Sozialer Dialog und Demokratieprinzip: Eine Untersuchung unter besonderer Berücksichtigung der legitimatorischen Kraft der Sozialpartner [1 ed.] 9783428513406, 9783428113408

Die vorliegende Dissertation entstand im Rahmen des Graduiertenkollegs "Die Zukunft des Europäischen Sozialmodells&

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Sozialer Dialog und Demokratieprinzip: Eine Untersuchung unter besonderer Berücksichtigung der legitimatorischen Kraft der Sozialpartner [1 ed.]
 9783428513406, 9783428113408

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Schriften zum Europäischen Recht Band 111

Sozialer Dialog und Demokratieprinzip Eine Untersuchung unter besonderer Berücksichtigung der legitimatorischen Kraft der Sozialpartner

Von Ursula Spieß

asdfghjk Duncker & Humblot · Berlin

Ursula Spieß Sozialer Dialog und Demokratieprinzip

Schriften zum Europäischen Recht Herausgegeben von

Siegfried Magiera und Detlef Merten

Band 111

Sozialer Dialog und Demokratieprinzip Eine Untersuchung unter besonderer Berücksichtigung der legitimatorischen Kraft der Sozialpartner

Von Ursula Spieß

asdfghjk Duncker & Humblot · Berlin

Gedruckt mit Unterstützung der Deutschen Forschungsgemeinschaft.

Die Juristische Fakultät der Georg-August-Universität zu Göttingen hat diese Arbeit im Sommersemester 2003 als Dissertation angenommen.

Bibliografische Information Der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar.

Alle Rechte vorbehalten # 2005 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Fremddatenübernahme und Druck: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 0937-6305 ISBN 3-428-11340-3 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier ∞ entsprechend ISO 9706 *

Internet: http://www.duncker-humblot.de

Vorwort Die Arbeit hat der Juristischen Fakultät der Georg-August-Universität zu Göttingen im Sommersemester 2003 als Dissertation vorgelegen. Sie ist für die Drucklegung an einigen Stellen geringfügig geändert worden. Rechtsprechung und Literatur wurden bis zu diesem Zeitpunkt berücksichtigt. Meinen herzlichen Dank möchte ich in erster Linie meinem Doktorvater Herrn Prof. Dr. Hansjörg Otto aussprechen. Er hat durch seine stete Bereitschaft zum intensiven fachlichen Gespräch und seine kontinuierlich engagierte Betreuung entscheidend zum Gelingen dieser Arbeit beigetragen. Herrn Prof. Dr. Hans Hugo Klein danke ich für die zügige Erstellung des Zweitgutachtens. Daneben gilt mein Dank Herrn Prof. Dr. Roland Schwarze, der mein Augenmerk auf die legitimatorische Betrachtung des Sozialen Dialogs lenkte. In Momenten des Zweifels hat er mir durch zahlreiche Anregungen und seine ständige Ansprechbarkeit Motivation und Mut gegeben. Ohne ihn wäre die Arbeit nicht in ihrer vorliegenden Form entstanden. Bedanken möchte ich mich bei Frau Annelie Kessler, die mir bezüglich aller organisatorischen Fragen im Zusammenhang mit der Dissertation eine große Hilfe war, des weiteren bei Frau Daniela Pottschmidt, die meine Arbeit kritisch Korrektur gelesen hat und immer ein offenes Ohr für meine Überlegungen hatte ebenso wie bei Frau Kira Gee und Frau Dr. Susanne Fracke. Zu danken habe ich auch der Deutschen Forschungsgemeinschaft für ein großzügiges Stipendium und einen Druckkostenzuschuß sowie dem Graduiertenkolleg „Die Zukunft des Europäischen Sozialmodells“ an der Georg-August-Universität zu Göttingen unter Leitung von Frau Prof. Dr. Ilona Ostner, das mir durch interessante Diskussionen einen Blick über den eigenen juristischen Tellerrand eröffnet hat. Schließlich gilt mein besonderer Dank meinen Eltern, die mich in vielfältiger Weise bei der Anfertigung der Doktorarbeit unterstützten, und meinem Freund Nikolai Luber, der jederzeit für mich da war und mir den nötigen Rückhalt gegeben hat. Ihnen ist diese Arbeit gewidmet. Berlin, im Frühjahr 2004

Ursula Spieß

Inhaltsverzeichnis 1. Teil

§1

§2

Einleitung

23

Normsetzung unter maßgeblicher Beteiligung der Sozialpartner . . . . . . . . . . . . . . . . .

23

I. Problemstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

23

II. Legitimatorische Bedeutung der Sozialpartner . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

26

III. Forschungsstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

27

IV. Gang der Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

30

Methode und Begrifflichkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

32

I. Auslegung des Gemeinschaftsrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

32

1. Gemeinschaftsrechtliche Auslegungsmethoden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

32

a) Grammatikalische Auslegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

32

b) Systematische Auslegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

33

c) (Subjektiv-)Historische Auslegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

34

d) Teleologische Auslegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

35

2. Allgemeine Rechtsgrundsätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

35

II. Begriff der Legitimation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

36

III. Sozialer Dialog und Europäisches Sozialmodell . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

38

2. Teil

§3

Art und Umfang der Normsetzung

40

Formeller Sozialer Dialog . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

41

I. Begriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

41

II. Ebenen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

42

8

§4

Inhaltsverzeichnis III. Geschichtliche Entwicklung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

44

1. Anfänge des Sozialen Dialogs unter dem EWGV . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

45

2. Institutionalisierung des Sozialen Dialogs im Gemeinschaftsrecht . . . . . . . .

48

a) Einheitliche Europäische Akte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

48

b) Gemeinschaftscharta der sozialen Grundrechte der Arbeitnehmer . . . . .

49

c) Maastrichter Vertrag und Abkommen über die Sozialpolitik . . . . . . . . . .

50

d) Problem der bisher zweigeteilten Rechtsgrundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . .

52

e) Amsterdamer Vertrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

53

f) Ausblick auf den Vertrag von Nizza . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

54

IV. Bisherige Vereinbarungen i.R.d. formellen Sozialen Dialogs . . . . . . . . . . . . . . . .

54

1. Rahmenvereinbarung über den Elternurlaub . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

55

a) Entstehungsgeschichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

55

b) Inhalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

56

2. Rahmenvereinbarung zur Teilzeitarbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

57

a) Entstehungsgeschichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

57

b) Inhalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

58

3. Rahmenvereinbarung zu den befristeten Arbeitsverträgen . . . . . . . . . . . . . . . .

58

a) Entstehungsgeschichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

59

b) Inhalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

59

4. Rahmenvereinbarung über Telearbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

60

a) Entstehungsgeschichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

60

b) Inhalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

61

V. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

62

Wirkung der Dialogergebnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

62

I. Verhältnis von vertraglichen Beziehungen und Vereinbarungen zueinander . .

63

II. Schuldrechtliche Wirkung – Verbindlichkeit ja oder nein? . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

64

III. Normative Wirkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

66

1. Dialogergebnisse als normative europäische Tarifverträge? . . . . . . . . . . . . . . .

66

2. Stellungnahme zur normativen Wirkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

68

3. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

70

IV. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

70

§5

§6

§7

Inhaltsverzeichnis

9

Regelungsinhalt der Dialogergebnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

71

I. Von der Kommission initiierter Sozialer Dialog, Art. 138 f. EGV . . . . . . . . . . . .

71

1. Bindung der Sozialpartner an den Kommissionsvorschlag . . . . . . . . . . . . . . . .

71

2. Exkurs zu den sozialpolitischen Gemeinschaftskompetenzen . . . . . . . . . . . . .

72

3. Umfang der sozialpolitischen Beteiligungsrechte der Sozialpartner . . . . . . .

74

4. Subsidiaritätsprinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

75

a) Anwendbarkeit auf die Art. 136 ff. EGV . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

76

b) Vertikales Subsidiaritätsprinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

77

c) Horizontales Subsidiaritätsprinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

78

5. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

79

II. Von den Sozialpartnern initiierter Sozialer Dialog, Art. 139 EGV . . . . . . . . . . .

79

1. Existenz, Inhalt und Umsetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

80

2. Subsidiaritätsprinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

82

3. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

82

III. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

82

Geltungsbereich der Dialogergebnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

83

I. Räumlicher Geltungsbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

83

II. Fachlicher Geltungsbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

84

III. Persönlicher Geltungsbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

84

IV. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

85

Umsetzung der Sozialpartnervereinbarungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

85

I. Anwendungsbereich der Umsetzungsalternativen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

86

II. Umsetzung auf nationaler Ebene nach Art. 139 Abs. 2 S. 1, 1. Alt. EGV . . . .

87

1. Nationale Verfahren und Gepflogenheiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

87

a) Der Sozialpartner . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

87

b) Der Mitgliedstaaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

89

2. Verhältnis von Tarifvertrag und Gesetz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

89

3. Umsetzungspflicht der Sozialpartner und der Mitgliedstaaten . . . . . . . . . . . .

90

4. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

92

10

Inhaltsverzeichnis III. Umsetzung auf europäischer Ebene nach Art. 139 Abs. 2 S. 1, 2. Alt. EGV . .

92

1. Voraussetzungen der Umsetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

93

2. Kreis der Betroffenen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

93

a) Rechtsnatur des Ratsbeschlusses zur Auswahl der Instrumente . . . . . . . .

94

b) Die Instrumente des Rates im einzelnen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Verordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Entscheidung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Richtlinie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

97 97 97 97

c) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

99

3. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 100 IV. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 100 §8

Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 100 3. Teil Demokratie- und Rechtsstaatsprinzip als Maßstab

§9

102

Rechtsebenen der Strukturprinzipien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 103

§ 10 Demokratieprinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 103 I. Aus völkerrechtlicher Sicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 103 II. Aus gemeinschaftsrechtlicher Sicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 104 1. Quelle des Demokratieprinzips im Gemeinschaftsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 104 2. Verankerung und erste Gestalt des Demokratieprinzips . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 105 a) Gemeinschaftsverträge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Gründungsverträge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Einheitliche Europäische Akte und Vertrag von Maastricht . . . . . . . cc) Vertrag von Amsterdam . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

105 105 107 107

b) Allgemeine Rechtsgrundsätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Anwendbarkeit neben den Gemeinschaftsverträgen . . . . . . . . . . . . . . bb) In der Rechtsprechung des EuGH . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) In der Rechtsprechung des EuG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

108 108 109 110

c) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 112 3. Ausprägungen des Demokratieprinzips . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 112 a) Volkssouveränität als Kern des Demokratieprinzips . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 113 aa) Geltung in den Mitgliedstaaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 113 bb) Ausprägung eines normativen Gehalts im Gemeinschaftsrecht . . . 115

Inhaltsverzeichnis cc) Volk und Souveränität als Vorbedingungen zur Verwirklichung demokratischer Legitimation auf der Gemeinschaftsebene . . . . . . . (1) Demokratische Legitimation nur durch ein Volk . . . . . . . . . . . . . . (2) Kritik an demokratischer Legitimation nur durch ein Volk . . . . (3) Demokratische Legitimation durch mehrere Völker oder Bürger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (4) Dogmatische Einordnung des Grundsatzes der Bürgersouveränität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (5) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . dd) Grundformen der Bürgersouveränität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Organisatorisch-personelle Legitimation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Sachlich-inhaltliche Legitimation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (3) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ee) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Parlamentarische Demokratie wie in den mitgliedstaatlichen Verfassungen? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Repräsentationsfunktion des Parlaments in den Mitgliedstaaten . . bb) Spezifische Stellung in der Gemeinschaftsrechtsordnung . . . . . . . . (1) Eignung des Europäischen Parlaments zur Vermittlung der Legitimation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (a) Grundsatz der Wahlrechtsgleichheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (b) Vorrechtliche Voraussetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (aa) Sozio-kulturelle Voraussetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (bb) Politisch-strukturelle Voraussetzungen . . . . . . . . . . . . . . (c) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Grenzen der Übertragbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (a) Abstraktes Verständnis des gemeinschaftsrechtlichen Prinzips . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (aa) Rückgriff auf die konkrete Gestalt der nationalen Verfassungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (bb) Rückgriff auf die Kernaussagen der nationalen Verfassungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (b) Strukturangepaßtes Verständnis des gemeinschaftsrechtlichen Prinzips . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

11

117 117 118 119 120 122 122 123 124 125 125 126 127 128 128 128 130 131 132 133 134 134 136 136 137 140

4. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 141 III. Aus grundgesetzlicher Sicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 141 1. Art. 20 Abs. 1, 2 GG als Beurteilungsgrundlage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 141 2. Art. 23 Abs. 1 S. 1 GG als Beurteilungsgrundlage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 142 3. These von der strukturellen Kongruenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 143 4. These von der Geltung eines strukturangepaßten Kerngehalts . . . . . . . . . . . . 145 5. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 146

12

Inhaltsverzeichnis

§ 11 Rechtsstaatsprinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 147 I. Einzelausprägungen in der Rechtsprechung des EuGH . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 147 1. Grundsatz der Gewaltenteilung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 149 2. Grundsatz der Gesetzmäßigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 150 II. Verhältnis von Rechtsstaats- und Demokratieprinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 150 § 12 Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 151

4. Teil Demokratische Legitimation der Akteure

153

§ 13 Legitimation des Europäischen Parlaments nur bei Beteiligung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 153 § 14 Legitimation des Ministerrats . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 154 I. Organisatorisch-personelle Legitimation des Rats . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 156 II. Sachlich-inhaltliche Legitimation der Ratsentscheidungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 156 1. Keine Verantwortlichkeit des Rates in seiner Gesamtheit . . . . . . . . . . . . . . . . . 157 2. Verantwortlichkeit der Ratsvertreter gegenüber den nationalen Parlamenten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 158 a) Rechtliche Grundlagen einer Kontrolle der nationalen Vertreter im Rat 158 b) Grenze der Legitimation wegen mangelnder Öffentlichkeit . . . . . . . . . . . 159 c) Teilweise Durchbrechung der Legitimation bei Mehrheitsentscheidungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 161 aa) Erfordernis der Legitimation durch Bürger aller Mitgliedstaaten 162 bb) Einflußnahme der Staatsbürger trotz Überstimmung . . . . . . . . . . . . . 163 3. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 164 § 15 Legitimation der Kommission . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 164 I. Organisatorisch-personelle Legitimation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 165 II. Sachlich-inhaltliche Legitimation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 165 § 16 Legitimation der Sozialpartner . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 166 I. Ausgangspunkt: Urteil des EuG v. 17. 06. 1998 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 166 1. Sozialpartner als Gesetzgeber und Parlamentssubstitut . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 167

Inhaltsverzeichnis

13

2. Repräsentativität als Legitimationsprinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 169 a) Doppelte Bedeutung der Repräsentativität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 169 b) Repräsentativität und Repräsentation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 170 c) Gesellschaftlich-demokratische versus staatlich-demokratische Legitimation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 172 II. Konsequenzen der Repräsentativität als Legitimationsprinzip . . . . . . . . . . . . . . . 173 1. Für das europäische Kollektivvertragsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 174 2. Für die mitgliedstaatlichen Tarifvertragsrechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 175 a) Konzeption der Bindung allein der Mitglieder . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 176 aa) In Deutschland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 176 bb) In Italien und Portugal . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 180 b) Konzeption der Bindung aller Arbeitnehmer u. a. in Frankreich . . . . . . . 180 c) Konzeption der allgemeinverbindlichen Wirkung vor allem in Spanien 183 d) Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 183 3. Für die Rolle und Auswahl der Sozialpartner . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 184 III. Erfordernis der demokratischen Legitimation der Sozialpartner . . . . . . . . . . . . . 184 1. Das Verhältnis von Sozialautonomie und Demokratieprinzip . . . . . . . . . . . . . 185 a) Verankerung der Sozialautonomie im Gemeinschaftsrecht . . . . . . . . . . . . 185 aa) Gemeinschaftsverträge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 187 bb) Völkerrechtliche Verträge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 188 cc) Gemeinsame Verfassungsüberlieferungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 189 b) Geltung des Demokratieprinzips . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 192 c) Ausnahmen von der Geltung des Demokratieprinzips . . . . . . . . . . . . . . . . . 194 d) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 195 2. Erfordernis der Legitimation jenseits der allgemeinen Ordnungsaufgabe 195 IV. Konstruktion einer Legitimation kraft Repräsentativität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 198 1. Als eigene Legitimation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 198 a) Organisatorisch-personelle als quasi staatlich-demokratische Legitimation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 199 b) Sachlich-inhaltliche als quasi staatlich-demokratische Legitimation . . . 200 aa) Beschaffenheit des Willens der Normunterworfenen . . . . . . . . . . . . . 202 bb) Grundsatz der Selbstbestimmung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 204 cc) Funktionsfähigkeit des Kollektivvertragssystems . . . . . . . . . . . . . . . . . 206 dd) Gerechtigkeitserwägungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 207 ee) Europäische Integration . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 209

14

Inhaltsverzeichnis ff) Virtuelle Repräsentation als Grundlage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 210 (1) Gleichheit der tatsächlichen Einzelinteressen . . . . . . . . . . . . . . . . 212 (2) Gleichheit der typisierten Interessen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 213 c) Abschließende Bewertung: Gleichwertigkeit der virtuellen Repräsentation? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 215 aa) Vereinbarkeit mit dem europäischen Primärrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . 215 bb) Vereinbarkeit mit dem Grundgesetz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 217 d) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 220 2. Als bloße Ergänzung einer fremden Legitimation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 221

§ 17 Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 222

5. Teil Schlußfolgerungen für das Verfahren

224

§ 18 Anforderungen an die Sozialpartner: Repräsentativität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 224 I. Kein Verzicht auf Auswahlkriterien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 225 II. Überblick über den Meinungsstand zur Repräsentativität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 227 1. Die Gemeinschaftsorgane und europäischen Sozialpartner . . . . . . . . . . . . . . . 227 2. Die Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 229 3. Das EuG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 231 III. Kritische Stellungnahme zu den Repräsentativitätskriterien . . . . . . . . . . . . . . . . . 232 1. Repräsentativität jedes einzelnen Sozialpartners . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 233 2. Keine definitorische Beschränkung auf UNICE, CEEP und EGB . . . . . . . . . 234 3. Fassung der Kriterien und Intensität der (gerichtlichen) Kontrolle . . . . . . . . 235 4. Unterschiedliche Anforderungen in der Anhörungs- und Verhandlungsphase . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 237 5. Branchenübergreifender Sozialer Dialog . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 238 a) Repräsentativitätskriterien für die Verhandlungsphase . . . . . . . . . . . . . . . . 238 aa) Quantitative Repräsentativitätskriterien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 241 (1) Hohe Mitgliederzahlen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 242 (2) Supranationale Struktur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 242 (3) Tariffähige Mitgliedsorganisationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 244 (4) Sonstige Voraussetzungen wie die Durchsetzungskraft, Dauerhaftigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 245

Inhaltsverzeichnis bb) Qualitative Repräsentativitätskriterien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Arbeitnehmer- oder Arbeitgeberorganisationen . . . . . . . . . . . . . . . (2) Zuständigkeit der Mitgliedsorganisationen für den Verhandlungsgegenstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (3) Mandat durch die nationalen Mitgliedsorganisationen . . . . . . . . (4) Sonstige Voraussetzungen wie Verhandlungswille, Art der Mitgliedschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

15 246 247 248 249 250 251

b) Gegenseitige Anerkennung der Sozialpartner i.R.d. Verhandlungsphase . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 252 c) Repräsentativitätskriterien für die Anhörungsphase . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 254 6. Die sonstigen Dialogebenen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 255 IV. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 256 § 19 Mitwirkung von Kommission und Rat bei der Umsetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 257 I. Ablehnungsrecht und Umsetzungspflicht von Kommission und Rat . . . . . . . . . 258 1. Kommission . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 258 a) Bestehen eines Ablehnungsrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 259 b) Umfang des Ablehnungsrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 260 2. Rat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 261 3. Nach Ablehnung einmalige Zurückverweisung an die Sozialpartner . . . . . . 263 4. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 264 II. Abänderungsrecht von Kommission und Rat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 264 1. Kommission . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 265 2. Rat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 266 3. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 269 III. Problem der faktischen Bindungswirkung der Sozialpartnervereinbarungen 269 IV. Bewertung der Mitwirkung von Kommission und Rat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 270 § 20 Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 271

16

Inhaltsverzeichnis 6. Teil Zusammenfassung und Schlußbetrachtung

273

§ 21 Zusammenfassung der wesentlichen Ergebnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 273 § 22 Schlußbetrachtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 278

Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 280

Sachwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 315

Abkürzungsverzeichnis a.A.

anderer Ansicht

AbkSozPol

Abkommen über die Sozialpolitik

ABl.

Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften

Abs.

Absatz

a.F.

alte Fassung

AiB

Arbeitsrecht im Betrieb

Alt.

Alternative

Anm.

Anmerkung

AöR

Archiv des öffentlichen Rechts

AR-Blattei SD

Arbeitsrecht-Blattei Systematische Darstellungen

ArbRdGw

Das Arbeitsrecht der Gegenwart

Art.

Artikel

AuA

Arbeit und Arbeitsrecht

Aufl.

Auflage

AuR

Arbeit und Recht

AVR

Archiv des Völkerrechts

BAG

Bundesarbeitsgericht

BB

Betriebs-Berater

BCLR

Bulletin of Comparative Labour Relations

Bd.

Band

BDA

Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände

ber.

berichtigt

BGBl.

Bundesgesetzblatt

Bl.

Blatt

BR-Drs.

Bundesratsdrucksache

BVerfG

Bundesverfassungsgericht

BVerfGE

Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts

bzw.

beziehungsweise

CDE

Cahiers de droit européen

CEC

Europäischer Dachverband der Führungskräfte

CEEP

Europäischer Zentralverband der öffentlichen Wirtschaft

CEI

Zentralverband der europäische Holzindustrie

2 Spieß

18

Abkürzungsverzeichnis

CES

Stellungnahme des Wirtschafts- und Sozialausschusses

CESI

Europäische Vereinigung der Unabhängigen Gewerkschaften

CGT

Confédération Générale du Travail [Frankreich]

CML Rev.

Common Market Law Review

COPA

Ausschuß der berufsständischen landwirtschaftlichen Organisationen der Europäischen Gemeinschaft

DB

Der Betrieb

ders.

derselbe

DGB

Deutscher Gewerkschaftsbund

d. h.

das heißt

dies.

dieselbe(n)

Diss.

Dissertation

DÖV

Die Öffentliche Verwaltung

DRdA

Das Recht der Arbeit

DVBl.

Deutsches Verwaltungsblatt

EAG

Europäische Atomgemeinschaft

EAGV

Vertrag zur Gründung der Europäischen Atomgemeinschaft

EAS

Europäisches Arbeits- und Sozialrecht

EEA

Einheitliche Europäische Akte

EG

Europäische Gemeinschaft(en)

EGB

Europäischer Gewerkschaftsbund

EGKS

Europäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl

EGKSV

Vertrag über die Gründung der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl

EGV

Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft

ehem.

ehemals

EIRR

European Industrial Relations Review

ELL

International Encyclopaedia for Labour Law and Industrial Relations

ELR

European Law Review

EMRK

Europäische Menschenrechtskonvention

endg.

endgültig

etc.

et cetera

EuG

Europäisches Gericht erster Instanz

EuGH

Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften (Europäischer Gerichtshof)

EuGRZ

Europäische Grundrechte Zeitschrift

EuR

Europarecht

EuroAS

Informationsdienst Europäisches Arbeits- und Sozialrecht

EUROCHAMBRES

Vereinigung der europäischen Industrie- und Handelskammern

Abkürzungsverzeichnis EUROCOMMERCE

Europäischer Verband des Handels

EUV

Vertrag über die Europäische Union

EuZW

Europäische Zeitschrift für Wirtschaftsrecht

EvStL

Evangelisches Staatslexikon

evtl.

eventuell

EWG

Europäische Wirtschaftsgemeinschaft

EWGV

Vertrag zur Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft

f.

folgend

ff.

fortfolgende

FAZ

Frankfurter Allgemeine Zeitung

Fn.

Fußnote

FS

Festschrift

gem.

gemäß

GG

Grundgesetz

ggf.

gegebenenfalls

GO

Geschäftsordnung

GS

Gedächtnisschrift

Halbbd.

Halbband

HandwO

Handwerksordnung

HBS

Hans-Böckler-Stiftung

Hdb

Handbuch

h.M.

herrschende Meinung

Hrsg.

Herausgeber

hrsg. v.

herausgegeben von

HS

Halbsatz

HStR

Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland

HzA

Handbuch zum Arbeitsrecht

i.d.R.

in der Regel

i.d.S.

in diesem Sinne

i.E.

im Ergebnis

19

i.e.S.

im engeren Sinne

IHK

Industrie- und Handelskammern

IJCLLIR

The International Journal of Comparative Labour Law and Industrial Relations

ILJ

The Industrial Law Journal

ILLR

International Labour Law Reports

ILO

Internationale Arbeitsorganisation

ILR

The Industrial Law Journal

2*

20

Abkürzungsverzeichnis

ILRev.

International Labour Review

infas

Informationen aus dem Arbeits- und Sozialrecht

i.R.d.

im Rahmen des / der

i. S. d.

im Sinne des

i.V.m.

in Verbindung mit

i.w.S.

im weiteren Sinne

JIR

Jahrbuch für Internationales Recht

JZ

Juristenzeitung

Kasseler Hdb

Kasseler Handbuch des Arbeitsrechts

KJ

Kritische Justiz

KOM

Dokumente der Europäischen Kommission

KritV

Kritische Vierteljahresschrift für Gesetzgebung und Rechtswissenschaft

lit.

litera

LRCT

Lei das relações colectivas de trabalho [Portugal]

m.E.

meines Erachtens

mind.

mindestens

MittAB

Mitteilungen aus der Arbeitsmarkt- und Berufsforschung

MünchArbR

Münchener Handbuch zum Arbeitsrecht

m. w. N.

mit weiteren Nachweisen

n.F.

neue Fassung

NJW

Neue Juristische Wochenschrift

N.N.

Nomen Nescio

Nr.

Nummer

NVwZ

Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht

NZA

Neue Zeitschrift für Arbeits- und Sozialrecht

NZS

Neue Zeitschrift für Sozialrecht

RdA

Recht der Arbeit

RiW

Recht der Internationalen Wirtschaft

Rs.

Rechtssache

S.

Seite / Satz

s.

siehe

SF

Sozialer Fortschritt

Slg.

Sammlung

s. o.

siehe oben

sog.

sogenannte / r / s

Sp.

Spalte

StGB

Strafgesetzbuch

Abkürzungsverzeichnis

21

str.

strittig

s. u.

siehe unten

TVG

Tarifvertragsgesetz

u. a.

unter anderem / n / , und andere

u.d.T.

unter dem Titel

UEAPME

Europäische Union des Handwerks und der Klein- und Mittelbetriebe

UNICE

Union der Industrie- und Arbeitgeberverbände Europas

Unterabs,

Unterabsatz

v.

von / vom

Var.

Variante

Verf.

Verfasser / Verfassung

VerfR

Verfassungsrecht

vgl.

vergleiche

VSSR

Vierteljahresschrift für Sozialrecht

VVDStRL

Veröffentlichungen der Vereinigung der Deutschen Staatsrechtslehrer

WSA

Wirtschafts- und Sozialausschuß

WSI

Wirtschafts- und Sozialwissenschaftliches Instituts in der HBS

ZaöRV

Zeitschrift für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht

z. B.

zum Beispiel

ZEUBBG

Gesetz über die Zusammenarbeit von Bundesregierung und Deutschem Bundestag in Angelegenheiten der Europäischen Union

ZEUBLG

Gesetz über die Zusammenarbeit von Bundesregierung und Ländern in Angelegenheiten der Europäischen Union

ZEuP

Zeitschrift für Europäisches Privatrecht

ZeuS

Zeitschrift für europarechtliche Studien

ZfA

Zeitschrift für Arbeitsrecht

ZfSH / SGB

Zeitschrift für Sozialhilfe und Sozialgesetzbuch

ZG

Zeitschrift für Gesetzgebung

ZHR

Zeitschrift für das gesamte Handelsrecht und Wirtschaftsrecht

ZIAS

Zeitschrift für ausländisches und internationales Arbeits- und Sozialrecht

Ziff.

Ziffer

zit.

zitiert

ZParl

Zeitschrift für Parlamentsfragen

ZRP

Zeitschrift für Rechtspolitik

ZTR

Zeitschrift für Tarif-, Arbeits- und Sozialrecht des öffentlichen Dienstes

1. Teil

Einleitung § 1 Normsetzung unter maßgeblicher Beteiligung der Sozialpartner I. Problemstellung Die Vorschriften über den Sozialen Dialog, die ursprünglich das Abkommen über die Sozialpolitik1 enthielt und dann der Amsterdamer Vertrag2 in den EGV integrierte, werteten die Bedeutung der Sozialpartner3 auf.4 Sie sehen vor, daß die Kommission die Sozialpartner zu allen sozialpolitischen Rechtsetzungsinitiativen anhört, die unter den Kompetenzkatalog des Art. 137 EGV5 fallen. Dieses Verfahren vollzieht sich in zwei Stufen: Zunächst befragt die Kommission die Sozialpartner zur möglichen Ausrichtung einer Gemeinschaftsmaßnahme (Art. 138 Abs. 2 EGV). Hält die Kommission eine Gemeinschaftsmaßnahme im Anschluß daran weiterhin für zweckmäßig, so befragt sie die Sozialpartner zur inhaltlichen Gestaltung (Art. 138 Abs. 3 EGV). Bei der zweiten Anhörung können die Sozial1 Das Abkommen zwischen den Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaft mit Ausnahme des Vereinigten Königreichs Großbritannien und Nordirland über die Sozialpolitik enthielt das Protokoll Nr. 14 über die Sozialpolitik. Dieses war wiederum dem Maastrichter Vertrag v. 07. 02. 1992 beigefügt; BGBl. 1992 II, S. 1253 ff. 2 Der Amsterdamer Vertrag v. 02. 10. 1997 – vgl. BGBl. 1998 II, S. 387 ff., ber. BGBl. 1999 II, S. 416 – änderte u. a. den EUV und den EGV. Diese Verträge sind in ihrer geänderten Fassung am 01. 05. 1999 in Kraft getreten. 3 In der Praxis setzen sich die Sozialpartner aus den europäischen Dachverbänden der nationalen Arbeitnehmer- und Arbeitgeberorganisationen zusammen. Zu der genauen Klärung des Sozialpartnerbegriffs vgl. 5. Teil § 18. 4 Der bereits abgeschlossene Nizzaer Vertrag v. 26. 02. 2001, der Ende 2002 von allen Mitgliedstaaten ratifiziert wurde und am 01. Februar 2003 in Kraft trat, sieht außer einer kleinen Formulierungsanpassung in Art. 139 Abs. 2 S. 2 EGV für die maßgeblichen Art. 138 f. EGV keine inhaltlichen Änderungen vor; vgl. http: // europa.eu.int / eur-lex / de /treaties / dat / nice_treaty_de.pdf oder ABl. C 80 v. 10. 03. 2001, S. 1 (18). 5 Die Abkürzungen EGV und EUV stehen für die Europäischen Verträge in der Amsterdamer Fassung. Der Zusatz „a.F.“ bezeichnet die Verträge zu Zeiten der Maastrichter Beschlüsse. Der Begriff EWGV wird wiederum benutzt, wenn im historischen Kontext auf den prä-Maastrichter Vertrag zur Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft verwiesen wird, den erst Art. G EUV a.F. in den Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft (EGV) umbenannte.

