Derzeit seien es die Sozialarbeiter*innen, „die da immer darauf drängen müssen und sagen, das ist die falsche Richtung“ (I5). Wie zu Beginn des Kapitels erwähnt, wird Sicherheit als Ziel und im Idealfall Ergebnis sozialarbeiterischen Handelns dargestellt, doch thematisieren alle Experten im Interview eigeninitiativ Grenzen bezogen auf die Herstellung von Sicherheit. Oben wurde bereits auf die Unmöglichkeit hingewiesen, Klient*innen zu steuern. Dementsprechend weisen Interviewte darauf hin, dass Klient*innen sich erneut in unsichere Kontexte begeben können (I1, I3, I5) oder gar in geschlossen Einrichtungen Straftaten begehen (I1). Durchweg wird betont, dass sozialarbeiterisches Sicherheitshandeln durch die fehlende Mitwirkung der Klient*innen begrenzt wird. Das

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Ausbleiben einer intrinsischen Veränderungsmotivation wird mit der Funktionalität von deviantem Verhalten in Verbindung gebracht (I2, I5). Sozialarbeiterisches Sicherheitshandeln erfährt außerdem Grenzen durch Teamentscheidungen und die Justiz als letzte Entscheidungsinstanz (I1, I5). Infolge des Fallvergleichs lässt sich resümieren: Wenngleich sozialarbeiterisches Sicherheitshandeln Hilfe – konkretisiert als Besserung der Devianz förderlichen Kontexte und Befähigung der Klient*innen – Kontrollaufgaben umfasst, dominiert im beruflichen Alltag Hilfe und das Mandat der Klient*innen. Gleichwohl ist das primär vom Hilfsgedanken geleitete Sicherheitshandeln an Voraussetzungen gebunden und erfährt Grenzen. Eine Positionierung der Sozialen Arbeit ist in Anbetracht der gesellschaftlichen Sicherheitsorientierung, die durch mediale Darstellungen verstärkt wird, und den entsprechenden Konsequenzen für die Arbeitsfelder unerlässlich. Dabei entfaltet neben der Zieldimension Sicherheit das Aushalten von Unsicherheit zentrale Bedeutung. Die beiden Forschungsfragen, wie ist der Sicherheitsauftrag in das professionelle Selbstverständnis integriert und wie wird dieser praktisch ausgestaltet, können auf Basis des Materials folgendermaßen beantwortet werden: Soziale Arbeit wird von verschiedenen Akteuren – sich selbst eingeschlossen – mit Sicherheitsaufträgen betraut, denen sie sich annimmt. Die entsprechenden Sicherheiten werden primär im Modus der Hilfe hergestellt, während kontrollierende Momente nicht ausbleiben und ihre Möglichkeiten, Sicherheiten herzustellen, begrenzt sind. Öffentliche Sicherheit im Interesse der Gesellschaft kann den interviewten Experten zufolge durch Sicherheit für einzelne Klient*innen mithergestellt werden. Letztere umfasst subjektive Handlungssicherheit sowie soziale Sicherheit. Im Vergleich zu Scherrs Gebrauch von sozialer Sicherheit, geht das Verständnis der Interviewten über finanzielle Sicherheiten hinaus. Mit der Beseitigung von Obdachlosigkeit würde ebenfalls soziale Sicherheit erzeugt. Damit legen sie ein weites Verständnis von sozialer Sicherheit an, das auf Kontexte verweist, welche Devianz nicht fördern. Wird diese Form der sozialen Sicherheit für Klient*innen realisiert, wäre deren Lebenslage weniger prekär und in der Konsequenz ein geringeres Viktimisierungsrisiko für die Klient*innen selbst anzunehmen. Insofern würde Sicherheit auch in dieser Hinsicht für Einzelne hergestellt. Gemäß dem Selbstverständnis der interviewten Experten zielt sozialarbeiterisches Handeln zunächst auf die Sicherheiten der Klient*innen, wobei die Semantik der Hilfe gewählt wird. Dementsprechend wäre sozialarbeiterisches Handeln – entgegen Oevermanns Postulat – nicht primär im Funktionsfokus Recht und Gerechtigkeit zu verorten, sondern vielmehr im Fokus somatopsycho-soziale Integrität einer je partikularen Lebenspraxis. Trotz Umkehr der Gewichtung, werden Kontrollmomente thematisiert; vor allem im Kontext der Begleitung von Entwicklungen der Klient*innen in Freiheit. Zudem zeigt schon die Annahme, gesellschaftliche Sicherheit werde durch individuelle Sicherheit vermittelt, dass die interviewten Sozialarbeiter neben ihren Klient*innen andere Akteure im Blick haben und sehr wohl von einem Tripelmandat (Staub-Bernasconi) ausgehen. Ferner

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wäre das fallübergreifende Muster Hilfe als konstitutiver Akt für Sicherheit gemäß Kraus’ Überlegungen dahingehend zu hinterfragen, ob nicht – zumindest stellenweise – die Rede von instruktiver Kontrolle anstelle von Hilfe angebracht wäre. Während die interviewten Sozialarbeiter den Institutionen Möglichkeiten destruktiver Kontrolle bei der Herstellung von öffentlicher Sicherheit zuschreiben, bleiben die eigenen Möglichkeiten weitestgehend auf instruktive Kontrolle beschränkt. Sozialarbeiter*innen stellen Sicherheit nicht durch Einschluss her, dem sich Klient*innen nicht entziehen können, sondern durch Bestrebungen, deviantes Verhalten in konformes Verhalten zu transformieren, denen sich Klient*innen durchaus widersetzen können. Im Gegensatz zum Sicherungsauftrag von Institutionen kann beim sozialarbeiterischen Sicherheitshandeln keine Ergebnissicherheit angenommen werden. Die Distanzierung von destruktiver Kontrolle vermag das gravierendste Strukturproblem Sozialer Arbeit im Oevermannschen Sinne abzumildern. Dennoch werden Paradoxien – wie von Schütze für professionelles Handeln charakteristisch – gesehen und durch eine Priorisierung bewältigt, ohne diese zu ignorieren oder aufzulösen. Insgesamt zeigt sich ein der zunehmenden Sicherheitsorientierung widerständiges professionelles Selbstverständnis.

10. Schlussbetrachtung Der Diskurs um Sicherheit wird von unterschiedlichen Disziplinen geführt und bestimmt. Soziale Arbeit als Profession und Wissenschaft nimmt bislang an Sicherheitsdialogen, der Erstellung von Sicherheitsbarometern und Foren, in denen Sicherheit diskutiert wird, nicht prominent teil. Wenngleich die interviewten Experten darauf hinweisen, dass nicht nur in ihren Arbeitsfeldern Sicherheitsdilemmata und Sicherheitsparadoxien virulent sind, sondern in diversen Kontexten, in denen sich Soziale Arbeit bewegt, womit die zentrale Bedeutung des Konstrukts Sicherheit für die Soziale Arbeit abermals betont wäre. Die Sozialarbeitswissenschaft liefert für den Diskurs wichtige Beiträge etwa durch konstruktivistische Ansätze, das Lebensweltund Lebenslagenkonzept und die Differenzierung im Kontext von Hilfe und Kontrolle zwischen instruktiver und destruktiver Macht. In Handlungsfeldern der Sozialen Arbeit, in denen Fachkräfte einem professionellen Auftrag nachkommen und mit Adressat*innen befasst sind, von denen Risiken für Sicherheit ausgehen, fühlen sich Professionelle erstaunlich sicher. Soziale Arbeit repliziert mithin bezüglich des eigenen Professionsumfeldes das Sicherheitsparadoxon nicht, sondern zeigt sich gegenüber dem ausufernden Sicherheitsbedürfnis als widerständig. Dies gilt auch für die Balance „Sicherheit schaffen“ und „Risiken in Kauf nehmen“, die es zu wahren gelte, so die interviewten Expert*innen. Auf ein mehr an Sicherheit fokussierte Anfragen wird selbstbewusst und reflektiert ein professionelles Selbstverständnis entgegengesetzt, das auf Stärkung der Handlungssicherheit und sozialen Sicherheit des Einzelnen setzt, wodurch öffentliche Sicherheit bestenfalls mithergestellt wird. In Anbetracht der selbstzugeschriebenen Wirkmächtigkeit, aber auch

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deren Grenzen, was die Herstellung von Sicherheit betrifft, ist Soziale Arbeit wesentliche Akteurin im Herstellungsprozess. Zudem rücken die Fachkräfte nicht von der Haltung ab, Risiken seien auch in einer verstärkt auf Sicherheit bedachten Zeit zugunsten ihrer Adressat*innen in Kauf zu nehmen, bei denen ein Leben ohne Gefährdung anderer gelingen könne, aber ein Misslingen nicht völlig auszuschließen sei. Die Wissenschaftsdisziplin Soziale Arbeit und die Professionstheorie können einen wichtigen Beitrag zum interdisziplinären Sicherheitsdiskurs leisten. Ein Anfang und in Teilen eine Fortführung werden mit diesem Beitrag geleistet. Literaturverzeichnis Albrecht, H.-J. (2016): Wandel der Sicherheit – Von präventiver zu präemptiver Sicherheit? Entwicklungen der Sicherheitspolitik in Systemen des öffentlichen Personentransports, in: S. Fischer & C. Masala (Hrsg.), Innere Sicherheit nach 9/11. Sicherheitsbedrohungen und (immer) neue Sicherheitsmaßnahmen. Wiesbaden, S. 209 – 229. Bereswil, M. & Neuber, A. (2018): Jugendkriminalität und Männlichkeit, in: B. Dollinger & H. Schmidt-Semisch (Hrsg.), Handbuch Jugendkriminalität. Interdisziplinäre Perspektiven. 3. Aufl. Wiesbaden, S. 357 – 374. Birkel, C. & Guzy, N. (2015): Die Dunkelfeldbefragung: Konzeption und erste Ergebnisse, in: R. Haverkamp & H. Arnold (Hrsg.), Subjektive und objektivierte Bedingungen von (Un-)Sicherheit. Studien zum Barometer Sicherheit in Deutschland (BaSiD). Berlin, S. 117 – 146. Birkel, C., Hecker, M. & Haverkamp, R. (2015): Datenbasis objektivierte (Schadens-)Ereignisse zu Terrorismus in Deutschland, in: R. Haverkamp & H. Arnold (Hrsg.), Subjektive und objektivierte Bedingungen von (Un-)Sicherheit. Studien zum Barometer Sicherheit in Deutschland (BaSiD). Berlin, S. 67 – 86. Blinkert, B., Eckert, J. & Hoch, H. (2015): (Un-)Sicherheitsbefindlichkeiten. Explorative Studie über Sicherheitseinschätzungen in der Bevölkerung, in: R. Haverkamp & H. Arnold (Hrsg.), Subjektive und objektivierte Bedingungen von (Un-) Sicherheit. Studien zum Barometer Sicherheit in Deutschland (BaSid). Berlin, S. 147 – 203. Boers, K. & Reinecke, J. (2007): Delinquenz im Jugendalter. Erkenntnisse einer Münsteraner Längsschnittstudie. Münster. Bogner, A., Littig, B. & Menz, W. (2005): Das Experteninterview. Theorie, Methode, Anwendung. 2. Aufl. Wiesbaden. Böhnisch, L. & Lösch, H. (1973): Das Handlungsverständnis des Sozialarbeiters und seine institutionelle Determination, in: H. Otto & S. Schneider (Hrsg.), Gesellschaftliche Perspektiven der Sozialarbeit. 2. Aufl. Neuwied, S. 21 – 40. Boxberg, V. (2017): Entwicklungsintervention Jugendstrafe. Lebenskonstellationen und Re-Integration von Jugendstrafgefangenen. Wiesbaden. Bundeskriminalamt (Hrsg.) (2019): Der Deutsche Viktimisierungssurvey 2017. Opfererfahrungen, kriminalitätsbezogene Einstellungen sowie die Wahrnehmung von Unsicherheit und Kriminalität in Deutschland; https://www.mpicc.de/media/filer_public/c9/13/c91358721876-48f0-8899-906a2f26d530/2018ersteergebnissedvs2017.pdf [16. 11. 2019].

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Vom Hochhaus zum Wohnturm Strategien der Kriminalprävention im vertikalen Wohnen Von Tim Lukas

1. Einleitung Angesichts steigender Mieten und einer konstant hohen Nachfrage nach städtischem Wohnraum wird die Planung neuer Wohnhochhäuser1 vielerorts als eine Möglichkeit verstanden, mit der sich dem fundamentalen Wohnraummangel in den Großstädten begegnen lässt. Um den öffentlichen Freiraum zu schützen, ist es das Ziel gegenwärtiger Stadtentwicklung, die im Siedlungszusammenhang bestehenden Flächenpotentiale zu identifizieren und optimal auszunutzen. Vor allem die Bereitstellung von ausreichend Baufläche ist die zentrale Herausforderung vieler Großstädte. Eine mögliche Lösung für diese Problemkonstellation wird momentan in einer Renaissance der Wohntürme gesehen. Nachdem sich das Konzept des vertikalen Wohnens im Hochhaus in seiner Geschichte (nicht nur) in Deutschland mit zyklischen Konjunkturen konfrontiert sah, kam die Entwicklung Mitte der 1980er Jahre zumindest in (West-)Deutschland fast gänzlich zum Erliegen. Zu negativ waren die Erfahrungen mit den hochhausbebauten Großsiedlungen der 1960/70er Jahre. Unmittelbar nach 9/11 dachten gar viele, die Ära der Hochhäuser sei vollständig an ihr Ende gekommen. Gleichwohl lässt sich seit einigen Jahren ein Erstarken dieser Wohnform feststellen. So entstanden in deutschen Großstädten allein im Zeitraum zwischen 2012 und 2020 insgesamt 11.467 Wohnungen in 78 neu errichteten Wohnhochhäusern (Bulwiengesa AG 2018, 9). Und der Trend scheint sich weiter fortzusetzen. Vor diesem Hintergrund geht der Beitrag der Frage nach, inwieweit aus den Fehlern der Vergangenheit gelernt wurde und worin sich die Wohnturmkonzepte der Gegenwart von den hochhausbebauten Großsiedlungen der 1960/70er Jahre unterscheiden. Zentrales Augenmerk gilt dabei den Strategien der städtebaulichen Kriminalprävention, mit denen der Versuch unternommen wird, vertikales Wohnen als eine 1 Die Definitionen dessen, was als Hochhaus betrachtet wird, sind vielfältig. Manche definieren Hochhäuser als Gebäude mit mehr als 10 Geschossen oder mit einer Höhe von mehr als 100 Metern (Klasmann 2004, 10). Die nordrhein-westfälische Bauordnung definiert Hochhäuser als Sonderbauten mit einer Fußbodenhöhe des höchstgelegenen Stockwerks von mehr als 22 Metern (§ 50 Abs. 2 Nr. 1 BauO NRW 2018). Diese Definition liegt auch der Geschäftsordnung des Hochhausbeirats in der Landeshauptstadt Düsseldorf (2019) zugrunde, auf die sich der vorliegende Artikel im weiteren Verlauf bezieht.

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urbane und sichere Wohnform zu etablieren. Der vorliegende Beitrag berichtet Befunde leitfadengestützter Experteninterviews, die im Rahmen des BMBF-Projekts „Sicherheit im Bahnhofsviertel (SiBa)“ realisiert wurden (Haverkamp et al. 2018).2 Da auch im Umfeld des Düsseldorfer Hauptbahnhofs die Errichtung mehrerer Wohntürme geplant ist, stellten sich innerhalb der Fallstudie Fragen, die nicht nur die Sicherheit des öffentlichen Raums betreffen, sondern auch die städtebauliche und architektonische Gestalt der Wohnumgebung im Bahnhofsviertel thematisieren. Die Neubauvorhaben rund um den Hauptbahnhof beschäftigten im November 2015 auch den Kriminalpräventiven Rat der Stadt Düsseldorf, zu dessen Sitzung der Autor aufgrund seiner im Jahr 2009 bei Hans-Jörg Albrecht eingereichten Dissertationsschrift eingeladen war (Lukas 2010).

2. (Image-)Probleme des vertikalen Wohnens Der schlechte Ruf des Wohnhochhauses entspringt den Erfahrungen, die in beiden Teilen Deutschlands mit dem Bau der hochhausbebauten Großsiedlungen am Rande der Städte gemacht wurden. Schon in der DDR galten die in den Neubauvierteln realisierten mehrgeschossigen Wohnplattenbauten als „Arbeiterschließfächer“ (Volksmund), „Komfortzellen“ (Brigitte Reimann) oder gar als „Fickzellen mit Fernheizung“ (Heiner Müller). Während sich darin Kritik vor allem an den normierten und beengten Wohnverhältnissen in den überdimensionierten Wohnblöcken ausdrückte, entsprachen die Neubaugebiete jedoch überwiegend den Wohnpräferenzen ihrer Bewohnenden (Häußermann & Kapphan 2002, 71). Der Bezug einer Neubauwohnung in der ,Platte‘ bedeutete für viele DDR-Bürgerinnen und -Bürger die Lösung langjähriger Wohnungsprobleme im System der staatlichen Wohnungsvergabe, in dem die Alternative häufig nur im maroden Altbau einer verfallenden Innenstadt bestand. Die Krise der ostdeutschen Großsiedlungen begann erst mit dem Systemumbruch, als mit der sukzessiven Sanierung der historischen Altbaubestände und der Errichtung zahlreicher Einfamilienhaussiedlungen die Anreize wuchsen, die Mietwohnung im Plattenbau zugunsten einer Mietwohnung im Gründerzeitviertel oder gegen Wohneigentum im Umland einzutauschen. Die selektive Entmischung der vormals stabilen Bevölkerungsstruktur und die grassierenden Leerstände schufen einen als problematisch wahrgenommenen Siedlungstyp, dessen Stigmatisierung ins Fahrwasser der bis dahin ausschließlich westdeutsch geprägten Diskussion um 2 Im Projekt SiBa werden Sicherheit und Sicherheitswahrnehmung in den Bahnhofsvierteln der Städte Düsseldorf, Leipzig und München untersucht. Innerhalb der Düsseldorfer Fallstudie wurden im Zeitraum von Dezember 2018 bis September 2019 insgesamt 30 leitfadengestützte Interviews mit 33 Expertinnen und Experten aus den Bereichen der polizeilichen und kommunalen Sicherheitsarbeit und Stadtentwicklung sowie mit Mitarbeitenden der Straßensozialarbeit und Drogenhilfe geführt. In drei Interviews mit Akteuren aus Politik, Kriminalprävention und Projektentwicklung wurde dabei auch die neue Hochhausbebauung des Düsseldorfer Bahnhofsviertels adressiert. Diese Interviews bilden die Grundlage des vorliegenden Artikels.

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Großsiedlungen als Problemsiedlungen geriet. Abriss und Rückbau waren von nun an die vorherrschenden Themen in den Neubausiedlungen von Marzahn-Hellersdorf, Leipzig-Grünau und anderswo. Verstärkt wurde das negative Image durch den äußeren Eindruck, den die monotonen und reizlosen ,Betonschlafstädte‘ bei den Betrachtenden hinterließen – eine Wahrnehmung, die durch die Art und Weise der Medienberichterstattung über die Siedlungen noch verstärkt wurde. Tageszeitungen und Fernsehsendungen berichteten besonders nach den Krawallen in Rostock-Lichtenhagen und Hoyerswerda-Neustadt über die ,Platte‘ als Zentrum des ostdeutschen Rechtsradikalismus (Hannemann 2005, 150). Gegenüber den ostdeutschen Plattenbaugebieten liest sich die Geschichte des vertikalen Wohnens in den westdeutschen Großwohnsiedlungen als ein sequentieller Niedergang (Power 1999, 144), der seinen Ausgang bereits wenige Jahre nach Errichtung der sogenannten Trabantenstädte in den 1960er und 1970er Jahren nahm. Zwar wurden die modern ausgestatteten Wohnungen auch in Westdeutschland allgemein als eine Verbesserung der Wohnsituation empfunden, soziale Anpassungsschwierigkeiten und weite Pendelstrecken zwischen den Standorten für Arbeit und Wohnen führten jedoch sehr schnell zu einer erhöhten Fluktuation und sozialen Entmischungsprozessen unter den Bewohnenden. Besser situierte und gut ausgebildete Bevölkerungsteile, die dem Versprechen urbaner Wohnqualität an den Stadtrand gefolgt waren, gaben nunmehr dem sanierten Altbau in zentraler Lage den Vorzug, während die Wohnungsämter auf den zunehmenden Leerstandsdruck mit der Zuweisung von statusniedrigeren Bevölkerungsgruppen reagierten. Von den verbliebenen Bestandsmieterinnen und -mietern wurde die selektive Entmischung als ein „soziokultureller Abstieg empfunden“ (Hannemann 2000, 6), der die Spirale aus Imageund Leerstandsproblemen weiter verschärfte. Leerstandsquoten von über 40 Prozent waren in einzelnen Großsiedlungen Westdeutschlands keine Seltenheit und führten unweigerlich zu Mietausfällen, die es den Wohnungsbaugesellschaften vielerorts unmöglich machten, notwendige bautechnische Mängel zeitnah zu beseitigen. Ab Ende der 1970er Jahre massierten sich in den Siedlungen die städtebaulichen und sozialen Problemlagen, soziale Konfliktsituationen spitzten sich zu und die einst als Errungenschaften der Moderne gepriesenen Neubaugebiete wurden aufgrund konzentrierter Armuts- und Vandalismusprobleme zusehends als „Sozialghettos“ (Deutscher Bundestag 1994, 34) markiert. Mit Beginn der 1980er Jahre wurde die Bevölkerungsumschichtung in den westdeutschen Großsiedlungen immer deutlicher. Die verbliebenen Haushalte verfügten über einen vergleichsweise geringen sozioökonomischen Status und der Leerstand nahm immer weiter zu, bis Ende der 1980er Jahre der verstärkte Zuzug von Zuwandernden aus der zusammenbrechenden Sowjetunion zu einem vorläufigen Ende der Leerstandsproblematik führte. Unter dem Eindruck einer neuen Wohnungsnot wurden von Bund und Ländern Wohnungsbauprogramme aufgelegt, die sogar zur Förderung neuer großer Siedlungen am Stadtrand oder auf innerstädtischen Brachen führten (Jessen 2000, 115). Inzwischen gelten die randstädtischen Neubaugebiete häufig als Wohnorte der Marginalisierten, als ethnisch und sozial segregierte Quartiere, denen von Seiten der Politik ebenso wie im öffent-

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lichen Diskurs allzu oft nur wenig Beachtung geschenkt wird (Kurtenbach 2018, 160).

3. Neue Perspektiven des vertikalen Wohnens Neben der zunehmenden Verdichtung insbesondere der innenstadtnahen Bereiche, wird die Lösung der Wohnungsfrage in vielen Städten heute erneut im Geschosswohnungsbau gesehen. So wächst etwa die Bevölkerung der Stadt Düsseldorf auf einer vergleichsweise geringen Fläche: „Düsseldorf ist eine wachsende Stadt und wir können weder in die Breite noch in die Länge wachsen. Also müssen wir in die Höhe wachsen“ (Interview, Kriminalprävention, 544 – 545). Die Entwicklung neuer Hochhäuser soll dabei nicht nur einen Beitrag zum Wohnungsbau leisten, sondern auch die raumwirksamen Aspekte der Typologie berücksichtigen. Nicht nur das Beispiel Frankfurt am Main zeigt, wie vertikales Bauen die Silhouette einer Stadt prägen kann. Die Standortwahl neuer Hochhäuser hat daher einen prominenten Einfluss auf das Stadtbild: „Ich glaube, dass Wohnhochhäuser zunehmend kommen werden. Ich glaube, dass sie singulär funktionieren und auch singulär gut sein können und auch so ein Stadtbild prägen können“ (Interview, Politik, 324 – 325). In Düsseldorf wurde dazu bereits im Jahr 2004 ein sogenannter „Hochhausrahmenplan“ verabschiedet, der das Ziel verfolgte, eine nachhaltige Stadtentwicklung durch die Zonierung von Flächen zu gewährleisten. Für den Rahmenplan wurden historisch geprägte Bereiche, wie etwa die Düsseldorfer Altstadt, identifiziert, in denen Hochhäuser grundsätzlich nicht genehmigungsfähig sein sollten. Während in angrenzenden Übergangszonen angepasste Bauhöhen vorgesehen waren, sollten nur an zentralen Schwerpunkten des ÖPNV und innerhalb etablierter Bürocluster keinerlei Bauhöhenbeschränkung gelten (Landeshauptstadt Düsseldorf 2018a, 6). Mit dem allgemein verstärkten Zuzug in die Städte hat sich die Nachfrage nach Wohnraum jedoch auch in Düsseldorf derart verschärft, dass im Rahmen eines Beteiligungsverfahrens zur Anpassung des Hochhausrahmenplans im Jahr 2018 nunmehr nicht mehr die Frage danach gestellt wurde, ob neue Hochhäuser überhaupt gebaut werden sollten, sondern vielmehr, an welchen Orten im Stadtgebiet vertikales Wohnen sinnvoll platziert werden könnte. Von den Teilnehmenden wurden dabei ganz überwiegend zentrale Standorte in der Stadtmitte genannt, für die eine Höhenabstufung vom 18 bis zu 36 Geschossen als verträglich erachtet wurde. Gebäude mit mehr als 36 Geschossen wurden vorrangig für das Gebiet des Düsseldorfer Medienhafens vorgesehen. Während das vertikale Wohnen aufgrund größerer Flächenverfügbarkeit in der Vergangenheit vorrangig am Stadtrand entwickelt wurde, gehen die Präferenzen der Standortwahl heutzutage eher Richtung Stadtzentrum. Der Geschäftsführer eines europaweit agierenden Projektentwicklers mit Sitz in Düsseldorf sieht in der Standortwahl daher den primären Unterschied zwischen der „neuen Generation der Wohntürme“ (Beyerle et al. 2018, 1) und dem Großsiedlungsbau der 1960/70er Jahre:

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„Das erste ist zunächst mal, wo ist der Standort? Früher wurden diese Wohnhäuser irgendwo am Stadtrand gebaut, in irgendwelche Suburbs. Und waren, sagen wir mal, mehr politisch motiviert. Im Osten waren es die Plattenbauten, hier war es die ,Neue Heimat‘. Das heißt, da wurde wegen Wohnungsnot mal schnell was hingeklotzt. Heute sind diese Standorte eher mitten in der Stadt und sie kommen aus dem Nachfrageprofil der Bewohnerschaft. (…) Das heißt, ist eine ganz andere Motivation, ganz anderer Standort“ (Interview, Projektentwicklung, 394 – 399).

Aus immobilienwirtschaftlicher Perspektive erscheint die Errichtung neuer Wohnhochhäuser in Stadtrandlagen ohnehin kaum mehr realisierbar. In einer aktuellen Befragung von Expertinnen und Experten der Immobilienbranche werden als Standorte vor allem die sogenannten TOP7-Städte (Berlin, Düsseldorf, Frankfurt, Hamburg, Köln, München, Stuttgart) und dort insbesondere die Innenstadtlagen als geeignet betrachtet, in denen urbane Funktionen wie kulturelle und kommerzielle Angebote fußläufig oder zumindest mit dem Fahrrad erreichbar sind (Franken 2018, 18 ff.): „Das sind Standorte, die sind aus meiner Sicht gefährdet. (…) Jetzt klappt das natürlich. In dem Markt funktioniert ja eh alles. Aber in zehn, fünfzehn Jahren, kann ich mir vorstellen, dass diese Standorte ähnliche Probleme wiederbekommen. Weil die eben nicht mitten in der Stadt sind, weil, Hochhaus ist etwas für einen urbanen Menschen. Der will mit dem Aufzug runterfahren, bei Starbucks reinfallen, der will mitten in der Stadt sein. Der will kein Auto mehr fahren, der muss neben quirligem Leben sein. Deswegen, wenn Wohnhochaus, dann mitten in der Stadt. Auch integriert in ein Quartier. Und nicht irgendwo an den Stadtrand gestellt. Denn sonst haben wir wieder den gleichen Sicherheitsaspekt, weil so ein Hochhaus hat natürlich schnell dann auch diesen, ja, anonymen Charakter“ (Interview, Projektentwicklung, 417 – 425).

Die Lage im Innenstadtkern stellt das vertikale Wohnen vor besondere Herausforderungen, da sich die problematischen Entwicklungen der hochhausbebauten Stadtrandsiedlungen in dieser zentralen Lage auf keinen Fall wiederholen sollen. In Düsseldorf wurde vor diesem Hintergrund im Jahr 2019 ein Hochhausbeirat eingerichtet, der die Hochhausentwicklung in der Landeshauptstadt kontinuierlich begleiten und bei aktuellen Hochhausprojekten auf der Basis festgelegter Leitprinzipien fachliche Empfehlungen zur Eignung neuer Standorte abgeben soll. Ziel des Hochhausbeirats ist es, „die architektonische/städtebauliche Qualität von Hochhäusern und deren stadtverträgliche Implementierung auf einem hohen Niveau zu sichern sowie Fehlentwicklungen zu vermeiden“ (Landeshauptstadt Düsseldorf 2019, 1). Zu den befürchteten Fehlentwicklungen zählen die seit Jahren unveränderten Problemlagen einer Mehrheit der deutschen Großsiedlungen, die sich steckbriefhaft wie folgt zusammenfassen lassen: „Verwahrlosung der öffentlichen Räume, Vernachlässigung der Bausubstanz, Vandalismus, hohe Gewaltbereitschaft der Bewohner, Jugendkriminalität, abgebrochene Ausbildungen, hohe Arbeitslosigkeit, starke Mieterfluktuation, Wegzug besser gestellter, deutscher Familien, überdurchschnittlicher Anteil an Ausländern und Immigranten, partieller Leerstand“ (Kraft 2011, 52).

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4. Vertikales Wohnen und Unsicherheit Die genannten Fremdzuschreibungen stimmen jedoch nicht immer mit der Eigenwahrnehmung der Bewohnenden überein. Insbesondere der Bedrohlichkeit, mit der die Großsiedlungen seit vielen Jahren assoziiert werden, fehlt in der Alltagsrealität der Bewohnerinnen und Bewohner häufig die Entsprechung (Krischke 2019). Bereits in einer frühen Studie zur Kriminalitätsbelastung ostdeutscher Plattenbaugebiete konnte Flade (1996) die Hypothese einer überdurchschnittlichen Kriminalitätsbelastung in den Siedlungen widerlegen. Tatsächlich liegt „die in Hochhauswohnanlagen registrierte Kriminalität kaum höher als in gewachsenen innerstädtischen Vierteln“ (Weinhauer 2013, 40). Am Beispiel der Großsiedlung Köln-Chorweiler legt Kurtenbach (2017, 108) nahe, dass „weniger von alltäglicher Kriminalität, sondern eher von einer latenten alltäglichen disorder auszugehen [sei], die zwar wahrgenommen, aber nicht als Kriminalität klassifiziert wird.“ Seit jeher standen in den Großsiedlungen Graffiti und Sachbeschädigungen in Treppenhäusern, in Fahrstühlen, an Klingeltableaus oder in Kellern an der Spitze der registrierten Delikte. Die hohe Zahl derartiger Sachbeschädigungen wurde zum einen dadurch beeinflusst, dass in den randstädtischen Wohnanlagen neben der Polizei auch andere Kontrollakteure wie Angestellte der Hausverwaltung und Hausmeister solche Delikte akribisch erfassten. Zum anderen bot die große Zahl von Verbotsschildern in den Hochhaussiedlungen, viele Möglichkeiten zur Sachbeschädigung. Da es für junge Menschen kaum Freizeitmöglichkeiten in den Wohnanlagen gab, reizte die durch diese Schilder festlegte Monofunktionalität von Flächen und Gebäudeteilen zu „kreativen Umnutzungen“ (Weinhauer 2013, 40), die dann strafrechtlich oder als Ordnungswidrigkeiten verfolgt werden konnten. Dennoch rückte der Zusammenhang von Hochhausbebauung und Kriminalität immer wieder in den Blick von Medien, Polizei und Wissenschaft. Insbesondere die Hochhäuser der Großsiedlungen wurden medial schon früh als Hochburgen der Kriminalität etikettiert. So berichtete beispielsweise die Hamburger Morgenpost am 3. April 1978: „Wohnsilos mit über 1000 Familien sind Brutstätten von Verbrechen, Krankheiten, Alkohol- und Drogensucht! Die Kriminalität in solchen Betonburgen ist sieben- bis zehnmal höher als in Gegenden mit normaler Bebauung.“ Der Beststeller ,Wir Kinder vom Bahnhof Zoo‘ und der nachfolgende Kinofilm ,Christiane F.‘ verorteten all diese sozialen Probleme öffentlichkeitswirksam in den Wohnhochhäusern der Berliner Gropiusstadt. Der öffentlichen Berichterstattung dienten die Großsiedlungen somit vorrangig als Schauplätze von Jugend- und Suchtproblemen (Reinecke 2013, 30), die sie auf einen Bautyp zurückführten, der Anonymität befördere und die Ausübung sozialer Kontrolle erschwere. In sozialkritischer Absicht „verfestigte sich so das Bild von Siedlungen der Nachkriegsmoderne als Orte der Devianz und als Gefahr für die öffentliche Ordnung“ (Harnack 2018, 176). Den wissenschaftlichen Hintergrund dazu lieferte der New Yorker Architekt Oscar Newman, der in seinem 1972 erschienenen Hauptwerk „Defensible Space. Crime Prevention through Urban Design“ einen Zusammenhang von Gebäudehöhe

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und Kriminalitätsentwicklung nahelegte. Er stellte fest, dass gerade in den neuen Stadtvierteln und insbesondere in den Hochhäusern die Kriminalität mit der Anzahl der Stockwerke exponentiell zunahm. Auch die Kriminalitätsfurcht stehe demnach in einem unmittelbaren Zusammenhang mit der Wohnhausgröße (Newman & Frank 1982). Vermittelt werde der Zusammenhang über die informelle Sozialkontrolle, die in großen Wohnanlagen naturgemäß reduziert sei und auf diese Weise zu einer erhöhten Kriminalitätsfurcht unter den Bewohnenden führe. In der Bundesrepublik ging Rolinski (1980, 155) der Frage nach, inwieweit sich Zusammenhänge zwischen Baustruktur und kriminalitätsbezogenen Unsicherheitsgefühlen nachweisen lassen. Die Überprüfung von Newmans Erklärungsmodell führte ihn zu dem Ergebnis, dass das persönliche Viktimisierungsrisiko, unabhängig von den Merkmalen ,Defensible Space‘ oder ,Soziale Schichtung‘, in Hochhäusern signifikant höher eingeschätzt werde als in Mehrfamilienhäusern. Ins polizeiliche Blickfeld gerieten die hochhausbebauten Stadtrandsiedlungen, nachdem bei der Suche des von der RAF im September 1977 entführten Arbeitgeberpräsidenten Hanns Martin Schleyer ein wichtiger Hinweis übersehen wurde – nämlich, dass Schleyer in einem Wohnhochhaus in der Nähe von Köln gefangen gehalten wurde, ohne dass es in der Nachbarschaft jemandem aufgefallen war. Die Anonymität in den Siedlungen führte zu einer Reihe von Forschungsarbeiten im Umfeld des Bundeskriminalamts (Bundeskriminalamt 1979; Kube 1978), die später den Boden für Konzepte der städtebaulichen Kriminalprävention in der Bundesrepublik bereiteten (Schürmann 2018, 764; Stummvoll 2015, 29). Wachsende Bedeutung erfährt in diesen Ansätzen das subjektive (Un-)Sicherheitsempfinden, das in aktuelleren empirischen Studien mit Aspekten der Wohnumgebung in Großsiedlungen assoziiert wird, „die außerhalb des bisherigen Handlungsspektrums der klassischen städtebaulichen Kriminalprävention liegen, wie beispielsweise die Verkehrsanbindung. Dies verweist darauf, dass die Lebensqualität und die Attraktivität des Wohnstandorts in einem breiteren Raumverständnis für die Sicherheit entscheidend sind“ (Schubert & Veil 2011, 99). Auch in der von Hans-Jörg Albrecht koordinierten Studie zur Kriminalprävention in europäischen Großsiedlungen (Soomeren et al. 2016) finden sich Hinweise auf ein signifikant erhöhtes Unsicherheitsgefühl in den von hoher Fluktuation geprägten Berliner Trabantenstädten Gropiusstadt und Marzahn Nord, das mit einer geringen Wohndauer und eingeschränkten Nachbarschaftskontakten in Verbindung steht (Lukas & Enters 2007, 56 f.). Vor diesem Hintergrund stellt sich jedoch die Frage, inwiefern Kriminalität und Unsicherheit im Wohnhochhaus tatsächlich dem Bautyp anzulasten sind, oder ob die (Un-)Sicherheitswahrnehmung in den Großsiedlungen nicht vielmehr gesellschaftlichen Prozessen geschuldet ist, deren Bedingungen sich zwangsläufig in denjenigen Wohnlagen „an den Rändern der Städte“ (Häußermann et al. 2004) niederschlagen, die vielfach das untere Ende des gesamten Wohnungsbestands bilden.

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5. Kriminalprävention im vertikalen Wohnen An diesen Bedingungen werden auch die neuen Wohntürme in den Innenstadtlagen kaum etwas ändern. Eher ist davon auszugehen, dass sie die sozialräumliche Segregation im Stadtgebiet noch verschärfen werden, wenn man, wie etwa in Düsseldorf, davon ausgeht, dass der moderne Geschosswohnungsbau vorrangig im Hochpreissegment entwickelt werden soll, um der Nachfrage internationaler und hoch qualifizierter Fach- und Führungskräfte zu entsprechen. Von Seiten der politischen Entscheidungsträger werden dabei in Düsseldorf insbesondere die japanischen und chinesischen Expatriates der ansässigen Wirtschaftsunternehmen als mögliche Zielgruppen in den Blick genommen: „Deswegen aus meiner Sicht, das ist eigentlich nur etwas für den internationalen und gehobenen Bereich. (…) Deswegen glaube ich eben auch singulär: ja, im hochpreisigen Segment: auch, dann funktioniert das glaube ich auch mit der Fluktuation, die man dann wahrscheinlich auch mit Expats in dem Bereich haben wird“ (Interview, Politik, 326 – 340).

Während die westdeutschen Großsiedlungen der 1960/70er Jahre vor allem im Rahmen des sozialen Mietwohnungsbaus (z. B. der Neuen Heimat) realisiert wurden, unterscheiden sich die heutigen Belegungs- und Vergabepolitiken fundamental von der „sozialdemokratischen Utopie“ (Lepik & Strobl 2019) vergangener Zeiten. Ausgehend von der Förderung privaten Eigentums sollen mit einer homogenen Mittelschichtsorientierung die Identifikation mit den Wohnhochhäusern und das Verantwortungsgefühl unter den Bewohnenden gestärkt werden. Sozial stabilisierende Wirkungen auf die Nachbarschaft sind von der Zielgruppe der Expats aufgrund einer begrenzten Aufenthaltsdauer zwar kaum zu erwarten, innerhalb der Wohntürme aber wird heute sehr viel größerer Wert auf kleinräumige Einheiten gelegt, als dies noch bei der Errichtung der Großsiedlungen der Fall war. Auf diese Weise soll zumindest in den Gebäuden so etwas wie Nachbarschaft erzielt und die geläufige Anonymität des Hochhauses durchbrochen werden: „Das ist ja ein zweites Thema aus der Vergangenheit, dass an diesen (…) dann pro Erschließungskern, ich weiß nicht, wie viele Einheiten hängen. Wir legen Wert darauf, dass bei unseren Wohnhochhäusern maximal acht Einheiten pro Treppen-, pro Etage sind. Die teilen wir nochmal auf. Vier links, vier rechts. Sodass diese vier Leute sich untereinander auch kennen. Ganz wichtiger Aspekt. Nachbarschaft, ich weiß, wer neben mir wohnt. Und nicht wie früher, ich begegne einem auf dem Hausflur und weiß gar nicht, wer das ist“ (Interview, Projektentwicklung, 425 – 431).

Ein Beitrag dazu sollen auch die Concierge- und Doormen-Dienste leisten, die als „gute Seele im hochkant gestellten Dorf“ (Gerlof 2000) einerseits alltägliche Dienstleistungen erbringen (z. B. Pakete annehmen), andererseits aber auch Funktionen der Zugangskontrolle (z. B. über Videoüberwachungsanlagen) ausüben, wie sie in der städtebaulichen Kriminalprävention unter dem Schlagwort ,Territorial Reinforcement‘ seit jeher eingefordert werden (Haverkamp & Heesen 2014, 83):

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„Also, da sind wir in der klassischen städtebaulichen Kriminalprävention. Wenn da ungehinderter Zugang ist, dass da wirklich einfach jeder rein kann, dass da jeder irgendwo seinen Müll ablagern kann, weil es einfach relativ anonym ist“ (Interview, Kriminalprävention, 385 – 388).

Auffallend ist dabei, dass sich in den Pförtnerprojekten die Polarisierung der Stadtgesellschaft widerspiegelt, nachdem Concierge-Logen vor allem „jeweils in den obersten und untersten Kategorien des städtischen Wohnungsmarktes zu finden“ (Flöther 2010, 58) sind. Während Pförtnerdienste in den Hochhäusern der randstädtischen Großsiedlungen nachträglich durch die Wohnungsbaugesellschaften installiert wurden, werden Concierge-Dienste in den neuen Wohntürmen als eine Art Lifestyleversprechen aus Sicherheit, Sauberkeit und Service von vornherein einkalkuliert. Michel (2005, 94) deutet das in der Inanspruchnahme von Pförtnerdiensten zum Ausdruck kommenden Ab- und Ausgrenzungsbedürfnis als ein europäisches, „weil unauffälliges“ Pendant zur ,Gated Community‘, die sich als Wohnform in Deutschland (bislang) nicht in der Breite hat etablieren können. Eingebettet werden die neuen Wohnturmprojekte stattdessen in die Planung innerstädtischer Mittelschichtsenklaven, wie sie derzeit in zahlreichen Städten entstehen. Umgeben von Zäunen, Mauern und hohen Hecken weisen diese Siedlungen eine baulich-räumliche Abgeschlossenheit auf, für deren Entstehen „der Komplex Sicherheit eine wesentliche Triebkraft“ (Frank 2013, 72) darstellt. Neben der baulich-physischen Gestaltung dieser im Kern suburbanen Wohnform verkörpern diese Siedlungen einen Grad der soziokulturellen Homogenität, der ihren Bewohnenden ein Gefühl von Sicherheit und sozialer Kontrolle vermittelt. Städtebaulich wird durch die Errichtung neuer Hochhäuser grundsätzlich das Entstehen sogenannter Angsträume befürchtet, deren Beseitigung im öffentlichen Raum indessen eine der zentralen Zielstellungen des kommunalen Präventionshandelns bildet (Bescherer et al. 2017). Der Schattenwurf der Gebäude könne die Lichtverhältnisse im Umfeld derart verändern, dass dunkle Ecken in der Stadt entstehen, die das Sicherheitsgefühl im öffentlichen Raum beeinträchtigen könnten: „Es ist ja nicht nur die Masse an Menschen die da hinkommt, sondern es sind ja dann tatsächlich eben auch, so ein großer Bau, der führt zu Verschattung, der führt zu Verdunklung. Da sind wir dann wieder bei dem Sicherheitsthema ja eben auch, wo tatsächlich eben auch aus städtebaulicher Sicht ja wieder so Ecken entstehen können, Angsträume entstehen können und so weiter“ (Interview, Politik, 379 – 383).

Für die Sicherheitswahrnehmung in der Stadt haben Lichtverhältnisse eine zentrale Bedeutung (Schulze 2017). Fragen nach dem Zusammenhang von Licht und Sicherheit im öffentlichen Raum werden in der sozialwissenschaftlichen Forschungsliteratur vorrangig im Hinblick auf die Eignung von Licht als Instrument der städtebaulichen Kriminalprävention untersucht: „Auch wenn mangelnde oder schlechte Beleuchtung nicht immer als einziger Grund für ein subjektiv erlebtes Unsicherheitsgefühl aufgeführt wird, können die meisten Studien zeigen, dass eine Verbesserung der Beleuchtungssituation von einem Großteil der Befragten erwünscht und nicht sel-

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ten sogar an erster Stelle genannt wird“ (Krause 2013, 13). Zum einen schaffe Beleuchtung Übersichtlichkeit und ermögliche auf diese Weise Sichtbeziehungen. Zum anderen erhöhe Licht die informelle soziale Kontrolle und könne sogar zu einer Belebung des öffentlichen Raums beitragen, wodurch sich auch das subjektive Sicherheitsgefühl erhöhen lasse. Aktuelle Wohnturmprojekte nutzen daher inzwischen die Spiegelreflektion benachbarter Gebäude, um den Schattenwurf des Hochhauses aufzuhellen (Lachmann 2015).

6. Fazit Die Errichtung neuer Wohntürme in zentralen Innenstadtlagen stellt hierzulande für viele Kommunen eine Möglichkeit dar, angesichts knapper Flächenverfügbarkeit neuen Wohnraum zu entwickeln, um auf diese Weise der grassierenden Wohnungsnot insbesondere in den Großstädten zu begegnen. Angesichts der Erfahrungen mit den hochhausbebauten Großsiedlungen am Stadtrand sind die neuen zentrumsnahen Wohnturmprojekte stadtpolitisch jedoch nicht unumstritten. Insbesondere aus der Perspektive der städtebaulichen Kriminalprävention wird der Neubau von Wohnhochhäusern grundsätzlich kritisch bewertet, werden damit doch Phänomene assoziiert, die in der Vergangenheit zu massiven Sicherheitsproblemen dieses Wohntyps geführt haben: „Also, wegen der Erfahrung der Vergangenheit finde ich grundsätzlich Hochhäuser ab einer gewissen Geschosshöhe und aus städtebaulicher Sicht der Kriminalprävention, finde ich Hochhäuser nicht opportun“ (Interview, Kriminalprävention, 540 – 542). Zwar werden Sicherheitsaspekte heute bereits sehr viel stärker in der räumlichen Planung berücksichtigt, etwa dann, wenn polizeiliche Akteure als Träger öffentlicher Belange im Bebauungsplanverfahren um ihre Stellungnahme gebeten werden (wenngleich die Hinweise der Sicherheitsbehörden an dieser Stelle zumeist ohne Resonanz bleiben, da sie mit ihren Empfehlungen auf die erst anschließende Ausführungsplanung abzielen). Auch auf Seiten der Immobilienwirtschaft besteht inzwischen eine größere Sensibilität für Fragen der Sicherheit, die sich als zentraler Bestandteil der Wohnqualität auf dem Wohnungsmarkt ertragreich kapitalisieren lassen. Auch die verschiedenen Ebenen der kommunalen Verwaltung und der politischen Meinungsbildung nehmen die Sicherheitsbedürfnisse der Bürgerinnen und Bürger bei der räumlichen Planung neuer Wohngebiete zunehmend ernster und legitimieren ihre Entscheidungen im Rahmen von Partizipationsverfahren, über die die kommunale Verwaltung in Dialog mit der Stadtgesellschaft tritt (Landeshauptstadt Düsseldorf 2018b). Die Errichtung neuer Wohntürme findet daher heutzutage in einem größeren Bewusstsein für die sicherheitsrelevanten Aspekte der Stadtplanung statt, wobei der Kern des Problems tatsächlich eher außerhalb der von den Akteuren üblicherweise adressierten Nebenfolgen zu suchen ist. Konfliktpotential erwächst nämlich nicht nur in den Wohnhochhäusern selbst, sondern vor allem im Wohnumfeld der Neubauvorhaben, in dem die als solitäre En-

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klaven des Wohlstands wahrgenommenen Wohnhochhäuser als Teil einer massiven Aufwertungsdynamik betrachtet werden, die von Teilen der lokalen Bevölkerung mit Sorge verfolgt wird. Neben sozialen und ökonomischen Ängsten unterliegen insbesondere die sozial benachteiligten Bestandsbewohnenden in der Nachbarschaft der hochhausbebauten Neubausiedlungen häufig einem zusätzlichen Verdrängungsdruck, der durch die Folgen der baulichen Aufwertung und immobilienwirtschaftlichen Wertsteigerung im Umfeld der Neubauten entsteht (Üblacker & Lukas 2018). Notwendig erscheint daher eine stärkere Orientierung der Stadtplanung an einem erweiterten Verständnis von Sicherheit, das kriminalitätsbezogene ebenso wie soziale (Un-)Sicherheiten vermehrt in den Blick nimmt. Letztlich stehen die Wohnturmprojekte in der Innenstadt in einem inneren Zusammenhang mit den Hochhaussiedlungen am Stadtrand, wenn sich die sozialräumlichen Schließungsdynamiken in den Städten fortsetzen und auf diese Weise zur weiteren Peripherisierung ohnehin benachteiligter Bevölkerungsgruppen beitragen. Literaturverzeichnis Bescherer, P., Krahmer, A. & Lukas, T. (2017): Erfolgsrezept Angstraumbeseitigung? Zwischen Urbanitätsversprechen und Sicherheitsparadox. RaumPlanung 194/6, S. 8 – 14. Beyerle, T., Nolan, S., Laufer, J. & Brune, A. (2018): Wohntürme als neue urbane Wohnform. Düsseldorf. Bulwiengesa AG (2018): Marktreport Wohnhochhaus 2018. München. Bundeskriminalamt (Hrsg.) (1979): Städtebau und Kriminalität. Internationales Symposium im Bundeskriminalamt, 11.–13. Dezember 1978. Wiesbaden. Deutscher Bundestag (1994): Drucksache 12/8406. Großsiedlungsbericht 1994. Bonn. Flade, A. (1996): Zur öffentlichen Sicherheit in den ostdeutschen Großsiedlungen. Monatsschrift für Kriminologie und Strafrechtsreform 2, S. 114 – 124. Flöther, C. (2010): Überwachtes Wohnen. Überwachungsmaßnahmen im Wohnumfeld am Beispiel Bremen/Osterholz-Tenever. Münster. Frank, S. (2013): Innere Suburbanisierung? Mittelschichteltern in den neuen innerstädtischen Familienenklaven, in: M. Kronauer & W. Siebel (Hrsg.), Polarisierte Städte. Soziale Ungleichheit als Herausforderung für die Stadtpolitik. Frankfurt a. M./New York, S. 69 – 89. Franken, S. (2018): Wohnen im Hochhaus Ein Vergleich früherer und aktueller Konzepte in Deutschland. Holzminden (unveröffentlichte Abschlussarbeit). Gerlof, K. (2000): Die gute Seele im hochkant gestellten Dorf. Freitag, 26. 05. 2000; https:// www.freitag.de/autoren/der-freitag/die-gute-seele-im-hochkant-gestellten-dorf [04. 05. 2020]. Hannemann, C. (2000): Historischer Abriss zu wesentlichen Entwicklungslinien städtischen Wohnens in Deutschland seit 1945. Berlin. Hannemann, C. (2005): Die Platte. Industrialisierter Wohnungsbau in der DDR. 3. Aufl. Berlin. Harnack, M. (2018): In die Zange genommen. Kritik am Wohnungsbau um 1968. sub\urban 6/ 2 – 3, S. 173 – 180.

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Un-/Sicherheit: Äußere Realität und innere Welt Anmerkungen zu einer (nicht nur) kriminologischen Thematik Von Harald Arnold Um einleitend ein bekanntes Zitat zu persiflieren, ließe sich so anfangen: „Wir schreiben das Jahr 2020. …“. Diese zeitliche Verortung lässt den Bezug zu – nicht nur zum Anlass dieser Verschriftlichung1, sondern ebenfalls – zum inhaltlichen Einstieg bzw. der einführenden thematischen Ausrichtung: 2020 ist das Jahr, in dem unter dem Aspekt von Sicherheit das soziale und gesellschaftliche Leben nicht nur in Deutschland im Bann einer gefährlichen Pandemie durch ein neuartiges Coronavirus (SARS-CoV-2) steht. Dieses krisenhafte Geschehen hat bedrohliche Bilder aus der Vergangenheit im kollektiven Gedächtnis wachgerufen und entsprechende Beunruhigungen auftauchen lassen. Es ist rund 100 Jahre her, dass ebenfalls eine Pandemie, in diesem Fall durch Influenza-Viren verursacht, die sog. Spanische Grippe, Todesopfer im Umfang von zweistelligen Millionen gefordert hat. Noch weit von einem solchen Szenario entfernt, soll diese Assoziation keineswegs als Menetekel gedeutet werden, sondern nur den assoziativen Deutungsrahmen abstecken, den ein solches globales, gravierendes Geschehen für die nationale wie internationale Sicherheitslage darzustellen vermag: Dauerhaft und wiederholt medial aktiviert, wird die Corona-Pandemie als „daily hassle“ zur Begleiterscheinung des täglichen Lebens im Strom weiterer Information und (Risiko-)Kommunikation zu sicherheitsbezogenen Themen. In diesem pandemischen Prozess werden nicht nur millionenfach gesundheitsbezogene und vitale Interessen der Menschen2 tangiert, was für diese zugleich in erheblichem Maße durch Veränderungen im gewohnten Alltagsverhalten – nicht nur durch das Gebot zum sog. social distancing und Schutzmaskentragen – soziale Belastungen mit sich bringt, sondern insgesamt gesellschaftliche Probleme, nicht zuletzt außerordentliche finanzielle und wirtschaftliche Kosten verursacht.

1 In diesem Jahr feierte Hans-Jörg Albrecht seinen 70. Geburtstag, dem dieser Beitrag in kollegialer und freundschaftlicher Verbundenheit gewidmet ist. 2 Belastungen objektiver wie subjektiver Natur. Die von staatlicher Seite durch Verordnungen auferlegten Freiheitseinschränkungen – wie Kontaktverbote, Ausgangssperren, Grenzschließungen – dürften seit Kriegszeiten nicht mehr in solchem Ausmaß erfolgt sein, und haben bei der irritierten Bevölkerung u. a. zu „Hamsterkäufen“, psychischen Belastungsreaktionen, oder verschwörungstheoretisch motivierten Protestaktionen geführt.

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Interessanterweise verursacht diese Pandemie mittelbar, indirekt, zudem sicherheitsbezogene Effekte, die von kriminologischem Belang sind.3 Bedingt durch die Maßnahmen, die Pandemie in ihrer Verbreitung einzugrenzen, wie Quarantäneauflagen und Lock-/Shutdowns, werden soziale und gesellschaftliche Routinen nicht unerheblich reguliert und reglementiert, etwa durch vermehrte Arbeit im Home Office, was – in diesem Fall nichtintendierte – positive, aber ebenfalls negative Effekte auf das Alltagsleben hat. So gibt es Anzeichen dafür, dass sich das Kriminalitätsaufkommen – bedingt durch eine Verminderung der Tatgelegenheiten – in dieser Periode reduziert hat, etwa bei den Einbruchsdiebstählen, da – gemäß theoretischer Überlegungen (Routine Activity Approach; Cohen & Felson 1979) – in Folge vermehrten Aufenthaltes in der eigenen Wohnung, diese Räumlichkeiten nicht ungeschützt und damit keine opportunen attraktiven Objekte für Gelegenheits- wie professionelle Einbrecher waren. Dass die pandemiebedingten Restriktionen und Freiheitseinschränkungen allerdings auch kriminalitätssteigernde Auswirkungen mit sich bringen, wurde mit Besorgnis bspw. seitens der Interessenvertreter von Frauen und Familien thematisiert. Danach führt der vermehrte, unfreiwillige heimische Aufenthalt mit gewalttätigen Partnern zu einer Zunahme von Konflikt(möglichkeit)en und damit von Gewalt in Partnerschaft und Familie (Riebel 2020, 317). Allerdings gibt es für diese kriminalitätsverursachenden Situationen und daraus resultierende Sachverhalte auch gegensätzliche Meldungen, sodass Gewissheit wohl erst nach Ablauf dieser krisenhaften Periode und Sichtung verlässlicher Nachweise möglich sein wird. Erste Ergebnisse einer repräsentativen Bevölkerungsbefragung zu Risikowahrnehmung, Beunruhigung und Angst gegenüber COVID-19 – sowie zu Bewältigungsstrategien und dem Sicherheitsgefühl an verschiedenen Orten – wurden jüngst von Gerhold (2020) vorgelegt. Welche Schädigungen die Pandemie sowie die Konsequenzen der ergriffenen Sicherungsmaßnahmen gegen die pandemische Gefahr – inklusive Folgewirkungen nichtintendierter Art – im subjektiven Bereich gehabt haben, wird man erst in geraumer Zeit feststellen können; entsprechende Forschungsprojekte laufen, wie Ankündigungen zu entnehmen war (z. B. Leibniz-Institut für Resilienzforschung zu psychischen Belastungen während der Corona-Pandemie). Diese gegenwärtige sicherheitsrelevante pandemische Zustandsbeschreibung als zeitgeschichtlichem Kontext verdeutlicht, in welch weitem Rahmen komplexe Risiken und systemische Sicherheitsfragen moderner, global vernetzter Gesellschaften zu erörtern sind. Kaufmann (2020, 115) hat dies jüngst zusammenfassend treffend eingeordnet: „The new security thinking [which tends to consider the categorical separations […] as rather obsolete] focusses on the basic vulnerability of highly complex and globally interconnected societies. The current coronavirus SARS-CoV-2 pandemic represents in an almost paradigmatic way this problem: […]“. 3 Zu Corona-bedingten Veränderungen der Kriminalität und ersten polizeilichen Einschätzungen vgl. Füllgrabe 2020.

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* An dieser Stelle bietet sich in der Perspektive auf die Thematik Sicherheit und die Entwicklung dieses Forschungsfeldes ein weiterer Blick zurück an. Es ist nun fast zwei Dekaden her seit dem terroristischen Anschlag auf die Twin Towers in New York – einem Großschadens- bzw. seltenen Extremereignis (ein sog. high-impact, low-probability event) –, das seither mit dem Kürzel 9/11 und den ikonographischen Bildern der Zerstörung verbunden ist. Die westliche, globalisierte Welt geriet in eine kurze Schockstarre, reflektierte, machte ihre systemische Verletzbarkeit (Vulnerabilität) bewusst und befindet sich in der Folge4 in einem andauernden Diskurs über präventive und ggf. präemptive5 Maßnahmen zur Bekämpfung solcher Sicherheitsgefährdungen (dread risks). So ist für Kunz (2004, v, 360) seit 9/11 die „Entwicklung des gesellschaftlichen Rahmens hin zu einer von Verwundbarkeitsgefühlen geprägten Sicherheitsgesellschaft“ bemerkbar und insgesamt die „Verwundbarkeit der westlichen Welt trotz aller Sicherheitsanstrengungen deutlich“. Beste (2008, 189 ff.) spricht gar von einem „Post-9/11-Syndrom“ und versteht darunter letztlich eine „gesellschaftliche Pathologie“; entsprechend fragen Kettner & Sturmeit (2014, 59): „Posttraumatische Belastungsstörung als Gesellschaftsdiagnose?“; zahlreiche weitere (teils kontroverse) Einschätzungen ließen sich anführen. Dass Problem und Thematik noch gegenwärtig virulent sind, wird daran deutlich, dass sich unlängst eine Veranstaltung der „Inneren Sicherheit nach 9/11“ widmete und die Frage aufwarf: „Sicherheitsbedrohungen und (immer) neue Sicherheitsmaßnahmen?“ (Fischer & Masala 2016). Insofern überrascht kaum, dass zur ,Gewährleistung von Sicherheit in unübersichtlichen Zeiten‘ schon eine ,Postfaktische Sicherheitspolitik‘ diskutiert wird (Lange & Wendekamm 2019). Den Wandel im Konzept der Sicherheit, die neuen Bedrohungen und Sicherheitserwartungen, und die sich daraus ergebenden neuen Aufgabenfelder für die Kriminologie sowie die zu entwickelnden Perspektiven kriminologischer Forschung hat Albrecht verschiedentlich beschrieben und analysiert sowie mit weiterführenden Überlegungen verbunden (Albrecht 2007; 2011; 2016). Vor diesem Hintergrund wurden internationale Initiativen gestartet und staatliche Bemühungen zur Stärkung der systemischen Widerstandskraft und -fähigkeit (Resilienz) unternommen, in dem u. a. zahlreiche, teure (Forschungs-)Programme in einem neuen, inter- und transdisziplinären Forschungsfeld, der Sicherheitsforschung6, auf den Weg gebracht wurden, mit dem Ziel, eine an den nationalen Bedürfnissen ausgerichtete umfassende und neuartige „Sicherheitsarchitektur“ (Lange et al. 2014) zu entwickeln. Für Europa ist mittlerweile eine gut entwickelte nationale 4

Der Impact dieses singulären Anschlages in Europa wurde durch die nachfolgenden Ereignisse in Madrid (2004) und London (2005) verstärkt und prolongiert. 5 Vgl. Albrecht 2016 zum „Wandel der Sicherheit“, mit der Frage weg von der Prävention und Hinwendung zu präemptiver Sicherheit? 6 Vgl. z. B. die Beiträge in Winzer et al. 2010; zusammenfassend Armborst 2014.

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und teilweise international vernetzte Forschungslandschaft mit einem beachtlichen Output an Forschungsergebnissen festzustellen.7 In Deutschland wird die Sicherheitsforschung wesentlich im Rahmenprogramm der Bundesregierung „Forschung für zivile Sicherheit“ durch das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF)8 auf der Grundlage eines stets aktualisierten und ergänzten Forschungsprogrammes seit 2007 in jeweils mehrjährigen Förderzyklen gesteuert und finanziert, zuletzt für den Zeitraum 2018 – 2023. Dort heißt es dazu zusammenfassend: „Veränderte sicherheitspolitische Rahmenbedingungen, der zunehmende Trend zur Digitalisierung im privaten und beruflichen Umfeld sowie der gesellschaftliche Wandel erfordern neue Antworten aus der zivilen Sicherheitsforschung. Das betrifft ganzheitliche Lösungen, die die Folgen von internationalem Terrorismus und Organisierter Kriminalität bewältigen helfen oder die den Schutz kritischer Versorgungsinfrastrukturen verbessern“ (BMBF 2018, 3).9

Anlass und thematischer Ausgangspunkt der Sicherheitsforschung war der Terrorismus, von Beginn an ergänzt durch (Organisierte) Kriminalität, sowie Naturkatastrophen/Extremwetterereignisse, Pandemien und technische Großunglücke,10 d. h. Risiken und Ereignisse, die die gesellschaftliche Sicherheit in erheblichem Maße bedrohen und beeinträchtigen, sowie die gesellschaftlichen Gegenmaßnahmen und Bewältigungsbemühungen erheblich beanspruchen. Diese – zivile – Sicherheitsforschung ist z. T. schwerpunktmäßig technik- und technologieausgerichtet, dadurch stark endnutzerorientiert und firmiert zutreffend unter dem Label Hightech Strategie. In den Worten des BMBF (2018, 4): „Eingebettet in die Hightech-Strategie hat sich die zivile Sicherheitsforschung seit 2007 als disziplinübergreifendes Forschungsfeld mit einer dynamischen Wissenschaftscommunity etabliert.“

7 Vgl. die Strategische Forschungsplanung auf europäischer Ebene im European Security Research and Innovation Forum (ESRIF): seit 2007 das European Security Research Programme (ESRP) mit über 4 Tsd. Projekten im Rahmen von FP7 Security Research Programme, nochmal überboten in Horizon 2020 mit mehr als E 80 Mrd. Fördersumme. 8 Albrecht war in verschiedener Funktion in die Entwicklung eines Forschungsprogramms für zivile Sicherheit eingebunden. So war er an der konstituierenden Sitzung 2007 beteiligt als Mitglied eines unabhängigen Expertengremiums (wissenschaftlicher Programmausschuss Sicherheitsforschung), das die Bundesregierung beriet; vgl. Thoma 2010. In der von der Allianz der Wissenschaftsorganisationen (2011, 48) – deren Mitglied die MPG ist – herausgegebenen Reihe zu den Themenfeldern der vom BMBF formulierten Hightech-Strategie 2020 wird Albrecht als Autor aufgeführt. 9 Zu den Forschungsthemen im Themenbereich Schutz vor Kriminalität und Terrorismus, vgl. BMBF 2018, 14 ff. Mit einem Ausblick auf zukünftige Sicherheitsforschung s. die Expertenbefragung von Gerhold & Peperhove 2017. 10 Mit diesem Themenspektrum vgl. das Projekt BaSiD Haverkamp & Arnold 2015.

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Gleichwohl haben geistes- wie sozialwissenschaftliche Perspektiven der Sicherheitsforschung11 ihren Platz in diesem Rahmen, exemplarisch ablesbar an der Zahl der Projekte aus dem kriminologischen Bereich, die durch das BMBF gefördert und durch wissenschaftsnahe Vertreter wie den Fachdialog Sicherheitsforschung („Unterstützende Stelle des Fachdialogs zivile Sicherheitsforschung“, seit 2006)12 in den wissenschaftlichen Diskurs eingebracht werden, wie seitens des Forschungsforums Öffentliche Sicherheit (seit 2009)13 integrativ betrieben. Beispielhaft für eine beachtliche Zahl bislang geförderter Projekte aus dem kriminologischen Themenbereich sei exemplarisch auf die in Verantwortung und Leitung durch Mitglieder der Kriminologischen Forschungsabteilung am früheren Max-Planck-Institut für Ausländisches und Internationales Strafrecht durchgeführten Projekte BaSiD (Haverkamp & Arnold 2015) sowie Sensiko und WiSKoS hingewiesen.

** In einem weiteren Blick zurück – mit der Intention, dem Stellenwert der Thematik (Öffentliche/Innere) Sicherheit für die Kriminologie näher zu kommen – sei der Fokus auf die Vor-9/11-Phase gerichtet. Geht man von der Annahme aus, dass gesichertes Wissen sich in den Lehr- und Handbüchern einer wissenschaftlichen Disziplin niederschlägt, so könnte bzw. müsste sich dies anhand der Gliederung und Stichworten nachverfolgen lassen. Im seinerzeit gut eingeführten, klassischen Lehrbuch von Kaiser wird das „Problem innerer Sicherheit“ erst 1996 (in der 3. Auflage, Kaiser 1996, 1093 ff.) thematisiert. Kurz darauf stellt Kaiser (1995) in einem Festschriftbeitrag mit dem Titel „,Innere Sicherheit‘ – kein Rechtsbedürfnis der Bevölkerung?“ die Thematik in das Zentrum seiner Betrachtung und verweist zudem auf die Relevanz subjektiver Kriminalitätsindikatoren (Verbrechensfurcht).14 In der nach dem Lehrbuch erschienenen 10. Auflage der „Kriminologie. Einführung in die Grundlagen“ benennt Kaiser (1997, 38) innere Sicherheit nun als ein „fundamentales Schutzgut“ und resümiert: „Faßt man die gegenwärtige kriminalpolitische Diskussion zusammen, so steht die Gewährleistung ,innerer Sicherheit‘ fraglos im Brennpunkt“ (Kaiser 1997, 475).

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Zum Feld der sozialwissenschaftlichen Sicherheitsforschung mit eigenem Ansatz Blinkert 2013, 87 ff. 12 Albrecht war jahrelang Mitglied im Fachdialog Sicherheitsforschung und gehört zum Kreis der Herausgeber der Reihe „Zivile Sicherheit. Schriften zum Fachdialog Sicherheitsforschung“; vgl. z. B. Zoche et al. 2015; Zoche et al. 2016. Des Weiteren ist Albrecht – als Editor-in-Chief und Mitglied des Advisory Board – am European Journal for Security Research beteiligt. 13 Vgl. zum Überblick Gerhold & Schiller 2012; Steinmüller et al. 2012 mit Ausblick auf Sicherheit 2025; mit einer Zwischenbilanz Gerhold et al. 2015. 14 Vgl. Kaiser 1995, 32 zum Sicherheitsbedarf der Bürger und den subjektiven Einschätzungen der Gesellschaft bei Sicherheitsgefährdung.

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Diesen Punkt abschließend sei bemerkt, dass in den anderen kriminologischen Lehrbüchern zu diesem Zeitpunkt der Stand der Erörterung und Darstellung nicht darüber hinausging. Das sollte sich erst nach der Jahrtausendwende deutlich ändern, so bspw. mit deutlich kritischem Ton in der „Kriminologie: eine Grundlegung“ (4. Aufl.) von Kunz (2004), der sich bereits in den Jahren zuvor und danach mit dem Thema „Sicherheit“ auseinandersetzte, in der „Inneren Sicherheit“ eine „Schlüsseldimension einer neuen Kriminalpolitik“ (Kunz 1995) und im „Sicherheitsdiskurs eine neue Herausforderung für die Kriminologie“ erkannte.15 Eine zusätzliche Recherche zur Thematik – über den engen Rahmen grundlegender Einführungstexte zur Kriminologie hinaus – stößt auf eine beachtliche Anzahl weiterer kriminologischer Auseinandersetzungen mit Innerer/Öffentlicher Sicherheit in der 9/11 vorausgegangenen Periode – etwa seit Anfang der 1970er Jahre16 –, Publikationen sowohl mit ,affirmativ-systemkonformer‘ wie ,kritischer‘ Haltung. Des Weiteren unterscheiden sich Beiträge darin, inwieweit sie ihre Darstellungen mittels Fakten, Daten und empirischer Nachweise, also evidenzbasiert zu belegen bemüht sind oder sich primär in einem theoretischen Sicherheitsdiskurs17 engagieren. Stellvertretend werden einige Beispiele genannt: So hat sich Murck mehrfach seit Ende der 1970er Jahre aus soziologischer Sicht u. a. empirisch den Problemen der öffentlichen Sicherheit gewidmet, dabei die Sicht und Bedürfnisse der Bürger, wie deren Ängste und Sorgen betont (z. B. Murck 1980), verschiedentlich mit Bezug zur Polizei. Kerner (1980) hat unter dem Titel „Kriminalitätseinschätzung und Innere Sicherheit“ eine umfangreiche Untersuchung über die „Beurteilung der Sicherheitslage und über das Sicherheitsgefühl in der Bundesrepublik Deutschland“ vorgelegt und dies mit „vergleichenden Betrachtungen zur Situation im Ausland“ ergänzt. Mit deutlich kritischem Ton widmete sich ebenfalls Anfang der 1980er – ebenso in den folgenden Jahren – Beste (1983) zunächst mit einer empirischen Analyse der Entwicklung kriminologischer Forschung und staatlicher Kontrollpolitik dem Thema „Innere Sicherheit und Sozialforschung“.

15 So problematisiert Kunz (2004, v) zu Beginn seiner „Einführung in die Kriminologie“: „Die Entwicklung des gesellschaftlichen Rahmens hin zu einer von Verwundbarkeitsgefühlen geprägten Sicherheitsgesellschaft und damit einhergehende Funktionalisierung der Kriminologie als strategische Planungsinstanz der Sicherheitspolitik im Gefolge des 11. Sept. 2001 […]“. 16 Zur historischen Einordnung und gesellschaftlichen Kontextualisierung des gesellschaftlichen Sicherheitsdiskurses sei auf Ereignisse mit terroristischen Charakter – und insofern in gewisser Parallelität zu 9/11 – hingewiesen: die Baader-Befreiung am 14. Mai 1970, quasi als Geburtsstunde der RAF bezeichnet, sowie das Münchner Olympia-Attentat vom 5. September 1972. Mit Ausstrahlung in die folgenden Jahre die Ereignisse des sog. Deutschen Herbstes (Ermordung von Ponto, Buback, Schleyer durch die RAF). 17 Vgl. zur Entwicklung des Sicherheitsdiskurses seit Beginn der 1970er Jahre T. Kunz 2005. Exemplarisch für gegenwärtige Sicherheitsdiskurse mit Akzent auf dem technologischen Aspekt von Sicherheit die Beiträge in Zurawski 2007.

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Mit den 1990er Jahren nehmen die kriminologischen Publikationen deutlich zu,18 mit einem ersten Höhepunkt im Jahr 1995, wie eine EDV-basierte szientometrische bzw. bibliometrische Analyse zur „Inneren Sicherheit im Spiegel der deutschsprachigen Literatur“ von Ohly (2008) belegt, der über 36 Publikationsjahre mehr als 9.000 deutsche Titel findet, die eine – hier nicht abbildbare – Vielfalt, aber ebenso inhaltliche Diskrepanz der Bearbeitungen des Themas vermuten lässt.19 Aus der Zeit kurz vor der Jahrtausendwende – zur „Inszenierung Innerer Sicherheit“, so Hitzler & Peters (1998) – sei die bezeichnende Bemerkung von Hitzler (1998, 204) erwähnt, der im Forschungsfeld „Innere Sicherheit“ ein aktuell grassierendes Phänomen „Kriminalitätsfurcht“ sowie „per se fragwürdige Kriminalitätsstatistiken“, zudem „gesellschaftskritische Hysterisierungstheorien“ feststellt. Einem interessanten Vergleich der früheren und heutigen Sicherheitsforschung – vor 9/11 und danach – wird hier nicht mehr weiter nachgegangen, nur noch die Bemerkung, dass der Begriff von der „Sicherheitsgesellschaft“ dauerhaft Eingang in die ,kritische strafrechtlich-kriminologische Wissenschaft‘ gefunden hatte (z. B. bei Legnaro 1997; Singelnstein & Stolle 2006).20 Aus dem Skizzierten lässt sich entnehmen, dass der umfangreiche Themenbereich „Innere Sicherheit“ – wie bei Ohly (2008) ersichtlich wird – hier in Kürze nicht angemessen erörtert werden kann. Es erfolgen stattdessen zwei ergänzende Bemerkungen zu Initiativen, die für die weitere Auseinandersetzung mit der Thematik weiterführend sind. Zunächst ist auf den Interdisziplinären Arbeitskreis Innere Sicherheit (AKIS) hinzuweisen, einen Zusammenschluss von Wissenschaftlern aus den Bereichen Politik-, Rechts- und Polizeiwissenschaften usw., der sich 1996 gegründet hatte, und aus dessen Kreis ein Memorandum zur Entwicklung der Inneren Sicherheit in der Bundesrepublik Deutschland erarbeitet und veröffentlicht wurde. Hintergrund und Anlass dieser „Denkschrift“ sind – in Worten der Selbstbeschreibung (Lange et al. 1998, 7) – einerseits der „Eindruck der rasanten Veränderungen, denen die Politik der Inneren Sicherheit derzeit unterworfen ist; andererseits […] die Besorgnis über die Art und Weise, wie das Thema politisch gehandhabt wird“. Das Ziel sei es, „eine inhaltlich geführte öffentliche Diskussion über die ,Innere Sicherheit‘ in der Bundesrepublik“ anzustoßen.21 Für die faktenbasierte Beschreibung der Kriminalitätslage und die Einordnung der öffentlichen Sicherheit, wie sie im Konzept der Inneren Sicherheit angedacht ist, ist auf die durch die Bundesministerien für Inneres und Justiz initiierten und 18 Dazu mehrere Sammelwerke, stellvertretend für viele Kampmeyer & Neumeyer 1993 mit einer „kritischen Bestandsaufnahme“. 19 Vgl. die Beiträge in Lange et al. 2008; 2014. 20 Schon in den 1970er Jahren sprach Narr (1977) von der „angstvollen Versicherungsgesellschaft“. 21 Siehe die regelmäßigen Tagungen des AKIS – mittlerweile über 30 – sowie die Herausgabe der seit 2000 erscheinenden Reihe „Studien zur inneren Sicherheit“.

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durch eine unabhängige Kommission von Wissenschaftlern erarbeiteten „Erster Periodischer Sicherheitsbericht“ (BMI/BMJ 2001) sowie dem nach fünf Jahren folgenden „Zweiter Periodischer Sicherheitsbericht“ (BMI/BMJ 2006) hinzuweisen. In bislang nicht erfolgter Art wurde in den Periodischen Sicherheitsberichten (PSB) auf der Basis vorhandener Erkenntnisse zur Kriminalität, strafrechtlichen Reaktionen sowie Kriminalprävention ein umfassendes und detailliertes Lagebild zur Inneren Sicherheit erstellt, inklusive kriminal- und rechtspolitische Schlussfolgerungen. Im Vorgriff auf das Folgende sei daraus knapp Bezug genommen. Im Vorwort zum 1. PSB heißt es etwa: „[…] insbesondere aus dem Bereich der Dunkelfeldforschung und aus Opferbefragungen, wird dieses Lagebild der Kriminalität schließlich wissenschaftlich näher beleuchtet und um Erkenntnisse aus der Opferperspektive ergänzt“ (BMI/BMJ 2001, xxix). Und im 2. PSB wird gemahnt: „Kriminalität ist kein Sachverhalt, der einfach gemessen werden könnte, […]“ (BMI/BMJ 2006, 9) sowie im Weiteren hinzugefügt: „Für die Innere Sicherheit ist neben der objektiven Sicherheitslage die subjektive Sicherheitslage besonders bedeutsam“ (BMI/BMJ 2006, 53). Damit bietet sich der Übergang zu der im Folgenden zur Sprache kommenden Dunkelfeldforschung und ihrem prominenten Forschungs- und Erhebungsinstrument, den Opferbefragungen bzw. Viktimisierungssurveys, an.

*** In den 1970er Jahren haben sich in Deutschland, durch US-amerikanische Vorbilder angeregt, im Bereich der empirischen Kriminologie sog. Opferbefragungen (Viktimisierungssurveys) – Befragungen von Bevölkerungsstichproben nach ihren Erfahrungen als Geschädigte von Straftaten – als ein probates Instrument der Forschung etabliert. Zwei wesentliche Aspekte standen dabei im Vordergrund: zum einen die „Kriminalitätsmessung“, konkret die Erfassung polizeilich nicht angezeigter Straftaten, um das sog. „Dunkelfeld“ auszuleuchten, inklusive dazugehörender Einstellungen, zum anderen die Erfassung von kriminalitätsbezogenen Sicherheitswahrnehmungen und -empfindungen. Die parallel sich entwickelnde kriminologische (Teil-) Disziplin der Viktimologie (Opferforschung) mit ihren spezifischen Fragestellungen hatte wesentlichen Einfluss auf Interesse und Entwicklung dieser Forschungsrichtung. Erste Studien waren noch räumlich auf Städte beschränkt, später folgten großräumigere Erhebungen (Regionen, Bundesländer, relativ spät in den 1990er Jahren bundesweite).22 Mittlerweile wurden zahlreiche Untersuchungen durchgeführt, – darunter solche mit ausgewählten Teilpopulationen, mittels variierender Erhebungsmethoden oder internationaler Vergleichsabsicht –, sodass sie in toto in den Überblicksdarstellungen keine vollständige Darstellung mehr finden können.23 22 Vgl. dazu exemplarisch Kury et al. 1992; zur Tauglichkeit von Opferbefragungen als Instrument der Kriminalitätsmessung Arnold 1999. 23 Zum Überblick Obergfell-Fuchs 2016; s.a. Feldmann-Hahn 2011.

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Mit dem sog. Deutschen Viktimierungssurvey (DVS) – bislang zweimal realisiert unter Beteiligung der früheren kriminologischen Abteilung des ehemaligen MaxPlanck-Instituts für Ausländisches und Internationales Strafrecht in den Jahren 2012 und 201724 – deutet sich an, dass dem seit Langem und vielfach von unterschiedlicher Seite geäußerten Wunsch nach einer wiederholten, regelmäßigen und institutionalisierten bundesweiten, national repräsentativen Dunkelfeldstudie bzw. Opferbefragung25 – vergleichbar jenen, die in mehreren europäischen und außereuropäischen Ländern bereits etabliert sind – entsprochen wurde.26 Dieser Survey, nicht der erste nationale, basiert auf der in Deutschland bislang größten Stichprobe (ca. 35.000 Befragte), was den Vorteil hat, dass es noch verlässliche Analysen z. B. für kleinere Gebietseinheiten oder deliktisch und anderweitig begrenzte Opfergruppen27 erlaubt; denn gemeinhin gilt unter viktimologischer Perspektive noch der (Erfahrung-)Satz: „Erlebnisse als Opfer von Straftaten sind seltene Ereignisse“ (Birkel et al. 2019, 93); dies gilt gerade bei kurzer Referenzperiode.28 Angesichts einer Fülle an interessanten und relevanten Resultaten29 des zweimal durchgeführten Deutschen Viktimisierungssurvey (DVS 2012; DVS 2017), die hier im Einzelnen nicht dargestellt und kommentiert werden sollen, stellen sich gleichwohl noch Fragen, zeigen sich vereinzelt diskussionswürdige Lücken, besteht partiell begründbarer Ergänzungsbedarf, gerade unter der Perspektive, dass Wiederholungsbefragungen geplant sind und damit ggf. Korrekturen angebracht und Ergänzungen möglich sind. Zuvorderst verwundert etwas der detaillierte und kenntnisreich begründete Verzicht30 auf eine Gegenüberstellung von Hell- und Dunkelfeld. So firmiert die Studie zwar unter dem Begriff einer Dunkelfeldstudie,31 benennt gleich zu Beginn (Birkel et 24 Zum DVS 2012 vgl. Birkel et al. 2014; zum DVS 2017 vgl. Birkel et al. 2019; mit einigen Rückschlüssen über Veränderungen seit 2012 Birkel et al. 2020. 25 Jüngst sprach sich der Rat für Sozial- und Wirtschaftsdaten (RatSWD) 2020, 19 erneut für eine „Verstetigung eines bundesweiten statistikbegleitenden Viktimisierungssurveys“ aus; vgl. schon RatSWD 2009, 19 f., 24 mit Hinweis auf die im Jahr 2002 von BMI/BMJ eingesetzte BUKS-Arbeitsgruppe – ,Bevölkerungsumfrage zu Kriminalitätserfahrungen und Sicherheitsempfinden‘ – deren Mitglied Albrecht war; wiederholt der Vorsitzende der AG „Weiterentwicklung der Kriminal- und Strafrechtspflegestatistik“ Heinz 2017; 2019. 26 Zum Überblick Obergfell-Fuchs 2016; vgl. mit partiell skeptischem Resümee bzgl. Ertrag und Aussagekraft von Opferbefragungen Albrecht 1997, 163. 27 Zu denken ist hier etwa an Bevölkerungsgruppen mit Migrationshintergrund, konkret den türkisch- und russischstämmigen Bürgern, die der DVS (2012; 2017) durch einen speziellen Erhebungsmodus berücksichtigen und einbeziehen konnte. 28 Vgl. Birkel et al. 2019, 26, Fn. 27: „Für einzelne Bundesländer enthielt die Stichprobe überhaupt keine Opfer (bezogen auf die zwölf Monate vor dem Interview)“. 29 Mit vertiefenden Analysen zum DVS 2012 Birkel et al. 2016. 30 Vgl. dazu Birkel et al. 2019, 13 f.; 39, Fn. 36; 98, Fn. 48. 31 Laut Vorwort zum DVS 2012 von Albrecht & Ziercke (2014, 1) „[…] steht […] das Ausmaß der von polizeilichen Kriminalstatistiken nicht erfassten Kriminalität, also das konventionelle Dunkelfeld, im Mittelpunkt, […]“.

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al. 2019, 1) als „ein zentrales Ziel des DVS 2017 […] das sogenannte Dunkelfeld der Kriminalität in Deutschland besser einschätzen zu können“, erfüllt dies dabei (aber nur) mit der aus vergleichbaren anderen Studien bekannten Erhebung des (Nicht-) Anzeigeverhaltens von Opfern32, einschließlich der Gründe bei Verzicht auf solches. Jedoch eine direkte Gegenüberstellung von kriminalstatistischen Daten aus der PKS und Inzidenzen aus der Viktimisierungsstudie wird nicht unternommen (nicht gewagt? – vgl. demgegenüber andernorts gelegentlich vorgenommene „gewagte“ Berechnungen von Dunkelzifferrelationen33). So resümieren Birkel et al. (2019, 14) nach Darlegung verschiedener Gründe überzeugend: „Aufgrund dieser Einschränkungen von Vergleichsmöglichkeiten wird im vorliegenden Bericht auf eine Gegenüberstellung von Befragungsergebnissen und Daten der PKS verzichtet“. Gleichwohl wird diese Aussage auf derselben Seite in einer Fußnote relativiert: „Dies bedeutet freilich nicht, dass es grundsätzlich unmöglich ist, Daten aus der Opferbefragung denen der PKS gegenüberzustellen“.34 Dies sei allerdings aufwändig. Und es seien „[e]ntsprechende Auswertungen […] im Rahmen weiterer Analysen geplant“. Somit bleibt das Interesse an einer Abschätzung des Kriminalitätsvolumens unter Einbezug nicht angezeigter und/oder nicht registrierter Straftaten an dieser Stelle unbefriedigt.35 Was interessierte Leser in dem Bericht zum Deutschen Viktimierungssurvey u. U. ebenfalls vermissen mögen – ist es doch üblicherweise Bestandteil von Viktimisierungsstudien –, ist die Nennung der Gesamtzahl bzw. des Anteils der in den betreffenden Referenzperioden erfassten Geschädigten bzw. Opfer (Opferquote).36 Zwar werden schon detailliert deliktsspezifisch Prävalenzen und Inzidenzen berichtet, u. a. die deliktischen Mehrfachopfer einer avancierten statistischen Analyse unterzogen,37 die beabsichtigt, den kausalen Ursachen für die jeweiligen Viktimisierungen näher zu kommen – nicht hingegen ähnliches zumindest explorativ für die aufsummierten Gesamtviktimisierungen bzw. die Opferquote insgesamt angestellt. Eine Größenvorstellung beim Einzeldelikt vermitteln Prävalenzraten des häufigsten De32

Birkel 2014, 143: „Von Interesse – insbesondere für die Einordnung der Zahlen im kriminalstatistischen Hellfeld der PKS – ist auch das Anzeigeverhalten“. Vgl. dazu Birkel et al. 2019, 39 ff. 33 Vgl. Feltes & Reiners 2019, 93 f.; Schwind et al. 2001, 139 f.; sowie Birkel 2003, 32 f. zur Berechnung von Dunkelzifferrelationen. 34 Birkel et al. 2019, 14; Fn. 16. Zuvor ebenso Birkel et al. 2014, 7 ff. Mit weiteren Ausführungen zu „Hellfeld vs. Dunkelfeld und Problemen statistikbegleitender Dunkelfeldforschung“ Birkel 2015. 35 Dazu Heinz 2019, 4: „Der Erkenntnisgewinn von moderner Dunkelfeldforschung liegt deshalb nicht nur [– wohl aber auch – HA] in der Gegenüberstellung von Dunkelfeld- und Hellfelddaten […]“. 36 Vgl. z. B. den 2. PSB, wo bezugnehmend auf zwei frühere Erhebungen (1997) berichtet wird: „Mit dem dort erhobenen Deliktspektrum wurden Opferprävalenzraten von 15,9 % und 19,5 % ermittelt“, s. BMI/BMJ 2006, 17 f.; vgl. Kury et al. 1992, 46. 37 Vgl. die differenzierten und aufwändigen Bemühungen in Zusammenhang mit Mehrfachviktimisierungen bei Birkel 2016.

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likts: Im Fünfjahresreferenzbereich war in beiden Erhebungen die Schädigung durch Schadsoftware mit Prävalenzraten von 19,1 % (2017) bzw. 24,1 % (2012) vorne (Birkel et al. 2019, 11, Abb. 2); in der Einjahresreferenzperiode38 betrug 2017 die Prävalenzrate bei Schädigung durch Schadsoftware 4,5 % und lag an zweiter Stelle knapp hinter Waren- und Dienstleistungsbetrug mit 4,7 % (Birkel et al. 2019, 15, Tab. 2). Schon um die Gesamtlast krimineller Viktimisierungen in eine Beschreibung der gesellschaftlichen Sicherheitslage einzufügen, wäre eine solche Kennziffer der Gesamtviktimisierungsrate (ähnlich dem Gefährdungsquotient der PKS) von Belang gewesen. Auch in Hinsicht auf die erhobenen Unsicherheitsgefühle (Kriminalitätsfurcht) ist diese globale Hintergrundvariable als Indikator von kritischen Lebensereignissen39 – hat sich die befragte Person als Opfer gefühlt und benannt – neben den deliktspezifischen Differenzierungen durchaus von viktimologischem Interesse. Eine weitere Bemerkung betrifft das erfasste Deliktsspektrum. Die Auswahl der Delikte stützt sich im Wesentlichen auf die in Opferbefragungen üblichen Straftaten aus dem Bereich der Eigentums- und Gewaltdelikte, ergänzt im DVS 2017 durch drei Formen von neuartigeren Opfererfahrungen im Zusammenhang mit der Nutzung des Internets und von E-Mails sowie sog. hate crimes.40 Allerdings fanden Sexualdelikte (Belästigung, Nötigung, Vergewaltigung) keine Berücksichtigung. Dies verwundert etwas, da dies zuvor bereits mit befriedigenden Resultaten41 realisiert werden konnte, zumindest was die 2. Erhebung des Deutschen Viktimierungssurvey (2017) betrifft, in Zeiten einer gestiegenen Sensibilität gegenüber sexuellen Übergriffen, gesteigertem öffentlichem Interesse und kriminalpolitischer Relevanz – u. a. durch Ereignisse wie der Kölner Silvesternacht (2015) und der #metoo-Debatte (2017) medial thematisiert.42 Eine Erklärung oder inhaltliche Begründung enthalten die o. a. beiden Berichte (DVS 2012; 2017; Birkel et al. 2014; 2019) dazu nicht, was sicherlich Gründe hat, aber wünschenswert gewesen wäre.43

38 Eine Prävalenzrate für die Einjahresreferenzperiode liegt nicht vor, da die internetbasierten Straftaten für den 12-Monatszeitraum nicht erhoben wurden; vgl. Birkel et al. 2019, 14. 39 Zur Erforschung kritischer Lebensereignisse, deren Beginn in den 1960er Jahren liegt (Critical Life Event-Forschung) vgl. m.w.H. Filipp & Aymanns 2018. 40 Zu weiteren Veränderungen m Erhebungsbogen 2017 gegenüber DVS 2012 vgl. Birkel et al. 2019, 6, 102, Tab. 32. 41 Etwa in der ersten nationalen Opferstudie von Kury et al. 1992, 132 ff., wo nach sexuellen Belästigungen gefragt wurde, und ergänzend die Schwere des Übergriffs eingeschätzt werden konnte, was eine Abstufung bzw. Differenzierung von „frechem Benehmen“ bis zur (versuchten) Vergewaltigung erlaubte. Bereits zuvor wurden – per schriftlicher Befragung – u. a. Vergewaltigungen in einer Studie erhoben; vgl. Arnold 1986. 42 In diesem Zusammenhang mit Bezug auf kriminalitätsbezogenes Sicherheitsempfinden von Bedeutung das Konzept der „signal crimes“ (Innes), insbesondere bzgl. Sexualdelikte. 43 Eine kurze, allgemein gehaltene Fußnote findet sich jedoch bei Birkel & Guzy 2015, 121, Fn. 6: „Auf die Erhebung von Viktimisierungen durch Sexualdelikte wurde nach sorgfältiger Prüfung aufgrund forschungsethischer und methodologischer Bedenken verzichtet“.

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Erwähnenswert ist, dass bei der deliktspezifischen, affektiven Kriminalitätsfurcht die Beunruhigung bezüglich sexueller Belästigung bei Frauen wie Männern erfragt wurde (wobei das Resultat überrascht; Birkel et al. 2014, 77 f.; Tab. 3, 79). Hier kann nur spekuliert werden, welche Gründe, etwa u. a. die Form des Zugangs, d. h. per Telefoninterviews (CATI), dazu bewogen haben, sensible Frageinhalte zu unterlassen, um ggf. die Quote an abbrechenden Personen im Interview möglichst gering zu halten. Interessant ist in diesem Zusammenhang insofern der Hinweis bei Birkel et al. (2019, 101) auf den für 2020 geplanten Survey „Sicherheit und Kriminalität in Deutschland“ (SKiD)44, der nicht mehr als telefonische Befragung durchgeführt werden soll. „Der zukünftige Survey sieht angesichts […] der rückläufigen Teilnahmebereitschaft bei telefonischen Befragungen bewusst eine andere Erhebungsmethodik als der DVS vor, nämlich eine schriftlich-postalische Befragung in Kombination mit einer Online-Befragung“ (Birkel et al. 2019, 101).

Dies könnte das Problem bei sensiblen Befragungsthemen in telefonisch durchgeführten Surveys minimieren. Das Fehlen einer gravierenden Deliktform, wie den Sexualstraftaten, berührt einen weiteren wichtigen Aspekt empirischer Kriminalitätsmessung, der in den Erhebungen des DVS unberücksichtigt blieb: den der Schweremessung von Kriminalität (crime seriousness).45 Dieser Aspekt spielt nicht nur bei den normativ bewertenden Strafbedürfnissen (Punitivität) eine zentrale Rolle, sondern sollte gerade in Zusammenhang mit Viktimisierungen, sei es hinsichtlich des beim Opfer – wie mittelbar bei seinem Umfeld – angerichteten finanziellen Schadens und psychischen Leids, damit den viktimologisch-relevanten Folgen von Viktimisierungen, Beachtung finden.46 Die Schweremessung hat zudem Relevanz hinsichtlich der motivationalen Voraussetzungen des Anzeigeverhaltens, welches bei den DVS, wie wohl zukünftig ebenfalls beim SKiD, Bestandteil der Erhebung darstellt. Nicht zuletzt ist von Interesse, welche Zusammenhänge sich zwischen der Schwere von Viktimisierungserfahrungen und den Sicherheitsempfindungen vorfinden lassen. Dass die Korrelationen zwischen diesen beiden Variablen – Viktimisierungserfahrungen und Kriminalitätsfurchtmessung in Form üblicher Operationalisierung – in Studien bislang eher gering und damit vermeintlich unbeachtlich ausfielen, ist kein Gegenargument, verweist eher darauf, dass es bei den theoretischen Annahmen unzutreffende Einschätzungen

44 Im Flyer zum SKiD wird erwähnt, dass in dieser Umfrage nun auch Viktimisierungen durch sexuelle Nötigung erfragt werden sollen. 45 Vgl. dazu Haverkamp & Arnold 2015, 349 ff. Jüngst nennt Heinz (2019, 10) als ein Ziel von Viktimisierungssurveys: „Erfassung des objektiven Schweregrades (materielle und immaterielle Schäden) und der subjektiven Seite der Opfererfahrungen (unmittelbare psychische Folgen sowie langfristige psychosoziale Auswirkungen), um die Bedeutsamkeit von Viktimisierungserfahrungen aus Sicht der Opfer zu erfassen“. 46 Vgl. zu „schweregewichteten“ Kriminalitätsindizes Feltes 2013.

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und Erwartungen gab, was in unergiebigen und enttäuschenden Modellierungen resultierte. Bedauerlich, aber vielleicht nicht erwartbar, ist, dass die Verantwortlichen der Studien (DVS) in der Darstellung der Ergebnisse sich nicht der Gegenüberstellung von objektiven und subjektiven Sicherheitsindikatoren sowie ggf. der Problematik des partiellen Auseinanderfallens47 von beiden gewidmet haben. Die anscheinend partiell widersprüchlichen Beschreibungen der Sicherheitslage anhand objektiver versus subjektiver Kriminalitätsindikatoren ist schon seit geraumer Zeit ein wiederholt thematisiertes Phänomen in der kriminalitätsbezogenen Sozialberichterstattung.48 Die Zusammenschau und gemeinsame Diskussion beider Erkenntnisquellen, der objektiven und subjektiven Kriminalitätsindikatoren, hätte eine komplexere Sicherheitsanalyse erlaubt und zugleich eine kritische Betrachtung und Bewertung der Gültigkeit der Ergebnisse begleiten können. Selbstverständlich bedürfte es zudem in einem thematischen Bereich wie der Erfassung subjektiver Daten wie krimineller Opfererfahrung und Kriminalitätsfurcht einer Reflexion und Diskussion von Reliabilität und Validität der erhobenen Daten,49 zumindest einer Erörterung von Fehlerquellen und Plausibilitätschecks, wie sie bspw. in Bezug auf subjektive Deliktkategorisierung50 bzw. Subsumtion von Straftaten oder Mehrfachzählungen von gleichartigen Folgehandlungen hinsichtlich der Vergleichbarkeit mit Daten der Polizeilichen Kriminalstatistik angedeutet wurden.51 Dazu gibt es leider nichts, weder in den Methodenberichten von INFAS, noch in den vertiefenden Methodenberichten von Guzy et al. (2015), trotz interessanter allgemeiner Ausführungen zur Methodik und Methodologie, aber ohne unmittelbaren Bezug. In der Zusammenschau zum DVS 2017 wird resümiert, dass Deutschland, was die „tatsächliche Kriminalitätsbelastung“ und die „gefühlte Sicherheit“ beträfe, ein „recht sicheres Land“ sei (Birkel et al. 2019, 97). Dass allerdings noch wesentliche Fragen offen seien, wird im Ausblick, mit dem die Darstellungen zum DVS 2019 enden, konzediert: „Schließlich stellt sich die Frage, wie die beobachteten Verände47 Hirtenlehner et al. (2018) sehen eine „zunehmende Entkoppelung von objektiver und subjektiver Sicherheit“. 48 Ein Vorschlag auf der Basis von Überlegungen etwa aus der Sozialindiktorenforschung wurde unlängst zur Diskussion gestellt; vgl. m.w.H. Haverkamp & Arnold 2015, 339 ff., 355 ff. 49 Jenseits einer einfachen Augenschein-/Anschauungs-Validität. Unlängst zu methodischen Problemen bei der Messung von Kriminalitätsfurcht und Viktimisierungserfahrungen Noack 2015. 50 Vorsichtig skeptisch Kunz & Singelnstein 2016, 234: „Bei Opferbefragungen ist die Korrespondenz zwischen tatsächlich erlebtem Opferereignis und einer Dokumentation als Viktimisierung nicht ohne Weiteres anzunehmen“. Vgl. dort Schaubild 3.11: Vom Erlebnis zur dokumentierten Viktimisierung. 51 Zu Validität- und Reliabilitätsaspekten und zur Messfehlerproblematik bei der PKS früher an anderer Stelle Birkel 2003.

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rungen zwischen den beiden Erhebungswellen zu erklären sind“ (Birkel et al. 2019, 97). Der Namenswechsel des geplanten Surveys (von DVS zu SKiD) lässt erwarten, dass zukünftig viktimologische Fragestellungen gegenüber denen der Kriminalitätsmessung – dafür spricht der zweijährige Erhebungsrhythmus – und weiteren polizeilich relevanten und aktuellen Fragen – z. B. zur Bewertung der und zum Vertrauen in die Polizei – weiter in den Hintergrund treten werden, zumal die Vermutung naheliegt, dass die Durchführung nun wohl ohne direkte Beteilung, ggf. nur mittels ad hoc-Support aus dem wissenschaftlichen Bereich, in verstärkter polizeilicher Eigenregie realisiert werden wird (Kolmey 2016). Was die Darstellung der Sicherheitslage in Deutschland auf der Grundlage objektiv(iert)er und subjektiver empirischer Kriminalitätsindikatoren betrifft, leisten die beiden DFS einen substantiellen, als Viktimisierungsstudien aber noch ausbaufähigen Beitrag. Gleichwohl vermögen sie in der thematischen Breite nicht einen Ansatz und Entwurf, wie ihn die beiden PSB (BMI/BMJ 2001; 2006) vorlegten, zu ersetzen, sie können nur wesentlicher Bestandteil eines solchen sein. Dies wird bereits durch die thematische Weite der abgesteckten Untersuchungsfelder evident, die wesentliche Kriminalitätsbereiche, die durch direkte Befragungsstudien von Opfern, wie sie der DVS realisierte, nicht erfasst wurden und werden konnten, offensichtlich.52 Dazu gehören sowohl Delikte mit nicht und schwer erreichbaren bzw. unzugänglichen Opfern wie bspw. bei Tötungsdelikten, Menschenhandel, sexuellem Missbrauch, Misshandlung, allgemein Opfern von sog. „invisible crimes“ (Davies) oder kollektive und nichtnatürliche Opfer (Wirtschaft-, Finanz-, Umweltkriminalität etc.), nicht zuletzt die Untersuchung struktureller und neuer, die Sicherheit von Menschen beeinträchtigender gesellschaftlicher Bedingungen.53

**** Mit den ersten US-amerikanischen Opferbefragungen (victim surveys) begannen Erörterungen und Untersuchungen von „subjektiver Sicherheit“ – damals noch mit anderer Begrifflichkeit – in der Kriminologie, ausgehend von „Viktimisierungs-/Kriminalitätsfurcht“, die als soziales Problem an Relevanz ebenbürtig krimineller Viktimisierung, gelegentlich sogar als schlimmer, weil allgegenwärtig, erachtet wurde.54 Entsprechend war bzw. wurde das Konstrukt regelmäßig zum Bestandteil der Erhebungen zur Viktimisierung, wie bereits oben zu entnehmen war. Nicht verwunderlich ist, dass Publikationen zu diesem kriminalitätsbezogenen Aspekt subjektiver Sicher52

Vgl. dazu Beiträge zu den delikt- und gruppenspezifischen Viktimisierungserfahrungen in Guzy et al. 2015. 53 Vgl. zu neuen Bedrohungen Albrecht 2011. 54 Vgl. Kaiser 1995, 31: „Verbrechensfurcht mehr noch als Verbrechensanstieg mobilisiert Wissenschaft […] und Praxis“.

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heit mittlerweile an Umfang den, der sich direkt mit krimineller Viktimisierung beschäftigt, sowohl international wie national bei weitem zu überwiegen scheint.55 Insofern war es folgerichtig und konsequent, dass ebenfalls die deutschen Opferstudien stets die Wahrnehmung von Kriminalität und das Sicherheitsempfinden – in diversen Operationalisierungen – berücksichtigten, so auch die o. a. beiden DVS von 2012 und 2017 (Birkel et al. 2014, 64 ff.; 2019, 45 ff.).56 Die Fülle der empirischen Ergebnisse kann hier nicht wiedergegeben werden, allerdings verdient die kriminologische Forschung zur subjektiven Sicherheit zwei Anmerkungen, einmal zu ihrer Konzeptualisierung, zum anderen – z. T. davon abhängig – ihre Operationalisierung und Messung. Seit den Anfängen – u. a. bei Schwind in der ersten Bochumer-Dunkelfeldstudie (Schwind et al. 1978; vgl. auch Stephan 1976) – wird subjektive Sicherheit (Kriminalitätsfurcht) – dort „subjektives [sic] Bedrohtheitsgefühl“ als „psychologisches Konstrukt“ – in Form einer Einstellungsmessung erhoben (Gefeller & Trudewind 1978). Dieser Linie folgen, soweit ersichtlich, bislang die meisten Studien, so der DVS. Damit hat man sich auf eine naheliegende Sichtweise und einen pragmatischen Zugang eingelassen, offensichtlich festgelegt,57 welche eine vertiefte und differenziertere Sichtweise der betroffenen psychologischen Phänomene nicht mehr zwingend erscheinen ließen bzw. verhinderten. Denn für das Verständnis, was sich intrapsychisch an Prozessen abspielt, wenn jemand von Kriminalitätsfurcht/-angst, Bedrohtheits-/Unsicherheitsgefühl o. ä. spricht, sind Kenntnisse aus dem Bereich der (Emotions-)Psychologie hilfreich, wenn nicht gar erforderlich.58 Um Beispiele zu nennen: Da wäre die – allerdings selbst bei Fachpsychologen nicht stets vorgenommene oder als erforderlich erachtete – Differenzierung zwischen Furcht (nach Freud Realangst) und Angst.59 Schon früh (zuerst 1934) hat dies der Individual- und Sozialpsychologe Manès Sperber zum Ausdruck gebracht: „Die Furcht ist die Reaktion auf eine richtige Wahrnehmung einer realen Gefahr. […] Die Angst ist in keiner Weise an eine objektive Gefahr oder an eine richtig wahrgenommene Situation gebunden. Sie widerspiegelt mehr den seelischen Zustand des Individuums als seine äußere Situation […] Die Furcht verrät eine Situation, die Angst einen Charakter“ (Sperber 1978, 171).

Hier geht es insofern um äußere Realität einerseits und innere Welt andererseits, und damit um eine potentiell anschlussfähige Interpretation der subjektiven Sicherheit in Bezug zur objektiven. 55

Grundlegend mit gutem Überblick Boers 1991; vgl. a. Ziegleder et al. 2011. Vgl. zum DVS 2012 die Beiträge in Haverkamp & Arnold 2015; sowie vertiefende Analysen zu Kriminalitätsfurcht und Unsicherheitsgefühlen in Birkel et al. 2016. 57 Vgl. Gefeller & Trudewind 1978, 310: „Das subjektive Bedrohtheitsgefühl soll als ein vorläufiges [sic!] Konzept verstanden werden, das bestimmte Formen der Auseinandersetzung des Individuums mit dem Phänomen der Kriminalität in der Gesellschaft charakterisiert“. 58 Vgl. z. B. Schmidt-Atzert et al. 2014. 59 Vgl. frühere Überlegungen zur Kriminalitätsfurcht vom Verf. Arnold 1984. 56

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Eine weitere Unterscheidung betrifft die Differenz zwischen Ängstlichkeit als einem interindividuell variierendem Persönlichkeitsmerkmal (Disposition/trait), das sich in der eher generellen Tendenz (latenten Bereitschaft), auf Gefahrensituationen (verstärkt) ängstlich zu reagieren, ausdrückt, und Angst als (situationsbedingter) affektiver/emotionaler Zustandsbeschreibung (state).60 Diese in der differentiellen und Persönlichkeitspsychologie geläufige Differenzierung – zurückgehend auf die amerikanischen Psychologen Cattell sowie Spielberger – wurde bereits in einschlägigen Untersuchungen einer Überprüfung zugrunde gelegt.61 Um ein zutreffendes Bild von der Gefahrenwahrnehmung und der bewirkten bzw. erfolgten (Un-)Sicherheitsempfindung zu erhalten, müssten diese Grundvoraussetzungen – wie der Einfluss persönlichkeitspsychologischer Charakteristika62 allgemein – berücksichtigt werden. Die Studien, die nach dem Einstellungsmodell arbeiten, unterscheiden gemeinhin nach drei Aspekten (Komponenten, Dimensionen oder Ebenen): affektiv, kognitiv und konativ. Nicht thematisiert wird hingegen in diesem Ansatz, dass Emotionen notwendig psychophysiologische (und neurologische) Erregungsmuster als integralen Bestandteil enthalten, um als solche spezifischen Emotionen charakterisiert zu sein.63 Genau genommen sind alle diese Komponenten im Prinzip in der jeweiligen Situation latent vorhanden bzw. bereitgestellt, um ggf. nach entsprechender Reizung mit angemessener Stärke aktiviert zu werden (z. B. Fight – Fight – Freeze). Dabei handelt es sich um einen primär unbewusst ablaufenden Prozess, der sekundär bewusstseinsfähig (Gefühl) werden kann. Das gilt gerade bei grundlegenden Emotionen, wie Furcht. Im Gegensatz zu den oft unzureichenden theoretischen Begründungen dessen, was unter der jeweiligen Unsicherheitsempfindung verstanden wird, hat deren Umsetzung in der Operationalisierung mehr Aufmerksamkeit erfahren, nicht zuletzt, weil Kritik und partielle Unzufriedenheit als Motivation wirkten. Exemplarisch ist auf die Auseinandersetzung um den sog. Standardindikator (bzw. -item) der Verbrechensfurcht – ebenfalls im DVS eingesetzt – mit seiner langen Geschichte hinzuweisen.64 Dieser „Standardindikator“ ist einerseits – so Reuband (2000, 194), der selbst einige Forschungserfahrung zur Kriminalitätsfurcht aufweist – für die „,Praxis‘ als 60

Zur Psychologie der Angst umfassend Krohne 2010. Vgl. z. B. bei Gefeller & Trudewind 1978, 310 und Greve 1996, 20 f. mittels State-Trait Anxiety Inventory bzw. Angstinventar; vgl. a. Boers 1991, 28 ff. mit der Erfassung bereichsspezifischer Angstneigungen mittels Interaktion-Angst-Fragebogen (IAF). 62 Vgl. schon Stephan 1976 mit dem Freiburger Persönlichkeitsinventar (FPI); vgl. a. Obergfell-Fuchs & Kury 1996; Kury & Obergfell-Fuchs 2003. 63 Vgl. hierzu Studien von Damasio (2000) und seine Theorie der somatischen Marker. 64 Kritisiert wurde z. B. die Unspezifität des Items: Es erwähnt keinen Grund für Furcht. Dem gingen schon Teske & Hazlett (1988) nach, indem sie nach dem Grund für Furcht fragten, was in einem weiten, z. T. unspezifischen Antwortspektrum resultierte, bei 20 % aber ohne Begründung; vgl. zu konzeptuellen und empirischen Schwierigkeiten sowie Problemen der Erfassung von Kriminalitätsfurcht Greve 1996, 12 ff.; Kury et al. 2004; Sessar 2006. 61

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brauchbar eingeschätzt“ worden (ähnlich Greve 1996, 27), andererseits nach rigoroser Prüfung – so durch Kreuter (2002) – wegen methodischer Probleme zur Aussonderung empfohlen.65 Um derartige Schwächen auszugleichen und zu überwinden, wurden verschiedene Alternativen der Messung – sowie zur Erklärung – von Kriminalitätsfurcht entwickelt, etwa die deliktsspezifische Variante, wie ebenfalls im DVS verwendet, was sich mit Hinsicht auf Viktimisierungen und Hellfelddaten anbietet, oder mittels Skalenbildung bei Einsatz verschiedener Indikatoren. Erwähnung verdient in diesem Zusammenhang der originäre (qualitative) Zugang bei der Konzeptualisierung und Erfassung von „Sicherheitsbefindlichkeiten“ durch Blinkert (2013), der zudem – im Rahmen von BaSiD – einen alternativen „Sicherheitsbarometer“ vorschlug, allerdings ohne Bezugnahme auf objektiv(iert)e Sicherheit und Einbeziehung von deren Indikatoren.66 Unabhängig von dieser alternativen Neuausrichtung ist ein noch offenes Problem – wie bei den Viktimisierungen – der Nachweis der (ökologischen) Validität der erhobenen (Un-)Sicherheitsempfindungen (in Form von real feststellbarer Kriminalitätsfurcht).67 Als Einstellungsaspekte kommt diesen Konstrukten in den üblichen Untersuchungen außer einer Augenscheinvalidität keine Evidenz für reale, vorfindbare emotionale Prozesse in Gegenwart bedrohlicher wahrgenommener Situationen zu. Dies nachzuweisen, bedarf weiterer Bemühungen. Hier könnten neue Alternativen wie z. B. die aktuell geplanten Erhebungen des in situ-Sicherheitsempfindens im öffentlichen Personenverkehr für neue Erkenntnisse sorgen (Reichow et al. 2020). Nicht zuletzt böte sich an, für den Bereich der (Unsicherheits-)Wahrnehmung auf Erkenntnisse der Sicherheitspsychologie (z. B. Windemuth 2012) zurückzugreifen, etwa da, wo sie sich mit Gefahrenkognition befasst (z. B. Muhsal 1997), inklusive der Unterscheidung zwischen objektiver und subjektiver Gefährlichkeit oder der Differenz von Risiko und Gefahr, hier aus psychologischer Perspektive (nicht im Sinne von Luhmann). Dies könnte einen zusätzlichen Input für das Verständnis für die (auch unbewusste) Wahrnehmung angstfördernder bzw. furchtauslösender Umweltreize (z. B. Incivilities/Disorder) und deren Wirkung bei der Entstehung und Aufrechterhaltung von Kriminalitätsfurcht geben, wie sie etwa im Zusammenhang mit sog. Angsträumen oder allgemein Irritationen in städtischen Nachbarschaften und urbanen Vierteln diskutiert werden; auch die sog. Begehungen könnten davon profitieren. Dass darüber hinaus (nicht nur soziale) Wahrnehmungen (und damit verbundene kognitiv-neurologische Prozesse) allgemein Berücksichtigung verdienen – 65 Fazit Kreuter 2002, 232: „Zum Schluss bleibt festzuhalten, dass die Messung von Kriminalitätsfurcht nicht mehr in der bisher üblichen Art durchgeführt werden sollte – schon gar nicht mit dem allgemeinen Indikator, […] Es sollte stattdessen die Konzeptualisierung des Konstruktes Kriminalitätsfurcht weiter ausgearbeitet werden […]“. Vgl. a. Noack (2015) zu methodischen Probleme bei der Messung von Kriminalitätsfurcht. 66 Vgl. a. Blinkert 2015; Blinkert et al. 2015 insbesondere bzgl. beachtenswerten methodischen Anmerkungen. 67 Konkret: Was wird wann gefürchtet, und ggf. wie oft und andauernd? Vgl. Feistritzer & Stangl 2006 zur Häufigkeit und Intensität von Kriminalitätsängsten; s.a. Sessar 2006.

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mit dem Hinweis auf die Differenz von Perzeption und Apperzeption und den Aspekt subliminaler bzw. unterschwelliger Wahrnehmung („bewusst – unbewusst“) oder Wahrnehmungsfehler verbunden –, ist in dem vorliegenden Forschungsbereich naheliegend. Was die subjektive Sicherheit betrifft, darf nicht unerwähnt bleiben, dass die übliche quantitative Forschung mit ihren Indikatoren zur Erfassung des Sicherheitsgefühls, wie im DVS, der dringenden Ergänzung durch einen qualitativen Zugang bedarf – wie er exemplarisch von Blinkert (2013; 2015) entworfen und begründet wurde –, um Breite und Tiefe bzw. Komplexität des Phänomen(bereich)s angemessen abzubilden. Die eigene Studie „Barometer Sicherheit in Deutschland“/BaSiD (Haverkamp & Arnold 2015) mit ihrem interdisziplinären und multimethodischen Zugang hat dies m. E. als Gewinn verbucht; daraus resultierend konnte es zuletzt – basierend auf BaSiD – in einer Folgestudie mit Methodenmix-Interviews und innovativem qualitativem Forschungsdesign anhand umfangreichen Materials unter Beweis gestellt werden (Eckert 2019). Diese Einschätzung wird noch an einem formalen Kriterium die Datenerhebung betreffend verdeutlicht: Während die durchschnittliche Dauer der CATI-Interviews beim DVS 2012 insgesamt knapp 20 Minuten bzw. 22 Minuten beim DVS 2017 betrug, nahmen die qualitativen Interviews – da nur den Aspekt subjektive (Un-)Sicherheit fokussierend – rund 90 Minuten in Anspruch. Es dürfte unschwer nachvollziehbar sein, dass die Produktivität und Salienz der Erhebungen sich merklich unterscheiden dürften.68 Aufgrund des Dargestellten erscheint der Schluss berechtigt, dass es wünschenswert scheint – in Ergänzung zum (objektiven) „erweiterten Sicherheitsbegriff“ – an einem komplementären (subjektiven) „vertieften Sicherheitsbegriff“ zu arbeiten. Dazu könnten Vorstudien mit qualitativen Erhebungen für eine spätere quantitative Überprüfung und Verallgemeinerung einen wesentlichen und notwendigen Beitrag liefern.

***** Zuletzt zur wiederholt im einschlägigen Diskurs auftauchenden Frage: Wieviel Sicherheit muss sein? Kann es überhaupt genug Sicherheit geben? Ist das Bedürfnis nach Sicherheit zu stillen? (Haverkamp & Arnold 2015, 3 f.) Die Meinungen gehen auseinander, insbesondere weil es sich nicht nur um eine empirische, sondern offensichtlich ebenfalls um eine normative, wertbezogene Frage handelt. So stellte dazu schon Albrecht (1997, 147) fest: „Der Begriff der Sicherheit ist normativ besetzt.“

68 Vgl. dazu bei Blinkert (2013, 101 ff.) die Definition des Sicherheitsbegriffs sowie dessen Konzeptualisierung, welche den Interviews als Erhebungsschema zugrunde lag.

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Anschluss finden dabei ergänzende Erörterungen zur „Angst“ als einer Chiffre der Gegenwartsgesellschaft,69 moderner Gesellschaften überhaupt, und deshalb bereits als Kennzeichen des vergangenen Jahrhunderts verwandt. Ursache für Angst sind Bedrohungen in der Moderne, einer globalisierten ,Risikogesellschaft‘ (Beck), und stets „neue Bedrohungen“ (Albrecht 2011), die ihrerseits neue Sicherheitsmaßnahmen erfordern, um den Sicherheitsbedürfnissen und -forderungen entsprechen zu können. Kann es also genug Sicherheit geben? Und wann bzw. wieviel Sicherheit ist ausreichend? Lässt sich dies normativ klären und/oder empirisch feststellen? Über Sicherheit sowie das Bedürfnis nach Sicherheit wird schon lange inter- und transdisziplinär auf theoretischer Ebene, oftmals entfernt oder gar losgelöst von faktischen Bezügen wie empirischen Daten, reflektiert und diskutiert, zumindest seit Sicherheit ein Schlüsselbegriff gegenwärtiger Gesellschaftsbeschreibungen und -analysen geworden ist, oft implizit in Verbindung mit einem ihrer Gegenbegriffe70, dem der Angst (Unsicherheit) eben oder komplementären Aspekten, wie dem der Freiheit. In diesem Zusammenhang stößt man wiederholt auf Bemerkungen und Feststellungen derart: Sicherheit könne es nie genug geben, es gäbe ein stetes Verlangen nach Sicherheit, sodass sich die Frage stellt, ob „Sicherheit: ein (un-)stillbares Grundbedürfnis des Menschen“ (Frevel 2013)71 sei und sich möglicherweise eine bedenkliche „Unersättlichkeit des Strebens nach Sicherheit“ (Kunz 2013)72 zeige. Daase et al. (2013, 9) bemerken nicht nur „wachsende Sicherheitsbedürfnisse einer vielfach verunsicherten Gesellschaft“, sondern stellen – mit implizitem Bezug auf die Differenz von objektivierbaren Bedingungen und subjektivem Empfinden – verwundert fest: „Sichere Gesellschaften fordern immer mehr Sicherheit“, wodurch eine „paradoxe Situation des Staates“ entsteht: „Je mehr Sicherheit er bereitstellt, desto weitgehender werden die gesellschaftlichen Sicherheitsanforderungen […]“. Angesichts einer solchen, im Extremfall geradezu „idiosynkratischen Sensibilität“ – eines „Sicherheits-Paradoxons“ bzw. Sicherheits-Dilemmas (Haverkamp & Arnold 2015, 3 f.) –, bietet sich als reflektierender Zwischenschritt ein Blick in andere Bereiche an, hier auf die anthropologische Sicht und Interpretation des Philosophen Marquard und seiner skeptischen „Philosophie des Stattdessen“, wo in strukturell ähnlich gelagerten Problemlagen und den regulativen Arrangements von Unvermeidlichkeiten der Lebenswelt Aufschlussreiches zu entnehmen ist. Marquard hat in seiner grundlegenden „Kompensationstheorie“ das „Mängelwesen“ Mensch 69 Zur „Angstgesellschaft“ z. B. Schwind 2003; vgl. Haverkamp & Arnold 2015, 2 ff. m.w.H. 70 Ein entsprechender Gegenbegriff für den Zustand von Unsicherheit, komplementär zu Sicherheit, wäre Vertrauen; vgl. als Teilaspekt des Anomia-Konstrukts Arnold 1984. 71 Schon Kunz 2004, 227: „[…] das Bedrohungsempfinden [löst] ein ungestilltes Sicherheitsbedürfnis aus […]“. 72 Kunz (2013, 32) skeptisch weiter: „Unsere heutige Gesellschaft weist nämlich nicht nur partielle Sicherheitsdefizite – […] – auf, sondern ist durch strukturelle Sicherheitsmängel gekennzeichnet. Diese Mängel sind Begleiterscheinungen des Modernisierungsprozesses und damit im Prinzip unbehebbar“.

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(Gehlen) in seinem Verhältnis zur modernen Welt als einen um Ergänzung, Ausgleich und Balance bemühten „Homo compensator“ konzipiert und ein „Gesetz der zunehmenden Penetranz der Reste“ formuliert, nachdem ein „kulturdynamischer Erhaltungssatz des Negativitätsbedarfs“ wirksam ist: „Je mehr Negatives aus der Wirklichkeit verschwindet, desto ärgerlicher wird – gerade weil es sich vermindert – das Negative, das übrig bleibt. […] Knapper werdende Übel werden negativ kostbarer, sie werden immer plagender, und Restübel werden schier unerträglich“ (Marquard 2000, 37).

Danach wären bestehende bzw. verbleibende Unsicherheiten durch stets potentiell gegebene Gefahren selbst unter Bewahrung eines konstant positiven Sicherheitsniveaus psychohygienisch problematisch. Ähnlich dazu Bonß (2010, 47): „Je höher das Sicherheitsniveau und die Sicherheitsansprüche, desto mehr Unsicherheiten werden realisiert und desto mehr ,neue‘ Unsicherheiten werden entdeckt, die ihrerseits nach mehr Anstrengungen bei der Herstellung von Sicherheit verlangen.“

Auf dem Hintergrund der immer mal wieder in Zusammenhang mit Sicherheitsbedürfnissen thematisierten „German Angst“73 als einer besonderen deutschen Befindlichkeit, einer nationalen Spezifik, böte sich ergänzend eine vergleichend-interkulturelle Betrachtung an, so etwa nach dem Ansatz von Hofstede, der in seinem System der Dimension „Unsicherheitsvermeidung“ Beachtung schenkt, anhand der beschrieben wird, wie stark – kulturell bedingt – in einer Gesellschaft unstrukturierte, uneindeutige bzw. ambivalente Situationen als bedrohlich erlebt und Versuche unternommen werden, diese zu reduzieren und zu vermeiden (Hofstede et al. 2010, 187 ff.). Ohne die oben aufgeworfene Frage hier weiter zu beantworten zu versuchen, sei einer weiteren Beobachtung, konkret einer periodisch anzutreffenden „offiziellen“ Feststellung, nachgegangen. So werden in Zusammenhang mit der Veröffentlichung der jährlichen Polizeilichen Kriminalstatistik oder bei ähnlichen Anlässen Aussagen über die (objektive) Sicherheitslage im Land getroffen, die eine Einordnung von Resultaten hinsichtlich des erwünschten Zustands als „sicher“ bzw. „unsicher“ zulassen (sollen). Als Beispiel sei eine solche Einschätzung des BKA-Präsidenten Münch (im Vorwort zum DVS 2017) zitiert: „Deutschland ist ein sicheres Land. Dies gilt sowohl für die tatsächliche Kriminalitätsbelastung als auch für die gefühlte Sicherheit“ (Münch 2019, 4).74 Bedeutet dies: genug Sicherheit?75 Und ab wann nicht mehr? Welche Werteskala, welches Beurteilungskriterium verbirgt sich dahinter? Etwa eine kriminalpolitische Heuristik, die durch das jeweils gegenwärtige gesellschaftspolitische Klima geeicht und (neu/nach)justiert wird? Zum Beispiel durch (interna73

Vgl. Biess 2019, 415 ff.; Feltes 2019. Vgl. dazu Birkel et al. (2019, 97) weniger bestimmt: „ein recht sicheres Land“. 75 An der zitierten Stelle heißt es zielbestimmend weiter: „[…] für die größtmögliche Sicherheit in unserer offenen Gesellschaft“, s. Münch 2019, 4. Aber diese Aussage verschiebt das Problem nur: Wie bestimmt man „größtmögliche Sicherheit“? 74

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tionalen) Vergleich oder gegenüber vergangenen Berichtsperioden? Dies ist eine Frage, die sich offensichtlich durch Verweis auf empirische Resultate, nicht so ohne weiteres zufriedenstellend und überzeugend beantworten lässt. Anzuführen ist ein zusätzliches, bekanntes Dilemma, das Münch (2019, 3) an gleicher Stelle erwähnt: „Wir wissen aus verschiedenen Umfragen, dass es um das Sicherheitsgefühl der Menschen in Deutschland häufig schlechter bestellt ist als um die durch objektive Messungen und Erhebungen beschriebene tatsächliche Sicherheitslage.“76

Hier werden die als objektive und subjektive Kriminalitätsindikatoren bekannten Variablen nicht nur vergleichend zueinander in Beziehung gesetzt, wie es durchaus sinnvoll ist,77 häufig geschieht und – unter Berücksichtigung des differentiellen Zugangs und dem damit möglichen Erkenntnisgewinns aus der „Verbrechenswirklichkeit“ – begründet empfohlen wird; sie – die beiden Indikatoren – werden offensichtlich schon vorab (explizit) mit einer Bewertung versehen, in dem das Sicherheitsempfinden (implizit) als potentiell weniger gültig gegenüber der ,objektiven‘ „tatsächlichen [sic!] Sicherheitslage“ eingestuft und beurteilt erscheint. Damit wird das vorhandene Problem, das aus dem Vergleich der beiden unterschiedlichen Indikatoren resultiert, verkannt und nicht der erforderlichen Analyse – und ggf. Relativierung ihres jeweiligen Aussagegehalts – zugeführt. Überhaupt scheint das Zusammenspiel von subjektiven und objektiven Indikatoren für Sicherheit – von äußerer Realität und innerer Welt – komplex zu sein und ein Problem darzustellen. Albrecht (2015, 178 f.), der die Diskrepanzen zwischen objektiver und empfundener (subjektiver) Sicherheit, deren unterschiedlichen Verläufe – bedingt dadurch, dass sich Sicherheitserwartungen unabhängig von der (objektiven) Sicherheitslage entwickeln –, sowie den daraus resultierenden Konsequenzen einer kritischen Betrachtung unterzogen hat, kam schon zuvor zu einem vorläufigen Schluss: „Das Auseinanderfallen von objektiver Sicherheit und Sicherheitserwartungen führt zu einer größeren Komplexität, die auch erhöhte Ansprüche an die methodischen und theoretischen Grundlagen der Sicherheitsforschung mit sich bringt“ (Albrecht 2011, 123).

Dem ist nicht nur zuzustimmen, sondern Rechnung zu tragen. Es ließe sich hier einfach enden mit einem alten Motto: Further research is needed. Doch soll gleichwohl eine Ermutigung zugefügt werden, die angesichts bestehender – nicht nur kriminelle Gefahren betreffende – Bedrohlichkeiten den Menschen zu einer lebenstauglichen Balance zwischen äußerer Realität und innerer Welt zu motivieren beabsichtigt, was daran erinnert, dass die menschliche Sicherheitsempfin76

Vgl. dazu Birkel et al. 2019, 48: „Alles in allem zeugen die empirischen Befunde von einer Zunahme der Unsicherheitsgefühle in der Bevölkerung seit 2012“. 77 Vgl. dazu Haverkamp & Arnold 2015, 366 ff., Tab. 6 – 8, wo sich beim Beispiel des Einbruchs eine bessere Übereinstimmung zwischen den PKS-Zahlen und der deliktsspezifischen Furcht ergeben hat, als zwischen Furcht vor Einbruch und den entsprechenden Viktimisierungsdaten aus der Befragung, also inkl. Dunkelfeld.

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dung und die Wahrnehmung von äußeren Ereignissen als Risiken und Gefahren ihren Ursprung im Inneren hat. Der humanistische Sozialpsychologe und Psychoanalytiker Erich Fromm hat bereits 1955, was den Anspruch auf Sicherheit des modernen Menschen betrifft, festgestellt: „Wie kann ein empfindender und lebendiger Mensch sich auch je sicher fühlen? […] Die psychische Aufgabe, der man sich stellen kann und muss, ist nicht, sich sicher zu fühlen, sondern zu lernen, die Unsicherheit ohne Panik und unangebrachte Angst zu ertragen“ (Fromm 1974, 176).78

Und er fährt – unter gleichzeitiger Berücksichtigung des Verhältnisses zur Freiheit – mit warnendem, erfahrungsgesättigtem Unterton und Weitblick fort: „Das seelische und geistige Leben ist immer unsicher und ungewiss. […] Vollkommene Sicherheit finden wir nur, wenn wir uns vollkommen Mächten unterwerfen, die als stark und beständig gelten und die den Menschen der Notwendigkeit entheben, selbst Entscheidungen zu treffen, Risiken zu übernehmen und Verantwortung auf sich zu nehmen. Der freie Mensch ist notwendigerweise unsicher; der denkende Mensch ist sich notwendigerweise seiner Sache nicht gewiß“ (Fromm 1974, 176; Hervorhebungen im Original).

Diese Vorstellung oder Bestimmung dessen, woran subjektive Sicherheit auszurichten wäre, nun ihrerseits in ein sinnvolles und zweckmäßiges Verhältnis zu objektiver Sicherheit zu bringen, unter Berücksichtigung der gesellschaftlichen Rahmenbedingungen und Kriterien wie Lebensqualität und Wohlbefinden, wird keine einfache Aufgabe sein. Schon vor Längerem resümierte Albrecht – auf der Basis theoretischen Wissens und methodischen Kenntnisstands sowie auf dem Hintergrund der praktischen Probleme – seine skeptische Betrachtung zur Sicherheitslage in den Kommunen: „Empfohlen wird deshalb, die subjektive Sicherheitsdimension einzubinden in ein Konstrukt oder Konzept der Zufriedenheit mit der Umwelt etc., aus dem heraus die relative Bedeutung der Sicherheitsfrage eingeschätzt werden kann“ (Albrecht 1997, 165).79

Inwieweit dadurch die „Sicherheitsforschung … Teil des sozialen Fortschritts“ (Albrecht 2014, 85) wird – damit angesichts umfangreicher und differenzierter Ergebnisse den unterschiedlichen Vorstellungen und Erwartungen entsprechen kann (oder warum nicht) –, ist einer anderen Betrachtung vorbehalten. Literaturverzeichnis Albrecht, H.-J. (2016): Wandel der Sicherheit – Von präventiver zu präemptiver Sicherheit? Entwicklungen der Sicherheitspolitik in Systemen des öffentlichen Personentransports, in: 78

Vgl. Sticher 2015 zur Frage: „Wie viel Unsicherheit ertragen wir?“. Zu (Un-)Sicherheitsgefühl und Wohnzufriedenheit sowie Effekte objektiver und subjektiver Kriminalitätsindikatoren in der Bewertung von Nachbarschaft und Gemeinde vgl. Arnold 1993. 79

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II. Kriminologie und Kriminalpolitik – Criminology and Crime Policy

Putting a ‘New’ Label on an Old Bottle of Wine A Call for Global Criminology By John A. Winterdyk

Preamble I had the pleasure of meeting Professor Albrecht for the first time in the early 1990s while conducting an accredited Criminology Study Tour in Europe with some of my students from Mount Royal University. Although I was then a relative neophyte to criminology, having just completed my Ph.D. defence, the reputation of the Max Planck Institute (MPI) in Freiburg was already somewhat known to me. However, I was unfamiliar with Professor Albrecht and his work. During the Study Tour visit, Hans-Jörg Albrecht was kind enough to attend my guest lecture at the institute. He had not yet become Director of the Department of Criminology but based on our exchange and the questions he raised; it was abundantly clear to me he was an ‘up and coming star.’ I remember thinking he was someone I would like to stay in contact with. As good fortune would have it, we were able to keep in touch and collaborate on several projects – despite his rapid and impressive rise to academic ‘stardom.’ Over the years, we have had many wonderful exchanges, and with each transaction, my knowledge and respect have only grown. Over the years, I was also fortunate to have been awarded several visiting positions at the MPI. While there, I was able to meet with Hans-Jörg Albrecht and get to know a host of the other exceptional scholars. Such intellectually rich and stimulating opportunities make the MPI a desired destination for aspiring academicians and established scholars alike. In my humble estimation, it is one of the premier scholarly institutes globally, and its two Directors have largely informed its reputation – one being Hans-Jörg Albrecht, who served as the Director of the criminology department from 1997 until 2019. Since it is beyond the scope and purpose of this chapter entry to provide an account of Hans-Jörg Albrecht’s considerable contributions to criminology, the following article offers my reflections on some of his visionary ideas.

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1. Introduction For me, one of Hans-Jörg Albrecht’s most admirable attributes is his vast knowledge about criminological and criminal justice issues within an international global context. Without presuming to detract, undermine, or challenge his experience or insights, I would like to share some critical observations on the development of criminology that have been informed (directly and indirectly) and nurtured over the years by our various exchanges. As the founder of Canadian criminology in Montreal in 1960, Denis Szabo (1929 – 2018),1 once observed, the discipline and study of criminology are not only comparatively young, but criminology itself is also a ‘new profession.’ Szabo further noted that the then-young field of study would need to demonstrate its scientific rigour for the discipline to be accepted within the social sciences. Szabo argued that criminology is sufficiently distinct from the more established disciplines (e. g., sociology, psychology, and law), including courses on crime and criminality in their curriculums. In 1918, the mostly US-based sociologist Maurice Parmelee (1882 – 1969) published the first English-language textbook on criminology – aptly titled Criminology. Parmelee noted that criminology is “a hybrid science,” and hence, “many scientific methods can be applied in criminological research” (p. 4). Arguably, Parmelee’s book was ‘before its time’ because the textbook did not receive the same acclaim as Edwin Sutherland’s (1883 – 1950) book, also titled Criminology, published a few years later in 1924. The textbook was rewritten and re-released in 1934 under the title Principles of Criminology. Despite its popularity, Sutherland’s definition of criminology was much narrower and restrictive than Parmelee’s. Of the eleven ensuing editions, the last seven were co-authored by the U.S. penologist and sociologist Donald R. Cressey. They defined criminology as “the body of knowledge regarding crime as a social phenomenon” (Sutherland & Cressey 1955, 3). Sutherland is widely acknowledged as the “father of American criminology,” while Cressey (1919 – 1987) is considered the founder of the modern study of organized crime. His book Theft of the Nation: The Structure and Operations of Organized Crime in America, published in 1969, remains the most widely cited and perhaps also the most controversial scholarly book on organized crime. However, despite all the acclaim of Sutherland and Cressey’s work, the term criminology was coined in 1885 as criminologia by the Italian law professor Raffaele Garofalo (1851 – 1934), himself a former student of Cesare Lombroso (1835 – 1909). Meanwhile, in 1887, the French anthropologist Paul Topinard (1830 – 1911) first used the term in French – criminologie (Schafer 1976). Over time, several different schools of thought endeavored to explain, understand, and predict crime and inform criminal justice policy. The two primary schools were the Classical School 1 For an overview of Szabo’s career and contribution to Canadian criminology, see Winterdyk 2017.

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(generally associated with Cesare Beccaria) and the Positivist School (commonly associated with Cesare Lombroso) (see Winterdyk 2020). Within Germany, the history and evolution of criminology are equally as diverse. Landecker (1941) provides a thorough account of the development of criminology in Germany. Tracing its long and enduring influence within a legal context, Landecker details how such eminent German philosophers as Immanuel Kant (1724 – 1804) and Georg W.F. Hegel (1770 – 1831), among others, helped forge the purpose and meaning of punishment (i. e., imposed by an authority such as the state, involving some loss of freedom by the offender, considered a rational response to anti-social behaviour/crime and the notion of accountability). Meanwhile, Landecker also points out that from a psychological perspective, German-speaking scholars such as Sigmund Freud, Ernst Kretchmer, and Alfred Adler all helped to inform and forge the German identity of criminology. Arguably, German criminology was not only eclectic but both multi-disciplinary and interdisciplinary in its evolution. Nonetheless, the German sociologist Franz Exner (rightly or wrongly) introduced the American sociological perspectives unfolding circa 1920 – 30s to German scholars (Landecker 1941). However, as the former Indiana University School of law professor Jerome Hall (1947) once pointed out, “criminology is synonymous with the ‘sociology of criminal law’ […] as its meaning is given by ‘the rules of law’” (p. 559). A review of these early works on criminology reflects the venerated Canadian criminologist and founder of the School of Criminology at Simon Fraser University in British Columbia (and a former guest of the MPI) Ezzat Fattah once noted: that crime is both relative and evolutive (see Winterdyk 2017). These principles are due, in large part, to the fact that the concept of crime is a social construct. As Fattah and others have made profoundly clear, what constitutes a crime is subject to society’s prevailing norms and values. For example, during my formative years, marijuana was illegal, and the punishment for possession, let alone trafficking, was severe. The prohibition of marijuana in Canada originated in 1908 with the Opium Act, an act partially motivated by racist attitudes towards Chinese immigrants associated with opium use (Fearon 2016). Regardless, after almost a century of controversy as to whether criminalizing it was socially, morally, or ethically right, Canada became the second nation to decriminalize cannabis in October of 2018, following Uruguay’s lead had legalized the sale and consumption of marijuana in December 2013.2

2 It is perhaps ironic to note that as early as 1973, the LeDain Commission published a report “on the non-medical use of drugs and recommended decriminalizing cultivation and possession of marijuana for personal use. Instead, what followed was nearly thirty years of prohibition” (Fearon 2016). Part of the Final Report of the Commission of Inquiry into the non-medical use of drugs (Gerald LeDain) is available at https://archive.org/details/Le DainCommissionIntroTofCToPg62 [23. 12. 2019].

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2. Comparative Criminology: First Generation ‘Crime Control’ Within the English context, the concept of comparative criminology can be traced to the work of German-born Gerhard Mueller (1926 – 2006)3 who, in addition to many other accomplishments,4 was a pioneer in comparative and international criminology (Bassiouni 2006). Harry Dammer (2014) describes Mueller as the “father of international/comparative criminal justice.” However, somewhat ironically, there is a shortage of textbooks on comparative/international criminology. Nonetheless, most of the comparative/international criminology textbooks that do exist have evolved into multiple editions. American scholars such as Dammer and Albanese (2014), Pakes (2015), and David Nelken (2010) have authored or edited some of the more notable and enduring comparative criminology/criminal justice books.5 Perhaps one of the more successful textbooks is one by Philip Reichel, who published his seventh edition in 2018: Comparative criminal justice systems: A topical approach. Another essential comparative justice textbook, which went into its ninth edition in 2015, is Richard Terrill’s World Criminal justice systems: A comparative survey. Although this is not an exhaustive list, a final textbook worth mention is Comparative criminal justice systems: Global and local perspectives by Shahid Shahidullah (2012), another American-based scholar, who in 2014 published Comparative criminal justice systems: Global and regional perspectives. Although most comparative criminology and criminal justice textbooks are quite recent (i. e., post-mid-1990s), one of the first comparative criminology books was published in 1965. The book was written by one of the leading criminologists of his time, the British scholar Hermann Mannheim (1889 – 1974).6 Despite its richness, the book is difficult to source. However, by comparing sociological and legal perspectives, Mannheim helped lay the groundwork for the study of comparative criminology. Mannheim (1965) acknowledged that “our indebtedness to American criminology is immense and lasting, but non-American criminology possesses … [its] own criminological literature” (p. xi).7 Throughout the textbook, Mannheim makes a concerted effort to introduce European-based research and literature, there3 The International Section of the Academy of Criminal Justice Science (ACJS) has a longstanding (Mueller) award for a scholar who has demonstrated excellent and original work around comparative and international criminal justice. 4 See https://www.cairn.info/revue-internationale-de-droit-penal-2006-1-page-9.htm# [31. 01. 2020]. 5 Nelken is a European-based scholar. For a more personal insight into the academic life of David Nelken, see Winterdyk & Cao 2004. 6 Mannheim was also one of the co-founders of the British Journal of Criminology in 1960. As Mannheim describes in the Preface to his book, the genesis of the book was, in part, prompted by “a young girl student who” (upon visiting after class and seeing the extensive reading list for the course said) … “I am quite willing to read a book on criminology, but it must be only one, in which I can find everything required” (p. ix). 7 American criminology’s influence is reflected in Mannheim’s edited reader titled: Pioneers in criminology, 1973.

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by offering a comparative lens to the full range of topics covered. Meanwhile, another comparative textbook by Brunon Holyst, published in 1982, never received much attention or acclaim; yet, it represented another early foray into situating the subject of comparative criminology within the sphere of criminological inquiry. Finally, a somewhat nuanced comparative approach is found in an edited collection, Comparative Criminology in Asia, by Liu, Travers & Chang (2017). The book has thirteen chapters over four main sections and begins with a fundamental question: “Why compare?”. While considered substantial contributions to the criminological literature, none of these works have received much of a following among the criminological or criminal justice academic community. Even though all these comparative-oriented textbooks have considerable merit and are noteworthy contributions to the field, apart from Nelken’s book, they tend to align themselves along conventional lines and are mainly descriptive. Furthermore, when they do provide discussion around crime rates, patterns and trends, they (almost by necessity) rely on official data, which raises questions-concerns about reliability and validity for comparative assessment(s) (see Nelken 2010). Moreover, several of the books tend to be American centric, hence limiting or skewing the implications of some of the comparisons made (see, generally, Carrington, Hogg & Sozzo 2019). However, according to Field & Nelken (2007), comparative study’s very essence is to avoid provincialism and ‘self-sealing cultural logics.’ Yet, as James Robertson, a well-recognized American scholar of comparative criminal justice, wrote in the Foreword to Shahidullah’s 2012 book, “comparative criminal justice (criminology) initially received an indifferent reception in the United States” (p. ix). On measure, most of the material identified above can be divided into one of two categories. First are those books that tend toward a structural and procedural orientation (e. g., Pakes 2015 and Reichel 2018) with the authors presenting a comparative overview of the justice system by reviewing how police, courts, and the correctional system might operate differently across countries. Using illustrative examples, the authors describe how the various criminal justice systems operate in their respective countries. Meanwhile, some of the books in the other category approach the comparative analysis differently, applying a ‘template’ to a series of different countries and describing their criminal justice system elements (e. g., Terrill 2015 and Rounds 1999). Although none of these books offer analytical comparisons, they provide a rich overview and insight into the respective countries’ criminal justice system. The lack of any reflective comparative analysis therein may be somewhat justified if one accepts the arguments put forward by Casey, Jenkins & Dammer (2018) in the second edition of their book, Policing the world: The practice of international and transnational policing. Casey et al. suggest that given the challenges of engaging in comparisons (e. g., language barriers, different reporting and recording methods and styles, etc.), correlations can be methodologically significant on several levels. However, the fact remains that crime is universal – with ‘crime control’ (i. e., crime prevention) being the fundamental objective of any criminal justice system, every coun-

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try strives to ensure a sustainable sense of public safety. Additionally, every country seeks to create a healthier society through crime prevention and social justice systems. To achieve a sustainable community of security, it is paramount to engage in research that is not solely evidence-based but – to varying degrees – also based on intranational comparative perspectives and, at times, even on international comparisons. While we might think that comparative criminal justice and comparative criminology are relatively new ideas, the celebrated French sociologist Emile Durkheim (1858 – 1917)8 wrote in 1895 that comparative sociology is not only not a branch of sociology, it is sociology itself! Durkheim reasoned there is no comparative method per se since any research method can be used to engage in comparisons of any issue – including those about crime or criminal justice. Similarly, given the influence of sociology on criminology (e. g., the “Chicago School of Criminology,” which used the macro-sociological theory of social organization to explain and understand crime, see Fine 1995) and criminal justice, parallels can be drawn. Yet, criminology was slow to emerge as a recognized discipline9 exactly because it was not seen to be part of a sociology program or a law school program; it may have been accounted for in a few specific classes in a psychology program. Still, the concept of criminology, let alone comparative perspective criminology, was nevertheless heavily influenced and informed by some of the pioneers of criminological inquiry. For example, while Franz von Liszt (1851 – 1919) is widely acknowledged as one of Germany’s leading legal and criminological scholars, it was the preponderance of his work on criminal law that influenced the direction and perspective that has dominated most ‘criminology’-oriented programs in Germany. On this point, Liszt’s Textbook of German Criminal Law reached the lofty status of twenty editions by 1919! Very few criminology or criminal justice textbooks can lay claim to such longevity.10 My descriptive overview illustrates that while we know, the meaning and focus of criminal justice and criminology have evolved, its purpose and context are somewhat relative to geographical location and disciplinary orientation(s). Therefore, it should 8 Durkheim is widely acknowledged as the founder of the French school of sociology. However, his counterpart, the French philosopher Auguste Comte (1798 – 1857), is credited as the founder of sociology and of positivism (i. e., knowledge is based on observable and measurable ‘facts’). 9 For example, Canada’s first criminology program was established in 1970 at the Université de Montréal in Québec, Canada. Washington State University in Pullman, Washington, is often acknowledged as being the oldest criminal justice department in the United States. The department was established in 1943 by V.A. Leonard and was named the Department of Police Science. Then in 1982 and 2011, respectively, it became the Department of Criminal Justice, and in 2011, the Department of Criminal Justice and Criminology (Washington State University 2019). 10 For example, Jeffrey Reiman and Paul Leighton’s semi-classic book The rich get richer, and the poor get prison ‘only’ went into its 11th edition in 2016. Meanwhile, Sue Titus Reid’s almost iconic introductory textbook Crime and Criminology went into its 15th edition in 2018.

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come as no surprise that the terminology used has been and continues to remain inconsistent. However, academicians are increasingly recognizing that the terminology used to reflect the rapid changes happening within respective fields might not be keeping pace with the growing complexity and nuances of globalization. Before I venture into a call for global criminology to become part of mainstream criminological inquiry, I will use this opportunity to enliven my proposition briefly by commenting on another ideological perspective that has potentially limited any wholehearted movement towards an embrace of global criminology as a viable alternative for describing the evolving nature of the criminological inquiry. I am referring specifically to a confluence of the terms interdisciplinary criminology, multi-disciplinary criminology, and the occasional use of transdisciplinary criminology.

3. Terminology in the Eyes of the ‘Beholder’ A survey of criminology and criminal justice journals since the early 1960s will reveal that an increasing number are using the term comparative or international and interdisciplinary somewhat interchangeably. Of course, this recalls Durkheim’s point that comparative sociology is sociology and not merely a unique or specific branch. Regardless, as Hall (1933) observed over eighty years ago, although there is a considerable body of literature on the topics of criminology, comparative criminology, and international criminology, the discipline is still fraught with semiotic challenges. This is because the terminology used in criminology is not as exact as the terminology used in the formal and natural sciences. While precision alone is not obligatory, a degree of consistency in the use of terminology is required. There is a need for a more standardized language reflective of the informed evidence (i. e., research) and not the personal goal of criminology – the desire to control crime.11 For example, while Winterdyk & Cao (2004) focused on some of the pioneers in comparative and international criminology/criminal justice, they also conflated them when they state: “it is never too late to embrace or expand ones’ provincial interests into a broader global (emphasis added) context” (p. 4). As sometimes happens, with time, the term ‘comparative’ failed to attract much attention and was consigned to an ancillary position (Larsen & Smandych 2008). However, during the 1960s, interest in comparative criminology and criminal justice gained traction among a growing number of academic scholars. Support for comparative inquiry (re)emerged in the 1960s with such noteworthy journals as the Interna11 A long-standing debate about how to resolve the ambiguity concerning the terminology used in criminology is to pair it with law. Interestingly, many of Europe’s continental countries offer criminology in their law programs, thus ensuring that the administration informs the study of crime in criminal law. By contrast, most other countries, in particular, North America criminology is separated from law and resulting in the establishment of numerous perspectives by which to inform our understanding of crime. However, it is this very axiom that confuses the terminology used.

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tional Journal of Offender Therapy and Comparative Criminology, Comparative and Applied Criminal Justice, and International Comparative Jurisprudence, among many other. However, while this terminology continues to dominate most of the discourse where international comparisons are made, the term today is limiting as it implies that criminological or criminal justice issues are ideologically and conceptually different in different countries around the world. Overall, as Jenks & Fuller (2017) and others suggest, traditional comparative approaches are limiting in this era of globalization. They argue that what is needed is new terminology that is more reflective of the social, cultural, political, and economic changes in the world and how they relate to criminology and criminal justice. As will be discussed in the next section, what is needed is the concept of ‘global criminology.’ I will first offer some commentary on another long-standing term that has dominated criminological discourse: ‘international criminology.’

4. What is in a Name: International Criminology According to Varona & de la Cuesta (2019), international criminology “can be described as the set of activities related to crime prevention and control, coming from the academia, public and private institutions and agencies, to join efforts to debate and publish and make policies, addressed to a global audience beyond a single country” (p. 1). The authors note that internationalism began in the early 19th century through various important congresses and meetings, mostly in Europe. The International Society of Criminology (ISC), for example, was established in Rome on July 16, 1937, and its co-founders included Agostino Gemelli and Arturo Rocco.12 As time passed and certain crimes became more global or international, the concept of international criminology became more pliable and dynamic. For example, Varona & de la Cuesta observed that “international crimes (e. g., genocide, crimes against humanity, crimes of war and, to a lesser extent, aggression as crime against peace), and transnational crimes (e. g., corruption, financial crime, terrorism, organized crime, and its different modalities of illegal trafficking, cyber-attacks, and crimes against the environment) […] are the subject matter of international criminology” (p. 29). Varona & de la Cuesta go on to point out that there are two distinct trends within this perspective. One trend is “how to balance the cultural differences among all the countries and the myriad of interests involved in constructing an international criminology” (p. 1). Arguably, one could add social, economic, and political differences as well since they help to define and describe ‘what is’ as opposed to ‘what ought to be.’ However, this then seems to beg the question, ‘who says what ought to be?’ Secondly, Varona & de la Cuesta argue that international criminology contends with “the increasingly diffuse borders between police, intelligence agencies, and 12 The ISC held its 19th World Congress in Doha, Qatar, in October 2019 and celebrated the organization’s 80th anniversary.

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military forces; crime control and war; or internal and external security” (p. 1). However, they go on to point out that an international criminology remains a relevant form of criminological inquiry even when limited to describing criminological or criminal justice events and activities (e. g., crime prevention, crime control, and the administration of justice, as well as to inform policy), but such topics as “war and economic abuse of power across borders have been quite forgotten” (p. 2). Hence, with the increase of such global threats, there is a need for a globalization of justice that can be best addressed by embracing a global criminology framework. In the latest edition of their book Policing the World, Casey, Jenkins & Dammer (2018) discuss how policing has dramatically changed, in the eight years following the first edition (2010) of Policing the World, to have become more concerned and involved with international and transnational crimes since the first publication of their book. In their Introduction to this latter, the authors point out that “human institutions are ever-globalizing” (p. xv). Yet, almost ironically, in their second edition, the authors point out that the book focuses on “the globalization of policing and not the globalization of crime” (p. 6). Although the book is international in scope, the book embraces a comparative framework by highlighting three countries’ policing systems: Belize, Norway, and Uganda. However, concerning the concept of internationalism, the book remains mostly descriptive and normative. Finally, Casey et al. (2018) conclude their Introduction by declaring they have used “the twin terms of international and transnational purposely to avoid these definitional debates” (p. xxii). This is a trend found in several other comparative-international scholarly works (e. g., Reichel & Albanese 2014), which further reinforce the observation made several decades earlier by Jerome Hall (1933) about the (unintentional) confusion of terminology used to describe criminological research that transcends a local or national focus. Just as with the term ‘comparative criminology,’ an abundance of journals use ‘international’ in their journal titles, such as, among other, the International Criminal Justice Review, the Journal of International Criminal Justice, the International Journal of Law, Crime and Justice, and the International Review of Victimology. Similarly, there is no shortage of textbooks and reference works that include ‘International’ in their titles: Routledge Handbook of International Criminology, International Criminology: A Critical Introduction, International Crime and Justice, and Routledge International Handbook of Sexual Homicide Studies, Routledge International Handbook of Human Trafficking, The Palgrave International Handbook of Human Trafficking, among a growing list of others. One can hardly deny the fact that crime has evolved and expanded to become increasingly more transnational and international (see, for example, van Dijk 2008). Likewise, we have also been witness to the proliferation not only of international law enforcement agencies (e. g., Europol, Interpol, UNPol, etc.) but also international judicial bodies (e. g., the ICTY, ICTR, the Special Court for Sierra Leone, the Special Tribunal for Lebanon, and the ICC, to name but several of the key ones). Finally, sev-

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eral specialized international prison facilities, such as the U.S-held military prison at Cuba’s Guantanamo Bay and a growing number of (illegal) migration detention facilities around the world.13 Clearly, is not only the discipline of criminology evolving, but also the language used to describe crime and the different cooperative, collaborative, or joint processes being employed to address its growing complexity is also changing. As described above, we have tended to rely on the conventional terms of international and transnational when examining crime or criminal justice systems (or sub-components of the system). However, as has been well documented by most comparative/international/transnational scholars, traditional comparisons must also contend with several other practical challenges, including the following: • Varying definitions of crime between countries. • Language barriers. Although an obvious limitation and challenge, it is a real concern when trying to ensure accurate international comparisons. Unless multilingual partnerships are formed or unless the researcher is multilingual, the research is – by default – limited in scope. In a recent study by Sharapov (2019), his survey had to be translated into six different languages, and, he has acknowledged in personal communications that this presented several fundamental methodological challenges. • Reliability in the collection and measurement of crime. Not only do the detection and recording practices of crime vary between countries, but – depending on the available resources, definitions and ideological barriers, reporting and recording methods, and administrative variations – comparative studies too can be confronted with practical challenges (see, for example, Marmo & Chazal 2016; Nelken 2010). • Expert fallibility. When engaging in criminological or criminal justice research outside of one’s own country, you often must contend with the varying quality of work and research reliability by foreign scholars. As the distinguished British scholar David Farrington (2004) once warned, “for those who are contemplating comparative cross-national studies […] choose your collaborators carefully” (p. 102). • The general limitation of the methodology itself. Although scholars like Richard Bennett (2004) have developed several types of international and comparative research methodologies in use, there are no standardized methods in the existing literature, thereby limiting each one’s findings’ reliability and generalizability. Finally, in examining the controversy and confusion surrounding the terminology used to describe non-traditional criminological inquiry, Bayley (1996) argued that comparative criminology is a misnomer because the term comparative “has been made synonymous in academic circles with ‘foreign’” (p. 241). Meanwhile, Friday 13

See https://www.globaldetentionproject.org [23. 12. 2019].

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(1996) proposed that the term comparative could carry a pejorative connotation and value judgement, as reflected above in the discussion of some of the leading comparative textbooks. Consequently, both Bayley and Friday preferred to use the word international, which arguably implies that if one finds a difference at the international level, then there is a difference! An interesting ‘compromise’ to the relative merit of using the term ‘international’ or ‘comparative’ was given by the title of the now-defunct journal, International Journal of Comparative Criminology. In the next section, we will shift the focus to globalization and crime. Besides, although not without its limitations, it will be suggested that in addition to a need to refine the terminology we use in criminology, there is a clear justification for ‘global criminology’ to become part of the criminological lexicon.

5. Globalization and Crime14 The term globalization,15 used to describe the rapid social and cultural changes in our contemporary world, has become omnipresent. The term has become synonymous with the process as much as what it represented (Jeffery 2002); however, it has also tracked polarized opinions. Those in the anti-globalization movement – such as environmentalists, anarchists, unionists, the hard left, and those campaigning for equitable development in poorer countries – tend to view globalization as a mechanism by which wealthier countries exploit weaker nations. Their solution to the perceived negative consequences of globalization is to dismantle it. Conversely, those who support the spread of globalization do so because it promotes the notion of free markets and free trade into the developing world. In turn, this is seen to be the best way to address poverty (i. e., the first Sustainable Developmental Goal of the UN). According to the World Bank data, the number of people living in extreme poverty has been declining since the late 1990s (World Bank 2016). Whether this can be attributed to globalization is uncertain, but it may contribute to the trend. Globalization has also impacted criminology in that while international and comparative textbooks and articles still dominate the national or continental approaches, the focus of global criminology as a field of inquiry is to look at crime and criminal justice issues that are not only foreign in their scope, but also include multiple legal jurisdictions. The spirit of global criminology should be to offer a worldly perspective. However, a literature review reveals that – as with international, comparative, and transnational crime – global criminology lacks a clear and universal definition. 14 Although this chapter limits its focus to the effects of globalization, several other competing theories have been created to explain comparative criminal justice models and comparative criminological issues. They include the modernization theory, civilization theory, and world-system theory (see Shahidullah 2014) for further clarification. 15 Although most might think that globalization is a relatively new term, it was first coined in the 1930s and popularized by former Harvard Business School professor Theodore Levitt in 1983 (Levitt 1983).

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Given the social and cultural changes that have been attributed to the effects of globalization, there is a need for a refined interpretation of the term so that it can become a mainstay perspective by which to examine global and transnational crime. The call for a global criminology perspective is not new. In the late 1960s, the renowned American scholar Leonard Joseph Hippchen (1978) suggested we adopt the term “world criminology” to capture the growing spirit of interest in comparative criminology. Hippchen indicated that the nuanced social and political influences, as well as the impact of globalization, behooved criminology and criminal justice to “discover and develop new approaches of inquiry” (p. 95). Although a subjective assessment, it is unfortunate that the terminology was never widely embraced. However, around the same time, the term ‘comparative criminal justice’ started to gain more traction with the emergence of several international and comparative journals (see above). Given the relative newness of criminology as an independent discipline and our understanding of the complexity of crime and criminal justice systems, the notion of a world criminology was arguably constrained by American viewpoints and American scholars profoundly influenced most of the existing literature and theories of crime. An observation by the esteemed American scholar Piers Beirne would appear to support this assertion. In the Foreword to a book edited by Larsen & Smandych (2007), Beirne commented on the need for a global criminology outlook and pointed out that the way comparative research was being conducted could be characterized as America “trying to sell their findings” and promote their ideas (p. ix). However, with the passage of time and a growing body of discourse and research around the evolving nature of crime (e. g., conventional, non-conventional, transnational, and global), global criminology has the potential to offer a transnational examination of both deviance and social control around the world (Jenks & Fuller 2017). Borrowing from the ideas of the American physicist and philosopher Thomas Kuhn (1962), the discipline is clearly ready, if not overdue, for a ‘paradigm shift.’ 5.1. Global Crime As already discussed, the evolving nature of crime has fostered the emergence and recognition of what is sometimes referred to as ‘global crime’. The term global crime appears to have evolved from the broader term ‘transnational organized crimes’ (see Nelken 2010). The terminology originated in the mid-1970s when the United Nations used the term to identify certain criminal activities that transcend national jurisdictions (Peace Palace Library 2019). Then in 1995, the UN recognized 18 different types of transnational crime and, independently of the UN initiatives, established the journal Transnational organized crime, which kept its name from 1995 until 2004 when it was changed to Global Crime. The journal publishes four issues per year, but each issue tends to have fewer than five articles and has an impact ranking of 1.18 in 2018.

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As Jenks & Fuller (2017) point out, the concept of global crime recognizes that crime is varied in its expression and that its various manifestations (i. e., extent and nature) are influenced by geography, political systems, different levels of economic development, as well as climate and culture among other factors. Because of the myriad of variables, Jenks & Fuller suggest it may be “difficult to compare across borders” (p. xvii). Similarly, Jaishankar & Ronel (2013) note that global crime is “an emerging field covering international and transnational crimes that have not traditionally been the focus of mainstream criminology or criminal justice” (p. xvi). Such crimes have also been referred to as ‘non-conventional’ crimes since they typify crimes that had either not yet been recognized or did not exist at some point in history. Such crimes include, among others, cybercrime and terrorism. However, Giddens (1990), among other scholars in the early 1990s, began to discuss how ‘globalization’ (i. e., referring to the growing interconnectedness of social life and social relationships throughout the world) helped to draw attention to the fact that the increasing interdependence of countries, cultures, and societies created a fertile ground for what is now commonly referred to as ‘global crime.’ In the late 1990s, Castells (1998) identified four primary forms of global crime. They included: 1. the drugs trade, 2. people trafficking, 3. cybercrimes, 4. international terrorism. However, as we try to grapple with the ever-expanding nature and diversity of crime (see van Dijk 2008; Jenks & Fuller 2017; Reichel & Albanese 2014), we have increasingly recognized that although most criminal justice systems still focus on conventional-type crimes, the growing awareness and significance that transnational-global crime has on global economy, politics, and public safety has rightfully garnered both national and international attention. For example, illegal drug trade and people trafficking are among the top three most profitable crimes in the world. Meanwhile, cybercrime is rapidly (see Grabosky 2016) growing as well and given the power of technology is increasingly becoming a means by which many other types of crime are being committed, such as identity theft, fraud, recruitment of people for radicalization or trafficking, smuggling, trafficking in counterfeit goods, and transnational environmental crimes. While criminology and criminal justice scholars are increasingly embracing comparative criminology as a subject area worthy of research and instruction, ironically, most graduate and undergraduate criminology programs only offer these courses as electives – if they even offer such courses – as opposed to being required courses. Furthermore, comparatively few schools specialize in comparative criminology or comparative criminal justice programs, one of the oldest such programs being the International Centre for Comparative Criminology (ICCC) at the Université de Montréal in Québec, Canada. Meanwhile, Bangor University in northern Wales offers an

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MA and post-graduate courses in comparative criminology and criminal justice. In contrast, the University of London offers an MA in comparative criminal justice policy. In addition to there being but a smattering of such programs around the world, comparatively, there is also a dearth of comparative textbooks, let alone global crime textbooks, to help fill the void and growing appetite for this sub-field of criminology and/or criminal justice and thus risking further entrenching the noted terminology ill. 5.2. Global Criminology: Proof in the Pudding Although the movement towards a global criminology may be slow to evolve, we can find several examples that suggest that the paradigm shift or an expansion of the ‘criminological imagination’ as Barton et al. (2006) calls for, is (finally) happening in criminology. For example, Utrecht University in the Netherlands offers a Master’s in global criminology. The curriculum includes, among other, critical reflections on criminology, cultural criminology; human trafficking; mobility; migration and organized crime; and research and thesis trajectory in global criminology. The program has a healthy cohort of instructors and an international group of students. Another European university that offers studies in global criminology is the University of Copenhagen in Denmark. The university has a Centre for Global Criminology. In addition to providing an array of transnational crime courses (e. g., genocide, human trafficking, state crimes, and crimes of the powerful), it focuses on green criminology – one of the relatively new and emerging global crime concerns. Then, in addition to several of the global criminology books that have been referenced in this chapter, there is the newly launched Global Journal for Criminological and Criminal Justice Research. Though at the time of preparation of this chapter, the publication had not yet published its first issue, the journal title is suggestive of the growing awareness and implication of globalization. While international and comparative criminological research has been with us since the early-mid 1980s, these fields are no longer able to accommodate or address the growing, and dramatic, shift towards the substantial changes in the world(’s) crime – see above. Globalization and the proliferation of transnational crime have blurred the former distinct boundaries that limited criminological enquiry to local, regional, and to some extent, comparative and international research. Furthermore, there is growing discourse among various scholars, especially outside of the northern hemisphere and western world, calling for a paradigm shift in view, study, and research crime. For example, Liu (2017) has somewhat convincingly argued and demonstrated through research that the dominant western perspectives used to explain, understand, and predict crime do not work well within an Asian context. Similarly, Carrington et al. (2016) offer a similar assessment and promote what they refer to as southern criminology, which they claim might be useful in contributing to informed responses to global justice and security. Finally, the Stockholm Prize in Criminology winner of 2012 and former President of the World Society of Victimology (1997 – 2000),

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Jan van Dijk (2008) suggests that global criminology and criminal justice “is not only a priority for developmental reasons. Of course, it is also dictated by the increasingly global nature of conventional and emerging security threats” (p. 318). With the world at risk of victimization by the growing prevalence of transnational crime, these threats need to be addressed not by the conventional means we have relied on for centuries, but by embracing a global perspective. For example, the ‘rule of law’ is commonly said to be the cornerstone for any civilized and safe state. However, with the spread of globalization and the blurring of borders, it raises serious concern about our capacity to ensure the conventional rule of law’s ability to address global crime. Nonetheless, global criminology is an approach that allows us to examine the fundamental contradictions between globalization and national sovereignty (Jenks & Fuller 2017). In doing so, it creates international and transnational criminal justice processes (see Warren & Palmer 2015). Furthermore, as Mannheim (1965) pointed out, being a non-legal discipline, criminology warrants a global approach while the study of criminal law is still largely “parochial in its outlook” (p. 21).

6. Conclusion In this chapter, I have attempted to justify the need for criminologists to recognize global criminology as an essential perspective within the discipline. As an emerging field of inquiry, global criminology remains on the fringe of most criminology and criminal justice programs. I advocated that the concept of crime and the social context in which crime currently expresses itself has transcended the more conventional approaches of comparative and international criminology. Not that these perspectives do not still have value, because they do have a dynamic role to play. However, given the impact of globalization and the rapid growth and diversification of international and transnational crime, a new ‘paradigm’ should play a more significant role in the criminological inquiry. Hence, global criminology can no longer be a fringe sub-category or be a “luxury for those who have achieved sufficient status to enable them to travel or as a perk […] for some other activity” (Adler 2011, xxix). Hence, a call for greater recognition of global criminology was framed within the context that most formal/conventional initiatives for dealing with international and transnational crime involve attempts to forge co-operation between established sovereign justice institutions in different nations. Furthermore, the prosecution of foreign nationals16 reveals the human impacts of this complex and legally technical structure. As Jones (2016), among others, points out, these prosecutions expose those accused to unaccustomed police investigative procedures, legal processes 16 For further details about the relative impact of the International Criminal Court (ICC) see the Journal of International Criminal Justice; https://academic.oup.com/jicj/pages/special_is sues [23. 12. 2019]. For a controversial assessment of the ICC, see Jones 2016.

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and possibly unfair punitive forms of punishment. Therefore, since global criminology discusses the relationship between the ICC and domestic justice in dealing with dire types of atrocity crimes, it is a more pragmatic and logistical perspective by which to explain, describe, understand, and ultimately inform relevant policy. Finally, the debate of whether global criminology can, or will, become a mainstay perspective in criminology remains to be seen. Part of the challenge will be to operationalize the different modes of inquiry that currently populate the discipline. It is essential to be more precise in what we mean by international, comparative, transformative criminology and understand how they are not as comprehensive in their approach as global criminology. They are less adept at accounting for the effects of globalization on crime. Global criminology has the potential to not only understand and explain global and transnational crimes, but to ultimately inform effective policy that will reduce crime – be it local, regional, national, or transnational. To this point, reputable scholars such as John Muncie (2005) have called for the globalization of crime control, while other well-recognized scholars such as Adler, Mueller, Laufer & Grekel (2008) have also encouraged us to be more globally-minded. In closing, I would like to paraphrase the esteemed American criminologist and founding ‘father’ of CPTED (crime prevention through environmental design), Clarence Ray Jeffery (1921 – 2007): the Classical School said, “reform the law” while the Positivist School said, “reform the man.” Global criminology might say, “reform the global community.” References Adler, F. (2011): Foreword, in: C.J. Smith, S.X. Zhang & R. Barberat (eds.), Routledge Handbook of International Criminology. New York. Adler, F., Mueller, G.O., Laufer, W. & Grekel, J. (2008): Canadian Edition: Criminology. Toronto. Barton, A., Corteen, K., Scott, D. & Whyte, D. (2006): Expanding the Criminological Imagination. London. Bassiouni, M.C. (2006): In memoriam. Gerhard O.W. Muller March 15, 1926 – April 21, 2006. Revue International de Droit Penal 77/1 – 2, pp. 9 – 10. Bayley, D.H. (1996): Policing: The world stage. Journal of Criminal Justice Education 7, pp. 241 – 251. Bennett, R. (2004): Comparative Criminology and Criminal Justice Research: The state of our knowledge. Justice Quarterly 21/1, pp. 1 – 21. Carrington, K., Hogg, R. & Sozzo, M. (2016): Southern criminology. The British Journal of Criminology 56/1, pp. 1 – 20. Casey, J., Jenkins, M. & Dammer, H. (2018): Policing the World: The Practice of International and Transnational Policing. 2nd ed. Durham.

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Über unbeabsichtigte Folgen des Strafrechts und der Strafverfolgung Von Karl-Ludwig Kunz „Sie kennen Frankreich. Wir haben unsere strengen Gesetze – und wir haben unsere Praxis.“ Dupin konnte nicht sagen, ob da Kritik oder Stolz anklang. Jean-Louis Bannelec, Bretonische Brandung. Kommissar Dupins zweiter Fall. Goldmann, München. 7. Auflage 2014, 196.

1. Die Kluft zwischen dem Law on the books und dem Law in action bestätigt die Einsicht, dass Gesetzesvollzug nicht im Ablauf eines vom Gesetz vollständig vorgegebenen Programms besteht, sondern eine vom Gesetz nicht determinierte Eigenleistung der oder des Rechtsanwendenden enthält. Die Rechtsanwendung ist vom Gesetz unvollständig programmiert. Das Gesetz gleicht dem Kochbuch, welches die Zubereitung anleitet, ohne sie vorwegzunehmen. Die nach der Vorlage gekochte Mahlzeit kann verschieden ausfallen, die Vorlage verfehlen oder gar völlig konterkarieren. Der Autor des Kochbuchs kann nur mit Varianzen rechnen, ohne sie prognostizieren zu können. Insofern ist die konkrete Anwendungswirklichkeit eines Gesetzes dem Gesetzgeber stets ex ante unbekannt. Dies gilt nicht nur für Gesetze. Die Differenz normativer Absichten und deren tatsächlicher Wirkung wird gewöhnlich dem Problem der unbeabsichtigten Folgen zugeordnet. Diese gelten als unerwartet, gewöhnlich als erfahrungswidrig und unerwünscht. Sie zu vermeiden, erscheint als naheliegend. Nicht nur die vom Gesetz nicht vollständig zu determinierende gesetzliche Anwendungswirklichkeit lässt diese Beurteilung fragwürdig erscheinen. Zweifel an der Vermutung der Unliebsamkeit unbeabsichtigter Folgen ergeben sich bereits aus der Faszination von Stummfilmen, die ihre Komik großteils aus perversen Effekten beziehen. Buster Keaton, der Mann, der niemals lachte, soll im Film Der Sträfling (1924) gehängt werden. Der Galgenstrick wird jedoch zuvor mit einem elastischen Gummiseil ausgetauscht. Als Buster mit der Schlinge um den Hals durch die Falltür des Galgens fällt, schwingt er gut ein dutzend Mal wie ein Jo-Jo rauf und runter. Der verblüffte Wärter wendet sich mit der Bitte um Entschuldigung an die verärgerten Häftlinge und verspricht: „Um das wiedergutzumachen, hängen wir morgen zwei von euch.“

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Unbeabsichtigte Folgen von zweckbestimmten Handlungen werden erstmals 1936 von Robert K. Merton systematisch analysiert.1 Diese Folgen können absehbar oder nicht absehbar sein, sind aber stets ein logisches oder wahrscheinliches Resultat der Handlung. Als mögliche Ursachen macht Merton Ignoranz, Fehler, kurzfristige Interessen, die langfristige überlagern, langfristig schädliche Grundüberzeugungen und selbstzerstörerische Prophezeiungen aus.2 Ganz allgemein sind menschliche Handlungen – und damit auch die Kriminalisierungsprozesse – oft nicht erfolgreich final, sondern bewirken Folgen, die von der Handlungsintention nicht umfasst wurden. Unbeabsichtigt kann ein positiver Effekt im Sinne eines unverhofften Gewinns eintreten: Der berühmte Kommissar Zufall löst den mysteriösen Fall. Auch ist ein perverser Effekt möglich, der das Gegenteil des Handlungsziels bewirkt: Der Versuch, Drogenhandel und -konsum strafrechtlich zu unterbinden, verschärft womöglich das Problem eher als es dieses entspannt. Schließlich kann ein negativer Effekt bewirkt werden, wenn das Beabsichtigte eintritt, aber schädliche Folgen auslöst: Nach verstärkten Sicherheitsmaßnahmen in Banken reduzieren sich die Banküberfälle tatsächlich, nehmen jedoch durch Überwindung der Sicherheitsvorkehrungen an individueller Gewalt zu; gleichzeitig werden die weniger geschützten Tankstellen häufiger überfallen. Mitunter bleibt ex ante unklar, ob unbeabsichtigte Folgen positiv oder negativ zu bewerten sind: Der klassischen Nationalökonomie zufolge ist eigeninteressiertes Verhalten von Individuen dem Wettbewerb und damit dem allgemeinen Wohlstand förderlich; demgegenüber hat dem spieltheoretischen Gefangenendilemma zufolge die Kooperation größere Wohlfahrtseffekte als der Wettbewerb.3

2. Kriminalpolitik ist – ihrer Herkunft aus der Aufklärung entsprechend – planvoll und zweckrational. Ihr entspricht das utilitaristische Denken des Konsequentialismus, welches das Strafrecht am Credo ausrichtet, es sei besser, Verbrechen zu verhüten, als sie zu bestrafen.4 Damit wird das Strafrecht über sich hinausweisend dem gesellschaftspolitischen Anliegen der Prävention als kriminell geltender sozialer Abweichungen unterstellt. Diesen Gedanken aufgreifend und durch Anforderungen an die – von der gesetzlichen Bestimmtheit abhängig gemachte – Vorhersehbarkeit von Strafe5 relativierend, macht sich das Marburger Programm Franz von Liszts (1882) mit der Konzeption des Zweckstrafrechts die umfassende tat- und täterbezogene, 1

Merton 1936. Kriminologisch werden unbeabsichtigte Folgen etwa analysiert in Kovandzic, Sloan & Vieraitis 2002. 2 Merton 1936, 895. 3 Homann & Suchanek 2000, 36 f. 4 Beccaria 1966, orig. 1764, 74, 148 f. 5 Das Strafrecht als „Magna Charta des Verbrechers“, von Liszt 1905, Bd. I, 126 f., Bd. II, 80.

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spezial- und später zunehmend generalpräventive Verbrechensprävention zur Aufgabe. Unbeabsichtigte Folgen sind dem finalen utilitaristischen Rationalismus fremd. Auch im Programm der zweckrational zu gestaltenden Kriminalpolitik ist für unbeabsichtigte Folgen kein Platz. Sie erscheinen nur als Defizite, die auszumerzen sind. Dabei braucht sich das Resultat von Handlungen mit der damit verfolgten Absicht nicht zu decken. Die Finalität zweckbestimmter Entscheide folgt speziellen Motivationen, die auch von anderen Beweggründen hätten geprägt und in andere Handlungen hätten umgesetzt werden können. Indessen lassen die Komplexität von Entscheidungssituationen und die Möglichkeit alternativer Entscheide das Eintreten unbeabsichtigter Folgen stets zu. Zweckdienliche Handlungen haben unbeabsichtigte Nebeneffekte, die signifikanter sein können als der eigentlich beabsichtigte Effekt. Unsere globale Lebenswelt ist voller unbeabsichtigter Folgen, von der Klimaerwärmung bis zum Zerfall der Sowjetunion. Die Verhaltensänderung aufgrund eines versicherten Risikos ist ein ökonomischer Fehlanreiz, der zu einer moralischen Versuchung („moral hazard“) führt. Auch das Strafrecht ist von unbeabsichtigten, oft perversen, Folgen geprägt. Etwa verhütet das Strafrecht entgegen seinem Anspruch die Kriminalität durch seine Repression nicht wirklich, sondern verwaltet die Kriminalität eher im Sinne eines Kontrollmanagements und fördert deren Fortbestand6. Erwartungswidrig besteht kein Zusammenhang zwischen Strafhärte und registrierter Kriminalität; eine Gesellschaft, die Straftaten hart sanktioniert, ist einer weniger hart sanktionierenden Gesellschaft kriminalpräventiv regelmäßig nicht überlegen.7 In vergleichbaren Fällen sind harte Sanktionen den konkret in Betracht kommenden weniger harten Sanktionen spezialpräventiv nicht vorzuziehen.8 Menschen, welche sich wegen ihres sozialen Rückzugs in Situationen mit geringem Opferrisiko aufhalten, haben tendenziell mehr Kriminalitätsfurcht als solche in risikoexponierteren Situationen. Gewiss lassen sich solche scheinbar perversen Effekte in plausiblen Erklärungen auflösen, aber sie bleiben als die ursprüngliche Handlungserwartung enttäuschende empirische Zusammenhänge erhalten. Insofern sind unbeabsichtigte Folgen nicht akzidentiell, sondern ergeben sich mit gewisser Regelmäßigkeit aus bestimmten aufzuklärenden Handlungsbedingungen.

3. Dem Versuch, unbeabsichtigte Folgen auszumerzen, entspricht der Traum von absoluter Kontrolle und totaler Macht. Auf dem Weg dorthin werden vom Panoptismus9 6 So bezeichnet ein ehemaliger Schweizer Bundesrichter die strafrechtliche Drogenbekämpfung als „kriminogen“, vgl. Schubarth 1992. 7 Kury, Brandenstein & Yoshida 2009. 8 Albrecht, Dünkel & Spiess 1981. 9 Foucault 1976, 260.

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des perfekten Gefängnisses Jeremy Benthams10 über George Orwell und Aldous Huxley11 bis zu digitalen Techniken der Videoüberwachung und der Gesichtserkennung damit totalitäre Vorstellungen verbunden. Hingegen ist das Rechnen mit unbeabsichtigten Konsequenzen Ausdruck der menschlichen Unvollkommenheit und Fehlerhaftigkeit. Es warnt vor Vorstellungen absoluter Perfektion und vollständiger Kontrolle. Der Blick auf unbeabsichtigte Folgen zeigt mitunter ein moralisches Dilemma auf und fördert dadurch die Suche nach ethisch guten Auswegen. So gibt die Seenotrettung von Bootsmigranten im Mittelmeer die Fehlanreize, bei Migrationswilligen die Nachfrage nach Überfahrten zu erhöhen und Schlepper zum Einsatz billiger kaum seetüchtiger Boote zu verleiten. Die Seenotrettung gleichwohl beizubehalten bedeutet, kurzfristig mehr Menschen zu retten, längerfristig aber mehr ertrinken zu lassen, weil die Zahl der Migranten steigt und schlechtere Boote eingesetzt werden. Die Rettung abzuschaffen bedeutet, kurzfristig mehr Opfer in Kauf zu nehmen, weil längerfristig weniger Menschen ertrinken.12 Diesem Dilemma zu entfliehen verlangt vor allem, durch Bekämpfung der Migrationsursachen in den Herkunftsländern den Anreiz für illegale Überfahrten zu senken. Die tragische Situation, dass die möglichen Handlungsalternativen jeweils unbeabsichtigt zu vermeidende Effekte auslösen, lässt sich nur auf einer höheren Handlungsebene durch Vermeidung der zur Wahlentscheidung zwingenden tragischen Situation lösen: Kluge Prävention lässt es nicht zu dieser Tragik kommen. Der negative Beiklang unbeabsichtigter Folgen von Strafgesetzen findet sich in der Deutung ihres bruchstückhaften Vollzugs als „Vollzugsdefizit“ namentlich im Umweltstrafrecht. Diese Kennzeichnung richtet Reformbemühungen allein auf die Optimierung der Durchsetzung von Strafnormen. Hingegen sollte eine Reform keineswegs allein solche Defizite ausmerzen, sondern müsste alternativ verwaltungsund privatrechtliche Möglichkeiten eines Umweltschutzes neben oder sogar anstatt Strafrecht in Erwägung ziehen.13 Freilich hat die Toleranz unbeabsichtigter Folgen, die häufig ohnehin unvermeidlich sind, Grenzen. Folgen sind Effekte der Verwirklichung von Zielvorgaben, die final gesetzt sind und erreicht werden wollen. Auch wenn die angepeilten Ziele nicht stets präzise zu erreichen sind, sondern bei ihrer Verfolgung mit veränderten Randbedingungen und damit mit Zielabweichungen zu rechnen ist, müssen den zulässigen Abweichungen Grenzen gesetzt werden. Die soziale Steuerungsfunktion des Gesetzes verlangt, die Bandbreite des Tolerierbaren möglichst präzise einzugrenzen. Diese Eingrenzung kann aber nur normativ durch das Gesetz erfolgen, also ihre tat10

Das Panoptikum 2013. Orwell 1976; Huxley 2007. 12 https://www.nzz.ch/international/die-nicht-beabsichtigten-folgen-der-seenotrettung-vonmigranten-ld.1526539?mktcid=nled&mktcval=102&kid=_2019-12-16; alle Links abgerufen am 12. 08. 2019. 13 Heine & Meinberg 1988; Meinberg & Link 1985. 11

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sächliche Anwendungswirklichkeit wiederum nur unvollständig prognostizieren. Die normative Begrenzung der Anwendungswirklichkeit von Gesetzen eröffnet neuerlich einen Spielraum des faktischen Eingrenzens. Hieraus ergibt sich ein unvermeidlicher Restbestand an Unvorhersehbarkeit, der in einer planenden Kalkulation zu berücksichtigen ist. Die beabsichtigten Folgen des Strafrechts sind multipel. Absolute Strafzwecke dienen der Vergeltung und dem gerechten Schuldausgleich; sie berücksichtigen die gesellschaftlichen Auswirkungen der Strafe nicht. Relative Strafzwecke betonen die gesellschaftliche Aufgabe des Strafrechts und sind auf positive und negative, spezial- und generalpräventive Prävention ausgerichtet. Verschiedene Vereinigungstheorien versuchen Antinomien unterschiedlich aufzulösen.14 Strafzwecke lassen sich unabhängig davon in einer Mikro- oder Makroperspektive abbilden. Die Makroperspektive gewichtet eher Gesellschaftsinteressen, während die Mikroperspektive eher die konkret Beteiligten im Blick hat. Die gewünschte Strafhärte bildet gegenüber den Strafzwecken eine weitere unabhängige Dimension.15 Multivariate Zusammenhänge sind nur begrenzt erkennbar. Es gilt, nicht nur den Zielerreichungsgrad der anvisierten Ziele des Strafrechts zu erforschen, sondern auch die unbeabsichtigten Folgen zu untersuchen. Beabsichtigte Folgen sind auf ihre Vereinbarkeit zu prüfen. Bei miteinander unvereinbaren Folgen ist eine Wahlentscheidung zu treffen. Sofern vereinbar, sind die Folgen in eine Präferenzreihenfolge zu bringen. Regelmäßig ist die Wahrscheinlichkeit der Folgenerzielung ungewiss. Die Wahrscheinlichkeit ihres Eintritts verlangt eine zweite Reihung, wobei diese sich mit der Reihenbildung der Präferenzen nur zufällig überschneidet und es ansonsten einer Wahlentscheidung zwischen der präferierten oder der eher wahrscheinlich eintretenden Folge bedarf. Die letztlich als Ziel gewählte Folge muss auf mögliche unbeabsichtigte Nebenwirkungen geprüft werden. Der Erreichung des Ziels stark dienliche Mittel besitzen in der Regel auch starke Nebenwirkungen, welche die Erreichung des Ziels behindern oder Begleitschäden auslösen. So kann das empfindliche Übel der Freiheitsstrafe dem Straftäter soziale Bezüge nehmen und dadurch die beabsichtigte Resozialisierung torpedieren, Prisonisierungseffekte auslösen oder gar desozialisieren.16 Auch die möglichen Nebenwirkungen können multipel sein und müssen nach der Wahrscheinlichkeit ihres Eintritts gewichtet werden. Gegebenenfalls sind die gereihten beabsichtigten und möglichen unbeabsichtigten Folgen auf ihre einfachste Form zu reduzieren. Aus der abwägenden Schlussbilanz der Wahlhierarchie beabsichtigter und möglicher unbeabsichtigter Folgen ergibt sich der rational getroffene Handlungsentschluss.

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Zusammenfassend Hörnle 2017. Oswald, Ort & Hupfeld 2003. 16 Etwa Merle 2007, 4.

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4. Unbeabsichtigte Folgen multiplizieren sich, wenn mehrere nicht völlig zu harmonisierende Zielvorgaben miteinander in Konkurrenz stehen oder unrealistische Ziele erstrebt werden. Beides ist beim Strafrecht der Fall, das Zielambivalenzen und Überschätzungen seiner Kontrollmacht aufweist. Strafrecht wird als ubiquitär und sozial nützlich gedacht und soll zugleich umsichtig so wenig wie nötig vollzogen werden. Die Anliegen der rechtsstaatlichen Bestimmtheit der Strafzone, der schützenden Formen des Strafprozesses und der vorauseilenden Flexibilität der Verbrechensbekämpfung sind nicht restlos in Einklang zu bringen. Die Strafverfolgung ist zwangsläufig selektiv, muss aber Grundwerte der Gleichbehandlung und sozialen Kompensation beachten. Die Präventivwirkung der Voraussehbarkeit von Strafandrohung und -verfolgung steht mit der Präventivwirkung des Nichtwissens17 in Widerspruch. Die Agenturen der Strafverfolgung stehen betriebswirtschaftlich im Dilemma zwischen Ertrag und Ertragsdokumentation. Angenommen, Strafverfolger seien sämtlich moralisch integer und gingen ihrer Arbeit uneigennützig nach. Als die Bürokratie auch in die Strafverfolgung einzieht, müssen deren Protagonisten nunmehr ihre Tätigkeit belegen und als möglichst erfolgreich ausweisen, um weiterhin genügend Personal und finanzielle Mittel für ihre Arbeit zu erhalten. Der Zwang, ihre Tätigkeit als erfolgreich darzustellen, mindert in Wirklichkeit ihre Leistungskraft. Denn die Zeit für das Dokumentieren von Erledigungen geht für die Bearbeitung von Fällen verloren. Die moralisch integren Strafverfolger bevorzugen es, ihre Arbeit zu leisten anstatt sie zu dokumentieren; sie beachten die bürokratische Dokumentationspflicht nur widerwillig und nachlässig. Andere streben nach einem möglichst hohen Leistungsausweis und sind im Zweifel bereit, um der Darstellung des Geleisteten willen auf das optimale Erbringen pflichtgemäßer Leistung zu verzichten. Da Strafrecht von teilweise widersprüchlichen Zielen geleitet wird und dabei mehr verheißt als es leisten kann, klafft zwischen seinen Ansprüchen und seiner Anwendungswirklichkeit eine breite Lücke, die von der Kriminologie empirisch auszuloten versucht wird. Die Kriminologie ist als empirische Wirksamkeitsforschung gewohnt, nach dem Eintritt oder dem Ausbleiben gesetzlich intendierter Wirkungen zu fragen. Diese Forschung ist – wie die empirisch-analytische Sozialforschung insgesamt – so bedeutend wie begrenzt. Gewöhnlich werden nur Monokausalitäten geprüft; zudem wird von einer starken Kausalität ausgegangen, wonach leichte Variationen in den Anfangsbedingungen nur leichte Variationen in den Wirkungen auslösen. Aussagen über die kriminalpräventive Wirksamkeit beziehen sich im Wesentlichen auf die Spezial-18 und nur wenig auf die Generalprävention19. Die spezialpräventive Wirksamkeit von Strafen wird mit Rückfallstudien20 geprüft, die 17

Popitz 1968. Grundlegend Albrecht, Dünkel & Spiess 1981. 19 So aber etwa Albrecht 1980; Albrecht 1993. 20 Etwa Jehle, Albrecht, Hohmann-Fricke & Tetal 2013. 18

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methodenbedingt den Rückfall nicht als die spezialpräventiv bedeutsame Wiederholungstat, sondern als die dafür nur indiziell relevante Wiederverurteilung verstehen.21 Dabei wird gewöhnlich eine lineare Korrelation angenommen, wonach etwa der Satz gilt: „Je schwerer die Straftat, desto eher ein Rückfall“22. Den strafrechtlichen Rückfall als erwartungsenttäuschend zu verstehen verkennt, dass Rückfälle im Alltagsleben routinebedingt üblich sind. Vielfältige Anfangsbedingungen und vernetzte Zusammenhänge mit Wechselwirkungen schaffen eine schwer erschließbare Systemkomplexität. Der zur Prüfung gewählte und in ein Kausalschema gebrachte Teilbereich bleibt mit dem Ganzen, das wir nicht prüfen, verknüpft; Neben- und Fernwirkungen der interagierenden Teilsysteme bleiben deshalb unbeachtet. Die nicht nur instrumentelle, sondern auch symbolische Bedeutung von Strafrecht23 bleibt weitgehend empirisch unerforscht. Beschränktheiten zum Trotz besteht die grundsätzliche Bedeutsamkeit der kriminologischen Wissensproduktion darin, eine Art „Spontansoziologie“ des Strafrechts zu diskreditieren, die dieses so versteht, wie es verstanden sein will, anstatt sich mit seinen verborgenen gesellschaftlichen Funktionen zu beschäftigen.24

5. Ganz allgemein ist unsere Welt rasch wandelbar, hochkomplex, vernetzt und kaum noch in diesen Eigenschaften erfassbar geworden. Die menschliche Orientierung in einer unübersichtlich gewordenen25 Welt verlangt mehr als wir leisten können: Ein problemadäquates Risikokalkül, das im Wissen um das geringe Wissen mit Neben- und Fernwirkungen in interagierenden Teilsystemen unter Berücksichtigung der Wert- und Motivbezüge der Beteiligten rechnet.26 Monokausale Erklärungen haben in einer hochkomplex gewordenen Welt keinen Platz. Die Empfehlung, mit allem zu rechnen und sich nach sämtlichen Seiten abzusichern, ist in der Sicherheitsgesellschaft27 allgegenwärtig. Auch die Rechtswirklichkeit verändert sich: Rechtsschutzversicherungen, die vor- und außergerichtliche Rechtsberatung, die staatliche und kommerzielle elektronische Überwachung und das Bewachungsgewerbe boomen. Der insbesondere für die Fahrlässigkeit wichtige Sorgfaltsmaßstab verändert sich zu immer mehr gebotener Sorgfalt. Die Voraussehbarkeit von Schadensereignissen ist in potenziell stets schadensgeneigten Situatio21

So auch Jehle 2007; Besozzi 1989. https://www.tagesanzeiger.ch/schweiz/standard/jeder-vierte-jugendliche-wird-als-erwach sener-wieder-kriminell/story/11422587. 23 Kunz 2010. 24 Bourdieu & Passeron 1971, 182 f. 25 Habermas 1985. 26 Dörner 2011. 27 Legnaro 1997; Singelnstein & Stolle 2012. 22

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nen immens. Ein Risikokalkül ist gefordert, das der Schadensgeneigtheit und zugleich einem potenziellen Handlungsgewinn Rechnung trägt. Die Prognose einer Bilanz von Nutzen und Kosten gerät zu einer kaum vernünftig abzuwägenden Entscheidung, bei der dennoch Entscheidungszwang besteht. Eine Planung des Spektrums der Unvorhersehbarkeit wird erwartet. Zunehmend bedient man sich dabei elektronischer Hilfsmittel, deren Nicht- oder fehlerhafte Nutzung als Organisationsverschulden gewertet werden kann. Der Zwang zur planenden Antizipation von Entscheidungen engt Entscheidungsspielräume ein. Eine Rechtspflicht entfällt, wenn alle erkennbaren Handlungsoptionen und sogar die Untätigkeit unter Strafe stehen (ultra posse nemo obligatur, § 275 BGB). Die technischen Möglichkeiten des Könnens haben sich deutlich erweitert, so dass der Bereich des Müssens ebenfalls umfassender und intensiver gerät. Pflichtenkollisionen sind auf sich spontan ergebende unvorhergesehene Situationen gemünzt und wollen nun vorausschauend geplant entschieden werden. Dabei stellt sich das Dilemma der robotischen Moralität. Sollen autonom fahrende Fahrzeuge dem mehrheitlichen Kundenwunsch folgend so programmiert werden, dass sie im Kollisionsfall notfalls Fahrzeuginsassen schützen, auch wenn so Passanten beeinträchtigt werden? Wenn ein Automobilhersteller verschiedene moralische Algorithmen für Auswahlentscheidungen anbietet, ist der informierte Käufer dann für die Konsequenzen der Entscheide der gewählten Algorithmen verantwortlich? Das US-Militär plant, bewaffnete Drohnen zu entwickeln, die autonom Tötungsentscheide treffen. Die einzige moralische Vorgabe dafür ist, den Gebrauch der Drohnen dem Niveau menschlicher Beurteilung anzupassen28, was nur annähernd möglich sein dürfte. Die weitgehende Ermangelung klarer moralischer und rechtlicher Maßstäbe für automatisierte Entscheidungen hindert einstweilen ihre Zulassung. Das Problem dabei ist nicht, unsere Werte in Automaten einzubauen, sondern unsere Wertewelt so klar und konsistent zu entwickeln, dass ihr folgend zukünftig Entscheide automatisch getroffen werden können. Dies ist leichter gesagt als getan: Die Unzumutbarkeit, das eigene Leben auf Kosten eines fremden zu opfern (§ 35 Abs. 1 Satz 1 StGB), gilt nicht für die vorausplanende Programmierung dieser Entscheidung für den Fall ihres Eintritts als Handlungsvorschrift eines selbsttätig ablaufenden Prozesses. Die antizipierte Steuerung eines selbsttätig ablaufenden Geschehens mit Schadensfolge kann nicht in gleichem Umfang straflos sein wie die schicksalhaft unvorhergesehene Schadensbewirkung. Die kühlen Kopfes zu erfolgende Planung lässt keinen Raum für die strafbefreiende Annahme der Unzumutbarkeit normgemäßen Verhaltens. Andererseits wäre jedoch eine Pflicht zur Programmierung solcher Interessenkollisionen zu Lasten eigener Interessen unrealistisch: Wer will schon, dass er in einem autonom fahrenden Fahrzeug

28 https://www.nytimes.com/interactive/2016/06/06/automobiles/autonomous-cars-pro blems.html.

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notfalls sein Leben opfert, um Passanten zu retten? Wer würde ein solches Fahrzeug produzieren oder kaufen?29 Die Zurückdrängung des Unvorhersehbaren durch die Sicherheitsgesellschaft kann nur rudimentär gelingen. Die Kalkulation mit Unwägbarkeiten gleicht einem Rechnen mit Unbekannten, das nur möglich ist, wenn das Unbekannte begrenzt bleibt. Die Komplexität unserer Lebenswelt erweitert und vervielfacht jedoch Unwägbarkeiten. Das macht ein Rechnen damit schwierig. Im Interessenbereich der Kriminalwissenschaften ist es vor allem die Kriminologie, die über mögliche unbeabsichtigte Folgen prospektiv informiert und diese retrospektiv kenntlich macht. Bei aller Begrenztheit der inhaltlichen und methodischen Aussagekraft werden dabei zumindest einige Nadeln im Heuhaufen aufgespürt. Dazu hat der Jubilar entscheidend beigetragen. Vivat, Hans-Jörg! Literaturverzeichnis Albrecht, H.-J. (1980): Die generalpräventive Effizienz von strafrechtlichen Sanktionen, in: Forschungsgruppe Kriminologie (Hrsg.), Empirische Kriminologie. Ein Jahrzehnt kriminologischer Forschung am Max-Planck-Institut Freiburg i.Br. Freiburg, S. 305 – 327. Albrecht, H.-J. (1993): Generalprävention, in: G. Kaiser, H.-J. Kerner, F. Sack & H. Schellhoss (Hrsg.), Kleines Kriminologisches Wörterbuch. 3. Aufl. Heidelberg, S. 157 – 164. Albrecht, H.-J., Dünkel, F. & Spiess, G. (1981): Empirische Sanktionsforschung und die Begründbarkeit von Kriminalpolitik. Monatsschrift für Kriminologie und Strafrechtsreform 64, S. 310 – 326. Beccaria, C. (1966): Dei delitti e delle pene. Milano [orig. 1764]. Bentham, J. (2013): Das Panoptikum. Berlin [orig. Panopticon, or The Inspection-House, 1787]. Besozzi, C. (1989): Rückfall nach Strafvollzug: Eine empirische Untersuchung, in: K.-L. Kunz (Hrsg.), Die Zukunft der Freiheitsstrafe. Kriminologische und rechtsvergleichende Perspektiven. Bern, Stuttgart, S. 115 – 141. Bourdieu, P. & Passeron, J.-C. (1971): Prüfung einer Illusion, in: P. Bourdieu & J.-C. Passeron (Hrsg.), Die Illusion der Chancengleichheit. Stuttgart, S. 161 – 190. Dörner, D. (2011): Die Logik des Misslingens: Strategisches Denken in komplexen Situationen. Hamburg. Foucault, M. (1976): Überwachen und Strafen. Die Geburt des Gefängnisses. Frankfurt a. M. [orig. Surveiller et punir. La naissance de la prison, Paris 1975]. Habermas, J. (1985): Die neue Unübersichtlichkeit. Frankfurt a. M. Heine, G. & Meinberg, V. (1988): Gutachten D zum 57. Deutschen Juristentag. Mainz. Homann, K. & Suchanek, A. (2000): Ökonomik. Eine Einführung. Tübingen. 29

Vgl. neuerdings Kuhlen 2019.

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Limitations and Gaps of Philosophy of Law, of Criminology and of Sociology of Deviancy How to Reverse the Approach1 By Salvatore Palidda

Foreword In the nineties, I met Hans-Jörg Albrecht on several GERN2 meetings and during my stay at the Max Planck Institute in Freiburg as a visiting professor in 1999. This research stay allowed me to write my most important book on police. Subsequently, I met Hans-Jörg at a conference on the racist criminalisation of immigrants in Europe in Genoa in 2008 and again later for the research project on Governance of Security and Ignored Insecurity in Contemporary Europe. In other words, it is also thanks to him that I developed my research on police affairs in Italy and Europe, on the repressive-criminal treatment of immigrants, and finally on the crucial issue of “ignored insecurities” over the last thirty years. These experiences helped me to elaborate on criminology from a more critical perspective that will hopefully be interesting as a tribute to my friend Hans-Jörg. This essay proposes a critical reflection on – what I consider – the main limits and deficiencies of the philosophy of the law, the criminology and the sociology of the deviance and, in general, of human, political and social sciences, including the often socalled critical approaches in the field of security. Thus, it is not surprising that some researchers of these disciplines tend to rather questionable security theories such as “zero tolerance”, “just wars”, “human wars”, the denial of the risks of health and environmental disasters, increased inequalities, or even thanatopolitics (let die) which seems to be influencing the decisions of the powerful of the twenty-first century.

1 This article is based on an earlier blog post of mine called “Résistances contre les insécurités ignorées. Renverser le discours dominant” published on Mediapart, an independent French online investigative and opinion journal; https://blogs.mediapart.fr/salvatore-palidda/ blog/230719/resistances-contre-les-insecurites-ignorees-renverser-le-discours-dominant [03. 02. 2020]. 2 Groupement européen de recherches sur les normativités (GERN) is a network of scientific researchers of multiple disciplines in the area of deviance and social control, specifically e. g., penal institutions and questions, juvenile justice and police.

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In a first step, the approach adopted in this work tries to deconstruct the mainstream discourse and hence the human, political and social sciences that are constructed for the powerful versus the powerless. It is thus an attempt to oppose the dominant discourse with its capacity to hide aspects and problems, in particular, the “ignored insecurities”, i. e. the risks of health, environmental and economic (i. e. shadow economies) disasters that are actually affecting most and eminently the vulnerable part of the population. Such an attempt gets even more imperative in light of current trends in world politics with the rise of populism and autocracies and Italian politics as one of the most affected. This work refers to research conducted since the 1990s in different projects by several researchers – including myself – as well as studies on social workers, local elected officials, police and justice officials to counteract the neoliberal drift within the field of security. While trying to develop a critical approach to the security drift, much of this research and experience (including mine) has also neglected the insecurities that I call “ignored-insecurities”. This negligence has considerably weakened criticism of securitarism because we were unaware of what was actually affecting the majority of the population or even threatening people’s lives that should be protected by the rule of law.3

1. The Main Gap The main deficiency of the various disciplines mentioned above lies in their choice on research objects concerning facts, behaviours, and phenomena that are considered as antithetical to the public order, the “normality”, the society, namely: the offenses, transgressions or violations of duties attributed to members of society. Studies on deviance and crime among the marginalised, migrants, “subversive” or radicalised suspects, in so-called “problematic areas”, about so-called “urban incivilities” or even “environmental terrorism” usually only serve the powerful. Reversing the approach implies its deconstruction by investigating how police, the media and justice are constructing these kinds of crimes and criminals. Similarly, we should be studying the illegal practices of a certain part of the population or the powerful enhancing the “popular” illegalisms. Research on white-collar crime has always been rare (e. g. Ruggiero 2015; Gouvnev & Ruggiero 2012; Nagel & Lascoumes 2014; Amicelle 2014; Laurens 2015) but research on crime within the police forces is even more seldom in Italy (Palidda 2017). Moreover, research on urban insecurity is likely to be biased as it commonly covers the real insecurities that are especially threatening more vulnerable people only in a superficial way. Normally, one takes as indisputable facts what the zealous citizens say (who are often enough the “noisy minority” directed by the entrepreneurs of the securitarism). 3

Among others, I am referring to research projects and works by Bigo and many researchers who have published part of their work in Cultures & Conflits, the works of Mucchielli and Fassin, and myself. About ignored insecurities, see Thebaud-Mony, Centemeri and Daumulin, Henry, Klein, Weltzer, Latour, Moore, Mbembe and many others. About the classical authors, my main references are Mauss, Simmel, Foucault, and Bourdieu.

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In most research on deviance and crime, and more on the anomies and their actors, we can see that first obligation is placed as the dominant criterion obscuring rights. In other words, paradoxically, the citizen appears to have duties instead of rights. This contradicts the logic that only the ownership of rights assigns duties. According to Hobbe’s theory, citizens give up their freedoms in exchange for security guaranteed by power (Hobbes 1968, 227, 232 – 233). But the security of what and of whom? This paradox commonly originates from the passive acceptance of the role as servants of law and order or even of peace and social cohesion by the disciplines previously mentioned. On the contrary, research on power (hence its conceptions, discourses, and practices) is still rare. Instead, we often talk about research for power (it is well known that effective, independent research on power is rare due to problems of funding and thus of realisation). In general, research on rights ignored by the powerful is seldom and, vice versa, on violated rights of the citizens.4 However, research on crimes of the powerful and the state is extremely rare and bears the risk of being distorted or even sabotaged (in particular, research on various crimes committed by authorities, including police officers, magistrates, soldiers, etc.). 1.1 What Are We Dying Of? According to official statistics5, more than 53 million (probably around 60 million) people are dying each year worldwide. 115,449 of them in wars, 34,871 due to terrorism, and 390,774 are being murdered. The vast majority of 52,675,000 (99%) dies from diseases caused by toxic contaminations, malnutrition, lack of care, accidents at work, so-called “natural or environmental disasters”, unhealthy living and working conditions, etc. (most often caused by devastating activities). Here, it is necessary to keep in mind that most of these causes, including wars, terrorism and even criminality, are often the products of power. However, the powerful themselves usually are not aware or sometimes even do not care about these consequences of their exercise of power, especially its role for disasters and disorders. In Western European countries (the same applies to North America), no deaths are caused by wars (except for a few soldiers on so-called “peace missions” abroad) and only a small number by acts of terrorism. The annual mortality rate is a little below 1,000 per 100,000 inhabitants (e. g. Spain (829) or Sweden (913)), whereas it reaches a number of 1,600 in Eastern countries (e. g., Bulgaria (1,602)).6 Combined with a commonly rather expensive health care system for elderly people, the pharmaceutical and private sectors of health lobbies turn out to be potential beneficiaries. In 4 Though constitutional and human rights law addresses the rights of citizens, e. g. European Convention of Human Rights. 5 Number of deaths by cause, World, 2016 https://ourworldindata.org/causes-of-death. 6 For diagrams on causes and occurrence of deaths in the EU, see on Eurostat published by the European Commission; https://ec.europa.eu/eurostat/web/products-eurostat-news/-/DDN20190716-1 [03. 02. 2020].

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Western European countries, the majority of deaths are caused by diseases. However, no reliable data exists that distinguishes between what was originally causing the disease. Meanwhile, the sources of new contaminations seem to be multiplying. One example might be electromagnetic waves. Their possible adverse effects on health are discussed highly controversial, but research does not provide evidence for health-damaging effects of the radiation from cell phones; the WHO recommends studies on long-term exposure by cell phones.7 In all countries the serious mortality due to Covid-19 is also the consequence of the liberal drift: that is, of the choice to increasingly reduce public health resources in favor of private health. Furthermore, the great (necessary) emphasis on pandenia and the use of a state of emergency confered to the police forces rather than by the social and health services (often reduced to very little) ended up hiding again the causes of the majority of mortality. 1.2 Number of Death Causes Worldwide and More Specifically Europe in 2016 A closer look at the causes of deaths shows that – apart from cancer – cardiovascular diseases are the far most represented death cause around the world (Diagram 1). Official statistics provide detailed data on the causes of death without giving information about the share of toxic contaminations. However, toxic contamination is also a likely cause of diseases affecting the circulatory system (cholesterol, diabetes and smoking, ischemic heart disease and cerebrovascular diseases, etc.).8

7 An overview provides the EMF Portal by the Technical University of Aachen which outlines systematically research data on the effects of electromagnetic fields (EMF); https:// www.emf-portal.org/de/cms/page/home/effects/radio-frequency/cancer [03. 02. 2020]. 8 For example, see the systematic review and meta-analysis of epidemiological studies conducted by Chowdhury et al. 2018, confirming a positive correlation between exposure to environmental toxic metal contamination and the risk of cardiovascular diseases. These cases of toxic contamination also include Alzheimer in case of alcohol abuse, Parkinson in case of amphetamine abuse (see e. g., Callaghan et al. 2012 who carried out a study on inpatients in hospitals in California and discovered a 76% increased risk of developing Parkinson’s disease for (meth)amphetamine consumers than for the control group), excessive diagnosis of hyperactivity, many diseases considered as allergies, and several forms of cancer (malignant neoplasms of the trachea, bronchus and lung, recto-sigmoid junction, rectum, anus and anal ducts, breast, pancreas, prostate, stomach, and bile ducts and liver). This consideration also applies to so-called respiratory diseases caused by air pollution. Another cause of death ignored by the present statistics is radioactivity: not only from nuclear and military sites, but also in homes (https://www.who.int/news-room/fact-sheets/detail/radon-and-health) [03. 02. 2020]. Besides, some recent research shows that there are many sources of contamination in almost all foods (because of their contamination by chemicals, including pesticides, etc.), in water and in clothing. Many transport accidents are accidents at work or accidents due to the stress of urban life. It is a pity that official cause-of-death statistics ignore work-related accidents but include data on voluntary self-injury and suicides; although the reasons behind suicide might be victimisation at work or in the family or societal relationships of vulnerable individuals.

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Diagram 1: Causes of Deaths in European Countries 2016 (in Millions)9

Besides the misleading distinction between the causes of deaths in the data collection at hand, we could deduce that health, environmental and economic risks might be the main causes of death. Most of these risks are rarely considered crimes which impedes their prevention or prosecution. And if they are, they frequently remain undetected, overseen or even ignored. This situation is well known but has been disregarded or denied for a long time. Governmental introduced measures concerning direct prevention and control agencies with the duty to combat ignored insecurities, such as the police, often seem purely symbolic. Why? In the dominant discourse on risks, threats and social problems, these insecurities are commonly considered as individual misfortune. Consequently, responsibility is attributed to the individual leading to a lack of victims. Regardless of an increase in the number of revealed deaths linked to criminal pollution caused by companies colliding with criminal organizations, corrupt civil servants, officers, or (local) politicians, most people support such an individualistic view, including officials of prevention and control agencies, most of the politicians, the media and scientists (including criminologists and sociologists of deviance and crime). For example, shadow economies are often characterised by illegal employment, neo-slavery, bribery, tax evasion and further serious crime. Illegal disposal of toxic and even ordinary waste may be added to this list. Thus, the chain of dissimulation of and complicity with ignored insecurities can be seen as an intricate political issue based on a socially constructed paradox. On the one hand, we observe guaranteed and tolerated illegalisms and, on the other hand, mobilisation of public opinion against illegalisms. This kind of illegalisms is framed intolerable and attributed to social subjects who are banned as enemies of the society. In this way, the paradox suits the powerful and enables them to hide their illegalisms much better than those of common citizens. Among the most striking cases on the effect of concealment are those of Marseille and its environs: for a long time, and still today, the public authorities have been in a struggle 9

See https://ourworldindata.org/causes-of-death [03. 02. 2020].

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against gangsterism and organised crime. However, they did not know that part of the population was dying due to water contaminations along the coast west of the city (red mud at sea, pond Berre etc., see Mucchielli 2008). The opposite Table on different causes of death per 100,000 inhabitants within the EU and other European countries is instructive.

2. Neglect of Concerns in the 21st Century The neglect vis-à-vis ignored insecurities by the above-mentioned disciplines leads to an ignorance of the current issues at the local, national and global levels. The liberalism of the 21st century is not limited to “more repression and more punishment”, more racist criminalisation and a new reproduction of permanent wars. It also seems to include a new tendency from traditional biopolitics towards thanatopolitics: to let people die (e. g. refugees in the desert and the Mediterranean Sea) instead of rescuing them. According to Foucault (2004; Foucault & Senellart 2004), the powerful have always dominated using both thanatopolitics as well as biopolitics (in order to replicate the workforce, tax-paying citizens and cannon fodder for war). However, nowadays this seems to be reinforced by neo-liberalistic ideas meaning repression or removal of rights of the powerless to maximise profit and an exploitation of desperate migrants. The latter is frequently linked to sanitary, environmental or economic disasters caused by multinationals. In addition to that, permanent wars fuel the constant increase in production and trade of weapons that often fortify terrorism and local pseudo-wars (Palidda 2018a). As a result, the neo-liberal ideal as well as the ideal of pseudo-sovereign-populists, taking Trump, Salvini, Orban or Erdog˘ an as an example, disregards the worthiness of peoples live – let it be the one of a compatriot or a stranger. A spreading populist myth is that we are facing an uncontrolled increase in the world population in poor regions which forces migrants to invade democratic countries. This fiction, constructed by populist rulers of the 21st century, may even lead wealthy people to invest in the ability to escape into space, to bunkers or hyper-protected sites10. The death of migrants, during their emigration attempts and afterwards, amounts to a large number of fatalities worldwide. However, we do not know how this number then gets categorised within the mortality data. The current migrants are desperate because they flee from territories that become uninhabitable. As mentioned earlier, such life-threatening environmental conditions are closely linked to multinationals and/or pseudo-local wars directly and/or indirectly fuelled by powerful countries (among others Saudi Arabia and the Emirates). 10 For example, the rich of the Silicon Valley are investing in bunkers in New Zealand as an escape plan for the “doomsday”, see https://www.bloomberg.com/features/2018-rich-new-zea land-doomsday-preppers/ [03. 02. 2020].

a

See https://ec.europa.eu/eurostat/statistics-explained/index.php/Causes_of_death_statistics#Main_findings [03. 02. 2020].

Table 1: Causes of Death per 100,000 Inhabitants within the EU and Other European Countriesa

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Sanitary-environmental and economic disasters should be considered as priorities in the mobilisation to save the animal and plant world (holistic approach). Otherwise, the discourse against the degradation of the climate and the planet will remain banal and generic – almost like the old ecological discourses reinvented by the lobbies of the so-called “green economy”.11 The same also applies to the discourses on migration: as long as the extent to which today’s migration originates from disasters that are highly interrelated with liberal neo-colonialism remains concealed, we adopt an approach that represents itself as a humanitarian one, complementary to wars and able to prevent migration (e. g. the so-called “peace” missions of the ruling countries alongside with permanent wars that are paid by taxpayers and ensure the protection of multinationals in the third and fourth worlds countries).

3. The Shame of Pseudo-Sovereignty-Populists The so-called “sovereignism-populism” has little to do with sovereignty. Rather the opposite: it seems to serve a demagogic populism that raises expectations or defends neo-colonial privileges of certain parts of the population of powerful countries. I claim this sovereignism to be deceptive as it is subordinated to the neo-liberal logic and hence, to the interests and strategies of lobbies and multinational corporations. And national states are the objects of such logic, especially, those governed by pseudo-sovereignty-populists like Bolsonaro, Orban, Salvini, Trump as well as the emirs and dictators of the Arabian Peninsula. This populism is characterised by a strong support from sovereigns for landmark projects, the demands of lobbies and multinational corporations, and a left which is not able to represent itself as an alternative. Let us remember that also Nazism and fascism were founded on sovereign ideals: their focus was mainly on national capitalist groups and their populism consisted of the promise of well-being by conquering other countries to dominate on a European and world scale. Today’s pseudo-sovereign-populist game resembles that of powerbrokers who are of a mafia-type and try to negotiate their subordination to transnational free-market strategies in exchange for a relative autonomy of national and local powers. This game has always been practiced by the local ruling classes, often mafiatype. In this context, the haggling of populists is understandable: in the absence of a defined political position of Europe, e. g., Erdog˘ an and Salvini attempted to negotiate with the dominant powers, namely the United States, China, and Russia.12 11 For an analysis of how the policy discourse on the subject category of “climate refugees” related to people living in the Pacific gets distorted herby distracting from the necessity of a global change, see McNamara & Gibson 2009. 12 For example, on the various ties between Salvini (Italy’s far-right more broadly) and Putin (Russia), see https://www.prospectmagazine.co.uk/world/how-matteo-salvini-became-pu tins-man-in-europe [03. 02. 2020]. On Erdog˘ an’s and Trump’s attempts of improving their relationship, see https://www.ft.com/content/05d54cc8-0560-11ea-9afa-d9e2401fa7ca [03. 02. 2020].

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The idea that populist rulers would support a transition to a criminal or a police state could be misleading13 : pseudo-democracy, fascism and an authoritarian state of exception may still coexist (Palidda 2015). As Davis (1988), Foucault (1975; 2004), Foucault & Senellart (2004) and others have pointed out, the criminalisation of the marginalised, even including internal migrants or internally displaced persons, is an old practice. This criminalisation also extends to the ones showing solidarity with the marginalised: for example, the young people helping the victims of the Irpinia (Italy) earthquake in 1981 or the ones supporting refugees (on the criminalisation of the No TAV movement14 in Italy, see Novaro (2019); on that of the No M.U.O.S15 movement, see Mazzeo16, and among others the Democracy Center, particularly thematising the criminalisation of protest17). The criminalisation of alleged subversives shows the modalities that allow the anamorphosis of the rule of law (Palidda 1992). Anamorphosis means the possibility of modifying the same legal framework at will to then switch from a legal to an illegal framework and vice versa. In addition, the Janus face of the police can be observed in the same city at the same moment: in one city quarter, they sometimes are disproportional violent (which may even amount to torture), while in another city quarter, they act in a paternalistic, anti-racist or antifascist way. This factitious nature of the democratic state of law invoked by some parties is further emphasised by neo-liberalistic ideals. Along with a neo-colonial revival and issues of migration, the door is opened to characters such as Salvini acting similarly to Mussolini: “We allow ourselves the luxury of being aristocrats and democrats; conservatives and radicals, reactionaries and revolutionaries; legal and illegal according to the circumstances of time, place and setting.”18 This quote expresses precisely the neo-colonial spirit adding to the mass confusion (via social media and the intellectual indigence of the media) and may serve as an explanation for a continuing consensus on pseudo-populist views. As a result, some citizens aim at tak13 See two issues of the journal Cultures & Conflits, “L’état d’urgence en permanence” aiming at the deconstruction of the discourse on the State of exception, of emergency or urgency; https://journals.openedition.org/conflits/20480 and https://journals.openedition.org/ conflits/20692 [03. 02. 2020]. 14 No TAV stands for the New Turin–Lyon high-speed/high-capacity railway project, referred to as TAV. The movement was founded 23 years ago in Susa Valley. It criticizes, specifically, the uselessness of the railway project and, more generally, social, economic, environmental and technological issues in an increasingly globalised world; http://www.presi dioeuropa.net/blog/what-does-no-tav-mean/ [03. 02. 2020]. 15 The No M.U.O.S movement mostly combines people from Sicily and advocates progress based on local development not on military devices. Its main “opponent” is the activation of the Mobile User Objective System (MUOS), a modern satellite communications system of the US Navy based in Niscemi, Sicily; http://nomuos.org/en/chisiamo [03. 02. 2020]. 16 For example an interview of Mazzeo, available in German, Spanish and Italian; https:// www.pressenza.com/de/2020/01/antonio-mazzeo-italien-ist-ein-wichtiger-angelpunkt-fuer-usamerikanische-militaeraktionen/ [03. 02. 2020]. 17 See https://democracyctr.org/topic/criminalization-of-protest/ [03. 02. 2020]. 18 Il Popolo d’Italia, 23 March, 1919. Quoted in Salvatorelli & Mira 1964, 56.

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ing advantage of neo-colonial benefits to exploit the vulnerable (immigrants and disadvantaged nationals) and to repress those resisting the drift. 3.1 A Populism to Guarantee Benefits to Powerful Social Circles on the Expense of the Unprotected The populism of the current pseudo-sovereigntists legitimises ignored securities. Examples are the neo-slavery of migrants and vulnerable citizens. But all this is part of the populist concept: the ruling populists cannot and do not want to offer protection to all citizens. The main ignored insecurities affect both: Europeans and immigrants, especially in underground economies where neo-slavery persists due to a lack of state protection. 3.2 The Emblematic Case of the European Forum for Urban Security (EFUS) and, in Particular, the Emilia-Romagna “Safe Cities” Project The European Forum for Urban Security (EFUS), founded under the auspices of the Council of Europe by Gilbert Bonnemaison19 and Michel Marcus20 in 1987, counts more than thirty years of experience by now. The same can be said about its development in many European countries and the “safe cities” project in the Emilia-Romagna region (Italy). This project deserves particular attention as it exhibits very clearly the limitations and shortcomings of these initiatives. EFUS is the only European network of local and regional authorities for urban security. The network was created within a context unaffected by the drift of security and zero tolerance; a context allegedly fostering democratisation of the security government as a social response to harm reduction. Prevention, minimal punishment and the reduction of repression to an ultima ratio should represent the measures for reaching the goal. In short, this trend did have some success: in the United States during the Johnson administration21 and in the United Kingdom22 during the 1960s. Famous critical

19 See https://efus.eu/en/about-us/about-efus/public/1450/ [03. 02. 2020]. The peak of development – still neglecting the security drift – was the Zaragoza conference in 1966; the last important document produced by EFUS is the White Paper for Territorial Security presented at Matignon; see http://ffsu.org/le-ffsu-presente-son-livre-blanc-pour-la-securite-des-territoires-amatignon/ [03. 02. 2020]. 20 See the intro on challenges in Europe by the European Forum for Urban Security; https:// efus.eu/files/fileadmin/…/DPT2006-EFUSspeechMM.pdf [03. 02. 2020]. 21 Further on this https://www.independent.org/issues/article.asp?id=3157 [03. 02. 2020]. 22 See Reiner 2000 on https://www.jstor.org/stable/42856153?seq=1#page_scan_tab_con tents [03. 02. 2020].

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criminologists of that time included Taylor, Walton and Young23. Their critical approach also evoked Alessandro Baratta’s critical criminology24 and Luigi Ferrajoli’s philosophy of the “minimum criminal law”25. Despite the global security drift, EFUS has continued to develop within Europe (250 municipalities in 16 countries). However, its focus on repressive and criminal actions remains ancillary. Regarding drug (ab)use, “urban incivilities” and, in general, issues related to marginality and juvenile delinquency, EFUS has increasingly adopted very moderate tones. Security issues have been more and more addressed by municipalities, including those with right-wing racist mayors. For an emblematic example, EFUS considers it a great success that the safety emphasising mayor of Nice, Christian Estrosi, is leading the project “PACTESUR – Protecting allied cities against terrorism by ensuring the security of urban areas”.26 Indeed, despite some critical suggestions and the last document by Marcus27, EFUS has continued to woo even mayors of the right espousing mainstream security issues. Furthermore, health, environmental and economic insecurities (shadow economies, etc.) with a crucial weight on the economy of urban safety have been ignored. This ignorance gets even more apparent when analysing the development of the “safe cities” project. The project was launched on the initiative of some followers of the already mentioned criminologist Baratta and, in particular, Massimo Pavarini, as part of the programs in the Emilia-Romagna region (region administrated by the left) in 1994. Indisputably, the Baratta school, other English and French authors provided effective tools for criticising liberal securitarism and its excesses (“zero tolerance”, racist criminalization, massive imprisonment first in the United States and later also in Europe). At the same time, some researchers criticised the reproduction of permanent wars and their transition to local “wars” (urban security and “war on immigrants”)28. However, these critical developments turned out as inadequate, ineffective, and powerless. Consequently, some may frame them as losers in light of the triumph of liberal securitarism that is currently dominating in many so-called “democrats” and the “ex-left”. While both critical criminology and Ferrajoli’s philosophy continued advocating the cause 23 For a review of Young’s life and work as a critical criminologist see Henninger 2014; https://link.springer.com/article/10.1007/s10624-014-9333-6 [03. 02. 2020]. 24 On critical criminology within Europe see van Swaaningen 1998; 1999. 25 See Ferrajoli 1989. 26 See https://efus.eu/fr/topics/%ACtivity%25/16622/ [03. 02. 2020]. For an example of Estrosis safety emphasis see the Declaration of Nice aiming at bringing together local elected representatives across Europe in the fight against terrorism. The Declaration was signed by 62 mayors of 19 different European countries; http://www.nice.fr/fr/actualites/declaration-de-ni ce?type=articles [03. 02. 2020]. 27 See Marcus, “Prevention du crime, une feuille de route intercontinentale” on https:// docplayer.fr/5106365-Prevention-du-crime-une-feuille-de-route-intercontinentale.html [04. 02. 2020]. 28 For a general critique on the (political) approach towards issues of migration with its consequences see Schmid 1995. For a critical discussion on race and crime see Convingtion 1995.

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of penal abolitionism, social responses to deviance, repression as ultima ratio and limitation to prison avoiding modalities, some leaders of the Italian ex-left regarded the left as mistaken in their belief that petty crime should not be treated as mafia nor terrorism (this is the thesis of Luciano Violante, the former Magistrate and President of the Chamber of Deputies, and also the constitutionalist Giuliano Amato, who was considered a guarantor and, as Minister of the Interior, brought to bear the zero tolerance of the New York Mayor Rudolph Giuliani – see footnote 32). In light of this liberal drift of the “historical” left, it now seems illusory to hope for an “alternative penal policy”, “the prospect of a maximum contraction and the prospect of a minimum criminal law” (as suggested by Stefano Anastasia in the afterword to the reprint of the famous book of Baratta) and, at the limit, an overhaul of the penal system.

3.3 The “Safe Cities” Experience The “safe cities” experience was initiated thanks to Massimo Pavarini. Pavarini convinced an official of the Emilia-Romagna region and the president of Emilia-Romagna (at the time leader of the Democratic Party – ex-communist who since then mixed with ex-Christian Democrats) to create a project that should guide the municipalities of the region in urban security governance. The project also focused on social policies, risk reduction and prevention in order to reduce repression and prisons. The scientific committee of this project included many of Baratta’s disciples (himself being a frequent guest)29. Following key facts show the limitations and gaps of the project: a) The choice of the name (safe cities) was kind of a boomerang due to its focus on the threat of crimes and led to an extension of security matters. This was influenced by the so-called “public opinion” overestimating the threat posed by crime (also discussed at the first meeting of the Scientific Committee – compare De Giorgi 2000). (b) The study of crime statistics was entrusted to Marzio Barbagli. He is a sociologist without profound experience in this field or a sufficiently critical approach to these statistics.30 However, like another researcher, Barbagli was supported by the pressure group, i. e. the Cattaneo Institute (close to Prodi) and the publishing house il Mulino, a group that acquired a decisive option on the “safe cities” project. Barbagli’s statistical work within the “safe cities” project is one of his most renown. 29 The reports on the project may be found on https://autonomie.regione.emilia-romagna.it/ sicurezza-urbana/approfondimenti/quaderni-di-citta-sicure-1 [04. 02. 2020]. 30 Barbagli’s work may be resumed in his phrase “Therefore, even if the statement that immigrants have increased the crime rate in Italy is not confirmed by the data on murders […], there is no doubt that the contribution of foreigners […] to the criminal activity has been significant.”; translated from https://www.ilsole24ore.com/art/migranti-veri-numeri-criminali ta-stranieri-italia-AEZIIrFG?refresh_ce=1 [04. 02. 2020]. Given his very influential position at the Institute Cattaneo e il Mulino, Barbagli also published several books.

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However, his proposal of how to read his approach to the data is questionable. Firstly, he presented the data of the police and the judicial system as indisputable truth. Secondly, he combined the data with disputable results, such as those on individual opinions of citizens without a proper research design (i. e., letters to the mayor of Bologna). It is no coincidence that Barbagli joined the scientific committee of the ICSA Foundation31 created by Minniti and Cossiga. Hardly any member of the scientific committee criticised the security drift in the ICSA Foundation and the few who took an alternative critical approach were isolated and stigmatised. Presumably, the driving force behind this was an official from the region with a lot of power on Pavarini as well as on the decisions of the project. c) When it comes to the analysis of statistics, some of the main shortcomings of critical criminology become obvious: critical criminology does not bother about statistics. However, a critical deconstruction of statistics, police studies and the ethnographic approach is important to meet the requirement of being critical. d) The so-called fight against the mafia in the “safe cities” project was reduced to a ludicrous battle against a small mafia located in the small town Budrio, near Bologna. Furthermore, the statistics used were generated on residents of Emilia-Romagna municipalities who were born in southern regions that were suspected as potential mass Mafia bases (during the observation period some Mafia suspects were exiled in the municipalities of this region). This led to an ignorance of the actual links of the mafias within the region of Budrio. A desirable study on mafia structures would have discovered many complicities and even joint ventures in every province of the region, involving banks, numerous cooperatives as well as several local governments (and thus in the Partito Democratico). Scandals and research on mafia have already revealed the important diffusion of mafias in all provinces of northern Italy (see some research published over the last 15 years, e. g. Varese 2006; Moro & Villa 2016). The huge increase in suspicious financial deposits, especially within the Parma region when the PARMALAT scandal erupted, is documented in the report “The demand for security and police” in the cities of the region. However, the regional official stigmatised the report as a collection of unacceptable “rumours” (he showed ignorance and hostility to qualitative research and omertà concerns to defend the “honour” of the so-called “Red” Region).32 This ignorance and mistrust of qual-

31 See http://www.fondazioneicsa.info/consiglio-scientifico/ [04. 02. 2020]. The I.C.S.A. (Intelligence Culture and Strategic Analysis) Foundation is a non-governmental body aiming at dealing with security, defence, and intelligence issues innovatively. Its focus lies on main phenomena related to national security, the development of military defence models, the national security agency and criminal and illegal acts. For the history of ICSA with a rather eloquent sequence of photos of its foundation see http://www.fondazioneicsa.info/2017/06/23/ 767/ [04. 02. 2020]. 32 For examples of local reactions towards the revealing of the scandal see https://www. telegraph.co.uk/news/worldnews/europe/italy/1451357/How-Parmas-big-cheese-fell-fromgrace.html [03. 02. 2020].

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itative research was and still is common among many criminologists and sociologists of deviance. d) Critical research on the local police is missing. As stated in the first report of the “safe cities” project, the only capacity of the regional government in the field of security lies in its (relative) power over the local police, in particular, in the area of vocational training. Nonetheless, the research conducted by a young researcher (shy and respectful due to his subordinate position), ignored the ethnographic approach necessary for a better understanding of the dynamics of the police forces. As a result, disturbing aspects got lost during the research process. For example, a committee member reported on the creation of a unit within the Bologna local police: their members called themselves the “Negro Hunting Team”. In contrast, the widespread phenomenon of moon rents (for example, students from other regions must pay up to 400 euros per month for a bed in a four-bed room) demanded by zealous citizens while insisting on zero tolerance was not mentioned. In other words, the scientific committee kept quiet about questionable aspects of the local community and the behaviour of its administration. In this way, the questionable special unit of the local police was distracted in favour of other false or secondary uncertainties. In addition, prevention and control agencies (labour and health inspectorates, civil protection, etc.) were not included. The very idea of a security policy with a main focus on the population was disregarded. As a result, the actors who originally are meant to be at the forefront of preventing and combatting these insecurities as well as protecting its victims were neglected. Another limitation was the ignorance of the idea of a permanent cooperation between all actors and active citizens. Such a cooperation would mean a vivid network able to prevent and contrast the threats of the population. Only such a perpetual cooperation could effectively reduce underground economies and contribute to the protection of the weakest and most isolated. For example, new experiences underway in the United States thanks to Black Lives Matter show that the downsizing of police and the increase in community-run health and social services in neighborhoods produces very positive results: reduction of remains, arrests and killings from part of cops. e) Although endowed with prominent philosophers and sociologists of law, the “philosophy” of the “safe cities” project also ignored a reflection on possible security principles within the constitution. Precisely, this reflection could have guided the project and, consequently, its operational choices towards a unique and more effective approach. Undeniably, priority should have been given to ignored instead of secondary or even false insecurities.33 The first duty of the local and national government is to ensure the protection of the lives of the inhabitants. Local and national authorities are unaware of the causes of mortality due to toxic contaminations. Prevention and control agencies are obliged to safeguard the population at risk of toxic contamination, occupational injury, exploitation or slavery. However, these actors are constantly distracted and diverted to33

Further on this see Palidda 2016 and Palidda 2018b.

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wards repression (rather than prevention) in situations of insecurity attributed to deviance, delinquency or even “threats against morality” (themes put forward by Barbagli and other entrepreneurs of securitarism). Insecurity surveys carried out at national level with large samples are often telephone surveys. However, this disproportionately targets older and well-off citizens (see Sala & Lillini 2015; Garcia-Continente et al. 2014 analysing the effect of surveys limited to landline users). Furthermore, the questionnaires are often limited to questions on insecurities that are particularly interesting to the entrepreneurs of zero tolerance. Inevitably, unreachable respondents are identified as originators of such insecurities. But these people commonly are victims of ignored insecurities and include e. g. immigrants, young deviants, marginalised groups or homeless people. The focus on the supposed average citizen distracts from the victims of ignored insecurities hereby depriving them from protection. Furthermore, they are exposed to various attacks also by the average citizen, including those calling for zero tolerance but shouting against degradation, disorder and juvenile deviance. This neglect of ignored insecurities with its victims is the most serious shortcoming of the “safe cities” project. The entire scientific committee, also being distracted by the general discourse on the insecurities of the mainstream, is responsible for this gap. At the same time, the timid attempt to support preventive measures and social responses as alternatives to repressive and criminal actions can only be inconsistent and lacking in credibility. Consequently, the project was implemented within a framework of activities that adopts the government’s prevailing safety concept. However, this concept is not an alternative to the zero tolerance defended by the leaders of the former left (Violante, D’Alema, Amato, Minniti and others in Italy, Valls in France) and then by the pseudosovereigntist-populist Salvini, who is keen to remove (but not to solve) ignored insecurities that proliferate in his electoral strongholds. It is no coincidence that the same heterogenesis can be observed in the case of the European Forum for Urban Safety. The neo-colonial drift encompasses all countries that have become “old” and trapped in the defence of real, presumed or expected privileges. Meanwhile, young people escape and people in the opposition seem to have lost hope. They no longer believe in anything at all, they do not vote and are marked by the disgust that caused the drift of the ex-left (see the emblematic case of Genoa34). In fact, the democracy reveals itself a lure, a heterogenesis (a dystopia).

34 In Genoa the right won the regional and communal elections with 42% of votes; the majority of the former Communist Party electorate no longer votes; a few went to vote M5S and some voted for revenge right; see Palidda 2018c.

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Zum Transfer straffälligen Verhaltens über Generationen Von Helmut Kury

1. Einleitung Straffälliges Verhalten, Kriminalität, ist ein Thema, das zu jeder Gesellschaft dazugehört. Ostendorf (2018) betont, die „Neigung“ zu strafbaren Verletzungen von vorgegebenen Regeln sei grundsätzlich in allen Menschen angelegt. Was als Kriminalität und damit als strafbare Handlung gesehen und offiziell definiert wird, veränderte sich über die Jahrhunderte bis heute, einerseits werden, vor allem auch vor dem Hintergrund gesellschaftlicher Veränderungen, Handlungen entkriminalisiert, andererseits wird „neukriminalisiert“, in den letzten Jahrzehnten etwa im Bereich Internet. Vor allem auch die Ursachenzuschreibung für kriminelles Verhalten hat sich im Laufe der Jahrhunderte immer wieder geändert, warum jemand straffällig wird, wird auch heute noch teilweise deutlich unterschiedlich gesehen. Gerade die Frage, woran es liegt, dass jemand straffällig wird, ist insbesondere auch hinsichtlich der Planung von Präventionsmaßnahmen ausgesprochen wichtig. Hat man in früheren Jahrhunderten die Ursachen vielfach etwa in körperlichen angeborenen Merkmalen gesehen, werden die Gründe für Kriminalität heute, vor allem in westlichen Industriegesellschaften, eher in gesellschaftlichen Bedingungen, in der breiten Öffentlichkeit insbesondere in der familiären Erziehung der Kinder durch die Eltern sowie den Gegebenheiten im sozialen Umfeld, kriminellen Strukturen, gesehen (Spapens & Moors 2019). Die Frage, wieweit angeborene Verhaltensmerkmale zur Entwicklung abweichenden Verhaltens beitragen können, wird auch heute noch diskutiert (vgl. Olweus 1987; Brendgen u. a. 2005; Waldman & Rhee 2006; Besemer u. a. 2017). Empirische Untersuchungen konnten vermehrt zeigen, dass schwer straffällig gewordene Bürger, etwa Inhaftierte in Strafvollzugsanstalten, durchgehend aus schwer gestörten familiären Verhältnissen, aus Familien, die etwa meist den unteren sozialen Schichten angehören, kommen. „Die Familie ist die vermutlich universellste Form menschlicher Vergemeinschaftung und überindividueller sozialer Gebilde“, gilt generell als die „Keimzelle“ des Staates (Sack 1993, 124). Gerade auch hinsichtlich der Erziehung der Nachkommen spielt sie die zentrale Rolle (Albrecht u. a. 1991). Vor allem auch hinsichtlich des Zustandekommens und der Erklärung von Kriminalität richtet sich der Blick vorwiegend auf die Familie, wo in der Regel erhebliche Mängel festgestellt werden (Sack 1993, 130).

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Eine Befragung von jugendlichen Inhaftierten in Baden-Württemberg (Kury 1979) mit einem Durchschnittsalter von 19,5 Jahren zeigte bei den Betroffenen eine Fülle von Belastungsfaktoren, die als Hintergründe für deren straffälliges Verhalten gesehen werden können. So hatten etwa 24,2 % vor der Inhaftierung keinen festen Wohnsitz, 42,1 % verübten die Delikte nur in Gruppen, bei 75,5 % waren unter den Freunden auch Straftäter, 59,2 % verübten die Tat(en) unter Alkoholeinfluss, 46 % hatten selbst schon einmal Drogen genommen, 15,4 % taten dies regelmäßig, 30,0 % der Väter zeigten eine Alkoholauffälligkeit, 48,2 % der Insassen waren zur Tatzeit arbeitslos, 52,4 % berichteten, dass es in ihrer Herkunftsfamilie zu häufigen Auseinandersetzungen, zeitweiser oder endgültiger Trennung der Eltern gekommen sei, 48,4 % wuchsen vor dem 14. Lebensjahr zumindest zeitweilig in einer unvollständigen Familie auf, 42,8 % waren zumindest vorübergehend in einem Heim, 37,6 % sind vor dem 14. Lebensjahr mindestens einmal von Zuhause ausgerissen, 79,5 % schwänzten mehrfach die Schule, 54,7 % hatten keinen Schulabschluss, 79,1 % keine Berufsausbildung, 88,6 % waren vor der Haft arbeitslos, 93,7 % gehörten den unteren sozialen Schichten an und 65,3 % hatten nach der Entlassung teilweise erhebliche Schulden (vgl. a. Kury 2020a). Solche Forschungsergebnisse geben auch deutliche Hinweise auf die Notwendigkeit von über eine reine Bestrafung hinausgehende Hilfsmaßnahmen im Rahmen einer wirksamen Prävention weiteren straffälligen Verhaltens (Nickolai 2020). Ein wesentlicher Ansatz zur Erforschung der Hintergründe und Ursachen von straffälligem Verhalten und der Möglichkeiten wirksamer Prävention besteht in der Untersuchung, wieweit sich solche Auffälligkeiten über Generationen fortsetzen, wieweit sich eine „Intergenerational Transmission of Criminal Behaviour“ nachweisen lässt (Besemer u. a. 2017). Bereits frühere Untersuchungen, etwa von Dugdale (1877) oder Goddard (1912) haben sich auf die familiären Hintergründe von abweichendem Verhalten konzentriert und haben dabei die Idee einer „Weitergabe“ an die nächste Generation aufgegriffen. Untersuchungen in dem Bereich sind methodisch relativ aufwändig und meist teuer, vor allem wenn es sich um Langzeitstudien handelt. Kriminalität und vor allem deren Ursachen sind ein ausgesprochen komplexes Geschehen, bei dem zahlreiche interagierende Faktoren eine Rolle spielen, neben familiären Erziehungsbedingungen für die Kinder etwa insbesondere auch die sozialen Umweltgegebenheiten, wie der Freundeskreis. Einzelne Faktoren und deren Auswirkungen zu isolieren ist vor diesem Hintergrund schwierig, was die Forschung auch deutlich zeigt und was letztlich zu sich teilweise widersprechenden Resultaten führt. Bereits geringfügige Bedingungen, wie etwa ein guter Kontakt eines in der Herkunftsfamilie gefährdeten Kindes zu den Großeltern oder zu Nachbarn, kann das Abrutschen in straffälliges Verhalten verhindern. Neben einer generellen Kritik an Langzeitstudien, etwa was deren theoretische Fundierung betrifft, werden immer wieder methodische Mängel hervorgehoben. Auch der Begriff der „kriminellen Karriere“ ist keineswegs klar definiert (Albrecht 1993, 301; Albrecht 1990). Ein Großteil der bisher vorliegenden Forschung in diesem Bereich wurde in Australien, den USA und Westeuropa, hier vor allem in Großbritannien und den Nieder-

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landen durchgeführt (World Health Organization – WHO 2007). In Deutschland gibt es zwar einige umfangreichere Studien zum Verlauf von (Jugend-)Kriminalität über die Zeit, jedoch werden hierbei kaum besondere familiäre Erziehungsbedingungen und deren mögliche spezifische Einflüsse auf eine weitere kriminelle Karriere der Nachkommen mit einbezogen. Nach Schumann ist die „Lebenslaufperspektive … in der deutschen Kriminologie selten angewendet worden. Prospektive Längsschnittstudien mit einer größeren Zeitspanne gibt es kaum; die Lebenslaufanalysen betrafen meist retrospektiv gewonnene Datensätze oder solche aus Panelstudien“ (Schumann 2018, 270).

Wie Tomison (1996) betont, werden bei retrospektiven Studien meist Eltern untersucht, die ihre Kinder missbrauchen bzw. missbraucht haben. Die Angaben dieser Eltern über eigene Missbrauchserfahrungen sind teilweise fraglich und wenig valide, können vor allem auch einer „Entschuldigung“ für das eigene straffällige Verhalten dienen. Einen Einfluss auf die Ergebnisse kann auch die Definition des Missbrauchs haben. Nach Tomison (1996) überschätzen retrospektive Studien meist die Zusammenhänge. Prospektive Studien sind dagegen schwerer umzusetzen, in der Regel werden dabei missbrauchte und nicht missbrauchte Kinder und deren familiärer Hintergrund über längere Zeitspannen untersucht, was zeit- und kostenaufwendig ist. Vor dem Hintergrund der erheblichen methodischen Probleme überrascht es nicht, dass die Schätzungen der Rate einer „intergenerational transmission of child maltreatment“ in den vorliegenden Untersuchungen erheblich variieren, nach Tomison (1996) von 7 %, Gil (1970) bis 70 % (Egeland u. a. 1987; National Research Council 1993) reichen. Trotz aller methodischen Probleme und Einschränkungen hinsichtlich der Interpretation vorliegender Befunde betonen Tzoumakis u. a. (2019, 5): „Extensive research has demonstrated that the experiences, life events, and decisions made by members of one generation can significantly impact those of the next. … A well-established example of this phenomenon is the intergenerational patterns of antisocial behaviour and criminality, with criminal parents tending to have criminal children.“

Im Folgenden soll ein stichwortartiger Überblick über ausgewählte bisherige Ergebnisse der Untersuchungen, vorwiegend zu einer „intergenerational transmission of violent behaviour“, die in der Literatur diskutierten theoretischen Erklärungsansätze sowie erörterte Präventionsmaßnahmen gegeben werden. Hierbei wird insbesondere kurz auf Ergebnisse zu Einflussvariablen eingegangen wie Häufigkeit des missbräuchlichen Verhaltens, Alter der Kinder zum Zeitpunkt des Missbrauchs, gesellschaftliche Faktoren, Gewalt zwischen den Ehepartnern und Gewalt gegenüber den Kindern, Art der Straftat der Eltern und Geschlecht des missbräuchlichen Elternteils.

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2. Forschungsergebnisse Vor allem in Großbritannien und den Niederlanden, aber auch Australien und den USA, wurden inzwischen neben Einzelstudien auch umfangreiche Meta-Analysen bisheriger Forschung zu dem Thema einer „intergenerational transmission of criminal behaviour“ durchgeführt, die auch auf deutlich unterschiedliche, sich teilweise widersprechende Resultate hinweisen. So betonen Besemer u. a. (2017, 164): „Specifically, children’s responses to parental CB (criminal behaviour) might vary according to which parent engages in CB, their own gender, the children’s age at parental CB, their country or geographical region, their birth year, and the wider social contexts in which they find themselves.“

Einigkeit besteht in der internationalen Forschung letztlich vor allem darin, dass „Children, whose parents exhibit criminal behavior (CB) appear to have an increased risk of displaying CB themselves“ (Besemer u. a. 2017, 161). Einige Studien fanden zwar keine Einflüsse elterlicher Kriminalität bzw. Inhaftierung hinsichtlich eines straffälligen Verhaltens der Kinder, aber auf deren Entwicklung von sozialer Kompetenz und kognitiven Fähigkeiten. So hat die Studie von Latvale u. a. (2015) in Schweden einen negativen Einfluss der väterlichen Verurteilung auf die kognitiven Fähigkeiten der Söhne im Alter von 18 Jahren zeigen können. Im Gegensatz dazu fanden Murray u. a. (2012) bezogen auf die Daten der Pittsburgh Youth Study, dass sich elterliche Kriminalität nicht auf die akademische Leistung der eigenen Kinder im Alter von 7 – 16 Jahren auswirkte. McCord (1977) ging noch von der Annahme aus, dass eine generelle Übertragung von Einflüssen straffälligen Verhaltens auf die kommende Generation stattfinde, inzwischen wird zunehmend die Frage geprüft, wieweit es spezifische Wirkmechanismen gibt, etwa was die Häufigkeit und Art der Straffälligkeit der Eltern bzw. das Alter der betroffenen Nachkommen angeht. Was etwa die Häufigkeit straffälligen Verhaltens der Eltern betrifft, fanden viele Studien einen positiv signifikanten Zusammenhang mit dem straffälligen Verhalten der Nachkommen, allerdings gibt es auch hier Ausnahmen. Besemer (2012) zeigte, dass Kinder, deren Eltern verurteilt wurden, selbst dreimal mehr Verurteilungen hatten als Kinder von unauffälligen Eltern. Je mehr Verurteilungen die Eltern aufwiesen, umso mehr Verurteilungen hatten auch die Kinder, was sich sowohl für Söhne als auch Töchter zeigte. Die Zahl der elterlichen Verurteilungen erwies sich als signifikanter Prädiktor für die Verurteilungsrate der Kinder: Hatten die Eltern eine Verurteilung, lag die Rate bei den Kindern im Durchschnitt bei 1,64, bei zwei bis drei Verurteilungen der Eltern stieg diese auf 2,23 und bei vier und mehr elterlichen Verurteilungen auf durchschnittlich 3,51 bei den Kindern. Eine getrennte Analyse für die Töchter zeigte dagegen keine signifikanten Unterschiede. Besemer & Farrington (2012, 133) fanden dagegen in einer weiteren Analyse, die Intensität der väterlichen Kriminalitätskarriere könne die Intensität kindlichen straffälligen Verhaltens nicht signifikant voraussagen, es gebe keine bedeutenden Unterschiede zwischen Kindern,

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deren Väter nur sporadisch straffällig würden im Vergleich zu Vätern, die sich als Intensivtäter erwiesen. Was den Zeitpunkt des elterlichen Fehlverhaltens im kindlichen Lebenslauf betrifft, zeigt sich nach einigen Studien des Weiteren ein Zusammenhang zwischen der Straffälligkeit der Eltern vor der Geburt des Kindes mit dem kindlichen Verhalten, was damit erklärt werden kann, dass die Hintergründe für das straffällige Verhalten, etwa soziale Risikofaktoren, auch nach der Geburt des Kindes weiter vorhanden sein können, auch wenn keine weitere Straffälligkeit der Eltern mehr auftritt. „Crime is not directly transmitted from parents to children, but rather through continuity of a constellation of antisocial features“ (Besemer 2012, 16). Die in der Regel bei (schwer) straffälligen Eltern vorzufindende kriminogene Umgebung ist allerdings ausgeprägter, wenn die Eltern nach der Geburt des Kindes verurteilt werden. Diese Unterschiede hinsichtlich straffälligen Verhaltens der Eltern und kindlichen Abweichungen blieben auch dann erhalten, wenn weitere Risikofaktoren, wie etwa die Lebens- und Umweltbedingungen, berücksichtigt wurden, obwohl diese Risikofaktoren einen Teil der Varianz aufklären können. Nach Ansicht von Besemer (2012, 136) bestätigt dieses Ergebnis auch genetische Mechanismen, vor allem bezogen auf gewalttätiges Verhalten von Eltern und Kindern, „because offspring of violent parents had a higher risk of exhibiting violent behaviour in particular“. Kinder, deren Eltern nach ihrer Geburt verurteilt wurden, hatten ihrerseits mehr Verurteilungen im Vergleich zu denen, bei denen dies nur vor der Geburt der Fall war. Diese Kinder kommen auch gehäuft aus problematischen Verhältnissen, etwa aus Familien mit geringem Einkommen, größeren Familien, schlechteren Beschäftigungsbedingungen des Vaters und weniger Interesse der Eltern an einer Förderung ihrer Kinder, etwa hinsichtlich einer Ausbildung. Während Kinder, deren Eltern nur vor ihrer Geburt verurteilt wurden, die niedrigste Verurteilungsrate hatten, lag diese bei Kindern, die bei der Straffälligkeit der Eltern etwa 7 bis 12 Jahre alt waren, bei 3,70, damit am höchsten, gefolgt von denen, die zwischen 13 und 18 Jahre waren (3,09) und der Gruppe, die 0 – 6 Jahre alt waren (2,73). Die Unterschiede waren allerdings nicht signifikant und gingen zurück, sobald mehrere Risikofaktoren berücksichtigt wurden. „There does not appear to be a sensitive period for the impact of parental criminal behavior“ (Besemer 2012, 13, 78, 170). Van de Rakt u. a. (2010) fanden einen deutlicheren Einfluss väterlicher Verurteilung auf die Kinder, wenn Letztere in der Adoleszenz waren. Smith & Farrington (2004) fanden auf der Basis der Cambridge Study in Delinquent Development einen Zusammenhang zwischen väterlichem bzw. mütterlichem straffälligen Verhalten mit auffälligem Verhalten bei Jungen im Alter von 8 bis 10 Jahren, wobei das Geschlecht des missbräuchlichen, d. h. gewalttätigen Elternteils keine wesentliche Rolle spielte. Tzoumakis u. a. (2019, 5) betonen, die Übertragung straffälligen Verhaltens auf die nächste Generation beginne bereits in der frühesten Entwicklungsphase, also bereits im Alter ab der Geburt (vgl. auch Tremblay 2015), ein Großteil der Forschung habe sich allerdings auf Adoleszente und Erwachsene konzentriert. Die

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Autorinnen der Studie von Tzoumakis u. a. (2019) untersuchten den Zusammenhang zwischen elterlichem straffälligen Verhalten und den Auswirkungen auf die Kinder in der frühen und mittleren Kindheit in Australien (New South Wales) und fanden auch hier, dass Mütter mit einer eigenen Geschichte von straffälligem Verhalten zahlreiche Benachteiligungen erfahren haben und zahlreiche Risikofaktoren für die Ausübung eigener Gewalt und Straffälligkeit zeigten, wie sozioökonomische Benachteiligung oder geistige Behinderungen. Diese Mütter hatten auch vermehrt Partner mit ebenfalls erheblichen Defiziten, u. a. Straffälligkeit. Es zeigte sich ein Zusammenhang zwischen mütterlichem und väterlichem straffälligem Verhalten und einer gesteigerten Vulnerabiltiät bei den Kindern in der frühen und mittleren Kindheit. Die Studie zeigt, dass diese Einflüsse und Transmissionsprozesse früh im Lebenslauf der Kinder beginnen. Kinner u. a. (2007) fanden in einer weiteren Studie in Australien dagegen keinen Zusammenhang zwischen einer Inhaftierung des Vaters und dem Verhalten eigener 14-jähriger Kinder. Neben den Einflüssen einer elterlichen Verurteilung auf die Kinder führt etwa Besemer (2012, 108 f.) weitere gesellschaftliche Faktoren an, die zu einer Steigerung des Kriminalitätsrisikos durch eine Inhaftierung eines Elternteils, vor allem des Vaters, beitragen können, wie eine stärkere Anbindung der Nachkommen an Peers, eine Stigmatisierung der Betroffenen aufgrund der Strafverfolgung, ökonomische Probleme, da bei einer Inhaftierung in der Regel der Haupternährer wegfällt, was zu finanziellen Problemen und einer Zunahme kindlicher Auffälligkeiten führen kann. Hierbei zeigte sich in den Studien immer wieder, dass vor allem Eltern, die vermehrt straffällig wurden, in der Regel in soziale Milieus eingebunden sind, die das abweichende Verhalten fördern und „normalisieren“, was wiederum die Einbindung der Nachkommen in straffälliges Verhalten begünstigt. Mehrere Studien konnten auch einen Zusammenhang zwischen Gewalt unter den Eltern und kindlichem Missbrauch zeigen. Gewalt in (schwer) gestörten familiären Beziehungen wird hiernach vielfach nicht nur gegenüber dem Partner ausgeübt, sondern auch gegenüber den Kindern. Apple & Holden (1998) fanden in ihrer Analyse von 31 Studien über häusliche Gewalt, dass Kinder, die in Familien aufwachsen, in welchen Gewalt zwischen den Partnern stattfindet, einem erhöhten Risiko von Kindesmisshandlung ausgesetzt sind. Auch Sijtsema u. a. (2020) untersuchten in ihrer Analyse unter Berücksichtigung von Ergebnissen internationaler Studien Risikofaktoren hinsichtlich eines gemeinsamen Vorkommens von Kindesmisshandlung und Gewalt zwischen den Partnern. Die Autoren fanden bei ihrer Recherche 132 relevante Studien, die zwischen 1985 und 2019 veröffentlicht wurden und sich auf die Untersuchung eines gemeinsamen Vorkommens von Partnergewalt und Kindesmissbrauch konzentrierten. Häusliche Gewalt wurde nach den Ergebnissen von beiden Geschlechtern ausgeübt, bei den Vätern kam es allerdings neben der Gewalt gegenüber der Partnerin in 57,3 % gleichzeitig auch zu Kindesmisshandlung, bei den Müttern in 26,4 %. Ferner geschah die Misshandlung gegenüber den Partnerinnen als auch den Kindern durch die Väter häufiger

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mit Gewalteinsatz, weniger in Form von Vernachlässigung (Sijtsema u. a. 2020, 125). Neben dem Geschlecht der Eltern waren von Einfluss auf die Gewaltausübung gegenüber Partner und Kindern vor allem ein geringes Ausbildungsniveau und finanzielle Probleme. Die World Health Organization – WHO (2007) weist in diesem Zusammenhang darauf hin, dass Menschen, die als Kinder missbraucht wurden, eine erhöhte Wahrscheinlichkeit haben, später selbst mit einem gewalttätigen Partner zusammen zu leben, was einen „Cycle of Violence“ unterstützt. Offensichtlich haben die Betroffenen von Kindheit an „gelernt“, dass Gewalt in engen Beziehungen „normal“ ist und dazugehört. Vor diesem Hintergrund mag sie ein gewalttätiges Verhalten des Partners auch weniger vor einem weiteren Zusammenleben mit ihm abzuschrecken. Insgesamt betont Besemer (2012a) in mehreren einschlägigen Veröffentlichungen, dass vor allem Söhne von Vätern, die wegen Gewalttaten verurteilt wurden, ein höheres Risiko haben, selbst wiederum wegen Gewaltkriminalität verurteilt zu werden. Die Autorin fand auch eine Spezifizierung der Übertragung straffälligen Verhaltens auf die nächste Generation insoweit, als Söhne von Gewalttätern im Vergleich zu solchen von Eigentumstätern ein signifikant höheres Risiko hatten, selbst wegen Gewalttaten auffällig zu werden (Besemer 2012a, 18). Die Übertragung von gewalttätigem Verhalten auf die nächste Generation sei vor allem auch dadurch bedingt, dass soziales Lernen hinsichtlich gewalttätigen Verhaltens stärker ausgeprägt sei als bei anderen leichteren Straftaten. Kinder, die Aggression in der eigenen Familie erleben würden, lernen, dass dies ein legitimes Verhalten sei, Probleme zu lösen. Bei der Übertragung von gewalttätigem Verhalten könnten auch biologische Faktoren eine deutlichere Rolle spielen. Impulsivität etwa sei stärker bezogen auf Gewalttaten, werde von neurologischen Prozessen beeinflusst (Besemer 2012a, 5). Auch Van de Weijer u. a. (2014) fanden in ihrer Studie in den Niederlanden bei Gewalttaten eine stärkere Übertragung von straffälligem Verhalten von den Vätern auf die Söhne. Was das Geschlecht der Eltern betrifft, betonen Goodwin & Davis (2011), dass dieses hinsichtlich eines Einflusses auf eine „transgenerational transmission of crime“ wenig untersucht sei. Frauen sind deutlich weniger straffällig als Männer. Nach Tzoumakis u. a. (2019, 5) wurde in neueren Studien zunehmend die Rolle der Mutter hinsichtlich einer Weitergabe straffälligen Verhaltens an die nächste Generation untersucht. In einer eigenen Studie fanden Tzoumakis u. a. (2014), dass mütterliches straffälliges Verhalten in Zusammenhang mit erhöhten Aggressionswerten vor allem bei kleinen Kindern steht. Wenn Mütter straffällig werden, liegen meist erhebliche belastende Faktoren vor, wie soziale Isolation, Drogengebrauch, junges Alter, Armut, eigene Gewalterfahrungen – auch im Erwachsenenalter, so etwa in der Beziehung –, Ängste und Depressionen (Child Welfare Information Gateway 2016, 3). Wenn sie inhaftiert werden, dürften die Schäden für eigene kleine Kinder deutlich größer sein als bei einer Inhaftierung eines Vaters, auch wegen einer deutlicheren Stigmatisierung der Familien. Besemer u. a. (2017, 164) fanden in ihrer Ana-

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lyse, dass nur 37 % der inhaftierten Frauen angegeben haben, dass während ihrer Haft ihr Partner die Kindererziehung übernommen habe. Wenn dagegen der Vater inhaftiert wird, übernehmen 88 % der Frauen die weitere Kindererziehung. Eine Inhaftierung der Mutter hat somit in aller Regel weitreichendere Auswirkungen auf vorhandene noch kleine Kinder als eine Inhaftierung des Vaters (Besemer 2012). Jungen äußern die hier entstehenden Probleme einer Trennung von einer Erziehungsperson mehr in externalisierten Aktionen, wie Delinquenz, Aggression bzw. antisozialem Verhalten; Mädchen internalisieren dagegen ihre erlebten Probleme eher, indem sie etwa Ängste bzw. Depressionen entwickeln (Besemer 2012, 16). Nach der Analyse von Besemer u. a. (2017) war die Übertragung des straffälligen Verhaltens von einer Generation zur nächsten deutlicher von Müttern auf die Töchter, gefolgt von Müttern auf die Söhne, Väter auf die Töchter und Väter auf die Söhne. Elterliches kriminelles Verhalten ist ein Risikofaktor für Mädchen und Jungen. Ein Großteil der Forschung hat sich auf den Effekt väterlichen Verhaltens auf die eigenen Kinder bezogen, weniger auf die Mütter (Tzoumakis u. a. 2019, 8). Farrington u. a. (2009) fanden, dass väterliches straffälliges Verhalten einen größeren Effekt auf kindliches straffälliges Verhalten hatte als mütterliches, einige Autoren fanden gleiche Übertragungswahrscheinlichkeiten bei beiden Elternteilen (Beaver 2013). Tzoumakis u. a. (2019, 24) fanden, dass in der frühen und mittleren Kindheit mütterliches straffälliges Verhalten einen größeren Effekt auf kindliche Abweichungen zu haben scheint. Werden weitere Risikofaktoren berücksichtigt, nähern sich die Werte dem Einfluss der Väter an. Es konnte auch gezeigt werden, dass hochkriminelle Väter ihr abweichendes Verhalten umso mehr auf die Kinder übertragen, je mehr sie mit diesen zusammen sind (Jaffee u. a. 2003). Besemer u. a. (2017) fanden weiterhin, dass die Zusammenhänge stärker waren bei den vor 1981 geborenen Kohorten, was sie mit einem Wechsel in der Kriminalpolitik hin zu härteren Reaktionen nach den 1980er Jahren erklären (2017, 161). „… in the 1950s, 1960s and even 1970s most penal policies were focused on rehabilitation and reintegration, but the 1980s marked a shift toward more punitive sentencing, in Europe as well as the United States“ (Besemer u. a. 2017, 164).

Straus u. a. (1980) fanden, dass Kinder, die von einem Elternteil desselben Geschlechts missbraucht wurden, mit größerer Wahrscheinlichkeit selbst aggressive Straftaten ausüben, als wenn der missbrauchende Elternteil vom anderen Geschlecht ist. Gerade auch hinsichtlich organisierter Kriminalität zeigten sich deutliche Zusammenhänge zwischen elterlichem straffälligem Verhalten und kindlicher Auffälligkeiten. Einschlägige Ergebnisse von Spapens & Moors (2019) zeigen bei Männern einen deutlichen Zusammenhang von entsprechendem straffälligem Verhalten über die Generationen hinweg, auch bei Frauen waren die Zusammenhänge allerdings deutlich. Die Familien schotteten sich weitgehend ab, waren Teil einer Subkultur, neue Mitglieder wurden vor diesem Hintergrund gezielt ausgewählt.

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Nach bisherigen Untersuchungen kann zusammenfassend festgestellt werden (Besemer u. a. 2017, 163): „Persons involved in CB [Criminal Behavior, Anm. d. Autors] are more likely to have children at a younger age, experience structural adversity, continue to engage in antisocial behavior as a parent, have increased substance use, experience more stress, and have weaker prosocial bonds in adulthood. All of these factors, in turn, lead to difficulties in childrearing, such as a lack of supervision and monitoring of children, erratic parenting styles, and lower levels of affection between parent and child, each of which is a risk factor for CB in children and adolescents.“

Kinder, deren Eltern straffällig wurden, können weniger humanes und soziales Kapital entwickeln, haben weniger Gelegenheiten für eine gute Ausbildung und weisen somit Defizite auf, die sie ihrerseits wieder an ihre eigenen Kinder weitervermitteln (Hagan & Parker 1999).

3. Theoretische Erklärungsansätze Die theoretischen Hintergründe für eine Übertragung straffälligen Verhaltens von einer Generation zur folgenden werden in unterschiedlichen Zusammenhängen gesehen, so nach Besemer u. a. (2017, 163) oder Farrington (2011) vor allem etwa in sozialen Lernprozessen, einer kriminogenen Umgebung, dem Umgang des Kriminaljustizsystems mit den Abweichlern und dadurch einer Stigmatisierung der Betroffenen, der Tendenz vor allem Jugendlicher aus belasteten Familien, sich mit Gleichgesinnten zusammenzuschließen, oder in genetischen Faktoren. Nach der sozialen Lerntheorie wird das Verhalten von Kindern insbesondere von den Eltern und der näheren sozialen Umgebung geprägt. Eltern stellen in der Regel die wesentlichen Kontaktpersonen vor allem kleiner Kinder dar. Kinder übernehmen, insbesondere bei engen und guten Kontakten, Einstellungen und Verhaltensweisen von ihren Eltern, auch was abweichendes Verhalten betrifft (Child Welfare Information Gateway 2016). Bandura (1977) betonte die Bedeutung von Rollenmodellen für das Verhalten der Kinder. Eine weitere wesentliche Ursache für eine Übertragung straffälligen Verhaltens von Generation zu Generation, die auch soziale Lernprozesse unterstützt, wird in einer „kriminogenen Umgebung“, welche Risikofaktoren enthält, gesehen. Zu dem Syndrom werden etwa gezählt das Aufwachsen in einem Umfeld mit hoher Arbeitslosigkeit, großer Armut mit Verwahrlosungserscheinungen, Drogenmissbrauch, Alkoholproblemen oder einem hohen Anteil an Bewohnern mit einer unklaren Lebensperspektive bzw. aggressivem Verhalten (Becket & Sasson 2004). In diesem Kontext wird kriminelles Verhalten etwa nicht nur direkt durch die Eltern vermittelt, sondern durch ein Zusammentreffen antisozialer und kriminogener Umstände im Umfeld. Jugendliche, die in einem solchen Umfeld aufwachsen, gruppieren sich, vor allem bei gestörten oder von den Eltern wenig unterstützenden und

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kontrollierenden Kontakten zu ihnen, vielfach mit anderen sozialisationsgestörten Jugendlichen, was die Entstehung straffälliger Aktionen eher fördert (Sampson & Laub 1997; Laub & Sampson 2003; Eifler & Schepers 2018). Vor allem Jugendliche haben die Tendenz, sich mit anderen Gleichgesinnten zusammenzuschließen, ein Bemühen, das insbesondere bei denen ausgeprägt ist, die sich in ihrer Herkunftsfamilie wenig eingebunden, akzeptiert und unterstützt fühlen. Moffitt u. a. (2001, 185) beschreiben dieses „assortative mating“ als Tendenz, „to affiliate with those who are similar to them, and antisocial people tend to marry or cohabit and have children with other antisocial people“. Der Zusammenschluss mit Gleichgesinnten kann straffälliges Verhalten begünstigen, was sich auch darin zeigt, dass Jugendkriminalität weitgehend Gruppenkriminalität ist. So gaben etwa in unserer Befragung von jugendlichen Inhaftierten in Baden-Württemberg 42,1 % an, sie hätten die Straftaten nur in Gruppen begangen (Kury 1979; vgl. oben; Thornberry u. a. 1994; Oberwittler 2018, 299 ff.). Bei diesen Zusammenhängen muss vor allem auch beachtet werden, dass sie vorwiegend für schwerer und über einen längeren Zeitraum straffällig gewordene Jugendliche gelten. Es müssen in der Regel mehrere ungünstige Faktoren zusammenkommen, um bei einem Jugendlichen straffälliges Verhalten zu bewirken. „Die Frage, ob und ggf. wie durch Benachteiligungen gekennzeichnete Lebensbedingungen zu strafrechtlich relevanten Handlungen führen, ist … deliktspezifisch zu stellen und sie muss die konkreten sozialen Kontexte und Prozesse berücksichtigen, in denen die Auseinandersetzung mit der eigenen Lebenssituation dazu führen kann, dass sich strafbare Praktiken ggf. als eine notwendig oder legitime [sic] darstellen“ (Scherr 2018, 291). Hierbei sind vor allem auch Selektionsprozesse der Strafverfolgungsbehörden zu berücksichtigen. Eine wesentliche Rolle hinsichtlich einer Übertragung straffälligen Verhaltens auf die nächste Generation wird vor allem auch im Vorgehen der Vertreter des Kriminaljustizsystems etwa der Polizei oder der Gerichte gesehen, in einem bestehenden „official bias“, einer selektiven Strafverfolgung „Auffälliger“ (vgl. Besemer u. a. 2017, 163). Hier können negative Voreinstellungen gegenüber straffälligen Familien bestehen, die dazu führen, dass deren Mitglieder im Sinne eines Labeling eine höhere Wahrscheinlichkeit haben, als Straftäter verfolgt und registriert zu werden (Albrecht 1993, 498 f.). Besemer (2012, 99) betont in diesem Kontext, „police are more likely to patrol large public housing projects or deprived neighbourhoods rather than the suburbs or richer areas, and, consequently, people living in those areas are more likely to be arrested“. Manche Bürger haben somit ein höheres Verurteilungsrisiko, nicht weil sie mehr Straftaten begehen, sondern lediglich weil ihre Eltern straffällig wurden oder sie in ärmeren, mehr problembelasteten Stadtteilen oder Landesteilen aufwachsen, was insbesondere für die USA in verschiedenen Studien deutlich gezeigt wurde (vgl. etwa Becket & Sasson 2004).

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Ein Einfluss von Labeling-Prozessen ist nach verschiedenen Studien stärker bei Menschen, die bereits in einer benachteiligten Situation sind, etwa weil sie einen verurteilten Elternteil haben. Eine Bestätigung für diese Annahme fanden Besemer u. a. (2013) auch in den Resultaten der Cambridge Study of Delinquent Development. Die Daten zeigen, dass die Verurteilung eines Elternteils zu einem erhöhten Verfolgungsrisiko bei den Nachkommen führte (Besemer u. a. 2017, 163). West & Farrington (1977) stellten auch eine erhöhte Rate selbstberichteter Delinquenz bei Söhnen von straffälligen Vätern im Vergleich zu nicht verurteilten Eltern fest. Das zugeschriebene Label als „Krimineller“ beeinflusst mit großer Wahrscheinlichkeit auch die Selbstwahrnehmung der Betroffenen. Angehörige von marginalisierten Gruppen haben in der Regel auch eine geringere Beschwerdemacht, sind meist weniger gut über das Strafverfolgungssystem und Möglichkeiten informiert, sich gegen eine Strafverfolgung zu wehren, auch aufgrund finanzieller Einschränkungen. Wird die Strafe von den Betroffenen etwa als unfair oder ungerecht erlebt, kann dies zu einer weiteren negativen Einstellung gegenüber Strafverfolgungsorganen und einer Reduzierung der Mitarbeit führen. So fand Farrington (1977) bei Verurteilten eine zunehmende Ablehnung und eher feindliche Einstellung gegenüber der Polizei. Ein Labeling benachteiligter Gruppen ist vor allem auch aus ethischen Gründen nicht zu akzeptieren. „We live in a democratic, fair society where everyone should be treated equally and thus official bias should be avoided“ (Besemer 2012, 102). Das vor allem auch deshalb, weil die Autorin in ihrer Studie nachweisen konnte, dass eine benachteiligende Behandlung Betroffener durch staatliche Organe wie Polizei und Justiz zu einer Zunahme straffälligen Verhaltens beitrug. „Instead of decreasing or preventing crime, by their actions the official agencies appear to increase offending behavior“ (Besemer 2012, 102). Vergleichbare Zusammenhänge fanden etwa auch McAra & McVie (2005, 5). Auch ein Einfluss genetischer Faktoren wird als Grund für eine Übertragung straffälligen Verhaltens auf die nächste Generation gesehen (Besemer u. a. 2017, 163; Farrington 2011; González-Tapia & Obsuth 2015). Nach Besemer u. a. (2017) haben Untersuchungen auf physiologische Ursachen für straffälliges, antisoziales, insbesondere gewalttätiges aggressives Verhalten hingewiesen, die zumindest teilweise vererbt werden können, wie etwa ein erhöhter Testosteronspiegel (Olweus 1987) oder eine niedrige Ruhe-Herzfrequenz (Farrington 2007). „These biological bases tend to be (partly) hereditary and as such they could explain intergenerational transmission“ (Besemer 2012, 6 f.). Die Autorin führt zahlreiche Untersuchungen an, die einen solchen Zusammenhang unterstützen, betont allerdings einschränkend: „A genetic predisposition for aggressive behavior does not necessarily mean that someone will actually develop this behaviour; it is not a deterministic process. The einvironment will influence how the genetic potential develops“. Auch Junger u. a. (2013, 125 f.) betonen, es gebe zahlreiche Forschungsergebnisse, die eine genetische Komponente bei der Übertragung straffälligen Verhaltens von einer Generation auf die nächste unterstützen würden. Eine Metaanalyse von ein-

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schlägigen Untersuchungen von Rhee & Waldman (2002) kommt zu dem Ergebnis, dass 32 % der Varianz in Messungen antisozialen Verhaltens genetischen Effekten zugeschrieben werden könne. Zusammenhänge zwischen sozialen und körperlichen Prozessen werden in zahlreichen Studien belegt, etwa aus der Säuglings- oder Therapieforschung (Goleman 2006). Wie etwa auch Oyama (2000) betont, gibt es keinen genetischen Determinismus, es bestehe vielmehr ein „developmental system“. Kreissl (2018, 193) betont in diesem Zusammenhang: „Die Befunde der neueren Biowissenschaften, von Genetik über Neurowissenschaften bis hin zu den vielen Spezialisierungen der sogenannten Life-Sciences, sind wichtig und können für die Soziologie, auch für die soziologische Erklärung abweichenden Verhaltens, einiges beitragen. Dazu wäre es allerdings erforderlich, dass auch die Sozialwissenschaften ein präziseres Verständnis von sozialen Prozessen entwickeln. … Es gibt kaum disziplinübergreifende Untersuchungen über die Genese abweichenden Verhaltens, die soziologische und neurowissenschaftliche Befunde in einer nicht-reduktionistischen Art und Weise verknüpfen“.

4. Präventionsmaßnahmen Die Prävention straffälligen Verhaltens, vor allem auch dessen „Weitergabe“ von einer Generation zu den folgenden, sollte ein ausgesprochen wichtiger Bereich von Kriminalpolitik sein, auch aus finanziellen Gründen. Kosten-Nutzen-Untersuchungen haben, auch für Deutschland, immer wieder überzeugend gezeigt, dass sich Investitionen gerade in die Prävention häuslicher Gewalt langfristig auszahlen (Sacco 2017). In der Literatur finden sich zahlreiche Ansätze und konkrete Vorschläge für Präventionsprogramme. Sherman (1998, 44 ff.) etwa beschreibt spezifische Präventionsansätze, wie z. B. Trainings- und Unterstützungsprogramme für problembelastete Eltern und Familien. Bei Tomison (1996) lassen sich Beispiele von Hilfseinrichtungen für Familien mit Problemen in Australien und deren Ansätze finden. Gefährdete Kinder können bereits in den ersten Jahren nach ihrer Geburt identifiziert werden (Junger u. a. 2013, 125). Die Betroffenen zeigen später nicht nur eine höhere Kriminalitätsbelastung, sondern auch in vielen anderen Bereichen Belastungen, wie Depressionen, Persönlichkeitsstörungen oder Abhängigkeiten von Drogen bzw. Alkohol, Probleme, die neben dem Leid insbesondere auch erhebliche gesellschaftliche Kosten verursachen. Serbin u. a. (1998) fanden, dass aus aggressivem Verhalten und depressiven Symptomen bei Mädchen in der Schule bereits im Alter von 5 bis 13 Jahren vorausgesagt werden konnte, wieweit deren Kinder nahezu 20 Jahre später ein aggressives bzw. zurückgezogenes Verhalten zeigten. Es muss vor allem um Hilfe hinsichtlich der Bewältigung von Belastungen gehen und nicht vorrangig um eine Bestrafung des abweichenden Verhaltens. „Purely punitive or deterrent measures showed zero or even negative effects“ (Lösel 2012, 197). Vor allem sollte bei schwer geschädigten Kindern auch deren Beziehung zur Herkunftsfamilie geklärt werden (Child Welfare Information Gateway 2016, 4).

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Nach Lowenstein (1986) erlitten 40 % der Kinder mit inhaftierten Eltern emotionale und Gesundheitsprobleme, oft Albträume, Furcht vor Dunkelheit oder Isolierung. Vielfach entwickeln die Kinder Posttraumatische Belastungsstörungen (McCloskey & Walker 2000). Kinder werden durch die Verhaftung eines Elternteils oft völlig unvorbereitet aus ihrer sozialen Umgebung gerissen, kommen etwa zu Verwandten oder Freunden der Familie, die oft auch finanzielle Probleme haben, oder in ein Heim (Mumola 2000). Die Kinder von Inhaftierten werden von der Gesellschaft weitgehend vergessen und bleiben vielfach unbeachtet (Kury 2020b; 2020c), teilweise waren die Kinder schon vor einer elterlichen Inhaftierung „auffällig“ (Huebner & Gustafson 2007), den Familien wird dann allzu schnell generell die alleinige Verantwortung für ihre Situation zugeschrieben. Man fühlt sich in der Öffentlichkeit in der alten Regel bestätigt: „Der Apfel fällt nicht weit vom Stamm“ (Thornberry 2009). Vielfach verleugnen die Mütter gegenüber kleinen Kindern die Inhaftierung des Vaters, um sie zu schützen, was allerdings nur bei kleinen Kindern funktionieren wird und die Situation in der Regel verkompliziert. Der Freiburger „Verein für systemische Therapie von straffällig gewordenen Menschen, deren Angehörigen sowie Menschen in schwierigen Lebenssituationen“ (Cocon e.V. Freiburg 2020, 2) macht deutlich, wie die Mütter sich vielfach bemühen, die Kinder vor den wahren Hintergründen der Abwesenheit des Vaters zu „verschonen“. Die Belastung des Familienzusammenhaltes kann dazu führen, dass sich die Kinder vermehrt Peers zuwenden und diese für sie mehr und mehr bevorzugte Rollenmodelle darstellen (Hagan & Dinovitzer 1999, 123). Die Bedeutung von familienzentrierten Interventionsprogrammen, vor allem auch bei Kindern Inhaftierter, wird immer wieder betont (Besemer 2012, 146). Daneben sollten die Familien vor allem auch finanziell unterstützt werden. Die sozialen Hintergründe für das straffällige Verhalten sollten möglichst beachtet werden. Behandlungsansätze für geschädigte Familien können sich auch aus Erfahrungen zur Behandlung von Betroffenen anderer traumatischer Erlebnisse ergeben (vgl. Drexler 2019). Der Kontakt zwischen Inhaftierten und Kindern sollte durch die Vollzugsanstalten möglichst unterstützt werden, etwa durch großzügige Besuchsmöglichkeiten, insbesondere bei Langzeitinhaftierten. Gerade bei dieser Gruppe zeigte sich nach Besemer (2012, 125) ein stabiler positiver Zusammenhang zwischen der Länge und der Zahl der elterlichen Inhaftierungen einerseits und dem straffälligen Verhalten der Nachkommen andererseits. Die Gestaltung und Praktizierung des Strafvollzugs können zur Verringerung der Schäden bei den Familienangehörigen, vor allem auch bei den Kindern beitragen. So führt etwa Besemer (2012, 122) die von ihr gefundenen geringeren negativen Auswirkungen einer Inhaftierung eines Elternteils auf die Kinder in den Niederlanden im Vergleich zu England darauf zurück, dass der Strafvollzug in den Niederlanden wesentlich humaner gestaltet ist als in England. So waren vor allem auch die Kontaktmöglichkeiten der Gefangenen zu ihren Kindern besser. Weiterhin betont die Autorin, dass die Kriminalpolitik zur Zeit der Datenerhebung (1946 – 1981) in den Nie-

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derlanden deutlich liberaler war als in England. Auch die Unterstützung von Familien von Inhaftierten war in den Niederlanden als „Wohlfahrtsstaat“ deutlich besser ausgeprägt als in England.

5. Diskussion Die empirisch-kriminologische Forschung zeigt deutlich und weitgehend einheitlich einen Zusammenhang zwischen straffälligem Verhalten von Eltern bzw. Erziehungspersonen, vor allem aggressiven Taten, und abweichendem Verhalten bei den Nachkommen, ein Ergebnis, dass unter Berücksichtigung theoretischer Überlegungen nicht überraschen kann. Längsschnittstudien können Zusammenhänge deutlich machen, allerdings blieben diese nicht ohne Kritik. So betonen etwa Gottfredson & Hirschi (1987), Längsschnittstudien könnten kaum Kausalzusammenhänge aufzeigen, diese seien sehr komplex, vielfach würden latente Variablen eine Rolle spielen, die nicht umfassend erfasst würden. Lebensereignisse würden keine unabhängigen Einflussgrößen auf den Verlauf von Delinquenz darstellen, vielmehr seien sie von Eigenschaften der Betroffenen abhängig, einzelne Ereignisse träfen Personen nicht zufällig. Auch Parsons-Pollard (2011) weist auf methodische Probleme bei vielen Studien hin, die eine Verallgemeinerbarkeit der Resultate vielfach einschränken. Gerade was Kriminalität gegenüber Kindern angeht ist insbesondere auch von einem hohen Dunkelfeld auszugehen, vor allem was Straftaten in der Familie betrifft. Die World Health Organization – WHO (2007, 1) etwa betont in ihrem Bericht: „Prevalence studies on child abuse and neglect involving victim surveys indicate that the number of people who have been maltreated in childhood is ten times greater than that reported.“ Das soziale Umfeld, in welchem Kinder aufwachsen, prägt deren Einstellungen und das eigene Verhalten, je enger die Beziehung zu den Erziehungspersonen ist, umso intensiver und stabiler, das gilt offensichtlich nicht nur für positives, sondern auch für negatives unerwünschtes Verhalten. Besemer & Murray (2015) betonen, schlimm sei nicht die eigentliche Inhaftierung für die Kinder, sondern das antisoziale straffällige Verhalten, das dazu führt. Ein positiver Effekt ist lediglich dann zu erwarten, wenn durch eine Inhaftierung ein (schwer) missbräuchlicher Elternteil aus der Familie genommen wird und Kinder nun eine bessere Entwicklungsmöglichkeit haben. Hagan & Dinovitzer (1999, 123) betonen in diesem Zusammenhang: „there obviously are cases involving the imprisonment of negligent, violent, and abusive parents where the imprisonment of the parents benefits the children by removing serious risks of current and future harm“. In solchen Fällen kann sich die Inhaftierung auch positiv auf die Entwicklung des Sozialkapitals der Kinder auswirken (Jaffee u. a. 2003). Nach Hagan & Dinovitzer (1999, 128) habe die Forschung deutlich machen können, „that imprisoned parents and their children are already different from parents

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and their children who are not imprisoned, prior to the imposition of a prison sentence“. Sampson & Laub (1997) sprechen von einer „Life-Course Theory of Cumulative Disadvantage“. Auch Murray & Farrington (2008, 163) betonen, dass „parental criminality, parental mental illness, and other environmental risks before parental imprisonment might cause child behaviour problems, rather than parental imprisonment itself“. Die Inhaftierung eines Elternteils spielt hinsichtlich der weiteren Entwicklung der Nachkommen allerdings insofern eine wesentliche, in aller Regel negative Rolle, als dadurch eine (zusätzliche) erhebliche Stigmatisierung der Betroffenen eintritt (Kury 2020c). Die Auswirkungen einer Inhaftierung eines Elternteils auf die höhere Kriminalitätsrate der Nachkommen ist nach Besemer „not necessarily because they commit more crime, but because their parents are known offenders and because they live in poorer social circumstances characterised by having a father with a poor job record, low family income and poor housing. … This is a crucial finding, and at the same time ethically undesirable. This finding conflicts with the UN Convention on the Rights of the Child“ (Besemer 2012, 147).

Artikel 2 der UN – Kinderrechtskonvention (UNICEF) betont, dass die Vertragsstaaten sich verpflichten, „dem Kind unter Berücksichtigung der Rechte und Pflichten seiner Eltern, seines Vormunds oder anderer für das Kind gesetzlich verantwortlicher Personen den Schutz und die Fürsorge zu gewährleisten, die zu seinem Wohlergehen notwendig sind; zu diesem Zweck treffen sie alle geeigneten Gesetzgebungs- und Verwaltungsmaßnahmen.“

Artikel 3 betont ergänzend: „Die Vertragsstaaten stellen sicher, dass die für die Fürsorge für das Kind oder dessen Schutz verantwortlichen Institutionen, Dienste und Einrichtungen den von den zuständigen Behörden festgelegten Normen entsprechen, insbesondere im Bereich der Sicherheit und der Gesundheit sowie hinsichtlich der Zahl und der fachlichen Eignung des Personals und des Bestehens einer ausreichenden Aufsicht.“

Die Entwicklung der Kriminalpolitik ist trotz solcher Forderungen vielfach noch mehr auf Sanktionen und Einschränkungen der Betroffenen ausgerichtet. Was etwa die USA betrifft, wird nach Parsons-Pollard (2011) geschätzt, dass ca. 809.800 der Inhaftierten eigene Kinder haben (53,3 %), die Zahl der inhaftierten Frauen habe stärker zugenommen als bei Männern. Mehr als 7 Millionen Kinder hätten in dem Land Eltern, die unter einer Form von strafrechtlicher Kontrolle stehen. Hairston u. a. (2004) fanden, dass 54 % der US-Gefangenen mit kleinen Kindern diese seit ihrer Inhaftierung nicht mehr gesehen haben. Die meisten Kinder haben, wenn überhaupt, meist nur schriftlichen bzw. telefonischen Kontakt zu dem inhaftierten Elternteil. Nach Mumola (2000) sind 60 % der inhaftierten Eltern in State Prisons und 85 % derjenigen in Federal Prisons mehr als 100 Meilen von ihrem letzten Wohnort entfernt untergebracht, was bedeutet, dass Besuche erhebliche Kosten verursachen kön-

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nen, die von den vielfach einkommensschwachen Angehörigen nicht gedeckt werden können, abgesehen von insgesamt restriktiven Besuchsbedingungen. Auch Besemer (2012, 126) betont, dass die Einflüsse einer Inhaftierung der Eltern auf die Nachkommen heute bei einer vielfach punitiveren Politik eine größere Bedeutung bekommen, da mehr Kinder mit der Inhaftierung eines Elternteils konfrontiert werden. Sie hebt als Präventionsmaßnahme auf eine Ausweitung der Kontaktmöglichkeiten zwischen Gefangenen und ihren Kindern ab, etwa die Einrichtung besonderer Besuchsmöglichkeiten für Kinder und eine finanzielle Unterstützung für die zurückgebliebenen Familien. Vor allem ältere Kinder und Heranwachsende sollten unterstützt werden, da die Einflüsse der Inhaftierung hier besonders gravierend seien. Für Deutschland wirkt sich hinsichtlich der Problematik eine in den letzten Jahrzehnten zurückgehende Gefangenenrate günstig aus. Es liegen inzwischen, trotz aller Einschränkungen aufgrund methodischer Probleme bei einzelnen Studien, überzeugende Ergebnisse vor, etwa über den Einfluss sozialer Bedingungen hinsichtlich einer Entwicklung von Kriminalität, vor allem auch über die in aller Regel negativen Auswirkungen einer Inhaftierung auf die Nachkommen, weiterhin die erheblichen Kosten der praktizierten Sanktionspolitik. Gleichzeitig wurden überzeugende Vorschläge von wissenschaftlicher Seite in Bezug auf ein besseres Vorgehen hinsichtlich einer Prävention von Kriminalität gemacht. Trotzdem sind Veränderungen in der Praxis nur schwer zu erreichen. „It appears as if prison and criminal justice policies have too often ignored viable theories or valid empirical data“ (Besemer u. a. 2017, 171). Politiker sind in aller Regel wenig über kriminologische Forschungsergebnisse informiert, und vor allem auch nur eingeschränkt daran interessiert. Nach ihrem Empfinden sind in einem ständigen parteipolitischen Wettkampf die Ergebnisse von Umfragen zur Einstellung der Bevölkerung, etwa auch zum Umgang mit Straftätern, bedeutender, die ihnen Auskunft über die Akzeptanz ihrer Politik und damit ihrer Chancen, (wieder)gewählt zu werden geben, „investing in more criminal justice seems a waste of time and money“ (Junger u. a. 2013, 128). Graebsch (2018, 212) kommt aufgrund ihrer Analyse unterschiedlicher Vorgehensweisen zur Reduzierung von Jugendkriminalität zu dem Ergebnis: „Es spricht … ausgesprochen wenig dafür, dass Forschungsergebnisse, die die Unwirksamkeit oder gar Schädlichkeit von Sanktionen oder Programmen für das Ziel der Rückfallreduktion zeigen, zu entsprechenden Veränderungen in Politik und Praxis führen“. Auch die Vorstellung von Farrington (2013), dass Kosten-Nutzen-Analysen, die immer wieder zeigen konnten, dass die gegenwärtige Kriminalpolitik deutlich teurer ist als längst vorgeschlagene Alternativen, helfen könnten, die Politiker zu einem Umdenken zu motivieren, scheint nur eingeschränkt erfolgversprechend. Die Politik richtet sich vor dem Hintergrund eigener Interessen nach der Einstellung der Öffentlichkeit, dasselbe gilt weitgehend für die Medienberichterstattung. In den letzten Jahrzehnten ist der Wunsch nach mehr Sicherheit in Zusammenhang mit einer umfangreicheren und vor allem selektiven Berichterstattung über Kriminalität

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(vgl. Hestermann 2016) immer mehr in den Vordergrund getreten. In diesem Zusammenhang erweitert nach Klimke (2008, 42) „der Populismus der Kriminalpolitik … den Umfang des Strafrechts“. Hassemer betont in diesem Zusammenhang, das Strafrecht bewege sich vor allem „wie andere Bereiche unseres Lebens auch, im Spannungsverhältnis von Sicherheit und Freiheit seit geraumer Zeit hin zum Pol der Sicherheit. In dieser Bewegung verschärft sich das Strafrecht, es verbessert sich nicht. … Es antwortet damit auf eine wachsende Angst der modernen Gesellschaft vor unbeherrschbaren Risiken, auf verbreitete Kontrollbedürfnisse, auf Prozesse normativer Desorientierung, in denen Gewissheiten verblassen, auf die wir uns früher blind verlassen haben“ (Hassemer 2009, 285 f.). Eine Veränderung dürfte wohl nur zu erreichen sein, wenn es gelingt, die Öffentlichkeit mehr und mehr vom Nutzen einer besseren Kriminalpolitik zu überzeugen. Da ist dann vor allem die Kriminologie gefordert.

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Heiß und hitzig – Was hat der Klimawandel mit der Kriminologie zu tun? Von Rita Haverkamp

1. Einleitung Hans-Jörg Albrecht zeichnet ein breites wissenschaftliches Œuvre aus. Zu seinen vielfältigen Forschungsinteressen gehört auch die Umweltkriminalität (Albrecht 1983, 278 ff.; 1993, 555 ff.; 1987, 1 ff.). Immer noch handelt es sich bei der Umweltkriminologie um eine kriminologische Nische. Etwas besser sieht es im Strafrecht aus. Seit im Jahr 1980 die Gesetzgebung das Erste Gesetz zur Bekämpfung der Umweltkriminalität (1. UKG) im neu geschaffenen 28. Abschnitt in das Strafgesetzbuch einfügte, ist in den letzten vier Jahrzehnten ein Schrifttum im Allgemeinen und im Besonderen entstanden (vgl. nur Thomas 2015). In diesem Kontext kommt HansJörg Albrecht in jüngerer Zeit das Verdienst zu, eine kriminologische Doktorarbeit zur Vollzugspraxis des Umweltstrafrechts und Umweltordnungswidrigkeitenrechts im Längsschnitt angestoßen und betreut zu haben (Klüpfel 2016). Angesichts des anthropogenen Klimawandels verwundert das weitgehende Schweigen in der deutschen Kriminologie hierzu. Während sich im angloamerikanischen Raum mittlerweile eine Kriminologie des Klimawandels etabliert hat (White 2018), steckt diese in Deutschland – wohlwollend formuliert – in ihren Kinderschuhen (Gnüchtel 2013, 14 ff.). Vorliegend werden Erkenntnisse aus der Green Criminology und der deutschen Forschung vorgestellt, um dann auf den Klimawandel aus kriminologischer Sicht einzugehen.

2. Kriminologie der „Umwelt“ Zunächst ist die Bezeichnung „Kriminologie der Umwelt“ irreführend, denn bei der Onlinerecherche finden sich unter dem Stichwort „Umwelt“ und „Kriminologie“ andere kriminologische Forschungstraditionen. Zum einen stellt sich innerhalb der Kriminalitätstheorien seit Jahrzehnten die Frage nach den Wechselwirkungen zwischen Anlage und Umwelt für kriminelles Verhalten (vgl. nur Dölling & Hermann 2001, 153 ff.). Zum anderen sind die Begriffe mit der Chicagoer Schule assoziiert, nach der unter dem Emblem „Sozialökologie“ das Verhältnis zwischen der räumlichen Umwelt, den Anwohnenden und kriminellem Verhalten erkundet wurde (hierzu

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Bruinsma & Weisburd 2014, 2164 ff.). Hieraus entwickelten sich verschiedene Spielarten der ökologischen Kriminalitätstheorien. Als klassisch gilt die sozialökologische Theorie der sozialen Desorganisation (Shaw & McKay 1972 (1942), 435 ff.), am prominentesten dürfte aber der kriminalökologische Broken-Windows-Ansatz (Willson & Kelling 1996, 116 ff.) sein. Aufgrund dessen hat sich in der angloamerikanischen Kriminologie die Bezeichnung „Green Criminology“ als Oberbegriff durchgesetzt.1

2.1 Green Criminology Im Laufe der 1990er Jahren entstand in der angloamerikanischen Wissenschaft die „Green Criminology“ als ein kritischer und nachhaltiger Ansatz zur Erforschung von Umweltkriminalität (South 1998, 225). Allgemein formuliert, umfasst die Green Criminology die biophysikalischen und sozioökonomischen Folgen von Umweltschäden; infolgedessen überschreitet sie die Grenzen der Kriminologie und erfordert die Einbeziehung theoretischer und empirischer Erkenntnisse anderer Wissenschaftsdisziplinen (Lynch 2020, 51). Entsprechend breit ist das interdisziplinäre Forschungsspektrum angelegt und erstreckt sich nicht nur auf Umweltschäden, sondern auch auf deren Ursachen und Erklärungen, die Gesetzgebung, die Implementation und den Vollzug von Umweltschutzgesetzen sowie auf Umweltgerechtigkeit und die Viktimisierung von Mensch, Tier und Umwelt (South et al. 2014, 2177). Seit ihren Anfängen verknüpfen Anhängerinnen und Anhänger die Green Criminology mit einer politischen Agenda. Das diesbezügliche Meinungsspektrum geht auseinander und reicht von einer antikapitalistischen Position (Lynch & Stretsky 2003, 232 f.) über den Schutz der Umwelt und einem natürlichen Ressourcenmanagement innerhalb des Rechts bis hin zur globalen und ökologischen Orientierung der Forschung verbunden mit der Entwicklung neuer Konzepte zur besseren Erfassung der Natur und der Dynamiken von Umweltschäden. Diese Politisierung lähmt womöglich die Theoriebildung (White 2018, 1980), die bislang nur in Ansätzen aus der herkömmlichen Kriminologie vorhanden ist (z. B. Agnew 2013, 58 ff.; Überblick bei Brisman 2014, 22 ff.), und ebenso die empirische Forschung, vor der die meisten Vertreterinnen und Vertreter der Green Criminology bislang zurückscheuen (Lynch 2020, 57). Aufgrund dessen stellt die Green Criminology weniger einen Forschungszweig als eine Forschungsperspektive innerhalb der Kriminologie dar (South 1998, 212). Die erste Begriffsbestimmung von Green Criminology stammt von Lynch aus dem Jahr 1990 (Lynch 1990, 2 f.). Danach sind Green Crimes „(1) harms caused to living beings through the creation of environmental hazards; (2) existing at the local and global levels; (3) outcomes tied to corporate and state crimes; and (4) as the subject 1 In der Encyclopedia of Criminology and Criminal Justice erläutern White (2014, 1976 ff.) die Green Criminology und South et al. (2014, 2172) deren Geschichte und verwenden im Text oft den Begriff „Environmental Crime“.

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matter of radical criminology and political economic theory/analysis, and its concern with class analysis“ (Lynch 2020, 52). Seither ist eine Vielzahl von unterschiedlichen und umstrittenen Definitionen hinzugekommen (White 2014, 1977). Innerhalb dieser Definitionsfülle lassen sich zwei Richtungen ausmachen: Während sich nach der engen Auslegung Umweltkriminalität auf entsprechende Straftaten und Ordnungswidrigkeiten beschränkt, geht es – wie bei der vorerwähnten Definition von Lynch – bei der dominanten weiten Auslegung um Schäden an der Umwelt und Tierwelt ungeachtet von deren Strafbarkeit (Lynch 2020, 1977). Eine andere weite Definition von Umweltkriminalität oder -schaden umfasst White (2014, 1977) zufolge: „[t]ransgressions that are harmful to humans, environments, and nonhuman animals, regardless of legality per se [and] [e]nvironmental-related harm that are facilitated by the state, as well as corporations and other powerful actors, insofar as these institutions have the capacity to shape official definitions of environmental crime in ways that allow or condone environmentally harmful practices.“

Vor allem bei der weiten Auslegung tun sich Parallelen zur White-Collar-Kriminalität bzw. Wirtschaftskriminalität, Regierungskriminalität, Makrokriminalität und Kriminalität der Mächtigen auf (Lynch 2020, 51). In Wirtschafts- und Umweltsachen hemmen der schwierige Zugang zu Akten und Interwiewpartnerinnen und -partnern sowie die Komplexität von größeren Fällen verbunden mit einem großen Aktenaufkommen eine (Weiter-)Entwicklung der empirischen Forschung (Lynch 2020, 51). Im Angesicht des Klimawandels ist ein Bedeutungszuwachs der Green Criminology zu erwarten und damit einhergehend ein stärkerer Fokus auf die Theoriebildung und die empirische Forschung. Außerhalb des englischsprachigen Kosmos finden Abhandlungen zur Umweltkriminalität in anderen Sprachen in der angloamerikanischen Kriminologie kaum Beachtung (South et al. 2014, 2173).2 Diese Feststellung gilt ebenso für die Forschung hierzu aus Deutschland, auf die im Folgenden eingegangen wird. 2.2 Umweltkriminalität in Deutschland Unter Umweltkriminalität versteht Albrecht (1993, 555) Anfang der 1990er Jahre zuvörderst Verstöße gegen die Straftatbestände im heutigen 29. Abschnitt des Strafgesetzbuches. Daneben gibt es noch entsprechend der Bezeichnung in der Polizeilichen Kriminalstatistik Straftaten im Strafgesetzbuch mit Umweltrelevanz (z. B. Sprengstoff- und Strahlungsverbrechen gem. §§ 307 – 312 StGB, gemeingefährliche Vergiftung gem. § 314 StGB), Straftaten im Zusammenhang mit Lebens- und Arzneimitteln (z. B. ArzneimittelG) und Straftaten gegen strafrechtliche Nebengesetze auf dem Umwelt- und Verbraucherschutzsektor (z. B. Chemikaliengesetz). Albrechts Begriffsbestimmung stimmt demnach mit der weniger vertretenen, engen Auslegung 2 So gilt der Slowene Janez Pecˇ ar als Vorreiter der Green Criminology (nach Eman 2011, 314 ff.).

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der Green Criminology (vgl. unter 2.1) überein.3 Umweltkriminalität im Kernstrafrecht beschreibt Albrecht (1993, 556) als „[…] einen Normtypus, der Umweltverwaltungsrecht und Strafrecht sowie Umweltverwaltungshandeln und das Handeln der Strafverfolgungsorgane und der Strafjustiz miteinander verschränkt“. Der Grundsatz der Verwaltungsakzessorietät4 prägt das Umweltstrafrecht und „führt zu besonderen Problemen“ (Albrecht 1993, 557). Die mannigfach geübte Kritik hieran ist im Laufe der letzten beiden Jahrzehnte verhaltener geworden, da ein gewisses Umdenken in Richtung der Notwendigkeit eines verwaltungsakzessorischen Umweltstrafrechts stattfand und die Gesetzgebung (Zweites Gesetz zur Bekämpfung der Umweltkriminalität von 1994) nachjustierte (Saurer 2017, 363 f.).5 Die nachlassende Kritik wird auch mit dem Rückgang der registrierten Umweltstraftaten in Verbindung gebracht (Saurer 2017, 364). In der Tat ist die Entwicklung der polizeilich registrierten Umweltdelikte frappierend. Ausgangspunkt für deren Erfassung bildet die Einführung der Umweltstraftaten in das Strafgesetzbuch im Jahr 1980, so dass im Jahr 1981 vor der Wiedervereinigung erstmals 5.844 derartige Fälle ausgewiesen wurden (Bundeskriminalamt 1981, 146). In den nächsten Jahren stiegen die Zahlen kontinuierlich an und erreichten ihren Höhepunkt mit 41.381 Fällen in den alten und neuen Bundesländern im Jahr 1998 (Bundeskriminalamt 2012, 232).6 In den anschließenden Jahren brach deren Anzahl massiv ein, wobei der Rückgang immer noch anhält: Im Jahr 2018 fiel die Fallzahl auf 11.296 Umweltstraften nach dem 29. Abschnitt des Strafgesetzbuchs (Bundeskriminalamt 2019, 187). Diese markante Verringerung und die ohnehin geringe praktische Bedeutung lassen sich auf mehrere Ursachen zurückführen. Mit der Auflösung polizeilicher Umweltspezialeinheiten ging nicht nur Expertenwissen verloren, sondern auch die polizeiliche Kontrollaktivität zurück (Klüpfel 2016, 27 f.). Die Umgestaltung des Abfallrechts durch das Kreislaufwirtschafts- und Abfallgesetz im Jahr 1996 zog durch eine Verbesserung der zugelassenen Entsorgungsmöglichkeiten eine deutliche Senkung der Abfallkriminalität nach sich (Klüpfel 2016, 29). Modernisierung und technische Aufrüstung verbesserten in Betrieben die Einhaltung von Umweltstandards (Klüpfel 2016, 31 f.). Das Anzeigeverhalten spielt ebenfalls eine Rolle. Der Personalabbau in Verwaltungsbehörden wirkte sich auf den Rückgang ebenso aus wie die geänderte 3 Ein merklicher Einfluss der Green Criminology auf die hiesige Kriminologie ist bislang nicht ersichtlich. 4 Unionsrechtsakzessorietät spätestens seit der EU-Richtlinie 2008/99/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 19. November 2008 über den strafrechtlichen Schutz der Umwelt, ABl. 2008, L 328/28) (näher Saurer 2017, 349 ff.). 5 Albrecht (1987, 6 ff.) äußerte dezidierte Kritik an der Verwaltungsakzessorietät im Umweltstrafrecht, allerdings lehnt er diese nicht rundweg ab, sondern fordert „[…] über eine verbindliche Verankerung von Emissionsgrenzen oder Einleitungsgrenzen nachzudenken, um den Strafverfolgungseinrichtungen klarere Anknüpfungspunkte an die Hand zu geben, andererseits den Normadressaten deutlichere Verhaltensvorschriften zu setzen“ (Albrecht 1987, 16). 6 Seit dem Jahr 1993 enthält die Polizeiliche Kriminalstatistik Daten aus den alten und neuen Bundesländern.

Heiß und hitzig – Was hat der Klimawandel mit der Kriminologie zu tun?

333

Kontrollpraxis gegenüber nunmehr zertifizierten Entsorgungsfachbetrieben (Klüpfel 2016, 31). Zudem erwies sich die Anzeigebereitschaft in der Bevölkerung als rückläufig, was an einem nachlassenden Umweltbewusstsein in der Gesellschaft auch infolge einer zurückgehenden Berichterstattung liegen könnte (Klüpfel 2016, 30 f.) Im Jahr 2020 ist durch die junge Klimabewegung („Fridays for Future“) der Klimawandel und damit der Schutz der Umwelt medial und gesellschaftlich wesentlich präsenter als zuvor. Es fragt sich, ob hierdurch die Anzeigebereitschaft in der Bevölkerung wieder gestiegen ist.7 In der deutschen Kriminologie ist die Theoriebildung im Bereich der Umweltkriminalität bedeutungslos, allerdings entstand eine Reihe von empirischen Studien hierzu. Deren Blütezeit liegt gewissermaßen in den 1980er und 1990er Jahren und hat einen Schwerpunkt in der Implementationsforschung und den Problemen der Strafverfolgung im Umgang mit der Umweltkriminalität (Hümbs-Krusche & Krusche 1983; Rüther 1986 und 1991; Leffler 1993; Hoch 1994; Lutterer & Hoch 1997; Schirrmacher 1998).8 Die Vergleichbarkeit der empirischen Studien ist eingeschränkt, da die Rechtslage nicht einheitlich ist (z. B. vor Einführung des Umweltstrafrechts 1980 Hümbs-Krusche & Krusche 1983), unterschiedlichen Fragestellungen nachgegangen wurde (z. B. Beurteilung des Umweltstrafrechts und dessen Rechtsanwendung Hoch 1994; Einstellungen nach § 153a StPO Schirrmacher 1998) und unterschiedliche Methoden gewählt wurden (z. B. Aktenanalyse Rüther 1986, 12; Expertengespräche und schriftliche Befragungen Leffler 1993, 51 ff.) sowie verschiedene Bundesländer bzw. Regionen einbezogen wurden (z. B. neue Bundesländer Saar 2004; Hannover Pinski 2006). Die bislang einzige Längsschnittstudie von Klüpfel (2016) orientiert sich an der Untersuchung von Lutterer & Hoch (1997). Im Überblick stimmen einige Studien darin überein, dass insbesondere minder schwere Umwelttaten verfolgt werden und damit die Absicht der Gesetzgebung, Strafrecht als ultima ratio einzusetzen, in gewissem Maße konterkariert wird (Hümbs-Krusche & Krusche 1983, 284; Leffler 1993, 291; Lutterer & Hoch 1997, 274 ff.; Schirrmacher 1998, 285; Klüpfel 2016, 224). Durchweg kennzeichnen die Praxis Durchführungs- und Organisationsdefizite, die auf einer materiell und personell dürftigen Ausstattung beruhen (Hümbs-Krusche & Krusche 1983, 287; Rüther 1986, 249 f.; Leffler 1993, 291 ff.; Hoch 1994, 506 f., 518; Hoch & Lutterer 1997, 282 f.; Saar 2004, 174; Pinski 2006, 92; Klüpfel 2016, 28). In der Kritik steht vor allem die unzureichende Kontrolltätigkeit der Umweltverwaltungsbehörden verbunden mit einem restriktiven Anzeigeverhalten (Hümbs-Krusche & Krusche 1983, 288 f.; Rüther 1986, 245; Pinski 2006, 86 f.; Klüpfel 2016, 31). Auch verläuft die Kooperation zwischen Umweltverwaltungs- und Strafverfolgungsbehörden nicht optimal (Rüther 1986, 250; 1991, 272; Hoch 1994, 503 f.); dadurch wird die notwendige Trennung zwischen Straf- und Ordnungswidrigkeitenrecht nicht gewährleistet (Hoch 7

Es stellt sich die Frage, ob die Covid-19 Pandemie und deren Folgen den Klimawandel erneut in den Hintergrund drängen. 8 Im 21. Jahrhundert kamen bislang noch drei empirische Arbeiten (Saar 2004; Pinski 2006; Klüpfel 2016) hinzu.

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& Lutterer 1997, 282). Im Längsschnittvergleich fallen einerseits eine verbesserte arbeitsteilige Zusammenarbeit zwischen Umweltverwaltungs- und Strafverfolgungsbehörden sowie andererseits der Bedeutungsverlust der Umweltstrafsachen infolge der rückläufigen Fallzahlen auf (Klüpfel 2016, 226 f.). Insgesamt lässt sich konstatieren, dass die Umweltkriminologie hierzulande durch das Umweltstrafrecht geprägt wird.9

3. Kriminologie des Klimawandels Aus der Green Criminology ist mittlerweile ein Zweig der „Climate Change Criminology“ (White 2018) entstanden. Bereits seit Ende der 1980er Jahre und spätestens seit Ende der 1990er Jahre herrscht in der Klimaforschung Einigkeit über die Existenz des durch den Menschen hervorgerufenen Klimawandels (vgl. nur Deutscher Bundestag 1988, 177). Die anthropogene globale Erwärmung zeigt sich in einer Erhöhung der Durchschnittstemperatur der Atmosphäre und der Weltmeere, dem großflächigen Abschmelzen von Schnee- und Eisflächen (z. B. Gletscher) und dem dadurch bedingtem Anstieg des Meeresspiegels (Intergovernmental Panel on Climate Change 2014, 40). Als menschengemachte Verursacher gelten Treibhausgase durch Verbrennen von fossilen Energieträgern, der Methanausstoß bei der Viehhaltung und die Freisetzung von Kohlendioxid bei der Herstellung von Zement sowie die großflächigen Rodungen von Waldgebieten (z. B. brasilianischer Regenwald) (Intergovernmental Panel on Climate Change 2014, 45 ff.). Der Klimawandel bedroht nicht nur Flora und Fauna, sondern auch die Menschheit. In Küstenregionen sind die Lebensräume durch Überflutungen und in anderen Regionen durch Dürre und Hitze gefährdet. Parallel dazu nehmen weltweit die Luft- und Wasserverschmutzung und extreme Wetterereignisse zu. Unbewohnbar werdende Landstriche treiben die dort Lebenden in die Flucht (Farrall 2012, 20 ff.). Betroffen sind vor allem ohnehin Benachteiligte, d. h. Arme, Frauen, Kinder und Betagte in Entwicklungsländern (Agnew 2012, 14). In Entwicklungsländern führt die wachsende Konkurrenz um knapper werdende Ressourcen wie (nährstoffreiche) Nahrung, (sauberes) Trinkwasser oder eine Unterkunft zu steigenden sozialen Konflikten (Agnew 2012, 14). Hieraus ergeben sich vielfältige Fragestellungen für die Kriminologie, vor allem was vermehrte soziale Konflikte angeht und damit die Sicherheit auf Mikro-, Mesound Makroebene berührt (White 2018, 9). White (2018, 10 ff.) identifiziert vier Schlüsselthemen: Kriminalität und Schaden, globale Verbundenheit und Öko-Gerechtigkeit, Ursachen und Konsequenzen sowie Macht und Interessen. Entsprechend der Green Criminology liegt Kriminalität und Schaden ein weites Verständnis zugrunde, das sich sowohl auf strafrechtlich relevante als auch auf nicht strafrechtlich relevante Umweltschäden erstreckt; maßgeblich ist dann die Bewertung als sozial 9 Eine andere Perspektive wählte Albrecht (2005, 1273 ff.), als er sich der organisierten Kriminalität in Bezug auf die Umwelt widmete.

Heiß und hitzig – Was hat der Klimawandel mit der Kriminologie zu tun?

335

und ökologisch schädlich (White 2018, 12). Des Weiteren geht es um die Anerkennung von Umweltstraftaten als malum in se („was an sich falsch ist“) (White 2018, 12). Denn die gewöhnlich als malum prohibitum („falsch ist, was verboten ist“) aufgefassten Taten gelten als nicht so schwerwiegend und leisten der Kriminalität der Mächtigen insofern Vorschub, als es weniger um die Strafbarkeit als um die Balance zwischen ökonomischen und ökologischen Interessen geht (White 2018, 11 f.). Da der Klimawandel nicht vor nationalen Grenzen Halt macht, handelt es sich um ein globales Phänomen, das Sensibilität auch für die vulnerablen, besitzlosen, benachteiligten und ignorierten Menschen voraussetzt (White 2018, 13). In diesem Kontext ist Öko-Gerechtigkeit weit zu verstehen und erfasst das Beziehungsgefüge zu den Menschen und zur Natur mit Rücksicht auf das Befinden der Biosphäre an sich wie auch der Flora und Fauna (White 2018, 13). Öko-Gerechtigkeit hat darüber hinaus ihren Platz bei den Ursachen und Konsequenzen, wo es um die Täter und Opfer in einem weiten Sinne geht. Dies kommt darin zum Ausdruck, dass Umweltgerechtigkeit mit dem Fokus auf Unterschieden innerhalb der Menschheit, ökologische Gerechtigkeit mit dem Fokus auf der Umwelt und Arten-Gerechtigkeit für den Erhalt und Fortbestand der Artenvielfalt und Abwehr von Tiermissbrauch eine Rolle spielen (White 2018, 15). Der Part der Mächtigen mitsamt den politischen und wirtschaftlichen Systemen ist ebenso von Bedeutung, wenn es um die Bedingungen für den Klimawandel und das Abschieben von Verantwortlichkeiten im Zusammenhang damit geht (White 2018, 15). In theoretischer Hinsicht wendet Robert Agnew die von ihm entwickelte General Strain Theory (Allgemeine Drucktheorie) im Rahmen der Green Criminology und folgerichtig auch des Klimawandels an (Agnew 2012, 17 ff.). Nach dieser Theorie entsteht sozial abweichendes Verhalten durch drei Belastungen: erstens das wahrgenommene Verfehlen intendierter Ziele, zweitens das Vorhandensein schädlicher Impulse und drittens der Wegfall positiv besetzter Stimuli (Agnew 1992, 50 ff.). Deren Auftreten beschränkt sich nicht auf spezifische Milieus, sondern kann wie der Klimawandel die Bevölkerung an sich betreffen. Der klimawandelbedingte Druck basiert u. a. auf extremen Wetterereignissen, Nahrungs- und Trinkwassermangel, dem drohenden Verlust der individuellen Lebensgrundlage, Krankheiten und Gesundheitsschädigungen, Zwangsmigration, der Betroffenheit von gewalttätigen Konflikten und Kriminalität sowie unterschiedlichen Belastungen für Arm und Reich (Agnew 2012, 18 f.). Agnew zufolge erhöhen diese Belastungen zwar das absolute Ausmaß der Besorgnis über den Klimawandel, aber nicht die darauf bezogene relative Priorität (Agnew 2012, 17 f.). Dies liegt daran, dass sich der Fokus auf die Bewältigung der wahrgenommenen genannten Belastungen und nicht auf den Klimawandel richtet: „A hungry person, for example, searches for food rather than more sustainable methods of farming“ (Agnew 2012, 19). Desolate Lebensverhältnisse vermögen also den unmittelbaren Eigennutz zu fördern, statt auf Langzeitwirkungen des eigenen Verhaltens und auf ihre Wirkungen für andere zu achten; mitunter können hieraus strafbare oder schädigende Taten erwachsen, die den Klimawandel unterstützen (z. B. Abholzen von Wäldern zur Energiegewinnung und Verbrennen

336

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weniger hochwertiger Kohle) (Agnew 2012, 19). Agnew (2012, 23) betont, dass nicht nur der Eigennutz dominiert, sondern auch altruistische Tendenzen in Belastungssituationen auftreten, und leitet hieraus Forschungsbedarf für Fallstudien und quantitative Forschung ab. Ähnlich der Green Criminology hat die Kriminologie des Klimawandels in der deutschen Kriminologie noch nicht Fuß gefasst. Ausgehend von der Friedens- und Konfliktforschung gibt es einzelne Vorstöße zu den Auswirkungen des Klimawandels auf Konflikte und Kriminalität (Gnüchtel 2013, 14 ff.). Gnüchtel (2013, 25 ff.) präsentiert ein dreigeteiltes Devianz-Modell aus individueller und kollektiver Gewalt- und Eigentumskriminalität in der Ereignisregion, punktueller Gewaltkriminalität und strukturierter transnationaler Kriminalität infolge des Wettbewerbs um Ressourcen in den Nachbarstaaten sowie wirtschaftlich motivierte und migrationsbedingte Kriminalität in den Industriestaaten. Ausgehend von diesen verschiedenen Konflikt- und Gewaltkonstellationen sieht Gnüchtel eine Interventionspflicht aus einer globalen, menschlichen und staatenübergreifenden Verantwortung, aus der internationalen Verantwortung der Verursacher-Staaten wie auch aus der nationalen Sicherheit. Dieses Modell dient ihm als Impuls für einen Klimadiskurs aus kriminologischer Perspektive im Sinne einer „klimawandelbedingten Kriminalität“ in Deutschland (Gnüchtel 2013, 27).

4. Fazit Der Streifzug in den Klimawandel aus kriminologischer Perspektive verdeutlicht einmal mehr das bereits eingangs festgestellte und weit verbreitete Desinteresse der deutschen Kriminologie an Forschungsthemen rund um die Umwelt. Eine Ausnahme stellt die von Hans-Jörg Albrecht über Jahrzehnte hinweg verfolgte Forschung zur Umweltkriminalität dar. Die Unterschiede zur Green Criminology sind aber größer als die Gemeinsamkeiten, was schon beim Begriffsverständnis anfängt. Während in der Green Criminology der Schutz von Mensch und Umwelt in einem weiten Sinne an der Schädlichkeit für die Flora und Fauna ungeachtet von deren Strafbarkeit festgemacht wird, ist in der deutschen Kriminologie ein enges Verständnis, das auch das empirische Forschungsinteresse lenkt, abhängig von der Strafbarkeit verbreitet. Darüber hinaus positionieren sich die Vertreterinnen und Vertreter der Green Criminology politisch – wenngleich unterschiedlich – und fordern Engagement ein: „Climate Change Criminology involves and supports public engagement and social interventions that challenge the status quo by focusing on climate justice for humans and non-human environmental entities“ (White 2018, 144).

In der deutschen Kriminologie hingegen ist überwiegend eine Wertneutralität im Weberschen Sinne zu beobachten. Abschließend bleibt zu wünschen, dass sich die Kriminologie in Deutschland in stärkerem Umfang als bisher der Kriminologie der Umwelt zuwendet und an den Diskursen außerhalb Deutschlands teilhat. For-

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337

schung hierzu bietet sich hierzulande an, schon allein weil der Klimawandel überall stattfindet. Literaturverzeichnis Agnew, R. (1992): Foundation for a general strain theory of crime and delinquency. Criminology 30/1, S. 47 – 88. Agnew, R. (2011): Dire forecast: A theoretical model of the impact of climate change on crime. Theoretical Criminology 16/1, S. 21 – 46. Agnew, R. (2012): It’s the end of the world as we know it: The advance of climate change from a criminological perspective, in: R. White (Hrsg.), Climate Change from a Criminological Perspective. New York, S. 13 – 25. Agnew, R. (2013): The ordinary acts that contribute to ecocide: A criminological analysis, in: N. South & A. Brisman (Hrsg.), Routledge International Handbook of Green Criminology. London, S. 58 – 72. Albrecht, H.-J. (1983): Probleme der Implementierung des Umweltstrafrechts. Monatsschrift für Kriminologie und Strafrechtsreform 66/5, S. 278 – 294. Albrecht, H.-J. (1987): Umweltstrafrecht und Verwaltungsakzessorietät – Probleme und Folgen einer Verknüpfung verwaltungs- und strafrechtlicher Konzepte. Kriminalsoziologische Biographie 55, S. 1 – 22. Albrecht, H.-J. (1993): Umweltkriminalität, in: G. Kaiser, H.-J. Kerner, F. Sack & H. Schellhoss (Hrsg.), Kleines Kriminologisches Wörterbuch. 3. Aufl. Heidelberg, S. 555 – 565. Albrecht, H.-J. (2005): Organisierte Umweltkriminalität – Konzepte, Ausmaß und Strukturen, in: J. Arnold & A. Eser (Hrsg.), Menschengerechtes Strafrecht. Festschrift für Albin Eser. München, S. 1273 – 1291. Brisman, A. (2014): Of Theory and Meaning in Green Criminology. International Journal for Crime, Justice and Social Democracy 3/2, S. 21 – 34. Brisman, A. & South, N. (2019): Green Criminology and Environmental Crimes and Harms. Sociology Compass 13, S. 1 – 12. Bruinsma, G. & Johnson, S.D. (2018): The Oxford Handbook of Environmental Criminology. New York. Bruinsma, G. & Weisburd, D. (2014): History of Geographic Criminology Part II: Twentieth Century, in: G. Bruinsma & D. Weisburd (Hrsg.), Encyclopedia of Criminology and Criminal Justice. New York, S. 1976 – 1984. Bundeskriminalamt (Hrsg.) (2012): Polizeiliche Kriminalstatistik 2011. Wiesbaden. Bundeskriminalamt (Hrsg.) (2019): Polizeiliche Kriminalstatistik 2018. Band 4: Einzelne Straftaten/-gruppen und ausgewählte Formen der Kriminalität. Wiesbaden. Cohen, L.E. & Felson, M. (1979): Social change and crime rate trends: A routine activity approach. American Sociological Review 44/4, S. 588 – 608.

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Korruption in der Wirtschaft – individuelle oder organisationale Devianz? Von Dieter Dölling und Ludmila Hustus Der verehrte Jubilar hat darauf hingewiesen, dass im Wirtschaftsleben begangene Korruptionsdelikte in den letzten Jahren vermehrt Aufmerksamkeit gefunden haben (Albrecht 2003, 38, 40, 52). Der vorliegende Beitrag befasst sich mit diesem Kriminalitätsbereich. Es geht um die Frage, inwieweit bei aktiver Korruption – also illegaler Vorteilsgewährung – im Wirtschaftsleben (zum Begriff der Korruption vgl. Dölling 2007, 2 f.) individuelle oder organisationale Devianz vorliegt. Denkbar ist, dass die Täter die Delikte begehen, um einen persönlichen Vorteil zu erlangen – insoweit kann von „individueller Devianz“ gesprochen werden. Möglich ist aber auch, dass die Täter im Interesse der Organisation handeln, der sie angehören, und den Taten korruptionsbegünstigende informelle Regeln der Organisation zugrunde liegen. Dies kann als „organisationale Devianz“ bezeichnet werden (zum Konzept der organisationalen Devianz siehe Pohlmann & Höly 2017, 187 ff.). In ähnlicher Weise wird häufig zwischen occupational crime und corporate crime unterschieden (vgl. Bussmann 2016, 7 ff.). Die Untersuchung ist Teil des von der VolkswagenStiftung geförderten interdisziplinären Forschungsprojekts „Der Kampf gegen Korruption und Manipulation – Regulierung und Selbstregulierung in Medizin und Wirtschaft“ (Leitung: Markus Pohlmann, Gerhard Dannecker, Dieter Dölling und Dieter Hermann). Die Untersuchung der Frage, inwieweit in Fällen aktiver Korruption in der Wirtschaft individuelle oder organisationale Devianz gegeben ist, erfolgt im Wege einer Analyse von Strafakten über deutsche Fälle der aktiven Korruption durch Mitarbeiter von Wirtschaftsunternehmen. Strafverfahren und damit Strafakten erfassen zwar nur einen Teil aller Korruptionsdelikte, und Strafakten bilden die Wirklichkeit nur partiell ab. Strafakten kann aber eine Reihe für die Forschungsfrage relevanter Daten entnommen werden, sodass es sinnvoll ist, die Methode der Strafaktenanalyse zu verwenden (vgl. zur Aussagekraft von Strafakten Dölling 1984 und Hermann 1987). Um einschlägige Strafakten für die Auswertung zu erhalten, wurden im Juli 2015 15 deutsche Schwerpunktstaatsanwaltschaften für Wirtschaftskriminalität angeschrieben und gebeten, die Auswertung der jeweils letzten beiden rechtskräftig abgeschlossenen Strafverfahren wegen aktiver Korruption durch Mitarbeiter von Wirtschaftsunternehmen zu gestatten. Zehn Staatsanwaltschaften erlaubten die Aktenauswertung. Es wurden insgesamt 20 Strafverfahren analysiert. Da bei einigen Staatsanwaltschaften nur ein Strafverfahren ausgewertet werden konnte, wurden

342

Dieter Dölling und Ludmila Hustus

bei zwei Staatsanwaltschaften drei bzw. vier Akten analysiert. Die Akten wurden uns teilweise zur Auswertung geschickt, teilweise wurden sie von uns in den Räumen der jeweiligen Staatsanwaltschaft ausgewertet. Die Akten stammten von Staatsanwaltschaften aus zehn Bundesländern, die im Norden und Süden sowie im Westen und Osten Deutschlands liegen. Die Akten wurden mit einem standardisierten Erhebungsbogen ausgewertet. Erhoben wurden insbesondere Merkmale des Beschuldigten, des Unternehmens, für das der Beschuldigte handelte, sowie der Gang und das Ergebnis der Strafverfolgung. Bei mehreren Beschuldigten wurde auf den zentralen Akteur der Bestechungsvorgänge abgestellt. Für jede korruptive Beziehung dieses Akteurs zu einem bestimmten Vorteilsnehmer wurde zusätzlich ein Unterbogen ausgefüllt, in dem Merkmale des Korruptionsgeschehens (z. B. die Höhe der Bestechungssumme) festgehalten wurden. Es wurden 123 Unterbögen erstellt. Die Sanktionierungen der Beschuldigten erfolgten in acht Verfahren wegen Korruption von Amtsträgern (§§ 333 ff. StGB, Gesetz zur Bekämpfung internationaler Bestechung) und in sieben Verfahren wegen Bestechung von Angestellten von Unternehmen (§§ 299, 300 StGB). In fünf Fällen wurde nach §§ 263, 266 StGB oder § 370 Abgabenordnung sanktioniert. Diese Sanktionierungen standen im Zusammenhang mit Korruptionsvorgängen, sodass sie in die Untersuchung aufgenommen wurden (vgl. zu den Straftatbeständen Tabelle 1). Tabelle 1 Straftatbestände, wegen derer sanktioniert wurde Straftatbestände

n

%

Korruption von Amtsträgern (§§ 333 ff. StGB, ggf. i.V.m. IntBestG)

8

40,0

Angestelltenbestechung (§§ 299, 300 StGB)

7

35,0

§§ 263, 266 StGB; § 370 AO Gesamt

5

25,0

20

100,0

Die häufigste Strafe war mit neun Verurteilungen die Freiheitsstrafe mit Bewährung. Die kürzeste der zur Bewährung ausgesetzten Freiheitsstrafen betrug ein Jahr, die drei längsten beliefen sich auf zwei Jahre. Es wurden zwei Freiheitsstrafen ohne Bewährung verhängt (Dauer: drei und fünf Jahre). Drei Verurteilte erhielten eine Geldstrafe. In einem weiteren Verfahren wurde neben der Freiheitsstrafe ohne Bewährung zusätzlich eine Geldstrafe verhängt. In einem Fall wurde eine Verwarnung mit Strafvorbehalt ausgesprochen. Gegen fünf Beschuldigte wurde das Verfahren gegen eine Auflage eingestellt (siehe zu den Sanktionen Tabelle 2). Da auch diese Beschuldigten in Form der Auflage eine Sanktion erhielten, wurden sie in die Untersuchung einbezogen. Im Interesse der besseren Lesbarkeit werden alle sanktionierten Beschuldigten als Verurteilte bezeichnet.

Korruption in der Wirtschaft – individuelle oder organisationale Devianz?

343

Tabelle 2 Sanktionen Sanktion

n

%

Einstellung gegen Auflage nach § 153a StPO

5

25,0

Verwarnung mit Strafvorbehalt

1

5,0

Geldstrafe

3

15,0

Freiheitsstrafe mit Bewährung

9

45,0

Freiheitsstrafe ohne Bewährung

2

10,0

20

100,0

Gesamt

Die ausgewerteten Akten betrafen umfangreiche und komplexe Verfahren. Vierzehn Verfahren richteten sich gegen fünf und mehr Beschuldigte und sechs Verfahren gegen weniger als fünf Beschuldigte. Die Gesamtseitenzahl der ausgewerteten Akten betrug in 17 Verfahren über 500 Seiten, darunter waren acht Verfahren mit mehr als 2.000 Seiten (vgl. Tabelle 3). Tabelle 3 Gesamtseitenzahl der ausgewerteten Akten Gesamtseitenzahl

n

100 bis 500

1

5,0

501 bis 1.000

3

15,0

1.001 bis 1.500

2

10,0

1.501 bis 2.000

4

20,0

2.001 und mehr

8

40,0

Keine Angabe Gesamt

%

2

10,0

20

100,0

Die Verurteilten waren in verschiedenen Wirtschaftszweigen tätig, z. B. Bauwesen, Maschinenbau, Elektrotechnik, Energieversorgung, Bürobedarf und Medizintechnik. Die Bestechungen eines bestimmten Vorteilsnehmers erfolgten überwiegend über einen längeren Zeitraum. In etwa einem Drittel der 123 korruptiven Beziehungen erstreckte sich der Zuwendungsfluss auf einen Zeitraum von bis zu zwei Jahren, in 26,0 % der Fälle dauerte er mehr als zwei bis drei Jahre und in 38,2 % länger als drei Jahre (siehe Tabelle 4).

344

Dieter Dölling und Ludmila Hustus

Tabelle 4 Dauer der Bestechungszuwendungen zwischen Vorteilsgeber und Vorteilsnehmer Dauer der Bestechungszuwendungen

n

%

Bis 2 Jahre

40

32,5

Mehr als 2 bis 3 Jahre

32

26,0

Mehr als 3 Jahre

47

38,2

Keine Angabe Gesamt

4

3,3

123

100,0

Bei 8,9 % der Bestechungsfälle bestand ein Auslandsbezug. Bestochen wurde überwiegend mit Geldzahlungen, Sachzuwendungen und Bewirtungen, wobei Geldzahlungen dominierten (vgl. Tabelle 5). Tabelle 5 Art der Bestechung (Mehrfachnennungen möglich) Art der Bestechung

n

%

Geldzahlung

89

62,2

Sachzuwendung

29

20,3

Bewirtung

19

13,3

Finanzierung von Reisen

5

3,5

Softwarekauf, Personalentleihung

1

0,7

143

100,0

Gesamt

Die Höhe der in den einzelnen korruptiven Beziehungen jeweils gewährten Vorteile variierte stark. Überwiegend war der Wert der Vorteile hoch. Während der Wert in 13,0 % der Fälle bis 100 Euro und in 8,9 % der Fälle 101 bis 1.000 Euro betrug, belief er sich in 2,4 % der Fälle auf 1.001 bis 10.000 Euro und in 58,5 % der Fälle auf 10.001 bis 100.000 Euro; in 12,2 % der Fälle betrug er 100.001 bis 1 Million Euro und in 3,3 % der Fälle überstieg er eine Million Euro (siehe Tabelle 6). Tabelle 6 Wert der in einer korruptiven Beziehung zugewendeten Vorteile Wert Bis 50 Euro

n

%

6

4,9

51 bis 100 Euro

10

8,1

101 bis 1.000 Euro

11

8,9

3

2,4

1.001 bis 10.000 Euro 10.001 bis 100.000 Euro

72

58,5

100.001 bis 1 Million Euro

15

12,2

Über 1 Million Euro

4

3,3

Keine Angabe

2

1,6

123

100,0

Gesamt

Korruption in der Wirtschaft – individuelle oder organisationale Devianz?

345

Der Wert der von den Verurteilten insgesamt erbrachten Bestechungsleistungen betrug bei 10,0 % der Verurteilten bis 10.000 Euro, bei 25,0 % 10.001 bis 100.000 Euro, bei 30,0 % 100.001 bis 1 Million Euro und bei 25,0 % mehr als eine Million Euro (vgl. Tabelle 7). Es wurden somit überwiegend sehr erhebliche Beträge zugewendet. Tabelle 7 Wert der insgesamt zugewendeten Vorteile Wert

n

%

Bis 10.000 Euro

2

10,0

10.001 bis 100.000 Euro

5

25,0

100.001 bis 1 Million Euro

6

30,0

Über 1 Million Euro

5

25,0

Keine Angabe

2

10,0

20

100,0

Gesamt

Von den 20 Verurteilten waren 19 männlich. Siebzehn waren Deutsche, einer war Grieche und zu zwei Verurteilten lagen keine Angaben zur Staatsangehörigkeit vor. Fünfzehn Verurteilte waren verheiratet, zwei geschieden und einer ledig. Zu zwei Verurteilten fehlten die entsprechenden Angaben. Bei 80,0 % der Verurteilten ergab sich aus den Akten, dass sie Kinder hatten. Soweit Angaben zum Schulabschluss vorlagen, bestand dieser in der Mittleren Reife oder einem höheren Schulabschluss (siehe Tabelle 8). Tabelle 8 Höchster allgemeinbildender Schulabschluss der Verurteilten Schulabschluss

n

%

Abitur oder fachgebundene Hochschulreife

4

20,0

Fachhochschulreife

2

10,0

Mittlere Reife

6

30,0

Keine Angabe

8

40,0

20

100,0

Gesamt

Hinsichtlich des beruflichen Ausbildungsabschlusses ging aus den Akten hervor, dass 30,0 % der Verurteilten einen Hochschul- oder Fachhochschulabschluss hatten. Weitere 30,0 % hatten eine sonstige Berufsausbildung abgeschlossen und ein Verurteilter hatte keinen Berufsabschluss (vgl. Tabelle 9).

346

Dieter Dölling und Ludmila Hustus Tabelle 9 Höchster beruflicher Ausbildungsabschluss der Verurteilten

Ausbildungsabschluss

n

%

Hochschulabschluss

4

20,0

Fachhochschulabschluss

2

10,0

Sonstiger Abschluss einer Berufsausbildung

6

30,0

Kein beruflicher Abschluss

1

5,0

Keine Angabe

7

35,0

20

100,0

Gesamt

Die Verurteilten nahmen in den Unternehmen überwiegend eine herausgehobene Stellung ein. 35,0 % waren Firmeninhaber oder Teilhaber. Ein Verurteilter war Vorstandsvorsitzender und 25,0 % waren Geschäftsführer. 15,0 % hatten die Position eines Prokuristen inne. Ein Verurteilter fungierte als Bereichsleiter/Abteilungsleiter, einer als Projektleiter und zwei Verurteilte waren Vertriebsmitarbeiter/Außendienstmitarbeiter (siehe Tabelle 10). Tabelle 10 Stellung des Verurteilten im Unternehmen Stellung im Unternehmen

n

%

Firmeninhaber oder Teilhaber

7

35,0

Vorstandsvorsitzender

1

5,0

Geschäftsführer

5

25,0

Prokurist

3

15,0

Bereichsleiter/Abteilungsleiter

1

5,0

Projektleiter

1

5,0

Vertriebsmitarbeiter/Außendienstmitarbeiter

2

10,0

20

100,0

Gesamt

Überwiegend waren die Verurteilten im Zeitpunkt der ersten Tat bereits mehrere Jahre für das Unternehmen tätig. Lediglich ein Verurteilter war weniger als zwei Jahre in dem Unternehmen beschäftigt. Bei 30,0 % betrug die Beschäftigungszeit zwei bis zehn Jahre und bei 55,0 % mehr als zehn Jahre (vgl. Tabelle 11). Eine Belastung mit einer Vorstrafe konnte den Akten für keinen der Verurteilten entnommen werden. Es handelte sich bei den Verurteilten somit um gesellschaftlich eingegliederte Personen mit gehobener sozialer Stellung (zu ähnlichen Befunden über die Täter von Korruptionsdelikten in anderen Untersuchungen siehe Dölling 2007, 23, 28 ff.).

Korruption in der Wirtschaft – individuelle oder organisationale Devianz?

347

Tabelle 11 Dauer der Tätigkeit für das Unternehmen im Zeitpunkt des ersten Korruptionsdelikts Dauer der Tätigkeit

n

Unter 2 Jahren

1

5,0

2 bis 5 Jahre

3

15,0

Mehr als 5 bis 10 Jahre

3

15,0

Mehr als 10 bis 20 Jahre

3

15,0

Mehr als 20 Jahre

8

40,0

Keine Angabe

2

10,0

20

100,0

Gesamt

%

Die Korruption wurde von den Verurteilten überwiegend intensiv betrieben. Lediglich sechs Verurteilte wurden nur wegen einer Tat, einer wegen zwei Taten und zwei Verurteilte jeweils wegen drei Taten sanktioniert. Während bei einem Verurteilten 8 Taten den Gegenstand der Verurteilung bildeten, lagen bei sieben Verurteilten dem Urteil 10 bis 20 bzw. über 20 Taten zugrunde (siehe Tabelle 12). Tabelle 12 Zahl der den Verurteilungen zugrunde liegenden Taten Zahl der Taten

n

%

Eine Tat

6

30,0

2 bis unter 10 Taten

4

20,0

10 bis 20 Taten

3

15,0

Über 20 Taten

4

20,0

Keine Angabe

3

15,0

20

100,0

Gesamt

Die Mehrfachtäter begingen die Korruptionsdelikte systematisch. Bei 50,0 % der Verurteilten konnte eine Zwischenschaltung von Firmen oder natürlichen Personen zur Vertuschung von korruptiven Zahlungen festgestellt werden. Teilweise wurde der eigene Unternehmensapparat für die korruptiven Aktivitäten eingesetzt. Ein Unternehmen hatte ein Computerprogramm installiert, in dem die Vorteilsnehmer, die zugewendeten Vorteile und die enthaltenen Aufträge gespeichert waren. Bei den Zuwendungen wurde nach der „Wertigkeit“ der Vorteilsnehmer differenziert. Ein anderes Unternehmen führte eine tabellarische Kartei der Vorteilsnehmer. Anhand dieser Kartei wurden Zuwendungen an eine dreistellige Zahl von Vorteilsnehmern veranlasst. Teilweise war eine erhebliche Zahl von Mitarbeitern des Unternehmens mit den Korruptionsdelikten befasst. Da dies durch die Firmeninhaber bzw. die Firmenleitung veranlasst war, kann insoweit von einer „organisationalen Devianz von oben“ gesprochen werden. Die Korruption war Teil des wirtschaftlichen Handlungsstils des Unternehmens. Teilweise lag ein eingespieltes Zusammenwirken des Verurteilten mit einem bestimmten Vorteilsnehmer vor (vgl. zu solchen „gewachsenen Beziehungen“ Bannenberg 2002, 90). Zu berücksichtigen ist allerdings auch, dass bei 35,0 %

348

Dieter Dölling und Ludmila Hustus

der Verurteilten den Akten entnommen werden konnte, dass die Korruptionsdelinquenz von dem späteren Vorteilsnehmer ausging. Im Hinblick auf die Frage, ob bei den Taten individuelle oder organisationale Devianz vorlag, ist zunächst festzustellen, dass 35,0 % der Verurteilten Firmeninhaber oder Teilhaber waren. In dieser Konstellation fielen individuelles und organisationales Interesse zusammen. Durch die Bereicherung des Unternehmens bereicherte sich auch der Verurteilte. Eine über das Individualinteresse hinausreichende Handlungsorientierung kann bei diesen Verurteilten nicht festgestellt werden. 25,0 % der Verurteilten waren nicht Firmeninhaber, bereicherten sich aber durch die Korruptionsdelikte auch persönlich. Bei diesen Beschuldigten spielten also Individualinteressen jedenfalls auch eine Rolle. Bei den verbleibenden 40,0 % der Verurteilten geht aus den Akten nicht hervor, dass sie mit den Korruptionstaten auch einen persönlichen Vorteil anstrebten. Daher könnte bei diesen Verurteilten die Handlungsorientierung durch organisationale Devianz bestimmt sein (siehe auch Hoven 2018, 252; danach hatten in den untersuchten Fällen der Auslandsbestechung die bestechenden Unternehmensmitarbeiter überwiegend das Interesse ihres Arbeitgebers im Blick). Allerdings kann nicht ausgeschlossen werden, dass bei diesen Verurteilten auch individuelle Interessen wie der Ausbau oder Erhalt des persönlichen Status im Unternehmen durch Erfolge bei der Beschaffung von Aufträgen eine Rolle spielten. Über die genaue Motivlage der Verurteilten gaben die Akten keinen Aufschluss. Es könnte sich bei individueller und organisationaler Devianz nicht um zwei streng getrennte Phänomene handeln, sondern diese Devianzformen könnten sich auch überlagern. In zwei Verfahren ergab sich aus den Akten, dass Vorgesetzte korruptive Handlungen billigten. In einem dieser Fälle lag auch eine persönliche Bereicherung des Vorteilsgebers vor. Dies weist auf die vom Jubilar dargestellte Komplexität der Entstehung von Wirtschaftskriminalität hin (vgl. Albrecht 2003, 59 f.), die der weiteren Analyse bedarf.

Literaturverzeichnis Albrecht, H.-J. (2003): Forschungen zur Wirtschaftskriminalität in Europa: Konzepte und empirische Befunde, in: H.-J. Albrecht & H. Entorf (Hrsg.), Kriminalität, Ökonomie und Europäischer Sozialstaat. Heidelberg, S. 37 – 69. Bannenberg, B. (2002): Korruption in Deutschland und ihre strafrechtliche Kontrolle. Eine kriminologisch-strafrechtliche Analyse. Neuwied u. a. Bussmann, K.-D. (2016): Wirtschaftskriminologie I. Grundlagen – Markt- und Alltagskriminalität. München. Dölling, D. (1984): Probleme der Aktenanalyse in der Kriminologie, in: H. Kury (Hrsg.), Methodologische Probleme in der kriminologischen Forschungspraxis. Köln u. a., S. 265 – 286.

Korruption in der Wirtschaft – individuelle oder organisationale Devianz?

349

Dölling, D. (2007): Grundlagen der Korruptionsprävention, in: D. Dölling (Hrsg.), Handbuch der Korruptionsprävention für Wirtschaftsunternehmen und öffentliche Verwaltung. München, S. 1 – 40. Hermann, D. (1987): Die Konstruktion von Realität in Justizakten. Zeitschrift für Soziologie 16/ 1, S. 44 – 55. Hoven, E. (2018): Auslandsbestechung. Eine rechtsdogmatische und rechtstatsächliche Untersuchung. Baden-Baden. Pohlmann, M. & Höly, K. (2017): Manipulationen in der Transplantationsmedizin. Ein Fall von organisationaler Devianz? Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie 69/2, S. 181 – 207.

Giovanni Falcone’s Prediction of the Italian Mafia’s Expansion into North-West Europe By Cyrille Fijnaut

1. Introduction In around 1990 it became very clear to Hans-Jörg Albrecht that the creation of the European Union would have major implications in the domain of crime and punishment. In 1991, therefore, he did not hesitate when I suggested that he join me in founding a journal dedicated to promoting the academic discourse on the subject. That journal was the European Journal of Crime, Criminal Law and Criminal Justice.1 Naturally, the growing relevance of the problem of organised crime for the European Union’s policy on criminal justice was a regular topic of discussion at our frequent meetings to plan successive issues of the journal. Thanks in part to input from Professor Letizia Paoli, who had written an important thesis on the ’Ndrangheta in 1997 and had moved from the European University Institute in Florence to the MaxPlanck Institute in Freiburg in 1998, in around 2000 those discussions led to the idea of writing a book on the history and manifestations of organised crime and the measures taken to combat it in the European Union and its member states.2 The project commenced in 2002 and culminated, in 2004, in the publication of a major volume covering those three topics with contributions from a range of prominent researchers from throughout the European Union.3 When I was asked to write a piece for this liber amicorum in July 2019, my thoughts immediately returned to our happy collaboration in launching the European journal and in writing that unique book. Prompted by those memories, I decided to choose a theme for this liber amicorum that would to some extent reflect those two initiatives and our collaboration. After some reflection, I decided that my contribution would focus on the prediction that the Italian mafia would expand to other European Union member states made by the legendary Italian investigating judge Giovanni Falcone at a symposium on organised crime in Europe organised by the Bundeskriminalamt in November 1990. In this article, I use the example of Germany in endeavouring to answer the question of whether his prediction has come true. Why take 1

Fijnaut 2013, XVI–XVIII. Paoli 2003. See also Paoli 1999. 3 Fijnaut & Paoli 2004; Woodiwiss 2015, 102 – 103.

2

352

Cyrille Fijnaut

Germany as an example? For two reasons. First, the four main branches of the Italian mafia – the Sicilian Cosa Nostra, the Calabrian ’Ndrangheta, the Neapolitan Camorra and the Sacra Corona Unita in Apulia – have maintained a significant presence in Germany since the 1960s. Second, and partly connected with their lengthy presence in the country, there is a relatively large amount of information available about their illegal activities in Germany. My attempt to answer the question posed is structured as follows. The article opens with a summary of the substance of the prediction that Falcone made in 1990, but also a discussion of the complications that are connected with its evaluation. That is followed by an analysis of the debate about the Italian mafia that was conducted in Germany prior to 1990. There is then a review of the investigation ordered by the Bundeskriminalamt into the mafia’s illegal activities in the country shortly after 1990. The following section relates to the organisation and operations of the Italian mafia in Germany in the present day. The concluding section contains an assessment of the implications of the findings in the article for the value that can be attached to Falcone’s prediction in 1990.

2. Giovanni Falcone’s Prediction 2.1 The Prediction in Five Points What precisely did Falcone predict in that speech in 1990?4 Essentially, the prediction can be encapsulated in the five following points. – First, he said that one must not lose sight of the fact that – similarly to what had happened in the United States, Canada and Australia5 – when migrants from Sicily and Calabria moved to Belgium, France, Germany and other countries in NorthWest Europe they, as it were, brought the mafia with them.6 Furthermore, it was logical that the large Italian communities that developed in those countries could easily fall under the sway of criminal organisations from their regions of origin (i. e., the Sicilian Cosa Nostra and the Calabrian ’Ndrangheta). – Second, he argued that by abolishing controls on the internal borders the European Union would inevitably facilitate the expansion of mafia-style practices to the countries of North-West Europe. By extension, bloody conflicts between mafia clans, similar to those that occurred in the south of Italy, could also be expected to spread to those countries.

4

Falcone 1992, 395 – 398; Falcone 1994, 57 – 63. For more about this study day, see Poerting & Störzer 1990. 5 On the migration of the mafia to the United States, see Lupo 2015; Critchley 2009; Lombardo 2010. 6 In this context, see Roth & Frey 1992; Roth, Frey & Fijnaut 1994; Calvi 1993.

Giovanni Falcone’s Prediction of the Italian Mafia’s Expansion

353

– Third, he stressed that a European version of the mafia would not be a precise copy of the original because it would have to operate in a different cultural and political environment. He therefore considered it unlikely that the code of silence, omerta, would play as large a role in the aforementioned countries as it did in the south of Italy, or that the mafia would figure so prominently in terms of generating votes for local political parties in those countries. On the other hand, he did not exclude the possibility that the mafia would attempt to bribe public officials in countries like Germany and Belgium. – Fourth, he stressed that in the northern European countries the mafia would seek to collaborate with local criminal organisations in carrying out various forms of crime, such as kidnapping wealthy individuals. In that context, he regarded it as entirely possible that international criminal organisations, including the mafia, would seek to avoid conflicts, particularly in the drug market, by forming alliances or, where that proved impossible, by resolving disputes peacefully rather than with violence. – Fifth, he said that one had to be aware that criminal groups in the northern European countries might increasingly mirror their organisation and operations on those of the Italian mafia. This could mean, among other things, that they would try to infiltrate public administration and the economy and would use various forms of violence against public servants. In his talk, Falcone also referred to the expansion of the various branches of the mafia into the north of Italy, although he did not explicitly link that migration to their expansion into North-West Europe.7 That is rather peculiar, since it seems evident that the two developments could reinforce one another. In any case, the mafia could, and still can, plan and carry out operations in the North-West of Europe more easily and rapidly from the north of Italy than from the south of the country. In his speech, Falcone also failed to mention the close cooperation that the Sicilian Cosa Nostra had established with the American Cosa Nostra in the transatlantic trade in heroin and cocaine in the 1970s.8 There is obviously not enough room to explore all of Falcone’s propositions in depth in this article. There is only scope to examine the first three points he made. However, that constraint does not affect the social relevance of this piece of research, since it remains possible to say something about the warnings given for years to countries like France, Belgium, Germany, the Netherlands and the United Kingdom by Italian prosecutors, judges and journalists: that they seriously underestimate the threat posed by the Italian mafia to their public administration, their economy and their society, and consequently fail to adopt the legislative and organisational measures required to address that threat in time.9 On 19 December 2019 – following the 7

As regards the mafia’s expansion in Italy itself, see, inter alia, Calderoni 2011. Blumenthal 1988; Sterling 1990; Palmieri 1992. 9 Fijnaut 2012, 134. 8

354

Cyrille Fijnaut

murder of the lawyer of a crown witness in Amsterdam – a number of Italian journalists remarked in one of the Dutch newspapers: “The Netherlands is naive”.10 2.2 The Absence of Thorough Evaluation The major problem with this warning – and hence also with Falcone’s prediction – is that even today it has still not been directly and thoroughly evaluated. Nor can a thorough evaluation be conducted indirectly on the basis of the research that has been carried out up to now. Not only has there been no comprehensive empirical research into the organisation and the operations of the Italian mafia in the territories of the aforementioned member states, there has also been no rigorous comparative research into the situation in those countries and the situation in Italy itself. The growing body of literature on the expansion of the Italian mafia in Europe, and specifically Germany in this case, must therefore be treated with caution.11 After all, since much of the literature is entirely based on non-German sources and therefore fails to correspond in important respects with what has actually happened in Germany or what has been written about the Italian mafia in this country.12 This doesn’t mean, however, that in recent years no important analyses have been made of the organisation and operations of the mafia in Germany on the basis of Italian sources. Felia Allum’s study of the nature, the scale and the process of the Camorra’s expansion through Europe is also extremely informative with respect to Germany. Nevertheless, even that study would have benefited from the integration of the research based on Italian sources with research in relation to German sources.13 Be that as it may, it is incontrovertible that mafiosi on the run from the Italian law enforcement authorities still hide out in countries such as the Netherlands, France and Germany. This is obvious from the incessant stream of newspaper reports about the arrest of mafiosi in these countries. Crime reporting also leaves no doubt that for many years mafiosi have been engaged in various illegal activities, in particular drug trafficking, in these and other North-West European countries. Furthermore, anyone who looks a little more deeply into the reporting on the Italian mafia knows that mafiosi use legitimate businesses, such as restaurants and transport companies, to facilitate and camouflage their illegal activities in those countries. The point immediately has to be made, however, that the three aforementioned activities are in no way a distinctive feature of the Italian mafia in the European Union member states: members of criminal organisations have traditionally hidden in other countries to avoid the police and prosecution authorities in their own country; criminal organisations are, by definition, systematically involved in illegal activities, 10 M. Leijendekker, Italiaanse mafia-experts: ‘Nederland is naief’, NRC-Handelsblad, 19. 12. 2019. 11 See Varese 2011; Allum 2016; Sergi & Lavorgna 2016, 53 – 70. 12 Sergi & Lavorgna 2016, 58 – 60; Dagnes, Donatiello & Storti 2019, 194 – 196. 13 Allum 2016, 64 – 104. See also Sciarrone & Storti 2013.

Giovanni Falcone’s Prediction of the Italian Mafia’s Expansion

355

in particular drug trafficking; and organised criminal gangs around the world commonly use legitimate businesses as a cover for their illegal enterprises. In other words, the question to be answered with an evaluation of the accuracy of Falcone’s prediction is whether the Italian mafia employs methods that are typically characteristic of it, and which therefore distinguish it from other criminal organisations, in European countries other than Italy. In light of the contemporary analyses of the organisation and operations of the mafia in Italy, this means that the first question to be answered is whether, in cities or regions of another country, mafia groups take significant steps to gain control over or acquire a monopoly in particular sectors of the economy (hospitality, construction, agro-industries, waste processing, etc.) or systematically employ some form of extortion on every possible company in a sector. The second question that needs to be answered is whether mafiosi endeavour to gain control over political parties and/or local authorities (or key persons in them) in cities and regions in those other countries.14 And, until these two questions have been properly answered, it is in any case inappropriate to make outspoken assertions regarding the Italian mafia’s expansion into North-West Europe. In the current circumstances it is certainly incorrect to equate the situation in Italy in general terms with that in countries in North-West Europe. As Falcone remarked, it has to be recognised that the Italian mafia is organised and operates differently in other countries than in Italy because the political, cultural and economic conditions are so different. Naturally, that is not to say that the three ways in which the Italian mafia has long manifested itself in European countries other than Italy could not lead, in time, to situations that are apparently commonplace throughout Italy today. But it is precisely in order to identify the precise threat posed by an entrepreneurial capitalist mafia – to paraphrase Pino Arlacchi – early on that it is so important to look in detail at developments that are occurring in countries like the Netherlands and Germany and to compare them as far as possible with those in the Italian mafia’s own country.15

3. The Discussion in the 1980s A survey of the literature on the growth of the Italian mafia in Germany in the second half of the twentieth century shows that the growing threat from organised crime has been the subject of debate since the 1960s.16 Until the late 1980s, however, prominent police chiefs, and even members of the public prosecution service, were 14 Fijnaut 2012, 134 – 135. On the current situation in Italy, see, inter alia, Sciarrone 2010; Serenata 2014; Scalia 2016; Di Gennaro & La Spina 2017; Massari & Martone 2019; Allum, Marinaro & Sciarrone 2019. 15 Arlacchi 1986. 16 Early publications include Steinke 1966, 148 – 150; Zühlsdorf 1974. See also Kinzig 2004, 46 – 60, 243 – 265; Luczak 2004, 175 – 262.

356

Cyrille Fijnaut

very circumspect when speaking in public about the criminal activities of the Italian mafia in German territory.17 But this reticence on the part of the law enforcement authorities could not be maintained forever. To begin with, striking examples of large-scale criminal activities involving the Italian mafia in various places in Germany were given at confidential meetings in the early 1980s, based on criminal investigations. The crimes mainly involved extortion and arson attacks on Italian pizzerias and ice cream parlours.18 In addition, at the end of the 1980s articles appeared in various police journals about crimes committed by the Italian mafia in Germany itself and committed in Italy from Germany. These articles referred not only to extortion and arson attacks against Italian businesses in the hospitality sector, but also to car theft, murder, robbery, drug trafficking and money laundering operations along the Germany-Italy axis. A number of the articles also mentioned the enormous difficulty faced by the authorities in solving these crimes because suspects and witnesses refused to make statements for fear of the consequences – in Germany itself or in Italy.19 A second point to be made in this context is that three sensational books by journalists about organised crime, and in particular the Italian mafia, were published in Germany in the period 1987 – 1989: Der Mob by Dagobert Lindlau, Mafia: Ziel Deutschland by Werner Raith, and Die Absahner by Butz Peters. These books described illegal gambling operations in Hamburg, extortion of pizzerias and casinos in the Ruhr region, and murders at various locations in Germany in a quite alarming, not to say alarmist tone. The authors also made the serious accusation that, despite everything, the competent authorities turned a blind eye to the Italian mafia and failed to take the necessary measures to control the problem.20 Did German criminologists not engage in the political and media discussion about the mafia’s expansion in the country? Given that Henner Hess had written a famous book about the mafia in Sicily (published in German in 1970 and in English in 1973), one would have thought that the only possible answer was yes.21 But nothing could be further from the truth. It was only in 1989 that Carola Reiners defended an important thesis containing a comparative survey of organised crime, and in particular the Italian mafia, in the United States, Italy and Germany. In the thesis, she wrote about groups of Italian criminals in Frankfurt, Mainz and other large German cities – with close connections to one another and to criminal organisations in Italy – that 17 Rebscher & Vahlenkamp 1987 and 1988; Dörmann, Koch, Risch & Vahlenkamp 1990. See also, for example, Jacobi 1990; Sielaff 1990; Zachert 1990; Ostendorf 1991. 18 Sielaff 1983, 42 – 44; Müller 1983, 88 – 109. 19 Lenhard 1990, 58; Prinz 1990, 657 – 661; Stümper 1985, 11; Weigand 1988, 7, 10; Weigand 1989, 191 – 192. For a specific example of what happened in some places, see Ulrich 2005, 94 – 125. 20 Lindlau 1987, 140 – 141, 177 – 179, 184 – 188, 202 – 210, 214 – 219, 230 – 243, 256 – 270; Raith 1989, 54 – 63, 84 – 93, 172 – 205; Peters 1990, 170 – 176, 248 – 250, 256 – 262, 280, 285. 21 Hess 1973.

Giovanni Falcone’s Prediction of the Italian Mafia’s Expansion

357

committed every conceivable form of crime: widespread extortion of Italian restaurants, robbery, illegal gambling, spreading counterfeit currency, and money laundering in the real estate sector. And, she added, anyone – journalists and judges – who tried to learn more about their illegal activities was seriously threatened. In that respect, she stated, the situation in a city like Frankfurt was no longer very different from what happened in Italy. In fact, she also found that the American Cosa Nostra was making efforts to take control of the illegal gambling market in Hamburg. Nonetheless, her final conclusion was that whereas organised crime had become a permanent fixture of society in Italy and the United States, in Germany it was generally more a spin-off from the Wirtschaftswunder and was therefore closely linked to organised economic crime. However, she also stressed that the operating methods of the Sicilian Cosa Nostra, the Neapolitan Camorra and the American Cosa Nostra on German territory were similar to those they employed in Italy and the United States, and that their long-term impact on German society should not be underestimated.22

4. The Findings in the 1990s In light of the above analysis of the situation in Germany prior to November 1990, it is all the more relevant to explore whether Falcone’s speech at the Bundeskriminalamt in November 1990 has had any effect on the debate and the policy relating to the Italian mafia in Germany. After all, this cannot be ruled out. In any case, in the course of 1991 – 1992 the Bundeskriminalamt collected all the information about the organisation and operations of the four branches of the Italian mafia that had been gathered through criminal investigations in the federal states. The results of the analysis of this information were compiled into a confidential report running to around 300 pages. In 1992 – 1993 journalists, as well as officials of the Bundeskriminalamt, published an overview of the findings, together with their personal observations.23 Broadly speaking, the findings were as follows: – In the period 1989 – 1991, 62 investigations were carried out into the activities of the Sicilian Cosa Nostra (24), the Camorra (16), the ’Ndrangheta (6) and the Sacra Corona Unita (5). Most of the investigations took place in Baden-Württemberg, North Rhine-Westphalia, Hesse and Bavaria. – The principal criminal activities of these four groups in Germany were drug trafficking, cigarette smuggling, car theft, arms trafficking, robbery, illegal gambling, the sale of counterfeit clothing, extortion with violence, arson and money laundering. The mafia groups committed these forms of crime on a far larger scale than

22

Reiners 1989, 194 – 196, 199, 201 – 202, 205 – 206, 241 – 244. Gehm & Link 1992; Leyendekker, Rickelman & Bönisch 1992a, 243 – 275; Leyendekker, Rickelman & Bönisch 1992b; Zachert 1993. 23

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had been believed up to then. The majority of Italian restaurants in Munich and Cologne had to pay “protection money”; in Mainz, the figure was at least 80%. – There was no longer anywhere in Germany that members of the mafia had not settled. For example, in and around the small town of Kempten, there were around 130 mafiosi living and 30 members of the Sicilian Cosa Nostra were systematically extorting compatriots. A chief of detectives in Naples estimated the number of members of the Camorra operating in the east of Germany at 2,000. – The mafia clans fought out conflicts in Germany, but also from Germany in their cities and villages of origin. Evidence connected with the murders of Falcone and Borsellino was also traced back to Germany. Falcone had at one point received a death threat in a letter that was postmarked in Wuppertal. These findings were discussed at a meeting between Germany’s Minister of the Interior, Rudolf Seiters, and his Italian counterpart, Nicola Mancino, in Bonn on 7 September 1992. The press release published after the meeting referred to the need to end the activities of organised crime, in particular the mafia, because of the serious threat it posed to the state and to society. The press release went on to say that according to the information available to the security services, Germany had also become one of the mafia’s areas of operation – partly due to the fact that many Italians had come to live and work in the country.24 Remarkably enough, even the Bundeskriminalamt’s report failed to lead to an upsurge in scientific research into organised crime. The principal outcome was a few conferences devoted to the manifestations of this form of crime and the possibilities and complications of tackling it.25 This is evident from the overview provided by Jörg Kinzig and Anna Luczak in their contribution to the book on organised crime in Europe by Paoli and myself in 2004.26 One of the few exceptions was the study by Norbert Pütter of the consequences that efforts to combat organised crime would have for the legal regulation and de facto organisation of investigations and prosecutions.27 In his postdoctoral thesis, Kinzig in fact studied the situation in the state of BadenWürttemberg in the 1990s in more depth. The conclusion to be drawn from that analysis is that representatives of the various branches of the Italian mafia were mainly involved in various forms of car theft, spreading counterfeit currency, extortion of pizzerias, and trafficking of drugs and weapons, as well as the murder of a relative of a crown witness.28

24

Innere Sicherheit, no. 4, 12, 30. 10. 1992. Mayerhofer & Jehle 1996. 26 Kinzig & Luczak 2004. See also Kaiser 1996, 416 – 417. 27 Pütter 1998. 28 Kinzig 2004, 392 – 424. 25

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5. An Impression of the Current Situation According to a press release from the Bundeskriminalamt on 12 December 2007 announcing the establishment of a German-Italian task force to combat the Italian mafia, 65 mafiosi had been arrested in Germany since 1997, and in 2006 criminal investigations had been conducted into 26 Italian criminal organisations, half of which had to be regarded as mafia groups. The creation of the task force was a direct response to the murder of six members of the Pelle-Romeo clan from San Luca, Calabria, who were killed in front of the Da Bruno pizzeria in Duisburg by members of the Strangio-Nirta clan, which came from the same town. The murders not only highlighted the presence of the ’Ndrangheta in Germany, but also the close links between its clans in Italy and their members in Germany.29 In a secret report on the ’Ndrangheta in 2009, the Bundeskriminalamt wrote that this branch of the mafia had 229 families, comprising around 900 members, in Germany and that they were engaged mainly in arms trafficking, money laundering, drug trafficking, illegal waste processing, and extortion.30 A year later, Francesco Forgione, a former chairman of Italy’s parliamentary anti-mafia commission, published a book on the expansion of the Italian mafia in Europe, which contained maps showing precisely which German cities were home to branches of specific clans of the ’Ndrangheta, the Camorra and the Sicilian Cosa Nostra. In the book, he also explained that the murders in Duisburg were closely linked to the conflict between the clans concerned for dominance of the international drugs and arms trafficking market. He also referred to the multifunctional character of the pizzerias owned by the mafia in Germany: they can be used to launder money, as suitable meeting places for planning criminal enterprises, as depots for storing drugs and weapons, etc.31 In the ensuing years the German media continued to report frequently on the arrest of mafiosi, at the request of the Italian authorities or otherwise. However, now and again there were also major criminal investigations. A good example is the investigation of the Italian “Bau-Mafia” in the Ruhr region. It was targeted at building companies, which were controlled by members of the Sicilian Cosa Nostra or the ’Ndrangheta but were run by strawmen, that paid neither taxes nor social security contributions, and consequently engaged in unfair competition and undermined the legitimate building industry.32 Another well-known example is the lengthy investigation into a

29 Sprenger 2017, 17 – 20, 63 – 80, 151 – 172. For more about San Luca and about the chief of detectives who led the investigation, see Reski 2008, 50 – 84, 187 – 199. See also Reski 2012, 52 – 77. 30 Reski, Die Mafiosi von nebenan, Die Zeit, 13. 08. 2009. 31 Forgione 2010, 105 – 128. See also Gratteri & Nicaso 2009, 245 – 248; Dietz 2011, 191 – 222. 32 X, Großrazzia gegen italienische Baumafia, Köln Nachrichten, 17. 01. 2013; Diehl, Schmid & Ulrich, Staatsanwaltschaft klagt mutmaßliche Baumafiosi an, Spiegelonline, 30. 10.

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string of illegal activities carried out by the Sicilian Cosa Nostra and the ’Ndrangheta in Baden-Württemberg, primarily drugs and arms trafficking, arson and extortion.33 Another example that really stands out is the joint investigation by the Italian and German police into the Sicilian Cosa Nostra in Cologne that engaged in drug trafficking, but also tried to seize control of the fish trade from Rome and Milan to Germany.34 Naturally, recent annual reviews of organised crime by the Landeskriminalämter in the states of North Rhine-Westphalia and Bavaria can provide a clearer general impression of the current level of illegal activity by the ’Ndrangheta, the Sicilian Cosa Nostra and the Camorra (and the investigations into them) in Germany. Crimes that are repeatedly mentioned in these reviews are drug trafficking, money laundering, armed robbery of jewellery stores, tax evasion, illegal arms trafficking, car theft, currency counterfeiting and forgery. A more unusual example is the report of the successful effort by several ’Ndrangheta clans to compel important sections of the Italian hospitality sector in Bavaria to buy wine, fish and pastry from their companies in Calabria (“Agromafia”).35 It is also noteworthy that the reports refer to the fact that the illegal activities are generally closely linked to the clans’ illegal activities in their regions of origin and that they are also organised and controlled from those regions.36 For an impression of the situation at the federal level, the primary source of information is the Bundeslagebild Organisierte Kriminalität. This annual summary of the situation is published by the Bundeskriminalamt. According to the surveys for the period 2017 – 2018, an average of roughly 13 or 14 criminal investigations are conducted each year into various branches of the Italian mafia in Germany, in particular the ’Ndrangheta and the Sicilian Cosa Nostra. These investigations mainly concern cocaine trafficking, but also money laundering, extortion, robbery and car theft.37 Another relevant source in this context is the fairly recent replies by the Bun2013. See also Bülles 2013, 103 – 127; Schraven & Meuser 2017, 166 – 182; Reski 2012, 149 – 155. 33 E. Wein, Eine Nummer zu klein für die Mafia, Stuttgarter Zeitung, 20. 04. 2018; R. Soldt, Dunkle Geschäfte im Schwarzwald, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 21. 09. 2018. In this context, see also Landtag von Baden-Württemberg, Italienische Mafia in Baden-Württemberg im Jahr 2019, Drucksache 16/6378, 04. 06. 2019. For a sketch of a specific situation, see Ulrich 2005, 214 – 219. See also Schraven & Meuser 2017, 58 – 64, 82 – 89; Reski 2012, 164 – 170. 34 X, Erfolgreicher Schlag gegen die Mafia in Deutschland und Italien, Aktuell Deutschland, 04. 10. 2017. 35 See also Schraven & Meuser 2017, 142 – 145; Reski 2012, 173 – 188. 36 Polizei Nordrhein-Westfalen, Landeskriminalamt, Organisierte Kriminalität: Lagebild NRW 2015 & Lagebild NRW 2017; Bayerisches Landeskriminalamt/Staatsanwaltschaften in Bayern, Organisierte Kriminalität: Gemeinsames Lagebild Justiz/Polizei 2017. See also the letter from the Minister of the Interior of North Rhine-Westphalia H. Reul to the Landtag of 11. 02. 2019 on efforts to combat the mafia in the state. 37 Bundeskriminalamt, Organisierte Kriminalität: Bundeslagebild 2017 & Bundeslagebild 2018.

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desregierung to three questions from members of the Bundestag regarding the illegal activities of the Italian mafia in the country.38 In a nutshell, and in as far as they are relevant for the purposes of this article, these fairly detailed replies contain the following findings and insights: – As far as is known, more than 560 members of the Italian mafia are living in Germany; in 2017 there were 87 members of the Camorra (31 clans), 124 members of the Sicilian Cosa Nostra (24 clans), 333 members of the ’Ndrangheta (51 clans) and 18 members of the Apulian Sacra Corona Unita (9 clans). Some of these figures were slightly higher in 2019 – there were 344 members of the ’Ndrangheta, belonging to 61 clans, for example. – However, the estimate of the number of members of the Italian mafia living in Germany includes a large ‘dark number’. For example, the ’Ndrangheta is believed to have 18 to 20 support points in Germany – mainly in North Rhine-Westphalia, Bavaria, Baden-Württemberg and Hessen – each of which could have up to 50 members. In other words, the actual number of ’Ndrangheta members in Germany could be between 800 and 1,000.39 – Criminal investigations into the Italian mafia have been a priority for the Bundeskriminalamt since the 1990s. In 2017, there were 14 such investigations.40 – The members of these organisations – particularly members of the Sicilian Cosa Nostra and the ’Ndrangheta – were mainly active in drug trafficking (primarily cocaine), economic crime, violence, waste processing, fiscal crime, money laundering, crimes against property, counterfeiting and illegal gambling. – In some cases, it was found that the ’Ndrangheta forced Italian restaurants to buy food from Italy. The restaurants need the products anyway and many of the restaurateurs are from the same regions in Italy and therefore did not have to be coerced: they know that refusing the offer could have repercussions. – In 16 investigations in the past few years it was found that the mafia had exerted pressure of one form or another on politicians, media, public authorities, the judiciary or the economy; no evidence of corruption was found in investigations carried out during this period; three attempts had been made to exert pressure on a person in the one of the above categories in 2017. – The Italian mafia consciously conducts itself very defensively in Germany and abstains as far as possible from committing violence in order to avoid revealing its illegal activities as far as possible.

38

Bundestag, Drucksache 18/13320, 15. 08. 2017; Drucksache 19/4104, 31. 08. 2018; Drucksache 19/10541, 31. 05. 2019. 39 For examples, see Ulrich 2005, 256 – 258; Reski 2012, 101 – 125. 40 On the difficult progress with these investigations, see, inter alia, Schraven & Meuser 2017, 204 – 216.

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A further point that has to be made here is that at several points the government says it has no clear picture of the actual situation. For example, it is impossible to say anything about the mafia’s total turnover in the country or about its investments in real estate, gastronomy and the building industry.

6. Conclusion Assessing the first three assertions made by Falcone in light of the above narrative, the following conclusions can be drawn for each of them. As regards the first assertion: – Given the reports from the 1980s, it can only be acknowledged here that the various mafia groups co-emigrated, as it were, with the large number of workers from the south of Italy who travelled to find work in Germany after the Second World War. – It is clear, in particular from the violent acquisition of control of Italian restaurants, that these groups almost immediately began exerting pressure on the Italian communities that were being formed at that time. – These communities not only formed a good hiding place for mafiosi who had fled from Italy, but also provided an effective cover for various illegal activities that were carried out in Germany but organised in Italy, and vice versa. In relation to the second assertion: – It is indeed possible that the abolition of controls on the internal borders of the European Union facilitated the expansion of mafia practices, but even before then the controls had not constituted an obstacle to the mafia’s expansion into Germany and other countries in North-West Europe. It can therefore be argued that Falcone probably overestimated the impact of the abolition of border controls. – As the bloodbath in Duisburg showed, Falcone was correct in referring to the risk that bloody conflicts similar to those in Italy itself might occur in these countries or that such conflicts, once started in Italy, could also spread outside the country to a certain extent. With regard to the third assertion: – It is clear that the mafia groups develop (or seek to develop) illegal activities in various places in Germany and in various sectors of the legitimate economy, but there is so far no evidence that they systematically control, let alone have a monopoly in, specific economic sectors in a particular city or region. Nor has it been found that they interfere in the elections in Germany or are guilty of large-scale bribery of public officials.

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– That latter point is a ground for endorsing Falcone’s assertion that these groups behave differently in Germany than in Italy, but also the German government’s reply on 31 May 2019 to the third parliamentary request, namely that it could not be asserted, on the basis of the criminal investigations that had been launched, that the ’Ndrangheta was penetrating increasingly into German society by means of corruption and violence. – However, it cannot be concluded from this that omerta does not play a major role in Germany, as Falcone suggested: it still plays a major role in Italian communities in Germany and in the German branches of the various mafia groups. These conclusions in relation to the first three assertions show that although they are very plausible in many respects, the predictions made by Falcone in 1990 are highly debatable in others. They are not, in any case, the final word on the expansion of the Italian mafia into Germany and should therefore be seen mainly as an incentive to conduct further in-depth empirical research into the mafia’s expansion into that country and other member states of the European Union. Not only to provide nuance and underpinning for the views Falcone expressed to the Bundeskriminalamt in 1990, but also to bridge the very wide substantive gap that has existed for many years in Germany between the prominent journalism on the subject and the very meagre reports from the political, judicial and police authorities at the federal level and in the federal states.41 Such research could also provide an opportunity for a realistic discussion with Italian judges and journalists about the expansion of the mafia into North-West Europe. References Allum, F. (2016): The Invisible Camorra: Neapolitan Crime Families Across Europe. Ithaca. Arlacchi, P. (1986): Mafia Business: The Mafia Ethic and the Spirit of Capitalism. London. Blumenthal, R. (1988): Last Days of the Sicilians: At War with the Mafia: the FBI Assault on the Pizza Connection. London. Bülles, E. (2013): Deutschland Verbrecherland? Mein Einsatz gegen die organisierte Kriminalität. Berlin. Calandra, F. (2017): Between Local and Global: The ’Ndrangheta’s Drug Trafficking Route. International Annals of Criminology 55/1, pp. 78 – 98. Calderoni, F. (2011): Where is the Mafia in Italy? Measuring the Presence of the Mafia across Italian Provinces. Global Crime 12/1, pp. 41 – 69. Critchley, D. (2009): The Origin of Organized Crime in America: The New York City Mafia, 1891 – 1931. New York.

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Reflections on the Money Trail By Michael Levi

1. Introduction Following the Money Trail was introduced to deal with ‘Organized Crime’, a ‘floating signifier’ in Levi-Strauss’ anthropological terms, which has been an important theme of Professor Hans-Jörg Albrecht’s work. Somehow, the following of the money trail has also morphed into dealing with ‘organized economic crime’. ‘Economic crime’ now includes 1. frauds of different types with different victims, sometimes badged under the category of ‘vulnerable’ (which can be tautological); 2. ‘market abuse’ such as insider dealing/trading; 3. money laundering (of all crimes); 4. financing of terrorism (mostly since 2001) and (since 2008) of proliferation financing, including weapons of mass destruction; and 5. transnational bribery (usually, but not necessarily, from OECD country corporations to public officials in the Global South). Anglophone lawyers brought up with constructs such as mala in se and mala prohibita might find some difficulties in adapting to these changes, because these takenfor-granted labels often are taken to equate to old crimes and new crimes: yet quite apart from the compliance costs, lengthy sentences and (in nominal terms) huge financial penalties are imposed for violations thereof, at least on the relatively rare occasions when formal action is taken. It may be useful to regard ‘economic crime’ and two of its sub-sets – ‘money laundering’ and ‘corruption’ – as a category of illicit capitalism which reflects the successes (and failures) of the pressure group politics of criminalization and of functionally equivalent methods of control. An almost universal core component of this is the passage of criminal laws and regulatory processes that meet evolving Financial Action Task Force (FATF) criteria. Historically, there have been varied global estimates of the size of what used to be called ‘the hidden economy’ and latterly, illicit financial flows. The EU requires member states to provide estimates because of the implications for ‘true’ GDP and national contributions to the EU budget (Eurostat 2018). Reuter (2013) has expressed strong scepticism about both the feasibility and the value of such money laun-

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dering estimates, and in practice, the main significance of such figures is to signal that this is a big problem and more needs to be done about ‘the problem’. The moral claims of the AML entrepreneurs also made it culturally and reputationally challenging for the financial sector in any country to explicitly attack controls: hence the curious death of ‘customer confidentiality’ as a discourse in the public arena. There is no evidence that any of the global figures generated is used operationally as a baseline for assessing the effectiveness of Anti-Money Laundering (AML) or of any other policy: if it was, as with the various forms of ‘wars on drugs’, the policy framework might have to be abandoned or seriously modified.

2. Data and Evaluation Even in those countries where evidence-based policing is not a mantra, however, some performance data are called for, though countries struggle to utilise sensibly their analytical value as proxies for effectiveness. As the experience of Germany – in 2020 preparing for its Mutual Evaluation Report – also illustrates, the FATF and FATF-style evaluations ask countries to show evidence of ‘good performance’ in AML by, e. g. the number of suspicious activity reports (SARs), criminal laundering prosecutions (including standalone ones unaccompanied by predicate crimes such as drugs and human trafficking), asset freezing and confiscation, etc., but preventative activities and their impacts are assumed rather than measured. The easiest way to please the evaluators is to show an increase in SARs, to prosecute more selflaundering cases and thus increase recorded ‘money laundering’ and ‘financial crimes’, accompanied by a narrative of how this reflects their greater efforts against laundering. Halliday et al. (2014) were rather critical of the earlier Third Round FATF evaluation process, likening it at times to the Tsarist Potemkin Villages in which an appearance of compliance and formal structures were often sufficient to impress. It remains an open question to what extent this has changed in the post2013 era (Ferwerda & Reuter 2019; Levi et al. 2018; Pol 2019; van Duyne et al. 2019). What is clear is that the majority of countries have begun already to experiment with national risk assessments based around this evaluation process, aided by consultants with experience of using (or in some cases, gaming) the system to gain better marks. There have been few attempts to develop a coherent policy for all the disparate acts that fall under the umbrella term ‘financial crime’, nor is there any obvious prioritisation outside activities regarded as important for ‘national security’ and business interests, such as protection from (primarily Iranian and North Korean) financing of nuclear proliferation and from broader state-sponsored attacks on corporate/ national infrastructure and cybersecurity. The control of at least some of the offences in the five sub-categories above has become the responsibility of national regulators of financial services and of the professions, often termed ‘gatekeepers’. Curiously, this regulatory remit excludes most

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frauds by volume, since in the UK, for example, only those frauds committed against or by regulated firms that achieve the Financial Conduct Authority (FCA)-undefined category of ‘significant’ are in scope, and even there, nothing is known about the follow up to such reports. However the banking industry representative body’s UK Finance is a member of the Economic Crime Board of the UK government, both for its AML/sanctions roles and for its anti-fraud role because identity fraud and payment card fraud are the most visible parts of the ‘organised’ economic crime spectrum, and affect directly the largest number of people of any economic crime or indeed any other crime for gain. The criminalisation of transnational (and sometimes national) bribery affects banks directly via risks (should they fail to report any suspicions they may have) of money laundering charges (a) against their own individual Money Laundering Reporting Officers and (b) perhaps against the banks themselves. It also affects banks indirectly because of the risks (however remote in practice) that companies to whom they have lent money might be damaged by severe penalties should they be convicted of corruption. The implications of these developments are important. ‘Economic crime’ comprises crimes with different categories and levels of harm, committed by and impacting upon highly diverse sectors of the population. Their sub-components are investigated (and investigatable) by very different policing and regulatory methodologies both before and after ‘crime’ commission. As a legal category, ‘laundering’ does not enable us to distinguish between licensed professionals who launder, professional (i. e. regular) knowing money launderers, people who launder money from their own crimes (like burglars putting money into their own bank accounts in their own names), and banks who intentionally or recklessly ignore their obligations to report suspected money laundering or who turn a wilfully blind eye to ‘smurfing’ by customers to manipulate deposits to fall below the routine reporting threshold. Banks generally counter that any laundering is the result of rotten apple rather than institutionally supported misconduct, and without smoking gun emails/ recorded conversations, or verified whistle-blower accounts, or some ‘market testing’ exercise as conducted by Findlay et al. (2014), it is difficult to test this or validly falsify such claims. What is certain, however, is that violations by institutions great and small continue, despite occasional regulatory and rare criminal institutional sanctions. Some more subtle thinking is needed on metrics of reoffending. Given its size, is a violation at Deutsche Bank ‘the same’ as one at a much smaller institution? In this era of globalisation, problems also arise for crime statisticians – and note that jurisdictions are mandated to conduct national risk assessments, presumably with their own country’s risks as the central organising concept (see Ferwerda & Reuter 2019, for an early review). There are also EU supranational risk assessments in 2017 and 2019. Normally, when we think of risk, we think of harms that can be plausibly or potentially done to a natural person or an organisation/legal person (and perhaps to a sector). This has commonly been extended to ‘reputational risk’ with its implications for individuals and businesses’ future capabilities and profits. Apart

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from summing up these at a national level, sanctions against jurisdictions for their deemed failures to meet AML/tax transparency standards need to be factored in. One might take SARs or STRs as alerts to possible malefaction: but it would be reasonable to conclude that rather than reflecting reporters’ own normative beliefs that action ought to follow, SARs reflect regulated persons’ blind obedience to rules and/or fluctuating terror at being punished by regulators or criminal courts for not seeing that transactions are acts about which ‘something should be done’. The analogy could be criticised on the grounds that (except for lawyers, whose beliefs that funds are proceeds of crime need to be ‘reasonable’ before overriding client confidentiality in the UK) SARs are only suspicions about predicate offences. But racially motivated offending/hate crime also involves a subjective judgment about motivation rather than an objective fact. However to my knowledge, no government or statistical office has yet taken seriously the task of creating criminal statistics for money laundering beyond prosecutions or convictions, which may be set out in justice statistics rather than in crime statistics. It is impossible properly to evaluate the impact of AML if there are no before and after data – but although the UK government has commissioned a series of ‘gap filling’ studies on serious and organised crime, they appear to have (perhaps reasonably) concluded that a lightly funded RUSI survey and seminar was sufficient to write off the possibility of ‘a figure’ for money laundering (Moisienko & Keatinge 2019). Given the range of predicate crimes of poor estimatability and our ignorance about the savings ratios of offenders, even working out an order-of-magnitude figure with a large range raises the question of what is our motivation or perception of value for performing such an exercise (see Reuter 2013). There have been more modest data-gathering exercises on particular dimensions of money laundering. One that held promise was the de Boyrie et al. (2004) attempt to develop price discrepancy analysis for testing over and under-invoicing of physical goods. Publicly this has not been verified or falsified as a model, and given the secrecy of tax bodies, it is difficult to infer whether their proposals were impractical or whether the political economy pressures (of a kind highlighted by the Tax Justice Network) or bureaucratic ones have inhibited take up. We even have little understanding of the impact of Panama Papers, Swiss Leaks and other scandals, despite the best efforts of the Süddeutsche Zeitung and other worthy investigative media that are part of the important phenomenon of the International Consortium of Investigative Journalism. There has been little clamour for evidence-led or even evidenceinfluenced policy in AML, except mutedly from those banks who would like to spend less money or the same money more effectively on anti-laundering measures.

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3. Proceeds of Crime Another component of the Wars on Organised Crime, Drugs and Economic Crimes which has interested both Hans-Jörg Albrecht and Michael Kilchling at the Max Planck Institute is the confiscation or recovery of proceeds of crime. The reform of law is a political process, and the elements of underlying political pressures – as well as the difficulties thrown up by cases brought or wanted to be brought – have a strong influence on prioritisation of issues in the scarce space available in parliamentary timetables, whether in Germany, the UK or around the world. This section will review the cultural and political background behind measures to combat proceeds of crime, the history of legislation and implementation, and the contemporary case for change. The proceeds of crime confiscation are socially and politically attractive for a range of reasons. Confiscation and forfeiture are socially restorative in a visible way that takes away something criminals have acquired and feel that they have ownership of, even if they know it is not legal; they offer a chance at general deterrence or at least crime reduction, through the common sense assumption (not proven empirically) that criminals will not offend at all or will offend less if they ‘realise’ that they will not be able to keep the funds that they have ‘acquired’; and they offer some compensation to identifiable victims, to society and (via a sometimes controversial incentives scheme, especially in the US) to police, prosecutors and the courts for the recovery of enforcement costs or even profits in the use of financial investigation, asset freezing and other mechanisms to pursue assets. Confiscation and asset recovery also offer something for diverse political and even ideological constituencies. For non-governmental organisations and development aid agencies in the Global North and South, there are prospects of deprivation of the proceeds of Grand Corruption (which usually involves offences committed in other jurisdictions, in which one or more major financial centres are trusted locations for assets and may also be where the bribe-paying companies – if not their actual bribe-paying intermediaries – are located). See successive Siemens scandals as an example. Sanctions and asset freezing supplement banking and corporate due diligence by placing some funds ‘beyond use’, thereby reducing terrorism capacity for legally designated individuals, networks and rogue states – an impact also claimed for freezing and confiscation on transnational organised criminals. For the public, stripping undeserving criminals – from local dealers to transnational traffickers and from full time criminals to otherwise respectable fraudsters – of the fruits of their crimes offers the hope that this will reduce the extent to which they serve as negative role models for young people in their communities and offers some symbolic satisfaction. In societies which crave public signals to offenders to deter them from vice and to show the virtuous that crime does not pay, proceeds of crime freezing and recovery is important. Its absence is also important. Consequently, the public failure to achieve those objectives humiliates the State and civil society. By any reasonable criteria, levels of proceeds confiscation have

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failed to meet hopes and claims for major impact anywhere in the world. A good way of thinking about this is to compare the amounts confiscated not just in money terms but as a proportion of the proceeds of or profits from crime. The public, like the media and indeed governments, may not ‘connect up’ the large (if empirically contested by scholars) ‘estimates’ of money laundering and the ‘costs of organised crime’ with the relatively puny criminal assets confiscated or even frozen: however it is not intellectually tenable to argue that confiscation is successful at the same time as asserting that criminals are making sums in the trillions while confiscation globally barely struggles into the billions of dollars, euros or pounds. It appears that criminals are mocking the state’s efforts to inhibit their lifestyle. Added to the dramatic demonology of crime itself, this somehow makes the grievance of lack of redress and ‘just deserts’ worse. If it turns out that offenders’ vehicles and other apparent ‘assets’ are hired or borrowed and are beyond the reach of confiscation or forfeiture, and that suspects and convicted persons cannot be stopped from making use of these ‘undeserved’ facilities, it may evoke the same resentments (or sometimes envy) at lack of entitlement as the stereotype of social security fraud, and even worse if the public can see (or imagine) them continuing to do visible harm in their neighbourhoods. It may contribute to de-legitimate the state’s claims about its capacity and motivation to control ‘serious crime’. Often, these issues are analysed only in a national framework, and sometimes this is a very parochial one. Despite the narrow framework of UK National Audit Office and Parliamentary reports, it is important to appreciate that the problems of pursuing offender assets are neither new nor are they restricted to any one country. A reader of UK reports would be unaware of the EU network of member states’ Asset Recovery Offices, the Europol-based Camden Asset Recovery Inter-Agency Network, and the wealth of British, Dutch, German and Italian – indeed pan-EU and Council of Europe – empirical as well as legal research on this subject (see Levi 2018; Levi & Soudijn 2020). Whether pre- or post-Brexit, the UK and Germany must deal with their crime problems on a national basis as well as by cooperation or pressure in international cases, which has improved in recent years. More critical detailed attention is needed to the sorts of cases that generate larger and unsuccessful recoveries internationally, to examine whether success and failure are associated with case mix rather than particularities of confiscation regimes, and also the issue of criminal assets held overseas that were neglected when legislation was drafted. The choice between metrics of asset recovery performance – per capita population, per recorded crime (or sub-set of crimes), per amount reasonably estimated to be proceeds of crime domestically and imported, per amount frozen or only actually confiscated or recovered – have not received serious analysis in formal papers by the Financial Action Task Force, International Financial Institutions (IMF, World Bank), governments or audit bodies internationally. Although we should be much wearier than the evangelists of change usually are about whether there is a universal ‘what works’ package to be found in this realm, these experiences may and should

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teach us that there are broader issues we need to consider even if we are focused solely on restraint and confiscation cases in our own country. Indeed the ‘in’ here should be carefully considered: the assets of offenders convicted (or investigated) in the UK or Germany may be overseas, while assets may be held in the UK or Germany by offenders (including but not restricted to kleptocrats) who reside overseas. No country can itself determine extra-territorial restraint and confiscation (though worldwide freezing orders – formerly known as Mareva injunctions – were developed by the English civil courts to deal with financial claims, including misconduct such as Grand Corruption anywhere in the world). Implicit in many official money laundering reports is the assumption that criminals are Protestant ethic capitalists aiming principally at accumulation of capital and on integration of their illicitly acquired proceeds into the respectable economy. It is true that empirical studies of offender lifestyles are thin on the ground, but Freakonomics insights such as its chapter ‘Why Do Drug Dealers Still Live With Their Moms?’, as well as more formal academic studies, yield some grounds for scepticism about the centrality of accumulation in criminal motivation (Levitt & Dubner 2006; van Duyne & Levi 2005; Levi & Soudijn 2020). Offender expenditure of significant sums on restaurants, clubs, gambling, holidays as well as on personal drugs consumption is unavailable for recovery. (Online and offline betting firms and casinos would put more effort into customer due diligence if the money lost by criminals from criminality was repayable by them!) This high lifestyle expenditure (by an unknown percentage of serious offenders as well as by most petty offenders) undermines some of the deterrence argument for proceeds confiscation, which relies on a significant proportion of the proceeds being saved rather than spent as offenders go along. Thus, the elapsed time between the offence or obtaining proceeds and access to funds being stopped by post-conviction orders or pre-conviction asset restraint becomes the critical period both for deterrence and for asset recovery prospects. Some criminals are apprehended by the police or revenue agencies in possession of cash, which can be seized immediately with, one might expect, stronger cognitive effects on offenders (and on the agencies). However, to understand deterrence and deterrability better, we need to avoid the tendency to lump different ‘types of criminal’ together so that it becomes hard to distinguish motivation and to identify how to discourage it. We might therefore look at the difference between criminals who fit the definition of criminal lifestyle and those who do not. As defined by the UK’s Proceeds of Crime Act (POCA) 2002, ‘criminal lifestyle’ is not about how the money is spent but about how (and how repeatedly) it is obtained. However, we might consider also how money is spent or saved. (Not that the lifestyles of many wealthy businesspeople show proportionately high savings either: culturally, we are a world away from Max Weber’s era Germany.) To the extent that offenders have saved their proceeds, those funds or assets purchased with them will still be available in theory: but whatever moral position politicians may adopt in relation to their recuperability, it is unrealistic to think that would ever happen.

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It is instructive 25 years on to revisit the executive summary of the first British empirical research study (Levi & Osofsky 1995): despite the massive expansion of the anti-money laundering regime in the private sector and legislation globally, and the attention given to the proceeds of crime issues at regular cross-government committees, it is arguable that substantively, not much has changed. In summary, although practitioners have (plausibly) told this author that criminals get very upset when their money is taken away from them, inefficiency and ineffectiveness combine with a lack of timeliness and lack of focus to dilute the deterrent effect on offenders to the point of irrelevance. As far as can be deduced from their judgments, some trial and appellate judges at that time were unenthusiastic about or actively resistant to the changes in post-conviction reversal of the burden of proof, and comments from lawyers and NGOs to this researcher allege that the English judiciary – taken as a whole – still are largely unmotivated and not always wellinformed on this complex area of law. This may apply to at least some other European countries also. The attempt to concentrate expertise was one reason why initially all restraint orders nationally were channelled through a small number of judges at the High Court in London. However, the political enthusiasm for increasing the number of restraint and confiscation cases led to the abandonment of that model, and there has been insufficient empirical analysis of the reasons behind what is generally agreed to be the under-utilisation of restraint orders, which have declined in the latest dataset. Interviews by this author for the then Prime Minister’s Strategy Unit a decade ago suggested that the main reasons were the reluctance to employ professional accountants as receivers due to the high gross and net of recoveries prices of the specialist accounting firms; the cost to a financially constrained prosecution budget of applying for orders; and the pressurising impact of restraint orders on the time available to complete the investigation: there is no reason to think that this has changed substantially, despite the Serious Crime Act 2015. These are not problems that will occur everywhere. Most of the attention given to proceeds of crime efforts focusses on the police and anti-organised crime agencies, but as the scope of ‘organised crime’ has broadened, it is important for reformers to take account of private sector lawsuits in economic crime and perhaps specialist regulatory bodies like BAFIN in Germany or environmental crime agencies. The evidence shows how little financial investigation is used as a tool in dealing with environmental crimes. This may be partly because these violators are not members of organised crime networks who need to be traced or proven to be connected with the violation but instead are rather otherwise licit corporations. However, the shading between licit and illicit commerce may be difficult to discern in the case of small and medium-sized enterprises (SMEs) and individuals targeted by the Scottish Environmental Protection Agency (SEPA) and, to a lesser extent, the UK Environment Agency, which has not used proceeds of crime provisions much against local offenders. The most powerful Scottish gangs were undercutting legitimate op-

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erators by ignoring environmental standards or avoiding tax by mixing high-harm waste – that attracts higher rates of taxation for dumping – with low-risk rubbish. One may question to what extent these ‘under-performance’ issues are due to problems with legislation, and to what extent they are to do with attitudes, culture, resources and finance. This may require reform of both law and institutions of legal administration: but are these necessary but not sufficient components for enhancing proceeds confiscation, or indeed are they neither necessary nor sufficient conditions?

4. Conclusion In many EU member states, there remains policy indifference and mixed performance that has been difficult to shift into the active harmonised whole evangelised by the European Commission and the Union. Overall, it remains to be seen what appetite politicians and the public have for further legislative and institutional change. The global history of proceeds of crime forfeiture – whether civil or criminal – is a history in which expectations and rhetoric are not matched by criminal justice inputs (financial investigations and processing of cases to criminal and regulatory action nationally and internationally), outputs (like funds frozen and/or confiscated) or outcomes (like demonstrable impacts of such freezes, forfeitures and confiscations on different forms of criminal behaviour). This chapter has reviewed a range of material that is relevant to understanding those challenges and considering the other elements analysed here may highlight the limitations of seeing ‘law reform’ and an endless series of EC Directives as a sufficient rather than as a necessary but not sufficient part of social welfare. References De Boyrie, M., Pak, S. & Zdanowicz, J. (2004): Money laundering and income tax evasion: the determination of optimal audits and inspections to detect abnormal prices in international trade. Journal of Financial Crime 12/2, pp. 123 – 130. Eurostat (2018): Handbook on the compilation of statistics on illegal economic activities in national accounts and balance of payments; https://ec.europa.eu/eurostat/documents/3859598/ 8714610/KS-05-17-202-EN-N.pdf/eaf638df-17dc-47a1-9ab7-fe68476100ec. Ferwerda, J. & Reuter, P. (2019): Learning from money laundering National Risk Assessments: the case of Italy and Switzerland. European Journal on Criminal Policy and Research 25/1, pp. 5 – 20. Findley, M.G., Nielson, D.L. & Sharman, J.C. (2014): Global shell games: Experiments in transnational relations, crime, and terrorism. Cambridge. Halliday, T., Levi, M. & Reuter, P. (2014): Global Surveillance of Dirty Money: Assessing Assessments of Regimes To Control Money-Laundering and Combat the Financing of Terrorism. Chi-

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cago; www.lexglobal.org/files/Report_Global%20Surveillance%20of%20Dirty%20Money% 201.30.2014.pdf Kruisbergen, E.W., Kleemans, E.R. & Kouwenberg, R.F. (2016): Explaining attrition: Investigating and confiscating the profits of organized crime. European Journal of Criminology 13/ 6, pp. 677 – 695. Levi, M. (2018): Reflections on Proceeds of Crime: A New Code for Confiscation?, in: J. Child & A. Duff (eds.), Criminal Law Reform Now. Oxford. Levi, M. & Osofsky, L. (1995): Investigating, seizing, and confiscating the proceeds of crime. Crime Detection and Prevention Series Paper 61. London. Levi, M., Reuter, P. & Halliday, T. (2018): Can the AML/CTF System Be Evaluated Without Better Data? Crime, Law and Social Change 69/2, pp. 307 – 328. Levi, M. & Soudijn, M. (2020): Understanding the Laundering of Organized Crime Money. Crime and Justice: An Annual Review. Chicago. Levitt, S. & Venkatesh, S. (2000): An economic analysis of a drug selling gang’s finances. Quarterly Journal of Economics 115/3, pp. 755 – 789. Moiseienko, A. & Keatinge, T. (2019): The Scale of Money Laundering in the UK: Too Big to Measure? London. Pol, R. (2019): Anti-money laundering ratings: uncovering evidence hidden in plain sight. Journal of Money Laundering Control 22/4, pp. 836 – 857. Public Accounts Committee (2016): Confiscation Orders: Progress Review (HC 124). London. Reuter, P. (2013): Are estimates of the volume of money laundering either feasible or useful?, in: B. Unger & D. van der Linde (eds.), Research Handbook on Money Laundering. Cheltenham. US Department of Justice (2017): 10-yr Summary of Financial Report Data. Washington DC. US Presidential Commission on Organized Crime (1986): The Cash Connection: Organized Crime, Financial Institutions, and Money Laundering. Washington, DC. Van Duyne, P.C., Harvey, J.H. & Gelemerova, L.Y. (2019): The Critical Handbook of Money Laundering: Policy, Analysis and Myths. London. Van Duyne, P.C. & Levi, M. (2005): Drugs and Money: Managing the Drug Trade and CrimeMoney in Europe. London.

Tausendsassa Alkoholverbot … im Dienste von Gesundheit, Kriminalität und Kommerz Von Roland Hefendehl

1. Hinführung zum Thema* Vor 100 Jahren wurde das Prohibitionsgesetz in den USAverabschiedet. Und auch wenn man das in den Worten des späteren US-Präsidenten Herbert Hoover so bezeichnete „große soziale und ökonomische Experiment“1 überwiegend für gescheitert erklärte, hat es seitdem viele Nachahmer gefunden. Gerade auch in Baden-Württemberg und insbesondere in Freiburg, dem Lebensmittelpunkt2 von Hans-Jörg Albrecht, war man insoweit bis in die jüngste Zeit besonders rührig. Vielfach ist dies dem vergleichsweise großen Einfluss grüner Politik in dieser Region zugeschrieben worden.3 Verbote und deren Wirkungen haben Ökonomen schon immer fasziniert. So lassen sich deren verschiedene theoretische Modelle vielfach über dieses Instrument bzw. den Verzicht hierauf charakterisieren und beruhen auf der Maßfigur des Homo oeconomicus. Bis in die jüngste Zeit haben sich Ökonomen daher gerade auch der Prohibition angenommen. Mit dem Hinweis nicht lediglich auf die Theorie, sondern auch auf die Wirkung eines Verbots ist zweierlei angesprochen: Zum einen ist die empirische Sozialforschung und somit eines der zentralen Betätigungsfelder von Hans-Jörg Albrecht gefragt. Zum anderen ist zu klären, worum es so ganz genau bei den Alkoholverboten geht. Denn das sollte man schon wissen, bevor man sich mit der Wirkungsforschung befasst. Nicht zuletzt spielt auch das Recht bei diesen Verboten eine nicht unerhebliche Rolle, das der Jurist Hans-Jörg Albrecht bei aller Liebe zur Empirie immer mitbedenkt. So ist eines bei unserer Fragestellung zumindest sicher: Es werden grundrechtlich geschützte Handlungsfreiheiten beschnitten. Wenn der Verhältnismäßig* Für wertvolle vorbereitende Hilfe danke ich meinem Mitarbeiter Jakob Bach herzlich. 1 Hoover 1974, 511. 2 Wenn man das bei seinen intensiv gelebten Kontakten zum Ausland überhaupt so sagen darf. 3 Vgl. Hefendehl 2014, 69.

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keitsgrundsatz die Geeignetheit eines Verbots zur Zweckerreichung verlangt, wird zudem deutlich, dass sich hier Empirie und Recht zwingend begegnen – ganz so, wie es auch Hans-Jörg Albrecht lebt.

2. Die Alkoholverbote in Freiburg und Baden-Württemberg – ein Kommen und Gehen Freiburg schafft es immer wieder, sich zumindest bundesweit Aufmerksamkeit zu verschaffen: In aller Regel über das Wetter, die Fahrradfahrer oder den so sympathischen Fußballverein, dem es natürlich in erster Linie um Werte und nicht um Geld geht. Aber nicht allein hierüber: 2007 sorgte das Alkoholverbot im sog. Bermudadreieck für Aufsehen, das aber ein Jahr später auf Anordnung des VGH Mannheim schon wieder in diesem verschwand. Stadt und Polizei vergossen bittere Tränen. Das nächtliche Alkoholverkaufsverbot in Baden-Württemberg von 22 Uhr bis 5 Uhr überlebte hingegen länger, und zwar von Ende 2010 bis Ende 2017. Just nach dem für viele überraschenden Ende eröffnete § 10a PolG BW die immer wieder vehement geforderte Möglichkeit ein weiteres Mal, örtliche Alkoholkonsumverbote zu erlassen. Kurioserweise winkte Freiburg gleich einmal ab,4 obwohl hier nahezu jeder damit gerechnet hatte, dass man hiervon ohne jedes Zögern sogleich Gebrauch machen würde. Was ist nur in diese Stadt gefahren, ist man plötzlich gelassen geworden? Nein, die so bezeichnete „Partnerschaft sicherer Alltag“5 beweist das Gegenteil: Indem auf Videoüberwachung und verdachtsunabhängige Kontrollen an den so apostrophierten gefährlichen Orten und damit in ein weiteres Mal im „Bermudadreieck“ gesetzt wird, hat man eine ähnliche Klientel im Auge. Immerhin entschloss man sich in Karlsruhe, die neue Möglichkeit zu nutzen und am Werderplatz ein befristetes Alkoholkonsumverbot zu erlassen.

3. Worum geht es – oder soll es gehen? Schon seit mindestens 100 Jahren – vermutlich seit jeher – verbergen sich hinter den vorgeblichen Zielen von Alkoholverboten immer noch weitere, ich nenne sie 4

Vgl. den Beitrag „Kommunen können nun Alkoholverbote erteilen – tun es aber nicht“ in der Wochenzeitung Der Sonntag v. 10. 12. 2017; https://www.badische-zeitung.de/kommunenkoennen-nun-alkoholverbote-erteilen-tun-es-aber-nicht-146396843.html [24. 01. 2021]. 5 Vgl. die Vereinbarung der „Sicherheitspartnerschaft“ zwischen der Stadt Freiburg und dem Land Baden-Württemberg; https://www.presseportal.de/download/document/41036220170303-anlage-partnerschaftsichereralltag.pdf [24. 01. 2021].

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„Ziele hinter den Zielen“6. Über sie mutiert die Evaluationsforschung endgültig zu einem Feigenblatt.7 Denn werden die eigentlichen Ziele erreicht, ist alles andere eher egal. Als Beispiel für diese Ziele hinter den Zielen kann gleich der anfangs erwähnte National Prohibition Act herhalten: Offiziell angetreten war das Gesetz mit dem Schutz der Bevölkerung vor den negativen Wirkungen des Alkohols, vielleicht auch mit der Reduzierung der Kriminalität. Tatsächlich standen jedoch ganz maßgeblich fremdenfeindliche und rassistische Motive Pate.8 Und heute? Mit der im „Bermudadreieck“ geltenden Verordnung wollte die Stadt den vorgeblich starken Anstieg von Gewaltdelikten bekämpfen, für den sie den Alkoholkonsum verantwortlich machte.9 Gerade die Möglichkeit des sog. Vorglühens einige Schritte von der erfassten Örtlichkeit entfernt sowie die unbeschränkten und erwünschten Gelegenheiten des Alkoholkonsums in Clubs und Gaststätten dieses Viertels haben aber schnell den Verdacht aufkommen lassen, dass es möglicherweise doch darum ging, die Infrastruktur in der Innenstadt auch am Abend attraktiver zu gestalten und diesen Raum wirtschaftlich zu stärken.10 Ziel des baden-württembergischen Alkoholverkaufsverbotsgesetzes wiederum war es ausweislich der Gesetzesbegründung, „alkoholbeeinflussten Straftaten und Ordnungswidrigkeiten im öffentlichen Raum während der Nachtzeit entgegenzutreten sowie Gesundheitsgefahren zu begegnen, die mit einem übermäßigen Alkoholkonsum infolge des auch in den Nachtstunden jederzeit möglichen Erwerbs von Alkohol in Verkaufsstellen verbunden sind.“11 Möglicherweise ging es aber auch maßgeblich darum, den nächtlichen Alkoholkonsum in und an Tankstellen einzudämmen,12 oder war es jedenfalls nicht so wichtig, dass die Straftat tatsächlich auf dem Alkohol beruhte.

4. Normative Grundlagen und empirische Bedingungen Nachfolgend möchte ich in einem Dreischritt die erwähnten vergangenen und gegenwärtigen Alkoholverbote vor dem Hintergrund von Kriminologie und Recht einer 6 Zu derartigen Zielen hinter den Zielen im Kontext der Videoüberwachung bereits Stolle & Hefendehl 2002, 267 f. 7 Siehe eindrücklich unten 4.2.1. 8 https://www.deutschlandfunk.de/vor-100-jahren-verabschiedet-prohibitionsgesetz-zumschutz.871.de.html?dram:article_id=461986 [24. 01. 2021]. 9 Vgl. aus dem Freiburger Gemeinderat die Drucksache G-08/148, 3; https://orangenfalter. files.wordpress.com/2008/07/polvo-alkoholverbot.pdf [24. 01. 2021]. 10 Hierzu im Einzelnen Hefendehl 2014, 79, 81 f. 11 LT-Drs. 14/4850 vom 21. 07. 2009, 1. 12 Dazu die Gesetzesbegründung zum Entwurf des Alkoholverkaufsverbotsgesetzes (LTDrs. 14/4850 vom 21. 07. 2009), 8, 17.

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kritischen Analyse unterziehen. Ein Schwerpunkt wird dabei auf dem nächtlichen Alkoholverkaufsverbot liegen, das zweifach evaluiert worden ist. 4.1 Freiburger Alkoholkonsumverbot Wir beginnen im Juli 2008. Die Stadt Freiburg hatte eine „Polizeiverordnung zur Begrenzung des Alkoholkonsums im öffentlichen Straßenraum“ erlassen. Durch deren § 2 Abs. 1 war es in einem festgelegten räumlichen Bereich der Freiburger Innenstadt, dem sog. Bermudadreieck, auf den öffentlich zugänglichen Flächen außerhalb konzessionierter Freisitzflächen verboten, insbesondere in den Abend- und Nachtstunden am Wochenende alkoholische Getränke jeglicher Art zu konsumieren sowie alkoholische Getränke in Konsumabsicht mit sich zu führen. Mit der zunächst auf zwei Jahre befristeten Verordnung wollte die Stadt vorgeblich den Anstieg von Gewaltdelikten bekämpfen, für den sie den Alkoholkonsum verantwortlich machte. Gestützt wurde die Verordnung auf die baden-württembergische VerordnungsGeneralermächtigung im Polizeigesetz (§ 10 PolG BW). Sie lässt das Verbot von Verhaltensweisen zu, wenn von diesen eine abstrakte Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung ausgeht. Damit sind nach herkömmlicher Lesart solche Handlungen gemeint, die bei generell-abstrakter Betrachtungsweise typischerweise zum Eintritt eines Schadens führen.13 Auf das Alkoholkonsumverbot in Freiburg übertragen: Der Nachweis hätte erbracht werden müssen, dass all diejenigen, die an den Wochenendnächten im Geltungsbereich der Verordnung mitgebrachten Alkohol konsumieren oder in Konsumabsicht mit sich führen, regelmäßig gewalttätig werden. Dieser Nachweis misslang gründlich. Die Urteilsgründe des VGH Mannheim legen ein beredtes Zeugnis über die Hybris der Stadt ab, wie diese mit vagen polizeilichen Zahlen und Vermutungen die gesetzlichen Voraussetzungen einer Freiheitseinschränkung zu unterlegen versuchte. So setzte man ohne jede Skrupel auf die Polizeiliche Kriminalstatistik mit ihren bekannten Erkenntnisproblemen, die zudem keinen Aufschluss darüber gab, wann genau und wo, im öffentlichen Raum oder in einem Gebäude, sich die Verdachtsfälle ereigneten. Das genügte dem VGH Mannheim natürlich nicht. Ein Rückgang der registrierten Gewaltdelikte seit Einführung des Verbots um 16 %14 begründe lediglich einen Gefahrenverdacht hinsichtlich des Zusammenhangs zwischen Alkoholkonsum und Gewalt. Auf einen solchen dürfe der Verordnungserlass jedoch nicht gestützt werden. Möglicherweise bestehe gar ein bloßer Scheinzusammenhang statt eine (mit)kausale Beziehung zwischen Alkoholkonsum und Gewaltdelikten. Es sei möglich, dass sich Alkoholtäter leichter überführen ließen und daher bei den polizeilichen Erhebungen überrepräsentiert seien.15 13

BVerwG NVwZ 2003, 95 (96). VGH Mannheim NVwZ-RR 2010, 55 (58); in absoluten Zahlen: um (lediglich) 13 Fälle. 15 VGH Mannheim NVwZ-RR 2010, 55 (57). 14

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Und so kippte der VGH Mannheim das Freiburger Alkoholkonsumverbot nur ca. ein Jahr nach dessen Inkrafttreten wieder.16 4.2 Nächtliches Alkoholverkaufsverbot Ein knappes Jahr später war eine neue Idee am Start: Am 1. März 2010 trat in Baden-Württemberg das Gesetz zur Abwehr alkoholbeeinflusster Störungen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung während der Nachtzeit und zum Schutz vor alkoholbedingten Gesundheitsgefahren (Alkoholverkaufsverbotsgesetz) in Kraft. In das baden-württembergische Ladenöffnungsgesetz wurde ein neuer § 3a mit der amtlichen Überschrift „Verkauf alkoholischer Getränke“ eingefügt. Nach dessen Absatz 1 Satz 1 durften „in Verkaufsstellen […] alkoholische Getränke in der Zeit von 22 Uhr bis 5 Uhr nicht verkauft werden.“ Eine gegen das Alkoholverkaufsverbot gerichtete Verfassungsbeschwerde wurde vom Bundesverfassungsgericht mit Beschluss vom 29. September 2010 nicht zur Entscheidung angenommen. Die verfassungsrechtlichen Fragen, die das Gesetz aufwerfe, seien bereits geklärt.17 Insbesondere sei die Annahme des Gesetzgebers nicht zu beanstanden, die zeitliche Einschränkung der Erwerbsmöglichkeiten verringere die mit einem missbräuchlichen Konsumverhalten einhergehenden Gefahren. Bezeichnenderweise spricht das Bundesverfassungsgericht im Folgenden die Gefahren durch Straftaten und Ordnungsstörungen allerdings nicht mehr an, sondern hält es für ausreichend, dass sich das Verbot zur Reduktion des Alkoholkonsums im öffentlichen Raum eigne. So könne zwar nicht ausgeschlossen werden, dass das Alkoholverkaufsverbot ab 22 Uhr zu einer stärkeren Bevorratung von alkoholischen Getränken im Zeitraum vor 22 Uhr führe. Es erscheine jedoch naheliegend, dass die Entscheidung zum Erwerb von weiteren Alkoholika gerade bei jungen Menschen oftmals erst nach bereits begonnenem Konsum spontan sowie stimmungs- und bedürfnisorientiert erfolge und daher durch eine Begrenzung der zeitlichen Verfügbarkeit die Entstehung von Szenetreffs und der vermehrte Alkoholkonsum an solchen Orten eingedämmt werden könnten.18 Auch bei der Erforderlichkeit und der Verhältnismäßigkeit i. e. S. hat das BVerfG keine Bedenken. Der existierende Beurteilungs- und Prognosespielraum bei ersterer sei nicht überschritten, der Eingriff sei schließlich auch nicht übermäßig belastend. Die ernüchternde Erkenntnis lautet: Über die zurückgenommene Interpretation des Alkoholverkaufsverbotsgesetzes im Sinne der schlichten Reduzierung des Angebots und weg von der Zielsetzung der Einflussnahme auf die Gewaltkriminalität läuft das Merkmal der Geeignetheit schlicht leer.

16

VGH Mannheim NVwZ-RR 2010, 55. BVerfG NVwZ 2011, 355. 18 BVerfG NVwZ 2011, 355 (356). 17

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4.2.1 Die erste Evaluation des Gesetzes In Art. 3 Abs. 2 des Alkoholverkaufsverbotsgesetzes war vorgesehen, die Regelungen zum nächtlichen Verkaufsverbot für alkoholische Getränke spätestens drei Jahre nach ihrem Inkrafttreten zu evaluieren. Die hausgemachte Kurz-Evaluation erfolgte 2013 und wurde durch die Landesregierung in einem Bericht festgehalten.19 Zur Untersuchung der Kriminalitätsentwicklung diente die Polizeiliche Kriminalstatistik als einzige Datenquelle. Hier wurde die Entwicklung der Tatverdachtsfälle für bestimmte Delikte bzw. Deliktsgruppen (Gewaltkriminalität, gefährliche und schwere Körperverletzung, Widerstandsdelikte, einfache Körperverletzung) und für bestimmte Tatzeiten (22 Uhr bis 5 Uhr, also die Geltungsdauer des Alkoholverkaufsverbots) in den Jahren 2009 bis 2012 untersucht. In keiner dieser Deliktsgruppen konnte man in dem genannten Zeitraum einen signifikanten Rückgang der Tatverdachtsfälle beobachten. Vielmehr sind die registrierten Tatverdachtsfälle mit Tatzeit zwischen 22 Uhr und 5 Uhr in den Bereichen der einfachen Körperverletzung und der Widerstandsdelikte von 2009 bis 2012 angestiegen. Lediglich für die Gewaltkriminalität und die – diese Deliktszusammenfassung maßgeblich prägende – gefährliche und schwere Körperverletzung konnte ein Rückgang der registrierten Tatverdachtsfälle mit dieser Tatzeit in den genannten Jahren beobachtet werden. Verglichen wurde die Entwicklung der Verdachtsfälle mit Tatzeit zwischen 22 Uhr und 5 Uhr mit Verdachtsfällen, bei denen die Tatzeit zwischen 20 Uhr und 22 Uhr angegeben wurde. Hier konstatierte man, dass die Entwicklung im Zeitraum zwischen 22 Uhr und 5 Uhr – mit Ausnahme der Widerstandsdelikte – positiver verlief als im Zeitraum zwischen 20 Uhr und 22 Uhr. Im Bericht zur Evaluation des Alkoholverkaufsverbotsgesetzes stellt die Landesregierung selbst fest, es könnten „keine verlässlichen Aussagen getroffen werden, inwieweit das Alkoholverkaufsverbot tatsächlich ursächlich für die Deliktsentwicklung war.“ Das vorliegende Zahlenmaterial lasse „keine konkreten Rückschlüsse zu, ob das Alkoholverkaufsverbot oder andere Faktoren – z. B. auch die nahezu zeitgleich in Kraft getretene Sperrzeitverkürzung – die Kriminalitätsentwicklung beeinflusst haben.“20 Und tatsächlich war die Evaluation der Landesregierung methodisch derart missglückt bzw. uninspiriert, dass jede Aussage im Sinne einer Wirksamkeit des Alkoholverkaufsverbots zur Kriminalprävention unmöglich wurde. So hatte man die Tatverdachtsfälle für die genannten Deliktsgruppen erst ab dem Jahr 2009 – ein Jahr vor Inkrafttreten des Alkoholverkaufsverbots – untersucht. Ob es sich bei den Entwicklungen der Tatverdachtsfälle seit Inkrafttreten des Verbots um einen Trend handelte, der bereits einige Jahre zuvor einsetzte, oder um eine Veränderung aufgrund des Alkoholverkaufsverbots, lässt sich bereits aus diesem Grund nur mutmaßen. 19 20

LT-Drs. 15/3666 vom 19. 06. 2013. LT-Drs. 15/3666 vom 19. 06. 2013, 2 f.

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Daneben wurden in der Evaluation nur die Tatverdachtsfälle berücksichtigt, die nachts begangene Straftaten betrafen. Stellt man hier fest, die Straftaten nachts hätten zugenommen, sagt dies noch nichts über die fehlende Wirkung des Alkoholverkaufsverbots aus. Denn hätte es einen noch viel größeren Anstieg der Tatverdachtsfälle für tagsüber begangene Straftaten gegeben, so wäre eine tatsächliche Wirkung des Alkoholverkaufsverbots nicht auszuschließen. Methodisch hätte neben der Versuchsgruppe eine Kontrollgruppe eingeführt werden müssen. Auch die Landesregierung hat dies im Ansatz versucht, als Kontrollgruppe jedoch einzig Tatverdachtsfälle mit einer Tatzeit zwischen 20 Uhr und 22 Uhr herangezogen. Erstens liegt hierin bereits keine geeignete Kontrollgruppe. Denn damit werden die Tatverdachtsfälle mit Tatzeit in einem Zeitraum von lediglich zwei Stunden erfasst, der noch dazu – ebenso wie der Zeitraum der Versuchsgruppe – am Abend liegt. Zweitens wurde der Vergleich mit dieser Kontrollgruppe nur unzureichend durchgeführt. So wurde lediglich verglichen, wie sich die Fallzahlen über einen Zeitraum von insgesamt vier Jahren (von 2009 bis 2012) für die verschiedenen Tatzeiten entwickelt haben. Das ist deshalb unzureichend, weil hierbei jegliche Schwankungen im Rahmen dieses Zeitraums ausgeblendet werden. Man hätte also die Entwicklungen für die Versuchs- und die Kontrollgruppe Jahr für Jahr miteinander vergleichen müssen. Weit hergeholt ist es deshalb, wenn die Landesregierung meint, der Vergleich mit den Tatverdachtsfällen zwischen 20 und 22 Uhr könne als Indiz dafür gewertet werden, „dass das Alkoholverkaufsverbot auch in Bezug auf die Deliktsentwicklung Wirkung entfaltet hat.“21 Schließlich wurde aufgrund der gewählten Methodik nur die Entwicklung der Fallzahlen in Baden-Württemberg insgesamt untersucht. Sämtliche regionalen Besonderheiten, die die Schwankungen der Tatverdachtsfälle in den einzelnen Deliktsgruppen im Beobachtungszeitraum erklären könnten, wurden dabei ausgeblendet. Auch solche Faktoren wurden nicht berücksichtigt, die eine Veränderung der Tatverdachtsfälle sowohl tags als auch nachts zur Folge haben könnten. Zusammenfassend erweist sich die Untersuchung der Landesregierung damit als nicht geeignet, um Zusammenhänge zwischen dem Alkoholverkaufsverbot und der Straftatenentwicklung auch nur im Ansatz zu untersuchen. 4.2.2 Die zweite Evaluation des Gesetzes Eine zweite Evaluation des Alkoholverkaufsverbotsgesetzes, die 2019 veröffentlicht wurde,22 stößt in das gleiche Horn und verweist auf die Untauglichkeit der eben

21

LT-Drs. 15/3666 vom 19. 06. 2013, 3. Baumann u. a. 2019; deutsche Zusammenfassung der Untersuchung: Baumann u. a. 2020. 22

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genannten „Untersuchung“.23 Dieses Mal hatten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der Universitäten Bonn und Marburg die Wirkungen des Gesetzes mit einem methodisch tiefergehenden Ansatz untersucht. Sie verglichen nicht lediglich die gemeldeten Straftaten vor und nach der Einführung des Verkaufsverbots, sondern führten eine sog. Differenz-von-Differenzen-Analyse durch. Hierzu wurde die Einführung des Alkoholverkaufsverbots im Jahr 2010 als natürliches Experiment begriffen, das in einem ersten Schritt die Bildung zweier Vergleichsgruppen ermöglichte. Als Versuchsgruppe wurden die Tatverdachtsfälle aus den 44 Landkreisen Baden-Württembergs für nachts (22 Uhr bis 5 Uhr) begangene Straftaten gewählt.24 Als Kontrollgruppe dienten die Tatverdachtsfälle aus den entsprechenden Landkreisen für tags (5 Uhr bis 22 Uhr) begangene Straftaten. Ausgehend von zu beobachtenden parallelen Entwicklungen der Tatverdachtszahlen in den Vergleichsgruppen vor Einführung des Alkoholverkaufsverbots gingen die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler davon aus, dass sich dieser Trend auch nach 2010 fortgesetzt hätte, wenn es keine Intervention (also: kein Alkoholverkaufsverbot) gegeben hätte.25 Etwaige Abweichungen von diesem letztlich kontrafaktischen Verlauf sollten dann als Indiz für die Kausalität des Verbots gewertet werden. Etwaige sonstige und damit „störende“ Einflussfaktoren auf die Fallzahlen, die beide Vergleichsgruppen gleichermaßen betrafen, wurden dabei durch die dem Differenz-von-Differenzen-Ansatz eigene Methodik eliminiert. Anderweitige ausgemachte Einflussfaktoren, über die statistisches Datenmaterial vorlag, die aber zwischen den Landkreisen und über die Zeit hinweg variierten, fanden als sog. Kontrollvariablen Eingang in die Analyse. In einem zweiten Schritt wurde der Differenz-von-Differenzen-Ansatz um eine weitere Kontrollgruppe ergänzt. Hierbei handelte es sich um die Landkreise des Bundeslandes Hessen, in dem im Untersuchungszeitraum kein entsprechendes Alkoholverkaufsverbot bestand. 4.2.2.1 Ergebnisse Tatsächlich ließ sich eine annähernd parallele Entwicklung der Tag- und Nachtkriminalität in den Jahren von 2007 bis 2009 – also in den Jahren vor Einführung des Alkoholverkaufsverbots – bei den Straftatengruppen „einfache Körperverletzung“, „qualifizierte Körperverletzung“ und „Raub“ feststellen. In diesen Deliktsgruppen waren nach dem Ansatz also die tags begangenen Fälle als Kontrollgruppe für die 23

Baumann u. a. 2020, 60. Hierbei wurde nicht danach differenziert, ob diese Straftaten unter Alkoholeinfluss begangen wurden oder nicht. Denn die Polizeiliche Kriminalstatistik erfasst den Alkoholeinfluss lediglich bei Tatverdächtigen, nicht hingegen bei Tatverdachtsfällen, da hier oftmals – bei den nicht aufgeklärten Fällen – kein Tatverdächtiger und damit auch nicht dessen Alkoholisierung festgestellt werden kann. 25 Vgl. Kugler u. a. 2014, 121. 24

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Versuchsgruppe (nachts begangene Tatverdachtsfälle) zu verwenden. Anders stellte sich dagegen der Befund hinsichtlich der Sexualdelikte dar. Hier ließ sich bereits in den drei Jahren vor 2010 keine parallele Entwicklung der Tag- und Nachtkriminalität ausmachen, weshalb sich in dieser Deliktsgruppe mit einem Vergleich der tags und nachts begangenen Straftaten keine Aussagen über die Wirksamkeit des 2010 einsetzenden Verbots treffen ließen. In der Folge konnte für den Zeitraum von 2010 bis 2013 beobachtet werden, dass die Entwicklung für die nachts begangenen Straftaten (Versuchsgruppe) gegenüber der Entwicklung der tags begangenen Straftaten (Kontrollgruppe) in den Deliktsgruppen „einfache Körperverletzung“ und „qualifizierte Körperverletzung“ signifikant besser ausfiel (geringere Zunahme bzw. stärkere Abnahme).26 Hieraus wird ein Effekt des Alkoholverkaufsverbots gefolgert. Beim Raub konnten hingegen keine signifikanten Unterschiede in den Entwicklungen von Versuchs- und Kontrollgruppe ausgemacht werden. Hier verliefen die Entwicklungen für nachts und tags begangene Straftaten in den beobachteten Zeiträumen also in etwa parallel. Der Vergleich mit den Entwicklungen der Fallzahlen in Hessen wird als Bestätigung dieses Ergebnisses gewertet. 4.2.2.2 Kritische Würdigung Die von der Studie beschriebenen Effekte des Alkoholverkaufsverbots beschränken sich auf das Deliktsfeld der Körperverletzungsdelikte, während für die Bereiche der Raub- und der Sexualdelikte aus den genannten Gründen keine Wirkungen festgestellt werden konnten. Das ist insoweit bemerkenswert, als das Alkoholverkaufsverbotsgesetz ausweislich der Gesetzesbegründung darauf zielte, die Gewaltkriminalität zu reduzieren – ein Deliktsbereich, der zwar maßgeblich, aber eben nicht allein durch Körperverletzungen geprägt wird. Hinzu kommt, dass auch für die Körperverletzungsdelikte von 22 bis 5 Uhr lediglich moderate Rückgänge von 8 % (leichte Körperverletzungen) bzw. 11 % (qualifizierte Körperverletzungen) relativ zum erwarteten Niveau zu beobachten waren. Vor dem Hintergrund der zutreffenden Einschätzung des VGH Mannheim zum Freiburger Alkoholkonsumverbot, nach der gerade nicht jede Kriminalitätsreduzierung ausreichend sei, sondern es zur Legitimation entsprechender Maßnahmen eines „massiven Rückgangs“ bedürfe,27 ist die von Baumann et al. festgestellte Wirksamkeit des Alkoholverkaufsverbots angesichts der 26

Das dem Verf. vom Freiburger Polizeipräsidium übermittelte Zahlenmaterial legt nahe, dass ein ähnlicher Befund für den Bereich der einfachen Körperverletzung auch in Freiburg festgestellt werden kann. Für die Fallzahlen mit einer Tatzeit zwischen 22 Uhr und 5 Uhr waren in Freiburg ab 2010 fast durchweg stärkere Abnahmen bzw. geringere Zunahmen – verglichen mit der Tatzeit zwischen 5 Uhr und 22 Uhr – zu verzeichnen. Für die qualifizierte Körperverletzung ergeben die nach Tatzeit differenzierten Fallzahlen für Freiburg kein derart klares Bild. Zudem ist dieses Zahlenmaterial nicht in vergleichbarer Weise auch hinsichtlich der Kontrollvariablen wie die o.g. Studie aufbereitet. 27 VGH Mannheim NVwZ-RR 2010, 55 (58).

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vorgelegten Zahlen zu relativieren. Dabei soll nicht verkannt werden, dass der berechnete Effekt größer und präziser ermittelt ist, als er für Freiburg ausgemacht wurde. Daneben haben sich die Autorinnen und Autoren der Studie weit aus dem Fenster gelehnt und den von ihnen gewählten Differenz-von-Differenzen-Ansatz in der sozialwissenschaftlichen Evaluationsliteratur als „gängige Praxis“ bezeichnet.28 Er ist in der Tat in der Ökonometrie gebräuchlich, um die Wirkung politisch-ökonomischer Maßnahmen zu untersuchen.29 So wurde der Ansatz bereits häufig angewendet, um die Effekte von Mindestlohnregelungen (Lohn- sowie Beschäftigungseffekte) zu untersuchen.30 Er diente beispielsweise der Evaluierung des Einflusses von Arbeitslosenunterstützung auf die Bemühungen, einen Arbeitsplatz zu bekommen, sowie den Erfolg auf dem Arbeitsmarkt und der Untersuchung der Effekte des Kündigungsschutzgesetzes auf die Schaffung von Stellen in kleinen Unternehmen.31 Wer Kriminalität letztlich als das Ergebnis einer Kosten-Nutzen-Abwägung begreift, mag geneigt sein, entsprechende Analysemodelle der Wirtschaftswissenschaften auch im Bereich der empirisch-kriminologischen Forschung anzuwenden.32 Der Nachweis der Effektivität einer Präventionsmaßnahme mittels des Differenzvon-Differenzen-Ansatzes erscheint dann als Vorstufe zur Frage der volkswirtschaftlichen Effizienz derselben.33 Tatsächlich wurde die Differenz-von-Differenzen-Methode in den vergangenen Jahren nicht lediglich von Baumann et al., sondern auch anderweitig zur Erfolgsmessung von Kriminalpräventionsmaßnahmen herangezogen.34 Die Hoffnung, mit der Differenz-von-Differenzen-Methode auch in der Kriminologie Kausaleffekte nachweisen zu können, soll hier gar nicht in Abrede gestellt werden. Durch die Zugrundelegung von Differenzwerten eignet sich die Methode durchaus, um Drittfaktoren auszuschließen und eine Entwicklung auf eine bestimmte Intervention oder gesetzgeberische Maßnahme zurückzuführen. Gleichwohl ergeben sich nachfolgend aufzuzeigende limitierende Faktoren eines derartigen Ansatzes für den vorliegenden Untersuchungsgegenstand.

28

Baumann u. a. 2020, 62. Kugler u. a. 2014, 120 ff. 30 Vgl. etwa Card & Krueger 1994, 778 f.; König & Möller 2008, 330 f.; Bossler u. a. 2018, 19 ff. 31 Zu Ersterem Winter-Ebmer 2003, 262 ff.; zu Letzterem Bauernschuster 2013, 297 f. 32 Vgl. Entorf & Spengler 2005, 17 ff. 33 Dazu Entorf & Schulan 2018, 371; Thomsen 2015, 84 ff. 34 Sie diente etwa zur Messung von Effekten der infolge eines terroristischen Anschlages in Buenos Aires lokal verstärkten Polizeipräsenz auf Autodiebstähle (Di Tella & Schargrodsky 2004, 121 f.) oder zur Messung der Auswirkungen des in Bogotá und Medellín eingeführten Verbots, Schusswaffen zu tragen, auf Todesfälle infolge von Schusswaffengebrauch (VecinoOrtiza & Guzman-Tordecillab 2020, 171 ff.). 29

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Die von Baumann et al. eingeführten Kontrollvariablen erwecken auf den ersten Blick Zweifel. Lassen sie Rückschlüsse auf ein vielleicht überkommenes theoretisches Verständnis von Baumann et al. zu den Ursachen von Kriminalität zu? Bricht man die allesamt auf der Makroebene angesiedelten Daten auf den Einzelnen herunter, liegt ein Zusammenhang mit den kriminogenen Faktoren der klassischen, ätiologisch orientierten Kriminologie nahe. Berücksichtigen Baumann et al. also die Scheidungsrate, die Arbeitslosenquote, das Pro-Kopf-Einkommen, den Ausländeranteil oder die Fruchtbarkeitsrate, kommt der Verdacht auf, die Abstammung aus einem geschiedenen, arbeitslosen, armen, nichtdeutschen, kinderreichen Elternhaus bzw. sozialen Umfeld sei als kriminogener Faktor anzusehen. Eine Interpretation dieser Kontrollvariablen erscheint jedoch auch in einem zurückgenommenen Sinne denkbar, dass diese empirisch gesehen lediglich die Zuschreibung von Kriminalität begünstigen könnten. So ließe sich argumentieren, der Ausländeranteil oder das Pro-Kopf-Einkommen fänden allein deshalb Berücksichtigung, weil die Ausländereigenschaft oder die Zugehörigkeit zu einer niedrigen sozialen Schicht zu einem verstärkten Labeling führe und daher „herauszurechnen“ seien, wenn man lediglich die Wirkung des Alkoholverkaufsverbots in den Blick nehmen wolle. Man hätte sich bei der Untersuchung gleichwohl gewünscht, dass Kriminalitätsursachen und Kriminalisierungsrisiken stärker auseinandergehalten worden wären. Wird die Entwicklung der Tatverdachtsfälle im Bundesland Hessen zur Kontrolle der zuvor berechneten Differenzen ergänzend herangezogen, so ist zudem zu hinterfragen, ob hier tatsächlich eine Vergleichbarkeit gegeben ist, die die Zahlen aus Hessen zu einer geeigneten Kontrollgruppe macht. Baumann et al. ziehen politische und ökonomische Kennzahlen zum Vergleich der beiden Bundesländer heran (Arbeitslosenquote, Bruttoinlandsprodukt pro Einwohner, Länderfinanzausgleich, Regierungsparteien).35 Hiermit bringen sie ein weiteres Mal ihre Präferenz für ökonomische Querschnittsdaten zum Ausdruck, die als theoretisches Grundgerüst für die Forschungsfrage nicht geeignet erscheinen. Auch das zweite Argument, warum die Wahl auf Hessen fiel, nämlich dass hier anders als in weiteren Bundesländern hinreichende Daten für den Untersuchungszeitraum ab 2007 vorgelegen hätten,36 schafft insoweit kein besonderes Vertrauen. Wäre es nach dem Gesagten ein voreiliger Schluss, allein in der Auswahl der Kontrollvariablen ein kriminologisches Defizit zu sehen, so findet sich ein solches allerdings an zentraler Stelle, nämlich der gänzlich fehlenden Auseinandersetzung mit der Frage, wie das Alkoholverkaufsverbot überhaupt wirkt. Innerhalb des Studiendesigns ist das zunächst kein Manko: Bedient man sich des Differenz-von-DifferenzenAnsatzes zur Untersuchung der Effektivität eines Gesetzes, so kann tatsächlich die Frage nach den Bedingungen für die Wirksamkeit des Gesetzes völlig ignoriert wer35 36

Baumann u. a. 2019, 5. Baumann u. a. 2019, 2.

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den. Diese Bedingungen lassen sich schlicht als nicht einsehbare „Blackbox“ behandeln.37 Das Ergebnis einer solchen Untersuchung kann dann aber allenfalls die Tatsache sein, dass es irgendeinen Zusammenhang gibt – wie auch immer dieser im Einzelnen beschaffen sein mag. Nach Weisburd und Hinkle liegt hierin ein zentrales Problem von Evaluationen im Bereich der Kriminologie und des Strafrechts: Soll eine solche Evaluation herausfinden, warum ein Programm funktioniert, dann muss dieser Untersuchung vorausgesetzt sein, dass das zu untersuchende Programm selbst auf einer gut entwickelten Theorie fußt. Sie muss die spezifischen kausalen Zusammenhänge benennen, die von Kriminalpräventionsprogrammen gezielt angegangen werden sollen.38 Eine eben solche valide Theorie fehlt aber im Fall der Alkoholverkaufsverbote. Behauptet werden hier Auswirkungen der Maßnahme auf die Kriminalitätsbelastung deshalb, weil eine geringere Alkoholverfügbarkeit zu einem geringeren Alkoholkonsum führe, und man davon ausgeht, der Konsum von Alkohol habe eine kriminogene Wirkung. Dies wird als Grundannahme vorausgesetzt, konnte jedoch bislang nicht bestätigt werden. Alle Erklärungsansätze, die eine kriminogene Wirkung des Alkohols nachweisen wollen, benennen eine Vielzahl anderer Faktoren, die den Einfluss von Alkohol auf Kriminalität vermitteln.39 Ein direkter Zusammenhang zwischen Alkohol und Kriminalität erscheint insoweit nur bei solchen Delikten denkbar, bei denen der Alkoholkonsum selbst Teil des Tatbestands ist (z. B. § 316 StGB). Modelle aus der Aggressionsforschung unterstellen zwar zum Teil eine akute, psychopharmakologische Wirkung von Alkohol, die sich auf die Straftatenbegehung auswirke, diese Wirkung könne jedoch durch Drittvariablen („Moderatoren“) verringert oder verstärkt werden.40 Alkohol komme allgemein eine stimulierende Wirkung zu,41 die sich sowohl in Euphorie als auch in Aggression niederschlagen könne.42 Den fehlenden empirischen Nachweis einer kriminogenen Wirkung des Alkoholkonsums kann auch die Studie von Baumann et al. nicht überwinden. Und entsprechend sind die Ergebnisse von Studien, die den Zusammenhang zwischen zeitlicher Alkoholverfügbarkeit und Kriminalität mittels des Differenz-von-Differenzen-Ansatzes untersuchten, höchst unterschiedlich.43 So analysierten Norström und Skog im Jahr 2005 die Wirkungen eines schwedisches Gesetzes, mit dem der Verkauf 37

Weisburd & Hinkle 2018, 289 ff. Weisburd & Hinkle 2018, 305. 39 Vgl. Friedemann & Rettenberger 2019, 146; Foerster & Dreßing 2015, 192. 40 Friedemann & Rettenberger 2019, 146. 41 Kerner (2000, 20) spricht vom Alkohol als „facilitator“ bzw. „Erleichterer“, wobei er ausdrücklich darauf hinweist, dass es keine biologisch-psychologisch fest determinierten Alkoholwirkungen gebe (2000, 19). Bestimmte Verhaltensweisen im Anschluss an den Alkoholkonsum seien „kulturell überformt“, weshalb die Alkoholisierung in manchen Gesellschaften eher zu friedlichem, in anderen eher zu einem ausufernden Verhalten führen könne (2000, 19). 42 Friedemann & Rettenberger 2019, 147. 43 Vgl. zusammenfassend Carpenter & Dobkin 2011, 310 ff. 38

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von Alkohol an Samstagen liberalisiert wurde, und kamen zu dem Ergebnis, diese Maßnahme habe keine Auswirkungen auf die gemessene Kriminalität gehabt.44 Eine Analyse desselben Gesetzes von Grönqvist und Niknami aus dem Jahr 2014 machte hingegen eine Wirkung der liberalisierten Alkoholverfügbarkeit auf die Kriminalität aus. Insbesondere die Eigentumskriminalität sei signifikant angestiegen.45 Ein weiterer Kritikpunkt zeigt sich im Zusammenhang mit möglichen durch das Alkoholverkaufsverbot hervorgerufenen Verdrängungseffekten. Denn im Rahmen der von der Studie gewählten Differenz-von-Differenzen-Methode sind entsprechende Effekte bei der Abgrenzung von Kontroll- und Versuchsgruppe zwingend zu berücksichtigen.46 Baumann et al. kommen insoweit allerdings zu dem Ergebnis, die untersuchten Delikte würden regelmäßig aus kurzfristigen und unkontrollierten Impulsen heraus begangen. Verdrängungs- bzw. Verlagerungseffekte dergestalt, dass potenzielle Täter dazu übergehen, die Delikte infolge des Verbots vor 22 Uhr zu begehen, werden vor diesem Hintergrund zutreffend als unwahrscheinlich angesehen.47 Auch wenn die Frage nach Verdrängungseffekten im Rahmen des Forschungsdesigns in diesem Sinne Berücksichtigung gefunden hat, zeigt sich in diesem Kontext die Limitiertheit wirtschaftswissenschaftlicher Forschungsansätze im Bereich der Kriminalität. Man ist auf Daten angewiesen, die in diesem Fall allein die Polizeiliche Kriminalstatistik zu liefern vermag. Für diese ist es aber schlicht ein auch von der Polizei gar nicht bestrittener Gemeinplatz, dass sie das tatsächliche Kriminalitätsaufkommen nicht abzubilden vermag, weil das Dunkelfeld keine Berücksichtigung findet.48 Die von Baumann et al. getroffene Aussage, es handele sich um ein „wirksames Gesetz“, kann angesichts dessen jedenfalls nicht in dieser Absolutheit Geltung für sich beanspruchen. Wirksam ist das Gesetz mit Sicherheit dahingehend, dass der öffentliche Raum ab 22 Uhr für bestimmte Personengruppen an Aufenthaltsqualität verliert. Wer nach dieser Zeit noch Alkohol konsumieren möchte, ist gezwungen, in zu diesem Zeitpunkt noch geöffnete Gaststätten, Bars oder Kneipen auszuweichen. Womöglich besteht auch die Möglichkeit, auf einen Vorrat in der eigenen Wohnung zurückzugreifen. Jedenfalls verlagert sich der Konsum von frei zugänglichen öffentlichen Plätzen in den privaten Raum. Hier verlieren sich dann etwaige begangene Gewaltdelikte im Dunkeln. Die Anzeigebereitschaft im persönlichen Nahbereich sinkt, entsprechend wächst das Dunkelfeld.

44

Norström & Skog 2005, 767 ff. Grönqvist & Niknami 2014, 77 ff. 46 Vgl. im Kontext einer Differenz-von-Differenzen-Studie zu Mindestlohneffekten König & Möller 2008, 343. 47 Baumann u. a. 2019, 2. 48 BMI (Hrsg.), Polizeiliche Kriminalstatistik 2019: Ausgewählte Zahlen im Überblick, 8. 45

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4.3 Das Polizeirecht als Türöffner für Alkoholkonsumverbote in der Gegenwart? Und wie steht es heute? Nachdem der VGH Mannheim im Jahr 2009 auf die allgemeine polizeirechtliche Verordnungsermächtigung gestützte kommunale Alkoholkonsumverbote mangels Vorliegens einer abstrakten Gefahr für rechtswidrig erklärt hatte, machten sich die Länder daran, in den Polizeigesetzen eigene Befugnisnormen zu schaffen, die es den Kommunen ermöglichen sollen, weiterhin den Alkoholkonsum auf bestimmten Flächen zu verbieten. Als eines der ersten Bundesländer führte Sachsen im Jahr 2011 § 9a SächsPolG (seit 01. 01. 2020: § 33 SächsPBG) ein.49 Baden-Württemberg zog Ende 2017 nach und brachte mit § 10a PolG BW eine Ermächtigung zum Erlass örtlicher Alkoholkonsumverbote auf den Weg.50 „Die Ortspolizeibehörden können durch [zeitlich begrenzte] Polizeiverordnung untersagen, an öffentlich zugänglichen Orten […] alkoholische Getränke zu konsumieren oder zum Konsum im Geltungsbereich des Verbots mitzuführen, wenn (1.) sich die Belastung dort durch die Häufigkeit alkoholbedingter Straftaten oder Ordnungswidrigkeiten oder deren Bedeutung von der des übrigen Gemeindegebiets deutlich abhebt, (2.) dort regelmäßig eine Menschenmenge anzutreffen ist, (3.) dort mit anderen polizeilichen Maßnahmen keine nachhaltige Entlastung erreicht werden kann und (4.) Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass dort auch künftig mit der Begehung alkoholbedingter Straftaten oder Ordnungswidrigkeiten zu rechnen ist.“

4.3.1 Verfassungsmäßige Zweifel Die Verfassungsmäßigkeit dieser Norm wird aus guten Gründen bestritten.51 Das Verbot des Mitführens von Alkohol „zum Konsum“ sei zu unbestimmt und verstoße gegen den in Art. 20 Abs. 3 GG verankerten Bestimmtheitsgrundsatz. Unter dem Gesichtspunkt der Bestimmtheit sei zudem zu kritisieren, wenn vorausgesetzt werde, dass „Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass dort [im Geltungsbereich des Verbots] auch künftig mit der Begehung alkoholbedingter Straftaten oder Ordnungswidrigkeiten zu rechnen ist.“52 Die Norm greife zudem unverhältnismäßig in die durch Art. 2 Abs. 1 GG gewährleistete allgemeine Handlungsfreiheit ein, da sie mangels Gefährlichkeit des Alkoholkonsums bereits nicht geeignet, erst recht aber nicht angemessen sei.

49

§ 9a SächsPolG wurde eingeführt mit Wirkung vom 29. 10. 2011 durch Gesetz vom 04. 10. 2011 (SächsGVBl. 370) und reformiert durch das „Gesetz zur Neustrukturierung des Polizeirechtes des Freistaates Sachsen“ vom 11. 05. 2019 (SächsGVBl. 358). 50 § 10a PolG BW wurde eingeführt mit Wirkung vom 08. 12. 2017 durch das „Gesetz zur Abwehr alkoholbedingter Störungen der öffentlichen Sicherheit“ vom 28. 11. 2017 (GBl. Nr. 24, S. 631); vgl. zudem im Bayerischen Landesstraf- und Verordnungsgesetz Art. 30 LStVG. 51 Vgl. Brückner 2012, 202 ff. zur Parallelnorm im Sächsischen Polizeigesetz. 52 Brückner 2012, 203 zu einer ähnlichen Formulierung in § 9a SächsPolG a.F.

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Das Sächsische Oberverwaltungsgericht war hingegen der Ansicht, verfassungsrechtliche Bedenken seien nicht veranlasst, soweit der Gesetzgeber als Rechtfertigung zum Erlass eines örtlichen Alkoholverbots mittels Polizeiverordnung keinen streng kausalen Zusammenhang zwischen den zugrunde gelegten Straftaten und der Alkoholeinwirkung voraussetze.53 Fordere die Befugnisnorm lediglich Tatsachen, die die Annahme rechtfertigten, dass sich dort [im Geltungsbereich des Verbots] Personen aufhielten, die alkoholbedingte Straftaten begangen hätten, so seien darunter alle Straftaten zu verstehen, die unter Alkoholeinfluss begangen wurden. Zur Reduzierung dieser Straftaten sei § 9a SächsPolG (a.F.) durchaus geeignet, erforderlich und angemessen. Dem ist weder für § 9a SächsPolG (a.F.) noch für die Parallelnorm im baden-württembergischen Polizeigesetz beizupflichten. Denn wie soll die gesetzgeberische Formulierung, insbesondere die Voraussetzung der Alkoholbedingtheit von Straftaten, den Kausalnachweis des Alkohols für die Straftat erleichtern? Das mag zwar die Intention der Landesgesetzgeber in Reaktion auf das Urteil des VGH Mannheim gewesen sein. Wollte man sich mit der Einführung der neuen Befugnisnormen aber den Nachweis einer abstrakten Gefahr des Alkoholkonsums für eine Straftatbegehung ersparen, ist das nicht gelungen.54 So drückt das Suffix „-bedingt“ bereits aus, „dass die beschriebene Sache [hier: die Straftat] durch etwas [hier: den Alkohol] hervorgerufen wird, in etwas begründet ist“.55 Zwar muss hinsichtlich der Prognose alkoholbedingter Straftaten lediglich ein Gefahrenverdacht vorliegen (vgl. die Formulierung „Tatsachen die Annahme rechtfertigen“), der Verdacht muss jedoch hinsichtlich solcher Straftaten bestehen, für die der Alkohol mitursächlich war.56 Insoweit erleichtert die Voraussetzung eines bloßen Gefahrenverdachts nicht den Nachweis der Mitursächlichkeit des Alkohols. Auch das Normtelos spricht für eine solche Auslegung des Merkmals der alkoholbedingten Straftaten. Kommt es der Norm darauf an, Straftaten zu bekämpfen, indem der Alkoholkonsum verboten wird, so kann dies nur so verstanden werden, dass man den Konsum von Alkohol als mitursächlich für bestimmte Taten ansieht. Entsprechend behalten die Grundaussagen des VGH Mannheim auch nach Inkrafttreten des § 10a PolG Gültigkeit. Diese Norm überwindet nicht das Kausalitätserfordernis zwischen Alkoholkonsum und Schutzgutgefährdung.57 53

OVG Bautzen SächsVBl. 2017, 278 (282). Ebenso Pschorr 2019, 392; vgl. auch Reinhardt 2020, Rn. 8. 55 Vgl. https://www.duden.de/rechtschreibung/_bedingt [24. 01. 2021]; dazu Pschorr 2019, 392. 56 Das Sächsische OVG (SächsVBl. 2017, 278 [282 f.]) scheint diese beiden Ebenen nicht klar zu trennen, wenn es meint, es sei kein streng kausaler Zusammenhang zwischen den zugrunde gelegten Straftaten und der Alkoholeinwirkung vorausgesetzt, sondern es genügten Tatsachen, „die die Annahme rechtfertigen, dass sich dort Personen aufhalten, die alkoholbedingte Straftaten gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit oder das Eigentum begangen haben.“ 57 Pschorr 2019, 394. 54

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Es bleibt damit bei unserer Aussage von 2017: „Entweder unterstellt das Gesetz schlicht bei Alkoholisierung die Alkoholbedingtheit der Straftaten oder aber es würde eines validen Nachweises bedürfen. Ersteres wäre verfassungswidrig, Letzteres bedürfte der empirischen Erkenntnisse, die jedenfalls uns bislang nicht bekannt sind.“58 4.3.2 Und was die Praxis macht … Wie bereits geschildert, erwies sich die über § 10a PolG eröffnete Möglichkeit, Alkoholkonsumverbote zu erlassen, glücklicherweise bislang als wahrer Ladenhüter. Nun probiert es immerhin Karlsruhe aus.59 Die „Einzelbegründung zur Polizeiverordnung über ein Alkoholkonsumverbot auf dem Werderplatz“60 legt den Finger unbewusst auf die Wunde, indem sie ohne erkennbares System zwischen den Begrifflichkeiten der alkoholbedingten und der alkoholbeeinflussten Straftat hin und her changiert. Vielleicht meint sie sogar nur eine alkoholbegleitete Straftat, die wiederum der Regelfall sein dürfte. Womit wir wieder beim Freiburger Alkoholkonsumverbot im „Bermudadreieck“ und damit unserem Ausgangspunkt wären.

5. Fazit Ist das Alkoholverbot also tatsächlich der anfangs so apostrophierte Tausendsassa? Der Gesundheit würde es wohl trotz der existierenden Umgehungsmöglichkeiten schon dienen. Wie man es mit ihr hält, ist aber eben weitgehend und zum Verdruss der Paternalisten Privatsache. Auch deshalb kommt die Reduzierung der Gewaltkriminalität ins Spiel, zumindest deren Bekämpfung sollte ja eine genuine Aufgabe des Staates sein. Womit wir beim eigentlichen Kern wären: Wie lässt sich der Zusammenhang von Alkoholkonsum und Kriminalität beschreiben? Weil die Antwort auf diese Frage ein wenig sperrig daherkommt, wird sie in aller Regel nicht gestellt. Man gibt sich damit zufrieden, dass die Kriminalität bei den diversen Alkoholverboten „irgendwie“ verschwindet, vielleicht aber auch nur aus dem öffentlichen Raum. Und vielleicht hatte die Kriminalität gar nichts mit dem Alkohol zu tun. Aber ein solcher Zustand des Verschwindens wäre im Sinne des Kommerzes möglicherweise gar nicht so schlecht, für den der „ordentlich erworbene und konsumierte“ Alkohol eine zentrale Rolle spielt. Das gewählte Beispiel erscheint somit geradezu als ein Musterbeispiel für die Notwendigkeit eindeutiger Forschungsfragen im Kontext der Wirkungsforschung. 58

http://www.strafrecht-online.org/nl-2017-07-28 [24. 01. 2021], 5. Vgl. den Artikel „Karlsruhe probiert ein begrenztes Alkoholverbot aus“ in der Badischen Zeitung v. 14. 12. 2018; https://www.badische-zeitung.de/karlsruhe-probiert-ein-begrenztes-al koholverbot-aus [24. 01. 2021]. 60 https://web3.karlsruhe.de/Gemeinderat/ris/bi/getfile.php?id=606531&type=do& [24. 01. 2021]. 59

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Und es zeigt zwei Risiken auf: Möglicherweise wird die Kriminologie als Steigbügelhalter für solche Ziele missbraucht, die sie eigentlich gar nicht im Auge hatte. Oder aber die Evaluation wird vom Staat gleich einmal selbst in die Hand genommen, kann doch nicht so schwer sein. Doch, verantwortungsbewusste Kriminologie ist schwer. Hans-Jörg Albrecht beherrscht sie. Literaturverzeichnis Bauernschuster, S. (2013): Dismissal protection and small firms’ hirings: evidence from a policy reform. Small Business Economics 40, S. 293 – 307. Baumann, F., Buchwald, A., Friehe, T., Hottenrott, H. & Mechtel, M. (2019): The effect of a ban on late-night off-premise alcohol sales on violent crime: Evidence from Germany. International Review of Law and Economics 60, S. 1 – 6. Baumann, F., Buchwald, A., Friehe, T., Hottenrott, H. & Mechtel, M. (2020): Beschränktes Alkoholverkaufsverbot in Baden-Württemberg: wirksames Gesetz abgeschafft. Wirtschaftsdienst – Zeitschrift für Wirtschaftspolitik, S. 60 – 63. Bossler, M., Gürtzgen, N., Lochner, B., Betzl, U., Feist, L. & Wegmann, J. (2018): Auswirkungen des gesetzlichen Mindestlohns auf Betriebe und Unternehmen. Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung, Forschungsbericht 4/2018. Nürnberg. Brückner, G. (2012): Die Verfassungsmäßigkeit des § 9a SächsPolG – Grenzen abstrakt-genereller Alkoholverbote im öffentlichen Raum. Landes- und Kommunalverwaltung (LKV), S. 202 – 207. Card, D. & Krueger, A.B. (1994): Minimum Wages and Employment: A Case Study of the FastFood Industry in New Jersey and Pennsylvania. American Economic Review 84, S. 772 – 793. Carpenter, C. & Dobkin, C. (2011): Alcohol Regulation and Crime, in: J. Cook, J. Ludwig & J. McCrary (Hrsg.), Controlling Crime: Strategies and Tradeoffs. Chicago, S. 291 – 329. Di Tella, R. & Schargrodsky, E. (2004): Do Police Reduce Crime? Estimates Using the Allocation of Police Forces After a Terrorist Attack. American Economic Review 94, S. 115 – 133. Entorf, H. & Schulan, A. (2018): Kosten-Nutzen-Analyse in der Kriminalprävention, in: M. Walsh, B. Pniewski, M. Kober & A. Armborst (Hrsg.), Evidenzorientierte Kriminalprävention in Deutschland. Wiesbaden, S. 369 – 383. Entorf, H. & Spengler, H. (2005): Ökonometrie der Kriminalität. ifo Schnelldienst 58, S. 13 – 25. Foerster, K. & Dreßing, H. (2015): Störungen durch Alkohol, in: H. Dreßing & E. Habermeyer (Hrsg.), Psychiatrische Begutachtung. 6. Aufl. München, S. 192 – 199. Friedemann, S.F. & Rettenberger, M. (2019): Delikte unter Alkoholeinfluss, in: Deutsche Hauptstelle für Suchtfragen e.V. (Hrsg.), DHS Jahrbuch Sucht 2019. Lengerich, S. 142 – 151. Grönqvist, H. & Niknami, S. (2014): Alcohol availability and crime: Lessons from liberalized weekend sales restrictions. Journal of Urban Economics 81, S. 77 – 84.

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Gibt es die ideale Polizei? Von László Korinek Der Jubilar hat im Jahre 2006 in der zentralen, theoretischen Zeitschrift der ungarischen Polizei in ungarischer Sprache eine weitreichende Studie1 veröffentlicht. Seine Gedanken habe ich seitdem mindestens hundertmal in Ungarisch zitiert gesehen. Das zeigt wie häufig und wie schnell viele über die Gedanken von Professor Albrecht räsoniert haben. All dies autorisiert den Verfasser dieser Zeilen, den ein langes – über 38-jähriges – von gegenseitigem Respekt und Freundschaft geprägtes Verhältnis mit dem Jubilar verbindet, dazu die Gedanken von Professor Albrecht weiterzuführen und darüber nachzudenken, ob es eine ideale Polizei gibt.

*** Forscherinnen und Forscher, die sich mit dem Ordnungswesen beschäftigen, vergleichen oft die bewährten Ansätze der einzelnen Staaten und suchen jene allgemeinen, guten Lösungen, die überall eingesetzt werden können. Mit anderen Worten: Ziel und Sinn unserer Anstrengungen ist es, die Institution des Ordnungswesens zu verbessern. Unausgesprochen suchen wir die ideale Lösung. Es ist selbstverständlich, dass Forschende ebenso wie Fachleute auch in wichtigen Fragen verschiedene Ansichten vertreten. Gibt es aber Konsens über die ideale Organisation und das ideale System? Wie sollte die Polizei aussehen, wenn wir frei ihre Struktur und Tätigkeit bestimmen könnten?

1. Gesellschaft ohne Polizei? Keinen Dissens gibt es mutmaßlich darüber, dass die beste Polizei jene ist, die nicht existiert, weil sie sich überflüssig gemacht hat. Das wäre aber eher eine utopische Gesellschaft als ein utopisches Ordnungswesen. Bekanntlich hat es Versuche gegeben, eine solche Gesellschaft zu gründen. Karl Marx hat in der Kritik des Gothaer Programmes erläutert, dass die Lebensumstände der Menschen verschieden sind; daher muss auch das Recht – um Ungerechtigkeiten zu vermeiden – ungleich sein. Er glaubt, dass auf einer höheren Stufe 1

Albrecht 2006.

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der kommunistischen Entwicklung „der enge Horizont des Bürgerrechtes“ überschritten werden kann, die Arbeit zum menschlichen Bedarf wird, und der Reichtum die Verteilung nach Bedürfnissen ermöglicht.2 Lenin hat im Einklang damit am Vorabend der kommunistischen Machtübernahme ausgeführt, dass die Menschen sich in dem neuen System an die Einhaltung der Gesellschaftsnormen gewöhnen, so wird der Machtapparat mit dem Verschwinden der Klassengesellschaft überflüssig.3 Die Wirklichkeit hat aber auch die Politiker, die von dem Ende des Staates träumten, wieder auf den Boden zurückgebracht. Man muss akzeptieren, dass man in einer durch verschiedene Interessen gespaltenen Gemeinschaft, in der sich die Menschen unterschiedlich zur bestehenden Ordnung stellen – die selbst aus komplexen Systemen entsteht –, einen Apparat benötigt, der sich berufsmäßig mit dem Schutz der akzeptierten Normen beschäftigt. Heute wissen wir, dass Lenins Vorstellungen nicht nur wegen des Untergangs des ganzen kommunistischen Systems unerreicht blieben; auch zu Zeiten der Existenz des Systems konnte man nicht einmal Anfänge in Richtung der vorgestellten Entwicklung erkennen. Im Gegenteil, es ist allgemein bekannt, dass die sozialistischen Staaten – einschließlich der Ungarischen Volksrepublik – in ihrer letzten Phase einen raschen Anstieg der Kriminalität verbucht haben. Interessanterweise hatte selbst Marx festgestellt, dass die Unterschiede zwischen den Menschen nicht ausschließlich aus dem Klassenunterschied resultieren.4 Er war allerdings der Meinung, dass die anderen Unterschiede mit Abschaffung des größten Unterschiedes unwichtig werden. Er hat sich geirrt. Nach heutigem Kenntnisstand wird sich – jedenfalls in einer absehbaren Zukunft – keine Gesellschaft entwickeln, in der zur Regeldurchsetzung kein Zwang mehr nötig ist. In komplexen Systemen sind Sicherheitsorgane unverzichtbar. Die Existenz spezialisierter Subsysteme erfordert die Einrichtung und Unterhaltung einer Institution, die sich auf die Sicherheit spezialisiert hat. Anzumerken ist, dass eine solche als policing benannte Tätigkeit auch in der Tierwelt – zum Beispiel bei einzelnen Bienen- oder Ameisenarten – zu erkennen ist.5

2. Polizei in der interessengespaltenen Gesellschaft Nach dem eben Gesagten und dem Stand der Wissenschaften können wir also nicht damit rechnen, dass in naher Zukunft das Bedürfnis für eine Polizei verschwinden oder sich auch nur ernsthaft vermindern würde. So können wir auch beim Träumen über deren Organisation das Umfeld nicht außer Acht lassen, in der diese Organisation, die der öffentlichen Sicherheit dient, tätig ist.

2

Marx 1953. Lenin 1973, 125 – 126. 4 Marx 1953, 13. 5 Helanterä 2007; Ratnieks et al. 1989.

3

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2.1 Polizei in der Diktatur Es ist eine falsche Annahme, dass die Abwesenheit von Demokratie a priori grenzenlose Macht der Polizei bedeutet. Die Untertanen können es natürlich so empfinden, und dies durchaus nicht grundlos, dass ihr keine Grenzen gesetzt sind. In Wirklichkeit gibt es Grenzen, und zwar von oben gesetzte. Die Behörden der Staatsmacht, die den Apparat aufrechterhalten – der Herrscher oder unter anderen Umständen die Leiter der „führenden Partei“ – wollen, dass von den Hütern der öffentlichen Sicherheit ihre Interessen gewahrt werden. Dabei ist zu bemerken, dass die Bemühungen zur Erarbeitung der Theorien des Ordnungswesens dem bürgerlichen Wandel vorangegangen sind; die Vermeidung unbeschränkter Willkür – natürlich im Interesse der herrschenden Person oder der herrschenden Gruppen – wurde also schon vor der Entstehung des Verfassungsstaates als Ziel definiert.6 Das gehört freilich nicht unmittelbar zu unserem Thema, da unsere Gedanken, unsere Wünsche bezüglich der Polizei, nach der Wende in die Rahmenbedingungen des demokratischen Rechtsstaates eingegliedert werden müssen. 2.2 Ideale Polizei in einer demokratischen Gesellschaft Wenn wir die wichtigste Aufgabe der Polizei nicht in der Unterdrückung, sondern in der Aufrechterhaltung der Ordnung – die auf dem öffentlichen Willen und dem öffentlichen Interesse beruht – sehen, können grundsätzlich zwei Auffassungen zur Rolle der Polizei existieren. Und so ist es auch. Nach der einen kann im Grunde von einer Gemeinschaftsfunktion gesprochen werden, wo jeder an dem Prozess des „Ordnungshütens“ teilhaben kann. 2.2.1 Nähe zur Gesellschaft Gemäß der Konzeption einer Polizei, die in die Gemeinschaft der Bürger eingegliedert ist, benötigt diese für ihre Tätigkeit keine hochspezialisierten Kenntnisse, sondern gesunden Menschenverstand. Der Polizist ist also nichts anderes als ein Bürger in Uniform, der als Beruf den Dienst erfüllt, der im Grunde genommen Pflicht von uns allen ist. Ein verbreiteter Witz lautet: „In einer idealen Welt ist der Polizist Engländer, der Koch Franzose, der Mechaniker Deutscher, der Liebhaber Italiener, und der Schweizer organisiert alles. In unseren Albträumen ist der Polizist Deutscher, der Mechaniker Franzose, der Koch Engländer, der Liebhaber Schweizer, und der Italiener organisiert alles.“7

6 7

Zum Beispiel Koi 2014. Zitiert nach Csapó 2008, 138.

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Dieser Witz bezieht sich natürlich auf die Eigenschaften von Privatpersonen aus einzelnen Nationen, aber es kann kein Zufall sein, dass die Engländer mit ihren Polizisten im Wunsch-Universum vertreten sind. Es ist auch eine Tatsache, dass die gesellschaftliche Akzeptanz des britischen (vor allem englischen und walisischen) „Bobbys“ traditionell ein hohes Niveau hat. Die Frage ist also, ob wir der Behauptung: die Organisation des Öffentlichkeit-Schutzes ist desto besser, je mehr sie sich dem englischen Vorbild annähert, zustimmen. Im Inselstaat selbst lebt bis heute diese offizielle Sichtweise, der die grundsätzliche Ähnlichkeit der Polizei und der Gesellschaft zugrunde liegt. Man ergänzt es höchstens damit, dass man das Prinzip den heutigen Lebensbedingungen anpassen muss.8 Diese Art der Polizeitätigkeit ist auch anderswo zu finden. Als Beispiel kann man das im Mittelalter entstandene, auf Selbstständigkeit der Städte und Teilnahme der Bürgerschaft aufgebaute Sicherheitsmodell nehmen. In den Vereinigten Staaten – wie wir es in den Western-Filmen sehen können – entstand das Posse Comitatus. Es bedeutet eine vom gewählten Polizisten (Sheriff, Marshall) aus den Reihen der Einheimischen rekrutierte Gruppe, ad hoc zusammengestellt zur Verfolgung einer heißen Spur, also zur Festnahme des flüchtigen Übeltäters. Der Zuständige für die öffentliche Sicherheit hatte aber auch im Allgemeinen das Recht, Privatpersonen zur Unterstützung hinzuziehen. Das Posse Comitatus-Gesetz aus dem Jahre 1878 verbot es, sich zu diesem Zwecke der Armee zu bedienen. Dieser Schritt zeigt, dass offensichtlich auch der Gesetzgeber die gesellschaftliche Teilnahme der öffentlichen Gewalt präferiert.9 Ferner ist festzustellen, dass die Verneinung des Staatsmacht-Charakters des Ordnungshütens – oder jedenfalls die Bemühungen zur Minimierung dieses Charakters – im bis heute einflussreichsten und unverändert auf dem Prinzip der Gemeinschaftspolizei aufgebauten amerikanischen (aber inzwischen auch anderswo weit verbreiteten) Modell markant vorhanden ist.10 Dieser Ansatz sieht den Weg zum Erfolg nicht in der Weiterentwicklung der technischen Ausrüstung, sondern in der Zusammenarbeit – basierend auf gegenseitigem Vertrauen – mit Menschen und GemeindeInstitutionen. Für die Polizei folgt daraus logischerweise eine erhöhte soziale Verantwortung, das Kümmern um die Gemeinden und deren Mitglieder. Das angelsächsische Modell kann auf jeden Fall reizvoll, in einer demokratischen Gesellschaft sogar wünschenswert erscheinen. Wenn wir uns eine Utopie ausmalen, dann können wir die geschichtlichen Gegebenheiten, die abweichende kontinentale Machtdefinition, außer Acht lassen. Festzustellen ist aber auch, dass die Einbettung in die Gesellschaft sich bei Weitem nicht so entwickelt hat, wie es die Befürworter des englisch-amerikanischen Modells betonen.

8

Marshall 2014, V. Matthews 2006. 10 Siehe z. B. Miller et al. 2015. 9

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Sir Robert Mark, der ehemalige Leiter der – im Übrigen staatlichen – Londoner Polizei betonte nicht die gesellschaftliche Einbettung, sondern den unparteiischen Dienst an den demokratisch verabschiedeten Gesetzen.11 Andere merken allerdings – durchaus nicht unbegründet – an, dass der Schutz der Öffentlichkeit im Inhalt und in der Ausrichtung in Wirklichkeit nie vollkommen unparteiisch und unvoreingenommen war.12 Eine offizielle Untersuchung hat sogar festgestellt, dass die Tätigkeit der Londoner Polizei durch institutionellen Rassismus geprägt ist.13 Die amerikanische Polizeipraxis ist sogar seit langem berüchtigt wegen ihrer auf Rassevorurteilen gegründeten Verdächtigungen (racial profiling)14. Das Posse Comitatus-Gesetz, dessen Grundlage die Ablehnung des militärischen Ordnungsmodells ist, liegt wegen der verbreitenden Ausnahmen weithin in Trümmern, die Militarisierung der amerikanischen Polizei ist ein Faktum.15 Nach alldem kann man nicht behaupten, dass die englische oder amerikanische Polizei die ideale Lösung zum Schutze der öffentlichen Sicherheit ist. Diese Schlussfolgerung bedeutet selbstverständlich nicht, dass man – mit gegebener Kritik und Adaption – nicht einzelne Institutionen bzw. Normen übernehmen könnte. 2.2.2 Fokus auf der Relevanz des Fachwissens Der andere Ansatz der idealen Polizei baut auf der Grundidee auf, dass der Professionalismus die Grundlage des Erfolges ist. So kann die Organisation sich nicht in der Gesellschaft materialisieren. Man braucht eine gut abgegrenzte, eventuell zentralisierte Struktur, in der die Kenntnisse und die durch diese Kenntnisse erlangten Fähigkeiten für den Erfolg ausschlaggebend sind. Hierzu ist anzumerken, dass neben der traditionell hochgeachteten englischen Polizei eine stark zentralisierte, militarisierte Organisation zu den besten der Welt gehört. Dies ist die Kanadische Königliche Berittene Polizei (Royal Canadian Mounted Police), die – wie es die französische Benennung klar zeigt – eigentlich eine auf militärische Basis gegründete Gendarmerie ist: Gendarmerie royale du Canada.16 Neben den hervorragenden Fachkenntnissen und der zentralen Leitung ist die gute Zusammenarbeit mit der Bevölkerung eine weitere explizite Zielsetzung. Trotz der Zentralisierung wird der größte Teil der tatsächlichen Tätigkeit in den örtlichen Filialen (detachments) ausgeführt. Das setzt gute Kenntnisse über die örtlichen Verhältnisse voraus. Gleichzeitig versucht die Leitung den Gefahren des lokalen Einflus-

11

Mark 1977, 35 – 36. Buckley 2015. 13 Holdaway 2006. 14 Chaney & Robertson 2013. 15 Rizer 2016; Lieblich & Shinar (2018). 16 https://www.wonderslist.com/10-countries-best-police-forces/ [02. 02. 2019].

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ses entgegenzuwirken, indem die Polizisten häufig in andere Einheiten versetzt werden.17 Gendarmerien gelten allgemein als Eliteeinheiten und genießen im pluralen System des Öffentlichkeitsschutzes ein hohes Ansehen. So war es auch in Ungarn. Hazai Samu, pensionierter ungarischer Verteidigungsminister meinte: „Hingabe, eiserne Disziplin, beispielhafte Pflichterfüllung haben die Ungarische Königliche Gendarmerie zu solch einer hervorragenden Organisation gemacht, die zurecht landesweite Anerkennung erreicht hat.“18

Dem widerspricht die Vorübergehende Nationale Regierung im Jahr 1945 mit dem Erlass Nummer 1.690/1945 m. E. über die Auflösung der Organisation mit der Begründung, dass „sie die volksfeindlichen Regierungen der Vergangenheit mit bedingungslosem Gehorsam unterstützt hat, gnadenlos versucht hat die ungarischen demokratischen Bewegungen zu zerstören, und gegen die ungarische Bauer- und Arbeiterschicht zahllose Gewaltverbrechen verübt hat.“

Mehrere – so auch József Parádi – vertreten die Ansicht, dass nach heutiger Bewertung die kollektive Verfasstheit der Gendarmerie keine Akzeptanz mehr finden kann. Die Körperschaft hat übrigens, als Teil der ungarischen bürgerlichen Verwaltung, den Dienst an der Gemeinschaft sogar als ihre wichtigste Aufgabe erachtet.19 Bezüglich der ersten Feststellung kann man mit dem Verfasser einverstanden sein. Es ist aber eine Tatsache, dass solche Organisationen – als Teil der Armee, oder an den Aufbau und die Funktionsweise der Armee angelehnt – nicht auf der Grundlage selbstständiger Entscheidungsbefugnis, sondern zur Unterstützung einer effektiven Exekutive entstehen. In dieser Funktion können sie positiv bewertet werden, denn ihr Hauptmerkmal – die „eiserne Disziplin“ – schützt auch vor Willkür und Machtmissbrauch. Wegen der bedingungslosen Erfüllung der Befehle können solche Organisationen aber auch für Zwecke eingesetzt werden, die in einer demokratischen Gesellschaft unakzeptabel sind. Bleiben wir beim Beispiel der Ungarischen Königlichen Gendarmerie: zu Zeiten des Holocausts war die Beihilfe zum Zusammentreiben und Transport der Menschen eine unmenschliche Tat, auch wenn die Entscheidung dazu nicht von der Körperschaft selbst getroffen wurde. Wenn wir unsere Gedanken auf Grundlage demokratischer Werte machen, lohnt es sich kaum, das ideale Modell in einem militärisch organisierten Apparat zu suchen. Wie es Géza Finszter mehrseitig bewiesen hat, „zeigen die Funktionen des Militärs und des Ordnungswesens sogar bei der ähnlichsten Tätigkeit, beim Truppeneinsatz, wesentliche Unterschiede. Ziel der Armee ist den Feind zu besiegen, wobei sogar die Vernichtung in Kauf genommen wird. Die Polizei muss aber 17

Thomson & Clairmont 1991. Zitiert nach Rektor 1980, 356. 19 Parádi 2012, 137 – 138. 18

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auch die Rechte derer schützen – also selbstverständlich auch die Menschen selbst –, gegen die sie vorgeht.“20

Wir sind also so weit, dass wir die beste Polizei in einem System suchen, das zwar durch Interessen gespalten ist, aber versucht die Konflikte binnen demokratischer Grenzen zu lösen. Wir sind mit dem Gedanken von Géza Finszter vollkommen einverstanden. Freilich kann man die Frage stellen, wie eine Organisation mit strenger Hierarchie zur Stärkung oder mindestens zum Schutz der Werte eines Verfassungsstaates beitragen kann. Wahrscheinlich auf dieselbe Art und Weise, wie die Gefängnisse, als totalitäre Institutionen, zur Erziehung von verantwortungsvollen, wertüberzeugten Menschen beitragen. Die ideale Polizei gibt binnen eigener Möglichkeiten Sicherheit. Unter diesem Aspekt lohnt es sich die Feststellungen der Firma Team Consult, die die ungarische Polizei überprüft hat, zu zitieren: Sicherheit kann nur der geben, der selbst sicher ist.21 Man könnte ergänzen: gerecht kann nur derjenige handeln, der selbst Gerechtigkeit erfährt. Die Menschenwürde – als obersten Wert – kann der am meisten ehren, der selbst als Mensch und nicht als eine Sache oder ein Mittel zum Zweck behandelt wird. Der Soldat ist traditionell nicht im vollen Besitz der Grundrechte, sondern eine Marionette, die vom Kommandanten bewegt wird. Nach alledem können wir feststellen, dass das militärische Modell mit dem demokratischen Verständnis der Sicherheitsgewährleistung nicht zu vereinbaren ist. Die Polizei muss sich ins zivile Verwaltungswesen eingliedern, sonst kann sie nur solche Werte der Gesellschaft vermitteln, die unakzeptabel sind.

3. Über die Verfahrensgerechtigkeit Gehen wir zurück zu unserem Ausgangspunkt. Wenn wir über die Polizei nachdenken, entsteht in unseren Gedanken auch eine Welt, in der wir in größtmöglicher, selbstredend aber niemals vollkommener Sicherheit leben. Die marxsche-leninistische Gesellschafts-Utopie beiseitelassend kann man trotzdem die Erwartung definieren, dass die Polizei auf ihre Art und Weise ihr Möglichstes für die Zurückdrängung der Kriminalität wie auch für die allgemeine Gesetzestreue unternimmt. Bei der Vision des idealen Öffentlichkeits-Schutzes gilt es zu beachten, was Gyo˝ zo˝ Concha22 wie folgt definiert hat: „Die Polizeitätigkeit […] wirkt immer als eine fremde, äußere Macht auf die einzelnen, das Fehlen der automatischen Zusammenarbeit kann zeitweilig durch Befehl oder Verbot ersetzt werden.“

20

Finszter 2003, 58 – 67. Zitiert nach Finszter 2001, 901. 22 Concha 1901, 306 – 308.

21

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Nach dem Verständnis dieses Klassikers des Ordnungswesens schafft nicht die Polizei die öffentliche Ordnung, sondern nur deren Bedingungen durch den Schutz der Bürgerrechte, durch die Verhinderung von Angriffen und durch die Hilfeleistung zur Wiederherstellung der Rechtsordnung. Wir können ergänzen: auch die Sicherheit wird nicht von der Polizei geschaffen, sie leistet nur ihren Beitrag dazu. Wenn wir mehr als einen Beitrag von der Polizei erwarten würden, würden wir die Gelegenheiten zum Eingriff in die normalen Lebensverhältnisse der Gesellschaft erweitern, und das ist überhaupt nicht wünschenswert – insbesondere dann nicht, wenn wir zur Kenntnis nehmen, dass der Apparat eine solche Subkultur kreieren kann, und typischerweise auch kreiert, die nicht in jeder Hinsicht der allgemeinen demokratischen Werten entspricht.23 Aber davon abgesehen, in einer freien und demokratischen Gesellschaft ist die Freiheit des Privatlebens einer der herausragendsten Werte (das ungarische Grundgesetz – Absatz VI – hält es sogar für wichtiger als die freie Meinungsäußerung oder die Versammlungsfreiheit), und diese Freiheit setzt selbstverständlich eine größtmögliche Freistellung von öffentlichen Eingriffen voraus. Klar gesagt: eine „Zero“-Polizei ist in einer interessengespaltenen Gesellschaft nicht vorstellbar, die Begrenzung auf ein Minimum, auf ein unbedingt notwendiges Eingriffsniveau aber sehr wohl. Im Gegensatz dazu verbinden die Politiker oft kritiklos die Verbesserung der öffentlichen Sicherheit mit der Erhöhung der Zahl der Polizeibeamten. Kontrát Károly, Staatssekretär im ungarischen Innenministerium, hat zum Beispiel im Parlament als Antwort auf eine entsprechende Frage ständig von Personalaufstockung, höherer Effizienz, besserer öffentlicher Sicherheit gesprochen und damit eindeutig diese beiden Aspekte verknüpft.24 Nach dem heutigen Stand der Wissenschaften kann die Polizei die besten Ergebnisse durch konsequente Anwendung der Gerechtigkeit und Lauterkeit im Verfahren erreichen. Für die Menschen wird die öffentliche Macht am meisten von der Organisation selbst repräsentiert und vermittelt.25 Das Benehmen, das Auftreten der Polizistinnen und Polizisten, gilt auf jeden Fall als richtungsweisend, im Idealfall als beispielhaft für die Gesellschaft. Wenn die Menschen eine korrekte, angemessene Behandlung von der Organisation und ihrem Personal erfahren, dann verstärkt sich die gegenseitige Achtung, und das ist die Grundlage für eine gute Zusammenarbeit. Umgekehrt gilt: wenn man beobachtet, dass die Polizei Fallen stellt, und Unehrlichkeit, möglicherweise sogar Misshandlung erlebt, dann wird dies selbstverständlich so gewertet, dass es sich nicht lohnt selbst ehrlich und lauter im Strafprozess zu sein. Die Verfahrensgerechtigkeit verbessert unmittelbar das Verhältnis zwischen den Institutionen und den Menschen, was im Endeffekt zu einer hören NormAchtung führt, die die beste Grundlage für Verbrechensverhütung ist. Die Wirkung tritt allerdings nicht unmittelbar ein und ist schwer zu quantifizieren. Eine andere Wahl gibt es aber nicht. 23

Siehe z. B. Skolnick 1994; Chan 2011. Kontrát, Antwort in der Parlamentssitzung vom 16. 10. 2017. 25 Hough et al. 2017; Hinds & Murphy 2007. 24

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Selbstverständlich gilt auch für die Tätigkeit der Polizei die Feststellung des ungarischen Verfassungsgerichtes: „die rechtsstaatliche Anforderung der materiellen Gerechtigkeit kann binnen der Institutionen und Garantien zur Rechtssicherheit verwirklicht werden.“ Die „Durchsetzung der materiellen Gerechtigkeit“ kann die Verfassung nicht als subjektives Recht gewährleisten, wie auch kein subjektives Recht darauf existiert, dass ein Urteil niemals gesetzeswidrig ist. Das sind Ziele und Aufgaben des Rechtsstaates; zu deren Verwirklichung müssen entsprechende – durch verfahrensrechtliche Garantien geschützte – Institutionen geschaffen und die betroffenen subjektiven Rechte garantiert werden. Die Verfassung gibt also das Recht zu einem Verfahren, das zur Durchsetzung der materiellen Gerechtigkeit nötig, und in den meisten Fällen auch geeignet ist.26 Es gibt Fälle, wo die Frage der Lauterkeit seitens der Betroffenen überhaupt nicht in Frage kommt. So schließen zum Beispiel verdeckte Ermittlungen selbstverständlich die Zusammenarbeit mit den Betroffenen aus. In solchen Fällen werden die lebenden Informationsquellen als Werkzeuge benutzt, das verletzt selbstverständlich die Menschenwürde.27 Das Gesetz Nummer XC aus dem Jahr 2017 über die Strafprozessordnung erlaubt die Anwendung von verdeckten Ermittlungen, was einen Eingriff in die Grundrechte des Privatgeheimnisses, Briefgeheimnisses und des Schutzes persönlicher Daten bedeutet – auch in Fällen, in denen nicht einmal der einfache Verdacht einer Straftat besteht; das Ziel besteht gerade darin zu ermitteln ob ein Verdacht vorhanden ist.28 So können die Strafverfolgungsbehörden, vor allem die Polizei, praktisch einen unbegrenzten Einblick in das alltägliche Leben der Menschen gewinnen. Wenn diese Möglichkeit professionell verwendet werden soll, kommt es zwangsläufig zu Diskriminierungen, denn bestimmte Rechtsverletzungen können bestimmten Gesellschaftsschichten zugeordnet werden. So entsteht quasi die Aufgabe diese Schichten zu beobachten. Dies folgt aus der Logik der Sache, auch wenn wir die Gefahr der politischen, parteipolitischen Bestrebungen außer Acht lassen.

4. Die ideale Polizei Zum Schutze der öffentlichen Sicherheit sind vielerlei Institutionen entstanden. Ihre organisatorische Ausgestaltung hängt von vielen Faktoren ab. Die gute Polizei orientiert sich an den Aufgaben – die sich verändern, aber natürlich nicht täglich. Die meisten Probleme sind lokaler Natur, daher ist die Dezentralisation (zumindest bei der Zuständigkeit) im Allgemeinem wünschenswert; die zentrale Leitung muss dann durch entsprechende Rechtsvorschriften ersetzt werden. Die Verfolgung eines Militärmodells ist für die Werte einer demokratischen Gesellschaft fremd. Daher ist es 26

(9/1992(I.30.) AB Urteil des ungarischen Verfassungsgerichtes. Siehe das Urteil des deutschen Bundesverfassungsgerichts vom 15. Februar 2006, 1 BvR 357/05. 28 § 36 Abs. 1, § 340 Abs. 1 Ungarische Strafprozessordnung. 27

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wichtig, dass die Polizei sich in die allgemeine Verwaltungsstruktur das jeweiligen Staates eingliedert. Das Wesentliche ist schließlich, dass die Polizei die – vermeintlichen – Sicherheitsaspekte nicht zu Lasten der Freiheit verfolgt und in ihrer Tätigkeit den Wert, ja sogar den Nutzen der Rechtsbefolgung ausdrückt und vermittelt.29 Literaturverzeichnis Albrecht, H.-J. (2006): A biztonságkoncepció átalakulása és ennek következményei az európai bel- és jogpolitikára. Rendészeti Szemle 2, S. 3 – 26. Buckley, S.B. (2015): The State, the Police and the Judiciary in the Miners’ Strike: Observations and Discussions, Thirty Years on. Capital & Class 39/3, S. 419 – 434. Chan, J. (2011): Racial Profiling and Police Subculture. Canadian Journal of Criminology and Criminal Justice 53/1, S. 75 – 78. Chaney, C. & Robertson, R.V. (2013): Racism and Police Brutality in America. Journal of African American Studies 17/4, S. 480 – 505. Concha, G. (1901): A rendo˝ rség természete és állása szabad államban, akadémiai székfoglaló értekezés. Magyar Tudományos Akadémia. Budapest. Csapó, C. (2008): Távlatos gondolkodás – a korszeru˝ rendo˝ rség alapja. Hadtudomány 1, S. 131 – 142. Finszter, G. (2000): Rendo˝ rségek a XXI. Században. Belügyi Szemle 1, S. 64 – 74. Finszter, G. (2001): A bünteto˝ jogalkalmazás csapdái. Magyar Tudomány 46/8, S. 899 – 909. Finszter, G. (2003): A rendészet elmélete. KJK KERSZÖV. Budapest. Helanterä, H. & Sundström, L. (2007): Worker Policing and Nest Mate Recognition in the ant Formica fusca. Behavioral Ecology and Sociobiology 61/8, S. 1143 – 1149. Hinds, L. & Murphy, C. (2007): Public Satisfaction with Police. Using Procedural Justice to Improve Police Legitimacy. Australian & New Zealand Journal of Criminology 40/1, S. 27 – 42. Holdaway, S. (2006): Institutional Racism after Macpherson: An Analysis of Police Views. Policing and Society 16/4, S. 349 – 369. Hough, M., Jackson, J. & Bradford, B. (2017): Policing, Procedural Justice and Prevention, in: N. Tilley & A. Sidebottom (Hrsg.), Handbook of Crime Prevention and Community Safety. Abingdon, UK, S. 274 – 293. Koi, G. (2014): A közigazgatás-tudomány kezdetei és a Polizeiwissenschaft szerepe Magyarországon. Állam- és Jogtudomány LV/ 2, S. 27 – 49. Lenin, V.I. (1973): Állam és forradalom. Kossuth Könyvkiadó. Budapest. Lieblich, E. & Shinar, A. (2018): The Case Against Police Militarization. Michigan Journal of Race and Law 23/1, S. 105 – 153. 29

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Von der Policey zur PolizAI Vorüberlegungen zur weiteren Aufklärung eines zukunftsfesten Polizeibegriffs Von Detlef Nogala Diejenigen, die sich der kriminologischen Zunft zugehörig fühlen, beschäftigen sich nicht allein mit Erscheinungsformen, Ursachen oder statistischen Auszählungen von gemeinhin als Verbrechen eingestuften sozialen Vorkommnissen, sondern es fallen auch die sozialen Mechanismen und institutionellen Einrichtungen zu deren Bewältigung und Verarbeitung ihrem wissenschaftlichen Interesse anheim.1 Im Zuge der fortschreitenden Ausdifferenzierung und Reflexivität moderner Gesellschaften seit dem letzten Viertel des 20. Jahrhunderts hat sich auch das disziplinäre Interesse der Kriminologie zunehmend den Formen und Wirkungen der Instanzen formalisierter Sozialkontrolle zugewandt. Beigetragen hat dazu sicherlich, dass das Berichten, Diskutieren und Nachdenken über Kriminalitätsgeschehen mit einem verallgemeinerten, im medial-politischen Raum verankerten Sicherheitsdiskurs verknüpft worden ist. Folgerichtig haben sich daraus neue kriminologische Aufgabenfelder und Forschungsperspektiven ergeben (Albrecht 2007), die – eingedenk des immanenten Spannungsfelds zwischen Verhindern, Entdecken und Sanktionieren kriminogener bzw. krimineller Akte – die intendierten, propagierten und möglichen kontraproduktiven Effekte strafrechtlich sanktionierter Eingriffe staatlicher Kontrollinstitutionen nicht aus dem Blick verlieren wollen (vgl. Albrecht 2013). Ein solcher Ansatz rückt die (überwiegend) staatlich organisierte Instanz der Polizei sowie ihr Tun in den Fokus auch wissenschaftlichen Interesses.2 „Die Polizei“ ist im gesellschaftlichen medialen Diskurs omnipräsent und etablierter Gegenstand wissenschaftlicher Beschäftigung, mal in affirmativer, mal in kritischer Thematisierung. Es ist aber gerade der ubiquitäre und überwiegend kontextlose Gebrauch des Begriffs Polizei, der dessen Bedeutung diffus werden lässt

1 Vgl. hierzu als Beispiel unter vielen Albrecht (1993), Kunz & Singelnstein (2016) sowie die unzähligen Beiträge in den einschlägigen deutschsprachigen Periodika („Kriminologisches Journal“, „Monatsschrift für Kriminologie und Strafrechtsreform“ und weitere). 2 Mit zulässiger Vergröberung lässt sich konstatieren, dass die deutschsprachige Polizeiforschung zunächst aus soziologischer beziehungsweise politologischer Neugier betrieben wurde, um sich dann, keineswegs zufällig, an den kriminologischen Diskurs angedockt hat. Eine zusammenfassende Geschichte bzw. Analyse deutschsprachiger Polizeiforschung steht m. W. noch aus.

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und einer tiefergehenden, auch theoretisch nutzbaren Verständigung im Wege stehen kann. Über Begriffe lässt sich streiten – gerne oder gerade auch im akademisch-wissenschaftlichen Milieu. Aber die Mühe lohnt sich gelegentlich auch, weil darüber der empirisch-interessierte Blick geleitet und das Weltverstehen assoziativ neu kalibriert werden kann. Diesem Beitrag geht es darum, den geläufigen Begriff der Polizei in einem kriminologisch-soziologischen Sinne neu auszuleuchten.

Alltags-Anschein von Polizei Eine Karikatur, deren Urheber mir leider entfallen ist, hat den, wie ich ihn hier nennen möchte, deskriptivistischen Polizeibegriff mit einfachen Mitteln veranschaulicht: Verwegen dreinblickende Insassen eines mit „Verdächtige“ seitlich beschrifteten Fahrzeugs werden von uniformierten Beamten im analog mit „Polizei“ titulierten Streifenwagen verfolgt. Damit liefert der Zeichner einen ersten ontologischen Hinweis auf die Frage, was es mit der Polizei auf sich haben könnte: Da, wo „Polizei“ draufsteht, ist auch – mit hoher Wahrscheinlichkeit – „Polizei“ drin. Soweit jedenfalls die alltagsevidente Erfahrung. Als Polizei im öffentlichen Raum, uniformiert und mit besonders gekennzeichneten Fahrzeugen unterwegs, ist sie im kollektiven Bewusstsein alltagspraktisch verankert und somit plakative Manifestation und Symbol staatlicher Exekutiv-Macht zugleich. Zudem wird unablässig über die Aktivitäten von Polizei medial berichtet und – bei gegebenem Anlass – auch zuweilen kritisch diskutiert, sei es in der Tagespresse, den Rundfunkanstalten, im Fernsehen oder auch den verschiedenen Plattformen und Kanälen des Internets. Unzählige polizeiliche Akteure aus Fernsehserien und Filmwerken haben die kollektive Imagination der Medienkonsumenten über das Wesen und die Facetten polizeilichen Handelns angestiftet, befeuert und geformt.3 Im Durchschnitt, mit gelegentlichen dramaturgischen Ausnahmen, werden die polizeilichen Akteure als Beschützer, Aufklärer und Retter dargestellt, die das „Gute und Richtige“ repräsentieren und Störungen bzw. Verletzungen gesetzlicher wie moralischer Ordnungen aktiv entgegentreten, eo ipso den Gültigkeitsanspruch jener herrschenden Ordnungen wieder durchzusetzen trachten. Es liegt daher für den (durchschnittlichen) Alltagsverstand nahe, in der Polizei die zuständige staatli3

Von generationenübergreifenden Manifestationen der Figur des deutschen Fernsehkommissars (nun häufiger auch der Kommissarin) über ein international populäres Spektrum von mehr oder weniger geschickt und regelkonform ermittelnden Inspektoren wie „Dirty Harry“, Colombo oder Clouseau, bis hin zu den zahlreichen Vorabendserien und Streaming-Reihen, die sich eher den Abenteuern und Herausforderungen der „normalisierten“ Streifenbeamten oder auch nerdiger Forensiker widmen – dem durchschnittlichen Leser oder Zuschauer kann man es nicht verdenken, sich ein ausreichend gesättigtes fiktionales Bild von der Polizei und der Tätigkeit ihrer diversen Unter- und Spezialabteilungen geformt zu haben.

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che Instanz für die Gewährleistung und Durchsetzung von Ruhe und Ordnung, Sicherheit und gesellschaftlichen inneren Frieden zu sehen.4 Bekanntlich ist die Polizei eine der wenigen staatlich organisierten gesellschaftlichen Institutionen, die rund um die Uhr im Schichtbetrieb bereit und gefordert sind, sich um eine ganze Bandbreite von als sozial beschreibbaren Problemen und Konflikten, insbesondere solcher gewaltaffiner bzw. -durchsetzter Natur, zu kümmern. Nicht von ungefähr belegt die Polizei bzw. die Berufsgruppe der Polizisten in den Vertrauensskalen der bekannteren Meinungsforschungsinstitute konstant die oberen Ränge – zumindest gilt das in Perioden (und Regionen), in denen gesellschaftliche Konflikte unterhalb von Eskalationsschwellen verbleiben. Zum vollständigen Bild gehört aber eben auch, dass die allgemeine demoskopische zertifizierte Wertschätzung der Institution Polizei von individuell oder kollektiv-situativen Erfahrungen verstärkt oder aber auch negativ überformt werden kann: abhängig davon, ob polizeiliches Aktivwerden als Form widerfahrener Hilfe und praktischem Beistand oder eben als konfrontativ, illegitim oder gar übergriffig erlebt wird, als „Dienstleistungsbetrieb oder Institution staatlicher Herrschaftssicherung“ reüssiert (vgl. Lehne 1992). Insbesondere in den (nun historischen?) Fällen, in denen Polizei von den jeweilig Regierenden dazu instrumentalisiert wurde, gesellschaftliche Klassenprivilegien abzusichern oder bestimmte problematische Projekte gegen den Willen relevanter Bevölkerungsteile durchzusetzen, ist der Herrschaftsaspekt in der öffentlichen Meinung gegenüber dem „Freund und Helfer“-Image hervorgetreten. Wenn sich Polizei in funktionaler Perspektive trefflich als gewaltbewehrte und (konditional) gewaltanwendungslegitimierte Konfliktbearbeitungsinstitution beschreiben lässt, dann kommen unweigerlich auch die (möglichen oder tatsächlichen) Szenarien illegalen bzw. illegitimen Exekutierens des polizeilichen Auftrags in den Blick; beispielsweise wenn relevante soziale Gruppen sich im aktiven Widerspruch zum politischen Durchsetzungswillen der Staatsmacht befinden (etwa bei Demonstrationen) oder Polizei für die Unterdrückung von politischen Dissidenten oder Minderheiten instrumentalisiert wird. Mit guten Gründen lässt sich die Auffassung vertreten, dass die (sozial-)wissenschaftliche Auseinandersetzung mit der Polizei und ihrem Tun erst mit dem politischen Schaden der gewaltsamen Bearbeitung gesellschaftlich-sozialer Probleme – wie etwa die race-riots in den sechziger Jahren in den USA oder die im Anschluss an die 68-Studentenrevolte sich entwickelnden, in Opposition zu rüstungs- bzw. umweltrelevanten Großprojekten stehenden sozialen Bewegungen in Europa – ihren 4 Von den hohen durchschnittlichen Zustimmungswerten, die in demoskopischen Umfragen in Deutschland zum Ansehen und zur Vertrauenswürdigkeit der Polizei regelmäßig erhoben werden, ist in öffentlichen Debatten der Vergangenheit immer mal wieder, durchaus plausibel, Gebrauch gemacht worden. Allerdings kann die Lage in europäischen, und insbesondere in außereuropäischen Ländern, gänzlich anders aussehen vgl. Sato et al. (2017), Mesˇko et al. (2017), Kääriäinen (2017).

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Anfang genommen und Aufschwung erfahren hat.5 Hier waren es vor allem soziologische und historische Analysen, die den Gegenstand Polizei an den zeitgenössischen kriminologischen Diskurs, beginnend in den 70er und 80er Jahren des letzten Jahrhunderts, anschlussfähig gemacht haben. Zugleich lässt sich im Rückblick auf jenes vergangene dreiviertel Jahrhundert ein mit gehöriger zeitlicher Verzögerung einsetzender Prozess der sozialwissenschaftlich evozierten Reflexion und Revision der polizeilichen Strukturen und Arbeitsweisen selbst konstatieren, der als Ausweis einer kontinuierlichen Modernisierung der Apparate verstanden werden kann. Allerdings haben höchstrichterliche Rechtsprechung, staatstheoretische Erwägungen beziehungsweise politische Opportunitäten einen weit stärkeren Einfluss auf das Selbstverständnis bzw. die „Eigenbegrifflichkeit“ der Polizei als Institution, einschließlich ihrer Akteure. Wenn also, wie hier, von einer allgemeinen Alltags-Begrifflichkeit von Polizei in den hypermodernen Gesellschaften die Rede ist, dann speist sich diese aus drei wesentlichen, disparaten Quellen: • erstens: aus einem in staats- und verwaltungrechtlichen Setzungen verankerten und codierten Diskurs, der im Zweifelsfall nichtsdestotrotz einem regierungspraktischen Primat unterworfen bleibt; • zweitens: einer mächtigen, von unablässig sprudelnden medialen Quellen gespeisten fiktiv-dokumentarischen Wimmelbildwelt uniformierter, fall-lösender, behelmt-bewaffneter Akteure; und • drittens: einem verästelten, zunehmend weniger marginalisierten akademischen Diskurs, der versucht, die verschiedenen Aspekte und Erscheinungsformen der Institution und ihres Handelns empirisch einzufangen, zu analysieren und, falls möglich, auf den theoretisch wie anleitungpraktisch relevanten Punkt zu bringen. Diese drei Verdichtungspunkte von Vorstellung und Rede über Polizei folgen ihren eigenen diskursiven Regelungen, sind aber miteinander verwoben und interchargieren – was Verständigung über den Gegenstand eigentlich förderlich sein sollte, aber nicht selten zum Gegenteil führt: Eine Rede von „der Polizei“ (als solcher) ist eigentlich, zumindest im wissenschaftlichen Sinne, unangemessen bis unmöglich, sofern man nicht zumindest die historischen, territorialen und aufgabenspezifischen Parameter explizit oder implizit kenntlich macht oder benennt. Gerade im Interesse eines wissenschaftlich angeleiteten tieferen Verständnisses der Institution Polizei sollten die interessierten Beteiligten des „Diffusionsrisikos“ einer unvermittelten Vermischung medial-fiktiver, interessengeleitet-narrativer sowie empirisch gesicherter Elemente gewahr werden. 5

Insbesondere die Bindung an (staatliche) Gesetzgebung sowie die Zweckbestimmung, gesellschaftliche Probleme und Konflikte notfalls mit entsprechender Gewaltanwendung zu bearbeiten, verankert das Thema „Polizei“ unablösbar im Diskurs der (internationalen) Kriminologie – zumindest, wenn man, wie der Autor, die Kriminologie selbst als Konfliktwissenschaft versteht (Nogala 2005).

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Wissen (schaffen) über (die) Polizei Fast zwei Jahrzehnte liegt der Versuch des Autors zurück, in Zusammenarbeit mit Hans-Jörg Albrecht den (damaligen) Stand der internationalen Polizeisoziologie komprimiert zusammenzufassen. Schon damals stellte sich die Aufgabe, den Gegenstand adäquat zu definieren: „Sociology of police as a specialised area of study can be defined as the empirical and theoretical analysis of those organisational agencies – usually but not exclusively established by state governments – that are charged with investigation and prevention of crime and/or offences against formally adopted routines and rules as well as with maintaining public order, safety and peace. It embraces the systematic sociological enquiry about the role of police in modern societies, the general characteristics of policing bodies and their relation to other institutions, the institutional development and internal structure of police forces, the collective and individual behaviour of their members, and the interactions or relations of those agencies with individuals, different social groups, institutions and the public in general“ (Albrecht & Nogala 2002, 11532).

Der Beitrag beschäftigte sich mit der Phänomenologie von Polizei in ihren diversen institutionellen Varianten, ging auf die Entwicklungsphasen und Themen der bis dahin vor allem anglo-amerikanischen akademischen Wissensproduktion ein und thematisierte die Hürden das akademisch-analytischen Zugangs, die nicht zuletzt in der potenziellen Unschärfe eines pragmatistischen Polizeibegriffs begründet sind: „Finally, the term ,police‘ might be a category too broad when it comes to empirical analysis and theoretical conclusions. Not only that national police systems embrace a variety of more or less specialised forces, with specific, sometimes unique ways of division of labour among units. Police organisations also refer to very different geographical ranges of jurisdiction. This situation becomes more complicated, when nationally focused studies are compared on an international level: for a full comprehension of the differences and convergences, national particulars have to be taken into account“ (Albrecht & Nogala 2002, 11535).

Allein in der Bundesrepublik hat man es mit 16 separaten Länderpolizeien und drei auf Bundesebene angesiedelten Organisationsformen mit den ihnen eigens zugedachten Aufgabenbereichen und Spezifitäten zu tun. In den Mitgliedsstaaten der Europäischen Union existieren zentrale neben dezentralen und multiplen nationalen Polizeisystemen (vgl. Devroe & Ponsaers 2017); ganz zu schweigen von den USA, die mit ihrem System von Bundes- (FBI, DEA, ect.), Staats- und Lokalbehörden (Sheriffs) das klassische Beispiel einer multiplen institutionellen Polizeikonstellation abgeben. Hinzu kommen noch Europol und Interpol als international aufgestellte Instanzen sowie die verschiedenen Polizeimissionen. Das potenzielle empirische Feld für Einzel- wie komparative Studien ist also geradezu immens.6 6

Besondere Erwähnung gebührt in diesem Zusammenhang dem höchst interessanten Ansatz von Sebastian Roché, in dem er den Begriff „police form“ einführt, um die im internationalen Vergleich hervortretenden verschiedenen Variablen und Konstellationen von Polizei und polizeiähnlichem Organisationen und Kräften empirisch besser fassen und einordnen zu können, die wiederum Polizeisysteme bilden: „We assume that police forms evolve inside a

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In den 20 Jahren seit der Jahrtausendwende hat der Ausstoß an Studien zur und über die Polizeiarbeit signifikant zugenommen. Im deutschsprachigen Bereich zum Beispiel haben sich neben den schon damals etablierten Periodika7 eine Handvoll von spezialisierten Zeitschriftentiteln etablieren können, etwa „Polizei & Wissenschaft“ (ab 2000) oder das „SIAK-Journal“ (ab 2005), herausgegeben vom österreichischen Innenministerium. Im internationalen englischsprachigen Bereich sind mit „Police Practice and Research“ (seit 2000), und „Policing: A Journal of Policy and Practice“ (seit 2007), sowie dem „European Police Science and Research Bulletin“ (seit 2009, ab 2018 umbenannt in „European Law Enforcement Research Bulletin“) und dem „European Journal of Police Studies“ (seit 2012) weitere Titel auf den Markt gekommen. Hinzuzuzählen wäre noch eine Reihe von weiteren, auf spezifische Deliktbereiche oder Handlungsfelder spezialisierte Periodika, sowie die bekannten einschlägigen kriminologischen Publikationen, die regelmäßig polizeibezogene Artikel veröffentlichen. Darüber hinaus reißt auch die Produktion von Monographien und Sammelbänden keineswegs ab. Es erscheint keineswegs abwegig, vor allem mit Blick auf das internationale Angebot, das prinzipiell verfügbare Wissen über Polizei und ihre Tätigkeiten inzwischen als in jedem Falle vielfältig, wenn nicht gar als schier überwältigend zu bezeichnen. Geradezu erstaunlich wäre es, würde jemand für sich reklamieren, nicht nur einen vollständigen Überblick über die Wissensproduktion zur Polizei zu haben, sondern das Material auch zu rezipieren. In diesem Zusammenhang stellen sich m. E. Fragen nach möglicherweise aus diesem Umstand resultierenden epistemologischen Hürden und Herausforderungen: • Gibt es, zum Beispiel, eine wirklichkeitsverzerrende Ungleichgewichtigkeit beziehungsweise Vernachlässigung im empirischen Erforschen schutz-, kriminalund bereitschaftspolizeilicher Tätigkeiten? Dafür mag es plausible Zugänglichkeitsgründe geben, aber bestimmte systemrelevante Aufgabenkreise polizeilicher

social and institutional environment. It is constituted of civilian government, the army (in some countries the army is a branch of the state together with the legislature, the executive and the judiciary), of civil society and of other actors (independent authorities or NMIs, the media for example). We intend to describe the traits of police forms (the characteristics of the entities, forces or services that do policing) and the nature of the links of police forms to their environment“ (Roché 2017, 52). Jene Polizeiformate, die gemäß Roché den Vorteil haben, nicht von legalistischen Definitionen abzuhängen, setzen sich für ihn aus einer Reihe von Grundelementen und Maßen zusammen; dazu gehören: Status (militärisch oder zivil organisiert), Natur (öffentlich- bzw. privatrechtlich), Charakteristik der Führungsstruktur, Befehlsund Inspektionslinien, Größe, Grad der Zentralisation, Zuständigkeit und Professionalisierungsgrad (56). Der Reiz dieses Ansatzes liegt darin, die teils verwirrende Vielfältigkeit und anscheinend schiere Inkompatibilität von nationalen Konfigurationen von Polizei in eine systematische empirische Vergleichbarkeit überführen zu können und darüber ihre grundsätzlich verbindende Grundarchitektur sichtbar werden zu lassen. 7 Zu den etablierten Zeitschriften wären die polizeinahe „Kriminalistik“ und „Die Polizei“, auf der kritischen Seite „Bürgerrechte und Polizei (CILIP)“ zu zählen.

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Tätigkeiten, insbesondere solche, die in den geheimdienstlichen Bereich überlappen, im Zustand der Unterbelichtung. • Von dieser vermuteten Fehlverteilung ableiten lässt sich ein paradoxer Effekt des gleichzeitig existierenden Wissensmangels und Wissensüberschusses: Über die Masse der vielen zu publizierenden akademischen Qualifikaktionsarbeiten und Projektberichte stellt sich ein gewisser Hang zur Kleinteiligkeit ein, der auch von der modischen Forderung nach möglichst unmittelbar praktisch umsetzbaren Forschungsergebnissen befördert wird. So gibt es kaum einen Aspekt oder Nebenbereich polizeilichen Wirkens, der nicht schon detailliert beforscht und beschrieben worden wäre; gleichzeitig ist die letzte mir bekannte umfassende systematische Monographie zur Polizei in Deutschland noch vor dem Fall der Mauer erschienen (Busch et al. 1984) – und damit inzwischen weitgehend überholt. Überspitzt formuliert könnte man meinen, dass vor allem empirisch-praktisch verortete Polizeiforschung der Verführung zu erliegen scheint, bei aller Fokussierung auf die quasi „beschrifteten“ Details der sichtbaren und erfassbaren Oberflächenstruktur von Polizei, ihre eigentliche soziale Substanz, ihr Wirken in die Gesellschaft und ihre Strukturen hinein, zu vernachlässigen und damit zu verfehlen. • Weiter oben wurde schon behauptet, dass die unvermittelte und unspezifizierte Rede von „der Polizei“ eine womöglich unbedachte Einladung in diskursives Sumpfgebiet sei, da es „die Polizei“ als singuläre Entität so gar nicht gäbe, und damit zur allgemeinen wissenschaftlichen Mißverständigung beitrage8. Diese Behauptung ist hilfreich, aber als solche unvollständig. Sie wäre gar irreführend insofern sie dazu verführte, den Blick auf den durchaus beschreibbaren Katalog von originären polizeilichen Kernfunktionen und -tätigkeiten zu verschließen, der jenseits aller, vor allem im international komparativen Zugriff, nachweisbaren Idiosynkrasien und Inkompatibilitäten zwischen Polizeisystemen und -kulturen existiert und im Englischen subsummarisch mit dem Begriff des „policing“ zu erfassen versucht wird. Mit der Überführung in die Prädikationsform wird das assoziative Denken über den Gegenstand „Polizei“ erweitert, indem die Aufmerksamkeit auf das polizeitypische Handeln gelenkt, und nicht auf die mannigfaltigen institutionell-organisatorischen Erscheinungsformen fixiert wird.9

8

So auch Sebastian Roché: „What if police is not, never was and never will be ,one thing‘? What if the quest for the essence of police was misleading from the start? What if, on the contrary, what matters for understanding police is who installs the police as an organisation with special operational powers? And how is the police (whatever its names and functions) tied to its environment?“ (2017, 48). 9 Damit wird keineswegs die Bedeutung der Organisationsform für die möglichen und optimalen Handlungsoptionen in Abrede gestellt. Es macht in der Tat einen Unterschied, ob Polizei in einem Territorium zentral oder dezentral organisiert ist, oder, wie in den prominenten Fällen von Frankreich und Spanien, duale Systeme etabliert werden. Der Gewinn einer aktivitätszentrierten Perspektive liegt in ihrer leichteren interaktionistischen Aufschlüsselung angesichts der Zielobjekte.

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Inmitten der Fülle von internationalen Veröffentlichungen zum Thema Polizei finden wir nur relativ wenige Ansätze, die anstreben, den Gegenstand des Interesses nicht nur in seinen Teilaspekten empirisch möglichst präzise zu skizzieren, sondern ihn in seiner ganzen Komplexität auch theoretisch zu erfassen. Nachhaltigen Einfluss hatte hier der frühe Ansatz von Egon Bittner, der mit Anleihen an die Soziologie Max Webers, den Schlüssel zum Verständnis von Polizei in ihrer exklusiven Verfügung über legitimen Einsatz von Gewalt gefunden zu haben meinte: „(…) the role of the police is best understood as a mechanism for the distribution of nonnegotiably coercive force employed in accordance with the dictates of an intuitive grasp of situational exigencies“ (Bittner 1970; 1990, 131).10

Gewaltanwendung als sanktionierte Handlungsoption, gleichsam als Wesenskern von Polizei zu verstehen, hat über lange Jahre insbesondere die angloamerikanische Polizeisoziologie dominiert; eigentlich bis zu dem Zeitpunkt, an dem eine von Michel Foucault inspirierte Lesart von Unterdrückungs- und Zwangsverhältnissen sich unter dem Stichwort „Gouvernmentalität“ den Institutionen organisierter sozialer Kontrolle und damit auch zwangsläufig dem polizeilichen Feld zuwandte. Einer der prominentesten Vertreter dieser Variante ist Clifford Shearing, der das Konzept des „nodal policing“ einführte, welches sehr viel stärker auf die Aktivitäten von Kontroll- und Zwangs-Organisationen statt ihrer institutionellen Verfassung rekurriert und darüber dann auch gezielter nicht-staatlich organisierte Formen von Sozialkontrolle, wie etwa kommerzielle Sicherheitsunternehmen oder Bürgerwehren (vigilantees) verschiedenster Ausprägung, ins analytische Visier nimmt: „If policing rather than the police was to be our focus, we needed to think of policing as a regulated network of participatory ,nodes‘ – each with authority, capacity and knowledge that together provide for the governance security. Implicit in this was a wider conception of governance as founded in knowledges and capacities that were not the exclusive preserve of state officials“ (Shearing 2001, 261).

Im Zuge der Foucault-Mode um die Jahrtausendwende herum hat dieser Ansatz unter denen der Polizei zugewandten Theoretikern eine beachtliche Anhängerschaft gefunden, ohne aber im allgemeinen Diskurs dominant zu werden. Der Ertrag in dieser neuen Perspektive ist aber nicht von der Hand zu weisen, da er in der Tat dazu beigetragen hat, einerseits die nicht-institutionellen und nicht-gewaltförmigen Elemente organisierter Sozialkontrolle analytisch deutlicher wahrzunehmen und damit andererseits das empirische Feld, insbesondere in kriminologischer Perspektive, zu erweitern. Allerdings stehen die Ein- und Ansichten jener Denkschule oft in starkem Kontrast zu alltagspraktischen und konventionellen Polizeikonzeptionen – was gelegentlich zu Missverständnissen und Missverständigungen führen kann. 10 Bezüglich einer detaillierten Auseinandersetzung mit dem Bittnerschen Paradigma und seiner Rezeption in der wissenschaftlichen Polizeiforschung siehe Brodeur (2010) im Kapitel „Elements of a Theory of Policing“.

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Immerhin hat diese Debatte zu einem erfreulich hohen Niveau und einer ausdifferenzierten theoretischen Beschäftigung mit dem Gegenstand Polizei geführt, die weit über das oben beschriebene allgemein-alltägliche „Anscheinwissen“ hinausführt. Dafür sei an dieser Stelle wegen der notwendigen Kürze nur auf zwei herausragende Beispiele verwiesen. Da ist zu einem das von Ben Bowling und Janet Foster verfasste Kapitel „Policing and the Police“ in der dritten Auflage des 2002 erschienenen Oxford Handbook of Criminology zu nennen, das, in verstärktem Rückgriff auf die Arbeiten von Robert Reiner, über gut 50 Seiten hinweg eine kompakte und informierte Zusammenfassung der wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit Polizei im 20. Jahrhundert darstellt und auch gut 20 Jahre später wenig von seinem analytischen Wert eingebüßt hat. Dort beschreiben die Autoren zum Beispiel die Eigenschaften kontrastierender beziehungsweise konkurrierender Polizeimodelle, thematisieren die Eigenheiten von Polizeikultur und gehen auf die Aspekte transnationaler und globaler Polizei-Kooperation ein (vgl. Bowling & Foster 2002). Zum anderen ist die 2010 erschienene Monographie von Jean-Paul Brodeur „The Policing Web“ zu erwähnen. Der kanadische Autor, der auf dem Hintergrund einer soliden philosophischen Ausbildung unter anderem mit der Unterscheidung von „low“ und „high policing“ international reüssierte (Brodeur 1983), hat sich in seinem Spätwerk auf das Sorgfältigste mit dem Stand der Forschung und des Wissens über Polizei sowie deren theoretischen Aspekte auseinandergesetzt. In Vorwegnahme der eingangs skizzierten Perspektive hatte Brodeur festgehalten: „It is generally resolved by assuming that the proper object of a theory of policing is the most visible part of the police apparatus, that is, the public police in uniform. This position seems to me unduly narrow and uncritical, one that merely accepts the dictum of sensory perception: the police are to be equated with a group of persons outwardly displaying the signs of being police“ (Brodeur 2010, 17).

Zur angemessenen Beschreibung der Komplexität und Multiplizität des Gegenstands präferiert Brodeur den Ausdruck „police assemblage“, der sich vielleicht am ehesten mit „Polizei-Verbund“ übersetzen ließe – und der es gestattet, Verbindungen in das Lager der Shearingschen „nodal-policing“-Vertreter zu knüpfen, ohne gleich in dieses überzulaufen.11

Entstehen von „Polizei“ Eine gründliche Erörterung des Polizeibegriffs, insbesondere unter dem Anspruch, ihn zeitgemäßer zu formulieren und zu fassen, kommt nicht um die Auseinandersetzung mit historischen Entwicklungen und Formaten der Polizeifunktion 11 Siehe dazu auch die sehr ausführliche Rezension der Brodeurschen Monographie durch den schon erwähnten Clifford Shearing (2011), die schon für sich allein eine lesenswerte Einführung in die allgemeine Debatte darstellt.

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herum. Der an Früh- und Vorläuferformen interessierte Zweig moderner Polizeiforschung hat nicht nur immer wieder interessante geschichtliche Details zu Tage gefördert, sondern auch den Blick auf lange Entwicklungslinien, Kontingenzen sowie supranationale Konvergenzen eröffnet. Die wissenschaftliche Befassung mit der Frage nach den Ursprüngen der Polizei als Organisationsform staatlich verankerter Sozialkontrolle ist gewisslich mehr als erzählerisch-unterhaltendes Beiwerk im Repertoire zeitgenössischer Polizeiwissenschaft. Erst kürzlich hat sich Antonio Vera (2019) in Verfolgung einer Rekonstruktion des heute gängigen Polizeibegriffs auf die Suche nach der „Polizei vor der Polizei“ gemacht und dabei eine lange Entwicklungslinie vom alten Ägypten über das antike Griechenland und Rom, weiter über das Mittelalter bis in die frühe Neuzeit und Moderne gezogen. Um die funktionalen Äquivalente der vormodernen polizeilichen Erscheinungsformen und Einrichtungen aufzeigen zu können, bedarf es allerdings eines aktionistisch-funktional gewendeten Interpretationsansatzes: „By policing is meant the maintenance of order, the control of disorder, the prevention of crime and the detection of offenders, and by the police is meant those officials concerned with policing matters“ (Rawlings 2008 – zitiert bei Vera 2019, 2).

Ähnlich interessantes historisches Anschauungsmaterial, etwa zu Lektoren im alten Rom, Vorstufen des russischen Polizeiwesens oder der Beschreibung der Entwicklungslinien in der Bundesrepublik Deutschland nach Ende des Zweiten Weltkrieges, findet sich in einem von der Universität Potsdam veröffentlichten Sammelband, der der vergleichenden Polizeisoziologie gewidmet ist (vgl. Grutzpalk et al. 2010). Gut nachverfolgen lässt sich diese Spurensuche auch in dem von Clive Emsley, einem der führenden englischsprachigen Polizeihistoriker, unter dem Titel „Theories and Origins of the Modern Police“ herausgegebenen Sammelband (Emsley 2016a), der eine Reihe von schon publizierten Beiträgen europäischer Autoren (hauptsächlich aus den 70er und 80er Jahren des 20. Jahrhunderts) zusammenfasst und damit nationalstaatlich übergreifende historische Entwicklungen transparenter macht. Die Aufsätze beziehen sich darin nicht nur auf die überwiegend gut erforschte und publizierte angelsächsische Entwicklungsgeschichte, sondern auch auf deutschsprachige, französische und russische Herrschaftsgebiete. In seiner lesenswerten zusammenfassenden Einleitung räumt Emsley dabei auch mit dem oft zitierten Mythos auf, dass die Geschichte der modernen Polizei eigentlich erst mit der Einrichtung der Metropolitan Police of London unter Home Secretary Robert Peel 1829 einsetzt (vgl. Emsley 2016b). Einen nochmals erweiterten europäischen Kreis in der geschichtlichen Rückschau auf die Entstehung von „Policey im Europa der Frühen Neuzeit“ zieht der von Michael Stolleis publizierte Band, der unter Inanspruchnahme von mehr als einem Dutzend weiteren Autoren auch die Evolution von Polizeiarchitektur und -funktion in Italien, Spanien, Polen, Schweden und den Niederlanden ins Blickfeld rückt und

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damit einen eher kontinentaleuropäischen Schwerpunkt der historischen Polizeiforschung setzt (vgl. Stolleis 1996). In einer Rezension wird dazu summarisch festgehalten: „Der Begriff der Policey – wo er in den einzelsprachlichen Varianten gebraucht wurde –, taucht nirgends vor dem ersten Drittel des 16. Jh. auf und umschreibt im Anschluß an die politie des Aristoteles zunächst einen auf die christliche Heilsordnung bezogenen und aus ihr legitimierten Anspruch auf obrigkeitliche Gestaltung der sozialen Ordnung und des Zusammenlebens. Die weitere Entwicklung des Begriffs ist gekennzeichnet durch seine nachhaltige Säkularisierung und damit dann verbunden durch die fortschreitende Verlagerung des Legitimitationshorizontes auf den Staat selbst“ (Schlögl 2001, 476).

Knemeyer hebt mit Blick auf Reichs- und Ländergesetze bis zum Ausgang des 18. Jahrhunderts die Bedeutung des Begriffs Polizey als Zustand guter Ordnung im Gemeinwesen hervor, „wo der Bürger oder Untertan sich ordentlich, züchtig, gesittet, ehrbar verhielt, wo das menschliche Zusammenleben im Gemeinwesen geordnet war“ (Knemeyer 1967, 155).

Hervorzuheben ist an dieser Stelle, dass insbesondere die forschende Betrachtung der Entwicklung im deutschsprachigen Raum sich um den Begriff der Policey und die Untersuchung der damit einhergehenden Policeyordnungen zentriert.12 Ohne an dieser Stelle auf die reichhaltige Literatur im Einzelnen näher eingehen zu können, ist hervorzuheben, dass jene Policeyverordnungen eben zwangsdurchsetzungsbewehrte Direktiven waren, die in der Regel auf die Bedürfnisse und Positionen der jeweiligen Landes- oder Stadtherren zugeschnitten waren und damit unter der Perspektive von Herrschaftsdurchsetzung und -sicherung auf soziale Kontrolle und Disziplinierung bestimmter Bevölkerungsgruppen und -schichten abzielte.13 Wenngleich die „gute Policey“ – im Sinne einer „guten“ Verwaltung und Regelung des Gemeinwesens – auch in manchen Fällen die Interessen der Untertanen miteinbezogen und transportiert haben mag (Iseli 2009), kritisch dazu (Härter 2010b), so waren Policeyverordnungen doch ein willkommenes Mittel der sich vom Feudalismus zum Absolutismus hin entwickelnden administrativen Herrschaftsapparate, des Souveräns Verlangen auch gegen Opposition und nach Maßgabe mit (militärischer) Gewalt durchzusetzen. Was allgemeine „Wohlfahrt“ sei, wurde schlichtweg von der Obrigkeit bestimmt. Der vormoderne Begriff der Polizei – mit ey – ist also viel weniger institutionell als vielmehr normativ, wenn nicht gar idealistisch geprägt – insbesondere in der 12 Vor allem der deutschsprachigen Rechtsgeschichte gewidmete Lehrstühle haben zu dieser Begrifflichkeit und ihrer Verbindung zu Staatslehre und Staatsräson vielfältig publiziert. Siehe hierzu die Arbeiten von Maier (1965/2009), Knemeyer (1978), Stolleis (1996), Knöbl (1998), Iseli (2009) und Härter (2010a) . 13 Siehe hierzu auch den Begriff der „Sozialdisziplinierung“ bei Gerhard Oestreich (1969), und in kritischer Auseinandersetzung mit weiteren Hinweisen Behrens (1999) und Freitag (2001).

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sprachlichen Wendung der „guten Policey“ spiegeln sich die idealisierten Ordnungsvorstellungen einer ständisch organisierten und durch-hierarchisierten Feudal- bzw. Ständegesellschaft. Hier liegt wiederum der Anknüpfungspunkt der Proklamation einer „guten Policey“ an unsere jüngere Gegenwart und die steile Karriere, die dem Begriff der Sicherheit im staats- und gesellschaftstheoretischen Diskurs hypermoderner Gesellschaften zu Teil wurde: „Seit dem 16. Jahrhundert entwickelte sich Sicherheit zu einer zentralen Kategorie der guten Policey, was sich in entsprechenden politisch-staatsrechtlichen Diskursen der Policeywissenschaft und vor allem in einer zunehmenden obrigkeitlichen Ordnungsgesetzgebung manifestierte, die Bedrohungen von Sicherheit und damit Sicherheitsnarrative definierte und die entsprechenden präventiven/exekutiven Sicherheitsmaßnahmen oder Institutionen regulierte“ (Härter 2016, 30).

Verschiedene Arbeiten der historischen Polizeiforschung haben im Einzelnen dargelegt, dass im heutigen Kontext kommunitaristisch anmutende Entwürfe „guter Polizey“ gleichwohl schon mit dem Einsetzen der Industrialisierung im weniger euphemistisch ausfallenden Begriff des Polizeistaats preußischer Prägung seine negative Entsprechung gefunden hatte. In einem Polizeistaat exekutiert die Polizei als Institution, egal ob in offener oder geheimer Manier, die Willkür einer Obrigkeit, die sich über legitime demokratische Freiheits- sowie ökonomische Interessen Einzelner, von gesellschaftlichen Gruppen oder gar der Bevölkerungsmehrheit hinwegsetzt. Der bis hierher geführte Rekurs auf die in der Vormoderne sich entwickelnde Vorstellung von (guter) Policey ist für unsere Aktualität und Begriffsdiskussion insofern von Bedeutung, als dass er die historischen Kontinuitäten in der Herstellung, Bewahrung und Durchsetzung idealisierter gesellschaftlicher Ordnung durch herrschaftlich befugte und beauftragte administrative Apparate in Erinnerung ruft. Mit diesem Hinweis kann und soll an dieser Stelle die ebenso aufschlussreiche wie vielfältige Evolution von Polizei im Zuge der Entwicklung der Nationalstaaten in der Moderne übersprungen werden. Denn die Geschichte der Polizei, oder besser gesagt der Polizei-en, ist im Verlauf des 19. und des 20. Jahrhunderts im Wesentlichen eine nationalstaatlich verfasste.14 Die Divergenzen hinsichtlich jeweiliger institutioneller Architektur und polizeikultureller Prägung sind in unzähligen international komparativen Studien nachgewiesen worden; gleichzeitig lässt sich eine Überschneidungs-menge polizeilicher Kernfunktion ausmachen: Überwachen der Einhaltung gesetzlicher und sozialer Normen, Ausfindig-machen und Identifizieren von Rechtsbrechern, Intervenieren unter Einsatz legalisierter Gewaltmittel. Die These, die an dieser Stelle aufgemacht wird, lautet, dass sich ein adäquater erweiterter Polizeibegriff am ehesten über die Reflexion der geltenden gesellschaftlichen Entwicklungsstufe erschließt. Seit dem Industriezeitalter ist diese zweifelsoh14 Diese Annahme steht keineswegs im Widerspruch zu der Evidenz von Frühformen internationaler polizeilicher Kooperation (vgl. insbesondere Deflem 2002), die sich etwa am bekanntesten in Form von Interpol und Europol institutionell manifestiert haben.

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ne in zunehmendem Maße von der technologischen Durchdringung von Arbeits-, Produktions- und Lebenswelten im globalen Maßstab gekennzeichnet.

Polizei (in) der Hypermoderne Die zuverlässige Belieferung mit zeitdiagnostischen Gesellschaftsbegriffen ist bekanntlich Sache der soziologischen Zunft; „Postindustrielle Gesellschaft“ (Bell 1976), „Informationsgesellschaft“, „Wissensgesellschaft“, „Risikogesellschaft“ (Beck 1986), „Netzwerkgesellschaft“ (Castells 2001) sind einige der analytischen Währungen, die in den internationalen diskursiven Kreisläufen Akzeptanz gefunden haben. Sie alle versuchen, die komplexen sozialen und technischen Veränderungsprozesse auf einen handhabbaren Begriff zu bringen und heben dabei jeweils einen besonderen Aspekt hervor. Unter Berücksichtigung langwelliger sozio-historischer Entwicklungslinien erscheint die Einteilung in Perioden der „Vormoderne“, „Moderne“, „Postmoderne“ und neuerdings „Hypermoderne“ allerdings analytischer weittragender. Verwandt mit Zygmunt Baumans (2013) Beschreibung einer „Liquid Modernity“ hält diese Epoche wohl nur ein eher gebrochenes oder gar zwiespältiges Fortschrittsversprechen bereit: „Hypermodernity thus amounts to a radical modernity characterized by the exacerbation and intensification of that modern logic by which human rights and democracy have been made into mandatory values, by the market having become a global economic reference system reaching the remotest places on the planet and invading every sphere of our existence, and by science as an only partly controllable instrument that now throws even the notion of humanity itself into question by opening the possibility of human cloning“ (Charles 2009, 392)

Bei allem technologisch bedingtem Zuwachs an informatisierten Kapazitäten und globalisierter Vernetzung nähren die damit gleichzeitig einhergehende Beschleunigung und wachsende Komplexität von Lebenswelten ein unterschwellig kollektives Gefühl von Ungewissheit und Überforderung. Nimmt man dann an, dass jede gesellschaftliche Epoche unter spezifischen politischen, sozialen und kulturellen Konstellationen eine ihr typisch eigene „Polizeikonfiguration“ hervorbringt, dann erweist sich der weiter oben skizzierte alltagspraktische Polizeibegriff in Bezug auf tieferreichende wissenschaftliche Analysen als tendenziell defizitär. Es gibt wenig begründeten Zweifel daran, dass technologische Fortschritte seit der Moderne ungeahnte neue Produktivkräfte entfaltet haben und auch die polizeilichen Institutionen stufenweise und meist nachholend davon erfasst, organisatorisch reformiert und in ihren Aktionsmöglichkeiten geprägt worden sind. Die Übernahme allgemeiner Innovationen wie etwa Telegrafie, Telefonie, motorisierter Fahrzeuge und ab etwa der späteren zweiten Hälfte des Jahrhunderts des Computers – zumindest in den entwickelten Industriestaaten – hatte einen nicht zu unter-

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schätzenden formativen Einfluss auf polizeiliche Kapazitäten und organisatorische Strukturen.15 Der eigentliche Treibstoff polizeilicher Aktivitäten ist seit jeher die Sammlung von Information: „Security policies and policing have always been based on systematic data collection and data banks“ (Albrecht 2020, 5). Zwar ist diese Einsicht nicht neu. Es lohnt sich in unserem Themenzusammenhang jedoch, noch einmal daran erinnert zu werden, was vor einem halben Jahrhundert im deutschen Polizeiapparat noch als halbwegs revolutionäre Einsicht gelten konnte: dass Polizeiarbeit zuvorderst Informationsarbeit sei (vgl. Herold 1970, 1977). Leistungsfähige Rechenanlagen, Möglichkeiten zur Erfassung und Speicherung großer Datenmengen sowie die Vernetzung disparater Datenbestände waren die damaligen disruptiven Technologien, die neue Polizeiformate vorstellbar und möglich gemacht hatten. In Kombination mit der Verfeinerung, Leistungssteigerung und Diffusion maschineller Sensorik (Audio, Video, Bewegung, Lokalisierung etc.) hat sich ein polizeiliches Technikarsenal herausgebildet, dessen Einsatz, Potenzial sowie die damit verbundenen Risiken vielfach in der deutschen wie internationalen kriminologischen und polizeiwissenschaftlichen Literatur untersucht und kritisch beschrieben worden sind.16 Die fortschreitende Digitalisierung hypermoderner Gesellschaften in Kombination mit immer performativerer informationstechnischer Apparatur hat fast schon wieder vergessenen Ideen einer präventionspolizeilichen Interventionsmächtigkeit neuen Auftrieb gegeben. Nachdem eine Zeit lang der Ansatz des „intelligence-led policing“ die internationale Polizeidiskussion beschäftigt hatte, ist mit dem Hype um „Big Data“ und der Marktverfügbarkeit von kommerziellen Analyse- und Vorhersageprogrammen das Thema – und Versprechen – des „predictive policing“ in den Vordergrund gerückt. Dahinter verbirgt sich die einfache und verführerische Idee, die Polizei soweit informationsmächtig aufzurüsten, dass sie in die Lage versetzt wird, potenzielle Tatorte oder Gebiete zu antizipieren und damit in die Chance hätte, Tätern zuvorzukommen und Straftaten pre-emptiv zu vereiteln. Inwieweit in dieser Ansatz von Erfolg gekrönt ist oder zumindest zu einem solchen geführt werden kann, wird unter Experten polizeilicher oder kriminologischer Provenienz gegenwärtig in der internationalen Literatur noch kontrovers diskutiert (vgl. Edwards 2017; Seidensticker 2017; Egbert 2018; Hardyns & Rummens 2018; Vittorio 2019; Richardson et al. 2019; Gerstner 2019). Das Schlagwort „predictive policing“ führt aber schon über zu dem „letzten Schrei“ im Consulting Business, auf den Seiten der Feuilletons, sowie auf den Markt-

15 Eine Sonderrolle nimmt hier vielleicht die DNA-Analytik ein, die erst durch ihre fortschreitende polizeilich- forensische Anwendung als neuartige Identifikationstechnologie ihre profunde lebensweltliche Bedeutung für die Aufklärung bzw. den (retrogarden) Nachweis von sozialen Beziehungen errungen hat (vgl. hierzu auch Nogala 2003). 16 Als Beispiele unter vielen: Nogala 1995; Marx 2007; Byrne & Marx 2011; Marx 2016.

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foren strategischer Sicherheitsexperten: der „artificial intelligence“, oder kurz „AI“17. Zu den bekanntesten Anwendungen unter dieser Flagge zählt die automatisierte Gesichtserkennung („facial recognition“). Genau genommen handelt es sich bei dieser Sache um eine Technik des maschinellen Bildabgleichs in Verbindung mit einem Akt der datenbankgestützten De-Anonymisierung von gespeicherten Personenprofilen. Diese Technik ist schon seit vielen Jahren in Erprobung, scheint aber erst in den letzten Jahren einen für die Praxis verwertbaren Reifegrad erreicht zu haben.18 Was aus polizeilicher Sicht in erster Linie einen signifikanten Rationalisierungsgewinn für Fahndungs- und Überwachungszwecke darstellt, erscheint vielen Bürgerrechtsaktivisten, amtlich bestellten Datenschützern und kritischen Beobachtern als erheblicher, wenn nicht gar illegitimer Eingriff in allgemeine geschützte Persönlichkeitsund demokratische Freiheitsrechte (Nogala 2019). Für fortschrittsoffene Polizeiorganisationen ist das Zeitalter der „artificial intelligence“ schon längst eingeläutet – dies gilt sowohl hinsichtlich neuer polizeilicher Anwendungsbereiche als auch für das Heraufziehen neuartiger krimineller Bedrohungen sowie die Vorbereitung darauf. So hat Interpol in Zusammenarbeit mit dem United Nations Interregional Crime and Justice Research Institute (UNICRI) im neu eröffneten Innovation Centre im Singapurer Hauptquartier schon im Juli 2018 eine globale Konferenz unter dem Titel „Artificial Intelligence And Robotics For Law Enforcement“ einberufen. Zu den dort vorgestellten Initiativen und Projekten zählte unter anderem (vgl. Interpol & UNICRI 2019): • Advanced virtual autopsy tools to help determine the cause of death. • Autonomous robotic patrol systems. • Predictive policing and crime hotspot analytics. • Computer vision software to identify stolen cars. • Tools that identify vulnerable and exploited children. • Behaviour detection tools to identify shoplifters. • Fully autonomous tools to identify and fine online scammers.

17 Im Deutschen spricht man von „künstlicher Intelligenz“. Jedoch tauchen schon bei anfänglicher näherer Beschäftigung mit der Thematik Zweifel daran auf, ob die landläufige Übersetzung des englischen Begriffs diese substanzielle Bedeutung des Phänomens tatsächlich trifft. „Intelligence“ kann nämlich auch als Einsicht, Aufklärung oder Auffassungsvermögen übersetzt werden. Insbesondere der Anwendungstypus, der auf maschinellem Lernen, d. h. auf dem Erkennen von wiederkehrenden Mustern, basiert, lässt sich mit humanoiden kreativen Intelligenzleistung nur unzureichend vergleichen. 18 Dabei stellt die Gesichtserkennung nur einen Anwendungsfall des so genannten Feldes der „visual analytics“ dar – vgl. hierzu im Einzelnen und mit vielen anschaulichen Beispielen Stanley (2019).

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Mit ähnlichem Interesse wendet sich auch Europol dieser Thematik zu, wie aus einer kürzlich erschienenen und poetisch betitelten Broschüre „Do Criminals Dream of Electric Sheep? How Technology Shapes the Future of Crime and Law Enforcement“ hervorgeht (Europol 2019). In noch ausführlicherer Weise hat sich auch das britische Home Office mit zukünftigen sicherheitsrelevanten Technologietrends auseinandergesetzt und dabei die Potenziale maschinell simulierter Intelligenz sowie deren erweitertem technologischen Ökosystem betrachtet (Home Office 2019). Globale Beratungsfirmen wie DeLoitte bieten hilfsbereit und mit Eifer ihre professionelle Unterstützung im Prozess der digitalen Transformation hin zur Gestaltung neuer Polizeiformate an (Gash & Hobbs, 2018). Auch die niederländische Polizei ist dabei. sich proaktiv in vielen kleinen Projekten auf die neue Realität einzustellen (vgl. etwa Brinkhoff, 2017; Dechesne et al., 2019). Zum Beleg, dass maschinelle Erkennung und Entscheidungsysteme schon in den Alltag formalisierter sozialer Kontrolle einzudringen sich anschicken, sei hier nur auf eine beschränkte Auswahl von thematischen Schlagzeilen in traditionell-etablierten Medien hingewiesen: • „Police ,may need AI to help cope with huge volumes of evidence‘“ (The Guardian 08 Feb 2018). • „Police trial AI software to help process mobile phone evidence“ (The Guardian 27 May 2018). • „Home Office to fund use of AI to help catch dark web paedophiles“ (The Guardian 17 Sep 2019). • „Gesichtserkennung: Die Firma, die uns alle identifizieren will“ (Die Zeit 20. 01. 2020). • „Artificial Intelligence could help protect victims of domestic violence“ (LSE 27. 02. 2020). • „KI erkennt Smartphone-Nutzung am Lenkrad: Jetzt werden Strafen fällig“ (Heise online 03/2020). Überlegungen zu Einrichtungen und Systemen, die unter dem Stichwort „Automated Law Enforcement“ verhandelt werden und selbstlaufend verknüpfte Detektions- und Sanktionskreisläufe beschreiben, gab es auch schon vor vielen Jahren;19 allerdings sind heute die technischen, vielleicht auch die sozialen, Voraussetzungen 19 An diesem Punkt kommt man nicht umhin, noch einmal an die intensiv und kontrovers geführte Debatte um die, in der Rückschau nicht anders als visionär zu bezeichnenden, publizierten Ideen und Vorstellungen des in den siebziger Jahren amtierenden Präsidenten des Bundeskriminalamts, Horst Herold, zu erinnern. Dieser hatte, unter Bezugnahme auf die damals aktualisierte Kybernetik, die sich abzeichnenden Potentiale neuer Informationstechnik auf die zukünftig erweiterten Erkenntnis- und Interventionsmöglichkeiten für die Polizei projektiert und den Gedanken einer informatisierten „Selbstregulation“ formalisierter Sozialkontrolle kultiviert (vgl. beispielsweise Herold 1974; 1976; 1984 und Nogala 1989 mit weiteren Nachweisen).

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zur Implementation realistischer geworden (vgl. zur Diskussion Shay et al. 2016; Petit 2018). Selbstverständlich sind diese Entwicklungen Gegenstand der Beobachtung, Analyse und Kritik einer multidisziplinären globalen scholarly community geworden. Die Vielzahl der informativen und weiterführenden Beiträge hier darstellen und diskutieren zu wollen, würde den gegeben Rahmen dieser Abhandlung leider komplett sprengen. Dieser Hinweis nur zur ausstehenden Untermauerung meiner Annahme, dass sich eine neue, für die angebrochene Hypermoderne typische Polizeikonfiguration abzuzeichnen beginnt, die eine Revision des alltagspraktischen wie auch des tradierten akademischen Polizeibegriffs angeraten erscheinen lässt. Zukünftige Historiker der neueren Geschichte werden möglicherweise die Anfangsdekaden des 21. Jahrhunderts als die Periode identifizieren, während der man dazu überging, Polizei mit „AI“, nämlich als „Polizai“ zu schreiben.

Conclusio Der Anstoß zu diesen hier dargelegten Überlegungen rührt aus einer gewissen unterschwelligen intellektuellen Unzufriedenheit, nicht so sehr mit der empirischen kriminologie-affinen Forschungslage und dem damit generierten Wissensstand zu Polizei und polizeilichen Aktivitäten, sei es in nationalen oder internationalen Zusammenhängen, als vielmehr mit einem wahrgenommenen Mangel an Willen und Anstrengung, diesen Gegenstand gerade auch theoretisch nachhaltiger zu durchdringen und in umfassendere gesellschaftliche Analysen und Zusammenhänge einzubetten. Dabei spielt auch die Sorge eine Rolle, dass in der medialen Darstellung von und Kommunikation über Polizei und deren Aktivitäten deren essenzielle soziale und politische Rolle in Staat und Gesellschaft sträflich unterkomplex kommuniziert wird. Dies gilt sowohl für die positiven wie negativen Einwirkungen auf Individuen als auch auf die Gesamtgesellschaft. Im wissenschaftlichen Forschungsdiskurs hingegen vermeine ich eine Tendenz wahrzunehmen, die über die anschwellende Produktion von kleinteiliger Empirie die theoretische Essenz von Polizei und Polizieren außer Acht lässt und damit letztendlich verfehlt. Um hier selbst einen forschen Schritt auf das akklamierte Terrain zu riskieren, habe ich versucht, eine Verbindungslinie zwischen prämodernen Entwicklungsstufen staatlich organisierter formaler Sozialkontrolle und ihrer legitimatorischen Begründung („gute Policey“) und den zeitgenössischen, unter einem technologischen Imperativ sich entwickelnden, hypermodernen Polizeikonfigurationen zu ziehen. Denn auch der von den Verheißungen der „artifical intelligence“ inspirierten Polizai des 21. Jahrhunderts unterliegt das Versprechen der Herstellung eines „guten“, harmonisierten gesellschaftlichen Zustands, in dem kriminelles Tun wenn nicht preemptiv bis präventiv unterbunden, so doch mittels vielfältiger technischer Kontrollund Zugriffsschichten eingehegt werden kann. Inwieweit sich dieses Versprechen unter sich abzeichnenden krisenhaften Entwicklungen halten lässt oder von einer

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harmonisierten Sicherheitsutopie in eine dystopische Polizei- und Überwachunggesellschaft umzuschlagen droht, lässt sich selbstverständlich nur über empirisch-kritische Begleitung beurteilen.20 Dass noch viele lose Enden im Versuch der Schärfung eines zukunftsfesten Polizeibegriffs im kriminologisch-disziplinären Kontext der weiteren und engeren Verknüpfung harren, sei dahingestellt. Wenn dieser Beitrag auf das Problem der empirischen Fehlausleuchtung bei gleichzeitiger theoretischer Unschärfe eines unzeitgemäßen Polizeibegriffs, der das Risiko des Scheiterns wissenschaftlicher wie politischer Verständigungsprozesse perpetuiert, hingewiesen haben sollte, wäre es der Mühe wert gewesen.

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Bodycams als Einsatzmittel der Polizei – präventiv oder (doch nur) repressiv Ergebnisse zur Akzeptanz und Wirksamkeit in Bayern Von Peter Sutterer

1. Einleitung und Forschungsstand Beleidigungen und Behinderungen von sowie körperliche Angriffe auf Rettungsund Einsatzkräfte werden seit geraumer Zeit öffentlich problematisiert. Der Gesetzgeber hat auf diese Entwicklung durch eine Reform der §§ 114, 115 und 323c StGB zur „Stärkung des Schutzes von Vollstreckungsbeamten und Rettungskräften“ im Jahr 2017 reagiert (Bundesgesetzblatt Teil I Nr. 30). Quantitativ wie qualitativ richtet sich der Fokus vorwiegend auf das Phänomen der „Gewalt gegen Polizeibeamtinnen und Polizeibeamte“1. Angesichts gerade medial vielfach thematisierter Zunahmen von Beleidigungen, Bedrohungen und Gewalt gegen Vollstreckungsbeamte wurde 2011 von der Innenministerkonferenz (IMK) beschlossen, Lagebilder zu Gewalttaten gegen Polizeibeamte nach einheitlichen Standards zu erstellen. Diese werden jährlich in vollständiger und detaillierter Form vom Bundeskriminalamt (BKA) herausgegeben. Ein Anstieg der Fallzahlen, vor allem von 2017 auf 2018, wird partiell auf die angeführte Rechtsänderung zurückgeführt. Zurecht wird daher auf die Problematik der Vergleichbarkeit zu vorausgegangenen Statistikjahren aufgrund geänderter und neu gefasster Straftatbestände, v. a. hinsichtlich der Einführung des „tätlichen Angriffs auf die Staatsgewalt“, hingewiesen (BKA 2019, 7). In einzelnen Länderstatistiken und dazugehörigen Pressemeldungen der Innenministerien werden zu den Gewaltdelikten gegen Polizeibeamte – typischerweise Widerstandshandlungen oder der tätliche Angriff – auch Beleidigungen hinzugezählt. Entsprechend wurde in Bayern für 2018 von „7.689 Fällen physischer und psychischer Gewalt“ berichtet. Diese richteten sich gegen insgesamt 17.367 Polizeibeamte (Bayerischen Staatsministerium des Innern, für Sport und Integration (BY StMI 2019a). Der Anteil der Beleidigungen an den Fallzahlen beträgt rd. 39 % (2.967 Fälle). Auch Befragungen von Polizeibeamten, etwa durch das Kriminologische Forschungsinstitut Niedersachsen (KFN),2 belegen diese Entwicklung in den einschlägigen Hellfeldstatistiken zur „Ge1 Nachfolgend wird das generische Maskulinum verwendet, ohne dass damit eine geschlechterbezogene Aussage verbunden ist. 2 Vgl. etwa Ellrich, Baier & Pfeiffer (2011).

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Peter Sutterer

walt gegen Polizeibeamte“3. Die Fallzahlen der vergangenen Jahre – einschließlich Beleidigungsdelikte – haben Bundes- und Länderpolizeien dazu bewogen, erste Versuche des Einsatzes von Körperkameras durchzuführen. Durch den Einsatz offen getragener Körperkameras, sogenannter Bodycams, sollen Maßnahmen zur Bekämpfung der Gewaltkriminalität optimiert und rechtswidrige Taten wie Beleidigungen und Gewaltanwendungen gegen Polizeibeamte wirksam reduziert werden. Der Einsatz der Bodycams ist vorwiegend als präventivpolizeiliche Maßnahme konzipiert, die insbesondere in Kontrollsituationen zur Anwendung kommt, in denen mit einem problematischen, entweder gefährlichen oder beweiserheblichen, Verlauf zu rechnen ist. Mit dem Einsatz der Körperkameras werden somit im Wesentlichen zwei Ziele verfolgt. Zum einen erhofft man sich durch die offen und gut sichtbar getragene Kamera – das Einschalten der Kamera wird vorher angekündigt – eine deeskalierende Wirkung beim polizeilichen Gegenüber. Ferner können die aufgezeichneten Video- und Audiosequenzen zur Beweissicherung in einem späteren Strafverfahren verwendet werden (Arnd 2016, 104 ff.). Es wird diesen Aufzeichnungen ein „bedeutender Stellenwert“ für eine Beweisführung beigemessen (Arnd 2017, 29). Erste Erfahrungen mit der Bodycam an den bayerischen Versuchsdienststellen weisen in die gleiche Richtung. Gleichwohl besteht weiterer Forschungsbedarf. Systematische Untersuchungen und Evaluationen zum justiziellen Umgang mit dem Videomaterial, insbesondere bzgl. der Verwertbarkeit bzw. repressiven Wirksamkeit der Bodycam im Zuge des Strafverfahrens, liegen bisher nicht vor. In Deutschland werden Bodycams als Einsatzmittel bei den Länderpolizeien und der Bundespolizei eher punktuell oder versuchsweise eingesetzt. Ein regelmäßiger und flächendeckender Einsatz erfolgt bei den meisten Länderpolizeien bislang nicht. In Bayern wird die Bodycam für uniformierte Streifenbeamte seit November 2019 flächendeckend eingesetzt (BY StMI 2019b). Im regelmäßigen Einsatz waren dort zuletzt rd. 1.400 Bodycams. Der Einführung ging eine einjährige Pilotierungsphase voraus, in der zwischen dem 01. 12. 2016 und dem 20. 11. 2017 drei verschiedene Kameramodelle an insgesamt sieben Dienststellen von rd. 300 Beamten erprobt wurden.4 Der Fachbereich Polizei der Hochschule für den öffentlichen Dienst in Bayern (HfoeD) wurde vom Staatsministerium des Innern damit beauftragt, diese Pilotierungsphase wissenschaftlich zu begleiten und u. a. die Wirksamkeit und Akzeptanz der Bodycam zu untersuchen.

3

Siehe dazu die PKS und die seit 2010 in den Bundesländern neu eingerichtete Datenbank „Gewalt gegen Polizeibeamtinnen und -beamte“ (GewaPol), in der zusätzlich Informationen und Sachverhalte erfasst werden. 4 An der Pilotierung waren die Polizeiinspektionen (PI) Rosenheim und PI Augsburg-Mitte sowie fünf Münchner Dienstellen (PI 11, PI14, PI21 und die Ergänzungsdienste ED1 und ED2) beteiligt.

Bodycams als Einsatzmittel der Polizei

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1.1 Fragestellungen/Forschungsstand Zur Wirkung und Akzeptanz von Körperkameras als polizeiliches Einsatzmittel lagen im deutschsprachigen Raum bis zum Beginn der Studie kaum belastbare Untersuchungen/Ergebnisse vor.5 Eine Metaevaluation von Zander (2016) macht dies deutlich. In dieser werden überwiegend amerikanische Studien betrachtet. In den USA liegt die Zielrichtung von Bodycam-Einsätzen allerdings eher auf der Dokumentation und Nachvollziehbarkeit polizeilichen Verhaltens (Lehmann 2017, 30-31, 36) und unterscheidet sich somit konzeptionell deutlich von der stärker präventiv und repressiv ausgerichteten Zielsetzung in Deutschland. Als einzige damals verfügbare deutsche Studie wurde ein Evaluationsbericht aus Hessen zum BodycamEinsatz in Frankfurt (Alt-Sachsenhausen 2012) in die vergleichende Metaevaluation einbezogen. Zander (2016) weist dabei jedoch auf erhebliche methodische Mängel innerhalb dieser Studie hin (52). Wissenschaftlich fundierte Erkenntnisse zu Wirksamkeit und Akzeptanz der Verwendung von Körperkameras im Polizeieinsatz finden sich in den Studien der Hochschule der Polizei Rheinland-Pfalz für RheinlandPfalz (Arnd & Staffa, 2016; Arnd 2017, 24 ff.; Hallenberger et al. 2017). Im Kern widmen sich die Studien der Akzeptanz gegenüber „Bodycams als Einsatzmittel“, v. a. auch aus der Perspektive der Bürger. In den Untersuchungen zeigt sich eine überwiegend positive Resonanz auf die Bodycam. Die Analysen von Hallenberger et al. (2017, 28 – 38) ergaben, dass auch diejenigen, die entweder mittelbar oder unmittelbar von polizeilichen Maßnahmen betroffen waren, also auch Beschuldigte, einen Bodycam-Einsatz als „gut“ bewerten. Befragt wurden allerdings nur 118 Personen, wovon 92 Zeugen und lediglich 9 Beschuldigte waren (Hallenberger et al. 2017, 32). Methodisch anspruchsvoll auf der Grundlage eines experimentellen Designs ist Manzoni & Baier (2018a, 6). Sie untersuchten über einen Zeitraum von 36 Wochen im Jahr 2017 die Wirkung von Bodycams auf das Gewaltaufkommen in der Stadt Zürich und die Einstellung von Polizeibeamten gegenüber dem neuen Einsatzmittel (Baier & Manzoni 2019). Bei drei von fünf Regionalwachen wurden die Streifenbeamten im Wochenwechsel (randomisiertes Design) mit/ohne Bodycams ausgestattet. Im Ergebnis wurde eine insgesamt positive Einschätzung der Beamten zur Bodycam festgehalten. Auch wenn sich die Resultate weitestgehend als nicht signifikant erweisen und „weder Eskalation noch De-Eskalation […] sich wissenschaftlich für den Einsatz von Bodycams nachweisen“ (Baier & Manzoni 2018b, 690) lassen, kommen die Autoren zu dem Schluss, dass sich die „physische Gewalt gegen Polizistinnen und Polizisten […] bei Einführung von Bodycams den Befunden folgend um ca. ein Drittel senken“ lässt (Baier & Manzoni 2018b, 691). Die Autoren weisen, u. a. mit Blick auf den kurzen Zeitraum des Experiments sowie seine räumliche und sozialstrukturelle Begrenztheit, auf mögliche Grenzen der Studie hin und fordern deshalb weitere Evaluationsuntersuchungen, die nicht nur das Gewaltaufkommen im Blick haben 5 Erste Pilotierungen von Körperkameras in zwei Präsidien in Rheinland-Pfalz wurde von Arnd & Staffa (2016, 190 ff.) untersucht. Diese Studie liefert interessante Hinweise zur Wirksamkeit der Bodycam. Die Datenbasis ist allerdings wenig belastbar (Befragungen; N = ~ 40).

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Peter Sutterer

(Baier & Manzoni 2018b, 691). Eine Studie von Kersting et al. (2019) kommt für Nordrhein-Westfalen zu ähnlich positiven Resultaten. In einem Zeitraum von rd. neun Monaten (Mai 2017 bis Januar 2018) wurden in sechs Pilotwachen zu Versuchszwecken Köperkameras mitgeführt. In diesen Wachen wurde die Schicht jeweils hälftig mit und ohne Bodycam ausgestattet. Im Ergebnis konstatieren Kersting et al. (2019, 6, 119) eine deeskalierende Wirkung durch die Bodycams, obwohl der Anteil „der registrierten geschädigten Polizeibeamtinnen und Polizeibeamten in den Schichten mit Bodycam über dem Anteil in den Schichten ohne Bodycam“ lag (Kersting et al. 2019, 6, 119). Dies führen sie auf ein unangemessen zurückhaltendes Einschreiten und eine formalere Sprache während des Bodycam-Einsatzes, insbesondere durch Polizeibeamtinnen, zurück (Kersting et al. 2019, 6, 119). Die Autoren sehen eine abschreckende Wirkung durch die Bodycam im Sinne des Rational-Choice-Ansatzes (Kersting et al. 2019, 7, 13 f., 44). Allerdings erstaunt, dass beispielsweise in Situationen mit Alkoholeinfluss, bei denen ein geringeres rationales Wahlhandeln zu erwarten ist, die Bodycam dennoch Wirkung entfaltet. Die Autoren stellen fest: „Die Annahme, dass die Bodycam keine oder eine geringere Wirkung auf Personen mit Beeinträchtigungen des Erlebens und Verhaltens (insb. Alkohol- und Drogeneinfluss) ausübt, bestätigte sich nicht“ (Kersting et al. 2019, 6, 82 f.). Ähnlich den aufgeführten Studien für Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz und Zürich wurde von der Bayerischen Polizei über einen Zeitraum von zwölf Monaten (01. 12. 2016 bis 30. 11. 2017) eine umfängliche Pilotierung in insgesamt sieben Dienststellen in den Städten Rosenheim, Augsburg und München durchgeführt. Die Zuständigkeit der Dienststellen beinhalteten auch sog. „Hot Spots“ (Bahnhofsbereich, „Feiermeilen“ u. Ä.). Der Fachbereich Polizei der Hochschule für den öffentlichen Dienst in Bayern (HfoeD) wurde nach bereits vorliegenden polizeiinternen Vorausplanungen kurz vor dem Start der Pilotierungsphase mit der wissenschaftlichen Begleitung betraut. Ein Einfluss auf das Erprobungsdesign war deshalb nur noch im vorgegebenen Rahmen möglich.6 1.2 Pilotprojekt Bodycam in Bayern: Ziele/Fragestellungen Mit dem Bodycam-Einsatz sind verschiedene Zielsetzungen und Fragestellungen verknüpft. Entlang der Fragestellungen in den Studien der anderen Bundesländer stand auch in Bayern die Untersuchung einer eventuellen (kriminal-)präventiven Wirkung der Bodycam, der unterstellten Fähigkeiten sowie möglicher Grenzen ihres Einsatzes im Mittelpunkt der Betrachtung.7 So wurde in erster Linie eine deeskalierende Wirkung auf gewaltbereite Personen angenommen. Konkret ging es in der Studie u. a. darum, ob der präventiv ausgerichtete Einsatz einen wirkungsvollen Beitrag zum Schutz der Polizeibeamten vor Beleidigungen und vor Gewalttaten leistet. 6

Vor allem ein „echtes“ randomisiertes Design konnte nicht mehr hergestellt werden. Zu den präventiven und repressiven Erwartungen der polizeilichen Projektgruppe an die Bodycam siehe Sutterer & Stangl (2018, 17). 7

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Zudem wurde untersucht, ob der Einsatz der Bodycam die Durchsetzung polizeilicher Maßnahmen erleichtert sowie zur Beweiserhebung und Beweissicherung beiträgt. Gleichzeitig sollte festgestellt werden, ob sich der Einsatz auf das Beschwerdeaufkommen auswirkt. Im Zentrum der Studie standen außerdem Fragen zur Akzeptanz bei Polizeibeamten und in der Bevölkerung. Aus polizeilicher Sicht wurden die Einstellung zur Bodycam generell, Erwartungen an ihren Nutzen, aber auch denkbare Befürchtungen im Zusammenhang mit Bodycam-Aufnahmen – etwa das Gefühl einer erweiterten Dienstaufsicht oder allgemein einer verstärkten Verhaltenskontrolle – thematisiert. Ein nicht oder wenig akzeptiertes Einsatzmittel wird erfahrungsgemäß nicht genutzt. Zur Akzeptanz seitens der Polizeibeamten tragen maßgeblich ein erkennbarer Nutzen und geringe persönliche Befürchtungen bei.8 1.3 Einjährige Pilotierung in Bayern Im Rahmen der einjährigen Erprobung wurden drei Kameramodelle an sieben Dienststellen eingesetzt. Die drei Kameramodelle wurden nach jeweils vier Monaten an den Pilotierungsdienststellen reihum gewechselt. Das Pre-Recording9 wurde während der Versuchsphase technisch unterbunden. An den beteiligten Dienststellen wurde ein Teil der Beamten mit den Bodycams ausgerüstet und dafür eigens rechtlich, taktisch und technisch im Umgang mit den Geräten geschult. Die Teilnahme war freiwillig. Es wurden verschiedene Rollen mit unterschiedlichen Berechtigungen eingeführt. Rolle 1 war auf den kameraführenden Beamten zugeschnitten10. Die Rollen 2 und 3, Beamte mit Vorgesetztenfunktion und Administratoren, hatten erweiterte Befugnisse, wie beispielsweise die Zuweisung der Kameras, die Prüfung des ordnungsgemäßen Überspielens der Aufzeichnungen oder die Sichtung der Filmsequenzen. Für Administratoren (Rolle 3) kam die Pflege des Betriebssystems, die Rechtevergabe und vieles mehr hinzu. Die Aufzeichnungen wurden auf lokalen Servern in den Dienststellen und nicht in der Cloud gespeichert. Mittels einer „Poollösung“ mit insgesamt 27 Kameras in den jeweiligen Dienststellen war sichergestellt, dass jede Pflicht- und Inspektionsstreife (i. d. R. Doppelstreifen) eine Bodycam mitführen konnte. Eine explizite „Mannausstattung“, d. h. eine Bodycam für jeden Streifenbeamten, war nicht vorgesehen. Rund 300 Beamte nahmen an diesem Versuch teil. Auf Veranlassung der Projektleitung beim PP München11 wurden die Erfahrungen unmittelbar nach Einsatzende von den kameraführenden Beamten auf Dokumentationsbögen festgehalten. Die Bodycam wurde rd. 41.000 Stunden im Streifendienst (Dop8

Zu den Fragestellungen und den verwendeten Methoden siehe Sutterer & Stangl (2018). Die Kameras sind i. d. R. technisch so eingerichtet, dass, sobald der kameraführende Beamte die Aufzeichnung auslöst, im internen Kameraspeicher auch die Film-/Tonsequenzen vor diesem Auslösen festgehalten werden (meist 30 – 60 Sekunden). 10 Der Hinweise „keine Rolle“ referiert in den nachfolgenden Tabellen auf Beamte ohne Bodycam. 11 Die Projektleitung für die bayerische Erprobung des Einsatzmittels Bodycam lag beim PP München, Herrn LPD Andreas Schaumaier. 9

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pelstreife) und zusätzlich rd. 1.400 Stunden in Einsatzgruppen bei den Herbstvolksfesten, wie etwa beim Münchner Oktoberfest, mitgeführt.12 In 954 Fällen wurden Aufzeichnungen gefertigt.

2. Methoden der Begleitstudie Die wissenschaftliche Untersuchung zum Pilotprojekt „Bodycam“ in Bayern stützt sich auf verschiedene Datenquellen und Erhebungsverfahren. Methodisch wird auf ein multimethodales Vorgehen (Mixed-Methods-Ansatz) im Sinne der Methodentriangulation zurückgegriffen.13 Dabei werden sowohl quantitative als auch qualitative Methoden berücksichtigt, um ein umfassendes Bild zur Bodycam als neues Einsatzmittel zu erhalten (siehe Abbildung 1, Untersuchungsplan). Die vorliegenden Befunde basieren auf vier Befragungswellen im Abstand von jeweils vier Monaten in den Pilotierungsdienststellen (t1 bis t4a). Die erste Befragung (t1: Vorbefragung) fand unmittelbar vor der Einführung des Bodycam-Versuchs statt. Nach wiederholten Befragungen im Abstand von vier Monaten (t2 und t3) wurde eine „Abschlussbefragung“ kurz nach dem Ende der einjährigen Erprobungsphase in den beteiligten Dienststellen (t4a) durchgeführt. Die Zielgruppe der Befragung war die Gesamtheit der Vollzugsbeamten in den jeweiligen Dienststellen. Da nur ein Teil der Beamten (rd. 300 Beamte) am Bodycam-Trageversuch teilnahm, wird in den Befragungen und den Auswertungen zwischen Beamten mit und ohne Bodycam-Rolle unterschieden. Bei der dritten Befragungswelle (t3) handelte es sich um eine Befragung mit Kurzfragebogen. Bei der „Abschlussbefragung“ wurden zusätzlich vergleichbare Dienststellen14 einbezogen, die nicht am Bodycam-Versuch teilgenahmen (t4b). Die Anzahl der Items unterschied sich in den vier Befragungswellen. Insgesamt stützt sich die Studie auf 1.245 Einzelbefragungen in den insgesamt fünf Befragungssets.15 In den Analysen wurden ferner Beschwerdestatistiken, Statistiken zur Gewalt gegen Polizeibeamte sowie die Daten aus den Dokumentationsbögen der kameraführenden Beamten berücksichtigt. Die beteiligten Pilotierungsdienststellen wurden gebeten, im Viermonatsrhythmus anhand leitfadengestützter Abfragen ihre Bodycam-Erfahrungen festzuhalten. Neben diesen wurden erste, vorläufige Erfahrungsberichte der Justiz zu Bodycam-Aufnahmen im Rahmen des Weiteren justiziellen Verfahrens einbezogen. Letzteres hat derzeit nur einen heu12

Zur Sonderevaluation „Herbstvolksfeste“ (Oktoberfest in München) siehe Sutterer & Stangl (2018, 110 ff.). 13 Zum „Mixed Methods“-Ansatz siehe etwa Johnson, Onwuegbuzie & Turner 2007. 14 Zu den Vergleichsdienststellen zählen die Polizeiinspektionen PI Bamberg Stadt, PI Nürnberg Mitte, PI Ingolstadt, PI Landshut und die PI Regensburg Süd. 15 An der Vorbefragung (t1) nahmen 311 Befragte, an der ersten Folgebefragung (t2) nach vier Monaten 207 und an der zweiten Folgebefragung (t3) nach weiteren vier Monaten 301 Befragte teil. An der Abschlussbefragung (t4a) nahmen 249 Beamte und der Vergleichsbefragung (t4b) 177 Beamte teil (Sutterer & Stangl 2018, 27 f.).

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ristischen Wert, da fundierte Analysen zu den polizeilichen und justiziellen Verfahren im Zusammenhang mit Audio-/Videoaufzeichnungen aufgrund geringer Fallzahlen zum Untersuchungszeitpunkt nicht möglich waren. Die im Folgenden dargestellten Ergebnisse basieren auf den genannten unterschiedlichen Datenquellen. Die Erfahrungen der Bodycam-Träger (mit BC-Rolle) an den einbezogenen Dienststellen basieren auf insgesamt 7.773 Bodycam-Mitnahmen (t2: 2.338; t3: 3.428; t4a: 2.007) innerhalb des Versuchszeitraums (Sutterer & Stangl 2018, 32).

Abbildung 1: Untersuchungsplan zum Pilotprojekt „Bodycam“ in Bayern

3. Ergebnisse Die Einstellung zur Bodycam, die Erwartung an ihren Nutzen, aber auch mögliche Befürchtungen wurden in den Befragungen thematisiert. Wird beispielsweise erwartet, dass der präventive Druck auf das polizeiliche Gegenüber erhöht wird, dass Beleidigungen oder das Gewaltverhalten gemindert werden oder kommt es zu Befürchtungen, dass gar gegenteilige Effekte, etwa eine Aggressionssteigerung durch die Kamera, erzeugt werden? Gibt es ferner seitens des Beamten, der die Kamera einsetzt, Befürchtungen dahingehend, dass er in der Einsatzsituation beobachtbar und kontrollierbar wird? Wird deshalb etwa befürchtet, dass Ermessens- und Entscheidungsspielräume eingeengt werden oder dass der Beamte einer erhöhten Dienstaufsicht/ Beobachtung durch das neue Einsatzmittel ausgesetzt wird? Schließlich stellt sich die Frage, wie sich die Akzeptanz dieses neuen Einsatzmittels insgesamt erweist. Entlang dieser Fragen wird untersucht, (1) inwiefern solche Erwartungen und Befürchtungen überhaupt vorliegen, es (2) mit zunehmender Bodycam-Erfahrung Veränderungen in der Einstellung der Beamten zu diesem neuen Einsatzmittel gibt und

438

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sich (3) hierin ggf. Beamte mit und ohne unmittelbare Bodycam-Erfahrung unterscheiden. Neben der Akzeptanz beim Beamten stellt sich die Frage nach der (4) Akzeptanz beim unbeteiligten Bürger. Sodann sind dies (5) Fragen zu einer von Bodycam-Beamten perzipierten präventiven Wirkung, zu den Rahmenbedingungen unter denen dieses neue Einsatzmittel Wirkung entfalten kann, bzw. eben nicht entfaltet sowie Fragen nach einem (6) Nachweis derartiger Effekte. Dieser wird zunächst (intern) anhand von dokumentierten Bodycam-Einsätzen und anschließend (extern) über einschlägige Statistiken zur Gewalt gegen Polizeibeamte geführt. Zuletzt wird auf die Frage nach (7) möglichen repressiven Wirkungen von Bodycam-Aufzeichnungen eingegangen. Das Datenmaterial beruht zum Untersuchungszeitpunkt auf Wahrnehmungen von Polizeibeamten, Berichten von Dienststellenleitern an den Versuchsdienststellen und der Staatsanwaltschaft. Aufgrund der bislang geringen Fallzahlen von Aufzeichnungen, die in ein justizielles Verfahren eingebracht wurden, ist eine abschließende empirische Beurteilung zur repressiven Wirkung jedoch nicht möglich. 3.1 Interne Akzeptanz (Erwartungen/Befürchtungen) Insgesamt zeigt sich, dass die Erwartungen an die Bodycam überwiegend positiv konnotiert sind. Man verspricht sich generell einen zusätzlichen Nutzen im täglichen Einsatzgeschehen. Dies betrifft sowohl Befragte mit als auch ohne Bodycam-Erfahrung. Von den Mitarbeitern an den Pilotierungsdienststellen wird von der Bodycam als Einsatzmittel eine mittlere bis hohe präventive Wirksamkeit erwartet, beispielsweise, dass „Gewaltverhalten (Widerstand/KV) beim polizeilichen Gegenüber gemindert wird und Beleidigungen zurückgehen“, und dass „durch den Einsatz der Bodycam das Ziel der polizeilichen Maßnahmen schneller erreicht wird“.16 Weiterhin wird angenommen, dass sich ganz allgemein der „präventive Druck auf das polizeiliche Gegenüber erhöht“. Ebenso wird von den Beamten eine repressive Wirkung für den weiteren Verlauf des (Straf-)Verfahrens erwartet. Die interne Akzeptanz gegenüber der Bodycam ist somit hoch. Die Bodycam-Träger haben sich bereits nach kurzer Zeit mehrheitlich an die Kamera gewöhnt, lediglich auf ein Viertel trifft dies nur teilweise zu. Die Bodycam wird nach einer zwölfmonatigen Erprobung von der Mehrheit der Beamten (rd. 70 %; siehe Tabelle 1) als fest etabliertes Einsatzmittel auf der Dienststelle angesehen. Dieses hohe Maß an Vertrautheit teilen auch diejenigen Beamten, die bei diesem Versuch keine eigene Bodycam-Rolle einnahmen.

16

Zu den wörtlichen Zitaten und zitierten Items siehe Sutterer & Stangl (2018).

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Tabelle 1 Positive Erwartungen/Erfahrungen bzgl. der Bodycam (Beamte mit einer BC-Rolle) Befragung* 1. Auswirkungen auf den BC-Träger: „Ich fühle mich abgesichert in der Durchsetzung von Maßnahmen aufgrund der BC-Dokumentation.“ 2. Allgemeine Beurteilung zur BC: „Die Bodycam ist nach … [8/12] Monaten ein fest etabliertes Einsatzmittel auf der Dienststelle.“

t3 t4a

N 292

Mean STD

% von N für Zustimmung**

2,18 0,83

70,5 %

nicht erhoben

t3

294

2,10 0,78

73,1 %

t4a

114

2,09 0,96

68,4 %

t3

219

2,58 1,21

t4a

165

2,42 1,20

3. „Ich selbst habe mich an die Kamera gewöhnt“

53,9 % (25,1 % = teils-teils) 57,0 % (24,2 % = teils-teils)

Item 1 und 2: vierstufige Skala (1 = trifft voll zu … 4 = trifft gar nicht zu) Item 3: fünfstufige Skala (1 = trifft voll zu … 5 = trifft gar nicht zu) * t3 nach 8 Mon., t4 nach 12 Mon. **„trifft voll zu“ und „trifft eher zu“

Gerade im Vorfeld der Einführung werden positive Möglichkeiten mit Blick auf Prävention und Repression antizipiert. Nach Beendigung des Versuchs befürwortet eine deutliche Mehrheit die Einführung der Bodycam (83 %).17 Die hohen Akzeptanzwerte decken sich mit den Ergebnissen anderer Studien (etwa Arnd 2017, 26). Befürchtungen im Zusammenhang mit dem neuen Einsatzmittel werden von den Beamten eher verneint. Gefragt wurde u. a. nach auf den Träger bezogene Befürchtungen. Konkret geht es darum, ob „die Videoaufnahmen ein falsches Bild vom Verhalten des Beamten in der Einsatzsituation abgeben“, ob die Verwendung „zu vermehrten Disziplinar-/Strafverfahren gegen Polizeibeamte führt“ oder, ob es insgesamt zu „einer erhöhten Dienstaufsicht/Beobachtung gegenüber den Beamten kommt“. Ein ambivalentes Gefühl dazu ist bei den Beamten durchaus vorhanden, auch wenn die Befürchtungen tendenziell eher verneint werden. Deutlicher werden Befürchtungen eines Mehraufwandes in Form zunehmender Sachbearbeitung (vermehrte Schreibarbeit, Datenerfassung, Auf-/Abrüstzeiten etc.) im Vorfeld der Erprobung geäußert. Dennoch fallen die Zustimmungswerte für eine Einführung der Bodycam bei der bayerischen Polizei durchgängig sehr hoch aus. Etwaige Befürchtungen bzgl. einer negativen Wirksamkeit, beispielsweise in der Form, dass „die Body17 Siehe Sutterer & Stangl 2018, 41. Nähere Informationen zu den nachfolgend dargestellten Ergebnissen siehe Sutterer & Stangl 2018, 31 ff.

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cam die Aggression beim Gegenüber eher erhöht“, bestätigen sich grundsätzlich nicht. Sie scheinen nur in einzelnen, speziellen Einsatzkonstellationen begründet (so z. B. unter Alkoholeinfluss). Insgesamt zeigen sich keine Differenzen zwischen der Befragung an den Pilotierungsdienststellen vor dem Bodycam-Versuch (t1) und einer ein Jahr späteren Befragung an jenen Vergleichsdienststellen, die nicht in den Versuch eingebunden waren (t4b) (siehe Abbildung 2a/b). Das heißt, solange noch keine einschlägigen BodycamErfahrungen gesammelt werden konnten, lagen die gleichen (positive/negative) Erwartungen vor. Interessant sind dagegen die neuen Einschätzungen nach einer gewissen Zeit mit Bodycam-Erfahrung.

* Vierstufige Skala (1 = trifft voll zu … 4 = trifft gar nicht zu). Bei t4b zusätzliche Items abgebildet.

Abbildung 2a/b:(a) Positive Erwartungen an die Bodycam und (b) Befürchtungen wegen der Bodycam; Vergleich von Vorbefragungen an Pilotierungsdienststellen vor der Einführung (t1) und Befragungen an vergleichbaren Dienststellen ohne BC-Projektbeteiligung nach zwölf Monaten (t4b)*

Bodycams als Einsatzmittel der Polizei

441

3.2 Realitätsanpassung der Erwartungen und Befürchtungen durch die Bodycam-Praxis Die Folgebefragungen nach vier, acht und zwölf Monaten Praxiserfahrung mit der Bodycam im Einsatz zeigen eine partielle Abnahme der zunächst deutlich positiven Anfangserwartungen (siehe Tabelle 2a). Die Veränderung in der Erwartungshaltung ist statistisch signifikant, bleibt in der Tendenz aber positiv. So werden einzelne, in der Vorbefragung noch deutlicher positiv konnotierte Erwartungen an die Bodycam als Einsatzmittel nach ersten Praxiserfahrungen nicht mehr so deutlich positiv beurteilt. Dies betrifft etwa den präventiven Druck auf das polizeiliche Gegenüber. Eine Ausnahme bildet die Erwartung an die repressiven Möglichkeiten, die durch die Bodycam eröffnet werden. Durch die Praxiserfahrung erhöht sich hier die Anzahl der Beamten, die dem Bodycam-Einsatz eine repressive Wirkung beimessen. In diesem Spannungsfeld zwischen Prävention und Repression wird vermutlich von den Beamten implizit eine Art „präemptive“ Wirkung von der Kamera erhofft. Dieses Einsatzmittel wird eher nicht im Sinne einer langfristig und nachhaltig gedachten Prävention gesehen. Die Bodycam ist analog zu einem „präemptiven“ Konzept ein Mittel für „Maßnahmen, die unmittelbar an [..] Situationen und Personen ansetzen, von und in denen besondere Risiken vermutet werden“. Solche Risiken hinsichtlich potenzieller Gewalt gegen Polizeibeamte sollen durch „(…) sofortigen Eingriff und direkte (!sic) Abschreckung neutralisiert werden“ (Albrecht 2016, 226). Auch die Einschätzung hinsichtlich der Befürchtungen im Zusammenhang mit der Bodycam (siehe Tabelle 2b) verändert sich. So wird in den Folgebefragungen beispielsweise seltener die Befürchtung geäußert, dass es zu vermehrten Disziplinar-/ Strafverfahren gegen Polizeibeamte kommen könnte. Die Pilotierungsdienststellen berichten ebenso (siehe Erfahrungsberichte), dass etwaige Vorbehalte gegen den Einsatz der Bodycam im Laufe des Projekts größtenteils abgebaut werden. Die Beamten des Einzeldienstes reagieren allerdings weiterhin sensibel auf eine drohende Verhaltenskontrolle bzw. eine erweiterte Dienstaufsicht. Bereits Gerüchte dahingehend, dass die Bodycam als Kontrollmittel gegen die Polizeibeamten eingesetzt werde, könnten dazu führen, dass die Bodycam in Einsätzen nicht mehr mitgenommen wird. Für die Akzeptanz der Bodycam bei den Beamten sind klar geregelte und nachvollziehbare Verfahrensabläufe ausschlaggebend. Es ist also eine Realitätsanpassung erkennbar. Sowohl die anfänglich zu hohen Erwartungen als auch zu großen Befürchtungen bestätigten sich nicht und wurden der „Einsatz- und Dienstwirklichkeit“ angepasst.

442

Peter Sutterer Tabelle 2a „Erwartungen“ an die Bodycam – Veränderungen im Laufe der Erprobung

Tabelle 2b „Befürchtungen“ wegen der Bodycam – Veränderungen im Laufe der Erprobung

Bodycams als Einsatzmittel der Polizei

443

3.3 Erfahrungshintergrund: Beamte mit vs. ohne Bodycam Bestätigt wird das Phänomen der „Realitätsanpassung an die Einsatz- und Dienstwirklichkeit“ dadurch, dass sich Beamte ohne eine Bodycam-Rolle – zwar nur leicht, dennoch statistisch signifikant – zu den Erwartungen an die Bodycam insgesamt positiver äußern als Beamte mit einer Bodycam-Rolle. Sie erwarten eher als die Bodycam-Träger selbst, dass sich beispielsweise der „präventive Druck auf das polizeiliche Gegenüber erhöht“ bzw. insgesamt das „Gewaltverhalten gemindert wird“. Dagegen schätzen Bodycam-Beamte bereits nach acht Monaten Erprobung diese Erwartungen an das Einsatzmittel realistischer ein.18 Befürchtungen im Zusammenhang mit dem Einsatzmittel Bodycam werden generell als „eher unzutreffend“ beurteilt (s. o.). Interessant ist, dass Beamte mit einer Bodycam-Rolle tendenziell mehr Befürchtungen äußern als Beamte ohne Bodycam-Rolle. Von beiden Vergleichsgruppen wird die Annahme einer „geringeren Sachbearbeitung bei der Sachverhaltsschilderung aufgrund der Videodokumentation“ verneint – deutlicher von den Bodycam-Trägern. Diese äußern, dass in der Praxis ein Mehraufwand an Schreibarbeit, Datenerfassung oder Auf-/Abrüstzeiten anfällt. 3.4 Akzeptanz beim unbeteiligten Bürger Es stellt sich außerdem die Frage, wie der unbeteiligte, also nicht in eine Konfliktsituation involvierte, Bürger auf das neue Einsatzmittel reagiert. Hierzu wäre eine repräsentative Bevölkerungsbefragung, in der auch der Kontakt zu Bodycam-Trägern berücksichtigt wird, das Mittel der Wahl. Auf dieser Basis liegen bisher kaum belastbare Erkenntnisse zur Akzeptanz von Bodycam-Einsätzen vor (vgl. etwa Hallenberger et al. 2017). Für Rheinland-Pfalz wurde unter Leitung von Dr. Susanne Weis eine nichtrepräsentative Onlinebefragung mit 3.627 Bürgern durchgeführt (Raab & Ast 2017). Insgesamt erfährt die Bodycam bei dieser Befragung hohe Zustimmungswerte in der (unbeteiligten) Bevölkerung. Ein Phänomen, das sich generell, wie die internationale Akzeptanzforschung zur Videoüberwachung im öffentlichen Raum zeigt, sogar unabhängig von Evaluationsergebnissen zur Wirksamkeit, in „hohen Zustimmungsquoten“ niederschlägt (Albrecht 2016, 224 f.). In der vorliegenden Untersuchung wird die Sichtweise und die Einstellung des Bürgers aus der Perzeption der Bodycam-tragenden Polizeibeamten abgeleitet.19 Bodycam-erfahrene Beamte (mit Rolle) wurden gebeten die Wirkung und den Nutzen der Bodycam vor dem Hintergrund eigener Praxiserfahrung einzuschätzen. Die Auswertung beruht auf den Angaben von insgesamt 389 Beamten mit rd. 5.800 Trageversuchen im Einzeldienst. Im direkten Bürgerkontakt sehen sie einerseits die Reaktionen 18

Siehe dazu Sutterer & Stangl 2018, 48 f. Als Datengrundlage dienten wiederholte Befragungen der Bodycam-Träger, Dienststellenberichte und Erkenntnisse aus den teilnehmenden Beobachtungen. 19

444

Peter Sutterer

des „unbeteiligten“ Bürgers auf die Kamera, andererseits die des „beteiligten, betroffenen“, möglicherweise alkoholisierten Bürgers in der konflikthaften Situation. Die vorliegenden Ergebnisse decken sich mit den Erkenntnissen aus den Studien von Hallberger et al. (2017) und Raab & Ast (2017). Es scheint so, dass die Bevölkerung den Einsatz der Bodycam eher befürwortet oder ihm neutral, jedenfalls selten ablehnend, gegenübersteht. Aus Sicht des Bodycam-Beamten nimmt der unbeteiligte Bürger die Kamera kaum wahr, wenn doch, dann eher positiv. Diese hindert ihn zudem nicht daran mit einem Polizeibeamten in Kontakt zu treten (Sutterer & Stangl 2018, 55). Es ist denkbar, dass die Einschätzungen der Polizeibeamten hinsichtlich der Gewöhnungseffekte beim Bürger letztlich auf Projektionen des eigenen, mittlerweile vertrauten Empfindens im täglichen Umgang mit der Bodycam beruhen. Gespräche zwischen Bürgern und Bodycam-Beamten haben gezeigt, dass beim Bürger häufig die Annahme besteht, die Kamera zeichne dauerhaft auf. Der Bürger weiß i. d. R. nicht, dass eine Aufzeichnung nur anlassbezogen und nach vorheriger Ankündigung ausgelöst wird. Hier gibt es offensichtlich Informationsdefizite. 3.5 Wirkung der Bodycam 3.5.1 Wahrnehmung/Einschätzung durch die beteiligten Polizeibeamten (Befragung) Hinsichtlich der Wirkung der Bodycam auf betroffene Bürger wurden die Beamten explizit nach ihren spezifischen Erfahrungen bei Einsätzen und deren Rahmenbedingungen (Alkoholeinfluss, Androhung einer Aufzeichnung, eingeschaltete Kamera) befragt. Hierbei zeigt sich eine gewisse Skepsis bzw. Unentschlossenheit in der Beurteilung. Die Bodycam-Träger sind mehrheitlich unentschieden („teils, teils“: 41 %), ob bei angedrohter oder eingeschalteter Kamera einer polizeilichen Ansprache oder Maßnahme mehr Nachdruck verliehen wird. Abgesehen davon, gehen tendenziell mehr Beamte davon aus, dass der „Ansprache/Maßnahme“ durch die Möglichkeit des Androhens oder Einschaltens der Bodycam mehr Nachdruck verliehen wird (35 %), als umgekehrt (24 %). Anders verhält es sich bei der Annahme, dass aggressives Verhalten zurückginge und die Bodycam deeskalierend wirke. Hier gibt es eine noch größere „Unentschiedenheit“ („teils-teils“: 48 %) bei den befragten Beamten mit einer Bodycam-Rolle. Zugleich wird die Möglichkeit einer aggressivitätsmindernden, deeskalierenden Wirkung tendenziell eher verneint (28 %). Insgesamt 24 % stimmen „eher zu“ bzw. „voll zu“. Das bedeutet, bei Ansprachen und polizeilichen Maßnahmen kann die Bodycam tendenziell unterstützend wirken. Zum Versuch mit Hilfe der Kamera bereits laufenden Eskalationsprozessen entgegenzuwirken, ergibt die Untersuchung kein klares Bild. Ob der Einsatz der Bodycam (oder die bloße Ankündigung des Einschaltens) zu vermehrten Diskussionen mit dem betroffenen Bürger führt, wird ebenfalls überwiegend mit „teils-teils“ bewertet und

Bodycams als Einsatzmittel der Polizei

445

bleibt somit vage. Die Ergebnisse der ersten Folgebefragung nach vier Monaten (t2) und der Abschlussbefragung (t4a) unterscheiden sich kaum.20 Eine generelle präventive Wirkung wird von den Bodycam-Beamten eher bejaht. Etwa ein Drittel der Beamten sieht das nicht so eindeutig und stuft die Wirkung „teilsteils“ ein. Gleichzeitig geht nur ein sehr kleiner Teil der Bodycam-Erfahrenen von einer eindeutigen Nichtwirksamkeit aus. Detailliert betrachtet zeigt sich, dass für Gewaltverhalten, im Sinne von Widerstand oder Körperverletzung gegen Polizeibeamte, ein Großteil der Bodycam-Träger (rd. 43 %) bereits nach den ersten Monaten Praxiserfahrung zunehmend unschlüssig ist, ob die Bodycam eine Reduktion des Gewaltverhaltens bewirkt. Teilweise unterstellen sie dem Einsatz der Bodycam diesen Effekt. Etwa ein Viertel der Bodycam-Beamten hat eine derartige Wirkung bei laufender Kamera wahrgenommen. Dagegen zeigt sich mit Blick auf einen potenziellen Rückgang von Beleidigungen gegen Polizeibeamte eine eindeutigere Bewertung. Hier wird eher eine positive Wirkung bei Einsatz der Bodycam konstatiert (siehe Abbildung 3).

50

Präventionseffekte: Wenn die Body-Cam läuft, verringert sich die Gefahr ..

40

42.7

0

24.8

19.1

20 10

30.6

30

30

Prozent

Prozent

40

Präventionseffekte: Wenn die Body-Cam läuft, verringert sich die Gefahr ..

10.2 3.2 trifft voll zu

trifft eher zu

teils-teils

trifft eher nicht trifft gar nicht zu zu

.. körperlich angegangen zu werden (t2; mit BC-Rolle)

30.6 25.5

20 10 0

8.3

5.1 trifft voll zu

trifft eher zu

teils-teils

trifft eher nicht trifft gar nicht zu zu

.. verbal angegangen zu werden (t2; mit BC-Rolle)

Abbildung 3a/b: Perzipierte Wirkung der Bodycam bzgl. Gewalt und Beleidigungen von Beamten nach viermonatigem Bodycam-Einsatz Präventionseffekte: (a) „körperlich angegangen“ (b) Beleidigungen

3.5.2 Rahmenbedingungen Die kameraführenden Beamten weisen auf eine eingeschränkte präventive Wirksamkeit der Bodycam im Zusammenhang mit dem Alkoholisierungsgrad bzw. dem Grad der Intoxikation des polizeilichen Gegenübers hin (siehe Tabelle 3). Je höher der Grad der Alkoholisierung, desto weniger entfaltet sich die präventive Wirkung. Dagegen wäre eine eskalierende Wirkung durch die Kamera denkbar. Solche Eskalationsprozesse werden eher verneint.21 Ebenso verhält es sich bei psychisch auffälligen Personen. Wahrnehmungsbedingt zeigt der Einsatz der Bodycam bei diesen 20

Zu den Ergebnissen siehe Sutterer & Stangl 2018, 56 – 57. Ariel et al. (2016, 750 ff.) kommen in ihrer Studie zu gegenläufigen Ergebnissen. Die Autoren berichten von einer erhöhten Verletzungswahrscheinlichkeit bei kameraführenden Beamten. Offen bleibt, ob eine Eskalation auf die Kamera oder die bereits aufgeheizte PolizeiBürger-Interaktion zurückzuführen ist (Ariel et al. 2016, 752). 21

446

Peter Sutterer

Personengruppen überwiegend keine Verhaltensänderung. In der Versuchsphase trugen die Bodycam-Träger sehr groß dimensionierte, auffällige Hinweisschilder auf dem Rücken und der Brust. Einer derart auffälligen Kennzeichnung wird seitens der Bodycam-Träger mit Skepsis begegnet. Auch eine präventive Wirkung wird einer überdimensionierten Kenntlichmachung des Bodycam-Trägers abgesprochen und eine Kennzeichnung bspw. durch Hinweise an der Kamera für ausreichend erachtet. Dass die Kamera im Einsatzgeschehen potenzielle Solidarisierungshandlungen und Aggressionen von Begleitpersonen oder Umstehenden verhindere, wird nicht eindeutig bejaht. Tabelle 3 Rahmenbedingungen: Beurteilung der Bodycam unter taktischen Gesichtspunkten (Alkoholisierte, Kennzeichnung und Solidarisierungshandlungen) durch Beamte mit Bodycam-Rolle nach 4 Mon. (t2) und nach 12 Mon. (t4a) Alkohol/Intoxikation (Eskalation/Deeskalation) Die Wirkung der Bodycam ist abhängig vom Alkoholisierungsgrad/ der Intoxikation des Betroffenen Die Bodycam wirkt bei Alkoholisierten eskalierend Kennzeichnung des BC-Trägers (Akzeptanz) Die deutliche Kennzeichnung des Bodycam-Trägers ist für die präventive Wirkung der Bodycam erforderlich Solidarisierungshandeln Die Bodycam verhindert Aggressionen/Solidarisierungshandlungen von Begleitpersonen/Umstehenden

Befragung N

Mean STD

t2 t4a t2 t4a

157 165 157 165

1,96 2,04 3,28 3,21

1,07 1,07 0,96 0,95

t2 t4a

157 3,20 164 3,51

1,19 1,17

t2 t4a

nicht erhoben 165 3,10 0,97

Fünfstufige Skala (1 = trifft voll zu … 3 = teils-teils … 5 = trifft gar nicht zu)

3.5.3 Wirkung auf den Bodycam-Träger Befürchtungen und Erwartungen beziehen sich ebenso auf den Träger der Kamera selbst und seinen empfundenen Handlungsspielraum. Das Tragen der Kamera könnte sich positiv durch erhöhtes Sicherheitsgefühl und damit größerer Handlungssicherheit im Einsatz niederschlagen. Eine klare Videodokumentation von Konfliktsituationen kann für ein weiteres Verfahren (repressive Zwecke) dienen – bspw. zur Absicherung gegen falsche Behauptungen oder Anschuldigungen des polizeilichen Gegenübers. Umgekehrt könnten ebenso Befürchtungen zum Ausdruck kommen. Sie könnten beispielsweise darin liegen, dass Beamte im Umgang mit dem polizeilichen Gegenüber gehemmter agieren, dass sie sich selbst kontrollierter fühlen. Die Untersuchung zeigt, dass das Gefühl einer Stärkung der eigenen Sicherheit („sich sicherer vor körperlichen Angriffen als ohne Bodycam zu fühlen“) von knapp der Hälfte der Befragten (t2: 47 %; „trifft voll zu“ und „trifft eher zu“) geteilt wird (Sutterer & Stangl 2018, 60). Hingegen sehen 53 % (t2) der Befragten das nicht so. Deutlich positiv wird die Aussage bewertet, dass der Bodycam-Träger „sich in der

Bodycams als Einsatzmittel der Polizei

447

Durchsetzung von Maßnahmen aufgrund der BC-Dokumentation abgesichert fühlt“. Hier stimmen rd. 71 % der Befragten nach einer rd. achtmonatigen Erprobung zu (t3). Dieses Ergebnis erweist sich auch in der Abschlussbefragung (vierte Befragung, t4a) als konstant (siehe Tabelle 4). Aus der Befragung geht deutlich hervor, dass den Beamten das Mittel der Video-/Audiodokumentation beim Durchsetzen polizeilicher Maßnahmen hilft und dass sie sich im polizeilichen Agieren, gerade in Konfliktsituationen, abgesichert fühlen. Gemeint sind Situationen, in denen der Bodycam-Beamte mit Beschwerden gegen polizeiliches Handeln rechnet oder Fallkonstellationen, in denen von ihm selbst eine Anzeige, etwa wegen Beleidigung oder Widerstandshandlungen, erstattet wird. Die Video-/Audioaufzeichnung kann als Beweismittel in einem eventuellen späteren Verfahren zur Klärung des Sachverhalts herangezogen werden. Die Bodycam-Beamten sind zudem der Ansicht, dass unbegründete Beschwerden durch den Kameraeinsatz zurück gehen. Diese Annahme findet sich auch in den Erfahrungsberichten der Pilotierungsdienststellen. Allerdings lässt sich dies nicht eindeutig anhand von Sonderauswertungen vorliegender Statistiken zu den Beschwerden/Strafverfahren gegen Polizeibeamte belegen (Sutterer & Stangl 2018, 84 ff.). Die Beschwerden/Strafverfahren gehen im Längsschnittvergleich zum entsprechenden Vorjahreszeitraum ohne Bodycam an den Pilotierungsdienststellen zwar etwas zurück. Die lediglich schwache Tendenz in den Beschwerdestatistiken erweist sich jedoch u. a. wegen geringer Fallzahlen als nicht (statistisch) signifikant. Zudem ist für den gleichen Zeitraum für Dienststellen aus dem gleichen Präsidialbereich, die nicht am Pilotprojekt teilgenommen haben,22 ebenfalls ein geringfügiger Rückgang feststellbar. Zum Eindruck bzw. Gefühl durch die Kamera selbst „stärker kontrolliert zu werden“, hält sich Zustimmung und Verneinung bei den Befragten in etwa die Waage (51 % zu 49 %; siehe Tabelle 4). Die Befürchtung einer erweiterten Dienstaufsicht ist zwar nicht dominant, aber durchaus gegeben. Die Berichte der beteiligten Dienststellen zeigen, dass wenige Einzelfälle ausreichen, bei denen anhand von Videoaufzeichnungen das Einsatzverhalten kritisch beleuchtet wurde, um bei vielen Bodycam-Beamten ein Unbehagen und eine geringere Akzeptanz der Bodycam zu evozieren. Grundsätzlich stufen Vorgesetzte (Dienststellenberichte) einen potenziellen Effekt der „Selbstdisziplinierung“ im Einsatzgeschehen als positiv und wünschenswert ein.

22 Zum Vergleich wurden die Beschwerdestatistiken von Dienststellen ohne Bodycam aus dem gleichen Präsidialbereich verwendet.

448

Peter Sutterer Tabelle 4 Perzipierte Auswirkung der Bodycam auf den Bodycam-Träger selbst

„Ich fühle mich … … selbst stärker kontrolliert als ohne Bodycam.“ … in meinem Verhalten gehemmter als ohne Bodycam.“ … abgesichert in der Durchsetzung von Maßnahmen aufgrund der BCDokumentation.“

Befragung (voll) zutreffend* % t2 t3 t4a t2 t3 t4a t2 t3 t4a

(gar) Mean STD nicht zutreffend* %

51,0 49,0 51,0 49,0 48,5 51,5 38,0 62,0 36,0 64,0 41,6 58,4 nicht erhoben 71,0 29,0 71,7 28,3

2,44 2,51 2,56 2,75 2,70 2,60

0,95 0,90 0,86 0,92 0,90 0,86

2,18 2,26

0,83 0,81

* Die (vier- bzw. fünfstufige) Skala wurde dichotomisiert in „trifft voll zu“ und „trifft zu“ vs. „trifft nicht zu“ und „trifft gar nicht zu“. Dargestellt sind die jeweiligen Anteile in Prozent (%). N: t2 = 190, Miss. = 17; t3 = 292, Miss. = 9; t4a = 177, Miss. = 72 (fünfstufige Skala bei t4a. Die mittlere Kategorie, „teils-teils “, wurde als fehlender Wert definiert).

3.5.4 Von den Bodycam-Beamten dokumentierte Wirkung (Dokumentationsbögen) Die Mitnahme und Wirkung der Bodycam wurde bei der Rückkehr auf die am Versuch beteiligten Dienststellen schriftlich dokumentiert. Es wurden Informationen zu allen Einsätzen von den kameraführenden Beamten in einem eigens von der Projektgruppe Bodycam (PP München) entworfenen Formular festgehalten (Dokumentationsbögen). Eingetragen wurde beispielsweise, ob eine Aufzeichnung ausgelöst wurde, was der Einsatzanlass war, ob Alkoholisierung/Intoxikation etc. vorlag und ob „eine Verhaltensänderung durch den Bodycam-Einsatz“ eingetreten ist. Auf Grundlage dieser Dokumentationsbögen wurden die Bodycams von den Beamten an den Erprobungsdienststellen rd. 6.000mal bei rd. 41.000 Einsatzstunden mitgeführt (siehe Tabelle 5).23 Dabei wurde in 16 % der Mitnahmen mindestens eine Aufzeichnung ausgelöst. Gemessen an der Anzahl der Mitnahmen und der Einsatzstunden „mit Bodycam“ wurde diese nicht überzogen eingesetzt, von ihr wurde im Gegenteil eher zurückhaltend Gebrauch gemacht. In 230 Fällen (rd. 26 %) wurden die Aufnahmen in ein Ermittlungsverfahren eingebracht. Im Zusammenhang mit den 888 Aufnahmen/BC-Einsätzen, wurde von den Beamten ein gutes Viertel der Bodycam-Einsätze als deeskalierend, rd. dreiviertel als neutral und lediglich 2 % (18 Fälle) als eskalierend eingestuft (Datenfeld: „Verhaltensänderung durch die Bodycam“). Offensichtlich tritt das Phänomen, dass es zu 23 Die Angaben basieren auf aktualisierten Auswertungen der polizeichen Projektgruppe Body-Cam. Vgl. dazu Sutterer & Stangl 2018, 120 f.

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negativen Effekten, insbesondere zur „Eskalation“ durch die Bodycam kommt, lediglich marginal auf. Dagegen erweist sie sich in einem nennenswerten Umfang in den dokumentierten Einsätzen als wirksam. Beim größten Teil der Fälle hingegen scheint weder eine positive noch negative Wirkung vorzuliegen, wobei die inhaltliche Bedeutung der Kategorie „neutral“ nicht sonderlich trennscharf erscheint. Tabelle 5 Auswertung der Dokumentationsbögen der kameraführenden Beamten Bodycam-Einsatzstunden: Bodycam-Mitnahmen Bodycam-Aufzeichnungen (PAG)

40.947,9 Std. Anzahl % 5.961 100,0 Bodycam im Außendienst mitgeführt. 888 16,0 Aufzeichnungen nach Polizeiaufgabengesetz (% bezogen auf die Mitnahmen)

darunter dokumentierte Wirkung Anzahl % deeskalierend 233 26,2

neutral

637

71,7

eskalierend

18

2,0

Rein präventive Aufzeichnungen

658

74,1

Ermittlungsverfahren

230

25,9

in .. % der Aufnahmen gem. PAG wurde von den Kameraführenden eine deeskalierende Wirkung beim polizeilichen Gegenüber dokumentiert. in .. % wurde die Wirkung mit neutral (weder noch; i.S. von gleichbleibend) beschrieben. in .. % wurde von den Kameraführenden eine (negative i.S. von) eskalierende Wirkung beim polizeilichen Gegenüber festgestellt (i. d. R. nur im verbalen Bereich; d. h. mit eher geringem Ausmaß). In diesen Fällen blieb es bei rein präventiven Aufzeichnungen (Ant. an PAG-Fällen). In diesen Fällen wurden die Aufzeichnungen in ein Ermittlungsverfahren eingebracht (Ant. an PAG-Fällen).

Zeitraum: 01. 12. 2016 – 30. 11. 2017; N = 5.961 Quelle: Dokumentationen der Projektleitung Bodycam beim PP München, 26. 11. 2018

Zusammenfassend zeigt sich, dass sowohl die (wiederholten) Befragungen als auch die Auswertung der Dokumentationsbögen der Bodycam-Dienststellen zu ähnlichen Ergebnissen führen. Aus Sicht des kameraführenden Beamten hat die Bodycam eine deutlich präventive Wirkung. Dagegen wird eine schädliche, eskalierende Wirkung eher als sehr gering eingestuft. Von den kameraführenden Beamten werden Vorteile im Hinblick auf die repressive Wirksamkeit von Bodycam-Aufzeichnungen

450

Peter Sutterer

gesehen. Die Aufzeichnungen werden für ein Ermittlungs- und justizielles Verfahren als repressive Komponente genutzt. 3.5.5 Wirkung der Bodycam: Gewalt gegen Polizeibeamte (GewaPol-Statistik) Die präventive Wirkung, mithin die Reduzierung von Gewalt und Beleidigungen gegen Polizeibeamte, wurde in den vorausgegangenen Analysen aus Sicht der Bodycam-Beamten (wahrgenommene Wirkung) und/oder aus Sicht der Beamten ohne Bodycam (Erwartungen) beleuchtet. Es bleibt die Frage, ob sich eine derart präventive, abschreckende Wirkung der Bodycam in gewalthaltigen Konfliktsituationen zwischen der Polizei und dem Bürger ebenso in objektiven Hellfeldzahlen der Polizeistatistik niederschlägt und ob die Zahlen der GewaPol-Statistik24 durch diese Maßnahme statistisch signifikant zurückgehen. Für die am Versuch beteiligten Dienststellen wurde das Mengengerüst der GewaPol-Zahlen vor und nach Einführung der Bodycam für jeweils einen Zeitraum von neun Monaten verglichen. Das Mengengerüst vor der Einführung der Bodycam ist qualitätsgesichert (Stichwort Ausgangsstatistik). Dies gilt jedoch nicht für die Zahlen nach der Einführung (Stichwort Eingangsstatistik).25 Letztere Daten wurden trotz dieser Einschränkungen, mangels vorliegender langfristiger und qualitätsgesicherter Daten, verwendet.26 Die Auswertungen zu den GewaPol-Daten der am Versuch beteiligten Dienststellen ergeben ein sehr heterogenes Bild (Sutterer & Stangl 2018, 93 ff.). An einigen Dienststellen gehen die Zahlen im Versuchszeitraum zurück, wohingegen diese bei anderen Versuchsdienststellen ansteigen. In Gesamtbayern findet sich ein geringfügiger Rückgang entsprechender Straftaten. Belastbare Aussagen auf der Basis dieser Daten sind derzeit kaum möglich. Die Fallzahlen (insgesamt) bewegen sich bei fast allen beteiligten Dienststellen im zweistelligen Bereich. Nach Straftaten aufgeschlüsselt finden sich erwartbar die höchsten Fallzahlen zu Beleidigung und die niedrigsten Zahlen zu gefährlicher/schwerer Körperverletzung. Letztere ran24

„GewaPol“ steht für „Gewalt gegen Polizeibeamtinnen und Polizeibeamte“. In der Datenbank IGVP (Integrierte Vorgangsverwaltung Polizei, Bayern) werden zu den erfassten Taten, die gegen Polizeibeamte gerichtet sind, zusätzliche Informationen für die einschlägigen Lageberichte erfasst. Der Begriff wird an dieser Stelle um Beleidigungsdelikte erweitert (siehe dazu Einleitung). 25 Die Daten wurden vom Bayerischen Landeskriminalamt zur Verfügung gestellt. „Nicht qualitätsgesichert“ verweist dabei auf den Umstand, dass die Zahlen während des laufenden Projektes den Stellenwert einer Eingangsstatistik haben und noch fortlaufenden Änderungen unterliegen. Üblicherweise gelten Statistikdaten der Polizei (siehe analog dazu die PKS) erst nach Abschluss der Ermittlungen und Abgaben an die Staatsanwaltschaft (Ausgangsstatistik) als qualitätsgesichert. 26 Später können anhand längerfristiger Zeitreihen und Vergleichen zu Nicht-BodycamDienststellen qualitätsgesicherte Vergleiche hergestellt werden. Gleichwohl werden auch dann die ausgeführten statistischen Probleme, z. B. starkes „Rauschen“ wegen geringer Fallzahlen, eine maßgebliche Rolle spielen.

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gieren erfreulicherweise im einstelligen Bereich. Ein statistischer Nachweis dürfte deshalb bereits wegen der geringen Fallzahlen, insbesondere bei Gewaltverhalten an den wenigen Erprobungsdienststellen scheitern. Zudem gilt es zu bedenken, dass an den Projektdienststellen zwar alle Pflichtstreifen die Bodycam mitführen konnten, dies jedoch nicht verpflichtend war. Unklar ist daher auf wen und auf welche Effekte mögliche Veränderungen im Mengengerüst der GewaPol-Zahlen zurückgeführt werden sollen. Ferner lässt sich nicht bestimmen, welchen Einfluss kurzfristige lokale oder strukturelle Veränderungen – etwa das Wegfallen „gefährlicher Orte“ (beispielsweise Verlagerung: Kunstpark Ost in München) – auf die Entwicklung der Zahlen nehmen. Schließlich geht aus den Daten nicht hervor, wie sich die neue Möglichkeit der Dokumentation von Ereignissen mittels Bodycam auf das Anzeigeverhalten von Polizisten auswirkt. Gerade in eher niederschwelligen Deliktbereichen, etwa der Beleidigung, könnte das neue Dokumentationsmittel der Bodycam dazu führen, dass es partiell zu einem Anstieg der Zahlen kommt. Fälle, die früher keine Anzeige nach sich zogen, werden nun angezeigt, da sie bereits (hinreichend) dokumentiert sind. Entsprechende Äußerungen an den beteiligten Dienststellen weisen übrigens auf einen solchen „net-widening-effect“ hin. In den Gesprächen mit Bodycam-Beamten findet sich in Bezug auf erlebte Beleidigungen häufig die Aussage, dass „die Aufnahmen jetzt eh vorliegen“. Das heißt, der nächste Schritt, dies aktenkundig zu machen, liegt für den Bodycam-Beamten nahe: „Jetzt mache ich auch eine Anzeige daraus.“ Mit solchen statistisch evidenten Verlagerungen aus dem Dunkelins Hellfeld ist deshalb vermehrt zu rechnen. Ein Nachweis für intendierte Bodycam-Effekte in Form einer Reduktion von Gewaltverhalten und Beleidigungen gegenüber Polizeibeamten, lässt sich somit anhand der GewaPol-Statistiken nicht fundiert führen. Im Fall von Beleidigungen ist sogar eher mit einer Zunahme im Hellfeld zu rechnen. 3.6 Repressive Wirkung der Bodycam: Justiz Aus den Mitarbeiterbefragungen (vgl. Tabelle 2a) und vor allem den Erfahrungsberichten der Pilotierungsdienststellen zum Bodycam-Einsatz geht hervor, dass der Bodycam eine spezifisch repressive Wirkung unterstellt wird. Die Beamten sehen in dem aufgezeichneten Video-/Audiomaterial eine große Erleichterung für eine beweiskräftigere Strafverfolgung, insbesondere im justiziellen Strafverfahren. Ebenso werden die Vorzüge von Bodycam-Aufzeichnungen in Fällen vorgeschalteter interner Ermittlungen gegen Vollzugsbeamte durch das Bayerische Landeskriminalamt betont. Die Datenlage zu laufenden oder abgeschlossenen Ermittlungs- und justiziellen Verfahren mit Bodycam-Bezug ist mit der Beendigung des Bodycam-Projektes noch sehr gering.27 Eine systematische, wissenschaftliche Untersuchung wird erst 27 Für die beteiligten Staatsanwaltschaften liegen zum Untersuchungszeitpunkt nur wenige Fälle mit Bodycambezug vor (Sutterer & Stangl 2018, 128 ff.).

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zu einem späteren Zeitpunkt, nach Vorliegen ausreichender Zahlen von justiziell abgeschlossenen Verfahren, möglich sein. Dennoch weisen bereits erste Erfahrungsberichte beteiligter Staatsanwaltschaften28 und die Auswertungen der Erfahrungsberichte der beteiligten Bodycam-Dienststellen auf eine zusätzliche repressive Wirksamkeit der Bodycam-Aufnahmen hin. Die Bodycam als neues Einsatzmittel wurde von den Staatsanwaltschaften übereinstimmend und durchgängig positiv bewertet. Sowohl die Staatsanwaltschaft München als auch die Staatsanwaltschaften Augsburg und Rosenheim29 heben die gute Bildqualität (auch bei Nacht), die gute Tonqualität und die damit verbundene große Beweiskraft hervor. Durch die Videodokumentation wird vor allem auch die Entwicklung der Einsatzsituation und der tatsächliche Handlungsablauf wiedergegeben. Zudem wird die körperliche und psychische Verfassung des/der Beschuldigten zum Tatzeitpunkt dokumentiert. Die Staatsanwälte bezeichnen die vorliegenden Bild- und Tonaufzeichnungen insbesondere für die Sachverhaltsbewertung als sehr hilfreich, da sie die „nüchternen schriftlichen Sachverhaltsschilderungen beleben“, die subjektiven Wahrnehmungen objektivieren und somit eine realistischere Beurteilung der Situation ermöglichen. Als Nebeneffekt einer intendierten „deeskalierenden Wirkung“ der Bodycam wird von einer Staatsanwaltschaft auf einen potenziell „reinigenden Effekt“ für das polizeiliche Handeln, also einer vermehrten Selbstdisziplinierung der Beamten, verwiesen. Insgesamt werden die Bodycam-Aufzeichnungen als gutes Beweismittel angesehen und allein die Tatsache, dass Aufzeichnungen vorlagen, machte in vielen Fällen das Abspielen in der Hauptverhandlung entbehrlich (z. B. der Beschuldigte geständig war).30 Übereinstimmend argumentieren alle betroffenen Staatsanwaltschaften, dass kein genereller Anspruch auf die Bodycam als Beweismittel generiert werden kann.31 Ist eine Aufzeichnung vorhanden, so kann diese, wie jedes andere Beweismittel auch, ins Verfahren aufgenommen werden. Zusammenfassend waren die Äußerungen zu Bodycam-Aufzeichnungen im Ermittlungs- und Strafverfahren von Seiten der Staatsanwaltschaften durchweg positiv 28

München I, Augsburg und Traunstein. Zuständigkeitsbereich der Staatsanwaltschaft Traunstein (zuständig für Beamtendelikte und Widerstandshandlungen) und der Zweigstelle Rosenheim. Zum Untersuchungszeitpunkt war bislang erst ein Fall zu verzeichnen, bei dem die Bodycam-Aufzeichnungen als Beweismittel (im Strafverfahren) in einer Hauptverhandlung vorgeführt wurden. In weiteren Fällen kam es aus unterschiedlichen Gründen nicht zur Verhandlung. 30 Laut Aussage der beteiligten Staatsanwaltschaften kann das Vorhandensein und Abspielen einer Bodycam-Aufzeichnung die Geständnisbereitschaft fördern und eventuell auch Reue beim Beschuldigten hervorrufen. Dies kann nach Ansicht der Staatsanwaltschaft möglicherweise zu einer milderen Strafe führen. Ein empirischer Nachweis kann auf der vorliegenden Datenbasis nicht aufgeführt werden. 31 Entsprechende Befürchtungen wurden von Bodycam-Beamten geäußert. Vgl. dazu auch Kersting et al. (2019, 73). 29

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konnotiert und wurden einstimmig begrüßt. Hervorgehoben wurde insbesondere die hohe Beweiskraft der Aufzeichnungen, welche vor allem bei differierenden Aussagen zwischen Polizeibeamten, beschuldigten Personen und Zeugen Sicherheit und Objektivität gewährleisten. Die Bodycam-Aufzeichnungen erleichtern die Einschätzung der konkreten Situation und Stimmungslage vor Ort, verkürzen im Einzelfall die Beweisaufnahme und unterstützen die Gerichte bei der Beurteilung der Strafzumessung. Weiterführende systematische Studien zum Ermittlungs- und justiziellen Verfahren, die über diese wenigen auf die Pilotdienststellen bezogenen Expertenmeinungen hinausgehen, wären allerdings erforderlich, um belastbare Ergebnisse zu begründen.

4. Zusammenfassung und Ausblick Der Pilotversuch zeigt eine hohe Akzeptanz der Bodycam bei den beteiligten Polizeibeamten. Die Erwartungen an ihre präventive und repressive Wirksamkeit sind eingangs hoch. Gleichzeitig werden Befürchtungen, etwa einer erweiterten Dienstaufsicht – die im Vorfeld der Einführung partiell vorhanden waren – eher verneint. Beide, zu hohe Erwartungen – ausgenommen die Erwartungen zur repressiven Wirksamkeit – und zu große Befürchtungen, gehen mit zunehmender Praxiserfahrung mit der Bodycam zurück. Es findet eine Realitätsanpassung bzgl. der Möglichkeiten und Gefahren dieses Einsatzmittels statt. Unbeteiligte Bürger akzeptieren aus Sicht der Beamten die Bodycam. Die befragten Beamten sehen in der Bodycam kein Hindernis für einen unbefangenen Kontakt zum Bürger.32 Die beteiligten Dienststellen berichten zudem, dass durch die Bodycam die Bürgerbeschwerden zurückgehen. Auf der Basis vorliegender interner Beschwerdestatistiken sind zwar marginale Tendenzen in diese Richtung erkennbar, aber, u. a. wegen geringer Fallzahlen und mangels adäquater Vergleichsgruppen, nicht (statistisch) signifikant belegbar. Die Beamten fühlen sich durch die Kamera selbst stärker geschützt und verbinden mit ihr keine allzu großen Befürchtungen – etwa hinsichtlich einer erweiterten Dienstaufsicht. Für die Beamten überwiegen ihre Vorteile. Eine präventive Wirkung im Hinblick auf Gewalt gegen Vollzugsbeamte wird von den erfahrenen Bodycam-Beamten zwar bejaht, allerdings nicht mehrheitlich. Die Mehrheit ist in diesem Bereich unentschieden. Eindeutig verneint wird hingegen, dass die Bodycam Eskalationen evoziere. Die Wirksamkeit der Bodycam hängt von den Rahmenbedingen der jeweiligen Einsatzsituation ab. So schwindet die präventiv ausgerichtete Wirkung der Bodycam erwartungsgemäß mit dem Alkoholisierungsgrad oder dem Grad der Intoxikation des Betroffenen. Im Kontext polizeilicher Einsätze findet gewalttätiges Handeln vom Bürger häufig unter Alkohol- oder Dro32 Die Sichtweise des beteiligten/unbeteiligten Bürgers gegenüber der Bodycam wurde nicht erhoben. Positive oder neutrale Einschätzungen zur Bodycam durch den Bürger finden sich etwa bei Hallenberger et al. (2017, 28 – 38).

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geneinfluss, aber ebenso unter hoher affektiver, emotionaler Beteiligung statt.33 Unter diesen Rahmenbedingungen dürfte die Bodycam, die als präventiv konzipiertes Einsatzmittel eher an rationales Handeln im Sinne einer Kosten-Nutzen-Abwägung des Gegenübers appelliert, an ihre präventiven Grenzen stoßen. Auf der Grundlage von Statistiken zur Gewalt gegen Polizeibeamte lässt sich ein Rückgang von Gewalt und Beleidigungen gegen Polizeibeamte nicht belastbar nachweisen. Das bei dieser Studie vorliegende Material zeigt eher indifferente Entwicklungen. Während etwa bei einer Bodycam-Dienststelle im zeitlichen Verlauf (vor und während der Pilotierung) ein tendenzieller Rückgang zu verzeichnen ist, zeigt sich bei einer anderen Dienststelle ein Anstieg. Es gibt keinen signifikanten einheitlichen Verlauf an allen sieben Versuchsdienststellen. Ebenso verhält es sich bei vergleichbaren Dienststellen ohne Bodycam-Bezug. Gründe dafür dürften das typische „statistische Rauschen“ bei geringen Fallzahlen, (zu) kurze Vergleichszeiträume, lokale strukturelle Änderungen (z. B. die Verlagerung von frequentierten Ausgehorten am Wochenende), spezifische Handhabungen an einzelnen Dienststellen (Anzeigeverhalten von Polizeibeamten) u.v.m. sein. Auffallend war an manchen Bodycam-Dienststellen eine Zunahme an angezeigten Beleidigungen. Da nunmehr beweiskräftige Video-/Audioaufzeichnungen vorlagen, wurden diese vermehrt angezeigt. Es kam dabei zu einer Verlagerung aus dem Dunkel- ins Hellfeld, in gewisser Hinsicht zu einem „net-widening-effect“ durch die Bodycam und zu einer Verlagerung hin zu repressiven Möglichkeiten. Die repressiven Möglichkeiten werden in den Befragungen von den kameraführenden Beamten und den Pilotdienststellen regelmäßig betont. Es gibt vor allem zwei Faktoren, die diese Sicht tragen. Zum einen fühlen sich die Beamten allein durch die antizipierte Möglichkeit oder bereits tatsächlich gefertigter Aufzeichnungen potenziell im polizeilichen Handeln geschützt. Ein strittiger Sachverhalt lässt sich durch die Aufzeichnungen generell leichter klären. Zum anderen besteht die Erwartung, dass Bodycam-Aufzeichnungen zu beweiskräftigeren Ermittlungs- und Strafverfahren bei angezeigten Straftaten führen. Tatsächlich wurden von den knapp 900 Bodycam-Aufzeichnungen während der Versuchsphase gut ein Viertel in ein Ermittlungsverfahren eingebracht. Partiell führt dies zu einer Ausweitung der Anzeigebereitschaft von Vollzugsbeamten bei eher niederschwellig gelagerten Delikten. Die repressive Wirksamkeit wird von Seiten der Justiz bestätigt. Die beteiligten Staatsanwaltschaften betonen, dass durch die Bodycam-Dokumentation u. a. die Entwicklung des Geschehens und der physische und psychische Zustand des Beschuldigten zum Tatzeitpunkt besser beurteilt werden könne. Hervorgehoben wird die hohe Beweiskraft der Aufzeichnungen etwa bei sich widersprechenden Aussagen von Beschuldigten und Polizeibeamten. Nach Ansicht der Justiz verkürzen die Bodycam-Aufzeichnungen in Einzelfällen die Beweisaufnahme und führen häufiger zu einem Geständnis. Allerdings beruhen die Einschätzungen der Justiz bislang nur auf wenigen Fällen von Strafverfahren mit Bodycam-Bezug. 33

Zu Alkohol und Gewalt siehe Özsöz 2014.

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Ob und inwieweit es tatsächlich zu Verkürzungen im Ermittlungs- und justiziellen Verfahren kommt, inwiefern sich Video-/Aufzeichnungen auf die Beweislage, die Geständnisbereitschaft und vor allem auf das Strafmaß auswirken, bedarf einer weitergehenden Untersuchung, um wissenschaftlich belastbare Ergebnisse zu begründen. In solchen Studien sollten zudem die Reaktionen von Beschuldigten sowie deren Rechtsstellung im Strafverfahren unter den zunehmenden Bedingungen vorgehaltener Audio-/Videobeweise, die eine „neue Sprache“ sprechen, in den Blick genommen werden. Ebenso wären zur präventiven Wirksamkeit der Bodycam im Hinblick auf Gewalt gegen Polizeibeamte Untersuchungen anhand längerer Zeitreihen wünschenswert. Denn trotz tendenziell positiver Ergebnisse zum Bodycam-Einsatz, wäre zu untersuchen, ob die Belastungszahlen zur Gewalt gegen Polizeibeamte auch tatsächlich und signifikant feststellbar zurückgehen. Offen bleibt vorläufig, ob mit der Bodycam ein Konzept verfolgt werden kann, das sich in nachhaltig angelegte Prävention einbetten lässt oder sich eher mit kurzfristigen Maßnahmen der unmittelbaren Abschreckung und Neutralisierung von Risiken begnügt. Insoweit rückt der Bodycam-Einsatz in den Bereich „präemptiver“ Kriminalpolitik (vgl. Albrecht 2016). Literaturverzeichnis Albrecht, H.-J. (2016): Wandel der Sicherheit – Von präventiver zu präemptiver Sicherheit? Entwicklungen der Sicherheitspolitik in Systemen des öffentlichen Personentransports, in: S. Fischer & C. Masala (Hrsg.), Innere Sicherheit nach 9/11. Sicherheitsbedrohungen und (immer) neue Sicherheitsmaßnahmen? Wiesbaden, S. 209 – 229. Ariel, B. et al. (2016): Wearing body cameras increases assaults against officers and does not reduce police use of force: Results from a global multi-site experiment. European Journal of Criminology, pp. 744 – 755. Arnd, H. (2016): Einsatz von Körperkameras bei der Polizei. Kriminalistik 2, S. 104 – 108. Arnd, H. (2017): Landesweiter Einsatz der Bodycam soll Gewalt gegen Polizei reduzieren. Deutsche Polizei 3, S. 24 – 29. Arnd, H. & Staffa V. (2016): Einsatz von Bodycams bei der Polizei Rheinland-Pfalz. Erste Ergebnisse einer begleitenden Untersuchung zur Akzeptanz und Wirkung von Bodycams im polizeilichen Einzeldienst. Die Polizei 7, S. 190 – 196. Baier, D. & Manzoni, P. (2018a): Evaluation des Pilotprojekts zum Einsatz von „Bodycams“ bei der Stadtpolizei Zürich und der Transportpolizei; https://www.zhaw.ch/storage/shared/soziale arbeit/News/schlussbericht-bodycam-ZHAW-S.pdf [10. 05. 2020]. Baier, D. & Manzoni, P. (2018b): Reduzieren Bodycams Gewalt gegen Polizistinnen und Polizisten? Kriminalistik 11, S. 685 – 691. Baier, D. & Manzoni, P. (2019): Die Einstellungen von Polizistinnen und Polizisten zu Bodycams. Veränderungen im Zeitraum eines Pilotprojekts. SIAK-Journal – Zeitschrift für Polizeiwissenschaft und polizeiliche Praxis 1, S. 23 – 38.

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Sutterer, P. & Stangl, S. (2018, unveröffentlicht): Forschungsbericht zum Pilotprojekt „Bodycam der Bayerischen Polizei“. Hochschule für den öffentlichen Dienst in Bayern – Fachbereich Polizei. Fürstenfeldbruck. Zander, J. (2016): Bodycams im Polizeieinsatz. Grundlagen und eine Meta-Evaluation zur Wirksamkeit. Frankfurt.

Welche Faktoren beeinflussen häusliche Gewalt und ihre teilweise Akzeptanz? Ein Literaturüberblick und eine Analyse anhand des World Values Survey Von Horst Entorf † und Gabriele Lichmann

1. Einleitung Häusliche Gewalt ist nicht nur ein Problem in Schwellen- oder Entwicklungsländern. Deutschland ist zwar eines der fortschrittlichsten Länder der Welt und belegte 2018 im UN-Index der menschlichen Entwicklung den 4. Platz (gemeinsam mit Hongkong); wer aber denkt, in einem Land wie Deutschland sei die Toleranz für häusliche Gewalt minimal und die daraus folgenden Probleme nicht existent, der irrt sich. Auch in der Bundesrepublik sind häusliche Gewalt und ihre Folgen omnipräsent. Basierend auf den Daten des World Values Survey des Jahres 2013, der dieser Untersuchung zugrunde liegt, zeigt sich, dass 26 % der befragten Personen das Schlagen der eigenen Frau nicht grundsätzlich als völlig ungerechtfertigt ansieht, bei den Kindern sind es 36 %. In der Stichprobe der Männer sind es sogar 33 % bzw. 40 %, die Schlagen unter Umständen „in Ordnung“ finden. Diese Prozentzahlen belegen, dass ein beträchtlicher Anteil der Haushalte in Deutschland gefährdet ist. Laut Bundeskriminalamt sind im Jahr 2018 136 Kinder gewaltsam zu Tode gekommen. Bei den Zahlen zu Misshandlungen ist ein leichter Rückgang von 4.247 im Jahr 2017 auf 4.180 betroffene Kinder zu verzeichnen (Bundeskriminalamt & Deutsche Kinderhilfe 2019). Die dem BKA bekannten Fallzahlen für partnerschaftliche Gewalt lagen 2012 bei 120.758 und sind seither kontinuierlich bis auf 140.755 im Jahr 2018 (+16,6 %) angestiegen (Bundeskriminalamt 2019). Hierbei handelt es sich um die Hellfeldziffer, da die Zahlen nur über die zur Anzeige gebrachten Fälle abgeleitet sind. Da Straftaten innerhalb der Familie als Privatsache behandelt werden, kommen sie kaum zur Anzeige (Schneider 1994, 16). Somit ist unklar, ob die Steigerung von 2012 bis 2018 tatsächlich auf der Zunahme von häuslichen Gewalttaten oder eher auf einer Erhöhung von gemeldeten Fällen durch die Sensibilisierung der Bevölkerung zurückzuführen ist. Um die Realität einigermaßen wahrheitsgetreu abzubilden, benötigt man die Dunkelfeldforschung und Viktimisierungsstudien (Albrecht 2014). Der Feldzugang und die Datenerhebung erweisen sich jedoch als schwierig, da innerfamiliäre Gewalt ein gesellschaftliches Tabuthema darstellt

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(Dlugosch 2010, 46, 52). Die repräsentative und umfangreiche Untersuchung des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (2005) ist eine der wenigen in Deutschland durchgeführten Dunkelfeldforschungen zu häuslicher Gewalt. Sie gelangt zu dem Ergebnis, dass 2005 in Deutschland 25 % der Frauen im Alter zwischen 16 und 85 Opfer von Gewalthandlungen durch ihre Beziehungspartner waren. In Europa beträgt die Spanne der Gewalthandlungen gegen Frauen in Paarbeziehungen zwischen 10 % und 32 % (Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend 2005, 33). Damit liegen die Werte der deutschen Studie im europäischen Vergleich im mittleren bis oberen Bereich. Solche Vergleiche zu anderen europäischen Ländern sind nur begrenzt möglich, da die Erhebung, Methoden und Definitionen von Gewalt sich stark unterscheiden (Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend 2005, 33 – 34). Dennoch kann es zu einer groben Orientierung innerhalb der EU dienen. Durch häusliche Gewalt werden nicht nur die Opfer und deren Umfeld in Mitleidenschaft gezogen, sondern letztlich die gesamte Gesellschaft. Gemäß einer Studie von Sacco (2017) betragen die durch häusliche Gewalt verursachten direkten und indirekten volkswirtschaftlichen Kosten in Deutschland pro Jahr 3,8 Milliarden Euro, das sind 74 Euro pro erwerbsfähigem Einwohner. Vor allem die Kosten im Gesundheitssektor steigen durch häusliche Gewalt stark an, denn missbrauchte Frauen haben mehr als doppelt so viele Arztbesuche, eine achtmal höhere Nutzung der psychischen ärztlichen Betreuung und eine höhere Krankenhausaufenthaltsrate im Vergleich zu nicht missbrauchten Frauen (Alhabib, Nur & Jones 2010, 369). Weitere Belastungen entstehen durch so genannte intangible Kosten, wie etwa Traumata und Verlust an Lebensqualität, die in dem berechneten Betrag von Sacco (2017) unberücksichtigt bleiben. Gewalt und Gewaltprävention sind zentrale Themen aller Gesellschaften. Entsprechend existieren bereits zahlreiche Studien, die sich mit den Faktoren erlebter häuslicher Gewalt auseinandersetzen. Diese Arbeit unterscheidet sich von der bisherigen Literatur dadurch, dass sie sich nicht mit der erlebten, sondern mit der Gefährdung von Familien und Haushalten durch potenzielle häusliche Gewalt beschäftigt. Und zwar wird der Nährboden möglicher häuslicher Gewalt mittels der Befragungsstudie des World Values Survey untersucht, in dem die Teilnehmer zu ihren Einstellungen bezüglich der Rechtfertigung und Tolerierung von Schlägen gegenüber Frauen und Kindern interviewt wurden. Zwar können nicht nur Frauen und Kinder Opfer häuslicher Gewalt werden, sondern auch Männer, aber hierzu gibt es weit weniger Untersuchungen und die Zahl der Fälle ist im Verhältnis gering (Dlugosch 2010). Empirische Ergebnisse einer Erhebung von Hohendorf (2018) deuten allerdings darauf hin, dass junge Frauen in Beziehungen nicht nur Opfer, sondern auch Täter sind, und dass das Ausmaß von Opfer- und Täterschaft bei Männern und Frauen nahezu ausgeglichen sei. Leider können wir in unserer Studie dieses Thema nicht weiter verfolgen, da im World Values Survey nur die Einstellung zur Gewalt gegen Frauen und Kinder abgefragt wird, aber nicht gegenüber Männern.

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In unserer Studie gehen wir der Frage nach, ob gängige Theorien und Hypothesen zu den Hintergründen erlebter häuslicher Gewalt auch für die Einstellung von Männern und Frauen bezüglich der Rechtfertigung von Gewalt Bestand haben. Dabei unterscheiden wir die Erklärungsansätze in sozioökonomische, demographische, kulturelle und aus individuellen Grundüberzeugungen und Wertevorstellungen abgeleitete Einflussbereiche. Unter anderem wird hinterfragt, ob persönliche Einstellungen zur Gleichberechtigung von Mann und Frau oder zur Religion einen Einfluss haben. Ferner untersuchen wir die Rolle von Faktoren des persönlichen und familiären Stresses, sei es aus Gründen von Arbeitslosigkeit, Finanznot oder Kinderzahl. Unsere Ergebnisse bestätigen empirische Ergebnisse aus der Literatur zur erlebten häuslichen Gewalt, teilweise ergeben sich jedoch auch abweichende Resultate. Unter anderem finden wir, dass ein Werteverständnis, dass die Wichtigkeit von Frauenrechten in einer Demokratie als sekundär erachtet, mit einer deutlich stärkeren Rechtfertigung von Gewalt einhergeht (sowohl gegenüber Frauen als auch Kindern). Teilweise im Widerspruch zur Literatur steht hingegen das Ergebnis, dass Arbeitslose signifikant weniger tolerant gegenüber innerfamiliärer Gewalt sind als nichtarbeitslose Personen.1 Die Arbeit ist wie folgt gegliedert: Im nachfolgenden Kapitel 2 geben wir einen Überblick der bisherigen Literatur und eine Zusammenfassung der gängigen Hypothesen. In Kapitel 3 werden die Daten und die deskriptiven Statistiken vorgestellt. Anschließend werden in Kapitel 4 die empirischen Ergebnisse einer multivariaten Analyse präsentiert und diskutiert. Kapitel 5 fasst die Ergebnisse zusammen und liefert gesellschaftsökonomische und kriminalpolitische Schlussfolgerungen.

2. Bisherige Forschung 2.1 Gesellschaftliche und volkswirtschaftliche Kosten durch häusliche Gewalt Laut der Studie der World Health Organization (2002) stellt Gewalt gegen Frauen und Kinder ein globales Gesundheitsrisiko dar. Gewalt beeinflusst die Arbeitsfähigkeit, das Wohlbefinden und die Lebenserwartung der betroffenen Frauen und Kinder. Studien von Aziz et al. (2018), Brzank (2009) und Dlugosch (2010) zeigen, dass häusliche Gewalt bei Frauen und Kindern zu einer Vielzahl von körperlichen und psychischen Problemen und in den schlimmsten Fällen bis hin zu einer Steigerung der Suizidgefahr (Devries et al. 2011) führen kann. Zusätzlich erstreckt sich die Wirkung von Gewalt auf Familie, Freunde und Gesellschaft, da diese unmittelbar und mittelbar in Mitleidenschaft geraten (Aziz et al. 2018). Beispielsweise sind bei Kindern, die Gewalt gegen ihre Mutter miterleben, negative Folgen in Form verschiedener psychi1 „Nichtarbeitslose“ umfassen generell alle übrigen Gruppen, also Vollzeitbeschäftigte, Teilzeitbeschäftigte, Ruheständler, nicht am Arbeitsmarkt Aktive, sich in Ausbildung befindende Personen, Selbständige und „Sonstige“.

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scher Verhaltensauffälligkeiten und Störungen festzustellen (Kitzmann 2012; Fantuzzo et al. 1991), welche sich unter anderem auf ihre Schulleistungen auswirken können (Kolbo et al. 1996). Weiterhin können die Kinder, die häusliche Gewalt miterleben, aggressives Verhalten gegenüber anderen Kindern zeigen (Brandon & Lewis 1996; Graham-Bermann & Brescoll 2000). All diese Folgen ähneln zum Teil den beobachteten Störungen bei Kindern, die selbst misshandelt werden (Brzank 2009). Zu diesem Ergebnis gelangen auch Brandon & Lewis (1996). Zusätzliche gesellschaftliche Verluste zeigen sich im Erwerbsleben aufgrund von Arbeitslosigkeit und Arbeitsunfähigkeit von Betroffenen (Brzank 2009). Häusliche Gewalt hat erhebliche negative Auswirkungen auf die Arbeitsplatzstabilität und damit auf das wirtschaftliche Wohlergehen der Frau (Adams et al. 2012; Tolman et al. 2015; Renzetti 2009). Diese Effekte halten bis zu drei Jahren nach Ende des Erlebens häuslicher Gewalt an und können zum Verlust von Sozialleistungen und zu Arbeitslosigkeit oder fehlender Beschäftigungsstabilität führen (Adams et al. 2012). Adams et al. (2012) stellten fest, dass die Jahresarbeitszeit einer Frau, die häusliche Gewalt erleidet, im Durchschnitt 137 Stunden geringer ist als bei einer Frau, die keine Gewalt erlebt. Ein Grund dafür ist, dass viele gewaltanwendende Männer bewusst eine Reihe von Kontrolltaktiken anwenden, die direkt und indirekt die Bemühungen der Frauen um die Suche nach und den Erhalt von Arbeitsplätzen beeinträchtigen (Adams et al. 2012; Brzank 2009; Renzetti 2009). Solche Taktiken werden als „wirtschaftlicher Missbrauch“ bezeichnet und beinhalten die Beschädigung oder Zerstörung von Gegenständen, die mit ihrer Arbeit oder ihrer Berufsausbildung verbunden sind, sowie Prellungen, Schrammen oder andere sichtbare Verletzungen, die verhindern den Arbeitsplatz aufzusuchen (Renzetti 2009). Ohne stabile Beschäftigung oder finanzielle Unterstützung sind geschlagene Frauen gezwungen, sich zwischen dem Verbleiben bei gewalttätigen Partnern oder extremen wirtschaftlichen Schwierigkeiten zu entscheiden (Tolman et al. 2015, 11 – 13). Die Ergebnisse von Tolman et al. (2015, 11) deuten darauf hin, dass häusliche Gewalt insbesondere für aktuelle oder ehemalige Sozialhilfeempfänger ein schwerwiegender und anhaltender Faktor des geringeren wirtschaftlichen Wohlbefindens von Frauen ist. Zusammenfassend lässt sich also festhalten, dass häusliche Gewalt hohe gesellschaftliche Kosten verursacht und die Wirtschaftskraft eines Landes durch vermehrte Kosten im Gesundheitssektor und im Bereich der Strafverfolgung (Bundeskriminalamt 2019) sowie infolge des Verlusts von Arbeitskräften (Brzank 2009) belastet. Ebenso haben die Kosten, wie die durch häusliche Gewalt verursachte Arbeitsunfähigkeit, einen „Dominoeffekt“ auf andere Bereiche der Gesellschaft (Laing & Bobic 2002). Bisher liegt zu dem Thema der volkswirtschaftlichen Kosten durch häusliche Gewalt in Deutschland eine Studie von Sacco (2017) vor. In der Studie wurden alle direkten und indirekten Kosten zusammengestellt. Dabei wurden nicht nur die Kosten der Polizeiarbeit, im Gesundheitswesen und für Unterstützungsangebote berücksichtigt, sondern genauso die indirekten Kosten, beispielsweise durch Ausfall der Erwerbsarbeit. Dabei kommt Sacco (2017) auf Gesamtkosten von mindestens 3,8 Mil-

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liarden Euro pro Jahr. Diese Kosten würden sich weiter erhöhen, wenn man immaterielle Kosten wie etwa den Verlust an langfristiger Lebensqualität einbeziehen würde. Sacco (2017) errechnet hierfür den hohen Betrag von 18 Mrd. Euro als so genannte Lebenszeitkosten, den die Autorin jedoch nicht auf Jahresbasis umrechnet und der so im Ergebnis von jährlich 3,8 Mrd. Euro unberücksichtigt ist. Um die hohe durch häusliche Gewalt entstehende gesellschaftliche Belastung zu senken, müssen die Ursachen erkannt und effektive Maßnahmen erarbeitet werden. In den folgenden Unterkapiteln werden wir daher versuchen, die wesentlichen individuellen Beweggründe für eine eher permissive oder ablehnende Einstellung zur häuslichen Gewalt herauszuarbeiten. Da den Verfassern dieses Artikels keine bisherige einschlägige Studie zur Untersuchung der Einstellung zur häuslichen Gewalt bekannt ist, wird die Diskussion der Hintergrundfaktoren naheliegenderweise aus der Literatur der erlebten häuslichen Gewalt abgeleitet. 2.2 Stressbelastungen aus beruflichen, finanziellen und familiären Gründen Studien belegen, dass häusliche Gewalt zwar nicht durch Armut, Arbeitslosigkeit und Wirtschaftskrisen verursacht wird, diese Faktoren jedoch das Risiko häuslicher Gewalt erhöhen (Monahan 2020; Abiona & Koppensteiner 2016; Dlugosch 2010; Albert 2008). Weitere Untersuchungen stellten heraus, dass hierbei Stressbelastung die zentrale intervenierende Variable darstellt (Ziegler 1990). Denn die Arbeitslosigkeit verursacht nicht nur finanzielle, sondern auch soziale und psychische Probleme (Ziegler 1990). Somit besagt die Hypothese der Stressbelastung, dass diese Gewalt ausgelöst werden kann (Kaselitz & Lercher 2002; Dlugosch 2010, 36 – 37). Derartiger psychischer Druck kann jedoch auch durch niedrige Einkommen, einen niedrigen Bildungsstand oder berufliche und familiäre Probleme ausgelöst werden (Dlugosch 2010). Viele Studien sprechen auch dafür, dass bei einer großen Anzahl von Kindern das Risiko der häuslichen Gewalt zunimmt (Bender & Lösel 2005, 320). Je stärker die Familie belastet ist, desto höher ist das Risiko von häuslicher Gewalt (Brandon & Lewis 1996; Egger & Schär Moser 2008). Zu den belastenden Faktoren gehört auch die finanzielle Situation des Haushaltes (Benson et al. 2003; Benson & Fox 2005). Studien haben belegt, dass mit einer Verbesserung der finanziellen Situation die innerfamiliäre Gewalt zurückgegangen ist (Renzetti 2009, 2). Hinsichtlich des Effektes von Arbeitslosigkeit auf häusliche Gewalt kommen Anderberg et al. (2016) sowohl theoretisch als auch empirisch zu einem anderen Ergebnis als allgemein erwartet wird. In einem spieltheoretischen Ansatz weisen sie nach, dass ein Mann, der arbeitslos ist, seiner Frau oder Lebensgefährtin nicht seine gewalttätige Seite offenbart, da sie dadurch einen höheren Anreiz hätte, ihn zu verlassen. Dieser Anreiz begründet sich dadurch, dass die finanzielle Abhängigkeit geringer ist, als wenn der Partner beschäftigt wäre. Ihre empirischen Ergebnisse deuten insbesondere darauf hin, dass ein Anstieg der männlichen Arbeitslosenquote um einen

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Prozentpunkt zu einem Rückgang der Inzidenz von körperlichem Missbrauch an Frauen um rund 3 Prozent führt, während ein entsprechender Anstieg der weiblichen Arbeitslosenquote den gegenteiligen Effekt hat. Beides bestätigt die These, dass mit steigender (sinkender) finanzieller Unabhängigkeit das Risiko von Frauen sinkt (steigt), Opfer häuslicher Gewalt zu werden (Aizer 2010). Die Studie von Aizer (2010) zeigt weiterhin, dass sowohl das relative, als auch das potenzielle Einkommen der Frauen einen sinkenden Einfluss auf das Risiko von häuslicher Gewalt hat. Dies bedeutet, dass eine Verbesserung der Arbeitsmarktbedingungen für Frauen die Gewalt auch in Haushalten verringert, in denen Frauen nicht arbeiten (Pollak 2005). Die Erhöhung der Unabhängigkeit der Frau kann zu einer Statusinkonsistenz führen (Kaselitz & Lercher 2002; Godenzi 1996, 112), die wiederum Paarbeziehungen zu problematisieren vermag. Die Hierarchie im Haus kommt für den Mann umso stärker ins Wanken, je wirtschaftlich unabhängiger die Partnerin ist. Diese Unterlegenheit eines Mannes in Bezug auf Einkommen und berufliche Position wird als gewaltfördernd angesehen (Kaselitz & Lercher 2002), speziell wenn er eine bisher übergeordnete Position durch die Veränderungen als bedroht erachtet. Somit wird Gewalt zum Zweck der Aufrechterhaltung der Struktur innerhalb der Familie genutzt (Kaselitz & Lercher 2002). Ferner sind gemäß Aizer (2010) Frauen durch eine Verringerung des Abstands zum Einkommen des Mannes eher dazu geneigt, die Beziehung zu beenden, was wiederum im Einklang mit den Ergebnissen von Anderberg et al. (2016) steht. 2.3 Soziodemographische Hintergründe Eine häufig genannte These lautet, dass unzureichende Bildung häusliche Gewalt begünstigt. Ein Grund hierfür wäre, dass Bildung mit dem Erziehungsstil zusammenhängt. Dies ließe darauf schließen, dass in gebildeteren Bevölkerungsgruppen gewalttätige Formen der Konfliktlösung häufiger abgelehnt würden. Tatsächlich besagt die bisherige Literatur, dass der Zusammenhang von häuslicher Gewalt und Bildung nicht so klar ist wie gemeinhin angenommen. So legen Ergebnisse bei Bussmann (2005) zwar nahe, dass Eltern, die ihre Kinder schlagen, einen durchschnittlich niedrigeren Bildungsgrad aufweisen als die Eltern, die gewaltfrei erziehen, dennoch können laut dieser Studie die schweren Gewalthandlungen nicht nur den Eltern aus den unteren Bildungsschichten zugeordnet werden. Zu einem ähnlichen Ergebnis kommt eine Studie im Auftrag des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (Schröttle 2008). Eine der Studie zugrundeliegende Befragung von Frauen in Bezug auf die Schul- und Ausbildungsabschlüsse der aktuellen Partner hat ergeben, dass Partner, die keinen qualifizierten Schul- und/oder Ausbildungsabschluss haben, in höherem Maße (schwere) körperliche und/oder sexuelle Gewalt gegen die Partnerin ausüben (Schröttle 2008, 30). Die gleiche Quelle kommt jedoch auch zu dem Ergebnis, dass Männer mit höheren Bildungsressourcen nicht generell weniger gewalttätig gegenüber der Partnerin sind als Männer mit mittleren oder geringen Bildungs- und Ausbildungsressourcen. Bei den Frauen deutet die Studie nicht

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darauf hin, dass Frauen aus unteren Bildungssegmenten generell höher belastet sind als Frauen aus höheren Bildungsschichten (Schröttle 2008, 28). Verbunden mit der Schichtzugehörigkeit kann auch die Wohngegend eine Rolle im Hinblick auf das Gewaltaufkommen spielen (Bender & Lösel 2005, 330). Dies kann darauf zurückgeführt werden, dass eine durch eine hohe Gewaltrate gekennzeichnete Nachbarschaft das Risiko von Gewalt im eigenen Haushalt erhöhen kann. Somit führen nicht nur innerfamiliäre Faktoren, wie Gewalt tolerierende und gutheißende Wertvorstellungen, sondern auch die Gewaltbereitschaft im Wohnumfeld zu einer potenziell höheren Gefährdung durch häusliche Gewalt (Dlugosch 2010, 36 – 37). Einwandererfamilien sind stärker von häuslicher Gewalt betroffen als gebürtig deutsche Familien. Das jedenfalls ist das Ergebnis einer Reihe von Studien (Schröttle 2008; Albert 2008, 91 – 92; Pfeiffer et al. 1998, 18). Die erhöhte Belastung durch häusliche Gewalt in Familien mit Migrationshintergrund lässt sich laut dieser Studien nicht so sehr auf die unterschiedlichen kulturbedingten Wertvorstellungen zurückführen. Viel eher sind die treibenden Faktoren dieselben, die auch zu häuslicher Gewalt in Paarbeziehungen ohne Migrationshintergrund führen (Helfferich & Kavemann 2012). Bedingt durch mangelnde Integration und durch eine unklare Rechtslage in Deutschland treten ökonomische und soziale Schwierigkeiten in Einwandererfamilien häufiger auf als bei einheimischen Haushalten (Helfferich & Kavemann 2012). Zudem werden in vielen Fällen berufliche und akademische Qualifikationen nicht anerkannt, was die finanzielle Abhängigkeit von Frauen verstärkt, die sich häufig mit schlecht bezahlten Beschäftigungsverhältnissen zufriedengeben müssen (Sharma 2001). So kann eine Familie mit Migrationshintergrund stärker als einheimische Familien durch einen geringen Bildungsgrad, fehlende Beschäftigung und somit niedriges Einkommen und allem voran durch Sprachdefizite und mangelnde berufliche und soziale Integration geprägt sein (Lehmann 2015, 27 – 31). Dies sind genau die Faktoren, die allgemein das Risiko von innerfamiliärer Gewalt erhöhen. Hinzu kommt bei Migrantinnen eine extreme Isolierung und Machtlosigkeit, die durch Sprachprobleme verstärkt wird (Sharma 2001). Das erschwert die Möglichkeit einer Beendigung einer gewalttätigen Partnerschaft in einem noch fremden Land zusätzlich. Zudem ist der Aufenthaltsstatus in vielen Fällen für mehrere Jahre vom Ehemann abhängig, ein Aspekt, der bei deutschen Staatsbürgerinnen keine Rolle spielt (Helfferich & Kavemann 2012). Auch wenn die hohe Gewaltbetroffenheit von Frauen mit Migrationshintergrund vor allem auf eine ressourcenarme soziale Lage der Familie zurückzuführen ist, so spielen die kulturellen Hintergründe des Heimatlandes dennoch eine Rolle. In manchen Kulturen bestehen Männlichkeitsbilder, die Dominanz und Gewalt gegenüber Frauen legitimieren (Oyewuwo-Gassikia 2016; Lehmann 2015, 27). Eine Abhängigkeit von Gewalt als Durchsetzungs- und Kommunikationsmittel tritt oft bei Männern auf, die aus Ländern ausgewandert sind, in denen diktatorische Regime den Einsatz von Gewalt und Zwang zur Dominanz und Kontrolle legitimiert haben (Sharma

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2001). Männer aus diesen Ländern neigen eher dazu, auch in den Gastländern die gleichen Mittel anzuwenden, um ihre Familie zu kontrollieren. 2.4 Der Einfluss kultureller Faktoren sowie traditioneller Grundüberzeugungen und Wertevorstellungen Kultur wird mithilfe einer Reihe von Merkmalen definiert, wie zum Beispiel Überzeugungen, Praktiken, Werte, Normen und Verhaltensweisen, die von Mitgliedern einer Gesellschaft geteilt werden (Kasturirangan, Krishnan & Riger 2004, 319). Studien zeigen, dass trotz der vielen Unterschiede zwischen den existierenden Kulturen keine der ethnischen oder sozioökonomischen Gruppen immun gegen Gewalt ist, auch nicht hinsichtlich häuslicher Gewalt (Alhabib et al. 2010; Albert 2008, 91 – 92). Wie im vorherigen Abschnitt erläutert, können diese unterschiedlichen Wertevorstellungen und Normen die gewaltfreie Integration von Einwandererfamilien erschweren. Während zum Beispiel hierzulande Scheidungen gesellschaftlich akzeptiert werden und auch ein fester Bestandteil der Gesellschaft sind, gelten sie in anderen Kulturen als verboten oder zumindest als ein Affront gegen die eigene Familie (Shirwadkar 2004). In dem Versuch, kulturelle Werte zu wahren, ermutigen viele Gemeinschaften Frauen, gewalttätige Beziehungen nicht zu verlassen bzw. zu schweigen und den Missbrauch zu leugnen (Kasturirangan et al. 2004). Auch bei zahlreichen einheimischen Familien und Haushalten existieren nach wie vor Wertvorstellungen, die hinsichtlich Hierarchie und Rollenverständnis keine Gleichberechtigung von Mann und Frau vorsehen. Im traditionellen Familienbild wurde das Ausüben von Gewalt der Männer gegenüber ihren Frauen zu einem gewissen Grad gesellschaftlich toleriert (Godenzi 1996). Dasselbe gilt für die Eltern-KindBeziehung. Diese basiert auch heutzutage teilweise auf traditioneller autoritärer Erziehung, was wiederum auf der gesellschaftlichen Akzeptanz und Toleranz von Gewalt beruht (Kaselitz & Lercher 2002). Die gesellschaftliche Akzeptanz und Toleranz entwickeln sich aus vielen verschiedenen Faktoren. In der Literatur wird dabei die Bedeutung der sozialen Lerntheorie hervorgehoben, die dazu führt, dass das Hierarchiedenken und kulturell-traditionelle Wertvorstellungen von den Eltern an die Kinder weitergegeben werden. Die soziale Lerntheorie beschreibt, dass Erfahrungen der Eltern mit Gewalt in ihrer Kindheit oder Jugend an die nächste Generation weitergegeben werden (Bender & Lösel 2005; Abramsky et al. 2011). Nach diesem Ansatz wird Aggression nicht als Trieb oder als unumgängliche Reaktion auf nicht erfüllte Erwartungen, sondern als durch Lernvorgänge gesteuert angesehen (Schweikert 2000, 81; Dlugosch 2010, 32). Die Studie von Bowlus & Seitz (2006) belegt, dass bei Männern, die häusliche Gewalt als Kind beobachtet haben, die Wahrscheinlichkeit, die eigene Frau zu missbrauchen, je nach Alter der Frau 1,9- bis 5,3-mal höher ist als bei einem Mann, der keine häusliche Gewalt erlebt hat. Damit wird zwar nicht ausgeschlossen, dass bestimmte Handlungen angeboren sein können, jedoch bestimmt der Lernprozess, ob und

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wie gehandelt wird (Schweikert 2000, 81). Hierarchiedenken, inklusive der Annahme, die Frau wäre dem Mann in Beziehungen und im gesellschaftlichen Leben untergeordnet, werden den Kindern vorgelebt und so über Generationen hinweg weitergegeben (Schweikert 2000, 86). Zwar kann durch staatliche Maßnahmen (wie z. B. eine Frauenquote) eine formale Gleichstellung geschaffen werden, dies reicht jedoch nicht aus, um das Hierarchiedenken innerhalb der Gesellschaft erfolgreich zu verbannen. Auch die Einführung von Gesetzen zur Strafbarkeit häuslicher Gewalt ist allein nicht ausschlaggebend. So hatte die Einführung des Verbotes von Gewalt in der Erziehung von Kindern im Jahre 1979 in Schweden besonders deshalb die erwünschte Wirkung eines unmittelbaren Rückgangs von Gewalt in der Erziehung von Kindern, weil es mit einer intensiven Begleitkampagne gekoppelt wurde (Bussmann et al. 2008). Eine Befragung von Bussmann et al. (2008) von 1.000 repräsentativ ausgewählten Eltern im Jahre 2007 hat gezeigt, dass etwa 90 % der Schweden Gesetzeskenntnis hatten, während dies bei weniger als einem Drittel der österreichischen und deutschen Eltern der Fall war. Dies lässt vermuten, dass nicht nur Gesetze nötig sind, sondern dass auch die Verbreitung der Inhalte der Gesetze eine wichtige Rolle spielt, damit sie in das Bewusstsein der Gesellschaft vordringen und umgesetzt werden können (Peacock & Barker 2014). Kindergärten und Schulen tragen hierbei eine besondere Verantwortung. Ein wichtiger kultureller Aspekt betrifft die Religion. Wertvorstellungen sind in vielen Ländern stark religiös beeinflusst. Unter den Weltreligionen haben zum Beispiel das Christentum, das Judentum und der Islam gemeinsam, dass sie zumindest in ihrem Ursprung die Frau dem Mann unterordnen (Fortune & Enger 2005). Whitehead (2012) deckt einen Zusammenhang zwischen dem männlichen Gottesbild und der Einhaltung traditioneller Geschlechterrollen und konventionelle Vorstellungen von Ehe und Familie auf. Im Allgemeinen beinhalten solche Vorstellungen, dass Männer sich im öffentlichen Raum bewegen, während Frauen sich um den häuslichen und privaten Bereich kümmern. Dabei sind über verschiedene Religionen hinweg diejenigen, die ihre heiligen Schriften hochschätzen, eher bereit, traditionelle Geschlechterideologien zu unterstützen (Whitehead 2012, 141).

3. Daten und deskriptive Statistik Die Definition von häuslicher und innerfamiliärer Gewalt ist in der Literatur umstritten (Albert 2008, 31). Grob lässt sich häusliche Gewalt in drei Erscheinungsformen untergliedern: in physische, psychische und sexuelle Gewalt (Kaselitz & Lercher 2002). Für unsere Untersuchung gilt es eine Definition zu wählen, die der Datenerhebung des World Values Survey entspricht. Für unsere Zwecke empfiehlt es sich, nur die physische Gewalt zu betrachten, da in der vorliegenden Studie die Teilnehmer nach der Rechtfertigung von Schlägen befragt wurden. Dabei definieren Lamnek et al. (2013, 114 – 116) leichte Gewalthandlungen als die Handlungen, die

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in einigen Gesellschaften akzeptiert werden, zum Beispiel „Erziehungsmaßnahmen“ wie etwa ein Klaps auf den Po oder die Ohrfeige. Alle darüber hinaus gehenden Gewalthandlungen, die gesellschaftlich weit weniger toleriert werden, sind als schwere Form der Gewalt definiert (Lamnek et al. 2013, 114 – 116) und würden den Fragestellungen im World Values Survey nicht entsprechen. 3.1 Datenbeschreibung Für die folgende empirische Analyse werden die Daten des World Values Survey (WVS) genutzt. Dabei handelt es sich um ein länderübergreifendes Projekt, das sich mit dem Thema Wertewandel und dessen Auswirkungen beschäftigt. Es wird von einem internationalen Forscherteam der WVS Association und dem WVSA-Sekretariat mit Sitz in Wien, Österreich, koordiniert und geleitet. Jede Umfragewelle führt repräsentative nationale Umfragen zu den Grundwerten und Überzeugungen von Individuen in einem großen Querschnitt von fast 100 Ländern durch, und zwar mit einem gemeinsamen Fragebogen. Dieser enthält Fragen zu demografischen Daten (Alter, Geschlecht, Bildung usw.), selbstberichteten wirtschaftlichen Merkmalen, wie Einkommen und soziale Schicht, und möchte Antworten auf Fragen zu moralischen, religiösen und politischen Wertvorstellungen einholen. Der WVS ist die größte nicht-kommerzielle länderübergreifende Längsschnittuntersuchung menschlicher Überzeugungen und Werte. Die wichtigste Methode der Datenerhebung in der WVSUmfrage ist die persönliche Befragung am Wohnort der Befragten oder am Telefon. Die erste Erhebungswelle wurde 1981 gestartet, gefolgt von sechs aufeinanderfolgenden Wellen. Die in unserer Studie verwendeten Daten stammen aus der sechsten Welle des WVS (2010 – 2014), die Erhebung in Deutschland fand im Jahr 2014 statt. Dieser Datensatz umfasst 2.046 Interviews. Die Anzahl valider Antworten (ohne fehlende oder offensichtlich falsche Angaben) liegt, je nach Surveyfrage, zumeist knapp unter 2.000 (siehe Tabelle 1 im Anhang). Die Großzahl bisheriger Studien zu häuslicher Gewalt analysiert Erfahrungen mit häuslicher Gewalt und untersucht, warum es dazu gekommen ist. Der World Values Survey hingegen fragt nicht, ob die befragte Person Gewalt im Haushalt ausübt oder erfahren hat. In dieser Studie werden die Einstellungen der Befragten zu häuslicher Gewalt durch folgende zwei Surveyfragen erfasst, die mit einer gemeinsamen Einleitung versehen sind: Können Sie mir bitte für jede der folgenden Handlungen sagen, ob Sie sie in jedem Fall für in Ordnung halten, unter keinen Umständen für in Ordnung halten, oder irgendwas dazwischen. Nennen Sie mir bitte zu jedem Punkt einen Wert anhand der Liste. 1 bedeutet: „Unter gar keinen Umständen in Ordnung“. 10 bedeutet: „In jedem Fall in Ordnung“. Mit den Werten dazwischen können Sie ihre Angabe abstufen. *

Variable 208: Wenn einem Mann bei seiner Frau mal die Hand ausrutscht.

*

Variable 209: Wenn Eltern ihre Kinder schlagen.

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Somit wird nicht untersucht, ob es bereits zu Gewalthandlungen gekommen ist, sondern es geht um die Einstellung zur häuslichen Gewalt. Der Vorteil dieses Vorgehens ist, dass es irrelevant ist, ob die befragte Person bereits häusliche Gewalt ausgeübt oder erlebt hat oder nicht, und dass nicht nur der finale Schritt eines gewaltsam endenden kognitiven Prozesses im Datensatz als dokumentiertes Ereignis zählbar wird. Wenn eine Handlung als gerechtfertigt betrachtet wird, ist der Schritt zur Verwirklichung dieser Handlung zudem nicht mehr groß (Bohner 2002, 266). Durch diese Art der Befragung werden nicht nur eventuelle Täter, sondern auch potenzielle Täter erfasst. Hinzu kommt, dass Täter bei der Frage nach der Einstellung ehrlicher sind als bei der direkten Frage nach ausgeübten Gewalthandlungen (Hiawatsch & Krickl 2019, 358). Schließlich ist zu bedenken, dass möglicherweise eine Rechtfertigung besonders dann zum Ausdruck gebracht wird, wenn ihr die Erfahrung einer Tat vorausgegangen ist. 3.2 Deskriptive Statistik und Vorstellung der Variablen Der multivariaten Analyse unserer Studie liegen unterschiedliche Abgrenzungen des Gesamtdatensatzes zugrunde (siehe Tabellen 1 und 2 im Anhang). Wir untersuchen die Gültigkeit der Determinanten häuslicher Gewalt zunächst in einer für die Gesamtbevölkerung repräsentativen Gesamtstichprobe, in der entsprechend auch alleinstehende Personen mit und ohne Kinder vertreten sind (Tabelle 1). Zum zweiten beschränken wir uns auf die Gruppe aller Paargemeinschaften (Ehepaare oder Lebensgemeinschaften mit und ohne Kinder), zu der wir weiterhin alleinstehende Personen hinzufügen, sofern sie Kinder haben. Damit fokussieren wir auf Gewalt in Paargemeinschaften und gleichzeitig erfassen wir mögliche Konstellationen mit Gewalt gegen Kinder. Die dritte Teilstichprobe unterscheidet sich von der zweiten dadurch, dass nur Personen bis maximal (einschließlich) 65 Jahre berücksichtigt werden. In Tabelle 2 konzentrieren wir uns schwerpunktmäßig auf Männer als die vermutliche Hauptgruppe der Täter. Auch hier starten wir mit der Gesamtgruppe, dann betrachten wir die Gruppe der in Paargemeinschaften lebenden Männer, zu der wir wiederum die alleinstehenden Väter hinzufügen. In der dritten Spalte beschränken wir das Alter auf maximal 65 Jahre und schließlich haben wir in der vierten Spalte zum Vergleich noch die analog abgegrenzte Gruppe der Frauen. Die Darstellung der deskriptiven Statistik beruht auf gewichteten Zahlen (mittels des im Datensatz verfügbaren Gewichts V258; Gewichtungen erfolgten nach Alter*Geschlecht, Bundesland*Ortsgröße und höchster Schulabschluss, siehe Ipsos 2013, 11). Alle deskriptiven Statistiken, außer für Alter, basieren auf binären (1/0) Variablen, so dass die Angaben in den Tabellen 1 und 2 (außer bei Alter) Anteile von bejahenden Antworten (Anteile von Antworten mit der Ausprägung 1) darstellen. Ob Männer oder Frauen Gewalt grundsätzlich ausschließen oder unter Umständen „in Ordnung“ finden, wird, wie oben erläutert, durch zwei Surveyfragen erfasst, anhand der Nennung von einer Zahl zwischen 1 („auf keinen Fall in Ordnung“) bis 10 („in jedem Fall in Ordnung“). Wir definieren für unsere nachstehende Analyse eine

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binäre Variable, die den Wert 0 annimmt, falls die befragte Person die Kategorie 1 gewählt hat („auf keinen Fall in Ordnung“). In allen anderen Fällen (Werte zwischen 2 und 10) nehmen die Variablen der „gerechtfertigten Gewalt“ gegen Frauen oder Kinder den Wert 1 an. Diese beiden resultierenden binären Variablen stellen die zu erklärenden Variablen unserer Untersuchung dar. Tabelle 1 zeigt, dass der Anteil derjenigen, die Gewalt gegen Frauen nicht kategorisch ausschließen, bei 26 % in der Gesamtbevölkerung liegt. Wie in Tabelle 2 zu sehen ist, liegt der entsprechende Anteil bei Männern in der Gesamtbevölkerung noch einmal deutlich höher, nämlich bei 33 %, bei Männern in Paarbeziehungen und alleinstehenden Vätern sogar bei 35 %. Auch 17 % der Frauen (unter 65) halten Gewalt gegen sie als nicht in jedem Fall ungerechtfertigt, was auf ein ausgeprägt patriarchalisches Geschlechterverständnis bei einem nicht unerheblichen Teil der Haushalte in Deutschland hindeutet. Gewalt gegen Kinder wird offensichtlich in einem noch stärkeren Maße toleriert. In der Gesamtbevölkerung liegt der Anteil bei 36 %, bei Männern sogar bei 40 %. Dieser Prozentsatz ist nur geringfügig geringer, nämlich 38 %, wenn man die älteren Männer über 65 Jahre und kinderlose alleinstehende Männer ausschließt. Jedoch kann auch in der betrachteten Untergruppe der Frauen von einer gewaltlosen Erziehung keine Rede sein, denn immerhin 28 % finden das Schlagen ihrer Kinder unter Umständen „in Ordnung“. In der bisherigen Literatur spielen kulturell verwurzelte Grundüberzeugungen und Wertevorstellungen eine wichtige Rolle. Dazu gehört die Beziehung zur Religion. Im Fragebogen wird gefragt, ob Religion im Leben der Befragten „sehr wichtig, ziemlich wichtig, nicht sehr wichtig oder überhaupt nicht wichtig“ ist. In unserer Analyse definieren wir die Religionsvariable als 1 falls Religion als „sehr wichtig“ im Leben angesehen wird, 0 sonst. Tabelle 2 zeigt, dass hier die Wichtigkeit bei Männern und Frauen leicht unterschiedlich ist. In den vergleichbaren Gruppen der bis zu 65-Jährigen ist für 28 % der Männer Religion sehr wichtig, während dies für 23 % der Frauen der Fall ist. Ein traditionelles Rollenverständnis dürfte mit der Gleichberechtigung von Mann und Frau nicht immer vereinbar sein. Um die individuelle Einschätzung der Gleichberechtigung quantitativ erfassen zu können, nutzen wir eine Frage, in der auf einer Skala von 1 („gehört keinesfalls zur Demokratie“) bis 10 („gehört in jedem Fall zur Demokratie“) die folgende Aussage bewertet werden soll: „Frauen haben die gleichen Rechte wie Männer“. Die von uns konstruierte binäre Variable „Frauenrechte werden als nicht wichtig erachtet“ bekommt den Wert 1, falls die Befragten einen Wert kleiner als 7 angeben, ansonsten wird die Variable mit 0 codiert. Auch hier ist der Unterschied zwischen Männern und Frauen (Tabelle 2) besonders hervorzuheben. Während 11,4 % der Männer Frauenrechte als nicht wichtig erachten, sind es nur 5 % bei den Frauen. Stressfaktoren werden in unserer Untersuchung in verschiedener Form erfasst, und zwar als berufliche, finanzielle und familiäre Belastungen. Neben Arbeitslosigkeit werden selbstberichtete Einschätzungen der Einkommenshöhe und der finanzi-

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ellen Situation berücksichtigt. Bezüglich der Einkommenshöhe wurden Teilnehmer nach dem Perzentil befragt, in dem sie sich ihrer Meinung nach befinden. Wir definieren einen Indikator für „geringes Einkommen“, falls sich Personen bei den unteren 40 % der Einkommensbezieher sehen (1, falls ja, 0 sonst). Als weiteren ökonomischen Stressfaktor nutzen wir die Frage zur Selbsteinschätzung der finanziellen Situation des Haushalts der oder des Befragten, die auf einer Skala von 1 („vollkommen unzufrieden“) bis 10 („vollkommen zufrieden“) eingeschätzt werden soll. Wir codieren die entsprechende Indikatorvariable mit 1 (und sonst mit 0), falls sich die Probanden zwischen 1 und 4 einsortieren. Hierbei scheinen Männer etwas unzufriedener zu sein als Frauen (siehe Tabelle 2, Gruppe der bis zu 65-Jährigen: 21 % gegenüber 17 %). Weiterhin erfassen wir, ob eine Person Hauptverdienerin ist (oder nicht), da dies ebenfalls eine (psychische) Belastung sein kann. Interessanterweise sehen sich 82 % der Männer als Hauptverdiener, aber auch 45 % der Frauen (siehe Tabelle 2, Männer und Frauen bis 65). Eine Erklärung für diese scheinbare Inkonsistenz dürfte sein, dass bei einem beträchtlichen Anteil der Paare beide Partner ungefähr vergleichbare Einkommen beziehen und/oder sich als gleichberechtigte Verdiener ansehen. Neben den ökonomischen Stressfaktoren spielen familiäre Lebensumstände eine Rolle. Die Literatur besagt, dass eine hohe Kinderzahl eine problematische Belastung darstellen könnte. In unserer Studie drehen wir das Argument um und formulieren die Hypothese, dass das Umfeld einer familiären Gemeinschaft mit geringer Kinderzahl eine gewaltverneinende Einstellung begünstigt, und zwar nicht nur relativ zur Gruppe der Kinderreichen, sondern auch zur Gruppe der Kinderlosen. Dazu formulieren wir die Binärvariable „Kinderzahl: 1 oder 2“, die mit 1 codiert ist, falls die befragte Person ein oder zwei Kinder hat. Alternativ erfolgt eine Kodierung mit 0 für Personen mit 3 oder mehr Kindern, aber auch für Personen ohne Kinder. In der Gesamtbevölkerung haben 54 % der befragten Personen 1 oder 2 Kinder, bei der Gruppe der Personen unter 65 bestehend aus Paaren und Alleinstehenden mit Kindern sind es 69 %. Unsere Analyse basiert ferner auf einer Reihe von Standardvariablen, die die soziodemographische und regionale Situation der Befragten und ihrer Haushalte beschreibt. Das Gesamtsample erfasst Personen zwischen 17 und 94 Jahren, das Durchschnittsalter liegt bei 49,5 Jahren (und 46 Jahre in der Gruppe der bis zu 65-Jährigen). Wir untersuchen auch die Rolle der Bildung, wobei wir binär zwischen der Gruppe der höheren (mindestens Abitur, „höhere Bildung“ = 1) und der mittleren und unteren Bildungsschicht (unterhalb Abitur, „mittleren und unteren Bildung“ = 0) unterscheiden. Nach dieser Unterscheidung werden ca. 22 % bis 23 % der unter 65-Jährigen zu der Gruppe der höher gebildeten Personen gerechnet. In den von uns betrachteten Stichproben leben, je nach Abgrenzung, 18 % bis 20 % in Ostdeutschland und 25 % bis 28 % in einer Großstadt. Von besonderer Bedeutung ist die Variable zum Einwanderungsstatus (1, falls im Ausland geboren, 0 sonst). Sie erlaubt im multivariaten Kontext (nach Kontrolle für andere sozioökonomische und demographische Faktoren) Hinweise darauf, ob mangelnde Integration in unserer Gesellschaft ein Grund für die bedingte Akzeptanz häuslicher Gewalt in Deutschland sein kann. In

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unserem Datensatz haben ca. 13 % bis 14 % einen Geburtsort im Ausland, was in Deutschland in der Mehrzahl der Fälle ein nicht-westliches Ursprungsland bedeutet.

4. Empirische Ergebnisse In der empirischen Analyse der Determinanten der Rechtfertigung häuslicher Gewalt verwenden wir ein statistisches Probit-Verfahren (siehe z. B. Wooldridge 2013), das der dichotomen 1/0 Ausprägung der beiden abhängigen Variablen gerecht wird. Wir schätzen die beiden Gleichungen PðYc ¼ 1Þ ¼ Fðb0 þ b1 x1 þ :::bK xK Þ;

c ¼ 1; 2;

für die Wahrscheinlichkeit P, dass die Variable Yc den Wert 1 annimmt bzw. dass die betreffende Aussage zutrifft. Hierbei repräsentieren Yc , c = 1, 2, die abhängigen Variablen „Rechtfertigung von häuslicher Gewalt gegen Frauen“ und „Rechtfertigung von häuslicher Gewalt gegen Kinder“. Die nichtlineare Link-Funktion F wird durch die Verteilungsfunktion der Standardnormalverteilung gebildet. In den nachfolgenden Tabellen 3 bis 5 (siehe Anhang) werden die (durchschnittlichen) marginalen Effekte der erklärenden Variablen dokumentiert. Der so genannte „durchschnittliche marginale Effekt“ beschreibt in unserem Fall die geschätzte durchschnittliche Veränderung der individuellen Wahrscheinlichkeiten einer Rechtfertigung, also D PðYc ¼ 1Þ, die sich bei einer Erhöhung der erklärenden Variable um eine Einheit ergeben würde. Da es sich mit der Ausnahme von Alter jeweils um dichotome Erklärungsfaktoren handelt, beschreibt der marginale Effekt in der Regel die Veränderung der Wahrscheinlichkeit, die sich bei einem hypothetischen Vergleich von Personen mit unzutreffenden (X = 0) und zutreffenden (X = 1) Merkmalen ergeben würde, wobei unterstellt wird, dass die Personen ansonsten identisch sind (Ceteris-Paribus-Bedingung). Im Falle der Altersvariablen misst der Koeffizient analog die Veränderung der Wahrscheinlichkeit, die sich bei einer Erhöhung des Lebensalters um ein Jahr ergeben würde. Im Folgenden gliedern wir die Darstellung der Ergebnisse entsprechend der in der bisherigen Literatur identifizierbaren Faktoren (siehe Abschnitt 2.). Dabei werden die als statistisch signifikant messbaren Effekte im Vordergrund stehen. 4.1 Wertevorstellungen und Überzeugungen Der Einfluss von Religion als wichtiger Lebensinhalt hat zwar in den Tabellen 3 bis 5 durchgehend ein negatives Vorzeichen, jedoch wird der dämpfende Einfluss von Religion nur in 2 von 10 Abgrenzungen der Stichprobe statistisch schwach signifikant (zum 10 % Signifikanzniveau). Insbesondere bei den Gruppen mit Probanden bis zu 65 Jahren ist kein signifikanter Effekt messbar.

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Eine stark ausgeprägte Rechtfertigung von Gewalt gegen Frauen, mit durchweg hochsignifikanten Schätzwerten (p < 1 %), wird hingegen bei jenen Männern festgestellt, die die Gleichberechtigung von Frauen und Männern als nicht wichtig erachten. Bei Frauen ist dieser Effekt nicht signifikant. Betrachtet man z. B. die Gruppe aller in Paarbeziehungen lebenden Männer bis zu 65 Jahren (inklusive der Gruppe von alleinstehenden Vätern), so zeigt sich dort ein Schätzwert von 0,34 (siehe Tabelle 4). Männer, die Frauenrechte als wichtig erachten, haben also im Durchschnitt eine um 34 Prozentpunkte geringere Wahrscheinlichkeit, Gewalt gegen Frauen als gerechtfertigt anzusehen, als Männer, die Frauenrechte als nicht wichtig erachten. Betrachtet man die Tolerierung von Gewalt gegen Kinder, so ist der geschätzte Koeffizient in der gleichen Gruppenabgrenzung mit 0,18 zwar ebenfalls hoch, aber nur noch auf dem 10 % Niveau schwach signifikant (siehe Tabelle 5). Insgesamt gesehen bestätigen unsere Ergebnisse die Erfahrungen aus der Literatur, dass Männer mit einem eher traditionellen Rollenverständnis von Mann und Frau stärker zu häuslicher Gewalt neigen. Hinsichtlich der Interpretation der geschätzten marginalen Effekte sei an dieser Stelle darauf hingewiesen, dass eine kausale Deutung problematisch sein kann. Sowohl die Einstellung zur Gewalt als auch ein die gleichen Rechte verneinendes Frauenbild kann Ursachen in gemeinsamen Faktoren haben, z. B. in Form von negativen Erfahrungen im eigenen Elternhaus, die in der Regression wegen ihrer Unbeobachtbarkeit unberücksichtigt bleiben (müssen). 4.2 Stressfaktoren Der Einfluss von Arbeitslosigkeit ist in der Literatur umstritten. Unsere auf Einstellung zur häuslichen Gewalt abzielende Untersuchung spricht für einen die Gewaltbereitschaft mindernden Einfluss von Arbeitslosigkeit. Wenn es um den Effekt von Arbeitslosigkeit geht, ist die Bevölkerung im erwerbsfähigen Alter von besonderem Interesse. In diesen Teilstichproben hat Arbeitslosigkeit mit Bezug zur Gewalt gegen Frauen in 2 von 4 der betrachteten Populationen ein signifikantes (p < 5 %) negatives Vorzeichen, mit Effekten zwischen -0,15 und -0,18. Rechtfertigung häuslicher Gewalt gegen Kinder wird durch Arbeitslosigkeit deutlich um 30 Prozentpunkte reduziert, bei Frauen ist der Effekt nicht signifikant. Der Effekt bei Männern bestätigt die Ergebnisse von Anderberg et al. (2016) und Aizer (2010), wonach Arbeitslosigkeit Gewaltanwendung zu reduzieren vermag, weil sich durch fehlende Beschäftigung der Männer die relative Abhängigkeit der Frauen abschwächt und gewalttätige Männer eher befürchten müssen, von Frau und Kind verlassen zu werden. Der ebenfalls mit negativem Vorzeichen versehene deutliche Effekt der Arbeitslosigkeit auf die Rechtfertigung häuslicher Gewalt gegen Frauen innerhalb der Gruppe der Frauen (siehe letzte Spalte von Tabelle 4) ist nicht ohne weiteres durch eine Erhöhung der finanziellen Abhängigkeit zu erklären. Gemäß der Standardhypothese

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von Arbeitslosigkeit als Stressfaktor würde man eigentlich ein positives Vorzeichen erwarten. Die marginalen Einflüsse des Indikators einer schwierigen finanziellen Situation des Haushaltes sind hingegen wie allgemein erwartet. Finanzielle Engpässe erhöhen die Wahrscheinlichkeit von akzeptierter häuslicher Gewalt in deutlicher Weise – allerdings nur bei Männern. In der Gruppe der Frauen spielen finanzielle Probleme offensichtlich keine besondere Rolle. Hauptverdiener zu sein oder nicht scheint weder für Frauen noch Männer einen Einfluss zu haben. Auch eine hohe Kinderzahl ist als Belastungsfaktor aus der Literatur bekannt. Unsere Ergebnisse zeigen, dass die Kinderzahl für häusliche Gewalt gegen die Frau keine Rolle spielt, wohl aber bei häuslicher Gewalt gegen Kinder. Hier sind Männer deutlich weniger gewaltaffin, wenn sie (nur) ein oder zwei Kinder haben (siehe Tabelle 5). Bei Frauen ist der Effekt statistisch insignifikant. 4.3 Soziodemographische und regionale Einflüsse Wie zu erwarten, haben Männer eine in hochsignifikanter Weise höhere Rechtfertigungsrate von häuslicher Gewalt gegen Frauen als die betroffenen Frauen selbst (Tabelle 3). Aber auch bei Gewalt gegen Kinder ist der Effekt bei Männern höher als bei Frauen, wenngleich nur um sechs Prozentpunkte und schwach signifikant (Tabelle 5). Das Niveau der Schulbildung wird in unserer Analyse als wenig relevant identifiziert. In nur einer von 10 Schätzungen existiert ein schwach signifikant positives Vorzeichen, nämlich in der Gruppe der bis zu 65-jährigen Männer (Tabelle 5). Das Ergebnis bestätigt jedoch damit frühere Ergebnisse von Schröttle (2008), wonach höhere Bildung keineswegs mit einer geringeren Neigung zur häuslichen Gewalt verbunden sein muss. Das Alter hat keinen messbaren Einfluss auf die Einstellung bezüglich der innerfamiliären Gewalt gegen die Frau. Hier sind alle Altersschichten gleichermaßen betroffen. Einen sehr starken Einfluss hat das Lebensalter hingegen auf die Einstellung zum Schlagen von Kindern, und zwar sowohl bei Frauen als auch bei Männern. Beschränkt man das Alter in der Stichprobe auf maximal 65 Jahre (Tabelle 5), so ist ein Unterschied von 10 Lebensjahren bei Männern durchschnittlich mit einer um rund sieben Prozentpunkten höheren Rechtfertigungsquote verbunden, bei den Frauen mit ca. fünf Prozentpunkten. Es wird also sehr deutlich, dass sich in der Kindererziehung ein Generationswandel vollzogen hat. Bei jüngeren Eltern hat sich im Vergleich zu den Eltern früherer Zeit eher die Überzeugung durchgesetzt, dass Erziehung gewaltfrei zu sein habe. Eingewanderte Männer und Frauen haben keine signifikant andere Einstellung zum Schlagen von Kindern als die in Deutschland geborenen Personen (Tabelle 5). Zwischen Einwanderinnen und Einwanderern sind jedoch bemerkenswerte Un-

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terschiede hinsichtlich der Rechtfertigung von Gewalt gegen Frauen zu beobachten, wie Tabelle 4 zeigt. Während sich die im Ausland geborenen Männer nicht von den in Deutschland geborenen Männern unterscheiden, sind die im Ausland geborenen Frauen deutlich (+0,18) und in hochsignifikanter Weise toleranter gegenüber männlicher häuslicher Gewalt als die in Deutschland geborenen Frauen. Da ein substantieller Anteil der Einwanderer in Familien mit traditionellen Geschlechterrollen verwurzelt ist, bestätigt dies zumindest für Frauen frühere Ergebnisse, wonach ein traditionelles Familienbild das Ausüben von Gewalt der Männer gegenüber ihren Frauen zu einem gewissen Grad gesellschaftlich toleriert. Interessanterweise sind die Unterschiede zu Nicht-Einwanderern jedoch nur bei den Frauen zu beobachten, nicht aber bei Männern. Dies könnte daran liegen, dass bereits bei „einheimischen“ Männern die Einstellung zur Gewalt recht permissiv ist, oder dass eingewanderte Männer wegen ihrer stärkeren Einbindung in das hiesige Berufsleben besser in die Gesellschaft integriert sind als eingewanderte Frauen. In unserer Analyse sind keine bemerkenswerten Unterschiede zwischen den urbanen Gebieten der Großstädte und den übrigen Regionen feststellbar. Zwischen Ost- und Westdeutschland sind jedoch Abweichungen zu erkennen. Zwar ist für Ost und West hinsichtlich der Einstellung zur Gewalt bei Kindern keine Differenzierung vorzunehmen, jedoch scheint auf dem Gebiet der früheren DDR bezüglich der Gewalt gegen Frauen eine weniger zustimmende Einstellung vorzuherrschen. Im Osten liegt die Rechtfertigungsquote um ca. sechs Prozentpunkte unterhalb der des Westens. Dies wird anhand von Tabelle 3 deutlich, in der Männer und Frauen gemeinsam erfasst werden, was eine größere Beobachtungszahl und damit trennschärfere Schätzergebnisse erlaubt. Ein Grund für die Unterschiede könnte sein, dass in der früheren DDR Frauen durch ihre höhere Arbeitsmarktpartizipation stärker in die Gesellschaft integriert waren als in der alten Bundesrepublik, was sich bis heute in einem anderen Rollenverständnis von Mann und Frau manifestiert. 4.4 Robustheitsprüfung Bei Anwendung eines Linearen Wahrscheinlichkeitsmodells (also von Ordinary Least Squares, OLS) anstatt von Probit zeigen sich keine wesentlichen Abweichungen. Alle in den Tabellen 3 bis 5 gekennzeichneten Signifikanzen und Nicht-Signifikanzen zeigen sich genauso auch mit der Methode der kleinsten Quadrate. In den marginalen Schätzkoeffizienten sind aufgrund der unterstellten Linearität hier und da leicht veränderte Schätzwerte festzustellen. Typischerweise weichen die OLS-Koeffizienten ein bis zwei Hundertstel nach oben oder unten von den marginalen Probiteffekten ab, z. B. 0,16 mit OLS statt 0,14 mit Probit im Gesamtsample der Tabelle 3. Die stärkste Abweichung hat sich bei dem Effekt der Frauenrechtsanerkennung im Sample der bis zu 65-Jährigen in Tabelle 3 ergeben, bei dem mit Probit 0,23 geschätzt wurde und 0,28 mit OLS.

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Ungewichtete Schätzungen erbringen grundsätzlich sehr ähnliche Ergebnisse, jedoch wird für die Variablen „arbeitslos“, „finanzielle Situation“ und „Ostdeutschland“ keine Signifikanz festgestellt.

5. Schlussbemerkungen Die von uns auf der Datenbasis des World Value Surveys durchgeführte Analyse der Determinanten häuslicher Gewalt basiert auf einem ausführlichen Überblick über die Literatur zu diesem Thema. Unsere empirischen Ergebnisse liefern Bestätigungen, aber auch Widersprüche zu bisherigen Erkenntnissen, zum Teil werden bisher kaum beachtete Zusammenhänge neu aufgedeckt. So bestätigen wir zwar einerseits, dass finanzieller Stress mit höheren Rechtfertigungsquoten verbunden ist, finden jedoch andererseits, dass arbeitslose Personen Gewalt weniger „in Ordnung“ finden. Dieses Resultat steht zwar im Gegensatz zur klassischen Stresstheorie, wurde jedoch (mit britischen Opferdaten) auch schon von Anderberg et al. (2016) gefunden. Weiterhin zeigen unsere Ergebnisse, dass traditionelle Wertvorstellungen zur Bedeutung von Frauenrechten mit deutlich höheren Quoten der Rechtfertigung häuslicher Gewalt einhergehen. Wir finden, wie andere Studien auch, dass bei im Ausland geborenen Personen eine höhere Toleranz von Gewalt zu beobachten ist. Neu ist allerdings, dass wir das Ergebnis nur dann erhalten, wenn wir die im Ausland geborenen Frauen mit den in Deutschland geborenen Frauen vergleichen. Innerhalb der Gruppe der Männer können wir keine signifikanten Unterschiede zwischen Einwanderern und Nicht-Einwanderern feststellen. Weiterhin in bisherigen empirischen Studien wenig beachtet ist die starke Altersabhängigkeit der Gewalt gegen Kinder, die auf einen Wandel hin zu einer deutlich weniger gewaltaffinen Elterngeneration hindeutet. Im Übrigen konnten wir feststellen, dass Männer und Frauen in Ostdeutschland weniger bereit sind innerfamiliäre Gewalt gegen Frauen zu rechtfertigen als in Westdeutschland, was möglicherweise mit einer höheren Partizipation von Frauen in das Erwerbsleben der ehemaligen DDR erklärbar sein könnte. Es ist eventuell diskutierbar, ob eine auf individuellen Einstellungen bezüglich häuslicher Gewalt (und nicht auf erlebter Gewalt) basierende Studie einen relevanten Beitrag zur Literatur zu liefern vermag. Dem ist entgegenzuhalten, dass die Art und Weise, wie die einzelnen Mitglieder der Gesellschaft über häusliche Gewalt urteilen, auch einen großen Einfluss auf realisierte häusliche Gewalt haben dürfte. Insbesondere hinsichtlich einer Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und Kindern sind Einstellungen von entscheidender Bedeutung. Wenn Gewalthandlungen gesellschaftlich toleriert sind und gemeinhin als gerechtfertigt erachtet werden, dann gilt es zunächst die Einstellungen zu ändern, bevor sinnvolle Maßnahmen zur Gewaltverringerung durchsetzbar sein können.