24

1. Teil: Einleitung

partner der Kommission mitteilen, daß sie eine eigene Vereinbarung zu dem vorgeschlagenen Thema aushandeln wollen (Art. 138 Abs. 4, Art. 139 Abs. 1 EGV). Die Kommission muß in diesem Fall ihre Arbeiten für die Verhandlungshöchstdauer von neun Monaten aussetzen.6 Schließen die Sozialpartner eine Vereinbarung, können sie diese entweder nach den jeweiligen Verfahren und Gepflogenheiten der Sozialpartner und der Mitgliedstaaten oder durch einen Beschluß des Rates auf Vorschlag der Kommission umsetzen lassen (Art. 139 Abs. 2 EGV). Gegenüber der Rechtslage vor Maastricht neu ist zum einen die Pflicht der Kommission, die Sozialpartner im Vorfeld der sozialpolitischen Gemeinschaftsmaßnahme zu konsultieren. Zum anderen gewähren die Regelungen den Sozialpartnern die Möglichkeit, einen von der Kommission geplanten Rechtsakt an sich zu ziehen und durch eine eigene Vereinbarung zu ersetzen. Diese kann dann durch einen Umsetzungsbeschluß des Ministerrates Gemeinschaftsrecht werden, also eine erga omnes Wirkung erlangen. Zwar ringen sich die Sozialpartner nur deshalb zu eigenen Verhandlungen durch, weil sie den Erlaß einer möglicherweise ungünstigeren Gemeinschaftsmaßnahme durch die Gemeinschaftsorgane verhindern wollen.7 Doch haben sie schon einige bedeutende Vereinbarungen geschlossen8 und damit Einfluß auf die nationale Gesetzgebung genommen. Erst kürzlich hat Bercusson9 wieder die Bedeutung des Sozialen Dialogs für die Entwicklung der europäischen Sozialpolitik unterstrichen. Auf die bisherigen sozialpolitischen Rechtsetzungsakte der Gemeinschaft haben die Sozialpartner einen maßgeblichen inhaltlichen Einfluß ausgeübt, da die beteiligten Gemeinschaftsorgane Kommission und Rat ihre Vereinbarungen stets unverändert durchgeführt haben. Die Sozialpartner nehmen faktisch die Funktion eines Gemeinschaftsgesetzgebers ein.10 Es ist daher auch nicht unwahrscheinlich, daß sie die Rechtsetzungsakte in Zukunft allein inhaltlich bestimmen werden. Vergleicht man den Sozialen Dialog mit den „klassischen“, d. h. mit den sonstigen im EGV geregelten Rechtsetzungsverfahren, fällt auf, daß das Europäische Parlament formal nicht an ihm beteiligt ist. Die Chance, diesen Zustand durch den Amsterdamer Vertrag zu ändern, verstrich ungenutzt. Zwar informiert die Kommission das Europäische Parlament auf freiwilliger Basis. Diese Unterrichtung ändert aber nichts an seinem fehlenden Mitsprache- oder Anhörungsrecht. Statt 6 Zu den Auslegungsproblemen in diesem Zusammenhang vgl. Piazolo, Sozialer Dialog, S. 109 ff. 7 Dieser Effekt wurde von Bercusson, European Labour Law, S. 540; ders., ILJ 1999, S. 153 (159); ders., Social Policy, S. 149 (173 f.), passend als „bargaining in the shadow of the law“ beschrieben. 8 Hierzu unter 2. Teil § 3 IV. 9 Die Äußerung nahm er anläßlich der EFJ Konferenz Soziale Gerechtigkeit in einer Welt der Freien v. 12. – 13. November 2000 in Brüssel vor; vgl. http: // www.ifj.org / publications / directline / archive / deutsch / decem99.html v. 28. 08. 2001. 10 So auch Höland, ZIAS 1995, S. 425 (426); Keller / Sörries, MittAB 1998, S. 715 (717); Whiteford, ELR 1998, S. 202 (210).

§ 1 Normsetzung unter maßgeblicher Beteiligung der Sozialpartner

25

dessen scheinen die Sozialpartner an die Stelle des Europäischen Parlaments zu treten.11 Diesen Eindruck bestärkt das EuG in einem unlängst erlassenen Urteil. Darin entschied es, daß die Sozialpartner die fehlende Beteiligung des Europäischen Parlaments ersetzen und der Gemeinschaftsmaßnahme die erforderliche demokratische Legitimation vermitteln können.12 Bei dieser Feststellung handelt es sich angesichts der konsequenten Argumentation des EuG um kein bloßes Versehen.13 Das ist der faktische, normative, systematische und judikative Befund. Da es sich bei den Sozialpartnern um Verbände und nicht um demokratisch legitimierte Staatsorgane handelt, ruft er zahlreiche Zweifel an der demokratischen Legitimation des Sozialen Dialogs insgesamt hervor.14 Um diese Zweifel auf ihre Berechtigung untersuchen zu können, geht die Arbeit folgenden Fragen nach: Welche Dimension des Sozialen Dialogs muß am ehesten am gemeinschaftsrechtlichen Demokratie- und Rechtsstaatsprinzip gemessen werden? Ist die Beteiligung des Europäischen Parlaments an dem Sozialen Dialog erforderlich? Müssen oder können die Sozialpartner das Europäische Parlament ersetzen, d. h. verfügen die Sozialpartner über ein dem Europäischen Parlament vergleichbares Legitimationspotential? Wenn ja, worauf beruht dieses Potential? Ist eine Auswahl der Sozialpartner zu treffen? Welche Anforderungen sind dabei ggf. an sie zu stellen? Sind die Gemeinschaftsorgane grundsätzlich zur Legitimation der Gemeinschaftsmaßnahme geeignet? Allgemeiner geht es aus der Sicht des Sekundärrechts um die Frage: Woraus schöpfen die durch den Sozialen Dialog gesetzten Gemeinschaftsmaßnahmen ihre demokratische Legitimation? Die übergeordnete Frage aus Sicht des Primärrechts lautet: Sind die Vorschriften über den Sozialen Dialog mit dem gemeinschaftsrechtlichen Demokratie- und Rechtsstaatsprinzip vereinbar bzw. wie sind sie auszulegen, damit sie mit den Prinzipien vereinbar sind? Der Focus liegt also auf zwei Ebenen: der primär- und der sekundärrechtlichen. Diese gehen fließend ineinander über, was folgende Überlegung verdeutlicht: Wäre das Europäische Parlament an dem Verfahren zu beteiligen und könnten die Sozialpartner es nicht ersetzen, blieben aber die Gemeinschaftsorgane auf eine rein formale Teilnahme beschränkt, wären nicht nur die vertraglichen Vorschriften, sondern auch die abgeschlossenen Rechtsetzungsakte unwirksam. Die aufgeworfenen Fragen liegen auf der Schnittstelle zwischen dem Europaund Arbeitsrecht. Sie fügen sich einerseits in die europarechtliche Debatte über die Vgl. Arnold, NZA 2002, S. 1261 ff.; Schwarze, EAS, B 8100 Rn. 54. EuG v. 17. 6. 1998, Rs. 135 / 96 – UEAPME / Rat –, Slg. II-1998, S. 2335 (2371), Rn. 89. Siehe hierzu auch unter 4. Teil § 16 I. 13 Andernfalls würde sich eine vertiefte Auseinandersetzung mit dem Urteil des EuG erübrigen. Wenig nachvollziehbar a.A. ist Schwarze, RdA 2001, S. 208 (211 Fn. 52). 14 Statt vieler Betten, ELR 1998, S. 20 (30 ff.); Britz / Schmidt, EuR 1999, S. 467 (468); Clever, ZfSH / SGB, S. 188 (190); Langenbucher, ZEuP 2002, S. 265 ff.; Wank, RdA 1995, S. 10 (20); Weiss, IJCLLIR 1992, S. 3 (13); ders., FS für Wiese, S. 633 (640). 11 12

26

1. Teil: Einleitung

demokratische Legitimation der Gemeinschaftsinstitutionen und ihrer Maßnahmen ein. Andererseits leisten sie einen Beitrag zur Klärung der Legitimationskraft der Sozialpartner. Könnten die Sozialpartner, wie vom EuG suggeriert, nicht nur ihre Mitglieder, sondern auch ihre Nichtmitglieder vertreten, hätte dies über den Sozialen Dialog hinaus eine weitreichende Signalwirkung für ein zukünftiges europäisches Kollektivvertragsrecht und die nationalen Koalitionsbegriffe. Die Klärung der Fragen ist Aufgabe der nachfolgenden Untersuchung.

II. Legitimatorische Bedeutung der Sozialpartner Einem Teil der unter § 1 I. aufgeworfenen Fragen liegt die Prämisse zugrunde, den Sozialpartnern würde eine legitimatorische Bedeutung zukommen. Dieser Teil hätte sich erledigt, wenn die Sozialpartner beispielsweise nur eine konsultatorische Funktion ausübten. Als Legitimationsfaktoren scheiden sie analog dem BVerfGUrteil über die demokratische Legitimation amtlichen Handelns aus, wenn ihr Handeln in Form von Vereinbarungsabschlüssen als „bloß vorbereitende und rein konsultative Tätigkeit(en)“ aus „dem Bereich des demokratisch zu legitimierenden Handelns“ auszugrenzen ist.15 Gegen eine legitimatorische Rolle der Sozialpartner ließe sich auch einwenden, insbesondere der Rat legitimiere die Vereinbarungen mit der Durchführung formell und materiell. Dieser Einwand antezipiert jedoch das Ergebnis. Genauso denkbar wäre, daß die Sozialpartner den Vereinbarungen die volle demokratische Legitimation verleihen und der Rat als bloßes Vollzugsorgan handelt.16 Das ist umso wahrscheinlicher, wenn man bedenkt, daß der Rat auf den Inhalt der Sozialpartnervereinbarungen bisher keinen nennenswerten Einfluß genommen hat. Ein weiteres Problem liegt darin, daß gerade die Rolle der Sozialpartner darüber mitbestimmen kann, wer auf welche Weise die Dialogergebnisse legitimiert. Im folgenden ist daher zu klären, ob sich dem Gemeinschaftsrecht Anhaltspunkte zur Untermauerung der Prämisse entnehmen lassen. Nicht aufschlußreich ist der Wortlaut der Art. 138 f. EGV. Während auf der einen Seite die Anhörung gem. Art. 138 Abs. 2, 3 EGV für eine bloß untergeordnete konsultatorische Rolle der Sozialpartner spricht, legt auf der anderen Seite die Durchführung der Sozialpartnervereinbarungen gem. Art. 139 Abs. 2 EGV eine starke legitimatorische Rolle nahe. Ein eindeutiges Bild ergeben erst die anderen Auslegungsmethoden. Die Systematik der Vertragsvorschriften weist auf eine eigenständige Legitimation der Sozialpartner hin. Vergleicht man den Sozialen Dialog mit den anderen 15 Das BVerfG grenzt in seinem Urteil v. 31. 10. 1990 – 2 BvF 3 / 89 –, BVerfGE 83, S. 60 (74), die bloß beratende von der mitentscheidenden Tätigkeit ab; erstmals BVerfG v. 15. 02. 1978 – 2 BvR 134, 268 / 76 –, BVerfGE 47, S. 253 (273 ff.). 16 Ähnlich Herdegen, Europarecht, Rn. 423, der die Funktionen des Rates zu der einer „Ratifikationsmaschine“ herabsinken sieht.

§ 1 Normsetzung unter maßgeblicher Beteiligung der Sozialpartner

27

gemeinschaftlichen Rechtsetzungsverfahren, scheinen die Sozialpartner nämlich an die Stelle des Europäischen Parlaments zu treten. Gleiches gilt für die Entstehungsgeschichte der Dialogvorschriften. An ihr ist bemerkenswert, daß die Mitgliedstaaten als die „Herren der Verträge“ den von den drei mächtigen Sozialpartnern UNICE, CEEP und EGB erarbeiteten Entwurf zur Fassung der Vorschriften unverändert in das Abkommen über die Sozialpolitik, die heutigen Art. 138 f. EGV übernommen haben.17 Zweifellos aber wollten die Sozialpartner sich ein Maximum an Bedeutung und Einfluß auf den Rechtsetzungsprozeß einräumen. Ihren Einfluß kann aber nur eine legitimatorische Rolle sichern. Das läßt auf einen entsprechenden Willen der historischen Vertragsgeber schließen. Versteht man die Mitgliedstaaten richtig, sollten die Sozialpartner einen inhaltlichen Einfluß über die Konsultation hinaus erhalten.18 Die teleologische Auslegung bestätigt diese Tendenz. Zwar läßt sich dem allgemeinen Vertragsziel der Sozialpolitik gem. Art. 2 i.V.m. 3 Abs. 1 lit. j EGV nichts über die Rolle der Sozialpartner entnehmen. Der Rückgriff auf den Zweck der konkreten Dialogvorschriften hilft aber weiter. Er liegt darin, die Autonomie der Sozialpartner wegen ihrer größeren Sachnähe zu den sozialpolitischen Regelungsinhalten des Sozialen Dialogs zu stärken. Das folgt aus dem geschichtlichen Entwicklungsgang des Sozialen Dialogs, der die Einflußmöglichkeiten der Sozialpartner kontinuierlich erweitert hat.19 Von der Autonomie ist es aber nur noch ein kleiner Schritt zu der eigenständigen Legitimation der Sozialpartner. Wie die legitimatorische Rolle genau beschaffen ist, bleibt im Verlauf der Arbeit zu untersuchen.20

III. Forschungsstand Das Interesse an dem Sozialen Dialog ist mit seiner Institutionalisierung in dem Abkommen über die Sozialpolitik zu Zeiten des Maastrichter Vertrages Anfang der 1990er Jahre entbrannt und seitdem nicht mehr abgerissen. Dieser Umstand hat zu einer fast unüberschaubaren Menge an Publikationen geführt, die stetig weiter wächst. Was gibt es also angesichts der alten Befürchtung, daß schon alles geschrieben wurde,21 Neues zu sagen? Bevor der Forschungsbeitrag der Dissertation herausgearbeitet wird, ist zunächst der Forschungsstand in seinen wesentlichen Zügen nachzuzeichnen. Mit dem Sozialen Dialog beschäftigen sich sowohl die Politik- als auch die Rechtswissenschaft innerhalb des Europa- und Arbeitsrechts. Aus Sicht der PoliSiehe hierzu 2. Teil § 3 III. und u. a. Bercusson, European Labour Law, S. 539. Ähnlich Konzen, EuZW 1995, S. 39 (46); Ojeda Avilés, IJCLLIR 1993, S. 279 (289); Sciarra, Liber amicorum Wedderburn, S. 189 (199); Weiss, IJCLLIR 1992, S. 3 (11). 19 s. u. 2. Teil § 3 III. 20 s. u. 4. Teil § 16. 21 Vgl. Birk, EuZW 1997, S. 453. 17 18

28

1. Teil: Einleitung

tikwissenschaft ist es von Interesse, das Potential des Sozialen Dialogs als korporatistisches22 Verfahren zur Gestaltung der gemeinschaftlichen Sozialpolitik auszuloten und seinen Erfolg zu bewerten.23 Entsprechend geht eine empirische Studie der Frage nach, ob der Soziale Dialog zu supranationalen Arbeitsbeziehungen führen und europäische industrielle Beziehungen ausbilden kann.24 Andere politologische Arbeiten untersuchen die Einflußmöglichkeiten der Sozialpartner auf die sozialpolitischen Entscheidungsprozesse der Gemeinschaft. Sie fragen dabei auch nach der demokratischen Legitimität der europäischen Sozialpolitik und dem sozialpartnerschaftlichen Beitrag hierzu.25 Der Legitimitätsbegriff ist hier allerdings ein anderer als in der juristischen Debatte.26 Er knüpft im wesentlichen an die soziale Akzeptanz der Entscheidungen durch die Unionsbürger an. Diese Art von Legitimität können u. a. deliberative27 Verfahren herstellen, die sich auf Aushandlungsprozesse stützen. Dazu wird auch der Soziale Dialog gezählt. Wie gleich noch deutlicher zu zeigen sein wird,28 unterscheiden sich die politologischen Herangehensweisen sehr von den juristischen. Sie bleiben in der vorliegenden Arbeit unberücksichtigt. Die Rechtswissenschaft focussiert wie zu erwarten die rechtlichen Probleme, die sich im Zusammenhang mit dem Sozialen Dialog stellen und zumeist mit der Auslegung der Verfahrensvorschriften einhergehen. Es existieren daher bereits zahlreiche Dissertationen29 und andere wissenschaftliche Abhandlungen30, die sich in 22 Korporatismus bedeutet Einbindung gesellschaftlicher Organisationen in die Politik und ihre Teilhabe an der Formulierung und Durchführung von staatlichen Entscheidungen. Er wird in Abgrenzung zu der katholischen Soziallehre und dem faschistischen Korporativismus auch als Neokorporatismus bezeichnet; vgl. Holtmann, Politik-Lexikon, S. 326, 413. Falkner, EU Social Policy, S. 41, hält den (Neo)Korporatismus auch auf der europäischen Ebene für möglich. 23 Optimistisch schätzen das Potential z. B. Hartenberger, Europäischer sozialer Dialog, S. 25 ff. m. w. N., 151 ff.; 206 ff., ein; pessimistisch dagegen Keller, Industrielle Beziehungen 1996, S. 207 (223); Sörries, Sozialer Dialog, S. 209; Streeck, FS für Scharpf, S. 101 (116 ff.). 24 Sörries, Sozialer Dialog, S. 13 ff., analysiert in seiner interdisziplinären Arbeit insbesondere die sektoralen Sozialen Dialoge der europäischen Bauwirtschaft, der europäischen Telekommunikation und des europäischen Hotel- und Gaststättengewerbes. 25 Vgl. insbesondere die noch nicht veröffentlichten Dissertationen von Wendler, Legitimität der Europäischen Union (Arbeitstitel), http: // www.gwdg.de / ~gkzes / dwendled.htm v. 23. 03. 2002, und Smismans, The legitimacy of social partners’ participation, http: // www.essex.ac.uk / ecpr / joint-sessions / grenoble / papers / ws5 / smismans.pdf v. 17. 04. 2001, als Auszug aus „Functional participation in European occupational health and safety policy: Democratic nightmare or additional source of legitimacy?“ (Arbeitstitel). 26 Vgl. oben § 2 II. 27 Zu der Deliberation, die auf die Diskursethik von Habermas zurückgeht, vgl. ReeseSchäfer, Politische Theorie, S. 11 ff. 28 Vgl. § 2 I. 29 Vgl. u. a. Gilles, Durchführung von Sozialpartnervereinbarungen, S. 25 ff.; Kampmeyer, Sozialpolitik, S. 82 ff.; Piazolo, Sozialer Dialog, S. 17 ff., die noch zwischen Rechtsproblemen unter dem Abkommen über die Sozialpolitik und dem Amsterdamer Vertrag differenzieren; Schildein, Sozialer Dialog, S. 1 ff.

§ 1 Normsetzung unter maßgeblicher Beteiligung der Sozialpartner

29

systematischer Art und Weise mit der Auslegung der Art. 138 f. EGV beschäftigen. Dabei erfolgt sie entweder zum Selbstzweck oder im Rahmen eines übergeordneten Zweckes. Als Beispiel für letzteres dient die Frage, inwieweit das Gemeinschaftsrecht überhaupt Instrumente zur Regelung von Arbeitsbedingungen zur Verfügung stellt.31 Eine andere Frage betrifft die Möglichkeit zum Abschluß europäischer Kollektivverträge, wobei die Vorschriften über den Sozialen Dialog als mögliche Rechtsgrundlagen in Betracht kommen.32 Die Europäisierung der Tarifbeziehungen33 bietet also einen naheliegenden Kontext für die Behandlung des Sozialen Dialogs. Daneben sind aber auch andere denkbar.34 In den genannten Arbeiten tauchen Fragen und Probleme hinsichtlich der Legitimation des Sozialen Dialogs und der Sozialpartnerbeteiligung zwar vereinzelt auf. Sie werden in der Regel aber nur am Rande erwähnt und sehr knapp abgehandelt.35 Ihnen fehlt ein konkreter Maßstab wie das Demokratieprinzip, an dem sie ihre Beurteilung ausrichten. Ausnahmsweise gehen Untersuchungen in ihrem Schwerpunkt auf legitimatorische Fragestellungen wie die demokratische Legitimation der gemeinschaftlichen Rechtsetzungsakte und die legitimatorische Bedeutung der Sozialpartner ein.36 Ihre Ausführungen etwa zu dem Maßstab des gemeinschaftsrechtlichen 30 Vgl. die europarechtlichen Kommentierungen von Lenz-Coen, EGV, 2. Aufl. 1999, Art. 138 f.; Geiger, EGV, Art. 138 f.; Calliess / Ruffert-Krebber, EUV / EGV, Art. 138 f.; Schwarze-Rebhahn, Kommentar, Art. 138 f. Von den zahlreichen Aufsätzen seien beispielsweise genannt Birk, EuZW 1997, S. 453 ff.; Blank, FS für Gnade, S. 649 ff.; Buchner, RdA 1993, S. 193 (199 ff.); Guéry, ILR 1992, S. 581 ff.; Heinze, ZfA 1997, S. 505 ff.; Höland, ZIAS 1995, S. 425 ff.; Pitschas / Peters, VSSR 1996, S. 21 (31 ff.); Wank, RdA 1995, S. 10 (18 ff.); Weiss, IJCLLIR 1992, S. 3 (10 ff.); ders., FS für Kissel, S. 1253 ff.; Wisskirchen, FS für Arbeitsgerichtsverband, S. 653 ff. 31 Bödding, Sozialpartner, S. 15 ff. 32 Deinert, Europäischer Kollektivvertrag, S. 27 ff., der auf den Sozialen Dialog insbesondere ab S. 186 ff. eingeht. Körtgen, Europäische Tarifverträge, S. 1 ff., untersucht vergleichbar die Zulässigkeit europäischer Kollektivverträge; Schmidt, Befugnisse der Sozialpartner, S. 165 ff. 33 Vgl. Schnorr, DRdA 1994, S. 193 ff.; Schwarze, EAS, B 8100 Rn. 1 ff.; Weiss, FS für Kissel, S. 1253 ff. 34 Reichel, Kompetenzabgrenzung, S. 53 ff., 111 ff., untersucht den Sozialen Dialog im Rahmen der Abgrenzung der sozialpolitischen und insbesondere arbeitsrechtlichen Kompetenzen der Gemeinschaft und der Mitgliedstaaten. Balze, Sozialpolitische Kompetenzen, S. 267 ff., geht auf den Sozialen Dialog nebenbei bei der Bestimmung der sozialpolitischen Kompetenzen der Gemeinschaft von 1957 bis 1994 ein; ähnlich Kliemann, Europäische Sozialintegration, S. 117 ff. 35 Vgl. Bercusson, ILJ 1999, S. 153 ff.; Gilles, Durchführung der Sozialpartnervereinbarungen, S. 111, 115 f.; Piazolo, Sozialer Dialog, S. 163 ff., die eine rechtspolitische Sicht einnehmen; Pitschas / Peters, VSSR 1996, S. 21 (34); Schwarze, EAS, B 8100 Rn. 46, 84; Weiss, IJCLLIR 1992, S. 3 (13). Deinert, Europäischer Tarifvertrag, S. 206, bemerkt: „Es verbleibt dann die Frage, inwieweit die Gemeinschaftsrechtsetzung überhaupt hinreichend demokratisch legitimiert ist. Sie kann im Rahmen vorliegender Abhandlung nicht untersucht werden.“

30

1. Teil: Einleitung

Demokratieprinzips oder der Legitimationskraft der Sozialpartner bleiben oft jedoch im Ansatz stecken.37 Zum Teil werfen sie mehr Fragen auf als sie zu beantworten vermögen.38 Im übrigen handelt es sich bei ihnen um Aufsätze. Sie können das komplexe Thema schon aufgrund ihres begrenzten Umfanges nicht umfassend und erschöpfend erörtern. Sie geben vielmehr das Diskussionsmaterial ab, mit dem sich die vorliegende Dissertation auseinanderzusetzen hat. Die vorliegende Arbeit wählt erstmals das gemeinschaftsrechtliche Demokratieund Rechtsstaatsprinzip als Ausgangspunkte und unternimmt vor diesem Hintergrund eine umfassende wertende Betrachtung des Sozialen Dialogs. Damit stellt sie die legitimatorischen Fragen in einen größeren Zusammenhang, wobei sie europa- und arbeitsrechtliche Fragen miteinander verknüpft. Gleichzeitig leistet sie einen grundsätzlichen Beitrag zu der Demokratiedebatte und zur Klärung der sozialpartnerschaftlichen Legitimationsfunktion auf Europaebene.

IV. Gang der Untersuchung Die im Rahmen der Problemstellung aufgeführten Fragen zeichnen den Gang der Untersuchung vor. Dem wertenden Blick auf den Sozialen Dialog folgend, gliedert sich die Arbeit in vier aufeinander aufbauende Hauptteile: Der Einleitung schließt sich in einem deskriptiven zweiten Teil die Darstellung der Art und des Umfangs der Normsetzung durch den Sozialen Dialog an. Neben der Klärung allgemeiner Grundlagen des Verfahrens geht es dabei in erster Linie darum, den Untersuchungsgegenstand herauszukristallisieren. Dabei ist die Variante des Sozialen Dialogs herauszufiltern, auf die das Demokratie- und das Rechtsstaatsprinzip am ehesten angewendet werden müssen. Die Prinzipien begrenzen nämlich nur die hoheitliche Normsetzung. Die Untersuchung wendet sich zunächst zum Zweck der begrifflichen Klarstellung dem formellen Sozialen Dialogs zu (§ 3). Da der Begriff des Sozialen Dialogs vielfältig verwendet wird, muß eine Festlegung und Konkretisierung erfolgen. Im Anschluß daran sind die Wirkung (§ 4), die Regelungsinhalte (§ 5) und der Geltungsbereich (§ 6) der Dialogergebnisse herauszuarbeiten, bevor auf die verschiedenen Umsetzungsmechanismen (§ 7) eingegangen wird. Den zweiten Teil beschließt eine Zusammenfassung der gewonnenen Ergebnisse (§ 8). Der dritte Teil widmet sich der Herausarbeitung des Demokratie- und Rechtsstaatsprinzips als Maßstab. Ein Maßstab ist erforderlich, um die demokratische 36 Arnold, NZA 2002, S. 1261 ff.; Betten, ELR 1998, S. 20 (30 ff.); Dederer, RdA 2000, S. 216 ff.; Langenbucher, ZEuP 2002, S. 265 ff., und besonders erwähnenswert Britz / Schmidt, EuR 1999, S. 467 ff.; Schwarze, RdA 2001, S. 208 ff. 37 Vgl. Arnold, NZA 2002, S. 1261 (1265 ff.); Dederer, RdA 2000, S. 216 (217 f., 220 f.); Langenbucher, ZEuP 2002, S. 265 (275 ff.). 38 Das gilt insbesondere für Betten, ELR 1998, S. 20 (30 ff.).

§ 1 Normsetzung unter maßgeblicher Beteiligung der Sozialpartner

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Legitimation der Akteure und schließlich des Verfahrens selbst beurteilen zu können. Konkret steht im Zusammenhang mit dem Demokratieprinzip die Frage im Vordergrund, ob die Beteiligung des Europäischen Parlaments an allen Rechtsetzungsakten zwingend erforderlich ist und die Sozialpartner es entsprechend substituieren müssen oder können. Der Teil setzt sich folglich neben der Untersuchung, welche Rechtsebenen für die Gewinnung der Prinzipien maßgeblich sind (§ 9), aus den Abschnitten: Demokratie- (§ 10) und Rechtsstaatsprinzip (§ 11) zusammen. Jeder der Abschnitte geht der Verankerung und dem Inhalt eines Prinzips auf der Gemeinschaftsebene nach. Auf sie kommt es an, weil vorliegend der europäische Soziale Dialog im Mittelpunkt des Interesses steht. Hinsichtlich des Inhalts des Demokratieprinzips ist zum einen mangels Existenz eines europäischen Volkes die Ausformung der Volkssouveränität und zum anderen die Geltung des Grundsatzes von der Parlamentsdemokratie problematisch. Auch dieser Teil schließt mit einer Zusammenfassung der Ergebnisse (§ 12). Damit ist der Maßstab gefunden. Zu klären bleibt in dem anschließenden vierten Teil die demokratische Legitimation der Akteure. Die Überlegungen sind bedeutsam, um die legitimatorische Grundlage der Rechtsetzungsakte zu erhellen, d. h. die Frage, wer in welcher Form zu ihr beiträgt. Da das Europäische Parlament nicht formal an dem Verfahren beteiligt ist (§ 13), konzentriert sich die Studie auf die Legitimation des Rates (§ 14), der Kommission (§ 15) sowie der Sozialpartner (§ 16). Der Schwerpunkt liegt auf der Legitimation der Sozialpartner. Selbst wenn sie das Europäische Parlament nicht ersetzen müßten, ist die Analyse ihrer Legitimationskraft wesentlich. Von ihr hängen nämlich die Auslegung der Verfahrensvorschriften, d. h. die Anforderungen an die Sozialpartner und das Verhältnis von Gemeinschaftsorganen und Sozialpartnern ab. Den Kern der Untersuchung der sozialpartnerschaftlichen Legitimation bildet das von dem EuG entworfene Legitimationsprinzip kraft Repräsentativität. Ausgehend von der Vorstellung des Gerichts werden seine Grundlagen analysiert und bewertet. Problematisch ist, ob die Sozialpartner auch zur Normsetzung gegenüber nicht- oder andersorganisierten Arbeitnehmern und Arbeitgebern berechtigt sind. Es fügt sich eine Zusammenfassung der Ergebnisse (§ 17) an. In dem fünften Teil werden Schlußfolgerungen aus dem bisher Geprüften für das Verfahren und seine Legitimation gezogen. Diese betreffen die „richtige“ Auslegung der Verfahrensvorschriften. Es sind dabei allerdings nur solche Fragen zu klären, auf die sich die Legitimation der Sozialpartner auswirkt. Zu ihnen zählen zum einen die Repräsentativitätsanforderungen, die an die Sozialpartner zu stellen sind (§ 18). Zum anderen ist die Sozialpartnerlegitimation für die Mitwirkung der Gemeinschaftsorgane bei der Umsetzung der Sozialpartnervereinbarungen (§ 19), also das Verhältnis der Akteure zueinander relevant. Hier wird sich zeigen, ob die Gemeinschaftsorgane de jure auf eine rein formale Rolle beschränkt sind oder den Rechtsakten zudem die materielle Legitimation vermitteln müssen. Schließlich soll eine endgültige Antwort auf die Ausgangsfragen gegeben werden. Die Ergebnisse werden auch hier zusammengefaßt (§ 20).

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1. Teil: Einleitung

Die Untersuchung endet in einem sechsten Teil mit einer Zusammenfassung der wichtigsten Ergebnisse (§ 21) und einer Schlußbetrachtung (§ 22). Bevor die inhaltliche Arbeit beginnen kann, sind vorab die Methode und einige Begrifflichkeiten zu klären.