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Anhang Tabelle 1 Deskriptive Statistiken, Teil 1 (Teil-)Stichprobe In Paarbeziehung lebend oder: alleinstehend + Vater/Mutter Variable Unter Umständen in Ordnung: Mann rutscht bei Frau Hand aus Unter Umständen in Ordnung: Eltern schlagen ihre Kinder Religion wird als „sehr wichtig“ im Leben erachtet Frauenrechte nicht wichtig für Demokratie erachtet Arbeitslos

Gesamt

26,0 (2003) 36,1 (2003) 25,6 (1995) 9,8 (1994) 4,3 (2003) Einkommen: Gruppe der unteren 40 % gemäß Selbsteinschät- 40,7 zung (2003) Mit finanzieller Situation des Haushalts unzufrieden 18,5 (Einstufung bis 4 auf Skala 1 – 10) (1989) Hauptverdiener 65,7 (1971) Kinderzahl: 1 oder 2 53,6 (1990) Geschlecht: Männlich 48,7 (2003) Alleinstehend (geschieden, getrennt, 41,9 verwitwet, Single) (1991) Höchster Schulabschluss: 21,7 Mindestens Abitur (2003) Alter 49,5 (2003) Einwanderer/Einwanderin 13,2 (nicht in Deutschland geboren) (2001) Wohnort: Ostdeutschland 18,0 (2003) Wohnort: Großstadt (> 100 Tsd.) 27,7 (1995)

Gesamt

Max. 65 Jahre alt

25,7 (1595) 35,1 (1595) 22,9 (1590) 8,5 (1588) 3,5 (1595) 38,1 (1595) 18,3 (1591) 67,5 (1574) 68,4 (1595) 47,9 (1595) 25,8 (1593) 19,2 (1595) 53,6 (1595) 13,4 (1593) 19,5 (1595) 26,0 (1588)

25,5 (1199) 32,7 (1199) 25,4 (1196) 8,1 (1194) 4,7 (1199) 36,9 (1199) 19,0 (1196) 63,0 (1181) 68,6 (1199) 48,7 (1199) 18,9 (1197) 22,5 (1199) 46,2 (1199) 13,3 (1198) 19,2 (1199) 25,6 (1197)

Anmerkungen: Stichproben aus Befragung des World Value Survey für Deutschland; Angaben betreffen die jeweiligen Anteile in den (Teil-) Stichproben; Min. und Max. der Altersangaben der vier betrachteten Gruppen: [17, 94], [18,94], [18,65], [19,65]. Alle Beobachtungen sind mittels des im WVS angegebenen Gewichtungsfaktors V258 gewichtet. Siehe den Text für weitere Erläuterungen der Variablen.

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Horst Entorf und Gabriele Lichmann Tabelle 2 Deskriptive Statistiken, Teil 2 (Teil-)Stichprobe In Paarbeziehung lebend oder: alleinstehend + Vater/Mutter Variable

Männer gesamt

Männer

Unter Umständen in Ordnung: Mann rutscht bei Frau Hand aus Unter Umständen in Ordnung: Eltern schlagen ihre Kinder Religion wird als „sehr wichtig“ im Leben erachtet Frauenrechte nicht wichtig für Demokratie erachtet Arbeitslos

32,9 (986) 40,1 (986) 29,3 (982) 11,7 (981) 4,1 (986) 38,4 (986) 19,5 (981)

35,2 (760) 40,2 (760) 25,6 (757) 12,5 (756) 2,9 (760) 35,7 (760) 19,1 (758)

34,3 (558) 37,8 (558) 27,7 (556) 11,4 (555) 3,9 (558) 35,9 (558) 21,1 (556)

17,1 (641) 28,0 (641) 23,3 (640) 5,0 (639) 5,5 (641) 37,8 (641) 16,9 (640)

78,5 (969) 52,3 (981) 36,3 (984) 23,5 (986) 48,9 (986) 14,4 (986) 18,0 (986) 26,5 (983)

84,6 (748) 68,0 (760) 17,1 (760) 20,7 (760) 53,5 (760) 14,0 (760) 19,1 (760) 24,5 (758)

82,3 (547) 68,5 (558) 12,5 (558) 23,2 (558) 46,7 (558) 13,0 (558) 19,4 (558) 24,5 (558)

44,8 (634) 68,6 (641) 24,8 (639) 21,9 (639) 45,7 (641) 13,6 (640) 19,1 (641) 26,6 (639)

Einkommen: Gruppe der unteren 40 % gemäß Selbsteinschätzung Mit finanzieller Situation des Haushalts unzufrieden (Einstufung bis 4 auf Skala 1 – 10) Hauptverdiener Kinderzahl: 1 oder 2 Alleinstehend (geschieden, getrennt, verwitwet, Single) Höchster Schulabschluss: Mindestens Abitur Alter Einwanderer/Einwanderin (nicht in Deutschland geboren) Wohnort: Ostdeutschland Wohnort: Großstadt (> 100 Tsd.)

Männer, Frauen, max. 65 Jahre max. 65 Jahre alt alt

Anmerkungen: Stichproben aus Befragung des World Value Survey für Deutschland; Angaben betreffen die jeweiligen Anteile in den (Teil-) Stichproben; Min. und Max. der Altersangaben der vier betrachteten Gruppen: [17, 94], [18,94], [18,65], [19,65]. Alle Beobachtungen sind mittels des im WVS angegebenen Gewichtungsfaktors V258 gewichtet. Siehe den Text für weitere Erläuterungen der Variablen.

Welche Faktoren beeinflussen häusliche Gewalt und ihre teilweise Akzeptanz?

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Tabelle 3 Rechtfertigung der Gewalt gegen Frauen, marginale Effekte nach Probitschätzung (Teil-)Stichprobe In Paarbeziehung lebend oder: alleinstehend+ + Vater/Mutter Erklärende Variablen Werte und Überzeugungen: Religion wird als „sehr wichtig“ im Leben erachtet Frauenrechte nicht wichtig für Demokratie erachtet Beruflicher, finanzieller oder familiärer Stress: Arbeitslos Einkommen: Gruppe der unteren 40 % gemäß Selbsteinschätzung Mit finanzieller Situation des Haushalts unzufrieden (Einstufung bis 4 auf Skala 1 – 10) Hauptverdiener Kinderzahl: 1 oder 2 Soziodemographische Faktoren: Geschlecht: Männlich Alleinstehend (geschieden, getrennt, verwitwet, Single) Höchster Schulabschluss: Mindestens Abitur Alter x 10 Einwanderer/Einwanderin (nicht in Deutschland geboren) Regionale Einflüsse: Wohnort: Ostdeutschland Wohnort: Großstadt (> 100 Tsd.) Pseudo R2 (Mc Fadden) Anzahl der Beobachtungen

Gesamt

Gesamt

Max. 65 Jahre alt

-0,05* (0,03) 0,20*** (0,05)

-0,06* (0,04) 0,19*** (0,05)

-0,03 (0,04) 0,23*** (0,06)

-0,11 (0,07) -0,01 (0,03) 0,14*** (0,04) 0,05 (0,04) 0,03 (0,03)

-0,15** (0,07) -0,02 (0,04) 0,12*** (0,04) -0,01 (0,04) 0,01 (0,03)

-0,18** (0,07) -0,01 (0,04) 0,11** (0,05) 0,00 (0,04) -0,03 (0,04)

0,11*** (0.03) 0,01 (0,03) -0,02 (0,03) -0,000 (0,001) 0,05 (0,04)

0,17*** (0,03) 0,05 (0,04) -0,02 (0,04) 0,003 (0,010) 0,09* (0,05)

0,15*** (0,04) 0,07 (0,05) -0,04 (0,04) 0,015 (0,015) 0,10* (0,05)

-0,06** (0,03) -0,04 (0,03)

-0,05* (0,03) -0,02 (0,04)

-0,07** (0,03) 0,01 (0,04)

0,079 1933

0,092 1553

0,103 1169

Anmerkungen: Durchschnittliche marginale Effekte („margins“ in Stata) nach Probitschätzung. Beobachtungen sind mittels des im WVS angegebenen Gewichtungsfaktors V258 gewichtet. Robuste Standardfehler (in Klammern) wurden mit der Delta-Methode berechnet. Lesebeispiel, Spalte 1: Ist die befragte Person mit der finanziellen Situation im Haushalt unzufrieden, so erhöht sich die Wahrscheinlichkeit, dass für diese Person Gewalt gerechtfertigt ist, um 14 Prozentpunkte gegenüber einer vergleichbaren Person, die jedoch mit der finanziellen Situation zufrieden ist. ***), **), *) repräsentiert statistische Signifikanz auf dem Niveau von 1 %, 5 %, und 10 %.

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Tabelle 4 Rechtfertigung der Gewalt gegen Frauen, marginale Effekte nach Probitschätzung, Untergruppen von Männern und Frauen (Teil-)Stichprobe In Paarbeziehung lebend oder: alleinstehend + Vater/Mutter Erklärende Variablen

Gruppe Männer Männer, Frauen, aller max. 65 Jahre max. 65 Jahre Männer alt alt

Werte und Überzeugungen: Religion wird als „sehr wichtig“ im Leben erachtet

-0,07 (0,05) Frauenrechte nicht wichtig für Demokratie erachtet 0,22*** (0,07) Beruflicher, finanzieller oder familiärer Stress: Arbeitslos -0,18** (0,09) Einkommen: Gruppe der unteren 40 % gemäß -0,02 Selbsteinschätzung (0,05) Mit finanzieller Situation des Haushalts unzufrie- 0,19*** (0,05) den (Einstufung bis 4 auf Skala 1 – 10) Hauptverdiener 0,07 (0,06) Kinderzahl: 1 oder 2 -0,01 (0,05) Soziodemographische Faktoren: Alleinstehend 0,01 (geschieden, getrennt, verwitwet, Single) (0,05) Höchster Schulabschluss: -0,03 Mindestens Abitur (0,05) Alter x 10 0,001 (0,013) Einwanderer/Einwanderin 0,03 (nicht in Deutschland geboren) (0,07) Regionale Einflüsse: Wohnort: Ostdeutschland -0,06 (0,04) Wohnort: Großstadt (> 100 Tsd.) 0,00 (0,05) Pseudo R2 (Mc Fadden) Anzahl der Beobachtungen

0,070 949

-0,06 (0,05) 0,26*** (0,08)

-0,04 (0,06) 0,34*** (0,09)

-0,02 (0,05) 0,10 (0,08)

-0,14 (0,12) 0,00 (0,06) 0,17*** (0,07)

-0,15 (0,12) 0,02 (0,06) 0,13* (0,07)

-0,17** (0,07) -0,02 (0,05) 0,01 (0,07)

-0,00 (0,07) -0,04 (0,05)

-0,00 (0,07) -0,08 (0,06)

0,04 (0,05) 0,03 (0,04)

0,07 (0,07) -0,02 (0,05) 0,014 (0,015) 0,02 (0,07)

0,10 (0,09) -0,04 (0,06) 0,034 (0,023) 0,00 (0,08)

0,06 (0,07) -0,05 (0,05) 0,002 (0,017) 0,18*** (0,06)

-0,07* (0,04) 0,02 (0,06)

-0,07 (0,05) 0,04 (0,06)

-0,05 (0,04) -0,04 (0,06)

0,085 738

0,103 541

0,068 628

Anmerkungen: Durchschnittliche marginale Effekte („margins“ in Stata) nach Probitschätzung. Beobachtungen sind mittels des im WVS angegebenen Gewichtungsfaktors V258 gewichtet. Robuste Standardfehler (in Klammern) wurden mit der Delta-Methode berechnet. Lesebeispiel, Spalte 1: Ist die befragte Person arbeitslos, so verringert sich die Wahrscheinlichkeit, dass für diese Person Gewalt gerechtfertigt ist, um 18 Prozentpunkte gegenüber einer vergleichbaren Person, die nicht arbeitslos ist. ***), **), *) repräsentiert statistische Signifikanz auf dem Niveau von 1 %, 5 %, und 10 %.

Welche Faktoren beeinflussen häusliche Gewalt und ihre teilweise Akzeptanz?

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Tabelle 5 Rechtfertigung der Gewalt gegen Kinder, marginale Effekte nach Probitschätzung (Teil-)Stichprobe In Paarbeziehung lebend oder: alleinstehend + Vater/Mutter, max. 65 Jahre alt Erklärende Variablen

Gesamt

Werte und Überzeugungen: Religion wird als „sehr wichtig“ im Leben erachtet

-0,05 (0,04) Frauenrechte nicht wichtig für Demokratie erachtet 0,15** (0,06) Beruflicher, finanzieller oder familiärer Stress; Arbeitslos -0,12 (0,08) Einkommen: Gruppe der unteren 40 % 0,02 gemäß Selbsteinschätzung (0,04) Mit finanzieller Situation des Haushalts unzufrieden (Einstu- 0,12*** fung bis 4 auf Skala 1 – 10) (0,04) Hauptverdiener 0,04 (0,04) Kinderzahl: 1 oder 2 -0,08** (0,03) Soziodemographische Faktoren: Geschlecht: Männlich 0,06* (0,03) Alleinstehend 0,01 (geschieden, getrennt, verwitwet, Single) (0,04) Höchster Schulabschluss: Mindestens Abitur 0,01 (0,03) Alter x 10 0,023** (0,010) Einwanderer/Einwanderin -0,04 (nicht in Deutschland geboren) (0,05) Regionale Einflüsse: Wohnort: Ostdeutschland -0,02 (0,03) Wohnort: Großstadt (> 100 Tsd.) -0,02 (0,04) Pseudo R2 (Mc Fadden) Anzahl der Beobachtungen

0,036 1940

Männer

Frauen

-0,06 (0,08) 0,18* (0,10)

-0,02 (0,06) 0,10 (0,10)

-0,30** (0,13) 0,02 (0,07) 0,14* (0,08) 0,02 (0,08) -0,13** (0,06)

-0,14 (0,12) 0,05 (0,06) 0,01 (0,08) 0,04 (0,06) -0,06 (0,05)

_

_

-0,07 (0,09) 0,10* (0,06) 0,071*** (0,024) -0,08 (0,09)

0.02 (0,08) 0,04 (0,05) 0,053*** (0,021) 0,06 (0,08)

-0,01 (0,05) -0,09 (0,06)

-0,03 (0,05) 0,06 (0,06)

0,070 542

0,033 630

Anmerkungen: Durchschnittliche marginale Effekte („margins“ in Stata) nach Probitschätzung. Beobachtungen sind mittels des im WVS angegebenen Gewichtungsfaktors V258 gewichtet. Robuste Standardfehler (in Klammern) wurden mit der Delta-Methode berechnet. Lesebeispiel, Spalte 1: Ist die befragte Person mit der finanziellen Situation im Haushalt unzufrieden, so erhöht sich die Wahrscheinlichkeit, dass für diese Person Gewalt gerechtfertigt ist, um 12 Prozentpunkte gegenüber einer vergleichbaren Person, die jedoch mit der finanziellen Situation zufrieden ist. ***), **), *) repräsentiert statistische Signifikanz auf dem Niveau von 1 %, 5 %, und 10 %.

Understanding Offender and Victim of Intimate Partner Homicide in China – Compared with Previous Findings in Other Countries By Shuhong Zhao It is an honor to contribute to a volume which celebrates the birthday of Prof. Hans-Jörg Albrecht. In China, Prof. Albrecht is warmly addressed as Prof. “A” in our law circles. In the past two decades, Prof. Albrecht has devoted his energy to the academic cooperation and exchange in the field of criminal law between China and Germany. Specifically, he accepted many students and young scholars from China. These young fellows, nowadays, have become the main force in the criminal justice and are active at the forefront of criminal law research in China. Prof. Albrecht has made outstanding contributions to the development and progress of the science of Chinese criminal law. The research experience of Prof. Albrecht shows that he continues to focus on the violent crime. Relative discussion will be made below in the Chinese context.

1. Introduction Intimate partner homicide (IPH), occurring when one person kills their current or ex-intimate partner (Kivisto 2015; Szalewski, Huff-Corzine & Reckdenwald 2019), has been recognized as a serious global public health issue in urgent need of increased attention (Murphy, Liddell & Bugeja 2016; Stansfield et al. 2019; Stöckl et al. 2013). A recent global study on homicide conducted by the United Nations Office on Drugs and Crime (UNODC) reported that, on a global level, the number of women killed by their intimate partners was 30,000, meaning that more than one third of all women intentionally killed worldwide, or 82 every day, are killed by their intimate partners (UNODC 2019). According to Stockl et al. (2013), IPH represents 14% of all homicides, and one in seven homicides is committed by an intimate partner. Though research and information on IPH is relatively limited in countries outside the West, there are still exceptions. For example, in South Africa, a national mortuary study of female homicides showed that, in 1999 and 2009, around 50% of murdered women were killed by an intimate partner (Abrahams et al. 2013). With public awareness and policy responses to domestic violence, research on IPH has steadily increased in recent years (Caman et al. 2017; Matias et al. 2020; Reckdenwald & Parker 2012). In the 1990s, some countries experienced a major

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transformation in all sectors of society in response to IPH, including the criminal justice system, social services, health care, and public opinion (Renzetti, Edleson & Bergen 2001). With these improvements, the incidence of IPHs has steadily decreased in the U.S. and Western Europe (Caman et al. 2017; Weiss et al. 2016). However, IPH and other family-related homicides continue to be rather widespread and constant over time compared with other types of homicide (UNODC 2019). In fact, the overall decline in some countries reflects a steady decline in female-perpetrated IPH, but not in male-perpetrated IPH (Dawson, Bunge & Balde 2009). This fact highlights that IPH is still a widespread public health concern (Petrosky et al. 2017). Therefore, with an aim to reduce and prevent this serious crime, current exploratory studies focus on examining risk factors for the perpetrator and the victim of IPH as well as identifying the characteristics of IPH (Dawson, Bunge & Balde 2009; Du et al. 2020; Spencer & Stith 2018). In these studies, even though some have indicated the characteristics of the perpetrator and the victim of IPH (Caman et al. 2017b; Mize, Shackelford & Shackelford 2009), the in-depth research on the characteristics associated with the perpetrators, the victims and their intimate relationship in the context of China today, which is very important in understanding IPH, is very scarce. In China today, especially with its rapidly increasing process of urbanization and modernization, the country is currently witnessing a soaring increase in IPH (Zhao 2020). So, in order to gain further insight into IPH in China, an in-depth and comprehensive study on the characteristics of the perpetrator and the victim of IPH is required.

2. Existing Findings 2.1 Perpetrator of IPH To some extent, IPH is gender-based lethal violence (Eriksson & Mazerolle 2013; Suonpää & Savolainen 2019). According to Stöckl et al. (2013), 38.6% of homicides committed against women and 6.3% of homicides committed against men are committed by an intimate partner. Correspondingly, many studies have proved that women comprise a disproportionately higher percentage of IPH victims than men (Hodell et al. 2014; Raj & Silverman 2002; Spencer & Stith 2018). The gender ratio in the previous studies indicates that killings by women are approximately 10 times greater in intimate partner homicides than any other homicide category (Fox & Fridel 2017). Therefore, the “gender perspective” holds that the most prominent aspect of IPH is the gendered nature of the crime (Biroscak, Smith & Post 2006; Campbell et al. 2007; DeJong, Pizarro & McGarrell 2011; Vittes & Sorenson 2008). According to this perspective, male perpetrators of IPH primarily use violence to maintain control and power, whereas female perpetrators primarily use violence in fear or self-protection (Johnson & Ferraro 2000; Melton & Belknap 2003). With regards to these gender differences in IPH, the male sexual proprietariness theory and self-defense theory try to provide their own explanation to the research field. Accord-

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ing to the first perspective, when men perceive that they are at risk of losing the control of their intimate partner, they will desire to control their intimate partner (Dobash & Dobash 1984; Serran & Firestone 2004). For this, some studies found that male IPH perpetrators may have a certain degree of domination, sexual proprietaries, fidelity, separation or divorce, child custody issues, substance abuse, problems on job, suicidal behavior, and mental illness (Angela et al. 2011; Garcia, Soria & Hurwitz 2007; Kivisto 2015). According to the second perspective, battered women are more likely to kill their partner in response to an attack on themselves or following a threat from the abuser to harm another, usually their child (Matthew et al. 2006; O’Keefe 1997; Tyson, Kirkwood & Mckenzie 2016). As a result, some researchers found that IPH with female perpetrators were a result of women’s inability to protect themselves from their male partner’s aggression (Browne 1987; Ho & Chantagul 2016). Contrary to the gender perspective, the general violence theory emphasizes that there is no difference in the etiologies of violence against an intimate partner and other victims (Kivivuori & Lehti 2012). Accordingly, in line with this perspective, when a man with violent tendencies keeps his current power structure, it might be likely to focus his efforts toward his female partner (Karlsson et al. 2018). In addition, when the violence of an intimate partner has shown more widespread antisocial behavior, offenders would manifest this tendency in multiple domains of life and across different life stages (Caman et al. 2017; Kivivuori & Lehti 2012). For this, many studies showed that the male perpetrator with violent experiences in IPH is quite ordinary and that any man can transgress and use violence against their intimate partners (Edin et al. 2008; Messner & Savolainen 2001). The theoretical controversy leads to the ongoing debate on whether the perpetrators of IPH are distinct from other violent offenders due to demographic characteristics (Felson & Lane 2010; Thomas, Dichter & Matejkowski 2011). In this regard, some studies found that IPH perpetrators do not often fit the preconceived profile of a “dangerous killer”. On the contrary, they are more “conventional” than perpetrators of violent crimes in general: better educated and more often employed (Dobash et al. 2004; Kivivuori & Lehti 2012; Kivivuori, Suonpää & Lehti 2014; Thomas, Dichter & Matejkowski 2011). Accordingly, they are typical violent offenders who have no difference in their characteristics and experiences, such as a history of violence, alcohol or drug abuse, family problems, or a criminal career (Dobash et al. 2004; Felson & Lane 2010). Indeed, one study identified that intimate perpetrators were substantially no different from nonintimate perpetrators that have used violence against women (Dobash et al. 2004). 2.2 Victim Characteristics in IPH It is recognized that the majority of IPH victims is female; simultaneously, when females do commit homicide, they are more likely to perpetrate violence against an intimate partner (Caman et al. 2017; Garcia, Soria & Hurwitz 2007; Juodis et

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al. 2014; Stöckl et al. 2013). Thus, IPH is characterized by gender asymmetry: while female victims are more likely to be victimized by a male intimate partner than by any other type of killer, male victims are more likely to be victimized by acquaintances or strangers (Stöckl et al. 2013; Winstock & Straus 2014). It is with this fact that most studies to date have focused mainly on the perpetrators of IPH rather than the victims, especially on the characteristics of perpetrators, which creates gaps in reaching a better understanding of IPH (Gnisci & Pace 2016). In spite of this fact, some studies have identified the significance of a more comprehensive understanding of victims in IPH (Eriksson & Mazerolle 2013; Gnisci & Pace 2016). These studies either briefly identified a certain percentage of female victims (Caman et al. 2017; Salari & Sillito 2016) or presented only high-level epidemiological information on victimization (Corradi & Stöckl 2014; Holder 2019; Spencer & Stith 2018). Among them, some previous research studies showed that victims of IPH were older than victims of non-IPH, and there appeared to be no difference with regard to the victim’s ethnicity (DeJong, Pizarro & McGarrell 2011). Furthermore, some previous studies found that young women from 15 to 34 years of age were at the highest risk of being victimized (Pratt & Deosaransingh 1997). With regard to the age gap between perpetrators and victims, some research identified that female victims of male perpetrators were younger than the male victims of female perpetrators (Garcia, Soria & Hurwitz 2007; Vatnar, Friestad & Bjørkly 2019). Aldrige and Browne (2003) found that an age difference of 10 years or more between intimate partners was a risk factor for all victims of IPH. To develop the strategies necessary to prevent victimization in IPH, it demands detailed understanding of the wide range of individual, social, economic, cultural and environmental factors that can contribute to victimization in IPH (Heise & Kotsadam 2015). In terms of factors, some research showed that people with lower socioeconomic status were more likely to be victims of IPH (Cunradi et al. 2000; Kuruvilla & Jacob 2007). For the victims of IPH, they were more socially disadvantaged than the victims of non-IPH. According to the study of Leth (2009), 13% of IPH victims were employed at the time of the offense compared with 32% of non-IPH victims. In other previous studies, social disadvantage and chronic substance abuse were also identified as risk factors for the victim of IPH (Jones-Webb & Wall 2008). With regards to alcohol, one study identified that victims of IPH are more likely to suffer from chronic alcohol abuse compared to the victims of non-IPH (Leth 2009). As such, the value of identifying the characteristics of victims in IPH, is clear, and a challenge to better understanding the victim is obtaining comprehensive, in-depth information on the victim in IPH. In this regard, McPhedran et al. (2018) suggested that gaining improved victim-focused knowledge on IPH, taking effective policies and practices to assess risk, and effectively supporting women are critical to the goal of reducing IPH victimization.

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491

2.3. Intimate Relationship Between Perpetrator and Victim in IPH As early as 1958, some research has identified that homicides occur more often between individuals with a close relationship. That is, the intimate relationships appear to be more prone to lethal violence than other relationships (Wolfgang 1958). Additionally, the causes of homicides that occur within intimate relationships differ from the causes of homicides that occur between strangers (Silverman & Kennedy 1995). So far, scholarly attention has focused on the role of the intimate relationship between the perpetrator and that victim in order to deeply understand IPH (Gruenewald & Pridemore 2009; Haynie & Armstrong 2006; Matias et al. 2020; Regoeczi & Riedel 2003). In this series of studies, some emphasized that the relationship was an important factor in understanding the offending behavior (Cao, Hou & Huang 2008; Osho & Williams 2013). Other research pointed out that the state and status of the relationship as risk factors are equally important in understanding IPH (Lund & Smorodinsky 2001; Reckdenwald & Simone 2017). Even though most previous studies presented and analyzed the risk factors for an IPH perpetrator and victim (Aldrige & Browne 2003; Garcia, Soria & Hurwitz 2007; Murphy, Liddell & Bugeja 2016; Perova & Reynolds 2017), some limited studies provided an in-depth analysis on the risk factors along with the influence of the intimate relationship state and status on IPH (Mackay et al. 2018). With regards to the status of an intimate relationship in IPH, some research has addressed differences in the risk for victims in cohabiting relationships versus marital relationships. For example, some research established that cohabiting women were 8.4% times more likely to be killed by their partners than married women, and cohabiting men were 15 times more likely than their legally married counterparts to be killed by their partners (Shackelford 2001; Wilson, Daly & Wright 1993). In fact, women in cohabiting relationships have been found to be at greater risk for lethal intimate partner violence than women in marital and dating relationships (Shackelford 2001). For example, Wilson, Daly & Wright (1993) found women in cohabiting relationships are 9 times more likely to be killed by a partner than married women. For the female victims with different relationship statuses, they faced the different risks of being victimized at different age stages. For example, women in their 20s, who were in a marital relationship, were at greatest risk of being killed by their partners. In contrast, women, who were in their mid-30s and 40s, were at greatest risk of uxoricide when they were within cohabiting relationships (Wilson, Johnson & Daly 1995). For the male perpetrator, the risk of killing a partner was highest for married men in the youngest age group and generally decreased with the man’s age. On the contrary, for cohabiting men, the risk of killing their partner was highest in the youngest age group (Shackelford & Mouzos 2005). In this regard, some research provides the possible explanation of the difference in demographic characteristics between those persons in cohabiting versus marital relationships. For example, the persons in cohabiting relationships tend to be younger, have lower education, occupation

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and income levels and they have much more experience using alcohol (Kenney & McLanahan 2006; Mize et al. 2009; Shackelford 2001).

3. Research Question In recent years, China witnessed a soaring increase in IPH with the process of rapid urbanization and modernization. In order to deepen our knowledge of IPH in China and to improve prevention strategies in the future, we should conduct more research on characteristics connected with perpetrators, victims and the perpetrator-victim relationship. In comparison with the findings in the previous literature, this research is undertaken to identify the characteristics of IPH in the Chinese context. Thereby, we examine all available data of perpetrators and victims of IPH from 979 cases as the primary source of this research. In addition, we analyze the intimate relationship between the perpetrator and victim in IPH. The official research question addressed in this study is as follows: Compared with the findings in previous studies, what are the same or different characteristics of IPH in China? From these characteristics, what can be used to give an explanation in the context of China today?

4. Data and Methods In 2014, in accordance with the requirements from the Supreme People’s Court of China, all the criminal judgements must be available online, for the purpose of promoting justice in the judicial system and enhance judicial credibility. Therefore, except for the judgement involving state secrets and personal privacy, the court must make all judgements publicly available online. Up to now, the Chinese Judgements Online website has already publicized up to 8,794,278 criminal judgments. For cases of IPH, such judgements are almost entirely publicized online because they do not involve state secrets and rarely involve personal privacy. From this judgement databank, we firstly chose 28,986 intentional homicide judgments, which occurred in allimportant Chinese provinces from 1990 to 2015, and then, from these results, we chose 1,500 judgments, in which the perpetrator and victim are intimate partners (male and female). Therefore, the IPH events of this research are truly representative of them during this period in China. With the purpose of research and referring to previous research in other countries, we originally designed a questionnaire with 63 variables concerning the basic information of the perpetrators and the victims and their intimate relationship in IPH. In these published criminal judgments, some information is removed before publication in order to protect privacy or for other purposes. Additionally, some courts believe that certain information in the judgment is not important, such as the profession

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and the family background of the perpetrator or the victim, so they removed this kind of information from the publicized judgements, but such information is necessary to identify the characteristics of IPH in China. For example, the variable “duration of the intimate relationship” is very important, but it has a missing value up to 76% in the 1,500 elected judgments. Therefore, we deleted these variables with high missing values and eventually retained 40 variables in the questionnaire. With these reserved variables, we did a further examination of the 1,500 judgments and found that some of them still missed some information from the forty variables. For example, the variable “living situation when murdered” was missing in some judgments. Therefore, we deleted these judgments from the selected 1,500 judgments. In the end, we deleted 521 judgments from the selected 1,500 judgments and retained 979 judgments as the sample for this research. For the 979 samples, each of them does not lack information from the 40 variables. Thus, the sample in this research was chosen roughly in two steps. The first step was to choose 1,500 IPH judgments from 28,986 intentional homicide judgments. After collecting data from these 1,500 judgements according to the questionnaire, we found that variables were missing a great deal of value in some judgments. Therefore, we deleted these variables with missing significant value and finally retained 40 variables in the questionnaire. For these 40 variables, we found that some judgments of these 1,500 judgments still lacked some information on these variables. Therefore, the second step was to delete from these 1,500 judgments those in which important variables were missing. Finally, we got 979 judgment as sample in this study. These judgments were deleted simply because they were missing important variables, but not for any other purpose. Therefore, although 521 judgments were deleted from the sample, the remaining judgments still met the randomness principle of sample selection in the study. With an in-depth understanding of such a lethal form of domestic violence, the previous research collected the following meaningful data as variables from the samples: “gender”, “employment”, “marriage satisfaction”, “family background”, “where happened”, “crime record”, “experience using violence” (Block & Christakos 1995; Caman et al. 2017; Eke et al. 2011; Liem, Postulart & Nieuwbeerta 2009; Messner & Savolainen 2001; Sabri, Campbell & Dabby 2016; Salari & Sillito 2016). Based on these previous findings, the primary aim in this study is to identify the characteristics of IPH in China after comparing with previous studies in other countries. Therefore, we also selected information to be used as variables from these studies. Additionally, we found that the relationship between the perpetrators and the victims in cases of IPH played an important role in understanding IPH in China. Therefore, we also selected the variables about the intimate partnership, such as “intimate relationship status”, “intimate relationship state”, “what caused the relationship to be broken”. Finally, we chose factors related to the incident of IPH, such as “directly-caused-homicide events”, which directly led to the homicide. These events include: “break up”, “trivial matter”, and “suspicion of being betrayed” and similar

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events. Here, a “trivial matter” means an event of little importance such as mundane chores or domestic matters.

5. Results 5.1 Perpetrator Characteristics in Cases of IPH in China Table 1 presents the demographic characteristics of perpetrators among IPHs in China, including gender, profession, experience using violence, criminal record, family background, marital status and satisfaction with the marriage. For gender, the number of male perpetrators of IPH were almost 5 times more than the number of female perpetrators in China (male: 82%, female: 18%). In terms of the profession, we find that almost all perpetrators are peasants (48%) and migrant workers (47%). However, it is very rare for a student and an individual proprietor to commit IPH (both 1%). For the perpetrator in IPH, almost all of them come from peasant families (97%). In addition, we also find that very few perpetrators have experience using violence (4%) and have a criminal record (3%). With regards to the marital status, 57% of perpetrators were married. However, for divorced people, the proportion of perpetrators were relatively low (6%). As for satisfaction with the marriage, we find that for the perpetrators who were married, almost all of them were unsatisfied with their own marriage (53%). Only less than 1% of them were satisfied with their marriage. Table 1 Characteristics of Perpetrator Among IPH Gender

Male 802(81.9)

Female 177(18.1)

Profession

Unemployed 41(4.2) Migrant workers 459(46.9)

Peasant 465(47.5) White-collar 2(0.2)

Student 4(0.4) Individual proprietor 8(0.8)

Family background

Peasant 952(97.2)

Worker 24(2.5)

Intellectual 3(0.3)

Experience using violence

Yes 38(3.9)

No 941(96.1)

Crime record

Yes 31 3.2

No 948 96.8)

Marital status

Unmarried 365(37.3)

Married 560(57.2)

Satisfaction with the marriage

Satisfied 3(0.5)

Unsatisfied 557(99.5)

Divorced 54(5.5)

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5.2 Victim Characteristics in Cases of IPH Table 2 demonstrates the characteristics of the victim among IPH in China. We find that the victim was mostly female (83%). In respect of profession, like the perpetrators, almost all of the victims were migrant workers (49%) and peasants (46%). Compared with other professions, white-collar and individual proprietors, are very rarely victims among IPH in China (both less than 1%). In terms of family background, we can identify that almost all the victims come from a peasant family (98%). Similar to perpetrators, almost all the victims have no experience using violence (96%). Additionally, few victims had experienced maltreatment (less than 4%). As for the marital status, 60% of the victims were married. Just like the perpetrators, almost all the victims were considerably unsatisfied with their own marriage (99%). Table 2 Victim Characteristics of IPH Gender

Male 171(17.5)

Female 808(82.5)

Profession

Unemployed 27(2.8) Migrant workers 479(48.9)

Peasant 453(46.3) White-collar 0(0)

Student 12(1.2) Individual proprietor 8(0.8)

Marital status

Unmarried 334(34.1)

Married 583(59.6)

Divorced 62(6.3)

Satisfaction for the marriage

Satisfied 4(0.7) Peasant 959(98)

Unsatisfied 579(99.3) Worker 20(2)

Intellectual 0(0)

Experienced maltreatment

Yes 38(3.9)

No 941(96.1)

Experience using violence

Yes 51(5.2)

No 928(94.8)

Family background

5.3 Relationship Status and State Among IPH The intimate relationship between perpetrators and victims in IPH can be shown in Table 3. As for the relationship status, most of the perpetrators and victims in IPH were spouses (49%) and lovers (47%), but ex-spouses are very scarce (4%). Therefore, spouses and lovers have the most important status of an intimate partnership in China. Moreover, with regard to the relationship state, more than 91% of the IPHs happened when the perpetrator and victim kept their intimate partner relationship in existence. Only 9% of the IPHs occurred after the intimate partnership between them

496

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was finished. In practice, what causes the relationship to be broken is also an important consideration. In this regard, we can find that an affair is an important reason for breaking the intimate partnership (24%). However, unexplained trivial matters are dominant (62%). Table 3 Descriptive Characteristics of Intimate Relationship Among IPHs Status of relationship State of partnership What caused the relationship to be broken

Spouse

Ex-spouse

Lover

476(48.6)

39(4)

464(47.4)

Existing

Previous

887(90.6)

92(9.4

Having an affair

Opposition from family

241(24.6)

51(5.2)

Living separately for a long time 16(1.6)

Domestic violence

Others

62(6.3)

609(62.2)

5.4 Profession of Perpetrator by Intimate Relationship For the relationship status, is there any difference in the profession of the perpetrator? The correlation between the profession of the perpetrator and the status of the intimate relationship is shown in Table 4. When the relationship between the perpetrator and the victim is a spouse, most of the perpetrators are peasants (67%) and migrant workers (27%), but students and individual proprietors are very scarce (0%; 2%). For the perpetrator in the relationship of an ex-spouse, most of them are also peasants and migrant workers (49%; 46%). Among these two kinds of relationships, the highest rate of profession is farmer, followed by migrant worker. However, in the intimate relationship of “lover”, the highest rate of profession for the perpetrators are migrant workers (68%) and the second highest percentage is still among peasants (27%).

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Table 4 Relationship Status and Profession of Perpetrator Relationship status Spouse Ex-spouse

Profession (p)

Unemployed Peasant Student Migrant workers White-collar Individual proprietor

22 (4.6) 321 (67.4) 0 (0.0) 126 (26.5) 0 (0.0) 7 (1.5)

2 (5.1) 19 (48.7) 0 (0.0) 18 (46.2) 0 (0.0) 0 (0)

Pearson Chi-Square Chi-Square Tests 185.588

Lover 17 (3.7) 125 (26.9) 4 (0.9) 315 (67.9) 2 (0.4) 1 (0.2)

P 0.000

5.5 Relationship Status and Profession of Victim in IPH Table 5 illustrates the profession of the victim by the different relationship status. When the victim and perpetrator are spouses, most of the victims are peasants (66%), followed by migrant workers (29%). The other four types of professions, such as student (0%), white-collar (1%), individual proprietor (1%) and unemployed (4%), account for a very small percentage. Compared with other professions, peasant (49%) and migrant worker (46%) dominate most for victim profession when the victim and perpetrator are the ex-spouse. Similarly, among lovers, most victims are migrant workers (69%) and peasants (26%), but other professions, such as unemployed (1%), white-collar (1%), student (3%) and individual proprietor (1%) are very rare. Table 5 Relationship Status and Profession of Victim Kind of relationship Spouse Ex-spouse

Profession (v)

Unemployed Peasant Student Migrant workers White-collar Individual proprietor

Chi-Square Tests

Pearson Chi-Square 179.235

19 (4) 315 (65.5) 0 (0.0) 137 (28.5) 5 (1.0) 5 (1.0)

2 (5.1) 19 (48.7) 0 (0.0) 18 (46.2) 0 (0.0) 0 (0.0)

Lover 6 (1.3) 119 (25.5) 12 (2.6) 324 (69.4) 3 (0.6) 3 (0.6)

P 0.000

5.6 Relationship Status and Perpetrator with Experience Using Violence The correlation between the relationship status and the experience of the perpetrator using violence has also been useful to consider in the explanation of violence in IPH.

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As shown in Table 6, most of the perpetrators have no experience using violence in IPH. In all three types of intimate relationships, nearly 94% of the perpetrators have no experience using violence. For the limited number of perpetrators with experience using violence, their intimate relationship status with the victim is primarily as the spouse (7%). In other relationship statuses, such as ex-spouse and lover, perpetrators with experience using violence are very scarce. Table 6 Correlation Between Relationship and Experience of Perpetrator to Use Violence Kind of relationship Spouse Ex-spouse Experience using violence (p)

Chi-Square Tests

Lover

Yes

31 (6.5)

0 (0.0)

7 (1.5)

No

445 (93.5)

39 (100)

457 (98.5)

Pearson Chi-Square 17.410

P 0.000

5.7 Relationship Status and Victim with Experience of Violence Like the perpetrators, victims also rarely used violence in IPH. Despite this, the rate of victims using violence is still higher than that of perpetrators. As shown in Table 7, the rate of using violence by victims is a little high in both the intimate relationship of spouse (10%), as well as in ex-spouse (5%) and lovers (6%). Relatively speaking, victims in the intimate relationship of spouse have a little more experience using violence (10%). Table 7 Relationship Status and Experience of Violence Among Victim Kind of relationship Spouse Ex-spouse Experience to use violence (v)

Chi-Square Tests

Lover

Yes

46 (9.7)

2 (5.1)

3 (6.1)

No

430 (90.3)

37 (94.9)

46 (93.9)

Pearson Chi-Square 38.691

P 0.000

5.8 Directly-Caused IPH Events and Relationship Status For the occurrence of IPH, what events eventually led to this lethal form of domestic violence? As is shown in Table 8, among the intimate relationship status of spouse, of all the events which directly cause the occurrence of IPH, “trivial matter” is the most important event (46%). Followed by the event of “to be betrayed” (19%), which is close to a third of the event “trivial matter”. However, other events, such as

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“menaced by partner” (1%) and “forced sex” (2%) have very limited significance. In the relationship status of ex-spouse, the two most significant directly-caused-homicide events are “break up” (36%) and “trivial matter” (26%). Some other events, such as “menaced by partner” (0%) and “forced sex” (3%) have a limited impact. Among the relationship of lovers, the event of “break up” has absolute decisive significance (49%), but other events, such as “forced sex” (2%) and “menaced by partner” (3%) have a limited significance. Table 8 Directly-caused-homicide Events and Relationship Status Relationship Status Spouse Ex-spouse

Directly-causedhomicide events

Break up Trivial matter Menaced by partner Suspicion of being betrayed To be betrayed Economic dispute Forced sex

45 (9.5) 220 (46.2) 4 (0.8) 79 (16.6) 88 (18.5) 33 (6.9) 7 (1.5)

Pearson Chi-Square Chi-Square Tests 252.385

14 (35.9) 10 (25.6) 0 (0.0) 3 (7.7) 6 (15.4) 5 (12.8) 1 (2.6)

Lover 228 (49.1) 59 (12.7) 12 (2.6) 52 (11.2) 43 (9.3) 63 (13.6) 7 (1.5)

P 0.000

6. Discussion With China witnessing a soaring increase in IPH, an in-depth understanding of IPH, especially the characteristics of the perpetrator and the victim, is in need of more attention. The present study sought to explore the characteristics of IPH in China. After comparing with the previous studies in other countries, we identify the characteristics of the perpetrators and victims in IPH with the aim to deeply understand this lethal form of domestic violence. Furthermore, we try to give our explanation of this kind of lethal domestic violence in the current, actual situation of China. Consistent with other findings, this study confirms that IPH is a gendered crime, whereby males are overrepresented as offenders of IPH; although, when women kill, they are more likely to kill an intimate partner than someone else (Black et al. 2011; Cheng & Jaffe 2019; Hamby 2017; Puzone et al. 2000; Sabri et al. 2016). As far as this fact is concerned, the pattern, which women were more likely to be killed by their intimate partners than men, is consistent across time and countries (Caman et al. 2017; Dobash et al. 2004; Leth 2009; Matias et al. 2020; Oram et al. 2013; Smucker, Kerber & Cook 2018). Therefore, it is a theoretical consensus that IPH is a gender-specific crime, and its theoretical basis is the gender perspective (Spencer & Stith 2020; Vatnar, Friestad & Bjørkly 2019). In line with the “gender perspective”,

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some findings proved that the risk of IPH increases when men believe they have a right to control and believe that they are at risk of losing control over their female partners (Block & Christakos 1995; Dobash et al. 2007; Sabri et al. 2016). As a whole, the threat of losing sexual exclusivity or entitlement over their partner could be suspicions or actual events of infidelity, or the woman wishing to end the relationship entirely (Spencer & Stith 2018). In this regard, the finding in this study shows that almost half of the IPHs in China were caused by the reason to break up the intimate partnership and a suspicion of being betrayed. On the importance of identifying the risk factors for IPH, the previous studies have continued to pay much more attention (Campbell 1986; Mackay et al. 2018; Sheehan et al. 2015). In this regard, some arguments showed that an intimate relationship was a power system and the lack of power may entice males to regain their power through using violence in a relationship, especially for men with lower socioeconomic status (Adhia et al. 2019; Eriksson & Mazerolle 2013; Mancera, Dorgo & Provencio-Vasquez 2017). For females, some studies assert that a lower socioeconomic status makes it less likely that they easily leave their partner and gives them a higher endurance for violence from their intimate partner (Holvoet 2005; Spencer & Stith 2018). In the theoretical research, even though there stand other opposing explanations, the findings in many previous studies have found that a correlation exists between lower socioeconomic status and risk of IPH (Dalal 2011; Matias et al. 2020; Reichel 2017; Reichel 2017). In this regard, this study proved that individuals with lower socioeconomic status have a bigger chance to be perpetrators and victims of IPHs. In China, more than 95% of the perpetrators and 95% of the victims were peasants and migrant workers. These people are generally regarded as those of lower socioeconomic status in China. For these people, they rarely received a good childhood education, and they have a very small chance of finding stable jobs and earning higher incomes in such a competitive society as that of China today (Chan & O’Brien 2019; Zhang et al. 2016). Moreover, we can also identify socioeconomic status from the family background of the perpetrator and victim of IPH. The findings identified that more than 97% of the perpetrators and victims were from peasant families, but only less than 1% of them were from a white-collar worker’s family, and these people are considered to have a high socioeconomic status in China. Furthermore, many previous studies sought to systemically integrate findings on risk factors for attempted and completed IPH in order to develop risk assessment tools as well as identify risk factors (Dawson, Bunge & Balde 2009; Garcia, Soria & Hurwitz 2007; Spencer & Stith 2020). With the risk assessment tools, some findings illustrated that the IPH perpetrator is a dangerous person (Garcia, Soria & Hurwitz 2007; Sheehan et al. 2015). In contrast, other findings illustrated that the perpetrators of IPH did not fit the preconceived profile of a “dangerous killer”, but fit the profile of “ordinary men”: without a history of violence, alcohol or drugs, with a good income and more often employed (Dobash et al. 2004; Salari & Sillito 2016). In line with this, we found that the perpetrator in IPH fit the profile of “ordinary men” in many ways. In general, violence is considered to have strong

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associations with IPH and most of the perpetrators have a history of violence (Campbell et al. 2007; Peterson et al. 2019). Consistent with this, our finding showed that 95% of IPH perpetrators and victims had no experience using violence and most of the perpetrators had no criminal record (97%). In addition, our findings showed that 94% of the perpetrators had a job when the IPH happened, and only 6% of them were out of work. As far as risk factors are concerned, there has been a growing body of research that identified the influence of relationship status and state on IPH (Johnson et al. 2015; Shackelford & Mouzas 2005). Comparing IPH within marital relationships, the risk of IPH was more often greater than in cohabiting or dating relationships (Dawson & Gartner 1998; Sebire 2017; Sutton & Dawson 2018). On the contrary, the present research revealed that a “lover”, including cohabiters and dating individuals, regardless of the gender of the perpetrator, was just as likely to engage in IPH as married individuals (spouse: 49%; lover: 47%). Nevertheless, as a significant risk factor, the present study revealed that almost all of the perpetrators and victims of IPH were not satisfied with their marriage (perpetrator, 99.5%; victim, 94.8%). Moreover, risk factors were identified in IPH based on situational perspectives (Mize et al. 2009; Szalewski, Huff-Corzine & Reckdenwald 2019; Thomas, Dichter & Matejkowski 2011). According to Wilkinson and Hamerschlag (2005), some perpetrators always suffered from reactions to situational circumstances, especially distress over the termination of the relationship. In line with the previous findings, this finding was replicated by the present research that most of IPHs were caused by the termination of the relationship, especially when the perpetrator and victim are lovers (49%) and ex-spouses (36%). For the relationship between perpetrator and victim in IPH, the significance is not only discussed as a risk factor, but it plays a leading role in deeply understanding such lethal domestic violence in China. The previous studies also dealt with the intimate relationship, but some researchers only provided a simple description of it (Dobash et al. 2007; Kristoffersen et al. 2014; Shackelford & Mouzos 2005). Others made indepth studies on the role of relationship state and status in understanding IPH (Reckdenwald & Simone 2017; Shackelford 2001). In this study, through examining the correlation between the variables of intimate relationships and other variables, such as characteristics of IPH and risk factors, further understandings of IPH in China come to light. Why is the intimate relationship of significance in a deep understanding of IPH in China? With the rapid development of modernization and urbanization, China has experienced the largest population migration in history. Correspondingly, on the one hand, this large-scale population migration has caused a major change in the Chinese traditional family structure (Mu & Jeung 2019; Yang 2016). On the other hand, the rapid economic development and cultural progress have provided widespread support for marriage and sexual freedom (Delia 2018; Donner & Santos 2016; Xie 2020). Accordingly, traditional Chinese ideas of love and marriage have correspondingly undergone great changes and people are pursuing alternate forms of intimate relationships and family life. Today, the intimate partner relationship is not

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only limited to wife and husband in the traditional family, various types of intimate partner relationships have correspondingly arisen in China. With regard to this, some studies revealed that most Chinese people have extramarital affairs and keep a “lover” relationship status with others outside their marriage (Densley et al. 2017; Sun 2019). However, marriage and family are very important in Chinese society and culture and they are often associated with individual social responsibility. In fact, although the traditional concepts of marriage and love have undergone tremendous changes in China today, the core position of this concept in personal marriage and family evaluation has not changed (Dias et al. 2011; Wu 2019). It is currently the main reason causing the occurrence of IPH in China. Therefore, an intimate partnership is an important clue to understanding and explaining IPH in the context of today’s China. In this respect, the findings in this study reveal that approximately 60% of partners are married (perpetrator, 57%, victim: 60%). However, as far as the status of the intimate relationship is concerned, as many as 48% of them are lovers, while the relationship status of spouse is only 49%. Additionally, almost half of the perpetrators and victims in the study maintain their intimate partner relationships with people other than their own spouses. Why do so many Chinese people maintain such an extramarital intimate partnership today? What is its effect on the rates of IPH in China? All of this must be understood in the present context of China’s society. Nowadays, with the large-scale urbanization in China, a large number of peasants work in the cities, but they have no way to settle in the city and live a normal family life because their female spouses must either stay in their villages to care for the family, or even if they can work in the same city, their limited income is unlikely to allow them to afford the high costs of rent (Brian, Melissa & Carl 2019; Keung Wong, Li & Song 2007; Xue 2013). With such a lengthy separation, the marriages of migrant workers exist only in name (Dai et al. 2015; Keung Wong, Li & Song 2007). In addition, the popularity of the internet and smartphones, as well as the dating websites and apps, makes it convenient for people to find their intimate partners. As a result, extramarital affairs have sprung up among migrant workers in recent years, who make up about one-fifth of China’s population. All of these factors make Chinese traditional marriages unstable and many extramarital intimate partnerships appear. Therefore, the intimate relationship between the perpetrator and victim in IPH is a good perspective to understand in connection to lethal violent crime in China.

7. Limitations and Future Directions Even though this current study is a step towards a better understanding of the IPH perpetrator and victim in China, some limitations point to the need for the future research. For example, the samples in this study come from criminal judgments published by the Supreme People’s Court of China. For privacy protection or other reasons, some important private information was deleted from the judgements when

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they were published, e. g. “duration of the intimate relationship”, “income”, “motivation”. Therefore, the information, which is necessary to deeply understand the offender and victim of IPH, is missing. With an aim to get a much more reasonable understanding of the perpetrator and victim in IPH, further research not only needs to continue identifying the characteristics of IPH, but also needs to broaden the perspectives through which we can explain this form of lethal domestic violence in China. For example, systematic research should examine the differences in the nature of IPH among different intimate relationships that vary in the degree of intimacy and level of commitment. In addition, the gender difference in the victims and perpetrator characteristics also require systemic analysis. With such research, we can not only learn the characteristics of the intimate killer but also identify whether the surrounding circumstances of IPH really differ according to the various states of an intimate relationship. Further, it is still unclear why such a large number of IPHs still occur among migrant workers because of extramarital affairs, despite growing tolerance for nonmarital intimate relationships in China today. Therefore, it is of great significance for an in-depth understanding of IPH in China’s specific development period. At the same time, this may encourage developing countries such as China, in their process of modernization and urbanization, to pay more attention to protecting the rights of migrant workers and invest more in prevention programs aimed at decreasing the risk of IPH. References Abrahams, N., Mathews, S., Martin, L.J., Lombard, C. & Jewkes, R. (2013): Intimate partner femicide in South Africa in 1999 and 2009. PLoS Med 10/4, p.e1001412. Adhia, A., Kernic, M.A., Hemenway, D., Vavilala, M.S. & Rivara, F.P. (2019): Intimate Partner Homicide of Adolescents. JAMA Pediatrics 173/6, 571 – 577. Aldrige, M.L. & Browne, K.D. (2003): Perpetrators of spousal homicide. A review. Trauma, Violence & Abuse 4, 265 – 276. Angela, W.E., Hilton, N.Z., Grant, T.H., Marnie, E.R. & Ruth, E.H. (2011): Intimate partner homicide: Risk assessment and prospects for prediction. Journal of Family Violence 26, 211 – 216. Biroscak, B.J., Smith, P.K. & Post, L.A. (2006): A practical approach to public health surveillance of violent deaths related to intimate partner relationships. Public Health Reports 121, 393 – 399. Black, M.C., Basile, K.C., Breiding, M.J., Smith, S.G., Walters, M.L. & Merrick, M.T. (2011): National intimate partner and sexual violence survey. Atlanta, GA: Centers for Disease Control, National Center for Injury Prevention and Control, Division of Violence Prevention. Block, C.R. & Christakos, A. (1995): Intimate partner homicide in Chicago over 29 years. Crime & Delinquency 41, 496 – 526

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(Cyber) Bullying by Faceless Bureaucracy in Research Funding A Case Study from the Balkans1 By Anna-Maria Getosˇ Kalac

1. Introduction and Background Most of us in academia will have had their fair share of bureaucratic adventures throughout their research careers. Those among us with a more long-running track record might perhaps still remember the old days, when there was not a special administrative or financial form in need of filling out and someone’s preapproval for every step along the way of doing research. For my own part, I have no such memories. I belong to an academic generation that has been bred to regard such bureaucracy as given and as a crucial part of daily academic business. In that sense I am probably not fully equipped to question its meaningfulness – and so I won’t. However, with regards to its reasonability, alike any other fellow researcher, I am both competent and called upon to critically question it. Moreover, as a criminologist and in case I have good reason to suspect such bureaucracy might be displaying harmful behaviour, I am essentially predestined to scientifically investigate it. The paper at hand is the result of such a criminological investigation and presents first findings on (cyber) bullying by faceless bureaucracy in the domain of public research funding. In terms of transparently providing for the background of our case study, three decisive factors need to be addressed. The first of these factors relates to the crucial impact the Croatian Science Foundation (CSF) has had on our study. Without the diligent work of CSF’s unnamed administrators or the dedicated activities of around a dozen renowned Croatian academics engaged in CSF’s main bodies, we probably never would have come up with the idea of conducting a victimisation survey on cyberbullying in Croatia. The second factor comes down to the pure necessity of having 1 The research for this publication has been conducted as part of the CroViMo project, jointly funded by the Croatian Science Foundation and University of Zagreb’s Faculty of Law (www.violence-lab.eu). The publication has partly (Sect. 3.2 and 3.3) also been prepared within the framework of Balkan Criminology, funded by the Global Initiative Against Transnational Organised Crime’s Resilience Fund (www.balkan-criminology.eu). An extended version of the paper, including numerous examples for each of the “bureaucratic cyberbullying” characteristics in Sect. 2.2, is available online: https://www.bib.irb.hr/1054936 [04. 02. 2020].

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to design and conduct a meaningful study on cyber harassment in Croatia within three months, including the publication of its findings.2 Last but not least, the third factor relates to my own professional experience and a somewhat specific academic background.3 Having had the opportunity to autonomously lead and manage several large research projects and two own research groups during the past 15 years and (up to now) never having had any difficulties with diverse funding agencies, I permit myself a certain level of expertise in recognising the differences between ordinary public project administration and excessive faceless bureaucracy or its systemic dysfunctionalities. In addition to that and academically speaking, I basically grew up motherless and as a lonely child, self-raised on the streets of criminology-land, somewhere in between Germany and Croatia. No one ever took me motherly by the hand or offered to lead me through the great plains of criminology-land. In that sense, I might probably appear to be some sort of unfortunate academic orphan, perhaps even the sad result of lacking care or grooming of the academic offspring. Such perception would, however, largely disregard that in the realm of academia grooming as well as mothering have a well-known tendency of getting confused with smothering, which clearly undermines any notion of freedom or autonomy – the very foundations academia builds upon, and which we commonly take for granted – until compromised. But how can one be expected to recognise these very foundations have been compromised, if one was not ‘misfortunate’ enough to grow up by truly living them? In that sense, my patron raised me well by supporting and protecting me whenever needed, while essentially letting me enjoy all the benefits and challenges of a truly free and autonomous academic childhood. Now, academically grown up, I can actually recognise when academic freedom and autonomy are compromised, just as I can recognise harmful behaviour when I see it. This brings me to the paper’s broader subject and its specific research question. The broader research subject my question is imbedded in is manifold and complex. At its very core it deals with potential misconducts of (faceless) bureaucracy which has meanwhile inflated academia, research and its funding.4 Such inflation has long reached the point where it seems compelling to take a closer look at the porous line that separates mere bureaucracy form (cyber) bullying and (cyber) harassment, administrative censorship and the infringement of academic freedom as a fun-

2 The almost impossible timeframe is the result of CSF denying our project adjustment request which asked for a minor substantial change in the workplan, by replacing an add-on cyber harassment-component with a new component on preschool violence. Since the replacement component on preschool violence had already been long approved, we were completely taken by surprise. Notification on CSF’s unreasoned denial was received on November 18th 2019, whereas the adjustment request dates back almost a year prior to that (December 5th 2018). 3 For more details, see www.violence-lab.eu/teams/anna-maria-getos-kalac [04. 02. 2020]. 4 For example, see Martin 2016; Nehring 2016; Glaser 2015.

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damental human right.5 This issue inevitably touches upon the ongoing discussion on academic capitalism globally,6 but even more in transitional societies, like those found in the Balkans.7 Here, in the Balkans, where corruption meets criminal state capture and dictates daily public and private business,8 one must seriously doubt that the sector of public9 research funding might somehow miraculously prove to be immune to its (criminal) tycoonisation10. Such immunity appears to be as likely as bureaucrats’ or academics’ overall immunity to deviant behaviour, misconduct, corruption, or, for that matter, any kind of criminal behaviour at all. Not only is the topic of criminal tycoonisation as such at the very core of a longstanding research focus of Balkan Criminology, but it also provides preliminary ideas on the aetiology of (cyber) bullying by faceless bureaucracy. This broader research subject also vividly portrays the overall social and academic context in which our case study is embedded in. The specific research question is in no way less complex or manifold, than its overarching research subject. It deals with issues such as: • How (in)appropriate are funding priorities, funding rules, reporting and control mechanisms of public research funding?11 5 Academic freedom includes “three aspects: (a) Far-reaching individual rights to expressive freedoms for members of the academic […]; (b) Collective or institutional autonomy for the academy in general and/or subsections thereof […]. Said autonomy implies that departments, faculties and universities as a whole have the right (and obligation) to preserve and promote the principles of academic freedom […]; (c) An obligation for the public authorities to respect and protect academic freedom and to take measures in order to ensure an effective enjoyment of this right and to promote it.” Cit. Vrielinka, Lemmens & Parmentier 2011, 117. 6 For a condensed overview of ‘academic capitalism’ see Münch 2016, or in more detail see, e. g. Slaughter & Rhoades 2004. 7 According to Sundhaussen, one should distinguish a broader concept of Southeast Europe and the narrower concept of the Balkans. Southeast Europe ranges from the western part of the former Kingdom of Hungary, the present Slovakia, over Hungary and the Republic of Moldova to approximately Odessa on the Black Sea, and everything that lies below this line is Southeast Europe. The Balkan includes Bosnia and Herzegovina, Serbia, Kosovo, Montenegro, North Macedonia, Bulgaria, the European part of Turkey (Eastern Thrace), Greece, and Albania, as well as the corridor between the Lower Danube and the Black Sea. Sundhaussen 2014, 8. 8 See European Commission (2018), 3; Pejic´ 2019; Perry & Keil 2018; 2018 special issue 42/1 of Southeastern Europe; etiologically very insightful Richter & Wunsch 2020. 9 Public in relation to research funding indicates that the funding source is the state budget. 10 The term (criminal) tycoonisation denotes the process of (criminally or mysteriously) acquiring exceptional wealth, power and influence by individuals or interest groups. In the Balkans it is used with a negative connotation due to the criminal privatisation process and war profiteering which have led to an unexplainable accumulation of wealth and influence by entrepreneurs. First findings on criminal tycoonisation of public research funds were presented in February 2020 at the conference “Tackling serious and organised crime in the Western Balkans”, organised by the Government of the United Kingdom and supported by the United Nations Office on Drugs and Crime. 11 For example, see Graeber 2015.

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• At what point, how and why does ordinary public project administration turn into faceless bureaucracy? • What happens when such faceless bureaucracy starts (cyber) bullying its clients, the project managers, instead of assisting them in efficiently managing public research funds? • Would such (cyber) bullying by faceless bureaucracy constitute a unique type of (cyber) bullying, and should it therefore be studied as a manifestation of (cyber) harassment? • If yes, should such manifestation of (cyber) harassment be scientifically investigated within the framework of criminological violence research? After having addressed these questions on a conceptual level (Sect. 2), the paper presents a criminological case study on (cyber) bullying by faceless bureaucracy from the Balkans12 (Sect. 3). The case study itself follows two lines of research. First, it deals with the issue of capturing and measuring cyber bullying by faceless bureaucracy in the sector public research funding, termed as “bureaucratic cybullying” (Sect. 3.1), while presenting findings from an exploratory victimisation survey conducted among project managers whose research is (co)founded by CSF (Sect. 3.2). Second, the case study provides a first analytical overview of the survey’s implications and the impact these have so far had on the Croatian and European research community (Sect. 3.3). In addition to that, I will argue that Croatia’s failure to adopt appropriate legislative, administrative and other measures towards the full realisation of academic freedom in the domain of public research funding constitutes a breach of its obligation to ensure academic freedom by actively creating, establishing and maintain the conditions for its optimal realisation (Sect. 3.4).13 This will not only be based on an overall analysis of the relevant normative, judicial and administrative vacuums in Croatia, but also be discussed within the framework of the actual case study.

2. Conceptualising Cyber Harassment in the Context of Criminological Violence Research The necessity of literally spelling out this section title as it is, arises out of the fact that in Croatia there seems to be some kind of doubt about the nonsynonymous mean-

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The term ‘Balkans’ is used broadly in light of the Croatian case study, since Croatia is in fact located in Southeast Europe. However, due to the embeddedness of the research question in the broader subject of Balkan-specific crime phenomena, an exception in this regard is justified. 13 Vrielinka, Lemmens & Parmentier 2011, 138. Croatia’s obligation to respect and protect academic freedom also arises from article 69 of the Croatian constitution.

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ing of the words ‘topic’ and ‘title’ of a paper.14 Be that as it may, this section aims to provide conceptual clarification so as to why cyber harassment should not be mistaken for cyber violence with the consequence of studying it within violence research. Conceptually and terminologically the section also deals with (cyber) bullying by faceless bureaucracy as a type of (cyber) harassment. 2.1 Unravelling the Conceptual Chaos of Cyber Violence Back in early 2017, within a project application for a research grant of the CSF, I argued that one of the greatest challenges in current violence research is the lack of a commonly accepted definition of the core subject itself: violence (Heitmeyer & Hagan 2002; Imbusch 2002). The perception of what violence actually is has changed over time (Aebi & Linde 2016), although the undisputed core of violence still is the intentional infliction of physical harm upon another person (Popitz 1992; Nadelmann 1997). New dimensions such as psychological, verbal, economic, etc. have vastly broadened the subject scope of violence research. There is a clear trend towards indefinitely stretching the term violence, up to the point where almost everything is labelled as violence with the consequence that eventually almost nothing presents itself as violence any more (Meyer 2002). This still reflects my scientific position on the matter of a consensually acceptable core subject and scope of violence research – anything beyond, though fully legit, cannot build upon the idea of a broad scientific consensus. However, being aware of all the divergent positions on the topic and wanting to assemble a truly transdisciplinarity project team, flexibility was needed and compromises had to be made. Therefore, I half-heartedly, yet obviously very convincingly argued that there seems to be only one justifiable exception regarding broadening violence research’s core subject: cyber violence, or to be terminologically more precise, cyber harassment, if we acknowledge the fact that violence is to be understood strictly in relation to physical harm. The virtual environment of cyber space has undoubtedly created new forms of threats, danger and human suffering that are by far more harmful than the mere use of a computer as modus operandi or the internet as locus operandi. Cyber harassment is in its quality a much more severe form of harassment than the conventional one. Its ease of infliction, anonymity, accessibility and opportunity, apparent virtual distance and simultaneous intimacy with the victim, and the potential spread of its hurtful consequences, together with cyber space’s stampeding invasion of our everyday reality, justify the study of cyber harassment in the context of delinquent violence (UN Broadband Commission 2015; Greenfield 2010; To14 Unfortunately our CSF co-funded project workplan foresees as one of its results “D.2.1.5. 1 journal article submitted for publishing (topic: conceptualising cyber harassment in context of delinquent violence)”. Now, obviously this paper’s topic is cyber harassment, as its subject is cyber bullying, whereas it is clearly embedded in the broader discussion of (delinquent) violence. Yet, based on last year’s annual project evaluation, we know that CSF’s anonymous domestic evaluators are of the opinion that the word topic is a synonym for title.

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kunaga 2010; Corcoran et al. 2015; Vejmelka et al. 2017). I was awarded the project grant and a year later we started working on our first task – the operationalisation of our project’s research subject and scope. Little did I know back then that even minor adjustments or updates to the initial project workplan, esp. if scientifically justified, would completely run against CSF’s bureaucracy. The subject and scope of our violence research project was operationalised based on a consensual working definition that understands violence as “any intentional physical harming or killing of another person”. Clearly, by finetuning the subject and scope of our study, on a conceptual level, we discovered that cyber harassment does no longer correspond to our project’s overall purpose, nor to our understanding of violence. So, we tried to replace the add-on cyber-component with a new component on (physical) violence in the preschool context, which would be in line with the project’s purpose and overall conceptualisation of violence (and cyber harassment). After a whole year of back and forth with CSF’s faceless bureaucracy on the matter of (unsuccessfully) excluding the project’s cyber-component, at the end of last year I basically caved in light of the approaching annual evaluation and we quickly started working on a cyber harassment survey for Croatia (Sect. 3.2). In brief, on a conceptual level, the phenomenon of cyber harassment, understood as any “harassment by means of email, text (or online) messages or the internet”15 is unreconcilable with a study of violence, that is based on the understanding of violence as any intentional physical harming or killing of another person. However, this by no means implies that cyber harassment is not harmful or painful for its victims, or that it might not escalate towards (physical) violence. It simply acknowledges that apples are not oranges. If one conceptually and terminologically constructs violence as a generic term which as two subtypes covers physical and cyber violence, then the question arises what the overarching understanding of violence should be? Most of the relevant literature on cyber violence skips to address, let alone solve, this generic problem. Instead of further trying to unravel the conceptual and terminological chaos created by the idea of cyber violence, an example shall demonstrate the diffusion. If cyber violence is to be considered violence, and cybercrime a type of cyber violence, then data interference or computer-related forgery, logically, are a form of violence (see Graphic 1). Basically, such conceptualisation and terminology completely disregard the nonsynonymous meaning of the words crime and violence, just as CSF disregards the nonsynonymous meaning of the words topic and title. How such conceptual and terminological incoherence might advance our understanding of (cyber) violence remains unclear. There are no correct or wrong concepts and definitions – their quality arises out of their ability to capture a phenomenon either well, or poorly. In that sense the above example might be considered a rather poor 15 Cit. European Institute for Gender Equality, cyber harassment definition; https://eige. europa.eu/thesaurus/terms/1486 [01. 12. 2019].

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Graphic 1: Types of Cyberviolence as Used by the Council of Europe’s Cybercrime Convention Committee (2018), p. 6.

attempt to capture the phenomena of cyber violence and cyber harassment in relation to their overarching embeddedness in a coherent concept or terminology of violence or crime. To violence research, just as to our project, cyber harassment has become an add-on topic, although it would deserve to be studied in its own realm, together with closely related phenomena and within a sensible framework. Looking at both phenomena, there are significant differences in perpetrator and victim profiles, criminogenic, victimogenic and contextual factors, their modus operandi, the legal framework that deals with them, or the criminal justice responses applied to them. This is an essential difference for which’s rebutting empirical evidence would be needed. Yet, as I will show throughout the next sections, practically, it is possible to fit the study of cyber harassment into (physical) violence research, to gain valuable insights on its unique nature, and do all this inspite the above detected lack of any logic. 2.2 “Bureaucratic Cybullying” as a Unique Type of Cyber Harassment After having argued that cyber harassment does neither conceptually nor terminologically fit into (physical) violence research, the question remains where and how it should be allocated? I propose to position it within the realm of harmful be-

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haviour (see Graphic 2), since it clearly is a type of behaviour that results in harm, and as such is the subject of criminology, as well as numerous other disciplines such as psychology, sociology, social work, psychiatry, law, communicology, and educational studies, to mention but a few.

Graphic 2: (Cyber) Harassment, (Cyber) Bullying and Bureaucratic (Cy) Bullying as a Type of Harmful Behaviour

The proposed concept allows for endless stretching of the generic term of harmful behaviour and its continuous adjustment to the changing (harmfulness of the) world around us. Harmful behaviour indeed must include not only physical harm, but also psychological, social, economic, ecologic etc. The notion of cyber within such conceptual approach indicates that it is being realised by means of email, text (or online) messages or the internet. Clearly, the cyber dimension significantly changes the nature and scope of any harmful behaviour, mainly due to ease of access and the disinhibition effect of cyberspace.16 Coming back to the paper’s specific research question, it is necessary to provide an explanation for focusing on (cyber) bullying in the domain of public research funding, and thus to further define the basic terms. As noted earlier, the Violence Research Lab has been established within the framework of a CSF co-funded research project. Although our research agenda focuses on studying (physical) violence in Croatia via court and prosecution case file analysis, as an add-on component our Lab also covers 16 See, e. g. Suler 2004 or 2016. Suler explores the causes of the “online disinhibition effect” and analyses several factors that might help explain “why people say and do things in cyberspace that they wouldn’t ordinarily say or do in the face-to-face world”: dissociative anonymity; invisibility; asynchronicity; solipsistic introjection; dissociative imagination; minimizing authority; personality variables; personal and cultural values. Cit. Suler available online http://truecenterpublishing.com/psycyber/disinhibit.html [01. 12. 2019].

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the topic of cyber harassment in Croatia. Now, through managing the CSF co-funded project I detected what first appeared to me as some sort of excessive bureaucracy combined with systemic dysfunctionalities and lack of any insight into how research works on the side of CSF.17 As exposure to the noted challenges occurred repeatedly and went on over a long period of time, I started feeling agitated, helpless, frustrated and unnecessarily exposed to nonsense whenever corresponding with CSF. With no means of effective protection or defence, in a context of clear imbalance of power and complete anonymity on the side of CSF, these feelings turned chronical. Little did I know (until recently) how well this describes the phenomenon of (cyber) bullying and harassment. Similar experiences and reactions were confirmed by fellow project team members and faculty colleagues who (had) managed their own CSF projects. The most common ‘complaints’ with regards to their project related CSF relationship may be summarised by the following six characteristics: (1) excessive bureaucracy, (2) cyber correspondence, (3) facelessness, (4) transparent arbitrariness, (5) absolute authority, and (6) nonsense. These characteristics essentially describe what I termed “bureaucratic cybullying” and what we consequently explored in the domain of Croatian public research funding:18 • excessive bureaucracy, characterised by being coerced into fulfilling trivial or unpleasant administrative tasks, being given tasks below one’s competence, persistent ungrounded criticism of work and effort, and attempts to find fault, which results in waste of time for research, feelings of being exposed to work-unrelated bureaucratic nonsense and a presumed culpability for an unspecified (potential) misconduct; • cyber correspondence, meaning that the only way of ‘communication’ is in writing and via e-mail, characterised by what Suler highlights as “asynchronicity”19 and 17 In early 2019, I did some desk research on the matter and found a very insightful study on the question ‘where the Croatian scientific research system might be heading to’. It appeared to be off track and lost somewhere in between rational reform and entropy with systemic failure. The study, among other things, highlighted serious concerns about CSF’s work, including incompetence as well as corruption (p. 49). Based on the presumption that the quality of CSF’s work is inextricably connected to the quality of scientific research work, since the acting principles of CSF reflect on the functioning of the whole Croatian scientific community, the study surveyed researchers’ attitudes towards CSF’s work. The results were devastating, as CSF had failed to positively impact any of the aspects of upgrading Croatian scientific research activity (1. upgrading the quality of research projects; 2. upgrading of scientific excellence; 3. upgrading evaluation methods; 4. limiting the influence of interest groups on scientific activity – corruption). As much as 73% of surveyed researchers stated that CSF has not contributed to limit corruption in the scientific system (p. 50). See Institut drusˇtvenih znanosti Ivo Pilar 2018, 49 – 54. 18 For examples on all the characteristics, see the paper’s extended version as referenced in Fn. 1. 19 Suler nicely explains “In real life, it would be like saying something to someone, magically suspending time before that person can reply, and then returning to the conversation

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“invisibility”20. This results in feelings of being turned into the object or mere addressee of communication, rather than being an active part of it, as well as it amplifies misinterpretations due to lack of verbal expression (phone) and body language (face-to-face); • facelessness,21 meaning that the e-mail correspondence is not attributable to any individual ‘real’ person, it is signed as “Croatian Science Foundation”, which is characterised by what Suler denotes “dissociative anonymity”22, and imposes the fiction of (corresponding with) an CSF that exists as such in the real world (like a person), while creating the perception, as well as self-presentation of CSF’s bureaucracy as faceless; • transparent arbitrariness, which arises out of apparent transparency of procedures combined with unreasoned decision making on all levels, that is thus obvious/ transparent in its arbitrariness and leads to feelings of demotivation, frustration, helplessness or revolt towards one’s own scientific work; • absolute authority (germ. Machtvollkommenheit), which reflects an extreme or excessive imbalance in power, illegitimately or unnecessarily imposed hierarchy or coerced subordination,23 resulting in feelings of helplessness, abandonment and ‘malignant vulnerability’24; • nonsense (germ. Blödsinn; cro. budalasˇtine), characterised by inquiries, responses, requests, instructions or decisions that lack any logic, meaningful purpose, are impossible to comply with, or do not correspond to the issue at stake, resulting in feelings of offendedness, helplessness, frustration, revolt and inexplicableness. when you’re willing and able to hear the response.” Cit. Suler available online http://true centerpublishing.com/psycyber/disinhibit.html [01. 12. 2019]. 20 Invisibility partly overlaps with anonymity, but “even with everyone’s identity visible, the opportunity to be physically invisible amplifies the disinhibition effect”. Cit. Suler available online http://truecenterpublishing.com/psycyber/disinhibit.html [01. 12. 2019]. 21 The term ‘faceless’ in relation to bureaucracy, harassment and bullying has been adopted from the European Agency for Safety and Health at Work (2010, 22): “Usually, harassment is considered to take place between people, but a situation created by ‘faceless bureaucracy’, referring to a situation in which an individual feels defenceless against actions of a bureaucratic organisation, has also been called bullying”. 22 Suler explains that due to their anonymity people “don’t have to own their behavior by acknowledging it within the full context of who they “really” are”, whereas such “anonymity works wonders for the disinhibition effect”. Cit. Suler available online http://truecenterpublis hing.com/psycyber/disinhibit.html [01. 12. 2019]. In the context of ‘faceless bureaucracy’ this becomes even more troublesome, since own behaviour is presented as CSF’s behaviour, just as personal responsibility is replaced with institutional responsibility. 23 The phenomenon of bureaucratic cybullying already encompasses a certain level of imbalance of power between the bullying faceless bureaucratic body and the victim of such type of cyber harassment. In that sense absolute authority is not merely an ordinary or natural imbalance of power, but rather an excessiveness or absoluteness for which there are no reasonable grounds. 24 On academic vulnerability, see Jackson 2018 and the following paragraphs.

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Clearly, there are varying severity degrees of the just presented bureaucratic cybulling characteristics, just as there are different combinations of various two up to all six characteristics. And just as with bullying in general, it is always a case-by-case assessment of whether a specific harmful behaviour is to be classified as bureaucratic cybulling or not. Two decisive criteria are the repeating or chronic nature of such incidents, as well as the absoluteness of authority on the side of faceless bureaucracy. The more extreme the absoluteness of authority, the lower the severity of single incidents must be in order to be considered bureaucratic cybullying, just like the rise in frequency and presence of all six characteristics with a high severity allows for lower levels of absolute authority. The exact base-line distinguishing such bullying from being exposed to (unwanted) unpleasant behaviour is generally unknown. Yet, in the context of work-related bullying the bar must be set much higher, as here there is basically little if any voluntariness on the side of exposing oneself to bullying in work-related and contractually binding relationships. This brings us to the issue of vulnerability and the question of whether CSF (co)funded project managers (in Croatia), or more broadly (Croatian) academics, might be considered a (particularly) vulnerable group of victims. The issue of academic vulnerability is closely related to the different policy approaches in public funding of science, research and higher education. In that respect, the level of academic capitalism, as well as academia’s particular vulnerability “to political and other pressures which undermine academic freedom”25, are two decisive factors that need to be considered when assessing whether a certain academic community in a particular state or domain should be considered (particularly) vulnerable. The notion of ‘particularly’ indicates a higher level of vulnerability than should be expected considering the normative and actual conditions for realisation of fundamental human rights and academic freedom in a specific country and its regional context. Since all the Balkan states, as well as Croatia, are bound to the Charter of Fundamental Rights of the European Union, one could argue that there should be no (particular) academic vulnerability. Yet, looking at the national normative and administrative framework in Croatia, as well as findings from our bureaucratic cybullying victimisation survey and its impact analysis (Sect. 3), clearly in Croatia academia is not only vulnerable, but actually ‘particularly’ vulnerable. That makes it plausible to study bureaucratic cybullying among project managers of CSF (co)funded research projects within our project’s focus on particularly vulnerable groups of victims. Academic vulnerability in Croatia has emerged as a pressing concern, as CSF’s research grants are the only source of domestic public research funding and since project managers of CSF (co)funded research projects are financially vulnerable 25 Cit. Vrielinka, Lemmens & Parmentier 2011, 121. The afore mentioned authors point out that “The UNESCO Recommendation specifically refers to “untoward political pressures, which could undermine academic freedom” due to the “vulnerability of the academic community” for such pressures (UNESCO Recommendation, preamble)”. Cit., p. 137.

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and fully personally accountable to outside (non-host institution) stakeholders.26 Jackson explains that the problem is not vulnerability as such, but rather “how it is experienced differently across individuals – and differently across systems, universities and disciplines – as tensions between academic values and market values manifest in diverse ways across contexts”.27 Jackson’s argument is that the common assumption that to be vulnerable is to be susceptible to risks and challenges, that as such vulnerability equals weakness, is a negative and deficient view of vulnerability that is found in literature on academics in higher education.28 Referring to Gilson she points out that “there is something positive about vulnerability from the view of individual and social learning: vulnerability enables learning. It entails an openness to being proven wrong or having one’s views challenged. If one’s beliefs or perspectives are ‘invulnerable’, he or she cannot learn or grow. This has important implications for education and for reforming systems and enhancing environments. Learners and stakeholders who seek positive change at individual or community levels should possess and even develop vulnerability, to be open to new and creative pathways for improvement.”29

In this sense, academics are (or at least should be) vulnerable by default. Now, whereas this positive notion of academic vulnerability might “work in harmony with neoliberal orientations which cast vulnerability as a personal issue”, vulnerability “in terms of systemic (institutional) failures”, just as vulnerability to violence, harmful behaviour (such as bureaucratic cybullying) and forms of oppression, is to be considered negative and to be avoided, prevented and decreased.30 To conclude with, “vulnerability is a normal part of being a person” and “there are cases where vulnerability can be seen not as a liability, but as something with potentially positive benefits despite its ‘troublesome’ dimensions”.31 In this sense beneficial vulnerability is at the very essence of academia’s true nature. So, when it comes to (beneficial, as well as harmful) academic vulnerability, the question is not if there is vulnerability, but rather how it is distributed among all relevant stakeholders in public research funding and whether an extremely unfair distribution makes a vulnerable academic community particularly vulnerable. Within this question also lies the answer on how to best avoid, prevent and decrease (malignant) academic (particular) vulnerability – by vulnerability’s fair distribution among all stakeholders. Eventually, such fair redistribution of vulnerability might simultaneously provide non-vulnerable stakeholders, such as CSF, access to (benignant) vulnerability. 26 See in more detail on academic vulnerability, e. g. Jackson 2018. Such financial and personal vulnerability clearly arises out of the current contractual set-up of CSF (co)funded research projects and the normative, judicial and administrative vacuum surrounding CSF. 27 Cit. Jackson 2018, 2. 28 Jackson 2018, 2. 29 Cit. Jackson 2018, 2 and 3. 30 Cit. Jackson 2018, 3. 31 Cit. Jackson 2018, 7.

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This, as we have seen, is a basic precondition for social learning and as such a valuable resource for any stakeholder engaged in public research or its funding.

3. (Cyber) Bullying by Faceless Bureaucracy – A Case Study The following sections present main findings from a case study conducted end of 2019 and early 2020 in Croatia. The case study’s first line of research investigates the question of whether and how public administration can turn into faceless bureaucracy, and if such faceless bureaucracy in the domain of public research funding does cyberbully its clients (Sect. 3.1). The second line of research analyses the implications (effects) of the conducted cyberbullying survey in public research funding and their impact. It demonstrates how bureaucratic cybullying may escalate into (real-life) bullying and eventually lead to an infringement of fundamental human rights (Sect. 3.2). The case study concludes with key findings from an analysis of the current normative, judicial, administrative, inspectional and control vacuum in the domain of Croatian public research funding, which allows for first ideas on the aetiology of bureaucratic (cy)bullying, and likewise provides an exploratory glimpse into (the potentials for) criminal tycoonisation of public research funds in Croatia. 3.1 Exploring Bureaucratic Cybulling in Croatian Public Research Funding ‘Bureaucratic cybullying’ is an abbreviated term for the phenomenon of cyber bullying by faceless bureaucracy as conceptually and phenomenologically defined earlier (Sect. 2.2) and within this section refers to the domain of public research funding in Croatia. The goal of our study has been to conduct an empirical survey into cyber harassment in Croatia.32 When deciding on the type of cyber harassment we would focus on, time, lack of any budget and little expertise on cyber harassment research were three decisive factors, which eventually determined our focus on cyber bullying and the domain of public research funding. Our research objective was to explore whether there might be bureaucratic cybulling in public research funding in Croatia and, in case there is, whether such cyber harassment might be related to any of the following factors: success and experience in prior project management, duration of ongoing project management, scientific field of inquiry, assessment of quality of cooperation with funding agency, sources of dissatisfaction, predominant feelings due to cooperation with funding agency, assessment of (im)balance of power, assessment of quality of funding agency decisions, 32 As noted earlier (Fn. 2), we asked CSF to replace the project’s cyber harassment component and clearly did not want to engage in this research topic. It would therefore be a blunt lie to state that with the survey initially we had any other goal, then to fulfil our project contract.

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type of communication, help and support networks, willingness to report potential illegal conduct of funding agency, choice of addressee of such illegal conduct, assessment of relevant authority in charge for control of funding agency’s quality and legality of conduct, satisfaction with contractual arrangements and the way these were defined, assessment of need for involvement in funding agency’s overall management, feeling of predominant (dis)satisfaction as project manager, assessment of necessity for funding agency’s annual work evaluation by project managers, assessment of quality of funding agency’s communication, and gender. In addition to these sets of variables, our objective was to collect qualitative data on the phenomenology of concrete cases of bureaucratic cybullying and for this purpose defined them as ‘examples of feelings of helplessness’. In terms of methodology we opted for an on-line victimisation survey via questionnaire as our research instrument and for collecting quantitative data, with the qualitative addition of the just noted ‘examples of feeling helpless’ and a general open-ended question on ‘further things to point out’. This was a quick and inexpensive way to conduct our explorative survey. In order to make the survey least time consuming for potential participants, no scales were used, while particular attention was paid to user-friendliness. Such considerations emerged out of the fact that we were well aware of the chronic time deficits of project managers and the relatively frequent influx of on-line survey inquiries in academia. The method of victimisation survey had previously been approved by the University of Zagreb Law Faculty’s Ethical Committee and was explicitly agreed as a research method with the CSF. With regards to sampling, and since we had already decided to focus on the domain of public research funding, we opted for CSF (co)funded research projects, as CSF is the only national source of domestic public research funds in Croatia. For the on-line survey, we used a free Google-form and sent it via our official project e-mail account to the individual official institutional e-mail addresses of prospective survey participants. The mailing list was created using the CSF publicly available database on (co)funded projects. The survey was completely anonymous, whereas the survey participation was voluntary. The survey topic, as well as its objectives were clearly identified, while the background of the research question was transparently explained to prospective participants, esp. by highlighting a relevant study on the Croatian scientific research system and its reform, as well as own victimisation experience.33 The implementation of the survey was clearly attributed to our research project. We thus acknowledged CSF’s co-funding of our project. Due to time constraints and the impossibility to establish feasible contact with CSF, as well as potential negative impacts on survey responses 33 This included providing reference to two relevant prior studies and their findings (Institut drusˇtvenih znanosti Ivo Pilar 2018; European Agency for Safety and Health at Work 2010), as well as admitting own victimisation experience. Now, neither of the two should pose a question as to our study’s objectivity. We consciously opted for transparency in choice of research question – something that frequently is missing in research and remains well-hidden from criticism.

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and the openness of project managers to frankly report on their potential bureaucratic cybullying victimisation experience, we decided to implement the survey without CSF coordination. Considering CSF’s reactions that paralleled and followed our survey implementation, this has proven to be a wise decision. In this sense it needs to be pointed out that prior CSF notification or approval was not a requirement for the survey’s implementation. The survey covered 96% of a full national sample, including former and current project managers who had been awarded CSF (co)funded project grants from 2013 onwards (provided the CSF database is correct and complete).34 The survey was launched December 2nd 2019 at 15:24 under the title “Survey on CSF bureaucracy within the framework of cyber harassment (Violence Research Lab)” and asked its addressees to (anonymously and voluntarily) participate in a survey on bullying by faceless bureaucracy, defined as “a situation in which an individual feels helpless towards the actions of a bureaucratic organisation”. It was transparently explained that we were interested in investigating the feeling of helplessness and general (dis) satisfaction amongst managers of CSF (co)funded research projects. We asked potential respondents to take 10 – 15 minutes of their time, and by sharing their own experience in working with CSF, enable detection of possible bullying in the domain of public research funding in Croatia. The survey’s response rate, although extremely high within the first day of its implementation, eventually turned out to be 12% (89 out of 734 contacted individuals). One can only speculate about the sudden decrease in responses, but based on expert opinion,35 as well as the content of approx. 50 e-mails received from CSF (co)funded project managers related to the survey, the main reason for non-participation in the survey was fear from negative CSF reactions. Public reactions to preliminary survey findings from the Croatian research community stressed that due to the relatively low response rate one should not doubt the survey’s findings, and pointed out that such 34 Out of a total of 765 individual project managers identified in the CSF database (808, but some of them were listed twice), for a total of 734 project managers we were able to detect emails. 35 Former minister of science and education Prof. Dr. Gvozden Flego expressed his expert opinion on CSF’s reaction to the launch of our survey: “The letter sent to project managers [by CSF] can be perceived as a warning not to participate in the survey of colleague Getosˇ Kalac”. He assessed the first reaction of CSF’s Managing Director towards our project’s survey as a dangerous precedent which might result in far-reaching consequences. In his view the CSF position that the research topic does not depend on how the project manager and project team understand it, but rather how CSF administration understands it, appears particularly dangerous and completely unauthentic, esp. since the CSF administration may revoke funds to projects which content the administration holds inappropriate. Those people in an institution aimed at caring for science, who have not grasped the immanent logic of doing science, that most is learned from critique, are not up to their task – if they want to stop the harassment of their ‘clients’, then the leadership of CSF, as well as anyone involved in scientific work, should thank colleague Anna-Maria Getosˇ Kalac and her associates, and encourage them to further analyse cyber and bureaucratic harassment of project managers by CSF administrators, Flego explained. HINA 12. 01. 2020.

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response-rate-based critique of the survey is a critique aimed at silencing critique, and not an actual concern about our survey’s ‘scientificity’.36 Be it as it may, due to the survey’s response rate of 12%, we could not test correlations, but were nevertheless able to reach the survey’s objective – detection of possible exposure to bureaucratic cybullying among CSF (co)funded project managers. The survey sample is representative in terms of acknowledged senior (75%) and perspective junior (25%) project managers, as well as regarding their distribution within different science fields (life sciences 17%, social sciences and humanities 30%, natural and technical sciences 51%). With this in mind and taking into account the numerous ‘examples of helplessness’ almost half of all respondents provided in detail in the survey, as well as the approx. 50 e-mails received by (non)participants of the survey with further ‘examples of helplessness’, it is safe to assume that the survey’s findings are valid. Almost two thirds of all 89 respondents assess their overall cooperation with CSF as satisfactory (70%), whereas approx. one third assess it as dissatisfactory (30%). This makes sense in light of CSF official data about results of annual project evaluations, which are almost evenly graded as either A or B (excellent or good progress), and only exceptionally as C (questionable progress). Out of 57 respondents, 90% allocated responsibility for causes of their dissatisfaction on the side of CSF, only 10% on the side of project managers. Respondents reported rather high dissatisfaction due to managing/administrative obligations which can be attributed to the bureaucratic cybullying characteristic of excessive bureaucracy. Respondents thus reported on predominant feelings of frustration, exposure to nonsense and helplessness, as well as revolt towards their scientific research in their role as project managers and in relation to their CSF cooperation (see Table 1). Table 1 Responses on Feelings of CSF (Co)funded Project Managers in Their Project-Related Cooperation with CSF Regarding my cooperation with CSF as project manager I feel … … dissatisfied due to managing/administrative obligations on my project (N=89) … predominantly frustrated (N=88) … predominantly exposed to nonsense (N=89) … predominantly helpless (N=88) … predominantly revolted in terms of my scientific research (N=88)

65% 55% 49% 40% 25%

It is important to note that such feelings were expressed in terms of their predominance, and not merely incident based, which is particularly relevant when it comes to bureaucratic cybullying and the decisiveness of determining a repeating or chronic nature of single bullying incidents through a longer period. Another decisive characteristic of bureaucratic cybullying is the imbalance of power and the absoluteness of authority. Both aspects have been addressed by the survey. The 36

HINA 12. 01. 2020.

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first one by explicitly asking respondents about their feeling as an equal contractual party (Table 2), the second one by asking the respondents about their assessment of oversight and control of CSF’s quality and legality of work, as well as respondents’ readiness to report on potential illegal conduct by CSF (Graphic 3).

1 2 3 4

Table 2 Respondents’ Perceived (Im)Balance of Power Due to Financial Negotiations and Contracting with CSF Perceived Balance of Power Perceived Imbalance of Power 56% 44% 42% 58% 38% 62% 29% 71%

Legend: 1) “I am satisfied with the contractual obligations and rights” (yes/no); 2) “During contracting my CSF project I had the possibility to actually negotiate (in terms of content and/or funding)” (yes/no); 3) “The CSF project I am managing was contracted following the principle of ‘take it, or leave it’” (no/yes); 4) “I feel that I am, as a project manager, an equal contractual party, with same obligations and rights as CSF” (yes/no). Note: all 89 respondents replied to 4 questions.

Only one third of 89 respondents feel as an equal contract party, whereas even 70% feel unequal. Moreover, asked about their assessment of own position in relation to their CSF cooperation, 65% of 89 respondents assessed their position as subordinated, whereas only 33% as equal, and 2% as superior. This clearly confirms an imbalance of power between CSF and project managers, which is particularly worrisome since (at least contractually) their cooperation is conceptually set-up as one between equal partners, and thus includes their host institutions, basically (contractually) shifting the balance positively towards the side of the project managers. However, in terms of CSF project (co)funding contracts, the distribution of rights and obligations clearly constitutes an imbalance of power, foresees far-reaching obligations for project managers, but little if any responsibilities on the side of CSF. This imbalance of power is well reflected in respondents’ (dis)satisfaction with the contracting and so-called financial negotiations (see Table 2). With regards to CSF’s absolute authority, half of 84 respondents reported that they would in case of illegal conduct on the side of CSF and related to their project report such illegal conduct to CSF (51%), whereas only one fourth of them (25%) would report it to their host institutions, with 14% responding they would not report such illegal CSF conduct at all, and only 7% responding they would report CSF’s illegal conduct to relevant state authorities (police, public prosecutor, ombudsperson). Interestingly, only one respondent would report CSF’s illegal conduct to the Croatian Parliament, who is in fact CSF’s founding body. When asked about their opinion on the responsible public authority in charge of overseeing CSF’s work in terms of its quality and legality (responsibility for active and appellate oversight of CSF), the majority of 85 respondents replied that no one is in charge (44%) or that the CSF it-self is in charge of its own oversight (26%). 17% of respondents iden-

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Graphic 3: Readiness and Addressee of Reporting Illegal CSF Conduct (Left, N=84) and Assessment of Authority Overseeing CSF (Right, N=85)

tified the Ministry of science and education as responsible for oversight, whereas in fact only 6 respondents (7%) identified the Croatian Parliament as responsible (see Graphic 3). All 89 survey participants confirmed that they predominantly communicate with CSF in writing via e-mail, which fulfils the criteria of cyber correspondence, as well as facelessness of the CSF bureaucracy, due to individual CSF staffs’ anonymity and lack of personal or phone contacts. With almost half of responses (49,4%) confirming a predominant feeling of being exposed to nonsense, and compared to only 18% feeling exposed to justifiable professional challenges, the criteria of nonsense has also been confirmed. Now, the criteria of transparent arbitrariness proved difficult to explore by using the question “CSF decisions on my requests are best described by the following qualities …” (Table 3). However, interpreting the findings in light of examples provided by survey respondents, as well as in context of survey feedback received by project managers allows for first thoughts. It appears as if the just presented findings might very well reflect the characteristic of transparent arbitrariness, but the results in this respect are not conclusive, neither was the question well posed. Basically, one would have needed to ask respondents more specifically about various types of CSF decisions regarding requested project adjustments, evaluations, financial decisions, micromanagement etc. In that sense the findings might best be considered as indicative and overall as rather critical towards CSF decisions.

(Cyber) Bullying by Faceless Bureaucracy in Research Funding Table 3 Exploring Transparent Arbitrariness as a Characteristic of Bureaucratic Cybullying (N=88, Multiple Choice) CSF decisions on my requests are best described by the following qualities … … inflexible … timely … arbitrary … according to rules … non-transparent … unreasoned … scientifically unjustified … reasoned … untimely … transparent … flexible … scientifically justified

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50% 43% 38% 38% 31% 28% 28% 26% 23% 22% 19% 10%

Finally, the vast majority of respondents (89% of 84 respondents) asserted that CSF should at least once a year have its work evaluated by project managers, whereas respondents (N=81, multiple choice) also asserted that project managers should be represented in CSF’s Managing Board (83% acknowledged project managers; 56% perspective project managers), as should their host institutions (43%), mentors of CSF funded PhD researchers (37%) and CSF funded PhD researchers themselves (17%). This last survey finding on participation rights of project managers in CSF management is highly interesting, since one of the main reasons for setting up CSF as an independent funding agency outside the framework of the Ministry of Science and Education, was to implement the concept of researchers’ self-governance of public research funds. This is thought to have been successfully achieved by simply appointing researchers to CSF’s Managing Board by the Croatian Parliament (based on preselection by Croatian Government). Our survey’s findings show that the majority of CSF (co)funded project managers does not feel represented by their fellow academic colleagues. Whether CSF can in that sense be realistically understood as a form of researchers’ self-governance of public research funds is dubious (at best). In sum, the findings of our explorative survey on bureaucratic cyberbullying in Croatian public research funding clearly show that 5 out of 6 bureaucratic cybullying characteristics have been detected, whereas for 1 the findings are not conclusive: • surveyed project managers communicate with anonymous CSF staff predominantly in writing and by e-mail (cyber correspondence and facelessness); • most surveyed project managers are dissatisfied due to administrative project obligations (65%) (excessive bureaucracy); • a significant share of surveyed project managers feels predominantly frustrated (56%), predominantly exposed to nonsense (49%), and predominantly helpless (40%);

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• approx. half of surveyed project managers provided detailed examples of feelings of helplessness, which characterise the phenomenon of cyberbullying by faceless bureaucracy; • most of surveyed project managers would report illegal CSF conduct to CSF (51%) or not at all (14%), whereas the majority (44%) believes that no one is responsible for CSF oversight in terms of controlling legality and quality of its work, or that CSF itself is in charge of its own oversight (26%) (absolute authority); • transparent arbitrariness seems to play a role in bureaucratic cybullying, but findings in this regard are not fully conclusive and need further exploration; • the concept of researchers’ self-governance of public research funds in Croatia is not perceived as representing the interests of project managers, whereas it is reasonable to expect that CSF’s non-perception of interests of the research community would be even worse if not only project managers, but also project applicants were to be included in the survey. Further research is needed to address potential causes of perceived bureaucratic cybullying, as well as various levels and factors of exposure to such harmful behaviour. It would also be necessary to investigate cybullying self-perception and justification on the side of CSF’s management and staff, as well as CSF’s foreign and domestic evaluators, or CSF’s panel members. The phenomenon is extremely complex and it would be unreasonable to expect simplistic solutions for its prevention and reduction. It also appears very likely that bureaucratic cybullying might be detectable in other domains of public administration in Croatia, as well as throughout the Balkans, where service-oriented governance is still the exception, and not a rule. 3.2 From Bureaucratic Cybullying to Bullying and Infringement of Academic Freedom This section provides for a brief overview of the main implications and the impact of the just presented survey on bureaucratic cybullying among CSF (co)funded project managers and in relation to their CSF cooperation. The case analysis in this respect demonstrates how easily bureaucratic cybullying may escalate into real-life bullying, and, when it comes to the survey’s setting within the research domain, how this can result in the infringement of academic freedom. Immediately after the launch of the explorative victimisation survey among CSF (co)funded project managers, CSF posted an anonymous warning on its webpage,37 and anonymously via e-mail informed all CSF (co)funded project managers, as well as mentors of CSF funded PhD researchers, that our on-line survey was not part of any CSF funded project and that CSF had neither provided contact details nor its permission for conducting the survey. I received a similar anonymous warning and was 37

See www.hrzz.hr/default.aspx?id=2636 [26. 02. 2020].

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requested to immediately inform survey participants about CSF’s position. In line with the request, the on-line survey form was annotated and a relevant statement published on our project’s website.38 CSF’s position was made clear, as well as our understanding that the study of cyber harassment (and as such the explorative survey on bureaucratic cybullying in public research funding) had been contractually agreed with CSF, and is as such foreseen in seven components of our project’s workplan. We thus raised concerns that CSF’s anonymous ‘warning’ and the CSF position itself are an attempt of bureaucratic censorship. As a project team we were not informed about the anonymous reasoning of CSF’s position, nor its scientific justification, even after having repeatedly requested such information. Now, one might assume that that was it in terms of divergent opinions and publicly raised concerns on the matter, but CSF went one step further and (again) did what CSF commonly does not (and should not) do – it commented on specific CSF (co)funded projects. CSF’s Managing Director published a lengthy public statement on CSF’s website, basically implying that our victimisation survey was not part of our CSF co-funded project.39 The main line of argument was that the survey on bureaucratic cybullying was not explicitly named in the project application’s summary and therefore does not constitute a part of our project. In this sense CSF publicly proclaimed that the study of cyber harassment is not part of our project, which was simply outrageous, esp. after we had been coerced by CSF into conducting the cyber harassment study at hands.40 Reacting to such blunt repeated public defamation, which as such is a well-recognised type of bullying behaviour, we published a public statement on “CSF’s bureaucratic cyber nonsense”,41 and a few days later the whole topic was picked up by the media and widely reported on under the title “Scandal in the scientific community: project managers complain about cyber harassment, they say they are humiliated by tonnes of nonsense”.42 Further media coverage followed and Croatia’s state news agency HINA published several texts on our survey, as well as CSF’s reactions and the lack of any relevant authority’s dealing with the matter. Mid-January 2020, less than one and a half months after having conducted the survey, the dean of our project’s host institution and myself received a letter from CSF’s Managing Director informing us that CSF’s Managing Board had decided to conduct an “additional evaluation” of our project through means of organising an “official visit” – in short, an extraordinary control measure, commonly imposed on project managements that show difficulties or shortcomings in project implementation. CSF’s Managing Board decision was based on the decision of CSF’s Ethical Committee, which had found me guilty of having breached several general ethical 38 See www.violence-lab.eu/news/anketa-o-faceless-bureaucracy-u-kontekstu-cyber-harass ment [26. 02.2020]. 39 See www.hrzz.hr/default.aspx?id=2641 [26. 02. 2020]. 40 For more details, see Fn. 2. 41 See www.violence-lab.eu/news/kiberneticke-budalastine-zaklade [26. 02. 2020]. 42 HINA 15. 12. 2019.

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principles of CSF’s Ethical Codex, as well as one ethical rule on “inappropriate communication with CSF employees and evaluators”. The letter we received cited a section form CSF Ethical Committee’s decision, but we were not even provided with the decision itself, nor with the actual decision of CSF’s Managing Board. Since such procedure of CSF and its Ethical Committee was clearly in breach of several procedural provisions of CSF’s own Ethical Codex, as well as the European Code of Conduct for Research Integrity, the Faculty dismissed CSF’s Managing Board decision on conducting the extraordinary control measure as void, and thus reported CSF’s misconduct to the Ministry of Science and Education, Zagreb University’s Rector and the relevant Parliamentary Committee, while also informing the Rectors’ Council and the National Science Council about CSF’s misconduct. He thus called for ensuring the lawfulness of CSF’s procedures and decisions. None of the addressed institutions officially replied, nor did the CSF (for the time being) conduct the extraordinary control measure, which might result in termination of the project, loss of project funds, as well as 3 PhD researcher positions. CSF upon written request eventually provided for a copy of its Ethical Committee’s decision – needless to point out that neither myself as the accused/convicted/sentenced, nor my dean, had any clue there had been an ethical investigation initiated back in late December 2019, or a ruling and sentencing delivered. Basically, we were simply informed on the CSF Managing Board’s decision implementing CSF Ethical Committee’s sentence. Interestingly, CSF’s Ethical Committee delivered its decision in line with an unspecified and non-available phantom-request of CSF’s Managing Board. CSF’s Ethical Committee literally states that “during the discussion the Committee did not go into the specifics of the project in question, but discussed elements from the provided documentation and publicly available information, for which there is a basis for determining inconsistency with principles of scientific conduct and rules of CSF’s Ethical Codex. […] Based on the available documentation the Committee had a discussion and has determined that assoc. prof. dr. Getosˇ Kalac breached the principles of the Ethical Codex, specifically articles 5, 6 and 14 (basic ethical principles, professional conduct and responsible scientific conduct).”

Then the decision continues by partially citing e-mail correspondence with CSF’s faceless bureaucracy and interpreting that appeals against unreasoned CSF decisions constitute “disrespect of CSF decisions”, that requests for information constitute “disrespect of hierarchy”, that argumentation provided within project adjustment requests constitutes “disrespect of CSF procedures”, all of which “may be classified as inappropriate conduct in communication with CSF employees and evaluators”. Now, besides the obvious lack of basic legal knowledge and the inherent nonsense of such deliberations, clearly the just stated (even if true) in CSF Ethical Committee’s own words also may not be classified as such conduct. Whereas the first part of the decision is completely unspecified in terms of exact conduct that might be considered unethical (although it is obviously somehow related to the survey we conducted), the decision’s second part lacks any reasoning on why the e-mail correspondence must be considered an ethical misconduct. As such, the CSF Ethical Committee’s

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decision and sentencing, imposing all possible proscribed penal measures (for an alleged “minor ethical misconduct”), is nonsense at best, but much more likely CSF’s real-life bullying and an attempt at disciplining a critically thinking (and acting) project manager. Clearly, the conducted explorative victimisation survey on bureaucratic cybullying among CSF (co)funded project managers was not to the liking of CSF’s Managing Director, nor the members of its Managing Board, or members of its Ethical Committee. Such ‘disliking’ of a research topic, let alone a legit research survey, is not unusual within any research community and is frequently the subject of opposing positions in academic papers. What is however highly unusual, and simultaneously extremely dangerous, is the abuse of position by ‘fellow’ academics through managing bodies of public research funding agencies, aimed at disciplining, punishing and silencing critical scientific opinion and making an example for the whole research community. Not only does such bullying have severe implications on the individual victim, as well as the whole project team and the relevant host institution, but it also threatens the overall scientific community by imposing self-censorship and coercing project managers, as well as future project applicants into presumably CSF-endorsed research topics. Such CSF-conduct self-evidently infringes the individual as well as institutional and collective fundamental right of academic freedom. Even in case there would have been any legitimate grounds for CSF’s divergent opinion on what does and does not constitute a part of our joint research project, the mere lack in contractual specification of the project’s cyber harassment component does not provide CSF’s faceless bureaucracy with the discretionary right to unilaterally, anonymously and without any reasoning specify the meaning or the content of our project’s research subject.43 It remains to be seen what legal and ethical implications will arise for CSF, the members of its managing and ethical bodies, but it is clear that the relevant international academic community has already decided on the matter and ascertained its firm position that academic freedom is not up for discussion, nor may it be revoked simply on the grounds of a funding agency’s disliking of particular research subject or method, let alone its discontent with specific findings of a scientific survey.44 43 “If and when specific requirements about the subject or topic of research, the method and the mode of analysis are in place, they should be clearly established and mutually agreed upon beforehand. In case of external funding, the respective rights of sponsors and researchers over the output should be made clear as well.” Cit. Vrielinka, Lemmens & Parmentier 2011, 125. Out of this arises an obligation of funding agencies to mutually agree with project partners on potentially needed specification of research subject or topic, method and mode of analysis. 44 The European Society of Criminology is “concerned about a case which has come to its attention relating to academic freedom” and in this regard has underlined “its commitment to the principle of academic freedom. This is a foundational component of any democratic society and a driving ethos of University research. Academic freedom requires: fair and transparent processes for the funding and review of research; the capacity for critical thinking and capacity for the academy to speak truth to power, and always and everywhere challenging censorship and rights violations.” See www.esc-eurocrim.org/index.php/activities/news [26. 02.

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3.3 Potentials for (Criminal) Tycoonisation of Public Research Funds This part of the case study on bureaucratic (cy)bullying in public research funding in Croatia will highlight main findings from a thorough normative analysis. The findings are thus confirmed by the just described real-life bullying case study and in a nutshell present a total normative, judicial, inspectional and administrative vacuum when it comes to CSF quality control and oversight of legality of conduct and decisions. To start off with the most easily detectable normative vacuum – the one on quality control. In essence the only quality control of CSF’s work is being performed by the Croatian Parliament. However, even this control mechanism is a fictional, rather than an actual control mechanism, since the Parliament’s only competence is to accept or not accept CSF’s own annual report. Even in the highly unlikely event that the Parliament were not to accept CSF’s report, no consequence is foreseen. Next in line is the question of overall administrative and/or inspectional oversight of CSF as a legal person with public authority. In short – neither the Ministry of Science and Education, nor any other government body, have competence on administrative or inspectional control of legality of CSF’s work. Only with regards to control over CSF’s disposal of public funds the Ministry has together with the Ministry of Finance oversight and control competences. Not even the relevant City Office in charge of regularly inspecting the work and conduct of foundations has any competence over CSF, since such inspection competences would have to be explicitly foreseen in the Act on CSF (obviously they are not). Now, as a measure of last resort one might think about the courts. There should be some sort of legal procedure in court that might provide for legal oversight of legality and correctness of individual CSF decisions, one might think, and one would be mistaken. The High Administrative Court of Croatia has already decided that individual CSF decisions do not constitute such type of decisions that would fall within the competence of administrative jurisdiction. Currently it is under investigation whether not at least the Croatian Constitutional Court might prove to be a judicial oversight and correction mechanism. Nevertheless, the normative vacuum is complete and leaves CSF overall, as well as any of its individual decisions, as untouchable and incontestable, outside of the framework of any normative, administrative, inspectional or quality control mechanism. In context of such a control vacuum it needs to be pointed out that CSF’s Managing Board has been acting despite the expiry of its own mandate approx. 3 years ago, and solemnly based on CSF’s own statute (enacted by the current CSF Managing Board in 2013). CSF’s Statute foresees that the Managing Board can keep acting indefinitely after the expiry of its mandate, basically until its current members are re2020]. The German KrimG has informed CSF about similar concerns, whereas the Société internationale de défense sociale pour une politique criminelle humaniste has issued a “Statement related to the infringement of academic freedoms and bullying criminologists by the Croatian Science Foundation”. See www.violence-lab.eu/news/issd [26. 02. 2020].

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voked, or new members nominated by Parliament. The respective public call for nominating new CSF Managing Board members closed back in February 2018 – no one knows why no new CSF Managing Board has been nominated during the past two years. It is highly unlikely that the statutory legal grounds for the continuous acting of CSF’s current Managing Board (despite expiry of its members’ mandate) are in consistency with the relevant legal provisions on duration of Board Members’ mandate provided in the Act on CSF. Regarding CSF’s Managing Board another problem needs to be addressed and this relates to potential conflict of interest and a lack of publicly declared personal and professional networks that might interfere with CSF Managing Board members’ impartiality when deciding on specific project applications or annual project reviews, as well as selecting international and domestic evaluators. As a last oversight vacuum I need to highlight the complete lack of any publicly available information on either the criteria or the procedure for selecting foreign and domestic anonymous CSF evaluators in charge of reviewing project applications, as well as annual project reports. Not even the members of CSF’s Panels on different scientific fields have any idea about who decides, and how, on such evaluators, nor is there any transparency in terms of who decides about which of the evaluators get assigned to any given project application or evaluation, nor how many such reviews are inquired and how many or which of these reviews are then used by CSF Panels or the CSF Managing Board to base their decision upon. It is only known that CSF Panels as well as project managers should receive a minimum of two separate reviews. Regarding annual project evaluations, it is not even known whether the anonymous domestic evaluators are selected from the relevant discipline in which the project has been approved, nor whether the evaluators themselves have experience in (CSF) project management or for that matter any competence on the actual project subject. Finally, foreign as well as domestic evaluators are expected to self-report on potential conflict of interest, but without any oversight on CSF’s work this remains a huge unknown, just as any potential conflict of interest on the side of vastly anonymous CSF administrative staff. This is particularly worrisome in a country like Croatia with a small and highly intertwined academic community. To conclude with, any of the just described oversight and control vacuums on their own would probably raise little if any concern on potentials for (criminal) tycoonisation of public research funds in Croatia. Yet, all of them taken together and put in the broader context of pandemic corruption, as well as criminal state capture in the Balkans (and Croatia), raise serious concerns about (at least very evident potentials for) criminal ‘tycoonisation’ of public research funds. Even though this is a completely different criminological phenomenon as such, at the same time it is also a plausible first assumption on probable aetiological roots for the detected phenomenon of bureaucratic cybullying in the domain of public research funding, as well as its real-life escalation into bullying and infringement of academic rights. Here further criminological research is urgently needed, whereby particular attention should be paid to statistical anomalies in awarded CSF project grants to host institutions of

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members of CSF’s Managing Board and/or their close relatives and members of their professional networks.

4. Conclusions with Food for Thought on Science Activism The paper aimed to provide numerous empirical findings and broadly discusses its specific research question on bureaucratic cybullying in public research funding within the wider context of its overall research subject. First, cyber harassment, as a criminological phenomenon and concept, is not reconcilable with a consensually acceptable concept of violence, that understands violence in line with its undisputable core – the intentional physical harming or killing of another person. As such, cyber harassment needs to be studied within the realm of conceptually and phenomenologically similar types of harmful behaviour. Squeezing everything under the generic term of cyber violence creates more problems than it might ever be able to solve, whereas conceptually and terminologically the idea of cyber violence is unjustified and misleading. A more meaningful conceptualisation might build upon the idea of harmful behaviour, which includes both violence, as well as harassment. By introducing the generic term of harmful behaviour, conceptual clarity as well as terminological consistency is guaranteed, whereas the cyber dimension in relation to harassment does not undermine a clear understanding of violence as physical. Within such a set-up, bureaucratic cybullying is a type of bullying, which is a form of harassment and as such harmful behaviour. Second, the term bureaucratic cybullying denotes the phenomenon of cyberbullying by faceless bureaucracy, which is characterised by excessive bureaucracy, cyber correspondence, facelessness, transparent arbitrariness, absolute authority and nonsense, whereas the repeating or chronic nature of single incidents through a longer period is decisive for determining its existence as such. There is no exact base-line distinguishing such bullying from being exposed to (unwanted) unpleasant behaviour, but in the context of work-related bullying the bar must be set much higher, as there is little if any voluntariness on the side of exposing oneself to bullying in work-related or contractually binding relationships. In the context of public research funding and particularly vulnerable victims, bureaucratic cybullying becomes even more harmful. Vulnerability should be at the very core of any true academic’s nature, and while such benignant academic vulnerability is a valuable resource, unfair distribution of malignant academic vulnerability might be one of the main causes of bureaucratic cybullying in public research funding. In Croatia, academics are not simply vulnerable, but in fact “particularly” vulnerable considering the state’s obvious failure to provide for a normative, judicial, administrative or practical framework that guarantees effective realisation of academic freedom as a fundamental human right. First practical measures to provide instant relief to Croatia’s academic community would be a fair redistribution of academic vulnerability among all stakeholders engaged in public research and its funding (esp. CSF), as well as immediate normative

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action on the side of the legislator, accompanied by administrative effective control mechanisms of the relevant ministries (both science and finance). Third, our explorative bureaucratic cybullying victimisation survey among CSF (co)funded project managers detected the existence of five out of six characteristics within Croatia’s public research funding, as well as it provided clear evidence for chronic exposure to this type of harmful behaviour. The findings on transparent arbitrariness are not fully conclusive and need to be further explored with respect to specific types of decisions on different types of subjects. Survey results clearly indicate that CSF can not be understood as having (thus far) successfully implemented the concept of researchers’ self-governance of public research funds. As the case study demonstrates, CSF, as Croatia’s only source of public research funding, has deviated considerably from its original founding mission and presents itself as a faceless bureaucracy that rather (cyber) bullies its clients, than contributes to society’s overall advancement through enabling and promoting excellence in research. In allocating responsibility for CSF’s stumbling away from its legitimate path, one must first and foremost call upon the Croatian academic community and every single one of its members, including myself. Neither the detected oversight vacuum preventing any kind of normative, administrative, inspectional, or quality control of CSF’s performance and individual decisions, nor the high potential for (criminal) tycoonisation of Croatian public research funds will come as a complete surprise to most of us. In that sense it is questionable whether the Croatian academic community is able or even willing to self-govern public research funds, solemnly based on principles of scientific excellence, transparency and objectivity. There currently appears to be a serious lack of a critical academic mass subscribing to these principles, which raises the question of possible solutions and actions? Forth, and as a response to the aforementioned question on what to do, we plead for science activism. We plead for it when objectively choosing our research topics and research questions, when opting for trendy or fund worthy instead of socially responsible or impactful, when publishing full-fledged findings in journals with high impact factors rather that presenting first findings to the public and the media. All of these (and many more) are objectives that can be well-balanced and co-exist in harmony. And all of them build upon the firm belief that academic freedom is a fundamental right, but that it comes with responsibilities and obligations towards the academic community and the society it is embedded in. Detecting and analysing any given problem, as well as providing for solutions is good. However, making sure the problem gets solved is even better. That is how I understand science activism and here I believe to have discovered for myself and practically tested the huge hidden potential of science activism and academic freedom. Admittedly, I have so far only managed to scientifically detect and roughly analyse the problem. I am far from having provided full-fledged answers for its actual solution. However, I am already on the (right) way of making sure it gets solved.

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This criminological investigation and the here presented first findings on the phenomenology and aetiology of (cyber) bullying by faceless bureaucracy in the domain of public research funding, will hopefully be one of the finer examples of the great scientific and personal influence my patron has had on my academic development. It would be inappropriate to designate him simply as my mentor, since his role, in its very essence, is undoubtably more that of a benevolent patron, than that of an incidental mentor. Whoever had the privilege of working with or for him knows that Hans-Jörg Albrecht is not the lovely kind of mothering accomplished colleague, who would take you by the hand and lead you through the great plains of criminology-land or, for that matter, do any kind of planning or thinking for you, let alone instead of you. By supporting and protecting me whenever needed, while simultaneously allowing me to academically grow up freely and autonomously, he has in fact raised me to become the academic I am today. He equipped me with the tools for detecting seemingly hidden deviances and thus empowered me to ask provocative research questions, even when others won’t. Finally, his patronage has allowed me to relatively fearlessly stand my scientific and academic grounds, regardless of pragmatic conveniences or potentially harmful consequences. I only wish more fellow academics in this part of Europe and from CSF could have enjoyed such patronage and the privilege of being raised by truly living academic freedom – the topic of this paper surely would have been another one.

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III. Strafe und Strafzumessung – Punishment and Sentencing

Straftheorien – reflektiert aus der Sicht von Hans-Jörg Albrecht Von Albin Eser

1. Einführung Wenn man für einen Festschriftbeitrag zum 70. Geburtstag eines Kollegen, mit dem man viele Jahre in der Leitung eines Forschungsinstituts tätig war, ein beiderseits einschlägiges Themenfeld finden möchte, liegt es im Falle von Hans-Jörg Albrecht nahe, im Bereich von Straftheorien auf die Suche zu gehen. Seinerseits war aus kriminologischer Sicht schon bei seiner Freiburger Dissertation zur Strafzumessung bei Geldstrafen1 an Straftheorien nicht vorbeizukommen, und dies noch weniger bei seiner Freiburger Habilitation zur Strafzumessung bei schwerer Kriminalität.2 Auch meinerseits ließ sich aus strafrechtlicher Sicht kaum ein Problem voll erfassen, ohne dabei letztlich nicht auch Sinn und Zweck von Strafe im Blick zu haben.3 Schaut man allerdings etwas genauer hin, drängt sich bei Albrecht ein reservierter Eindruck auf – so als ob er sich straftheoretisch nicht so recht festlegen wollte. Nicht als ob sich überhaupt eine Straftheorie „aus einem Guss“ entwickeln ließe oder diese gar in „axiologischer Geschlossenheit“ zu konzipieren sei.4 Doch wie schon in einer Rezension seines Hauptwerks zu Strafzumessung bei schwerer Kriminalität bemerkt, bleibe Albrecht straftheoretisch selbst bei seiner Stellungnahme zu der für sein Strafzumessungsmodell wesentlichen Tatproportionalität im Ergebnis unentschieden.5 Umso reizvoller erscheint es, gleichsam im Sinne einer Spurensuche der Frage nachzugehen, ob er nicht doch ein gewisses Grundverständnis von Strafe im Hinterkopf hatte, ohne dieses jedoch in einer Gesamtschau darstellen zu wollen, um sich nicht vorschnell in eine bestimmte Richtung festlegen zu lassen. Zu diesem Rekonstruktionsversuch sind aber gleich einige Vorbehalte zu machen. Das betrifft vor allem die Wahl und Zahl der in dieser Untersuchung berücksichtigten 1

Albrecht 1980. Albrecht 1994. 3 Zu meinem eigenen grundsätzlichen Verständnis vom Sinn und Zweck der Strafe vgl. unten Abschnitt 10 mit Nachweisen in den Fn. 88 ff. 4 Wie Letzteres von Pawlik (2004, 53) gefordert, jedoch in der – soweit ersichtlich – wohl jüngsten monographischen Analyse von Straftheorien von Hörnle (2011, 2 bzw. 4) in beiderlei Hinsicht zu Recht infrage gestellt wird. 5 Streng 1997, 184. 2

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Publikationen von Albrecht. Da diese, wie aus seinem Schriftenverzeichnis zu entnehmen, sehr zahlreich sind und darunter möglicherweise nur wenige wären, in denen nicht irgendwelche strafrelevanten Aspekte angesprochen sein könnten, war nicht zuletzt auch mit Rücksicht auf den hier vorgegebenen Rahmen eine Auswahl zu treffen. In diese wurden neben seinen bereits genannten Hauptwerken zur Strafzumessung6 nur solche Schriften einbezogen, die sich, wie sein Wörterbuchartikel zur Generalprävention7, ganz speziell mit einer bestimmten Straftheorie befassen oder bei denen von ihrem Titel her gewisse straftheoretische Aussagen zu erwarten waren – was nicht ausschließt, dass man auch bei anderen seiner Publikationen hätte fündig werden können. Ein zweiter Vorbehalt ist in disziplinärer Hinsicht zu machen: Soweit es um empirische Daten und Analysen geht, und das ist nun einmal die Kernkompetenz und Sichtweise von Albrecht, ist meinerseits mangels eigener Sachkunde Zurückhaltung geboten – weswegen von mir gezogene Schlussfolgerungen aus seiner primär empirischen Herangehensweise nicht zweifelsfrei sein mögen. Wenn des Weiteren im Titel dieses Beitrags das Reflektieren von Straftheorien aus der Sicht von Albrecht angesagt ist, soll dies nicht etwa in Form einer Gegenüberstellung seines Strafverständnisses mit einer kaum noch überschaubaren Theorievielfalt geschehen, sondern weitaus bescheidener in der Weise, dass ich einige seiner straftheoretischen Positionen zu eruieren und zu überdenken versuche – woraus sich auch erklären mag, dass bei dieser Art von Zwiegespräch – unter Verzicht auf den ohnehin untauglichen Versuch einer Gesamtpräsentation einschlägiger Literatur – vornehmlich eigene Auffassungen zu Wort kommen sollen. Auch was den dabei anzusprechenden Stoff betrifft, ist in diesem Rahmen eine Auswahl zu treffen. Beginnend mit der Suche nach der vermutlichen Grundeinstellung von Albrecht zu Straftheorien (2.) sowie zu Begriff, Inhalt und Zweck der Strafe (3.) sind das Strafziel des Rechtsgüterschutzes (4.) sowie seine Ablehnung von Abolitionismus (5.) und Vergeltungsstrafrecht (6.) näher zu beleuchten, gefolgt von seinen Einschätzungen von Generalprävention (7.), Spezialprävention (8.) und den von Strafbegründungstheorien zu unterscheidenden Strafzumessungstheorien (9.). Abschließend sei mein eigenes Strafverständnis zusammenfassend gegenübergestellt (10.).

2. Grundeinstellung zu Straftheorien Wie schon angedeutet, erschien es Albrecht offenbar nicht geboten, eine eigene „Straftheorie“ zu entwickeln. Das soll nicht heißen, dass er sich jeder Äußerung zu Sinn und Zweck der Strafe enthalten hätte, ist doch selbst bei einer empirischen Arbeit zur Strafzumessung kaum daran vorbeizukommen, sich zu deren Zielsetzung zu verhalten; wohl aber hat er – im Unterschied zu sonst üblichen Vorgehensweisen – 6 7

Albrecht 1980 und 1990. Albrecht 1985 und 1993.

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davon abgesehen, seine straftheoretischen Vorstellungen in geschlossener Form voranzustellen, um sie stattdessen dort einzubringen, wo sie für die Lösung einer Frage relevant erscheinen. Als Beispiel für das Bestreben, auf diese Weise nicht in möglicherweise unnötige Theoriediskussionen hineingezogen zu werden, kann bereits die aus seiner Dissertation hervorgegangene Untersuchung zur Strafzumessung bei Geldstrafen dienen, in der auf bestimmte Strafzwecke nur insoweit eingegangen wird, als sich damit im Rahmen des „kriminalpolitisch funktionalen und legitimierbaren Anwendungsbereichs“ der seinerzeit bemerkenswerte Übergang von der Freiheitsstrafe zur Geldstrafe erklären lässt.8 Auch wenn in der aus seiner Habilitationsschrift hervorgegangenen Untersuchung zur Strafzumessung bei schwerer Kriminalität weitaus umfangreicher auf Straftheorien eingegangen wird, geschieht dies nicht um ihrer selbst willen, sondern um damit die „normativen Grundlagen der Strafzumessung“ abzustecken9 – wobei selbst hier relevante Theorien oft nur präsentierend statt sich dezidiert dazu positionierend. Fragt man nach möglichen Gründen dieser – anders als bei Kriminalitätstheorien jedenfalls straftheoretisch zu beobachtenden – Zurückhaltung, liegen zwei Erklärungen nahe: zum einen die mehrfach beklagte Krise der Straftheorien, die noch nicht zur Ruhe gekommen seien,10 und zum anderen die notwendige Unterscheidung zwischen Straftheorien und Strafzumessungstheorien11 – wobei sich aus Ersteren, da zuvörderst für die gesetzliche Strafandrohung relevant, nicht ohne weiteres Vorgaben für die richterliche Strafverhängung ableiten ließen.12

3. Begriff, Inhalt und Zweck der Strafe Genau besehen hält sich Albrecht vornehmlich nur bei Festlegungen zu Strafzwecken zurück, und selbst da nicht in jeder Hinsicht. Soweit es nämlich um den häufig zu wenig beachteten Unterschied zwischen Begriff, Inhalt und Zweck der Strafe geht, wird von ihm deren Differenzierungsbedürftigkeit betont.13 Da begrifflich mit Strafe nicht mehr gesagt werde, als dass sie „ein Übel zu sein habe, das auf Kosten des

8

Albrecht 1980, 8 ff. Albrecht 1994, 18 ff. 10 Albrecht 1994, 3, 5. 11 Albrecht 1994, 23 ff. bzw. 37 ff.; vgl. auch S. 4 zur Mehrdimensionalität der Strafzumessung. 12 Gerade wenn aber dem so ist, nämlich die für die Strafzumessung im Einzelfall wesentlichen Zwecke andere als die für die allgemeine Strafandrohung erforderlichen sein können, mag verwundern, dass P.-A. Albrechts „Drei-Säulen-Theorie“ (1985, 832 f.), wonach für die einzelnen Stationen der gesetzlichen Strafandrohung, der strafprozessualen Strafverhängung und des Strafvollzugs jeweils unterschiedliche theoretische Akzentuierungen denkbar sind, von Albrecht zurückgewiesen wird (1994, 31). Vgl. dazu auch unten 10. 13 Albrecht 1994, 25 ff. 9

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Rechtsbrechers gehen müsse oder einen Eingriff in dessen Rechtsgüter darstelle“,14 sei damit weder etwas über ihren Zweck (der kriminalpolitisch von absoluten bis zu relativen Konzeptionen reichen könne) noch über ihren Inhalt (als Freiheitsbeschränkung oder Entzug materieller Ressourcen) ausgesagt,15 wobei hinzugefügt sein mag, dass Zweck und Inhalt der Strafe hinsichtlich Androhung, Verhängung und Vollzug unterschiedlich sein können, während sie begrifflich auf allen Ebenen dieselbe bleibt. Worin sich sein Strafverständnis zudem von dem anderer abhebt, ist die Betonung ihrer staatlich-gesellschaftlichen Kontingenz: „Was Strafe meint, wie Strafe verstanden werden kann, lässt sich ohne Rückgriff auf die staatliche Verfassung und den Stand der Vergesellschaftung nicht beantworten. Strafe ist offensichtlich, wird ihr Inhalt betrachtet, Eingriff und Leistung. Dabei geht es jedoch nicht nur um denjenigen, den die Strafe trifft. Vielmehr handelt es sich auch um Eingriffe und Leistungen, die die Gesellschaft insgesamt betreffen“.16 Diese Beschreibung erscheint mir in zweierlei Hinsicht bedeutsam: zum einen insoweit, als durch Mitberücksichtigung der Einbußen der Gesellschaft – neben denen des Täters – bereits der Begriff der Strafe (und nicht nur deren Inhalt) eine überindividuelle Öffnung erfährt,17 und zum anderen dahingehend, dass dadurch auch die soziale Dimension der Strafzwecke erweitert wird.18

4. Strafziel Rechtsgüterschutz Bei den im Einzelnen zu betrachtenden Strafzwecken, aus denen die wie auch immer gestaltete Strafe ihre Legitimation beziehen und als dementsprechende „Straftheorie“ zu verstehen sein soll, könnte es nahe liegen, in klassischer Weise zwischen absoluten und relativen Theorien differenzierend vorzugehen. Aber nicht nur, dass diese Unterscheidung fragwürdig erscheint, kann doch selbst bei einem scheinbar zweckfreien „punitur quia peccatum est“ in dem damit verfolgten Schuldausgleich ein Zweck gesehen werden,19 weswegen Albrecht nicht ohne Grund wohl 14 Albrecht 1994, 27; vgl. auch Albrecht 2015a, 8, wonach “penal sanctions have a unique potential of inflicting pain, exerting power and serving as a regulatory instrument in the moral economy of a society“. 15 Albrecht 1994, 26 f. 16 Albrecht 1994, 28. 17 Wobei hinsichtlich der gesellschaftlichen Kosten zu Recht auch immer wieder an die „Ökonomie der Strafe“ erinnert wird (vgl. Albrecht 1980, 12 f.; 1994, 10, 54 f.; 2001, 297, 310 ff.; 2008, 131, 135; 2015a, 10, 14) und neben dem Täter und der Gesellschaft auch an das Opfer zu denken ist (Albrecht 2008, 129). 18 Wie insbesondere hinsichtlich der Entlastungsfunktion des Strafrechts dargetan (Albrecht 2008). 19 Wobei allerdings insofern ein Unterschied bleibt, als es bei Bestrafung wegen der Tat um rückwärtsgewandte Vergeltung geht, während ein „punitur nec peccetur“ auf die Verhinderung künftiger Taten ausgerichtet ist: vgl. Eser 1992, 10.

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auch in Bezug auf absolute von „verdeckt-relativen“ Straftheorien sprechen kann.20 Vielmehr wäre bei einer Ausbreitung des Theorienstreits an dieser Stelle auch vieles vorzutragen, wozu Albrecht nicht abschließend Stellung bezogen hat bzw. was in den nachfolgenden Abschnitten noch zur Sprache kommen wird. Deshalb sollen hier direkt jene Strafbegründungen angesprochen werden, zu denen er sich dezidiert positioniert hat. Das ist zum einen der Rechtsgüterschutz und zum anderen die Gleichmäßigkeit des Strafens. Da es bei der Herstellung von Gleichbehandlung im Strafen um ein Postulat richterlicher Strafverhängung und administrativen Strafvollzugs geht, wird darauf in dem der Strafzumessung gewidmeten Abschnitt (9) näher einzugehen sein. Soweit es dagegen um Rechtsgüterschutz geht, ist bereits die gesetzliche Strafandrohung angesprochen. Während Rechtsgüterschutz als Legitimationsgrund staatlichen Strafens im Zusammenhang mit generalpräventiven Erwägungen zwar auch schon in früheren seiner Arbeiten anklingt,21 findet sich dies, soweit ersichtlich, doch erst in neueren Veröffentlichungen derart explizit postuliert: „Criminal punishment serves solely [!] the goal of protecting fundamental individual and collective interests and draws its legitimacy [!] and acceptance from preventing damage to such interests“22 bzw. kürzer gefasst: „Criminal law is […] justified solely [!] by the task of prevention of crime and protection of ,legal goods‘ (Rechtsgüterschutz)“23. Davon ausgehend, dass Albrecht mit diesen Zitaten nicht nur den „viewpoint of modern criminal law and criminal law doctrine“24 wiedergeben, sondern sich auch selbst damit identifizieren wollte, erweisen sich aus der Proklamierung des Rechtsgüterschutzes als einzigem Legitimationsgrund staatlichen Strafens zwei weitere straftheoretische Positionen als folgerichtig: einerseits die Entkräftung von Abolitionismus und andererseits die Verwerfung reinen Vergeltungsstrafrechts.

5. Abolitionismus Obgleich sich bei Abfassung seiner Hauptwerke zur Strafzumessung unter dem Schlagwort „Abolitionismus“ das Strafrecht von Grund auf in Frage gestellt sah,25 hat sich Albrecht von Forderungen nach Alternativen oder gar den Verzicht auf Strafrecht nicht sonderlich beeindrucken lassen. So ist in seiner Dissertation zur Geldstrafe (1980), sofern nicht übersehen, von Abolitionismus überhaupt keine Rede, und in seiner Habilitationsschrift zu schwerer Kriminalität (1994) nur insofern als er „abo20

Albrecht 1994, 26. Wie etwa in Albrecht 1995, 17 f. zu „Rechtsgüterschutz durch Generalprävention“. 22 Albrecht 2015a, 9. 23 Albrecht 2018, 196. 24 Albrecht 2015a, 9. 25 Vgl. den kritischen Überblick von Kaiser 1996, 191, 284 ff., 132, 126 f.

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litionistischen Strömungen“ zwar erhebliche Auswirkungen auf die Theorie der Resozialisierung und das Präventionskonzept zugesteht, diese jedoch ohne dramatische Folgen geblieben seien.26 Offenbar hielt er es zu jener Zeit nicht für nötig, die Existenzberechtigung des Strafrechts ausdrücklich zu begründen: Bei aller Kritik an dessen Zustand erschienen ihm lediglich Verbesserungen erforderlich. Diese Skepsis klingt auch in seinen weiteren einschlägigen Veröffentlichungen durch, wie vor allem dort, wo es die Unentbehrlichkeit des Strafrechts gegen dessen angebliche Ersetzbarkeit durch zivilistische Restitution oder private Konfliktbewältigung zu verteidigen galt. Dabei offensichtlich von Rechtsgüterschutz als Grundziel des Strafrechts ausgehend, gesteht er in seinen – erkennbar Ignoranz monierenden – „Antworten auf nicht gestellte Fragen“ zu „restorative justice“27 den verschiedenen Formen von Wiedergutmachung, Mediation oder Täter-Opfer-Ausgleich zwar durchaus eine wichtige Ergänzungsfunktion zu,28 doch würde dadurch eine letztmögliche Sanktionierung keineswegs entbehrlich. Ohne hier die verschiedenen Kriminalitätstheorien nachzeichnen zu können, die von Albrecht als unzulänglich entlarvt werden, um ohne jegliches Strafrecht auszukommen, kommt er zu dem Ergebnis, dass die „justification of punishment“ als gelöst betrachtet werden könne29 und demzufolge die Frage nur noch lauten könne, „inwieweit belastende Sanktionen [im Sinne von Strafen] im Inhalt reduziert oder modifiziert werden können, damit die Normgeltung erhalten bleibt und die Erwartungen gesichert bleiben“.30 Soweit es beispielsweise um die Ersetzung von Strafe durch Wiedergutmachung gehe, werde verkannt, dass die vom Täter für den Schadensersatz abverlangten Kosten niemals die durch die Straftat erlangten Vorteile überwiegen würden: „Costs of criminal behaviour may outweigh its benefits only if the costs exceed the mere elimination of the acquired benefits.“31 Oder soweit Streitschlichtung als Alternative für Strafe erwogen werde, sei deren erfolgreiches Funktionieren „vollständig von dem Vorhandensein der Rekursmöglichkeit auf staatliche Streitentscheidung und hiermit verbundenem Zwang abhängig“.32 Kurzum: auch wenn „das Strafrecht, die Strafe wie ihre Anwendung im Einzelfall nur Teil eines Gesamtsystems der Verhaltenskontrolle“

26

Albrecht 1994, 4. Albrecht 2001, 295 ff. Grundlegend zu der – aus seiner damaligen Sicht noch erforschungsbedürftigen, aber eher skeptisch einzuschätzenden – Rolle der Wiedergutmachung im Strafrecht vgl. bereits Albrecht 1990, 43 ff. 28 Albrecht 2001, 300; in gleichem Sinne auch in einem Beitrag, in dem er „die zentrale Frage, ob staatliches Strafrecht und staatliche Strafe Entlastung oder Belastung für Täter, Opfer und Gesellschaft mit sich bringen“, letztlich in ersterem Sinne beantwortet: Albrecht 2008, 128 ff., 144. 29 Albrecht 2001, 305. 30 Albrecht 2008, 141. 31 Albrecht 2001, 301; im gleichen Sinne Albrecht 2008, 133, 136. 32 Albrecht 2008, 143. 27

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darstellen,33 bietet Abolitionismus für Albrecht keine Lösung, vielmehr muss für wirksamen Rechtsgüterschutz über Wiedergutmachung und Meditationsmaßnahmen hinaus Strafrecht als letztes Mittel verfügbar bleiben.

6. Vergeltungsstrafrecht Muss Strafe sein, muss sie doch nicht um ihrer selbst willen sein. Wenngleich nicht mit diesen Worten, so doch in diesem Sinne stößt auch das entgegengesetzte Extrem eines reinen Vergeltungsstrafrechts bei Albrecht auf Ablehnung. So sah er bereits in seiner Dissertation bei der von funktionalen und humanistischen Argumentationsmodellen eingeleiteten und demzufolge von zweckrationalen Zielsetzungen wie Spezial- und Generalprävention beförderten Ablösung der Freiheitsstrafe durch die Geldstrafe den „Sinn von Strafe als Selbstzweck“ (oder besser als Ausdruck „göttlicher Gerechtigkeit“) aufgelöst“.34 Auch soweit es um die (letztlich verneinte) Tauglichkeit von Vereinigungs- und Spielraumtheorien geht, könne eine „zweckfreie Vergeltung von Schuld“ nicht mehr als tragfähige Begründung von Strafe anerkannt werden.35 Auch wenn er vergeltende Rache als mutmaßlich in Vergessenheit geraten sieht36 und den vor fünf Jahrzehnten namentlich von Ulrich Klug proklamierten „Abschied von Kant und Hegel“ als angeblichen Protagonisten absoluter Straftheorien wohl ebenfalls begrüßt hat, findet er dieses „farewell“ neuerdings „remembered with feelings of nostalgia and thoughtfulness“,37 ohne dass allerdings klar zu erkennen wäre, ob er diesen „punitive turn“38 lediglich registrieren, nicht aber ohne weiteres auch akzeptieren will. Wie auch immer, soweit er die gegenwärtige Transformierung des Strafrechts in ein Sicherheitsrecht und in Verbindung damit eine Verlagerung der Strafziele von Rehabilitation und Integration hin zu mehr Abschreckung und Unschädlichmachung zu konstatieren hat,39 geschieht dies nicht ohne kritischen Unterton.

33 Albrecht 1995, 21; vgl. auch Albrecht 2001, 307 f. sowie 2008, 141 f. zur Rolle informeller Regelungsmechanismen, wie insbesondere bei zu befürchtender Ablehnung durch Familie und Freundeskreis (Albrecht 1993, 162 f.), neben dem staatlichen System der Rechtsdurchsetzung. Eingehend neuerdings zu strafrechtlicher Sozialkontrolle Albrecht 2016. 34 Albrecht 1980, 8 f. 35 Albrecht 1994, 29 f. 36 Albrecht 2008, 139. 37 Albrecht 2018, 196. 38 Näher zu dessen Art und Ausmaß, vor allem im Vergleich mit der Entwicklung in den USA, vgl. Albrecht 2017, 186 f., 189 f., 193 ff. 39 Albrecht 2015a, 18 ff.; 2018, 196 ff.

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7. Generalprävention Obwohl historisch betrachtet die Überwindung absoluter Straftheorien durch Präventionsmodelle ganz wesentlich von spezialpräventiven Zielsetzungen ausgegangen ist,40 sei hier mit Albrechts Darstellung der Generalprävention begonnen – als übrigens der einzigen in einem eigenen Wörterbuchartikel präsentierten Straftheorie.41 Während die Spezialprävention naturgemäß mehr die Einwirkung auf den einzelnen Straftäter zum Ziel hat und demzufolge vornehmlich für die Strafverhängung und den Strafvollzug bedeutsam ist, spielt die Generalprävention schon für die Strafandrohung die Hauptrolle. Wie allgemein angenommen, sieht auch er „die kriminalpolitische Entscheidung, bestimmte Verhaltensweisen überhaupt unter die Androhung staatlicher Strafe zu stellen, sowie die Festlegung der Strafrahmen durch Rechtsgüterschutzerwägungen und damit auch durch generalpräventive Gründe bestimmt“.42 Auch geht es dabei mittlerweile nicht nur um den Schutz vor effektiven Rechtsgutsverletzungen, vielmehr stellte er schon vor der heutigen Sicherheitsrechtsdiskussion einen Wandel des modernen Strafrechts von einem Erfolgs- zu einem Risikostrafrecht fest.43 Auch wenn in gewohnten Bahnen zwischen negativer Abschreckungsprävention und positiver Integrationsprävention unterscheidend,44 zeichnet sich Albrechts Analyse sowohl durch dogmatische Vertiefung als auch durch sozialwissenschaftliche Beleuchtung aus. Ersteres gilt etwa für das Verhältnis von Schuld und Generalprävention45 und die generalpräventive Deutung der für die Strafverhängung zu berücksichtigenden „Verteidigung der Rechtsordnung“,46 während als sozialwissenschaftlich erhellend vor allem die Differenzierung zwischen einer Makro- und einer (seit den 70er Jahren dahin tendierenden) Mikroebene der Abschreckung zu nennen ist und dabei nach dem Modell des „homo oeconomicus“ auch an Verfolgungs- und Verurteilungswahrscheinlichkeit orientierte Kosten-Nutzen-Erwägungen eine wichtige Rolle spielen.47 Danach zu vollziehende Bilanzierungen lassen sich aus negativ abschreckend-generalpräventiver Sicht nicht zuletzt auch einer abolitionistischen Ersetzung von Strafe durch Restitution entgegenhalten, überwiegen die Kosten der Straftat deren Nutzen doch erst dann, „wenn die Reaktion auf die Straftat mehr sein kann als bloßer Nutzenwegfall“.48 Was zum anderen die positiv normstabilisierend-generalpräventive Komponente betrifft, wird wiederholt für wichtig erachtet, 40

Albrecht 2008, 139 mit Verweis auf das kriminalpolitische Programm von Franz v. Liszt. Albrecht 1985 bzw. 1993; eine gewisse Sonderbehandlung haben allerdings auch die „restorative justice“ (Albrecht 2001) und die Resozialisierung (Albrecht 2015b) erfahren. 42 Albrecht 1993, 157. 43 Albrecht 1995, 18. 44 Albrecht 1993, 157 f.; 1994, 63; 1995, 17 f. 45 Albrecht 1994, 32 ff. 46 Albrecht 1994, 25, 63 f., 79 ff.; vgl. auch Albrecht 1980, 192 f. 47 Albrecht 1993, 158 ff.; 1994, 64 f. 48 Albrecht 2008, 136. 41

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dass die Normgeltung erhalten bleibt und die trotz Verletzung daran geknüpften Erwartungen der rechtstreuen Bevölkerung gesichert bleiben.49 Da derart essentiell für den Rechtsgüterschutz, muss die Feststellung, „eine empirische Theorie der Generalprävention gibt es nicht“, weswegen man sich mit mehr oder weniger gut belegten kriminalpolitischen Hypothesen begnügen müsse,50 für Albrecht frustrierend gewesen sein. Aber könnten die empirischen Methoden und die daran geknüpften Erwartungen, wenn mir dies als Strafrechtler zu hinterfragen erlaubt sei, nicht auch überspannt sein? Selbst wenn sich mit keiner der von ihm überprüften Theorien, wie insbesondere auch anhand der Todesstrafe dargetan,51 einwandfrei generalpräventive Wirkungen nachweisen lassen, könnte da nicht schon die Alltagserfahrung, dass sich Verkehrsverhalten ändert, wenn für Verstöße Strafe angedroht wird, dass Steuerehrlichkeit erhöht wird, wenn im Falle der Entdeckung mit öffentlicher Ahndung zu rechnen ist, dass die Androhung lebenslanger Freiheitsstrafe zwar nicht jeden, aber wenigstens den einen oder anderen Mord zu verhindern vermag, kurzum: könnten nicht schon solche, gleichsam auf der Hand liegende Befunde genügen, um der Strafandrohung einschließlich ihrer zu erwartenden Verhängung einen – und sei es auch nur begrenzten und durch informelle Mechanismen sozialer Kontrolle zu ergänzenden52 – Effekt zu attestieren, und zwar sowohl in abschreckender als auch in normstabilisierender Richtung?

8. Spezialprävention Ist mit Spezialprävention „die Einwirkung auf einen Straftäter mittels strafrechtlicher Sanktionen“ gemeint,53 so hebt sie sich von der Generalprävention in zweierlei Hinsicht ab: Während diese primär an die Allgemeinheit gerichtet ist und insoweit vor allem zukunftsgerichtet zur Legitimierung der gesetzlichen Strafandrohung dient, ist Adressat der Spezialprävention der einzelne Straftäter, und zwar einerseits eher rückwärtsgewandt, da an eine bereits begangene und abgeurteilte Tat anknüpfend und demzufolge mehr für die richterliche Strafverhängung bedeutsam, andererseits aber auch vorwärtsgewandt, da durch Einflussnahme auf den Verurteilten auf die Verhinderung künftiger Straftaten ausgerichtet. Dieses Ziel lässt sich nach Albrecht in drei Ansätzen verfolgen: indem die Erinnerung an die erlittene Strafe als 49

Albrecht 1994, 63 f.; 1995, 17 f.; 2001, 305; 2008, 141; vgl. aber auch Albrecht 1980, 9 – mit Verweis auf Popitz – zu der für die Integrationsfunktion nicht unwesentlichen Rolle des Dunkelfelds und der nur selektiven Verhängung von Freiheitsstrafe. 50 Albrecht 1993, 158 ff.; vgl. allerdings auch Albrecht 1994, 67 ff. zu präventiven Folgen von Strafrecht und Strafe, bzw. 1980, 37 zum Mangel an empirischen Untersuchungen zur Geldstrafe. 51 Albrecht 2013; zu meiner eigenen Verwerfung der Todesstrafe vgl. Eser 1995, 17 ff.; 2007, 2435 f. 52 Vgl. oben zu Fn. 33. 53 Albrecht 1995, 16.

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Warnung dienen soll, indem der Verurteilte durch Erziehung, Behandlung oder Resozialisierung eine Besserung erfahren soll, und indem Prävention durch Sicherung und Abschreckung erreicht werden soll.54 Insofern hat auch die Spezialprävention eine positive und eine negative Zielsetzung, sodass Albrecht, ohne allerdings die derart differenzierende Kennzeichnung zu verwenden, auch von Spezialprävention in „rehabilitativem und abschreckendem Sinn“ sprechen kann.55 Von diesen spezialpräventiven Zielsetzungen haben insbesondere die verfassungs- und menschenrechtlichen Grundlagen der Resozialisierung seine eindringliche Aufmerksamkeit erfahren.56 Ausgehend von der wegweisenden Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte, der durch eine lebenslange Freiheitsstrafe ohne Entlassungsmöglichkeit den Art. 3 der EMRK verletzt sah57 – wobei er sich nicht zuletzt auf die bereits vorausgegangene Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts stützen konnte, wonach ein Straftäter „die Chance erhalten (müsse), sich nach Verbüßung der Strafe wieder in die Gemeinschaft einzuordnen“58 –, vermag Albrecht in dem damit eingeräumten „Anspruch auf Resozialisierung“59 keinen direkt durchsetzbaren rechtlichen Anspruch zu erblicken, könne ein solcher doch nicht einmal ansatzweise in Form von die Resozialisierung sicher herbeiführenden Programmen und Maßnahmen konkretisiert werden.60 Auch im Europa- und Völkerrecht, wenngleich am Ziel der Befähigung zu einem selbstverantwortlichen Leben und an der Wiedereingliederung orientiert, sei „kein ausdrücklich anerkanntes Recht auf Resozialisierung“ zu finden.61 Gleichwohl verlange aber das aus den Freiheits- und Persönlichkeitsrechten der Art. 1 und 2 des Grundgesetzes entnommene Bild eines „freien und zu selbstverantwortlichem Handeln fähigen Menschen“ – und somit über bloßen „Schutz vor indoktrinierender Behandlung“ hinaus – „eine Gestaltung des Vollzugs, die die noch vorhandenen Fähigkeiten zu selbstverantwortlichem Handeln nicht über das durch die Freiheitsentziehung notwendigerweise bedingte Maß hinaus beeinträchtigt, ferner eine Gestaltung, die den Erhalt und die Entwicklung dieser Fähigkeiten fördert“.62 Was die Effizienz spezialpräventiver Bemühungen betrifft, waren wegen des diesbezüglichen Mangels an empirischen Untersuchungen63 keine belastbaren Befunde 54 Albrecht 1995, 16.; vgl. auch Albrecht 1994, 65 f., wo zwischen Abschreckungs-, Rehabilitations- und Sicherungsprävention differenziert worden war. 55 Albrecht 1980, 13; vgl. auch Albrecht 1994, 65. 56 Albrecht 2015b. 57 EGMR, Urteil vom 9. Juli 2013 – Vinter v. Vereinigtes Königreich, Az. 66069/09, 130/ 10, 3896/10. 58 BVerfGE 98, 169 (200). 59 BVerfGE 45, 187 (239). 60 Albrecht 2015b, 26. 61 Albrecht 2015b, 31 ff. 62 Albrecht 2015b, 27. 63 Vgl. Albrecht 1980, 32 ff., 43 f.; 1994, 66 ff., 156 ff., 475 ff.

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zu erwarten. Wie gleichwohl angesichts der in den siebziger Jahren zu konstatierenden Krise insbesondere des spezialpräventiven Strafrechts nicht zu verkennen,64 sah Albrecht „die optimistische Grundhaltung, die mit einer resozialisierenden Ausgestaltung und der präventiven Bemessung der Strafe einstmals verbunden war“, abgelöst durch „zunehmenden Pessimismus im Hinblick auf die Gestaltungskraft des Strafrechts insgesamt wie im Hinblick auf das präventive Potenzial der Einzelstrafe“.65 Umso erfreulicher ist der Optimismus, mit dem er 20 Jahre später „das kriminalpolitische Projekt der Resozialisierung [als] nicht untergegangen“ findet. Allerdings gehe es dabei nicht mehr um eine eng verstandene Resozialisierung im Sinne rückfallreduzierender Maßnahmen als vielmehr um „das Recht auf einen freiheits- und inklusionsbestimmten Vollzug von Sanktionen“, wobei nicht zuletzt „die Einbeziehung von Opfer, Wiedergutmachung und Versöhnung in Konzepte der Wiedereingliederung unabdingbar“ sei.66 Daraus zu schöpfende Hoffnungen werden allerdings dadurch gedämpft, dass – wie von Albrecht nicht ohne kritischen Unterton vermerkt – infolge neuartiger Sicherheits- und Risikobedenken in Form eines bereits erwähnten „punitive turn“ eine Verschiebung von spezialpräventiver Rehabilitation zu generalpräventiver „deterrence and incapacitation“ zu registrieren ist,67 wobei Letztere im Sinne v. Lisztscher „Unschädlichmachung“ des einzelnen Verurteilten natürlich auch eine spezialpräventive Komponente enthält.

9. Strafzumessung Wie bereits angedeutet, sind die für die gesetzliche Strafandrohung wesentlichen Straftheorien nicht ohne weiteres mit den für die richterliche Strafverhängung maßgeblichen Strafzumessungstheorien gleichzusetzen,vielmehr bleibt mit Albrecht zu fragen, „was aus einzelnen Straftheorien an Strafzumessungstheorien bzw. für die Konkretisierung der Strafe im Einzelfall abgeleitet werden kann“.68 Demzufolge werden diese Theoriekomplexe zwar noch nicht in seiner Strafzumessung bei Geldstrafen, wohl aber zur schweren Kriminalität jeweils eigens behandelt.69 Der demnach erforderlichen Differenzierung wird allerdings dadurch eine bestimmte Richtung vorgegeben, dass nicht einfach allgemein nach der Geeignetheit bestimmter Strafzwecke für die Strafzumessung gefragt wird, sondern dass „die Frage nach der Erklärung und Begründung von Unterschieden im Strafmaß und in der Strafart, also die Strafmaß- und Strafartdifferenzierung“ im Mittelpunkt von Al64

Vgl. Eser 1974. Albrecht 1994, 3. 66 Albrecht 2015b, 39. 67 Albrecht 2015a, 8, 18; 2016, 91 ff.; 2017, 195 ff.; vgl. auch oben zu Fn. 38. 68 Albrecht 1994, 37. 69 Albrecht 1994, 23 ff. bzw. 37 ff. 65

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brechts Forschungsinteresse steht.70 Wesentliches Untersuchungsziel war daher, wie in gleichsinnigen Varianten immer wieder betont, das Problem der Gleichmäßigkeit des Strafens und damit der Gleichbehandlung und Differenzierung in der Strafzumessungsentscheidung.71 Dies legt natürlich die Frage nahe, ob etwa eine an einem generellen Maßstab ausgerichtete Gleichmäßigkeit jedem individuellen Straftäter gerecht werden kann. Falls Albrecht dieses Problem meint damit lösen zu können, dass „das Ziel der Rechtsrichtigkeit der Strafe [im Sinne ihrer Übereinstimmung mit den verbindlichen Strafzwecken] und dasjenige der Gleichmäßigkeit der Strafe nicht in einem Ausschlussverhältnis“ stünden und „nur die Strafe richtig (sei), die dem positiven Recht und aus ihm entwickelten Maßstäben entsprechende Unterschiede setzt und gerade deshalb auch gleichzeitig in ihrem Unterschied zu anderen Strafen erklärt werden kann“72, bleibt gleichwohl die weitere Frage, wonach der Gleichmäßigkeitsmaßstab zu bestimmen ist und welche tat-, täter- oder umständebedingten Abweichungen dabei berücksichtigt werden können – ganz abgesehen von der grundsätzlichen Frage, welchem Ziel bei einem Konflikt, der – entgegen Albrechts Vertrauen auf die sich nicht ausschließende Rechtsrichtigkeit und Gleichmäßigkeit der Strafe – zwischen der Herstellung individueller Strafgerechtigkeit und der Unterwerfung unter generelle Gleichbehandlung eintreten könnte, der Vorzug zu geben wäre. Doch wie auch immer, geleitet von der Frage, anhand welchen Strafzwecks am besten eine Gleichbehandlung im Bestrafen zu erreichen wäre, werden die seinerzeit geläufigsten Strafzumessungstheorien durchforstet73 – wobei jedoch, wie von ihm bereits zuvor postuliert, der Grundsatz der Gleichmäßigkeit der Strafzumessung nicht auf ein Differenzierungsverbot beschränkt werden dürfe, sondern gleichermaßen auch ein Differenzierungsgebot enthalte.74 Beginnend mit der von der Rechtsprechung favorisierten „Spielraumtheorie“ werde von dieser zwar ein Spielraum für schuldangemessenes Strafen eingeräumt, ohne dass sie aber wirksame Anweisungen zu geben vermöchte, da sie sich im Wesentlichen darauf beschränke, die Grenzen der Kontrolle der Strafmaßentscheidung festzulegen.75 Mit denselben Problemen seien die „Punktstrafentheorie“ und die „Theorie des sozialen Gestaltungsakts“ belastet.76 Von der zwischen einer rein schuldbegründenden Strafhöhenbemessung und weiteren strafartbezogenen Zumessungsschritten trennenden „Stufentheorie“ wird zwar 70 Albrecht 1994, 1 (Hervorhebungen bereits im Original). Dazu wäre es interessant zu erfahren, ob sich aus seiner neuerlichen Feststellung, dass die Strafzumessungsforschung vor allem in den 1970er und 1980er Jahren von der Frage nach Ungleichheit oder Ungleichmäßigkeit umgetrieben werden sei (Albrecht 2017, 185), herauslesen ließe, dass er heute einem solchen Forschungsvorhaben geringere Priorität einräumen würde. 71 Albrecht 1994, V, 1, 5 f., 10 f., 16, 471, 492 ff. und passim. 72 Albrecht 1994, 16. 73 Albrecht 1994, 37 ff. 74 Albrecht 1994, 23 (Hervorhebungen bereits im Original). 75 Albrecht 1994, 37 ff., 52. 76 Albrecht 1994, 41 ff., 52.

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als vorteilhaft betrachtet, dass darin die Vermischung von spezialpräventiven, generalpräventiven und Schuldgesichtspunkten aufgegeben werde, ohne dass aber damit die in der Konkretisierung der Strafhöhe selbst liegende Unbestimmtheit und Offenheit gelöst werde.77 Auch die „Theorie der Tatschuldvergeltung“ sei schon von ihrem Ansatz her verfehlt, weil sie, da generalpräventive und spezialpräventive Zwecksetzungen als illegal kennzeichnend, wieder „hinter den Paradigmawechsel von der Begründung des Strafrechts durch Vergeltung hin zu Strafrechtsbegründung durch Rechtsgüterschutz“ zurückfalle – ganz abgesehen von dem praktischen Problem, dass „Schuldquanten nicht einfach in Strafquanten umgerechnet werden könnten“.78 Der in verschiedenen Varianten beleuchteten „Theorie positiver Generalprävention“ wird, soweit mit Strafe Normgeltung auf Kosten des Straftäters demonstriert werden soll, richtungweisende Bedeutung für die Strafzumessung abgesprochen.79 Sofern man von einer durch Prävention und Schuld getragenen Strafe ausgehe und es damit im Wesentlichen um „die durch Gerechtigkeitserwägungen gebremste sozial nützliche Strafe“ gehe, stelle sich die letztlich nicht beantwortbare Frage nach einerseits begrenzenden und andererseits konkretisierenden Kriterien.80 Damit verbleibt schließlich als einzige Theorie, die Albrecht zu akzeptieren vermag, die „Tatproportionalitätstheorie der Strafzumessung“.81 Ausgehend vom präventiven Paradigmawechsel in der Strafrechtsbegründung und der auf eine strafbegrenzende Funktion reduzierten Schuldkategorie, sei das Strafmaß unrechtszentriert am objektiven Umfang der Rechtsgutverletzung auszurichten, mit dem sich daraus ergebenden Vorteil, dass die Strafzumessung von den grundsätzlich nicht lösbaren Problemen der validen und verlässlichen Erfassung von Persönlichkeitsmerkmalen entlastet werde,82 wobei von der Zurechnung des strafbaren Verhaltens nur dasjenige als Grundlage für die Strafzumessung dienen dürfe, was vom Verschulden erfasst wird.83 Was die Brauchbarkeit der Tatproportionalitätstheorie für die Konkretisierung und die für das Untersuchungsziel relevante Gleichmäßigkeit und/oder Differenzierbarkeit der Strafzumessung betrifft, besteht freilich, wie von Albrecht im Zuge seiner vornehmlich kriminalitätstheoretischen Folgenorientierung im Grunde selbst eingeräumt,84 kein Anlass für hohe Erwartungen. Soweit einerseits dadurch, dass mit der Tatproportionalitätstheorie das Unrecht ins Zentrum der Strafzumessung gerückt wird, ein objektiv leichter operationalisierbarer Maßstab zu erlangen ist, wird dies 77

Albrecht 1994, 43 f., 52. Albrecht 1994, 44 ff., 53; vgl. dazu auch schon Albrecht 1980, 13, 24. 79 Albrecht 1994, 47 f. 80 Albrecht 1994, 49 f. 81 Albrecht 1994, 50 ff. 82 Albrecht 1994, 53, 498 f. 83 Albrecht 1994, 51, 53. Vgl. auch Albrecht 1995, 16, wonach einem nur durch Präventionsziele begrenzten Ausmaß der Strafe der Schuldgrundsatz entgegenstehe. 84 Albrecht 1994, 57 ff. 78

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andererseits mit einem Verzicht auf die – meines Erachtens schwerlich zu entbehrende – Berücksichtigung der Persönlichkeit des Täters erkauft. Und soweit durch Beschränkung des Schuldelements auf eine strafbegrenzende Funktion mehr Freiraum für die Berücksichtigung präventiver Strafzwecke gewonnen wird, ist dieser kaum auszunutzen, wenn weder generalpräventive noch spezialpräventive Bedürfnisse hinreichend quantifizierbar seien, um als Basis für die Strafzumessung zu dienen,85 und somit insgesamt festzustellen sei, „dass spezial- oder generalpräventive Zweckerwägungen zur Konkretisierung von Strafe nicht verwendet werden können“.86 Nach diesem ernüchternden Resümee – so jedenfalls hinsichtlich der Strafzumessung, wenn auch weniger der Strafandrohung, wird diese doch generalpräventiv für hinreichend legitimiert befunden87 – fällt es schwer, eine gleichermaßen konsistente und operationalisierbare Konzeption staatlichen Strafens noch für möglich zu halten. Doch trotz aller Bedenken bleibt Beschäftigung mit Strafrecht nicht denkbar, ohne sich über den Sinn der Strafe – und sei dies auch ohne Anspruch auf letzte Kohärenz – Gedanken gemacht zu haben und bei der Behandlung strafrechtlicher Themen davon leiten zu lassen. In diesem Sinn sei abschließend man eigenes Strafverständnis kurz vorgestellt.

10. Eigenes Strafverständnis In der hier gebotenen Kürze aktualisiert zusammenfassend, was ich bereits in meiner sanktionsrechtlichen Habilitationsschrift skizziert habe,88 sehe ich mich mit Albrecht darin einig, dass Strafrecht als Zweckrecht zu verstehen ist: Es muss auf die Gewährleistung und Wiederherstellung von Sicherheit und Frieden zwischen den Menschen unter den Bedingungen gleicher Würde und Freiheit gerichtet sein. Daher ist die Strafe nicht schon mit der Verwirklichung von Gerechtigkeit als solcher zu rechtfertigen, sondern setzt über eine bloße Vergeltung um der Vergeltung willen einen weitergehenden zwischenmenschlichen und gesellschaftlichen Zweck voraus.89 Das ist in verschiedener Hinsicht bedeutsam. Erstens: Als eine Art „gesellschaftlicher Notwehr“ hat das Strafrecht zwecks Rechtsgüterschutz die Aufgabe, elementare Werte des individuellen Menschen und der kollektiven Allgemeinheit (Rechtsgüter) vor Verletzung oder Gefährdung zu bewahren und eine bestimmte Ordnung in der Gesellschaft aufrechtzuerhalten: durch Abschreckung potentieller Täter (im Sinne negativer Generalprävention) und durch (Re-)Stabilisierung der Rechtstreue der Bevölkerung (im Sinne positiver Generalprävention und auf Wiederherstellung des Rechtsfriedens gerichteter Inte85

Albrecht 1994, 66 ff.; vgl. aber demgegenüber auch Albrecht 1980, 13, 24. Albrecht 1994, 77. 87 Vgl. oben Abschnitt 4. 88 Eser 1969, 108 ff.; vgl. auch Eser 1992, 9 ff.; 2002, 195 ff. 89 Eser 2000, 174. 86

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grationsfunktion). Insofern ist Generalprävention die legitimierende Existenzgrundlage des Strafrechts überhaupt und dieses durch andere Formen von Sozialkontrolle allenfalls teilweise einschränkbar, aber keinesfalls voll ersetzbar.90 Zweitens: Obgleich diesem generalpräventiven Zweck letztlich auch die Einzelsanktion dient, rückt bei der konkreten Strafverhängung das spezialpräventive Ziel in den Vordergrund: durch (Re-)Sozialisierung des Täters. Insofern wird das generalpräventive Gesamtziel der Strafandrohung ergänzt und mediatisiert durch das Nahziel spezialpräventiver Einwirkung auf den Täter mittels Strafverhängung und Strafvollzug.91 Drittens: Zu der hinsichtlich ihrer Ambivalenz oft nicht erkannten Rolle der Wiedergutmachung ist zweierlei zu unterscheiden: Einerseits ist in der Regel weder von der bloßen Androhung, den durch die Straftat angerichteten Schaden ersetzen zu müssen, noch von einer Verurteilung dazu eine allgemein abschreckende oder den Täter beeindruckende Wirkung zu erwarten, wird dieser damit doch zu nicht mehr verpflichtet, als was er schon zivilrechtlich zu befürchten hat. Um ihm klarzumachen, dass sich ein Verbrechen nicht nur nicht lohnt, sondern mit nachteiligen Einbußen verbunden sein kann, bedarf es der Auferlegung eines über bloße Wiedergutmachung hinausgehenden Übels in Form einer Strafe. Insofern erlangt diese de facto den Charakter vergeltender Repression. Andererseits kann die Bestrafung der Wiedergutmachung nicht entbehren, wenn zur Wiederherstellung des Rechtsfriedens nicht auch das Tatopfer in das Verfahren einbezogen und ihm Genugtuung verschafft wird.92 Insofern geht es hier – anders als zuvor – nicht um eine abolitionistische Ersetzung der Strafe durch Restitution als vielmehr um eine Verstärkung der Befriedungsfunktion zwischen Täter und Opfer: indem dessen Entschädigung als Voraussetzung und Teil der strafrechtlichen Sanktionierung zu verstehen ist.93 90

Vgl. dazu auch Eser 1995, 5 ff. Eingehend zur Resozialisierungsproblematik Eser 1974, 508 ff. 92 Näher zu dieser mich schon seit längerem beschäftigenden Reintegrierung der Restitution in das Strafrecht Eser 1969, 116 ff.; 1990, 2 f., 348, 350 f., 395 f. 399; 1995, 8, 13; 1996, 1020 ff., 1023; 2000, 175 ff. 93 Eser 2000, 177. In diesem Sinne wäre die zu einer Separierung von privatrechtlicher Restitution und strafrechtlicher Sanktionierung führende Auseinanderentwicklung von Zivilund Strafverfahren ebenso wie die entindividualisierende Vergeistigung des Rechtsgutsbegriffes auf Kosten des konkreten Opfers zumindest teilweise rückgängig zu machen. Näher zu diesen beiden, aufgrund von Überspitzungen kontraproduktiven Fehlentwicklungen Eser 1995, 10 ff., 13 ff.; 1996, 1006 ff., 1020 ff.; 2000, 175 ff. Auch bei Albrecht (2008, 132 ff.) findet sich die das betroffene Individuum zugunsten des Staates verdrängende Tendenz im Sinne einer Transformation von einem „Unrecht an einer Person“ zu einem „Unrecht an der Gesamtgesellschaft“ angesprochen; dies jedoch in einer die Wiedergutmachung eher abwertenden Richtung, indem ihr die Geeignetheit, im Sinne von Diversion die Strafe zu ersetzen, abgesprochen wird, während es in dem hier gemeinten Sinne gerade umgekehrt darum geht, die Wiedergutmachung als wesentliche Voraussetzung sinnerfüllenden Täter-Opfer-Aus91

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Viertens: Hinsichtlich seiner Form und Ausgestaltung findet das Strafrecht sowohl an der Unantastbarkeit der Menschenwürde als auch durch das Übermaßverbot eine Grenze. Das ist nicht nur für das Maß der generalpräventiven Erforderlichkeit bei der Strafandrohung und Strafverhängung von Bedeutung, sondern auch für die Art der spezialpräventiven Einwirkung auf den Täter durch die Strafverhängung und deren Vollzug. Dementsprechend muss auch die Strafe den Täter in seiner selbstverantwortlichen Persönlichkeit unangetastet lassen und sich darauf beschränken, seine Eigenkräfte zu rechtsloyaler Sozialisation zu wecken und zu fördern. Das hat nur dort Aussicht auf Erfolg, wo der Verurteilte das ihm auferlegte Übel als sinnvoll, tat- und schuldgerecht empfinden kann. Insofern hat das Schulderfordernis nicht nur eine verurteilungsbegründende sondern auch strafbegrenzende Funktion.94 Insgesamt betrachtet begründet sich somit die Legitimation staatlichen Strafens aus dem Abwehrrecht der Gesellschaft, in Art und Maß beschränkt durch die Achtung der Menschenwürde und das an gerechtem Schuldausgleich ausgerichtete Übermaßverbot. Für die verschiedenen Straftheorien bedeutet das, dass keiner der traditionellen Aspekte, seien sie absoluter Art wie Sühne und Vergeltung um höherer Gerechtigkeit willen oder in relativem Sinne präventiven Zwecken dienend, verabsolutiert werden darf, sondern jeder auf seine Weise zur Sinnerfüllung der Strafe beizutragen hat. Dies jedoch weniger in einem schlicht additiven Verfahren95 als vielmehr in Form einer integrativen Verschränkung: indem den verschiedenen Strafzwecken und Bestrafungsgrenzen je nach Strafandrohungs-, Strafverhängungs- oder Strafvollzugsebene eine mehr oder weniger maßgebliche Funktion zukommt.

11. Schlussbemerkung Sicherlich wären im reichhaltigen kriminalwissenschaftlichen Schrifttum von Albrecht noch weitere Aussagen zu finden, die straftheoretisch von Belang sein könnten. Vermutlich würden diese auch ähnlich reserviert bis kritisch ausfallen, wie es sich in der hier berücksichtigten Auswahl gezeigt hat. Für eine solche Zurückhaltung gibt es jedoch durchaus gute Gründe: so vor allem aus der Sicht eines Kriminologen, der mit seinem empirischen Instrumentarium manche normativ unanfechtbar erscheinenden Straftheorien einem Praxistest unterworfen hat, den sie nicht bestanden haben. Für dieses stets aufklärerische Engagement, von dem nicht zuletzt ich selbst in gemeinsamer Direktorenzeit am Max-Planck-Institut immer wieder profitieren konnte, gebührt dem verehrten Jubilar aufrichtiger Dank, verbunden mit der Hoffnung, dass ihm noch viel Zeit und Kraft für weiteres Forschen verbleiben möge. gleichs im Rahmen der strafrechtlichen Sanktionierung zu verstärken. Grundlegend für eine engere Verbindung von Widergutmachung und Strafe auch Walther 2000. 94 Zu weiteren Erfordernissen eines menschengerechten Strafrechts vgl. Eser 1995, 14 ff.; 2002, 196 ff. 95 Wie sich bei Albrecht (1994, 28) die Vereinigungstheorie interpretiert findet.

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The Twilight of Capital Punishment By William Schabas Every five years, for half a century, the United Nations Secretary-General has published a report on the global status of capital punishment. The latest of the quinquennial reports, issued July 2020, describes an unrelenting trend towards the abolition of the death penalty throughout the world. According to the Secretary-General, only 31 states continue to impose capital punishment, and several of these states do so only occasionally.1 Most of these retentionist states manifest declines in the number of crimes subject to the death penalty, reductions in the overall numbers of those being sentenced to death and executed, and various procedural reforms, all testifying to the fact that they are actually part of the trend towards abolition. Of the 168 states described as abolitionist by the Secretary-General, with rare exceptions the commitment appears irreversible. Only in exceptional and indeed quite unique circumstances do states that have abolished the death penalty in law or passed a period of ten years without actually carrying out an execution reverted to the practice. For the overwhelming majority of states, the movement is in only one direction. The first of the Secretary-General’s quinquennial reports actually covered only two years. That was because of an earlier report presented to the Economic and Social Council on the situation as it stood in 1972.2 According to that initial report, published in 1975, the first abolition of the death penalty by any country had taken place in 1863. Since that date, only 22 states had removed capital punishment from their criminal law. The report said that seven countries had abolished the death penalty subsequent to the signing of the Charter of the United Nations. As of 1975, only nine member states of the United Nations were fully abolitionist in law. Some 23 were considered abolitionist “by custom”, meaning that although their laws provided for capital punishment they had not executed anyone or sentenced anyone to death for at least 40 years. This was compared with 101 states where the death penalty was retained, although the report added that the total number of offences for which it could be imposed had been declining progressively in many parts of the world.3 The first of the quinquennial reports was skeptical about the existence of any trend towards abolition of the death penalty.4 The second report, issued in 1980, said the 1 Capital punishment and implementation of the safeguards guaranteeing protection of the rights of those facing the death penalty, UN Doc. E/2020/53, para. 6. 2 Capital punishment, UN Doc. E/5242 and Add.1. 3 Capital punishment, UN Doc. E/5616, paras. 18 – 19. 4 Capital punishment, UN Doc. E/5616, para. 48.

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situation was “relatively unchanged” over the five-years since the first report.5 Acknowledging “a small increase in the number of abolitionist countries”, the report said this was “not sufficient to allow for the optimism envisaged by the United Nations”.6 The 1980 report counted 119 retentionist states and 34 abolitionist states.7 The conclusions of the third report, published in 1986, were similarly ambivalent,8 yet the numbers it provided actually told a more positive story: there were 120 retentionist states to 50 abolitionist states.9 The fourth report, issued in 1990, recognized that the data in the third report “showed that the movement towards abolition had progressed somewhat”.10 According to the 1990 report, there were 77 countries that had abolished the death penalty in law or in practice as opposed to 92 that retained it.11 Unquestionable, then, by 1985 there was a discernable trend towards abolition, something that all of the subsequent quinquennial reports have confirmed.

The Role of International Law The Universal Declaration of Human Rights recognizes that “[e]veryone has the right to life …”. When the text was being drafted, there was a range of views about whether or not to address the subject of capital punishment. Some delegates believed it should be an explicit exception to the right to life, given the overwhelming state practice at the time. Others, including Eleanor Roosevelt, believed any such reference might hinder the progressive development of criminal law, and their view prevailed. However, when the Declaration was transformed into binding treaties, retentionist states insisted on adding provisions to shelter the practice of capital punishment. Here the paradigm is the European Convention on Human Rights, adopted less than two years after the Universal Declaration, in late 1950. Article 2(1) of the European Convention declares that “No one shall be deprived of his life intentionally save in the execution of a sentence of a court following his conviction of a crime for which this penalty is provided by law”. As momentum grew for abolition, new legal instruments were adopted enabling abolitionist states to affirm their new commitments. The first of these was the sixth Protocol to the European Convention of Human Rights. It was adopted in 1983 and entered into force two years later upon obtaining the requisite five ratifications (Austria, Denmark, Luxembourg, Spain and Sweden). Similar abolitionist protocols were 5

Capital punishment, UN Doc. E/1980/9, para. 10. Capital punishment, UN Doc. E/1980/9, para. 83. 7 Capital punishment, UN Doc. E/1980/9, Annex. 8 Capital punishment, UN Doc. E/1985/43/Corr.1, para. 28 9 Capital punishment, UN Doc. E/1985/43/Corr.1, Annex. 10 Capital punishment and implementation of the safeguards guaranteeing the protection of those facing the death penalty, UN Doc. E/1990/38/Rev.1, para. 10. 11 Capital punishment and implementation of the safeguards guaranteeing the protection of those facing the death penalty, UN Doc. E/1990/38/Rev.1, para. 15. 6

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soon adopted with respect to the International Covenant on Civil and Political Rights and the American Convention on Human Rights. A process of judicial innovation accompanied the adoption of the new treaties, as judges found interpretative techniques whereby the perverse exception of capital punishment to the sacred principle of the right to life was narrowed. The first major development in this area involved a German national charged with a murder in the United States who had fled to the United Kingdom. There, he obtained a ruling from the European Court of Human Rights whereby extradition to the United States was conditional on an undertaking that capital punishment not be imposed.12 That judgment, issued in 1989, resisted the view that the reference to capital punishment in Article 2(1) of the Convention should be deemed to be archaic and therefore inoperative. It would take another quarter of a century for the European Court to take that step. In Al Nashiri v. Poland, the European Court of Human Rights wrote that “[j] udicial execution involves the deliberate and premeditated destruction of a human being by the state authorities”.13 The 2020 quinquennial report of the Secretary-General says there are now 109 states that have assumed international legal obligations that prevent them from reinstating capital punishment. Besides counting the states parties to the abolitionist protocols of the three human rights systems, numbering about ninety, the Human Rights Committee also considers that states parties to the International Covenant on Civil and Political Rights that have also abolished the death penalty through domestic legislation are prevented by the Covenant from returning to the practice. Several states fall into this category: Brazil, Burkina Faso, Burundi, Cambodia, Chad, Côte d’Ivoire, Fiji, Gambia, Guatemala, Guinea, Israel, Kazakhstan, Peru, Russian Federation, Samoa, Senegal, Suriname and Vanuatu. During the survey period, as mentioned above, there were initiatives in four abolitionist States to re-introduce the death penalty.14 The conclusion that abolitionist states that have ratified the International Covenant but not the Second Optional Protocol as being found at international law not to reinstate capital punishment is premised upon an interpretation of Article 6(2) of the Covenant by the United Nations Human Rights Committee in General Comment 36, adopted in November 2018.15 As in the case of the European Court, the Human Rights Committee was required to depart from earlier precedent in adopting a progressive interpretation of the text, informed by evolution in state practice. A pe-

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Soering v. United Kingdo’m, 7 July 1989, Series A no. 161. Al Nashiri v. Poland, no. 28761/11, 24 July 2014, paras. 576 – 577. Also Al Nashiri v. Romania, no. 33234/12, 31 May 2018, paras. 726 – 727. 14 Capital punishment and implementation of the safeguards guaranteeing protection of the rights of those facing the death penalty, UN Doc. E/2020/53, para. 51. 15 General comment No. 36 (2018) on article 6 of the International Covenant on Civil and Political Rights, on the right to life, UN Doc. CCPR/C/GC/36, para. 34. 13

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culiar consequence of this interpretation is to make ratification of the Second Optional Protocol rather superfluous. Only a few states that have abolished the death penalty de jure have yet to undertake an international legal commitment on the subject. Most of these are small island states in the Pacific who profess no objection in principle and cite practical difficulties in assuming additional treaty obligations. The Secretary-General points to a few states that have ratified abolitionist treaties despite retaining the death penalty in their own legislation. Such states are deemed de facto abolitionist because they have not conducted an execution for ten years. The quinquennial report encourages more states in this category to ratify or accede to the abolitionist protocols.

The Threat of Reintroduction of the Death Penalty During the 2014 – 2018 quinquennium, leaders of four states bound by abolitionist treaty obligations threatened to restore capital punishment. During the same period, the threats to reinstate capital punishment were accompanied by dramatic increases in the number of executions in some other states.16 This prompted concerns that the trend towards abolition that had been so pronounced for many decades might be coming to an end. In two of the states where reintroduction of capital punishment was being mooted, Turkey and Mongolia, the demagogic threats of leaders do not appear to have led to any significant legislative initiatives. Perhaps international pressure, including reminders about the international legal commitments, has cooled any enthusiasm for the return of the death penalty. In the Philippines, however, the initiatives have been more concrete, and death penalty legislation was even passed by the lower house of parliament before being blocked in the upper house. Reinstatement of the death penalty would put the Philippines in breach of its solemn international obligations of which ratification of the Second Optional Protocol to the International Covenant on Civil and Political Rights is the centrepiece. It is not possible for the Philippines to withdraw from the Second Optional Protocol or from the International Covenant itself. There is no denunciation clause in either treaty. The Human Rights Committee has made it clear to the Philippines that denunciation of the treaties is not possible under international law.17 Moreover, the Philippines is aware that breach of the abolitionist treaties may have repercussions that go well beyond the narrow issue of capital punishment and even human rights in general. A state that openly defies treaty obligations that it has undertaken with other states risks becoming an international pariah. 16

Question of the death penalty, UN Doc. A/HRC/39/19, paras. 12 – 15. Letter from Chairperson Yuji Iwasawa to Ambassador Maria Teresa T. Almojuela (27 March 2017). 17

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Concern about the spike in numbers of executions during the quinquennium proved to be short-lived. It was in fact attributable to developments in four countries, Egypt, Iran, Pakistan and Saudi Arabia. In 2014, Pakistan had been several years without any execution. In 2015, 326 people were put to death in Pakistan. Then the numbers declined abruptly, and in 2018 Pakistan executed 14 people. Iran, too, has been responsible for huge rates of execution in recent years, mainly relating to drug crimes. In 2015, nearly 1,000 people were put to death in Iran. Then, legislative reforms raised the threshold for death sentences in trafficking cases and the number of executions dropped to 253 in 2018. The total estimate for executions globally in 2019 was probably the lowest since statistics have been kept, that is to say, the lowest in human history.

De facto Versus de jure Abolition The 2020 quinquennial report of the Secretary General records 49 states as being de facto abolitionist, about the same number as in the 2015 report. There was actually considerable change in the category, as several States “graduated” from being abolitionist in practice to being fully abolitionist in law. In the meantime, the de facto category was replenished as other states left the retentionist category after passing ten years without an execution. Thus, the Secretary-General reported that at the end of 2018 there were 49 de facto abolitionist states and 30 retentionist states. On the other hand, Amnesty International, which produces detailed annual reports on the status of capital punishment, arrives at a different conclusion. Its 2018 report said that there were twenty-eight de facto abolitionist states and 56 retentionist states.18 This has consequences in the overall figures as well, where the various categories of abolitionist states (abolitionist de jure, abolitionist de facto and abolitionist for ordinary crimes) are consolidated. The Secretary-General’s 2020 report concludes that 167 states are abolitionist, whereas Amnesty International’s total is a more modest 142. The discrepancy is explained by differences in methodology. The Secretary-General deems a state to be abolitionist de facto if ten years have passed without an execution being conducted. Amnesty International adds a subjective dimension to its assessment, considering to be abolitionist in practice states that “have not executed anyone during the last ten years and are believed to have a policy or established practice of not carrying out executions”.19 For this reason, several States that have not conducted executions over a protracted period, in some cases for more than 25 years, are excluded from the Amnesty International list whereas they are included in that of the Secretary-General.

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Amnesty International, Death Sentences and Executions, 2018, 48. Amnesty International, Death Sentences and Executions, 2018, 49.

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To the extent that there is any return to the death penalty by de facto abolitionist states, the results will necessarily vary depending upon the time frame that is adopted. The selection of ten years without an execution is somewhat arbitrary. The early reports by the Secretary-General suggest that a much longer period, of 40 years, was considered prudent. In the 2010 report, the Secretary-General examined patterns since the first of the quinquennial reports in order to assess whether any States in the de facto category reverted to capital punishment. A comparison of the 2000 report with the 1995 report shows that seven of the 30 de facto abolitionist States resumed executions. But the rate of resumption declined in the next five-year period, with only three of the 38 states that were de facto abolitionist returning to the practice of capital punishment.20 For the next quinquennium, none of the states deemed de facto abolitionist in the 2000 report had undertaken executions in the five years that followed.21 In the 2015 report, the Secretary-General noted that one state deemed abolitionist de facto in 2010 had subsequently conducted executions.22 The Gambia, which had not conducted executions since 1988, reverted to the practice in 2012 but then subsequently confirmed that a moratorium was in place. The Gambia is the only de facto abolitionist state to have resumed capital punishment in more than a decade. If nothing else, this confirms the utility of a ten-year test for de facto abolition. It now seems to be about as unlikely that a state that has been without an execution for a decade will ever resume the practice as it is that a state that has become de jure abolitionist will do so. It is not without interest to note that prior to the 2012 executions Amnesty International considered The Gambia to be de facto abolitionist.23 Moreover, after the 2010 debate in the General Assembly on the moratorium resolution, The Gambia noted that although it had been recorded as voting against the resolution, it had actually intended to abstain.24 In other words, Amnesty International’s subjective test, by which states are deemed to be retentionists if they are not “believed to have a policy or established practice of not carrying out executions”,25 does not seem to provide any additional value in predicting whether or not a state will resume the practice of capital punishment. The differences in approach of the Secretary-General and Amnesty International recall the familiar metaphor of the glass that is either half-full or half-empty. Amnesty International’s approach may shame states that have not made an ideological com20 Capital punishment and implementation of the safeguards guaranteeing protection of the rights of those facing the death penalty, UN Doc. E/2005/3, para. 21. 21 Capital punishment and implementation of the safeguards guaranteeing protection of the rights of those facing the death penalty, UN Doc. E/2010/10, para. 22. 22 Capital punishment and implementation of the safeguards guaranteeing protection of the rights of those facing the death penalty, UN Doc. E/2015/49, para. 13. 23 Amnesty International, Death sentences and executions in 2011, 58. 24 Amnesty International, Death sentences and executions in 2010, 52 fn. 50. 25 Amnesty International, Death Sentences and Executions, 2018, 49.

The Twilight of Capital Punishment

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mitment to abolition but the Secretary-General’s methodology gives a more accurate portrait of the practical reality. Obviously, it is valuable to encourage states to proceed further along the road, copper-fastening their commitment to abolition by repealing legislation allowing for capital punishment, incorporating provisions on the right to life and the prohibition of capital punishment in their constitutions, and ratifying the relevant international instruments. These steps create obstacles that make any attempt to revive the practice of capital punishment more difficult. But the record shows that de facto abolition, that is, a ten-year period without an execution, regardless of the existence of any subjective commitment by the state to a moratorium or to eventual abolition, is almost as reliable an indicator of the end of capital punishment as de jure abolition. Indeed, actions do seem to speak louder than words.

Conclusions The first quinquennial report, which failed to sense any trend in state practice, suggested that “[p]eriods of abolition or non-use may be succeeded by widespread executions in a highly unstable political situation or by a sudden return to the death penalty as a sanction where a state feels insecure”.26 That observation has proven to be unfounded. The 2020 report of the Secretary-General provides confirmation that the trend towards both reduction of use of the death penalty and its abolition is constant and inexorable, and is apparently largely immune to other developments in global politics. In the 1970s, when the United Nations began its periodic reporting mechanism on capital punishment the phenomenon would have seemed to many as a necessary component of the criminal justice system. Some were more clairvoyant, and optimistic, about the evolution of law and practice respecting criminal punishment. Writing in the late 1950s, Albert Camus said that “[d]ans l’Europe unie de demain (…) l’abolition solennelle de la peine de mort devrait être le premier article du Code européen que nous espérons tous.”27 Even earlier, when the Universal Declaration of Human Rights was being drafted, Eleanor Roosevelt urged that there be no reference to capital punishment in the right to life provision because there was a movement underway in some states to abolish the death penalty.28 Prediction is very difficult, especially if it is about the future, said Niels Bohr. But if the past is any guide, the number of retentionist states will continue to decline, year on year, quinquennium on quinquennium, until the practice of state-sanctioned mur26

Capital punishment, UN Doc. E/5616, para. 48. Camus, A. (1979): Réflexions sur la guillotine, in: A. Koestler & A. Camus, Réflexions sur la peine capitale. Paris, 176. 28 U.N. Doc. E/CN.4/AC.1/SR.2, p. 10. 27

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der as a component of criminal justice will disappear. There will almost certainly be another quinquennial report in 2025 and probably in 2030. Moving forward from there, it is more difficult to have any certainty. In the fifty years since the quinquennial reports have been issued by the Secretary-General, the number of abolitionist states has increased by a multiple of more than five, while the list of retentionist states is about a quarter of what it was. At some point, sooner rather than later, the United Nations will stop producing reports about the practice of capital punishment because there will be nothing left to write about.

Contemporary Death Penalty Issues in China By Liling Yue

1. Introduction: Historical Background There is no consensus in China about the origins of the death penalty and how it was used in ancient times as the severest penalty. Some legal historians believe that ) time on (around 4100 years ago the death penalty had started from the Shun Yu ( and before the Xia Dynasty).1 Some legal historians argue that, in Shun Yu times, there was no state, and that we should not think of the death penalty as a state-based punishment. Only from the Xia Dynasty on, when a state was founded, there were punishments prescribed by law.2 The most popular view on the origin of the death penalty dates from the Xia Dynasty (2059 BC). By that time, criminal law was called “Yu Xing”, in which five punishments were provided, among them, the “Da Bi” which means death penalty.3 In the following dynasties, the death penalty, as one of the main punishments, was gradually codified. Until the last dynasty, the Qing Dynasty, in the Great Qing Code, there were around 840 articles related to the death penalty.4 The methods of execution mainly were two. One was strangulation and another was beheading. For the most serious offences, other cruel methods of execution were used as well, such as “death by torture” (ling chi). This can be traced back to the Liao Dynasty (916 – 1129).5 In modern history, the focus will be on the following periods.

1

Ning 1986, 64 – 65. In this book, the author believes that, in the middle of Shun Yu time, there was a reform of punishments which included the death penalty, after which the only execution method that remained was cutting the throat. 2 Hu 1985, 27 – 28. 3 The five punishments were listed in the Yu Xing as: Tattooing (mo), amputation of nose (yi), amputation of legs (fei), castration (gong), and the death penalty (dapi). See Mühlhahn 2009, 29. 4 Hu 1995, 42. 5 In this form of execution, the executioner makes a number of cuts with a knife upon the offender, with the final cut consisting of cutting off the head. See Mühlhahn 2009, 32 – 34.

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1.1 Founding of the PRC to the End of the Cultural Revolution (1949 – 1978) In 1949, the Communist Party (CP) led by Mao Zedong, won the Civil War, and the People’s Republic of China (PRC) was founded. In the following years, the Government and the CP faced significant challenges of social transformation. The Nationalist (guo min dang, GMD) laws were totally abolished and the legal institutions were firstly shut down and then later slowly replaced by the new Government’s administration. The new Government then started to build a new legal system. However, the tasks of consolidation of its rule and maintaining order were time and resource consuming. Although the Government planned to introduce several new codes quickly, it took some time to finalize the first codes. For example, in 1950, an Outline of a new Criminal Law was drafted, which carried 35 statutory offences eligible for the death penalty. However, this Outline never came into force. In order to meet requirements coming up during the social transformation, several rules, regulations and resolutions have been adopted. Among those regulations, two played an important role for the criminal justice system: One concerned a Regulation on Punishing CounterRevolutionary Activity (1951), consisting of 11 counter-revolutionary offences all of which were eligible for the death penalty. On the basis of another Regulation on Counter-corruption, the death penalty was also applicable for economic offences. In 1954, a Draft Guideline of Criminal Law was presented. This Guideline is similar to the Outline of Criminal Law of 1950. 31 offences were eligible for the death penalty. This Draft Guideline, however, didn’t become law either. According to the above mentioned regulations, the death penalty could be imposed for most of so called “counter-revolutionary crimes”,6 such as the crime of betraying the motherland, the crime of assembling others to rebel with arms, the crime of plotting rebellion, espionage crimes, the crime of supplying arms and ammunition or other military materials to an enemy, the crime of utilizing superstitious sects, secret society, and evil religious organizations to commit counter-revolutionary offenses, the crime of counterfeiting money, the crime of graft and bribery, etc. Besides the above-mentioned offences eligible for the death penalty, in practice, courts imposed the death penalty for conventional crimes as well, such as intentional murder, intentional assault and rape, serious theft, etc.7 That means, by that time, courts imposed the death penalty not only on the basis of formal regulations but also based on criminal policies.8 This situation remained until the end of the Cultural Revolution. During this period, the legislative work was interrupted by political fights. Since the 1954 Draft Guideline of Criminal Law 33 versions of the Criminal Code have been pub6

Gao 2004, 23. See the Supreme People’s Court (SPC) report of 1956 where the criminal offences and the punishments were listed. This report has been included in the Judicial Interpretation of the SPC of 1994. See also, Gao 2004, 23 – 24. 8 , kuan yan The policy has been expressed as “Balancing leniency with severity” ( xiang ji). See also Gao 2004, 24. 7

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lished.9 At the end of the Cultural Revolution, the legislative discussions were based on the 33th version of Criminal Law. Finally, in 1979, the first Criminal Code Book (CCL) was enacted which came into force in January 1, 1980. 1.2 The 1979 Criminal Code Book The 1979 Criminal Code Book (CCL) was based on former drafts of criminal law. As regards death penalty issues it still remained strongly influenced by a political character. However, main principles of international treaties with respect to the death penalty were respected in this law. So, for example, the law provided that the death penalty should only be applied to the most serious crimes (Art. 43 of the 1979 Criminal Code). The law also introduced a two years suspension of execution (Art. 43)10 ; this is not considered an independent punishment, but a special way of application of the death penalty. The suspended death penalty has played a significant role in reducing immediate execution. According to the 1979 Code, the final review power concerning the death penalty belonged to the Supreme People’s Court (SPC) (Art. 43). It helped the SPC to apply a consistent standard on the death penalty in the whole of China. The law also provided that the death penalty should not be applied to juveniles who were under 18 at the time of commission of the crime, and that it is also not to be applied to women who are pregnant at the time of trial (Art.44). However, the same articles of the law left the possibility to impose the death penalty suspended on juveniles whose age was between 16 and 18 when committing a particularly grave crime. The most critical problem in the 1979 Criminal Code concerns the list of offenses eligible for the death penalty. In the 1979 Code there were a total of 28 such offences11, with some 15 of those offences falling into the category of “counter-revolutionary” crimes. Some scholars made positive comments and argued that those offences were properly chosen to carry the death penalty.12 However, other scholars recognized that in comparison with other countries’ criminal laws, the offenses eligible for the death penalty were too numerous.13 1.3 The Development of Death Penalty Laws (1979 – 1996) Since the fall of the so-called “Gang of Four”, Chinese society has rapidly developed. However, right after the enactment of the 1979 CCL, the legislative organ and the Government recognized that in the early 1980s the law hardly followed the rapid changes and a new crime situation. They felt that more comprehensive regulations 9

Gao 2002, 44. With this penalty, the sentence can be reduced to life imprisonment if the offender will not commit serious crimes within two years. 11 Prof. Gao Ming Xuan counted 27 offences, see Gao 2004, 24. 12 Ma 1985. 13 Lei 2009, 345. 10

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were needed to deal with new types of crime and the need to suppress the rise of criminality. During this period, more than 23 special regulations related to criminal law have been adopted. For example, in 1981, The Standing Committee of the National People’s Congress (NPC) adopted PRC Provisional Regulations on punishing military personnel for violation of duty, through which 13 additional offences were made eligible for the death penalty. In 1982, The Decision regarding the severe punishment of criminals who seriously sabotage the economy added further 7 statutory offences which carried the death penalty. In 1983, the campaign of “Striking Hard” (yan da) started, the Decision regarding the severe punishment of criminals who seriously endanger public security added another 10 offences for which death penalty could be applied. There were other regulations with each one adding one to three death penalty offences. In the series of regulations, a total of 54 offences14 for which capital punishment can be applied were added, whereas in the meantime five such offences were removed. Altogether, 49 new offences provided then for the death penalty. If these offences are added to the 28 death penalty eligible offenses originally provided in the CCL, there were then a total of 77 criminal offenses for which capital punishment could be imposed.15 By that time, from an international perspective, there were only 17 countries that had criminal statutes which have assigned various forms of non-violent economic crimes as capital crimes.16 According to this trend, in the authors’ view, Chinese criminal law does not provide for a proper choice of criminal offences for which the death penalty can be applied. Although there were debates on the criminal justice policies related to the death penalty, top criminal law scholars hold the view that during that period the death penalty had been strengthened significantly.17

2. The Legal Framework 2.1 The International Legal Framework China signed the International Covenant on Civil and Political Rights (hereafter ICCPR) on 5 October 1998. This political act has proved the Chinese Government’s willingness to enter into commitments towards the protection of human rights in the State with the planet’s biggest population. However, until now the National People’s Congress, i. e., the responsible legislative organ, has not yet ratified the ICCPR, and there is no official explanation about the reasons of not ratifying the ICCPR. Some scholars hold the belief that the death penalty issue is one of the most difficult subjects in the ratification process because of the legal and practical situation of the death penalty in China. It is argued that the vast number of death penalty crimes need to be 14 Some scholars adopted a different way to account for that and said it were 50 offences. See also Hu 1999, 202. 15 Ma 1995, 119. 16 Hood 2004, 80 – 81. 17 Zhao 2001, 86 – 87.

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removed before the ratification can be realized in the future.18 The author also believes that it would not be a proper way to make too many reservations when ICCPR will be ratified.19 As regards public awareness on ICCPR and attitudes towards the death penalty, the outcome of a survey was, on the one hand, not so promising, but, on the other hand, also not too disappointing. The survey has shown that 36.2% of the respondents answered that they had heard about the ICCPR,20 but when they were asked about their attitude towards restricting the application of the death penalty to the most serious crimes, almost half of the respondents (49%) held the view that the Government should follow the UN proposal.21 This can be interpreted as a positive development seen from the perspective of proponents of a reduction of the scope of the death penalty in China. In China, both legal scholars and practitioners play a most important role in carrying out research on death penalty issues. In practice, a slow progress in reducing the application of the death penalty was observed. Since the ICCPR was signed, research in China on the gap between UN standards and Chinese criminal law continues. The starting point was a domestic survey on public opinion toward death penalty that was conducted by scholars and research institutes. The earliest survey had been carried out by the Law Institute of the Chinese Academy of Social Science and the National Bureau of Statistics. The results of the survey show that 95% of the respondents supported the death penalty. In the report the data have been analyzed and discussed.22 This survey has shown that it will be a long journey to reach compliance with the expectations of the international community. Since China’s signature of ICCPR, research on human rights law has been growing. Legal scholars started to do research on international human rights law of which the right to life and death penalty issues are essential parts.23 From the key publications we can learn that some of the leading scholars already have a deeper knowledge on international human rights law. Although in the Chinese Constitution there are no provisions which directly provide the right to life, the death penalty is discussed in the 18

Hu 1999, 285 – 288. Yue 2007, 2. 20 Oberwittler & Qi 2009, 24. 21 The question was: “Do you think that China should follow the proposal of UN or should China not follow?” See Oberwittler & Qi 2009, 23. 22 The survey was carried out in 1995, the report was formally published in the book written by Hu 1999, 341 – 346. The survey was based on the simple question on “what’s your attitude towards the death penalty?” The response options have been divided into four categories: too many [convictions], not too many, proper number, and too few. The research group received a total of 4,983 answers. 42.2% of respondents think that the death penalty is not imposed too often, 31.5% say that the death penalty has a proper extent, and 22.5% think that there are too few death penalties imposed. Counting these three categories together, we can conclude that 95% of the respondents were supporters of the death penalty. 23 The main works are Xu 2004 and Yue 2007. 19

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scholarly research work from the perspective of the right to life.24 Some legal scholars explained their recognition by the development of UN’s general attitude toward the death penalty. They divided the development into three periods: the tacit period (1948 – 1965), the restriction period (1966 – 1988), and the abolitionist period (1989–present).25 Chinese scholars’ interpretation and explanation of the UN human rights treaties have recognized the gap between the UN standards and law and legal practice in China. The main critiques can be summarized as follows: (1.) The most critical issue is the question of how to interpret Article 6, section 2 ICCPR which provides that the death penalty may be imposed only for “the most serious crimes”. The top legal scholars have come to the conclusion that the range of criminal offences eligible for capital punishment is too broad in China.26 Non-violent offences, such as economic offences, should not fall under the threat of the death penalty.27 Some scholars comment in a more detailed way on the “most serious crime” and argue that political crimes should be excluded from the list and further say that among violent crimes, raping adult women should also be taken from the list. However, some other scholars have doubts with respect to the meaning of “political crimes” and whether the crimes of terrorism and treason should stay as capital crimes.28 (2.) Top scholars have also recognized the absence of the right to seek pardon or commutation from the sentence of death penalty in Chinese law. In China’s Constitution, Art. 67 provides the power of the Standing Committee of the NPC to pardon convicted and sentenced offenders. However, as regards the death penalty, both, Criminal Law and Criminal Procedure Law haven’t provided standards and procedural details of pardon, and in practice commutation is only applied for defendants who have been convicted to the death penalty with two years suspension. As regards regional influences on the development of the death penalty in China, the European Union (EU) plays a very important role. In 1995, China and the EU established regular human rights dialogues. Since 1997 these dialogues have been held twice a year, and more than four times their agenda included the exchange of ideas on the death penalty. Several research projects on death penalty issues which have been supported by the EU had in general a very positive impact and contributed to maintaining the process of abolition of the death penalty in China.29

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Hu 1999, 282 – 284; Xu 2004, 214 – 215; Yue 2007, 13 – 28. Hu 1999, 285 – 288. 26 The details of domestic law issues will be discussed in the following sections. 27 Xia 2005, 66 – 70; Gao & Li 2004, 57 – 61. 28 Xia 2005, 67 – 68. 29 The author participated in three of those human rights dialogues and was also involved in several research projects. 25

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2.2 The National Legal Framework 2.2.1 Substantive Criminal Law In 1997, the legislator started efforts to reform the criminal law by way of amending the special regulations. In the amendments, the counter-revolutionary offence statutes were abolished and replaced by crimes of endangering the national security. In regard to the death penalty policies, in the author’s view, the Chinese legislator is continuously moving toward the right direction (abolition), but developments are rather slow. In the General Part of the CCL, the clause according to which juveniles between 16 and 18 years of age could be sentenced to death with two years suspension has been deleted. This means that there is no way anymore that would allow to impose the death penalty on delinquent juveniles under the age of 18. Problems remain in the Special Part. On the overall, offences eligible for capital punishment have been reduced from 77 to 68. However, among these 68 offences, there are still 44 offences of a non-violent nature (i. e., 64.7% of all offences eligible for the death penalty).30 Today there is consensus among legal scholars in China that the starting point of abolition of the death penalty will be the exclusion of non-violent offenses from the death penalty. Since the 1997 amendment of the CCL was enacted, the reform process regarding the death penalty in China accelerated. The legislator then considered to enter new ways to reform the CCL. Until now, there were 10 amendments enacted, most of them related to economic crimes. No further rise of death penalty offences could be observed. In the 8th Amendment,31 13 offences for which death penalty could be applied in the past have been downgraded to lesser categories of penalties. Those 13 offences are all of a non-violent nature, such as smuggling, financial fraud and serious theft. In practice, the death penalty was in fact rarely imposed for these crimes. This reform is significant as it can be considered to represent a starting point of a systematic removal of the death penalty from a range of non-violent crimes. Some scholars expect that the statutory changes would not result in a real reduction, neither of the number of death penalties imposed nor of the number of executions, but the author believes that this legislative act is of tremendous importance. The reforms underline the move towards the reduction of the death penalty and a move towards a clarification and rationalization of the law. Further efforts are then visible in 2015, when the Ninth Amendment to Criminal Law removed nine further offences from the death penalty list; among these offences are serious smuggling, such as the smuggling of weapons, ammunition, nuclear materials or counterfeit money, and other serious financial fraud. Now there are still 46 offences eligible for death penalty; the list still includes some non-violent offences 30

The CCL consists of a total of 421 statutory offences, among them 358 non-violent offences. There are debates on the definition of violent and non-violent crimes, see Zhao & Schabas 2009, 242 – 244. 31 It was enacted in February 2011 and came into force in May 2011.

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committed by civil servants. The author thinks that retaining these death penalty offences is influenced by the current anti-corruption movement. 2.2.2. Criminal Procedure Law 2.2.2.1 Jurisdiction of Death Penalty Cases China’s first Code of Criminal Procedure (CCP) was enacted in 1979. Since it first came into force, three important revisions were passed in 1996, 2012, and 2018. According to the CCP, the jurisdiction of death penalty cases starts at the intermediate courts.32 If the first instance court comes to impose a death sentence, the convict has the right to appeal to the higher court. If the higher court does not repeal the death penalty, the judgment becomes final but the accused shall not be executed yet. The case has to go through the Supreme People’s Court’s (SPC) final review. 2.2.2.2 Final Review Proceeding Under the 1979 and 1996 CCP the authority of final review of the death penalty cases belongs to the SPC. However, as was mentioned above, in 1983 the Chinese government became very concerned about the growth of crime. In order to reduce the significantly increased crime rates, the government took strong action in the form of “striking hard” campaigns. The government’s new policy sought to simplify and speed up the trial procedures for cases of serious crimes. The law also decentralized the process of judicial review. Serious crimes such as murder, robbery and rape no longer went to the SPC for a final review procedure. In these serious cases, the review was conducted by the higher courts on the provincial level. Only cases of economic crime in which the convicted person was sentenced to death could be reviewed by the SPC. The “striking hard” policy and the statutory changes have created large disparities in the use of death sentences among the 30 provinces. A lot of criticism followed the observation of disparity in sentencing and the use of the death penalty. Finally, in 2007, the Legislative Committee of the NPC made a decision, which gave the authority of a final review of death sentences back to the SPC. The motives for this reform were twofold: One concerns international pressure which mainly came from Europe. A second reason can be found in the domestic criticism of the quality of judgments in death penalty cases, and the inconsistency in the imposition of death sentences and the large variation between provinces.33 Several cases of miscarriage involving death sentence cases were disclosed.34 Therefore part of the reform was fo32 In China courts have 4 levels: local courts, intermediate courts, higher courts and the Supreme Court. The intermediate courts are located in bigger cities or the capital city of provinces. 33 Yue 2007, 23 – 26. 34 In 2005 Legal Daily published a report about the case of Mr. She Xianglin. The case initiated from an unidentified body which was found in a Jingshan township reservoir. Just by

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cused on re-establishing standards for prosecution, sentencing, and evidence. In 2010, the SPC, the SPP, the Ministry of Justice and the Ministry of Security issued a Regulation on evidence rules for handling death penalty cases. This regulation established a higher and more comprehensive standard of proof. It requires that the conclusion has to be based on the beyond reasonable doubt standard. This standard eventually has been also adopted in the 2012 and 2018 amendment of the CCP (Art. 55). 2.2.2.3 Criminal Defence in Death Penalty Cases When defendants who are facing the death penalty cannot afford a lawyer, they enjoy the right to free legal aid assistance (Art. 35 of the 2018 CCP). However, there are problems persisting in the provisions of law and also in the application of the laws. (1) The first issue is whether and to what extent defendants can get legal aid lawyers’ assistance during the death penalty review proceedings. According to the author’s understanding, free assistance by a legal aid lawyer should be available during the entire proceedings, that means from the beginning of the investigation to the end of proceedings.35 The 2012 CCP has made some progress on this point. The law says that while the SPC reviews a death penalty case and if the defence lawyer wants to present an opinion, the SPC shall take account of the lawyer’s opinion (Art. 240 of the 2012 CCP). However, both the 2012 and 2018 amendments did not mention whether or not the Supreme People’s Court could appoint a legal aid lawyer if defendants do not have a lawyer. Even if a defendant would have the right to get assistance by a legal aid lawyer, the question is still open which court should appoint a lawyer. Another issue concerns the question where lawyers can meet their clients. On April 29, 2019, the Supreme Court published “Several Provisions of the Supreme People’s Court on Safeguarding the Lawful Rights and Interests of the Parties in the Procedures of Death Sentence coincidence, Ms. Zhang, She’s wife who has a light mental disorder, disappeared in January 1994. Later investigation showed that right before Ms. Zhang walked away, she and Mr. She had a quarrel. Then the local police asked Ms. Zhang’s other family members to identify the body, but they did not complete a DNA test, because by that time, in small cities or even regional police station DNA test capacities were not yet available. After the confirmation of the identity of Ms. Zhang’s body by the relatives, Mr. She became the prime suspect and was arrested in April 1994. Media reports showed that he was tortured by the police. Mr. She was convicted of murder and sentenced to death at first instance. After a change of the jurisdiction of the case and an appeal by Ms. She the final sentence was reduced in 1998 to 15 years of imprisonment because the higher court’s judges had doubts in relation to the confession and other evidence. While Mr. She served his sentence for about 11 years, his former ‘dead’ wife’s memory had recovered, and she came back to the village. In April 2005, the case was reopened, and Mr. She was acquitted. Later he received compensation for wrongful conviction from the court. Legal Daily of April 1st, 2005 (in Chinese); see also www.cecc.gov/publica tions/commission-analysis/hubei-man-convicted-of-wifes-murder-ten-years-ago-exonerated [10. 10. 2020]. 35 Yue 2010, 162.

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Review and Execution.” (hereafter: The Provisions). In Art. 1 it states that “when serving a legally rendered judgment of death sentence on a defendant, the higher People’s court shall notify the defendant that he or she has the right to entrust a defence lawyer at the stage of death sentence review by the Supreme People’s Court.” However, the provisions do not directly provide for proceedings on how to assign legal aid lawyers. It can only be assumed from Art. 2 which says that an assignment of free legal aid lawyers will be possible. The author assumes that detailed arrangements are still under discussion. (2) The quality of defence in death penalty cases must also be considered. This issue has been discussed for several years and a general guideline for death penalty cases has been proposed. Several provincial level lawyers’ associations have issued local guidelines for death penalty defence cases, but until now the China Lawyers Association has not produced/published a countrywide guideline for the handling of death penalty defence. In August 27, 2017, the China Lawyers Association published a Guideline for Criminal Cases Defence. In its Chapter 11 (Art. 199 to 205) it provides rules for the death penalty final review. These rules provide special requirements for the meeting with relatives of defendants and for the review of case files, and list detailed aspects which a lawyer should pay special attention to. They concern also the submission of defence opinions to the Supreme Court. In the above mentioned “Jointly issued regulations 2008”, Art. 3 especially mentions that when legal aid institutions appoint legal aid lawyers, they shall appoint experienced trial lawyers as defence lawyers for death sentence defendants. This shows that the Supreme Court and the Ministry of Justice intended to improve the quality of defence for death penalty cases. However, a system of quality evaluation has not yet been established. (3) The quality of defence also depends on how the lawyers are remunerated. According to the survey which has been carried out jointly by the (former) MaxPlanck-Institute for Foreign and International Criminal Law36 and several Chinese research institutions, the fee for defence in death penalty cases varies from region to region. The fee paid for legal aid lawyers ranged from 500 to 1,000 RMB yuan.37 Obviously this amount of payment hardly guarantees an efficient defence. Then, there are debates on the nature of the final review proceedings for death penalty cases. Some scholars argue that these proceedings are special trial proceedings, because the relevant provisions of the CCP are included in its Part Three (adjudication). If the review belongs to the trial proceedings, then the principles of the criminal trial must be respected. For example, the review proceedings should be public. If the defendant has no lawyer, the SPC should appoint a legal aid lawyer for him. However, in practice, the review proceeding has been 36 In 2020, the Institute has been restructured and the name changed into Max-PlanckInstitute for the Study of Crime, Security and Law. 37 Albrecht 2006, 148.

Contemporary Death Penalty Issues in China

579

conducted by the SPC in a more or less administrative way. Although the CCP as amended in 2018 provides that in the review proceeding the accused shall be interrogated (Art. 251), the entire proceeding is held in camera. As regards the legal aid lawyer’s assistance in the final review process, the above-mentioned Supreme Court’s Provision did not provide a clear solution. 2.2.2.4 Execution The CCP regulates also the proceedings of execution. Normally, after the final review, when the trial court receives the order from the SPC for execution, the execution shall be carried out within seven days. Some scholars think this time frame is too short. Under the 1979 CCP, the only method of execution was shooting; in 1996, the lethal injection has been added. The reason for the introduction of lethal injection was to provide a less painful way of execution, and to show the humanity in the execution of criminal sanctions. The medicine to be used for execution was approved by the State Food and Drug Administration. The medicine and execution facilities are prepared and assembled by institutions authorized by the Supreme Court.38 The Kun Ming Intermediate Court (Yun Nan Province) was the first court to use lethal injection in 199739 after the 1997 CCP was enacted. Gradually execution by shooting has been replaced meanwhile by lethal injection in most of intermediate courts, and the SPC established finally a guideline for the proceedings of execution. As was mentioned above, according to the ICCPR, Art. 6 section 4, “anyone sentenced to death shall have the right to seek pardon or commutation of the sentence.” The Chinese Constitution provides that the NPC and its Standing Committee have the authority to decide on special pardons (Art. 67 Constitution). But in the modern history of China, the Government only issued pardon to war criminals. It never issued pardon to criminals who were sentenced to the death penalty. Some scholars strongly suggest that with respect to pardon comprehensive research should be carried out, and special proceedings for pardon be established in criminal procedure law.40

3. Case Studies The only source of published death sentence judgments is the Supreme Court web41. Since 2013 a total of 481 final review death sentence judgments have been published. If the cases are broken down to the years in which the judgments were uploaded to the webpage then the following distribution arises: 38

See http://baike.baidu.com [15. 01. 2020]. See http://info.phamacy.hc360.com [15. 01. 2020]. 40 Yue 2007, 27 – 28. 41 See www.court.gov.cn [18. 12. 2019]. 39

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• 2016: 10 cases, • 2015: 305 cases, • 2014: 125 cases, • 2013: 54 cases. The author reviewed the 30 most recent death sentence judgments (see Table 1). The cases, however, cannot be considered to be a random sample of death penalty sentences imposed in China. They represent a selection by the Supreme Court’s administration. Table 1 Inventory of Selected Death Penalty Cases No. Gender Age* Offence

Residence Education Occupation area

Appeal Review term**

1

M

21

Intended murder

Rural, mi- Technical grant secondary school

Migrant worker

N

7 m.

2

M

47

Intended murder

Rural

Farmer

Y

4 m.

3

M

25

Kidnapping, rape

Rural, mi- Middle grant school

Migrant worker

Y

6 m.

4

M

29

Intended murder

Rural

Middle school

Farmer

Y

5 m.

5

M

30

Drug Rural trafficking

Middle school

Farmer

Y

5 m.

6

M

24

Intended assault, theft

Rural

Middle school

Farmer

Y

7 m.

7

M

23

Robbery

Urban, city

Middle school

Unemployed Y

5 m.

8

M

41

Intended murder

Urban, city

Middle school

Unemployed Y

5 m.

9

M

25

Intended murder

Rural

Middle school

Farmer

Y

6 m.

10

M

23

Intended assault

Urban, city

Middle school

Farmer

Y

4 m.

11

M

45

Robbery

Urban, city

Primary school

Farmer

Y

9 m.

12

M

44

Intended murder

Rural

Primary school

Farmer

Y

4 m.

13

M

43

Rape

Urban, city

Primary school

Farmer

N

12 m.

Middle school

Contemporary Death Penalty Issues in China

581

Table 1 (Continued) 14

M

41

Intended murder, arson

Rural

Middle school

Farmer

Y

6 m.

15

M

44

Intended murder

Urban, city

Illiterate

Migrant worker

Y

15 m.

16

M

24

Intended murder, robbery

Urban, city

Middle school

Farmer

Y

12 m.

17

M

34

Robbery

Rural

Primary school

Farmer

Y

4 m.

18

M

36

Robbery

Rural

High school

Farmer

Y

10 m.

19

M

26

Intended murder

Rural

Primary school

Migrant

Y

5 m.

20

M

41

Intended murder

Urban, city

Primary school

Unemployed Y

7 m.

21

M

41

Intended murder

Rural

Middle school

Migrant worker

N

4 m.

22

M

26

Intended murder

Rural

Junior col- Farmer lege

Y

6 m.

23

M

46

Robbery

Urban, city

Primary school

Unemployed N

3 m.

24

M

64

Intended murder

Rural

Primary school

Farmer

Y

10 m.

25

M

30

Intended murder

Urban, city

Middle school

Unemployed Y

10 m.

26

M

40

Intended murder

Urban, city

Middle school

Unemployed Y

9 m.

27

M

24

Robbery

Rural

Middle school

Unemployed Y

6 m.

28

M

24

Kidnapping

Urban, city

Middle school

Unemployed Y

5 m.

29

M

34

Kidnapping

Rural

Middle school

Farmer

Y

8 m.

30

M

51

Intended murder

Rural

Primary school

Farmer

N

5 m.

* The age is calculated on the basis of the first instance trial. ** Review term shown in months.

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3.1 Substantive Law Elements From the criminal offence perspective, among the 481 final review cases, a group of 9 main offences can be identified among the full list of 46 death penalty offences in the current Criminal Law.42 The distribution of these offences is as follows: 280 cases of intended murder, 162 robbery cases, 58 drug-related cases, 39 rape-related cases, 30 kidnappings, 27 intended assaults, 6 explosion crimes, and 4 mafia cases. Except for the drug related cases, all the crimes have resulted in the death of victims. There was only one drug trafficking case among the above listed 30 cases (see table), the offender was convicted of trafficking around 60 kg of Ketamine. The overview shows that, with the exception of the drug-related cases, there are already today no more non-violent offence crimes among the published death penalty cases. In particular, also cases related to corruption have resulted in fewer death sentences. Although that will not mean that courts will not impose death sentences for non-violent offences at all, but at least it means, that courts and judges have adopted practices which limit the application of death sentences in such cases. 3.2 Criminological Elements Seen from the age perspective and calculating the age on the basis of the first instance trial, the average age of the 30 convicts is 35 years. The youngest offender is 21 years old, the oldest one is 64 years. A group of 10 offenders are aged between 20 to 29 years (33%), 8 offenders are aged between 30 and 36 years old (27%), 10 offenders are aged from 40 to 47 years (33%), and two offenders were 50 years and older. Our analysis shows that the death penalty as the harshest penalty statistically affects relatively young offenders. Especially the 10 death penalty cases published in 2016 show, that most of the offenders (8) are under 30 years old. This situation should be taken as an impetus for developing sentencing practices where more attention should be devoted to policies of rehabilitation and education. In regard to prior deviance, the data show that among the 30 convicts, eight offenders were recidivists who had previous convictions (27%), among them, the L. case (case no. 23), when he committed his last robbery, he was 46 years old and had no less than six previous convictions; Mr. Y. (no. 13) committed a series of rape crimes; he raped 18 women and had five previous convictions. When he was sentenced to death he was 43 years old. These cases demonstrate that some serious crime offenders had been on the road of a criminal career since they were young. Further and comprehensive research should be carried out on the causes of these criminal careers, with a particular attention to the strengthening of correctional policies.

42 The analysis is based on a key word search. Some of the offenders were convicted for multiple offences. Therefore, the number of offences is larger than the total number of cases.

Contemporary Death Penalty Issues in China

583

From the perspective of the relatively new research area on criminal decision making, it should be interesting to look at whether there were alternative perspectives to influence the offenders’ decision making. This could be done from angles like social psychology, behavioral economics and neuroscience.43 In the above listed 30 cases, there are eight murder cases, in which the causes for the commission of the homicides were evidently rooted in the offender-victim relationships. In these cases, a partnership was interrupted and the partner was killed during the process of separation. This phenomenon shows that on the one hand, the partnership is a very important factor in the life course, while on the other hand, it also becomes apparent that, when partnerships fail, conflicts may escalate and ultimately result in offenders not capable to control their anger and killing their partner. This demonstrates an obvious lack of selfcontrol and a lack of capability to consider and weigh various options of behavior. Insofar, research should in the future put emphasis on self-control and how self-control can be strengthened in order to protect potential victims. In three cases, the motivations for killing victims have been described in the factual part of the final review decision, as the decision to kill the victim was obviously triggered by trivial matters. Among these three offenders, two of them killed the victims although there were no direct links with feelings of disappointment. Among them, Mr. L. even mutilated the victim’s body (case no. 26). Supposedly, the behavior in these cases fell outside the range of normal reactions to small conflicts, and may hardly be explained by conventional factors of deviance. There were another three cases, in which the offenders had originally planned to commit rape or robbery without killing the victims. However, after committing those crimes, they were afraid of becoming known to authorities and then decided to kill their victims. This illustrates that the death penalty may have some degree of deterrence, however, it also shows that the threat of the death penalty may also raise the number of victims. From the education and profession perspective we can see that among these 30 offenders, 17 have passed the middle school level,44 one was in high school and two in a professional training school. Nine offenders have only achieved the preliminary school level, and one is illiterate. 21 offenders are peasants, among them there were four migrant workers and nine unemployed persons. The relationship between education and crime is a complicated criminological issue, but some conclusions of research show that “schooling significantly reduces criminal activity”.45 In light of this simple statistic, the question of schooling, especially in the rural area, may be raised. However, it must also be considered that the death penalty is most prevalent on the lowest levels of society, exposing poor and uneducated offenders to the risk of receiving death sentences.

43

Van Gelder 2013, 745 – 763. In China, it has nine years free education policy, middle school level means, at least they enrolled the middle school, but we don’t know if they graduated from the school. 45 Lochner & Moretti 2004. 44

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3.3 Procedural Law Elements From a procedural perspective, 24 offenders appealed to high courts, and all the death sentence cases went through the first review by the high courts on the provincial level. There was only one case (W., robbery and homicide, see case no. 16) which, after the first appeal, was sent back to the first instant trial court for a retrial. The final judgment confirmed the death sentence. On a second appeal, the death penalty was upheld. The proceedings lasted for three years. The average final review time is 6.6 months. The Supreme Court approved all of those 30 death penalty cases.

4. Conclusions and Future Perspectives In China, most legal scholars and practitioners agree with the opinion that the death penalty should be abolished. Opinions vary as to the question when the death penalty should be abolished. Most legal scholars hold the view that death penalty cannot be abolished at the present time because of the political, economic and crime situation. Politicians and some legal practitioners still believe that the death penalty serves as an effective deterrent, notwithstanding the facts that any surveys which would prove that presumption have never been carried out in the country and that there is no scientific evidence on the international level there to support this opinion. The majority of legal scholars and practitioners further agree that there are too many offence statutes in the criminal code book which carry the death penalty; there is also agreement that those offences should be reduced gradually, especially the non-violent offences. In fact, the legislative authority is moving toward this direction. One of the problems in this regard concerns that some leading scholars are still in favor of using death penalty for punishing the crime of corruption. It may need some time to convince them that the most important method of anti-corruption will be a proper preventive system rather than repressive punishment. Legal practitioners, especially judges, have recognized that an effective way of reducing the death penalty in China is a change of the sentencing policies. Even if the death penalty would remain on the criminal code book judges should be able to apply alternatives to the death penalty. In fact, in China, the judges of the SPC are following this method and by doing so play an important role in reducing the application of the death penalty. Public opinion is also still playing a very important role in the movement of abolition of the death penalty. In the author’s view, the Government should guide the public opinion through education and discussion instead of just following public opinion. In general, history and current developments support the view that China is on the way of abolishing the death penalty.

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Schuldangemessene Strafzumessung im Völkerstrafrecht Von Thomas Weigend Hans-Jörg Albrecht, dem ich diese Zeilen in alter freundschaftlicher Verbundenheit zu seinem 70. Geburtstag widme, hat die Forschung zu zahlreichen kriminologischen und kriminalpolitischen Themen wesentlich bereichert. Ganz besonders gilt das für das Feld der Strafzumessung, die er nicht nur in seiner Dissertation1 und seiner Habilitationsschrift,2 sondern auch in vielen weiteren Arbeiten bis in die Gegenwart hinein3 behandelt hat. Sein 1994 veröffentlichtes opus magnum „Strafzumessung bei schwerer Kriminalität“ brachte viele gängige Denkschemata in der Diskussion über Strafzumessung ins Wanken. In seinem Buch zeigte Albrecht aufgrund einer mit höchster juristischer und sozialwissenschaftlicher Expertise ausgeführten Untersuchung der Strafzumessungspraxis zu Raub, Einbruchsdiebstahl und Vergewaltigung in Deutschland und Österreich, dass die Strafen nicht – wie zuvor und auch teilweise heute noch angenommen – nach irrationalen Maßstäben in arbiträrer Weise zugemessen werden, sondern dass das Problem eher in der geringen Zahl der faktisch bedeutsamen Zumessungsfaktoren4 sowie in der Diskrepanz zwischen den wirklichen und den im Urteil genannten Strafzumessungserwägungen5 liegt. Tatsächlich ist nach Albrechts Ergebnissen eine sehr überschaubare Zahl tatbezogener Faktoren maßgeblich, nämlich vor allem die Schwere der eingesetzten Tatmittel (Drohung, Gewalt) und die Tatfolgen sowie die Vorstrafenbelastung des Täters. Die rechtspolitischen Desiderate, die Albrecht aus seinen Ergebnissen ableitet (Anerkennung der Tatproportionalität als auch normativ entscheidender Maßstab für die Festsetzung der Sanktion, Absenkung der gesetzlichen Strafrahmen auf das tatsächlich von den Gerichten genutzte Maß6) sind bisher bedauerlicherweise vom Gesetzgeber nicht aufgegriffen worden, haben jedoch die theoretische Debatte insbesondere zur Bedeutung des Proportionalitätsgedankens durchaus befruchtet.7

1

Albrecht 1980. Albrecht 1994. 3 Siehe etwa Albrecht 2017, 185; Albrecht 2019, 165. 4 Albrecht (Fn. 2), 331 ff., 497 f. 5 Albrecht (Fn. 2), 408 ff., 498. 6 Albrecht (Fn. 2), 499 f. 7 Siehe etwa Hörnle 1999; Frisch, von Hirsch & Albrecht 2003; Teixeira 2014. 2

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Thomas Weigend

1. Strafzumessung im Völkerstrafrecht Ein neues, durch besondere Faktoren kompliziertes Anwendungsfeld für Theorie und Praxis der Strafzumessung bildet das Völkerstrafrecht. Die Anfänge einer strafrechtlichen Verantwortlichkeit individueller Täter auf der Grundlage des Völkerrechts liegen bekanntlich in den Verfahren gegen deutsche und japanische Kriegsverbrecher nach dem Zweiten Weltkrieg. Dem Nürnberger Prozess gegen die deutschen Hauptkriegsverbrecher lag das Londoner Statut vom 08. 08. 1945 zugrunde. Es enthielt zur Strafzumessung in Artikel 27 lediglich die Regelung: „The Tribunal shall have the right to impose upon a Defendant, on conviction, death or such other punishment as shall be determined by it to be just.“8 Auf dieser Grundlage wurden von den schuldig gesprochenen 19 Angeklagten zwölf zum Tode, drei zu lebenslanger Freiheitsstrafe und vier zu zeitigen Freiheitsstrafen verurteilt, ohne dass das Urteil Begründungen zu den unterschiedlichen Strafmaßen enthielt. Nach einer fast ein halbes Jahrhundert währenden Latenzphase kehrte das Völkerstrafrecht Anfang der 1990er Jahre in das öffentliche Bewusstsein zurück, als der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen internationale Strafgerichtshöfe für Straftaten auf dem Gebiet des früheren Jugoslawien (1993)9 und in Ruanda (1994)10 einsetzte. Die Statuten dieser beiden Gerichtshöfe enthielten etwas eingehendere Regelungen zur Strafzumessung. So beschränkte Art. 24 des Statuts für den Jugoslawien-Gerichtshof11 die Sanktionen auf Freiheitsstrafen und die Einziehung von Vermögensgegenständen, die durch Straftaten erlangt waren, und Abs. 2 dieser Vorschrift gab den Kammern vor, dass sie „should take into account such factors as the gravity of the offence and the individual circumstances of the convicted person“.12 Eine stärker differenzierte Regelung enthält das Römische Statut des Internationalen Strafgerichtshofs (IStGH) von 1998, auf dessen Grundlage der IStGH seit 2002 in Den Haag über die Täter der gravierendsten völkerrechtlichen Verbrechen (Genozid, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen, seit 2017 auch Verbrechen der Aggression) zu Gericht sitzt. Nach Art. 77 (1) des Statuts kann der Gerichtshof Freiheitsstrafen bis zu 30 Jahren verhängen, außerdem lebenslange Freiheitsstrafen „when justified by the extreme gravity of the crime and the individual circumstances of the convicted person“. 8

Fast wortgleich Art. 16 Tokyo Charter of the International Military Tribunal for the Far East von 1946. Das Tokioter internationale Militärtribunal verurteilte sieben Angeklagte zum Tode; 16 Angeklagte erhielten lebenslange und zwei Angeklagte zeitige Freiheitsstrafen. 9 Statute of the International Criminal Tribunal for the Former Yugoslavia v. 25. 05. 1993, Security Council Resolution 827 (1993). 10 Statute of the International Criminal Tribunal for Rwanda v. 08. 11. 1994, Security Council Resolution 995 (1994). 11 Inhaltsgleich Art. 23 des Statuts für den Ruanda-Gerichtshof. 12 Rule 101 der Rules of Procedure and Evidence des Jugoslawien-Gerichtshofs enthielt darüber hinaus weitere Hinweise für die Strafzumessung, u. a. die Regel, dass eine „substantial cooperation with the Prosecutor by the convicted person“ als Strafmilderungsgrund anzusehen ist.

Schuldangemessene Strafzumessung im Völkerstrafrecht

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Ebenso wie die beiden ad-hoc-Strafgerichtshöfe soll der IStGH bei der Bemessung der Strafe „the gravity of the crime and the individual circumstances of the convicted person“ berücksichtigen (Art. 78 (1) IStGH-Statut). Nähere Richtlinien enthält Rule 145 der Rules of Procedure and Evidence des IStGH. Danach soll die Kammer bei der Bemessung der Strafe zunächst beachten, dass „the totality of any sentence of imprisonment and fine … must reflect the culpability of the convicted person“ (Rule 145 (1) (a)). Insbesondere sind dabei das Ausmaß des angerichteten Schadens, die Art des unrechten Verhaltens und die Mittel, die der Täter verwendet hat, das Maß seiner Beteiligung an der Tat und seines Vorsatzes, die Umstände, die Zeit und der Ort der Tatbegehung sowie das Alter, die Ausbildung und die soziale und wirtschaftliche Situation des Verurteilten zu berücksichtigen (Rule 145 (1) (c)). Darüber hinaus enthält Rule 145 (2) eine Liste von zwei mildernden13 und sechs strafschärfenden Umständen. Bei all dem bleibt die Schuldangemessenheit der wesentliche Maßstab für die Sanktion; dementsprechend können die Parteien die Strafzumessung mit dem Rechtsmittel des Appeal angreifen, indem sie ein Missverhältnis (disproportion) zwischen der Tat und der Strafe rügen (Art. 81 (2) (a) IStGH-Statut).

2. Maß der Schuld als Bezugspunkt der Strafzumessung Angesichts dieser rechtlichen Vorgaben überrascht es nicht, dass sowohl die adhoc-Gerichtshöfe als auch der IStGH betonen, dass die Strafe der Schuld des Täters zu entsprechen habe. So heißt es in einem Urteil des Jugoslawien-Strafgerichtshofs (ICTY) aus dem Jahre 2005: „… the principle of proportionality implies that a sentence must reflect the predominant standard of proportionality between the gravity of the offence and the degree of responsibility of the offender“.14

Auch der IStGH hebt immer wieder hervor, dass „gravity of the crime“ ein wesentlicher Gesichtspunkt sei.15 Dabei geht es nicht so sehr um das (relative) Gewicht des Straftatbestandes als solchen, sondern – in Übereinstimmung mit Rule 145 (1) (a) der Rules of Procedure and Evidence – um „culpability of the convicted person“, also

13

Genannt werden das Vorliegen von Umständen, die die strafrechtliche Verantwortlichkeit zwar nicht ausschließen, aber herabsetzen sowie das Nachtatverhalten des Täters, insbesondere eine Entschädigung des Verletzten sowie die Zusammenarbeit mit dem Gerichtshof. 14 Pros. v. Nikolic, ICTY, Appeals Chamber, IT-94 – 2-A, Decision on Sentencing, 4 Feb. 2005, para. 21; ähnlich Pros. v. Delalic, ICTY, Appeals Chamber, IT-96 – 21-A20, Judgment, 20 Feb. 2001, para. 731. 15 Pros. v. Lubanga Dyilo, ICC, Trial Chamber, ICC-01/04 – 01/06, Decision on Sentence, 10 July 2012, para. 36; Pros. v. Katanga, ICC, Trial Chamber, ICC-01/04 – 01/07, Decision on Sentence, 23 March 2014, para. 39; Pros. v. Bemba Gombo, ICC, Trial Chamber, ICC-01/ 05 – 01/08, Decision on Sentence, 21 June 2016, para. 11.

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den persönlichen Anteil des Täters im Rahmen einer von Mehreren begangenen Gesamttat, wie sie für völkerstrafrechtliche Sachverhalte typisch ist.16 Damit wird deutlich, dass die internationalen Strafgerichtshöfe den Ausgleich der persönlichen Tatschuld des Täters als hauptsächlichen Zweck der Strafe betrachten.17 Jenseits der positivrechtlichen Verankerung der „culpability“ in den Statuten stellt sich freilich die Frage nach der Legitimität einer retributiv ausgerichteten Sanktionierung in einem säkularen (internationalen) Strafrechtssystem.18 Ansätze zu einer modernen Begründung rekurrieren teilweise auf die Idee der im Gesellschaftsvertrag begründeten Solidarität der Bürger,19 teilweise auf den Gedanken ausgleichender Gerechtigkeit, wonach dem Straftäter der durch die Rechtsbeeinträchtigung angemaßte (ideelle) Vorteil durch die Strafe wieder entzogen werden soll.20 In jedem Fall verlangt eine retributive Zwecksetzung der Strafe zwingend nach einer Sanktion, die der Schuld des Täters entspricht. Hier stellt sich jedoch zunächst das grundsätzliche Problem der fehlenden Kommensurabilität zwischen dem Unrecht, das der Täter schuldhaft verwirklicht, und dem Sanktionsrepertoire des Staates, das im Wesentlichen aus dem Entzug von Bewegungsfreiheit und von Vermögen besteht. Es liegt auf der Hand, dass die Herstellung einer bestimmten Relation zwischen diesen beiden Größen rational nicht begründbar ist, sondern letztlich nur durch willkürliche Setzung vorgenommen werden kann.21 So lässt sich kein intersubjektiv verbindlicher Grund dafür angeben, dass bei16 Pros. v. Katanga, ICC, Trial Chamber, ICC-01/04 – 01/07, Decision on Sentence, 23 March 2014, para. 43. S. dazu auch Hola, Bijleveld & Smeulers 2011, 745, 752. 17 Wegen des beschränkten Umfangs dieses Beitrags kann nicht näher auf den Anteil spezialpräventiver Zwecksetzungen an der Sanktionsbemessung durch internationale Strafgerichtshöfe eingegangen werden. Nach allgemeiner Auffassung sind dort die Ziele einer Besserung des Täters sowie seiner Abschreckung von weiteren Taten jedenfalls nicht von hauptsächlicher Bedeutung; dies liegt u. a. daran, dass die typischen Täter zum Zeitpunkt der Verurteilung ihren politischen Einfluss verloren haben und daher nicht in der Lage sind, weitere völkerstrafrechtliche Taten zu begehen. S. näher zu diesen Fragen Pros. v. Delalic, ICTY, Appeals Chamber, IT-96 – 21-A20, Judgment, 20 Feb. 2001, paras. 805 – 806; Pros. v. Milutinovic et al., ICTY, Trial Chamber, IT-05 – 87-T, Judgment, 26 February 2009, para. 1146; Pros. v. Katanga, ICC, Trial Chamber, ICC-01/04 – 01/07, Decision on Sentence, 23 March 2014, paras. 88, 91, 117; Pros. v. Bemba Gombo, ICC, Trial Chamber, ICC-01/05 – 01/08, Decision on Sentence, 21 June 2016, para. 11. S. aber auch die positivere Einschätzung der Spezialprävention bei Epik 2017, 123 ff. 18 Siehe hierzu die kritische Würdigung retributiver Theorien bei Albrecht (Fn. 2), 36 f., 44 ff. Aus jüngerer Zeit Hörnle 2019, § 12 Rn. 7. 19 Pawlik 2012, 90 ff. 20 Zur Anwendung dieses Gedankens im Völkerstrafrecht s. Melloh 2010, 106 ff. 21 Von „grundsätzlich nicht lösbaren Äquivalenzproblemen“ spricht in diesem Zusammenhang Albrecht (Fn. 2), 51. S. dazu auch Lacey 2016, 27, 40 sowie die empirischen Untersuchungen von Robinson & Darley 2007, 1 und Robinson 2013, die übereinstimmend zu dem Ergebnis kommen, dass die Einschätzung der relativen Schwere von Straftaten international und – kulturell sehr ähnlich ist, dass sich aber die „absolute“ Setzung von Ankerwerten stark unterscheidet.

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spielsweise ein Raub22 mit Gewalteinsatz und einem Schaden von 1.000 Euro nicht mit einem, zwei, fünf, sechs oder zehn Jahren, sondern mit vier Jahren Freiheitsstrafe sanktioniert werden soll. Hat man einen solchen Ankerwert aber einmal festgelegt, so gebietet es der Grundsatz der relativen Proportionalität, einen Raub ohne Gewalteinsatz und mit einem sehr geringen Vermögensschaden des Opfers bei sonst gleichen Umständen milder (also etwa mit drei Jahren Freiheitsstrafe) und eine Tat, bei der der Täter eine Waffe verwendet hat, ceteris paribus strenger (also etwa mit fünf Jahren Freiheitsstrafe) zu bestrafen. Retributive Strafgerechtigkeit kann – und muss – also nur in relativer Gleichbehandlung bestehen.23 Bei internationalen Strafgerichtshöfen kommt das Problem hinzu, ein Äquivalent für die teilweise unfassbar schweren und vielfachen Rechtsverletzungen zu finden, für die die Angeklagten verantwortlich sind. Der Jugoslawien-Gerichtshof hat diese Schwierigkeit plastisch zum Ausdruck gebracht: „A sentence, however harsh, will never be able to rectify the wrongs, and will be able to soothe only to a limited extent the suffering of the victims, their feelings of deprivation, anguish, and hopelessness.“24

Andererseits gibt es seit der Abschaffung der lex talionis ohnehin keine „absolute“ Entsprechung von Tat und Strafe mehr, sondern ein „Umrechnungsschlüssel“ wird – wie erwähnt – allein durch Konvention festgesetzt.25 Dies bedeutet, dass auch für die schwersten Verbrechen eine angemessene Strafe existiert – eben die schwerste in dem jeweiligen Rechtssystem verfügbare Sanktion.

3. Probleme bei der Verwirklichung relativer Strafgerechtigkeit Das Problem der Verwirklichung relativer Strafgerechtigkeit hat für internationale Strafgerichtshöfe besonderes Gewicht, da sie im Blickpunkt der Öffentlichkeit stehen und ihre Urteile in Verfahren, die unterschiedliche Konfliktfelder betreffen, auch als politische Entscheidungen interpretiert werden können. Deshalb hat der Jugoslawien-Gerichtshof zu Recht hervorgehoben, dass Gleichmäßigkeit bei der Strafzumessung ein grundlegendes Element eines rationalen und fairen Strafjustizsystems sei26 – was ganz besonders für die internationale Strafgerichtsbarkeit gilt. Dessen ungeachtet wird die Tätigkeit des IStGH und der ad-hoc-Gerichtshöfe, die bisher ins-

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Der gesetzliche Strafrahmen reicht nach § 249 StGB – unter Einbeziehung minder schwerer Fälle – von sechs Monaten bis zu 15 Jahren Freiheitsstrafe. 23 Siehe dazu von Hirsch 1992, 55, 79 ff.; Ashworth & von Hirsch 2005, 139. 24 Pros. v. Krajisnik, ICTY, Trial Chamber, IT-00 – 39-T, 27. September 2006, § 1146. 25 Melloh (Fn. 20), 118 f. 26 Pros. v. Delalic, ICTY, IT-96 – 21-A20, Judgment, 20 Feb. 2001, para. 756. Ähnlich Melloh (Fn. 20), 37.

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gesamt etwa 150 Personen verurteilt haben,27 hinsichtlich der Gleichmäßigkeit der Strafzumessung wenig günstig, sondern als „disparate, uncertain and inconsistent“28 beurteilt. Die Anklagebehörden und die Verteidigung greifen bei ihren Stellungnahmen zur Strafzumessung häufig auf das Postulat der relativen Gerechtigkeit zurück und verweisen auf frühere Strafzumessungsentscheidungen, um das Gericht zu einer – je nach Standpunkt – strengen oder milden Strafmaßentscheidung zu bewegen. Die ad-hoc-Gerichtshöfe haben solche Vergleiche überwiegend mit dem Argument zurückgewiesen, dass jeder Fall besonders sei und dass die Unterschiede zwischen ihnen größer als etwaige Gemeinsamkeiten seien.29 Die Berufungskammer des ICTY hob allerdings vereinzelt Strafzumessungsentscheidungen mit der Begründung auf, dass sie außerhalb jedes vernünftigen Verhältnisses zu Strafmaßen für gleichartige, unter ähnlichen Umständen begangene Verbrechen lägen.30 Im Jahre 2019 kam auch das Nachfolge-Gericht des Jugoslawien-Gerichtshofs, der International Residual Mechanism for Criminal Tribunals (IRMCT), im Fall von Radovan Karadzic, des politischen Führers der berüchtigten bosnisch-serbischen Truppen in den jugoslawischen Konflikten der 1990er Jahre, zu einem solchen Ergebnis. Nach Art. 24 des ICTY-Statuts können Freiheitsstrafen in beliebiger Höhe verhängt werden, nach Rule 101 (A) der ICTY Rules of Procedure and Evidence auch eine Freiheitsstrafe „for a term including the remainder of the convicted person’s life“. Maßgebliche Faktoren für die Bemessung der Strafe sollen die Schwere der Tat und die individuellen Umstände des Verurteilten sein. Radovan Karadzic war durch die Verfahrenskammer des ICTY wegen einer Vielzahl von Einzeltaten verurteilt und mit einer Gesamt-Freiheitsstrafe von 40 Jahren belegt worden. Auf das Rechtsmittel des Anklägers hin verhängte der nunmehr zuständige IRMCT gegen Karadzic eine lebenslange Freiheitsstrafe. Die Richter sahen durch den Ausspruch einer nur zeitigen (wenn auch sehr langen) Freiheitsstrafe das Prinzip der relativen Proportionalität verletzt, da andere Beteiligte an denselben Taten, die im Rang unter 27

Der Jugoslawien-Gerichtshof hat Strafen gegen 90 Personen verhängt (http://www.icty. org/node/9590), der Ruanda-Gerichtshof gegen 62 Personen (https://unictr.irmct.org/en/tribu nal) und der IStGH gegen vier Personen. Einen empirischen Überblick über die Strafzumessung der Gerichtshöfe auf dem Stand von 2013 geben Smeulers, Hola & van den Berg 2013, 7, 21. 28 Ambos 2014, 268 (m.w.N. in Fn. 166). S. auch Bagaric & Morss 2006, 191, 193; Sloane 2007, 713, 716 f.; Scalia 2011, 669. 29 Siehe z. B. Pros. v. Delalic, ICTY, IT-96 – 21-A20, Judgment, 20 Feb. 2001, para. 719; Pros. v. Nikolic, ICTY, Appeals Chamber, IT-94 – 2-A, Decision on Sentencing, 4 Feb. 2005, para. 19. Demgegenüber verweist Ewald 2010, 365, 385, 388 darauf, dass die Richter bei der Entscheidung über das Strafmaß stets – bewusst oder unbewusst – ihnen bekannte, (vermeintlich) ähnlich gelagerte Fälle zum Maßstab nehmen. Kritisch zu der Rechtsprechung auch Sloane (Fn. 28), 713, 718 f. 30 Pros. v. Jelisic, ICTY, IT-95 – 10-A, Appeals Chamber, Judgment, 5 July 2001, para. 96; Pros. v. Nikolic, ICTY, Appeals Chamber, IT-94 – 2-A, Decision on Sentencing, 4 Feb. 2005, para. 16.

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Karadzic standen, lebenslange Freiheitsstrafen erhalten hatten. Daher habe die Verfahrenskammer ein Strafmaß gewählt, das „so unreasonable and plainly unjust“ gewesen sei, dass ein offensichtlicher Fehlgebrauch des Strafzumessungsermessens vorliege.31 Damit trat ein, was der Jugoslawien-Gerichtshof schon in einer früheren Entscheidung vorausgesagt hatte: es werde sich ein Strafzumessungsfallrecht entwickeln, an dem sich der ICTYorientieren werde, um eine Erosion des öffentlichen Vertrauens in die Gerichtsbarkeit durch ungerechtfertigte Strafmaß-Unterschiede zu verhindern.32 Dieser Ansatz zu einem schrittweisen Vorgehen in Richtung auf eine konsistente und doch differenzierende Strafzumessungspraxis dürfte eine vernünftige Lösung für das eigentlich unlösbare Problem darstellen, relative Strafgerechtigkeit bei der Ahndung schwerster Verbrechen herzustellen. Ob der IStGH denselben Weg gehen wird, muss sich angesichts der bisher sehr geringen Zahl an Verurteilungen, noch dazu in eher untypischen Fällen, noch erweisen. Als der IStGH zum ersten Mal eine Strafmaßentscheidung zu treffen hatte, versuchte die Anklagebehörde einen Pflock zur Orientierung einzuschlagen: Sie schlug vor, als Ausgangspunkt für jede Strafzumessungsentscheidung 24 Jahre Freiheitsstrafe zu nehmen, also 80 % des vom Statut vorgesehenen Höchstmaßes der zeitigen Freiheitsstrafe von 30 Jahren; Strafmilderungs- und -schärfungsgründe sollten Abweichungen von diesem Richtmaß erlauben. Das Gericht lehnte jedoch eine solche Festlegung ab, da sie im Statut nicht vorgesehen sei und überdies die Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalles zu sehr einschränken würde.33 Verschiedene Autoren haben legislatorische Maßnahmen vorgeschlagen, um starke Diskrepanzen in der Strafzumessung der internationalen Strafgerichtshöfe zu vermeiden. Genannt werden eine Spezifizierung engerer Strafrahmen für die einzelnen völkerstrafrechtlichen Tatbestände34 sowie die Schaffung „weicher“ Strafzumessungsrichtlinien, von denen die Richter nur mit Begründung abweichen können.35 Es fragt sich allerdings, ob diese Vorschläge tatsächlich zu einer einheitlicheren Strafzumessung führen können. Was die Einführung engerer Strafrahmen betrifft, so wird man bei den völkerrechtlichen Verbrechen kaum ohne die Androhung lebenslanger Freiheitsstrafe für Fälle schwerster Schuld auskommen. Andererseits enthalten die Tatbestandskataloge der Kriegsverbrechen auch Tatvarianten, die im Einzelfall vergleichsweise weniger schwer wiegen können, so dass auch relativ kurze Frei-

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Pros. v. Karadzic, IRMCT, MICT-13 – 55-A, Appeals Chamber, Judgment, 20 March 2019, paras. 766 f., 772 f. 32 Pros. v. Delalic, ICTY, IT-96 – 21-A20, Judgment, 20 Feb. 2001, para. 757. 33 Pros. v. Lubanga Dyilo, ICC, Trial Chamber, ICC-01/04 – 01/06, Decision on Sentence, 10 July 2012, paras. 92 f. 34 D’Ascoli 2011, 283 f.; Hoven 2013, 137, 154, 167; Ambos (Fn. 28), 286. 35 Harmon & Gaynor 2007, 683, 710 f.; Ambos (Fn. 28), 302 f.

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heitsstrafen in Betracht kommen.36 Für Genozid und Humanitätsverbrechen kämen allerdings Untergrenzen von fünf bzw. drei Jahren Freiheitsstrafe in Frage;37 niedrigere Strafen werden jedoch schon nach geltendem Recht kaum verhängt. „Weiche“ Strafzumessungsrichtlinien dürften nicht viel mehr leisten können als die derzeitige Strafzumessungspraxis wiederzugeben, die freilich beim IStGH wegen der geringen Zahl der Fälle noch nicht recht erkennbar ist. Wenn die Kammern von den vorgeschlagenen Strafrahmen oder -maßen abweichen können, ist zu erwarten, dass Richtlinien nur den Effekt haben, den (ohnehin schon sehr großen) Begründungsaufwand der Kammern zu erhöhen. Es ist daher wohl vorzuziehen, auch für den IStGH darauf zu setzen, dass sich einheitliche Maßstäbe im Laufe der Zeit durch Richterrecht herausbilden und dass „Ausreißer“ durch die Rechtsmittelkammern korrigiert werden.

4. Spezifisch völkerstrafrechtliche Fragen Bei der Suche nach der schuldproportionalen Strafe stellen sich im Völkerstrafrecht einige zusätzliche, spezifische Probleme. Dazu gehört zunächst die Komplexität der völkerrechtlichen Verbrechen, die typischerweise von internationalen Strafgerichtshöfen abgeurteilt werden.38 Groß angelegte genozidale oder kriegsverbrecherische Aktionen sind schon untereinander kaum vergleichbar, und erst recht bereitet die wertende Einordnung der Beiträge der einzelnen Tatbeteiligten erhebliche Schwierigkeiten. Beim IStGH kommt hinzu, dass Art. 25 (3) des Statuts nicht erkennen lässt, ob die Reihenfolge der dort aufgeführten Formen der Verantwortlichkeit („Individual criminal responsibility“), die von eigenhändiger Täterschaft bis zur Unterstützung von Gruppen mit kriminellen Absichten reicht, zugleich eine Rangfolge ihrer Schwere zum Ausdruck bringen soll. Auch wenn dies überwiegend angenommen wird,39 fällt es schwer, Unterschiede in der Intensität der Tatbeteiligung in Strafzumessungsentscheidungen umzusetzen, zumal weder bestimmte Strafrahmen für

36 Zu denken ist etwa an den Angriff auf ein nach humanitärem Völkerrecht geschütztes Fahrzeug (Art. 8 (2) (e) (iii) IStGH-Statut) oder die Beschlagnahme des Eigentums einer gegnerischen Partei ohne militärische Notwendigkeit (Art. 8 (2) (e) (xii) IStGH-Statut). 37 Das deutsche Recht setzt für minder schwere Fälle des Völkermordes eine Mindeststrafe von fünf Jahren fest (§ 6 Abs. 2 VStGB). Für Verbrechen gegen die Menschlichkeit gelten für die Einzeltatbestände unterschiedliche Mindeststrafen, die in manchen Fällen (Körperverletzung und Freiheitsberaubung) nur ein Jahr betragen (§ 7 Abs. 2 VStGB). 38 Siehe deGuzman 2015, 932, 953 ff. 39 Für die Annahme einer solchen Rangfolge Pros. v. Lubanga Dyilo, ICC, Appeals Chamber, ICC-01/04 – 01/06, Judgment of 1 Dec. 2014, § 462; aus der Literatur Weigend 2011, 91, 102 f.; Ambos (Fn. 28), 146 f.; Werle & Burghardt 2014, 851, 855 ff.; Werle & Jeßberger 2016, Rn. 544 f. Für ein Einheitsmodell der strafrechtlichen Verantwortlichkeit dagegen Stewart 2012, 165, 205 ff.

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die einzelnen Tatbestände noch Milderungsregeln für bestimmte Beteiligungsformen existieren.40 Ein damit verbundenes typisches Problem bei völkerstrafrechtlichen Straftaten liegt im Umgang mit der Stellung der Verurteilten in einer organisatorischen Hierarchie. Viele Angeklagte vor den ad-hoc-Gerichtshöfen ebenso wie vor dem IStGH waren keine unmittelbaren Täter von Kriegs- oder Menschlichkeitsverbrechen, sondern befanden sich in einer mehr oder wenigen hohen Position innerhalb einer militärischen oder zivilen Kommandostruktur. Im Völkerstrafrecht wurden verschiedene Rechtsfiguren entwickelt, die die besondere Verantwortlichkeit des Führungspersonals, das sich selbst nicht die Hände schmutzig macht, erfassen sollen. Dazu gehören etwa die von den ad-hoc-Gerichtshöfen häufig verwendete umfassende Täterschaftsmodalität der Joint Criminal Enterprise,41 beim IStGH die mittelbare Täterschaft mittels eines selbst schuldhaft handelnden Tatmittlers (Tatbegehung „through another person, regardless of whether that other person is criminally responsible“; Art. 25 (3) (a) IStGH-Statut)42 sowie die im Wesentlichen das schuldhafte Unterlassen der Tatverhinderung erfassende Command Responsibility (Art. 28 IStGH-Statut).43 Bei der Strafzumessung gehen die internationalen Straftribunale von dem Grundsatz aus, dass die Verantwortlichkeit (und damit auch die Strafe) eines Täters ansteigt, je machtvoller seine Position in einer Hierarchie ist. So schrieb die Verfahrenskammer II des IStGH in der Strafmaß-Entscheidung in der Sache Bemba Gombo, des militärischen Führers einer Armee, deren Soldaten zahlreiche Kriegsverbrechen in der Zentralafrikanischen Republik begangen hatten: „… in accordance with the principle of gradation in sentencing, high-level leaders, regardless of the mode of liability, generally bear heavier criminal responsibility than those further down the scale. Although once or several times physically removed from the acts of his or her subordinates, the culpability of a superior and his or her degree of moral blameworthiness might, depending on the concrete circumstances, be greater than that of his or her subordinates.“44

Empirische Studien zur Strafzumessungspraxis des Ruanda-Tribunals haben gezeigt, dass auch dort der militärische oder zivile Rang des Angeklagten ein starker

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Rule 145 (1) (c) der Rules of Procedure and Evidence des IStGH beschränkt sich darauf, „the degree of participation of the convicted person“ als einen von vielen Faktoren zu nennen, die bei der Strafzumessung berücksichtigt werden sollen. 41 Aus dem reichen Schrifttum dazu s. nur Haan 2008; Olásolo 2009, 263; Werle & Jeßberger (Fn. 39), Rn. 552 ff.; Yanev 2019, 121 ff. 42 Siehe dazu Werle & Burghardt 2011, 85; Ohlin, van Sliedregt & Weigend 2013, 725; Weigend 2015, 538 ff.; Kiss 2019, 30 ff. 43 Siehe dazu Burghardt 2008; Ambos (Fn. 28), 197 ff.; Karsten 2010; Meloni 2010; Jackson 2019, 409 ff. 44 Pros. v. Bemba Gombo, ICC, Trial Chamber, ICC-01/05 – 01/08, Decision on Sentence, 21 June 2016, para. 17. S. auch schon Pros. v. Aleksovski, ICTY, Appeals Chamber, IT-95 – 14/1-A, Judgment, 24 March 2000, para. 183.

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Indikator für die Höhe der gegen ihn verhängten Strafe war.45 Diese Orientierung des Strafmaßes an der hierarchischen Verantwortung des Täters entspricht einem retributiven Ansatz, der weniger auf das objektive Ausmaß des insgesamt verwirklichten Unrechts als auf das Maß der Schuld abstellt, die dem Angeklagten persönlich zur Last fällt.46 Dies bedeutet allerdings nicht, dass Untergebene von den internationalen Straftribunalen besonders milde behandelt werden – insbesondere dann nicht, wenn sie aus eigener Initiative oder mit besonderer Grausamkeit handeln.47 Ein besonderes Problem der Strafzumessung im Völkerstrafrecht liegt darin begründet, dass es die Gerichte fast durchweg mit überaus schweren Straftaten, oft mit Hunderten von Opfern, zu tun haben. Jede einzelne Tat würde nach nationalem Recht eine langjährige, im Fall von vorsätzlicher Tötung sogar eine lebenslange Freiheitsstrafe nach sich ziehen.48 Können und sollen die internationalen Gerichte bei der Strafzumessung dennoch zwischen furchtbaren und besonders furchtbaren Taten49 differenzieren? Für den IStGH ist diese Lösung durch Art. 77 (1) (b) seines Statuts vorgeschrieben: Danach darf er eine lebenslange Freiheitsstrafe nur verhängen „when justified by the extreme gravity of the crime and the individual circumstances of the convicted person.“ Diese Voraussetzung wurde bei keinem der vier bisher Verurteilten bejaht, und angesichts der Schwere der meisten angeklagten Delikte fragt es sich, welche Umstände eine „extreme gravity“ begründen könnten. Nimmt man eine Differenzierung der Sanktionen in der völkerstrafrechtlichen Gerichtsbarkeit vor, so stellt sich das Problem, dass die meisten der Angeklagten wegen derselben Taten in nationalen Gerichten die jeweilige Höchststrafe zu erwarten hätten:50 Was auf internationaler Ebene etwa ein „Durchschnittsfall“ der Tötung von Zivilpersonen ist, würde sich in einem nationalen Gericht als mehrfacher Mord darstellen.51 Bezieht man dies in die Gerechtigkeitsanalyse ein, so zeigt sich ein Ungleichgewicht zwischen der Behandlung „einfacher“ Mörder in den nationalen Rechtsordnungen und der Strafmaßbestimmung in völkerstrafrechtlichen Tribuna45

Hola, Bijleveld & Smeulers (Fn. 16), 753, 755, 771; Pruitt 2014, 148, 161. Für einen solchen Ansatz D’Ascoli (Fn. 34), 293. 47 Siehe etwa Pros. v. Delalic, ICTY, IT-96 – 21-A20, Judgment, 20 Feb. 2001, para. 847: „In certain circumstances, the gravity of the crime may be so great that even following consideration of any mitigating factors, and despite the fact that the accused was not senior in the so-called overall command structure, a very severe penalty is nevertheless justified.“ 48 Teilweise wird daher vorgeschlagen, die lebenslange Freiheitsstrafe im Völkerstrafrecht als „normale“ Strafe einzusetzen und kürzere Freiheitsstrafen nur bei besonderen mildernden Umständen zu verhängen; s. etwa Ohlin 2011, 323; Hoven 2013, 137, 157 ff.; s. auch SzokeBurke, 2012, 561, 566 ff. (der die milde Strafpraxis des Ruanda-Tribunals kritisiert). 49 Siehe Hola, Bijleveld & Smeulers (Fn. 16), 754 (Unterscheidung zwischen „serious and horrendous“ und „even more serious and horrendous“ Straftaten). 50 Vgl. dazu Harmon & Gaynor (Fn. 35), 686 ff. 51 Sowohl für den Jugoslawien-Gerichtshof als auch für den Ruanda-Gerichtshof sahen die Rules of Procedure and Evidence vor, dass sie sich (unter anderem) an den jeweiligen nationalen Strafmaß-Vorschriften orientieren sollten. Dies ist jedoch in der Praxis offenbar kaum geschehen. Kritisch dazu Szoke-Burke (Fn. 48), 576 f.; Epik (Fn. 17), 100 ff. 46

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len. Dieses Dilemma lässt sich nicht in völlig zufriedenstellender Weise lösen. Der bessere Ansatz liegt wohl darin, die internationale Gerichtsbarkeit als eigenes System zu betrachten und nach der Verwirklichung relativer Gerechtigkeit nur innerhalb dieses Systems zu streben. Dies mag dazu führen, dass Täter, die von internationalen Strafgerichtshöfen abgeurteilt werden, mit milderen Sanktionen davonkommen als wenn sie nach nationalem Recht verurteilt würden. Dabei ist jedoch zu berücksichtigen, dass der IStGH einen Fall nach dem Komplementaritätsprinzip (Art. 17 (1) (a) IStGH-Statut) nur dann aburteilen kann, wenn die zuständige nationale Gerichtsbarkeit nicht willens oder in der Lage ist, dies zu tun; für die betroffenen Täter stellt also eine Sanktionierung nach nationalem Recht keine praktikable Alternative dar. Außerdem haben die internationalen Strafgerichtshöfe auch bei einer abgestuften Sanktionierung völkerrechtlicher Verbrechen in vielen Fällen langjährige Freiheitsstrafen verhängt, so dass man nicht annehmen kann, dass Personen, die für den Tod anderer Menschen verantwortlich sind, in der internationalen Strafgerichtsbarkeit mit milden Sanktionen belegt werden.

5. Die expressive Funktion der Strafe Ein mit dem Gedanken des Schuldausgleichs verbundener Aspekt der Kriminalstrafe, der in jüngerer Zeit vermehrt in den Vordergrund gerückt wurde, ist der demonstrative Ausdruck der Ablehnung der rechtswidrigen Tat sowie des Tadels gegenüber dem Täter durch die Rechtsgemeinschaft.52 Dieser Gedanke eines „expressiven“ Zwecks der Strafe spielt im Völkerstrafrecht insofern eine wichtige Rolle, als die ausdrückliche Feststellung von Unrecht und Schuld einzelner Täter(gruppen) die Balance zwischen Tätern und Opfern nach einem Konflikt wiederherstellt und so zu einer Befriedung der betroffenen Gesellschaft beitragen kann. Außerdem wird durch die Sanktionierung der Täter klargestellt, dass die von ihnen verletzten Normen des Völkerrechts unverändert auch gegenüber Personen in Machtstellungen gelten und durchgesetzt werden.53 Dies hat die Rechtsmittelkammer des Jugoslawien-Gerichtshofs schon im Jahre 2000 zum Ausdruck gebracht: „… a sentence of the International Tribunal should make plain the condemnation of the international community of the behaviour in question and show that the international community was not ready to tolerate serious violations of international humanitarian law and human rights.“54 52 Siehe dazu etwa Günther 2002, 205; Hörnle (Fn. 18), § 12 Rn. 34 – 36. Überblick über die anglo-amerikanische Diskussion dieses Aspekts bei deGuzman (Fn. 38), 939 ff. 53 Siehe dazu Pros. v. Katanga, ICC, Trial Chamber, ICC-01/04 – 01/07, Decision on Sentence, 23 March 2014, para. 38; Pros. v. Bemba Gombo, ICC, Trial Chamber, ICC-01/ 05 – 01/08, Decision on Sentence, 21 June 2016, para. 11; Epik (Fn. 17), 140 ff. 54 Pros. v. Aleksovski, ICTY, Appeals Chamber, IT-95 – 14/1-A, Judgment, 24 March 2000, para. 185, unter Hinweis auf Prosecutor v. Kambanda, ICTR, Judgment, 4 Sept. 1998, para. 28.

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Aus dem Gedanken der symbolischen Verurteilung des Fehlverhaltens ergibt sich allerdings keine eigene Richtlinie für die Bemessung der Sanktion, sondern er verweist auf den Maßstab der Tatschuldangemessenheit zurück: Die Schärfe der symbolischen Verurteilung hat der Schwere der Schuld zu entsprechen und soll auch gegenüber den Verletzten zum Ausdruck bringen, dass der Täter ihnen schweres Leid zugefügt hat.55 Eine in dieser Weise schuldangemessene Strafe kann zugleich insofern generalpräventiv wirken, als sie Machthabern in aller Welt vor Augen führt, dass sie sich nicht auf Dauer darauf verlassen können, dass ihre politische Stellung sie vor Strafverfolgung schützt, und dass sie unter Umständen selbst dann durch den IStGH zur Verantwortung gezogen werden können, wenn in ihrem eigenen Land kein geeignetes Gericht zur Verfügung steht.56 Andererseits zeigt sich bei einem Blick auf die aktuelle Weltlage von 2020 mit ihren zahlreichen blutigen Konflikten, die häufig ohne Rücksicht auf die Begrenzungen durch das humanitäre Völkerrecht ausgetragen werden, keine nachhaltig befriedende oder zivilisierende Wirkung der Bemühungen des IStGH. Die wenigen Personen, die dort bisher verurteilt wurden, erscheinen überwiegend als unlucky losers aus militärischen Auseinandersetzungen in Afrika. Solange die mächtigen Staaten dieser Welt, wie die USA, die VR China, Russland, aber auch die Türkei und Israel die Mitwirkung am IStGH ablehnen, wird sich an diesem Zustand und an der sehr begrenzten Wirkung seiner Tätigkeit bei der Verhinderung völkerrechtlicher Verbrechen auch nicht viel ändern.57

6. Schlussbemerkung Die Aufgabe, bei der Bestrafung völkerrechtlicher Verbrechen relative Gerechtigkeit zu verwirklichen, stellt die Richter internationaler Strafgerichtshöfe vor fast unüberwindbare Schwierigkeiten. In den maßgeblichen Rechtsvorschriften, insbesondere den Statuten der Gerichtshöfe, sind keine brauchbaren Maßstäbe für die Strafzumessung im Einzelfall zu finden. Die zur Aburteilung gestellten Fälle lassen sich kaum miteinander vergleichen, und auch die Rolle der einzelnen Angeklagten bei 55 Siehe dazu Melloh (Fn. 20), 114 ff.; Ambos (Fn. 28), 86; DeGuzman (Fn. 38), 956 ff. Hoven 2013, 137, 155 schließt aus dem „expressiven“ Charakter der Bestrafung, dass die Täter völkerstrafrechtlicher Verbrechen normalerweise zu lebenslanger Freiheitsstrafe verurteilt werden sollten. Siehe demgegenüber jedoch Pros. v. Karadzic, International Residual Mechanism for Criminal Tribunals, Appeal judgment, 29 March 2019, Dissenting opinion of Judge de Prada Solaesa, paras. 847 ff. (lebenslange Freiheitsstrafe verstoße gegen den Grundsatz der Menschlichkeit). 56 Der Gedanke der allgemeinen Abschreckung wird hervorgehoben z. B. in Pros. v. Blaskic, ICTY, Trial Chamber, IT-95 – 14-T, Judgment, 3 March 2000, para. 761; Pros. v. Rutaganda, ICTR, Trial Chamber, ICTR-96 – 3, Judgment and Sentence, 2 February 1999, para. 456. S. hierzu auch D’Ascoli (Fn. 34), 299 f.; Melloh (Fn. 20), 137 ff.; Hoven 2013, 137, 148. 57 Ähnlich die Einschätzung bei Grono & de Courcy Wheeler 2014, 1225, 1240 ff.

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den jeweiligen Tatkomplexen ist schwer in ein nachvollziehbares Schwere-Raster zu bringen. Hinzu kommt das Problem, dass viele der angeklagten Taten nach nationalem Recht mit der Höchststrafe zu sanktionieren wären, die internationalen Gerichtshöfe aber eine Differenzierung vorzunehmen bestrebt sein müssen. Dennoch haben sich die Richter bemüht, die Schuld jedes einzelnen Angeklagten in ein Strafmaß umzusetzen, das – auch unter Berücksichtigung vergleichbarer Fälle – seiner individuellen Verantwortlichkeit gerecht wird. Die internationale Strafrechtswissenschaft kann und sollte versuchen, durch fortlaufende kritische Beobachtung der Rechtsprechung – so wie dies Hans-Jörg Albrecht schon vor Jahrzehnten für Deutschland und Österreich getan hat – die faktisch maßgeblichen Faktoren herauszuarbeiten und so zu größerer Gleichmäßigkeit der Strafmaßentscheidungen beizutragen. Literaturverzeichnis Albrecht, H.-J. (1980): Strafzumessung und Vollstreckung bei Geldstrafen. Berlin. Albrecht, H.-J. (1994): Strafzumessung bei schwerer Kriminalität. Berlin. Albrecht, H.-J. (2017): Empirische Strafzumessungsforschung, in: H. Safferling et al. (Hrsg.), Festschrift für Franz Streng zum 70. Geburtstag. Heidelberg. Albrecht, H.-J. (2019): Sanktionswirkungen, Rückfall und kriminelle Karrieren, in: A. Dessecker, S. Harrendorf & K. Höffler (Hrsg.), Angewandte Kriminologie – Justizbezogene Forschung. Göttingen. Ambos, K. (2014): Treatise on International Criminal Law, vol. II. Oxford. Ashworth, A. & Hirsch, A. von (2005): Proportionate Sentencing: Exploring the Principles. Oxford. Bagaric, M. & Morss, J. (2006): International Sentencing Law: In Search of a Justification and Coherent Framework. International Criminal Law Review 6, S. 191 – 255. Burghardt, B. (2008): Die Vorgesetztenverantwortlichkeit im völkerrechtlichen Straftatsystem. Berlin. D’Ascoli, S. (2011): Sentencing in International Criminal Law. The approach of the two UN ad hoc Tribunals and future perspectives for the International Criminal Court. Oxford. deGuzman, M. (2015): Proportionate Sentencing at the ICC, in: C. Stahn (Hrsg.), The Law and Practice of the International Criminal Court. Oxford. Epik, A. (2017): Die Strafzumessung bei Taten nach dem Völkerstrafgesetzbuch. Berlin. Ewald, U. (2010): ,Predictably Irrational‘ – International Sentencing and its Discourse against the Backdrop of Preliminary Empirical Findings on ICTY Sentencing Practices. International Criminal Law Review 10, 365 – 402. Frisch, W., von Hirsch, A. & Albrecht, H.-J. (Hrsg.) (2003): Tatproportionalität. Normative und empirische Aspekte einer tatproportionalen Strafzumessung. Heidelberg. Grono, N. & Courcy Wheeler, A. de (2014): The Deterrent Effect of the ICC on the Commission of International Crimes by Government Leaders, in: C. Stahn (Hrsg.), The Law and Practice of the International Criminal Court. Oxford.

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Schuldangemessene Strafzumessung im Völkerstrafrecht

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Strafzumessungsschuld oder/und Tatproportionalität? Von Franz Streng

1. Einleitung In seiner großen, empirisch wie theoretisch angelegten Studie „Strafzumessung bei schwerer Kriminalität“ betont Hans-Jörg Albrecht, dass „ein Umrechnungsmaßstab, der Schuld in Strafe übersetzt, nicht vorhanden sein kann … und daß die Orientierung an der Strafzumessungsschuld ein unverbindlicher Programmsatz bleibt“. „Eine Tatproportionalitätstheorie der Strafzumessung dagegen … stellt … einen theoretischen Rahmen für die Ausbildung eines rechtlich begründbaren Maßstabs für die Strafmaßdifferenzierung oder -abstufung zur Verfügung“.1 Mit dem Jubilar verbindet mich nicht nur die jahrzehntelange regelmäßige Teilnahme an den Kolloquien der Südwestdeutschen Kriminologischen Institute,2 sondern auch das besondere Interesse an Fragen der Strafzumessung. Eben dieser gemeinsame Forschungsschwerpunkt veranlasst mich dazu, im Folgenden HansJörg Albrechts oben angedeutete Positionen zum zentralen Bezugspunkt der Strafzumessungsentscheidung aufzugreifen und zu diskutieren.

2. Strafzumessungsschuld und Sanktion 2.1 Was meint Schuld bei der Strafzumessung? Wenn wir von Schuld im Sinne von Strafzumessungsschuld (§ 46 Abs. 1 S. 1 StGB) sprechen, meinen wir verschuldetes Unrecht.3 Es geht also nicht um den Schuldbegriff des Verbrechensaufbaus, bezüglich dessen für die Bejahung einer Strafbarkeit ein bloßes „Ja“ ausreicht. Auch geht es nicht allein um subjektive Dimensionen, wie das Ausmaß der moralischen Verfehlungen, der inneren Schwäche 1

Albrecht 1994, 53. Vgl. zu den alljährlich stattfindenden, ebenso familiären wie informativen Arbeitstagungen etwa Störzer & Streng 1977; Albrecht & Sieber 1984; Bartsch, Brandenstein, Grundies, Hermann, Puschke & Rau 2017. 3 Vgl. etwa Jescheck & Weigend 1996, 887 ff.; Frisch 2011, 16 f.; Zipf & Dölling, in: Maurach, Gössel & Zipf 2014, § 63 Rn. 19 ff.; Meier 2019, 190 ff.; Schäfer, Sander & van Gemmeren 2017, Rn. 577 ff.; Kühl, in: Lackner & Kühl 2018, § 46 Rn. 23. 2

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oder der situativen Überforderung des Täters. Vielmehr meint Strafzumessungsschuld eine quantifizierende Dimension aus objektiven und subjektiven Elementen, nämlich den Grad der Vorwerfbarkeit mit Blick auf das verwirklichte Erfolgs- und Handlungsunrecht. Allein schon die gemäß der Unrechtsart und -schwere differenzierenden tatbestandlichen Strafdrohungen sowie die deutlich geringere Pönalisierung des Versuchstäters gegenüber dem Vollendungstäter machen deutlich, dass es um mehr geht als um das, was dem Täter auf einer rein subjektiven Ebene vorgeworfen werden kann. Das Unrecht muss vom Täter schuldhaft verwirklicht worden sein. Auf dieser Grundlage erfolgt in einem zweiten Schritt eine Quantifizierung der Schuld, wobei es um den Umfang der Vorwerfbarkeit des Verhaltens geht. Die hier zu berücksichtigenden Umstände betreffen eine Bewertung des rechtswidrigen Täterhandelns, wobei über die Phase der eigentlichen Tathandlung hinausgegriffen wird, nämlich Vortatverhalten und auch Nachtatverhalten berücksichtigt werden. Allein auf diesem Wege ist für die Strafzumessungswertung ein lebensnahes – und nur so bewertbares – Gesamtbild herstellbar. § 46 Abs. 2 S. 2 StGB weist darauf hin, wenn dort etwa vom „Vorleben des Täters“ und auch vom „Verhalten nach der Tat“ als Strafzumessungsumstände die Rede ist. Man ist sich einig darin, dass der Vorstrafenbelastung ganz erhebliche Bedeutung für die Schuldwertung und für das Strafmaß zukommt;4 durchaus unabhängig von einer hier sich andeutenden erhöhten Rückfallgefahr und entsprechender sicherungsorientierter Sanktionierung wird eine wiederholte Auflehnung gegen die Rechtsordnung als besonders vorwerfbar und damit schuldrelevant eingestuft. Hingegen besteht Meinungsstreit um die unmittelbare oder nur indirekte Schuldrelevanz von Nachtatverhalten.5 Insoweit fällt ins Gewicht, dass der Gesetzgeber ein schadensminderndes Nachtatverhalten in § 46 Abs. 2 S. 2 StGB als strafmildernd besonders hervorgehoben hat; naheliegend ist, dass hier das Nachtatverhalten die Gesamtbewertung des Täterverhaltens beeinflusst, dass also die Schadensminderung auch den Strafzumessungs-Schuldvorwurf gegen den Täter mindert.6 2.2 Gibt es Schuldeinheiten und braucht man die überhaupt? Fühlt man sich so auf – zumindest straftheoretisch – einigermaßen sicherem Boden, lässt sich dennoch Hans-Jörg Albrechts Aussage nicht umgehen, es sei ein Umrechnungsmaßstab, der Schuld in Strafe übersetzt, nicht vorhanden. Mithin 4 Ausführlich dazu Streng 2012, Rn. 565 ff.; Kaspar 2018, C 66 ff. – Daten dazu etwa bei Albrecht 1994, 333 ff., 381 ff.; Höfer 2003, 105 ff.; Streng 2006, 453 f., 456 ff. 5 Für unmittelbare Schuldrelevanz etwa Schaffstein 1973, 113; Streng 2012, Rn. 527; Zipf & Dölling, in: Maurach, Gösssel & Zipf 2014, § 63 Rn. 52 ff., 55; Kinzig, in: Schönke & Schröder 2019, § 46 Rn. 9 f. – Zur Indizkonstruktion der h.M., vgl. Eschelbach, in: Satzger, Schluckebier & Widmaier 2018, § 46 Rn. 117; Schäfer, Sander & van Gemmeren 2017, Rn. 641; Kühl, in: Lackner & Kühl 2018, § 46 Rn. 36, 40, 43. 6 Vgl. Streng 2012, Rn. 527, 572 ff.; unmittelbarer auf Normbestätigungsbedürfnisse abstellend Kunz 2011, 137 ff.

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fragt sich, inwieweit Schuld in ihrer Quantifizierung darstellbar ist: Gibt es „Schuldeinheiten“, die dann in einem zweiten Schritt in Strafeinheiten umrechenbar wären? Dafür könnte sprechen, dass gem. § 46 Abs. 1 S. 1 StGB die Schuld des Täters „Grundlage für die Zumessung der Strafe“ ist. Und man könnte auch anführen, dass gem. § 57a Abs. 1 S. 1 StGB zu entscheiden ist, ob eine besondere Schwere der Schuld vorliegt, die eine Strafrestaussetzung bereits zum 15-Jahres-Zeitpunkt ausschließt. Bedenklich an diesem Modell ist allerdings, dass schon die Aussage, es handele sich um eine besonders schwere Schuld, einigermaßen vage bleibt. Daran würde auch eine Mathematisierung des Schuldurteils nichts ändern können. Zerlegt man nämlich die Schuldschwere irgendeines Delikts z. B. in 100 Schritte von extrem leicht bis äußerst schwer, dann würde der Urteilende wohl in große Verwirrung gestürzt, wenn er entscheiden sollte, ob die Tat den Wert 43 oder 49 oder 55 erreicht. Zu konstatieren bleibt also, dass es an adäquaten Ausdrucksmöglichkeiten für eigentliche Schuld-Grade letztlich fehlt.7 Auch auf der nächsten Ebene dieses zweistufigen Modells, nämlich beim gesetzlichen Strafrahmen, aus dem die Strafe mittels Umrechnung aus „Schuldeinheiten“ entnommen werden soll, ergeben sich Probleme. Die gesetzlichen Strafrahmen sind zum einen regelmäßig sehr weit und geben von daher dem Rechtsanwender nur wenig Orientierung; überdies sind sie vielfach überaltert und entsprechen daher nicht mehr den Wertungen bzw. Strafvorstellungen der heutigen Zeit. Kaum besser sieht die Sache bei den Strafrahmen der neueren Gesetzgebung aus, die unter den Vorzeichen von „symbolischer Gesetzgebung“ vielfach eher der Beruhigung der Bevölkerung durch Demonstration politischer Handlungsfähigkeit dienen sollen, als den Gerichten eine glaubwürdige Strafskala für gerechte Strafzumessung vorzugeben.8 Da wohl kein Richter ein ungerechtes Urteil sprechen möchte, führt das zu einer Distanzierung gegenüber der „gesetzlichen Schwereskala“ des Strafrahmens.9 Dementsprechend zeigt ein Blick in die Rechtspflegestatistik, dass die Gerichte sehr viel stärker den unteren Bereich der gesetzlichen Strafrahmen für die Strafzumessung nutzen als den mittleren oder gar den oberen Bereich10 – ganz abgesehen von den gem. §§ 153, 153a StPO nach Opportunität eingestellten Verfahren. Es zeigt sich somit, dass ein zweistufiges Modell der Findung einer schuldentsprechenden Strafe, nämlich zunächst in Form einer Schuldquantifizierung nach „Schuldeinheiten“ mit anschließender Umrechnung der Schuldquanten anhand der gesetzlichen Schwereskala des Strafrahmens in Strafquanten, in hohem Maße fehleranfällig und letztlich fiktiv ist; die Praxis geht daher – mit guten Gründen – andere Wege, indem sie sich um Konsens bemüht und am „Üblichen“ orientiert. Nicht einmal die Schuldschwere-Klausel des § 57a Abs. 1 S. 1 Nr. 2 StGB lässt eine positivere 7

Vgl. schon v. Liszt 1905, 331 f.; Stratenwerth 1972, 35 f.; Streng 2012, Rn. 531. Ausführlich zur Strafrahmen-Problematik Hettinger 2007, 95 ff.; 2014, 891 ff. 9 Vgl. für die Schwereskala-Lehre Dreher 1947, 61 ff.; dazu Jescheck & Weigend 1996, 874 f.; Streng 2012, Rn. 641 ff.; Fischer 2020, § 46 Rn. 17 ff. 10 Vgl. Götting 1997, 95 ff., 231 f.; Schott 2004, 227 ff., 291 ff. 8

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Stellungnahme zu. Denn auch hier folgt die nachträgliche Strafzumessungsentscheidung des Vollstreckungsgerichts allenfalls selten einer abstrakten Schuldquantifizierung. Vielmehr führt eine in concreto als schuldangemessen angesehene Strafhöhe, die erheblich über der gesetzlichen Mindestverbüßungsdauer von 15 Jahren liegt, zur Bejahung der Kategorie „besondere Schwere der Schuld“, wenn sich hierfür dann auch hinreichende anerkannte Gründe anführen lassen, etwa die Zahl der Opfer oder die Zahl der verwirklichten Mordmerkmale.11 Dem hier – ganz in Übereinstimmung mit Hans-Jörg Albrecht – kritisierten zweistufigen Modell einer Errechnung der Strafe aus einer vorgängigen Schuldquantifizierung lässt sich folglich ein einstufiges Modell gegenüberstellen. Danach wäre die bei der Sanktionsbemessung getätigte Quantifizierung der Strafe selbst nichts anderes als der eigentliche Ausdruck der Schuldwertung. Mit anderen Worten: Es gibt kein allgemeinverständliches Schuldmaß, das ohne Darstellung in einem Strafmaß auskommen könnte. Auf einen Umrechnungsmaßstab kommt es demnach überhaupt nicht an. Dass es keine „rein“ darstellbare Schuldeinheiten gibt, spricht demnach nicht gegen die Praxisrelevanz der Strafzumessungsschuld.

3. Tatproportionalität, Verhältnismäßigkeit und Strafzumessung 3.1 Der Tatproportionalitätsansatz Ganz im Sinne von Hans-Jörg Albrechts oben wiedergegebener Stellungnahme hat in den letzten Jahrzehnten der Gedanke tatproportionaler Strafzumessung großen Rückhalt gewonnen.12 Als Maßgesichtspunkt tritt hier die Tatschwere besonders in den Vordergrund, wobei diese ein Produkt des verschuldeten Erfolgsunwerts und – begrenzt – auch des Handlungsunwerts darstellt. Anhand dieser Tatschwereorientierung geht es um die Gewährleistung „ordinaler Proportionalität“ im Sinne relativer Angemessenheit und „kardinaler Proportionalität“ im Sinne absoluter, d. h. unabhängig von Vergleichsüberlegungen zu konstatierender, Angemessenheit der Sanktion.13 Wesentliches Anliegen dieser Lehre ist es, willkürlich ungleicher Strafzumessung, wie sie insbesondere bei Betonung präventiver Strafzwecke und betonter Rückfallschärfung entstehen kann, entgegenzuwirken.14

11

Vgl. Streng 2012, Rn. 294 ff.; Fischer 2020, § 57a Rn. 9 ff; vgl. zu den Begründungselementen Kett-Straub 2011, 250 ff. 12 Vgl. von Hirsch 1993, bes. 88 ff.; Albrecht 1994, 50 ff.; Hörnle 1999; Frisch 2003, 1 ff.; Ashworth 2010, 104 ff.; ferner Schünemann 1987, 209, 224 ff.; Kilchling 2000, 30 ff.; Melloh 2010, 110 ff., 514 ff.; Giannoulis 2014, 13 ff. 13 Zu den Begriffen von Hirsch & Jareborg 1991, 25; von Hirsch 2003, 61 ff.; Duff 2003, 29 f. 14 Vgl. Albrecht 1994, 50 f.; Hörnle 1999, 159 ff., 394 ff.; von Hirsch 2003, 48, 72; Schünemann 2003, 187 ff.

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Eine stabile Bewertungsperspektive hinsichtlich der zentralen ErfolgsunrechtsDimension sucht man etwa durch eine opferzentrierte Betrachtung im Sinne des Abstellens auf Lebensqualitäts-Einbußen zu gewinnen.15 Auf dieser Grundlage fehlen der Tatproportionalitätslehre allerdings Möglichkeiten zu verlässlicher Schwereeinschätzung bezüglich Versuchskonstellationen, Delikten gegen Kollektivrechtsgüter und Gefährdungstatbeständen.16 Komplementär zur Tatschwere müssen Standards für die Bestimmung einer angemessenen Schwere der zu verhängenden Sanktion entwickelt werden; nur dies ermöglicht die theorieentsprechende proportionale Antwort auf die Tat. Vorgeschlagen wird etwa, durch Richtlinienkommissionen erstellte und parlamentarisch legitimierte Strafzumessungsrichtlinien heranzuziehen, um „kardinale“ Ankerwerte für die Bildung „ordinaler“ Proportionalität im konkreten Strafzumessungsakt zu gewinnen.17 Unter den Anhängern dieser Lehre besteht (noch) keine Klarheit darüber, ob im Sinne positiver Proportionalität die proportionale Strafe zu verhängen ist, also unter weitestgehendem Ausschluss präventiver Momente, oder ob es im Sinne negativer Proportionalität allein um den Ausschluss disproportionaler, insbesondere schuldüberschreitender Strafe geht.18 Speziell auf der Basis eines Ansatzes „negativer“ Proportionalität entfernt man sich auch hinsichtlich der einer Strafzumessungswertung zugrunde zu legenden Umstände nur begrenzt von den etablierten Standards des Schuldstrafrechts. Während die Einsichts- und Steuerungsfähigkeit des Täters als unverzichtbarer Bestandteil feststeht, werden als mögliche Bestandteile der Tatproportionalität etwa die „kriminelle Energie“ des Täters19, das Mitverschulden des Opfers, das rechtsgutbezogene Vortat- und Nachtatverhalten des Täters sowie seine Strafempfindlichkeit20 diskutiert.21 Eine zunächst als systemwidrig abgelehnte Rückfallschärfung wird durch eine Strafmilderung bei keinen oder wenigen Vorstrafen ersetzt.22 Damit stehen zu wesentlichen Teilen wieder dieselben Streitpunkte zur Debatte, wie im Rahmen jeder Schuldstrafe – was wenig erstaunlich ist, da das Rekurrieren auf das Tatschwereprinzip nicht von der Verpflichtung entbindet, die straf15 Vgl. von Hirsch 1993, 31 ff.; 2003, 67 ff.; Hörnle 1999, 223 ff., 373 ff.; Giannoulis 2014, 176 ff.; zust. Horstkotte 1992, 165; Duff 2003, 33. 16 Vgl. etwa Ashworth 2010, 111 ff.; 2003, 86 f.; Hörnle 2003, 110 ff. 17 Vgl. Reichert 1999, 273 ff., 295; von Hirsch 2003, 61 ff.; Giannoulis 2014, 315 ff., 406 ff. 18 Für letzteres Duff 2003, 36 ff., 44 f.; Weigend 2003, 205 f.; zum Ganzen Frisch 2003, 5 ff. 19 Vgl. Schünemann 2003, 191, 194 f. 20 Bejahend Schünemann 1987, 226 f.; restriktiv Giannoulis 2014, 152 ff.; ablehnend Albrecht 1994, 52; Hörnle 1999, 167 ff. 21 Ausführl. Hörnle 1999, 195 ff.; ferner Schünemann 1987, 209, 227 f.; Ashworth 2003, 88. 22 Vgl. Ashworth 2003, 91 f.; von Hirsch 2003, 72 ff.; Giannoulis 2014, 140 ff., 288 ff.; ablehnend Hörnle 1999, 164 ff.

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rechtliche Verantwortungszuschreibung insgesamt als strafzweckkonform und gerecht auszuweisen.23 Angesichts der unübersehbaren Widersprüche zur Regelung des § 46 StGB ist eine Anwendbarkeit der Proportionalitätslehre de lege lata nur sehr bedingt möglich.24 Denn der Ausschluss von Präventionserwägungen jedenfalls aus der Strafhöhenbemessung und teils auch aus der Sanktionsauswahl steht mit dem Gesetz nicht in Übereinstimmung.25 Unverkennbar ist überdies, dass die Tatproportionalitätslehre sich von der herkömmlichen Dominanz der Einzelfallgerechtigkeit distanziert. Eine Reduzierung der berücksichtigbaren Tat- und Tätermerkmale soll verlässliche Wertungen fördern, wofür auf eine maximale Schuldindividualisierung der Strafe verzichtet wird.26 3.2 Das Verhältnismäßigkeitsprinzip Eng verwandt mit der Tatproportionalitätslehre ist der zunehmend vertretene Ansatz einer am verfassungsrechtlich fundierten Verhältnismäßigkeitsprinzip orientierten Strafzumessung. Neuere Versuche, ein Strafrecht ohne das Schuldprinzip zu konstruieren, setzen als Regulativ für die im Kern zweckhaft begründete Strafe auf eine spezifisch strafrechtliche Ausformulierung des rechtsstaatlichen Verhältnismäßigkeitsprinzips.27 Diese Ansätze wurden in Kritik zu dem als vage eingestuften und mit der Gefahr selbstgerechten Strafens behafteten Schuldprinzip bzw. zum Zwecke effizienterer Zurückdrängung des weithin nur unsicher zu bemessenden Präventionseinsatzes entwickelt. In dem älteren Ansatz von Baurmann etwa richtet sich die „Sozialschädlichkeit“ als wesentlicher Bezugspunkt „nach dem Wert und dem Grad der Gefährdung des betroffenen Rechtsguts und nach der persönlichen und sozialen Situation, in der die Tat ausgeführt wird“; hinzukommen soll die Berücksichtigung der „Motivierbarkeit“ des Täters.28 Es muss das Verhältnismäßigkeitsprinzip also letztlich genauso komplexe Wertungen beinhalten wie das Schuldprinzip, wenn es dem Gerechtigkeitsgefühl der Bevölkerung Rechnung tragen will. Die hier deutlich werdende, enge inhaltliche Verwandtschaft mit den Kriterien einer herkömmlichen

23 Vgl. auch Stratenwerth 1977, 36 ff., 41; Müller-Dietz 1979, 23 f.; Jung 1992, 201 ff.; Dölling 1999, 195; Kaspar 2014, 332 ff., 788 f. 24 Überlegungen zu einer Implementierung ins deutsche Strafrecht bei Schünemann 1987, 224 ff.; von Hirsch & Jareborg 1991, 35 ff.; Albrecht 1994, 50 ff., 473 f.; Hörnle 1999, 324 ff.; Reichert 1999, 121 ff., 255 ff. 25 Vgl. Ellscheid 2001, 204 ff.; Dölling 2003, 57 f.; Schott 2004, 148 ff.; Haas 2008, 296 f.; Epik 2017, 190 f.; eingeräumt von Hörnle 1999, 191 ff., 326 ff.; relativierend von Hirsch & Jareborg 1991, 56 ff. 26 Vgl. Schünemann 1987, 226 f.; Hörnle 1999, 133 f.; Reichert 1999, 66 f. 27 Vgl. Ellscheid & Hassemer 1970, 27 ff.; Baurmann 1987; Scheffler 1987, 79 ff., 138 ff.; für das Jugendstrafrecht Ostendorf, in: Ostendorf 2016, § 5 Rn. 3. 28 Baurmann 1987, 303 f.

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Schuldzuschreibung desavouiert unübersehbar den gegenüber dem Schuldgedanken vorgetragenen Überlegenheitsanspruch des Verhältnismäßigkeitsprinzips.29 Einen neuesten Ansatz dieser Art stellt das von Kaspar vertretene Modell „verhältnismäßiger Generalprävention“ dar. Es soll der dem Strafrecht primär zugrundeliegende generalpräventive Ansatz in rechtsstaatlich gebotener Weise, d. h. mittels des Verhältnismäßigkeitsprinzips, wirkungsvoll begrenzt werden.30 Der Verzicht auf das Schuldprinzip als Strafbemessungskriterium hinterlässt jedoch eine zu füllende Lücke. Daher räumt Kaspar ein, dass die Sanktion als „gerecht“ wahrnehmbar sein muss31 und er verweist auf die Berücksichtigung empirisch messbarer Strafeinstellungen der Bevölkerung.32 Letztlich wird so anerkannt, dass die Erfüllung der generalpräventiven Funktion des Gesetzes für die konkrete Strafzumessung handhabbarer Kriterien bedarf, welche nur außerhalb der präventiven Zweckverfolgung als solcher zu finden sind.33 Im Unterschied zum klassischen Vergeltungsprinzip folgt aus Kaspars Ansatz, dass im Sinne des Erforderlichkeitsgedankens dann bei der Strafzumessung eine Orientierung an der Schuldschwere unzulässig ist, wenn und soweit eine solche Strafe durch Strafzweckaspekte nicht geboten erscheint. In der Tendenz ähnelt dies einem in der Lehre verbreiteten Ansatz, der das Schuldprinzip allein als Schuldübermaßverbot, nicht aber als Schulduntermaßverbot versteht.34

4. Fazit und Ausblick Die Schwächen des Schuldprinzips sind seit langem bekannt. Schuldwertungen sind per se subjektiv geprägt, nämlich von Sozialisationshintergrund, Lebens- und Berufserfahrung beeinflusst, überdies von der jeweiligen Fähigkeit des Bewertenden zur Zusammenschau auch komplexer Sachverhalte abhängig.35 Schon von daher sind erhebliche Divergenzen zwischen verschiedenen Richtern zu erwarten. Überdies ist nicht ausgemacht, dass Bewertungen einer spezifischen Fallkonstellation reliabel sind, also bei Wiederholung durch dieselbe Person wirklich gleichartig ausfallen.36 29 Vgl. schon Stratenwerth 1977, 36 ff., 41; Müller-Dietz 1979, 23 f.; Kaufmann 1986, 227 f.; Kim 1987, 102 ff., 104; Jung 1992, 201 f.; Roxin 1993, 531 ff.; Neumann 2008, 424 ff. 30 Vgl. Kaspar 2014, 703 ff.; 2018, C 25 ff.; ferner Weigend 1999, 926 f. 31 Vgl. Kaspar 2014, 297, 821, 875 f.; Kaspar 2018, C 25 f. 32 Vgl. Kaspar 2018, C 26 f. 33 Näher dazu Frisch 2013, 251 ff.; Streng 2014, 840 ff.; Jung 2015, 468; Gärditz 2016, 644. 34 Vgl. etwa Lackner 1978, 25; Schünemann 1987, 210 f.; Günther 1989, 1029; Schäfer 1992, 185 f.; Frisch 1998, 786; Roxin 2006, § 3 Rn. 50; Streng 2012, Rn. 547; Meier 2019, 171 f.; Radtke, in: MüKo 2020, Vor § 38 Rn. 57; Kinzig, in: Schönke & Schröder 2019, Vor § 38 Rn. 21. 35 Vgl. schon Hogarth 1971, 351; relativierend Albrecht 1994, 202 f.; Überblick bei Streng 2012, Rn. 487 ff. 36 Vgl. zu derartigen Inkonsistenzen Streng 2012, Rn. 500 f.

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Hinzu kommt, dass die derzeit extrem weiten gesetzlichen Strafrahmen wenig tauglich dafür sind, dem Urteilenden eine wirkliche Hilfestellung für das Finden einer schuldangemessenen Sanktion zu bieten. Auch das Urteilen in Kollegialgerichten und die dort mögliche Konsensbildung dämpft diese Unsicherheit nur begrenzt.37 Allerdings haben auch die Erörterungen zu Tatproportionalitäts- und Verhältnismäßigkeitsansätzen gezeigt, dass kein Weg an komplexen Wertungen vorbeiführt, wenn man der Aufgabe des Strafrechts gerecht werden will. Eine Strafbemessung proportional nur zum Deliktsschaden – falls ein solcher überhaupt quantifizierbar ist – führt evident nicht zu verlässlich akzeptablen Ergebnissen, wenngleich immerhin eine gewisse Reduzierung der herkömmlich berücksichtigten Tat- und Tätermerkmale möglich erscheint. Das Verhältnismäßigkeitsprinzip wiederum beinhaltet kein eigenständiges Maßprinzip, sondern bezieht sich auf Strafmaßvorstellungen, die aus anderen Prinzipien (Strafzwecke; Schuldprinzip) gewonnen werden. Wie oben zu zeigen war, mussten Vertreter beider Strafzumessungslehren daher einräumen, dass auf eine Orientierung auch an Gerechtigkeitsstandards letztlich nicht verzichtet werden kann. Tatsächlich ist man sich in der deutschen Strafrechtswissenschaft weitestgehend einig darin, dass die Wertorientierungen der Bevölkerung zu respektieren sind, dass das Strafrecht sogar dazu berufen ist, im Sinne „positiver Generalprävention“ auf eine Bewahrung oder gar Stärkung dieser Werthaltungen hinzuwirken.38 Ganz in diesem Sinn haben empirische Untersuchungen hinlänglich belegt, dass der inneren Normbindung bzw. dem Glauben des Individuums an die Verbindlichkeit etablierter Verhaltensnormen größere Bedeutung für ein angepasstes Sozialverhalten zukommt als strafrechtlicher Abschreckung.39 Das unmittelbar die Gerechtigkeitsdimension anzielende Schuldprinzip ist daher mitnichten obsolet geworden. Ein Überlegenheitsanspruch der Tatproportionalitätslehre wie auch des Verhältnismäßigkeitsansatzes lässt sich nicht begründen. Dies heißt aber nicht, dass man diese Konkurrenz zur an Strafzumessungsschuld orientierten Strafzumessung geringschätzen sollte. Tatsächlich bietet sich die Tatproportionalitätslehre dazu an, einige dem herkömmlichen Schuldprinzip eigene Schwächen der Straflimitierung zu vermeiden. Hat es sich doch gezeigt, dass bei erheblicher krimineller Vorbelastung des zu Verurteilenden vielfach ein allzu bedenkenloses Abstrafen von Lebensführungsschuld unter Vernachlässigung der Tatschuld stattfindet. Besonders augenfällig ist dieser Vorgang, wenn häufig rückfällige Bagatelltäter zu Freiheitsstrafen verurteilt werden, die mit der Tatschwere an sich überhaupt nichts mehr 37 Immerhin im Längsschnitt wird für Deutschland übergreifend eine relativ stabile Strafzumessungsstruktur betont von Albrecht 2017, 192 ff. 38 Für Nachweise vgl. bei Hörnle 1999, 89 f.; Streng 2012, Rn. 24 ff.; Epik 2017, 37 f.; Hassemer & Neumann, in: NK-StGB 2017, Vor § 1 Rn. 288 ff. 39 Vgl. etwa Dölling 1983, 69 ff.; Schöch 1985, 1099 ff.; Schumann, Berlitz, Guth & Kaulitzki 1987, z. B. 152, 158 f.; ferner Albrecht 1980, 318 ff.; Hermann & Dölling 2001, 74 ff.; Hermann 2003, 122 ff., 185 ff., 195 ff., 332 f.; Mesko, Hirtenlehner & Bertok 2015, 308 ff.

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zu tun haben. Eine anhand Tatproportionalitätsüberlegungen erfolgende Rückbesinnung auf ein genuines Tatschuld-Strafrecht erweist sich hier als angebracht.40 Dass das Verhältnismäßigkeitsprinzip auch bei einer tatschuldgeleiteten Strafzumessung Geltung beansprucht, kann angesichts dessen verfassungsrechtlicher Fundierung kaum zweifelhaft sein. Belastende staatliche Maßnahmen müssen diesem Prinzip gerecht werden, auch wenn sie Straftäter treffen. Obschon das Schuldprinzip als spezifische Ausformung des Verhältnismäßigkeitsprinzips verstanden werden kann,41 reicht es nicht aus, sich als Richter darauf zu berufen, dass die verhängte Strafe innerhalb des Schuldrahmens liege, also ebenso gerecht wie „verdient“ sei.42 Vielmehr ist der Strafzweckeinsatz nicht nur am straflimitierenden Schuldrahmen zu orientieren, sondern auch daran, ob die Strafe für die Realisierung anerkannter und im konkreten Fall relevant erscheinender Strafzwecke geeignet, erforderlich und angemessen ist. Dabei muss der Richter die Tauglichkeit der Strafe für die Strafzweckrealisierung allerdings nicht beweisen, nachdem dies beim heutigen Stand der Wissenschaft nicht leistbar ist.43 Das Verhältnismäßigkeitsprinzip verlangt von ihm aber immerhin, sich mit dem als notwendig erscheinenden Strafmaß zu begnügen. Dies bedeutet, dass er im Spielraum des Schuldrahmens sich in Richtung auf dessen Untergrenze zu orientieren hat, soweit ihm nicht Anhaltspunkte für die Sinnhaftigkeit einer höheren Strafe zur Verfügung stehen. Man könnte hier von einer „asymmetrischen Spielraumtheorie“ der Strafzumessung sprechen.44 Ob das Verhältnismäßigkeitsprinzip auch eine Unterschreitung der Schuldrahmen-Untergrenze vorgeben kann, erscheint zumindest dann zweifelhaft, wenn man mit derartigen Schuldunterschreitungen eine Düpierung des Rechtsgefühls der Bevölkerung riskieren würde.45 Überzeugend erscheint nach alledem eine Ergänzung der Spielraumtheorie der Strafzumessung (Schuldrahmen-Theorie) durch Aspekte der Tatproportionalität und eines strafzweckbezogenen Verhältnismäßigkeitsprinzips: Es geht um tatschuldangemessenes und erforderliches Strafen – wobei die hier genannte Reihenfolge von (zunächst) Tatschuld und (dann) verhältnismäßiger Prävention nicht zufällig erfolgt. 40

Durchaus in diesem Sinne bezieht man sich in Teilen der obergerichtlichen Rechtsprechung für ein Verhindern von Strafexzessen zu Lasten wiederholt rückfälliger Bagatelltäter auf Verhältnismäßigkeitsüberlegungen, die an das verschuldete Tatunrecht anknüpfen; vgl. etwa OLG Nürnberg, StV 2001, 411, 412; OLG Braunschweig, NStZ-RR 2002, 75 f.; OLG Stuttgart, NJW 2002, 3188 f.; OLG Karlsruhe, NJW 2003, 1825 f.; OLG Karlsruhe, StV 2005, 275 f.; OLG Frankfurt/M., StV 2014, 486, 487; dazu Kinzig 2010, 655 ff., 664 ff.; Streng, in: NK-StGB 2017, § 47 Rn. 7; zurückhaltend aber BGHSt 52, 84, 87 ff.; OLG Nürnberg, StraFo 2006, 502 ff.; OLG Stuttgart NJW 2006, 1222, 1223; OLG Hamm, NStZ-RR 2015, 205, 206. 41 Vgl. Appel 1998, 460 ff., 525 ff.; Streng 2001, 894 f.; Frisch 2013, 252. 42 Kritik am Vergeltungsprinzip bei Streng 2014, 827 ff. 43 Vgl. auch Albrecht 1994, 67 ff.; Weigend 1999, 924; Frisch 2013, 251; Gärditz 2016, 645. 44 Vgl. Streng 2001, 893 ff.; 2018, 597 f.; dazu Kaspar 2014, 796. 45 Für eine Zulässigkeit von strafzweckkompatiblen Schuldunterschreitungen vgl. etwa Lackner 1978, 25; Günther 1989, 1029; Frisch 1998, 786; Weigend 1999, 929; Streng 2012, Rn. 547; Meier 2019, 171 f.; Radtke, in: MüKo-StGB 2020, Vor § 38 Rn. 57.

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Denn ganz in diesem Sinne fordert der Wortlaut von § 46 Abs. 1 S. 1 StGB ein: „Die Schuld des Täters ist Grundlage für die Zumessung der Strafe“. Und tatsächlich lässt sich eine tatschuldangemessene und damit auch tatproportionale Strafe am sichersten dann garantieren, wenn dieser normativ vorrangige Wertungsgesichtspunkt auch im Entscheidungsablauf im Vordergrund steht.46 Erst wenn sich der Richter über den angemessenen Schuldrahmen für die abzuurteilende Tat klar geworden ist, sollte er bei seiner Entscheidungsfindung auf den Präventionseinsatz eingehen. Bestätigt wird dieses Postulat durch psychologische Befunde zu Ankereffekten (Anchoring) bei schwierigen bzw. unsicheren Wertungsaufgaben. Diese haben deutlich gemacht, dass der erste Wertungsvorschlag, der von Dritten eingebracht wird, großen Einfluss auf die durch den Entscheidungszuständigen letztlich getätigte Wertung ausübt.47 Man wird daraus folgern können, dass dies analog auch für den Fall gilt, in welchem der Wertende selbst sich einen ersten Wertungsvorschlag zunächst unter einem von letztlich mehreren zu berücksichtigenden Blickwinkeln erarbeitet. Und dieser erste Wertungsschritt betrifft angesichts der Aussage des § 46 Abs. 1 S. 1 StGB zur Strafzumessungsgrundlage notwendig die Strafzumessungsschuld im Sinne des verschuldeten Tatunrechts. Die seit langem zwischen verschiedenen Regionen, Gerichten und Richtern zu beobachtenden Strafzumessungsdiskrepanzen48 werden aber durch eine nun stärker betonte Bezugnahme auch auf Tatproportionalität und/oder Verhältnismäßigkeit allenfalls geringfügig zurückgehen. Daher plädieren Vertreter auch dieser Ansätze für Instrumente zur Bekämpfung der großen Wertungsunsicherheit. Es geht um deutlich engere gesetzliche Strafrahmen, konsensfördernde Strafzumessungs-Informationssysteme und vom Gesetzgeber legitimierte Strafzumessungsrichtlinien.49 Die Einführung eines flexiblen computergestützten Strafzumessungs-Informationssystems erscheint dabei als besonders erfolgversprechende Maßnahme. Wenn derart eine Datenbasis zur Strafzumessungspraxis in Deutschland insgesamt zur Verfügung gestellt würde, wäre den Gerichten, den Staatsanwaltschaften und den Verteidigern ein Abfragen der bundesweiten Strafmaßverteilung anhand der wesentlichen Merkmale des jeweils abzuurteilenden Falles möglich. Dies könnte auffälligen Strafzumessungsunterschieden, die das Gerechtigkeitsgefühl der betroffenen Verurteilten wie der Bevölkerung insgesamt belasten, wirksam entgegensteuern.50

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Zur Vernachlässigung dieses Erfordernisses in der Praxis vgl. Streng 2012, Rn. 629. Vgl. etwa Englich & Mussweiler 2001, 1535 ff.; dazu Streng 2012, Rn. 498. 48 Dazu Streng 1984, 5 ff.; Albrecht 1994, 169 ff. 49 Vgl. etwa Reichert 1999, 273 ff., 295; Giannoulis 2014, 296 ff., 406 ff.; Kaspar 2018, C 113 ff.; Hörnle 2019, 287 ff. 50 Dazu näher Streng 1984, 308 ff.; 2012, Rn. 768 f.; 2018, 599; zum in Japan jüngst entstandenen Strafzumessungsinformationssystem für Schöffengerichte vgl. Nakagawa 2011, 206 ff. 47

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Auf dem Weg zu einer einheitlicheren Strafzumessung Ein Nachwort zum 72. Deutschen Juristentag 2018 Von Wolfgang Frisch Zu den Hauptgebrechen der Strafzumessung gehört seit Jahrzehnten die Uneinheitlichkeit der Strafzumessungspraxis. Über sie wurde schon kurz nach dem Inkrafttreten des StGB von 1871 geklagt. Die Klagen sind in der Folgezeit nicht verstummt. Bis in das 20. Jahrhundert hinein war von „anstößigen Ungleichheiten“1 und einer „unerträglichen Verschiedenheit der Strafe“2 die Rede, von einem geradezu „anarchischen Zustand“3 und einem „Chaos“ der Strafzumessungspraxis4. Die Klagen kamen dabei nicht nur aus dem Munde von Strafrechtswissenschaftlern. Auch renommierte Praktiker wie der frühere Senatspräsident des 5. Strafsenats des BGH, Werner Sarstedt, hielten mit harter Kritik nicht zurück.5

1. Niederschläge und Belege der Ungleichheit Grundlage dieser und vieler anderer kritischer Äußerungen und Klagen waren zunächst vor allem persönliche Beobachtungen und individuelle Eindrücke gelegentlich der eigenen Tätigkeit oder von Forschungsprojekten, die eigentlich auf anderes als die Strafzumessung zielten. Ein plastisches Beispiel für Ersteres bildet die Bemerkung Sarstedts, er habe es „als Revisionsrichter mit zwei benachbarten Strafkammern zu tun“ gehabt, deren eine „im Allgemeinen das Vierfache von dem zu verhängen pflegte, was bei der anderen zu erwarten war“.6 Ein Beispiel für das Letztere bilden die Begleitergebnisse, die Karl Peters in seinen Arbeiten über „Fehlerquellen im Strafprozeß“ im Zusammenhang mit mehr als vierzig versehentlichen Doppelverurteilungen zu Tage gefördert hat: Die Erst- und die Zweitverurteilung stimmten hier

1

Kahl 1906, 895. Mannheim 1921, 40, 41. 3 Drost 1930, 117. 4 von Weber 1956, 19. 5 Sarstedt 1955, D 30, 39. 6 Sarstedt 1955, D 39. 2

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selten überein; in den krassesten Fällen lag die eine Entscheidung um das Sechsfache über der anderen.7 Freilich stützt sich das Bild von einer insgesamt uneinheitlichen Strafzumessungspraxis nicht nur auf derartige gelegentliche Beobachtungen, die man möglicherweise als zufällig abtun könnte. In dieselbe Richtung weisen gezielt auf die Erforschung der Strafzumessungspraxis gerichtete empirische Untersuchungen. So hat z. B. Franz Exner auf der Basis statistischer Untersuchungen schon für die dreißiger Jahre des 20. Jahrhunderts Unterschiede vom bis zu Vierfachen im Strafmaß nachgewiesen,8 und der von mir hochgeschätzte Jubilar hat im Rahmen einer Untersuchung zur Geldstrafenpraxis in Baden-Württemberg festgestellt, dass „im Süden mehr als dreimal so häufig niedrige Geldstrafen unter 100 DM ausgesprochen (wurden) wie im Norden, während umgekehrt hohe Geldstrafen über 200 DM im Norden fünfmal so häufig verhängt (wurden) wie im Süden“.9 Eine gewisse empirische Bestätigung des Bildes der Uneinheitlichkeit vermitteln auch Befragungen von Richtern und Staatsanwälten dazu, welches Strafmaß sie für bestimmte fiktiv gebildete Fälle für richtig hielten. Franz Strengs Befragung von 500 Richtern, Staatsanwälten und Assessoren aus Niedersachsen förderte hier weit auseinanderklaffende Strafmaße zu Tage;10 andere vergleichbare Studien kamen zu ähnlichen Ergebnissen.11 Zwar liegen die solch drastische Unterschiede konstatierenden Untersuchungen mittlerweile einige Jahrzehnte zurück. Die wenigen gezielten Untersuchungen aus der jüngeren Vergangenheit zeichnen z. T. ein weniger dramatisches Bild – der Jubilar selbst konnte für die Strafzumessung bei schwerer Kriminalität eine relative Gleichmäßigkeit feststellen.12 Freilich wäre es wohl doch eine etwas zu euphorische Bewertung der Gesamtsituation, wenn man angesichts gewisser erfreulicher Angleichungsprozesse annehmen wollte, das Thema der Ungleichheit der Strafzumessung habe sich erledigt.13 Dass das nicht der Fall ist, zeigt sich nicht nur an schwer erklärbaren Strafzumessungsentscheidungen im Einzelfall – etwa im Zusammenhang mit revisionsgerichtlichen Aufhebungen, an erstaunlichen Divergenzen bei der Behand-

7

10 f. 8

53.

Peters 1972, 51, 60; weit. Nachw. zu den Untersuchungen von Peters bei Streng 1984, Vgl. Exner 1931, 46 ff. (zu örtlichen Unterschieden); vgl. auch schon Woerner 1907, 23,

9

Albrecht 1980a, 88, 206 f. Streng 1984, 75 ff., 78 ff., 95 ff., 102 ff. 11 Vgl. etwa Opp & Peukert 1971; Hood 1972, 143; Peters 1973; weit. Nachw. bei Streng 1984, 59 ff. und Streng 2018, 593 f. 12 Vgl. Albrecht 1994, 492 f.; ferner Albrecht 2017, 185; ähnlich Hoppenworth 1991, 23 ff., 54 ff., 258 ff., 266; weit. Überblick und Nachw. bei Maurer 2005, 31 ff., 37 ff. 13 Im Sinne der Annahme einer gewissen Angleichung, aber doch weiterbestehender Unterschiede mit Beispielen auch das Fazit von Maurer 2005, 43 ff. und Hörnle 1999, 67 f.; zuletzt wieder Kaspar 2018, C 16 ff. m.w.N.; Mosbacher & Raum DJT 2019, II 1 M 23 bzw. II 2 M 147 ff. 10

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lung von Mittätern14 und an schwer nachvollziehbaren Unterschieden der Strafmaße auch bei nochmaligen Entscheidungen über denselben Sachverhalt. Wie weit die Strafzumessung auch heute noch auseinanderklafft, hat in aller Deutlichkeit in jüngster Zeit nochmals die statistische Untersuchung von Altenhain15 deutlich gemacht, die Unterschiede in der Honorierung des Geständnisses bei Absprachen zu Tage gefördert hat, die in der Verhandlung vor dem Bundesverfassungsgericht von den Beteiligten fassungslos zur Kenntnis genommen wurden. Dass bei solchen Divergenzen in Bezug auf einen viel diskutierten Strafzumessungsumstand hinsichtlich der Strafzumessung im Übrigen von relativer Einheitlichkeit ausgegangen werden dürfe, erscheint alles andere als naheliegend. Vor diesem Hintergrund wird zugleich verständlich, dass sich auch der Deutsche Juristentag im Jahre 2018 erneut mit Fragen der Strafzumessung beschäftigt hat. Das für die Tagung speziell gewählte Thema – „Sentencing Guidelines versus tatrichterliches Ermessen“16 – lässt dabei bereits erkennen, auf welchem Weg sich die Veranstalter der Tagung eine Verbesserung der Strafzumessung und darin eingeschlossen natürlich auch deren Vereinheitlichung möglicherweise hätten vorstellen können. Ob diese Einschätzung in Bezug auf das Ziel einer einheitlicheren Strafzumessung realistisch ist, hängt von den Ursachen der (heutigen) Uneinheitlichkeit sowie davon ab, ob das als Verbesserung Gedachte diese Ursachen wirklich trifft und sie beseitigt. „Sentencing Guidelines“ könnte ein erheblich zu unspezifisches, vielleicht auch gar nicht sonderlich adäquates Programm sein – und das, worauf es wirklich ankommt und was helfen könnte, lässt sich möglicherweise mit deutschen Begriffen sogar treffender ausdrücken.

2. Zu den Ursachen der Uneinheitlichkeit Lange Zeit herrschte die Vorstellung, dass der Grund für die Uneinheitlichkeit der Strafzumessung im Fehlen gesetzlicher Regelungen zur Strafzumessung liege. Tatsächlich enthielt das StGB von 1871 an Anhaltspunkten für die Strafzumessung ja im Wesentlichen nur die weiten Strafrahmen des Besonderen Teils und im Allgemeinen Teil einige Rahmenmilderungen (z. B. zum Versuch, zur verminderten Schuldfähigkeit), Regelungen über das Mindest- und Höchstmaß der Strafarten (Zuchthausstrafe, Gefängnisstrafe, Einschließung, Haft- und Geldstrafe) sowie über das Verhältnis die14

Vgl. zu solchen Sachverhalten z. B. BGHSt 28, 318 ff., 324; BGH StV 1981, 122 f.; BGH StV 1987, 435 f.; BGH StV 1995, 557; BGH StV 2009, 244 f.; BGH NJW 2011, 2597 ff. = JR 2012, 249 ff. m. Anm. Streng; weit. Nachw. bei Streng 2012, Rn. 664; Maurer 2005, 152 ff. 15 Altenhain, Dietmeyer & May 2013, 116 f., 182, 183; siehe dazu auch Frisch 2017, 685, 697 ff. 16 Vgl. Verhandlungen des 72. Deutschen Juristentags Leipzig 2018, Bd. I, Gutachten, Kaspar 2018 C 1 – 129 und Bd. II, Referate und Sitzungsberichte, Bd. II 1 M 7 – 65 (Referate von Fünfsinn, Kilian & Mosbacher); Bd. II 2 M 77 – 187 (Diskussion), M 189 – 193 (Beschlüsse); s. dazu auch noch die Begleitaufsätze von Kudlich & Koch 2019, 2762 ff.; Streng 2018, 593 ff. und Verrel 2018, 811 ff.

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ser Strafarten zueinander. Dagegen fehlten Regelungen zu den Zwecken und den Maßstäben, nach denen die Strafe zu bemessen war, ebenso wie Vorschriften, die sich darüber verhielten, welche Umstände strafzumessungsrelevant sind und wie man von diesen Umständen zu einer konkreten Strafgröße kommen kann und zu kommen hat. All das blieb dem Ermessen des Richters überlassen,17 für den die Strafzumessung damit ein „Griff ins Dunkle“18 war. Dementsprechend war es ein zentrales Anliegen aller Reformentwürfe seit 1909, hier für Abhilfe, mehr Klarheit und damit auch Einheitlichkeit zu sorgen. Da man die komplexe Gesamtdimension der eigentlich zu beantwortenden Fragen noch gar nicht richtig erfasste, war das Ergebnis dieser Bemühungen freilich zunächst relativ bescheiden: bis zum E 1930 boten die Entwürfe zunächst nichts weiter als eine Aufzählung der für die Strafzumessung „insbesondere“ in Betracht kommenden Umstände.19 Gewisse Antworten auf andere bei der Strafzumessung zu lösende Probleme finden sich erst in den Reformarbeiten der fünfziger und sechziger Jahre des 20. Jahrhunderts,20 die schließlich in den Jahren 1969 – 1975 zu den heutigen Strafzumessungsregelungen des StGB führten. Diese enthalten – nach langem Ringen – endlich auch eine Aussage zu dem grundsätzlichen Maßstab der Strafzumessung und eine begrenzte Aussage zum Strafzweck. Die Strafe soll danach auf der Grundlage der Schuld (also nicht, wie von anderen gefordert, der Gefährlichkeit) bemessen werden (§ 46 Abs. 1 S. 1 StGB), wobei auch die Wirkungen auf den Täter, also spezialpräventive Gesichtspunkte, zu berücksichtigen seien (§ 46 Abs. 1 S. 2). Diese grundsätzlichen Aussagen werden in § 46 Abs. 2 StGB durch eine beispielhafte Aufzählung der wichtigsten strafzumessungsrelevanten Umstände sowie durch detaillierte Regelungen ergänzt, die durch hohe Anforderungen an die Verhängung kurzer Freiheitsstrafen (so § 47 StGB) und erweiterte Möglichkeiten der Strafaussetzung (so § 56 StGB) um eine weitgehende Zurückdrängung der (vollstreckten) Freiheitsstrafe bemüht sind. Die von vielen gehegte Hoffnung, dass durch diese – im Verhältnis zum ursprünglichen StGB – doch recht detaillierte Regelung der Strafzumessung allmählich auch mehr Einheitlichkeit und Gleichmaß in die Strafzumessungspraxis einkehren würde, erfüllte sich indessen nicht – oder doch allenfalls begrenzt. Auch die Jahre nach 1969 sind – wie oben (1.) dargelegt – noch durch erhebliche Divergenzen in der Strafzumessungspraxis gekennzeichnet. Verwunderlich ist diese relative Wirkungslosigkeit des Gesetzes nicht. Tatsächlich schrieb dieses ja in Vielem nur das fest, was zuvor schon seitens der revisionsgerichtlichen Rechtsprechung richterrechtlich praktiziert worden war und nur sehr begrenzt Strafmaßgleichheit zu gewährleisten im Stande 17

Ausdruck dessen in der Rechtsprechung etwa RGSt 8, 76, 77; RG JW 1937, 3302 (Nr. 4); eingeh. dazu Frisch 1971, 67 ff. 75 ff. m.w.N. 18 von Liszt 1905, 290, 393. 19 Darstellung der einschlägigen Vorschriften der Reformentwürfe bei Bruns 1967, 104, 106 ff. 20 Siehe dazu Bruns 1967, 287 ff.; Kaspar 2018, C 58 ff.; je m.w.N.

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war. Es war damit von Anfang an eine Fehlintuition zu glauben, dass eine gesetzliche Festschreibung dessen, was bisher schon höchstrichterlich praktiziert worden war und zur Gewährleistung von Strafmaßgleichheit nicht ausreichte, zu einem wesentlichen Wandel in der Strafzumessungspraxis führen würde. Bleibt die Frage, warum die gesetzlichen Regelungen (und ihre richterrechtlichen Vorläufer) nicht ausreichten, um das wünschenswerte Gleichmaß und die wünschenswerte Gleichbehandlung gleicher Fälle in der Strafzumessungspraxis zu gewährleisten. Die Antwort ist einfach: Das Gesetz bietet zwar für einen Teil der zu lösenden Probleme Lösungen; gerade die entscheidenden und schwierigen Fragen beantwortet es aber nicht. Weitgehend unbeantwortet blieb und bleibt auch heute noch beispielsweise, wie der Richter von einer Reihe festgestellter strafzumessungsrelevanter Umstände zu einer Aussage über das Maß der Schuld und von dieser Bewertung weiter zu einer Aussage über ein konkretes Strafmaß gelangen soll.21 Wo findet er die Maßstäbe für all das? Wo findet er Maßstäbe für die ihm in § 46 Abs. 2 S. 2 StGB abverlangte Abwägung der strafzumessungsrelevanten Umstände? Muss der Abwägung nicht auch eine Gewichtung der Umstände vorausgehen? Woher nimmt man die hierfür benötigten Maßstäbe? – Relativ (allein) auf die in dieser Hinsicht äußerst bescheidenen Aussagen des Gesetzes gleicht die dem Richter abverlangte Bemessung einer konkreten Strafe damit auch heute noch durchaus einem „Griff ins Dunkle“, dessen Kompass in vielen Fällen nur noch das persönlich für richtig Gehaltene sein dürfte, das keinerlei Garantie für eine einheitliche Strafzumessung enthält. Soll das weitgehende Schweigen des Gesetzgebers zu den eigentlichen Maßfragen der Strafzumessung nicht zu einer inakzeptablen Uneinheitlichkeit der Strafzumessungspraxis führen, so benötigt der Rechtsanwender (Richter, Staatsanwalt) für die Bewältigung der entscheidenden Phasen der Strafzumessung zusätzliche – gesetzeskompatible – Anhaltspunkte, die ihn bei der Bestimmung der Strafe im konkreten Fall leiten und, allgemein beachtet, eine relative Einheitlichkeit gewährleisten. Die Frage nach den insoweit der Art nach in Betracht kommenden Hilfen ist das eigentliche Kardinalproblem einer Strafzumessung auf der Basis eines relativ schweigsamen Gesetzes. Dieser Problematik sind daher die folgenden Abschnitte dieses Beitrags gewidmet. Erst wenn Klarheit über die inhaltliche Beschaffenheit, die Angemessenheit und die Umsetzbarkeit der insoweit denkbaren Hilfen besteht, stellt sich die Frage, ob das, was als Hilfe materiell angemessen erscheint, zumindest partiell auch gesetzlich festgeschrieben werden kann und sollte. Der sofortige Ruf nach „Sentencing Guidelines“, die mehr enthalten als das schon geltende Recht, droht so eine entscheidende Reflexionsstufe zu überspringen oder doch zumindest zu unterthematisieren.

21 Eingehend zu diesen Phasen der sog. Abwägung und Umwertung die gleichnamige Monografie von Montenbruck 1989, passim, sowie Giannoulis 2014, 169 ff., 251 ff.

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3. Gleichmäßige (und voraussehbare) Strafmaße durch Mathematisierung der Strafzumessung? Den wohl ambitioniertesten Ansatz, um bei einer in den Kernfragen der Strafzumessung ausgesprochen kargen gesetzlichen Regelung zu einer einheitlichen Strafzumessung zu gelangen, stellt sicher der Versuch einer Mathematisierung der Strafzumessung dar. Er ist in Deutschland wiederholt unternommen worden.22 Im Kern – und zugleich in der einfachsten Form23 – könnte ein solches berechenbares Strafmaß dadurch erreicht werden, dass den einzelnen strafzumessungsrelevanten Umständen Punktwerte zugeordnet werden, etwa positive für mildernde Umstände und negative für strafschärfende. Anhand spezifischer Punktwerttabellen und der strafzumessungsrelevanten Umstände des konkreten Falles würde dabei in einem ersten Schritt zunächst die den Fall kennzeichnende Gesamtpunktezahl ermittelt, die gewissermaßen die relative Schwere des Falles ausdrückt. In einem zweiten Schritt würde dann anhand einer weiteren Tabelle, die den Gesamtpunktezahlen konkrete Strafgrößen zuordnet, die für den Fall vorgesehene Strafgröße ermittelt. Einem ähnlichen Grundmuster folgen auch die schon oben 1. (a.E.) erwähnten Sentencing Guidelines des US-amerikanischen Strafrechts, soweit sie über Vorgaben zu den Strafrahmen hinaus zugleich Vorgaben zum konkreten Strafmaß enthalten.24 Dass Strafzumessungsgrundsätze der eben skizzierten Art eine gewisse Berechenbarkeit und auch Einheitlichkeit der Strafzumessung gewährleisten können, ist zuzugeben – jedenfalls wenn sie hinreichend ausdifferenziert sind, also Regeln für alle Strafzumessungsfaktoren enthalten. Aber wie steht es mit ihrer Durchführbarkeit? Und kann man auf diese Weise ohne Weiteres auch zu akzeptanzfähigen (und – etwaigen – gesetzlichen Vorwertungen25 entsprechenden) Strafmaßergebnissen gelangen? Durchführbar sind solche Konzepte der Strafzumessung nur, wenn es konsensfähige, verfügbare Maßstäbe dafür gibt, welche Punkte oder Werte bestimmten Strafzumessungsumständen richtigerweise zuzuordnen und welche Strafmaße bei bestimmten Gesamtpunktezahlen oder bei bestimmtem Gesamtgewicht zu verhängen sind. Solche Maßstäbe fehlen – jedenfalls wenn man, was aber unverzichtbar ist, kon-

22

So von Bruckmann ZRP 1973, 30 ff.; Haag 1970; von Linstow 1974; Kohlschütter 1998 und zuletzt Giannoulis 2014, insbes. 315 ff. 23 Die folgenden Ausführungen des Textes orientieren sich in etwa an dem Modell von Linstows, das auf einer Merkmalsverknüpfung mittels Addition und Multiplikation beruht, und über tatbezogene Verknüpfungsregeln zu einer „Strafrohzahl“ führt (1974, 10 f.). Aus dieser wird dann über weitere tatbestandsunabhängige Entscheidungsregeln die konkrete Strafe bestimmt (1974, 27 ff.). Zu anderen Ansätzen vgl. Frisch 2003, 171 ff.; Maurer 2005, 80 ff. 24 Siehe dazu näher z. B. Reichert 1999, 166 ff.; Fischer 1999, 119 ff., 128 ff.; Kaspar 2018, C 76 ff.; weit. Nachw. bei Frisch 2003, 167 f.; Maurer 2005, 71 ff.; Streng 2012, Rn. 764 ff. 25 Siehe dazu nachfolgend 4.

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sentierte oder konsensfähige Maßstäbe fordert.26 Setzt man bei dieser Sachlage irgendwelche Punktwerte für Einzelumstände und bestimmte Strafmaße für Gesamtpunktwerte einfach fest, so droht es zu nicht akzeptanzfähigen Strafen zu kommen.27 Will man das vermeiden und zu akzeptanzfähigen Strafmaßen kommen, so muss man dafür Sorge tragen, dass dem Gesamtpunktwert eines Falles eine Strafgröße zugeordnet wird, die als Strafe für diesen Fall akzeptanzfähig ist, also (z. B.) dem Maß des Unrechts und der Schuld des Täters entspricht. Spätestens an dieser Stelle wird sichtbar, dass das Verfahren einer Mathematisierung der Strafzumessung zur Erzielung einer einheitlichen und voraussehbaren Strafzumessungspraxis, wenn es zu akzeptanzfähigen (und mit etwaigen Vorwertungen des Gesetzes kompatiblen) Ergebnissen führen soll, im Grunde selbst bereits die Kenntnis jener akzeptanzfähigen Strafgrößen voraussetzt, die über Punktewerte dann „errechnet“ werden sollen. Kennt man jene Strafgrößen nicht und kann man sie auch nicht anderweitig bestimmen, so droht die Konstruktion von Punktwerten und Punktwerttabellen sowie zugeordneten Strafgrößen zu einem Strafmaßbestimmungsverfahren zu werden, das nicht verantwortet werden kann, weil es Strafgrößen produziert, die zufällig sind und keine Gewähr bieten, akzeptanzfähig zu sein. Kennt man die akzeptanzfähigen Strafgrößen aber bereits oder kann man sie (anderweitig) bestimmen, so ist deren mathematische Reproduktion und Berechnung aus zu erstellenden Punktwerttabellen ganz überflüssig und nichts weiter als eine scheinrationale Verkomplizierung der Strafzumessung.28 Die vorstehenden Überlegungen zeigen freilich nicht nur, dass die mathematische Bestimmung des Strafmaßes eine Scheinlösung und Sackgasse ist. Sie machen auch deutlich, dass man, wenn man zu einer akzeptanzfähigen einheitlichen Strafzumessung kommen will, sich zunächst einmal an jene Maßstäbe und Wertungen halten muss, die eine Chance bieten, zu akzeptanzfähigen Strafmaßen zu führen. In einem Rechtsstaat sind das zu allererst die jenseits der expliziten Aussagen in der Rechtsordnung (bzw. seinem einschlägigen Teil) steckenden Grundgedanken, Konzepte und Wertungen.

4. Die Idee einer im Strafrahmen enthaltenen Schwereordnung und Strafenstaffel Ein erster in dieser Hinsicht weiterführender Gedanke ist mit einem bestimmten Verständnis jener Strafrahmen verbunden, denen nach dem Gesetz die für einen be26

Zutreffend Streng 1984, 314. Zutreffend Maurer 2005, 87: „eher willkürliche“ Zahlenwerte. 28 Frisch 2003, 155, 172; weitere Bedenken bei Streng 1984, 314 f.; Maurer 2005, 80 ff., 88 f. – Übereinstimmend Hassemer 1978, 64, 76 f.; Kaspar 2018, C 99; Köberer 1996, 60 ff., 103 ff., 167 ff.; weit. Nachw. bei Frisch 2003, 171 ff.; aus der Rspr. z. B. BGH NStZ 2008, 233 f.; NStZ-RR 2010, 40 und 75. 27

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stimmten Fall sachgerechte und akzeptanzfähige Strafe entnommen werden soll. Der Gedanke ist – soweit ich sehe – mit großer Deutlichkeit erstmals von Dreher formuliert worden,29 hat aber sicherlich ältere Wurzeln. Der Strafrahmen ist danach nicht etwas, das dem Strafrichter für die Einordnung seines Falles mit allen darin enthaltenen Strafgrößen zur Verfügung steht und aus dem er nach seinen persönlichen Vorstellungen das angemessene Strafmaß zu bestimmen hat – wie sich das viele in den ersten Jahrzehnten der Geltung des StGB noch vorgestellt hatten (eine Auffassung, die zugleich die Grundlage der lange Zeit herrschenden Annahme war, dass die Bestimmung einer Strafe, die innerhalb des gesetzlichen Strafrahmens liegt, weitgehend unangreifbar [irrevisibel] sei30). Der Strafrahmen wird vielmehr so verstanden, dass er für die denkbare Skala der von ganz leicht bis ganz schwer aufsteigenden Fälle eines Delikts (die so genannte relative Schwereskala der Fälle) eine parallel laufende Strafenskala bereithält. Der Schwereskala denkbarer Fälle sind danach die aufsteigenden Strafgrößen des Strafrahmens zugeordnet.31 Praktisch bedeutet das, dass für die Beurteilung bestimmter Fälle – z. B. leichter Fälle, mittelschwerer Fälle usw. – niemals die ganze Bandbreite der Strafgrößen des Strafrahmens, sondern nur ein bestimmter engerer Bereich in Betracht kommt: für die leichten Fälle z. B. nur Strafgrößen in unteren Bereich des Strafrahmens, für leichte bis mittelschwere Fälle Strafgrößen, die bereits deutlich über der Mindeststrafe, aber doch noch in der unteren Hälfte des Strafrahmens liegen usw. Auf dieser Grundlage hat die revisionsgerichtliche Rechtsprechung z. B. eine Strafzumessung beanstandet, bei der ein erfahrungsgemäß häufig vorkommender, nicht allzu schwerer Fall mit einer Strafe aus der Mitte des Strafrahmens belegt worden war.32 Gleiches würde gelten, wenn für einen sehr schweren Fall die Mindeststrafe des Strafrahmens oder eine nur wenig darüber liegende Strafgröße verhängt würde. Es ist nicht zu bestreiten, dass ein solches – meines Erachtens im Ansatz richtiges33 – Verständnis des Strafrahmens dem Rechtsanwender bei der Bestimmung des Strafmaßes im Einzelfall eine allererste Groborientierung geben kann. Ein Leitmaß, das ihn bis hin zu einem konkreten Strafmaß (einer konkreten Strafgröße) führt, ist

29

Dreher 1947, 61 ff. Vgl. etwa RGSt 8, 76, 77: Irrevisibilität der Strafzumessung, wenn sich die Strafe „innerhalb der gesetzlichen Strafdrohung hält und nicht von rechtsirrtümlichen Voraussetzungen ausgeht“. Eingeh. weit. Nachw. dazu bei Frisch 2005, 257, 259 f. 31 Zu dieser Konzeption der Strafrahmen (für das deutsche Recht) z. B. BGHSt 27, 2 ff.; BGH StV 1983, 102 und 117; BGH StV 1984, 114; zuvor schon OLG Stuttgart MDR 1961, 443; OLG Hamm VRS 31, 288; aus der Literatur z. B. Bruns 1974, 81 ff.; 1985, 60 ff.; Dreher 1947, 61 ff.; 1978, 141, 149 ff.; Frisch 1971, 161 ff. m.w.N.; Meier 2015, 234 f.; Montenbruck 1989, 35 f., 39 f.; Schäfer, Sander & van Gemmeren 2017, Rn. 1165 ff.; krit. Hettinger 1982, 129 ff., 149; Streng 1984, 42 ff. 32 So BGHSt 27, 2, 4 f. 33 Näher Frisch 1971, 161 ff.; 2003, 155, 159 ff. 30

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sie aber ganz bestimmt nicht.34 Ob etwa ein leichter bis mittelschwerer Fall in einem Strafrahmen von drei Monaten bis zu zehn Jahren eine Strafe von ein, zwei oder drei Jahren oder eine der vielen dazwischenliegenden Strafgrößen verdient, lässt sich anhand eines so groben Rasters nicht beantworten. Hinzu kommt, dass es ja auch gewisser umsetzbarer objektiver Maßstäbe dazu bedürfte, wann ein leichter, wann ein mittelschwerer oder irgendein sonstiger derart qualitativ bezeichneter Fall vorliegt. Allzu viel Feinheit lässt sich mit dem Instrumentarium der Schwereskala auch deshalb nicht erzielen, weil das Arsenal der zur Verfügung stehenden Qualifikationsbegriffe (leicht, mittel, schwer usw.) begrenzt ist. Überdies leidet der Gedanke der Strafrahmen als Schwereskala aber auch noch darunter, dass viele Strafrahmen heute veraltet sind – etwa ganz unrealistisch hohe Obergrenzen aufweisen.35 Hier obliegt es der Rechtsanwendung, überhaupt erst einmal die richtige Obergrenze zu finden. Und auch wenn für die Beurteilung einer Straftat mehrere Strafrahmen zur Verfügung stehen, stellen sich dem Rechtsanwender Fragen, auf die die Theorie der Schwereskala keine unmittelbar umsetzbaren Antworten gibt, es vielmehr offenbar zusätzlicher Maßstäbe bedarf. All diese offenen Fragen und Schwächen ändern freilich nichts daran, dass das Verständnis des Strafrahmens als Strafenstaffel für eine Skala von leicht nach schwer ansteigender Fälle des jeweiligen Delikts das einzig sinnvolle Verständnis von divergierenden Strafrahmen darstellt und deshalb als dem Gesetz entsprechende Grundidee den Ausgangspunkt der Strafzumessung zu bilden hat. Die begrenzte eigene Leitfähigkeit der Grundidee bedeutet nur, dass es zu ihrer Umsetzung im Sinne einer einheitlichen Strafzumessung noch einer Reihe von Ergänzungen und Festlegungen bedarf. Solche Festlegungen können dabei nicht nur die – im Folgenden ausgeklammerte – Frage betreffen, welche Sachverhalte so unbedeutend erscheinen, dass sie überhaupt nicht mehr mit Strafen belegt werden (sollen), sondern von ihrer Verfolgung abgesehen werden kann. Denkbar und notwendig erscheinen vor allem zusätzliche Festlegungen dergestalt, dass bei Berücksichtigung des Grundgedankens der relativen Schwereskala, der jeweiligen Strafrahmengrenzen und dessen, was gegenwärtig als adäquates Strafmaß (für verschuldetes Unrecht) akzeptanzfähig ist, für bestimmte Sachverhalte bestimmte Strafgrößen als sachgerecht, dem Unrecht und der Schuld des Täters entsprechende Strafen anzusehen seien. Die Idee der relativen Schwereskala wird dann durch gewisse „Ankerwerte“ weiter konkretisiert.

34

Ebenso Schäfer, Sander & van Gemmeren 2017, Rn. 1167: nur grobe Eckpunkte; siehe auch Frisch 2003, 155, 160 f. und Kaspar 2018, C 47 ff. 35 Dreher 1978, 141, 150 ff.; Streng 1984, 44 f. und 2018, 593, 594 f. m.w.N.; siehe erg. Frisch 1987, 751, 789 ff.; Schlothauer DJT 2018, II 2, M 107 f. und Verrel 2018, 811, 813.

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5. Strafen für Regel- und Durchschnittsfälle als Konkretisierung der relativen Schwereskala Beispielhaft für solche als „Ankerwerte“ fungierenden Fälle werden immer wieder vor allem der sogenannte Durchschnittsfall und der Regel- oder auch Normalfall genannt.36 Als gedanklicher Durchschnittsfall wird dabei der Fall bezeichnet, der in der Mitte zwischen dem denkbar leichtesten und dem denkbar schwersten Fall eines Tatbestandes liegt und daher die in der Mitte des Strafrahmens liegende Strafe, also den Durchschnitt der Extremwerte, verdient (oder verdienen soll). Der Begriff des Regelfalles bezieht sich dagegen auf die Realität der Ausformungen einer Straftat. Er dient zur Bezeichnung des Falles eines Delikts, der in der Praxis „regelmäßig“, statistisch am häufigsten, vorkommt. Dieser Fall ist – darüber besteht weitgehende Einigkeit – mit dem gedanklichen Durchschnittsfall keineswegs identisch. Denn die Mehrzahl der Straftaten eines Delikts erreicht erfahrungsgemäß nur einen verhältnismäßig geringen Schweregrad.37 Dementsprechend liegt auch die für den Regelfall angemessene Strafe nicht in der Mitte, sondern mehr oder weniger deutlich unter der Mitte des Strafrahmens – wobei immer wieder das untere Drittel des Strafrahmens genannt,38 es aber auch als möglich angesehen wird, dass die der Strafwürdigkeit des Regelfalles entsprechende Strafe an der unteren Grenze des Strafrahmens liegt.39 Gewinn für die Strafzumessung verspricht man sich von der Verdeutlichung des jeweiligen Regelfalles und des Durchschnittsfalles und der für den Regelfall jeweils in Betracht kommenden Strafgröße(n) nicht nur in Bezug auf die Behandlung dieser Fälle selbst, also z. B. im Sinne einer einheitlichen Behandlung der Fälle, die als Regelfälle oder Durchschnittsfälle anzusehen sind. Der „Regelfall“ und der „Durchschnittsfall“ lassen sich – der Idee nach – auch für die Beurteilung abweichender Fälle einsetzen, indem man sich das Maß der Abweichung des konkreten Falles von diesen Orientierungssachverhalten vergegenwärtigt und diesem durch eine dem Maß dieser Abweichung entsprechende Modifizierung der für den Regelfall oder den Durchschnittsfall vorgesehenen Strafe Rechnung trägt.40 Die Versuche, die Strafzumessung durch die Angabe von Strafen für den Regelfall und die Verdeutlichung jener Fälle zu rationalisieren und zu vereinheitlichen, für die die mittlere Strafe des Strafrahmens in Betracht kommt, sind sicherlich realistischer als jene Versuche, die dieses Ziel über eine präzise rechnerische Gewichtung der einzelnen Strafzumessungsumstände (oben 3.) zu erreichen trachten. Freilich ist der auf 36 Zu den Begriffen vgl. z. B. Bruns 1974, 85 ff.; 1988a, 63 ff.; 1988b, 1053 ff.; Götting 1997, 60 ff., 213 ff.; Neumann 1992, 435, 444 ff.; Ostermeyer 1966, 2301 ff.; Schoene 1967, 1118 ff.; krit. zu Durchschnitts- und Regelfällen Montenbruck 1983, 30 ff., 38: „leere Hülsen“. 37 BGHSt 27, 2, 4 f.; Bruns 1974, 85; Ostermeyer 1966, 2301, 2302. 38 Vgl. etwa Meier 2015, 237; Ostermeyer 1966, 2301, 2302; Verrel 2018, 811, 813; Empirie bei Götting 1997, 221 ff. 39 Vgl. etwa Bruns 1974, 85. 40 In diesem Sinne Bruns 1974, 85 f.; siehe auch schon Sturm 1913, 64, 69.