§ 2 Methode und Begrifflichkeiten I. Auslegung des Gemeinschaftsrechts Für die vorliegende Arbeit von besonderer Bedeutung ist die Auslegung der Vorschriften über den Sozialen Dialog, also des primären Gemeinschaftsrechts. Da es sich hierbei um supranationale Regelungen handelt, kann der aus dem nationalen Kontext bekannte Kanon der Auslegungsmethoden nicht ungeprüft übertragen werden. Dogmatisch steht die Auslegung des Gemeinschaftsrechts zwischen den völkerrechtlichen und den verfassungsrechtlichen Auslegungsmethoden.39 Auf der Gemeinschaftsebene ist der EuGH nach Art. 220 EGV in der Amsterdamer Fassung40 die autoritative Auslegungsinstanz. Ihm ist sowohl hinsichtlich der Methoden als auch hinsichtlich der Bildung allgemeiner Rechtsgrundsätze Gehör zu verschaffen. 1. Gemeinschaftsrechtliche Auslegungsmethoden Der EuGH hat in seiner jahrzehntealten Rechtsprechungspraxis eigene gemeinschaftsrechtliche Grundsätze entwickelt. Sie stimmen weitgehend mit den „klassischen“, von den mitgliedstaatlichen Gerichten angewandten Auslegungsmethoden überein: der grammatikalischen, systematischen, historischen und teleologischen. Zugleich nehmen die Grundsätze eine neue Gewichtung der altbekannten Auslegungsmethoden vor und bringen neue gemeinschaftsspezifische Elemente ein.41 Im folgenden werden die Grundsätze nur soweit erläutert, wie sie für die vorliegende Arbeit relevant sind. Ziel der Auslegung ist es, den objektiven Sinn der Vertragsvorschriften zu ermitteln.

a) Grammatikalische Auslegung An erster Stelle steht die grammatikalische Auslegung, die sich am Wortlaut der Norm orientiert. Sie stellt auf den natürlichen Sinn der Worte nach dem allgemeiOppermann, Europarecht, Rn. 680. Parallelvorschriften befinden sich in Art. 136 EURATOM und Art. 31 EGKSV. 41 Lenz-Lenz / Erhard, EG-Handbuch, S. 85; Oppermann, Europarecht, Rn. 681; Schwarze-Schwarze, Kommentar, Art. 220 Rn. 27. 39 40

§ 2 Methode und Begrifflichkeiten

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nen Sprachgebrauch ab.42 Zu beachten ist, daß der Wortsinn aus dem gemeinschaftlichen Kontext heraus zu ermitteln ist, es also um den gemeinschaftsrechtlichen Bedeutungsgehalt geht. Dieser ist mit den aus den mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen bekannten Begriffen nicht notwendig deckungsgleich.43 Desweiteren ist es hinderlich, daß der Wortlaut des EGV gem. Art. 314 EGV in allen zwölf Amtssprachen der Gemeinschaft verbindlich ist. Bei sprachlichen Uneinheitlichkeiten oder national bedingten Verständnisunterschieden muß eine Art Synthese gefunden werden.44 Ist der Wortlaut eindeutig, ist nach dem EuGH der Rückgriff auf andere Methoden nicht zwingend.45 Die wörtliche Auslegung bildet jedenfalls eine Grenze, die die anderen Auslegungsmethoden nicht überschreiten dürfen. b) Systematische Auslegung Ist der Wortlaut nicht eindeutig, greift die systematische Auslegung. Der Sinn der Vorschrift ist dabei aus ihrer Stellung im Regelungsgefüge, d. h. aus dem Zusammenhang mit den anderen Vorschriften zu schließen.46 Ein einfacher Anwendungsfall der systematischen Auslegung läge bei dem Schluß vor, daß ein im Vertragstext in verschiedenen Vorschriften verwendetes Wort denselben Inhalt hat.47 Neben dieser kontextbezogenen Interpretation können auch die allgemeinen Rechtsgrundsätze Bedeutung gewinnen. Da sie nicht nur Auslegungshilfe, sondern auch Rechtserkenntnisquelle sind, ist auf sie unter 2. einzugehen.

42 Zur Rechtsprechung des EuGH vgl. Dauses-Bleckmann / Pieper, Hdb des EU-Wirtschaftsrechts, B. I Rn. 5 ff. 43 Der EuGH spricht hier von „autonomen Begriffen“ wie dem des „Arbeitnehmers“, vgl. EuGH v. 19. 03. 1964, Rs. 75 / 63 – Unger –, Slg. 1964, S. 379 (396 f.), Rn. 1; v. 23. 03. 1982, Rs. 53 / 81 – Levin / Staatssecretaris van Justitie –, Slg. 1982, S. 1035 (1049), Rn. 11 ff.; v. 03. 07. 1986, Rs. 66 / 85 – Lawrie-Blum / Land Baden-Württemberg –, Slg. 1986, S. 2121 (2144), Rn. 14, 16, oder der „öffentlichen Verwaltung“; vgl. EuGH v. 17. 12. 1980, Rs. 149 / 79 – Kommission / Belgien –, Slg. 1980, S. 3881 (3900 f.), Rn. 9, 12; v. 26. 05. 1982, Rs. 149 / 79 – Kommission / Belgien –, Slg. 1982, S. 1845 (1851), Rn. 7; v. 03. 07. 1986, Rs. 66 / 85 – Lawrie-Blum / Land BadenWürttemberg –, Slg. 1986, S. 2121 (2146 f.), Rn. 26 f. 44 Der EuGH kombiniert hier abhängig vom Einzelfall die verbleibenden anerkannten Auslegungsmethoden; vgl. hierzu Buck, Auslegungsmethoden, S. 154 ff. 45 In den meisten Urteilen, die der EuGH mit einem eindeutigen Wortlaut begründet, zieht er noch systematische oder teleologische Erwägungen heran. Etwa EuGH v. 21. 03. 1974, Rs. 151 / 73 – Irland / Rat –, Slg. 1974, S. 285 (296), Rn. 16 f.; v. 20. 04. 1988, Rs. 151 / 87 – Bakker / RWP –, Slg. 1988, S. 2009 (2026), Rn. 12; v. 10. 03. 1992, Rs. C-188 / 88 – NMB / Kommission –, Slg. 1992, S. 1689 (1738), Rn. 32 ff. 46 Unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des EuGH eingehend Buck, Auslegungsmethoden, S. 177 ff. 47 Das Beispiel ist gebildet nach Dauses-Bleckmann / Pieper, Hdb des EU-Wirtschaftsrechts, B. I Rn. 29.

3 Spieß

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1. Teil: Einleitung

c) (Subjektiv-)Historische Auslegung Der EuGH weist der subjektiv-historischen Auslegung, die auf den Willen des Gemeinschaftsgesetzgebers zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses abstellt, bei der Suche nach dem objektiven Sinn der Vertragsvorschriften eine nur untergeordnete Rolle zu.48 Das liegt zum einen daran, daß die Vorbereitungsarbeiten zu den Gründungsverträgen nicht veröffentlicht sind. Zum anderen beruhen die Verträge auf einem politischen Kompromiß, der oft nicht den wahren Willen der Gründerstaaten erkennen läßt.49 Zugänglich sind aber etwa die Unterlagen zu den mitgliedstaatlichen Ratifizierungsverfahren. Obwohl der EuGH seine Urteile nicht auf diese stützt,50 spricht gleichwohl nichts dagegen, die subjektiv-historische Auslegung hilfweise zur Unterstützung der anderen Auslegungsergebnisse heranzuziehen.51 Voraussetzung ist allerdings, daß die jeweiligen Unterlagen veröffentlicht sind. Anhaltspunkte für diese Art der Auslegung lassen sich vor allem der Entstehungsgeschichte der Norm entnehmen.52 Daneben gewinnen Erklärungen der Gemeinschaftsorgane zu der Auslegung des Gemeinschaftsrechts interpretative Bedeutung. Sie vermögen im Rahmen des hinter ihnen stehenden Konsenses den Willen des Normgebers zum Ausdruck bringen.53 Zu einer solchen Erklärung zählt etwa die Mitteilung der Kommission über die Anwendung des Protokolls über die Sozialpolitik.54 Für die objektiv-historische Auslegung, die nach dem Zweck der Norm in ihrem Entstehungszeitpunkt fragt,55 ist neben der teleologischen Auslegung schwer ein selbständiger Anwendungsbereich denkbar. Auf sie kommt es daher nicht an.

48 Wenn auch weniger als die Generalanwälte – vgl. u. a. GA Roemer im Urteil v. 16. 12. 1960, Verb. Rs. 41 und 50 / 59 – Hamborner Bergbau und Thyssen / Hohe Behörde –, Slg. 1960, S. 1024 (1069 ff.) –, mißt der EuGH der subjektiv-historischen Auslegung aber überhaupt ein Gewicht bei; vgl. EuGH v. 01. 06. 1961, Rs. 15 / 60 – Simon / EuGH –, Slg. 1961, S. 239 (262), Rn. 4; v. 05. 06. 1973, Rs. 81 / 72 – Kommission / Rat –, Slg. 1973, S. 575 (583), Rn. 8. 49 Lenz-Lenz / Erhard, EG-Handbuch, S. 86 f.; Zuleeg, EuR 1969, S. 97 (101 f.). 50 Erstmals EuGH v. 16. 12. 1960, Rs. 6 / 60 – Humblet / Belgischer Staat –, Slg. 1960, S. 1165 (1194 ff.). 51 Statt vieler Buck, Auslegungsmethoden, S. 146 m. w. N.; Herdegen, ZHR 1991, S. 52 (58 f.); Oppermann, Europarecht, Rn. 687. 52 Larenz / Canaris, Methodenlehre, S. 150. 53 Vgl. zu der Bedeutung von auslegenden Erklärungen der Gemeinschaftsorgane ausführlich Herdegen, ZHR 1991, S. 52 ff. 54 KOM (93) 600 endg. v. 14. 12. 1993. 55 Larenz / Canaris, Methodenlehre, S. 153 ff.

§ 2 Methode und Begrifflichkeiten

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d) Teleologische Auslegung Vorwiegend stützt der EuGH seine Rechtsprechung auf die teleologische Auslegung.56 Sie fragt nach dem objektiven Sinn und Zweck der einschlägigen Norm. Hilfreich kann in diesem Zusammenhang der Rückgriff auf die allgemeinen Vertragsziele der Art. 2 und 3 EGV oder der speziellen Ziele der konkreten Bestimmung sein.57 Daneben bedient sich das Gericht bestimmter Auslegungsfiguren wie der „implied powers“ Lehre und des „effet utile“ Grundsatzes, die allerdings für die vorliegende Arbeit ohne Bedeutung sind.58 Es zieht zur Ermittlung des Zweckes auch Begründungserwägungen59 heran, die eher i.R.d. subjektiv-historischen Auslegung eine Rolle spielen. Zwischen der teleologischen und den übrigen Methoden besteht ein fließender Übergang.

2. Allgemeine Rechtsgrundsätze Für den EuGH sind bei der Auslegung des Gemeinschaftsrechts die allgemeinen Rechtsgrundsätze von großer Wichtigkeit.60 Dabei handelt es sich um gemeinsame Verfassungsüberlieferungen der Mitgliedstaaten. Sie dienen sowohl als Auslegungshilfen im Rahmen der systematischen Auslegung als auch als (ungeschriebene) Erkenntnisquellen des Gemeinschaftsrechts.61 Letzteres können sie nur sein, wenn das Gemeinschaftsrecht Regelungslücken oder Unklarheiten nicht aus sich selbst heraus erklären kann.62 Voraussetzung für ihre Entstehung ist, daß zwischen 56 Vgl. beispielhaft EuGH v. 22. 02. 1990, Rs. C-228 / 88 – Bronzino –, Slg. I-1990, S. 531 (554), Rn. 14; v. 15. 01. 1991, Rs. C-341 / 89 – Ballmann –, Slg. I-1991, S. 25 (38), Rn. 9; v. 10. 01. 1992, Rs. C-117 / 90 – Kühn –, Slg. 1992, S. 35 (62), Rn. 11. 57 Beispielhaft seien genannt EuGH v. 21. 02. 1973, Rs. 6 / 72 – Europemballage und Continental Can / Kommission –, Slg. 1973, S. 215 (245 f. Rn. 25); v. 24. 11. 1982, Rs. 249 / 81 – Kommission / Irland –, Slg. 1982, S. 4005 (4023), Rn. 28; v. 19. 03. 1991, Rs. C-202 / 88 – Frankreich / Kommission –, Slg. I-1991, S. 1223 (1269), Rn. 41; v. 18. 02. 1992, Rs. C-235 / 89 – Kommission / Italien –, Slg. I-1992, S. 777 (826), Rn. 26 f., und aktuell v. 08. 01. 2002, Rs. C-507 / 99 – Denkavit –, Slg. 2002, Rn. 35. 58 Zu der „implied powers“ Lehre, die den Gemeinschaftsorganen die zur Erfüllung ihrer Aufgaben erforderlichen Kompetenzen verschafft, und dem Grundsatz des „effet utile“, nach dem die Vorschriften zum größten Nutzen der Vertragsziele auszulegen sind, vgl. LenzLenz / Erhard, EG-Handbuch, S. 87 f.; Oppermann, Europarecht, Rn. 686. 59 Buck, Auslegungsmethoden, S. 203. 60 Beispielsweise erstmals EuGH v. 12. 11. 1969, Rs. 29 / 69 – Stauder –, Slg. 1969, S. 419 (425), Rn. 7; v. 17. 12. 1970, Rs. 11 / 70 – Internationale Handelsgesellschaft / Einfuhr- und Vorratsstelle Getreide –, Slg. 1970, S. 1125 (1135), Rn. 3; v. 13. 12. 1979, Rs. 44 / 79 – Liselotte Hauer / Land Rheinland Pfalz –, Slg. 1979, S. 3727 (3744 f.), Rn. 15; aus der aktuellen Rechtsprechung EuGH v. 17. 05. 2001, Rs. C-449 / 98P – IECC / Kommission –, Slg. I-2001, S. 3918 (3926), Rn. 18; v. 17. 05. 2001, Rs. C-450 / 98P – IECC / Kommission –, Slg. I-2001, S. 3950 (3962), Rn. 24. 61 Vgl. u. a. Oppermann, Europarecht, Rn. 479 ff., 684. 62 U. a. Daig, FS für Zweigert, S. 395 (399 ff.); Ress, GS für Geck, S. 625 (640).

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1. Teil: Einleitung

sämtlichen mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen in dem jeweiligen Punkt im wesentlichen Übereinstimmung besteht. Allerdings ist zu fragen, ob die so gewonnene transnationale Einheitslösung mit Inhalt, Struktur und Zielen der Gemeinschaft vereinbar ist. Eventuell sind hier Korrekturen vorzunehmen. Die allgemeinen Rechtsgrundsätze ermittelt der EuGH im Wege einer wertenden Rechtsvergleichung.63 Diese Methode macht sich im Unterschied zu der des kleinsten oder größten gemeinsamen Nenners auf die Suche nach der in gemeinschaftsrechtlicher Hinsicht optimalen Lösung. Sie kann im Einzelfall sogar zu Ergebnissen führen, die oberhalb des höchsten nationalen Standards liegen.64 Die allgemeinen Rechtsgrundsätze besitzen für die Bestimmung der Gemeinschaftsgrundrechte und des Inhalts des Demokratie- und Rechtsstaatsprinzips Bedeutung. Damit ist klar, daß sowohl die Auslegung als auch die allgemeinen Rechtsgrundsätze für die Auslegung des Gemeinschaftsrechts wichtig sind.

II. Begriff der Legitimation Ein zentraler Begriff der Arbeit ist „Legitimation“. Zum besseren Verständnis der Ausgangsfragen empfiehlt sich vorab eine kurze Klärung, was unter ihm zu verstehen ist. Der juristische Terminus ist von dem sozialwissenschaftlichen Begriffspaar der Legitimation und Legitimität abzugrenzen. Grundsätzlich bezeichnen die Sozialwissenschaften mit der Legitimation die Verfahren zur Herstellung von Legitimität wie z. B. die Partizipation der Bürger an politischen Entscheidungen oder die politische Rechenschaftspflicht der Interessenvertreter.65 Für diese Disziplin ist also der Begriff der Legitimität wesentlich. Er verfügt über zwei Komponenten. Die subjektive Komponente stellt auf die tatsächliche Anerkennung bzw. soziale Akzeptanz eines politischen Systems und seiner Verfahren durch seine Mitglieder ab.66 Sie soll die Frage beantworten, ob und aus welchen Motiven eine staatliche Ordnung von der Rechtsgemeinschaft faktisch gebilligt wird.67 Die Billigung ist dabei nur empirisch meßbar. Die objektive Komponente hat hingegen die Anerkennungswürdigkeit und Rechtmäßigkeit eines politischen Systems zum Gegenstand.68 Den Bewertungsmaßstab bilden hier epochal anerkannte Wert63 Vgl. u. a. EuGH v. 13. 12. 1979, Rs. 44 / 79 – Liselotte Hauer / Land Rheinland Pfalz –, Slg. 1979, S. 3727 (3750), Rn. 32; v. 18. 05. 1982, Rs. 155 / 79 – AM&S –, Slg. 1982, S. 1575 (1610 f.), Rn. 19 ff. 64 Insgesamt zu der Gewinnung von allgemeinen Rechtsgrundsätzen DAIG, FS für Zweigert, S. 395 ff.; Deinert, Europäischer Kollektivvertrag, S. 289 ff. 65 Holtmann, Politik-Lexikon, S. 341; Steffani, ZParl 1978, S. 233 (237). 66 Nohlen, Lexikon der Politik, Bd. 7, S. 350 f. Begrifflich ungenau bezeichnen Piazolo, Sozialer Dialog, S. 173, und Zippelius, Allgemeine Staatslehre, § 16 I. 2. (S. 114), die soziale Akzeptanz als Legitimation. 67 Benda, Akzeptanz, S. 3 ff.; Zippelius, Allgemeine Staatslehre, § 16 I. 2. (S. 114). 68 Holtmann, Politik-Lexikon, S. 341; Nohlen, Lexikon der Politik, Bd. 7, S. 350; Steffani, ZParl 1978, S. 233 (237).

§ 2 Methode und Begrifflichkeiten

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vorstellungen, die über dem positiven Recht stehen, was ihre Positivierung aber nicht verhindert.69 In diesem objektiven Aspekt überschneidet sich der sozialwissenschaftliche mit dem juristischen Legitimitätsbegriff, wobei zwischen der Legitimität und der Legitimation im juristischen Sinne keine Unterscheidung getroffen wird.70 Als normative Wissenschaft fragt die Jurisprudenz mit der Legitimität71 bzw. Legitimation72 nach der tieferen Begründung und inneren Rechtfertigung des Staates und seiner Rechtsordnung.73 Die Begriffe haben ein Urteil über die richtige Staatsform und die richtige Ausübung staatlicher Herrschaft zum Gegenstand.74 Bei der Normsetzung geben sie einen Grund für deren Verbindlichkeit.75 Im Unterschied zu den Sozialwissenschaften faßt die Jurisprudenz die Legitimität bzw. Legitimation als rechtliche Kategorien und konzentriert sich auf die Bedeutung des Rechts.76 Ihren aktuellen Ausdruck finden die Begriffe in der demokratischen Legitimation, die auf der Selbstbestimmung des einzelnen beruht.77 Ihr Kern liegt in der Volkssouveränität.78 Das bedeutet: die demokratische Legitimation ist auf das Gesamtvolk oder auf dessen Vertretung zurückzuführen. Ob sie auf der Gemeinschaftsebene hergestellt werden kann, ist angesichts der Tatsache, daß es kein europäisches Volk gibt, zweifelhaft und im Verlauf der Arbeit zu klären. Der vorliegenden Frage nach der demokratischen Legitimation des durch den Sozialen Dialog gesetzten Sekundärrechts liegt das juristische Verständnis von der Legitimation zugrunde.

69 Scheuner, Legitimationsgrundlage, S. 1 (9 f.); a.A. v. der Heydte, Staatslexikon, Sp. 334, der die Verankerung von Wertvorstellungen im positiven Recht dem Problem der Legalität und nicht mehr der Legitimation zuweist. 70 Als Beispiel für die Beliebigkeit der Wortwahl dient Doehring, Allgemeine Staatslehre, § 12 Rn. 260. 71 Der Legitimität wird oftmals der Begriff der Legalität entgegengestellt; vgl. Hofmann, Legitimität gegen Legalität, S. 248 ff. 72 Vgl. Böckenförde, HStR I, § 22 Rn. 3; Larenz / Canaris, Methodenlehre, S. 21. 73 Scheuner, Legitimationsgrundlage, S. 1, 9; von der Heydte, Staatslexikon Bd. 5, Sp. 333; Hofmann, Legitimität gegen Legalität, S. 248; Kielmansegg, Volkssouveränität, S. 10; Kriele, Legitimitätsprobleme, S. 7. 74 Holtmann, Politik-Lexikon, S. 346; Herzog u. a.-Quaritsch, EvStL, S. 1990. 75 Vgl. Schwarze, RdA 2001, S. 208 (212). Die Abgrenzung zur Legalität, verstanden als formale Gesetzmäßigkeit (Holtmann, Politik-Lexikon, S. 341), läßt sich im demokratischen Rechtsstaat nicht mehr aufrechterhalten; vgl. BVerfG v. 25. 01. 1983 – 2 BvE 1, 2, 3, 4 / 83 –, BVerfGE 62, S. 1 (43). 76 Scheuner, Legitimationsgrundlage, S. 1 (3). 77 Scheuner, Legitimationsgrundlage, S. 1 (10). Auf die verschiedenen Legitimationsformen (institutionell-funktionelle, organisatorisch-personelle und sachlich-inhaltliche Legitimation) ist an späterer Stelle einzugehen; vgl. 3. Teil § 10 II. 3. a) dd). 78 U. a. Holtmann, Politik-Lexikon, S. 347.

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1. Teil: Einleitung

III. Sozialer Dialog und Europäisches Sozialmodell Neben der legitimatorischen Beurteilung des Sozialen Dialogs will die Arbeit einen Beitrag zur Klärung der „Zukunft des Europäischen Sozialmodells“79 leisten. Der Begriff des Europäischen Sozialmodells wurde im Zuge der Ausbildung der sozialen Dimension Europas in den 1990er Jahren geprägt und unter dem Kommissionspräsidenten Jacques Delors populär. Das Modell versteht, wirtschaftliches Wachstum und sozialen Ausgleich miteinander zu verbinden.80 Allerdings sieht es sich angesichts der reduzierten ökonomischen Prosperität und der Massenerwerbslosigkeit seit einiger Zeit einem Veränderungsdruck ausgesetzt.81 Es fragt sich daher, ob ein (möglicherweise modifiziertes) konvergentes Europäisches Sozialmodell fortbesteht oder mehrere divergente Europäische Sozialmodelle entstehen. Zu den Merkmalen des bisherigen Europäischen Sozialmodells zählt neben den wohlfahrtsstaatlichen Leistungen, regulierten Arbeitsmärkten und kollektiven und kooperativen Arbeitsbeziehungen die Förderung der Kompromißbereitschaft von Individuen und Gruppen.82 Der Soziale Dialog, dessen demokratische Legitimation in der vorliegenden Arbeit untersucht wird, beruht auf dem Konsens der Verhandlungsparteien. Er setzt damit eine Kompromißbereitschaft voraus. In ihm kommt eine Besonderheit des Europäischen Sozialmodells zum Ausdruck.83 Darüber hinaus zielt er auf eine Rechtsvereinheitlichung der Beschäftigungs- und Arbeitsbedingungen in den Mitgliedstaaten, um ein Sozialdumping zu verhindern.84 Er kann folglich einen wichtigen Beitrag zu der Konsolidierung und dem Ausbau eines einheitlichen Europäischen Sozialmodells leisten.85 Das funktioniert jedoch nur, wenn die durch den Sozialen Dialog gesetzten Rechtsakte demokratisch legitimiert sind. 79 So der Titel des Graduiertenkollegs der DFG, in dessen Rahmen die vorliegende Arbeit zustande kam. 80 Aust / Leitner / Lessenich, Sozialmodell Europa, S. 7 ff.; Hodge / Howe, European Urban and Regional Studies 1999, S. 178 ff.; KOM (2002) 341 endg. v. 26. 06. 2002, S. 13; Ostner, Europäisches Sozialmodell, S. 23 ff. 81 Hostasch, Einleitung, S. 7 (8); u. a. Grahl / Teague, New Political Economy 1997, S. 405, sprechen hier von der Krise des Europäischen Sozialmodells. Als Beginn der sogenannten Krise des Sozialmodells nennen sie die 1970er und 1980er Jahre (S. 407). 82 Vgl. Aust / Leitner / Lessenich, Sozialmodell Europa, S. 7, 11 f. m. w. N. 83 Nach Ansicht der Kommission ist der Soziale Dialog „wesentlicher Bestandteil des europäischen Gesellschafts- und Entwicklungsmodells“; vgl. KOM (2002) 341 endg. v. 26. 06. 2002, S. 6. 84 So das Europäische Parlament, Dok. A3 – 0269 / 94 v. 20. 04. 1994, S. 5. 85 Vgl. auch Hodge / Howe, European Urban and Regional Studies 1999, S. 178 (181 f.); KOM (2002) 341 endg. v. 26. 06. 2002, S. 13, 17, nach der der Soziale Dialog als „Instrument für die Modernisierung“ Antworten auf die großen Herausforderungen unserer Zeit geben kann; Pitschas / Peters, VSSR 1996, S. 21 (23). Zu dem problematischen Verhältnis von Art. 138 f. zu Art. 81 f. EGV, d. h. von Kollektivvertrags- und Wettbewerbsrecht, vgl. EuGH v. 21. 09. 1999, Rs. C-67 / 96 – Albany International BV / Stichting Bedrijfspensioenfonds Textielindustrie –, DB 2000, S. 826 (827), Rn. 59 ff.; Fleischer, DB 2000, S. 821 ff.

§ 2 Methode und Begrifflichkeiten

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Stellt sich im Laufe der Untersuchung heraus, daß der Soziale Dialog – aus welchen Gründen auch immer – demokratisch nicht legitimiert ist und keine wirksamen Normen hervorbringt, wäre eine Harmonisierung auf diesem Wege nicht erreichbar. Es träte dann ein weiterer Umstand hinzu, der die Existenz eines einheitlichen Europäischen Sozialmodells gefährdete und seinen Verfall begünstigte. Das Dissertationsvorhaben steht im Zusammenhang mit dem Ausbau bzw. der Auflösung eines einheitlichen Europäischen Sozialmodells. Auch im Hinblick auf die Zukunft des Europäischen Sozialmodells lohnt es sich daher, die legitimatorischen Fragestellungen zu erhellen.

2. Teil

Art und Umfang der Normsetzung Demokratie- und Rechtsstaatsprinzip setzen grundsätzlich der Staatsgewalt und damit der staatlichen86 Rechtsetzung bzw. ihrer Delegation Grenzen.87 Es muß daher untersucht werden, in welcher Form und in welchem Umfang durch den Sozialen Dialog Normsetzung stattfindet. Allerdings steht fest: Der Soziale Dialog i. S. d. Art. 138 f. EGV kann im Endeffekt zu verbindlichen Normen führen, die für alle Normunterworfenen unabhängig von ihrer Verbandszugehörigkeit gelten. Die beiden Prinzipien finden daher in jedem Fall Anwendung. Insofern ist unerheblich, ob es sich bei dem Sozialen Dialog im Schwerpunkt um eine autonome Normsetzung handelt, die sich bei der Umsetzung staatlicher Hilfe bedient, oder um ein gemeinschaftliches Verfahren, in das sich die Sozialpartner einbringen können. Vielmehr geht es im folgenden darum, Normsetzungsart und -umfang des Sozialen Dialogs um der Präzisierung des Untersuchungsgegenstandes willen zu bestimmen. Es ist gleichsam die Dimension des Sozialen Dialogs herauszukristallisieren, welche wegen ihres Gesamtcharakters am ehesten an diesen Prinzipien gemessen werden muß. Das ist die „hoheitlichste“ Dimension. In diesem Zusammenhang bleibt auch die Klassifizierung des Verfahrenscharakters spannend. Die Einbeziehung der Sozialpartner als Verbände in einen hoheitlichen Normsetzungsprozeß gestaltet sich unter legitimatorischen Gesichtspunkten besonders problematisch. Eine Einschätzung der Art und des Umfangs der Normsetzung durch den Sozialen Dialog ist aber nur möglich, wenn nach einer einführenden Klärung von Begriff und Bedeutung des formellen Sozialen Dialogs (§ 3) die Wirkung (§ 4), die Regelungsinhalte (§ 5), der Geltungsbereich der Dialogergebnisse (§ 6) sowie die Umsetzung der Sozialpartnervereinbarungen (§ 7) untersucht werden. Ein grundlegendes Verständnis des Sozialen Dialogs erfordert eine ausführliche Behandlung der genannten Punkte. Dabei wird sich zeigen, daß der auf der gemeinschaftlichen Ebene durchgeführte formelle und branchenübergreifende Soziale Dialog die für die legitimatorischen Fragestellungen interessanteste Dimension ist. 86 Der Begriff „staatlich“ wird als Synonym zu hoheitlich verwendet und soll nicht zu verfehlten etatistischen Vorstellungen in Bezug auf die Gemeinschaft verleiten, vgl. auch SachsStreinz, GG, Art. 23 Rn. 21. 87 Bleckmann, Demokratieprinzip, S. 159 ff.; Kluth, Demokratische Legitimation, S. 30 ff.; Maunz / Dürig-Herzog, GG, Art. 20 Abs 1 Rn. 50 ff.; Sachs-Sachs, GG, Art. 20 Rn. 5; Schwarze, Der Betriebsrat, S. 122 ff.

§ 3 Formeller Sozialer Dialog

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§ 3 Formeller Sozialer Dialog Da es im Rechtsstaat nur im Rahmen eines förmlichen Verfahrens zur Normsetzung kommen kann, ist zunächst der formelle88 Soziale Dialog darzustellen. Zu seinem Verständnis ist vor allem anderen eine Begriffsklärung notwendig. Im Anschluß daran ist auf seine unterschiedlichen Ebenen, seine geschichtliche Entwicklung und seine bisherigen Ergebnisse einzugehen, die maßgeblich seine Bedeutung bestimmen.

I. Begriff Nach dem allgemeinen Sprachgebrauch bezeichnet der Begriff des Dialogs ein Gespräch zwischen mindestens zwei Interessengruppen zum Kennenlernen der gegenseitigen Standpunkte.89 Entsprechend umfassend ist unter dem rechtlichen Begriff des Sozialen Dialogs in funktionaler Hinsicht sowohl der Dialog der europäischen Organe mit den europäischen Sozialpartnern als auch der Dialog zwischen den Sozialpartnern (mit oder ohne Beteiligung der Europäischen Kommission) zu verstehen.90 Er bezieht sich auf die verschiedensten Beteiligungsformen der Sozialpartner an der europäischen Sozialpolitik.91, 92 In regulatorischer Hinsicht enger lassen sich der „alte“, informelle Soziale Dialog und der „neue“, formelle Soziale Dialog unterscheiden.93 Dabei handelt es sich um zwei zusammen88 Der Begriff „formell“ wird im folgenden in seiner lexikalischen Bedeutung „der Vorschrift nach“ gebraucht; vgl. Duden, Fremdwörterbuch, S. 468. 89 Duden, Wörterbuch, S. 803. 90 Buda, Europäische Arbeitsbeziehungen, S. 289 (290); Kampmeyer, Sozialpolitik, S. 82; Sörries, Sozialer Dialog, S. 14; Schulz, Sozialpolitik, S. 103; definitorisch enger faßt Goos, EAS, B 8110 Rn. 17, den Sozialen Dialog, wenn er ihn auf die Kommunikation zwischen den Sozialpartnern beschränkt. 91 Der Begriff der Sozialpolitik ist im Kontext der Europäischen Gemeinschaft weit zu verstehen. Er umfaßt neben der klassischen Sozialpolitik gegen die Risiken bei Krankheit, Alter und Arbeitslosigkeit alle Maßnahmen im sozialen Bereich, die die Arbeitsbeziehungen, die Arbeitsbedingungen und den Arbeitsmarkt betreffen. Die Sozialpolitik beinhaltet sowohl das Arbeits- als auch das Sozialrecht nach deutscher Terminologie. Dies ergibt sich aus der Konzeption des EGV, der die Arbeitsbedingungen unter dem Titel „Sozialpolitik“ behandelt; vgl. MünchArbR-Birk, § 18 Rn. 4; Jacobi, Sozialer Dialog, S. 257 (258); Jansen, EuR-Beiheft 1 / 1990, S. 5 (6); Junker, NZA 1999, S. 2 (3); Wank, RdA 1995, S. 10 (11); kritisch hierzu Schiek, Europäisches Arbeitsrecht, S. 26 f.; Krimphove, Europäisches Arbeitsrecht, Rn. 15 ff. 92 Vgl. Höland, Mitbestimmung, S. 61; Pitschas / Peters, Sozialpartner, S. 57; Soziales Europa 2 / 1995, S. 11 ff. 93 Zu dieser begrifflichen Unterscheidung vgl. Lecher u. a., Europäische Betriebsräte, S. 148; Calliess / Ruffert-Krebber, EUV / EGV, Art. 138 Rn. 1 ff.; Keller / Sörries, MittAB 1999, S. 118 (119); Keller, WSI Mitteilungen 1999, S. 109 (112); Ricken, DB 2000, S. 874; Wisskirchen, FS für Wlotzke, S. 793 (801). Den formellen Sozialen Dialog untergliedert Gilles, Durchführung von Sozialpartnervereinbarungen, S. 104 f., wiederum in den Sozialen Dialog im weiteren und im engeren Sinne und versteht unter letzterem den durch Art. 138 EGV eingeleiteten und durch Ratsbeschluß durchgeführten Sozialen Dialog.

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2. Teil: Art und Umfang der Normsetzung

hängende, zeitlich verschobene Dialogvarianten, die auch nebeneinander auftreten können.94 Der informelle Soziale Dialog spielt insbesondere bei der historischen Entwicklung, aber auch bei der anschließenden Auslegung der Dialogvorschriften eine Rolle. Er umfaßt die Anhörung des Wirtschafts- und Sozialausschusses, der beratenden Ausschüsse, der paritätischen Ausschüsse sowie der informellen Arbeitsgruppen zur Politikberatung im Rahmen des gemeinschaftlichen Gesetzgebungsverfahrens.95 Zu ihm zählen auch die informellen Gespräche zwischen den europäischen Sozialpartnern, die zu zahlreichen unverbindlichen Stellungnahmen und Empfehlungen geführt haben.96 Daneben ist der Abschluß vertraglicher Beziehungen gem. Art. 118b EWGV und EGV a.F. ihm zugehörig. Trotz der gesetzlichen Regelung blieb es hier bei einem informellen Verfahren.97 Im Vordergrund der Arbeit soll die politisch bedeutsamere zweite Variante des Sozialen Dialogs stehen. Wie bereits erwähnt, ist eine staatliche Normsetzung, wenn überhaupt, nur in einem formellen Rahmen denkbar. Der „neue“ Soziale Dialog hat seinen Ausdruck in Art. 3 f. AbkSozPol und seit dem Inkrafttreten des Amsterdamer Vertrages in Art. 138 f. EGV gefunden. Erst mit dem Abkommen über die Sozialpolitik wurde den europäischen Sozialpartnern die Möglichkeit eingeräumt, an der Formulierung von Gesetzesvorhaben mitzuwirken und Vereinbarungen zu schließen, die mit ihrer Durchführung Verbindlichkeit gegenüber Dritten erlangen. Der formelle Soziale Dialog umfaßt danach das vertraglich geregelte institutionalisierte Gespräch der europäischen Sozialpartner mit der Kommission und untereinander.98

II. Ebenen Eine Normsetzung durch den Sozialen Dialog der formellen Art kann sich auf mehreren Ebenen abspielen: der branchenübergreifenden, sektoralen, unternehmens- oder konzernbezogenen und interregionalen.99 Voraussetzung der 94 Zu der begrifflichen Unterscheidung vgl. Calliess / Ruffert-Krebber, EUG / EGV, Art. 138 Rn. 1 ff.; Keller / Sörries, MittAB 1999, S. 118 (119); Keller, WSI Mitteilungen 1999, S. 109 (112); Ricken, DB 2000, S. 874; Wisskirchen, FS für Wlotzke, S. 793 (801). 95 Buda, Europäische Arbeitsbeziehungen, S. 289 (291). 96 Diese Stellungnahmen sind veröffentlicht in Soziales Europa 2 / 1995, S. 199 ff. 97 Es kann daher noch nicht von einem formellen Sozialen Dialog gesprochen werden; vgl. auch Blanpain / Schmidt / Schweibert, Europäisches Arbeitsrecht, Ziff. 687 (S. 420); Röthel, NZA 2000, S. 65 (Fn. 4); Weiss, FS für Kissel, S. 1253 (1258 f.), nach denen sich Art. 118b EGV a.F. für die Frage, ob der Soziale Dialog als Diskussionsforum oder als Veranstaltung zur Aushandlung verbindlicher Vereinbarungen zu verstehen ist, als unergiebig erwies. 98 Calliess / Ruffert-Krebber, EUV / EGV, Art. 138 Rn. 2 ff.; Röthel, NZA 2000, S. 65. 99 Bercusson, Social Policy, S. 149 (176); Buda, Europäische Arbeitsbeziehungen, S. 289 (308 ff.); Goos, EAS, B 8110 Rn. 31 ff.; KOM (96) 448 endg. v. 18. 09. 1996, S. 19; dies. (98) 322 endg. v. 20. 05. 1998, S. 16, 20; Lenze, NZS 1996, S. 313 (317 ff.); Schedl, FAZ

§ 3 Formeller Sozialer Dialog

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Art. 138 f. EGV ist allerdings, daß der Soziale Dialog auf Gemeinschaftsebene stattfindet, die Gesprächs- und Verhandlungsgegenstände also einen europäischen Bezug aufweisen. Dies ist regelmäßig der Fall, wenn die zu behandelnden wirtschaftlichen und sozialen Fragen die Belegschaften in mehr als einem Mitgliedstaat betreffen.100 Zugleich beschränkt sich der Soziale Dialog auf die gemeinschaftliche Ebene. Beziehungen zu Sozialpartnern europäischer Staaten außerhalb der Gemeinschaft fallen nicht darunter.101 Wie der Name schon sagt, bezieht sich der branchenübergreifende Soziale Dialog in der Regel auf alle Branchen. Er kann aber auch auf einige begrenzt bleiben. Der sektorale Soziale Dialog erfaßt eine Branche, während der interregionale Soziale Dialog sich mit den Problemen einer Region und hier insbesondere mit dem sozialen Schutz der Arbeitnehmer in einer Grenzregion beschäftigt.102 Bei dem unternehmens- oder konzernbezogenen Sozialen Dialog ist zu unterscheiden. Regelungen zwischen der Leitung und der gesetzlich eingerichteten Arbeitnehmervertretung103 fallen nicht unter Art. 138 f. EGV.104 Zum einen sind die Beteiligten Normadressaten des Gemeinschaftsrechts und können daher nicht zugleich Normschöpfer sein.105 Zum anderen beruht die Sozialpartnerschaft auf freier Verbandsbildung, was auf die gesetzlich eingesetzte betriebliche Interessenvertretung nicht zutrifft.106 Verhandlungen und Vereinbarungen auf Unternehmens- oder Konzernebene sind den Vorschriften aber zuzurechnen, wenn sie auf Arbeitnehmerseite ausschließlich von den im Unternehmen vertretenen Gewerkschaften geführt werden.107 v. 02. 11. 1999, S. 29; v. der Groeben / Thiesing / Ehlermann-Schulte, EGV, Art. 118b Rn. 24 ff.; Schwarze, EAS, B 8100 Rn. 22; Traxler / Schmitter, Arbeitsbeziehungen, S. 231 (235 f.); a.A. Birk, EuZW 1997, S. 453 (456), der unternehmensbezogene Vereinbarungen für unzulässig hält. 100 Bercusson, ILJ 1999, S. 153 (165 ff.); Däubler, EuZW 1992, S. 329 (332); v. der Groeben / Thiesing / Ehlermann-Schulte, EGV, Art. 118b Rn. 22. 101 Es ist m.E. unschädlich, wenn die Sozialpartner Mitgliedsverbände auch in europäischen Nicht-Mitgliedstaaten haben; vgl. 5. Teil § 18 III. 5. a) aa) (2) und Wisskirchen, FS für Arbeitsgerichtsverband, S. 653 (663); a.A. mit Verweis auf Art. 118b EGV a.F., wonach der Dialog zwischen den Sozialpartnern auf „europäischer Ebene“ zu entwickeln ist, v. der Groeben / Thiesing / Ehlermann-Schulte, EGV, Art. 118b Rn. 23. 102 Buda, Europäische Arbeitsbeziehungen, S. 289 (312); Lenze, NZS 1996, S. 313 (320). 103 Ein Beispiel hierfür wären die Regelungen i.R.d. Verfahrens zur Unterrichtung und Anhörung der Arbeitnehmer in gemeinschaftsweit operierenden Unternehmen unter Beteiligung des Europäischen Betriebsrates. Zur Richtlinie 94 / 45 / EG des Rates zur Einrichtung eines Europäischen Betriebsrates vgl. ABl. L 254 v. 30. 09. 1994, S. 64 ff. 104 Anders Däubler, EuZW 1992, S. 329 (332). 105 Schnorr, DRdA 1994, S. 193 (195 f.). 106 Schwarze, EAS, B 8100 Rn. 22; v. der Groeben / Thiesing / Ehlermann-Schulte, EGV, Art. 118b Rn. 26 ff., rechnet solche Vereinbarungen nicht dem Sozialen Dialog zu, die sich auf betriebliche Anhörungs- und Unterrichtungsrechte der Arbeitnehmer beziehen, weil diese sich aus Arbeitnehmer-Einzelrechten ableiten. 107 v. der Groeben / Thiesing / Ehlermann-Schulte, EGV, Art. 118b Rn. 28.

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Die vier Dialogebenen erkennt grundsätzlich auch die Kommission an.108 Vor diesem Hintergrund hat die Erwähnung nur der branchenübergreifenden und sektoralen Ebene in ihrer Mitteilung zur „Entwicklung des Sozialen Dialogs auf Gemeinschaftsebene“ 109 und zur „Anpassung und Förderung des Sozialen Dialogs auf Gemeinschaftsebene“ 110 nichts zu bedeuten. Die Offenheit verdeutlicht auch die Gemeinschaftscharta der sozialen Grundrechte der Arbeitnehmer vom 9. Dezember 1989,111 nach der der europaweite Dialog zu Vertragsverhältnissen „namentlich“ auf branchenübergreifender und sektoraler Ebene führen kann. Erfolgreiche formelle Soziale Dialoge wurden bisher nur auf der branchenübergreifenden112 und der sektoralen113 Ebene geführt. Auf den anderen Ebenen wurden zwar beträchtliche Erfolge in Form von gemeinsamen Stellungnahmen und Empfehlungen erzielt.114 Der Soziale Dialog hat aber noch nicht das Niveau formeller Vereinbarungen erreicht; er steckt noch in der Anfangsphase.115 Aufgrund dessen und aufgrund der auf der umfassenden Geltung seiner Ergebnisse beruhenden besonderen Bedeutung konzentriert sich die Arbeit auf den branchenübergreifenden Sozialen Dialog. Auf die anderen Ebenen wird am Rande eingegangen.

III. Geschichtliche Entwicklung Die Besonderheiten des formellen Sozialen Dialogs werden offenkundig, wenn man seine geschichtliche Entwicklung sowohl in rechtlicher als auch in tatsächKOM (96) 448 endg. v. 18. 09. 1996, S. 19; KOM (98) 322 endg. v. 20. 05. 1998, S. 20. KOM (96) 448 endg. v. 18. 09. 1996, S. 1 ff. 110 KOM (98) 322 endg. v. 20. 05. 1998, S. 8 ff. 111 Abgedruckt in Soziales Europa 1 / 1990, S. 51 ff.; Däubler / Kittner / Lörcher, Internationale Arbeits- und Sozialordnung, Nr. 409 (S. 926 ff.). 112 Keller / Sörries, MittAB 1999, S. 118 (122); Keller, WSI Mitteilungen 1999, S. 109 (113 f.); Zachert, FS für Schaub, S. 811 (817); Hoffmann, Europäisierung als Modernisierung, S. 292 (301); zu den bereits geschlossenen verbindlichen Vereinbarungen s. u. § 3 IV. 113 Erst kürzlich wurde eine europäische Vereinbarung über die Arbeitszeitorganisation für das fliegende Personal der Zivilluftfahrt abgeschlossen; vgl. http: // europa.eu.int / eur-lex / de / lif / dat / 2000 / de_300L0079.html v. 18. 10. 2001. Erwähnenswert ist auch die Anfang 2001 geschlossene Vereinbarung zur Telearbeit im Handel; vgl. http: // europa.eu.int / comm / employment_social / news / 2001 / may / 116_de.html #1 v. 20. 02. 2002. 114 Zu den gemeinsamen Stellungnahmen und Empfehlungen der Sozialpartner auf sektoraler Ebene im Bau-, Telekommunikations-, Hotel und Gaststättensektor, vgl. Sörries, Sozialer Dialog, S. 99 ff.; im Metall-, Bau-, Verkehrssektor und öffentlichen Dienst, vgl. Keller / Sörries, MittAB 1999, S. 118 ff.; in der Landwirtschaft vgl. Däubler, EuZW 1992, S. 329 (330) m. w. N., und KOM (96) 448 endg. v. 18. 09. 1996, S. 7; zu den gemeinsamen Stellungnahmen auf unternehmensbezogener und interregionaler Ebene vgl. Lenze, NZS 1996, S. 313 (319 f.); Carley, Social dialogue, S. 118 ff.; Buda, Europäische Arbeitsbeziehungen, S. 289 (308 ff.) m. w. N. 115 Vgl. KOM (96) 448 v. 18. 09. 1996, Ziff. 83. 108 109

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licher Hinsicht betrachtet. Als ein Instrument europäischer Sozialpolitik116 ist der Soziale Dialog eng mit ihrer Entwicklung verbunden. Die nachfolgenden Ausführungen konzentrieren sich auf die für seine institutionelle Herausbildung und Stärkung relevanten Schritte,117 ohne die Geschichte der Sozialpolitik insgesamt nachzuzeichnen. 118

1. Anfänge des Sozialen Dialogs unter dem EWGV Der Vertrag zur Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft vom 25. März 1957 enthielt nur rudimentäre Regelungen zur Sozialpolitik. Der Grund hierfür lag in der damals vorherrschenden neoliberalen Wirtschaftsauffassung, daß der soziale Fortschritt automatisch dem wirtschaftlichen nachfolge.119 Dementsprechend fehlte auch eine Vorschrift über den Sozialen Dialog zwischen den europäischen Sozialpartnern oder dieser mit den Organen der Gemeinschaft. Bereits vor der Schaffung einer Rechtsgrundlage für den Sozialen Dialog entwickelten sich aber Beziehungen der Sozialpartner. Die Einrichtung eines Wirtschafts- und Sozialausschusses im EWGV zeigt: Bereits in der Anfangszeit der Europäischen Gemeinschaft wurde die beratende Beteiligung der Sozialpartner an der Ausarbeitung gemeinschaftlicher Rechtsvorschriften als wichtig erachtet.120 Hinzu kamen beratende Ausschüsse und ad hoc Arbeitsgruppen, welche die Kommission seit den 1960er Jahren in verschiedenen Wirtschaftsbranchen etablierte und in denen Arbeitgeber und Arbeitnehmer neben Regierungsvertretern paritätisch vertreten waren und sind.121 Ziel dieser Einrichtungen ist es, durch gemeinsame Stellungnahmen und Empfehlungen Lösungen für die wirtschaftlichen und sozialen Probleme der jeweiligen Branche zu entwickeln.122 Keller / Sörries, MittAB 1999, S. 118. Ausführlicher hierzu Piazolo, Sozialer Dialog, S. 23 ff.; Schildein, Sozialer Dialog, S. 7 ff. 118 Vgl. zu dem Ausbau der Kompetenzen auf dem Gebiet der Sozialpolitik Arl, Sozialpolitik nach Maastricht, S. 167 ff.; Balze, Sozialpolitische Kompetenzen, S. 50 ff.; Bieback, EuR 1993, S. 150 (156); MünchArbR-Birk, § 18 Rn. 9 ff.; Junker, JZ 1994, S. 277 ff.; Kliemann, Europäische Sozialintegration, S. 21 ff.; Krimphove, Europäisches Arbeitsrecht, Rn. 12 ff.; Kuhn, Soziale Dimension, S. 34 ff.; Schmidt, Befugnisse der Sozialpartner, S. 13 ff. 119 Junker, JZ 1994, S. 277 (278 f.); Keller / Sörries, MittAB 1998, S. 715; Koenig, EuR 1994, S. 175 (176); Lenze, NZS 1996, S. 313 (314); Heinze, ZfA 1992, S. 331 (333 ff.); Schnorr, FS für Nipperdey, S. 897 f. 120 Bereits der EGKS-Vertrag v. 18. April 1951 hat die Rolle der Sozialpartner im Beratenden Ausschuß (Art. 18) anerkannt; vgl. Bleckmann-Coen, Europarecht, Rn. 2504; KOM (96) 448 endg. v. 18. 09. 1996, S. 5. 121 Die sog. „joint committées“ gab es in der Landwirtschaft, dem Straßen- und Güterverkehr, der Fischerei, der Binnenschiffahrt, der Bauindustrie usw., vgl. KOM (96) 448 endg. v. 18. 09. 1996, Anhang II, S. VII; Bercusson, European Labour Law, S. 83; Lenz-Coen, EGV, Art. 138 Rn. 2; Jacobi, Sozialer Dialog, S. 257 (267); Lenze, NZS 1996, S. 313 (318 f.). 116 117

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2. Teil: Art und Umfang der Normsetzung

Ende April 1970 trafen sich die Sozialpartner mit der durch den Rat und die Kommission vertretenen Gemeinschaft in einer Dreierkonferenz in Luxemburg. Das Treffen führte zur Gründung des Ständigen Ausschusses für Beschäftigungsfragen.123 Seine Aufgabe besteht darin, ständig den Dialog, die Konzertierung und die Konsultation zwischen dem Rat, der Kommission und den Sozialpartnern sicherzustellen. Dadurch soll die Koordinierung der Beschäftigungspolitik der Mitgliedstaaten unter Abstimmung auf die Zielsetzung der Gemeinschaft erleichtert werden.124 Dieser Ausschuß ermöglichte zum ersten Mal eine direkte Zusammenarbeit der Sozialpartner mit gemeinschaftlichen Entscheidungsträgern.125 In der Folgezeit setzte eine aktive Förderung der Sozialpolitik ein.126 Auf dem europäischen Gipfeltreffen in Paris 1972 forderten die Staats- und Regierungschefs die Gemeinschaft auf, ein erstes sozialpolitisches Aktionsprogramm zu erarbeiten.127 Dieses nahm der Rat in einer Entschließung vom 21. Januar 1974 an.128 Es sah die Beteiligung der Sozialpartner in wirtschafts- und sozialpolitischen Entscheidungen vor. Aufgrund des Aktionsprogramms wurde ein sozialer Konsens zwischen den Sozialpartnern, der Kommission und dem Rat über die Wirtschaftspolitik verstärkt angestrebt.129 Zwischen 1975 und 1978 fanden weitere Treffen des Ständigen Ausschusses für Beschäftigungsfragen und der Dreierkonferenz statt.130 In diesen Treffen wird zum Teil schon die Vorform des Sozialen Dialogs im heutigen Sinne erblickt.131 Diese Ansicht trifft indes nicht zu. Im Unterschied 122 Jacobi, Sozialer Dialog, S. 257 (267); Bleckmann-Coen, Europarecht, Rn. 2505. Darüber hinaus war keine Beteiligung der europäischen Sozialpartner an Entscheidungsprozessen vorgesehen, vgl. Pappi / Schnorpfeil, Ausschußwesen, S. 135 (155 f.). 123 Der Ausschuß aus Vertretern der europäischen Sozialpartner, der Kommission und dem Rat (Arbeits- und Sozialminister) trat erstmals am 14. Dezember 1970 zusammen; Beschluß des Rates v. 14. 12. 1970, ABl. L 273 v. 17. 12. 1970, S. 25 f.; geändert durch Beschluß des Rates v. 20. 01. 1975, ABl. L 21 v. 28. 01. 1975, S. 17 f.; Balze, Sozialpolitische Kompetenzen, S. 51. 124 Vgl. Art. 2 des Ratsbeschlusses, KOM (96) 448 endg. v. 18. 09. 1996, S. 10. 125 Zum Verfahren des Ständigen Ausschusses für Beschäftigungsfragen vgl. KOM (96) 448 endg. v. 18. 09. 1996, Anhang I, S. IV; Piazolo, Sozialer Dialog, S. 26; BleckmannCoen, Europarecht, Rn. 2506. 126 Die Förderung wurde möglich, nachdem sich das neoliberale Dogma als unzutreffend herausgestellt hatte, vgl. Koenig, EuR 1994, S. 175 (176 f.); Lenze, NZS 1996, S. 313 (314). 127 Abschnitt 6 der Schlußerklärung zum ersten Gipfeltreffen der erweiterten Gemeinschaft, Bull. EG 10 – 1972, S. 20; Krebsbach, Europäische Soziapolitik, S. 141. Ausführlich zum sozialpolitischen Aktionsprogramm Bercusson, European Labour Law, S. 49 ff. 128 ABl. C 13 v. 12. 02. 1974, S. 1 ff.; Balze, Sozialpolitische Kompetenzen, S. 52 f. 129 Bull. EG 12 – 1974, Ziff. 1307. 130 Bull. EG 11 – 1975, Ziff. 1201 ff.; Bull. EG 6 – 1976, Ziff. 1101 ff.; Bull. EG 6 – 1977, Ziff. 1.1.1. ff.; Bull. EG 11 – 1978, Ziff. 1.3.1. ff.; v. der Groeben / Thiesing / EhlermannSchulte, EGV, Art. 118b Rn. 13. 131 Buda, Europäische Arbeitsbeziehungen, S. 289 (291); Höland, ZIAS 1995, S. 425 (428 f.); v. der Groeben / Thiesing / Ehlermann-Schulte, EGV, Art. 118b Rn. 13; Wisskirchen,

§ 3 Formeller Sozialer Dialog

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zum formellen Sozialen Dialog waren die Treffen als tripartistisch konzertierte Aktionen zur Koordinierung der nationalen Wirtschaftspolitiken angelegt. Sie vernachlässigten die Entwicklung europäischer Kollektivbeziehungen.132 Die Grenze zwischen Anhörung und Beratung einerseits, Entscheidung und Rechtsetzung andererseits blieb vielmehr gewahrt.133 Wegen der Unverbindlichkeit der Ergebnisse, der allgemeinen Krise der Gemeinschaftspolitik und vor allem der Meinungsunterschiede zwischen den Sozialpartnern über die Europäisierung der Tarifpolitik veranlaßte der EGB 1978 den Abbruch der Konferenzen.134 Nachdem der Rat in seinen Schlußfolgerungen zum „Mittelfristigen Programm der Gemeinschaft im sozialen Bereich“ vom 22. Juni 1984 die Kommission aufgefordert hatte, den Sozialen Dialogs zu intensivieren,135 kam es 1985 zu einer Wiederbelebung des Sozialen Dialogs zwischen europäischen Sozialpartnern und Kommission im Brüsseler Schloß Val Duchesse. Dies geschah auf Einladung des damaligen Kommissionspräsidenten Jacques Delors.136 Beteiligte Sozialpartner waren die Organisation der Arbeitgeberverbände des privaten Sektors UNICE, die Organisation der Arbeitgeberverbände des öffentlichen Sektors CEEP und der EGB. Der Rat war nicht vertreten. Auch der Soziale Dialog von Val Duchesse war als dreiseitiges Gesprächsforum konzipiert. Im Unterschied zu den vorangegangenen tripartistischen Konzertierungsversuchen zog sich die Kommission jedoch auf die Rolle einer Moderatorin zurück und erleichterte somit einen direkten Dialog zwischen den Sozialpartnern.137 Er kann daher schon eher als Vorgänger des heutigen Sozialen Dialogs angesehen werden.

FS für Arbeitsgerichtsverband, S. 653 (662); Piazolo, Sozialer Dialog, S. 27; Weiss, FS für Kissel, S. 1253 (1258 f.). 132 Bull. EG 11 – 1975, Ziff. 1201; Schwarze, EAS, B 8100 Rn. 4; Piazolo, Sozialer Dialog, S. 27; Buda, Europäische Arbeitsbeziehungen, S. 289 (291). 133 Höland, ZIAS 1995, S. 425 (426). 134 Föhr, Europäische Integration, S. 103 (107); v. der Groeben / Thiesing / EhlermannSchulte, EGV, Art. 118b Rn. 16; Wisskirchen, FS für Arbeitsgerichtsverband, S. 662; Balze, Sozialpolitische Kompetenzen, S. 57; Buda, Europäische Arbeitsbeziehungen, S. 289 (291). 135 Vgl. die Schlußfolgerung des Rates v. 22. 06. 1984, ABl. C 175 v. 04. 07. 1984, S. 3. 136 Bercusson, European Labour Law, S. 73 f.; Lenze, NZS 1996, S. 313 (317 f.); Weiss, FS für Kissel, S. 1253 (1258 f.); Wisskirchen, FS für Arbeitsgerichtsverband, S. 653 (662); Zachert, FS für Schaub, S. 811 (816). 137 KOM (96) 448 endg. v. 18. 09. 1996, S. 4; Weiss, FS für Kissel, S. 1253 (1258 f.); Lenze, NZS 1996, S. 313 (317 f.); Jacobi, Sozialer Dialog, S. 257 (266). Im Rahmen dieses Sozialen Dialogs wurden zwei Arbeitsgruppen zu den Themen „Makroökonomie“ und „Neue Technologien und Sozialer Dialog“ eingesetzt. UNICE, CEEP und EGB haben seitdem eine Reihe gemeinsamer Stellungnahmen und Empfehlungen auf branchenübergreifender Ebene verabschiedet. Hinzu kommen einzelne Aktivitäten auf sektoraler Ebene zwischen den europäischen Dachverbänden der Branchenverbände und -gewerkschaften.

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2. Teil: Art und Umfang der Normsetzung

2. Institutionalisierung des Sozialen Dialogs im Gemeinschaftsrecht a) Einheitliche Europäische Akte Die EEA vom 28. Februar 1986 verankerte den bisher ohne Rechtsgrundlage arbeitenden Sozialen Dialog institutionell im primären Gemeinschaftsrecht. Der durch Art. 22 EEA in den EWGV eingefügte Art. 118b wurde mit dem Inkrafttreten der EEA am 01. 07. 1987 anwendbar.138 Nach dieser Vorschrift bemüht sich die Kommission darum, „den Dialog zwischen den Sozialpartnern auf europäischer Ebene zu entwickeln, der, wenn diese es für wünschenswert halten, zu vertraglichen Beziehungen führen kann“.139 Art. 118b EWGV schreibt also die Verpflichtung der Kommission fest, den Sozialen Dialog zu fördern.140 Desweiteren weist er ihr nur eine moderierende Funktion zu. Über Durchführung, Inhalte und Ergebnisse des Sozialen Dialogs entscheiden die Sozialpartner.141 Gleichwohl stärkte die Vorschrift die Sozialpartner nicht über den status quo von Val Duchesse hinaus. Nach Inkrafttreten der Vorschrift unternahm Jacques Delors 1989 den Versuch, den Sozialen Dialog zu intensivieren.142 Daraufhin beschlossen die Sozialpartner auf der Plenartagung im Januar 1989 in ihrer ad hoc gebildeten „Sozialen Dialog Gruppe“, den Sozialen Dialog neben den Konsultationen mit der Kommission thematisch auf die Bereiche allgemeine und berufliche Bildung und Ausbildung sowie die Perspektiven des europäischen Arbeitsmarkts zu erstrecken. Hierzu wurde ein politischer Lenkungsausschuß gebildet, der dem Sozialen Dialog neue Impulse geben, die Arbeit planen und gemeinsame Stellungnahmen erstellen sollte. Dieser setzte auf seiner konstituierenden Sitzung im März 1989 zwei Arbeitsgruppen zu den genannten Themen ein.143 Diese Gruppen haben einige gemeinsame Stellung-

138 ABl. L 169 v. 29. 06. 1987, S. 1 (29); Keller / Sörries, MittAB 1999, S. 118; v. der Groeben / Thiesing / Ehlermann-Schulte, EGV, Art. 118b Rn. 1. 139 Der Wortlaut entspricht einem Kompromißvorschlag der Kommission, der auf eine Schlußfolgerung von Val Duchesse zurückgeht; XXII. Gesamtbericht 1988 Ziff. 492. Dieser wurde erlassen, nachdem der Vorschlag der französischen Delegation für viele Mitgliedstaaten unannehmbar war. Nach ihm sollten Kollektivvereinbarungen, die die Sozialpartner in mindestens drei Mitgliedstaaten geschlossen hatten, vom Rat auf Vorschlag der Kommission mit qualifizierter Mehrheit für allgemeinverbindlich erklärt werden. Dies widerspricht nach Ansicht einiger Mitgliedstaaten der Tarifautonomie; v. der Groeben / Thiesing / EhlermannSchulte, EGV, Art. 118b Rn. 19. 140 Vgl. hierzu Bleckmann-Coen, Europarecht, Rn. 2508; Däubler, Tarifvertragsrecht, Ziff. 1726 (S. 709). 141 Thüsing, Sozialraum Europa, S. 107; Wisskirchen, FS für Arbeitsgerichtsverband, S. 653 (662). 142 XXIII. Gesamtbericht 1989 Ziff. 395. 143 XXIII. Gesamtbericht 1989 Ziff. 395; v. der Groeben / Thiesien / Ehlermann-Schulte, EGV, Art. 118b Rn. 17.