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diesem Weg zu erreichende Ertrag wohl eher doch begrenzt.41 Ein hohes Maß an Einheitlichkeit ist so nur für den Regelfall und den Durchschnittsfall selbst zu erreichen. Je weiter sich der konkret zu beurteilende Fall von diesen Leitfällen entfernt, desto geringer wird die leitende und vereinheitlichende Funktion des Ansatzes. Selbst diesen durchaus begrenzten Ertrag vermag der Ansatz indessen gegenwärtig nicht zu erbringen. Denn es fehlt weithin an intersubjektiv konsentierten oder auch nur konsensfähigen Informationen darüber, welche Sachverhalte bei den einzelnen Delikten des StGB und des Nebenstrafrechts die Regelfälle und die Durchschnittsfälle bilden. Zu alledem nehmen weder die Kommentare noch die Judikatur bislang Stellung. Umsetzbar würde der Ansatz damit überhaupt erst, wenn man sich für die praktisch bedeutsamen Delikte intensiv mit der Identifizierung der Regel- und der Durchschnittsfälle beschäftigte und es gelänge, innerhalb absehbarer Zeit ein konsentiertes System der bislang fehlenden Orientierungswerte zur Verfügung zu stellen. Ob eine solche intensive Beschäftigung mit der Identifizierung der Regelfälle und der Durchschnittsfälle sinnvoll und ertragreich ist, erscheint indessen überaus zweifelhaft. Tatsächlich können die Regel- und Durchschnittsfälle der einzelnen Delikte doch nur auf der Basis einer relativ umfassenden und detaillierten Dokumentation und Statistik der Ausprägungsformen der Begehung der einzelnen Delikte bestimmt werden. An einer solchen Dokumentation fehlt es bislang – die herkömmlichen, unterhalb der Ebene der einzelnen Delikte regelmäßig nicht mehr weiter aufgefächerten Statistiken sind dafür viel zu merkmalsarm. Doch selbst wenn derartige hinreichend detailreiche Dokumentationen einigermaßen „flächendeckend“ zur Verfügung stünden, könnte nicht dazu geraten werden, nun für die einzelnen Delikte die jeweiligen Regel- und Durchschnittsfälle (einschließlich der angemessenen Strafe[n] für die Regelfälle) zu bestimmen, um so von diesen Orientierungswerten her die Strafzumessung zu vereinheitlichen. Der Aufruf dazu, das zu tun, droht neue, unergiebige Streitfragen zu produzieren und ist auf dem Weg zu einer einheitlichen, rationalen Strafzumessung in Wahrheit ein Umweg. Tatsächlich dürfte auch dann, wenn eine hinreichende Dokumentation der Ausprägungsformen der einzelnen Delikte verfügbar ist, ja nur selten sofort auch klar sein, welcher der dokumentierten Fälle der Regelfall und welcher der sogenannte Durchschnittsfall ist. Man wird darüber vielmehr – wie unter Juristen häufig – durchaus verschiedener Auffassung sein. Der Zwang dazu, Regelfälle und Durchschnittsfälle zu benennen, dürfte daher bei vielen Delikten zu Diskussionen und Streitfragen führen, die die ohnehin bescheidenen Kapazitäten der Strafzumessungslehre zusätzlich binden. Das wiederum wäre deshalb bedauerlich, weil es zur Herbeiführung einer einheitlicheren Strafzumessung gar nicht notwendig ist, bei jedem Delikt genau zu wissen, welcher Sachverhalt der Regelfall und welcher der Durchschnittsfall ist. Völlig ausreichend ist es vielmehr zu wissen, welche Strafmaße für bestimmte Sachverhalte nur überhaupt angemessen erscheinen – wobei es sich bei den Sachverhalten um tatsächlich geschehene dokumentierte Straftaten mit dokumentierten 41

Mit Recht krit. insoweit auch Kaspar 2018, C 50 f., 97 m.w.N.

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Strafen, aber ebenso (wie bei der sogenannten fiktiven Strafzumessung in durchgeführten kriminologischen Untersuchungen42) um gedachte Fälle und diesen zugeordnete Strafen handeln kann. Bereits wenn man das weiß, hat man brauchbare und leitfähige Anhaltspunkte für eine einheitlichere Strafzumessung: Man weiß dann, dass den vorbewerteten Fällen entsprechende Fälle mit den bereits als angemessen bewerteten Strafen zu belegen sind und dass Fälle, die von den vorbewerteten Sachverhalten bestimmte Abweichungen aufweisen, eine dem Maß der Abweichung entsprechende Strafe erhalten müssen. Je größer das Netz der insoweit vorbewerteten Fälle ist und je homogener das Netz der zur Verfügung stehenden Vorbewertungen ist, umso mehr ist damit auch gewährleistet, dass eine sich an diesen Vorbewertungen orientierende Strafzumessung in neuen Fällen relativ einheitlich ausfällt. Welche Fälle die jeweiligen Regelfälle sind und welche Sachverhalte den Durchschnittsfall bezeichnen, braucht man zur Gewährleistung einer einheitlichen Strafzumessung nicht zu wissen – die Diskussion darüber ist auf dem Weg zu einer einheitlichen Strafzumessung ein Umweg. Davon geht – unausgesprochen – auch eine Reihe jener Versuche aus, mit denen die juristische Praxis auf dem Weg zu einer einheitlichen Strafzumessung voranzukommen versucht.

6. Strafmaße für bestimmte typische Deliktsverwirklichungen: Richtlinien usw. Die Uneinheitlichkeit der Strafzumessung ist nicht nur an der Strafzumessung interessierten Theoretikern, sonders seit langem auch vielen in der Justizpraxis Tätigen ein „Dorn im Auge“. Das gilt vor allem bei massenhaft begangenen Delikten und starker Ähnlichkeit oder Vergleichbarkeit der Deliktsbegehung sowie bei alternativ zu beantwortenden Fragen. Deutliche Unterschiede in der Ahndung ähnlicher Deliktsbegehungen oder konträre Antworten auf offenbar gleiche Fragen erscheinen hier nicht nur besonders deutlich als Ungleichbehandlung und Verstoß gegen die Anforderungen der relativen Gerechtigkeit. Sie sind auch geeignet, das Ansehen der Strafrechtspflege und deren Akzeptanz zu beeinträchtigen. Und sie sind schlecht für die positive Generalprävention in Gestalt der Bestärkung des Rechts- (und des Unrechts-)Bewusstseins, da von ihnen eher irritierende als das Rechtsbewusstsein bestärkende Botschaften ausgehen. So ist es nicht verwunderlich, dass gerade auch die Justizpraxis seit geraumer Zeit darum bemüht ist, eine größere Einheitlichkeit der Strafzumessungspraxis zu erreichen.

42

Zu deren Wesen Streng 1984, 64 ff., 75 ff. und 2018, 593 f.

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6.1 Verkehrsrichterliche Strafenkataloge – Richtlinien der Staatsanwaltschaften und Finanzbehörden Eine gewisse Vorreiterrolle spielte dabei die verkehrsgerichtliche Praxis, insbesondere zum Fahren in angetrunkenem Zustand, zur Unfallflucht und zu Körperverletzungen im Zusammenhang mit Verkehrsübertretungen. Die insoweit oft gegebene Ähnlichkeit der Fälle ließ stark divergierende Strafmaße und konträre Antworten auf die Frage der Strafaussetzung hier schon Ende der fünfziger und im Laufe der sechziger Jahre des 20. Jahrhunderts als Ärgernis erscheinen, das intensiv insbesondere auch auf den sogenannten Verkehrsgerichtstagen diskutiert wurde. Als Mittel zur Gewährleistung einer einheitlicheren Strafzumessung wurden dabei Kataloge entwickelt, die für gewisse typische Ausprägungsformen anhand einiger weniger wichtiger Kriterien (z. B. des Grades der Alkoholisierung, der Länge der Fahrstrecke usw.) bestimmte Strafmaße (oder kleinere Bandbreiten von Strafen) vorschlugen und z. B. auch über das Gesetz deutlich hinausgehende Aussagen zur Strafaussetzung enthielten – insbesondere dazu, wann eine solche nicht (mehr) in Betracht kam.43 Natürlich waren diese Kataloge für den Tatrichter nicht verbindlich; es handelte sich um bloße Empfehlungen und Orientierungshilfen, und es stand im Ermessen des mit einer entsprechenden Sache befassten Richters, ob er der Empfehlung folgen wollte oder nicht. Etwas mehr Verbindlichkeit – wenn auch nur indirekt – entfalten insoweit die Richtlinien der Generalstaatsanwaltschaften, die auf der Basis von Beschlüssen der Justizministerkonferenzen eine gewisse Einheitlichkeit der Strafzumessung in bestimmten Bereichen sicherzustellen versuchen.44 Die Richtlinien ähneln in Aufbau und Inhalt den Katalogen von Straftaxen der Verkehrsrichter, erfassen wie diese vor allem auch die Verkehrsdelikte, gehen aber doch über diese hinaus und enthalten auch Aussagen über Strafmaße zu einigen anderen Deliktsgruppen, wie z. B. den Betäubungsmitteldelikten. Natürlich vermögen diese Richtlinien den schließlich urteilenden Richter im Hinblick auf dessen verfassungsrechtlich verbürgte Unabhängigkeit (Art. 97 GG) nicht zu binden; für ihn sind sie auch nicht gedacht. Sie wenden sich an die mit entsprechenden Fällen befassten Staatsanwälte, denen sie als Grundlage für ihre Strafmaßanträge im Strafbefehlsverfahren und in der Hauptverhandlung dienen sollen. Indirekt werden die Richtlinien damit freilich auch für die Inhalte richterlicher Entscheidungen bedeutsam; das belegt auch die kriminologische Forschung. Sie macht deutlich, dass für Entscheidungen in wenig durchnormierten Bereichen gewisse der richterlichen Entscheidung vorausgehende Stellungnahmen in der Regel von erheblicher Bedeutung sind – weil sie so etwas wie Ankerwerte bilden, 43 Eingehende Darstellung der Hintergründe und der Ausgestaltung derartiger Strafmaßkataloge durch richterliche Strafzumessungsabsprachen bei Bruns 1974, 187 ff.; Maurer 2005, 175 ff.; Rastätter 2017, 145 ff.; Streng 1984, 50 f. und 2018, 593, 598 f., je m.w.N. – Im Sinne einer grundsätzlichen Verteidigung solcher Strafempfehlungen Giannoulis 2014, 296 ff. 44 Siehe dazu z. B. Bruns 1974, 187; Rastätter 2017, 145 ff. Beispiele für derartige Richtlinien „einer großen Staatsanwaltschaft“ für den Bereich der Straßenverkehrsdelikte bei Schäfer, Sander & van Gemmeren 2017, Rn. 1719 ff.

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an denen sich der Entscheidende auch dann orientiert, wenn er ihnen nicht ganz folgt.45 Die Anträge der Staatsanwaltschaft haben die Funktion solcher Ankerwerte – nicht nur wegen der der Staatanwaltschaft in der Regel zugestandenen Sachkompetenz, sondern auch deshalb, weil der Richter damit rechnen muss, dass die Staatsanwaltschaft bei gravierender Abweichung der Entscheidung von einem den Richtlinien entsprechenden Strafzumessungsantrag Rechtsmittel einlegen wird. Eine vergleichbare Bedeutung wie die eben genannten Richtlinien der Staatsanwaltschaft für gewisse Bereiche der allgemeinen Kriminalität haben für den Bereich des Steuerstrafrechts seit langem die Richtlinien der Finanzbehörden.46 Auch sie zielen darauf – für den Bereich des Steuerstrafrechts –, eine einheitliche Ahndung von Steuerstraftaten zu gewährleisten. In Aufbau und Inhalt ähneln sie den Richtlinien der Staatsanwaltschaft. Für das Strafverfahren bedeutsam werden sie deshalb, weil die Finanzbehörden bei Steuerstraftaten im Strafbefehlsverfahren die Funktion der Staatsanwaltschaft wahrnehmen und auf der Basis der Richtlinien ihre Strafmaßanträge stellen; in den sonstigen Verfahren, in denen die Finanzbehörde nur Nebenbeteiligte ist, pflegt sich die Staatsanwaltschaft bei ihren Anträgen in der Regel an diesen Richtlinien zu orientieren. Freilich hat sich in die Bemühungen um eine Vereinheitlichung im Steuerstrafrecht neuerdings auch die revisionsgerichtliche Rechtsprechung durch die Formulierung gewisser Vorgaben für eine sachgerechte Ahndung eingeschaltet – darauf wird zurückzukommen sein.47 6.2 Zur Bewertung und Wirkung der Richtlinien und Strafenkataloge Die Urteile über die dargestellten Bemühungen um mehr Einheitlichkeit der Strafzumessung fallen durchaus unterschiedlich aus. Insoweit teilen die skizzierten Versuche das Schicksal der sogenannten Sentencing Guidelines,48 denen sie als Vorgaben für die Strafzumessung in bestimmten Teilbereichen funktional entsprechen. Auch wenn man der Adäquität der genannten Richtlinien – wie manche Richter und Strafzumessungstheoretiker – kritisch gegenübersteht,49 wird man freilich eines schwerlich bestreiten können: dass es im Gefolge des Erlasses und der Anwendung dieser Richtlinien durch die Staatsanwaltschaften zu einer gewissen Vereinheitlichung der Strafzumessung in bestimmten Kriminalitätsbereichen gekommen ist. Jene gravierenden Unterschiede, die man Ende der fünfziger bis Mitte der sechziger Jahre vor allem im Bereich der Verkehrskriminalität und zu den Fragen der Strafaus45 Vgl. etwa Englich & Mussweiler 2001, 1535 ff.; Streng 2012, Rn. 498; Kaspar 2018, C 17 f., je m.w.N.; in der Diskussion auf dem 72. DJT z. B. Schromek DJT 2018, II 2, M 157 f. 46 Vgl. dazu Meine 1990, Rn. 120 ff.; eingeh. Rastätter 2017, 297 ff. 47 Vgl. unten 8.2. 48 Zu diesen vgl. die Nachw. oben Fn. 24. 49 Scharf ablehnend z. B. Jagusch 1970a, 401 ff.; 1970b, 1865 ff.; siehe auch das Ergebnis einer Umfrage unter Richtern bei Streng 1984, 102 f.; klar abl. auch die Beschlüsse des Juristentags 2018, II 2, M 189.

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setzung feststellen konnte, finden sich heute nicht mehr.50 Dass die Strafzumessung (einschließlich der Strafaussetzung) insoweit einheitlicher geworden ist, ist dabei im Blick auf die schon erwähnte „Ankerfunktion“ der Anträge der Staatsanwaltschaft wesentlich auch auf die genannten Strafenkataloge und Richtlinien zurückzuführen. Dies sollte im Sinne einer Relativierung der Kritik an den Strafenkatalogen und den Richtlinien selbst dann berücksichtigt werden, wenn die Kritik an diesen Instrumenten der Vereinheitlichung im Übrigen berechtigt wäre. Indessen ist es sehr fraglich, ob die immer wieder geäußerte Kritik wirklich berechtigt ist. In ihrem Kern wirft die Kritik den erwähnten Strafenkatalogen und den auf einige wenige Umstände abhebenden Richtlinien einen inadäquaten Schematismus vor; sie huldigten einem Taxenwesen, das die vielfältigen, im Einzelfall relevanten Strafzumessungsumstände in inadäquater Weise auf einige wenige Faktoren reduziere.51 Auf diese Weise unterbleibe die vom Gesetz geforderte individualisierende Bestimmung der Strafe. Vernachlässigt werde bei einer solchen Vorgehensweise vor allem der persönliche Eindruck vom Angeklagten, der für eine sachgerechte Strafzumessung jedoch von zentraler Bedeutung sei.52 Die Kritik gipfelt bisweilen darin, dass ein solches Verfahren der Strafzumessung entwürdigend und unzumutbar sei.53 In dieser Kritik gehen Richtiges und Falsches durcheinander. Falsch dürfte der in der Kritik erweckte Eindruck sein, dass derartige, auf wenige Umstände abhebende Kataloge und Richtlinien im Vergleich zu einer ohne solche Richtlinien betriebenen Strafzumessung zu einer Verkürzung der im Rahmen der Strafzumessung berücksichtigten Umstände führe. Kriminologische Untersuchungen zur Strafzumessung bei Delikten, für die solche Richtlinien nicht existieren, haben ergeben, dass auch hier in die Strafzumessung nur wenige Umstände eingehen – nach einer Untersuchung des Jubilars sollen es in der Regel nicht mehr als drei sein.54 Im Vergleich zur realen Strafzumessung dürften die Strafzumessungsrichtlinien damit kaum eine Verkürzung bringen – jedenfalls dann nicht, wenn sie auf die richtigen, auch ohne Richtlinien als bedeutsam angesehenen Umstände abheben. Gemessen an dieser Praxis könnte man gegen die Arbeit mit Richtlinien allenfalls noch einwenden, dass diese eine möglicherweise problematische Praxis nicht auch noch bestätigen und zementieren sollten. Indessen verliert selbst dieser Einwand an Gewicht, wenn man nur die Richtlinien sachgerecht formuliert – nämlich so, dass den zwei oder drei Merkmalen nicht etwa ein starres Strafmaß, sondern nur eine engere Bandbreite von Strafgrößen innerhalb 50

Vgl. etwa Maurer 2005, 43 ff., 62 f. Jagusch 1970a, 401, 402 f.; siehe auch Peters 1955, 34; weit. Nachw. zu Äußerungen in dieser Richtung bei Streng 1984, 64 f. 52 Jagusch 1970a, 401, 403; weit. Nachw. solcher Bedenken bei Streng 1984, 68 f. 53 Vgl. die bei Streng (1984, 102 f.) wiedergegebenen Äußerungen im Rahmen einer Richterbefragung. 54 Vgl. etwa Albrecht 1980b, 235, 244 ff.; ähnlich Verrel 2018, 811, 815; weit. Nachw. bei Streng 1984, 65 f. 51

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des Strafrahmens zugeordnet ist. Innerhalb dieser Bandbreite, die ein gewisses Maß an Einheitlichkeit gewährleistet, kann weiteren als bedeutsam angesehenen Strafzumessungsumständen sachgerecht Rechnung getragen werden. Hier kann insbesondere auch der persönliche Eindruck vom Angeklagten berücksichtigt werden, soweit er überhaupt strafzumessungsrechtlich bedeutsam ist. Die Strafzumessungsrelevanz des persönlichen Eindrucks sollte man bei alledem nicht zu hoch einschätzen.55 Es gibt eine Reihe von Fragen, wie z. B. die Frage, ob die Verteidigung der Rechtsordnung eine Freiheitsstrafe erfordert oder die Vollstreckung der Strafe gebietet –, für die es auf den persönlichen Eindruck überhaupt nicht ankommt. Aber auch für die eigentliche Strafzumessung (die Höhe des Strafmaßes) gilt: Der Angeklagte wird nicht wegen des persönlichen Eindrucks in der Hauptverhandlung, sondern wegen einer lange vor der Hauptverhandlung begangenen Tat bestraft. Das Persönliche an der Tat, das für die Strafzumessung bedeutsam ist, ist die damalige psychische Situation des Angeklagten, für die der persönliche Eindruck in der Hauptverhandlung allenfalls eine (sehr) begrenzte Funktion als Indiz haben mag.56 Eine größere Bedeutung hat der über Richtlinien nicht zu erfassende persönliche Eindruck vom Angeklagten nur bei bestimmten spezialpräventiven Fragen – wie der Frage, ob dem Angeklagten zuzutrauen ist, dass er sich bei einer zur Bewährung ausgesetzten Strafe straffrei führen werde. Insoweit müssen die Richtlinien hier so (zurückhaltend) formuliert sein, dass dem Richter die Möglichkeit einer sachgerechten Entscheidung verbleibt. Tragen Richtlinien den vorstehend formulierten Anforderungen Rechnung, so bedeuten sie einen Gewinn für die Strafzumessung. Sie verbinden dann die Vorteile einer gewissen Vereinheitlichung mit allen Vorteilen sachgerechter Individualisierung – von Schematismus kann dann keine Rede sein. Die eigentliche Problematik der Richtlinien liegt nicht an dieser Stelle. Sie ist von ganz anderer Art. Sie hat damit zu tun, dass Richtlinien als Instrument zur Vereinheitlichung nur begrenzt taugen – und zwar nicht nur deswegen, weil es kaum möglich sein dürfte, in naher Zukunft für die Strafzumessung sachgerechte Richtlinien „flächendeckend“ zu formulieren, sondern auch deswegen, weil es Delikte oder Formen der Kriminalität gibt, für die sich Strafgrößen zuordnende Richtlinien aus sachlichen Gründen kaum formulieren lassen, wie etwa für die Tötungsdelikte. Will man auch in diesem keineswegs kleinen Bereich zu einer einheitlicheren Strafzumessung kommen, so muss man sich anderer Instrumente als der bisher behandelten Richtlinien bedienen. Diese Instrumente müssen so gestaltet sein, dass sie vor allem eines verhindern: dass es mangels verfügbarer objektiver Richtpunkte sofort zum Zugriff auf das individuell für richtig Gehaltene kommt. Denn dieser sofortige Zugriff auf das individuell für richtig Gehaltene bildet den Grund für die z. T. weit auseinanderklaffenden Strafmaße. Will man diesen sofortigen Zugriff auf das 55 Übereinstimmend Streng 1984, 68 f.; eingeh. zur aus zutreffender normativer Sicht relativ geringen Bedeutung des persönlichen Eindrucks Frisch 1971, 275 ff. m.w.N. 56 Vgl. Bruns 1974, 707 ff.; Frisch 1971, 275 ff. m.w.N.

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individuell für richtig Gehaltene verhindern, so muss man dem zur Entscheidung Aufgerufenen objektive Hilfen bieten – Hilfen, die den selbst an einheitlicher und gleichmäßiger Strafzumessung Interessierten in die Lage versetzen, zu einer einheitlicheren Strafzumessung beizutragen.

7. Informationen über die Strafzumessungspraxis – Dokumentation Sachlich kann eine solche Hilfe beim gegenwärtigen Stand der Strafzumessungslehre zunächst nur in einer Information bestehen – in einer Information darüber, wie Gerichte ähnliche Fälle wie den, über den der Richter zu entscheiden hat, bisher entschieden haben.57 Mehr, etwa Empfehlungen, die angesichts der zu erwartenden Streubreite der Strafmaßentscheidungen mehr Einheitlichkeit anstreben, ist in naher Zukunft – schon aus Gründen begrenzter Ressourcen – wohl kaum zu leisten. Auch die bloße Information über den Ist-Zustand ist schon mit erheblichem Aufwand verbunden, denn sie fordert eine intersubjektiv zugängliche Dokumentation. 7.1 Information durch Dokumentation in einer Datenbank Eine solche Dokumentation, die an der Strafzumessung Interessierten leicht zugänglich jene Informationen gibt, die diese für von ihnen zu treffende Strafzumessungsentscheidungen benötigen, wäre noch vor wenigen Jahrzehnten kaum realisierbar gewesen. Die Möglichkeit, bestimmte Sachverhalte elektronisch so zu speichern, dass sie für Interessierte über das Internet jederzeit abrufbar sind, hat die Erstellung einer solchen leicht zugänglichen Dokumentation in der Zwischenzeit ohne Weiteres realisierbar gemacht. Das gilt jedenfalls dann, wenn man an die Dokumentation keine übertriebenen Anforderungen – wie etwa die Speicherung älterer archivierter Entscheidungen – stellt und sich damit begnügt, die zu bestimmten Delikten neu ergehenden Entscheidungen aufzunehmen. Dann erscheint es ausreichend, dass der Richter seine ohnehin elektronisch abgesetzte Entscheidung an eine bestimmte zentrale Stelle sendet, die diese in eine Datenbank aufnimmt, und dass er der Entscheidung einen ebenfalls in die Datenbank aufzunehmenden Kurzsachverhalt (nach der Art der zu beurteilenden fiktiven Fälle in Fragebogenuntersuchungen) beifügt, der auch die wenigen zentralen Strafzumessungsmerkmale sowie die festgesetzte Strafe (oder sonstige Rechtsfolgenentscheidung) enthält. Der nach ähnlichen Vor-Entscheidungen suchende Richter (oder sonstige Interessierte) könnte dann durch die Eingabe des Delikts und bestimmter in „seinem“ Fall entscheidender Strafzumessungsum57 Übereinstimmend Streng 1984, 304 ff.; 2012, Rn. 768 f. und nochmals eindrucksvoll in der Diskussion auf dem Juristentag 2018, DJT 2018, II 2, M 93 f.; Kaspar 2018, C 112 ff., 115; Maurer 2005, 91 ff., 219 f. und Mosbacher DJT 2019, II 1, M 36; je m.w.N. – Auch der 72. Deutsche Juristentag 2018 hat sich mit deutlicher Mehrheit für „die Einrichtung einer zentralen Entscheidungsdatenbank zur Erweiterung des richterlichen Horizonts“ entschieden (vgl. DJT 2019, II 2, M 190).

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stände in eine Suchmaske sehr rasch im Sinne einer Erstinformation jedenfalls zu diesen Kurzsachverhalten gelangen, soweit die Datenbank bereits Dokumentationen zu vergleichbaren Fällen enthält. Er erhielte, soweit solche Dokumentationen vorhanden sind, zugleich Informationen über die bislang verhängten Strafen, könnte bei mehreren Entscheidungen etwa vorhandene Schwankungen in der Sanktionierung erkennen, könnte die Vergleichbarkeit dieser Fälle und die Vergleichbarkeit seines Falles mit dem dokumentierten Material überprüfen usw. Falls für diesen Vergleich oder auch die eigene Entscheidung die Kenntnis des ganzen Urteils notwendig sein sollte, müsste es möglich sein, über einen Link zu dieser vollständigen Entscheidung zu gelangen. Dass die Errichtung einer solchen Datenbank zur Erleichterung und Vereinheitlichung der Strafzumessung möglich ist, zeigt das Beispiel Japans.58 Dort ist im Zusammenhang mit der Einführung des Schöffengerichtssystems eine vergleichbare Datenbank eingerichtet worden, um den Schöffen landesweit eine Information darüber zu geben, wie andere Gerichte bisher zur Strafzumessung entschieden haben, welche Umstände für die Strafzumessung bedeutsam waren und mit welchen Strafen die jeweiligen Fallkonstellationen belegt worden sind. Zwar ist das dortige System auf bestimmte Gewaltdelikte beschränkt (da nur insoweit Schöffen mitwirken), doch bestehen keine prinzipiellen Hindernisse, die Datenbank auch auf andere Delikte auszudehnen. Würde dieser Weg beschritten, so wäre bei vielen Delikten schon innerhalb des kurzen Zeitraums von ein bis drei Jahren eine durchaus informative Dokumentation über die Strafzumessung bei bestimmten Delikten und in bestimmten Fällen verfügbar. Auch hier sind die Erfahrungen mit der schon erwähnten japanischen Datenbank aufschlussreich: Diese verfügte bereits nach wenigen Jahren über ein höchst instruktives Netz von Informationen über die Strafzumessung japanischer Gerichte zu den – nicht zu den Massendelikten gehörenden! – Tötungsdelikten, das von den Richtern und anderen Rechtsanwendern als wertvolle Orientierungshilfe bei der Beurteilung der Strafzumessungsfrage in den von ihnen zu entscheidenden Fällen empfunden wurde.59

7.2 Mögliche Einwände – Zur einheitsfördernden Funktion der Dokumentation Natürlich liegen gegenüber dem hier entwickelten Vorschlag Einwände nahe. Von dem Einwand, dass die Erstellung einer solchen Datenbank einiges koste, sollte man sich freilich nicht irritieren lassen. Zum einen sind die Kosten nicht so hoch, dass sie nicht aufgebracht werden könnten – das zeigt die Existenz vergleichbarer Datenban58

Vgl. dazu Nakagawa 2011, 201, 206 f., 214 ff.; Harada 2011, 237, 245. So das Ergebnis einer Informationsveranstaltung am Obersten Gerichtshof Japans, an der der Verfasser des Beitrags mit einer Delegation deutscher und japanischer Strafrechtslehrer im September 2009 teilgenommen hat. 59

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ken im In- und Ausland. Zum anderen sollte die Gewährleistung einer einheitlichen Rechtsprechung und die Verwirklichung des verfassungsrechtlichen Postulats der Gleichbehandlung einem finanziell gut ausgestatteten Gemeinwesen doch so viel wert sein, dass es die zur Verwirklichung dieses Postulats notwendigen begrenzten Kosten aufzubringen bereit ist. Ernster zu nehmen sind die Einwände, die bestreiten, dass durch die hier vorgeschlagenen Dokumentationen zu mehr Einheitlichkeit der Strafzumessung zu gelangen sei. Wie – so könnte man fragen – soll die Dokumentation einer Strafzumessungspraxis, die nach dem früher zum Zustand der Strafzumessung Gesagten in bestimmten Bereichen weit auseinanderliegt, zu mehr Einheitlichkeit beitragen? Die Dokumentation führt doch nur dazu, dass das, was offenbar als Sachverhalt besteht, nun auch dokumentiert ist. Nicht weniger mag man fragen, wie eine solche Datenbank weiterhelfen soll, wenn zu einem Delikt unter Umständen nur wenige, auch nicht genau passende Entscheidungen vorliegen oder es an Vorentscheidungen überhaupt fehlt. Tatsächlich erscheint die hier vorgeschlagene Errichtung einer die Strafzumessung dokumentierenden Datenbank keineswegs nur insoweit sinnvoll, als sie schon relativ einheitliches Strafzumessungsverhalten dokumentiert – wie in dem Bereich, in dem für die Staatsanwaltschaft Richtlinien bestehen – und die Orientierung an der dokumentierten Strafzumessung anderer Gerichte damit die Gefahr einer unter Umständen abweichenden Entscheidung aus Unkenntnis der sonst üblichen Entscheidungen reduziert. Die Dokumentation ist auch für die Bereiche sinnvoll, für die sie erhebliche Streubreiten der verhängten Strafen trotz relativ ähnlicher Strafzumessungssachverhalte ausweist. Sie macht dem Richter (oder sonstigen Rechtsanwender) insoweit bewusst, dass er sich bei der Entscheidung über seinen Fall in einem besonders kontrovers beurteilten Bereich befindet und mahnt ihn damit zur Vorsicht gegenüber einer schnellen, wenig reflektierten Entscheidung. Ein Richter, der die Gleichbehandlung gleicher Fälle als einen wichtigen Wert erachtet, wird sich durch die von ihm vorgefundene Situation regelmäßig zugleich dazu aufgerufen fühlen, mit seiner Entscheidung zur Verwirklichung einer einheitlicheren Strafzumessung beizutragen. Die Einsicht, dass eine solche Einheitlichkeit sich erfahrungsgemäß am ehesten durch eine mittlere Linie erzielen lässt,60 wird ihn zugleich regelmäßig davon absehen lassen, sich einer extrem milden oder extrem scharfen Linie anzuschließen und ihn nach einer Strafe im mittleren Bereich der Vorbeurteilungen greifen lassen – jedenfalls, wenn eine solche ihm persönlich vertretbar erscheint. Auch die Dokumentation von Ungleichbehandlung kann so einen Beitrag zu mehr Einheitlichkeit leisten. Dass das nicht nur Spekulation ist, bestätigen abermals die Erfahrungen mit vergleichbaren Datenbanken in Japan: Das Interesse an Gleichbehandlung gleicher Fälle drängte auch dort zur Entwicklung einer mittleren Linie, die 60 Vgl. schon Aristoteles, Nikomachische Ethik, II. Buch, 5. Kapitel (1106a), wo als das richtige Maß das „Mittlere“ (zwischen Übermaß und Mangel) bezeichnet wird; für die richtige Strafzumessung aufgenommen und weitergeführt von Spendel 1954, 170 ff., 172 f. und Bruns 1974, 85.

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für die meisten Urteilenden am ehesten vertretbar erscheint.61 Natürlich schließt das „Ausreißer“ nicht aus – ihnen muss man ggf. mit anderen Mitteln entgegentreten. Aber auch wenn die Datenbank zu einem Delikt nur relativ wenige Einträge enthält, ist dies unter dem Aspekt der Gewährleistung einer einheitlichen Strafzumessungspraxis nicht ohne Wert. Handelt es sich um die Bestrafung in einem gleichgelagerten Fall, so liefert die Dokumentation einen Ankerwert,62 der die Bildung einer einheitlichen Linie fördert, wenn der Richter die vorgefundene Sanktionierung für vertretbar hält. Ist das nicht der Fall und entscheidet er sich daher mit guten Gründen erheblich abweichend, so kann seine Entscheidung anderen Urteilenden, die selbst ähnlich entscheiden würden, die Entscheidung erleichtern und so wieder zur Bildung einer einheitlichen Linie beitragen, welche die ursprüngliche abweichende Entscheidung zu einer fragwürdigen Abweichung werden lässt. Selbst wenn die Datenbank zu einem Delikt nur Einträge über Sachverhalte enthält, die sich von dem zu beurteilenden Sachverhalt mehr oder weniger deutlich unterscheiden, ist dies unter dem Aspekt der Förderung einer einheitlichen Strafzumessungspraxis nicht völlig ohne Wert. Die vorfindbaren Entscheidungen können auch in diesem Fall doch zumindest zur Verdeutlichung der Schwereskala denkbarer Fälle63 beitragen und, wenn der jetzt urteilende Richter die in diesen Fällen verhängten Strafmaße für vertretbar hält, Anhaltspunkte für eine sich in diese Beurteilung einpassende Bemessung der Strafe im eigenen Fall bilden (indem der Richter die Strafe hier in angemessenem, den Unterschiedlichkeiten Rechnung tragendem Abstand zu den in den früheren Fällen verhängten Strafen bestimmt). Ohne Wert für die Ausbildung eines einheitlichen Strafzumessung ist eine auf bisher getroffene Entscheidungen beschränkte Dokumentation nur, wenn die Datenbank im Einzelfall einmal praktisch keine weiterführenden Informationen enthält – wie z. B. bei neugeschaffenen Delikten, zu denen noch keine Rechtsprechung vorliegt (obwohl auch hier nicht selten Informationen aus dem Bereich anderer Deliktstatbestände bedeutsam sein können). Indessen ist das kein Argument gegen den Wert der hier vorgeschlagenen Dokumentation für eine einheitlichere Strafzumessung, sondern belegt nur, dass eine sich in der Wiedergabe der bisherigen Strafzumessung erschöpfende Dokumentation nicht alle Fragen löst, sondern Defizite aufweist, über deren Kompensation nachgedacht werden sollte. 7.3 Optimierungen der Dokumentation – Nicht Lösbares Eine Optimierung der Dokumentation, die auch gewisse Defizite einer bloßen Entscheidungsdokumentation beheben könnte, kommt vor allem in zweierlei Hin61

So wiederum das Ergebnis der in Fn. 59 erwähnten Informationsveranstaltung am Obersten Gerichtshof Japans. 62 Zur Bedeutung von Entscheidungen und Stellungnahmen als „Ankerwerte“ für nachfolgende Entscheidungen vgl. die Nachw. oben in Fn. 45. 63 Dazu oben 4. m. Nachw.

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sicht in Betracht: soweit die Strafzumessungsentscheidungen zu bestimmten Delikten eine besonders große Streubreite aufweisen und in Bezug auf neue Delikte, zu denen noch keine Rechtsprechung vorliegt. Für eine Vereinheitlichung der Strafzumessung bei vorfindbaren großen Streubreiten wären Kommentierungen hilfreich, die die einschlägigen Sachverhalte und die vorhandenen Streubreiten klar erfassen und analysieren und auf dieser Basis Vorschläge zu einer sachgerechten einheitlicheren Behandlung entwickeln. Die Strafzumessung zu neugeschaffenen Tatbeständen könnte wesentlich dadurch erleichtert werden, dass in die Datenbank zunächst strafzumessungsbezogene Ausführungen aus den Gesetzesmaterialien und aus gewissen das Inkrafttreten des Gesetzes begleitenden literarischen Beiträgen aufgenommen werden. Freilich sind dies lediglich Optimierungen der dokumentierenden Datenbank. Wertvolle Dienste auf dem Weg zu einer einheitlicheren Strafzumessung kann diese – wie dargelegt – auch schon ohne diese Optimierungen leisten. Allerdings kann sie dies nur, wenn und soweit Richter bereit sind, sich an dem Dokumentierten zu orientieren und an der Entwicklung von Rechtsprechungslinien zu beteiligen, die die Chance haben, allgemeiner akzeptiert zu werden. Wo es an dieser Bereitschaft fehlt und Positionen vertreten werden, die von dem allgemeiner Konsensfähigen sehr deutlich abweichen – aber auch, wenn Vereinheitlichungslinien problematisch sind –, hilft allein noch die externe Kontrolle und Korrektur, die in Deutschland vor allem in den Händen der Revisionsgerichte liegt.

8. Die Rolle der Revisionsgerichte auf dem Weg zu einer einheitlicheren Strafzumessung Wer in Deutschland zur Gewährleistung einer einheitlicheren Strafzumessung in Bezug auf die Höhe der Strafe nach den Revisionsgerichten ruft, fordert von diesen nun freilich etwas, was lange Zeit außerhalb des Aufgabenbereichs der Revisionsgerichte zu liegen schien. Zu einer Wandlung ist es insoweit erst in den letzten Jahrzehnten gekommen – wobei das letzte Jahrzehnt nochmals durch eine sehr markante Steigerung der Einflussnahme des Bundesgerichtshofs (als des wichtigsten Revisionsgerichts) auf die Strafzumessung gekennzeichnet ist. 8.1 Zum Wandel der Rechtsprechung der Revisionsgerichte in Bezug auf die Kontrolle des Strafmaßes Revisionsgerichte sind nach den Vorstellungen des Gesetzgebers dazu berufen, Urteile aufzuheben, die auf Gesetzesverletzungen beruhen (§ 337 StPO). Als Gesetzesverletzung werden dabei die fehlerhafte Anwendung und die Nichtanwendung des Gesetzes angesehen. Ob der Richter die Tatsachen zutreffend festgestellt hat, sollte demgegenüber nach den Vorstellungen des Gesetzgebers der Revision entzo-

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gen sein; es galt als irrevisible Tatfrage (im Gegensatz zur allein revisiblen Rechtsfrage).64 Diese Sichtweise wurde auch auf die Strafzumessung übertragen: Auf die Revision hin aufgehoben werden konnte die Strafzumessung nur, wenn sie auf einer Gesetzesverletzung beruhte – etwa den Strafrahmen überschritt oder sonst gegen ein Gesetz verstieß. Soweit das nicht der Fall war, galt die Strafzumessung als irrevisible Tatfrage und „Domäne des Tatrichters“.65 Mit der Rüge, dass die innerhalb des Strafrahmens liegende Strafe zu hoch oder zu niedrig sei, konnte der Revisionsführer daher lange Zeit nicht durchdringen. Daran änderte sich selbst dann nichts, als man anerkannte, dass eine Gesetzesverletzung bei der Strafzumessung auch denkbar sei, wenn Umstände zu Unrecht als für die Strafzumessung bedeutsam angesehen oder bedeutsame Umstände übersehen worden waren. Die richtige Bemessung der Strafe der Höhe nach blieb in den ersten sechs Jahrzehnten nach dem Inkrafttreten der StPO als Domäne des Tatrichters für das Revisionsgericht tabu.66 Eine erste Wandlung vollzog sich in den Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg. Da hier nach den Vorschriften des Alliierten Kontrollrats die Verhängung „grausamer, übermäßig hoher und ungerechter Strafen“ verboten war,67 wurde die Strafzumessung nunmehr auch unter diesem Aspekt durch die Revisionsgerichte überprüft.68 Im Gefolge dieser Judikatur und auf der Basis strafrechtstheoretischer Untersuchungen, die eingehend darlegten, dass es bei der Bemessung der Strafhöhe rechtstheoretisch nicht um eine Tat-, sondern um eine Rechtsfrage gehe,69 änderte sich dann allmählich auch die Rechtsprechung der Oberlandesgerichte und des BGH.70 Zwar betont der BGH nach wie vor im Sinne einer Eingangsformel, dass die Strafzumessung Sache (eine Domäne) des Tatrichters sei und vom Revisionsgericht nur auf das Vorhandensein von Rechtsfehlern überprüft werden könne.71 Als Rechtsfehler kommt nach der neueren Rechtsprechung des BGH mittlerweile aber auch ein „Vergreifen in der Höhenlage“ des Strafmaßes in Betracht.72 Als derartigen Rechtsfehler in Bezug auf das Strafmaß sah der BGH es im Jahre 1976 z. B. an, dass ein Fall, der zum Kreis der normalerweise weniger schweren häufigen Fälle eines Delikts gehör-

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Vgl. dazu Hahn 1885, 249 f. Hahn 1885, 250 f. 66 Vgl. dazu näher Frisch 2005, 255, 259 f. 67 So durch Art. IV Nr. 8 MRG 1. 68 Siehe etwa OGHSt 1, 172, 174; weit. Nachw. bei Frisch 2005, 255, 267. 69 Eingehende Nachw. dazu bei Frisch 2005, 255, 262; 1971, 114 ff., 179 ff.; 2018, § 337 Rn. 147 ff., 168 ff. 70 Näher dazu Frisch 2005, 255, 267 ff. und Frisch 2018, § 337 Rn. 158, 174 – 176. 71 Vgl. etwa BGHSt 17, 35, 36; BGHSt 29, 319, 320; BGHSt 57, 123, 137; i.d.S. auch Mosbacher DJT 2019, II 1 M 26 f.; weit. Nachw. bei Frisch 2018, § 337 Rn. 148. 72 So früher schon Bruns 1974, 82, 714; i.S. einer schärferen „Ergebniskontrolle“ aus revisionsrechtlicher Sicht jüngst Raum DJT 2019, II 2, M 148 f. 65

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te, als ein sogenannter nicht allzu schwerer Regelfall mit einer Strafe aus der Mitte des Strafrahmens belegt worden war.73 In der Folgezeit entwickelte der BGH dann vor allem zwei Argumentationen, um auch Entscheidungen aufzuheben, die – ohne erkennbare sonstige Fehler – nur in Bezug auf das vom Tatrichter verhängte Strafmaß problematisch erschienen. Die erste Argumentation knüpft daran an, dass – aus der Sicht des BGH – zu bestimmten Fallkonstellationen eine Art übliche (und vom BGH gebilligte) Bemessungspraxis hinsichtlich der Strafe vorhanden bzw. erkennbar ist. Bei dieser Sachlage werden Entscheidungen, die sich von dieser Praxis deutlich entfernen, regelmäßig aufgehoben, wenn sie dies ohne (oder ohne zureichende) Begründung tun.74 Die Entscheidung leidet dann unter einem sogenannten Begründungsmangel (in dem der BGH einen sachlich rechtlichen Rechtsfehler sieht). Einen solchen Begründungsmangel nimmt der BGH auch an, wenn zwei Mittäter bei etwa gleichen Tatbeiträgen ohne hinreichende Erklärung mit sehr unterschiedlichen Strafen belegt worden sind und der mit der schwereren Strafe Belegte deshalb Revision einlegt.75 Anders begründet der BGH die Aufhebung, wenn es wegen der Unterschiedlichkeit der Ausprägungen eines Delikts oder aus sonstigen Gründen zu dem von ihm revisionsrechtlich zu beurteilenden Fall so etwas wie eine übliche Praxis (noch) nicht gibt, er die Entscheidung des Tatrichters aber aus eigener Anschauung für nicht akzeptabel hält. Hier wird das vom Tatrichter verhängte Strafmaß mit der Begründung aufgehoben, dass die Strafe aus dem Rahmen des noch Vertretbaren herausfalle, etwa unvertretbar hoch oder milde sei. Der BGH sieht also auch die aus seiner Sicht gegebene bloße Unvertretbarkeit des Maßes der verhängten Strafe inzwischen als Rechtsfehler an.76 Neuere Arbeiten zur Strafzumessungspraxis zeigen, dass diese Aufhebungspraxis des BGH Wirkungen entfaltet – sie sorgt dafür, dass seitens der Tatgerichte bei vergleichbaren Fällen gewisse Bandbreiten eingehalten werden, weil aus diesen Bandbreiten ausbrechende Entscheidungen mit einer Aufhebung rechnen müssen.77 In dieser sich auf das Strafmaß erstreckenden intensiveren Kontrollpraxis des BGH und der vereinheitlichenden Wirkung der schon erwähnten Richtlinien und Strafenkataloge im Bereich bestimmter Massendelikte78 liegt wohl auch der Grund dafür, dass kriminologische Untersuchungen zur Strafzumessungspraxis aus jüngerer Zeit nicht mehr jene großen Streubreiten der Strafzumessung festzustellen vermoch73

BGHSt 27, 2, 4 f.; aus der späteren Rechtsprechung z. B. BGH NStZ-RR 2003, 52, 53; BGH StV 2010, 418; weit. Nachw. bei Frisch 2018, § 337 Rn. 174 ff. 74 Eingehende Nachw. zur einschlägigen Rechtsprechung des BGH bei Frisch 2018, § 337 Rn. 175; siehe auch Streng 2012, Rn. 662 und 2018, 593, 598 zu korrespondierenden Einstellungen von Tatrichtern. 75 Vgl. dazu die Nachw. oben Fn. 14. 76 Vgl. etwa BGHSt 45, 312, 318 f.; BGHSt 53, 71, 86; BGHSt 57, 123, 130 f.; weit. Nachw. bei Frisch 2018, § 337 Rn. 174 – 176. 77 Siehe dazu die Analyse der Rechtsprechung bei Maurer 2005, 128 ff., 140 ff., 147 ff. (letzteres zu den Betäubungsmittel- und Sexualdelikten). 78 Oben 6.1.

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ten, die bezüglich der Strafzumessungspraxis der fünfziger und sechziger Jahre des 20. Jahrhunderts aufgewiesen werden konnten. Es bleibt die Frage, ob mit der eben skizzierten Intensivierung der revisionsgerichtlichen Kontrolle die Möglichkeiten der Revisionsgerichte, an der Vereinheitlichung der Strafzumessung mitzuwirken, bereits ausgeschöpft sind. Ich glaube nicht, dass das der Fall ist. Das Wirken der Revisionsgerichte in Richtung auf eine einheitlichere Strafzumessung könnte in doppelter Hinsicht verbesserungsfähig sein. 8.2 Optimierungsmöglichkeiten revisionsgerichtlicher Bemühungen um Rechtseinheit bei der Strafzumessung Eine erste Möglichkeit der Optimierung der revisionsgerichtlichen Bemühungen besteht insoweit, als es sich darum handelt, tatrichterliche Strafmaßentscheidungen an der zu vergleichbaren Fällen üblichen Praxis zu messen. Die Revisionsgerichte sind wiederholt gefragt worden, woher sie eigentlich das Wissen um diese Praxis nehmen und wie verlässlich dieses Wissen ist. Sicher ist jedenfalls, dass es sich insoweit um ein bisweilen zufälliges und begrenztes Wissen handelt. Das schränkt die Möglichkeiten ein, Strafmaßentscheidungen unter Hinweis darauf aufzuheben, dass sie sich ohne (hinreichende) Begründung von der zu solchen Fällen üblichen Praxis entfernten. Die Möglichkeit, Entscheidungen mit solcher Argumentation – auch guten Gewissens – aufzuheben, würde durch die hier empfohlene Dokumentation tatrichterlicher Strafzumessungsentscheidungen in einer Datenbank entscheidend verbessert. Eine solche Datenbank kommt nicht nur dem nach Orientierung Suchenden und um eine einheitliche Strafzumessung ringenden Tatrichter zugute. Sie ist auch für die Tätigkeit der Revisionsgerichte bedeutsam.79 Aus ihr lässt sich die übliche Praxis, von der in manchen revisionsgerichtlichen Entscheidungen bislang nur die Rede ist, auch tatsächlich entnehmen. Eine solche Dokumentation bietet den Revisionsgerichten aber vor allem auch Möglichkeiten der Ausübung ihrer „Vereinbarkeitskontrolle“ in Bereichen, in denen ihnen eine verlässliche empirische Basis bisher fehlt, aus der Dokumentation aber klar hervorgeht, dass sich das zu überprüfende Urteil erheblich von dem entfernt, was in der tatrichterlichen Praxis für derartige Fälle sonst verhängt wird. Lässt sich von einer üblichen Praxis noch nicht sprechen, so kann die Dokumentation doch zumindest Hinweise zum Vertretbaren geben. Die Dokumentation der bislang zu bestimmten Delikten vorfindbaren Strafzumessungspraxis eröffnet den Revisionsgerichten noch eine weitere Möglichkeit, vereinheitlichend auf die Strafzumessungspraxis Einfluss zu nehmen. Die Streubreite der Strafzumessungspraxis zu bestimmten Fällen fällt ja nicht nur dem mit einem vergleichbaren Fall befassten Tatrichter auf, dem sie Anlass geben sollte, an der Entwicklung einer allgemein vertretbaren Linie mitzuwirken. Sie ist auch für das Revisionsgericht erkennbar, dem ein solcher Fall vorliegt und dessen Aufgabe es gerade79

Übereinstimmend Streng 2018, 593, 599, 600; ähnlich Verrel 2018, 811, 815.

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zu ist, für Rechtseinheit zu sorgen.80 Ist das Revisionsgericht der Auffassung, dass der Tatrichter bei seiner Strafzumessung ein Strafmaß gefunden hat, das geeignet ist, als vernünftige Linie der Reaktion auch von anderen Tatrichtern in Zukunft akzeptiert werden zu können, so sollte es dies im Interesse der Gewährleistung einheitlicher Ahndung gleichgelagerter Fälle klar sagen und so selbst zur Verwirklichung einer konsensfähigen Strafmaßlinie beitragen. Ist es andererseits der Auffassung, dass das vom Tatrichter verhängte Strafmaß problematisch ist und von anderen Gerichten schwerlich akzeptiert werden dürfte – etwa, weil es sich am oberen oder unteren Rand der Streubreite bewegt und offenbar Ausdruck eines allgemeiner nicht akzeptanzfähigen persönlichen Kurses der Vorinstanz ist –, so sollte es dies im Interesse der Verwirklichung einer einheitlichen Behandlung gleichgelagerter Fälle ebenfalls deutlich sagen und das Urteil aufheben. Völlig unproblematisch ist dies, wenn das Urteil ohnehin an Rechtsfehlern leidet, die auch die Aufhebung der Strafmaßentscheidung nach sich ziehen (wie bei Fehlern zu „vorgreiflichen“ Fragen). Die Revisionsgerichte sollten sich aber auch nicht scheuen, so zu verfahren – also aufzuheben und zugleich die (im Sinne einer Vereinheitlichung) richtige Richtung zu weisen –, wenn das Urteil keine sonstigen Rechtsfehler aufweist und nur im Strafmaß problematisch ist, nämlich ein Strafmaß enthält, das das Revisionsgericht selbst für kaum vertretbar hält und das ersichtlich ungeeignet dafür ist, dass andere Richter es sich für ihren Fall als adäquates Strafmaß zu eigen machen. Ein solches Urteil ist im Blick auf die Aufgabe des Revisionsgerichts, für Rechtseinheit zu sorgen, schon deshalb rechtsfehlerhaft, weil ihm etwas abgeht, was zum Wesen des Rechts gehört – nämlich als allgemeines „Gesetz“ für die richtige Behandlung des infrage stehenden Falles bzw. entsprechender Fälle gelten zu können.81 Natürlich ist der Einwand zu erwarten, dass das Revisionsgericht sich damit etwas anmaße, was ihm nicht zukomme und Fragen entscheide, zu denen es nicht berufen ist. Doch dieser Einwand ist alles andere als überzeugend. Dass es Aufgabe des Revisionsgerichts ist, die Rechtseinheit zu wahren, lässt sich nicht ernsthaft bestreiten. Und warum ein mit drei oder fünf erfahrenen Berufsrichtern besetzter Senat nicht zu dem in der Lage sein und berufen sein soll, was man jedem Tatrichter ohne Zögern zugesteht, ist schlicht nicht nachvollziehbar. Vor diesem Hintergrund ist es zu begrüßen, dass sich Revisionsgerichte inzwischen nicht mehr allein damit begnügen, im Einzelfall kontrollierend tätig zu werden, sondern auch bereit sind, ihre Auffassung vom richtigen Strafmaß klar zum Ausdruck zu bringen und dies sogar in der Weise zu tun, dass sie Vorgaben über die richtige Behandlung bestimmter Fallkonstellationen formulieren. Diesen Weg hat in beispielhafter Weise der in Deutschland für die Revision in Steuerstrafsachen zuständige Erste Senat des BGH beschritten. Er hat in mehreren aufsehenerregenden 80

Zur Gewährleistung von Rechtseinheitlichkeit als der zentralen Aufgabe der Revisionsgerichte vgl. Frisch 2018, Vor § 333 Rn. 14 ff. mit eingeh. weit. Nachw. 81 Zur Generalisierbarkeit einer Regel als Kriterium des Rechts schon Kant 1797, § C; siehe auch Henkel 1964, 354 ff.; Radbruch 1963, 127, 128, 206.

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Entscheidungen sehr deutliche strafzumessungsrechtliche Leitlinien für das Strafmaß in Fällen der Steuerhinterziehung ausgegeben.82 In diesen Leitlinien ist nicht nur gesagt, welche Fälle sich für die Verhängung nur einer Geldstrafe eignen und welche dafür nicht in Betracht kommen.83 Der BGH macht auch deutlich, wann z. B. Freiheitsstrafen bis zu zwei Jahren in Betracht kommen und von welcher Größenordnung des hinterzogenen Betrages und der Dauer der Hinterziehung an höhere Strafen zum Ausgleich der Schuld und zur Verteidigung der Rechtsordnung notwendig sind.84 Desgleichen entwickelt der BGH weit über das Gesetz hinausgehende Vorgaben dazu, wann Strafaussetzung zur Bewährung in Betracht kommt und wann nicht.85 Mit all dem leistet der BGH einen wichtigen Beitrag zur Gewährleistung größerer Einheitlichkeit der Strafzumessung. Es wäre wünschenswert, dass diese Bemühungen um eine Vereinheitlichung der Strafzumessung nicht auf den Bereich der Steuerstraftaten beschränkt bleiben.86 Mit diesen sicher diskussionsbedürftigen Überlegungen87 muss es hier sein Bewenden haben. Ich widme die vorstehenden Ausführungen Hans-Jörg Albrecht, meinem hochgeschätzten Freiburger Kollegen, der zur empirischen Erforschung der Strafzumessung Grundlegendes beigetragen hat, mit herzlichem Dank für viele Gespräche und den besten Wünschen zu seinem 70. Geburtstag. Literaturverzeichnis Albrecht, H.-J. (1980a): Strafzumessung und Vollstreckung bei Geldstrafen. Berlin. Albrecht, H.-J. (1980b): Die Geldstrafe als Mittel moderner Kriminalpolitik, in: H.-H. Jescheck & G. Kaiser (Hrsg.), Die Vergleichung als Methode der Strafrechtswissenschaft und der Kriminologie. Berlin, S. 235 – 255. Albrecht, H.-J. (1994): Strafzumessung bei schwerer Kriminalität. Berlin. Altenhain, W., Dietmeyer, F. & May, M. (2013): Die Praxis der Absprache im Strafprozess. Baden-Baden. Aristoteles (1995): Nikomachische Ethik (Ausgabe der WBG). Hamburg. 82 Vgl. insbes. BGHSt 53, 71, 84 f.; BGHSt 57, 123, 130 f.; BGH NJW 2012, 1015, 1016; BGH StV 2012, 219; dazu Giannoulis 2014, 302 ff. und eingeh. nunmehr die von mir und dem Jubilar betreute Freiburger Dissertation von Rastätter 2017, 158 ff., 160 ff. 83 Vgl. BGHSt 53, 71, 86 f. 84 Vgl. BGHSt 53, 71, 86; BGHSt 57, 123, 131 ff. 85 Vgl. BGHSt 53, 71, 86; BGHSt 57, 123, 131 f. 86 Im Sinne einer zu wünschenden Erhöhung der Kontrolldichte und der Leitfunktion der Revisionsgerichte auch die BGH-Richter Mosbacher DJT 2019, II 1, M 27, 37 und Raum DJT 2019, II 2, M 147 ff. 87 Siehe allein die kontroversen Diskussionsbeiträge auf dem 72. DJT zur Frage der Angemessenheit von Sentencing Guidelines, zu einer stärkeren Führung durch die Revisionsgerichte und zur Vermittlung von Orientierungswerten durch Datenbanken, in: DJT 2019, II 2, M 77 – 187.

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Auf dem Weg zu einer einheitlicheren Strafzumessung

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Einheitlichere und transparentere Strafzumessung durch Strafzumessungsrichtlinien? Die englischen Sentencing Guidelines als lohnenswertes Untersuchungsobjekt Von Kai Ambos*

1. Einleitung Hans-Jörg Albrecht hat der Strafzumessung einen großen Teil seiner wissenschaftlichen Tätigkeit gewidmet, insbesondere im Rahmen seiner Dissertationsund Habilitationsschrift.1 Seine empirischen Erkenntnisse zur Strafzumessung ermöglichen aufgrund ihrer besonderen Detailliertheit und Ausführlichkeit neue Einblicke in die Strafzumessungspraxis. Jüngst bescheinigte Albrecht dem System der deutschen Strafenpraxis eine „bemerkenswerte Stabilität“, welche sich etwa durch ein konstantes Strafniveau im unteren Bereich der Strafrahmen auszeichne und insbesondere durch gerichtsintern produzierte Lernmuster aufrechterhalten werde.2 Allerdings bietet das deutsche Strafzumessungsrecht durchaus Anlass zu Kritik und dies nicht erst seit den Erkenntnissen empirischer Strafzumessungsforschung.3 Schon Franz von Liszt hat die Strafzumessung vor nunmehr über 100 Jahren mit dem ominösen „Griff ins Dunkle“ verglichen4 und seitdem ließen sich immer wieder kritische Stimmen vernehmen, die das Dunkel – zunehmend auch unter Rückgriff auf * Ich danke meinem Mitarbeiter und Doktoranden Eric Armbrecht für die Erstellung eines ersten Entwurfs und sonstige wertvolle Unterstützung. Ich danke Prof. Julian Roberts, Universität Oxford, UK (Mitglied des Sentencing Council 2009 – 2018), Prof. Jenia Turner, SMU Dedman School of Law, Dallas sowie Prof. Stephen Thaman für wertvolle Hinweise. 1 Albrecht 1980; 1994. 2 Albrecht 2017, 189, 197 ff. 3 Die Anfänge empirischer Strafzumessungsforschung reichen allerdings schon bis ins späte 19 Jh. zurück. So stellte etwa das Reichs-Justizamt im Rahmen einer Auswertung der Reichskriminalstatistik für das Jahr 1882 fest, dass „bezüglich der Anwendung der einzelnen Strafarten und Strafstufen in den einzelnen Oberlandesgerichtsbezirken Verschiedenheiten obwalten, […] welche […] auf eine verschiedene Handhabung des Gesetzes bei Ausmessung der Strafe seitens der Gerichte zurückgeführt werden müssen“ (Statistik des deutschen Reiches, Bd. 8 Teil 2, Kriminalstatistik für das Jahr 1882, 54). Die Untersuchung Woerners (1907) und die – als „Meilenstein“ (Meier 2019, 259) bzw. „Höhepunkt“ (Heinz 1992, 122) bezeichnete – Studie Exners (1931, 46 ff.) belegen schon zu Beginn des 20 Jh. regionale Unterschiede in der Strafzumessungspraxis. 4 v. Liszt 1905, 393.

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empirische Untersuchungen – etwas mehr zu erhellen suchten.5 Die Welle der Kritik ebbte gegen Ende des 20. Jahrhunderts etwas ab,6 hat aber jüngst durch die Beratungen der strafrechtlichen Abteilung des 72. Deutschen Juristentags (September 2018)7 neuen Auftrieb erhalten. Im Mittelpunkt steht nun (wieder) die Frage, wie sich mehr Konstanz und Einheitlichkeit in der Strafzumessung erreichen lässt. Die Reformbedürftigkeit der gegenwärtigen Praxis wird im Wesentlichen mit drei Kritikpunkten begründet: der zu großen Weite der Strafrahmen, Auslegungsproblemen des § 46 StGB und (zu) großen regionalen Unterschieden in der Strafzumessungspraxis. Nach einer zusammenfassenden Darstellung dieser Kritikpunkte (unten 2.), wende ich mich dem Modell der Strafzumessungsrichtlinien als einer Alternative zu (3.). Ich werde zeigen, dass insbesondere die englischen Strafzumessungsrichtlinien (Sentencing Guidelines) ein transparent(er)es und systematisch(er)es Strafzumessungssystem anbieten (3.3), mit dem zugleich eine besser nachvollziehbare und einheitlichere Strafzumessungspraxis erreicht werden kann (beispielhaft zur vollendeten Körperverletzung 3.4). Dabei handelt es sich allerdings – aus Zeitund Platzgründen – um vorläufige Überlegungen, die aber immerhin doch deutlich machen sollten, dass der grenzüberschreitende Blick – weg vom US-amerikanischen Modell hin zum englischen Ansatz – lohnt.

2. Hauptkritikpunkte der gegenwärtigen Praxis 2.1 Weite der Strafrahmen Die erhebliche Weite der tatbestandlichen Strafrahmen, mitunter bis zu vierzehn Jahre,8 führt zu Problemen unterschiedlichster Art. So ergibt sich aus empirischen Untersuchungen,9 dass die Gerichte die existierenden Strafrahmen in aller Regel nicht voll ausschöpfen, sondern eine signifikante Verlagerung des Strafniveaus in den unteren Bereich der einschlägigen Strafrahmen stattfindet.10 Dann erscheint 5 Grassberger 1932, 80 f.; Dubs 1963, 20 ff.; Haag 1970, 77, 79; Stratenwerth 1972, 26 ff.; Hassemer 1978, 95 ff. 6 Radtke 2019, M9; Albrecht 2017, 185; Kaspar 2018, C14. 7 „Sentencing Guidelines vs. freies tatrichterliches Ermessen – Brauchen wir ein neues Strafzumessungsrecht?“, vgl. Fünfsinn, Kilian & Mosbacher 2019. Begleitend vgl. Kudlich & Koch 2018, 2762; Verrel 2018, 811; Grosse-Wilde 2019, 130; Hoven, 2018, 276; Hörnle 2019a, 282. Aus diesem Anlass hat das Göttinger Institut für Kriminalwissenschaften auch ein Strafzumessungskolloquium mit besonderem Fokus auf die angloamerikanische Praxis veranstaltet, s. Ambos 2020 sowie Freixo, in ebd., 321 ff. 8 Siehe beispielhaft §§ 249 Abs. 1, 177 Abs. 4 und 5, 306a Abs. 1 und 2 StGB sowie § 29a Abs. 1 BtMG mit Strafrahmen von nicht unter einem Jahr bis 15 Jahre (§ 38 Abs. 2 StGB). 9 Verrel 2013, 804; Götting 1997, 210, 231 f.; Albrecht 2017, 192. 10 So lagen nach Verrel (2013, 804) 99,9 % der im Jahr 2011 wegen Diebstahls ausgesprochenen Geldstrafen in der unteren Hälfte des gem. § 40 Abs. 1 S. 1 StGB von 5 bis 360 Tagessätze reichenden Strafrahmens und die wegen derselben Tat ausgeurteilten Freiheits-

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aber eine gesetzgeberische Anpassung („nach unten“) vonnöten,11 zumindest bei solchen Tatbeständen, die in der Praxis größtenteils nur noch unter Zuhilfenahme des Rechtsinstituts der „minder schweren Fälle“ geahndet werden.12 Ferner trägt die erhebliche Weite der Strafrahmen dazu bei, dass zu wenig Einheitlichkeit und Konstanz in der Strafzumessungspraxis herrscht. Das ist nicht verwunderlich, denn je weiter die Strafrahmen sind, desto größer sind auch die tatrichterlichen Strafzumessungsspielräume und die Gerichte machen davon regen Gebrauch.13 Damit geht zugleich eine mangelnde Voraussehbarkeit der konkreten Strafzumessung in casu für Betroffene einher.14 Die (zu) weiten Strafrahmen erschweren aber auch die Arbeit der Praxis,15 denn es stellt gerade für junge Richter*innen eine große Herausforderung dar, die tat- und schuldangemessene Strafe in einem konkreten Fall zu bestimmen.16 Erschwerend kommt die große Zahl von Sonderstrafrahmen hinzu, welche zum Teil „in kaum mehr verständlicher Weise“17 Überschneidungen mit den Normalstrafrahmen aufweisen.18 Zu denken ist etwa an Fälle, in denen nebeneinander sowohl der Strafrahmen eines minder schweren Falles als auch ein (wegen Vorliegen eines vertypten Milderungsgrunds) gem. § 49 Abs. 1 StGB gemilderter Strafrahmen zur Anwendung kommen kann.19 Ein weiteres Beispiel betrifft die von der höchstrichterlichen Rechtsprechung uneinheitlich beurteilte Frage des Strafrahmens im Falle einer durch § 29a Abs. 1 BtMG bewirkten Sperrwirkung des minder schweren Falles des § 30a Abs. 3 BtMG.20 Dadurch werden die Richter dazu verleitet, sich an bekannten Entscheidunstrafen zu 99,7 % in der unteren Hälfte des gem. § 242 Abs. 1 StGB mit Mindeststrafe von einem Monat und Höchststrafe von 5 Jahren bedrohten Strafrahmens. S. a. Kaspar 2018, C16 m.w.N. 11 Albrecht 1994, 500. 12 Eine häufige Anwendung der minder schweren Fälle lässt sich etwa für die Raubdelikte annehmen (dazu Albrecht 2017, 193, wonach im Jahr 2014 1/3 der gem. § 249 Abs. 1 StGB Verurteilten und ca. die Hälfte der gem. § 250 Abs. 1, 2 StGB Verurteilten unter Rückgriff auf § 249 Abs. 2 StGB bzw. § 250 Abs. 3 StGB bestraft wurden). Laut Albrecht 1994, 326; 2017, 193; Kudlich & Koch 2018, 2765 sowie Streng 2017, Rn. 200 findet ein häufiger Rückgriff auf minder schwere Fälle überdies im Rahmen von Tötungs- und Vergewaltigungsdelikten sowie bei § 30a BtMG und § 316a StGB statt. 13 Streng 2012, Rn. 507 m.w.N. 14 Hörnle 2019a, 283. 15 Vgl. Kaspar 2018, C107. 16 Hörnle 2019a, 282; Verrel 2013, 799. 17 Schäfer, Sander & van Gemmeren 2017, Rn. 1167. 18 Fischer 2020, § 46 StGB Rn. 17c. 19 BGH, Beschluss v. 04. 06. 2015, Az. 5 StR 201/15; Schäfer, Sander & van Gemmeren 2017, 933. 20 Während der 3. Strafsenat des BGH bei Vorliegen eines minder schweren Falls gem. § 30a Abs. 3 BtMG, neben dem nicht auch § 29a Abs. 2 BtMG verwirklicht ist, den Strafrahmen von § 29a Abs. 1 BtMG (1 bis 15 Jahre Freiheitsstrafe) für anwendbar erklärt, gehen die anderen Strafsenate von einem kombinierten Rahmen (1 bis 10 Jahre Freiheitsstrafe) aus,

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gen in ähnlich gelagerten Fällen zu orientieren,21 was wiederum zu starken Simplifizierungen von nur vordergründig gleich erscheinenden Fällen führen kann.22 Die mit all dem einhergehenden Unsicherheiten erklären auch die Existenz informeller (staatsanwaltschaftlicher oder gerichtlicher) Tabellen oder Richtlinien, die für eine Vereinheitlichung und Vereinfachung zumindest in einem Gerichtsbezirk oder Bundesland sorgen sollen.23 2.2 Auslegungsprobleme des § 46 StGB § 46 StGB wirft zahlreiche Auslegungsprobleme auf. Aus der Inbezugnahme der Schuld als „Grundlage der Strafzumessung“ in Abs. 1 S. 1 ergibt sich die Frage des insoweit vertretenen Schuldbegriffs.24 Zwar herrscht mittlerweile Klarheit darüber, dass § 46 Abs. 1 S. 1 StGB die Strafzumessungsschuld meint und diese von der Strafbegründungsschuld i.S.v. §§ 20 ff. StGB zu unterscheiden ist.25 Gegenstand der die Strafbarkeit begründenden Schuld ist die Vorwerfbarkeit des durch die Tatbestandsverwirklichung begangenen Unrechts, weil sich der Täter – trotz Vermeidemöglichkeit – gegen das (Straf-)Recht entschieden hat.26 Über den genauen Inhalt der Strafzumessungsschuld besteht allerdings nach wie vor keine Einigkeit.27 Aus § 46 Abs. 1 S. 2 StGB ergibt sich außerdem, dass die Strafe eben nicht nur zum Schuldausgleich dient, sondern auch spezialpräventive Zwecke („Wirkungen … für das künftige Leben des Täters …“) mit ihr verfolgt werden;28 doch welche vgl. BGH, Beschluss v. 03. 02. 2015, Az. 3 StR 632/14, Rn. 6; Urteil v. 07. 09. 2017, Az. 3 StR 278/17; demgegenüber BGH, Beschluss v. 25. 05. 2010, Az. 1 StR 59/10, Rn. 17; Beschluss v. 14. 08. 2013, Az. 2 StR 144/13; Urteil v. 19. 12. 2013, Az. 4 StR 303/13, Rn. 5; s. a. Körner et al. 2019, § 30a Rn. 121; Schäfer, Sander & van Gemmeren 2017, Rn. 1773 mit Fn. 512. 21 Kaspar 2018, C13, C64; Hörnle 2019a, 283; Streng 2012, Rn. 496, 768; s. a. die Ergebnisse der empirischen Untersuchung von Streng (1984, 239 f.), wonach 28 % der 522 befragten Strafrichter und Staatsanwälte eine Orientierung an vergleichbaren Fällen bei der Strafbemessung für „sehr“ wichtig und 51 % für „mittel“ wichtig erachteten. 22 Eschelbach 2019, Rn. 193. 23 Vgl. Kaspar 2018, C13, C88 f.; Kudlich & Koch 2018, 2763; Eschelbach 2019, Rn. 3; Meier 2011, 37 f. 24 Eschelbach 2019, Rn. 74. 25 Aus theoretischer Sicht instruktiv zur Unterscheidung Bung 2018, 182 f. 26 Schäfer, Sander & van Gemmeren 2017, 574; Radtke 2020, Rn. 15. 27 Während teilweise angenommen wird, dass auch dem Vor- und Nachtatverhalten unmittelbare Schuldrelevanz zukommt (sog. erweiterter Tatbegriff), wirken sich solche außerhalb der Tatausführung selbst liegende Umstände nach der von der Rspr. entwickelten Lehre von der Indizkonstruktion nur mittelbar aus, indem sich daraus ggf. Rückschlüsse auf den unmittelbar bei Tatbegehung bestehenden Schuldgehalt ableiten lassen. Nach einem neueren Ansatz soll die Strafzumessungsschuld im Umfang nicht weiter reichen als die Strafbegründungsschuld und stattdessen eine diese limitierende Funktion einnehmen, sodass bei geminderter Schuld eine entsprechende, sich im konkreten Strafmaß widerspiegelnde Milderung des Tatunrechts erfolgt, vgl. zusf. m.w.N. Streng 2012, Rn. 528 ff.; 2017, Rn. 23 f. 28 Eschelbach 2019, Rn. 28; Streng 2017, Rn. 33; Kaspar 2018, C61.

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dies genau sind/sein sollen, ist unklar und strittig.29 Die dabei vertretenen Ansätze divergieren im Wesentlichen in der Frage, ob Strafe im Sinne der präventiven Vereinigungstheorie der Verfolgung spezial- und generalpräventiver Zwecke dient oder ob sie – wie von der Theorie der positiven Generalprävention vertreten – die Gültigkeit der durch die Tat angegriffenen Rechtsnorm (gleichsam kontrafaktisch) bestätigt.30 Die damit einhergehende Unklarheit wirft die weitere Frage auf, ob eine solche Delegation der Inhaltsbestimmung auf die Judikative überhaupt den Ansprüchen des Gesetzesvorbehalts und des Bestimmtheitsgebots genügt.31 Auch die in § 46 Abs. 2 StGB – nicht abschließend („namentlich“) – genannten Strafzumessungsumstände bieten Anlass zur Kritik.32 Zum einen sind sie häufig nur schwer voneinander abgrenzbar und weisen deutliche Überschneidungen auf (etwa „Beweggründe“, „Ziele“, „Gesinnung“, „kriminelle Energie“).33 Zum anderen erhöhen die sehr offenen Formulierungen (etwa „Vorleben“, „persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse des Täters“) die Gefahr, dass strafzumessungsrechtlich auch Gesichtspunkte einer „Lebensführungsschuld“34 berücksichtigt werden, die in keinerlei Zusammenhang mit der konkret verwirklichten Tat stehen, womit letztlich einem Täterstrafrecht35 der Boden bereitet wird.36 2.3 Regionale Ungleichheiten in der Strafzumessung Die genannten Probleme könnten von der Rechtsprechung aufgefangen werden, wenn es ihr gelänge, mit ihrem „geheimen Metermaß“37 eine konstante und einheitliche Bestrafung zu gewährleisten. Gerade dies ist aber nicht der Fall, wie empirische Untersuchungen zeigen.38 Insbesondere in einer aktuellen Studie von Grundies, die sich mit regionalen Unterschieden im Hinblick auf Freiheitsstrafen befasst,39 wird 29

Maier 2020, Rn. 48 ff. Maier 2020, Rn. 50; m.w.N. Hörnle 1999, 84 ff. 31 Kaspar 2018, C63; zum Bestimmtheitsgebot etwa auch Eschelbach 2019, Rn. 13. 32 Albrecht 1989, 25. 33 Kaspar 2018, C66. 34 Vgl. Mezger 1937, 688. 35 Zu Lebensführungsschuld (Mezger) und Täterstrafrecht im NS-Strafrecht s. Ambos 2019, 58, 112 ff., 119 ff. 36 Horn & Wolters 2016, Rn. 144; Hörnle 1999, 49 ff.; Timm 2012, 259; Kaspar 2018, C66. 37 Dreher 1961, 344. 38 Schiel 1969, 55 f.; Albrecht 1980, 86 ff.; 1994, 348 ff.; Schöch 1973, 111 f.; Lewrenz et al. 1968, 117 f.; Pfeiffer & Savelsberg 1989, 25 ff.; Langer 1994, 238 ff.; Hupfeld 1999, 347 ff. Albrecht hat allerdings jüngst darauf hingewiesen (2017, 185), dass es um die Ungleichmäßigkeit des Strafens ohnehin ruhiger geworden sei; stattdessen habe sich die Frage nach der Punitivität in den Vordergrund geschoben. 39 Grundies 2016, 511 (Auswertung der im Bundeszentralregister gespeicherten Daten zu sämtlichen Erledigungen nach dem StGB in den Jahren 2004 und 2007). 30

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nachgewiesen, dass die Strafen zwischen zwei zufällig ausgewählten Gerichtsbezirken im Durchschnitt um 15 % voneinander abweichen. Ferner belegt Grundies, dass zwischen den Gerichtsbezirken, namentlich denen der Oberlandesgerichte, bedeutende Ungleichheiten in der Strafzumessungspraxis bestehen.40 Diese sind nicht zufällig verteilt, sondern fügen sich zu geographischen Mustern. Eine sehr anschaulich gestaltete Karte macht deutlich, dass Differenzen insbesondere zwischen den Gerichtsbezirken der verschiedenen Bundesländer bestehen.41 So fallen die Strafen in Baden-Württemberg und den meisten norddeutschen Bundesländern eher niedrig aus, wohingegen in Bayern und einigen mitteldeutschen Ländern offensichtlich eine schärfere Sanktionspraxis vorherrscht. Empirisch weit weniger gut belegt,42 aber deswegen nicht weniger relevant sind Varianzen innerhalb von Gerichtsbezirken. So ist davon auszugehen, dass sich die regionalen Unterschiede auch auf lokaler Ebene auf einzelne Gerichte projizieren lassen.43 Solche intragerichtlichen – auf eine unterschiedliche Spruchkörperpraxis zurückgehenden – Differenzen sind statistisch nur schwer nachweisbar, da das verfügbare Zahlen- und Datenmaterial ausschließlich aggregierte Werte für gesamte Bezirke44 oder Bundesländer45 ausweist.46 Somit würde die lokal uneinheitliche Strafzumessungspraxis im Rahmen einer statistischen Erhebung auf einen Mittelwert reduziert, welcher im Vergleich mit anderen Gerichtsbezirken keine größere Auffälligkeit aufweisen dürfte.47

3. (Englische) Strafzumessungsrichtlinien (Sentencing Guidelines) als Alternative? 3.1 Vorbemerkung Wenn hierzulande von „Sentencing Guidelines“ gesprochen wird, so wird in der Regel auf die U.S. Federal Sentencing Guidelines Bezug genommen,48 so etwa auch

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Grundies 2016, 517 ff. Grundies 2016, 519. 42 Eine Ausnahme stellt die Untersuchung Albrechts dar (1994, 354 ff.), der zu dem Ergebnis kommt, dass durchaus „unsystematische und damit ungewollte Abweichungen“ in der innergerichtlichen Strafzumessungspraxis bestehen. 43 Vgl. Streng 2012, Rn. 486 ff. 44 So etwa in der o.g. Studie von Grundies. 45 So die Strafverfolgungsstatistik 2017, Fachserie 10, Reihe 3, Rechtspflege, 194 f. 46 Verrel 2018, 811. 47 Hörnle 2019a, 283. 48 Grosse-Wilde 2019, 131; exemplarisch Streng 2017, Rn. 199; Maurer 2005, 71 ff.; Reichert 1999, 137 ff.; Uphoff 1998, 80 ff.; Radke 2018, 252. Auch auf andere GuidelinesSysteme Bezug nehmend Jescheck & Weigend 1996, 883 f.; Giannoulis 2014, 257 f. 41

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im DJT-Gutachten Kaspars.49 Diese sind jedoch schon deshalb auf die deutschen Verhältnisse nicht übertragbar, weil sie in der Regel viel höhere Strafen als vergleichbare deutsche Vorschriften vorsehen, also punitiver sind.50 So ist es auch wenig verwunderlich, dass Kaspar zu dem Schluss kommt, dass die Federal Guidelines kein taugliches Instrument zur Verbesserung der deutschen Strafzumessungspraxis sind.51 Damit ist das Thema „Strafzumessungsrichtlinien“ aber keineswegs erledigt und zwar nicht einmal mit Blick auf die USA. Insoweit ist nämlich zunächst darauf hinzuweisen, dass der Großteil der dort verfolgten Straftaten gar nicht in die Zuständigkeit der Bundesjustiz,52 sondern die der Kriminaljustiz der 51 Bundesstaaten sowie zahlreicher lokaler Jurisdiktionen fällt.53 Deren Strafzumessungsrecht und -praxis unterscheiden sich aber teilweise grundlegend und nur weniger als die Hälfte der Bundesstaaten verfügt überhaupt über Strafzumessungsrichtlinien;54 diese sind wiederum sehr unterschiedlich,55 wobei etliche weniger punitiv als die Federal Sentencing Guidelines sind.56 Insgesamt lässt sich deshalb überhaupt nicht von einem einheitlichen US-amerikanischen Strafzumessungsrecht,57 sondern eher von einem „crazy quilt“58 bzw. „hodge-podge of policies“59 sprechen. Im Übrigen finden sich 49

Kaspar 2018, C76 ff. Vgl. näher und diff. Hörnle 2019a, 287; 2019, 905 (zu den Gründen unterschiedlicher Punitivität Hörnle 2019, 906 ff.). 51 Kaspar 2018, C82 ff., C116 betont die unterschiedliche historische Ausgangslage zwischen Deutschland und den USA und äußert strukturelle Bedenken an den U.S.-Guidelines, welche insbesondere die starke Simplifizierung des Zumessungsvorgangs und die detaillierte Ausdifferenzierung der Strafen im Hinblick auf die Einzelfallgerechtigkeit betreffen; kritisch ebenfalls Frisch 2003, 166 ff.; Maurer 2005, 79 f. 52 Die strafgerichtliche Zuständigkeit des Kongresses ergibt sich aus Art. 1, sect. 8 der USVerfassung, die in die Bundeskompetenz fallenden (mehrere tausend) Delikte finden sich in zahlreichen Bundesgesetzen, etwa in 18 U.S.C.A. § 7. Die Bundesjustiz verfolgt insbesondere Betäubungsmitteldelikte, Delikte organisierter Kriminalität, große Wirtschaftsstrafsachen, Waffenbesitzdelike s. Abrams, Beale & Klein 2015, 13 ff. 53 Bundesstrafsachen („federal cases“) machen nur einen geringen Teil (2 – 5 %) der Kriminaljustizfälle in den USA aus, vgl. etwa Beale 1995, 993 („… states are still handling more than ninety-five percent of all violent crime prosecutions.“); Klein & Grobey 2012, 7 (5 % aller „felonys“ [Verbrechen] betreffen Bundeszuständigkeit); s. a. Grosse-Wilde 2019, 132; Hörnle 2019a, 287. 54 Frase 2019, 79 (wonach 22 Bundesstaaten seit 1980 Guidelines angenommen haben und derzeit noch 19 über solche verfügen); für einen Überblick s. die (immer aktualisierte) Website des Robina Institute der Universität Minnesota, abrufbar unter: https://sentencing.umn. edu/ [20. 10. 2020]. 55 Frase 2019, 79, 82 ff., 127 („no single, or even clear, ,consensus model‘ of sentencing guidelines …“ [79]); Hester 2020, 104 ff. 56 Speziell mit dem Verweis auf die Sentencing Guidelines Minnesotas Grosse-Wilde 2019, 132. 57 Vgl. etwa Reitz 2001, 223: „[T]here really is no such thing as ,U.S. sentencing practice‘“. 58 Tonry 2013, 141. 59 Hester 2020, 158. 50

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Strafzumessungsrichtlinien in einer Vielzahl anderer Jurisdiktionen, – etwa in England und Wales, Schottland, Neuseeland, Südafrika und Israel – und diese unterscheiden sich wiederum von den US-amerikanischen aber auch untereinander mitunter erheblich.60 Besonders lohnenswert erscheint insofern eine nähere Betrachtung der Strafzumessungsrichtlinien von England und Wales („englische Guidelines“),61 denn diese werden von einem vor allem aus Richtern bestehenden Expertengremium entwickelt und ständig angepasst (näher unten 3.2). Sie sind insgesamt auf große Akzeptanz (vor allem in der Richterschaft) gestoßen und dienen zahlreichen anderen Staaten als Vorbild.62 Vergleicht man die englischen mit den U.S. Federal Guidelines, so fallen die strukturellen Unterschiede beider Modelle sofort ins Auge: Die englischen Guidelines folgen zwar einem einheitlichen Aufbau, sind dabei aber deliktsspezifisch (gleichsam induktiv von unten nach oben) ausgestaltet – jedem Straftatbestand ist eine entsprechende Sentencing Guideline zugeordnet. Demgegenüber steht bei den Federal Guidelines eine zentral für alle Delikte geltende Strafzumessungstabelle („sentencing table“) im Mittelpunkt (deduktiver Ansatz von oben nach unten). Dieser Tabelle lassen sich anhand zweier Faktoren (Tatschwere und Vorstrafenbelastung) konkrete Strafmaße entnehmen, welche den Gerichten für die konkrete Strafzumessung oftmals nur einen Rahmen von sechs Monaten belassen. Während die englischen Guidelines die richterliche Autonomie bei der konkreten Strafbemessung im Grundsatz anerkennen und eher als Anleitung zur Strukturierung des Strafzumessungsakts denn als (abstrakte) Determination eines konkreten Strafmaßes operieren, versuchen die (allerdings nicht – mehr – bindenden)63 Federal Guidelines, mittels einer starken Reduktion der Komplexität der Fälle64 möglichst konkrete Strafen festzulegen. Damit geht jedoch die Gefahr einher, dass die konkreten Umstände unterschiedlicher Strafzumessungssachverhalte nivelliert werden und das eigentliche Ziel der Schaffung von mehr Einzelfallgerechtigkeit verfehlt wird.65 Dies wiederum gerät mit dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz in Konflikt, denn dieser will gerade die Einzelfallgerechtigkeit absichern.66 Überdies kann eine Verletzung des 60 Grosse-Wilde 2019, 133 f. Zur kanadischen Strafzumessung unter besonderer Berücksichtigung des dortigen Verhältnismäßigkeitsprinzips s. Berger 2020, 191 ff. 61 Zur Strafzumessung in England und Wales s. Roberts & Padfield 2020, 33 ff. 62 Siehe etwa zur Implementierung sog. Starting Point Sentences in Neuseeland Roberts (2013, 7). Als weitere Länder, die sich stark an den englischen Guidelines orientieren, sind Bahrain, Schottland und Südkorea zu nennen (diese Information verdanke ich Julian Roberts). 63 Der U.S. Supreme Court hat in U.S. v. Booker/Fanfan (543 U.S. 220 (2005)) eine Bindungswirkung für verfassungswidrig erklärt, weil sie mit dem 6. Amendment und dem daraus folgenden Gebot der richterlichen Unabhängigkeit unvereinbar sei, s. Scott 2011, 197 f. Zur Bindungswirkung näher Frase 2019, 99 ff. („… binding force … as a continuum, not a simple mandatory-advisory dichotomy“ [99]). 64 Kaspar 2018, C83. 65 Streng 1984, 315. 66 Kaspar 2014, 833; 2018, C83.

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Gleichheitssatzes darin gesehen werden, dass nur vordergründig gleich gelagerte Fälle gleich behandelt werden.67 3.2 Entstehungsgeschichte der englischen Guidelines Sentencing Guidelines existieren in England und Wales seit ca. 1980. Die ersten Guidelines wurden vom Court of Appeal als sog. „guideline judgements“ aufgestellt.68 Dieser Zustand änderte sich insbesondere auf Drängen der Labour Party mit der Schaffung des Sentencing Advisory Panel im Jahr 1998.69 Dieses Gremium sollte den Court of Appeal bei der Ausübung seiner bisher sehr fragmentarisch auf einzelne Rechtsbereiche beschränkten rechtsfortbildenden Tätigkeit beraten und damit auch seine entsprechende Befugnis zum Erlass von Guidelines beschränken.70 Im Jahre 2003 wurde die Ermächtigung zum Erlass neuer Guidelines vom Court of Appeal auf den neu geschaffenen Sentencing Guidelines Council übertragen. Mit der Etablierung des Kommissionsmodells71 sollte die Aufstellung der Richtlinien von der Rechtsprechung des Court of Appeal gelöst werden, um nicht länger von dessen spruchrichterlicher Befassung abhängig zu sein.72 Mit dem Coroners and Justice Act 2009 kam es alsdann zu weitreichenden Änderungen, u. a. auch im Strafzumessungsrecht. Anlass zu dieser grundlegenden Reform gab insbesondere die ab ca. 1995 – auch im internationalen Vergleich – rasant ansteigende Gefangenenpopulation in England und Wales.73 Durch eine verstärkte Bindungswirkung74 der Guidelines und die Etablierung des (permanenten, unabhängigen und richterdominierten75) Sentencing Council76 (in Nachfolge des o.g. Sentencing Guidelines Council und des Sentencing Advisory Panel) sollte landesweit wieder mehr Konstanz, Einheitlichkeit und Transparenz in der Strafzumessung und 67

Kaspar 2018, C83. Ashworth 2015, 23, 38; Wasik 2014, Rn. 2.06. 69 Ashworth & Roberts 2013, 4. 70 So wurde die Berechtigung des Court of Appeal, Guideline Judgements zu erlassen, auf solche Fälle begrenzt, in denen vorher eine Beratung durch das Sentencing Advisory Panel stattgefunden hat, s. Ashworth 2015, 23; Wasik 2014, Rn. 2.06; Roberts 2013, 2. 71 Zum Kommissionsmodell vs. den legislativen Ansatz aus rechtsvergleichender Sicht s. Hörnle 2019, 897 f. 72 Ashworth & Roberts 2013, 4 f.; Wasik 2014, Rn. 2.06. 73 Vgl. Roberts 2019, 193; Roberts & Ashworth 2016, 333, 349 f.; s.a. den der Reform vorausgegangenen, von der Regierung in Auftrag gegebenen Bericht Carters 2007, 4 f. 74 Vgl. Coroners and Justice Act 2009, sect. 125(1) (a), wonach das Gericht „must … follow any sentencing guidelines which are relevant to the offender’s case …“. Nach der früheren Rechtslage musste das Gericht die relevante Guideline berücksichtigen („have regard“) (Criminal Justice Act 2003, sect. 172(1)). 75 Zu Zusammensetzung etc. s. https://www.sentencingcouncil.org.uk/about-us/councilmembers/ [20. 10. 2020]. 76 Coroners and Justice Act 2009, sect. 118. 68

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damit auch eine Entlastung der Strafvollzugsanstalten erreicht werden. Dabei sollte jedoch weder der richterliche Entscheidungsspielraum über Gebühr beschnitten noch einer „Mathematisierung“ der Strafzumessung Vorschub geleistet werden.77 Dem Sentencing Council wurde neben der Erarbeitung der eigentlichen Guidelines eine Fülle neuer Aufgaben übertragen, etwa die Prognostizierung der Auswirkungen neuer und die Evaluierung bereits existierender Guidelines sowie die Erstellung eines Jahresberichts mit relevanten statistischen Informationen.78 3.3 Struktur und grundsätzliche Funktionsweise der englischen Guidelines Der erwähnte Coroners and Justice Act 2009 sieht vor, dass jedem – gesetzlich kodifizierten oder dem (gewohnheitsrechtlichen) common law entstammenden – Delikt eine darauf zugeschnittene Strafzumessungsrichtlinie zugeordnet wird; daneben kann es auch allgemeine Guidelines geben.79 Die Guidelines sind auf der Internetseite des Sentencing Council abrufbar,80 wobei wegen der unterschiedlichen sachlichen Zuständigkeit zwischen Guidelines für den Magistrates’ und Crown Court unterschieden wird.81 Sie gelten solange bis eine neue Guideline zu dem gleichen Delikt erlassen wird, welche dann die alte Guideline ersetzt.82 Die Neuformulierung durch den Coroners and Justice Act 2009 verstärkte, wie schon erwähnt,83 die Bindungswirkung der Guidelines.84 Ein Gericht kann jedoch von der Anwendung der einschlägigen Guideline abweichen, sofern es dies aus „Interessen der Gerechtigkeit“ für geboten hält;85 dies kommt aber in der Praxis nur selten vor,86 nicht zuletzt weil es sich 77

Roberts 2013, 3. Vgl. Coroners and Justice Act 2009, sect. 119, 120(9), 123, 127 – 132 sowie https://www. sentencingcouncil.org.uk/about-us/ [20. 10. 2020]; s. a. Roberts 2013, 3 f. 79 Coroners and Justice Act 2009, sect. 120; zu den allgemeinen (deliktsübergreifenden) Guidelines s.a. Roberts/Padfield 2020, 45 ff. 80 https://www.sentencingcouncil.org.uk/ [20. 10. 2020]. 81 Magistrates’ Courts sind für leichtere Delikte („summary only offences“) ausschließlich zuständig, Crown Courts für die schwereren „indictable offences“. Eine konkurrierende Zuständigkeit besteht bezüglich Delikten, die „triable either way“ sind, wobei insoweit die schwereren in die Zuständigkeit des Crown Court fallen, s. Magistrates’ Courts Act 1980 und Courts Act 1971 (für Crown Court). Es ist allerdings zu beachten, dass alle Delikte im Magistrates’ Court beginnen und nur einige wenige nach den Eingangsplädoyers zum Crown Court gelangen; mehr als 90 % der Fälle beginnen und enden im Magistrates’ Court, vgl. https://www.judiciary.uk/you-and-the-judiciary/going-to-court/magistrates-court/ [20. 10. 2020] sowie Leake et al. 2019, 341 ff. 82 Roberts 2013, 4 f.; Ashworth & Roberts 2013, 5 f. 83 Oben Fn. 74. 84 Roberts & Ashworth 2016, 307 („statutorily binding“). 85 Coroners and Justice Act 2009, sect. 125(1) a.E.: „unless the court is satisfied that it would be contrary to the interests of justice to do so“. S. auch Roberts & Ashworth 2016, 337. 86 Vgl. den Crown Court Sentencing Survey, abrufbar unter: https://www.sentencingcoun cil.org.uk/wp-content/uploads/CCSS-Annual-2014.pdf [20. 10. 2020]. Danach liegen nur 3 % der im Jahr 2014 wegen Körperverletzungsdelikten und Einbruchsdiebstählen ausgesproche78

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bei „Interessen der Gerechtigkeit“ um ein unbestimmtes, normatives Kriterium handelt.87 Was die konkrete Anwendung der Guidelines angeht, so sind neun Schritte vorgesehen, die charakteristisch für die Struktur jeder (deliktsspezifischen) Guideline sind88 und von dem aburteilenden Gericht in der festgelegten Reihenfolge abzuarbeiten sind: (1) Der erste Schritt betrifft die (dreistufige) Kategorisierung der jeweils angeklagten Tat nach Schweregraden („offence categories“) anhand von tatspezifischen, in der jeweiligen Richtlinie genannten Faktoren. Während es sich bei der ersten Kategorie um Taten handelt, durch die (erfolgsunrechtlich) ein großer Schaden (harm) verursacht wurde und deren Begehung (handlungsunrechtlich)89 ein hohes Maß an Schuld (culpability) auf Täterseite impliziert, sind für Taten der zweiten Kategorie ein hoher Schaden oder Schuldgehalt erforderlich;90 Taten der dritten Kategorie zeichnen sich durch einen niedrigen Schaden und geringe Schuld aus. Jeder Kategorie wird von der entsprechenden Richtlinie eine bestimmte Ausgangsstrafe und ein Strafrahmen zugeordnet (mit abnehmender Tendenz von der ersten zur dritten Deliktskategorie).91 (2) Im zweiten Schritt hat das Gericht ausgehend von der für die entsprechende Deliktskategorie vorgegebenen Ausgangsstrafe („starting point“) strafschärfende sowie -mildernde Umstände zu berücksichtigen. Dafür hat es sich ebenfalls an tat- oder täterspezifischen, von der jeweiligen Guideline bereitgestellten Faktoren zu orientieren. Diese haben jedoch keinen abschließenden Charakter und das Gericht kann bei besonderen Umständen vom vorgeschriebenen Strafrahmen („category range“) abweichen und einen anderen Strafrahmen anwenden.92 Diese ersten beiden – besonders wichtigen – Schritte werden unten (3.4) anhand einer vollendeten Körperverletzung exemplifiziert.

nen Strafen außerhalb der von den Guidelines vorgegebenen Strafrahmen (39, 41). Bei der Bestrafung von Betäubungsmitteldelikten wurde im gleichen Zeitraum in nur 2 % aller Fälle von den Vorgaben der Guidelines abgewichen (42). Vgl. auch Ashworth 2015, 31; Roberts 2019, 221. 87 Vgl. Ashworth 2015, 31; Roberts 2012, 439 ff. – Zur Bedeutung des identischen Kriteriums im Völkerstrafprozessrecht (Art. 53 (1) (c) Statut des Internationalen Strafgerichthofs) vgl. Ambos 2016, 387 ff. 88 Ich folge hier der – gleichermaßen für Magistrates’ und Crown Court geltenden – Guideline zu „Assault occasioning actual bodily harm / Racially or religiously aggravated ABH“; https://www.sentencingcouncil.org.uk/offences/magistrates-court/item/assault-occasion ing-actual-bodily-harm-racially-religiously-aggravated-abh/ [20. 10. 2020]. 89 Zur erfolgs-/handlungsunrechtlichen Parallele s. Hörnle 2019a, 289. 90 „Greater harm … and lower culpability; or lesser harm and higher culpability“, s. Assault Guideline, o. Fn. 88, Herv. im Original. 91 Roberts 2013, 6; Ashworth 2015, 24 f. 92 Ashworth 2015, 25 f.; Roberts 2013, 6 ff.

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(3) Schritt drei bezieht sich auf etwaiges kooperatives Nachtatverhalten, das (ähnlich wie bei § 46b StGB)93 strafmildernd berücksichtigt wird.94 (4) Die strafzumessungsrechtlichen Auswirkungen eines Geständnisses werden im vierten Schritt behandelt. Dabei gilt das Prinzip, dass sich ein Geständnis umso stärker strafmildernd auswirkt, je früher es erfolgt. Insoweit regelt eine spezifische Guideline,95 dass die Strafe bei einem Geständnis zum frühestmöglichen Zeitpunkt (i. d. R. die erste Vernehmung) um 1/3 zu reduzieren ist, während die Ermäßigung bei einem Geständnis zum letztmöglichen (von der Guideline erfassten) Zeitpunkt (erster Prozesstag) 1/10 beträgt. Bei späteren Geständnissen hat das Gericht den Strafrabatt weiter entsprechend zu verringern.96 (5) Der fünfte Schritt betrifft die Frage, ob von einem Angeklagten eine besondere Gefährlichkeit ausgeht,97 die eine Freiheitsentziehung – der deutschen Sicherungsverwahrung vergleichbar98 – aus Gründen des Schutzes der Öffentlichkeit („imprisonment for public protection“) notwendig macht.99 (6) Der sechste Schritt ruft das „totality principle“ in Erinnerung, wonach bei mehreren Taten oder laufender Strafvollstreckung wegen einer früheren Tat bei Bildung der Gesamtstrafe („total sentence“) in besonderem Maße darauf zu achten ist, dass diese gerecht („just“) und verhältnismäßig („proportionate“) ist.100 (7) In Schritt sieben hat das Gericht ggf. eine Entschädigung des Opfers oder sonstige Maßnahmen anzuordnen.101 (8) Im achten Schritt soll das Gericht die konkrete Strafe begründen und ihre Wirkungen erklären, was auch organisatorische Einzelheiten der Verbüßung und vorzeitigen Haftentlassung einschließt.102 (9) Im neunten Schritt ist etwaige schon in U-Haft verbüßte oder auf Kaution verbrachte Zeit anzurechnen.103 93

Dazu nun eingehend Ambos 2020a, 24 ff. Ashworth 2015, 26, 188 f.; Roberts 2013, 10. 95 „Reduction in sentence for a guilty plea – first hearing on or after 1. June 2017“; https:// www.sentencingcouncil.org.uk/overarching-guides/magistrates-court/item/reduction-in-sent ence-for-a-guilty-plea-first-hearing-on-or-after-1-june-2017/ [20. 10. 2020]. 96 Ashworth 2015, 26, 179 ff.; Roberts 2013, 10. 97 Zu den Gefährlichkeitskriterien vgl. Criminal Justice Act 2003, Part. 12, Chapter 5. 98 Wobei allerdings das englische Recht kein vikariierendes System mit der Unterscheidung schuldabhängiger Strafen und schuldunabhängiger Maßregeln der Besserung und Sicherung kennt. 99 Ashworth 2015, 26, 237 f. 100 Ashworth 2015, 26, 279 f. 101 Ashworth 2015, 26, 377 ff. 102 Diese Aufklärungspflicht wurde durch den Criminal Justice Act 2003, sect. 174 eingeführt; dazu Ashworth 2015, 27, 435 ff. 103 Ashworth 2015, 27. 94

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3.4 Beispiel: vollendete Körperverletzung Zur Veranschaulichung sollen im Folgenden die besonders wichtigen ersten beiden Schritte des beschriebenen Strafzumessungsprogramms anhand der Guideline104 für das sehr praxisrelevante Delikt einer vollendeten Körperverletzung („assault occasioning actual bodily harm“) dargestellt werden. Zunächst (erster Schritt) ist die Tat mit Blick auf die Schwere des durch sie verursachten Schadens und der Schuld des Täters einer der drei oben genannten Kategorien zuzuordnen. Die Guideline nennt und erläutert Faktoren, die Art und Maß von Schaden und Schuld „indizieren“ („factors indicating …“). Von einem hohen Schaden ist etwa auszugehen, wenn das Opfer ernsthafte Verletzungen erleidet oder über einen längeren Zeitraum misshandelt wird. Eine geringere Schuldschwere wird beispielsweise durch ein besonders provokatives Verhalten des Opfers105 oder psychische Störungen des Täters indiziert. Nach der Kategorisierung erfolgt im zweiten Schritt eine erste (vorläufige) Bestimmung der Strafhöhe. Dafür hat sich das Gericht an der von der Guideline für jede Kategorie bereitgestellten Ausgangsstrafe („starting point“) und dem Strafrahmen („category range“) zu orientieren. Die hier zugrunde gelegte Assault Guideline sieht insoweit Folgendes vor: Kategorie der Tat

Ausgangsstrafe

Strafrahmen

1

1 Jahr und 6 Monate Freiheitsstrafe

1 bis 3 Jahre Freiheitsstrafe

2

26 Wochen Freiheitsstrafe

Niedrige („low level“) „community order“106 bis 51 Wochen Freiheitsstrafe

3

Mittlere („medium level) „community order“

Geldstrafe („fine“) bis hohe („high level“) „community order“

Die von der Kategorie abhängige Ausgangsstrafe wird anschließend unter Berücksichtigung erschwerender oder mildernder tat- bzw. täterbezogener Umstände innerhalb des entsprechenden Strafrahmens justiert. Dafür sehen die Guidelines eine – allerdings nicht abschließende – Liste von Faktoren vor, deren Vorliegen eine Anpassung der Ausgangsstrafe entweder nach oben oder unten indiziert. Straf104

Vgl. schon o. Fn. 88. „A greater degree of provocation than normally expected“, s. Guideline, o. Fn. 88. 106 Als „community order“ wird eine Sanktion bezeichnet, die ihrer Intensität nach zwischen Geld- und Freiheitsstrafe einzuordnen ist. Dabei kann das Gericht aus einer Vielzahl von Sanktionsmöglichkeiten (etwa gemeinnützige Arbeit, Hausarrest oder Aufenthaltsverbot) wählen, denen der Gedanke einer (gesellschaftlichen) Schadenswiedergutmachung gemeinsam ist. Darüber hinaus ist auch eine Kombination von community order und Geldstrafe möglich. Vgl. die (allg.) Guideline zur Verhängung von „community orders“ und Freiheitsstrafen; https://www.sentencingcouncil.org.uk/overarching-guides/magistrates-court/item/impo sition-of-community-and-custodial-sentences/ [20. 10. 2020]. 105

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schärfend wirken sich etwa einschlägige Vorstrafen, die Tatbegehung an bestimmten, besonders schützenswerten Orten wie Schulen oder Krankenhäusern oder eine besondere Erniedrigung des Opfers aus. Strafmildernd ist beispielsweise eine bisher straffreie Lebensführung, (glaubhafte) Reue oder die Bereitschaft zur Durchführung einer Therapie zu bewerten. Unter Beachtung aller relevanten Umstände erfolgt auf diese Weise die Modellierung der Ausgangsstrafe der jeweiligen Kategorie mit Blick auf den ihr zugeordneten Strafrahmen. In den oben beschriebenen Schritten drei bis neun nimmt das Gericht dann die weitere Präzisierung der provisorischen hin zur endgültigen Strafe vor.

4. (Vorläufige) Schlussfolgerungen Ein Vergleich der untersuchten Assault Guideline mit dem deutschen Pendant der vorsätzlichen Körperverletzung nach § 223 Abs. 1 StGB zeigt die grundsätzliche Überlegenheit des englischen Ansatzes mit Blick auf Vorhersehbarkeit bzw. Bestimmbarkeit der konkreten Strafe und Nachvollziehbarkeit des Strafzumessungsakts. Während der Strafrahmen des § 223 Abs. 1 StGB (von Geldstrafe bis zu fünf Jahren Freiheitsstrafe) den Rechtsunterworfenen bei der Einschätzung der konkreten Strafhöhe weitgehend im Unklaren lässt, kann er anhand der Assault Guideline relativ genau die zu erwartende Strafe bestimmen. Auch die hiesige tatrichterliche Strafzumessungsbegründung107 kompensiert das Erklärungsdefizit des konkreten Strafzumessungsvorgangs nicht. Sie erfolgt zum einen erst nach der Aburteilung im Rahmen der (mündlichen) Urteilsbegründung und erschöpft sich zum anderen regelmäßig in der Nennung weniger Kriterien, im Falle vorsätzlicher Körperverletzung etwa des Einlassungsverhaltens oder des Vorliegens von Vorstrafen.108 Damit bleibt der Strafzumessungsvorgang für den Rechtsunterworfenen wie schon zu von Liszts Zeiten eine „black box“ („Griff ins Dunkle“); er kann nicht nachvollziehen, wie das Gericht angesichts des weiten Strafrahmens gerade zu dem konkreten Strafausspruch gekommen ist. Demgegenüber ermöglicht das englische Modell eine systematische und logische Subsumtion unter einen bestimmten Strafzumessungssachverhalt anhand der einschlägigen Deliktsrichtlinie („Offence Guideline“) und zwar schon vor Aburteilung über die leicht zugängliche und erschließbare Website des Sentencing Council. Der eigentliche richterliche Strafzumessungsakt wird dadurch ebenfalls (leichter) nachvollziehbar. Alles in allem erweist sich demnach das englische Strafzumessungssystem – trotz der relativ hohen Ausgangsstrafen109 – durchaus als Modell, das auch hierzulande größere Beachtung und eine gründliche(re) Untersuchung verdient.110 107

Vgl. Schäfer, Sander & van Gemmeren 2017, Rn. 1352 ff. Kaspar 2014, 833. 109 Die Ausgangsstrafen liegen in der Regel über den deutschen Mindeststrafen, vgl. z. B. § 223 StGB (Geldstrafe oder ein Monat Freiheitsstrafe, § 38 Abs. 2 StGB) und die Assault 108

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Comparing Sentencing for Robbery with “Strafzumessung für Raub” By Stephan S. Terblanche*

1. Introduction It is a safe assumption that robbery exists, as a crime, in virtually every legal system. Very broadly spoken, it is a crime that consists of the forceful taking of another person’s property. Robbery is often regarded as one of the more serious crimes that can be committed. Such seriousness is then reflected in the severity of the sentence imposed on the robber. However, not all robberies are equally serious. What factors determine that one robbery is more or less serious than another? From a South African perspective, the answer to this question is far from certain. This uncertainty exists even though robbery is prevalent – in other words, there is much potential in South African criminal justice to provide a more certain answer. This contribution explains how South African courts approach sentencing for robbery. It starts by briefly discussing the definition of robbery and then moves to principles governing sentencing in South Africa in general, and the sentencing of robbery in particular.1 I then briefly discuss the same subject matter in German law. Finally, the contribution analyses the most pressing issues afflicting sentencing in South Africa and, in this process, contrast the legal principles that are in place in Germany. I close by briefly explaining Hans-Jörg Albrecht’s connection to the above-mentioned considerations.

* The research in this contribution was made possible with the financial assistance of the Max Planck Institute for Foreign and International Criminal Law, Freiburg, Germany, which is hereby gratefully acknowledged. The views expressed in the article are those of the author and cannot be attributed to the aforementioned Institute. 1 It should be noted that this contribution deals with the sentencing of adult offenders only – child offenders are dealt with in terms of the Child Justice Act 75 of 2008.

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Stephan S. Terblanche

2. South African Law on Robbery 2.1 The Crime of Robbery: a Common-Law Offence It is important to note that South Africa does not have a criminal code. Many of the more common offences are governed by common law which, in the case of criminal law, is Roman-Dutch law. Robbery is a good example of this position – it is not defined as a crime in any legislation. Instead, its elements come from common law, as interpreted in the judgments of our courts. Little controversy remains about these elements, although technological advances may create new problems, as they do in any legal system. Essentially, robbery amounts to theft of property, committed by means of violence or threats of violence.2 A more detailed definition reads as follows:3 “Robbery consists in theft of property by unlawfully and intentionally using: (a) violence to take the property from somebody else; or (b) threats of violence to induce the possessor of the property to submit to the taking of the property.”

The violence can be slight – the victim need not suffer any injuries.4 However, there must be a causal link between the violence and the taking of the property.5 2.2 More and Less Serious Cases of Robbery South African criminal law does not distinguish different grades of robbery, despite the fact that robbery can range from a rather petty offence (property of very little value is taken with the slightest threat of violence) to gravely serious crime (an organised and armed gang takes millions of Rands with much violence, including the use of explosives or military weapons). The Criminal Procedure Act 51 of 1977 contains a definition for “robbery with aggravating circumstances”. Such robbery involves the “wielding of a firearm or any other dangerous weapon” or the infliction or threat of “grievous bodily harm”.6 This definition does not create a new offence, which remains the common-law offence of robbery.7 Originally, the definition was limited to describing cir-

2 Snyman 2014, 508. See also, generally, S v Mokoena 1975 (4) SA 295 (O); S v Macdonald 1980 (2) SA 939 (A). 3 Snyman 2014, 508. 4 Snyman 2014, 508. 5 Snyman 2014, 509. The facts of a case can complicate the search for such connection – cf S v Moloto 1982 (1) SA 844 (A). 6 Section 1 of the Act. 7 Cf S v Moloto 1982 (1) SA 844 (A).

Comparing Sentencing for Robbery with “Strafzumessung für Raub”

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cumstances under which the death penalty could be imposed for robbery.8 When the death penalty was declared unconstitutional,9 it became almost irrelevant, until resuscitated by the minimum sentences legislation – this is discussed in more detail below.10 2.3 General Principles of Sentencing for Common-Law Offences As with other common-law offences, the definition of robbery is not accompanied with any prescribed penalty or other penalty clause. The legality principle is, however, satisfied by the general principles applicable in these situations, which limits both the kinds of sentences that may be imposed and the duration (or quantum) of such sentences.11 No court may just impose whatever sentence it wants, at its own whim. And, as can be expected from a country with a common-law legal system, a well-developed scheme of appeals and reviews ensures some consistency regarding the kinds and lengths of sentences imposed.12 The kinds of sentences that may be imposed are listed in section 276(1) of the Criminal Procedure Act. For serious crime, such as robbery, imprisonment is by far the commonest sentence, but other possibilities include sentences such as fines and correctional supervision. The court imposing sentence must also determine the extent of any sentence. Different courts have different powers in this regard. Because of these different powers, the majority of robbery trials take place in regional magistrates’ courts, but the prosecuting authority may bring a suspected robber before any of the trial courts.13 These trial courts are the magistrates’ courts (consisting of district courts and regional courts) and the high courts. A district court may impose up to three years’ imprisonment and regional court up to 15 years’ imprisonment.14 These powers apply per single charge and, therefore, get multiplied by the number of charges involved.15 No legislation expressly limits the sentencing powers of the high courts.16 8

Hiemstra 1987, 7, 629 – 630. In S v Makwanyane 1995 (2) SACR 1 (CC). 10 See 2.4. 11 Director of Public Prosecutions, Western Cape v Prins 2012 (2) SACR 183 (SCA). 12 Cf Terblanche 2016, 133. The main principle regarding appeal against sentences is that it, “is trite that sentencing is pre-eminently the domain of the trial court. … The appeal court can interfere with the sentence of the court a quo if it is inappropriately severe to the extent that it induces a sense of shock” or if the trial magistrate or judge misdirect themselves regarding the law or the facts – S v Matewane 2013 JDR 2755 (GNP), para [16]. 13 Cf S v Sehoole 2015 (2) SACR 196 (SCA), para [10]. 14 Section s 92(1)(a) of the Magistrates Courts Act 32 of 1944. 15 Terblanche 2016, 17. 16 Joubert 2017, 45. The Constitution of the Republic of South Africa, 1996 provides for the judicial authority and its different courts in ch 8. 9

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Stephan S. Terblanche

Judge-made law determines the principles that govern which sentence to impose in a particular case. The general principles have been summarised in S v Zinn:17 “What has to be considered is the triad consisting of the crime, the offender and the interests of society”. In addition, the courts are expected to consider the purposes of punishment, namely retribution, deterrence, prevention and rehabilitation.18 Over the years, many commentators have remarked on the vagueness of this basic set of principles, but it remains in place.19 The vagueness is especially problematic regarding the determination of the seriousness of the crime, which is largely left to the discretion of the sentencer. There is no refinement to this element, such as that the seriousness of a crime should be determined by its harmfulness and the offender’s blameworthiness.20 2.4 Robbery and Minimum Sentences Legislation plays an increasingly important role in the criminal justice of South Africa. The Criminal Law Amendment Act 105 of 1997 came into operation on 1 May 1998. Inter alia, it prescribes a variety of minimum and mandatory sentences for a range of offences.21 Originally intended as a short-term attempt to reduce the level of serious crime in South Africa,22 it has become a permanent fixture, with no indication that it is due for replacement.23 Given the topic of this contribution, it is best to explain the operation of this legislation directly in relation to robbery. The Act prescribes a minimum sentence of 15 years’ imprisonment24 for robbery “(a) when there are aggravating circumstances; or (b) involving the taking of a motor vehicle”.25 Our courts have generally, and without much discussion, assumed that this reference to “aggravating circumstances” is the same as the definition in the Criminal Procedure Act, in other words, that it refers to robbery when committed with a dan17

1969 (2) SA 537 (A) 540G–H. Cf Director of Public Prosecutions, KwaZulu-Natal v P 2006 (1) SACR 243 (SCA), para [13]; S v Rabie 1975 (4) SA 855 (A), 861. 19 Cf Van der Merwe 1991, 5-1 – 5-4F. 20 The South African Law Commission 2000, para 3.1.4, proposed such a refinement. 21 The sentences are contained in s 51(1) and (2) of the legislation, and the crimes involved in a series of parts to schedule 2 of the Act. 22 Initially, it would have fallen away automatically after two years, unless reinstated by the President – cf S v Vilakazi 2009 (1) SACR 552 (SCA), para [9]. 23 The Criminal Law (Sentencing) Amendment Act 38 of 2007 repealed the renewal provision. 24 This minimum is increased to 20 years’ imprisonment for one previous conviction of aggravated robbery, and to 25 years’ imprisonment for more than one previous conviction – s 51(2). 25 Item 2 in Part II of Schedule 2 to the Act. 18

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gerous weapon (including a firearm) or when serious bodily injury is inflicted or threatened.26 It certainly is problematic that the minimum sentences legislation makes no distinction whether the robbery is committed with a pocketknife or an AK47 assault rifle; or whether the taken motor vehicle is a piece of scrap worth R20,000 or a supercar of R5 million, or whether it is the victim’s only means of transport or not. Robberies not involving these aggravating circumstances or the taking of a motor vehicle are not affected by the minimum sentences legislation. For them, the sentence is determined in accordance with the general principles explained in the previous paragraph. The minimum sentences legislation contains an escape clause, which allows a court to impose a lesser sentence when it is satisfied that there are “substantial and compelling circumstances” justifying such a lesser sentence.27 Thousands of pages have been written in courts about the meaning of this phrase, but S v Malgas28 remains the leading authority as to its interpretation. Accordingly, courts should take the prescribed sentences as point of departure, which should normally be imposed. Courts should only depart from this sentence when there are “truly convincing reasons” to do so. At the same time, when a departure is required, for example when the prescribed sentence would be unjust, courts should not hesitate to do so. In this process, courts should still apply the general principles, including the triad of Zinn. 2.5 The Sentences Imposed for Robbery There is no central database of the sentences that are imposed in South Africa. One of the legal publishers has a database, maintained since 2013, of some sentences, arranged according to the offence of conviction. It is limited to high court judgments and, in the case of robbery, mostly following appeals from regional court trials. Most robbery cases are not, therefore, recorded in this database. Nevertheless, it has some value, as can be seen from the following tables. They set out the basic sentences, with the number of such sentences imposed, for ‘common’ robbery (Table 1) and aggravated robbery (Table 2) respectively.

26

S v Fortune 2014 (2) SACR 178 (WCC), para [11]. Section 51(3) of the CLA. 28 2001 (1) SACR 469 (SCA). 27

674

Stephan S. Terblanche Table 1 ‘Common’ Robbery Sentence

Number

Fine (R4000)

129

16 months imp

130

2 years imp

2

3 years imp

2

5 years imp

4

6 years imp

1

7 years imp

231

Table 2 Aggravated Robbery Sentence

Number

3 years imp

1

5 years imp

3

7 years imp

4

8 years imp

8

10 years imp

39

12 years imp

19

13 years imp

4

14 years imp

1

15 years imp

127

16 years imp

2

17 years imp

2

18 years imp

8

20 years imp

9

Total

227

The majority of sentences imposed for aggravated robbery (55.9%) are for 15 years, the prescribed minimum sentence for such robberies.32 It should be reiterated that these numbers are limited to reported judgments, only since 2013. More severe sentences are imposed. It happened, for example, in S v Msi-

29

S v Ncongwane 2014 JDR 2247 (GP). S v Nogxaza 2014 JDR 1209 (ECB). 31 Two sentences imposed in one case – S v Madlebe 2016 JDR 1576 (GP). 32 This fact confirms the conclusion by Joubert 2008, 168, that courts do not readily depart from the prescribed minimum sentences. 30

Comparing Sentencing for Robbery with “Strafzumessung für Raub”

675

manga,33 where an effective sentence of 24 years’ imprisonment was imposed for two armed robberies involving motor vehicles. 2.6 Practical Examples of the Sentences Imposed To get a sense how our courts approach the sentencing of robbery, it is important to look at a few relevant judgments. It should be noted that, although not included in each discussion, each court would have applied the general sentencing principles, or the law in connection with the minimum sentences, as set out above. 2.6.1 Common Robbery In S v Ncongwane,34 the victim was riding his bicycle when harassed by a group of three men. He ended up in the bushes alongside the road and the attackers left with his bicycle, backpack and cell phone, all to the value of over R3,000. The district court convicted the appellant of robbery and imposed a sentence of three years’ imprisonment. However, the appeal court replaced the sentence with a fine of R4,00035 or, alternatively, six months’ imprisonment – it found that the magistrate had not exercised the sentence discretion properly. The appeal court took into account that the victim had not been injured, that he got back his bicycle and that the appellant was a 27-year-old first offender and sole breadwinner of his family. A sentence at the other end of the scale was imposed in S v Madlebe.36 The case involved two similar robberies that took place about a week apart. In each instance, a group of three or four people attacked the victim and got away with a cell phone and cash (from R100 to R1,200). Only the appellant appeared before the court of appeal. He was convicted of ‘common’ robbery, as there was no evidence of any weapons being involved. During the trial, the appellant was 29 years old, he had a wife and children, and stable living conditions. He had various previous convictions, also for violent crime such as robbery. At the time of the appeal he was unemployed, being in custody awaiting finalisation of another case. The appeal court imposed 7 years’ imprisonment on each count but ordered the sentences to be served concurrently. It is difficult, if not impossible, to explain the vast difference in sentences imposed in the two cases discussed above. The violence involved was not much different; the value of property stolen was, if anything, higher in the first case; there was no meaningful difference in the personal circumstances of the offenders. The second appellant’s previous convictions certainly cannot fully explain the difference. 33

2005 (1) SASV 377 (O). 2014 JDR 2247 (GP). 35 In Feb 2020, the exchange rate is about R16,50 to E1. 36 2016 JDR 1576 (GP). 34

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2.6.2 Robbery with Aggravating Circumstances One of the least severe sentences was imposed in S v Matewane.37 One night, as the victim was walking along a street illuminated by streetlights, a group of five men attacked him, threatening to stab him with a knife. While assaulting him, they took his wallet and cell phone, as well as his running shoes. When the assailants started squabbling amongst themselves, the victim managed to get away. Only the appellant appears to have been convicted, of robbery with aggravating circumstances. His sentence of three years’ imprisonment was confirmed by the appeal court. This sentence appears to be completely inconsistent with other sentences imposed for aggravated robbery, or when compared to S v Madlebe, discussed under “common” robbery. Normally, an attack by a gang of people, armed with a knife and then taking items of a substantial value, is a serious matter that should attract a longer sentence. In fact, a much longer sentence was imposed in S v Davids.38 The appellant and a friend came across the victim and, after a brief conversation, produced a knife and grabbed the victim’s cell phone, telling him to go so that he does not get hurt. The appellant pleaded guilty to robbery and admitted the aggravating circumstances, as he had threatened the victim with the knife. The appellant was 27 years old, and the breadwinner of his family. The trial court found no substantial and compelling circumstances to be present and imposed the prescribed sentence of 15 years’ imprisonment. The appeal court declined to interfere with this judgment. The prescribed minimum sentences were also imposed in the next two cases. In S v Mxolisi39 the two appellants (and their co-accused) had firearms when they violently took R332,000 from a bank. And in S v Mahlamuza,40 the two appellants were part of a group of five people who attacked an elderly farmer and his wife on their farm. This group had at least a revolver and a knife amongst them. The victims sustained bruises and a few lacerations. The police arrived while the robbery was taking place, which meant no property was actually removed – the value of the property is not mentioned in the judgment. 2.6.3 Discussion of Practical Examples It should be clear that sentences for robbery are widely divergent. Many more practical examples could have been included in this discussion. However, experience has proven that, far from giving rise to clearer principles, adding more judgments merely tends to further confuse the issue. Without more specific principles at the foundation of sentencing, more consistent sentences cannot be expected. 37

2013 JDR 2755 (GNP). 2016 JDR 1864 (ECM). 39 2018 JDR 0586 (GJ). 40 2014 JDR 2551 (SCA). 38

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2.7 Robbery is a Common Crime in South Africa Just how big a problem is robbery in South Africa? Official crime figures from the South Africa Police Service (SAPS) provide a starting point for answering this question. Just a few sample figures are retained in the table below, but the graph gives the full picture from 1995 to 2019.41 Table 3 Number of Robberies Reported to the SA Police Service Year

Robbery (common)

Robbery (aggravating)

1995

32,659

84,785

2000

74,711

98,813

2003

101,537

126,905

2004

95,551

133,658

2005

90,825

126,789

2010

56,993

113,200

2015

54,927

129,045

2019

51,765

140,032

41 Data obtained from South African Institute of Race Relations 2019, 846 – 851 and South African Police Service 2019. https://www.saps.gov.za/services/crimestats.php.

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As crime rates, in other words per 100,000 of the population, aggravated robberies average around 200, reaching its peak in 2004 (288) and currently at 244. The rate for common robbery is much lower and has also fluctuated more. It varied from 84 (1995) to 223 (2003) to the current 89 (2019). Crime figures published by the SAPS are notoriously unreliable.42 Because of all kinds of extraneous factors, the police are especially unwilling to officially report less serious crime. Although the data for aggravated robbery is likely to be fairly accurate, common robbery must be heavily underreported. Nothing else can explain, first, why there are fewer common than aggravated robberies and, secondly, the decline in numbers for common robbery. The data in Germany provides an interesting comparison. In the former West Germany, there were 3,684 robberies in 1955, which increased to 20,362 in 1975, 51,154 in 1995 and 57,513 in 1997.43 From 1993, data from the former East Germany was also included, and robberies in the reunited Germany rose to 69,569 in 1997.44 The numbers have subsequently stabilised. In 2010 it numbered 48,166 or 59 robberies per 100,000 of the population.45 According to the latest official data, the total number of robbery offences have ranged from 48,021 in 2011 to 48,711 in 2012, dropping consistently since then to 44,666 in 2015, and 36,756 in 2018 (44 per 100,000).46

3. Robbery in German Law 3.1 The Definition of Robbery The definition of robbery in German law is, in many respects, very similar to that in South African law. Raub is defined in section 249(I) of the German Criminal Code (Strafgesetzbuch), in the following terms: “Whoever appropriates movable property belonging to another with force, or with an equivalent threat of danger to life or limb, is punishable …”.47 Essentially, it is considered a combination of theft and coercion (Nötigung). The Criminal Code describes further “forms” of robbery, such as aggravated robbery48 and robbery leading to death.49 These forms tend to use the definition of Raub 42 See Hosken 2018, including an interview with well-known criminologist Prof Rudolph Zinn, especially regarding under-reporting. 43 Dölling 1999, 177. Inevitably, these increases caused major concern for the feeling of security within German society. 44 Schmelz 2002, 22. 45 Bundeskriminalamt 2012, 60. 46 Bundeskriminalamt 2015, 85; Bundeskriminalamt 2018, 37. 47 For a detailed discussion of the details of this provision, cf Mitsch 2015, 492 – 520. 48 Section 250. 49 Section 251.

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in section 249 and then qualify it, typically with certain aggravating circumstances, in order to associate such conduct with different prescribed sentences.50 As is typical of the approach followed in the Criminal Code and in compliance with German understanding of the legality principle, the crime definition also serves to set out the sentence range (der Strafrahmen) for such conduct.51 Accordingly, section 249(I) also states that someone who robs another person is punishable with imprisonment of not less than a year. This, as with any penalty clause that refers only to the minimum or the maximum sentence, must be read with section 38(2) of the Criminal Code. In terms of this provision, the maximum duration of determinate imprisonment is 15 years, and the minimum is 1 month.52 Therefore, the sentence range for “common” robbery is one to 15 years’ imprisonment. 3.2 Aggravated Robbery Aggravated robbery amounts to the same conduct as common robbery, but is qualified by certain specific aggravating factors, mostly involving weapons, for which increased sentence ranges are prescribed. The first group of aggravating circumstances is provided for in section 250(I)(1) and essentially involve situations where the robbers (or their accomplices) equip themselves with the potential to cause more harm during the robbery – for example, by carrying “a weapon or other dangerous instrument” or by acting in a manner that places the victim “in danger of serious harm to his health”. For these offences the minimum sentence is three years’ imprisonment.53 When, for example, these weapons are actually used, or a victim is severely physically abused, or placed in danger of being killed, for example, the minimum sentence is further increased to five years’ imprisonment.54 Someone who attacks the “life or limb” of a driver of (or passenger in) a vehicle, in order to commit robbery, is punishable with imprisonment of at least five years.55 This crime is considered a more severe form of robbery as drivers are considered more vulnerable (they have to concentrate on their driving and are often unfamiliar with their surroundings) and because such attacks negatively impacts traffic safety.56

50

Mitsch 2015, 491 – 492. These ranges are typically quite broad, “thus allowing significant leeway for judicial sentencing discretion” – Weigend 2001, 189. 52 Cf Gropengieber & Kreicker 2004, 3. 53 Section 250(I). 54 Section 250(II). 55 Section 316a(I). For a discussion of the details of this provision, cf Mitsch 2015, 641 – 671. 56 Fischer 2017, § 316a rn 2. 51

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In all these instances, the maximum sentences are 15 years’ imprisonment, as provided for by section 38(2) of the Criminal Code. 3.3 The Sentence Ranges for the Different Forms of Robbery Now that it has been explained how the sentence range of each offence is determined, with some examples, the other offences involving robbery and their sentence ranges can be summarised. Roughly in order from the highest to the lowest, the sentence ranges for robbery in the German Criminal Code are as follows: • Robbery (or robbery-like attacks on drivers) leading to death: life imprisonment, or not less than 10 years’ imprisonment57 • Severe forms of aggravated robbery: 5 – 15 years’ imprisonment58 • Robbery-like attacks on drivers: 5 – 15 years’ imprisonment59 • Aggravated robbery: 3 – 15 years’ imprisonment60 • Simple robbery (and robbery-like theft61): 1 – 15 years’ imprisonment62 • Less severe forms of aggravated robbery: 1 – 10 years’ imprisonment63 • Less severe robbery-like attacks on drivers: 1 – 10 years’ imprisonment64 • Less severe forms of common robbery (and robbery-like theft): 6 months – 5 years’ imprisonment65

3.4 “Less Severe Cases” As can be seen from the list above, reduced sentence ranges are prescribed for “less severe cases” (minder schwere Fälle).66 According to the Federal Court of Justice (Bundesgerichtshof), all circumstances that would appear to make the normal sentence range inappropriate, can be taken into account when determining whether a case should be considered less severe.67 This determination involves all factors,68 57

Section 251. Section 250(II). 59 Section 316a(I). 60 Section 250(I). 61 Section 252. 62 Section 249(I). 63 Section 250(III). 64 Section 316a(II). 65 Section 249(II). 66 Schäfer et al. 2017, rn 1100. 67 Judgment of 19. 03. 1975 – 2 StR 53/75. 68 Cf Sander 2017, § 249 rn 76. 58

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whether relevant to an assessment of the crime or the blameworthiness of the offender; and regardless as to whether it forms an essential part of the crime, or whether it relates to conduct before or following the crime.69 These less severe cases tend to be unique to each separate crime.70 In case of robbery, for example, Albrecht found that less severe instances of robbery typically involved more than average level of reduced blameworthiness, fewer previous convictions, and less extensive injuries.71

4. Sentencing Robbery: Comparisons Between South Africa and Germany There is no doubt that robbery, and especially aggravated robbery, is much more common in South Africa than in Germany. The question is to what extent, then, there is any sense in comparing the sentencing systems of these two jurisdictions. In this section, I attempt to provide an answer to this question. 4.1 The Interests Involved German law expressly identifies what interests are protected by the crime of robbery. The literature emphasises that robbery is a combination of theft and coercion (Nötigung), yet an independent crime. As such, robbery protects both legal interests, namely property and its possession on the one hand, and freedom to decide for oneself and to act accordingly, on the other.72 This is important for sentencing, as the extent to which any individual robbery violates each of these interests provides a point of departure for an appropriate sentence. Although the same interests underlie the crime of robbery in South Africa, one is unlikely to see them expressly articulated.73 4.2 The Range of Sentences for Robbery The range of sentences in South Africa is either virtually unlimited or, in the case of aggravated robbery, pegged at a single sentence of 15 years’ imprisonment.74 As

69

Fischer 2017, § 46 rn 85; Schäfer et al. 2017 rn 1101. Fischer 2017, § 46 rn 85. 71 Albrecht 1994, 306 – 307. 72 Fischer 2017, § 249 rn 2; Schäfer et al. 2017 rn 1678. 73 Neither of the main South African works on criminal law (Snyman 2016; Burchell 2016) mentions these interests. 74 This fact applies notwithstanding the increases for previous convictions – see Fn. 24. 70

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shown above, this single sentence is the point of departure for criminal acts that can vary a lot regarding their harm and culpability. In contrast, in Germany, robbery is accompanied with a range of sentences that explicitly increases for logical reasons attached to the protected legal interests. The emphasis is on dangerous means of coercion, which increasingly threatens the lives of the victims through the use of weapons and the activities of criminal gangs (or organised crime). This is a far better, in every respect, than the current situation in South Africa. 4.3 The Basic Principles of Sentencing Basic sentencing principles of South African law are stuck in the 1960s. While it requires that the seriousness of the crime, the offender and the interests of society be taken into account, it is pure coincidence if the blameworthiness of the offender features in the application of these principles. In contrast, the basic principles of sentencing in German law are much better developed. Because of space constraints, it is impossible to provide more than a brief exposition of its basic principles. The starting point is section 46(I) of the Criminal Code, which reads as follows:75 “The offender’s guilt (Schuld) is the basis (Grundlage) for the imposition of punishment. The consequences that the punishment can be expected to have on the offender’s future life in society shall be taken into account.”76 This is followed by section 46(II), where the courts are advised to weigh up all the circumstances that count for or against the offender. Then follows a list of factors, mostly related to the offender’s circumstances or blameworthiness,77 which must be taken into account. Much simplified, these factors are (1) the offender’s motive; (2) the offender’s recklessness or carelessness, and the way in which the crime was committed; (3) whether he acted in breach of any responsibilities; (4) the consequences of the crime; (5) the offender’s personal circumstances, including his criminal history; and (6) the offender’s subsequent conduct, in particular his efforts at restoration. Section 46(I) has been subjected to much criticism over the years.78 But the legislation has been heavily supplemented by a substantial body of case law. In terms of the jurisprudence of the Federal Court of Justice, the foundation for sentencing is the seriousness of the crime and its implications for the harmed or damaged legal order,

75

It is difficult to reflect the German text into English. For some other attempts, see Weigend 2001, 204; Bohlander 2012, 179. 76 The second sentence does not have much practical effect on sentencing in courts – it is generally regarded as referring to considerations of prevention: cf Robbers 2017, 127. 77 Fischer 2017, § 46 rn 25 ff. 78 Cf Streng 2002, 222.

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as well as the personal blameworthiness of the offender.79 This approach accords with the principle of proportionality (Verhältnismäßigkeitsgrundsatz), a central principle in German law.80 The challenge remains to find the proportionality that is required between crime and punishment.81 The Federal Court of Justice “has therefore in consistent jurisprudence adhered to the so-called Spielraumtheorie or ‘margin model’ – there is a certain (narrow) margin of adequate and just punishment …”.82 In transforming the facts into a specific sentence, the “[t]rial courts are guided … by traditional standards and conventions that differ locally”.83 The Federal Court of Justice has also developed the concept of “the offender’s guilt” in section 46(I). This guilt should be distinguished from the guilt requirement for criminal liability and is a wider concept, which also includes behaviour before and after the crime.84 Essentially, it refers to “the extent to which the offender can be blamed for the crime” – in other words, the offender’s blameworthiness.85 4.4 The Duration of Sentences The most common sentence for aggravated robbery in South Africa is, as shown above, 15 years’ imprisonment. This is the same as the maximum sentence for aggravated robbery in German law, but more than the maximum of 10 years’ imprisonment for a less severe instance of aggravated robbery. It is also uncommon, in South Africa, to see a sentence for robbery that cannot be divided by 5 years. In contrast, as is common knowledge in Germany, German courts impose sentences in relatively small increments, often using months in addition to years. A number of research projects have reported the sentences actually imposed for robbery in German courts. The results are basically as follows:86 • For aggravated robbery, sentences average 44 to 58 months’ imprisonment. • Less severe instances of aggravated robbery: 26 to 33 months’ imprisonment. • Common robbery: 19 to 24 months’ imprisonment. • Less severe instances of common robbery: 16 months’ imprisonment.

79

Cf Albrecht 2001, 140. Robbers 2017, 43. 81 Cf Albrecht 2001, 141. 82 Bohlander 2012, 191. Cf also Fischer 2017, § 46 rn 20. 83 Weigend 2001, 205. 84 Eisele 2014, Vorbemerkung zu den §§ 13 ff. rn 111; Bohlander 2012, 182. 85 Schäfer et al. 2017 rn 575; Bohlander 2012, 177. 86 Albrecht 1994, 279; Hoppenworth 1991, 57 – 61; Schmeltz 2002, 90 – 91. 80

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These numbers point towards a mild approach to sentencing, which is generally true. However, it is also an indication that typical robberies, also in aggravated form, are far less serious than typical South African cases. Research indicates that sentences for robbery in Germany are not all that mild, compared to the rest of the world.87 German courts impose relatively long terms of imprisonment88 on robbers who use dangerous weapons and have scant regard for the humanity of victims. 4.5 Multiple Offences Robbers often repeat their robberies, or are also guilty of other offences, such as assault or unlawful possession of firearms.89 In such cases, sentencing courts must impose a sentence for more than one crime, which can quickly result in a “cumulative effect” – in other words, “that the sum of all the different sentences is simply too high, too severe, out of proportion to what is deserved by the offender”.90 In South Africa, all that is demanded of the courts is to prevent this cumulative effect from developing.91 This is a discretionary process, which in theory requires the court to determine an appropriate sentence for each individual offence, then consider what sentence would be appropriate for the totality of criminal behaviour, which would then be imposed as the effective sentence.92 Often, the most appropriate process to achieve this objective is ordering different sentences of imprisonment to be served concurrently.93 In contrast, German law has a sophisticated arrangement to determine how multiple offences should be dealt with. The point of departure is that a single criminal act (as expressed by the offender’s will) should also be dealt with procedurally as one, whereas substantively independent criminal acts should procedurally be treated as independent.94 The Criminal Code distinguishes, for these purposes, between act uniformity (Tateinheit) and act plurality (Tatmehrheit).95 In case of Tateinheit, when the 87 Sentences for robbery in Germany lie within the upper spectrum of international practices – Vogel 2010, Vor §§ 249 ff rn 81. 88 Albrecht 1994, 279 found that 2% of sentences for aggravated robbery was in excess of 10 years. 89 Cf Hoppenworth 1991, 44: most of the cases in the sample involved several different crimes (47%), followed by single acts of robbery (40%) and multiple acts of robbery (13%). 90 Terblanche 2016, 198. 91 Cf, e g., S v Muller 2012 (2) SACR 545 (SCA), para [9]; S v Ndlanzi 2014 (2) SACR 256 (SCA), para [48]. 92 Terblanche 2016, 198 – 199. 93 In terms of section 280 of the Criminal Procedure Act. Section 39(2)(a)(i) of the Correctional Services Act 111 of 1998 causes all sentences imposed with life imprisonment automatically to be served concurrently. 94 Fischer 2017, Vor § 52 rn 1. Cf also, in general, Bohnert 1993, 846 – 870; Reichenbach 2012, 9 – 14. 95 Cf Bohlander 2012, 195.

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same criminal conduct fits the definition of more than one distinct offence, only one sentence is imposed.96 In such cases, the highest sentence provided for these different offences determines the upper limit of the Strafrahmen.97 In case of Tatmehrheit, multiple distinct offences would have been committed, in which event the court must impose a composite (or aggregate) sentence (Gesamtstrafe).98 In creating a composite sentence, the court should determine an appropriate sentence for each distinct offence,99 and then increase the most severe one of these sentences. The composite sentence must be less than the sum of sentences allowed by the different penalty clauses, and it may normally not exceed 15 years’ imprisonment.100 In practice, the courts will mention the sentences it considers appropriate for the individual offences, but it imposes a single sentence, called the individual sentence (Einzelstrafe). In its judgment, the court only announces the Gesamtstrafe, which is also the only sentence that is executed.101

5. Conclusion The introduction posed the question, “What factors determine that one robbery is more or less serious than another?” Despite being a common crime in South Africa, the answer is unclear and largely left within the discretion of the sentencer. This approach results in much disparity in sentencing, which is not assisted by legislation that sets a single term of imprisonment of at least 15 years’ imprisonment for “robbery with aggravating circumstances”, when some of those circumstances are much more severe than others. In large part, the problems with sentencing in South Africa can be traced to weak (or even absent) general principles. In this respect, there is much to be learnt from German law. These lessons range from an express recognition of the interests that are protected by robbery (or any other offence, for that matter). It is also essential that assessment of “the seriousness of the crime” become more principled, as recommended by the South African Law Commission:102 nothing prevents our courts from accepting that the seriousness of crimes should be determined by the degree of harmfulness (or risk of harmfulness) of the offence and the degree of culpability of the offender.

96

Section 52. Section 52(II). See Fischer 2017, § 52 rn 2 – 4. 98 Section 53(I). 99 Section 54. 100 Section 54 (II). The upper limit of 15 years can be exceeded when more than one composite sentence has been imposed – Stree & Kinzig 2014, § 38 rn 4. 101 Fischer 2017, § 54 rn 12. 102 South African Law Commission 2000, para 3.1.4. 97

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Judges and magistrates in South Africa often resort to emotional language in their judgments. The following example, from S v Msimanga,103 is typical of this approach: “Armed robberies and, more particularly, armed car hijackings, are the order of day. In this country no one who dares to drive a motor vehicle is safe anymore. The sword of Damocles persistently hangs over the driver and his passengers, that their vehicle could be hijacked, often with deadly consequences. The public has the right to use the roads safely and without interference, for the purpose they are intended. This right is currently being brutally disrupted by overly high levels of hijackings. This crime is committed purely out of greed. The criminals have no concern for the body and property of the victims. If they resist, the victims are usually summarily executed.”

Apart from the fact that the truth of such pronouncements is debatable, they make no contribution to a rational sentencing system. The main objective of German criminal law reform in the twentieth century was the recognition that punishment is required, but that “the convicted criminal remains a human being and his human dignity must accordingly be respected”.104 German courts approach sentencing modestly, not trying to force their sentences to solve a major crime problem, which they are unable to do. German sentences for robbery remained stable when robberies increased significantly in the 1990s, and when they subsequently dropped by a third. In the meantime, the courts did what they are best suited for – to mete out sentences in proportion with the extent to which the offenders can be blamed for the harm they had caused.

6. Hans-Jörg Albrecht and South Africa The South African Law Commission launched a major reform project regarding sentencing, which resulted in a discussion paper, published on 13 April 2000. This was followed by a process of consultation and comments were invited and received from the judiciary, academics and a wide range of other stakeholders.105 The original proposals were reconsidered during a three-day seminar in Cape Town, which included international experts on the law of sentencing.106 These experts played an important role in the Commission’s final report, especially as far as they “persuaded the Commission that the penalty structure could be simplified and modernised”.107 Hans-Jörg Albrecht was one of these international experts on sentencing. Our meeting in Cape Town opened many doors for me and prompted the first of many 103

2005 (1) SACR 377 (O), para [8] – this is a translation from the original Afrikaans. Eser 1989, 11. 105 SA Law Commission 2000, para 1.42. 106 SA Law Commission 2000, para 1.45. 107 SA Law Commission 2000, para 2.24. 104

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visits to the Max Planck Institute for Foreign and International Criminal Law in Freiburg in 2002. I learnt so much from him over the years. It is such a pity that none of the proposals of the Law Commission has been implemented. So much of what is still wrong with sentencing in South Africa, and which have been highlighted in this contribution, could have been addressed in the intervening years. References Albrecht, H-J. (1994): Strafzumessung bei schwerer Kriminalität: Eine vergleichende theoretische und empirische Studie zur Herstellung und Darstellung des Strafmaßes. Berlin. Albrecht, H-J. (2001): Sentencing and punishment in Germany, in: M. Tonry (ed.), Penal Reform in Overcrowded Times. Oxford, pp. 139 – 145. Bohlander, M. (2012): Principles of German Criminal Procedure. Oxford. Bohnert, J. (1993): Warum Gesamtstrafenbildung? Zeitschrift für die gesamte Strafrechtswissenschaft 105, pp. 846 – 870. Bundeskriminalamt (2012): Polizeiliche Kriminalstatistik 2011: Bundesrepublik Deutschland. Wiesbaden. Bundeskriminalamt (2015): Statistische Information zu ausgewählten Straftaten/-gruppen in der Bundesrepublik und in den Bundesländern sowie deren Hauptstädte. Wiesbaden. Bundeskriminalamt (2018): Police Crime Statistics Federal Republic of Germany Report, abridged version. Wiesbaden. Burchell, J. (2016): Principles of Criminal Law. 5th ed. Cape Town. Dölling, D. (1999): Über die Strafzumessung beim Raub, in: K.H. Gössel & O. Triffterer (eds.), Gedächtnisschrift für Heinz Zipf. Heidelberg, pp. 177 – 196. Eisele, J. (2014): Vorbemerkung zu den §§ 13 ff. StGB (Grundlagen der Strafbarkeit), in: Eser, A. (ed.), Schönke/Schröder Strafgesetzbuch. 29th ed. München. Eser, A. (1989): Hundred years German penal legislation – Development and trends. De Jure 22, pp. 1 – 22. Fischer, T. (2017): Strafgesetzbuch: mit Nebengesetzen. 64th ed. München. Gropengießer, H. & Kreicker, H. (2004): Germany, in: U. Sieber (ed.), The Punishment of Serious Crime: A comparative analysis of sentencing law and practice (Volume 2: Country Reports). Freiburg i. Br. Hiemstra, V.G. (1987): Suid-Afrikaanse Strafproses [South African Criminal Procedure]. 4th ed. Durban. Hoppenworth, E. (1991): Strafzumessung beim Raub. München. Hosken, G. (2018): Are the SAPS #CrimeStats accurate?’ TimesLive, 11 Sep 2018; https:// www.timeslive.co.za/news/south-africa/2018-09-11-are-the-saps-crimestats-accurate/ [11. 09. 2018/12. 02. 2020].

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IV. Strafrechtliche Sozialkontrolle und Sanktionen – Penal Social Control and Sanctioning

Torture and Inhumanity By Luis Arroyo Zapatero

Recollections of a Young Criminologist from the Max-Planck Institute of Freiburg, in 1982 In the summer of 1982, Hans-Heinrich Jescheck gave, as he was accustomed to giving after his voyages abroad, a presentation of the academic and cultural affairs that he had recently completed in Turkey, a little more than one year after the brutal military coup d’état of 1980. The images of Greek and Roman remains from wherever you like were shown that had so deeply impressed the director during his travels following the Abitur (secondary school examinations). If he came to mention the government, it was purely for the sake of appearances. Suddenly, a young researcher, bedecked with lengthy and quite Germanic blond hair, stood up at the back of auditorium of the institute and shouted out with great vibrancy, seizing the attention of all assembled: Folter! Folter! [Torture! Torture!]. Reiteratively pronounced, it was one in the eye for the director, and with it the young man was denouncing the terror of the military regime that tortured as a way of life. He was a valiant young man, with no permanent position, whom very fortunately had been well treated in his life, as over the years, he came to occupy the post of Director of the Institute. I always recall that young man when I see Hans-Jörg Albrecht and when someone wishes to wrest importance from the crime of torture, an old institution that is always awaiting a return in an inexorable Rückkehr der Folter [Return to Torture]. It is all reason enough and more to return to the anthropological and political origins of its absolute prohibition.1 There are three reasons to speak again of torture today: the first, because torture and the debate that surrounds it, especially the judicial aspects, explained by Cesare Beccaria and Pietro Verri, are from the commencement of modern criminal praxis, from the Europe of the Age of Reason and the Enlightenment.2 The second, because of the recent publication posthumous to the death of Jorge Semprún, with his most intimate memories of the resistance, the Nazi death camps, and torture: “Exercises de survie”, in which he includes a debate on torture with Jean Améry, long since departed. And the third reason, because the emergence of radical Islamic international and 1 For a description of the scene see Zapatero 2011; http://blog.uclm.es/luisarroyozapatero/ files/2016/07/vortrag_arroyozapatero_2011.pdf [18. 05. 2020]; also in Zapatero 2016, 108 ff. 2 On all of that time, see Vormbaum, Malarino & Jacobs 2008.

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global terror has caused the resumption of the practices of torture and even extrajudicial executions.

1. Introduction One cold day towards the end of a Castilian winter, the narrator of this story and another young man from the same course, and even the Rector of the University that we were to visit, Ignacio Berdugo Gómez de la Torre, set off towards Salamanca from our University of Valladolid, accompanying our teacher of criminal law Marino Barbero Santos. It was 1971, and a seminar on “Current Criminal Law Problems” was to be held in Salamanca. Professor Barbero Santos was to speak at a conference that the authorities had on other occasions wished to suspend. It consisted of a critique of military justice and special courts, those where the offenses of political organizations that employed armed violence were judged. It should be recalled that hardly a few months had passed since the so-called trial of Burgos at which various founders of the terrorist organization ETA had been condemned. The court had pronounced six death sentences, commuted only after immense national and international mobilizations. The atmosphere was tense in the classroom of the old building of the University that celebrated its 800th anniversary in the year 2019, and the applause was tremendous. At the conference, a Professorial Chair of the History of Law from that university stood up, who had talked on the subject of “Judicial torture and its possible survival”. Nevertheless, he had not spoken only of legal torture at the conference, but also of police torture over those interminable years towards the end of Francoism. The title, however, had its explanation: as ever stupid as it is troublesome, censorship had added the adjective “judicial” to authorize the book that Tomás y Valiente was preparing and that was then published, in 1973, with the definitive title La tortura en España [Torture in Spain], replacing the reference to “judicial” matters with the addition of “historic studies”. The last censor was a judge and so, “the pudic blanket of history covered the excesses and camouflaged the survivors” says the author in the introduction to his Complete Works.3 With democracy, Francisco Tomás y Valiente was appointed Justice and President of the Constitutional Court. Having concluded a fruitful period, he returned to the autonomous university of Madrid and there, in his modest office, with the door half open for students to enter freely, he perhaps glimpsed the muzzle of the gun that shot him down. And 30 years after his conference on torture, ETAwas still killing and continued to do so, up until 2010, and very significatively, in 2006, when they exploded a gigantic bomb that destroyed one of the four parking blocks at a Madrid airport terminal. It killed two immigrants who were asleep in their respective vehicles and it could have killed 200. One sad case, was the one that ended before the European Court of Human Rights, with the recent sentence, in 2018, in which the court at 3

Tomás y Valiente 1997, 761 ff.

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Strasbourg found against Spain, because, contrary to the judgement of the Spanish National Court, the Spanish Supreme Court had not seen fit to recognize that injuries had occurred in the case, although not torture. ETA continued murdering up until 2010 (with a number of ten murders from 2007 up to 2010: two of them in 2007, four in 2008, three in 2009 and one in 2010). Among the victims, in their majority members of the law enforcement bodies, a local Socialist politician and a Basque nationalist businessman stand out. The pain and fear that ETA has brought with it over these 40 years of Spanish life, the extra effort both from and within the law enforcement bodies, with the consequent lack of protection against other threats, the thousands of people who have had to live alongside bodyguards throughout Spain, among many other aspects, contrast sharply with the situation at present.4 And once again a personal question; Police torture has always existed, especially in my years as a student. The much-repeated question that all anti-fascist militants of that age asked themselves awakened tremendous concern and unease within me: would I be able to withstand torture, could I avoid informing on companions?

2. In the Beginning, There was Beccaria The rejection of torture came to Spain, as with almost everything of any good for the criminal system, from the hand of the Marquis de Beccaria. His book was well known for the intellectuality and the cult politics of the age. He ended the last paragraph with words on crimes and punishments –without citing the source. The reference was in fact to a dramatic work that had met with great success, the equivalent today of an outstanding television series. It was perhaps written by Melchor de Jovellanos, at the time the Chief Attorney of Seville and who was to become president of the government over the very last years of the 18th c., or Meléndez Valdés, lawyer and poet, or Sempere y Guarinos, or Valentin Foronda, also the author of a grim tirade against torture, which was not published until many decades later.5 Beccaria’s book came to Spain and an Austrian diplomat sent to Madrid foretold great success for the book raising expectations ever higher. Although Beccaria arrived, and his work was seen and read, it never triumphed. Beccaria and the promoters of the translation, none other than the government of the nation itself at the time of 4

Can be seen in Zapatero 2005, 193 – 214. Zapatero & Caballero 2013; http://blog.uclm.es/academicsforabolition/files/2016/04/ ap27.pdf [18. 05. 2020], also in the work Zapatero 2015, 61 – 68 Cesare Beccaria y la abolición de la pena capital [Cesare Beccaria and the abolition of capital punishment], in Dei delitti e delle pene a 250 anni della publicacione. Lezione di Cesare Beccaria, CNDPS, Giuffré, Milan. And, most recently, in Arroyo, Nieto & Estrada 2017, where the complete text of Gonzalo Quintero Olivares can also be found, first presented at the commemorative congress of Livorno: “Beccaria y el iluminismo italiano en la cultura jurídica hispana” [Beccaria and the Italian enlightenment in Spanish legal culture] as well as in the work of García Ramirez 2015, p. 53 and ff. and p. 23 and ff. respectively; http://rabida.uhu.es/dspace/handle/10272/15196 [18. 05. 2020]. 5

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the most erudite king Charles III, who had originally been the King of Naples, were overwhelmed by the Inquisition. All was summed up by the Grand Inquisitor. In the administrative records of the conflict between the Royal Council and the General Inquisitor, it can be read that the latter warned of and criticized the calls from Beccaria for the impunity of crimes and the blasphemous abolition of the death penalty. The Minister of Justice who wished to placate the Inquisitor argued that the Marquis did not seek impunity for crimes, “but to deliver the punishments out of a love for humanity”. The initial authorization was from the government, driven no more no less than by the attorney general, Campomanes, and by the Academy of History, of which the attorney general was president. The Justice Secretary at the time, don Manuel de la Roda, suggested that if the book could not be published in full, it could be expurged, by removing phrases or paragraphs, to which the Inquisitor retorted that neither by expurging phrases nor by expurging paragraphs would the book cease to proclaim ideas deserving condemnation that were in his opinion interspersed throughout the text (p. 396). Fortunately, the edict of prohibition was issued when the book had already been printed and it was, albeit very reservedly, distributed in Spain and in Latin America. Naturally, as well as the argument of impunity and that the proposal for the abolition of the death penalty was blasphemous, the Inquisitor denounced contractualism, which undoubtedly gave some food-for-thought to the Monarchy. The criticism of torture also concerned the Inquisitor to the utmost, because it was presented as if it were purely an inquisitorial matter and not of the whole justice system. After the very severe criticism of torture within Spain in those years, the worst thing was that such criticism of torture made ridicule of the Inquisition as a whole, as nobody could believe that absolutely anything would never be confessed under torture.

3. Origins of the Crime of Torture The most serious crime of all against an individual victim is, without any doubt, torture and I believe that it is highlighted in the debate between Jean Améry and Jorge Semprún. Jean Améry was an Austrian Jew whose real name was Hans Mayer (Vienna, 1912). He fled in good time to Belgium before Anschluss, but had no luck when the Nazis invaded Belgium. He immediately joined the resistance and was detained and tortured by the Gestapo. He was then deported to Auschwitz and from there he walked in the death marches to both Buchenwald and Bergen-Belsen where he was liberated in 1945. He had been condemned to forced labor at Auschwitz III, Buna Monowitz, the criminal factory of IG Farben. He waited for over 20 years before writing about his experience of torture and the concentration camps: “Par-delà le crime et le châtiment” [Beyond guilt and expiation], in 1964, which he completed with “Le suicide: un discours sur la mort volontaire” [On suicide. A discourse on voluntary death]. He wrote later about his experience and, as many deportees who had lived

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through absolute evil, he took his own life, in 1978; like Primo Levi and so many others marked by the new horror. The same was not so for Jorge Semprún, who in my opinion was the most exemplary and significant Spanish and European citizen in the 20th c. After the Spanish Civil War, with his aristocratic, Catholic and Republican family sheltering in occupied Paris, he enrolled as a student of philosophy at the Sorbonne and he joined the Resistance in occupied Paris, in one of the networks linked to de Gaulle, despite his relationship with the Communist Party and its proximity to the FTP (Franc-Tireurs et Partisans). For over one year, he carried out acts of sabotage, coordinated with parachutists, and was finally betrayed by a victim of torture. He was in turn tortured by the Gestapo and sent to the concentration camp for political prisoners throughout all of Europe: Buchenwald. His extraordinary knowledge of Spanish, French, and German meant that he was sent to work with the administrative and the statistical services of the camp and he participated in the international clandestine resistance committee, as well as in the final uprising before the arrival of the American army. Following the war, he worked for UNESCO, at the hotel Majestic, precisely where the headquarters of the German High Command had been in France. A member of the central committee and an executive of the Spanish Communist Party, he was sent as the chief coordinator to the interior of Spain in 1953, where miraculously he lived for almost 10 years, surrounded by workers, university students, poets, novelists, and cinema directors, until the first crisis of the European communist movement. His successor in clandestinity, Julián Grimau, was detained after only a few months and shot, despite massive international campaigns. Jorge Semprún was expelled from the Spanish Communist Party in 1964; today, we might say for being a “Eurocommunist” before their day. He published at that time his first work on the camps in France: Le Grand Voyage [The Long Voyage]. It was awarded a relevant prize that situated him in the literary world and then in the world of cinematography, as a script writer and a friend of Costa Gavras and Alain Resnais. In the context of this work on torture, a film called The confession deserves to be mentioned. Semprún composed an extraordinary list of the horror of the camps, which he completed in subsequent works such as “L’Écriture ou la Vie”.6 He took up a role in Spanish democratic politics as the Minister of Culture in the government of Felipe González between 1988 and 1991. And he dedicated his final years to upholding the memory of the fight against Nazism and the denouncement of Stalinist communism, with personalities such as Elli Wiessel and Dominique Villepin, alongside whom he has upheld the best concept of Europe.7 But, in none of the books published in his life did he approach the question of torture, of which it was known that he had been a victim. He nevertheless left a written record of it and it was published in 2016, five years after his death in Paris at 87 years old, with a prologue from 6 Semprún 1994; Semprún 2015 and Semprún 2001 Spanish version; on Semprún, Augstein 2008; Leuzinguer 2018. 7 Semprún & Villepin 2005.

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his friend Mario Vargas Llosa8: The front cover carries a photo of the camp orchestra, which accompanied the work groups leaving the camp and upon their return, and sounded out during the executions in the respective Appellplatz (Roll Call Area). A wagon with the condemned prisoners was hauled behind the musicians.9 In this posthumous work, Semprún approached his experience under torture and offered an opinion that contrasted with Jean Améry’s in the previously cited work (Par-delà le crime et le châtiment) [Beyond guilt and expiation]). Semprún was always optimistic; it is enough to recall that he participated in the uprising of the clandestine organization of the concentration camp when they foresaw that the SS were going to abandon it and were preparing to execute all who remained. In fact, on 24 April, when the first American jeep drove in, it passed by work-groups of hundreds of corpse-like workers dressed in striped suits, in perfect marching formation, and raising aloft an unlikely armament. They all closed ranks around the group that held up the terrible Panzerfaust [anti-tank weapon], as Semprún himself related, as well as the two characters in the American jeep, Fleck and Tenenbaum.10 And the fact is that the purely political victims of Nazi repression better withstood the pain and the terror. Those that suffered it because they were also Jews, or only for that reason, had a more difficult time of it. Political persecution may have a somewhat comprehensible human sense, yet racial persecution is animal and inhuman. The American officials saw some very different Hungry looking men than those they had seen since their entry into Germany, a journey followed by the front-line war correspondents, which Annette Wieviorka related so marvellously in all of its tragedy.11 Those from Buchenwald were not staring with sad eyes and a lost gaze. They marched with a motley array of arms and Semprún himself was among the last armed with the Panzerfaust. Weapons wrested from their oppressors and carried with exuberant jubilation that “symbolized not only the freedom regained, but much more, a dignity reconquered”.12 Moreover, if the common determination in the camps was to try to survive, some had the privilege of saving the lives of others, which would later give rise to debate and criticism. However, Semprún was confided the task of finding the identities of the dead to hide the identity of those that they wanted to keep alive: “I will live with his name, he will die with mine”.13 Semprún related that he was taught by a member of the resistance, Henri Frager, who assisted the head of the network, about what he might expect were he ever seized by the Gestapo and who presented the instruments and modus operandi of each procedure to 8 Semprún 2012, 21, English translation from the Spanish edition 2016. The two officials cited in Tenenbaum & Fleck 1945, https://archive.org/details/EdwardTenenbaumEgonFleckPre liminaryBuchenwaldReport/page/n8 [18. 05. 2020]. 9 Semprún 2012. 10 See Tenenbaum & Fleck 1945; https://archive.org/details/EdwardTenenbaumEgonFleck PreliminaryBuchenwaldReport/page/n8 [18. 05. 2020]. 11 Wieviorka 2015. 12 Semprún 2015, 58. 13 Semprún 2015.

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him in order and by their effects. “The dry, burning pain, yet not very persistent and more volatile, of the wooden club, was not comparable to the dumbing pain of the rubber truncheon filled with lead, easier to withstand on impact, but much deeper and harsher”.14 One day in the autumn of 1944, some thirty prisoners arrived at Buchenwald who were dispatched to a particular block, the majority French and some British. The clandestine international committee received special instructions to save some of the most valuable to the allies and the European resistance. Among them was one who some 50 years later would achieve global celebrity with his essay “Indignezvous?” [Time for outrage].15 Stefan Hessel, in a small book of recollections, had no recollection of having had his name changed with the name of a dead man so he might live, in other words, he did not recall that they saved his life. Moreover, he criticized what he saw as the immense power of the communists in the clandestine network. However, in its management and that of his group, in addition to the organization and the communists at the camp, Eugen Kogon was a decisive force, a notorious Austrian Christian-democrat and trade unionist, and a prisoner since the start of Hitlerism. As Kogon was a sociologist with a doctorate, upon his liberation, the Americans commissioned a book on the camps from him that made a fortune: Der SS-Staat.16 Without speaking about anything, and with a sort of fear and strange rejoicing, at his meetings with old members of the resistance, Semprún explained that he could be sure that they all shared an emotion that was exclusive to them alone, which separated them from common mortals: the memory of torture.17 “Both Frager – his chief in the French resistance who arrived with the group of Stefan Hessel – and myself, we agreed in that it would be absurd and inhuman, even disastrous for a just conception of the possible humanism of man, to consider stiff resistance to torture as an absolute moral criterion. A man is not authentically human only because he has withstood torture. Values and virtues that are properly human, in other words, essential enough to support the transcendence of their ideals of the altruist ego, can neither be conceived nor overcome solely on the basis of a capability to withstand torture”.18 “The experience of torture is neither solely nor even principally that of suffering, that of the abominable solitude of suffering. It is also, above all, without doubt, that of fraternity”.19 Semprún experienced this conviction that he talked over with Frager a little before the latter was executed, during his 10 years of Madrilenian clandestinity in Spain during the harshest years of Francoism, in which he was not denounced by any of the many victims of torture that surrounded him, nor arrested in consequence, which reaffirmed for him that withstanding torture is that experience of fraternity.

14

Semprún 2015, 36 fn. 6. Hessel 2012. 16 Original version from Kogon 1946; the English edition by Norden 1965; the Spanish edition by Gimbernat Ordeig 2005. 17 Semprún 2015, 52 fn. 6. 18 Semprún 2015, 54 fn. 6. 19 Semprún 2015, 57 fn. 6. 15

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Among the methods of torture by their order that were explained to him, Semprún withstood being suspended with his hands handcuffed behind his body and arrived at the bath, in which the Gestapo tipped freezing water, rotten food and repugnant things, which he managed to overcome despite a phobia before his immersion in the water. They left him in peace and he admitted that he would not have known what he could have done to continue on the viacrucis with the extraction of his fingernails, the electric shocks… And the fact is that nothing can properly prepare a person for torture: “that experience cannot be anticipated in the flesh, torture is unforeseeable, unpredictable, in its effects, in its devastation, in its consequences on bodily identity. Nobody can foresee nor guard against the possible rebellion of one’s body under torture, devoutly -brutally evendemanding a capitulation from within the soul, from one’s will, from one’s ideal self, unconditionally, shameful, but human, far too human”.20

And he continued: “what is inhuman, in truth, excessively human, in any case, is imposing on your body an unending resistance to infinite suffering. Imposing on your body that only wishes to live, still devalued, miserable, still overwhelmed by humiliating recollections, the smooth and glacial perspective of death”.21

The person who is immersed in the pain of torture feels his body as never before. The flesh is totally felt in its self-negation. This idea of Améry’s22 was confirmed when he recalled that, instead of his tortures, he had the sensation of not having had a body at all “as if the pain pervaded throughout my flesh, as if it made me discover the body at the same time, the fragility, its miseries, its limits”23 and he protested when he read that Améry had affirmed: “whoever has been subjected to torture is incapable thereafter of feeling at home in the world. The trust in the world disappears because as soon as the first blow strikes home, torture puts an end to that trust in a complete and irrecoverable way”.24

Personally, I am more with Semprún when he says that “that affirmation is the reflection of a profound personal wound, of a horrible despair, of an intimate violent secret that suddenly explodes”.25 For Semprún, the experience taught him that it will not be the victim, but the executioner, who will not feel at home in the world. The victim, on the contrary, and not only if he survives the torture, is shackled to his silence of multiplying his links with the world, laying roots, branching out, proliferat-

20

Semprún 2015, 36 fn. 6. Semprún 2015, 36 – 37 fn. 6. 22 Améry 2004; the English edition by Sidney & Rosenfeld 1980; the German edition Améry 1966; Améry 2019, especially 103 – 158 on torture. 23 See Semprún 2015, 56 fn. 6. 24 Semprún 2015, 56 fn. 6. 25 Semprún 2015, 56 fn. 6. 21

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ing, the reasons for feeling at home in the world.26 Most nights asleep the nightmare of being “within” the picture of Joaquín Patinir, El paso de la laguna Estigia [Landscape with Charon Crossing the Styx],27 perturbed him, as much as it had impressed him as a child so much when he visited the Prado Museum with his father. Always therefore between heaven and hell. I believe that these reflections of Jorge Semprún on this dialogue with Améry will allow everybody, especially the young, to come to understand the essence and the destructive force of torture and thereby understand from today’s perspective what it is that we are fighting against. It is that destructive capability of torture which incites our rebellion, even when the victim is not the defender of a flag and such a noble cause as resistance against Nazis and fascists. I do not believe that the feeling of being at home in the world extends to the terrorists of our time, murderers of both military and civilians, of men, women, and children, snatched away by the criminal passion of dogmatism, political and religious fanatism, and nationalism. However, we also negate the right of the state to inflict torture upon them. The state that tortures crosses the line of civilization, of humanity. As you have been able to see, we are referring to traditional torture, to the blows, the dislocation of members, water, whether in the bath or the soaking rag in the mouth. The imagination of the torturers is not vast. When we were informed of the methods of torture of the Bush administration, proposed by its Attorney General, they surprised me, as I thought I was once again reading a chapter of the Quijote by Cervantes, chapter XXII, where it relates the causes and misfortunes of those who were led in chains to serve his majesty the King in his galleys, such as Galeote. The guard said of one of them that he was there for “singing”, of course, for singing while in torment: the prisoner immobilized lying down has a damp rag placed in this mouth and water is dropped onto it, drop by drop, and with each drop he is overcome by the anxiety of death by drowning. I was deeply moved to see Barak Obama signing his first law: the act that repealed the authorization of torture.28 Torture is the act of causing pain and physically unbearable humiliation and as humiliating as it is at a spiritual level, it is as such the enemy, the principal enemy, and we have also to express concern over abusive “inhuman and degrading” treatment. Through the evocation of the experiences and the reflections of Améry, without any doubt Jorge Semprún helps us to understand the relevance of the principles of total proscription of torture enshrined in article 3 of the Universal Declaration of Human Rights: “No one shall be subjected to torture or to inhuman or degrading treatment or punishment.” It is the most radical proscription of treatment by the state and its citizens, which is qualified as one of the crimes against humanity.

26

Semprún 2015, 64 fn. 6. Find online at https://www.museodelprado.es/coleccion/obra-de-arte/el-paso-de-la-lagun a-estigia/ [18. 05. 2020]. 28 Bassiouni 2010. 27

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Mireille Delmas-Marty reminds us that the political notion of the crime against humanity and civilization was coined for the first time by Chateaubriand when learning, in 1799, of the massacre of prisoners that Napoleon had carried out in Jaffa, Egypt, killing more than 3,000 prisoners. However, it only acquires that legal definition of a crime in the statutes of Nuremberg and in its judgement, although with certain confusing imprecisions that are not relevant today.29

4. Crimes Against Humanity and Genocide: the Genetics of Two Concepts Over recent years, numerous monographs have been published on the crimes of national-socialism and on the construction of the allied response of the first United Nations to the highest-ranking Nazis on trial before an international criminal Court. Its effects on the concept of criminal liability, on structures of power and on the birth of international criminal law are evident today. Jonathan Littell – a North-American Jew who wrote in French and lived in Barcelona – managed to convey the question of the atrocity of the facts and their authors with his Goncourt Prize of 2005, Les Bienveillantes30 and, in 2010, Christian Ingrao published a summary of his extraordinary thesis of state, Croire et détruire.31 Interest in Nuremberg in all of its dimensions has begun to be broadly expressed, above all since the time of the launch of the International Criminal Court. In turn, the archives of the United Nations War Crimes Commission have been opened, which in the first weeks of the Cold War, at the end of 1948, had remained closed.32 They had been converted into the “best kept secret” in this field, as William Schabas said at the opening of the first congress on this question, in 2013. The past 2017 saw the appearance of the work of Philippe Sands, edited with the not very accurate title in English, East West Street, in contrast with the French or German edition: Retour à Lemberg.33 It is an essential book, which highlights the genesis of the ideas that sustained the fundamental legal innovations that crystallized in Nuremberg and the lives of the personalities and the vital events of those who advanced them. Sands, professor of International Law at Cambridge and a Human Rights litigation lawyer before international courts was well known for his books on international environmental law, nuclear arms, and the International Court of Justice, and on crimes against humanity. But what was to bring him universal renown was this book that he decided to compose one day in search for the origins of his family, from that land of Central Europe along with all of its people that over 40 years came to belong to Austria, Poland, Germany, 29

Delmas-Matry et al. 2009, 3. Littel 2009: see for Spanish edition Littel 2007. 31 Ingrao 2015; see for the Spanish edition Monreal 2017. 32 Schabas et al. 2014, 1; Kochavi 2005; Plesch 2017. 33 Sands 2016; see, for the German version, Sands 2018.

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Russia, and what is today the Ukraine. Its capital Lemberg, in Germany, or Lwów in Polish, and now Lviv (Ukranian) was a relevant city with a university to which people came to study from the region that bore the name of Galithia-Volhynia. A multiethnic, multicultural, and multinational region. But of all the “nationalities” or cultures, the ones that lived through the worst part of all the suffering were the Jews, victims first of displacements, of ethnic cleansing, and then of direct extermination. Sands’s grandfather had already fled to Vienna to study and from there had the good luck to emigrate to France, before Hitler closed the frontiers and cast the net over all the Jews. Only his mother and an aunt, in a spectacular adventure, were saved from among scores of relatives. What surprised him in addition was that the University of Lemberg to which they had invited him to give a conference, was the one in which, hardly 4 years earlier, the father of his master Hersh Lauterpacht, founder of scientific international law in Great Britain and another very relevant person in our field, Rafael Lemkin, had studied. Thus, the very detective-like search to discover the history of his family incorporated the lives of the aforementioned jurists who were to represent two mainstream contemporary legal principles. In the first place, Lauterpacht, who constructed the idea of a declaration of human rights internationally guaranteed to guard against states with a right over the life and the liberty of “their” citizens that had to be negated. Lemkin, better known by the public in general, was the creator of the concept of genocide and, although he never managed to introduce it into the catalogue of crimes at Nuremberg, he did afterwards manage to convince the whole world and to launch the International Convention against Genocide in 1948. There are numerous publications on Lemkin. Antonio Elorza and Araceli ManjónCabeza34 prepared, in 2015, a compendium of his writings among which the speech that he could only send to the organizers of the Congress of the International Union for the Unification of Criminal Law that Don Luís Jimenez de Asúa organized in Madrid. Lemkin, by then an attorney in Warsaw, was not seen fit by his Ministry of Justice to travel to Madrid. It must have appeared too much to them that yet another Jew was to appear as the principal Polish invitee and, in addition, as a qualified speaker at the Congress, together with Emil Stanislas Rappoport, university chair of Warsaw and magistrate of the Supreme Court who after over one year of imprisonment by the Nazis was, following the liberation, named its president. Despite everything, and although his work was not under debate, he managed to have it published with the minutes of the Congress. Lemkin in those years had an intense academic activity, translating Soviet criminal legislation and lending general attention to the new criminal Law authorities, especially in Italy. He fled before the invasion of Poland and took refuge in Stockholm where he started to collect all the general official German gazettes and those from the occupied territories, which he obtained thanks to his contacts with various embassies. He amassed a gigantesque archive that he was to transport with great difficulty from Sweden, passing through Russia (at the time 34

Lemkin 2015.

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the USSR) until his arrival at Seattle, in order to take up the post of an invited professor at the countryside campus of Duke University. Such a wealth of documentation that has been increasing through his contacts in Washington brings together the expository essay of the horror legislated by the Nazis: Axis Rule in occupied Europe, that its sponsor, the Carnegie Endowment for International Peace, in USA had published, at the early date of August 1944. From those works he was able to find a name for the atrocity that when Winston Churchill learnt of it, exclaimed that it was a “crime without a name”: genocide.35 Lauterpacht had finished his doctoral studies at the London School of Economics in 1925, after passing through the Faculty of Law at Lemberg, from which the Jews were expelled, and at Vienna where he was a student of Hans Kelsen. He abandoned Poland en route to England, after failing, due to reasons relating to racial discrimination, to be appointed to a university chair at Lemberg, with the idea of continuing his training in international criminal law there, and so that his young wife could follow her musical studies. All his work was motivated by the concern to prevent states from exercising a right of life or death over their citizens. He worked towards the acknowledgement that all human beings deserve international protection against any form of despotism, beyond the mere protection of social groups and other minorities, established after Versailles. Special emphasis was placed on the recently constituted independent nation of Poland, which angrily protested, and that has these days once again protested against the demands of the Council of the European Union. Lemkin composed his “Axis Rule” at Duke University and constructed the concept of genocide as an instrument of singular protection of groups and minorities. At the same time, Lauterpacht who mistrusted that protection of groups, constructed a general theory of international protection of the human rights of all individuals, which would be presented in 1945 as An International Bill of Rights of Man, from which the concept of “crimes against humanity” was to emerge.36 It was only in Nuremberg that Lauterpacht and Lemkin came to know that their respective families had been exterminated, the first very probably when the Soviet Prosecutor read out the initial accusation and provided information on the extermination of the Jewish community of Lemberg. During the judgement, among the 22 accused, they could see Hans Frank the General Governor of Poland, formerly the legal adviser to Hitler and the Minister of Justice. He had been directly responsible in that land for the extermination of the Jews and the families of the two aforementioned jurists, at the hand of Wachter, governor of Galithia, of over 130,000 people in a single month, August 1942. The Russian Prosecutor made the news public in the presentation of the accusation. Philippe Sands received an informal invitation to the University of Lemberg that he accepted with a keen interest in visiting the place of his ancestors and the opportunity to 35 36

Collected papers in http://www.preventgenocide.org/lemkin/ [18. 05. 2020]. Lauterpacht with an introduction by Sands 2013; Vrdoljak 2010, 1163 – 1194.

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enter into contact with some surviving family members. At that point in time he announced the detective-like search for information on his family, on the other protagonists, in official files, and in private ones from Europe and America. The search for his own family required the labors of a detective, but he managed to clarify the reasons that might have explained why his grandfather emigrated in 1938, his grandmother stayed in Vienna, but his grandfather’s daughter, Sands’s own mother, moved to Paris with only a few months of life. He reconstructed the life – and the death – of almost all of them and in the process discovered the terrible fate of European Jews. Not even Einstein could save his two sisters. Sands’s grandmother lived in the same street of the small city close to Lemberg, the city in which Hersch Lauterpacht had lived, the Lembergstrasse, in German times, or East-West street in all the others. Mark Mazower, in his review of the work of Sands,37 said that the greater part of the most intimidating material in the book is personal. Thus, we learnt that Lauterpacht was inspired to write his treatise on human rights listening to the music and the words of the Passion according to Saint Matthew and that, in turn, it was the piece that was performed more than any other in the Castle of the “King” of occupied Poland, who was to transport Lauterpacht’s family and all of his relatives to the great beyond. We also know that their executioner, Otto von Wachter, sought by the Soviets together with Hans Frank, avoided two trials and execution, protected by the Nazi bishop Hudal, rector of the Teutonic college of Saint Mary of Anima, in the clandestinity of Rome. He was very soon to die there of a raging hepatitis contracted from the cold and contaminated waters of the Tiber in 1949, and for his consolation in the Hospital of the Holy Spirit. Mazower was right, there was a lot of “personal” baggage in the book.

5. Final Conclusions In brief, it was at Nuremberg, in the acts that were under judgement and in the lives of its leading figures, where the cry that the world gave out against crimes against humanity could be understood. So too the reasons that shed light on both the new attempt at world government that the conference of San Francisco represented, the creation of the United Nations and the adoption of the Universal Declaration of Human Rights in 1948. It is by following the testimony of the experiences of those that suffered torture and extermination that the two worst crimes may be understood today and, therefore, the two most radical prohibitions, whether torture and genocide. The right not to be a victim of torture is, within the fundamental rights, the one that is formulated with no restrictions at all, a right ranked second in the set of fundamental rights of the Declaration. However, even the right to life has (will have) restrictions; not so the right to exclude torture from the behaviour of the state and its agents. 37

Sands 2016.

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The same norm has been reaffirmed in subsequent texts following the Universal Declaration and the European Convention, thus, under article seven of the International Covenant of Political and Civil Rights, in the American Convention on Human Rights of 1969, under article 5; in the Convention against Torture and Other Cruel, Inhuman or Degrading Treatment, of 10th December 1984; in the statutes of the International ad hoc Tribunals and in the Rome Statute of the International Criminal Court of 1998; in the Charter of Fundamental Rights of the European Union, under article 4; as well as the jurisprudence that is systematically applied in the respective jurisdictional fields. Article 3 of the European Convention of Human Rights proclaims that: “No one shall be subjected to torture or to inhuman or degrading treatment or punishment.” The “Prohibition of torture”, as article 3 is titled, and inhuman and degrading treatment, as Schabas says, is frequently cited as one of the most absolute and sacred of the fundamental human rights. Its fundamental meaning is to stand up to the “necessities” of the fight against crime and the reason of state itself. Schabas reproduces a text presented by the British Labour parliamentarian, Seymour Cocks, at the Consultative Assembly that drafted the text of the convention: “The Consultative Assembly takes this opportunity of declaring that all forms of physical torture, whether inflicted by the police, military authorities, members of private organisations or any other persons are inconsistent with civilised society, are offences against heaven and humanity and must be prohibited”.38

and declares that “this prohibition must be absolute and that torture cannot be permitted by any purpose whatsoever, neither by extracting evidence for saving life nor even for the safety of the State”.39

The Assembly believes “that it would be better even for Society to perish than for it to permit this relic of barbarism to remain”.40 Although this text was not finally approved, the dry and dogmatic text reproduced above was adopted, and the fact is that prohibition is effectively understood as absolute and irrevocable and constitutive of ius cogens.41 The radical, obligatory prohibition of ius cogens completely disqualifies any attempt at legitimizing the exceptions that are alleged in favor of the supposed criminal law of the enemy, of the so-called tortures of salvation, as Francisco Muñoz Conde has broadly justified in his recent work published in honor of Santiago Mir42 and I

38 Collected edition of the “travaux preparatoires” of the European Convention on Human Rigths, Martinus Nijhof, I, 1975, 36 – 38. 39 Collected edition of the “travaux preparatoires” of the European Convention on Human Rigths, Martinus Nijhof, I, 1975, 36 – 38. 40 Collected edition of the “travaux preparatoires” of the European Convention on Human Rigths, Martinus Nijhof, I, 1975, 36 – 38. 41 Schabas 2015, 154 ff. 42 Muñoz Conde 2017, 769 ff.

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conclude as he did, by turning to Massimo La Torre: it is quite illegitimate for the state to act senza pietà and to resort to torture.43 References Améry, J. (1966): Jenseits von Schuld und Sühne: Bewältigungsversuche eines Überwältigten. München. Améry, J. (1980): At the Mind’s Limits: Contemplations by a Survivor on Auschwitz and Its Realities. Bloomington. Améry, J. (2004): Más allá de la culpa y la expiación: Tentativas de la superación de una víctima de la violencia. Editorial Pre-Textos. 2nd edition. Valencia. Ataria, Y., Kravitz, A. & Pitcovski, E. (2019): Jean Améry: Beyond the Mind’s Limits. Augstein, F. (2008): Von Treue und Verrat: Jorge Semprún und sein Jahrhundert. München. Bassiouni, M.C. (2010): The Institutionalization of Torture by the Bush Administration: Is Anyone Responsible? Antwerp; Portland, OR. Caballero, J.B. & Zapatero, L.A. (2013): Francisco de Goya. Contra la crueldad de la pena de muerte. Madrid: Ediciones de la Universidad de Castilla-La Mancha. Centro Nazionale de Prevenzione e Difessa Sociale (CNDPS) (2015): Cesare Beccaria y la abolición de la pena, in: CNDPS (ed.), Dei delitti e delle pene a 250 anni della publicacione. Lezione di Cesare Beccaria. Milan, pp. 61 – 68. Costerbosa, M.L. & Torre, M.L. (2013): Legalizzare la tortura? Ascesa e declino dello Stato di diritto. Bologna. Council of Europe (1975): Collected Edition of the “Travaux Preparatoires” of the European Convention on Human Rights, Martinus Nijdhof, I, 1975. Delmas-Marty, M., Fouchard, I., Fronza, E. & Neyret, L. (2009): Le crime contre l’humanité. Paris. Hessel, S. (2012): Indignez-Vous! Montpellier. Ingrao, C. (2017): Creer y destruir: los intelectuales en la máquina de guerra de las SS. Barcelona. Kochavi, A.J. (2005): Prelude to Nuremberg: Allied War Crimes Policy and the Question of Punishment. New ed. London. Kogon, E. (1946): Der SS-Staat – das System der deutschen Konzentrationslager. München. Kogon, E. (1965): The Theory and Practice of Hell: The German Concentration Camps and the System Behind Them. Revised ed. New York. Kogon, E. & Gimbernat Ordeig, E. (2005): El estado de la SS: el sistema de los campos de concentración alemanes. Barcelona. Lauterpacht, H. (2013): An International Bill of the Rights of Man. Updated ed. Oxford, United Kingdom. Lemkin, R. (2015): Genocidio. Escritos, Centro de Estudios Políticos y Constitucionales. Madrid. 43

La Torre & Lalatta 2013.

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Public Opinion Surveys and the Abolitionist Cause: Findings from the Eastern Carribean A Contribution in Honour of Professor Albrecht’s Initiative in China By Roger Hood †

1. Introduction: Albrecht’s Initiative in China Thirty years ago, in a report to the United Nations on the status of the death penalty worldwide, I noted that even though public opinion was “quite frequently cited as a major factor in the decision whether to abolish, restrain, or reinstate the death penalty”, surveys of public opinion on this issue were virtually unknown outside of the United States and Western Europe.1 Hans-Jörg Albrecht is to be praised for leading the first major project to remedy this situation. In 2003, the Max Planck Institute had collaborated with the Chinese Academy of Social Sciences (CASS) on a modest empirical study, funded by European Initiative for Democracy and Human Rights and administered by the Great-Britain China Centre in London, of the outcome of so-called ‘death-penalty cases’ – meaning those in which the defendant was at risk of being sentenced to death – tried in the Intermediate People’s Courts.2 I was privileged to be invited to take part in the seminar in Beijing at which the findings were discussed and noted how often the issue of public support for the death penalty entered the debate. At that time, the only evidence of the level of support was the survey carried out by Professor Hu Yunteng of the Law Institute of the Chinese Academy of Social Science (CASS), along with the National Bureau of Statistics of China, in three provinces in 1995 which had asked the single, broadly worded, question: “what is your attitude towards the death penalty”, from which the investigators had concluded that 95 percent of the respondents were in favour of it.3 We had been made aware that one of the prime reasons put forward by governmental, judicial and academic authorities in China for not following European nations towards worldwide abolition of capital punishment was the belief that executions had such strong support among the general population and criminal justice professionals that any attempt to reduce their scope and application too quickly, let alone 1

Hood 1989, 148. Albrecht 2006. 3 See Oberwittler & Qi 2009, 4. 2

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to abolish them altogether, would be an affront to public opinion, incompatible with Chinese cultural values, and likely to undermine public feelings of security at a time of large-scale demographic and other social change. For instance, although the question of the scope and use of the death penalty was on the agenda of an EU-China Human Rights Seminar that Professor Albrecht and I attended in Beijing in 2001, we learned that at the same time a “strike hard” campaign had resulted in over a 1,000 executions in one month.4 Following the successful endeavour of the Max-Plank Institute in 2003 to open the subject to empirical enquiry, the European Commission announced in 2005 that it would support an initiative to try to ‘move the debate forward’ in China. HansJörg, who had been deeply sceptical whether the extensive use of capital punishment in China was in fact so strongly supported by public opinion, made the bold proposal to mount a sophisticated and large-scale public opinion survey to provide an empirical basis for discussion of the prospects for death penalty reform. The acceptance of Hans-Jörg’s proposal signalled confidence in his scientific integrity, although the Chinese authorities may also have felt that the findings of a public opinion survey would not challenge, but reinforce, what they held to be self-evident. “Moving the Debate Forward: China’s Use of the Death Penalty”, was a collaborative project of research and seminars, co-ordinated by the Great Britain-China Centre in London. The participants were the Max-Plank Institute for Foreign and International Criminal Law, the College of Criminal Law Science of Beijing Normal University, Wuhan University, the London-based Death Penalty Project, and the Irish Centre for Human Rights. 1.1 The Significance of the Max-Planck Initiative in China The Max-Planck public opinion survey, carried out with the assistance of the Research Center for Contemporary China at Peking University, was on different scale and of an altogether superior methodology than what had been attempted before in China, or in any other nation outside of the USA. It gathered responses from a scientifically drawn sample of nearly 4,500 citizens (69% of those approached) in Hubei and Guangdong provinces and in Beijing who were personally interviewed between 1st November 2007 and 20th January 2008.5 To a considerable extent the survey, designed, analysed and written by Dietrich Oberwittler and Shenghui Qi (a Chinese doctoral student at Max-Planck) under Pro4

See Hood 2009, 3. A similar survey of criminal justice personnel drawn from various professionals in the criminal justice system with knowledge of and responsibility for the imposition of the death penalty in China was carried out at the same time by a trained team of doctoral and master’s degree candidates at Wuhan University’s Criminal Law Research Centre, under the direction of Professor Mo Hongxian. Regrettably there is not space here to report on its findings. The author of this article was honoured to be appointed Consultant to both surveys. 5

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fessor Albrecht’s direction, dispelled the myth that members of the public had a deep and inflexible commitment to the current use of capital punishment in China. It was surprising that only 58 percent said that they were in favour of the death penalty in general and that in addition, over a quarter were undecided about their attitude.6 This was backed up by their reactions when asked to decide on the appropriate penalty when presented with several ‘scenarios’ of murder convictions presented to them. For example, when told that: “A man robbed a convenience shop with a gun and killed the shop owner by shooting him in the head. He took away with him 2000 Yuan cash. He had been in prison twice for robbery.”

less than half of the sample thought that an immediate death sentence would be the appropriate punishment.7 Asked whether they thought that China should ‘speed up’ towards abolition of the death penalty, only 53 percent opposed this view and, again, a large minority (a third) said they were not sure what the policy should be. Although only one fifth thought that China should immediately follow other countries in abolishing the death penalty (a majority believing that China should go at its own pace in relation to its own circumstances) the fact that so many were unsure what they thought about the subject of the death penalty indicated that they may well have been prepared to follow political leadership on this issue. Certainly, these and other findings (which there is not room to discuss here) suggested that the central question might best be reformulated from “How many people are in favour of the status quo” to “Is public opinion so inflexibly resistant to the policy of abolition of capital punishment to make it politically impossible to enact in law”? Not only did the independent evaluator appointed by the EU praise the MaxPlanck opinion survey (and the survey of the opinions of criminal justice personnel carried out in parallel by Wuhan University) as “without doubt the most important part of this project”, it was also welcomed by Chinese academics favourable to death penalty reform. But it appears that the authorities and judges remained either ignorant, or at best sceptical, of the findings of the Max-Planck Research. Interviews with judges and criminal justice professionals working both at the national and provincial levels revealed that they remained convinced, on the basis of their own experience and the information they gleaned from the internet of punitive reactions expressed by so-called ‘netizens’ in response to egregious incidents of murder, that public opinion was still strongly in favour of capital punishment.8 They criticised the national opinion survey on the grounds of sample size, the limited number and characteristics of the provinces surveyed, and the nature of the questions posed.

6 Although when asked specifically whether they favoured the death penalty for murder 78% said Yes. Even so, this was well below the 95% reported by Hu Yunteng. 7 See Oberwittler & Qi 2009, 12 and 14. 8 See Miao 2013, 510 – 512; Liu 2019.

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This was a disappointing outcome,9 but the research had a much wider value and impact. It acted as a stimulus to researchers to explore public opinion in greater depth in several other retentionist countries. All had maintained, in one way or another, that public opinion and public sentiments are so culturally different and dependent on national circumstances that the question of the death penalty is “first and foremost an issue of the criminal justice system and an important deterring element vis-à-vis the most serious crimes”. Furthermore, “that [capital punishment] is not a question of human rights” but to be “determined by each State, taking fully into account the sentiments of its own people, the state of crime and criminal policy”.10 Hans-Jörg’s initiative, and the excellent report produced by his colleagues Oberwittler and Qi, inspired others to explore whether the claims made by many retentionist governments accurately reflect public attitudes and what they would be willing to accept if leadership were to be exercised by the political elite.11 1.2 The Wider Significance of Public Opinion Surveys on the Death Penalty In a recently published article, I have reviewed the findings of similar surveys in eight retentionist nations, including China.12 It shows that a salient factor is the strength of opinion in favour of the retention or abolition of capital punishment. When this is considered, it suggests that although the immediate response of the majority may be that they favour the status quo, this does not mean necessarily that they would be opposed to its abolition. For example, the survey in Taiwan, carried out by Professor Chiu Hei-Yuan, found that while 85% of respondents said they were opposed to abolition, only 32% said they were strongly opposed. In Ghana, Tankabe found that the balance of opinions was greatly in favour of those who had strong feelings against capital punishment: while 48% were intensely opposed to it only nine 9 It should be acknowledged that at this time China began to proceed with a number of legal reforms, most notably to bring the review of all death penalty judgements under the control of the People’s Supreme Court and reduce the scope of offences subject to capital punishment. 10 This is the justification of states which have recorded their “persistent objection to any attempt to impose a moratorium on the use of the death penalty or its abolition,” in a Note Verbale sent to the UN Secretary-General after each occasion since December 2007 that the General Assembly has passed by a majority a resolution entitled “Moratorium on the use of the death penalty.” For the latest Note Verbale, see Promotion and Protection of Human Rights: Human Rights Questions, Including Alternative Approaches for Improving the Effective Enjoyment of Human Rights and Fundamental Freedoms, in: Note Verbale dated Sept. 7, 2017 from the Permanent Mission of Egypt to the United Nations addressed to the Secretary-General, U.N. Doc. A/71/1047 (Sept. 13, 2017), 3 – 4. 11 See Hood & Hoyle 2016, 426 – 432. 12 Hood 2018, 218 – 242. The countries were: The People’s Republic of China (Oberwittler & Qi 2009), Trinidad (Hood & Seemungal 2011); Malaysia (Hood 2013); Singapore (Cheong et al. 2016); Taiwan (Chiu 2019); Ghana (Tankebe et al. 2015); Japan (Sato 2013; 2014; Sato & Bacon 2015); Belarus (Penal Reform International 2017).

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percent of respondents “expressed intense approval”. Even more remarkable was the response found by Chan Wing-Cheong and colleagues in Singapore: while 70% said that they were generally in favour of the death penalty, only nine percent chose “I am strongly in favour of it:” When the option “should [the death penalty] definitely be kept” was introduced in a survey by Mai Sato of Japanese opinion only 44% of respondents endorsed it, whereas the government’s survey had found that as many as 86% had agreed that the “death penalty is unavoidable in some cases”.13 Sato and Bacon also found that although three-quarters of respondents had said they agreed that the death penalty should “definitely” or “probably” be kept, as many as seven out of ten admitted that they would “simply accept abolition as government policy if the government decided to exercise its leadership.”14 Such was their commitment to capital punishment! When respondents were asked whether they would favour the death penalty if it were to be proven that innocent persons had been executed, support for it had plummeted from nine out of ten to only a third in China. There was virtually the same response when this was asked of citizens in Malaysia, Singapore, Trinidad, Taiwan and Ghana: strong evidence that in many countries support for the death penalty is contingent on the belief that it is administered without error. There was a remarkable degree of concordance between judgments made by respondents from different countries, on the appropriateness of imposing a sentence of death when they were presented with scenarios of real cases. In every survey where this technique was employed, only a minority favoured the death penalty when mitigating circumstances were present. Even in cases with aggravating factors, the proportion choosing death, as the China survey had shown, was considerably lower than the proportion who had supported the death penalty “in the abstract.” In countries where the death penalty was the mandatory punishment for murder and drug trafficking, support for it proved to be very low when respondents were faced with judging cases with differing factual circumstances. In Malaysia, for example, where 56% of the sample said they were in favour of the mandatory death penalty for murder15 only 14% of them actually chose to “impose” the death penalty in all three of the murder cases they judged, as required by the law. Thus, only eight percent of the total of over 1,500 respondents both said they favoured the mandatory sentence and imposed it in practice.16 They accepted that to treat all cases the same as if they were of equal culpability would amount to injustice. In fact, one of the most remarkable findings was that, when respondents were asked to compare the likely effectiveness of five social and criminal justice policies aimed to reduce violent crimes leading to death in Malaysia and in Singapore, “great-

13

Sato 2014, 105 – 107. Sato & Bacon 2015, 27. 15 88% of the 56% were actually “strongly in favour”. 16 Hood 2013, 20 – 21. 14

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er number of executions” was ranked last by the largest proportion of respondents in Malaysia (48%) and in Singapore (74%) and first by only 12% and 5% respectively.17 Of perhaps greater significance is that these surveys have revealed that the balance of views, values and judgments on the death penalty, made by respondents interviewed in retentionist countries drawn from the Caribbean, Asia, Africa and Eastern Europe, far from being country-specific and unique, were based on commonly shared norms. Furthermore, in every country, opinions on the death penalty, whether in its favour or expressing opposition to its abolition, were far more nuanced and moderate than governments apparently believed or were prepared to accept. It is not surprising therefore that Frank Zimring and David Johnson concluded, from their reflections on the public opinion survey in China, that: “[…] public opinion seems to tolerate substantial changes in execution policy notwithstanding general support for the death penalty as an abstraction. Changes in government death penalty policy are rarely inspired by public sentiment, and the efforts of government to shift policy are usually tolerated by the citizenry.”18

2. Understanding the Persistence of ‘Abolition de Facto’ Through the Views of Opinion Formers I take this opportunity to discuss an opinion survey relevant to the issues discussed above, but in relation to different circumstances: namely to question well-informed prominent citizens why, in their view, their government had not abolished capital punishment despite the fact that no executions have been carried out for many years. The assumption has often been made that citizens will come to accept abolition once executions have no longer been carried out for a considerable period of time. This could be because it would demonstrate that they were no longer regarded as an essential element of deterrence to murder or other grave crimes, or no longer regarded as an appropriate or proportionate response, but have simply become one of the cruelties inflicted by past generations and are now incompatible with developing standards of human rights. This is why the United Nations and many other pro-abolitionist organisations have categorised countries that retain the death penalty in law but have not executed anyone for at least 10 years, as “abolitionist de facto” and frequently include them in a composite total of countries “abolitionist in law or in practice”. At present there are 46 such countries. Only Amnesty International distinguishes between those they have reasons to believe are committed not to execute anyone sentenced to death (amounting to 28) and those that are in reality in favour of retention (18) but for various reasons concerned with violations of human rights standards, have not been able to carry out executions for 10 or more years. All of them, of course, could revert to executions provided that they amended their proce17 18

Hood 2018, 240. Zimring & Johnson 2012, 191 – 192.

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dures and statute law so that it no longer violated internationally agreed human rights standards. The author and Florence Seemungal have very recently completed a study for The Death Penalty Project, the London-based NGO, entitled ‘Sentenced to Death Without Execution’, which aimed to explore the views of leading opinion-formers in the six member countries of the Organisation of Eastern Caribbean States (OECS),19 as well as the neighbouring non-member larger island of Barbados, as to why capital punishment has not yet been abolished. All retain the death penalty for murder, but with the exception of Grenada (which is the only one of them to be classed by Amnesty as ‘abolitionist in practice’), the other six account for a third of the 18 de facto countries that Amnesty believes should still be regarded as retentionist. Yet, with the exception of St Kitts and Nevis, nobody has been judicially executed in any of the other countries for more than 20 years; and in three of them (Dominica, Grenada, and Barbados) for more than 30 years.20 Furthermore, death sentences have been imposed within the past 10 years only in St Lucia and Barbados; and in four of these seven nations there were no persons still under sentence of death on ‘death row’ in 2018.21 Why then had the death penalty been retained on the statute books? One hundred ‘opinion formers’, drawn from the seven jurisdictions were asked why, they either continued to support the policy of retaining the death penalty or were in favour of its abolition and what factors, beliefs, and assumptions about public opinion and sentiments, appeared to account for their government’s unwillingness to embrace complete abolition. The interviewees identified as ‘opinion formers’ were selected by knowledgeable local informants, and drawn from four broad categories of citizens: from politics (27), criminal justice and the law (34), the clergy (10), and civil society, including the media (29). They encompassed leaders in government and oppositional parties and senior civil servants; prison chiefs, senior police officers, practicing lawyers and a few judges; senior clergy from several denominations; workers in voluntary organisations, well-known businessmen, media personalities and other prominent and respected representatives of civil society.22 They were interviewed by 19 Hood & Seemungal 2020. The countries were: Antigua and Barbuda, Dominica, Grenada, St Kitts and Nevis, St Lucia, St Vincent and the Grenadines, and Barbados. 20 The last execution in St Kitts and Nevis took place in 2008 (after a gap of 10 years). The last execution in the other nations was: Antigua & Barbuda (1991), Dominica (1986) Grenada (1978) St Lucia (1995), St Vincent and the Grenadines (1995), and Barbados (1984). 21 One in Grenada, one in St Vincent and the Grenadines, and 11 in Barbados. All 11 in Barbados are due to be resentenced now that Barbados has renounced the mandatory death penalty for murder and it looks likely that, after the facts in these cases have been reconsidered and a discretionary penalty applied, the number remaining on death row will be much reduced. 22 Of the 100 interviewees, 70 were males and 30 female and 58 were aged between 30 and 60. Thirty-nine said they were Roman Catholic or Anglican and 44 were non-conformist or belonged to a Christian sect. Only 17 identified themselves as non-religious. Among the 27 ‘politicians’, eleven supported the party in power and nine supported the opposition, seven were independent. Taking into account all respondents, 22 said that they supported the government and 19 supported the opposition. In order to ensure confidentiality, the findings are

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my research associate, Dr Florence Seemungal, a citizen of Trinidad and Tobago, and by Ms Amaya Athill, a qualified barrister from Antigua. Those who responded to the invitation to take part in the study were, in general, well informed about 10 main facts relating to the scope, practice and procedures regarding use of the death penalty in their country.23 However, only a minority were aware of their country’s negative response to efforts by the international community at the UN General Assembly since 2007 to support a moratorium on death sentences and executions throughout the world.24 2.1 The Level of Support for Retaining the Death Penalty Respondents were first asked whether personally they were strongly/firmly in favour of retaining the death penalty; tended to favour retaining it; tended to favour abolishing it; or were strongly/firmly in favour of abolishing it. They happened to be almost equally divided: 48 in favour of retention and 52 favouring abolition, but a higher proportion (22/52) of those in favour of abolition were strongly/firmly in favour of it (58%), whereas only 18 of the 48 in favour of retention (38%) held this opinion strongly.25 When those who favoured retention were asked what was their own main reason for doing so 84% chose a retributive response: “It is necessary to show that murder is reported for the six OECS countries and Barbados as a ‘block’, and we believe that this is justified by the fact that all the states involved have, with a few exceptions, followed a similar (and perhaps united) policy on the subject of capital punishment. Given that we would need to keep the interview relatively short, a structured questionnaire was devised and the questions mainly asked the respondent to choose which of a number of optional statements or reasons best reflected their opinion, and to rank the main reason 1. If they wished to choose other reasons as well, these were to be ranked 2 or 3 etc. They were under no obligation to rank any other reason if they did not regard it as relevant. This method of choosing ‘no rank’ had the advantage of highlighting how many informants regarded a possible reason as of no significance or relevance. 23 In the hope of gaining a good response rate, the invitations were kindly sent by the Dean of the Law Faculty of the University of the West Indies. 24 As many as 61% (43/71) of respondents from five countries (Barbados, Grenada, St Lucia, St Kitts and Nevis, St Vincent and the Grenadines) had been unaware that since December 2007 and up to December 2018 their government had consistently voted against the Resolution brought forward biannually at the UN General Assembly by a majority of nations in favour of instituting a universal moratorium on death sentences and executions. Only 20 of the 100 interviewed from the seven countries had known that all these countries (with the exception of Dominica) had, in 2017, signed the Note Verbale sent to the UN Secretary General protesting against such a resolution and dissociating themselves from it. See footnote 10, above. 25 It should be noted, of course, that this does not show what proportions would have taken one view or the other if it had been possible to collect a truly representative sample of all socalled “opinion formers” in the population of these countries. Nevertheless, the difference is large enough to be indicative.

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the very worst crime” (44%), or, “There will always be some murderers who deserve to be executed” (40%). Only 10% chose as their main reason the deterrence argument: [that] “murders would increase”, and none chose “Because I believe public opinion is opposed [to abolition] and I am a democrat” as their main reason. Indeed, 90% of them did not even choose (rank) this as a reason. And among those who were in favour of abolition the main reasons given by two-thirds were that “Death has no extra deterrent effect than long imprisonment”, or it is “an abuse of human rights/ murder by the state”, or because “wrongful conviction and execution is possible”. These were all positive reasons for abolition: only eight percent chose as their main reason the opinion it was redundant: “pointless with no executions”. Subsequently they were asked why they thought that their governments had failed to support abolition of capital punishment. Then, the majority of respondents thought that it was mainly “because [their government] believed that the majority of citizens are still in favour of it, [so] there is no pressure to do so” (46% chose this as the main reason and another 38% as another reason: only 16% failed to mention it as a reason at all). Twenty-four percent thought that the main reason was that “politicians think support for abolition would make them unpopular and/or stir up opposition in the media”; and another 21% chose, as their main reason, that their government“, like other OECS countries and Barbados, believe it is [an] especially necessary deterrent to control the incidence of murder”. So, there was a large gap between what the informed respondents had stated was their justification for retaining capital punishment and the reasons they attributed to their governments for not abolishing the death penalty. In particular, none of the ‘opinion formers’ who favoured retention of the death penalty had chosen “public opinion is opposed” as the main reason for being in favour (and 90% had not chosen it as a reason at all), whereas the majority of them thought that the government believed that the majority of citizens were in favour of retention and not ready to embrace abolition. So, were those among this body of well-informed opinion-leaders as committed to retention of the death penalty, and opposed to its abolition, as they believed that their government is? Certainly, the majority of the 48 retentionist informants were not in favour of changing the already very restrictive scope and application of the death penalty in their country.26 Half selected the option “to leave the law and practice as it is”, expressing themselves content that it was now restricted to “the ‘worst of the worst’ 26

The Eastern Caribbean Court of Appeal and the United Kingdom Privy Council laid down in the case of Trimmingham v The Queen [2009] UKPC 25, that the death penalty can only be imposed on the ‘worst of the worst’ cases where there is absolutely no prospect of the reformation of the defendant. And, the Judicial Committee of the Privy Council in Pratt and Morgan v The Attorney General for Jamaica [1993] 4 All ER 769, (PC), ruled that to retain a person under a death sentence for longer than five years on death row is unconstitutional, being a cruel and inhuman punishment. After five years, if the person has not been executed, the death sentences should be commuted to life or other terms of imprisonment.

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murders […] in circumstances that warrant the death penalty […]” [and] “is not being used frivolously or recklessly” […] “and only in extremely rare cases”. Another six of the 48 endorsed the view that it should be “restricted in use still further if possible”. Only 18 of the 48 (18% of the total 100 persons interviewed) endorsed the statement “the death penalty should be retained but made less restrictive, so that it could be implemented more effectively”. Some of them mentioned the need for more certainty of punishment – including more effective policing and not allowing the length of the appeal process to restrict the carrying out of the sentence – but most wanted the notion of the “worst of the worst” to be extended to include certain specific types of illdefined murder, such as: “Death penalty for malicious murders, killing of law-enforcement officials, domestic murders, death penalty for crimes of passion”; “for malicious murders, family annihilations, cold-hearted killers”; or “when people show no remorse and glorify a crime, then [the death penalty] should be used”.

As mentioned earlier, several surveys have asked respondents how they would compare the likely effectiveness of a policy of “more executions” as a way of controlling violent crime leading to death, compared with other social and criminal justice policies.27 The 100 ‘opinion formers’, both retentionists and abolitionists were asked to rank in order of effectiveness a selection of nine social and criminal justice policies (see Table 1). Only 10 (six retentionists and four abolitionists) endorsed “more executions” as likely to be effective: only two ranked it first as the most effective and 90% did not choose it as an effective measure at all. The proportions of retentionists and abolitionists who rejected the policy of more executions was very similar: 79% and 83% respectively. This was also the case when ranking ‘longer prison sentences’, which 88% of retentionists and 92% of abolitionists declined to endorse. In contrast, 76% chose first either “better moral education of young people against the use of violence”, or “more effective policing in bringing offenders to justice”, or “reducing poverty and improving housing” as the most effective policies. A slightly higher proportion of the abolitionists favoured the educational and ameliorative approach. Retentionists more often than abolitionists chose ‘more effective policing in bringing offenders to justice’.

27

Hood 2018, 239 – 240.

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Table 1 More Executions Ranked Against Alternative Policies Aimed to Control Violent Crime Leading to Death (N = 100) Nine policies

Ranked first

Chosen as additional policy

Not Total chosen N

Better moral education of young people against the use of violence28

45*

28

More effective policing in bringing offenders to justice29

16**

35

49

100

Reduce poverty and improve housing

15***

34

51

100

The three main policies chosen

100

76

Better control of the drug trade

4

44

52

100

Better control and possession of firearms

6

42

52

100*

Better services to prevent domestic violence

3

41

56

100

Better preventive treatment of the mentally ill

4

28

68

100

Longer prison sentences

5

14

81

100

More executions

2

8

90

100

Note: * 50% of retentionists and 40% of abolitionists; ** 21% of retentionists and 12% of abolitionists; *** 8% of retentionists and 21% of abolitionists.

What did the 100 respondents think the effect would be on the behaviour of the general population if the government were to proceed to legislate for complete abolition? Table 2 shows that when presented with various possible outcomes, only 19 (seven of the 52 abolitionists and 12 of the 48 retentionists) endorsed the view that “there would be strong public dissatisfaction, in the media and elsewhere, against the decision and repeated calls for its reinstatement”. Even though only eight of the 100 respondents believed that the majority of the public would accept abolition immediately, a large majority (68) agreed with the opinion that there “might be some demonstrations or expressions of dissatisfaction leading up to abolition, but the majority of the public would come to accept it once the law was passed”. Altogether, this amounted to 76 of the 100 informants, including two-thirds (66%) of those who said they were in favour of retaining the death penalty. It is clear that supporting retention of capital punishment did not imply that the majority of our informants believed abolition would be unacceptable to the majority of the population of their country once it had passed into legislation. 28 One abolitionist (a lecturer) said: “It is not about moral education; we have an educational system that is not sufficient, which allows people to funnel into criminal activities. We don’t need more ‘Jesus’, we need a better educational system.” 29 A senior criminal justice administrator noted: “The justice system is very important, and we need to improve it and restore the faith of citizens in the justice system.”

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“There would be objection to abolishing it but not at the level of demonstrations. There is no push back [my country] will eventually accept it.” “If we were to have demonstrations it would have been done already, because it has already been de facto abolished.” Table 2 Estimated Public Reaction if the Death Penalty were to be Abolished (N = 100, Percentages Rounded) Likely public reaction

Retentionists N

Abolition- Total ists %

N

%

Demonstrations of strong public dissatisfaction, in the media and elsewhere, and repeated calls for its reinstatement.

12

26

730

14

19

Some demonstrations or expressions of dissatisfaction leading up to abolition, but the majority of the public would come to accept it once the law was passed.

27

56

41

79

68

The majority of the public would immediately accept it.

5

11

3

6

8

Relatives of victims or others might take law into their own hands.

4

9

1

2

5

Total

48

52

100

With regard to the position they would take themselves were the government of their country to bring forward legislation to abolish the death penalty all informants were asked: “Would you personally be willing to either support or not to oppose an act of parliament to abolish capital punishment completely in your country?”. This revealed that only 12 of the 100 informants, all of them retentionists, said they would strongly oppose such legislation by “definitely” voting against it. This included only seven of the 18 who had said they were strongly and vigorously in favour of retention. In fact, 70 of the 100 informants said they would either support the legislation (51), or at least not oppose it (19): the remaining 18 would confine themselves to raising objections or were not prepared to commit themselves to a decision at this time. The supporters of an abolition act were fairly evenly balanced between those who said they would give vigorous support (27) and those who would support but “not take the lead” (24). It appeared, therefore, that the majority of ‘opinion formers’ interviewed who favoured retention of the death penalty: 30 It is interesting to note that one criminal justice professional who favoured abolition believed that people had been calling for the death penalty because of an increase in crime and therefore suggested that it “would make sense to take into consideration victims’ rights […] a balance between thinking about defendants’ rights and victims’ rights, including the provision of victim support, whether in terms of access of information, physical and emotional support, or financial assistance”.

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• Were not in favour of increasing its scope and enforcement. • Did not believe that more executions were an effective policy to combat violent crime. • Did not fear that abolition would be unacceptable to the majority of citizens. • Would not themselves vote against it if a bill were to be introduced to abolish the death penalty completely.

2.2 How Could Complete Abolition be Achieved? However, there was little consensus among those who said they favoured abolition as to how this could best be achieved. None of the alternative strategies put to them was ranked first by more than a quarter of them. Nevertheless 31 of the 52 (60%) gave some support to “by creating an influential civil society pressure group Citizens Against the Death Penalty”; and half supported “by a legal challenge to the constitutionality of the death penalty”. But, significantly, only a handful favoured “by the government announcing an official moratorium and signing the next UN resolution in favour of a universal moratorium”.31 Nor was looking to political leadership from the apex of government a favoured tactic. In fact, 90 per cent showed no hope that “seeking to persuade the prime minister to lead a movement for abolition” would be worthwhile. Nevertheless, these findings may well prove valuable to those in the region who wish to promote abolition. 2.3 The Need to Confront Isolation from International Trends and Opinion As mentioned above, a substantial majority of the respondents had been unaware that their country had, since 2007 consistently voted against a resolution, brought forward by a majority of nations at the UN General Assembly, to institute a worldwide moratorium on the death penalty and executions. An even larger proportion had also been unaware that their country had (with the exception of Dominica in 2017) signed a Note Verbale to the UN General Assembly protesting against and dissociating itself from the bringing forward and adoption of the moratorium resolution and its claim that the use of capital punishment was a ‘human rights issue’, rather than simply an issue to be decided – as a matter of national sovereignty – by each nation according to its circumstances and culture.32

31

Favoured as first choice by 3 (6%) and not chosen at all by 40 (77%). “By persuading the Prime Minister to lead a movement for abolition” was chosen as first choice by only one of the 52 and not chosen at all by 47 (90%). 32 See footnote 10, above.

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This survey showed that almost all the informants who favoured retention shared their government’s view that the question of abolition should not be influenced by, or follow the policy adopted by, the majority of nations. When asked: “Does the fact that, in recent years, since 1989, the number of counties worldwide that have completely abolished [the death penalty] has now risen from 35 to 106 – [and] that eight states of the USA have abolished capital punishment [New York, Illinois, New Mexico, Connecticut, Maryland, New Jersey, Delaware and Washington] – alter your view on whether your country should follow the international trend?”,33

forty-four of the 48 (92%) answered No: “it makes no difference; I would still support the death penalty”; four said they were “not sure” or expressed no opinion; but none said Yes. Their reasons for rejecting these facts as a guide to policy were all concerned with their view that: • “Each country must consider its own, even unique, circumstances”; • “Do not follow the multitude; take a society position on the matter, consider the values of a society; because [our country] is independent and capable of making its own decisions”; • “Doesn’t mean what they are doing is the right thing. Other countries have different social issues and lobby groups who pressure for change. We don’t have that here”; • “I don’t believe that the morality and perspective that influence the views of other countries is correct and relevant to [my country]. I don’t think they are more enlightened”; • “We are a sovereign state”. Similarly, when retentionists were told that “only two countries in South and Central America (Guyana and Belize) retained the death penalty but had not enforced it for many years”, and were asked whether this affected their view on whether their country should join the majority of abolitionist nations in its region, only two of the 48 said this would change their mind. So, 94% said definitely “No: I would still be opposed”.34 However, when informants who lived in the five countries35 that had always voted against the resolution at the UN calling for a worldwide moratorium on the death penalty and executions were asked whether they thought their government’s policy should be reconsidered and reversed, more than half (56%) thought that it should. But this was because more than three-quarters (78%) of the supporters of abolition 33

See Hood & Hoyle 2015, 10 – 48; also Hood & Hoyle 2018. One respondent did not express an opinion. 35 Barbados, Grenada, St Kitts and Nevis, St Lucia, and St Vincent and the Grenadines (but not Antigua and Barbuda or Dominica). 34

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favoured this change of policy. In fact, only a third of the retentionists did so and only 26% of retentionists favoured reversal of the policy of always signing the Note Verbale of dissent to the moratorium.36 This is very strong evidence that most of these retentionist informants, drawn from the ‘opinion formers’ in these countries, gave no weight to the international or regional movement to embrace abolition. Furthermore, they were the most resistant to their country moving forward to associate itself with the universal trend towards complete elimination of capital punishment. The overwhelming reason which emerged from these questions of why abolitionist and retentionist informants thought their government was opposed to joining the international movement for abolition is clear from the following opinions: • “Because it would be unpopular among citizens. Easy way out (abolitionist).” • “The government is afraid to lose political capital because the people think it is a deterrent to crime (abolitionist).” • “Because the law has a view that is in keeping with the views of the people and they don’t want to emulate the international community (retentionist).” • “Because our politicians are driven solely by the desire to do or not to do what is politically expedient. Politicians believe that the public would be against the abolition of the death penalty because our people believe in revenge and punishment (abolitionist).” • “They are led by the opinions of the people – that is democracy (retentionist).” • “Because the government is hiding behind a collective CARICOM [Caribbean Community] approach […]. It is a deep sense of ‘culture that still rules how we deal with violence and crime. They [the government] do not have the political will to stand up for human rights’ (abolitionist).”

3. In Conclusion To sum-up: According to the ‘opinion formers’ interviewed for this survey, the reasons why these governments have failed to bring forward legislation to abolish capital punishment completely is their unwillingness to follow international trends, on the grounds of national sovereignty, cultural exceptionalism, assumptions about the deterrent effect of having the death penalty on the statute book, the strength of public sentiments and concern for maintaining electoral popularity. Yet the findings of this survey suggest that those ‘opinion formers’ who supported the retention of the death penalty and their government’s resistance to the international moratorium, did not personally accept that assumptions about the strength of pub36

The informants in Dominica were not asked this question.

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lic opposition to abolition should determine the issue. When questioned more closely, most of these knowledgeable and influential citizens did not believe that a policy of executing those convicted of murder was likely to be effective in reducing violent crime leading to death, nor did they predict that there would be a serious reaction from the public if the death penalty were to be abolished completely and – with only a few exceptions – they would not oppose or reject total abolition of capital punishment if their government were to take the lead. References Albrecht, H.-J. (2006): Strengthening the Defence in Death Penalty Cases in the People’s Republic of China: Empirical Research into the Role of Defence Councils in Criminal Cases Eligible for the Death Penalty. Freiburg. Chan, W.C., Tan, E.S., Lee, J.T. & Mathi, B. (2017): How Strong is Public Support for the Death Penalty in Singapore. Asian Journal of Criminology; https://link.springer.com/article/10. 1007/s11417-017-9260-y. Chiu, H.-Y. (2019): For or Against Abolition of the Death Penalty: Evidence from Taiwan (R. Hood, ed.). London; www.deathpenaltyproject.org/wp-content/uploads/2019/03/Tai wan-Public-Opinion-FINAL-ENG.pdf. Hood, R. (1989): The Death Penalty: A World-wide Perspective. Oxford. Hood, R. (2009): Abolition of the Death Penalty: China in World Perspective. City University of Hong Kong Law Review 1/1, pp. 1 – 21. Hood, R. (2013): The death penalty in Malaysia: Public opinion on the mandatory death penalty for drug trafficking, murder and firearms offences. London. Hood, R. (2018): Is Public Opinion a Justifiable Reason Not to Abolish the Death Penalty? A Comparative Analysis of Surveys of Eight Countries. Berkeley Journal of Criminal Law 23/2, pp. 218 – 242. Hood, R. & Hoyle, C. (2016): The Death Penalty: A World-wide Perspective. 5th ed. Oxford. Hood, R. & Hoyle, C. (2018): Towards the Global Elimination of the Death Penalty: A Cruel, Inhuman and Degrading Punishment in: P. Carlen & L. Ayres França (eds.), Alternative Criminologies. Abingdon, Oxon, pp. 400 – 422. Hood, R. & Seemungal, F. (2011): Public opinion on the mandatory death penalty in Trinidad. London. Hood, R. & Seemungal, S. (2020): Sentenced to Death Without Execution: Why capital punishment has not yet been abolished in the Eastern Caribbean and Barbados. London. Liu, J.Z. (2019): The Internet Echo Chamber and the Misinformation of Judges: The case of Overestimating Public Support for the Death Penalty in China; https://papers.ssrn.com/ sol3/papers.cfm?abstract_id=3480896. Miao, M. (2013): The Politics of China’s death penalty reform in the context of global abolitionism’. British Journal of Criminology 53/3, pp. 500 – 519.

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Dynamiken der Punitivität Konsistenz und Ambivalenz als Strukturmerkmale der Einstellung zur Todesstrafe, 1964 – 2014 Von Karl-Heinz Reuband

1. Einleitung Zu keiner anderen Sanktionsart als der Todesstrafe hat es in der Vergangenheit eine so breite Diskussion über das Verhältnis von öffentlicher Meinung, Kriminalpolitik und Kriminaljustiz gegeben.1 Und zu keiner anderen Sanktionsart wurden weltweit – auch in Deutschland – derart häufig Fragen in Bevölkerungsumfragen gestellt, von Markt- und Meinungsforschungsinstituten ebenso wie von Kriminologen und Sozialwissenschaftlern. Dies hat zu einer Vielfalt von Ergebnissen geführt, wie es sie bei vielen Themen, auch in ihrer partiellen zeitlichen Verdichtung, nicht gibt. Die Vielfalt der Erhebungen und Befunde hat es ermöglicht, die Dynamik des Wandels über längere Zeiträume hinweg zu beschreiben. Sie hat aber auch gezeigt: Die Ergebnisse können institutsbedingt gelegentlich sehr stark voneinander abweichen, die Mehrheitsverhältnisse sich sogar in ihr Gegenteil verkehren. Während 1978 z. B. eine Umfrage des Instituts für Demoskopie für die Befürwortung der Todesstrafe einen Anteil von 31 % erbrachte, für die Gegner von 51 % und für die Unentschiedenen von 18 %, lagen die Prozentzahlen in einer EMNID-Umfrage aus dem gleichen Jahr (in der gleichen Abfolge) bei 58 %, 40 % und 1 %. Während in dem einen Fall die Gegner in der Mehrheit waren, waren es im anderen Fall die Befürworter (Reuband 1980, 541 f.). Auch wenn der unterschiedliche Umgang mit der Kategorie für Meinungslosigkeit (bzw. dem Umgang mit den Angaben „unentschieden“, „weiß nicht“ oder „keine Angabe“) eine Teilerklärung liefert2, dürfte der eigentliche Grund für die unter1 Zum Verhältnis von öffentlicher Meinung, Kriminalpolitik und Kriminaljustiz siehe Albrecht (2004) und mit Bezug speziell zur Todesstrafe Albrecht (2013). 2 Während in den Umfragen des Instituts für Demoskopie die Kategorie „unentschieden“ dem Interviewer bei dieser Frage üblicherweise zur Verfügung steht, gibt es in den EMNIDUmfragen lediglich eine Residualkategorie für „keine Angaben“. Eine derartige Praxis bewirkt einen niedrigen Anteil von Personen, die sich zu der Frage nicht äußern können oder wollen. In welcher Weise diejenigen antworten, die vom Interviewer zur Meinung gedrängt werden und sich schließlich doch noch Position beziehen, scheint von den gesellschaftlichen

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schiedlichen Ergebnisse doch in der jeweiligen Spezifikation von Tat und Täter zu suchen sein: Während in der Erhebung des Instituts für Demoskopie mit der dort üblichen Standardfrage gefragt wurde: „Sind Sie grundsätzlich für oder gegen die Todesstrafe?“, hieß es in der Umfrage des EMNID Instituts (in der dort gebräuchlichen Standardfrage) „Sind Sie dafür oder dagegen, dass ein Mörder, für den keine mildernden Umstände sprechen, mit dem Tode bestraft wird?“ Den Täter mit einem Mord in Verbindung zu bringen und mildernde Umstände unter den Begehungsbedingungen auszuschließen, schafft zwangsläufig einen anderen kognitiven Bezugsrahmen als eine Formulierung, in der die Todesstrafe als abstrakte Sanktion bloß genannt wird. Dass der Anteil an Befürwortung umso höher liegt, je schwerwiegender das genannte Delikt ist, lässt sich auch aus anderen Umfrageergebnissen ableiten (vgl. u. a. Noelle-Neumann & Köcher 1997, 766; Zittelmann 1998). Es handelt sich also um kein Spezifikum des hier gewählten Vergleichs. Das aber bedeutet: Die Befunde reflektieren einen Widerspruch. Wer „grundsätzlich“ gegen die Todesstrafe ist, kann logischerweise auch nicht in Ausnahmefällen dafür sein.

2. Widersprüchliche Befunde – ein Zeichen für „Non-Attitudes“? Wenn unterschiedliche Frageformulierungen zum gleichen Thema größere Unterschiede in den Antwortverteilungen hervorbringen und die Antworten zudem logisch inkonsistent erscheinen, wird dies in der Umfrageforschung gewöhnlich als ein Zeichen dafür verstanden, dass die Befragten über den Sachverhalt zuvor nicht näher nachgedacht haben und in erratischen Weise ad hoc antworten (vgl. u. a. Cantril & Rugg 1965; Turner 1984). Dass ein derartiges Verhalten weiter verbreitet ist als gewöhnlich angenommen, hat Philip Converse in seinem epochalen Beitrag „The Nature of Belief Systems in Mass Publics“ eindrucksvoll dokumentiert (Converse 1964, 1970). So wies Converse an Fragen zum Thema Politik nach, dass in Umfragen häufig nicht nur die Interkorrelationen der jeweiligen Indikatoren zum gleichen Sachverhalt extrem schwach, sondern auch die Antworten der Befragten höchst instabil sind. Man könnte, so meint er, die Antworten ebenso gut auswürfeln. Auf der Aggregatebene müsse sich dies nicht auswirken, da sich die zufälligen Antworten auf der Individualebene ausgleichen. Converse hat diesen Zustand der Meinungslosigkeit als „NonAttitudes“ bezeichnet und vermutet, dass diese bei Themen besonders weit verbreitet sind, die – wie im Fall Politik – dem Alltagsleben der Bürger weitgehend entrückt sind. Beim Thema „Law and Order“ allerdings sah er eine andere Situation und unterstellte eher auskristallisierte, in sich konsistente und stabile Einstellungen (ohne freilich empirische Belege dafür vorzulegen). Rahmenbedingungen nicht unabhängig und damit zeitlich z. T. auch variabel zu sein (vgl. Reuband 1990).

Dynamiken der Punitivität

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Aber ist die Diskrepanz, die sich im Fall der Fragen zur Todesstrafe darbietet, ein Hinweis für die Existenz von „Non-Attitudes“, von Meinungslosigkeit oder Indifferenz auf Seiten der Befragten? Ist sie ein Hinweis dafür, dass sich die Befragten mit der Thematik nicht auseinandergesetzt haben und eher spontan, ad hoc und erratisch antworten? Oder sind dafür primär andere Einflussgrößen verantwortlich? Schließlich müssen Inkonsistenzen auf der Einstellungsebene nicht nur ein Ausdruck von Meinungslosigkeit oder Indifferenz sein. Sie können auch aus Ambivalenzen erwachsen, können Ausdruck einer unentschiedenen Haltung sein. Paul F. Lazarsfeld (1968/1944) hat als Erster in seinen wahlsoziologischen Arbeiten widersprüchliche soziale Einflüsse zum Thema gemacht und in diesem Zusammenhang den Begriff der „cross pressures“ eingeführt. Für ihn erwachsen die „cross pressures“ aus multipler Gruppenzugehörigkeit, die mit divergierenden Interessen, Orientierungen und Erwartungen auf Gruppenebene verbunden sind und den Einzelnen dadurch widersprüchlichen Einflüssen aussetzen (vgl. auch Berelson, Lazarsfeld & McPhee 1968/1954). Letztlich spiegeln sich die „cross pressures“ (auch wenn Lazarsfeld dies nicht weiter ausführt) auf der Einstellungsebene wider und wirken von hier auf das Verhalten ein. So ist es mehr als folgerichtig, dass das „cross pressures“Konzept, an Lazarsfeld anknüpfend, von anderen Autoren gelegentlich auch mit Fokus auf der Einstellungsebene angewandt wurde (so bei Kriesberg 1949). Eine eigene Forschungstradition entwickelte sich daraus freilich nicht. In der Folgezeit fiel das Konzept von Lazarsfeld weitgehend der Vergessenheit anheim. Zwar erlebte es in den letzten Jahren im Hinblick auf die Einstellungsebene unter dem Begriff der „Ambivalenz“ (von anderen Ansätzen ausgehend, ohne Rekurs auf Lazarsfeld) in der neueren sozialpsychologischen und politikwissenschaftlichen Literatur in veränderter Form eine Art Wiederauferstehung (vgl. u. a. Craig & Martinez 2005). Von einer Rezeption dieser Perspektive ist man allerdings in der sozialwissenschaftlichen und kriminologischen Forschung bislang noch weit entfernt. Die Widersprüchlichkeit und Ambivalenz, die Einstellungen auszeichnet, wird zu wenig reflektiert und noch weniger zum Thema gemacht. „Cross pressures“ oder „Ambivalenzen“ auf der Einstellungsebene ausgesetzt zu sein, bedeutet, unterschiedliche Erfahrungen, Bewertungen und Einstellungen einzunehmen, die eine eindeutige Position in Entscheidungssituationen erschweren. Es gibt Kognitionen und Argumente sowohl für als auch gegen den Sachverhalt. Und je nach Aktivierung des Bezugsrahmens ist es unter diesen Umständen für den Einzelnen subjektiv naheliegend, mal eher in die eine oder andere Richtung zu tendieren, sich z. B. unter bestimmten Umständen mal eher für die Todesstrafe und mal eher gegen die Todesstrafe auszusprechen. Die Tatsache, dass spektakuläre kriminelle Ereignisse die Zahl der Befürworter der Todesstrafe in die Höhe treiben, ist dafür ein Beispiel (vgl. Oppeln-Bronikowski 1970). Und die Effekte unterschiedlicher Frageformulierungen, mal mit und mal ohne Bezüge zu Tat und Täter, sind dafür ein weiteres Beispiel. Als funktional äquivalent dazu könnte man ebenfalls Folgefragen oder konfrontative Nachfragen ansehen, die neue Akzente setzen und den Bezugsrahmen

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verschieben (dazu vgl. Reuband 1989; 2008). Fragen dieser Art sind bislang in der Forschung eine Rarität gewesen, weswegen das Wissen darüber, unter welchen Bedingungen wie geantwortet wird, rudimentär ist.

3. Zielsetzung und methodisches Vorgehen Im Folgenden soll untersucht werden, wie sich die Einstellung zur Wiedereinführung der Todesstrafe in der Bundesrepublik im Zeitverlauf entwickelt hat und wie sehr sich durch Nachfragen Meinungsverhältnisse ändern. Es geht um das Ausmaß des dadurch bedingten Wechsels und die Faktoren, die darauf Einfluss nehmen, insbesondere um die Effekte von Meinungslosigkeit und Ambivalenzen auf der Einstellungsebene. Empirische Grundlage sind zwei bundesweite Umfragen in der Bevölkerung ab 16 bzw. 18 Jahren. Die eine fand 1964 statt und wurde face to face durch das DIVO Institut durchgeführt und von uns einer Sekundäranalyse unterzogen.3 Die andere wurde von uns 50 Jahre später – im Jahr 2014 – in einer Telefonumfrage über das CATI-Telefonlabor des Instituts für Sozialwissenschaften der Universität Düsseldorf durchgeführt. Dass face-to-face-Umfragen durch telefonische Befragungen ersetzt werden, ist in den letzten Jahren eine übliche Praxis geworden und stellt keine Besonderheit unserer Studie dar.4 Bei beiden Erhebungen handelt es sich um Mehrthemenumfragen. Fragen zum Thema Kriminalität und Strafverlangen stellten allenfalls einen kleinen Teil des Frageprogramms dar. Von einer thematisch bedingten Überrepräsentation von Personen mit Interesse am Thema Kriminalität oder Strafverlangen ist mithin nicht auszugehen. Beide Erhebungen stützen sich auf Randomstichproben: die DIVO-Umfrage auf eine Random-Route-Stichprobe, die Telefonbefragung auf zufallsgenerierte Festnetznummern in Kombination mit der Last-birthday-Auswahl der Befragten.5 Dass Festnetznummern die Auswahlbasis bilden und Personen mit ausschließlicher Mobilfunknutzung ausgeklammert sind, war zur Zeit der Erhebung – anders als heute – noch kein bedeutsames Problem. Die Zahl der betroffenen Personen und die Effekte auf die hier behandelte Thematik sind praktisch vernachlässigenswert.6 3

Der Datensatz ist im GESIS-Datenarchiv unter der Nr. ZA 0054 archiviert. So wurden z. B. die Umfragen der Forschungsgruppe Wahlen lange Zeit face-to-face durchgeführt, ehe man auf einen telefonischen Befragungsmodus überging. In den akademisch ausgerichteten Studien – wie ALLBUS, General Social Survey – ist man hingegen bei den face-to-face-Befragungsmodalitäten geblieben, nicht zuletzt auch weil man auf die Vorlage von Listen nicht verzichten und so die Möglichkeit des Langzeitvergleichs nicht kontaminieren wollte. 5 Die zufallsgenerierten Festnetznummern wurden freundlicherweise für uns von GESIS nach dem Gabler-Häder-Verfahren generiert. 6 Die meisten Bürger waren zum Zeitpunkt der Erhebung noch über Festnetz erreichbar (Reuband 2014), eine Analyse von Personen mit und ohne Zugang über Festnetz (untersucht 4

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Desgleichen dürfte der Wechsel des Befragungsmodus – von face to face zu telefonisch – ohne größere Auswirkungen sein. Untersuchungen zu den Auswirkungen der beiden Erhebungsverfahren bei anderen Themen haben in der Regel keine oder keine bedeutsamen Effekte auf der inhaltlichen Ebene erbracht. In der Frageformulierung differieren die Erhebungen leicht. In der Umfrage von 1964 war der Frage zur Todesstrafe zunächst die Frage vorgeschaltet, ob man gehört oder gelesen habe, dass in letzter Zeit die Wiedereinführung der Todesstrafe gefordert worden sei („Haben Sie davon gehört, dass in letzter Zeit die Wiedereinführung der Todesstrafe gefordert wurde?“). Wurde die Frage bejaht – dies war bei nahezu allen Befragten der Fall (94 %) – schloss sich die Frage an: „Und wie ist Ihre persönliche Einstellung dazu: Sind Sie für die Wiedereinführung der Todesstrafe oder sind Sie dagegen?“.7 In der Erhebung von 2014 wurde die Vorfrage in die Frage zur Todesstrafe integriert: „Hin und wieder wird in der Öffentlichkeit diskutiert, ob man die Todesstrafe wieder einführen sollte. Wie ist Ihre persönliche Einstellung dazu: Sind Sie für die Wiedereinführung der Todesstrafe oder sind Sie dagegen?“ Die Vorfrage wie in der Erhebung von 1964 zu stellen, hätte keinen Sinn gemacht, da es zum Zeitpunkt der Erhebung keine öffentliche Diskussion über die Wiedereinführung der Todesstrafe gab und es auch in den vorangegangenen Jahren keine gegeben hatte. Wurde die Todesstrafe abgelehnt, so folgte in beiden Erhebungen: „Sind Sie unter allen Umständen gegen die Wiedereinführung der Todesstrafe oder sollte sie für bestimmte schwere Verbrechen wieder eingeführt werden?“. Sprach sich jemand daraufhin für die Todesstrafe aus, nachdem er sie zuvor noch abgelehnt hatten, so folgte 1964 als offene Frage: „Für welche Verbrechen sollte man die Todesstrafe wieder einführen?“ (2014 wurde diese Frage nicht gestellt). In der Erhebung von 1964 wurden insgesamt 1.879 Personen befragt, in der Umfrage von 2014 waren es 1.013 Personen, davon 843 in Westdeutschland. Aus Gründen der Vergleichbarkeit stellen die westdeutschen Befragten die Basis der folgenden Analysen dar. Wo Vergleiche über die Zeit angestellt werden, wird der gewichtete Datensatz verwendet, ansonsten der ungewichtete.8 am Beispiel von Düsseldorf und gestützt auf eine postalische Befragung von uns mit Adressen aus dem Einwohnermelderegister) erbrachte keine nennenswerten Unterschiede. Die Art des Telefonbesitzes übte auch bei den Jüngeren unter 30 Jahren keinen statistisch signifikanten Einfluss aus auf die Forderung nach härteren Strafen („Um Kriminalität zu verhindern, brauchen wir in Deutschland strengere Strafen“) oder die Befürwortung der Todesstrafe („Sind Sie grundsätzlich für oder gegen die Todesstrafe?“). 7 Als Antwortkategorien standen dem Interviewer zur Verfügung: „Für die Wiedereinführung – Dagegen – Keine Meinung“. Analog die Kategorien in der Erhebung von 2014, wobei die Kategorien „Weiß nicht“ und „Keine Angabe“ für den Interviewer in Klammern jeweils mit dem Vermerk „nicht vorlesen“ versehen waren. 8 In der 1964er Erhebung wird der Gewichtungsfaktor verwendet, wie er von DIVO zur Verfügung gestellt wurde. Für 2014 wird ein Gewichtungsfaktor verwendet, der von uns auf der Basis der Merkmale Geschlecht, Alter und Bildung – in Anlehnung an den Mikrozensus – erstellt wurde.

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4. Die Einstellung zur Todesstrafe im Wandel Die Frage des DIVO Instituts, welche die Basis der folgenden Diskussion darstellt, unterscheidet sich von der Standardfrage des Instituts für Demoskopie („Sind Sie grundsätzlich für oder gegen die Todesstrafe?“) dadurch, dass nicht die „grundsätzliche“ Befürwortung oder Gegnerschaft zur Todesstrafe erfragt wird, sondern nur, ob man für oder gegen die Todesstrafe sei (im vorliegenden Fall ergänzt durch den Hinweis, dass dies eine „Wiedereinführung“ der Todesstrafe sei). Ähnlich wie beim Institut für Demoskopie – und anders als beim EMNID Institut mit seiner Standardfrage – wird dem Interviewer im Fragebogen die Möglichkeit der Antwort „Keine Meinung“, „Unentschieden“ oder „Weiß nicht“ eingeräumt. Damit nimmt die Frageformulierung von DIVO eine Mittelstellung zwischen der Formulierung des Instituts für Demoskopie und des EMNID Instituts ein. Und entsprechend liegen die Werte für Anhängerschaft und Gegnerschaft der Todesstrafe zwischen den Erhebungen der anderen Institute. So bekundeten in der Umfrage des Instituts für Demoskopie aus dem Jahr 1960 (für 1958 gibt es keine) 54 % eine Befürwortung der Todesstrafe, in der (relativ) zeitnahen Umfrage des DIVO Instituts aus dem Jahr 1958 72 % und in der Umfrage des EMNID Instituts aus dem Jahr 1958 80 %. Nicht viel anders im Jahr 1961, wo das Institut für Demoskopie in seiner Erhebung einen Anteil von 51 % ermittelte, das DIVO Institut von 63 % und das EMNID Institut von 71 % (zu den Vergleichszahlen siehe Reuband 1980, 541 f.). Tabelle 1 Einstellungen zur Wiedereinführung der Todesstrafe im Zeitverlauf (in %) Dafür Dagegen Unentschieden/weiß nicht

1954

1958

1961

72 15 13

75 15 10

63 22 15

1964* 55 33 12

2014 15 81 4

100

100

100

100

100

* Bezogen auf Befragte, die von öffentlicher Debatte über die Todesstrafe gehört hatten (= 94 %) Quelle: 1954 – 1961: DIVO, Face-to-face-Umfrage; zit. nach DIVO (1959); Erskine (1970, 301). 2014: eigene Erhebung, CATI-Telefonumfrage.

Ähnlich wie bei EMNID setzt der rückläufige Trend in den Erhebungen von DIVO etwas früher ein als in den Umfragen des Instituts für Demoskopie. So sprachen sich bei DIVO, wie man Tabelle 1 entnehmen kann, in den Jahren 1954 und 1958 72 % der Bundesbürger für die Wiedereinführung Todesstrafe aus, 1961 war der Anteil auf 63 % gesunken und belief sich 1964 unter den Befragten, die von der öffentlichen Diskussion über die Wiedereinführung der Todesstrafe gehört hatten (das waren fast alle), auf 55 %. Würde man diejenigen, die bisher nichts von der öffentlichen Diskussion gehört hatten, auf den Kreis der übrigen Befragten aufteilen – hier sind verschiedene Szenarien denkbar9 – , würde sich der Anteil der Befürworter und der Geg9 Eine wahrscheinliche Variante wäre, entweder die Befragten in ähnlicher Weise aufzuteilen wie diejenigen, die von der Diskussion um die Wiedereinführung der Todesstrafe gehört

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ner erhöhen, aber an dem Tatbestand eines rückläufigen Trends würde sich nichts ändern. Und wie verhält es sich mit dem Meinungsbild heutzutage? 50 Jahre später ist der Anteil der Befürworter auf 15 % geschrumpft. Der niedrige Wert ist kein Spezifikum der Frageformulierung der Untersuchung. Ein annähernd vergleichbares Niveau weist eine Umfrage des Instituts für Demoskopie aus jüngerer Zeit aus: Hier wählten im Jahr 2016 auf die Frage zur Beurteilung verschiedener Maßnahmen der Verbrechensbekämpfung aus der vorgegebenen Liste 17 % der Befragten die Option „Todesstrafe für besonders schwere Verbrechen“ (Köcher 2016, 5, Tabelle A8). Auf ein ähnlich niedriges Niveau der Zustimmung deuten Befunde der Standardfrage des Instituts für Demoskopie zur Todesstrafe („grundsätzlich für oder gegen“) aus den Vorjahren hin. Nicht viel anders die Voten, die in Hessen beim Volksentscheid über die Abschaffung der Todesstrafe aus der Landesverfassung im Oktober 2018 im Kontext der Landtagswahl anfielen. 17 % der Bürger stimmten gegen die Abschaffung des entsprechenden Passus, 83 % stimmten dafür (Zeit-Online 2018). Ob sich die hohe Zahl derer, die für eine Abschaffung des Paragraphen votierten, primär auf eine entsprechend hohe Zahl an Gegnern der Todesstrafe gründet oder auf die Erkenntnis der Irrelevanz des Paragraphen – Bundesrecht gilt vor Landesrecht (und auf Bundesebene ist mit dem Grundgesetz die Todesstrafe abgeschafft) –, ist allerdings eine offene Frage. Würde man die Frage zur Todesstrafe formulieren wie einst das EMNID Institut, würde sich für die neuere Zeit (so einer eigenen Umfrage von 2012 zufolge) zwar ein etwas höherer Wert ergeben als in der hier verwendeten DIVO Fragekonstruktion, aber es würde sich an dem Grundtatbestand einer überwiegenden Ablehnung der Todesstrafe nichts ändern.10 Auffällig am Vergleich der DIVO Umfragen aus den 1950er und den frühen 1960er Jahren mit der Umfrage aus dem Jahr 2014 ist, dass nicht nur die Zahl der Befürworter in der Zwischenzeit erheblich gesunken ist, sondern auch die Zahl derer, die keine Meinung äußerten. Dass dieser Anteil gesunken ist, hat nichts mit unterschiedlichen Optionen für die Interviewer zu tun – denn auch in der Erhebung von 2014 standen ihnen diese Kategorien explizit zur Verfügung (sie waren nur nicht – ebenso wie 1964 – den Befragten vorzulesen). Ebenso unwahrscheinlich ist es, dass der Wechsel des Befragungsmodus für den Rückgang verantwortlich ist. Für einen höheren Anteil an unentschiedenen Antworhaben, oder sich an den sozialen Merkmalen der Befragten zu orientieren und die Daten entsprechend zu gewichten. In den Umfragen des Instituts für Demoskopie, die auf den Aspekt des „Grundsätzlichen“ rekurrieren, ist der Rückgang weniger stark als in den Umfragen des DIVO Instituts. Waren beim Institut für Demoskopie 1952 55 % grundsätzlich für die Todesstrafe, waren es 1960 54 % und 1964 49 % (Reuband 1980, 541). 10 Unter Verwendung der EMNID-Frageformulierung kamen wir in einer bundesweiten Telefonumfrage, durchgeführt über das CATI-Telefonlabor des Instituts für Sozialwissenschaften der Universität Düsseldorf – gestützt auf eine Zufallsstichprobe und der Last-birthday-Methode – auf einen Wert von 24 % (unveröffentlicht).

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ten in Telefonbefragungen als in Face-to-face-Umfragen gibt es zwar aus Studien zu anderen Themen empirische Indizien (Noelle-Neumann & Petersen 2000, 190), aber der Effekt ist nicht groß genug, um die Differenz zu erklären. Für weitaus bedeutsamer halten wir, dass es in Deutschland seit Jahrzehnten keine öffentliche Diskussion mehr über die Wiedereinführung der Todesstrafe gegeben hat. Die Einstellungen der Bürger dürften daher stärker auskristallisiert und durch weniger Ambivalenzen geprägt sein als in früheren Jahren. Der Anteil der „Unentschiedenen“ müsste aufgrund dessen niedriger liegen als 1964.11

5. Von der Gegnerschaft zur Befürwortung: Konversionspotentiale und ihre Prägungen Wie stabil sind die Antworten, wenn die Befragten mit Nachfragen konfrontiert werden? Wie viele Gegner der Todesstrafe lassen sich durch den Verweis auf „schwere Verbrechen“ zu einer Befürwortung bewegen? Und wie stellt sich diese Tendenz in den beiden Erhebungsjahren dar? Dass sich das Ausmaß des Wechsels unterscheidet, ist nicht unwahrscheinlich. Denn in einer Zeit, in der eine Mehrheit der Bevölkerung die Todesstrafe befürwortet und in der Öffentlichkeit nur noch gelegentlich den Ruf nach Wiedereinführung der Todesstrafe laut wurde – wie in den 1960er Jahren –, sind die Rahmenbedingungen andere als in einer Zeit, in der die Gegner überwiegen und seit Langem keine Diskussion über die Wiedereinführung der Todesstrafe mehr stattgefunden hat. Während im erstgenannten Fall die Gegner der Todesstrafe dissonanten Informationen ausgesetzt sind, sind diese im anderen Fall reduziert. Sie sind keinen Informationen und Argumenten mehr ausgesetzt, die geeignet wären, das eigene Selbstverständnis zu hinterfragen. Hinzu kommt eine Art Kompositionseffekt: In einer Zeit, in der die Zahl der Befürworter der Todesstrafe rückläufig ist, wie dies in den 1960er Jahren der Fall ist, wechselt ein nennenswerter Teil der Befürworter in die Kategorie der Gegner (ein anderer in die Kategorie „unentschieden“). Was bedeutet, dass nun zu den Gegnern viele Personen zählen, die früher Befürworter waren. Sie dürften nach wie vor zum Teil Kognitionen aufweisen und Argumente vertreten, denen eine gewisse Affinität zur Befürwortung der Todesstrafe eigen ist12 und die sie – un11

Dem steht auf den ersten Blick entgegen, dass man bei den Umfragen des Instituts für Demoskopie im betrachten Zeitraum keinen Rückgang in der Zahl der Befragten mit den Antworten „unentschieden“ feststellen kann. Vermutlich hat dies aber primär etwas mit der Globalität der Frage („grundsätzlich“) zu tun: Je globaler die Formulierung ist, desto eher dürften sich Personen finden, welche eine Antwort geben, die von den vorgegebenen Optionen „dafür“ und „dagegen“ abweicht. 12 Man muss sich den Einstellungswandel als einen allmählichen Übergang vorstellen, bei dem manche Argumente an Bedeutung verlieren, andere an Bedeutung gewinnen und sich das kognitive Überzeugungssystem sukzessiv verschiebt. Die Herausbildung eines in sich stimmigen, konsistenten Überzeugungssystems ist demnach nicht eine automatische Folge des Wandels, sondern eher das Endstadium eines längeren Prozesses des Wandels und der Akti-

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ter gegebenen Umständen – für eine Mobilisierung zugunsten der Todesstrafe (wieder) anfällig machen. Grundlegend anders die Situation, in welcher die Gegner die Mehrheit bilden und Veränderungen auf der Aggregatebene nicht (mehr) stattfinden. Weder gibt es einen Meinungsdruck auf die Gegner der Todesstrafe, noch gibt es eine Art „Kompositionseffekt“, der aus Austauschprozessen auf der Aggregatebene herrührt. Unter diesen Bedingungen müsste man unter den Gegnern eher stabile, auskristallisierte Einstellungen erwarten als im zuvor genannten Fall. Die Übergangsrate zur Befürwortung müsste schwächer sein. Die Ergebnisse entsprechen der Erwartung: 1964 lag der Anteil derer, die durch die Nachfrage zu den Befürwortern wechselte, bei 54 % der Befragten, 2014 waren es nur noch 20 %. Der Wert hat sich mehr als halbiert (vgl. Abbildung). Durch den Wechsel in das Lager der Befürworter verschieben sich die Gesamtwerte. In der Erhebung von 1964 steigt der Anteil an Befürwortung auf 77 % (ein Wert, der sich von denen der 50er Jahre nicht mehr unterscheidet). In der Erhebung von 2014 ist der Anstieg in der Befürwortung aufgrund der geringeren Wechselrate hingegen weniger groß, die Gegner bleiben in der Mehrheit.

Abbildung 1: Wechsel von der Gegnerschaft zur Befürwortung der Todesstrafe, 1964 und 2014 (in %)

Welche Art von Delikten haben die Befragten im Blick, wenn sie sich trotz zuvor deklarierter Gegnerschaft auf Nachfrage hin für die Todesstrafe entscheiden? Dazu stehen Befunde nur aus der Erhebung von 1964 zur Verfügung. Es handelt sich bei den Delikten – wie eine offene Anschlussfrage deutlich macht – nahezu ausschließvierung, in dessen Verlauf kognitive Inkonsistenzen „bereinigt“ werden. Unter diesen Bedingungen besteht in der Übergangsphase der Ambivalenz und kognitiven Inkonsistenz eine Zeitlang eine „Anschlussfähigkeit“ an unterschiedliche Positionen.

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lich um Mord und Totschlag, in geringerem Umfang um Sexualverbrechen und Kindesentführung. Andere Delikte spielen so gut wie keine Rolle. Vermutlich ist dies nicht viel anders bei den Befragten, die sich im Interview von vornherein für die Todesstrafe aussprachen. Dies legen die Befunde einer Umfrage des Instituts für Demoskopie aus dem Jahr 1958 nahe, in der unter den Befürwortern der Todesstrafe ebenfalls Morddelikte das Spektrum der Nennungen dominierten (vgl. Noelle & Neumann 1965, 341). Tabelle 2 Gründe für die Ablehnung der Todesstrafe durch Befragte, die nach Nachfrage weiterhin Gegner der Todesstrafe bleiben, 1964 – (Antworten auf offene Fragen, Mehrfachnennung in %) Prozent Gefahr des Justizirrtums Kein Recht zur Todesstrafe Ablehnung aus religiösen Gründen Keine abschreckende Wirkung Keine ausreichende Sühne Missbrauch bei politischen Delikten Todesstrafe zu harte Sanktion Keine Möglichkeit der Besserung Stillt nur Sensationslust des Publikums Andere Antworten (N=)

28 27 12 12 11 10 4 3 1 3 (274)

Und was sind die Gründe, welche Befragte trotz Nachfrage dazu bringen, auf der Position der Gegnerschaft zu verbleiben (hierzu liegen ebenfalls nur für 1964 Daten vor)? Wie man Tabelle 2 entnehmen kann, werden am häufigsten ethische Begründungen angeführt: die Menschen hätten kein Recht, anderen Menschen das Leben zunehmen. Es entspräche nicht den religiösen Prinzipien. Es bestehe die Gefahr eines Justizirrtums. Es bestehe die Möglichkeit des politischen Missbrauchs. Und nicht wenige Befragte zweifeln an der abschreckenden Wirkung der Todesstrafe überhaupt. Dass sie keine ausreichende Sühne sei, wird von einem Zehntel der Befragten angeführt (was als Aussage etwas mehrdeutig ist: Meinen sie, dass jedem Menschen die Möglichkeit gegeben werden soll, sich seiner Schuld zu stellen? Oder dass man viel härter mit den Tätern umgehen müsse?).

6. Meinungslosigkeit, Kooperation im Interview und kognitive Dissonanzreduktion Wie ist der Wechsel, der durch die Nachfrage bei einem Teil der Befragten einsetzt, zu beurteilen? Stellt er eine mehr oder minder zufällige Reaktion in der Interviewsituation dar oder handelt es sich um eine Reaktion, die in Konformität mit dem eigenen Überzeugungssystem steht und Ambivalenz und Inkonsistenz auf der Ein-

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stellungsebene reduziert? Sollte der Wechsel eine mehr oder minder zufällige Konstellation sein, so könnte er – dem „Non-Attitudes“-Konzept von Converse folgend – aus Meinungslosigkeit oder Ignoranz erwachsen. Es könnte aber auch eine nachlässige Art des Umgangs mit der Interviewsituation widerspiegeln – Ausdruck einer geringen Kooperationsbereitschaft, bei der sich der Befragte nur begrenzt darum bemüht, die Fragen so genau wie möglich zu beantworten und wo die Antworten erratische Züge tragen. Wir können der Thematik lediglich in der Erhebung von 2014 nachgehen, da nur hier auch Fragen zum Interviewverlauf gestellt wurden. Diese waren vom Interviewer am Schluss der Befragung zu beantworten. Als Indikator für kognitive Kompetenzen, wie sie mit der Meinungslosigkeit verbunden ist, kann man das vom Interviewer wahrgenommene Frageverständnis heranziehen, desgleichen das vom Befragten bekundete politische Interesse. Je geringer das Frageverständnis und je geringer das politische Interesse, desto häufiger dürfte die Beantwortung eher zufällig erfolgt und ein Ausdruck von Meinungslosigkeit sein. Als Indikator für die Motiviertheit des Befragten kann man die vom Interviewer wahrgenommene Kooperationsbereitschaft verwenden sowie den Eindruck, dass der Befragte die Fragen so genau wie möglich zu beantworten versuchte. Je geringer die Kooperationsbereitschaft und je geringer das Bemühen um eine genaue Beantwortung, desto größer die Wahrscheinlichkeit, dass die Fragen mit einer gewissen Nachlässigkeit beantwortet werden und die Antworten eher Konstellationen als wahre Einstellungen widerspiegeln.13 Für Auswirkungen der kognitiven Kompetenz und der Motiviertheit auf das Antwortverhalten zur Todesstrafe ergeben sich in der Tat gewisse Hinweise. Wessen Frageverständnis vom Interviewer als „mittelmäßig“ oder „schlecht“ eingestuft wird, wechselt häufiger von der Gegnerschaft zur Befürwortung der Todesstrafe als jemand, dessen Verständnis vom Interviewer als „sehr gut“ oder „gut“ beurteilt wird. Desgleichen wechselt jemand, der kein oder geringes politisches Interesse hat, häufiger als jemand, der sich „sehr stark“ oder „stark“ politisch interessiert. So wechseln z. B. unter denen, die überhaupt kein politisches Interesse haben, 36 % in die Gruppe der Befürworter, während es unter denen, die „sehr stark“ politisch interessiert sind, nur 16 % sind. Befragte mit mittlerem politischem Interesse nehmen eine Zwischenposition ein. Nicht nur die kognitive Kompetenz, sondern ebenfalls die Motiviertheit übt einen Effekt auf die Wechselneigung aus. Unter denen, deren Kooperationsbereitschaft im Interview als „sehr gut“ eingestuft wird, wechseln 13 % zur Befürwortung, unter denen, die dies „mittelmäßig“ tun, sind es 25 %. Bei der Frage, wie sehr der Befragte 13

Wahrgenommene Fragenkompetenz und Kooperationsbereitschaft sind nicht unabhängig voneinander. Offensichtlich schlägt sich die geringe Motiviertheit der Befragten darin nieder, sich weniger ernsthaft mit der Frage auseinanderzusetzen, vielleicht gar nicht genau zuzuhören und allzu schnell eine Antwort zu geben. Im Rahmen einer OLS-Regressionsanalyse unter Kontrolle sozialer Merkmale ergibt sich ein beta von .38 (p < 0,001).

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bemüht war, die Fragen so genau wie möglich zu beantworten, zählen unter denen, denen der Interviewer ein „sehr starkes“ Bemühen zubilligte, 16 % zu den Wechslern. Und unter denen, denen ein geringes Bemühen attestiert wurde, 31 %. Freilich: In allen der hier genannten Fälle bilden die Befragten die überwältigende Mehrheit, denen die Interviewer eine hohe Kompetenz und hohe Motiviertheit attestieren. Die Auswirkungen der weniger Kompetenten und wenig Motivierten auf das Antwortverhalten halten sich in Grenzen. Und wie verhält es sich mit den inhaltlichen Orientierungen der Befragten, die den Wechsel vollziehen? Wie sehr spiegelt sich in dem Wechsel eine Hinwendung zu mehr Konsistenz und zu einer Reduktion von Ambivalenz wider? Dass der Wechsel zur Befürwortung nicht einem bloßen Zufall geschuldet ist, sondern aus Sicht der Befragten subjektiv durchaus Sinn macht und einer Art ideologischer Systematik unterliegt, wird an den Antworten auf Fragen zur Kriminalität und Kriminalitätsbekämpfung deutlich (vgl. Tabelle 3): Die Wechsler nehmen eine Zwischenposition zwischen den Befürwortern und den Gegnern der Todesstrafe ein, wobei sie erkennbar mehr Gemeinsamkeiten mit den Befürwortern als den Gegnern aufweisen. Dies gilt für die Wahrnehmung der persönlichen Bedrohung ebenso wie für die Wahrnehmung der Kriminalitätsentwicklung. Und es gilt für die Beurteilung der abschreckenden Wirkung harter Strafen ebenso wie für die Ansicht, die Gerichte würden zu milde urteilen. Tabelle 3 Einstellung zu Kriminalität unter Befragten mit stabiler und wechselnder Einstellung zur Todesstrafe, 2014 (in %)

Persönliche Kriminalitätsfurcht Kriminalitätszunahme in der Bundesrepublik Abschreckung durch harte Strafen Justiz: zu milde Strafen

Gegnerschaft

Wechsel zur Befürwortung

Befürwortung

36

45

47

40

62

67

33 52

56 73

70 88

Frageformulierungen: „Manche Menschen haben ja Angst, es könnte ihnen etwas passieren, sie könnten Opfer eines Verbrechens werden. Wie sehr fühlen Sie sich durch Verbrechen bedroht? Würden Sie sagen, Sie fühlen sich sehr bedroht – etwas bedroht – oder nicht bedroht?“ (hier: sehr bedroht, etwas bedroht); „Haben Sie den Eindruck, dass die Zahl der Verbrechen in Deutschland insgesamt zunimmt oder würden Sie das nicht sagen?“ (Split: zunimmt – stabil ist – oder abnimmt?)“; „Glauben Sie, dass man durch harte Strafen die Kriminalität senken kann?“ (Split: … senken kann oder glauben Sie das nicht?)“; „Finden Sie, dass die deutschen Gerichte mit den Angeklagten im Allgemeinen zu hart oder zu milde umgehen?“

Rechnet man eine logistische Regressionsanalyse, in welche die Variablen für Meinungslosigkeit, sozial erwünschte Antwortneigungen und Einstellungen zur Kriminalität einbezogen sind14, so zeigt sich (Tabelle 4): Nicht alle Variablen wirken 14 Gerechnet wurde mit dichotomisierten Variablen (anstelle von quasi-metrischen unabhängigen, die partiell ebenfalls möglich gewesen wären), um auch die Antworten „weiß nicht“, „unentschieden“, die z. T. durchaus nennenswerte Größenordnungen erreichen, miteinbeziehen zu können.

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gleichermaßen stark ein, aber es ist unverkennbar, dass die genannten Variablenkomplexe einen Effekt ausüben, und zwar sowohl in Form des situationsspezifischen Einflusses (wie Kooperationsbereitschaft im Interview) als auch der kriminalitätsbezogenen Vorstellungen (wie Glaube an die abschreckende Wirkung harter Strafen). Die persönliche Kriminalitätsfurcht bleibt hingegen unbedeutend, und auch das Verständnis der Fragen erreicht keine bedeutsame Effektstärke, das politische Interesse als Indikator für kognitive Reflexion hingegen sehr wohl. Bezieht man zusätzlich als Kontrollvariablen die sozialen Merkmale Geschlecht, Alter und Bildung ein, die mit diesen Variablen im Zusammenhang stehen, aber ebenfalls einen eigenständigen Effekt ausüben könnten15, so wird deutlich: Von den sozialen Merkmalen ergibt sich lediglich für die Bildung ein eigenständiger Effekt. Je niedriger die Bildung, desto größer die Wahrscheinlichkeit des Meinungswechsels. Die anderen, zuvor genannten Variablen inhaltlicher Art behalten davon unabhängig in der Regel ihren Einfluss bei. Dies gilt für das Kooperationsverhalten ebenso wie für die kriminalitätsbezogenen Vorstellungen (wobei sich der Effekt der wahrgenommenen Kriminalitätszunahme als etwas grenzwertig erweist).16 Die Indikatoren für kognitive Kompetenz und Meinungslosigkeit schwächeln hingegen und erreichen nicht das Signifikanzniveau (und davon ist nun auch das politische Interesse betroffen). Womöglich ist die Erfassung kognitiver Kompetenz und Meinungslosigkeit in unserer Untersuchung etwas zu global und müsste stärker issue-spezifisch ausgerichtet sein, um die Bedeutung für die Einstellung zur Todesstrafe angemessen zu erfassen. Vermutlich ist aber auch das vom Interviewer wahrgenommene Verständnis der Fragen stärker situationsbedingt als gedacht, so dass dessen Effekt geschwächt wird, sobald die Kooperationsbereitschaft als Variable in der Analyse berücksichtigt wird.17

15 In der Analyse wurden Alter und Bildung als metrische bzw. (quasi-)metrische Variablen eingeführt. Würde man die Variablen jeweils dichotomisieren (Fachhochschulreife/Abitur) vs. andere, unter 50 Jahre vs. 50 Jahre und älter) würde sich an den grundlegenden Befunden nichts ändern. 16 Der Effekt verfehlt knapp das 0,05-%-Niveau. Wenn man jedoch die Ostdeutschen miteinbezieht, wird dies Niveau erreicht (was partiell der höheren Fallzahl geschuldet sein dürfte, aber auch einer etwas stärkeren Bedeutung dieser Variablen unter den ostdeutschen Befragten). 17 Dafür spricht: Rechnet man das Frageverständnis und das politische Interesse unter Kontrolle der Bildung, ergeben sich für das Fragverständnis und das Interesse signifikante Effekte. Führt man das Kooperationsverhalten zusätzlich ein, reduziert sich jedoch der Effekt des Frageverständnisses und ist nicht mehr signifikant. Das politische Interesse verschwindet als signifikanter Effekt, wenn man die Wahrnehmung der Strafpraxis als zu milde als Variable einführt.

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Karl-Heinz Reuband Tabelle 4 Wechsel zur Befürwortung der Todesstrafe nach Nachfrage an die Gegner in Abhängigkeit von kognitiver Kompetenz, Motiviertheit und Einstellungen zur Kriminalität (Odds Ratios der logistischen Regressionsanalyse)

Verständnis der Fragen (-) Politisches Interesse (-) Kooperation im Interview (-) Bemühen Beantwortung (-) Kriminalitätszunahme Justiz: zu milde Strafen Abschreckung durch harte Strafen Persönliche Kriminalitätsfurcht Geschlecht Alter Bildung Nagelkerke R2

1,14 1,60* 2,10** ,82 1,58+ 1,84* 1,75* 1,14 – – –

1,13 1,38 2,04** ,80 1,58+ 1,72* 1,64* 1,13 ,93 ,99 ,74**

.121

.141

– nicht in Modellrechnung einbezogen + p < 0,10 *p < 0,05 **p < 0,01 Frageformulierungen: (Fragen an Interviewer): „Generelles Verständnis der Fragen durch den Befragten: sehr gut – gut – mittelmäßig – schlecht – sehr schlecht – keine Einschätzung/weiß nicht“; (Fragen an Befragten): „Wie stark interessieren Sie sich für Politik? Sehr stark – stark – mittel – wenig oder überhaupt nicht“; (Fragen an Interviewer): Kooperationsbereitschaft des Befragten im Verlauf des Interviews: sehr gut – gut – mittelmäßig – schlecht – sehr schlecht – anfangs gut, später schlechter – anfangs schlecht, später besser – keine Einschätzung/weiß nicht“; „Wie stark war der Befragte bemüht, die Fragen ernsthaft und möglichst genau zu beantworten: sehr stark – stark – wenig – überhaupt nicht“. (Übrige Frageformulierungen siehe Tabelle 3). Variablen jeweils dichotomisiert (0,1). Codierung = 0 bei Fragenverständnis = sehr gut; Politikinteresse = sehr stark/stark; Kooperation = sehr gut; Bemühen Beantwortung = sehr stark; Kriminalitätszunahme = nimmt zu; Justiz zu milde Strafen = zu milde; Abschreckung = Ja; Codierung = 1 bei Persönliche Kriminalitätsfurcht = sehr bedroht/etwas bedroht. Referenzkategorie (= 0) die restlichen Antworten der jeweiligen Fragen (einschl. weiß nicht). Geschlecht 0 = Mann, 1 = Frau; Alter in Jahren; Bildung 1 = Volks-/Hauptschule, 2 = mittlere Reife, 3 = Fachhochschulreife, 4 = Abitur.

7. Schlussbemerkungen Die Sanktionseinstellungen der Bürger sind komplexer als gewöhnlich angenommen. Dies hat sich am Beispiel der Einstellung zur Todesstrafe gezeigt, dürfte für diese jedoch nicht allein typisch sein. Je nach den Akzenten, die in den Frageformulierungen gesetzt werden, unterscheiden sich die Antwortverteilungen in Umfragen z. T. erheblich. Es kann sogar zeitweise dazu kommen, dass sich mal eine Mehrheit und mal eine Minderheit für die jeweilige Sanktion – für oder gegen die Todesstrafe – ausspricht. Konfrontative Nachfragen, so zeigte die vorliegende Analyse, können eine ähnliche Wirkung entfalten, wobei sich das Ausmaß des dadurch hervorgerufenen Wandels je nach Zeitperiode unterscheidet. So ist in einer Zeit, in welcher die Mehrheit zu den Befürwortern der Todesstrafe zählt, die Bereitschaft der Gegner, infolge der Nachfrage zu den Befürwortern überzuwechseln, größer als in Zeiten, in denen die Gegnerschaft in der Bevölkerung über-

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wiegt. Diese dürfte auf Seiten des Individuums mit dem Ausmaß kognitiver und sozialer Stützung für die jeweilige Position zu tun haben. Und es dürfte, so unsere Annahme, auch etwas mit der Dynamik des Einstellungswandels und den Zu- und Abstromquoten zu tun haben, die vom Lager der Befürworter und der Gegner ausgehen und spezifische Kompositionseffekte begründen. Wie viele Befragte durch die Nachfrage von der einen Position zur anderen überwechseln, dürfte nicht nur von der Verbreitung von Befürwortung und Gegnerschaft in der Gesellschaft abhängen, sondern auch von dem Bezugsrahmen, der durch die Fragen geschaffen wird. Allgemein zu fragen, ob man sich bei „bestimmten schweren Verbrechen“ eine Ausnahmesituation vorstellen könne, schafft ein weniger bedrohliches Szenario als die Nennung konkreter schwerer Delikte (wie Mord oder Sexualverbrechen). Dementsprechend ist unter gegebenen Umständen von einem noch etwas größeren Mutationspotential im Interview auszugehen, als es die Zahlen über die Wiedereinführung der Todesstrafe für „schwere Verbrechen“ aussagen. Dass ein nennenswerter Teil der Befragten durch Nachfragen zu einer anderen Position wechselt, macht deutlich, wie sehr unterschiedliche Kognitionen und Vorstellungen auf Seiten des Befragten nebeneinander bestehen können und dadurch eine Anschlussfähigkeit für unterschiedliche Positionen besteht – sowohl auf Seiten der Gegner der Todesstrafe, die in diesem Beitrag Gegenstand der Analyse waren, als auch auf Seiten der Befürworter (die wie anderen Studien zeigen, ebenfalls einem Wandlungspotential unterliegen und durch Nachfragen mehrheitlich zur Ablehnung der Todesstrafe gebracht werden können, dazu vgl. Reuband 2008). Auch wenn ein Teil der Befragten den Wechsel aus eher zufälligen, erratischen Momenten heraus vollzieht, ist doch unverkennbar, dass ein maßgeblicher Effekt von der Dissonanzreduktion ausgeht: Die Befragten wechseln in eine Richtung, die eine größere Überstimmung mit ihren sonstigen Überzeugungen herstellt. Es wird vermehrt eine kognitive Konsistenz im Bereich der „Law and Order“-Orientierungen geschaffen. Aus dieser Sicht findet eine Art „ideologische“ Bereinigung statt. Wie sehr das neue Antwortmuster bei weiteren Folgefragen stabil bleiben würde (oder auch eine Rückkehr zur Ausgangsposition stattfinden könnte), ist eine andere, bislang nicht untersuchte Fragestellung.

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Karl-Heinz Reuband

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Transitional Justice in Deutschland – die Mauerschützen vor Gericht Von Walter Perron Hans-Jörg Albrecht hatte von 1993 bis 1997 einen Lehrstuhl an der Technischen Universität Dresden inne und war mit dem Prozess der Wiedervereinigung, seinen Folgen und insbesondere den Problemen der strafrechtlichen Aufarbeitung der sogenannten „DDR-Regierungskriminaliät“ täglich konfrontiert. Später bildete das Thema der „Transitional Justice“ einen zentralen Schwerpunkt der von ihm mitgegründeten und maßgeblich getragenen „International Max Planck Research School on Retaliation, Mediation and Punishment“ (REMEP). Seinen 70. Geburtstag, der zwischen den 30. Jahrestagen des Mauerfalls und der deutschen Wiedervereinigung liegt, nehme ich zum Anlass, einen Blick zurück auf den Umgang der bundesdeutschen Justiz mit den Schüssen an der deutsch-deutschen Grenze zu werfen. „Transitional Justice“ bedeutet wörtlich „Übergangsjustiz“. Gemeint ist damit die Aufarbeitung eines gerade überwundenen Zustands der Diktatur oder eines autoritären Staatssystems durch Gerichte des nachfolgenden Staates, hauptsächlich in der Form strafrechtlicher Verfolgung, aber auch durch Entschädigung und Rehabilitierung der Opfer.1 Die Bundesrepublik Deutschland musste sich im 20. Jahrhundert zweimal mit einer solchen Übergangssituation auseinandersetzen: erstens nach ihrer Gründung im Jahre 1949 mit den nationalsozialistischen Gewaltverbrechen2 und zweitens ab 1990 nach dem Zerfall der Deutschen Demokratischen Republik mit dem Vorgehen der Befehlshaber und Funktionsträger der Deutschen Demokratischen Republik gegen die eigenen Bürger. In beiden Fällen war die juristische Aufarbeitung des vergangenen Unrechts mit schwierigen Problemen behaftet und verlief nicht in jeder Hinsicht optimal. Ich werde zunächst kurz auf die strafrechtliche Aufarbeitung der nationalsozialistischen Gewaltverbrechen eingehen, weil die dabei gewonnenen Erfahrungen die Basis für den Umgang mit der sogenannten „DDR-Regierungskriminalität“ bildeten. Danach werde ich mich näher mit der Verfolgung der DDR-Fälle befassen und am Ende fragen, ob die Anwendung des Völkerstrafrechts eine bessere Alternative gewesen wäre.

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Vgl. Arnold, in: Eser, Sieber & Arnold 2000, 44. Zur strafrechtlichen Aufarbeitung der nationalsozialistischen Gewaltverbrechen durch die Gerichte der Deutschen Demokratischen Republik vgl. z. B. Rottleuthner 2016, 254 f. sowie näher Keldungs 2019, 90, 113, 173, 186, 202, 228, 247; Jasch & Kaiser 2017, 42, 153, 182. 2

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1. Der Umgang der bundesdeutschen Justiz mit den Nazi-Verbrechen Die Verbrechen des Nazi-Regimes waren vielleicht die schlimmsten der Weltgeschichte. Nicht nur hatte Deutschland ganz Europa und Teile der übrigen Welt mit einem mörderischen Krieg überzogen, der unendlich viel Leid hervorgerufen und etwa 65 Millionen Menschen das Leben gekostet hat, sondern vor allem die systematische Verfolgung und Ermordung der jüdischen Bevölkerung und anderer Personengruppen mit insgesamt über 13 Millionen Toten stellt ein in dieser Form bis dahin noch nicht bekanntes Phänomen von Grausamkeit und Allmachtswahn dar.3 Für mich als Deutschen sind diese Geschehnisse auch deshalb bis heute unfassbar, weil es sich nicht um Einzeltaten psychopathischer Demagogen handelt, die das deutsche Volk getäuscht haben – nein, ein großer Teil der deutschen Bevölkerung bis hin zu den geistigen Eliten in Justiz und Wissenschaft unterstützte und verteidigte die Nazi-Ideologie mit großer Begeisterung.4 Das Problem der bundesdeutschen Nachkriegsgesellschaft bestand daher vor allem darin, dass die Täter nach wie vor „unter uns“ lebten und schon wieder hohe Positionen einnahmen. Sehr viele Funktionsträger in der nachkriegsdeutschen Regierung, Verwaltung und Justiz waren auf die eine oder andere Weise für das Naziregime tätig gewesen, und fast alle hatten ihre juristische oder sonstige Ausbildung in der Nazizeit erhalten.5 Es war deshalb aus heutiger Sicht ein großes Glück, dass die vier Siegermächte USA, Sowjetunion, Großbritannien und Frankreich das Nürnberger Militärtribunal errichteten und dort die wichtigsten noch lebenden Funktionsträger des „Dritten Reiches“ anklagten und aburteilten.6 Deutschland selbst hätte dazu niemals die Kraft gehabt, und ohne die Nürnberger Prozesse wäre die historische Wahrheit nicht so schnell bekannt geworden. Parallel zur Gründung der Bundesrepublik Deutschland änderte sich dann aber das politische Klima. Der neue Gegensatz zwischen der NATO und dem Warschauer Pakt nahm alle Kräfte in Anspruch, und in dieser neuen Situation war Westdeutschland plötzlich ein wichtiger Partner gegen den Kommunismus. Die juristische Aufarbeitung der Nazi-Verbrechen war jetzt nur noch eine Angelegenheit der bundesdeutschen Justiz, die die Vergangenheit möglichst ruhen lassen wollte.7 Nur langsam kam die Verfolgung dieser Gewalttaten ernsthaft in Gang, und bis heute müssen wegen der Verzögerungen und der von den Gerichten aufge3 So Schätzungen bei Wikipedia (https://de.wikipedia.org/wiki/Tote_des_Zweiten_Weltkrie ges [20. 09. 2019]) unter Berufung auf Daten des Militärgeschichtlichen Forschungsamts. 4 Vgl. etwa Aly 2006, 11 ff. und passim; Wehler 2003, 675 ff. Die Erzählungen meiner Eltern, Schwiegereltern und Verwandten, die bei Kriegsende zwischen 17 und 20 Jahre alt waren, bestätigten diesen Eindruck. 5 Zur Situation im Bundesjustizministerium vgl. Görtemaker & Safferling 2016; zur Bundesanwaltschaft vgl. das Interview von Safferling in Badische Neueste Nachrichten vom 29. 06. 2019, 6; https://www.str1.rw.fau.de/files/2019/08/GBA-Interview_BNN-2019.pdf [29. 09. 2019]). S. auch Rottleuthner 2016, 257. 6 Vgl. z. B. Jasch & Kaiser 2017, 14 ff.; Keldungs 2019, 20 ff. 7 Vgl. Werle 1992, 2530 f.

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bauten und erst spät beseitigten Hindernisse immer wieder neue Anklagen erhoben und Prozesse geführt werden, auch wenn die über 90 Jahre alten Täter wahrscheinlich kein Gefängnis mehr von innen sehen werden.8 Die Unzulänglichkeiten der strafrechtlichen Aufarbeitung der Verbrechen der Nazizeit hatten zwei wesentliche Ursachen:9 Zum einen die grundlegende Entscheidung, die betreffenden Taten an den Maßstäben des allgemeinen deutschen Strafrechts zu messen. Wegen des damit geltenden Rückwirkungsverbots mussten die Taten nach dem zur Tatzeit geltenden Recht strafbar sein, obwohl die Täter damals faktisch sicher sein konnten, dass sie nicht verfolgt würden. Die Gerichte lösten dieses Problem dadurch, dass sog. „Führerbefehle“, d. h. Anweisungen Adolf Hitlers, die insbesondere die Judenverfolgung betrafen, nicht als Rechtsnormen eingestuft und daher als irrelevant angesehen wurden.10 Außerdem wurden die schlimmsten förmlichen Gesetze gemäß der sogenannten Radbruchschen Formel als unwirksam erachtet, soweit sie in unerträglichem Widerspruch zur Gerechtigkeit standen und die Gleichheit aller Menschen bewusst verleugneten.11 Mit diesen Maßnahmen konnten zwar die größten Strafbarkeitslücken vermieden werden, aber der historischen Wahrheit, dass das Rechtssystem im Nationalsozialismus völlig korrumpiert war, wurde man damit nicht gerecht.12 Zum anderen wurden die allgemeinen Grundsätze des Strafrechts in einer extrem täterfreundlichen Weise ausgelegt. Bahnbrechend war die zu einem anderen Sachverhalt im Jahr 1962 ergangene Entscheidung des Bundesgerichtshofs im Staschynskij-Fall:13 Ein russischer Geheimagent hatte zwei russische Emigranten in München auf Befehl seines vorgesetzten Offiziers ermordet, wobei Letzterer die Tatmodalitäten (Ort, Zeit, Waffe etc.) genau festgelegt hatte. Der Bundesgerichtshof sah diesen Offizier als mittelbaren Täter an, während der die Tat unmittelbar ausführende Geheimagent lediglich als Gehilfe eingestuft und zu einer deutlich gemilderten Strafe verurteilt wurde, weil er keinen „Täterwillen“ gehabt, sondern lediglich den Willen seines Vorgesetzten in die Tat umgesetzt habe.14 Diese Haltung wurde in der Folge immer wieder auch auf die Täter des Nationalsozialismus angewendet. Selbst KZWächter, die eigenhändig den Gashahn aufdrehten oder bei Massenerschießungen Hunderte ermordeten, kamen als Gehilfen mit Strafen von knapp über drei Jahren Gefängnis davon.15 Eine im Jahr 1968 wirksame Änderung des Strafgesetzbuches hatte außerdem zur Folge, dass viele Fälle der Mordbeihilfe rückwirkend schon 8

Vgl. Keldungs 2019, 189 ff.; Rottleuthner 2016, 263. Vgl. Werle 1992, 2533 ff. 10 OLG Frankfurt a. M., HESt 1, 67, 71; s. auch BGHSt 2, 234, 237; Papier & Möller 1999, 3290. 11 Etwa in BGHSt 2, 234, 237; s. auch Papier & Möller 1999, 3290 f. 12 Vgl. Werle 1992, 2534. 13 BGHSt 18, 87. 14 BGHSt 18, 87, 89 ff. 15 Vgl. Kuchenbauer 2009, 17 f.; Rottleuthner 2016, 259; Werle 1992, 2533. 9

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1960 verjährten und nicht mehr verfolgt werden durften.16 Schließlich verschonte der Bundesgerichtshof die Richter des Nationalsozialismus nahezu vollständig: kein einziger Richter des sogenannten Volksgerichtshofs wurde für seine grob menschenrechtswidrigen Urteile strafrechtlich belangt.17 Erst spät haben andere Richter des Bundesgerichtshofs diese Haltung bedauert und teilweise auch für die Zukunft korrigiert.18

2. Zusammenbruch der DDR, Wiedervereinigung und Verfolgung der sogenannten Regierungskriminalität Deutlich anders verlief die Entwicklung in den 1990er Jahren nach der Wiedervereinigung. Die aus der sowjetischen Besatzungszone hervorgegangene und von der Sowjetunion bis zum Ende politisch und militärisch beherrschte Deutsche Demokratische Republik war kein mit Nazi-Deutschland vergleichbares Verbrecherregime. Dennoch kann man sie nicht als Rechtsstaat bezeichnen, weil sie in einigen Bereichen systematische Menschenrechtsverletzungen verübte und die Opfer völlig schutzlos waren.19 Die den Funktionsträgern der DDR vorgeworfenen Straftaten waren vielfältig:20 An erster Stelle zu nennen sind die Gewalttaten an der deutsch-deutschen Grenze. Ungefähr 300 Personen – eine genaue Statistik gibt es nicht – starben durch die Waffen der Grenzsoldaten, Minen oder Selbstschussanlagen, nur weil sie versuchten, aus der DDR in die Bundesrepublik Deutschland zu fliehen. Daneben gab es aber auch viele andere Formen systematischer Unterdrückung oder unredlichen Verhaltens: So wurden die in der DDR abgehaltenen Wahlen regelmäßig manipuliert, insbesondere durch Nichtberücksichtigung von Gegenstimmen oder bewusst ungültig gemachten Stimmzetteln. Bürger, die aus der DDR ausreisen wollten und dies öffentlich kundtaten, wurden von den Gerichten wegen strafbarer Beeinträchtigung staatlicher oder gesellschaftlicher Tätigkeit gem. § 214 DDR-StGB zu langjährigen Freiheitsstrafen verurteilt. Zahlreiche Zivilpersonen arbeiteten als inoffizielle Mitarbeiter für das Ministerium für Staatssicherheit und gaben an diese Informationen über regimekritische Äußerungen, Fluchtvorhaben etc. weiter, was regelmäßig zu massiven Repressalien bis hin zu strafrechtlichen Verurteilungen der Betroffenen führte. Das Ministerium für Staatssicherheit selbst unterhielt ein beispielloses Bespitzelungssystem und betrat heimlich Wohnungen, hörte systematisch Telefone ab oder öffnete Briefe und Postsendungen, um deren Inhalt zu lesen sowie Geld oder Wertsachen, die aus 16

Vgl. Rottleuthner 2016, 259; Werle 1992, 2531. Vgl. BGHSt 41, 317, 339 f.; Rottleuthner 2016, 258. 18 BGHSt 41, 317, 339 f. 19 Vgl. näher Marxen & Werle 1999, 7 ff.; Zimmermann, in: Eser & Arnold 2000, 17 ff. 20 Vgl. die Überblicke bei Kreicker et al., in: Eser & Arnold 2000, 49 ff.; Marxen & Werle 1999, 8 ff. 17

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dem Westen an Verwandte oder Freunde in der DDR geschickt worden waren, zu entnehmen. In den Haftanstalten der DDR wurden Strafgefangene immer wieder grob misshandelt. Die großen sportlichen Erfolge der DDR, insbesondere bei Olympischen Spielen, wurden durch systematisches Doping erreicht, ohne dass den Sportlern oder ihren Eltern mitgeteilt wurde, welche Präparate sie einnahmen und mit welchen gesundheitlichen Risiken und Nebenwirkungen dies verbunden war. Schließlich war die Führungselite der DDR durchaus korrupt und beging in nicht geringem Ausmaß Amtsmissbrauch zur Steigerung des eigenen Lebensstandards. Alle diese Missstände führten zu einer großen Unzufriedenheit der Bevölkerung. Als dann massive wirtschaftliche Probleme hinzukamen und die Sowjetunion zerbrach, die durch politischen und militärischen Druck wie auch finanzielle und wirtschaftliche Unterstützung das DDR-Regime installiert und am Leben gehalten hatte, erzwang die Bevölkerung mit Demonstrationen und massenhaften Ausreiseversuchen die Öffnung der Grenzen und den Rücktritt der Machthaber.21 Es fanden freie demokratische Wahlen statt und das neue ostdeutsche Parlament beschloss mit Zweidrittelmehrheit, die DDR aufzulösen und der Bundesrepublik Deutschland beizutreten. Die Einzelheiten wurden zwischen den beiden Staaten ausgehandelt und in einem „Einigungsvertrag“ festgeschrieben.22 Konsequenz dieses Beitritts war, dass mit einem Schlag das gesamte Rechtssystem der Bundesrepublik auch auf die neuen, zuvor zur DDR gehörenden Territorien anzuwenden war. Sehr schnell nach der Wiedervereinigung wurden deshalb Gerichte und Staatsanwaltschaften nach dem bundesdeutschem System aufgebaut und zu einem weit überwiegenden Anteil mit Personen besetzt, die ihre Ausbildung in Westdeutschland erhalten hatten. Die eigenen Juristen der DDR waren demgegenüber schon deshalb in der Minderzahl, weil die DDR als sozialistischer Staat sehr viel weniger Juristen benötigte; außerdem wurden viele, die mit dem alten Regime zu stark verbunden waren, nicht in das neue System übernommen. De facto waren es deshalb westdeutsche Gerichte, die nach der Wiedervereinigung über die Taten der Repräsentanten der DDR zu urteilen hatten.23 Was die strafrechtliche Aufarbeitung der sogenannten DDR-Regierungskriminalität anging, so legte der Einigungsvertrag fest, dass eine Verurteilung nur möglich 21 Vgl. z. B. die Webseite „Chronik der Wende“ (https://www.chronikderwende.de/ [24. 09. 2019]) des Rundfunk Berlin-Brandenburg. 22 Vertrag zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik über die Herstellung der Einheit Deutschlands vom 31. August 1990 (BGBl. 1990 II 889). 23 Mein Vater war bis zu seiner Pensionierung im Februar 1992 Richter in Rheinland-Pfalz gewesen. Kurz darauf wurde er für den Aufbau der Justiz in Thüringen reaktiviert und arbeitete noch fünf Jahre in Erfurt, die meiste Zeit als Vorsitzender einer Zivilkammer am Landgericht. In seiner Kammer waren vier weitere Richterinnen und Richter tätig: Ein erfahrener Rechtsanwalt und zwei junge Assessorinnen aus Hessen sowie ein Richter, der seine Ausbildung in der DDR erhalten hatte und in die bundesdeutsche Thüringer Justiz übernommen wurde. Das Zahlenverhältnis von vier Westrichtern und einem Ostrichter dürfte typisch gewesen sein.

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war, wenn es sich sowohl nach dem Recht der Bundesrepublik als auch nach dem Recht der DDR um eine Straftat handelte.24 Damit sollte der Tatsache Rechnung getragen werden, dass die Soldaten, Polizisten, Richter und Staatsanwälte der DDR deren damaliges Rechtssystem anwendeten und eine rückwirkende Ersetzung dieses Rechts durch das Recht der Bundesrepublik mit dem Grundsatz „nullum crimen sine lege“ nicht vereinbar wäre. Eine strafrechtliche Verfolgung der Funktionsträger der DDR war damit nur zulässig, wenn diese mit ihren Taten auch gegen das DDR-Recht verstoßen hatten.

3. Die strafrechtliche Verfolgung der „Mauerschützen“ Im Vordergrund der Bemühungen der Staatsanwaltschaften und Gerichte wie auch der wissenschaftlichen Diskussionen standen die Gewalttaten an der deutsch-deutschen Grenze.25 In der weit überwiegenden Zahl handelte es sich um Fälle, in denen DDR-Bürger versuchten, über die Mauer oder Grenzzäune zu klettern, von den Wachsoldaten entdeckt wurden, trotz Warnschüssen sowie der Aufforderung, stehen zu bleiben, weiterrannten und sodann durch gezielte Schüsse tödlich verletzt wurden.26 Vereinzelt gab es auch Exzessfälle, in denen die Opfer den Fluchtversuch aufgaben und sich den Grenzsoldaten stellten, von diesen dann aber trotzdem erschossen wurden.27 Schließlich kamen auch Flüchtende durch Tretminen oder Selbstschussanlagen ums Leben, ohne dass ein Grenzsoldat geschossen hätte.28 Die rechtliche Beurteilung dieser Fälle war in mehrfacher Hinsicht schwierig. Aufgrund der Vorgaben des Einigungsvertrages musste die Strafbarkeit parallel sowohl nach dem Recht der Bundesrepublik Deutschland als auch dem Recht der DDR geprüft und sodann das für die Angeklagten günstigere Recht angewendet werden. Auf der Ebene der deliktischen Einstufung ging es beim insoweit milderen bundesdeutschen Recht zunächst um die Frage, ob der Mordtatbestand oder nur der Totschlagstatbestand verwirklicht war.29 Im Unterschied zu den nationalsozialistischen Gewalttaten wurde bei den Grenzsoldaten – von Exzessen abgesehen – nur Totschlag angenommen, weil aufgrund der allgemein bekannten Grenzschutzmaßnahmen die Tötungen nicht heimtückisch waren und die Soldaten aufgrund der Befehlslage auch nicht aus niederen Beweggründen handelten.30 Deutlich problematischer war in vie-

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Vgl. Art. 315 Abs. 1 S. 1 EGStGB. Vgl. zu den Sachverhalten näher Rummler 2000, 7 ff. 26 So der Sachverhalt in der ersten, grundlegenden Entscheidung BGHSt 39, 1. 27 So der BGHSt 39, 353 zugrunde liegende Sachverhalt. 28 Vgl. BGHSt 40, 218, 219. 29 Nach § 112 DDR-StGB war jede vorsätzliche Tötung als Mord zu bestrafen, sofern nicht besondere mildernde Umstände vorlagen. 30 Vgl. Rummler 2000, 477 ff. 25

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len Fällen dagegen der Nachweis des Tötungsvorsatzes.31 Da die Angeklagten im Prozess zumeist auf wenig glaubhafte Weise angaben, sie hätten nur die Überwindung der Grenze durch Beinschüsse verhindern, aber nicht die Flüchtenden töten wollen, musste ihre subjektive Einstellung aus dem objektiven Geschehen erschlossen werden. Die Gerichte lösten dieses Problem auf relativ pauschale Art und Weise: Wurden die Opfer durch die Schüsse nicht tödlich verletzt, so nahm man regelmäßig auch keinen Tötungsvorsatz an, der eine Strafbarkeit wegen versuchten Totschlags begründet hätte.32 Starben die Opfer dagegen an ihren Verletzungen, dann wurde zumeist der Tötungsvorsatz bejaht, und zwar sowohl für die Grenzsoldaten, die die tödlichen Schüsse abgaben, als auch für alle ihre Vorgesetzten bis hin zur militärischen und politischen Führung der DDR.33 Hatten mehrere Soldaten parallel auf die Flüchtenden geschossen, so wurde bei tödlichem Ausgang für diejenigen, die nicht getroffen oder keine tödlichen Verletzungen verursacht hatten, häufig der Tötungsvorsatz verneint.34 Diese Differenzierungen hatten, wie gleich zu zeigen sein wird, nicht nur auf der Tatbestandsebene, sondern vor allem auch auf der Ebene der Schuld wichtige Konsequenzen. Die größte Schwierigkeit bestand in der Beurteilung der Rechtswidrigkeit. Das Grenzregime der DDR wurde von der Partei- und Regierungsspitze in den 1950er Jahren beschlossen, aber erst 1982 auf eine gesetzliche Grundlage gestellt. Seit dieser Zeit regelte § 27 des Grenzgesetzes der DDR, dass von der Schusswaffe nur im äußersten Notfall Gebrauch gemacht werden durfte. Würde man diese Vorschrift nach rechtsstaatlichen Maßstäben auslegen, dann wären alle Fälle der Erschießung Flüchtender nicht gerechtfertigt gewesen. Die Tötung eines Menschen, der lediglich seine Ausreise durch Flucht erzwingen will, würde völlig außer Verhältnis zum Ziel der Sicherung der Staatsgrenze stehen.35 Faktisch erhielten die Soldaten jedoch den Befehl, Grenzdurchbrüche in jedem Fall zu verhindern und dabei auch die Tötung der Flüchtenden in Kauf zu nehmen.36 Kein Soldat hatte etwas zu befürchten, wenn er eine flüchtende Person erschoss – im Gegenteil wurde er zumeist belobigt und als Vorbild hingestellt. Für die bundesdeutschen Gerichte stellte sich daher die schwierige Frage, ob nur der Buchstabe der DDR-Gesetze oder das tatsächlich praktizierte Recht maßgeblich sein sollte. Im bundesdeutschen juristischen Schrifttum entstand deswegen eine heftige Diskussion.37 So befürwortete etwa Klaus Lüderssen die Rekonstruktion einer „sozialis31

Eingehend Rummler 2000, 253 ff. Vgl. Rummler 2000, 260. 33 Vgl. Rummler 2000, 254, 268 ff. 34 Vgl. Rummler 2000, 254. 35 Siehe auch BGHSt 39, 1, 20 f. 36 Vgl. BGHSt 39, 1, 3, 11 ff. sowie eingehend zum Grenzregime der DDR und zur Befehlslage der Soldaten Rummler 2000, 68 ff., 161 ff.; siehe auch Kreicker, in: Eser & Arnold 2000, 63 ff. 37 Überblick bei Rummler 2000, 278 ff., 353 ff. 32

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tischen Rechtsstaatlichkeit“, die in weiten Teilen des DDR-Rechts auch tatsächlich bestanden habe und an der die politische Strafjustiz gemessen werden könne.38 Danach wären die Schüsse an der deutsch-deutschen Grenze in den meisten Fällen rechtswidrig gewesen, weil dem auch im DDR-Recht anerkannten Verhältnismäßigkeitsgrundsatz nicht Rechnung getragen worden sei. Die Gegenposition wurde u. a. von Günther Jakobs vertreten:39 Die Menschenrechtsverletzungen könnten nicht als falsche Handhabung der am Tatort geltenden Rechtsordnung begriffen werden, sondern nur als Pervertierung des Rechts selbst. Die Praxis an der deutsch-deutschen Grenze sei das Recht der DDR gewesen. Eine systemimmanente Strafbarkeit ihrer Protagonisten sei daher undenkbar. Einen dritten Weg hatte demgegenüber Robert Alexy vorgeschlagen:40 Zwar ersetzte auch seiner Meinung nach eine erst nachträglich vorgenommene einschränkende Auslegung der Rechtfertigungsgründe des DDR-Rechts nicht ein zur Tatzeit bestehendes Gesetz, auf welches die Strafbarkeit der DDR-Funktionsträger gestützt werden könnte. Jedoch dürfe ausnahmsweise auf das Erfordernis eines solchen Tatzeitgesetzes verzichtet werden, wenn die betreffenden Täter nach Sinn und Zweck des Art. 103 Abs. 2 GG, der den Grundsatz „nullum crimen sine lege“ als verfassungsmäßiges Grundrecht garantiert, nicht schutzwürdig seien. Das Gebot eines zur Tatzeit bestehenden schriftlichen Gesetzes solle den Einzelnen vor richterlicher Willkür schützen, es solle ihn vor Strafe für eine Tat bewahren, deren Unrecht er bei ihrer Begehung nicht klar erkennen konnte, und es solle ihn in die Lage versetzen, die rechtlichen Folgen seiner Handlungen zu kalkulieren. Wenn die deutschen Gerichte nach der Wiedervereinigung den extremen Menschenrechtsverletzungen durch DDR-Funktionsträger eine Rechtfertigung verweigerten, so sei das aber weder Willkür noch fehle es an der Erkennbarkeit des Unrechts und der Vorhersehbarkeit der Bestrafung. Die Täter hätten durchaus damit rechnen müssen, dass das Unrechtsregime der DDR zusammenbricht und sie danach zur Rechenschaft gezogen werden. Mehrheitlich sprachen sich die deutschen Strafrechtsprofessoren damit gegen eine Rechtfertigung der Soldaten und Befehlshaber der DDR aus. Der Bundesgerichtshof fand schließlich eine ähnliche Lösung:41 Grundsätzlich sei das DDR-Recht so anzuwenden, wie es die Gerichte der DDR selbst getan hatten. Soweit es sich aber um schwere Menschenrechtsverletzungen handelte, seien Interpretationen des DDR-Rechts, die zur Straflosigkeit solcher Handlungen führen würden, als unbeachtlich anzusehen. Die DDR selbst habe den Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte unterzeichnet und sich damit zu den Menschenrechten, insbesondere auch zur nach Art. 12 Abs. 2 dieses Pakts garantierten Ausreisefreiheit bekannt. Ein Verstoß gegen den Grundsatz „nullum crimen sine lege“ wurde deshalb verneint: „Die Erwartung, das Recht werde, wie in der Staatspraxis 38

Lüderssen 1991, 485 f.; 1992, 747 ff. Jakobs 1994, 1 ff. 40 Alexy 1993, 10 ff., 30 ff. 41 Grundlegend BGHSt 39, 1, 15 ff.; siehe auch BGHSt, 39, 168, 183 ff.; 40, 241, 242 ff.; 41, 101, 103 ff.; Laufhütte 2001, 523 ff. sowie eingehend Rummler 2000, 298 ff. 39

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zur Tatzeit, auch in Zukunft so angewandt werden, daß ein menschenrechtswidriger Rechtfertigungsgrund anerkannt wird, ist nicht schutzwürdig.“42 Diese Haltung wurde in der Folge auch vom Bundesverfassungsgericht43 und vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte44 bestätigt. Als schwierig erwies sich weiterhin die Beurteilung der Schuld der Grenzsoldaten.45 Gemäß § 5 Abs. 1 des bundesdeutschen Wehrstrafgesetzbuchs handelt ein Soldat, der einen Befehl ausführt, ohne Schuld, wenn er nicht erkennt, dass es sich um eine Straftat handelt und dies auch nicht offensichtlich ist. Ähnlich bestimmte § 258 Abs. 1 des DDR-StGB, dass die Ausführung eines Befehls nur dann strafbar ist, wenn dieser offensichtlich gegen die Strafgesetze oder die anerkannten Normen des Völkerrechts verstößt. Der Bundesgerichtshof ging – mit Ausnahme der Exzesshandlungen – in allen Fällen des Schusswaffengebrauchs an der Grenze vom Vorliegen eines Schießbefehls aus. Soweit die Soldaten aufgrund dieses Befehls vorsätzlich tödliche Schüsse abgaben, sei dessen Strafrechtswidrigkeit jedoch offensichtlich gewesen.46 Auch junge Soldaten, die im SED-Regime aufgewachsen waren, hätten erkennen müssen, dass das Gebot der Menschlichkeit eine Tötung unbewaffneter Flüchtlinge verbietet. Aus diesem Grunde sei auch ein Verbotsirrtum im Sinne von § 17 StGB, aufgrund dessen die Soldaten sich zur Abgabe der tödlichen Schüsse befugt gesehen hätten, vermeidbar gewesen und schlösse die Schuld nicht aus.47 Wurde dagegen nur mit Körperverletzungsvorsatz auf die Beine gezielt, um die Opfer fluchtunfähig zu machen, dann sei für die Soldaten ein solcher Verstoß nicht offensichtlich und ein Verbotsirrtum unvermeidbar gewesen.48 Diese Haltung hatte zur Folge, dass in allen Fällen, in denen der Tötungsvorsatz verneint worden war, eine Strafbarkeit der Grenzsoldaten nicht mehr in Frage kam. In der Literatur wurde dagegen teilweise auch bei vorsätzlichen Tötungen die Schuld der Grenzsoldaten verneint:49 Die Soldaten seien ideologisch massiv indoktriniert und die Schüsse an der Mauer von keiner maßgeblichen Seite öffentlich kritisiert worden; auch habe die Staatengemeinschaft die Grenzpraxis der DDR ohne klare und nachhaltige Verurteilung hingenommen. Weitere rechtliche Herausforderungen hatten die Gerichte bei der Verteilung der Verantwortlichkeit auf die verschiedenen Beteiligten und der darauf abgestimmten 42

BGHSt 39, 1, 29 f. BVerfGE 95, 96, 130 ff. 44 EGMR v. 22. 03. 2001, 34044/96, 35532/97, 44801/98 (Streletz, Keßler, Krenz/Deutschland), abgedruckt u. a. in NJW 2001, 3035; EGMR v. 22. 03. 2001, 37201/97 (K.-H.W./ Deutschland), NJW 2001, 3042. 45 Vgl. dazu ausführlich Rummler 2000, 384 ff. 46 Vgl. BGHSt 39, 1, 33 f. 47 Vgl. BGHSt 39, 168, 191 f. 48 Vgl. BGH NStZ 1993, 488, 489. 49 Vgl. z. B. Ebert 1999, 531 f.; ebenso die abweichenden Meinungen der Richter Cabral Barreto sowie Pellonpää und Zupancˇ icˇ in EGMR v. 22. 03. 2001, 37201/97 (K.-H. W./ Deutschland – in NJW 2001, 3042 nicht abgedruckt). Weitere Nachweise bei Rummler 2000, 411 f. 43

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Strafzumessung zu bestehen. So wurden alle Soldaten, die selbst die tödlichen Schüsse abgaben, im Unterschied zu den nationalsozialistischen Gewaltverbrechen als unmittelbare Täter und nicht als Gehilfen angesehen.50 Ihre Vorgesetzten, die als Zwischenglieder in der Befehlskette zwischen der politischen Spitze und den ausführenden Soldaten standen, wurden im Falle konkreter Einzelbefehle als Anstifter, bei lediglich allgemeinen „Vergatterungen“ dagegen als Gehilfen verurteilt.51 Die Mitglieder der politischen Führung, insbesondere des Nationalen Verteidigungsrats, wurden demgegenüber als mittelbare Täter eingestuft:52 Trotz der uneingeschränkten Verantwortlichkeit der Grenzsoldaten hätten die Handlungen der Hintermänner „nahezu automatisch“ zur Tatbestandsverwirklichung geführt. Die Hintermänner hätten die Organisationsstrukturen der DDR und die darauf beruhende unbedingte Bereitschaft der Grenzsoldaten, die Befehle auszuführen, benutzt und dadurch das Geschehen weit mehr beherrscht als dies in vielen anderen anerkannten Fallgruppen der mittelbaren Täterschaft der Fall sei.53 Diese Einstufungen wirkten sich auch nachhaltig auf die Strafzumessung aus. Ganz allgemein ließen die Gerichte hier zumeist große Milde walten. So wurde bei Grenzsoldaten, die die tödlichen Schüsse abgaben, in aller Regel nur ein minder schwerer Fall des Totschlags angenommen und eine Freiheitsstrafe von unter zwei Jahren verhängt, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde.54 Den Angeklagten wurde zugutegehalten, dass es sich um eine historische Ausnahmesituation gehandelt hatte, deren Wiederholung nicht zu befürchten sei, sowie dass sie in einem Dienstverhältnis standen, auf Befehl handelten und im Falle der Weigerung erhebliche Repressalien zu befürchten hatten;55 sie seien in gewisser Weise ebenfalls Opfer des Systems der DDR gewesen.56 Von den Vorgesetzten der mittleren Ebene, die die Beschlüsse und Befehle der politischen Führung nach unten weitergaben, wurden nur sehr wenige verurteilt, und alle nur zu Freiheitsstrafen unter zwei Jahren, deren Vollstreckung ebenfalls zur Bewährung ausgesetzt wurde. Lediglich die insgesamt 16 Mitglieder der politischen Führungsebene, die man noch zur Verantwortung ziehen konnte, wurden mehrheitlich zu längeren Freiheitsstrafen zwischen drei und siebeneinhalb Jahren verurteilt und mussten tatsächlich ins Gefängnis gehen.57

50 Vgl. BGHSt 39, 1, 31 f.; zu den Konstellationen der Mittäterschaft bei gemeinsamem Handeln mehrerer Soldaten vgl. Rummler 2000, 433 ff. 51 Vgl. Rummler 2000, 440 ff. 52 BGHSt 40, 218, 230 ff.; siehe auch BGHSt 45, 270. 53 BGHSt 40, 218, 236; BGHSt 45, 270, 296. 54 Vgl. Rummler 2000, 52. 55 Vgl. Rummler 2000, 489 ff. mit umfassenden Nachweisen zu den Entscheidungen der Landgerichte in erster Instanz. 56 BGHSt 39, 1, 36; BGHSt 39, 168, 193. 57 Vgl. näher Rummler 2000, 52 ff.

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Insgesamt hat sich die bundesdeutsche Justiz im klaren Gegensatz zur Verfolgung der NS-Verbrechen um eine zügige und umfassende strafrechtliche Aufarbeitung der DDR-Regierungskriminalität bemüht. Im Ergebnis kam es freilich nur zu wenigen Anklagen und noch viel weniger Verurteilungen: So wurden zwar knapp 75.000 Ermittlungsverfahren gegen Funktionsträger der DDR eingeleitet.58 Anklagen wurden dagegen nur in 1.737 Fällen erhoben; in 753 Fällen kam es zu Verurteilungen, 336 Verfahren endeten mit Freisprüchen und der Rest wurde eingestellt.59

4. Anwendung des Völkerstrafrechts als Alternative? Die Haltung der Gerichte ist von verschiedenen Seiten heftig kritisiert worden. Teilweise wurde von einer viel zu weitgehenden „Siegerjustiz“ gesprochen, während vor allem viele Opfer nicht mit den milden Urteilen einverstanden waren.60 Den Richtern war jedenfalls bewusst, dass die Bevölkerung der DDR zu einem großen Teil die Ideen des Sozialismus befürwortete und ihren Staat trotz aller Kritik an den Beschränkungen der Reisefreiheit und Versorgung mit Gütern grundsätzlich für gut gehalten hatte. Ein zu strenges Vorgehen hätte deshalb die Akzeptanz der Wiedervereinigung, die bei vielen DDR-Bürgern durchaus problematisch war, gefährdet. Der Umgang der bundesdeutschen Gerichte mit der DDR-Regierungskriminalität wird heute zumeist als im Wesentlichen gelungen angesehen.61 Aus juristischer Sicht problematisch war vor allem, dass die Strafbarkeit zugunsten der Täter nach dem zur Tatzeit in der DDR geltenden Strafrecht beurteilt werden musste, obwohl sich diese im Einklang mit dem eigenen Recht sahen und keinerlei Strafverfolgung zu befürchten hatten. Die bundesdeutschen Gerichte standen deshalb vor der Schwierigkeit, nachträglich eine abweichende Rechtsauslegung anwenden zu müssen, ohne mit dem Rückwirkungsverbot in Konflikt zu geraten. Die gefundene Lösung konnte daher nur einen Kompromiss darstellen. Auf der einen Seite mussten Teile des zur Tatzeit gelebten Rechts nachträglich für unwirksam erklärt werden, und auf der anderen Seite kamen viele Täter mit sehr milden Strafen davon oder wurden überhaupt nicht zur Verantwortung gezogen.62 Eine rechtlich einwandfreie Lösung war zum Zeitpunkt der Wiedervereinigung aber auch nur in Ansätzen erkennbar. Man konnte zwar die sogenannten Nürnberger Prinzipien und insbesondere den Straftatbestand des Verbrechens gegen die Mensch58

Vgl. Marxen, Werle & Schäfter 2007, 25. Vgl. Marxen, Werle & Schäfter 2007, 39 ff. 60 Vgl. z. B. Marxen & Werle 1999, 252 ff.; Rossig & Rost, in: Eser & Arnold 2000, 521 ff.; Rummler 2000, 527 ff. 61 Vgl. z. B. Kreicker & Ludwig, in: Eser & Arnold 2000, 537 ff.; Laufhütte 2001, 528; Marxen & Werle 1999, 241 ff.; kritisch dagegen wegen der milden Strafen und der geringen Zahl der Verurteilungen Schroeder 2000, 3022; Wassermann 2000, 404. 62 Vgl. Marxen 2012, 90 f. 59

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lichkeit als schon zur Tatzeit bestehendes Völkergewohnheitsrecht ansehen und hätte möglicherweise eine Bestrafung der Funktionsträger der DDR darauf stützen können.63 Das Völkerstrafrecht war damals aber noch nicht so weit entwickelt, dass die Verhandlungspartner des Einigungsvertrages darauf ohne zusätzliche Präzisierungen hätten zurückgreifen können. Heute sieht es dagegen anders aus. Insbesondere beinhaltet das Rom-Statut des Internationalen Strafgerichtshofs eine gut ausgearbeitete Regelung, die zudem in Deutschland mit dem Völkerstrafgesetzbuch auch in das nationale Recht transferiert wurde. Zumindest die schlimmsten Formen der DDR-Regierungskriminalität würden sich danach als Verbrechen gegen die Menschlichkeit einstufen lassen.64 Für die bundesdeutschen Gerichte hätte eine Anwendung des Völkerstrafrechts freilich keine wesentliche Erleichterung bedeutet. Einige Probleme wären zwar weggefallen, aber dafür hätten andere hohe Hürden überwunden werden müssen. Es wäre zwar nicht notwendig gewesen, auf das zur Tatzeit geltende innerstaatliche Recht zurückzugreifen. Das Recht der DDR konnte schon deshalb kein angemessener Beurteilungsmaßstab sein, weil der wesentliche Charakter von Systemunrecht gerade in der formellen Legalisierung solcher Verbrechen durch die jeweiligen Machthaber liegt. Bei Verbrechen gegen die Menschlichkeit könnten sich die Täter auch nicht darauf berufen, sie hätten nur Befehle ausgeführt.65 Schließlich wäre es mit dem völkerstrafrechtlichen Instrument der Vorgesetztenverantwortlichkeit leichter gewesen, die Befehlshaber und Mitglieder der politischen Führung für die Taten der Soldaten, Mitarbeiter des Ministeriums für Staatssicherheit etc. strafrechtlich haftbar zu machen.66 Auf der anderen Seite stellt der Tatbestand des Verbrechens gegen die Menschlichkeit aber sehr hohe Anforderungen an eine Verurteilung.67 So muss es sich nicht nur um besonders schwere Einzeltaten handeln, die in Art. 7 des Rom-Statuts und § 7 VStGB enumerativ aufgelistet sind. Diese Taten müssen vielmehr darüber hinaus einen objektiven Teil eines ausgedehnten oder systematischen Angriffs gegen die Zivilbevölkerung bilden, und der Täter muss dies subjektiv auch wissen.68 Im Fall der Mauerschützen und der zu Freiheitsstrafen verurteilten Ausreisewilligen dürften diese Merkmale des sogenannten „Kontext-Elements“ zweifellos verwirklicht sein:69 Die politische Führung der DDR befürchtete – nicht ganz ohne 63 Die Richter Cabral Barreto sowie Pellonpää und Zupancˇ icˇ bezweifeln in ihren abweichenden Meinungen zur Entscheidung EGMR v. 22. 03. 2001, 37201/97 (K.-H. W./Deutschland) dies freilich. Eindeutig bejahend dagegen Werle 2001, 3005. 64 Siehe auch Werle 2001, 3005. 65 Vgl. Art. 33 Abs. 2 des Statuts des IStGH. 66 Vgl. Art. 28 des Statuts des IStGH. 67 Vgl. die Kommentierung zu Art. 7 IStGH-Statut bei Triffterer & Ambos 2016, 144 ff.; Ambos 2018, 261 ff.; Werle & Jeßberger 2016, 419 ff.; siehe auch Barthe 2012, 249 ff. 68 Vgl. Triffterer & Ambos 2016, 165 ff.; Ambos 2018, 267 ff.; Werle & Jeßberger 2016, 427 ff.; siehe auch BGH NJW 2019, 2627, 2633; NJW 2019, 1818, 1825 f. 69 Vgl. Werle 2001, 3005.

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Grund – ein Ausbluten ihres Staates durch Abwanderung und verfolgte deshalb systematisch, planvoll und mit dem politischen Ziel der Bestandserhaltung fast alle, die die DDR verlassen wollten. Ausgehend von einer extrem restriktiven Verwaltungspraxis bei der Erteilung von Ausreiseerlaubnissen über die strafrechtliche Verfolgung und Verurteilung von Personen, die ihren Willen zum Verlassen der DDR öffentlich kundtaten, bis hin zu den Todesschüssen an der Grenze sollten die Bürger mit allen Mitteln von einer Auswanderung insbesondere in die Bundesrepublik Deutschland abgehalten werden. Dieser systematische Angriff richtete sich auch gegen einen konkreten Teil der Zivilbevölkerung, der durch den Willen, den Staat zu verlassen und dies in die Tat umzusetzen, hinreichend abgrenzbar und zahlenmäßig groß genug war, um den Anforderungen des Völkerstrafrechts zu genügen.70 Soweit es dagegen um Personen ging, die sich innerhalb der DDR auflehnten, um Veränderungen zu erreichen, und deshalb auf vielfältige Weise schikaniert, teilweise auch länger eingesperrt und körperlich misshandelt wurden, dürfte der Nachweis eines systematischen, planvoll organisierten Angriffs schwerer fallen, auch wenn ein solcher Angriff ebenfalls naheliegt. Darüber hinaus erfassen die einschlägigen Straftatbestände nicht jeden Beitrag zu einem solchen systematischen Angriff, sondern nur besonders schwere Einzeltaten. An erster Stelle steht insoweit „Mord“, der nicht wie im deutschen StGB eine qualifizierte Form der Tötung voraussetzt, sondern im Wesentlichen dem deutschen Totschlagstatbestand entspricht.71 Dementsprechend begnügt sich das deutsche VStGB mit der bedingt vorsätzlichen Tötung eines Menschen, während der Internationale Strafgerichtshof wegen des insoweit abweichenden Wortlauts des Rom-Statuts einen direkten Tötungsvorsatz verlangt.72 Würde man dem Internationalen Strafgerichtshof folgen, dann könnten die jungen Soldaten, die die Todesschüsse an der deutsch-deutschen Grenze abgegeben hatten, zumeist nicht wegen eines Verbrechens gegen die Menschlichkeit belangt werden, weil sie den Tod der Flüchtenden regelmäßig zwar in Kauf nahmen, zumeist aber nicht als sicher und notwendig ansahen.73 Ihre höheren Vorgesetzten und die militärischen und politischen Führungspersonen der DDR wären dagegen auch nach Ansicht des Internationalen Strafgerichtshofs strafbar: Aus deren distanzierter Perspektive war nämlich sicher, dass zumindest in einigen Fällen Flüchtende getötet würden. Die Verurteilung von Regimegegnern und Ausreisewilligen zu längeren Freiheitsstrafen kann grundsätzlich ebenfalls ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit dar-

70 Vgl. Hall & Ambos, in: Triffterer & Ambos 2016, 172 ff.; Werle & Jeßberger 2016, 427 ff.; siehe auch Gierhake 2019, 1781. 71 Vgl. Hall & Stahn, in: Triffterer & Ambos 2016, 178 ff.; Werle & Jeßberger 2016, 446 f. 72 Vgl. Werle 2018, § 7 VStGB Rn. 47. 73 In diese Richtung wohl auch die Richter Cabral Barreto sowie Pellonpää und Zupancˇ icˇ in ihren abweichenden Meinungen zur Entscheidung EGMR v. 22. 03. 2001, 37201/97 (K.-H. W./Deutschland).

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stellen.74 Allerdings müssen solche Freiheitsentziehungen neben einer durch längere Vollstreckungsdauern zum Ausdruck gebrachten Mindestschwere auch auf der Verletzung fundamentaler völkerrechtlicher Grundsätze beruhen. Typisch für solche völkerrechtswidrigen Praktiken sind insbesondere willkürliche Verhaftungen ohne Gewährleistung eines rechtsstaatlichen Verfahrens.75 Politisch motivierte Strafverfahren waren nun in der DDR nicht rechtsstaatlich, in einzelnen Fällen stellten sie sogar groteske Schauinszenierungen dar,76 und die den Angeklagten vorgeworfenen Verfehlungen bestanden oft in nichts anderem als dem Einfordern völkerrechtlich garantierter Rechte, etwa auf Ausreisefreiheit oder Meinungsfreiheit. Auch ist das sogenannte Rechtsbeugungsprivileg, das die Strafbarkeit eines Richters wegen Freiheitsberaubung davon abhängig macht, dass dieser zugleich eine vorsätzliche Rechtsbeugung begangen hat, dem Völkerstrafrecht unbekannt. Gleichwohl hätten bundesdeutsche Gerichte schwierige Beweisfragen zu bewältigen, wenn sie DDRRichter wegen ihrer politischen Urteile eines Verbrechens gegen die Menschlichkeit schuldig sprechen wollten. Schließlich könnten die vielfach praktizierten Misshandlungen von Gefangenen in den DDR-Gefängnissen als „Folter“ im Sinne von Art. 7 des Rom-Statuts und § 7 VStGB angesehen und im Hinblick auf die übergeordnete Politik der rigorosen Verfolgung von Regimegegnern als Verbrechen gegen die Menschlichkeit eingestuft werden.77 Der Bundesgerichtshof hat in einigen aktuellen Entscheidungen die Hürden hierfür deutlich gesenkt, indem er zwar schwerere Misshandlungen als bei einer einfachen Körperverletzung, aber keine Verursachung bleibender Gesundheitsschädigungen oder extremer Schmerzen verlangt.78 Ob die Praktiken in den Strafvollzugsanstalten der DDR aber als Teil eines systematischen Angriffs auf die Zivilbevölkerung angesehen werden können und den Tätern dies auch bewusst war, könnte problematisch sein. Nicht ausreichen würde es jedenfalls, wenn es sich nur um eine allgemeine Strafvollzugspraxis gehandelt haben sollte, die nicht auf einem übergeordneten Plan beruhte, sondern „nur“ auf einer in den Kreisen des Vollzugspersonals vorherrschenden Geringschätzung der Menschenrechte. Andere Formen der Verfolgung von Regimegegnern, etwa durch Verweigerung einer angemessenen Ausbildung oder Arbeit, unberechtigte Kündigungen, Abhören der Wohnung und des Telefons sowie Brieföffnungen, Wahlfälschungen oder Korruptionshandlungen könnten dagegen von vornherein nicht mit dem Völkerstrafrecht geahndet werden, weil solche Verhaltensweisen nicht von dessen Straftatbeständen 74 Vgl. Ambos 2018, 279 f.; Hall & Stahn, in: Triffterer & Ambos 2016, 198 ff.; Werle & Jeßberger 2016, 463 f. 75 Vgl. Hall & Stahn, in: Triffterer & Ambos 2016, 203; Werle & Jeßberger 2016, 464. 76 Vgl. z. B. die Strafverfahren gegen den Regimekritiker Robert Havemann, dokumentiert bei Vollnhals 1998, 42 ff., 82 ff. 77 Vgl. Ambos 2018, 280 f.; Hall & Stahn, in: Triffterer & Ambos 2016, 204 ff.; Werle & Jeßberger 2016, 464 ff. 78 BGH NJW 2019, 2627, 2633 f.; siehe auch BGH AK 47/19 vom 05. 09. 2019, BeckRS 2019, 22694.

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erfasst sind. Ob es deshalb bei Anwendung des Völkerstrafrechts zu noch weniger Verurteilungen gekommen wäre, ist damit aber noch nicht gesagt. Angesichts der Tatsache, dass auf der Basis der im Einigungsvertrag vereinbarten Lösung fast 98 % aller Ermittlungsverfahren ohne Erhebung einer Anklage eingestellt wurden und die Verurteilungen zumeist nur wegen der Gewalthandlungen an der Grenze sowie Rechtsbeugungen durch Richter der DDR erfolgten,79 hätte sich das praktische Ergebnis wahrscheinlich nicht wesentlich anders dargestellt. Außerdem wären die Gerichte nicht gehindert gewesen, in klaren Exzessfällen die Täter auch außerhalb des Völkerstrafrechts wegen Verstoßes gegen das DDR-Recht zur Verantwortung zu ziehen. Hätte man statt auf ein nachträglich korrigiertes Strafrecht der DDR auf das Völkerstrafrecht zurückgegriffen, dann wäre die strafrechtliche Aufarbeitung des DDRUnrechts den Gerichten zwar nicht leichter gemacht worden. Man hätte aber das zentrale Legitimationsproblem, dass Täter rückwirkend für etwas verurteilt wurden, was nach dem anzuwendenden Recht zur Tatzeit als rechtmäßig galt, vermieden. Möglicherweise hätten dadurch die Ergebnisse von der DDR-Bevölkerung leichter akzeptiert werden können. Vielen Opfern wäre aber auch auf diesem Weg keine ausreichende Genugtuung zuteil geworden. Literaturverzeichnis Alexy, R. (1993): Mauerschützen: zum Verhältnis von Recht, Moral und Strafbarkeit, Göttingen. Aly, G. (2006): Hitlers Volksstaat. Raub, Rassenkrieg und nationaler Sozialismus, Frankfurt a. M. Ambos, K. (2018): Internationales Strafrecht, 5. Aufl. München. Barthe, C. (2012): Der Straftatbestand der Verbrechen gegen die Menschlichkeit in § 7 VStGB in der staatsanwaltlichen Praxis. Neue Zeitschrift für Strafrecht 5, S. 247 – 252. Ebert, U. (1999): Strafrechtliche Bewältigung des SED-Unrechts zwischen Politik, Strafrecht und Verfassungsrecht, in: U. Ebert u. a. (Hrsg.), Festschrift für Ernst-Walter Hanack zum 70. Geburtstag. Berlin, New York, S. 501 – 538. Eser, A. & Arnold, J. (Hrsg.) (2000): Strafrecht in Reaktion auf Systemunrecht. Vergleichende Einblicke in Transitionsprozesse, Teilband 2. Deutschland. Freiburg i.Br. Eser, A., Sieber, U. & Arnold, J. (Hrsg.) (2012): Strafrecht in Reaktion auf Systemunrecht. Vergleichende Einblicke in Transitionsprozesse, Teilband 14, Transitionsstrafrecht und Vergangenheitspolitik. Berlin. Gierhake, K. (2019): Delikte nach dem Völkerstrafgesetzbuch – Tatbestandsprobleme und Beteiligungsfragen. Neue Juristische Wochenschrift 25, S. 1779 – 1781. Görtemaker, M. & Safferling, C. (2016): Die Akte Rosenburg: Das Bundesministerium der Justiz und die NS-Zeit. 2. Aufl. München. 79

Vgl. Marxen, Werle & Schäfter 2007, 41.

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Elektronische Überwachung in Europa – kriminologische und kriminalpolitische Überlegungen Von Frieder Dünkel

1. Einleitung Mit Hans-Jörg Albrecht verbindet mich vor allem die „Frühzeit“ seiner wissenschaftlichen Karriere, als wir gemeinsam am Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Strafrecht in Freiburg – sozusagen Tür an Tür – unsere Dissertationen erstellten, die wir am selben Tag Anfang 1979 mit dem Rigorosum beendeten. Nach der Habilitation haben sich unsere Wege getrennt, er kehrte letztlich zurück nach Freiburg, die Distanz zu Greifswald hätte räumlich nicht größer sein können. Dennoch verbanden und verbinden uns immer wieder gleiche Forschungsfragen, von denen ich eine für seine Festschrift aufgreifen möchte: Die elektronische Überwachung (EÜ) von Straftätern. Auch wenn unsere Sichtweisen kriminalpolitisch nicht immer kongruent waren,1 so möchte ich als Gemeinsamkeit das Bemühen um eine kritische Reflexion und eine Orientierung an einem maßvollen Strafrecht hervorheben, wie sie beispielhaft bereits in unserem Beitrag in der Monatsschrift für Kriminologie 1981 über die „Empirische Begründbarkeit von Kriminalpolitik“ zum Ausdruck kam (Albrecht, Dünkel & Spieß 1981). Die Frage, wie Straftäter erfolgreich ohne Freiheitsentzug wiedereingegliedert, kontrolliert und überwacht werden können, beschäftigt die Strafrechtswissenschaften mindestens seit Ende des 19. Jahrhunderts als die Suche nach Alternativen zur damals eindeutig dominierenden Freiheitsstrafe (FS) in der kriminalpolitischen Debatte einen ersten Höhepunkt erreichte. Franz von Liszt beeinflusste diese Debatte wesentlich, indem er vor allem die kurze Freiheitsstrafe für schädlich erachtete und Alternativen wie die Geldstrafe jedenfalls für die Gruppe der sog. Gelegenheitstäter auszubauen empfahl (von Liszt 1905, 171, 173). In der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts wurden die Geldstrafe und die Strafaussetzung zur Bewährung bzw. Bewährungsstrafen i.S. der englischen probation als Antwort auf die sich verschärfende Krise des mit zunehmender Überbelegung konfrontierten Strafvollzugs 1

Gerade zum vorliegenden Thema ist meine kriminalpolitische Sicht zum Potenzial der EÜ deutlich zurückhaltender vgl. Dünkel, Thiele & Treig 2017; Dünkel 2017; 2018 und nachfolgend, während Albrecht sich dazu eher positiv geäußert hatte, vgl. Albrecht 2002; 2003; 2005; eher zurückhaltend wird das Potenzial der EÜ auch in der von Albrecht betreuten Dissertation von Meuer 2019 eingeschätzt.

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gefunden. Die Suche nach einer effektiveren Kontrolle von Straftätern im Rahmen ambulanter Sanktionen war die Begleitmusik der punitiven Wende („punitive turn“) der 1980er und 1990er Jahre, die von Garland 2008 als „Kultur der Kontrolle“ treffend charakterisiert wurde. Die jüngste Weiterentwicklung in dieser Richtung wurde durch die Entwicklung von neuen Formen der Überwachungstechnik ermöglicht, zunächst durch radiofrequenzgestützte Technik (RF) telefonischer Kontrollanrufe im Rahmen des elektronisch überwachten Hausarrests, in jüngerer Zeit aber überwiegend durch GPS-gestützte Systeme, die den Aufenthalt des Probanden ermitteln und zugleich die Etablierung von Ge- und Verbotszonen des Aufenthalts ermöglichen (Elektronische Aufenthaltsüberwachung, EAÜ, vgl. Haverkamp 2014). Die EÜ bzw. EAÜ darf man sicherlich als eines der dynamischsten Entwicklungsfelder des strafrechtlichen Sanktionensystems ansehen mit aktuell weitreichender Ausstrahlungswirkung in den Bereich des Polizeirechts, etwa wenn es um die Überwachung von Gefährdern bzw. potenziellen Terroristen u. ä. geht (vgl. hierzu den „Ausblick“ von Meuer 2019, 169 ff.). Die Entwicklung fordert eine kritische Betrachtung nicht nur unter der Perspektive der „Modern Penality“ bzw. der Einflussnahme privaten Unternehmertums auf das Sanktionenrecht (Page 2013; Feely 2016), sondern auch mit Blick auf die kriminologische Evidenz zur Frage der Effizienz in spezialund generalpräventiver Sicht (vgl. die vielfältigen Meta-Analysen zum Thema „what works?“) sowie in strafrechtsdogmatischer bzw. menschenrechtlicher Sicht zur Frage der Beachtung der traditionellen Grundsätze der Verhältnismäßigkeit und nicht zuletzt der Menschenwürde. Der nachfolgende Beitrag stützt sich u. a. auf Erkenntnisse eines EU-geförderten Projekts (Hucklesby et al. 2016, das die Länder Belgien, England/Wales, Deutschland, die Niederlande und Schottland betraf) und ein umfassenderes Anschlussprojekt unter Einschluss von 12 weiteren Ländern, das sich aktuellen kriminalpolitischen Entwicklungen und verfassungsrechtlichen Fragen der EÜ widmete (Dünkel, Thiele & Treig 2017).

2. Die Ausweitung der Elektronischen Überwachung von Beschuldigten und Verurteilten in den europäischen Kriminaljustizsystemen Die elektronische Überwachung von Straftätern hat in Europa eine vergleichsweise kurze Geschichte, die eng mit der allgemeinen technologischen Entwicklung verbunden ist. Erste Experimente mit EÜ entstanden in Europa in den frühen 1990er Jahren in England & Wales, nachdem bereits ca. 10 Jahre zuvor in den USA erste Erfahrungen gesammelt wurden. Es folgten Mitte der 1990er Jahre Pilotprojekte in Schweden und den Niederlanden.2 In den letzten Jahren wurden in der sog. SPACE II-Statistik des Europarats statistische Daten erfasst, die zwar lücken- und teilweise fehlerhaft waren 2 Vgl. Nellis 2014; speziell zu den Entwicklungen in den USA vgl. Lilly & Nellis 2013, 21 ff.

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und sind, jedoch den wohl zutreffenden Eindruck vermitteln, dass die EÜ zumindest in Form von Pilotprojekten in der überwiegenden Zahl der Europaratsmitgliedsstaaten eingeführt wurde (vgl. zuletzt Aebi & Hashimoto 2018, 18 f.). Betrachtet man die Zahlen der pro Stichtag unter EÜ stehenden Personen oder die Fallzahlen pro Jahr, so werden die Probleme der Europaratsstatistiken evident, denn in SPACE II wurden für 2018 nur bzgl. 24 von 35 Ländern, die EÜ als strafrechtliche Sanktion oder zur U-Haftvermeidung einsetzen, Daten mitgeteilt.3 Renzema & Mayo-Wilson berichteten für das Jahr 2003 eine überschlägig berechnete Zahl von 100.000 elektronisch überwachten Straftätern in den USA und etwa 9.000 im gesamten Europa, davon 77 % allein im Vereinigten Königreich.4 Seither gab es einen geradezu atemberaubenden weiteren Anstieg in Europa, wie die Zahlen in einigen der hier betrachteten Länder zeigen. Allerdings ist nicht zu verkennen, dass sich in jüngster Zeit der „Boom“ gelegt hat und mit dem allgemeinen Rückgang der registrierten Kriminalität und der Verurteilten- sowie (teilweise auch) Gefangenenraten in etlichen Ländern auch die EÜ-Zahlen sinken (z. B. England & Wales, Schweden). Den im Ausmaß erstaunlichen Zuwachs des Gebrauchs von EÜ in Europa kann man im Zusammenhang mit den kommerziellen Interessen der privaten Betreiberfirmen sehen, die über eine starke Lobby verfügen und schon in den 1980er Jahren in den USA durch fast schon aggressive Werbekampagnen ihre Technik „verkauften“ (vgl. Gable 2015; Feely 2016). Insoweit ist eine neue Qualität des strafrechtlichen Umgangs mit Tätern entstanden (vergleichbar der Privatisierungstendenzen im Strafvollzug in den USA), die die Grundlagen des Staatsverständnisses und des staatlichen Gewaltmonopols tangiert und gefährden kann. Traditionell bestimmt der Staat die Strafzwecke und wie Strafen vollstreckt werden sollen. In einigen Bereichen sind nunmehr private Unternehmer „ins Spiel“ gekommen, z. B. im Jugendhilfe- und Jugendstrafrecht. Allerdings sind diese „Mitspieler“ zumindest in den kontinentaleuropäischen Staaten, insbesondere Deutschland, nicht auf Gewinnerzielung angelegte („non-profit“) Organisationen (häufig im Wesentlichen durch die Kommunen finanziert oder bezuschusst). Mit dem Eintritt von profit-orientierten Unternehmen bei der Privatisierung von Gefängnissen ebenso wie bei der EÜ ändert sich die Struktur und darauf basierend die Kriminalpolitik entscheidend, denn der private Sektor tritt jetzt mit ganz anderen Methoden der Kommerzialisierung und der Ver3 Zugleich werden Unzulänglichkeiten bzgl. der berichteten Zahlen offensichtlich, wenn etwa zum 31. 12. 2014 für England & Wales 271 angegeben werden, während der Landesbericht in unserer Studie eine Zahl von knapp 14.000 Fällen ausweist, vgl. Hucklesby & Holdsworth 2017, 184. Die enorme Diskrepanz könnte dadurch zustande gekommen sein, dass in SPACE II nur die EÜ-Fälle im Rahmen der Unterstellung unter Bewährungsaufsicht gemeldet werden, während die in England & Wales hauptsächlich angewendete Form die EÜ als eigenständige („stand-alone“), nur von den privaten Betreiberfirmen begleitete Sanktion ist. 4 Vgl. Renzema & Mayo-Wilson 2005, 215. Der elektronisch überwachte Hausarrest wurde in den USA 1983 eingeführt, vgl. Weigend 1989, 299; vgl. zu den Anfängen auch Gable 2015, 6, der detailliert die ökonomischen Zusammenhänge beschreibt und u. a. auf das Marketing für GPS-Systeme seit 1998 verweist; zu den Lobby-Interessen der privaten Betreiberfirmen vgl. insbesondere auch Feely 2016.

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marktung mit dem Ziel der Expansion der von ihm angebotenen Sanktionen und Maßnahmen auf.5 Rationale Kriminalpolitik und insbesondere eine reduktionistische Strategie der Vorrangstellung weniger eingriffsintensiver Sanktionen wird dadurch erschwert. Wie auch die Länderstudien in Dünkel, Thiele & Treig 2017 zeigen, gehen die privaten Betreiber ganz gezielt auf Regierungen zu und setzen sie mit Vertragsgestaltungen unter Druck, die ihnen eine bestimmte Abnahme von Geräten garantiert (siehe etwa das Beispiel Litauen).6 Eine ähnliche Zurückhaltung und niedrige Akzeptanz bei der Justiz kann man in Griechenland erkennen.7 Obwohl sich die EÜ in einigen Ländern sehr dynamisch entwickelt hat (insbesondere in England & Wales, Norwegen, Frankreich, Schottland und Belgien), muss man doch die insgesamt marginale Rolle, die die verschiedenen Formen der EÜ im Gesamtsystem der strafrechtlichen Sozialkontrolle spielen, hervorheben. Die SPACE II-Statistik des Europarats weist seit 2013 den Anteil von Personen mit EÜ an der Gesamtzahl ambulanter Sanktionen Verbüßender aus, die von Bewährungshilfeorganisationen betreut werden. Im Durchschnitt waren es im Jahr 2013 3 % (Median: 1,0 %) mit den Spitzenwerten von 4,4 % in Belgien, 5,4 % in Frankreich und 7,8 % in Norwegen (vgl. Aebi & Chopin 2014, 17 f.). Der Survey für 2016 wies einen Median von 1,2 % mit den Spitzenwerten von 3,3 % in Belgien, 5,6 % in Frankreich und 12,9 % in Norwegen aus (Aebi & Chopin 2018, 18 f.). Die SPACE II-Statistik für Ende Januar 2018 ergibt einen Anteil von im Median 1,2 % an den von der Bewährungshilfe betreuten Personen mit EÜ, wobei für Frankreich (6,1 %) und Norwegen (13,3 %) erneut ein leichter Anstieg, in einigen anderen Ländern (z. B. Belgien) aber auch rückläufige bzw. stagnierende Zahlen erkennbar werden. In Deutschland mit 0,04 % spielt die EÜ ebenso wie in den in Abbildung 1 ausgewiesenen Ländern in Ost- und Südeuropa praktisch keine Rolle.8 5

Diese Kritik ist nicht neu, sondern wurde schon in der Anfangsphase der Einführung von EÜ von Kritikern hervorgehoben, vgl. insbesondere Lindenberg 1997; Albrecht 2005, 7 f. war bei seinem internationalen Überblick zur EÜ zurückhaltender und sah direkt auf die Sanktionspraxis Einfluss nehmende kommerzielle Interessen nur in England & Wales und den USA als gegeben und keinesfalls als vorherrschend. Die Beispiele bei Dünkel, Thiele & Treig 2017 zeigen allerdings, dass kommerzielle Interessen in vielen Ländern klar erkennbar sind, wenngleich ohne gravierenden Einfluss auf die Sanktionspraxis, insbesondere was die Reduzierung der Gefangenenraten anbelangt, vgl. dazu unten 4. 6 Vgl. Sakalauskas 2017, 397 ff.. Die Regierung mietete im Beispielsfall eine bestimmte Anzahl von Geräten an und bezahlte viel Geld als Fixpreis, egal wie häufig – oder besser selten – die Richter die EÜ-Maßnahme anordneten. Demgemäß war die EÜ in den ersten Jahren teurer als der Strafvollzug und die Regierung musste bei den Praktikern für eine häufigere Anordnung zur Verbesserung der Kosten-Nutzen-Bilanz werben (was aus menschenrechtlicher Sicht inakzeptabel ist, weil Grundsätze der Verhältnismäßigkeit außen vor bleiben). 7 Vgl. Pitsela 2017, 376 ff. 8 Die Tabelle 2.1 in SPACE-II für 2018 gibt für Serbien einen Anteil von 25,1 % elektronisch überwachter Bewährungshilfeprobanden an, vgl. Aebi & Hashimoto 2018, 18 (429 von 1.707); da die absoluten Zahlen von Bewährungshilfeprobanden bei absolut mehr als 10.000

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Quelle: Aebi, M.F. & Hashimoto, Y. Z. (2018): SPACE II – Council of Europe Annual Penal Statistics: SPACE II, survey 2018. Strasbourg, Council of Europe, Tabelle 3, S. 18 – 19 (ohne Serbien mit einem ausgewiesenem Anteil von 25,1 %.

Abbildung 1: Elektronische Überwachung im Rahmen der Arbeit von Bewährungshilfeorganisationen („under the supervision of probation agencies“) im europäischen Vergleich, 2018

Ein vergleichbares Bild ergibt sich bei Betrachtung der unter elektronischer Überwachung stehenden Probanden der Bewährungshilfe pro 100.000 der Wohnbevölkerung (Abbildung 2). Belgien, Frankreich und Schottland kommen hier auf beachtliche Raten. Setzt man sie in Vergleich zu den Gefangenenraten (ebenfalls pro 100.000 der Wohnbevölkerung, in Belgien: 88; Frankreich: 104; Schottland: 143), so wird deutlich, dass das Verhältnis von Gefangenen zu EÜ-Probanden im günstigsten Fall bei 6,5 : 1 (F), 6,8 : 1 (BE) bzw. 8,7 : 1 (SCO) liegt, in allen anderen Ländern macht die EÜ nur einen Bruchteil von z. B. knapp 30 : 1 (Schweden) oder 24 : 1 (Österreich) aus, was die allenfalls Nischenfunktion der EÜ im Gesamtsystem der strafrechtlichen Sozialkontrolle verdeutlicht.

Gefangenen so extrem niedrig erscheinen, wurde der Wert als fragwürdig eingestuft und nicht in Abbildung 1 aufgenommen.

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Quelle: Eigene Berechnungen anhand von Aebi, M.F. & Hashimoto, Y. Z. (2018): SPACE II – Council of Europe Annual Penal Statistics: SPACE II, survey 2018. Strasbourg, Council of Europe, Tabelle 2, S. 16 f.

Abbildung 2: Elektronische Überwachung im Rahmen der Bewährungshilfe pro 100.000 der Wohnbevölkerung im europäischen Vergleich, 2018

Neuerdings werden in der auf den Strafvollzug bezogenen Statistik SPACE-I des Europarats die Zahlen und Anteile von Gefangenen erfasst, bei denen die Gefängnisstrafe (teilweise) unter elektronischer Überwachung vollstreckt wird (z. B. in Verbindung mit Hausarrest). In diesen Fällen stellt die EÜ eine vollstreckungsrechtliche Modifikation der Freiheitsstrafe dar, sie ist statistisch gesehen keine Alternative zur FS, da die Überwachten weiterhin als Gefangene gezählt werden. Funktional stellt sie allerdings eine Alternative dar, die insofern bzgl. eines Net-widening weniger problematisch ist, als sie tatsächlich Freiheitsentzug ersetzt. Einschränkend ist allerdings auch hier zu hinterfragen, ob nicht auch weniger eingriffsintensive Formen der Kontrolle und Aufsicht z. B. im Rahmen einer vorzeitigen Entlassung in Frage gekommen wären. Ein Net-widening ist damit nicht gänzlich auszuschließen. Aus Tabelle 1 ist zu entnehmen, dass die Vollstreckung unbedingter Freiheitsstrafen unter EÜ in Österreich, Polen und vor allem Frankreich9 beachtliche Anteile ausmacht, im Übrigen quantitativ jedoch bedeutungslos bleibt. 9 Die Zahlen für Frankreich haben für die Berechnung von Überbelegungsquoten folgenreiche Konsequenzen. Aebi & Tiago 2018, 65 berechnen bei 59.548 Haftplätzen eine Belegungsquote von 116,3 % und damit die zweithöchste Überbelegungsquote im europäischen Vergleich. Zieht man jedoch von den absoluten Gefangenenzahlen von 69.596 die 10.241 unter elektronischer Überwachung ab, so kommt man auf eine tatsächliche Belegung von 59.355, die nominell knapp unter der Belegungsfähigkeit des Strafvollzugs liegt.