§ 3 Formeller Sozialer Dialog

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nahmen angenommen,144 die für die nationalen Verbände nicht verpflichtend sind.145 Jedoch nahm die Aktivität der Gespräche in Val Duchesse bald darauf wieder ab. Dies lag vor allem am Desinteresse der Arbeitgeberseite, bei der Schaffung gleicher Mindeststandards für die Arbeitnehmer in allen Mitgliedstaaten mitzuwirken.146

b) Gemeinschaftscharta der sozialen Grundrechte der Arbeitnehmer Die Gemeinschaftscharta der sozialen Grundrechte der Arbeitnehmer147 wurde von elf Mitgliedstaaten unter Ausnahme von Großbritannien auf dem Straßburger Gipfel am 8. / 9. Dezember 1989 verabschiedet.148 Neben der Koalitions- und Tarifvertragsfreiheit ist auch die Förderung des Sozialen Dialogs in ihr vorgesehen. Bei der Gemeinschaftscharta handelt es sich allerdings um eine bloß politische Absichtserklärung ohne rechtliche Verbindlichkeit.149 Dem von der Kommission zur Umsetzung der Gemeinschaftscharta in verbindliches Gemeinschaftsrecht vorgelegten sozialen Aktionsprogramm150 kam für den Sozialen Dialog keine große Bedeutung zu,151 obwohl es vorsah, die Sozialpartner zu denjenigen Vorschlägen der Kommission anzuhören, für die keine beratenden Ausschüsse bestünden.152 Der Soziale Dialog zwischen den Sozialpartnern erfolgte weiterhin innerhalb des 1989 eingerichteten Lenkungsausschusses mit seinen Arbeitsgruppen „Perspektiven eines europäischen Arbeitsmarktes“ und „Allgemeine und berufliche Bildung“.153

144 Vgl. Übersicht bei Weiss, FS für Kissel, S. 1253 (1259 f.); Wisskirchen, FS für Arbeitsgerichtsverband, S. 653 (666 ff.); Jacobi, Sozialer Dialog, S. 257 (266 f.); siehe auch KOM (96) 448 endg. v. 18. 09. 1996, S. 3. 145 Bleckmann-Coen, Europarecht, Rn. 2508; Däubler, Tarifvertragsrecht, Ziff. 1727 ff. (S. 710 f.); Weiss, FS für Kissel, S. 1253 (1259); Blanpain / Schmidt / Schweibert, Europäisches Arbeitsrecht, Ziff. 490 (S. 349 f.); KOM (96) 448 endg. v. 18. 09. 1996, S. 3. 146 Zur Gewerkschaftssicht vgl. Schmitz, Sozialraum Europa, S. 103 ff.; zur Arbeitgebersicht vgl. Thüsing, Sozialraum Europa, S. 107 ff. 147 s. o. § 3 II. 148 Däubler / Kittner / Lörcher, Internationale Arbeits- und Sozialordnung, Nr. 400 (S. 697); Blank, FS für Gnade, S. 649 (653). 149 Blank, FS für Gnade, S. 649 (653); Konzen, EuZW 1995, S. 39 (40); Lenze, NZS 1996, S. 313 (315); v. der Groeben / Thiesing / Ehlermann-Schulte, EGV, Art. 118b Rn. 19 m. w. N. 150 KOM (89) 568 endg. v. 29. 11. 1989; Preis / Gotthardt, EAS, B 1100 Rn. 11. 151 Vgl. Schwarze, EAS, B 8100 Rn. 10. Das Aktionsprogramm führte allerdings zur Verabschiedung von zwölf Richtlinien in Fragen der Gesundheit und Sicherheit am Arbeitsplatz; vgl. Lenze, NZS 1996, S. 313 (315). 152 KOM (89) 568 endg. v. 29. 11. 1989. 153 N.N., EIRR 1992 (220), S. 25 (27); Piazolo, Sozialer Dialog, S. 32.

4 Spieß

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2. Teil: Art und Umfang der Normsetzung

c) Maastrichter Vertrag und Abkommen über die Sozialpolitik Die Vorbereitungen für den Maastrichter Vertrag waren von dem Bemühen geprägt, die sozialpolitischen Vorschriften des EWGV auszuweiten.154 Ziel war, eine Europäische Union – bestehend aus Wirtschafts- und Währungsunion sowie Politischer Union – zu gründen.155 Bereits im März 1991 unterbreitete die Kommission einen Vorschlag, der eine „Soziale Dialog“-Klausel enthielt. Diese Klausel lehnte sich an die französische Ansicht der Allgemeinverbindlicherklärung von 1985 an und sah zudem eine Zustimmung der Sozialpartner vor. Nach ihr sollte es der Kommission erlaubt sein, Vereinbarungen der Sozialpartner dem Rat zur verbindlichen Rechtsetzung vorzuschlagen. Die Sozialpartner sollten unter Androhung einer Gemeinschaftsgesetzgebung zu einer Konsensfindung angehalten werden.156 Der Kommissionsvorschlag beeinflußte wesentlich den zweiten luxemburgischen Präsidentschaftsentwurf vom 20. Juni 1991, der eine wichtige Verhandlungsgrundlage der Regierungskonferenz über die Politische Union in Maastricht bildete. Dieser sah für die Sozialpartner die Möglichkeit vor, Vereinbarungen zu schließen, die von der Kommission dem Rat zur Umsetzung vorgelegt werden sollten.157 Dieser Entwurf fand aber weder durch die Mitgliedstaaten158 noch durch die Sozialpartner159 die volle Unterstützung. Da die Verhandlungen stockten, regte die deutsche Delegation eine Regelung durch die europäischen Sozialpartner selbst 154 Bercusson, ILJ 1994, S. 1 (4 f.); Weiss, IJCLLIR 1992, S. 3; Whiteford, ELR 1993, S. 202 (211); KOM (96) 448 endg. v. 18. 09. 1996, Ziff. 5 (S. 2); ausführlich zu den Vorbereitungen des Verhandlungen Schulz, SF 1992, S. 135 (137 ff.); Schuster, EuZW 1992, S. 178 (179 ff.); Wank, RdA 1995, S. 10 (12 ff.). 155 Zu diesem Zweck rief der Europäische Rat gem. Art. 236 EWGV am 15. Dezember 1990 eine Regierungskonferenz zur Politischen Union in Rom ein. 156 Der Vorschlag der Kommission ist teilweise abgedruckt in: Bull. EG Beilage 2 – 1991, S. 137 – 143; außerdem sah der Entwurf der Kommission vor, die Gemeinschaftszuständigkeiten in der Sozialpolitik und die Bereiche der qualifizierten Mehrheitsbeschlüsse zu erweitern. 157 Schulz, Sozialpolitik, S. 62 und 82 ff.; die Ratspräsidentschaft stellte im ersten Halbjahr 1991 Luxemburg, im zweiten Halbjahr 1991 die Niederlande. 158 Auf dem dreizehnten Treffen der Ständigen Vertreter der Regierungen im April 1991 sprach sich insbesondere Großbritannien gegen eine Änderung im sozialen Bereich aus. Divergenzen herrschten auch in der Frage der Abstimmungsverhältnisse; vgl. ausführlich Schulz, Sozialpolitik, S. 66 ff.; Ross, Jacques Delors, S. 103. 159 Auf dem Apriltreffen der Sozialen Dialog ad hoc Gruppe war UNICE z. B. der Ansicht, daß die Europäische Gemeinschaft nur in die sozialen Angelegenheiten einbezogen sein sollte, ohne die der einheitliche Markt nicht funktionieren könne. Sie sei von allem ausgeschlossen, was quantitativ (Lohn, Arbeitszeit, Urlaub, etc.), stark sozio-kulturell (Arbeitsbeziehungen), kollektiv oder individuell ausgehandelt worden sei. Der EGB setzte sich dagegen dafür ein, daß der Einfluß der Europäischen Gemeinschaft auf sozialen Gebiet zunahm. Er befürwortete deshalb die dem Kommissionsvorschlag zugrunde liegende Idee des „negotiate or we’ll legislate“, vgl. Ross, Jacques Delors, S. 150; Piazolo, Sozialer Dialog, S. 33.

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an.160 UNICE, CEEP und EGB nahmen daraufhin Verhandlungen zur Erarbeitung eines eigenen Vorschlags auf, die nach mehreren Monaten am 31. Oktober 1991 unter Leitung der Kommission zu einer Vereinbarung führten.161 Diese wurde im wesentlichen in den letzten niederländischen Präsidentschaftsentwurf übernommen.162 Auf der Maastrichter Regierungskonferenz scheiterten die Änderungen im sozialpolitischen Bereich an der fehlenden Zustimmung des Vereinigten Königreichs, das die Sozialpolitik unverändert sehen wollte.163 Um die Verhandlungen und den Abschluß des Maastrichter Vertrages nicht zu gefährden, schlug die niederländische Präsidentschaft einen Kompromiß vor: Die Vorschriften, welche die Art. 117 ff. EWGV hätten ersetzen sollen, wurden in einem „Abkommen zwischen den Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaft mit Ausnahme des Vereinigten Königreichs Großbritannien und Nordirland über die Sozialpolitik“ zusammengefaßt. Hierzu waren die damals elf Mitgliedstaaten durch das auch vom Vereinigten Königreich unterzeichnete „Protokoll über die Sozialpolitik“ zum Maastrichter Vertrag ermächtigt worden. Das Protokoll war nach seinem Abs. 3 und Art. 239 EGV a.F. Bestandteil des EGV. Es berechtigt die Mitgliedstaaten ohne das Vereinigte Königreich, die Organe, Verfahren und Mechanismen des Vertrages in Anspruch zu nehmen, um die erforderlichen Rechtsakte und Beschlüsse zur Umsetzung des genannten Abkommens untereinander anzunehmen und anzuwenden. Der Wortlaut der Art. 3 f. AbkSozPol stimmte mit dem Vorschlag der Sozialpartner überein.164 Durch das Abkommen über die Sozialpolitik sind nicht nur die Kompetenzen der Gemeinschaft auf sozialpolitischem Gebiet ausgeweitet und das Einstimmigkeitserfordernis weitgehend durch das Erfordernis der qualifizierten Mehrheit abgelöst worden (Art. 1 S. 2, 2 Abs. 1, 2 AbkSozPol). Die Sozialpartner haben als geistige Urheber der Neugestaltung vor allem ihre eigene Position gestärkt (Art. 3, 4 AbkSozPol): Zum einen wurde der Kommission die Pflicht auferlegt, die Sozialpartner im Vorfeld über die Zweckmäßigkeit und den Inhalt einer geplanten Gemeinschaftsaktion zu konsultieren. Zum anderen wurde den Sozialpartnern die Schulz, Sozialpolitik, S. 85 f. Blanpain / Schmidt / Schweibert, Europäisches Arbeitsrecht, Ziff. 168 ff. (S. 121 ff.); Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände, Jahresbericht 1991, S. 151; Kampmeyer, Sozialpolitik, S. 82; Schulz, Sozialpolitik, S. 85 f.; Weiss, FS für Kissel, S. 1253 (1261); Weiss, IJCLLIR 1992, S. 3 (10). 162 Coen, BB 1992, S. 2068 (2070); Däubler, Tarifvertragsrecht, Ziff. 1722a (S. 708). Der erste niederländische Entwurf war bloß ein informelles Papier und wurde nicht als Grundlage für die Verhandlungen zur Politischen Union herangezogen, vgl. Buda, Europäische Arbeitsbeziehungen, S. 289 (294); Schulz, Sozialpolitik, S. 84 ff. 163 Schuster, EuZW 1992, S. 178; zu den Gründen des Vereinigten Königreichs vgl. Watson, CML Rev. 1993, S. 481 (486 ff.). 164 Die Vereinbarung ist abgedruckt in: Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände, Jahresbericht 1991, S. 151 f.; Weiss, FS für Gnade, S. 583 (591 ff.). 160 161

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2. Teil: Art und Umfang der Normsetzung

Möglichkeit eingeräumt, einen von der Kommission geplanten Rechtsakt an sich zu ziehen und durch eine eigene Vereinbarung zu ersetzen. Diese konnte gem. Art. 4 Abs. 2, S. 1, 2. Alt. AbkSozPol durch einen Ratsbeschluß umgesetzt werden. Die Sozialpartner verfügen seitdem über eine verbesserte und erweiterte Gelegenheit, Umfang und Qualität der Europäischen Sozialpolitik mitzugestalten und einen eigenständigen Beitrag zur Europäischen Integration zu leisten.165 Der Kommission kommt keine moderierende Funktion mehr zu. Die Sozialpartner ersetzten 1992 den Lenkungsausschuß und die SozialeDialog-ad-hoc-Arbeitsgruppe durch einen Ausschuß „Sozialer Dialog“,166 um die neuen gemeinschaftlichen Verfahren im Abkommen über die Sozialpolitik besser nutzen zu können.167 Dieser Ausschuß legte die Mandate für die seit 1989 bestehende Arbeitsgruppe „Allgemeine und berufliche Bildung“ und die wiederbelebte Arbeitsgruppe „Makroökonomie“ fest.168 Der Ausschuß „Sozialer Dialog“ war sehr aktiv.169

d) Problem der bisher zweigeteilten Rechtsgrundlagen Mit dem Inkrafttreten des Maastrichter Vertrages am 1. November 1993 entstand auf dem Gebiet der Sozialpolitik vorübergehend eine Zweispurigkeit der Rechtsgrundlagen und ein „Europa der zwei Geschwindigkeiten“.170 Neben den für die herkömmliche Gemeinschaft der zwölf Mitgliedstaaten geltenden EGV a.F. trat das für die „Gemeinschaft der Elf“ – nach dem Beitritt von Finnland, Österreich und Schweden 1995 für die „Gemeinschaft der Vierzehn“ – geltende Abkommen über die Sozialpolitik, das nicht für das Vereinigte Königreich galt. Der Soziale Dialog war zum einen in Art. 118b EGV a.F., zum anderen in Art. 3 f. AbkSozPol geregelt. Diese Zweispurigkeit warf verschiedene Rechtsfragen im Zusammenhang mit dem 165 Zu den „Neuerungen“ durch das Abkommen über die Sozialpolitik vgl. Blank, FS für Gnade, S. 649 (654 ff.); Fuchs / Marhold, Europäisches Arbeitsrecht, S. 11 ff., 153 ff.; Hornung-Draus, EuroAS 7 / 1993, S. 6 f.; Keller / Sörries, MittAB 1999, S. 118; Lenze, NZS 1996, S. 313 (315 ff.); Schulz, Sozialpolitik, S. 86; ders., SF 1992, S. 79 (81 ff.); Weiss, FS für Kissel, S. 1253 (1262); Däubler, EuZW 1992, S. 329; Wank, RdA 1995, S. 10 (18 ff.); KOM (98) 322 endg. v. 20. 05. 1998, S. 3. 166 Gemeinsame Erklärung der Sozialpartner zur Zukunft des Sozialen Dialogs v. 03. 11. 1992, abgedruckt in Soziales Europa 2 / 1993, S. 211; Grabitz / Hilf-Langenfeld / Jansen, EGV, Art. 118 Rn. 1 (Stand: Oktober 1995); zur Zusammensetzung des Ausschusses vgl. Buda, Europäische Arbeitsbeziehungen, S. 289 (314 Fn. 13); Bleckmann-Coen, Europarecht, Rn. 2509 Fn. 74. 167 Bleckmann-Coen, Europarecht, Rn. 2509; v. der Groeben / Thiesing / EhlermannSchulte, EGV, Art. 118b Rn. 17; Jacobi, Sozialer Dialog, S. 257 (267); Weiss, FS für Gnade, S. 583 ff. 168 Buda, Europäische Arbeitsbeziehungen, S. 289 (294). Zu den bisher auf der Grundlage des Sozialabkommens verabschiedeten Vereinbarungen s. u. § 3 IV. 169 KOM (1998) 322 endg. v. 20. 05. 1998, S. 15. 170 Schuster, EuZW 1992, S. 178; Lenze, NZS 1996, S. 313 (314).

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Abkommen über die Sozialpolitik, insbesondere Abgrenzungsprobleme im Verhältnis zum EGV a.F. auf.171 Mit der Eingliederung des Abkommens über die Sozialpolitik in den Amsterdamer Vertrag haben sich diese Probleme erledigt.

e) Amsterdamer Vertrag Am 29. März 1996 wurde – wie in Art. N Abs. 2 EUV a.F. vorgesehen – in Turin die erste Regierungskonferenz mit 15 Mitgliedstaaten einberufen, die sich mit der Revision des Maastrichter Vertrages befaßte. Hier wurden die Weichen für den Amsterdamer Vertrag gestellt.172 Das Ziel der Kommission, die Regelungen des Abkommens über die Sozialpolitik in den für alle Mitgliedstaaten gültigen EGVertrag einzugliedern,173 hing von der Zustimmung Großbritanniens ab. Nachdem es im Mai 1997 durch einen Wahlsieg der Labour-Partei zu einem Regierungswechsel gekommen war, erklärte sich das Vereinigte Königreich bereit, die Regelungen des Sozialabkommens zu akzeptieren.174 Auf dem Gipfel von Amsterdam am 16. / 17. Juni 1997 wurde daraufhin ein Vertragsentwurf erarbeitet (Amsterdamer Vertrag), der die Integration des Sozialabkommens in den EGV vorsieht und das 14. Protokoll und das Abkommen im Zeitpunkt seines Inkrafttretens aufhebt.175 Nachdem der Entwurf am 2. Oktober 1997 von allen 15 Mitgliedstaaten unterschrieben und die erforderlichen Zustimmungsverfahren in den Parlamenten der Mitgliedstaaten176 durchgeführt worden waren, trat der Unionsvertrag in seiner durch den Amsterdamer Vertrag vom 02. 10. 1997 geänderten Fassung am 01. 05. 1999 in Kraft.177 Das Abkommen über die Sozialpolitik, das in den Hauptteil des Vertrages von Amsterdam aufgenommen wurde, ersetzt im wesentlichen die Art. 117 bis 119 EGV a.F. durch die Art. 136 bis 141 EGV.178 Durch den Amsterdamer Vertrag wurde wieder eine einheitliche Rechtsgrundlage für den Sozialen Dialog und die Sozialpolitik insgesamt geschaffen. Durch ihn wurden die Übersichtlichkeit und 171 Vgl. hierzu Balze, Sozialpolitische Kompetenzen, S. 253; Schuster, EuZW 1992, S. 178 (181 ff.); Schulz, SF 1992, S. 80 f.; Wank, RdA 1995, S. 10 (23); Piazolo, Sozialer Dialog, S. 61 ff. 172 Herdegen, Europarecht, Rn. 55; Lenz-Bitterlich, EGV, Einführung Rn. 1. 173 KOM (96) 448 endg. v. 18. 09. 1996, S. 2. 174 Dies war ursprünglich bereits bei den Verhandlungen über den Maastrichter Vertrag vorgesehen, vgl. Fn. 67. 175 Bergmann / Lenz-Langer, Amsterdamer Vertrag, Kapitel 4 Rn. 25. 176 Siehe hierzu Art. 313 Abs. 2 EGV, wonach der Vertrag am ersten Tag des auf die Hinterlegung der letzten Ratifikationsurkunde folgenden Monats in Kraft tritt; vgl. auch Bergmann / Lenz, Amsterdamer Vertrag, Vorwort, S. 9; Herdegen, Europarecht, Rn. 55. 177 BGBl. 1999 II, S. 296. 178 Die Art. 136 ff. EGV stehen nicht mehr im VIII., sondern im XI. Kapitel des EGV. Art. 1 AbkSozPol wurde zu Art. 136 EGV, Art. 2 AbkSozPol zu Art. 137 EGV, Art. 3 AbkSozPol zu Art. 138 EGV und Art. 4 AbkSozPol zu Art. 139 EGV.

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2. Teil: Art und Umfang der Normsetzung

regelungstechnische Rationalität wiederhergestellt. Eine inhaltliche Änderung hat der Amsterdamer Vertrag nicht bewirkt.179 Es gelten daher die Erkenntnisse zum Sozialabkommen. f) Ausblick auf den Vertrag von Nizza Der auf dem Europäischen Rat von Nizza am 7. bis 9. Dezember 2000 gebilligte und am 26. Februar 2001 von den Mitgliedstaaten unterzeichnete Vertrag von Nizza180 läßt die Kernvorschriften des Sozialen Dialogs, die Art. 138 f. EGV im wesentlichen unberührt.181 Veränderungen sieht er für die sozialpolitische Kompetenzvorschrift des Art. 137 EGV vor. Darauf wird an anderer Stelle einzugehen sein.182 Zusammenfassend läßt sich feststellen, daß der Soziale Dialog mit der Zeit institutionell ausgebaut und der formelle Dialog etabliert wurde. Die Inhalte des Sozialen Dialogs haben sich zunehmend von wirtschaftspolitischen zu sozialpolitischen gewandelt. Für den vorliegenden Zusammenhang besonders wichtig ist der Bedeutungszuwachs, den die Sozialpartner erfahren haben: Mit der Verdrängung der Kommission aus ihrer moderierenden Position bei den Sozialpartnergesprächen und der Einbeziehung der Sozialpartner in einen Rechtsetzungsprozeß ist ihre vielfältig beratende in eine legitimatorische Funktion übergegangen. Sie können im Rahmen des formellen Sozialen Dialogs die Initiative der Kommission, d. h. das Verfahren an sich ziehen und eigenständig sozialpolitische Vorschläge formulieren. Darin liegen die Besonderheiten des formellen Sozialen Dialogs.

IV. Bisherige Vereinbarungen i.R.d. formellen Sozialen Dialogs Die europäischen Sozialpartner haben auf der branchenübergreifenden Ebene bisher zahlreiche mehr oder weniger formelle Verhandlungen geführt.183 Hier soll 179 Lenz-Coen, EGV, Art. 138 Rn. 5; Bergmann / Lenz-Langer, Amsterdamer Vertrag, Kapitel 4 Rn. 25 ff.; Keller, WSI Mitteilungen 1999, S. 109 (112). 180 ABl. C 80 v. 10. 03. 2001, S. 1 ff. Sein Inkrafttreten wird frühestens für Anfang 2003 erwartet. 181 Sprachlich leicht verändert wurde wegen der Anpassung an den reformierten Art. 137 Art. 139 Abs. 2 S. 2 EGV. Dies sieht auch Fischer, Vertrag von Nizza, S. 121, so. Letzterer lautet nun: „Der Rat beschließt mit qualifizierter Mehrheit, sofern nicht die betreffende Vereinbarung eine oder mehrere Bestimmungen betreffend einen der Berreiche enthält, für die nach Artikel 137 Absatz 2 Einstimmigkeit erforderlich ist. In diesem Fall beschließt der Rat einstimmig.“ 182 s. u. § 5 I. 2. 183 Vgl. zu den Ergebnissen dieser Verhandlungen oben die Geschichte des Sozialen Dialogs (§ 3 III.) und beispielhaft Buda, Europäische Arbeitsbeziehungen, S. 289 (320 f.); Jacobi, Sozialer Dialog, S. 257 (266 f.); KOM (96) 448 endg. v. 18. 09. 1996, S. 3 ff.; Wisskirchen, FS für Arbeitsgerichtsverband, S. 653 (664 ff.). Nach KOM (2002) 341 endg.

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nur auf die Ergebnisse näher eingegangen werden, die im formellen Verfahren der Art. 3 f. AbkSozPol bzw. Art. 138 f. EGV zustande gekommen sind.184 Bisher ist es in vier Fällen zum erfolgreichen Abschluß einer Vereinbarung i.S.v. Art. 139 Abs. 1 EGV gekommen: dem Elternurlaub, der Teilzeitarbeit, den befristeten Arbeitsverträgen und der Telearbeit.

1. Rahmenvereinbarung über den Elternurlaub Die erste Vereinbarung, die die Sozialpartner auf Grundlage des Abkommens über die Sozialpolitik geschlossen haben und der Rat mit dem Verfahren nach Art. 139 Abs. 2 S. 1, 2. Alt. EGV durch eine Richtlinie umgesetzt hat, ist die Rahmenvereinbarung über den Elternurlaub.

a) Entstehungsgeschichte Die Kommission hatte bereits in den Jahren 1983185 und 1984186 Vorschläge für eine Richtlinie über Elternurlaub und Urlaub aus familiären Gründen vorgelegt. Elf Jahre später hatte der Rat immer noch keine Einigung erzielt. Gründe hierfür waren das Einstimmigkeitserfordernis (Art. 100 EWGV) und die ablehnende Haltung des Vereinigten Königreichs. Die Kommission entschied sich daher im Februar 1995, die Sozialpartner auf Grundlage des im Abkommen vorgesehenen neuen Verfahrens zunächst über die Ausrichtung und dann über den Inhalt der geplanten Gemeinschaftsaktion anzuhören. Am 5. Juli 1995 baten die Organisationen UNICE, CEEP und EGB die Kommission, das Gesetzgebungsverfahren hinsichtv. 26. 06. 2002, S. 19, existieren auf der branchenübergreifenden Ebene etwa 40 gemeinsame Stellungnahmen, Erklärungen oder Empfehlungen. 184 Erstmals, aber im Ergebnis vergeblich, wurde das neue Verfahren des Abkommens über die Sozialpolitik zu der geplanten Richtlinie über die Einsetzung eines Europäischen Betriebsrats oder die Schaffung eines Verfahrens zur Unterrichtung und Anhörung der Arbeitnehmer in gemeinschaftsweit operierenden Unternehmen und Unternehmensgruppen eingeleitet. Nachdem sich die Sozialpartner trotz mehrerer informeller Treffen nicht darauf einigen konnten, Verhandlungen aufzunehmen, wurde die Richtlinie 94 / 45 / EG auf Vorschlag der Kommission durch den Rat im September 1994 erlassen. Zu ihrer Geschichte vgl. Keller / Sörries, New Social Dialogue, S. 17 (23 f.); KOM (96) 448 endg. v. 18. 09. 1996, Anhang I, S. V; Rademacher, Europäischer Betriebsrat, S. 33 ff.; Sandmann, Euro-Betriebsrats-Richtlinie, S. 15 ff.; Wirmer, DB 1994, S. 2134 ff.; Wisskirchen, FS für Wlotzke, S. 793 (801 f.). Ähnlich verlief es bei der Richtlinie 97 / 80 / EG über die Beweislast bei geschlechtsbedingter Diskriminierung; hierzu Britz / Schmidt, EuR 1999, S. 467 (471); Keller / Sörries, New Social Dialogue, S. 17 (24); KOM (96) 448 endg. v. 18. 09. 1996, Anhang I, S. VI, und bei den Anhörungen zu dem Problem der sexuellen Belästigung am Arbeitsplatz und der Information / Konsultation von Arbeitnehmern auf einzelstaatlicher Ebene, die beide 1997 stattfanden; hierzu Piazolo, Sozialer Dialog, S. 46 f.; N.N., EIRR 1996 (270), S. 2. 185 ABl. C 333 v. 09. 12. 1983, S. 6 ff. = KOM (83) 686 endg. v. 22. 11. 1983. 186 ABl. C 316 v. 27. 11. 1984, S. 7 ff. = KOM (84) 631 endg. v. 09. 11. 1984.

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2. Teil: Art und Umfang der Normsetzung

lich des Elternurlaubs auszusetzen, da sie in Verhandlungen über den Elternurlaub eintreten und einen eigenen Vorschlag aushandeln wollten. Nach Abschluß der Verhandlungen schlossen die Sozialpartner am 14. Dezember 1995 eine Rahmenvereinbarung, die sie der Kommission übermittelten. Auf Antrag der Sozialpartner schlug die Kommission dem Rat die Durchführung der Vereinbarung vor.187 Am 3. Juni 1996 wurde der Vorschlag durch einen Ratsbeschluß in Form einer Richtlinie verabschiedet.188 Die Mitgliedstaaten hatten bis zum 3. Juni 1998 Zeit, die Richtlinie in nationales Recht umzusetzen.189 Die nationalen Umsetzungsverfahren sind inzwischen abgeschlossen.

b) Inhalt Kernbestand der Richtlinie ist die von den Sozialpartnern geschlossene Rahmenvereinbarung.190 Sie gewährt erwerbstätigen Frauen und Männern ein individuelles Recht auf Elternurlaub im Fall der Geburt oder Adoption eines Kindes für die Dauer von mind. drei Monaten (§ 2 Ziff. 1). Der Rechtsanspruch ist nicht übertragbar und kann bis zum achten Lebensjahr des Kindes eingelöst werden (§ 2 Ziff. 2). Flankiert wird dieses Recht mit Regelungen über den Kündigungsschutz und die Besitzstandswahrung (§ 2 Ziff. 4 ff.). Ferner enthält die Rahmenvereinbarung einen kurzfristigen Freistellungsanspruch im Falle höherer Gewalt wegen dringender familiärer Gründe bei z. B. Krankheit und Unfällen (§ 3). Der persönliche Geltungsbereich umfaßt alle Frauen und Männer, die einen Arbeitsvertrag haben bzw. in einem Arbeitsverhältnis stehen (§ 1 Ziff. 2). Den Abschluß bilden detaillierte Umsetzungsvorschriften (§ 4).191 Die Rahmenvereinbarung enthält Mindestanforderungen in Bezug auf die Vereinbarkeit von Familie und Beruf (Präambel Abs. 1, § 1 Ziff. 1). Dies bedeutet einerseits, daß den Mitgliedstaaten und nationalen Sozialpartnern ein gewisser Handlungsspielraum belassen wird. Sie können die Voraussetzungen und Modalitäten für die Inanspruchnahme des Elternurlaubs regeln (Allgemeine Erwägungen Der Vorschlag der Kommission findet sich in KOM (96) 26 endg. v. 31. 01. 1996. Richtlinie 96 / 34 / EG des Rates v. 03. 06. 1996 zu der von UNICE, CEEP und EGB geschlossenen Rahmenvereinbarung über Elternurlaub, ABl. L 145 v. 19. 06. 1996, S. 4 ff., geändert durch Richtlinie 97 / 75 / EG des Rates v. 15. 12. 1997, ABl. L 10 v. 16. 01. 1998, S. 24, wegen der Ausdehnung auf das Vereinigte Königreich. Ausführlich zu der Richtlinie und ihrer Entstehungsgeschichte Dötsch, AuA 1998, S. 262 ff.; KOM (96) 448 endg. v. 18. 09. 1996, Anhang I, S. V f.; dies. (1996) 26 endg. v. 31. 01. 1996, S. 2 ff.; Mlinek, infas 1996, S. 3 ff.; Schmidt, BCLR 1998, S. 181 ff.; Piffl-Pavelec, DRdA 1996, S. 531 ff. 189 Für das Vereinigte Königreich von Großbritannien und Nordirland wurde durch die Änderungsrichtlinie 97 / 75 / EG des Rates v. 15. 12. 1997, ABl. L 10 v. 16. 01. 1998, S. 24, der Zeitraum auf den 15. Dezember 1999 verlängert. 190 Vgl. Art. 1 der Richtlinie, der auf die im Anhang der Richtlinie aufgeführte Rahmenvereinbarung zwischen den Sozialpartnern verweist. 191 Vgl. die Richtlinie 96 / 34 / EG s. o. 187 188

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Ziff. 9) und günstigere Bestimmungen festlegen, als sie in der Rahmenvereinbarung vorgesehen sind (Paragraph 4 Ziff. 1). Andererseits beinhalten die Mindeststandards klar umrissene individuelle Ansprüche und Verpflichtungen.192 Gegenüber der Sozialpartnervereinbarung wird teilweise die Kritik geäußert, daß sie hinter den meisten nationalen Standards zurückbleibt und nur in wenigen Mitgliedstaaten zu rechtlichen Verbesserungen führt.193

2. Rahmenvereinbarung zur Teilzeitarbeit Ergebnis der Konsultationen zum Thema „Flexibilisierung der Arbeitszeit und Absicherung der Arbeitnehmer“ war die zweite Rahmenvereinbarung zwischen UNICE, CEEP und EGB zur Teilzeitarbeit.

a) Entstehungsgeschichte Nachdem die Kommission sich umsonst bemüht hatte, Mindestbedingungen für atypische Arbeitsverhältnisse durch Richtlinien zu regeln,194 leitete sie Konsultationen der Sozialpartner zum Thema „Flexibilisierung der Arbeitszeit (Zeitverträge, Teilzeitbeschäftigung, Zeitarbeit) und Absicherung der Arbeitnehmer“ ein. Nach einer ersten ausführlichen Anhörungsrunde im September 1995 setzte die Kommission das Verfahren im April 1996 mit einer zweiten Anhörung der Sozialpartner fort. Am 19. Juni 1996 teilten die Sozialpartner der Kommission ihren Entschluß mit, Verhandlungen auf der Grundlage von Art. 3 Abs. 4 AbkSozPol aufzunehmen. Problematisch war, den Inhalt der Verhandlungen festzulegen, die im Oktober 1996 begannen. Während UNICE nur eine Regelung für „ständige Teilzeitbeschäftigte“ treffen wollte, wollte der EGB alle Formen atypischer Arbeitsverhältnisse erfassen.195 Trotz dieser Meinungsunterschiede konnten sie sich zusammen mit dem CEEP am 6. Juni 1997 auf eine Rahmenvereinbarung zur Teilzeitarbeit einigen. Diese wurde vom Rat mit der Richtlinie 97 / 81 / EG vom 15. Dezember 1997196 für verbindlich erklärt. Sie verpflichtet die Mitgliedstaaten, die Richtlinie bis zum 20. Januar 2000 in nationales Recht umzusetzen.197 192 Dötsch, AuA 1998, S. 262; KOM (96) 26 endg. v. 31. 01. 1996, S. 12; Mlinek, infas 1996, S. 3 (4); Piffl-Pavelec, DRdA 1996, S. 531 ff.; Zachert, FS für Schaub, S. 811 (816 f.). 193 Vgl. Keller / Sörries, New Social Dialogue, S. 17 (26). 194 Vgl. die drei Richtlinienvorschläge der Kommission über atypische Beschäftigungsverhältnisse (Teilzeitarbeit, befristete Arbeitsverhältnisse, Leiharbeit), KOM (90) 228 endg. v. 13. 08. 1990. Zur Vorgeschichte s. KOM (99) 203 endg. v. 01. 05. 1999 und Schmidt, Richtlinienvorschläge der Kommission, S. 144 ff. 195 N.N., EIRR 1997 (278), S. 3. 196 Richtlinie 97 / 81 / EG des Rates v. 15. 12. 1997 zu der von UNICE, CEEP und EGB geschlossenen Rahmenvereinbarung über Teilzeitarbeit, ABl. L 14 v. 20. 01. 1998, S. 9 ff.

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2. Teil: Art und Umfang der Normsetzung

b) Inhalt Inhaltlich beschränkt sich die Richtlinie darauf, die Durchführung der zwischen den Sozialpartnern geschlossenen Rahmenvereinbarung, die im Anhang enthalten ist, anzuordnen. Die zentrale Regelung der Vereinbarung betrifft den Grundsatz der Nichtdiskriminierung. Danach dürfen Teilzeitbeschäftigte in ihren Beschäftigungsbedingungen gegenüber vergleichbaren Vollzeitbeschäftigten nicht schlechter behandelt werden, es sei denn, objektive Gründe rechtfertigen die unterschiedliche Behandlung (§ 4 Ziff. 1, 2). Im Unterschied zur Elternurlaubsvereinbarung sind die Arbeitgeberverpflichtungen Soll- oder Kann-Bestimmungen, also rein deklaratorischen oder empfehlenden Charakters. So heißt es z. B. in § 5 Ziff. 2: Die Weigerung der Beschäftigten, sich von Vollzeit- auf Teilzeitarbeit oder umgekehrt zwangsumsetzen zu lassen, „sollte ( . . . ) als solche keinen gültigen Kündigungsgrund darstellen“. Auffällig sind auch die zahlreichen Öffnungs- und Ausnahmebestimmungen zum Grundsatz der Nichtdiskriminierung (§ 5 Ziff. 3). Teilzeitbeschäftigte, die auf sporadischer Basis arbeiten, können z. B. aus sachlichen Gründen ganz oder teilweise von den Bestimmungen der Vereinbarung ausgeschlossen werden (§ 2 Ziff. 2). Die Vereinbarung, die auch nur Mindestanforderungen regelt, bleibt hinter den Richtlinienvorschlägen der Kommission198 und der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH)199 zurück. Es ist zweifelhaft, ob es zu einer realen Verbesserung der Situation der Teilzeitbeschäftigten kommt.200

3. Rahmenvereinbarung zu den befristeten Arbeitsverträgen Drittes Abkommen nach dem Verfahren der Art. 138 f. EGV ist die Rahmenvereinbarung von UNICE, CEEP und EGB zu den befristeten Arbeitsverträgen.

197 Zur Entstehungsgeschichte der Richtlinie vgl. Dötsch, AuA 1998, S. 262 (263); KOM (96) 448 endg. v. 18. 09. 1996, Anhang I, S. VI; Kreimer-de Fries, AuR 1997, S. 314; Schmidt, NZA 1998, S. 576. Zu den nationalen Ratifizierungsverfahren sind Informationen nicht zugänglich; vgl. http: // europa.eu.int / comm / employment_social / equ_opp / rights_ de.html#part v. 20. 02. 2002. Bei besonderen Schwierigkeiten bei der Umsetzung kann die Frist um ein Jahr verlängert werden; vgl. http: // europa.eu.int / comm / employment_social / soc-dial / social / news / fixed _de.htm v. 20. 02. 2002. 198 ABl. C 62 v. 12. 03. 1982, S. 7 f., geändert durch ABl. C 18 v. 22. 01. 1983, S. 5 ff. 199 EuGH v. 06. 02. 1996, Rs. C-457 / 93, NZA 1996, S. 319 ff.; v. 02. 10. 1997, NZA 1997, S. 1221 f. 200 Dötsch, AuA 1998, S. 262 (263); Kreimer-de Fries, AuR 1997, S. 314 (315); kritisch zu der Richtlinie auch Wißmann, RdA 1999, S. 152 (157 f.).

§ 3 Formeller Sozialer Dialog

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a) Entstehungsgeschichte Aus dem Bereich „Flexibilisierung der Arbeitszeit und Absicherung der Arbeitnehmer“, zu dem die Kommission die Sozialpartner im September 1995 und April 1996 angehört hat, haben letztere nur die Teilzeitarbeit, nicht aber andere atypische Arbeitsverhältnisse wie den befristeten Arbeitsvertrag und die Leih- / Zeitarbeit geregelt.201 Am 23. März 1998 kündigten die Sozialpartner UNICE, CEEP und EGB ihre Absicht an, Verhandlungen aufzunehmen. Nach Ablauf der neunmonatigen Frist baten sie die Kommission entsprechend Art. 138 Abs. 4 EGV um eine Verlängerung der Verhandlungsfrist bis zum 31. März 1999, die sie ihnen auch gewährte. Am 18. März 1999 unterzeichneten die Sozialpartner die Rahmenvereinbarung. Die Europäische Kommission unterbreitete dem Rat auf Antrag der Sozialpartner am 28. April 1999 den Vorschlag, die Rahmenvereinbarung über befristete Arbeitsverträge in Gemeinschaftsrecht umzusetzen.202 Diesem Vorschlag kam der Rat mit dem Erlaß der Richtlinie 99 / 70 / EG vom 28. Juni 1999 nach.203 Die Frist für die einzelstaatlichen Umsetzungsakte lief bis zum 10. Juli 2001. b) Inhalt Die Richtlinie beschränkt sich auch hier darauf, die Rahmenvereinbarung rechtsverbindlich zu machen. Ziel der Rahmenvereinbarung ist es, die Qualität der befristeten Arbeitsverträge durch die Anwendung des Grundsatzes der Nichtdiskriminierung gegenüber den unbefristeten Arbeitsverhältnissen zu verbessern. Ausnahmen hiervon kann es nur bei objektiv entgegenstehenden Gründen geben (§ 4 Ziff. 4). Zugleich soll ein Rahmen geschaffen werden, der den Mißbrauch durch Abschluß aufeinanderfolgender befristeter Arbeitsverträge verhindert. Die Aneinanderkettung von Arbeitsverträgen soll daher nur unter strengen Bedingungen erlaubt sein (§ 5).204 Die Arbeitgeber werden verpflichtet, befristet Beschäftigte durch Aushänge im Unternehmen auf verfügbare unbefristete Arbeitsplätze im Unternehmen oder Konzern aufmerksam zu machen und ihnen den Zugang zu geeigneten Ausbildungsgelegenheiten zu erleichtern (§ 6). In den persönlichen Geltungsbereich fallen nur Arbeitnehmer, deren Arbeitsvertrag z. B. durch ein spezielles Datum oder den Eintritt eines bestimmten Ereignisses befristet ist (Definition vgl. § 3 Ziff. 1). Die Vereinbarung gilt nicht für Erstausbildungs- und Lehrverhältnisse sowie Verträge oder Arbeitsverhältnisse, die im Rahmen eines speziellen örtlichen Programms der beruflichen Ausbildung, EinVgl. BR-Drs. 689 / 97 v. 05. 09. 1997. KOM (99) 203 endg. v. 01. 05. 1999, S. 3, 13 ff.; vgl. http: // europa.eu.int / comm / dg05 / soc-dial / labour / com99 – 203 / com203_de.pdf. 203 Zur Richtlinie v. 28. 06. 1999 vgl. ABl. L 175 v. 10. 07. 1999, S. 43 f. und EAS A 3610. 204 Bull. EU 4-1999, S. 13 f. 201 202

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2. Teil: Art und Umfang der Normsetzung

gliederung und Umschulung oder von staatlich unterstützten Programmen zustande kamen (§ 2). Den Abschluß bilden Umsetzungsvorschriften (§ 8).205 Aus deutscher Sicht kommt der Rahmenvereinbarung kaum Bedeutung zu.206

4. Rahmenvereinbarung über Telearbeit Unter der Beteiligung von UEAPME schlossen die Sozialpartner UNICE, CEEP und EGB die vierte branchenübergreifende Rahmenvereinbarung über die Telearbeit. a) Entstehungsgeschichte Zeitgleich mit der Aufnahme von Verhandlungen über die Zeit- oder Leiharbeit zur Festlegung europaweiter Mindeststandards im Bereich der „atypischen Arbeitsverhältnisse“, die letztendlich scheiterten,207 hat die Kommission im Juni 2000 die Sozialpartner in einer ersten Runde zu der „Modernisierung und Verbesserung der Arbeitsbeziehungen“ angehört. Die Sozialpartner sollten bei der Gelegenheit eine Stellungnahme u. a. zu der Festlegung und Weiterentwicklung von Grundprinzipien zur Modernisierung der Arbeitsbeziehungen abgeben. Diese fiel eher zurückhaltend aus. Reges Interesse zeigten die Sozialpartner hingegen an der Telearbeit. Entsprechend sollte die zweite Anhörung der Sozialpartner auch die Telearbeit zum Gegenstand haben. Allerdings erklärte UNICE von Anfang an, daß sie nur eine unverbindliche Empfehlung abzugeben bereit sei, was dem EGB nicht genügte.208 Ange205 Zur Entstehungsgeschichte und zum Inhalt der Richtlinie vgl. Röthel, NZA 2000, S. 65 f.; N.N., NZA 1999, S. XI; Wank / Börgmann, RdA 1999, S. 383 ff.; vgl. zum Text der Rahmenvereinbarung KOM (99) 203 endg. v. 01. 05. 1999, Anhang (S. 18 ff.). 206 Weiss, IJCLLIR 1999, S. 97 (102 f.). 207 Die Arbeitnehmer- und Arbeitgebervertreter konnten sich nicht über die Zuordnung des Zeitarbeitnehmers zum Verleiher- oder Entleiher-Unternehmen einigen. Während UNICE grundsätzlich die Geltung der im Zweifel niedrigeren Standards des Verleihers und die Maßgeblichkeit des Entleihers nur für die Bereiche des Arbeitsschutzes und der Höchstarbeitszeit akzeptieren wollte, forderte der EGB die Maßgeblichkeit des Entleihers für alle grundlegenden Arbeitsbedingungen; vgl. Mitteilung der BDA v. 27. März 2001; FAZ v. 24. / 25. 03. 2001, S. 8. Zu den Verhandlungen http: // www.zdh.de / ak_info / archiv / zdh_b_00 / 10aug_c3.htm v. 21. 04. 2001. Nach dem Scheitern der Verhandlungen zwischen den branchenübergreifenden Sozialpartnern haben die Sozialpartner im Sektor Leiharbeit im Oktober 2001 eine gemeinsame Stellungnahme zu den Zielen einer künftigen Richtlinie über die Leiharbeit verfaßt. Sie wollen evtl. einen eigenen sektoralen Dialog einleiten. Die Kommission wiederum will einen Vorschlag für eine Richtlinie erarbeiten; vgl. die Kommissionsseite http: // europa.eu.int / comm / employment_social / news / 2001 / oct / 201_de.html v. 28. 11. 2001. 208 Mitteilung der BDA v. 07. Mai 2001. Den Wunsch nach unverbindlichen Stellungnahmen äußert auch die BDA; vgl. ihre Stellungnahme zur zweiten Stufe der Anhörung der Sozialpartner zur Modernisierung und Verbesserung der Arbeitsbedingungen TELEARBEIT v. 12. 04. 2001.

§ 3 Formeller Sozialer Dialog

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sichts dieser Probleme entschieden sich die Sozialpartner des Handelssektors, eine Rahmenvereinbarung zur Telearbeit im Handel zu schließen.209 Die zweite Anhörungsphase leitete die Kommission am 16. März 2001 ein. Sie forderte die Sozialpartner darin auf, Verhandlungen über die Telearbeit aufzunehmen. Dieser Aufforderung kamen die Sozialpartner EGB (und der EUROCADRES-CEC-Verbindungsausschuß), UNICE / UEAPME und CEEP im September 2001 nach. Die Verhandlungen endeten am 23. Mai 2002 mit dem Abschluß der Vereinbarung, die die Sozialpartner am 16. Juli 2002 unterzeichneten. 210 Die Vereinbarung soll erstmals von den Mitgliedern der an der Aushandlung der Vereinbarung beteiligten Organisationen entsprechend den für die Sozialpartner spezifischen Verfahren und Gepflogenheiten in den Mitgliedstaaten umgesetzt werden. Die Umsetzung soll innerhalb von drei Jahren erfolgen. Die Mitgliedsorganisationen haben über die Umsetzung Bericht zu erstatten.211

b) Inhalt Die von UNICE / UEAPME, CEEP und EGB unterzeichnete Vereinbarung212 legt eine Definition der Telearbeit vor. Danach ist Telearbeit „eine Form der Organisation und / oder Ausführung von Arbeit unter Verwendung von Informationstechnologie im Rahmen eines Arbeitsvertrages / eines Beschäftigungsverhältnisses, bei der die Arbeit, die auch in den Einrichtungen des Arbeitgebers ausgeführt werden könnte, regelmäßig außerhalb dieser Einrichtungen verrichtet wird“ (Ziff. 2). Die Vereinbarung regelt ferner, daß der Arbeitgeber dem Telearbeitnehmer schriftliche Informationen über die Abteilung des Unternehmens, der der Telearbeitnehmer zugeordnet ist, seinen unmittelbaren Vorgesetzten oder andere Kontaktpersonen zur Verfügung stellen muß (Ziff. 3). Die Telearbeitnehmer genießen hinsichtlich der Beschäftigungsbedingungen dieselben Rechte wie die in den Räumlichkeiten des Arbeitgebers tätigen Arbeitnehmer (Ziff. 4). Die Besonderheiten der Telearbeit sollen jedoch in Schlüsselbereichen wie dem Datenschutz, der Privatsphäre, der Ausrüstung, der Gesundheit und Sicherheit am Arbeitsplatz, der Arbeitsorganisation, der Weiterbildung sowie der kollektiven Rechte (Ziff. 5 – 11) Berücksichtigung finden.

209 Die Vereinbarung kam zwischen EUROCOMMERCE auf der Arbeitgeberseite und UNI-Europa commerce auf der Arbeitnehmerseite zustande; vgl. http: // europa.eu.int / comm / employment_ social / news / 2001 / may / 116_de.html #1 v. 20. 02. 2002. 210 Vgl. http: // europa.eu.int / comm / employment_social / news / 2002 / jul / 145_de.html v. 13. 12. 2002. 211 Vgl. Ziff. 12 der Rahmenvereinbarung. 212 Die Vereinbarung ist unter http: // europa.eu.int / comm / employment_social / news / 2002 / oct / teleworking_agreement_de.pdf v. 13. 12. 2002 und NZA 2002, S. 1268 f., zu finden.

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2. Teil: Art und Umfang der Normsetzung

V. Ergebnis Der formelle Soziale Dialog insbesondere auf der branchenübergreifenden Ebene bildet den Untersuchungsgegenstand, da nur er direkt zu einer Normsetzung führen kann. Er bezeichnet das institutionalisierte Gespräch der Sozialpartner mit der Kommission und untereinander. Bisher hat er erfolgreich zu vier Rahmenvereinbarungen geführt. Seine geschichtliche Entwicklung zeigt: Die beratende Tätigkeit der Sozialpartner hat sich aufgrund der Tatsache, daß sie sozialpolitische Vorschläge in einem Rechtsetzungsprozeß formulieren dürfen, zu einer legitimatorischen gewandelt. Damit wurde ihre Position gestärkt. Dies läßt eine zum Teil hoheitliche, zum Teil autonome Normsetzung vermuten. Zur Präzisierung der Normsetzung sind weitere Erwägungen anzustellen.

§ 4 Wirkung der Dialogergebnisse Eine autonome Normsetzung liegt vor, wenn Kollektivparteien Arbeitsbedingungen in einem von staatlicher Rechtsetzung frei gelassenen Raum in eigener Verantwortung mit normativer Wirkung für ihre Mitglieder regeln.213 Um über die besondere Notwendigkeit zur Anwendung des Demokratie- und Rechtsstaatsprinzips entscheiden zu können, ist es wichtig, die Wirkung der Dialogergebnisse zu klären. Fällt sie nur schuldrechtlich aus, spricht dies angesichts der letzten Endes zwingenden Wirkung der Dialogergebnisse für ein stärkeres Tätigwerden des gemeinschaftlichen Normsetzers. In diesem Fall wären die Prinzipien notwendig anzuwenden. Vorliegend ist nicht nur der normative, sondern bereits der schuldrechtliche Charakter der Dialogergebnisse problematisch. Im folgenden soll die Art der Bindungswirkung genauer untersucht werden. Möglicherweise fällt sie bei den „vertraglichen Beziehungen“ und den „Vereinbarungen“ unterschiedlich aus. Es ist deshalb zunächst das Verhältnis der Dialogergebnisse zueinander zu klären.

213 BVerfG v. 24. 05. 1977 – 2 BvL 11 / 74 –, BVerfGE 44, S. 322 (340 f.); v. 01. 03. 1979 – 1 BvR 532, 533 / 77, 419 / 78 und 1 BvL 21 / 78 –, BVerfGE 50, S. 290 (367); v. 20. 10. 1981 – 1 BvR 404 / 78 –, BVerGE 58, S. 233 (246); Kasseler Hdb-Dörner, 6.1 Rn. 5; MünchArbRRichardi, § 241 Rn. 4; MünchArbR-Löwisch / Rieble, § 246 Rn. 81 ff. Auf das deutsche Verständnis von der (tarif)autonomen Rechtsetzung wird zurückgegriffen, da auf europäischer Ebene ein Tarifvertragsrecht fehlt; dazu s. u. 4. Teil § 16 II. 1.

§ 4 Wirkung der Dialogergebnisse

63

I. Verhältnis von vertraglichen Beziehungen und Vereinbarungen zueinander Der Soziale Dialog kann nicht nur zu unverbindlichen Stellungnahmen und Empfehlungen, sondern gem. Art. 139 Abs. 1 EGV zur „Herstellung vertraglicher Beziehungen, einschließlich des Abschlusses von Vereinbarungen“ führen. Während bereits Art. 118b EGV a.F. die „vertraglichen Beziehungen“ erwähnte,214 fand der Begriff der „Vereinbarungen“ erst mit dem Abkommen über die Sozialpolitik Eingang in den Vertragstext. Hinsichtlich der Möglichkeit, „vertragliche Beziehungen“ herzustellen, ging Art. 118b EGV a.F. in Art. 4 Abs. 1 AbkSozPol als Var. 1215 auf. Art. 139 Abs. 1 EGV wiederum ist mit Art. 4 Abs. 1 AbkSozPol identisch. Die Ausführungen zu dem alten Rechtsstand, d. h. zu Art. 118b EGV a.F. und Art. 4 Abs. 1 AbkSozPol treffen daher auch auf Art. 139 Abs. 1 EGV zu. Man könnte die „vertraglichen Beziehungen“ für eine Voraussetzung oder Vorstufe zu dem Abschluß von „Vereinbarungen“ halten. Sie wären dann konkret geführte Vertragsverhandlungen, die organisatorische Fragen klärten und den Abschluß von „Vereinbarungen“ förderten.216 Dieses Verständnis widerspricht aber dem Wortlaut des Art. 139 Abs. 1 EGV. Ihm zufolge können sowohl die „vertraglichen Beziehungen“ als auch die „Vereinbarungen“ Resultate des Sozialen Dialogs sein.217 Da die „vertraglichen Beziehungen“ den Abschluß von „Vereinbarungen“ explizit einschließen, stellen die „Vereinbarungen“ einen Unterfall der „vertraglichen Beziehungen“ dar.218, 219 Um eine gesonderte Erwähnung indes nicht überflüssig erscheinen zu lassen, müssen die Vereinbarungen Besonderheiten gegenüber den herkömmlichen vertraglichen Beziehungen aufweisen.220 Worin liegen diese Besonderheiten? Die Frage könnte insbesondere bei der Wirkung der Dialogergebnisse relevant sein. 214 Der Wortlaut von Art. 118b EGV a.F. lautete: „Die Kommission bemüht sich darum, den Dialog zwischen den Sozialpartnern auf europäischer Ebene zu entwickeln, der, wenn diese es für wünschenswert halten, zu vertraglichen Beziehungen führen kann.“ 215 In Art. 4 Abs. 1 AbkSozPol hieß es identisch zu Art. 139 Abs. 1 EGV: „Der Dialog zwischen den Sozialpartnern auf Gemeinschaftsebene kann, falls sie es wünschen, zur Herstellung vertraglicher Beziehungen, einschließlich des Abschlusses von Vereinbarungen führen.“ 216 So Kempen, KritV 1994, S. 13 (46); Schnorr, DRdA 1994, S. 193 (196). 217 Statt vieler Deinert, Europäischer Kollektivvertrag, S. 170 ff.; Schwarze, EAS, B 8100 Rn. 23. 218 Ebenso Birk, EuZW 1997, S. 453 (454); Gilles, Durchführung von Sozialpartnervereinbarungen, S. 94; Höland, ZIAS 1995, S. 425 (434); Wimmer, Kollektive Normenverträge, S. 94. 219 Im folgenden wird zur besseren begrifflichen Verständlichkeit von Dialogergebnissen gesprochen, wenn sich die Ausführungen sowohl auf die „vertraglichen Beziehungen“ als auch auf die „Vereinbarungen“ beziehen. 220 So auch Balze, Sozialpolitische Kompetenzen, S. 270; Höland, ZIAS 1995, S. 425 (434); Körtgen, Europäische Tarifverträge, S. 61.

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2. Teil: Art und Umfang der Normsetzung

II. Schuldrechtliche Wirkung – Verbindlichkeit ja oder nein? Entfalten die Dialogergebnisse überhaupt Rechtswirkung, d. h. sind sie verbindlich? Dies ist der Fall, wenn sich rechtliche Folgen an sie knüpfen. Ihre schuldrechtliche Rechtsnatur wird in der Regel ohne weitere Auseinandersetzung als gegeben vorausgesetzt.221 Dagegen ließe sich einwenden, die Ergebnisse entbehrten wegen des programmatischen Charakters der zentralen Dialogvorschrift von Art. 118b EGV a.F. über Art. 4 Abs. 1 AbkSozPol zu Art. 139 Abs. 1 EGV der Verbindlichkeit.222 Die Arbeitgeberseite, welche die Dialogergebnisse generell als bloßen Vorschlag für die Gesetzesinitiativen der Kommission und somit als rechtliches Nullum betrachtet, teilt diesen Einwand.223 Er überzeugt jedoch nicht. Die Vorschrift über den Sozialen Dialog regelt schon immer zwei unterschiedliche Verhalten: das Verhalten der Kommission und das der europäischen Sozialpartner untereinander. Die Kommission soll sich bemühen, den Dialog zu entwickeln. Schlägt ihr Bemühen fehl, sind keine Sanktionen vorgesehen.224 Es scheint daher gerechtfertigt, die Vorschrift hier als bloße Aufforderung und somit Programmsatz zu verstehen.225 Die Sozialpartner wiederum sollen vertragliche Beziehungen freiwillig herstellen, nämlich „falls sie es wünschen“. An dieser Stelle muß m.E. zwischen der Voraussetzung und der Rechtsfolge der Norm unterschieden werden: Die Voraussetzung der Freiwilligkeit der vertraglichen Beziehungen läßt keinen Schluß auf die Unverbindlichkeit der Ergebnisse als Rechtsfolge zu.226 Auch im deutschen Recht besteht kein Verhandlungs- oder gar Abschlußzwang für die Tarifparteien,227 ohne daß daraus auf den programma221 Beispielhaft Buchner, RdA 1993, S. 193 (200); Schnorr, DRdA 1994, S. 193 (197); Weiss, FS für Gnade, S. 583 (593); Wlotzke, NZA 1990, S. 417 (421). 222 Hauschka, RIW 1990, S. 81 (88); Grabitz / Hilf-Langenfeld / Jansen, EGV, Art. 118b Rn. 3 (Stand: Oktober 1995); Hergenröder, AR-Blattei SD, 1550.15 Rn. 23. Zu dem Streit über den Charakter von Art. 118b EGV a.F. vgl. Däubler, EuZW 1992, S. 429 (331); Deinert, Europäischer Kollektivvertrag, S. 170 ff.; Guéry, ILRev. 1992, S. 581 (593). 223 Zum Standpunkt von UNICE vgl. Deinert, Europäischer Kollektivvertrag, S. 120 ff. Nach Kirchner, Bedeutung der Sozialpartner, S. 151 (163), sehen die Arbeitgeber den Sinn der Sozialdialoge lediglich in dem Austausch von Argumenten und Meinungen; implizit bei Thüsing, Sozialraum Europa, S. 107 f. 224 Däubler, EuZW 1992, S. 329 (331); ders., Tarifvertragsrecht, Ziff. 1726 (S. 709 f.); ders., Europäische Tarifverträge, S. 16 (19 f.). 225 In gleicher Weise differenziert Deinert, Europäischer Kollektivvertrag, S. 171. 226 So zu Recht auch Däubler, EuZW 1992, S. 329 (331). 227 Ständige Rechtsprechung des BAG zum fehlenden Verhandlungsanspruch, vgl. BAG v. 02. 08. 1963 – 1 AZR 9 / 63 –, AP Nr. 5 zu Art. 9 GG mit Anm. von Mayer-Maly; bestätigt durch BAG v. 14. 07. 1981 – 1 AZR 159 / 78 –, AP Nr. 1 mit Anm. von Wiedemann, und v. 19. 06. 1984 – 1 AZR 361 / 82 –, AP Nr. 3 mit Anm. von Wiedemann zu § 1 TVG Verhandlungspflicht; v. 14. 02. 1989 – 1 AZR 142 / 88 –, AP Nr. 52 zu Art. 9 GG; Däubler, Tarifvertragsrecht, Ziff. 108 f. (S. 99 f.). Statt auf einen gerichtlich durchsetzbaren Verhandlungsanspruch setzt das deutsche Tarifrecht auf den Arbeitskampf; a.A. Wiedemann-Wiedemann, TVG, § 1 Rn. 184 ff.

§ 4 Wirkung der Dialogergebnisse

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tischen Charakter des TVG geschlossen werden dürfte. Die Vorschrift bestätigt nur die Privatautonomie 228 der Sozialpartner.229 Jegliche Bindung der Dialogergebnisse wird teilweise aufgrund des Wortlauts, der Systematik und der fehlenden Durchsetzbarkeit abgelehnt: Der Wortlaut der „vertraglichen Beziehungen“ sei gegenüber dem der Verträge weniger griffig.230 Dasselbe ließe sich für die „Vereinbarungen“ behaupten. Damit läßt sich jedoch die Einbeziehung von schuldrechtlichen Vereinbarungen in die Dialogergebnisse nicht widerlegen.231 Vielmehr unterstreicht die grammatikalische Auslegung der „vertraglichen Beziehungen“ eine bindende und dauerhafte Beziehung zwischen den Sozialpartnern. Da die „Vereinbarungen“ Teil der „vertraglichen Beziehungen“ sind, kann für sie nichts anderes gelten.232 Auch die Feststellung, ein Schuldvertrag zwischen den Sozialpartnern sei dem vorrangig öffentlich-rechtliche Institute regelnden Gemeinschaftsrecht systematisch fremd,233 trifft nicht zu. Zwar existiert keine europäische Vertragsrechtsordnung.234, 235 Doch regelt der EGV durchaus privatrechtliche Verhältnisse. Hier sei nur auf Art. 81 Abs. 1 EGV über das Verbot wettbewerbshindernder Kartellvereinbarungen oder Art. 288 EGV über die vertragliche Haftung der Gemeinschaft verwiesen. Schließlich ist auch die Durchsetzbarkeit der Dialogergebnisse gewährleistet.236 Die Gegenansicht vermischt materiellrechtliche mit vollstreckungsrechtlichen Fragen. Das Entstehen schuldrechtlicher Wirkung setzt allein einen wirksamen Abschluß der vertraglichen Beziehungen und Vereinbarungen voraus und bleibt von Fragen der Durchsetzbarkeit unberührt.237 Außerdem hat die Entscheidung des EuG in der Rs. T-135 / 96238

Zu der Autonomie der Sozialpartner s. eingehender unter 4. Teil § 16 III. 1. Hierzu ausführlich Deinert, Europäischer Kollektivvertrag, S. 171 f. 230 Ein Hauptgegner auch der schuldrechtlichen Wirkung ist Bödding, Sozialpartner, S. 77 und 80. Blank, FS für Gnade, S. 649 (651), schließt aus der Unverbindlichkeit der Form des Sozialen Dialogs auf die Unverbindlichkeit der Inhalte. 231 Das gesteht selbst Bödding, Sozialpartner, S. 77 ein. 232 So auch Gilles, Durchführung von Sozialpartnervereinbarungen, S. 143; a.A. Bödding, Sozialpartner, S. 77, demzufolge die „vertraglichen Beziehungen“ gerade nicht mit Verträgen gleichzusetzen sind. 233 Bödding, Sozialpartner, S. 77 f. und 81. 234 Ein europäisches Schuldvertragsrecht kann nur dann als existent angenommen werden, wenn man es als den gemeinschaftsrechtlichen Rahmen für den Abschluß, Inhalt und Beendigung nationaler Schuldverträge versteht, Grundmann, NJW 2000, S. 14 ff. 235 Die durch das Fehlen einer Ordnung europäischer Schuldverträge auftretenden Regelungslücken sollten unter Rückgriff auf die allgemeinen Rechtsgrundsätze der Mitgliedstaaten in Anlehnung an Art. 288 Abs. 2 EGV geschlossen werden, Däubler, Tarifvertragsrecht, Ziff. 1732 (S. 712); ders., AiB 1989, S. 44 (47). 236 A.A. Bödding, Sozialpartner, S. 78 f. und 81. 237 So zutreffend Gilles, Durchführung von Sozialpartnervereinbarungen, S. 150. 238 Zu EuG v. 17. 06. 1998, Rs. T-135 / 86 – UEAPME / RAT –, Slg. II-1998, S. 2335 ff. s. u. 4. Teil § 16 I. 228 229

5 Spieß

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2. Teil: Art und Umfang der Normsetzung

gezeigt, daß der Rechtsweg bei Streitigkeiten im Zusammenhang mit den Sozialpartnervereinbarungen eröffnet ist.239 Für die schuldrechtliche Wirkung spricht auch die den Sozialpartnern durch das Abkommen über die Sozialpolitik eingeräumte besondere Stellung in einem Rechtsetzungsprozeß240 und der Sinn der Durchführung nach Art. 139 Abs. 2 EGV. Das Verfahren würde entwertet, wären die Vereinbarungen rechtlich nicht verbindlich und könnten sich die Sozialpartner jederzeit von ihnen lösen.241 Abhängig von der Frage, ob die Sozialpartnervereinbarungen als Grundlage des Umsetzungsaktes anzusehen sind,242 würde er entweder eo ipso unwirksam oder liefe unter Eingriff in die sozialpartnerschaftliche Autonomie ins Leere. Das Abkommen über die Sozialpolitik hat den Sozialpartnern aber eine besondere Stellung in dem gemeinschaftlichen Rechtsetzungsprozeß eingeräumt.243 Als Dialogergebnisse kommen nur solche in Betracht, in denen die Sozialpartner einen gemeinschaftsbezogenen Regelungs- und Bindungswillen zum Ausdruck bringen. Bloße Stellungnahmen oder die Formulierung gemeinsamer Standpunkte zählen nicht dazu.244

III. Normative Wirkung Für eine autonome Normsetzung kommt es entscheidend auf die normative Wirkung der Dialogergebnisse an.