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Tabelle 1 Anteil von Gefangenen unter elektronischer Überwachung im europäischen Vergleich, 2018 Land

Gefangene insgesamt (31. 01. 2018)

Davon: unter elektronischer Überwachung

Anteil in %

Deutschland

64.193

0

0,0 %

Griechenland

10.036

6

0,06 %

9.407

10

0,1 %

643

1

0,2 %

602.176

6.753

1,1 %

9.315

245

2,6 %

59.129

1.927

3,3 %

Georgien Zypern Russland Niederlande Spanien (insg.) Österreich

8.960

363

4,1 %

Polen

73.822

4.709

6,4 %

Frankreich

69.596

10.241

14,7 %

Quelle: Eigene Berechnungen anhand von Aebi & Tiago 2018, Tabelle 2.1, 24 f.

3. Ziele und Zielgruppen der EÜ – unterschiedliche Orientierungen im europäischen Kontext In den meisten Ländern, die die EÜ eingeführt haben, stand das Bemühen, die Gefängnispopulation zu reduzieren oder zumindest den Anstieg der Gefängnisbelegung zu begrenzen, im Vordergrund (z. B. Belgien, Frankreich, Griechenland, Italien, Litauen), z. T. durch die Rechtsprechung des EGMR oder nationaler Obergerichte forciert, die die durch Überbelegung bedingten unmenschlichen Haftbedingungen kritisierten (vgl. Italien).10 EÜ kommt als Front-door-Variante zur Vermeidung von Untersuchungshaft sowie als Alternative zur Freiheitstrafe in Betracht, wobei im letzteren Fall häufig ungeklärt ist, inwieweit Freiheitsentzug tatsächlich vermieden wird (Problematik des Net-widening). Als Back-door-Variante soll sie im Rahmen der bedingten Entlassung zur Verkürzung der vollstreckten Freiheitsstrafe beitragen. Zielgruppen waren und sind in vielen Ländern Täter aus dem Bereich der gering- oder mittelschweren Kriminalität, häufig sog. Low-risk-offenders im Hinblick auf die zukünftige Begehung schwerer, insbesondere Gewaltstraftaten (z. B. Straßenverkehrsdelinquenten, gewaltlose Eigentums- und Vermögensdelinquenten u. Ä., die in Deutschland das klassische Klientel der Geld- und Bewährungsstrafe darstellen). Deshalb wurden in Ländern wie Schweden zunächst nur Täter mit kurzen Freiheitsstrafen von bis zu 3, spä10 Vgl. hierzu Guido 2017, 382 und den Hinweis auf die sog. Torregiani-Entscheidung von 2013.

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ter bis zu 6 Monaten erfasst. In Dänemark waren Trunkenheitsfahrer mit FS von bis zu 3 Jahren die Zielgruppe bei der Einführung 2005, später erfolgte eine Ausweitung auf maximal 5 Monate FS, in Norwegen werden bis zu 4 Monate FS durch EÜ ersetzt, in Finnland kommt die Front-door-Variante nur in Betracht, wenn die vorrangige Alternative der Gemeinnützigen Arbeit als aussichtslos erscheint. Im Übrigen wird in Finnland hauptsächlich die Back-door-Variante im Rahmen einer bis zu 6-monatigen Vorverlegung des Entlassungszeitraums vor der regulären bedingten Entlassung nach zwei Drittel oder der Hälfte der Strafe verfolgt. Schweden (bis 6 Monate), Dänemark und Norwegen (bis 4 Monate) haben diese Variante ebenfalls eingeführt (vgl. LappiSeppälä 2019). In Österreich kommt die Back-door-Variante bei Strafresten bis zu einem Jahr in Betracht. Die Ausweitung der EÜ im „Feld des Strafrechts“ („penal field“)11 hat viel mit der Entwicklung von technischen Überwachungsmöglichkeiten in der Gesellschaft allgemein zu tun. In Zeiten der sich ausweitenden Videoüberwachung, freiwilligen Selbstüberwachung (z. T. aus medizinischen Gründen) und der Offenlegung des Privaten im Internet verlieren die EÜ und die Privatisierung der strafrechtlichen Sozialkontrolle gewissermaßen ihren Schrecken (Nellis 2017, 280). Der Datenschutz wird nicht mehr in dem Maße als ein schützenswertes Grundrecht erlebt, wenn Menschen freiwillig intimste Dinge ins Netz stellen. All das kann auch die Einstellung zur EÜ als mehr oder wenig eingriffsintensive Maßnahme verändern, wenngleich EÜ in dem Zwangskontext der Führungsaufsicht – wie die Studie von Bräuchle zeigt – als durchaus sehr eindrücklich und belastend erlebt wird.12 Die Gründe für die Einführung und Ausweitung der EÜ waren in den meisten Ländern der hohe Belegungsdruck (Überbelegung) im Strafvollzug der 1980er, bis anfangs der 2000er Jahre. Deshalb war das dominierende Motiv die Reduzierung der Gefangenenraten. Allerdings blieb auch das Resozialisierungsziel von Bedeutung, 11

Vgl. zur spezifischen Begrifflichkeit Page 2013, 152 ff., der unter Bezugnahme auf Konzepte von Bourdieu das „Feld“ und Variationen des kriminalpolitischen Outputs im Kontext der Akteure, ihrer kulturell geprägten Handlungsroutinen, ihrer Sozialisation und ihres „Habitus“ im Zusammenspiel mit verschiedenen Interessensgruppen analysiert (vgl. hierzu auch Nellis 2017, 283). Bei an sich ähnlichen ökonomischen Strukturen mag dieser Ansatz dazu beitragen, die Sonderrolle Deutschlands zu erklären, indem ein grundlegendes Misstrauen der (im guten Sinn) konservativen Justiz eine breite Anwendung von EÜ bislang im Gegensatz zu einigen Nachbarländern ausschließt. Gleiches kann man auch in den südeuropäischen Ländern erkennen. Möglicherweise war der Siegeszug der EÜ in England & Wales gerade deshalb möglich, weil es der Regierung politisch gelang die gegenüber der EÜ negativ eingestellten Bewährungshilfeorganisationen weitgehend auszuschalten bzw. zu neutralisieren. Ähnlich ist die Entwicklung in Belgien einzuschätzen, wo die EÜ in weitem Umfang als „Stand-alone“-Sanktion ohne begleitende Maßnahmen der Bewährungshilfe ausgebaut wurde. Dass gleiche Tendenzen in Baden-Württemberg nicht funktioniert haben (siehe hierzu Dünkel, Thiele & Treig 2017, 13 sowie Schwedler & Wössner 2015 m.jew.w.N.), hängt mit einem in Deutschland wichtigen und möglicherweise entscheidenden Faktor (oder „Spieler“ im „penal field“) zusammen: Der verfassungsrechtlichen Rechtsprechung, die Privatisierungstendenzen enge (im Allgemeinen nahezu unüberwindbare) Grenzen setzt. 12 Vgl. Bräuchle 2017, 139 ff., 147 ff., 149; ausführlich auch Bräuchle 2016, 143 ff.

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weil man glaubte, dass die EÜ mehr zur Wiedereingliederung beitragen kann als der herkömmliche Strafvollzug (s. dazu unten 5.). Zugleich wurde insbesondere in den skandinavischen Ländern, Österreich und den Niederlanden die wesentliche Bedeutung der Bewährungshilfe und anderer sozialer Unterstützungssysteme hervorgehoben und die EÜ als (zusätzliches) Mittel gesehen, die Resozialisierungsmaßnahmen i.S. der sozialen Integration zu unterstützen, sei es im Rahmen der unmittelbaren Strafaussetzung zur Bewährung oder im Zusammenhang mit den Entlassungsvorbereitungsmaßnahmen sowie der Nachbetreuung (z. B. bei der bedingten Entlassung oder Führungsaufsicht). Im Gegensatz dazu haben England & Wales und (für den Bereich kurzer Freiheitsstrafen bis zu einem Jahr) auch Belgien die EÜ als alleinstehende Sanktion ohne sozialarbeiterische Begleitung eingeführt. In diesen Fällen stellt die EÜ eine Art Freiheitsbeschränkungsstrafe dar, die keinerlei resozialisierungsorientierte Hilfeangebote beinhaltet. Die neue Technologie der GPS-basierten Überwachung ermöglichte es zum Schutz von (potenziellen) Opfern Inklusions- und Exklusionszonen einzurichten, mit denen eine Annäherung des Täters an das Opfer (z. B. in Fällen häuslicher Gewalt oder eines Sexualdelikts) unterbunden werden kann. EÜ mit dieser Zielsetzung wird in einigen wenigen Ländern und nur in wenigen Einzelfällen, z. B. in England & Wales, Deutschland, den Niederlanden und Spanien, praktiziert. Ein im Vergleich zu den o.g., eher auf Täter mit geringen Risiken orientierten EÜMaßnahmen divergierender kriminalpolitischer Ansatz wird in Deutschland, Frankreich, den Niederlanden oder der Schweiz mit der Einbeziehung auch besonders „gefährlich“ erscheinender Täter erkennbar, die u. U. auch über den Zeitraum der Verbüßung einer Freiheitsstrafe hinaus überwacht werden können, wenn von ihnen konkrete Risiken im Hinblick auf die Begehung schwerster Taten gegen Leib und Leben ausgehen. Sie sollten nach Vollverbüßung ihrer Freiheitsstrafe eigentlich freie Menschen sein, jedoch akzeptiert die Gesellschaft in diesen wenigen Einzelfällen nicht, dass sie gänzlich ohne Überwachung entlassen werden. In den genannten Ländern sind daher der deutschen Führungsaufsicht bzw. der Bewährungsaufsicht vergleichbare Überwachungssanktionen geschaffen worden. Auch hier gilt allerdings, dass die EÜ ultima ratio der Überwachung in Ergänzung zu sozialarbeiterischen Hilfeangeboten der Bewährungs- bzw. Führungsaufsichtshilfe sein soll.13 In Deutschland stand die Einführung der GPS-basierten Überwachung im Jahr 2011 im Zusammenhang mit der vom EGMR aufgrund eines Urteils von 2009 aus Rechtsgründen (Verstoß gegen Art. 5 EMRK) angeordneten Freilassung von nach wie vor als „gefährlich“ eingestuften Gefangenen aus der Sicherungsverwahrung.14 In Frankreich lag der Fokus mehr auf terroristischen Tätern und ihrem sozialen Umfeld, eine Frage die 13

Beispielhaft wird dies daran deutlich, dass in Deutschland 2015 bei ca. 37.000 Führungsaufsichtsfällen (die alle eine Negativprognose aufweisen) nur knapp 75 unter elektronischer Überwachung standen, Reckling 2016, 113 ff.; Dünkel, Thiele & Treig 2017a, 485. 14 Vgl. zu den Details und Hintergründen Dünkel, Thiele & Treig 2017, 20.

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nach dem Anschlag in Berlin im Dezember 2016 in Deutschland zu entsprechenden Änderungen des Polizeirechts führte.15

4. Ausweitung der Sozialkontrolle (Net-widening) oder Reduzierung der Gefängnispopulation durch EÜ? Eine der wesentlichen Fragen der empirischen Forschung ist, in welchem Umfang das Ziel, die Gefängnispopulation zu reduzieren (oder wenigstens deren weiteren Anstieg zu verhindern), erreicht wurde und wird, oder anders ausgedrückt in welchem Umfang die EÜ sich lediglich als Alternative zu anderen Alternativen zum Freiheitsentzug darstellt. Im letzteren Fall kann EÜ ein zusätzliches Kontroll- und Überwachungselement im Bereich der gemeindebezogenen Sanktionen und Maßnahmen (Alternativen) sein, durch das das Netz sozialer Kontrolle jenseits der „normalen“ Bewährungsaufsicht ausgeweitet bzw. intensiviert wird. Eine derartige Intensivierung kann u. U. durchaus gerechtfertigt sein, wenn die herkömmliche Arbeit der Bewährungshilfe und -aufsicht sich als unzureichend erweist und empirisch begründete Anhaltspunkte dafür existieren, dass der zusätzliche Kontrollbedarf mit dieser technischen Form der Überwachung hilfreich und notwendig ist. Die Befürworter der EÜ führen als Argument ins Feld, dass die EÜ unstrukturierten und instabilen (labilen) Straftätern hilft, eine besser strukturierte Alltagsroutine zu entwickeln, was in der Tat in Einzelfällen zutreffen mag. Allerdings bleibt die Frage offen, was nach der meist ja nur kurzen Zeit elektronischer Überwachung geschieht, wenn die Überwachungstechnik entfernt wurde. Es ist eine empirische Frage, welche Lernprozesse in der kurzen Zeit zu erwarten und möglich sind und inwieweit sich ggf. nachhaltige Effekte einstellen. Dazu gibt es – soweit ersichtlich – wenig Forschung (s. u.), jedoch zeigt sich im Parallelbereich der atemalkoholgesteuerten Wegfahrsperren bei Trunkenheitstätern, dass mit der Entfernung der Atemalkoholtestapparatur die Alkoholfahrten wieder zunehmen.16 In der vorliegenden Studie bezogen auf 17 Europäische Länder konnten wir nur in wenigen Fällen und ggf. nur in sehr begrenztem Ausmaß „Indizien“ dafür finden, dass die EÜ zu einer Reduktion der Gefangenenraten beigetragen hat. Ein gutes Bei15 Siehe hierzu Meuer 2019, 170 ff. sowie bereits Dünkel, Thiele & Treig 2017, 71 ff. Das Problem ist dabei, dass gegen sog. „Gefährder“ präventiv (jedenfalls soweit noch keine Vorverurteilungen vorliegen) nicht mit den Mitteln des Strafrechts agiert werden kann, da es sich hierbei um eine typische polizeirechtliche Problematik handelt. Die entsprechenden Neuregelungen aus dem Jahr 2018 finden sich demgemäß in § 56 BKAG; vgl. auch § 56a AufenthG und die Regelungen in den Landespolizeigesetzen. 16 Es handelt sich hierbei um die in einigen europäischen Ländern praktizierten Systeme der Alkohol-Ignition-Interlocks (AII), vgl. zu den Kurz- und Langzeiteffekten zusammenfassend Klipp et al. 2009; Willis, Lybrand & Bellamy 2004. Auch hier ist die auffallende Parallele bedeutsam: Die Programme sind längerfristig nur dann wirksam, wenn die technische Kontrolle mit rehabilitativen Elementen (Beratung, therapeutischen Kurzinterventionen, sozialarbeiterischen Hilfestellungen etc.) verbunden werden, vgl. auch Dünkel 2010a, 117.

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spiel könnten die Niederlande sein. Der „dramatische“ Rückgang der Gefangenenrate von 128 pro 100.000 der Wohnbevölkerung im Jahr 2006 auf 85 im Jahr 2012 und schließlich 53 im Jahr 2018 (vgl. Dünkel 2018a) fand im Wesentlichen statt, bevor die EÜ zu einer quantitativ bedeutsamen Maßnahme wurde (vgl. zur Entwicklungen von Gefangenenraten im europäischen Vergleich Dünkel 2017a; 2018a m.w.N.). Der Anstieg von elektronisch überwachten Straftätern mit einer durchschnittlichen Überwachungsdauer von 4 Monaten könnte in gewissem Umfang den weiteren Rückgang der Gefangenenraten nach 2012 befördert haben, doch zeigen die Feinanalysen, dass der Großteil des Rückgangs mit den gesunkenen Zahlen registrierter (schwerer) Delinquenz einerseits und der Ausweitung alternativer Sanktionsformen, insbesondere der Strafaussetzung zur Bewährung, jenseits der EÜ-Programme zu tun hatte (vgl. Dünkel 2017a). Deutschland hat nur ca. 70 Straftäter unter GPS-basierter EÜ (als zusätzliches Kontrollelement im Rahmen der Führungsaufsicht für Straftäter, die eine längere Freiheitsstrafe voll verbüßt haben oder aus dem Maßregelvollzug trotz weiterhin bestehender Gefährlichkeit entlassen werden mussten) und weitere 80 Straftäter unter RF-basierter EÜ in einem der 16 Bundesländer (Hessen), das als einziges diese Form der EÜ praktiziert. Die Frage, ob EÜ einen Beitrag zur Reduzierung der Gefangenraten leistet oder geleistet hat, stellt sich schon von den quantitativen Verhältnissen (bei ca. 64.000 Gefangenen) in Deutschland nicht. Wie in den Niederlanden auch ist die Strafvollzugsbelegung in Deutschland seit Mitte der 2000er Jahre vor allem wegen des Rückgangs schwerer registrierter Kriminalität gesunken (Dünkel 2018a). In unserem europäischen Vergleich fanden wir Indikatoren für einen positiven Einfluss von EÜ auf die Gefängnispopulation nur in den Ländern, die rechtliche „Sicherungen“ eingeführt haben, die bewirken, dass die EÜ tatsächlich nur ansonsten zu vollstreckende Freiheitsstrafen ersetzt, beispielsweise indem die EÜ nur als Vollstreckungsersatz bei bereits verhängten unbedingten Freiheitsstrafen angeordnet werden kann. Eine solche Strategie kann insbesondere gelingen, wenn die Bewährungshilfeorganisationen eingebunden werden, die exzessivem Gebrauch und Net-widening-Strukturen entgegenwirken können. Entsprechende rechtliche Absicherungen funktionieren z. B. in England & Wales nicht oder kaum, weil die Bewährungshilfeorganisationen weitgehend aus den Strukturen, in denen die EÜ praktiziert wird, herausgenommen wurden. Die privaten Betreiberfirmen stellen nicht nur die Technik bereit, sondern sind auch für die Überwachung zuständig (die allerdings keine sozialarbeiterischen Hilfestellungen beinhaltet). Gute Beispiele für die Vermeidung eines schlichten Net-widening sind Finnland, Österreich und in gewissem Umfang (im Vorfeld der Strafrestaussetzung zur Bewährung) die Niederlande (s. o.). In Österreich wird die EÜ bei Gefangenen angewandt, die die letzte Phase (maximal 1 Jahr) ihrer Freiheitsstrafe zu Hause in Form des Hausarrests verbüßen können. Voraussetzung ist, dass der Gefangene über eine Arbeit und Wohnung verfügt, Gewalt- und Sexualtäter sind ausgenommen, d. h. die EÜ ist auf gut sozial integrierte

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Täter mit günstiger Prognose fokussiert. Das Problem ist nicht so sehr ein mögliches Net-widening, da die EÜ tatsächlich nur in Fällen zur Anwendung gelangt, die sich im Strafvollzug befinden oder bei denen Strafvollzug unausweichlich erscheint. Allerdings bleibt die Frage unbeantwortet, ob diese Fälle günstiger Prognose nicht auch ohne EÜ im Rahmen der normalen (oder ggf. intensivierten) Bewährungshilfe ausreichend überwacht werden könnten. In Finnland ist die EÜ als gerichtliche Sanktion vorgesehen, aber mit der doppelten „Absicherung“ gegen ein Net-widening, indem sowohl die vorrangige Geldstrafe wie auch der Ersatz durch Gemeinnützige Arbeit als ungeeignet erscheinen müssen, d. h. die EÜ ist die absolute ultima ratio vor einem ansonsten unausweichlichen Freiheitsentzug. Auch im Rahmen der vorzeitigen Entlassung aus dem Strafvollzug folgt der finnische Gesetzgeber einem tatsächlich haftersetzenden (d. h. die Vollzugspopulation reduzierenden) Ansatz, indem den Gefangenen die Gelegenheit gegeben wird bis zu 6 Monate vor der „regulären“ bedingten Entlassung (die in Finnland quasi-automatisch erfolgt) die Strafe (i.V.m. EÜ) zu Hause zu verbüßen. Aus diesem Grund werden in diesen Fällen tatsächlich Haftplatzkapazitäten eingespart (Lappi-Seppälä & Lähteenmäki 2017). Allerdings gibt es auch in Finnland problematische Entwicklungen, die man als Net-widening-Strategien ansehen kann. Seit einigen Jahren tragen Gefangene im offenen Vollzug elektronische Überwachungsgeräte, z. B. wenn sie sich außerhalb des Anstaltsareals zu Freizeitaktivitäten aufhalten. Dies soll die Vollzugsbediensteten von lästigen Kontrollmaßnahmen entlasten und die Feststellung ermöglichen, wo sich die entsprechenden Insassen gerade aufhalten. Hierbei handelt es sich ohne Zweifel um eine zusätzliche und intensivierte (und in vielen Fällen vermutlich unnötige) Maßnahme sozialer Kontrolle. Auch in Schweden hat der Gesetzgeber betont, dass die EÜ lediglich unbedingte Freiheitsstrafen und nicht andere Alternativen zur Freiheitsstrafe ersetzen soll. Insofern könnte man annehmen, dass der in den letzten Jahren beobachtbare Rückgang der Gefangenenrate in Schweden17 etwas mit der Ausweitung der EÜ zu tun hat. In der Tat weist Lappi-Seppälä (2019) sowohl für Schweden wie auch für Norwegen nach, dass mit der Ausweitung der EÜ zeitgleich die Strafvollzugsbelegung zurückging. Allerdings ist der Beitrag der EÜ begrenzt, da durch die EÜ nur kurze Freiheitsstrafen von bis zu 6 Monaten erfasst werden.18 Zugleich zeigt Lappi-Seppälä 2019 für 17

Von 78 im Jahr 2010 auf einen historischen Tiefstand von 53 pro 100.000 im Jahr 2016 (= -32 %), vgl. Dünkel 2017a; 2018a. 18 50 % der EM-Sanktionen 2013 – 2015 ersetzten Freiheitsstrafen von bis zu einem Monat, weitere 30 % von bis zu 3 Monate und nur 20 % FS von 3 – 6 Monaten, vgl. Yngborn 2017, 428. In den Anfangsjahren nach der Einführung der EÜ wurden infolge der Einführung der EÜ Gefängnisse geschlossen und es gab Probleme, die Strafvollzugsbediensteten weiter zu beschäftigen. Die Zahlen von Personen unter EÜ sind in den letzten 10 Jahren u. a. deshalb rückläufig, weil Schweden auf die Ausweitung der weniger eingriffsintensiven Alternative der Gemeinnützigen Arbeit baut. Gegenwärtig wird gleichwohl auch über einen Ausbau der EÜ diskutiert, um dem sich abzeichnenden Belegungsdruck entgegenzuwirken und den Neubau von Haftplätzen zu vermeiden, vgl. https://www.svt.se/nyheter/inrikes/fler-borde-kunna-avt-

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Dänemark und Finnland, dass ein entsprechender Rückgang der Gefangenenraten vor allem mit der Ausweitung der Gemeinnützigen Arbeit korreliert, während der EÜ insoweit eine allenfalls marginale Bedeutung zukommt. Die EÜ hat daher im relativ ähnlichen kulturellen Kontext der skandinavischen Länder nicht dieselbe Bedeutung als haftvermeidende Maßnahme. Die schwedische Kriminalpolitik zeichnet sich seit jeher dadurch aus, dass für relativ wenig schwere Delikte wie Trunkenheitsfahrten (ohne Unfall) kurze unbedingte Freiheitsstrafen verhängt werden. Dem wird nunmehr mit dem Einsatz der EÜ gegenzusteuern versucht. Der deutsche Gesetzgeber hat eine entsprechende Sanktionspraxis schon 1969 mit der Großen Strafrechtsreform geändert und für diese Delikte die Geldstrafe stark ausgeweitet (weshalb für die EÜ in diesem Bereich niemals ein Anwendungsbereich gegeben war). In Schweden scheinen sich nunmehr ähnliche Tendenzen der Ausweitung von Geldstrafen im unteren Kriminalitätsbereich ansatzweise durchzusetzen, weshalb gleichzeitig die Bedeutung der EÜ abnimmt.19 Eine andere kritische Frage betrifft die Zielgruppen der EÜ. Lediglich in Deutschland, Frankreich, den Niederlanden und der Schweiz werden auch die sog. „gefährlichen“ Straftäter als Zielgruppe erfasst. In allen anderen Ländern ist die EÜ allenfalls bei Kriminalität mittlerer Schwere oder gar bei günstig zu prognostizierenden Tätern mit geringer Deliktsschwere vorgesehen („low-risk offenders“). Dies führt zu der Frage, ob und warum die weniger eingriffsintensiven herkömmlichen Kontrollund Aufsichtsformen seitens der Bewährungshilfe nicht ausreichend erscheinen bzw. warum die bekannten Alternativen zur Freiheitsstrafe wie Geldstrafe oder Gemeinnützige Arbeit nicht mehr geeignet oder als glaubwürdig („credible“) genug eingeschätzt werden. Der letztere Aspekt spielte in der englischen Kriminalpolitik eine wesentliche Rolle, als im Zuge einer „punitiven“ Trendwende nach härteren und „glaubwürdigen“ Alternativen zur Freiheitsstrafe gesucht wurde.20 In der Tat hat der Ruf nach „glaubwürdigen“ und „harten“ Alternativen die Tür geöffnet, um rein technische Lösungen zu implementieren und die traditionellen Bewährungshilfeorganisationen weitgehend zu entmachten. In gewisser Weise haben die Bewährungshilfeorganisationen zu dieser Entwicklung selbst mit beigetragen, indem sie die Mitarbeit an irgendwelchen EÜ-basierten Sanktionsoptionen kategorisch ablehnten (Nellis 2017, 291 ff., 293 ff.). Die Kernfrage, wie ernsthaft die einzelnen Länder mit der Frage der Verhältnismäßigkeit umgehen, ergibt sehr unterschiedliche kriminalpolitische Lösungsansätze im europäischen Vergleich, gelegentlich auch hinsichtlich unterschiedlicher Einsatzformen der EÜ innerhalb eines Landes.

jana-straff-med-fotboja. Ich danke Rita Haverkamp für den Hinweis auf diese bemerkenswerte Entwicklung in Schweden, vgl. im Übrigen auch Lappi-Seppälä 2019. 19 Vgl. i.E. Yngborn 2017, 429 ff.; Lappi-Seppälä 2019. 20 Vgl. hierzu zusammenfassend mit Blick vor allem auf das Jugendstrafrecht Horsfield 2015, 40 ff.

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In Belgien wird die EÜ in verschiedenen Formen eingesetzt. Bei längeren Freiheitsstrafen von mehr als drei Jahren kann sie bei der Vorbereitung der Entlassung genutzt werden, indem der Gefangene bis zu 6 Monate vor einer bedingten Entlassung die Strafe zu Hause verbüßen kann, was zweifellos Haftplatzkapazitäten frei werden lässt, d. h. zur Reduzierung der Inhaftiertenzahl beiträgt. In diesen Fällen werden die Bewährungshilfeorganisationen eingebunden und die EÜ unterstützt deren Arbeit. Andererseits hat man die EÜ vor wenigen Jahren als alleinstehende Sanktion bei Freiheitsstrafen von bis zu einem Jahr ohne jegliche Unterstützung durch die Bewährungshilfe eingeführt und ohne normative Vorgaben, unter welchen Bedingungen andere weniger eingriffsintensive Alternativen Vorrang haben sollten oder könnten. In Dänemark kann man die sog. Back-door-Variante, die letzten 6 Monate Freiheitsstrafe vor einer Entlassung zu Hause zu vollstrecken, als „reduktionistische“ Strategie ansehen, während die EÜ als ambulante Sanktion wahrscheinlich weitgehend nur im Austausch mit anderen Alternativen zur Freiheitsstrafe fungiert (s. o.). Frankreich setzt eine Vielzahl unterschiedlicher Sanktionsoptionen mit EÜ ein, und auch hier kann wohl nur die Back-door-Variante einer zeitig vorverlegten Entlassung (mit EÜ) als potenziell haftreduzierend angesehen werden. Obwohl die EÜZahlen steigen, leidet das Land an einer der höchsten Überbelegungsraten in Europa, allerdings hat die ambulante Vollstreckung von Freiheitsstrafen i.V.m. EÜ die Überbelegung nominell faktisch beseitigt (s. o. 2. und Tabelle 1). In allen drei genannten Ländern bleibt aber die entscheidende Frage, ob die Vorverlagerung des Entlassungszeitpunkts durch den Hausarrest nicht auch ohne elektronische Überwachung ausreichend und effektiv wäre (Problem des Net-widening), letztlich unbeantwortet. Eng mit der Frage, ob die EÜ wirklich zu einer Reduzierung der Gefangenenraten beiträgt, ist der Aspekt der Kosten bzw. der Kosteneinsparungen verbunden. Ist die EÜ wirklich eine billigere Alternative, wie dies ihre Befürworter, insbesondere die privaten Betreiberfirmen, die die Technik verkaufen, immer wieder propagieren? Ein auf den ersten Blick überzeugendes Argument scheint, dass die Tagessatzkosten pro überwachter Person geringer sind als ein Tag Freiheitsentzug. Alle Berichte des auf 17 Länder bezogenen Vergleichs zeigen, dass die Kosten der EÜ zwar beträchtlich variieren (zwischen ca. 4,– E in Spanien und 100,– E pro Tag in Dänemark oder Norwegen), aber stets unter den Tageskosten eines Gefangenen liegen (Dünkel, Thiele & Treig 2017a, 520 f.; zum hessischen Modellprojekt Albrecht, Jessen & Gerstner 2008). Allerdings ist diese Berechnung nur richtig, wenn 1. die EÜ tatsächlich Freiheitsentzug ersetzt und 2. eine billigere Alternative wie die einfache bedingte Entlassung bzw. unmittelbare Strafaussetzung ohne EÜ nicht möglich oder geeignet erscheinen. Diese zweite Abwägung, ob geeignete weniger kostenintensive Sanktionsoptionen als die EÜ zur Verfügung stehen, wird häufig vernachlässigt. Eine der fatalen

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Konsequenzen dieser kurzsichtigen Betrachtungsweise ist die Einführung der EÜ als alleinstehende Maßnahme bei Low-risk-Tätern z. B. in England & Wales und neuerdings in Belgien. Es ist offensichtlich, dass in diesem Fall andere (kostengünstigere) Sanktionsoptionen wie Geldstrafen und Gemeinnützige Arbeitsweisungen nicht ausreichend in Betracht gezogen werden. Man kann damit zusammenfassend festhalten, • dass die Einführung und Ausweitung der elektronischen Überwachung von Straftätern in Europa keinen wesentlichen Einfluss auf die Entwicklung der Gefangenenraten gehabt hat und in den meisten Fällen das Ziel der Lösung des Überbelegungsproblems im Strafvollzug verfehlt hat (vgl. z. B. England & Wales, Italien, Polen, und zumindest bis vor kurzem Belgien; als offen ist die Antwort bzgl. Frankreich anzusehen). Positive haftreduzierende Effekte sind in den skandinavischen Ländern und in geringem Maß in Österreich und den Niederlanden erkennbar),21 • dass in vielen Fällen die EÜ eine zusätzliche Form intensivierter sozialer Kontrolle darstellt, • dass sie in einigen Ländern zur Ausschaltung oder Verminderung der Bedeutung der herkömmlichen sozialen Hilfesysteme wie der Bewährungshilfeorganisationen beigetragen hat, indem die EÜ als alleinstehende Maßnahme eingeführt wurde (so z. B. in England & Wales, Belgien oder Schottland, im letzteren Fall allerdings mit einem derzeit zu beobachtenden Trend zur Rückkehr zu einer wieder stärkeren Einbeziehung der Bewährungshilfe), und • dass in anderen Fällen die EÜ Teil des resozialisierungsorientierten Gesamtsystems ambulanter Sanktionen unter der führenden Beteiligung der Bewährungshilfeorganisationen und der Strafvollzugsverwaltungen wurde (Österreich, die Niederlande, Schweden, die Schweiz oder zunehmend wieder Schottland, und – soweit überhaupt praktiziert – auch für die wenigen Fälle in Deutschland).

5. Kriminologische Aspekte der EÜ – Rückfallprävention und/oder Abschreckung durch EÜ? Aus evaluationstheoretischer Perspektive sind die unterschiedlichen Formen der EÜ zu differenzieren. Bei der EÜ als einer integrativen, in die Arbeit und Hilfeangebote der Bewährungshilfe und der kommunalen Leistungsträger eingebundenen 21 Der zusammenfassende Bericht des EU-geförderten Ausgangsprojekts zur EÜ in Belgien, Deutschland, England & Wales, den Niederlanden und Schottland als beteiligten Projektpartnerländern gelangt zu dem paradox erscheinenden Schluss, dass „eine weniger häufige Anwendung von EÜ … mit einer langfristigen Reduzierung der Gefängnispopulation und geringeren Inhaftierungsraten assoziiert“ ist. „Im Gegensatz dazu sind hohe Gefangenenraten mit einer extensiveren Nutzung von EÜ assoziiert“, vgl. Hucklesby et al. 2017, 180 sowie Hucklesby et al. 2016.

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Resozialisierungsmaßnahme ist es schwierig den (zusätzlichen) Wirkungsbeitrag der EÜ methodisch sauber isoliert zu erfassen. Allerdings könnte man theoretisch Vergleichsgruppen von Bewährungsprobanden bilden, die einmal mit, zum anderen ohne EÜ „behandelt“ wurden, ggf. sogar im Rahmen eines randomisierten Experiments. EÜ als eigenständige Maßnahme kann theoretisch einfacher evaluiert werden. Das Problem ist, dass die theoretischen Grundannahmen fragwürdig sind: Warum sollten Straftäter weniger rückfällig werden, wenn sie elektronisch überwacht werden, ohne dass ihnen Resozialisierungshilfen angeboten werden? Die einzige sinnvolle kriminalitätstheoretische Überlegung könnte man mit Blick auf die Abschreckungsforschung darin sehen, dass der Straftäter – jedenfalls für den Zeitraum der Überwachung – (vernünftigerweise) kalkuliert (oder besser kalkulieren sollte), dass er mit größerer Wahrscheinlichkeit im Falle erneuter Tatbegehung entdeckt werden wird, und dass er die erneute Inhaftierung lieber vermeiden will.22 Legt man die Ergebnisse der Generalpräventionsforschung zugrunde, so könnte man immerhin moderate Effekte von der EÜ erwarten, da durch die elektronische Überwachung die Entdeckungswahrscheinlichkeit steigt, allerdings nur für den Zeitraum der Überwachung und vor allem mit der GPS-Technik. Andererseits sind auch negative Effekte der Stigmatisierung zu berücksichtigen, wenn das Tragen der Fußfessel für Mitmenschen erkennbar wird (z. B. weil die Geräte relativ groß und schwer zu verbergen sind), die mögliche schwache Abschreckungseffekte neutralisieren können.23 Auch andere Beschränkungen des Alltagslebens können sich negativ auswirken und die Mitarbeitsbereitschaft (compliance) schmälern. So wurde z. B. in Evaluationsstudien berichtet, dass die Mitarbeit bzgl. der EÜ als U-Haftalternative geringer war als bei anderen EÜ-Varianten, weil die Zeit unter EÜ (im Gegensatz zur Untersuchungshaft) nicht auf eine später verhängte Freiheitsstrafe angerechnet wird (Renzema 2013, 258 ff. m.w.N.). Hinsichtlich der spezialpräventiven Effizienz der EÜ gelangen Renzema & MayoWilson zusammenfassend zum Schluss, dass EÜ-Kriminalität während der Überwachungsperiode verhindern kann, aber – mit wenigen Ausnahmen – nicht im Zeitraum danach.24 Der Forschungsstand ist trotz zahlreicher Studien angesichts methodischer Mängel (z. B. fehlende Kontrollgruppen), häufig zu kleinen Fallzahlen und ggf. auch Unzulänglichkeiten der Implementation nach wie vor unbefriedigend und die Ergeb-

22 Dies ist eine klassische Frage der Generalpräventionsforschung („deterrence“), auf die hier aus Raumgründen nicht näher eingegangen werden kann, vgl. dazu im Kontext der EÜ Dünkel 2018, 70 ff. m.w.N. 23 Vgl. Bales et al. 2010, XI, die im Rahmen des qualitativen Teils ihrer Untersuchung negative Effekte der Stigmatisierung in verschiedenen Bereichen (etwa Arbeitsplatzsuche) feststellen konnten; ebenfalls Nellis 2015, 26 und Meuer 2019, 121 ff. 24 Vgl. Renzema & Mayo-Wilson 2005, 231; Renzema 2013, 258 ff., 260 f.; zusammenfassend Meuer 2019, 21 ff.

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nisse sind nicht immer eindeutig interpretierbar.25 Immerhin zeichnen sich anhand der nachfolgend zusammengefassten Studien einige Erkenntnisfortschritte, zugleich aber auch wiederkehrende Probleme ab. Kanadische Forschung zeigte, dass im Vergleich von elektronisch überwachten Probanden mit EÜ gegenüber Bewährungsprobanden unter „normaler“ Bewährungsaufsicht ohne EÜ keine geringere Rückfälligkeit der elektronisch Überwachten erkennbar war (vgl. Wallace-Capretta & Roberts 2013, 51). Wallace-Capretta & Roberts 2013, 51 stellten weiterhin fest: „Ein signifikanter Anteil der Straftäter mit elektronischer Überwachung waren Straftäter mit niedrigen Risikoskalenwerten, die möglicherweise ebenso erfolgreich“ im Rahmen der herkömmlichen Bewährungshilfemaßnahmen hätten betreut werden können, was natürlich die Frage eines Net-widening aufwirft. Das Ergebnis, dass ein Rückfall während der Zeit elektronischer Überwachung die Ausnahme bleibt, geht mit den Ergebnissen der oben aufgeführten Generalpräventionsforschung konform, wonach die wahrgenommene erhöhte Entdeckungswahrscheinlichkeit einen gewissen individuellen Abschreckungseffekt (zugleich auch i.S.d. negativen Spezialprävention) bewirkt. Allerdings stellt Renzema in seinem aktuellen Evaluationsbericht fest: „EÜ ist heutzutage eine schlichte und billige Bestrafungsform geworden, die mit Resozialisierung nichts zu tun hat. Dementsprechend versuchen die meisten Anwender der EÜ bei ihrem Ansatz abzuschrecken sowie einigermaßen human und kostengünstig zu strafen, schon gar nicht, der EÜ irgendeinen resozialisierenden Effekt als Zielvorstellung beizugeben“ (Renzema 2013, 266). Meta-Analysen zur Evaluation der EÜ zeigen i. d. R. keine überlegenen Effekte der EÜ im Hinblick auf die Rückfallvermeidung im Vergleich zu den traditionellen ambulanten Sanktionen,26 dafür aber eine Fülle von Problemen der EÜ-Probanden in anderen Bereichen des Alltagslebens wie Stress in der Familie, das Empfinden der Überwachung als schwere (psychische) Belastung, mögliche Stigmatisierungen in der Gemeinde, bei der Freizeit (z. B. beim Sport). Dies entspricht den deutschen Forschungsergebnissen zur Klientel der Führungsaufsichtsprobanden mit EÜ (alle Hochrisikotäter), die das Tragen der elektronischen Fußfessel als große Belastung empfanden (vgl. Bräuchle 2017, 147 f.). Ein eher positiv evaluiertes Projekt betrifft die schwedische Studie von Marklund & Holmberg 2009. Allerdings muss man die positiven Ergebnisse bezogen auf EÜProbanden im Kontext des schwedischen Resozialisierungsmodells sehen, da die EÜ 25 Insofern hat sich an dem Befund von Albrecht 2002, 103, dass „gravierende Forschungslücken, die sich zunächst auf der methodischen Seite bemerkbar machen und sich sodann insbesondere auf die Frage des Net-widening beziehen …“, nicht viel geändert. 26 So auch schon Albrecht 2002, 96 f., 103 f. Leider fehlt es in Deutschland, abgesehen von der insoweit schon von der Fallzahl her nicht aussagekräftigen Evaluationsstudie bzgl. der Modellphase (vgl. Mayer 2004) nach wie vor an einer umfassenden Auswertung des hessischen Projekts, vgl. hierzu auch Dünkel, Thiele & Treig 2017 sowie Rehbein 2017.

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dort in das Gesamtsystem resozialisierungsorientierter Hilfemaßnahmen (Arbeits-, Wohnungsvermittlung, und andere Angebote der Bewährungshilfe und der kommunalen Versorgung) eingebettet ist.27 Der isolierte Wirkungsbeitrag der EÜ in diesem Kontext konnte daher nicht erfasst werden, zumal lediglich eine Gruppe von Gefangenen mit EÜ-Probanden verglichen wurde, nicht aber mit „normalen“ Bewährungshilfefällen ohne EÜ. Eine aktuelle Studie in Frankreich bewertet die EÜ in der Front-door-Variante positiv im Vergleich zu Fällen, in denen eine kurze Freiheitsstrafe verbüßt wurde (vgl. Henneguelle, Monnery & Kensey 2016). In der Studie wurden alle 580 EÜ-Fälle aus dem Zeitraum 2000 – 2003 mit grundsätzlich für EÜ in Betracht kommenden Verurteilten, die eine (kurze) unbedingte Freiheitsstrafe verbüßten, nach einem Risikozeitraum von 5 Jahren verglichen. Die EÜ-Fälle zeigten eine 14 – 15 % niedrigere Rückfallquote als die Gefangenengruppe. Allerdings schrumpfte dieser Unterschied bei Kontrolle von verschiedenen delinquenzbezogenen bzw. (legal-)biographischen Variablen auf 6 – 7 Prozentpunkte. Dies verdeutlicht eine deutlich positive Selektion der EÜ-Fälle, indem die geringer risikobelasteten Verurteilten bevorzugt in den „Genuss“ der EÜ-Alternative kamen. Weiter differenzierende Analysen zeigten, dass Hauptgründe für die geringere Rückfälligkeit der EÜ-Gruppe sozialintegrative Unterstützungsmaßnahmen wie Hausbesuche durch die Bewährungshilfe und Beschäftigungsprogramme waren, an denen die Probanden teilzunehmen verpflichtet waren. Leider verglich die Studie nicht die Alternative der Strafaussetzung zur Bewährung mit Bewährungsaufsicht, aber ohne EÜ, sodass der selbständige Wirkungsbeitrag der EÜ nicht ermittelt werden konnte. Die Ergebnisse deuten an, dass die unterstützenden Maßnahmen jenseits der EÜ den entscheidenden Einfluss auf die reduzierten Rückfallquoten im Vergleich zur Strafgefangenengruppe hatten, was die traditionellen Formen der Bewährungshilfe und -aufsicht stützt, keineswegs aber die EÜ. Dies wird vor allem durch die Daten zur Dauer der EÜ nahegelegt, die im Durchschnitt bei lediglich 73 Tagen (Median: zwei Monate) lag (vgl. Henneguelle, Monnery & Kensey 2016, 650 ff.), und auf die Tatsache gestützt, dass die Rückfallwahrscheinlichkeit sich in der ersten und späteren Phasen der Überwachung nicht unterschieden. In der Zeit nach 2003 wurde die Praxis der Hausbesuche fast vollständig aufgegeben und die Dauer der elektronischen Überwachung sank auf durchschnittlich weniger als 50 Tage, wodurch sich die postulierten „Effekte“ der EÜ weiter relativieren und gegen Null tendieren dürften (so auch Henneguelle, Monnery & Kensey 2016, 655). Insgesamt gesehen ergeben die Daten der französischen Studie keine evidenzbasierten Belege für einen zusätzlichen rückfallmindernden Effekt im Vergleich zu den traditionellen Formen der Strafaussetzung zur Bewährung bzw. Bewährungshilfe. Andererseits wird bestätigt, dass ambulante Sanktionsformen allgemein und insbesondere wiedereingliederungsorientierte Betreuungs- und Unterstützungsmaßnahmen unbedingten Freiheitsstrafen überlegen sind. Die Konsequenzen einer feh-

27

Vgl. Marklund & Holmberg 2009; Renzema 2013, 259; Wennerberg 2013, 121 ff.

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lenden Überlegenheit der EÜ im Vergleich zu herkömmlichen Bewährungsstrafen wird unter Verhältnismäßigkeitsgesichtspunkten unter 6. erörtert). Ein weiteres wichtiges Forschungsergebnis ist, dass EÜ erfolgversprechender bei Straftätern mit mittlerem bis hohem anstatt niedrigem Rückfallrisiko ist. Bei Tätern mit a priori niedrigem Rückfallrisiko konnte keine weitergehende Rückfallreduzierung durch den Einsatz von EÜ ermittelt werden.28 Der Kommentar zu den EÜ-Rules des Europarats stellt in diesem Kontext fest: Die GPS-gestützte Aufenthaltsüberwachung an sich kann keine Änderungen von Einstellungen oder des Verhaltens in der Weise bewirken, wie sie in zahlreichen Programmen und in der „normalen“ Arbeit der Bewährungs- und Straffälligenhilfe üblicherweise konzipiert werden. Die empirische Evidenz zeigt, dass das Tragen einer Fußfessel oder einer ähnlichen Apparatur einen „Beschämungseffekt“ auslösen kann, der aber für sich genommen nicht zu langfristigen Verhaltens- oder Einstellungsänderungen beiträgt. Wenn die soziale Wiedereingliederung und eine Distanz zum straffälligen Verhalten erreicht werden soll, muss die EÜ mit sozial konstruktiven Maßnahmen verbunden werden, die dazu wirklich beitragen können, und zwar auf die individuellen Lebens- und Problemlagen der Straftäter abgestimmt (Drogen-, Alkoholbehandlung, Umgang mit eigenen Aggressionen, Entwicklung von beruflichen Fertigkeiten, Hilfe bei der Arbeitsplatz- und Wohnungssuche etc.).29 Es gibt gelegentlich aber auch Forschung, die Anhaltspunkte dafür liefert, dass EÜ in Einzelfällen bei jungen Tätern dazu beigetragen hat, gewisse Alltagsroutinen und eine Tagesstruktur zu vermitteln und dadurch für die Stabilisierung des Lebens von Straftätern hilfreich waren, die andernfalls Resozialisierungsprogramme nicht durchgestanden hätten, und die dadurch von diesen Behandlungsangeboten profitieren konnten. Dies wird in gewisser Weise durch das Projekt in Hessen bestätigt, wo EÜ häufiger dazu eingesetzt wurde sicherzustellen, dass die überwachten Personen tatsächlich an den mit der Bewährungshilfe vereinbarten Programmen und Maßnahmen außerhalb der eigenen Wohnung teilnahmen (vgl. Rehbein 2017, 128 ff.). Einige der empirischen spezialpräventiven Fragestellungen wurden in einer aktuellen von H.-J. Albrecht betreuten Dissertation untersucht (Meuer 2019). In einem methodisch differenzierten Design wurde anhand verschiedener Experimentalund Kontrollgruppen untersucht, ob die EÜ ein eigenständiges Resozialisierungspotenzial neben der Entlassungsvorbereitung mit Hausarrest bzw. dem Freigang im 28 Vgl. Renzema & Mayo-Wilson 2005; Renzema 2013, 258 m.jew.w.N.; ähnlich Henneguelle, Monnery & Kensey 2016, 649 (stärkere „Effekte“ bei Probanden mit früherer Inhaftierung); soweit handelt es sich in allen Studien um kombinierte Maßnahmen therapeutischer bzw. sozialarbeiterischer Interventionen i.V.m. EÜ; auch insoweit sind die Ergebnisse allerdings nicht einheitlich: In der schwedischen Studie von Marklund & Holmberg 2009 waren die Rückfallraten der Low- und Medium-risk-Täter nach einem Risikozeitraum von drei Jahren signifikant niedriger, während bei den High-risk-Tätern keine signifikanten Unterschiede zur Vollzugsgruppe auftraten. 29 Vgl. Council of Europe 2014, Rec. (2014) 4, Commentary to Rule 8, unter Verweis auf Wennerberg 2013, s. o.

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Rahmen der Entlassungsvorbereitung aufweist. Im Ergebnis zeigte sich, dass Probanden, die Lockerungen in Haft erhielten, signifikant weniger Rückfälle aufwiesen als Probanden ohne Lockerungen, jedoch ergab sich in keiner Variablenkombination unter Berücksichtigung von legal- und sozialbiographischen Merkmalen ein eigenständiger zusätzlicher Effekt der elektronischen Überwachung auf die Rückfälligkeit i.S. erneuter strafrechtlicher Registrierung (Wiederverurteilung) in der Variante einer Entlassung über den Hausarrest mit EÜ (vgl. Meuer 2019, 61 ff.). Die Rückfallgefahr war bei Entlassenen mit ausgeprägtem Substanzmissbrauch auch bei der Variante einer Entlassung i.V.m. Freigang, d. h. Vollzugslockerungen, erhöht. In dieser Variante erwies sich zusätzlich zu den Lockerungen die vorzeitige bedingte Entlassung als signifikant rückfallreduzierender Faktor. Ein eigenständiger Effekt der EÜ ließ sich auch hier nicht nachweisen (Meuer 2019, 64 ff.). Obwohl die jeweiligen Untersuchungsgruppen relativ klein waren, ist das Ergebnis der Studie aufgrund des sehr sorgfältigen methodischen Vorgehens aussagekräftig und von erheblicher Bedeutung. In qualitativen Interviews bestätigten sich die quantitativen Ergebnisse einer nicht nachweisbaren spezialpräventiven Effizienz der EÜ, z. B. mit Blick auf eine bessere Strukturierung des Alltags, eine nachhaltig (d. h. nach Beendigung der EÜ) erhöhte Selbstkontrolle der EÜ-Probanden etc., andererseits wurden auch die Negativeffekte bzgl. einer Stigmatisierung durch das Tragen der Fußfessel deutlich (Meuer 2019, 101 ff., 121 ff.). Meuer (2019, 129) gelangt zusammenfassend zu der auch in der oben zitierten Forschungsliteratur und von internationalen Menschenrechtsstandards30 empfohlenen Schlussfolgerung, dass die EÜ allenfalls i.V.m. reintegrativen Begleitmaßnahmen wie der frühzeitigen Entlassungsvorbereitung, Lockerungen und „individuellen (psycho)sozialen Maßnahmen … das Rückfallrisiko nachhaltig senken“ kann.

30 Vgl. dazu Dünkel 2018, 63 ff. mit Hinweis auf Nr. 57 der Probation Rules (Rec. [2010] 1), wonach elektronische Überwachung als Teil der (Bewährungs-)Aufsicht mit anderen Interventionen und Hilfeangeboten i.S. des Resozialisierungsgrundsatzes kombiniert werden soll, um die soziale Integration und einen Ausstieg aus der kriminellen Karriere („desistance“) zu fördern.“ In Rule 8 der Empfehlungen zum Electronic Monitoring (Rec. [(2014] 4) wird zur Möglichkeit, EÜ als alleinstehende Überwachungsmaßnahme einzusetzen, betont, dass: „Elektronische Überwachung … zwar auch als alleinstehende Maßnahme der Aufsicht und Kontrolle genutzt werden“ kann, „um während der Zeit der Überwachung Straftaten zu verhindern. Um aber längerfristige rückfallreduzierende Wirkungen zu erzielen, sollte EÜ mit anderen professionellen Interventionen und Unterstützungsmaßnahmen verbunden werden, die die soziale Integration von Straftätern fördern.“ Im Kommentar zu den Empfehlungen wird ausführlich auf die möglichen Wirkungen im Hinblick auf den Abbruch von kriminellen Karrieren Bezug genommen, vgl. Dünkel, Thiele & Treig 2017a, 506 f.

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6. Perspektiven der Stellung elektronischer Überwachung in einem das Verhältnismäßigkeitsprinzip konsequent beachtenden Sanktionensystem Zusammengefasst gesagt ist die elektronische Überwachung kein Allheilmittel, und zwar weder zur Reduzierung von Gefangenenraten noch zur Reduzierung der Rückfälligkeit bzw. Förderung der sozialen Integration von Straftätern. Es ist die Aufgabe kritischer empirischer Begleitforschung herauszufinden, unter welchen Bedingungen und bei wem die EÜ eine konstruktive Rolle bei der Erreichung der von seinen Befürwortern propagierten Ziele spielen kann.31 Jenseits empirischer Evidenz wurde jedoch auch der menschenrechtliche Ansatz weitgehend vernachlässigt. Die elektronische Überwachung stellt eine eingriffsintensive Maßnahme dar und muss sich gegenüber weniger eingriffsintensiven Maßnahmen legitimieren. Der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz fordert daher in jedem Einzelfall zu überprüfen, ob EÜ geeignet, erforderlich und verhältnismäßig i. e.S. ist. Daher sollte EÜ nur in den Fällen genutzt werden, in denen andere Alternativen zur Freiheitsstrafe nicht ausreichend bzw. wirksam genug erscheinen, um die o.g. Ziele der Rückfallvermeidung und der sozialen Wiedereingliederung zu erreichen. Eine konkrete Politikempfehlung wäre daher EÜ nur für Fälle gesetzlich einzuführen, bei denen 1. andernfalls eine unbedingte Freiheitsstrafe unvermeidlich wäre, und 2. andere, weniger eingriffsintensive Alternativen zur Freiheitsstrafe aufgrund konkreter Tatsachen nicht ausreichend bzw. geeignet erscheinen. Dieser zweite Aspekt der Voraussetzungen, unter denen EÜ akzeptabel sein kann, wird zumeist vernachlässigt32 und man darf deshalb begründet eine weitgehend unverhältnismäßige Anwendungspraxis annehmen. Das Problem ist daher nicht weitere Anwendungsbereiche der EÜ zu erkunden, sondern den Anwendungsbereich auf ein vernünftiges und rechtsstaatlich gebotenes Maß zu begrenzen. Man sollte Deutschland in diesem Kontext als Land sehen, das den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit ernst genommen hat und damit den Forderungen der internationalen Menschenrechtsstandards (dazu vgl. Dünkel 2017b; 2018, 63 ff.) entspricht. Nur in wenigen Ländern im vorliegenden internationalen Vergleich werden entsprechende rechtsstaatliche Überlegungen in vergleichbarer Weise erkennbar, am deutlichsten wohl in Finnland (s. o.). 31 Das hat schon Albrecht 2002, 103 f. angemahnt. Forschungslücken bestehen in Deutschland und international weiterhin mit Blick auf das unter Verhältnismäßigkeitsgesichtspunkten vertretbare Anwendungspotenzial; zur Wirkung von EÜ zur Rückfallverminderung wurden mit der Dissertation von Meuer 2019 nunmehr bedeutsame Erkenntnisse vorgelegt, vgl. i.E. oben 5. 32 Auch in den am EU-finanzierten Ausgangsprojekt beteiligten Ländern spielten abgesehen von Deutschland derartige Überlegungen keine Rolle, vgl. dazu den zusammenfassenden Beitrag von Hucklesby et al. 2017, 247 ff.

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Wenn der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit wirklich ernst genommen wird, kann die EÜ nur in den wenigen Fällen Anwendung finden, in denen keine alternative Sanktion bzw. Ausgestaltung von Alternativen zum Freiheitsentzug möglich oder geeignet erscheint.33 Im Rahmen von sog. Back-door-Varianten muss die bedingte Entlassung mit einem ggf. engmaschigen Netz von herkömmlichen Weisungen als definitiv nicht ausreichend erscheinen, d. h. nur durch die zusätzliche Unterstellung unter EÜ muss die bedingte Entlassung als vertretbar erscheinen. EÜ ist nach den Erfahrungen im Ausland sowohl in der Front-door- wie Backdoor-Variante nur für einen relativ kurzen Zeitraum einsetzbar, und wird in der Regel nur für einen Zeitraum von bis zu 6 Monate, selten für mehr als ein Jahr genutzt. Dies ergibt sich u. a. aus der Eingriffsintensität der Maßnahme und den Belastungen auch im sozialen Umfeld (Mitbewohner, Familie) der Überwachten. Da im Bereich der kurzen Freiheitsstrafen die Geldstrafe wie die Strafaussetzung zur Bewährung in Deutschland sich ausgesprochen gut bewährt haben (vgl. zur Entwicklung der Sanktionspraxis Heinz 2017), bleibt für die EÜ nur der schmale Bereich von Fällen übrig, in denen diese keine befriedigende Lösung versprechen.34 Problemfälle, die in diesem Zusammenhang für ein Nachdenken über die Geeignetheit der EÜ im Rahmen des deutschen Sanktionensystems sprechen könnten, sind die – trotz der gesetzgeberischen Einschränkungen des § 47 StGB – immer noch zahlreichen unbedingten kurzen Freiheitsstrafen und die u. U. ebenfalls kurzen widerrufenen Freiheitsstrafen oder Strafreste nach einer bedingten Entlassung (vgl. hierzu bereits Albrecht 2002, 90). Was die originäre kurze Freiheitsstrafe anbelangt, so lag in Deutschland der Anteil von unbedingten Freiheitsstrafen unter 6 Monaten 2017 bei beachtlichen 23,2 % in absoluten Zahlen: 7.716 Verurteilte).35 Bevor man allerdings hinsichtlich der EÜ in 33 In diesem Sinn bereits Albrecht 2003, 258 ff., der mit Blick auf Front-door-Varianten den „intermediären“ Charakter des elektronisch überwachten Hausarrests zwischen herkömmlichen Bewährungsstrafen oder Gemeinnütziger Arbeit und der unbedingten Freiheitsstrafe hervorhebt. 34 Bei trotz Tagessatzsystem mit einkommensabhängigen Tagessatzhöhen und Ratenzahlungsmöglichkeiten nicht bezahlten Geldstrafen, die in der Ersatzfreiheitsstrafe enden (vgl. § 43 StGB), könnte man einen Anwendungsbereich sehen. Gerade dort werden aber in den meisten Bundesländern mit Projekten der Gemeinnützigen Arbeit ebenfalls erfolgreiche Haftvermeidungsmodelle praktiziert, sodass für die EÜ nur die Fälle verbleiben, die sowohl die Geldstrafe nicht bezahlen, als auch bei der Ersatzsanktion der Gemeinnützigen Arbeit scheitern. Diese Klientel bringt allerdings angesichts der desolaten Lebenslagen, instabilen Lebenssituation und persönlichkeitsbezogenen Auffälligkeiten die Voraussetzungen für die Anordnung der EÜ i. d. R. nicht mit (zum Ganzen Dünkel & Scheel 2006, 167 ff. m.w.N.). Das baden-württembergische Modellprojekt, das diese Klientel als eine von drei Zielgruppen anvisierte, scheiterte u. a. deshalb und wurde dementsprechend beendet, vgl. Schwedler & Wössner 2015). 35 Berechnet nach Strafverfolgungsstatistik 2017, 160; vgl. zur langfristigen Entwicklung Heinz 2017, 217 ff., 223 ff., der zu Recht darauf verweist, dass die Strafrechtsreform von 1969

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diesem Zusammenhang Initiativen ergreifen sollte, wird man über weitere Möglichkeiten der Ersetzung kurzfristiger Freiheitsstrafen durch die Einführung der Gemeinnützigen Arbeit als originäre Sanktion oder Ersatzsanktion nachdenken müssen, was der deutsche Gesetzgeber bislang nachhaltig versäumt hat. Zudem handelt es sich bei den zu einer unbedingten kurzen Freiheitsstrafe Verurteilten um eine großenteils erheblich problembelastete Personengruppe, die für die EÜ i. d. R. ungeeignet erscheint. Gleiche Vorbehalte sind Überlegungen entgegenzuhalten, bei kurzen widerrufenen Strafaussetzungen oder Strafrestaussetzungen die EÜ zur Widerrufsvermeidung einzusetzen. Auch hier dürfte das Potenzial – auch wenn man von einer Widerrufsquote von ca. 30 % bei den Freiheitsstrafen mit Unterstellung unter Bewährungshilfe ausgeht36 – angesichts des weitreichenden und u. U. ausbaufähigen Instrumentariums des § 56 f StGB37 auf Einzelfälle beschränkt bleiben. Von daher gibt es im Bereich der Front-door-Varianten im deutschen Sanktionensystem keinen sinnvollen (substantiellen) Anwendungsbereich. Eine Einführung der EÜ hätte entweder zur Folge, dass sie weitgehend unverhältnismäßig eingesetzt würde, indem weniger eingriffsintensive Sanktionen nicht hinreichend genutzt werden, oder sie bliebe auf wenige Einzelfälle beschränkt, was mit erheblichen Kosten verbunden wäre. Ebenfalls zur Front-door-Variante bzgl. Freiheitsentzugsvermeidung gehört die Anwendung der EÜ zur Untersuchungshaftvermeidung. Ein sinnvoller Anwendungsbereich ist schon rechtsdogmatisch nicht erkennbar (so auch Harders 2014, 119, 263 f.): Soweit „Fluchtgefahr“ vorliegt, kommt die EÜ grundsätzlich nicht in Betracht, weil sie die Flucht nicht wirklich verhindern kann. Ist keine Fluchtgefahr gegeben, kommt die Untersuchungshaft nicht in Betracht. Es bleibt allenfalls die dogmatisch problematische Grauzone einer gewissen Fluchtgefahr, die durch die EÜ beseitigt werden kann. Es gibt weiterhin empirische Anhaltspunkte dafür, dass die EÜ nur dann im Hinblick auf die Rückfallvermeidung vielversprechend ist, wenn die elektronische Überwachung in ein sozialarbeiterisches/sozialpädagogisches Gesamtkonzept der Bewährungs- und Straffälligenhilfe unter dem Primat des Resozialisierungsgrundsatzes integriert ist, wie dies beispielhaft in Schweden, Österreich und den Niederlanden praktiziert wird (vgl. oben 5.). EÜ als eine alleinstehende Maßnahme für Täter mit geringem Rückfallrisiko, wie sie nach der Sanktionspolitik und -praxis in England und (teilweise Belgien) vorgesehen ist, ist deshalb entschieden abzulehnen.

mit der nur noch ausnahmsweise zu verhängenden kurzen Freiheitsstrafe unter 6 Monaten einen nachhaltigen Erfolg mit Blick auf den Bedeutungszuwachs der Geldstrafe hatte, dass die kurze Freiheitsstrafe aber andererseits nach wie vor eine bedeutende Rolle spielt. 36 Vgl. zuletzt Bewährungshilfestatistik 2011, 17 ff. 37 Insbesondere die Erteilung anderer Auflagen und Weisungen oder die Verlängerung der Bewährungszeit, vgl. § 56 f Abs. 2 StGB.

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Es gibt eine andere Gruppe von Straftätern, bei denen die EÜ auch unter verfassungsrechtlichen bzw. menschenrechtlichen Aspekten gerechtfertigt werden kann, ohne dass es um die Ersetzung von Freiheitsentzug im eigentlichen Sinn geht, da hier überragende Gesichtspunkte des Opferschutzes eine tragende Rolle spielen.38 Gemeint ist die Führungsaufsicht gem. § 68b Abs. 1 Nr. 12 StGB. Erneut ist Deutschland ein gutes Beispiel für einen im Wesentlichen angemessenen und zurückhaltenden Gebrauch dieser besonders eingriffsintensiven (GPS-gestützten) Maßnahme. Entwickelt wurde sie im Anschluss an die Rechtsprechung des EGMR, die 2009 dazu führte, dass etliche als besonders gefährlich geltende Insassen aus der Sicherungsverwahrung entlassen werden mussten (s. o. 2.). Demgemäß handelt es sich um Tätergruppen, die entweder die Freiheitsstrafe voll verbüßt haben oder aus dem Maßregelvollzug aus verfassungsrechtlichen Gründen zu Entlassende,39 die jeweils als besonders gefährlich im Hinblick auf die konkrete Gefahr der Begehung von schweren Gewalt- oder Sexualdelikten anzusehen sind. Die Führungsaufsicht oder ähnliche Sanktionen für gefährliche Täter, die ihre Strafe voll verbüßt haben, gibt es auch in Frankreich und den Niederlanden. Der Rechtsstaat muss allerdings gewährleisten, dass in relativ kurzen Abständen eine Prüfung vorgenommen wird, ob die weitere elektronische Überwachung jenseits der „normalen“ Bewährungsaufsicht geboten ist. Zeitlich unbefristete EÜ-Maßnahmen, wie sie in Deutschland theoretisch möglich sind, sind verfassungsrechtlich nicht vertretbar. Perspektiven für Deutschland könnte man allein in der Variante einer Vorverlegung der bedingten Entlassung vor der regulären Entlassung nach der Hälfte oder zwei Dritteln der Strafe sehen. Insofern sind die Erfahrungen in Finnland und Österreich u. U. richtungsweisend. Allerdings ist auch hier stets zu prüfen, ob eine solche vorverlegte Entlassung „auf Probe“ nicht auch im Rahmen der herkömmlichen Begleitung durch die Bewährungshilfe leistbar wäre (zumal es sich ja um Fälle mit eher günstiger Prognose handelt), sodass sich die EÜ ggf. als zusätzliche Beschwer und damit unverhältnismäßige Maßnahme darstellen könnte, wofür es Hinweise in Österreich gibt (s. o.). Alles in allem wird deutlich, dass bei einem richtigen verfassungsrechtlichen Verständnis die EÜ über ein „Nischendasein“ nicht hinausgelangen kann und wird. Gerade in medial aufgeregten Zeiten und überzogenen (weil nicht einlösbaren) Sicherheitsversprechen wird die Politik gut daran tun, eine Kriminalpolitik mit Augenmaß 38 So hält Kaiser die gegenwärtige Regelung des § 68b Abs. 1 Nr. 12 StGB in der engen Begrenzung auf Gewalt- und Sexualtäter, von „denen eine besonders hohe Gefahr ausgeht“ mit dem GG und der EMRK vereinbar ist, eine Ausweitung auf andere Tätergruppen aber nicht, „da sie zu einer Unverhältnismäßigkeit der Grundrechtseingriffe führen würde“, vgl. Kaiser 2015, 237 f. 39 Normalerweise werden aus dem Maßregelvollzug (psychiatrisches Krankenhaus oder Sicherungsverwahrung, §§ 63, 66 StGB) nur Insassen entlassen, deren Rückfallrisiko mit Blick auf weitere Straftaten niedrig ist (vgl. § 67d Abs. 2 StGB, § 454 Abs. 2 StPO), jedoch kann u. U. aus Verhältnismäßigkeitsgesichtspunkten die Weitervollstreckung nicht mehr verfassungsgemäß sein, vgl. z. B. BVerfGE 70, 297, 312 f.

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zu verfolgen und ein zweifaches Hinsehen und Abwägen40 anstatt populistischer „Schnellschüsse“ vorzusehen. Das Strafrecht kann zur Lösung der Probleme dieser Welt meistens nichts oder nicht viel beitragen und sollte sich deshalb auf sein Kerngeschäft der angemessenen Reaktion auf Straftaten beschränken. Das präventive Strafrecht im Grenzbereich der Gefahrenabwehr – und dafür ist die elektronische Überwachung ein markantes Beispiel – kann allenfalls in Einzelfällen akzeptabel sein, und Deutschland hat hier im Gegensatz zu manchen anderen Ländern (bislang) Augenmaß bewahrt. Literaturverzeichnis Aebi, M.F. & Chopin, J. (2014): SPACE II – Council of Europe Annual Penal Statistics: SPACE II survey 2013. Strasbourg: Council of Europe Publishing. Aebi, M.F. & Chopin, J. (2018): SPACE II – Council of Europe Annual Penal Statistics: SPACE II survey 2016. Strasbourg: Council of Europe Publishing. Aebi, M.F. & Hashimoto, Y.Z. (2018): SPACE II – Council of Europe Annual Penal Statistics: SPACE II survey 2018. Strasbourg: Council of Europe Publishing. Aebi, M.F. & Tiago, M.M. (2018): SPACE I – Council of Europe Annual Penal Statistics: Prison populations. Survey 2018. Strasbourg: Council of Europe Publishing. Albrecht, H.-J. (2002): Der elektronische Hausarrest. Das Potential für Freiheitsstrafenvermeidung, Rückfallverhütung und Rehabilitation. Monatsschrift für Kriminologie 85/2, S. 84 – 104. Albrecht, H.-J. (2003): The Place of Electronic Monitoring in the Development of Criminal Punishment and Systems of Sanctions, in: M. Mayer, R. Haverkamp, & R. Lévy (Hrsg.), Will Electronic Monitoring Have a Future in Europe? Freiburg i.Br., S. 249 – 264. Albrecht, H.-J. (2005): Electronic Monitoring in Europe. A Summary and Assessment of Recent Developments in the Legal Framework and Implementation of Electronic Monitoring. Internetpublikation: http://www.mpicc.de/shared/data/pdf/albrecht.pdf. Albrecht, H.-J., Dünkel, F. & Spieß, G. (1981): Empirische Sanktionsforschung und die Begründbarkeit von Kriminalpolitik. Monatsschrift für Kriminologie 64/5, S. 310 – 326. Albrecht, H.-J., Jessen, R. & Gerstner, F. (2008): Kostenberechnung zur elektronischen Überwachung im Rahmen des Fußfesselprojekts in Hessen. Freiburg. Bales, W., Mann, K., Blomberg, T., Gaes, G., Barrick, K., Dhungana, K. & McManus, B. (2010): A Quantitative and Qualitative Assessment of Electronic Monitoring. Washington, D.C. 40 So schon Schüler-Springorum 1991, 281: „Eine Politik des Zweimaldenkens würde nie agieren, ohne erst zu reflektieren, würde die nächstliegende Reaktion immer erst einmal in Frage stellen, bevor sie zu ihr oder einer anderen greift, würde Kritik internalisieren und nicht bloß absorbieren. … Eine solche Kriminalpolitik würde die Folgen ihres Handelns vorausdenken …“ Diese Aussagen von Schüler-Springorum sind heute aktueller denn je, und zugleich gibt es wenig Hoffnung, dass sich die Kriminalpolitik aus dem medial aufgeheizten Verstärkerkreislauf des „more of the same“ lösen könnte.

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Geld- statt Freiheitsstrafen: Die Mittelschicht kommt nicht ins Gefängnis Wenig beachtete Folgen der Reform des schweizerischen Sanktionenrechts von 2002/2007 Von Martin Killias

1. Grundzüge der Reform von 2002/2007 Die schweizerische Strafrechtsreform von 2002, die zu Beginn des Jahres 2007 in Kraft trat, hat über viele Jahre hinweg die schweizerische Politik beschäftigt. Nach dem ersten Entwurf von Professor Hans Schultz aus dem Jahre 1982 (Schultz 1987) arbeitete eine Expertenkommission während Jahren an dessen Austarierung. Es folgte eine drei Jahre dauernde Beratung in den zwei Kammern des schweizerischen Parlaments, das den Gesetzestext am 13. Dezember 2002 verabschiedete. Bis zum Inkrafttreten dauerte es dann nochmals vier Jahre, u. a. weil man nach der Verabschiedung schwerwiegende Inkohärenzen im neuen System ausmachte, die das Parlament in einer Korrekturvorlage aus der Welt zu schaffen versuchte, bevor dieses in Kraft trat. Die Absicht des Gesetzgebers war, die in der Schweiz bis dahin dominierende – in aller Regel bedingte1 – kurze Freiheitsstrafe durch eine nach dem System der Tagessatz-Buße ausgestaltete Geldstrafe zu ersetzen. Dies gelang perfekt, wie die Daten des Bundesamts für Statistik zeigen: Die bedingten kurzen Freiheitsstrafen verschwanden ab 2007 vollständig. Da in der Schweiz traditionell die weitaus meisten – bis 2006 rund 80 % – der Freiheitsstrafen von weniger als sechs Monaten bedingt ausgesprochen wurden, ersetzte die neu eingeführte Geldstrafe vor allem bedingte, weniger hingegen vollzogene kurze Freiheitsstrafen. Von den zu einer bedingten Freiheitsstrafe Verurteilten mussten in der Folge nur gut 10 % diese Strafe tatsächlich verbüßen, da die Gerichte auch bei erneuter Straffälligkeit in der Mehrzahl der Fälle von einem Widerruf des „bedingten“ absahen. Aus diesen Gründen hat die „Revolution“ die Gefängnispopulation kaum vermindert. Im Gegenteil hat die Anzahl verurteilter Gefangener (einschließlich vorzeitiger Strafantritt, aber ohne Untersuchungshaft)

1 In der schweizerischen Terminologie entspricht die „bedingte“ Strafe (Art. 42 StGB) der Strafaussetzung zur Bewährung.

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sogar von rund 3.000 auf über 5.000 zugenommen. Unter diesem Gesichtspunkt war die Reform tatsächlich ein Misserfolg (Simmler 2016)2. Die hohe Popularität des „Bedingten“ hat sich besonders während der Beratung der Vorlage im Parlament gezeigt. Entgegen den Entwürfen von Schultz, der Expertenkommission und des Bundesrates beschlossen die Parlamentarier, dass auch Geldstrafen bedingt ausgesprochen werden können, wovon die Gerichte heute in etwa im gleichen Umfang wie früher bei den Freiheitsstrafen Gebrauch machen. Der Durchschnittsverurteilte verlässt das Gericht heutzutage auch bei relativ schweren Verbrechen mit einer bedingten Geld- oder Freiheitsstrafe (Killias 2018)3. Nachdem dies vom Parlament so beschlossen war, „entdeckten“ Praktiker, dass bei der Schnittstelle von Übertretungen zu Vergehen mit schweren Inkonsistenzen zu rechnen wäre. Übertretungen werden nämlich gemäß Art. 103 StGB ausschließlich mit Bußen (im Sinne von Art. 106 StGB) bestraft. Diese können nicht bedingt aufgeschoben werden4, sind also innert einer gewissen Frist zu begleichen, wobei das Gericht im Urteil direkt festlegt, in wie viele Tage Freiheitsentzug die Buße bei Nichtbezahlung umzuwandeln ist. Wer beispielsweise mit einer Alkoholintoxikation von mehr als 0,5 (aber weniger als 0,8) Promille am Steuer erwischt wird, begeht eine Übertretung (Art. 103 StGB) und wird somit mit einer Buße bis zu 10.000 Franken bestraft. Auch wenn bei deren Bemessung das Gericht gemäß Art. 106 Abs. 3 StGB die finanziellen Umstände des Verurteilten zu berücksichtigen hat, geschieht dies recht summarisch und trifft dementsprechend Betroffene unter Umständen relativ hart. Entschließt sich jemand, der um diese Abstufungen weiß, den spätabendlichen Trinkanlass mit einer weiteren Runde zu beenden, um auf über 0.8 Promille zu kommen, wird er vom Gericht eines Vergehens (Art. 91 Abs. 2 lit. a SVG5) schuldig gesprochen – mit der Folge, dass er mit einer normalerweise bedingten Geldstrafe davonkommen wird, die er in aller Regel nie zu bezahlen haben wird.

2 Die Hauptursachen waren die Verlängerung der durchschnittlichen Aufenthaltsdauer, dies wegen der Popularität stationärer therapeutischer Maßnahmen, die überwiegend in Gefängnissen vollzogen werden, sowie die Verschiebung der Strafskala nach oben als Folge der höheren Limiten für den bedingten Strafvollzug (von 18 auf 24 bzw. 36 Monate) – letzteres hat Kuhn (1993) präzise vorausgesagt. 3 Anhand von Daten des European Sourcebook of Crime and Criminal Justice Statistics (Aebi et al. 2010, Tab. 3.2.3.6, 3.2.3.7 und 3.2.3.10) konnte Killias (2018) zeigen, dass bei Delikten wie (schwerer) Körperverletzung, Vergewaltigung und Raub von 100 Verurteilten in der Schweiz weitaus weniger ins Gefängnis wandern als in fast allen anderen 21 Ländern mit verfügbaren Daten, nämlich maximal 4 von 10. Diese Daten bezogen sich auf das Jahr 2006, neuere sind leider nicht erhältlich. Es darf vermutet werden, dass die 2007 in Kraft getretene Strafrechtsreform die Extremposition der Schweiz (als das Land, „wo man nicht ins Gefängnis kommt“) noch akzentuiert hat. 4 Das Gesetz sieht ausdrücklich vor, dass die Bestimmungen über die bedingte Strafe auf Übertretungen nicht anwendbar sind (Art. 105 Abs. 1 StGB). 5 Straßenverkehrsgesetz, in Verbindung mit der Verordnung der Bundesversammlung über Alkoholgrenzwerte im Straßenverkehr.

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Um diese Schnittstellenproblematik zu entschärfen, hat der Gesetzgeber in Art. 42 Abs. 4 StGB dem Gericht die Möglichkeit eingeräumt, neben einer bedingten Freiheits- oder Geldstrafe in allen Fällen – also auch wenn keine Übertretung vorliegt – eine (notwendigerweise) unbedingte Buße zu verhängen. In der Praxis machen die Gerichte inzwischen von dieser Möglichkeit in einem sehr weiten Umfang Gebrauch. Was die Bemessung der Geldstrafe – d. h. vor allem der Höhe der Tagessätze – anbelangt, hat sich der Gesetzgeber entgegen aller Kritik damit begnügt, nur sehr allgemeine Grundsätze festzulegen. Zu berücksichtigen sind das Einkommen, die Lebensumstände, Unterstützungspflichten und das Existenzminimum. Es fehlen dagegen Richtlinien etwa zur Bemessung der Abzüge für Kinder in Ausbildung, zur Höhe „notwendiger“ Lebenskosten infolge von Krankheit, der Berücksichtigung des Einkommens mitverdienender Ehegatten u.v.a. Auch ist nach der Rechtsprechung6 das Vermögen grundsätzlich nicht zu berücksichtigen, womit das System definitiv Personen mit relativ geringen (bekannten) Einkünften, aber hoher Liquidität gegenüber meist jüngeren Beschuldigten begünstigt, die relativ hohe Einkommen erzielen, aber kaum Vermögen gebildet haben7. Das schweizerische Recht steht damit zumindest in der Theorie auf dem Boden des Netto-Einkommensprinzips, wo diese Fragen an sich klar geregelt werden müssten – wogegen ein pragmatisches „Durchwursteln“ unter dem in anderen Ländern geläufigen Einbußeprinzip eher möglich erscheint (Chimichella 2006, 64 ff.). Der Gesetzgeber hat sich in den letzten Jahren weniger damit als mit der Zurückdrängung allzu tiefer, ja geradezu trivialer Tagessätze befasst und in einem weiteren „Korrekturgesetz“8 einen Mindestbetrag von 30 Franken pro Tag festgelegt, der in Fällen besonderer Bedürftigkeit bis auf 10 Franken herabgesetzt werden kann9. Zuvor war es in der Praxis zuweilen zu extremen Urteilen gekommen, wo Beschuldigte für 360 Tagessätze zu 1 Franken zu absolut lächerlichen Beträgen verurteilt wurden. Dies ist nun nicht mehr möglich, wird aber möglicherweise das Problem verschärfen, mit dem wir uns hier befassen, nämlich die Frage, was geschieht, wenn unbedingte Geldstrafen und Bußen unbezahlt bleiben.

2. Unbezahlbare Geldstrafen und Bußen? Ergebnisse einer Studie im Kanton Zürich Während der langen Debatten über die Strafrechtsreform wurde zwar von vereinzelten Stimmen auch auf die Gefahr hingewiesen, dass Verurteilte, die sich außer 6

So BGE 142 IV 315 E. 5.3.3 (entgegen dem Wortlaut von Art. 34 Abs. 2 StGB). Zu den Schwierigkeiten der Bemessung der Tagessätze Killias et al. 2017, Rz 1319 – 1330. 8 Gesetz vom 15. Juni 2015 über die Änderung des Sanktionenrechts (in Kraft ab 01. 01. 2018). 9 So Art. 34 Abs. 2 StGB i. d. F. des Änderungsgesetzes vom 15. 06. 2015 (in Kraft seit 01.01. 2018). 7

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Stande sehen, die ihnen auferlegten finanziellen Sanktionen zu bezahlen, am Ende im Gefängnis landen könnten. Damals wurden – trotz warnender Stimmen (Raselli 1994)10 – diese Bedenken ziemlich selbstsicher weggewischt. Inzwischen hat dieses Problem jedoch Proportionen angenommen, die nicht völlig unter den Teppich gekehrt werden können. Immerhin gelangen laut den neuesten Zahlen des Bundesamts für Statistik (für 2018) rund 4.500 Personen in ein Gefängnis, weil sie eine fällige finanzielle Sanktion nicht beglichen haben11 – dies bei jährlich rund 9.000 ordentlichen Einweisungen in den Strafvollzug12. Mehr als die Hälfte der Eintritte in ein Gefängnis entfallen somit auf umgewandelte Bußen und Geldstrafen. Im Auftrag der Direktion für Justiz und Inneres des Kantons Zürich, die hier als Pionierin für Transparenz sorgen wollte, wurde von unserem Team untersucht, wie viele Personen weshalb und unter welchen Begleitumständen in diese Lage geraten (Biberstein & Killias 2019), und zwar im Kanton Zürich, dessen Bevölkerung etwas weniger als einen Fünftel des Landes ausmacht. Zusammen mit dem Amt für Justizvollzug wurde die Untersuchung so geplant, dass alle Fälle, die zwischen Februar und März 2017 der intern zuständigen Stelle wegen Uneinbringlichkeit gemeldet wurden, näher untersucht wurden. Berücksichtigt wurde, wie sich die Erledigung dieser Geschäfte bis zum Herbst 2018 entwickelt hatte. Die Studie bezog sich auf eine Stichprobe von 447 Fällen. Die Analyse der Fälle zeigte eine Reihe unerwarteter Ergebnisse. So waren bei 55 % der Betroffenen mindestens zwei Strafurteile zu vollziehen – mit einer sehr schiefgipfligen Verteilung (der Spitzenreiter brachte es auf 25 Urteile). Die Dauer der angeordneten Ersatzfreiheitsstrafe variierte im gleichen Ausmaß: in einem Extremfall war eine Ersatzfreiheitsstrafe von über zwei Jahren zu verbüßen, in der Hälfte der Fälle betrug diese jedoch höchstens 15 und sehr oft sogar nur einen Tag. Allerdings kommt es durchaus nicht in allen Fällen zu einer Ersatzfreiheitsstrafe. Von den beim Amt für Justizvollzug13 wegen Uneinbringlichkeit gemeldeten Fällen verjährten in der Folge 35 bis 40 %, was vor allem bei Bußen vorkommt, da diese (wie auch deren Vollzug) nach drei Jahren verjähren (Art. 109 StGB). Dies betrifft vorwie10 Damals ein junger Kantonsrichter, hat der spätere Bundesrichter Raselli anhand einer Stichprobe von Strafurteilen (und den Steuerdaten) aus seinem Kanton Obwalden ermittelt, wie sich das neue System ausgewirkt hätte. Danach wäre mehr als die Hälfte kaum oder nur mit Mühe in der Lage gewesen, eine Geldstrafe zu begleichen. Dass die Auswirkungen nach 2007 weniger dramatisch waren, lag wohl vor allem an der pragmatischen „Anpassung“ der Höhe und Anzahl der Tagessätze an die realen Möglichkeiten. 11 Die Anzahl Bußen, die in Freiheitsentzug umgewandelt wurden, schwankte zwischen 2007 und 2018 jährlich zwischen 2.234 (2007) und 3.430 (2009). Im Jahre 2017 waren es 3.300 und im Jahr darauf 3.080. Vor der Reform waren dies mit wenigen Ausnahmen weit unter 1.000. Dazu kommen mindestens 1.000 in Ersatzfreiheitsstrafe umgewandelte Geldstrafen (2017: 1.612, 2018: 1.423). 12 Seit der Strafrechtsrevision von 2007 wurden jährlich zwischen 8.425 und 9.723 (2013) Personen eingewiesen. Im Jahre 2017 waren dies 9.246, im folgenden Jahr noch 8.444 Personen. 13 Neuerdings „Justizvollzug und Wiedereingliederung“.

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gend Verurteilte ohne festen Wohnsitz in der Schweiz, was insofern einleuchtet, als Vollstreckungsmaßnahmen gegenüber Personen im Ausland weitaus weniger Erfolgsaussichten haben. Von den verbleibenden Fällen werden 50 % bezahlt – vom Verurteilten oder häufiger von ihm nahestehenden Personen. In weniger als 10 % kommt es schließlich zu einer vollzogenen Ersatzfreiheitsstrafe, was belegt, dass sich die mit diesen Geschäften befassten Stellen intensiv bemühen, andere Lösungen zu finden. Unter den nicht-bezahlten finanziellen Sanktionen machen die Bußen mit 90 bis 95 % den Löwenanteil aus. Dies erscheint verständlich, weil Bußen – wie oben erläutert – immer unbedingt ausgesprochen und die Modalitäten der Umwandlung schon im Urteil festgelegt sind (Art. 106 Abs. 2 StGB). Geldstrafen werden demgegenüber nur selten unbedingt verhängt und können, wenn sie nicht bezahlt werden, nur auf richterliche Anordnung hin – also in einem neuen Verfahren – in Ersatzfreiheitsstrafen umgewandelt werden (Art. 36 Abs. 1 StGB). Dazu werden Bußen routinemäßig – wie erläutert – auch in Fällen von Vergehen oder Verbrechen neben einer anderen (bedingten) Strafe ausgesprochen. Dies führt dazu, dass Bußen insgesamt weit häufiger vorkommen als unbedingte Geldstrafen. Wie steht es nun mit den ausstehenden Beträgen? Auch hier zeigt sich bei den Bußen eine sehr große Bandbreite, die tiefste betrug gerade mal 19, die höchste 5.000 Franken. In 75 % der Fälle betrug die Buße maximal 350 Franken, in 25 % sogar nur 100 Franken oder weniger. Dabei werden tiefere Bußenbeträge eher beglichen, wenn auch allenfalls „last minute“ und von Dritten, während die in Ersatzfreiheitsstrafe umgewandelten und vollzogenen Bußen im Durchschnitt deutlich höher waren. Bei den Geldstrafen zeigt sich dasselbe Bild, wenn auch die Beträge deutlich höher sind. Die höchste Geldstrafe betrug 27.000, die tiefste 30 Franken, wobei der ausstehende Betrag in der Hälfte der Fälle über 1.800 Franken ausmachte. Was die Art der Delikte anbelangt, zeigt sich, dass Strafen wegen Straßenverkehrsdelikten eher verjähren (wohl vor allem bei im Ausland wohnenden Verurteilten) oder aber bezahlt werden. Bei den vollzogenen Ersatzfreiheitsstrafen dominieren Verurteilungen wegen Schwarzfahrens in öffentlichen Verkehrsmitteln14, was wohl mit dem sozialen Profil dieser Gruppe zusammenhängt. Umgekehrt dürften Straßenverkehrsdelinquenten besser situiert sein, was an sich bereits durch den Besitz eines Motorfahrzeugs nahegelegt wird. Tatsächlich bestätigen die beigezogenen Steuerdaten diesen Befund. Wie schon in verschiedenen früheren Untersuchungen, wurden unserem Team auch für die vorliegende Untersuchung die Daten des Steueramtes zur Verfügung gestellt15. Dabei zeigte sich, dass nur bei wenigen der verjährten Fälle bei den Steuerbehörden Daten verfügbar waren – offensichtlich überwiegen auch nach dieser Quel14

Einer Übertretung, Art. 57 Abs. 3 Personenbeförderungsgesetz. Die damit zusammenhängenden datenschutzrechtlichen Fragen konnten in einer einwandfreien Weise (anonymisiert) gelöst werden. Wir verweisen dazu auf den Schlussbericht (Biberstein & Killias 2019). 15

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le in dieser Gruppe Verurteilte ohne Wohnsitz in der Schweiz. Von den übrigen Verurteilten hat nur die Hälfte eine Steuererklärung eingereicht. Offenbar handelt es sich hier oft um Personen ohne regelmäßiges Einkommen – oder aber solche, die generell im Umgang mit Amtsstellen Mühe bekunden, ihren Verpflichtungen nachzukommen. Soweit Angaben vorliegen, verfügen von der Umwandlung in Freiheitsentzug Betroffene über deutlich weniger Einkünfte als diejenigen, die sich diesem Ausgang in letzter Minute zu entziehen wussten. Diese Informationen aus amtlichen Akten wurden ergänzt durch eine Befragung der mit dem Inkasso direkt befassten Personen sowie einer Befragung aller infolge der Umwandlung in den Strafvollzug eingewiesenen Verurteilten. Die Insassen-Befragung war als Vollerhebung konzipiert. Zielgruppe waren alle 185 Betroffenen, von denen sich 106 (oder 57 %) an der Befragung beteiligten. Die Ausschöpfungsrate war somit angesichts der Umstände, die nicht unbedingt optimale Kooperation erwarten ließen, erfreulich hoch. Zu den Gründen, weshalb es zur Umwandlung einer finanziellen Sanktion überhaupt gekommen ist, sagten gut 80 %, dass sie nicht über die nötigen Mittel verfügt hätten, um den ausstehenden Betrag zu begleichen. Daneben sagten aber immerhin 9 %, dass sie nicht bezahlen wollten, und weitere 12 %, dass es ihnen leichter falle, die Strafe im Freiheitsentzug zu verbüßen als zu bezahlen. Es zeichnet sich hier bereits ab, was vertiefte Analysen bestätigten. Einerseits sind Personen in prekären finanziellen Verhältnissen häufiger von Ersatzfreiheitsstrafen betroffen, was an sich nicht erstaunt. Nicht weniger als 70 % sind auch nicht zum ersten Mal in einem Gefängnis. Weniger bekannt sein dürfte, dass es sich zu einem großen Teil um Menschen ohne ein relevantes soziales Netzwerk handelt, das sie in solchen Lagen mobilisieren könnten. Einsamkeit ist insofern ein erheblicher Risikofaktor. Viele Gefangene äußern denn auch die Hoffnung, sie würden noch vor Ende ihrer Strafe auf irgendeine Weise „ausgelöst“, wobei nicht beurteilt werden kann, wie realistisch solche Hoffnungen tatsächlich sind. Daneben gibt es aber auch eine kleinere Gruppe von Betroffenen, die sich mit sehr hohen Beträgen konfrontiert sehen. Oft geschieht dies infolge des Widerrufs einer bedingten Geldstrafe mit hohen Beträgen. In aller Regel lag der Anlass in erneuter Straffälligkeit während der Probezeit. Was immer auch die Gründe gewesen sein mögen, Verurteilte sehen sich unter solchen Umständen mit sehr hohen Forderungen konfrontiert, die sie aus den laufenden Einkünften oder ihrem Vermögen kaum bezahlen können. Wenn nun noch, wie bei Bußen, der Freiheitsentzug zeitlich begrenzt ausfällt, d. h. maximal drei Monate beträgt (Art. 106 Abs. 2 StGB), befinden sich solche Personen nur selten in der Lage, die nötigen Beträge im verfügbaren Zeitraum legal zu beschaffen. In solchen Fällen mag in der Tat die Entscheidung, die Strafe lieber in Form einer Ersatzfreiheitsstrafe zu verbüßen, einer gewissen – zumindest ökonomischen – Rationalität nicht entbehren.

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3. War die Ersatzfreiheitsstrafe unvermeidlich? Fragen kann man sich natürlich, ob es nicht Möglichkeiten gegeben hätte, die Umwandlung in Freiheitsentzug durch die Leistung gemeinnütziger Arbeit zu umgehen. Dazu muss man wissen, dass der Gesetzgeber die Möglichkeit der Verbüßung einer Buße in dieser Form zwar zulassen wollte (Art. 107 Abs. 1 StGB), jedoch nicht nach unbenütztem Ablauf der Zahlungsfrist. Andernfalls bestünde angesichts der Vollstreckungsverjährung von Bußen schon nach drei Jahren (Art. 109 StGB) die nicht zu unterschätzende Gefahr, dass sich Betroffene durch solche Gesuche schließlich in die Verjährung „retten“ könnten. Im Zeitpunkt, da das Dossier beim Amt für Justizvollzug wegen Uneinbringlichkeit eingeht, besteht diese Möglichkeit somit nicht mehr. Unbedingt ausgesprochene oder widerrufene bedingte Geldstrafen können ebenfalls in Form gemeinnütziger Arbeit verbüßt werden – allerdings nur solange, als die Umwandlung in eine Ersatzfreiheitsstrafe noch nicht verfügt worden ist (Art. 79a Abs. 2 StGB). Man darf also davon ausgehen, dass bei den von uns Befragten diese Möglichkeit schon von Gesetzes wegen ausgeschlossen war, ohne dass weiter geprüft werden müsste, ob dazu die weiteren Bedingungen erfüllt wären. Eine andere Frage ist, ob bei den Verurteilten mit hohen Geldstrafen die Tagessätze adäquat bestimmt worden sind. Maßgeblich sind dazu die Umstände im Zeitpunkt des Urteils, doch faktisch werden sich die Gerichte auf die Unterlagen der Steuerämter stützen, die indessen kaum der in diesem Zeitpunkt gegebenen Situation entsprechen dürften. Noch weniger tragen sie wohl der absehbaren Zukunft Rechnung, die für viele Verurteilte einen markanten sozialen Abstieg bringen dürfte, oft geprägt von Paartrennung und Stellenverlust, und zwar wohl mehr wegen der Straftat an sich als wegen des oft nicht sehr beeindruckenden Strafurteils (das meistens, wie erwähnt, auf eine bedingte Geldstrafe lautet). Zwar bestand im Zeitraum der Untersuchung theoretisch die Möglichkeit, das Gericht später um Anpassung der Beträge zu ersuchen, wenn sich diese wegen veränderter Verhältnisse als unangemessen hoch erwiesen (Art. 36 Abs. 3 lit. b aStGB), doch bleibt offen, weshalb dies in den untersuchten Fällen offenbar nicht versucht wurde16. Vermuten darf man, dass die Gerichte die Bemessung in vielen Fällen nicht allzu tragisch nehmen, weil sie schließlich davon ausgehen, dass der Verurteilte diese angesichts des bedingten Strafvollzugs ohnehin nie wird bezahlen müssen.17 Bei von Anfang an unbedingten Geldstrafen handelt es sich regelmäßig um rückfällige Angeklagte, bei denen die finanziellen Verhältnisse ohnehin keine hohen Tagessätze erwarten lassen. Bleiben sie am Ende unbezahlt, ist dies eher der marginalen Lebenslage der Betroffenen als den 16 Inzwischen sind die entsprechenden Erleichterungen durch das Gesetz über die Änderung des Sanktionenrechts (vom 15. 06. 2015, in Kraft seit 01. 01. 2018) abgeschafft worden. Gleichzeitig wurde (in Art. 36 Abs. 1 StGB) die Zahlungsfrist von zwölf auf sechs Monate verkürzt. 17 In dieser Hinsicht hat der Gesetzgeber seine Konkretisierungspflicht klarerweise verletzt. Was würde man sagen, wenn im Steuerrecht der Gesetzgeber den Steuerämtern allein vorgeben würde, die Steuern „nach den finanziellen Verhältnissen des Steuerpflichtigen nach pflichtgemässem Ermessen“ festzusetzen? Dazu Killias et al. 2017, Rz 1325 – 1330.

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unrealistisch hohen Beträgen zuzuschreiben. Es wurde schon lange moniert, dass die Festsetzung der Tagessätze viel zu wenig sorgfältig geschieht, dies nicht aus Nachlässigkeit der Gerichte, sondern weil der Gesetzgeber und die Exekutive den Gerichten keinerlei Richtlinien in die Hand geben, wie schwierige Situationen (wie etwa diejenigen von vermögenden aber einkommenslosen Verurteilten, oder von solchen ohne bekannte bzw. regelmäßige Einkünfte) zu handhaben sind.18

4. Der mühsame Weg zurück Rückblickend mag man sich fragen, weshalb dieses Problem nicht im Voraus erkannt wurde. Zwar war bereits zur Zeit der Reformdiskussion in der Schweiz bekannt, dass Ersatzfreiheitsstrafen in Deutschland einen erheblichen Anteil an den Einweisungen in den Strafvollzug ausmachen (Villmow, Sessar & Vonhoff 1993), doch wirklich hören wollte das damals niemand. Inzwischen liegen die Dinge in der Schweiz mutmaßlich schlimmer als anderswo. Ein möglicher Grund könnte sein, dass Geldstrafen und Bußen seit der Strafrechtsreform von 2002/2007 in der Schweiz einen extrem weiten Anwendungsbereich gefunden haben, wie er sonst kaum irgendwo zu beobachten ist. Es gibt, außerhalb des Bereichs der allerschwersten Straftaten, kaum solche, wo sie nicht anwendbar wären, und kaum eine Täterkategorie, für die sich nicht in Frage kämen. Daher treten Probleme, die sich andernorts auch zeigen mögen, in der Schweiz wohl deutlicher zu Tage. Dies gilt auch für die Akzeptanz des neuen Sanktionensystems, das in weiten Teilen der Öffentlichkeit schon kurz nach dessen Einführung abgelehnt wurde (Haering et al. 2012), wenn sich auch inzwischen eine Art Gewöhnungseffekt eingestellt zu haben scheint. Vor allem die bedingte Geldstrafe stößt indessen immer noch auf großes Unverständnis. Die neueste „Korrekturvorlage“, das Gesetz vom 15. Juni 2015 über die Änderung des Sanktionenrechts, hat wohl einige Probleme geklärt, so etwa die absoluten Trivial-Tagessätze zugunsten eines Mindestbetrags von 30 Franken (mit der Möglichkeit der Herabsetzung auf bis zu 10 Franken in „Ausnahmefällen“) beseitigt (Art. 34 Abs. 2 StGB). Die groß verkündete „Wiedereinführung“ der kurzen Freiheitsstrafe war zwar gewiss ein Schritt in die richtige Richtung, in den praktischen Auswirkungen jedoch bescheiden, da auch diese fast immer bedingt verhängt werden. Ebenso folgenlos war die Herabsetzung der Obergrenze von Geldstrafen von 360 auf noch 180 Tage (Art. 34 Abs. 1 StGB), wie auch die Zurückstufung der gemeinnützigen Arbeit von einer selbständigen Sanktion zu einer Vollzugsform anderer Strafen (Art. 79a Abs. 1 StGB).19 18

Dazu Killias et al. 2017, Rz 1326 – 1328. Vor der Strafrechtsreform von 2002/2007 wurde Gemeinnützige Arbeit sehr häufig und überwiegend erfolgreich praktiziert, allerdings nicht als eigenständige Sanktion, sondern als Vollzugsform kurzer unbedingter Freiheitsstrafen. Ab 2007 wurde sie eine Hauptstrafe und konnte daher nur noch von Gerichten verhängt werden. In der Folge brachen (wie leicht vorauszusehen war) die Zahlen völlig ein (Simmler 2016; Michlig 2011). Mit dem Gesetz über 19

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Für das Problem der Ersatzfreiheitsstrafen folgenschwerer könnte die Heraufsetzung des Mindestbetrags eines Tagessatzes von 1 auf ausnahmsweise 10 und in der Regel 30 Franken werden (Art. 34 Abs. 2 StGB). Damit werden auch Verurteilte in prekären finanziellen Verhältnissen voraussichtlich deutlich höhere Beträge auferlegt erhalten, was sich bei mehrfach (und daher zu unbedingten Geldstrafen) Verurteilten wie auch im Falle des Widerrufs einer bedingten Geldstrafe praktisch auswirken wird. Das Problem der exzessiv zahlreichen Ersatzfreiheitsstrafen wird sich daher wohl verschärfen.

5. „Sinnlose“ Ersatzfreiheitsstrafen? Schließlich stellt sich auch die Frage nach dem ökonomischen „Sinn“ der Ersatzfreiheitsstrafe. Diese wurde auch in Deutschland unlängst massiv in Frage gestellt (Lobitz & Wirth 2018, 16 ff.; Treig & Pruin 2018, 10 ff.; Wirth, Pfalzer & Gerlach 2018, 9). In der vorliegenden Untersuchung wurde daher mit Hilfe der Spezialisten des Amts für Justizvollzug auch untersucht, wie sich das Kosten-Nutzen-Verhältnis konkret präsentiert. Bei einer solchen Rechnung stellt sich stets die Frage, inwieweit indirekte Kosten (wie der Unterhalt von Gefängnissen, die Finanzierung von Verwaltungsabteilungen usw.) zu berücksichtigen sind. Werden die Einnahmen vor allem aus bezahlten Bußen und Geldstrafen allen Kosten (einschließlich Personalaufwand, Unterbringungskosten von Gefangenen usw.) gegenübergestellt, ergibt sich für den Kanton Zürich ein Defizit von 28 Franken pro Tag vollzogener Ersatzfreiheitsstrafe. Ohne die erwähnten indirekten bzw. Fixkosten resultiert dagegen ein Ertrag von knapp unter 190 Franken pro Hafttag. Verglichen mit dem Strafvollzug im Allgemeinen erweist sich das System der Eintreibung von Geldstrafen und Bußen über die (Drohung mit) Haft als sehr preisgünstig oder, je nach Berechnungsart, sogar ertragreich20. Nun darf aber nicht allein der buchhalterische Verlust oder Ertrag berücksichtigt werden. Würde die Ersatzfreiheitsstrafe abgeschafft, wäre mit einer stark verringerten Glaubwürdigkeit des ganzen Sanktionensystems zu rechnen. Es darf davon ausgegangen werden, dass die immerhin häufige Bezahlung dieser Schulden häufig unterbliebe, wenn die Betroffenen den Eindruck gewännen, dies alles beruhe letztlich auf ihrem guten Willen und geschehe damit „freiwillig“. Ebenso würde das System einen starken Legitimationsverlust erreichen, wenn in der Öffentlichkeit die Erkenntnis Platz greifen würde, die Bezahlung solcher Sanktionen sei letztlich den Betroffenen anheimgestellt. Ein Laborexperiment am Institut von Ernst Fehr an der Universität Zürich hat gezeigt, dass Menschen viel dafür investieren, damit Leute, die die Regeln brechen, bestraft werden (de Quervain et al. 2004). Eine rein rechnedie Änderung des Sanktionenrechts von 2015 wurde sie wieder zu einer Vollzugsform (Art. 79a Abs. 1 StGB). Es bleibt offen, ob sie zu ihrer alten Bedeutung zurückfindet. 20 Zu den Einzelheiten siehe den Schlussbericht sowie Biberstein & Killias 2019 sowie Killias & Biberstein 2020.

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rische Betrachtungsweise nach dem Nutzen und den Kosten solcher Sanktionen trägt diesen symbolischen Bedürfnissen zweifellos nicht Rechnung. Die Durchsetzung finanzieller Sanktionen über die Umwandlung in andere Vollzugsformen einschließlich der Ersatzfreiheitsstrafe „lohnt“ sich daher vermutlich sehr wohl. Dies gilt auch für die Umwandlung unbezahlter Bußen wegen der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel ohne Bezahlung des Fahrpreises. Würden solche Sanktionen am Ende nicht mehr vollstreckt, ergäbe sich sehr bald die Nebenwirkung, dass der Kauf eines Fahrausweises letztlich „freiwillig“ sei und nur „Dumme“ diesen bezahlten. Dabei dürfen die Nachteile eines kürzeren Freiheitsentzugs nicht überbewertet werden. Wie die Kontakte mit den Beamten des Amtes für Justizvollzug zeigten, bemühen sich diese intensiv, die kurze Haftzeit zu einer Stabilisierung der Lebensverhältnisse der Betroffenen zu nutzen. Oft ohne Tagesstruktur, würden diese andernfalls wohl langfristig auf dieser Bahn verharren. Die These ist hier nicht, dass kurzer Freiheitsentzug „nütze“, aber dennoch zeigen die Beobachtungen der Vollzugsorgane, dass die meisten Betroffenen nach mehrmaligem Kurzaufenthalt in einem Gefängnis ihrem Leben eine andere Wendung zu geben versuchen. Im Übrigen haben systematische Literaturübersichten – etwa im Rahmen des Campbell-Netzwerkes – gezeigt, dass Gefängnisaufenthalte (vor allem solche von kürzerer Dauer) zwar nicht an sich „nützen“, aber auch nicht unbedingt schaden (Villettaz, Gilliéron & Killias 2014, 49 ff.). Es wäre an der Zeit, dass sich die Kriminalpolitik von den überholten Vorstellungen aus der Mitte des 19. Jahrhunderts21 löst und diese Fragen unaufgeregter angeht – wie dies der Jubilar bereits in seiner Doktorarbeit (Albrecht 1980) angeregt hatte.

6. Auch eine Frage der Gerechtigkeit Die Strafrechtsreform von 2002/2007 stand ganz im Zeichen vermehrter „Effizienz“. Kurze Freiheitsstrafen, deren Sinn nicht eingesehen wurde und die als „schädlich“ gebrandmarkt waren, sollten durch „nützlichere“ Sanktionen ersetzt werden, seien dies gemeinnützige Arbeit oder Geldstrafen, die wenigstens fiskalisch interessant sein mögen. Dabei haben gerade die Arbeiten des Jubilars (so schon Albrecht 1980), der von uns heute zu Recht als eigentlicher Pionier gefeiert wird, deutlich gezeigt, dass sich die Diffamierung des Gefängnisses als „Schule des Verbrechens“ in keiner Weise bewahrheitete.22 Das Gefängnis sollte dem damaligen und noch immer 21 Prägend war hier nicht, wie allgemein vermutet wird, Franz von Liszt (1883), sondern der französische Strafrichter und Philanthrop Arnould Bonneville de Marsangy (1864). Die Vorstellung, kurze Gefängnisaufenthalte seien schädlich, entwickelte er in Analogie zur Beobachtung von Medizinern seiner Zeit, dass Spitäler oft Brutstätten aller möglichen Viren sind und man sich auch bei kurzem Aufenthalt dort anstecken könne. Kriminalität galt damals bekanntlich als eine Art ansteckende Krankheit. 22 Solche Studien gab etwas später auch in der Schweiz (Stemmer & Killias 1992). Sie fanden kaum Eingang in die Literatur zur Strafrechtsrevision, ganz im Gegensatz zu krass

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nachwirkenden Zeitgeist zufolge indessen vor allem als Ort zur Behandlung (oder was immer man darunter verstand) dienen, in aussichtslosen Fällen allenfalls auch zur bleibenden Verwahrung. Es kam in den Jahren nach 2007 somit zu einer massiven Ausweitung der mit einer Maßnahme auf unbestimmte Zeit einsitzenden Gefangenen (Simmler 2016). Letztlich haben unsere Daten bestätigt, dass ein sehr erheblicher Teil der Bußen und Geldstrafen weiterhin im Gefängnis „bezahlt“ werden. Vor diesem Hintergrund war die Warnung vor der Verabschiedung der Strafrechtsreform in der Schweiz, dass es in der Folge weniger zu einer Abschaffung als einer Umverteilung der Freiheitsstrafe kommen könnte, nicht unberechtigt. Solche Warnungen wurden damals in den Wind geschlagen.23 Inzwischen hat sich dies in damals unvorstellbarem Ausmaß bewahrheitet. Wenn über die Hälfte – 2018 genau 53 % – der Einweisungen in ein Gefängnis auf umgewandelte Bußen und Geldstrafen entfallen, kann man nicht von einer Bagatelle sprechen, auch wenn von allen Bußen und Geldstrafen nur wenige Prozente umgewandelt werden. Dabei ist dies alles nur ein Teil des Problems. Dazu kommt nämlich die Regelung in Art. 41 Abs. 1 lit. a und b StGB, wonach das Gericht eine unbedingte24 Freiheitsstrafe von bis zu sechs Monaten verhängen kann, wenn dies (lit. a) zur Abschreckung des Täters oder (lit. b) erforderlich erscheint, weil eine andere Strafe voraussichtlich nicht vollzogen werden könnte. Diese Bestimmung war bereits im ersten Vorentwurf von Schultz (1987) enthalten und hat in der Folge alle Beratungen überstanden. In der Praxis wird sie vor allem gegenüber mittellosen ausländischen Beschuldigten angewendet, die – etwa nach Einbrüchen – in Untersuchungshaft versetzt und in der Folge mit einem Strafbefehl belegt werden, in welchem ihnen eine Freiheitsstrafe (typischerweise in der Länge der erlittenen Haft) auferlegt wird, bevor sie ausgeschafft werden. Im Jahre 2007 betraf dies noch 1.904 Verurteilte, in den folgenden Jahren jedoch bis zu 4.462 (im Jahre 2013)25 und noch immer 2.941 im Jahre 2018. Da diese Verurteilten während ihrer gesamten Haftzeit in der Regel in Untersuchungshaft verbleiben, erscheinen sie nicht in der Statistik der Einweisungen in den Strafvollzug, sind also in den Eintritten (2018: 8.444) nicht inbegriffen. Würde man sie dazurechnen, ergäbe sich somit eine Gesamtzahl der „Eintritte“ von 11.385. Davon wäre 7.444 Personen26 nur des-

fehlerhaften Analysen (wie die Studie von Knaus 1973; dazu Killias 1994), die bis heute in den Kommentaren munter weiter zitiert werden. 23 Gelegentlich auch sehr heftig. Dem Autor wurde zum Beispiel an einem Kolloquium entgegengeschleudert: „Mit solchen Behauptungen verlassen Sie den Boden einer sachbezogenen Diskussion.“ 24 Mit dem Gesetz über die Änderung des Sanktionenrechts (in Kraft seit 01. 01. 2018) können diese Kurzstrafen theoretisch auch bedingt verhängt werden. 25 In den Jahren zwischen 2011 und 2014 war die Schweiz von einer Welle internationaler Einbruchskriminalität betroffen, die sich in diesen Zahlen niederschlug. 26 Nämlich 3.080 umgewandelte Bußen, 1.423 umgewandelte Geldstrafen und 2.941 unbedingte Kurzstrafen gemäß Art. 41 StGB.

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halb die Freiheit vorübergehend entzogen worden, weil sie mittellos waren. Das wären dann genau 65 %. Vor diesem Hintergrund kann man wohl kaum bestreiten, dass die Schweiz die kurzen Freiheitsstrafen nicht abgeschafft, sondern sozial umverteilt hat. Der Vorwurf der Klassen-Justiz, der sich implizit gegen die Gerichte und Justizpersonen richtet, wäre unberechtigt. Geschaffen wurde vielmehr eine Art Klassen-Strafrecht, demzufolge das Gefängnis einer untersten Schicht vorbehalten bleibt. Das erinnert stark an das römische Strafrecht, wo die „humiliores“ in die Metalla (Bergwerke) eingewiesen wurden27, wogegen die „honorationes“ mit Vermögenskonfiskation und/oder Verbannung belegt wurden (Mommsen 1990, 1009 f., 1046 f.). Anders als in früheren Zeiten, wo es für die obersten Zehntausend allenfalls Sonderregelungen mit Privilegien gab, verhält es sich in der Schweiz heute so, dass die Durchschnittsbevölkerung kaum mit dem Gefängnis konfrontiert ist, da dieses nur einer relativ kleinen untersten Schicht (sowie ausländischen Beschuldigten ohne inländischen Wohnsitz) vorbehalten ist, also gewissermaßen den untersten Zehntausend. Vielleicht sichert gerade dies heute dem reformierten Strafrecht der Schweiz eine erstaunlich breite soziale Akzeptanz. Auch trägt dies wohl wesentlich zum Fehlen eines jeglichen Problembewusstseins in der schweizerischen Öffentlichkeit und sogar unter den Strafrechtlern bei. Menschen am Rande der Gesellschaft haben bekanntlich keine Stimme und ihre Erfahrungen teilen sich der breiteren Öffentlichkeit kaum mit. Ob das aber auch „gerecht“ genannt werden darf? Die Zweifel bleiben, und der Jubilar war immer ein besonders intensiver Zweifler, gerade auch, wenn es um Fragen der Ungleichheit und der Behandlung der untersten Schichten geht. Ihm gebührt unser Dank, vor allem auch weil er immer wieder und hartnäckig auf das Schicksal derer hingewiesen hat, die vor lauter Sorge um „Effizienz“ (zu) leicht vergessen gehen. Literaturverzeichnis Aebi, M.F. et al. (2010): European Sourcebook of Crime and Criminal Justice Statistics 2010. 4. Aufl. Den Haag. Albrecht, H.-J. (1980): Legalbewährung bei zu Geldstrafe und Freiheitsstrafe Verurteilten. Freiburg i.Br. Biberstein L. & Killias, M. (2019): Ersatzfreiheitsstrafen im Kanton Zürich. Schlussbericht für das Amt für Justizvollzug des Kantons Zürich. Bonneville de Marsangy, A. (1864): De l’amélioration de la loi criminelle en vue d’une justice plus prompte, plus efficace, plus généreuse et plus moralisante. 2 Bände. Paris. Botschaft des Bundesrates zur Änderung des Schweizerischen Strafgesetzbuches (Allgemeine Bestimmungen, Einführung und Anwendung des Gesetzes) und des Militärstrafgesetzes sowie zu einem Bundesgesetzüber das Jugendstrafrecht vom 21. September 1998. Bundesblatt 1999, S. 1979 ff. 27

So die Digestenstelle D. 48, 19, 38, 3.

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Villettaz, P., Gilliéron, G. & Killias, M. (2014): The effects on re-offending of custodial versus non-custodial sanctions. Stockholm; www.campbellcollaboration.org. Wirth, W., Pfalzer, S. & Gerlach, S. (2018): „Ersatzfreiheitsstrafe – lohnt sich das?“ Forum Strafvollzug 1, S. 9.

Die Staatsanwaltschaft – „der“ kriminalpolitische Akteur im System strafrechtlicher Sozialkontrolle Von Wolfgang Heinz

Vorbemerkung Angesichts der Vielfalt von Forschungsinteressen des Jubilars gibt es kein Thema, über das ich schreiben könnte, das nicht eine enge Berührung mit Forschungsarbeiten von Hans-Jörg Albrecht aufwiese. Die Auswahl, worüber zu Ehren des Jubilars ein Beitrag verfasst werden könnte, fällt deshalb schwer. Dass ich mich letztlich für die Staatsanwaltschaft entschieden habe, hat mehrere Gründe. Strafrechtliche Sozialkontrolle und deren Akteure sind der basso continuo aller Studien seit Gründung der Forschungsgruppe Kriminologie des MPI. Fragen der Gleichheit der Rechtsanwendung, wie sie auch im folgenden Beitrag aufgeworfen werden, galt schon sehr früh das Erkenntnisinteresse des Jubilars. Mit Rolle und Bedeutung der Staatsanwaltschaft haben sich sowohl Günther Kaiser als auch Hans-Jörg Albrecht explizit auseinandergesetzt. Deshalb schien es mir nicht allzu fernliegend, anknüpfend an meinen Beitrag zur Staatsanwaltschaft in der Festschrift für Günther Kaiser1, nunmehr auch Hans-Jörg Albrecht eine Studie zur Staatsanwaltschaft zu widmen, die dank des inzwischen ausgeweiteten und statistisch verfügbaren Materials bisherige Befunde auf breiter gewordenen Datenbasis überprüfen und neuen Fragestellungen nachgehen kann.

1. Die Statistik der Staatsanwaltschaft als Erkenntnismittel – Grundzüge, Analysemöglichkeiten und -grenzen Auf der 42. Konferenz der Justizminister und -senatoren 1973 wurde beschlossen, ergänzend zur „Justizstatistik in Straf- und Bußgeldsachen“ (Justizgeschäftsstatistik der Strafgerichte) zum 01. 01. 1976 eine bundeseinheitliche „Zählkartenerhebung in Ermittlungsverfahren und Verfahren nach dem Ordnungswidrigkeitengesetz bei den Staats- und Amtsanwaltschaften (StA-Statistik)“ einzuführen. Die JuMiKo hielt diese Statistik für „erforderlich, um eine bessere Durchschaubarkeit der Tätigkeit

1

Heinz 1998.

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Wolfgang Heinz

der Staatsanwaltschaften zu erreichen.“2 1976 termingerecht eingeführt werden konnte die StA-Statistik aber nur in Bayern, dem Saarland und in RheinlandPfalz. Wegen zunächst fehlender Personal- und Sachmittel begannen Bremen, Hamburg und Nordrhein-Westfalen erst mit dem Berichtsjahr 1977. Baden-Württemberg folgte 1979, Niedersachsen im Jahr 1980. Das Statistische Bundesamt (StatBA) veröffentlichte die Ergebnisse dieser acht Länder erstmals für das Berichtsjahr 1981. In den Folgejahren konnten die räumlichen Nachweise erweitert werden, und zwar ab 1985 für Berlin-West (bis 1992 einschl., seither Berlin insg.), ab 1988 für Hessen und ab 1989 für Schleswig-Holstein. In den neuen Bundesländern wurde die Führung der StA-Statistik 1993 in Sachsen und Sachsen-Anhalt aufgenommen; 1994 in Brandenburg und in Thüringen, 1995 in Mecklenburg-Vorpommern. Seit 1995 liegen demnach auch Daten für sämtliche neuen Bundesländer vor. Die Veröffentlichung der bundesweiten Ergebnisse durch das StatBA erfolgte zunächst als sog. Arbeitsunterlage „Staatsanwaltschaften“, 2002 sodann in Fachserie 10: Rechtspflege, Reihe 2.6: Staatsanwaltschaften, seit 2003 ausschließlich in elektronischer Form.3 Eine bundesgesetzliche Grundlage gibt es weder für die StA-Statistik noch für die anderen Strafrechtspflegestatistiken. Es handelt sich um sog. koordinierte Länderstatistiken, die auf Verwaltungsanordnungen und Liefervereinbarungen der Länder beruhen. Mangels gesetzlicher Grundlage, die die flächendeckende Erfassung gewährleisten würde, kam es nicht nur zur teilweise verspäteten Einführung, sondern auch zu Erfassungs- bzw. Aufbereitungslücken. In Hamburg war die StA-Statistik 1990 sowie 1997 und 1998 ausgesetzt, in Schleswig-Holstein für die Berichtsjahre 1998 bis 2003.4 Bei der StA-Statistik handelt es sich um eine Verfahrensstatistik. Nachgewiesen werden u. a. die Art der Geschäftserledigung, die Verfahrensdauer und die Art der Einleitungsbehörde in Verfahren gegen bekannte Täter (Js-Register). Anzeigen gegen unbekannte Täter werden lediglich der Summe nach mitgeteilt. Zu den Berichtsjahren 1998 und 2004 wurden der Erhebungskatalog und das Aufbereitungsprogramm grundlegend überarbeitet. Insbesondere 1998 führte dies zu einer Verzögerung der Berichterstattung, also zu einer Untererfassung. Seit 1998 werden die Erledigungsarten nicht nur differenziert für Verfahren, sondern auch für die von Ermittlungsverfahren betroffenen Personen nachgewiesen.5 Von einem Verfahren sind im Schnitt 1,1 bis 1,2 Personen betroffen. Zwischen einer verfahrens- und einer beschuldigtenbezogenen Aufbereitung und Datenanalyse ist deshalb zu unterscheiden. Statistisch wird bei der verfahrensbezogenen Aufberei2

Hirschmann 1973, 431. Zur StA-Statistik vgl. Baumann 2015. https://www.destatis.de/GPStatistik/receive/DESerie_serie_00000106. 4 Für HH bildete das StatBA für das Berichtsjahr 1990 Durchschnittsdaten aus den Jahren 1989 und 1991, für 1997 wurden die Daten des Vorjahres eingesetzt. Für SH wurden in den Jahren 1998 bis 2003 die Werte aus 1997 eingesetzt (= 134.178 Verfahren). Dies führte über die Zeit zu einer Unterschätzung. 2003 wurden 161.869 Verfahren erledigt. 5 Bis 1998 wurde nur die Gesamtzahl der Personen mitgeteilt. 3

Die Staatsanwaltschaft – „der“ kriminalpolitische Akteur

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tung, unabhängig von der Zahl der Beschuldigten, nur die schwerste, das Verfahren beendende Erledigungsart nachgewiesen. Wird beispielsweise in einem Verfahren gegen drei Beschuldigte, bei einem Beschuldigten Anklage erhoben, bei dem Zweiten das Verfahren gem. § 153a StPO und beim dritten Beschuldigten gem. § 170 II StPO eingestellt, dann wird statistisch nur die Anklage ausgewiesen. Bei der personenbezogenen Aufbereitung wird dagegen die Erledigungsart bei Verfahren gegen mehrere Beschuldigte für jeden Einzelnen differenziert erfasst, allerdings auch jeweils nur die schwerste (also Anklage, wenn ein Teil angeklagt, ein anderer Teil eingestellt wird). Weiterhin nicht erfasst werden aber soziodemografische Merkmale des/der Beschuldigten, wie Alter und Geschlecht. Angaben zu den Delikten, die den Ermittlungsverfahren zugrunde lagen, wurden zunächst nur für „Vergehen im Straßenverkehr“ erhoben.6 1986 wurde die StA-Statistik erweitert auf „Besondere Wirtschaftsstrafsachen“,7 1998 wurden auch „Betäubungsmittelstrafsachen“, „Umweltstrafsachen“ und „Strafsachen gegen die sexuelle Selbstbestimmung“ aufgenommen, wobei zusätzlich danach unterschieden wurde, ob es sich um eine Straftat der „Organisierten Kriminalität“ handelt. Seit dem Berichtsjahr 2004 wird das Verfahrensaufkommen bei den Staatsanwaltschaften nach einem Sachgebietskatalog der verletzten Strafvorschriften differenziert, der derzeit 32 Positionen umfasst.8 In der veröffentlichten StA-Statistik werden die Erledigungsarten allerdings nur für folgende Sachgebiete detailliert ausgewiesen: „Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung“, „vorsätzliche Körperverletzungen“, „Diebstahl und Unterschlagung“, „Betrug und Untreue“, „Straftaten im Straßenverkehr“, „Wirtschafts- und Steuerstrafverfahren, Geldwäschedelikte“, „Straftaten nach dem Betäubungsmittelgesetz“. Seit 2016 werden in der veröffentlichten Statistik auch nachgewiesen „Einschleusung von Ausländern und Straftaten nach dem Aufenthaltsund dem Asylgesetz und dem Freizügigkeitsgesetz / EU“. Die Nachweise beschränken sich in der veröffentlichten StA-Statistik auf Ermittlungsverfahren. Die jeweilige Zahl der betroffenen Personen wird nur nachrichtlich mitgeteilt. Intern werden die Erledigungsarten aber für jedes Sachgebiet und auch für die Personen aufbereitet. Für den vorliegenden Beitrag werden diese personenbezogenen Daten ausgewertet.9 Die Nachweise zur Erledigungsart beschränken sich auf deren Art. Inhaltliche Differenzierungen fehlen weitgehend. Über die bei § 45 JGG angeregten bzw. angeordneten Auflagen und Weisungen fehlen jegliche Nachweise. Entsprechendes gilt für Einstellungen nach § 37 Abs. I BtMG. Eine Ausnahme bildet lediglich die Ein6

Die Nachweise für dieses Sachgebiet beschränkten sich bis 1997 auf Erledigung durch Anklage, Strafbefehl, Einstellung mit Auflage, Privatklage und sonstige Erledigung. 7 Diese Erweiterung sollte die vom MPI Freiburg ausgewertete, bis 1985 durchgeführte „Erhebung über Wirtschaftsstrafsachen bei den Staatsanwaltschaften“ ablösen. 8 Seit 2014 werden die Sachgebiete 30 und 31 für die „Serien-, Banden- und Gewaltkriminalität“ nicht mehr erhoben. Ergänzt wurden die Sachgebiete 2009 durch die drei Sachgebiete 52, 53, 54 für Straftaten von Amtsträgern. Der Katalog der Sachgebiete ist jeweils im Anhang der amtlichen Veröffentlichung der StA-Statistik wiedergegeben. 9 Der Verf. ist dem StatBA für die Überlassung dieser Daten zu Dank verpflichtet.

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stellung nach § 153a I StPO; freilich sind die Nachweise auf die Art der Auflagen/ Weisungen beschränkt. Bei den nachgewiesenen Erledigungsarten, also auch bei Einstellungen aus Opportunitätsgründen, wird nicht danach differenziert, ob sie gegen Jugendliche, Heranwachsende oder Erwachsene, ob sie unter Anwendung von Jugendstrafrecht oder unter Anwendung von allgemeinem Strafrecht erfolgten. Infolgedessen lassen sich die auf Strafbefehlsanträge oder auf die verschiedenen Opportunitätseinstellungen entfallenden Anteile nicht exakt berechnen. Bei Opportunitätseinstellungen, die durch die Erfüllung von Auflagen, Weisungen oder erzieherischen Maßnahmen aufschiebend bedingt sind, war ursprünglich eine Wartefrist von einem Monat einzuhalten, ehe die Zählkarte ausgefüllt werden durfte.10 Diese Regelung wurde 1994 geändert: „Bei vorläufiger Einstellung gilt das Verfahren mit der entsprechenden Verfügung des Staatsanwalts als erledigt; eine Erfüllung von Auflagen, Weisungen oder erzieherischen Maßnahmen ist nicht abzuwarten.“11 Seitdem ist hier mit einer gewissen, mangels vergleichender Prüfung in ihrer Höhe unbekannten Überschätzung zu rechnen, insbesondere bei Einstellungen gem. § 153a StPO. Im Unterschied zur Polizeilichen Kriminalstatistik (PKS), die seit 1984 Mehrfachtatverdächtige auf Länderebene und seit 2009 auf Bundesebene nicht mehr doppelt erfasst (sog. echte Tatverdächtigenzählung) werden in der StA-Statistik sowohl Verfahren als auch Personen so oft im Berichtsjahr gezählt, wie Verfahren abgeschlossen werden. Die Zahl der Verfahren, also der statistische Geschäftsanfall, ist deshalb davon beeinflusst, ob z. B. gegen mehrere Beschuldigte nur ein Verfahren geführt wird oder aber mehrere selbständige Verfahren geführt werden. Entsprechendes gilt bei Verfahrenstrennung oder bei Aufnahme von Verfahren gegen Personen, die in den polizeilichen Ermittlungsakten namentlich aufgeführt werden. Diese Mehrfachzählung mag teilweise erklären, weshalb die Zahl der Beschuldigten in der StA-Statistik – bereinigt sowohl um die Zahl der Beschuldigten in Verkehrsstrafsachen als auch um den Anteil der nicht von der Polizei eingeleiteten Verfahren12 – um den Faktor 1,7 höher ist als die Zahl der Tatverdächtigen desselben Berichtsjahres.13

10

§ 8 III der Anordnung über die Zählkartenerhebung StA-Statistik 1978. Diese Regelung wurde 1981 präzisiert, indem durch bundeseinheitliche Anordnung bestimmt wurde, dass „bei Einstellung mit Auflage … die Zählkarte erst nach Erledigung der Auflage auszufüllen“ ist. 11 § 6 II der Anordnung über die Zählkartenerhebung StA-Statistik 1994. 12 Rund 80 % aller Ermittlungsverfahren werden von der Polizei eingeleitet. 13 Vgl. Heinz 2020, Schaubild 156.

Die Staatsanwaltschaft – „der“ kriminalpolitische Akteur

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2. Erledigungsstrukturen und deren Entwicklung im Überblick – verfahrensbezogene Betrachtungsweise 2018 haben die Staatsanwaltschaften und Amtsanwaltschaften14 beim Landgericht insgesamt 8.078.736 Ermittlungsverfahren erledigt. Hiervon richteten sich 39 % (3.139.562) gegen unbekannte Tatverdächtige, die lediglich bilanzierend in der StA-Statistik erfasst werden. Die Verfahrenserledigung im Einzelnen wird nur für Ermittlungsverfahren gegen bekannte Tatverdächtige (2018: 4.939.174) nachgewiesen. Die in der StA-Statistik differenziert ausgewiesenen Erledigungsarten lassen sich in folgenden fünf großen Kategorien zusammenfassen: Erforderliche Sanktionierung (Sank. erforderl.): Zusammengefasst werden hier die Erledigungen, in denen aus staatsanwaltschaftlicher Sicht wegen hinreichenden Tatverdachts und im Hinblick auf die Schwere von Tat und Schuld eine Sanktionierung erforderlich und wahrscheinlich ist. Dies ist der Fall bei Anklagen i.w.S.,15 Strafbefehlsanträgen und Opportunitätseinstellungen mit Auflagen gem. § 153a I StPO, § 45 III JGG, § 37 I BtMG bzw. § 38 II i.V.m. § 37 I BtMG. Sanktionsverzicht wegen Geringfügigkeit (Sank.Verz. wg. Bagatelle): Opportunitätseinstellungen ohne Auflagen i.e.S. gem. §§ 153 I, 153b I StPO einschl. § 29 V BtMG, § 45 I, II JGG, § 31a BtMG oder Verweisungen auf den Weg der Privatklage. Scheinbarer bzw. vorläufiger oder aufgeschobener Sanktionsverzicht (scheinbarer Sank.Verz.): Zusammengefasst werden hier Einstellungen gem. §§ 153c I–III, 154 I, 154b I–III, 154c–f StPO. 65 % dieser Gruppe entfallen auf § 154 I StPO. Diese Einstellungen sind nur scheinbar ein Sanktionsverzicht. Denn die Einstellung erfolgt im Hinblick darauf, dass die ausreichende und erforderliche Sanktion in einem anderen Verfahren verhängt werden wird oder worden ist. Weiter zählen zu dieser Gruppe Einstellungen wegen Klärung einer zivil- oder verwaltungsrechtlichen Vorfrage (§ 154d StPO), wegen eines anhängigen Straf- oder Disziplinarverfahrens (§ 154e StPO) oder wegen längerer Abwesenheit des Beschuldigten (§ 154f StPO). Diese Einstellungen schließen eine spätere Verfahrensaufnahme und deren Erledigung durch Anklage/Strafbefehl nicht aus. Die Nichtverfolgung von Auslandstaten oder bei Abschiebung (§§ 153c, 154b StPO) erfolgt u. a. auch im Hinblick auf die erfolgte oder zu erwartende Strafe im Ausland. Das Absehen von der Strafverfolgung bei Opfern einer Nötigung oder Erpressung (§ 154c StPO) soll zwar die Anzeigebereitschaft fördern, ist aber auch im Hinblick auf die Opferrolle zu sehen. Sanktionsverzicht mangels hinreichenden Tatverdachts (§ 170 II StPO): Einstellungen gem. § 170 II StPO bzw. wegen Schuldunfähigkeit. 14

Nicht berücksichtigt wird im Folgenden die quantitativ bedeutungslose Zahl der Ermittlungsverfahren der Staatsanwaltschaften beim Oberlandesgericht. 15 Anklagen vor dem Amtsgericht oder Landgericht, Antrag auf Entscheidung im beschleunigten Verfahren, Antrag auf vereinfachtes Jugendverfahren.

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Verfahrenstechnische Erledigungen (verf.techn. Erl.): Abgaben,16 sonstige Einstellungen17 sowie sog. objektive Verfahren (Sicherungsverfahren und Einziehungsverfahren). Empirisch betrachtet ist die StA eine Einstellungsbehörde. Die StA hält derzeit nur noch in einem Viertel der Verfahren gegen bekannte Tatverdächtige eine Sanktionierung für erforderlich und hinreichend wahrscheinlich (Abbildung 1). 2018 wurde eine Sanktionierung in 23,3 % der erledigten Verfahren für erforderlich erachtet. In 18,1 % wurde auf Sanktionierung wegen Geringfügigkeit verzichtet. Ein scheinbarer Sanktionsverzicht erfolgte in 10,7 % der Verfahren. In 28,6 % fehlte nach Auffassung der StA hinreichender Tatverdacht. Weitere 19,2 % wurden verfahrenstechnisch erledigt.

Quelle: StA-Statistik

Abbildung 1: Erledigung staatsanwaltschaftlicher Ermittlungsverfahren gegen bekannte Tatverdächtige. Deutschland 2018

Entsprechend dem Anstieg der polizeilich registrierten Kriminalität bzw. der polizeilich ermittelten Tatverdächtigen ist auch der erledigte Geschäftsanfall der StA angestiegen. Die Entwicklung der absoluten Zahlen erledigter Ermittlungsverfahren18 ist 16 Abgaben an die Verwaltungsbehörde als Ordnungswidrigkeit, Abgaben an eine andere Staatsanwaltschaft. 17 Verbindungen mit einer anderen Sache, vorläufige Einstellungen (ohne Opportunitätseinstellungen) sowie sog. anderweitige Erledigungen. 18 Zeitreihendarstellungen ab 1981 sind nur verfahrensbezogen möglich, weil erst ab 1998 die Erledigungsarten personenbezogen differenziert aufbereitet worden sind.

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freilich auch durch die sukzessive Einbeziehung von 8 Ländern, also durch die räumliche Erweiterung der StA-Statistik, beeinflusst (Abbildung 2). Aber auch bei Berücksichtigung nur jener 8 Länder, die bereits 1981 die StA-Statistik eingeführt hatten, sind die absoluten Zahlen von 2,1 Mio auf zuletzt (2018) 3,3 Mio. gestiegen.

Quelle: StA-Statistik Legende: objektive Verfahren: Eröffnung eines Sicherungsverfahrens, Durchführung eines objektiven Verfahrens sonstige Erledigungen: sonstige (vorläufige) Einstellung (keine Opportunitätseinstellung), Verbindung mit einer anderen Sache, sonstige Erledigungsart Abgaben an andere …: Abgabe an die Verwaltungsbehörde als Ordnungswidrigkeit, Abgabe an eine andere Staatsanwaltschaft 170 II StPO: Einstellung mangels hinreichenden Tatverdachts, Schuldunfähigkeit des Beschuldigten (§ 20 StGB) sonstige Opp.Einst. ohne Auflagen: Opportunitätseinstellungen gem. §§ 153c I–III, 154 I, 154b I–III, 154c–f StPO Opp.Einst. ohne Auflagen i.e.S.: Einstellungen gem. §§ 153 I, 153b I StPO einschl. § 29 V BtMG, § 45 I, II JGG, § 31a BtMG Opp.Einst. mit Auflagen: Einstellungen gem. § 153a I StPO, § 45 III JGG, § 37 I BtMG bzw. § 38 II i.V.m. § 37 I BtMG Anklage i.w.S.: Anklagen vor dem Amtsgericht oder Landgericht, Antrag auf Entscheidung im beschleunigten Verfahren, Antrag auf vereinfachtes Jugendverfahren

Abbildung 2: Erledigung staatsanwaltschaftlicher Ermittlungsverfahren. Absolute Zahlen. Deutschland (sukzessive Einführung der StA-Statistik)

Nicht entscheidbar ist, inwieweit die Veränderung des Geschäftsanfalls „hausgemacht“ ist, also auf Verfahrensabtrennungen beruht, auf Verfahrenseröffnungen gegen Personen, die in den polizeilichen Ermittlungsakten namentlich genannt

812

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sind usw. Damit ließe sich ein Teil der Zunahmen bei § 170 II StPO erklären. Entscheidbar wäre dies erst dann, wenn die StA-Statistik, wie die PKS, eine „echte“ Beschuldigtenzählung hätte und mit den Daten der PKS in verlaufsstatistischen Analysen verknüpfbar wäre. Im statistisch überblickbaren Zeitraum 1981 bis 2018 haben sich die Erledigungsstrukturen der StA deutlich geändert. Der Anstieg der absoluten Zahlen führte in den acht Ländern, die seit 1981 die StA-Statistik führen, nicht zu einem entsprechenden Anstieg von Anklagen/Strafbefehlsanträgen; deren absolute wie relative Zahlen gingen vielmehr deutlich zurück. Der steigende Geschäftsanfall wurde stattdessen aufgefangen vor allem durch Sanktionsverzicht, teils durch Sanktionsverzicht wegen Bagatelle, teils durch scheinbaren Sanktionsverzicht. Zu einem deutlich geringeren Maße wurde die Zunahme auch durch vermehrte verfahrenstechnische Erledigungen aufgefangen.19

Quelle: StA-Statistik Legende: vgl. Legende zu Abb. 2.

Abbildung 3: Verfahrenserledigung durch die Staatsanwaltschaft. Relative Zahlen. Früheres Bundesgebiet, ohne Berlin, Hessen, Schleswig-Holstein 19 Kein anderes Bild ergibt sich, wenn auf die Erledigungsarten im gesamten Bundesgebiet abgestellt wird. Die Werte für 2018 ändern sich nur geringfügig (in Klammern Werte für das frühere Bundesgebiet ohne BE, HE, SH): Anklagen i.w.S.: 9,0 % (9,1 %), Strafbefehl: 10,9 % (11,5 %), Opp.Einst. mit Aufl.: 3,4 % (3,6 %), Sank.Verz. wg. Bagatelle: 18,1 % (17,6 %), scheinbarer Sank.Verz.: 10,7 % (10,2 %), 170 II StPO: 28,6 % (27,9 %), verf.techn. Erl.: 19,2 % (20,1 %).

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Die aus der Sicht der Öffentlichkeit, der Medien und der Politik bedrohlich „steigende Kriminalität“ wurde demnach von der StA durch Einstellungen, und zwar ganz überwiegend als Bagatelle, „erledigt“. Ob dies darauf beruht, dass geringfügige Straftaten zugenommen haben oder darauf, dass sich die Schwereeinschätzung der Staatsanwaltschaft geändert hat oder aber auf der Einsicht, dass spezialpräventiv häufig bereits der Umstand genügt, dass gegen den Täter wegen einer Straftat ermittelt wird und deshalb eine Bestrafung nicht erforderlich ist, lässt sich den statistischen Zahlen allerdings nicht entnehmen.

3. Erledigungsstrukturen bei ausgewählten Sachgebieten im zeitlichen Längs- und im regionalen Querschnitt – beschuldigtenbezogene Betrachtungsweise 3.1 Geschäftsanfall nach Sachgebieten Die 1986, 1998 sowie vor allem 2004 erfolgte Differenzierung der Nachweise nach Sachgebieten hat die Aussagemöglichkeiten wesentlich erweitert. Seit 2004 wird nicht mehr nur, wie zuvor, die Art der Erledigung für die Ermittlungsverfahren mitgeteilt (unabhängig von der Zahl der Beschuldigten in diesen Verfahren), sondern auch für die Beschuldigten. Damit ist erstmals eine Analyse möglich, deren Grundgesamtheit die Zahl der von Ermittlungsverfahren betroffenen Beschuldigten (Mehrfachzählungen eingeschlossen) ist. Für die Erfassung des Sachgebiets in der StA-Statistik ist der Deliktschwerpunkt des Ermittlungsverfahrens maßgebend. Der derzeit geltende Sachgebietskatalog umfasst insgesamt 32 Sachgebiete, die in 12 Sachgebietsgruppen gegliedert sind. Deren zahlenmäßige Besetzung weist erwartungsgemäß große Unterschiede auf (Tabelle 1). Auf die Mehrzahl aller Einzelsachgebiete entfallen weniger als 1 % aller Beschuldigten. Zwei Drittel aller Beschuldigten finden sich in den fünf Sachgebieten „vorsätzliche Körperverletzungen“ (10,0 %), „Diebstahl und Unterschlagung“ (12,9 %), „Betrug, Untreue“ (19,3 %), „Verkehrsstraftaten“ (16,6 %) sowie „Straftaten nach dem Betäubungsmittelgesetz“ (7,8 %). Diese anteilmäßige Verteilung der Beschuldigten auf die Einzelsachgebiete blieb im Zeitraum 2005 bis 2018 weitestgehend konstant. Ausnahmen bildeten „Betrug, Untreue“ sowie „Straftaten nach dem Betäubungsmittelgesetz“, deren Anteile 2018 um 3,7- bzw. 2,3 %-Punkte höher lagen als 2005; der Anteil der Sachgebietsgruppe „Diebstahl und Unterschlagung“ ging dagegen um 3,7 %-Punkte zurück. Auf den nicht weiter differenzierten Rest („sonstige Straftaten“) entfielen 22,8 %.

814

Wolfgang Heinz Tabelle 1 Von staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsverfahren betroffene Personen nach Sachgebietsgruppen. Deutschland 2018

Von staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsverfahren betroffene Personen

5.622.962

100

SG 10 – 13: Staatsschutzsachen

44.671

0,79

SG 15, 16: Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung

79.705

1,42

SG 20, 21: Straftaten gegen das Leben und die körperliche Unversehrtheit

571.827

10,17

dar.: SG 21: vorsätzliche Körperverletzungen

(564.374) (10,04)

SG 25, 26: Eigentums- und Vermögensdelikte

1.808.668

dar.: SG 25: Diebstahl und Unterschlagung dar.: SG 26: Betrug, Untreue

32,17

(725.999) (12,91) (1.082.669) (19,25)

SG 35, 36: Verkehrsstraftaten

934.793

16,62

SG40 – 44: Wirtschafts- und Steuerstrafsachen, Geldwäschedelikte

173.139

3,08

dar.: SG 40, 41, 44: Wirtschaftsstrafsachen § 74c GVG, sonstige Wirtschaftsstrafsachen

(98.753)

(1,76)

SG 45: Straftaten gegen die Umwelt

19.680

0,35

SG 50 – 54: Korruptionsdelikte und Straftaten von Amtsträgern

57.515

1,02

SG 55, 56: Einschleusung von Ausländern und Straftaten nach dem Aufenthalts- und Asylverfahrensgesetz sowie dem Freizügigkeitsgesetz/EU

201.898

3,59

SG 60, 61: Straftaten nach dem Betäubungsmittelgesetz

439.977

7,82

7.170

0,13

1.283.919

22,83

SG 65, 66: Sonstige besondere Straftaten SG 90, 98, 99: Sonstige Straftaten Quelle: StA-Statistik

3.2 Differentielle Erledigungsstrukturen bei den quantitativ bedeutsamsten Sachgebieten im Überblick 3.2.1 Erledigungsstrukturen aus der Perspektive der Staatsanwaltschaft Die Art der Erledigung unterscheidet sich in Abhängigkeit vom jeweiligen Sachgebiet ganz erheblich. Um Zufallsschwankungen auszugleichen, wurden für die folgende Auswertung Durchschnittswerte der gegen Personen in den Jahre 2005 bis 2018 erledigten Verfahren gebildet. Dass die Erledigungsarten angesichts von Unterschieden sowohl hinsichtlich des Tat- und Schuldnachweises als auch von Beweisschwierigkeiten deutlich differieren, ist erwartungsgemäß (Abbildung 4).

Die Staatsanwaltschaft – „der“ kriminalpolitische Akteur

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Quelle: StA-Statistik Legende: vgl. Legende zu Abb. 2.

Abbildung 4: Von staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsverfahren betroffene Beschuldigte nach Sachgebietsgruppen. Durchschnitt 2005 – 2018. Deutschland

Die Bandbreite der für erforderlich erachteten Sanktionierung reichte bei den hier untersuchten Sachgebieten im Schnitt der Jahre 2005 bis 2018 von 17 % bis zu 34 %. Die höchste Sanktionierungsrate weisen – und zwar in jedem einzelnen Jahr – die Verkehrsstraftaten auf. Die Wirtschaftsstrafsachen weisen dagegen die geringste Sanktionierungswahrscheinlichkeit auf, lediglich in wenigen Jahren der jüngsten Zeit weisen die Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung, Körperverletzungen und Betrug teilweise noch geringere Sanktionierungsraten auf. Erwartungsgemäß ist die Anklagerate bei Kapitalverbrechen am höchsten, und zwar ausnahmslos. Erwartungswidrig ist dagegen, dass die Anklagerate bei Wirtschaftsstrafsachen bis 2011 am geringsten war; erst seit 2012 ist die Anklagerate bei Verkehrsstraftaten um gut 1 %-Punkt geringer. Erwartungsgemäß ist dagegen wiederum, dass sowohl die Strafbefehlsrate als auch die Rate der Opportunitätseinstellungen mit Auflagen durchgängig bei Verkehrsstraftaten am höchsten, bei Kapitalverbrechen am geringsten sind. Am häufigsten kommt es zu Sanktionsverzicht wegen Bagatelle bei Betäubungsmittelstraftaten, lediglich 2007 bis 2009 wiesen die Verkehrsstraftaten eine etwas höhere Rate auf. Dass bei Kapitalverbrechen kaum Anlass besteht (im Schnitt 1,5 %), von dieser Einstellungsmöglichkeit Gebrauch zu machen, versteht sich.

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Nicht überraschend weisen Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung in sämtlichen Jahren zwischen 2005 und 2018 die höchste Rate an Beschuldigten auf, deren Verfahren gem. § 170 II StPO eingestellt worden ist. Im Schnitt wurden 57 % dieser Verfahren gem. § 170 II StPO eingestellt. Ebenfalls nicht überraschend ist, dass bei Verkehrsstraftaten mit durchschnittlich 23 % am seltensten Anlass für eine Einstellung gem. § 170 II StPO bestand. Verfahrenstechnische Erledigungen sind, erwartungsgemäß, bei Verkehrsstraftaten fast ausnahmslos am höchsten und bei vorsätzlichen Körperverletzungen am geringsten. Diese Rangordnung bleibt auch dann erhalten, wenn Abgaben an andere … sowie die sonstigen Erledigungen getrennt betrachtet werden. Bei Abgaben an andere … handelt es sich bei Verkehrsstraftaten weit überwiegend um Abgaben an die Verwaltungsbehörde als Ordnungswidrigkeit, ansonsten, und zwar insbesondere bei Wirtschaftsstrafsachen sowie bei Betrug/Untreue, um Abgaben an eine andere Staatsanwaltschaft. Die „sonstigen Erledigungen“ bestehen insgesamt zu 90 % aus „Verbindungen mit einer anderen Sache“. Ausnahmen bilden vor allem Verkehrsstrafsachen, Kapitalverbrechen und Wirtschaftsstrafsachen, bei denen häufiger eine nicht näher differenzierte „anderweitige Erledigung“ in der StA-Statistik erfasst wird. 3.2.2 Erledigungsstrukturen aus der Perspektive der Beschuldigten Aus der Perspektive der Beschuldigten ist die alle Erledigungsarten berücksichtigende Betrachtungsweise nicht angemessen. Denn aus Sicht des Beschuldigten wird durch die verfahrenstechnischen Erledigungen die Entscheidung über eine Sanktionierung nur aufgeschoben; in den Fällen des scheinbaren Sanktionsverzichts wurde oder wird in anderer Sache sanktioniert. Da auf diese aufschiebenden Entscheidungen je nach Sachgebiet zwischen 10 % und 40 % aller Entscheidungen entfallen, verändert sich entsprechend den daraus resultierenden Unterschieden in den jeweiligen Grundgesamtheiten auch die Höhe der jeweiligen Erledigungsarten sowie zum Teil auch die Rangordnung der einzelnen Sachgebietsgruppen. Im Folgenden werden deshalb nur noch die das jetzige Verfahren aus Sicht den Beschuldigten abschließenden Sanktionierungsentscheidungen berücksichtigt, die entweder lauten auf „Sanktionierung erforderlich“ oder auf „Sanktionsverzicht“, entweder wegen Bagatelle oder mangels hinreichenden Tatverdachts. Die Gegenüberstellung der Anteile der Erledigungsarten aus staatsanwaltschaftlicher und aus der Beschuldigtenperspektive verdeutlicht die Unterschiede. Auch aus Beschuldigtenperspektive bleibt hinsichtlich der Sanktionierungswahrscheinlichkeit die Spitzenstellung der Verkehrsstraftaten – auch über alle Jahre hinweg – erhalten. Im Durchschnitt weisen zwar weiterhin die Wirtschaftsstrafsachen die geringste Sanktionierungswahrscheinlichkeit auf. Seit 2010 ist sie jedoch sowohl bei Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung als auch bei

24,5

22,8

31,1

23,3

30,6

23,2

34,2

16,9

26,5

alle Sachgebiete

SG 15: sexuelle Selbstbest.

SG 20: Kapitalverbrechen

SG 21: vors. Körperverl.

SG 25: Diebstahl/Unterschl.

SG 26: Betrug/Untreue

SG 35, 36: Verkehrsstraft.

SG 40, 41, 44: Wirtschaftsstr.

SG 60, 61: BtMG-Straftaten

Quelle: StA-Statistik

Endgültig erledigte Verfahren (Perspektive des Beschuldigten)

26,2

22,8

11,2

12,8

19,2

22,7

1,5

5,6

18,2

28,3

29,2

23,4

25,6

24,5

42,9

54,0

57,0

31,3

19,0

31,2

31,2

38,4

25,8

11,1

13,4

14,6

26,0

32,7

24,5

49,8

37,6

41,2

26,2

35,9

26,7

33,1

32,3

33,1

16,3

20,7

25,8

25,5

1,7

6,6

24,6

35,0

42,4

34,0

41,7

33,0

48,3

62,4

66,8

42,3

Sank. Sank. Verz. Sank. § 170 II StPO „aufgeschoben“ Sank. Verz. wg. Bagatelle § 170 II StPO erforderl. wg. Bagatelle erforderl.

Alle erledigten Verfahren (Perspektive der StA)

Tabelle 2 Von staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsverfahren betroffene Personen nach Sachgebietsgruppen in Abhängigkeit von unterschiedlichen Grundgesamtheiten. Durchschnitt 2005 – 2018. Deutschland

Die Staatsanwaltschaft – „der“ kriminalpolitische Akteur 817

818

Wolfgang Heinz

vorsätzlicher Körperverletzung noch geringer, seit 2013 auch bei Betäubungsmittelstrafsachen. Im Durchschnitt der Jahre 2005 bis 2018 haben Wirtschaftsstrafsachen zwar eine geringfügig höhere Rate der Einstellungen wegen Geringfügigkeit als Betäubungsmittelstrafsachen. Dies beruht jedoch auf „Ausreißern“ in den Jahren 2006 bis 2009. Einstellungen mangels hinreichenden Tatverdachts sind auch bei dieser Betrachtungsweise am häufigsten bei Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung, lediglich 2017 wiesen Kapitalverbrechen eine geringfügig höhere Einstellungsrate auf. Wegen der überproportional hohen Rate von verfahrenstechnischen Erledigungen bei Verkehrsstraftaten verändert sich bei dieser Sachgebietsgruppe die Höhe der einzelnen Erledigungsarten am stärksten. Die geringste Rate von Einstellungen gem. § 170 II StPO weist nunmehr nicht mehr diese Gruppe auf, sondern in der Mehrzahl der Jahre die Gruppe „Diebstahl/Unterschlagung“. 3.3 Differentielle Erledigungsstrukturen bei ausgewählten Sachgebieten im regionalen Querschnitt der Jahre 2005 bis 2018 – Beschuldigtenperspektive Für den regionalen Querschnittsvergleich wurden die aus der Beschuldigtenperspektive nicht endgültigen staatsanwaltschaftlichen Entscheidungen ausgeklammert, also die verfahrenstechnischen Erledigungen sowie die Fallgruppen des scheinbaren Sanktionsverzichts. Erneut wurden die Durchschnittswerte der Jahre 2005 bis 2018 zugrunde gelegt, um Zufallsschwankungen auszugleichen. Hierbei handelt es sich wiederum um Durchschnittswerte der einzelnen Staatsanwaltschaften, die ihrerseits Durchschnittswerte der einzelnen Entscheider sind. Aber bereits die Gegenüberstellung der länderspezifischen Durchschnittswerte weist auf eine große Varianz in den staatsanwaltschaftlichen Erledigungsstrukturen hin. Ein Vergleich setzt voraus, dass die Sachgebietsgruppen in den Ländern ungefähr vergleichbar sind. Davon wird nicht auszugehen sein bei Sachgebieten mit relativ kleinen Fallzahlen in den einzelnen Ländern. Bei „Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung“ (1,4 %), „Kapitalverbrechen i.S.v. § 74 II GVG“ (0,1 %) und „Wirtschaftsstrafsachen i.e.S.“ (1,8 %) ist nicht auszuschließen, dass die Zahlen in den Ländern teilweise sehr klein sind und die Tat- und Tätergruppen zwischen den Ländern erheblich differieren. Sie werden deshalb nur mit den zentralen Ergebnissen tabellarisch dargestellt (Tabelle 3).

Die Staatsanwaltschaft – „der“ kriminalpolitische Akteur

819

Tabelle 3 Erledigungsstrukturen in staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsverfahren der SG 15, 20 und 40, 41, 44. Arithmetisches Mittel 2005 – 2018 nach Ländern SG 15: Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung

SG 20: Kapitalverbrechen i.S.v. § 74 II GVG

SG 40, 41, 44: Wirtschaftsstrafsachen i.e.S.

Sank. erforderl.

Sank. erforderl.

Sank. erforderl.

Sank. § 170 Verz. wg. II Bagatelle StPO

Sank. § 170 Verz. wg. II Bagatelle StPO

Sank. § 170 Verz. wg. II Bagatelle StPO

BW

29,2

4,8

66,1

36,4

1,3

62,3

23,6

31,7

44,7

BY

31,1

3,1

65,9

36,9

1,3

61,8

34,2

22,2

43,6

BE

24,8

2,9

72,2

24,7

0,6

74,7

20,2

19,9

59,8

BB

24,1

6,0

69,9

30,6

1,0

68,4

45,7

22,6

31,6

HB

30,1

4,8

65,2

49,5

1,4

49,1

32,3

27,3

40,3

HH

26,7

7,3

66,1

47,8

1,0

51,2

22,9

27,6

49,5

HE

27,8

7,7

64,5

41,3

3,1

55,6

17,3

27,5

55,2

MV

26,8

6,7

66,5

35,5

1,8

62,7

27,8

30,1

42,1

NI

25,1

6,2

68,7

41,0

2,1

56,9

30,1

24,5

45,5

NW

25,0

8,4

66,5

32,0

1,4

66,7

23,6

34,7

41,7

RP

24,3

7,9

67,8

34,7

2,0

63,4

31,1

23,1

45,7

SL

31,7

4,2

64,1

47,2

1,8

51,0

32,9

21,3

45,8

SN

30,7

4,7

64,6

37,6

0,8

61,5

38,7

23,5

37,7

ST

25,4

7,2

67,4

48,5

1,3

50,2

27,6

27,4

45,0

SH

22,2

8,7

69,1

33,0

4,3

62,7

41,2

29,6

29,2

TH

30,4

5,5

64,1

45,8

2,1

52,1

28,0

30,2

41,8

BRD

26,6

6,5

66,8

35,9

1,7

62,4

27,1

29,0

43,9

Quellen: Polizeiliche Kriminalstatistik; Strafverfolgungsstatistik

Bei SG 15 reicht die Bandbreite der für erforderlich gehaltenen Sanktionierung (durch Anklage/Strafbefehlsantrag oder durch Opportunitätseinstellung mit Auflagen) von 22,2 % (SH) bis 31,7 % (SL). Größer sind dagegen die diesbezüglichen Unterschiede bei „Kapitalverbrechen“, wo sie von 24,7 % (BE) bis 49,5 % (HB) reichen. Und noch einmal größer sind die Unterschiede bei Wirtschaftsstrafsachen (SG 40, 41 und 44) mit einer Spannweite von 17,3 % (HE) bis 45,7 % (BB). Auffallend ist hier die erwartungswidrig hohe Rate von Einstellungen aus Bagatellgründen, die von 19,9 % (BE) bis 34,7 % (NW) reicht. Denn als Wirtschaftsstrafsachen sind nur Vergehen i.S. von § 74c GVG definiert. Anklagen zum Strafrichter oder Strafbefehlsanträge, über den der Strafrichter zu entscheiden hat, fallen nicht darunter. Deshalb wären eher hohe Schadenssummen und keine Bagatellen zu erwarten. Dass indes bei Wirtschaftsstrafsachen andere Maßstäbe angelegt werden, ist freilich

820

Wolfgang Heinz

schon aus den Untersuchungen der „Bundesweiten Erfassung von Wirtschaftsstraftaten nach einheitlichen Gesichtspunkten“ bekannt und belegt.20 Bei SG 21 „vorsätzliche Körperverletzung“ wird zwischen 20 % (SH) und 34 % (SN) eine Sanktionierung für erforderlich erachtet. Etwas größer sind die Unterschiede zwischen den Ländern hinsichtlich der Einstellungen gem. § 170 II StPO (HE: 40 % – BE: 66 %) und noch etwas größer bei Sanktionsverzicht wegen Bagatelle (BE: 10 % – NW: 33 %).

Quelle: StA-Statistik Legende: vgl. Legende zu Abb. 2.

Abbildung 5: Beschuldigtenbezogene Erledigungsarten im SG 21: „Vorsätzliche Körperverletzung“ nach Ländern. Arithmetisches Mittel 2005 – 2018

Im Zeitraum 2005 bis 2018 nahm in allen Ländern der Anteil von Einstellungen mangels hinreichenden Tatverdachts zu, zumeist in der Größenordnung von um die 10 %-Punkte. Der entsprechende Rückgang erfolgte vor allem bei Anklagen sowie bei Sanktionsverzicht wegen Bagatelle. Bei SG 25 „Diebstahl und Unterschlagung“ betragen die Unterschiede zwischen den drei Messgrößen um die 20 %-Punkte. Am geringsten sind sie bei Einstellungen gem. § 170 II StPO mit 17,9 %-Punkten (HH: 26,1 % – BB: 44,0 %), gefolgt von erforderlicher Sanktionierung mit 20,2 %-Punkten (MV: 33,7 % – BY: 53,9 %). Re-

20

Vgl. Meinberg 1985, 121 f.

Die Staatsanwaltschaft – „der“ kriminalpolitische Akteur

821

lativ am größten sind sie bei Sanktionsverzicht wegen Bagatelle mit 22,6 %-Punkten (BY: 16,5 % – HH: 39,1 %).

Quelle: StA-Statistik Legende: vgl. Legende zu Abb. 2.

Abbildung 6: Beschuldigtenbezogene Erledigungsarten im SG 25: „Diebstahl und Unterschlagung“ nach Ländern. Arithmetisches Mittel 2005 – 2018

Zwischen 2005 und 2018 hat sich die Erledigungspraxis wenig geändert. Die Veränderungen betragen zumeist weniger als 5 %-Punkte. Tendenziell sind die Anklagen und die Opportunitätseinstellungen mit Auflagen leicht zurückgegangen, die Strafbefehlsanträge und die Einstellungen gem. § 170 II StPO dagegen leicht gestiegen. Aktuell kommen auf 100 für erforderlich erachtete Sanktionierungen insgesamt zwischen 94 (BY) und 211 (HH) Einstellungen, und zwar entweder als Sanktionsverzicht wegen Bagatelle (BY: 33 – HH: 129) oder als Einstellungen gem. § 170 II StPO (BY: 61 – ST: 128). Von drei Beschuldigten wird in HH nur bei einem eine Sanktionierung angestrebt, in BY dagegen bei gut jedem Zweiten. Im Unterschied zu SG 25 sind bei SG 26 „Betrug und Untreue“ die Unterschiede zwischen den Ländern bei Einstellungen gem. § 170 II StPO mit 26,3 %-Punkten am größten (HB: 27,5 % – BB 53,8 %). Die Spannweite der für erforderlich gehaltenen Sanktionierungen beträgt 21,2 %-Punkte (SH: 27,0 % – HB: 48,2 %). Geringfügig geringer ist die Spannweite bei Sanktionsverzicht wegen Bagatelle mit 19,6 %-Punkten (BY: 11,0 % – HH 30,6 %).

822

Wolfgang Heinz

Seit 2005 sind die auf angestrebte Sanktionierungen entfallenden Anteile in fast allen Ländern leicht rückläufig. Aufgefangen wurde dies teils durch Einstellungen gem. § 170 II StPO, teils durch Sanktionsverzicht wegen Bagatelle.

Quelle: StA-Statistik Legende: vgl. Legende zu Abb. 2.

Abbildung 7: Beschuldigtenbezogene Erledigungsarten im SG 26: „Betrug und Untreue“ nach Ländern. Arithmetisches Mittel 2005 – 2018

Auf 100 angestrebte Sanktionierungen kamen 2018 zwischen 122 (HB) und 354 (HB) Einstellungen, und zwar entweder als Sanktionsverzicht wegen Bagatelle (BY: 37 – HH: 152) oder als Einstellung gem. § 170 II StPO (HB: 66 – SH: 231). Mit die größten Unterschiede zwischen den Ländern hinsichtlich der Sanktionierungswahrscheinlichkeit bestehen bei SG 35, 36 „Verkehrsstraftaten“. Der Unterschied zwischen BE mit 36,2 % als erforderlich erachteter Sanktionierung und BW mit 65,6 % beträgt immerhin 29,4 %-Punkte. Diese Differenz beruht vor allem auf Unterschieden bei Einstellungen gem. § 170 II StPO. BW hat hier nur einen Anteil von 21,5 %, BE von 48,7 %. Nicht sehr groß sind dagegen die Unterschiede zwischen den Ländern bei Sanktionsverzicht wegen Bagatelle (BY: 9,7 % – SH: 21,8 %). Die Anteile der durch Anklage i.w.S. erledigten Verfahren sind gegenüber 2005 leicht zurückgegangen, im Schnitt um 5 %-Punkte. Überwiegend trifft dies auch auf Strafbefehlsanträge zu. Hinsichtlich der auf Opportunitätseinstellungen entfallenden

Die Staatsanwaltschaft – „der“ kriminalpolitische Akteur

823

Anteile ist die Entwicklung gegenläufig; in einigen Ländern sind sie leicht gestiegen, in anderen dagegen zurückgegangen. 2018 reichte die Bandbreite der Einstellungen pro 100 angestrebte Sanktionierungen von 58 (BW) bis 200 (BE).

Quelle: StA-Statistik Legende: vgl. Legende zu Abb. 2.

Abbildung 8: Beschuldigtenbezogene Erledigungsarten im SG 35, 36: „Verkehrsstraftaten“ nach Ländern. Arithmetisches Mittel 2005 – 2018

Erwartungsgemäß bestehen bei SG 60 u. 61: „Betäubungsmittelstraftaten“ die größten Unterschiede in der staatsanwaltschaftlichen Erledigungsstruktur. Die Bandbreite der für erforderlich erachteten Sanktionierung reicht von 13,3 % (SH) bis 48 % (BY), weist also einen Unterschied von 34,7 %-Punkten auf. Ebenfalls sehr große Unterschiede weisen sowohl die Raten des Sanktionsverzichts wegen Bagatelle auf (SN: 18,3 % – SH: 57,1 %) als auch der Einstellungen gem. § 170 II StPO (HH: 17,6 % – RP: 51,3 %). Die Entwicklung der Erledigungsstruktur in den Ländern ist relativ uneinheitlich. Lediglich der Anteil der Anklagen ist – im Schnitt um 6 %-Punkte – fast ausnahmslos zurückgegangen, der Anteil der Strafbefehlsanträge ist überwiegend leicht gestiegen. Von Einstellungen mangels hinreichenden Tatverdachts wird in der Mehrzahl der Länder teilweise häufiger, z. T. um mehr als 10 %-Punkte, Gebrauch gemacht, eine Minderzahl weist dagegen Rückgänge auf. Opportunitätseinstellungen mit/ ohne Auflagen haben sich in den Ländern uneinheitlich entwickelt.

824

Wolfgang Heinz

Dass dementsprechend auch die Unterschiede der Einstellungen, bezogen auf für erforderlich erachtete Sanktionierungen, extrem groß sind, ist erwartungsgemäß. Sie reichen 2018 von 130 (BY) bis 711 (SH), was vor allem auf den Unterschieden in den Raten des Sanktionsverzichts wegen Bagatelle beruht (SN: 62 – SH 478).

Quelle: StA-Statistik Legende: vgl. Legende zu Abb. 2.

Abbildung 9: Beschuldigtenbezogene Erledigungsarten im SG 60 u. 61: „Betäubungsmittelstraftaten“ nach Ländern. Arithmetisches Mittel 2005 – 2018

4. Zusammenfassung Bis zur Einführung der StA-Statistik war über die Erledigungsstrukturen der Staatsanwaltschaft nur aus einigen wenigen, regional und zeitlich beschränkten Aktenanalysen etwas bekannt. Aus der Gegenüberstellung der Tatverdächtigen- und der Verurteiltenzahlen war ersichtlich, dass die Staatsanwaltschaft diejenige Institution ist, die die Mehrzahl aller Tatverdächtigen ausfiltert. Die 1981 eingeführte Verfahrensstatistik sollte eine bessere Durchschaubarkeit der Tätigkeit der Staatsanwaltschaften ermöglichen. Durch wiederholte Erweiterung der Erhebungs- und Aufbereitungsmerkmale, insbesondere durch die 2004 eingeführten Sachgebiete, sind die Nachweise inzwischen differenzierter geworden. Freilich bestehen weiterhin erhebliche Mängel, die die Analysemöglichkeiten beschränken. Infolge ihrer Eigenschaft als Verfahrensstatistik ist nicht abschätzbar, inwieweit die Veränderung des Ge-

Die Staatsanwaltschaft – „der“ kriminalpolitische Akteur

825

schäftsanfalls nur extern oder auch intern, z. B. durch Verfahrenstrennungen, beeinflusst ist. Abhilfe würde erst eine der „echten“ Tatverdächtigenzählung der PKS vergleichbare Beschuldigtenstatistik schaffen, die überdies verlaufsstatistische Analysen unter Einbezug der PKS ermöglichen sollte. Vergleichbar der Strafverfolgungsstatistik sollten ferner die Straftatbestände erfasst und die Höhe der angeregten/auferlegten Auflagen/Weisungen dokumentiert werden. Dass die Staatsanwaltschaft, empirisch betrachtet, keine Anklage-, sondern eine Einstellungsbehörde ist, belegt bereits der Vergleich von PKS und StVerfStat. Die StA-Statistik zeigt die Größenordnungen der einzelnen Erledigungsmöglichkeiten. Ersichtlich ist, dass der Geschäftsanfall seit 1981, also in dem statistisch überblickbaren Zeitraum deutlich gestiegen ist. An die Gerichte weitergegeben wurde dieser Anstieg nicht. Sowohl absolut als auch relativ sind die Zahlen der für erforderlich erachteten Sanktionierungen (Anklage/Strafbefehl, Einstellung mit Auflagen) deutlich rückläufig. Bezogen auf alle Verfahren, bei denen eine Sanktionierung entweder für erforderlich erachtet oder Sanktionsverzicht wegen Geringfügigkeit oder mangels Tatverdachts geübt wurde, ging die Sanktionierungsrate in den Ländern, die die StA-Statistik seit 1981 führen, um 18,8 %-Punkte (Deutschland: 20,2 %-Punkte) zurück. Aufgefangen wurde die Zunahme des Geschäftsanfalls überwiegend durch Opportunitätseinstellungen ohne Auflagen i. e.S. Zwar gibt es derzeit insgesamt 32 Sachgebiete. Diese weisen indes eine extrem unterschiedliche zahlenmäßige Stärke auf. Auf die Mehrzahl aller Sachgebiete entfallen weniger als 1 % der Beschuldigten. Zwei Drittel aller Beschuldigten verteilen sich auf insgesamt 5 Sachgebiete. Wegen der Heterogenität der jeweils zusammengefassten Straftatbestände, die z. B. vom Ladendiebstahl bis zum schweren Raub reichen, sind Analysen nur beschränkt möglich. Hinzu kommt, dass weder zu den Beschuldigten (Alter, Geschlecht, Vorbelastung) noch zu den angeregten/auferlegten Auflagen/Weisungen Informationen erhoben werden. Es lässt sich deshalb nicht feststellen, bei welchen Tat- und Tätergruppen weshalb angeklagt oder auf Sanktionierung verzichtet wird. Eine Zeitreihenanalyse der Erledigungsstrukturen der Länder für die 5 quantitativ bedeutsamsten Sachgebiete zeigt im jeweiligen Land eine große Konstanz. Veränderungen um mehr als 5 %-Punkte sind die seltene Ausnahme und treten fast nur bei vorsätzlichen Körperverletzungsdelikten auf. Diese konstante Erledigungspraxis im jeweiligen Landesdurchschnitt geht aber einher mit erheblichen Unterschieden zwischen den Ländern. Die StA-Statistik zeigt über die Zeit hinweg konstante Unterschiede, die in dieser Größenordnung mit Unterschieden der Tat- und Täterstrukturen nicht erklärbar sind. Die Bandbreite für erforderlich erachteter Sanktionierung reicht – gemessen als Durchschnitt im Zeitraum 2005 bis 2018 – bei „vorsätzlicher Körperverletzung“ von 20 % bis 34 %, bei „Diebstahl und Unterschlagung“ von 34 % bis 54 %, bei „Betrug und Untreue“ von 27 % bis 48 %, bei „Verkehrsstraftaten“ von 36 % bis 66 % sowie bei „Betäubungsmittelstraftaten“ von 13 % bis 48 %. Entsprechend der grundgesetzlichen Kompetenzordnung sind bestehende Konkreti-

826

Wolfgang Heinz

sierungsspielräume bei der Anwendung von Bundesgesetzen durch die Exekutive und die Gerichte der Länder auszufüllen. Divergierender Gesetzesvollzug ist deshalb grundsätzlich hinzunehmen. Diese Spielräume dienen freilich der Verwirklichung von Einzelfallgerechtigkeit. Wenn aber über die Zeit hinweg große und – auch in der Größenordnung – stabile Unterschiede bestehen, dann handelt es sich offenkundig nicht um Verwirklichung von Einzelfallgerechtigkeit, sondern ist Ausdruck regional unterschiedlicher Justizkulturen. Eine systematisch kriminalpolitische Akzentsetzung im Bereich der den Einzelnen besonders belastenden Strafverfolgung ist aber durch die grundgesetzliche Kompetenzerteilung nicht gedeckt. In einigen Entscheidungen hat das BVerfG deshalb zutreffend eine kompetenzverengende Verpflichtung der Länder zu einem „im Wesentlichen“ einheitlichen Vollzug von Bundesgesetzen angenommen. Unter anderem in seiner Cannabis-Entscheidung hat das BVerfG diese Verpflichtung für das „den Einzelnen besonders belastende(n) Gebiet der Strafverfolgung“ bejaht.21 Der Anscheinsbeweis einer grundgesetzwidrigen Handhabung kann nur durch eine Tat- und Tätermerkmale differenzierte Beschuldigtenstatistik der StA entkräftet (oder auch bestätigt) werden, wie sie schon wiederholt gefordert22 und nunmehr auch in der beim BMJV eingerichteten Bund-Länder-Arbeitsgruppe „Strafrechtspflegestatistikgesetz“ diskutiert worden ist. Literaturverzeichnis Baumann, T. (2015): Staatsanwaltschaftliche Ermittlungstätigkeit in Deutschland. Umfang und Struktur der Verfahrenserledigung. Wirtschaft und Statistik 3, S. 74 – 87. Heinz, W. (1998): Die Staatsanwaltschaft. Selektions- und Sanktionsinstanz im statistischen Graufeld, in: H.-J. Albrecht, F. Dünkel, H.-J. Kerner u. a. (Hrsg.), Internationale Perspektiven in Kriminologie und Strafrecht. Festschrift für Günther Kaiser. Berlin, S. 85 – 125. Heinz, W. (2020): Sekundäranalyse empirischer Untersuchungen zu jugendkriminalrechtlichen Maßnahmen, deren Anwendungspraxis, Ausgestaltung und Erfolg. Gutachten im Auftrag des Bundesministeriums für Justiz und Verbraucherschutz; https://krimpub.krimz.de/front door/deliver/index/docId/142/file/Gutachten_JGG_Heinz_insg_01.pdf. Hirschmann, K. (1973): 42. Konferenz der Landesjustizminister und -senatoren. Deutsche Richterzeitung 51, S. 430 – 432. Meinberg, V. (1985): Geringfügigkeitseinstellungen von Wirtschaftsstrafsachen. Freiburg i.Br. Rat für Sozial- und Wirtschaftsdaten (2020): Weiterentwicklung der Kriminal- und Strafrechtspflegestatistik in Deutschland, Output Nr. 7, 6. Berufungsperiode, Februar 2020; https:// www.ratswd.de/dl/RatSWD_Output7.6_Kriminalstatistik.pdf.

21 22

BVerfGE 90, 145, 190 f. Vgl. zuletzt Rat für Sozial- und Wirtschaftsdaten 2020, 23 ff.

„Und immer geht’s ums Geld“ Einstellung gegen Geldauflage, Verwarnung mit Strafvorbehalt und Geldstrafe im Vergleich Von Jörg Kinzig

1. Einleitung Den Jubilar, dem dieser Beitrag mit den besten Wünschen zu seinem runden Geburtstag gewidmet ist, kenne ich seit nunmehr über 30 Jahren, genauer gesagt seit 1989. Damals habe ich als frischgebackener Absolvent des Ersten Juristischen Staatsexamens an einer Sommerakademie der Studienstiftung des Deutschen Volkes in der ländlichen Idylle von Alpbach in Österreich teilgenommen. Dieses Seminar wurde von meinem späteren Doktorvater, Günther Kaiser, zusammen mit HansJörg Albrecht geleitet. Im selben Jahr begann ich – das Einstellungsgespräch führte Hans-Jörg Albrecht – am Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Strafrecht (MPI)1 zunächst neben dem Referendariat als wissenschaftlich geprüfte Hilfskraft. Kurz nach meiner Promotion im Jahr 1996 wurde Hans-Jörg Albrecht Direktor des MPI und zugleich Leiter der Forschungsgruppe Kriminologie. Er betreute fortan meine Habilitationsschrift über Organisierte Kriminalität2, wofür ich ihm noch heute zu besonderem Dank verpflichtet bin. Gemäß dem von Hans-Heinrich Jescheck geprägten, geflügelten Wort vom „Strafrecht und Kriminologie unter einem Dach“,3 das die Forschungstätigkeit des früheren MPI über Jahrzehnte ausgezeichnet hat, lassen sich auch wesentliche Arbeiten von Hans-Jörg Albrecht als eine geglückte Verbindung normativer und empirischer Untersuchungen beschreiben. Belege dafür sind in erster Linie seine beiden großen Qualifikationsschriften über die Geldstrafe und die Strafzumessung bei schwerer Kriminalität.4

1

Das „MPI“ firmiert seit Anfang des Jahres 2020 als Max-Planck-Institut zur Erforschung von Kriminalität, Sicherheit und Recht. 2 Kinzig 2004. 3 Siehe dazu den Titel des Kolloquiums zum 90. Geburtstag Jeschecks (Albrecht & Sieber 2006). 4 Albrecht 1980 sowie Albrecht 1994.

828

Jörg Kinzig

Das möglicherweise am häufigsten vom Jubilar in seinen zahlreichen Publikationen beackerte Themengebiet ist das der Geldstrafe. Von 19785 bis zur Gegenwart (2019) habe ich jedenfalls nicht weniger als 18 Beiträge gezählt, in denen diese Sanktion schon im Titel eines Artikels von Hans-Jörg Albrecht auftaucht. Dazu gehören bis in die jüngste Zeit die Kommentierungen der Vorschriften über die Geldstrafe, genauer die §§ 40 – 43 StGB, im NomosKommentar zum Strafgesetzbuch.6 Daher möchte ich mit meinem Beitrag an die im Jahr 1980 veröffentlichte, wegweisende Dissertation des Jubilars mit dem Titel „Strafzumessung und Vollstreckung bei Geldstrafen unter Berücksichtigung des Tagessatzsystems“ anknüpfen. Der empirisch-normativen Untersuchung lag unter anderem eine Auswertung einer Stichprobe von 1.823 Strafverfahrensakten von Personen zugrunde, die im Jahr 1972 in Baden-Württemberg wegen eines Straßenverkehrs-, Eigentums- oder Vermögens-, Körperverletzungs- oder Delikts des Nebenstrafrechts rechtskräftig verurteilt wurden. Zudem wurden Akten von 451 Personen analysiert, bei denen die Verurteilungen aus dem Jahr 1975, also der Zeit nach der Strafrechtsreform, stammten.7 Die Erhebungen, die an dieser Stelle im Einzelnen nicht nachgezeichnet werden können, führten zu einem abschließenden Kapitel unter der Überschrift „Kriminalpolitische Überlegungen und Schlußfolgerungen“.8 An dessen Ende nimmt HansJörg Albrecht auch Alternativen zur Geldstrafe ins Visier. Dazu zählt er zu Recht die Einstellung unter Auflagen nach § 153a StPO und dabei insbesondere die in dessen Abs. 1 S. 2 Nr. 2 normierte Auflage, „einen Geldbetrag zugunsten einer gemeinnützigen Einrichtung oder der Staatskasse zu zahlen“ sowie die ebenfalls von HansJörg Albrecht im NomosKommentar erläuterte Verwarnung mit Strafvorbehalt (§§ 59 – 59c StGB). Auf diese drei Sanktionen9 soll sich mein Beitrag zu seinen Ehren beziehen. Nach dieser Einleitung (1.) möchte ich zunächst die normativen Gemeinsamkeiten und Unterschiede der drei genannten Rechtsinstitute herausarbeiten (2.). Daran anschließen wird sich ein kleiner empirischer Überblick (3.) darüber, was wir über den Gebrauch dieser drei Instrumente wissen, die am Ende eines Strafverfahrens stehen können. Im Folgenden (4.) will ich mich speziell der Frage zuwenden, welche Kriterien die Wahl zwischen diesen drei Sanktionen nach dem normativen Programm bestimmen. Am Ende (5.) dieses Beitrags soll ein kleines Fazit gezogen werden.

5

Bis ins Jahr 1978 geht der Aufsatz von Albrecht (1978) zurück. Albrecht 2017. 7 Albrecht 1980, 53 ff. 8 Albrecht 1980, 315 ff. 9 Daran, dass auch den Auflagen und Weisungen im Wege des § 153a StPO Sanktionscharakter zukommt, besteht heutzutage kaum Zweifel, vgl. nur Beulke 2008, § 153a Rn. 8. 6

„Und immer geht’s ums Geld“

829

2. Einstellung gegen Geldauflage, Verwarnung mit Strafvorbehalt und Geldstrafe: Normative Gemeinsamkeiten und Unterschiede Die Einstellung gegen Geldauflage, die Verwarnung mit Strafvorbehalt und die Geldstrafe weisen normative Gemeinsamkeiten, aber auch Unterschiede auf. Eine erste, eher triviale Gemeinsamkeit dieser drei Rechtsinstitute, die gleichwohl ihre vergleichende Betrachtung rechtfertigt, besteht darin, dass alle Einrichtungen in eine Geldzahlung des Beschuldigten einer Straftat münden können. Zwangsläufig ist das aber nur bei der Einstellung gegen Geldauflage und der Geldstrafe der Fall.10 Demgegenüber stellt das Gericht bei einer Verwarnung mit Strafvorbehalt nach Ablauf von ein bis zwei Jahren (vgl. § 59a Abs. 1 StGB) im Falle einer Bewährung nach § 59b Abs. 2 StGB fest, dass es bei der Verwarnung sein Bewenden hat und somit die Verpflichtung zur Zahlung der vorbehaltenen Geldstrafe entfällt. In diesem Fall ist der Verwarnte wie auch diejenige Person, gegen die das Verfahren gegen eine Geldauflage eingestellt wird, kein Verurteilter. Damit die Rechtsfolgen dieser drei Sanktionen eintreten können, müssen prinzipiell jeweils Staatsanwaltschaft und Gericht mitwirken. Träger einer Einstellung gegen Geldauflage ist nach § 153a Abs. 1 S. 1 StPO die Staatsanwaltschaft, die für ihre Entscheidung regelmäßig auf die Zustimmung des für die Eröffnung des Hauptverfahrens zuständigen Gerichts und des Beschuldigten angewiesen ist.11 Nach Erhebung der Klage geht die Einstellungskompetenz nach § 153a Abs. 2 S. 1 StPO auf das Gericht über, das sich nun seinerseits vor einer Einstellung der Zustimmung der Staatsanwaltschaft und des Angeschuldigten versichern muss. Demgegenüber trifft die Entscheidung über die Verwarnung mit Strafvorbehalt und die Geldstrafe allein das Gericht. Freilich ist diese Entscheidung im Fall eines vorangehenden Strafbefehlsantrages weitgehend durch die Staatsanwaltschaft vorstrukturiert (vgl. §§ 407 Abs. 2 Nr. 1, 408 Abs. 3 S. 1 StPO). Im Übrigen hat der Verwarnung mit Strafvorbehalt und der Geldstrafe regelmäßig eine Anklage der Staatsanwaltschaft voranzugehen. Ein erster eher banaler Unterschied liegt in den verschiedenen Kodifikationen, in denen die drei Rechtsinstitute geregelt sind. Die Einstellung gegen Geldauflage hat ihren Standort in der Strafprozessordnung (§ 153a Abs. 1 S. 1, 2 Nr. 2 StPO), wäh10 Diese Aussage gilt, streng genommen, nur eingeschränkt. So bleibt dem Beschuldigten die Möglichkeit, nach einer vorläufigen Einstellung nach § 153a Abs. 1 S. 1, 2 Nr. 2 StPO den festgelegten Geldbetrag nicht zu bezahlen, was freilich wegen des in § 153a Abs. 1 S. 1 StPO normierten Zustimmungserfordernisses des Beschuldigten und der sonst drohenden Anklage durch die Staatsanwaltschaft nur ausnahmsweise der Fall sein wird. Selbst die Geldstrafe muss nicht zwangsläufig eine Geldzahlung zur Folge haben. Jedoch riskiert die betreffende Person bei ihrer etwaigen Uneinbringlichkeit, eine Ersatzfreiheitsstrafe antreten zu müssen (vgl. § 43 StGB). 11 Vgl. aber die Ausnahme des § 153a Abs. 1 S. 7 StPO mit einem Verweis auf § 153a Abs. 1 S. 2 StPO.

830

Jörg Kinzig

rend die Verwarnung mit Strafvorbehalt (§§ 59 – 59c StGB) und die Geldstrafe (§§ 40 – 43 StGB) im Strafgesetzbuch normiert sind. Allen drei Instituten kann eine Anklage nach § 170 Abs. 1 StPO vorausgehen. Während dies bei der Verwarnung mit Strafvorbehalt und der Geldstrafe häufig der Fall sein dürfte,12 ist selbiges bei der Einstellung gegen Geldauflage eher die Ausnahme. Unterschiede existieren auch, was den Grad des erforderlichen Tatverdachts bzw. den Schuldnachweis angeht. Während sowohl eine Verwarnung mit Strafvorbehalt als auch eine Geldstrafe nach § 261 StPO die Überzeugung des Gerichts von der Schuld des Angeklagten voraussetzen, ist der für die Einstellung gegen Geldauflage erforderliche Verdachtsgrad in § 153a StPO nicht explizit normiert. Für die Auslegung bedeutend ist hier zunächst, dass sich die Formulierungen in § 153a Abs. 1 S. 1 StPO („kann die Staatsanwaltschaft … von der Erhebung der öffentlichen Klage absehen … wenn … die Schwere der Schuld nicht entgegensteht“) und § 153 Abs. 1 S. 1 StPO („kann die Staatsanwaltschaft … von der Verfolgung absehen, wenn die Schuld des Täters als gering anzusehen wäre“) voneinander unterscheiden. Hier wird aus der indikativen Fassung des § 153a Abs. 1 S. 1 StPO für den Schuldnachweis und dem expliziten Rekurs auf das Absehen von der Erhebung der öffentlichen Klage gegenüber dem Absehen von der bloßen Strafverfolgung in § 153 Abs. 1 S. 1 StPO gefolgert, dass für die Anwendung des § 153a Abs. 1 S. 1 StPO ein höherer Verdachtsgrad vorausgesetzt ist.13 Gemeinhin wird ein hinreichender Tatverdacht für erforderlich gehalten. Eine förmliche Feststellung der Schuld erfolgt jedoch nicht.14 Während Urteile, in denen eine Verwarnung mit Strafvorbehalt ausgesprochen oder eine Geldstrafe verhängt wird, nach § 267 StPO begründet werden müssen, wird dies bei einem Vorgehen nach § 153a StPO weder für die Einstellung an sich noch für die Art und/oder Höhe der Auflage verlangt.15 Ein weiterer Unterschied zwischen den drei Normkomplexen liegt darin, dass § 153a Abs. 1 S. 1 StPO nur auf Vergehen Anwendung findet, während eine Verwarnung mit Strafvorbehalt und eine Geldstrafe auch eine strafrechtliche Reaktion auf ein Verbrechen darstellen können. Am Beispiel einer Verurteilung wegen Raubes nach § 249 StGB: Während der Normalstrafrahmen in Abs. 1 von einem Jahr bis

12

Neben einer Anklage kommen hier auch eine Nachtragsanklage nach § 266 Abs. 2 StPO, ein Antrag auf Aburteilung im beschleunigten Verfahren nach §§ 417, 418 StPO und weitaus häufiger die Einreichung eines Strafbefehlsantrages nach §§ 407 Abs. 1, 2 Nr. 1, 409 StPO in Betracht. 13 Vgl. Beulke 2008, § 153a Rn. 39. 14 Vgl. Stuckenberg 2016, 372 m.w.N.; Weigend 2016, 418 m.w.N. 15 Vgl. Diemer 2019, § 153a Rn. 34; Weigend 2016, 419; Beulke 2008, § 153a Rn. 125 für den Gerichtsbeschluss; vgl. aber Nr. 89 Abs. 3 RiStBV, die vorsieht, dass dem Anzeigeerstatter ein mit Gründen versehener Bescheid erteilt wird.

„Und immer geht’s ums Geld“

831

15 Jahren reicht, kann es etwa im Fall eines Versuchs über die Regelung der §§ 49 Abs. 1, 47 Abs. 2 StGB16 zur Verhängung einer Geldstrafe kommen. Zudem weichen die Obergrenzen der von dem Beschuldigten maximal zu entrichtenden Geldbeträge voneinander ab. Bedenklich ist in diesem Zusammenhang, dass ausgerechnet der vergleichsweise wenig formalisierte § 153a Abs. 1 S. 2 Nr. 2 StPO keine Obergrenze der zu zahlenden Geldsumme enthält, wenngleich teilweise in der Literatur aus dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz eine Begrenzung abgeleitet wird, ohne diese jedoch genauer zu konkretisieren.17 Berühmt geworden ist der Fall des Formel-1-Managers Bernie Ecclestone, in dem das Landgericht München I das wegen des Vorwurfs der Korruption geführte Verfahren gegen eine Rekordsumme von 100 Millionen US-Dollar (rund 75 Millionen Euro) einstellte.18 „The sky‘s the limit“ hat daraufhin Thomas Weigend anschaulich formuliert.19 Demgegenüber ist eine Geldstrafe nach § 40 Abs. 1 S. 2 StGB auf 360 Tagessätze, im Fall der Bildung einer Gesamtstrafe nach § 54 Abs. 2 S. 2 StGB auf maximal 720 Tagessätze beschränkt. Da der maximale Tagessatz nach § 40 Abs. 2 S. 3 StGB auf 30.000 Euro festgesetzt werden kann, endet demnach die Geldstrafe schon bei einer Gesamtsumme von 10,8 bzw. 21,6 Millionen Euro.20 Die bei der Verwarnung mit Strafvorbehalt nach § 59 Abs. 1 S. 1 StGB in Aussicht gestellte Geldstrafe ist bei 180 Tagessätzen gekappt, darf also einen Betrag von 5,4 Millionen Euro nicht übersteigen. In kostenrechtlicher Hinsicht haben sowohl der zu Geldstrafe Verurteilte als auch der mit einer Verwarnung mit Strafvorbehalt Sanktionierte nach § 465 Abs. 1 S. 1 und 2 StPO die Kosten des Verfahrens zu tragen. Bei der Einstellung gegen Geldauflage fallen die Auslagen der Staatskasse nach § 467 Abs. 1 StPO dieser zu Last. Die notwendigen Auslagen des Angeschuldigten werden dagegen nach § 467 Abs. 5 StPO der Staatskasse nicht auferlegt, wenn das Verfahren nach § 153a StPO am Ende endgültig eingestellt wird. Unterschiede ergeben sich auch im Registerrecht. Nach § 4 Nr. 1 BZRG sind rechtskräftige Entscheidungen einzutragen, in denen auf Strafe erkannt wird, also auch eine Geldstrafe. Dies gilt nach Nr. 3 auch für die Verwarnung mit Strafvorbehalt. Demgegenüber wird eine Einstellung gegen Geldauflage nicht im Bundeszentralregister erfasst.21

16 Vgl. etwa Kinzig 2019, § 47 Rn. 9. Für das Jahr 2018 weist die Strafverfolgungsstatistik (vgl. Tabelle 3.3, 222) 24 Fälle des § 249 StGB aus, die mit einer Geldstrafe endeten. 17 So etwa Peters 2016, § 153a Rn. 68; Diemer 2019, § 153a Rn. 13. 18 Weitere prominente Beispiele für die Anwendung des § 153a StPO finden sich bei Brüning 2018, 586. 19 Weigend 2016, 414. 20 Darauf machen zu Recht Gaede & Kubiciel (2014) in einer Kommentierung der Einstellung im Falle Bernie Ecclestone aufmerksam. 21 Kritik daran bei Köhler 2019, 33. Es erfolgt jedoch nach § 492 Abs. 2 S. 1 Nr. 5 StPO eine Eintragung in das zentrale staatsanwaltschaftliche Verfahrensregister.

832

Jörg Kinzig

3. Einstellung gegen Geldauflage, Verwarnung mit Strafvorbehalt und Geldstrafe: ein kleiner empirischer Überblick Aus dem Umstand, dass es die Staatsanwaltschaft ist, die in der Regel nach § 153a Abs. 1 StPO die Einstellung gegen Geldauflage beschließt, ergibt sich, dass zentrale empirische Daten zur Art und Weise dieser Entscheidung der Staatsanwaltschaftsstatistik zu entnehmen sind, die zuletzt für das Jahr 2018 publiziert wurde.22 So waren im Jahr 2018 gut 5,5 Millionen (5.622.962) Personen durch von der Staatsanwaltschaft beim Landgericht und von der Amtsanwaltschaft erledigte Ermittlungsverfahren betroffen. Haupterledigungsform war die Einstellung mangels hinreichenden Tatverdachts nach § 170 Abs. 2 StPO, in deren Genuss fast ein Drittel (31,5 %; 1.772.844) der Beschuldigten kam. Gegen ein knappes Viertel (23,6 %; 1.326.510) wurde das Verfahren ohne Auflagen eingestellt, insbesondere nach § 153 Abs. 1 StPO. Gegen 9,8 % der Beschuldigten (549.934) wurde ein Strafbefehl beantragt, weitere 8,5 % (478.655) wurden zu den verschiedenen Gerichten angeklagt. Eine Einstellung des Ermittlungsverfahrens unter Auflagen wurde gegen 3,1 % (174.365) der beschuldigten Personen beschlossen.23 Tabelle 1 weist aus, dass zuletzt von der Einstellung unter Auflagen gegenüber rund 180.000 Personen jährlich Gebrauch gemacht wurde, bei seit dem Jahr 200224 quantitativ und prozentual rückläufiger Tendenz.25 Hinweise darauf, dass die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zur Verständigung im Strafverfahren26 zu einem vermehrten Ausweichen auf die Erledigungsform des § 153a StPO geführt hätte, lassen sich also der Staatsanwaltschaftsstatistik nicht entnehmen. Unter den möglichen Auflagen und Weisungen dominiert die uns hier besonders interessierende Geldauflage mit einem Anteil, der stabil über 80 % liegt. An zweiter Stelle rangiert mit weitem Abstand der in § 153a Abs. 1 S. 2 Nr. 5 StPO geregelte Täter-Opfer-Ausgleich, auf den zuletzt im Jahr 2018 6,8 % (11.770) der Einstellungen unter Auflagen entfielen. Über die Höhe der jeweiligen Geldauflagen verrät die Statistik nichts.

22

Statistisches Bundesamt 2019. Zu den defizitären Angaben in dieser Statistik vgl. Rat für Sozial- und Wirtschaftsdaten 2020, 23 ff. 23 Dazu gehören nicht nur Einstellungen nach § 153a StPO, sondern etwa auch solche nach § 45 Abs. 3 JGG; vgl. zur Erledigungspraxis der Staatsanwaltschaft auch Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz 2019, 19 ff. 24 Das Jahr 2002 wurde als Ausgangspunkt gewählt, weil es sich um das erste Jahr handelt, das im Internet unter www.destatis.de in der Statistik erfasst ist. 25 Zur personenbezogenen Entwicklung bei den staatsanwaltschaftlichen Erledigungen vgl. auch Heinz 2017, 66 ff. 26 BVerfGE 133, 168.

„Und immer geht’s ums Geld“

833

Tabelle 1 Von der Staatsanwaltschaft beim Landgericht und von der Amtsanwaltschaft erledigte Ermittlungsverfahren/Zahl der von Ermittlungsverfahren betroffenen Personen von 2002 bis 201827 Jahr

Personen, gegen die ermittelt wurde

Einstellung unter Auflagen

darunter § 153a Abs. 1 S. 2 Nr. 2 StPO (Geldbetrag für gemeinnützige Einrichtung oder Staatskasse)

2002

5.437.811

269.877 (5,0 %)

keine Angabe

2005

5.865.447

268.494 (4,6 %)

219.488 (81,7 %)

2010

5.428.911

209.195 (3,9 %)

167.586 (80,1 %)

2015

5.723.811

182.773 (3,2 %)

147.516 (80,8 %)

2016

5.922.002

181.798 (3,1 %)

147.567 (81,2 %)

2017

5.559.507

176.625 (3,2 %)

144.852 (82,0 %)

2018

5.622.962

174.365 (3,1 %)

144.514 (82,9 %)

Doch können Einstellungen unter Auflagen, wie gesehen, auch durch die Gerichte erfolgen (§ 153a Abs. 2 StPO). Angaben darüber finden sich in der Statistik der Strafgerichte. Von den Verfahren, die die Amtsgerichte im Jahr 2018 gegen 711.704 Beschuldigte erledigten, wurde gegen deutlich mehr als 50.000 Personen und damit bei zuletzt 7,7 % das Verfahren nach § 153a Abs. 2 StPO eingestellt (Tabelle 2). Dieser Anteil ist seit Jahren recht stabil, während die absolute Zahl dieser Erledigungsart seit dem Jahr 2005 um mehr als 25 % zurückgegangen ist. In 73,8 % dieser Einstellungen (2018) wurde dem Angeklagten die Zahlung eines Geldbetrags auferlegt. Demnach gewinnen in diesem Stadium des Verfahrens die nicht enumerativ aufgezählten sonstigen Auflagen oder Weisungen (10,3 %) und die Wiedergutmachung des Schadens nach § 153a Abs. 1 S. 2 Nr. 1 StPO (6,4 %) an Relevanz.

27

Quelle: Staatsanwaltschaftsstatistik, zuletzt Tabelle 2.4.1.

834

Jörg Kinzig Tabelle 2 Vor dem Amtsgericht erledigte Verfahren von 2002 bis 201828

Jahr Zahl der Einstellung gegen Auflage oder Geldbetrag für gemeinnützige einzelnen Weisung nach § 153a StPO Einrichtung oder Staatskasse Beschuldigten (Abs. 1 S. 2 Nr. 2) 2002

962.228

71.030 (7,4 %)

53.977 (76,0 %)

2005

999.406

73.829 (7,4 %)

53.071 (71,9 %)

2010

888.322

68.235 (7,7 %)

46.982 (68,9 %)

2015

739.848

57.603 (7,8 %)

41.206 (73,8 %)

2016

728.441

55.854 (7,8 %)

40.176 (71,9 %)

2017

717.864

55.374 (7,7 %)

40.258 (72,7 %)

2018

711.704

54.866 (7,7 %)

40.479 (73,8 %)

Doch nicht nur vor dem Amtsgericht, auch vor dem Landgericht 1. Instanz können Verfahren nach § 153a Abs. 2 StPO eingestellt werden. Wie Tabelle 3 ausweist, ist die Verfahrensbeendigung vor diesem Gericht mit nur rund 400 Fällen jährlich allerdings selten, was in erster Linie darauf zurückzuführen sein dürfte, dass in dieser Eingangsinstanz ganz überwiegend Verbrechen verhandelt werden. Tabelle 3 Vor dem Landgericht 1. Instanz erledigte Verfahren von 2002 bis 201829 Jahr Zahl der Einstellung gegen Auflage oder Geldbetrag für gemeinnützige einzelnen Weisung nach § 153a StPO Einrichtung oder Staatskasse Beschuldigten (Abs. 1 S. 2 Nr. 2) 2002

19.611

311 (1,6 %)

231 (74,3 %)

2005

19.413

346 (1,8 %)

290 (83,8 %)

2010

19.635

411 (2,1 %)

314 (76,4 %)

2015

17.953

460 (2,6 %)

370 (80,4 %)

2016

18.136

529 (2,9 %)

438 (82,8 %)

2017

18.224

446 (2,4 %)

365 (81,8 %)

2018

18.515

388 (2,1 %)

316 (81,4 %)

Zahlenmäßig häufiger sind dagegen Verfahren, die vor dem Landgericht mit einer Einstellung gegen Auflagen nach § 153a Abs. 2 StPO in der Berufungsinstanz enden (Tabelle 4). Dies betraf in den letzten Jahren etwas mehr als 2.000 Beschuldigte jährlich bei ebenfalls in absoluten Zahlen rückläufiger Tendenz. Auch hier spielt die Geldauflage nach § 153a Abs. 1 S. 2 Nr. 2 StPO eine quantitativ bedeutende Rolle.

28

Quelle: Statistik Rechtspflege Strafgerichte 2018, Angaben nach einzelnen Beschuldigten; zuletzt Tabelle 2.3. 29 Quelle: Statistik Rechtspflege Strafgerichte 2018, Angaben nach einzelnen Beschuldigten; zuletzt Tabelle 4.3.

„Und immer geht’s ums Geld“

835

Tabelle 4 Vor dem Landgericht in der Berufungsinstanz erledigte Verfahren von 2002 bis 201830 Jahr

Zahl der einzelnen Beschuldigten

Einstellung gegen Auflage oder Weisung nach § 153a StPO

Geldbetrag für gemeinnützige Einrichtung oder Staatskasse (Abs. 1 S. 2 Nr. 2)

2002

58.544

3.015 (5,1 %)

2.390 (79,3 %)

2005

60.377

2.813 (4,7 %)

2.179 (77,5 %)

2010

55.377

2.506 (4,5 %)

1.894 (75,6 %)

2015

47.049

2.268 (4,8 %)

1.700 (75,0 %)

2016

48.178

2.263 (4,7 %)

1.667 (73,7 %)

2017

47.768

2.243 (4,7 %)

1.670 (74,5 %)

2018

47.947

2.240 (4,7 %)

1.646 (73,5 %)

Wenden wir uns nun der Verwarnung mit Strafvorbehalt und damit der Strafverfolgungsstatistik zu. Wie Tabelle 5 ausweist, fristet die Verwarnung mit Strafvorbehalt seit Jahrzehnten ein Schattendasein. Nur rund 1 % aller Verurteilten31 wird mit dieser Sanktion bedacht. Das Anliegen des Reformgesetzgebers des Jahres 2006, „eine moderate Erweiterung der Verwarnung mit Strafvorbehalt“ zu bewirken,32 hat sich somit allenfalls ansatzweise erfüllt.33 Zu einer stärkeren Anwendung des § 59 StGB hat auch nicht der in absoluten Zahlen deutliche Rückgang der Einstellungen nach § 153a StPO durch die Staatsanwaltschaft beigetragen (vgl. Tabelle 1). Im Vergleich zur Verwarnung mit Strafvorbehalt sind allein die amtsgerichtlichen Einstellungen nach § 153a Abs. 2 StPO fast zehn Mal häufiger (vgl. Tabelle 2). In knapp der Hälfte der Fälle eines Vorgehens nach § 59 StGB liegt die vorbehaltene Strafe zwischen 31 und 90 Tagessätzen, wobei der Anteil derjenigen Personen, denen eine Geldstrafe von (nur) 16 bis 30 Tagessätzen in Aussicht gestellt wird, in der Vergangenheit fast kontinuierlich angestiegen ist. Schaut man, wegen welcher Tatbestände eine Verwarnung nach § 59 StGB erfolgt, ergibt sich folgendes Bild: Unter den 6.153 im Jahr 2018 Verwarnten dominierten solche wegen (einfachen) Betrugs (§ 263 Abs. 1 StGB) mit 1.280 (20,8 %). Es folgten die einfache Körperverletzung (§ 223 StGB) mit 621 (10,1 %), einfacher Diebstahl (§ 242 StGB) mit 405 (6,6 %), Verkehrsdelikte ohne Trunkenheit mit 374 (6,1 %), Beleidigung (§ 185 StGB) mit 341 (5,5 %) sowie Straftaten nach dem BtmG mit 288 (4,7 %) Angeklagten.34 30 Quelle: Statistik Rechtspflege Strafgerichte 2018, Angaben nach einzelnen Beschuldigten; zuletzt Tabelle 5.3. 31 Inklusive der Verwarnten mit Strafvorbehalt. 32 Gesetzentwurf der Bundesregierung, Entwurf eines Zweiten Gesetzes zur Modernisierung der Justiz (2. Justizmodernisierungsgesetz), BT-Drs. 16/3038, 25. 33 Zur Anwendung zwischen 1975 und 1994 vgl. Neumayer-Wagner 1998, 74: Zwischen 1986 und 1994 lag der Anteil der Verwarnten durchweg zwischen 0,5 % und 0,6 %. 34 Quelle: Statistik Strafverfolgung, zuletzt Tabelle 3.4.

836

Jörg Kinzig Tabelle 5 Verurteilte mit Hauptstrafen nach allgemeinem Strafrecht und Verwarnte mit Strafvorbehalt von 2002 bis 2018a)

Jahr Verurteilte mit Hauptstrafe nach allgemeinem Strafrechtb) 2002 2005 2010 2015 2016 2017 2018 a) b)

Verwarnte 5 – 15 16 – 30 31 – 90 91 – 180 mit Straf- Tagessätze Tagessätze Tagessätze Tagessätze vorbehalt

623.370

5.101 (0,8 %)

439 (8,6 %)

1.454 (28,5 %)

2.567 (50,3 %)

641 (12,6 %)

681.078

7.074 (1,0 %)

633 (8,9 %)

1.983 (28,0 %)

3.708 (52,4 %)

750 (10,6 %)

712.885

8.083 (1,1 %)

987 (12,2 %)

2.657 (32,9 %)

3.731 (46,2 %)

708 (8,6 %)

681.160

7.015 (1,0 %)

791 (11,3 %)

2.444 (34,8 %)

3.203 (45,7 %)

577 (8,2 %)

682.606

6.461 (0,9 %)

711 (11,0 %)

2.341 (36,2 %)

2.874 (44,5 %)

535 (8,3 %)

662.868

6.492 (1,0 %)

716 (11,0 %)

2.344 (36,1 %)

2.880 (44,4 %)

552 (8,5 %)

659.213

6.153 (0,9 %)

644 (10,5 %)

2.367 (38,5 %)

2.674 (43,5 %)

468 (7,6 %)

Quelle: Statistik Strafverfolgung, zuletzt Tabellen 3 und 3.4. Addiert wurden dazu die Verwarnten mit Strafvorbehalt.

Werfen wir nun einen Blick auf die Praxis der Geldstrafe. Tabelle 6 weist eindrucksvoll die unveränderte Dominanz der Geldstrafe bei den Verurteilten mit Hauptstrafe nach allgemeinem Strafrecht aus.35 Sie ist seit dem Jahr 2002 sogar noch gestiegen, so dass nunmehr (2018) gegen 84,3 % der genannten Personengruppe eine Geldstrafe verhängt wird. Dabei nimmt seit einiger Zeit der prozentuale Anteil der Geldstrafen mit höheren Tagessätzen ab 31 zu. Während noch im Jahr 2002 der Anteil der Verurteilten mit 31 und mehr Tagessätzen bei insgesamt (nur) 49,4 % lag, beträgt er derzeit immerhin 57,8 %. Dabei hat speziell der Anteil der zu Tagessätzen zwischen 91 und 180 Verurteilten von absolut rund 25.000 (2002) auf mehr als 43.000 und damit von 5,0 % auf 7,9 % zugelegt. Ganz so düster ist die Lage also nicht mehr, wie sie der Jubilar noch im NomosKommentar beschreibt.36 Im Vergleich der Tagessatzhöhen von Verwarnung mit Strafvorbehalt und Geldstrafe zeigen sich zudem unterschiedliche Entwicklungen. Während bei dem Vorgehen nach § 59 StGB der Anteil der höheren Tagessatzzahlen zwischen 31 und 180 von 62,9 % im Jahr 2002 auf 51,1 % im Jahr 2018 zurückgegangen ist (vgl. Tabelle 5), stieg er im gleichen Zeitraum bei den Geldstrafen von 48,9 % auf 57,2 % (Tabelle 6). 35 36

Zur Entwicklung der Geldstrafe vgl. auch Heinz 2017, 111 ff. Albrecht 2017, § 40 Rn. 3 f.

a

653.060

656.376

676.145

674.145

704.802

674.004

618.269

Verurteilte mit Hauptstrafe nach allgemeinem Strafrecht

550.312 (84,3 %)

551.957 (84,1 %)

568.314 (84,1 %)

567.054 (84,1 %)

575.068 (81,6 %)

545.971 (81,0 %)

493.083 (79,8 %)

davon Geldstrafe

Quelle: Statistik Strafverfolgung, zuletzt Tabellen 3 und 3.3.

2018

2017

2016

2015

2010

2005

2002

Jahr

45.784 (8,3 %)

48.594 (8,8 %)

54.688 (9,6 %)

57.359 (10,1 %)

65.196 (11,3 %)

66.289 (12,1 %)

68.394 (13,9 %)

5 – 15 Tagessätze

186.222 (33,8 %)

188.809 (34,2 %)

198.147 (34,9 %)

198.900 (35,1 %)

202.618 (35,2 %)

196.367 (36,0 %)

181.285 (36,8 %)

16 – 30 Tagessätze

271.511 (49,3 %)

269.733 (48,9 %)

271.347 (47,7 %)

269.002 (47,4 %)

268.952 (46,8 %)

250.672 (45,9 %)

216.364 (43,9 %)

31 – 90 Tagessätze

43.301 (7,9 %)

41.455 (7,5 %)

40.624 (7,1 %)

38.414 (6,8 %)

34.882 (6,1 %)

29.671 (5,4 %)

24.653 (5,0 %)

91 – 180 Tagessätze

3.270 (0,6 %)

3.110 (0,6 %)

3.248 (0,6 %)

3.114 (0,5 %)

3.063 (0,5 %)

2.620 (0,5 %)

2.050 (0,4 %)

181 – 360 Tagessätze

Tabelle 6 Verurteilte mit Hauptstrafen nach allgemeinem Strafrecht und zu Geldstrafe Verurteilte von 2002 bis 2018a

224 (0,0 %)

256 (0,0 %)

260 (0,0 %)

265 (0,0 %)

357 (0,1 %)

352 (0,1 %)

337 (0,1 %)

361 Tagessätze und mehr

„Und immer geht’s ums Geld“ 837

838

Jörg Kinzig

In seiner Dissertation stellte der Jubilar anhand eines Vergleichs von Geld- und Freiheitsstrafe fest, dass im oberen Bereich von 180 bis 360 Tagessätzen (entsprechend einer Freiheitsstrafe von sechs bis zwölf Monaten) die Geldstrafe statistisch „kaum mehr eine Rolle“ spiele.37 Die Zahlen aus dem Jahr 2018 belegen (Tabelle 7), dass die Geldstrafe auch in diesem Bereich maßvoll an Bedeutung gewonnen hat. Betrug der Anteil der Geldstrafe im Bereich von sechs bis zwölf Monaten im Jahr 1976 nur 2,3 %, ist er nunmehr (2018) auf immerhin 9,0 % angestiegen. Zudem wird in diesem Bereich mit der Freiheitsstrafe mit Bewährung von einer weiteren ambulanten Sanktion vermehrt Gebrauch gemacht (Anstieg von 60,8 % auf 71,3 %). Der Befund einer zunehmenden Bedeutung der Geldstrafe gilt in etwas geringerem Ausmaß auch für den Bereich bis zu 180 Tagessätzen/zu sechs Monaten (Anstieg von 89,3 % auf 93,3 %) und – auf deutlich niedrigerem Niveau – auch für den Bereich über 360 Tagessätzen/über einem bis zu zwei Jahren Freiheitsstrafe (Anstieg von 0,8 % auf 1,1 %).38 Der Vergleich zwischen den Jahrgängen 1976 und 2018 belegt im Übrigen den dramatischen Bedeutungsverlust der Freiheitsstrafe ohne Bewährung. Betrug im Jahr 1976 im Bereich von eins bis zwei Jahren der Anteil der Freiheitsstrafen ohne Bewährung noch 88,5 %, waren es zuletzt im Jahr 2018 nur noch 29,9 %.39 Betrachtet man zuletzt die Entwicklung der Höhe der Tagessätze (Tabelle 8), zeigt sich vor allem ein deutlicher Rückgang der Geldstrafen mit Tagessätzen von bis zu fünf Euro. Wiesen diese im Jahr 1990 noch einen Anteil von 11,9 % auf,40 lag er 2002 bei 7,4 %, um mittlerweile nach einem stetigen Rückgang nur noch 1,5 % zu betragen. Die Praxis scheint in diesem Bereich auch ohne Änderung des Normprogramms des § 40 Abs. 2 S. 3 StGB die zum Teil im Schrifttum geäußerte Kritik nachvollzogen zu haben, wonach sich mit diesem Mindestmaß „Ernst und Bedeutung der Kriminalstrafe – auch bei Minderbemittelten – nicht deutlichmachen“ lasse.41 Der Preis für den zunehmenden Verzicht auf die Verhängung niedriger Tagessatzhöhen kann jedoch ein Anstieg von Ersatzfreiheitsstrafen sein.42

37

Albrecht 1980, 199 ff. Zu erinnern ist in diesem Zusammenhang, dass eine Geldstrafe über 360 Tagessätze nur bei einer Gesamtstrafenbildung nach § 54 Abs. 2 S. 2 StGB möglich ist. 39 Vgl. zu dieser Entwicklung auch Heinz 2017, 118 ff., insbesondere Schaubild 60. 40 Heinz 2017, 115. 41 Grube 2020, Vor § 40 Rn. 12; Radtke 2016, § 40 Rn. 54; zuvor bereits Kintzi 2001, 201 f.; dagegen: Albrecht 2017, § 40 Rn. 18; vgl. auch OLG Naumburg, B. v. 10. 05. 2012 – 1 Ss 8/12. 42 Vgl. den Anstaltsleiter der JVA Plötzensee, Dr. Uwe Meyer-Odewald, in seiner Stellungnahme zur Anhörung des Rechtsausschusses des Deutschen Bundestags zum Gesetzentwurf BT-Drs. 19/1689 vom 18. April 2018 – Aufhebung der Ersatzfreiheitsstrafe – am 03. 04. 2019, der für eine zu hohe Festsetzung des Tagessatzes insbesondere das Vorgehen per Strafbefehl verantwortlich macht. 38

„Und immer geht’s ums Geld“

839

Demgegenüber hat der Anteil der Geldstrafen mit einer Tagessatzhöhe ab 25 Euro deutlich zugelegt. Entfielen darauf im Jahr 2002 noch 26,2 % aller Geldstrafen, waren es im Jahr 2018 immerhin 37,0 %. Tabelle 7 Geldstrafe und Freiheitsstrafe im Vergleich 1976 und 201843 FS bis 6 Monate (= 180 Ts.) 1976 Geldstrafe FS mit Bewährung FS ohne Bewährung Insgesamt

abs.

%

FS bis 12 Monate (= 360 Ts.) abs.

%

FS 1 bis 2 Jahre (> 360 Ts.) abs.

%

491.883

89,3 %

608

2,3 %

70

0,8 %

44.695

8,1 %

16.288

60,8 %

878

10,7 %

14.390

2,6 %

9.807

37,0 %

7.260

88,5 %

550.968

100,0 %

26.803

100,0 %

8.208

100,0 %

546.818

93,3 %

3.270

9,0 %

224

1,1 %

2018 Geldstrafe FS mit Bewährung

29.240

5,0 %

25.857

71,3 %

14.407

69,1 %

FS ohne Bewährung

10.042

1,7 %

7.163

19,7 %

6.228

29,9 %

586.100

100,0 %

36.290

100,0 %

20.859

100,0 %

Insgesamt

Eindrucksvoll ist der hohe Anteil von Verurteilungen nach der Abgabenordnung, wenn hohe Anzahlen an Tagessätzen mit hohen Tagessätzen zusammentreffen. Von 326 Personen im Jahr 2018 mit einer Geldstrafe von 181 – 360 Tagessätzen, bei denen der Tagessatz zugleich mehr als 50 Euro betrug, wurden allein 231 und damit 70,9 % wegen Straftaten nach der Abgabenordnung verurteilt.44

43 Zahlen aus dem Jahr 1976 nach Albrecht 1980, 201; im Übrigen vgl. Statistik Strafverfolgung Tabellen 3.1. und 3.3. 44 Quelle: Statistik Strafverfolgung 2018, Tabelle 3.3.

a

545.619

574.711

566.789

568.054

551.701

550.088

2005

2010

2015

2016

2017

2018

8.493 (1,5 %)

9.611 (1,7 %)

11.719 (2,1 %)

12.144 (2,1 %)

17.852 (3,1 %)

30.196 (5,5 %)

36.508 (7,4 %)

bis 5 Euro

136.927 (24,9 %)

147.568 (26,7 %)

163.656 (28,8 %)

170.232 (30,0 %)

185.703 (32,3 %)

154.366 (28,3 %)

113.903 (23,1 %)

5 – 10 Euro

Quelle: Statistik Strafverfolgung, zuletzt Tabellen 3 und 3.3.

492.746

Geldstrafe

2002

Jahr

201.273 (36,6 %)

203.174 (36,8 %)

211.653 (37,3 %)

214.562 (37,9 %)

222.580 (38,7 %)

221.380 (40,6 %)

213.408 (43,3 %)

10 – 25 Euro

Tabelle 8 Höhe der Tagessätze von 2002 bis 2018a

183.240 (33,3 %)

173.276 (31,4 %)

164.587 (29,0 %)

154.339 (27,2 %)

135.966 (23,7 %)

129.200 (23,7 %)

120.197 (24,4 %)

25 – 50 Euro

20.155 (3,7 %)

18.072 (3,3 %)

16.439 (2,9 %)

15.512 (2,7 %)

12.610 (2,2 %)

10.477 (1,9 %)

8.730 (1,8 %)

mehr als 50 Euro

840 Jörg Kinzig

„Und immer geht’s ums Geld“

841

4. Kriterien für die Wahl zwischen einer Einstellung gegen Geldauflage, einer Verwarnung mit Strafvorbehalt und einer Geldstrafe Die vorhin (unter 2.) beschriebenen Unterschiede der drei Sanktionen würden eigentlich erwarten lassen, dass für den Gesetzesanwender klare Maßstäbe dafür vorhanden sind, wie er zwischen den genannten Rechtsinstituten zu wählen hat. Zudem hat das Bundesverfassungsgericht in seiner Entscheidung zur Vermögensstrafe betont, dass es „dem Gesetzgeber von Verfassungs wegen auferlegt (sc. ist), dem Richter für die Auswahl der Strafarten Leitlinien an die Hand zu geben, damit dieser im Einzelfall eine schuldangemessene und vorhersehbare Reaktion bemessen und begründen kann.“45 Wie gleich zu sehen sein wird, sind die Vorgaben aber keineswegs so klar, wie erhofft, und unter rechtsstaatlichen Gesichtspunkten eigentlich erforderlich.46 Dies gilt in besonderer Weise für die Einstellung unter Auflagen und Weisungen. Die Voraussetzungen für die Einstellung des Verfahrens gegen Geldauflage nach § 153a Abs. 1 S. 1, 2 Nr. 2 StPO sind notorisch vage.47 Das positive formulierte Kriterium der Eignung von Auflagen oder Weisungen, das öffentliche Interesse an der Strafverfolgung zu beseitigen und die negative Anforderung des Nicht-Entgegenstehen-Dürfens der Schwere der Schuld werden mit einer Rechtsfolge kombiniert, die im Ermessen des Entscheiders steht.48 Wie bereits erwähnt, macht das Gesetz zudem zur Bestimmung der Höhe des zu entrichtenden Geldbetrages keinerlei Vorgaben. Ein Blick in die RiStBV hilft nicht sehr viel weiter. Bemerkenswert ist zunächst, dass Nr. 16 Abs. 1 RiStBV der Staatsanwaltschaft bei einem möglichen Vorgehen nach § 153a StPO wie vor der Erhebung der Anklage auferlegt, regelmäßig eine Auskunft aus dem Zentralregister einzuholen. Darüber hinausgehende Direktiven lassen sich den RiStBV nicht entnehmen.49 Auch in der Kommentar- und sonstigen Literatur lassen sich nur vereinzelt konkrete Hinweise dazu finden, wann aufgrund der Schwere der Schuld nur noch eine Anklage und daher potentiell eine Verwarnung mit Strafvorbehalt oder gar eine Geldstrafe in Frage kommen. Nach Meyer-Goßner & Schmitt darf es sich für eine Einstellung nach § 153a StPO „höchstens um eine Schuld im mittleren Bereich handeln“, 45

BVerfGE 105, 135 (160). Vgl. auch Loos 1995, 568, der es „schwer erträglich“ findet, „daß es keine klaren Direktiven dafür gibt, wann ein Beschuldigter im Bereich der mittleren Kriminalität mit einer beträchtlichen Strafsanktion rechnen muß und wann er mit einer Quasisanktion im entkriminalisierenden Verfahren nach § 153a StPO davonkommt“. 47 Vgl. auch Stuckenberg 2016, 372: wenige Tatbestandsvoraussetzungen, die zur Hälfte diffus seien. 48 Ob hier den Strafverfolgungsbehörden ein Ermessen eröffnet ist, ist freilich streitig, vgl. Beulke 2008, § 153a Rn. 46 mit Verweis auf § 153 Rn. 38 f. 49 Nr. 93 RiStBV, der ebenfalls die Einstellung nach § 153a StPO adressiert, bezieht sich mit wenigen Bestimmungen nur auf Art und Höhe der Auflage. 46

842

Jörg Kinzig

wobei die Vorschrift „insbesondere (aber nicht nur) gegen Ersttäter Anwendung“ finde.50 Auch Beulke hält § 153a StPO bei einer Schuld „im mittleren Bereich“ für anwendbar. Davon könne dann nicht mehr die Rede sein, „wenn Freiheitsstrafen in Rede stehen, bei denen eine Strafaussetzung nicht mehr möglich wäre.“51 Nach Diemer brauche „die Schuld nicht gering zu sein“, dürfe „aber auch nicht schwer sein, so dass von einem mittleren Schuldausmaß auszugehen ist.“52 Nach Peters komme „§ 153a nur in Fällen der ,mittleren Kriminalität‘ und nur bei mittlerer Schuld in Betracht“, nicht mehr bei einer Freiheitsstrafe, deren Vollstreckung nicht zur Bewährung ausgesetzt werden könne.53 Soweit sich präzisere Aussagen finden, nehmen diese zur Bestimmung der „Schwere der Schuld“ in § 153a Abs. 1 S. 1 StPO auch auf die Verwarnung mit Strafvorbehalt und die Geldstrafe Bezug. Teilweise wird dabei vorgeschlagen, dass § 153a StPO nur anwendbar sei, wenn im Falle einer Verurteilung eine Geldstrafe erfolgen würde.54 Andere Stimmen ziehen einen Vergleich zur Verwarnung mit Strafvorbehalt und vertreten die Ansicht, die Grenze der Schwere der Schuld sei bei einer Geldstrafe von bis zu 180 Tagessätzen zu ziehen.55 Diese Ansicht überzeugt zum einen aufgrund der Intention des Gesetzgebers des Jahres 1974, mit der Einführung des § 153a StPO durch das EGStGB ein prozessuales Gegenstück zur Verwarnung mit Strafvorbehalt nach § 59 StGB zu schaffen.56 Zum anderen erscheint es sinnwidrig, wenn Einstellungsmöglichkeiten im Ermittlungsverfahren zur Verfügung stünden, die über die in einem Urteil nach Hauptverhandlung möglichen mildesten Sanktionsmöglichkeiten hinausgehen.57

50

Meyer-Goßner & Schmitt 2019, § 153a Rn. 7. Beulke 2008, § 153a Rn. 32; vgl. auch Beukelmann 2019, § 153a Rn. 12 f., wonach ein Vorgehen nach § 153a StPO bei im Fall einer Verurteilung zur Bewährung auszusetzenden Freiheitsstrafen bis zu einem Jahr möglich sei. 52 Diemer 2019, § 153a Rn. 10. 53 Peters 2016, § 153a Rn. 12. Vgl. auch Schäfer, Sander & van Gemmeren 2017, Rn. 30, 37: Anwendung bis in die mittlere Kriminalität hinein. Die Formulierung „mittlere Kriminalität“ geht auf die Begründung des Bundesrates zu dem Entwurf eines Gesetzes zur Entlastung der Rechtspflege aus dem Jahr 1991 zurück (BT-Drs. 12/1217). Dort heißt es auf S. 34: „Die vorgeschlagene Regelung … gibt … der Praxis die Möglichkeit, auch im Bereich der mittleren Kriminalität von der Erhebung der öffentlichen Klage gegen Auflagen und Weisungen abzusehen.“ 54 So Radtke 1994, 207 f.; Loos 1995, 572; Scheinfeld 2008, 856; dazu ausführlich, aber ablehnend Kluth 2016, 116 ff. 55 Kluth 2016, 129 ff., 131 ff. mit weiteren Nachweisen zu Autoren, die geringere Tagessatzzahlen für maßgebend erachten. 56 Vgl. Gesetzentwurf der Bundesregierung, Entwurf eines Einführungsgesetzes zum Strafgesetzbuch (EGStGB), Bt-Drs 7/550, S. 297 unter Bezug auf § 59 StGB: „Die Einstellung unter Auflagen oder Weisungen würde in zahlreichen Fällen auch im Verfahren bis zur Hauptverhandlung eine entsprechende Erledigung ermöglichen.“ 57 Vgl. Kluth 2016, 131 ff., 142 f. 51

„Und immer geht’s ums Geld“

843

Damit stellt sich aber unweigerlich ein Problem, das der Jubilar in seiner Kommentierung zu § 59 StGB zu Recht aufgeworfen hat: Welche Fälle bleiben nach der Ausweitung des § 153a StPO für eine Verwarnung mit Strafvorbehalt überhaupt noch übrig?58 Die Frage stellt sich umso drängender, als die Verwarnung mit Strafvorbehalt im Gegensatz zu § 153a StPO deutlich stärker konturiert ist. Zu den Voraussetzungen des § 59 StGB zählen: – die Verwirkung einer Geldstrafe bis zu 180 Tagessätzen; – eine günstige Legalprognose; – besondere Umstände von Tat und Täter und – das Nichtgebotensein einer Verurteilung zu Strafe zur Verteidigung der Rechtsordnung. Schaut man auf die oben genannten einer Verwarnung mit Strafvorbehalt regelmäßig zugrunde liegenden Delikte, ist zunächst nicht einsichtig, warum bei einem einfachen Betrug, einer einfachen Körperverletzung oder einem einfachen Diebstahl nicht das Verfahren schon durch die Staatsanwaltschaft vor Anklageerhebung oder spätestens durch das Gericht im Hauptverfahren eingestellt wurde, zumal ein Vorgehen nach § 59 Abs. 1 StGB ja voraussetzt, dass sich Tat und Täter durch die darin genannten Besonderheiten auszeichnen. Daher scheint es eher erklärungsbedürftig, warum die Strafverfolgungsstatistik immer noch Fälle von Verwarnungen mit Strafvorbehalt aufweist, wenn doch ihre vergleichsweise engen normativen Voraussetzungen spätestens im Stadium der Hauptverhandlung eine Ahndung nach § 153a StPO nahelegen. Es kommt hinzu, dass die deutlich formlosere und sanktionsärmere Einstellung gegen eine Auflage auch den Verfahrensbeteiligten nur Vorteile bringt.59 Dass ein Vorgehen nach § 153a StPO nicht normativ genauer von der Verwarnung mit Strafvorbehalt abgeschichtet wurde, ist auch deswegen erstaunlich, weil bemerkenswerterweise bereits der Gesetzgeber die Vorteile eines Vorgehens nach § 59 StGB gegenüber einer Einstellung nach § 153a StPO betont hat. So werden der Verwarnung mit Strafvorbehalt im bereits erwähnten Entwurf des 2. Justizmodernisierungsgesetzes gegenüber der Anwendung des § 153a StPO „wesentliche Vorzüge“ attestiert. Denn sie werde „in einem unter rechtsstaatlichen Gesichtspunkten abgesicherten Verfahren verhängt“ und ihr liege „eine gerichtliche Schuldfeststellung zugrunde.“60 Erklären lässt sich das Überleben der Verwarnung mit Strafvorbehalt wohl nur mit zwei Phänomenen. Zum einen kann es für eine Einstellung an den erforderlichen Zustimmungen der Prozessbeteiligten fehlen. Das wird in erster Linie die Staatsanwaltschaft sein. Fallkonstellationen dieser Art hat Dencker bereits im Jahr 1986 als solche des „Amtsrichters Rache“ beschrieben.61 Denkbar sind auch Situationen, in denen es „der schwierige Angeklagte“ ist, der die Zustimmung verweigert. Als Beispiel kann 58

Albrecht 2017, § 59 Rn. 7. Vgl. Neumayer-Wagner 1998, 86 ff. 60 Gesetzentwurf der Bundesregierung, Entwurf eines Zweiten Gesetzes zur Modernisierung der Justiz (2. Justizmodernisierungsgesetz), BT-Drs. 16/3038, 58; vgl. auch HeintschelHeinegg 2020, § 59 Rn. 5. 61 Dencker 1986, 399 ff. 59

844

Jörg Kinzig

ein Verfahren des AG Wuppertal aus dem Jahr 2007 dienen. Dort erhielt der Angeklagte aufgrund sogenannten „Schwarzsurfens im Internet“ wegen eines tateinheitlichen Verstoßes gegen §§ 89 S. 1, 148 Abs. 1 S. 1 TKG (Verstoß gegen das Abhörverbot für Nachrichten) und gegen §§ 44, 43 Abs. 2 Nr. 3 BDSG (unbefugtes Bereithalten personenbezogener Daten) eine Verwarnung mit Strafvorbehalt. Einer ursprünglich ins Auge gefassten Einstellung des Verfahrens, für die der Angeklagte allerdings auf seinen Laptop hätte verzichten müssen, hatte der Angeklagte nicht zugestimmt.62 Zum anderen dürfte der Rückgriff auf eine Schuldfeststellung nach § 59 StGB gegenüber dem Weg über § 153a StPO nicht selten der Symbolkraft geschuldet sein, die man sich von einem Urteil erhofft.63 Als ein Beleg dafür kann der berühmt gewordene Fall Daschner angeführt werden. Daschner, damaliger Polizeivizepräsident von Frankfurt/M., hatte bekanntlich während der Entführung eines Jungen im Jahr 2002 angeordnet, dass dem Verdächtigen Gäfgen mit dem Einsatz physischen Zwangs zu drohen sei, um ihn zur Preisgabe des Verstecks des Kindes zu veranlassen. Hier begründete das Landgericht Frankfurt/M. seine Verwarnung bemerkenswerterweise damit, die Verteidigung der Rechtsordnung habe es geboten, „dass ein Schuldspruch erfolgt, nicht aber eine Bestrafung. Es musste klargestellt werden, dass die bestehenden Gesetze und die in ihnen verkörperten Verfassungsgrundsätze von Repräsentanten der Staatsgewalt beachtet werden, auch in Situationen, in denen es persönlich sehr schwer fallen mag, sich danach zu richten.“64 Hierzu sei in Erinnerung gerufen, dass eine Verwarnung mit Strafvorbehalt nach § 59 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 StGB voraussetzt, dass die Verteidigung der Rechtsordnung die Verurteilung zu Strafe nicht gebietet. In der Lesart des Landgerichts ist also die schwierige Unterscheidung zu treffen, ob die schillernde Rechtsfigur der Verteidigung der Rechtsordnung zwar bereits einen Schuldspruch (dann ist kein Vorgehen nach § 153a StPO mehr möglich), aber noch nicht die Verurteilung zu einer Geldstrafe erfordert. Die genannten Schwächen des § 153a StPO und dessen weitgehend mit der Verwarnung mit Strafvorbehalt deckungsgleicher Anwendungsbereich führen folgerichtig zu Vorschlägen, eine Abschaffung der Einstellung gegen Auflagen durch einen Ausbau des Anwendungsbereichs des § 59 StGB zu kompensieren.65 Im Übrigen wird die Wahl zwischen einer Verwarnung mit Strafvorbehalt und der Verhängung einer Geldstrafe im Bereich bis zu 180 Tagessätzen im Wesentlichen durch die Voraussetzung des § 59 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 StGB gesteuert. Danach setzt die Verwarnung mit Strafvorbehalt voraus, dass nach der Gesamtwürdigung von

62

AG Wuppertal, NStZ 2008, 161. Neumayer-Wagner 1998, 99 ff. sieht darin eine Fallgruppe zur „Aufrechterhaltung des sozialethischen Unwerturteils“. 64 LG Frankfurt, NJW 2005, 692 (696). 65 Siehe umfassend Bommer, Deiters, Eser u. a. 2019, die § 153a StPO abschaffen und die „Verwarnung“ nach § 59 StGB dagegen ausbauen wollen; vgl. auch Deiters 2015. 63

„Und immer geht’s ums Geld“

845

Tat und Persönlichkeit des Täters besondere Umstände vorliegen, die eine Verhängung von Strafe entbehrlich machen.66 Ist der Weg zu einer Geldstrafe frei, ist abschließend noch auf die Schwierigkeit hinzuweisen, im Bereich von Strafen zwischen sechs Monaten und einem Jahr zwischen der Anordnung einer Geld- und einer Freiheitsstrafe zu differenzieren. HansJörg Albrecht schreibt dazu: „Abgesehen von dem durch § 47 geregelten Verhältnis kurzer Freiheitsstrafen zur Geldstrafe fehlt es bislang an Kriterien für die Entscheidung zwischen Geldstrafe und Freiheitsstrafe bei Strafen zwischen sechs Monaten und einem Jahr, wenn man von einer zweifelhaften, aber in der Praxis dominierenden Berücksichtigung der (einschlägigen) Vorstrafenbelastung absieht.“67 Die Praxis räumt in diesem Bereich in einer bemerkenswerten Uniformität immer noch ganz weitgehend Freiheitsstrafen den Vorrang gegenüber der Geldstrafe ein. Die vor einer Freiheitsstrafe unter sechs Monaten nach § 47 StGB gesetzlich verankerte Bremse scheint im Bereich darüber fast völlig gelöst.68 Das belegen die oben in Tabelle 7 genannten Zahlen mit der eindeutigen, wenn auch etwas verringerten Dominanz der Freiheitsstrafe. Thematisiert wird das Problem, wie zwischen Freiheits- und Geldstrafe im Bereich zwischen sechs und zwölf Monaten zu wählen ist, nur selten. Im Praktikerkommentar von Fischer wird die Frage – soweit ersichtlich – gar nicht angesprochen.69 Im Übrigen fallen die Stimmen in der Literatur, wie in diesem Bereich zu verfahren ist, sehr unterschiedlich aus: Teilweise wird eher affirmativ die gängige Praxis wiedergegeben.70 Unter Gleichheitsaspekten nicht unproblematisch erscheint der an anderer Stelle erteilte Rat, „bei vermögenden Tätern, die erfahrungsgemäß gegenüber einer höheren Geldstrafe recht empfindlich sind“, verstärkt von einer Geldstrafe Gebrauch zu machen.71 Demgegenüber stellen andere Autoren den explizit oder impliziert propagierten Vorrang der Freiheitsstrafe infrage. Nach Miebach & Maier seien in diesem Bereich „der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz, das Maß der Schuld sowie präventive Überlegungen“ für die Wahl der Strafart maßgebend. Könne danach auf das gewichtigere Unwerturteil, das mit der Verhängung einer Freiheitsstrafe gegenüber einer Geldstra-

66

Vgl. etwa Kinzig 2019, § 59 Rn. 11 ff. Albrecht 2017, § 40 Rn. 16. 68 Vgl. Streng 2012, Rn. 164. 69 Erschwert wird die Suche des Rechtsanwenders nach Hinweisen für ein geeignetes Vorgehen dadurch, dass unklar ist, wo Informationen zu einem Problem zu finden sind, zu dem keine explizite Regelung existiert: bei den Erläuterungen zu § 40, zu § 46 oder zu § 47 StGB? 70 Vgl. etwa Grube 2020, Vor § 40 Rn. 40, wobei es nicht von vornherein ausgeschlossen sei, „auch in diesen Fällen … auf eine angemessen hohe Geldstrafe zu erkennen.“ HeintschelHeinegg 2020, § 46 Rn. 126 spricht gar von einer „Umwandlung“ der Freiheits- in eine Geldstrafe. 71 Schäfer, Sander & van Gemmeren 2017, Rn. 1193. 67

846

Jörg Kinzig

fensanktion verbunden ist, verzichtet werden, sei eine Geldstrafe festzusetzen.72 Vergleichsweise ausführlich hat sich Wolters der Thematik gewidmet. Er wendet sich zunächst zutreffend gegen eine schlichte Umkehr des Grundsatzes des § 47 StGB in diesem Bereich mit der Folge, „dass die Verhängung der Strafe als Freiheitsstrafe die Regel und die Geldstrafe die Ausnahme“ sei,73 wobei er im Folgenden mit von sechs Monaten bis zu einem Jahr steigendem Strafquantum „eine lineare Entwicklung“ hin von einer Geld- zu einer Freiheitsstrafe favorisiert.74 Die genannten unterschiedlichen Ansichten sind auf eine nur schwer mit der Verfassung vereinbare Abstinenz des Gesetzgebers in einer wichtigen Frage zurückzuführen, bei der immerhin die Würfel über die Freiheitsentziehung eines Angeklagten fallen.75 Jedenfalls ist dem Gesetz kein Vorrang der Freiheits- gegenüber der Geldstrafe zu entnehmen. Im Übrigen hat das Gericht in diesem grundrechtssensiblen Bereich seine Entscheidung sorgfältig zu begründen. Dabei wird, je näher sich die Strafe der Grenze von einem Jahr nähert, desto eher eine Freiheitsstrafe in Betracht kommen. Reicht jedoch eine Geldstrafe aus, wäre eine Freiheitsstrafe schon aus Gründen der Verhältnismäßigkeit verfehlt.76

5. Zusammenfassung Ein normativer und rechtstatsächlicher Vergleich von Geldauflage, Verwarnung mit Strafvorbehalt und Geldstrafe lässt sich wie folgt resümieren. 1. Die Voraussetzungen der drei Sanktionen, mit denen ein Beschuldigter in einem Strafverfahren zur Zahlung eines Geldbetrages verpflichtet werden kann, sind unterschiedlich dicht ausgestaltet. Die auch nach der Gesetzesreform des Jahres 2006 restriktive Normierung der Verwarnung mit Strafvorbehalt korrespondiert nach wie vor mit einem geringen Anwendungsbereich. 2. § 153a StPO ist sowohl in seinen Anforderungen als auch in seinem Umfang, insbesondere was die Höhe der Geldauflage angeht, geradezu obszön voraussetzungsarm. Schon deswegen ist ein Vorgehen nach § 153a StPO an sich auf Fälle „geringfügiger Kriminalität“ zu beschränken.77 Dabei empfiehlt es sich, 72

Miebach & Maier 2016, § 46 Rn. 132. Wolters 2016, vor § 46 Rn. 22. 74 Wolters 2016, § 47 Rn. 7 ff. 75 Dies gilt, auch wenn Albrecht zu Recht auf eine zunehmende Konvergenz zwischen Geld- und Freiheitsstrafe im Bereich von bis zu einem Jahr hinweist, vgl. Albrecht 2017, § 40 Rn. 7. 76 Vgl. Kinzig 2019, § 46 Rn. 64; in diese Richtung auch Miebach & Maier 2016, § 46 Rn. 132. 77 Auch in der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zum Verständigungsgesetz (vgl. BVerfGE 133, 168 (226)) wird ein „Absehen von der Strafverfolgung“ auf Fälle geringfügiger Kriminalität begrenzt, „in denen der Rechtsfrieden nicht ernsthaft beeinträchtigt und eine Kriminalstrafe zum Schuldausgleich nicht zwingend geboten ist, so dass ein öffent73

„Und immer geht’s ums Geld“

847

die Grenze der Schwere der Schuld, bis zu der noch eine Einstellung gegen eine (Geld-)Auflage in Betracht kommt, bei einer Geldstrafe von bis zu 180 Tagessätzen zu ziehen. 3. „De lege ferenda“ scheint es angebracht, das Verhältnis zwischen § 153a StPO und § 59 StGB (mindestens) neu zu justieren, § 153a StPO zu präzisieren oder gar ganz abzuschaffen. Dabei sind auch die Rückwirkungen auf das Rechtsinstitut der Verständigung im Strafverfahren in den Blick zu nehmen. Der AE – Abgekürzte Strafverfahren im Rechtsstaat erscheint dafür als taugliche Diskussionsgrundlage. 4. In rechtstatsächlicher Hinsicht scheint das Potential eines Vorgehens nach § 153a StPO derzeit ausgeschöpft. Daran hat auch die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zum Verständigungsgesetz augenscheinlich nichts geändert. Demgegenüber hat die Geldstrafe seit Beginn dieses Jahrhunderts auf hohem Niveau weiter an Bedeutung gewonnen. Dies gilt in moderater Art und Weise auch für den Bereich zwischen 91 bis 180 Tagessätzen. 5. Dass im Bereich zwischen sechs und zwölf Monaten keine gesetzlichen Vorgaben darüber existieren, ob eine Freiheits- oder eine Geldstrafe anzuordnen ist, ist rechtsstaatlich bedenklich. Die in der Praxis vorherrschende Einstellung, die Freiheitsstrafe als Regel und die Geldstrafe als Ausnahme vorzusehen, hat keine normative Grundlage. Diese Thesen können erst den Anfang einer noch zu führenden Diskussion bilden. Es ist zu wünschen, dass sich auch Hans-Jörg Albrecht daran in gewohnter und bewährter Weise beteiligen wird. Literaturverzeichnis Albrecht, H.-J. (1978): Statistische Angaben über die Geldstrafe in der Bundesrepublik Deutschland, in: H.-H. Jescheck & G. Grebing (Hrsg.), Die Geldstrafe im deutschen und ausländischen Recht. Baden-Baden, S. 165 – 191. Albrecht, H.-J. (1980): Strafzumessung und Vollstreckung bei Geldstrafen unter Berücksichtigung des Tagessatzsystems. Berlin. Albrecht, H.-J. (1994): Strafzumessung bei schwerer Kriminalität: Eine vergleichende theoretische und empirische Studie zur Herstellung und Darstellung des Strafmaßes. Berlin. Albrecht, H.-J. (2017): §§ 40 – 43 und §§ 59 – 60, in: U. Kindhäuser, U. Neumann & H.-U. Paeffgen (Hrsg.), Strafgesetzbuch, NomosKommentar. 5. Aufl. Baden-Baden. Albrecht, H.-J. & Sieber, U. (Hrsg.) (2006): Strafrecht und Kriminologie unter einem Dach: Kolloquium zum 90. Geburtstag von Professor Dr. Dr. h.c. mult. Hans-Heinrich Jescheck am 10. Januar 2005. Berlin. liches Interesse an einem Schuldspruch nicht besteht oder durch die Erfüllung von Auflagen oder/und Weisungen beseitigt werden kann.“

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Jörg Kinzig

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Die Auswirkungen von zwei Aktenuntersuchungen auf den Verlauf des Strafverfahrens in der Türkei Von Feridun Yenisey

1. Einführung Die erste Aktenuntersuchung über den Verlauf des Strafverfahrens in der Türkei von 1998, deren Ergebnisse als wissenschaftliche Grundlage für eine Reform1 des Strafverfahrens im Jahr 2004 gedient haben, wurde unter der Betreuung des verehrten Jubilars Hans-Jörg Albrecht durchgeführt. Zusammen mit meinem Lehrer Sulhi Dönmezer haben wir 1.117 Gerichtsakten von Istanbuler Strafgerichten mit Entscheidungen untersucht, die vor 1998 rechtskräftig geworden waren.2 Damals galten Verfahrensverzögerungen und die Verletzung des Fair-Trial-Prinzips als die wichtigsten Probleme. In den Akten wurden deswegen die einzelnen Handlungen der Verfahrensbeteiligten untersucht, und es zeigte sich, dass es im Allgemeinen sehr lange Wartezeiten zwischen einzelnen Handlungen gab, die Ermittlungen oberflächlich und innerhalb von kurzer Zeit geführt wurden und die Hauptverhandlung zusammen mit der Rechtsmittelphase Jahre dauerte. Nach dem Inkrafttreten der neuen Strafprozessordnung3 (Ceza Muhakemesi Kanunu; CMK), hat die Bahçes¸ehir Universität zwischen Oktober 2011 und Februar 2012 die zweite Aktenuntersuchung durchgeführt, wieder unter der wissenschaftlichen Betreuung von Hans-Jörg Albrecht (465 Akten vom Friedensgericht, 322 vom Amtsgericht und 212 vom Schwurgericht).4 Auch die Ergebnisse dieser zweiten Aktenuntersuchung haben bei den jüngsten Änderungen indirekt Auswirkungen auf die Regelungen zur Verfahrensbeschleunigung und zur Untersuchungshaft gehabt. 1 Die 1985 eingesetzte Kommission zur Erarbeitung eines neuen Strafgesetzbuchentwurfs unter dem Vorsitz von Sulhi Dönmezer stellte den ersten Entwurf im Jahr 1987 fertig. Später wurde die Aufgabe der Reformkommission erweitert und mehrere Gesetze wurden vorbereitet, zu denen die Strafprozessordnung, das Strafvollzugsgesetz und das Jugendschutzgesetz zu zählen sind, die ein gesamtes System bilden. Die neuen Gesetze wurden im September 2004 verabschiedet und traten 2005 in Kraft; Tellenbach 2008, 2. 2 Dönmezer & Yenisey 2000. 3 Für die deutsche Übersetzung und Einführung siehe Arslan 2017. Das neue Gesetz hat im Allgemeinen die Grundprinzipien des alten, von der deutschen StPO fast wortwörtlich rezipierten Gesetzes Nr. 1412 von 1929 übernommen. Es gibt aber einige grundlegende Abweichungen, über die wir im Folgenden sprechen werden. 4 Yenisey & Nuhog˘ lu 2015, 7.

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In diesem Beitrag werde ich einige Ergebnisse beider Aktenuntersuchungen vergleichen. Dabei will ich einige Auswirkungen der Aktenuntersuchung von 1998 auf die Gesetzgebung von 2004 zeigen, anhand von Beispielen aus Istanbuler Akten darlegen, wie die neuen Gesetze den Gang des Strafverfahrens beeinflusst haben, und schließlich einige neueste Änderungen skizzieren, deren Auswirkungen bislang noch nicht untersucht sind.

2. Ermittlungsverfahren Das Strafverfahren läuft in der Türkei in zwei Phasen ab: Ermittlungsphase und Verfolgungsphase. Die Ermittlungsphase beginnt mit der Feststellung des Staatsanwalts, dass tatsächliche Anhaltspunkte für eine begangene Straftat vorliegen. Falls dies bei einem angezeigten Sachverhalt nicht der Fall ist, ermittelt er überhaupt nicht und entscheidet darüber, dass er nicht einschreiten wird (Art. 158/6 CMK). Diese Betonung der Unschuldsvermutung wurde im Jahre 2017 durch die Änderung in der Strafprozessordnung durch die Rechtsverordnung mit Gesetzeskraft (KHK) Nr. 694 verstärkt, die durch Gesetz Nr. 7078 im Jahr 2018 bestätigt wurde.5 Dieser rechtstaatliche Schutz des Bürgers vor möglichen strafprozessualen Zwangsmaßnahmen wurde schon vor vielen Jahren vorgeschlagen und ist zu begrüßen.6 Die Staatsanwaltschaft ist verpflichtet, Ermittlungen aufzunehmen, wenn hinreichende tatsächliche Anhaltspunkte einen Tatverdacht begründen (Art. 160 CMK; wie StPO 152/2). Die Beurteilung erfolgt gemäß der Einschätzung einer durchschnittlichen Person, d. h. ob im Allgemeinen ein solcher Anschein entsteht (Art. 160/1 CMK). Die Staatsanwaltschaft führt die Ermittlungen entweder selbst durch oder beauftragt damit die Kriminalpolizei (Art. 161/1 CMK).7 Die Kriminalpolizei darf nur dann ermitteln, wenn der Staatsanwalt es angeordnet hat. Eine eigenständige Ermittlung durch die Polizei wurde in der Türkei in Reaktion auf die Ergebnisse der Aktenuntersuchung verboten.8 Trotzdem wurden Anzeigen über Straftaten oder Straf5

Yenisey & Nuhog˘ lu 2019, 571. Unter dem Begriff ,staatsanwaltschaftlicher Bescheid über Nichteinschreiten‘ (kog˘ us¸turmama kararnamesi) hatte Kunter ein wissenschaftliches Prinzip formuliert (Kunter 1989, 797). Bei unseren Vorschlägen nach der Aktenuntersuchung 1998 hatten wir zur Stärkung von Beschuldigtenrechten dieses Erfordernis ebenfalls betont (Dönmezer & Yenisey 2000, 268). 7 Die Aufgaben der Kriminalpolizei sind in Art. 164 CMK geregelt, aber eine besonders ausgebildete organisatorische Einheit innerhalb der Sicherheitskräfte gibt es nicht. Beamte von verschiedenen Dezernaten werden vorübergehend auf diese Posten berufen und führen dann die justiziellen Anordnungen des Staatsanwalts aus. Die Gründung einer Kriminalpolizei in der Türkei wird immer diskutiert, aber bis heute ohne Erfolg (Yenisey 2015, 417 ff.). 8 Nach den Ergebnissen der Aktenuntersuchung hat die Staatsanwaltschaft in den 1.117 Akten in 143 Fällen selbst zusätzliche Ermittlungen durchgeführt, aber in 906 Fällen keine (Dönmezer & Yenisey 2000, 154) und die Zusammenfassung der polizeilichen Ermittlungs6

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anträge9 vor und nach der Reform im Allgemeinen bei der Polizei eingereicht.10 Das Hauptanliegen des Gesetzgebers von 2005 war die Stärkung der Befugnisse der Staatsanwaltschaft, um die Polizei unter einer rechtlichen Kontrolle zu halten, was aber tatsächlich nicht umgesetzt wurde. Die Polizei ist noch immer die führende Kraft bei Ermittlungen.11 Die Polizei hat als erste Ermittlungshandlung am häufigsten Vernehmungen durchgeführt.12 Die polizeiliche Tatortarbeit, Bringen des Beschuldigten zum Tatort13, Gegenüberstellung des Beschuldigten mit dem Zeugen oder dem Verletzten, und die körperliche Untersuchung waren die übrigen Ermittlungshandlungen der Polizei. Eine Vernehmung des Beschuldigten vor der Klageerhebung ist in der Türkei gesetzlich nicht vorgeschrieben.14 Trotzdem wurde der Beschuldigte am häufigsten von der Polizei vernommen.15 Die Aussagebereitschaft des Beschuldigten ändert sich auch nach der Art des Vorwurfs, je nach dem aburteilenden Gericht.16 Der Gesetzgeber hat Maßnahmen getroffen, um unzulässige Vernehmungsmethoden zu verhindern. Zu diesem Zwecke hat

ergebnisse in eine Anklageschrift umgewandelt (Dönmezer & Yenisey 2000, 168). Dieses Verhalten, was zu Verzögerungen in der Hauptverhandlung führte, wurde mit der enormen Arbeitslast der Staatsanwälte erklärt. 9 Die Zahl der eigenständigen Ermittlungen ist jedoch gesunken (auf 294 gegenüber 367 vor 1998). Von den mutmaßlich begangenen Straftaten erfuhren die Verfolgungsbehörden meistens durch einen Strafantrag oder eine Anzeige (501 gegenüber 1998 nur 274 + 7 durch Privatklage). Die Zahl von Anzeigen ist gesunken (183 gegenüber 437 vor 1998) (Dönmezer & Yenisey 2000, 91). 10 Vor der Reform erhielten von den begangenen Straftaten in 1.117 Akten in 560 Fällen die Polizei und in 398 Fällen die Staatsanwaltschaft Kenntnis. Nach 2005 erhielten von den Straftaten in 1.000 untersuchten Akten 515 zuerst die Polizei, 8 die Gendarmerie und 397 die Staatsanwaltschaft Kenntnis. Bei einzelnen Straftaten erhielten auch sonstige Behörden zuerst Kenntnis (Dönmezer & Yenisey 2000, 91). 11 Die gesetzwidrigen eigenständigen Ermittlungen der Polizei machen die dadurch gewonnenen Beweismittel unbrauchbar (Gökçen et al. 2018, 540). 12 Es gab 167 Vernehmungen vor 1998, 204 Vernehmungen vor 2012, 74 Personendurchsuchungen vor 2012, 104 vor 1998 sowie 64 vorläufige Festnahmen vor 2012 und 52 vor 1998 (Dönmezer & Yenisey 2000, 95). Es gibt aber Fälle, wo die Polizei überhaupt nicht ermittelte, dann nämlich, wenn die Strafsache unter die Zuständigkeit der später abgeschafften Friedensgerichte fiel. 13 Eine der Vorschriften, die durch die Ergebnisse der Aktenuntersuchung (Dönmezer & Yenisey 2000, 105) berührt worden sind, ist die Tatortbesichtigung des Staatsanwalts, wobei der Beschuldigte den Tatort zeigt (Art. 85 CMK). Vorher gab es Angriffe der Bevölkerung gegen den mutmaßlichen Beschuldigten, der durch die Polizei eigenständig zum Tatort gebracht wurde. Nunmehr soll der Staatsanwalt darüber entscheiden und selber dabei sein. 14 Wir hatten vorgeschlagen, dies als eine Sollvorschrift einzuführen (Dönmezer & Yenisey 2000, S. 101), was aber nicht geschah. 15 Dönmezer & Yenisey 2000, 102. 16 Dönmezer & Yenisey 2000, 103.

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man auch eine ärztliche Kontrolle eingeführt. So wird der Beschuldigte zum Beispiel kurz nach der Festnahme und alle 24 Stunden körperlich untersucht. Die körperliche Untersuchung zur Beweisgewinnung ist ausführlich geregelt in Art. 75 CMK, wobei die Ergebnisse17 der ersten Aktenuntersuchung berücksichtigt wurden. Auf diese Weise war ein Rückgang an solchen Fällen zu beobachten. Die Einwilligung des Verletzten wurde eingeholt in 13 Fällen bei der ersten Aktenuntersuchung, was bei der körperlichen Untersuchung eine wichtige Rolle spielt. Wartezeiten auf die gerichtsmedizinischen Untersuchungen sind eine Ursache für Verzögerungen im Strafverfahren, die aber für die Wahrheitsfindung von erheblicher Bedeutung sind. Die meisten von ihnen wurden in polizeilichen Labors durchgeführt.18 Die Zeugen der Tat wurden auch meistens von der Polizei vernommen,19 es gab überwiegend nur einen Zeugen, manchmal gibt es aber mehrere Zeugen. Die Opfer wurden geladen und vom Staatsanwalt vernommen.20 Die Opferrechte sind nun im Strafprozess geregelt, was in den vorherigen Gesetzen mangelhaft war. Das Gesetz regelt umfangreiche Rechte für den Verletzten, die 2019 durch das Gesetz Nr. 7188 noch ausgeweitet worden sind (Art. 236 CMK). Obwohl der Beschuldigte in der Türkei im Ermittlungsverfahren vor der Anklageerhebung nicht angehört werden muss, ist die Ladung und Anhörung des Verletzten und des Antragstellers im Ermittlungsverfahren durch die Staatsanwaltschaft, und im Hauptverfahren durch das Gericht oder den Vorsitzenden als eine „Soll“-Vorschrift ausgestaltet worden (Art. 233 CMK). Das Opfer und der Antragsteller haben ein Antragsrecht auf Beweiserhebung, Akteneinsicht und die Beauftragung eines Opferanwalts für bestimmte Delikte in der Ermittlungsphase (Art. 234/1 CMK). Das Opfer, das durch die begangene Straftat seelisch belastet worden ist, darf während des ganzen Verfahrens nur einmal und in Anwesenheit eines Experten vernommen werden (Art. 236 CMK); diese Vernehmung wird auf Video aufgenommen (Art. 52/3 CMK). Die Verletzten haben aber von ihren Rechten in den letzten Jahren nicht sehr viel Gebrauch gemacht. Die Zahl der richterlichen Anordnungen über Durchsuchungen beim Beschuldigten selbst und seiner Wohnung betrug in den Akten aus der Zeit vor 1998 nur 7, und in 232 Fällen hatte die Polizei ohne eine richterliche Anordnung oder staatsanwaltschaftliche Weisung Personen und Wohnungen durchsucht.21 Die Polizei machte da17

In den 1.117 Akten gab es 232 körperliche Untersuchungen. Darunter wurde das Opfer bei 87,29 % der Sexualstraftaten untersucht, ob es noch Jungfrau ist (Dönmezer & Yenisey 2000, 106). Diese Feststellung führte zur Einführung eines neuen Straftatbestandes von Genitaluntersuchung im neuen Strafgesetzbuch in Artikel 287 TCK: Wer ohne Beschluss eines zuständigen Richters eine Person zur Genitaluntersuchung schickt oder eine solche vornimmt, wird mit drei Monaten bis zu einem Jahr Gefängnis bestraft. 18 Dönmezer & Yenisey 2000, 108. 19 Dönmezer & Yenisey 2000, 104. 20 Soyaslan 2018, 495. 21 Dönmezer & Yenisey 2000, 150.

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mals also die Hausdurchsuchungen meistens ohne richterliche Anordnung und holte die mündliche Einwilligung des Betroffenen ein, als ob es um einen eiligen Fall ginge. Diese Befunde der Aktenuntersuchung bewegten den Grundgesetzgeber zur Abschaffung von Durchsuchungen aller Art ohne vorherige schriftliche Erlaubnis des Richters, in Eilfällen einer sonstigen zuständigen Stelle (Art. 20 tVerf). Heute hat sich dieses Problem durch die strenge Haltung des Kassationsgerichts erledigt: unrechtmäßig erlangte Beweise sind verboten und unverwertbar (Art. 217/2 CMK). Die Handhabung von Untersuchungshaft war und ist noch immer ein Problem in der Türkei.22 Die türkische Strafprozessordnung erfordert für die Anordnung der Untersuchungshaft einen dringenden Tatverdacht, einen besonderen Haftgrund und die Verhältnismäßigkeit der Untersuchungshaft (Art. 100/1 CMK).23 Diese materiellen Voraussetzungen sind strenger als die in Art. 5/1c EMRK.24 Der Haftbefehl muss in Anwesenheit25 des Beschuldigten erlassen werden (Art. 100/1 CMK).26 Auch die Prüfung der Untersuchungshaft erfolgt nach Anhörung des Beschuldigten oder seines Verteidigers (Art. 108/1 CMK). Der Erlass eines Steckbriefs in Abwesenheit ist möglich, ist aber nur erlaubt nach Nichterscheinen des Beschuldigten auf eine ordnungsgemäße Ladung (Art. 98/1 CMK). Der Beschuldigte, der aufgrund eines Streckbriefs festgenommen wird, wird innerhalb von vierundzwanzig Stunden dem zuständigen Richter vorgeführt. Falls dies nicht möglich ist, so wird die Vernehmung durch den Einsatz von Ton- und Bildübertragung durchgeführt (Art. 94/2 CMK). Die Strafprozessordnung von 1929 sah nur sehr beschränkte Möglichkeiten der Pflichtverteidigung vor, der Beschuldigte konnte sich aber in allen Fällen einen Verteidiger wählen oder sich von der Rechtsanwaltskammer einen solchen bestimmen lassen (Art. 136 ff.). Wir mussten dennoch feststellen, dass in der Aktenuntersuchung von 1998 in 300 der 1.117 Akten der Beschuldigte keinen Verteidiger hatte.27 Ein Pflichtverteidiger war in 48 Fällen vorhanden.28

22 In den 1.117 Akten gab es 178 Untersuchungshaftanordnungen (Dönmezer & Yenisey 2000, 143). Meistens wurden die Haftgründe nicht mit konkreten Tatsachen verbunden. 23 2004 wollte der Gesetzgeber die Häufigkeit der Untersuchungshaft senken, indem er die Formulierung der Untersuchungshaftgründe umfangreich beschrieben hat und verlangte, dass der Richter bei der Begründung seiner Entscheidung die Beweise, die den dringenden Tatverdacht, das Vorliegen der Haftgründe und die Angemessenheit der Verhaftungsmaßnahme genau anführt (Art. 101/2 CMK). 24 Arslan 2018, 37. 25 Damals gab es 13 Fälle, die in Abwesenheit des Beschuldigten entschieden wurden (Dönmezer & Yenisey 2000, 114). 26 S¸ahin & Göktürk 2019a, 307. 27 Dönmezer & Yenisey 2000, 91. 28 Die Verteidigung war gegenüber den Zwangsmaßnahmen eher passiv und hat gegen die richterlichen Entscheidungen selten Einspruch erhoben. Es gab bei der Untersuchungshaft 32 Fälle von Einsprüchen gegen die richterliche Anordnung; nur 2 Einsprüche waren erfolgreich (Dönmezer & Yenisey 2000, 152).

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Das Gesetz sieht heute eine Pflichtverteidigung in Fällen vor, in denen es um eine Tat geht, die mit mindestens fünf Jahren Freiheitsstrafe bedroht ist (Art. 150 CMK). Der Verteidiger wird von der Anwaltskammer berufen, wenn der Beschuldigte selbst keinen wählt.29

3. Abschluss der Ermittlungen Der Staatsanwalt erstellt eine Anklageschrift, falls ein hinreichender Verdacht vorliegt (Art. 170 CMK) andernfalls stellt er das Verfahren ein (Art. 172 CMK). Das Legalitätsprinzip wird durch das Klageerzwingungsverfahren gesichert. Das Weisungsrecht des Justizministers wurde in der Türkei schon 2004 abgeschafft. Nachdem die Polizei die von dem Staatsanwalt übertragene Ermittlungsaufgaben erledigt hat, leitet sie die Befunde der Staatsanwaltschaft zu (Art. 160 CMK). Die Staatsanwaltschaft beruft dann manchmal einen Sachverständigen,30 um die Beweismittel sachlich richtig zu bewerten oder entscheidet über ihre örtliche Unzuständigkeit. Wenn die erhobenen Beweise nicht ausreichend sind, eine Anklageschrift einzureichen, dann stellt sie das Verfahren aus sachlichen Gründen ein (Art. 172 CMK). Der Bestimmtheitsgrundsatz und das Gleichheitsprinzip verlangen, dass der Gesetzgeber die Ausübung der Strafgewalt selbst bestimmt und nicht der Staatsanwaltschaft überlässt. Die Staatanwaltschaft hat unmittelbar eine Anklageschrift vorzulegen, wenn hinreichender Verdacht vorliegt.31 Das Opportunitätsprinzip kommt daher in der Türkei nur in wenigen Fällen (Art. 171/1 CMK) zur Anwendung.32 Bei tätiger Reue und bei persönlichen Strafausschließungsgründen ist die Staatsanwaltschaft ermächtigt, zwischen Anklageerhebung und Verfahrenseinstellung zu wählen. Die türkische Strafprozessordnung kennt heute eine weitere Gruppe von Ausnahmen, wo trotz bestehenden Tatverdachts der Anklagezwang durchbrochen werden kann: i.) die Verfahrenseinstellung gegen Zahlung der Mindeststrafe (Art. 75 Strafgesetzbuch, im Folgenden TCK, önödeme), ii.) die Mediation im Strafverfahren 29

Bei der Aktenuntersuchung vor 2012 haben wir 80 Akten festgestellt, in denen ein Pflichtverteidiger bestellt war (Dönmezer & Yenisey 2000, 126). 30 So wurden vor 1998 in 39 Akten Sachverständige beauftragt (Dönmezer & Yenisey 2000, 157); die Zahl in der Zeit vor 2012 betrug 232. Eine ausführliche Aufklärung des Sachverhalts im Ermittlungsverfahren ist dienlich für den zügigen Ablauf der Hauptverhandlung. Deswegen ist es zu begrüßen, dass die Zahl der Sachverständigengutachten im Ermittlungsverfahren gestiegen ist. Die Wartezeit auf ein Gutachten sollte verkürzt werden, weil seine Länge ein regelmäßiges Problem im Bereich der Verfahrensverzögerung ist. Es ist aber im Interesse einer zügigen Hauptverhandlung, ein langes Ermittlungsverfahren durchzuführen. 31 Dieses strenge Legalitätsprinzip wurde vor 2004 gelockert durch Antragsdelikte, Privatklage und Strafbefehl (so gab es in den 1.117 Akten z. B. 187 Fälle, die durch Strafbefehl erledigt wurden; Dönmezer & Yenisey 2000, 162). Der Gesetzgeber hat diese Ausnahmen erweitert, wie wir unten sehen werden. 32 Karakehya 2016, 419.

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(uzlas¸tırma) (Art. 253, 254 CMK), iii.) die vorläufige Einstellung der Klageerhebung (kamu davasının açılmasının ertelenmesi) (Art. 171/2 CMK) und iv.) der Strafbefehl des Staatsanwalts (seri muhakeme usulü) (Art. 250 CMK).33 Verfahrensdauer und Effizienz der Strafjustiz sind wichtige Bausteine eines fairen Verfahrens. Die Zahl der eingehenden Strafsachen und die Kapazitäten der Rechtspflege müssen in einem angemessenen Verhältnis zueinander stehen. Zu diesem Zwecke hatte die Reform von 2004 die Übertretungen aus dem Strafgesetzbuch herausgenommen und als Ordnungswidrigkeiten in einem besonderen Gesetz geregelt. Die Privatklage, das Adhäsionsverfahren und der Strafbefehl wurden abgeschafft. An deren Stelle wurden neue Institute eingeführt, die den Schadensersatz für das Opfer in den Vordergrund stellen, wie Mediation (Art. 253 CMK) und Sicherheitsleistung bei der Justizkontrolle34 (Art. 109 CMK). In dem Gesetzestext sind einige konsensuale Aspekte und einige Elemente aus dem akkusatorischen Verfahrensmodell eingefügt worden. Die erwartete Entlastung der ordentlichen Gerichte war dabei ebenfalls ein gewichtiges Argument, aber die zusätzliche Arbeitslast der Staatsanwaltschaft konnte man nicht vorhersehen. Da aber der Großteil der Arbeitslast der Gerichte bei kleiner und mittlerer Kriminalität liegt, hat der Gesetzgeber 2019 als zusätzliche Alternativen zur Aburteilung vor Gericht zwei Strafbefehle türkischer Art eingeführt (Art. 250 und 251 CMK), die wir unten beschreiben werden. Die Arbeitslast der ordentlichen Gerichte ist immer ein Problem der türkischen Strafjustiz gewesen. So hat man schon im Strafgesetz von 1925 einen Ausweg gefunden, indem man für Straftaten, die im Gesetz aufgezählt sind und die nur eine Geldstrafe nach sich ziehen oder bei denen die gesetzlich vorgesehene Höchststrafe drei Monate Gefängnisstrafe nicht überschreitet, keine öffentliche Klage erhebt, falls der Täter die Mindeststrafe zusammen mit den Verfahrenskosten auf die Aufforderung der Staatsanwaltschaft hin binnen zehn Tagen im Voraus bezahlt (jetzt Art. 75/1 TCK). Wo die Sache direkt bei Gericht anhängig ist, entfällt die öffentliche Klage, wenn der Täter auf die Mitteilung des Richters hin den Betrag zusammen mit den Verfahrenskosten zahlt (Art. 75/2 TCK). Bei Delikten, die durch Mediation erledigt werden können, ist dieses Verfahren nicht anwendbar. Die Mediation ist eines der wichtigsten Rechtsinstrumente zur Entlastung der Justiz, die die Dönmezer-Reformkommission vorgeschlagen und durchgesetzt hat. Die Einführung der Mediation war dann auch eine der Voraussetzungen für einen Beitritt der Türkei zur EU und wurde als eine Ausnahme vom Legalitätsprinzip (Art. 253 CMK) ausgestaltet. Die vorteilhafte Regelung zur Mediation im Jugendschutzgesetz 33 Nach der Anklage gibt es noch die Möglichkeit des gerichtlichen Strafbefehls (basit yargılama usulü) (Art. 251, 252 CMK) und der „vorläufigen Einstellung der Urteilsverkündung unter Auflagen mit Einwilligung des Angeklagten“ (hükmün açıklanmasının geri bırakılması), siehe unten unter 4. 34 Die Justizkontrolle ist eine Art der „Aussetzung des Vollzugs des Haftbefehls“ (§ 116 StPO), wobei im türkischen Recht die Justizkontrolle eine eigenständige Entscheidung ist, und ein Haftbefehl erst dann erlassen wird, wenn der Beschuldigte die auferlegten Maßnahmen, wie z. B. Sicherheitsleistung, nicht erfüllt.

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von 2005 (C¸ocuk Koruma Kanunu, Art. 24) wurde ebenfalls im Jahr 2006 der komplizierten Erwachsenen-Mediation gleichgestellt. Die Einzelheiten des Mediationsverfahrens sind durch eine Durchführungsverordnung geregelt (Art. 253/24 CMK). Bei Straftaten, bei denen die Mediation zulässig ist und hinreichender Tatverdacht vorliegt, macht der Mediator dem Beschuldigten und dem Opfer oder dem Verletzten nach Ablauf einer „Abkühlungsperiode“ einen Mediationsvorschlag. Wenn der Beschuldigte am Ende des Mediationsverfahrens die Leistung in einem einzigen Akt erbringt, wird das Ermittlungsverfahren gegen ihn eingestellt. Wird ein Ausgleich erzielt, so verliert das Opfer sein Recht, eine Schadensersatzklage zu erheben; falls eine Klage anhängig ist, so wird diese Klage als zurückgenommen erachtet. Falls der Beschuldigte die Leistung nicht erbringt, so wird der Mediationsbericht oder das Mediationsschriftstück als Dokument erachtet, das im Sinne des Art. 38 Vollstreckungs- und Konkursgesetz Nr. 2004 vom 09. 06. 1932 einem Urteil gleichgestellt ist (Art. 253/19 CMK). Bei Straftaten, die auf Strafantrag hin ermittelt oder verfolgt werden, ist ein Ausgleichsversuch (Mediation) zwischen dem Beschuldigten und dem Opfer, der eine natürliche Person oder juristische Person des Privatrechts ist, gesetzlich vorgeschrieben (Art. 253/1 CMK). Die Zahl der Frauen, die Opfer einer Straftat waren, ist ebenso wie die Zahl der Antragsdelikte gestiegen, was für die Anwendung der Mediation von Bedeutung ist.35 Außerdem ist die Mediation zulässig bei Straftaten, die im Gesetz abschließend aufgezählt sind (Art. 253/1 CMK). Bei Straftaten gegen die sexuelle Integrität und bei Straftaten, bei denen eine Regelung über tätige Reue vorgesehen ist, ist ein Mediationsverfahren ausgeschlossen, auch wenn sie Antragsdelikte sind. Obwohl die Mediation in vielen Ländern auch bei häuslicher Gewalt erfolgreich angewendet wird, wird sie in der Türkei im Allgemeinen abgelehnt. Wenn jemandem ein Mediationsvorschlag unterbreitet wird, wird er über das Wesen der Mediation und die rechtlichen Konsequenzen der Annahme oder der Ablehnung der Mediation belehrt (Art. 253/5 CMK). Das Mediationsverfahren ist nichtöffentlich durchzuführen. Der Beschuldigte, das Opfer, der Verletzte, der gesetzliche Vertreter, der Verteidiger und der bevollmächtigte Vertreter dürfen an den Mediationsverhandlungen teilnehmen. Die Erklärungen, die während der Mediationsverhandlungen abgegeben werden, dürfen nicht als Beweismittel bei irgendeiner Ermittlung oder Verfolgung oder bei einer Anklage verwendet werden; es gibt also ein Beweisverbot (Art. 253/20 CMK). Die Entscheidungen, die am Ende der Mediation getroffen werden, können mit den ordentlichen Rechtsmitteln angegriffen werden (Art. 253/23 CMK). 35 In den Aktenuntersuchungen war die Zahl der Offizialdelikte 855 vor 1998 und sank auf 561 vor 2012; demgegenüber betrug die Zahl der Antragsdelikte 232 vor 1998 und stieg auf 401 vor 2012 an. Strafantrag wurde in 184 Fällen an die Staatsanwaltschaft, in 84 Fällen bei der Polizei und in 8 Sachen bei der Gendarmerie gestellt; 132 von ihnen wurden zurückgezogen. Laut Gesetz wird eine Festnahme bei Antragsdelikten der berechtigten Person mitgeteilt (Art. 90/3 CMK), was in 18 Sachen geschah.

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Die Einstellung des Verfahrens kann auch erfolgen in Anwendung des Opportunitätsprinzips (Art. 171/1 und 2 CMK), was in der Gesetzespraxis außerordentlich selten vorkam (nur bei 3 Fällen vor 1998).36 Deswegen wurde 2006 eine neue Regelung über die vorläufige Einstellung der Klageerhebung unter Auflagen eingeführt, die dem Staatsanwalt die Möglichkeit dazu bietet, wenn bestimmte Voraussetzungen37, die alle zusammen erfüllt sein müssen, vorliegen. Sie ermöglicht, unter Auflagen für fünf Jahre die Erhebung der öffentlichen Klage aufzuschieben, obwohl hinreichender Tatverdacht besteht (Art. 171/2 CMK). Falls der Beschuldigte den Schaden in vollem Umfang ersetzt und innerhalb der Bewährungsfrist keine weitere vorsätzliche Straftat begeht, wird das Verfahren eingestellt (Art. 171/4 CMK). Diese Regelung war nur anwendbar bei Antragsdelikten, die mit Gefängnisstrafe bis zu einem Jahr bedroht sind. Der Gesetzgeber hat durch die Novelle von 2019 (Gesetz Nr. 7188) die vorläufige Einstellung der Klageerhebung ausgeweitet, indem man die Strafobergrenze auf bis zu drei Jahren erweitert und das Erfordernis, dass es sich um ein Antragsdelikt handeln muss, aufgehoben hat. Nunmehr ist zu erwarten, dass mit diesem alternativen Instrument eine stärkere Entlastung der Gerichte eintreten wird. Es gibt noch eine weitere Regelung im Strafgesetzbuch über die Verfahrenseinstellung bei Rauschgiftkonsum oder bei Besitz von Betäubungsmitteln nur zum Eigenverbrauch.38 In solchen Fällen muss die Staatsanwaltschaft die Anklage für fünf Jahre aussetzen, von denen mindestens ein Jahr unter Bewährung vergehen muss (Art. 191/3 TCK). Die Staatsanwaltschaft stellt die Ermittlungen nach fünf Jahren ein, falls der Beschuldigte die Bewährungsauflagen erfüllt (Art. 191/7 TCK). Wenn der Beschuldigte innerhalb der Bewährungszeit die Auflagen der Behandlung, Verbot von Ankauf und Konsum von Betäubungsmittel nicht erfüllt, so wird gegen ihn Anklage erhoben (Art. 191/4 TCK). Die Zuwiderhandlungen gegen diese Auflagen werden nicht als eine selbständige Tat verfolgt (Art. 191/5 TCK). 36 Vor 2005 wurde die Strafklage vorläufig eingestellt, wenn der Entführer oder der Vergewaltiger das Opfer heiratete (Art. 434 des alten Strafgesetzes Nr. 765). Es gab auch andere Beispiele von verschleierten Amnestien im Pressewesen. 37 Die Voraussetzungen sind: (a.) der Beschuldigte darf nicht bereits vorher wegen einer vorsätzlichen Tat zu einer Gefängnisstrafe verurteilt worden sein (eine Verurteilung zu Geldstrafe bildet also kein Hindernis); (b.) die Staatsanwaltschaft muss anhand der Ermittlungen davon überzeugt sein, dass der Beschuldigte keine weiteren Straftaten mehr begehen wird; (c.) die vorläufige Einstellung muss in dem Einzelfall für ihn und die Öffentlichkeit von größerem Nutzen sein als es ein Strafverfahren wäre; (d.) der Schaden, der durch die Begehung der Straftat für das Opfer und für die Allgemeinheit entstanden ist, muss im Wege der Zurückerstattung, durch in integrum restitutio oder durch Schadensersatz im vollen Umfang wiedergutgemacht worden sein (Art. 171 Abs. 3 CMK). 38 Wenn sich während des Hauptverfahrens herausstellt, dass die wegen Verkaufs von Betäubungsmitteln angeklagte Person mit der Absicht von Eigenkonsum gehandelt hatte, so wird die Urteilsverkündung nach Art. 191 TCK aufgeschoben. Dieser Aufschub der Urteilsverkündung ist sehr verschieden vom Aufschub der Urteilsverkündung nach Schuldspruch gem. Art. 231/5 CMK, da dies bereits am Anfang der Hauptverhandlung geschieht.

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Der Strafbefehl der abgeschafften Strafprozessordnung von 1929 wurde in das neue Gesetz nicht aufgenommen. Der Gesetzgeber hat aber 2019 mit dem Gesetz Nr. 7188 zwei Regelungen eingeführt, die sich „beschleunigtes Verfahren“ (seri muhakeme usulü) (Art. 250 CMK) und „vereinfachte Aburteilung“ (basit yargılama usulü) (Art. 251, 252 CMK) nennen. Inhaltlich analysiert, sind beide als eine Art von Strafbefehl anzusehen, der erste wird vom Staatsanwalt im Ermittlungsverfahren verhängt, der zweite beim Gericht im Hauptverfahren. Beim beschleunigten Verfahren macht der Staatsanwalt dem Beschuldigten bei bestimmten Tatbeständen39 den Vorschlag eines Urteils am Ende der Ermittlungen, wenn laut Art. 171/2 CMK von der Erhebung der öffentlichen Klage nicht abgesehen worden war. Die Sanktion wird unter Anwendung der Strafzumessungskriterien des Art. 61/1 TCK bestimmt, die Grundstrafe wird um die Hälfte gemildert und der Vorschlag wird in Gegenwart des Verteidigers gemacht (Art. 250/4 CMK). Bei Annahme stellt der Staatsanwalt einen schriftlichen Antrag an das zuständige Gericht. Das Gericht verhört den Beschuldigten in Gegenwart des Verteidigers und kontrolliert nur, ob die Tat einen der aufgelisteten Straftatbestände erfüllt und ob die Annahme freiwillig war. Bei positiver Beurteilung wandelt das Gericht den Antrag in ein Urteil um (Art. 250/9 CMK), gegen das nach den allgemeinen Bestimmungen Beschwerde zulässig ist (Art. 250/14 CMK). Andernfalls lehnt das Gericht den Antrag ab und sendet die Akten zurück an den Staatsanwalt. Das weitere Verfahren läuft dann nach den allgemeinen Bestimmungen ab, d. h. der Staatsanwalt bereitet nun eine Anklageschrift vor und leitet sie dem Gericht zu. In der Hauptverhandlung darf die Annahme des Beschuldigten nicht als Geständnis bewertet werden (Art. 250/10 CMK).

4. Hauptverfahren Begründen die beim Abschluss des Ermittlungsverfahrens erhobenen Beweise einen hinreichenden Verdacht, dass die Straftat begangen wurde, so bereitet der Staatsanwalt eine Anklageschrift vor (Art. 170/2 CMK) und leitet sie dem zuständigen Gericht zu. Die öffentliche Klage ist aber in dieser Phase noch nicht anhängig; erst wenn das Gericht die Anklageschrift annimmt, gilt die Klage als erhoben (Art. 175/1 CMK). In der Anklageschrift werden die Geschehnisse, welche die dem Beschuldigten zur Last gelegte Straftat begründen, in ihren Zusammenhängen 39 Diese im Gesetz erschöpfend aufgezählten meistens opferlosen Tatbestände sind einige aus dem dritten Teil des Strafgesetzbuches, Straftaten gegen die Gesellschaft: Besitzstörung, vorsätzliche Gefährdung der Allgemeinheit, Gefährdung der Verkehrssicherheit, Lärmverursachung, Geldfälschung, Siegelbruch, falsche Erklärung bei der Ausstellung einer öffentlichen Urkunde, Bereitstellen von Orten und Möglichkeiten zum Glückspiel, Nutzung eines fremden Personalausweises und vier weitere Straftaten aus besonderen Gesetzen. Diese Auswahl wurde getroffen, um circa 200.000 Gerichtsakten jährlich rasch erledigen zu können.

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mit den vorhandenen Beweisen dargestellt (Art. 170/4), im Schlussteil werden die den Beschuldigten entlastenden Umstände angeführt (Art. 170/5 CMK). Eine Anklageschrift, die diese notwendigen Erfordernisse nicht erfüllt, ist an die Staatsanwaltschaft zurückzugeben (Art. 174 CMK). Wenn das Gericht die Anklageschrift innerhalb von 15 Tagen nicht zurückgegeben hat, gilt sie als zugelassen (Art. 174/3). Das Gericht kann die Anklageschrift zurückweisen (iddianamenin iadesi) (Art. 174 CMK), wenn ungenügend ermittelt wurde oder die Voraussetzungen für eine Anklageschrift nicht erfüllt sind. Die Staatsanwaltschaft kann eine neue Anklageschrift vorlegen, eine zurückgewiesene Anklageschrift hat keine Rechtswirkung. In der Türkei gibt es also kein echtes Zwischenverfahren.40 Dieses Zwischenverfahren türkischer Art wurde von der Dönmezer-Kommission anhand der Ergebnisse der ersten Aktenuntersuchung von 1998 vorgeschlagen. In der Zeit bis 2012 hat diese neue Bestimmung nur wenig Anwendung gefunden aufgrund kollegialer Unterstützung zwischen Staatsanwälten und Richtern. Falls die Rückgabe jedoch tatsächlich vorkam, entstanden öfter gespannte Beziehungen zwischen beiden. Dieses Instrument wurde durch die Reform von 2004 eingefügt, weil sich in der Aktenuntersuchung herausgestellt hatte, dass das Ermittlungsverfahren durchschnittlich 10 Tage und das Hauptverfahren Monate und Jahre dauerte.41 Der Gesetzgeber wollte vermeiden, dass noch nicht ausreichend bearbeitete Akten vor das zuständige Gericht kommen konnten. Die Erwartungen, dass in der Hauptverhandlung nur umfassend ermittelte Sachverhalte vorgelegt und mangelhafte Ermittlungen vermieden werden, die zu einer Zurückweisung der Anklageschrift führen, haben sich leider nicht erfüllt. Die hohe Zahl von Freisprüchen belegt, dass noch häufig Anklagen ohne hinreichende Ermittlungen erhoben werden.42 Das Hauptverfahren beginnt mit der Annahme der Anklageschrift, umfasst die Hauptverhandlung und reicht bis zur Rechtskraft des Urteils. Es gibt jedoch einige abweichende Regelungen im neuen Gesetz im Vergleich zum alten: Wird die Anklageschrift zugelassen, so ist der öffentlichen Klage stattgegeben und das Hauptverfahren eröffnet (Art. 175/1 CMK). Der Beschluss über die Zulassung der Anklageschrift wird am Beginn der Hauptverhandlung verlesen (Art. 191/1 CMK). Die gerichtliche Untersuchung ist durch die Erhebung der Klage bedingt (Art. 170, 175 CMK), und das Urteil darf nur auf Beweismittel gestützt werden, die in der Hauptverhandlung vor dem Gericht mündlich vorgetragen worden sind (Art. 217/1 CMK).43 Bei der vereinfachten Aburteilung hingegen hat das Gericht allgemeiner Zuständigkeit bei Straftaten, die mit Geldstrafe und/oder Gefängnis von höchstens zwei Jahren bestraft werden, ein Ermessen, nach der Zulassung der Anklageschrift die Sache 40

Centel & Zafer 2018, 575. Dönmezer & Yenisey 2000, 203. 42 Die Zahl der Freisprüche liegt bei ca. 20 % (so machten z. B. im Jahr 2013 Freisprüche 19,5 % aus, Verurteilungen 37,3 %, der vorläufige Aufschub der Urteilsverkündung 17,6 % und die Einstellung des Verfahrens wegen Verjährung 10,3 %; Yücel 2019, 249). 43 Ünver & Hakeri 2019, 539. 41

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nach den allgemeinen Bestimmungen abzuurteilen oder das vereinfachte Verfahren anzuwenden (Art. 251/1 CMK). Die Kriterien für die Ausübung dieses Ermessens sind im Gesetz nicht erwähnt, aber wenn das Gericht diesen Weg einschlägt, dann teilt es dem Angeklagten schriftlich mit, dass das Urteil ohne Hauptverhandlung ergehen wird und verlangt die Einreichung einer schriftlichen Verteidigung innerhalb von 15 Tagen (Art. 251/2). Danach fällt es ein Urteil gemäß Art. 61 TCK. Das Urteil kann ein Freispruch oder alle übrigen Urteilsmodalitäten sein. Im Falle einer Verurteilung mildert das Gericht die Grundstrafe um ein Viertel (Art. 251/3 CMK). Das Urteil wird rechtskräftig, wenn es nicht in der Rechtsmittelfrist angefochten wird (Art. 252/1 CMK). Rechtsmittel ist hier eine Beschwerde, die jedoch zunächst nur auf Statthaftigkeit zu prüfen ist. Die materiellen Feststellungen dürfen nicht geprüft werden, sondern nur ob die Frist für die Einlegung gewahrt und der Beschwerdeführer dazu berechtigt ist (Art. 252/6 CMK). Falls die Beschwerde statthaft ist, eröffnet das Gericht die Hauptverhandlung und verhandelt nach den allgemeinen Regeln. Die Hauptverhandlung darf in Abwesenheit der Beteiligten durchgeführt werden. Wenn der Angeklagte nach eigener Beschwerde verurteilt wird, ist das Gericht nicht an die gemilderte Strafe gebunden; wenn aber die Beschwerde nicht von dem Angeklagten stammt, sondern von sonstigen Verfahrensbeteiligten, dann wird die Milderung von einem Viertel gewahrt (Art. 252/3 CMK). Gegen dieses Urteil ist die Berufung zulässig. Im alten Gesetz sammelte der Richter in seiner Funktion als „Gericht“ von Anfang der Hauptverhandlung an die Beweismittel, leitete die Verhandlung und sprach das Urteil. So beruhte die Struktur des türkischen Strafprozesses in der Strafprozessordnung von 1929 und der Nr. 1412 (Ceza Muhakemeleri Usulü Kanunu; CMUK) auf dem Prinzip der richterlichen Wahrheitserforschung. Bahri Öztürk kritisiert die alleinige Verfahrensherrschaft des Richters, weil zwei Prozessrollen (Ermittlung und Aburteilung) in der Person des erkennenden Richters in der Hauptverhandlung vereinigt sind.44 Dieses Prinzip ist im CMK nicht ausdrücklich erwähnt, obwohl im Ermittlungsverfahren die Rollen der Verfahrensbeteiligten streng voneinander getrennt sind. Die Bestimmungen in der aufgehobenen Strafprozessordnung von 1929, die wie im deutschen Recht die Erforschung der Wahrheit (StPO 244/2) dem Gericht als Pflicht auferlegt haben, sind in dem neuen Gesetz nicht enthalten. Es gibt Ansichten in der Lehre, die meinen, dass in der Ermittlungsphase alle Beweismittel erschöpfend ermittelt sein sollten. Ist die Strafe, die am Ende eines Strafprozesses zu verhängen wäre, Freiheitsstrafe von zwei Jahren oder weniger oder eine Geldstrafe, so kann das Gericht nach der Einholung der Einwilligung des Angeklagten die Urteilsverkündung unter Auflagen vorläufig aufschieben (hükmün açıklanmasının geri bırakılması).45 Die Regelungen 44

Öztürk 2019, 335. Die Voraussetzungen der vorläufigen Einstellung der Urteilsverkündung sind: (a.) der Angeklagte darf vorher nicht wegen einer vorsätzlichen Tat verurteilt worden sein; (b.) das Gericht muss anhand der persönlichen Merkmale des Angeklagten und seines Verhaltens und seines Verhaltens während der Hauptverhandlung davon überzeugt sein, dass der Angeklagte 45

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über eine Mediation bleiben vorbehalten. Der Beschluss46 über die vorläufige Einstellung der Urteilsverkündung kann mit der Beschwerde angefochten werden (Art. 231/12 CMK). Der vorläufige Aufschub der Urteilsverkündung verhindert, dass das Urteil für den Angeklagten rechtliche Folgen entfaltet (Art. 231/5 CMK), aber der Angeklagte unterliegt einer Bewährungsfrist von fünf Jahren. Das Gericht kann beschließen, dass der Angeklagte bestimmte Verpflichtungen47 zu erfüllen hat. Die Verfolgungsverjährung ruht während der Bewährungszeit (Art. 231/8 CMK). Wurde während der Bewährungszeit keine vorsätzliche neue Straftat begangen und hat sich der Angeklagte entsprechend den Verpflichtungen gut geführt, so wird das Urteil, dessen Verkündung vorläufig eingestellt worden ist, aufgehoben und ein Beschluss über die Einstellung der öffentlichen Klage gefasst (Art. 231/10 CMK).48 Begeht der Angeklagte während der Bewährungszeit eine neue Straftat oder handelt er entgegen den ihm auferlegten Verpflichtungen, so verkündet das Gericht das Urteil.

5. Schlusswort Die Diversion bei Streitigkeiten dient der Entlastung der Strafgerichtsbarkeit. Das türkische Recht hat von dieser Möglichkeit Gebrauch gemacht und zum Teil parallel konstruierte Rechtsfiguren wie Verfahrenseinstellung gegen Zahlung der Mindeststrafe, Mediation, vorläufige Einstellung der Klageerhebung unter Auflagen, benicht erneut Straftaten begehen wird; (c.) der Schaden, der durch die Begehung der Straftat für das Opfer und für die Allgemeinheit entstanden ist, muss im Wege der Zurückerstattung, durch in integrum resitutio, oder durch Schadensersatz im vollen Umfang wiedergutgemacht worden sein. Die Entscheidung über die vorläufige Einstellung der Urteilsverkündung wird (d.) nicht getroffen, falls der Angeklagte damit nicht ,einverstanden‘ ist (Art. 231/6). Diese letzte Voraussetzung wurde später eingefügt, um dem Angeklagten ein Wahlrecht zwischen Beschwerde und Revision einzuräumen: nach der Rechtsprechung des Kassationsgerichts, darf der Angeklagte gegen den Beschluss der vorläufigen Einstellung nur Beschwerde einlegen, und das Urteil nicht mit der Revision anfechten. Wenn er aber mit der vorläufigen Einstellung der Urteilsverkündung nicht einverstanden ist, dann kann er direkt Revision einlegen. Daher wurde dieses Wahlrecht eingeführt! Der vorläufige Aufschub der Urteilsverkündung ist unzulässig bei Straftaten in Reformgesetzen der Republik, die unter dem Schutz des Artikels 174 der türkischen Verfassung stehen (S¸ahin & Göktürk 2019, 194). 46 Der Beschluss über die vorläufige Einstellung der Urteilsverkündung wird in dem dafür vorgesehenen Computersystem gespeichert. Diese Daten dürfen nur dann für einen in Art. 231 CMK vorgesehenen Zweck verwendet werden, wenn der Staatsanwalt, der Richter oder das Gericht es in Verbindung mit einem Ermittlungs- oder Hauptverfahren beantragt (Art. 231/13 CMK). 47 Falls er keinen Beruf oder kein Gewerbe erlernt hat, zu diesem Zweck an einem Erziehungsprogramm teilzunehmen, falls er einen Beruf oder ein Gewerbe erlernt hat, in einer öffentlichen Einrichtung oder privat unter der Aufsicht eines anderen, der in diesem Beruf tätig ist, gegen Lohn zu arbeiten, bestimmte Orten zu meiden oder aufzusuchen oder eine nach Ermessen zu bestimmende andere Verpflichtung zu erfüllen. 48 Özbek et al. 2019, 709.

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schleunigtes Verfahren, vereinfachte Aburteilung und Aufschub der Urteilsverkündung geschaffen. Es ist zu bemerken, dass diese Instrumente für viele Straftaten nebeneinander anwendbar sind. Diese Überschneidung wollte die Gesetzesänderung von 2019 eigentlich vermeiden. Die detaillierten verfahrenstechnischen Vorgaben erschweren die Durchführung. Unseres Erachtens sollten diese Regelungen nach Überprüfung durch neue Befunde neuer wissenschaftlicher Forschungen vereinfacht werden. Die Aktenuntersuchung von 1998 hatte bei der Vorbereitung der Reformgesetze von 2004 eine große Rolle gespielt, und viele Bestimmungen im Gesetz wie Mediation und weitere Alternativen sowie die Einführung von Zwischenverfahren wurden nach diesen wissenschaftlichen Vorgaben eingeführt. Es wäre wünschenswert, dass die notwendigen neuen kriminologischen Forschungen dieser Art weiter unter der Betreuung von Hans-Jörg Albrecht fortgeführt würden. Literaturverzeichnis Arslan, M. (2017): Die türkische Strafprozessordnung – Ceza Muhakemesi Kanunu. Berlin. Arslan, M. (2018): Haft im Strafprozess. Ein Vergleich zwischen EMRK und türkischem Recht. Berlin. Centel, N. & Zafer, H. (2018): Ceza Muhakemesi Hukuku. 15. Aufl. ˙Istanbul. Dönmezer, S. & Yenisey, F. (2000): Ceza Adalet Sisteminin Etkinlig˘ i 1998. I˙stanbul. Gökçen, A., Balcı, M., Als¸ahin, M. E. & C¸akır, K. (2018): Ceza Muhakemesi Hukuku. 3. Aufl. Ankara. Karakehya, H. (2016): Ceza Muhakemesi Hukuku. 2. Aufl. Ankara. Kunter, N. (1989): Muhakeme Hukuku Dalı Olarak Ceza Muhakemesi Hukuku. 9. Aufl. I˙stanbul. Özbek, V.Ö., Dog˘ an, K. & Bacaksız, P. (2019): Ceza Muhakemesi Hukuku. 12. Aufl. Ankara. Öztürk, B. (Hrsg.) (2019): Nazari ve Uygulamalı Ceza Muhakemesi Hukuku. 13. Aufl. Ankara. S¸ahin, C. & Göktürk, N. (2019a): Ceza Muhakemesi Hukuku – I. 10. Aufl. Ankara. S¸ahin, C. & Göktürk, N. (2019b): Ceza Muhakemesi Hukuku – II. 9. Aufl. Ankara. Soyaslan, D. (2018): Ceza Muhakemesi Hukuku. 7. Aufl. Ankara. Tellenbach, S. (2008): Einführung, in: S. Tellenbach (Hrsg.), Das türkische Strafgesetzbuch – Türk Ceza Kanunu. Berlin. Ünver, Y. & Hakeri, H. (2019): Ceza Muhakemesi Hukuku. 16. Aufl. Ankara. Yenisey, F. (2015): Kolluk Hukuku. 2. Aufl. ˙Istanbul. Yenisey, F. & Nuhog˘ lu, A. (2015): Tutuklama Kurumunun Uygulanması Hakkında Görüs¸ler. Bahçes¸ehir Üniversitesi Hukuk Fakültesi Dergisi. Özel Sayı Tutuklama 10/125 – 126 (Jan./Feb.). Yenisey, F. & Nuhog˘ lu, A. (2019): Ceza Muhakemesi Hukuku. 7. Aufl. Ankara. Yücel, M.T. (2019): Yargı Sistemi Üzerine Denemeler. Ankara.

Analysen zur Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus nach § 63 StGB Von Carina Tetal

1. Einleitung Wesentlich für die Anordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus als eine Maßnahme der Besserung und Sicherung ist, dass diese Anordnung nicht durch die Tatschuld begründet und begrenzt wird, sondern mit dem Ziel des Gesellschaftsschutzes begründet wird (Albrecht 2007, 524). Anders als bei Freiheitsstrafen ist im Strafgesetzbuch keine Höchstfrist für die gerichtlich angeordnete Unterbringung in der Psychiatrie angegeben (siehe dazu auch Schreiber & Rosenau 2015, 134 ff.). Mit der dauerhaften Unterbringung soll die Gesellschaft vor gefährlichen Straftätern geschützt werden (Albrecht 2007, 556). Forensische Sachverständige beurteilen dann regelmäßig die Gefährlichkeit der untergebrachten Personen, bewerten die Rückfallgefahr und haben somit Einfluss auf die Dauer der Unterbringung. Hans-Jörg Albrecht beschäftigte sich schon in den 1990er Jahren mit dem Themenkomplex Gefährlichkeit und Prognose und wünschte sich mehr Studien und Längsschnittuntersuchungen zu diesem Thema (Albrecht 1998). Anhand der Daten der bundesweiten Rückfalluntersuchung (Jehle et al. 2016), die seit 2008 an der Universität Göttingen und am Freiburger Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Strafrecht (nunmehr: Max-Planck-Institut zur Erforschung von Kriminalität, Sicherheit und Recht) durchgeführt wird, werden in diesem Beitrag die Anordnungen, Beendigungen und die Dauer der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus im Zeitraum von 2004 bis 2016 untersucht.

2. Rechtliche Grundlagen Die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus (§ 63 StGB) gehört zu den freiheitsentziehenden Maßregeln der Besserung und Sicherung des deutschen Strafrechts. Die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus als Folge einer rechtswidrigen Tat erfolgt, wenn die Straftat im Zustand der Schuldunfähigkeit wegen seelischer Störungen (§ 20 StGB) oder der verminderten Schuldunfähigkeit (§ 21 StGB) begangen wurde. Eine weitere Voraussetzung der Unterbringung ist,

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dass „die Gesamtwürdigung des Täters und seiner Tat ergibt, daß von ihm infolge seines Zustandes erhebliche rechtswidrige Taten zu erwarten sind und er deshalb für die Allgemeinheit gefährlich ist“ (§ 63 StGB 1. Januar 1975 – 1. August 2016). Mit dem Gesetz zur Novellierung des Rechts der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus nach § 63 StGB und zur Änderung anderer Vorschriften vom 28. April 2016 ist der Begriff der rechtswidrigen Tat deutlich konkretisiert worden. In der geänderten Fassung des § 63 heißt es seit Inkrafttreten des Gesetzes am 1. August 2016: „rechtswidrige Taten, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich erheblich geschädigt oder erheblich gefährdet werden oder schwerer wirtschaftlicher Schaden angerichtet wird, zu erwarten sind und er deshalb für die Allgemeinheit gefährlich ist.“

Und ein zweiter Satz wurde hinzugefügt. „Handelt es sich bei der begangenen rechtswidrigen Tat nicht um eine im Sinne von Satz 1 erhebliche Tat, so trifft das Gericht eine solche Anordnung nur, wenn besondere Umstände die Erwartung rechtfertigen, dass der Täter infolge seines Zustandes derartige erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird.“

In § 67 StGB wird die Reihenfolge der Unterbringung geregelt, wenn neben der Unterbringung auch eine Freiheitsstrafe angeordnet wurde. Die Maßregel sollte vor der Freiheitsstrafe vollzogen werden, wobei es von dieser Regel Ausnahmen gibt. „Wird die Maßregel ganz oder zum Teil vor der Strafe vollzogen, so wird die Zeit des Vollzugs der Maßregel auf die Strafe angerechnet, bis zwei Drittel der Strafe erledigt sind“ (§ 67 StGB Abs. 4). Der Rest der Freiheitsstrafe kann zur Bewährung ausgesetzt werden. Möglich ist, dass die Anordnung der Unterbringung gleichzeitig mit der Aussetzung der Vollstreckung zur Bewährung erfolgt (§ 67b StGB). In diesem Fall wird Führungsaufsicht angeordnet. Wurde die Freiheitsstrafe vor der Unterbringung vollzogen, besteht die Möglichkeit, dass die Unterbringung zur Bewährung ausgesetzt wird (§ 67c Abs. 1 StGB). Ist die Unterbringung drei Jahre nach der Anordnung nicht erfolgt, muss die Unterbringung vom Gericht neu angeordnet werden (§ 67c Abs. 2 StGB). Auch hier könnte die Vollstreckung der Unterbringung zur Bewährung ausgesetzt werden oder das Gericht die Maßregel für erledigt erklären. Die Dauer der Unterbringung wird in § 67d StGB geregelt. Die Entlassung aus der Unterbringung in der Psychiatrie erfolgt in der Regel, indem die Unterbringung zur Bewährung ausgesetzt wird, „wenn zu erwarten ist, daß der Untergebrachte außerhalb des Maßregelvollzugs keine rechtswidrigen Taten mehr begehen wird“ (§ 67d Abs. 2 StGB 1. Juni 2013 – 1. August 2016). Mit der Gesetzesänderung aus dem Jahr 2016 wurde das Wort erheblich eingefügt. Seitdem heißt es „keine erheblichen rechtswidrigen Taten mehr begehen wird“ (§ 67d Abs. 2 StGB). Bei Entlassung aus der Unterbringung auf Bewährung wird Führungsaufsicht angeordnet.

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Die Maßregel kann des Weiteren durch Erledigung der Unterbringung gemäß (§ 67d Abs. 6) beendet werden. „Stellt das Gericht nach Beginn der Vollstreckung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus fest, dass die Voraussetzungen der Maßregel nicht mehr vorliegen oder die weitere Vollstreckung der Maßregel unverhältnismäßig wäre, so erklärt es sie für erledigt“ (§ 67d Abs. 6). Mit der Gesetzesänderung 2016 wurden in § 67d Abs. 6 zwei Sätze eingefügt, damit sehr lange Unterbringungszeiten speziell geprüft werden. „Dauert die Unterbringung sechs Jahre, ist ihre Fortdauer in der Regel nicht mehr verhältnismäßig, wenn nicht die Gefahr besteht, dass der Untergebrachte infolge seines Zustandes erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich schwer geschädigt werden oder in die Gefahr einer schweren körperlichen oder seelischen Schädigung gebracht werden“ (§ 67d Abs. 6 Satz 2). Im neuen Satz 3 geht es um eine Unterbringungsdauer von zehn Jahren, hier soll das Gericht die Maßregel für erledigt erklären, „wenn nicht die Gefahr besteht, daß der Untergebrachte erhebliche Straftaten begehen wird, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich schwer geschädigt werden.“ Für die Fortsetzung der Unterbringung nach sechs Jahren reicht das Risiko, dass Opfer in Gefahr einer schweren Schädigung gebracht werden. Bei der Überprüfung nach zehn Jahren tritt an die Stelle der Gefahr einer schweren Schädigung, die Schädigung durch Tötungs-, schwere Körperverletzungs- und Sexualdelikte (Schmidt-Quernheim 2020, 260). Auch bei Erledigung der Unterbringung wird im Normalfall Führungsaufsicht angeordnet. Hier besteht aber auch die Möglichkeit, dass das Gericht den Nichteintritt der Führungsaufsicht anordnet. Das Gericht muss spätestens jährlich prüfen, ob die Unterbringung in der Psychiatrie noch berechtigt ist (§ 67e StGB). Kommt es während der Führungsaufsicht erneut zu einer rechtswidrigen Tat oder wird gegen die Weisungen der Führungsaufsicht verstoßen, kommt es zum Widerruf der Bewährung und erneut zur Unterbringung (§ 67g StGB). Die Bewährung kann auch widerrufen werden, wenn rechtswidrige Taten zu erwarten sind (§ 67g Abs. 2 StGB).

3. Die Datenlage Für die Forschung allgemein zugängliche Daten, um Analysen zur Unterbringung in der Psychiatrie nach § 63 StGB durchzuführen, sind kaum vorhanden. Querengässer et al. haben in ihrem im Jahr 2017 erschienenen Artikel „Versorgungsforschung im Maßregelvollzug oder das Stochern im Nebel“ auf die missliche Lage hingewiesen, in der sich die Versorgungsforschung im Bereich des Maßregelvollzugs in Deutschland seit Längerem befindet. So stellte etwa das statistische Bundesamt die Veröffentlichung bundesweiter Eckdaten im Bereich des Maßregelvollzugs im Jahre 2015 ein. Zuletzt wurden Daten für die Jahre 2013/2014 publiziert. Damit ist selbst die Erfassung einer groben demografischen Struktur der im Maßregelvollzug Untergebrachten seither gänzlich dem Eigenengagement einzelner Personen

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überlassen, obwohl die Antworten auf Fragen wie etwa der Unterbringungsdauer und die Effizienz der Behandlungsmethoden gesamtgesellschaftlich von Bedeutung sind, weil in diesem Bereich im Besonderen sowohl das Wohle und die Menschenwürde des Einzelnen als auch die finanziellen Ressourcen1 und die Sicherheit der Gesellschaft als Ganzes betroffen sind. Querengässer et al. (2017, 1293 f.) weisen auf den seit 2006 von der privaten Firma ceus consulting GmbH erstellten Kerndatensatz Maßregelvollzug hin. Für diesen Datensatz werden in allen deutschen Bundesländern mit Ausnahme von Bayern und Baden-Württemberg Daten erhoben. Es wird eine Online-Erhebung von Kliniken auf Länderebene durchgeführt, und jährliche Auswertungen werden vorgenommen. Die Länder bekommen vergleichende Ergebnisse geliefert. Querengässer et al. (2017) kritisieren, dass der Datensatz für die Forschung nicht zugänglich ist. Aber auch der Datensatz selbst wurde kritisiert. Unter anderem deshalb, weil es sich um eine Querschnittserhebung handelt und Längsschnittuntersuchungen nicht möglich sind. Im Folgenden wird ein kurzer Überblick über die wenigen für die Forschung zugänglichen Daten gegeben. In der Strafverfolgungsstatistik2 werden jährlich die Anordnungen der Maßregeln der Besserung und Sicherung (§§ 61 ff. StGB), seit 2007 für das gesamte Bundesgebiet, erfasst. So findet man hier die in einem Jahr angeordneten Unterbringungen in einem psychiatrischen Krankenhaus, aufgeteilt nach Deliktsgruppen, Geschlecht, Altersgruppen (Erwachsene, Heranwachsende und Jugendliche) und Angaben zur Schuldfähigkeit. Wollte man bis 2013 eine Aussage über die Situation des Maßregelvollzugs in Deutschland treffen, so konnte man auf die Datenauswertung des statistischen Bundesamts3 zurückgreifen. Die dort erhobenen Daten bezogen sich auf die alten Bundesländer, einschließlich Gesamt-Berlin und Mecklenburg-Vorpommern. Sie gaben differenziert nach den einzelnen Bundesländern Auskunft über die Art der strafrechtlich angeordneten Unterbringung, also ob eine Unterbringung nach § 63 StGB (psychiatrisches Krankenhaus), nach § 64 StGB (Entziehungsfälle, mit und ohne Trunksucht) oder nach § 126a StPO (einstweilige Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus bzw. Entziehungsanstalt) erfolgte. Des Weiteren erfuhr man,

1 Die Kosten für eine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus betrugen 2015 in Deutschland zwischen 232,22 E und 357,78 E, durchschnittlich wurde somit ein Betrag von etwa 280 E pro Tag und Patient erreicht (vgl. Bundesrat Drucksache 539/15 vom 06. 11. 2015, 2 f.). 2 DeStatis Statistisches Bundesamt: Rechtspflege Strafverfolgung. 3 DeStatis Statistisches Bundesamt: Strafvollzugsstatistik. Im Psychiatrischen Krankenhaus und in der Entziehungsanstalt aufgrund strafrichterlicher Anordnung Untergebrachte (Maßregelvollzug). Diese Veröffentlichung gab es für die Berichtsjahre 2007 bis 2013 jährlich.

Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus nach § 63 StGB

869

wie hoch die Gesamtbestandszahl der Maßregelpatienten4, die Anzahl der Neuanordnungen und die Anzahl der Entlassungen in den einzelnen Jahren war. Für die Gesamtgruppe der Maßregelpatienten gab es Auskunft über personenbezogene Merkmale wie das Geschlecht, Alter und Familienstand. Angaben über die Anzahl der aufgrund strafrichterlicher Anordnung in einem psychiatrischem Krankenhaus Untergebrachten erhielt man von 1970 bis 2014 durch die Strafvollzugsstatistik.5 Die Kriminologische Zentralstelle (KrimZ) gab für die Berichtsjahre 2002 bis 2006 Veröffentlichungen zur Dauer der Unterbringung in der Psychiatrie und zu den Gründen für die Beendigung des Aufenthalts heraus. Die letzte Veröffentlichung dazu erschien von Dessecker 2008 für das Berichtsjahr 2006. Erfasst wurden die Mitteilungen aller Bundesländer mit Ausnahme von Hessen. Weitere Angaben waren das Geschlecht, die Nationalität, Altersgruppen und Deliktsgruppen. Traub & Weithmann (2014) untersuchten anhand von Daten, die die Forschungsdatenzentren der Länder für die Strafverfolgungsstatistik erstellten, und anhand der vom Statistischen Bundesamt erstellten Strafvollzugsstatistik für den Maßregelvollzug die Entwicklung der Anordnungen zur Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus und der Anzahl an untergebrachten Maßregelpatienten von 1995 bis 2009. Untersucht wurde auf Länderebene für die alten Bundesländer inwiefern sich soziodemografische und deliktsbezogene Merkmale veränderten. Sie stellten fest, dass bei der Zunahme der Anordnungen in den vierzehn Jahren der Anteil der mittelschweren Delikte wie Körperverletzung und Brandstiftung anstieg, aber der Anteil von Personen, für die wegen einer schweren Straftat, wie einem Tötungsdelikt oder einem Sexualdelikt, der Maßregelvollzug angeordnet wurde, abnahm. In der Konstanzer Inventar- und Sanktionsforschung (KIS), die zuletzt 2017 mit dem Berichtsstand 2015 von Heinz herausgegeben wurde, wurden die Informationen zu den Maßregeln der Besserung und Sicherung, die die Strafverfolgungsstatistik, die Strafvollzugsstatistik und die Maßregelvollzugsstatistik enthielten, weiter analysiert (Heinz 2017, 141 ff.). So wurde unter anderem die Zahl der Anordnungen der Unterbringung im psychiatrischen Krankenhaus (§ 63 StGB) in Verbindung gesetzt mit der Gesamtzahl der Aburteilungen pro Jahr. Der Höhepunkt der Anordnungen wurde 2008 erreicht. Seitdem waren die Zahlen der Anordnung in der Psychiatrie rückläufig. Aber wegen der langen durchschnittlichen Unterbringungsdauer nahmen die Zahlen der im psychiatrischen Krankenhaus Untergebrachten weiter zu. Im Jahr 2015 waren zum ersten Mal wieder seit den frühen 1970er Jahren im früheren Bundesgebiet mehr Personen im psychiatrischen Krankenhaus (§ 63 StGB) untergebracht als Gefangene mit einer voraussichtlichen Vollzugsdauer von mehr als fünf 4 Meist wird in dem vorliegenden Beitrag der Begriff Maßregelpatient verwendet, da der Großteil der Personen, die nach § 63 in einem psychiatrischen Krankenhaus untergebracht sind, Männer sind. 5 DeStatis Statistisches Bundesamt: Rechtspflege Strafvollzug. Diese Publikation erscheint immer noch jährlich, aber ohne Angaben zum Maßregelvollzug.

870

Carina Tetal

Jahren (einschließlich lebenslänglich) (Heinz 2017, 146 f.). Heinz geht davon aus, dass die Sicherungsfunktion der langen Freiheitsstrafe zunehmend durch die Unterbringung im psychiatrischen Krankenhaus ersetzt wird. Allein mit diesen Informationen können aktuell keine Aussagen zum eigentlichen Ziel der Maßregelvollzugsunterbringung – der Besserung und Sicherung des Einzelnen und damit dem Schutz der Allgemeinheit vor Rückfallstraftaten – getroffen werden. Im Folgenden wird versucht, mit den Daten der bundesweiten Rückfalluntersuchung etwas Licht in das Dunkel zu bringen. Dabei wird untersucht, wie sich die Anordnungen und Beendigungen der Unterbringung seit 2004 verändert haben. Speziell untersucht werden die primäre Aussetzung der Unterbringung zur Bewährung und die Dauer der Unterbringung.

4. Die Anordnung der Unterbringung Die Grundlage dieser Untersuchung bilden Daten des Bundeszentralregisters (BZR), die für die an der Universität Göttingen und am Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Strafrecht6 in Freiburg durchgeführten Legalbewährungsstudie (Jehle et al. 2016) verwendet wurden. Die Daten der Legalbewährungsstudie umfassen alle justiziellen Registrierungen in Deutschland, die zum Zeitpunkt April 2008 (1. Welle), April 2010/2011 (2. Welle), April 2013/2014 (3. Welle) und April 2016/2017 (4. Welle), im Bundeszentralregister eingetragen waren. Die Daten der unterschiedlichen Wellen wurden bei denselben Personen mittels eines kryptifizierten Personenschlüssels zusammengeführt. Die Daten für die Analyse in diesem Beitrag umfassen Personen mit der Anordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus (§ 63 StGB) in Deutschland. Auswertungen wurden für die Bezugsjahre der Legalbewährungsstudie 2004, 2007, 2010, 2013 und 2016 durchgeführt. Wie in Tabelle 1 zu sehen ist, nahm die Zahl der Anordnungen seit 2007 ab. Im Jahr 2007 gab es 1.214 Anordnungen zur Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus, 2016 waren es 870. Im Bundeszentralregister waren zwischen 6 % (2004) und 10 % (2013) mehr Anordnungen zur Unterbringung eingetragen, als in der vom Statischen Bundesamt veröffentlichten Strafverfolgungsstatistik erfasst wurden. Dies kann unter anderem mit dem Zeitpunkt der Erstellung der Strafverfolgungsstatistik zusammenhängen. Einige Anordnungen werden wohl erst zu einem Zeitpunkt gemeldet, an dem die Strafverfolgungsstatistik schon erstellt wurde. Heinz (2017, 142) spricht in diesem Zusammenhang von einer vermutlich bestehenden Untererfassung in der Strafverfolgungsstatistik. Etwa 90 % der Personen, bei denen die Unterbringung in der Psychiatrie angeordnet wurde, waren Erwachsene. Wobei sich eine Tendenz zeigte, dass bei weniger Jugendlichen und Heranwachsenden im Verhältnis zur Gesamtzahl die Unterbringung 6 Seit März 2020 Max-Planck-Institut zur Erforschung von Kriminalität, Sicherheit und Recht.

Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus nach § 63 StGB

871

angeordnet wurde. 2007 war der Anteil der Erwachsenen 88,6 %, 2016 lag der Anteil bei 91,8 %. Annähernd 90 % der Anordnungen zur Unterbringung betrafen Männer, wobei der Frauenanteil zwischen 2007 und 2016 leicht zunahm: 2007 lag der Frauenanteil knapp unter 10 %, 2016 betrug er 11,3 %. Zur Anordnung der Unterbringung in der Psychiatrie kam es deutlich häufiger bei Männern als bei Frauen. Das Verhältnis bei allen Straftätern beträgt etwa 75 % Männer und 25 % Frauen. Tabelle 1 Anordnungen der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus (§ 63 StGB) Gesamt Jahr der Rechtskraft8 2004 2007 2010 2013 2016

Erwachsene7

Männlich

Deutsche Staatsangehörigkeit

n

n

%

n

%

n

%

1.177 1.214 1.036 902 870

1.054 1.075 920 826 799

89,5 88,6 88,8 91,6 91,8

1.059 1.096 914 804 772

90,0 90,3 88,2 89,1 88,7

976 1.002 858 715 654

82,9 82,5 82,8 79,3 75,2

Der Anteil an Personen ohne deutsche Staatsangehörigkeit, für die die Unterbringung in der Psychiatrie angeordnet wurde, stieg in der Zeit von 2004 bis 2016 von 17 % auf 25 %. Der Anteil an Personen mit deutscher Staatsangehörigkeit war aber in der gesamten Zeitspanne höher als bei allen Abgeurteilten. Bei allen Abgeurteilten war das Verhältnis 2004, 2007 und 2010 drei Viertel Deutsche und ein Viertel nichtdeutsche Straftäter, 2013 betrug der Anteil der deutschen Straftäter zwei Drittel und 2016 hatten 58 % der Abgeurteilten eine deutsche Staatsangehörigkeit. Das Alter der Personen zum Zeitpunkt der Anordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus betrug im Durchschnitt 36 Jahre. Für die anteilsmäßig meisten Personen wurde 2004, 2007 und 2010 die Unterbringung in der Psychiatrie im Alter von Mitte zwanzig, 2013 und 2016 im Alter von etwa dreißig Jahren angeordnet (Abbildung 1). Nach dem Peak fällt die Alterskurve stark ab und es kommt zu einem zweiten Peak, was am deutlichsten bei den Anordnungen von 2004 mit einem Alter von annähernd 40 Jahren zu sehen ist. Knapp ein Drittel der Anordnungen zur Unterbringung entfiel auf die Altersgruppe der 21- bis 30-Jährigen, auf die Altersgruppe der 31- bis 40-Jährigen entfielen weniger als 30 %, 2010 sogar nur 22 %. Ab dem Alter von 40 Jahren fielen die Alterskurven ab, wobei es aber auch noch für über 80-Jährige Anordnungen in die Unterbringung gab.

7 8

Alter zum Zeitpunkt der Tat 21 Jahre oder älter. Die aufgeführten Jahre sind die Bezugsjahre der Legalbewährungsstudie.

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.04

872

0

.01

Anteile (normiert) .02

.03

2004 2007 2010 2013 2016

20

30

40

50 Alter

60

70

80

Abbildung 1: Alter bei Anordnung der Unterbringung in der Psychiatrie im Jahr der Rechtskraft Tabelle 2 Anordnungen der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus (§ 63 StGB) mit und ohne Freiheits-/Jugendstrafe Gesamt Jahr der Rechtskraft 2004 2007 2010 2013 2016

Isolierte Unterbringung Unterbringung in der Psychiatrie in der Psychiatrie neben F/JoB*

Unterbringung in der Psychiatrie neben F/JmB*

n

n

%

n

%

n

%

1.177 1.214 1.036 902 870

785 811 737 677 673

66,7 66,8 71,1 75,1 77,4

305 320 246 177 162

25,9 26,4 23,7 19,6 18,6

79 79 51 42 30

6,7 6,5 4,9 4,7 3,4

* F/JoB Freiheits- oder Jugendstrafe ohne Bewährung, F/JmB Freiheits- oder Jugendstrafe mit Bewährung

Bei zwei Dritteln aller Anordnungen zur Unterbringung in der Psychiatrie wurde die Maßregel 2004 und 2007 isoliert angeordnet, 26 % der Personen wurden zeitgleich zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe ohne Bewährung und 7 % mit Bewährung verurteilt (Tabelle 2). Ab 2007 nahm der Anteil der isolierten Anordnung der Maß-

Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus nach § 63 StGB

873

regel zu. 2010 gab es 71 %, 2013 75 % und 2016 77 % isolierte Anordnungen zur Unterbringung. In Tabelle 3 sind die Anordnungen der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus in Verbindung mit Schuldunfähigkeit (§ 20 StGB) und in Verbindung mit verminderter Schuldfähigkeit (§ 21 StGB) dargestellt. Es gab auch Personen, in deren gerichtlicher Entscheidung Schuldunfähigkeit und verminderte Schuldfähigkeit festgestellt wurde. Dazu konnte es kommen, wenn mehrere Taten in einer Entscheidung abgeurteilt wurden. Die Anzahl der wegen Schuldunfähigkeit in einem psychiatrischen Krankenhaus Untergebrachten blieb über die Jahre hinweg in etwa gleich, obwohl die Zahl der Anordnungen in den Jahren abnahm. Somit nahm der Anteil der Schuldunfähigen im Laufe der Jahre zu. Waren es 2004 und 2007 unter 50 %, stieg der Anteil im Jahr 2010 auf 50 %, 2013 auf 61 % und 2016 auf 64 %. Die Personen mit verminderter Schuldfähigkeit (§ 21 StGB) nahmen im gleichen Zeitraum etwas ab, von 30 % im Jahr 2004 auf 24 % im Jahr 2016. Insgesamt nahm der Personenkreis mit Schuldunfähigkeit oder verminderter Schuldfähigkeit um 10 Prozentpunkte zu, von 71,3 % auf 81,5 %. Tabelle 3 Anordnungen der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus (§ 63 StGB) aufgrund Schuldunfähigkeit (§ 20 StGB) oder verminderter Schuldfähigkeit (§ 21 StGB) Gesamt Jahr der Rechtskraft 2004 2007 2010 2013 2016

Schuldunfähigkeit

Verminderte Schuldfähigkeit

Schuldunfähigkeit/verminderte Schuldfähigkeit

n

n

%

n

%

n

%

1.177 1.214 1.036 902 870

535 586 522 552 553

45,5 48,3 50,4 61,2 63,6

355 343 315 227 209

30,2 28,3 30,4 25,2 24,0

839 867 777 729 709

71,3 71,4 75,0 80,8 81,5

Die maßgeblichen Straftaten, die zur Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus führten, kamen hauptsächlich aus dem Gewaltbereich (Tabelle 4). Die größte Gruppe bildeten die Körperverletzungsdelikte, wobei der Anteil von 2004 bis 2013 zunahm. 2004 wurden 33 % der Anordnungen zur Unterbringung in der Psychiatrie wegen eines Körperverletzungsdelikts ausgesprochen, 2007 waren es 35 %, 2010 37 % und 2013 41 %. 2016 lag der Anteil der Körperverletzungsdelikte bei 39 %. Sehr groß ist der Anteil der Tötungsdelikte, wenn man bedenkt, dass Tötungsdelikte nur etwa 0,2 % aller abgeurteilten Delikte ausmachen. Der Anteil der Tötungsdelikte nahm von 12 % 2004 auf 16 % 2016 zu.

874

Carina Tetal

Tabelle 4 Häufigkeiten und prozentualer Anteil der maßgeblichen Straftat bei der Anordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus (§ 63 StGB) 2004 Jahr der Rechtskraft Sexueller Missbrauch Vergewaltigung Tötungsdelikte Körperverletzung Schw. Körperverletzung Diebstahl Schwerer Diebstahl Raub Schwerer Raub Brandstiftung Sonst Alle Delikte

2007

2010

2013

2016

n

%

n

%

n

%

N

%

n

%

70

6,7

69

6,5

47

4,9

29

3,5

35

4,4

101 122 107

9,7 11,7 10,2

70 139 110

6,6 13,0 10,3

67 128 125

7,0 13,4 13,1

47 121 115

5,6 14,4 13,7

27 127 98

3,4 15,9 12,3

239

22,8

259

24,3

229

24,0

226

26,9

211

26,4

15 42 59 37 145 109

1,4 4,0 5,6 3,5 13,9 10,4

12 35 71 60 133 108

1,1 3,3 6,7 5,6 12,5 10,1

8 27 44 48 122 110

0,8 2,8 4,6 5,0 12,8 11,5

11 9 53 40 103 86

1,3 10 1,3 1,1 22 2,8 6,3 48 6,0 4,8 5 2 6,5 12,3 117 14,6 10,2 52 6,5

1.046

100

1.066

100

955

100

840

100

799

Fehlende Werte9

131

148

81

62

71

Gesamt

1177

1214

1036

902

870

100

Beträchtlich war auch der Anteil an Personen, bei denen im Zusammenhang mit einem Sexualdelikt die Unterbringung in der Psychiatrie angeordnet wurde. Hier ist der Anteil von 2004 bis 2016 aber abnehmend. 2004 wurden 16 % aller Anordnungen wegen eines Sexualdelikts ausgesprochen, 2016 waren es noch 8 %. Alle justiziellen Aburteilungen nahmen in der Zeit von 2007 bis 2016 ab.10 Auch die Anzahl der Aburteilungen wegen einer Sexualstraftat nahmen in diesem Zeitraum ab. Aber beim prozentualen Anteil der Sexualstraftaten an allen Straftaten gab es bei Betrachtung aller Aburteilungen kaum einen Unterschied. 2007 betrug der Anteil der Aburteilungen wegen eines Sexualdelikts von allen Aburteilungen nach StGB ohne Straßenverkehr 1,5 %, 2010, 2013 und 2016 waren es 1,3 %. Seifert & Leygraf (2016, 240) stellten einen Zusammenhang zwischen dem Rückgang der Anordnungen zur Unterbringung im Maßregelvollzug wegen sexuellen Missbrauchs als maßgeblicher Straftat und dem Rückgang von verminderter Schuldunfähigkeit her. Laut Seifert & Leygraf kommt es zur Einstufung vermindert schuldfähig häufig bei persönlichkeitsauffälligen Personen, die wegen eines Sexualdelikts abgeurteilt wurden. Als ursächlich für den Rückgang von verminderter Schuldunfähigkeit sehen Seifert & Leygraf einerseits, dass der Bundesgerichtshof gerade bei dieser Gruppe eine besonders gründliche Überprüfung der Unterbringungsvoraussetzungen anmahnte, andererseits ist an9

Die fehlenden Werte betreffen etwa zur Hälfte Fälle mit verstorbenen Maßregelpatienten und zur anderen Hälfte Fälle, die im Bundeszentralregister als fehlerhafte Eintragung gekennzeichnet sind. 10 Siehe Strafverfolgungsstatistik.

Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus nach § 63 StGB

875

zunehmen, dass die Strafverteidiger versuchen, die Einstufung einer verminderten Schuldfähigkeit wegen der langen Unterbringungszeiten zu verhindern. Von allen Unterbringungsanordnungen beruhten zwischen 2004 und 2016 zwischen 12,3 % und 14,6 % auf einem Brandstiftungsdelikt und zwischen 13,4 % und 16,7 % auf Raub- oder sonstigen Eigentumsdelikten. Unter sonstigen Delikten verbargen sich hauptsächlich Straftaten gegen die persönliche Freiheit, Betrug, Sachbeschädigung und Betäubungsmitteldelikte. Der Anteil an sonstigen Delikten lag in den Jahren 2004, 2007, 2010 und 2013 bei 10 % bis 11 %. 2016 gab es einen Rückgang auf 6,5 %, was hauptsächlich daran lag, dass Betrug als maßgebliche Straftat der Unterbringung kaum noch vorlag und Anordnungen, denen ein Betäubungsmitteldelikt zu Grunde lag, stark abnahmen.

5. Die Beendigung der angeordneten Unterbringung Zuletzt wurden für 2006 von Dessecker (2008, 34 ff.) in einer Veröffentlichung der Kriminologischen Zentralstelle ausführliche Ergebnisse zur Dauer der Unterbringung und zu den Gründen der Beendigung der Unterbringung herausgegeben. Seit 2007 gibt es für Deutschland in dieser Ausführlichkeit keine bundesweiten Veröffentlichungen zum Ende der Unterbringung mehr. Weitere Erkenntnisse zu den Entwicklungen des psychiatrischen Maßregelvollzugs finden sich in Veröffentlichungen, die auf dem von der privaten Firma ceus consulting GmbH erstellten Kerndatensatz Maßregelvollzug beruhen. Hier ist vor allem die Veröffentlichung von König (2018) zu erwähnen. Darin befinden sich unter anderem Angaben über die durchschnittlichen Unterbringungszahlen in den Jahren von 2008 bis 2015, über die Anzahl der Aufnahmen und Beendigungen gemäß § 63 StGB und über die durchschnittliche Unterbringungsdauer zum Zeitpunkt der Entlassung und zum Stichtag 31.12. Traub & Schalast kritisieren die Auswertungen von ceus consulting, unter anderem, weil sich schon die Zahlen der Neuanordnungen von den Angaben zu Anordnungen in der Strafverfolgungsstatistik unterscheiden (siehe Traub & Schalast 2017, 151). Im Folgenden werden Analysen zur Beendigung der Unterbringung anhand der Daten der Legalbewährungsstudie durchgeführt. 5.1 Primäre Aussetzung der Unterbringung zur Bewährung Nicht jede Anordnung zur Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus führt auch zu einem Aufenthalt im Maßregelvollzug. Durch § 67b StGB besteht die Möglichkeit, dass gleichzeitig mit der Anordnung der Unterbringung die Aussetzung der Vollstreckung zur Bewährung erfolgt. In den Jahren 2007 und 2010 wurden 30 %,

876

Carina Tetal

2004 und 2013 knapp unter 30 % der Anordnungen zur Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus direkt mit Inkrafttreten der Rechtskraft zur Bewährung ausgesetzt (Tabelle 5). 2016 kam es zu einer Verringerung der primären Aussetzung zur Bewährung, bei knapp 20 % der Verurteilten erfolgte die Aussetzung zur Bewährung sofort mit dem Urteil. Tabelle 5 Primäre Aussetzung der Maßregel zur Bewährung (§ 67b StGB) Jahr der Rechtskraft

Primäre Aussetzung der Unterbringung

Anordnung Psychiatrisches Krankenhaus (§ 63)

n

%

n

2004 2007 2010 2013 2016

331 367 310 249 169

28,1 30,2 29,9 27,6 19,4

1.177 1.214 1.036 902 870

Kam es gleichzeitig mit der Anordnung der Unterbringung zu einer Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe ohne Bewährung, wurde die Unterbringung nicht sofort zur Bewährung ausgesetzt. Aber wenn mit der Anordnung der Unterbringung auch eine Freiheitsstrafe auf Bewährung einherging, wurde auch die Unterbringung in den meisten Fällen sofort zur Bewährung ausgesetzt. Beruhte die Entscheidung mit der Anordnung zur Unterbringung auf einem Tötungsdelikt, kam es nur in seltenen Fällen zu einer primären Aussetzung der Unterbringung. War die maßgebliche Straftat eine Körperverletzung, kam es deutlich häufiger als im Durchschnitt zu einer sofortigen Aussetzung der Maßregel zur Bewährung. 5.2 Die Beendigung des Maßregelvollzuges Die Zahl der Maßregelpatienten, die in den Jahren 2004, 2007, 2010, 2013 und 2016 den Aufenthalt in der Psychiatrie beendeten, nahm über die Jahre hinweg zu, und zwar von 449 im Jahr 2004, 541 im Jahr 2007 auf 697 im Jahr 2016 (Tabelle 6). Im Jahr 2004 wurde nach einem Aufenthalt im psychiatrischen Krankenhaus nach § 63 StGB bei 373 Maßregelpatienten die Unterbringung zur Bewährung ausgesetzt, weitere 76 Maßregelpatienten wurden entlassen, ohne dass die Maßregel zur Bewährung ausgesetzt wurde. Erfasst wurde hier das erste Ende der Unterbringung. Falls es jedoch durch einen Widerruf zu einer erneuten Unterbringung in der Psychiatrie kam und somit zu einer erneuten Entlassung, wurden diese Fälle hier nicht erfasst. 2016 wurden 535 Unterbringungen zur Bewährung ausgesetzt, und für 162 Personen endete die Maßregel, ohne dass sie zur Bewährung ausgesetzt wurde. 2007 und 2010 nahmen insbesondere die Aussetzungen der Unterbringung zu, 2013 und 2016

Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus nach § 63 StGB

877

kam es zu einer deutlichen Zunahme der Erledigungen der Unterbringung. Ein Grund für die Zunahme der Beendigungen der Unterbringung in der Psychiatrie könnte eine Gesetzesänderung des § 463 StPO – Vollstreckung der Maßregeln der Besserung und Sicherung – sein, die am 20. 07. 2007 in Kraft trat. Mit Artikel 2 des Gesetzes zur Sicherung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus und in einer Entziehungsanstalt vom 16. 07. 2007 wurde in § 463 Abs. 4 StPO eingeführt, dass bei der gerichtlichen Überprüfung der Berechtigung der Unterbringung in der Psychiatrie alle fünf Jahre das Gutachten eines Sachverständigen eingeholt werden muss. Des Weiteren wurde mit der oben erwähnten Gesetzesänderungen zum § 67d Abs. 6 StGB vom April 2016 eingeführt, dass bei Maßregelpatienten mit einer Unterbringungsdauer von sechs und zehn Jahren speziell überprüft werden muss, ob die Voraussetzung zur Unterbringung im psychiatrischen Krankenhaus noch vorliegt. Demgemäß wurde § 463 Abs. 4 StPO dahingehend geändert, dass alle drei Jahre das Gutachten eines Sachverständigen eingeholt werden muss bzw. ab einer Unterbringungszeit von sechs Jahren alle zwei Jahre. Tabelle 6 Ende der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus (§ 63 StGB) Aussetzung der Unterbringung

Unterbringung erledigt

Ende der Unterbringung

Anordnung Unterbringung ohne primäre Aussetzung

Jahr

n

%

n

%

gesamt

n

2004 2007 2010 2013 2016

373 443 520 554 535

83,1 81,9 84,4 81,2 76,8

76 98 96 128 162

16,9 18,1 15,6 18,8 23,2

449 541 616 682 697

846 847 726 653 701

Vergleicht man die Anzahl der Personen, die in einem Jahr in den Maßregelvollzug hineinkamen (letzte Spalte Tabelle 6), mit der Zahl derer, die den Maßregelvollzug verließen, zeigt sich, dass es in den Jahren 2004, 2007 und 2010 mehr Zugänge als Abgänge gab. Wobei das Plus an Zugängen mit den Jahren abnahm. 2004 gab es etwa 400 Zugänge mehr als Abgänge, 2007 waren es 300 und 2010 etwa 100. 2013 gab es etwas weniger Zugänge als Abgänge und 2016 kamen etwa genau so viele Personen in den Maßregelvollzug hinein wie hinaus. Die Entwicklung der Zugänge und Abgänge im Maßregelvollzug zeigt sich auch in den durchschnittlichen jährlichen Belegungszahlen. Bis 2013 gab es dazu Angaben in der Strafvollzugsstatistik für die alten Bundesländer und Berlin. Seit 2008 gibt es Angaben über die Belegung des Maßregelvollzugs von ceus consulting für alle Bundesländer mit Ausnahme von Bayern und Baden-Württemberg. König (2018, 104) veröffentlichte die durchschnittlichen Unterbringungszahlen von 2008 bis 2015 (ceus consulting 2017). Die Belegungszahlen nahmen bis 2012 zu und danach ab. 2014 und 2015 sanken die Belegzahlen relativ stark. Weitere Angaben gab es von

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Schmidt-Quernheim (2020, 257) für Nordrhein-Westfalen für die Jahre 2015 bis 2018 (ceus consulting 2020). Die durchschnittliche Belegung nahm 2016 weiter ab, 2017 gab es keine Veränderung und 2018 wieder eine deutliche Abnahme. Tabelle 7 Ende der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus (§ 63 StGB) mit und ohne Freiheits-/Jugendstrafe Isolierte Unterbringung in Unterbringung in Gesamt Unterbringung in der Psychiatrie der Psychiatrie der Psychiatrie neben F/JoB* neben F/JmB* Jahr der Beendigung der Unterbringung 2004 2007 2010 2013 2016

n

n

%

n

%

n

%

449 541 616 682 697

257 345 381 429 412

57,2 63,8 61,9 62,9 59,1

183 189 227 250 277

40,8 34,9 36,9 36,7 39,7

9 7 8 3 8

2,0 1,3 1,3 0,4 1,1

* F/JoB Freiheits- oder Jugendstrafe ohne Bewährung, F/JmB Freiheits- oder Jugendstrafe mit Bewährung

In Tabelle 7 werden die Fälle der Beendigung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus differenziert für Personen mit isolierter Maßregelanordnung einerseits und Personen mit einer gleichzeitigen Verurteilung zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe andererseits dargestellt. Bei etwa 40 % der Personen, die ihre Unterbringung beendet hatten, lag auch eine Verurteilung zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe ohne Bewährung vor. Hier zeigten sich von 2004 bis 2016 kaum Veränderungen. Zu einer Entlassung aus der Unterbringung mit gleichzeitig vorliegender Bewährungsstrafe kam es kaum, da es in diesen Fällen selten zur Unterbringung in der Psychiatrie kam. Im Allgemeinen wurde in diesen Fällen sofort mit dem Urteil die Unterbringung zur Bewährung ausgesetzt. 5.3 Unterbringungsdauer Die durchschnittliche Dauer der Unterbringung11 in einem psychiatrischen Krankenhaus am Ende der Unterbringung nahm von 2004 bis 2016 um drei Jahre, 45 %, zu (Tabelle 8). 2004 betrug die durchschnittliche Unterbringungsdauer 6,6 Jahre, 2016 waren es 9,6 Jahre. Auch die maximale Unterbringungsdauer nahm in dieser Zeit um fast 50 % zu, und zwar von 25,6 Jahre im Jahr 2004 auf 38,2 Jahre im Jahr 2016. Deutlich zugenommen hat der Anteil der Maßregelpatienten, die eine Unterbringungsdauer von mehr als zehn Jahren aufwiesen. Dies waren bei Beendigung der Un-

11 Die Dauer der Unterbringung wird anhand des Zeitpunkts der Aussetzung der Unterbringung bzw. der Erledigung der Unterbringung und des Zeitpunkts der Anordnung der Unterbringung (Rechtskraftdatum) berechnet.

Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus nach § 63 StGB

879

terbringung 2004 17,6 % und 2016 40,7 %. Bereits 2013 war fast jeder dritte Maßregelpatient länger als zehn Jahre im psychiatrischen Krankenhaus untergebracht. Tabelle 8 Unterbringungsdauer am Ende der Unterbringung Ende der Unterbringung

Ø Unterbringungsdauer

Max. UnterUnterbringungsdauer bringungsdauer mehr als 10 Jahre

Jahr

n

in Jahren

in Jahren

%

2004 2007 2010 2013 2016

449 541 616 682 697

6,6 7,0 7,5 8,8 9,6

25,6 31,2 34,5 36,1 38,2

17,6 19,8 25,2 31,1 40,7

In der Untersuchung von Dessecker (2008, 34) betrug die mittlere Unterbringungsdauer 2006 6,5 Jahre (alle Bundesländer außer Hessen). Bei 17 % der Maßregelpatienten betrug die Unterbringungsdauer mehr als 10 Jahre, das Maximum lag bei 43 Jahren. Die mittlere Unterbringungsdauer stimmt mit der von ceus consulting ermittelten Unterbringungsdauer in etwa überein, wobei die Daten von ceus consulting die Angaben von Bayern und Baden-Württemberg nicht enthielten (siehe König 2018, 110. Die Daten stammen aus ceus consulting 2017). Ceus consulting ermittelte die durchschnittliche Dauer der Unterbringung sowohl am 31.12. jeden Jahres seit 2009 als auch für manche Jahre bei Beendigung der Unterbringung. Wobei hier auffällt, dass 2010 die durchschnittliche Dauer der Unterbringung bei Beendigung übereinstimmte mit der durchschnittlichen Dauer am Stichtag 31.12., jeweils 7,4 Jahre, aber 2012 ein deutlicher Unterschied zwischen der durchschnittlichen Dauer bei Entlassung und der am 31.12. bestand. Bei Entlassung betrug die durchschnittliche Unterbringungsdauer 8,5 Jahre, am 31.12. waren es 7,7 Jahre. 2015 war diese Differenz noch deutlich höher, 9,9 Jahre bei Entlassung und 8,1 Jahre am 31.12. Somit war der Anstieg der Unterbringungsdauer am Stichtag 31.12. von 2010 bis 2015 nur gering, der Anstieg der Unterbringungsdauer der Beender in dieser Zeit mit 33 % aber sehr deutlich. Traub & Schalast (2017) schätzten die Unterbringungsdauer für die Jahre 1985 bis 2013 anhand der Angaben von jährlichen Anordnungen der Unterbringung in der Strafverfolgungsstatistik und anhand der Zahl der Untergebrachten an einem Stichtag in der Strafvollzugsstatistik. Traub & Schalast (2017, 149) berechneten die „Epidemiologische Verweildauer (EV)“ als Schätzwert für die Dauer der Unterbringung anhand der Formel: EVJahr1 = BelegungJahr1/NeuanordnungenJahr1

Diese Schätzung ergab für die alten Bundesländer 1993 eine Unterbringungsdauer von 4,6 Jahren und 2013 von 9,1 Jahren. Nach dieser Berechnung verdoppelte sich die Unterbringungsdauer in den 20 Jahren von 1993 bis 2013 nahezu. Am Ergebnis

880

Carina Tetal

von 2013 zeigt sich, dass Traub & Schalast (2017) mit ihrer Schätzung der Unterbringungsdauer eine gute Annäherung liefern. Jaschke & Jaschke (2017), die die Untersuchung von ceus consulting durchführten, beanstanden die Schätzungen von Traub & Schalast zur Unterbringungsdauer auf Länderebene.12 Den Ergebnissen von ceus consulting ist zu entnehmen, dass die Unterbringungsdauer aller am 31.12. Untergebrachten von 2010 bis 2015 um 10 % anstieg. Viel deutlicher aber mit 33 % war der Anstieg der Unterbringungsdauer bei Beendigung der Unterbringung. Dies und die starke Zunahme des Anteils der Patienten mit einer Unterbringungsdauer von mehr als zehn Jahren weisen darauf hin, dass der Anstieg der Unterbringungsdauer auch darauf zurückzuführen ist, dass besonders viele Langzeitpatienten die Unterbringung beendeten. Inwiefern die Gesetzesänderung von 2007, die Einführung von externen Prognosegutachten (§ 463 Abs. 4 StPO), einen Einfluss auf diese Entwicklung hatte, kann nicht mit Gewissheit bestimmt werden. 5.4 Unterbringungsdauer ab Anordnung der Unterbringung Im Folgenden wird die Unterbringungsdauer ab der Anordnung der Unterbringung berechnet. So wird ersichtlich, wie viele Maßregelpatienten nach wie vielen Jahren immer noch untergebracht waren (Abbildung 2). So gab es im Jahr 2004 1.177 Anordnungen zur Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus. Von diesen wurden 331 primär zur Bewährung ausgesetzt und 27 Personen waren verstorben, ohne dass es zuvor zu einer Beendigung der Unterbringung kam. Somit blieben 819 Personen, die im Maßregelvollzug untergebracht wurden und für die die Dauer der Unterbringung bis 2016 berechnet werden konnte. Von diesen 819 Personen, für die 2004 eine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet wurde, waren nach sechs Jahren noch 490 Personen, 60 %, im Maßregelvollzug, nach neun Jahren noch 43 % und nach zwölf Jahren noch 28 % untergebracht. Auch bei den Maßregelpatienten, für die 2007 und 2010 die Unterbringung angeordnet wurde, war der Anteil der lang Untergebrachten ähnlich hoch wie bei den Personen mit Beginn der Unterbringung 2004. 2007 wurde in 1.214 Fällen die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. In 367 Fällen wurde die Unterbringung primär ausgesetzt und 38 Maßregelpatienten waren vor der Entlassung verstorben. Von den 809 Maßregelpatienten, die 2007 in den Maßregelvollzug kamen, waren nach sechs Jahren noch 58 % und nach neun Jahren noch 41 % in der Unterbringung. 2010 wurde für 1.036 Personen die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Bei 310 Personen erfolgte sofort mit der Anordnung der Unterbringung die Aussetzung der Vollstreckung zur Bewährung. Zehn Personen

12

Heinz Jaschke ist Geschäftsführer von ceus consulting.