1. Dialogergebnisse als normative europäische Tarifverträge? Umstritten ist, ob den Dialogergebnissen normative Wirkung zukommt, ob insbesondere durch den Zusatz „einschließlich des Abschlusses von Vereinbarungen“ eine gemeinschaftsrechtliche Grundlage für den Abschluß europäischer Tarifverträge geschaffen wurde. Bereits unter der Geltung des Art. 118b EGV a.F. gingen 239 Deinert, Europäischer Kollektivvertrag, S. 176, weist darüber hinaus zu Recht auf die Möglichkeit eines Vorabentscheidungsverfahrens durch den EuGH hin. 240 Vgl. hierzu Höland, ZIAS 1995, S. 425 (426); Keller / Sörries, MittAB 1998, S. 715 (717); Whiteford, ELR 1998, S. 202 (210). 241 Vgl. Birk, EuZW 1997, S. 453 (456); Watson, CML Rev. 1993, S. 481 (506), spricht nur den Vereinbarungen der nationalen Sozialpartner i. S. d. Art. 137 Abs. 4 EGV Bindungswirkung zu. 242 Zu dem Verhältnis von Sozialpartnervereinbarung und Ratsbeschluß vgl. Blanpain / Schmidt / Schweibert, Europäisches Arbeitsrecht, Ziff. 530 (S. 362), die das Verhältnis bildlich als herrisch oder sklavisch bezeichnen; Höland, ZIAS 1995, S. 425 (445, 447); Kempen, KritV 1994, S. 13 (48); Schwarze, EAS, B 8100 Rn. 59. 243 Vgl. hierzu Höland, ZIAS 1995, S. 425 (426); Keller / Sörries, MittAB 1998, S. 715 (717); Whiteford, ELR 1998, S. 202 (210). 244 Birk, Umsetzung von Vereinbarungen, S. 73 (83); ders., EuZW 1997, S. 453 (454); v. der Groeben / Thiesing / Ehlermann-Schulte, EGV, Art. 118b Rn. 53.

§ 4 Wirkung der Dialogergebnisse

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die Meinungen darüber auseinander, ob die Norm Rechtsgrundlage für den Abschluß europäischer Tarifverträge sei. Die überwiegende Meinung verneinte dies.245 Auch heute stellt Art. 139 Abs. 1 EGV, früher Art. 4 Abs. 1 AbkSozPol, nach h.M. keine derartige Rechtgrundlage dar.246 Diejenigen, die in der Vorschrift über den Sozialen Dialog eine Rechtsgrundlage für europäische Tarifverträge sehen, gehen nicht auf die Wirkung solcher Verträge ein.247 Diejenigen, die weder Art. 118b EGV a.F. noch Art. 4 Abs. 1 AbkSozPol als Rechtsgrundlage für europäische Tarifverträge auffassen, begründen ihr Ergebnis mit der fehlenden normativen Wirkung der Dialogergebnisse.248 Sie übertragen dabei wie selbstverständlich die vom deutschen Rechtsverständnis geprägten Kategorien „schuldrechtlich“ und „normativ“, was angesichts der sehr unterschiedlichen Wirkungen von Tarifverträgen in den Mitgliedstaaten der Gemeinschaft zumindest zweifelhaft ist.249 Unklar ist daher, wie europäische Tarifverträge wirken.250 Im folgenden wird nach einer normativen Wirkung der Dialogergebnisse unabhängig von ihrer möglichen Klassifizierung als europäische Tarifverträge gefragt. Dieser Ansatzpunkt entspricht dem der Literatur. Eine normative Wirkung251 liegt vor, wenn die Sozialpartnervereinbarungen unmittelbar und zwingend auf die Rechtsverhältnisse der nationalen Mitgliedsverbände und möglicherweise der einzelnen Arbeitnehmer und Arbeitgeber einwirken,252 also autonom Recht setzen. 245 Zu Art. 118b EGV a.F. vgl. Blanpain, ZIAS 1991, S. 95 (101); Däubler, EuZW 1992, S. 329 (331); Hanau, EG-Binnenmarkt, S. 27; Hauschka, RIW 1990, S. 81 (88 f.); HzAHeinze Gruppe 25, Teil B Rn. 137 (Stand: Mai 1997); Grabitz / Hilf-Langenfeld / Jansen, EGV, Art. 118b Rn. 4 (Stand: Oktober 1995); Lohmann, Grenzüberschreitende Firmentarifverträge, S. 54; Wlotzke, NZA 1990, S. 417 (421); a.A. Coen, AiB 1992, S. 256 (257); ders., BB 1992, S. 2068 (2069 f.); Bleckmann-Bleckmann, Europarecht, Rn. 2512. 246 Zu Art. 4 Abs. 1 AbkSozPol, jetzt Art. 139 Abs. 1 EGV vgl. u. a. Birk, EuZW 1997, S. 453 (456); Blank, FS für Gnade, S. 649 (655); Bödding, Sozialpartner, S. 80 ff.; Britz / Schmidt, EuR 1999, S. 467 (474 f.); Buchner, RdA 1993, S. 193 (200); Däubler, EuZW 1992, S. 329 (331); Franzen, ZEuP 1995, S. 796 (804); Heinze, ZfA 1997, S. 505 (510); Höland, ZIAS 1995, S. 425 (434); Kempen, KritV 1994, S. 13 (41); Langenbrinck, DB 1998, S. 1081 (1086); Schnorr, DRdA 1994, S. 193 (196 f.); v. der Groeben / Thiesing / Ehlermann-Schulte, EGV, Art. 118b Rn. 33 ff.; Schwarze, EAS, B 8100 Rn. 23 ff.; Wank, RdA 1995, S. 10 (20); Kempen / Zachert-Zachert, TVG, § 4 Rn. 83 f.; a.A. Watson, CML Rev. 1993, S. 481 (505 ff.). 247 Vgl. insbesondere Biedenkopf, Entwicklung des Tarifvertragsrechts, S. 9 (13); LenzBirk, EG-Handbuch, S. 401; Coen, AiB 1992, S. 256 (257); ders., BB 1992, S. 2068 (2069 f.); Bleckmann-Bleckmann, Europarecht, Rn. 2512. 248 Vgl. hierzu die zur h.M. zitierten Autoren in den Fn. 245, 246. 249 Dieselbe Kritik äußert auch Weiss, FS für Kissel, S. 1253 (1254). Den Rechtsordnungen anderer Mitgliedstaaten ist diese Unterscheidung fremd. So werden Tarifverträge in Großbritannien als „gentlemen’s agreements“ aufgefaßt, die keinerlei Normqualität besitzen. Hierzu Sciarra, Liber amicorum Wedderburn, S. 189 (201). 250 Ausführlich hierzu Deinert, Europäischer Kollektivvertrag, S. 165 ff. 251 Ob die von dem deutschen Rechtsverständnis geprägten Kategorien schuldrechtlicher und normativer Wirkung auf die Vereinbarungen i. S. d. Art. 139 EGV passen, wird von Weiss, FS für Kissel, S. 1253 (1254), mit Recht in Zweifel gezogen.

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2. Teil: Art und Umfang der Normsetzung

2. Stellungnahme zur normativen Wirkung Angesichts der Tatsache, daß Tarifverträge noch nicht einmal in allen Mitgliedstaaten über eine normative Wirkung verfügen,253 ginge ihre Etablierung auf europäischer Ebene sehr weit. Es erstaunt daher nicht, daß Autoren, welche die Existenz einer Rechtsgrundlage für europäische Kollektivverträge bejahen, die Frage der normativen Wirkung offen lassen. Stattdessen lassen sich zahlreiche gute Gründe gegen die normative Wirkung der „vertraglichen Beziehungen“ und „Vereinbarungen“ anführen:254 Da sind fürs erste die terminologischen Unterschiede zwischen den „vertraglichen Beziehungen“ und „Vereinbarungen“ auf der einen und den Tarifverträgen auf der anderen Seite.255 Sie könnten umso mehr ein Indiz gegen die normative Wirkung darstellen, als die ebenso verbindlichen anderen Sprachfassungen des EGV auch ungleiche Wortwendungen wählen.256 Die durch die Sprache indizierte inhaltliche Abweichung mag für die „vertraglichen Beziehungen“ bestehen. Diese beziehen sich vornehmlich auf schuldrechtliche Verträge, die normative Tarifverträge aufgrund deren weitergehenden Wirkung nicht mitumfassen.257 Anders verhält es sich mit den „Vereinbarungen“ . Nach der Rechtsprechung z. B. des BAG beschränkt sich der Begriff nach dem üblichen juristischen Sprachgebrauch nicht auf Individualvereinbarungen, sondern erfaßt auch kollektivrechtliche Verträge.258 Die grammatikalische Auslegung führt diesbezüglich zu keinem eindeutigen Ergebnis. In systematischer Hinsicht gilt als Argument gegen die normative Wirkung dasselbe wie für eine schuldrechtliche. Die in Art. 139 Abs. 2 EGV angeordnete 252 Däubler, EuZW 1992, S. 329 (332); Grabitz / Hilf-Langenfeld / Jansen, EGV, Art. 118b Rn. 4 (Stand: Oktober 1995). 253 Siehe hierzu 4. Teil § 16 II. 1. 254 Die Gegner der normativen Wirkung stimmen dabei in ihren Argumenten zu Art. 118b EGV a.F. und Art. 4 Abs. 1 AbkSozPol weitgehend überein. 255 Vgl. zu Art. 118b EGV a.F. Däubler, EuZW 1992, S. 329 (331); zu Art. 4 Abs. 1 AbkSozPol Blank, FS für Gnade, S. 649 (655); Schnorr, DRdA 1994, S. 193 (196). 256 Etwa im französischen: „relations conventionelles“ und „accords“ statt „conventions collectives“; im italienischen: „relazioni convenzionali“ und „accordi“ statt „contratti collettivi“; im englischen: „contractual relations“ und „agreements“ statt „collective agreements“; im niederländischen: „contractuele betrekkingen“ und „overeenkomsten“ statt „collectieve arbeidsovereenkomsten“. 257 Nur Bödding, Sozialpartner, S. 77 ff., vertritt die Meinung, daß „vertragliche Beziehungen“ nicht mit Verträgen gleichgesetzt werden dürften, d. h. auch keinerlei schuldrechtliche Wirkung erzeugten; ähnlich wie hier Deinert, Europäischer Kollektivvertrag, S. 182. 258 BAG v. 20. 10. 1993 – 7 AZR 135 / 93 –, NZA 1994, S. 128 (129) m. w. N.; v. 01. 12. 1993 – 7 AZR 428 / 93 –, NJW 1994, S. 1490 (1491); v. 11. 06. 1997 – 7 AZR 186 / 96 –, NZA 1997, S. 1290 (1291). Dabei ging es um die Auslegung des in § 4 Abs. 4 S. 3 SGB VI verwendeten Begriffs „Vereinbarung“ als einzel- oder kollektivvertragliche Abmachung. Die Urteile behandelten nur indirekt die Wirkung der Vereinbarung.

§ 4 Wirkung der Dialogergebnisse

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Durchführung der Sozialpartnervereinbarungen wäre unverständlich, würden diese unmittelbar auf die Rechtsverhältnisse der angeschlossenen Verbände und evtl. der Arbeitnehmer und Arbeitgeber „durchschlagen“, d. h. normativ wirken.259, 260 Auch die Entstehungsgeschichte der Vorschriften zeigt: Die Vertragsparteien wollten mit der Einführung von Art. 118b EGV a.F. die industriellen Beziehungen in den Mitgliedstaaten nicht revolutionieren.261 Vielmehr beabsichtigten sie, die Rolle der Sozialpartner moderat zu stärken und die Kommission in ihrer Vermittlungsrolle zurückzudrängen. Daran hat auch die Neuerung durch das Abkommen über die Sozialpolitik nichts geändert. Durch sie sollte das bisher Erreichte vielmehr fortgeführt werden.262 Daneben besteht das tatsächliche Problem, daß den europäischen Sozialpartnern das Mandat fehlt, um für ihre tariffähigen nationalen Mitgliedsverbände normative Tarifverträge abzuschließen.263 Auch kämen auf den EuGH rechtspolitisch kritisch zu beurteilende Aufgaben der Rechtschöpfung zu. Er müßte die Konflikte264 zwischen europäischen Tarifverträgen und nationalen Rechtsakten (Tarifverträgen und Gesetzen) glätten und ausstehende Rahmenbedingungen265 für gemeinschaftsweit geltende normative Tarifverträge schaffen.266 Deren Nichtregelung unterstreicht m.E. den normative Verträge ablehnenden Willen des Gemeinschaftsgesetzgebers.267 Eine andere gemeinschaftsrechtliche Vorschrift, die den Sozialpartnervereinbarungen normative Wirkung verleihen könnte, ist aber nicht ersichtlich.268 259 Davon geht auch die Erklärung zu Art. 139 EGV aus; vgl. Bobke / Müller, WSI Mitteilungen 1995, S. 654 (656 f.); Däubler, Tarifvertragsrecht, Ziff. 1743 (S. 716); Gilles, Durchführung von Sozialpartnervereinbarungen, S. 145 f.; Guéry, ILRev. 1992, S. 581 (588); Kempen, KritV 1994, S. 13 (49); Schwarze, EAS, B 8100 Rn. 24. 260 Die normative Wirkung der Dialogergebnisse kann nicht mit der normativen Wirkung des Ratsbeschlusses gleichgesetzt werden. Sie bleibt allein auf die tarifgebundenen Vertragsparteien beschränkt und entfaltet sich nicht für und gegen alle; vgl. Däubler, EuZW 1992, S. 329 (334); Deinert, Europäischer Tarifvertrag, S. 252 Rn. 642. 261 Däubler, EuZW 1992, S. 329 (331). 262 Bödding, Sozialpartner, S. 75; a.A. Deinert, Europäischer Kollektivvertrag, S. 214 f. 263 Balze, Sozialpolitische Kompetenzen, S. 190; Fuchs / Marhold, Europäisches Arbeitsrecht, S. 158; Konzen, EuZW 1995, S. 39 (47); Langenbrinck, DB 1998, S. 1081 (1086); Schwarze, EAS, B 8100 Rn. 3 und 27; Zachert, FS für Schaub, S. 811 (825), hält die fehlende Mandatierung daher auch für kein spezifisch juristisches Problem. 264 Vgl. Grabitz / Hilf-Langenfeld / Jansen, EGV, Art. 118b Rn. 4 (Stand: Oktober 1995); Schwarze, EAS, B 8100 Rn. 24; zu den möglichen Konflikten genauer Däubler, EuZW 1992, S. 329 (331). 265 Einheitliche europäische Rahmenbedingungen stehen angesichts der stark divergierenden Tarifrechtsregelungen in den Mitgliedstaaten aus; s. die vergleichende Studie zu den Arbeitsbedingungen in den Mitgliedstaaten: KOM (89) 360 endg. v. 06. 07. 1989, S. 13; Kommission, Die Regelung der Arbeitsbedingungen, Bd. 2, S. 7 ff.; Wimmer, Kollektive Normenverträge, S. 88 ff. 266 Möglicherweise kann der EuGH die Rechtslücken im Wege der wertenden Rechtsvergleichung schließen, vgl. hierzu Deinert, Europäischer Kollektivvertrag, S. 177 f. 267 Siehe hierzu Fn. 261.

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2. Teil: Art und Umfang der Normsetzung

3. Ergebnis Den Dialogergebnissen kommt keine normative Wirkung zu, die Voraussetzung für eine autonome Normsetzung ist.

IV. Ergebnis Sowohl bei den „vertraglichen Beziehungen“ als auch bei den „Vereinbarungen“ handelt es sich nach Entstehungsgeschichte, Systematik und Zweck um Verträge mit schuldrechtlicher Wirkung. Sie unterliegen nicht dem nationalen, sondern dem gemeinschaftlichen Recht.269 Über eine normative Wirkung verfügen sie nicht. Dies ist ein Indiz dafür, daß durch den Sozialen Dialog staatliches Recht gesetzt wird. Die Anwendung des Demokratie- und Rechtsstaatsprinzips ist vor diesem Hintergrund umso zwingender. Keine Aussage ist darüber getroffen, ob sich die Parteien in Zukunft eine Rechtsgrundlage selbst schaffen können270 und es eine Entwicklung in Richtung europaweit geltender Tarifverträge geben kann.271

268 Buchner, RdA 1993, S. 193 (200); Weiss, FS für Gnade, S 583 (593); a.A. Stiller, ZIAS 1991, S. 194 (213 f.) und Stein, Koalitionsfreiheit des Arbeitnehmers, S. 1099 (1114), halten eine Entwicklung in Richtung normativer europäischer Tarifverträge extra legem für möglich. Dies setzt voraus, daß ein europäischer Tarifvertrag abgeschlossen wird, was bisher noch nicht der Fall war. 269 Die Gegenansicht beruft sich auf das Fehlen einer europäischen (Tarif)Vertragsrechtsordnung; vgl. Hergenröder, AR-Blattei SD, 1550.15 Rn. 107; Wisskirchen, FS für Arbeitsgerichtsverband, S. 653 (676); zweifelnd Hanau, EG-Binnenmarkt, S. 27 f. Dies ist zwar zutreffend, doch wäre dieser Ansicht nach eine gesonderte Hervorhebung der „vertraglichen Beziehungen“ und „Vereinbarungen“ unverständlich. Auch wenn es die Vorschriften über den Sozialen Dialog nicht gäbe, könnten europäische Verbände miteinander Verträge schließen; so auch Bercusson, Social Policy, S. 149 (183); Bödding, Sozialpartner, S. 67 f.; Däubler, EuZW 1992, S. 329 (331 f.); ders., Europäische Tarifverträge, S. 16 (21 ff.); Höland, ZIAS 1995, S. 425 (434); Gilles, Durchführung von Sozialpartnervereinbarungen, S. 148, nach denen das Fehlen einer Vertragsrechtsordnung die Begründung schuldrechtlicher Vereinbarungen nicht ausschließt. Stärkstes Argument für einen Vertrag europäischen Rechts ist die Verankerung des Sozialen Dialogs im Primärrecht und die teilweise Einbeziehung der Art. 138 f. EGV in den gemeinschaftlichen Rechtsetzungsprozeß; Deinert, Europäischer Kollektivvertrag, S. 181; Schwarze, EAS, B 8100 Rn. 25. 270 Bleckmann-Coen, Europarecht, Rn. 2512, und Stiller, ZIAS 1991, S. 194, 213, weisen auf diese Möglichkeit hin. 271 So auch Grabitz / Hilf-Langenfeld / Jansen, EGV, Art. 118b Rn. 5 (Stand: Oktober 1995); Heinze, FS für Kissel, S. 363 (381); Höland, ZIAS 1995, S. 425 (435); Gilles, Durchführung von Sozialpartnervereinbarungen, S. 146, hält diese Entwicklung aus praktischen und politischen Gründen wegen der Unterschiedlichkeit der einzelstaatlichen Tarifvertragssysteme und der europäischen Strukturen der Tarifvertragsparteien für sehr unwahrscheinlich.

§ 5 Regelungsinhalt der Dialogergebnisse

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§ 5 Regelungsinhalt der Dialogergebnisse Den Umfang der Normsetzung bestimmt auch der Regelungsinhalt aufgrund seines engen Zusammenhangs mit der Umsetzungsart272 der Dialogergebnisse mit. Die Ermittlung des Regelungsinhalts trägt also dazu bei, die hoheitlichste Dimension des Sozialen Dialogs ausfindig zu machen. Die Sozialpartner können nur regeln, für was sie zuständig sind.273 Ihre Zuständigkeit hängt dabei von dem Verhältnis der Art. 138 und 139 EGV zueinander ab. Wäre Art. 138 EGV Voraussetzung für Art. 139 EGV, wäre der Regelungsinhalt an die sozialpolitischen Kompetenzen der Gemeinschaft gebunden. Die Kommission kann nämlich nur sozialpolitische Vorschläge in ihrem eigenen Zuständigkeitsbereich unterbreiten. Wäre Art. 139 EGV von Art. 138 EGV unabhängig, könnten die Sozialpartner Gegenstände losgelöst von den Gemeinschaftskompetenzen regeln. In diesem Aspekt kommt es nach dem Wortlaut des Art. 139 Abs. 1 EGV auf eine Unterscheidung zwischen den vertraglichen Beziehungen und Vereinbarungen nicht an.

I. Von der Kommission initiierter Sozialer Dialog, Art. 138 f. EGV Niemand bestreitet, daß die Sozialpartner wirksam vertragliche Beziehungen und Vereinbarungen im Anschluß an die Anhörungen274 gem. Art. 138 Abs. 2, 3 EGV durch die Kommission zu der Ausrichtung und dem Inhalt der geplanten Gemeinschaftsaktion und die Ingangsetzung der Verhandlungsphase gem. Art. 138 Abs. 4 EGV i.V.m. Art. 139 Abs. 1 EGV abschließen können.275 In diesem Fall lassen sich die Dialogergebnisse in der letzten Konsequenz auf eine Initiative der Kommission zurückführen.

1. Bindung der Sozialpartner an den Kommissionsvorschlag Naheliegend wäre es hier, die sozialpartnerschaftliche Zuständigkeit und damit den Regelungsinhalt der Dialogergebnisse an die sozialpolitischen Gemeinschaftskompetenzen zu koppeln, an denen die Sozialpartner zu beteiligen sind.276 Das könnte durch eine Bindung der Sozialpartner an den ursprünglichen KommissionsZu der Umsetzung s. u. § 7. v. der Groeben / Thiesing / Ehlermann-Schulte, EGV, Art. 118b Rn. 56. 274 Zu dem genauen Verlauf des Anhörungsverfahrens vgl. KOM (93) 600 endg. v. 14. 12. 1993, Ziff. 19. 275 Unzutreffenderweise führt Gilles, Durchführung von Sozialpartnervereinbarungen, S. 99, eine Meinung auf, die die Art. 138 und 139 EGV für völlig unabhängig voneinander hält. 276 Dieser Ansicht ist z. B. Buchner, RdA 1993, S. 193 (201). 272 273

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2. Teil: Art und Umfang der Normsetzung

vorschlag erreicht werden, der sich selbst nur im Rahmen der Gemeinschaftskompetenzen bewegen kann. Allerdings ist dabei zwischen der Bindung an den Inhalt und den Gegenstand des Kommissionsvorschlags zu unterscheiden. An den Inhalt des Kommissionsvorschlags sind die Sozialpartner nicht gebunden. Seit dem Sozialabkommen dürfen sie nämlich sozialpolitische Fragen selber regeln. Den Gegenstand des Kommissionsvorschlags dürfen sie jedoch nicht verändern.277 Das liegt daran, daß sie Gegenstände regeln, die ansonsten das klassische Rechtsetzungsverfahren nach dem EGV durchlaufen würden.278 Könnten sie von den Regelungsgegenständen abweichen, würde der Sinn des Sozialen Dialoges verfehlt, die Regelung sachnäherer Akteure an die Stelle eines gemeinschaftlichen Rechtsetzungsaktes treten zu lassen. Im Gegenzug zu der Suspendierung des Rechtsetzungsverfahrens durch die Kommission trifft sie also die Pflicht, sich an den Regelungsgegenstand zu halten.

2. Exkurs zu den sozialpolitischen Gemeinschaftskompetenzen Um den Gegenstand des Kommissionsvorschlags und damit den Gegenstand der Dialogergebnisse konkretisieren zu können, ist es ratsam, einen Blick auf die sozialpolitischen Zielsetzungen und insbesondere Kompetenzen der Gemeinschaft zu werfen. Seit dem Amsterdamer Vertrag nennt Art. 136 EGV (Art. 1 AbkSozPol) als sozialpolitische Ziele der Gemeinschaft und der Mitgliedstaaten neben der Verbesserung der Lebens- und Arbeitsbedingungen u. a. die Förderung der Beschäftigung, einen angemessenen sozialen Schutz und den Sozialen Dialog. Als spezielle Kompetenzgrundlage für den Erlaß von Richtlinien mit sozialpolitischem Inhalt sieht der Vertrag Art. 137 EGV (Art. 2 AbkSozPol) vor.279 Zu dem Zweck der Verbesserung der Arbeitsumwelt, der Arbeitsbedingungen, der Unterrichtung und Anhörung der Arbeitnehmer, der Chancengleichheit von Männern und Frauen auf dem Arbeitsmarkt und Gleichbehandlung am Arbeitsplatz, der beruflichen Eingliederung der aus dem Arbeitsmarkt ausgegrenzten Personen kann der Rat gem. Art. 137 Abs. 2, 1 EGV (Art. 2 Abs. 2, 1 AbkSozPol) mehrheitlich durch Richtlinien Mindestvorschriften erlassen.280 In praktisch bedeutsamen Kernbereichen des Arbeitsrechts wie z. B. der sozialen Sicherheit und 277 Vgl. die h.M. Außer der Kommission in KOM (93) 600 endg. v. 14. 12. 1993, Ziff. 31, vertreten diese Ansicht Bödding, Sozialpartner, S. 136 f.; Heinze, ZfA 1997, S. 505 (514); Piazolo, Sozialer Dialog, S. 113 f.; a.A. Guéry, ILRev. 1992, S. 581 (587 Fn. 4), der eine Bindung der Sozialpartner an den Inhalt des Kommissionsvorschlag bejaht, und Deinert, Europäischer Kollektivvertrag, S. 196, der jegliche Bindung der Sozialpartner ablehnt. 278 Die Frage, ob die Ankündigung von Verhandlungen durch die Sozialpartner Aktivitäten der Kommission suspendieren kann, behandelt Piazolo, Sozialer Dialog, S. 110. 279 Buchner, RdA 1993, S. 193 (196 f.); Oppermann, Europarecht, Rn. 1634. 280 Schulz, SF 1992, S. 79 (81 f.); Wank, RdA 1995, S. 10 (14).

§ 5 Regelungsinhalt der Dialogergebnisse

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dem sozialen Schutz der Arbeitnehmer, dem Kündigungsschutz, der Betriebsverfassung und Mitbestimmung muß der Rat gem. Art. 137 Abs. 3 EGV (Art. 2 Abs. 3 AbkSozPol) einstimmig entscheiden. Gem. Art. 137 Abs. 1 Eingangssatz EGV (Art. 2 Abs. 1 Eingangssatz AbkSozPol) „unterstützt und ergänzt“ die Gemeinschaft die Tätigkeit der Mitgliedstaaten auf diesen Feldern. Daraus folgt, daß der Gemeinschaft nur eine nachrangige Kompetenz zukommt. Die Sozialpolitik bleibt Sache der Mitgliedstaaten.281 Art. 136 Abs. 6 EGV (Art. 2 Abs. 6 AbkSozPol) schließt Regelungen der Gemeinschaft über das Arbeitsentgelt, das Koalitionsrecht, das Streikrecht und das Aussperrungsrecht aus. Neben den Sozialvorschriften kann die Gemeinschaft sozialpolitische Vorhaben in Ausnahmefällen auf die subsidiären Art. 94282, 308283 EGV stützen.284 Die Vorschriften setzen einen einstimmigen Ratsbeschluß voraus. Der Nizzaer Vertrag integriert den ehemaligen Abs. 3 des Art. 137 EGV in den Abs. 1 und erweitert den Kompetenzkatalog um die Bekämpfung der sozialen Ausgrenzung und die Modernisierung der Systeme des sozialen Schutzes. In Teilen der bisher nur einstimmig zu beschließenden Bereiche kann der Rat einstimmig auf Vorschlag der Kommission und nach Anhörung des Europäischen Parlaments die Anwendung des Mitentscheidungsverfahrens gem. Art. 251 EGV beschließen.285 Die Gemeinschaft verfügt also über weitreichende sozialpolitische Kompetenzen. Abgesehen von den in Art. 137 Abs. 6 EGV genannten Bereichen kann sie praktisch das gesamte Arbeitsrecht regeln. Dabei stehen ihr seit dem Abkommen über die Sozialpolitik286 spezielle Ermächtigungsgrundlagen zur Verfügung, die 281 So zu der Rechtslage unter dem AbkSozPol auch Buchner, RdA 1993, S. 193 (195); Franzen, ZEuP 1995, S. 796 (803); v. der Groeben / Thiesing / Ehlermann-Schulte, EGV, Art. 118 Rn. 79; anders Lenz-Coen, EGV, Vorbem. Art. 136 – 145 Rn. 4, der die Sozialpolitik nicht mehr in der nationalen, sondern in einer gemischten Zuständigkeit sieht. 282 Die Norm regelt die Angleichung von Rechtsvorschriften, die sich unmittelbar auf die Errichtung und das Funktionieren des Gemeinsamen Marktes auswirken. Für das Arbeitsund Sozialrecht begründet sie eine Rechtsetzungskompetenz der Gemeinschaft nur, wenn die nationalen sozialpolitischen Bestimmungen zu Wettbewerbsverzerrungen führen; Balze, Sozialpolitische Kompetenzen, S. 44; MünchArbR-Birk, § 18 Rn. 59; Bleckmann-Coen, Europarecht, Rn. 2545. 283 Noch allgemeiner räumt Art. 308 EGV dem Rat den Erlaß von Vorschriften ein, wenn ein Tätigwerden der Gemeinschaft erforderlich erscheint und entsprechende Befugnisse im Vertrag nicht vorgesehen sind. Er wird auch als Vertragsabrundungskompetenz bezeichnet; vgl. Lenz-Röttinger, EGV, Art. 94 Rn. 1; ders., EGV, Art. 308 Rn. 1 ff. 284 Schwarze, EAS, B 8100 Rn. 13; zu der Rechtslage unter dem Maastrichter Vertrag vgl. Wank, RdA 1995, S. 10 (24). 285 ABl. C 80 v. 10. 03. 2001, S. 17 f. 286 Bereits die EEA führte mit Art. 118a Abs. 2 EWGV erstmals eine spezielle sozialpolitisch motivierte Handlungsbefugnis in Bezug auf den Arbeitsschutz unabhängig von der Errichtung des Gemeinsamen Marktes ein; vgl. MünchArbR-Birk, § 18 Rn. 18; Buchner, RdA 1993, S. 193 (194); Wank, RdA 1995, S. 10 (11); v. der Groeben / Thiesing / EhlermannWillms, EGV, Art. 118a Rn. 25.