1.00

Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus nach § 63 StGB

881

0.00

Survival (Kaplan−Meier) 0.25 0.50 0.75

2004 2007 2010

0

4

Zeit [Jahre]

8

12

Abbildung 2: Dauer der Unterbringung seit der Anordnung der Unterbringung

waren vor Beendigung der Unterbringung verstorben. Von den 707 Maßregelpatienten waren nach sechs Jahren noch 58 % untergebracht. Damit zeigte sich kein signifikanter Unterschied bei den lang Untergebrachten bei Beginn der Unterbringung in den Jahren 2004, 2007 und 2010. In den ersten drei Jahren nach Anordnung der Unterbringung kam es selten zu einer Beendigung, nur 14 % der Maßregelpatienten beendeten ihre Unterbringung innerhalb von drei Jahren. Die meisten Beendigungen der Unterbringung gab es nach vier, fünf und sechs Jahren nach der Anordnung der Unterbringung. Hier wurden im Schnitt 9 % jährlich entlassen. Mit einer Unterbringungszeit von mehr als sechs Jahren nahm der Anteil der jährlichen Entlassungen wieder ab. In der Gruppe der Maßregelpatienten, die seit 2004 in der Unterbringung waren, zeigte sich, dass es nach zehn Jahren Unterbringung zu einer leichten Zunahme der Beendigungen (7 %) kam im Vergleich zu in den Jahren kurz davor und danach.

6. Fazit Die Zahl der Anordnungen der Unterbringung gemäß § 63 StGB nahm von 2007 bis 2016 ab. Insbesondere nahmen die Anordnungen der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus mit gleichzeitiger Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe ab. Des Weiteren ist ein deutlicher Rückgang bei der Anordnung der Maßregel in Ver-

882

Carina Tetal

bindung mit einer verminderten Schuldfähigkeit (§ 21 StGB) zu sehen. Seifert & Leygraf (2016, 240) weisen darauf hin, dass dies häufig persönlichkeitsauffällige Personen betrifft, die wegen eines Sexualdelikts abgeurteilt werden. Die Bestandszahlen der im Maßregelvollzug Untergebrachten nahmen seit den 1980er Jahren bis 2013 zu.13 Die Zunahme der Bestandszahlen bei gleichzeitiger Abnahme der Anordnungen zur Unterbringung im Maßregelvollzug weist auf eine deutliche Zunahme der Unterbringungsdauer in diesem Zeitraum hin. Die Zahl der Maßregelpatienten, die die Unterbringung beendeten, nahm in der Zeit von 2004 bis 2016 zu. Wird die Unterbringungsdauer vom Zeitpunkt der Entlassung aus betrachtet, nahm die durchschnittliche Unterbringungsdauer von 2004 bis 2016 deutlich zu, und vor allem die Zahl der Maßregelpatienten mit einer Unterbringungsdauer von mehr als zehn Jahren nahm stark zu. 41 % der Maßregelpatienten, bei denen die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus 2016 beendet wurde, waren länger als zehn Jahre untergebracht. 2007 war der Anteil der Beender mit einer Unterbringungszeit von mehr als zehn Jahren 20 %. Wird die Unterbringungsdauer aller am 31.12. Untergebrachten betrachtet, gab es nur einen geringen Anstieg der Dauer von 2010 bis 2015. Dies und der starke Anstieg des Anteils der Beender mit einer Unterbringungszeit von mehr als zehn Jahren weisen darauf hin, dass die längere durchschnittliche Unterbringungsdauer bei Entlassung dadurch zustande kam, dass überdurchschnittlich viele Langzeituntergebrachte entlassen wurden. Wird die Unterbringungsdauer prospektiv betrachtet, zeigt sich seit 2004 keine Veränderung im Anteil der Personen mit langen Unterbringungszeiten. Nach sechs Jahren sind nach Anordnungen der Unterbringung 2004 60 %, 2007 und 2010, 58 % der Untergebrachten weiterhin im Maßregelvollzug. Die Unterbringungsdauer im Maßregelvollzug sollte weiter mit Längsschnittdaten untersucht werden, um zu überprüfen, ob die Gesetzesänderungen 2016 in § 67d Abs. 2 und Abs. 6 zu Veränderungen der Dauer der Unterbringung geführt haben. Literaturverzeichnis Albrecht, H.-J. (1998): Kriminologische und rechtspolitische Desiderate in der Gestaltung der Forschungsperspektiven Forensischer Psychiatrie, in: H.-L. Kröber & K.-P. Dahle (Hrsg.), Sexualstraftaten und Gewaltdelinquenz, Verlauf – Behandlung – Opferschutz. Heidelberg, S. 135 – 150. Albrecht, H.-J. (2007): Rechtliche Grundlagen der Forensischen Psychiatrie – eine international vergleichende Perspektive, in: H.-L. Kröber, D. Dölling, N. Leygraf & H. Sass (Hrsg.), Handbuch der Forensischen Psychiatrie, Band 1 Strafrechtliche Grundlagen der Forensischen Psychiatrie. S. 511 – 573. 13 Siehe DeStatis Statistisches Bundesamt: Strafvollzugsstatistik. Im Psychiatrischen Krankenhaus und in der Entziehungsanstalt aufgrund strafrichterlicher Anordnung Untergebrachte (Maßregelvollzug) 2015, Berichtsjahr 2013, Bestandszahlen für alte Bundesländer.

Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus nach § 63 StGB

883

Dessecker, A. (2008): Lebenslange Freiheitsstrafe, Sicherungsverwahrung und Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus. Dauer und Gründe der Beendigung im Jahr 2006. Wiesbaden. DeStatis Statistisches Bundesamt (2015): Strafvollzugsstatistik. Im Psychiatrischen Krankenhaus und in der Entziehungsanstalt aufgrund strafrichterlicher Anordnung Untergebrachte (Maßregelvollzug), Berichtsjahr 2013. Wiesbaden. DeStatis Statistisches Bundesamt (2017): Rechtspflege Strafverfolgung Fachserie 10 Reihe 3, Berichtsjahre 2004 – 2016. Wiesbaden. DeStatis Statistisches Bundesamt (2017): Rechtspflege Strafvollzug – Demographische und kriminologische Merkmale der Strafgefangenen zum Stichtag 31.3., Fachserie 10 Reihe 4.1, Berichtsjahre 2004 – 2016. Wiesbaden. Heinz, W. (2017): Kriminalität und Kriminalitätskontrolle in Deutschland – Überblick 2015, Internet-Publikation: Konstanzer Inventar Sanktionsforschung; www.ki.uni-konstanz.de/kis Version 1/2017 [28. 05. 2020]. Jaschke, H. & Jaschke, P. (2017): Analyse der Unterbringungsdauer im Maßregelvollzug gemäß § 63 StGB im Zeitverlauf. Eine Auseinandersetzung mit der Methodik und den Ergebnissen von Traub und Schalast auf Basis des Kerndatensatzes Maßregelvollzug. Recht und Psychiatrie 35, S. 156 – 161. Jehle, J.-M., Albrecht, H.-J., Hohmann-Fricke, S. & Tetal, C. (2016): Legalbewährung nach strafrechtlichen Sanktionen: Eine bundesweite Rückfalluntersuchung 2010 bis 2013 und 2004 bis 2013. Mönchengladbach. König, A. (2018): Quantitative Entwicklungen des psychiatrischen Maßregelvollzugs, in: F. Schmidt-Quernheim & T. Hax-Schoppenhorst (Hrsg.), Praxisbuch Forensische Psychiatrie: Behandlung und ambulante Nachsorge im Maßregelvollzug. Bern, S. 103 – 112. Querengässer, J., Bezzel, A., Hoffmann, K., Mache, W. & Schiffer, B. (2017): Versorgungsforschung im Maßregelvollzug oder das Stochern im Nebel. Konsenspapier zur Notwendigkeit einheitlicher und besserer Daten. Der Nervenarzt 88, S. 1292 – 1297. Schmidt-Quernheim, F. (2020): Das Hereinkommen erschwert, das Herauskommen erleichtert? Auswirkungen der Novellierung des Rechts der Unterbringung gemäß § 63 StGB auf Aufnahme- und Entlassungspraxis im Maßregelvollzug. Bewährungshilfe 67/3, S. 253 – 268. Schreiber, H.-L. & Rosenau, H. (2015): Rechtliche Grundlagen der psychiatrischen Begutachtung, in: H. Dreßing & E. Habermeyer (Hrsg.), Psychiatrische Begutachtung. Ein praktisches Handbuch für Ärzte und Juristen. 6. Aufl. München, S. 89 – 152. Seifert, D. & Leygraf, N. (2016): Entwicklung und Stand des psychiatrischen Maßregelvollzugs (§ 63 StGB). Zeitschrift für Forensische Psychiatrie, Psychologie, Kriminologie 10, S. 233 – 242. Traub, H.-J. & Schalast, N. (2017): Ansteigende Verweildauer im Maßregelvollzug. Recht & Psychiatrie 35, S. 147 – 155. Traub, H.-J. & Weithmann, G. (2014): Gemeinsame Entwicklung, unterschiedliche Inzidenz. Die Zuweisungen gemäß § 63 StGB von 1995 – 2009 (in den alten Bundesländern). Zeitschrift für Forensische Psychiatrie, Psychologie, Kriminologie 8, S. 199 – 207.

Die Sanktionierung von Vergewaltigungsdelikten Von Volker Grundies 1994 erschien die Habilitationsschrift des Jubilars. Darin thematisierte er die Strafzumessung bei schwerer Kriminalität (Vergewaltigung, Raub und schwerer Diebstahl). Als zentrale Ergebnisse seiner Aktenanalyse zeigte sich, dass sich die Strafen auf das untere Drittel des Strafrahmens konzentrierten und dass der minderschwere Fall sowie gesetzliche Milderungsgründe von großer Bedeutung waren, um den vorgesehenen Strafrahmen zu unterschreiten. Und letztlich zeigte sich, dass, obgleich viele (gesetzlich vorgeschriebene) Erwägungen in den Urteilen erwähnt wurden, nur wenige Punkte tatsächlich bei der Bestimmung der Strafdauer relevant waren. Nachdem inzwischen über drei Jahrzehnte vergangen sind – die von Albrecht (1994) analysierten Fälle stammen aus den Jahren 1980/81 – ist es möglich anhand von Bundeszentralregisterdaten der Legalbewährungsstudie (Jehle et al. 2016) aus den Jahren 2004, 2007, 2010, 2013 und 2016 zu prüfen, inwieweit die aktuelle Sanktionspraxis eine ähnliche Struktur aufweist. Die in den BZR-Auszügen enthaltenen Angaben sind stark eingeschränkt, da keine Angaben zu der Schwere der Tat und ihren Folgen, der Täter-Opfer-Beziehung etc. vorliegen. Vielmehr sind nur die angewandten Normen aufgelistet und es muss offen bleiben, welche konkreten Tatumstände jeweils zu deren Anwendung führten. Damit sind noch weitreichendere Bereiche der Strafzumessungsentscheidung nur als Black Box vorhanden, als dies schon bei der von Albrecht durchgeführten Aktenanalyse der Fall war. Die Auswertungen ergeben aber, dass alleine mit den in den Auszügen enthaltenen Angaben die Strafzumessung gut erklärt werden kann. Nicht zuletzt wegen der großen Anzahl der Entscheidungen in diesem Datensatz ist es möglich, selbst auf dieser hoch abstrahierten Ebene Entscheidungsstrukturen zu erkennen und insbesondere auch Fragen zu regionalen Unterschieden zu klären. Die von Albrecht gefundenen Strukturen werden im Wesentlichen bestätigt. Im Folgenden werden Verurteilungen wegen sexueller Nötigung und Vergewaltigung (§ 177 a.F.1 im Folgenden nur mit Vergewaltigung bezeichnet) von erwachse-

1 § 177. Sexuelle Nötigung; Vergewaltigung. (Fassung 1. April 1998 – 10. November 2016) (1) Wer eine andere Person 1. mit Gewalt, 2. durch Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben oder 3. unter Ausnutzung einer Lage, in der das Opfer der Einwirkung des Täters schutzlos ausgeliefert ist,

886

Volker Grundies

nen Tätern analysiert. Sie sind in den ausgewerteten fünf Jahren in 5.869 Fällen das schwerste Delikt oder zumindest neben einem anderen in Tateinheit verwirklichten Delikt als gleich schwer eingestuft.2 Hierbei waren alle Fälle, in denen das Datum der letzten abgeurteilten Tat3 vor dem April 1998 lag, ausgeschlossen, da hier eine Auswertung aufgrund der am 1. April 1998 erfolgten Gesetzesänderung zu komplex geworden wäre. Gleichfalls wurde die Vergewaltigung mit Todesfolge (§ 178) nicht erfasst, da sie zu selten angegeben war4. In Tabelle 1 sind die Häufigkeiten und die jeweilige Sanktion differenziert nach den Absätzen des § 177 angegeben. In ca. 1 % der Fälle wurde eine Geldstrafe und in fünf Fällen eine Verwarnung unter Strafvorbehalt ausgesprochen. In 84 Fällen des § 177 war kein Absatz spezifiziert. Hier ließ sich auch aufgrund der ausgesprochenen Sanktion vermuten, dass es sich meist um Fälle des Absatzes 1 handelte. Aufgeführt sind in Tabelle 1 auch die sechs Fälle, bei nötigt, sexuelle Handlungen des Täters oder eines Dritten an sich zu dulden oder an dem Täter oder einem Dritten vorzunehmen, wird mit Freiheitsstrafe nicht unter einem Jahr bestraft. (2) [1] In besonders schweren Fällen ist die Strafe Freiheitsstrafe nicht unter zwei Jahren. [2] Ein besonders schwerer Fall liegt in der Regel vor, wenn 1. der Täter mit dem Opfer den Beischlaf vollzieht oder ähnliche sexuelle Handlungen an dem Opfer vornimmt oder an sich von ihm vornehmen läßt, die dieses besonders erniedrigen, insbesondere, wenn sie mit einem Eindringen in den Körper verbunden sind (Vergewaltigung), oder 2. die Tat von mehreren gemeinschaftlich begangen wird. (3) Auf Freiheitsstrafe nicht unter drei Jahren ist zu erkennen, wenn der Täter 1. eine Waffe oder ein anderes gefährliches Werkzeug bei sich führt, 2. sonst ein Werkzeug oder Mittel bei sich führt, um den Widerstand einer anderen Person durch Gewalt oder Drohung mit Gewalt zu verhindern oder zu überwinden, oder 3. das Opfer durch die Tat in die Gefahr einer schweren Gesundheitsschädigung bringt. (4) Auf Freiheitsstrafe nicht unter fünf Jahren ist zu erkennen, wenn der Täter 1. bei der Tat eine Waffe oder ein anderes gefährliches Werkzeug verwendet oder 2. das Opfer a) bei der Tat körperlich schwer mißhandelt oder b) durch die Tat in die Gefahr des Todes bringt. (5) In minder schweren Fällen des Absatzes 1 ist auf Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren, in minder schweren Fällen der Absätze 3 und 4 auf Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren zu erkennen.2 Die Schwereeinstufung erfolgte wie in der Strafverfolgungsstatistik anhand der Strafrahmen. Nicht berücksichtigt wurden damit 49 Fälle von Mord und Totschlag, 40 Fälle des Missbrauchs von Kindern, 24 Fälle des (schweren) Raubs und 15 Fälle gegen die persönliche Freiheit, in Tateinheit mit Vergewaltigung, wobei letztere aber mit einer geringeren Strafandrohung verbunden war als das Hauptdelikt. 3 In den Daten ist nur das Datum der letzten abgeurteilten Tat angegeben. Leider fehlt es in ca. 9 % der Fälle gänzlich. 4 Es konnten in den betrachteten fünf Jahren nur zwei Fälle eindeutig identifiziert werden. Dabei wurden alle Fälle ignoriert, in denen kein Tatdatum angegeben war und die als Tat den § 178 Abs. 1 aufführten, den es in der relevanten Fassung des § 178 nicht gibt. Wie diese geringe Anzahl zustande kommt ist nicht klar, zumal in der Strafverfolgungsstatistik im Mittel 4 Fälle/Jahr aufgeführt werden. Bezüglich des § 177 stimmen die in der Strafverfolgungsstatistik genannten Anzahlen mit dem Vorkommen im BZR im Großen und Ganzen überein, wobei es in den einzelnen Jahren aber zu Abweichungen nach oben oder unten kommt. Dies wird dadurch verursacht, dass in der Auswertung der BZR-Daten das Datum der Entscheidung benutzt wurde, während die Strafverfolgungsstatistik das Rechtskraftdatum zu Grunde legt.

Die Sanktionierung von Vergewaltigungsdelikten

887

denen als schwerstes Delikt nur der minderschwere Fall (§ 177 Abs. 5) genannt wurde. Diese sind offenbar Erfassungsfehler, da der minderschwere Fall nur in Zusammenhang mit den anderen Absätzen des § 177 vorkommt, zumal die in ihm geregelte Milderung von der Qualifizierung der Tat abhängt. Tabelle 1 Häufigkeit und Sanktionen bei Vergewaltigung (2004, 7, 10, 13 und 16) Paragraph Strafrahmen

177 177 (1) 177 (2) 177 (3) 177 (4) 177 (5) a

> 1 Jahr > 1 Jahr > 2 Jahre > 3 Jahre > 5 Jahre

Freiheitsstrafe ohne Bewährung

N

81 2.606 2.553 215 408 6 b

Mittlere Median Anteil FoBa Anteil FmBb Strafdauer Strafdauer [Monate] 25 19 38 49 70 18

21 16 30 42 69 21

27 % 21 % 59 % 73 % 89 % 50 %

72 % 77 % 41 % 26 % 11 % 17 %

Freiheitsstrafe mit Bewährung

Die Vergewaltigung war in 62 % der Fälle mit einem oder mehreren anderen Delikten verknüpft. In 34 % gab es zusätzlich eine Körperverletzung, in 16 % der Fälle einen Missbrauch (von Kindern, Abhängigen oder Jugendlichen), in 11 % ein Delikt gegen die persönliche Freiheit (Geiselnahme, erpresserischer Menschenraub) und in 2 % einen Raub.

Verteilung der Strafdauern bei Vergewaltigung und Strafmilderungsgründe In Abbildung 1 sind die Verteilungen der Höhe der ausgesprochenen Strafen differenziert nach den Strafrahmen, die durch die verschiedenen Absätze des § 177 a.F. vorgegeben sind, dargestellt. Der zackige Verlauf der Verteilungen (jeder zweite Punkt ist erhöht) resultiert aus der Bevorzugung ganzer Strafmaße im 6-MonatsRhythmus, wobei die vollen Jahre meist nochmals stärker besetzt sind. Andere Strafmaße kommen in einer Differenzierung von einem Monat zwar auch vor, werden aber nicht häufig genutzt. Offensichtlich werden die Strafen nur in einem gröberen Raster differenziert, als dies vom Gesetz her möglich wäre. Albrecht (1994, 289 f.) diskutiert in diesem Zusammenhang, ob diese auf tatsächlich realisierte typische Tatbegehungen zurückzuführen sei, die sich dann schon an einem Merkmal festmachen ließen und damit weitere Differenzierungen unnötig werden ließen. Er hält dies aber nur bei sehr häufig vorkommenden Delikten (z. B. Einbruch) für möglich und schließt dies für Schwerkriminalität aus. Allgemein stellt sich hier eher die Frage, wie weit differenziert werden kann, insbesondere wenn genaue Referenzengrößen fehlen (siehe auch mit ähnlicher Schlussfolgerung Albrecht 1994, 291).

888

Volker Grundies

0

10

20

Anzahl 30 40

50

60

70

Strafrahmen > 1 Jahr (/10) > 2 Jahre (/10) > 3 Jahre > 5 Jahre

0

1

2

3

5 7 9 Dauer der Strafe [Jahre]

11

13

15

Vergewaltigung

Abbildung 1: Verteilung der Strafdauern bei Vergewaltigung (§ 177 a.F.)5

Der Median der Verteilungen der Strafhöhen (siehe Tabelle 2) verdoppelt sich fast von Abs. 1 nach Abs. 2 (x 1,9), er verdreifacht sich fast (x 2,6) von Abs. 1 zu Abs. 3 und er vervierfacht (x 4,3) sich von Abs. 1 nach Abs. 4. Damit spiegeln sich hier die aufsteigenden Mindeststrafen der Absätze wider, wenn auch deren Steigerungen bei den Absätzen 3 und 4 nicht ganz erreicht werden. In ähnlicher Weise werden die Verteilungen von Absatz zu Absatz breiter. In Tabelle 2 sind dazu die Werte der 5 %- und 95 %-Perzentile (p5 und p95) angegeben, zwischen denen dann 90 % (p5 – p95) der Fälle zu verorten sind. Die Spannweite der Verteilungen (hier erfasst durch p5 – p95) ist jeweils in etwa doppelt so groß wie der entsprechende Median. Mithin steigt die Variation der Strafen mit der als normal angesehenen Schwere des Delikts. Dabei nehmen auch die hier als Grenzen des Strafbereichs angenommenen 5 %- und 95 %-Perzentile ungefähr in ähnlicher Weise wie die Mediane jeweils relativ zu den Werten für den 1. Absatz zu. Entsprechend dem Anstieg des 95 %-Perzentils nimmt auch die Ausschöpfung der Strafrahmen zu, wobei dieser Effekt hauptsächlich durch die Verengung der Strafrahmen verursacht wird, die durch die ansteigenden Mindeststrafen bei gleichbleibender Höchststrafe entsteht.

5 Es wurden jeweils Zeiträume von 3 Monaten (jeweils inklusive der Obergrenze und exklusive der Untergrenze) zusammengefasst und in der Mitte des Zeitraums abgetragen. Beispielsweise wurden Strafen > 21 Monaten bis < = 24 Monate bei 22,5 Monaten abgetragen. Strafen von genau zwei Jahren sind hier dann enthalten.

Die Sanktionierung von Vergewaltigungsdelikten

889

Tabelle 2 Ausschöpfung der Strafrahmen entlang der Absätze des § 177 a.F. (Monate) Abs. 1 Abs. 2 Abs. 3 Abs. 4

Median

p5

p95

p5–p95

Ausschöpfung

16 30 42 69

6 14 12 25

42 82 106 134

36 68 93 110

18 % 37 % 48 % 62 %

Weiter ist das knappe Viertel der Sanktionen, die unter der Untergrenze der Strafrahmen zu liegen kommen, festzuhalten. Dies ist rechtlich nur bei dem Vorliegen von Milderungsgründen möglich. In Tabelle 3 ist aufgelistet, welche Milderungsgründe jeweils angeführt wurden.6 Liegt die Strafdauer unter der regulären Untergrenze des Strafrahmens, so wurde in ca. Dreivierteln aller Fälle mindestens ein Milderungsgrund aufgeführt. Dies ist zwar wesentlich häufiger als bei Sanktionen innerhalb des Strafrahmens (Milderungen in ca. einem Drittel der Fälle), doch zu erwarten wären hier 100 % gewesen. Es ist zu vermuten, dass hier die Meldungen an das BZR unvollständig waren. Eine Kontrolle der freitextlichen Deliktsbeschreibung ergab, dass nur in wenigen Fällen (ca. 1 %) in der freitextlichen Deliktsbeschreibung ein minderschwerer Fall erwähnt wurde, der im „Paragraphenfeld“ keine Entsprechung (§ 177 Abs. 5) hatte.7 Mithin gab es für knapp ein Viertel der Fälle, bei denen die Sanktionsdauer unter der Untergrenze des Strafrahmens lag, keine direkte Erklärung. Tabelle 3 Anteile der Fälle des § 177 mit Sanktionen unter bzw. über der Untergrenze des Strafrahmens sowie Anteile der erwähnten Milderungsgründe Sanktionen unterhalb der Untergrenze des normalen Strafrahmens § 177

Fälle

Minderschwer Beihilfe Verm. Schuldf.

Abs. 1 Abs. 2 Abs. 3 Abs. 4

26,5 % 17,6 % 34,9 % 37,5 %

Abs. 1 Abs. 2 Abs. 3 Abs. 4

73,5 % 82,4 % 65,1 % 62,5 %

64,5 % 14,9 % 54,7 % 52,9 %

0,3 % 1,1 % 2,7 % 0,0 %

15,9 % 26,2 % 17,3 % 25,5 %

Versuch TOA § 46a 18,3 % 30,9 % 34,7 % 20,3 %

Mind. 1 Milderung o. minderschwer

0,9 % 2,7 % 4,1 % 0,7 %

82,2 % 64,4 % 83,8 % 77,8 %

Sanktionen über der Untergrenze des normalen Strafrahmens

6

15,5 % 2,5 % 7,1 %

0,3 % 0,7 % 0,7 % 0,4 %

11,6 % 15,0 % 17,9 % 19,2 %

15,8 % 11,6 % 13,6 % 15,7 %

0,7 % 1,3 % 1,4 % 1,2 %

36,6 % 27,1 % 33,8 % 37,5 %

Unter den Milderungsgründen wurden zwei Fälle, in denen der Versuch der Beteiligung (§ 30) erwähnt war, nicht aufgeführt. 7 Andere Milderungsgründe, die im Paragraphenfeld keine Entsprechung gehabt hätten, tauchten nicht auf.

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Volker Grundies

Auch bei ca. einem Drittel der Fälle, deren Sanktion innerhalb des entsprechenden Strafrahmens liegt, wurde mindestens ein Milderungsgrund aufgeführt. Hier wurden die verminderte Schuldfähigkeit oder der Versuch (jeweils ca. 14 %) erwähnt und in 8 % der Fälle auch der minderschwere Fall. Sehr selten wurde die Beihilfe genannt (0,5 %). Der Täter-Opfer-Ausgleich wurde in etwa 1,2 % der Fälle aufgeführt. Allgemein dominiert unter den Milderungsgründen die Einstufung als minderschwerer Fall, d. h. die Erwähnung des 5. Absatzes.8 Dass dies gelegentlich auch dann der Fall war, wenn der Abs. 2 als schwerstes Delikt erfasst wurde und somit ein minderschwerer Fall ausgeschlossen scheint, liegt einerseits wohl daran, dass in diesen Fällen gelegentlich zusätzlich Tathandlungen nach Abs. 1 vorlagen, auf die sich dann der Abs. 5 beziehen mag (die Zuordnung der einzelnen im „Paragraphenfeld“ erwähnten Normen untereinander ist jeweils eine Frage der Interpretation und kann nicht eindeutig erfasst werden). Andererseits ist nach der Rechtsprechung (BGH 3 StR 253/99) „trotz Vorliegens eines Regelbeispiels für einen besonders schweren Fall (z. B. § 177 Abs. 2 StGB) zu prüfen ob nicht Umstände vorliegen, die der Tat trotz Erfüllung eines Regelbeispiels das Gepräge eines minderschweren Falles geben könnten. Diese müßten allerdings in einem ganz außergewöhnlichen Umfang schuld-mildernd sein.“ (siehe auch BGH 4 StR 163/05 u. a.).

Allgemein kann noch festgehalten werden, dass die als minderschwer eingestuften Fälle mit einer geringeren Vorstrafenbelastung assoziiert sind als die normalen Fälle, wobei allerdings die Einstufung als minderschwerer Fall nicht oder nur minimalst von den Vorstrafen abhängt. In ca. 28 % der Fälle wurden auch die verminderte Schuldfähigkeit (15,4 %) oder der Versuch (16 %) aufgeführt, wobei die Überschneidung mit den minderschweren Fällen gering ist.9 Dabei ist der Versuch unauffällig entlang der Absätze verteilt, während die verminderte Schuldfähigkeit entlang der Absätze häufiger konstatiert wird.10 8 Insgesamt wird in 17,4 % der Entscheidungen der minderschwere Fall erwähnt, bei der Untersuchung von Albrecht (1994, 300) mit Fällen von 1980 aus fünf LG-Bezirken BadenWürttembergs war diese Quote mit ca. 35 % doppelt so hoch. Sie ist jedoch nicht vergleichbar, da damals das Gesetz noch anders strukturiert war und wohl große Teil des Abs. 1 (i. d. F. vom 1. April 1998) damals zu den minderschweren Fällen gerechnet wurden. Über die untersuchten Jahre 2004, 2007, 2010, 2013 und 2016 zeigt sich keine Veränderung der Quote. Zwar differieren die Quoten über die OLG-Bezirke in der aktuellen Untersuchung zwischen 8 und 24 %, für Baden-Württemberg liegen sie im bundesweiten Mittel. Aus den vorliegenden Daten können die Gründe für eine Einstufung zu einem minderschweren Fall nicht bestimmt werden, gleichwohl wird eine solche wahrscheinlicher, wenn keine Vorstrafen vorliegen. 9 In 4 % aller Fälle ist sowohl der minderschwere Fall erwähnt als auch der Versuch oder die verminderte Schuldfähigkeit. Der Anteil der Versuche ist bei als minderschwer eingestuften Fällen leicht niedriger (14,7 %) als bei den Normalfällen (16,3 %). Dies gilt auch für die verminderte Schuldfähigkeit mit 15,8 % bei den Normalfällen und 13,9 % bei den minderschweren Fällen. Beide Ergebnisse sind aber nicht signifikant. 10 Anteile verminderter Schuldfähigkeit: Abs. 1 13 %, Abs. 2 17 %, Abs. 3 18 % und Abs. 4 21,5 % (statistisch signifikant).

Die Sanktionierung von Vergewaltigungsdelikten

891

Damit variiert der Anteil verminderter Schuldfähigkeit systematisch und spiegelt die Schwere der Mindeststrafandrohungen wider (siehe auch Albrecht 1994, 321 ebenso mit der Feststellung der Unabhängigkeit der Versuchsanteile). Auch eine höhere Vorstrafenbelastung schließt die verminderte Schuldfähigkeit nicht aus, vielmehr wurden sie dann wohl eher erwogen. Dabei ist dieser Effekt unabhängig davon, dass mit zunehmender Qualifikation über die Absätze auch die Vorstrafenbelastung ansteigt. Die gesetzlich fixierte Strafrahmenverschiebung gemäß § 49 wurde in ca. 10 % der Fälle fast ausnahmslos zusammen mit einem entsprechenden Milderungsgrund aufgeführt. Er wurde offensichtlich seltener erwähnt als die auf ihn verweisenden Milderungsgründe selbst. Bezüglich der verhängten Strafen bei minderschweren Fällen bleibt festzuhalten, dass die Strafdauern im Wesentlichen unterhalb der Mindeststrafe des entsprechenden Absatzes zu liegen kommen. „Offensichtlich verfolgt die Praxis eine Konzeption der Sanktionsabschichtung, die die Mindeststrafandrohung des höher ansetzenden Strafrahmens im Regelfall als Obergrenze des darunterliegenden Strafrahmens ausweist“ (Albrecht 1994, 314; siehe auch Greger 1987, 265). Dies ist in Abbildung 2 für alle Absätze des § 177 a.F. zu sehen. Dort wird nochmals deutlich, dass halbjährige Strafmaße bevorzugt werden und der 2-Jahresgrenze eine besondere Bedeutung zukommt.11 In diesem Zusammenhang ist festzuhalten, dass die minderschweren Fälle des § 177 Abs. 3 und 4 a.F., in denen eine Freiheitsstrafe von einem bis zehn Jahren angedroht wird, härter bestraft wurden als der Normalfall des Abs. 1, bei dem die Strafandrohung theoretisch höher ist (> 1 Jahr). Dies lässt sich auch nicht durch höhere Anteile des Versuchs oder der verminderten Schuldfähigkeit erklären, da diese Anteile im Fall des Abs. 1 niedriger sind als für die minderschweren Fälle der Absätze 3 und 4. Ebenso können eine höhere Vorstrafenbelastung oder eine häufigere Kombination mit anderen Straftaten als Ursache ausgeschlossen werden. Tabelle 4 Strafdauern (Monate) des normalen und minderschweren Falls der verschiedenen Absätze bei Vergewaltigung (§ 177 a.F.) Abs.

N

1 2 3 4

1906 2399 163 309

normal Mittel 21,5 38,3 56,5 79,3

Median

N

18 30 51 78

746 115 50 97

minderschwer Mittel Median 11,8 24,4 26,0 40,0

10 21 24 39

Auffällig ist die Häufung von Fällen an der Zweijahresgrenze, die noch zur Bewährung ausgesetzt werden können. Dagegen fehlen, verglichen mit einem fiktiven glatten Verlauf, Fälle direkt oberhalb der zwei Jahre. Es scheinen hier also Fälle unter 11 Nach Albrecht (1994, 285) ist dies aber nur bei Vergewaltigung der Fall, nicht aber bei Raub (§ 250 Abs. 3).

Volker Grundies

400

Abs. 1

minder schwer

200 0

100 0

2

3

4

5+

Abs. 3 mind.schw.

0 1 2 3

5

7

9

11

13

15

Abs. 4

30

1

mind.schw.

0 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10+ Dauer der Strafe [Jahre] (jeweils 3 Monate Obergrenzen inklusive)

0

0

10

5

20

20

0

Anzahl 10 15

Abs. 2

400

Anzahl 200 300

mind.schw.

600

892

0 1 2 3

5 7 9 11 Dauer der Strafe [Jahre]

13

15

Abbildung 2: Strafdauern bei normalen und minderschweren Fällen (§ 177 a.F.)

die Zweijahresgrenze gedrückt worden zu sein. Falls dies durch die Aussetzbarkeit der Strafe motiviert ist, sollte sich dies auch in einer höheren Aussetzungsrate dieser zweijährigen Strafen verglichen mit etwas kürzeren Strafen zeigen. Tatsächlich sinkt die Aussetzungsrate beginnend von fast 100 % bei Strafdauern von 6 Monaten bis auf ca. 87 % bei Strafdauern von 18 bis 21 Monaten um dann an der Zweijahresgrenze wiederum auf ca. 94 % anzusteigen (vgl. Abbildung 5 und Albrecht 1994, der allerdings keine höhere Aussetzungsquote der zweijährigen Strafen feststellen konnte und für Strafen zwischen einem und zwei Jahren eine wesentlich geringere Aussetzungsquote unter 20 % verzeichnet). Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass die Länge der Strafen bei Vergewaltigung im Mittel zwischen dem 1,2- (Abs. 4) und 1,5-Fachen (Abs. 1+2) der Mindeststrafen liegen. Um diesen Mittelwert verteilen sich die Strafen recht gleichmäßig mit einer Spannweite (p95–p5), die zwischen dem 1,9-Fachen der mittleren Strafe (Abs. 1) und dem 1,5-Fachen (Abs. 4) variiert.12 Wie in Abbildung 3 dargestellt, ergeben sich damit Verteilungen, die weit unterhalb der Mindeststrafe im Extremfall bei einer Verwarnung beginnen, ihren Höhepunkt etwas oberhalb der Mindeststrafe erreichen und bis etwa zum 3-Fachen der Mindeststrafe reichen. Damit kommt der Strafrahmenobergrenze keine Bedeutung zu und die Mindeststrafe ist eher ein Orientierungspunkt für die Mittlere Strafdauer als eine sich deutlich auswir12

Das entspricht etwa dem 2- (Abs. 4) bis 3-Fachen (Abs. 1) der Mindeststrafe.

Die Sanktionierung von Vergewaltigungsdelikten

893

0

0

200

200

Anzahl 400 600

Anzahl 400 600

800

800

kende Untergrenze. In die Nähe der Obergrenze kommen nur im Fall des Abs. 3 und 4 einige sehr wenige Fälle. Die maximal verhängte Strafe betrug 14 Jahre.

0 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 Strafdauer §177 Abs.2 [Jahre]

0

0

10

10

Anzahl 20 30

Anzahl 20 30

40

40

0 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 Strafdauer §177 Abs.1 [Jahre]

0 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 Strafdauer §177 Abs.3 [Jahre]

0 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 Strafdauer §177 Abs.4 [Jahre]

Abbildung 3: Verteilungen der Strafdauern entlang der qualifizierenden Absätze des § 177 a.F. mit jeweils angepassten Normalverteilungen

Analyse der verhängten Strafhöhen Die Analyse der Strafdauer setzt in dieser Untersuchung zwangsläufig erst nach der Ermittlung des Tatbestands und damit der materiellrechtlichen Einordnung an,13 gleichwohl kann die Auswirkung wichtiger Strafzumessungsgründe, wie z. B. die Milderungsgründe, weitere Tatumstände oder der Legalbiographie des Täters, bestimmt werden. Anhand der weiteren in den Daten vorhandenen Informationen (25 Variablen, wie z. B. angewandte Normen, Vorstrafen etc.) wird die Varianz der Strafdauer bei Vergewaltigungsfällen zu 69 % erklärt. Dies ist ein recht guter Wert, da nur noch 31 % unerklärte Varianz bei den Einzelfällen verbleibt, und dies, obgleich die Schwere physischer und psychischer Verletzungen des Opfers sowie die Täter-Opfer-Beziehung nicht berücksichtigt werden konnten.14 Allerdings ist neben den qualifizierenden Absätzen 13

Vgl. hierzu Sessar (1981) sowie Steinhilper (1986). Nach Albrecht (1994, 293 ff.) war insbesondere die Täter-Opfer-Beziehung ausschlaggebend für die Einstufung zum minderschweren Fall. Fälle mit einer engen Täter-OpferBeziehung wurden wesentlich häufiger als minderschwer eingestuft als Fremddelikte. Nach der Rechtsprechung soll ein minderschwerer Fall vor allem dann in Betracht kommen, wenn 14

894

Volker Grundies

der § 177 a.F. durch die Variable Landgericht vs. Amtsgericht ein guter Proxy für die Schwere der Fälle in der Regression enthalten. In Tabelle 5 sind die Häufigkeiten sowie die Bedeutung der einzelnen Variablen für die Erklärung der Sanktion aufgelistet. Die Häufigkeit des Vorkommens ist meist als prozentualer Anteil der Fälle (N = 5785) angegeben. Die Wirkung wird durch den Regressionsparameter beschrieben, der die durch die Variable verursachte Veränderung auf der logarithmierten Skala der Strafdauer erfasst.15 Hier sei auf seine Interpretation als prozentuale Veränderung hingewiesen: diese ergibt sich exakt als exp(Parameter)-1. Als Daumenregel kann der Parameter selbst als prozentuale Veränderung interpretiert werden, zumindest, wenn er klein ist. Allerdings ist die Wirkung nicht ganz zur Null symmetrisch16. Somit sind die einzelnen Parameter in Tabelle 5 als relative Veränderung der Sanktionsdauer beim Vorliegen dieses Parameters zu interpretieren. Z. B. verringert sich die Strafdauer, wenn ein minderschwerer Fall (§ 177 Abs. 5) erwähnt wurde, im Mittel um -35 % (Parameter = -0,44) oder die Strafe verlängert sich, falls eine Anstiftung (§ 26) erwähnt ist, um 49 % (Parameter = 0,4). Etwas komplexer ist die Interpretation des zum Tatbestand gehörigen Strafrahmens. Diese Variable hat entsprechend der Absätze 1 – 4 insgesamt vier Ausprägungen, wobei der schwerste Strafrahmen (mindestens 5 Jahre § 177 Abs. 4) als Referenz erfasst ist. Die anderen Strafrahmen werden relativ zu diesem bewertet. D. h. liegt z. B. der Abs. 3 als schwerstes Delikt vor, so verringert sich die Strafdauer relativ zum Vorliegen des Abs. 4 um ca. -25 % (Parameter -0,28) etc. Rechnet man relativ zum Abs. 1, so verlängert sich die Strafe für den Abs. 2 relativ zum Abs. 1 um das 1,5-Fache (Abs. 3 das 1,8-Fache und Abs. 4 das 2,4-Fache). Vergleicht man damit die Mediane der tatsächlich verhängten Strafen (Tabelle 1 oder Tabelle 2) so erhält man wesentlich größere Unterschiede (Abs. 2 das 1,9-Fache, Abs. 3 das 2,6-Fache und Abs. 4 das 4,3-Fache jeweils relativ zu Abs. 1). Dies ist darauf zurückzuführen, dass die in der Regression berechneten Werte unter Kontrolle der anderen Variablen bestimmt wurden, d. h. sie werden so berechnet, als ob diese anderen Variablen unabhängig vom Strafrahmen wären und bei allen Strafrahmen jeweils gleich häufig auftreten. Dies ist aber keineswegs der Fall, so steigt z. B. der Anteil der vor Landgerichten abgeurteilten Fälle und damit der Anteil der von der zwischen Täter und Opfer bereits vor dem inkriminierten Akt sexuelle Beziehungen gegeben waren oder wenn ein Täter aus einer bereits bestehenden Beziehung heraus „echte Liebesbeziehungen“ anstrebt (BGH NStZ 1982, 26; BGH MDR 1963, 62). Weiter stellt Albrecht fest, dass die Tatmittel und das Ausmaß der Gewalt und der Folgen nur einen geringen Einfluss auf die Einstufung als minderschweren Fall haben. Wichtiger erscheint diesbezüglich die Legalbiographie. Insgesamt könne aber nicht gut determiniert werden. Auch in der vorliegenden Untersuchung ist zwischen der Einstufung als minderschwerem Fall und der Legalbiographie ein zwar signifikanter aber wenig erklärender Zusammenhang festzustellen. Wie schon Albrecht feststellte, ist kein signifikanter Zusammenhang zwischen dem minderschweren Fall und dem Versuch vorhanden. 15 Weiterführendes zur Methodik findet sich in Grundies (2018) und Grundies (2016). 16 Zum Beispiel entspricht ein Parameter von 0,1 einer prozentualen Veränderung von +10,5 %; -0,1 & -9,5 %; 0,2 & 22 %; -0,2 & -18 %; 0,3 & 35 %; -0,3 & -26 %; 0,5 & 65 %; -0,5 & -40 %; 1 & 172 %; -1 & -63 %.

Die Sanktionierung von Vergewaltigungsdelikten

895

Staatsanwaltschaft als schwer eingestuften Fälle vom Abs. 1 mit ca. 20 % über 52 % (Abs. 2) und 74 % (Abs. 3) auf 94 % bei Fällen des Abs. 4. Die Werte in Tabelle 1 oder Tabelle 2 spiegeln hauptsächlich die Kombination der beiden Variablen Strafrahmen und Landgericht wider, während die berechneten Parameter „nur“ die Veränderung mit dem Strafrahmen wiedergeben. Dies gilt analog auch für die anderen Parameter, allerdings gehen dort meist keine so starken Veränderungen in den anderen Variablen einher. Bei der Interpretation der Parameter der kontinuierlichen Variablen (Alter, logarithmierte Summe der Dauer früherer Freiheitsstrafen) ist zu beachten, dass hier die Parameter mit der Veränderung der Variablen zu multiplizieren sind. So erhält beispielsweise ein 30-Jähriger im Mittel eine um 3 % kürzere Strafe als ein 20-Jähriger (10*0,003 = 0,03). Eine entscheidende Variable ist der Unterschied zwischen Amtsgericht und Landgericht. Die Fälle, die vor einem Landgericht abgeurteilt wurden, führen zu ca. 65 % längeren Strafen. Dies ist nicht weiter verwunderlich, werden doch nur die schwereren Fälle vor den Landgerichten verhandelt. Weggelassen wurden die Angaben zur Täterschaft (§ 25), da sie keine signifikanten Auswirkungen hatten (N 235 4 %). Ebenfalls wurde die Erwähnung des § 49 (7,2 % aller Fälle) ignoriert, da in 98 % dieser Fälle der entsprechende Milderungsgrund (Versuch, Beihilfe, verminderte Schuldfähigkeit und Täter-Opfer-Ausgleich) verzeichnet war und dies somit zu einer Verdopplung der Angaben geführt hätte (der § 49 zeigte entsprechend auch keine relevante Auswirkung). Unter den Variablen, die die Legalbiographie erfassen, erwies sich die aufsummierte Dauer vorheriger Geldstrafen nicht als relevant. Angesicht der Schwere des verhandelten Delikts spielen frühere Bagatelldelikte wohl keine Rolle. Anders ist dies, wenn früher schon Freiheitsstrafen verhängt wurden, hier erwies sich die logarithmierte17 Summe der Längen früherer Freiheitsstrafen als relevant. Zusätzlich zu dieser Summe der Längen von Freiheitsstrafen mit oder ohne Bewährung war es von Bedeutung, ob schon einmal eine Freiheitsstrafe ohne Bewährung verhängt worden war, und ob es schon eine oder mehrere einschlägige Vorstrafen gab. Ausschlaggebend ist hier aber, ob es eine solche Strafe schon gegeben hat und weniger wie viele. So wurden bezüglich der einschlägigen Vorstrafen nur die Kategorien keine, eine und mehr als eine berücksichtigt. Wie die Parameter zeigen, steigert vor allem die Differenz von keiner zu einer einschlägigen Vorstrafe die Länge der Strafe um ca. 10 %, weitere einschlägigen Vorstrafen (egal wie viele) führen dann aber nur noch zu einer geringen Steigerung von zusätzlich ca. plus 3 % (zur Vorstrafenbelastung siehe auch die Beispiele weiter unten und Tabelle 5).

17

Die Bildung des Logarithmus über die Summe der (bzw. auch einer einzelnen) Straflänge bewirkt, dass insbesondere eine erste Strafe (bzw. eine auch kurze Länge) von größerer Bedeutung ist, als wenn bei schon gegebenen Strafen eine weitere hinzukommt oder eine Strafe etwas länger ausfällt. Die Bedeutung weitere Straflängen wird immer geringer, je größer die schon vorhandene Summe von Straflängen ist.

896

Volker Grundies

Das Geschlecht (0,6 % der Täter waren Frauen) war ebenfalls, auch aufgrund der geringen Fallzahl, nicht signifikant. Die Nationalität war wegen der teilweise geringen Fallzahlen sinnvoll nur in Deutsch vs. Nichtdeutsch zu unterteilen. Hier werden Ausländer etwa 6 % härter bestraft als Deutsche.18 Über die Jahre 2004, 2007, 2010, 2013 und 2016 ergaben sich keine Unterschiede in der Härte der verhängten Sanktionen. Auffällig war in diesem Zusammenhang aber der Rückgang der Fallzahlen (2004: 1792, 2007: 1597, 2010: 1118, 2013: 861 und 2016: 653). Unter den strafmildernden Faktoren steht an erster Stelle der minderschwere Fall. Sein Vorliegen reduziert die Strafe um 36 %. Es folgen die Beihilfe und der TäterOpfer-Ausgleich mit einer Reduktion von ca. 21 %. Beide sind aber sehr selten (0,5 % bzw. 1,2 % der Fälle). Größere Bedeutung kommt dem Versuch (16 % der Fälle) und der verminderten Schuldfähigkeit (15,4 % der Fälle) mit durchschnittlich um 16 % bzw. 12 % niedrigeren Strafdauern zu. Fasst man die einzelnen Variablen zu den Themenbereichen Delikt (qualifizierte Tat + zusätzliche Tathandlungen), Tatumstände (minderschwerer Fall, Versuch, Tatmehrheit, verminderte Schuldfähigkeit etc.) und Legalbiographie zusammen, so ergibt sich, dass das Delikt zu ca. 37 % die Sanktion bestimmt. Des Weiteren wird die Sanktion durch die Tatumstände (ca. 28 %), die Verurteilung vor einem Landgericht (ca. 14 %) und die Legalbiographie (ca. 14 %) beeinflusst. Die weiteren nonlegalen Faktoren (Alter, Nationalität und Geschlecht) erklären schließlich noch die restlichen 6 %.

18 Dieses Ergebnis zeigt sich allerdings erst in der multivariaten Analyse. Rein bivariat betrachtet ergeben sich keine Sanktionsunterschiede. Entsprechend gibt es zwischen Deutschen und Ausländern einige Differenzen in der Tatbegehung: So ist die Vorstrafenbelastung der Ausländer im Allgemeinen geringer. Dagegen ist der Anteil der minderschweren Fälle bei Ausländern (10 %) geringer als bei Deutschen (17 %), ebenso wird bei Ausländer seltener eine verminderte Schuldfähigkeit festgestellt (Ausländer 11 %, Deutsche 18 %). Die Häufigkeit der Versuche ist gleich (16 %). In der multivariaten Analyse, bei der alle diese Unterschiede kontrolliert werden, ergeben sich aber die genannten um 6 % verlängerten Strafen. Hier zeigen sich gegenüber der Untersuchung von Albrecht (1994, 346 f.) einige Veränderungen: Dort wurden Ausländer tendenziell leichter sanktioniert, was Albrecht vor allem auf den niedrigeren Anteil an Fremddelikten (Ausländer 11 %, Deutsche 29 %) und dem in Folge erhöhten Anteil minderschwerer Fälle (Ausländer 44 %, Deutsche 35 %) zurückführte. Zugleich wurden damals bei Ausländern mehr Versuche (42 %) registriert als bei Deutschen (33 %).

Die Sanktionierung von Vergewaltigungsdelikten

897

Tabelle 5 Deskription und Regressionsparameter bei Vergewaltigung (N = 5785, R2 = 0,69) Strafrahmen > 5 Jahre > 3 Jahre > 2 Jahre > 1 Jahre

Anzahl

Anteil

Parameter

Fehler

p-Wert

408 215 2.553 2.693

7,1 % 3,7 % 44,1 % 46,6

Referenz -0,28 -0,48 -0,90

0,03 0,02 0,02

0 0 0

16,6 % 15,5 % 34,5 % 1,7 % 24,6 % 49,1 % 40,5 % 0,5 % 0,1 % 15,4 % 0,2 % 16 %

-0,44 0,12 0,06 0,25 0,18 0,09 0,18 -0,23 0,41 -0,13 -0,66 -0,18

0,02 0,02 0,02 0,04 0,02 0,02 0,02 0,08 0,16 0,02 0,13 0,02

0 0 0 0 0 0 0 0,003 0,008 0 0 0

2.512

41,7 %

0,49

0,01

0

Mittel:

2,17

0,02

0,00

0

5.543 360 102

92,1 % 6,0 % 1,7 % 16,6 %

Referenz 0,10 0,13 0,08

0,02 0,04 0,02

0 0,003 0,001

Mittel:

38,4

0,003

0,000

0

4.149 1.781

69,9 % 30,1 %
=2 Vorherige Freiheitsstrafe oB. (0/1) Alter Nationalität: Deutsch Nicht deutsch Täter-Opfer-Ausgleich (§46a) Konstante

Regionale Differenzen in der Sanktionspraxis Nachdem mit der linearen Regression die Varianz der Länge der verhängten Strafen zu 69 % erklärt werden konnte, stellt sich nun die Frage, inwieweit die verbleibende Restvarianz den Einzelfällen, d. h. den damit verbundenen nicht erfassten Grö-

898

Volker Grundies

ßen wie z. B. der Täter-Opfer-Beziehung, dem physischen/psychischen Schaden des Opfers19 oder den ggf. regional unterschiedlich harten Sanktionspraxen zuzuschreiben ist. Um die Unterschiede zwischen den Regionen (hier die Landgerichtsbezirke) zu erfassen, wird die verbleibende Varianz durch eine Mehrebenenanalyse dahingehend analysiert, welcher Anteil an Varianz der Basisebene der einzelnen Entscheidungen und welcher Anteil der übergeordneten Ebene den einzelnen Landgerichtsbezirken zugeschrieben werden kann. Dieser Anteil wird methodisch durch die Einführung eines „random intercepts“ auf der Ebene der Landgerichtsbezirke realisiert. Damit wird die durch die lineare Regression, die in der Mehrebenenanalyse die Basisebene erfasst, nicht erklärbare verbleibende Varianz aufgeteilt in die durch Gemeinsamkeiten innerhalb der Landgerichtsberichtsbezirke erklärbare Varianz und die Varianz, die weiterhin den einzelnen Entscheidungen als Restvarianz zugeordnet bleibt. Anzumerken ist hier, dass durch das zusätzlich in die Regression eingeführte random intercept nur global der Anteil der auf der Ebene der Bezirke liegende Anteil der Restvarianz bestimmt wird. Einzelne Werte für die Bezirke werden dabei nicht ermittelt. Es ist aber im Nachhinein möglich, konkrete Werte für die einzelnen Bezirke zu bestimmen (Bayes prediction20). In der folgenden Abbildung sind diese in prozentuale Abweichungen umgerechneten Werte dargestellt. Führt man eine solche Analyse durch, so kann 3 % der verbleibenden Restvarianz der Ebene der Landgerichtsbezirke zugeordnet werden. Dabei ergeben sich im Einzelnen Abweichungen von bis zu : 10 %, wobei 80 % der Bezirke in einem Bereich von : 7 % liegen (50 % der Bezirke innerhalb : 3,8 %). Damit sind die regionalen Abweichungen bei Vergewaltigung geringer als bei anderen Delikten. In einer früheren Analyse hat sich gezeigt, dass bei allen Delikten (StGB + BtMG) 28 % der LG-Bezirke außerhalb : 10 % liegen, bei Gewaltdelikten 32 % der LG-Bezirke, bei Diebstahl und Unterschlagung 47 %, bei BtM-Delikten 45 % und schließlich bei Verkehrsdelikten 39 %. Einzig bei Raub sind ähnlich geringe Abweichungen der LG-Bezirke vom Durchschnitt der BRD festzustellen (4,3 % außerhalb : 10 %). Betrachtet man alle Sexualdelikte (13. Abschnitt des StGB), so zeigen sich

19

Soweit dieser nicht schon durch die Qualifizierungen der einzelnen Absätze erfasst wurde. 20 Bei der Bayes prediction werden die für die jeweiligen Gerichtsbezirke unter Verwendung des Hauptteils der Regression gewonnenen Mittelwerte der Residuen mit der ermittelten Verteilung des random intercepts gefaltet. Dadurch werden die Mittelwerte der Residuen etwas zur Mitte hin verschoben, und zwar umso stärker, je weiter außen sie liegen und je größer ihr jeweiliger Fehler ist. Dadurch erhält man gerade für Bezirke mit geringen Fallzahlen wesentlich stabilere Ergebnisse, als wenn man direkt die gemittelten Residuen verwenden würde. Die Bayes predictions werden in der Statistik als best linear unbiased predictor angesehen (dazu und zu Mehrebenenmodellen allgemein Rabe-Hesketh & Skrondal 2005, 111).

Die Sanktionierung von Vergewaltigungsdelikten

899

wiederum etwas größere regionale Differenzen (17 % der LG-Bezirke liegen außerhalb : 10 %).21

Abweichungen in der Strafhärte bei Vergewaltigung [%]

(7.1,16.0] (4.0,7.1] (−0.4,4.0] (−3.5,−0.4] (−6.6,−3.5] [−12.0,−6.6]

Abbildung 4: Abweichungen in den Landgerichtsbezirken von der mittleren Strafdauer bei Vergewaltigung [%]

Die Karte in Abbildung 4 zeigt, wie die Abweichungen von der mittleren Sanktionshärte über die Bundesrepublik verteilt sind. Sie zeigt in Grenzen ein ähnliches Bild wie bei ,allen‘ Delikten: leichtere Sanktionen in Schleswig-Holstein und Baden, härtere Sanktionen in Bayern. Allerdings gibt es auch einige Besonderheiten: So fällt in Baden das LG-Karlsruhe durch härtere Sanktionen auf. Während über alle Delikte ganz Südhessen hart sanktionierte, ist dies bei der Vergewaltigung nur das LG Frankfurt usw. Insgesamt korrelieren die Abweichungen über die LG-Bezirke bei Vergewaltigung nur mäßig mit den entsprechenden Abweichungen über ,alle‘ Delikte (r: 0,33). Am höchsten ist noch die Korrelation mit den Abweichungen bei Raub (0,46).22 21

Grundies (2018) sowie weitere nicht publizierte Berechnungen des Autors. Eine Faktorenanalyse über die verschiedenen deliktsspezifischen Abweichungen in der Sanktionshärte ergab nur einen Faktor, d. h. es ist von einer gemeinsamen grundlegenden Basis 22

900

Volker Grundies

In LG-Bezirken, in denen milder sanktioniert wird, wird auch etwas häufiger auf verminderte Schuldfähigkeit erkannt.23 Weitere Assoziationen etwa mit den Anteilen des Versuchs, der minderschweren Fälle oder der Legalbiograhie sind nicht vorhanden.

Die Aussetzung der Strafe Circa 60 % der bei Vergewaltigung verhängten Strafen können nach dem § 56 ausgesetzt werden, da es sich um Freiheitsstrafen bis maximal zwei Jahre handelt. Tatsächlich werden diese Strafen in 93 % der Fälle auch zur Bewährung ausgesetzt.24 Damit liegt die Aussetzungsrate deutlich über den 77 %, die über ,alle‘ Delikte (StGB + BtMG) ermittelt werden. Dies kann zum Teil auf die im Verhältnis zu ,allen‘ Delikten etwas geringere Vorstrafenbelastung, die ja nicht unwesentlich in die Entscheidung der Strafaussetzung eingeht, zurückgeführt werden. Nimmt man bei Vergewaltigung fiktiv die über alle Delikte übliche Vorstrafenbelastung an, so ergibt sich eine Aussetzungsrate von 85 %. Damit verbleibt eine Restdifferenz, die nur deliktsspezifisch zu erklären ist. Auch bei der Vergewaltigung ist bezüglich der Aussetzungsentscheidung die Vorstrafenbelastung der entscheidende Faktor, insbesondere bei einschlägigen, nicht ausgesetzten Freiheitsstrafen25. Eine Besonderheit bei diesem Delikt ist die zum Teil sehr lange Zeitspanne zwischen der Tat und der Aburteilung (bei ca. 15 % der Verfahren ist sie länger als 2 Jahre, der Maximalwert der vorliegenden Daten beträgt 18 Jahre). Tatsächlich werden Fälle, bei denen diese Zeitspanne in der Nähe oder größer als zwei Jahre ist, häufiger ausgesetzt (tatsächlich 96 %, fiktiv bei Kontrolle der anderen Variablen 99,9 %). Hier erlaubt die schon vergangene Zeit möglicherweise eine bessere Prognose. (Punitivität) auszugehen. Allerdings ergibt die Faktorenanalyse sowohl für die Vergewaltigung wie auch für BtM-Delikte eine große Uniqueness von ca. 0,65 (Cronbachs a einer gemeinsamen Skala ist mit .88 sehr gut). 23 corr = -.22 (p: 0,02). Hier sollte aber keineswegs geschlossen werden, dass die Sanktionen in diesen LG-Bezirken niedriger sind, weil vermehrt auf verminderte Schuldfähigkeit erkannt wurde. Dieser Effekt wurde zumindest in erster Näherung herausgerechnet. Vielmehr scheint eine geringere Punitivität mit einer höheren Bereitschaft auf verminderte Schuldfähigkeit zu erkennen einherzugehen. 24 Das ist eine wesentlich höhere Aussetzungsrate als die 63 %, die Albrecht (1994) für Fälle aus den Jahren 1980/81 feststellte. Allerdings sind die allgemeinen Aussetzungsraten für 1 bis 2-jährige Freiheitsstrafen von ca. 20 % 1980 bis auf ca. 70 % im Jahr 2010 angestiegen. Auch für Freiheitstrafen von 6 bis 12 Monate stiegen die Aussetzungsraten in dieser Zeit von ca. 70 % auf 80 % (Heinz 2014, 202). 25 Zum Beispiel beträgt die Odd Ratio bei einer 2-jährigen einschlägigen nicht ausgesetzten Freiheitsstrafe gegenüber keiner Vorstrafe 0,03. D. h., dass fiktiv in diesen Fällen nur noch ca. 29 % der Freiheitstrafen bis 2 Jahre ausgesetzt wurden (die über alle Fälle gemittelte Aussetzungsrate bei Vergewaltigung beträgt ca. 93 %).

901

0

.8

200

.85

Anzahl Verurteilungen 400 600 800

.9 .95 Anteile Bewährung

1000

1

Die Sanktionierung von Vergewaltigungsdelikten

0

3

6 9 12 15 18 Strafdauer (Monate, Obergrenze inklusive)

Anzahl Verurteilungen Anteil Bewährung

21

24

Glättungen

Abbildung 5: Anteile der Aussetzung zur Bewährung entlang der Strafdauer (§ 177)

Zusammenfassung: Trotz der hoch abstrahierten Ebene der Daten konnten die verhängten Strafdauern sehr gut erklärt werden, nicht zuletzt wegen der die Schwere des Delikts widerspiegelnden Absätze des § 177 a.F. und der schon fixierten Entscheidung, ob vor einem Amts- oder Landgericht zu verhandeln sei. Auf dieser Basis ergab sich im Gegensatz zu den Ergebnissen insbesondere bei leichteren Delikten eine relativ gleichmäßige Sanktionspraxis in der gesamten BRD. Die Bedeutung des minder schweren Falls in der Sanktionspraxis für die Unterschreitung der Mindeststrafen, die schon von Albrecht (1994) herausgearbeitet wurde, zeigte sich auch in diesen Daten. Die minder schweren Fälle überschreiten selten die Mindeststrafe des Regelfalls. Die unteren Grenzen der Strafrahmen stellen einen guten Anhaltspunkt für die Dauer der verhängten Strafen dar: Ein Drittel liegen unterhalb dieses Wertes und entsprechend zwei Drittel darüber. Je niedriger die Minimalstrafe, desto geringer ist die Ausschöpfung des Strafrahmens. Bestätigt wurde auch, dass der Differenzierungsgrad der Strafen geringer ist, als dies nach der Gesetzeslage möglich wäre. Soweit dies auf dem abstrakten Niveau der angewandten Normen möglich war, konnten die von Albrecht herausgearbeiteten Zusammenhänge in der Strafzumessungspraxis repliziert werden.

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Volker Grundies

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Croatian Drug Policy Penal Liberalisation, its Impact, and Current Trends By Davor Derencˇ inovic´ and Anna-Maria Getosˇ Kalac

1. Introduction The issue of drug control through criminal law has been a major topic in WesternEuropean criminal justice since the end of the nineteen-sixties, whereas comparable trends of strengthening the criminal law approach to drug control in Croatia took off rather delayed in the mid-1990s, after Croatia declared independence from the former Socialist Federal Republic of Yugoslavia (hereinafter: Yugoslavia). Prior to that, in the former Yugoslavia, drug abuse and drug crime were not a topic of discussion as a matter of criminal justice. Alike in other socialist/communist countries any notion of a drug (or drug related) crime problem would have run against the stereotype of the exemplary youth which in the ideal socialist/communist society is not susceptible to the wicked temptations of the corrupt capitalist West. Ever since the question of penal drug liberalisation1 has been a hot-topic in public and political debate, but it also evolved into a well-established core topic in criminal law and criminology. Amongst the scholars who largely contributed to the ongoing discussions on illegal drug policy, Hans-Jörg Albrecht indeed stands out, as he not only critically and innovatively has been scientizing the debate for decades, but also accomplished to do this by truly living the idea of “criminal law and criminology under one roof”2. He 1 The terms “penal drug liberalisation” or “liberalisation policy” respectively, stand for the decriminalisation of the mere possession of narcotic drugs without the intention of their further resale and/or distribution (hereinafter: mere possession). 2 “Strafrecht und Kriminologie unter einem Dach” has been the leitmotif of the former Max Planck Institute for Foreign and International Criminal Law in Freiburg im Breisgau (MPI) for decades. Looking back at the fruitful cooperation between MPI’s criminology department, as headed by Prof. Dr. Dr. h.c. mult. Hans-Jörg Albrecht, and the Zagreb Faculty of Law’s criminal law department, as headed by Prof. Dr. Davor Derencˇ inovic´, one can only confirm the significance and meaningfulness of this leitmotif, as well as its excellent transposition into practice. They are well-documented by countless success stories, ranging from several collaborative research projects, a joint research group on ‘Balkan Criminology’ (www.balkan-criminology.eu), 6 PhDs at the MPI within less than one decade, 2 of these as cotutelle PhDs together with the Zagreb Faculty, 3 co-organised annual international courses like the one on ‘Crime Prevention Through Criminal Law & Security Studies’ (www.pravo. unizg.hr/KP/crimeprevention), a co-edited and co-published criminological book series (www.

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Davor Derencˇ inovic´ and Anna-Maria Getosˇ Kalac

skilfully manages to approach the broad field of illegal drug policy from the perspective of a criminal law scholar, a (critical) criminologist and a sociologist, thereby not only unravelling the countless complexities of all the different issues at stake, but also providing for inter- and transdisciplinary, as well as open-minded findings. Early on he realised (and empirically backed up) that: “[…] quite paradoxical effects seem to be the consequence of tough drug laws and strict enforcement. Large black markets, marginalized subcultures of drugs with tremendous dangers for health and life of addicts, organization and rationalization of drug trafficking seem to be the result of emphasizing repression and control as central elements in societal responses to drug problems, an emphasis which can be demonstrated by the ongoing process of enlarging police rights in controlling drug related behavior as well as increasing minimum and maximum penalties up to grossly excessive levels.” (cit. Albrecht 1986, 17).

Some twenty years later in analysing the developments and impact of drug policies in Europe he finds that not only the promise of evidence-based drug policies has still not been fulfilled, but also that: “Criminal law based drug control continues to be a leading element in drug policies. The increase in minimum and maximum criminal penalties for drug offences unfolding in the 1980ies is still impacting on sentencing and the prison system. Seen from available supply data, nothing suggests that criminal law has had significant effects in cutting down the availability of various drugs, in discouraging drug trafficking or driving prices up” (cit. Albrecht 2010, 21).

Apparently the only significant thing that has changed is the dropping public concern about illegal drugs and the nowadays rather unsensational coverage of drug-related news by the media, as well as the increase in nexus-discourses, linking drugs to conflicts, violence, terrorism, organised crime, etc. (Albrecht 2010). The current situation in Croatia is no different in this regard – one could actually say that the country is even less concerned with drug control, most likely due to the apparent lack of open drug scenes as noticeable in most Western-European countries. Given the still rather recent penal liberalisation in Croatian drug policy we reflect on Albrecht’s highly valuable insights on drug control and critically assess the impact and trends such liberalisation has so far produced in Croatia. Following his bright example, we take a criminal law and criminological perspective, while embedding our analysis in the overall Croatian social context. Given that slightly less than a decade has passed since Croatia ‘decriminalised’ the largest share of its criminal drug csl.mpg.de/en/publications/institute-publications/balkan-criminology-series), countless jointly organised conferences and workshops, as well as numerous research stays of researchers from Zagreb at the MPI. It is not only this tremendously successful cooperation for which we owe deep gratitude and acknowledgement to our dear colleague and friend, mentor and patron, but also his inexhaustible enthusiasm for and deep understanding of this part of the world. The revival of criminology in Croatia, as well as throughout Southeast Europe, under the slogan “criminal law and criminology under one roof” is Hans-Jörg Albrecht’s righteous scientific legacy which we want to honour with the paper at hand.

Croatian Drug Policy

905

offences, by down tuning possession for personal use to a misdemeanour, our analysis is both timely and necessary, while filling a considerable gap in European drug policy research. After providing an overview of the past and present penal drug policy, with focus on the main policy justifications and their transposition into criminal law, we address specific normative and practical challenges the Croatian criminal justice system faces in implementing such liberalisation. These findings are then further analysed and scrutinised in light of criminal justice statistics, public health statistics, seized narcotics statistics and prison statistics, in order to assess the overall impact the liberalisation has had thus far and to detect most likely future trends.3 Finally, instead of simply taking a pro or con stand on the question of penal drug liberalisation in general, and particularly in Croatia, we will conclude the paper at hand by arguing that a one-size-fits-all approach in matters of illegal drug policy commonly disregards cultural, moral and even behavioural differences between countries, societies and regions, and that relevant policy decisions need to be rooted in scientific knowledge, rather than opposing ideologies or world-views.

2. Croatian Penal Drug Control In the Republic of Croatia, various forms of drug abuse have been prescribed as a criminal offence and a misdemeanour throughout the past decades. The main normative framework for the suppression of drug abuse comprises of the Criminal Code (hereinafter: CC) and the Drug Abuse Prevention Act (hereinafter DAPA). Probably the best indicator of the shift in criminal policy approaches for combating drug abuse in Croatia in the last twenty years were the amendments to these statutes regulations. The amendments were deeply rooted in different, occasionally even opposing narratives about drug liberalisation policy, which in turn are to be understood in context of opposing political ideologies and their specifics in Croatia.4 Drug offences within the CC were first considered a threat to “other social values”, back at a time when Croatia was still a republic within Yugoslavia. Such policy ap3

We are fully aware of all the pitfalls, misfits and dangers of simply contrasting data on consumption, drug crimes, seizures, etc. with changes in penal drug policy, and drawing conclusions about causal relationships solely on such a basis. “Drug use in general and in particular the development of drug or addiction careers are the outcome of complex and not yet fully understood processes which include individual risk components, social and economic contexts.” (cit. Albrecht 2010, 13). 4 Highly simplified and put in a nutshell, there are basically two main political options/ parties in Croatia. The ‘left’ one, which essentially grew out of the former communist party that ruled the former Yugoslavia for decades (Socijaldemokratska partija Hrvatske, SDP), and the ‘right’ one which emerged at the end of the 1980’s (Hrvatska demokratska zajednica, HDZ) leading up to the first free democratic elections in Croatia, while relying on a more conservative discourse about issues of public interest. Although labelled ‘left’ and ‘right’, neither of these two main Croatian political options actually fits the Western-European idea about ‘left’ and ‘right’.

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Davor Derencˇ inovic´ and Anna-Maria Getosˇ Kalac

proach remained intact even after Croatia gained independence in 1991 and until 1998, when drug offences started being considered a threat to “values protected by international law”. This shift nicely reflects the growing concern with drug crime and places drug offences within a chapter of the CC that deals with most threatening types of crimes for the state as well as for the international community as a whole, like crimes against international humanitarian law, genocide, terrorism, etc. Nowadays drug offences are considered “criminal offences against peoples’ health” and placed in the CC right after the criminal offence of “careless inspection of meat used as food” and before the criminal offence of “unauthorized production and circulating of substances forbidden in sports”. This last reallocation of drug offences within different chapters of the CC again nicely reflects the decreased concern with drug crime, while it moves the emphasis from its threat to the state and international community as a whole to its threat to public and individual health. So, one could say that Croatia picked up the criminal law approach to drug control with a considerable delay in the mid-90s by criminalising mere possession,5 but that it has meanwhile caught up with Western-European trends on drug policy liberalisation. In 1996 the revised article 196, paragraph 1 criminalised “unauthorized possession of substances or preparations that have been declared narcotics by regulation”. For this criminal offence, a fine was prescribed alternatively to imprisonment for up to one year. That regulation remained in force until the adoption of the new Criminal Code in 1997, which entered into force on 1st of January 1998 (hereinafter: CC97). That law criminalised the mere possession in article 173, paragraph 1. The penalty remained the same – fine or imprisonment for up to one year. Another clear indication of harshening crime policy regarding drug offences was the significant increase of the penalties for the most dangerous aggravated forms of the offence (organising a network of resellers or intermediaries) – long-term imprisonment (up to forty years). Prior to that, the maximum penalty for the same offence was imprisonment up to fifteen years. The subsequent changes in the legislative framework in 2003 were primarily the result of political debate on the concept of liberalisation. With that amendment, the government of the left-wing coalition repealed Article 173 para. 1 of CC97, thus decriminalising mere possession. Consequently, mere possession remained solely punishable as a misdemeanour. However, this amendment was quashed on procedural grounds by the Constitutional Court (Odluka Ustavnog suda Republike Hrvatske broj: U-I-2566/2003, U-I-2892/2003). The double-track regime of criminal and mis5 In this regard, it needs to be noted that in the 1990s Croatia struggled with numerous other challenges like state independence, aggression, armed conflict, refugees from occupied domestic territories as well as neighbouring war affected countries, etc., to the effect that the drug-threat and related moral panic discourses where far less prominent topics in political and public discourse. One might even argue that Croatia in that sense never had such a drug-related discourse, but rather skipped immediately to the topic of organised crime.

Croatian Drug Policy

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demeanour penalisation was reinstated and remained in force for the next eight years. Just until the next change of government. In the new CC, which was adopted on the proposal of the right-wing coalition government in 2011 (hereinafter: CC11), mere possession was kept as a separate offence with the following explanation: “Special attention is paid to the criminal offence of drug abuse because it accounts for 15% of all convictions. Within the Working Group, a discussion was held on the incrimination of possession of drugs for personal needs under Article 173, paragraph 1 of the CC97. The incrimination was retained in the Final Draft of the Criminal Code to have a more substantial preventive effect on future potential drug users” (Konacˇ ni prijedlog Kaznenog zakona 2011, 205).

However, the new left-wing coalition government that in the meantime came into office in 2012 changed this provision due to the long period of vacation before the adopted law entered into force. So, the CC11 version of art. 173 was revoked before it even came into force. Then for the second time, mere possession was decriminalised and remained only as a misdemeanour under the DAPA. Arguments for decriminalisation were, inter alia, the avoidance of double prosecution and punishment for mere possession, European trends of liberalisation, and an overload of the criminal justice system (Prijedlog Zakona o izmjenama i dopunama Kaznenog zakona 2012, 1 – 4). A key argument in favour of decriminalisation was a judgment of the European Court of Human Rights (Tomasovic´ v. Croatia), which found a violation of Article 4 of Protocol No. 7 (right not to be tried or punished twice in the same case). The applicant with whom a small amount of heroin was found was first fined for a misdemeanour under the provisions of the DAPA, and then given a suspended sentence of imprisonment for the criminal offence under Article 173, paragraph 1 of the CC97.6 It is very clear that, in executing the ECtHR decision, Croatia could have proceeded otherwise than by amending the CC and decriminalising mere possession. For instance, by amending the DAPA, by issuing instructions/guidelines of the State Attorney’s Office, etc. (Tripalo 2003). Therefore, the argument of the Tomasovic´ decision was obviously used only as a pretext for the implementation of pre-election announcements about decriminalising mere possession anyway. Finally, despite another change in government from left to right, for the past four years mere possession remained a misdemeanour only. This indicates that the current decriminalisation of mere possession, along with harsh punishment for criminal activities along the drug supply and distribution chain, will remain in place in the future. It is highly unlikely that the current right political option would in case of winning the 2020 parliamentary elections and after a full mandate go back to criminalising pos6

Previously, the Croatian Constitutional Court determined that this was not a violation of the ne bis in idem principle. Still, the ECtHR corrected it and established the responsibility of the state for the breach (ECtHR, Tomasovic´ v. Croatia). The decision of the ECtHR, in this case, was well-founded, given that there was indeed no difference in the essential elements of the misdemeanour prescribed by DAPA and Article 173, paragraph 1 of the CC97.

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session, as it is even more unlikely that the left political option, if successful at the elections, would suddenly change direction on the issue of illicit drug liberalisation.

3. Impact and Trends of Penal Drug Liberalisation The effects of the criminalisation of the mere possession were well reflected in the official crime statistics. Between 1998 and 2007, the share of drug-related criminal offences known to the police amounted up to 7.5% of all registered crimes. The share of drug-related offences was even higher in relation to indictments (10.7%) and final convictions (14.3%). This means that almost every seventh adult perpetrator was convicted of some form of criminal drug abuse. It is interesting to observe the trends during these ten years (1998 – 2007). At the beginning of that period, the percentage of persons reported for the criminal offence of drug abuse was 5.9%, the rate of those who were accused 4.2%, and those convicted 8.5%. At the end of that period (2007), the percentage of reported persons increased to 7.7%, with the accused ones accounting for 12.1% and the convicted ones for 15.2% of all persons convicted for any type of criminal offence (Drzˇ avni zavod za statistiku 2010, 30). More generally speaking, such increase in share of reported towards indicted and finally convicted persons is atypical for (Croatian) crime statistics, where commonly there is a rather significant drop out of cases throughout the different stages of the criminal justice procedure (Derencˇ inovic´ & Getosˇ 2008, 9). While a significant share of cases of other types of crime reported by and to the police normally drops out at the stage of indictment and then again at the stage of final conviction, with drug offences it is exactly the other way around. The share of drug offences among juvenile offenders has been even more pronounced during this prohibition period, particularly when looking at final convictions: as many as 17.9% of the total number of convicted juveniles were convicted for some type of drug offence. However, it is interesting that after 2002, when that share reached 26%, meaning that every fourth convicted juvenile was convicted for a drug offence, there was a significant decline. In 2007 the share almost halved and now made up only about 13% of all juvenile convictions. At the same time, there was a significant drop in the number of juvenile charges for drug offences, which can be explained by the frequent dismissals of criminal charges by invoking the principle of opportunity or on the ground of insignificancy of the offence by the public prosecution (Drzˇ avni zavod za statistiku 2010, 33). More than 75% of the persons convicted from 1998 – 2007 for a drug-related criminal offence referred to in Article 173 of the CC97 were convicted for mere possession. It is safe to assume that this share would have been much bigger if there had not been the frequent dismissal of criminal charges on various grounds by the state attorney prosecution. Thus, out of a total of slightly less than 13,000 dismissed criminal complaints (which is about 30% of the prosecutorial decisions), more than 90% were rejected for mere possession, mainly invoking the principle of opportunity or insig-

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nificancy. This means that law enforcement agencies were not quite convinced about the danger and social harmfulness of the committed crimes and gave preference to out-of-court and treatment models for drug abusers (Drzˇ avni zavod za statistiku 2010, 68). The increased leniency in sentencing policy for mere possession in the referenced period was, as has already been explained, accompanied by an opposing tendency to tighten penalties prescribed by the law for the production and distribution of narcotic drugs. As mentioned before, the punishment for mere possession remained unchanged with the then prevailing narrative that the focus must remain on more severe forms of drug-related crime (production, distribution, organised crime) in respect of which criminal policy needs to be tougher. At the same time, keeping mere possession criminalised was justified with the importance of general prevention and a deterrent effect on potential drug users that also should have an impact on the reduction of demand. From the perspective of evidence-based policy it is important to note that there is no relevant study in Croatia that might provide solid evidence for this claim, just as there is no study that might provide an empirical basis for the counter arguments in favour of decriminalisation. Like in most crime areas, criminological research in Croatia is still scarce and mainly has to rely on official state produced statistics and reports (Getosˇ Kalac & Bezic´ 2014). As explained in more detail earlier, as of January 2013, mere possession is considered only a misdemeanour and is punishable by a fine, although in certain cases misdemeanour convictions in Croatia may lead to imprisonment of up to 90 days (Herceg Paksˇic´ & Kovacˇ 2019). Such an approach to drug offences reflects the division of drug related crime and its offenders into two main categories – drug users and addicts who ought to be treated rather than punished, and drug dealers, producers or providers, as well as organised criminals who ought to be severely punished. According to available official data provided by the Croatian Institute of Public Health (EMCDDA’s national focal point) for 2017, Croatia is primarily a transit country due to its location along the southern part of the Balkan route. In the past, this route has been mainly used for smuggling heroin from Afghanistan, whereas now along this route other narcotics and precursors are being smuggled towards and from Western Europe. Most cannabis substances, mainly plant cannabis, originate from Albania, although cannabis is also being produced in Croatia (usually for personal use). Cocaine, which traditionally originates from Southern and Central American countries, is smuggled towards Croatia by sea or land from Western Europe. Amphetamine and other synthetic stimulating drugs are smuggled towards Croatia from the Netherlands and Belgium. Plant cannabis remains the most frequently seized narcotic in Croatia. More recent data indicate an intensification of smuggling in heroine, although large seizures in this regard remain sporadic. There has been a reported rise in seizures of pharmaceutical substances like methadone and benzodiazepine (EMCDDA Croatia).

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910

Number of seizures 12000

MDMA Heroin

10000

Herbal cannabis Cocaine Cannabis resin

8000

Cannabis plants Amphetamine

6000

4000

2000

0

2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012 2013 2014 2015 2016 2017

Source: EMCDDA Croatia

Figure 1: Drug Seizures in Croatia: Trends in Number of Seizures (Left) and Quantities Seized (Right), 2006 – 2017

The data show a declining trend with a low point in 2009, followed by a consequent rise back to 2006 levels in 2013. Interestingly, as of 2013, when mere possession had been decriminalised (which had basically already been publicly announced in 2011 when the new CC that entered into force in 2013 was passed) Croatia has been witnessing a rather dramatic rise in drug seizures, esp. MDMA, amphetamines, but also cannabis. Whether this recent increase in the number of seizures is the consequence of more frequent detection activities, better information and intelligence, or a rise in criminal activities and drug markets is difficult to assess, since data in this regard is not available. Nevertheless, there could be a connection to the decriminalisation of drug abuse for personal consumption, that might be causing a rise on the demand side that is being mirrored by an increase on the supply side. It is thus important to note the number of MDMA seizures has been continuously on the rise, whereas heroin seizures have a declining trend. Looking at the 2019 country drug report for Croatia and specifically the issue of drug consumption the following picture on prevalence among young adults (15 – 34 years of age) in 2018 emerges: cannabis 16.0% (rather on the higher end in EU comparison); cocaine 1.6% (middle-lower end in EU comparison); MDMA 1.4% (midlevel in EU comparison); amphetamines 2.3% (rather high in EU comparison); high risk opioid use rate 3.1 per 1,000 (middle in EU comparison); drug induced mortality rate among adults aged 15 – 64 years 23.4 cases/million (middle-lower end in EU comparison); no HIV infections newly diagnosed and attributed to injecting drug use (EMCDDA Croatia). When it comes to registered criminal offences related to narcotics and psychotropic substances it must be pointed out that most criminal offences as well as misde-

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911

meanours have traditionally been related to personal usage. However, due to the 2013 penal liberalisation of mere possession, the criminal case load has dropped in recent years and now accounts for approx. 2,000 cases per year, whereas the misdemeanour case load has increased proportionally (see Figure 2). Regarding the phenomenology of detected and prosecuted drug-crimes it should be noted that they are only exceptionally related to organised crime. So, for example in 2016 only 1 adult person was even reported for this offence to the police, whereas in 2018 there were 33 reported cases of unauthorised production and distribution of drugs committed by a criminal organisation, and in 2019 only 21 such cases were reported. 10000

drug offences

9000

drug misdemeanours

8000 7000 6000 5000 4000 3000 2000

2019

2018

2017

2016

2015

2014

2013

2012

2011

2010

2009

2008

2007

2006

2005

2004

2003

2002

2001

0

2000

1000

Source: Ministry of Interior

Figure 2: Impact of Penal Liberalisation on Cases of Reported Criminal Drug Offences (2000 – 2019) and Drug Misdemeanours (2002 – 2019)

As expected and intended, the 2013 penal liberalisation had a major impact on the drop of the drug-related case load of the criminal justice system. Although misdemeanour courts are considered part of the criminal justice system in Croatia (as prescribed/statutory misdemeanours are considered to be part of penal law in the broader sense) the achieved drop in case load for criminal courts is rather significant. However, little (statistical) effects of the decriminalisation are noticeable when it comes to the overall trend in prohibited abuse and trade in narcotic drugs, since both figures taken together eventually provide for a rather constant level of reported incidents (crimes and misdemeanours), after a somewhat anomalistic decrease in 2013 (see Figure 3). This decline is clearly to be attributed to the new CC entering into force and the misdemeanour novelty, rather than to a real decline of drug consumption or the drug market. While the drug-related criminal offences display a much more stable trend during the past 7 years, the misdemeanours of mere possession show slightly more fluctuation, but also appear stable for the past 4 years, with a slight decline. Whether and in what direction this trend will evolve should be closely observed in future years, esp. considering the thesis that decriminalisation of drug

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abuse for own purposes might be related to a rise in consumption and thereby obviously result in a rise on the demand side, leading to a rise on the supply side, too. This would then have a consequent impact on illicit trade in narcotics and the whole criminal milieu surrounding it. 16000

drug offences

2195

2594

7292

8722

9185

6709

8903

8314

7882

7063

7784

7767

7295

2713

2729

2878

2838

2589

2274

2871

2008

2009

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2011

2012

2013

2014

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2016

2017

2018

2019

8000 6000

5546

2313

7952 2007

4315

8346 2006

4596

8186 2005

5191

4607 7529 2004

5494

4341 7992 2003

2102

8717

10000

drug misdemeanours

2002

12000

5178

14000

4000 2000 0

Source: Ministry of Interior

Figure 3: Impact of Penal Liberalisation on Overall Trend of Reported Drug Crime (Criminal Offences and Misdemeanours) from 2002 to 2019

What have been further effects of the decriminalisation of mere possession? Statistical indicators suggest a significant decline in the number of reported, accused, and convicted persons for drug related criminal offences under Articles 190 and 191 of the CC11. Thus, in 2016, the share of finally convicted offenders for these criminal offences fell below 5% (Livazovic´ & Vuletic´ 2018, 273). This is also well reflected in official police recorded incidents on criminal offences (see Figure 4). Consequently, law enforcement, judiciary, and the prison system were all relieved from the heavy caseload they had before due to handling drug cases. According to a report by the Council of Europe, in recent years, the percentage of persons convicted of drug abuse in the prison system has been around 18% (Aebi & Tiago 2020, 7), while after decriminalisation of mere possession in Croatia, this percentage fell below the European median: “The trend of reducing the number of drug addicts is associated with a decrease in the total number of prisoners, probation on an increasing scale, but also with the entry into force of the new Criminal Code (CC/11) on 1st of January 2013, according to which owning drugs for one’s own needs has shifted from criminal to misdemeanour liability, and this trend continued in 2017” (Ministry of Justice 2018, 38).

53123

49013

51657

52986

56355

54122

59995

913

64876

67853

65544

66434

66689

67905

72702

71760

77887

72385

69188

90%

69742

100%

61040

Croatian Drug Policy

80% 70% total criminal offences

60%

drug offences

50% 40%

2838

2589

2274

2871

2017

2018

2019

2878

2016

2729

2015

7295 2012

2014

7767 2011

2713

7784 2010

2013

7882

7952 2007

7063

8346 2006

2009

8186 2005

2008

7992

7529 2004

8717

2003

8609

2002

0%

2001

10%

7338

20%

2000

30%

Source: Ministry of Interior

Figure 4: Impact of Penal Liberalisation on Police Recorded Criminal Case Load Overall from 2000 to 2019

Another positive effect of decriminalisation is the removal of the criminal label from drug users, who are often addicts themselves. This is particularly relevant in the context of juveniles whose criminal labelling, in conjunction with other factors, creates increased risk of their re-offending (recidivism). However, there have also been some adverse side effects of decriminalisation. Thus, for example, the new procedural position of a person found to have possessed a narcotic drug without the intention of further resale complicates criminal prosecution for a criminal offence under Article 190 CC11 (as well as Article 191 CC11 – facilitating the consumption of narcotics). Namely, according to the previous legal regime under which mere possession was criminalised, such persons were usually charged as co-defendants. Faced with criminal liability, in most cases, they testified against the supplier (in exchange for more lenient sentencing or dropping of charges). Now, without facing criminal liability, in the role of witnesses, they very often claim that they cannot remember the circumstances they are testifying about, which, in the absence of other evidence, makes it significantly difficult to prosecute drug providers and members of criminal associations (Tripalo 2003). Likewise, there is no evidence that decriminalisation has had the effect of reducing demand and a subsequent decrease of supply or availability of drugs on the illegal market. The appearance of many new drugs on the market (especially synthetic ones) is also worrying, as is the further proliferation of organised crime in this field. Further reason for concern is the discrepancy between liberalisation trends on one side and an increase in the opiate overdose mortality rate in most European countries (including

914

Davor Derencˇ inovic´ and Anna-Maria Getosˇ Kalac

Croatia, especially when it comes to methadone overdose) since 2013 (Vlada Republike Hrvatske s.a., 5) on the other side. However, as noted earlier, we are fully aware of all the pitfalls, misfits and dangers of simply contrasting data on consumption, drug crime, seizures, opiate overdose. etc. with changes in penal drug policy, and drawing conclusions about causal relationships solely on such a basis. Available research on the matter has so far shown that the rate of drug-usage and the incidence of drug problems are not dependent on a country’s particular type of drug policy, nor do the demand for drugs and drug use depend on variations in criminal drug laws or drug law enforcement (Albrecht & van Kalmthout 1999, 29).

4. Conclusions and Outlook In the context of a meaningful criminal policy, it is disputable to treat the phenomenon of drug abuse exclusively as a public health issue. In other words, drug abuse is, in a sense, a threat to the national health system. Still, it also has far broader social and sociological, legal, and other global implications. It affects not only the health but also the human dignity of those most endangered (addicts). Furthermore, narcotic drug production and distribution is one of the most profitable activities of organised crime. These illicit enterprises seriously undermine the very foundations of contemporary societies as well as the conscience of humanity. Therefore, the classification of criminal offences of drug abuse under the section of crimes against public health should be reconsidered and these criminal offences eventually moved to the chapter of criminal offences against humankind and human dignity. This goes primarily for crimes related to production and distribution of drugs, whereas the penal liberalisation of mere possession, although showing no significant impact on decrease or increase in consumption or markets, seems sensible to remain outside criminal law provisions in the stricter sense and well allocated within penal law in the broader sense as a misdemeanour. This is, however, more of a criminal policy conclusion than a scientific one, rooted in solid empirical evidence, since the only traceable effect of such policy approach is a drop in drug-related criminal cases. In order to support the current approach Croatia has taken, evaluation research would be desperately needed. Evaluation research that does not only look at quantitative criminal justice-related indicators, but also at quantitative as well as qualitative social, economic, educational, and further indicators. Without such a solid and methodologically sound empirical basis any assessment of positive or negative impacts of the penal liberalisation remains superficial and purely speculative. To sum up, notwithstanding the opposing narratives discussed in this paper, policymakers must encourage in-depth scientific and professional analysis of the advantages and disadvantages of the penal and treatment approach and the general strategy for combating drug abuse in Croatia. Only such an analysis can be a stronghold of a sustainable criminal policy in this domain. One-size-fits-all approaches in matters of illegal drug policy commonly disregard cultural, moral and even behavioural differ-

Croatian Drug Policy

915

ences between nations and regions. As demonstrated in the paper at hand, relevant Croatian drug policy decisions have so far never been rooted in scientific knowledge or sound empirical analysis, but in opposing ideologies and world-views, which are publicly discussed only exceptionally with regards to political elections. This is not only disappointing in terms of how (criminal) policy in Croatia works, but also sends mixed messages to the public – there seems to be no consolidated political standpoint on the dangers and harms of drug consumption. Considering thus the threats of drugrelated organised crime and illegal markets in Croatia as well as throughout the whole region, the very least one could hope for is further training and the allocation of resources for law enforcement agencies in the fight against organised crime, and not lastly the fulfilment of the evidence-based policy promise in matters of drug crime – on the European and on the national level. The issue is far too important as to be left up to the sphere of pure speculation and ideologically rooted experimentation. References Aebi, M.F. & Tiago, M.M. (2020): Prisons and Prisoners in Europe 2019: Key Findings of the SPACE I Report. Albrecht, H.-J. (1986): Criminal Law and Drug Control. International Journal of Comparative and Applied Criminal Justice 10, pp. 41 – 60. Albrecht, H.-J. (2010): Drug Policies in Europe, in: M. Groenhuijsen, T. Kooijmans & T. de Roos (eds.), Fervet Opus: Liber Amicorum Anton van Kalmthout. Apeldoorn, pp. 11 – 21. Albrecht, H.-J. & van Kalmthout, A. (1999): Methods, Concepts and Findings from Evaluation Research on European Drug Policies, in: J. Derks, A. van Kalmthout & H.-J. Albrecht (eds.), Current and Future Drug Policy Studies in Europe. Freiburg i.Br., pp. 11 – 34. Derencˇ inovic´, D. & Getosˇ, A.-M. (2008): Uvod u kriminologiju s osnovama kaznenog prava. Zagreb. Drzˇ avni zavod za statistiku (2010): Zlouporaba opojnih droga 1998 – 2007, Studije i analize. Zagreb. ECtHR, Tomasovic´ v. Croatia, Application no. 53785/09, 18. October 2011. EMCDDA Croatia (2020): Country Drug Report 2019; https://www.emcdda.europa.eu/coun tries/drug-reports/2019/croatia_en [21. 06. 2020]. Getosˇ Kalac, A.-M. & Bezic´, R. (2017): Criminology, crime and criminal justice in Croatia. European Journal of Criminology 14/2, pp. 242 – 266. Herceg Paksˇic´, B. & Kovacˇ , N. (2020): Prekrsˇajno pravo u sluzˇ bi suzbijanja zlouporabe droga u Republici Hrvatskoj: posjedovanje droge bez namjere stavljanja u promet. Pravni vjesnik 36/ 1, pp. 79 – 98. Kazneni zakon 1997 (CC97): Narodne novine, 110/1997, 27/1998, 50/2000, 129/2000, 84/2005, 51/2001, 111/2003, 190/2003, 105/2004, 71/2006, 110/2007, 152/2008, 57/2011, 77/2011, 125/2011, 143/2012.

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Davor Derencˇ inovic´ and Anna-Maria Getosˇ Kalac

Kazneni zakon 2011 (CC11): Narodne novine, 125/2011, 144/2012, 56/2015, 101/2017, 118/ 2018, 126/2019. Konacˇ ni prijedlog Kaznenog zakona, Zagreb, 2011. Livazovic´, G. & Vuletic´, I. (2018): Obitelj kao etiolosˇki cˇ imbenik kaznenih djela povezanih sa zlouporabom opojnih droga kod adolescentske populacije. Policija i sigurnost 27/3, pp. 271 – 290. Ministry of Justice (2018): Izvjesˇc´e o stanju i radu kaznionica, zatvora i odgojnih zavoda za 2017. godinu. Zagreb. Odluka Ustavnog suda Republike Hrvatske broj: U-I-2566/2003, U-I-2892/2003 od 27. studenoga 2003, Narodne novine 190/2003. Prekrsˇajni zakon: Narodne novine, 107/2007, 39/2013, 157/2013, 110/2015, 70/2017, 118/ 2018. Prijedlog Zakona o izmjenama i dopunama Kaznenog zakona, Zagreb, 2012. Tripalo, D. (2003): Kaznenopravni aspekti zlouporabe droga. Hrvatski ljetopis za kazneno pravo i praksu 10/2, pp. 553 – 585. Vlada Republike Hrvatske – Ured za suzbijanje zlouporabe droga (s.a.): Usporedba stanja problematike droga u Republici Hrvatskoj i Europi (prema podacima iz 2015.); https://drogeiovis nosti.gov.hr/UserDocsImages//dokumenti/Me%C4%91unarodni%20dan//Usporedba%20stan ja%20RH_EU_2015_2016_FINAL%20s%20logom.pdf [22. 06. 2020]. Zakon o suzbijanju zlouporabe droga (DAPA): Narodne novine, 107/2001, 87/2002, 163/2003, 141/2004, 40/2007, 149/2009, 84/2011, 80/2013, 39/2019.

A Difficult Relationship: Coexistence Between a Regulated Cannabis Market and a Prohibitionist Banking Policy By Pablo Galain Palermo

1. Introduction I feel a deep affinity with Professor Albrecht, a student-teacher bond in which my admiration is to the fore and at the same time a friendship based on complicity and affection. Hans-Jörg Albrecht may not be aware of his “responsibility” in awakening in many Latin Americans (in general captivated by the systematic elaboration of the German doctrinal study of law and abstract thought) an interest in a comprehensive analysis of criminal law, which also includes national and international policy and an understanding of social conflicts on the basis of an empirical knowledge of data on the reality that precedes the norm and prohibitions and influences the charges brought and the nature and type of sanction. The person in whose honour this book is published has dedicated part of his profuse academic life to the quantitative and qualitative analysis of the legal and social problems related to public policy on crime. He has particularly maintained a critical view of drug policies1 (particularly on the “American Style Drug War”)2 and the consequences of them in relation to consumption. Hans-Jörg Albrecht has taken an interest in violence,3 in the organised criminal groups that operate transnationally4 and in other acts that occur in illegal markets5 and preventative6 control and conflict resolution measures provided for in various legal and/or social systems, in complex or traditional societies.7 One alternative to prohibition and the policy of fighting drugs through the use of criminal law or other legal sanctions is the regulation of the markets for substances that were formerly prohibited, which does not require a new paradigm but rather providing spaces where they are permitted or tolerated without breaking with the principles of prohibition. Of 1

Albrecht 2010, 11 – 21. Together with Paoli 2002, 75 – 89. Albrecht 2001, 49 – 60. 3 Albrecht 2010a, 31 – 47. 4 Albrecht 2017, 207 – 218. 5 Albrecht 2004, 453 – 469. 6 Albrecht 2017a, 329 – 347. 7 Albrecht 2006, 1 – 12. 2

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Pablo Galain Palermo

course, such a policy could end up contradicting the spirit of the international treaties that serve as the normative framework for global policy in the area of drugs.8 In my contribution to such a well-deserved tribute, I refer to the Uruguayan experiment in regulating the cannabis market for recreational use, which has not led to a paradigm shift but rather an exemption as part of a harm reduction policy for the legally protected asset (i. e. public health). I deal with the problems that the implementation of this regulated market has had since 2013 due to endogenous factors (mistakes made in the implementation) and exogenous ones (the fierce opposition of the banks to receiving money generated by this industry). This problem with the banks is not a minor one as it endangers the proper functioning of the regulated market.

2. International Drug Policy and the Break with the Consensus by Some Dissident States Since the 1960s, international policy and the institutions charged with the drug problem have continued to adhere to a prohibitionist interpretation of international treaties, euphemistically referred to as the war on drugs.9 International criminal policy on drugs assumes Carl Schmitt’s friend-enemy distinction and the treatment of a policy linked to public health should not be based on the dialectic of consumption/ punishment, but rather on harm reduction through prevention (information on risks associated with consumption). The international treaties do not explicitly prohibit drug consumption, however many states have interpreted them in such a manner, as if they demanded complete prohibition that punishes the mere consumption as a question of submission to a state policy and allows for the characterisation of those who consume as if they were political dissidents.10 This criminal policy on drugs leads to excesses within the friend-enemy confrontation and allows some states to cross certain lines in using punitive measures, applying the death penalty to cases related to simple trafficking. Thus, the international system allows for the violation of international treaties protecting human rights in order to comply with drug policy.11 An extremely grave punitive policy such as this one relies on the international drug treaties and their control bodies (the United Nations (UN) International Narcotics 8

Albrecht 2001, 57 ff. Cannabis presents a more complex issue to the international system as it is a plant with a variety of uses, some of which are medicinal. According to some experts, such as Francisco Thoumi, who are part of the control of drugs at an international level, cannabis is not a drug, it is a plant with different components, some of which may have a psychoactive effect, as happens with THC; https://www.bluradio.com/nacion/la-marihuana-no-es-una-droga-expertode-la-jife-advierte-riesgos-por-consumo-207826-ie3509872 [11. 09. 2020]. 10 On the problem of drugs and counterculture, on the issue of prohibition as a question of political dissidence, see Samper 2013, 182 ff. 11 Of the 35 countries that have the death penalty for drug related crimes, in 2018, 4,366 people were executed, 3,975 of them in Iran; https://www.hri.global/death-penalty-drugs-2018 [11. 09. 2019]. 9

A Difficult Relationship

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Control Board [INCB]) which semantically and symbolically unites – under the one roof – everything to do with “drug” prevention and the prevention and repression of crimes (UNODC).12 The 1998 United Nations General Assembly Special Session (UNGASS) on drugs proclaimed as its goal “a drug free world”;13 however, recently the monolithic discourse and the international consensus on the issue seems to be cracking in some aspects related to cannabis.14 Following UNGASS’ drugs session in April 2016, a crack emerged in this rigid discourse15 and so far, some states have resorted to experiments, without breaking with the international legal system, not just with public policies on legalisation and/or tolerance of consumption (non-criminal prosecution), but also with the creation of regulated markets for recreational and medicinal use (legislative-administrative regulation).16 This new policy has become known as the “third way”.17 In 2013 Uruguay became the first country in the world to regulate the productive market and distribution of cannabis for recreational, medicinal and industrial use. The personal consumption of drugs had been legalised since 1974 (Decree 14.294) and group consumption was tolerated in line with the jurisprudence on non-prosecution.18 This regulated market needed time to comply with the objectives set out in Art. 1 of Law 19,17219 as it overcame obstacles related to the ways of obtaining the product, precisely that which places the sale in the hands of a state monopoly.20 The implementation of the market has been marked by a complicated bureaucracy to set in motion the methods of obtaining cannabis, a supply shortage,21 and

12

https://www.unodc.org/unodc/index.html [11. 09. 2020]. https://www.tni.org/en/article/the-unwritten-history-of-the-1998-united-nations-general-as sembly-special-session-on-drugs [11. 09. 2020]. 14 Bewley-Taylor, Blickman & Jelsma 2014, 36 ff. 15 Bewley-Taylor & Jelsma 2016 [Accessed 11. 09. 2020]; Jelsma 2016 [11. 09. 2020]. 16 Galain Palermo, 2018, 859 – 908. 17 Fijnaut & De Ruyver 2015, 30 ff. 18 On this issue see my articles: Galain Palermo 2014, 34 – 53; 2015, 55 – 82; 2018, 859 – 908. 19 Art.1: “It is hereby declared to be in the public interest those actions aimed at protecting, promoting and improving the public health of the population through a policy aimed a minimising the risks and reducing the harm from the use of cannabis, that provides proper information, education and prevention on the consequences and prejudicial effects linked to the said consumption as well as the treatment, rehabilitation and social reintegration of problematic drug users.” 20 On the legislative process and the implementation of the regulated market see: Gutiérrez 2016; Musto 2017; Sanjurjo 2013; Garat 2012; 2014; Compare with, Shannon 2016, 43 – 53. 21 http://www.ircca.gub.uy/aviso-sobre-dispensacion-en-farmacias/; https://www.elobserva dor.com.uy/el-estado-y-empresarios-se-echan-culpas-el-faltante-cannabis-n1170921 [11. 09. 2020]. 13

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a lack of variety in the cannabis22 with a low concentration of THC23 and few points of sale. Along with Hans-Jörg Albrecht24 we have observed the rise of a grey market25 which operates by taking advantage of possible failings in the law (e. g. prohibition on the sale to tourists,26 exclusive sale through pharmacies, delays in implementing the regulated medicinal market27) and the possible mistakes in the implementation (e. g. political-bureaucratic red tape in the implementation of the medicinal market).28 Furthermore, as well as these inconveniences there is the added absence and lack of precise official figures in various areas (for example, public health and criminal justice)29

22 Whilst in Canada 250 types of cannabis with different levels of Tetrahidrocannabinol (THC, psychoactive component) and Cannabidiol (CBD, medicinal component) are produced, in Uruguay just two types of recreational cannabis and one medicine whose component has to be imported from Switzerland have been authorised. In Uruguay, the rules continue to be set by Big Pharma. http://monitorcannabis.uy/regulacion-del-cannabis-en-canada-conferencia-deldr-mark-ware/?_sf_s=mark+ware; http://www.expocannabis.uy/cannabis-medicinal-las-difi cultades-para-acceder-producir-y-recibir-farmacos-desde-el-exterior/ [11. 09. 2020]. 23 This was stated by Dr Raquel Peyraube, president of the Uruguayan Society of Endocannabinology http://www.porro.com.uy/la-marihuana-del-estado-pega-nada-segun-especiali sta/. See also, https://www.pagina12.com.ar/71920-uruguay-con-sindrome-de-abstinencia [11. 09. 2020]. 24 https://csl.mpg.de/en/research/projects/implementation-and-consequences-of-legalizingmarijuana-in-uruguay-2/. 25 http://monitorcannabis.uy/a-tres-anos-de-la-aprobacion-mercados-grises/ [11. 09. 2019]. The existence of a grey market is a controversial issue as the diversion of cannabis from the regulated or white market for its (illegal) sale is according to Prof Albrecht a black market. However, I am of the opinion that even though the logic of this market is that of a black market, there is a difference between the grey market (made up of products diverted from the regulated market) and the black market due to the legal origin of the product. I think one can distinguish between an operator in the black market who sells a product that is totally unlawful in origin and the operator of the grey market, who is regulated and forms part of the white market in any one of its forms (self-grower, member of a cannabis club or a producer-seller licensed by the state) and sells the substance produced when they are not authorised to do so. Boyd and Peters defend the existence of the grey market as the setting in which products that were legally produced are illegally distributed or sold. See Boyd & Peters 2006, 106 – 120. But Albrecht also accepts the existence of grey markets for crimes related to trafficking and unlawful markets Albrecht 2001b, 89, 95. 26 http://internacional.estadao.com.br/noticias/geral,maconha-legalizada-no-uruguai-chegaao-trafico-e-a-turistas-governo-reage,70002176525 [11. 09. 2020]. 27 https://www.elpais.com.uy/informacion/cannabis-medicinal-accede-recetas.html [11. 09. 2020]. 28 The number of purchasers reached 33,239 by January 21st of 2019 and there were 17 pharmacies that sold it in all of Uruguay; http://monitorcannabis.uy/informe-de-dificultadesen-la-implementacion-de-la-regulacion-del-cannabis-de-uso-medico-en-uruguay/ [11. 09. 2020]. In July 2020 the purchasers increased to 41,372 and the number of pharmacies fell to 14; https://www.ircca.gub.uy/ [18. 08. 2020]. 29 This is how Baudean puts it in various reports on the application of justice, security and social harmony, Baudean 2019.

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for the proper analysis of regulation in terms of those areas set out in the law.30 Whilst these problems are being overcome, a new problem has arisen which has further complicated the supply of the market: the relationship and interaction of regulated market operators with the banks and the financial world.31 In 2017, the private banks and even the Bank of the Republic of Uruguay (BROU) announced that they would no longer offer their services to any agents involved in the regulated (legitimate) cannabis market, arguing that to accept money from these accounts would lead to difficulties in their foreign operations and with their payments and securities clearance processes with bank headquarters located in the USA,32 whose federal system views cannabis as a forbidden substance and those who deal in it as possible money launderers.33 The prohibition that pertains to the US banks indirectly affects foreign banks that have accounts in correspondent banks in order to process their transfers in US dollars.34 Thus, a legitimate market operating at a national level bears the brunt of a public policy (in banking) that is based on the legal situation pertaining to a third-party state. On the basis of not being able to carry out inter-banking operations (clearance of payments and securities, mainly), the banks have forced some pharmacies (points of sale of regulated cannabis produced and supplied by the Uruguayan state) to desist from the sale of cannabis,35 putting at risk the supply of the product to more than 41,000 duly registered consumers.

3. Brief Reference to the Situation in the Regulated Cannabis Markets in the USA When the state of California legalised medicinal cannabis in 1996, the banks placed themselves on alert to prevent the opening of accounts connected to that industry. The conflict worsened in 2012 when the states of Colorado and Washington legalised the recreational use of cannabis. By mid-2020, 33 US states and the District of Columbia legalised medicinal use and 11 did the same for recreational cannabis 30 The regulatory process has been severely criticised by the international press: “The secrecy and the lack of information are other factors in this unique Uruguayan process that should bring the transparency of the legal world to the drugs world … Which is why the legalisation sometimes takes on the airs of a great farce.”; https://elpais.com/internacional/ 2016/12/11/america/1481489820_396161.html [11. 09. 2020]. 31 https://findesemana.ladiaria.com.uy/articulo/2017/9/bancos-y-marihuana/#subscribe-foo ter [11. 09. 2020]. 32 https://www.telesurenglish.net/news/Mujica-Battles-Banks-Over-Legal-Cannabis-Salesin-Uruguay-20170817-0029.html [Accessed 11. 09. 2020]. 33 https://edition.cnn.com/2019/03/14/perspectives/cannabis-businesses-banking/index.html [11. 09. 2020]. 34 http://www.bbc.com/mundo/noticias-41019446 [11. 09. 2020]. See Kilmer 2017, www.rand.org [11. 09. 2020]. 35 Jordan 2018.

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use.36 Almost all of the states that have regulated recreational cannabis did so in response to popular demand that through public consultations forced legislative change.37 The regulation of the recreational cannabis markets is in clear conflict, not only with US federal law, but also international treaties. This situation has led to the banks that operate at a federal level deciding to avoid any type of transaction with people who participate in any fashion in the regulated market of a substance that is prohibited at a national level. Due to the conflict with the banks, the cannabis industry in the USA has become a cash-industry in which almost all transactions are made in cash,38 in a market which in 2016, in Colorado alone, moved around one billion dollars.39 Those who wish to go through banks employ strategies to get around the banking compliance systems, through which societies are created to wipe clean any trace of the money coming from the legal sale of cannabis, which is legal at a state level but illegal at a federal level. In the USA, these operations could be considered as money laundering as the production and sale of cannabis is forbidden under federal law. As far as substantive criminal law is concerned, money laundering can only occur when one wants to wipe clean any trace of the illicit origin of money arising from certain criminal activities considered to be numerus clausus (predicate crimes) and not in any other circumstances.40 In Uruguay there could be no money laundering when the origin of the money is lawful e. g. there is no money laundering when the money arises from any of the transactions in the regulated market. As can be seen in the US case, the legal cannabis industry is forced by the banking system to make one of three decisions: a) dispense with their services and operate in cash; b) use local banks that take on the responsibility vis à vis the federal banking norms; or c) behave illegally in order to remain within it. In the USA, the specialist literature holds that the only solution to the problem is the removal by Congress of cannabis from Schedule I of the list (where the drugs that cause greatest harm to health, with which there is a danger of addiction and have no medicinal use are to be found) and to be relocated to Schedule II, along with the controlled substances and those that have a medicinal use.41 36 Alaska, California, Colorado, Illinois, Maine, Massachusetts, Nevada, Oregon, Washington, Washington D.C., Vermont; https://thecannabisindustry.org/ [07. 08. 2020]. 37 https://www.tni.org/files/gdpo1.pdf [11. 09. 2020]. The only case where it was a governmental decision was in Vermont; https://legislature.vermont.gov/bill/status/2018/H.511 [11. 09. 2020]. 38 https://www.reuters.com/article/us-usa-house-cannabis/bill-to-let-banks-work-with-canna bis-companies-advances-in-us-house-idUSKCN1R91R6 [11. 09. 2020]. 39 http://www.businessinsider.de/americas-marijuana-companies-cant-put-money-in-banks2015-11?r=US&IR=T [11. 09. 2020]. 40 Galain Palermo 2020, 116 ff. 41 Personal communication of the author with Drs. Rosalie Liccardo Pacula and Beau Kilmer from the RAND Drug Policy Research Center (20. 01. 2018). See https://www.rand.org/ [11. 09. 2020].

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4. The Regulated Cannabis Market in Uruguay According to the National Household Survey of 2014, there were approximately 160,000 cannabis consumers in the previous year.42 It was found that “23.3% of people between the ages of 15 and 65 years of age had consumed marihuana at some point in their lives, and 9.3% stated they had consumed the substance in the previous 12 months (161,000 people) and 6.5% in the previous 30 days.”43 The report talks in terms of 21,255 daily consumers, half of whom were problematic consumers.44 Law 19,172 of 2013 regulated the medicinal, industrial (hemp) and recreational cannabis market. To do so, Uruguay determinedly faced down the drug prohibition system at an international level,45 of which it demanded an interpretation of policy and the conventions that took into account human rights treaties46 and at a local level, a harm reduction health policy that administratively regulated the production and routes of access to the product and even created “Manuals for Action” for the police in order to provide greater security for consumers.47 The creation of this market, however, was announced in 2012 as part of a public security policy, one of 13 measures the government proposed to achieve greater social cohesion and to fight crime.48 Thus, Uruguay placed itself in the experimental line of separating markets which countries like the Netherlands had done,49 though internally the Uruguayan government did not announce it as a public health and harm reduction policy but rather as a crime and public security policy. Internationally, according to what was stated 42 https://www.gub.uy/junta-nacional-drogas/comunicacion/publicaciones/vi-encuesta-nacio nal-en-hogares-sobre-consumo-de-drogas-2016, p. 63 [11. 09. 2020]. According to the IRCCA, which uses the same document as a baseline, the number of consumers is 147,000; https:// www.ircca.gub.uy/wp-content/uploads/2018/05/InformeMercadoReguladoCannabis05abr2018.pdf, p. 2 [11. 09. 2020]. 43 See footnote 68, 63. 44 Ibídem, 68, 70. 45 Jelsma 2013; https://www.tni.org/en/article/incb-vs-uruguay-the-art-of-diplomacy-0 [11. 09. 2020]; Von Hoffmann 2016, 30; https://www.elpais.com.uy/informacion/uruguay-res ponde-onu-exige-actualice-estrategia-antidrogas.html [11. 09. 2020]. 46 Estrategia Nacional para el abordaje del problema Drogas 2016.2020, JND, 11 ff.; http:// www.pensamientopenal.com.ar/system/files/2016/07/doctrina43806.pdf; http://www.infodro gas.gub.uy/index.php?option=com_content&view=article&id=1690:uruguay-confirma-estrate gia-sobre-marihuana-ante-organismo-de-la-onu&catid=14:noticias&Itemid=59 [11. 09. 2020]. AAVV 2014, 14. 47 https://www.minterior.gub.uy/images/stories/ProtocoloCannabis_doblepagina.pdf [11. 09. 2020]. 48 Repetto 2014, 13 ff.; http://www.scielo.edu.uy/pdf/rucp/v23n1/v23n1a05.pdf [04. 10. 2020]. 49 Thus it was stipulated in the Unified Draft Bill sent by the Executive in 2012 to the parliament for the regulation of the cannabis market; https://medios.presidencia.gub.uy/jm_ portal/2012/noticias/NO_F156/proyecto.pdf [11. 09. 2020]. The former president José Mujica referred to the regulation proposal as a “socio-political experiment to deal with such a serious problem as drug trafficking”; http://www.bbc.com/mundo/noticias/2013/12/131210_uruguay_ marihuana_legalizacion_aprueba_diplomacia_narco_irm [11. 09. 2020].

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in international fora at the time, the goals of the Uruguayan policy were broader and dealt with questions of: a) public health (harm reduction); b) social inclusion and protection of freedom (non-criminalisation of the consumer); c) fight against drug trafficking and greater legal security (criminal policy) and d) uniting drug policy with the duty to protect human rights (amalgamation of both international duties).50 The reasons behind announcing different aims for the same policy locally and internationally is not easy to explain, but the strong opposition of public opinion to the regulation of the cannabis market as a harm reduction measure surely played a role. Fighting insecurity seems to be an easier accepted motive by a public that felt a fear of crime. Although the policy on cannabis was announced as a public security measure, from the objective data collated from the Uruguayan criminal system in the years 2009 and 2014 (cases prosecuted for drugs and murder), there is no noticeable relationship between cannabis and (lethal) violence that could lead one to believe that regulating the market for this drug would result in a reduction in violent crime. The data suggests that the hard illegal drug most associated with violence is cocaine paste (crack),51 due to easy supply, low cost, highly addictive nature and a greater capacity to destroy the body of the problematic consumer. At the same time the legal cases indicate that the legal drug associated with violence is alcohol. 52 As for cocaine paste, a criminal policy consisting of a hardening of criminal law was proposed; whilst for alcohol some restrictions were placed on its sale and zero tolerance on driving under the influence.53 As for cannabis, a totally state-regulated system for the production, transportation and sale was proposed.54 According to the law, the state assumes: “the control and regulation of the activities of importation, exportation, planting, growing, harvesting, production, procurement in any form, storage, sale and distribution of cannabis and its derivatives, or hemp when applicable.” (Art. 2 Law 19,172). To control these processes and act as both police and judge in the administration and sanctioning of them, Art. 17 set up the Institute for the Regulation and Control of Cannabis (IRCCA) as a nonstate legal body under public law.55 The law sets out three ways of obtaining cannabis: 50 See 2014, Expert Dialogue on Cannabis Regulation Models; https://www.tni.org/files/ download/informefinalsansebastian.pdf [11. 09. 2020]. 51 This can also be seen in a recent study by the National Drugs Board (JND) carried out in the “emergency ward” of a public hospital; https://www.gub.uy/junta-nacional-drogas/comuni cacion/publicaciones/iii-estudio-sobre-consumo-de-drogas-en-consultantes-de-la-emergenciadel [11. 09. 2020]. 52 This data is analysed in a specific project on the regulation of the cannabis market in Uruguay by the Max Planck Institute for the Study of Crime, Security and Law; https://csl. mpg.de/en/research/projects/implementation-and-consequences-of-legalizing-marijuana-in-ur uguay-2/ [20. 08. 2020]. On the problematic consumption of alcohol, see VI Encuesta Nacional en Hogares sobre Consumo de Drogas, 2016 [12. 10. 2020]. 53 Silva 2016. 54 Galain Palermo 2018; 2015; 2014; Walsh & Ramsey 2016. 55 See Cajarville 2016, 62 ff.

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1. Home growing; 2. Membership of a cannabis club and 3. Purchase through pharmacies. The consumers must enrol and chose just one of these routes. Access is only permitted for over 18-year-old legally residing in Uruguay, who may obtain up to 480 grams per annum (40 grams per month). The IRCCA controls the quantity and quality of production by private licensees. At the time of writing, there were 8,555 home growers, 158 clubs (made up of between 15 and 45 members, with a total of 4,905) and 41,372 purchasers through pharmacies.56 The monopoly on the sale of cannabis has not been free from problems. Distribution is every fortnight with up to two kilos per delivery to the 14 pharmacies that provide it throughout the country (six of them in Montevideo). In order for every registered user to obtain 40 grams per month, the regulated market should have 800 points of supply for the product. At the same time, the sale price is subsidised not only to compete with the black market, but to be placed at an advantage in relation to it. The 5 grams per week that the pharmacies sell cost around 270 Uruguayan pesos (approximately 5.37 Euros). The system was built to compete with and destroy the black market, through an oligopoly that is characterised by a low price and level of production. The result is that the legal market has become attractive due to the low price paid for a quality product, but the other side of the coin is the low level of production and supply shortages. The problem is that the state has to some degree encouraged a (legal) consumption but cannot supply all the registered users. Thus, the consumers are once again at the mercy of a clandestine supply from the black or grey market.57 As for the struggle for the market, the regulated system began to fully function from July 2017 onwards. In the first year and a half of the full functioning of the regulated market, the consumers could be supplied with one tonne through the pharmacies when it is calculated that they would need around nine tonnes to meet the demand. In August 2020, the pharmacies received two tonnes when the market was calculated to be around ten tonnes, which is why the IRCCA awarded three new licences in the second semester of 2019 for the “state” production of recreational cannabis.58 Unlike the other regulated cannabis markets already functioning in the USA, the Uruguayan one was not designed to encourage sales, although it has a profit-making purpose through an oligopoly production with a set price for the five grams to be supplied. This is a price-controlled market for which the IRCCA sets the price for the sale through the pharmacies in order to maintain a “competitive” or “low” price in relation to the illegal market. The “liberal” school of thought rejects price controls as it holds that artificially maintaining a low price leads to that price not being governed by the equation of costs plus profit margin = sale price.59 So, it encourages an excessive consumption until the legal supply of the product in the regulated market has 56

https://www.ircca.gub.uy/ [07. 08. 2020]. Galain Palermo 2018; 2014. 58 Up to August 2020; https://www.ircca.gub.uy/ [07. 08. 2020]. 59 See Lajugie 2006; Hayek 2008. On the relationship between capitalism and social theory, see Guiddens 1971. 57

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been exhausted. The low and interrupted amount of cannabis produced and supplied in addition to the low price means that the legal cannabis supplied is quickly consumed and many users are left with no supply. As there is an unmet demand and there is a shortage in the market the supply from the illegal markets is strengthened. Therefore, if this situation continues in the long term it will not compete with the illegal market, but rather stimulate its development. The problem just described suggests that the coverage of the system (production, distribution and points of sale) should be quickly increased as it leaves legal consumers dissatisfied and unserved, who may then turn to the grey or black market. It is important to bear in mind that a regulated market monopoly requires a strict system of control and oversight to avoid the diversion of the legal product and its illegal distribution, as the emergence of grey markets is characteristic of monopolies as has happened with alcohol and gambling to mention some examples governed by the specialised doctrine.60 According to the calculations of the Cannabis Monitor in 2017, if every person registered to obtain the product, received his or her 40 grams per month, the regulated market would have taken 50% of the annual demand for cannabis in Uruguay from the black market, which is equivalent to 22.5 million dollars not being received by the black market operators.61 The international press has stated that “the system is collapsing as production cannot keep up with demand.”62 For its part, the IRCCA reported that in under a year of the whole regulated system being put into action, it had already reached 54% of consumers in the market.63 In the period between 19. 07. 2017 and the 05. 04. 2018 there were 150,431 sales of 5 gram packets of cannabis with a total of 752,155 grams being legally sold to 75.8% of the registered consumers.64 Up to February 2nd 2019 each packet was priced at 220 Uruguayan pesos (approximately 6 Euros), thus the total value of sales was 902,580 Euros. According to Daniel Radio, the new General Secretary of the National Drugs Board under the government of President Luis Lacalle, since 2017, the legal market has barely taken five million dollars away from the illegal market so “the supply of psychoactive cannabis for non-medical use is not sufficient, we are not able to meet demand.”65

60

Caulkins et al. 2012, 194, 221 ff. According to the estimates of the Uruguayan Association of Cannabis Studies 80% of the Uruguayan market is made up of Paraguayan cannabis. Ramsey 2013, 6; https://www. insightcrime.org/images/PDFs/2016/uruguay_legalization.pdf [11. 09. 2020]. 62 https://elpais.com/internacional/2018/04/16/mundo_global/1523868317_283821.html [11. 09. 2020]. 63 https://www.ircca.gub.uy/wp-content/uploads/2018/05/InformeMercadoReguladoCanna bis-05abr2018.pdf, p. 2 [11. 09. 2020]. 64 Ibídem, 7. 65 Semanario Búsqueda, Thursday 23rd of July 2020, 48. 61

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5. Regulated National Market Subordinated to National Foreign Policy In the USA, banks have closed down accounts of operators in the regulated cannabis markets to avoid committing the crime of money laundering as cannabis is a forbidden substance and hence makes all transactions connected to it unlawful. This logic cannot be applied to the Uruguayan banks, except in the case of money generated in the black or grey markets.66 Unlike the USA, where all sale of the product is prohibited at a federal level, in Uruguay it is permitted within the regulated market. At a national level, market operators – regulated and under special administrative control – should not have any problems carrying out commercial transactions within this system. In the Uruguayan case, we are dealing with a market that is subjected to strict control on registration of the consumers and the sellers, as well as a strict control on licences and the production quantities authorised by the IRCCA, which means it is not impossible to determine the source and amounts of money that come from the regulated market. The companies licenced to produce cannabis to supply the recreational market pay an annual fee for the licence, their monthly production is capped, and they have a profit rate similar to that of the agricultural producers of 15% and have to pay taxes equivalent to 10% of sales. The pharmacies for their part are exempt from paying tax and receive a profit of 30% on sales; i. e. they use the same regime for cannabis as they do for medicines.67 Furthermore, all purchases and sales are made with corresponding receipts through the IRCCA.68 The consumers are officially registered and can only acquire up to 40 grams per month of a product that has a set price. The IRCCA has access to the register from which the monthly transaction figures are obtained. There may not be in Uruguay a greater more precise and thorough control of the source of money and the amount of transactions than that which exists in the regulated market of cannabis. Given that one of the basic aims of the recommendations on money laundering is transparency, an increase in controls and facilitating international cooperation, it is surprising that the Uruguayan authorities have not informed the US federal banking authorities on the strict regulations and control in place, in order to avoid the emergence of the same problem that has existed for years between the banks and the cannabis industry in the regulated US markets.

66 Such a possibility had been foreseen in the USA, as one of the concerns of the regulators of the Colorado model was the possible diverting of cannabis produced by private home growers in the regulated market. See Pardo 2014, 734. An example of this is the cannabis “tastings” offered by clubs to tourists; http://www.busqueda.com.uy/nota/turistas-apelanaplicaciones-y-tours-para-catar-marihuana-uruguaya/ls-283-356d86e01a49a9255822 [11. 09. 2020]. 67 According to the press “for every sale of 2 kilos of cannabis the pharmacies earn 20,000 Uruguayan pesos”; https://www.elobservador.com.uy/gobierno-impulsa-la-creacion-minimerca dos-marihuana-n1146892 [11. 09. 2020]. Twenty thousand Uruguayan pesos is approximately 570 Euros. 68 Data is from personal communication with the IRCCA on April 10th 2018.

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This omission and lack of foresight should be seen as a serious endogenous defect of the process of implementing a regulated market in Uruguay. This endogenous defect, has however, been exacerbated by exogenous factors. The problem that has arisen between the banks and the legal cannabis market, goes far beyond what the law’s promoters could have foreseen when it came to implementing an alternative path to the total prohibition of drugs internationally viewed as illegal. Of course, the BROU cannot hold bank accounts for, nor work with, people linked to the illegal cannabis market, who should be reported to the criminal justice system where there is the slightest suspicion of a money laundering crime being committed; however, as for the operators in the legal cannabis market, the bank’s refusal to open accounts is one of simple commercial interests that prioritise the international banking system. That said, it should be clear that the situation of the banks in Uruguay and the USA is quite distinct, as in the USA what could be considered money laundering under federal law (which prohibits all transactions with a prohibited substance), in Uruguay there is no offence as along as the money is not from an unlawful source or a conduct that is typified as a predicate crime for money laundering. Thus, there is no basis to the argument of preventing money laundering as a justification for the Uruguayan banks’ actions regarding operators in the regulated cannabis market. The private and state banks of Uruguay decided to close their doors on the regulated market out of fear of losing their correspondence functions in the USA, with which they operate in dollars at an international level. For the Uruguayan financial system, the norms that regulate banking seem to take precedence over the norms on public health, public security and human rights, which is the argument that was used by Uruguay to defend Law 19,172 before UN bodies responsible for drug policy (in Vienna, UNODC, and in New York, UNGASS 2016).69 Are we faced with competing political interests that follow a logic different to that of the regulation of the Uruguayan cannabis market and which are decided upon according to the economic criteria of maximising financial income and forces us to rethink the design of the regulated market? If our starting point is that the cannabis law is a product of Parliament: What democratic legitimacy validates the Uruguayan public banks’ position? It is true that the banks are connected and globalised and that there exists a tacit principle of not clashing with the norms of another bank with which there is a relevant business relationship. However, a state bank should prioritise the common good and the utilitarian principle of the greater good of the citizens, so on a cost-benefit basis, they would have to decide between prioritising the local law or defend a good commercial relationship at an international level. This is a clear example of the complexity concomitant with the implementation of national laws on (illegal) drugs, that propose to consider them a (legal) product in the market. 69

Uruguay promoted Resolution 51/12 of 2008 which sought to adjust international human rights instruments to encompass aspects related to drug policies. See also Junta Nacional de Drogas, 2016; http://docplayer.es/80492685-Repercusiones-del-problema-mundial-de-las-dro gas-en-el-ejercicio-de-los-derechos-humanos.html [04. 10. 2020]. On UNGASS 2016, Galain Palermo 2018, 348 ff.

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6. Final Remarks From a political point of view, the Uruguayan authorities have stated that the only possible solution to the problems between the regulated recreational cannabis market and the banking system is for the USA to reclassify cannabis placing it in Schedule II alongside controlled substances and substances for medical use.70 This is a simplistic solution as it demands that they implement something which Uruguay itself has not implemented. If it were the only possible solution this would mean that we would be dealing with a situation where a law on national public drug policy was totally dependent for its implementation on changes to a foreign legal system. The partial implementation of the regulated recreational cannabis market has led to inconveniences in the supply, a situation which has been worsened by the refusal of the banks to receive funds from it, which has prevented more sales points from joining the system. The state faces difficulties in guaranteeing the functioning of the market, on the one hand, it cannot ensure access to cannabis for registered users and on the other hand, it cannot provide financial security to those who have to supply consumers. Thus, it has put at risk not only the proper functioning of the market but also its very existence. Meanwhile, the illegal (black and grey) markets continue to operate to meet the demand of those who have not opted for the other legal means of procurement and those tourists who are prevented from doing so.71 The regulated market policy should be strengthened as in the case of a retreat or abandoning of it, it is the illegal market that will be strengthened and as happens in the prohibitionist regimes, the only pathway open to protect public health will be the application of criminal law, which as we know has failed right from the beginning. Uruguay should think in terms of a more developed regulated cannabis market, with a greater volume of production and sales, with more providers in addition to the pharmacies i. e. a market that without giving up on prevention and control of consumption within a framework of discouraging it, can at the same time pursue transparent financial and tax goals. It would be a regulated market orientated towards harm reduction and human rights without preventing the participants in the market meeting their economic aims (who will have to carry out significant investments to set up a financial system outside that of the traditional one dominated by the banks) nor the Uruguayan state which needs to collect taxes with which it can finance the IRCCA, programmes for the prevention and the repression of drug trafficking, programmes for prevention and responsible consumption, the research programmes on medicinal cannabis, the industrial initiatives and furthermore maintain a competitive price and quality product without the need for it to be subsidised. 70

http://www.elobservador.com.uy/peligra-la-venta-marihuana-falta-solucion-bancarian1106834 [11. 09. 2020]. 71 http://www.montevideo.com.uy/Noticias/Uruguay-tuvo-el-mayor-aumento-en-consumode-cocaina-y-cannabis-en-Sudamerica-uc336269 [11. 09. 2020].

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The situation with the banks seems to force the regulated system to seek an extra financial alternative and to proceed like those who carry out money laundering operations, or in the end, carry out all operations in cash, which does not seem compatible with a public policy that was implemented in order to improve security indicators. The conflict between the banks and the regulated cannabis market operators gives rise to a complicated and irrational situation from a political point of view, which endangers all the aims pursued by public policy on the issue of cannabis. On the one hand, Uruguay is the first country in the world to regulate the cannabis market for medicinal, industrial and recreational use, and on the other hand, it is the first one where the finance and banking system forces the operators in the national legal market to act according to the logic of a money laundering operation in order to keep their accounts open, as if they were criminals participating in an illegal market. References AAVV (2014): Percepciones institucionales sobre los alcances de la implementación de la ley de regulación de marihuana, Open Society Foundation/Friedrich Ebert Stiftung, September. Montevideo. Albrecht, H.-J. (2001): The International System of Drug Control: Developments and Trends, in: J. Gerber & E.L. Jensen (eds.), Drug War American Style. The Internationalization of Failed Policy and Its Alternatives. New York, pp. 49 – 60. Albrecht, H.-J. (2004): Kontrolle der Cannabismärkte: zwischen freiem Markt und strafrechtlicher Prohibition, in: C. Grafl & U. Medigovic (Hrsg.), Festschrift für Manfred Burgstaller zum 65. Geburtstag. Wien, pp. 453 – 469. Albrecht, H.-J. (2006): Conflict Perspectives: Dealing with Wrongs in the Middle East, in: H.-J. Albrecht, J.-M. Simon, H. Rezai, H.-C. Rohne & E. Kiza (eds.), Conflicts and Conflict Resolution in Middle Eastern Societies – Between Tradition and Modernity. Berlin, pp. 1 – 12. Albrecht, H.-J. (2010a): Drug Policies in Europe, in: M. Groenhuijsen, T. Kooijmans & T. de Roos (eds.), Fervet Opus: Liber Amicorum Anton van Kalmthout. Apeldoorn, pp. 11 – 21. Albrecht, H.-J. (2010b): Gewaltkriminalität – Ursachen und Wirkungen, in: D. Dölling, B. Götting, B.-D. Meier & T. Verrel (Hrsg.), Verbrechen – Strafe – Resozialisierung. Festschrift für Heinz Schöch zum 70. Geburtstag am 20. August 2010. Berlin, pp. 31 – 47. Albrecht, H.-J. (2017): The Shift of Security: Changing Concepts of Security?, in: Z. Chen & Z. Zhou (eds.), New Reports in Criminal Law 10. Beijing, pp. 329 – 347. Albrecht, H.-J. & Paoli, L. (2002): Cannabis Policies in Frankfurt, in: Ministry of Justice [The Netherlands] (ed.), European City Conference on Cannabis Policy, 6, 7, 8 December 2001. Conference book. Utrecht, pp. 75 – 89. Baudean, M. (2019): Five years of cannabis regulation in Uruguay: What are the changes in health, security and justice? What can we learn from the Uruguayan experience of regulation? 13rd Conference of the International Society for the Study of Drug Policy. Paris, 14 – 17 May 2019.

A Difficult Relationship

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Decriminalization of Drug-Related Crimes in Georgia Legal Approaches and Comparative Analyses By Georgi Glonti

Introduction There is growing support for drug decriminalization – the elimination of criminal penalties for drug use and possession. Increasingly, international organizations and countries around the world are changing their drug policies by ending the criminalization of those who use and possess drugs for their own personal use. The Chief Executives Board of the United Nations (UN), representing 31 UN agencies, have adopted a common position on drug policy that endorses decriminalization of possession and use.This event comes just days before a key meeting of the Commission on Narcotic Drugs in Vienna, which will review the UN’s 10-year Global Drug Strategy, and plan for the next one.1 The statement also positions drug policy clearly within public health, human rights, and sustainable development agendas. Previously, the UN and World Health Organization (WHO) in a joint statement had expressed their support for countries that decriminalize laws related to drug use and the possession of drugs for personal use.2 A little earlier, the WHO has called for drug decriminalization as a necessary measure for public health but this joint statement with the UN represents another significant step in the global movement for drug decriminalization.3 However, the implementation of this approach is far from uniform; in some countries with decriminalization, people continue to face prison sentences for possessing small quantities of drugs.4 One such country is Georgia, where decriminalization of 1

UN Chief Executives Board for Coordination. Second regular session of 2018 Manhasset, NY, 07 and 08. 11. 2018; https://transformdrugs.org/un-chief-executives-endorse-decriminalisa tion/. 2 Joint United Nations statement on ending discrimination in health care settings. 27 June 2017 Statement; https://www.drugpolicy.org/blog/united-nations-and-world-health-organiza tion-call-drug-decriminalization. 3 UN and the WHO call for decriminalization of drugs; https://www.opulens.se/english/unand-the-who-call-for-decriminalisation-of-drugs/. 4 Harsh Punishment. The Human Toll of Georgia’s Abusive Drug Policies 13. 08. 2018; https://www.hrw.org/report/2018/08/13/harsh-punishment/human-toll-georgias-abusive-drugpolicies.

934

Georgi Glonti

Drugs consumption legislation already exists. However, there is a lot of confusion and so-called black holes in specific legal acts that allow the criminal justice system to continue to detain and convict people.

Drug Policies in Georgia During the Period 2003 to 2012 Georgia was known for its harsh drug policies and, like many post-Soviet countries, mainly focused on the prosecution and punishment of people who use drugs. In 2006, President Micheil Saakashvili announced a “zero-tolerance” policy against all crimes, including drug possession. In 2006 he appealed to the Parliament of Georgia: “I am announcing a new draft law with zero tolerance for petty crimes. I will introduce amendments to the Criminal Code, which will abolish probation sentences for burglary, mugging, pick-pocketing and possession of drugs. There will be no probation sentences. No judge will be able to release someone based on their own views on humane reasons. Who commits these crimes will go to prison because they damage our society.”5

After such a fiery speech by the President, real repressions against drug users were started. Penalties for drug-related crimes harshened significantly. Drug crimes (Article 260 of Criminal Code) received the qualification of, especially grave crimes. Most articles of the criminal code related to drugs envisaged high fines and imprisonment of up to 14 years and even life imprisonment, exceeding punishments for theft, murder, rape, and so on. The legislation did not differentiate between drug users and dealers. This made it possible to judge a person who purchased narcotic substances for personal use and a person who did this for distribution on equal legal grounds and to sentence them with penalties of equal severity.6 Thousands of Georgian citizens were criminalized for the use of drugs. Drug users and their families moreover were often the ones paying money through plea-bargaining. Data has shown that over 44 million GEL was collected from people who use drugs between 2008 and 2009 while only 2 million GELwas spent on their treatment and other rehabilitation services offered annually.7 The grim reality in Georgia, which followed was mass incarceration of people who use drugs, total street-testing practices, and a serious deterioration of health and social conditions of the community of drug users. One-third of the country’s pris5

President Mikheil Saakashvili’s Annual Report to the Parliament of Georgia, February 14, 2006 at the Spring Session, Pages 26 – 27 (on Georgian, translated to English by Author); https://bit.ly/20XKbl. 6 Crime and Excessive Punishment: The Prevalence and Causes of Human Rights Abuse in Georgia’s Prisons – Report 2014, Chapter 2. Criminal Justice Policy and Practices 2003 – 2012, page18; http://issa-georgia.com/files/publications/ENGLISH/OSGF/OSGF.pdf [06. 07. 2020]. 7 Human Rights Education and Monitoring Center, Unethical Drug Policy, 2014; https:// emc.org.ge/en/products/araetikuri-narkopolitika-erovnuli-kanonmdeblobisa-da-praktikis-analizi [06. 07. 2020].

Decriminalization of Drug-Related Crimes in Georgia

935

on population was incarcerated for drug-related offences, mostly for the possession of illicit drugs for personal use. According to the criminal laws adopted in that time, possession of drugs without the intent to distribute or supply in the amount of more than small were a serious criminal violation, punishable with 20 years or lifetime imprisonment, depending on the amount involved. The Georgian government’s zero-tolerance policy ended in complete collapse. The number of inmates in Georgian prisons increased approximately threefold which led to massive violations of human rights in the system (see table 1.) These phenomena were the beginning of the end of the Saakashvili regime. His party “National Movement” lost the parliamentary election in 2012. Table 1 Number of Convicted Offenders and Prison Inmates in Georgia, 2001 – 20198 2001

2007

2012

2013

2016

2017

2018

2019

Number of Convicted 8,897 21,170 10,922 15,166 15,654 14,517 15,840 15,765 Offenders Number of Prison Inmates Illegal production, manufacturing, acquisition, storage, transportation and sale of drugs

7,618 18,309 22,340

854

1,919

1,100

9,093

9,344

9,280

9,775

9,877

2,660

1,759

1,677

1,807

1,890

Changes in Drug Policies During the Period 2012 – 2019 The new government, under the leadership of party “Georgian Dream”,9 has declared a liberalization of the criminal justice policy. As table 1 shows, the number of prison inmates which had been 22,340 in 2013 was reduced to 9,093 after an amnesty announced10 by the new government and has remained virtually unchanged for the next seven years. However, the policy of liberalization only to a lesser extent impacted on the policy related to decriminalization drug consumption. As we see in table 1, the number of convicted offenders for drug crimes remained virtually unchanged from 2007. This phenomenon is quite easy to explain, as the government had and still has many opponents who try to hinder the real decriminalization of drug possession, such as the Orthodox Church, opposition parties, some scholars and medical 8

http://pc-axis.geostat.ge/PXweb/sq/cfce988a-5d59-4c5b-b6a3-c97434e4d0ff. https://en.wikipedia.org/wiki/Georgian_Dream [06. 07. 2020]. 10 The Law of Georgia on Amnesty was adopted on 12 January 2013. According to the information of the Ministry of Corrections and Legal Assistance of Georgia, a total of 8,734 inmates were released from corrections facilities from 12 January 2013 to November 2014. 9

936

Georgi Glonti

professionals. Also, the prosecutors offered plea bargaining to the majority of drug offenders which included the imposition of unlimited fines.

Figure 1: Drug Tests in Georgia, 2010 – 201811

Under public pressure, the new government had tightened preventive measures. Thus, according to figure 1 during the three years from 2013 to 2015 more than 150,000 citizens were mandatorily tested for drugs by the police, among which only 47,000 – roughly a third – had a positive result. In 2015, the Georgian Ministry of Internal Affairs (MIA) issued a new special instruction – ordinance No. 725 – which included step-by-step guidelines on how to administrate mandatory drug testing. The Administrative Offences Code of Georgia provided punishment for first-time offenders, a 500 GEL fine, and administrative detention up to 15 days for the purchase or storage of a small amount of drugs without the intent to sell and/or use a drug without a doctor’s prescription. Reoffending is expected to increase accountability and punished with higher fines and up to oneyear imprisonment, and in aggravating circumstances, the punishment can reach 14 years or life sentences.12 Such harsh practices of the government have caused discontentment among the public. In the period between 2015 and 2018, civil society was actively pushing the government to adopt alternative drug laws which would include: administrative liability instead of the criminal for the possession of small quantities for personal use; setting the quantities of the substances for the personal use above a one-day period; changes of the norms on mandatory drug testing (grounds for testing should be stipulated before a test is administered). Unfortunately, none of these changes was adopted, and Georgia continues to apply harsh laws on people who use drugs. One of the main accusations is that Georgian authorities use this harsh drug policy as a weapon 11 12

https://info.police.ge/uploads/5c374ea780a6a.pdf [04. 07. 2020]. https://matsne.gov.ge/en/document/view/2994508?publication=0 [06. 07. 2020].

Decriminalization of Drug-Related Crimes in Georgia

937

against their opposition, and as a significant resource to bolster the state’s income. According to experts, this is why Georgia has not been in a hurry to liberalize legislation. The state received more than GEL 13 million between 2009 and 2012 from the payments of administrative violations. From 2013 to 2014 the country had received GEL 11.1 million in the same way.13 During 2015 to 2018, human rights activists have begun the fight for the decriminalization of drug possession by using such methods as unauthorized demonstrations, flash mobs and other forms of protests. In December 2016, the organization “White Noise Movement”14 held a protest outside the Parliament building calling for the decriminalization of drugs, including cannabis.15 On New Year’s Eve of 2016, Girchi Party16 activists planted cannabis plants in 84 pots in the party’s Tbilisi headquarters, in defiance of Georgian drug policy.17 Georgian police officers arrived and confiscated the plants, but did not charge party members with any criminal offence.18 On October 20 2018, Girchi Party activists held the Cannabis Legalization Festival in the downtown of Tbilisi protesting the new aim of Parliament of Georgia to pass a bill restricting the consumption of cannabis.19

The Role of the Constitutional Court in the Decriminalization of Drug Consumption One of the main tactics of fighting the rigorous drug policy has become the practice to appeal to the Constitutional Court of Georgia. The Constitutional Court of Georgia has supported some cases related to the decriminalization of Marijuana. Georgian citizen Tsikarishvili vs Parliament Georgia Constitutional Court October 24, 2015,20 was the first case in which the Court considered the constitutionality of punishment for drug-related crimes. By its decision, the Court upheld the lawsuit of a Georgian citizen Beka Tsikarishvili and declared the provisions of the law providing for the possibility of sentencing in the form of imprisonment for acquiring and storing 70 grams of dried Marijuana for personal use to be unconstitutional. The 13

https://jam-news.net/marijuana-decriminalized-in-georgia/ [05. 07. 2020]. ) is a political The White Noise Movement (Georgian: group founded in 2015 in the Republic of Georgia focused on drug decriminalization. 15 https://www.opendemocracy.net/en/odr/fighting-back-against-georgia-s-war-on-drugs/ OpenDemocracy. 2016-12-15 [06. 07. 2020]. 16 Girchi (Georgian: , “pine cone”) is a libertarian political party in Georgia. 17 https://en.wikipedia.org/wiki/Cannabis_in_Georgia_(country). 18 https://www.theguardian.com/world/2017/jan/24/georgia-eases-draconian-law-cannabislandmark-ruling [06. 07. 2020]. 19 https://www.voanews.com/europe/green-defiance-challenges-law-power-georgia [05. 07. 2020]. 20 Georgian citizen Tsikarishvili vs. Parliament Georgia Constitutional Court case 1/4/592 of October 24, 2015; https://constcourt.ge/en/judicial-acts?legal=1043. 14

938

Georgi Glonti

Court regarded the practice of instituting criminal proceedings and imprisonment for the consumption of Marijuana as unconstitutional and declared that “everyone has the right to choose their own method of relaxation, including the use of marijuana, as this is a personal, protected sphere of human life” and stated that the abolishment of such practices is necessary. In this regard the decision of the Constitutional Court of Georgia No. 1/13/732 of November 30, 2017, should be noted, in which the Court, unlike in other cases, did not consider the constitutionality of the punishment imposed for one of the criminal acts, but assessed specific actions related to criminal prosecution for a drug crime. In particular, in its decision on constitutional lawsuit No. 725, the Court ruled that it was clearly not disproportionate in general to deprive a person for specific actions of his liberty, but that the severity of the imposed punishment – imprisonment from six to twelve years, with accordance to Criminal Code of Georgia, was disproportionate. In addition to the above-mentioned decisions, the Constitutional Court subsequently accepted for consideration five more constitutional lawsuits related to drugs and supported all five of them. All decisions on this subject adopted by the Constitutional Court have a common structure and reasoning, but differ in specific characteristics, among them: Georgian citizen J. Gvianidze, D. Chomeriki, and L. Gagishvili vs. Parliament of Georgia:21 The authors of the constitutional lawsuit requested that the content of Article 265 (2) of the Georgian Criminal Code should be declared unconstitutional, because of the punishment by imprisonment from seven to ten years for illicit sowing, growing or cultivating of the plant containing narcotics (cannabis) in large quantities; Georgian citizen Lasha Bakhutashvili vs the Parliament of Georgia:22 The authors of the constitutional lawsuit requested that the following sanction should be declared unconstitutional: Punishment by imprisonment from five to eight years for manufacturing, purchasing and storage of 0.00009 grams dorsomorphin.

A Comparison of Some Drug-Related Articles in the Criminal Code of Georgia 2006 – 2018 The decisions of the Constitutional Court of 2015 to 2018 led to significant changes in the Georgian Criminal Code. For illustrative purposes, we compare some articles of the Criminal Code of 2006 and 2017 of the editorial office (see the texts in the appendix).

21 Citizen of Georgia Jambul Gvianidze, Davit Khomeriki and Lasha Gagishvili v. the Parliament of Georgia Recording Notice 71/21/701, 722, 725 the Constitutional Court of Georgia. 22 Citizen of Georgia Lasha Bakhutashvili v. the Parliament of Georgia Recording Notice 71/2/696.

Decriminalization of Drug-Related Crimes in Georgia

939

An analysis of the development of the criminal law related to drugs over the past three years shows that there have been serious changes in the field of decriminalization of consumption and liberalization of punishments in Georgia. In particular, there was complete decriminalization of marijuana consumption, partial for storage and cultivation (depending on quantity), sanctions for other drug crimes decreased on average by 40 – 50%, with the exception of smuggling drugs on an especially large scale. In the 2018 Edition of Georgia’ Criminal Code, in comparison with the 2007 edition, articles: 260 Illegal Manufacturing, Production, Purchase, Storage, Transportation, Transfer or Sale of Drugs, Their Analogs and Precursors, 265 Illegal sowings or growing of plants containing narcotics, and Article 273. Illegal Production, Purchase, Storage, Carrying, Transfer and/or Illegal Consumption without Medical Prescription of a Narcotic Drug, it is Analog or a Precursor in Small Quantity, were supplemented with a special clause that, in connection with the decriminalization of purchase and possession (in a certain amount up to 100 grams) and consumption of light drugs (Marijuana), providing for the exclusion of criminal punishment for these acts. The article 260 of the Criminal Code 2018 edition was supplemented with special clause, which, following the decision of the Constitutional Court of Georgia, declares unlawful the criminal punishment for possession of any drug by a minimum (microscopic) amount, in particular, the drug Dorsomorphin in quantity (0.00009 gr.) Also, Article 260 of the Criminal Code 2018 edition was supplemented with a special note: which explains what should be considered as a voluntary rejection of consump-tion of drugs and other psychoactive substances. In particular, a person must, before the commencement of the investigation, declare in writing or through any technical means of communication, about the intention to deliver drugs, their analogues, precursors, new psychoactive substances, psychotropic substances, their analogues or potent substances and actively assist in their seizure. The article 265 of the Criminal Code 2018 edition was supplemented with a special clause under the decision of the Constitutional Court of Georgia, declaring criminal punishment unlawful for illegal sowing or growing of plants containing narcotics (marihuana), for personal consumption purposes (amount up to 64 gr.), and declaring imprisonment unlawful for a term of “six to twelve years” for the same action, (amount up to 266 gr.) Article 173.1 was newly included into the Georgian Criminal Code, which clearly defines the penalties for the repeated purchase, possession, transportation, use and sale of drugs. This provision significantly limits the application of measures related to deprivation of liberty at the legislative level.

940

Georgi Glonti

Consequences of Drug Possession (Marijuana) Decriminalization in Contemporary Georgia For the initiation of the process for decriminalizing the consumption, storage and production (cultivation) of Marijuana in Georgia, serious efforts were required from active citizens and CSOs. Their intentions were actively opposed by the authorities, especially law enforcement agencies, medical services and the church. However, the perseverance and the right tactics for using the Georgian constitutional Court made it possible to develop a mechanism for mitigating legal repressions against drug users and relieved prisons. The decriminalization of drug-related crimes allowed Georgia, along with several European and other countries, to implement new humane approaches to drug addiction which regard it as a disease and not as a crime. After the ratification by the Parliament of Georgia of progressive changes in the Criminal Code related to the decriminalization of drug consumption, it took about two years for their impacts on the crime situation in Georgia to materialize (see table 2). A comparative analysis of the total number of registered crimes between 2016 and 2019 shows a relative increase in the total number of crimes in 2019 by about 40%, as well as drug-related crimes by about 54% (+ 2142 crimes). However, fines or other non-custodial sanctions were imposed for most of these crimes.

Conclusion The study showed that the reform of the criminal legislation, in particular the liberalization of the punishment for drug crimes and the decriminalization of the consumption, purchase, possession, transportation of small quantities of drugs, in general, was successful. Despite a slight increase in the figures for drug crimes, the number of persons sentenced to imprisonment has not increased, and also the number of victims was sharply reduced to whom law enforcement officials planted drugs with the purpose of blackmailing.

a

5,196

Total drug crimes

2

Source: https://info.police.ge/page?id=247&parent_id=115.

other Art. 264, 266 – 72, 274 9

2,123 22%

98% 10

1,998

2,165

Art. 273, 273’ – Repeated consumption of drugs

97%

200

79

2,327

128

173

82%

95%

82%

4,762

35,998

178

204

– 92%

Art. 265 – Illegal sowing, growing or cultivation of plants containing narcotics

248

Art. 262 – Drug smuggling

91

2,163

4,782



20

96

Art. 261 – Purchase, storage and selling of psychotropic substances

2017

% registersolved solved ed

Art. 263 – Smuggling of psychotropic substances

2,473

Art. 260 – Purchase, storage and selling drugs

Among them:

35,097

Total registered crimes

registered

2016

2

1941

121

19

164

77

2063

4387



20%

97%

94%

95%

82%

97%

89%

92%



% solved solved

Table 2a

11

863

379

18

183

57

2,450

3,961

37,987

1

765

354

8

121

34

2,039

3,322



solvregistered ed

2018

9%

89%

93%

44%

66%

60%

83%

84%



% solved

16

1,884

796

19

190

127

3,071

6,103

58,402

registered

2019

9

1,306

716

6

106

92

2,338

4,573

solved

56%

69%

90%

32%

56%

72%

76%

75%

%s solved Decriminalization of Drug-Related Crimes in Georgia 941

942

Georgi Glonti

Appendix – Articles from the Criminal Code of Georgia, 200723 and 201824 Compared 2007 Article 260 – Illegal manufacturing, production, purchase, storage, transportation, transfer or sale of drugs, their analogs and precursors 1. Illegal manufacturing, production, purchase, storage, transportation, transfer or sale of drugs, their analogs or precursors, – shall be punished by imprisonment for up to six years. 2. The same action perpetrated: a) in large quantities; b) by a prior consent of a group; c) by using one’s official position; d) repeatedly; e) by the one who has previously committed one of the offenses referred to in this Chapter of this Code, – shall be punishable by imprisonment ranging from six to twelve years in length. 3. The action referred to in Paragraph 1 or 2 of this Article, perpetrated: a) in especially large quantities; b) by an organized group, shall be punished by imprisonment for a term of twenty to a life sentence. Note: Criminal liability for committing the offenses referred to in this Chapter shall be lifted up from the person who voluntarily hands over narcotics, analogy or precursor thereof, psychotropic substance, its analogy or powerful substance if his/her action bears no signs of any other crime.

2018 Article 260 – Illegal manufacturing, production, purchase, storage, transportation, transfer or sale of drugs, their analogs, precursors or new psychoactive substances 1. Illegal manufacturing, production, purchase, storage, transportation, transfer or sale of drugs, their analogs or precursors, – shall be punished by imprisonment for up to six years. (The normative content of Section one, under which imprisonment may be imposed as a criminal punishment for illegal purchase and storage of drugs namely of dried Marijuana indicated in horizontal row 92 of Annex 2 of the Law of Georgia on Narcotic Drugs, Psychotropic Substances, and Precursors, and Narcological Assistance, shall be considered void) 23 24

show.

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– Ruling No 3/1/708,709,710 of the Plenary Session of the Constitutional Court of Georgia of February 26 2016 – website, 15. 03. 2016 (The normative content of Section one, under which imprisonment may be imposed as a criminal punishment for purchase and storage of drugs, namely of raw Marijuana (up to 100 grams) indicated in horizontal row 92 of Annex 2 of the Law of Georgia on Narcotic Drugs, Psychotropic Substances and Precursors, and Narcological Assistance, shall be considered void) – Decision No 3/1/855 of the Constitutional Court of Georgia of February 15 2017 – website, 21. 02. 2017 2. Illegal manufacturing, production, purchase, storage, transportation or transfer of a new psychoactive substance, – shall be punished by imprisonment for up to five years. 3. The act defined in paragraph 1 or 2 of this Article that has been committed: a) in large quantities, – b) by a group of persons with a preliminary agreement; c) using an official position, – d) repeatedly; e) by a person who has previously committed any of the offenses defined in this Chapter, – shall be punished by imprisonment for a term of five to eight years. (The normative content of Section Three, which provides for the possibility of application of imprisonment as a criminal punishment for produc-tion, purchase, and storage of a narcotic drug defined in the horizontal cell 33 of Annex No 2 of the Law of Georgia on Narcotic Drugs, Psychotropic Substances, and Precursors, and Narcological Assistance, namely of Desomorphine of an amount disputed by the claimant (0.00009 gr.), was declared unconstitutional) – Decision No 1/8/696 of the Constitutional Court of Georgia of July 13 2017 – website, 20. 07. 2017 4. Illegal sale of drugs, their analogs, precursors or new psychoactive substances, – shall be punished by imprisonment for a term of six to eleven years. 5. The act defined in paragraph 4 of this Article that has been committed: a) in large quantities, b) by a group of persons with a preliminary agreement; c) using an official position, – d) repeatedly; d) by a person who has previously committed any of the offenses defined in this Chapter, – shall be punished by imprisonment for a term of seven to fourteen years. 6. The act defined in this Article that has been committed: a) in particularly large quantities; b) by an organized group; – shall be punished by imprisonment for a term of eight to twenty years or by life imprisonment. Note: 1. Persons who voluntarily turn in drugs, their analogs, precursors, new psychoactive substances, psychotropic substances, their analogs or potent substances shall be released from crim-

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inal liability stipulated for the crimes defined in this Chapter unless there are elements of another offense in their actions. 2. For the purposes of this Chapter, voluntary turning in shall mean only such actions when a person, before the commencement of investigation declared in writing or through any technical means of communication, about the intention to deliver drugs, their analogs, precursors, new psychoactive substances, psychotropic substances, their analogs or potent substances and actively assists in their seizure. 3. For an act defined in this Article, a legal person shall be punished by liquidation or deprivation of the right to carry out activities and a fine. 4. Paragraphs two and four of this Article shall apply to any quantity of a new psychoactive substance. 5. The aggravating circumstances provided for by paragraphs 3(a), 5(a) and 6(a) of this Article shall not apply to new psychoactive substances. 6. This Article (except for paragraphs 1 and 2 of the note of this Article) shall not apply to narcotic drugs, namely to cannabis plant and Marijuana, defined in the cells 73 and 92 of the list “Narcotic Drugs” provided for in the table of Annex No 2 of the Law of Georgia on Narcotic Drugs, Psychotropic 7. Substances and Precursors, and Narcological Assistance. Law of Georgia No 3530 of July 25 2006 – LHG I, No 37, 07. 08. 2006, Art. 271 Law of Georgia No 5184 of July 3 2007 – LHG I, No 28, 18. 07. 2007, Art. 281 Law of Georgia No 2236 of April 16 2014 – website, 28. 04. 2014 Law of Georgia No 3975 of July 8 2015 – website, 17. 07. 2015 Ruling No 3/1/708,709,710 of the Plenary Session of the Constitutional Court of Georgia of February 26 2016 – website, 15. 03. 2016 Decision No 3/1/855 of the Constitutional Court of Georgia of February 15 2017 – website, 21. 02. 2017 Decision No 1/8/696 of the Constitutional Court of Georgia of July 13 2017 – website, 20. 07. 2017 Law of Georgia No 1221 of July 26 2017 – website, 28. 07. 2017

2007 Article 265 – Illegal sowing, growing or cultivation of plants containing narcotics 1. Illicit sowing, growing or cultivating of the plant containing narcotics, shall be punishable by fine or by imprisonment for up to five years in length. 2. The same action perpetrated: a) in large quantities; b) by prior consent of a group; c) by using one’s official position; d) repeatedly;

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e) by the one who has previously committed one of the offenses referred to in this Chapter of the Code, – shall be punishable by prison sentences ranging from two to seven years in length. 3. The action referred to in Paragraph 1 or 2 of this Article, perpetrated: a) in especially large quantities; b) by an organized group, shall be punishable by prison sentences ranging from five to ten years in length.

2018 Article 265 – Illegal sowing, growing or cultivation of plants containing narcotics 1. Illegal sowing, growing or cultivation of plants containing narcotics, – shall be punished by a fine or imprisonment for a term of two to five years. (The normative content of Section One, which provides for imprisonment as a punishment for illegal sowing or growing of a narcotic drug defined in the horizontal cell 73 of Annex No 2 of the Law of Georgia on Narcotic Drugs, Psychotropic Substances, and Precursors, and Narcological Assistance, name-ly of cannabis (plant), for personal consumption purposes, was declared unconstitutional) – Decision No 1/9/701, 722, 725 of the Constitutional Court of Georgia of July 14 2017 – website, 20. 07. 2017 2. The same act committed: a) in large quantities, – b) by a group of persons with a preliminary agreement; c) using an official position, d) repeatedly; e) by a person who has previously been convicted of committing any of the offenses defined in this Chapter, shall be punished by imprisonment for a term of four to seven years. (The normative content, which provides for imprisonment as a punishment for illegal sowing or growing of a narcotic drug defined in the horizontal cell 73 of Annex No 2 of the Law of Georgia on Narcotic Drugs, Psychotropic Substances, and Precursors, and Narcological Assistance, namely of cannabis (plant) of an amount disputed by the claimant (up to 64 gr.), for personal consumption purposes, was declared unconstitutional) – Decision No 1/9/701, 722, 725 of the Constitutional Court of Georgia of July 14 2017 – website, 20. 07. 2017 (The normative content, which provides for imprisonment as a punishment for illegal sowing, growing or cultivation of a narcotic drug defined in the horizontal cell 73 of Annex No 2 of the Law of Georgia on Narcotic Drugs, Psychotropic Substances, and Precursors, and Narcological Assistance, namely of cannabis (plant) of an amount disputed by the claimant (up to 151 gr.), for personal consumption purposes, was declared unconstitutional)

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– Decision No 1/9/701, 722, 725 of the Constitutional Court of Georgia of July 14 2017 – website, 20. 07. 2017 3. An act defined in paragraph 1 or 2 of this Article that has been committed: a) in particularly large quantities; b) by an organized group; shall be punished by imprisonment for a term of six to twelve years. (The normative content, which provides for imprisonment for a term of “six to twelve years” as a punishment for illegal sowing or growing of a narcotic drug defined in the horizontal cell 73 of Annex No 2 of the Law of Georgia on Narcotic Drugs, Psychotropic Substances, and Precursors, and Narcological Assistance, namely of cannabis (plant) of an amount disputed by the claimant (up to 266 gr.), for personal consumption purposes, was declared unconstitutional) – Decision No 1/9/701, 722, 725 of the Constitutional Court of Georgia of July 14 2017 – website, 20. 07. 2017 Note: For the commission of an act under this Article, a legal person shall be punished by a fine, deprivation of the right to carry out activities or by liquidation and a fine. Law of Georgia No 2937 of April 28 2006 – LHG I, No 14, 15. 5. 2006, Art. 90 Law of Georgia No 3530 of July 25 2006 – LHG I, No 37, 7. 8. 2006, Art. 271 Law of Georgia No 5184 of July 3 2007 – LHG I, No 28, 18. 7. 2007, Art. 281

2007 Article 273 – Illegal Preparation Purchase, Keeping of Small Quantities of Narcotics, Its Analogy or Precursor for Personal Use or Their Use without Doctor’s Prescription Illegal preparation purchase, keeping of small quantities of narcotics, its analogy or precursor for personal use or their use without doctor’s prescription, perpetrated after awarding an administrative sentence for such practice, – shall be punishable by fine or by socially useful labor from one hundred and twenty to one hundred and eighty hours in length, or by jail time up to three months or by imprisonment for the term not in excess of one year.

2018 Article 273 – Illegal Production, Purchase, Storage, Carrying, Transfer and/or Illegal Consumption without Medical Prescription of a Narcotic Drug, it is Analog or a Precursor in Small Quantity Illegal production, purchase, storage, carrying, transfer or illegal consumption without medical prescription of a narcotic drug, it is analog or a precursor in small quantity, committed by a person who was subjected to an administrative penalty for committing an administrative offense

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under Article 45 of the Administrative Offences Code of Georgia, or who was convicted for this crime, – shall be punished by a fine or community service from 120 to 180 hours or by imprisonment for up to one year. (The normative content of the words of Article 273 “illegal consumption without medical prescription”, which provides for criminal liability for the consumption of Marijuana, a narcotic drug defined in the horizontal cell 92 of Annex No 2 of the Law of Georgia on Narcotic Drugs, Psychotropic Substances and Precursors, and Narcological Assistance, was declared invalidated) – Decision No 1/13/732 of the Constitutional Court of Georgia of November 30 2017 – website, 04. 12. 2017 Note: The fine under this Article shall not be less than twice the amount of the fine defined by the respective Article of the Administrative Offences Code of Georgia for the commission of the respective act. Law of Georgia No 2937 of April 28 2006 – LHG I, No 14, 15. 05. 2006, Art. 90 Law of Georgia No 5184 of July 3 2007 – LHG I, No 28, 18. 07. 2007, Art. 281 Ruling No 3/2/771, 775, 776, 777, 786, 787, 788 of the Plenary Session of the Constitutional Court of Georgia of September 29 2016 – website 11. 10. 2016 Ruling No 1/16/770 of the Plenary Session of the Constitutional Court of Georgia of December 22 2016 – website 27. 12. 2016 Law of Georgia No 1221 of July 26 2017 – website, 28. 07. 2017 – Decision No 1/13/732 of the Constitutional Court of Georgia of November 30 2017 – website, 04. 12. 2017

Article 273.1 – Illegal purchase, storage, carrying, transfer and/or sale25 1.

Illegal purchase, storage, carrying, transfer and/or sale in small quantities of the cannabis plant, or of Marijuana committed by a person who was subjected to an administrative penalty for committing an administrative offense under Article 451(1) of the Administrative Offences Code of Georgia, or who was convicted for this crime, – shall be punished by a fine or community service for a term of 100 to 160 hours.

2.

Illegal purchase, storage, carrying or transfer of the cannabis plant or Marijuana, – shall be punished by a fine or community service for a term of 160 to 220 hours.

3.

An act under paragraph 2 of this Article committed: a) by a group of persons with prior agreement; b) repeatedly; c) by a person who has previously committed any crime under this Chapter, – shall be punished by a fine and/or community service for a term of 220 to 300 hours. 25

show.

https://www.legislationline.org/documents/section/criminal-codes/country/29/Georgia/

948 4.

Georgi Glonti An act under paragraph 2 of this Article committed in large quantities, – shall be punished by a fine and/or community service for a term of 300 to 400 hours, or by imprisonment for a term of up to two years.

5.

An act under paragraph 4 of this Article committed: – by a group of persons with prior agreement; – repeatedly; – by a person who has previously committed any crime under this Chapter, – shall be punished by a fine and/or community service for a term of 400 to 500 hours, or by imprisonment for a term of up to three years.

6.

An act under paragraph 2 of this Article committed in particularly large quantities, – shall be punished by imprisonment for a term of two to six years.

7.

An act under paragraph 6 of this Article committed: a) by a group of persons with prior agreement; b) repeatedly; c) by a person who has previously committed any crime under this Chapter, – shall be punished by imprisonment for a term of three to seven years.

8.

Illegal sale of the cannabis plant or Marijuana, – shall be punished by imprisonment for a term of three to eight years.

9.

An act under paragraph 8 of this Article committed: a) in large quantities; b) by a group of persons with prior agreement; c) with the use of the official position; d) repeatedly; e) by a person who has previously committed any crime under this Chapter, – shall be punished by imprisonment for a term of four to nine years.

10. An act under paragraph 8 of this Article committed: a) in particularly large quantities; b) by an organized group of persons, – shall be punished by imprisonment for a term of five to ten years. Note: 1. The fine under paragraph 1 of this Article shall not be less than triple the amount of the fine defined by the respective Article of the Administrative Offences Code of Georgia for the commission of the respective act. 2. The fine under paragraph 2 of this Article shall not be less than four times the amount of the fine defined by the respective Article of the Administrative Offences Code of Georgia for the commission of the respective act.

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3. The fine under paragraph 3 of this Article shall not be less than five times the amount of the fine defined by the respective Article of the Administrative Offences Code of Georgia for the commission of the respective act. 4. The fine under paragraph 4 of this Article shall not be less than six times the amount of the fine defined by the respective Article of the Administrative Offences Code of Georgia for the commission of the respective act. 5. The fine under paragraph 5 of this Article shall not be less than seven times the amount of the fine defined by the respective Article of the Administrative Offences Code of Georgia for the commission of the respective act. 6. For the commission of an act under paragraphs 2 – 10 of this Article, a legal person shall be punished by liquidation, or by deprivation of the right to carry out activities and a fine. Law of Georgia No 1221 of July 26 2017 – website, 28. 07. 2017 Ruling No 1/2/1282 of the Constitutional Court of Georgia of April 27 2018 – website, 03. 05. 2018 Law of Georgia No 3775 of November 30 2018 – website, 20. 12. 2018

V. Jugendkriminalität und Jugendkriminalrecht – Youth Crime and Juvenile Justice

Rückgang der Kriminalität junger Menschen im Kontext des Wandels der Jugendphase Von Thomas Naplava

1. Einleitung Die wissenschaftliche und gesellschaftliche Auseinandersetzung mit Jugendkriminalität in Deutschland war über viele Jahrzehnte hinweg vor allem von dem Befund eines mehr oder weniger kontinuierlichen Anstiegs der registrierten Straftaten junger Menschen geprägt. Der traditionell überwiegend besorgte Blick der Erwachsenen auf die jeweils heranwachsende Generation fand in der Zunahme der von jungen Menschen begangenen Straftaten immer neue Bestätigung, wodurch eine problemorientierte Betrachtung der Jugendkriminalität bestärkt wurde. Auch wenn Zweifel an der Annahme eines realen Kriminalitätsanstiegs geäußert wurden (Cremer-Schäfer 2011; Estrada 2001), war es für die Wahrnehmung und Bewertung der Kriminalität junger Menschen wie bei anderen sozialen Problemen in der Regel auch letztlich unerheblich, inwieweit diese Entwicklungstendenzen auf tatsächlichen Veränderungen des Handelns junger Menschen oder auf veränderten gesellschaftlichen Wahrnehmungs- und Reaktionsprozessen beruhten. Die Forschung zur Jugendkriminalität sowie die repressiv und präventiv ausgerichtete Kriminalpolitik erhielten unabhängig von dieser Frage fortlaufend neue Impulse und Rechtfertigungen, galt es doch, ein stetig wachsendes soziales Problem zu verstehen und darauf aufbauend Lösungen zu entwickeln. Dabei hat sich die Annahme weitgehend durchgesetzt, dass Jugendliche nicht nur Probleme verursachen, sondern diese überwiegend erst aufgrund ungünstiger Lebensumstände entstehen. Steigende Kriminalitätsraten führten daher zu dem (Neben-)Effekt, dass Wissenschaft und Politik auch die Sozialisationsbedingungen junger Menschen stärker in den Blick genommen haben. Dennoch blieb zumindest in der (medialen) Öffentlichkeit der Fokus vor allem auf die jungen Straftäter und ihre Taten gerichtet, ohne dabei die sozialen und gesellschaftlichen Hintergründe gebührend zu berücksichtigen. Rückblickend lässt sich sagen, dass von steigenden Kriminalitätsraten junger Menschen viele gesellschaftliche Akteure jeweils auf ihre Weise profitiert haben: Die Medien konnten über steigende Kriminalitätsraten berichten, die Politik konnte mit Strafverschärfungen und präventiven Maßnahmen Handlungsfähigkeit unter Beweis stellen, die Soziale Arbeit konnte sich im Rahmen erweiterter Handlungsfelder kümmern und die Forschung konnte den gesellschaftlich und politisch nachgefragten Wissensbedarf bedienen.

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Seit einigen Jahren hat sich diese Situation gravierend verändert, ohne dass dies in der Fachöffentlichkeit bislang große Aufmerksamkeit erzeugt hat (Albrecht 2014). Nach der „Hochphase“ der (registrierten) Jugendkriminalität zwischen Ende der 1990er Jahre und Mitte der 2000er Jahre setzte ein kontinuierlicher Rückgang der Kriminalität junger Menschen ein, wobei dieser Trend in einen langfristigen Rückgang der Kriminalität in Westeuropa und darüber hinaus eingebettet ist (Aebi & Linde 2010; Tseloni et al. 2010). Über nahezu alle Delikte hinweg sind die Kriminalitätsraten der Jugendlichen gesunken, teilweise bis auf drei Viertel im Vergleich zum langfristigen Maximum (Albrecht 2014, 2016; Pfeiffer et al. 2018). Dass diese Veränderungen bislang weitgehend unberücksichtigt geblieben sind, dürfte auf mehrere Gründe zurückzuführen sein: Der Leitspruch „only bad news are good news“ gilt nicht nur für Medien, wenn es darum geht, Aufmerksamkeit für ein Thema zu gewinnen. Unter der Bedingung einer tatsächlichen bzw. wahrgenommenen Problemverschärfung ergeben sich aussichtsreichere Möglichkeiten der Begründung und Finanzierung von problemorientierter Forschung sowie von Präventionsbemühungen. Aus Sicht der Forschenden ist zudem in Rechnung zu stellen, dass Themen, die mit einem zunehmenden gesellschaftlichen Problembewusstsein bedacht werden, ein deutlich größeres Reputationspotential versprechen. Ein als stagnierend oder gar als schwindend wahrgenommenes Problem hingegen erzeugt weniger Aufmerksamkeit und steht zudem in größerer Konkurrenz zu anderen Themen. Mit Blick auf die jüngere Entwicklung der Jugendkriminalität dürfte daher eine Beschäftigung mit diesem sozialen Problem im Angesicht der Thematisierung von Terrorismus und politischem Extremismus schwieriger zu platzieren sein. Schließlich war die Auseinandersetzung mit Jugendkriminalität seit den 1990er Jahren in besonderer Weise von Gewaltdelikten geprägt (Albrecht 1998; 2010). Da sich deren Rückgang im Vergleich zu anderen Delikten allerdings erst zeitverzögert vollzogen hat und sich im Zuge der gesellschaftlichen Sensibilisierung gegenüber Gewalt der Blick auf immer weitere Phänomene wie häusliche Gewalt, Gewalt in der Erziehung, Gewalt gegen Polizeibeamte, Amoktaten, Terror und extremistische Gewalt erweitert hat, sind andere Delikte und ihre Entwicklung insgesamt eher unberücksichtigt geblieben. Vor diesem Hintergrund wird zunächst der Rückgang der Jugendkriminalität in Deutschland in Kürze beleuchtet, um anschließend Antworten zur Frage nach Ursachen des Rückgangs im Kontext einer sich verändernden Jugendphase zu erörtern. Ausgangspunkt dabei ist, dass eine Vielzahl an sozialen Indikatoren zu den Sozialisationsbedingungen und zur Lebenswelt der Jugendlichen herangezogen werden können, die in Verbindung mit theoretischen Ansätzen zur Erklärung abweichenden Verhaltens einen Beitrag zum Verständnis des Rückgangs der Jugendkriminalität leisten können. Diese Befunde werden abschließend mit den dem Wandel der Jugendphase zugrunde liegenden gesellschaftlichen Rahmenbedingungen in Zusammenhang gesetzt und diskutiert.

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2. Rückgang der Jugendkriminalität Die Verbreitung und Entwicklung der Jugendkriminalität kann u. a. auf der Grundlage von Angaben zu polizeilichen Registrierungen der 14- bis unter 18-jährigen Tatverdächtigen abgelesen werden. Neben den jährlichen Häufigkeitsangaben zu den Tatverdächtigen in der Polizeilichen Kriminalstatistik kann zudem die sog. Tatverdächtigenbelastungsziffer (TVBZ) als ein Maß der Kriminalitätsrate berechnet werden, die die Relation der Häufigkeitsangaben zu den betreffenden Bevölkerungszahlen widergibt und damit die Kriminalitätsbelastung der jugendlichen Tatverdächtigen abbildet. Dies ist allerdings nur für Jugendliche mit deutscher Staatsangehörigkeit möglich, da nicht alle Tatverdächtigen ohne deutsche Staatsangehörigkeit in den Bevölkerungsstatistiken enthalten sind. Zudem ist zu berücksichtigen, dass Angaben zu den Tatverdächtigen für Gesamtdeutschland erst ab 1993 vorliegen und erst ab 2009 eine über alle Bundesländer hinweg korrigierte Zählung der Tatverdächtigen eingeführt wurde, so dass die Angaben vor diesem Jahr mit denen danach streng genommen nicht vergleichbar sind (Bundeskriminalamt 2019).1 Im Folgenden werden nur die zentralen Veränderungen erläutert, da an anderer Stelle der Rückgang der Jugendkriminalität ausführlich dokumentiert ist (Albrecht 2014; 2016; Pfeiffer et al. 2018). Die Kriminalitätsbelastung deutscher Jugendlicher über alle Delikte hinweg erreichte im Jahr 1998 nach einem kontinuierlichen langfristigen Anstieg in den Vorjahren einen Höhepunkt, um bis zum Jahr 2008 bei geringen jährlichen Schwankungen zu stagnieren (Abbildung 1). Von 2009 an bis 2016 sank die Kriminalitätsrate um fast zwei Fünftel auf einen Wert, der leicht unter dem Wert des Jahres 1993 lag. Die Kriminalitätsraten der männlichen und weiblichen Jugendlichen verliefen jeweils nach dem gleichen Muster, allerdings fällt der Abschwung der Kriminalitätsbelastung der männlichen Jugendlichen mit fast zwei Fünftel größer aus als der Rückgang der weiblichen Jugendlichen mit etwa einem Drittel. In den letzten beiden Jahren ist die Kriminalitätsrate der Jugendlichen wieder leicht angestiegen, wobei der Anstieg der Rate der männlichen Jugendlichen etwas größer ausfällt als die der weiblichen.

1 Korrigiert wurde die Zählweise der in unterschiedlichen Bundesländern mehrfach registrierten Tatverdächtigen zu einer „echten“ Zählung, bei der die Tatverdächtigen (je Delikt) nur einmal ausgewiesen werden.

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Quellen: Zeitreihen der Polizeilichen Kriminalstatistik des Bundeskriminalamtes (www.bka.de), Genesis-Online Datenbank des Statistischen Bundesamtes (www-genesis.destatis.de), eigene Berechnung.

Abbildung 1: Entwicklung der TVBZ deutscher Jugendlicher über alle Delikte nach Geschlecht

Die Entwicklungen der Kriminalitätsraten der deutschen Jugendlichen seit 1993 getrennt nach ausgewählten Delikten sind in den Abbildungen 2 bis 4 dargestellt. Mit Blick auf die Gewaltdelikte in Abbildung 2 zeigt sich, dass die Raten zu Raubstraftaten seit dem Maximum der TVBZ von 286,0 im Jahr 1997 bis zum Jahr 2016 einen Rückgang auf einen Wert von 121,3 aufweisen, dies entspricht einer Reduktion über einen Zeitraum von zwanzig Jahren um fast 60 Prozent. Zeitverzögert sind die Raten zu Körperverletzungen seit dem Maximum der TVBZ von 1.793,5 im Jahr 2008 ebenfalls bis 2015 auf eine TVBZ von 968,6 um etwa zwei Fünftel gesunken.2 Zudem zeigt sich, dass die Raten zu Raubstraftaten und Körperverletzungen in den letzten Jahren stagnieren bzw. wieder leicht ansteigen. Abweichend davon ist zu erkennen, dass die Kriminalitätsraten zu Sexualstraftaten über den gesamten Zeitraum bis auf wenige Ausnahmen kontinuierlich angestiegen sind.

2 Die Prozentangabe bezieht sich auf den Zeitraum von 2009 bis 2018, da die Ziffern zwischen 2008 und 2009 einen deutlichen Sprung verzeichnen, der u. U. auch aufgrund der korrigierten Zählweise aufgetreten sein kann.

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Quellen: Zeitreihen der Polizeilichen Kriminalstatistik des Bundeskriminalamtes (www.bka.de), Genesis-Online Datenbank des Statistischen Bundesamtes (www-genesis.destatis.de), eigene Berechnung.

Abbildung 2: Entwicklung der TVBZ deutscher Jugendlicher nach Gewaltdelikten

Quellen: Zeitreihen der Polizeilichen Kriminalstatistik des Bundeskriminalamtes (www.bka.de), Genesis-Online Datenbank des Statistischen Bundesamtes (www-genesis.destatis.de), eigene Berechnung.

Abbildung 3: Entwicklung der TVBZ deutscher Jugendlicher nach Eigentumsdelikten

Die in Abbildung 3 enthaltenen Kriminalitätsraten zu einfachen und schweren Diebstahlsdelikten lassen jeweils einen massiven Rückgang seit Mitte bzw. Ende der 1990er Jahre erkennen, also ebenfalls seit etwa zwanzig Jahren wie der Rückgang der Raubstraftaten. Die Rate schwerer Diebstahlsdelikte ist ausgehend von einem Maximum der TVBZ von 1.210,4 im Jahr 1995 auf einen Wert von 338,3 im Jahr 2018 gesunken, dies entspricht einem Rückgang von insgesamt 72 Prozent. Etwas zeitverzögert ist auch die Kriminalitätsrate einfacher Diebstahlsdelikte seit dem Ma-

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ximum der TVBZ von 3.314,2 im Jahr 1998 bis 2016 auf einen Wert von 1.280,7 um etwa 60 Prozent gefallen, wobei die Rate in den letzten beiden ausgewiesenen Jahren wiederum leicht angestiegen ist. Wie in Abbildung 4 zu erkennen ist, ist die Kriminalitätsrate zu Sachbeschädigungen ebenfalls seit 2009 rückläufig. Nach dem Maximum der TVBZ von 1.443,7 im Jahr 2008 ist die Rate bis zum Jahr 2018 auf einen Wert von 641,5 um etwas über 50 Prozent gesunken.3 Einen etwas anderen Verlauf weisen die Kriminalitätsraten zu Rauschgiftdelikten auf, da diese einerseits zwischen 2004 und 2007 deutlich eingebrochen und nach einer Phase der Stagnation seit 2012 wieder deutlich angestiegen sind. Der Rückgang Mitte der 2000er Jahre betrug etwas unter 50 Prozent, der jüngere Anstieg seit den 2010er Jahren liegt etwas über 50 Prozent.

Quellen: Zeitreihen der Polizeilichen Kriminalstatistik des Bundeskriminalamtes (www.bka.de), Genesis-Online Datenbank des Statistischen Bundesamtes (www-genesis.destatis.de), eigene Berechnung.

Abbildung 4: Entwicklung der TVBZ deutscher Jugendlicher nach Rauschgiftdelikten und Sachbeschädigungen

Der massive Rückgang der Kriminalitätsraten junger Menschen in den letzten zehn bis zwanzig Jahren kehrt die zeitlich davor liegenden langfristigen Anstiege je nach Delikt (mit Ausnahme der Entwicklung der Rauschgiftdelikte und Sexualstraftaten) zum Teil vollständig um. Mit Blick auf die zeitliche Reihenfolge der Entwicklungen ist zu erkennen, dass zunächst die Kriminalitätsraten der Eigentumsdelikte gesunken sind, gefolgt von den Raten der Rauschgiftdelikte und zuletzt den der Körperverletzungen und Sachbeschädigungen. Diese Entwicklungen spiegeln sich auch in den Angaben zu polizeilich registrierten Opfern wider (Albrecht 2014) 3 Auch diese Prozentangabe bezieht sich auf den Zeitraum von 2009 bis 2018, da die Ziffern zwischen 2008 und 2009 einen deutlichen Sprung verzeichnen, der u. U. auch aufgrund der korrigierten Zählweise aufgetreten sein kann.

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und können vor allem auf „den deutlichen Rückgang der Beteiligung junger Männer an schweren Formen der Kriminalität“ (Albrecht 2016, 398) im Hellfeld zurückgeführt werden. Zudem zeigen sich Rückgänge auch bei Kindern (8 bis unter 14-Jährige) und Heranwachsenden (18 bis unter 21-Jährige), wobei der Rückgang der Kriminalitätsrate der Kinder zeitlich vor dem Rückgang der Rate der Jugendlichen und dieser wiederum vor dem der Heranwachsenden eingesetzt hat (Albrecht 2016). Darüber hinaus liegen Hinweise darauf vor, dass auch die Kriminalitätsraten von Jugendlichen ohne deutsche Staatsangehörigkeit einen Rückgang aufweisen, der sogar den der deutschen Jugendlichen übertrifft (Walburg 2016), und dass sich parallele Veränderungen auch im Dunkelfeld der von Jugendlichen berichteten Delinquenz zeigen (Pfeiffer et al. 2018), so dass die Entwicklungen im Hellfeld nicht ausschließlich auf veränderte Registrierungsprozesse zurückgeführt werden können. Da die leichten Anstiege der Kriminalitätsbelastung bei Körperverletzungen und einfachen Diebstahlsdelikten in den letzten Jahren dem allgemeinen Trend widersprechen, muss an dieser Stelle offen bleiben, worauf dies zurückzuführen ist. Möglicherweise stehen diese leichten Anstiege im Zusammenhang mit den jüngsten Zuwanderungsprozessen und damit einhergehenden Registrierungsprozessen (Glaubitz & Bliesener 2019). Der langfristige Anstieg der Sexualstraftaten im Hellfeld wiederum dürfte Folge diverser Gesetzesänderungen, der Sensibilisierung gegenüber Kindesmissbrauch und der gesellschaftlichen Diskussion um sexuelle Opfererfahrungen sein, Entwicklungen, die sich offenbar auch auf die Jugendlichen und deren Wahrnehmung auswirken (Hoffmann 2014).

3. Wandel der Jugendphase und Jugendkriminalität Die Analyse der Entstehung und Entwicklung der Jugendkriminalität kann sich einer großen Vielzahl an theoretischen Ansätzen bedienen, die neben sog. klassischen auch neuere (Albrecht 2003) und neueste Theorien wie die situationale Handlungstheorie von Wikström (2006) umfassen. Mit Blick auf den Rückgang der Jugendkriminalität in Deutschland wurden u. a. die Bedeutung des demographischen Wandels, der wirtschaftlichen und sozioökonomischen Entwicklung, der Entwicklung der Drogenmärkte und des Drogenkonsums, der sicherheitspolitischen und an der Prävention ausgerichteten Entwicklungen sowie der Veränderungen in Bildung, Erziehung und Freizeitverhalten thematisiert. Dabei zeichnen sich Hinweise darauf ab, dass der Rückgang der Jugendkriminalität mit verbesserten ökonomischen Lebensverhältnissen und damit einhergehend günstigeren Rahmenbedingungen in Schule, Familie und Freizeit in gewissem Zusammenhang stehen (Albrecht 2003; 2014; Pfeiffer et al. 2018). Was diesen Analysen bislang fehlt, ist eine theoretisch begründete und darauf aufbauend eine empirisch gestützte gemeinsame Betrachtung der Entwicklung der Kriminalitätsbelastung, langfristiger Veränderungen der Strukturen der (informellen) Sozialkontrolle sowie von Verhaltensmustern und Freizeitaktivitäten junger Menschen im Kontext des Wandels von Jugend und Jugendkulturen

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in der Gesellschaft (Albrecht 2014; 2016). Vor diesem Hintergrund werden zunächst ausgewählte Indikatoren zum Wandel der Sozialisationsbedingungen der Jugendphase vorgestellt und deren Relevanz für die Erklärung von Jugendkriminalität in Verbindung mit kriminalsoziologischen Ansätzen erörtert. Abschließend werden diese Überlegungen mit allgemeinen Veränderungen der Jugendphase auf der Grundlage gesellschaftstheoretischer Diagnosen in Beziehung gesetzt. Der Begriff der Sozialisation umfasst zum einen die Vergesellschaftung des Individuums, also den Prozess, bei dem Individuen Mitglied einer Gesellschaft werden, indem sie u. a. Werte, Normen, (Rollen-)Erwartungen und Handlungsmuster erlernen und internalisieren, d. h. in ihr Selbstbild übernehmen. Zum anderen meint Sozialisation den Prozess der Individuation, bei dem Individuen das Selbstverständnis einer eigenverantwortlich handelnden Persönlichkeit entwickeln. In Anlehnung an Mead (1993) setzt sich die Persönlichkeit aus dem Verhältnis zwischen den inneren Antrieben (das sog. „I“), den gesellschaftlichen Zuschreibungen (das sog. „Me“) und dem Selbstbild bzw. der Identität (das sog. „Self“) zusammen. Sozialisation findet demnach in einem wechselseitigen Prozess zwischen Gesellschaft und Individuum statt. Die Persönlichkeitsentwicklung vollzieht sich dabei im Rahmen einer aktiven und wechselseitigen Auseinandersetzung der eigenen Person mit der sozialen Umwelt. So, wie die „äußere Realität“ die Personwerdung beeinflusst, so wirkt sich die „innere Realität“ auf die individuelle Verarbeitung und Auseinandersetzung mit der sozialen Umwelt aus (Hurrelmann & Bauer 2015). Aus sozialisationstheoretischer Perspektive werden in modernen Gesellschaften den Lebensbereichen Familie, Bildung sowie Freizeit, Freunde und Konsum für die Persönlichkeitsentwicklung im Jugendalter die größte Bedeutung beigemessen. Allgemein ist für die Jugendphase charakteristisch, dass sich Jugendliche in Bezug auf ihr Selbstverständnis und ihre biographische Orientierung sukzessive von den Eltern und der Familie lösen und dafür stärker an Gleichaltrigen sowie an allgemeinen gesellschaftlichen Erwartungen, Anforderungen und Möglichkeiten ausrichten, und dass dabei die familiären Bindungen im Allgemeinen weiterhin eine gewisse prägende Funktion behalten (Hurrelmann & Bauer 2015; Hurrelmann & Quenzel 2016). Vor diesem Hintergrund ergibt sich die Perspektive, dass die Entstehung von Jugendkriminalität in die Lebensverhältnisse der Jugendlichen eingebettet ist und daher gewisse Zusammenhänge zwischen zeitlichen Veränderungen der Sozialisationsbedingungen einerseits und der Kriminalitätsbelastung junger Menschen andererseits bestehen. 3.1 Familie Hinsichtlich der Familie als primäre Sozialisationsinstanz, in der sich die Grundlagen der Persönlichkeitsentwicklung der Kinder vollziehen, können für die vergangenen Jahrzehnte insbesondere Veränderungen der Familienformen und der Erwerbstätigkeit der Mütter konstatiert werden (Hurrelmann & Quenzel 2016). Die Fa-

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milienformen haben sich u. a. dahingehend verändert, dass die Scheidungsquoten langfristig bis zum Jahr 2004 angestiegen sind, in den Folgejahren allerdings einen rückläufigen Trend aufweisen (Abbildung 5). Der Anstieg der Ehescheidungen deutet darauf hin, dass die Ehe (und Familie) als Institution an gesellschaftlicher Bindungskraft verloren hat, wobei der Rückgang der Ehescheidungen bei leicht ansteigender Heiratsneigung seit 2000 eine Stabilisierung der Ehen (und Familien) anzeigt. Da die Entscheidung zur Heirat anders als zu früheren Zeiten weniger durch gesellschaftliche und familiäre Erwartungen und Zwänge beeinflusst wird, kann vermutet werden, dass der Entschluss, zu heiraten, individuell und bewusst getroffen wird und sich dies positiv auf die Stabilität der Ehe auswirkt. In Verbindung mit dieser Entwicklung ist der Anteil der Alleinerziehenden von 14 Prozent im Jahr 1996 auf 20 Prozent im Jahr 2011 angestiegen und stagniert seitdem bis zum Jahr 2016. Auch wenn weiterhin etwa 70 Prozent aller Jugendlichen mit ihren leiblichen und verheirateten Eltern in einer Familie zusammenleben (Hurrelmann & Quenzel 2016, 143), können beide Entwicklungen als Ausdruck von größeren gesellschaftlich zugestandenen Freiheiten in der individuellen Lebensführung und damit einhergehend einer Abschwächung normativer Vorstellungen des familiären Zusammenlebens verstanden werden.

Quellen: Angaben zu Scheidungsziffern vom Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung anhand von Daten des Statistischen Bundesamtes (www.bib.bund.de/Permalink.html?id=10237654), Angaben zu Alleinerziehenden vom Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung anhand von Daten des Mikrozensus des Statistischen Bundesamts (www.bib.bund.de/Permalink.html?id=10308622), Angaben zur Erwerbstätigkeit der Frauen vom Wirtschaftsund Sozialwissenschaftlichen Institut der Hans-Boeckler-Stiftung (www.boeckler.de/53509.htm).

Abbildung 5: Entwicklung der Scheidungsziffern (rechte Achse), des Anteils der Alleinerziehenden und der Erwerbstätigkeit von Frauen (linke Achse)

Neben diesem Wandel der Familienformen hat sich die Erwerbsbeteiligung von Frauen verändert, die vor 2007 bei Werten unter 60 Prozent stagnierte, seit 2007 deutlich angestiegen ist und im Jahr 2017 einen Wert von über 70 Prozent erreichte. Die

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Erwerbstätigenquote von Müttern liegt zwar insgesamt darunter, doch mit dem Alter des jüngsten Kindes steigt die Quote bis auf den Wert aller Frauen.4 Sicherlich kann die höhere Erwerbstätigenquote von Frauen nicht nur als Ausdruck gestiegener Freiheiten interpretiert werden, doch hinsichtlich der Sozialisationsbedingungen für die Kinder und Jugendlichen folgt daraus, dass die Vorstellung einer traditionellen Arbeitsteilung zwischen Müttern und Vätern weiterhin an Bedeutung verliert und die Eltern zunehmend als gleichberechtigte Partner in einem ausgeglichenen Machtgefüge in der Familie gesehen werden können. Den Kindern wird nicht nur die gesellschaftliche Bedeutung von Erwerbsarbeit für die Lebensführung an sich, sondern auch Eigenverantwortlichkeit, Selbstständigkeit und Leistungsorientierung dadurch vermittelt, dass (auch) Mütter in der Erwerbsarbeit eine finanzielle Absicherung in der Gegenwart und im Ruhestand sowie gesellschaftliche Anerkennung anstreben (Bertram & Bertram 2018; Hurrelmann & Quenzel 2016). Auch wenn das elterliche Erziehungsverhalten solche Effekte überdecken kann, signalisieren diese Veränderungen ungeachtet der denkbaren unmittelbaren Folgen für die Sozialisationsbedingungen der Kinder und Jugendlichen die Möglichkeiten und die Bedeutung autonomer Entscheidungen für die eigene biographische Entwicklung. Diese Aspekte sind für die Erklärung des Rückgangs der Jugendkriminalität in Anlehnung an die Individualisierungsthesen von Beck (1986) insoweit von Bedeutung, als sich dadurch den Jugendlichen am Beispiel der Eltern zeigt, welche möglichen Konsequenzen biographische Entscheidungen nach sich ziehen können und dass dabei allgemeingültige gesellschaftliche Vorgaben weitgehend fehlen, weswegen die Risiken der Entscheidungen eigenverantwortlich abgewogen werden müssen. Damit dies im Einklang mit persönlichen Bedürfnissen und Interessen gelingt, ist eine möglichst langfristige Orientierung von biographischen Vorstellungen notwendig, auch wenn bei erweiterten Entscheidungsfreiheiten gewisse Umorientierungen möglich sind. Trotz bzw. aufgrund dieser Freiheiten ist das Risiko hoch, dass Entscheidungen nicht zum erhofften Ziel führen. Dies kann dazu beitragen, ein Bewusstsein für die Verantwortung eigenen Handelns zu entwickeln und die längerfristigen Folgen dabei zu bedenken. Der allgemeinen Kriminalitätstheorie von Gottfredson und Hirschi (1990) zufolge sind dies Bedingungen, unter denen soziale Abweichung unwahrscheinlicher ist. Die von Gottfredson und Hirschi postulierte und in der frühen Kindheit angelegte Persönlichkeitseigenschaft der Selbstkontrolle besteht u. a. gerade darin, die (langfristigen) Folgen eigenen Handelns zu bedenken und daher auf unmittelbare Belohnungen (eher) zu verzichten sowie Risiken abzuwägen bzw. zu meiden. Die Anforderungen der Individualisierung an das Individuum müssen daher nicht zwangsläufig zu den von Heitmeyer et al. (1998) angesprochenen Desintegrationserscheinungen aufgrund der mit den Freiheiten verbundenen Unsicherheiten führen, sondern können auch die von Beck (1986) beschriebenen neuen Kontroll- und Reintegrationsprozesse hervorbringen. 4 Angaben des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts der Hans-BoecklerStiftung (www.wsi.de/genderdatenportal).

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3.2 Bildung Neben der Familie beeinflusst der Besuch von Einrichtungen des Bildungssystems wie Kindertagesstätten und Schulen als Beispiele sekundärer Sozialisationsinstanzen die Persönlichkeitsentwicklung und den Verlauf der Jugendphase sowie die sich daran anschließenden biographischen Entscheidungen. Insbesondere durch den Schulbesuch entwickeln Jugendliche ihre Leistungsorientierung im Rahmen der Qualifizierung für die Berufsausbildung und sie erweitern ihre sozialen Rollen und sozialen Bindungen mit entsprechenden gesellschaftlichen Umgangsformen außerhalb der Familie (Hurrelmann & Bauer 2015). Hinsichtlich der Beteiligung von Jugendlichen im Bildungssystem sind für die vergangenen zwei Jahrzehnte ebenfalls zum Teil gravierende Veränderungen zu beobachten. Zunächst ist festzustellen, dass sich die Verteilung der Schulabschlüsse deutlich verschoben hat (Abbildung 6). Während mittlere Abschlüsse über den beobachteten Zeitraum nahezu unverändert von zwei Fünfteln der Schülerinnen und Schüler erzielt wurden, ist der Anteil der Schülerinnen und Schüler mit Hauptschulabschluss von ausgehend über einem Viertel seit dem Jahr 2005 auf knapp ein Sechstel im Jahr 2017 gesunken. Der Anteil der Schülerinnen und Schüler mit (Fach-)Hochschulreife hingegen lag bis 2004 nahezu konstant bei einem Viertel, um in den Folgejahren auf etwas über ein Drittel deutlich anzusteigen. Der Anteil der Schülerinnen und Schüler, die ohne Abschluss geblieben sind, lag bis zum Jahr 2001 bei etwas unter 10 Prozent, um in den nachfolgenden Jahren auf etwa 5 Prozent zu sinken.

Quelle: Zeitreihen des Statistischen Bundesamtes (www-genesis.destatis.de), eigene Berechnung.

Abbildung 6: Entwicklung der Schulabschlüsse an allgemeinbildenden Schulen (Prozent)

Dieser Trend zu höheren Schulabschlüssen impliziert zunächst erweiterte Möglichkeiten der Berufsausbildung und Erwerbstätigkeit der Jugendlichen und damit verbesserte Chancen auf einem Arbeitsmarkt, der u. a. von steigenden (kognitiven)

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Qualifikationen und wachsender Flexibilität geprägt ist, die als Voraussetzungen für einen sicheren Eintritt in den ersten Arbeitsmarkt den (sozialen) Druck vor allem auf junge Erwerbspersonen verstärken (Luedtke 2014). Höhere Bildungsabschlüsse gehen zudem mit einer optimistischeren Perspektive der Jugendlichen auf die eigene Zukunft und deren Gestaltbarkeit einher (Leven et al. 2019a), auch wenn die damit verbundenen größeren Entscheidungsfreiheiten individuell eine Herausforderung darstellen können. Darüber hinaus ist davon auszugehen, dass mit höherer (schulischer) Bildung auch die Ansprüche bzw. Erwartungen an Beruf und Einkommen steigen, wodurch eine an Leistung und Erwerbsarbeit ausgerichtete biographische Ausrichtung gefördert wird (Leven et al. 2019b). Dass sich solche Aspirationen in Bezug auf die eigene Biographie bereits vor dem Schulabschluss ausbilden können, ist auch daran abzulesen, dass sich die Schülerinnen und Schüler der siebten bis neunten Jahrgangsstufen in den vergangenen zehn Jahren zu etwa 50 Prozent weg von Hauptschulen und zu etwa einem Drittel weg von Realschulen, dafür jeweils etwa doppelt so häufig zu Schulen, die mehrere Bildungsgänge anbieten, sowie zu integrierten Gesamtschulen hin orientieren.5 Diese Entwicklungen können als Hinweis darauf gewertet werden, dass Jugendliche (und ihre Eltern) den biographischen Werdegang frühzeitig zielgerichtet strukturieren und dabei Optimierungsmöglichkeiten zu realisieren suchen. Vor allem der Besuch einer integrierten Gesamtschule als vergleichsweise offene Schulform bietet in diesem Zusammenhang größere Möglichkeiten, den individuell maximal erreichbaren Schulabschluss zu erreichen. Eine weitere Grundlage für diese biographische Ausrichtung der Jugendlichen ist zudem in der gegenüber früheren Zeiten höheren Bildung und beruflichen Qualifikation der Mütter zu sehen, die als Ressourcen zur Förderung kognitiver Kompetenzen der Kinder und Jugendlichen genutzt werden und dadurch auch die elterlichen Erwartungen an die kindliche Leistungsfähigkeit steigern können (Bertram & Bertram 2018). Im Einklang mit diesen Entwicklungen zeigt sich zudem, dass der Anteil der Schülerinnen und Schüler, die ihre Schulzeit in Ganztagsschulen verbringen, in den vergangenen Jahren in allen Schulformen weiterhin angestiegen ist (Sekretariat der Ständigen Konferenz der Kultusminister der Länder in der Bundesrepublik Deutschland 2018). Dies dürfte zum einen den Veränderungen der Organisation des familiären Zusammenlebens wie der häufigeren Erwerbstätigkeit der Mütter geschuldet sein, zum anderen kann dies auch als ein Ausdruck einer stärkeren Ausrichtung der Lebensführung im Jugendalter am Bildungssystem und der damit verbundenen Leistungsorientierung interpretiert werden. Dies wird unterstützt durch die massiv angestiegene Nutzung bezahlter Nachhilfeangebote 17-jähriger Schülerinnen und Schüler, deren Quote in den Jahren 2000 bis 2003 noch bei 27 Prozent lag und in den Jahren 2009 bis 2013 einen Wert von fast 50 Prozent erreichte (Hille et al. 2016). In diesen Zusammenhang kann auch die gestiegene Nutzung von Privatschulen gestellt werden, die gegenwärtig in Deutschland bei etwa 9 Prozent aller Schülerinnen und Schüler liegt (Görlitz et al. 2018). Je nach Finanzierungsart einer Privatschule 5 Angaben der Kultusministerkonferenz (www.kmk.org/fileadmin/Dateien/pdf/Statistik/ Dokumentationen/SKL_Teil_B.1_Schueler_allg_2017.xlsx).

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sind zwar die Möglichkeiten des Besuchs vom Wohlstand der Familienhaushalte abhängig, doch verweisen diese Entwicklungen insgesamt auf die steigende Bedeutung einer Investition in die Bildung der Kinder und Jugendlichen und können daher als weiterer Indikator für die zielgerichtete Optimierung der Bildungs- und späteren Berufskarriere gedeutet werden. Schließlich verweisen die Anstiege der monatlichen Ausgaben privater Familienhaushalte insbesondere für den Besuch der unter dreijährigen Kinder in Kindertageseinrichtungen darauf, dass neben der berufsbedingten außerfamiliären Betreuungsnotwendigkeit von jungen Kindern auch die frühkindliche Ausrichtung der Sozialisation an Bildungseinrichtungen im Sinne einer Investition in die Zukunft zur gesellschaftlichen Normalität wird (Schmitz et al. 2017). Diese Veränderungen im Bildungsbereich der Jugendlichen können ebenfalls mit dem Rückgang der Jugendkriminalität in Zusammenhang gestellt werden, da zahlreiche Studien zur Jugenddelinquenz enge Korrelationen zwischen der besuchten Schulform und der Delinquenzbelastung nachgewiesen haben. Höhere Bildungsaspirationen und schulische Erfolge gehen mit geringerer Delinquenzbelastung Jugendlicher auf der Grundlage von Selbstberichten einher (u. a. Oberwittler et al. 2014). Die höheren Schulabschlüsse und die biographisch frühe Ausrichtung an Aspekten wie Qualifikation und Leistung können als Investitionen in die (berufliche) Zukunft auch im Sinne der Kontrolltheorie von Hirschi (1969) mit dem Rückgang der Jugendkriminalität in Zusammenhang gestellt werden. Der Kontrolltheorie folgend werden Individuen von Normabweichungen aufgrund ihrer sozialen Bindungen zu anderen, zu sozialen Gruppen und zu gesellschaftlichen Institutionen abgehalten, da Normverletzungen den Verlust der sozialen Bindungen bedeuten können. Die engere Bindung der Jugendlichen an Bildungsinstitutionen (attachment) und die stärkere Übernahme von Verpflichtungen gegenüber diesen (commitment) rechnen sich als Investitionen in die eigene Biographie nur, wenn sie nicht durch mögliche gesellschaftliche Sanktionen als Folge einer Normabweichung einem hohen Risiko ausgesetzt werden. Dazu zählen zudem Überzeugungen und Wertevorstellungen (belief), die auch in Anlehnung an die Anomietheorie von Merton (1968) als Anerkennung von legitimen Mitteln wie Bildung und Leistung gelten können, um gesellschaftlich anerkannte Ziele wie Beruf, Einkommen und Ansehen zu erreichen. Schließlich sind die Jugendlichen aufgrund der Zeit, die sie in der Schule bzw. mit Aktivitäten zur Qualifikation verbringen, seltener Situationen und sozialen Kontexten ausgesetzt, in denen dem Ansatz der Routine-Activities folgend aufgrund ineffektiver Sozialkontrolle häufiger Straftaten begangen werden (Cohen & Felson 1979). 3.3 Freizeit, Freunde und Konsum Die Lebensbereiche Freizeit, Freunde und Konsum stellen ausgewählte Bereiche der Lebenswelt dar, die mit steigendem Alter in der Jugendphase zunehmend an Bedeutung gewinnen und als sog. tertiäre Sozialisationsinstanzen bezeichnet werden, da sie nicht ausdrücklich auf die Beeinflussung der Persönlichkeitsentwicklung ausgerichtet sind, ihnen aber gleichwohl in Bezug darauf im Zusammenspiel mit Familie

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und Schule große Bedeutung zugesprochen wird (Hurrelmann & Bauer 2015). Hinsichtlich der Lebensbereiche Freizeit, Freunde und Konsum zeigen sich ebenfalls zum Teil deutliche Veränderungen in den vergangenen zwei Jahrzehnten. Obwohl für die Freizeitgestaltung Jugendlicher die Zeit mit Freunden weiterhin dominiert, orientieren sich Jugendliche tendenziell mehr als früher an Unternehmungen mit der Familie und weniger an Aktivitäten mit Freunden und Besuchen von Partys und Discotheken. So ist der Anteil der Jugendlichen zwischen 12 und 19 Jahren, der in der Freizeit täglich oder mehrmals in der Woche etwas mit der Familie unternimmt, von 17 Prozent im Jahr 1998 über 22 Prozent im Jahr 2008 auf 38 Prozent im Jahr 2018 kontinuierlich gestiegen (Medienpädagogischer Forschungsverbund Südwest 2018), eine Entwicklung, die auch die Shell-Jugendstudien aufgedeckt haben (Wolfert & Leven 2019). Diesem Trend steht gegenüber, dass der Anteil der 12bis 19-Jährigen, der sich täglich oder mehrmals in der Woche mit Freunden trifft, von 85 Prozent im Jahr 1998 auf 71 Prozent im Jahr 2018 gesunken ist, wiederum eine Entwicklung, die auch andere Studien belegen (Bohmann & Schupp 2016; Wolfert & Leven 2019). Dieser Rückgang der Freizeitbeschäftigung mit Freunden geht damit einher, dass der Anteil der 12- bis 25-Jährigen, der regelmäßig Clubs oder Partys besucht, von 31 Prozent im Jahr 2002 auf 24 Prozent im Jahr 2019 gefallen ist (Wolfert & Leven 2019). Zudem verbringen Jugendliche darüber hinaus ihre Freizeit häufiger im Kontext von Organisationen wie Sportvereine und Musikschulen (Bohmann & Schupp 2016; Medienpädagogischer Forschungsverbund Südwest 2018; Hille et al. 2013).6 Diese Veränderungen zusammenfassend zeigt sich, dass für das Freizeitverhalten der 17-Jährigen zwischen den Jahren 2001 und 2012 eine stärkere Ausrichtung an bildungsorientierten Freizeitangeboten wie Musik, Ehrenamt und Sport von ausgehend unter 50 Prozent auf über 60 Prozent und demgegenüber eine gewisse Abkehr von einer informellen Freizeitgestaltung wie Fernsehen, Computer spielen, Abhängen und Freunde treffen von ausgehend etwa zwei Dritteln zu 55 Prozent zu beobachten ist (Hille et al. 2013). Die für die Freizeitgestaltung Jugendlicher insgesamt große Bedeutung von Computern, Internet und Formen der Online-Kommunikation werden durch mehrere Quellen angezeigt. Es sind nicht nur nahezu alle Jugendlichen im Alter zwischen 12 und 19 Jahren mit Smartphones ausgestattet (Medienpädagogischer Forschungsverbund Südwest 2018), auch der Anteil der 17-jährigen Jugendlichen, der täglich Computer und das Internet nutzt, ist von etwas unter 30 Prozent in den Jahren 2001 bis 2003 auf etwa 85 Prozent in den Jahren 2012 bis 2014 gestiegen, wobei die Online-Kommunikation mit etwa 80 Prozent gegenüber Computerspielen mit etwa 30 Prozent dominiert (Bohmann & Schupp 2016; Wolfert & Leven 2019). Dies deutet darauf hin, dass Freunde bzw. Gleichaltrige nicht an Bedeutung für die Jugendlichen eingebüßt, sondern sich die Kommunikationsformen in gewissem Um6 Dies belegen auch Zahlen des Deutschen Olympischen Sportbundes (Bestandserhebungen unter www.dosb.de/medien-service/statistiken) und des Verbands deutscher Musikschulen (Angaben des Deutschen Musikinformationszentrums unter www.miz.org/statistiken.html).

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fang auf Messenger-Dienste im Internet verlagert haben und daher häufiger in anderen sozialen Kontexten als früher stattfinden. Diese Veränderungen werden einerseits von einem längerfristigen Rückgang des Alkoholkonsums und andererseits von einem erneuten Anstieg des Cannabiskonsums junger Menschen in den letzten Jahren begleitet (Abbildung 7). Die Jugendlichen im Alter zwischen 12 und 17 Jahren gaben bis 2007 bei gewissen Schwankungen zu etwa 20 Prozent an, Alkohol regelmäßig zu konsumieren. Dieser Anteil ist in den Folgejahren bis 2018 kontinuierlich auf einen Wert von etwas unter 10 Prozent gesunken. Diese Entwicklung steht im Einklang damit, dass Jugendliche weniger Zeit mit Freunden verbringen und seltener Clubs und Partys besuchen (s. o.). Zudem widerspricht diese Entwicklung den durch Medienberichte erzeugten Eindruck einer „immer besoffeneren Jugend“, die durch Alkoholexzesse (sog. Komasaufen) vor allem die eigene Gesundheit gefährdet (Werse 2014). Im Gegensatz dazu hat sich die 12-Monats-Prävalenz des Cannabiskonsums dieser Altersgruppe ausgehend von einem Wert von etwa 5 Prozent im Jahr 1994 auf einen Wert von etwa 10 Prozent im Jahr 2004 verdoppelt, um bis zum Jahr 2010 wieder auf einen Wert von etwa 5 Prozent zu fallen. In den Folgejahren ist der Wert wieder angestiegen und erreichte im Jahr 2018 etwa 8 Prozent. Diese Veränderungen spiegeln sich auch in der Entwicklung der TVBZ Jugendlicher bei Rauschgiftdelikten wider (s. o.).

Quelle: Bundeszentrale für Gesundheitliche Aufklärung (2019a, 2019b), angegeben sind Anteile des regelmäßigen Alkoholkonsums und die 12-Monats-Prävalenz des Cannabiskonsums.

Abbildung 7: Entwicklung des Alkohol- und Cannabiskonsums der 12- bis 17-Jährigen (Prozent)

Auch die Bedeutung des Freizeitverhaltens für delinquentes Handeln wurde in vielen empirischen Studien aufgezeigt (u. a. Oberwittler et al. 2001), so dass es nicht überraschend ist, dass der Rückgang der Jugendkriminalität mit Veränderungen des Freizeitverhaltens Jugendlicher einhergeht. Dabei ist die stärkere Orientierung der Jugendlichen an Familie und geregelten Aktivitäten in formalen Organisationen

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von Bedeutung, ein Trend, der im Einklang mit der bereits beschriebenen stärkeren biographischen Orientierung an (schulischer) Qualifikation und Leistung steht. Beide Entwicklungen können als Ausdruck einer stärkeren Bindung der Jugendlichen an konventionelle Wertevorstellungen der Gesellschaft im Sinne der Kontrolltheorie von Hirschi (1969) verstanden werden. Der Rückgang der Jugendkriminalität dürfte zudem dadurch beeinflusst worden sein, dass die Jugendlichen in größerem Umfang als in den Jahrzehnten zuvor den besonderen Formen informeller Sozialkontrolle im familiären und schulischen Kontext ausgesetzt sind. Die gewisse Abwendung der Jugendlichen von Freizeitaktivitäten wie Freunde treffen und (abends) ausgehen in Verbindung mit seltenerem Alkoholkonsum kann ebenfalls mit sinkenden Delinquenzraten der Jugendlichen in Zusammenhang gebracht werden, denn damit sind gerade diejenigen Freizeitaktivitäten seltener geworden, die in Anlehnung an den Routine-Activity-Ansatz (Cohen & Felson 1979) typischerweise in sozialen Kontexten mit vergleichsweise geringer Sozialkontrolle und vielfältigen Gelegenheiten zu Normabweichungen stattfinden. Diese Muster des Freizeitverhaltens der Jugendlichen reduzieren schließlich auch die Wahrscheinlichkeit von Kontakten zu anderen delinquenten Jugendlichen und delinquenten Cliquen, deren Bedeutung für den Entstehungszusammenhang von Jugenddelinquenz nicht nur von der Lerntheorie (Akers 1973) postuliert, sondern auch empirisch als belegt gelten kann (u. a. Oberwittler et al. 2001). Inwieweit der jüngere Anstieg des Cannabiskonsums mit Jugenddelinquenz in Beziehung steht, ist bei dem aktuellen Forschungsstand unklar (Baier et al. 2016; Rocca et al. 2019; Lu et al. 2019; Tcherni et al. 2016).

4. Jugendliche Sozialisation im gesellschaftlichen Wandel Der Rückgang der Jugendkriminalität geht einher mit äußeren bzw. strukturellen Veränderungen der Jugendphase hinsichtlich Familie, Bildung und Freizeit sowie inneren Haltungen wie Leistung, Qualifikation und biographisch früher Eigenverantwortung, die wiederum mit den Sozialisationsbedingungen in Familie, Bildung und Freizeit in Beziehung stehen. Um aus sozialisationstheoretischer Perspektive die diesen Entwicklungen zugrundeliegenden makrostrukturellen Veränderungen nachzuspüren, sind nach Albrecht (2016) Kohorteneffekte derjenigen Jugendlichen aufzudecken, die in den 1990er Jahren als Kinder aufgewachsen sind. Dabei sind Aspekte des gesellschaftlichen Wandels sowie zeitgeschichtliche Ereignisse zu analysieren, aus denen heraus die aufgezeigten Veränderungen der Jugendphase entstanden sein können. Als Annäherung an solche Hintergründe kann zum einen auf die bereits angeführten Auswirkungen der Individualisierungsprozesse verwiesen werden, die das Modell einer Normalbiographie auf der Grundlage tradierter Festlegungen infrage gestellt haben, so dass eine Entgrenzung der Jugendphase aufgrund individueller biographischer Verläufe und Übergänge zu konstatieren ist. Daraus resultiert die Notwendigkeit zu individuellen Entscheidungen in Verbindung mit hoher Eigenverantwortung für die eigene Biographie, die es zu optimieren gilt. Der dadurch entstande-

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ne Qualifizierungsdruck kann als Antwort auf den Vertrauensverlust in die Zukunft und deren Gestaltbarkeit interpretiert werden (Scherr 2018). In dieses Bild fügt sich die Beobachtung der Shell-Jugendstudien ein, dass die Jugendlichen einerseits hinsichtlich (Aus-)Bildung, Beruf und sozialer Ungleichheit in der Gesellschaft ein ausgeprägtes Sicherheitsbedürfnis entwickelt haben, und andererseits vor dem Hintergrund der potentiell zur Verfügung stehenden vielfältigen Optionen mit einem pragmatischen Blick in die Zukunft sehen (Shell Deutschland Holding 2019). Eine weitere Annäherung ergibt sich aus der Überlegung, dass sich nach dem Fall des Eisernen Vorhangs und der damit einhergehenden politischen Entspannung seit den 1990er Jahren der Neoliberalismus als ein nachhaltiger Motor der Globalisierung durchgesetzt hat, wodurch insbesondere aufgrund der Liberalisierung der weltweiten Finanzmärkte die Nationalstaaten und deren Wirtschaftssysteme unter fortdauernden Druck gesetzt worden sind. Folgen davon waren in Deutschland u. a. soziale und ökonomische Unsicherheiten aufgrund des Strukturwandels des Arbeitsmarktes bei steigender Arbeitslosigkeit und beginnendem Rückbau des Sozialstaats. Dies hat zu einer Ökonomisierung gesellschaftlicher Teilbereiche und einem nochmaligen Bedeutungszuwachs der Erwerbsarbeit für die Vergesellschaftung des Individuums geführt. Die Wirkung der ökonomischen Leitkultur ist bis in das familiäre Leben gedrungen, da eine frühzeitige Vermittlung marktrelevanter Persönlichkeitsmerkmale konstatiert werden kann (Lange & Reiter 2018). Zu solchen Merkmalen können z. B. Leistung, Selbstdisziplin, Aufschub von Belohnungen und rationale Risikoabwägung gezählt werden. Kinder werden somit im Familienverband zu Investitionsgütern, so dass sich die Elternschaft am Erfolg der Investitionstätigkeiten bemisst, wodurch eine biografisch vorausschauende Eigenverantwortung und Risikokalkulation des eigenen Verhaltens gefördert wird (Lange & Reiter 2018). Der Rückgang der Jugendkriminalität kann demnach in den Kontext gesellschaftlicher Veränderungen hin zu einer Ökonomisierung des gesellschaftlichen Lebens mit den Folgen einer ausgeprägten Optimierung der eigenen Biographie bei gestiegenen Anforderungen an die individuelle Selbstkontrolle gestellt werden. Diese Entwicklungen lassen sich mit kriminalsoziologischen Ansätzen zur Erklärung von Jugenddelinquenz auf plausible Weise in Beziehung setzen. Im Ergebnis zeigt sich damit, dass diese Überlegungen für eine stärkere Verzahnung von allgemeiner Jugendforschung im Kontext gesellschaftlichen Wandels und der kriminologischen Forschung zur Jugenddelinquenz sprechen. Inwiefern dabei die „gute“ Nachricht des Rückgangs der Jugendkriminalität mit als wünschenswert und als förderlich zu bewertenden Veränderungen der Sozialisationsbedingungen einhergeht, kann nur im gesellschaftlichen Diskurs zur Jugend als Lebensphase ausgehandelt werden. Die beschriebenen Veränderungen der Bedingungen jugendlicher Sozialisation können aber auch kritisch als Herausforderungen für die Identitätsentwicklung gesehen werden, da die gesellschaftlichen Anforderungen an das individuelle marktkonforme „Funktionieren“ gewachsen und somit die Möglichkeiten und gesellschaftlich zugestandenen Freiräume zur Entfaltung und Selbstfindung junger Menschen gesunken sind. Jugenddelinquenz ist dann nicht mehr „normal“, wenn sich das gesellschaftli-

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che Verständnis von Jugend als Schon- und Reifezeit hin zu einer Vorstellung von Jugend als Phase der frühzeitigen und eigenverantwortlichen Qualifizierung und Optimierung verschiebt. Vor diesem Hintergrund könnte der Anstieg des Cannabiskonsums junger Menschen als Versuch gedeutet werden, den individuell erlebten Druck gesellschaftlicher Erwartungen auszugleichen. Literaturverzeichnis Aebi, M.F. & Linde, A. (2010): Is There a Crime Drop in Western Europe? European Journal of Criminal Policy and Research 16, S. 251 – 277. Akers, R.L. (1973): Deviant Behavior. A Social Learning Approach. Belmont. Albrecht, G. (2003): Jugend, Recht und Kriminalität, in: H.-H. Krüger (Hrsg.), Handbuch der Jugendforschung. 3. Aufl. Opladen, S. 743 – 794. Albrecht, H.-J. (1998): Jugend und Gewalt. Monatsschrift für Kriminologie und Strafrechtsreform 81/6, S. 381 – 398. Albrecht, H.-J. (2003): Arbeitslosigkeit: Exklusion aus dem Erwerbsleben und soziale Desintegration, in: J. Raithel & J. Mansel (Hrsg.), Kriminalität und Gewalt im Jugendalter. Hellund Dunkelfeldbefunde im Vergleich. Weinheim, S. 117 – 133. Albrecht, H.-J. (2010): Gewaltkriminalität – Ursachen und Wirkungen, in: D. Dölling, B.-D. Meier, T. Verrel, & B. Götting (Hrsg.), Verbrechen – Strafe – Resozialisierung. Festschrift für Heinz Schöch zum 70. Geburtstag am 20. August 2010. Berlin, S. 31 – 47. Albrecht, H.-J. (2014): „Die Kriminalität sinkt!“ – Warum geht die Jugendkriminalität zurück? Recht der Jugend und des Bildungswesens 62/3, S. 363 – 380. Albrecht, H.-J. (2016): Der Rückgang der Jugendkriminalität setzt sich fort. Recht der Jugend und des Bildungswesens 64/4, S. 395 – 413. Baier, B., Schepker, K. & Bergmann, M.C. (2016): Macht Kiffen friedlich und Saufen aggressiv? Zum kausalen Zusammenhang von Cannabis- und Alkoholkonsum und delinquentem Verhalten. Zeitschrift für Jugendkriminalrecht und Jugendhilfe 27/4, S. 324 – 332. Beck, U. (1986): Risikogesellschaft. Auf dem Weg in eine andere Moderne. Frankfurt a. M. Bertram, B. & Bertram, H. (2018): Familie, elterliches Wohlbefinden und die Zukunft von Kindern, in: K. Böllert (Hrsg.), Kompendium Kinder- und Jugendhilfe. Wiesbaden, S. 1497 – 1532. Bohmann, S. & Schupp, J. (2016): IT und Kommunikationstechnologien dominieren die Freizeit von Jugendlichen. DIW Wochenbericht 83/46, S. 1092 – 1102. Bundeskriminalamt (2019): Polizeiliche Kriminalstatistik Bundesrepublik Deutschland. Geschichtliche Entwicklung. Wiesbaden. Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (2019a): Der Alkoholkonsum Jugendlicher und junger Erwachsener in Deutschland. Ergebnisse des Alkoholsurveys 2018 und Trends. BZgA-Forschungsbericht. Köln.

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Thomas Naplava

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Juvenile Delinquency in Greece An Analysis of Prevention Mechanisms By Effi Lambropoulou D|sir d’ ok_cg te v_kg te1 Ol^qou ‘Od}sseia n4 57

1. Introduction2 This article presents the preliminary results from the Third Round of the International Self-Report Delinquency Study (ISRD3) in Greek schools carried out in April and May of 2016 on 12 – 15 year old students. Three rounds of the ISRD project have presently been carried out and a fourth one will soon begin. The ISRD study consists of a large international network of researchers, coordinated by the ISRD Steering Committee.3 The ISRD has a standard survey instrument (ISRD3 questionnaire) for all countries, and standardized data entry software (EpiData). The target group of the ISRD3 project is children in grades 7 to 9 (12 – 15 years of age). The students are questioned about their experiences as offenders and victims of crime. They are also questioned about their everyday lives and opinions.4 The present article will only focus on the delinquency of juveniles, their family relationships and their views about the police.

1

To Professor H.-J. Albrecht. I am very much obliged to Dr. Dimitris Kalamaras, whose help and advice on this project I was constantly looking for and sincerely appreciate. 3 See https://web.northeastern.edu/isrd/steering-committee/ [17. 02. 2020]. 4 See https://web.northeastern.edu/isrd/summary/ [17. 02. 2020]. 2

976

Effi Lambropoulou

2. Current Study 2.1 Research Questions ISRD3 focuses on the empirical integration of situational action theory, institutional anomie theory and procedural justice theory, as well as theories of social control (social bonding), criminal opportunity and social disorganization.5 The present analysis is based on Travis Hirschi’s theory of control and Tom Tyler’s theory of procedural justice. The following hypotheses are tested: If the self-reported delinquency of the students is low, then it should correlate with close bonds with family members, a high level of parental supervision, feelings of shame or embarrassment in case their illegal act is discovered by them, confidence of the students in the police, and the degree to which students follow the police’s instructions. Dependent variables are self-reported delinquency (lifetime prevalence) and trust in the police. Independent variables are family bonds, parental supervision and feelings of shame that they may have in case of their actions being discovered. 2.2 Theoretical Framework Control theory, contrary to the majority of crime theories, examines why a person obeys the law and not why a person violates it.6 The answer lies in the bonds developed by the person with people, institutions and values. These bonds work protectively so as not to lead to deviant behavior and, according to Hirschi, when these are absent, inadequate or loose, deviance can be the result.7 Overall, social control theory’s major theses have received substantial empirical support. According to sociology professor Barbara J. Costello, “control theory has uncovered several clear facts of delinquency”.8 Delinquent youths have lower levels of attachment to parents and school, lower levels of commitment to conventional goals, especially striving to achieve long-term goals. They also tend to have a low level of belief in the moral validity of laws and norms, they lack a sense of responsibility and shame towards society and disregard social disapproval. Therefore, they are more tolerant of crime and more likely to engage in deviant behavior.9 Procedural justice (or procedural fairness) is the impartiality that is followed in the proceedings of those who have the power to make decisions. Early research, in5 See https://web.northeastern.edu/isrd/ [17. 02. 2020]. For the objectives of ISRD, see Enzmann et al. 2010, 161. 6 Pratt et al. 2011. 7 Hirschi 1969. 8 Costello 2010, 457. 9 Costello 2010, 457.

Juvenile Delinquency in Greece

977

itiated by Thibaut & Walker (1975), found that the perceived fairness of the legal processes involving citizens was directly related to the citizens’ level of respect and cooperation with the authorities.10 Moreover, later research by Tyler and others concludes that when citizens make general evaluations about the legitimacy of power holders (e. g. police officers, judges, probation officers), they are more concerned about procedural fairness, namely how they are treated, than they are about the outcome of the dispute.11 The research interest in procedural justice, particularly with regard to policing, has increased since the mid-1990s, where studies have shown that the police can gain greater acceptance of the legality of their actions and thus, achieve cooperation and citizens’ compliance when dealing with them in procedural fairness.12 Eamon Aloyo has made an interesting distinction between “regulatory” and “empirical” legality. Regulatory legality refers to a set of standards by which an institution or status is evaluated. Empirical legality refers to whether citizens consider a statute or an institution to be legitimate.13

3. Data and Methods 3.1 Data Collection Procedures In the ISRD3 questionnaire self-reported delinquency is measured by 15 offenses. These can be grouped into crimes against property (e. g. shoplifting, burglary) and violent crimes (e. g. group fighting, animal cruelty). The questionnaire asks about committing an illegal act at any time (‘ever’-lifetime prevalence) but also in the last 12 months (previous year prevalence). The (Greek) Educational Policy Institute/IEP, from which our research group14 requested authorization for the study and submitted the questionnaire for approval, did not allow direct questions about students’ drug use and drug dealing, questions about family environment disorder (e. g. physical violence between parents and/or against the child) and questions about their view on police bribery. The questionnaire consists of 11 sections (three parts)15 with subsections and its Greek translation extends to 24 pages. It is admittedly long and the children were pressured to respond within one teaching hour, the time provided to the researchers by the school principals. Questionnaires were completed in the classroom with paper 10

Tyler 2003, 283. Tyler 1990; Bennett et al. 2018. 12 Tyler & Yuen 2002. 13 Aloyo s.d. 14 Olga Matskidou (MA) and Ioanna Horti (MA). 15 See more in Haen Marshall et al. 2013, 13. The questionnaire can be filled in through paper and pencil or electronically. 11

978

Effi Lambropoulou

and pencil, in the presence of one teacher and one or two interviewers.16 All participants had the written permission of their parents (mother or father). 3.2 Sample17 The ISRD3 project uses city sampling and it is recommended that each country targets at least two cities (i. e. a total of 1,800 – 2,000 participants per country). The majority of countries uses city-based samples, but some countries use national surveys. In the research conducted in Greece, students from 12 schools from the city centre as well as the Greater Athens area participated in the survey.18 They represented 2.5% of the public middle schools in the Central, North, East and West Attica Prefecture (N: 475).19 These municipalities, including the city centre, make up a total of 1.5 million inhabitants. From these schools, 1,251 valid questionnaires were collected. The second Greek city used for the study was Komotini, the main city of the Thrace prefecture in Northern Greece (approx. 55,000 inhabitants). Students from four (80%) of the city’s five public middle schools participated, resulting in 668 valid questionnaires. In total, there were 1,919 valid questionnaires: 65.2% from Greater Athens and 34.8% from Komotini. Girls made up 52.1% of the sample, and boys 47.7%. 95.1% of the respondents were born in Greece. For 87.4% of the respondents, their family’s income came from earnings, pension, and property of their parents, 10.2% from unemployment benefits, and, for 2.3% of the respondents, from other sources (e. g. alimony, money from relatives, e. g. support from a grandparents’ pension); 4.7% of the sample did not respond. In addition, 49% of the sample considered their family’s ability to meet its financial obligations “the same as other families”, 22% more difficult than other families, while 29% found their family’s easier to handle.

16 PhD candidates O. Matskidou (MA) and I. Horti (MA), the graduate students of the 4th and 6th semester of the Department of Sociology at Panteion University (2016 – 17): S. Malliou, K. Batzeli, T. Micha, A. Papailiou, I. Sarantou, S. Tatsi, E. Tsolakou and N. Horti. The data entry to the EpiData was carried out by O. Matskidou, I. Horti, K. Batzeli & G. Kapsali. Dr. D. Kalamaras converted the data from EpiData to SPSS (25), so that we can process it for our research needs. 17 Due to the limited scope of the article, the information about the sample is rudimentary. 18 The Greater Athens region consists of the Athens municipality (City of Athens with 7 communities) and 34 more municipalities, divided in four regional units (Central, North, South and West Athens), accounting for 2,641,511 people (in 2011). 19 Ilioupoli, Elliniko-Argyroupoli, Palaio Faliro, Kallithea, Ilion, Petroupoli, Peristeri, Egaleo, Alimos, Nea Smyrni and Zografou.

Juvenile Delinquency in Greece

979

4. Findings 4.1 Self-Reported Delinquency and Feelings of Shame Overall, the rate of students who reported that they had never committed an illegal act ranges from 82.2% to 99.3%, with the exception of illegal downloading (57%). Thus, the delinquency rates of the sample are low and, as they replied, of their peer group too. The answer to the question “Does your peer group get used to occasionally committing offenses/delinquent acts?”, 12.1% answered “Yes”, while 77.2% of the sample answered “No”. Somewhat lower rates are recorded in the question “If a member of your peer group commits an illegal act, is this accepted by the other members or not?”, 18.3% of the sample answered “Yes” compared to 70.9% who said “No, it is not acceptable”. The only exception is a high rate of downloading pirated music and/or movies with the knowledge that the act is illegal (Figure 1). Specifically, 43.1% of the sample said that they had downloaded pirated music and movies at least once in the past, 41.9% said they had done so in the last year, and from them 58.4% more than six times in the last year.

Figure 1: Property Crimes in % (Lifetime Prevalence)

Concerning property crimes, as Figure 1 shows, apart from illegal downloading (43.1%; n: 789), the highest rates of delinquency are for stealing something from a person without force or threat (“skimming”) at 8.5% (n: 158), followed by shoplifting at 6.3% (n: 117) and stealing off or from a car (car break) at 2.6% (n: 49).

980

Effi Lambropoulou

As regards violent offences (Figure 2), group fights and clashes in a football stadium, on the street or other public place have the highest rate with 17.8% (n: 329). Next is graffiti with 15.3% (n: 286), carrying a weapon, i. e. a dangerous object such as a knife, a chain, or a stick of wood with 9.9% (n: 184). Beating someone up or hurting someone with a dangerous object rises to 4.7% (n: 86) and is at about the same level as vandalism (4.6%; n: 85).

Figure 2: Violent Crimes in % (Lifetime Prevalence)

The most frequent property offences, which were committed in the last year, correspond to the lifetime prevalence of property offences, i. e. illegal downloading, stealing/skimming, shoplifting, and car break. The most frequent violent offences, similarly, are group fights, graffiti, carrying a dangerous object, battery and assault with a dangerous object and vandalism. The largest proportion of students from the total sample (45.4%), who admitted to stealing from friends and other students, had committed it once and 29.2% twice. The same applies to shoplifting, where 53.8% reported a theft once, and 22% twice. Moreover, 50% of those who reported having stolen from a car had done so once and 34% twice. A special case is illegal downloading, where 58.7% of the sample who admitted to downloading, had committed it seven times and more, while only 7.3% once.

Juvenile Delinquency in Greece

981

As for the frequency of violent offences, 58.4% of juveniles who reported participating in group fights had committed it once or twice, while 26% more than five times. 57.1% of the youths who reported graffiti had done it up to two times, as had done 85.6% of the sample who reported carrying a dangerous object. 72% of students who admitted vandalism committed it up to two times (once: 51%, twice 21%), while 17.3% five and more. As for drug law violations, the few questions, which were permitted to ask, show that 98.4% of the sample had never used drugs and 99.1% had not used drugs in the last 30 days. In order to test whether the results for low delinquency confirm the hypotheses of our research, we examined the bonds of students with their families. Thus, in the question “Who is involved in raising you?” 87.8% answered both mother and father, which generally indicates a non-disorganized family (“broken home”). Furthermore, in another question “How well do you get along with your parents?” a high rate of students “totally agreed” that they were getting along well with their mother and father. In more detail, 61.8% of the sample totally agreed that “they were getting along well with their father”, and 68.9% totally agreed that “they were getting along well with their mother”. Additionally, 73% strongly agreed that they “can easily get emotional support and care from their parents”, and 77.6% strongly agreed that they would “feel very bad disappointing their parents”, while only 1.4% completely disagreed with this statement (Table 1). From the previous findings, it is evident that the degree of attachment of students to their family is high. According to Hirschi, loyalty to reference persons, such as parents (friends, teachers and school), is considered to be the most important factor through which the individual creates social awareness, respect for the laws and for others, and generally contributes to the internalization of social control. Having a person of reference is crucial to one’s mental balance, cultivating respect for others and lawful behavior. Hirschi’s position that strong family bonding develops a sense of control is reinforced as, in this sample, high rates of attachment to parents (harmonious relationships) are directly correlated to a low level of delinquent behavior. The chi-squared test applied to determine whether emotional support from parents, as students perceive it, relates to any crimes against property, shows that in most crimes against property there is a statistically significant difference between those who feel emotional support from those who do not feel emotional support (X2 ranges from 10.628 to 149.307; df 4, 5; p < .00120), apart from stealing of or from a car, where the difference is not significant.

20 W2 (4) = 10.628; p = 0.059 only in the case of burglary, and X2 (5) = 15.782; p = .003 in the case of illegal downloading.

982

Effi Lambropoulou Table 1 Family Bonds and Emotional Support (%)

I get along just fine with

my father

my mother

61.8

68.9

73.0

77.6

21.4

19.4

11.1

7.7

5.2

5.6

4.4

rather disagree

2.3

1.3

1.4

1.8

totally disagree

1.3

0.9

0.5

1.4

there is no such person

3.4

2.2

0.1

3.6

ambiguous answer

0.1

0.1

TOTAL %

100.0

100.0

totally agree rather agree neither/nor

I can easily get emotional support and care from my parents

I would feel very bad disappointing my parents

0.1 100.0

100.0

Quite similar are the results regarding violent crimes. There is found a statistically significant difference between those who feel emotional support from those who do not in several crimes (X2 ranges from 16.757 to 51.996; df 4, 5; and p < .001 in all cases), apart from purposely hurting an animal, beating and causing physical harm to someone, and participating in group fights. A statistically significant difference also appears to exist between students who declare that they wouldn’t “feel bad disappointing their parents” with those who would feel bad in the majority of property crimes and, in particular, in car theft (X2 (6) = 25.875; p < .001), shoplifting (X2 (6) = 19.605; p < .001), theft (X2 (6) = 19.127; p < .001), and burglary (X2 (6) = 14,909; p < .05). There is also a statistically significant relationship between students’ admitted disinterest whether they would frustrate their parents, with few violent crimes, i. e. vandalism (X2 (5) = 27.058; p < .001), carrying a weapon/dangerous object (X2 (6) = 23.555; p < .001) and group fights (X2 (6) = 21.047; p < .005). Concerning parental supervision, most students answered that their parents know where they are when they go out (87.6%) and with whom (85.4%), as well as that they should call their parents if they are out and will get home late (85.3%). Parents’ checking homework occurs to a lesser extent, where rates are evenly distributed across the scale, from “very often” to “not at all”. However, 40% declared that their homework was always/most often checked by their parents, and 37% for the films they watched. The chi-squared test was likewise applied to determine whether parental supervision relates to any property and violent crimes. It was found a significant difference in all property crimes between the juveniles saying that their parents had known where they had been, what they were doing, and what friends they had been with, with those

Juvenile Delinquency in Greece

983

who said that their parents hadn’t known (X2 ranges from 18.113 to 92.920; df 4, 5; p < .00121). Furthermore, there is a significance difference in all violent crimes between the juveniles saying that their parents had known where they had been, what they were doing, and what friends they had been with, with those who said that their parents hadn’t known (W2 ranges from 15.002 to 120.472; df 4; p < .001), apart from “hurt an animal on purpose”.22

Therefore, the first conclusion is that strong family bonds combined with proper parental supervision reduce the chances of delinquent behavior. Afterwards it was examined whether a lack of shame for the “significant others” in the student’s home, school, and peer group is associated with delinquency. 61.7% of the students said they would feel ashamed if their best friend heard that they were “arrested by the police for committing an illegal act”, 75.9% if their teacher found out about it and 89.6% their parents (Table 2). Therefore, the second conclusion is that parents are the strongest force of social control in adolescence and the most Significant Other. In any case, the above results on the role of social control authorities (family, teachers and school, friends) require further analysis.23 Table 2 Feelings of Shame (%) Imagine you were arrested by the police for committing a No, not crime, would you feel ashamed if … at all

Yes, a little

Yes, very much

your best friend found out about it

11.7

26.5

61.7

your teacher found out about it

10.0

14.0

75.9

your parents found out about it

3.7

6.7

89.6

4.2 Trust in the Police and Students’ Favor in Conventional Behavior Starting with Tom Tyler’s Theory of Procedural Justice (PJT),24 we next examined the students’ trust in the police and, in particular, their view of how police respond to offenders and how this response is estimated by the juveniles. As already discussed, for this theory, fair, lawful and respectful behavior of the representatives of justice is not only morally desirable but also a prerequisite for effective justice. In particular, PJT focuses on how police authorities and other law enforcement agencies interact with the public, and how the characteristics of these in21 2 X (4) = 13.416; p = .010 only in the case of burglary and in one of the three main questions checked. 22 2 X (5) =5192; p = 0.393 and in one of the three main questions checked. 23 Gottfredson & Hirschi 1990; see also Cohen & Felson 1979. 24 Tyler 2003.

984

Effi Lambropoulou

teractions influence citizens’ views of the police and affect their willingness to comply with law.25 Consequently, the impact of the behavior of social control authorities/ law enforcement agencies (police, judges, etc.), as perceived by minors, is important for the acceptance and internalization of social rules and laws by them. Table 3 What Do Students Think About Police Discrimination and How are they Treated by the Police (%) When victims report crimes to the police, do you think the police treat people of different races, different ethnic groups, or of foreign origin equally? (%) No

57.4

Yes

42.5

(ambiguous answer)

0.2

Would you say the police generally treat young people with respect? (%) (almost) never

14.2

sometimes

55.2

often

24.0

(almost) always

6.5

How often, would you say, the police make fair decisions when dealing with young people? (%) (almost) never

10.4

sometimes

49.8

often

31.3

(almost) always

8.3

(ambiguous answer)

0.2

How often, would you say, the police explain their decisions and actions to young people? (%) (almost) never

30.2

sometimes

43.3

often

20.3

(almost) always

6.2

The police are appreciative of how young people think (%) agree strongly

5.7

agree

19.8

neither agree/nor disagree

34.4

disagree

30.1

disagree strongly

10.0

25

Tyler 1990; Tyler, Degoey & Smith 1996; Rawls 1999, 73 – 78.

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In this light, the following are some of the results of the views and attitudes toward the police of 611 ninth-grade students (third middle-school class in Greece), from the 16 schools participating in our study. The question as to whether the police treat victims of different races, different ethnic groups, or of foreign origin equally when they report crimes to the police is crucial. 57.4% believe that the police do not treat all victims equally, while 42.5% believe that they treat everyone equally and they do not discriminate. According to the first group, the police treat differently “immigrants, people of different ethnicity or religion, people of low social income, Africans, anarchists, sports fans and criminals”. It is obvious that students in most cases may not have personal experience, but that their perception is influenced by their environment, media, peers, and family. However, it is interesting that many students find the police generally treating young people with respect. 30.5% think this happens (almost) always/often, 14.2% (almost) never, and 55.2% sometimes. Even more interesting is the answer to the question “How often would you say that the police make fair decisions when dealing with young people?”: 39.6% believe this happens (almost) always/often, 10.4% (almost) never, and 49.8% sometimes. Moreover, 26.8% believe that the police explain their decisions and actions to young people (almost) always/often, 30.2% (almost) never and 43.3% sometimes. Yet, the respondents of the sample seem to have a different view about whether the “police are appreciative of how young people think”. 25.5% of the sample agree that the police take into account how young people think, 34.4% neither agree nor disagree, but a remarkable rate of 40.1% disagrees (Table 3). More equally split are the answers of the juveniles to the question whether they support the way the police act: 30.6% of students agree, 38.9% neither agree nor disagree, while 30.6% disagree (Figure 3). Interestingly, these responses of 15-year-old students correspond to the responses of adult citizens from Greece in the European Social Survey (ESS) in 2010, which also examined whether citizen respondents agree with the way police operate. The sample responses (N: 2,562) in 2010 were as follows: 36% agree with the way police usually operate, 39% neither agree nor disagree, while 25.2% disagree.26 The fact that the responses of adults to ESS research in 2010 and those of students six years later do not vary much, probably reflects the impact of adults’ views on the younger generation. Otherwise, the answer to the question “To what extent is it your duty to do what the police tell you, even if you don’t understand or agree with the reasons?” would be different. 58.3% of the students believe they are very obliged to follow the instructions of the police, 28.2% said to feel quite obliged, and 13.6% not to feel obliged (Figure 4). 26 ESS Online analysis, ESS round 5 – 2010; https://www.europeansocialsurvey.org/fin dings/topline.html.

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Figure 3: I Generally Support How the Police Usually Act (%)

Figure 4: To what Extent is it your Duty to Do what the Police Tell you, Even if you Don’t Understand or Agree with the Reasons? (%)

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The chi-squared test was applied to examine whether the students’ feelings of shame (or not) in the case that they were arrested by the police for committing a crime, and parents, friends or teachers would hear about it, relate to students’ feelings of obligation to follow the instructions of the police. The differences in following police instructions were found to be significant between those who said that they would feel ashamed and those who wouldn’t in case of arrest (X2 ranges from 54.888 to 61.015; df 20; p < .001). It was tested as well, whether the commitment of students to follow police instructions is related with their view about impartiality of police operations and equal treatment of all people. No statistically significant differences were found between those students who regard police acting in a discriminatory manner and those who think that police treat all people equally or not in following police instructions (X2 = 12.810; df 20; p = .89). This finding needs further examination too. Concerning the effectiveness of the police and, in particular, the speed at which they react to a crime (burglary or violent crime) near the students’ home, 29.3% believe that the police will be late, 44.4% that they will come in a reasonable time and 26.1% believe that the police will come quickly. Thus, the view of the students about the effectiveness of the police is rather positive. In conclusion, the respondents generally seem to have a neutral view of how the police act, which may affect their subsequent behavior in relation to their involvement in offenses and disorder, but mainly their belief in social rules. Despite the neutral police view, the low self-reported delinquency by the students implies that the majority follows law-abiding behaviors because they feel obliged to do so, rather than because they trust in the police and respect the way they operate. And this commitment to lawful and moral behavior appears to be the result of constructive socialization and education strategies, namely the outcome of informal social control. However, the fact that students strongly believe that the police generally treat young people with respect (85.7%) and make fair decisions when dealing with young people (89.4%), in relation with the obligation to follow police instructions (86.5%), seems to override their neutral view and confirms Tyler’s theory of procedural justice. The percentages above coincide with the first findings of Greece’s recent participation in the seventh wave of the World Values Survey (WVS).27 The Greek survey was carried out from 8 September 2017 to 16 October 2017 with 1,200 participants over 18 years of age.28 In the results of this survey, police rank third in the list of trusted institutions (65.4%), after universities and the armed forces, and even higher than the church, which usually has a high trust level. Specifically, 20% of the sample

27 Until now, the Network of WVS carried out six surveys and the seventh is ongoing. Greece participated in the 3rd and 4th through the EVS. 28 Koniordos 2018, Table D1, 15.

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trust the police very much and 51% quite much, i. e. 71% of the sample generally trust the police.29

5. Other Studies The limited scope of the article allows only to present in summary the studies examined30 by the author. They show that violent acts represent a significant rate of juvenile delinquency. Learning disabilities and repeated serious conflicts between family members, parents having problems with alcohol or drugs related with unemployment often result in deviant behavior of the juveniles, which in turn lead adolescents to be referred to official control authorities, whether these are counseling stations or social workers appointed by the juvenile service or the courts. According to the reviews, drugs do not appear to be a problem for young people, nevertheless frequent alcohol use is noticeable, although the rates are low. Their findings confirm that lack of emotional support from parents and frustration from the family are directly linked to delinquency. In relation to drugs and alcohol use the overall findings of the ESPAD (European School Survey Project on Alcohol and Other Drugs)31 research of 2015, which is chronologically close to the Greek ISRD3 research in 2016, reveal that the drug use of Greek students were below the European average to all illegal addictive substances, below the average to use in the age under 13, and to the access to illicit substances. The research was carried out by the Greek Monitoring Centre for Drugs that participates in the ESPAD project on 3,202 Greek students at the age of 16.32 The average in lifetime use of cannabis was reported by 9.1% of the Greek students, compared to the overall average of 16.5%. For lifetime use of illicit drugs other than cannabis, tranquilizers or sedatives without prescription and New Psychoactive Substances (NPS) the Greek results are somewhat below to the average results. By contrast, lifetime use of inhalants is more common among the Greek students (13% to 7% ESPAD). Moreover, 66% of the Greek juveniles reported that alcohol use had taken place during the last 30 days, which is above the average for all countries (48%), and a slightly higher proportion (38%) than the ESPAD average (35%) reported that heavy episodic drinking had taken place during the same period. Cigarette use in the last 30 days was also more or less in line with the ESPAD average (21% to 19% ESPAD). As the ESPAD report underlines “Even though several key indicators were more or less in line with the ESPAD average, the overall picture for Greece in the 29

Dianeosis 2018, 106, 107, 113; Koniordos 2018, Table B3.3a, 44. Kotaridi, Valassi-Adam & Malikiosi-Loizou 2007; Papazoglou 2011; Karamperi 2016; Tamichtsis 2016. 31 EMCDDA 2016. 32 EKTEPN-Mental Health Research Institute 2017, Figure 2, 15; see also Kokkevi et al. 2016. 30

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ESPAD context is a slightly mixed one, with lower results for cannabis use but higher rates for alcohol use”.33 As for the previous rounds of ISRD, Greece has participated only in the first one (1992 – 93).34 Its findings have surprisingly several similarities but also differences with the third round. The difference is observed in the rates of overall delinquency, but not particularly in its structure. Thus, 96.9% of respondents said they had committed an offense at any time in their lives, and 85.1% in the last year.35 The high delinquency rates might be related to the age range of the ISRD1 (14 – 21 years),36 as well as the big number of offenses (33) included in its list, especially “youth offences” (e. g. fare dodging tram/ bus/metro, truancy, and driving without licence). 65.3% of the sample had committed property offenses in their lifetime, 61% violent crimes, 12.2% drug law violations and 87% “juvenile offenses”: high rates were reported for truancy (68.9%) and alcohol consumption (95.6%). Shoplifting is the most common property crime (28%) committed in the last year, followed by burglary (21%) and theft from vending machines or telephone booths (17.7%). Vandalism (63.4%), group fights (34.5%), and graffiti (31.2%) are the most common violent crimes in the last year, and fare dodging from the “youth” related offences (66.4%).37 In Greek ISRD3, the highest rates of property offenses are theft (“skimming”) against a classmate or peer, followed by shoplifting and car break. Of the violent crimes, the highest rates are group fights in playing fields, on the street or other public place before or after an athletic event and graffiti.38 Boys had significantly committed more offences than girls (91% to 79.3% last year),39 as in our survey, however at a much lower rate.40 The differences in all crimes between boys and girls are significant (p < .001), apart from car and bicycle theft and extortion. In the ISRD1 Greek research, adolescents aged 14 – 17 reported higher rates of violent crimes than the 18 – 21 age group (63% to 39%); the 20 – 21 age 33

See http://www.espad.org/country/greece [17. 02. 2020]. Spinellis et al. 1994. Other self-report surveys have been carried out in the past, which unfortunately cannot be presented here, see more in Spinellis et al. 1999, 293 – 294. 35 Spinellis et al. 1994, Table 3, 299. 36 Spinellis and her associates report that for financial reasons the sample was deviated from the suggested random sampling and a modified proportionate sample was constructed for the purposes of the inquiry. Specifically, the 1992 sample consisted of 400 students, 50% boys and 50% girls, 288. 37 Spinellis et al. 1994, Table I, 310 – 311. 38 See Figures 1 and 2 respectively; about last year prevalence see section 4.1 of the present article. 39 Spinellis et al. 1994, Table 5, 302. 40 Up to 57% of the boys had committed an illegal act last year, while up to 47% of the girls; up to 22.2% of the boys, while up to 10.8% of the girls had committed a violent crime last year, and up to 46% of the boys, while up to 38.4% girls a property crime last year. 34

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group reported most violations against drug law (19.7%), while the age group of 14 – 15 years reported the least of them (1.9%).41 Very interesting and generally similar to ours are the findings of young people’s relationship with their family and their school commitments, even though the research was conducted 24 years ago. Systematic parental control and supervision is overall associated with lower crime rates (82.1%) than inadequate control (92.7%).42 And while the difference is statistically significant between these two groups in property offenses (30.8% to 46%), juvenile offenses (69.3% to 91%) and drug law offenses (2.3% to 23.7%), it is not for violent crimes (30.8% to 46.9%).43 Furthermore, the students with close family relationships, in particular good relationships with the father, have fewer violations of drug laws (3.1% to 14.9%), and the difference is statistically significant from those who don’t. “Problem behavior” (e. g. fare dodging, truancy), besides, is strongly related, to a bad relationship with the father (36.3% to 84%).44 School interest and involvement in school activities is generally associated with low rates of delinquency, i. e. “juvenile delinquency” and “problematic” behavior. Finally, overall school repetition has a statistically significant relationship with high rates of delinquency.45

6. Discussion The preceding empirical analysis confirmed the working hypotheses of this article. The low delinquent rates of students in the sample is related to close ties with their family and good relationships with their parents, emotional support from them, a high level of parental supervision, and feelings of shame in the event of an illegal act being discovered by their relatives. Therefore, Hirschi’s theory about the importance of attachment to meaningful persons is reinforced, in association with belief in social norms and institutions (school, police), as well as the belief that these are important. From the responses of our subsample of 15-year-old students about the police, despite their reserve and neutral attitude, their willingness to comply with their instructions is remarkable and initially confirms Tyler’s theory of Procedural Justice, which surely needs to be further tested by the Greek study. Commitment to obeying the law and being true and honest (and the opposite) are primarily - but not exclusively, products of constructive socialization, nurturing and education strategies, i. e. the 41

Spinellis et al. 1994, Table 6, 302. Spinellis et al. 1994, Table VII, 304, 316. 43 Spinellis et al. 1994, 304. 44 Spinellis et al. 1994, Table IX, 317. 45 Spinellis et al. 1994, Table WII, 317.

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outcome of informal and not of formal social control. If this acceptance and willingness to obey laws is encouraged and developed not only by the family, but also by the school and the state, it will strengthen students’ trust in the legitimacy of police decision-making and the necessity of obeying laws, provided that the police themselves will make professional and impartial decisions, as well as stay in close proximity to the younger generation. Finally, the influence of peers and (social) media is important too and these aspects will be included in the next ISRD survey.

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Eine sozialräumliche Perspektive auf den Kriminalitätsrückgang Die Entwicklung der Jugenddelinquenz in Köln nach den MPI-Schulbefragungen 1999 und 2011 Von Dietrich Oberwittler und Dominik Gerstner

1. Einführung Dass die Kriminalitätshäufigkeit in vielen Ländern seit vielen Jahren sinkt, wurde als „das wichtigste kriminologische Phänomen der Gegenwart“ bezeichnet (Farrell et al. 2014, 421) und hat international eine entsprechende Aufmerksamkeit erfahren (Baumer et al. 2018; Farrell et al. 2011; Tcherni-Buzzeo 2019; Tonry 2014; van Dijk et al. 2012; Zimring 2006). Dabei steht die Entwicklung der Jugendkriminalität besonders im Mittelpunkt. Aus vielen westlichen Ländern wird übereinstimmend über sinkende Zahlen der Jugendkriminalität berichtet: So aus Spanien (Fernández-Molina & Bartolomé Gutiérrez 2020), Finnland (Salmi 2009; Elonheimo 2014), Dänemark (Balvig 2011), Schweden (Estrada 2019; Svensson & Ring 2007; Svensson & Oberwittler 2021; Vasiljevic et al. 2020), den USA (Arnett 2018; Grucza et al. 2018; Moss et al. 2019), England & Wales (Griffiths & Norris 2020), Schottland (Matthews & Minton 2018), den Niederlanden (Berghuis & de Waard 2017; van der Laan et al. 2019) und ebenso auch aus Deutschland. Hans-Jörg Albrecht (2014, 2016) hat sich anhand der deutschen Entwicklung mehrfach mit dem Rückgang der Jugendkriminalität befasst und dabei zu Recht auf die unbefriedigende Forschungslage hingewiesen, sowohl was die Datengrundlage und Messung der Kriminalitätsentwicklung – besonders in Deutschland –, als auch was das Angebot an überzeugenden Erklärungen betrifft. Letztlich hat der starke Kriminalitätsrückgang seit den 1990er Jahren alle überrascht, und niemand hat bislang eine wirklich schlüssige Erklärung geliefert, die als empirisch gesichert gelten kann (siehe auch Naplava in diesem Band). Für eine befriedigende Datengrundlage mangelt es in Deutschland an regelmäßigen, national-repräsentativen Dunkelfeldbefragungen zur selbstberichteten Jugenddelinquenz, wie es sie in einigen europäischen Ländern, z. B. in Schweden, gibt (siehe die oben zitierte Literatur). Daher wird in Deutschland häufig mit der polizeilich registrierten Jugendkriminalität argumentiert. Diese verzeichnet bei Eigentumsdelikten und Raub schon seit den 1990er Jahren dramatische Rückgänge der jugendlichen Tatverdächtigen, während bei Körperverletzungsdelikten der Trend noch bis

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in die Mitte der 2000er Jahre nach oben zeigte und sich erst dann drehte (Albrecht 2016; Naplava, in diesem Band). Es steht zu vermuten, dass der lange Anstieg der registrierten Jugendgewalt, der nicht durch eine entsprechende Tendenz in den verfügbaren Dunkelfeldstudien begleitet wird, zu einem bedeutsamen Anteil auf ein verändertes Anzeige- und Registrierungsverhalten von Opfern und Polizei zurückzuführen ist (Baier 2020; Köllisch 2007; 2009; Oberwittler & Köllisch 2004; Pfeiffer et al. 2018; vgl. international Kivivuori 2014; O’Brien 2003; Weaver et al. 2019). Bei den in Deutschland durchgeführten wiederholten Dunkelfeldbefragungen handelt es sich um lokale und bestenfalls regionale Studien. Die Befragungen des Kriminologischen Forschungsinstituts Niedersachsen (KFN) konnten einen sinkenden Trend der Jugenddelinquenz unabhängig von der Polizeilichen Kriminalstatistik – sowohl bei Eigentums- als auch Gewaltdelikten – seit dem Ende der 1990er Jahre belegen (Baier 2020; Baier & Windzio 2008; Pfeiffer et al. 2018). Der Anteil der befragten Jugendlichen, die in den letzten zwölf Monaten mindestens ein Gewaltdelikt begangen hatten (also die Prävalenzrate), sank im rechnerischen Mittel einer Reihe von lokalen und regionalen Studien des KFN zwischen 1998 und 2015 von 18,4 % auf 4,9 % (Pfeiffer et al. 2018: 15). Die Prävalenzrate des Ladendiebstahls halbierte sich zwischen 1998 und 2005 von 32,7 % auf 16,9 % (Baier & Windzio 2008). Auf der Basis wiederholter repräsentativer Befragungen an bayerischen Schulen kamen Fuchs et al. (2009, 97) zu dem Ergebnis, dass die schulische Gewalt zwischen 1994 und 2004 „auf breiter Front und in allen Schularten zurückgegangen ist“. Obwohl Dunkelfeldbefragungen größere Chancen als die Polizeiliche Kriminalstatistik bieten, nicht nur die Entwicklung der Jugenddelinquenz zu beschreiben, sondern diese auch mithilfe von Fragen zu kriminologisch relevanten Dimensionen wie Eltern-Kind-Beziehung, Einstellungen und Freizeitroutinen zu erklären, sind entsprechende Analysen noch unterentwickelt. Häufig werden lange Zeitreihen der Kriminalität mit entsprechenden Zeitreihen von potenziellen Beeinflussungsfaktoren wie Bildungsabschlüsse, Arbeitslosenraten etc. verglichen und daraus denkbare Zusammenhänge abgeleitet, die aber letztlich nicht belegt werden können (Albrecht 2016; Baumer et al. 2018; Naplava in diesem Band; Pfeiffer et al. 2018). Eine neuere niederländische Studie bietet erstmals eine systematische multivariate Analyse der Bedeutung verschiedener Einflussfaktoren für den Delinquenzrückgang, indem drei Querschnitts-Wellen einer national-repräsentativen Dunkelfeldbefragung gemeinsam ausgewertet werden (van der Laan et al. 2019). Weitere Fortschritte in der Erklärung des Kriminalitätsrückgangs sind von komplexeren Analysen unter Einschluss von Faktoren sowohl auf der Mikroebene individueller Neigungen, Einstellungen und Verhaltensroutinen als auch auf der Makroebene gesellschaftlicher Veränderungen zu erwarten. Doch selbst dadurch ist es unwahrscheinlich, dass wir die unerwartete Entwicklung restlos aufklären können. Dieser Beitrag unternimmt gar nicht erst den Versuch, einen Überblick über den Erkenntnisstand zum Rückgang der Jugenddelinquenz zu geben oder vertiefende Analysen zu einzelnen Aspekten vorzustellen. Stattdessen wollen wir zum einen

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die Verfügbarkeit der im Abstand von zwölf Jahren durchgeführten Dunkelfeldbefragungen des Max-Planck-Instituts in Köln dazu nutzen, eine weitere Lokalstudie zum Puzzle der Entwicklung der Jugenddelinquenz in Deutschland hinzuzufügen. Zum anderen möchten wir einen ersten, explorativen Einblick in die Bedeutung urbaner Sozialräume für die Veränderung von Jugenddelinquenz geben. Denn regionale oder gar nationale Zeitreihen verdecken, dass solche Veränderungen weniger flächendeckend, sondern vielmehr an spezifischen sozialen Orten stattfinden. Ein lohnender Analyseansatz (von vielen unterschiedlichen) kann daher darin bestehen, sich auf diese sozialen Orte zu konzentrieren, in denen Veränderungen der Jugenddelinquenz sehr viel intensiver ablaufen, als dies aus der Vogelperspektive nationaler Trends sichtbar ist. Wir können diese Analysen mit den MPI-Schulbefragungen 1999 und 2011 durchführen, die ohne die Unterstützung und Förderung Hans-Jörg Albrechts nicht stattgefunden hätten.1

2. Datengrundlage Die MPI-Schulbefragungen fanden 1999 und 2011 im Abstand von zwölf Jahren in jeweils zwei Städten statt: 1999 in Köln und Freiburg (Oberwittler et al. 2001a), 2011 in Köln und Mannheim (Oberwittler et al. 2014). Die MPI-Schulbefragung 1999 wurde außerdem auch in Gemeinden des Landkreises Breisgau-Hochschwarzwald durchgeführt (Oberwittler et al. 2001b; Oberwittler & Köllisch 2003) und hatte einen kleineren Vorläufer in einer Schulbefragung in der Stadt Emmendingen im selben Jahr (Oberwittler & Würger 1999), womit im Abstand von 25 Jahren an eine frühe Selbstberichtsstudie des Max-Planck-Instituts im gleichen Ort angeknüpft wurde (Villmow & Stephan 1983). Dieser Vergleich der selbstberichteten Delinquenz über eine Generation erbrachte starke Indizien dafür, dass der Anstieg der Jugendkriminalität in der offiziellen Kriminalstatistik auch von einer Zunahme des Anzeigeverhaltens getrieben wurde (Köllisch & Oberwittler 2004a; Oberwittler & Köllisch 2004). Beide MPI-Schulbefragungen waren Teil von DFG-geförderten Forschungsprojekten.2 Bei der MPI-Schulbefragung 1999 lag der Fokus neben der Bedeutung der sozialräumlichen Kontexte auch auf der Methodik von Schulbefragungen und der Validierung von Selbstberichten (Naplava & Oberwittler 2002; Köllisch & Oberwittler 2004b), auf den Mechanismen des Übergangs vom Dunkel- ins Hellfeld (Köllisch 2005; 2009) sowie auf der interethnischen Gültigkeit von Delinquenztheorien 1 Außerdem möchten wir auch allen Kolleg*innen und Mitarbeiter*innen am MPI danken, die zum Erfolg der beiden Befragungen sehr viel beigetragen haben: Harald Arnold, Beate Ehret, Tilman Köllisch, Thomas Naplava, Stefan Schiel und Michael Würger sowie allen studentischen Hilfskräften und Interviewer*innen in Freiburg, Köln und Mannheim, mit einem besonderen Dank an Rebekka Endler. GESIS hat uns dankenswerterweise bei beiden Befragungen logistisch unterstützt. Die MPI-Schulbefragung 2011 wurde in Köln in Kooperation mit dem Institut für Soziologie und Sozialpsychologie der Universität zu Köln durchgeführt. 2 1999: Ob 134/3 – 1 und 3 – 2; 2011: Al 376 – 11/1.

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Dietrich Oberwittler und Dominik Gerstner

(Naplava 2005, 2010). Die MPI-Schulbefragung 2011 legte besondere Schwerpunkte auf die sozialen Netzwerke von Jugendlichen (Gerstner & Oberwittler 2015, 2018; Gerstner 2020) und auf das Verhältnis zwischen Polizei und Jugendlichen (Oberwittler 2016; Oberwittler & Schwarzenbach 2014; Schwarzenbach 2020). Die MPISchulbefragung 2011 war Teil eines deutsch-französischen Kooperationsprojekts und wurde mit einem weitgehend identischen Erhebungsinstrument auch in Lyon und Grenoble durchgeführt (Oberwittler & Roché 2018, under review). Beide MPI-Schulbefragungen wurden noch „konventionell“ mit Papierfragebögen durchgeführt, die von den Schüler*innen während des Schulunterrichts in ein oder zwei Schulstunden in Anwesenheit von geschulten studentischen Interviewer*innen und bei Abwesenheit der Lehrer*innen ausgefüllt wurden. Da es zu beiden Befragungen Methodenberichte gibt (Oberwittler & Blank 2003; Oberwittler & Gerstner 2019), beschränken wir uns hier auf das Wichtigste: In Köln nahmen 1999 41 Schulen (einschließlich Sonderschulen) an der Befragung teil, 2011 waren es 30 Schulen. Das entspricht Ausschöpfungsquoten auf Schulebene von 79 % (1999) und 68 % (2011). Befragt wurden 1999 insgesamt 3.445 Schüler*innen und 2011 4.128 Schüler*innen der Jahrgangstufen 8 bis 10 im Alter von etwa 13 bis 16 Jahren. Die Ausschöpfungsquoten innerhalb der ausgewählten Schulklassen lagen 1999 bei 85 % und 2011 noch bei 79 %. Da wir 2011 einen höheren Anteil der potenziell verfügbaren Klassen innerhalb der Jahrgangsstufen ausgewählt haben, war die Netto-Stichprobe der Schüler*innen 2011 größer als 1999, obwohl weniger Schulen teilnahmen. Da zur zweiten Schulbefragung auch alle Schulen eingeladen wurden, die bereits an der ersten Befragung teilgenommen hatten (und außerdem noch weitere), kommt es zu einer großen Überlappung der beiden Stichproben: 10 der 14 Gymnasien, alle 7 Realschulen und 8 der 14 Hauptschulen aus der Stichprobe 1999 nahmen auch an der zweiten Befragung teil (siehe Tabelle 1). Da Hauptschulen ein Auslaufmodell sind, waren drei Hauptschulen aus der ersten Stichprobe zum Zeitpunkt der zweiten Befragung bereits aufgelöst worden, und weitere folgten kurz nach der zweiten Befragung. Auf der anderen Seite hatte 1999 keine der angefragten Kölner Gesamtschulen an der Studie teilgenommen, 2011 waren es zwei. Tabelle 1 Teilnehmende Schulen in Köln bei den MPI-Schulbefragungen 1999 und 2011 1999 Schulen

2011

Befragte

Schulen

1999 & 2011

Befragte

Schulen

Befragte

Gymnasium Gesamtschule Realschule Hauptschule*

14 0 7 14

1696 0 704 920

12 2 8 8

2128 309 1050 641

10 0 7 8

3106 0 1662 1235

Summe

35

3320

30

4128

25

6003

* davon wurden 3 Hauptschulen vor 2011 aufgelöst.

Eine sozialräumliche Perspektive auf den Kriminalitätsrückgang

997

Für die folgenden Auswertungen haben wir die Befragten an Sonderschulen in der MPI-Schulbefragung 1999 weggelassen. In den meisten Auswertungen verwenden wir die jeweils verfügbaren Stichproben – 3.320 Befragte an 35 Schulen im Jahr 1999, 4.128 Befragte an 30 Schulen im Jahr 2011, bei einigen Auswertungen jedoch nur Befragte an den Schulen, die sowohl 1999 als auch 2011 dabei waren. Dieser Zuschnitt hat den Charme, dass man den Wandel im abweichenden Verhalten von Jugendlichen nachfolgender Alterskohorten für die exakt gleiche Stichprobe von Schulen in Köln betrachten kann. Die Ergebnisse unterscheiden sich in beiden Varianten jedoch kaum voneinander. Das in beiden Befragungen identische Erhebungsinstrument der selbstberichteten Delinquenz war eine Liste von 14 strafbaren Handlungen, bei denen die Schüler*innen jeweils angeben sollten, ob sie diese bereits jemals in ihrem Leben begangen hatten, wie oft in den letzten zwölf Monaten – wobei keine Häufigkeiten vorgegeben wurden, sondern eine Zahl in ein leeres Feld einzutragen war –, und wie oft die Polizei davon erfahren hatte. Der Wortlaut aller Items ist in Tabelle 2 (im Anhang) wiedergegeben. Jeweils drei Items deckten Sachbeschädigungen, leichte und schwere Eigentumsdelikte sowie Gewaltdelikte ab; außerdem wurde nach dem Konsum und dem Verkauf illegaler Drogen gefragt. In den folgenden Auswertungen verwenden wir außerdem ein Instrument, anhand dessen die Schüler*innen als Mitglieder von devianten und gewaltbereiten Cliquen identifiziert wurden. Weitere Einzelheiten zum Erhebungsinstrument sind in Blank et al. 2003 sowie auch in der online zugänglichen Sammlung sozialwissenschaftlicher Skalen ZIS dokumentiert (Oberwittler et al. 2002).3 Aufgrund des identischen Studien- und Stichprobendesigns und Erhebungsinstruments können wir mit einigem Vertrauen davon ausgehen, dass Veränderungen zwischen den beiden Befragungen keine methodischen Artefakte sind, sondern Änderungen im delinquenten Verhalten der Jugendlichen reflektieren.

3. Ergebnisse 3.1 Starker Rückgang der selbstberichteten Delinquenz Wir beschränken uns in diesem Beitrag weitgehend auf einfache, deskriptive Auswertungen und verzichten auf elaborierte und multivariate Analysen, die notwendig wären, um unsere Interpretationen und Schlussfolgerungen weiter zu verfolgen. Daher ist die folgende Darstellung eher als ein explorativer Einstieg in das Thema Kriminalitätsrückgang zu verstehen. Wie zu erwarten bestätigen unsere Ergebnisse insgesamt das Bild, das bereits durch andere Selbstberichtsstudien bekannt ist (Pfeiffer et al. 2018): Die Neigung von Jugendlichen zum delinquenten Verhalten ist deutlich gesunken. Tabelle 2 3

https://doi.org/10.6102/zis160 [15. 10. 2020].

998

Dietrich Oberwittler und Dominik Gerstner

(im Anhang) bietet einen detaillierten Überblick über die Prävalenzraten aller 14 Delikte nach Jahr und Geschlecht. Die Prävalenzraten geben an, wie viele Jugendliche ein bestimmtes Delikt mindestens einmal im Jahr begangen haben. So sank der Anteil der Jugendlichen, die im letzten Jahr einen (oder mehrere) Ladendiebstahl begangen hatten, von 27 % im Jahr 1999 auf 15 % im Jahr 2011; das entspricht nur noch 56 % des Ausgangsniveaus (Spalte „Rückgang um Faktor“). Während die Prävalenzraten von Graffiti Sprühen und anderen Sachbeschädigungen weniger stark abgenommen haben, ist der Rückgang beim Autoaufbruch (49 % des Ausgangsniveaus) und beim Diebstahl eines Autos oder motorisierten Zweirades (34 % des Ausgangsniveaus) besonders auffällig. Dies könnte eine teilweise Bestätigung der „security hypothesis“ (Farrell et al. 2011) sein, nach der die Einführung der elektronischen Wegfahrsperre den Diebstahl von Motorfahrzeugen effektiv verhindert hat. Der fallende Trend bei der Delinquenz gilt grundsätzlich für Jungen und Mädchen gleichermaßen. Allerdings gibt es unterschiedliche Tendenzen beispielsweise beim Ladendiebstahl, der bei Mädchen weniger stark zurückgegangen ist als bei Jungen, und bei den Prävalenzraten der Körperverletzung, die im Gegensatz dazu bei Mädchen ca. um die Hälfte und bei Jungen nur um ca. ein Drittel gesunken sind. In den Abbildungen 1a – c fassen wir die einzelnen Delikte zu Deliktsbereichen zusammen und berichten die Prävalenzraten des letzten Jahres differenziert nach Schultypen. Für diese Auswertungen haben wir die Stichproben auf diejenigen Kölner Schulen beschränkt, die an beiden Befragungen teilgenommen haben (siehe Tabelle 1, rechte Spalte). Die Ergebnisse unterscheiden sich jedoch kaum von denen der Gesamtstichproben. 1999 hatten 12,8 % der befragten Schüler*innen an Gymnasien mindestens eines von drei Gewaltdelikten begangen, zwölf Jahre später waren es noch 9,7 %. Bei Schüler*innen an Realschulen fiel die Prävalenzrate der Gewaltdelikte von 24,4 % auf 18,2 %, und bei Hauptschüler*innen von 31,5 % auf 18,8 %. Besonders drastisch ist die Entwicklung bei der Zugehörigkeit zu devianten und gewaltbereiten Cliquen, die sich bei Real- und Hauptschüler*innen mehr als halbiert hat. Bei Gymnasiast*innen spielten solche Cliquen dagegen nie eine bedeutende Rolle. Hier wird sehr deutlich, dass der Rückgang der Jugenddelinquenz nicht gleichmäßig in allen sozialen Schichten und Lebenslagen, sondern am stärksten in den unteren Bildungsschichten stattgefunden hat, in denen Delinquenz zuvor auch besonders verbreitet war (vgl. Albrecht & Howe 1992). Durch den besonders starken Rückgang der Delinquenz bei Jugendlichen aus diesen unteren Bildungsschichten ist es im Zeitverlauf zu einer Nivellierung der sozialen Unterschiede in der Jugenddelinquenz gekommen: Schüler*innen der unterschiedlichen Schulformen haben sich in ihrem Verhalten angenähert. Besonders auffällig ist dies bei den leichten Eigentumsdelikten (Laden-, Fahrrad- und sonstiger Diebstahl, Abbildung 1b): 1999 begingen annähernd doppelt so viele Hauptschüler*innen wie Gymnasiast*innen solche Eigentumsdelikte (42,3 % vs. 24,2 %), 2011 lagen die Schüler*innen der drei Schulformen nur noch wenig auseinander (Hauptschule 22,7 %, Realschule 22,2 %, Gymnasium 18,4 %). Beim Konsum illegaler Drogen gab es 2011 sogar gar keine nennenswerten Unterschiede der Prävalenzraten mehr, während 1999 noch die Realschüler*innen an der

Eine sozialräumliche Perspektive auf den Kriminalitätsrückgang

999

Prävalenz im letzten Jahr

1999

31.5%

2011 24.4%

23.4% 18.2%

18.8%

17.2%

12.8%

11.1%

9.7% 6.5%

Gewaltdelikte

7.6% 4.2%

dev. Clique

Gewaltdelikte

Gymnasium

dev. Clique

Gewaltdelikte

Realschule

dev. Clique

Hauptschule

Nur Befragte an Schulen, die 1999 und 2011 teilgenommen haben (1999 N=2518, 2011 N=3485)

Abbildung 1a: Anteil der befragten Jugendlichen, die im letzten Jahr mindestens ein Gewaltdelikt begangen haben oder einer devianten Clique angehören (1999 und 2011, nach Schultyp)

Prävalenz im letzten Jahr

1999

2011

24.2%

42.3%

39.8%

22.7%

22.2% 18.4%

13.1% 8.1%

5.0%

3.7%

2.2% 1.7%

leichte Delikte schwere Delikte leichte Delikte schwere Delikte leichte Delikte schwere Delikte Gymnasium

Realschule

Hauptschule

Nur Befragte an Schulen, die 1999 und 2011 teilgenommen haben (1999 N=2518, 2011 N=3485)

Abbildung 1b: Anteil der befragten Jugendlichen, die im letzten Jahr mindestens ein leichtes bzw. schweres Eigentumsdelikt begangen haben (1999 und 2011, nach Schultyp)

Spitze der Schultypen gelegen hatten. Unsere Befunde widersprechen denen von Fuchs et al. (2009), die über einen in etwa gleichbleibenden Abstand im Gewaltverhalten zwischen den Schulformen Gymnasium, Realschule und Hauptschule berichteten. Sie haben jedoch nur die Gewalt im Schulkontext untersucht und das wesentlich bedeutsamere delinquente Verhalten außerhalb der Schule ausgeklammert.

1000

Dietrich Oberwittler und Dominik Gerstner Prävalenz im letzten Jahr

1999

2011

21.9% 19.2%

14.4% 11.7%

Gymnasium

12.6%

Realschule

11.3%

Hauptschule

Nur Befragte an Schulen, die 1999 und 2011 teilgenommen haben (1999 N=2518, 2011 N=3485)

Abbildung 1c: Anteil der befragten Jugendlichen, die im letzten Jahr mindestens einmal illegale Drogen konsumiert haben (1999 und 2011, nach Schultyp)

Neben der Prävalenzrate spielt auch die Inzidenz, also die Häufigkeit, mit der Delikte auch mehrfach begangen werden, eine sehr wichtige Rolle für den Kriminalitätsrückgang. Wir haben in den Abbildungen 2a – b die Inzidenzraten der Täter*innen für einige Deliktsbereiche dargestellt und differenzieren wiederum nach dem Schultyp. Die durchschnittliche Zahl der Taten bezieht sich jeweils nur auf die Täter*innen, die in dem entsprechenden Deliktsbereich mindestens eine Tat angegeben haben. Diese arithmetischen Mittelwerte werden stark von einer kleinen Anzahl von Jugendlichen beeinflusst, die extrem viele Taten berichtet haben. Dies ist aber keine statistische Verzerrung, sondern spiegelt den allgemeingültigen Befund wieder, dass eine kleine Minderheit von Tätern*innen für rund die Hälfte aller Straftaten verantwortlich ist (Boers 2019). Die Abbildungen 2a – b zeigen, dass bei Gewalt- und schweren Eigentumsdelikten die durchschnittlichen Häufigkeiten der Mehrfach-Tatbegehungen bei Real- und Hauptschüler*innen gefallen sind, während Befragte an Gymnasien 2011 erwartungswidrig mehr Delikte berichten als 1999. Allerdings beruhen die Werte für Schüler*innen an Gymnasien auf den Angaben von jeweils nur rund 30 Befragten, so dass dieses Ergebnis vielleicht mit mangelnder Robustheit zu erklären ist. Betrachtet man den Rückgang der Prävalenzraten und der Inzidenzraten zusammen, so ergibt sich aus den MPI-Schulbefragungen ein rechnerischer Rückgang der Jugendkriminalität in Köln, gemessen an dem Volumen der von Jugendlichen begangenen Delikte, im Bereich der Gewaltdelikte um ca. 60 % und der schweren Eigentumsdelikte um ca. 70 %. Dies ist ein wahrhaft dramatischer Rückgang innerhalb von zwölf Jahren.

Eine sozialräumliche Perspektive auf den Kriminalitätsrückgang

1001

Inzidenz der Täter im letzten Jahr

1999

2011

7.7

7.0

5.5

5.3 3.5

3.1

Gymnasium

Realschule

Hauptschule

Nur Befragte an Schulen, die 1999 und 2011 teilgenommen haben und mind. ein entsprechendes Delikt berichtet haben (1999 N=512, 2011 N=471)

Abbildung 2a: Durchschnittliche Anzahl der Gewaltdelikte von Tätern, die im letzten Jahr mindestens ein Gewaltdelikt begangen haben (1999 und 2011, nach Schultyp)

Inzidenz der Täter im letzten Jahr

1999

5.6

2011 3.4

4.0

3.7

2.0

1.9

Gymnasium

Realschule

Hauptschule

Nur Befragte an Schulen, die 1999 und 2011 teilgenommen haben und mind. ein entsprechendes Delikt berichtet haben (1999 N=162, 2011 N=98)

Abbildung 2b: Durchschnittliche Anzahl der schweren Eigentumsdelikte von Tätern, die im letzten Jahr mindestens ein schweres Eigentumsdelikt begangen haben (1999 und 2011, nach Schultyp)

3.2 Der soziale Ort des Kriminalitätsrückgangs: sozial benachteiligte Stadtviertel Zum Abschluss unseres Beitrags kommen wir auf einen wichtigen Aspekt zu sprechen, der unseres Erachtens in der bisherigen Diskussion viel zu kurz gekommen ist: Der Kriminalitätsrückgang ist ein Prozess des sozialen Wandels, der in bestimmten

1002

Dietrich Oberwittler und Dominik Gerstner

Sozialräumen verortet werden kann. Ebenso wie Kriminalität (zumindest die Kriminalität in öffentlichen Räumen) räumlich extrem ungleich verteilt und besonders stark in einigen relativ eng umgrenzten Sozialräumen konzentriert ist (Sherman et al. 1989), so ist auch der Rückgang der Kriminalität kein sozialer Prozess, der die Gesellschaft gleichmäßig erfasst, sondern er ist ebenfalls sozialräumlich relativ eng eingrenzbar und betrifft bestimmte soziale Orte ganz besonders. Diese Erkenntnis ist auch in Hinblick auf die Suche nach den Ursachen und Triebkräften des Kriminalitätsrückgangs nicht zu unterschätzen. Eine Analogie ist der ebenfalls dramatische Rückgang der Mordraten in den USA nach 1993: Dieser ereignete sich nicht flächendeckend in den gesamten USA und in allen soziodemographischen Gruppen gleichermaßen, sondern beinahe ausschließlich in den sozial besonders benachteiligten Stadtvierteln der Großstädte und in der Gruppe der jugendlichen und jungerwachsenen afroamerikanischen Männer (Becker 2018; Friedson & Sharkey 2015). Natürlich liegt dies zunächst daran, dass die Mordrate zuvor in eben diesen Sozialräumen und soziodemographischen Gruppen entsprechend stark angestiegen war. Es wäre jedoch ein Fehler, dies als ein lediglich statistisches Phänomen anzusehen. Vielmehr ruft es dazu auf, sich eingehender mit den spezifischen sozialen Bedingungen zu befassen, die in diesen Orten sowohl für eine besonders hohe Kriminalitätsbelastung gesorgt haben als auch dazu führen können, dass diese Belastungen überwunden oder zumindest deutlich reduziert werden können. Eine lange Tradition der kriminologischen Forschung tut eben dies mit Hilfe entsprechender Ansätze, angefangen mit den klassischen Theorien der Sozialen Desorganisation und der Subkulturen (Cullen 2015; Krivo et al. 2018; Sampson et al. 2018). Als erste Näherung an die sozialräumliche Dimension des Kriminalitätsrückgangs haben wir die selbstberichteten Delikte in den MPI-Schulbefragungen 1999 und 2011 nach dem Kriterium des Wohnsitzes der befragten Jugendlichen den Kölner Stadtvierteln zugeordnet. Da die MPI-Schulbefragungen von Anfang an einen sozialräumlichen Analyseansatz verfolgt haben, wurden die Jugendlichen anhand ihrer Wohnadressen den ungefähr 280 Kölner Stadtvierteln zugeordnet. Die Kölner Stadtviertel sind eine relativ kleinräumliche Gliederungsebene mit durchschnittlich etwa 3.500 Einwohnern. Dies ermöglichte komplexe Analysen des Zusammenwirkens der individuellen und sozialräumlichen Einflüsse auf das delinquente Verhalten von Jugendlichen im Rahmen von Mehrebenenmodellen (Oberwittler 2004a; 2004b; 2018). Die nachfolgenden Abbildungen der Delinquenzhäufigkeiten nach Stadtviertelkontexten können solche Mehrebenenmodelle nicht ersetzen und sind explorativ gemeint. In den Abbildungen 3a–d geben kurvilineare Regressionslinien die bivariaten Zusammenhänge der durchschnittlichen Delinquenzhäufigkeiten der befragten Jugendlichen mit der konzentrierten Benachteiligung der Stadtviertel wieder, gemessen durch die amtliche Rate der Sozialhilfe bzw. Hartz IV-Empfänger im Alter bis 14 Jahre. Diese Regressionslinien repräsentieren den Zusammenhang zwischen beiden Merkmalen und berücksichtigen, dass dieser über den Wertebereich unterschiedlich ausgeprägt sein könnte. Dabei werden nur Stadtviertel betrachtet, in denen mindestens 20 Jugendliche befragt wurden. Die schwarze Linie repräsentiert den jewei-

Eine sozialräumliche Perspektive auf den Kriminalitätsrückgang

1003

ligen Zusammenhang im Jahr 1999 und die graue Linie im Jahr 2011. Bei allen vier Indikatoren der Jugenddelinquenz zeigt sich im Zeitvergleich eine entscheidende Veränderung: Während 1999 ein deutlicher Anstieg der Delinquenzneigung mit der zunehmenden Konzentration sozialer Benachteiligungen in den Stadtvierteln zu beobachten ist, signalisieren die weitgehend flachen Linien für das Jahr 2011 die Abwesenheit eines solchen Zusammenhangs. Beim Drogenkonsum hat sich der Zusammenhang mit der sozialräumlichen Benachteiligung sogar umgedreht: 2011 konsumierten die Jugendlichen in den wohlhabendsten Stadtvierteln Kölns am häufigsten illegale Drogen, 1999 waren ihnen die Jugendlichen in den benachteiligten Viertel noch voraus gewesen. Der Rückgang der Jugenddelinquenz hat sich also nicht gleichmäßig vollzogen, sondern ganz besonders in den am meisten benachteiligten Wohngebieten Kölns. In gewisser Weise ist dies logisch, denn dort war die Delinquenzneigung der Jugendlichen zuvor besonders stark. In den „besseren“ Vierteln Kölns konnte sie dagegen kaum noch sinken, weil sie schon 1999 recht gering war.

Gewaltdelikte

1999 2011

0

.5

durchschn. Anzahl Delikte 1 1.5 2 2.5 3

95% CI

−1

0 1 2 konzentrierte soziale Benachteiligung

3

Stadtviertelebene (20+ Befragte), 1999 N=49 / 2011 N=55 (1 Ausreißer entfernt) 95% CI = Konfidenzintervall

Abbildung 3a: Zusammenhang von durchschnittlicher Häufigkeit der Gewaltdelikte mit konzentrierter sozialer Benachteiligung in Kölner Stadtvierteln, 1999 und 2011

1004

Dietrich Oberwittler und Dominik Gerstner

30

Mitglied in devianter Clique

1999 2011

0

10

Anteil in %

20

95% CI

−1

0 1 2 konzentrierte soziale Benachteiligung

3

Stadtviertelebene (20+ Befragte), 1999 N=49 / 2011 N=55 (1 Ausreißer entfernt) 95% CI = Konfidenzintervall

Abbildung 3b: Zusammenhang von durchschnittlicher Häufigkeit der Zugehörigkeit zu devianten und gewaltbereiten Cliquen mit konzentrierter sozialer Benachteiligung in Kölner Stadtvierteln, 1999 und 2011

1

schwere Eigentumsdelikte

1999 2011

0

durchschn. Anzahl Delikte .2 .4 .6 .8

95% CI

−1

0 1 2 konzentrierte soziale Benachteiligung

3

Stadtviertelebene (20+ Befragte), 1999 N=49 / 2011 N=55 (1 Ausreißer entfernt) 95% CI = Konfidenzintervall

Abbildung 3c: Zusammenhang von durchschnittlicher Häufigkeit der schweren Eigentumsdelikte mit konzentrierter sozialer Benachteiligung in Kölner Stadtvierteln, 1999 und 2011

Eine sozialräumliche Perspektive auf den Kriminalitätsrückgang

1005

Konsum illegaler Drogen

1999 2011

0

1

durchschn. Anzahl Delikte 2 3 4 5 6

95% CI

−1

0 1 2 konzentrierte soziale Benachteiligung

3

Stadtviertelebene (20+ Befragte), 1999 N=49 / 2011 N=55 (1 Ausreißer entfernt) 95% CI = Konfidenzintervall

Abbildung 3d: Zusammenhang von durchschnittlicher Häufigkeit des Konsums illegaler Drogen mit konzentrierter sozialer Benachteiligung in Kölner Stadtvierteln, 1999 und 2011

Doch hat das Einebnen der sozialräumlichen Unterschiede Konsequenzen für die Erklärungsmodelle der Jugenddelinquenz: Die Befunde zu den sozialräumlichen Verstärkungseffekten der Jugenddelinquenz – das bedeutendste Ergebnis der MPISchulbefragung 1999 (Oberwittler 2004a; 2004b) – lässt sich mit den Daten der MPI-Schulbefragung 2011 nicht mehr replizieren; die Prädiktoren der konzentrierten Benachteiligung in den Wohngebieten bleiben in Mehrebenenmodellen bedeutungslos. Die empirische Bestätigung und Allgemeingültigkeit der Theorieansätze, die zur Erklärung von Einflüssen des sozialräumlichen Kontexts auf das Verhalten von Jugendlichen herangezogen werden, erscheinen dadurch „gefährdet“, oder besser gesagt abhängig von der jeweiligen Kriminalitätslage und dem sozialhistorischen Kontext. Dieser unerwartete Befund fordert dazu auf, sich eingehender mit den sozialen Triebkräften zu beschäftigen, die in diesen Stadtvierteln den dort ganz besonders starken Rückgang der Jugenddelinquenz bewirkt haben könnten.

4. Zusammenfassung Der starke Rückgang der Kriminalität seit mittlerweile mehr als zwei Jahrzehnten stellt die Kriminologie vor große Herausforderungen. An der Tatsache dieses Rückgangs gibt es angesichts unterschiedlicher empirischer Daten aus vielen Ländern keinen Zweifel mehr. Besonders gut dokumentiert ist der Rückgang des straffälligen Verhaltens von Jugendlichen dank wiederholt – in Deutschland allerdings nur

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Dietrich Oberwittler und Dominik Gerstner

lokal oder regional – durchgeführter Dunkelfeldbefragungen. Die MPI-Schulbefragungen in Köln ergeben einen Rückgang des Volumens der von Jugendlichen begangenen Gewaltdelikte um ca. 60 % und der schweren Eigentumsdelikte um ca. 70 % zwischen 1999 und 2011. Dabei sollte berücksichtigt werden, dass an die Stelle „traditioneller“ Formen straffälligen Verhaltens neue Formen beispielsweise von aggressivem Verhalten treten, die ebenfalls Anlass zur Sorge bieten. Cybermobbing ist zweifelsohne ein unter Jugendlichen verbreitetes Problem, angesiedelt in einer unklaren Grauzone zwischen antisozialem Verhalten und Kriminalität (Olweus & Limber 2018; Petermann & von Marées 2013). Auch in der MPI-Schulbefragung 2011 lagen die Prävalenzraten des Cybermobbings deutlich über denen der physischen Gewalt (Oberwittler et al. 2014, 13). Diese Entwicklung sollte jedoch nicht gegen die drastischen Rückgänge der „konventionellen“ Gewalt- und Eigentumsdelinquenz aufgerechnet werden. Insbesondere die Entwicklung bei schwerer Körperverletzung, Raub, Einbruchs- und Kfz-Diebstahl dürfte für den deutlichen Rückgang der Verurteilungen und Freiheitsstrafen von Jugendlichen und Heranwachsenden seit der Jahrtausendwende verantwortlich sein, der in einer kriminologischen Lebenslaufperspektive besonders erfreulich ist, da er kriminelle Karrieren unwahrscheinlicher macht. Den Kriminalitätsrückgang zu erklären fällt der Kriminologie deutlich schwerer. Zahlreiche Hypothesen wurden diskutiert, ohne dass sich ein überzeugender Erklärungsansatz herausgebildet hätte. Zweifelsohne haben sich die Alltagswelten und die Einstellungen und Präferenzen von Jugendlichen in einer Art und Weise verändert, die delinquentes Verhalten weniger provozieren oder weniger attraktiv erscheinen lassen als vor einer Generation. Unser Beitrag hat diese Diskussionen bewusst ausgespart, zu denen bislang erst wenige empirisch gesicherte Erkenntnisse vorliegen (vgl. Albrecht 2014, 2016; Svensson & Oberwittler 2021; Naplava in diesem Band). Wir haben den Fokus stattdessen auf die sozialräumliche Dimension des Rückgangs der Jugenddelinquenz gerichtet, die zumindest in Deutschland bislang noch gar keine Beachtung gefunden hat. Die MPI-Schulbefragungen zeigen, dass die Dynamik der zeitlichen Veränderungen im straffälligen Verhalten von Jugendlichen räumlich sehr stark auf die sozial benachteiligten Stadtviertel der Großstädte konzentriert ist. Über die Entwicklung der Jugenddelinquenz außerhalb der Großstädte, in Mittel- und Kleinstädten und in ländlichen Gemeinden, liegen im Übrigen kaum Erkenntnisse vor. Aus unserem Befund folgt für die weitere Forschung zu den Hintergründen des Kriminalitätsrückganges, dass es sich lohnt, die bislang eher globale und unspezifische Perspektive gegen eine sehr fokussierte Perspektive auf die Jugendlichen in den großstädtischen, sozial benachteiligten Wohngebieten einzutauschen und zu untersuchen, welche spezifischen sozialen Bedingungen an diesen sozialen Orten dazu beigetragen haben, dass Jugenddelinquenz seltener geworden ist.

Eine sozialräumliche Perspektive auf den Kriminalitätsrückgang

1007

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Dietrich Oberwittler und Dominik Gerstner

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15.5 % 5.2 % 11.7 %

3.3 % 3.6 %

5.0 % 17.2 % 6.6 % 5.4 % 44.1 %

… etwas absichtlich in der Schule, in Parks, Telefonzellen, in der U-Bahn beschädigt oder zerstört.

… Autos, Motorräder oder Motorroller usw. absichtlich beschädigt.

… ein Fahrrad oder ein Teil eines Fahrrads gestohlen (z. B. Sattel, Rad).

… in einem Geschäft etwas gestohlen.

…. jemandem eine Sache oder Geld gestohlen.

… ein Auto aufgebrochen.

… ein Auto, Motorrad, Motorroller usw. gestohlen.

… irgendwo eingebrochen, um etwas zu stehlen (in ein Haus, Keller, Laden).

… Drogen genommen (Haschisch, Ecstasy usw.).

… Drogen an andere verkauft.

… jemanden so geschlagen oder verprügelt, dass er/sie verletzt war oder blutete.

… jemanden bedroht oder erpresst, um ihm/ihr wirklich Angst zu machen, oder um Geld oder eine bestimmte Sache zu bekommen.

… jemandem mit Gewalt etwas weggenommen (durch Festhalten, Schlagen usw.).

irgendein Delikt

2

3

4

5

6

7

8

9

10

11

12

13

14

55.1 %

8.7 %

8.6 %

26.1 %

8.2 %

20.3 %

6.4 %

5.7 %

2.9 %

12.0 %

30.7 %

21.6 %

8.6 %

21.9 %

15.1 %

1999 Jungen

35.0 %

2.6 %

4.9 %

9.8 %

2.3 %

14.5 %

1.2 %

1.2 %

0.7 %

7.6 %

23.7 %

3.4 %

2.3 %

10.1 %

6.5 %

Mädchen

Stichproben 1999 N = 3320 / 2011 N = 4128. Alle Unterschiede zwischen 1999 und 2011 signifikant p < 0.05

17.2 %

1.7 %

9.6 %

26.9 %

10.4 %

… mit einer Spraydose irgendwo Sprüche oder Bilder (Graffiti) aufgesprüht.

total

1

Ich habe in den letzten 12 Monate (alleine oder mit anderen zusammen) …

33.4 %

3.1 %

3.8 %

11.4 %

2.8 %

12.2 %

1.9 %

1.1 %

0.8 %

7.2 %

14.9 %

6.5 %

2.9 %

11.8 %

8.7 %

total

42.2 %

4.8 %

5.0 %

18.3 %

4.2 %

14.7 %

2.9 %

1.8 %

1.5 %

9.7 %

16.0 %

10.9 %

4.9 %

16.0 %

13.2 %

2011 Jungen

25.6 %

1.7 %

2.8 %

5.4 %

1.6 %

10.0 %

1.0 %

0.5 %

0.3 %

5.0 %

14.0 %

2.7 %

1.1 %

8.1 %

4.8 %

Mädchen

Tabelle 2 Anteil der befragten Jugendlichen, die im letzten Jahre mindestens einmal ein Delikt begangen haben (1999 und 2011)

Anhang

0.76

0.58

0.59

0.66

0.57

0.71

0.53

0.34

0.49

0.75

0.56

0.56

0.55

0.76

0.84

Rückgang um Faktor

1012 Dietrich Oberwittler und Dominik Gerstner

Die Entwicklung des Jugendstrafrechts in Griechenland Von Angelika Pitsela

1. Einführung Die jugendstrafrechtlichen Bestimmungen als ein Teil der griechischen Strafgesetzgebung sind vom Inkrafttreten des Strafgesetzbuches1 und der Strafprozessordnung, jeweils am 01. 01. 1951, bis zur ersten umfassenden Reform im Jahre 2003 für mehr als fünfzig Jahre fast unverändert geblieben.2 Durch das Gesetz über die Reform der Jugendstrafgesetzgebung und andere Vorschriften (Gesetz Nr. 3189/2003), das am 21. 10. 2003 in Kraft getreten ist, haben die materiell- und verfahrensrechtlichen Regelungen eine grundlegende Novellierung erfahren.3 Ein eigenständiges Jugendgerichtsgesetz ist aber nicht geschaffen worden. Immerhin ist seit dem 01. 01. 1951 ein besonderer Abschnitt innerhalb des Allgemeinen Teils des Strafgesetzbuches für Jugendliche vorgesehen. Es handelt sich um den achten Abschnitt, der ursprünglich den Titel Minderjährige Straftäter hatte und mit der ersten Reform in Spezielle Regelungen für Minderjährige umbenannt worden ist. Die Position des Kindes in der griechischen Rechtsordnung ist nach dem Jahrtausendwechsel durch die Gründung der unabhängigen Verwaltungsbehörde des griechischen Ombudsmanns bzw. des Ombudsmanns für Kinder wesentlich gestärkt worden. Der Ombudsmann für Kinder hat die Aufgabe, die Kinderrechte zu verteidigen und zu fördern (Art. 3 Abs. 1 des

1 Das griechische Strafgesetzbuch (grStGB) von 1950 (in Kraft seit dem 01. 01. 1951) ist ins Deutsche übersetzt von Karanikas 1953. Ferner ist das grStGB ins Englische übersetzt von Lolis 1973 mit einer Einführung von Mangakis 1973, 1 – 33. Ferner ist das griechische Strafgesetzbuch im Jahre 2017 von Billis herausgegeben und ins Englische übersetzt worden von Chalkiadaki & Billis 2017, 65 f. Über das griechische Strafrecht und das strafrechtliche Sanktionensystem siehe Philippides 1954, 408 f.; Androulakis 1980, 138 f.; Pitsela 1988, 149 f.; Spinellis & Spinellis 1999, 35. f.; Anagnostopoulos & Magliveras 2000, 103 f. 2 Beispielsweise Literatur auf Deutsch vor der ersten umfassenden Reform der griechischen jugendstrafrechtlichen Regelungen im Jahre 2003 siehe Middendorff 1956, 102 f.; Pasiotopoulou-Poulea 1986; Rupp-Diakojanni 1990; Petoussi & Stavrou 1996, 146 f.; Pitsela 1997, 155 f.; 1998, 1085 f.; 2000, 131 f.; Chaidou 2002, 191 f.; Pitsela 2004, 355 f. 3 Dazu Spinellis & Tsitsoura 2006, 309 f.; Spinellis 2007, 171 f.; Pitsela 2010b, 1183 f.; 2011b, 505 f., 512 f., 522 f.

1014

Angelika Pitsela

Gesetzes Nr. 3094/2003),4 und gilt in Griechenland inzwischen als eine unverzichtbare Errungenschaft. Sieben Jahre nach dem ersten Reformgesetz hat das zweite Reformgesetz Nr. 3860/2010 über die Verbesserungen der Jugendstrafgesetzgebung. Vorbeugung und Bekämpfung der Viktimisierung und der Kriminalität von Minderjährigen, das am 12. 07. 2010 in Kraft getreten ist, wesentlich zur Modernisierung des (materiellen und formellen) Jugendstrafrechts sowie des Jugendhilferechts beigetragen.5 Im Jahre 2015 haben zwei weitere Gesetze die jugendstraf- und jugendhilferechtlichen Bestimmungen nachhaltig reformiert und die Kinderrechte in der Jugendgerichtsbarkeit gestärkt.6 Mit den vorerwähnten Reformgesetzen wurde aber nur eine Auswahl der Reformgesetze angesprochen, die seit der Jahrtausendwende grundsätzlich zu einer Milderung des Jugendstrafrechts und zu einer Stärkung der rechtlichen Stellung Jugendlicher beigetragen haben. Anders als in Westeuropa und den USA geht die Entwicklung in Griechenland nicht hin zu mehr Strafhärte für jugendliche Rechtsbrecher.7 Schließlich sind am 01. 07. 2019 das neue Strafgesetzbuch (Ratifizierung durch das Gesetz Nr. 4619/2019) und die neue Strafprozessordnung (Ratifizierung durch das Gesetz Nr. 4620/2019) Griechenlands in Kraft getreten.8 Die jugendstrafrechtlichen Bestimmungen haben auch wichtige Neuerungen und grundlegende Änderungen erfahren.

2. Harmonisierungsbemühungen der jugendstrafrechtlichen Bestimmungen mit den internationalen Menschenrechtsstandards Die griechische Jugendstrafrechtsgesetzgebung befindet sich somit seit Anfang des 21. Jahrhunderts – nach einem langjährigen legislativen Stillstand – in einem Modernisierungs- sowie Anpassungsprozess: d. h. Anpassung an die veränderten gesellschaftlichen Verhältnisse (Stichwörter: Europäische Integration, Zuwanderung aus den Nachbarländern und griechischstämmiger Personen aus dem Gebiet der ehe4 Zu Interventionen und Feststellungen des Ombudsmanns für Kinder über die Anwendung der Kinderrechte in Griechenland, Sonderbericht über die Anwendung der Internationalen Kinderrechtskonvention in Griechenland 2012 – 2018, siehe www.synigoros.gr [25.06.20]. 5 Dazu Pitsela 2012, 478 f.; Pitsela & Giagkou 2013, 1003 f., 1014 f.; siehe im Allgemeinen Billis 2013, 187 f., 203 f. 6 Gesetz Nr. 4322/2015 „Reform strafrechtlicher Bestimmungen, Abschaffung der Haftanstalten von Typ C und andere Vorschriften“, in Kraft seit dem 27. 04. 2015 und Gesetz Nr. 4356/2015 „Pakt über das Zusammenleben, die Ausübung von Rechten sowie strafrechtliche und sonstige Regelungen“, in Kraft seit dem 24. 12. 2015. 7 Gesetzliche Verschärfungen im strafrechtlichen Umgang mit Jugendlichen sind z. B. in Frankreich im Zeitraum von 2002 bis 2012 zu beobachten; dazu Décarpes 2015, 305 f.; siehe auch Stump 2003, 88 f., 184 f.; siehe ferner Marek 2009, 635 f. 8 Siehe Bitzilekis, Kaiafa-Gbandi & Symeonidou-Kastanidou 2020, 253 f., 257 f., 262 f.

Die Entwicklung des Jugendstrafrechts in Griechenland

1015

maligen Sowjetunion, Flüchtlinge, insbesondere unbegleitete minderjährige Flüchtlinge bzw. Asylsuchende), Anpassung an die veränderten wirtschaftlichen Verhältnisse (Stichwörter: Finanz- und Wirtschaftskrise, Schulden- und Staatskrise, Depression, Beschäftigungskrise) und Anpassung an die verbindlichen Regelungen der Kinderrechtskonvention (KRK)9, des Internationalen Paktes über bürgerliche und politische Rechte (IPbürgR) und der zwei Fakultativprotokolle zum IPbürgR10 und anderer Menschenrechtskonventionen11 sowie Anpassung an (weitere) internationale Menschenrechtsstandards12. Bei der zuletzt genannten Kategorie handelt es sich um unverbindliche Rechtsinstrumente, um nicht bindendes Völkerrecht, wie die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte (Art. 23 und 24), die Mindestgrundregeln der

9

Ratifizierung der KRK durch das Gesetz Nr. 2101/1992. Ferner hat Griechenland sowohl das Fakultativprotokoll zum Übereinkommen über die Rechte des Kindes betreffend den Verkauf von Kindern, die Kinderprostitution und die Kinderpornographie (durch das Gesetz Nr. 3625/2007) ratifiziert (in Kraft seit dem 24. 12. 2007) als auch das Fakultativprotokoll zum Übereinkommen über die Rechte des Kindes betreffend die Beteiligung von Kindern an bewaffneten Konflikten (durch das Gesetz Nr. 3080/2002, in Kraft seit dem 10. 12. 2002). Das Fakultativprotokoll zum Übereinkommen über die Rechte des Kindes betreffend ein Mitteilungsverfahren (Resolution A/RES/66/138 der Generalversammlung der Vereinten Nationen vom 19. Dezember 2011), in Kraft seit dem 14. April 2014, ist von Griechenland weder unterzeichnet noch ratifiziert worden. 10 Erst durch das Gesetz Nr. 2462/1997 ratifiziert. Der Internationale Pakt über bürgerliche und politische Rechte enthält spezielle Garantien zugunsten der straffällig gewordenen Jugendlichen, wie das Verbot der Verhängung der Todesstrafe in Art. 6 Abs. 5, die getrennte Unterbringung von jugendlichen und erwachsenen Beschuldigten in Art. 10 Abs. 2b, die getrennte Unterbringung von jugendlichen und erwachsenen Tätern sowie die altersgemäße Behandlung in Art. 10 Abs. 3 Satz 2, die nichtöffentliche Verkündung des Urteils bei entgegenstehenden Interessen des Jugendlichen in Art. 14 Abs. 1 und die Verfahrensgestaltung, die auf das Alter und die Förderung der Wiedereingliederung der Jugendlichen Rücksicht nimmt in Art. 14 Abs. 4 IPbürgR. 11 Siehe den Internationalen Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte (durch das Gesetz Nr. 1532/1985 ratifiziert); das Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau (durch das Gesetz Nr. 1342/1983 und ihr Fakultativprotokoll durch das Gesetz Nr. 2952/2001 ratifiziert); das Übereinkommen gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe (durch das Gesetz Nr. 782/1988 ratifiziert); das Übereinkommen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen und ihr Fakultativprotokoll (durch das Gesetz Nr. 4074/2012 ratifiziert). Das Fakultativprotokoll zum Übereinkommen gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe (OPCAT: Optional Protocol to the UN Convention against Torture) ist durch das Gesetz Nr. 4228/2014 ratifiziert worden, während die Aufgabe des Nationalen Präventionsmechanismus gegen Folter und Misshandlung der griechische Ombudsmann wahrnimmt; Das Internationale Übereinkommen zum Schutz aller Personen vor erzwungenem Verschwindenlassen ist durch das Gesetz Nr. 4268/2014 ratifiziert worden. Griechenland hat aber die Internationale Konvention zum Schutz der Rechte aller Migranten und Mitglieder ihrer Familien von 1990, die am 01. 07. 2003 in Kraft trat, noch nicht ratifiziert. 12 Exemplarisch dazu Höynck, Neubacher, Ernst & Zähringer 2020, 29 f., 363 f., 819 f.; Neubacher 2009, 275 f.; Pitsela 2009, 645 f.; Jung 1998, 1047 f.

1016

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Vereinten Nationen über die Jugendgerichtsbarkeit13 sowie die Handlungsanleitungen für den Umgang mit Minderjährigen im Kriminaljustizsystem14. Besonders hervorzuheben ist, dass in den Einführungs- bzw. Begründungsberichten zu den Gesetzentwürfen über die Reform der griechischen Jugendstrafgesetzgebung nicht nur die verbindlichen Instrumente der Vereinten Nationen, insbesondere die Kinderrechtskonvention, das wichtigste internationale Menschenrechtsinstrument für Kinder, explizit Berücksichtigung fanden, sondern auch das sogenannte weiche Recht („soft law“), das einstimmig von der Generalversammlung der Vereinten Nationen angenommen wurde, wie die Mindestgrundsätze für die Jugendgerichtsbarkeit, die Richtlinien zur Prävention der Jugenddelinquenz15, die Regeln zum Schutz von Jugendlichen im Freiheitsentzug16. Schließlich wurde auch auf die Allgemeine Bemerkung Nr. 10 (2007) des UN-Kinderrechtsauschusses über Kinderrechte in der Jugendgerichtsbarkeit17 hingewiesen. Menschenrechte im Strafverfahren, die einem Beschuldigten unabhängig von seinem Alter zustehen, sind in der Europäischen Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten fest verankert, dem wichtigsten Menschenrechtsinstrument des Europarats. Ziel des Europarates ist es, im Wege einer Harmonisierung der Rechtsvorschriften eine größere Einheit unter seinen 47 Mitgliedstaaten herzustellen. Die unaufhaltsamen Bestrebungen des Europarates, einheitliche Menschenrechtsstandards zu formulieren und durchzusetzen bis hin zur Harmonisierung des Jugendstrafrechts auf europäischer Ebene,18 haben auch Impulse zur Umgestaltung der jugendstrafrechtlichen Vorschriften gegeben.19 In den Einführungs- bzw. Begründungsberichten zu den griechischen Gesetzentwürfen fanden verbindliche Instru13

Die „United Nations Standard Minimum Rules for the Administration of Juvenile Justice“ oder „the Beijing Rules“ wurden durch die Resolution 40/33 der Generalversammlung der Vereinten Nationen angenommen; dazu Schüler-Springorum 1987, 809 f. 14 Die „Guidelines for Action on Children in the Criminal Justice System“ oder „the Vienna Guidelines“ wurden durch die Resolution 1997/30 vom 21. Juli 1997 des Wirtschaftsund Sozialrates der Vereinten Nationen angenommen. 15 Die „United Nations Guidelines for the Prevention of Juvenile Delinquency“ oder „the Riyadh Guidelines“ wurden durch die Resolution 45/112 der Generalversammlung der Vereinten Nationen angenommen; dazu Kaiser 1989, 44 f.; Schüler-Springorum 1992, 169 f. 16 Die „United Nations Rules for the Protection of Juveniles Deprived of their Liberty“ oder „the Havana Rules“ wurden durch die Resolution 45/113 der Generalversammlung der Vereinten Nationen angenommen; dazu Dünkel 1988, 361 f. 17 Siehe UN Committee on the Rights of the Child (CRC), General Comment No. 10 (2007): Children’s Rights in Juvenile Justice, 25. 04. 2007, CRC/C/GC/10; dazu Bochmann 2009, 25; siehe auch Radtke 2011, 120 f. Gegenwärtig beschäftigt sich der UN-Kinderrechtsausschuss mit der Überarbeitung der Nr. 10 Allgemeinen Bemerkung über Kinderrechte in der Jugendgerichtsbarkeit. Schließlich hat General Comment No. 24 (2019) on children’s rights in the Child Justice System, 18. 09. 2019, CRC/C/GC/24 General Comment No. 10 (2007) on children’s rights in Juvenile Justice ersetzt. 18 Vgl. Rau 1997, 519 f.; Bundesministerium der Justiz & Deutsche Vereinigung für Jugendgerichte und Jugendgerichtshilfen e.V. 2001, 94 f.; Kerner & Czerner 2004, 1 f. 19 Dazu Dünkel 2014, XVII f.

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mente des Europarates wie die Europäische Konvention über die Ausübung von Kinderrechten20 sowie folgende Empfehlungen des Ministerkomitees des Europarates explizit Beachtung: die Empfehlung Nr. R (87) 20 über die gesellschaftlichen Reaktionen auf Jugendkriminalität, die Empfehlung Rec (2000) 20 über die Rolle des frühzeitigen psychosozialen Einschreitens zur Verhütung kriminellen Verhaltens, aber auch die Empfehlung Rec (2003) 20 über „Neue Wege im Umgang mit Jugenddelinquenz und die Rolle der Jugendgerichtsbarkeit“21. Die Bemühungen zur Harmonisierung der griechischen jugendstrafrechtlichen Vorschriften mit den Bestimmungen der Kinderrechtskonvention, insbesondere mit den Empfehlungen des Ausschusses für die Rechte der Kinder in den „Abschließenden Bemerkungen“ (Concluding Observations 2002, 2012)22, sowie mit den Empfehlungen des Europäischen Ausschusses zur Verhütung von Folter und unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe (CPT)23 spiegeln sich in mehreren Reformgesetzen wider. Die Empfehlungen beider Ausschüsse werden sehr ernst genommen und erfahren zunehmende Akzeptanz. Auf der Ebene der Europäischen Union werden im Zusammenhang mit den jugendstrafrechtlichen Menschenrechtsstandards – abgesehen von der EU-Grundrechtecharta – drei Dokumente erwähnt: die Mitteilung der Kommission im Hinblick auf eine EU-Kinderrechtsstrategie (2006), die Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema „Verhütung von Jugendkriminalität, Wege zu ihrer Bekämpfung und Bedeutung der Jugendgerichtsbarkeit in der Europäischen Union“ (2006) sowie der „Bericht über Jugenddelinquenz: die Rolle der Frau, der Familie und der Gesellschaft“ vom Ausschuss des Europäischen Parlaments für die Rechte der Frau und die Gleichstellung der Geschlechter (2007)24. Die EU-Richtlinie 2016/800 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Mai 2016 über Verfahrensgarantien in Strafverfahren für Kinder, die Verdächtige oder beschuldigte Personen in Strafverfahren sind (ABl. L 132 vom 21. 05. 2016, 20

Ratifizierung durch das Gesetz Nr. 2501/1997. Zumindest explizit fanden keine Beachtung die Empfehlung CM/Rec (2008) 11 über die Europäischen Grundsätze für die von Sanktionen und Maßnahmen betroffenen jugendlichen Straftäter sowie die Leitlinien für eine kindergerechte Justiz (Guidelines on child-friendly Justice); exemplarisch dazu Dünkel, Baechtold & van Zyl Smit 2009, 297 f. 22 Siehe CRC/C/GRC/2 – 3, paras. 68 und 69 (2012) und CRC/C/15/Add. 170, para. 79 (2002). 23 Exemplarisch dazu Kaiser 1994, 66 f.; Nowak 1988, 537 f. Das CPT hat bis heute sieben periodische und neun ad hoc Besuche in griechischen Hafteinrichtungen im Zuständigkeitsbereich des Justizministeriums abgestattet. Zusätzlich hat das CPT eine öffentliche Stellungnahme (Public Statement) am 15. 03. 2011 abgegeben, die schärfste Maßnahme, über welche diese Institution gegenüber einer Vertragspartei verfügt (siehe Art. 10 Abs. 2 des Europäischen Übereinkommens zur Verhütung von Folter und unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe). Der Strafvollzug liegt seit Juli 2019 im Zuständigkeitsbereich des Ministeriums für Bürgerschutz (vorher: Ministerium für öffentliche Ordnung und Bürgerschutz). 24 Siehe Geng 2014, 27. 21

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S. 1), befasst sich u. a. mit der Ausweitung des Rechts auf Zugang zu einem Verteidiger (Art. 6), des Rechts auf individuelle Begutachtung (Art. 7) und dem Ausbau des Anwendungsbereichs der audiovisuellen Aufzeichnung von Beschuldigtenvernehmungen (Art. 9)25. Übergeordnetes Ziel der Richtlinie ist die Stärkung des gegenseitigen Vertrauens für ein gemeinsames Verständnis von Rechtstaatlichkeit durch Mindeststandards.26 Deshalb verdient besondere Aufmerksamkeit, dass diese gemeinsamen Mindeststandards innerhalb der Europäischen Union Anwendung finden. Griechenland hat die EU-Richtlinie 2016/800 durch das Gesetz Nr. 4689/2020 in der nationalen Gesetzgebung umgesetzt.

3. Überblick über die Reform der jugendstrafrechtlichen Bestimmungen Die erste umfangreiche Reform der Jugendkriminalgesetzgebung (2003) erhöhte die untere Anwendbarkeitsgrenze des jugendstrafrechtlichen Sanktionssystems vom 7. auf das 8. Lebensjahr und die obere vom 17. auf das 18. Lebensjahr. Personen, die noch nicht das 13. Lebensjahr vollendet hatten, waren strafrechtlich nicht verantwortlich, so dass die Strafmündigkeit mit Vollendung des 13. Lebensjahrs eintrat. Die Jugendstrafe – sowie die Untersuchungshaft – durfte erst mit Vollendung des 13. Lebensjahrs verhängt werden. Die allgemeine strafrechtliche Verantwortung tritt seither mit Vollendung des 18. Lebensjahres ein und Personen ab dem vollendeten 18. bis zum noch nicht vollendeten 21. Lebensjahr sind Heranwachsende. Die zeitlich unbestimmte Jugendstrafe (Rahmenstrafe) wurde abgeschafft27 und durch die Jugendstrafe von bestimmter Dauer ersetzt. Die Reformgesetzgebung unterstrich die ambulante erzieherische Behandlung, stärkte den Opferschutz (Einführung des Täter-Opfer-Ausgleichs und der Wiedergutmachung als eigenständige Erziehungsmaßnahmen)28, führte die ambulante therapeutische Behandlung ein, unterstützte die Gestaltung des Freiheitsentzugs als ultima ratio, führte die bestimmte Jugendstrafe ein, wertete die Rolle des Staatsanwalts u. a. durch die Einführung des Absehens von der Verfolgung (Diversion)29 auf, verbesserte die rechtliche Stellung der jugendlichen Beschuldigten und erweiterte sub25

Ausführlich dazu Bock & Puschke 2019, 224 f. Dazu Drenkhahn 2015, 288 f. (292). 27 Bereits in den 1970er Jahren war die unbestimmte Jugendstrafe in den skandinavischen Ländern (z. B. in Dänemark im Jahre 1973, Norwegen im Jahre 1975 und Schweden im Jahre 1979), in Schottland sowie England und Wales, aber auch in anderen Ländern Europas (nämlich im Jahre 1988 in Österreich und im Jahre 1990 Deutschland) abgeschafft worden, die eine Vorbildfunktion für die griechische Strafgesetzgebung hatten. 28 Ausführlich hierzu Panagos 2017, 1685 f., 1694 f.; Pitsela 2014, 359 f.; Artinopoulou 2013, 101 f.; Pitsela 2011, 623 f., 664 f.; Artinopoulou 2009, 237 f. 29 Dazu Lambropoulou 2010, 905 f.; Giovanoglou 2015, 331 f.; Giovanoglou & Parosanu 2015, 81 f. 26

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stantiell den Aufgabenbereich der Jugendgerichtshilfe.30 Das Rechtsmittelrecht stellte einen Grundstein der Reform dar. Es wurde die Möglichkeit geschaffen, die bestimmte Jugendstrafe, unabhängig von ihrer Dauer, vor einer höheren Instanz zu überprüfen: Alle Strafurteile mit einer Jugendstrafe sind seither berufungsfähig. Nach der vorherigen Regelung war eine Berufung gegen Jugendstrafen, deren Mindestdauer sechs Monate bis einschließlich ein Jahr betrug, ausgeschlossen gewesen. Ferner wurden durch Art. 26 des Gesetzes Nr. 3904/2010 Rationalisierung und Verbesserung der Strafrechtspflege und andere Vorschriften (in Kraft seit dem 23. 12. 2010) sowohl die Urteile mit Erziehungs- oder Heilmaßnahmen als auch Strafurteile mit einer obligatorisch gemilderten Freiheitsstrafe31, unabhängig von ihrer Höhe, stets berufungsfähig. Das zweite Reformgesetz zur Jugendstrafgesetzgebung (2010) schränkte die Anordnungsvoraussetzungen der Jugendstrafe ein (Ultima-ratio-Stellung der Jugendstrafe) und verkürzte die Strafrahmen bzw. Straflängen der Jugendstrafe. Die rechtsstaatlichen Verfahrensgarantien wurden verstärkt. Die Untersuchungshaft wurde als letztes Mittel gestaltet. Als Haftalternativen speziell für jugendliche Beschuldigte ab dem 15. Lebensjahr stehen seitdem alle ambulanten Erziehungsmaßnahmen des Jugendstrafrechts zur Verfügung. Wenn einem jugendlichen Beschuldigten eine Tat zur Last gelegt wird, die bei einem Erwachsenen ein Verbrechen wäre, ist seither die Bestellung und Mitwirkung eines Verteidigers in der Hauptverhandlung obligatorisch (Art. 340 Abs. 1 Satz 3 grStPO). Schließlich sah die Reform besondere Qualifikationen für die Jugendrichter vor. Danach sollte der Jugendrichter den Rang eines Landgerichtspräsidenten haben und die Amtszeit für Jugendrichter und Jugendstaatsanwälte drei Jahre betragen, aber mit Zustimmung der Betroffenen um weitere drei Jahre verlängert werden dürfen.32 Die wichtigsten Änderungen im jugendstrafrechtlichen Bereich der griechischen Reformgesetze im Jahr 2015 (Gesetz Nr. 4322/2015 und Gesetz Nr. 4356/2015) betreffen vor allem die klare und deutliche Heraufsetzung des Strafmündigkeitsalters auf das 15. Lebensjahr, die strikteren Anwendungsvoraussetzungen der U-Haft und der Jugendstrafe und dadurch die Bekräftigung der Ultima-ratio-Stellung aller freiheitsentziehenden Sanktionen und Maßnahmen, die Herabsetzung der Höchstdauer der Untersuchungshaft sowie der Jugendstrafe, die grundsätzliche Stärkung der 30 Detailliert hierzu Pitsela 2012, 480 f., 483 (Fn. 5); 2011a, 664 f. (Fn. 28); 2010b, 1187 f. (Fn. 3). 31 Wenn ein Jugendlicher bis zum Zeitpunkt der Aburteilung seiner Strafsache das 18. Lebensjahr vollendet hatte, konnte das erkennende Gericht statt der Verhängung einer Jugendstrafe, die zwar für notwendig, deren Vollzug jedoch nicht mehr für zweckmäßig erachtet wird, die für die Tat vorgesehene Strafe verhängen und diese nach den Vorschriften des Art. 83 grStGB obligatorisch mildern (Art. 130 grStGB). Statt der Verhängung der Jugendstrafe wurde durch den Rückgriff auf die gemilderten Strafen des allgemeinen Strafrechts in der Gerichtspraxis meistens die Gefängnisstrafe verhängt (10 Tage bis 5 Jahre), die aber in der Regel ausgesetzt oder in eine Geldstrafe umgewandelt wurde; ausführlich hierzu Pitsela 1997, 166 f. (Fn. 2). 32 Detailliert hierzu Pitsela 2012, 484 f. (Fn. 5); 2011a, 664 f. (Fn. 28).

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Rechte der Kinder in der Jugendgerichtsbarkeit und die Abschaffung der Strafregistereintragung der Gerichtsurteile mit Erziehungsmaßnahmen. Somit beschränkt sich in Griechenland die Registereintragung auf die Jugendstrafe. Ein Erziehungsregister gibt es nicht. Die jugendstrafrechtlichen Bestimmungen im achten Abschnitt des Allgemeinen Teils des grStGB waren auch Gegenstand der Reformbemühungen, die deren Modernisierung durch die Verabschiedung der neuen Strafgesetzgebung im Jahr 2019 herbeigeführt haben. Die wichtigsten Änderungen im jugendstrafrechtlichen Bereich lassen sich wie folgt zusammenfassen: Der Begriff des Minderjährigen und der des jungen Erwachsenen sind neu bestimmt worden. Als Minderjährige gelten nunmehr Personen, die zur Zeit der Tatbegehung 12 Jahre, aber noch nicht 18 Jahre alt sind (Art. 121 Abs. 1 grStGB). Zuvor lag die Grenze gemäß dem grStGB von 1950 bei 7 Jahren und beim ersten Reformgesetz von 2003 bei 8 Jahren. Minderjährige im Alter von 12 bis unter 15 Jahren sind per Gesetzesdefinition zwar nicht strafrechtlich verantwortlich (Art. 126 Abs. 1 grStGB), doch unterliegen sie trotz ihrer Strafunmündigkeit ab dem vollendeten 12. Lebensjahr der Strafverfolgung. Ferner müssen sie vor einem Jugendgericht erscheinen, das nach Art. 1 des grStPO ein Strafgericht ist, und die Erziehungs- oder Heilmaßnahmen werden auf sie angewendet. Da die 12bis unter 15-Jährigen nicht strafbar sind, können sie nicht zur Jugendstrafe verurteilt werden. Ab 15 Jahren werden Jugendliche strafrechtlich zur Verantwortung gezogen. Kinder unter 12 Jahren können strafrechtlich nicht verfolgt werden. Sie kommen weder vor ein Jugendgericht, noch dürfen ihnen gegenüber Erziehungs- oder Heilmaßnahmen angeordnet werden. Die im Gesetz vorgesehenen ambulanten Erziehungsmaßnahmen (Art. 122 grStGB) sind nach ihrer Schwere eingestuft und haben Vorrang: Dabei handelt es sich um den Verweis/Verwarnung, die Unterstellung des Minderjährigen unter die Erziehungsverantwortung der Eltern oder des Vormunds, die Unterstellung des Minderjährigen unter die Erziehungsverantwortung einer Pflegefamilie, die Unterstellung des Minderjährigen unter die Fürsorge von Jugendschutzvereinigungen, Jugendeinrichtungen oder Jugendgerichtshelfern, die Vermittlung zwischen dem minderjährigen Täter und dem Opfer, um sich beim Opfer zu entschuldigen, und im Allgemeinen um die außergerichtliche Regelung der Tatfolgen, die Entschädigung des Opfers oder die sonstige Beseitigung oder Minderung der Tatfolgen, die Teilnahme an sozialen und psychologischen Programmen von staatlichen, städtischen, kommunalen oder privaten Trägern, den Besuch von Berufsschulen oder anderen Ausbildungs- oder Berufsausbildungseinrichtungen und die Teilnahme an speziellen Verkehrserziehungsprogrammen. Nachrangig sind demgegenüber die Leistung gemeinnütziger Arbeit, die Unterstellung des Minderjährigen unter die Fürsorge und Aufsicht von Jugendschutzvereinigungen oder Jugendgerichtshelfern und die Unterbringung des Minderjährigen in einem geeigneten staatlichen, städtischen, kommunalen oder privaten Erziehungsheim. Die Anordnung der Unterbringung in einem Erziehungsheim, die einzig vorgesehene stationäre Erziehungsmaßnahme, kommt nur dann vor, wenn alle anderen milderen Maßnahmen bereits gescheitert

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sind, um den Minderjährigen von der Begehung weiterer Straftaten abzuhalten (Ultima-ratio-Stellung der Heimunterbringung). Sowohl das Subsidiaritäts- als auch das Proportionalitätsprinzip werden explizit anerkannt.

4. Die Entwicklung der Anordnungsvoraussetzungen und der Dauer der Jugendstrafe Die Jugendstrafe (Einschließung, Unterbringung oder Freiheitsentzug in einer Jugendstrafanstalt) ist die einzige im Jugendstrafrecht vorgesehene Kriminalstrafe.33 Sie ist das letzte Mittel34, auf welches das Gericht bei bestimmten schweren Straftaten zurückgreifen darf. Das ergibt sich aus den jugendstrafrechtlichen Vorschriften (Art. 126 Abs. 2 i.V.m. Art. 127 Abs. 1 grStGB), dem Grundsatz des Wohls des Kindes in Art. 3 Abs. 1 der Kinderrechtskonvention (the best interests of the child) und Art. 24 Abs. 2 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (the child’s best interests), folgt aber auch aus dem verfassungsrechtlichen Grundsatz der Verhältnismäßigkeit (Art. 25 Abs. 1 Satz 4 grVerfassung). Deshalb darf sie erst angewendet werden, wenn weniger eingreifende Sanktionen ausscheiden. Das griechische Jugendstrafrecht sieht keine ambulanten Strafen vor.35 Die Jugendstrafe ist stets eine freiheitsentziehende Strafe, die eine persönlichkeitsgebundene ungünstige Prognose beinhaltet. Deshalb besteht keine Möglichkeit der Aussetzung der Jugendstrafe zur Bewährung.36 Gemäß den Neuregelungen im grStGB kann jedoch die Jugendstrafe durch die Leistung gemeinnütziger Arbeit teilweise ersetzt werden (siehe Art. 128 Abs. 2 grStGB). Ferner ist es möglich, die Jugendstrafe durch Hausarrest ganz oder teilweise zu ersetzen (siehe Art. 128 Abs. 1 grStGB). Die Voraussetzungen für die Verhängung der Jugendstrafe (Art. 127 Abs. 1 grStGB) wurden in den Jahren 2010 und 2015 neu geregelt. War die Jugendstrafe bis zur Reform von 2010 noch als Strafe für Vergehen oder Verbrechen vorgesehen, so ist sie seither auf bestimmte Verbrechenskategorien beschränkt. Nach der Reform von 2010 verurteilte das Gericht einen Jugendlichen, der das 15. Lebensjahr vollen-

33 Ausführlich hierzu Bitzilekis, Kaiafa-Gbandi & Symeonidou-Kastanidou 2020, 259 f. (Fn. 8). 34 Im Allgemeinen darf der Freiheitsentzug bei einem Menschen unter 18 Jahren nur „als letztes Mittel und nur für die kürzeste angemessene Zeit“ eingesetzt werden (siehe Art. 37b der Kinderrechtskonvention, Mindestgrundregeln der Vereinten Nationen über die Jugendgerichtsbarkeit, Nr. 13, 19.1) und nur auf Ausnahmefälle beschränkt bleiben (siehe Regeln der Vereinten Nationen zum Schutz von Jugendlichen im Freiheitsentzug, Nr. 1 und 2). 35 Über das jugendstrafrechtliche Sanktionensystem siehe Pitsela 2016, 581 f., 589 f.; im Allgemeinen siehe Pitsela & Chatzispyrou 2017, 174 f., 190 f.; über den Hausarrest mit elektronischer Überwachung siehe Pitsela 2017, 363 f.; für einen Einblick in die gemeindebezogenen Sanktionen und Maßnahmen siehe Tsitsoura 2002, 271 f.; Courakis 1994, 257 ff. 36 Dazu Pitsela & Sagel-Grande 2004, 208 f.

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det hatte,37 zur Jugendstrafe, wenn die Tat ein Verbrechen war und Gewaltelemente enthielt, sich gegen das Leben oder die körperliche Unversehrtheit richtete oder berufsmäßig oder fortgesetzt begangen wurde.38 Demnach war die Verhängung einer Jugendstrafe bei der Aburteilung eines Vergehens ausgeschlossen. Ferner musste sich aus der speziellen und umfassenden Begründung des Gerichtsurteils ergeben, warum die Erziehungs- oder Heilmaßnahmen unter Berücksichtigung der besonderen Tatumstände und der Persönlichkeit des Täters in dem vorliegenden Fall nicht ausreichten (Art. 127 Abs. 1 grStGB). Selbst bei diesen Verbrechen hatten die Erziehungs- oder Heilmaßnahmen Vorrang bzw. stellten die „normale“ Reaktion dar. Nur wenn die Erziehungs- oder die Heilmaßnahmen nicht ausreichten und die Verhängung der Jugendstrafe als notwendig erachtet wurde, verhängte das Gericht diese Strafe. Gemäß den Neuregelungen aus dem Jahr 2015 wurde die Jugendstrafe gegenüber Personen verhängt, die das 15. Lebensjahr vollendet hatten, wenn ihre Tat bei einem Erwachsenen ein Verbrechen wäre, das mit lebenslanger Freiheitsstrafe sanktioniert werden kann. Es handelte sich dabei um schwere Verbrechen, die in der Praxis relativ selten vorkommen und kaum von Jugendlichen begangen werden (z. B. vorsätzliche Tötung in Art. 299 Abs. 1 grStGB, Raub mit Todesfolge in Art. 380 Abs. 2 grStGB und Brandstiftung mit Todesfolge einer großen Anzahl von Menschen in Art. 264 Abs. 1 grStGB). Die Jugendstrafe konnte ferner bei Vergewaltigungstaten (Art. 336 grStGB) eines 15 bis 18-Jährigen verhängt werden, wenn das Opfer jünger als 15 Jahre alt war. Die Jugendstrafe konnte schließlich gegenüber einem Jugendlichen ab 15 Jahren verhängt werden, wenn er während der zuvor verhängten Unterbringung in einem Erziehungsheim eine Straftat beging, die bei einem Erwachsenen ein Verbrechen gewesen wäre. Beging ein 15- bis 18-Jähriger eine Straftat, die bei einem Erwachsenen ein Verbrechen gewesen wäre, konnte ihm die Einweisung in ein Erziehungsheim angedroht werden. Die Anordnungsvoraussetzungen der Jugendstrafe haben sich im neuen grStGB von 2019 wieder geändert. Seither darf die Jugendstrafe gegenüber Jugendlichen, die das 15. Lebensjahr vollendet haben, verhängt werden, wenn die Tat ein Verbrechen39 37 Für einen Vergleich der Altersgrenzen strafrechtlicher Verantwortlichkeit siehe Dünkel 2015, 527 f., 536 f. Das Strafmündigkeitsalter liegt in Dänemark, Finnland und Schweden bei 15 Jahren, siehe Nemitz 2002, 137 f., 140; Cornils 2002, 27 f., 29; Haverkamp 2002, 337 f., 339. Siehe auch Dünkel 1999, 291 f. 38 Diese Bestimmung ist stark von Nr. 17.1c der Mindestgrundsätze der Vereinten Nationen für die Jugendgerichtsbarkeit beeinflusst. 39 Das neue grStGB hat die Dichotomie der Straftaten in Verbrechen und Vergehen eingeführt, welche im Wesentlichen der Zweiteilung der Freiheitsstrafen in Zuchthaus (zeitig, lebenslang) und Gefängnis (10 Tage bis 5 Jahre) entspricht. Verbrechen sind rechtswidrige Taten, die im Mindestmaß mit einer Freiheitsstrafe von 5 Jahren oder darüber bedroht sind. Vergehen sind rechtswidrige Taten, die mit einer Freiheitsstrafe von 10 Tagen bis 5 Jahre oder mit Jugendstrafe oder mit Geldstrafe oder mit der Leistung gemeinnütziger Arbeit bedroht sind (Art. 18 StGB). Abweichend von der Zweiteilung der Straftaten nach den allgemeinen Bestimmungen in Verbrechen und Vergehen ist jede Tat, die mit der Jugendstrafe – unab-

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ist und Gewaltelemente enthält oder sich gegen das Leben oder die körperliche Unversehrtheit richtet (Art. 127 Abs. 1 grStGB). Der Strafrahmen der Jugendstrafe wurde im Jahre 2003 (Gesetz Nr. 3189/2003) nicht reformiert. Die Dauer der Jugendstrafe betrug damals mindestens fünf und höchstens zwanzig Jahre, wenn die begangene Tat im allgemeinen Strafrecht mit einer Freiheitsstrafe von über zehn Jahren bedroht war. In jedem anderen Fall betrug sie mindestens sechs Monate und höchstens zehn Jahre. Diese Regelung stammte aus dem grStGB von 1950 und wurde erst im Jahre 2010 geändert. Erstmals wurde durch die Reform von 2003 aber festgelegt, dass die Dauer der Unterbringung in einer Jugendstrafanstalt im Gerichtsurteil genau bestimmt werden muss (Art. 127 Abs. 2 grStGB). Seit 2003 gibt es nur noch die bestimmte Jugendstrafe, deren Dauer wie im allgemeinen Strafrecht vom Gericht durch das Strafurteil festgesetzt wird. Nach der Reform von 2010 (Gesetz Nr. 3860/2010) betrug das Mindestmaß der Jugendstrafe sechs Monate und ihr Höchstmaß fünf Jahre, wenn die begangene Tat im allgemeinen Strafrecht mit einer Freiheitsstrafe von bis zu zehn Jahren bedroht war. Wenn die begangene Tat im allgemeinen Strafrecht mit einer Freiheitsstrafe von über zehn Jahren oder mit lebenslanger Freiheitsstrafe bedroht war, durfte die Dauer der Unterbringung in einer Jugendstrafanstalt weder zwei Jahre unterschreiten noch zehn Jahre übersteigen und bei besonders schweren Straftaten konnte in Ausnahmefällen eine Jugendstrafe von bis zu fünfzehn Jahren verhängt werden. Somit blieb die Mindestdauer der Jugendstrafe sechs Monate, während das Höchstmaß der Jugendstrafe von zwanzig Jahren auf zehn Jahre bzw. in Ausnahmefällen auf fünfzehn Jahre reduziert wurde.40 Die Dauer der Jugendstrafe betrug nach den Bestimmungen des Gesetzes Nr. 4322/2015 mindestens zwei und höchstens zehn Jahre, wenn für die begangene Tat Freiheitsstrafe von mehr als zehn Jahren oder lebenslange Freiheitsstrafe vorgesehen war; in jedem anderen Fall reichte die Dauer von mindestens sechs Monaten bis höchstens fünf Jahre (Art. 54 a.F. grStGB). Somit betrug das Mindestmaß der Jugendstrafe sechs Monate und das Höchstmaß fünf Jahre (wie bei der Reform von 2010: sechs Monate bis fünf Jahre, davor 1951 – 2003 sechs Monate bis zehn Jahre), wenn die begangene Tat nach dem allgemeinen Strafrecht mit einer Freiheitsstrafe von bis zu zehn Jahren bedroht war. Ferner durfte die Dauer der Jugendstrafe hängig von ihrer Dauer – bestraft wird, ein Vergehen. Demnach wird auch die schwerwiegendste von Jugendlichen begangene strafbare Handlung per Gesetzesdefinition als Vergehen bezeichnet, da die Jugendstrafe die einzige Strafe ist, die ihnen auferlegt werden kann. Somit erfolgt die rechtliche Einordnung der Tat eines Jugendlichen nicht wie im allgemeinen Strafrecht. Die Jugendstrafe, die eingriffsintensivste Sanktion des Jugendstrafrechts, darf als Reaktion auf Verbrechen im Sinne des allgemeinen Strafrechts verhängt werden (Art. 127 Abs. 1 grStGB). Das Alter des Täters beeinflusst somit die rechtliche Natur der begangenen Straftat. Strafbare Handlungen verlieren ihren Charakter als Verbrechen, wenn sie von Jugendlichen begangen werden. Die Tat behält ihren rechtlichen Charakter als Vergehen, auch wenn der Jugendliche nach der Vollendung des 18. Lebensjahrs abgeurteilt wird. 40 Dazu Pitsela 2012, 484 f. (Fn. 5).

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weder zwei Jahre unterschreiten noch zehn Jahre übersteigen (bei der Reform von 2010: 2 – 10 bzw. 15 Jahre, davor 1951 – 2003: 5 – 20 Jahre), wenn die begangene Tat nach dem allgemeinen Strafrecht mit einer Freiheitsstrafe von über zehn Jahren oder mit lebenslanger Freiheitsstrafe bedroht war. Die Möglichkeit, in Ausnahmefällen eine Freiheitsstrafe von bis zu fünfzehn Jahren zu verhängen, war also entfallen. Das Höchstmaß der Jugendstrafe hat sich also zwischen 2010 und 2015 halbiert. Nach der geltenden Rechtsbestimmung (Art. 54 grStGB) beträgt die Dauer der Jugendstrafe mindestens sechs Monate und höchstens fünf Jahre, wenn die begangene Tat mit einer Freiheitsstrafe von bis zu zehn Jahren bedroht ist. Wenn die begangene Tat mit lebenslanger Freiheitsstrafe oder mit einer Freiheitsstrafe von über zehn Jahren bedroht ist, kann die Dauer der Unterbringung in einer Jugendstrafanstalt weder zwei Jahre unterschreiten noch acht Jahre übersteigen. Somit beträgt die Dauer der Jugendstrafe mindestens sechs Monate (unverändert seit 1951) und höchstens acht Jahre. Die Jugendgerichte sind grundsätzlich zurückhaltend bei der Verhängung freiheitsentziehender Sanktionen. In der jugendgerichtlichen Sanktionenpraxis dominierten bis zum Jahre 2010 – nicht zuletzt wegen der begrenzten Kapazitäten und der desolaten Verhältnisse im Erziehungswesen und im Strafvollzug41 – die ambulanten Erziehungsmaßnahmen.42 Die Entwicklung der Dauer der Jugendstrafe ist durch mildere Strafen infolge der Herabsetzung der oberen Grenze des Strafrahmens gekennzeichnet, obwohl das Höchst- und Mindestmaß der Jugendstrafe in Griechenland im Vergleich zu anderen Ländern (z. B. Niederlande, Schweiz) ziemlich hoch ist.

5. Junge Erwachsene Eine Einbeziehung der jungen Erwachsenen (18- bis unter 25-Jährige) in das Jugendstrafrecht43 hat durch die Reformen des Jugendstrafrechts von 2010 und 2015 bedauerlicherweise nicht stattgefunden. Junge Erwachsene werden in der Regel nach Erwachsenenstrafrecht verurteilt. Das Jungerwachsenensein des Täters kann dann bei der Strafzumessung allenfalls mildernd berücksichtigt werden.44 Wenn Milderungsgründe vorliegen, verbüßen junge volljährige Straftäter ihre Freiheitsstrafe im Jugendstrafvollzug (Art. 133 grStGB, 12 grStVollzGB), der im Hinblick auf 41

Siehe Pitsela 2010a, 409 ff., 372 f.; Papadopoulou, Moisiadis & Pitsela 2010, 683 ff. Vgl. Lambropoulou 2001, 33 f. 42 Es ist das letzte Jahr, für das Daten des griechischen Statistischen Amtes über die Gerichtsstatistik elektronisch zur Verfügung stehen: www.statistics.gr [25.06.20]; zu den Verbesserungsmöglichkeiten der griechischen Kriminalstatistiken siehe Spinellis & Kranidioti 1995, 67 f. 43 Über die internationalen Entwicklungen beim kriminalrechtlichen Umgang mit Heranwachsenden siehe Neubacher 2017, 121 f.; Sagel-Grande 2017, 1713 f. 44 Vgl. Persson 2015, 378 f.

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die Behandlungsangebote (schulische Angebote, Ausbildungsmöglichkeiten, sportliche Aktivitäten) besser ausgestattet ist als der Erwachsenenstrafvollzug, der eher ein Verwahrvollzug ist. Die Europaratsempfehlungen Rec (2003) 20 „Neue Wege im Umgang mit Jugenddelinquenz und die Rolle der Jugendgerichtsbarkeit“ (Präambel und Regel Nr. 11)45 und CM/Rec (2008) 11 „Europäische Grundsätze für die von Sanktionen und Maßnahmen betroffenen jugendlichen Straftäter und Straftäterinnen“ thematisieren die Ausweitung des Jugendstrafrechts auf junge Erwachsene (Regel Nr. 17). Nach diesen Regeln sollen jungerwachsene Täter gegebenenfalls als Jugendliche zu betrachten und als solche zu behandeln sein. Zudem hat der XVII. Internationale Kongress im Jahre 2004 in Beijing in Section I über die strafrechtliche Verantwortlichkeit in der nationalen und internationalen Rechtsordnung eine Resolution junge Erwachsene betreffend beschlossen. Diese Resolution macht darauf aufmerksam, dass die Adoleszenz bis in das junge Erwachsensein (25 Jahre) ausgeweitet worden ist. Diesem Umstand muss die Gesetzgebung Rechnung tragen: Auf junge Erwachsene ist wie bei Minderjährigen zu reagieren. Die Anwendung der Erziehungsmaßnahmen oder alternativer Sanktionen, die sich auf die Resozialisierung konzentrieren, soll bis zum Alter von 25 Jahren auf Antrag der betroffenen jungen Menschen ausgeweitet werden können. In Bezug auf die Straftaten, die von über 18-Jährigen begangen werden, soll die Anwendung der Sonderregelungen für Minderjährige bis zum Alter von 25 Jahren verlängert werden können46. Das geltende griechische StGB sieht vor, dass es bei jungen Erwachsenen (18- bis 25-Jährige) unter bestimmten Voraussetzungen zur Verhängung der Jugendstrafe kommen kann. Wenn der Täter zur Zeit der Tat sein 25. Lebensjahr nicht vollendet hat, kann das Gericht a) die Einschließung in einer Jugendstrafanstalt (Art. 54 grStGB) anordnen, wenn es der Auffassung ist, dass die Tatbegehung auf die mangelnde Entwicklung seiner Persönlichkeit wegen des Jugendalters zurückzuführen ist und diese Einschließung zur Vermeidung der Begehung anderer Straftaten ausreichen würde oder b) auf eine geminderte Strafe erkennen (Art. 83 grStGB). Dabei steht es im Ermessen des Gerichts, eine Jugendstrafe oder eine geminderte Strafe zu verhängen. Die jungen erwachsenen Strafgefangenen verbringen ihre Strafzeit 45

Das Ministerkomitee des Europarates erwägt in der Präambel, dass das Alter der gesetzlichen Volljährigkeit nicht unbedingt mit dem Alter der Reife übereinstimmt und dass bei jungen erwachsenen Straftätern bestimmte Reaktionen erforderlich sein können, die mit denen für jugendliche Straftäter vergleichbar sind. Deshalb empfiehlt es den Regierungen der Mitgliedstaaten sich bei der Gesetzgebung und in ihrer Politik und Praxis von den in dieser Empfehlung enthaltenen Grundsätzen und Maßnahmen leiten zu lassen, wie etwa um der Verlängerung der Übergangszeit zum Erwachsenenalter Rechnung tragen zu können, junge Erwachsene unter 21 Jahren wie Jugendliche zu behandeln sowie die gleichen Maßnahmen auf sie anzuwenden, wenn der Richter der Meinung ist, dass sie noch nicht so reif und verantwortlich für ihre Taten sind, wie es von Erwachsenen zu erwarten ist. 46 Siehe De la Cuesta & Blanco Cordero 2015, 406 f.

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im Strafvollzug getrennt von den sonstigen erwachsenen Strafgefangenen gemäß Art. 130 Abs. 3 Satz b grStGB (Art. 133 grStGB). Eine Erstreckung der Anwendung jugendspezifischer Rechtsfolgen, nämlich der Erziehungsmaßregeln, wie etwa der Teilnahme an sozialen und psychologischen Programmen, dem Besuch von Berufsschulen oder anderen Ausbildungs- oder Berufsausbildungseinrichtungen und der Leistung gemeinnütziger Arbeit, auf junge Erwachsene fand jedoch nicht statt. Leider ist die Möglichkeit der Anordnung ambulanter Erziehungsmaßnahmen bei jungerwachsenen Tätern nicht vorgesehen. Dennoch ist durch das neue StGB – trotz der partiellen Einbeziehung in das jugendstrafrechtliche Reaktionssystem – eine wesentliche Verbesserung der Rechtsposition der jungen Erwachsenen festzustellen.

6. Ausblick Einflüsse auf das griechische Jugendstrafrecht ergeben sich aus völkerrechtlichen Verpflichtungen, insbesondere aus der Kinderrechtskonvention. Diese Konvention, aber auch andere internationale Menschenrechtsstandards zur Jugendgerichtsbarkeit dienen oft als ein willkommener Anlass für notwendige Reformen im Bereich des Jugendstrafrechts. Dazu gehören die Einführung der strafrechtlichen Verantwortlichkeit mit der Vollendung des 18. Lebensjahres, die Anhebung des Strafmündigkeitsalters auf das vollendete 15. Lebensjahr,47 die Einführung der staatsanwaltlichen Diversion, die Bereicherung des Katalogs der ambulanten Erziehungsmaßnahmen, die Einführung der ambulanten therapeutischen Behandlung, die Abschaffung der zeitlich unbestimmten Sanktionen, die Absenkung der Strafrahmen der Jugendstrafe, die Stärkung der Rechtsstellung jugendlicher Täter (etwa das Recht des Kindes auf Anhörung beim Absehen von der Verfolgung und bei der Gewährung der bedingten Entlassung, das Recht auf Berufung bei allen Rechtsfolgen des Jugendstrafrechts, das Recht auf Bestellung eines Pflichtverteidigers oder die Abschaffung der Strafregistereintragung der Gerichtsurteile mit Erziehungsmaßnahmen). Die Arbeiten an dem Gesetzentwurf über Jugendhilfeeinrichtungen für junge Menschen, der Diagnose- und Therapiezentren, offene und halboffene Begegnungsstätten sowie halboffene Einrichtungen für die soziale Wiedereingliederung vorsieht, sind bereits abgeschlossen. Der Gesetzentwurf bezieht sich auf gefährdete, drogenabhängige und delinquente Jugendliche sowie auf Jugendliche mit psychischen Problemen. Angesichts der erforderlichen personellen und sachlichen (organisatorischen, technologischen, finanziellen) Ressourcen, die für die Umsetzung der Rechtsnormen in der Praxis bereitgestellt werden müssten, ist es jedoch eher unwahrscheinlich, dass der Gesetzesentwurf – auch wenn er in naher Zukunft als Gesetz in Kraft treten sollte – tatsächlich umgesetzt werden kann. Ferner werden die Gesetzesbestimmungen zum Aufgabenbereich der Jugendgerichtshilfe überarbeitet. Eine besondere Herausforderung stellt die Betreuung und 47

Siehe Nikolaou 2017, 1661 f., 1670 f.

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Unterbringung von unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen dar. Die Jugendgerichtshilfe ist personell und sachlich nicht ausreichend ausgestattet, um diese Aufgabe zu übernehmen. Die drastischen Reduzierungen des Personals bzw. die fehlenden Neueinstellungen im Bereich der sozialen Dienste der Justiz zählen zu den großen Problemen, mit denen der griechische Staat zu kämpfen hat. Zu diesen Problemen gehören außerdem die Zusammenlegung, zumindest auf regionaler Ebene, der Jugendgerichtshilfe mit der Bewährungshilfe, eine überlange Verfahrensdauer, Überbelegung und inakzeptable Haftbedingungen in den Gefängnissen wie auch in einen noch bestehenden Erziehungsheim für männliche Jugendliche und schließlich eine unzureichende Betreuung von (ausländischen) unbegleiteten Kindern. Die zuletzt genannte Aufgabe wird häufig von Nichtregierungsorganisationen (NGOs) erfüllt. Fast alle Reformvorhaben des Justizministeriums im Bereich des Jugendstrafrechts dienen grundsätzlich der Reduzierung des Freiheitsentzugs und der Stärkung der Kinderrechte. Verschärfungen des Jugendstrafrechts sind auf legislativer Ebene nicht zu beobachten, es sind eher Strafmilderungen im strafrechtlichen Umgang mit jungen Menschen festzustellen (etwa Einschränkung der Anordnungsvoraussetzungen der Jugendstrafe, Absenkung der Strafrahmen der Jugendstrafe). In Bezug auf die Verhängung von ambulanten Erziehungsmaßnahmen ist ein Rückgang der Unterstellungen der Minderjährigen unter die Betreuung der Jugendgerichtshilfe und eine Zunahme bei den Unterstellungen unter die Erziehungsverantwortung der Eltern feststellbar. Die Nicht-Ausschöpfung der vorhandenen Möglichkeiten, die neuen Erziehungsmaßnahmen anzuordnen, scheint darauf zurückzuführen zu sein, dass die Regierung nicht die Mittel zu ihrer Implementation bereitstellen kann (z. B. ist die Leistung gemeinnütziger Arbeit wegen fehlender Sozialversicherung der jungen Menschen selten möglich und es gibt keine Ausbildungsprogramme). Die Jugendstrafrechtsreform von 2015 hat wesentlich zur Entspannung der Situation im geschlossenen Jugendstrafvollzug beigetragen. Nicht nur ein Rückgang von jugendlichen U-Häftlingen und Strafgefangenen ist festzustellen, sondern auch ein Absinken der Insassenpopulation insgesamt. Die Gesamtzahl der Gefangenen ist im Zeitraum 2015 bis 2016 von über 12.000 auf unter 10.000 Personen zurückgegangen. Der Rückgang der Belegung in den Jugendstrafanstalten ist eine bewusste Ausrichtung der Kriminalpolitik für junge Menschen gewesen, denn wie sich aus den programmatischen Erklärungen des Justizministers ablesen lässt,48 bezwecken die Gesetzesänderungen die faktische „Abschaffung“ des Jugendstrafvollzugs, um mit den knappen vorhandenen Mitteln (fehlendes Personal, insbesondere Fachpersonal,

48 Der (ehemalige) Justizminister setzte sich für eine drastische Einschränkung des Anwendungsbereichs der Jugendstrafe ein. Die Jugendstrafe sollte fast nur noch für die vorsätzliche Tötung vorgesehen sein. Da Jugendliche dieses Verbrechen äußerst selten begehen, wird mit einer Abschaffung der Jugendgefängnisse gerechnet. Siehe Pitsela 2015, 202 f. (210).

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unzureichende Beschäftigungsmöglichkeiten und Behandlungsangebote) die spezialpräventive Aufgabe des Jugendstrafrechts49 besser umsetzen zu können. Abschließend kann festgestellt werden, dass der Reformeifer in Griechenland von der Regierung und dem Parlament mitgetragen wird. In der aktuellen Legislaturperiode sind daher noch weitere Reformen zu erwarten. Literaturverzeichnis Anagnostopoulos, I.G. & Magliveras, J.D. (2000): Criminal Law in Greece. The Hague u. a. Androulakis, N. (1980): Strafrecht, in: K.-D. Grothusen (Hrsg.), Südosteuropa-Handbuch. Vol. 3: Griechenland. Göttingen, S. 138 – 146. Artinopoulou, V. (2009): Victim Offender Mediation in family violence cases – The Greek experience, in: M.P. Kranidioti (Hrsg.), Criminology and European Crime Policy. Essays in Honor of Aglaia Tsitsoura. Athens, Thessaloniki, S. 237 – 266. Artinopoulou, V. (2013): Restorative Justice in Greece, in: A. Pitsela & E. Symeonidou-Kastanidou (Hrsg.), Restorative Justice in Criminal Matters. Comparative Research in 11 European Countries. Athens, Thessaloniki, S. 101 – 124. Billis, E. (2013): National Characteristics, fundamental principles, and history of criminal law in Greece, in: U. Sieber, K. Jarvers & E. Silverman (Hrsg.), National Criminal Law in a Comparative Legal Context. Vol. 1.2: Introduction to National Systems. Berlin, S. 187 – 290. Billis, E. (Hrsg.) (2017): The Greek Penal Code. English translation by V. Chalkiadaki & E. Billis. Berlin. Bitzilekis, N., Kaiafa-Gbandi, M. & Symeonidou-Kastanidou E. (2020): Länderbericht Griechenland, in: H. Satzger (Hrsg.), Harmonisierung strafrechtlicher Sanktionen in der Europäischen Union. Harmonisation of Criminal Sanctions in the European Union. Baden-Baden, S. 253 – 293. Bochmann, Ch. (2009): Entwicklung eines europäischen Jugendstrafrechts. Baden-Baden. Bock, St. & Puschke, J. (2019): Heilung gesetzgeberischer Untätigkeit? Überlegungen zur Wirkung der nicht fristgerecht umgesetzten Richtlinie (EU) 2016/800 über Verfahrensgarantien in Strafverfahren für Kinder, die Verdächtige oder beschuldigte Personen in Strafverfahren sind. Zeitschrift für Jugendkriminalrecht und Jugendhilfe 30/3, S. 224 – 234. Bundesministerium der Justiz & Deutsche Vereinigung für Jugendgerichte und Jugendgerichtshilfen e.V. (Hrsg.) (2001): Internationale Menschenrechtsstandards und das Jugendkriminalrecht – Dokumente der Vereinten Nationen und des Europarates. Fusammenstellung und Kommentierung von T. Höynck, F. Neubacher & H. Schüler-Springorum. Mönchengladbach. Chaidou, A. (2002): Jugendstrafrecht in Griechenland, in: H.-J. Albrecht & M. Kilchling (Hrsg.), Jugendstrafrecht in Europa. Freiburg i.Br., S. 191 – 203. 49 Über die spezialpräventive Aufgabe des Jugendstrafrechts siehe Kaiafa 1981, 100, 108; Giannopoulos 1984, 112.

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Jugend als Strafschärfungsgrund? Zur Rechtswirklichkeit der jugendstrafrechtlichen Sanktionspraxis Von Gerhard Spiess „Einigkeit besteht sicher darin, dass nur das präventiv Nützliche gewollt ist und dass Strafrecht und Freiheitsentziehung selbstverständlich Ausdruck einer ultima ratio staatlichen Handelns seien, bewährte Aussagen .., die nicht einmal mehr im Ansatz verdecken können, dass darunter völlig unterschiedliche Praktiken nicht nur verstanden, sondern auch implementiert werden können“ (H.-J. Albrecht, Gutachten D zum 64. Dt. Juristentag 2002, 1.1)

1. Modernisierung des strafrechtlichen Sanktionensystems und Sonderrolle des JGG Dass die strafrechtliche Sanktionspraxis in Deutschland sich – auch im internationalen Vergleich – durch eine vergleichsweise zurückhaltende Anwendung von Freiheitsstrafe auszeichnet (Albrecht 2013), ist Ergebnis eines längerdauernden Reformprozesses. Sein rechtsstaatlicher Ertrag ist die Eingrenzung des staatlichen Strafanspruchs durch die Grundsätze der Verhältnismäßigkeit und Erforderlichkeit,1 durch das Postulat der Berücksichtigung der zu erwartenden Strafwirkung (§ 46 StGB Abs. 1 S. 2) und die besondere Gewichtung des Resozialisierungsziels in der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung (1 BvR 536/72, BVerfGE 35, 202). Erklärtes Hauptziel des Jugendstrafrechts ist die Spezialprävention; um dieses Ziel zu erreichen, sind Verfahrensgestaltung und Rechtsfolgen „vorrangig am Erziehungsgedanken auszurichten“ (§ 2 Abs. 1 JGG); „bedeutsamer Ausdruck und Folge“ des Erziehungsgedankens ist die „Subsidiarität des Strafverfahrens“ (Brunner & Dölling 2017, 42): Vorrang haben sollen informelle Erledigungsformen (Diversion); formelles Strafverfahren und förmliche Bestrafung sollen erst dann zur Anwendung kommen, wenn eine eingriffsintensive Reaktion präventiv erforderlich oder wegen der Schwere der Schuld geboten ist. Hauptsächlich wegen der Ausdifferenzierung 1 Zur kriminalpolitischen Gesamtkonzeption der Strafrechtsreform s. die BGH-Entscheidung 1 StR 353/70 (BGHSt 24, 40, hier: 42 f.), nach der „die Strafe nicht die Aufgabe hat, Schuldausgleich um ihrer selbst willen zu üben, sondern nur gerechtfertigt ist, wenn sie sich zugleich als notwendiges Mittel zur Erfüllung der präventiven Schutzaufgabe des Strafrechts erweist. … Grundsätzlich geht deshalb die Geldstrafe der Freiheitsstrafe, die Aussetzung dem Vollzug vor, soweit dies der Rechtsgüterschutz im Hinblick auf die zu erwartende kriminalpolitische Wirksamkeit zulässt“.

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eines Inventars ambulanter Alternativen wurde dem Jugendstrafrecht in der Literatur Schrittmacherfunktion in der Modernisierung des deutschen Strafrechts zugeschrieben, so bei der Erprobung von Strafaussetzung und Bewährungshilfe, den sog. Neuen Ambulanten Maßnahmen mit Täter-Opfer-Ausgleich, Betreuungsweisung, sozialem Trainingskurs und der Ausweitung der Diversion. Dies, wie auch die Abkopplung von den Strafrahmen des allgemeinen Strafrechts und die Begrenzung der Höchstdauer von Freiheitsstrafen, brachte dem Jugendstrafrecht im rechts-politischen Diskurs den Vorwurf übertriebener Milde („Kuschelstrafrecht“) ein, verbunden mit der Forderung, die Anwendbarkeit des Jugendstrafrechts bei den 18- bis unter 21-jährigen Heranwachsenden einzuschränken oder abzuschaffen. Die Überwindung der Dominanz des Freiheitsentzugs in Deutschland (vor Ende des 19. Jahrhunderts noch mehr als 75 % der verhängten Strafen) ist indessen weniger der angeblich besonderen Milde des Jugendstrafrechts und der vermehrten Aussetzung von Freiheitsstrafen zur Bewährung geschuldet als vielmehr der Durchsetzung der Geldstrafe als Alternative zur Freiheitstrafe (Albrecht 1981; 1982) und der weiteren Zurückdrängung der kurzen Freiheitsstrafen; dies aber notabene im Erwachsenen-, nicht im Jugendstrafrecht: Während der Anteil unbedingter Freiheitsstrafen an den Verurteilungen Heranwachsender und Erwachsener nach den allgemeinen Vorschriften auf zuletzt 5 % zurückging, wurden 2018 von den nach Jugendgerichtsgesetz (JGG) Verurteilten 6,3 % zu unbedingter Freiheitsstrafe („Jugendstrafe“ in der Diktion des JGG) verurteilt, weitere 16 % zu Jugendarrest – insgesamt somit 23 % zu unbedingtem Freiheitsentzug. Dies trotz der erklärten Absicht der JGG-Reform (1. JGGÄndG, 1990), durch den Ausbau ambulanter Alternativen („Neue Ambulante Maßnahmen“ nach § 10 JGG wie Täter-Opfer-Ausgleich, sozialer Trainingskurs, Betreuungsweisung) freiheitsentziehende Sanktionen soweit als möglich durch pädagogisch ausgestaltete Maßnahmen zu ersetzen. Zusätzlich zu der ohnehin hohen jugendstrafrechtlichen Internierungsrate geht Untersuchungshaft den zur Bewährung ausgesetzten Jugendstrafen nicht seltener, sondern häufiger voraus als bei Verurteilungen zu bedingter Freiheitsstrafe (2018: 16 % vs. 13 %).2 In seinem Gutachten zum 64. Deutschen Juristentag 2002 („Ist das deutsche Jugendstrafrecht noch zeitgemäß?“) hat Hans-Jörg Albrecht denn auch kritisiert, dass sich das als Erziehungsstrafrecht etikettierte Jugendstrafrecht tatsächlich nicht zum Vorteil, sondern zu Lasten junger Straffälliger ausgewirkt habe – als Folge einer erzieherisch etikettierten Entgrenzung der Eingriffsintensität jugendstrafrechtlicher Sanktionen. Wieweit dieses Verdikt auch heute noch begründet ist, soll im Folgenden anhand aktueller Daten der Justizstatistiken3 geprüft werden. Dabei müssen drei naheliegen2

Berechnung nach Strafverfolgungsstatistik 2018, Tab. 3.1, 4.1, 6.2. Ausgewertet werden, jew. zuletzt für 2018, Daten der StA-Statistik (Fachserie 10 Reihe 2.6: Staatsanwaltschaften) und der der (unveröff.) Statistik Einzelsachgebiete Beschuldigte; Justizgeschäftsstatistik Strafsachen (FS 10 Reihe 2.3: Strafgerichte) und StV-Statistik (FS 10 Reihe 3: Strafverfolgung) des Statistischen Bundesamtes Wiesbaden www.destatis.de. 3

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de Einwände gegen die einfache Gegenüberstellung der Internierungsraten nach allgemeinem (5 %) und nach Jugendstrafrecht (23 %) geprüft werden, die sich auf die Besonderheiten der jugendstrafrechtlichen Sanktionspraxis beziehen und häufig als Indiz für eine besondere Milde des Jugendstrafrechts angeführt werden.

2. Drei Besonderheiten des Jugendstrafrechts (1) Mehr als zwei Drittel der anklagefähigen4 Ermittlungsverfahren nach JGG wurden in den letzten Jahren ohne förmliche Verurteilung auf dem Wege der jugendstrafrechtlichen Diversion erledigt – häufiger als in Verfahren gegen Erwachsene (ca. 50 %). (2) Bei der Aburteilung Heranwachsender wird derzeit zu 62 % Jugendstrafrecht angewendet – überdurchschnittlich oft bei Delikten mit höherer Straferwartung, dagegen nach allg. Strafrecht häufiger bei leichteren und Verkehrsdelikten; nach JGG erfolgt Freiheitsentzug zudem häufig in Form des vergleichsweise kurzen Jugendarrests mit einer maximalen Dauer von 4 Wochen. (3) Anders als das allgemeine Strafrecht kennt das JGG eine breite Palette ambulanter pädagogischer Alternativen zu punitiven Sanktionen.

2.1 Diversion: Begünstigung junger Beschuldigter durch Diversion? Rechtsbrüche junger Menschen sind überwiegend bagatellhaft und entwicklungsgebunden; sie gehen in der Regel auf dem Weg der Spontanremission ohne justizielle Reaktion in ihrer Häufigkeit zurück. Wo immer innerhalb gleichgelagerter Fallgruppen ein Vergleich möglich war, zeigten sich bei formeller Sanktionierung gegenüber Diversion keine oder aber nachteilige Unterschiede in der Legalbewährung.5 Der Gesetzgeber der JGG-Reform trug dieser Erkenntnislage Rechnung durch das Prinzip der Subsidiarität strafrechtlicher Sanktionen zugunsten der Diversion und, wo diese nicht ausreicht, sozialpädagogisch ausgestalteter ambulanter Maßnahmen, im Regierungsentwurf zum 1. JGG-ÄndG 1990 ausdrücklich begründet mit der Befundlage, wonach – „die stationären Sanktionen des Jugendstrafrechts (Jugendarrest und Jugendstrafe) sowie die Untersuchungshaft schädliche Nebenwirkungen für die jugendliche Entwicklung haben können“;

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Verfahren, die von der StA entweder durch Diversion (§§ 45 JGG; 153, 153a StPO), durch Strafbefehlsantrag oder Anklage abgeschlossen wurden. 5 Eine umfassende Darstellung der Befundlage findet sich inzwischen in dem Gutachten Heinz 2020.

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– ahndende Sanktionen wie Geldbußen, Jugendarrest durch ambulante und sozialpädagogisch ausgestaltete Maßnahmen ohne Einbuße an spezialpräventiver Wirksamkeit ersetzt werden können; – „informelle Erledigungen als kostengünstigere, schnellere und humanere Möglichkeiten der Bewältigung von Jugenddelinquenz auch kriminalpolitisch im Hinblick auf Prävention und Rückfallvermeidung wirksamer sind“.6 Vorrangig ist deshalb zu prüfen, ob das Verfahren – mit oder ohne Auflagen – bereits durch die Jugendstaatsanwaltschaft auf dem Weg der Diversion abgeschlossen werden kann. Durch die Neufassung des § 45 JGG im 1. JGGÄndG wurde „klargestellt, dass der StA nach den Abs. I und II“ (Einstellung ohne Anregung von Ermahnung, Auflagen oder Weisungen durch den Jugendrichter) nicht nur verfahren kann, sondern „verfahren muss, wenn deren Voraussetzungen vorliegen“, vorrangig, insbesondere bei Vorliegen der Geringfügigkeitsvoraussetzungen des § 153 StPO, ohne Auflagen gem. § 45 Abs. 1 JGG (Brunner & Dölling 2017 § 45 Rn 22). Dass in Verfahren gegen junge Beschuldigte die Voraussetzungen für eine Einstellung schon aus Gründen der geringeren Schuld und des alterstypisch überwiegenden Bagatellcharakters häufiger vorliegen als bei Erwachsenen, ist offensichtlich: der Anteil an Bagatelldelikten7 beträgt bei jugendlichen Tatverdächtigen 67 % , bei Jugendlichen und Heranwachsenden zusammen 62 %, bei Erwachsenen ab 21 Jahren 55 %. Entgegen der in § 45 JGG festgelegten Rangfolge geht die höhere staatsanwaltliche Diversionsrate nach JGG allerdings nicht auf Einstellungen ohne Auflagen wegen Vorliegen der Geringfügigkeitsvoraussetzungen (§ 45 Abs. 1 JGG / § 153 StPO) zurück, sondern ausschließlich auf intervenierende Diversion, insb. gem. § 45 Abs. 2 JGG. Auffallend hoch ist darüber hinaus die jugendstaatsanwaltliche Anklagequote in Sachgebieten mit hohem Anteil jugendtypischer Delikte wie SG 25: Diebstahl/Unterschlagung (darin insb. Ladendiebstahl); SG 26: Betrug/Untreue (darin: Leistungserschleichung, ,Schwarzfahren‘) – im Gegensatz zu den wesentlich häufigeren Geringfügigkeitseinstellungen ohne Auflagen (§ 153 StPO) in durch professionell agierende Erwachsene besetzten Sachgebietsgruppen (SG 40..44: Wirtschafts- und Steuerstrafsachen, Geldwäsche, SG 50: Korruptionsdelikte) mit entsprechend häufiger anwaltlicher Vertretung schon im Ermittlungsverfahren (Schaubild 1).

6 Entwurf eines Ersten Gesetzes zur Änderung des Jugendgerichtsgesetzes (1. JGGÄndG) vom 27. 11. 1989 (BT-Drs. 11/5829), A. Zielsetzung, S. 1 (Hervorhebungen hinzugefügt). 7 Als Bagatelldelikte wurden zusammengefasst die Schlüsselzahlen der PKS 2018, Tab. 20 (www.bka.de): SZ 2240 Vorsätzl. einfache Körperverletzung § 223 StGB; SZ 2250 Fahrl. Körperverletzung § 229 StGB; SZ 326* Einf. Ladendiebstahl; SZ 5150 Erschleichen von Leistungen § 265a StGB; SZ 6730 Beleidigung §§ 185 – 187, 189 StGB; SZ 67400 Sachbeschädigung §§ 303 – 305a StGB, jedoch ohne gemeinschädliche Sachbeschädigung SZ 674020; SZ 7250 Straftaten gg. d. Aufenthalts-, Asyl-, Freizügigkeitsgesetz/EU.

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Schaubild 1: Anklage- und Einstellungspraxis der StA nach allg. Vorschriften und nach JGG8

Die keiner rechtlichen Kontrolle unterliegende jugendstaatsanwaltliche Auflagenpraxis ermöglicht zudem einen Wildwuchs an – im Einzelfall exzessiven – Praktiken unter dem Etikett der Anregung oder Einleitung ,erzieherischer‘ Maßnahmen gem. § 45 Abs. 2 JGG, so die Auferlegung von Arbeitsstunden (im Umfang von teils mehr als 100, im Einzelfall bis zu 200 Stunden, etwa beim Ladendiebstahl eines Paares Sneaker: 1 Stunde pro E des Kaufpreises) oder das ,Angebot‘ des Staatsanwalts, von Anklage abzusehen, wenn der Beschuldigte sich ,freiwillig‘ einem sog. Schülergericht stellt. Hier hat er sich vor Gleichaltrigen, die von der Staatsanwaltschaft anhand der Ermittlungsakte über Täter und Tatvorwurf unterrichtet wurden, für seine Verfehlung zu rechtfertigen und die von diesen erdachten Sanktionen (etwa: Abgabe des Handys für einen bestimmten Zeitraum), im Einzelfall auch bloßstellende Maßnahmen, „die weder der Richter anordnen noch der StA anregen darf“, Heinz 2020, 852), zu akzeptieren, widrigenfalls der Staatsanwalt Anklage erheben wird. Der Verstoß gegen grundlegende Normen – vom Schutz der Verfahrensdaten (StPO § 474 ff.) bis zum Nichtöffentlichkeitsgrundsatz des JGG – ist offensichtlich.9 Fazit (1): Trotz des überwiegenden Bagatellcharakters jugendtypischer Rechtsbrüche wird nach JGG seltener als in Verfahren gegen erwachsene Beschuldigte folgenlos eingestellt. Der gesetzliche Vorrang der Einstellung ohne Auflagen bei Vorliegen der Geringfügigkeitsvoraussetzungen des § 45 Abs. 1 JGG / § 153 StPO wird in der jugendstaatsanwaltlichen Praxis missachtet. Die höhere Diversionsrate nach JGG geht ausschließlich auf intervenierende Einstellungen zurück; diese werden in der Praxis auch für rechtlich nicht vertretbare Verfahrensweisen und Sanktionen genutzt.

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Berechnung nach Daten der (unveröffentl.) StA-Statistik Einzelsachgebiete Beschuldigte 2018; % bezogen auf die durch Anklage (einschl. Antrag auf vereinfachtes Jugendverfahren), Strafbefehlsantrag oder staatsanwaltliche Diversion (§§ 45 JGG; 153, 153a StPO) abgeschlossenen Verfahren. 9 Beispiele bei Spiess 2012b m.w.N.; zur rechtlichen Bewertung („Maßnahmenexzesse“) Heinz 2020, 847 ff.

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2.2 Heranwachsende im Jugendstrafrecht: mildere Behandlung, kürzerer Freiheitsentzug dank Jugendarrest? Standardargument für eine behauptete Begünstigung Heranwachsender durch Anwendung von Jugend- anstelle von allgemeinem Strafrecht (§ 105 JGG) ist (neben der Denunziation der im JGG verfügbaren ambulanten Erziehungsmaßregeln als „Kuschelstrafrecht“, dazu unten 2.3), dass im JGG die Strafrahmen des allgemeinen Strafrechts nicht gelten (§ 18 JGG) und dass das Höchstmaß der Jugendstrafe nur zehn Jahre, bei besonderer Schwere der Schuld bei Mord 15 Jahre beträgt (JGG § 105 Abs. 3). Lange Freiheitsstrafen (Jugendstrafen) mit einer Dauer von mehr als 5 Jahren finden sich bei den nach JGG verurteilten Heranwachsenden mit einem Anteil von 0,13 % seltener als bei den nach allgemeinem Strafrecht verurteilten Erwachsenen (0,28 %). Abgesehen von dieser kleinen Extremgruppe von weniger als 0,3 % aller Verurteilten werden Jugend-/Freiheitsstrafen von mehr als 2 Jahren gegen nach JGG verurteilte Heranwachsende mehr als doppelt so häufig (3,4 %) verhängt wie nach allgemeinem Strafrecht gegen Erwachsene (1,5 % der jew. Verurteilten). Hinzu kommt, dass von den Freiheitsstrafen nach allg. Strafrecht 68 % zur Bewährung ausgesetzt werden, dagegen nur 60 % der Jugendstrafen; von den zur Bewährung ausgesetzten Jugendstrafen wird zudem jede 8. mit Jugendarrest nach § 16a JGG („Einstiegsarrest“) verbunden; 18 % der bedingt verhängten Jugendstrafen geht zudem Freiheitsentzug in Form der Untersuchungshaft voraus – häufiger als bei bedingten Freiheitsstrafen nach allg. Strafrecht (13 %)10. Die Abstufung der Strafschwere bei der gerichtlichen Strafzumessung folgt dabei – im JGG nicht weniger als im allgemeinen Strafrecht – einem tatstrafrechtlichen Taxenmuster in Abhängigkeit insbesondere von Vorbelastung und Deliktsschwere (Höfer 2003), dies jedoch mit einem der Anwendung des JGG geschuldeten Zuschlag: Während Jugend- bzw. Freiheitstrafe bei dem harten Kern der nach diesen Kriterien besonders belasteten Verurteilten verhängt wird, trifft Jugendarrest überwiegend eine Zielgruppe, gegen die auch nach allgemeinem Strafrecht Freiheitsstrafe nicht in Betracht käme, sondern allenfalls Geldstrafe. Eine Begünstigung Heranwachsender durch die Anwendung angeblich milderen Jugendstrafrechts wird man hierin schwerlich erkennen, zumal zusätzlich der Anteil unbedingten Freiheitsentzugs von mehr als 6 Monaten bei den Heranwachsenden mit 5,1 % (sogar schon bei den Jugendlichen mit 4,1 %) höher ist als bei den Erwachsenen (3,6 %) (Schaubild 2).

10 Nach Daten der Tab. 6.2 der StV-Statistik 2018; bedingte Jugendstrafen ohne solche i.V. mit § 16a JGG.

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Schaubild 2: Freiheitsentziehende Strafen nach Altersgruppen und angewandtem Strafrecht11

Im Ergebnis wird gegen Heranwachsende – nicht trotz, sondern wegen der Anwendung von Jugendstrafrecht – häufiger als gegen Erwachsene unbedingte Freiheitsstrafe (Jugendstrafe) verhängt; zusammen mit Jugendarrest wird jeder 7. Heranwachsende und jeder 5. Jugendliche freiheitsentziehend sanktioniert; von den (durchschnittlich erheblich höher vorbelasteten!) Erwachsenen nur jeder 20. Die 2012 neu eingeführte Möglichkeit der Verhängung eines sog. Einstiegs- oder Warnschussarrests (§ 16a JGG) in Verbindung mit einer zur Bewährung ausgesetzten Jugendstrafe ist als „Kriminalpolitik wider besseres Wissen“12 in der Fachwelt überwiegend ablehnend aufgenommen worden.13 Einstiegsarrest neben bedingter Jugendstrafe „darf nur verhängt werden, um die Aussichten für eine erfolgreiche Bewältigung der Bewährungszeit und damit die Vermeidung künftiger Straftaten zu verbessern“ (Brunner & Dölling 2017, § 16a Rn 2). Dagegen ergab die durch das Bundesjustizministerium beauftragte Evaluation des § 16a im Querschnittsvergleich der regional extrem unterschiedlichen Praxis, dass § 16a JGG tatsächlich nicht zur häufigeren Strafaussetzung von Jugendstrafen, sondern als zusätzliches Strafübel genutzt wird (Klatt et al. 2016, 209 f.). Dies zeigen auch die Daten der Strafverfolgungsstatistik seit Einführung des § 16a (Schaubild 3): Der zunehmende Einsatz von § 16a-Arresten führte nicht etwa zu einer höheren Aussetzungsrate, vielmehr scheint er in der Praxis dazu genutzt zu werden, den Arrest zusätzlich mit einer an11 Prozent bezogen auf Verurteilte der jew. Gruppe; Straftaten insgesamt; Daten der Strafverfolgungsstatistik 2018. 12 So Verrel & Käufl 2008; zu den ernüchternden internationalen Befunden zu vergleichbaren Praktiken („shock probation“, „short sharp shock“, „scared straight“ u. a.) siehe schon Albrecht et al. 1981, 321 f.; Heinz 2006, 91 f., 96 m.w.N. 13 So auch das ablehnende Votum der strafrechtlichen Abteilung des 64. Deutschen Juristentages (München 2002, Bd. II/1, N 109 ff.; www.djt.de).

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schließenden Bewährungsaufsicht aufzurüsten; dies allerdings um den Preis einer zusätzlich verhängten bedingten Jugendstrafe von dann mindestens 6 Monaten, die bei ungünstigem Verlauf zu vollstrecken ist.

Schaubild 3: Jugendstrafe und Jugendarrest nach Einführung des § 16a JGG („Einstiegsarrest“)14

Dass der Verlauf durch Jugendarrest tatsächlich überwiegend alles andere als günstig beeinflusst wird, war schon anhand der notorisch schlechten Legalbewährung in allen bisherigen Jahrgängen der Rückfallstatistik zu erwarten.15 „Eine spezialpräventive Überlegenheit von Jugendarrest gegenüber formellen ambulanten Sanktionen konnte bisher empirisch nicht bestätigt werden. In sämtlichen Legalbewährungsstudien war die Rückfallrate nach Jugendarrest höher als nach formellen ambulanten Sanktionen, selbst bei der nach Auffassung der Richter wegen schädlicher Neigungen stärker rückfallgefährdeten Gruppe, deren Jugendstrafe zur Bewährung ausgesetzt worden war“ (Heinz 2020, 2250 f.).16

14 Prozent bezogen auf die Zahl der im jew. Jahr zu Jugendstrafe oder Jugendarrest Verurteilten. 15 Die Raten erneuter Registrierung innerhalb von 3 Jahren nach Tab. B 2.2.3.a in Jehle et al. 2016, 299 waren beim Jugendarrest mit 64 % höher als nach bedingten (61 %) und ebenso so hoch wie nach unbedingten Jugendstrafen (64 %); bei den nach JGG informell oder formell Sanktionierten insgesamt 41 %; nach Erziehungsmaßregeln und ambulanten Zuchtmitteln 52 %. 16 Auch die o.g. Evaluation der § 16a-Praxis (Klatt et al. 2016 mit allerdings noch kurzen Untersuchungszeitraum) konnte keinen Beleg für eine signifikante Verbesserung der Rückfallraten finden; „Wie man das bewerten möchte, ist vor allem eine rechtspolitische Frage. Wollte man radikal verfassungsrechtlich-rechtsstaatlich argumentieren, läge die Forderung nach Abschaffung der mit § 16a JGG neu eingeführten Sanktion nahe. Ein mehr an Freiheitsentzug bedarf starker Gründe, die die bisher verfügbaren Daten nicht liefern“ (S. 217).

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Unterschiedliche Rückfallraten „lassen sich selbstverständlich nicht als Ergebnis von Wirkungen der jeweiligen Sanktionen interpretieren. Denn die richterliche Strafzumessung sorgt für eine Auswahl und Zuordnung zu den verschiedenen Sanktionsarten, die vor allem wegen der erheblichen Bedeutung der Vorstrafenbelastung für die Erklärung der Unterschiede die Selektion selbst heranziehen lässt“ (Albrecht 2019, 167). Durch diesen Selektionseffekt nicht zu erklären ist allerdings die so auffällig hohe Rückfallrate nach Jugendarrest: Denn der ,harte Kern‘ der am stärksten belasteten jungen Verurteilten wird (sogar häufiger als Erwachsene) mit unbedingter Freiheitsstrafe sanktioniert, während der selbständig verhängte Jugendarrest eine Tat- und Tätergruppe trifft, für die qua Vorstrafenbelastung (bei Jugendlichen und Heranwachsenden ohnehin geringer als bei Erwachsenen) oder Deliktsschwere eine Jugend-/Freiheitsstrafe noch nicht in Betracht kommt (und mit Vollendung des 21. Lebensjahres deshalb allenfalls Geldstrafe). Das heißt: Sobald JGG nicht mehr anwendbar ist, findet innerhalb derselben Zielgruppe ein Austausch zwischen Jugendarrest und Geldstrafe statt. Für Heranwachsende, die nach JGG zu Jugendarrest verurteilt wurden, weist die Rückfallstatistik 59 % erneut Registrierte aus, für nach allg. Strafrecht zu Geldstrafe Verurteilte dagegen 41 % (Jehle et al. 2016, 47, Tab. B 3.1.1). Beim aussagekräftigeren Vergleich innerhalb einer homogenen Fallgruppe – wegen einfachen Diebstahls zum 2. Mal straffällige deutsche Heranwachsende – wurden nach Jugendarrest erneut verurteilt: 55 %; bei der benachbarten Altersgruppe der 21- bis 23-Jährigen nach Geldstrafe: 38 % (Spiess 2012a, 28). Nicht nur der Rückfall war nach Jugendarrest häufiger, auch wurde in der Folge doppelt so häufig zu einer Jugend-/Freiheitsstrafe verurteilt als nach Geldstrafe. In der dem JGG eigenen Logik der Sanktionseskalation erhöht Jugendarrest das Risiko des Übergangs zur Jugend-/Freiheitsstrafe, während nach allg. Strafrecht auch nach wiederholter Verurteilung zu Geldstrafen der Übergang zur Freiheitstrafe seltener, der Karriereabbruch wahrscheinlicher ist. Von „Kuschelpädagogik“ wird man demnach schwerlich sprechen können; allenfalls lassen sich Relikte einer schwarzen (was den Jugendarrest als genuin nationalsozialistisches Rechtsinstitut betrifft, eher braunen) Pädagogik erkennen: Der 1940 als „nationalsozialistische Neuschöpfung“17 von der Justizpraxis als das „modernste nationalsozialistische Erziehungsmittel“ (Reichsjugendführer Axmann 1940) begeistert aufgenommene Jugendarrest soll nach seinem frühen Befürworter Schaffstein (1939) die erzieherische Funktion erfüllen, „die im Leben außerhalb der rechtlichen Sphäre bei einem Jungen eine kräftige Tracht Prügel haben kann.“18 Immer17

Ostendorf 2015, 32 f. m.w.N. Schaffstein 1939, 129. Zutreffend nennt Schumann (2017, 328) bei den unbestreitbaren „Kontinuitäten zur NS-Zeit“ neben der Jugendstrafe wegen „schädlicher Neigungen“ § 17 Abs. 2 JGG auch die Rechtsmittelbeschneidung in § 55 JGG und die Verweigerung des Rechts auf notwendige Verteidigung bei Verhängung von Jugendarrest; letztere in eklatantem Widerspruch zu Art. 40 Abs. 2 b (v) UN-Kinderrechtskonvention und Art. 6 EU-Richtlinie 2016/ 800 über Verfahrensgarantien in Strafverfahren gegen Minderjährige (dokumentiert in Höynck et al. 2020, 89 – 116; 859 – 874). 18

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hin, diese Einordnung wird – was die spezialpräventive Wirkung betrifft19 – durch die erschreckend hohen Rückfallraten nach Jugendarrest eindrucksvoll bestätigt. Fazit (2): Nicht die Anwendung des JGG begünstigt die Heranwachsenden, allenfalls die Nicht-mehr-Anwendbarkeit des JGG (und damit des Jugendarrests) nach Vollendung des 21. Lebensjahres. 2.3 Ambulante pädagogische Alternativen zu freiheitsentziehenden Sanktionen Die Erweiterung der Palette ambulanter Auflagen und Weisungen im JGG war, so die Intention des JGGÄndG 1990, dazu bestimmt, stationäre Sanktionen zu ersetzen durch pädagogisch sinnvolle Maßnahmen, die geeignet sind, Lernprozesse und Verantwortungsübernahme zu fördern. Dieses begrüßenswerte Ziel ist in der Entwicklung der jugendstrafrechtlichen Sanktionspraxis überwiegend unterlaufen worden: Unverändert hoch blieb der Anteil der freiheitsentziehenden Sanktionen; nicht eingetreten ist der erwartete Bedeutungsgewinn erzieherisch ausgestalteter Erziehungsmaßregeln, zugenommen hat der Anteil der ahndenden Zuchtmittel zu Lasten des Anteils von Erziehungsmaßregeln. Unter den ambulanten Zuchtmitteln dominiert mit zuletzt 70 % die Arbeitsauflage; mit 5 % nur marginal ist der Anteil von Auflagen, die auf Wiedergutmachung zielen (Schaubild 4). Fachlich begleitete ambulante Maßnahmen wie Täter-Opfer-Ausgleich oder soziale Trainingskurse bleiben in der Praxis weitgehend ungenutzt (Spiess 2015). Erziehungsmaßregeln werden überwiegend nicht als eigenständige Reaktion, sondern zu zwei Dritteln neben Zuchtmitteln verhängt. „Nur helfende, stützende, betreuende, chancenverbessernde Maßnahmen sind in der jugendstrafrechtlichen Urteilspraxis die seltene Ausnahme, ahndende Sanktionen sind die Regel“ (Heinz 2020, 1591, 1620). Fazit (3): Auch an den kaum ausgeschöpften – und wenn, dann überwiegend im Rahmen eines punitiven Sanktionscocktails eingesetzten – erzieherischen Reaktionsmöglichkeiten des JGG zeigt sich, wie sehr „der Erziehungsgedanke im Jugendgerichtsgesetz verkommen (ist) zu einem Rechtfertigungsinstrument unangemessener Ahndung“ (Viehmann 1989, 114).

3. Wieviel Strafe muss sein? Wieviel Strafe darf sein? Die von Albrecht (2002) befürwortete Abkehr vom „Erziehungsziel als Begründung des Jugendstrafrechts und als Leitlinie der Bemessung von jugendstrafrechtlichen Sanktionen“ zugunsten eines „Schuld- und Proportionalitätsprinzip(s)“ (Albrecht 2002, 6.2.2) wurde erwartungsgemäß kontrovers aufgenommen.20 Zu kurz 19 Zur kriminogenen Wirkung gewalttätiger Erziehungspraktiken Baier & Pfeiffer 2015 m.w.N. 20 Vgl. statt vieler Dünkel & Morgenstern 2003.

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Schaubild 4: Nach JGG im Urteil verhängte Sanktionen („Sanktionscocktail“)

greift die Diskussion, wenn sie, wie auch weithin die Kommentarliteratur, auf die Vorzüge der eigentlich erzieherisch nutzbaren Reaktionsmöglichkeiten des JGG und seiner Verfahrensflexibilität abhebt, ohne vorrangig Überlegungen anzustellen, wie einer notorisch unverhältnismäßigen Sanktionspraxis begegnet werden kann, einer Sanktionspraxis, die zudem durch die rechtsstaatswidrige (selbstredend „erzieherisch“ begründete) Verkürzung der Verfahrensrechte und Verteidigungsmöglichkeiten im JGG insbesondere bei der Verhängung von Jugendarrest begünstigt wird.21 Die Sanktionspraxis des Allgemeinen Strafrechts hat sehr weitgehend (und sehr erfolgreich) Freiheitsentzug durch nichtfreiheitsentziehende Alternativen und förmliche Sanktionierung durch Diversion ersetzt – ohne dass präventiv nachteilige Folgen zu belegen sind. Die empirische Bestätigung der Austauschbarkeitsthese22 gilt nicht minder für das Jugendstrafrecht; sie hat „für die rechtspolitische Ausgestaltung des Sanktionensystems weitreichende Bedeutung, da eine Bestätigung derselben auch unter verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten der Verhältnismäßigkeit sowie des Grundsatzes ,in dubio pro libertate‘ eine weitere Verlagerung hin zu weniger eingreifenden und humaneren Sanktionen nahelegt“ (Albrecht et al. 1981, 314). Es gibt gute Gründe, auch gegen den metaphysischen Appeal klassischer und neoklassischer 21 Deutliche Kritik am Zurückbleiben hinter internationalen Standards des Europarats und der Vereinten Nationen bei Dünkel 2014; Handlungsempfehlungen bezüglich Schlechterstellung und Rechtswegeinschränkungen im JGG im Gutachten Heinz 2020. 22 Zur Austauschbarkeitsthese siehe schon Albrecht, Dünkel & Spiess 1981; Albrecht 1982, zuletzt Albrecht 2019, 168.

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Ansätze, an dem rechtsstaatlichen Ertrag der Strafrechtsreform festzuhalten: Strafe muss nicht in jedem Falle sein, schon gar nicht um ihrer selbst willen.23 „Nur die notwendige Strafe ist gerecht. Die Strafe ist uns Mittel zum Zweck. Der Zweckgedanke aber verlangt Anpassung des Mittels an den Zweck und möglichste Sparsamkeit in seiner Verwendung. Diese Forderung gilt ganz besonders der Strafe gegenüber; denn sie ist ein zweischneidiges Schwert: Rechtsgüterschutz durch Rechtsgüterverletzung. Es läßt sich eine schwerere Versündigung gegen den Zweckgedanken gar nicht denken als verschwenderische Verwendung der Strafe“ (v. Liszt 1905, 161). Als gravierendster Eingriff staatlicher Gewalt ist Strafe nur soweit gerechtfertigt, als sie erforderlich und tauglich ist, um das legitime Ziel des effektiven Rechtsgüterschutzes zu erreichen; und auch dann nur in den Grenzen der Verhältnismäßigkeit – im Verhältnis zur Schwere der Rechtsgutverletzung und dem Maß der Verantwortung des Rechtsbrechers. Schon deswegen ist sie gegen junge Menschen im Sozialisationsprozess allenfalls subsidiär (und damit auch zurückhaltender als gegenüber erwachsenen Beschuldigten) indiziert. Die Sanktionspraxis zeigt, dass es – auch und besonders im Verfahren nach Jugendstrafrecht – rechtlicher Garantien und Beschwerdemöglichkeiten bedarf für die Einhaltung der Grenzen der Verhältnismäßigkeit, von „Verfahrensfairness und Fairness in der Sanktionsverhängung“ (Albrecht 2002, 6.2.2), damit nicht länger zu Lasten junger Beschuldigter im Übermaß freiheitsentziehende Sanktionen verhängt werden, deren spezialpräventive Untauglichkeit zur Genüge belegt ist. Was nicht wirksam, was nicht belegbar besser wirksam ist als weniger eingriffsintensive Sanktionsalternativen, kann nicht als erforderlich begründet werden. Insbesondere die Abschaffung des Jugendarrests wäre ein – seit 1945 überfälliger – Schritt zur Abkehr von unheilvollen Altlasten im deutschen Jugendstrafrecht.

Literaturverzeichnis Albrecht, H.-J. (1981): Alternativen zur Freiheitsstrafe: Das Beispiel der Geldstrafe. Monatsschrift für Kriminologie und Strafrechtsreform 64, S. 265 – 278. Albrecht, H.-J. (1982): Legalbewährung bei zu Geldstrafe und Freiheitsstrafe Verurteilten, Freiburg. Albrecht, H.-J. (2002): Ist das deutsche Jugendstrafrecht noch zeitgemäß? Gutachten D zum 64. Deutschen Juristentag Berlin 2002. München Albrecht, H.-J. (2013): Sentencing in Germany: Explaining Long-Term Stability in the Structure of Criminal Sanctions and Sentencing. Law and Contemporary Problems 76, S. 211 – 236. 23 Vgl. die prägnante Formulierung in BGH 1 StR 353/70 (BGHSt 24, 42), wonach „die Strafe nicht die Aufgabe hat, Schuldausgleich um ihrer selbst willen zu üben, sondern nur gerechtfertigt ist, wenn sie sich zugleich als notwendiges Mittel zur Erfüllung der präventiven Schutzaufgabe des Strafrechts erweist.“

Jugend als Strafschärfungsgrund?

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Juvenile Criminal Justice in Mainland China Between Welfare and Justice By Jing Lin

1. Introduction In ancient China, dominated by the Confucianism philosophy, rites (Li, ) rather than law played a major role in social order maintenance. Accordingly, old Chinese strongly believed in the power of education in shaping people’s thoughts and behaviors. As the old saying stated “all humans are born with good nature” (ren-zhi-chu, , ), educational approaches shall be carried out for juxing-ben-shan, venile offenders. Though the educational approach and sympathizing with juvenile offenders have a long history in China, it was generally perceived that juvenile justice, in modern sense, has not been established until the 1980s in mainland China. During the republican rule of the Kuomintang government, juvenile justice in the sense of institutional construction began to form. In 1933, a juvenile prison was established in Ji’nan and, a year later, one more in Wuchang.1 However, these institutions were closed along with the collapse of the transitional government.2 A milestone in the development of the juvenile institutional system in modern sense could be traced back to the era of the Peoples Republic of China in the year 1984, when the first juvenile tribunal was set up in Changning district, Shanghai.3 In comparison to Germany’s first juvenile court setting up in 1908 in Frankfurt, and the first juvenile prison in 1911,4 juvenile justice in the sense of institutional construction in mainland China has a shorter history. In comparison to German Youth Court Law (Jugendgerichtsgesetz, JGG) issued in 1923, the separation of juvenile justice from adult criminal justice is a remarkable new conception in China. A particular code similar to Youth Court Law – a special code for handling juvenile cases – cannot be found in today’s China. Provisions on juvenile justice scatter in adult criminal law and criminal procedural law. The amendment to the Criminal Procedure Code (CPC) in 2012 (the Amendment) is widely deemed a milestone for the reform of juvenile justice, as it includes a particular chap1

See Zhao 2014, 104. See Yang 2018. 3 See Yao 2001. 4 See Albrecht 2004, 445. 2

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ter entitled “Criminal Procedure for Minors” (art. 266 – 276 CPC, hereafter juvenile chapter of the CPC). Some rules which apply to juvenile offenders exclusively have been introduced by the Amendment, such as conditional non-prosecution and sealing up criminal records. Since then, juvenile justice has sought to distance itself from adult criminal justice. Notwithstanding, leniency for juvenile offenders could be traced back to Zhou dy), the juvenile was pronasty (BC1046-BC 771). In the Rites of Zhou (Zhouli, vided as one of the three vulnerable groups (the juvenile, the elderly and the mentally disabled) with sentencing leniency. Similar provisions could be found in later rules in ), the first chapter of ancient China. In accordance with article 30 of Minglilv ( Tanglv ( ), people who are over seventy years old, younger than fifteen, or disabled can be punished with a financial penalty instead, in case they commit a crime with sentencing less than exile.5 This was further developed by article 11 of the Code ), prescribing that criminals under the age of twelve canof Qing Dynasty ( not be held criminally responsible, yet meanwhile, reformatory education should be implemented. Influenced by German “modern school of criminal law” represented by Franz von Liszt, the idea of rehabilitation has growing influence in recent China. Punishment is no longer a single goal of criminal justice. Other values including rehabilitation and resocialization have been stressed, in particular, in the fields of juvenile justice. Liszt’s argument is perceived to be in line with cost-benefit thinking and a conception of social welfare as a basic task of the state,6 and thus has its wide influence beyond Germany. In China, the justice model of juvenile justice has been challenged by the juvenile chapter of the CPC, in which the principle of juvenile justice has been regulated as “education shall play a major role, while punishment serves as secondary instrument for juvenile cases” (art. 266 CPC). Youth courts in China are specially designed to visualize the goal of education and persuasion. Defendant-friendly style roundtable settings in courtrooms have been used to ease the tension between parties, and to demonstrate the approach of cooperation and persuasion. Meanwhile, the growth of cases of youth violence has been targeted as a result of excessive leniency for juvenile offenders. The argument by a twelve-year old offender – “I ONLY kill my mom, not someone else”7 – shocks the public and causes a heated discussion on the rationality of the current youth justice. A recent debate on the minimum age of criminal liability could be perceived as a signal of rethinking of a critical question, i. e., whether juvenile offenders are overprotected, while other stakeholders’ interests such as the rights of victims are not properly fulfilled? Similar 5

See Zhao 2014, 104. See Albrecht 2004, 444. 7 For more details of this case, see https://news.china.com/social/1007/20181211/346473 47_all.html [01. 02. 2019]. 6

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reconsideration of juvenile justice accrued in other jurisdictions such as Germany in the beginning of this century.8 This paper explores whether current juvenile justice in China is based on welfare or justice principles. It starts with an observation of juvenile crime and focuses on juvenile justice in action, including substantive and procedural criminal law. This ) paper argues that Confucianism philosophy of moderation (Zhong-yong, plays a significant role in this routine. When the valuation of welfare goes too far, which risks jeopardizing other values such as safety of community and general prevention effect of juvenile criminal law, it will then swing back to accommodate values of security and justice to offset the imbalance. Eventually, a dynamic balance is achieved.

2. Trends and Patterns in Juvenile Crime Through a literature review, Zhang has drawn a profile of juvenile delinquency in modern China.9 However, as stated by Zhang, data collected in these studies are of obvious limitation, i. e., “they were commonly collected from convenience samples with a limited number of measures”. A systematic and comprehensive survey lies in transparency and accessibility of official statistics, which was however criticized as unsystematic, incomplete and questionable.10 The deficiency of official statistics is, however, no longer a major problem along with judicial transparency and official data accessibility. Besides the traditional form of yearbook, including the Law Yearbook of China (China Law Society) and the China Statistical Yearbook (National Bureau of Statistics of China), digital data issued by the government11 as well as nongovernment research institutes and data service agents enable an enriched overview of juvenile crime in China. However, systematic police and court statistics as in Germany have not yet been published in China, neither a translation to English for international interests. 2.1 Juvenile Crime Trends As shown in Figure 1, the overall number of offenders has fluctuated and shows an upward trend in the past decades. The overall number of offenders has doubled, increasing from approximately 0.6 million in 1990 to more than 1.2 million in 2016. Since 2010, the overall number remains more than one million with a peak in 2015 (1,232,695). In contrast, the number of juvenile (under the age of 18) and young (ages

8

See Albrecht 2002. Zhang 2008. 10 See Shen & Hall 2014, 274. 11 See http://wenshu.court.gov.cn/index [20. 11. 2019]. 9

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18 to 25) offenders has fluctuated slightly and shows a steadily downward trend since 2008.

Figure 1: Number of Offenders by Age, 1990 – 201612

As visualized in Figure 2, young offenders aged between 18 and 25 commit crimes more often as compared to juvenile offenders under the age of 18. This could be explained by the regulation of criminal liability in China (see below). After the first peak in 1990, the number of juvenile and young offenders reaches a new peak in 2008. However, a slight difference of the two peaks could be found. That is, the peak in 2008 could be explained by the increased number of juvenile offenders (under the age of 18), while the peak in 1990 by the large number of young offenders (ages 18 to 25). This can be explained by an increase of violence crimes in these years. As shown in Figure 3, the number of juvenile and young offenders as a percentage of all offenders has steadily decreased, from approximately 57% in 1990 to 16.8% in 2016. The decrease is mainly in the number of young offenders aged between 18 and 25, from approximately 50% in 1990 to 13.8% in 2016. The percentage of juvenile offenders under the age of 18 has fluctuated and reached its peak of 10% in 2005, followed by a steady decrease afterwards. The number has reached its bottom of approximately 3% in 2016.

12 Sources of statistics for figure 1 – 3, see Law Yearbook of China (1991 – 2017). All numbers relate to convicts.

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Figure 2: Number of Juvenile and Young Offenders, 1990 – 2016

Figure 3: Percentage of Juveniles and Young Offenders Among all Offenders, 1990 – 2016

2.2 Juvenile Crime Patterns Official data do not provide specific information on any patterns of juvenile crime. With the help of literature derived from previous studies, a basic profile has been drawn by Zhao et al.13 which suggests that the majority of crimes committed by juveniles and young offenders are property-related crimes, opportunistic crimes (rather than premeditated case) and carried out by groups (rather than individual crime); they occur in public areas such as plazas, bus stops, railway stations, entertainment centers, and so on. The offenders usually have poor education, and their average age is declining these years. That is also visualized by the crime trend of reduced percen13

Zhao et al. 2014.

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tages of young offenders between the age of 18 and 25. In addition, residential stability and family stability is highly related to juvenile crimes. That is, juvenile immigrants in urban areas and “left behind” juveniles in rural areas (“migrant/floating population”) are more likely to commit crimes in comparison to other groups of juveniles.14 A semi-official research institute initiated by the Supreme Court – China Justice Big Data Research Institute – has issued the Big Data Report on Juvenile Offenses, which illustrates juvenile crimes patterns in recent years. In accordance with the statistics for the year 2016 and 2017, more than 14,000 cases belong to the category of theft, followed by robbery with more than 4,000 cases. Other quite frequently committed crimes are assault (approx. 4,000), gang violence (approx. 4,000), and rape (approx. 2,000).15 The statistics are consistent with the above-mentioned research findings, i. e., the dominancy of property-related crimes. As regards the education of these offenders, the data are again in line with the above research findings: 1.19% of the offenders belong to the group of illiteracy and 17.7% only went to preliminary school (for 5 – 6 years), which yet violated the nine-year compulsory education. The majority of offenders (68.08%) went to middle school, that is three more years after preliminary school, which is still perceived as insufficient-educated in today’s China. In comparison to female juveniles, males are more likely to commit a crime, who account for 93.44% of overall juvenile offenders. As regards regional distribution, juveniles in rural areas (82.06%) are more likely to commit a crime, as compared to those from urban areas (17.94%). This could be explained by the phenomenon of left-behind children in rural areas while their parents as part of the migrant labor force are moving to city areas. Those left-behind children are less disciplined by the family bonds. In almost 6,000 cases, the juvenile offenders are from “migrant/ floating” families, followed by other abnormal family structures including divorced family (approx. 3,000 cases) and other single family (approx. 1,000 cases). Again, it is in line with the above finding that the factor “migrant/floating population” significantly relates to juvenile offense.16

3. Juvenile Criminal System in Action 3.1 Definition of Juvenile and Criminal Liability The legal term “wei-cheng-nian-ren” (non-adults) regulated in the Law on the Protection of Minors refers to juveniles under eighteen years of age (art. 2). In terms of criminal liability, current Chinese criminal justice system classifies individuals into four categories according to age, i. e. children without criminal responsibility (ages under fourteen), minors with criminal responsibility for extreme severe 14

Zhao et al. 2014, 141 – 142. See China Justice Big Data Research Institute 2017. 16 See China Justice Big Data Research Institute 2017.

15

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crimes exclusively (ages fourteen to sixteen), minors with full criminal responsibility yet with sentencing leniency (ages sixteen to eighteen) and adults (ages above eighteen). A concept of young adult (Heranwachsender in German), which stems from the idea that the concept of adolescence requires flexibility because of variations in maturation,17 is not fully acknowledged in China. Minors aged sixteen to eighteen bear full criminal responsibility yet with sentencing leniency and shall be prosecuted in accordance with the juvenile procedural rules regulated in the juvenile chapter of CPC. However, unlike the German concept of individual assessment of young adults, judges in China do not have discretion on the utilization of the juvenile chapter of CPC according to the standard treatment of this age group. 3.2 Measures and Sanctions The principle of education is accepted and recognized in Chinese juvenile justice and takes influence on sentencing. As argued by Albrecht, a major difference between juvenile and adult criminal justice is in their general reasoning of sentencing.18 That is, sentencing in adult crime cases reflects the seriousness of the offense, personal guilt, and special and general prevention, while sentencing in juvenile criminal justice solely aims at special prevention.19 Each offense in the Chinese Criminal Law carries a range defined by a minimum and a maximum penalty. In line with the primary goal of sentencing for juvenile offenders – education and rehabilitation – a principle rule of leniency for juvenile offenders is provided in both Law on the Protection of Minors (article 54) and Chinese Criminal Law (article 17). Thus, the minimum penalty does not apply to juvenile offenders under eighteen; a less severe sentencing than the minimum could be imposed for juveniles. The most criticized and most severe sanction – death penalty – cannot be imposed on juvenile offenders under eighteen. In addition to criminal penalties, special disciplinary measures apply to delinquent minors. For instance, juvenile offenders who lack of criminal liability could , be sheltered and rehabilitated by the government (shou-rong-jiao-yang, art. 17 CPC); delinquent minors could be sent to reformatory schools (gong-duxue-xiao, ) for correction and education, where additional legal courses will be delivered (art. 35, 36 Law on the Prevention of Juvenile Delinquency). The disciplinary measure of “shou-rong-jiao-yang” is however controversial and criticized by some scholars as it restrains freedom of juveniles.20 Though it is assumed that non-custodial sanctions including community service and pecuniary sanction shall be widely used for juvenile offenders, there is no official 17

See Albrecht 2004, 451. See Albrecht 2004, 451. 19 See Albrecht 2004, 453. 20 See Xue & Liu 2004, 65 – 74. 18

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data available to support this argument. In accordance with statistics21, a slight sentencing leniency in regard to imprisonment can however be observed. As shown in Figure 4, a lower percentage of juveniles have been sentenced to a longer prison term (more than 5 years) while the percentages of juveniles who have been sentenced to less than 5 years and less than 3 years respectively are somewhat higher.

Figure 4: Sentencing Leniency for Juveniles, 2015 – 2016

3.3 Juvenile Criminal Proceedings A variety of special rules apply to juvenile offenders in juvenile criminal proceedings from investigation, prosecution, to court hearings and the enforcement of court decisions. Some rules demonstrate very vague boundary of courts’ tasks as a judicial organ or a social welfare institution. Taking art. 485 CPC Interpretations by the Supreme Court as an example, a didactic work by judicial court shall be offered to a convicted juvenile. The contents of such didactic work focus on legal and moral issues, including oral persuasion, educational behavior and even handing a gift with special meaning (e. g. a new pair of shoes stands for a bright way for the future). Interestingly, such a welfare-oriented task is led by juvenile judges rather than social workers. It does not end with the trial, but rather continues during the stage of enforcement. Juvenile judges could visit juvenile offenders in prisons, in reformatory schools and in community (art. 491 – 495 CPC Interpretations by the Supreme Court). They are supposed to continuously contribute to rehabilitation and resocialization of the juveniles. Their suggestions on choice and enforcement of education measures will often be followed by supervision persons and institutions. “Judgemama” is a honorable name for those female juvenile judges who are trusted and even loved by juvenile offenders. Besides juvenile judges, juvenile prosecutors are responsible for similar tasks. Guidelines for Criminal Prosecution Involving Minors (for Trial Implementation) (hereafter Guidelines) issued by the Supreme Procuratorate require the procuratorate to intervene in case of a psychological crisis and even offer face-to- face consultation to the juvenile’s family. To carry out these du-

21 Sources of statistics for juveniles see Justice Big Data Research Institute (2017), for adults see Law Yearbook of China (2015; 2016).

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ties, juvenile procurators are encouraged to attend training courses, and even to obtain a professional qualification of psychological consultant (art. 58 – 64 Guidelines). The following rules regulated in the juvenile chapter of the CPC apply to juvenile offenders as special provisions. Some rules are countermeasures against the labeling effect, such as conditional non-prosecution and seal of criminal records. Some rules focus on extra support and protection due to the immaturity of juvenile offenders, including restriction of pretrial detention, exclusion of public trial, compulsory defense and on-site support from proper adults. All together, these rules indicate that the legislator pursues to balance between justice and welfare elements in juvenile justice. 3.3.1 Restriction of Pretrial Detention Pretrial detention in the context of Chinese criminal justice includes criminal de, art. 82 CPC) and arrest (dai-bu, , art. 81 tention (xing-shi-ju-liu, CPC). Both of these compulsory measures enforced by the police restrain the freedom of suspects. A major difference lies in the approval authority, i. e., criminal detention applies in emergency (e. g., suspects are committing crimes) and an order is issued within the police authority, while arrest shall be approved by procuratorates. Pretrial detention is restricted in juvenile proceedings. In accordance with the Rules for Criminal Procedure of the Procuratorate issued by the Supreme Procuratorate in 2019, an arrest order cannot be issued for a juvenile suspect in case that (1.) there is no suspicion of a severe crime but rather of a minor crime, (2.) no or only slight danger for social security, (3.) and his family or school or the local community and residents’ committee have necessary facilities and competence for custody or assistance and education (art. 463). In case the suspect has shown repentance, he might also not be arrested even if he has committed a severe crime (art. 463). Before approving an arrest order, a procuratorate shall arraign a juvenile criminal suspect and hear the opinion of a defense lawyer (art. 280 CPC). Figure 5 shows that the number of approved pretrial detentions by procuratorates have been declining steadily in recent years. In 2013, 74.77% of the arrest application have been approved; until 2017 it declined to 66.41%. In addition, juvenile suspects shall be detained in separation from adults (art. 280 CPC), to prevent exposure of juveniles to crime through contact with adult offenders. However, in comparison to other jurisdictions, the rate of pretrial detention is still high in China. The rate remains lower than 7% for both juveniles and adults in Germany,22 while it is more than 60% in China.23

22 23

Statistics for the period from 1975 to 2015, see Heinz 2015, 152. Statistics for the period from 2011 to 2015, see Law Year Book of China, 2012 – 2016.

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Figure 5: Arrest of Juvenile Suspects, 2013 – 201724

3.3.2 Background Investigation Unlike in cases with adult suspects, investigators gather information on personal and social circumstances relevant for evaluating the personality of the juvenile suspects and the choice of sanction (art. 279 CPC). This investigation is carried out by judicial organizations or commissioned institutions and persons, including judicial offices (government for judicial administration), social workers and other proper adults. Such background investigation shall commence at the stage of investigation by police. However, in practice, background investigation during investigation by police is often insufficient and a further background investigation will often be initiated by prosecutors before deciding whether a case shall be dismissed. A more detailed background investigation can also be initiated by the court, if more information is still required for the choice of sanction. Similar to the social inquiry reports under German juvenile justice that the court must hear in accordance with general procedural rule that any evidence relevant to the finding of guilt and the appropriate sentence must be heard,25 the background investigation report in Chinese juvenile justice shall also be accepted by the court and serves as an important reference document in sentencing (art. 476, art. 484 Judicial Interpretations of CPC by the Supreme Court). However, a potential risk of disclosure of a case to the public exists in the process of background investigation, which brings a labeling effect without trial. A case handled by Jiangsu Huan’an procuratorate is a typical example: in May 2015, a 17-year old suspect was under a background investigation in a theft case. Unfortunately, the case information leaked out in the community, which brought great pressure to the suspect. He tried to commit suicide twice. To handle this situation, the procuratorate worked together with a psychiatrist in order to intervene and support the recreation of his self-esteem. Finally, the minor case was dismissed.26 Notwithstanding, the neg24

Statistics see Wang 2019. See Albrecht 2004, 471. 26 Details of the case see http://www.jsjc.gov.cn/wsjcy/gs/wcnrxxjc/201612/t20161215_ 109727.shtml [01. 11. 2019]. 25

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ative impact for the 17-year-old remains, despite of the efforts from both the procuratorate and psychiatrist. 3.3.3 Conditional Non-prosecution Similar to German criminal procedure, in which the principle of legality (Legalitätsprinzip) applies, prosecutors in China are obliged to file a charge in every case, including juvenile cases, where there is reasonable evidence that the suspect has committed a crime. Nonetheless, exceptions permit non-prosecution concerning minor offenses on opportunity grounds for both juveniles and adults (art. 177 CPC). Based on the rationales of avoiding labeling effects and striving for resocialization of juvenile offenders, conditional non-prosecution has been recognized and accepted by the 2012 Amendment, yet exclusively for juveniles. In the case that juvenile suspects may be sentenced to fixed-term imprisonment of one year or less, and the juvenile suspect has shown repentance, a procuratorate may make a conditional nonprosecution decision (art. 282 CPC). Upon full compliance with specified conditions, such as obeying laws and regulations and reporting obligations as well as correction efforts, a non-prosecution decision shall be made upon expiration of the probation period (six months to one year) (art. 283 CPC). By issuing the conditional nonprosecution, a fundamental juvenile policy has been demonstrated according to which formal sentencing shall be last resort. During the probation period for conditional non-prosecution, a procuratorate shall supervise and inspect the juvenile suspect, with the assistance of other institutions and persons (art. 283 CPC). In judicial practice, the enforcement of conditional non-prosecution substantially depends on supervisory human resources. Thus, those whose residence is identical with their parents and those who live in a community where a sufficient number of social workers are in place have priority in the enforcement. Nevertheless, the conditional non-prosecution is not favored by most of prosecutors due to the high cost of supervision. The percentage of the conditional non-prosecution reads approx. 6% according to a recent empirical study.27 3.3.4 Legal Aid and Compulsory Defense In a juvenile case, a defense lawyer shall be offered to juvenile offenders free of charge, in case no lawyer has been hired (art. 278 CPC). Such compulsory defense arrangement is based on the rationale that, compared to adult offenders, juveniles are a vulnerable group who cannot defense themselves effectively. Though police are also entitled (and obliged) to notify a legal aid agency to assign a lawyer, in judicial practice, they tend not to initiate the legal aid, but rather leave this task to the prosecutors, or even to judges. Thus, during the process of investigation, when the suspects’ rights are most likely to be infringed, the legal aid is often not provided. This is 27

He 2019.

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an effect resulting from the ambiguity of the legislation which provides that, “for a juvenile criminal suspect or defendant who has not retained a defender, a court, a procuratorate, [or (and)] a public security authority shall notify a legal aid agency to assign a lawyer to defend him or her” (art. 278 CPC). It is however quite vague and unclear who shall be obliged to initiate legal aid – either of these three institutions, or all of them. In addition, guardians of a juvenile offender shall be notified to be present during the police interrogation and court hearings. In case this is not feasible or not proper (e. g., if the guardians are victims), other suitable adults including social workers can be involved instead (art. 281 CPC). As Albrecht argued, involvement of social work professions strengthens the welfare approach and enlarges mistrust toward criminal law and criminal justice.28 Such arrangement is however of great significance in current China, since legal aid lawyers, in most cases, have not yet been involved at the stage of investigation. From 2013 to 2015, in total, approx. 150,000 juvenile suspects (offenders) have been provided legal aid services, and around 220,000 suitable adults have been involved in the interrogation or court hearings.29 In accordance with national statistics during the period, 150,071 juvenile offenders have been tried during the same period.30 That is, almost all juvenile offenders have professional support from legal aid providers and spiritual support from proper adults during the court hearings. From this point, the rule of legal aid for juvenile offenders has been soundly followed. 3.3.5 Seal of Criminal Record Criminal records bear the risk of labeling effects for convicted juveniles. Influenced by German Youth Courts Law (JGG), which allows deletion of the criminal record for a law-abiding individual after youth penalty, the juvenile chapter of the CPC accepts sealing of criminal record for a juvenile. However, some slight differences exist. The Chinese model focuses on the severity of a crime, i. e., it applies to juveniles sentenced to a fixed-term imprisonment of no more than five years (art. 286 CPC), while the German model focuses on personal characteristics of the juveniles, i. e., progress in rehabilitation: clearance applies when the juvenile has proved by be a law-abiding individual (art. 97 JGG). In addition, in China the record will not be deleted completely, but rather be sealed, and it can be disclosed to a judicial authority for the investigation and trial of other cases. However, no specific rules clarify how shall the criminal record be used by the judicial authority. In practice, it will either be considered in deciding a pretrial detention or in sentencing, based on the rule of severe punishment for recidivism. Besides, a none-criminal-record certificate, which is often required in seeking for a job or for similar purposes, is often failed to be issued 28

See Albrecht 2004, 449. Statistics see http://gjwft.jcrb.com/2016/5y/wj30n/index.shtml [01. 11. 2019]. 30 Statistics from Law Yearbook of China, 2014 – 2016.

29

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for juvenile offenders whose criminal record have been sealed. Though the procuratorates are obliged to issue such a certificate in accordance with the art. 88 of Guidelines for Criminal Prosecution Involving Minors (for Trial Implementation), in practice, community police are responsible for such applications. Since this Guideline is issued by the Supreme Procuratorate, it does not apply to the police and can be hardly followed. Thus, the primary goal – avoiding labeling effect – can hardly be achieved in practice.

4. Evaluation and Conclusion By a deep observation of its legal reform and judicial practice, Albrecht argued that “German juvenile justice was never dominated by a social welfare model and never adopted more than marginal traces of welfare and social support”.31 That is, the Youth Court Law is firstly criminal (procedural) law32, and the juvenile justice system remains a subsystem in the general criminal justice system. Doob argued that juvenile justice in Canada starts with a law based on welfare principles (in 1908) and turns to a law based on criminal law principles and proportionality (in 2003).33 In contrast, this analysis shows a more complex profile of juvenile justice in mainland China. It is based on the conception that punishment and education could be reconciled within the framework of juvenile justice. Thus, it reflects an amalgam of values that derive from adult criminal (procedure) law (focusing on the justice model) and youth welfare law (focusing on welfare model). It swings between justice to welfare and strives to achieve a balance between the two. The rule of bidirectional protection (balance between the protection of juvenile offenders and the interests of other stakeholders)34 visualizes such efforts, which is in line with Confucianism phi), i. e., preventing extremism losophy of moderation or harmony (Zhong-yong, and avoiding conflicts. A distinct orientation (of either justice model or welfare model) has never been realized by the legislature, which is neither of their interest. Meanwhile, an obvious gap between law in books and law in action exists. On the one hand, juvenile tribunals are obliged to carry out some tasks which are, in essence, welfare-oriented, and have nothing to do with justice (e. g., appointment of a psychological consultant). On the other hand, they often fail to fully comply with rules stipulated in the juvenile chapter of the CPC. Tensions between high expectation from the 31

Albrecht 2004, 450. See Albrecht 2002. 33 See Doob & Sprott 2004. 34 The Guidelines for Criminal Prosecution Involving Minors (for Trial Implementation) ( ( ), issued by the Supreme Procuratorate, stipulate that the Procuratorate shall follow the rule of bidirectional protection, i. e., balance the protection of juvenile offenders and interests of other stakeholders including the rights of victims in handling juvenile cases (art. 21). 32

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legislator and limited enforcement capacity lead to a peculiar profile of current juvenile justice. Notwithstanding, considering the short history of the juvenile chapter of the CPC (2012), a prosperous future of juvenile justice in China may be expected. More than 7,200 judges serve at juvenile tribunals in today’s China exclusively.35 The Supreme Procuratorate has set up a special department for juvenile criminal cases in 2019. In addition, Law on Community Service that came into force in July 2020 is vital for sound enforcement of juvenile justice. References Albrecht, H.-J. (2002): Ist das deutsche Jugendstrafrecht noch zeitgemäß? Gutachten D zum 64. Deutschen Juristentag 2002. München. Albrecht, H.-J. (2004): Youth Justice in Germany. Crime and Justice 31, 443 – 493. London. China Justice Big Data Research Institute (2017): Big Data Report on Juvenile Offenses; http:// data.court.gov.cn/pages/research.html [01. 11. 2019]. Doob, A.N. & Sprott, J.B. (2004): Youth Justice in Canada. Crime and Justice 31, 185 – 242. He, T. (2019): Futiaojian Buqisu Zhidu Shishi Zhuangkuang Yanjiu ( ). Chinese Journal of Law ( ) 41/6, 150 – 171. Heinz, W. (2015): Kriminalität und Kriminalitätskontrolle – Berichtsstand; http://www.uni-kon stanz.de/rtf/kis/Kriminalitaet_und_Kriminalitaetskontrolle_in_Deutschland_Stand_2015.pdf [01. 10. 2019]. Law Year Book of China (

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The Juvenile Justice System in the Czech Republic: Successes and Failures By Helena Válková

1. Introduction It is not so long since we in the Czech Republic welcomed the adoption of a new, special legislation aimed at responding more effectively to crimes committed by juvenile delinquents aged 15 up to 18. Children under the age of fifteen, who have committed crimes for which juveniles and adult offenders face criminal charges, have not been neglected by this law either.1 The Youth Justice Act came into effect on 1 January 2004.2 The period of more than fifteen years of its application in practice offers us a good opportunity to summarize which of its objectives have been achieved, and to what extent. Only an independent criminological research, which unfortunately has not been carried out yet, would be able to reveal the real effectiveness of this law in the necessary detail. The official statistics which are meanwhile available must be interpreted with caution and with a view to their considerable limits; therefore, it is difficult to offer an objective answer to our question, albeit certain conclusions can be drawn. What can already be drawn from the available sources is that over the past fifteen years there has been a gradual decline in the extent of both the recorded criminal juvenile delinquency and otherwise punishable criminal offenses by children under the age of 15 – not only in absolute figures, but also in terms of the relative proportion of delinquent juveniles in the total number of adolescents of the relevant age categories. However, whether this positive long-term trend can be attributed solely or predominantly to the new system of treatment of delinquent youths as codified in a particular piece of law – The Youth Justice Act of 2003 –, or to other factors contributing significantly to this favorable development, such as the increased latency of some current forms of crime (especially cybercrime), or to changes of macro-social significance that our society is undergoing at the beginning of the 21st century – the answer 1

Under the Youth Justice Act, children under 15 can only be penalized by “educational obligations” or educational restictions, by “verbal reprimand with a warning”, by imposing an “outpatient educational programme”, supervision by a probation officer, protective education, or by protective medical treatment. 2 Act No. 218/2003 Coll. of Laws, On The Liability of Youth for Unlawful Acts and Judiciary in Youth Matters (The Youth Justice Act).

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Helena Válková

to this question is difficult to find without research monitoring these factors which potentially influence the current scale, structure and intensity of youth delinquency.3

2. Changes in Legislation: Governing Judicial Practice in Youth Matters Since its adoption in 2003 to the present time (i. e., 2020), the Youth Justice Act remained largely unchanged in substance, although it has been amended no less than twenty times. Having said that, none of the amendments reconfigured its basic principles and original systematics, or introduced measures or procedures that would contradict its original philosophical foundations based on the principles of restorative justice. It can therefore be stated that after the adoption of the Youth Justice Act, criminal policy – at least as regards the pertinent legislation – has remained stable over the past fifteen years. Of course, the current juvenile justice concept has also stimulated fundamental changes in the penal code, the code of criminal procedure, and in other related pieces of legislation. In view of the importance of these changes, it is necessary to mention above all the major reform of substantive criminal law implemented by the adoption of the new Criminal Code which came into effect on 1 January 2010.4 Some of the innovations introduced with its adoption have been successfully tested exactly in the field of youth justice. Of particular importance is the emphasis on the broader application of alternative procedures and sanctions stipulated by a number of provisions of the new Criminal Code. Furthermore, the importance of cooperation between criminal judges, prosecutors and probation officers, who have gradually become indispensable collaborators imposing and enforcing alternative sanctions, was strengthened. The very inspiration from the good practice of the application of the Youth Justice Act, which were taken as a blueprint for a number of corresponding provisions of the new Criminal Code, makes it possible to assess Act No. 218/2003 Coll. of Laws as a piece of successful legislative work. On the other hand, it is also worth noting that opposite voices attempting to push the criminal liability of juvenile delinquents and the related punishment in the direction of stricter criminal repression, were up to now fortunately not successful. The common denominator of such policy concepts has always been the intention to promote rapid, populist responses to exceptional, severe case scenarios (usually a murder or a crime with a sexual motive, committed by a child under 15 or by a juvenile). As a rule, proponents of such views would plea for a reduction of the minimum age of criminal liability from the current limit of fifteen years down to fourteen and even thirteen. At the same time, it was proposed that penalties for murder, rape with serious consequences, and other severe crimes committed by juvenile delinquents should be 3 4

For more details, see Válková, Kuchta, Hulmáková et al. 2019, pp. 277 – 307. Act No. 40/2009 Coll. of Laws, The Criminal Code.

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dramatically raised. Until now, the advocates of stricter measures have not been able to launch such legislative adjustments which could significantly tighten up criminal policy towards delinquent youth in the Czech Republic.5 Their failure is, in a way, an indirect indication that the basic parameters of the original legislation are adequate. Indeed, Czech legislation is fully compatible with European standards as traditionally enforced by the Council of Europe6 and, in the last ten years or so, also with those laid down in EU regulations.7 In comparison with the current legislation of other EU member states, the Czech youth justice law can be rated – in terms of the extent of the rights guaranteed to juvenile offenders and the system of sanctions applicable to them – among the most balanced ones. This can, however, not yet be said about its application practice where considerable hesitance towards the use of all the statutory options offered to the competent authorities and institutions still prevails.8

3. The Most Recent Amendment to the Youth Justice Act As already mentioned above, the provisions of the Youth Justice Act with its overall concept and systematic approach are in accordance with the requirements of European regulations. Nevertheless, the EU Directive on procedural safeguards for children who are suspects or accused persons in criminal proceedings9 (hereinafter: The Directive) has extended and specified the requirements for procedural safeguards for criminally liable minors under 18 who are suspects or accused persons in criminal proceedings, or are in custody under the European arrest warrant. Member states were obliged to transpose the provisions into their domestic law by June 2019. The Czech legislature implemented the required adjustments by adopting Amendment Act No. 203/2019 Coll. of Laws that came into effect on 1 September 2019. 5

Válková 2018, pp. 333 – 343. The European Convention on the Protection of Human Rights and Fundamental Freedoms (domestically introduced through Act No. 2019/1992 Coll. of Laws) which, in the field of penal youth justice, is further elaborated in a number of important documents such as, e. g., the Guidelines of the Committee of Ministers of the Council of Europe on Child-friendly Justice, adopted on Nov. 17, 2010; notwithstanding its formal character of a set of legally nonbinding recommendations, the document is a strong political appeal to all member states, all the more in light of the fact that it is regularly referenced and applied in the case law of the European Court on Human Rights. In June 2014, the Parliamentary Assembly of the Council of Europe passed its Resolution on the Child-friendly Juvenile Judicial System, which stressed the necessity to treat minors who are at odds with law, on the basis of their rights and with respect for their needs. 7 At EU level, it is, first of all, Article 24 of the Charter of Fundamental Rights of the European Union which is designed to ensure respect for the interests of the child in all cases in which any of the EU’s legal norms is applied. 8 For similar conclusions, see Hulmáková 2020. 9 Directive (EU) 2016/800 of the European Parliament and of the Council of 11 May 2016 on procedural safeguards for children who are suspects or accused persons in criminal proceedings, O.J. L 132/1. 6

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Summarizing the main changes in the existing juvenile criminal law, those are few in number, but certainly not marginal in regard to their potential impact. Their practical application in criminal proceedings against a juvenile could, in the future, contribute significantly to making the juvenile justice system more efficient. Specifically, these amendments provide for: *

*

*

*

*

*

*

the legal rule that a person, whose age of 18 is uncertain, is considered to be a child; an extended and specified catalogue of information on their rights and possibilities of exercising them, which must be communicated to the juvenile in a comprehensible form appropriate to their age, mental maturity and state of health, and with regard for the ongoing stage of criminal proceedings; extended grounds for the necessary defense for juveniles who have not reached the age of 21, from the moment when measures under the Youth Justice Act are applied against the person or when acts under the Code of Criminal Procedure are carried out, if the court and the prosecutor consider it appropriate in the light of the achieved level of intellectual and moral maturity of the juvenile and with regard of the circumstances of the case; extended rights of the juvenile person to have a legal guardian or another adult person of trust designated by the juvenile participating in the criminal proceedings; if the juvenile fails to propose a concrete person as guardian, or proposes someone who may reasonably be expected to be unable to properly defend the child’s interests, the judge or the chair of the chamber or senate and in the pretrial period the prosecutor shall appoint someone else; such a qualified adult can be someone close to the juvenile, or an officer from a socio-legal child protection authority, or a person with experience in youth education, or a lawyer; additional obligation to explore the individual background of the juvenile ‘without undue delay’, in other words, at the earliest appropriate stage, preferably before the indictment is filed; at the same time, it is necessary to ensure that the individual assessment of the juvenile is kept up-to-date in regard to any event of a substantial change in their situation, both in the preparatory phase and in the course of the main trial; codification of the preferential treatment of the accused child and provision of the audiovisual recording of the questioning of the child, if this is appropriate and technically possible given the circumstances of the case and those of the child; the legal obligation to separate a juvenile from adults in custody even after he/she has reached the age of 18, if justified by their personal circumstances and not contrary to the interests of other juveniles sharing the same place.

Overall, the 2019 amendments of the Youth Justice Act are in line with the requirements of the 2016 EU Directive. The new provisions are a further step in the right

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direction. They also correspond to the current pan-European trend of strengthening the rights of adolescents in court proceedings.10 In particular, one should welcome the introduction at the national level of the possibility for a juvenile to nominate a guardian of their trust, and the corresponding obligation of the competent authority to take into account the person’s request and, unless serious obstacles exist, to give priority to the child’s choice over a specialized social worker or lawyer. It is not unimportant to explain to a juvenile the course of the criminal proceedings in a more comprehensible way, to make them better understand what is happening in their case. No less important for the selection of an appropriate procedure or measure by the court and/or the prosecutor is the obligation to provide for up-to-date information on the life situation of the minor, which may change during the course of the proceedings, thus requiring an early update by the competent authorities as outlined in the Youth Justice Act. Finally, the extension of the age category of adolescents for whom legal defense is obligatory to include young adults up to the age of 21 in cases where the court or the prosecutor deem it appropriate, should, of course, also be welcomed, since juveniles have not automatically acquired deeper intellectual abilities at the day of their 18th birthday, so that they could properly defend themselves and use all their procedural rights – especially in more complicated and prolonged criminal cases.

4. Implementation of the Youth Justice Act in Practice11 In contrast to the Criminal Code, the Youth Justice Act defines its philosophical basis and criminal policy objectives differently. The emphasis of the latter is laid upon reintegrating the juvenile, preventing recidivism and restoring disturbed social relationships between the juvenile offender and the victim, by instructing the young delinquent to take responsibility for their actions and actively seek to remedy their consequences. To this end, a variety of measures can be imposed: penal, protective and, above all, educational ones. Here, probation programs play an important role, in which juveniles are encouraged to change their (previous) problematic attitudes. A prerequisite for the effectiveness of these programs is that they are “tailor-made” to suit the individual juvenile, and that their quality is constantly monitored. Therefore, the professional level of these programs has to be guaranteed by the Ministry of Justice through accreditation.

10

For an overview of legal documents adopted by the Council of Europe and the European Union on the protection of children under 18 and young adults up to 21, see Válková, Kuchta, Hulmáková et al. 2019, ref. 30. 11 This chapter contains statistics and charts used with the kind consent by their originator Jana Hulmáková as they were first presented at the international expert conference “Fifteen Years of the Youth Justice Act”, held in Prague on 14 May 2019.

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The Youth Justice Act further emphasizes the protection of the juvenile from stigmatization, and the preference for the use of diversionary procedures combined with restorative elements, which is a manifestation of the codified provision of the subsidiarity of repression according to which, for example, an unconditional custodial sentence should only be used as an extreme, exceptional sanction for cases of the most severe crimes. The answer to the question whether these principles have actually been adhered to in practice, is provided, albeit partially, by the prosecutorial and judicial statistics. However, when evaluating them, i. e., when analyzing trends and the current situation in the area of the punishment of juveniles, we have to take into account some further significant legislative developments, especially the adoption of new Criminal Code No. 40/2009 Coll. of Laws, as well as the effects of the presidential amnesty of 2013. When comparing the absolute numbers of the sanctions imposed, it is also necessary to take into consideration the general trends in juvenile delinquency records which reveal a significant gradual decline in the number of juveniles brought to criminal justice since the Youth Justice Act came into force. 8,000 7,000 6,000 5,000 4,000 3,000 2,000 1,000 0 prosecuted persons indicted persons convicted persons unconditional sentence of imprisonment (persons)

2003 7,374 6,006 3,558 213

2004 5,959 4,590 3,235 213

2005 5,248 4,191 3,069 190

2006 5,317 4,055 2,773 181

2007 6,080 4,508 2,949 174

2008 5,845 4,339 2,882 200

2009 5,417 4,147 2,718 220

2010 3,990 3,177 2,389 201

2011 3,786 3,091 2,203 190

2012 3,654 3,033 2,186 159

2013 2,951 2,389 1,983 82

2014 2,571 2,116 1,593 88

2015 2,248 1,846 1,403 76

2016 2,061 1,674 1,312 67

2017 2,094 1,729 1,231 63

2018 2,107 1,779 1,278 58

Figure 1: Criminal Policy Towards Juveniles (absolute numbers)12

Within the structure of sanctions imposed on juveniles, a ‘simple’ conditional sentence of deprivation of liberty dominates. The second most commonly applied measure is community service. Conditional convictions also have a significant share. In contrast, unconditional imprisonment accounts for only 5 % of all sanctions (see Figure 1). As for unconditional imprisonment, its structure has changed significantly in terms of the length of prison terms. After the Youth Justice Act came into effect, the proportion of shorter unconditional sentences of up to one year was approximately two-thirds; in 2003, i. e., the last year before the Act came into force, it was still close to three-quarters. In 2018 it was only half. On the other hand, there has been an 12 Source: Overviews of prosecuted and convicted juveniles, Ministry of Justice of the Czech Republic, CSLAV.

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increase in the longer terms of one to five years. This shift is closely related to the change in the structure of juveniles sentenced to unconditional prison sentences (see Figure 2). Obviously, there is an increased number of chronic offenders with a number of risk factors that call for personalized intensive treatment so as to minimize the likelihood of recidivism after their release. 100% 90% 80%

70% 60%

50% 40% 30%

20% 10% 0%

up from 5 to 10 years up from 1 to 5 years up to 1 year

2003 2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012 2013 2014 2015 2016 2017 2018 1 2 3 1 3 2 1 0 0 0 3 1 5 2 0 28 33 32 28 24 26 34 29 33 45 37 53 45 38 47 72 66 65 71 74 71 66 71 67 55 60 46 51 60 53

Figure 2: Length of Unconditional Prison Sentences (in percent)13

Finally, one of the further objectives of the Youth Justice Act is the realization of the principles of restorative justice. Accordingly, particular emphasis is placed on the use of diversion combined with restorative elements at the earliest possible moment in the preliminary proceedings. However, additional statistics show that in practice only conditional discontinuation of criminal proceedings against juveniles is more often pronounced, whereas settlement or termination of criminal proceedings is used very sporadically. In this respect, the restorative orientation of criminal policy, unfortunately, has not yet become more prominent in the Czech judicial practice. Despite these adverse aspects of the application practice, it can be pointed out that over the past 15 years, a rather significant change has occurred in the general approach towards the treatment of delinquent youth prioritizing educational measures and, consequently, the reduction of criminal repression to its necessary minimum. Whether this trend will be maintained in the Czech Republic in the future will undoubtedly also depend on the direction in which the general criminal policy applied to adult offenders will evolve.

13

Source: see footnote 12.

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VI. Folgewirkungen von Strafe und Strafvollzug – Consequences of Conviction and the Correctional System

Strafen über Strafen Strafrechtliche und nichtstrafrechtliche Zusatzsanktionen in Deutschland Von Michael Kilchling

1. Einleitung Die in den Strafgesetzen vorgesehenen Strafandrohungen determinieren im Wesentlichen die mit dem Schuldausgleich und den anderen Strafzwecken verbundenen Rechtsfolgen, die der (potenzielle) Straftäter bzw. die (potenzielle) Straftäterin1 im Falle strafrechtlich relevanter Devianz zu gewärtigen hat. Mit diesem Kodifikationskonzept verbunden ist jedenfalls implizit, auch im Sinne des verbindlichen verfassungsrechtlichen Rahmens der strafrechtlichen Sanktionierung – Vorhersehbarkeit, Gleichbehandlung, Verhältnismäßigkeit, richterliches Strafmonopol, u.v.a.m. –, die Erwartung einer strikten Begrenzung der staatlichen Eingriffsgewalt auf die gesetzlich angedrohte (Kriminal-)Strafe. Die Realität ist freilich eine ganz andere und lässt die eben formulierte Annahme in zahlreichen Lebensbereichen als Fiktion erscheinen. Hans-Jörg Albrecht ist einer der wenigen, der sich wissenschaftlich seit langer Zeit mit den vielfältigen Formen weiterer, in der Fachwelt wie auch der größeren Öffentlichkeit nur wenig thematisierten Beschränkungen bestimmter politischer und bürgerlicher Rechte Verurteilter und manchmal auch bloß Verdächtig(t)er, die niemals angeklagt und/oder verurteilt werden, befasst. Ein aktuelles rechtsvergleichendes Forschungsprojekt, das der Jubilar noch in seiner Zeit als Direktor und Leiter der kriminologischen Abteilung des (ehemaligen) Max-Planck-Instituts für ausländisches und internationales Strafrecht angestoßen hat und dessen Ergebnisse in Kürze publiziert werden,2 hat den Versuch unternommen, die Vielzahl der strafrechtlichen und nichtstrafrechtlichen Zusatzsanktionen, die auf eine strafrechtliche Verurteilung folgen können, systematisch zusammenzustellen und (rechts-)vergleichend3 zu analysieren. Entsprechende Regelungen 1 Aus Platzgründen wird im Weiteren bei funktional-abstrakten Rollen-, Funktions-, Tätigkeits- und Berufsbezeichnungen in nicht-personalisierten Sinnzusammenhängen auf Genderdopplungen verzichtet. 2 Ein erster Überblick ist publiziert bei Fitrakis 2018. Der finale Forschungsbericht, hrsg. v. Michael Kilchling (Freiburg), Angelika Pitsela (Thessaloniki) und Lucija Sokanovic´ (Split), wird 2021 in der Publikationsreihe des MPI im Verlag Duncker & Humblot, Berlin erscheinen. 3 Siehe auch den Beitrag von José Luis de la Cuesta (in diesem Band).

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Michael Kilchling

gibt es in den meisten Ländern, nicht nur in Europa. Der vorliegende Beitrag präsentiert einige ausgewählte Beispiele aus Deutschland. Ein gutes Beispiel sind die strafrechtlichen Wahl- und Amtsbeschränkungen, geregelt in § 45 StGB. Albrecht, der diese Regelungen im Nomos-Großkommentar bearbeitet, spricht diesbezüglich schon in der ersten Auflage von vormodernen und stigmatisierenden Rechtsfolgen, die an Ehrenstrafen erinnerten und mit einem modernen, auf Schuldausgleich und Prävention ausgerichteten Strafrecht unvereinbar seien.4 Ihre Hochphase erlebten diese Strafen, deren Ursprünge bis ins Römische Recht zurückverfolgt werden können, im 18., 19. und frühen 20. Jahrhundert.5 Mit ihrem stigmatisierenden Charakter zielten sie darauf ab, ehemalige Straftäter von der (vollwertigen) Teilnahme am bürgerlichen Leben auszuschließen. Albrecht erkennt in den strafrechtlichen Beschränkungen des passiven Wahlrechts und Zugangs zu öffentlichen Ämtern mit gutem Grund auch Elemente eines Berufsverbotes.6 Tatsächlich ergeben sich im Hinblick auf die Auswirkungen für die Betroffenen auch Parallelen zu dem (präventiv-strafrechtlichen) Berufsverbot im Maßregelrecht. Berufsbezogene Restriktionen haben freilich eine weit größere Dimension, als der beschränkte Fokus auf die strafrechtlichen Regeln zunächst erkennen lässt. Neben den erwähnten dogmatischen Widersprüchen stehen insbesondere die vielfältigen berufsbezogenen Barrieren im Hinblick auf ihren Umfang und ihre wenig resozialisierungsfreundlichen Auswirkungen in seltsam offenem Kontrast zu den klaren Konturen, die das Recht auf Resozialisierung durch die Rechtsprechung des deutschen Bundesverfassungsgerichtes erfahren hat.7 Im Grunde konterkarieren sie die vielfältigen und im Wortsinne oft mühsamen Bemühungen um Resozialisierung geradezu – der englische Begriff der reintegration bringt den diametralen Gegensatz zur Exklusion sogar noch deutlicher zum Ausdruck. Schon in den frühen 1970er Jahren hat das BVerfG die Devise ausgegeben, dass die Resozialisierung als verfassungsrechtliches Prinzip nötigenfalls auch gegen resozialisierungsfeindliche gesellschaftliche Tendenzen durchgesetzt werden müsse.8 Gerade der berufliche (Wieder-)Einstieg ist bekanntlich eine entscheidende Bedingung für gelingende Resozialisierung.9 Nichtsdestotrotz scheint es so, dass die in früheren Zeiten vorwiegend strafrechtlich ausgestalteten restriktiven Eingriffe10 in die Berufsausübung 4

Albrecht 1995 u. 2017, jew. § 45 Rn. 1. Siehe zur Geschichte der Ehrenstrafen ausführlich Weinrich 2009, 79 ff. 6 Albrecht 2017, § 45 Rn. 7. 7 Grundlegend etwa BVerfG, 1 BvR 14/76 v. 21. 06. 1977, BVerfGE 45, 187 ff., 238 f.; auf diese Leitpassage verweist das Gericht in späteren Entscheidungen zur Resozialisierung regelmäßig. 8 BVerfG, 1 BvR 536/72 v. 05. 06. 1973 (Lebach-Entscheidung), BVerfGE 35, S. 202 ff., 236 f. 9 Ausführlicher hierzu z. B. Jacobs & Larrauri 2016. 10 Auffallend ist auch die terminologische und inhaltliche Parallele zu den vielfältigen sog. „restriktiven Maßnahmen“, die auf UN- und EU-Ebene als neuartige nicht-punitive Sanktionen gegen Terrorverdächtige und andere missliebige Individuen, Gruppen und Staaten ent5

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und viele andere Lebensbereiche strafrechtlich auffälliger Personen infolge des allgemeinen Paradigmenwechsels zur Prävention heute sogar wieder deutlich an Bedeutung gewonnen haben. Statt wie früher im strafrechtlichen kehren diese heutzutage eher im verwaltungsrechtlichen Gewand auf die gesellschaftliche Bühne zurück. Auch in anderen Rechtsbereichen wie dem Arbeits- und Wirtschaftsrecht gibt es vergleichbare Entwicklungen. Besonders exemplarisch zeigt sich der Bedeutungszugewinn der außerstrafrechtlichen Disziplinierungs- und Sanktionierungsregime auch in der immer rigideren Compliance-Kultur,11 die die kapitalistische Wirtschaft offenbar in eine Art moralisches Paradies zu verwandeln sucht, in dem jeder Regelverstoß weitreichende persönliche Konsequenzen nach sich ziehen kann. Zusätzliche Dynamik hat die Entwicklung hin zur nachstraflichen gesellschaftlichen Exklusion schließlich auch durch den Ausbau der intensiven Überwachung mit dem Instrument der fortschreitend restriktiveren, elektronisch überwachten Ausschlusszonen erhalten. Als besonders krasses Beispiel kann hier die Situation in einigen US-Bundesstaaten gelten. Miracle Village im Bundesstaat Florida12 ist ein aus der Not ehemaliger Sexualstraftäter heraus entstandener (Nicht-)Ort, die sich dort niedergelassen haben, weil sie nach ihrer Haftentlassung aufgrund der dann einsetzenden weitreichenden Bewegungs- und Aufenthaltsrestriktionen und Näherungsverbote kaum eine reale Chance auf ein Leben in besiedelten Gegenden (sprich: der bürgerlichen Zivilisation) haben.13

wickelt wurden. Siehe nur die nach dem 11. 09. 2001 erlassene EU-Verordnung 881/2002 (ABl. L 139/9) oder die EU-Verordnung 2018/275 gegen Personen aus Belarus (ABl. L 54/1). 11 Erinnert sei beispielhaft an die kontroversen Diskussionen im Zusammenhang mit der Verurteilung von Uli Hoeneß wegen seiner ausschließlich als Privatperson verschuldeten Steuerhinterziehung. Als er nach verbüßter Freiheitsstrafe in seine Funktionen als Präsident und Vorsitzender des Aufsichtsrats beim FC Bayern München zurückkehrte, wurde nicht nur in Wirtschaftszeitungen ernsthaft die Frage erörtert, ob Vorstandsmitglieder anderer börsennotierter Unternehmen wie Adidas, BMW oder Siemens im Hinblick auf die Grundsätze der Unternehmensethik ihrerseits weiter im – durch das Stigma der Vorstrafe des Herrn H. scheinbar ebenfalls bemakelten (?) – Aufsichtsrat des Clubs verbleiben könnten. Vgl. z. B. Süddeutsche Zeitung v. 10. 08. 2016: www.sueddeutsche.de/sport/fc-bayern-warum-hoenessauf-keinen-fall-aufsichtsratschef-werden-sollte-1.3114713 [30. 08. 2020]. Mit ähnlicher Stoßrichtung wurde kurz darauf die Forderung laut, der wegen des damals gerade bekannt gewordenen Dieselskandals zurückgetretene VW-Chef Martin Winterkorn, gegen den zu diesem Zeitpunkt (noch) nicht strafrechtlich ermittelt wurde, müsse auch seinen Posten als Mitglied des Aufsichtsrats bei dem Münchner Club umgehend aufgeben. Vgl. z. B. Süddeutsche Zeitung v. 16. 08. 2016: www.sueddeutsche.de/sport/fussball-uli-hoeness-winter korn-bleibt-bayern-aufsichtsrat-dpa.urn-newsml-dpa-com-20090101-160818-99-134388 [30. 8. 2020]. 12 Eindrückliche Einblicke in die dortigen Lebensumstände geben z. B. Sanburn 2014 und Iaboni 2015. 13 Rechtliche und kriminologische Perspektiven u. a. bei Tewksbury 2007, Levenson 2008, Ehrhardt Mustaine 2014, Levenson & Zgoba 2015.

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Albrecht weist also völlig zu Recht auf Parallelen zum Feindstrafrecht hin14 – wobei dieses konzeptionell freilich auf eine kleine Gruppe nicht resozialisierungsgeeigneter bzw. nicht resozialisierungswilliger gefährlicher Täter zugeschnitten ist,15 während die vielfältigen Lebensführungsbeschränkungen, die hier behandelt werden, potenziell jede Person betreffen können, die einmal in Konflikt mit der Strafjustiz geraten ist.

2. Spektrum relevanter Szenarien Ein ganz alltägliches Bespiel aus Süddeutschland hat 2018 immerhin den Weg in die Freiburger Lokalpresse16 gefunden. Der Betreiber eines der bei Einheimischen wie Touristen gleichermaßen populären mobilen Bratwurststände auf dem bekannten Freiburger Münstermarkt hatte einen Strafbefehl wegen steuerlicher Unregelmäßigkeiten akzeptiert. Nach Eintritt der Rechtskraft wurde das städtische Ordnungsamt aktiv und entzog dem Betrieb mit sofortiger Wirkung die Gewerbeerlaubnis. Im Ergebnis war nicht nur die wirtschaftliche Existenz des traditionsreichen Familienbetriebes zerstört; auch mehrere Angestellte verloren ihren Arbeitsplatz. Ein routinemäßiger Verwaltungsakt, in seinen Auswirkungen freilich weit einschneidender als die Geldstrafe, und ungeachtet der unmittelbaren Akzessorietät zu dem strafrechtlichen Schuldspruch von keinem Strafgericht intendiert, geschweige denn kontrolliert. Solche und ähnliche berufsbezogene (Folge-)Sanktionen sind ein sehr praxisrelevanter Einsatzbereich, der neben den strafrechtlichen Berufsbeschränkungen existiert. Es gibt sie bei Weitem nicht nur im beamtenrechtlichen Kontext, wo die Entlassung aus dem Beamtenverhältnis, ähnlich wie im Kirchenrecht, als Spezifikum eines historisch gewachsenen Sonderrechtsregimes unter Umständen vertretbar erscheinen mag. Auch in Ländern, die ein Beamtenrecht nach hiesigem Muster nicht kennen, ist eine Verurteilung in bestimmten öffentlichen Berufen17 nicht selten mit einer Zugangssperre bzw. der Aberkennung bestimmter (höherer) Dienstgrade, gegebenenfalls sogar der (unehrenhaften) Entlassung verbunden; dasselbe gilt für Auszeichnungen, Orden, Ehrenämter, Ehrentitel, usw. Eine Vielzahl approbierter Berufe ist in ähnlicher Weise betroffen; auch diese haben häufig ein eigenes, justizunabhängiges Berufs- und Disziplinarrecht. Vergleichbare Regeln gelten für die justiznahen Tätigkeiten; mögliche Restriktionen greifen hier für ein weites Spektrum von der Zulassung als Anwalt oder Notar bis zum Schöffenamt. Ähnliche Restriktionen existieren darüber hinaus auch in einer Vielzahl ,ziviler‘ Berufe, vom Bademeis14

Albrecht 2017, § 45 Rn. 1. Jakobs 2000, Jakobs & Cancio Meliá 2006; siehe dazu auch Albrecht 2002, 66 ff. 16 Badische Zeitung v. 29. 01. 2018 u. 13. 09. 2018: www.badische-zeitung.de/muenster wurst-verkaeufer-muss-mehr-als-50-000-euro-strafe-zahlen-148751840.html [30. 08. 2020] bzw. www.badische-zeitung.de/gewerbeverbot-gegen-muensterwurst-braeter-wegen-steuer betrugs--156648692.html [30. 08. 2020]. 17 Zum Beispiel Militär, Polizei, Zivilschutz, Feuerwehr etc. 15

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ter bis zur Vorstandsvorsitzenden des börsennotierten Unternehmens. Auch Selbständige können betroffen sein, insbesondere bei erlaubnis- bzw. genehmigungspflichtigen oder konzessionierten Geschäftstätigkeiten wie dem Betrieb von Gaststätten, Bars, Hotels, Tabakverkaufsstellen, Lottoannahmestellen (und andere Glücksspielbetriebe), Imbissbuden (siehe den obigen Freiburger Fall), Taxibetrieben, dem Speditions- und Transportgewerbe, u.v.a.m. In Griechenland können Vorbestrafte nicht einmal mehr als Kellner arbeiten.18 Und im allgemeinen Arbeitsrecht kann Straffälligkeit unter Umständen ebenfalls die Kündigung zur Folge haben. Weitere praxisrelevante Beispiele finden sich etwa im Bildungssektor und in der Wissenschaft. Die Zulassung zum (Staats-)Examen, akademische Titel, Stipendien oder die Forschungsförderung aus öffentlichen Mitteln stehen häufig unter Ausschlussvorbehalt für den Fall bestimmter Registereinträge. Gerade auch die Bürokratie der Europäischen Union hat in dem letzteren Bereich eine Vielzahl von Ausschlusskriterien implementiert, bei den großen Rahmenprogrammen ebenso wie bei den thematischen Förderlinien: Personen mit bestimmten Vorstrafen können infolgedessen in der Regel weder als Antragstellerin bzw. Projektleiterin fungieren noch über Projektmittel finanzierte Mitarbeiter sein.19 Ähnliches gilt für den weiten Bereich staatlich lizensierter Tätigkeiten, sei es im beruflichen oder privaten Kontext; neben den unterschiedlichen Führerscheinen und Fluglizenzen unterliegen zum Beispiel auch der Jagdschein oder die Waffenbesitzerlaubnis jederzeit der Einziehung; auch die Tierhaltung oder der Umgang mit Tieren kann in manchen Ländern beschränkt werden. Ehrenamtliche wie auch berufliche Aktivitäten im Schul- und Freizeitbereich sind in jüngerer Zeit ebenfalls verstärkt in den Fokus gerückt, insbesondere im Sport und anderen situativen Kontexten, die Tatgelegenheiten für Missbrauch eröffnen. Auch der Bezug von bestimmten Sozialleistungen kann für (aktuelle bzw. ehemalige) Straftäter unter Umständen beschränkt werden, in manchen Ländern auch das Wohnrecht im öffentlichen Wohnungssektor. Das gilt namentlich auch für Zugewanderte. Für diese letztgenannte Gruppe können Vorstrafen aber noch viel weitreichendere Konsequenzen haben. Neben der Bedeutung für die Visaerteilung zur Einreise hat das Legalverhalten vor und/oder nach Einreise in vielen Ländern mittelbaren oder unmittelbar Einfluss auf den Asyl- bzw. Aufenthaltsstatus. Straffällig gewordene Ausländer riskieren gegebenenfalls sogar den Verlust ihres Aufenthaltsrechts und die Abschiebung.

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Vgl. Blitsa & Michalopoulou 2018. Siehe z. B. den für Förderanträge relevanten Vordruck „Declaration on honour on exclusion criteria and selection criteria“: https://eacea.ec.europa.eu/sites/eacea-site/files/declarati ononhonour_rem_and_civ.pdf [30. 08. 2020]. Rechtsgrundlage für die zahlreichen Ausschlussszenarien ist u. a. Art. 13 der EU-Verordnung 390/2014 (Abl. L 115/3), der zum Schutz der finanziellen Interessen der Union auch im Rahmen der Forschungsförderung „wirksame Kontrollmaßnahmen“ […] „zur Vorbeugung gegen Betrug, Korruption und sonstige rechtswidrige Handlungen“ [Hervorh. v. Verf.] verlangt. Das ist im Grunde eine Blankovollmacht für die Erfindung weiterer Ausschlusstatbestände. 19

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Bestimmte Regelungen im Zivil- und Familienrecht können in einzelnen Fällen ebenfalls einschlägig sein. Auf bestimmte Straftaten hin können namentlich die Ausübung des elterlichen Sorgerechts oder das Adoptionsrecht beschränkt werden. Eheund erbrechtliche Konsequenzen sind ebenfalls denkbar. Schließlich existieren in nicht wenigen Ländern neben den genuin strafrechtlichen weitere Beschränkungen, insbesondere des aktiven Wahlrechts für Strafgefangene oder Untergebrachte, generelle wie etwa im Vereinigten Königreich, sektorale wie beispielsweise in den USA oder gruppenbezogene wie bis vor Kurzem auch noch in Deutschland.

3. Ausgewählte strafrechtliche Regelungen 3.1 Wahlrecht und öffentliche Ämter Das deutsche Strafrecht kennt mehrere Alternativen der Wahlrechtsbeschränkung. Sie sind ein Eingriff in den Kernbereich staatsbürgerlicher Rechte. Das aktive Wahlrecht kann im Falle bestimmter Straftaten20 für die Dauer von zwei bis fünf Jahren vom Gericht aberkannt werden (§ 45 Abs. 5 StGB). Voraussetzung ist die Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe von mindestens sechs Monaten. Neben dieser – zeitlich befristeten – strafrechtlichen Beschränkung existierte lange Zeit ein weiterer, außerstrafrechtlich geregelter Wahlrechtsausschluss mit strafrechtlichem Bezug, der erst 2019 vom BVerfG für verfassungswidrig erkannt wurde.21 Danach waren alle wegen Schuldunfähigkeit formal freigesprochenen, aber gleichzeitig gem. § 63 StGB in die Psychiatrie eingewiesenen Personen nach dem Bundeswahlgesetz für die gesamte Dauer ihrer Unterbringung22 vom aktiven Wahlrecht ausgeschlossen.23 Davon waren zuletzt etwa 6.500 Personen betroffen.24 Das Gericht verwarf diese Regelung u. a. wegen Verletzung des Grundsatzes der Allgemeinen Wahl und Verstoßes gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz. Nicht begründbar war für das Gericht insbesondere der vom Gesetzgeber angenommene Zusammenhang zwischen Schuldunfähigkeit und pauschal unterstellter wahlrechtlicher Entscheidungsunfähigkeit. Anstelle einer solchen typisierenden Regelung, die größere Gruppen betreffen kann, ließe das Gericht künftig allenfalls einzelfallbezogene oder auf der Basis von konkreten Indizien für eine Beeinträchtigung der 20 Dies betrifft u. a. Staatsschutzdelikte einschließlich der neueren Terrorismusbegleitdelikte, Straftaten im Zusammenhang mit Wahlen, Bestechung und sonstige Amtsdelikte, vgl. §§ 92a, 101, 108c, 109i, 358 StGB. 21 BVerfG, 2 BvC 62/14 v. 29. 01. 2019, u. a. NJW 2019, 1201 ff. (und online). Dazu auch Hillgruber 2019. 22 Die Unterbringungsdauer ist gesetzlich nicht begrenzt und kann ggf. lebenslang sein. 23 § 13 Nr. 3 a.F. BWahlG; ähnliche Regelungen gab es in zahlreichen Landeswahlgesetzen. Die Entscheidung erstreckt sich mit identischem Tenor auf zivilrechtlich Untergebrachte und sonstige unter Vollbetreuung stehende Personen gem. § 13 Nr. 2 a.F. 24 Schätzung des Wissenschaftlichen Dienstes des Deutschen Bundestages, vgl. BTDrucks. 18/11619 v. 22. 03. 2017, 6.

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Wahlentscheidungsfähigkeit beruhende Wahlrechtsbeschränkungen gelten; ein abstrakter Bezug zu strafrechtlich relevantem Verhalten kann eine solche jedenfalls nicht (mehr) begründen.25,26 Das Urteil folgt im Übrigen der Linie des EGMR, der pauschalisierte Wahlrechtsbeschränkungen, jedenfalls bei Strafgefangenen, ebenfalls nicht akzeptiert.27 Parallel zu der fakultativen Aberkennung des aktiven existiert auch eine entsprechende Möglichkeit hinsichtlich des passiven Wahlrechts und der Fähigkeit, öffentliche Ämter zu begleiten (§ 45 Abs. 2). Anwendungsbereich und Dauer sind in Anlehnung an die des Abs. 5 geregelt; anders als beim aktiven Wahlrechtsverlust ist allerdings die Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr vorausgesetzt. Mit Rechtskraft verlieren auch schon amtierende Amtsträger ihr Amt und alle damit verbunden Rechte. Das zeigt, dass es vor allem um die „Reinhaltung des öffentlichen Lebens“28 geht. Dieselbe Ratio trägt auch die dritte Variante: der automatische Verlust des passiven Wahlrechts und der Amtsfähigkeit für die fixe Dauer von fünf Jahren bei Verurteilung wegen eines Verbrechens zu einer Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr (§ 45 Abs. 1). Die praktische Relevanz dieser Regelung ist erheblich größer als die der beiden vorgenannten fakultativen29 Varianten. Basierend auf einer geschätzten Anzahl von ca. 10.000 Personen, die jährlich wegen eines Verbrechens zu Freiheitsstrafe von einem Jahr oder mehr verurteilt werden,30 betrifft der fünfjährige Ausschluss permanent etwa 50.000 Personen. Die dogmatische Einordnung der Rechtsfolgen des § 45 ist streitig; es soll sich um (auch) punitiv orientierte Nebenfolgen handeln.31 Freilich verwischt die Kategorisierung als Nebenfolgen ihre Bedeutung und Tragweite. Im Ergebnis handelt es sich um

25 Auf der Basis einer wenig später erwirkten einstweiligen Anordnung des BVerfG konnten die Betroffenen bereits vor der Anpassung des BWahlG an der Europawahl im Mai 2019 teilnehmen; siehe BVerfG, 2 BvQ 22/19 v. 15. 04. 2019, NVwZ-RR 2019, 705 (und online). 26 Die revidierte Fassung des § 13 BWahlG sieht einen Ausschluss demgemäß nur noch auf der Grundlage richterlicher Einzelfallentscheidungen vor; vgl. Gesetz zur Änderung des Bundeswahlgesetzes und anderer Gesetze v. 18. 06. 2019, BGBl. I., 834. 27 Vgl. u. a. Hirst v. United Kingdom (74025/01), Frodl v. Austria (20201/04), Greens bzw. M.T. v. United Kingdom (60041/08, 60054/08). 28 Albrecht 2017, Rn. 6 (m.w.N.). 29 2018 wurde lediglich eine Aberkennung gem. § 45 Abs. 2/5 registriert, vgl. Statistisches Bundesamt, Strafverfolgung 2018, Tab. 5.1; Angaben zu früheren Jahren bei Oelbermann 2011, 227 f. 30 Eigene Kalkulation auf der Basis der Einzeldeliktsnachweise bei Statistisches Bundesamt, Strafverfolgung 2018, Tab. 3.1. 31 Ausführlicher Nelles 1991, Sobota 2015 u. 2017.

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Statusminderungssanktionen32 und in der Variante des Abs. 1 um ein temporäres gesetzliches Berufsverbot. 3.2 Berufsverbot Ein weiteres, auch explizit als solches benanntes Berufsverbot findet sich im Maßregelrecht. Dieses kann gem. § 70 StGB verhängt werden aus Anlass einer rechtswidrigen Tat, die unter Missbrauch des Berufes oder Gewerbes oder unter grober Verletzung der mit ihnen verbundenen Pflichten begangen wurde,33 wenn die Gefahr weiterer erheblicher Straftaten bei fortgesetzter Ausübung des Berufes oder Gewerbes bestehen würde. Die Dauer des Verbotes beträgt regulär ein bis fünf Jahre; es kann für immer angeordnet werden, wenn zu erwarten ist, dass die Regelfrist zur Abwehr der vom Täter drohenden Gefahr nicht ausreicht. Die Anordnung unterliegt dem speziellen maßregelrechtlichen Verhältnismäßigkeitsvorbehalt34 und kann zur Bewährung35 ausgesetzt werden. Verstöße und Umgehungen sind als eigenes Statusdelikt pönalisiert.36 In der Praxis spielt das strafrechtliche Berufsverbot nur eine untergeordnete Rolle;37 zumeist betrifft es spektakuläre Missbrauchsfälle im anwaltlichen, ärztlichen, pflegerischen oder pharmazeutischen Umfeld mit einer Vielzahl von Opfern.38 3.3 Fahrverbot und Führerscheinentzug Strafrechtliche Beschränkungen39 der aktiven Teilnahme am Straßenverkehr existieren in einer punitiven und einer nicht-punitiven Variante. Als echte Nebenstrafe ist das Fahrverbot (§ 44 StGB) ausgestaltet, das 2019 bekanntlich zu einer Universalsanktion aufgewertet worden ist, deren Einsatz nicht mehr auf Verkehrsstraftaten beschränkt ist; zugleich wurde die Dauer des Verbots von maximal drei auf maximal 32

Weinrich 2009, 190. Bezeichnend erscheint in diesem Kontext, dass die gerichtlichen Anordnungen gem. § 45 Abs. 2/5 StGB in der amtlichen Strafverfolgungsstatistik als „Aberkennung von Bürgerrechten“ tituliert werden (s. o. Fn. 29). Genau das ist es. 33 Ein solcher berufstypischer Zusammenhang zwischen Tätigkeit und Tat wird verneint, wenn die Berufsausübung dem Täter lediglich die Möglichkeit verschafft hat, Straftaten zu begehen; vgl. z. B. BGH, 2 StR 182/07, StV 2008, 80. 34 § 62 StGB. 35 § 70a StGB. 36 § 145c StGB sieht Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr vor. 37 2018 wurden 83 Berufsverbote gem. § 70 StGB verhängt; Statistisches Bundesamt, Strafverfolgung 2018, Tab. 5. 38 Lebenslange Berufsverbote wurden in jüngerer Zeit etwa im Fall des Bottroper Apothekers Peter S. wegen der Abgabe gepanschter und dadurch mutmaßlich unwirksamer Krebsmedikamente in 14.500 Fällen (2018) oder des Oldenburger Krankenpflegers Niels H. wegen der Ermordung von 85 Patienten (2019) verhängt. 39 Nicht berücksichtigt sind an dieser Stelle ordnungsrechtliche Fahrverbote.

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sechs Monate verdoppelt.40 Die Ratio dieser „Denkzettel- und Besinnungsmaßnahme“41 wird in der Gesetzesbegründung klar auf den Punkt gebracht: „Die Möglichkeit, ein Kraftfahrzeug zu führen, [… ist] Ausdruck individueller Mobilität und von großem Wert für die Gestaltung des Arbeits- und Privatlebens, so dass sich […] das Verbot, Kraftfahrzeuge zu führen, als spürbares, empfindliches Übel auswirkt.“42 Es wird kumulativ mit einer Hauptstrafe verhängt. Als Nebenstrafe unterliegt das Fahrverbot allerdings dem Schuldprinzip, sodass die Anordnung im Rahmen der Gesamtbetrachtung im Sinne des § 46 StGB zu einer Reduktion der Hauptstrafe führen kann. Das eröffnet insbesondere bei der Bemessung der Freiheitsstrafe interessante Gestaltungsmöglichkeiten.43 Gelegentliche entlastende Effekte im Hinblick auf Art oder Höhe der Hauptstrafe vermögen freilich nicht zwei wesentliche Probleme zu überdecken: Zum einen handelt es sich um eine Sondersanktion, die ausschließlich Führerscheininhaber treffen kann; zum anderen ist mit der Loslösung von dem Konnex zu Verkehrsstraftaten die Vorhersehbarkeit entfallen. Damit ist der Anwendungsbereich heute nicht mehr sachlogisch vorgegeben; da auch sonstige gesetzliche Anknüpfungspunkte fehlen,44 dürfte dieser empfindliche Eingriff in die Mobilität in der Praxis mehr oder weniger zufallsgeleitet und aus Betroffenensicht willkürlich erscheinen. Anderen Regeln folgt die formal non-punitiv konzipierte Entziehung der Fahrerlaubnis (§ 69 StGB). Anders als beim Fahrverbot ist eine verkehrsspezifische Anlasstat45 erforderlich. Nominaler Zweck der Maßregel ist der Schutz der Allgemeinheit vor Straßenverkehrsteilnehmern, die zum Führen von Kraftfahrzeugen ungeeignet sind. Sie ist zusätzlich zur Kriminalstrafe anzuordnen, wenn auch in Zukunft rechtswidrige, die Sicherheit des Straßenverkehrs beeinträchtigende Straftaten zu erwarten sind. Die Verbannung aus dem Straßenverkehr ist nicht so kurzzeitig angelegt wie das Fahrverbot: Die Sperrfrist für die Erteilung einer neuen Fahrerlaubnis kann bis zu fünf Jahre betragen; unter Umständen kann die Sperre auch permanent sein. Die Auswirkungen können gravierend sein; neben der Einschränkung der Mobilität kann diese Maßnahme für die Betroffenen mitunter weitreichende berufliche Konsequenzen nach sich ziehen, insbesondere für Pendler im ländlichen Raum oder Berufskraft40 Art. 1 des Gesetzes zur effektiveren und praxistauglicheren Ausgestaltung des Strafverfahrens v. 17. 08. 2017, BGBl. I, 3202. 41 BT-Drucks. 18/11272 v. 22. 02. 2017, 14. 42 BT-Drucks. 18/11272, aaO., unter Bezugnahme auf die Kommission zur Reform des strafrechtlichen Sanktionssystems; ausführlich auch Verrel 2014. 43 So hat das LG Dortmund eine per se nicht aussetzungsfähige Freiheitsstrafe von mehr als zwei Jahren mit einem zusätzlichen Fahrverbot auf unter zwei Jahre reduziert und damit Bewährung gewähren können; NZV 2020, 157. 44 Ähnlich war die ehemalige Vermögensstrafe konstruiert, die vom BVerfG u. a. wegen Verstoßes gegen Art. 103 Abs. 2 GG für verfassungswidrig erklärt worden war; BVerfG, 2 BvR 794/95 v. 20. 03. 2003, u. a. NJW 2002, 1779 ff. (und online). 45 Überbordende Tendenzen der Instanzgerichte zur Anwendung auch bei verkehrsunspezifischen Anlasstaten hat der Große Senat des BGH bekanntlich mit seiner Leitentscheidung v. 27. 04. 2005 deutlich zurückführen können; BGHSt 50, 93 u. NJW 2005, 1957.

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fahrer.46 Diese sind rechtlich jedoch grundsätzlich unbeachtlich. Hinzu kommen nicht unerhebliche Kosten und bürokratische Hürden wie die berüchtigte medizinisch-psychologische Untersuchung.47 Die konkrete Dauer der Sperre soll sich nach der voraussichtlichen Dauer der Ungeeignetheit richten. Hier wird die Schwäche der maßregelrechtlichen Konstruktion deutlich. Denn in der Praxis ist die angenommene Dauer des Fahreignungsmangels eher Fiktion denn faktenbasierte, einzelfallbezogene Prognose. Im Ergebnis orientiert sich die Fristsetzung an abstrakt pauschalisierten Zeitquanten,48 die an Straftaxen erinnern und jedenfalls aus Betroffenensicht quasi-punitiv konnotiert ist. Die Maßnahme soll, ungeachtet aller gegenteiligen theoretischen Begründungslinien, faktisch eben doch auch generalpräventiv wirken;49 sie dürfte in der Realität sogar der entscheidende Abschreckungsfaktor sein. Ein Unterschied zu der systematisch eigentlich dem Fahrverbot vorbehaltenen Funktion der Mobilitätsbeschränkung als „Denkzettel- und Besinnungsmaßnahme“ (siehe oben) ist daher nicht wirklich zu erkennen. Im Hinblick auf die teilweise einschneidenden Folgewirkungen käme man unter dem Schuldprinzip jedenfalls in beachtliche Begründungsnöte. Durch die explizite Außerkraftsetzung der maßregelrechtlichen Verhältnismäßigkeitsklausel50 werden diese aber auch formal unbeachtlich. Der Gesetzgeber nimmt sämtliche Folgeeffekte mithin – wenn nicht gezielt so doch mindestens billigend – in Kauf. Addiert man beide Varianten, so wird jährlich etwa 120.000 Führerscheininhabern51 das mit der Fahrerlaubnis erworbene Recht zur Teilnahme am Straßenverkehr mindestens temporär entzogen. Zusätzlich zur primären Strafe. 3.4 Exkurs Spürbare Freiheitsbeschränkungen können im Übrigen im Rahmen der Führungsund Bewährungsaufsicht zum Tragen kommen. Sie sind freilich keine eigenständi46

§ 69a Abs. 2 ermöglicht Ausnahmen (nur) in besonderen Fällen, etwa für landwirtschaftliche Maschinen, Militärfahrzeuge oder Feuerlöschzüge. Böse 2017, § 69 Rn. 15 spricht an anderer Stelle von „Gnadenentscheidungen“. 47 Die Kosten für einen Neuerwerb können mit E 1.500,– bis 2.700,– zu Buche schlagen. Hinzu kommen ca. E 500 für die MPU. Angaben nach www.adac.de [15. 05. 2019]. 48 Ausführlicher Böse 2017, § 69a Rn. 2 ff. 49 Als Indiz hierfür kann auch die Diskussion um die – vom BGH gebilligte – Verlängerung der Sperrfrist contra legem um eine mögliche überschneidende Haftzeit betrachtet werden, die zwar in der punitiven Variante vorgesehen ist (§ 44 Abs. 3 S. 2), bei § 69 aber eindeutig systemwidrig ist; zum Ganzen Molketin 2001. 50 Vgl. § 69 Abs. 1 S. 2 StGB. 51 2018 wurden 27.417 Fahrverbote und 92.131 Fahrerlaubnisentziehungen verzeichnet; Statistisches Bundesamt, Strafverfolgung 2018, Tab. 5. Flächendeckende Stichtagszahlen sind nicht verfügbar; bei Zugrundelegung einer mittleren Sperrdauer von zweieinhalb Jahren ergäbe sich eine geschätzte Gesamtzahl von ca. 230.000 Personen, denen jeweils aktuell die Fahrerlaubnis entzogen ist.

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gen52 Instrumente; vielmehr definieren sie die Vollstreckungsmodalitäten der Freiheitsstrafe bzw. Sicherungsverwahrung – modifizierend, substituierend oder ergänzend – und bleiben daher an dieser Stelle außer Betracht.

4. Ausgewählte nichtstrafrechtliche Regelungen Anders als der insgesamt überschaubare Bestand strafrechtlicher Regeln können die vielfältigen nichtstrafrechtlichen Anwendungsbereiche im Rahmen dieses Beitrages nicht annähernd erschöpfend behandelt werden. Als ein Beispiel mit hoher Praxisrelevanz werden nachfolgend die wichtigsten berufsbezogenen Beschränkungen exemplarisch herausgegriffen. 4.1 Beschränkungen der Berufsausübung Die mit Abstand größte Gruppe, die zusätzlich zu den strafrechtlichen auch berufs-, gegebenenfalls auch statusrechtliche Konsequenzen zu erwarten hat, sind die beamteten Berufe.53 Neben den einfachen bzw. temporären Disziplinarsanktionen fallen in unserem Kontext vor allem die statusrelevanten Sanktionen besonders ins Gewicht: die Zurückstufung und die Entfernung aus dem Beamtenverhältnis (§§ 9, 10 BDG); letztere zieht als weitere Konsequenz den Wegfall der Pensionsund der privilegierten Krankenversorgungsansprüche nach sich.54 Bei Straftaten, die im Ruhestand begangen werden, drohen Kürzung oder Verlust des Ruhegehalts (§§ 11, 12 BDG). Der Verlust des Beamtenstatus ist zwingend bei Verurteilung zu Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr, bei bestimmten Staatschutz- und Amtsdelikten sechs Monaten.55 Fakultativ ist er bereits bei geringeren Strafen möglich, auch bei Geldstrafe.56 Er ist um Übrigen irreversibel; eine erneute Aufnahme in den öffentlichen Dienst ist nicht möglich, auch nicht im Angestelltenverhältnis (§ 10 Abs. 5 BDG). Es gilt mithin die gesetzliche Prämisse, wer sich einmal als unwürdig erwiesen hat, gilt für immer als unwürdig. Die beamtenrechtlichen Folgen 52 Anders, nämlich als individuelle Zusatzeinschränkung, könnte die fakultative Führungsaufsicht gem. § 68a Abs. 1 StGB zu bewerten sein. Sie wurde im Jahr 2018 lediglich in 21 Fällen verhängt; Statistisches Bundesamt, Strafverfolgung 2018, Tab. 5. Auch hier gibt es keine Stichtagszahlen; insgesamt standen 2014 ca. 36.700 Personen unter Führungsaufsicht; Kinzig 2018, 142 f. Weitere Hinw. bei Dessecker 2019. 53 2019 hatten ca. 1,7 Mio. Angehörige des Öffentlichen Dienstes Beamtenstatus; hinzu kommen ca. 170.000 Berufs- oder Zeitsoldaten; Statistisches Bundesamt online [15. 09. 2020]. 54 Ausführlich zum Rechtsfolgensystem z. B. Brüning 2017, 80 ff. 55 Vgl. § 41 BBG für Bundes- bzw. § 24 BeamtStG für Landes- und Kommunalbeamte. 56 So wurde z. B. in Freiburg ein Lehrer in Probezeit nach Verurteilung zu einer Geldstrafe von 120 Tagessätzen wegen Blendens eines Hubschraubers mit einem Laserpointer entlassen; Badische Zeitung vom 27. 05. 2020: https://www.badische-zeitung.de/gundelfinger-nach-laser pointer-attacke-auf-polizeihelikopter-zu-geldstrafe-verurteilt-185894475.html [30. 08. 2020].

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sind im Rahmen der Strafzumessung gem. § 46 StGB unter dem Aspekt der Re- bzw. Entsozialisierungsrelevanz zu berücksichtigen.57 Die Strafgerichte sind traditionell darum bemüht, dies bei der Sanktionsfindung tatsächlich zu berücksichtigen und soweit vertretbar eine tatschuldunterschreitende Strafe von weniger als einem Jahr festzusetzen;58 regelmäßig ist aus den Entscheidungsgründen veröffentlichter Urteile eine hohe Sensibilität59 für und nicht selten auch ein gewisses Unbehagen über diese weitreichenden Zusatzsanktionen herauszulesen. Weniger bekannt sind in der Öffentlichkeit die berufsbeschränkenden Regelungen außerhalb des Beamtenrechts. Das betrifft zunächst die approbierten Berufe, die der Kontrolle durch Berufskammern und deren justizunabhängigem Berufsund Disziplinarrecht unterliegen. Rechtsanwälte, Notare, Steuerberater, Wirtschaftsprüfer, Angehörige medizinischer und pharmazeutischer Berufe, Architekten und Bauingenieure sind die namhaftesten Beispiele. Rechtlicher Anknüpfungspunkt der Nichtzulassung bzw. des temporären oder endgültigen Ausschlusses ist auch hier, in Ablehnung an das Beamtenrecht, die – standesrechtliche – Unwürdigkeit aufgrund beruflichen oder außerberuflichen Fehlverhaltens.60 Auch jenseits der öffentlich-rechtlich regulierten Berufe existieren in zahlreichen privaten Berufszweigen rechtliche Rahmenbestimmungen, die im Falle strafrechtlicher Auffälligkeit negative Konsequenzen für die Berufsausübung auslösen können. Dies gilt zunächst für Tätigkeiten, die eine behördliche Erlaubnis voraussetzen, etwa nach der Gewerbeordnung, dem Gaststättengesetz, dem Personenbeförderungsgesetz, dem Kreditwesengesetz oder dem Schornsteinfeger-Handwerksgesetz.61 Die erforderliche Erlaubnis, Genehmigung, Bestellung etc. kann von der zuständigen Behörde wegen Fehlens der erforderlichen Zuverlässigkeit versagt bzw. eine bestehende Erlaubnis etc. zurückgenommen oder die weitere Ausübung z. B. eines Gewerbes untersagt werden. Im Fall der Gewerbeuntersagung (§ 35 GewO) sind die Verwaltungsbehörden an die strafgerichtlichen Feststellungen zu den Voraussetzungen der Untersagung gebunden, nicht jedoch hinsichtlich des eigenen Rechtsfolgenermessens; bei negativer Prognose ist die Untersagung zwingend. Im Erlaubnisverfahren gibt es keine solche Bindungswirkung. Unzuverlässigkeit ist ein typischer unbestimmter Rechtsbegriff. Sie begründen kann nach ständiger Rspr. eine Straftat ebenso wie eine Ordnungswidrigkeit. Diese müssen nicht rechtskräftig festgestellt sein;62 die 57

Vgl. Streng 2012, Rn. 716 ff. sowie bereits Streng 1988. Dies kann eine mögliche Erklärung für die vergleichsweise geringe Zahl gerichtlicher Anfechtungen sein; insgesamt wurden 2019 bei den Verwaltungsgerichten 621 Disziplinarfälle entschieden; Statistisches Bundesamt, Verwaltungsgerichte 2019, Tab. 1.2.5.1. 59 Die Richterschaft gehört ja selbst zu den potenziell Betroffenen. 60 Vgl. z. B. §§ 7 Nr. 5, 114 BRAO; dieses u. weitere Beispiele ausführl. bei Beck 2012. 61 § 35 GewO; §§ 4 Abs. 1 Nr. 1, 15 GastG; §§ 13 Abs. 1 Nr. 2, 25 PBefG; §§ 33 Abs. 1 Nr. 2 u. 3, 35 Abs. 2 Nr. 3 KWG; §§ 9a Abs. 2 Nr. 7a–c, 12 Abs. 1 Nr. 2 SchfHwG; u.v.a.m. 62 Vgl. Marcks 2019, § 35 Rn. 42. Es genügt der Anfangsverdacht gem. § 170 Abs. 1 StPO; unerheblich ist, ob die Staatsanwaltschaft den Sachverhalt auch verfolgt (OVG Münster, NJW 2015, 3387). Die Bewertung des – bei Einstellungen gem. § 170 Abs. 2 oder §§ 153 ff. StPO 58

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Verwaltungsbehörde kann über den Sachverhalt uneingeschränkt selbst entscheiden (es sei denn, es existieren tatsächlich rechtskräftige Feststellungen, von denen zuungunsten des Betroffenen nicht abgewichen werden darf, s. o.). Sie müssen auch nicht unbedingt im Rahmen des Betriebes begangen worden sein; erforderlich ist lediglich ein abstrakter Gewerbebezug.63 Daraus ergibt sich eine Vielzahl potenzieller Anwendungsfälle. Das Konzept der gewerbe- bzw. gaststättenrechtlichen Zuverlässigkeit geht (ebenfalls) auf die vorkonstitutionelle Zeit zurück,64 ist aber bis heute aktuell und wird auch in neuen Gesetzen65 nahezu unverändert übernommen. Der Fokus liegt auf der Sorge für eine „ordnungsgemäße und redliche“66 Ausübung des Gewerbes; hierzu zählt neben berufsbezogenen und technischen Aspekten (z. B. die Einhaltung der Hygienevorschriften in Gaststätten) als weitere Komponente auch rechtskonformes Verhalten im Allgemeinen. Damit ist der Rekurs auf das Straf- und Ordnungswidrigkeitenrecht von Anfang an vorprogrammiert. 2018 wurden von den Gewerbeaufsichtsbehörden 246 Anträge auf Gewerbeerlaubnis mangels Zuverlässigkeit abgelehnt und 4.612 Untersagungsverfügungen wegen Unzuverlässigkeit erlassen. Insgesamt hatten am Ende des Jahres 144.377 Personen einen entsprechenden Sperrvermerk im Gewerbezentralregister.67 Rechtsprechungsübersichten in den Fachkommentaren geben einen eindrucksvollen Einblick in die Vielzahl betroffener Geschäftsbereiche.68 Nicht selten trifft es selbständige Einzelhändler. Kleine Einpersonenbetriebe im Verkehrssektor (Taxi, Bus, Spedition, etc.) haben im Falle verkehrsbezogener Straftaten oder Ordnungswidrigkeiten sogar ein zweifaches Risiko auf zusätzliche Sanktionierung im hier verstandenen Sinne: neben Fahrverbot oder Führerscheinentzug riskieren sie zusätzlich die Schließung ihres Betriebes, wenn sie nicht unverzüglich jemanden finden, der für sie die Geschäfte weiterführt. Neben selbständigen Gewerbetreibenden müssen auch abhängig Beschäftigte bei Delinquenz mit schwerwiegenden beruflichen Konsequenzen (Abmahnung, Entlassung) rechnen. Das Arbeitsrecht lässt eine Entlassung aus personen- und verhaltensbezogenen Gründen zu.69 Verhaltensbezogene Kündigungen sind bei arbeitgeberschädigendem Verhalten (Diebstahl, Unterschlagung, Untreue, Spesen- oder Arbeitszeitbetrug, etc.) möglich, ebenso bei Straftaten im Zusammenhang mit der Arnur mutmaßlichen – strafrechtlichen Verhalten liegt also faktisch in der Hand der Verwaltungsbehörden und Verwaltungsgerichte. 63 Ausführlicher zu den Voraussetzungen Marcks 2019, § 35 Rn. 28 ff. 64 Die GewO trat erstmals 1883 in Kraft, das GastG im Jahr 1930. 65 Vgl. Fn. 61 zum Schornsteinfeger-Handwerksgesetz v. 26. 11. 2008, BGBl. I, 2242. 66 BVerwG, GewA 1982, 294. 67 Bundesamt für Justiz, Übersicht über die Eintragungen im Gewerbezentralregister (Teilregister für natürliche Personen), Stand: 31. Dezember 2018, Tab. 01 u. 03. Die Zahl der Entscheidungen mit deliktischem Bezug ist allerdings nicht separat ausgewiesen und dürfte daher niedriger sein. 68 Siehe z. B. Marcks 2019, § 35 Rn. 34. 69 Vgl. § 1 Abs. 2 KSchG.

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beit, betriebsinternen (z. B. Verleumdung, sexuelle Belästigung oder tätlicher Angriff gegenüber Kollegen) ebenso wie externen (z. B. Diebstahl oder Betrug gegenüber Kunden, Verkehrsdelikt mit dem Dienstfahrzeug). Die einschlägigen Kommentare bieten eine schier unüberschaubare Vielzahl einschlägiger Beispiele. Häufig ist sogar eine fristlose Kündigung aus wichtigem Grund gem. § 626 BGB möglich. Selbst Diebstahlsvergehen, die strafrechtlich in den Bagatellbereich fallen und niemals verfolgt würden, können eine solche Kündigung tragen.70 Erforderlich ist eine fallbezogene Interessenabwägung.71 Eine personenbezogene Kündigung kann bei Straftaten im Privatbereich ausgesprochen werden, wenn das delinquente Verhalten den Arbeitnehmer als unzuverlässig oder als ungeeignet für die konkrete betriebliche Tätigkeit erscheinen lässt. Dies kann etwa bei schweren Gewaltdelikten und je nach beruflicher Tätigkeit auch bei Vermögens- und Steuerstraftaten, unter Umständen selbst bei Drogendelikten der Fall sein.72 Auch Verdachtskündigungen sind möglich. Darüber hinaus kann grundsätzlich auch eine Inhaftierung des Arbeitnehmers im Hinblick auf die Unmöglichkeit der Erbringung der Arbeitsleistung einen personenbezogenen Kündigungsgrund konstituieren.73 Die personenbezogene Ungeeignetheit strahlt im Übrigen schon auf das Vorfeld aus. Straftaten aus der Vergangenheit können schon bei der Bewerbung eine entscheidende Rolle spielen. Das hängt auch damit zusammen, dass Aspekte der Risikominimierung für Arbeitgeber deutlich an Bedeutung gewonnen haben. Die Einstellung insbesondere spezifisch Vorbestrafter birgt in der Tat gewisse Risken nicht nur im Hinblick auf künftige Straftaten im und gegen das Unternehmen, sondern auch Haftungsrisiken für Schäden, die bei Kunden oder sonstigen Dritten eintreten können und für die bei Nichtbeachtung von Vorstrafen bei der Einstellung gegebenenfalls ein Haftungsausschluss bei der eigenen Versicherung für Haftungsschäden greifen kann. Gegebenenfalls könnte einem Betriebsinhaber sogar die gewerberechtliche Haftung für Unzuverlässigkeit der Betriebsleiter, Geschäftsführer, Prokuristen, leitenden Angestellten etc. drohen.74 Daher kommt den (arbeits-)rechtlichen Grenzen des Fragerechts des Arbeitgebers in Bewerbungsgesprächen zu möglichen Vorstra70

Man erinnere sich nur an die medial vieldiskutierte fristlose Kündigung der Berliner Supermarktkassiererin wegen Unterschlagung zweier Pfandbons im Wert von insgesamt E 1,30 (Fall „Emmely“), die erst in dritter Instanz vom BAG aufgehoben wurde. In Anbetracht der über 30-jährigen Betriebszugehörigkeit sah das Gericht eine Abmahnung als angemessen an. Grundsätzlich könne in vergleichbaren Fällen aber auch eine ordentliche Kündigung in Frage kommen. Vgl. BAG, NZA 2010, 1227 (und online). 71 Diese ist nicht gleichzusetzen mit einer Verhältnismäßigkeitsabwägung zwischen dem angerichteten Schaden und den mit dem Arbeitsplatzverlust verbundenen Nachteilen; vgl. Ascheid et al. 2017, § 626 BGB, Rn. 277. Dies erklärt die immer wieder bekanntwerdenden Bagatellfälle um belegte Brötchen, Frikadellen, Maultaschen, etc.; weiter Rspr.-Hinw. aaO., Rn. 275. 72 Rspr.-Hinw. z. B. bei Ascheid et al. 2017, § 1 KSchG, Rn. 256 ff. 73 Bei Untersuchungshaft rekurriert man auf die unabsehbare Dauer, bei Strafhaft hingegen auf deren konkrete Dauer. 74 Vgl. § 35 GewO; dazu Morgenstern 2019, 68 ff.

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fen im Allgemeinen und Haftstrafen im Besonderen große Bedeutung zu. Diese lassen sich freilich umgehen, indem er sich vom Bewerber ein Führungszeugnis vorlegen lässt.75 Aber auch am anderen Ende der Einkommensskala lauern Risiken. Auch für CEOs, Vorstände und Manager auf der Leitungsebene greifen bei bestimmten Straftaten gesetzliche Tätigkeitsverbote.76 Entsprechende Fälle bedeuten oft einen tiefen Einschnitt in die berufliche Karriere der Betroffenen.77 Über den Bereich strafrechtlich relevanten Fehlverhaltens hinaus gewinnt im Unternehmensbereich auch die zunehmende Dichte an Soft-law-Standards zu Unternehmensethik und Compliance, insbesondere durch die Weiterentwicklung des Unternehmensstrafrechts, immer größere Bedeutung. Sie haben mutmaßlich vergleichbare Abschreckungswirkung wie die gesetzlichen Disqualifizierungsbestimmungen. Die geforderte Selbstunterwerfung unter diese zusätzlichen – nichtstaatlichen – Kontroll- und Disziplinierungsregime gilt heute als selbstverständliche Voraussetzung für die Bestellung. 4.2 Adressatenkreis Potenziell betroffen von den hier nur ausschnitthaft behandelten außerstrafrechtlichen Beschränkungen bzw. Verlusten von Rechten oder Rechtspositionen können grundsätzlich alle Personen sein, die zu einem maßgeblichen Zeitpunkt mindestens einen – aktiven – Registereintrag haben. Statistische Angaben zu der Gesamtzahl der registrierten Personen sind nicht veröffentlicht; sie kann auf etwa 6,2 bis 6,5 Millionen geschätzt werden.78 Das entspricht ziemlich genau einem Zehntel der (strafmündigen) Bevölkerung.79 Je nachdem können darüber hinaus freilich auch ältere, bereits getilgte Vorstrafen noch entsprechende Konsequenzen nach sich ziehen, wenn sie anderweitig bekannt werden. Die Lebenszeitprävalenz ist mutmaßlich höher, was den Kreis der möglichen Adressaten noch erweitert.80 Darüber hinaus ist zu beachten, dass bei Personen aus dem EU/EWR-Ausland auch ausländische Registereinträge

75 Zum Ganzen Milthaler 2006; kritisch Jacobs & Larrauri 2016, die von „criminal recordbased employment discrimination“ sprechen. 76 Z. B. § 76 Abs. 3 Nr. 2/3 AktG, § 6 Abs. 2 Nr. 2/3 GmbHG. 77 Zum Ganzen Martin 2007 (zit. S. 38). 78 Auf einer älteren Website des Bundesamtes für Justiz ist für Juli 2011 eine Gesamtzahl von ca. 6,3 Millionen Personen angegeben, vgl. https://web.archive.org/web/20110719121935/ http://www.bundesjustizamt.de/cln_115/nn_2036868/DE/Themen/Buergerdienste/BZR/BZR__ node.html?__nnn=true [30. 8. 2020]. 79 Strafmündige Bevölkerung: 63,8 Mio.; vgl. Statistisches Bundesamt, Strafverfolgung 2018, 509. 80 Eine kriminologische Studie aus den späten 1970er Jahren hat auf der Basis verschiedener Modelle errechnet, dass etwa ein Drittel der Dreißigjährigen (Männer) in Deutschland schon mindestens einmal im Leben wegen eines Vergehens oder Verbrechens verurteilt wurde; vgl. Keske 1979.

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Relevanz entfalten können.81 Schließlich setzen, wie beschrieben, nicht alle Maßnahmen stets eine rechtskräftige Verurteilung voraus.

5. Ausblick Als (Zwischen-)Ergebnis ist festzuhalten, dass Deutschland über einen komplexen Mix deliktsbezogener Zusatzsanktionen verfügt, die im Hinblick auf ihren Ursprung, ihre Begründung, ihren Anwendungsbereich, ihren Rechtscharakter, ihre Intensität und Reichweite sowie ihre potentiellen weiteren Folgewirkungen einen kohärenten konzeptionellen Rahmen vermissen lassen. Eine grobe Zweiteilung ist gleichwohl erkennbar. Die erste Gruppe betrifft die strafrechtlichen Begleitsanktionen, die – mit Ausnahme der (ihrerseits hybriden) Eingriffe in das Recht zum Führen von Kraftfahrzeugen – bereits normativ restriktiv angelegt sind und von der Gerichtspraxis nur zurückhaltend angewendet werden. Die große Mehrzahl der Restriktionen, gerade auch die berufsbezogenen, findet sich außerhalb des strafrechtlichen Normenbestandes. José Luis de la Cuesta spricht zurecht von versteckten („hidden“) Maßnahmen.82 Obwohl sie einen konkreten Bezug zu strafrechtlich relevantem Vorverhalten haben, sind die daran anknüpfenden Konsequenzen der strafrichterlichen Entscheidung faktisch entzogen (es sei denn sie werden bei der Strafzumessung antizipiert wie im Fall der beamtenrechtlichen ,Höchststrafe‘). Mitunter wird kritisiert, dass das Straf- bzw. Strafprozessrecht mit seinen weitreichenden Verfahrensgarantien durch das Ausweichen in das Verwaltungsrecht quasi ausgehebelt werde.83 In der Tat macht es einen Unterschied, ob eine Maßnahme am Ende eines ordentlichen Strafverfahrens richterlich angeordnet oder von einer Verwaltungsbehörde oder sonstigen Stelle verfügt wird. Innerhalb der jeweiligen Bereiche, ebenso wie zwischen ihnen, gelten beispielsweise ganz unterschiedliche Ermessensregeln und Verhältnismäßigkeitsmaßstäbe. Noch problematischer als die verwaltungsrechtlichen erscheinen unter systemischer Perspektive schließlich die parallelen privaten Sanktionsregime, da sie als echte Konkurrenz zum staatlichen Strafmonopol verstanden werden könnten. Das Prinzip als solches ist konzeptionell dem Grundsatz nach freilich bereits im zweispurigen Sanktionensystem mit seiner Unterscheidung von schuldabhängiger Strafe und zusätzlicher84 präventiver Intervention – einschließlich solcher mit faktischer Sanktionswirkung – angelegt. Dabei sollen die präventiven Instrumente rein 81 Dies gilt im strafrechtlichen Kontext inzwischen flächendeckend und darüber hinaus auch in anderen Bereichen wie z. B. im Rahmen der Beurteilung der gewerberechtlichen Zuverlässigkeit; vgl. § 11c Abs. 1 Nr. 2 GewO. 82 Siehe oben Fn. 3; Fitrakis 2018 tituliert sie, nicht weniger treffend, als „invisible punishments“. 83 Siehe z. B. Rauls & Feltes 2019. 84 Der kumulative Einsatz von Strafe und Maßregel ist statistisch die bei Weitem häufigste Konstellation.

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prognosebasiert im Hinblick auf die mutmaßliche Gefährlichkeit verhängt werden. Demselben Prinzip folgen auch viele der außerstrafrechtlichen Beschränkungen, zumeist auf der Basis einer (Un-)Zuverlässigkeitsprognose, die wenig konkrete Substanz aufweist und in viele Richtungen dehnbar ist. Man arbeitet im Wesentlichen mit unbestimmten Rechtsbegriffen, die jedenfalls umgangssprachlich moralische bzw. charakterliche Wertungen implizieren und daher tendenziell für Sachverhalte mit Verbindung zu deliktischem (Vor-)Verhalten offenstehen. Noch weniger steuerbar ist dies im Hinblick auf die möglichen Reaktionen auf vermeintliches strafrechtliches Fehlverhalten im privaten Rechtsverkehr. Die rechtliche Kontrolle der nichtstrafrechtlichen Maßnahmen erscheint daher a priori schwächer als die der strafrechtlichen. Einer der wichtigsten Bezugspunkte für die außerstrafrechtlichen Beschränkungen ist das Strafregister als primäre Informationsquelle. Dabei scheint das Wesen des Registereintrags dogmatisch nicht abschließend geklärt zu sein. Im Hinblick auf seine Bedeutung als Ausgangspunkt mitunter gravierender Rechtsfolgen gibt es gute Gründe dafür, die Eintragung selbst als eigenständige (automatische) Nebenfolge der strafrechtlichen Verurteilung einzuordnen.85 Reformen beim Zugang zu den registerrechtlichen Informationen könnten ein Weg sein, um die Nutzung in nichtstrafrechtlichen Angelegenheiten zurückzufahren. Zwei vielbeschriebene gesellschaftliche Entwicklungen tragen mit zu dem beständigen Bedeutungszuwachs der versteckten Sanktionen bei und lassen auch für die nähere Zukunft eher eine weitere Ausweitung denn ein Zurückfahren erwarten: der preventive turn und der zunehmende Punitivismus, gepaart mit der immer rigideren Moralisierung des öffentlichen Lebens im Allgemeinen und des Wirtschaftsund Unternehmensrechts im Besonderen. Unter jedem dieser Aspekte erscheinen Straftäter und ehemalige Straftäter zuallererst als Risikogruppe. Bei Betrachtung der Vielfalt potenzieller Restriktionen, ihrer Eingriffsintensität und ihrer unter Umständen langen Dauer können die Betroffenen auch heute noch als Bürger zweiter Klasse erscheinen, die nur beschränkten Zugang zu den Ressourcen normaler bürgerlicher Lebensführung haben.86 Diese Entwicklung konterkariert ein Stück weit den zivilisatorischen Fortschritt in den Strafkonzepten, wie Albrecht ihn noch zum Ende der 1990er Jahre in dem dtvHandbuch der europäischen Kulturgeschichte87 als [vermeintlich] unumkehrbare Entwicklungslinie beschrieben hatte.

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Zum Ganzen ausführlicher Morgenstern 2019, 72 ff. (m.w.N.). In diesem Sinne Meijer et al. 2019, 1. 87 Albrecht 1999. 86

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Hidden and Less Visible Consequences of Conviction in the Spanish Criminal Justice System1 By José Luis de la Cuesta According to the principle of legality – more specifically, to its penal guarantee –, the nature and extent of penal intervention should be clearly defined by a legal text approved by the Parliament. This applies to the various punishments and measures which can be imposed due to the perpetration of a criminal act and offense: not only to fines and prison sentences, but also to punishments (principal and/or accessory) consisting in barring2 or deprivation and/or restriction of other individual rights, whose length and specific content must be legally established and determined by the penal sentence. However, criminological research has underlined that restrictions of rights often appear as an indirect or collateral effect of conviction: “invisible”3 in a certain way, since they are not mentioned by the penal sentence and cannot be considered its direct consequence. There are two fields in the specific and sectorial legislation where examples of this kind are particularly relevant: access to employment and immigration and foreign nationals, which constitute “major issues of concern in Europe since the second half of the 1980s”.4

1 GICCAS IT 1372 – 19. English translation by Dr. Miren Odriozola, Lecturer in Criminal Law. University of the Basque Country (UPV/EHU). 2 Under Spanish Criminal Law, barring from public employment or office, as well as profession, trade, industry or commerce or any other right is a type of punishment; it can also constitute a security measure (Article 96.3: 1 – 5 years) if the subject committed the offense by abuse of the office or in relation thereto, and presents the danger of committing other similar acts again (Article 107). There are two modalities of barring: absolute barring – a dysfunctional anachronism (De Vicente Remesal 2014, 60) that can range from 6 to 20 years – and special barring (from 3 months to 20 years). However, in other legal systems, such as Germany, they are considered accessorial consequences (Nebenfolgen). Albrecht 2017, 1907. 3 Díez Ripollés 2014, 6. 4 Albrecht 2000, 131.

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1. Access to Employment Spanish labor law does not mention criminal records among the causes of prohibited discrimination in employment,5 and the practice shows that – even if Article 73.2 of the 1979 Penitentiary Organic Act orders that criminal records should never justify “social or juridical discrimination” – they can have a negative influence in employment after conviction.6 1.1 Traditionally a clean criminal record was legally (or by means of a regulation) required to access a public position or employment in the Administration, in the Police, in the Army … Nowadays, in the absence of a general legal regulation, sectorial rules in different fields (security & justice, health, contact with vulnerable collectives, gambling, customs and taxes, transport …) refer to criminal records as an element that needs to be considered to get access to a long list of professions in the public and private sector. Experts mention the following at the national level:7 prosecutors, judges, judicial secretaries, prison officers, civil servants in the Justice Ministry, lawyers, notaries, fire department officers, gatekeepers in public spectacles and other recreational activities, directors of private insurance services, private security guards, employees in areas of special security at airports, staff of adoption agencies, owners of private education centers, school transport drivers, dental professionals, medical veterinarians, betting offices’ and lottery’s administrators, gambling licensees and employees in gambling houses, customs and commission agents, employees at the Treasury and Spanish Bank, tobacco commerce licensees, accounts auditors, managers of financial and crowd funding companies, drivers of vehicles for the transport of persons and goods, among others. Regulations at the regional and local level demand similar requirements for other professionals (such as taxi drivers in various cities). 1.2 The content of all these norms is not unitary and sometimes the decision maker is given a frame of discretion. As a consequence, not having a clean criminal record does not always entail an automatic exclusion of the candidate; instead, it tends to depend more on the nature of the offense and other elements. For example, Article 8.5 of Act 45/2015 on volunteer activities prevents the following from engaging in this kind of activities: individuals who have criminal records – unless they have already been or should have been canceled – for domestic or gender violence and a list of various offenses against life, integrity, freedom, moral integrity or sexual freedom or indemnity of the partner or children; or for illegal traf-

5

Jacobs & Larrauri 2012, 12 f. Jacobs & Larrauri 2016, 1 ff.; Kurtovic & Rovira 2017, 505 ff. 7 Larrauri 2013, 1 ff. 6

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ficking or clandestine immigration of persons, or terrorism in relation to programs where beneficiaries have been or may be victims of such crimes.8 In a similar vein, according to Article 13.5 of the Act on the Juridical Protection of Minors, which implements the 2010 Council of Europe Convention and the 2011/92/ UE European Directive, individuals convicted of offenses against sexual freedom and indemnity (including sexual aggression and abuse, sexual harassment, sexual exhibitionism and provocation, prostitution and sexual exploitation and corruption of children), and human trafficking cannot get access to and exercise professions and activities which entail regular contact with children. The Sex Offender Registry9 is the competent registry to issue the “Certificate of Sexual Offences” that is mandatory to work or exercise volunteer activities with regard to children (Article 9). 1.3 In any case, the data related to criminal records are not public in Spain (Article 137.4 PC). Certainly, judicial activities are public and judgments are pronounced in public audience (Article 12 Spanish Constitution). Even more, “any interested person” can get access to the text of the judgments (Articles 235 & 266 of the Judicial Power Organic Act 6/1985), guaranteeing victims’ anonymity and with full respect for privacy (Article 8 ECHR)10 and other personal rights. Nevertheless, a strict interpretation of these provisions applies, since the publicity of convictions entails in a certain way “an additional punishment”:11 In this sense, the Constitutional Court has acknowledged that even if the penal conviction does not violate per se the right to honor, the publication of the judgment may be considered a violation of this right if it is not exceptionally covered by the right to freedom of speech (Decision 50/ 1983), and this is only accepted if making public the information contributes to shape public opinion.12 As a consequence, only those citizens who show a specific and singular link with the content of the process can get the judgment. Furthermore, the Spanish Agency for Data Protection has repeatedly insisted that the publication of judgments with the convicts’ names is contrary to the Organic Act on Data Protection,13 and the publication of judgments (even by the courts) usually erases the real names or changes them to fictitious ones in order to protect the convict’s privacy. 8 This provision was very much criticized by the organizations working in this field, taking into account that some volunteering activities are very much related to rehabilitation, and that persons who have previously committed an offense take part successfully supporting other people with their experience; https://www.eldiario.es/sociedad/ONG-rechazan-antecedentesobstaculo-voluntariado_0_379712597.html [20. 05. 2020]. 9 Regulated by Royal Decree 1110/2015, whose constitutionality is questioned. Molina Blázquez 2016; Marco Francia 2018, 1 ff.; see also Fernández-Pacheco Estrada 2019, 46 ff. 10 Larrauri Pijoan 2014, 723 ff. 11 Larrauri 2011, 54. 12 Jacobs & Larrauri 2016, 5. 13 Jacobs & Larrauri 2010, 17 ff. In the same line, Article 11 d) of Act 5/2001 (Castilla-La Mancha) (abrogated in 2018), on the Prevention of Mistreatment and Protection of Battered Women, which permitted the reproduction of the final convictions on domestic violence, was considered unconstitutional by most experts. Bustos Gisbert 2002, 11 ff.

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The Central Register of Convicted Persons is the competent file in Spain and all punishments14 imposed to natural and juridical persons by a final judicial decision must be registered there. Established with the purpose of serving the needs of the judicial system regarding recidivism and the decisions related to the suspension of the execution of punishments, entries concerning criminal records (including also those derived from foreign judgments) can be notified exclusively to the competent judges (if they have been canceled, indicating this fact), to the person concerned, and in the cases strictly foreseen by the law (Article 137.4):15 for instance, by prosecutors and the judicial police.16 Non-favorable police records can also have a negative incidence to obtain various permits. Integrated in official files, these data refer to information related to the prevention and investigation of penal offenses or administrative infractions17 and they deserve the protection established by Organic Act 11/1999 on data protection. In any case, long time ago, the Constitutional Court declared (Decision 77/1985) that requiring criminal records for the access to certain professions is not unconstitutional – since it does not entail an absolute exclusion of all kinds of employment – and the non-public nature of these data and files is not necessarily an obstacle to consider them in private employment selection processes,18 since requiring the person concerned to provide a certificate is not legally forbidden19 in an explicit way.

2. Immigration As in the other countries, the impact of conviction (and post-conviction) on the status of foreigners is very relevant in Spain. 2.1 Criminal records are usually an obstacle for foreigners to get access to residence and/or work permits in Spain. The absence of prison records in Spain or in 14 According to Article 137, security measures are also registered, being “only recorded in the certifications the Bureau issues for use by Judges or Courts of Law, or the administrative authorities, and in the cases established by Law”. 15 In a similar vein, Article 8 of Royal Decree 1110/2015, establishes that direct access to the data contained in the Sex Offender Registry is limited to judges and courts (that can even have notice of the entries that have been canceled), prosecutors and the judicial police. Public entities for the protection of children may also ask for data in order to evaluate the situation of lack of protection of a child (Article 9.4). 16 With the same purpose, Article 6 of Royal Decree 95/2009 also mentions the competent authorities in the control of passports and entry to Spain, together with the police in charge of weapons licenses. 17 Article 43 of Organic Act 4/2015 on the Protection of Public Safety established the Central Registry of Infringements against Public Security, which gathers the information needed in order to appreciate recidivism in further administrative proceedings. 18 Critically, Larrauri 2016, 10 f. 19 Jacobs & Larrauri 2012, 3 refer that “it is widely believed that employers rarely make such request”, but “there are no empirical studies to confirm that impression”.

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the country where the applicant resided in the last five years is a general requirement to obtain initial administrative permits. However, the presence of criminal records does not necessarily prevent their renewal: these are to be considered taking into account the incidence of pardons or conditional sentences or the suspension of the execution of sentences of deprivation of freedom (for instance Article 31 Organic Act 4/2000); in this sense, the case law20 has repeatedly underlined that non-favorable police reports exclusively based on police records should not be sufficient in order to reject the permit. 2.2 Access to Spanish nationality can also be denied due to the presence of criminal or police records, since they can be understood as an evidence of the lack of the necessary “good civil conduct” (Article 22.1 Civil Code). However, the case law considers that this “anachronistic” juridical concept should not be automatically excluded because of the presence of criminal records and should also be affirmed in the absence of conducts against public order, public security or public health or when a normal fulfillment of the civic duties which can be reasonably required21 is appreciated. 2.3 According to Act 12/2009, criminal records related to serious crimes, together with the fact of being a threat for the community, can result, among others, in exclusion and denial of asylum (Article 9), subsidiary protection (Article 12 b), and family reunification (Article 41.5); they are even key elements in order to decide the withdrawal of previous decisions (Article 44.1 a & c). In line with Article 33.2 of the 1951 Geneva Convention, they can also be an obstacle to the recognition of the principle of “non-refoulment”.22 2.4 With regard to foreigners’ freedom of movement and residence, even if Article 19 of the Constitution only refers to Spanish citizens, the Constitutional Court extended this right to foreigners (Decision 94/1993), allowing only the limitations established by the law or by a judicial decision. Article 5.2 of Organic Act 4/ 2000 includes, in this sense, the possibility of restriction of foreigners’ right to movement and residence by reasons of public security. Such decision needs to be adopted with full respect for the sanctioning proceeding and in an individualized, proportional and motivated way. According to this Article, the restrictive measures will not overcome the essential and proportional time according to the circumstances, and may only consist in the periodical presentation before the competent authorities or in moving away from certain borders or specific places. 2.5 Nevertheless, the greatest incidence of conviction refers to deportation. 2.5.1 Post-conviction deportation is foreseen in the Spanish Penal Code – as a security measure, called to substitute other security measures applicable to foreigners not legally resident in Spain (it forbids that they return before ten years) (Article 108); and 20

See also Decision 46/2014 of the Constitutional Court. Galparsoro & Bárcena 2014, 22 ff. 22 Galparsoro & Bárcena 2014, 25 ff. 21

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– as a general way of substituting imprisonment of more than one year imposed to foreigners, forbidding that they return within a term between 5 and 10 years (Article 89); exceptionally, deportation may also be decided after the partial execution of the punishment – when considered necessary (in such case, it cannot exceed two thirds of the sentence). With regard to those convicted to more than 5 years, deportation will be decided after the partial or total execution of the punishment. In any case, they will be deported once she/he has been classified in third penitentiary degree and/or has access to parole. – However, no deportation will be ordered if, taking into account the foreigner’s roots in Spain, it is considered non-proportional.23 2.5.2 But deportation after conviction can be also an administrative decision, based upon the presence of criminal records that have not been yet canceled. In order to remain in Spain after a first period of 90 days, non-European Union citizens24 must obtain a permit of residence and work that is rejected in principle in the case of individuals who have criminal records in Spain or in the countries of previous residence (Article 31.5 Organic Act 4/2000). However, administrative discretion is broad and, in practice, even non-favorable police records – that can refer either to a criminal offense, or to an infringement of the Organic Act on the Protection of Public Safety or to any police detention, for instance, on the occasion of a control of foreigners – are taken into account for this purpose.25 The same applies to the renewal of initial permits (Article 31.7), as well as to long-time residence without working (Article 32), even if not explicitly mentioned.26 If the foreigner does not obtain the permit or it is not renewed due to the presence of criminal records, an “indirect administrative deportation”27 will normally follow (Article 31.7 a & 57.1). Furthermore, direct administrative deportation28 can be applied “after the execution of the punishment”29 due to criminal records that have not been yet canceled, even if the penal judge had not decided it, since Article 57.2 of the Foreigners’ Organic Act considers the following a ground for deportation of foreigners: the fact of 23 Furthermore, deportation of a European Union citizen is exceptional (only when it entails a serious risk against public order or public security) and stricter requirements apply to deportation of a foreigner who has resided in Spain during the last ten years. 24 European Union citizens can reside in the territory of the Union and do not need an initial authorization, but must register at the Central Register of Foreigners, acquiring the status of permanent resident after 5 years. Nevertheless, entrance and residence can be restricted by reasons of public order, public security or public health; and therefore, criminal records can be an evidence of some of these reasons, within certain limits (see Article 15.5 Royal Decree 240/2007). 25 In a critical sense, Larrauri 2016, 8 f. 26 Larrauri 2016, 9 ff.; see also, Galparsoro & Bárcena 2014, 4 ff. 27 Larrauri 2016, 5. 28 Larrauri 2016, 5. 29 García España 2016, 4 ff.

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having been convicted, inside or outside Spain, due to an intentional penal offense which is punished with “deprivation of liberty”30 of more than one year. Experts criticize the excessive administrative discretion connected to administrative deportation, and particularly, the large extent of Article 57.2 and its automatism, as well as its condition of “collateral consequence” (if not formally, at least materially) of a penal nature, which is added after the criminal sentence and infringes the “ne bis in idem” rule. However, Decision 236/2007 of the Constitutional Court did not accept this objection, since it considered that deportation as a punishment and administrative deportation have a “different legal basis”.31 2.5.3 The adoption of a “unitary vision” of the legal regime of deportation is absolutely urgent in order to put an end to the inconsistencies of the present “crimmigration”32 approach, which results in an unacceptable violation of “basic principles and rights” of our legal system. The 2015 reform of Article 89 of the Penal Code33 fought, in a positive way, against the automatism of deportation, introducing criteria which allow a better “individualization of the punishment of foreigners”.34 It is something that should also be introduced in the administrative regulation following the jurisprudence of the European Court of Human Rights.35 Nevertheless, there are still various points that deserve to be reconsidered in order to avoid, for instance, the excessively afflictive penal treatment of foreigners who have roots in the country,36 as well as deportation of persons living in Spain, whose minor children hold Spanish nationality. This should be considered contrary to Article 39 of the Spanish Constitution, since the child is placed in a very difficult alternative, generating a risk against his/her psycho-affective stability. It is also contrary to the most basic principles of familiar protection: if they remain in Spain, they will be raised in the absence of the holder of the parental rights; and if they want to maintain the relationship with his/her parents, they are obliged to leave Spain.37 2.5.4 Last but not least, even if the arrest of foreigners and their internment in a Penitentiary Establishment are, in principle, submitted to the general regulation applicable to Spanish citizens,38 foreigners awaiting repatriation, delivery or the exe30 García España 2016, 20 recalls that Article 89 PC refers, however, to “imprisonment” of more than one year, leaving outside its frame of application other punishments which entail a deprivation of liberty defined by Article 35 PC: particularly, the personal subsidiary responsibility for failure to pay fines and permanent traceability. 31 Critically, Larrauri 2016, 13. 32 García España 2016, 29. 33 See Iglesias Ríos 2015, 173 ff. 34 García España 2016, 15. 35 Roig Torres 2014, 423 ff. 36 García España 2018, 119 – 144. On the juridical and practical problems of long-term permits of residence in case of criminal records, see also Galparsoro & Bárcena 2014, 6 ff. 37 Galparsoro & Bárcena 2014, 6 f. 38 No separate legal treatment is foreseen for foreign prisoners apart from some specific provisions on certain aspects as communication with embassies and consulates, collaboration

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cution of an administrative deportation order can be confined (up to 60 days) in the Internment Centres for foreigners (CIE). Characterized by less adequate facilities, overpopulation and hard life conditions, their regime generates multiple and very important criticism, urging for improvement and even for the closure of these Centres.39

3. Other Restrictions Notwithstanding the difficulties in the access to employment or in the treatment of foreigners and immigration, there are more examples of negative effects related to penal convictions that are not directly foreseen by the criminal code or the penal legislation. Leaving aside those cases of inconsistencies between penal and administrative legislation (for instance, in the electoral field)40 which result in “invisible”41 consequences not foreseen by the Penal Code or Penitentiary rules,42 further restrictions related to criminal (and even police or administrative) records are particularly notable in other areas: 3.1 This is the case of certain licenses, such as the licenses for gun ownership and/ or hunting license (Article 97, Royal Decree 137/1993, Weapons Regulation) where criminal and police records are usually considered as an indicator of the risk that possessing and using weapons can generate (Article 98 Royal Decree), leading as a consequence to the refusal of the permit/license.43 Furthermore, with regard to the legislation on the juridical regime of ownership of potentially dangerous animals, records

of interpreters in prison and deportation …). Santacruz Iglesias, 2014. However, the absence of specific normative provisions – together with the automatic identification of the absence of regular documentation with a high risk of evasion – results in a source of institutional discrimination in the day-to-day prison life, since it does not help surmount the barriers to participation in prison life, to the enjoyment of term-release permits and visits and to their access to open regime and parole. De la Cuesta 2007, 751 ff. 39 García España 2017; Martínez Escamilla 2016, 18 ff. 40 Larrauri 2015, 154. 41 Mauer & Chesney-Lind 2002. 42 In fact, contrary to the restrictions introduced by the new Penal Code to the punishment of barring in the electoral field, all those who are finally convicted to deprivation of liberty are ineligible during the term of the sentence (Article 6.2), as well as those convicted by judicial decision, even if not final, if the crimes committed are rebellion, terrorism, crimes against Public Administration or against State institutions, Brandáriz García 2012, 2. 43 In this sense, the case law has insisted on the need for an adequate consideration of the personal and specific conduct, since the absence of penal convictions, as such, does not ensure the right to own and carry weapons, and it allows a less restrictive treatment concerning hunting, where poaching, and other infringements of hunting and weapons regulation, together with the personal dangerousness and administrative or penal offenses due to drunk-driving, constitute the most frequent reasons for denying a license. Palacios Blanco 2003.

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may be an obstacle to obtain a license to own dangerous dogs (Article 3.1.b & c of Royal Decree 287/2002, implementing Act 50/1999). 3.2 Criminal records can also have negative consequences related to family law. On the one hand, concerning guardianship, Article 243 of the Civil Code excludes from the exercise of guardianship not only the individuals who have been judicially deprived of (or suspended in) the exercise of parental rights, and safekeeping and education rights, fully or partially, but also those convicted to imprisonment during the term of the sentence. Individuals convicted for any offense that may entail that they will not perform guardianship adequately and persons with bad conduct or who lack a known way of living (Art. 244) cannot be guardians either. On the other hand, even if criminal records are not mentioned by national legislation as an obstacle to the declaration of eligibility for international adoption (see Article 10 of Act 54/2007), regional legislation in this area proceeds differently and often requires the absence of criminal records.44 3.3 Concerning pensions and social aids, the Constitutional Court (Decision 114/ 1987), long time ago, declared unconstitutional to remove the payment of the retirement pension as a consequence of the commission of a penal offense. Nevertheless, there are various examples in regional regulations regarding social and welfare allowances where criminal records are taken into consideration in the procedure of adopting a decision (for instance, Article 7 of Decree 115/2006 – Extremadura – related to social housing). Similarly, even if victim compensation is not to be affected by the commission of further offenses or by criminal records, according to Article 3 of Act 35/1995, on the assistance of victims of violent offenses and offenses against sexual freedom, the behavior of the beneficiary (contributing directly or indirectly to the crime), her/his relationship with the perpetrator or the fact of belonging to an organization dedicated to violent offenses can justify the denial or reduction of the compensation, if it becomes contrary to equity or public order. 3.4 In the academic field, academic titles or examinations should not be affected as such by criminal records,45 but several regulations include as a strict requirement the absence of criminal records in order to have access to student loans and grants.46 44 Article 16 of Decree 45/2005, on the adoption of children in Castilla-La Mancha, refers to the absence of criminal records that could be considered negative for the protection and development of the child. Article 233 – 11 of Act 25/2010, concerning the second book of the Catalan Civil Code, allows using criminal records in the proceedings on custody in order to determine the suitability of the person concerned. And Article 11 & 12 of Decree 114/2008 (Historical Territory of Bizkaia, in the Basque Country) not only pays attention to the criminal records of the petitioner, but also requires the presentation of the criminal records of all the persons aged more than 18 who live with her/him. 45 Nevertheless, Articles 2 & 5 of the obsolete 1975 Decree on Academic Discipline define as serious infringements “those constituting penal offenses”, which can be sanctioned with definitive or temporal separation of the service (for teachers and employees) (Article 3 a) or temporal or definitive barring and/or expulsion (Article 6 a) of students. 46 See, for instance, Article 3.1 f of Order 16/2016 (Generalitat Valenciana).

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3.5 Among many other examples, individuals who have criminal records because of their participation in an intentional offense can neither be members of a Jury (Article 9, Organic Act 5/1995) nor notaries in relation to a popular initiative (Article 10, Organic Act 3/1984). Individuals who are punished because of the perpetration of serious crimes against life, personal integrity, freedom, sexual freedom or indemnity, terrorism or any other serious crimes that generate a serious risk for life, health or physical integrity can be submitted to the practice of biological and DNA sampling (even coercive) (Art. 129 bis Penal Code). Furthermore, according to Article 71 of Act 9/2017, adopted to implement Directives 2014/23/EU and 2014/24/ EU, natural and juridical persons (and their managers and/or representatives) can be excluded from contracts in the public sector not only if they are punished with barring from the exercise of a profession, industry or commerce, but also in case of conviction due to a long list of offenses.

4. Final Remarks Even if the nuclear effects of criminal sanctions are clearly established by the law according to the corresponding nature of each punishment (deprivation of liberty, property, restriction of freedom …), day-to-day life shows that many other consequences that affect civil rights often arise in the implementation of sentences or as an additional consequence of them, thus aggravating the social exclusion of ex-offenders, even for the rest of their life.47 Leaving aside the well-known example of prison sentences – where inmates face serious problems to exercise their civil and/or political rights not limited by the prison sentence unless a special regulation ensures the means to make them compatible with the prison regime –, these effects (if not hidden, at least less visible) often come from sectorial regulations that go beyond the contents and extent of the penal code, for instance, in the electoral field or concerning deportation, which is a particularly serious case of normative discordance that deserves, naturally, very hard criticism. Furthermore, an analysis of sectorial norms and practices clearly shows how often police and criminal records, notwithstanding their not public nature, produce important consequences in convicts’ rights even after the execution of the punishment. This is particularly the case of foreigners’ law, where previous convictions and criminal (or even administrative) records can result not only in deportation, but also in the determination of ineligibility for residence and/or work permits (and renewal) and the denial of access to nationality and international protection measures. In a more general sense, the absence of criminal records is too often a legal or regulatory requirement to exercise certain rights or to get access to services, aids … and, particularly, to employment. It can, thus, happen that the penal judge does 47

Díez Ripollés 2014, 8.

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not impose barring for a certain employment or profession as a punishment48 or as a security measure,49 but, by virtue of criminal records, the same effect takes place and persists even after the execution of the sentence: depriving the convict of employment, office or the exercise of profession, trade, industry or commerce. This is hardly acceptable, especially when Article 73.2 of the 1979 Penitentiary Organic Act clearly orders that criminal records – which were born with the exclusive purpose of facilitating the evidence of recidivism (an aggravated circumstance defined by Article 22.8 PC) – should never serve as “a basis for social or juridical discrimination”. A complete revision of the sectorial legal and regulatory approaches – with insufficiently justified different regimes – is urgently needed, as well as the reconsideration of the social and juridical effects of criminal records in the sense of assuring a full implementation of the principle established by Article 73.2 of the Penitentiary Act and to prevent hidden punishments and ensure a general (and legally defined) integration of the values and principles that need to be respected with regard to the contents and use of criminal records, and the juridical remedies designed to guarantee individual rights. References Albrecht, H.-J. (2000): Foreigners, Migration, Immigration and the Development of Criminal Justice in Europe, in: P. Green & A. Rutherford (eds.), Criminal Policy in Transition, Oñati International Series on Law and Society. London, pp. 131 – 150. Albrecht, H.-J. (2017): Verlust der Amtsfähigkeit, der Wählbarkeit und des Stimmrechts, § 45, in: U. Kindhäuser, U. Neumann & H.-U. Paeffgen, Nomos Kommentar zum Strafgesetzbuch. Baden-Baden, pp. 1907 – 1909. Brandáriz García, J.A. (2012): La inhabilitación especial para el derecho de sufragio pasivo: fundamento y deficiencias de una pena de aplicación masiva. Diario La Ley 5937, 1 – 6. Bustos Gisbert, R. (2002): Sobre la Publicación en Páginas Web de Listados de Condenados Penalmente: Los Casos de las Listas de Pedófilos, Maltratadores, Torturadores y Errores Médicos. Revista Vasca de Administración Pública 62, 11 – 34. De la Cuesta, J.L. (2007): Chapter 24. Spain, in: A.M. van Kalmthout, F.B.A.M. Hofstee-van der Meulen & F. Dünkel (eds.), Foreigners in European Prisons, Vol. 2. Nijmegen, 751 – 780. De Vicente Remesal, J. (2014): La pena de inhabilitación profesional: consideraciones desde el punto de vista de los fines de la pena. Cuadernos de Política Criminal 113, 45 – 104. 48

According to Article 45 of the Penal Code, it needs to “be duly reasoned and specified in the sentence”. 49 In this case, the offense should have been committed “by abuse of office or in relation thereto and when an evaluation of the circumstances concurring may lead to the conclusion of the danger of him committing the same offense or other similar ones again” (Article 107 Penal Code).

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Rechtliche und soziale Folgen von Strafen Von Axel Dessecker Strafen gelten heute als unverzichtbar. Nicht nur sind sie in der Alltagskultur tief verwurzelt, sie werden in der Straftheorie als ein wesentliches Element betrachtet, das den Zusammenhalt der Gesellschaft gewährleisten soll (Abraham 2018, 247 ff.; Hassemer 2009). Strafrecht lässt sich viel leichter einführen als abschaffen. Selbst einzelne Tatbestände, deren Anwendung in der Praxis zu absurden Konsequenzen führen kann, lassen sich kaum sinnvoll einschränken, wenn sie einmal von Parlamenten beschlossen und in Kraft getreten sind. Beispiele kann das Sexualstrafrecht ebenso liefern (Simon 2017) wie der im Umfeld der Tötungsdelikte marginale, aber symbolisch umso stärker aufgeladene Tatbestand der Werbung für den Abbruch der Schwangerschaft (§ 219a StGB; Frommel 2018). In dieser Lage ist es angebracht, erneut darauf hinzuweisen, dass Strafen viele Folgen haben: rechtliche und soziale, gewollte und ungewollte, unmittelbare und ferner liegende. Das hat Hans-Jörg Albrecht schon früh getan, als er sich im Rahmen eines Freiburger Großprojekts über die Geldstrafe im System strafrechtlicher Sanktionierung mit der Legalbewährung nach Verurteilungen zu Geld- und Freiheitsstrafen beschäftigt hat (Albrecht 1982, 7 ff.). Damals bestand ein großes wissenschaftliches Interesse, die Praxis der Geldstrafe als dominierende strafrechtliche Normalsanktion umfassend zu erforschen. Zugleich ging es darum, die Sanktionensysteme mehrerer Länder zum Gegenstand von Strafrechtsvergleichung zu machen, die der Geldstrafe unterschiedliche kriminalpolitische Positionen einräumten (Grebing 1978). International vergleichende Forschungen über Systeme der Kriminaljustiz und ihre Sanktionen haben seither bedeutend zugenommen. Damit hat sich comparative criminal justice als neue Disziplin etabliert (Harrendorf 2017). Diese Forschungen gehen davon aus, dass sich Systeme der Kriminaljustiz verschiedener Länder im Hinblick auf ihre Effektivität beurteilen lassen. Das soll unabhängig davon gelten, ob man sie typologisch einem Modell der materiellen Gerechtigkeit (substantive justice model) zuordnen kann, das wie in den meisten westeuropäischen Ländern beispielsweise durch eine politischen Einflüssen weitgehend entzogene Staatsanwaltschaft gekennzeichnet ist, oder ob ein Modell der demokratischen Verantwortlichkeit (democratic accountability model) nach dem Vorbild der USA angemessener erscheint, in dem das Justizpersonal weitgehend von Ergebnissen lokaler, regionaler oder nationaler Wahlen abhängig ist (Tonry 2016a). Solche Vergleiche kann man darauf beziehen, wie sich verschiedene Strafarten verteilen, welche Rolle besonders harte Sanktionen wie etwa unbefristete Freiheitsstrafen im Verhältnis zu kurzen Freiheits-

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entziehungen oder ambulanten Alternativen spielen und wie hoch die Gefangenenrate ausfällt. Wenn man sich auf die Hauptsanktionen des Strafrechts bezieht, über deren Anwendung in den meisten Ländern annähernd vergleichbare amtliche Statistiken geführt werden, gibt es offensichtlich gute Gründe dafür, diese Daten auch für vergleichende Darstellungen heranzuziehen. Was die rechtlichen Folgen von Verurteilungen betrifft, konzentrieren sich vergleichende Untersuchungen zumeist auf Verteilungen der Hauptsanktionen und deren Erklärung mit Merkmalen des Strafrechts, des Strafzumessungsrechts, des Systems der Kriminaljustiz und des politischen Systems insgesamt (Albrecht 2017; Tonry 2016b). Vergleichende kriminologische Forschungen zur Legalbewährung, die weniger auf amtliche Statistiken als auf Daten der Strafregister aufbauen, betrachten die Wirkungen bestimmter Sanktionsformen ebenfalls eher global (Yukhnenko et al. 2019). Dem entspricht es, dass über die rechtliche Anwendung eher unübersichtlich geregelter Kollateralfolgen wenig oder nichts zu erfahren ist, obwohl auch diese einschneidende Wirkungen haben können. Weniger umfassend erforscht sind andererseits die sozialen Folgen von Strafen. Dies gilt trotz einer seit langem immer wieder formulierten Strafrechtskritik und trotz des hohen Anspruchs, dass gerade der Strafvollzug zur Resozialisierung führen soll. Soweit empirische Forschungsarbeiten zu Haftfolgen vorliegen, sind sie zu einem guten Teil darauf angelegt, ausgefeiltere Therapieprogramme wie etwa solche sozialtherapeutischer Einrichtungen mit dem Regelvollzug zu vergleichen (Wössner 2014). Die Möglichkeiten der Verallgemeinerung solcher Erkenntnisse sind schon dadurch begrenzt, dass die Sozialtherapie zwar bis heute eine Orientierungsfunktion für die Entwicklung des Justizvollzugs in Deutschland erfüllt, sich vom Regelvollzug der Freiheitsstrafe aber schon im Hinblick auf die Personalausstattung der zuständigen Vollzugseinrichtungen deutlich unterscheidet. Allgemein wird gerade aus praktischer Sicht in den letzten Jahren das Erfordernis eines zwischen Vollzugseinrichtungen und ambulanten sozialen Diensten abgestimmten Übergangsmanagements betont. Einschlägige Forschungen konzentrieren sich jedoch auf die Kooperationsformen der beteiligten Stellen (Matt 2016; Wegel 2019). Dass auf der Seite ehemaliger Gefangener soziale Defizite vorhanden sind, wird weitgehend als gegeben vorausgesetzt. Umgekehrt interessiert sich die in den letzten Jahren vor allem im internationalen Maßstab ausgebaute Forschung zu Prozessen des Ausstiegs aus Kriminalitätskarrieren weniger für Defizite, eher für Ressourcen ehemaliger Gefangener, die imstande sind zu erklären, dass auf die Dauer nicht Rückfälligkeit, sondern legales Verhalten der Normalfall ist (Graebsch 2019; Shapland & Bottoms 2017). Der vorliegende Beitrag ist nicht darauf angelegt, rechtliche und soziale Folgen von Strafen umfassend zu erörtern. Die weiteren Ausführungen beschränken sich notwendig auf einige allgemeine Hinweise und ausgewählte Beispiele. Zunächst ist zu betonen, dass die Vielfalt der Sanktionen, die an eine strafgerichtliche Verurteilung anknüpfen, in der kriminologischen Diskussion unzureichend berücksichtigt wird (1.). Daran schließt der Vorschlag an, unmittelbare rechtliche Folgen und Kol-

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lateralfolgen einer Verurteilung zu unterscheiden (2.). Weiter wird erörtert, wie sich soziale Folgen strafrechtlicher Verurteilungen aus der Sicht allgemeiner soziologischer Handlungstheorien darstellen lassen (3.). Abschließend werden mit Arbeit und Familie zwei Felder sozialen Handelns fokussiert (4.).

1. Das Spektrum kriminalrechtlicher Sanktionen Das deutsche Sanktionenrecht wird gelegentlich als wenig elaboriert gekennzeichnet, vor allem im internationalen Vergleich (Dünkel 2018, 52). Diese letztlich auf Reformen zielende Kritik unterschätzt tendenziell die Komplexität eines Sanktionensystems, das dem Schuldprinzip einen zentralen Platz zuweist und weit überwiegend dem Zweck der Individualprävention folgt. Die Grundstruktur dieses Sanktionenrechts lässt sich mit den beiden Hauptstrafen der Freiheits- und Geldstrafe und den beiden traditionell unterschiedenen „Spuren“ der Strafen und Maßregeln leicht überblicken. Auf dieser Grundlage kann man in einer Dimension danach unterscheiden, ob die Sanktion mit einer Freiheitsentziehung verbunden ist oder nicht, und in einer anderen danach, ob die Sanktion notwendig an einen Schuldvorwurf gebunden ist oder nicht. Während das Kriterium der Freiheitsentziehung trotz der Möglichkeiten vollzugsöffnender Maßnahmen im Justizvollzug und erst recht im psychiatrischen Maßregelvollzug hinreichende Trennschärfe besitzt, erscheint die Unterscheidung von Strafen und Maßregeln nicht immer zwingend. Der vorübergehende Entzug der Berechtigung zur Führung eines Kraftfahrzeugs lässt sich gesetzgeberisch als Nebenstrafe (§ 44 StGB) oder auch als Maßregel der Besserung und Sicherung (§ 69 StGB) ausgestalten. Und mindestens unter dem Gesichtspunkt des Menschenrechtsschutzes wird erheblicher argumentativer Aufwand nötig, um die Sicherungsverwahrung als Maßregel und nicht als unbefristete Freiheitsstrafe erscheinen zu lassen (Dessecker 2016, 428). Wenn es darum geht, Zwischenformen, Ausnahmen und Besonderheiten zu berücksichtigen, welche die Gesetzgebung der letzten Jahrzehnte in einiger Vielfalt hervorgebracht hat, bleibt eine solche Betrachtung viel zu einfach. Auch wenn die Einheits-Freiheitsstrafe als historische Errungenschaft gelten kann, tritt die Freiheitsstrafe in der Praxis der Gerichte wie aus der Perspektive der Verurteilten betrachtet in höchst unterschiedlichen Formen auf. Es ergibt einen gravierenden Unterschied, ob sie unmittelbar nach Rechtskraft eines Urteils zu vollstrecken ist, ob sie zur Bewährung ausgesetzt wird (§ 56 StGB) oder ob sie als Ersatzfreiheitsstrafe erst dann vollstreckt wird, wenn die Vollstreckung einer Geldstrafe auf anderen Wegen gescheitert ist (§ 43 StGB). Aus empirischer Sicht liegt es nahe, zur Bewährung ausgesetzte Freiheitsstrafen als ambulante Sanktionen zu betrachten (Jehle et al. 2016, 26). Aus kriminalpolitischer Sicht sind häufig vorkommende Ersatzfreiheitsstrafen kritikwürdig (Dünkel 2018, 57 ff.).

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Manche Sanktionsformen passen nicht in das Schema von Strafen und Maßregeln. Hier hilft es wenig, unter dem Einfluss aktueller Entwicklungen der Kriminalpolitik immer neue Vorschläge vorzubringen, eine dritte Spur des Sanktionenrechts zu eröffnen (Dessecker 2004, 18 f.), sei es bezogen auf Wiedergutmachung oder Vermögensabschöpfung oder eine andere Gruppe von Sanktionen. Nicht umsonst hat sich in den letzten Jahrzehnten keiner dieser Vorschläge durchgesetzt. Das deutsche Kriminalrecht kennt zahlreiche Nebenentscheidungen (Kett-Straub & Kudlich 2017, 155 ff.), die sich rechtssystematisch nur schwer auf einen Nenner bringen lassen. Mit dem Fahrverbot (§ 44 StGB) existiert zwar nur eine einzige ausdrücklich so bezeichnete Nebenstrafe. Trotz ihrer Ausrichtung auf Fälle der leichteren Delinquenz im Straßenverkehr ist sie durch die Gesetzesänderung von 2017 erweitert worden. Mittlerweile wird das Fahrverbot dementsprechend auch wegen anderer Delikte verhängt.1 Darüber hinaus gibt es nicht wenige Nebensanktionen mit jeweils eigenen Zielen, die teils im Allgemeinen Teil des Strafgesetzbuchs geregelt sind, teils in Spezialgesetzen. Manche unter ihnen lassen sich als Strafen verstehen, andere nicht. Dass sie einen Sanktionscharakter haben und für die Betroffenen gravierende Folgen haben können, gilt unabhängig von ihrer rechtlichen Einordnung. Hinzu kommt die Erwägung, dass präventive Zielsetzungen bei einigen dieser Nebenfolgen von Bedeutung sind. Das lässt sich insbesondere für die in den letzten Jahrzehnten mehrfach erweiterten Instrumente der Vermögensabschöpfung (§§ 73 ff. StGB) annehmen (Saliger 2017, 1000 ff.). Folgt man einer neueren Auffassung zur dogmatischen Begründung von Nebenfolgen im deutschen Strafrecht, sind diese insgesamt dadurch gekennzeichnet, dass sie der positiven Generalprävention dienen. Das bedeutet andererseits, dass traditionell als Nebenfolgen verstandene Sanktionen wie etwa die Bekanntgabe der Verurteilung gerade nicht mehr mit diesem Begriff zu erfassen sind (Sobota 2015, 158 ff.). Die Schwierigkeiten wachsen, wenn man die Grenzen des deutschen Kriminalrechts überschreitet und daran interessiert ist, nationale Sanktionensysteme miteinander zu vergleichen. Zudem ist damit zu rechnen, dass sich Rechtsfolgen und soziale Folgen von Strafen überlagern.

2. Unmittelbare Rechtsfolgen und Kollateralfolgen Eine Möglichkeit, das Feld jenseits der Hauptstrafen zu charakterisieren, ohne sich bereits begrifflich von einer einzelnen Rechtsordnung und ihren dogmatischen 1

Das Gesetz zur effektiveren und praxistauglicheren Ausgestaltung des Strafverfahrens vom 17. 08. 2017 (BGBl. I 3202) ist am 24. 08. 2017 in Kraft getreten. In den Jahren 2017 und 2018 erfolgten nach der Strafverfolgungsstatistik jeweils rund 17 % der Verurteilungen zu Fahrverbot wegen Straftaten außerhalb des Straßenverkehrs (Statistisches Bundesamt 2019, 356).

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Vorannahmen abhängig zu machen, bietet das Konzept der „Kollateralfolgen“. Diese Bezeichnung bietet trotz ihres angloamerikanischen Ursprungs den Vorteil, dass sie für internationale Vergleiche geeignet ist und sich dort etabliert (Corda 2019; Kleinfeld 2016; Kurtovic & Rovira 2017). Sie könnte auch im Deutschen darauf hinweisen, dass es um mehr geht als um Nebenfolgen im Sinne des deutschen Rechts. Wie alle Begriffe weist sie aber auch Unschärfen auf. Vor allem Rechtsordnungen, die traditionell durch das Modell des common law geprägt sind, kennen eine Fülle von Kollateralfolgen strafrechtlicher Verurteilungen (U.S. Commission on Civil Rights 2019). Wenn man diese Kategorie allgemeiner betrachtet, kann schon die Rechtslage so unübersichtlich werden, dass dafür eigene Datenbanken erforderlich sind.2 Auch für Forschungszwecke geeignete Definitionen schließen sich an solche Werkzeuge der Strafrechtspraxis an. Nach einer neueren Begriffsbestimmung sind Kollateralfolgen typischerweise außerhalb des Strafgesetzbuchs geregelt, werden von Institutionen außerhalb der Kriminaljustiz durchgeführt und nicht als Strafen interpretiert (Uggen & Stewart 2015, 1874). Damit eignet sich das Konzept als Sammelbegriff für höchst unterschiedliche Interventionen, die in irgendeiner Weise an einer strafrechtlichen Verurteilung anknüpfen, ohne unmittelbarer Bestandteil des Sanktionsausspruchs zu sein. Das Konzept der Kollateralfolgen ist damit allgemeiner angelegt als die Kategorie der Nebenfolgen im deutschen Sanktionenrecht. Die neuere deutsche Dogmatik der Nebenfolge geht über das Verständnis einer Residualkategorie hinaus. Nebenfolgen werden vielmehr dadurch gekennzeichnet, dass sie kraft Gesetzes eintreten, wenn eine Hauptstrafe verhängt wird und spezifische weitere Voraussetzungen erfüllt sind, und dass sie dem Zweck der positiven Generalprävention dienen (Sobota 2015, 158 ff.). Das Konzept der Kollateralfolgen ist auch allgemeiner angelegt als der Vorschlag, civil disqualifications zu thematisieren (von Hirsch & Wasik 1997). Denn dort geht es allein um den Verlust von Rechtspositionen, der bestimmten Risiken entgegenwirken soll, nicht um die Auferlegung von Mitwirkungspflichten. Ob die Eintragung in einem Register für eine besondere Untergruppe „gefährlicher Straftäter“ jedoch von Amts wegen erfolgt oder ob für die Verurteilten eine Art Meldepflicht statuiert wird, dürfte für die Folgen einer solchen Registrierung nebensächlich sein. Den Betroffenen kann es auch gleichgültig sein, ob solche Sanktionen vom Gesetzgeber als strafrechtliche eingeordnet werden oder nicht. Damit ist keineswegs gesagt, dass diese Begriffsbildung ohne Nachteile ist. Eine gewisse Vorsicht empfiehlt sich schon aus sprachlichen Gründen. Man läuft Gefahr, ungewollt den Eindruck zu erwecken, dass die Folgen strafrechtlicher Verurteilungen verharmlost werden sollen, weil der Begriff etwa im Zusammenhang mit Kriegshandlungen oder mit Menschenrechtsverletzungen, die als Maßnahmen der Krimi2 Siehe für die USA das seit 2012 betriebene National Inventory of Collateral Consequences of Conviction; https://niccc.csgjusticecenter.org/.

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nalitätsbekämpfung gerechtfertigt werden, ein mediales Eigenleben führt (Dessecker 2018, 477). Diese umgangssprachliche Vorbelastung sollte einem wissenschaftlichen Sprachgebrauch auf den Feldern der Kriminologie und der vergleichenden Strafrechtswissenschaft nicht blockieren. Berichte von Publikumsmedien erinnern zudem daran, dass Fachbegriffe nicht dagegen gefeit sind, an unpassender Stelle oder in wenig präziser Weise verwendet zu werden. In manchen Fällen mag es schlicht darum gehen zu thematisieren, dass Strafen irgendwelche Folgen haben. Dabei geht es teilweise weniger um rechtliche als um soziale Folgen – etwa um Formen von Stigmatisierung, die nicht notwendig gezielt herbeigeführt werden, aber die Wirkungen von Strafen empfindlich verschärfen können (Hoskins 2018). Insoweit mag man die Frage stellen, worin der Nutzen der Einführung eines neuen Begriffs liegen sollte. Denn Stigmatisierung als Folge von Bestrafung ist in der Tradition des labeling approach und darüber hinaus seit langem ein Forschungsgegenstand der Kriminologie.

3. Soziale Folgen Wenn von den sozialen Folgen des Strafens die Rede ist, dürften schlichte Etikettierungsansätze zu kurz greifen. Sie lassen sich jedoch ebenso wie die im Folgenden angesprochenen soziologischen Handlungstheorien in umfassendere Theorien der Kriminalität (Hess & Scheerer 2004) integrieren. Die klassische Formulierung des Problems der unbeabsichtigten Folgen sozialen Handelns stammt bekanntlich von Robert K. Merton (1936). Auch in einer späteren Stellungnahme warnt Merton (1968, 48) vor der „Tendenz, die soziologischen Beobachtungen auf die positiven Beiträge zu beschränken, die ein soziologisches Phänomen zu dem sozialen oder kulturellen System leistet, in das es eingebunden ist (…).“

Wichtig ist gerade für empirische Forschungen die Annahme, dass ein Phänomen mehrfache Folgen haben kann und dass es möglich ist, eine „Nettobilanz der Gesamtfolgen“ zu berechnen, besonders im Zusammenhang mit der „Gestaltung und Umsetzung von Politik“ (Merton 1968, 48 f.). Neuere Theorien haben diesen Ansatz fortgeführt. So betont Hans Haferkamp (1983), dass neben erkannten und geplanten Handlungsfolgen, die in mehr oder weniger großem Ausmaß (oder überhaupt nicht) eintreten, auch Verhaltenswirkungen als unbeabsichtigte Verhaltenseffekte zu berücksichtigen sind. Er weist darauf hin, dass vor allem in Handlungszusammenhängen – die von mehreren Akteuren organisiert werden und sich auf zeitlich und räumlich verteilte weitere Handlungen beziehen – das Problem der Unüberschaubarkeit von Folgen auftritt (Haferkamp 1983, 82 ff.).

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Einen Extremfall bildet die Konstellation, in der nicht der ursprünglich in erster Linie geplante Effekt eintritt, sondern das Gegenteil. Auf solche Pervertierungen handlungsleitender Intentionen ist besonders Raymond Boudon (1979) eingegangen. Die allgemeinere Kategorie paradoxer Effekte definiert er als „individuelle oder kollektive Effekte, die sich aus dem Zusammentreffen individueller Verhaltenssequenzen ergeben, ohne Teil der von den Akteuren mit ihren Handlungen verfolgten Absichten zu sein.“

Vorausgesetzt werden nicht notwendig rational, aber intentional handelnde Akteure. Auf dieser Grundlage entwickelt er eine sehr fein gegliederte Typologie unbeabsichtigter Handlungsfolgen (Boudon 1979, 61 ff.). Zusätzliche Erweiterungen sind von anderen vorgeschlagen worden (Wippler 1981, 248 f.). Gleichwohl wird der Beitrag Boudons meist als eine lockerer angelegte Theorie rationaler Entscheidungen wahrgenommen. Als besonders einflussreich in der neueren Theorieentwicklung kann das umfangreiche Werk von James S. Coleman (1990) gelten, das von vornherein auf eine Verknüpfung des Verhaltens von Individuen mit dem von Organisationen angelegt ist. Seiner Theorie liegt ein teleologisches Handlungsmodell zugrunde, das – spezifischer als Boudon – Rationalität im Sinne des methodologischen Individualismus als Handlungsziel definiert und ausdrücklich von einem Menschenbild ausgeht, das mit dem anderer Disziplinen einschließlich der Rechtswissenschaft übereinstimme. Danach haben Handlungen positive oder negative externe Effekte, also Konsequenzen für Akteure, die keine Kontrolle über diese Handlungen ausüben. Diese externen Effekte verändern wiederum die Anreizstrukturen für weitere Handlungen (Coleman 1990, 17 ff.). Der Erklärungsanspruch geht über ökonomische Entscheidungen weit hinaus. Handlungstheorien werden häufiger bemüht, wenn es darum geht, informelle soziale Kontrolle in Alltagssituationen nachzuvollziehen. Sie sind aber so allgemein angelegt, dass sie das Handeln in Organisationen nicht auszuklammern brauchen, sondern eher als Spezialfall thematisieren. Die empirische Strafzumessungsforschung orientiert sich dagegen bisher, soweit sie ihre theoretischen Voraussetzungen offenlegt, hauptsächlich an der Annahme unterschiedlicher Punitivität (Albrecht 2017). Allgemeinere soziologische Handlungstheorien können aber auch herangezogen werden, um Sanktionsentscheidungen im System der Kriminaljustiz jenseits des immer zu berücksichtigenden Normprogramms zu erklären (Epstein, Landes & Posner 2013; Lüdemann & Ohlemacher 2002, 161 ff.). Trotz einer weitgehenden Verrechtlichung kriminalrechtlicher Sanktionen verfügen die zuständigen Akteure, also vor allem Gerichte und Staatsanwaltschaften, über beträchtliche Entscheidungsspielräume. Staatsanwaltschaften in Deutschland haben ein kaum eingegrenztes Ermessen bei der Bewertung von Schuld und der Beurteilung des öffentlichen Interesses an einer Strafverfolgung (§§ 153 I 1, 153a I 1 StPO). Gerichte können sich bei fast allen Straftatbeständen innerhalb weiter Strafrahmen bewegen und haben nicht selten sogar die Möglichkeit, zwischen mehreren Strafrahmen zu wählen. Weiter flexi-

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bilisiert wird die Sanktionierung durch Aushandlungsprozesse zwischen den wichtigsten Prozessbeteiligten, die von Gesetzgeber und höchstgerichtlicher Rechtsprechung nur unter großer Mühe eingehegt werden können.

4. Beispiele Was bisher entwickelt wurde, lässt sich anhand von Beispielen leicht konkretisieren. 4.1 Arbeit Wer zu einer unbedingten Freiheitsstrafe verurteilt wird, wird nach Rechtskraft des Urteils schnell zum Haftantritt aufgefordert – wenn sich die verurteilte Person nicht ohnehin bereits in Untersuchungshaft befindet. Spätestens der Haftantritt wird dazu führen, dass diese Person einen vorher vorhandenen Arbeitsplatz verliert. Das ist keineswegs eine unmittelbare rechtliche Folge der Verurteilung. Denn es gibt Arbeitsverhältnisse, die sich so ausgestalten lassen, dass sie grundsätzlich mit einem Aufenthalt im Justizvollzug vereinbar sind. Auch das Vollzugsrecht sieht Möglichkeiten vor, den Fortbestand eines externen Arbeitsverhältnisses mit der Strafverbüßung zu vereinbaren. Als Kollateralfolge einer Verurteilung ist der Verlust eines Arbeitsplatzes nach deutschem Recht dagegen keine völlig untypische Erscheinung. Kraft Gesetzes eintretende Statusfolgen beschränken sich zwar im Wesentlichen auf Beamte und Berufsgruppen mit beamtenähnlichem Status; sie betreffen beispielsweise Verurteilungen zu Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr wegen einer vorsätzlichen Tat (§ 24 I 1 Nr. 1 Beamtenstatusgesetz). Das Arbeitsrecht anerkennt jedoch etliche Konstellationen der Kündigung von Arbeitsverhältnissen bereits anlässlich des schlichten Verdachts einer Straftat (Kamanabrou 2017, 408 ff.). Arbeitslosigkeit gilt in der Praxis der Straffälligenhilfe als im Anschluss an Vollzugsaufenthalte regelmäßig auftretendes Problem, das es zu vermeiden gilt. Dieser Eindruck lässt sich durch Daten belegen (Roggenthin & Ackermann 2019). Die Resultate empirischer Forschungen über die Frage, inwieweit der Ausschluss von regulärer Arbeit sich als nachweisbare Folge von Inhaftierungen erklären lässt, scheinen jedoch deutlich davon beeinflusst zu werden, wie gut Selektionseffekte der Sanktionspraxis kontrolliert werden können (Loeffler 2013). Beispielsweise konnte eine aktuelle Untersuchung aus Schweden negative Auswirkungen einer Inhaftierung auf die Integration in den Arbeitsmarkt in erster Linie für solche ehemaligen Gefangenen nachweisen, die davor eine Beschäftigung hatten, während zuvor Arbeitslose nach der Entlassung aus dem Justizvollzug nicht häufiger arbeitslos waren. Im Vergleich von Personen mit Bewährungsstrafen und ehemaligen Strafgefangenen wies die letztere Gruppe in den ersten Jahren nach Haftentlassung eine etwas höhere Arbeitslosenquote auf, nicht aber auf längere Sicht (Bäckman, Estrada & Nilsson 2018).

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4.2 Familie Das Normprogramm des modernen Strafrechts ist nicht darauf angelegt, die Familien verurteilter Personen in „Sippenhaft“ zu nehmen. Dass Ehe und Familie durch den Staat geschützt werden, gilt unabhängig von einem Gefängnisaufenthalt (Art. 6 I GG). Die neueren Strafvollzugsgesetze sind dementsprechend darauf angelegt, Kontakte zu Familienangehörigen bis hin zu Langzeitbesuchen zu unterstützen, sofern es nicht – wie bei Straftaten gerade gegenüber diesen Personen – besondere Gründe für Ausnahmen gibt. Aus der Sicht des Jugendhilferechts liegt die Einordnung des Entzugs der elterlichen Sorge (§ 1666 BGB) als Kollateralfolge einer strafrechtlichen Verurteilung ziemlich fern; es handelt sich um eine Ausnahme für besonders schwere Sorgerechtsverletzungen. Dennoch wird gelegentlich über Einzelfälle berichtet, in denen ein Sorgerechtsentzug im Zusammenhang mit der Strafverfolgung von Eltern zumindest erwogen wurde. Die veröffentlichte Rechtsprechung der Familiengerichte liefert weitere Beispiele.3 Dagegen spricht einiges für die Annahme, dass zumindest der Vollzug längerer Freiheitsstrafen nicht selten zu sozialen Folgen führt, die nicht allein die Gefangenen selbst betreffen, sondern genauso ihre Familienangehörigen. Allerdings ist der Bestand an Forschungsergebnissen zu dieser Frage begrenzt (Borchert 2018). 4.3 Ausblick Diese Beispiele lassen erwarten, dass eine genauere Betrachtung rechtlicher Folgen und sozialer Folgen von Strafen lohnen würde. In beiderlei Hinsicht scheinen Praxis und Wissenschaft meist unausgesprochen davon auszugehen, welche Konsequenzen eine strafrechtliche Verurteilung für die betroffene Person haben wird. Das unübersichtliche Feld der Kollateralfolgen lässt aber mindestens erahnen, dass schon die rechtlichen Auswirkungen strafrechtlicher Verurteilungen weit über den Regelungsgehalt des Strafgesetzbuchs hinaus reichen können. Was die sozialen Folgen von Strafen betrifft, fällt auf, dass über Lebenslagen ehemaliger Strafgefangener in Deutschland wenig systematische Informationen vorhanden sind, obwohl soziale Integration als Ziel strafrechtlicher Interventionen sogar Verfassungsrang besitzt. Literaturverzeichnis Abraham, M. (2018): Sanktion, Norm, Vertrauen: zur Bedeutung des Strafschmerzes in der Gegenwart. Berlin. Albrecht, H.-J. (1982): Legalbewährung bei zu Geldstrafe und Freiheitsstrafe Verurteilten. Freiburg. 3 OLG Koblenz 02. 12. 2011 – 13 UF 839/11; OLG Brandenburg 29. 01. 2009 – 9 UF 105/08 (= FamRZ 2009, 1683).

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Prison Privatization as a Potential Hazard to Democratic States1 By Anthozoe Chaidou In view of the high cost and the limited government budgets for criminal justice, and particularly the correctional system, the idea of privatization has been gaining ground, mainly with respect to the construction and maintenance of facilities, but also their management. Despite the firm faith in its public character prevailing in European countries, there are clear signs of a trend towards various forms of privatization in the correctional system, in accordance with the long-standing respective policies of the Anglosphere.2 It is no coincidence that the United States and the United Kingdom pioneered in this process of privatization: Following the neoliberal doctrine of “more market, less state” and the associated policies of Margaret Thatcher (after 1979) and Ronald Reagan (after 1981), the criminal justice system became part of the liberalization agenda, including the privatization of such crucial public sectors as security and corrections.3 As with other areas of public expenditure, such as education and health, the correctional system was targeted as being too expensive and inefficient.4 The emphasis was on the financial aspect, thus paving the way for the involvement of the private sector. The first private facility in the United States, the Silverdale Detention Center in Ten-

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Translated and edited by T. Serassis. Australia, Canada, New Zealand, the United Kingdom, and the United States. “It is interesting that the development of privately operated prisons has emerged in a few Englishspeaking countries. Part of this results from language barriers, making it difficult for American firms to penetrate markets where English is not spoken widely (such as France, where the Mitterand Government held discussions with officials of the Corrections Corporations of America in the 1980s)” (McDonald 1994, 36). 3 According to Serassis 2003, 376, “privatization has been on the front line of neo-liberalism, given that it deprives the state of several of its functions, degrading it to the mere ‘regulator’ of the market system. Moreover, privatization in the criminal justice system constitutes a direct intrusion into the ‘hard core’ of the state, ultimately putting into question its very existence”. 4 As Tom Beasley, co-founder of CoreCivic, put it: “For two hundred years, nobody but government had operated our prisons and jails. That lack of a comparative operation, that absolute lack of competition, had lulled states and local governments into indifference in dealing with what had become the lowest priority of government responsibilities – prisons”. “A New Industry Emerges to Meet a Very Real Need” (https://www.corecivic.com/about/hi story) [10.03. 2020]. 2

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nessee5 was contracted in 1984 to the Corrections Corporation of America, now known as CoreCivic.6 The process of privatization was further boosted by another aspect of neo-liberal politics, namely the “tough on crime” policies – such as the War on Drugs, mandatory minimum sentencing, “three strikes” laws – which rocketed the prison population.7 The number of prisoners in state and federal correctional facilities rose from 165,796 in 1950 to 329,821 in 1980 and 463,866 in 1984.8 This was coupled with an escalation in illegal immigration, which created the need for more facilities to detain undocumented immigrants facing deportation and administrative hearings. In 1984 the Immigration and Naturalization Service (INS)9 contracted to CoreCivic a detention facility in Texas, the Houston Processing Center.10 5

https://www.corecivic.com/facilities/silverdale-detention-center [10. 03. 2020]. Mason 2012, 2; Deckert & Wood 2011, 219. CoreCivic manages today 125 facilities in the United States; https://www.corecivic.com/facilities [10. 03. 2020]. The other industry leader, GEO Group, manages 129 secure facilities and processing centers (https://www.geogroup. com/Locations) [10. 03. 2020], including facilities in Australia, Scotland and South Africa. A third company, Management and Training Corporation, operates 23 correctional facilities, 12 prison and detention medical departments, and 5 detention centers (https://www.mtctrains. com/about-us) [10. 03. 2020]. In addition, there is a large number of firms which provide services and products to the corrections sector, from health care and education to surveillance and security equipment (Kirchhoff 2010, 27 – 29). 7 “The prison population began to climb in the late 1970s as states and the federal government cracked down on crime. One turning point was New York State’s 1973 imposition of mandatory sentencing laws for drug offenses, under the administration of Gov. Nelson Rockefeller. Other states followed. Initiatives included mandatory sentences for repeat armed career criminals. […] In 1994, California voters and legislators approved Proposition 184, the so-called Three Strikes Law. Among other things, the law set a minimum sentence of 25 years to life for three-time offenders with prior serious or violent felony convictions. As this wave of laws took effect, the imprisonment rate – based on the number of adults sentenced to terms of more than one year – jumped from 133 per 100,000 in 1979 to 504 per 100,000 at the end of 2008. More than 2.3 million people were in the custody of state or federal prisons and local jails at the end of 2008.” (Kirchhoff 2010, 6 – 8). See also Brickner & Diaz 2011. 8 Cahalan & Parsons 1986, 33. According to the Bureau of Justice Statistics (2019, 3), at the end of 2017, the number of prisoners was 1,489,363, after reaching a peak of 1,615,487 in 2009. 9 The United States Immigration and Naturalization Service (INS) was an agency of the U.S. Department of Labor from 1933 to 1940 and the U.S. Department of Justice from 1940 to 2003. It ceased to exist under that name when most of its functions were transferred to three new entities – U.S. Citizenship and Immigration Services, U.S. Immigration and Customs Enforcement, and U.S. Customs and Border Protection – within the newly created Department of Homeland Security. The Immigration and Customs Enforcement (ICE), which is responsible for the operation of detention centers for illegal immigrants, was formed under the Homeland Security Act of 2002. ICE has consistently been the best client of the private prison industry: Among the immigrant detention population, 26,249 people – 73% of the total– were confined in privately run facilities in 2017. The privately detained immigrant population grew by 442% since 2002 (The Sentencing Project 2019). 10 https://www.corecivic.com/facilities/houston-processing-center [10. 03. 2020]. See also Mason 2012, 2; Deckert & Wood 2011, 219. 6

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A third factor that facilitated the further expansion of privatization is the economy itself, in a twofold manner: The prison industry11 is a multi-billion one, based on public contracts, while at the same time attracting huge amounts of money by investors (banks and the stock market). In a rather precarious environment, the correctional system presented itself as a relatively secure and profitable business opportunity.12 As Welch & Turner (2007 – 08, 57) describe the situation: […] on Wall Street the larger corrections industry has created a bull market – further evidence that crime does indeed pay. Tremendous growth in the prison population, coupled with astonishing increases in expenditures, has generated a lucrative market economy with seemingly unlimited opportunities for an array of financial players: entrepreneurs, lenders, investors, contractors, vendors, and service providers. In 2000, the World Research Group and the Reason Foundation hosted their Fifth Privatizing Correctional Facilities conference in San Antonio, Texas, under the banner “Grow Profits and Maximize Investment Opportunities in This Explosive Industry”. Without much hesitation, corporate America has caught the scent of new public money. The Dallas meeting included representatives from AT&T, Merrill Lynch, Price Waterhouse, and other golden logo companies. The prison industry also has attracted other capitalist heavyweights, including the investment houses of Goldman Sachs and Salomon Smith Barney, who compete to underwrite corrections construction with tax-exempt bonds that do not require voter approval. Defense industry titans Westinghouse Electric, Alliant Techsystems, Inc., and GDE Systems, Inc. (a division of the old General Dynamics) also have entered the financial sphere of criminal justice, not to mention manufacturers of name-brand products currently cashing in on the spending frenzy in corrections.

On the other hand, the financial crisis and economic globalization in production and trade led to the deterioration of many industrial and agricultural communities, which were witnessing plants shutting down or agricultural production diminishing in value, leaving large parts of the population unemployed or impoverished. Whereas in the past a correctional facility constituted a negative element, triggering reactions against the establishment of a new one or towards the removal of an existing one, local authorities took to pains to attract private facilities (especially minimum-security ones), which would secure jobs and businesses. In the words of Welch & Turner (2007 – 08, 57): 11 Selman & Leighton (2010, 78) use the term “prison-industrial complex”, “which in turn is part of a larger criminal justice–industrial complex. These terms derive from the idea of the military-industrial complex that President (and former general) Dwight D. Eisenhower warned of in his Farewell Address”. Chambliss (2001, 33) coined the broader term “law enforcementindustrial complex”, which “is sustaining some of the fastest-growing corporations and some of the most-powerful lobbies in the country. Providing equipment to law enforcement agencies and food for 2 million prisoners is a huge industry. In addition, states are increasingly turning over the ownership and management of prisons to private corporations.” 12 In a recent report Worth Rises (2019), “a non-profit advocacy organization dedicated to dismantling the prison industry”, exposes over 3,900 companies profiting off the carceral state across 12 sectors – ranging from construction to transportation and healthcare to telecommunications; https://worthrises.org/picreport2019 [10. 03. 2020]. For a detailed description of the prison industry see Kirchhoff 2010, 25 – 29.

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Imprisonment has become big business, and the bitter “not-in-my-backyard” attacks on prisons have been replaced with proud proclamations, such as the sign in Canon City, Colorado, reading “Corrections Capital of the World”. The mayor of Canon City boasts, “We have a nice, nonpolluting, recession-proof industry here”. In Leavenworth, Kansas, a community that recently added a private prison to an already extensive corrections system that features a federal penitentiary, a state prison, and a military stockade, a billboard quips “How about doin’ some TIME in Leavenworth?” Bud Parmer, site acquisition administrator for the Florida Department of Corrections conceded, “There’s a new attitude… small counties want a shot in the arm economically. A prison is a quick way to do it”. Economically strapped towns induce jail and prison construction by offering land, cash incentives, and cut-rate deals on utilities; in return for these accommodations, locals receive jobs and spurs to other businesses such as department stores, fast-food chains, and motels, all of which contribute to the tax base.

Ironically, deprived communities13 joined large corporations in making money out of the correctional system. Australia was the first country to follow: Its first private prison, the Borallon Correctional Centre in Queensland, opened in January 1990.14 Currently, Australia holds the first place worldwide with respect to the percentage of prisoners (19.8%) held in privately operated prisons, which comprise about 10% of the total prisons in the country (10 out of a total of 103).15 At about the same time, in the United Kingdom the Conservative government also fostered privatization in the prison system, since “Margaret Thatcher had a strong desire to extend the free market in public services based on the contested assumption that private sector provision would be more cost effective, efficient and catalyze system-wide improvement” (Panchamia 2012, 1). In May 1992 HMP Wolds in East Yorkshire, the UK’s first privately run prison, opened under the management of

13 According to a 2004 study by Iowa State University, “small towns that acquired a state prison during the 1990s had higher poverty levels, higher unemployment, lower household wages and lower housing values than similar towns without a prison” (Kirchhoff 2010, 31). 14 The operator was the Corrections Company of Australia (CCA), which is a consortium equally owned by the Corrections Corporation of America, the John Holland construction group, and Wormald’s Security Ltd. (Harding 1992, 1). In 2007 it was taken over by Serco. It closed in 2012 and re-opened in 2016 under public control (“Borallon prison re-opens as ‘training centre’ jail”, Brisbane Times, 15 March 2016; https://www.brisbanetimes.com.au/ national/queensland/borallon-prison-reopens-as-training-centre-jail-20160315-gnj60h.html) [10. 03. 2020]. 15 Australian Government Productivity Commission: Report on Government Services 2020 – Section 8: Corrective services, released on 29 January 2020; https://www.pc.gov.au/research/ ongoing/report-on-government-services/2020/justice/corrective-services [10. 03. 2020]. In terms of absolute numbers, the United States has the lead with 121,718 prisoners in 2017 (after a peak in 2012 with 137,220), representing 8.2% of the total state and federal prison population. Since 2000, the number of inmates in private prisons has increased 39% (The Sentencing Project 2019, 1).

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G4S.16 The involvement of private companies continued in the next decades under both Conservative and Labour Parties (Panchamia 2012, 1; Helyar-Cardwell 2012, 6), raising the number of private prisons, contractually managed by private companies such as Sodexo Justice Services, Serco Custodial Services and G4S Justice Services, to 14.17 In Canada, Management and Training Corporation was awarded in 2001 by the then provincial conservative government a contract to operate the Central North Correctional Centre, in Penetanguishene, Ontario. Following serious protests, the contract was not renewed when a liberal government came to power. The same happened with the Miramichi Youth Detention Facility in New Brunswick, a facility financed and built by GEO, which the province has leased back from the company since 1998.18 In New Zealand the Auckland Central Remand Prison (Mount Eden Prison) became in July 2000 the first private prison, operated by GEO Group Australia. In 2005 it was taken under public control by the Labor government and in 2010 it was contracted to Serco by the National government, until it was given back to the New Zealand Department of Corrections in 2015, as a result of serious problems. Since then New Zealand has turned to the Public-Private Partnership model.19 A Public-Private Partnership (PPP) can be defined as “a long-term contract between a private party and a government entity, for providing a public asset or service, in which the private party bears significant risk and management responsibility and remuneration is linked to performance”.20 These partnerships are primarily used in various areas of state responsibility, such as health, education, and public utilities, but they have been increasingly invading the justice system for the provision of goods and services, even in sensitive areas, such as security or corrections. In the correctional system, they can include financing the building of a prison and operating certain functions such as maintenance, healthcare, catering or the provision of rehabilitation and educational activities by private companies. Several European coun16

In 2012 it was brought under state control (“G4S loses Wolds prison contract”, BBC, 8 November 2012; https://www.bbc.com/news/uk-20252359) [10. 03. 2020]. 17 See H.M. Prison Service: Contracted-out prisons; https://www.justice.gov.uk/about/ hmps/contracted-out [10. 03. 2020]. Two additional private prisons operate in Scotland on behalf of the Scottish Prison Service; https://www.sps.gov.uk/Corporate/Prisons/Prisons.aspx [10.03. 2020]. 18 B. Poynter: “Private prison companies look to Canada as industry faces lawsuits in US”, The Guardian, 19 June 2012; https://www.theguardian.com/world/2012/jun/19/private-prisoncompanies-canada-lawsuits [10. 03. 2020]. 19 In 2015 the Auckland South Corrections Facility was established. It is a high security men’s prison for Maori, operated by Serco New Zealand under a Public-Private Partnership with the Department of Corrections; https://www.corrections.govt.nz/about_us/getting_in_ touch/our_locations/auckland_south_corrections_facility [10. 03. 2020]. 20 PPP Knowledge Lab Reference Guide; https://pppknowledgelab.org/guide/sections/1-in troduction [10. 03. 2020].

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tries, including France and Germany,21 tend to employ this model of “soft” privatization.22 It should be noted that – apart from its general popularity as a business tool – the PPP model was also an “entrepreneurial maneuver” of the prison industry: According to Selman & Leighton (2010, 109), the expansion of private prisons revealed a number of problems with their operations – riots, escapes, and human rights violations to name just a few. In response to these events and the media coverage of them, private prisons toned down their rhetoric about how poorly the government ran prisons and their own claims about superiority. The new talking points emphasized public-private partnerships and focused criticism on the contracts they had negotiated with government agencies. This implicitly put the blame on government when the companies tended to have the upper hand because they had more expertise with contracts than government did. (p. 104) […] In response to problems at CCA [Corrections Corporation of America – CoreCivic] facilities, spokesperson Susan Hart suggested, “Let’s all be working together to come up with the best solution”. Apparently, the problem was not low wages, high turnover, and minimal staffing; what was needed was “a better way to privatize”. When the hype about superiority and managing an entire state prison system was no longer tenable, the rhetoric became about public-private partnerships.

The efficiency of private prisons in comparison with public prisons – the main argument of the neo-liberal model – has been extensively questioned and to a large extent debunked.23 Both in financial terms and with respect to operation and outcome, the private sector does not seem to have delivered what it proclaimed. Taking into consideration all relevant parameters, private prisons did not prove to be less 21

France started outsourcing maintenance services as early as 1987 (Guilbaud 2011). In Germany, the Justizvollzugsanstalt Waldeck, which opened in July 1996, was built by a private company and leased to the Ministry of Justice of Mecklenburg-Vorpommern; http://www. justiz-in-mv.de/jvaw/facts-in-english [10. 03. 2020]. In January 2001, the Justizvollzugsanstalt Hünfeld in Hessen was the first semi-private prison in Germany, constructed and maintained by Serco GmbH; sovereign functions and security remained in state hands (Bericht der Vereinigung Hessischer Strafverteidiger; http://www.stvh.org/sites/default/files/jva.pdf [10. 03. 2020]. It is no surprise that the new prison was welcomed as an economic opportunity, especially for employment (V. Wolff: “Justizvollzugsanstalt Hünfeld gibt Arbeitslosen eine Chance”, Die Welt, 22 June 2005; https://www.welt.de/print-welt/article677687/Justizvollzugs anstalt-Huenfeld-gibt-Arbeitslosen-eine-Chance.html) [10. 03. 2020]. For the situation in Germany and the constitutional implications, see also Nowak 2017, 126 – 128. In Greece, the newly elected conservative government, in regulating the relocation of the Korydallos Prison Complex outside of Athens, introduced the PPP model for the construction and maintenance of the new facilities (article 185 of Law 4662/07 – 02 – 2020). A similar model is being used for immigrant detention centers, in view of the gravity and urgency of the problem. 22 Penal Reform International (2015), 24 – 25. See also Cabral & Saussier 2013. As Norwak (2017, 131) points out: “the separation of the security functions from the administrative functions makes it difficult to create a uniform policy and to define goals and the global prison industry is not that interested in investing in a public-private partnership with an unclear division of labor and powers”. 23 See among others: Mason 2012, 6 – 12; Gran & Henry 2007 – 08, 175 – 177; Austin & Coventry 2001; Brown 2004, 106 – 108. Selman & Leighton (2010) offer a detailed analysis in chapter 5: A Critical Look at the Efficiency and Overhead Costs of Private Prisons (129 – 158).

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expensive and their operation has been rather problematic and subject to accusations and lawsuits on several occasions. This situation is clearly demonstrated in a memorandum on “Reducing the Use of Private Prisons” issued by Sally Yates, Deputy Attorney General of the Obama Administration, on 18 August 2016: Time has shown that private prisons compare poorly to our own Bureau [of Prisons] facilities. They simply do not provide the same level of correctional services, programs, and resources; they do not save substantially on costs; and as noted in a recent report by the Department’s Office of lnspector General, they do not maintain the same level of safety and security. The rehabilitative services that the Bureau provides, such as educational programs and job training, have proved difficult to replicate and outsource – and these services are essential to reducing recidivism and improving public safety.

Her memorandum included a quite ambitious statement: “For all these reasons, l am eager to enlist your help in beginning the process of reducing – and ultimately ending – our use of privately-operated prisons”.24 In addition to the criticism on cost-efficiency and performance it has received, prison privatization raises an important issue regarding the role of the state. On the basis of the Weberian definition of the state as “a human community that (successfully) claims the monopoly of the legitimate use of physical force within a given territory”,25 criminal justice is considered the “hard core” of the state, to be administered and controlled solely by its institutions. This ensures the democratically legitimized operation of the system, based on the rule of law. Privatization in corrections violates this principle and jeopardizes the fundamental human rights to personal liberty and dignity. In a milestone decision in 2009, the Supreme Court of Israel de24 The memorandum (https://www.justice.gov/archives/opa/file/886311/download [10. 03. 2020]) followed a damning investigation report by the Federal Bureau of Prisons (2016). As a result, within an hour of the news on the government’s intention, the shares of the Corrections Corporation of America (now CoreCivic), the nation’s biggest operator of private prisons, had fallen in value by 52% and those of the GEO group, the second-largest private prison firm, also fell by more than 45%. (For an extensive report, see Swaine, Laughland & Kasperkevic: US Justice Department Announces it will End Use of Private Prisons, The Guardian, 18 August 2016; https://www.theguardian.com/us-news/2016/aug/18/us-government-private-prisons-usejustice-department [10. 03. 2020]. However, on 9 November, the day after Donald Trump won the elections, the Corrections Corporation of America saw its stock price jump 43 percent; its leading competitor, the GEO Group, rose 21 percent. (“Under Mr. Trump, Private Prisons Thrive Again”, Editorial, The New York Times, 24 February 2017; https://www.nytimes.com/ 2017/02/24/opinion/under-mr-trump-private-prisons-thrive-again.html [10. 03. 2020]. On 21 February 2017, Jeff Sessions, Attorney General of the Trump Administration, rescinded Yates’ memorandum; https://www.justice.gov/oip/foia-library/attorney_general_memorandum_advi sing_the_federal_bureau_of_prisons_that_the_department_will_continue_to_use_private_pri sons.pdf/download [10. 03. 2020]. Stocks of the two companies rose more than 100 percent. (Watkins & Tatum: “Private Prison Industry Sees Boon under Trump Administration”, CNN Politics, 18 August 2017; https://edition.cnn.com/2017/08/18/politics/private-prison-depart ment-of-justice/index.html) [10. 03. 2020]. 25 Formulated in his 1919 essay “Politik als Beruf” (“Politics as a Vocation”). Weber 1991, 78.

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clared unconstitutional the “Prisons Ordinance Amendment Law, which was passed by the Israeli Knesset (Parliament) and permitted the establishment of private prisons. The ruling was based on an argument of principle (the purpose of the modern democratic state) and not on a pragmatic argument (the pros and cons of prison privatization). According to Justice D. Beinisch:26 [T]he state – through the government and the various security services that are subordinate to it – has exclusive authority to resort to the use of organized force in general, and to enforce the criminal law in particular. […] The monopoly given to the state – through the executive branch and the bodies acting through it – with respect to the use of organized force is of importance in two spheres. In one sphere, we need to take into account that the democratic legitimacy for the use of force in order to restrict the liberty of individuals and to deny various human rights relies on the fact that organized force exercised by and on behalf of the state is what causes the violation of those rights. Were this force not exercised by the competent organs of the state, in accordance with the powers given to them and in order to further the general public interest rather than a private interest, this use of force would not have democratic legitimacy, and it would constitute de facto an improper and arbitrary use of violence. In the other sphere, the fact that the organized force is exercised by a body that acts through the state and is subject to the laws and norms that apply to anyone who acts through the organs of the state and also to the civil service ethos in the broad sense of this term is capable of significantly reducing the danger that the considerable power given to those bodies will be abused, and that the invasive powers given to them will be exercised arbitrarily or in furtherance of improper purposes.

She raises the issue of transparency and accountability, which is of utmost importance and has been extensively discussed. For example, in the United States private firms are generally not covered by the freedom of information and open records laws, as are public prisons and other government functions, and are thus not obliged to disclose information about their operation, including incidents that occur in their facilities.27 Instead, they have every reason to suppress serious incidents or scandals, as these would eventually compromise their contracts and entrepreneurial reputation. A more direct effect of prison privatization to the criminal justice system has to do with prisoners, to the extent that, cynical as this may sound, they constitute the actual clientele of private prisons. Whereas public prisons have no interest in increasing their population (on the contrary, every effort is made to decrease the number of inmates), private firms rely on a steady input (even better an increase in the number) of prisoners. Despite their proclamations and commitment, rehabilitation and prevention of recidivism – which are the cornerstones of modern corrections – cannot be financially favorable for corporations, which seek to increase their revenues and profits. In addition, any legislation or policy involving decriminalization or leniency in 26

Decision HCJ 2605/05: Academic Center of Law and Business v. Minister of Finance, 64; https://versa.cardozo.yu.edu/sites/default/files/upload/opinions/Academic%20Center%20of %20Law%20and%20Business%20v.%20Minister%20of%20Finance.pdf [10. 03. 2020]. 27 L.-B. Eisen: “Private Prisons Lock Up Thousands of Americans With Almost No Oversight”, Time, 8 November 2017; https://time.com/5013760/american-private-prisons-do nald-trump [10. 03. 2020]. See also Gran & Henry 2007 – 08, especially 176 – 177.

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sentencing would threaten their business. Private firms have a vested interest in controlling and expanding their “market”, in order to protect their investment. The situation is best reflected in the following quotation from a report by Corrections Corporation of America:28 The movement toward privatization of correctional and detention facilities has encountered resistance from certain groups, such as labor unions and others that believe that correctional and detention facilities should only be operated by governmental agencies. Moreover, negative publicity about an escape, riot or other disturbance or perceived poor conditions at a privately managed facility may result in publicity adverse to us and the private corrections industry in general. […] Our growth is generally dependent upon our ability to obtain new contracts to develop and manage new correctional and detention facilities. This possible growth depends on a number of factors we cannot control, including crime rates and sentencing patterns in various jurisdictions and acceptance of privatization. The demand for our facilities and services could be adversely affected by the relaxation of enforcement efforts, leniency in conviction and sentencing practices or through the decriminalization of certain activities that are currently proscribed by our criminal laws. […] Legislation has been proposed in numerous jurisdictions that could lower minimum sentences for some non-violent crimes and make more inmates eligible for early release based on good behavior. Also, sentencing alternatives under consideration could put some offenders on probation with electronic monitoring who would otherwise be incarcerated. Similarly, reductions in crime rates could lead to reductions in arrests, convictions and sentences requiring incarceration at correctional facilities.

Their strategies include lobbying, campaign contributions and donations to political organizations,29 even dubious activities. One of the most notorious and extreme cases of the latter was the “kids for cash” scandal in 2008, a scheme involving two judges at the Luzerne County Court of Common Pleas in Pennsylvania, who received 2.8 million dollars in kickbacks from the owner and builder of two privately-run juvenile detention facilities in order to promote the close-down of the county’s own juvenile detention center and steer juvenile offenders from their court to the private facilities. As a result, thousands of cases were subsequently reversed and many of the juveniles were released; the two judges received long-term sentences.30 28 Corrections Corporation of America: Annual Report to the U.S. Securities and Exchange Commission 2005, 21 – 22; https://www.sec.gov/Archives/edgar/data/1070985/000095014 405002154/g93600e10vk.htm [10. 03. 2020]. An almost exact quotation is reproduced in every yearly report, up to the most recent 2018 Report; https://corecivic.gcs-web.com/static-files/ 60371436-e930-40bc-8cfa-830d12b4edd0 [10. 03. 2020]. 29 See among others: The Sentencing Project 2018, 11; Deckert & Wood 2011, 231; Brickner & Diaz 2011; Mason 2012, 12 – 16. The case of the memorandum on “Reducing the Use of Private Prisons” issued by Sally Yates and revoked by Jeff Sessions (see above) is one of the most indicative examples of the close interconnection of the corrections industry with political power. 30 Mason 2012, 12 – 16; Brickner & Diaz 2011. For an extensive coverage of the case, see W. Richey: “‘Kids for cash’ judge sentenced to 28 years for racketeering scheme”, The Christian Science Monitor, 11 August 2011; https://www.csmonitor.com/USA/Justice/2011/0811/ Kids-for-cash-judge-sentenced-to-28-years-for-racketeering-scheme [10. 03. 2020].

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In conclusion, in view of the serious legal and political issues raised, as well as the problematic experience so far, prison privatization should be regarded as an alarming phenomenon, even precarious for modern democratic states. It is a promising sign that a reversal of the trend is apparent in some countries, where the state regains control of private correctional facilities. At the same time, however, conservative governments – even in Europe – transfer sovereign powers to the private sector, under the pressure of escalating social and economic problems, as well as of lobbying and other strategies by the corporations. This could result in a further weakening of the modern democratic state and in the consequent risk of deterioration in fundamental human rights. As a recent editorial in the Guardian so eloquently put it:31 It should not be possible to make profits out of prisons. The power to lock people up, depriving them of their liberty and separating them from their families, is a responsibility that should be the preserve of the state. Yet a pro-market ideology has seen private companies become responsible for about one in seven of the UK’s 92,000 prisoners – a proportion second only to Australia. Allowing companies to make money out of punishing people, which is what prisons are for – along with rehabilitation and public protection – was a bad idea when it started under John Major’s government in the 1990s and remains one today. This is a point of principle, one based upon the idea, evidenced by international studies, that private investment would distort public policy against more lenient sentencing and discourage moves to prevent reoffending.

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Äquivalente Gesundheitsversorgung in Pflegeheimen und Haftanstalten Von Arthur Kreuzer In dem überaus reichhaltigen, thematisch breit angelegten wissenschaftlichen Oeuvre von Hans-Jörg Albrecht finden sich neben anderen zahlreiche Arbeiten zur Straftäterbehandlung und zur Wahrung von Menschenrechten im Straf- und Resozialisierungsgeschehen allgemein, einige Arbeiten zur Drogenpolitik und zur Kriminologie des Alters und Alterns im Besonderen. Mit Gegenständen solcher Bereiche befassen sich die nachfolgenden Betrachtungen.1 Sie dürften also auf das Interesse des Jubilars stoßen, dem sie in großer Wertschätzung gewidmet sind.

1. Äquivalenzprinzip für Gesundheitsversorgung in stationären Einrichtungen Zunächst der Leitgedanke: Grundsätzlich ist allen Bewohnern stationärer Einrichtungen die gleiche Gesundheitsversorgung zu gewähren wie sie zum Standard außerhalb derartiger Institutionen gehört. Wir sprechen vom Äquivalenzprinzip in der Gesundheitsversorgung. Die Umsetzung dieses Grundsatzes ist aber defizitär. Das wird hier an zwei Beispielen dargestellt: Der psychotherapeutischen Betreuung in Pflegeheimen und der Substitutionsbehandlung Intravenös-Drogen-(Opiat-)Abhängiger in Haftanstalten. Auf eine äquivalente Versorgung drinnen wie draußen muss rechtlich und tatsächlich hingewirkt werden. Wie lässt sich das Äquivalenzprinzip historisch und verfassungsrechtlich begründen? Artikel 1 Grundgesetz deklariert: „Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.“ Weitere verfassungsrechtliche Anker des Äquivalenzprinzips sind diese: Das Gebot der Gleichbehandlung in Artikel 3 mit dem Diskriminierungsverbot; danach dürfen stationär behandelte oder verwahrte Menschen in der Gesundheitsversorgung nicht schlechter gestellt werden als andere; sodann das Sozialstaatsprinzip in den Artikeln 20, 28 Grundgesetz mit gleicher Konsequenz für stationär erfasste Menschen. Schließlich weist in dieselbe Richtung das Verbot unmenschlicher Behandlung in Artikel 3 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK). 1 In einer früheren Vortragsfassung erstmals dargelegt auf dem 24. Deutschen Präventionstag in Berlin am 20. 05. 2019.

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Aber gilt das alles wirklich für alle Menschen, auch für inhaftierte Straftäter, psychisch Kranke in Kliniken, demente alte Bewohner in Pflegeheimen, „verwahrloste“ Heimkinder, Schülerinnen und Schüler in kirchlichen oder reformpädagogischen Internaten, Soldaten in Kasernen der Bundeswehr, Flüchtlinge in Abschiebeheimen? Das war und ist nicht selbstverständlich und allseits akzeptiert. Von Goffman als „totale Institutionen“ charakterisierte, mehr oder minder geschlossene Institutionen neigen dazu, ihnen anvertraute Menschen zu verwalten, zu reglementieren, zu behandeln nach ideologischen und ökonomischen Verständnissen. Da ist wenig Platz für freie Arztwahl, kostenintensive Behandlung, Beschwerden über Missbräuche aller Art, die korrigierende Eingriffe von außen ermöglichen. Die Institutionen pflegen sich abzuschotten gegenüber Kritik und Kontrolle (dazu z. B. Kreuzer 2012). Sogar das Verständnis von der Geltung der Grundrechte an sich in diesen Institutionen musste erst in Wissenschaft und Praxis geschaffen, in der Rechtsprechung durchgesetzt werden. Man bediente sich rechtlich sogar lange eines Kunstgriffs, grundrechtsfreie Räume zu legitimieren: das sogenannte „besondere Gewaltverhältnis“. Es gelte in Einrichtungen, in denen die Insassen in besonderer Weise gewaltunterworfen seien, in denen der Zweck der Anstalt gebiete, Gewaltunterworfenen zumindest sachnotwendig Grundrechte vorzuenthalten. Im Strafvollzug verbiete zudem das Wesen des Strafübels eine unbegrenzte Ausübung vieler Grundrechte. So lernten wir es noch im Jurastudium in den sechziger Jahren. Das Grundgesetz musste also erst rechtswissenschaftlich, in der Rechtsprechung und in der Praxis für diese Einrichtungen „entdeckt“ und umgesetzt werden. Es geschah nach und nach. Die Psychiatrie-Enquete etwa prüfte seit 1971 menschenrechtswidrige Zustände in geschlossenen Kliniken und Heimen. Sie resümierte 1975, „dass eine sehr große Zahl psychisch Kranker und Behinderter in den stationären Einrichtungen unter elenden, zum Teil als menschenunwürdig zu bezeichnenden Umständen leben müssen“ (Deutscher Bundestag 1975). Grundlegende Reformen wurden daraufhin eingeleitet. Mit wenigen Strafvollzugswissenschaftlern machten wir um 1970 auf Missstände in Haftanstalten aufmerksam; es dürfe keine grundrechtsfreien Räume geben; in Grundrechte dürfe lediglich auf gesetzlicher Grundlage eingegriffen werden; auch ein Gefangener sei Rechtssubjekt und Grundrechtsträger; der Begriff des „besonderen Gewaltverhältnisses“ sei einzig beschreibend, keine Rechtsquelle für Eingriffe und Grundrechtsschmälerungen (insbesondere Schüler-Springorum 1969; ferner Kreuzer 1970). Dem folgte bald das Bundesverfassungsgericht und verwarf die Lehre vom „besonderen Gewaltverhältnis“2. Es verlangte eine gesetzliche Grundlage für den Strafvollzug und etwaige Grundrechtseinschränkungen. Diese Gesetze gab es erst seit 1976 im Bund, später in den Ländern. Weitere grundrechtsferne Räume gilt es immer wieder zu entdecken. Meist tragen Skandale zum Nachdenken bei. So befand kürzlich Heribert Prantl überpointiert zu der hier anschließend punktuell zu untersuchenden Pflege insgesamt: „Das deutsche 2

Entscheidung v. 14. 03. 1972, BVerfGE 33, 1 ff.

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Pflegesystem verletzt die Rechte der Pflegebedürftigen; der Personalschlüssel in den Alten- und Pflegeheimen ist ein Verbrechen; Strafgefangene haben de facto mehr Rechte als alte und demente Menschen … Abschiebegefängnisse und Pflegeheime sind derzeit die grundrechtsfernsten Orte in Deutschland.“3 Die beiden nun folgenden Beispielsbereiche defizitärer Gesundheitsversorgung in stationären Einrichtungen werden von uns derzeit auch in Gremien des Hessischen Landespräventionsrats erörtert, in den Arbeitsgruppen „Prävention für ältere Menschen“4 und „Suchtprävention“. Wertvolle Anregungen aus dortigen Diskussionen fließen in diesen Beitrag ein.

2. Beispiel: psychologisch-psychotherapeutisch-psychiatrische Behandlung in Pflegeheimen 2.1 Daten zur Situation Der Anteil im Rentenalter Stehender hat sich in der Bevölkerung im Laufe von vier Jahrzehnten auf 22 % verdoppelt. Dazu gehören zunehmend Hochaltrige und Pflegebedürftige. Von den über 85-Jährigen sind etwa vier Fünftel pflegebedürftig. Es sind überwiegend Frauen. Bei steigender Tendenz gibt es gegenwärtig 3,4 Millionen pflegebedürftiger Menschen i.S.d. Pflegeversicherungsgesetzes, darunter etwa ein Viertel mit Migrationshintergrund. Die meisten werden in der häuslichen Umgebung gepflegt. Rund 850.000 befinden sich in Einrichtungen vollstationärer Altenpflege. In der stationären Pflege dominieren unter den psychischen Störungen die dementiellen. Nach einer Studie von 2015 mit Daten der AOK waren davon über zwei Drittel der in Heimen Betreuten betroffen. Diesen Störungen galt bislang das Hauptaugenmerk der öffentlichen Diskussion. Aber sie gehen oft einher mit weiteren psychischen Störungen. So sollen 20 bis 50 % in der stationären Betreuung unter Depressionen leiden. Hinzu kommen bei vielen Wahnkrankheiten. Manche Störungen haben langjährige Ursachen, etwa in nicht bewältigten traumatischen Lebensereignissen. Außerdem sind psychosoziale Probleme zu beachten, die sich aus der Entstehung von Pflegebedürftigkeit, dem Wechsel in ein Heim, Einsamkeit und Auseinandersetzungen im neuen Umfeld ergeben können.5

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https://www.sueddeutsche.de/politik/pflege-aktion-sos-1.4306317 [18. 11. 2019]. Vgl. die Stellungnahme dieser Arbeitsgruppe, die vom Landespräventionsrat übernommen worden ist: „Psychiatrische und psychotherapeutische Behandlung für ältere Menschen in der Stationären Pflege“ vom 01. 11. 2019 (demnächst auf der Website des Hess. LPR einsehbar). 5 Zur Datenlage z. B.: Statistisches Bundesamt 2018; Schwinger, Jürchott & Tsiasioti 2017, 255 ff. 4

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2.2 Rechtsanspruch Wie steht es mit dem Rechtsanspruch auf entsprechende Behandlung? Was verlangt vor allem die Menschenwürde nach Art. 1 GG? Reichweite und inhaltliche Konkretisierung von Menschenwürde sind immer wieder neu zu klären. Das Menschenbild ist stets im Wandel. In manchen anderen und vor allem früheren Gesellschaften war nicht einmal das Lebensrecht der Alten gesichert, zumal, wenn sie als bloße Kostgänger erschienen. Das ist heute überholt. Zum jetzt unstrittigen Kern der Menschenwürde gehört neben dem Lebensrecht an sich, dass niemand aus der Gesellschaft ausgeschlossen werden darf, dass jeder eine zweite Chance erhalten muss, dass keiner erniedrigt, gedemütigt, zum bloßen Objekt degradiert werden darf. Nicht so selbstverständlich ist der Anspruch auf umfassenden Gesundheitsschutz. Er muss inhaltlich im gesellschaftlich-politischen Diskurs allzeit nach sich wandelnden medizinischen Erkenntnissen, demografischer Entwicklung, ökonomischen Lagen und sich ändernden sozialethischen Bewertungen neu ausgehandelt werden. Rechtlich gilt heute nach § 27 SGB V, dass alle Versicherten Anspruch haben „auf Krankenbehandlung, wenn sie notwendig ist, eine Krankheit zu erkennen, zu heilen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder Krankheitsbeschwerden zu lindern.“ Krankenbehandlung umfasst dabei auch Psychotherapie durch Ärzte oder Psychotherapeuten. Allerdings erscheint es angezeigt, dass dieser allgemein geltende Rechtsanspruch im Sinne des Äquivalenzprinzips gesetzlich und versicherungsrechtlich konkretisiert wird für die Heimpflege. Zusätzlich sollten von den dafür zuständigen medizinischen Organisationen Evidenz- und Konsens-basierte Leitlinien entwickelt werden zu bestimmten psychologisch-psychotherapeutisch-psychiatrischen Behandlungserfordernissen und Behandlungsformen für Pflegeheim-Bewohner. 2.3 Tatsächliche Erfüllung des Rechtsanspruchs Die tatsächliche Erfüllung eines solchen Rechtsanspruchs auf psychologisch-psychotherapeutisch-psychiatrische Versorgung für stationär Gepflegte ist hingegen völlig unzureichend. So haben nach dem Pflege-Report 2017 in einem Quartal nur gut 8 % der dementiell Belasteten psychiatrische Hilfe in Anspruch genommen, von allen anderen Pflegebedürftigen lediglich 4 %; psychotherapeutische Versorgung gebe es fast gar nicht (Gutzmann et al. 2017, 112). Wenn es darum geht, psychosoziale Nöte Betreuter zu erkennen und Hilfe anzubieten, ist an erster Stelle sicherlich die tägliche persönliche Zuwendung durch den Pflegedienst des Heimes gefordert. Aber bekanntermaßen wird der Pflegepersonalschlüssel dieser notwendigen Zuwendung nicht gerecht. Viele psychosoziale Störungen könnten aufgefangen, gemildert oder behoben werden, wenn hinreichend geschultes allgemeines Pflegepersonal zur Verfügung stünde. Schon insoweit ist von einem Pflegenotstand zu sprechen. Erst recht fehlen spezifisch psychotherapeutisch

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ausgebildete Fachkräfte im Personal. Ergänzend zum Pflegepersonal können Angehörige und ehrenamtliche Besuchsdienste helfen. Sie sind weiter zu ihren nicht hoch genug einzuschätzenden wichtigen unterstützenden Diensten zu ermutigen. Wenige Einrichtungen verfügen zusätzlich über eigene speziell für psychosoziale Arbeit mit alten Heimbewohnern kompetente Psychologen; nur peripher werden ambulant psychologisch-psychotherapeutische Fachdienste hinzugezogen. Psychiater oder andere Fachärzte suchen Heimbewohner äußerst selten auf, weil sie ohnehin überlastet sind, Heimbesuche den Praxisalltag zusätzlich belasten und die Vergütung durch Krankenkassen dem tatsächlichen Aufwand eines Besuchs vor Ort nicht entspricht; bei dennoch durchgeführten Besuchen müssten sie überdies weit mehr Gewicht auf persönliche Untersuchungen der Patienten und Patientinnen legen, statt sich wesentlich auf Angaben von Heimpersonal zu stützen. So müssten beispielsweise bei Prüfungen, ob, wann und ggf. welche Fixierungen infrage kommen oder ob Medikamente an deren Stelle treten dürfen, nicht nur Betreuungsrichter, sondern auch Fachärzte vor Ort tätig werden. Insgesamt ist also die psychotherapeutische Versorgung in Pflegeheimen äußerst defizitär. An Kosten darf eine entscheidende Verbesserung jedenfalls rechtlich grundsätzlich nicht scheitern. Schon gar nicht darf sie beeinträchtigt werden von primär ökonomischen, an Rentabilität und Profit ausgerichteten Interessen. Jedoch ist über Grenzen und Begrenzungen zu befinden, so wie ja auch bei der Berücksichtigung Älterer auf Wartelisten für Organtransplantationen oder bei kostspieligen Knie- und Hüftoperationen Grenzen gezogen werden. Selbst bei einer entsprechenden Verbesserung der Finanzierung werden aber praktische Schwierigkeiten bleiben, die nur schwer zu beheben sind. Beispielsweise wird man eine freie Arztwahl kaum ermöglichen können, wo bereits draußen fachärztliche Versorgung defizitär ist und Fachärzte wegen der Entfernungen für Heime kaum erreichbar sind. Auch werden bei den meisten Pflege-Patienten/Patientinnen psychotherapeutische Methoden ausscheiden, die langfristig und auf intellektuelle Mindestfähigkeiten ausgelegt sind. Hilfen sind auf die individuelle Person und Situation auszurichten. Eine Standardisierung im Sinne dessen, was die Menschenwürde gebiete, ist deswegen kaum möglich. Aber dieses Problem, menschenwürdige Behandlung zu definieren, stellt sich hier im Grundsatz nicht anders als etwa in der klinischen Versorgung schwer kranker und sterbender alter und dementer Menschen; dort wird mitunter sogar zu viel des vermeintlich Guten getan, menschenwürdiges Sterben kostenintensiv durch künstliches Hinausschieben des Todes behindert; das hat zuletzt im April 2019 der Bundesgerichtshof gezeigt, als er entschieden hat, dass kein Schadensersatz verlangt werden kann, wenn ärztlicherseits ein Sterben in Würde durch intensivmedizinisches Verlängern des Leidensweges jahrelang verhindert wurde, weil die Ablehnung künstlicher Lebensverlängerung nicht ermittelt werden konnte.6 Gleiches gilt für den rechtlichen und tatsächlichen Umgang mit dauerhaft Demenzkranken oder im Koma Liegenden, die Jahre, sogar Jahrzehnte ohne jede Kommunikation künstlich ernährt und versorgt 6

BGH Urt. v. 02. 04. 2019 – VI ZR 13/18.

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und deren mögliche Patientenverfügungen mit einer Verweigerung solcher Behandlung nicht oder nicht mehr als gültig erachtet werden.

3. Beispiel: Substitutionsbehandlung intravenös injizierender Opiatabhängiger in der Haft 3.1 Drogenabhängigkeit und Substitutionsbehandlung außerhalb von Haftanstalten Jährlich werden 155.000 Personen in Einrichtungen der Suchthilfe behandelt; Hauptdiagnosen haben bei 48 % mit Alkohol zu tun, bei 18 % mit Cannabinoiden, bei 13 % mit Opioiden, bei 6 % mit Stimulanzien, bei ebenso vielen mit pathologischem Spielen, bei 3 % mit Kokain. Die Zahl Opiatabhängiger in Deutschland wird auf 166.000 geschätzt, darunter 42.000 Frauen.7 Opiatabhängigkeit birgt nicht nur erhebliche Gesundheitsprobleme und erhöhte Mortalitätsrisiken für die betroffenen Personen selbst, sondern auch Sicherheitsrisiken für andere durch deren Abgleiten in Beschaffungs- und allgemeine Kriminalität, außerdem erhebliche Infektionsgefahren; in dieser Hochrisikogruppe verbreiten sich HIV- und Hepatitis-Infektionen wegen riskanter sexueller Praktiken sowie des Benutzens und der Weitergabe nicht steriler, oftmals bereits gebrauchter Spritzutensilien. 70 % aller intravenös injizierenden Opiat-Konsumenten sollen eine dieser Infektionen, ein Drittel beide haben. In der Behandlung zumeist intravenös injizierender Opiatabhängiger ist neben dauerhafter Drogenentziehung und -entwöhnung wichtigster Behandlungsansatz die Substitution, die dauerhafte oder zumindest vorübergehende Umstellung auf ärztlich verordnete Ersatzmedikamente; diese Medikamente werden oral eingenommen und vermitteln nicht den üblichen Rausch; das unterscheidet sie von der Diamorphin-Substitution. Substitutionsbehandlungen dürfen nur von dafür geschulten Ärzten angeordnet und durchgeführt werden; Behandlungen sind zum Substitutionsregister zu melden; 2018 waren darin 79.400 Substituierte erfasst. Mit leicht abnehmender Tendenz beteiligen sich 2.585 Ärzte an der Substitution. Bei fast 40 % ist das Substitut Methadon, bei 35 % Levomethadon, bei 23 % Buprenorphin und lediglich bei unter einem Prozent, etwa 500 Opiatabhängigen, Diamorphin (Heroin). Substitution ist noch immer sehr ungleich in den Bundesländern; so gibt es in Bremen je 100.000 Einwohner 260, in NRW 144, in Hessen 123, in Bayern 64, in Brandenburg 5 Substituierte. Dies, obwohl die Bundesärztekammer einheitlich für alle Länder 2010 Richtlinien zur Substitutionsbehandlung erlassen und darin festgehalten hat, dass Opiatabhängigkeit eine schwere chronische Krankheit ist, bei der eine substitutions7 Zu Daten zur Verbreitung von Drogen, Drogenabhängigkeit, Behandlung und Substitution Opiatabhängiger z. B.: Deutsche Hauptstelle für Suchtfragen (DHS) e.V. 2019, insb. 11, 29 ff., 152 ff., 180 ff.; Pont et al. 2018.

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gestützte Behandlung indiziert ist.8 Die teilweise anzutreffende starke Zurückhaltung geht darauf zurück, dass sich Substitution an sich erst medizinisch und politisch als Bestandteil einer außer auf Repression, Prävention und Behandlung auch auf „harm reduction“ – pragmatisch auf Schadensminderung – ausgerichteten Drogenpolitik nach und nach durchsetzen musste. Das Abstinenz-Paradigma scheitert bei allzu vielen Betroffenen. Sich auf weniger rigide, aber realistische Ziele der Behandlung einzulassen, hat sich seit Jahrzehnten bewährt. Das gilt seit etwa einem Jahrzehnt auch für die Diamorphin-Substitution. Sie ermöglicht im Gegensatz zu den anderen Substitutionsformen das Benutzen steriler Spritzen, den legalen Erwerb von Heroin und den von dieser Droge erwarteten Rausch, auf den Langzeit-Opiatabhängige mitunter nicht verzichten können. Die Zulassung zur Diamorphin-Substitution ist nach den Richtlinien streng begrenzt u. a. nach Alter, Eindeutigkeit und Länge der Opiatabhängigkeit, körperlichem Entzugssyndrom, Dominanz der Drogen im Sozialverhalten – früher hätte man von psychosozialer Verwahrlosung gesprochen –, Scheitern zweier vorangegangener Behandlungen, darunter einer in einem Substitutionsprogramm, sowie Bereitschaft zu regelmäßigem, meist täglichem Aufsuchen der Abgabestelle und dauerhafter Urinkontrolle. Eine ärztliche individuelle Prüfung aller Besonderheiten ist geboten, so dass diese Substitution auf Ausnahmen beschränkt ist, wenn realistisch Alternativen nicht mehr erkennbar sind und die Diamorphinvergabe grundsätzlich als vorübergehend geplant wird und soziale Stabilisierung verspricht. Folgende Langzeiteffekte von allen Arten der Substitutionsbehandlung Opiatabhängiger wurden in einer Studie 2011 bei 2.300 repräsentativ ausgewählten Substituierten festgestellt (Wittchen et al. 2011): Eine hohe Haltequote zeigt sich darin, dass 70 % noch am Ende der sechsjährigen Beobachtungsphase in der Substitution verblieben. Nur 4 % waren zu dem Zeitpunkt stabil abstinent. Günstig wurde der Verlauf insgesamt bei 55 %, ungünstig bei 30 % eingeschätzt. Verstorben sind 8 %. 13 % hatten einen instabilen Verlauf. 3 % befanden sich in Haft oder stationärer Therapie. Die Komorbiditätsquote erwies sich als hoch. Beigebrauch von Opioiden war noch bei 12 % festzustellen, Beigebrauch anderer illegaler Drogen bei 20 – 30 %. Bemerkenswert ist vor allem, dass ungünstige Verläufe und ein erhöhtes Mortalitätsrisiko bei Befragten aus Einrichtungen mit starker Abstinenzorientierung festzustellen waren. 3.2 Tatsächliche Bedeutung der Drogen in der Haft Wohl keine Haftanstalt ist drogenfrei. Drogen, Drogenabhängigkeit und illegaler Drogenhandel gehören zum Gefängnisalltag. Selbst rigide Kontrollen, etwa generel8 Richtlinien der Bundesärztekammer zur Durchführung der substitutionsgestützten Behandlung Opiatabhängiger v. 19. 02. 2010, Deutsches Ärzteblatt 2010; 107(11): A-511/B-447/ C-439; überarbeitete Fassung v. 27./28. 04. 2017, Deutsches Ärzteblatt 2017; 114(40): A1829/B-1553/C-1519.

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le Urintests, Zellen- und Personendurchsuchungen oder der Einsatz von Drogenspürhunden, können es nicht verhindern. Das zeigen unsere Dunkelfelduntersuchungen, und das räumen Anstaltsleiter ein (dazu bereits Kreuzer 1975, 309 ff.; neuere Befunde: Pont et al. 2018, 17 ff.). Nur Politiker wollen es oft nicht zur Kenntnis nehmen. Warum gehören Drogen zum Haftalltag? Etwa die Hälfte Inhaftierter hat bei Haftantritt schon Erfahrungen mit illegalen Drogen, bis zu einem Fünftel auch mit Heroin. Nach einschlägigen Studien gelangen Drogenabhängige ganz überwiegend irgendwann, oft mehrmals in Haft. Fast ein Drittel der Drogenabhängigen berichtet, in Haft Drogen injiziert, jeder Zehnte, damit in der Haft begonnen zu haben. Nach Schätzungen sind ein Viertel bis ein Drittel der männlichen und die Hälfte der weiblichen Inhaftierten drogenabhängig und gehören überwiegend zu den intravenös injizierenden Drogenkonsumenten. Man muss von 15.000 ganz überwiegend Opiat-abhängigen Inhaftierten ausgehen. Noch mehr dürften einen problematischen Alkoholumgang haben oder alkoholabhängig sein. Die Gründe sind komplex. Inhaftierte bringen entsprechende Erfahrungen und Abhängigkeiten mit in die Anstalt oder erwerben sie in ihr. Sie sind in ihrem Sozialverhalten ohnehin problematisch. In der Haft erleben sie eine Zwangsgemeinschaft mit Männern oder Frauen, Langeweile, den Druck ausbleibender Drogenversorgung, Alkohol- und Drogenverbot und vor allem das aufgenötigte System einer Subkultur, in das sie sich einfügen müssen. Subkultur kennt eine Hierarchie nach tatsächlicher Macht; in ihr herrschen Rücksichtslosigkeit und Gewalt, eigene Regeln, die den offiziellen oftmals entgegengesetzt sind, Umgehungen aller Verbote, ein flexibles System illegaler Beschaffung entbehrter Güter, auch aller Drogen. Im informellen Anstaltsmarkt haben Drogen einen hohen Stellenwert. Der entsprechende Markt mit Herstellung, Einschleusung, Handel von Drogen bildet ein äußerst flexibles, anpassungsfähiges, differenziertes System. Im Handelssystem mit seinen Ersatzwährungen müssen noch rigidere Preise, Betrüge, Fälschungen und Schuldenbeitreibungen in Kauf genommen werden als außerhalb. Am Einschleusen der Drogen haben Gefangene als Urlauber und Rückkehrer, Besucher, mitunter Bedienstete teil oder Dritte, die beispielsweise gezielt verpackte Drogen von außen über die Mauer werfen. Der illegale Handel bezieht auch in der Anstalt abgegebene oder sonst erreichbare Medikamente und Substitutionsdrogen ein, einschließlich erworbenen oder ersatzweise hergestellten Injektionsgeräts. Die Infektionsgefahr ist entsprechend höher. Mancher Gefangener hat sich in der Haft erstmals Drogen injiziert und dort HIV oder Hepatitis zugezogen. Einige opiatabhängige Inhaftierte nutzen die Haftzeit, von den Drogen frei zu kommen oder auf weniger riskante Drogen und Konsumformen umzuwechseln. Den meisten gelingt das nicht, zumal sie allenthalben in der Subkultur in Versuchungssituationen geraten.

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3.3 Äquivalente Substitutionsbehandlung Dass nach dem Äquivalenzprinzip auch inhaftierten Opiatabhängigen Substitutionsbehandlung ermöglicht werden muss, lässt sich bereits auf den Angleichungsgrundsatz in § 3 Abs. 1 StVollzG sowie die entsprechenden länderrechtlichen Regelungen stützen und aus grundgesetzlichen Gewährleistungen wie dem Sozialstaatsprinzip (Art. 20, 28 GG) herleiten (zu Rechtsgrundlagen der Substitutionsbehandlung: Pont et al. 2018; zu Rechtsfragen: Bendek 2017). In einem bayerischen Fall hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in gleichem Sinn nach der EMRK entschieden.9 Wegen der Bedeutung des Urteils für das Äquivalenzprinzip und die Versorgung inhaftierter Drogenabhängiger seien zwei der Leitsätze zitiert: „1. Aus Art. 3 EMRK folgt die positive Gewährleistungsverpflichtung, die Gesundheit eines Gefangenen in Haft angemessen sicherzustellen, indem ihm die notwendige medizinische Behandlung auf einem Niveau zuteil wird, das dem entspricht, an das sich die staatlichen Stellen bei der Versorgung in Freiheit befindlicher Personen gebunden sehen; Gefangene haben Anspruch auf medizinische Behandlung unter vergleichbaren Bedingungen, wie sie Patienten in Freiheit genießen, und ihnen sollte ohne Diskriminierung aufgrund ihres rechtlichen Status Zugang zur Gesundheitsfürsorge des betreffenden Staates gewährt werden.“

Im 3. Leitsatz wird ein staatlicher Ermessensspielraum bei der Wahl der Behandlungsmethode anerkannt, der aber dem genannten Grundsatz gerecht werden muss. Zur Substitutionsbehandlung wird ausgeführt: „4. Die Verweigerung der Fortsetzung einer Substitutionsbehandlung kann jedenfalls dann nicht damit begründet werden, den Gefangenen durch die in Haft erzwungene Überwindung seiner Drogensucht zu resozialisieren und ihn so dazu zu befähigen, außerhalb der Haftanstalt ein drogenfreies Leben zu führen, wenn eine vorherige stationäre Suchttherapie mangels Erfolgsaussichten beendet worden war.“

Damit wird anerkannt, dass auch in Haftanstalten nicht realitätswidrig ein Abstinenz-Paradigma in der Behandlung durchgesetzt werden darf und kann – dieses gestützt auf die rechtlichen Verpflichtungen, zu resozialisieren und Sicherheit in der Haft zu gewährleisten durch striktes Unterbinden jeglichen Suchtmittelumgangs. Süchtigen Gefangenen darf nicht eine Abstinenz aufgezwungen werden, die anerkanntermaßen Süchtige außerhalb der Haft überfordern und bei ihnen scheitern würde. Es muss beachtet werden, dass Drogenabhängigkeit zugleich eine Krankheit mit hohen Risiken der Rückfälligkeit ist. Alkohol- und Drogenabhängige gelangen meist erst nach vielen Rückfällen in eine stabilere Entwicklung. Sicherheitsbelange und Resozialisierungsbemühen müssen also pragmatisch ausbalanciert werden. Erkenntnisse zur Suchtbehandlung draußen müssen soweit möglich in der Haft ebenfalls umgesetzt werden.

9 EGMR, Urt. v. 01. 09. 2016 – 62303/13 (Wenner ./. Deutschland), Strafverteidiger 38, 2018, 619.

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3.4 Behandlung Drogenabhängiger und Substitutionsmöglichkeiten in der Haft Noch immer ist Substitutionsbehandlung in der Haft nicht bei allen infrage kommenden Gefangenen möglich. Hinderungsgründe sind das als vorrangig geltende Abstinenzziel, die Sorge um Sicherheit, der nicht überall als erfüllbar erscheinende zusätzliche Verwaltungsaufwand, der Mangel an für solche Behandlungen spezifisch geschultem ärztlichem Personal. Weiterhin besteht ein Nord-Süd- und Ost-West-Gefälle in der haftinternen Substitutionsbehandlung. Von einem Abdecken des tatsächlichen Bedarfs kann keine Rede sein. Die ehemalige Bundes-Drogenbeauftragte Mortler hat vor kurzem im Bundestag den Mangel an Möglichkeiten der Substitutionsbehandlungen bereits außerhalb, erst recht innerhalb deutscher Haftanstalten gerügt.10 Nur ein kleinerer Teil der infrage kommenden inhaftierten Drogenabhängigen erhält die Chance. Doch die Lage verbessert sich. Vorbild könnten die vom nordrhein-westfälischen Justizministerium veranlassten, 2010 überarbeiteten Behandlungsempfehlungen sein.11 Schlusslicht waren bisher die süddeutschen Länder; Bayern hat aber aufgrund der EGMR-Entscheidung inzwischen dafür gesorgt, dass es nunmehr wenigstens in der Hälfte der Haftanstalten Substitution gibt. Vor allem wird gegen das Äquivalenzprinzip verstoßen, wenn Substitutionsbehandlungen, die vor der Haft eingeleitet waren, in der Haft indikationswidrig abgebrochen werden. Nur bei wenigen gelingt haftintern eine Entwöhnung. Was draußen fachärztlich als angezeigt erschien, muss auch in der Haft angeordnet und fortgeführt werden dürfen. Anderenfalls verstärken sich der Druck zu illegalen Praktiken, Mortalitätsrisiken nach Haftentlassung, schnelle Rückfälligkeit in Abhängigkeit und Kriminalität sowie Infektionsrisiken. Substitutionsbehandlung muss nach ärztlicher Diagnose in Haftanstalten eingeleitet werden können entsprechend den Vorgaben der Richtlinien der Bundesärztekammer. Ein Übergangsmanagement muss dafür Sorge tragen, dass außerhalb oder innerhalb der Haft begonnene Substitutionsbehandlungen bei Haftantritt oder nach der Entlassung mit Unterstützung oder Umstellung der jeweiligen Krankenversicherungsträger weitergeführt werden können. Würden mehr infrage kommende Inhaftierte substituiert, leistete man wertvolle Beiträge zur Vorbeugung gegen subkulturell-kriminelle Verstrickungen in der Haft, zur Infektionsprophylaxe, zur rechtzeitigen Vorbereitung von Entlassungen und Übergängen in haftexterne Behandlungen sowie langzeitiger Rehabilitation, zur Minderung von Risiken weiteren sozialen Abgleitens und krimineller Rückfälligkeit sowie Mortalität nach der Entlassung. Dann ließen sich Überleitungen in haftexterne Behandlungseinrichtungen rechtzeitig vorbereiten und die Kostentragung nachfolgender Behandlung durch Krankenkassen gewährleisten. 10 https://www.drogenbeauftragte.de/fileadmin/dateien-dba/Drogenbeauftragte/2_Themen/ 2_Suchtstoffe_und_Abhaengigkeiten/7_Heroin/Downloads/ParlamentariParla_Abend_Substitu tionstherapie_Rede_DdB_08_05_2019.pdf [09. 12. 2019]. 11 Dazu: Justizministerium des Landes NRW 2010; zu Handlungsempfehlungen auch: Initiative Gesundheit in Haft 2019.

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Jedoch steht es gerade um die haftinterne Vorbereitung der Entlassung Drogenabhängiger schlecht. Nötig wären für sie etwa rechtzeitige Vollzugsöffnungen, um früh in externe Behandlungseinrichtungen überleiten zu können, wie es in § 35 BtMG als „Therapie statt Strafe“ vorgesehen ist. Drogenabhängige werden indes fast gänzlich ausgeschlossen von Vollzugsöffnungen wegen der Annahme hoher Rückfälligkeit dieser Population; so erklärt die Verwaltungsvorschrift 2 zu § 10 der bundeseinheitlichen VVStVollzG: „(1) Für die Unterbringung im offenen Vollzug ungeeignet sind in der Regel namentlich Gefangene, die erheblich suchtgefährdet sind.“ Auch sonst wird das krankheitssymptomatische Rückfallrisiko bezüglich erneuter Drogeneinnahme gleichgesetzt mit dem Risiko, erneut Straftaten zu begehen. Dies muss sich ändern. Geht es nur um das krankheitstypische Rückfallrisiko, muss das Resozialisierungs-Modell „Therapie statt Strafe“ Vorrang haben. Das sollte alsbald in den Verwaltungsvorschriften zu den Strafvollzugsgesetzen von Bund und Ländern geklärt werden. Hilfreich bei dieser Planung frühzeitiger Überleitung in Anschluss-Behandlungs-Einrichtungen könnte eine verstärkte Zusammenarbeit mit Einrichtungen der externen Drogenberatung sein. Nicht in allen Haftanstalten ist solche nötige Kooperation vorgesehen.

3.5 Insbesondere haftinterne Diamorphin-Substitution und Spritzenvergabe Auf besondere politische, rechtliche und tatsächliche Schwierigkeiten stößt selbstverständlich die Umsetzung einer haftinternen Diamorphin-gestützten Substitution. Sie können nur angedeutet werden (Übersicht: Pont et al. 2018). Bislang gibt es nirgendwo Diamorphin-Substitution in deutschen Haftanstalten (zu Modellprojekten und Rechtsproblemen: Hoffmann et al. 2002). Das muss überdacht werden, vor allem bei Gefangenen, die bereits vor Haftantritt erfolgreich in einem Diamorphin-Substitutionsprogramm waren. Allerdings setzt diese Substitution voraus, dass den wenigen infrage kommenden Opiatabhängigen sterile Einwegspritzen zum jeweiligen Konsum des ihnen mehrmals täglich zur Verfügung zu stellenden Substituts ausgehändigt und nach dem Konsum wieder eingezogen werden. Ob das nach einem weitergehenden SpritzentauschProgramm mit Automaten, die allen Gefangenen zugänglich sind, geschehen soll, ist umstritten. In wenigen Anstalten wurde modellartig zeitweilig ein solches von der Diamorphinabgabe unabhängiges Modell von Spritzentausch-Automaten in der Haftanstalt erprobt. Lediglich in der Frauenhaftanstalt Lichtenberg in Berlin ist solcher Spritzentausch geblieben. Es fehlte an politischem Willen zur Fortsetzung, es dominierten Bedenken von Anstaltsbediensteten und wegen erheblicher Kosten, und es gaben sicher auch einige negative Befunde der Evaluationen den Ausschlag. Zu den positiven Befunden gehörte es, dass anonyme Spritzenvergabe machbar erschien, dass viele Inhaftierte davon Gebrauch machten, dass keine Bedrohungen oder Tätlichkeiten mit gebrauchten Spritzen gegen Mitgefangene oder Personal vor-

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kamen, dass im Großen und Ganzen keine Zunahme des Drogenkonsums festgestellt wurde. Zu den negativen Befunden gehörten die in unserer Vergleichsuntersuchung 2002 herausgestellten (Hoffmann et al. 2002, 63 ff.): Von den allen zugänglichen Automaten gehen Anreize für erneuten intravenösen Drogengebrauch bei Gefangenen aus, die sich in der Haft vom Drogenumgang oder wenigstens vom intravenösen Konsum lösen wollen. Aus Automaten bezogene Spritzen haben einen großen Stellenwert im illegalen intramuralen Markt. Sie werden – benutzt oder unbenutzt – oft an andere weitergegeben. Nicht jeder Gefangene traut sich, selbst den Automaten zu benutzen wegen der Gefahr, beobachtet und daraufhin stärker kontrolliert zu werden. Es gab sogar ein Verhaltensmuster, wonach der Spritzenlieferant die Hälfte aus der aufgezogenen Spritze erhält, die andere Hälfte der Drogenlieferant. Bei häufigen Defekten von Automaten kommt es zu Zerstörungen und vermehrtem Einsatz gebrauchter Spritzen. Wir kamen daher zu der Empfehlung, zunächst Modelle zu erproben, in denen Diamorphin und Spritzen an für diese Substitution zugelassene Gefangene einzeln in einem Gesundheitsraum kontrolliert zum unmittelbaren Gebrauch und zur Rückgabe der Spritzen daselbst abgegeben werden. Dann können Signalwirkungen, HIVund Hepatitis-Infektionen und subkultureller Missbrauch vermieden werden. Wer dabei anhaltend vereinbarte Regeln bricht, muss vom Programm wieder ausgeschlossen werden. Diese Ausgestaltung von Diamorphin-gestützter Substitution würde indes nur sehr wenigen Gefangenen zugutekommen. Dem Verlangen nach Spritzen bei anderen Gefangenen würde nicht entsprochen. Sogar nicht alle für DiamorphinSubstitution infrage kommenden Gefangenen würden am Programm der Einzelvergabe teilnehmen, weil manche die Rahmenbedingungen des konkreten individuellen Drogengebrauchs im Gesundheitsraum nicht selbst gestalten könnten. Es gibt Fachleute wie Heino Stöver (2018, 458 – 463), die den hier vertretenen zunächst restriktiven Standpunkt zu Spritzentausch-Programmen nicht teilen: Diamorphin- und Spritzenvergabe seien ausschließlich nach medizinischen Kriterien zu beurteilen; der Aspekt der Sicherheit in der Anstalt sei deswegen in diesem Zusammenhang nicht maßgeblich. Dagegen ist einzuwenden, dass Sicherheitserwägungen in jeder Strafanstalt bei allen für andere riskanten Praktiken im Gesundheitsbereich zu beachten sind. Das Äquivalenzprinzip kann nicht vernachlässigen, dass Spritzentausch über Automaten außerhalb einer Anstalt ganz anders funktioniert als in der Haft; es schafft draußen weniger Risiken des Missbrauchs, jedoch erhebliche Verbesserungen in der Infektionsprophylaxe, drinnen erhebliche Risiken. Mögliche Fremdschädigungen, die erkennbar von einer ansonsten gesundheitspolitisch positiv einzuschätzenden Maßnahme des Gesundheitsdienstes ausgehen, müssen daraufhin geprüft und bewertet werden, ob sie auch in der Haft verantwortbar sind. Doch sollte man den Weg weitergehen, an Modellen zu erproben, ob und wie eine Diamorphingestützte Substitution und eventuell darüber hinaus gehender Spritzentausch am besten in Haftanstalten praktiziert werden können. Die Problematik der Spritzenvergabe an Diamorphin-substituierte Opiatabhängige ließe sich außerdem künftig mindern, wenn sich die Umstellung auf Praktiken oraler Einnahme des Substituts als gangbare

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Alternative zu Injektionen erwiese. Allerdings wird man es derzeit nicht als rechtswidrig ansehen müssen, wenn sich zuständige Ärzte in Haftanstalten bei der Ermessensentscheidung, ob eine und welche Substitutionsbehandlung angezeigt sei, auf den Standpunkt stellen, die mit einer Diamorphinsubstitution verbundenen Vorkehrungen könnten nicht verwirklicht werden, zumindest seien die mit solcher Substitution verbundenen Risiken nicht beherrschbar, weshalb nur eine Substitution mit anderen Medikamenten wie Methadon angeordnet werden könne. Nach Informationen eines maßgeblich im Raum Frankfurt am Main für die Substitution Drogenabhängiger zuständigen Psychiaters ist es möglich, bislang Diamorphinsubstituierte nach Haftantritt in eine Behandlung mit einem anderen Substitut überzuführen und nach Haftentlassung die ursprüngliche Diamorphinsubstitution wieder aufzunehmen. Literaturverzeichnis Bendek, C. (2017): Ein Plädoyer für die flächendeckende Etablierung der Substitutionsbehandlung im deutschen Strafvollzug. HRRS 18, S. 458 – 478. Deutsche Hauptstelle für Suchtfragen e.V. (Hrsg.) (2019): DHS Jahrbuch Sucht 2019. Lengerich. Deutscher Bundestag (1975): Bericht über die Lage der Psychiatrie in der Bundesrepublik Deutschland, BT-Drucks. Nr. 7/4200, Bonn. Gutzmann, H., Schäufele, M., Kessler, E.-M. & Rapp, M.A. (2017): Psychiatrische und psychotherapeutische Versorgung von Pflegebedürftigen, in: K. Jacobs, A. Kuhlmey, S. Greß, J. Klauber & A. Schwinger (Hrsg.), Pflege-Report 2017: Schwerpunkt: Die Versorgung der Pflegebedürftigen. Stuttgart, S. 107 – 117. Hoffmann, K., Kreuzer, A. & Suleck, T. (2002): Spritzenvergabe im Strafvollzug. Rechtliche und tatsächliche Probleme eines umstrittenen Modells der Infektionsprophylaxe. Baden-Baden. Initiative Gesundheit in Haft (2019): „Prison Health is Public Health“ – 6 Eckpunkte-Papier Haft. Wiesbaden; https://www.aidshilfe.de/sites/default/files/documents/6eckpunktepapier_ haft_09042019.pdf. Justizministerium des Landes NRW (2010): Substitutionstherapie in der Haft. Ärztliche Behandlungsempfehlungen zur medikamentösen Therapie der Opioidabhängigkeit. Berlin; https://www.akzept.org/experten_gespraech/pdf_4_10/husmann.pdf. Kreuzer, A. (1970): Kontroverse Rechtsprechung zum Schriftenbezug im Strafvollzug – zugleich ein Beitrag zur Frage der Einschränkbarkeit von Grundrechten im Strafvollzug. Goltdammers’ Archiv für Strafrecht 3, S. 65 – 80. Kreuzer, A. (1975): Drogen und Delinquenz. Wiesbaden. Kreuzer, A. (2012): Subkulturelle Gemeinsamkeiten bei Misshandlungen in staatlichen und gesellschaftlichen Subsystemen, in: E. Hilgendorf & R. Rengier (Hrsg.), Festschrift für Wolfgang Heinz. Baden-Baden, S. 155 – 168. Pont, J., Kastelic, A., Stöver, H., Ritter, C. & Knorr, B. (2018): Substitutionsbehandlung im Strafvollzug – Ein praktischer Ratgeber. Berlin.

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Risikomanagement bei Straftätern als interdisziplinäre Aufgabe Von Norbert Nedopil

1. Geschichte: Verständigungsschwierigkeiten in Forschung und Praxis Als Hans-Jörg Albrecht und auch der Autor vor etwa 35 Jahren die Bühne der Forschung in Kriminologie und Forensischer Psychiatrie betraten und sich etwas später als Antragsteller in einem Sonderforschungsbereich der Deutschen Forschungsgemeinschaft kennenlernten, gab es gerade erste Ansätze fachübergreifender Zusammenarbeit und vor allem die Idee der Interdisziplinarität, die zu einer Intensivierung der Forschung und zu einem Wissenstransfer zwischen den Forschern beitragen sollte. Tatsächlich waren beide Fächer aber zunächst weitgehend damit beschäftigt, die Grundlagen für eigene empirisch quantitative Untersuchungen zu schaffen. Interdisziplinäre Ansätze blieben auf vereinzelte Aktivitäten in Forschungsprojekten und in der Lehre beschränkt. Wissenschaftliche Arbeiten in der Forensischen Psychiatrie konnten immer noch durch den Satz von Bleuler über das „autistische, undisziplinierte Denken in der Medizin“ (Bleuler 1962) charakterisiert werden. Die Praxis war vor allem bei der Begutachtung weiterhin durch den Schulenstreit zwischen den psychopathologisch orientierten Vorgaben der Heidelberger Schule (z. B. Schneider 1929; Witter 1970) und den tiefenpsychologischen Ansätzen psychoanalytischer Verstehensmodelle (Schorsch & Becker 1977) oder den Erklärungsmodellen, die sich von einer Konstitutionspsychologie ableiteten (Kretschmer 1977), geprägt. Darüber hinaus spielte in den akademischen Auseinandersetzungen der Gnostizismus-Agnostizismusstreit eine bedeutsame Rolle, nämlich die Frage, ob überhaupt beurteilt werden kann, ob ein Mensch aufgrund eigener Entscheidung auch hätte anders handeln können, als er dies bei seinem kriminellen Akt machte. Die agnostische Position, die u. a. von Schneider, Witter, Haddenbrock vertreten wurde, ging von der Annahme aus, dass die Frage nach der Willensfreiheit und den Einbußen an Steuerungsfähigkeit im Einzelfall wissenschaftlich nicht beantwortbar sei. Demgegenüber vertraten die Verfechter einer gnostischen Position, z. B. Mende, Schüler-Springorum oder Venzlaff, die Auffassung, dass wissenschaftlich begründete Aussagen über Einsichts- und Steuerungsfähigkeit durchaus möglich seien (Müller & Nedopil 2017).

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Auch der Dialog zwischen Psychiatern und Juristen war von Verständigungsschwierigkeiten und manchmal auch von grundsätzlichen Meinungsverschiedenheiten geprägt (Nedopil 1999). Empirische Untersuchungen im engeren Sinn waren in der forensischen Psychiatrie, aber auch in der Kriminologie, eher die Ausnahme. Es fehlte an verbindlichen Begrifflichkeiten und Definitionen, sowie überhaupt an Maßstäben und quantitativer Methodik, die über ein Abzählen von Fällen hinausging. Eine vergleichbare Vielfalt an eher einzelgängerischen Denkmustern und Behandlungsstrategien fand sich im psychiatrischen Maßregelvollzug. Verbindliche Behandlungskonzepte und Interventionsstrategien gab es oftmals nicht einmal innerhalb einer Einrichtung, geschweige denn zwischen den einzelnen Akteuren unterschiedlicher Professionen (Psychiatrie, Psychologie, Arbeitstherapie, Pädagogik, Sozialpädagogik, Strafvollstreckungskammern, Bewährungshilfe), die mit der Klientel befasst waren.

2. Ansätze verbindlicher Sprachregelungen und Messmethoden als Grundlagen des interdisziplinären Dialogs All dies hat sich im Laufe der Zeit seit 1984 geändert. Beginnend mit der Einführung von DSM-III (American Psychiatric Association 1980) und später ICD-10 (Dilling et al. 1991) wurde eine operationalisierte, d. h. auch verbindliche und von außen nachvollziehbare Klassifikation in der Psychiatrie eingeführt. Epidemiologische, anamnestische und psychopathologische Begriffe wurden ebenfalls präzisiert und quantifizierbar gemacht. Psychopathologische und kriminologische Zusammenhänge und deren Interaktionen konnten quantitativ erfasst, neue Erkenntnisse abgeleitet und für den Umgang mit Straftätern nutzbar gemacht werden. Nirgendwo ist diese Entwicklung deutlicher geworden als in der Prognoseforschung, wie man damals diese Forschungsrichtung im deutschsprachigen Raum nannte. Beginnend mit der Analyse von Straftätern, die nach ihrer Entlassung aus gesicherten Einrichtungen erneut Straftaten begingen, wurden jene Merkmale identifiziert, die besonders hoch mit der Rückfallneigung korrelierten und bei den NichtRückfälligen nicht vorhanden waren und die deshalb als Risikofaktoren aufzufassen waren. So entstanden der Violence Risk Appraisal Guide (VRAG, Harris et al. 1993) und der Sexual Offender Risk Appraisal Guide (SORAG, Rice & Harris 1997). Aufgrund der Analyse von Persönlichkeitsmerkmalen bei Strafgefangenen und Maßregelvollzugspatienten, bei denen therapeutische und sozialpädagogische Verhaltensmodifikationen scheiterten, wurde die Psychopathy-Checklist (PCL, Hare & McPhearson 1984) entwickelt, die auf dem psychopathologischen Modell von Cleckley (1976) basierte und zu dem Konzept von „Psychopathy“ und der später weit verbreiteten PCL-R (Hare 1991) führte. Metaanalysen von Untersuchungen über die Kriterien, die rückfällige von nicht-rückfälligen Sexualstraftätern unter-

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schieden, führten zur Entwicklung des Static 99 (Hanson & Thornton 1999). Mit Hilfe der Untersuchung der Vorhersagemethoden erfahrener Sachverständiger und der Analyse von deren Treffsicherheit wurde in Verbindung mit bereits veröffentlichten empirischen Untersuchungen von Merkmalslisten zur Risikoerfassung bei psychisch gestörten Straftätern die Integrierte Liste der Risikofaktoren (ILRV, Nedopil 1997) erarbeitet. Die damals erhobene Forderung nach der Errechnung von Basisraten über die Rückfallhäufigkeit von Straftätern nach Haftentlassung, die in der ILRV erfragt wurden, wurde von Kriminologen und dem Bundesjustizministerium aufgegriffen. Deliktbezogene Rückfallraten wurden bislang drei Mal mit unterschiedlich langen Beobachtungszeiträumen veröffentlicht (Jehle et al. 2003; 2010; 2016). Mit unterschiedlichen empirischen Methoden wurde eine Vielzahl derartiger Instrumente geschaffen, die empirische Untersuchungen und quantitative Aussagen ermöglichten. Die Ergebnisse der Untersuchungen führten wiederum zu einer Verbesserung der Instrumente. Bereits 2010 wurden über 470 derartige Merkmalslisten geschaffen, deren Konstruktion, Aussagekraft und Anwendungsmöglichkeiten selbst für Fachleute nicht überschaubar sind (Chambers et al. 2009). Entscheidend für die Entwicklung der Prognoseforschung, aber auch für das Fach und die interdisziplinäre Zusammenarbeit insgesamt, ist nicht die Schaffung immer neuer Instrumente, sondern dass durch diese Instrumente und deren Anwendung eine gemeinsame, verbindliche und z. T. auch quantitativ differenzierende Sprache gefunden wurde.

3. Von der Prognose zu Risikoeinschätzung und Risikomanagement In dieser Zeit waren Forschung und Praxis sehr damit beschäftigt, zu untersuchen, wie eine optimale Treffsicherheit von Prognosen hergestellt werden kann, und man bemühte sich, diese Treffsicherheit zu verbessern. Man erkannte günstige und ungünstige Prognosen und ein breites Mittelfeld dazwischen. Unter den damaligen wissenschaftlich orientierten Autoren wurde darum gerungen, wie diese Erkenntnis im Einzelfall richtig (gesetzeskonform) erfasst, wie die Aussagen zur Individualprognose auf eine wissenschaftliche Grundlage gestellt und für den Anwender sowie den Betroffenen transparent gemacht werden können (Nedopil 2005). Allerdings wurde auch immer wieder auf die begrenzte Aussagekraft derartiger Prognosemethoden hingewiesen (z. B. Boetticher et al. 2006; Nedopil & Stadtland 2006). Auch der Jubilar hat sich wiederholt kritisch mit der Problematik derartiger Prognosen auseinandergesetzt (Albrecht 2012). In den letzten 15 Jahren haben sich sowohl die Gesetze als auch die Institutionen, die sich mit der Behandlung psychisch kranker Rechtsbrecher befassen, geändert. Gesetzliche und administrative Neuregelungen betrafen 2007 die Nachsorge und das Risikomanagement nach einer Entlassung aus gesicherten Einrichtungen. Die

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Führungsaufsicht wurde auf eine neue rechtliche Grundlage gestellt und die forensischen Ambulanzen wurden in das Strafgesetzbuch (§§ 68a bis 68c, 68e, 68f) aufgenommen. 2011 wurde die elektronische Aufenthaltsüberwachung, die eine weitergehende Kontrolle der risikoträchtigen Patienten nach deren Entlassung ermöglicht, legalisiert (§ 68b Abs. 1 Nr. 12 StGB). 2016 erfolgten die Gesetzesrevisionen zum Maßregelvollzug, die auch eine Differenzierung bezüglich des Restrisikos, welches der Allgemeinheit zugemutet werden kann, enthielten (§§ 63, 64, 67, 67d StGB). Etwas später kamen die Änderungen der landesrechtlichen Maßregelvollzugsgesetze hinzu, die rechtliche Festschreibungen zur Unterbringung und Behandlung einschlossen und somit auch therapeutisches Handeln weit mehr und rigider als früher unter richterliche Kontrolle stellten. Auch im klinischen Umgang mit den Untergebrachten und den aus der Unterbringung Entlassenen hat sich vieles geändert, namentlich die Einführung der ambulanten Nachsorge für Patienten, die aus dem Maßregelvollzug entlassen wurden (Stübner & Nedopil 2009) und z. T. auch für Strafgefangene, die zuvor den Vollzug in sozialtherapeutischen Abteilungen absolviert hatten (Tippelt et al. 2012). Durch diese Nachsorge soll verhindert werden, dass sich erkennbare Risiken zu realen Gefahren wandeln. Es geht also nicht mehr um die Treffsicherheit einer Prognose, sondern um das Vorbeugen und Verhindern einer Verwirklichung von Risiken und damit um das Erkennen dieser Risiken (Nedopil 2013). Von forensisch psychiatrischer bzw. von interdisziplinärer Seite hat sich das Konzept der Prognose geändert. Es ist sehr viel deutlicher geworden, dass es um Risikomanagement und weniger um die Richtigkeit einer Prognose geht. Auch für die Rückfallprognose bei Straftätern gilt die Aussage von Harari (2017): „Welchen Sinn macht es Prognosen abzugeben, wenn diese nichts ändern? Einige komplexe Systeme, wie z. B. das Wetter, sind sich der Prognosen nicht bewusst. Der Prozess der menschlichen Entwicklung reagiert im Gegensatz dazu aber auf Prognosen. In der Tat, je besser die Vorhersagen sind, desto mehr Reaktionen rufen sie hervor. Es wird mehr Wissen geschaffen und Menschen ändern ihr Verhalten und damit werden die Grundlagen unserer Prognosen und auch die Prognosen selbst überholt und hinfällig.“ Es ist eine Feststellung, die medizinisches Wirken ausgesprochen oder unausgesprochen schon lange beherrscht, bei der Neuorientierung der Prognoseforschung in der forensischen Psychiatrie in den 1990er Jahren allerdings vergessen wurde. Die heutige Frage lautet somit wissenschaftlich formuliert: Was können wir tun, um eine ungünstige Prognose zu falsifizieren? Oder mit anderen Worten: Ziel von Risikoeinschätzung und Risikomanagement ist nicht eine möglichst hohe Trefferquote, sondern die Falsifizierung der ungünstigen und die Verifizierung der günstigen Prognose. Auch die Begrifflichkeiten werden den neuen Paradigmen angepasst. Es geht nicht mehr um die Prognose, sondern um eine Risikoeinschätzung. Der grundsätzliche Unterschied besteht darin, dass Prognosen voraussagen sollen, was geschehen wird. Ihre Richtigkeit erweist sich, wenn das eintrifft, was vorausgesagt

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wurde. Risikoeinschätzungen hingegen dienen dazu aufzuzeigen, was sich ändern muss, damit eine Gefahr nicht zur Realität wird, sondern abgewendet werden kann. Sie sind Voraussetzungen für ein optimales oder zumindest adäquates Risikomanagement. Ihre Richtigkeit erweist sich, wenn die Gefahr, die befürchtet wurde, vermieden oder verhindert wurde. Eine ähnliche Position hat Hart schon 2008 formuliert: „Prognosen sind am wirkungsvollsten, wenn wir die Realität für Prognosen selber schaffen.“ (s.a. Hart & Cooke 2013). Heute werden die Bedingungen, für die eine günstige Prognose gelten kann (Ausmaß von Betreuung, Fürsorge und Kontrolle) benannt und geschaffen. Daraus leitet sich aber die Frage der Verhältnismäßigkeit unter ganz neuen Bedingungen ab und auch die Frage, wie der Sachverständige korrekt dazu Stellung nehmen soll (z. B. ist die vorgeschlagene Kontrolle beim ambulanten Risikomanagement oder ist die Dauer des vorgeschlagenen Risikomanagements noch verhältnismäßig?). Hierzu bedarf es des interdisziplinären Diskurses zwischen Jurisprudenz und Humanwissenschaftlern, denn die Verhältnismäßigkeit bleibt ein von Juristen zu beachtendes und von Gerichten einzuhaltendes Rechtsstaatsprinzip, das Risikomanagement hingegen eine interdisziplinäre Aufgabe, die bei psychisch gestörten Straftätern federführend von Psychiatern und Psychologen durchgeführt wird. Aber auch die Auffassungen von Risikomanagement und Therapie haben sich gewandelt. Risikomanagement heißt das richtige Erkennen der richtigen Risikofaktoren zum richtigen Zeitpunkt und deren angemessene Behebung oder deren Ausgleich durch protektive Faktoren. Die Konzepte der Rückfallprognose und der Behandlung konvergierten zunehmend unter dem Gesichtspunkt des Risikomanagements. Damit wird Prognosebegutachtung – wie es in der Praxis und auch bei den Empfehlungen für Prognosegutachten (Boetticher et al. 2019; Kröber et al. 2019) fälschlicherweise immer noch heißt – zur externen Risikoerfassung, die zudem Beurteilung, Anregung und Hilfestellung für das Risikomanagement mit umfassen sollte. Behandlung im Maßregelvollzug wird zum Risikomanagement, welches auf die richtige Erfassung der Risikofaktoren angewiesen ist. Ziel der Behandlung ist „die günstige Prognose“; Ziel der Prognosebegutachtung ist „die richtige Behandlung“. Die Vernetzung von Begutachtung und Behandlung beginnt mit der Einweisungsprognose, die in den Maßregelvollzug führt, und sie dauert über die Entlassungsprognose hinaus.

4. Behandlung und Risikomanagement als interdisziplinäre Aufgabe In der gleichen Zeit wurden auch Interventionsprogramme für verschiedene Tätergruppen entwickelt und empirisch ausgewertet. Sie sollten ebenfalls den Anspruch erfüllen, nicht nur einem theoretischen Konzept oder einer mehr oder weniger wissenschaftlich begründeten Schule zu folgen, sondern ihre Effektivität bezüglich der Rückfallprävention und der sozialen Reintegration empirisch nachgewiesen zu

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haben. Dies gelang bisher am besten, wenn sie speziell auf die Risikomerkmale ausgerichtet waren, die sich als deliktrelevant erwiesen haben, d. h. die Neigung des Betreffenden zu Normverstößen, Gewalttätigkeiten oder sexueller Übergriffigkeit im Fokus haben (Andrews & Bonta 1994; 2017). Auch in diesem Bereich ist die Anzahl der therapeutischen Ansätze nur schwer zu überblicken. Die Grundsätze und Wirkprinzipien sind jedoch dahingehend relativ ähnlich, dass sie auf kognitiv-behavioralen Methoden beruhen und dass die Risiken und (kriminogenen) Bedürfnisse des Betroffenen angegangen werden müssen. Die Intensität der Behandlung soll sich an der Gefährlichkeit des Täters orientieren. Menschen mit hohem Risiko sollen intensiver behandelt werden als jene mit niedrigem Risiko. Die Therapie soll auf die änderbaren Risikofaktoren (z. B. soziale Isolierung, antisoziale Einstellungen, begünstigende Einstellungen zur Gewaltanwendung, fehlende Tagesstrukturierung, mangelnde Ausbildung, ideologische Vereinseitigung, Substanzmissbrauch, misslungene familiäre Beziehungen, Mangel an prosozialer, selbstbestätigender Freizeitgestaltung) im Einzelfall fokussieren und der Ansprechbarkeit der Betroffenen in Bezug auf kognitive Fähigkeiten, Lernstil, Motivation etc. angepasst sein. Die Therapie sollte darüber hinaus zu einer Steigerung der Lebensqualität führen, deren Verlust wiederum für den Betroffenen schmerzlich wäre und damit von ihm vermieden werden würde (Good Lives Model Ward et al. 2007; Franqué & Briken 2013). Diese Therapiekonzepte werden getragen von einem interdisziplinären Behandlungsteam, in welchem alle Mitglieder, Psychiater, Psychologen, Sozialpädagogen, Ergotherapeuten und Pflegekräfte gemeinsam und übereinstimmend nicht nur das gleiche Ziel verfolgen, sondern auch vergleichbare Rollenmodelle vorleben und die gleiche Strategie vertreten sollten (Müller-Isberner et al. 2018). In beiden Bereichen, Risikoeinschätzung und Behandlung bei psychisch gestörten Straftätern, sind die individuellen und selten allgemein vermittelbaren Vorgehensweisen, die den jeweiligen persönlichen Interessen und klinischen Erfahrungen einzelner Therapeuten entsprangen, zunehmend in den Hintergrund gedrängt und durch allgemein verbindliche und für Außenstehende transparente Konzepte ersetzt worden. Dadurch werden die Kommunikation vereinfacht, die Vorgehensweise überprüfbar, die Methoden lehr- und lernbar gemacht; gleichzeitig werden sie durch empirische Auswertungen und Analysen auch verbesserbar und in ihrer Effektivität gesteigert. Transparenz und Effektivitätsnachweis sind erforderlich, weil durch die Gesetzesänderungen zunehmend die Strafvollstreckungskammern der Gerichte als weitere Akteure in das therapeutische Setting mit eingreifen. Dies geschieht nicht nur zunehmend häufiger bei Behandlungen gegen den Willen strafrechtlich untergebrachter Patienten (Koller 2014; Nedopil 2016), sondern auch weil sie dazu verpflichtet sind, zu überprüfen, ob eine adäquate Behandlung angeboten und kompetent durchgeführt wurde (siehe Empfehlungen Kröber et al. 2019). Vor diesem Hintergrund ist nahezu zwangsläufig eine multidisziplinäre Herangehensweise erforderlich, um gemeinsam die Aufgaben, namentlich die Sicherheit für

Risikomanagement bei Straftätern als interdisziplinäre Aufgabe

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die Allgemeinheit und das Wohlbefinden und die Wahrung der individuellen Rechte des einzelnen Betroffenen, zu erfüllen.

5. Interdisziplinarität beim Risikomanagement in der forensischen Nachsorge Interdisziplinäres Arbeiten, oder im forensischen Kontext besser „Multi agency work“, wird definiert als ein Zusammenwirken von Menschen unterschiedlicher Berufe, Organisationen und Dienstleister, mit z. T. verschiedenen primären Aufgabenfeldern, aber dem gemeinsamen Ziel, die Gefahr, die von den Betroffenen ausgehen könnte, zu reduzieren und die öffentliche Sicherheit zu verbessern (Thomson et al. 2016). Während früher die einzelnen Berufsgruppen, die für psychisch kranke Straftäter – besonders nach deren Entlassung – verantwortlich waren, namentlich Bewährungshilfe, ambulante psychiatrische Versorgungseinrichtungen, Wohngemeinschaften, Sozialämter und letztendlich auch die Polizei und die Strafvollstreckungsgerichte, weitgehend unabhängig voneinander agierten, trat mit der Änderung des Gesetzes zur Reform der Führungsaufsicht von 2007 erstmals eine gewisse Verpflichtung zur Zusammenarbeit ein. Gleichzeitig wurde auch erkannt, dass einerseits wichtige Informationen übersehen werden, wenn die in der Für- und Nachsorge dieser Menschen Tätigen nicht zusammenarbeiten oder sich in ihren Aussagen nicht verstehen, und andererseits die Gefahr besteht, dass die Klienten weit weniger kooperieren und Informationen zurückhalten, wenn sie wissen, dass diese Informationen von Ärzten oder der Bewährungshilfe an die Polizei weitergeleitet werden. Als Lösung in Einzelfällen lohnt es sich deshalb, den Informationsaustausch zu institutionalisieren, transparent zu machen und auch den Klienten gegenüber offenzulegen. Derartige „runde Tische“ können ein wichtiges Element des Krisenmanagements sein, in denen Risikoeinschätzung und Risikomanagement aus den verschiedenen Perspektiven beleuchtet und gemeinsam tragbare Lösungen gefunden werden. Zusammenarbeit beim Risikomanagement von psychisch gestörten Straftätern ist am weitesten in Großbritannien entwickelt und institutionalisiert. Sowohl die Gesetzgebung für England und Wales (Home Office 2003) als auch für Schottland (Scottish Government 2015) haben sogenannte Multi Agency Public Protection Arrangements (MAPPA) gesetzlich festgelegt. Auch in Holland und in Dänemark (Sestoft et al. 2014) wurden interdisziplinäre Modelle der Nachsorge für psychisch gestörte Straftäter etabliert. Als Vorteile einer solchen Zusammenarbeit werden gesehen – die Verantwortungsverteilung und die damit verbundene Absicherung, aber auch – die Klarstellung der unterschiedlichen Verantwortlichkeiten der Beteiligten,

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– die Möglichkeit der Betreuung besonders schwieriger Klienten, mit denen eine Berufsgruppe allein überfordert wäre, – eine Kostenreduktion, – eine informelle Zusammenarbeit und die Entwicklung von Verständnis für die Aufgaben und Probleme der anderen Berufsgruppen, – die Verpflichtung zu dem erforderlichen Perspektivenwechsel, der bei der Nachsorge notwendig ist, und – eine Verbesserung der Betreuungskonstanz. Allerdings sollten auch die denkbaren Nachteile nicht übersehen werden. Sie bestehen darin, – dass vertrauliche Informationen ausgetauscht werden und damit die Schweigepflicht unterhöhlt wird, – dass eine größere Kontrolle und intensivere Eingriffe in das Leben der Betroffenen über einen längeren Zeitraum erfolgen und – dass der interdisziplinäre Arbeitsprozess auch mit Zeit und Kosten verbunden ist, die möglicherweise ausgeglichen werden müssen. Aus der Gegenüberstellung von Vor- und Nachteilen wird ersichtlich, dass es klarer Regelungen von Verantwortlichkeiten, klarer Grenzsetzungen (z. B. über den Umfang des Informationsaustausches) und einer Strukturierung der Zusammenarbeit bedarf, dass unter solchen Bedingungen aber die praktischen Vorteile überwiegen (Thomson et al. 2018). Und wiederum ist damit eine Werteentscheidung verbunden, wie die Vor- und Nachteile gegeneinander abgewogen werden. Damit wird ersichtlich, dass normatives Denken in den Abwägungsprozess beim interdisziplinären Risikomanagement mit einbezogen werden muss. Eine solche interdisziplinäre Zusammenarbeit gelingt aber nur, wenn eine gemeinsame Sprache und ein gemeinsames Grundverständnis zwischen den Akteuren gefunden wird und diese wiederum die Sichtweisen, Aufgaben und Grenzen der anderen Akteure in den Grundzügen verstehen.

6. Interdisziplinäre Weiterbildung als Voraussetzung für interdisziplinäres Risikomanagement Das Ziel einer interdisziplinären Zusammenarbeit in der forensischen Psychiatrie, die primär für Risikoeinschätzung und Risikomanagement bei psychisch kranken und gestörten Straftätern verantwortlich und gleichzeitig den Weisungen der Gerichte unterworfen ist, gelingt letztendlich aber nur, wenn auch deren Weiterbildung interdisziplinär durchgeführt wird. Dieser Aufgabe hat sich der Autor seit vielen Jahren

Risikomanagement bei Straftätern als interdisziplinäre Aufgabe

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gestellt. Seit 1990 wurden die interdisziplinären, von Psychiatern, Psychologen und Juristen gemeinsam durchgeführten Seminare zunächst in Niederpöcking und ab 2010 unter neuer Leitung in Tutzing für deutschsprachige Fachleute veranstaltet (Nedopil 2008). Von 2004 bis 2012 wurden regelmäßige interdisziplinäre Seminare mit der Spezialabteilung der Polizei, die in Bayern für die kriminalpräventive Nachsorge entlassener Sexualstraftäter verantwortlich ist (HEADS), veranstaltet (Horn & Nedopil 2006), 2011 begannen nach dem gleichen Konzept wie zuvor in Niederpöcking englischsprachige Seminare, die von einer europäischen Gruppe forensischer Psychiater, der 2004 gegründeten Ghent-Group (Gunn & Nedopil 2005) organisiert werden (Nedopil et al. 2012). Der Jubilar hat, ohne zu zögern, die Bitte des Autors zur Mitwirkung angenommen und ist von Anbeginn bis heute bei den jährlich veranstalteten Sommer-Seminaren der Vertreter der Rechtswissenschaften, der mit der ihm eigenen internationalen Erfahrung und Übersicht die juristische Perspektive der jeweiligen Themen eingebracht und die psychiatrischen und psychologischen Sichtweisen hinterfragt hat. Er hat dabei vielen Teilnehmern nicht nur die Augen geöffnet und ihnen Perspektivenwechsel ermöglicht, er hat ihnen auch die Scheu genommen, mit Juristen in einen vertieften Diskurs zu treten. Beides, die Fähigkeit zum Perspektivenwechsel und die Bereitschaft zum Diskurs, ist aber erforderlich, wenn man die Aufgabe eines interdisziplinären Risikomanagements ernst nimmt. Viele Aufgaben, die für eine funktionierende interdisziplinäre Zusammenarbeit beim Risikomanagement erforderlich sind, wurden inzwischen geleistet: Die sprachliche Verständigung wurde durch eine operationalisierte Terminologie vereinfacht, die jeweiligen Ansätze wurden im Rahmen des Möglichen quantifizierbar und die Effekte von Interventionen messbar, die Aufgabenstellung (des Risikomanagements) ist von unerfüllbaren Forderungen (z. B. nach der Vorhersage langfristiger Straffreiheit nach einer Entlassung) auf erreichbare Zwischenziele (z. B. die mittelfristige Kontrolle von Risiken) verlagert worden. Die Akteure dieser Aufgabenstellung haben die Möglichkeit, gemeinsam sinnvolle Lösungen zu finden. Für die Humanwissenschaftler wurden Weiterbildungsmöglichkeiten geschaffen, die ihnen die Perspektiven der anderen Akteure und insbesondere der Juristen nahebringen und ihnen den Zugang zum Diskurs eröffnen. Bedauerlicherweise wird die Interdisziplinarität von Seiten der Juristen kaum ernst genommen. Vergleichbare Anstrengungen für interdisziplinäre Weiter- und Fortbildung, wie dies von Seiten der Humanwissenschaften geschieht, gibt es kaum, obwohl alle Juristen, die an den psychiatrischen Seminaren mitgewirkt haben, den Gewinn für das eigene Denken und die eigene Arbeit anerkennen.

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Norbert Nedopil

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Die Entwicklung des Strafvollzugs in Deutschland seit der Jahrtausendwende Von Joachim Obergfell-Fuchs

1. Einleitung Der Umgang mit Menschen, die gegen die Regeln der Gesellschaft verstoßen haben, ist seit Jahrtausenden immer wieder Anlass für kontroverse Reaktionen gewesen. Dominierten bis in die Neuzeit die Körperstrafen und übertrafen sich einige Jahrhunderte in der Grausamkeit der Sanktionen, so setzte sich ab dem 17. Jahrhundert mehr und mehr der Gedanke durch, dass man Menschen auch durch den Entzug von Freiheit bestrafen könne, zugleich verbunden mit dem ebenfalls positiven Effekt, möglicherweise auch künftig gefährliche Personen von der Gesellschaft – zumindest zeitweise – fernzuhalten. Erst später kam der Gedanke hinzu, man könne in dieser Zeit des Strafvollzugs auch die Betreffenden bessern bzw. – modern – sie resozialisieren. Geschah dies zu Beginn durch die Vorstellung, dass eine Bibel auf dem Haftraum, der Blick zum Himmel und gelegentlich ein wenig Aufenthalt an der frischen Luft zur Buße und Einkehr und damit zu einem straffreien Leben motivieren könne, versuchte man sich später in einer Vielzahl von Behandlungsstrategien, bis hin zu den heutigen, teils standardisierten Programmen. Man könnte auch sagen, jede Epoche und jede Kultur hat den Strafvollzug, den sie verdient, und nicht selten ist gerade der Umgang mit den Rechtsbrechern ein Gradmesser und Indikator für das Maß an Humanität in einer Gesellschaft (vgl. Matthews 2009). Der emeritierte Direktor des Freiburger Max-Planck-Instituts für ausländisches und internationales Strafrecht, heute Max-Planck Institut zur Erforschung von Kriminalität, Sicherheit und Recht, Hans-Jörg Albrecht hat sich in seinem umfangreichen wissenschaftlichen Werk immer wieder den Themen Strafe und Strafvollzug, intensiv angenommen. Hierzu gehören z. B. frühe Arbeiten zu den Alternativen zur Inhaftierung (Albrecht 1979) oder zur Jugendstrafe (Albrecht 1986) ebenso wie zur gemeinnützigen Arbeit (Albrecht 1988) und, fast schon logische Konsequenz, zur Ersatzfreiheitsstrafe, deren Norm er kommentiert (Albrecht 2017). Darüber hinaus hat sich Albrecht in seinem Werk mit einer Fülle weiterer strafvollzuglicher Themen, wie dem elektronisch überwachten Hausarrest als Alternative zur Freiheitsstrafe (z. B. Albrecht 2001), der Verfassungsmäßigkeit des Jugendstrafvollzugs (Albrecht 2003), der Todesstrafe (Albrecht 2010) oder der Überbelegung des

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Joachim Obergfell-Fuchs

Strafvollzugs (Albrecht 2012) beschäftigt. Sein einschlägiges Werk hierzu aufzuzählen, würde bei weitem den gegebenen Rahmen sprengen. Im folgenden Beitrag soll ein enges Zeitfenster der Geschichte des Strafvollzugs betrachtet werden, die vergangenen rund 20 Jahre seit der Jahrtausendwende. Es soll der Frage nachgegangen werden, welche Entwicklungen der Strafvollzug genommen hat, welche Ereignisse und gesellschaftlichen sowie politischen Veränderungen ihn geprägt haben. Dies geschieht insbesondere auf der Basis aggregierter Daten der relevanten Rechtspflegestatistiken. Es ist unmöglich, alle Trends nachzuzeichnen, gleichwohl ergeben sich teils überraschende Entwicklungen, welche den Strafvollzug und seine Bediensteten immer wieder vor neue Herausforderungen stellen.

2. Veränderungen im Justizvollzug im 21. Jahrhundert 2.1 Strukturelle Veränderungen Geht man der Frage nach, wie ein Wandel im deutschen Strafvollzug aussehen könnte, so bietet sich zunächst der Blick auf die Veränderung der Gefangenenzahlen und Sicherungsverwahrten an, wie sie das Statistische Bundesamt jährlich zum Stichtag 31.03. eines jeden Jahres ausweist. Dabei werden hier, wie auch in den nachfolgenden Darstellungen, die Gesamtzahlen, d. h. Frauen und Männer, berücksichtigt, wobei der Anteil weiblicher Gefangener lediglich 5,9 % (31. 03. 2019) an der Gesamtzahl der Inhaftierten ausmacht. Wie Abbildung 1 zeigt, kann man erkennen, dass im Laufe der ersten Dekade des 21. Jahrhunderts zunächst die Gefangenenzahlen moderat anstiegen. Ab 2008 kommt es jedoch zu einem nennenswerten Rückgang bis 2016 um rund 27 %. Erst in den vergangenen beiden Jahren scheint dieser Rückgang zu stagnieren. Allerdings findet man deutliche Unterschiede zwischen den einzelnen Bundesländern. Während in den ostdeutschen Ländern nahezu durchweg ein Rückgang der Gefangenenzahlen bis 2019 beobachtet werden kann, nehmen in z. B. den westlichen Stadtstaaten Hamburg und Bremen die Zahlen nach 2016 wieder nennenswert zu: In Hamburg um rund 14 % und in Bremen um rund 7 %. Aber auch in Flächenländern wie z. B. Baden-Württemberg (+ 10 %) können Zuwächse bei den Gefangenenzahlen verzeichnet werden. Auf mögliche Gründe dieser Abweichungen soll am Ende des Beitrags nochmal eingegangen werden.

Die Entwicklung des Strafvollzugs in Deutschland seit der Jahrtausendwende

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70000 60000 50000 40000 N 30000 20000 10000 0

2000

2002

2004

2006

2008

2010 Jahr

2012

2014

2016

2018

Quelle: Statistisches Bundesamt (2001a – 2020a).

Abbildung 1: Entwicklung der Gefangenenzahlen 2000 – 2019 in Deutschland (Strafgefangene und Sicherungsverwahrte insgesamt) – Stichtag 31.03. eines jeden Jahres

Vergleicht man die Gefangenenzahlen mit der allgemeinen Kriminalitätsbelastung im Hellfeld, erfasst über die Fallzahlen sowie die Zahl der Tatverdächtigen im selben Zeitraum, so kann man, wie Abbildung 2 zeigt, bis zum Jahr 2004 einen Anstieg bei beiden Zahlen feststellen, gefolgt von einem deutlichen Rückgang bis 2013. Danach kommt es zu einem steilen Anstieg bis 2016 und danach zu einem ebenso steilen Rückgang. Zwar ist ein solcher Vergleich nur mit äußerster Vorsicht möglich, da es sich bei der PKS um eine reine Arbeitsstatistik der Polizei handelt, die eine Vielzahl von Fällen enthält, die keine Inhaftierung zur Folge haben und sich daher nicht in den Strafvollzugsstatistiken niederschlagen können, dennoch kann man sie als einen groben Indikator dafür heranziehen, wie sich die Kriminalität in Deutschland in den letzten Jahren entwickelt hat. Die oben dargestellten Gefangenenzahlen erscheinen zwar weniger „dramatisch“ in ihren Ausschlägen, folgen aber in etwa demselben Trend mit einer Verzögerung von etwa zwei Jahren. Berücksichtigt man die Zeiten der Fallermittlung und der schlussendlichen Rechtskraft des Urteils, so entsprechen sich die beiden Bereiche weitgehend. Dementsprechend, sollte der Trend einen prädiktiven Wert haben, wäre zu erwarten, dass auch die Gefangenenzahlen in naher Zukunft wieder sinken werden. Eine langfristige Analyse von Gefangenenzahlen zeigt ohnehin, dass sich hier eine Art wellenförmiger Verlauf ergibt.

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Joachim Obergfell-Fuchs 6,800,000

2,500,000

Fallzahlen Tatverdächtige

6,600,000

2,400,000

6,400,000 2,300,000

6,000,000

2,200,000

5,800,000

2,100,000

Tatverdächtige

Fälle

6,200,000

5,600,000 2,000,000 5,400,000 1,900,000

5,200,000 5,000,000

2000

2002

2004

2006

2008

2010

2012

2014

2016

2018

1,800,000

Jahr

Quelle: Bundeskriminalamt 2019.

Abbildung 2: Veränderungen der Fallzahlen und Tatverdächtigenzahlen 2000 – 2018 in Deutschland nach Polizeilicher Kriminalstatistik

Über den zeitlichen Verlauf der Gefangenenzahlen kann man im Grunde sagen, dass in der Gesamtbetrachtung der ersten beiden Dekaden des neuen Jahrtausends die Zahlen insgesamt eher rückläufig sind. Gleichwohl sind gerade seitens des Justizvollzugs in einigen Bundesländern in den vergangenen Jahren Stimmen laut geworden, dass man vor einer erheblichen Überbelegung stünde und eine menschenwürdige und rechtmäßige Unterbringung, nicht möglich sei (u. a. Südkurier 2019, Frankfurter Allgemeine Zeitung 2018). Man könnte nun angesichts der Zahlen erwidern, dass noch vor 10 bis 15 Jahren alles sehr viel schlimmer gewesen sei und man deutlich mehr Gefangene gehabt habe, es wird dann aber meist darauf verwiesen, dass es zu strukturellen Veränderungen gekommen und die erhebliche Belastung der letzten Jahre insbesondere durch eine Zunahme der Untersuchungsgefangenen (U-Gefangenen) entstanden sei (Norddeutscher Rundfunk 2019a). Betrachtet man die in Abbildung 3 dargestellten diesbezüglichen Zahlen, so kann man tatsächlich feststellen, dass die Anzahl der U-Gefangenen seit 2013 erheblich, nämlich um rund 19 % zugenommen hat. Dieser Trend entspricht nicht so ganz den oben dargestellten Zahlen der verurteilten Gefangenen, hier ist der Anstieg deutlich moderater und setzt auch erst später ein. Ebenfalls keine Entsprechung findet sich in den Kriminalitätszahlen, dort kam es zwar ebenfalls seit 2013 zu einem Anstieg, allerdings danach zu einem Rückgang der Fallzahlen, wohingegen die U-Gefangenen auf hohem Niveau verharren. Auch eine Analyse der Haftgründe bietet keinen rechten Aufschluss, zwar nimmt seit 2012 der Anteil des Grundes der Fluchtgefahr leicht zu, allerdings mit einer nur sehr moderaten Steigerung von 92,1 % auf 94,1 % (Statistisches Bundesamt 2013b – 2019b).

Die Entwicklung des Strafvollzugs in Deutschland seit der Jahrtausendwende

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40000

Untersuchungsgefangene

35000 30000 25000 20000 15000 10000 5000 0

2000

2002

2004

2006

2008

2010

2012

2014

2016

2018

Jahr

Quelle: Statistisches Bundesamt (2001b – 2019b).

Abbildung 3: Entwicklung der Untersuchungsgefangenenzahlen 2000 – 2018 in Deutschland

Mehr Aufschluss scheint dagegen eine vom Norddeutschen Rundfunk beim Statistischen Bundesamt in Auftrag gegebene Sonderauswertung zur U-Haft zu geben. Demnach sei es in den vergangenen Jahren zu einem besonders starken Anstieg aufgrund einer deutlichen Zunahme ausländischer U-Gefangener gekommen (Norddeutscher Rundfunk 2019b). Man kommt zum Schluss, dass das Risiko ausländischer Straftäter in U-Haft zu kommen, weit größer ist als das vergleichbarer deutscher Täter, da bei diesen oftmals eine erhöhte Fluchtgefahr aufgrund geringerer sozialer Integration angenommen wird. So weist Holznagel (2012) darauf hin, dass Migranten aufgrund ihres ausländischen Passes oder zumindest der Verwandtschaft im Ausland selbst bei weniger schweren Delikten ein höheres Risiko als hier lebende Deutsche haben, in Untersuchungshaft zu kommen, da die Gefahr besteht, dass sie sich dem Strafverfahren entziehen werden. Bei aller Besorgnis, gerade über die Zunahme der U-Gefangenen, muss man jedoch feststellen, dass trotz des aktuellen Anstiegs bei weitem nicht das Niveau wie zu Beginn des Jahrtausends erreicht wird. Dies zeigt, in Verbindung mit den oben dargestellten Zahlen der verurteilten Gefangenen, dass sich so etwas wie ein „punitive turn“ (vgl. Pratt 2002; Frost 2006), wie er zu Beginn des Jahrtausends in den USA beschrieben wurde, und ein „Überschwappen“ in die westlichen Länder Europas, darunter auch Deutschland (vgl. Sack 2010), so nicht abzeichnet.

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Ungeachtet der Föderalismusreform von 2006, in deren Rahmen die Gesetzgebungskompetenz für den Strafvollzug vom Bund auf die Länder überging, gehören zu den vorrangigen Aufgaben des Justizvollzugs die Resozialisierung und die Wiedereingliederung des Gefangenen in ein soziales und straffreies Leben. Diese Behandlungsorientierung des Strafvollzugs findet sich in allen Justiz- oder Strafvollzugsgesetzen der Länder. Ein ursprünglich befürchteter „Schäbigkeitswettbewerb“ (Dünkel & Schüler-Springorum 2006), in welchem die Bundesländer sich gegenseitig in der Ausgestaltung des Vollzuges unterbieten würden, ist so nicht eingetreten (vgl. Dressel 2008, 26 f.) Ein wichtiger Bestandteil dieser Behandlungsorientierung ist dabei die Unterbringung therapiebedürftiger und -bereiter Gefangener in Sozialtherapeutischen Anstalten oder Abteilungen. Wie Abbildung 4 zeigt, hat sich im Laufe der ersten beiden Dekaden des 21. Jahrhunderts sowohl die Zahl der Haftplätze wie auch der in den Sozialtherapeutischen Anstalten untergebrachten Gefangenen in etwa verdoppelt. Allerdings kann man seit 2018 bei den Haftplätzen und seit 2016 bei den Gefangenenzahlen einen leichten Rückgang feststellen. Weit interessanter als dieser geringfügige Rückgang in den letzten Jahren ist jedoch die seit 2003 bestehende und zunehmend größer werdende Diskrepanz zwischen Haftplätzen in der Sozialtherapie und den dort untergebrachten Gefangenen. Dies zeigt, dass mehr und mehr Haftplätze in der Sozialtherapie nicht belegt werden bzw. belegt werden können. Die Gründe hierfür mögen vielgestaltig sein, eine Rolle spielt sicherlich das Vorhandensein geeigneter und motivierter Insassen. Darüber hinaus ist die Zuweisungspraxis der in die Sozialtherapie entsendenden Anstalten von Bedeutung. Sind Klima und Therapiebewusstsein ausgeprägt, so dürfte sich dies in höheren Zuweisungsquoten ausdrücken. Nicht zu vernachlässigen ist jedoch die Zahl nicht-deutschsprachiger Gefangener. Da die Therapien in der Regel auf kognitiv-behavioralen Ansätzen beruhen, ist mindestens ein Grundverständnis der deutschen Sprache notwendig.

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3000

Haftplätze Gefangene

2500

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1000

500

0

2000

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2006

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2012

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2018

Quelle: Etzler 2019.

Abbildung 4: Zahl der Haftplätze und der untergebrachten Gefangenen in den Sozialtherapeutischen Anstalten und Abteilungen am 31.03. eines jeden Jahres

2.2 Veränderungen in der Gefangenenstruktur Im Folgenden soll die Ebene der allgemeinen Zahlen verlassen und der Frage nachgegangen werden, ob sich in den vergangenen beiden Dekaden des neuen Jahrtausends die Zusammensetzung der Gefangenen im deutschen Justizvollzug verändert hat. Ein erster Blick soll dabei auf die Altersstruktur der Gefangenen gerichtet werden. Zwar ist der Fokus der Öffentlichkeit und durchaus auch der Kriminologie meist auf junge Straftäterinnen und Straftäter gerichtet, zahllose Konzepte ranken sich um die Vermeidung von Haft für junge Menschen sowie um deren Resozialisierung und geeignete Wiedereingliederungsmaßnahmen (vgl. Dünkel 2017; Lutz 2017; Wirth 2017). Betrachtet man jedoch die Altersverläufe in Abbildung 5, so muss man feststellen, dass seit der Jahrtausendwende der Anteil der jungen Gefangenen unter 25 Jahren deutlich abgenommen hat. So sank dieser von 21,1 % im Jahr 2000 auf 13,4 % im Jahr 2019. Dieser Rückgang ist nicht nur in den relativen sondern auch in den absoluten Zahlen erkennbar, waren 2000 12.853 junge Menschen inhaftiert, waren es 2019 noch 6.6798, nahezu eine Halbierung. Ein solcher Rückgang ist unter kriminologischen Gesichtspunkten begrüßenswert, denn der Strafvollzug ist sicherlich einer der am wenigsten geeigneten Orte für eine gelingende Sozialisation junger Menschen (vgl. Kotynek u. a. 2012).

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Joachim Obergfell-Fuchs 60.0 50.0 40.0

% 30.0 20.0 10.0 0.0

2000

2002

2004

2006

unter 25 Jahre

2008

Jahr

2010

25 - 39 Jahre

2012

2014

2016

2018

40 Jahre und älter

Quelle: Statistisches Bundesamt (2001a – 2020a).

Abbildung 5: Veränderung der Alterszusammensetzung der Gefangenen 2000 – 2019 in Deutschland (Strafgefangene und Sicherungsverwahrte insgesamt) – Stichtag 31.03. eines jeden Jahres)

Dieser Rückgang geht allerdings „auf Kosten“ der älteren Inhaftierten jenseits des 40. Lebensjahres. Hier stieg der Anteil zwischen 2000 und 2019 von 25,7 % auf 35,6 % und auch der Anstieg in den absoluten Zahlen ist, wenngleich moderater und nicht so deutlich wie der Rückgang bei den jungen Gefangenen, nennenswert und erheblich (2000: 15.609; 2019: 18.010). Auch wenn man bei 40jährigen und Älteren schwerlich von alten und gebrechlichen Menschen sprechen kann, so stellt eine Zunahme der Zahlen in dieser Altersgruppe den Strafvollzug vor andere, neue Probleme. Mit steigendem Alter ist mit einer Zunahme der gesundheitlichen Probleme der Insassen zu rechnen, was neben vermehrten Kosten im Strafvollzug auch die Notwendigkeit eines erhöhten Betreuungsaufwandes mit sich bringt. Zudem sind die baulichen Bedingungen der Vollzugsanstalten, die oftmals Ende des 19., Anfang des 20. Jahrhunderts erbaut wurden, nicht auf die Belange von älteren Menschen mit vielfältigen Einschränkungen angelegt. Ebenfalls erschwert ist mit steigendem Alter die Wiedereingliederung in den Arbeitsmarkt und das soziale Leben nach der Haftentlassung. Solchen Entwicklungen wird im Vollzug in den letzten Jahren durchaus Rechnung getragen, so finden sich spezielle Einrichtungen für ältere Gefangene und auch die Themen ältere Gefangene, Krankheit, Sterben und Tod im Vollzug wurden in neuerer Vergangenheit immer wieder diskutiert (Görgen & Greve 2005; Legat 2008), wenngleich der Fokus weiterhin auf die jüngeren und jungen Gefangenen ausgerichtet ist. Ein indirekter Zusammenhang zum Alter ergibt sich mit der Dauer der zu verbüßenden Freiheitsstrafe. Im Grunde sollten Strafmaß und Alter weitgehend voneinan-

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der unabhängige Variablen sein. Lässt man Aspekte wie Jugend- vs. Erwachsenenstrafrecht oder eine verfestigte kriminelle Persönlichkeit außer Acht, so könnte man einen Altersanstieg, zumindest partiell, auch durch einen längeren Verbleib der Gefangenen in den Anstalten erklären. Dabei muss man berücksichtigen, dass die Verweildauer in den deutschen Anstalten bei weitem nicht an das Maß z. B. der USA heranreicht und lebenslange Freiheitsstrafen, Freiheitsstrafen von mehr als 10 Jahren oder auch die Sicherungsverwahrung, d. h. Sanktionen bei denen die Gefangenen im Strafvollzug nennenswert altern, eher selten sind (vgl. Walmsley 2018; Ferdinand & Kury 2008). Tatsächlich kann man aber feststellen, dass der Anteil der Gefangenen mit langer Freiheitsstrafe von 5 bis 15 Jahren von 11,0 % im Jahr 2000 auf 7,7 % im Jahr 2019 abgenommen hat (Statistisches Bundesamt 2001a – 2020a). Auch der Anteil der Gefangenen mit mittlerer Dauer der Freiheitsstrafe von 2 bis 5 Jahren hat von 2000 (24,0 %) zu 2019 (22,6 %) leicht abgenommen. Eine leichte Zunahme kann man dagegen bei Gefangenen mit lebenslanger Freiheitsstrafe feststellen, lag der Anteil 2000 bei 3,0 %, so ist er bis zum Jahr 2019 auf 3,9 % gestiegen. Diese Steigerung kann jedoch nicht die Zunahme der älteren Gefangenen erklären. Leichte Zunahmen ergeben sich ebenfalls bei den kürzeren Freiheitsstrafen. In der Kategorie 9 bis 24 Monate zeigt sich zwischen 2000 und 2019 ein moderater Anstieg von 26,0 % auf 28,3 % und in der Kategorie bis 9 Monate von 36,0 % auf 37,5 %. Dies ist insofern bemerkenswert, da es sich um Freiheitsstrafen handelt, die – theoretisch – zur Bewährung hätten ausgesetzt werden können. Die Gründe, weshalb dies nicht geschehen ist, mögen vielfältig sein: die Häufigkeit und Schwere früherer Strafen, Umstände in der Person und Persönlichkeit des Verurteilten u.v.a.m. Für den Strafvollzug bedeuten diese kürzeren Freiheitsstrafen jedoch, dass bei einem steigenden Anteil von Gefangenen die Möglichkeiten resozialisierender Maßnahmen eingeschränkt sind. Behandlungsprogramme und insbesondere Therapien sind meist auf eine längere Zeitdauer ausgerichtet und auch Maßnahmen der beruflichen (Re)Integration, wie z. B. Berufsausbildungen, können bei kurzen Strafen häufig nur begonnen aber nicht abgeschlossen werden, so dass es dem später Haftentlassenen bzw. den Einrichtungen des Übergangsmanagements obliegt, die begonnenen Entwicklungen möglichst positiv fortzusetzen. Dies wird jedoch oftmals durch die dann auftretende Vielzahl destabilisierender Faktoren in Freiheit erschwert (Andrews u. a. 1990; Wössner u. a. 2016). Als besonders kritisch sind in diesem Zusammenhang die Ersatzfreiheitsstrafen zu erwähnen, die immerhin rund 7 % aller Insassen ausmachen (Deutscher Bundestag 2018). Zum einen handelt es sich um eine meist sehr kurze Dauer der Inhaftierung, zum anderen um eine oftmals recht schwierige Klientel, bei denen eine Zwangsvollstreckung aussichtslos ist (vgl. Lobitz & Wirth 2018). Da gerade bei Ersatzfreiheitsstrafen die Diskrepanz zwischen der Sanktion (teils nur dreistellige Beträge) und den Kosten für die Unterbringung im Strafvollzug (ca. 120 E pro Tag) offensichtlich wird, ist hier das Bemühen groß, durch Verrichtung freier Arbeit die

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Joachim Obergfell-Fuchs

Vollstreckung der Ersatzfreiheitsstrafe abzuwenden (vgl. Cornel 2018). Allerdings zeigt sich, dass dies zunehmend schwieriger wird. Konnten 2012 noch 38.009 Personen durch gemeinnützige Tätigkeit die Sanktion abwenden und so 1.284.601 Hafttage vermieden werden, so war dies 2018 bei nur noch 22.869 Personen der Fall, entsprechend reduzierte sich die Zahl der Hafttage auf 793.837 (Statistisches Bundesamt 2013; 2019). Hinzu kommt, dass die freie Arbeit von einigen Autoren als ungleich härtere Sanktionierung für Menschen in Armut gesehen wird, die keinen resozialisierenden Effekt hat (vgl. Wilde 2017). Längere Haftstrafen und die Vollstreckung kurzer Freiheitstrafen tragen erheblich zur Überbelegung der Vollzugsanstalten bei. Dies hat zur Folge, dass das Klima in den Anstalten darunter leidet (vgl. Kurth & Grote 2019, 1337). Die gleiche Zahl an Personal muss sich um mehr Gefangene kümmern, Freizeitmöglichkeiten bleiben dabei häufiger auf der Strecke, der Vollzug wird nach innen härter und punitiver (vgl. Ross u. a. 2008; Goerdeler 2011). Eine Möglichkeit der Umgehung bietet hier die Zulassung zum offenen Vollzug, bei dem die Maßnahmen gegen mögliche Entweichungen deutlich reduziert sind und die Gefangenen sich intern relativ frei bewegen können. Im Idealfall wird dort auch die Gewährung vollzugsöffnender Maßnahmen großzügiger gehandhabt, so dass die Gefangenen im Rahmen des Freigangs draußen ihrer Arbeit nachgehen und nur in der JVA „übernachten“ (vgl. Preusker 2010). Dies setzt jedoch zum einen voraus, dass die Risiken für Flucht und Entweichung beim Gefangenen gering sind, dass keine Ausweise- oder Abschiebeverfügungen bestehen und zum anderen verlangt dies ein erhebliches Maß an Vertrauen der Anstalt in den Gefangenen. Wie Abbildung 6 zeigt, ist der Anteil der Gefangenen im offenen Vollzug seit Beginn des 21. Jahrhunderts deutlich gesunken. Waren 2000 20,1 % der Gefangenen im offenen Vollzug untergebracht, so waren es 2018 noch 14,5 %, d. h. rund ein Viertel weniger. Dies mag fraglos mit der Zusammensetzung der Gefangenenpopulation zu tun haben (s. u.), möglicherweise aber auch mit einem gestiegenen Sicherheitsdenken der Vollzugsbehörden. Gerade hierzu tragen Gerichtsentscheidungen wie das 2018 vom LG Limburg ergangene Urteil gegen zwei Vollzugsbeamte wegen fahrlässiger Tötung bei: Ein Gefangener war während des Freigangs mit seinem Fahrzeug in den Gegenverkehr gefahren, wobei eine Frau getötet wurde (Arnold 2018). Auch wenn die Beamten später vom Bundesgerichtshof vom Vorwurf freigesprochen wurden (BGH 2 StR 557/18, 26. 11. 2019), so hinterlässt allein schon das erstinstanzliche Urteil die Sorge bei den Bediensteten beim Missbrauch der Gewährung vollzugsöffnender Maßnahmen oder des offenen Vollzugs „mit einem Bein“ selbst im Gefängnis zu stehen. Dies dürfte fraglos die Bereitschaft reduzieren, solche Maßnahmen durchzuführen.

Die Entwicklung des Strafvollzugs in Deutschland seit der Jahrtausendwende

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25.0

20.0

15.0 % 10.0

5.0

0.0

2000

2002

2004

2006

2008

2010 Jahr

2012

2014

2016

2018

Quelle: Statistisches Bundesamt (2001a – 2020a).

Abbildung 6: Anteil Gefangene im offenen Vollzug 2000 – 2019 in Deutschland (Strafgefangene und Sicherungsverwahrte insgesamt) – Stichtag 31.03. eines jeden Jahres

Vielfach stellt der Strafvollzug in der kriminellen Karriere eines Straftäters die „ultima ratio“ dar. Nach vielfältigen Verwarnungen, Auflagen, Strafbefehlen, Geldstrafen und schließlich zur Bewährung ausgesetzten Freiheitsstrafen wird dann entweder, weil gewissermaßen „das Maß voll ist“ und die Betreffenden immer wieder vor Gericht erscheinen, weil man in den Bewährungswiderruf hineinsteuert oder aber schlicht, weil die Straftat zu schwer ist und nicht mehr zur Bewährung ausgesetzt werden kann, die unbedingte Freiheitsstrafe verhängt. Entsprechend sind bei den Insassen der Vollzugsanstalten Vorstrafen meist eher die Regel, als die Ausnahme. Dies macht auch Abbildung 7 deutlich. Es ist auffallend, dass der Anteil der Vorbestraften im neuen Jahrtausend deutlich angestiegen ist. Waren im Jahr 2000 noch 60,3 % der Insassen vorbestraft, so stieg deren Anteil bis 2014 auf 71,7 %, ging danach aber, wenn auch auf hohem Niveau, bis 2019 wieder leicht zurück auf 68,3 %. Hier mag der noch zu diskutierende höhere Anteil nichtdeutscher Strafgefangener eine Rolle spielen, selbst wenn diese in ihrem Heimatland bereits registriert worden wären, so ist dies oftmals nicht bekannt.

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Joachim Obergfell-Fuchs 74.0 72.0 70.0 68.0

%

66.0 64.0 62.0 60.0 58.0 56.0 54.0

2000

2002

2004

2006

2008

2010 Jahr

2012

2014

2016

2018

Quelle: Statistisches Bundesamt (2001a – 2020a).

Abbildung 7: Anteil vorbestrafte Gefangene 2000 – 2019 in Deutschland (Strafgefangene und Sicherungsverwahrte insgesamt) – Stichtag 31.03. eines jeden Jahres

Betrachtet man die vorbestraften Insassen im Strafvollzug genauer, so kann man, wie Abbildung 8 zeigt, eine auffallende Entwicklung feststellen: So ging in der Gruppe der Vorbestraften der Anteil der Insassen mit nur einer Vorstrafe von 25,8 % im Jahr 2000 auf 18,7 % im Jahr 2019 recht deutlich zurück. Auch in der Kategorie 2 bis 4 Vorstrafen kann man einen moderaten Rückgang von 36,0 % (2000) auf 32,6 % (2019) feststellen. Dagegen steigen die beiden oberen Kategorien recht deutlich an. Verzeichneten 2000 noch 28,0 % der Vorbestraften 5 bis 10 Vorstrafen, so waren es 2019 ebenfalls bereits 32,6 % und in der Gruppe 11 und mehr Vorstrafen kam es sogar zu einer Zunahme von rund 50 Prozent von 10,1 % im Jahr 2000 auf 16,2 % im Jahr 2019. Dies hat sicherlich damit zu tun, dass, wie schon erwähnt, mit steigender Zahl der Vorstrafen das Gericht weniger gewillt ist, ein milderes Urteil zu fällen, es bedeutet aber für den Strafvollzug, dass die Klientel zunehmend schwieriger wird. Ohne den belasteten Begriff des Hang- und Intensivtäters zu strapazieren, zeigen die Zahlen, dass der Anteil an Personen mit einer verfestigten kriminellen Karriere gestiegen ist. Dies erschwert in nicht unerheblicher Weise die Resozialisierung und stellt spätestens Bewährungshilfe und Nachsorge vor Herausforderungen, um ein Abgleiten dann Entlassener in nicht wieder dasselbe Milieu zu verhindern oder zumindest das entsprechende Risiko zu verringern.

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40.0 35.0 30.0

%

25.0 20.0 15.0 10.0 5.0 0.0

2000

2002

1 Vorstrafe

2004

2006

2008

2 - 4 Vorstrafen

2010

2012

Jahr 5 - 10 Vorstrafen

2014

2016

2018

≥ 11 Vorstrafen

Quelle: Statistisches Bundesamt (2001a – 2020a).

Abbildung 8: Zahl der Vorstrafen bei vorbestraften Gefangenen 2000 – 2019 in Deutschland (Strafgefangene und Sicherungsverwahrte insgesamt) – Stichtag 31.03. eines jeden Jahres

Kritischer als die Vorstrafen wird v. a. in der Öffentlichkeit der Umstand der Wiedereinlieferung diskutiert. Immer wieder werden teils abstrus hohe Zahlen nicht nur zur Wiederverurteilung, sondern auch zur erneuten Rückkehr in den Strafvollzug erwähnt. Dabei macht nicht selten der Begriff des „Drehtürvollzugs“ die Runde, mit anderen Worten, kaum sind die Gefangenen zur Tür draußen, kommen sie auch schon wieder und verbüßen die nächste Haftstrafe. Wie Abbildung 9 zeigt, ist der Anteil der wiedereingelieferten Gefangenen, also jener, die bereits zuvor schon inhaftiert waren, zwar hoch, aber nicht so überbordend wie teils angenommen. Zwar muss man hier Alter, Ausländerstatus, soziale Integration, Substanzmissbrauch, Einbindung in subkulturelle Aktivitäten und viele weitere Variablen berücksichtigen, dies würde hier jedoch den Rahmen sprengen. Arbeiten zur Desistance-Forschung können hierzu mehr Aufschluss geben (vgl. Laub & Sampson 2003; Stelly & Thomas 2005). Waren im Jahr 2000 38,6 % der inhaftierten Strafgefangenen und Sicherungsverwahrten bereits zuvor schon mindestens einmal im Strafvollzug untergebracht gewesen, so stieg der Anteil in den Folgejahren deutlich an und erreichte 2015 mit 41,1 % einen Höhepunkt. Interessanterweise kam es danach bis 2019 zu einem nennenswerten und stetigen Rückgang auf zuletzt 38,5 %. Bedeutet dies nun, dass die aktuellen Insassen „braver“ geworden sind? – Wohl eher nicht. Auch hier dürfte der rasant angestiegene und unten eingehender zu diskutierende Ausländeranteil im Strafvollzug eine Rolle spielen. Bei ausländischen Gefangenen ist oftmals nicht bekannt, ob sie

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bereits zuvor im Heimatland eine Haftstrafe verbüßen mussten, dies gilt v. a. für die Gruppierungen, die im Zusammenhang mit der sogenannten „Flüchtlingskrise“ 2015/2016 nach Deutschland kamen. 42.0 41.0 40.0

%

39.0 38.0 37.0 36.0 35.0 34.0

2000

2002

2004

2006

2008

2010

2012

2014

2016

2018

Jahr Quelle: Statistisches Bundesamt (2001a – 2020a).

Abbildung 9: Anteil wiedereingewiesener Gefangener 2000 – 2019 in Deutschland (Strafgefangene und Sicherungsverwahrte insgesamt) – Stichtag 31.03. eines jeden Jahres

Ein auffallendes Bild ergibt sich, wenn man die Gruppe der Wiedereingewiesenen eingehender betrachtet und der Frage nachgeht, wie groß der Abstand zwischen der aktuellen und der letzten Inhaftierung war. Im Hinblick auf den Rückfall wurde immer wieder bestätigt (vgl. Jehle u. a. 2016, 179 ff.), dass die ersten zwei bis drei Jahre nach der Haftentlassung besonders kritisch sind. Mit Blick auf eine erneute Inhaftierung kann das anhand der Daten bis 2003 ebenfalls bestätigt werden (vgl. Abbildung 10). Über die Zeit hinweg sinkt allerdings dieser Anteil. Waren im Jahr 2000 noch 31,5 % der Wiederinhaftierten im ersten Jahr nach ihrer Entlassung eingewiesen worden, so waren es 2019 nur noch 26,2 %. Und auch der Anteil derer, die im zweiten Jahr nach der Entlassung erneut wiedereingewiesen wurden, ging, nach einem Anstieg zwischen 2001 und 2006, bis 2019 auf 17,8 %, zurück. Ohnehin scheint dieses zweite Jahr das vergleichsweise „günstigste“ zu sein. Recht deutlich angestiegen ist allerdings der Anteil derjenigen, die im dritten bis fünften Jahr nach Entlassung erneut eingewiesen wurden. Lag der Wert im Jahr 2000 bei 28,2 %, so stieg er bis 2019 auf 31,6 %. Damit ist dieser Zeitraum mittlerweile der kritischste für eine erneute Inhaftierung. Ebenfalls angestiegen ist der Anteil derjenigen, die bereits sechs Jahre und länger in Freiheit waren, von 20,1 % im Jahr 2000 auf 24,4 % im Jahr 2019.

Die Entwicklung des Strafvollzugs in Deutschland seit der Jahrtausendwende

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Über die Ursachen einer solchen Verschiebung kann man allenfalls spekulieren. Sie zeigt aber, dass das „Drehtürargument“ zunehmend an Bedeutung verliert und mehr Gefangene in den Strafvollzug kommen, die es draußen schon einmal längere Zeit „probiert“ haben, letztlich aber doch gescheitert sind. Dies stellt neue Herausforderungen an Resozialisierungsbemühungen und insbesondere an das Übergangsmanagement und die Nachsorge, die einen längeren Zeitraum nach der Haftentlassung ins Auge fassen muss, als dies vielleicht bislang üblich war. Gerade das wenig kritische zweite Jahr mag hier die scheinbare Sicherheit schaffen, die oder der Haftentlassene habe es nun geschafft und zur Reduktion der Anstrengungen führen, gerade wenn z. B. Bewährungszeiten auf drei Jahre angelegt sind. Immer wieder wurde in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten auf die Überrepräsentation ausländischer Gefangener im Strafvollzug im Vergleich zu ihrer Häufigkeit in der Bevölkerung hingewiesen (Walter 2010). Mögliche Ursachen hierfür, so Holznagel (2012), könnten neben der höheren Tatbelastung auch Kommunikationsbarrieren vor Gericht oder ein mangelndes Vertrauen in eine günstige Sozialprognose aufgrund des Vorlebens, der Lebensverhältnisse oder des Verhaltens nach der Tat sein, so dass Freiheitsstrafen nicht zur Bewährung ausgesetzt werden. Wegen erhöhten Fluchtrisikos aufgrund der Möglichkeit des Sich-Absetzens ins Ausland werden vollzugsöffnende Maßnahmen blockiert und die Chance der vorzeitigen Entlassung gemindert, so dass Ausländer länger im Strafvollzug verbleiben (Walter 2010). 35.0 30.0 25.0

%

20.0 15.0 10.0 5.0 0.0

2000

2002

2004

1. Jahr

2006 2. Jahr

2008

2010 Jahr 3. - 5. Jahr

2012

2014

2016

6. Jahr und später

Quelle: Statistisches Bundesamt (2001a – 2020a).

Abbildung 10: Abstand der Wiedereinweisung nach der Entlassung bei wiedereingewiesenen Gefangenen 2000 – 2019 in Deutschland (Strafgefangene und Sicherungsverwahrte insgesamt) – Stichtag 31.03. eines jeden Jahres

2018

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Abbildung 11 zeigt einen schlichtweg „dramatischen“ Zuwachs ausländischer Gefangener seit 2009. Waren zu diesem Zeitpunkt 21,9 % der Strafgefangenen und Sicherungsverwahrten ausländische Staatsbürger, so kann man bis 2018 einen fast exponentiellen Anstieg auf 31,9 % feststellen, also eine Zunahme um rund 50 Prozent. Die sogenannte „Flüchtlingskrise“ und die massive Zuwanderung von Asylbewerbern nach Deutschland in den Jahren 2015 und 2016 kann dafür nicht allein verantwortlich gemacht werden, denn der Anstieg begann bereits früher, wenn auch weniger steil. Schaffer & Obergfell-Fuchs (2018) hatten hierauf hingewiesen und mögliche Gründe, wie z. B. eine Verschlechterung der Lebensbedingungen und eine geringere soziale Integration diskutiert. 35.0 30.0 25.0 20.0 % 15.0 10.0 5.0 0.0

2000

2002

2004

2006

2008

2010 Jahr

2012

2014

2016

2018

Quelle: Statistisches Bundesamt (2001a – 2020a).

Abbildung 11: Anteil ausländischer Gefangener 2000 – 2019 in Deutschland (Strafgefangene und Sicherungsverwahrte insgesamt) – Stichtag 31.03. eines jeden Jahres

3. Fazit Die Analysen haben gezeigt, dass sich der Strafvollzug im Laufe der zurückliegenden nur 20 Jahre teils deutlich verändert hat. War bis zur Mitte des ersten Jahrzehnts des neuen Jahrtausends eine erhebliche Belegung der Haftanstalten kennzeichnend, so gingen die Gefangenenzahlen danach deutlich zurück, was vielfach zur Umstrukturierung der Vollzugslandschaft führte. Kleinere Einrichtungen und Außenstellen wurden geschlossen, dadurch Haftplätze abgebaut und es erfolgte eine Konzentration auf die wirtschaftlich rentableren mittelgroßen Einrichtungen mit 400 bis 600 Plätzen. Diese wurden teils neu gebaut oder neu konzipiert (z. B. in Baden-Württemberg die Anstalten Offenburg und Rottweil). Aufgrund der sinken-

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den Gefangenenzahlen wähnte man sich beim Abbau von Haftplätzen auf der „sicheren Seite“. Allerdings setzte in der Strafhaft ab 2016, in der Untersuchungshaft bereits etwas früher, die Umkehr des Trends ein, die Gefangenenzahlen stiegen rapide und deutlich an und trafen auf weniger Haftplätze als dies noch 10 Jahre zuvor der Fall gewesen war. In der Folge kam es zu erheblicher Überbelegung mit oftmals nicht rechtskonformer Unterbringung. Verschärft wurde die Situation durch die deutlich steigende Zahl nichtdeutscher Gefangener. Gerade im Zuge der sogenannten Flüchtlingskrise 2015/2016 kamen vermehrt junge Männer nach Deutschland, mit geringen Sprachkenntnissen, geringen schulischen und beruflichen Qualifikationen, jedoch mit großen Hoffnungen und Erwartungen und nicht zuletzt vielfach traumatisiert. Vor allem in den westlichen Bundesländern war dieser Zuwachs an ausländischen Gefangenen recht stark – in einigen Anstalten lag der Ausländeranteil zeitweise bei mehr als 70 Prozent – in den ostdeutschen Ländern fiel er eher moderat aus, ein Grund für die eingangs genannten Diskrepanzen zwischen den Bundesländern. Für den Strafvollzug bedeutete dies eine enorme Herausforderung, der man mit Bild-Wörterbüchern, Video-Dolmetschern (auch in Verbindung mit Telemedizin), Sprachkursen für Bedienstete u. Ä. zu begegnen versuchte. Darüber hinaus wurde auch durch die Ausbildung Muslimischer Seelsorger versucht, den sich verändernden kulturellen und religiösen Gegebenheiten der neuen Gefangenenpopulation Rechnung zu tragen (vgl. Schaffer & Obergfell-Fuchs 2018). Auch wenn dies begrüßenswerte Entwicklungen sind, so ist es doch ein Kennzeichen der Vollzugspolitik, dass sie eher auf Herausforderungen reagiert, wenn sie eingetreten sind, als diesen proaktiv zu begegnen. Angesichts der oben gezeigten Trends einer älter werdenden, schwierigeren und in Freiheit vielfach gescheiterten Klientel sollte es, auch mit Blick auf die sich immer wieder verändernde Kriminalitätsentwicklung, eine Aufgabe der Vollzugspolitik sein, kurzfristigen Trends zu widerstehen, wie z. B. auf temporär sinkende oder steigende Gefangenenzahlen umgehend und nachhaltig zu reagieren. Vielmehr gilt es Entwicklungen langfristig zu analysieren und Vorausberechnungen durchzuführen. In aller Regel folgt dem Hoch ein Tief und umgekehrt. Kriminologische Analysen langer Zeitreihen und eine Beobachtung von Entwicklungen mit Augenmaß sind daher vonnöten.

Literaturverzeichnis Albrecht, H.-J. (1979): Alternatives to incarceration, in: C.R. Dodge (Hrsg.), A world without prison. Lexington, S. 159 – 179. Albrecht, H.-J. (1986): Alternativen zur Jugendstrafe: Kriminologische Befunde zum Vergleich freiheitsentziehender und ambulanter Sanktionen. Kriminologisches Bulletin 11, S. 47 – 76. Albrecht, H.-J. (1988): Die gemeinnützige Arbeit auf dem Weg zur eigenständigen Sanktion? Zeitschrift für Rechtspolitik 21, S. 278 – 283.

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On the Relationships Needed to Be Properly Handled in the Process of Penalty Execution in Prisons By Wang Ping At the meeting of the heads of the national Department of Justice (bureau) held at the end of 2002, the Ministry of Justice of China for the first time systematically put forward the requirements of promoting the legalization, scientization and socialization of prison work (hereinafter referred to as “three modernizations”). In 2003, the Opinions on Further Promoting the Legalization, Scientization and Socialization of Prison Work (hereinafter referred to as the Opinions) was officially issued by the Ministry of Justice, which makes specific provisions on the guidelines and objectives of promoting “three modernizations”, the main tasks and measures of “three modernizations”, and how to strengthen the leadership of promoting “three modernizations”. This is the main measure taken by the Ministry of Justice since the beginning of the 21st century to improve the quality of education and treatment of criminals and the overall level of prison work1. Since then, on the basis of “three modernizations”, the Ministry of Justice has put forward the new requirements of the informatization and standardization of prison management and the specialization of prison police, which is the extension and further development of “three modernizations”. Next, from the perspective of “three modernizations”, I am going to discuss several relationships that need to be properly handled in the process of penalty execution in prisons.

1. Legalization of Prison Work: Handling the Relationship Between Prison Safety and Human Rights of Criminals 1.1 The Meaning of Legalization of Prison Work The Opinions point out that the legalization of prison work is to form a complete system of laws, regulations and rules, put all prison work into the track of legalization, manage according to law, standardize operation and practically manage prison according to law. The main tasks are to make the prison police2 firmly establish the 1

See the Ministry of Justice of China 2003. In China, it in fact means all the formal staff who works in prison systems. For they all have the titles of the prison officers (not only guard officers), they are usually and formally called “prison police”. 2

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concept of the supremacy of law, consciously develop a good sense of law enforcement, comprehensively improve the legal literacy and law enforcement level, form a strict and complete system of laws, regulations and rules and systems for prison work, establish a fair, standardized, efficient and orderly prison legal work procedure and supervision system, and ensure all aspects of law enforcement in prisons meet the requirements of the law. For that, the specific measures taken mainly include: 1. Actively promoting the improvement and perfection of prison law and relevant regulations, involving prison administration, prison production management, prisoners’ rights and obligations, and law enforcement and then promoting the argumentation and drafting of relevant rules and regulations matching the prison law. 2. Standardizing the operation mechanism of law enforcement. Prison administrative organs and prisons should formulate corresponding work plans, work disciplines, work norms and work standards to ensure the consistency of law enforcement while tightening the procedures for prison law enforcement and working out procedures and rules for prison law enforcement. 3. Improving the accountability system for law enforcement by establishing and improving the publicity system for law enforcement, the assessment system for law enforcement, and the accountability system for law enforcement mistakes, and by strengthening the responsibility for law enforcement in prisons as well as establishing the supervision system of law enforcement and discipline enforcement and the mechanism of power restriction, and strengthening the investigation and punishment system of illegal and criminal acts.3 Generally speaking, the above formulation of the Opinions is appropriate except for the wording of “legalization” instead of “rule of law”. “Rule of law” is different from “legal system”. In theory, a correct understanding of the relationship and difference between “legal system” and “rule of law” is very important for a correct understanding and handling of the relationship between prison security and human rights of criminals. In the theory circle, the major difference between them is that the former stands for rule by law while the latter stands for rule of law. “Legal system” refers to laws and systems in a static sense, while in a dynamic sense, it refers to activities and processes such as legislation, law enforcement, judicature, law-abiding, supervision of law enforcement, and handling affairs according to law. “Rule of law” emphasizes the management of the state and society through law, which represents rationality, efficiency, civilization, democracy and order, and is opposite to “rule of man”. Legal system belongs to the category of system while rule of law belongs to the category of method.4 Legal system emphasizes the role of law as a ruling tool, which is used by people, so in which case, it is likely for some people to be above the law. And rule of law 3 4

See the Ministry of Justice of China 2003. Jianming 1997.

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emphasizes the rule of law rather than the rule of people. Anyone must live under the law. Even if above ten thousand people, you are still under the law. No one has the privilege of transcending the law. In this way, on the one hand, everyone’s rights are restricted, and on the other hand, everyone’s rights are protected. The connotation of “rule of law” is richer than that of “legal system” and rule of law places more emphasis on harmony.5 Therefore, just as the concept of socialist rule of law, the wording of rule of law in prison work may be better and in line with the general consensus of the theoretical community. Although there are differences between rule of law and legal system, they are not opposites. The legal system is the foundation and prerequisite of the rule of law. To implement the rule of law, we must have a complete legal system, and the rule of law is the foothold and final destination of the legal system. Therefore, the two are interrelated. Of course, if someone claims that the two in the above opinion have the same meaning, they should also give an explanation to avoid misunderstanding by others. 1.2 Properly Handling the Relationship Between Prison Security and Human Rights of Criminals The core of the legalization of prison work is to deal with the relationship between prison security and the protection of human rights of criminals. Sometimes there are conflicts of values between prison security and criminals’ human rights. Overemphasis on prison safety and order may weaken some rights of criminals, such as the time of entertainment activities, the frequency and time of meeting relatives and friends, the protection of personal privacy, the ownership of personal hobbies, the opportunity to contact with the outside society, etc. On the contrary, overemphasizing the rights of criminals and giving them too many rights may bring harm to the prison security and order. Things are not as simple as some people think. They think that as long as criminals are given more rights, prison security and order will become better, as if the two are always complementary. In fact, they are often opposites. After the criminals have a strong sense of rights, even if they actually have more and more rights, which may not meet their rising expectations, so that they will still feel dissatisfied, which will have a negative impact on prison security and order. They may not be grateful to prison administrators, because they think these rights are their own, regulated by law, not the gift of prison administrators,6 which those who work in prison systems may often encounter.7 In the 1960s, the surging human rights movement in American society led to the frequent riots among American prison inmates, which is a typical example of the conflict between prison security and criminals’ human rights. 5 Here legal system is just a sword while rule of law water. Of course water is more harmonious than swords. The swords are stiff and cold while water is flexible and gentle. 6 They are right, in a sense that these rights are given by law, not by any individual prison administrator. 7 On a visit to China, a foreign warden said at dinner that prisoners were like spoilt children who would never be satisfied. The more you give them, the more they would cry.

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“In the 1960s, the ant colonial struggle for national independence and democracy in the third world was surging, which encouraged the American people. The increasingly awakened American people set off a huge and far-reaching struggle for democratic rights. As an integral part of the whole struggle for democracy and rights, the riots in American prisons have undergone fundamental changes, and the so–called ‘intentional prison riots‘ are also on the rise.”8

In September 1971, the prisoner riot in Attica Prison, New York State, was the bloodiest, most violent and deadliest prison riot in American prison history. 43 people died and more than 80 people were injured, including prison guard officers and prisoners.9 Prison is the organ of penalty execution, and safety and order are the basic premise. Generally speaking, the number and degree of prisoners’ rights should be based on the fact that they do not affect prison safety and order. If prison safety and normal order are not guaranteed, then the prison will not function properly, which is not allowed in any country. In this sense, it can be said that prison safety and order is the primary task of prison work. On the other hand, since giving criminals a lot of rights will bring a lot of troubles to prison safety and management, can we refuse to give them these? In a society ruled by law, this is absolutely impossible. Prison theorists and practical departments have the following different interpretations: first, because criminals are “human”, we should stick to the humanitarianism and protect the rights of criminals; second, criminals are “citizens”, enjoying the rights prescribed by law; third, this helps to change criminals and protect the rights of criminals. The above three explanations for the protection of the rights of criminals are different from each other, so the meanings given by them are also different. The first explanation starts from a purely humanitarian standpoint (also can be said to be a purely moral and ethical point of view) and holds that criminals are also human beings and our own kind, so the rights of criminals should be protected. Some even believe that the protection of the rights of criminals is an end in itself, and cannot be used as a means to achieve other purposes, or as a means to educate and change criminals. The second explanation is to understand the significance of protecting the rights of criminals from the perspective of acting according to law. Because the Constitution and laws stipulate that the rights of criminals should be protected, as law enforcers, they should of course act according to law and protect the rights that criminals still enjoy. The third interpretation is to understand the protection of criminals’ rights as a means, that is, as an effective means of educating and changing criminals. Only by protecting the rights of criminals can we effectively educate and change criminals. 8 9

Zhiliang 2009, 88 – 89. Zhiliang, 2009, 96.

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The above three different interpretations are correct in a certain sense, and people often interpret the protection of the rights of criminals on the basis of the above three different meanings at the same time, which makes the interpretation more comprehensive and reasonable, and to a certain extent avoids one-sidedness and absoluteness. But in my opinion, these explanations are far from enough. Protecting the rights of criminals is ultimately to protect the rights of everyone. In the sense of rule of law, the so-called power restriction mainly restricts the power of the strong, because it is difficult for the weak to have any power; the socalled right protection mainly protects the rights of the weak, because the rights of the weak are more vulnerable to infringement. In the family, the protection of rights mainly refers to the protection of the rights of wives and children, because wives and children are usually weak. In schools, for teachers and students, the socalled protection of rights mainly refers to the protection of students’ rights, because students are comparatively weak. In prison, for the police officers and prisoners, the so-called protection of rights mainly refers to the protection of prisoners’ rights, because prisoners are the weak and prison police officers are the strong. Although criminals are vicious, they are also still vulnerable in prisons. The significance of protecting the rights of the weak is not only to protect the rights of the weak, embody humanitarianism, and educate and change them, but also to have a deeper and higher goal in the sense of modern rule of law: that is, to protect everyone’s rights from illegal infringement and for “justice for all”. If a person is always strong, generally speaking, his rights will not be easily violated. But few people in their life are always in a favorable situation; always the winner, more often than not, he or she is hit, attacked and punished at some time, some place and some circumstances. Therefore, the relationship between the weak and the strong, the relationship between the minority and the majority, is not static, but often in the process of development and change. In this dynamic analysis, it can be clearly seen that only when the rights of the weak are effectively protected can the rights of the majority of people and even the rights of all people finally be truly protected. To protect the rights of the weak is actually to protect the rights of each and every one of us, because each and every one of us may become the weak. The operation mechanism of a democracy and rule of law society should be to act according to the will of the majority and respect the rights of the minority. The essence of the rule of law is to limit the power of the strong and protect the rights of the weak. On the one hand, criminals have committed serious acts endangering society, violated criminal law and have been punished according to law. Therefore, they are “vicious groups” and should deserve the punishment and education accordingly. But on the other hand, the social status of criminals in prisons is at the bottom of the society, who are one of the most vulnerable groups in the vulnerable groups. So they are very vulnerable to harm, and their rights regulated by law are very easy to be violated. Therefore, the protection of the rights of criminals has a very special significance.

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In this sense, it can be said that the protection of the rights of criminals is the last barrier to protect the human rights of a country. Only when the rights of criminals are effectively guaranteed can everyone’s human rights be ultimately and effectively guaranteed. If the basic rights of criminals are effectively guaranteed, it can basically show that this country is a country of rule of law and civilization, and this society is a society of rule of law and civilization. Prison is one of the most sensitive parts of the human rights situation in a country and society. Prison is the window of national and social civilization. Now there are all kinds of “social insurance”. I believe that it is one of the most important insurance in all social insurance to effectively protect the rights of criminals. It guarantees that even if one day everyone is at the bottom of the society and becomes a criminal, he still enjoys the dignity as a person and is still protected by the law of civilized society. This is the interpretation of the significance of the rule of law for the prison to respect and protect the rights of criminals.10 As there are often contradictions and conflicts between prison safety and criminal human rights in practice, but both are extremely important and cannot be abandoned, so we can only seek moderation and balance and cannot go to extremes, so as not to lead to excessive bias towards either side. China’s prison management department claims that ensuring the safety and stability of the prison is the primary task, and educating and changing criminals is the purpose. This is right and full of dialectical unity. On the basis of that, this article makes some adjustments and supplements: “to ensure the safety and stability of the prison is the primary task, education and treatment of criminals and protection of the rights of criminals are the purpose of prison work”, and the expression of “protection of the rights of criminals” may be more comprehensive. Some people may wonder which of the two has the priority. And I once was puzzled by it and felt that the official formulation was somewhat contradictory. Now I think this formulation is appropriate, because the primary task and the purpose are both opposites and unified, that is, the relationship between them is dialectical. It can’t be said who is always in the first place. On the premise that the security order can be ensured, the prison work should put the education and treatment of criminals first; if there are serious problems in prison security and order in some special periods, then ensuring prison security and order is the first task.

10 See my book Ping 2002, 12. The above point of view of mine had caused some controversy in the past few years. Some people appreciated it, some people disagreed with it, and some people felt puzzled, thinking how I can have such a strange idea .Now this concept as a legal common sense has been accepted by more and more people.

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2. Scientific Education and Treatment: Handling the Relationship Between Science and Belief 2.1 The Meaning of Scientific Prison Work The Opinions point out that the scientization of prison work is to use scientific methods to improve the overall level of prison work. The main tasks are to advocate the scientific concept, study and grasp the working rules with scientific theories, thoughts and methods; to perfect and innovate the prison working system and mechanism, to explore the effective ways and methods for the treatment of criminals, and to enhance the effectiveness of educational treatment, to reasonably allocate the human, material, financial and other resources of the prison, and to vigorously improve the scientific culture of the prison police officers, and to improve the scientific and technological content of prison management.11 It can be seen that the Opinions have a broad understanding of the scientific concept of prison work, which is showed in: 1. the renewal of concepts and the scientization of thinking methods; 2. the scientization of education and treatment methods; 3. the improvement of the scientific and technological content of prison management and the realization of the informatization of prison work; 4. the improvement of the scientific and cultural quality of prison police officers. Here, I will only talk about my own views on the scientific methods of educational treatment of criminals. The Opinions put forward specific requirements for the scientific methods of education and treatment of criminals: we should actively explore and strengthen individual treatment measures in the whole process of education and treatment. From the beginning of entering prison, it is necessary to make a comprehensive analysis of the criminal’s crime type, punishment term, crime reason, bad habit degree, personality type, personal risk, gender, age, education level, occupation and other factors through psychological test and other means, scientifically formulate the individual education and treatment plan of the criminal and the specific education and treatment goal implemented by stages, and explore the establishment of the treatment plan based on this. We will improve the evaluation, feedback and control system for the quality of criminal education and treatment. In the process of educational treatment; we should give full play to the role of psychological counseling and psychotherapy of criminals, and take psychological correction as an important part of educational treatment of criminals.12 In terms of scientific ways and means of educational treatment of criminals, the criminal quality evaluation system and criminal correction technology implemented in Jiangsu, Beijing, Hunan, Xinjiang and other provinces and cities, as well as the more widespread implementation of criminal psychological correction nationwide,

11 12

The Ministry of Justice of China 2003. The Ministry of Justice of China 2003.

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are representative, which indicates that the ways and means of educational treatment of criminals in China are stepping into a scientific era. At the end of 2003, in order to effectively promote the overall quality construction strategy of rehabilitation of criminals in Jiangsu Province, and strive for a new breakthrough in the work of rehabilitation of criminals, Jiangsu Provincial Prison Administration established the task force of „theory and practice of quality evaluation of rehabilitation of criminals”, and began the research, design and theoretical exploration of quality evaluation of criminal treatment. The research group drew lessons from the advanced theories and practices of foreign countries, combined with the new situation of national conditions and the change of criminal structure; considered the realistic conditions, and met the forward-looking needs of the development of treatment of criminals in the reform of prison system. They not only widely collected relevant theoretical and practical data at home and abroad, but also visited other provincial prison systems that have carried out relevant theoretical and practical exploration. On this basis, the research group designed 11 pre investigation tools, and conducted relevant investigations in 11 prisons in Jiangsu Province with three prisons of which selected for key retest. On the basis of researching more than one million data, they finally completed the book “Quality Assessment of Criminal Rehabilitation” in more than eight months, which was published by Law Press in October 2004.13 The book summarizes and divides the practical operation contents of the evaluation of the quality of criminal treatment into the following five aspects: the detection of criminals in prison, the evaluation of the quality of the process of treatment of criminals, the evaluation of the quality of the rehabilitation of criminals out of prison, the evaluation of the quality of the treatment of individual criminals of special groups, and the individual treatment of criminals. Its operation content and technology are of high scientific significance. At present, the research results have been widely used in the prison system of Jiangsu Province. Guangxi, Hainan, Jiangxi and other provinces have learned from the prison system of Jiangsu Province and applied the research results and practical experience of Jiangsu Province in their prison work. Beijing Municipal Bureau of Prison Administration, Hunan Provincial Bureau of Prison Administration and Xinjiang Autonomous Region Bureau of Prison Administration have also set up a task force for the quality assessment of criminal rehabilitation, to carry out the research on the quality assessment of criminal rehabilitation, and to promote the research results in the practice of prison criminal rehabilitation. The evaluation of treatment quality solves the problems of scientific evaluation tools, methods and procedures, but not the problem of how to change criminals according to their criminal causes, especially the problem of scientific correction technology. For this reason, Jiangsu Provincial Prison Administration has set up a research group since 2006 to carry out the research on the correction technology of criminals and popularize it in the prison system of Jiangsu. The achievement of 13

Airong 2004, 268 – 269.

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the research, the Original Theory of Correction Technology, was published by Law Press in March 2007. The book generalizes and divides the correction technology of criminals into nine aspects: the classification and treatment technology of criminals, the management technology of criminals, the education and correction technology of criminals, the labor correction technology of criminals, the psychological correction technology of criminals, the clinical treatment and rehabilitation technology of criminals, the correction technology of individual cases of criminals, the evaluation technology of correction quality of criminals, and the information technology of correction of criminals.14 Induction and discussion are very comprehensive, systematic, innovative and at the leading level in the country. It can be said that the scientific assessment of the quality of treatment of criminals and the scientific correction technology of criminals are the “two wings” of the bird of the scientific education and treatment of criminals. The organic combination of the two sides will raise the scientific degree of the methods of education and treatment of criminals to a new level. Evidence-based correction is a new trend of scientific development of criminal correction methods in western countries in recent years. The so-called evidencebased correction refers to a series of correction activities carried out by practitioners in the field of correction, which follow the principle of the best evidence, with the support of the individual correction experience of practitioners and the correction objects, aiming at the criminal characteristics of the correction objects. The emergence of evidence-based correction is the result of the infiltration of the spirit of natural science into the field of correction practice. Traditional correction decision-making and correction practices are more based on individual experience. Although these correction practices are correct to some extent, they lack creativity, and it is difficult to ensure the effectiveness of correction in the face of complex criminal individuals. Evidence-based correction changes the traditional custom of “correction based on individual experience”, and instead does the decision-making and implementation of correction according to the best evidence proved by practice. These evidences related to criminals are often based on the meta-analysis of a large number of studies on similar issues. Under the guidance of strict scientific norms, evidence-based correction tries to find out the individual needs of criminals, to reveal the crux of the correction problem and to prescribe the right medicine. Evidence-based correction reduces the reliance on individual experience of correction managers, improves the accuracy of correction, promotes normalization of correction while paying attention to correction facts, and realizes the unity of correction facts and norms to the greatest extent. The “best practice” of evidence-based correction originated in Canada, but it has spread across the United States in the past decade and has been adopted by major correction institutions and government organizations. Evidence-based correction in Canada is also supported by legislation. For example, in the evidence-based cor14

Airong 2007, 31 – 33.

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rection of some judicial districts in Canada, the provision of a correction plan for criminals is authorized by legislation and clearly written in the correction policy. However, according to the legislative practice of foreign countries, most countries have not yet unified legislation to regulate evidence-based correction. In the United States, for example, almost every state has evidence-based correction, but there is still a lack of uniform legislation on evidence-based correction nationwide, only a few states have made broad provisions on it. But almost every state has its own manual on evidence-based correction. Studies in several countries have shown that clear guidance can improve the correction effect, and these guidelines have been included in the certification standards of the correction project. In September 2012, the seminar on “evidence-based correction methods and practices and criminal correction in China” sponsored by the Institute of Crime Prevention of the Ministry of Justice opened in the city of Yixing, Jiangsu Province. Five experts from Canada, Hong Kong and Taiwan, China University of Political Science and Law and Shanghai University of Political Science and Law made theme reports at the seminar, and representatives from 24 provincial Departments of Justice (bureaus), prison bureaus, relevant departments and institutions attended the seminar and training. The leaders in charge of the Ministry of Justice attending the meeting pointed out that on the basis of summing up China’s traditional experience and absorbing the successful experience of foreign criminal correction, the Ministry of Justice would carry out evidence-based correction trial work in some prisons and community correction institutions with good economic conditions, rich correction experience and good research foundation. This marked a new attempt to make the methods of correction more scientific. 2.2 Handling the Relationship Between Science and Belief It should be noted that scientific education and treatment mainly refers to the scientific methods of educating and rehabilitating criminals and the technicalization of corrective measures, not the content of education and treatment itself. Prison education and treatment of criminals generally includes three aspects: ideological education, cultural education and vocational and technical education. The contents of education and treatment in these three aspects should be scientific, that is, the ways, methods and correction techniques of ideological education, cultural education and vocational and technical education of criminals should be scientific, so as to improve the effect of ideological education, cultural education and vocational and technical education of criminals. The relationship between content of education and treatment and the scientific methods of education and treatment is the one between purpose and means, and cannot be confused. In order to educate and change criminals scientifically, we need to properly handle the relationship between content and form, and between purpose and means. Especially for the ideological education of criminals, we must deal with the relationship

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between science and belief correctly, and should not overstate the role of scientific education. In a certain sense, we can say that man is a machine. We can use scientific methods and means to change him, correct his psychology and behavior.15 But on the other hand, man is not a machine. He has reason, thought and his own belief. This is the essential attribute that distinguishes man from all other creatures.16 In this sense, it is necessary to solve the problem of belief in education. The power of belief is infinite, and the role of belief education in educating and changing criminals cannot be ignored. The problem of belief is what is commonly referred to as world outlook, outlook on life, values, ideals and beliefs. What is the nature of the world, material or spiritual? Where does life come from and how to face death? How can one live to be meaningful, to give or to take? How to have value, struggle or enjoyment? These problems cannot be completely solved by science, although science helps people find the truth to some extent. Science and belief can be regarded as two juxtaposed categories. Science cannot solve the problem of belief completely. If we say that science can simply solve the problem of belief, it seems that people with high education and high education level are more likely to have scientific world outlook, outlook on life and values, correct ideals and beliefs than people with illiteracy, which is not the case in fact. Einstein said: “Science without faith is lame, and faith without science is blind.” That is to say, when human beings lack science, they become ignorant because they can’t see the real face of the material world; when human beings don’t have faith, they become faltering because they lose their way ahead. Only the organic combination of science and belief can build a sound, healthy and harmonious society, and individuals can have a good life. Compared with western countries, ideological education of criminals is the characteristic of China’s prisons. We not only offer ideological education courses, but also attach great importance to the ideological education of criminals in practice, and put it in the first place. Western countries tend to neglect the role of ideological education and generally do not offer ideological education courses. For example, in the United States, from society (including family and school) to prison, there is basically no ideological education system. Although there are priests and psychologists in American prisons, the actual educational effect of priests is limited, and the work 15

There is a philosophical book called “Man is a Machine” by De La Mettrie, a French philosopher of the enlightenment who lived from 1709 to 1751. His most famous work is “Man is a Machine”, published in 1748. The Chinese version of this book was published by the Commercial Press in September 1959. Based on a wealth of medical, anatomical, and physiological evidence that the state of mind is determined by the state of the human organism, the author holds that moving matter produces living creatures, sentient animals, and rational human beings, refuting the idealist view that the mind is an independent spiritual entity while emphasizing the dependence of the mind on matter. 16 So philosophers could write another book: Man is not a Machine.

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done by psychologists is basically irrelevant to morality. The transformation of human beings is fundamentally the transformation of ideology and morality. Only the practical ideological education can make the prisoners in prison get real transformation. The lack of an effective ideological education system in American prisons is one of the reasons for the low efficiency of American prisons.17 The content of ideological education is mainly social mainstream values and ideology of the ruling class. At present, the ideological education of criminals in China’s prisons mainly includes four basic principles: education, legal education, moral education, situation, politics and future education, etc. China’s prisons attach great importance to the ideological education of criminals, and have achieved remarkable results, which is not accidental, but has a historical and practical basis. In addition to the fundamental reason of the advantages of the social system, the achievements are also the inevitable result of the influence of traditional culture and traditional ethics to a large extent. People create their own history, but they do not create it as they please, but under established conditions. For the survival and development of any nation, its practices and thoughts are all influenced by and branded with the historical traditions. Five thousand years of Chinese culture has accumulated in the deep structure of our psychology, which still greatly influences people’s behavior patterns. The concept of “unity” in Chinese traditional culture is the historical and cultural reason why Chinese prisons attach importance to the ideological education of criminals and have achieved success. In the traditional Chinese culture, the general spirit of “great unity” is to emphasize the overall interests of the state and society, which are higher than the individual interests. When there is a conflict between the overall interests and the individual interests, the latter must give way to the former. Since the Western Han Dynasty, the concept of “unification” has become the way of thinking of Chinese people. It has a great influence on ancient Chinese society and even modern society. It has become the recognized national spirit and traditional concept of the Chinese nation. This unified way of thinking gives Chinese people’s thoughts the feature of convergence, convergence in Confucianism. This is the so-called “people with the same mind and reason”, or the so-called “people’s heart”. It is because of this convergence that the Chinese people have a strong cohesive force, so that the Chinese nation has survived thousands of disasters. Although there was chaos in the long history of China such as in the Three Kingdoms, Eastern and Western Jin Dynasties and Northern and Southern Dynasties, Five Dynasties and Ten Kingdoms and disputes among Song, Liao, Jin and Yuan Dynasties, the Chinese nation did not disintegrate and basically maintained a unified situation. This cohesion, when the country is unified, 17

Professor Huaizhi of Peking University once pointed out that there are two main reasons for the low efficiency of American prisons: one is the lack of comprehensive labor reform system, the other is the lack of effective ideological education system. And the comprehensive labor reform system and the effective ideological education system are the strengths of our prisons, and the traditions that we should not lose. For more details, see Huaizhi 1997, 491.

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plays a role in maintaining unity and preventing secession. When the country is divided, the cohesion plays a powerful role in promoting unity and ending division.18 Especially at the time of national crisis, lofty aspirations such as “everyone is responsible for the rise and fall of the nation”, “one should put the nation first”, and “one should serve the country faithfully” among others that embody the unity of the nation, have touched countless people with lofty ideals and inspired them to strive for the whole nation. “Great unity” includes both political and ideological unity. Therefore, the Chinese nation has always stressed a high degree of unity in ideology and the social intervention in individual ideology. If there are people who run counter to the will of the ruling class, society always teaches them with great patience, which embodies the traditional spirit of “educating people without tiredness”. In the process of changing criminals, prisons in China attach importance to the ideological education of criminals and have achieved success, which, in a sense, is the result of this deep national cultural tradition. Traditional culture is often the coexistence of essence and dross. The “unified view” emphasizes the overall interests and the consistency of people’s thoughts and behaviors, which is conducive to maintaining social stability and ideological education for criminals. This is a positive aspect of traditional culture, but it also has its negative effects, such as ignoring personal interests and rights. Therefore, when we carry out ideological education for criminals, we must pay attention to the cultivation of criminals’ awareness of rights and the protection of their actual rights. In this sense, we can say that our inheritance of traditional culture is not a comprehensive inheritance without analysis, but a critical inheritance, that is, to absorb its essence and reject its dross. New China had once been affected by the extreme left ideological trend for a relatively long period when it had been often seen to politicize, moralize and ideologize all people’s thoughts, opinions and behaviors and ideological education had seemed to be everywhere, and become a good way for some people to persecute others. As a result, people were in danger. Although these extreme left thinking trends have become history, they should not be ignored. We must always reflect on them to prevent the tragedy from repeating. But these tragedies, these extreme left thoughts, were not caused by ideological education itself. On the contrary, the positive effect of ideological education was seriously affected by these extreme left thoughts. In recent years, due to the negative effects of market economy, coupled with many vacuum and loopholes in the transformation process of the old and new systems, the number of criminals has increased rapidly and the harm is very serious. Many social evils that have long been extinct have resurrected. Corruption, bribery and other corrupt phenomena have intensified. Money worship has a large market and the social atmosphere has been seriously polluted. This phenomenon inevitably has affected the 18

Guitin 1990, 317.

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prison’s ideological education of criminals. The moral and belief crisis has penetrated into some prisons. Some prison managers are influenced by the negative phenomena in the current society, suffering from moral crisis, belief crisis, and right and wrong crisis in varying degrees. This makes some prisons neglect the ideological education of criminals, and think that ideological education is dispensable, weakening the ideological education of criminals in some prisons. In addition, the pressure in prison production has also weakened the ideological education of criminals in some prisons. On the other hand, the current social background also makes the ideological education of criminals in prison more difficult. If the contradiction between the content and method of traditional education and the current social reality cannot be explained reasonably, it will be difficult for criminals to be convinced, and the effect of ideological education will suffer, or even rarely work. Therefore, in view of the changed objective environment, it is imperative to update the content and form of ideological education for criminals to make them advanced, scientific and effective. We stress the importance of ideological education for criminals, but we do not stick to it blindly. To effectively educate and change criminals, we must combine ideological education with other means of correction, which is the scientific attitude we should adopt.

3. Socialization of Penalty Execution in Prisons: Handling the Relationship Between Prison and Society 3.1 The Paradox of Penalty Execution in Prisons Meaning ridiculousness, contradiction and irrationality, paradox is a very common phenomenon in human society. Due to the limitation of human rational design, all kinds of cultures created by human beings (including concepts, systems and implements) have varying degrees of structural and functional irrationality, inner contradictions, ambiguity and uncertainty of mixed values and meanings, in a certain sense.19 The grains cultivated by human beings and the silk, linen and cloth made by human beings can not only support life, but also serve the gods and ghosts; the broadsword, spear and fort created by human beings can not only defend or hunt tigers, leopards, wolves to keep people safe from dangers, but also help people kill each other bloodily; the artful design and decoration can not only bring pleasure and aesthetic enjoyment, but might also be used as a symbol to distinguish the noble from the humble, and help form the sense of honor and disgrace; various etiquette and rules and regulations created can not only widely educate people, develop good customs and traditions while preventing chaos, eliminating disputes and resolving disputes, so that the society can be stable, but also can be a monster swallowing 19

Yunjie 1990, 4.

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numerous people. This kind of cultural contradiction and irrationality does not come from the outside, but from the internal structure of culture, from the duality and uncertainty of cultural meaning, value and function.20 There is also a paradox in penalty execution in prisons. If the limited function of penalty execution in prisons is mainly due to the influence and restriction of various external factors inside and outside prisons, then the paradox of penalty execution in prisons is due to the inherent contradiction and irrationality of penalty execution in prisons itself. The paradox of penalty execution in prisons has a series of manifestations. I am going to mainly discuss two internal contradictions closely related to the efficiency of education and treatment of criminals, that is, the contradiction between the adaptation of criminals in prisons and resocialization of criminals, and that between the closed prison and the open society. 3.1.1 The Contradiction Between Adaptation of Criminals in Prisons and Resocialization of Criminals From the sociological point of view, anti-sociality is the essential feature of criminal behavior. The process of prison education and treatment of criminals is the one for the rehabilitation of criminals. The so-called anti-social nature of criminals refers to the quality or tendency of criminals’ personality which is contrary to social norms and social values. The anti-sociality of criminals is mainly formed in the process of individual socialization. The so-called socialization refers to the psychological and personality development process of human beings who have been learning and accepting social norms and social values since their birth, so as to change from a “biological person” to a “social person”. Through the study of certain social norms and social values in the process of socialization, these social norms and social values gradually get into the core of individual personality and become the internal selfworth criterion. Therefore, the process of socialization is the one of individual personality formation. The normal socialization process can lead to the formation of prosocial personality and the occurrence of prosocial behavior. And anti-socialization (the process of individual learning and accepting values and norms that conflict with traditional social values and norms, is also a form of socialization, but its content and results are just opposite to normal socialization) and defective socialization may lead to the anti-social personality tendency and the anti-social behavior, and the extreme form of anti-social behavior is criminal behavior. Since anti-sociality is mainly formed by learning, generally speaking, it should also be able to be transformed. The treatment of anti-sociality of criminals is in fact the process of resocialization of criminals. The mild anti-social nature can be eliminated by one’s own efforts, while the anti-social nature of criminals can only be transformed by external intervention and correction.21 One of the basic tasks of 20 21

Yunjie 1990, 5. Mingzheng 1995, 122.

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penalty execution in modern prisons is to re-socialize criminals, that is, to correct and transform the anti-social nature of criminals through penalty execution in prisons, so that their mentality and behavioral habits can conform to social norms and social value standards, and becoming law-abiding citizens earning their own livings, instead of breaking the law again. Therefore, resocialization of criminals is the core of penalty execution in modern prisons. But there have been many kinds of antinomy in history, and penalty execution in prisons is no exception. In the resocialization of criminals, the penalty execution in prisons often affects the process of resocialization and may even strengthen the antisociality of criminals. One of the main reasons for this is the adaptation of criminals in prisons. The term “adaptation” was first proposed by Donald Clemmer, an American sociologist. In the 1930s, he took the lead in investigating the subculture of male prisons in the United States, and wrote the book Prison Community in which the term “adaptation” appeared for the first time. According to Donald Clemmer’s explanation, adaptation refers to the process of prisoners’ learning and internalization of prison culture. The specific content can be divided into three aspects: first, the learning and acceptance of prison subculture; second, the learning and acceptance of formal rules and systems formulated by prison authorities; third, the learning and acceptance of prison general culture.22 Among them, the study and acceptance of prison subculture by criminals is the core content of adaptation. There is a corresponding cultural system in every social organization, and prison is no exception. Prison culture reflects the whole life of prison, which is a specific social organization. It is a combination of concept culture, system culture and utensil culture of prison. Prison culture in which prisoners live affects the behavior of prisoners in an all-round way. “History is the mixture of merit and sin, and culture is the aggregation of civilization and ignorance.”23 Every culture contains not only gold but also dirt. As a kind of social culture, prison culture is a combination of mainstream culture and subculture. Mainstream culture is the ideology and culture of the ruling class in a specific historical period. It is the sum total of moral ethics, social norms, aesthetic emotions and religious beliefs that dominate in a specific historical period. Marx said: “The ideology of the ruling class is the dominant ideology in every era. That is to say, a class is not only the dominant material force in the society, but also the dominant spiritual force in the society. The class that controls the means of material production also controls the means of spiritual production. Therefore, the minds of those who have no means of spiritual production are generally dominated by the ruling

22 23

See China University of Political Science and Law Press 1995. Jin 1988.

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class.”24 So is the mainstream culture of prison, which is an official culture and the expression of mainstream culture in prison. The mainstream culture of prison changes with the development of society, and is generally recognized by the whole society no matter in any era. “Subculture refers to the unique cultural form different from the mainstream culture. Subculture always tends to deviate from mainstream culture more or less.”25 Subculture has the general cultural features of a society, but it also boasts its own unique value orientation, lifestyle and code of conduct. Prison subculture is a unique way of life for prison inmates, which is the sum of informal unwritten norms, values, habits and unique behavior patterns that are popular in the criminal community. Prison subculture is not only a part of human subculture system, but also a special manifestation of subculture in a special region. Prison is the most intensive area of subculture and the distribution center of subculture. The accumulation, adaptation, inheritance, integration and differentiation of many subcultures takes place here. Therefore, prisoners in prison live in a dual cultural background. On the one hand, they are educated by the mainstream culture of prison, on the other hand, they are influenced and restricted by the subculture of prison; on the one hand, they should accept the mainstream culture of prison, make efforts to realize rehabilitation; on the other hand, they have to respect the subculture of prison, so as to deepen the degree of adaptation.26 Some scholars have summarized the prison subculture phenomenon into the following aspects: 1. rules among criminals; 2. jargon among criminals; 3. tattoos among criminals; 4. homosexuality among criminals, 5. violence among criminals. Some scholars also put the anti-social consciousness of criminals, subgroups of criminals, products of criminals’ spiritual activities, prison reaction, characteristics of criminals, prison adaptation, prison personality, prison brand, etc. into the category of prison subculture.27 On the characteristics of prison subculture, some scholars have summarized it into the following aspects28 : 1. Low level. The culture with reason and conscience is a high-level culture and the culture that should be pursued by human beings, while the prison subculture is a low-level culture, which results in a series of limitations, crudeness and weirdness in criminals’ thinking ability, aesthetic concept, life attitude, behavior mode, etc., such as tattoos among criminals and homosexuality among criminals. 2. Privacy. Prison subculture is “hidden” in the process of its generation, inheritance and integration, and in both its form and content. The prison subculture can only 24

Marx & Engels 1972, 52. Su-min 1990, 145. 26 Ping 1991. 27 Mingzheng 1992, 317 – 325. 28 Ping 1991. 25

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operate in the prison subculture group due to the limitation of its activities, so it is not easy to be found and perceived by people. Even after being discovered, the prison subculture is often regarded as a mysterious thing and power, and it is difficult to find out its true meaning. 3. Antagonism. Prison subculture is a confrontation of prison mainstream culture, which appears as anti-prison mainstream culture. The antagonism between mainstream culture and subculture is especially strong in prison. This kind of antagonism mainly shows that prisoners rebel against the existing moral norms, fight against the laws and regulations, and destroy the order of various prison regulations. Many illegal and criminal activities in prison are the result of subculture accumulation, or directly reflect the subculture of prison. For example, some prisoners, in order to avoid productive labor and to resist various supervision regulations, would devour objects, cut off their hands or feet, and even commit suicide. This is incredible for ordinary people, but it happens from time to time in prison. 4. The uniqueness of communication. Subculture exists in any society, while prison culture spreads in its unique form, characterized by “concentration from outside to inside and diffusion from inside to outside”. The generation and development of prison subculture cannot be separated from the soil of the outside society and the influence of the outside social subculture. Every new inmate is a carrier of the subculture of the external society, at the same time, he is facing the problem of adapting to the subculture of the prison. The prisoners in prison often face the problem of the integration of the two subcultures. A new subculture of prison will be formed after the integration of subculture of external society and original subculture of prison. Prison is not only the place where the subculture of the outside world is concentrated, but also the starting point for the proliferation of the prison subculture to the outside world. With the release or escape of prisoners, those who have not been completely transformed spread the prison subculture to every corner of the external society, so as to be a part of the subculture of the external society. Recidivists and their reimprisonment bring the external social subculture, which integrates with the original subculture of prison. Such ongoing interaction between these two cultures has created a vicious circle of subculture transmission. This is the basis for some people in the west to refer to prisons as “dye vats” and “schools of crime”. 5. Continuity. Although the subculture of prison is opposed by the mainstream culture of prison, once the cultural mode is established, it tends to keep on. Even under external pressure, the prisoners in prison will not easily give up their original cultural preferences. Prison subculture has strong adhesiveness, and every prisoner is affected by it to varying degrees. The prisoners who accept the group culture and adapt to the “system” can obtain certain power and status among the prisoners, otherwise they will be excluded by the criminal group. Many subcultural phenomena in prison are treated as “prison customs” because they are kept for a long time. Any culture is not a backwater. It should be inno-

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vated and developed with the development of the times. However, due to cultural inertia and conservatism, the rate of change is relatively slow. The change of prison subculture is even more so. Prison subculture often treats the change of culture not actively, but passively or even reactively, which results in the repetition and simplification of prison subculture. As a process of learning and accepting prison subculture, the prisoners’ adaptation is the process of anti-socialization, and of criminalization to a certain extent. In the process of adaptation, criminals learn each other’s criminal skills and bad habits, leading to further decline of moral concepts and further loss of sense of shame. The prisoners after adaptation accept the informal values, habits and norms of the criminal community, and at the same time, they have immunity to the dominant values of society and the rules formulated by the prison authorities, which greatly reduces their positive impact. Therefore, the adaptation may not only make it more difficult to transform and re-socialize criminals, but also deepen the degree of anti-social behavior of criminals, resulting in a large number of recidivists. 3.1.2 The Contradiction Between Closed Prison and Open Society Strictly speaking, the contradiction between the closed prison and the open society should also belong to the category of the contradiction between the adaptation and the resocialization of criminals. However, due to its outstanding influence on the prison efficiency, it is necessary to discuss the contradiction between the closed prison and the open society in particular. The traditional prison environment is far from the normal social environment. As a full-control institution, prison, like other full-control institutions such as psychiatric hospitals, concentration camps and monasteries, also strictly controls people’s behavior according to a set of special rules and practices. Prisoners live in an almost isolated environment. Closed environment and some humiliating facilities, clothing, activities and rituals tend to cause mental trauma and personality degradation to prisoners. American professor Philip George Zimbardo did an experiment to prove the above statement. He used the basement of a building at Stanford University as a simulated prison to recruit a group of college students without criminal records for the experiment. By lot, some students acted as “prisoners” and some as “guards”. Although the participants in these trials had obvious normal human status, this environment (simulated prison) quickly presented the characteristics of the full control institution: three “prisoners” had serious trauma reactions in the first four days of the trial, so they had to be “released” in advance. The rest of the “prisoners” and “guards” soon behaved like real prisoners and guards. One third of the “guards” abused their power and made the “prisoners” despondent. Although the remaining “guards” did not take part in such actions, they did not stop others from abusing the “prisoners”. That is to say, the “guards” and “prisoners” quickly showed the behavior pattern understood as conforming to the status in a way different from that in a free society a few

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days ago. Professor Philip George Zimbardo had planned to carry out the experiment for two weeks. Later, he felt that the mental damage to the participants was so great that he had to stop the experiment after six days into the experiment.29 The gap between the closed prison and the normal social life inevitably affect the efficiency of prison education and treatment of criminals and the larger the gap, the lower the efficiency of prison education and treatment of criminals. In fact, it is very difficult for a person to get out of a normal social life and into an abnormal social environment, but at the same time act as in a normal social life. This is the paradox. Professor Norval Morris with the University of Chicago in the United States has at least revealed the essence of this problem to a certain extent: imprisonment is undoubtedly a kind of expulsion of criminals from human society, which expels criminals into a worse place than the general social conditions, and criminals must return to society from this worse place, so it can be said that this is a strange and useless expulsion. After the criminals are expelled, not only can they not live a meaningful life, but also they are cut off from the society, which damages their mental health and sociality, making it more difficult for them to return to the society.30 Some western scholars point out that under the condition of imprisonment, prisoners are deprived of the minimum sense of responsibility. Like children, they are prescribed when to eat and sleep, when to work and when to rest, all of which they do not need to nor can decide by themselves. As a feature of a normal society, upholding one’s rights should be encouraged. In prison, however, prisoners’ insistence on their rights is often regarded as disobedience to discipline and thus will be punished. Prison life, which is different from the normal life of society, is deeply branded on every prisoner. This brand is hard to disappear for a long time for some prisoners after they are released from prison, even goes with their whole lives, making them “prisoners” who are not in prison. The contradiction between the adaptation and the resocialization of criminals, between the closed prison and the open society, profoundly reveals the drawbacks and defects of imprisonment and traditional prisons when it comes to the change of criminals. In order to alleviate these contradictions and crises, western countries have adopted many treatment programs. The main measures can be divided into two aspects: The first is to control the source of the application of imprisonment in legislation and trials, to get rid of the dependence of the society on imprisonment as much as possible, and to make imprisonment become a tool that can only be used in case of necessity. In western countries, some behaviors which do no serious harm to the society constituted a crime according to the traditional concept of penalty, but now they are no longer considered as a crime or a crime punished by deprivation of liberty. This is the so-called decriminalization, or the trend of non-imprisonment penalty. In the United States, for example, since 1963, many states have legalized one 29 30

See Huaizhi 1997, 510 – 511. Ganmei 1979, 282.

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or more forms of gambling. By 1975, 29 states had legalized horse racing gambling, 8 states legalized casino gambling, and at least 6 states had other types of legal gambling. In the 1960s and early 1970s, the United States treated possession of marijuana as a felony. However, with the proliferation of drugs and drug abuse, some states further relaxed control on marijuana. From 1973 to 1978, 11 state legislatures passed laws to decriminalize possession of marijuana and not to deal with it as a crime.31 When entering the trial stage through the legislative checkpoint, there are new checkpoints in front of the application of imprisonment, which is a large number of choices of punishment types or punishment systems that limit or replace the imprisonment. The choice of punishment is mainly reflected in two aspects: one is to choose a large number of fine penalties. In some western countries, the trend of penalty system changing from imprisonment to fine penalty is obvious. The other is to choose to apply the restrictive punishment. Limiting freedom punishment is not deprivation of personal freedom, but restriction, that is, not detaining prisoners in a certain place, but allowing them to stay in society and maintain their normal life as usual under certain conditions stipulated by law, such as community service in the United States, social service orders in Britain, etc. There are two main measures of the criminal system in this respect. One is to choose the application of probation. In modern western countries, probation is a force comparable to fine, and its impact on the status of imprisonment is the hot topic of western scholars. Because probation is mainly applicable to the criminals who commit minor crimes and should be punished with short-term imprisonment, but for the consideration of criminal policy, it is not necessary to sentence or execute the sentence for the time being, so probation has long been regarded as an important means to replace short-term imprisonment. Since the Second World War, the application of probation in western countries has been expanding day by day. The other is to change the traditional way of execution of imprisonment, and implement the open correction system, such as labor release system, learning release system, homecoming system in which prisoners are given time off to go home for a holiday, weekend detention system and so on. The main function of this measure is not to cut off the relationship between criminals and the external society as much as possible, so that criminals have sufficient psychological preparation and adaptability for returning to society. Before the reform and opening up, Chinese society was basically closed. At that time, with the relatively small gap between the closed prison environment and the external society and the favorable social macro environment, the efficiency of the prison was relatively high, and the effect of changing criminals was relatively good. However, since the reform and opening up, Chinese society has been more and more open, and the distance between the traditional closed prison life and the modern open social life has gradually widened, which is bound to affect the effect 31

See Yupei, Chunxi, & Wen 1991, 393 – 394.

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of treatment of criminals in prison. In order to adapt to this changed situation and to continue to change criminals effectively under the new situation, in recent years China’s prisons have taken many new measures to change criminals, such as setting up special schools in prisons so that criminals can receive better education while serving their sentences. The implementation of the “three extensions” of the work of educating and changing criminals gives criminals more opportunities to contact the society while serving their sentences in prison, and mobilizes various social forces to participate in the treatment of criminals, etc. Its purpose is to coordinate the prison life of criminals with the normal life of the society, so as to improve the efficiency of prison education and treatment of criminals, so that criminals can return to the society smoothly after they are released from prison, not to commit crimes again, and hope to contribute to the society. These measures have achieved remarkable results in practice. I believe that under the macro background of the continuous opening up of today’s society, in order to avoid some disadvantages of the traditional prison execution and to educate and change criminals more effectively, we should learn from the good experience of western countries in correcting criminals and make further efforts in the socialization of penalty execution according to the actual situation in China. 3.2 The Socialization of Penalty Execution and Its Measures The Opinions clearly define the concept, task and basic measures of the socialization of penalty execution in prisons. Socialization of prison work means that prison work should make full use of social resources and social forces to do a good job in prison work on the basis of adhering to the principle of giving priority to prison police officers. The main task is to use social resources to gradually establish a multi-level and all-round social assistance and education system, to create a socialized transformation environment, to realize the socialization of transformation strength, transformation means, transformation content and the socialization of prison work logistics support, and to realize the benign interaction between prison work and the social environment.32 The specific measures are: 1. To create a transformation environment conducive to the reintegration of criminals. To create a socialized atmosphere in prison, we should try our best to keep criminals in a socialized environment, shorten the distance between prison life and social life, and improve the ability of criminals to adapt to social life after they are released from prison. And we should also give a chance to criminals to visit the society on a regular basis, so that criminals can personally feel the atmosphere of modern social life and the development of the society. 2. To establish and improve the network of social assistance and education. The party and government organs, the army, schools, social organizations, community organizations and other institutions, as well as people from all walks of life, will 32

See The Ministry of Justice of China 2003.

Relationships Needed to Be Properly Handled in Process of Penalty Execution 1201

be widely absorbed to participate in the education and treatment of criminals. Gradually, an education and treatment force will be formed, with the prison police as the main body and the representatives of part-time social workers, voluntary helpers and educators, and released prisoners. 3. To make full use of social resources to carry out ideological, cultural and vocational education for criminals. In particular, it is necessary to strengthen employment guidance and vocational training for criminals before they are released from prison. The prison should, together with the local departments of labor, industry and commerce, jointly carry out targeted employment guidance and vocational training before the criminals return to society. Within the scope permitted by law, criminals who are about to be released after serving their sentences may be allowed to apply for their future jobs.33 It can be seen that the provisions of the Opinions on the socialization of prison work are relatively comprehensive.34 Community correction is closely related to the socialization of penalty execution in prisons. Since the 1990s, China’s prisons and correctional theorists have begun to study the above-mentioned difficulties faced by penalty execution in prisons, and believed that China should gradually implement community correction to enhance the effect of educating and changing criminals. es:

Compared with imprisonment, community correction has the following advantag-

1. It is conducive to mobilizing the initiative of criminals’ education and treatment. It can not only reduce and avoid the cross infection between prisoners in prison, but also help eliminate their antipathy toward correction and mobilize their enthusiasm of self-improvement and self-conscious education. 2. It helps control the prison population and improves the quality of prison education and treatment of criminals. The current situation of illegal activities and crimes in China is very serious, and the number of crimes has increased dramatically. It can be predicted that in the next period of time, the general trend of the rising number of crimes in China will still continue, which indicates that the number of prisoners in prison will increase accordingly. In this case, the prison will be overcrowded, and for a prison full of people it is difficult to carry out the effective transformation of criminals. Therefore, the implementation of community correction is one of the effective measures to control the prison population, improve the prison environment and improve the quality of prison education. 3. It can be used as a bridge for prisoners to return to society. At the beginning of his release from prison, the prisoner is at the most dangerous stage. Criminals lose freedom completely in prison. Once getting out of prison, they suddenly get com33

See The Ministry of Justice of China 2003. In this paper, “the socialization of penalty execution in prisons” and “the socialization of prison work” are generally understood and applied in the same sense, while the socialization of penalty execution in prisons has a broader content including community correction. 34

1202

Wang Ping

plete freedom, thus facing a dramatic change in their life. Without proper adjustment, they are very easy to commit crimes again. Therefore, after the prisoners are released from prison, they should still be supervised, managed and educated for a certain period of time, so that they will not repeat their mistakes due to various difficulties, and can smoothly return to society and become law-abiding citizens. 4. It is beneficial to mobilize community forces to educate and correct criminals. Putting eligible criminals in the community and letting them live among the masses can mobilize the public and all sectors of society to participate in the supervision, education and correction of criminals. 5. It is conducive to saving penalty execution resources and reducing the cost of penalty execution. The high cost of imprisonment is a common problem in the world. Compared with imprisonment correction, community correction can save the cost of penalty execution and reduce the financial burden of the country. 6. It is conducive to the implementation of the criminal policy of tempering justice with mercy. There are many reasons for criminals to commit crimes, and social harmfulness of criminals varies. Some people’s crimes are minor and their subjective malice is not serious. If all these criminals are sentenced to imprisonment, this will not get the support of the public; if community correction is applied, we not only maintain the dignity of the law, but also consider the actual situation of the case, which has the effect of supporting the right and removing the evil. The application of community correction to the defendant in the case of injury caused by civil disputes is conducive to the defendant’s active performance of the obligation of compensation, protection of the legitimate rights and interests of the victim, and the alleviation and elimination of conflicts. For the case that the defendant is the main labor force in the family, the application of community correction can maintain the livelihood of the family and avoid the family being broken because of the imprisonment of its family members. Due to the promotion of academic circle and press as well as the urgent need of reality, China began to consider the implementation of community correction. On July 10, 2003, after full discussion and consultation, the Supreme People’s Court, the Supreme People’s Procuratorate, the Ministry of Public Security and the Ministry of Justice jointly distributed the Notice on Carrying Out the Pilot Work of Community Correction, and decided to carry out the pilot work of community correction in Beijing, Shanghai, Tianjin, Jiangsu, Zhejiang and Shandong since 2003. The main contents of the above notice are as follows:35 1. Defining the nature of community correction. 2. Identifying the objects of community correction. The scope of application of community correction mainly includes the following five kinds of criminals: 35 The Supreme People’s Court, the Supreme People’s Procuratorate, the Ministry of Public Security & the Ministry of Justice 2003.

Relationships Needed to Be Properly Handled in Process of Penalty Execution 1203

those who have been placed under surveillance; those who have been given a reprieve; those who have been allowed to temporarily serve their sentences out of prison, specifically including: those who have serious diseases and need to be taken out of prison for medical treatment, those who are pregnant or are breastfeeding their own babies, those whose life cannot be taken care of by themselves, and are allowed to temporarily serve their sentences out of prison without the danger of doing harm to society, and those who are released on parole; those who are deprived of political rights, and serving a sentence outside an incarceration facility. If the above conditions are met, minor offenders with minor crimes and minor subjective maliciousness, old offenders, sick offenders and disabled offenders, as well as the first offenders and negligent offenders with minor crimes, shall be taken as the key objects to apply the above-mentioned non-custodial measures and implement community correction. 3. The task of community correction has been determined. According to the criminal law, criminal procedure law and other relevant laws, regulations and rules, we should strengthen the management and supervision of community prisoners to ensure the smooth implementation of punishment. Through various forms, we should strengthen the ideological education, legal education and social moral education of the community prisoners, correct their bad psychology and behaviors, and make them repent, abandon evil to good, and become law-abiding citizens. To help community prisoners solve their difficulties in employment, life, law and psychology, so as to help them adapt to social life smoothly. 4. The working mechanism of community correction is stipulated. The notice requires the relevant departments of public prosecution, public security, judge and judicial administration to perform their respective responsibilities and cooperate with and support each other to ensure the smooth implementation of the pilot work. In January 2005, the Supreme People’s Court, the Supreme People’s Procuratorate, the Ministry of Public Security and the Ministry of Justice jointly issued the Notice on Expanding the Scope of the Pilot Work of Community Correction. Before the 2008 Beijing Olympic Games, the scope had been extended to 25 provinces. In October 2009, the Supreme People’s Court, the Supreme People’s Procuratorate, the Ministry of Public Security and the Ministry of Justice jointly issued the Opinions on Comprehensively Promoting the Pilot Work of Community Correction, which made it clear that the nationwide trial implementation of community correction would start in 2009. On February 25, 2010, the Standing Committee of the National People’s Congress passed the Criminal Law Amendment (8), which came into force on May 1, 2010. The results of the above theoretical research and the experience of judicial practice were included in the criminal code, and community correction eventually rose to the legal provisions. On December 28, 2019, the 15th meeting of the Standing Committee of the 13th National People’s Congress voted to pass the Community Correction Law of the Peo-

1204

Wang Ping

ple’s Republic of China, with a total of 9 chapters and 63 articles. It took China nearly 17 years to go from its first pilot work of community correction in July 2003 to July 1, 2020 when the Community Correction Law shall come into effect. According to Jiang Aidong, director of the Administration of Community Correction of the Ministry of Justice, after years of efforts, community correction has developed rapidly and achieved remarkable results. According to the data, in the past 16 years, 4.78 million people have received community correction and 4.11 million have been released. In recent years, the recidivism rate of community correction objects has been kept at a low level of 0.2%.36 This shows that China’s community correction work plays an important role in maintaining social harmony and stability, promoting the construction of safe China and rule of law, and advancing the progress of judicial civilization. It should be noted that although the function of prison education and treatment of criminals is limited, it has its own effect and should not be abandoned. On the contrary, I have always advocated that prison should make its own efforts in educating and changing criminals as much as possible, so as to reduce the recidivism rate of prisoners and make its own contribution. Franz von Liszt, the famous German criminal law master once said: “correct the correctable criminals, and make the uncorrectable criminals do not harm”37, which means that due to the limited prison conditions, some criminals may not be well rehabilitated. For those criminals who are not well changed, the prison and the society should strive to prevent them from harming the society. And most criminals can still be educated and changed through efforts. Therefore, the prison should make the greatest efforts. In addition, prison not only has the function of educating and changing criminals, but also has many others such as retribution, deprivation and deterrence. These functions are not only out of the pursuit of penalty execution in prisons, but also of the need of reality. Under the historical conditions of modern society, imprisonment and prison are still indispensable means of punishment for defending society, maintaining social order and stability, and in a sense, they are also one of the most powerful means of punishment. We can only try our best to overcome their disadvantages, but it is impossible to abolish imprisonment and prison. References Airong, Y. (2004): Evaluation of the Quality of Criminal Rehabilitation. Beijing. Airong, Y. (2007): The Original Theory of Correction Technology. Beijing. China University of Political Science and Law Press (1995): Adaptation of Criminals in Prisons – References on Prison Science. Beijing. De La Mettrie, J.O. (1748): Man a Machine. 36 37

See Ningning 2020, 5. See Von Liszt 2000, 13.

Relationships Needed to Be Properly Handled in Process of Penalty Execution 1205 Ganmei, Z. (1992): Criminal Policy. Taiwan, China. Guitin, Z. (1990): Traditional Chinese Philosophy. Beijing. Huaizhi, C. (1997): The Theory of Criminal Integration and Relational Criminal Law. Beijing. Jianming, C. (1997): From “Legal System” to “Rule of Law”. Exploration and Contention 12/8, p. 6. Jin, C. (1988): Tragedy and Romance. Beijing. Liszt, F. von (2000): Textbook of German Criminal Law (translated by Jiusheng, X). Beijing. Marx, K. & Engels, F. (1972): Selected Works of Marx and Engels. Beijing. Mingzheng, S. (1992): Review of the Legal Theory of Labor Treatment in China. Beijing. Mingzheng, S. (1995): The Introduction to Prison Studies. Beijing. Ningning, Z. (2020): Absorbing Pilot Experience to Provide Strong Legal Guarantee for Community Correction. Legal Daily, January 7, p. 5. Ping, S. (1991): Research on Prison Subculture. Beijing. Ping, W. (2002): Why to Protect the Rights of Criminals. Legal Daily, October 22, p. 12. Su-min, X. (1990): Cultural Philosophy. Shanghai. The Ministry of Justice of China (2003): The Opinions on Further Promoting the Legalization, Scientization and Socialization of Prison Work. Beijing. The Supreme People’s Court, the Supreme People’s Procuratorate, the Ministry of Public Security & the Ministry of Justice (2003): The Notice on Carrying Out the Pilot Work of Community Correction. Beijing. Yunjie, S. (1990): Cultural Paradox. Shandong. Yupei, G., Chunxi, Y. & Wen, Z. (1991): The New Theory of Crime and Penalty. Beijing. Zhiliang, W. (2009): Riots in Foreign Prisons and Their Countermeasures. Guangxi.

Sexualstraftäter in sozialtherapeutischen Anstalten des Freistaates Sachsen Vergleichende Rückfallanalysen Von Gunda Wössner

1. Einleitung Das Gesetz zur Bekämpfung von Sexualdelikten und anderen gefährlichen Straftaten, das im Jahr 1998 in Kraft trat, hatte zur Folge, dass Sexualstraftäter mit einer Freiheitsstrafe von mehr als zwei Jahren ab dem Jahr 2003 in eine sozialtherapeutische Anstalt zu verlegen und dort zu behandeln waren (vgl. StVollzG § 9). Dies war der Hintergrund, vor dem der Jubilar gemeinsam mit dem Sächsischen Staatsministerium der Justiz und seinem Nachfolger auf dem Lehrstuhl für Strafrecht, Strafprozessrecht, Wirtschaftsstrafrecht und Kriminologie der TU Dresden die Idee für eine groß angelegte Längsschnittstudie zur Evaluation der Sozialtherapie entwickelte. Denn es durfte durchaus kritisch hinterfragt werden, ob der Fokus auf die Behandlung der Zielgruppe der Sexualstraftäter1 gerechtfertigt war. Einerseits ergibt sich allein aus der Tatsache, dass sexuelle Übergriffe auf Seiten der Opfer zu lebenslangen psychischen und physischen Folgen führen können (vgl. Campbell 2002; Oshodi et al. 2020; Romans et al. 2002), ein besonderer Behandlungsbedarf dieser Tätergruppe. Andererseits können auch Gewaltstraftaten mit traumatisierenden Opfererfahrungen und schwerwiegenden Folgen bis hin zum Tod des Opfers verbunden sein (vgl. Fetzer & Pezzella 2019; Krahé & Greve 2002). Zudem legen Zahlen zum Rückfallverhalten von Sexualstraftätern ein vergleichsweise geringes einschlägiges Rückfallrisiko nahe (Jehle et al. 2016). Und schließlich stellte sich die maßgebliche Frage, ob die sozialtherapeutische Behandlung das erklärte Vollzugsziel (künftig ein Leben ohne Straftaten zu führen) bei den Gefangenen, bei denen die Verlegung in die Sozialtherapie zur Erreichung dieses Ziels angezeigt ist, überhaupt zu erreichen vermag. Denn zu inkonsistent waren und sind die empirischen Ergebnisse zur Wirksamkeit der Sexualstraftäterbehandlung (Albrecht & Ortmann 2000; Ortmann, Albrecht & Obergfell-Fuchs 2004). 1 Um die Lesbarkeit zu erleichtern, werden die wegen eines Sexualdelikts bzw. Gewaltdelikts verurteilten Personen im Folgenden als Sexual- bzw. Gewaltstraftäter bezeichnet, wobei dabei ausdrücklich darauf hingewiesen werden soll, dass die Personen damit nicht stigmatisiert werden sollen.

1208

Gunda Wössner

Durch die Föderalismusreform im September 2006 ging die Gesetzgebungskompetenz für die Regelung des Strafvollzugs zwar vom Bund auf die Länder über. Da die einzelnen Bundesländer die Gesetzgebung zur Sozialtherapie in Anlehnung an das StVollzG gestalteten oder nur unwesentlich veränderten (auch wenn „unterschiedliche Akzentuierungen“ beobachtbar sind, vgl. Wischka & van den Boogart 2018, 133), haben die Forschungsfragen und Ergebnisse dieses Projekts nichts an Aktualität verloren.2

2. Behandlung von Sexualstraftätern Die Behandlung von Sexualstraftätern ist nicht nur in Deutschland zusehends in den Fokus gerückt, auch in anderen Ländern hat sich die Therapie im Strafvollzug und im Zuge dessen auch die Forschung hierzu in den letzten Jahrzehnten immer mehr auf die Gruppe der Sexualstraftäter konzentriert (Albrecht & Grundies 2007; Schmucker & Lösel 2008, 15). Dabei zeichnet sich ein recht heterogenes Bild hinsichtlich der Ergebnisse der Wirksamkeit der Therapie von Sexualstraftätern ab. Insgesamt wird allerdings vor einem übertriebenen Optimismus gewarnt (Hanson et al. 2009; Marques et al. 2005) und mehrere Autorinnen und Autoren gehen sogar davon aus, dass der Behandlungseffekt nahezu komplett verschwindet, sobald alle Störfaktoren berücksichtigt werden (Eher & Pfäfflin 2011; Rice & Harris 2013). Hierzu gehören Aspekte wie Stichprobengröße, institutionelles Setting der Behandlung (ambulant vs. intramural) oder Grad der Nähe des jeweiligen Evaluationsteams zum Behandlungsprogramm, um nur einige Einflussfaktoren auf Evaluationsergebnisse zu nennen (vgl. Schmucker & Lösel 2005, 2008). Zuletzt kam in England und Wales das Sex Offender Treatment Programme (SOTP), auf dem das in Deutschland seit mehreren Jahren etablierte Behandlungsprogramm für Sexualstraftäter (BPS, vgl. Wischka & van den Boogart 2018) aufbaut, wegen fehlender Wirksamkeit nicht mehr zur Anwendung (Casciani 2017). Diese internationalen Befunde gelten freilich nicht für die Sozialtherapie im Speziellen. Allerdings liegen für die Wirksamkeit der Sozialtherapie einerseits generell eher heterogene Wirksamkeitsergebnisse vor (vgl. Wössner 2014, 50 m.w.N.; Ortmann 2002), andererseits sind Erkenntnisse zur Sozialtherapie bei Sexualstraftätern eher Mangelware. Schließlich kann die Frage gestellt werden, ob die gesetzlich verankerte obligatorische Behandlung der Gruppe der Sexualstraftäter nicht vielmehr ein Herrschaftsinstrument im Sinne einer auf die Risikokontrolle von als besonders gefährlich und rückfallgefährdet geltendene Straftäter abzielende Spezialprävention darstellt (Albrecht 2013a, XVII) bzw. auf Symbolpolitik beruht (Hefendehl 2013, 8). Auch deshalb ist ein kritischer Blick auf die Behandlung sowie das Rückfallverhalten geboten, wobei gerade der 2 Hefendehl (2013, 12 ff.) macht in diesem Zusammenhang auf die Relativierung des Vollzugsziels der Resozialisierung aufmerksam und spricht gar von einem Paradigmenwechsel, durch den im Zuge der Föderalismusreform Resozialisierungsinteressen zugunsten des Sicherheitsinteresses der Allgemeinheit abgewertet wurden.

Sexualstraftäter in sozialtherapeutischen Anstalten des Freistaates Sachsen

1209

Vergleich mit der Tätergruppe Gewaltstraftäter und der Vergleich mit nicht sozialtherapeutisch behandelten Tätern zu den angerissenen Fragen wichtige Erkenntnisse liefern kann. In Anbetracht des Umfangs des hier vorgestellten Langzeitprojekts vermag dieser Beitrag nur einige ausgewählte Forschungsergebnisse zu skizzieren und – zur Einordnung dieser – eine kurze Darstellung des Studiendesigns zu geben. Im Fokus sollen grundlegende Ergebnisse zum Rückfallverhalten mit Blick auf die zentralen Forschungsfragen stehen. Als Hauptkriterium wird hier der Rückfall laut Bundeszentralregister, also dem Hellfeld, herangezogen. Auch wenn der Einsatz von Rückfall als Erfolgskriterium etwa zum Zwecke der Evaluation und damit zur Beurteilung und ggf. Weiterentwicklung kriminalpolitischer Maßnahmen kritisch gesehen werden kann, so betont Albrecht (2013b), dass gerade im Bereich der schweren Kriminalität, wie sie Sexualdelikte darstellen, der Rückgriff auf offizielle Rückfallstatistiken eine zentrale Datengrundlage zur Risikoeinschätzung ist.

3. Methodischer Hintergrund des Projekts Vor dem oben skizzierten Hintergrund wurde im Jahr 2003 mit der Durchführung des hier vorgestellten Projekts begonnen (vgl. Ortmann et al. 2003). Die wissenschaftlichen Hauptziele umfassen die empirische Untersuchung der Rückfallkriminalität von Sexualstraftätern sowie diese beeinflussenden Faktoren und die Evaluation der sozialtherapeutischen Behandlung. Zudem soll das theoretische Verständnis zum Rückfallverhalten von Sexualstraftätern weiterentwickelt werden. Dies geschieht vor allem ausgehend von der von Gottfredson & Hirschi (1990) formulierten allgemeinen Kriminalitätstheorie (General Theory of Crime), wonach fehlende Selbstkontrolle – im Zusammenspiel mit Gelegenheitsstrukturen – für jegliche Form delinquenten Verhaltens, also auch dem Rückfall mit neuerlicher Sexualkriminalität, verantwortlich ist.3 3.1 Sozialtherapeutische Behandlung im Freistaat Sachsen Die sozialtherapeutische Behandlung im Sächsischen Strafvollzug richtet sich nach den vom Arbeitskreis Sozialtherapie erarbeiteten Mindeststandards. Sozialtherapie im Strafvollzug ist demnach als integrative therapeutische Maßnahme konzipiert, bestehend aus Sozialarbeit, Psychotherapie, Bildungs- und Arbeitsmaßnahmen, Freizeitinterventionen und Milieutherapie (vgl. Wischka & van den Boogart 2018). Die Evaluation der Sozialtherapie ist u. a. auch deswegen herausfordernd, weil es nicht die eine Sozialtherapie gibt, sondern die konkrete Ausgestaltung in De-

3 Mittlerweile haben die Autoren die General Theory of Crime leicht modifiziert, siehe Gottfredson & Hirschi 2020.

1210

Gunda Wössner

tails von Anstalt zu Anstalt variiert (vgl. Guéridon 2016; Wössner 2014). Zudem befinden sich die Interventionen in ständigem Wandel.4 3.2 Studiendesign und Erhebungsinstrumente Aufgrund der gesetzlichen Bestimmungen, alle Sexualstraftäter mit einer Freiheitsstrafe von mehr als zwei Jahren sozialtherapeutisch zu behandeln, war ein randomisiertes Experiment, wie es von Ortmann (2002) für die Evaluation der Sozialtherapie Nordrhein-Westfalens in den 1990er Jahren realisiert wurde, nicht umsetzbar. Somit wurde ein quasi-experimentelles Untersuchungsdesign entworfen, bei dem die teilnehmenden Probanden zu verschiedenen Messzeitpunkten exploriert wurden (vgl. Abbildung 1). Der erste Untersuchungszeitpunkt lag zu Beginn der Haftphase im Regelvollzug (bei im Regelvollzug verbliebenen Insassen) oder in der Sozialtherapie (für Sozialtherapieteilnehmer bzw. Gefangene, die die Sozialtherapie später abbrachen). Der zweite Erhebungszeitpunkt lag kurz vor Entlassung aus dem Strafvollzug. Des Weiteren wurden die noch zur Teilnahme bereiten Probanden im Mittel 1,5 Jahre nach der Haftentlassung exploriert. Zu einem vierten Erhebungszeitpunkt wurden die Bundeszentralregisterauszüge der Probanden angefordert, um für alle zum ersten Zeitpunkt teilnehmenden Probanden den offiziell registrierten Rückfall zu analysieren. Diese Auszüge bilden die Datengrundlage der hier präsentierten Rückfallanalysen. Die Teilnahme an der Untersuchung war freiwillig. Aufgrund der Längsschnittstudien immanenten Problematik einer zunehmenden Stichprobenmortalität reduzierte sich die Anzahl der Teilnehmer von n = 403 zum ersten Erhebungszeitpunkt, auf n = 277 zum zweiten Erhebungszeitpunkt und n = 144 zum dritten Erhebungszeitpunkt. Die Stichproben der unterschiedlichen Erhebungszeitpunkte setzten sich aus Sexual- und Gewaltstraftätern zusammen, also Personen, die zum ersten Erhebungszeitpunkt entweder wegen eines Sexualdelikts (Vergewaltigung, sexueller Missbrauch) oder Gewaltdelikts (Körperverletzung, Raub, Geiselnahme, Tötungsdelikt) inhaftiert waren. In die Gruppe der Gewaltstraftäter wurden nur solche Gefangenen aufgenommen, die in der Vergangenheit nicht wegen eines Sexualdelikts verurteilt wurden. Auf eine ausführliche Darstellung der Durchführung der Untersuchung soll hier aus Platzgründen verzichtet werden (siehe hierzu Wössner et al. 2013). Es sei an dieser Stelle lediglich betont, dass die Datenerhebung von unabhängigen wissenschaftlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Max-Planck-Instituts durchgeführt wurde. Dies betraf sowohl die persönliche Exploration der Probanden mittels ausgewählter standardisierter psychometrischer Testverfahren und eigens für das Projekt entworfener Interviewleitfäden und Fragebögen als auch die Analyse der Gefangenenpersonalakten (GPA). Mithilfe dieser verschiedenen Erhebungsinstrumente wurden diejenigen Merkmalsbereiche operationalisiert, von denen ein Zusammenhang 4 Näheres zum sozialtherapeutischen Behandlungskonzept Sachsens, das Gegenstand der Studie ist, findet sich in Wössner, Hefendehl & Albrecht 2013.

Sexualstraftäter in sozialtherapeutischen Anstalten des Freistaates Sachsen

-

2003

bis 12/2012

bis 12/2013

2012

2017

t1

t2

t3

t4.1

t4.2

n = 403 zu Beginn der Inha!ierung halbstrukturierte Interviews zur Biografie

-

n = 277 kurz vor der Ha!entlassung Aktenanalyse, Mitarbeiterbefragung, Entlassungsvorbereitung

-

n = 144 ca. 1,5 Jahre nach der Entlassung qualita"ve Interviews, selbstberichtete Delinquenz

1211

Auskün!e aus dem Bundeszentralregister

Erfassung der Maßnahmen in Ha!

Erfassung ausgewählter persönlichkeitsbezogener Merkmale

Abbildung 1: Untersuchungsdesign

mit dem Rückfallgeschehen bzw. der Legalbewährung theoretisch begründet angenommen wurde (vgl. hierzu Wössner et al. 2013). Um den Einfluss der sozialtherapeutischen Maßnahmen zu untersuchen, wurden Interventionen einerseits durch die Befragung der Probanden und andererseits durch Erhebungen aus Informationen der GPA erfasst. Potenzielle tatbezogene Merkmale wurden ebenfalls der GPA entnommen, biographische Risikomarker mithilfe des biographischen Interviews zu t1 erfasst. Die persönlichkeitsbezogenen Einflussfaktoren wurden zu den Befragungszeitpunkten t1 und t2 erhoben und bezogen sich u. a. auf Selbstkontrolle (Fragebogen zur Erfassung von Selbstkontrolle in Anlehnung an Grasmick et al. 1993), Empathiefähigkeit (E-Skala, Leibetseder et al. 2001), kognitive Fähigkeiten (z. B. mittels MWT-B Intelligenztest, Lehrl 1999), emotionale Labilität, soziale Orientierung und Aggressivität (NEO-FFI, Borkenau & Ostendorf 1993 und FPI-R, Fahrenberg, Hampel & Selg 2001) sowie psychopathologische Aspekte wie dissoziale Persönlichkeit (SKID-II Strukturiertes Klinisches Interview nach DSM-IV, Fydrich et al. 1997). Des Weiteren wurde das perzipierte Anstaltsklima erfragt (PRISKLIMFragebogen, Ortmann 2002). Zum Zeitpunkt t3 wurden einige wenige ausgewählte Tests wiederholt sowie die Sense of Coherence Scale (SOC, Singer & Brähler 2014) neu eingeführt5, im Zentrum der Nachbefragung stand allerdings ein halbstrukturiertes Interview zur Lebenssituation der Probanden nach Haft und ein Fragebogen zur selbstberichteten Delinquenz. Der hier dargestellte Überblick über die Ergebnisse zum Rückfallverhalten und den damit zusammenhängenden Faktoren beruht vornehmlich auf quantitativen Methoden (inferenzstatistische deskriptive Verfahren und logistische Regressionen). 5 Hiermit wird erfasst, inwiefern die Probanden ihr Leben verstehbar und handhabbar und die Welt als geordnet betrachten.

1212

Gunda Wössner

Die zum dritten Erhebungszeitpunkt durchgeführten Interviews wurden auf einen Audiodatenträger aufgenommen, später transkribiert und mittels qualitativer Methoden analysiert. Auf diese Analysen kann hier nicht eingegangen werden. Lediglich die in einen Erhebungsbogen übertragenen Eckdaten etwa zur Erwerbssituation bei/ nach Haft flossen in die quantitative Rückfallanalyse mit ein. 3.3 Die Stichprobe Grundlage für die Rückfalluntersuchung sind die Rückfalldaten des offiziell registrierten Hellfelds (BZR-Auszüge) bezogen auf die Ausgangsstichprobe von 403 Projektteilnehmern. Da hiervon sechs Probanden zum Zeitpunkt der Rückfallanalysen verstorben waren, 22 sich noch in Haft bzw. Sicherungsverwahrung befanden und für 14 Probanden falsche oder keine Bundeszentralregisterauszüge geliefert wurden, umfasste die Stichprobe zur Analyse des Rückfalls 361 Probanden. Ein Überblick über kriminalbiographische Merkmale sowie die Altersstruktur der Teilnehmer ist Tabelle 1 zu entnehmen.6 Insgesamt nahmen 214 ursprünglich wegen eines Sexualdelikts (53 %; davon 76 wegen Vergewaltigung und 138 wegen sexuellen Missbrauchs) und 189 wegen eines Gewaltdelikts (47 %) verurteilte Gefangene an der Untersuchung teil. Dabei waren 192 Probanden als Sozialtherapieteilnehmer (Sotha), 152 Probanden im Regelvollzug Untergebrachte und 59 als Sozialtherapieabbrecher (Sotha-Abbrecher) einzuordnen. Tabelle 1 Kriminalbiographische Merkmale der Studienteilnehmer Nach Vollzugsart Regelvollzug Alter bei erster Straftat

Sotha

Sotha-Abbruch

M

SD

M

SD

M

SD

19,9

9,25

20,3

8,33

20,6

9,38

5,8

4,24

4,3

4,16

5,8

4,67

4,0

4,23

2,9

3,70

4,5

4,69

28,7

11,69

27,8

9,48

29,6

11,01

F (2, n = 339) = 0,13; p = 0,88 Anzahl Vorregistrierungen F (2, n = 388) = 5,63; p < 0,01 Anzahl Vorstrafen F (2, n = 368) = 4,94; p < 0,01 Alter bei Indexdelikt F (2, n = 320) = 0,63; p = 0,53 Fortsetzung nächste Seite

6 Um einen Überblick über alle Teilnehmer zu erhalten, beziehen sich die Angaben auf die Bruttostichprobe ohne die Sicherungsverwahrten und noch in Haft befindlichen Probanden, soweit die Daten vorlagen. Dadurch können sich differierende Stichprobengrößen als Grundlage der Berechnungen ergeben.

Sexualstraftäter in sozialtherapeutischen Anstalten des Freistaates Sachsen

1213

Fortsetzung Tabelle 1

Nach Deliktsgruppen Gewalt Alter bei erster Straftat

Vergewaltigung

Missbrauch

M

SD

M

SD

M

SD

17,1

4,32

20,0

7,12

25,6

12,22

Kruskal-Wallis7: chi2 (2, n = 339) = 47,42; p < 0,001 Anzahl Vorregistrierungen

5,9

3,96

4,6

4,25

4,2

4,64

3,8

3,80

2,9

3,94

3,4

4,52

23,5

7,04

28,8

9,74

34,9

11,48

F (2, n = 388) = 6,68; p < 0,01 Anzahl Vorstrafen F (2, n = 368) = 1,30; p = 0,27 Alter bei Indexdelikt

Kruskal-Wallis: chi2 (2, n = 320) = 74,74; p < 0,001

4. Ergebnisse zum offiziell registrierten Rückfallverhalten Untersucht man das Rückfallverhalten in einem Bezugszeitraum von 3 Jahren nach Haftentlassung, so zeigt sich eine signifikant niedrigere allgemeine Rückfallrate (jede neue Verurteilung) für die Gruppe der Sexualstraftäter (siehe Tabelle 2; Chi2(1) = 24,8; p < 0,001). Wegen eines einschlägigen Rückfalls (erneutes Sexualdelikt bei Sexualstraftätern, erneutes Gewaltdelikt bei Gewaltstraftätern) wurden 8 % der Sexual- und 32 % der Gewaltstraftäter verurteilt. Tabelle 2 Rückfallverhalten 3 Jahre nach Haftentlassung nach Tätergruppe Gewaltstraftäter (N = 174) Allgemeiner Rückfall Einschlägiger Rückfall

Sexualstraftäter (N = 187)

Gesamt (N = 361)

n

%

n

%

n

%

108 55

62,1 31,6

67 15

35,8 8,0

175 70

48,5 19,4

Hinsichtlich des Rückfalls nach Vollzugsgruppen getrennt betrachtet, wurden Teilnehmer der Sozialtherapie seltener rückfällig als Regelvollzugsprobanden und Sozialtherapieabbrecher (siehe Tabelle 3; Chi2(1) = 9,98; p < 0,01).

7 Da die Voraussetzung der Varianzhomogenität für die Anwendung der einfachen Varianzanalyse nicht gegeben war (Bartlett Test: p < 0,001; Levene Test: p < 0,01), wurde der Kruskal-Wallis Test angewendet.

1214

Gunda Wössner Tabelle 3 Rückfallverhalten 3 Jahre nach Haftentlassung nach Vollzugsart

Sozialtherapie (N = 185)

Regelvollzug (N = 130)

Sotha-Abbrecher (N = 46)

Gesamt (N = 361)

n

%

n

%

n

%

n

%

75

40,5

72

55,4

28

60,9

175

48,5

In der logistischen Regression bestätigten sich die nach Vollzugsart und Tätergruppen gefundenen Unterschiede: Im Vergleich zu den Gewaltstraftätern war die Wahrscheinlichkeit für den allgemeinen Rückfall bei den Vergewaltigungstätern nur weniger als halb so hoch (OR = 0,4; p < 0,001). Die Rückfallwahrscheinlichkeit der Missbrauchstäter entsprach nur etwa einem Drittel des Risikos der Gewaltstraftäter (OR = 0,3; p < 0,001). Die Sotha-Abbrecher hatten gegenüber den Sozialtherapievollteilnehmern ein doppelt so großes Rückfallrisiko (OR = 2,2; p < 0,01), wobei sich das Rückfallrisiko zwischen Sotha und Regelvollzug nicht signifikant unterschied (OR = 1,2; p = 0,26). Nimmt man in dieses Modell die Anzahl der Vorstrafen der Probanden und das Alter bei Indexdelikt mit auf, so verschwindet der tätergruppenspezifische Effekt (Vergewaltigungstäter: OR = 0,8; p = 0,42; Missbrauchstäter: OR = 0,9; p = 0,37). Die höheren Rückfallraten der Gewaltstraftäter sind also vornehmlich mit den Prädiktoren Vorstrafe (OR = 1,2; p < 0,001) und Alter bei Indexdelikt (OR = 0,9; p < 0,001) zu erklären (R2 = 0,20; obs = 284; Chi2(4) = 78.6; p < 0,001). Der Effekt hinsichtlich der Vollzugsart verstärkt sich bei Berücksichtigung der Vorstrafen: Die Sotha-Abbrecher hatten gegenüber den Sozialtherapievollteilnehmern ein fast zweieinhalb mal so großes Rückfallrisiko (OR = 2,4; p < 0,01), das Rückfallrisiko der Regelvollzugsprobanden war 1,7 mal höher als das der Sozialtherapieteilnehmer – ein Unterschied, der sich allerdings auch in diesem Modell nicht als statistisch bedeutsam erwies (OR = 1,7; p = 0,50). Im Regelvollzug verbliebene Sexualstraftäter wurden nicht einschlägig rückfällig. Die die Sozialtherapie abbrechenden Sexualstraftäter hatten diesbezüglich ein höheres Rückfallrisiko als Sozialtherapieteilnehmer (OR = 4,23; p < 0,05; Vorstrafen: OR = 2,21; p < 0,05). Bei den Gewaltstraftätern lag für die Regelvollzugsprobanden nur ein tendenziell signifikanter Effekt vor (OR = 2,0; p = 0,07), für die Sotha-Abbrecher ließ sich überhaupt kein signifikanter Effekt finden (OR = 1,52; p = 0,48; Vorstrafen: OR = 1,61; p = 0,07). Die nach Täter- und Vollzugsgruppen differenzierende logistische Regression unter Einbezug der Vorstrafen kann als Ausgangsmodell für die weiteren Analysen etwa zum Einfluss verschiedener Merkmale auf den Rückfall betrachtet werden. Gemäß der Logik der Anlage der Untersuchung werden Sexual- im Vergleich mit Gewaltstraftätern untersucht und die Vollzugsart Sozialtherapie hinsichtlich ihres Zusammenhangs mit Rückfall analysiert. Die kriminelle Vorbelastung ist studienübergreifend ein zentraler Prädiktor für Rückfallverhalten (vgl. Albrecht & Grundies 2007) und wurde daher (in logarithmischer Form) in das Grundmodell miteinbezo-

Sexualstraftäter in sozialtherapeutischen Anstalten des Freistaates Sachsen

1215

gen. Auf der Grundlage dieses Modells folgten weitere Analysen.8 Zunächst wurde für jede einzelne Prädiktorvariable aus den Bereichen Biographie, Kriminalbiographie, Tatmerkmale, Persönlichkeit, Kriterien der Risikoeinschätzung, Nachentlassungssituation und Behandlung während des Vollzugs sowie weitere vollzugliche Marker eine Regressionsanalyse zum Rückfallverhalten durchgeführt, um den Einfluss der jeweiligen Variablen zu prüfen. Tabelle 4 gibt einen Überblick über die prominentesten signifikanten Prädiktorvariablen zum allgemeinen Rückfall. Entgegen den Erwartungen hatten behandlungsbezogene Faktoren keinen Einfluss. Lediglich beim Interventionsbedarf, der angibt, in wie vielen verschiedenen Bereichen der Gefangene laut Vollzugsplan Interventionsbedarf hatte, war über die beide Tätergruppen hinweg ein signifikanter Zusammenhang mit dem Rückfall festzustellen: Das Rückfallrisiko stieg mit der Häufigkeit der Bereiche, für die ein Interventionsbedarf ausgemacht wurde. Hierunter fielen ganz verschiedene Aspekte, wie u. a. Störungseinsicht, Umgang mit der Tat, Aggressionsbereitschaft, Impulskontrolle, adäquates Sozialverhalten, Arbeitskontinuität, Schul- und Berufsausbildung, Entwicklung realistischer Zukunftsperspektiven, Empathie, Emotionsregulation, Dominanzstreben, dissoziale Einstellung bzw. Persönlichkeit und narzisstische Kränkbarkeit. Neben den in Tabelle 4 dargestellten statistisch bedeutsamen Korrelaten des Rückfalls sank das Risiko für allgemeinen Rückfall bei Gewaltstraftätern bedeutsam, wenn sie als Kind keinen körperlichen Misshandlungen ausgesetzt waren (OR = 0,53; p < 0,10). Ferner wiesen Gewaltstraftäter, deren Indexdelikt ein Tötungsdelikt war, eine geringere Rückfallwahrscheinlichkeit auf (OR = 0,28; p < 0,01). Angst vor Mithäftlingen (OR = 1,23; p < 0,01) und die Infragestellung der Legitimität von Gesetzen9 (OR = 1,12; p < 0,10) erhöhten das allgemeine Rückfallrisiko dieser Tätergruppe. Interessant sind des Weiteren die Ergebnisse zur Nachentlassungssituation: Besonders für die Gewaltstraftäter waren die Rückkehr an den gleichen Ort wie vor der Haft, aber vor allem das Sichern des Lebensunterhalts durch andere Mittel als reguläre Arbeit ein Hochrisikofaktor (Bezug von ALG II bzw. die Unterstützung durch Dritte sowie „diverse Geschäfte“ wie Schwarzarbeit und anderes). Für Sexualstraftäter waren keine zusätzlich zu den in Tabelle 4 dargestellten Prädiktoren im Zusammenhang mit allgemeinem Rückfall von statistisch signifikanter Bedeutung. Zu den nicht statistisch bedeutsamen Prädiktoren des allgemeinen Rückfalls zählten tätergruppenübergreifend u. a.: Entlassungsvorbereitung, Teilnahme an diversen Maßnahmen wie Einzelgespräche, soziales Kompetenztraining, Sucht oder auch Intensität der Behandlung (behandlungsbezogene Faktoren), Drogenprobleme in der Herkunftsfamilie, Trennung der Eltern (Biographie), SOC (Nachentlassungssituation). Tatmerkmale des Indexdelikts wie Täter-Opfer-Beziehung, Geschlecht der 8

Wurde in der logistischen Regression hinsichtlich der Tätergruppe feiner differenziert zwischen Gewaltstraftätern, Vergewaltigungstätern und Missbrauchstätern, so ergab sich kein Unterschied im Regressionsmodell. 9 Gemessen mit dem PRISKLIM zu t2.

1216

Gunda Wössner

Opfer und Anzahl der Opfer waren ebenfalls nicht statistisch für den allgemeinen Rückfall bedeutsam. Tabelle 4 Odds Ratios der logistischen Regression einzelner Einflussvariablen zur Vorhersage allgemeinen Rückfallverhaltens Gesamt

Gewaltstraftäter

Sexualstraftäter

1,06 (p = 0,06)

1,07

1,04

0,85* 50,87* 1,93 *

0,84 50,74** 1,66

0,83 48,3** 2,28*

1,07*** 0,20*** 3,54** 0,55* 3,35** 0,65* 1,68***

1,1*** 0,15** 2,87** 0,6 6,89* 0,56* 1,69*

1,05** 0,28* 4,55** 0,43* 2,38 0.73 1,69**

0,91***

0,81***

0,93**

1,08***

1,08**

1,08**

Behandlungsbezogene Faktoren Interventionsbedarf Andere Vollzugsmerkmale Lockerungen Verstöße im Vollzug10 Keine Reststrafenaussetzung Persönlichkeitsbezogene und biographische Merkmale Jahrgang Verhaltensauffälligkeiten im Jugendalter# Keine Lehre Jemals in psychotherapeutischer Behandlung# Alleinlebend zum Tatzeitpunkt IQ Ich-bezogene Unbeherrschtheit11 Kriminalbiographie Alter erste Straftat Kriterien der Risikoeinschätzung VRAG12 10

Der OR-Wert von 50 bei der Skala zu Vorkommnissen im Vollzug muss wie folgt interpretiert werden: Normalerweise gibt der OR an, wie hoch die Wahrscheinlichkeit für den Eintritt des Ereignisses (hier Rückfall) ist, wenn sich die Bezugseinheit um eine Einheit erhöht. Bei der vorliegenden logarithmischen Skala lagen die Skalenwerte zwischen 0 und 1,2. Das bedeutet, dass der jeweilige individuelle Skalenwert mit dem OR-Wert von 50 multipliziert werden muss, um die tatsächliche Erhöhung des Rückfallrisikos zu erhalten. Drei Probanden wiesen einen Skalenwert von größer als 1 auf, bei diesen Probanden liegt das Rückfallrisiko somit um 50mal höher als bei Probanden, die keine Verstöße aufwiesen. Dies traf auf 45 % der Probanden zu. Weitere 45 % haben einen Skalenwert von 0,06 bis 0,35. Bei diesen Probanden ist das Rückfallrisiko um jeweils 50x0,06 bis 50x0,35 erhöht. 11 Faktor 1 der in vier Faktoren resultierenden Faktorenanalyse der psychometrischen Testverfahren (Principal Factor Analyis mit Varimax Rotation) zum Zeitpunkt t1 (t2 : OR = 1,70; p < 0,01; Gesamtsample). Faktor 2 konnte als emotionale Irritierbarkeit interpretiert werden, Faktor 3 als Unsicherheit/Gehemmtheit und Faktor 4 als Einfühlungsvermögen. Signifikante OR ergaben sich hier für das Gesamtsample für Faktor 3 zu t1: OR = 0,67; p < 0,01 sowie Faktor 4 zu t1: OR = 0,74; p < 0,05). 12 Beim Violence Risk Appraisal Guide (VRAG) handelt es sich um ein von Quinsey et al. (2006) entwickeltes Instrument, das bei Gewalt- und Sexualstraftätern eingesetzt werden kann, um das Risiko einer erneuten Verurteilung mit einem Sexual- bzw. Gewaltdelikt einzuschätzen (Rossegger, Gerth & Endrass 2013, 141).

Sexualstraftäter in sozialtherapeutischen Anstalten des Freistaates Sachsen

1217

Tabelle 4 Odds Ratios der logistischen Regression einzelner Einflussvariablen (Fortsetzung) Gesamt Führungsaufsicht anhängig

Gewaltstraftäter

Sexualstraftäter

1,57*

1,47

1,66

0,29* 3,50**

0,19* 4,24*

0.35 2,86

4,30* 5,56**

15,87* 24,42**

1,67 1,54

Nachentlassungssituation Arbeitsstelle bei Haftentlassung vorhanden## Rückkehr gleicher Wohnort## Lebensunterhalt (Konstante: Reguläre Arbeit) „Diverse Geschäfte“ ALG II (Hartz IV), Dritte

*** p < 0,001 ** p < 0,01 * p , 0,05 #1 = ja, 2 = nein ## 0 = nein, 1 = ja Die Tabelle gibt die Ergebnisse getrennt durchgeführter logistischer Regressionen mit jeweils einer Einflussvariablen wieder.

Betrachtete man die Vorhersage des einschlägigen Rückfalls auf Einzelvariablenebene (siehe Tabelle 5), so ging bei beiden Tätergruppen – wenn man die Sexual- und Gewaltstraftäter jeweils nach getrennten Gruppen analysierte – vom Fehlen einer Lehre, der Veränderung der Ich-bezogenen Unbeherrschtheit zwischen t1 und t2 sowie einem hohen VRAG-Wert ein signifikanter Einfluss auf einen höheren einschlägigen Rückfall aus. Interessanterweise bezieht sich die Veränderung der Ich-bezogenen Unbeherrschtheit auf eine Zunahme dieser zwischen t1 und t2. Dieser Effekt wird nachvollziehbar, wenn man die Probanden näher betrachtet, die für diesen Effekt sorgen: Er ist vor allem bei Gewaltstraftätern des Regelvollzugs und bei Sexualstraftätern bei Sozialtherapieabbrechern (sowohl Missbrauchs- als auch Vergewaltigungstäter) zu beobachten.13 In der Gruppe der Sexualstraftäter verschwanden die übrigen in Tabelle 4 dargestellten mit dem allgemeinen Rückfall zusammenhängenden Effekte darüber hinaus. Wie Tabelle 5 zu entnehmen ist, stieg das einschlägige Rückfallrisiko bei Sexualstraftätern, je weniger sich diese über ihre Unzufriedenheiten mit Behandlungsmaßnahmen beschwerten. Dies steht vermutlich im Zusammenhang mit einer angepassten bzw. eher selbstunsicheren und ängstlich-vermeidenden Persönlichkeitsstruktur vieler Missbrauchstäter (Hörburger & Habermeyer 2020; Wössner 2006). Erwartungsgemäß führten Vorstrafen mit einem Sexualdelikt zu einem erhöhten Rückfallrisiko. Zusätzlich zu den in Tabelle 5 dargestellten Ergebnissen ist festzuhalten, dass andere behandlungsbezogene Faktoren den Rückfall nicht voraussagten. So wirkte sich etwa die Teilnahme am Behandlungsprogramm für Sexualstraftäter (BPS) nicht auf die Rückfallwahrscheinlichkeit aus (OR = 1,0; p = 0,92). Aufgrund der Analyse der Gefangenenpersonalakten wurde festgestellt, ob bei den Probanden ein Interventionsbedarf hinsichtlich ihrer Sexualproble13

Hinsichtlich des allgemeinen Rückfalls wiesen die Gewaltstraftäter ein OR von 2,23 bei der Differenz der Ich-bezogenen Unbeherrschtheit zwischen t1 und t2 auf (p < 0,05). Frühere Analysen legen zudem nahe, dass die Probanden zum ersten Untersuchungszeitpunkt zu extremeren Antworttendenzen neigten, wohingegen sich beim zweiten Untersuchungszeitpunkt eine Tendenz zur Mitte andeutete (Wössner & Schulz 2013, 126 f.).

1218

Gunda Wössner

matik konstatiert wurde. Hier zeigte sich ebenfalls kein statistisch signifikanter Zusammenhang mit dem Rückfallverhalten (OR = 1,07; p = 0,92). Zudem ergab sich hinsichtlich biographischer Merkmale bei den wegen eines Sexualdelikts verurteilten Probanden, die vor der Haft Drogen konsumierten (nicht Alkohol oder Nikotin), ein niedrigeres Rückfallrisiko (OR = 0,14; p < 0,01). Lebten die Probanden zum Zeitpunkt der Tat in eher ungeordneten bzw. provisorischen Verhältnissen (mit „Kumpel“, Geschwister, Großeltern, verschwägerten Verwandten), so war dies mit einem OR von 6 verbunden (p = 0,06). Für die übrigen bereits oben aufgeführten und hier nicht ausdrücklich erwähnten Prädiktorvariablen ließen sich darüber hinaus keine statistisch bedeutsamen Effekte auf den einschlägigen Rückfall finden. Wurde für die Auswertung des einschlägigen Rückfalls nicht nach Tätergruppen differenziert, ließen sich Einflüsse feststellen, die vornehmlich auf den Einfluss der Gewaltstraftäter in diesen Analysen zurückzuführen waren. Hervorstechende Prädiktoreinflüsse für einschlägigen Rückfall bei Gewaltstraftätern ging vor allem davon aus, ob sie selbst in ihrer Kindheit Gewalt ausgesetzt waren und ob sich die Probanden den Lebensunterhalt nach der Entlassung mit diversen Geschäften oder über Dritte sicherten (vgl. Tabelle 5). Für den einschlägigen Rückfall bei den Gewaltstraftätern ließ sich darüber hinaus ein signifikanter Zusammenhang mit dem Schulabschluss (vor Haft) finden: Ein mindestens der Mittleren Reife entsprechender Schulabschluss senkte die Wahrscheinlichkeit des Rückfalls um zwei Drittel (OR = 0,33; p = 0,06). Lockerungen und die Strafrestaussetzung zur Bewährung hatten keinen Einfluss auf den einschlägigen Rückfall, weder bei den Sexual- noch bei den Gewaltstraftätern (vgl. Tabelle 5). Sozialtherapieabbrecher zu sein war in diesen Analysen jeweils ein signifikanter Prädiktor für den einschlägigen Rückfall der Sexual-, nicht jedoch der Gewaltstraftäter. Die Vorstrafen hatten bei den einfachen auf dem Grundmodell basierenden Regressionsmodellen fast ausnahmslos einen signifikanten Einfluss. Bezüglich des einschlägigen Rückfalls ging der Einfluss der Vorstrafen jedoch bei einigen Variablen verloren, so etwa für die Gewaltstraftäter bei den die Nachentlassungssituation erfassenden Prädiktoren, bei Merkmalen der Tat (Geschlecht der Opfer, Täter-Opfer-Beziehung, Opferanzahl) oder wenn hinsichtlich dissozialer Einstellungen bzw. Persönlichkeit Interventionsbedarf bestand bzw. für die Sexualstraftäter bei Vorstrafen mit Sexualdelikten, eigene Kinder zu t1, selbst Opfer von sexuellem Missbrauch und ebenso bei den die Nachentlassungssituation erfassenden Prädiktoren. Beim allgemeinen Rückfall waren die Vorstrafen in den Modellen für die Nachentlassungssituation nicht mehr signifikant, dies allerdings nur für die Gewaltstraftäter. Hier spielten die Vorstrafen ebenso keine Rolle mehr, wenn die Prädiktorvariablen jeweils Tötungsdelikte, das Anstaltsklima oder die psychometrisch erfassten Persönlichkeitsmerkmale waren. Mit Blick auf die zum Erhebungszeitpunkt t3 eingeführte Sense of Coherence Scale (SOC, Singer & Brähler 2014) ist noch folgendes Ergebnis von Interesse: Die Sozialtherapieprobanden wiesen ein signifikant höheres Kohärenzgefühl auf

Sexualstraftäter in sozialtherapeutischen Anstalten des Freistaates Sachsen

1219

als die beiden anderen Gruppen, F(2, n = 141) = 6,69; p < 0,01. Probanden, die die Sozialtherapie vollständig durchliefen, erlebten also zum Zeitpunkt des Interviews in Freiheit ihr Leben als verstehbarer, geordneter, eher aus eigener Kraft beeinflussbar und eher der Mühe wert, sich dafür anzustrengen, als die anderen Vollzugsgruppen. Die Tätergruppen unterschieden sich diesbezüglich nicht. Tabelle 5 Odds Ratios der logistischen Regression einzelner Einflussvariablen zur Vorhersage einschlägigen Rückfallverhaltens Gesamt Gewaltstraftäter Sexualstraftäter Behandlungsbezogene Faktoren Beschwerden eingelegt# t1-t2-Veränderung in Ich-bezogener Unbeherrschtheit

0,75

1,00

0,29+

2,52**

1.94+

2,57+

1,01 3,56+ 0,79

1,03 5,37* 1,04

0,86 0,22 1,19

1,08*** 0,25* 4,98*** 0,45* 0,65

1,09** 0,14** 2,68* 0,34** 0,48*

1,04 1,52 7,17** 1,20 1,78

0,91* 1,06

0,86 * 0,58

0,94 2,01*

1,10*** 1,70*

1,11*** 1,54+

1,07+ 2,27

2,96+

1,99

7,32

2,37 2,85+

6,36+ 7,29*

0,77

Andere Vollzugsmerkmale Lockerungen Verstöße im Vollzug Keine Reststrafenaussetzung

Persönlichkeitsbezogene und biographische Merkmale Jahrgang Verhaltensauffälligkeiten im Jugendalter# Keine Lehre Jemals in psychotherap. Beh. # Körperliche Gewalt in Familie# Kriminalbiographie Alter erste Straftat Vorstrafe Sexualdelikt Kriterien der Risikoeinschätzung VRAG Führungsaufsicht anhängig Nachentlassungssituation Rückkehr gleicher Ort## Lebensunterhalt (Konstante: Reguläre Arbeit) „Diverse Geschäfte“ ALG II (Hartz IV), Dritte

*** p < 0,001 ** p < 0,01 * p < 0,05 + p , 0,10 # 1 = ja, 2 = nein ## 0 = nein, 1 = ja Die Tabelle gibt die Ergebnisse getrennt durchgeführter logistischer Regressionen mit jeweils einer Einflussvariablen wieder.

5. Fazit und Ausblick Die hier dargestellten Ergebnisse sind lediglich als ein Ausschnitt der aus dem Projekt resultierenden Befunde zu verstehen und als basale Resultate zu betrachten,

1220

Gunda Wössner

die in weiteren Analysen noch differenzierter bzw. im Rahmen eines Gesamtmodells ausgewertet werden.14 Daher sind die folgenden zentralen Kernaussagen mit Zurückhaltung zu genießen: (1) Wie auch in anderen nationalen und internationalen Studien konstatiert (z. B. Hood et al. 2002; Jehle et al. 2016) weisen die Ergebnisse der Sozialtherapiestudie Sachsens auf ein recht geringes einschlägiges Rückfallrisiko von Sexualstraftätern hin. (2) In der Sozialtherapie behandelte Sexualstraftäter zeigen zwar im Vergleich zu im Regelvollzug verbliebenen Sexualstraftätern geringere Rückfallraten auf, was den allgemeinen Rückfall betrifft. Dieser Effekt scheint allerdings weniger auf die Behandlung als vielmehr auf Merkmale, die mit der Verlegung in die Sozialtherapie korrelieren, zurückzuführen zu sein. Vor allem die Belastung mit Vorstrafen und justiziellen Vorregistrierungen spielen hier eine Rolle. Es werden vornehmlich solche Gefangene sozialtherapeutisch behandelt, die in diesem Sinne weniger vorbelastet sind. Hinsichtlich des einschlägigen Rückfalls sind die im Regelvollzug verbliebenen Sexualstraftäter nicht rückfällig geworden. (3) Zu den Rückfall bedingenden Faktoren, die tätergruppenübergreifend wirksam werden, gehören für den allgemeinen Rückfall u. a. Verstöße im Vollzug, Alter, Verhaltensauffälligkeiten im Jugendalter und Ich-bezogene Unbeherrschtheit. (4) Für den einschlägigen Rückfall sind vor allem tätergruppenspezifische Prädiktoren ausschlaggebend. Verhaltensauffälligkeiten im Jugendalter spielen z. B. bei den Sexualstraftätern keine Rolle für den einschlägigen Rückfall, wohl aber für die Gewaltstraftäter. Als ein Risikofaktor für einschlägige Rückfälle mit Sexualdelinquenz erwies sich zudem, ob die Probanden im Zusammenhang mit der Behandlung Beschwerden einlegten oder nicht, was auf eine dahinterliegende deliktfördernde Persönlichkeitsstruktur hinweisen dürfte. Auch vorherige ungeordnete Lebensverhältnisse sind ein wichtiger Prädiktor für den einschlägigen Rückfall mit Sexualkriminalität. Insgesamt scheint die Arbeitssituation nach Haft für das Rückfallverhalten der Gewaltstraftätergruppe eine bedeutsamere Rolle als bei den Sexualstraftätern zu spielen, sowohl für allgemeinen als auch für einschlägigen Rückfall. (5) Das laut der allgemeinen Kriminalitätstheorie von Gottfredson & Hirschi (1990) zentrale Merkmal der Selbstkontrolle ist, im Vergleich zu anderen psychometrisch erfassten Persönlichkeitsfaktoren, gemäß den hier präsentierten Ergebnissen tatsächlich von wesentlicher Bedeutung im Zusammenhang mit der Rückfallkriminalität. Evaluationen dienen dazu, die zu evaluierende Maßnahme auf den Prüfstand zu stellen und sie ggf. auf der Basis der Forschungsergebnisse weiterzuentwickeln. Prinzipiell teilen sozialtherapeutische Einrichtungen die Ziele des Strafvollzugs, gleichzeitig sind die Ziele der Sozialtherapie vielseitig formuliert (Guéridon 2016, 293). Es wäre daher verkürzt, der Sozialtherapie auf der Grundlage von Ergebnissen quasiexperimenteller Studien wie dieser ihre Wirksamkeit abzusprechen oder aber – wie be14

Bereits publizierte Ergebnisse finden sich u. a. bei Gauder (in Vorbereitung), zum Zusammenhang zwischen Hellfeld des Rückfalls und selbstberichteter Delinquenz Wössner & Hefner (2020), zum Zusammenhang von therapeutischer Veränderung und Rückfall Wössner & Schwedler (2014), zum Lebensverlauf nach Haftentlassung Wössner, Gauder & Czudnochowski oder abschließende Ergebnisse des Projekts bei Wössner (in Vorbereitung).

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reits eingangs erwähnt – in übertriebenen Optimismus zu verfallen. Vorsichtig formuliert könnte man sagen, es ist gut, dass man für Straftäter, die die Verlegungskriterien in die Sozialtherapie erfüllen, sowohl das Potenzial der Sozialtherapie als auch der Gefangenen selbst nutzt, um das Rückfallrisiko zu verringern. Eine von der Sozialtherapie ausgehende rückfallreduzierende Wirkung kann aus den vorliegenden Ergebnissen aber per se nicht abgeleitet werden. Auch wenn eine fundiertere Auseinandersetzung mit den Ergebnissen dieser von Hans-Jörg Albrecht maßgeblich mit-initiierten Studie hier zu kurz kommt, so leisten die Resultate dennoch einen wichtigen Beitrag zur Weiterentwicklung der Straftäterbehandlung bzw. der Sozialtherapie sowie zum Verständnis der Rückfallkriminalität. Literaturverzeichnis Albrecht, H.-J. (2013a): Einführung, in: G. Wössner, R. Hefendehl & H.-J. Albrecht (Hrsg.), Sexuelle Gewalt und Sozialtherapie – Bisherige Daten und Analysen zur Langzeitstudie „Sexualstraftäter in den sozialtherapeutischen Abteilungen des Freistaates Sachsen“. Berlin, S. XVII–XXVII. Albrecht, H.-J. (2013b): Rückfallstatistiken im internationalen Vergleich. Monatsschrift für Kriminologie und Strafrechtsreform 96/5, S. 400 – 410. Albrecht, H.-J. & Grundies, V. (2007): Sexuelle Gewaltkriminalität im Lebenslängsschnitt: Die Entwicklung von Sexualkriminalität an Hand von Daten der Freiburger Kohortenstudie, in: F. Lösel, D. Bender & J.-M. Jehle (Hrsg.), Kriminologie und wissensbasierte Kriminalpolitik: Entwicklungs- und Evaluationsforschung. Mönchengladbach, S. 447 – 475. Albrecht, H.-J. & Ortmann, R. (2000): Abschlussbericht. Längsschnittstudie zur Evaluation der Wirkung der Sozialtherapie in Nordrhein-Westfalen sowie Ansätze zur Effizienzsteigerung. Freiburg i.Br. Borkenau, P. & Ostendorf, F. (1993): NEO-Fünf-Faktoren-Inventar (NEO-FFI). Handanweisung. Göttingen. Campbell, J.C. (2002): Health Consequences of Intimate Partner Violence. Lancet 359, S. 1331 – 1336. Casciani, D. (2017): Sex Offender Treatment in Prison Led to More Offending. BBC News 30. 06. 2017; https://www.bbc.com/news/uk-40460637 [23. 03. 2020]. Eher, R. & Pfäfflin, F. (2011): Adult Sexual Offender Treatment – Is it Effective?, in: D.P. Boer, R. Eher, L.A. Craig, M.H. Miner & F. Pfäfflin (Hrsg.), International Perspectives on the Assessment and Treatment of Sexual Offenders: Theory, Practice, and Research. Chichester, UK, S. 3 – 12. Fahrenberg, J., Hampel, R. & Selg, H. (2001): Das Freiburger Persönlichkeitsinventar. FPI-R. 7. Aufl. Göttingen. Fetzer, M.D. & Pezzella, F.S. (2019): The Nature of Bias Crime Injuries: A Comparative Analysis of Physical and Psychological Victimization Effects. Journal of Interpersonal Violence 35/18, S. 3864 – 3887.

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Sexualstraftäter in sozialtherapeutischen Anstalten des Freistaates Sachsen

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Oshodi, Y., Macharia, M., Lachman, A. & Seedat, S. (2020): Immediate and Long-Term MentalHealth Outcomes in Adolescent Female Rape Survivors. Journal of Interpersonal Violence 35/1 – 2, S. 252 – 267. Quinsey, V.L., Harris, G.T., Rice, M. E. & Cormier, C.A. (2006): Violent Offenders – Appraising and Managing Risk. Washington. Rice, M. E. & Harris, G.T. (2013): Treatment for Adult Sex Offenders, in: K. Harrison & B. Rainey (Hrsg.), The Wiley-Blackwell Handbook of Legal and Ethical Aspects of Sex Offender Treatment and Management. Chichester, UK, S. 219 – 235. Romans, S., Belaise, C., Martin, J., Morris, E. & Raffi, A. (2002): Childhood Abuse and Later Medical Disorders in Women. Psychotherapy and Psychosomatics 71, S. 141 – 150. Rossegger, A., Gerth, J. & Endrass, J. (2013): VRAG – Violence Risk Appraisal Guide, in: M. Rettenberger & F. von Franqué (Hrsg.), Handbuch kriminalprognostischer Verfahren. Göttingen, S. 141 – 158. Schmucker, M. & Lösel, F. (2005): Die Wirksamkeit von Behandlung bei Sexualstraftätern: Nationale und internationale Befunde, in: K.P. Dahle & R. Volbert (Hrsg.), Entwicklungspsychologische Aspekte der Rechtspsychologie. Göttingen, S. 221 – 238. Schmucker, M. & Lösel, F. (2008): Does Sexual Offender Treatment Work? A Systematic Review of Outcome Evaluations. Psicothema 20/1, S. 10 – 19. Singer, S. & Brähler, E. (2014): Die „Sense of Coherence Scale“. Göttingen. Wischka, B. & van den Boogart, H. (2018): Sozialtherapie im Justizvollzug, in: B. Maelicke & S. Suhling (Hrsg.), Das Gefängnis auf dem Prüfstand. Wiesbaden, S. 129 – 157. Wössner, G. (2006): Typisierung von Sexualstraftätern – Ein empirisches Modell zur Generierung typenspezifischer Interventionsansätze. Berlin. Wössner, G. (2014): Wie kann man in der Sozialtherapie Therapieerfolg feststellen oder messen? Forensische Psychiatrie, Psychologie und Kriminologie 8/1, S. 49 – 58. Wössner, G. (in Vorbereitung): Dimensions of Recidivism among Sex and Violent offenders – Results of a Longitudinal Study. New York. Wössner, G., Gauder, K.-S. & Czudnochowski, D. (2019): Life Courses of Sex and Violent Offenders After Prison Release: The Interaction Between Individual- and Community-Related Factors, in: K. Middlemass & C.J. Smiley (Hrsg.), Prisoner Reentry in the 21st Century: Critical Perspectives of Returning Home. New York, S. 66 – 78. Wössner, G., Hefendehl, R. & Albrecht, H.-J. (2013): Sexuelle Gewalt und Sozialtherapie – Bisherige Daten und Analysen zur Langzeitstudie „Sexualstraftäter in den sozialtherapeutischen Abteilungen des Freistaates Sachsen“. Berlin. Wössner, G. & Hefner, F. (2020): Criminal Recidivism after Imprisonment among Sex offenders and Violent offenders: A Comparison Between Self-reported and Officially Recorded Reoffending Behaviour. CrimOJ. Wössner, G. & Schulz, A. (2013): Sozialtherapeutisch behandelte Sexual- und Gewaltstraftäter: Erste Ergebnisse, in: G. Wössner, R. Hefendehl & H.-J. Albrecht (Hrsg.), Sexuelle Gewalt und Sozialtherapie – Bisherige Daten und Analysen zur Langzeitstudie „Sexualstraftäter in den sozialtherapeutischen Abteilungen des Freistaates Sachsen“. Berlin, S. 107 – 140.

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Gunda Wössner

Wössner, G. & Schwedler, A. (2014): Correctional Treatment of Sexual and Violent Offenders: Therapeutic Change, Prison Climate, and Recidivism. Criminal Justice and Behavior 41/7, S. 862 – 879.

Publikationsverzeichnis – List of Publications von/by Hans-Jörg Albrecht Albrecht, H.-J. (2020): Data, Data Banks and Security. European Journal for Security Research 5, pp. 5 – 23. Albrecht, H.-J. (2020): Gewalt, Vergeltung und Schattenwirtschaften, in: K. Drenkhahn, B. Geng, J. Grzywa-Holten, S. Harrendorf, C. Morgenstern & I. Pruin (Hrsg.), Kriminologie und Kriminalpolitik im Dienste der Menschenwürde. Festschrift für Frieder Dünkel zum 70. Geburtstag. Mönchengladbach, S. 3 – 16. Albrecht, H.-J. (2020): Kindheit und Strafrecht, in: I. Richter, L. Krappmann & F. Wapler (Hrsg.), Kinderrechte. Handbuch des deutschen und internationalen Kinder- und Jugendrechts. Baden-Baden, S. 405 – 441. Albrecht, H.-J. (2019): Measuring Human Trafficking, in: R. Haverkamp, E. Herlin-Karnell & C. Lernestedt (eds.), What is Wrong with Human Trafficking? Critical Perspectives on the Law. Oxford et al., pp. 37 – 51. Albrecht, H.-J. (2019): Sanktionswirkungen, Rückfall und kriminelle Karrieren, in: A. Dessecker, S. Harrendorf & K. Höffler (Hrsg.), Angewandte Kriminologie – Justizbezogene Forschung. 12. Kriminalwissenschaftliches Kolloquium und Symposium zu Ehren von JörgMartin Jehle, 22./23. Juni 2018. Göttinger Studien zu den Kriminalwissenschaften. Göttingen, S. 165 – 180. Albrecht, H.-J., Walsh, M. & Wienhausen-Knezevic, E. (eds.) (2019): Desistance Processes among Young Offenders Following Judicial Interventions. Schriftenreihe des Max-PlanckInstituts für ausländisches und internationales Strafrecht: Kriminologische Forschungsberichte Vol. K 182. Berlin. Albrecht, H.-J. (2018): Migration, Flucht und Kriminalität. Recht der Jugend und des Bildungswesens 66, S. 378 – 381. Albrecht, H.-J. (2018): Jugendstrafrecht in Europa. Recht der Jugend und des Bildungswesens 66, S. 382 – 400. Albrecht, H.-J. (2018): New Developments in Legal Systems and Their Impact on Forensic Psychiatry, in: K. Goethals (ed.), Forensic Psychiatry and Psychology in Europe – A Cross-Border Study Guide. Cham, pp. 45 – 69. Albrecht, H.-J. (2018): Criminal Law, Security and Criminal Policies: German and Korean Perspectives, in: Y. Bu, A. Bruns, J. von Hein, S. Meier, H. Merkt, M. Pawlik, E. Takahashi & S. Vöneky (eds.), Relationship between the Legislature and the Judiciary. Contributions to the 6th Seoul-Freiburg Law Faculties Symposium. Baden-Baden, pp. 195 – 215. Albrecht, H.-J. & Wössner, G. (2017): Behandlung, Resozialisierung, Rückfallgefahr: Sexualstraftäter in den sozialtherapeutischen Anstalten Sachsens. Jahrbuch 2017 der Max-PlanckGesellschaft.

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Publikationsverzeichnis – List of Publications

Albrecht, H.-J. (2017): Verhängung in Tagessätzen, § 40, in: U. Kindhäuser, U. Neumann & H.-U. Paeffgen (Hrsg.), Nomos Kommentar zum Strafgesetzbuch. 5. Aufl., Baden-Baden, S. 1854 – 1876. Albrecht, H.-J. (2017): Geldstrafe neben Freiheitsstrafe, § 41, in: U. Kindhäuser, U. Neumann & H.-U. Paeffgen (Hrsg.), Nomos Kommentar zum Strafgesetzbuch. 5. Aufl., Baden-Baden, S. 1876 – 1879. Albrecht, H.-J. (2017): Zahlungserleichterungen, § 42, in: U. Kindhäuser, U. Neumann & H.-U. Paeffgen (Hrsg.), Nomos Kommentar zum Strafgesetzbuch. 5. Aufl., Baden-Baden, S. 1879 – 1883. Albrecht, H.-J. (2017): Ersatzfreiheitsstrafe, § 43, in: U. Kindhäuser, U. Neumann & H.-U. Paeffgen (Hrsg.), Nomos Kommentar zum Strafgesetzbuch. 5. Aufl., Baden-Baden, S. 1884 – 1889. Albrecht, H.-J. (2017): Verlust der Amtsfähigkeit, der Wählbarkeit und des Stimmrechts, § 45, in: U. Kindhäuser, U. Neumann & H.-U. Paeffgen (Hrsg.), Nomos Kommentar zum Strafgesetzbuch. 5. Aufl., Baden-Baden, S. 1907 – 1909. Albrecht, H.-J. (2017): Eintritt und Berechnung des Verlustes, § 45a, in: U. Kindhäuser, U. Neumann & H.-U. Paeffgen (Hrsg.), Nomos Kommentar zum Strafgesetzbuch. 5. Aufl., BadenBaden, S. 1909 – 1910. Albrecht, H.-J. (2017): Wiederverleihung von Fähigkeiten und Rechten, § 45b, in: U. Kindhäuser, U. Neumann & H.-U. Paeffgen (Hrsg.), Nomos Kommentar zum Strafgesetzbuch. 5. Aufl., Baden-Baden, S. 1910. Albrecht, H.-J. (2017): Voraussetzungen der Verwarnung mit Strafvorbehalt, § 59, in: U. Kindhäuser, U. Neumann & H.-U. Paeffgen (Hrsg.), Nomos Kommentar zum Strafgesetzbuch. 5. Aufl., Baden-Baden, S. 2336 – 2341. Albrecht, H.-J. (2017): Bewährungszeit, Auflagen und Weisungen, § 59a, in: U. Kindhäuser, U. Neumann & H.-U. Paeffgen (Hrsg.), Nomos Kommentar zum Strafgesetzbuch. 5. Aufl., Baden-Baden, S. 2341 – 2342. Albrecht, H.-J. (2017): Verurteilung zu der vorbehaltenen Strafe, § 59b, in: U. Kindhäuser, U. Neumann & H.-U. Paeffgen (Hrsg.), Nomos Kommentar zum Strafgesetzbuch. 5. Aufl., Baden-Baden, S. 2342 – 2343. Albrecht, H.-J. (2017): Gesamtstrafe und Verwarnung mit Strafvorbehalt, § 59c, in: U. Kindhäuser, U. Neumann & H.-U. Paeffgen (Hrsg.), Nomos Kommentar zum Strafgesetzbuch. 5. Aufl., Baden-Baden, S. 2343 – 2344. Albrecht, H.-J. (2017): Absehen von Strafe, § 60, in: U. Kindhäuser, U. Neumann & H.-U. Paeffgen (Hrsg.), Nomos Kommentar zum Strafgesetzbuch. 5. Aufl., Baden-Baden, S. 2344 – 2348. —— Albrecht, H.-J. (2017): : Strafzumessung bei schwerer Kriminalität – Eine vergleichende theoretische und empirische Studie zur Herstellung und Darstellung des Strafmaßes. Beijing. —— Albrecht, H.-J. (2017): . (Q. Xiong, W. Wei, S. Zhao, Z. Zhou, L. Yue & W. Pan, transl.). Beijing.

Publikationsverzeichnis – List of Publications

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Albrecht, H.-J. (2017): The Shift of Security: Changing Concepts of Security? in: Z. Chen (ed.), New Reports in Criminal Law. Beijing, pp. 329 – 347. Albrecht, H.-J. (2017): Empirische Strafzumessungsforschung, in: C. Safferling, G. KettStraub, C. Jäger & H. Kudlich (Hrsg.), Festschrift für Franz Streng zum 70. Geburtstag. Heidelberg, S. 185 – 199. Albrecht, H.-J. (2017): Police, policing and organised crime: lessons from organised crime research, in: D. Nogala, J. Fehérváry, H.-G. Jaschke & M. den Boer (eds.), European Police Science and Research Bulletin – Police Science and Police Practice in Europe, Special Conference Edition Nr. 2. Luxembourg, pp. 207 – 218. Albrecht, H.-J. (2016): Einleitung, in: Deutsche Gesetzbücher zum Strafprozess: StPO, GVG und JGG. Beijing, S. 1 – 22. Albrecht, H.-J. (2016): Sicherheit, Sicherheitserwartungen und Sicherheitsgefühle, in: L. Kecskés, G. Finszter, L. Köhalmi & Z. Végh (eds.), Egy jobb világot hátrahagyni. Tanulmányok Korinek László professzor tiszteletére. Pécs, S. 119 – 134. Albrecht, H.-J. (2016): Wirtschaftskriminalität, in: J. Hübner, J. Eurich, M. Honecker, T. Jähnichen, M. Kulessa & G. Renz (Hrsg.), Evangelisches Soziallexikon. Stuttgart, S. 1733 – 1740. Albrecht, H.-J. (2016): Vorwort, in: H.-J. Albrecht (Hrsg.), Kriminalität, Kriminalitätskontrolle, Strafvollzug und Menschenrechte. Internationales Kolloquium zum Gedenken an Professor Dr. Günther Kaiser vom 23. Januar 2009. Herausgegeben zum 50-jährigen Bestehen des Max-Planck-Instituts für ausländisches und internationales Strafrecht am 1. Juli 2016. Schriftenreihe des Max-Planck-Instituts für ausländisches und internationales Strafrecht: Interdisziplinäre Forschungen aus Strafrecht und Kriminologie Vol. I 23. Berlin, S. V – VII. Albrecht, H.-J. (2016): Strafrechtliche Sozialkontrolle, Kriminalität und die Kriminologie, in: H.-J. Albrecht (Hrsg.), Kriminalität, Kriminalitätskontrolle, Strafvollzug und Menschenrechte. Internationales Kolloquium zum Gedenken an Professor Dr. Günther Kaiser vom 23. Januar 2009. Herausgegeben zum 50-jährigen Bestehen des Max-Planck-Instituts für ausländisches und internationales Strafrecht am 1. Juli 2016. Schriftenreihe des Max-Planck-Instituts für ausländisches und internationales Strafrecht: Interdisziplinäre Forschungen aus Strafrecht und Kriminologie Vol. I 23. Berlin, S. 81 – 98. Albrecht, H.-J. (2016): Kriminologie und Strafrecht, in: U. Sieber (Hrsg.), Strafrecht in einer globalen Welt. Internationales Kolloquium zum Gedenken an Professor Dr. Hans-Heinrich Jescheck vom 7. bis 8. Januar 2011. Herausgegeben zum 50-jährigen Bestehen des MaxPlanck-Instituts für ausländisches und internationales Strafrecht am 1. Juli 2016. Schriftenreihe des Max-Planck-Instituts für ausländisches und internationales Strafrecht: Interdisziplinäre Forschungen aus Strafrecht und Kriminologie Vol. I 24. Berlin, S. 86 – 99. Albrecht, H.-J. (2016): Wandel der Sicherheit – Von präventiver zu präemptiver Sicherheit? Entwicklungen der Sicherheitspolitik in Systemen des öffentlichen Personentransports, in: S. Fischer & C. Masala (Hrsg.), Innere Sicherheit nach 9/11. Sicherheitsbedrohungen und (immer) neue Sicherheitsmaßnahmen? Wiesbaden, S. 209 – 229. Albrecht, H.-J. (2016): Legal Aspects of the Use of Coercive Measures in Psychiatry, in: B. Völlm & N. Nedopil (eds.), The Use of Coercive Measures in Forensic Psychiatric Care: Legal, Ethical and Practical Challenges. Cham, pp. 31 – 48.

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Publikationsverzeichnis – List of Publications

Albrecht, H.-J. (2016): Prison Overcrowding – Finding Effective Solutions: Strategies and Best Practices Against Overcrowding in Correctional Facilities. Teheran [in Farsi]. Albrecht, H.-J. (2016): Prison Overcrowding – Finding Effective Solutions: Strategies and Best Practices Against Overcrowding in Correctional Facilities. Teheran. Albrecht, H.-J. (2016): Direito Penal e Periculosidade: A política criminal entre prevenção, combate e perigos e retribuição de culpa, in: M.R. de Assis Machado & F.P. Püschel (eds.), Responsabilidade e pena no estado democrático de Direito. Desafios teóricos, políticas públicas e o desenvolvimento da democracia. São Paulo, pp. 41 – 83. Albrecht, H.-J. (2016): The Concept and Potential Value of Recidivism Statistics in the Perspective of Comparative Law. Issues on Juvenile Crimes and Delinquency 4, pp. 115 – 120. Albrecht, H.-J. (2016): Introduction, in: Penology – Understanding Crime Responsology. Teheran, pp. 9 – 10 [in Farsi]. Albrecht, H.-J. (2016): Criminal Sanctions and Crime Control: Past, Presence and Future in Europe, in: National Legal Institute of Mongolia, Max Planck Institute for Foreign and International Criminal Law, Max Planck Society & Law Enforcement University of Mongolia (eds.), Proceedings of the German-Mongolian Seminar on Current Trends in Criminal Punishment. Ulaanbaatar, pp. 7 – 24. Jehle, J.-M., Albrecht, H.-J., Hohmann-Fricke, S. & Tetal, C. (2016): Legalbewährung nach strafrechtlichen Sanktionen: Eine bundesweite Rückfalluntersuchung 2010 bis 2013 und 2004 bis 2013. Mönchengladbach. Albrecht, H.-J. (2016): Der Rückgang der Jugendkriminalität setzt sich fort. Recht der Jugend und des Bildungswesens 64, S. 395 – 413. Albrecht, H.-J. (Hrsg.) (2016): Kriminalität, Kriminalitätskontrolle, Strafvollzug und Menschenrechte: Internationales Kolloquium zum Gedenken an Professor Dr. Günther Kaiser vom 23. Januar 2009. Herausgegeben zum 50-jährigen Bestehen des Max-Planck-Instituts für ausländisches und internationales Strafrecht am 1. Juli 2016. Schriftenreihe des MaxPlanck-Instituts für ausländisches und internationales Strafrecht: Interdisziplinäre Forschungen aus Strafrecht und Kriminologie Vol. I 23. Berlin. Albrecht, H.-J. (2015): Freiheit und Innere Sicherheit? in: S. Steiger, J. Schiller & L. Gerhold (Hrsg.), Sicherheitsforschung im Dialog. Beiträge aus dem Forschungsforum Öffentliche Sicherheit. Frankfurt a. M., S. 161 – 186. Albrecht, H.-J. (2015): Geleitwort, in: F. Kunz & H.-J. Gertz (Hrsg.), Straffälligkeit älterer Menschen. Interdisziplinäre Beiträge aus Forschung und Praxis. Berlin, S. V–VII. Albrecht, H.-J. (2015): Verfassungs- und menschenrechtliche Grundlagen der Resozialisierung, in: T. Rotsch, J. Brüning & J. Schady (Hrsg.), Strafrecht – Jugendstrafrecht – Kriminalprävention in Wissenschaft und Praxis, Festschrift für Heribert Ostendorf zum 70. Geburtstag. Baden-Baden, S. 23 – 39. Albrecht, H.-J. (2015): Die Todesstrafe: Wege zur Abschaffung. Law Review (National Legal Institute of Mongolia) 55/5, S. 29 – 46. Albrecht, H.-J. (2015): Criminal Sanctions and Crime Control: Past, Presence and Future in Europe, in: E. Kambellari (ed.), International Scientific Symposium: Criminal Justice System and the Social Welfare. Proceedings Book. Tirana. pp. 8 – 27.

Publikationsverzeichnis – List of Publications

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Albrecht, H.-J. (2015): Stalking: National and International Legal Policy and Legislative Development. Criminal Law Review 44, pp. 429 – 443. Albrecht, H.-J. (2015): Juvenile Criminal Law and Justice in Germany: Accounting for Trends in the German Juvenile Criminal Justice System, in: A. Sözüer (ed.), 3rd International Crime and Punishment Film Festival. Juvenile Justice, Academic Papers (Vol. 2); 3. Uluslararası Suç ve Ceza Film Festivali, C¸ocuk(ça) Adalet? Teblig˘ ler (2. Cilt). 2nd edition, Ankara. pp. 901 – 974. Albrecht, H.-J. (2015): Almanya’da C¸ocuk Ceza Hukuku ve Adaleti Alman C¸ocuk Adaleti Sistemi Eg˘ ilimlerinin Muhasebesi, in: A. Sözüer (ed.), B. C¸ag˘ (transl.), 3. Uluslararası Suç ve Ceza Film Festivali, C¸ocuk(ça) Adalet? Teblig˘ ler (2. Cilt); 3rd International Crime and Punishment Film Festival. Juvenile Justice, Academic Papers (Vol. 2.). 2nd edition, Ankara, pp. 975 – 1046. Albrecht, H.-J. (2015): Criminal Sanctions and Crime Control: Past, Presence and Future in Europe, in: B. Zhao (ed.), Toward Scientific Criminal Law Theories – CCLS Tenth Anniversary Anthology of Papers from International Academic Partners. Beijing, pp. 16 – 27. , in: B. Zhao Albrecht, H.-J. (2015): (ed.), S. Zhao (transl.), Toward Scientific Criminal Law Theories – CCLS Tenth Anniversary Anthology of Papers from International Academic Partners. Beijing, pp. 3 – 15. Albrecht, H.-J. (2015): The Incapacitation of the Dangerous Offender: Criminal Policy and Legislation in the Federal Republic of Germany, in: R. Liu (ed.), Improving Criminal Law Structure after the Abolition of Re-education through Labor. Beijing, pp. 523 – 548. Albrecht, H.-J. (2015): Terrorism, Victimization and Compensation of Victims of Terrorism, in: Z. Chen (ed.), New Reports in Criminal Law 8. Beijing, pp. 208 – 229. Albrecht, H.-J. (2015): Tutuklama Hukuku ve Uygulaması Avrupa’da Kars¸ılas¸tırmalı Bir Perspektif. Özel Sayı, Tutuklama 10/H. 125/126, pp. 29 – 53. Albrecht, H.-J. (2014): „Die Kriminalität sinkt!“ – Warum geht die Jugendkriminalität zurück? Recht der Jugend und des Bildungswesens 62, S. 363 – 380. Albrecht, H.-J. (2014): Sicherheit, Sicherheitsmonitoring und Viktimisierungsstudien: Ansätze und Ergebnisse, in: H. Hoch & P. Zoche (Hrsg.), Sicherheiten und Unsicherheiten. Soziologische Beiträge. Zivile Sicherheit. Schriften zum Fachdialog Sicherheitsforschung Band 8. Berlin, S. 75 – 88. Albrecht, H.-J., Becker, M. & Jehle, J.-M. (2014): Legalbewährung nach strafrechtlichen Sanktionen: eine bundesweite Rückfalluntersuchung. Forum Kriminalprävention 2, S. 52 – 56. Albrecht, H.-J. (2014): Terrorismus und Organisierte Kriminalität: Beziehungen, Zusammenhänge und Konvergenz, in: H. Arnold & P. Zoche (Hrsg.), Terrorismus und organisierte Kriminalität. Theoretische und methodische Aspekte komplexer Kriminalität. Zivile Sicherheit. Schriften zum Fachdialog Sicherheitsforschung Band 9. Berlin, S. 17 – 31. Albrecht, H.-J. (2014): Vorratsdatenspeicherung von Telekommunikationsverkehrsdaten und die Richtlinie 2006/24/EG, in: A. Nuhog˘ lu, S. Altunç & C.Z. Pirim (eds.), Prof. Dr. Feridun Yenisey’e Armag˘ an Cilt I. Istanbul, pp. 767 – 794. Albrecht, H.-J. (2014): Remarks by Commentating Editor. Police Practice and Research an International Journal 15, pp. 445 – 446.

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Publikationsverzeichnis – List of Publications

Albrecht, H.-J. (2014): Safety, Crime Prevention and Criminal Law. People’s Procuratorial Semimonthly 16, pp. 30 – 40. Albrecht, H.-J. (2014): Concepts and Potentials of Recidivism Statistics: An International Comparison, in: H.-J. Albrecht & J.-M. Jehle (eds.), National Reconviction Statistics and Studies in Europe – Nationale Rückfallstatistiken und -untersuchungen in Europa. Göttingen Studies in Criminal Law and Justice. Göttingen, pp. 13 – 24. Albrecht, H.-J. (2014): Sexual Offender Laws and Treatment in Europe: An introduction. Monatsschrift für Kriminologie und Strafrechtsreform 97, S. 3 – 6. Albrecht, H.-J. (2014): Violência e esporte: fenomenologia, explicação e prevenção, in: L. Schmitt de Bem & R. de Vicente Martínez (eds.), Direito desportivo. E conexões com o direito penal. Curitiba, pp. 467 – 491. Albrecht, H.-J. (2014): Pena de muerte, efecto disuasorio y formulación de políticas, in L. Arroyo Zapatero, A. Nieto Martín & W. Schabas (eds.), Pena de muerte: una pena cruel e inhumana y no especialmente disuasoria. Cuenca: pp. 55 – 72. Getosˇ Kalac, A.-M., Albrecht, H.-J. & Kilchling, M. (eds.) (2014): Mapping the Criminological Landscape of the Balkans: A Survey on Criminology and Crime with an Expedition into the Criminal Landscape of the Balkans. Schriftenreihe des Max-Planck-Instituts für ausländisches und internationales Strafrecht: Publications of the Max Planck Partner Group for Balkan Criminology Vol. BC 1. Berlin. Albrecht, H.-J. & Jehle, J.-M. (eds.) (2014): National Reconviction Statistics and Studies in Europe: Nationale Rückfallstatistiken und -untersuchungen in Europa. Göttingen Studies in Criminal Law and Justice. Göttingen. Albrecht, H.-J. (2013): Die Jugendkriminalität ist weit überwiegend Eigentumskriminalität: Kann die Entkriminalisierung der Jugenddelikte der Sozialisation und der Integration der Jugendlichen dienen? Recht der Jugend und des Bildungswesens 61, S. 146 – 148. Albrecht, H.-J. (2013): Verhängung in Tagessätzen, § 40, in: U. Kindhäuser, U. Neumann & H.-U. Paeffgen (Hrsg.), Nomos Kommentar zum Strafgesetzbuch. 4. Aufl., Baden-Baden, S. 1723 – 1744. Albrecht, H.-J. (2013): Geldstrafe neben Freiheitsstrafe, § 41, in: U. Kindhäuser, U. Neumann & H.-U. Paeffgen (Hrsg.), Nomos Kommentar zum Strafgesetzbuch. 4. Aufl., Baden-Baden, S. 1744 – 1747. Albrecht, H.-J. (2013): Zahlungserleichterungen, § 42, in: U. Kindhäuser, U. Neumann & H.-U. Paeffgen (Hrsg.), Nomos Kommentar zum Strafgesetzbuch. 4. Aufl., Baden-Baden, S. 1747 – 1752. Albrecht, H.-J. (2013): Ersatzfreiheitsstrafe, § 43, in: U. Kindhäuser, U. Neumann & H.-U. Paeffgen (Hrsg.), Nomos Kommentar zum Strafgesetzbuch. 4. Aufl., Baden-Baden, S. 1752 – 1757. Albrecht, H.-J. (2013): Verlust der Amtsfähigkeit, der Wählbarkeit und des Stimmrechts, § 45, in: U. Kindhäuser, U. Neumann & H.-U. Paeffgen (Hrsg.), Nomos Kommentar zum Strafgesetzbuch. 4. Aufl., Baden-Baden, S. 1770 – 1773. Albrecht, H.-J. (2013): Eintritt und Berechnung des Verlustes, § 45a, in: U. Kindhäuser, U. Neumann & H.-U. Paeffgen (Hrsg.), Nomos Kommentar zum Strafgesetzbuch. 4. Aufl., BadenBaden, S. 1773 – 1773.

Publikationsverzeichnis – List of Publications

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Albrecht, H.-J. (2013): Wiederverleihung von Fähigkeiten und Rechten, § 45b, in U. Kindhäuser, U. Neumann & H.-U. Paeffgen (Hrsg.), Nomos Kommentar zum Strafgesetzbuch. 4. Aufl., Baden-Baden, S. 1773 – 1774. Albrecht, H.-J. (2013): Voraussetzungen der Verwarnung mit Strafvorbehalt, § 59, in: U. Kindhäuser, U. Neumann & H.-U. Paeffgen (Hrsg.), Nomos Kommentar zum Strafgesetzbuch. 4. Aufl., Baden-Baden, S. 2174 – 2179. Albrecht, H.-J. (2013): Bewährungszeit, Auflagen und Weisungen, § 59a, in: U. Kindhäuser, U. Neumann & H.-U. Paeffgen (Hrsg.), Nomos Kommentar zum Strafgesetzbuch. 4. Aufl., Baden-Baden, S. 2179 – 2180. Albrecht, H.-J. (2013): Verurteilung zu der vorbehaltenen Strafe, § 59b, in: U. Kindhäuser, U. Neumann & H.-U. Paeffgen (Hrsg.), Nomos Kommentar zum Strafgesetzbuch. 4. Aufl., Baden-Baden, S. 2180 – 2180. Albrecht, H.-J. (2013): Gesamtstrafe und Verwarnung mit Strafvorbehalt, § 59c, in: U. Kindhäuser, U. Neumann & H.-U. Paeffgen (Hrsg.), Nomos Kommentar zum Strafgesetzbuch. 4. Aufl., Baden-Baden, S. 2180 – 2181. Albrecht, H.-J. (2013): Absehen von Strafe, § 60, in: U. Kindhäuser, U. Neumann & H.-U. Paeffgen (Hrsg.), Nomos Kommentar zum Strafgesetzbuch. 4. Aufl., Baden-Baden, S. 2181 – 2185. Albrecht, H.-J. (2013): Zur Lage der Kriminologie in Deutschland: eine Einführung. Monatsschrift für Kriminologie und Strafrechtsreform 96, S. 73 – 80. Albrecht, H.-J., Quensel, S. & Sessar, K. (2013): Freiburger Memorandum zur Lage der Kriminologie in Deutschland. Neue Kriminalpolitik 25, S. 10 – 15. Albrecht, H.-J. (2013): Innere Sicherheit und soziale Kontrolle: Wie viel Freiheit ist möglich? in: S. Hradil (Hrsg.), Deutsche Verhältnisse. Eine Sozialkunde. Frankfurt, S. 209 – 228. Albrecht, H.-J. (2013): Kriminalprognosen: Entwicklungen und Stand der Forschung, in: G. Freund, U. Murmann, R. Bloy & W. Perron (Hrsg.), Grundlagen und Dogmatik des gesamten Strafrechtssystems. Festschrift für Wolfgang Frisch zum 70. Geburtstag. Berlin, S. 1063 – 1076. Albrecht, H.-J. (2013): Evaluation der sozialtherapeutischen Behandlung von Sexualstraftätern in Sachsen: Eine Einführung, in: G. Wössner, R. Hefendehl & H.-J. Albrecht (Hrsg.), Sexuelle Gewalt und Sozialtherapie: bisherige Daten und Analysen zur Längsschnittstudie „Sexualstraftäter in den sozialtherapeutischen Abteilungen des Freistaates Sachsen“. Schriftenreihe des Max-Planck-Instituts für ausländisches und internationales Strafrecht: Kriminologische Forschungsberichte Vol. K 161. Berlin, S. XVII–XXVII. Albrecht, H.-J. (2013): Gefahren und Gefährder: Das Strafrecht als Baustein eines Sicherheitsrechts (Threats and potentially dangerous persons – penal law as the constituent part of safety law), in: Wydział Prawa i Administracji Uniwersytetu Marii Curie-Skłodowskiej (ed.), Studia Iuridica Lublinensia, Tom XX. Lublin, pp. 11 – 22. Albrecht, H.-J. (2013): Rückfallstatistiken im internationalen Vergleich. Monatsschrift für Kriminologie und Strafrechtsreform 96, S. 400 – 410. Albrecht, H.-J. (2013): Zur Lage der Kriminologie in Deutschland: eine Einführung. Monatsschrift für Kriminologie und Strafrechtsreform 96, S. 73 – 80.

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Publikationsverzeichnis – List of Publications

Albrecht, H.-J. (2013): NSA, GCHQ, Tempora, XKeyscore, Inferenz und Schnellkochtöpfe. Monatsschrift für Kriminologie und Strafrechtsreform 96, S. 443 – 446. Albrecht, H.-J. (2013): Juvenile Criminal Law and Justice in Germany: Accounting for Trends in the German Juvenile Criminal Justice System, in: A. Sözüer (ed.), 3rd International Crime and Punishment Film Festival. Juvenile Justice, Academic Papers. Istanbul, pp. 643 – 695. Albrecht, H.-J. (2013): Almanya’da C¸ocuk Ceza Hukuku ve Adaleti Alman C¸ocuk Adaleti Sistemi Eg˘ ilimlerinin Muhasebesi, in A. Sözüer (ed.), B. C¸ag˘ (transl.), 3rd International Crime and Punishment Film Festival. Juvenile Justice, Academic Papers. Istanbul, pp. 697 – 746. Albrecht, H.-J. (2013): Criminal Law on Sexual Offences in Germany: Reforms and Results. Criminal Law Review 35, pp. 336 – 358. Albrecht, H.-J. (2013): Sentencing in Germany: Explaining Long-Term Stability in the Structure of Criminal Sanctions and Sentencing. Law and Contemporary Problems 76, pp. 211 – 236. Albrecht, H.-J. (2013): The System of Sentencing and Criminal Sanctions in Germany, in: Z. Chen (ed.), New Reports in Criminal Law 7, Beijing, pp. 394 – 412. Albrecht, H.-J. (2013): The Death Penalty, Deterrence and Policy Making, in: L. Arroyo Zapatero, W. Schabas & K. Takayama (eds.), Death Penalty: A Cruel and Inhuman Punishment. Cuenca, pp. 29 – 44. Jehle, J.-M., Albrecht, H.-J., Hohmann-Fricke, S. & Tetal, C. (2013): Legalbewährung nach strafrechtlichen Sanktionen: Eine bundesweite Rückfalluntersuchung 2007 bis 2010 und 2004 bis 2010. Mönchengladbach. Albrecht, H.-J. & Klip, A. (eds.) (2013): Crime, Criminal Law and Criminal Justice in Europe. A Collection in Honour of Prof. em. dr. dr. h.c. Cyrille Fijnaut. Leiden. Wössner, G., Hefendehl, R. & Albrecht, H.-J. (Hrsg.) (2013): Sexuelle Gewalt und Sozialtherapie: Bisherige Daten und Analysen zur Längsschnittstudie „Sexualstraftäter in den sozialtherapeutischen Abteilungen des Freistaates Sachsen“. Schriftenreihe des Max-Planck-Instituts für ausländisches und internationales Strafrecht: Kriminologische Forschungsberichte Vol. K 161. Berlin. Albrecht, H.-J., Quensel, S. & Sessar, K. (Hrsg.) (2013): Zur Lage der Kriminologie in Deutschland: Beiträge der Tagung vom 28. bis 30. Juni 2012 am Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Strafrecht, Freiburg i.Br. Monatsschrift für Kriminologie und Strafrechtsreform 96 (Schwerpunktheft 2/3). Albrecht, H.-J. (2012): Strafrecht, Sicherheit und Sicherungsverwahrung: internationale Entwicklungen, in: J.L. Müller, N. Nedopil, N. Saimeh, E. Habermeyer & P. Falkai (Hrsg.), Sicherungsverwahrung – wissenschaftliche Basis und Positionsbestimmung. Was folgt nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 04. 05. 2011? Berlin, S. 183 – 194. Albrecht, H.-J. (2012): Die Geldstrafe in Ländern der Europäischen Union – Normative Strukturen und praktische Anwendung, in: E. Hilgendorf & R. Rengier (Hrsg.), Festschrift für Wolfgang Heinz zum 70. Geburtstag. Baden-Baden, S. 565 – 579. Albrecht, H.-J. (2012): DNA, Ermittlungsverfahren und Sicherheitsvorsorge, in: Z. Chen (ed.), New Reports in Criminal Law 6. Beijing, pp. 457 – 470.

Publikationsverzeichnis – List of Publications

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Albrecht, H.-J. & Grundies, V. (2012): Justizielle Registrierungen in Abhängigkeit vom Alter, in Z. Chen (ed.), New Reports in Criminal Law 6. Beijing, pp. 513 – 531. Albrecht, H.-J. (2012): Strafrecht, Gefährlichkeit und Sicherheit, in: T.A. Barabás (ed.), Tanulmányok. Irk Ferenc professzor 70. születésnapja tiszteletére. Budapest, pp. 11 – 25. Albrecht, H.-J. (2012): Psychiatrie, Gefährlichkeit und Prognose, in: E. Yundina, S. Stübner, M. Hollweg & C. Stadtland (Hrsg.), Forensische Psychiatrie als interdisziplinäre Wissenschaft. Festschrift zum Geburtstag von Norbert Nedopil. Berlin, S. 1 – 14. Albrecht, H.-J. (2012): Vorwort, in: P. Asprion, Gefährliche Freiheit? Das Ende der Sicherungsverwahrung. Freiburg/Basel/Wien. Albrecht, H.-J. (2012): Empirische Strafverfahrensforschung, neue Ermittlungsmethoden und Überwachungstechnologien, in: K. Boers (Hrsg.), Kriminologische Perspektiven. Wissenschaftliches Symposium zum 70. Geburtstag von Klaus Sessar. Münster, S. 85 – 105. Albrecht, H.-J. (2012): Security, Crime Prevention and Secret Surveillance: How Criminal Law Adjusts to the Challenges of a Global Risk Society, in: International Center for Criminal Justice of the Korean Institute of Criminology (ed.), Asian Criminological Society. 4th Annual Conference: Development & Security: Rethinking Crime and Criminal Policies in Asia. Program Book. Seoul, pp. 141 – 152. Albrecht, H.-J. (2012): The Incapacitation of the Dangerous Offender: Criminal Policy and Legislation in the Federal Republic of Germany, in: M. Malsch & M. Duker (eds.), Incapacitation. Trends and New Perspectives. Farnham, pp. 39 – 61. Albrecht, H.-J. (2012): Prison Overcrowding – Finding Effective Solutions: Strategies and Best Practices Against Overcrowding in Correctional Facilities. Forschung aktuell – research in brief Vol. 43. Freiburg i.Br. Albrecht, H.-J. (2012): La pena de muerte: Los caminos para su abolición, in: L. Arroyo, P. Biglino & W. Schabas (eds.), Contra el espanto. Por la abolición de la pena de muerte. Valencia, pp. 39 – 68. Albrecht, H.-J., Quensel, S. & Sessar, K. (Hrsg.) (2012): Freiburger Memorandum zur Lage der Kriminologie in Deutschland. Online: https://static.mpicc.de/shared/data/pdf/freiburger_me morandum_kriminologie_de_12.pdf [30. 11. 2020]. Albrecht, H.-J. (2011): Grausamkeit – eine juristische Perspektive, in: T. von Trotha & J. Rösel (Hrsg.), On Cruelty Sur la cruauté Über Grausamkeit. Siegener Beiträge zur Soziologie. Köln, S. 388 – 400. *

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Albrecht, H.-J. (2011): Neue Bedrohungen? Wandel von Sicherheit und Sicherheitserwartungen, in: P. Zoche, S. Kaufmann & R. Haverkamp (Hrsg.), Zivile Sicherheit. Gesellschaftliche Dimensionen gegenwärtiger Sicherheitspolitiken. Bielefeld, S. 111 – 127. Albrecht, H.-J. (2011): Bestrafung der Armen? Zu Zusammenhängen zwischen Armut, Kriminalität und Strafrechtsstaat, in: B. Dollinger & H. Schmidt-Semisch (Hrsg.), Gerechte Ausgrenzung? Wohlfahrtsproduktion und die neue Lust am Strafen. Wiesbaden, S. 111 – 129. Albrecht, H.-J. (2011): Sicherheit und Prävention in strafrechtlichen Sanktionensystemen: Eine kriminologische, komparative Untersuchung, in: H.-G. Koch (Hrsg.), Wegsperren? – Freiheitsentziehende Maßnahmen gegen gefährliche, strafrechtlich verantwortliche (Rückfall-)Täter im internationalen Vergleich. Schriftenreihe des Max-Planck-Instituts für auslän-

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Publikationsverzeichnis – List of Publications

disches und internationales Strafrecht: Strafrechtliche Forschungsberichte Vol. S 130. Berlin, S. 431 – 489. Albrecht, H.-J. (2011): Sexualstrafrecht – Reformen und Ergebnisse. Recht der Jugend und des Bildungswesens 59/2, S. 148 – 162. Albrecht, H.-J. (2011): Grooming, das Internet und die Schließung von Sicherheits- und Strafbarkeitslücken. Monatsschrift für Kriminologie und Strafrechtsreform 94/2, S. I–IV. Albrecht, H.-J. (2011): Geheime Ermittlungsmaßnahmen in Deutschland: ein Überblick, in: F. Yenisey & U. Sieber (eds.), Criminal Law in the Global Risk Society. Risk Altındaki Global Dünya Toplumu ve Ceza Hukuku. German-Turkish Colloquium in Honour of Prof. Dr. Dr. h.c. mult. Hans-Heinrich Jescheck. Series of the Max Planck Institute for Foreign and International Criminal Law and Bahçes¸ehir University Joint Research Group. Istanbul, pp. 545 – 570. Albrecht, H.-J. (2011): Almanyadaki Gizli Sorus¸turma Tedbirleri Hakkında, in: F. Yenisey & U. Sieber (eds.), F. Yenisey (transl.), Criminal Law in the Global Risk Society. Risk Altındaki Global Dünya Toplumu ve Ceza Hukuku. German-Turkish Colloquium in Honour of Prof. Dr. Dr. h.c. mult. Hans-Heinrich Jescheck. Series of the Max Planck Institute for Foreign and International Criminal Law and Bahçes¸ehir University Joint Research Group. Istanbul, pp. 521 – 545. Albrecht, H.-J. (2011): Prison Overcrowding: Finding Effective Solutions. Strategies and Best Practices Against Overcrowding in Correctional Facilities, in: United Nations Asia and Far East Institute for the Prevention of Crime and the Treatment of Offenders (UNAFEI) (ed.), Report of the Workshop. Strategies and Best Practices Against Overcrowding in Correctional Facilities: Twelfth United Nations Congress on Crime Prevention and Criminal Justice. Salvador, Brazil, 12 – 19 April 2010. Tokyo, pp. 65 – 130. Albrecht, H.-J. (2011): Criminalization and Victimization of Immigrants in Germany, in: S. Palidda (ed.), Racial Criminalization of Migrants in the 21st Century. Advances in Criminology. Farnham, pp. 177 – 195. Albrecht, H.-J. (2011): Secret Surveillance: Measures of Secret Investigation in the Criminal Process. Revista Brasileira de Ciências Criminais 92, pp. 123 – 153. Albrecht, H.-J. (2011): International Crime, Crimes Against Humanity and Markets of Violence, in: T. Spapens, M. Groenhuijsen & T. Kooijmans (eds.), Universalis. Liber amicorum Cyrille Fijnaut. Cambridge et al., pp. 301 – 312. Albrecht, H.-J. (2011): Criminalisation et victimation des immigrés en Allemagne, in: S. Palidda (ed.), Migrations critiques. Repenser les migrations comme mobilités humaines en Europe. Paris, pp. 271 – 287. Albrecht, H.-J. (2011): Mie˛ dzynarodowe tendencje w rozwoju prawa karnego nieletnich (Internationale Tendenzen in der Entwicklung des Jugendstrafrechts), in: Wydział Prawa i Administracji Uniwersytetu Marii Curie-Skłodowskiej (ed.), Studia Iuridica Lublinensia, Tom XVI. Lublin, pp. 11 – 33. Albrecht, H.-J. (2010): Verhängung in Tagessätzen, § 40, in: U. Kindhäuser, U. Neumann & H.-U. Paeffgen (Hrsg.), Nomos Kommentar zum Strafgesetzbuch. 3. Aufl., Baden-Baden, S. 1601 – 1621.

Publikationsverzeichnis – List of Publications

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Albrecht, H.-J. (2010): Geldstrafe neben Freiheitsstrafe, § 41, in: U. Kindhäuser, U. Neumann & H.-U. Paeffgen (Hrsg.), Nomos Kommentar zum Strafgesetzbuch. 3. Aufl., Baden-Baden, S. 1622 – 1624. Albrecht, H.-J. (2010): Zahlungserleichterungen, § 42, in: U. Kindhäuser, U. Neumann & H.-U. Paeffgen (Hrsg.), Nomos Kommentar zum Strafgesetzbuch. 3. Aufl., Baden-Baden, S. 1625 – 1629. Albrecht, H.-J. (2010): Ersatzfreiheitsstrafe, § 43, in: U. Kindhäuser, U. Neumann & H.-U. Paeffgen (Hrsg.), Nomos Kommentar zum Strafgesetzbuch. 3. Aufl., Baden-Baden, S. 1629 – 1634. Albrecht, H.-J. (2010): Verlust der Amtsfähigkeit, der Wählbarkeit und des Stimmrechts, § 45, in: U. Kindhäuser, U. Neumann & H.-U. Paeffgen (Hrsg.), Nomos Kommentar zum Strafgesetzbuch. 3. Aufl., Baden-Baden, S. 1647 – 1649. Albrecht, H.-J. (2010): Eintritt und Berechnung des Verlustes, § 45a, in: U. Kindhäuser, U. Neumann & H.-U. Paeffgen (Hrsg.), Nomos Kommentar zum Strafgesetzbuch. 3. Aufl., BadenBaden, S. 1649 – 1649. Albrecht, H.-J. (2010): Wiederverleihung von Fähigkeiten und Rechten, § 45b, in: U. Kindhäuser, U. Neumann & H.-U. Paeffgen (Hrsg.), Nomos Kommentar zum Strafgesetzbuch. 3. Aufl., Baden-Baden, S. 1650 – 1650. Albrecht, H.-J. (2010): Voraussetzungen der Verwarnung mit Strafvorbehalt, § 59, in: U. Kindhäuser, U. Neumann & H.-U. Paeffgen (Hrsg.), Nomos Kommentar zum Strafgesetzbuch. 3. Aufl., Baden-Baden, S. 2030 – 2035. Albrecht, H.-J. (2010): Bewährungszeit, Auflagen und Weisungen, § 59a, in: U. Kindhäuser, U. Neumann & H.-U. Paeffgen (Hrsg.), Nomos Kommentar zum Strafgesetzbuch. 3. Aufl., Baden-Baden, S. 2035 – 2036. Albrecht, H.-J. (2010): Verurteilung zu der vorbehaltenen Strafe, § 59b, in: U. Kindhäuser, U. Neumann & H.-U. Paeffgen (Hrsg.), Nomos Kommentar zum Strafgesetzbuch. 3. Aufl., Baden-Baden, S. 2036 – 2037. Albrecht, H.-J. (2010): Gesamtstrafe und Verwarnung mit Strafvorbehalt, § 59c, in: U. Kindhäuser, U. Neumann & H.-U. Paeffgen (Hrsg.), Nomos Kommentar zum Strafgesetzbuch. 3. Aufl., Baden-Baden, S. 2037 – 2037. Albrecht, H.-J. (2010): Absehen von Strafe, § 60, in: U. Kindhäuser, U. Neumann & H.-U. Paeffgen (Hrsg.), Nomos Kommentar zum Strafgesetzbuch. 3. Aufl., Baden-Baden, S. 2037 – 2041. Albrecht, H.-J. (2010): Gewaltkriminalität – Ursachen und Wirkungen, in: D. Dölling, B.-D. Meier, T. Verrel & B. Götting (Hrsg.), Verbrechen – Strafe – Resozialisierung. Festschrift für Heinz Schöch zum 70. Geburtstag. Berlin, S. 31 – 47. Albrecht, H.-J. (2010): Strassenverkehr, schwere Verkehrsunfälle und (strafrechtliche) Sanktionen: Ein internationaler Vergleich, in: M. Galanou (ed.), Essays in Honour of Professor C.D. Spinellis. Interdisciplinary Criminological Pathways. Athen/Komotini, pp. 471 – 493. Albrecht, H.-J. (2010): Internationale Tendenzen in der Entwicklung des Jugendstrafrechts, in: B. Dollinger & H. Schmidt-Semisch (Hrsg.), Handbuch Jugendkriminalität. Kriminologie und Sozialpädagogik im Dialog. Wiesbaden, S. 43 – 59.

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Publikationsverzeichnis – List of Publications

Albrecht, H.-J. (2010): Organisierte Umweltkriminalität – Europäische Perspektive, in: F. Comte, L. Krämer & O.L. Dubovik (Hrsg.), Umweltkriminalität in Europa. Moskau, S. 86 – 121. Albrecht, H.-J. (2010): Muslime, Radikalisierung und terroristische Gewalt. Recht der Jugend und des Bildungswesens 58, S. 70 – 79. Albrecht, H.-J. (2010): Rassistisch motivierte Gewalt und antirassistische Politik in Europa. Rechtsstaat. Zeitschrift der Staatlichen Metschnikov-Universität Odessa 12, S. 15 – 34. Albrecht, H.-J. (2010): Männliche Aggressivität – Maskuline Gewalt, in: Freiburger Interventionsprojekt gegen häusliche Gewalt (FRIG) (Hrsg.), Gender und häusliche Gewalt – Wie beeinflussen die Rollenerwartungen die mit häuslicher Gewalt befassten Professionen? Freiburg i.Br., S. 83 – 96. Albrecht, H.-J. (2010): Telekommunikationsverkehrsdaten, Vorratsdatenspeicherung und Strafverfahren, in: A.G. Pitsela (ed.), Criminology: Searching for Answers. Essays in Honour of Professor Stergios Alexiadis. Athen/Thessaloniki, pp. 1 – 21. Albrecht, H.-J. (2010): Organisierte Kriminalität: theoretische Erklärungen und empirische Befunde. Revista da Faculdade de Direito da Universidade de São Paulo 105, S. 259 – 280. Albrecht, H.-J. (2010): Drug Policies in Europe, in: M. Groenhuijsen, T. Kooijmans & T. de Roos (eds.), Fervet Opus. Liber Amicorum Anton van Kalmthout. Apeldoorn et al., pp. 11 – 21. Albrecht, H.-J. (2010): Race, Crime and Criminal Justice in Germany, in: A. Kalunta-Crumpton (ed.), Race, Crime and Criminal Justice. International Perspectives. Hampshire, pp. 72 – 97. Albrecht, H.-J. & Getosˇ, A.-M. (2010): Researching Terrorism and Organized Crime in Southeast Europe, in: W. Benedek, C. Daase, V. Dimitrijevic´ & P. van Duyne (eds.), Transnational Terrorism, Organized Crime and Peace-Building. Human Security in the Western Balkans. Houndmills, pp. 117 – 148. Albrecht, H.-J. & Kilchling, M. (2010): Victims of Terrorism Policies: Should Victims of Terrorism be Treated Differently? in: M. Wade & A. Maljevic´ (eds.), A War on Terror?: The European Stance on a New Threat, Changing Laws and Human Rights Implications. Dordrecht et al., pp. 221 – 241. Albrecht, H.-J. (2010): The Death Penalty in Europe. Criminal Law Review 22, pp. 27 – 38. Albrecht, H.-J. (2010): Les peines alternatives en Allemagne: théorie et experience, in: Institut Judiciaire Jordanien (réalisation) (ed.), Colloque Les peines alternatives à l’emprisonnement, Amman 3 – 4 novembre 2010. Amman, pp. 24 – 28. Albrecht, H.-J. (2010): Criminalización y victimización de inmigrantes en Alemania, in: S. Palidda & J.Á. Brandariz García (eds.), Criminalización racista de los migrantes en Europa. Estudios de derecho penal y criminología. Granada, pp. 217 – 236. Albrecht, H.-J. (2010): Criminalidade organizada na Europa: perspectivas teorética e empírica, in: M.F. Palma, A.S. Dias & P. de Sousa Mendes (eds.), 2. congresso de investigação criminal. Coimbra, pp. 73 – 99. Albrecht, H.-J. (2010): Biztonság és bünmegelözés: Objektív biztonság – szubjektív biztonság, in: G. Virág (ed.), Kriminológiai Tanulmányok 47: Megjelent az Országos Kriminológiai Intézet alapításának 50. évében. Budapest, pp. 17 – 35.

Publikationsverzeichnis – List of Publications

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Jehle, J.-M., Albrecht, H.-J., Hohmann-Fricke, S. & Tetal, C. (2010): Legalbewährung nach strafrechtlichen Sanktionen: eine bundesweite Rückfalluntersuchung 2004 bis 2007. Mönchengladbach. Albrecht, H.-J. & Grundies, V. (2009): Justizielle Registrierungen in Abhängigkeit vom Alter. Monatsschrift für Kriminologie und Strafrechtsreform 92, S. 326 – 343. Albrecht, H.-J. & Kilchling, M. (2009): Die Überwachung von Telekommunikations-Verkehrsdaten. Jahrbuch 2008 der Max-Planck-Gesellschaft. Albrecht, H.-J. & Ciklauri-Lammich, E. (2009): Kriminologische Forschungen am Freiburger Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Strafrecht, in: Russische Akademie der Wissenschaften, Institut für Staat und Recht (Hrsg.), Gegenwärtige Probleme der Theorie und Praxis der Kriminalitätsbekämpfung. Moskau, S. 51 – 90. Albrecht, H.-J. (2009): DNA, Ermittlungsverfahren und Sicherheitsvorsorge, in: T. Görgen, K. Hoffmann-Holland, H. Schneider & J. Stock (Hrsg.), Interdisziplinäre Kriminologie: Festschrift für Arthur Kreuzer zum 70. Geburtstag. 2. erweiterte Auflage, Frankfurt a. M., S. 21 – 37. Albrecht, H.-J. (2009): Die Rolle der Kriminologie und internationale Standards – Diskussion, in: Bundesministerium der Justiz (Hrsg.), Das Jugendkriminalrecht vor neuen Herausforderungen? Jenaer Symposium, 9. – 11. September 2008. Mönchengladbach, S. 317 – 321. Albrecht, H.-J. (2009): Organized Environmental Crimes: Concepts, Extent and Structures. China Review of International Criminal Law – College for Criminal Law Science of Beijing Normal University 3, pp. 29 – 45. Albrecht, H.-J. (2009): DNA-Based Criminal Investigation: Problems and Prospects, in: Polska Akademia Nauk, Instytut Nauk Prawnych, Zakład Kryminologii (ed.), Archiwum Kryminologii. Tom XXIX – XXX, 2007 – 2008. Warszawa, pp. 779 – 790. Albrecht, H.-J. (2009): Criminalization and Victimization of Immigrants in Germany, in: S. Palidda (ed.), Criminalisation and Victimization of Migrants in Europe. Milano, pp. 118 – 138. Albrecht, H.-J. (2009): Actualité de la question de l’irresponsabilité pénale au regard du droit allemand, in: Institut Catholique d’Études Supérieures (ed.), L’irresponsabilité pénale. Regards croisés: Droit – Santé – Culture. Actes du colloque organisé les 16 & 17 février 2008 par le Centre de Recherches Hannah Arendt. Travaux du Centre de Recherches. Paris, pp. 13 – 23. Albrecht, H.-J. (2009): Vigilância das Telecomunicações: Análise teórica e empírica da sua implementação e efeitos, in: M. Ferreira Monte, M.C. Calheiros, F.C. Monteiro & F.N. Loureiro (eds.), Que futuro para o direito processual penal? Simpósio em homenagem a Jorge de Figueiredo Días, por ocasião dos 20 anos do código de processo penal português. Coimbra, pp. 725 – 743. Albrecht, H.-J., Sieber, U. & Simon, J.-M. (2009): Prólogo, in: H.-J. Albrecht & E.R. Zaffaroni (eds.), Criminalidad, evolución del derecho penal y crítica al derecho penal en la actualidad. Buenos Aires, pp. VII–IX. Albrecht, H.-J. (2009): Delincuencia internacional, economía de la violencia y crímenes contra los derechos humanos, in: H.-J. Albrecht, U. Sieber, J.-M. Simon & F. Schwarz (eds.), Criminalidad, evolución del Derecho penal y crítica al Derecho penal en la actualidad – Die Gegenwart der Kriminalität, der Strafrechtsentwicklung und Strafrechtskritik. Buenos Aires, pp. 375 – 393.

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Albrecht, H.-J. (2009): Rozwaz˙ ania na temat drobnych przeste˛ pstw i wykroczen´ administracyjnych, in: Lubelskie Towarzystwo Naukowe (ed.), Rozwój nauk penalnych w szes´c´dziesie˛ cioleciu Wydziału Prawa i Administracji UMCS. Lublin, pp. 161 – 176. Albrecht, H.-J., Sieber, U., Simon, J.-M. & Schwarz, F. (eds.) (2009): Criminalidad, Evolución del Derecho Penal y Crítica al Derecho Penal en la Actualidad: Die Gegenwart der Kriminalität, der Strafrechtsentwicklung und Strafrechtskritik. Buenos Aires. Serassis, T., Kania, H. & Albrecht, H.-J. (eds.) (2009): Images of Crime III: Representations of Crime and the Criminal. Schriftenreihe des Max-Planck-Instituts für ausländisches und internationales Strafrecht: Kriminologische Forschungsberichte Vol. K 144. Berlin. Albrecht, H.-J. (2008): DNA, Ermittlungsverfahren und Sicherheitsvorsorge, in: T. Görgen, K. Hoffmann-Holland, H. Schneider & J. Stock (Hrsg.), Interdisziplinäre Kriminologie. Festschrift für Arthur Kreuzer zum 70. Geburtstag. Frankfurt a. M., S. 19 – 35. Albrecht, H.-J., Grafe, A. & Kilchling, M. (2008): Rechtswirklichkeit der Auskunftserteilung über Telekommunikationsverbindungsdaten nach §§ 100g, 100h der Strafprozessordnung, in: Deutscher Bundestag (Hrsg.), BT-Drucksache 16/8434. Köln, S. 1 – 300. Albrecht, H.-J. (2008): Strafe und Herrschaft, in: H.-H. Gander, M. Fludernik & H.-J. Albrecht (Hrsg.), Bausteine zu einer Ethik des Strafens: Philosophische, juristische und literaturwissenschaftliche Perspektiven. Studien zur Phänomenologie und praktischen Philosophie. Würzburg, S. 95 – 115. Albrecht, H.-J. (2008): Strafrecht und Strafe: Belastung oder Entlastung? In: G. Schlee & B. Turner (Hrsg.), Vergeltung: Eine interdisziplinäre Betrachtung der Rechtfertigung und Regulation von Gewalt. Frankfurt a. M. u. a., S. 127 – 148. Albrecht, H.-J. (2008): Auswirkungen von häuslicher Gewalt auf Jugendliche aus kriminologischer Sicht, in: Freiburger Interventionsprojekt gegen häusliche Gewalt (FRIG) (Hrsg.), Kinder und häusliche Gewalt – Zukunftshypothek oder gesellschaftliche Herausforderung? Interdisziplinäre Fachtagung am 16. November 2006 in Freiburg. Dokumentation. Freiburg i.Br., S. 73 – 82. Albrecht, H.-J. (2008): Gewaltzyklen: Familiäre Gewalt als Auslöser von Jugend- und Erwachsenengewalt. Recht der Jugend und des Bildungswesens, 56, S. 126 – 134. Albrecht, H.-J. (2008): Kosten und Nutzen technisierter Überwachung, in: S. Gaycken & C. Kurz (Hrsg.), 1984.exe: Gesellschaftliche, politische und juristische Aspekte moderner Überwachungstechnologien. Bielefeld, S. 129 – 147. Albrecht, H.-J. (2008): Organized Environmental Crimes: Concepts, Extent and Structures, in: Z. Chen (ed.), New Reports in Criminal Law 4. Beijing, pp. 363 – 380. Albrecht, H.-J. (2008): Terrorism, Risk, and Legislation. Journal of National Defense Studies 6, Special Issue: New Perspectives on Terrorism, pp. 13 – 49. Albrecht, H.-J. (2008): Germany, in: J. Winterdyk & G. Antonopoulos (eds.), Racist Victimization: International Reflections and Perspectives. Aldershot, pp. 113 – 137. Albrecht, H.-J. (2008): Victimización, víctimas, y acceso a la justiciar, in: Ministerio Público de la Defensa (ed.), Defensa Pública: Garantía de Acceso a la Justicia. Buenos Aires, pp. 501 – 525.

Publikationsverzeichnis – List of Publications

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Albrecht, H.-J. (2008): Ewolucja prawa karnego nieletnich w Niemczech, in: T. Bojarski et al. (eds.), Problemy reformy postepowania w sprawach nieletnich. Lublin, pp. 187 – 203. Albrecht, H.-J. (2008): Uluslararası suçluluk, s¸iddet ekonomisi ve insan hakları suçları: Ceza hukukunun cevapları, in: Atatürk Kültür, Dil ve Tarih Yüksek Kurumu, Atatürk Aras¸tırma Merkezi Bas¸kanlıg˘ ı & Türk Ceza Hukuku Derneg˘ i (eds.), Ord. Prof. Dr. Sulhi Dönmezer – Armag˘ anı 1. Ankara, pp. 467 – 479. Albrecht, H.-J. (2007): Internationale Kriminalität, Gewaltökonomie und Menschenrechtsverbrechen: Antworten des Strafrechts, in: Friedrich-Ebert-Stiftung (Hrsg.), Internationale Politik und Gesellschaft – International Politics and Society 2, S. 153 – 169. Albrecht, H.-J. (2007): Kriminologische Forschung am Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Strafrecht Freiburg, in: S. Höfer & G. Spieß (Hrsg.), Neuere Kriminologische Forschung im Südwesten: Eine Darstellung der Forschungsarbeit aus Anlass des 40. Kolloquiums der Südwestdeutschen und benachbarten Kriminologischen Institute. 2. aktualisierte Aufl., Freiburg i.Br., S. 67 – 98. Albrecht, H.-J. (2007): Forensische Sachverständige im Strafverfahren – Entwicklungen aus einer komparativen Perspektive, in: Juristische Fakultät der Aristoteles-Universität Thessaloniki (Hrsg.), Festschrift für Ioannis Manoledakis. Vol. II: Studien zu Strafrecht, Kriminologie und zur Geschichte des Verbrechens. Athen/Thessaloniki, S. 711 – 727. Albrecht, H.-J. (2007): Perspektiven kriminologischer Forschung. Der Wandel im Konzept der Sicherheit und neue Aufgabenfelder der Kriminologie, in: K. Liebl (Hrsg.), Kriminologie im 21. Jahrhundert. Wiesbaden, S. 177 – 201. Albrecht, H.-J. (2007): Vergleichende Kriminologie, in: H. J. Schneider (Hrsg.), Internationales Handbuch der Kriminologie. Band 1: Grundlagen der Kriminologie. Berlin, S. 255 – 288. Albrecht, H.-J. (2007): Straffälligenhilfe, Kosten-Nutzen-Analyse und strafrechtliche Kriminalitätsprävention, in: H. Schöch, R. Helgerth, D. Dölling & P. König (Hrsg.), Recht gestalten – dem Recht dienen. Festschrift für Reinhard Böttcher zum 70. Geburtstag. Berlin, S. 235 – 261. Albrecht, H.-J. (2007): Rechtliche Grundlagen der Forensischen Psychiatrie: eine international vergleichende Perspektive, in: H.-L. Kröber, D. Dölling, N. Leygraf & H. Sass (Hrsg.), Handbuch der Forensischen Psychiatrie. Band 1: Strafrechtliche Grundlagen der Forensischen Psychiatrie. Heidelberg, S. 511 – 573. Albrecht, H.-J. (2007): Jugendfreiheitsstrafe und Jugendstrafvollzug im europäischen Ausland. Recht der Jugend und des Bildungswesens 55, S. 201 – 211. Albrecht, H.-J. (2007): Internationale Kriminalität, Gewaltökonomie und Menschenrechtsverbrechen: Antworten des Strafrechts. Internationale Politik und Gesellschaft 2, S. 153 – 169. Albrecht, H.-J. & Grundies, V. (2007): Sexuelle Gewaltkriminalität im Lebenslängsschnitt: Die Entwicklung von Sexualkriminalität an Hand von Daten der Freiburger Kohortenstudie, in: F. Lösel, D. Bender & J.-M. Jehle (Hrsg.), Kriminologie und wissensbasierte Kriminalpolitik: Entwicklungs- und Evaluationsforschung. Neue Kriminologische Schriftenreihe. Mönchengladbach, S. 447 – 475. Albrecht, H.-J. & Kilchling, M. (2007): Victims of Terrorism Policies – Should Victims of Terrorism be Treated Differently? European Journal on Criminal Policy and Research 13, Schwerpunktheft “Fear v. Freedom Post 9/11 – the European Perspective”, pp. 13 – 31.

1240

Publikationsverzeichnis – List of Publications

Albrecht, H.-J. & Sieber, U. (2007): Stellungnahme zu dem Fragenkatalog des Bundesverfassungsgerichts in dem Verfahren 2 BvR 392/07 zu § 173 Abs. 2 S. 2 StGB – Beischlaf zwischen Geschwistern. Online: https://csl.mpg.de/media/filer_public/68/6f/686f978c-fe51-4a 45-849b-73f6f920374b/05-08-inzest_gutachten3.pdf [30. 11. 2020]. Albrecht, H.-J. (2007): Legitimacy and Criminal Justice: Inequality and Discrimination in the German Criminal-Justice System, in: T. R. Tyler (ed.), Legitimacy and Criminal Justice. New York, pp. 302 – 332. Albrecht, H.-J. (2007): Trafficking in Humans and Human Rights, in: S. Parmentier & E.G.M. Weitekamp (eds.), Crime and Human Rights. Vol. 9: Sociology of Crime, Law and Deviance. Amsterdam et al., pp. 39 – 71. Albrecht, H.-J. (2007): The Rule of Law and Protection of the Personal Right, in: J. Wang (ed.), Personal Right and Rule of Law. China Forum on the Rule of Law Series. Beijing, pp. 28 – 38. Albrecht, H.-J. (2007): International Organized Crime: Reaction in Germany, in: K. Ueda (ed.), Current International Organized Crime: Global and in Japan. Human Security and Transnational Organized Crime. Tokyo, pp. 194 – 224. Albrecht, H.-J. (2006): Kriminologische Forschung am Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Strafrecht Freiburg, in: S. Höfer & G. Spiess (Hrsg.), Neuere Kriminologische Forschung im Südwesten. Eine Darstellung der Forschungsarbeit aus Anlass des 40. Kolloquiums der Südwestdeutschen und benachbarten Kriminologischen Institute. Freiburg i.Br., S. 67 – 98. Albrecht, H.-J. (2006): Elektronische Überwachung in Europa, in: N. Saimeh (Hrsg.) Gesellschaft mit beschränkter Haftung. Maßregelvollzug als soziale Verpflichtung. Eickelborner Fachtagung zu Fragen der Forensischen Psychiatrie, 1. bis 3. März 2006. Bonn, S. 13 – 33. Albrecht, H.-J. (2006): Fußball und Gewalt. Entwicklungen, Erklärungsansätze und Prävention. Monatsschrift für Kriminologie und Strafrechtsreform 89, S. 158 – 174. Kania, H., Walter, M. & Albrecht, H.-J. (2006): Einführung zu: Alltagsvorstellungen von Kriminalität, in: M. Walter & F. Neubacher (Hrsg.), Neue Wege und Perspektiven der Kriminologie. Forschung am Institut für Kriminologie der Universität zu Köln. Kölner Schriften zur Kriminologie und Kriminalpolitik Vol. 12. Berlin, S. 291 – 316. Walter, M., Albrecht, H.-J. & Kania, H. (2006): Schlussbetrachtungen zu: Alltagsvorstellungen von Kriminalität, in: M. Walter & F. Neubacher (Hrsg.), Neue Wege und Perspektiven der Kriminologie. Forschung am Institut für Kriminologie der Universität zu Köln. Kölner Schriften zur Kriminologie und Kriminalpolitik Vol. 12. Berlin, S. 317 – 322. Albrecht, H.-J. (2006): Forensik – DNA-Analyse – Recht, Praxis und Entwicklungen. labor & more 3, S. 28 – 29. Albrecht, H.-J. (2006): Antworten auf Gefährlichkeit – Sicherungsverwahrung und unbestimmter Freiheitsentzug, in: T. Feltes, C. Pfeiffer & G. Steinhilper (Hrsg.), Kriminalpolitik und ihre wissenschaftlichen Grundlagen. Festschrift für Prof. Dr. Hans-Dieter Schwind zum 70. Geburtstag. Heidelberg, S. 191 – 210. Albrecht, H.-J. (2006): Terrorismus und Strafrecht, in: R. Griesbaum, R. Hannich & K.H. Schnarr (Hrsg.), Strafrecht und Justizgewährung. Festschrift für Kay Nehm zum 65. Geburtstag. Berlin, S. 17 – 26.

Publikationsverzeichnis – List of Publications

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Albrecht, H.-J. (2006): Illegalität, Kriminalität und Sicherheit, in: J. Alt & M. Bommes (Hrsg.), Illegalität. Grenzen und Möglichkeiten der Migrationspolitik. Wiesbaden, S. 60 – 80. Albrecht, H.-J. (2006): Begrüßung, in: H.-J. Albrecht & U. Sieber (Hrsg.), Perspektiven der strafrechtlichen Forschung. Amtswechsel am Freiburger Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Strafrecht 2004. Schriftenreihe des Max-Planck-Instituts für ausländisches und internationales Strafrecht: Interdisziplinäre Forschungen aus Strafrecht und Kriminologie Vol. I 12. Berlin, S. 1 – 2. Albrecht, H.-J. (2006): Stalking – Nationale und Internationale Rechtspolitik und Gesetzesentwicklung. Familie Partnerschaft Recht 12, S. 204 – 208. Albrecht, H.-J. (2006): Imprisonment and Alternatives to Prisons: Changes and Prospects in a Comparative Perspective. Revista Académica – Facultad de Derecho de la Universidad la Salle III/6, pp. 27 – 50. Albrecht, H.-J. (2006): Regaining Trust and Confidence in Post-Conflict Societies as a Way to Prevent Terrorism, in: U. Ewald & K. Turkovic´ (eds.), Large-Scale Victimisation as a Potential Source of Terrorist Activities. Importance of Regaining Security in Post-Conflict Societies. Amsterdam, pp. 30 – 53. Albrecht, H.-J. (2006): Counterterrorism Policies in Germany. Forschung aktuell – research in brief Vol. 38. Freiburg i.Br. Albrecht, H.-J. & Research Unit of the Death Penalty Cases Survey Institute of Law (2006): Strengthening the Defence in Death Penalty Cases in the People’s Republic of China. Empirical Research into the Role of Defence Councils in Criminal Cases Eligible for the Death Penalty. Forschung aktuell – research in brief Vol. 37. Freiburg i.Br. Albrecht, H.-J. & Kilchling, M. (2006): Victims of Terrorism – Policies and Legislation in Europe: An Overview on Victim-Related Assistance and Support [Expert Report], in: Council of Europe (ed.), Victims – Support and assistance. Strasbourg, pp. 199 – 250. Albrecht, H.-J. & Kilchling, M. (2006): Institutions and organisations responsible for victims [Contacts], in: Council of Europe (ed.), Victims – Support and assistance. Strasbourg, pp. 253 – 262. Albrecht, H.-J. & Kilchling, M. (2006): Victimes du terrorisme – Politiques et législations européennes: Tour d’horizon des systèmes d’assistance aux victimes [Rapport d’expertise], in: Conseil de l’Europe (ed.), Soutien et aide aux victimes. Strasbourg, pp. 209 – 265. Albrecht, H.-J. & Kilchling, M. (2006): Institutions et organisations responsables pour les victimes [Contacts], in: Conseil de l’Europe (ed.), Soutien et aide aux victimes. Strasbourg, pp. 269 – 278. Albrecht, H.-J. (2006): Conflict Perspectives: Dealing with Wrongs in the Middle East, in: H.-J. Albrecht, J.-M. Simon, H. Rezaei, H.-C. Rohne & E. Kiza (eds.), Conflicts and Conflict Resolution in Middle Eastern Societies – Between Tradition and Modernity. Schriftenreihe des Max-Planck-Instituts für ausländisches und internationales Strafrecht: Interdisziplinäre Forschungen aus Strafrecht und Kriminologie Vol. I 13. Berlin, pp. 1 – 12. Albrecht, H.-J. (2006): Trafficking in Humans. The Phenomenon, Theory and Criminal Law Based Responses, in: C. Fenyvesi, C. Herke & B. Mészáro (eds.), Bizonyítékok. Tiszteletkötet Tremmel Flórián Egyetemi Tanár 65. Pécs, pp. 9 – 29.

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Publikationsverzeichnis – List of Publications

Albrecht, H.-J. (2006): Counterterrorism Policies in Germany. Forschung aktuell – research in brief 38. Freiburg i.Br. Albrecht, H.-J. (2006): Corruption and Corruption Control, in: Z. Chen (ed.), New Reports in Criminal Law Vol. 3. Beijing, pp. 331 – 352. Albrecht, H.-J. (2006): Le système de sanctions et de condamnations pénales de la République fédérale allemande, in: P. Poncela & R. Roth (eds.), La fabrique du droit des sanctions pénales au Conseil de l’Europe. Paris, pp. 81 – 117. Albrecht, H.-J. (2006): Respuestas legislativas al 11 de septiembre. Un análisis comparado de la legislación antiterrorista, in: J.L. Guzmán Dálbora & A. Serrano Maíllo (eds.), Derecho penal y criminología como fundamento de la política criminal – Estudios en homenaje al Profesor Alfonso Serrano Gómez. Madrid, pp. 1139 – 1164. Albrecht, H.-J. (2006): Extranjería, migración, inmigración y evolución de la justicia penal en Europa. Nueva Doctrina Penal 2006/1, pp. 3 – 28. Albrecht, H.-J. (2006): Sistemas de sanciones penales: presente y future, in: Instituto Nacional de Ciencias Penales & Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Strafrecht (eds.), Hacia la unificación del derecho penal. Logros y desafíos de la armonización y homologación legislativa en México y en el mundo. Ciudad de México, pp. 803 – 851. Albrecht, H.-J., Simon, J.-M. & Sieber, U. (2006): Reformas del Derecho Penal en México: Sistemas Penales e Integración desde una Perspectiva Comparada, in: Instituto Nacional de Ciencias Penales & Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Strafrecht (eds.), Hacia la unificación del derecho penal. Logros y desafíos de la armonización y homologación legislativa en México y en el mundo. Ciudad de México, pp. XXI – XXV. Albrecht, H.-J. (2006): A biztonságkoncepció átalakulása és ennek következményei az európai bel- és jogpolitkára, in: L. Korinek (Hrsg.), Belügyi Szemle – A Belügyminisztérium Szakmai, Tudományos Folyóirata 54/2, pp. 3 – 26. Albrecht, H.-J. (2006): Analysis Report on Status of Defence Counsel, in: Z. Chen (ed.), Strengthening the Defence in Death Penalty Cases. Beijing, pp. 69 – 132. Albrecht, H.-J., Simon, J.-M., Rezaei, H., Rohne, H.-C. & Kiza, E. (eds.) (2006): Conflicts and Conflict Resolution in Middle Eastern Societies: Between Tradition and Modernity. Schriftenreihe des Max-Planck-Instituts für ausländisches und internationales Strafrecht: Interdisziplinäre Forschungen aus Strafrecht und Kriminologie Vol. I 13. Berlin. Albrecht, H.-J. & Sieber, U. (Hrsg.) (2006): Strafrecht und Kriminologie unter einem Dach. Kolloquium zum 90. Geburtstag von Professor Dr. Dr. h.c. mult. Hans-Heinrich Jescheck am 10. Januar 2005. Schriftenreihe des Max-Planck-Instituts für ausländisches und internationales Strafrecht: Interdisziplinäre Forschungen aus Strafrecht und Kriminologie Vol. I 14. Berlin. Albrecht, H.-J. & Sieber, U. (Hrsg.) (2006): Perspektiven der strafrechtlichen Forschung. Amtswechsel am Freiburger Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Strafrecht 2004. Schriftenreihe des Max-Planck-Instituts für ausländisches und internationales Strafrecht: Interdisziplinäre Forschungen aus Strafrecht und Kriminologie Vol. I 12. Berlin. Albrecht, H.-J. (2005): Umweltschutz durch Recht. Das Spannungsfeld strafrechtlicher und verwaltungsrechtlicher Instrumente, in: L.I. Gal & L. Köhalmi (eds.), Emlékkönyv. Losonczy István professzor halálának 25. évfordulójára. Pécs, pp. 12 – 27.

Publikationsverzeichnis – List of Publications

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Albrecht, H.-J. (2005): Der Wandel im Konzept der Sicherheit und seine Folgen für die europäische Innen- und Rechtspolitik. JURA. A Pécsi Tudományegyetem Állam- és Jogtudományi Karának tudományos lapja 11, pp. 7 – 19. Albrecht, H.-J. (2005): Verhängung in Tagessätzen, § 40, in: U. Kindhäuser, U. Neumann & H.-U. Paeffgen (Hrsg.), Nomos Kommentar zum Strafgesetzbuch. 2. Aufl., Baden-Baden, S. 1354 – 1373. Albrecht, H.-J. (2005): Geldstrafe neben Freiheitsstrafe, § 41, in: U. Kindhäuser, U. Neumann & H.-U. Paeffgen (Hrsg.), Nomos Kommentar zum Strafgesetzbuch. 2. Aufl., Baden-Baden, S. 1374 – 1376. Albrecht, H.-J. (2005): Zahlungserleichterungen, § 42, in: U. Kindhäuser, U. Neumann & H.-U. Paeffgen (Hrsg.), Nomos Kommentar zum Strafgesetzbuch. 2. Aufl., Baden-Baden, S. 1377 – 1380. Albrecht, H.-J. (2005): Ersatzfreiheitsstrafe, § 43, in: U. Kindhäuser, U. Neumann & H.-U. Paeffgen (Hrsg.), Nomos Kommentar zum Strafgesetzbuch. 2. Aufl., Baden-Baden, S. 1381 – 1385. Albrecht, H.-J. (2005): Verlust der Amtsfähigkeit, der Wählbarkeit und des Stimmrechts, § 45, in: U. Kindhäuser, U. Neumann & H.-U. Paeffgen (Hrsg.), Nomos Kommentar zum Strafgesetzbuch. 2. Aufl., Baden-Baden, S. 1398 – 1400. Albrecht, H.-J. (2005): Eintritt und Berechnung des Verlustes, § 45a, in: U. Kindhäuser, U. Neumann & H.-U. Paeffgen (Hrsg.), Nomos Kommentar zum Strafgesetzbuch. 2. Aufl., BadenBaden, S. 1400 – 1400. Albrecht, H.-J. (2005): Wiederverleihung von Fähigkeiten und Rechten, § 45b, in: U. Kindhäuser, U. Neumann & H.-U. Paeffgen (Hrsg.), Nomos Kommentar zum Strafgesetzbuch. 2. Aufl., Baden-Baden, S. 1401 – 1401. Albrecht, H.-J. (2005): Voraussetzungen der Verwarnung mit Strafvorbehalt, § 59, in: U. Kindhäuser, U. Neumann & H.-U. Paeffgen (Hrsg.), Nomos Kommentar zum Strafgesetzbuch. 2. Aufl., Baden-Baden, S. 1751 – 1755. Albrecht, H.-J. (2005): Bewährungszeit, Auflagen und Weisungen, § 59a, in: U. Kindhäuser, U. Neumann & H.-U. Paeffgen (Hrsg.), Nomos Kommentar zum Strafgesetzbuch. 2. Aufl., Baden-Baden, S. 1756 – 1756. Albrecht, H.-J. (2005): Verurteilung zu der vorbehaltenen Strafe, § 59b, in: U. Kindhäuser, U. Neumann & H.-U. Paeffgen (Hrsg.), Nomos Kommentar zum Strafgesetzbuch. 2. Aufl., Baden-Baden, S. 1757 – 1757. Albrecht, H.-J. (2005): Gesamtstrafe und Verwarnung mit Strafvorbehalt, § 59c, in: U. Kindhäuser, U. Neumann & H.-U. Paeffgen (Hrsg.), Nomos Kommentar zum Strafgesetzbuch. 2. Aufl., Baden-Baden, S. 1758 – 1758. Albrecht, H.-J. (2005): Absehen von Strafe, § 60, in: U. Kindhäuser, U. Neumann & H.-U. Paeffgen (Hrsg.), Nomos Kommentar zum Strafgesetzbuch. 2. Aufl., Baden-Baden, S. 1759 – 1762. Albrecht, H.-J. (2005): Stalking – Wissenschaftliche Perspektiven, in: A. Weiß & H. Winterer (Hrsg.), Stalking und häusliche Gewalt. Interdisziplinäre Aspekte und Interventionsmöglichkeiten. Freiburg i.Br., S. 12 – 38.

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Publikationsverzeichnis – List of Publications

Albrecht, H.-J. (2005): Der erweiterte Sicherheitsbegriff und seine Folgen. RAV-Infobrief Nr. 91. Albrecht, H.-J. (2005): Rechtstatsachenforschung zum Strafverfahren. Empirische Untersuchungen zu Fragestellungen des Strafverfahrens zwischen 1990 und 2003. München. Albrecht, H.-J. (2005): Grenzgänger: Internationale Adoption und Kinderhandel, in: T. Marauhn (Hrsg.), Internationaler Kinderschutz. Politische Rhetorik oder effektives Recht? Tübingen. Albrecht, H.-J. (2005): Organisierte Umweltkriminalität – Konzepte, Ausmaß und Strukturen. In: J. Arnold, B. Burkhardt, W. Gropp, G. Heine, H.-G. Koch, O. Lagodny, W. Perron & S. Walther (Hrsg.), Menschengerechtes Strafrecht: Festschrift für Albin Eser zum 70. Geburtstag. München, S. 1273 – 1291. Albrecht, H.-J. (2005): Kausalität und Zurechnung – eine vergleichende Analyse zur Verantwortlichkeit für Todesfälle nach Methadonabgaben. Suchtmedizin 7, S. 46 – 56. Dorsch, C., Krüpe-Gescher, C. & Albrecht, H.-J. (2005): Rechtswirklichkeit und Effizienz der Überwachung der Telekommunikation und anderer verdeckter Ermittlungsmaßnahmen. Jahrbuch 2004 der Max-Planck-Gesellschaft. Kilchling, M. & Albrecht, H.-J. (2005): Victims of Terrorism Policies and Legislation in Europe. An Overview on Victim Related Assistance and Support. Forschung aktuell – research in brief Vol. 30. Freiburg i.Br. Albrecht, H.-J. (2005): Imprisonment and Alternatives to Prisons: Changes and Prospects in a Comparative Perspective, in: S. García Ramírez (ed.), Derecho penal. Memoria del Congreso Internacional de Culturas y Sistemas Jurídicos Comparados. III. Ejecución de penas. IV. Menores infractores. V. Justicia penal internacional y sistemas nacionales. Ciudad de México, pp. 3 – 30. Albrecht, H.-J. (2005): Electronic Monitoring in Europe. A Summary and Assessment of Recent Developments in the Legal Framework and Implementation of Electronic Monitoring. Conference and Working Papers from the Max Planck Institute for Foreign and International Criminal Law. Freiburg i.Br. Albrecht, H.-J. (2005): Legislative Responses to 9/11: A Comparative Analysis of Anti-Terrorism Legislation. Criminology: Yesterday, Today, Tomorrow. Scientific journal of the St. Petersburg International Criminology Club No. 1(8): Terrorism and Terror in the Context of World-Wide Social Violence. Proceedings of the 16th Baltic Criminological Seminar (Annual International Conference of St. Petersburg Criminological Club), pp. 134 – 150. Albrecht, H.-J. (2005): Simplification of Criminal Procedure: Settlements out of Court – A Comparative Study of European Criminal Justice Systems. South African Law Commission, Research Paper 19. Pretoria 2001 [also published in Conference and Working Papers from the Max Planck Institute for Foreign and International Criminal Law. Freiburg i.Br.] Albrecht, H.-J. (2005): Criminal Sanctions and Sentencing in Europe: Trends and Developments, in: H.-J. Albrecht & F. Irk (eds.), The Third German-Hungarian Colloquium on Penal Law and Criminology. Systems and Developments of Penal Sanctions in Western and Central Europe. Miskolc, pp. 65 – 99. Albrecht, H.-J. (2005): Falü zhengce yujing xia de sixing (Death Penalty in the Frame Work of Legal Policies). Peking University Law Journal 17, Special Issue: The Death Penalty, pp. 534 – 542.

Publikationsverzeichnis – List of Publications

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Albrecht, H.-J. & Yue, L. (2005): Ouzhou zaishen zhidu zhi bijiao ji jingyan jiejian (Vergleichung und Erfahrungen der Wiederaufnahme-Systeme in Europa), in: G. Chen (ed.), Xingshi zaishen chengxu yu renquan baozhang. Beijing, pp. 214 – 233. Albrecht, H.-J. & Hotter, I. (2005): Gençlik Ceza Hukuku Alanındaki Reformlara ˙Ilis¸kin Önerilerin Dökümü, in: K. ˙Içel & Y. Ünver (eds.), C¸ocuklar ve Suç-Ceza. Ankara, pp. 159 – 175. Albrecht, H.-J. (2005): Gençlik Ceza Hukuku Yaptırımlarının Uygulanması ve Evrimine ˙Ilis¸kin Aras¸tırmalar, in: K. I˙çel & Y. Ünver (eds.), C¸ocuklar ve Suç-Ceza. Ankara, pp. 177 – 193. Albrecht, H.-J. (2005): Almanya’da Gençlik Adaleti, in: K. ˙Içel & Y. Ünver (eds.), C¸ocuklar ve Suç-Ceza. Ankara, pp. 533 – 576. Albrecht, H.-J. & Irk, F. (eds.) (2005): The Third German-Hungarian Colloquium on Penal Law and Criminology. Systems and Developments of Penal Sanctions in Western and Central Europe. Miskolc. Albrecht, H.-J. (2004): Registrierten-/Bestraftenkohorten und Rückfallforschung, in: W. Heinz & J.-M. Jehle (Hrsg.), Rückfallforschung. Kriminologische Zentralstelle, Wiesbaden, S. 55 – 70. Albrecht, H.-J. (2004): Kontrolle der Cannabismärkte – zwischen freiem Markt und strafrechtlicher Prohibition, in: C. Grafl & U. Medigovic (Hrsg.), Festschrift für Manfred Burgstaller zum 65. Geburtstag. Wien, S. 453 – 469. Albrecht, H.-J. (2004): Eine kritische Bilanz – Die Zentrale Stelle Ludwigsburg für NS-Verbrechen. Tribüne – Zeitschrift zum Verständnis des Judentums 43, S. 188 – 194. Albrecht, H.-J. (2004): Rechtswirklichkeit und Effizienz der Telekommunikationsüberwachung aus wissenschaftlicher Sicht, in: Justizministerium Baden-Württemberg (Hrsg.), Die Überwachung der Telekommunikation – Ein strafprozessuales Instrument im Spannungsfeld zwischen Freiheit und Sicherheit. Tagungsbericht. Symposium „Die Überwachung der Telekommunikation“ am 13. und 14. November 2003 in Triberg. Stuttgart, S. 15 – 47. Albrecht, H.-J. (2004): Elektronischer Hausarrest. Das Konzept des hessischen Experiments, in: H. Schöch & J.-M. Jehle (Hrsg.), Angewandte Kriminologie zwischen Freiheit und Sicherheit. Mönchengladbach, S. 109 – 142. Albrecht, H.-J. (2004): Europäisierung des Strafrechts, in: A. Héritier, M. Stolleis & F.W. Scharpf (Hrsg.), European and International Regulation after the Nation State – Different Scopes and Multiple Levels. Baden-Baden, S. 139 – 162. Kania, H., Walter, M. & Albrecht, H.-J. (2004): Einführung, in: M. Walter, H. Kania & H.-J. Albrecht (Hrsg.), Alltagsvorstellungen von Kriminalität – Individuelle und gesellschaftliche Bedeutung von Kriminalitätsbildern für die Lebensgestaltung. Kölner Schriften zur Kriminologie und Kriminalpolitik Vol. 5. Münster, S. 5 – 21. Walter, M., Albrecht, H.-J. & Kania, H. (2004): Schlussbetrachtungen, in: M. Walter, H. Kania & H.-J. Albrecht (Hrsg.), Alltagsvorstellungen von Kriminalität – Individuelle und gesellschaftliche Bedeutung von Kriminalitätsbildern für die Lebensgestaltung. Kölner Schriften zur Kriminologie und Kriminalpolitik Vol. 5. Münster, S. 557 – 560. Albrecht, H.-J. (2004): Öffentliche Meinung, Kriminalpolitik und Kriminaljustiz, in: M. Walter, H. Kania & H.-J. Albrecht (Hrsg.), Alltagsvorstellungen von Kriminalität – Individuelle und

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Publikationsverzeichnis – List of Publications

gesellschaftliche Bedeutung von Kriminalitätsbildern für die Lebensgestaltung. Kölner Schriften zur Kriminologie und Kriminalpolitik Vol. 5. Münster, S. 491 – 520. Albrecht, H.-J. (2004): Sozialarbeit und Strafrecht: Strafbarkeitsrisiken in der Arbeit mit Problemfamilien, in: Kommission Kinderschutz – Kinderzukunft (Hrsg.), Schutz und Hilfe bei Kindeswohlgefährdung. Saarbrücker Memorandum: Abschlussbericht. Saarbrücken, S. 189 – 229. Albrecht, H.-J. (2004): Antworten der Gesetzgeber auf den 11. September: eine vergleichende Analyse. Poiniki Dikaiosini 23, S. 981 – 992. Albrecht, H.-J. (2004): Pre-Trial Detention in Germany – The Empirical Situation, in: H.-J. Albrecht & G. Chen (eds.), Coercive Measures in a Socio-legal Comparison of the People’s Republic of China and Germany. Schriftenreihe des Max-Planck-Instituts für ausländisches und internationales Strafrecht, Freiburg i.Br.: Kriminologische Forschungsberichte Vol. K 118. Freiburg i.Br., pp. 117 – 136. Albrecht, H.-J., Serassis, T. & Kania, H. (2004): Introduction, in: H.-J. Albrecht, T. Serassis & H. Kania (eds.), Images of Crime II. Representations of Crime and the Criminal in Politics, Society, the Media and the Arts. Schriftenreihe des Max-Planck-Instituts für ausländisches und internationales Strafrecht, Freiburg i.Br.: Kriminologische Forschungsberichte Vol. K 113. Berlin, pp. 1 – 8. Albrecht, H.-J. (2004): Prisons and Alternatives to Prisons in Europe: Changes and Prospects, in: Hungarian Society of Criminology (ed.), Special Edition of the Proceedings of Criminology – New Tendencies in Crime and Criminal Policy in Central and Eastern Europe. International Course of the International Society for Criminology 11 – 14 March 2003, Miskolc/ Hungary. Miskolc, pp. 179 – 199. Albrecht, H.-J. (2004): The Extent of Organized Environmental Crime – A European Perspective, in: F. Comte & L. Krämer (eds.), Environmental Crime in Europe – Rules of Sanctions. Amsterdam, pp. 71 – 101. Albrecht, H.-J. (2004): From Legal Doctrine to Criminology, in: J. Winterdyk & L. Cao (eds.), Lessons from International/Comparative Criminology/Criminal Justice. Toronto, pp. 185 – 199. Albrecht, H.-J. (2004): Security Gaps: Responding to Dangerous Sex Offenders in the Federal Republic of Germany. Federal Sentencing Reporter 16, pp. 200 – 207. Albrecht, H.-J. (2004): Youth Justice in Germany, in: M. Tonry & A.N. Doob (eds.), Youth Crime and Youth Justice. Comparative and Cross-National Perspectives. London/Chicago, pp. 443 – 493. Albrecht, H.-J. (2004): The System of Penal Sanctions and Sentencing in the Federal Republic of Germany – Alternatives and Community Sanctions, in: P. Poncela & R. Roth (eds.), La Fabrique du Droit au Conseil de l’Europe: Promotion et mise an oeuvre des sanctions pénales alternatives. Unpublished research report. Paris/Genève, pp. 79 – 116. Albrecht, H.-J. (2004): Death Penalty: International and Human Rights Perspectives on the Future of Capital Punishment, in: K.I. Vibhute (ed.), Criminal Justice. Lucknow/New Delhi, pp. 257 – 271.

Publikationsverzeichnis – List of Publications

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Albrecht, H.-J. (2004): Delincuencia Juvenil y la Reforma en las Leyes Menores, in: INACIPE (ed.), Congreso Internacional. Las Ciencias Penales en el Siglo XXI. Ciudad de México, pp. 685 – 716. Albrecht, H.-J. (2004): Terrorismo e Investigación Criminológica. Un Inventario, in: Ministerio de Justicia y Derechos Humanos (ed.), Criminalidad Compleja – Terrorismo, Cybercriminalidad. Buenos Aires, pp. 1 – 19. Ortmann, R., Albrecht, H.-J. & Obergfell-Fuchs, J. (2004): Sexualstraftäter in sozialtherapeutischen Abteilungen des Freistaates Sachsen: Skizze einer Evaluationsstudie. Forschung aktuell – research in brief Vol. 21. Freiburg i.Br. Albrecht, H.-J. (2004): Keiji shisetsu no tomei sei no kakuho – doitsu no shisetsu shingikai no keiken. Jiyu to Seigi 55, pp. 64 – 70. Walter, M., Kania, H. & Albrecht, H.-J. (Hrsg.) (2004): Alltagsvorstellungen von Kriminalität – Individuelle und gesellschaftliche Bedeutung von Kriminalitätsbildern für die Lebensgestaltung. Kölner Schriften zur Kriminologie und Kriminalpolitik. Bd. 5. Münster. Albrecht, H.-J., & Chen, G. (eds.) (2004): Coercive Measures in a Socio-legal Comparison of the People’s Republic of China and Germany. Schriftenreihe des Max-Planck-Instituts für ausländisches und internationales Strafrecht, Freiburg i.Br.: Kriminologische Forschungsberichte Vol. K 118. Freiburg i.Br. Albrecht, H.-J. (2004): Xinshi fa qianyon, in: Z. Chen (ed.), New Reports in Criminal Law 1. Beijing, pp. 212 – 236. Albrecht, H.-J. (2003): Zusammenfassung und Resümee, in: K.-L. Kunz & C. Besozzi (Hrsg.), Soziale Reflexivität und qualitative Methodik – Zum Selbstverständnis der Kriminologie in der Spätmoderne. Bern u. a., S. 213 – 229. Albrecht, H.-J. (2003): Verfassungsmäßigkeit des Jugendstrafvollzugs. Recht der Jugend und des Bildungswesens 51, S. 352 – 360. Albrecht, H.-J. & Hotter, I. (2003): Jüngste Vorschläge zu Reformen im Bereich des Jugendstrafrechts. Recht der Jugend und Bildungswesens 51, S. 282 – 298. Albrecht, H.-J. (2003): Forschungen zur Implementation und Evaluation jugendstrafrechtlicher Sanktionen. Zeitschrift für Jugendkriminalrecht und Jugendhilfe 3, S. 224 – 232. Albrecht, H.-J. (2003): Forschungen zur Wirtschaftskriminalität in Europa: Konzepte und empirische Befunde, in: H.-J. Albrecht, H. Entorf (Hrsg.), Kriminalität, Ökonomie und Europäischer Sozialstaat. Heidelberg, S. 37 – 69. Albrecht, H.-J. & Entorf, H. (2003): Einleitung, in: H.-J. Albrecht & H. Entorf (Hrsg.), Kriminalität, Ökonomie und Europäischer Sozialstaat. Heidelberg, S. 1 – 5. Albrecht, H.-J. (2003): Tatproportionalität in der Strafzumessungspraxis, in: H.-J. Albrecht, W. Frisch & A. von Hirsch (Hrsg.), Tatproportionalität. Normative und empirische Aspekte einer tatproportionalen Strafzumessung. Heidelberg, S. 215 – 242. Albrecht, H.-J., Dorsch, C. & Krüpe, C. (2003): Rechtswirklichkeit und Effizienz der Überwachung der Telekommunikation nach den §§ 100a, 100b StPO und anderer verdeckter Ermittlungsmaßnahmen. Kriminologische Forschungsberichte aus dem Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Strafrecht Vol. 115. Freiburg i.Br.

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Publikationsverzeichnis – List of Publications

Albrecht, H.-J., Dorsch, C. & Krüpe, C. (2003): Rechtswirklichkeit und Effizienz der Überwachung der Telekommunikation nach den §§ 100a, 100b StPO und anderer verdeckter Ermittlungsmaßnahmen. Forschung aktuell – research in brief Vol. 17. Freiburg i.Br. Albrecht, H.-J. (2003): Arbeitslosigkeit: Exklusion aus dem Erwerbsleben und soziale Desintegration, in: J. Raithel & J. Mansel (Hrsg.), Kriminalität und Gewalt im Jugendalter. Hellund Dunkelfeldbefunde im Vergleich. Weinheim/München, S. 134 – 177. Albrecht, H.-J. (2003): Trafficking in Humans – Theory, Phenomenon and Criminal Law based Response. Criminology: Yesterday, Today, Tomorrow. Scientific journal of the St. Petersburg International Criminology Club No. 1(6), pp. 174 – 198 [in Russian]. Albrecht, H.-J. (2003): La Convención de las Naciones Unidas contra la Delincuencia Transnacional, in: R. Macedo de la Concha.(ed.), Delincuencia organizada. Cindad de México, pp. 273 – 294. Albrecht, H.-J. (2003): Criminal Prosecution: AView on International Standards and Trends, in: Danish Institute for Human Rights (ed.), Rule of Law and Fair Trial. Collected Papers from the Second Roundtable under the EU-Iran Human Rights Dialogue. Copenhagen, pp. 51 – 80. Albrecht, H.-J. (2003): The Role and Impact of Law and Enforcement in Reducing the Harms of IDU and HIV/AIDS. Background paper. Proceedings Report of the 2nd International Policy Dialogue on HIV/AID, Warsaw, 12 – 14. November 2003. Albrecht, H.-J. (2003): The Informal Economy – A Summary and Perspectives, in: J. Shapland, H.-J. Albrecht, J. Ditton & Th. Godefroy (eds.), The Informal Economy: Threat and Opportunity in the City. Kriminologische Forschungsberichte aus dem Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Strafrecht Vol. 114. Freiburg i.Br., pp. 399 – 424. Albrecht, H.-J. (2003): The Fortress of Europe? Control of Illegal Immigration. Law – @aQS_, Scientific-Practical Juridical Journal (Georgia) 1 – 2, pp. 41 – 50.



Albrecht, H.-J. (2003): The Place of Electronic Monitoring in the Development of Criminal Punishment and Systems of Sanctions, in: M. Mayer, R. Haverkamp & R. Lévy (eds.), Will Electronic Monitoring have a Future in Europe? Kriminologische Forschungsberichte aus dem Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Strafrecht Vol. 110. Freiburg i.Br., pp. 249 – 264. Albrecht, H.-J. (2003): Foreigners, Migration, Immigration and the Development of Criminal Justice in Europe, in: D. Melossi. & A. Dott (eds.), Migrazioni, interazioni e conflitti nella costruzione di una democrazia europea. Milano, pp. 787 – 819. Albrecht, H.-J. (2003): Pretrial Detention in Germany – The Empirical Situation, in: H.-J. Albrecht & G. Chen (eds.), Zhong-De qiangzhi cuoshi guoji yantaohui lunwenji. Proceedings of the Sino-German Symposium on Coercive Measures during the Criminal Investigation. Beijing, pp. 151 – 179. Albrecht, H.-J. (2003): Shenqian jiya – shizheng de qingkuang, in: H.-J. Albrecht & G. Chen (eds.), Zhong-De qiangzhi cuoshi guoji yantaohui lunwenji. Proceedings of the Sino-German Symposium on Coercive Measures during the Criminal Investigation. Beijing, pp. 120 – 139. Frisch, W., v. Hirsch, A. & Albrecht, H.-J. (Hrsg.) (2003): Tatproportionalität. Normative und empirische Aspekte einer tatproportionalen Strafzumessung. Heidelberg. Albrecht, H.-J. & Entorf, H. (Hrsg.) (2003): Kriminalität, Ökonomie und Europäischer Sozialstaat. Heidelberg.

Publikationsverzeichnis – List of Publications

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Albrecht, H.-J. & G. Chen (eds.) (2003): Zhong-De qiangzhi cuoshi guoji yantaohui lunwenji. Proceedings of the Sino-German Symposium on Coercive Measures during the Criminal Investigation. Beijing. Albrecht, H.-J. (2002): Organisierte Kriminalität: Zur sozialen Konstruktion einer Gefahr. Ein Kommentar. In: Angewandte Sozialforschung 22, Schwerpunktheft Organisierte Kriminalität – oder gesellschaftliche Desorganisation?, S. 155 – 160. Albrecht, H.-J. (2002): Eine kriminologische Einführung zu Menschenschmuggel und Schleuserkriminalität, in: E. Minthe (Hrsg.), Illegale Migration und Schleuserkriminalität. Kriminologische Zentralstelle, Wiesbaden, S. 29 – 53. Albrecht, H.-J. (2002): Organisierte Wirtschaftskriminalität – Ein fassbarer Tatbestand? In: Polizei-Führungsakademie (Hrsg.), Rechtliche und strategische Aspekte der Kontrolle der organisierten Wirtschaftskriminalität. Seminar vom 5. bis 8. Juni 2001. Münster, S. 123 – 144. Albrecht, H.-J. (2002): Antworten der Gesetzgeber auf den 11. September – eine Analyse internationaler Entwicklungen. Journal für Konflikt- und Gewaltforschung 4/2, S. 46 – 76. Albrecht, H.-J. (2002): Terrorismus und kriminologische Forschung. Eine Bestandsaufnahme. Schweizerische Zeitschrift für Kriminologie 1, S. 5 – 17. Albrecht, H.-J. (2002): Polizei, Diskriminierung und Fremdenfeindlichkeit in multi-ethnischen Gesellschaften, in: A. Donatsch, M. Forster & C. Schwarzenegger (Hrsg.), Strafrecht, Strafprozessrecht und Menschenrechte. Festschrift für Stefan Trechsel. Zürich, S. 355 – 372. Albrecht, H.-J. (2002): Angehörige zwischen Strafzwecken des Staates und Integration des Täters, in: F. Riklin (Hrsg.), Mitgefangen: Die Gefangenen und ihre Angehörigen. Luzern, S. 64 – 83. Albrecht, H.-J. (2002): Ausländerkriminalität und die Entwicklung behördlicher Reaktionen, in: A. Graduszewski & J. Vettermann (Hrsg.), „Fremder, kommst Du nach Deutschland …“. Zum institutionellen Umgang mit Fremden in Staat und Gesellschaft. Münster, S. 108 – 139. Albrecht, H.-J. (2002): Ist das deutsche Jugendstrafrecht noch zeitgemäß? Gutachten D zum 64. Deutschen Juristentag, Berlin 2002. München. Albrecht, H.-J. (2002): Ist das deutsche Jugendstrafrecht noch zeitgemäß? Bedarf es – und wenn ja welcher – Veränderungen? NJW-Beilage zu Heft 23, S. 26 – 33. Albrecht, H.-J. (2002): Effizienter Jugendschutz im Rundfunk durch Ordnungswidrigkeitenund Kriminalrecht? in: Bayerische Landeszentrale für neue Medien (Hrsg.), BLM-Symposion Medienrecht 2001 „Zwischen Intendantenbefugnis und Zensurverbot: Jugendschutz in privaten Rundfunkangeboten in Bayern“. BLM-Schriftenreihe Vol. 71. München, S. 87 – 105. Albrecht, H.-J. & Hotter, I. (2002): Rundfunk und Pornographieverbot – Eine (auch rechtsvergleichende) Untersuchung zur Reichweite des Pornographieverbots im Rundfunk im weiteren Sinne – Rechtsgutachten erstellt im Auftrag der Bayerischen Landeszentrale für neue Medien. BLM-Schriftenreihe Vol. 68. München. Albrecht, H.-J. & Kilchling, M. (2002): Rechtsextremistische Gewalt, Strafrechtliche Sozialkontrolle, Täter-Opfer-Ausgleich und Wiedergutmachungsansätze. Recht der Jugend und des Bildungswesens 50, S. 82 – 93.

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Publikationsverzeichnis – List of Publications

Albrecht, H.-J. (2002): Die Todesstrafe in China, in: C. Boulanger, V. Heyes & P. Hanfling (Hrsg.), Zur Aktualität der Todesstrafe. Interdisziplinäre und globale Perspektiven. 2. überarbeitete und erweiterte Aufl., Berlin, S. 165 – 192. Albrecht, H.-J. (2002): Kriminologische Erfahrungen und kriminalpräventive Räte, in: R. Prätorius (Hrsg.), Wachsam und kooperativ? Der lokale Staat als Sicherheitsproduzent. BadenBaden, S. 22 – 40. Albrecht, H.-J. (2002): Der elektronische Hausarrest. Das Potential für Freiheitsstrafenvermeidung, Rückfallverhütung und Rehabilitation. Monatsschrift für Kriminologie und Strafrechtsreform 85, S. 84 – 104. Albrecht, H.-J. (2002): Entwicklungen im modernen Strafvollzug, in: A. Chaidou (Hrsg.), Das Strafvollzugssystem: Fragen von Theorie und Praxis. Athen, S. 191 – 232. Albrecht, H.-J. (2002): Juvenile Crime and Juvenile Law in the Federal Republic of Germany, in: J.A. Winterdyk (ed.), Juvenile Justice Systems: International Perspectives. 2. Aufl., Toronto, pp. 171 – 205. Albrecht, H.-J. (2002): The UN Transnational Crime Convention – An Introduction, in: H.-J. Albrecht & C. Fijnaut (eds.), The Containment of Transnational Organized Crime. Comments on the UN Convention of December 2000. Kriminologische Forschungsberichte aus dem Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Strafrecht Vol. 108. Freiburg i.Br., pp. 1 – 18. Albrecht, H.-J. (2002): Preliminary Remarks. European Journal of Crime, Criminal Law and Criminal Justice 2/3, Special Issue on War-Victimization-Security: The Case of the Former Yugoslavia, pp. 87 – 89. Albrecht, H.-J. (2002): Fortress Europe? Controlling Illegal Immigration. European Journal of Crime, Criminal Law and Criminal Justice 10, pp. 1 – 22. Albrecht, H.-J. (2002): Comparative Perspectives on Public Prosecution and Non-Prosecution Policies in China and Germany, in: H.-J. Albrecht & G. Chen (eds.), Non-Prosecution Policies. A Sino-German Comparison. Interdisziplinäre Untersuchungen aus Strafrecht und Kriminologie des Max-Planck-Instituts für ausländisches und internationales Strafrecht Vol. 7. Freiburg i.Br., pp. 203 – 229. Albrecht, H.-J. (2002): Community Sanctions in the Federal Republic of Germany, in: H.-J. Albrecht & A. van Kalmthout (eds.), Community Sanctions and Measures in Europe and North America. Kriminologische Forschungsberichte aus dem Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Strafrecht Vol. 101. Freiburg i.Br., pp. 243 – 270. Albrecht, H.-J. (2002): Synthesis Report, in: H.-J. Albrecht, M. Kilchling & E. Braun (eds.), Criminal Preventive Risk Assessment in the Law-Making Procedure. Kriminologische Forschungsberichte aus dem Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Strafrecht Vol. 102. Freiburg i.Br., pp. 1 – 22. Albrecht, H.-J. & Kilchling, M. (2002): Crime Risk Assessment, Legislation, and the Prevention of Serious Crime – Comparative Perspectives. European Journal of Crime, Criminal Law and Criminal Justice 10, pp. 23 – 38. Albrecht, H.-J. (2002): The Death Penalty in China – Placing the Chinese Death Penalty Policies in International Perspectives, in: Facultade de Direito, Universidad Nova de Lisboa (ed.), EU-

Publikationsverzeichnis – List of Publications

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China Human Rights Dialogue. Working paper of the Third Seminar held in Lisbon 8 – 9 May 2000. Lisbon, pp. 11 – 57. Albrecht, H.-J. (2002): Immigration, Crime and Unsafety, in: A. Crawford (ed.), Crime and Insecurity. The Governance of Safety in Europe. Cullompton/Portland, pp. 159 – 185. Albrecht, H.-J. (2002): Trafficking in Humans – Theory, Phenomenon and Criminal Law based responses, in: International Association of Prosecutors (ed.), 7th Annual Conference and General Meeting of The International Association of Prosecutors, 8 to 12 September 2002 London, United Kingdom. London, CD-ROM. Albrecht, H.-J. (2002): Trafficking in Humans – Drugs and Money, in: International Association of Prosecutors (ed.), 7th Annual Conference and General Meeting of The International Association of Prosecutors, 8 to 12 September 2002 London, United Kingdom. London, CDROM. Albrecht, H.-J. (2002): Xingshi susong zhong de biantong zhengce yiji jianchaguan zai fating shenli kaishi qian de zuoyong (Politics of Discretion in Criminal Procedure and Role of Prosecutor Prior to Trial), in: Sifabu yufang fanzui yanjiusuo (Bianyin) [Institute for Crime Prevention at the Ministry of Justice of the People’s Republic of China] (ed.), Zhong-De di-3 jie, di-4 jie xingfaxue, fanzuixue yantaohui wenji (3rd and 4th German-Chinese Colloquium on Criminal Law and Criminology). Beijing, pp. 160 – 175. Albrecht, H.-J. (2002): A bünözésben mutatkozó változások, ezek okai és a kriminálpolitika szerepe, in: L. Korinek (ed.), Belügyi Szemle – Külföldi Figyelö. Budapest, pp. 3 – 42. Albrecht, H.-J. & Fijnaut, C. (eds.) (2002): The Containment of Transnational Organized Crime: Comments on the UN Convention of December 2000. Kriminologische Forschungsberichte aus dem Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Strafrecht Vol. 108. Freiburg i.Br. Albrecht, H.-J. & G. Chen (eds.) (2002): Non-Prosecution Policies: A Sino-German Comparison. Interdisziplinäre Untersuchungen aus Strafrecht und Kriminologie des Max-Planck-Instituts für ausländisches und internationales Strafrecht Vol. 7. Freiburg i.Br. Walter, M., Albrecht, H.-J. & Kania, H. (Hrsg.) (2002): Alltagsvorstellungen von Kriminalität. Forschung aktuell – research in brief Vol. 11. Freiburg i.Br. Albrecht, H.-J. & Kilchling, M. (Hrsg.) (2002): Jugendstrafrecht in Europa. Freiburg i.Br. Paoli, L. & Albrecht, H.-J. (2001): Cannabis Policies in Frankfurt, in: Ministry of Justice (ed.), Drug Policies in European Countries and Cities – Reference Book. The Hague, pp. 63 – 77. Albrecht, H.-J. (2001): Geleitwort mit Inhaltsüberblick, in: G. Chen & H.-J. Albrecht (eds.), Zhong De Buqisu Zhidu Bijiao Yanjiu (Comparative Research on Sino-German Non-Prosecution Policies – Vergleichende Forschung nach dem Absehen von Anklageerhebung zwischen chinesischem und deutschem System). Beijing, pp. I – IV [in Chinese]. Albrecht, H.-J. (2001): Kapitel 2, in: G. Chen & H.-J. Albrecht (eds.), Zhong De Buqisu Zhidu Bijiao Yanjiu (Comparative Research on Sino-German Non-Prosecution Policies – Vergleichende Forschung nach dem Absehen von Anklageerhebung zwischen chinesischem und deutschem System). Beijing, pp. 52 – 61. Albrecht, H.-J. (2001): Kapitel 13, in: G. Chen & H.-J. Albrecht (eds.), Zhong De Buqisu Zhidu Bijiao Yanjiu (Comparative Research on Sino-German Non-Prosecution Policies – Verglei-

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Publikationsverzeichnis – List of Publications

chende Forschung nach dem Absehen von Anklageerhebung zwischen chinesischem und deutschem System). Beijing, pp. 156 – 159. Albrecht, H.-J. (2001): Transnationale Kriminalität und internationale Instrumente zu ihrer Bekämpfung, in: Polizei-Führungsakademie (Hrsg.), Planung der Kriminalitätskontrolle. Seminar vom 10. bis 12. Januar 2001. Münster, S. 241 – 259. Albrecht, H.-J. (2001): Entwicklungen der Kriminalität, Ursachen und die Rolle der Kriminalpolitik, in: H.J. Hirsch (Hrsg.), Krise des Strafrechts und der Kriminalwissenschaften? Tagungsbeiträge eines Symposiums der Alexander von Humboldt-Stiftung, vom 1. bis 5. Oktober 2000 in Bamberg. Schriften zum Strafrecht H. 129. Berlin, S. 17 – 58. Albrecht, H.-J. (2001): Der Elektronische Hausarrest – Probleme und Potential als Alternative zur Freiheitsstrafe, in: N. Courakis (Hrsg.), Die Strafrechtswissenschaften im 21. Jahrhundert. Festschrift für Professor Dr. Dionysios Spinellis. Athen/Komotini, S. 13 – 36. Albrecht, H.-J. (2001): Immigration, Kriminalität und Innere Sicherheit, in: G. Albrecht, O. Backes & W. Kühnel (Hrsg.), Gewaltkriminalität zwischen Mythos und Realität. Frankfurt a. M., S. 259 – 281. Albrecht, H.-J. (2001): Kriminalität, Kriminalitätsangst, Unsicherheitsgefühle, Kriminalpolitik und deren Folgen, in: Criminologische Vereinigung (Hrsg.), Retro-Perspektiven der Kriminologie – Stadt – Kriminalität – Kontrolle. Freundschaftsgabe zum 70. Geburtstag von Fritz Sack. Hamburg/Freiburg, S. 59 – 76. Albrecht, H.-J. (2001): Gibt es tatsächlich überzeugende Alternativen zur (staatlichen) Strafe? Ethik und Sozialwissenschaften 12, S. 83 – 86. Albrecht, H.-J. (2001): Kriminalitätstrends, in: B. Kolte, S. Prepeliczay, H. Schmidt-Semisch & H. Stöver (Hrsg.), Gedankengefängnisse Aufbrechen. Festschrift zum 65. Geburtstag von Stephan Quensel. CD-ROM. Albrecht, H.-J. (2001): Informationsfeld „Rechtspflege/Gerichtsbarkeit/innere/äußere Sicherheit“, in: Kommission zur Verbesserung der informationellen Infrastruktur zwischen Wissenschaft und Statistik (Hrsg.), Wege zu einer besseren informationellen Infrastruktur. BadenBaden, CD-ROM. Albrecht, H.-J. (2001): Das deutsche Konzept der verminderten Schuldfähigkeit in Deutschland und Lösungen im ausländischen Strafrecht, in: H.-L. Kröber & H.-J. Albrecht (Hrsg.), Verminderte Schuldfähigkeit und psychiatrische Maßregel. Baden-Baden, S. 7 – 32. Albrecht, H.-J (2001): Migration und Kriminalität, in: J.-M. Jehle (Hrsg.), Raum und Kriminalität. Sicherheit der Stadt – Migrationsprobleme. Neue Kriminologische Schriftenreihe. Mönchengladbach, S. 195 – 210. Albrecht, H.-J. (2001): Grußwort, in: H.-J. Albrecht, J. Arnold & H.-G. Koch (Hrsg.), Wechselwirkungen. Beiträge zum 65. Geburtstag von Albin Eser. Freiburg i.Br., S. 1 – 6. Albrecht, H.-J. (2001): Simplification of Criminal Procedure: Settlements out of Court – A Comparative Study of European Criminal Justice Systems. Pretoria. Albrecht, H.-J. (2001): Science and Society: Role of the Social Sciences and the Legal Systems, in: UNESCO Venice Regional Bureau for Science (Roste) (ed.), Reconstruction of Scientific Cooperation in South East Europe. International Conference of Experts, Venice, Italy, 24 – 27 March 2001 – Proceedings. Venice, pp. 247 – 249.

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Albrecht, H.-J. (2001): Opening of the Colloquium, in: A. Eser & C. Rabenstein (eds.), Neighbours in Law. Are Common Law and Civil Law Moving Closer Together? Papers in honour of Barbara Huber on her 65th birthday. Freiburg i.Br., pp. 3 – 6. Albrecht, H.-J. (2001): Restorative Justice – Answers to Questions that Nobody has Put Forward, in: E. Fattah & S. Parmentier (eds.), Victim policies and criminal justice on the road to restorative justice. Essays in honour of Tony Peters. Leuven, pp. 295 – 314. Albrecht, H.-J. (2001): Sentencing and Punishment in Germany, in: M. Tonry (ed.), Penal Reform in Overcrowded Times. Oxford, pp. 139 – 145. Albrecht, H.-J., Koukoutsaki, A. & Serassis, T. (2001): Introduction, in: H.-J. Albrecht, A. Koukoutsaki & T. Serassis (eds.), Images of Crime. Representations of Crime and the Criminal in Science, the Arts and the Media. Kriminologische Forschungsberichte aus dem Max-PlanckInstitut für ausländisches und internationales Strafrecht Vol. 97. Freiburg i.Br., pp. 1 – 8. Albrecht, H.-J. (2001): Preface, in: H.-J. Albrecht, A. Koukoutsaki & T. Serassis (eds.), Images of Crime. Representations of Crime and the Criminal in Science, the Arts and the Media. Kriminologische Forschungsberichte aus dem Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Strafrecht Vol. 97. Freiburg i.Br., pp. V – VI. Albrecht, H.-J. (2001): Postadjudication Dispositions in Comparative Perspective, in: M. Tonry & R. Frase (eds.), Sentencing and Sanctions in Western Countries. Oxford/New York, pp. 293 – 330. Albrecht, H.-J. (2001): The International System of Drug Control: Developments and Trends, in: J. Gerber & E.L. Jensen (eds.), Drug War American Style – The Internationalization of Failed Policy and Its Alternatives. New York/London, pp. 49 – 60. Albrecht, H.-J. (2001): Drug Policies in the Federal Republic of Germany: Development, Trends, and Influences from North America, in: J. Gerber & E.L. Jensen (eds.), Drug War American Style – The Internationalization of Failed Policy and its Alternatives. New York/London, pp. 219 – 240. Albrecht, H.-J. & Nogala, D. (2001): Police, Sociology of, in: P.B. Baltes & N.J. Smelser (eds.), International Encyclopaedia of Social and Behavioural Sciences Vol. 17. Amsterdam, pp. 11532 – 11535. Albrecht, H.-J. (2001): Investigaciones sobre Criminalidad Económica en Europa: Conceptos y Comprobaciones Empíricas, in: Universidad Nacional de Educación a Distancia (ed.), Modernas Tendencias en la Ciencia del Derecho Penal y en la Criminología. Actas del Congreso internacional, Madrid, 6 – 10 de noviembre de 2000. Madrid, pp. 259 – 281. Albrecht, H.-J. & Kvashis, V.E. (2001): Where does the capital punishment go? Law and Politics 6, pp. 64 – 74. Albrecht, H.-J. (2001): La Delincuencia Organizada Transnacional y los Instrumentos Internacionales de Control. Revista Catalana de Seguretat Pública 8, pp. 87 – 105. Albrecht, H.-J. (2001): Criminalidad Transnacional, Comercio de Narcóticos y Lavado de Dinero. Colección de Estudios N8 19, Universidad Externado de Colombia, Bogotá. – – (Independence in SysAlbrecht, H.-J. (2001): tems Based Upon the Rule of Law – A European Perspective). Conference and Working Papers from the Max Planck Institute for Foreign and International Criminal Law. Freiburg i.Br.

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Publikationsverzeichnis – List of Publications

– Albrecht, H.-J. (2001): – (Crime Risk Assessment, Crime Prevention, The Legislative Process and Law Reform – A European Perspective). Conference and Working Papers from the Max Planck Institute for Foreign and International Criminal Law. Freiburg i.Br. Albrecht, H.-J., Kilchling, M. & Braun, E. (2001): Criminal Preventive Risk Assessment in the Law-Making Procedure. Conference and Working Papers from the Max Planck Institute for Foreign and International Criminal Law. Freiburg i.Br. Albrecht, H.-J. (2001): Violencia y Deporte. Fenomenología, Explicación y Prevención. Revista Penal 7, pp. 25 – 39. Albrecht, H.-J., Arnold, J. & Koch H.-G. (Hrsg.) (2001): Wechselwirkungen. Beiträge zum 65. Geburtstag von Albin Eser. Freiburg i.Br. Albrecht, H.-J. & G. Chen (eds.) (2001): Zhong De Buqisu Zhidu Bijiao Yanjiu (Comparative Research on Sino-German Non-Prosecution Policies – Vergleichende Forschung nach dem Absehen von Anklageerhebung zwischen chinesischem und deutschem System). Beijing. Kröber, H.-L. & Albrecht, H.-J. (Hrsg.) (2001): Verminderte Schuldfähigkeit und psychiatrische Maßregel. Baden-Baden. Albrecht, H.-J. (2000): Rechtsstaatliche Grenzen, in: Polizei-Führungsakademie (Hrsg.), Aktuelle Rechtsprobleme im Zusammenhang mit der Bekämpfung der Organisierten Kriminalität. Schlussbericht des Seminars vom 2. – 4. Februar 2000. Münster-Hiltrup, S. 45 – 66. Albrecht, H.-J. (2000): Kriminologische Aspekte des Beigebrauchs von Drogen, in: C. Jellinek, B. Westermann & G. U. Bellmann (Hrsg.), Beigebrauch: Offene Grenzen der Substitution. Weinheim, S. 185 – 190. Albrecht, H.-J. (2000): Die Europäisierung des Strafrechts und die Innere Sicherheit in Europa, in: Bundeskriminalamt (Hrsg.), Kriminalitätsbekämpfung im zusammenwachsenden Europa. Vorträge und Diskussionen anlässlich der Arbeitstagung des BKA vom 23. – 25. 11. 1999. BKA-Reihe Polizei und Forschung Vol. 2. Neuwied, S. 39 – 63. Albrecht, H.-J. (2000): Konversionspolitik im Strafprozeß und die Rolle des Staatsanwalts vor dem Beginn der Hauptverhandlung in Deutschland, in: H.-J. Albrecht, A. Eser & T. Richter (Hrsg.), Drittes deutsch-chinesisches Kolloquium über Strafrecht und Kriminologie. Wirtschaftsstrafrecht und Wirtschaftskriminalität, Staatsanwaltschaft und Diversion, Strafvollzugsanstalten und ihre Überfüllung. Interdisziplinäre Untersuchungen aus Strafrecht und Kriminologie des Max-Planck-Instituts für ausländisches und internationales Strafrecht Vol. 2. Freiburg i.Br., S. 27 – 44. Albrecht, H.-J. (2000): Rechtliche Bestimmungen und Rechtsprechung, in: A. Uchtenhagen & W. Zieglgänsberger (Hrsg.), Suchtmedizin. Konzepte, Strategien und therapeutisches Management. München/Jena, S. 519 – 565. Albrecht, H.-J. & Eser, A. (2000): Geleitwort mit Inhaltsüberblick, in: V. Militello, J. Arnold, & L. Paoli (Hrsg.), Organisierte Kriminalität als transnationales Phänomen: Erscheinungsformen, Prävention und Repression in Italien, Deutschland und Spanien. Interdisziplinäre Untersuchungen aus Strafrecht und Kriminologie des Max-Planck-Instituts für ausländisches und internationales Strafrecht Vol. 3.2. Freiburg i.Br., S. XI – XVIII. Albrecht, H.-J. & Eser, A. (2000): Prefazione, in: V. Militello, J. Arnold & L. Paoli (eds.), Il Crimine Organizzato Come Fenomeno Transnazionale. Interdisziplinäre Untersuchungen

Publikationsverzeichnis – List of Publications

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aus Strafrecht und Kriminologie des Max-Planck-Instituts für ausländisches und internationales Strafrecht Vol. 3.1. Freiburg i.Br., pp. XI – XVIII. Albrecht, H.-J., Arnold, H. & Schädler, W. (2000): Der hessische Modellversuch zur Anwendung der „elektronischen Fußfessel“. Zeitschrift für Rechtspolitik 33, S. 466 – 469. Albrecht, H.-J. (2000): Drug Policies and Drug Problems in the Federal Republic of Germany – Development and Trends, in: The Judiciary of the Islamic Republic of Iran (ed.), ScientificApplied International Seminar on Different Aspects of Criminal Policy Vis-a-Vis Narcotic Drugs, Tehran 9 – 11 May 2000. Collection of Lectures by the International Speakers 2. Teheran, pp. 290 – 323 [in Farsi]. Albrecht, H.-J. (2000): Criminal Prosecution: Developments, Trends and Open Questions in the Federal Republic of Germany. European Journal of Crime, Criminal Law and Criminal Justice 8, pp. 245 – 256. Albrecht, H.-J. (2000): Foreigners, Migration, Immigration and the Development of Criminal Justice in Europe. In: A. Rutherford & P. Green (eds.), Criminal Justice 2000: Foreigners, Migration, Immigration and the Development of Criminal Justice in Europe. Workshop of the International Institute for the Sociology of Law on “Criminal Policy in Transition: Criminal Policy Trends into the New Millenium”, Oñati/Spain, 15 – 16 May 1998. London, pp. 131 – 150. Albrecht, H.-J. (2000): The Death Penalty in China from a European Perspective, in: M. Nowak & C. Xin (eds.), EU-China Human Rights Dialogue. Proceedings of the Second EU-China Legal Expert Seminar held in Beijing on 19 and 20 October 1998. Studienreihe des LudwigBoltzmann-Instituts für Menschenrechte Vol. 4. Wien, pp. 95 – 118. Albrecht, H.-J. & Teske, R. (2000): Crime and Crime Control in Germany, in: G. Barak (ed.), Crime and Crime Control – A Global View. Westport/CT, pp. 29 – 63. Albrecht, H.-J. (2000): Cong ouzhou jiaodu kann zhongguo de sixing wenti, in: R. Cheng et al. (Hrsg.), Susong faxue xintan. Beijing, S. 867 – 875. Albrecht, H.-J. (2000): A büntetöjog európaizálása és a belsö biztonság Európában (Europäisierung des Strafrechts und Innere Sicherheit in Europa). Belügyi Szemle 3, S. 17 – 41. Albrecht, H.-J., Eser, A. & Richter, T. (Hrsg.) (2000): Drittes deutsch-chinesisches Kolloquium über Strafrecht und Kriminologie. Wirtschaftsstrafrecht und Wirtschaftskriminalität, Staatsanwaltschaft und Diversion, Strafvollzugsanstalten und ihre Überfüllung. Interdisziplinäre Untersuchungen aus Strafrecht und Kriminologie des Max-Planck-Instituts für ausländisches und internationales Strafrecht Vol. 2. Freiburg i.Br. Albrecht, H.-J. (1999): Zur Entwicklung des Zusammenhanges zwischen Strafe und Therapie, in: H. Oberarztbacher & K. Dornauer (Hrsg.), Das Strafbegehren der Suchtgesellschaft. Dokumentation des Symposiums im Rahmen der Europäischen Woche zur Suchtprävention, Innsbruck 18.-20. 11. 1998. Innsbruck, S. 37 – 39. Albrecht, H.-J. (1999): Forschungen zur Wirtschaftskriminalität in Europa – Konzepte und empirische Befunde, in: S. Bauhofer, N. Queloz & E. Wyss (Hrsg.), Wirtschaftskriminalität – Criminalité économique. Chur/Zürich, S. 101 – 130. Albrecht, H.-J. (1999): Vorwort, in: H.-J. Albrecht & H. Kury (Hrsg.), Kriminalität, Strafrechtsreform und Strafvollzug in Zeiten des sozialen Umbruchs. Beiträge zum Zweiten deutsch-

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Publikationsverzeichnis – List of Publications

chinesischen Kolloquium. Kriminologische Forschungsberichte aus dem Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Strafrecht Vol. 86. Freiburg i.Br., S. V – VI. Albrecht, H.-J. (1999): Neue Erscheinungsformen der Kriminalität und Strafprozessreform in Deutschland, in: H.-J. Albrecht & H. Kury (Hrsg.), Kriminalität, Strafrechtsreform und Strafvollzug in Zeiten des sozialen Umbruchs. Beiträge zum Zweiten deutsch-chinesischen Kolloquium. Kriminologische Forschungsberichte aus dem Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Strafrecht Vol. 86. Freiburg i.Br., S. 277 – 316. Albrecht, H.-J. (1999): Kriminologische Forschung am Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Strafrecht, in: H.-J. Albrecht (Hrsg.), Forschungen zu Kriminalität und Kriminalitätskontrolle am Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Strafrecht in Freiburg i.Br. Kriminologische Forschungsberichte aus dem Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Strafrecht Vol. 82. Freiburg i.Br., S. 1 – 28. Albrecht, H.-J. (1999): Anmerkungen zu Entwicklungen in der Kriminalpolitik, in: W. Feuerhelm, H.-D. Schwind & M. Bock (Hrsg.), Festschrift für Alexander Böhm zum 70. Geburtstag. Berlin, S. 765 – 788. Albrecht, H.-J. (1999): Strafen, Sanktionen, Tabus in Europa, in: W. Köpke & B. Schmelz (Hrsg.), Das gemeinsame Haus Europa. Handbuch zur Kulturgeschichte Europas. München, S. 382 – 394. Albrecht, H.-J. (1999): Die Determinanten der Sexualstrafrechtsreform. Zeitschrift für die gesamte Strafrechtswissenschaft 111, S. 863 – 888. Albrecht, H.-J. (1999): Políticas (criminais) e o problema das drogas: evoluções e tendências na República Federal da Alemanha. Revista Brasileira de Ciências Criminais 7, pp. 24 – 32. Albrecht, H.-J. & Boers, K. (1999): La Investigación sobre la Delincuencia y el Systema de Justicia Criminal en Europa (1990 – 1998). Revista Catalana de Seguretat Pública 5, pp. 27 – 71. Albrecht, H.-J., Derks, J. & van Kalmthout, A. (1999): General Introduction and some Remarks on European Drug Policy Research, in: J. Derks, A. van Kalmthout & H.-J. Albrecht (eds.), Current and Future Drug Policy Studies in Europe. Kriminologische Forschungsberichte aus dem Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Strafrecht Vol. 88. Freiburg i.Br., pp. 1 – 10. Albrecht, H.-J. & van Kalmthout, A. (1999): Methods, Concepts and Findings from Evaluation Research on European Drug Policies, in: J. Derks, A. van Kalmthout & H.-J. Albrecht (eds.), Current and Future Drug Policy Studies in Europe. Kriminologische Forschungsberichte aus dem Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Strafrecht Vol. 88. Freiburg i.Br., pp. 11 – 34. Albrecht, H.-J. (1999): Drug Policies and Drug Problems in the Federal Republic of Germany: Construction, Development and Trends, in: J. Derks, A. van Kalmthout & H.-J. Albrecht (eds.), Current and Future Drug Policy Studies in Europe. Kriminologische Forschungsberichte aus dem Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Strafrecht Vol. 88. Freiburg i.Br., pp. 168 – 180. Albrecht, H.-J. (1999): Penal Policies and Criminal Sanctions: A Look at Developments and Trends in Europe, in: R. Hood (ed.), The Changing Face of Crime and Criminal Policy in Europe. Occasional Paper No. 19. Centre for Criminological Research. Oxford, pp. 1 – 23.

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Albrecht, H.-J. (1999): Countries in Transition: Effects of Political, Social and Economic Change on Crime and Criminal Justice – Sanctions and Their Implementation. European Journal of Crime, Criminal Law and Criminal Justice 7, pp. 448 – 479. Albrecht, H.-J. & Boers, K. (1999): Criminalité et justice criminelle en République fédérale d’Allemagne: Évolution dans les années 1990, in: L. van Outrive & P. Robert (eds.), Crime et Justice en Europe depuis 1990. Paris, pp. 25 – 69. Albrecht, H.-J. (1999): Les recherches sur les drogues en Europe, in: C. Faugeron (ed.), Les drogues en France – Politiques, marchés, usages. Genève, pp. 3 – 23. Albrecht, H.-J. (1999): Xingshi susong zhong de biantong zhengce yiji jianchaguan zai fating shenli kaishi qian de zuoyong (Politics of Discretion in Criminal Procedure and Role of Prosecutor Prior to Trial, translation by Zhao Yang), in: G. Chen & W. Jiang (eds.), Susong fa luncong (collected papers on criminal procedural law) Vol. 3. 1. Aufl., Beijing, pp. 203 – 217. Derks, J., van Kalmthout, A. & Albrecht, H.-J. (eds.) (1999): Current and Future Drug Policy Studies in Europe: Problems, Prospects and Research Methods. Kriminologische Forschungsberichte aus dem Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Strafrecht Vol. 88. Freiburg i Br. Albrecht, H.-J. (Hrsg.) (1999): Forschungen zu Kriminalität und Kriminalitätskontrolle am Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Strafrecht in Freiburg i.Br. Kriminologische Forschungsberichte aus dem Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Strafrecht Vol. 82. Freiburg i.Br. Albrecht, H.-J. & Kury, H. (Hrsg.) (1999): Kriminalität, Strafrechtsreform und Strafvollzug in Zeiten des sozialen Umbruchs. Beiträge zum Zweiten deutsch-chinesischen Kolloquium. Kriminologische Forschungsberichte aus dem Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Strafrecht Vol. 86. Freiburg i.Br. Albrecht, H.-J. (1998): § 10: Internationales Betäubungsmittelrecht und internationale Betäubungsmittelkontrolle, in: A. Kreuzer (Hrsg.), Handbuch des Betäubungsmittelstrafrechts. Zweiter Teil: Rechtliche Grundlagen. München, S. 651 – 695. Albrecht, H.-J. (1998): § 23: Betäubungsmittelstrafrecht und Drogenpolitik in Nachbarstaaten: Situation in der Schweiz, in: A. Kreuzer (Hrsg.), Handbuch des Betäubungsmittelstrafrechts. Zweiter Teil: Rechtliche Grundlagen. München, S. 1523 – 1546. Albrecht, H.-J. (1998): Kriminologische und rechtspolitische Desiderate in der Gestaltung der Forschungsperspektiven Forensischer Psychiatrie, in: H.-L. Kröber & K.-P. Dahle (Hrsg.), Sexualstraftaten und Gewaltdelinquenz – Verlauf – Behandlung – Opferschutz. Kriminalistik – Wissenschaft & Praxis Bd. 35. Heidelberg, S. 135 – 150. Albrecht, H.-J. (1998): Kriminalität, in: W. Korff (Hrsg.), Lexikon der Bioethik. Görres Gesellschaft zur Pflege der Wissenschaft. Gütersloh, S. 72 – 74. Albrecht, H.-J. (1998): Abweichendes Verhalten – Rechtlich, in: W. Korff (Hrsg.), Lexikon der Bioethik. Görres Gesellschaft zur Pflege der Wissenschaft. Gütersloh, S. 494 – 497. Albrecht, H.-J. (1998): Organisierte Kriminalität und neuere Strafprozessreformen in Deutschland, in: A. Eser (Hrsg.), Strafrechtsentwicklung und Kriminalpolitik. Festschrift für Haruo Nishihara zum 70. Geburtstag. Baden-Baden, S. 311 – 338. Albrecht, H.-J. (1998): Organisierte Kriminalität – Theoretische Erklärungen und empirische Befunde, in: H.-J. Albrecht, F. Dencker, M. Kanther, G. Rauchs, H.-C. Schaefer,

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C. Steen-Sundberg, S. Waltos & F. Yenisey (Hrsg.), Organisierte Kriminalität und Verfassungsstaat. Deutsche Sektion der Internationalen Juristen-Kommission. Rechtsstaat in der Bewährung. Heidelberg, S. 1 – 40. Albrecht, H.-J. (1998): Die Untersuchungshaft in Deutschland angesichts neuerer Entwicklungen der Kriminalität und der Maßnahmen zur Reduzierung der Anordnung und Vollstreckung von Haftbefehlen, in: H.-J. Albrecht, F. Dünkel, H.-J. Kerner, J. Kürzinger, H. Schöch, K. Sessar & B. Villmow (Hrsg.), Internationale Perspektiven in Kriminologie und Strafrecht. Festschrift für Günther Kaiser zum 70. Geburtstag. Berlin, S. 1137 – 1159. Albrecht, H.-J. (1998): Die neue Angst vorm schwarzen Mann. Was steckt hinter dem Gerede von der Ausländerkriminalität? Der Überblick 34, S. 13 – 16. Albrecht, H.-J. (1998): Die staatliche Abgabe von Heroin als Antwort auf das Drogenproblem – Legal distribution of heroine as a response to the drug problem. Wissenschaftliche Zeitschrift der TU Dresden 47, S. 39 – 42. Albrecht, H.-J. (1998): Jugend und Gewalt. Monatsschrift für Kriminologie und Strafrechtsreform 81, S. 381 – 398. Albrecht, H.-J. & Yue, L. (1998): Buchbesprechung zu R. Heuser, Th. Weigend: Das Strafprozeßgesetz der Volksrepublik China in vergleichender Perspektive. Monatsschrift für Kriminologie und Strafrechtsreform 81, S. 140 – 145. Albrecht, H.-J. (1998): The Death Penalty in China from a European Perspective. Conference and Working Papers from the Max Planck Institute for Foreign and International Criminal Law. Freiburg i.Br. Albrecht, H.-J. (1998): Differential Implementation of Drug Policies in the Federal Republic of Germany, in: H. Waal (ed.), Patterns on the European Drug Scene. An Exploratory of Differences. Report Based on a COST A6 Project. Oslo, pp. 46 – 62. Albrecht, H.-J. (1998): Money Laundering and the Confiscation of the Proceeds of Crime – A Comparative View on Different Models of the Control of Money Laundering and Confiscation, in: T.G. Watkin (ed.), The Europeanisation of Law. United Kingdom Comparative Law Series Vol. 18. Oxford, pp. 166 – 207. Albrecht, H.-J. (1998): Criminological Research at the Max Planck Institute for Foreign and International Criminal Law, in: H.-J. Albrecht & H. Kury (eds.), Research on Crime and Criminal Justice at the Max Planck Institute. Summaries. Kriminologische Forschungsberichte aus dem Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Strafrecht Vol. 83. Freiburg i.Br., pp. 1 – 12. Albrecht, H.-J. (1998): Crime Institute Profile – Max Planck Institute for Foreign and International Criminal Law Freiburg i.Br. European Journal on Criminal Policy and Research 6, pp. 617 – 622. Albrecht, H.-J. (1998): Addiction, Intoxication, Criminal Law and Criminal Justice: An Introduction. European Addiction Research 4/3 (Special Topic Section: Addiction and the Law, guest editor H.-J. Albrecht), pp. 85 – 88. Albrecht, H.-J. (1998): Penal Politics in the Nineties – The German Story, in: P. Kruize & L. Ravn (eds.), Kriminalistisk Arbog 1997. Kriminalistik Skriftserie no. 3. Copenhagen, pp. 33 – 52.

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Albrecht, H.-J. (1998): Politiques (criminelles) et problèmes de drogues: évolutions et tendances en République Fédérale d’Allemagne. Déviance et Société 22, pp. 77 – 87. Albrecht, H.-J. (guest editor) (1998): European Addiction Research 4/3: Special Topic Section: Addiction and the Law, pp. 85 – 127. Albrecht, H.-J. & Kury, H. (eds.) (1998): Research on crime and criminal justice at the Max Planck Institute. Summaries. Kriminologische Forschungsberichte aus dem Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Strafrecht Vol. 83. Freiburg i.Br. Albrecht, H.-J., Dencker, F., Kanther, M., Rauchs, G., Schaefer, H.-C., Steen-Sundberg, C., Waltos, S. & Yenisey, F. (Hrsg.) (1998): Organisierte Kriminalität und Verfassungsstaat. Deutsche Sektion der Internationalen Juristen-Kommission. Rechtsstaat in der Bewährung Band 33. Heidelberg. Albrecht, H.-J., Dünkel, F., Kerner, H.-J., Kürzinger, J., Schöch, H., Sessar, K. & Villmow, B. (Hrsg.) (1998): Internationale Perspektiven in Kriminologie und Strafrecht. Festschrift für Günther Kaiser zum 70. Geburtstag. 2 Bände. Berlin. Albrecht, H.-J. (1997): Ethnische Minoritäten, Kriminalität, Strafjustiz und Diskriminierung, in: Deutsche Vereinigung für Jugendrecht und Jugendgerichte (Hrsg.), Sozialer Wandel und Jugendkriminalität. Dokumentation des 23. Jugendgerichtstages vom 23. bis 27. September 1995 in Potsdam. Bonn, S. 192 – 243. Albrecht, H.-J. (1997): Der Schutz kindlicher Opfer im Strafverfahren – Neue Lösungsansätze im internationalen Vergleich? in: Weisser Ring (Hrsg.), Kinder als Gewaltopfer – was kommt danach? Strafprozessuale, sozialrechtliche und familienrechtliche Aspekte. Dokumentation des 8. Mainzer Opferforums. Mainz, S. 19 – 28. Albrecht, H.-J. (1997): Kriminalitätsumfang, Opferrisiken und Kriminalitätsfurcht in der Schweiz, in: K.-L. Kunz & R. Moser (Hrsg.), Innere Sicherheit und Lebensängste. Berner Universitätsschriften Bd. 42. Bern u. a., S. 37 – 84. Albrecht, H.-J. (1997): Transnationale Kriminalität als Folge des Umbruchs und kriminalpolitische Konsequenzen, in: K. Sessar (Hrsg.), Sozialer Umbruch und Kriminalität. Hamburger Studien zur Kriminologie Bd. 23. Pfaffenweiler, S. 227 – 266. Albrecht, H.-J. (1997): Die Entwicklung des Jugendstrafrechts im internationalen Vergleich, in: H. Hubert & L. Hochgesand (Hrsg.), Entwicklungen im Bereich der Jugendstrafrechtspflege. Entwicklungen im Jugendstrafrecht, Bagatellkriminalität, U-Haftvermeidung. Mönchengladbach, S. 22 – 47. Albrecht, H.-J. (1997): Zur Sicherheitslage der Kommunen, in: H. Kury (Hrsg.), Konzepte kommunaler Kriminalprävention. Sammelband der „Erfurter Tagung“ vom 7. bis 10. September 1995. Kriminologische Forschungsberichte aus dem Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Strafrecht Vol. 59. Freiburg i.Br., S. 147 – 165. Albrecht, H.-J. (1997): Kriminologische Forschung: Erwartungen an die Zukunft, in: A. Eser (Hrsg.), Kriminologische Forschung im Übergang. Festveranstaltung anläßlich des Amtswechsels von Günther Kaiser zu Hans-Jörg Albrecht am Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Strafrecht am 28. Februar 1997. Kriminologische Forschungsberichte aus dem Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Strafrecht Vol. 77. Freiburg i.Br., S. 49 – 78.

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Publikationsverzeichnis – List of Publications

Albrecht, H.-J. (1997): Ethnic Minorities, Crime and Criminal Justice in Germany, in: M. Tonry (ed.), Crime and Justice. A Review of Research. Vol. 21. Chicago, pp. 31 – 99. Albrecht, H.-J. (1997): Sentencing and Punishment in Germany, in: M. Tonry & K. Hatlestad (eds.), Sentencing Reform in Overcrowded Times – A Comparative Perspective. New York/ Oxford, 181 – 187. Albrecht, H.-J. (1997): Minorities, Crime and Criminal Justice in the Federal Republic of Germany, in: I.H. Marshall (ed.), Minorities, Migrants, and Crime: Diversity and Similarity Across Europe and the United States. London/New Delhi, pp. 86 – 109. Albrecht, H.-J. (1997): Juvenile Crime and Juvenile Law in the Federal Republic of Germany, in: J. Winterdyk (ed.), Juvenile Justice Systems – International Perspectives. Toronto, pp. 233 – 269. Albrecht, H.-J. (1997): Regulation and Control of Motor Vehicle Traffic in the Federal Republic of Germany, in: G. Kellens & C. Pérez-Diaz (eds.), Le contrôle de la circulation routière dans les pays de la CEE. Paris, pp. 11 – 45. Albrecht, H.-J. (1997): Intermediate Penalties in Europe: Developments in the Conception and Use of Non-Custodial Sanctions. CEP Bulletin 6, pp. 1 – 6. Albrecht, H.-J. (1997): The Money Trail, Developments in Criminal Law, and Research Needs: An Introduction. European Journal of Crime, Criminal Law and Criminal Justice 5, pp. 193 – 195. Albrecht, H.-J. (1997): Dangerous Criminal Offenders in the German Criminal Justice System. Federal Sentencing Reporter 10/3, pp. 69 – 73. Albrecht, H.-J. (1997): L’économie du droit pénal et de l’exécution des peines. Evolution et tendances de l’aspect économique du droit pénal. Revue Internationale de Criminologie et de Police Technique 1, pp. 17 – 37. Albrecht, H.-J. (1997): La criminalité organisée et la notion d’ordre, in: Presses Universitaires d‘Aix-Marseille (ed.), Criminalité organisée et ordre dans la société. Colloque placé sous le haut patronage du Ministère de la Justice. Aix-en-Provence, 5, 6 et 7 juin 1996. Aix- en-Provence/Marseille, pp. 17 – 27. Albrecht, H.-J. (1997): A nemzetkösi bünözés mint a rendszerváltás következménye, in: F. Irk (ed.), Társadalmi Átalakulás és Bünözés. Magyar-Német Kriminológiai Szimpózium, Budapest 1995, Augusztus 20 – 25. Budapest, pp. 215 – 240. Albrecht, H.-J. (1996): Die Ökonomie des Strafwesens und des Strafvollzugs – Entwicklungen und Trends in der ökonomischen Betrachtung des Strafrechts, in: Caritas Schweiz (Hrsg.), Ökonomie im Strafwesen. Werden die Mittel im Strafverfahren und im Strafvollzug effizient eingesetzt? Luzern, S. 5 – 26. Albrecht, H.-J. (1996): Geschichte und Kriminologie: Was kann der historische Zugang für Untersuchungen kriminologischer Fragestellung leisten? in: U. Böker & C. Houswitschka (Hrsg.), Literatur, Kriminalität und Rechtskultur im 17. und 18. Jahrhundert. Essen, S. 36 – 53. Albrecht, H.-J. (1996): Geldstrafe, in: G. Ulsamer (Hrsg.), Ergänzbares Lexikon des Rechts. Gruppe 8: Strafrecht. 2. überarb. und erw. Aufl., Neuwied, S. 380 – 386.

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Albrecht, H.-J. (1996): Vermögensstrafe, in: G. Ulsamer (Hrsg.), Ergänzbares Lexikon des Rechts. Gruppe 8: Strafrecht. 2. überarb. und erw. Aufl., Neuwied, S. 1125 – 1129. Albrecht, H.-J. (1996): Policy Options in Crime, Criminal Justice and Criminal Law Reform in Namibia. Issue Paper presented by the Ministry of Justice. Windhoek. Albrecht, H.-J. (1996): Sanctions and their Implementation. Council of Europe, Strasbourg. Albrecht, H.-J. (1996): Drug Couriers: The Response of the German Criminal Justice System, in: P. Green (ed.), Drug Couriers: A New Perspective. London, pp. 61 – 75. Albrecht, H.-J. (1996): Ethnic Minorities, and Crime – The Construction of Foreigners’ Crime in the Federal Republic of Germany, in: R. Godson (ed.), Trends in Organized Crime. Vol. 2. New York, pp. 87 – 89. Albrecht, H.-J. (1996): Juvenile Crime and Juvenile Criminal Law in Germany, in: J. Winterdyk (ed.), Issues and Perspectives on Young Offenders in Canada. Toronto et al., pp. 279 – 291. Albrecht, H.-J. (1996): Ethnic Minorities and Crime – the construction of foreigners’ crime in the Federal Republic of Germany, in: Communauté européenne/European Community, COST A2, Migrations/Migration (ed.), Délit d’immigration – Immigrant delinquency. Bruxelles, pp. 83 – 102. Albrecht, H.-J. (1996): Les politiques de la drogue en Allemagne. Construction d’un problème en mouvement, in: A. Ehrenberg (ed.), Vivre avec les drogues. Paris, pp. 47 – 65. Albrecht, H.-J. (1995): Strafe und Prävention – eine Herausforderung für Rechtswissenschaft und Justiz. Diskurs 1, S. 15 – 22. Albrecht, H.-J. (1995): Die Cannabis-Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts aus kriminologischer Sicht. Recht der Jugend und des Bildungswesens 43, S. 136 – 147. Albrecht, H.-J. (1995): Verhängung in Tagessätzen, § 40, in: U. Neumann, I. Puppe & W. Schild (Hrsg.), Nomos Kommentar zum Strafgesetzbuch, Bd. 2. Baden-Baden (27 S.). Albrecht, H.-J. (1995): Geldstrafe neben Freiheitsstrafe, § 41, in: U. Neumann, I. Puppe & W. Schild (Hrsg.), Nomos Kommentar zum Strafgesetzbuch, Bd. 2. Baden-Baden (5 S.). Albrecht, H.-J. (1995): Zahlungserleichterungen, § 42, in: U. Neumann, I. Puppe & W. Schild (Hrsg.), Nomos Kommentar zum Strafgesetzbuch, Bd. 2. Baden-Baden (6 S.). Albrecht, H.-J. (1995): Ersatzfreiheitsstrafe, § 43, in: U. Neumann, I. Puppe & W. Schild (Hrsg.), Nomos Kommentar zum Strafgesetzbuch, Bd. 2. Baden-Baden (7 S.). Albrecht, H.-J. (1995): Verhängung der Vermögensstrafe, § 43a, in: U. Neumann, I. Puppe & W. Schild (Hrsg.), Nomos Kommentar zum Strafgesetzbuch, Bd. 2. Baden-Baden (11 S.). Albrecht, H.-J. (1995): Wird die Jugend immer gewalttätiger? in: Kriminologische Forschungsstelle Köln (Hrsg.), Das Jugendkriminalrecht als Erfüllungsgehilfe gesellschaftlicher Erwartungen? Eine Dokumentation des Bundesministeriums der Justiz. Bonn-Bad Godesberg, S. 160 – 177. Albrecht, H.-J. (1995): Kindliche Opferzeugen im Strafverfahren, in: L. Salgo (Hrsg.), Vom Umgang der Justiz mit Minderjährigen. Schriftenreihe Familie und Recht Bd. 13. Neuwied, S. 3 – 30. Albrecht, H.-J. (1995): Die Effizienz von Strafen – Kriterien für eine Sanktionsprognose, in: Schriftenreihe des Generalstaatsanwaltes des Landes Schleswig-Holstein (Hrsg.), Was kön-

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Publikationsverzeichnis – List of Publications

nen wir in der strafjustitiellen Praxis von den Erkenntnissen in den Sozialwissenschaften umsetzen? Kiel, S. 55 – 73. Albrecht, H.-J. (1995): Geldstrafe, in: G. Ulsamer (Hrsg.), Ergänzbares Lexikon des Rechts. Gruppe 8: Strafrecht. Nr. 8/580. Neuwied. Albrecht, H.-J. (1995): Vermögensstrafe, in: G. Ulsamer (Hrsg.), Ergänzbares Lexikon des Rechts. Gruppe 8: Strafrecht. Nr. 8/580. Neuwied. Albrecht, H.-J. (1995): Sentencing – Basic Issues in the Federal Republic of Germany. Overcrowded Times 6/1, pp. 6 – 9. Albrecht, H.-J. (1995): The Production of Order and Penal Control: Theoretical Issues, Empirical Evidence and Research Trends in the Federal Republic of Germany, in: G. Robert (ed.), Research, Crime and Justice in Europe. Sheffield, pp. 209 – 232. Albrecht, H.-J. (1995): Drug Policies and National Plans to Combat Drug Trafficking and Drug Abuse. A Comparative Analysis of Policies of Co-ordination and Co-operation, in: G. Estievenart (ed.), Policies and Strategies to Combat Drugs in Europe. Dordrecht, pp. 182 – 196. Albrecht, H.-J. (1995): Ethnic minorities, culture conflicts and crime. Crime, Law and Social Change 24, pp. 19 – 36. Albrecht, H.-J. (1995): Environmental Crimes: Can the Courts Cope? in: G. Hanlon, J. Jackson & A. Atkinson (eds.), Judging and Decision Making. Sheffield, pp. 36 – 43. Albrecht, H.-J. (1995): Sentencing in the Federal Republic of Germany. Federal Sentencing Reporter 7/6, pp. 305 – 307. Albrecht, H.-J. (1994): Das gesetzliche Instrumentarium zur Bekämpfung der Rauschgiftkriminalität, in: R. Sauer & J. Singer (Hrsg.), Keine Macht den Drogen. München, S. 65 – 79. Albrecht, H.-J. (1994): Die Entwicklung des Züchtigungsrechts. Recht der Jugend und des Bildungswesens 42, S. 198 – 207. Albrecht, H.-J. (1994): Ist das Strafverfahren noch zu beschleunigen? Neue Justiz 9, S. 396 – 400. Albrecht, H.-J. (1994): Funktionen und Chancen einer „Kriminalpolitik von unten“ – Grundlagen und Perspektiven lokal organisierter Kriminalitätsprävention, in: Deutsche Bewährungshilfe e.V. (Hrsg.), DBH Materialien Nr. 24. Dokumentation des Themenschwerpunktes: Kriminalität im europäischen Entwicklungsprozess. Teil III. Bonn-Bad Godesberg, S. 65 – 75. Albrecht, H.-J. (1994): Kinderhandel – Eine Untersuchung zum (gewerblichen) Handel mit Kindern. Bonn. Albrecht, H.-J. (1994): Strafzumessung bei schwerer Kriminalität. Eine vergleichende theoretische und empirische Studie zur Herstellung und Darstellung des Strafmaßes. Berlin. Albrecht, H.-J. (1994): Sentencing and Disparity – A Comparative Study. European Journal on Criminal Policy and Research 2, pp. 98 – 104. Albrecht, H.-J. (1994): Environmental Criminal Laws and Environmental Crimes in Europe – Problems and Prospects. European Journal of Crime, Criminal Law and Criminal Justice 2, pp. 168 – 179. Albrecht, H.-J. & Kürzinger, J. (eds.) (1994): Kriminologie in Europa – Europäische Kriminologie? Criminology in Europe – European Criminology? Kolloquium aus Anlaß des 65. Ge-

Publikationsverzeichnis – List of Publications

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burtstags von Günther Kaiser, Colloquium in Honour of the 65th Birthday of Günther Kaiser. Kriminologische Forschungsberichte aus dem Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Strafrecht Vol. 71. Freiburg i.Br. Albrecht, H.-J. (1993): Drogenpolitik und Strafrecht – Entwicklungen und Tendenzen. Bewährungshilfe 40, S. 5 – 25. Albrecht, H.-J. (1993): Rechtsstaatliche Möglichkeiten der Vereinfachung des Strafverfahrens, in: A. Eser, G. Kaiser & E. Weigend (Hrsg.), Von totalitärem zu rechtsstaatlichem Strafrecht: kriminalpolitische Reformtendenzen im Strafrecht osteuropäischer Länder; internationales Symposium in Buchenbach bei Freiburg im Breisgau vom 27. – 31. Mai 1992. Beiträge und Materialien aus dem Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Strafrecht Vol. S 42. Freiburg i.Br., S. 557 – 578. Albrecht, H.-J. (1993): Tatumstandsirrtum und Verbotsirrtum: Gleichbehandlung trotz Differenzierung, in: Festschrift für Prof. Dr. Hae-Mock Sonn. Seoul, S. 209 – 224. Albrecht, H.-J. (1993): Europa 1992 – Konsequenzen (im Suchtbereich) aus strafrechtlicher Sicht. Suchtgefahren 39, S. 102 – 104. Albrecht, H.-J. (1993): Generalprävention, in: G. Kaiser, H.-J. Kerner, F. Sack & H. Schellhoss (Hrsg.), Kleines Kriminologisches Wörterbuch. 3. Aufl., Heidelberg, S. 301 – 312. Albrecht, H.-J. (1993): Kriminelle Karrieren, in: G. Kaiser, H.-J. Kerner, F. Sack & H. Schellhoss (Hrsg.), Kleines Kriminologisches Wörterbuch. 3. Aufl., Heidelberg, S. 555 – 566. Albrecht, H.-J. (1993): Kriminologie, in: G. Kaiser, H.-J. Kerner, F. Sack & H. Schellhoss (Hrsg.), Kleines Kriminologisches Wörterbuch. 3. Aufl., Heidelberg, S. 555 – 566. Albrecht, H.-J. (1993): Umweltkriminalität, in: G. Kaiser, H.-J. Kerner, F. Sack & H. Schellhoss (Hrsg.), Kleines Kriminologisches Wörterbuch. 3. Aufl., Heidelberg, S. 157 – 163. Albrecht, H.-J. (1993): Confiscation of the Proceeds of Drug Trafficking – A Comparative View on Different Models of Confiscation and Related Issues, in: Korean Institute of Criminology (ed.), Measures for the Deprivation of the Proceeds of Drug Trafficking. Seoul, pp. 81 – 101. Albrecht, H.-J. (1993): Confiscation of the Proceeds of Drug Trafficking – A Comparative View on Different Models of Confiscation and Related Issues, in: Korean Institute of Criminology (ed.), Measures for the Deprivation of the Proceeds of Drug Trafficking. Seoul, pp. 103 – 140 [in Korean language]. Albrecht, H.-J. (1993): Crime and Prevention Policy: The State of Knowledge in the Federal Republic of Germany, in: P. Robert (ed.), Crime and Prevention Policy: Research and Evaluation. Kriminologische Forschungsberichte aus dem Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Strafrecht Vol. 60. Freiburg i.Br., pp. 33 – 48. Albrecht, H.-J. (1993): Problemas Teoricos, Dades Empiriques y Orientación de la Recerca a l’RFA, in: P. Robert & L. van Outrive (eds.), Recerca, Delincuencia y Justicia a Europa. Avaluacio y Recomanación. Barcelona, pp. 297 – 326. Albrecht, H.-J. (1993): La production de l’ordre public et du contrôle pénal – Problèmes théoriques, données empiriques et orientations de la recherche en R.F.A, in: P. Robert & L. van Outrive (eds.), Crime et Justice en Europe. Etat des recherches, évaluations et recommandations. Paris, pp. 329 – 364.

1264

Publikationsverzeichnis – List of Publications

Albrecht, H.-J. (1992): Neuere Kommentare zum Jugendgerichtsgesetz. Recht der Jugend und des Bildungswesens 40, S. 158 – 164. Albrecht, H.-J. (1992): Gemeinde und Kriminalität – Perspektiven der kriminologischen Forschung, in: H. Kury (Hrsg.), Gesellschaftliche Umwälzung: Kriminalitätserfahrungen, Straffälligkeit und soziale Kontrolle – das Erste Deutsch-Deutsche Kriminologische Kolloquium. Kriminologische Forschungsberichte aus dem Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Strafrecht Vol. 54. Freiburg i.Br., S. 33 – 54. Albrecht, H.-J. (1992): Präventive Notwendigkeit jugendkriminalrechtlicher Interventionen – jenseits von Diversion und Täter-Opfer-Ausgleich, in: Bundesministerium der Justiz (Hrsg.), Grundfragen des Jugendkriminalrechts und seiner Neuregelung. Bonn, S. 254 – 269. Albrecht, H.-J. (1992): The Role of Administrative Agencies and the Judiciary in the Prevention and Suppression of Environmental Crimes, in: H.-J. Albrecht & S. Leppä (eds.), Criminal Law and the Environment. Helsinki, pp. 196 – 210. Albrecht, H.-J. (1992): Survey on Cooperation and Communication between Authorities in the Field of Controlling Harm to the Environment, in: H.-J. Albrecht & S. Leppä (eds.), Criminal Law and the Environment. Helsinki, pp. 228 – 249. Albrecht, H.-J. & Teske, R. (1992): Prosecution and Sentencing Patterns in the Federal Republic of Germany. International Criminal Justice Review 2, pp. 76 – 104. Albrecht, H.-J. (1992): La production de l’ordre public et du contrôle pénal – Problèmes théoriques, données empiriques et orientations de la recherche en R.F.A. Déviance et Société 16, pp. 87 – 111. Albrecht, H.-J. & Leppä, S. (eds.) (1992): Criminal Law and the Environment. Helsinki. Albrecht, H.-J. (1991): Gewalt gegen Kinder aus kriminologischer Sicht, in: Bayerisches Staatsministerium für Arbeit, Familie und Sozialordnung (Hrsg.), Gewalt gegen Kinder. Dokumentation. München, S. 67 – 98. Albrecht, H.-J. (1991): Voraussetzungen und Konsequenzen einer Entkriminalisierung im Drogenbereich, in: Institut für Konfliktforschung (Hrsg.), Entkriminalisierung im Drogenbereich? Köln, S. 1 – 38. Albrecht, H.-J. (1991): Strafungleichheit – notwendiges Element einer sich verändernden Strafpraxis oder Verletzung des Gerechtigkeitsgedankens? In: W. Greve (Hrsg.), Mehr Transparenz in der Strafjustiz. Loccumer Protokolle 3/1990. Loccum, S. 72 – 80. Albrecht, H.-J. (1991): Evaluating the Impact of Criminal Law: The Case of Environmental Statutes, in: G. Albrecht & H.-U. Otto (eds.), Social Prevention and the Social Sciences. Theoretical Controversies, Research Problems, and Evaluation Strategies. Berlin/New York, pp. 467 – 478. Albrecht, H.-J. (1991): Ethnic Minorities: Crime and Criminal Justice in Europe, in: F. Heidensohn & M. Farrell (eds.), Crime in Europe. London/New York, pp. 84 – 102. Albrecht, H.-J. & Arnold, H. (1991): Research on Victimization and Related Topics in the Federal Republic of Germany – A Selection of Research Problems and Results, in: G. Kaiser, H. Kury & H.-J. Albrecht (eds.), Victims and Criminal Justice: Victimological Research, Stocktaking and Prospects. Kriminologische Forschungsberichte aus dem Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Strafrecht Vol. 50. Freiburg i.Br., pp. 19 – 36.

Publikationsverzeichnis – List of Publications

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Albrecht, H.-J. (1991): Les politiques de prévention: Bilan des connaissances en République Fédérale d’Allemagne, in: P. Robert (ed.), Les politiques de prévention de la délinquance. A l’aune de la recherche. Paris, pp. 43 – 56. Albrecht, H.-J. (1991): La législation sur la drogue et son application en matière d’abus et de dépendance, in: Textes et Documents. 3èmes journées internationales des Maires contre la Drogue. Paris, pp. 39 – 49. Kaiser, G., Kury, H. & Albrecht, H.-J. (eds.) (1991): Victims and Criminal Justice: Victimological Research, Stocktaking and Prospects. Kriminologische Forschungsberichte aus dem Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Strafrecht Vol. 50. Freiburg i.Br. Kaiser, G., Kury, H. & Albrecht, H.-J. (eds.) (1991): Victims and Criminal Justice: Legal Protection, Restitution and Support. Kriminologische Forschungsberichte aus dem Max-PlanckInstitut für ausländisches und internationales Strafrecht Vol. 51. Freiburg i.Br. Kaiser, G., Kury, H. & Albrecht, H.-J. (eds.) (1991): Victims and Criminal Justice. Kriminologische Forschungsberichte aus dem Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Strafrecht Vol. 52.1. Freiburg i.Br. Kaiser, G., Kury, H. & Albrecht, H.-J. (eds.) (1991): Victims and Criminal Justice. Kriminologische Forschungsberichte aus dem Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Strafrecht Vol. 52.2. Freiburg i.Br. Albrecht, H.-J. (1990): Drogenpolitik in europäischen Metropolen – Ergebnisse einer Vergleichsstudie, in: Senatsverwaltung für Frauen, Jugend und Familie (Hrsg.), Dokumentation der Fachkonferenz: Drogenpolitik in den neunziger Jahren. Entkriminalisierung/Legalisierung von Drogen? Berlin, S. 4 – 14. Albrecht, H.-J. (1990): Die Gemeinnützige Arbeit im Strafrecht der Bundesrepublik Deutschland, in: Caritas Schweiz (Hrsg.), Gemeinnützige Arbeit – eine Alternative zur Freiheitsstrafe. Luzern, S. 47 – 54. Albrecht, H.-J. (1990): Gemeinnützige Arbeit – eine Alternative zur Freiheitsstrafe, in: Caritas Schweiz (Hrsg.), Gemeinnützige Arbeit – eine Alternative zur Freiheitsstrafe. Luzern, S. 67 – 76. Albrecht, H.-J. (1990): Braucht die Politik die Amnestie? Anmerkungen zum Problem der Amnestie aus der Perspektive der Rechtsentwicklung im Ausland, in: W. Greve (Hrsg.), Amnestie, Gnade, Politik. Loccumer Protokolle 62/1988. Loccum, S. 67 – 95. Albrecht, H.-J. (1990): Möglichkeiten und Grenzen des Umweltstrafrechts zur Erzwingung umweltverträglichen Verhaltens, in: Polizeiführungsakademie (Hrsg.), Umweltkriminalität. Münster, S. 169 – 188. Albrecht, H.-J. (1990): Kriminologische Perspektiven der Wiedergutmachung. Theoretische Ansätze und Empirische Befunde, in: A. Eser, G. Kaiser & K. Madlener (Hrsg.), Neue Wege der Wiedergutmachung im Strafrecht. Internationales strafrechtlich-kriminologisches Kolloquium in Freiburg i.Br. Beiträge und Materialien aus dem Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Strafrecht Vol. S 18. Freiburg, S. 43 – 72. Albrecht, H.-J. (1990): Das Jugendstrafverfahren gegenüber „Mehrfachauffälligen“, in: Deutsche Vereinigung für Jugendgerichte und Jugendgerichtshilfen e.V. (Hrsg.), Mehrfach Auffällige – Mehrfach Betroffene. Erlebnisweisen und Reaktionsformen. Bonn, S. 86 – 98.

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Publikationsverzeichnis – List of Publications

Albrecht, H.-J. (1990): Strafzumessung bei schwerer Kriminalität. Theoretische Konzeptionen und empirische Befunde. Zeitschrift für die gesamte Strafrechtswissenschaft 102, S. 596 – 626. Albrecht, H.-J. (1990): Die Suchtgiftgesetzgebung im internationalen Vergleich, in: C. Frank & G. Harrer (Hrsg.), Drogendelinquenz – Jugendstrafrechtsreform. Forensia-Jahrbuch 2. Berlin u. a., S. 69 – 87. Albrecht, H.-J. (1990): Fines in the Criminal Justice System, in: H.-J. Kerner & K. Sessar (eds.), Recent Developments in Crime and Crime Control Research. New York, pp. 150 – 169. Albrecht, H.-J. (1990): Un travail d’intérêt général comme peine de substitution aux peines privatives de liberté, in: Caritas Suisse (ed.), Un travail d’intérêt général, une peine nouvelle. Lucerne, pp. 41 – 56. Kaiser, G. & Albrecht, H.-J. (eds.) (1990): Crime and Criminal Policy in Europe: Proceedings of the II. European Colloquium. Kriminologische Forschungsberichte aus dem Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Strafrecht Vol. 43. Freiburg i.Br. Albrecht, H.-J. (1989): Die Entwicklung des Strafzumessungsrechts im internationalen Vergleich, in: W. Melnizky (ed.), Strafrecht, Strafprozessrecht und Kriminologie. Festschrift für Franz Pallin zum 80. Geburtstag. Wien, pp. 11 – 30. Pallin, F., Albrecht, H.-J. & Fehérváry, J. (1989): Strafe und Strafzumessung bei schwerer Kriminalität in Österreich. Kriminologische Forschungsberichte aus dem Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Strafrecht Vol. 37. Freiburg i.Br. Albrecht, H.-J. (1989): Drogen und Recht. Das Spannungsfeld zwischen Strafschärfung und Liberalisierung, in: SPD-Landesverband/SPD-Landtagsfraktion (Hrsg.), Suchtabhängigkeit – Herausforderung für das Leben. Stuttgart, S. 15 – 36. Albrecht, H.-J. (1989): Landesbericht Bundesrepublik Deutschland, in: J. Meyer, A. Dessecker & J.R. Smettan (Hrsg.), Gewinnabschöpfung bei Betäubungsmitteldelikten. BKA-Forschungsreihe, Sonderband. Wiesbaden, S. 25 – 84. Albrecht, H.-J. (1989): Sozialwissenschaftliche Forschung und die Entwicklung des Datenschutzrechts, in: H.R. Schneider, K.P. Schön & L. Pleus (Hrsg.), Der Bürger im Datennetz? Datenbedarf und Datenschutz in Sozialforschung, Sozialplanung und Praxisberatung. Bielefeld, S. 69 – 86. Albrecht, H.-J. (1989): Strafzumessung bei schwerer Kriminalität, in: C. Pfeiffer & M. Oswald (Hrsg.), Strafzumessung. Empirische Forschung und Strafrechtsdogmatik im Dialog. Stuttgart, S. 59 – 70. Albrecht, H.-J. (1989): Alkoholprävention im Betrieb. Probleme sozialer Kontrolle bei der Umsetzung von Alkoholpräventionsprogrammen, in: Hauptstelle gegen die Suchtgefahren (Hrsg.), Suchtprobleme am Arbeitsplatz. Hamm, S. 123 – 135. Albrecht, H.-J. (1989): Afrikanische Kriminologie. Forschungen zur Kriminalitätsentstehung und Kriminalitätskontrolle in schwarz-afrikanischen Staaten, in: K. Madlener (Hrsg.), Jahrbuch für Afrikanisches Recht. Band 6. Heidelberg/Karlsruhe, S. 103 – 118. Albrecht, H.-J. (1989): „Geldstrafe“, in: G. Ulsamer (Hrsg.), Lexikon des Rechts: Strafrecht, Strafverfahrensrecht. Neuwied, S. 329 – 334.

Publikationsverzeichnis – List of Publications

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Albrecht, H.-J. & Geissler, I. (1989): Tagungsbericht: Die Kriminologie und ihre Konzeptionen: Kriminalität als Herausforderung, Strategien der Bewältigung. Zeitschrift für die gesamte Strafrechtswissenschaft 101, Berlin, S. 771 – 787. Albrecht, H.-J. (1989): Ethnic Minorities, Crime and Public Policy, in: R. Hood (ed.), Crime and Public Policy in Europe. Oxford, pp. 174 – 181. Albrecht, H.-J. (1989): Comparative Research on Crime and Delinquency – The Role and Relevance of National Penal Codes and Criminal Justice Systems, in: M.W. Klein (ed.), Crossnational Research in Self-Reported Crime and Delinquency. Dordrecht et al., pp. 227 – 248. Albrecht, H.-J. (1989): Drug Policy in the Federal Republic of Germany, in: H.-J. Albrecht & A. van Kalmthout (eds.), Drug Policies in Western Europe. Kriminologische Forschungsberichte aus dem Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Strafrecht Vol. 41. Freiburg i.Br., pp. 175 – 194. Albrecht, H.-J. & van Kalmthout, A. (1989): Preface, in: H.-J. Albrecht & A. van Kalmthout (eds.), Drug Policies in Western Europe. Kriminologische Forschungsberichte aus dem Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Strafrecht Vol. 41. Freiburg i.Br., pp. 1 – 6. Albrecht, H.-J. & van Kalmthout, A. (1989): European Perspectives on Drug Policies, in: H.-J. Albrecht & A. van Kalmthout (eds.), Drug Policies in Western Europe. Kriminologische Forschungsberichte aus dem Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Strafrecht Vol. 41. Freiburg i.Br., pp. 425 – 473. Albrecht, H.-J. (1989): Las Sanciones en el Derecho Penal de Menores. Una Comparación de las Medidas Privativas de Libertad y no Privativas de Libertad bajo la Luz de la Investigación Criminologica. Cuadernos del Instituto de Investigaciones Juridicas 4, pp. 155 – 188. Albrecht, H.-J. (1988): Freie Straffälligenhilfe im internationalen Vergleich, in: Evangelische Akademie Bad Boll (Hrsg.), Straffälligenhilfe – Quo Vadis? Vol. 20. Bad Boll, S. 12 – 21. Albrecht, H.-J. (1988): Präventionsprogramme im Betrieb: Eine neue Form sozialer Kontrolle am Arbeitsplatz? Drogalkohol 12, S. 37 – 57. Albrecht, H.-J. (1988): Kriminell weil arbeitslos? Arbeitslos weil kriminell? Bewährungshilfe 35, S. 133 – 148. Albrecht, H.-J. (1988): Die Effizienz der Kriminalprävention aus wissenschaftlicher Sicht, in: Bundeskriminalamt (Hrsg.), Symposium: Der polizeiliche Erfolg. Wiesbaden, S. 159 – 172. Albrecht, H.-J. (1988): Zur Reform des Jugendstrafrechts in der Bundesrepublik Deutschland, in Österreich und in der Schweiz. Recht der Jugend und des Bildungswesens 36, S. 387 – 398. Albrecht, H.-J. (1988): Klausur „Ausländerkriminalität“, in: H. Jung (Hrsg.), Fälle zum Wahlfach Kriminologie, Jugendstrafrecht, Strafvollzug. JuS-Schriftenreihe. 2. Aufl., München, S. 183 – 204. Albrecht, H.-J. (1988): „Geldstrafe“, in: G. Ulsamer (Hrsg.), Ergänzbares Lexikon des Rechts. Gruppe 8: Strafrecht. 2. Bearbeitung, 8/580. Lieferung 33. S. 1 – 6. Albrecht, H.-J. & Schädler, W. (1988): Die gemeinnützige Arbeit auf dem Weg zur eigenständigen Sanktion? Zeitschrift für Rechtspolitik 21, S. 278 – 283. Albrecht, H.-J. (1988): Particular Difficulties in Enforcing the Law arising out of basic Conflicts Between the Different Agencies Regarding the Best Suited Reactions upon Highly Sensitive

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Publikationsverzeichnis – List of Publications

Kinds of Crime, in: Council of Europe (ed.), Interactions within the Criminal Justice System. Strasbourg, pp. 41 – 82. Albrecht, H.-J. & Moitra, S. (1988): Escalation and Specialization. A comparative analysis of patterns in criminal careers, in: G. Kaiser & I. Geissler (eds.), Crime and criminal justice: criminological research in the 2nd decade at the Max Planck Institute in Freiburg. Kriminologische Forschungsberichte aus dem Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Strafrecht Vol. 36. Freiburg i.Br., pp. 115 – 136. Albrecht, H.-J. (1988): Difficultés particulières qui découlent pour l’application du droit, de conflits fondamentaux entre les divers organes quant aux réactions les plus appropriées face à des sortes d’infractions très controverses, in: Conseil de l’Europe (ed.), Interactions au sein du système de justice pénale. Strasbourg, 45 – 90. Kaiser, G., Kury, H. & Albrecht, H.-J. (eds.) (1988): Criminological Research in the 80’s and Beyond. Reports from the Federal Republic of Germany, German Democratic Republic, Austria, Switzerland. Kriminologische Forschungsberichte aus dem Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Strafrecht Vol. 33. Freiburg i.Br. Kaiser, G., Kury, H. & Albrecht, H.-J. (Hrsg.) (1988): Kriminologische Forschung in den 80er Jahren. Berichte aus der Bundesrepublik Deutschland, der Deutschen Demokratischen Republik, Österreich und der Schweiz. Kriminologische Forschungsberichte aus dem MaxPlanck-Institut für ausländisches und internationales Strafrecht Vol. 34. Freiburg i.Br. Kaiser, G., Kury, H. & Albrecht, H.-J. (Hrsg.) (1988): Kriminologische Forschung in den 80er Jahren. Projektberichte aus der Bundesrepublik Deutschland. Kriminologische Forschungsberichte aus dem Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Strafrecht Vol. 35.1 u. 35.2. Freiburg i.Br. Albrecht, H.-J. (1987): Internationale Kooperation der Polizei, in: Strafverteidigervereinigung (Hrsg.), 10. Strafverteidigertag. Bremen, S. 192 – 207. Albrecht, H.-J. (1987): Der Streit um die Drogenpolitik – zu den Zusammenhängen zwischen Drogenproblemen und Drogenkontrolle, in: Deutsche Vereinigung für Jugendgerichte und Jugendgerichtshilfen (Hrsg.), 20. Deutscher Jugendgerichtstag. München, S. 419 – 434. Albrecht, H.-J. (1987): Landesbericht Deutschland, in: J. Meyer (Hrsg.), Betäubungsmittelstrafrecht in Westeuropa: eine rechtsvergleichende Untersuchung im Auftrag des Bundeskriminalamts; with an English comparative analysis. Beiträge und Materialien aus dem MaxPlanck-Institut für ausländisches und internationales Strafrecht Vol. S 5. Freiburg i.Br., S. 63 – 168. Albrecht, H.-J. (1987): Konzept und Supervision – Ihr Verhältnis bei gelungenen Alternativen in der Strafrechtspflege, in: N. Lippenmeier (Hrsg.), Was kann Supervision leisten? Kassel, S. 261 – 277. Albrecht, H.-J. (1987): Die sanfte Minderheit – Mädchen und Frauen als Straftäterinnen. Bewährungshilfe 34, S. 341 – 358. Albrecht, H.-J. (1987): Drogenpolitik und Drogenstrafrecht. Bewährungshilfe 34, S. 267 – 279. Albrecht, H.-J. (1987): Umweltkriminalität, in: K. Liebl (Hrsg.), Internationale Forschungsergebnisse auf dem Gebiet der Wirtschaftskriminalität. Pfaffenweiler, S. 16 – 27.

Publikationsverzeichnis – List of Publications

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Albrecht, H.-J. (1987): Formen der Arbeitsteilung und Kooperation zwischen Personen und Institutionen im Bereich sozialer Arbeit und Strafrecht. Bericht über das Forumsgespräch. Rundbrief Soziale Arbeit und Strafrecht 4, S. 14 – 15. Albrecht, H.-J. (1987): Umweltstrafrecht und Verwaltungsakzessorietät – Probleme und Folgen einer Verknüpfung verwaltungs- und strafrechtlicher Konzepte. Kriminalsoziologische Bibliographie 14, S. 1 – 22. Münder, J., Sack, F., Albrecht, H.-J & Plewig, H.-J. (1987): Jugendarbeitslosigkeit und Jugendkriminalität. Neuwied. Albrecht, H.-J. (1987): Ethnic minorities and the criminal justice system in the Federal Republic of Germany. Howard Journal of Criminal Justice 26, pp. 272 – 286. Albrecht, H.-J. (1987): Environmental Crimes, in: The National Center for Social and Criminological Research (ed.), The First Egyptian-German Colloquium on Criminal Law and Criminology. Cairo, pp. 31 – 64. Albrecht, H.-J. (1986): Theorie und Empirie in der kriminologischen Ausbildung, in: G. Löschper, G. Manken & F. Sack (Hrsg.), Kriminologie als selbständiges, interdisziplinäres Hochschulstudium. Pfaffenweiler, S. 233 – 247. Albrecht, H.-J. (1986): Datenschutz und Forschungsfreiheit. Computer und Recht 2, S. 92 – 100. Albrecht, H.-J. (1986): Strafrechtsvereinheitlichung in Europa – dargestellt anhand des Betäubungsmittelstrafrechts, in: Berliner Strafverteidiger e.V. (Hrsg.), 9. Strafverteidigertag. Berlin, S. 41 – 71. Albrecht, H.-J., Heine, G. & Meinberg, V. (1986): Umweltstrafrecht und Umweltkriminalität, in: M. Brusten, J.M. Häußling & P. Malinowski (Hrsg.), Kriminologie im Spannungsfeld von Kriminalpolitik und Kriminalpraxis. Stuttgart, S. 193 – 228. Albrecht, H.-J. (1986): Alternativen zur Jugendstrafe: kriminologische Befunde zum Vergleich freiheitsentziehender und ambulanter Sanktionen. Kriminologisches Bulletin 11, S. 47 – 76. Kaiser, G., Heinz, W., Albrecht, H.-J., Ortmann, R. & Spiess, G. (1986): Kohortenuntersuchungen – Anlage und methodische Probleme von Forschungen zur Kriminalitätsentwicklung und -entstehung, in: H. Kury (Hrsg.), Entwicklungstendenzen kriminologischer Forschung: Interdisziplinäre Wissenschaft zwischen Politik und Praxis. Köln u. a., S. 163 – 186. Albrecht, H.-J. (1986): Ansätze und Perspektiven für die Gemeinnützige Arbeit in der Strafrechtspflege, in: H.-J. Kerner & O. Kästner (Hrsg.), Gemeinnützige Arbeit in der Strafrechtspflege. Bonn, S. 60 – 86. Albrecht, H.-J. (1986): Jugendarbeitslosigkeit und Jugendkriminalität. Empirische Befunde zu den Beziehungen zwischen zwei sozialen Problemen, in: Arbeitsgemeinschaft für Jugendhilfe. Deutscher Bundesjugendring (Hrsg.), Jugendarbeitslosigkeit. Analyse, Maßnahmen, Konzepte. Ergänzungslieferung Nr. 5. S. 41 – 91. Albrecht, H.-J. (1986): Entwicklungstendenzen des Jugendkriminalrechts und stationäre Freiheitsentziehung bei jugendlichen Straftätern in den USA, in: F. Dünkel & K. Meyer (Hrsg.), Jugendstrafe und Jugendstrafvollzug. Stationäre Maßnahmen der Jugendkriminalrechtspflege im internationalen Vergleich. Teilband 2: Süd- und osteuropäische Länder sowie außereuropäische Staaten. Kriminologische Forschungsberichte aus dem Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Strafrecht Vol. 20/2. Freiburg i.Br., S. 1211 – 1306.

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Publikationsverzeichnis – List of Publications

Albrecht, H.-J. (1986): Schwangerschaftsabbruch – empirische Untersuchungen zur Implementation der strafrechtlichen Regulierung des Schwangerschaftsabbruchs, in: A. Eser, G. Kaiser & E. Weigend (Hrsg.), Zweites Deutsch-Polnisches Kolloquium über Strafrecht und Kriminologie. Baden-Baden, S. 195 – 223. Adam, H., Albrecht, H.-J. & Pfeiffer, C. (1986): Jugendrichter und Jugendstaatsanwälte in der Bundesrepublik Deutschland. Kriminologische Forschungsberichte aus dem Max-PlanckInstitut für ausländisches und internationales Strafrecht Vol. 24. Freiburg i.Br. Albrecht, H.-J., Wolff, R. & Strunk, P. (1986): Gewalt gegen Kinder. Das Phänomen der Kindesmißhandlung aus sozialpsychologischer, kriminologischer und jugendpsychiatrischer Sicht. Freiburg i.Br. Albrecht, H.-J. (1986): Kankyo hanzai to kankyo keiho (Umweltkriminalität und Umweltstrafrecht) (transl. K. Yamanaka). Hogaku Ronshu – The Law Review of Kansai University 36, pp. 171 – 192. Albrecht, H.-J. (1986): Criminal Law and Drug Control. International Journal of Comparative and Applied Criminal Justice 10, pp. 41 – 60. Albrecht, H.-J. (1986): Criminal Law and Drug Control – A Look at Western Europe, in: Proceedings of the 34th International Congress on Alcoholism and Drug Dependence. Calgary, Alberta, pp. 133 – 141. Albrecht, H.-J. & Schädler, W. (1986): The implementation of Community Service as an option for fine defaulters in the Federal Republic of Germany, in: H.-J. Albrecht & W. Schädler (eds.), Community Service, Gemeinnützige Arbeit, Dienstverlening, Travail d’Intérêt Général. A new option in punishing offenders in Europe. Kriminologische Forschungsberichte aus dem Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Strafrecht Vol. 25. Freiburg i.Br., pp. 173 – 195. Albrecht, H.-J. (1986): Przerwanie Ciazy: Badania Empiryczne Nad Stosowaniem Prawnokarrej Regulacyi Przerwania Ciazy. Wroclaw u. a., pp. 295 – 317. Albrecht, H.-J. & Schädler, W. (eds.) (1986): Community Service, Gemeinnützige Arbeit, Dienstverlening, Travail d’Intérêt Général. A new option in punishing offenders in Europe. Kriminologische Forschungsberichte aus dem Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Strafrecht Vol. 25. Freiburg i.Br. Albrecht, H.-J. (1985): Umweltkriminalität und Umweltstrafrecht. Aus Politik und Zeitgeschichte H. 11, S. 17 – 29. Albrecht, H.-J. (1985): Perspektiven der kriminologischen Forschung in der Bundesrepublik Deutschland, in: H. Kury (Hrsg.), Kriminologische Forschung in der Diskussion: Berichte, Standpunkte, Analysen. Köln u. a., S. 141 – 168. Albrecht, H.-J. (1985): Generalprävention, in: G. Kaiser, H.-J. Kerner, F. Sack & H. Schellhoss (Hrsg.), Kleines Kriminologisches Wörterbuch. 2. Aufl., Heidelberg, S. 132 – 139. Albrecht, H.-J. (1985): Umweltkriminalität, in: G. Kaiser, H.-J. Kerner, F. Sack & H. Schellhoss (Hrsg.), Kleines Kriminologisches Wörterbuch. 2. Aufl., Heidelberg, S. 495 – 502. Albrecht, H.-J. (1985): Geldstrafe, in: G. Ulsamer (Hrsg.), Ergänzbares Lexikon des Rechts. Gruppe 8: Strafrecht. 8/850. Lieferung 13. S. 1 – 5.

Publikationsverzeichnis – List of Publications

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Albrecht, H.-J. (1985): Gemeinnützige Arbeit – Ansätze und Perspektiven in der Strafrechtspflege. Bewährungshilfe 32, S. 121 – 134. Albrecht, H.-J. (1985): Alkohol und Kriminalität – theoretische Verknüpfungen und empirische Befunde. Bewährungshilfe 32, S. 345 – 357. Albrecht, H.-J. (1985): Umweltkriminalität: Zusammenhänge zwischen Umweltstrafrecht und offiziell registrierter Umweltkriminalität. Der Landkreis. Zeitschrift für kommunale Selbstverwaltung 55, S. 411 – 414. Albrecht, H.-J. & Sieber, U. (1985): Bericht über das 20. Kolloquium der Südwestdeutschen Kriminologischen Institute. Monatsschrift für Kriminologie und Strafrechtsreform 68, S. 244 – 248. Albrecht, H.-J. (1985): Alcohol and Crime, in: C.H. Rosero (ed.), Alcohol, Drogas y Criminalidad. Memorias del Trigesimo Quinto Curso Internacional de Criminologìa. Quito, pp. 161 – 181. Albrecht, H.-J. (1984): Diversion durch den Jugendstaatsanwalt – Bedingungen für eine erfolgreiche Anwendung des § 45 JGG, in: Deutsche Vereinigung für Jugendgerichte und Jugendgerichtshilfen (Hrsg.), Jugendstrafverfahren und Kriminalprävention. München, S. 151 – 166. Albrecht, H.-J. (1984): Kryminologiczne Aspekty Przestepcosci Powrotnej i Powrotu do Przestepstwa, in: J. Skupinsky (ed.), Problemy recydywy. Warschau, pp. 75 – 98. Albrecht, H.-J. (1984): Datenschutzrecht und sozialwissenschaftliche Forschung. Sozialwissenschaften und Berufspraxis 7, S. 5 – 21. Albrecht, H.-J. (1984): Die Kriminalitätsentwicklung in der Bundesrepublik Deutschland. Bewährungshilfe 31, S. 37 – 52. Albrecht, H.-J. (1984): Präventive Aspekte der Verfahrenseinstellung im Jugendstrafrecht, in: M. Walter & G. Koop (Hrsg.), Die Einstellung des Strafverfahrens im Jugendrecht. Vechta, S. 51 – 78. Albrecht, H.-J. (1984): Jugendarbeitslosigkeit und Jugendkriminalität. Kriminologisches Journal 16, S. 218 – 228. Albrecht, H.-J. (1984): Zur Lage des Strafvollzugs in Hessen. Stenographische Niederschrift über die 4. Sitzung des Rechtsausschusses. 7. Sitzung des Unterausschusses Justizvollzug zur Situation des Strafvollzuges in Hessen, 6. 9. 1984. Wiesbaden, S. 34 – 38. Albrecht, H.-J. (1984): Ambulante Straffälligenhilfe im internationalen Vergleich, in: B. Maelicke & H. Ortner (Hrsg.), Ambulante Straffälligenhilfe. Frankfurt, S. 15 – 48. Albrecht, H.-J., Egg, R. & Frey, H.-P. (1984): Bericht über das 8. und 9. Treffen kriminologischer Forschungsinstitute („Freiburg-Nürnberger Gespräche“). Monatsschrift für Kriminologie und Strafrechtsreform 67, S. 211 – 218. Albrecht, H.-J., Heine, G. & Meinberg, V. (1984): Umweltschutz durch Umweltstrafrecht? Zeitschrift für die gesamte Strafrechtswissenschaft 96, S. 943 – 998. Albrecht, H.-J. (1984): Role and Response of the Juvenile Justice System to Delinquency in the Federal Republic of Germany, in: ASPAC (ed.), Proceedings of the Third Asian-Pacific Conference on Juvenile Delinquency. Seoul, pp. 63 – 87.

1272

Publikationsverzeichnis – List of Publications

Albrecht, H.-J. (1984): General Prevention and Social Control. Annales UMCS, Sectio G: Ius, pp. 147 – 164. Albrecht, H.-J. (1984): Problems of Policing Ethnic Minorities in the Federal Republic of Germany, in: J. Brown (ed.), Policing and Social Policy. London, pp. 28 – 35. Albrecht, H.-J. (1984): Recidivism after Fines, Suspended Sentences, and Imprisonment. International Journal of Comparative and Applied Criminal Justice 8, pp. 199 – 208. Albrecht, H.-J. & Sieber, U. (Hrsg.) (1984): Zwanzig Jahre Südwestdeutsche Kriminologische Kolloquien. Kriminologische Forschungsberichte aus dem Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Strafrecht Vol. 18. Freiburg i.Br. Albrecht, H.-J. (1983): Jugendkriminalität im Spiegel neuerer kriminologischer Literatur. Zeitschrift für Pädagogik 25, S. 117 – 137. Albrecht, H.-J. (1983): Kriminologische Aspekte des Rückfalls und der Rückfallkriminalität, in: H.-H. Jescheck & G. Kaiser (Hrsg.), Erstes Deutsch-Polnisches Kolloquium über Strafrecht und Kriminologie. Baden-Baden, S. 101 – 131. Albrecht, H.-J. (1983): Jugendkriminalität als internationales soziales Problem, in: M. Brusten & P. Malinowski (Hrsg.), Jugend – ein soziales Problem? Opladen, S. 184 – 202. Albrecht, H.-J. (1983): Die Bewährungshilfe im Strafrecht der DDR. Bewährungshilfe 30, S. 283 – 291. Albrecht, H.-J. (1983): Strafrecht und Strafaussetzung zur Bewährung in der Volksrepublik China, in: F. Dünkel & G. Spieß (Hrsg.), Alternativen zur Freiheitsstrafe. Strafaussetzung zur Bewährung und Bewährungshilfe im internationalen Vergleich. Kriminologische Forschungsberichte aus dem Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Strafrecht Vol. 14. Freiburg i.Br., S. 332 – 352. Albrecht, H.-J. (1983): Gleichmäßigkeit und Ungleichmäßigkeit in der Strafzumessung, in: H.-J. Kerner, H. Kury & K. Sessar (Hrsg.), Deutsche Forschungen zur Kriminalitätsentstehung und Kriminalitätskontrolle. Band 2. Köln u. a., S. 1297 – 1332. Albrecht, H.-J. (1983): Probleme der Implementierung des Umweltstrafrechts. Monatsschrift für Kriminologie und Strafrechtsreform 66, S. 278 – 294. Albrecht, H.-J. (1982): Legalbewährung bei zu Geldstrafe und Freiheitsstrafe Verurteilten. Kriminologische Forschungsberichte aus dem Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Strafrecht Vol. 9. Freiburg i.Br. Albrecht, H.-J. (1982): The Fine in the German Penal Sanctioning System, in: Criminological Research Unit (ed.), Research in Criminal Justice – Stock-taking of Criminological Research at the Max Planck Institute for Foreign and International Penal Law after a Decade. Kriminologische Forschungsberichte aus dem Max-Planck-Institut für Ausländisches und Internationales Strafrecht Vol. 2. Freiburg i.Br., pp. 225 – 245. Albrecht, H.-J. (1982): Criminal Law and General Prevention, in: Criminological Research Unit (ed.), Research in Criminal Justice. Stock-taking of Criminological Research at the Max Planck Institute for Foreign and International Penal Law after a Decade. Kriminologische Forschungsberichte aus dem Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Strafrecht Vol. 2. Freiburg i.Br., pp. 286 – 307.

Publikationsverzeichnis – List of Publications

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Albrecht, H.-J. (1981): Kindesmißhandlung und strafrechtliche Sozialkontrolle. Zentralblatt für Jugendrecht und Jugendwohlfahrt 68, S. 4 – 10. Albrecht, H.-J. (1981): Struktur der Zumessung und Beitreibung von Geldstrafen in der Bundesrepublik Deutschland. Österreichische Juristen-Zeitung 36, S. 10 – 14. Albrecht, H.-J. (1981): Alternativen zur Freiheitsstrafe: Das Beispiel der Geldstrafe. Monatsschrift für Kriminologie und Strafrechtsreform 64, S. 265 – 278. Albrecht, H.-J. (1981): Bericht über das Kolloquium zum DFG-Schwerpunktprogramm „Empirische Sanktionsforschung – Genese und Wirkung von Sanktionsnormen und Sanktionen“. Monatsschrift für Kriminologie und Strafrechtsreform 64, S. 383 – 388. Albrecht, H.-J. & Dünkel, F. (1981): Die vergessene Minderheit – Alte Menschen als Straftäter. Zeitschrift für Gerontologie 14, S. 259 – 273. Albrecht, H.-J., Dünkel, F. & Spieß, G. (1981): Empirische Sanktionsforschung und die Begründbarkeit von Kriminalpolitik. Monatsschrift für Kriminologie und Strafrechtsreform 64, S. 310 – 326. Albrecht, H.-J. (1980): Literaturbericht: Kriminologie und Kriminalsoziologie des romanischen Sprachbereichs. Zeitschrift für die gesamte Strafrechtswissenschaft 92, S. 306 – 349. Albrecht, H.-J. (1980): Jugendstrafrecht – Kontrolle oder Hilfe? in: H. Wollenweber (Hrsg.), Kinderdelinquenz und Jugendkriminalität. Paderborn, S. 75 – 97. Albrecht, H.-J. (1980): Die generalpräventive Effizienz von strafrechtlichen Sanktionen, in: Forschungsgruppe Kriminologie (Hrsg.), Empirische Kriminologie. Ein Jahrzehnt kriminologischer Forschung am Max-Planck-Institut Freiburg i.Br.; Bestandsaufnahme und Ausblick. Kriminologische Forschungsberichte aus dem Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Strafrecht Vol. 1. Freiburg i.Br., S. 305 – 327. Albrecht, H.-J. (1980): Die Geldstrafe im System strafrechtlicher Sanktionierung – Prozesse der Strafzumessung und Beitreibung von Geldstrafen, sowie die Legalbewährung von zu Geldstrafe und Freiheitsstrafe Verurteilten, in: Forschungsgruppe Kriminologie (Hrsg.), Empirische Kriminologie. Ein Jahrzehnt kriminologischer Forschung am Max-Planck-Institut Freiburg i.Br. Bestandsaufnahme und Ausblick. Kriminologische Forschungsberichte aus dem Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Strafrecht Vol. 1. Freiburg i.Br., S. 242 – 263. Albrecht, H.-J. (1980): Die Geldstrafe als Mittel moderner Kriminalpolitik, in: H.-H. Jescheck & G. Kaiser (Hrsg.), Strafrechtsvergleichung und vergleichende Kriminologie. Berlin, S. 235 – 255. Albrecht, H.-J. (1980): Strafzumessung und Vollstreckung bei Geldstrafen. Berlin. Albrecht, H.-J. & Weigend, T. (1980): Über die wesentlichen strafrechtlichen Bestimmungen zum Schutz des Kindes in der Bundesrepublik Deutschland, in: Akademie der Staats- und Rechtswissenschaften der DDR (Hrsg.), Aktuelle Beiträge der Staats- und Rechtswissenschaft: Der strafrechtliche Schutz des Kindes. Band 1. Potsdam-Babelsberg, S. 56 – 65. Albrecht, H.-J. & Sieber, U. (1980): Evaluation von Behandlungsprogrammen im Strafvollzug und Wirtschaftsdelinquenz multinationaler Unternehmen. Monatsschrift für Kriminologie und Strafrechtsreform 63, S. 162 – 172.

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Publikationsverzeichnis – List of Publications

Albrecht, H.-J. & Johnson, E.H. (1980): Fines and Justice Administration: The Experience of the Federal Republic of Germany. International Journal of Comparative and Applied Criminal Justice 4, pp. 4 – 14. Albrecht, H.-J. & Villmow, B. (1979): Die Vergleichung als Methode der Strafrechtswissenschaft und der Kriminologie. Monatsschrift für Kriminologie und Strafrechtsreform 62, S. 163 – 170. Albrecht, H.-J. (1979): Alternatives to Incarceration, in: C.R. Dodge (ed.), A World Without Prison. Lexington, pp. 159 – 179. Albrecht, H.-J. (1978): Statistische Angaben über die Geldstrafe in der Bundesrepublik Deutschland, in: H.-H. Jescheck & G. Grebing (Hrsg.), Die Geldstrafe im deutschen und ausländischen Recht. Baden-Baden, S. 165 – 191. Albrecht, H.-J. (1978): Tagungsbericht. Bericht über das Colloquium „Die Erledigung von Wirtschaftsstrafsachen durch Staatsanwaltschaften und Gerichte“. Zeitschrift für die gesamte Strafrechtswissenschaft 89, S. 1088 – 1102. Albrecht, H.-J. & Fenn, R. (1978): Härtere Strafen und weniger Psychologie? Kriminalistik 32, S. 359 – 363. Albrecht, H.-J. & Villmow, B. (1978): Mehr Mut bei der deutschen kritischen Kriminologie. Kriminologisches Journal 10, S. 308 – 314. Albrecht, H.-J. (1978): Décriminalisation et politique criminelle. Rassegna di Studi. Quarderni H.1: Politique criminelle et droit pénal, pp. 120 – 135. Albrecht, H.-J., Kaiser, G. & Schöch, H. (1977): Antrag auf Einrichtung eines DFG-Schwerpunkts Empirische Sanktionsforschung – Verfahren, Vollzug, Wirkungen und Alternativen. Monatsschrift für Kriminologie und Strafrechtsreform 60, S. 41 – 50. Albrecht, H.-J. (1977): Diskussion über die Anträge auf Einrichtung eines neuen DFG-Schwerpunktes im Rahmen der Disziplinen Kriminologie und Kriminalsoziologie. Monatsschrift für Kriminologie und Strafrechtsreform 60, S. 185 – 186. Albrecht, H.-J. (1977): Tagungsbericht. Bericht über das Colloquium „Die Erledigung von Wirtschaftsstrafsachen durch Staatsanwaltschaften und Gerichte“. Zeitschrift für die gesamte Strafrechtswissenschaft 89, S. 1088 – 1102.

Autorinnen und Autoren – List of Authors Ambos, Kai, Prof. Dr. Dr. h.c., Georg-August-Universität Göttingen, Abteilung für ausländisches und internationales Strafrecht, Deutschland. Armborst, Andreas, Dr., bis 2020 Leiter des Nationalen Zentrums für Kriminalprävention, Bonn, Deutschland. Arnold, Harald, Dipl.-Psych., ehem. Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Strafrecht, Freiburg im Breisgau, Deutschland. Arnold, Jörg, Prof. Dr., Max-Planck-Institut zur Erforschung von Kriminalität, Sicherheit und Recht, Freiburg im Breisgau, Deutschland. Arroyo Zapatero, Luis, Prof. em., Dr. Dr. h.c. mult., Universidad Castilla-La Mancha, Instituto de Derecho Penal Europeo e Internacional, Ciudad Real, Spanien. Chaidou, Anthozoe, Prof. Dr., Panteion-Universität für Politik- und Sozialwissenschaften, Athen, Griechenland. De la Cuesta, José Luis, Prof. Dr. Dr. h.c., Universität des Baskenlandes und Baskisches Institut für Kriminologie, San Sebastián, Spanien. Derencˇ inovic´, Davor, Prof. Dr., Universität Zagreb, Rechtswissenschaftliche Fakultät, Zagreb, Kroatien. Dessecker, Axel, Prof. Dr., Georg-August-Universität Göttingen und Kriminologische Zentralstelle (KrimZ), Wiesbaden, Deutschland. Dölling, Dieter, Prof. Dr., Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg, Heidelberg, Deutschland. Dünkel, Frieder, Prof. em., Dr., Universität Greifswald, Rechts- und Staatswissenschaftliche Fakultät, Lehrstuhl für Kriminologie, Greifswald, Deutschland. Entorf, Horst († 2020), Prof. Dr., ehem. Goethe-Universität Frankfurt, Fachbereich Wirtschaftswissenschaften, Frankfurt am Main, Deutschland. Eser, Albin, Prof. em., Dr. Dr. h.c. mult., M.C.J., Max-Planck-Institut zur Erforschung von Kriminalität, Sicherheit und Recht, Freiburg im Breisgau, Deutschland. Feltes, Thomas, Prof. Dr., Ruhr-Universität Bochum, Deutschland. Fijnaut, Cyrille, Prof. em., Dr. Dr. h.c., Tilburg University, Tilburg, Niederlande. Frisch, Wolfgang, Prof. em., Dr. Dr. h.c. mult., Albert-Ludwigs-Universität Freiburg, Freiburg im Breisgau, Deutschland. Galain Palermo, Pablo, Prof. Dr., Universidad Andrés Bello, Santiago de Chile; Direktor, Observatorio Latinoamericano para la investigación en Política Criminal y en las reformas en el Derecho Penal (OLAP), Montevideo, Uruguay. Geissler-Frank, Isolde, Prof. Dr., Evangelische Hochschule Freiburg, Freiburg im Breisgau, Deutschland.

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Autorinnen und Autoren – List of Authors

Gerstner, Dominik, M.A., Max-Planck-Institut zur Erforschung von Kriminalität, Sicherheit und Recht, Freiburg im Breisgau, Deutschland. Getosˇ Kalac, Anna-Maria, Assoc. Prof. Dr., LL.M., Universität Zagreb, Rechtswissenschaftliche Fakultät, Zagreb, Kroatien. Glonti, Georgi, Prof. Dr., Grigol Robakidze Universität, Tiflis, Georgien. Görgen, Thomas, Univ.-Prof. Dr., Deutsche Hochschule der Polizei, Münster, Deutschland. Grundies, Volker, Dr., Max-Planck-Institut zur Erforschung von Kriminalität, Sicherheit und Recht, Freiburg im Breisgau, Deutschland. Gusy, Christoph, Prof. Dr., Universität Bielefeld, Fakultät für Rechtswissenschaft, Bielefeld, Deutschland. Haverkamp, Rita, Prof. Dr., Eberhard Karls Universität Tübingen, Stiftungsprofessur für Kriminalprävention und Risikomanagement, Tübingen, Deutschland. Hefendehl, Roland, Prof. Dr., Albert-Ludwigs-Universität Freiburg, Institut für Kriminologie und Wirtschaftsstrafrecht, Freiburg im Breisgau, Deutschland. Heinz, Wolfgang, Prof. em., Dr., Universität Konstanz, Deutschland. Hood, Roger († 2020), Prof. em., Dr., University of Oxford, Oxford Law Faculty, Centre for Criminology, and All Souls College, Oxford, Vereinigtes Königreich. Hustus, Ludmila, Ass. Jur., LL.M. Eur., Mag. rer. publ., Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg, Deutschland. Irk, Ferenc, Prof. em., Dr., National Institute of Criminology, Budapest, Ungarn. Kilchling, Michael, Dr., Max-Planck-Institut zur Erforschung von Kriminalität, Sicherheit und Recht, Freiburg im Breisgau, Deutschland. Killias, Martin, Prof. em., Dr. Dr. h.c., Universitäten Zürich und Lausanne, Schweiz. Kinzig, Jörg, Prof. Dr., Eberhard Karls Universität Tübingen, Institut für Kriminologie, Tübingen, Deutschland. Ko˝ lhalmi, László, Prof. Dr. habil., Universität Pécs, Rechtswissenschaftliche Fakultät, Abteilung für Kriminologie and Strafvollzug, Pécs, Ungarn. Korinek, László, Prof. em., Dr., D.Sc., Universität Pécs, Rechtswissenschaftliche Fakultät, Abteilung für Kriminologie and Strafvollzug, Pécs, Ungarn. Krebs, Jessica, M.A., Evangelische Hochschule Freiburg, Freiburg im Breisgau, Deutschland. Kreuzer, Arthur, Prof. em., Dr., Justus-Liebig-Universität Gießen, Deutschland. Kunz, Karl-Ludwig, Prof. em., Dr., Universität Bern, Schweiz. Kury, Helmut, Prof. i.R., Dr. Dr. h.c. mult., ehem. Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Strafrecht, Freiburg im Breisgau, Deutschland. Lambropoulou, Effi, Prof. Dr., Panteion-Universität für Politik- und Sozialwissenschaften, Athen, Griechenland. Levi, Michael, Prof. Dr., Cardiff University, Cardiff, Vereinigtes Königreich. Lichmann, Gabriele, B.Sc., Goethe-Universität Frankfurt am Main, Deutschland.

Autorinnen und Autoren – List of Authors

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Lin, Jing, Assoc. Prof. Dr., China University of Political Science and Law (CUPL), Institute of Evidence Law and Forensic Science, Beijing, V.R. China. Lukas, Tim, Dr., Akad. Rat, Bergische Universität Wuppertal, Deutschland. Naplava, Thomas, Prof. Dr., Hochschule für Polizei und öffentliche Verwaltung NRW, Abteilung Duisburg, Mülheim an der Ruhr, Deutschland. Nedopil, Norbert, Prof. em., Dr., Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie der Ludwig-Maximilians-Universität München, Deutschland. Nogala, Detlef, Dr., CEPOL – European Union Agency for Law Enforcement, Budapest, Ungarn. Obergfell-Fuchs, Joachim, Dr., Leiter Bildungszentrum Justizvollzug und Kriminologischer Dienst Baden-Württemberg, Stuttgart, Deutschland. Oberwittler, Dietrich, Prof. Dr., Max-Planck-Institut zur Erforschung von Kriminalität, Sicherheit und Recht, Freiburg im Breisgau, Deutschland. Palidda, Salvatore, Prof. em., Dr., Universität Genua, Italien. Perron, Walter, Prof. Dr. Dr. h.c., Albrecht-Ludwigs-Universität Freiburg, Institut für Strafrecht und Strafprozessrecht, Freiburg im Breisgau, Deutschland. Ping, Wang, Prof. Dr., China University of Political Science and Law (CUPL), Criminal Justice Institute, Beijing, V.R. China. Pitsela, Angelika, Prof. em., Dr., Aristoteles-Universität Thessaloniki, Rechtswissenschaftliche Fakultät, Thessaloniki, Griechenland. Reuband, Karl-Heinz, Prof. em., Dr., Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf, Deutschland. Schabas, William, Prof., LL.D. LL.D. h.c. mult., Middlesex University London, Department of Law, Vereinigtes Königreich. Sevenig, Eva, Dr., Deutsche Hochschule der Polizei, Münster, Deutschland. Sieber, Ulrich, Prof. em., Dr. Dr. h.c. mult., Direktor Emeritus, Max-Planck-Institut zur Erforschung von Kriminalität, Sicherheit und Recht, Freiburg im Breisgau, Deutschland. Spiess, Gerhard, Dipl.-Soz., Universität Konstanz, Fachbereich Rechtswissenschaft, Konstanz, Deutschland. Streng, Franz, Prof. em., Dr. Dr. h.c., Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg, Erlangen, Deutschland. Sutterer, Peter, Magister Artium (M.A.), Hochschullehrer, Hochschule für den Öffentlichen Dienst in Bayern, Fürstenfeldbruck, Deutschland. Terblanche, Stephan S., Prof., J.D., University of South Africa (UNISA), College of Law, Department of Criminal and Procedural Law, Pretoria, Südafrika. Tetal, Carina, Dr., Max-Planck-Institut zur Erforschung von Kriminalität, Sicherheit und Recht, Freiburg im Breisgau, Deutschland. Válková, Helena, Prof. JUDr., CSc., Justizministerin a.D., Philosophische Fakultät der KarlsUniversität und College of Entrepreneurship and Law, Prag, Tschechische Republik. Weigend, Thomas, Prof. em., Dr., Universität zu Köln, Deutschland.

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Autorinnen und Autoren – List of Authors

Winterdyk, John A., Prof. Dr., Mount Royal University, Faculty of Arts, Economics, Justice and Policy Studies, Calgary, Alberta, Kanada. Wittenberg, Jochen, Dr., Deutsche Hochschule der Polizei, Münster, Deutschland. Wössner, Gunda, Dr., Max-Planck-Institut zur Erforschung von Kriminalität, Sicherheit und Recht, Freiburg im Breisgau, Deutschland. Yenisey, Feridun, Prof. Dr., Bahçes¸ehir Universität Istanbul, Juristische Fakultät, Bes¸iktas¸/Istanbul, Türkei. Yue, Liling, Prof. Dr., China University of Political Science and Law (CUPL), Criminal Justice Institute, Beijing, V.R. China. Zhao, Shuhong, Assoc. Prof. Dr., Beijing Normal University, College for Criminal Law Science, Beijing, V.R. China.