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2. Teil: Art und Umfang der Normsetzung

von der Förderung des Binnenmarktes losgelöst sind. Diese Normen übernahm der Amsterdamer Vertrag inhaltlich weitgehend unverändert in den EGV.287 Zu Zeiten des EWGV griff die Gemeinschaft in Ermangelung spezieller sozialpolitischer Rechtsetzungskompetenzen seit den 1970er Jahren288 noch auf die allgemeinen Handlungsermächtigungen der Art. 100 und 235 EWGV (heute Art. 94, 308 EGV) zurück.289 Danach konnte und kann der Rat einstimmig Richtlinien zur Angleichung von binnenmarktrelevanten Vorschriften oder zur Verwirklichung der Binnenmarktziele erlassen.290

3. Umfang der sozialpolitischen Beteiligungsrechte der Sozialpartner Die Kommission hat die europäischen Sozialpartner gem. Art. 138 Abs. 2 EGV „vor Unterbreitung von Vorschlägen im Bereich der Sozialpolitik“ anzuhören. Die sich unter der Koexistenz von EGV a.F. und Sozialabkommen stellende Frage, ob sie die Sozialpartner auch an sozialpolitischen Vorhaben außerhalb des Sozialabkommens beteiligen muß,291 hat sich mit Inkrafttreten des Amsterdamer Ver287 In verfahrensrechtlicher Hinsicht trat an die Stelle des Zusammenarbeitsverfahrens in Art. 2 Abs. 2 AbkSozPol das Mitentscheidungsverfahren in Art. 137 Abs. 2 EGV, das dem Europäischen Parlament einen größeren Einfluß gewährt. Außerdem sieht das gemeinschaftliche Rechtsetzungsverfahren nun eine Beteiligung des Ausschusses der Regionen vor. In sachlicher Hinsicht wurde der Rat zudem in Art. 137 Abs. 2 3. UA EGV ermächtigt, Maßnahmen zur Bekämpfung sozialer Ausgrenzung zu ergreifen. 288 Seitdem bemühte sie sich um die Schaffung einer Sozialunion; MünchArbR-Birk, § 18 Rn. 8; weitere Nachweise bei Birk, EuR-Beiheft 1 / 1990, S. 17 (18 ff.). 289 Balze, Sozialpolitische Kompetenzen, S. 42; MünchArbR-Birk, § 18 Rn. 17 ff., 59 ff.; Bleckmann-Coen, Europarecht, Rn. 2543 ff.; Oppermann, Europarecht, Rn. 1632. 290 Dieser Rückgriff war insbesondere zulässig, da die Art. 117 ff. EWGV nach den einleitenden Worten des Art. 118 EWGV nicht abschließend waren. Dieser wies der Kommission „Unbeschadet der sonstigen Bestimmungen des Vertrags“ bestimmte Aufgaben zu; vgl. Bleckmann-Coen, Europarecht, Rn. 2543; Körtgen, Europäische Tarifverträge, S. 102. Vielfältiger Streit entzündete sich an der sehr weiten Auslegung der Vorschriften durch die Gemeinschaftsorgane. Zu Art. 100 EWGV vgl. Balze, Sozialpolitische Kompetenzen, S. 62; Birk, EuR-Beiheft 1 / 1990, S. 17 (23); v. der Groeben / Thiesing / Ehlermann-Taschner, EGV, Art. 100 Rn. 28; a.A. Steindorff, Grenzen der EG-Kompetenzen, S. 96. Zu dem Streit über den Anwendungsbereich des Art. 235 EWGV vgl. Balze, Sozialpolitische Kompetenzen, S. 46 f.; Konzen, EuZW 1995, S. 39 (41); v. der Groeben / Thiesing / Ehlermann-Schwartz, EGV, Art. 235 Rn. 52. Zu den auf der Grundlage des Art. 100 EWGV erlassenen Richtlinien vgl. die Broschüre „Gemeinschaftliche Maßnahmen zur Rechtsangleichung“ v. 01. 01. 1958 bis zum 01. 01. 1972 und v. 01. 01. 1972 bis zum 01. 01. 1974, Beilage 9 / 72 und 3 / 75 des Bulletins der EG und Birk,VSSR 1992, S. 1 (11 f.). 291 Die überwiegende Meinung lehnte wegen der Eigenständigkeit der beiden Rechtsmassen EGV a.F. und Sozialabkommen eine Pflicht der Kommission zur Beteiligung der Sozialpartner zu Recht ab, auch wenn sie eine Anhörung wegen eines möglichen Wechsels der Rechtsgrundlage für zweckmäßig erachtete. Die Kommission hörte die Sozialpartner jedoch freiwillig an; vgl. Buda, Europäische Arbeitsbeziehungen, S. 289 (299); Kliemann,

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trages erledigt. Es bleibt gleichwohl das Problem, wieweit das Beteiligungsrecht der Sozialpartner reicht. Trotz der systematischen Stellung des Art. 138 Abs. 2 EGV in dem Titel „Sozialpolitik“ spricht sein weitgefaßter Wortlaut maßgeblich für eine Beteiligung der Sozialpartner auch an Vorhaben außerhalb des Art. 137 Abs. 1, 3 EGV. Das können Vorhaben gem. Art. 94, 308 EGV sein, soweit sie sozialpolitischer Natur sind.292 Diese Vorschriften verlangen einen einstimmigen Beschluß des Rates und einen Binnenmarktbezug der Maßnahme. Zwar verdrängt Art. 137 EGV als lex specialis in der Regel die allgemeinen Art. 94, 308 EGV.293 Falls sozialpolitische Vorhaben aber doch einmal auf die subsidiären Vorschriften gestützt werden sollten,294 sind die Sozialpartner an ihnen zu beteiligen. Diese Auffassung bestätigt die Kommission, die eine Anhörung der Sozialpartner auch bei sonstigen sozialpolitischen Maßnahmen und Vorschlägen mit sozialpolitischen Auswirkungen in Aussicht stellt.295 Ihrer Aussage kommt für die Auslegung der primärrechtlichen Vorschriften richtungsweisende Bedeutung zu.296

4. Subsidiaritätsprinzip Die bisherigen Ausführungen zeigen, daß die Gemeinschaft und die europäischen Sozialpartner weitreichend das Arbeits- und Sozialrecht regeln können. Dabei kann man leicht die Bedeutung des Subsidiaritätsprinzips im engeren Sinne297 verkennen, das neben der Präambel des EUV in Art. 2 Abs. 2 EUV und konkret in Art. 5 Abs. 2 EGV verankert ist.298 Die Gemeinschaft darf hiernach in den BereiEuropäische Sozialintegration, S. 87 f.; Schulz, Sozialpolitik, S. 114; Schuster, EuZW 1992, S. 178 (187); Wank, RdA 1995, S. 10 (19). 292 Vgl. Bercusson, European Labour Law, S. 547; Schwarze, EAS, B 8100 Rn. 13, 67; a.A. Deinert, Europäischer Kollektivvertrag, S. 194. Andere Rechtsgrundlagen, auf die Vorhaben sozialpolitischer Natur gestützt werden könnten, sind nicht ersichtlich. 293 Lenz-Röttinger, EGV, Art. 94 Rn. 1 und Art. 308 Rn. 1. 294 Als Beispiel für eine auf den damaligen Art. 100 EGV a.F. gestützte Maßnahme sei die Richtlinie 94 / 45 / EG über die Einsetzung europäischer Betriebsräte zur Information und Konsultation der Arbeitnehmer in gemeinschaftsweit operierenden Unternehmen und Unternehmensgruppen genannt; vgl. ABl. L 254 v. 30. 09. 1994, S. 64 ff. 295 KOM (93) 600 v. 14. 12. 1990, Ziff. 28. 296 Vgl. 1. Teil § 2 I. 1. c) und Herdegen, ZHR 1991, S. 52 ff. 297 Zu dem Subsidiaritätsprinzip im weiteren Sinne zählen wegen ihrer sachlichen Verklammerung mit dem Subsidiaritätsprinzip im engeren Sinne das Prinzip der begrenzten Einzelermächtigung in Art. 5 Abs. 1 EGV und das Verhältnismäßigkeitsprinzip in Art. 5 Abs. 2 EGV; Calliess / Ruffert-Calliess, EUV / EGV, Art. 5 Rn. 3; v. Borries, EuR 1994, S. 263 (266 ff.); Jarass, EuGRZ 1994, S. 209 (209 f.); Pechstein / Koenig, Europäische Union, Rn. 159; Schima, Subsidiaritätsprinzip, S. 17, 118; a.A. Lecheler, Subsidiaritätsprinzip, S. 16. 298 Bereits der Vertragsentwurf des Europäischen Parlaments zur Gründung der Europäischen Union v. 14. 02. 1984 erwähnte ausdrücklich das Subsidiaritätsprinzip. Positivrechtlich verankert wurde es erstmals mit der EEA in Art. 130r Abs. 4 EWGV. Der Maastrichter Ver-

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2. Teil: Art und Umfang der Normsetzung

chen, die nicht in ihre ausschließliche Zuständigkeit fallen, nur tätig werden, sofern und soweit die Ziele der in Betracht gezogenen Maßnahmen auf Ebene der Mitgliedstaaten nicht ausreichend erreicht und daher wegen ihres Umfangs oder ihrer Wirkung besser auf Gemeinschaftsebene verwirklicht werden können. Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage, was das Subsidiaritätsprinzip für die Bestimmung der Regelungsinhalte des von der Kommission initiierten, „abhängigen“ Sozialen Dialogs bedeutet.

a) Anwendbarkeit auf die Art. 136 ff. EGV Seit Art. 5 Abs. 2 EGV mit der Integration des Sozialabkommens in den EGV unter „Grundsätze“ im ersten Teil steht und für alle Gemeinschaftspolitiken gleichsam vor die Klammer gezogen wurde,299 gilt er unzweifelhaft auch für die Art. 136 ff. EGV.300 Das Subsidiaritätsprinzip findet allerdings nur Anwendung, wenn die in Betracht gezogenen Maßnahmen nicht in die ausschließliche Zuständigkeit der Gemeinschaft fallen. Das tun weder das Arbeits- noch das Sozialrecht.301 In diesen Materien sind die Mitgliedstaaten nämlich auch unabhängig von dem Tätigwerden der Gemeinschaft zum Handeln befugt.302 Die normative Aussage des Subsidiaritätsprinzips303 besteht darin, der kleineren Einheit wie der privaten Eigeninitiative nach ihrer Leistungsfähigkeit den Vorrang trag normierte das Subsidiaritätsprinzip in Art. B Abs. 2 EUV a.F. und Art. 3b EGV a.F. Zur Geschichte vgl. Schmidt, Befugnisse der Sozialpartner, S. 45 ff.; Schweitzer / Hummer, Europarecht, Rn. 892; Stein, Subsidiaritätsprinzip, S. 47 (49 ff.). 299 Stein, Subsidiaritätsprinzip, S. 47 (51). 300 Zu der Problematik der Anwendbarkeit des Subsidiaritätsprinzips auf das Abkommen über die Sozialpolitik mit unterschiedlichen Begründungen vgl. u. a. Buchner, RdA 1993, S. 193 (197); Deinert, Europäischer Kollektivvertrag, S. 237 f.; Hailbronner, GS für Grabitz, S. 125 (129); Heinze, ZfA 1992, S. 331 (340); Kempen, KritV 1994, S. 13 (43); Kliemann, Europäische Sozialintegration, S. 171 f.; Piazolo, Sozialer Dialog, S. 74 ff. m. w. N.; Pieper, Subsidiarität, S. 277 f.; Schulz, Sozialpolitik, S. 145 f.; Schuster, EuZW 1992, S. 178 (187); Simitis, FS für Kissel, S. 1097 (1107); Wank, RdA 1995, S. 10 (21 f.). 301 Vgl.Grabitz / Hilf-v.Bogdandy / Nettesheim,EGV,Art.3bRn.28(Stand:September1994); v. Borries, EuR 1994, S. 263 (274 f.); Heinze, RdA 1994, S. 1 (5); Pipkorn, EuZW 1992, S. 697 (699); Wisskirchen, FS für Arbeitsgerichtsverband, S. 653 (674). 302 Zu der Definition der ausschließlichen Zuständigkeit vgl. v. Borries, EuR 1994, S. 263 (274) m. w. N.; Calliess / Ruffert-Calliess, EUV / EGV, Art. 5 Rn. 25; Schweitzer, Rechtsetzung, S. 20 (29). Welche Materien im übrigen ausschließlich von der Gemeinschaft geregelt werden dürfen, ist umstritten. Während die Kommission den Begriff der ausschließlichen Gemeinschaftszuständigkeiten sehr weit versteht, fassen ihn der EuGH und die h.M. dagegen eng und zählen dazu nur die gemeinsame Handelspolitik, die Erhaltung der Fischbestände sowie das interne Organisations- und Verfahrensrecht. Zu den Nachweisen vgl. u. a. Bieber, Rolle der Mitgliedstaaten, S. 283 (300 ff.); v. Borries, EuR 1994, S. 263 (273 f.); Calliess, EuZW 1995, S. 693 ff.; Jarass, EuGRZ 1994, S. 209 (210). 303 Das Subsidiaritätsprinzip gründet auf Vorstellungen insbesondere der katholischen Soziallehre, wonach dem einzelnen das, was er aus eigenen Kräften zu leisten vermag, nicht

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vor der größeren Einheit wie dem staatlichen Handeln zu gewähren.304 Dem Prinzip kommt die Bedeutung einer rechtlich erheblichen, die Gemeinschaftskompetenzen begrenzenden Norm zu.305 Um den Urheber der Regelungsinhalte bestimmen zu können, bleibt zu prüfen, ob das Subsidiaritätsprinzip nicht nur vertikal zwischen der Gemeinschaft und den Mitgliedstaaten (b), sondern auch horizontal zwischen der Gemeinschaft und den europäischen Sozialpartnern (c) wirkt.

b) Vertikales Subsidiaritätsprinzip Das Subsidiaritätsprinzip bezieht sich nach dem Wortlaut des Art. 5 Abs. 2 EGV zunächst auf das vertikale Verhältnis zwischen Gemeinschaft und Mitgliedstaaten.306 Damit es Effizienz307 entfalten kann, ist in einem ersten Schritt zu untersuchen, ob die sozialpolitischen Ziele auf mitgliedstaatlicher Ebene ausreichend, in einem zweiten Schritt, ob sie auf Gemeinschaftsebene besser verwirklicht werden können.308 Daß die Mitgliedstaaten die Ziele auch schlechter als die Gemeinschaft erreichen dürfen,309 bestätigt der 5. Erwägungsgrund des dem Amsterdamer entzogen und der Gesellschaft zugewiesen werden darf. Zu den ideengeschichtlichen Hintergründen vgl. v. Borries, EuR 1994, S. 263 (265); Isensee, Subsidiaritätsprinzip und Verfassungsrecht, S. 18 ff.; Pieper, Subsidiarität, S. 33 ff.; Pipkorn, EuZW 1992, S. 697. 304 Isensee, Subsidiaritätsprinzip und Verfassungsrecht, S. 28, 71 f.; Langlois, Droit social 1993, S. 201 (206); Lecheler, Subsidiaritätsprinzip, S. 39; Schima, Subsidiaritätsprinzip, S. 7 ff., 15; Stein, Subsidiaritätsprinzip, S. 47 (48). 305 Die Kommission qualifiziert das Subsidiaritätsprinzip nicht als Kompetenzverteilungs-, sondern als Kompetenzausübungsprinzip hinsichtlich bereits verteilter Kompetenzen; anders Schima, Subsidiaritätsprinzip, S. 13 m. w. N., und Stein, Subsidiarität als Rechtsprinzip, S. 23 (30 f.), die das Subsidiaritätsprinzip für ein Kompetenzverteilungsprinzip halten, das auch bei ausschließlichen Gemeinschaftskompetenzen berücksichtigt werden muß. Für eine lediglich politische Leitlinie halten sie v. Borries, EuR 1994, S. 263 (266); KOM (93) 545 endg. v. 24. 11. 1993, S. 2. 306 So auch Deinert, Europäischer Tarifvertrag, S. 236; Kempen, KritV 1994, S. 13 (28 ff.), der dies die primäre Dimension des Subsidiaritätsprinzips nennt. Die sekundäre Dimension sieht er in dem Verhältnis der Gemeinschaft zu den föderalen und kommunalen Untergliederungen der Mitgliedstaaten, die tertiäre in dem Verhältnis zu den europäischen Interessenverbänden; Langlois, Droit social 1993, S. 201 (204). Darüber hinaus kann das Subsidiaritätsprinzip m.E. die vertikale Beziehung zwischen Gemeinschaft und nationalen Sozialapartnern gestalten, vgl. Karthaus, AuR 1997, S. 221 (222); Kempen, KritV 1994, S. 13 (27, 34 ff.); Wank, RdA 1995, S. 10 (22). 307 Tatsächlich lassen sich an der Wirksamkeit des Subsidiaritätsprinzips angesichts der zahlreichen Regelungen aus Brüssel Zweifel anmelden; Everling, DVBl. 1993, S. 936 (938); Ossenbühl, DVBl. 1993, S. 629 (631); Reichel, Kompetenzabgrenzung, S. 148 f.; anders schätzt dies Stein, Subsidiaritätsprinzip, S. 47 (56) ein. 308 Die zweistufige Prüfung nimmt die Literatur vor; vgl. v. Borries, EuR 1994, S. 263 (277); Calliess / Ruffert-Calliess, EUV / EGV, Art. 5 Rn. 35; Heinze, RdA 1994, S. 1 (5 f.); ders., FS für Kissel, S. 363 (373 ff.); Kenntner, NJW 1998, S. 2871 (2873); Pipkorn, EuZW 1992, S. 697 (699); Toth, CML Rev. 1992, S. 1079 (1097). 309 v. Borries, EuR 1994, S. 263 (277); Kempen, KritV 1994, S. 13 (29).

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2. Teil: Art und Umfang der Normsetzung

Vertrag beigefügten Protokolls über die Anwendung der Grundsätze der Subsidiarität und der Verhältnismäßigkeit.310

c) Horizontales Subsidiaritätsprinzip Für den Sozialen Dialog von größerer Relevanz ist die horizontale Wirkung des Subsidiaritätsprinzips. Diese Wirkung wird von den Gemeinschaftsorganen311 und Teilen des arbeits- und sozialrechtlichen Schrifttums312 anerkannt. Nach dem sog. Prinzip der doppelten Subsidiarität313 genießen die Sozialpartner in ihrer Vereinbarungsbefugnis Vorrang vor dem Gemeinschaftsgesetzgeber. Dieser muß also zum einen klären, ob überhaupt auf gemeinschaftlicher Ebene gehandelt werden darf, zum anderen, ob er anstelle der Sozialpartner handeln darf. Obwohl Art. 5 Abs. 2 EGV nur die gemeinschaftlichen und die mitgliedstaatlichen Kompetenzbereiche voneinander abgrenzt und keine Aussage über die horizontale Wirkung enthält,314 gilt das horizontale Subsidiaritätsprinzip auch für das Verhältnis des Art. 137 EGV zu den Art. 138 f. EGV.315 Dem Gemeinschaftsrecht 310 Das Subsidiaritätsprotokoll stimmt inhaltlich weitgehend mit dem durch den Europäischen Rat von Edinburgh am 11. und 12. 12. 1992 erlassenen „Gesamtkonzept für die Anwendung des Subsidiaritätsprinzips“ und der in EuGRZ 1993, S. 602 (603 f.), abgedruckten „Interinstitutionellen Vereinbarung v. 25. 10. 1993 zwischen dem Europäischen Parlament, dem Rat und der Kommission über die Verfahren zur Anwendung des Subsidiaritätsprinzips“ überein. Vgl. hierzu Calliess / Ruffert-Calliess, EUV / EGV, Art. 5 Rn. 7; Kenntner, NJW 1998, S. 2871 ff. 311 Europäisches Parlament, Dok. A3 – 163 / 90 / Teil B v. 04. 07. 1990, S. 2 f.; KOM (93) 600 endg. v. 14. 12. 1993, Ziff. 7c; Entschließung des Rates v. 06. 12. 1994, ABl. C 368 v. 23. 12. 1994, S. 6 (9 unter Nr. 20); WSA, CES (94) 1310 v. 28. 11. 1994, S. 2. 312 Hierzu Blanpain / Schmidt / Schweibert, Europäisches Arbeitsrecht, Ziff. 499 (S. 352 f.); Bercusson, Social Policy, S. 149 (167 f.); ders., ILJ 1994, S. 1 (14 f.); Buda, Europäische Arbeitsbeziehungen, S. 289; Clever, ZfSH / SGB 1996, S. 188 (189); Kempen, KritV 1994, S. 13 (34 ff.); Kliemann, Europäische Sozialintegration, S. 172; Konzen, EuZW 1995, S. 39 (44); Reichel, Kompetenzabgrenzung, S. 146; Schulz, Sozialpolitik, S. 99 f.; Schwarze, EAS, B 8100 Rn. 33; Tegtmeier, Perspektiven des Sozialen Dialogs, S. 13 (25 f.); a.A. Gilles, Durchführung von Sozialpartnervereinbarungen, S. 88 ff., nach dem die Sozialpartner unabhängig von den Voraussetzungen des Subsidiaritätsprinzips immer befugt sind, den Sozialen Dialog einzuleiten. Zu der Subsidiarität im nationalen Kontext vgl. Otto, FS für Zeuner, S. 121 (139). 313 U.a. KOM (93) 600 endg. v. 14. 12. 1993, Ziff. 7c. 314 Jarass, EuGRZ 1994, S. 209 (213 f.); Karthaus, AuR 1997, S. 221 (222), leitet das horizontale Subsidiaritätsprinzip fälschlicherweise aus Art. 5 Abs. 2 EGV selbst ab, obwohl dieser explizit von der „Ebene der Mitgliedstaaten“ spricht; Langlois, Droit social 1993, S. 201 (204). 315 Eine weitere Subsidiaritätsbeziehung könnte innerhalb des Art. 139 Abs. 2 S. 1, 1. Alt. EGV zwischen der tariflichen und gesetzlichen Umsetzung der Vereinbarung bestehen. Sie ist an anderer Stelle zu untersuchen, weil sie die Umsetzung auf nationaler Ebene betrifft; Piazolo, Sozialer Dialog, S. 96.

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lassen sich nämlich Anhaltspunkte für seine Geltung entnehmen.316 Sie liegen teils in der Präambel des EUV und in Art. 1 Abs. 2 EUV, die den engen Zusammenhang zwischen der Subsidiarität und der Bürgernähe zum Ausdruck bringen.317 Teils finden sie sich in Art. 138 Abs. 4, 139 EGV. Sinn und Zweck der Vorschriften ist es, die Autonomie der europäischen Sozialpartner dadurch anzuerkennen, daß sie eine Gemeinschaftsmaßnahme an sich ziehen, einen eigenen Vorschlag zu dem von der Kommission vorgeschlagenen Sachbereich treffen und ein Tätigwerden der Gemeinschaftsorgane zumindest aufschieben können.318 Der Gemeinschaftsgesetzgeber nimmt eine Regelung nur vor, wenn die Sozialpartner untätig bleiben oder ihre Verhandlungen scheitern. 5. Ergebnis Bei dem von der Kommission mit der Anhörung der Sozialpartner initiierten Sozialen Dialog sind die Sozialpartner an den Gegenstand des Kommissionsvorschlags und somit an die Gemeinschaftskompetenzen gebunden. Diese ergeben sich i.d.R. aus Art. 137 EGV, so daß eine Durchführung durch Ratsbeschluß grundsätzlich möglich ist. Ganz ausnahmsweise lassen sich Regelungsgegenstände auch auf die Art. 94, 308 EGV zurückführen. Wegen der Bindung kann man hier von einem „abhängigen“ Sozialen Dialog sprechen. Bei ihm reicht das Recht der Sozialpartner auf Beteiligung über die Gemeinschaftskompetenzen des Art. 137 EGV hinaus. In dieser Form ist der Soziale Dialog Teil des gemeinschaftlichen Rechtsetzungsprozesses. Auf ihn sind die Prinzipien der Demokratie und Rechtsstaatlichkeit zwingend anwendbar. Er unterliegt dem Subsidiaritätsprinzip sowohl in seiner vertikalen als auch in seiner horizontalen Wirkungsweise. Das heißt: Falls auf Gemeinschaftsebene überhaupt eine Regelung getroffen werden darf, sind die europäischen Sozialpartner primär zuständig.

II. Von den Sozialpartnern initiierter Sozialer Dialog, Art. 139 EGV Die Regelungsinhalte des Sozialen Dialogs können die Sozialpartner daneben autonom aus eigenem Antrieb und unabhängig von einer ursprünglichen Initiative der Kommission bestimmen.319 Der sozialpartnerschaftliche Impuls läßt bereits 316 Zu diesem Ansatz vgl. Deinert, Europäischer Tarifvertrag, S. 244; Piazolo, Sozialer Dialog, S. 98. 317 Vgl. Blanpain / Schmidt / Schweibert, Europäisches Arbeitsrecht, Rn. 26 ff. (S. 40 ff.); Karthaus, AuR 1997, S. 221 (222); Kempen, KritV 1994, S. 13 (14). 318 Dies entspricht der h.M. zu der Frage, ob die Sozialpartner das gemeinschaftliche Rechtsetzungsverfahren hemmen können. Vgl. zu dem Meinungsstreit Piazolo, Sozialer Dialog, S. 109 ff. m. w. N.; Höland, ZIAS 1995, S. 425 (430). 319 Der gleichen Auffassung sind Heinze, ZfA 1997, S. 505 (515 f.); Kliemann, Europäische Sozialintegration, S. 126; Körtgen, Europäische Tarifverträge, S. 121; KOM (93)

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2. Teil: Art und Umfang der Normsetzung

vermuten, daß es sich bei dieser Variante des Sozialen Dialogs nicht um die hoheitlichste handeln dürfte. Zur genaueren Klärung dieser Annahme sollen die Regelungsinhalte der autonomen Vereinbarungen auf ihre Reichweite und ihre Eignung als Gegenstand einer Gemeinschaftsmaßnahme untersucht werden.

1. Existenz, Inhalt und Umsetzung Für einen Dialog auf Initiative der Sozialpartner spricht der Wortlaut des Art. 139 EGV. Dieser enthält keinen Verweis auf die Anhörung und macht sie nicht zwingend zur Voraussetzung für den Abschluß vertraglicher Beziehungen und Vereinbarungen.320 Zudem ähnelt Art. 139 EGV in struktureller Hinsicht Art. 118b EGV a.F., der vertragliche Beziehungen ohne jegliches Vorverfahren ermöglichte. Zugegebenermaßen steht das Initiativrecht der Sozialpartner im Widerspruch zu dem anerkannten Initiativmonopol der Kommission321 gem. Art. 250 Abs. 1 EGV (Art. 189a Abs. 1 EGV a.F.). Doch kann der eigentliche Zweck des Initiativmonopols – der Schutz der Gemeinschaftsinteressen vor nationalen Einflußnahmen insbesondere durch den intergouvernementalen Rat322 – im Verhältnis zu den Sozialpartnern nicht erreicht werden. So gesehen macht die Aufrechterhaltung des Monopols keinen Sinn.323 Vielmehr würde das alleinige Initiativrecht der Kommission in die von den Art. 138 f. EGV gewollte (Sozial)Autonomie der Sozialpartner eingreifen.324 Hinsichtlich des Regelungsinhalts können sich die autonomen Regelungen im Rahmen des Art. 137 EGV halten oder darüber hinausgehen. Es bleibt den Sozialpartnern insbesondere unbenommen, Vereinbarungen über die Gegenstände des Art. 137 Abs. 6 EGV wie z. B. das Arbeitsentgelt oder das Koalitionsrecht zu treffen.325 Dies folgt daraus, daß der eingrenzende Zusatz in Art. 139 Abs. 2 S. 1, 2. Alt. EGV, wonach eine Durchführung durch Ratsbeschluß nur in den durch Art. 137 EGV erfaßten Bereichen möglich ist, überflüssig wäre, wenn die Rege551 endg. v. 17. 11. 1993, S. 76; Langenbucher, ZEuP 2002, S. 265 (267); Reichel, Kompetenzabgrenzung, S. 114; Schwarze, EAS, B 8100 Rn. 29; a.A. Gilles, Durchführung von Sozialpartnervereinbarungen, S. 100 ff.; Lenze, NZS 1996, S. 313 (317); Piazolo, Sozialer Dialog, S. 103 ff.; Schnorr, DRdA 1994, S. 193 (196 f.). 320 Gilles, Durchführung von Sozialpartnervereinbarungen, S. 98. 321 Hierzu statt vieler Lenaerts, CML Rev. 1991, S. 11 (16, 28); Noel, CML Rev. 1973, S. 123 ff.; Oppermann, Europarecht, Rn. 352 ff.; Schweitzer / Hummer, Europarecht, Rn. 203. 322 Vgl. Lenaerts, CML Rev. 1991, S. 11 (28). 323 Ähnlich s. o. Fn. 320. 324 Das Prinzip der Autonomie der Sozialpartner liegt nach Ansicht der Kommission den Art. 138 f. EGV zugrunde, vgl. KOM (93) 600 endg. v. 14. 12. 1993, S. 15. Allgemein zur Tarifautonomie Birk, RdA 1995, S. 71 (73); Schwarze, EAS, B 8100 Rn. 49. 325 Auch Bercusson, European Labour Law, S. 546 f.; Gilles, Durchführung von Sozialpartnervereinbarungen, S. 104 f. m. w. N.; Konzen, EuZW 1995, S. 39 (47), sind der Ansicht, daß die Kompetenz der Sozialpartner nicht an die der Gemeinschaft gekoppelt ist.

§ 5 Regelungsinhalt der Dialogergebnisse

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lungsinhalte der Dialogergebnisse nicht darüber hinausgehen könnten.326 Diese Art des Sozialen Dialogs ist indes äußerst unwahrscheinlich, wenn man bedenkt, daß die Sozialpartner den „abhängigen“ Sozialen Dialog nur unter der Androhung eines gemeinschaftlichen Rechtsetzungsverfahrens führen.327 Der Umfang der Normsetzung durch den Sozialen Dialog läßt sich primär über die Durchführung bestimmen. Offen ist, auf welchem Weg die autonomen Dialogergebnisse durchzuführen sind. Regeln die Sozialpartner Bereiche außerhalb des Art. 137 EGV, bleibt nur die Durchführung nach den Verfahren und Gepflogenheiten der Sozialpartner und der Mitgliedstaaten. Regeln die Sozialpartner dagegen eine Materie des Art. 137 EGV, ist streitig, ob sie durch einen Ratsbeschluß umgesetzt werden kann. Dies lehnt ab, wer die Stellung und Autonomie der Sozialpartner für nicht „stark“ genug für eine eigene Rechtsetzungsinitiative hält. Die Autonomie gewährleiste den Sozialpartnern zwar, eigenständig in Verhandlungen über sozialpolitische Fragen einzutreten, eigenständig Verhandlungen zu führen und eigenständig vertragliche Beziehungen und Vereinbarungen abzuschließen, aber nicht, das gemeinschaftsrechtliche Rechtsinstrumentarium zur Umsetzung von Vereinbarungen für sich in Anspruch zu nehmen.328 Indessen zeichnen die Systematik und die Teleologie des Vertrages ein anderes Bild, so daß ein Ratsbeschluß auch auf Initiative der Sozialpartner denkbar ist.329 Systematisch ist die Durchführung per Ratsbeschluß von dem gemeinschaftlichen Anhörungsverfahren i. S. d. Art. 138 EGV losgelöst. Das bedeutet: Bei Art. 138 und 139 EGV handelt es sich um zwei unterschiedliche Verfahren, zwischen denen allein Art. 138 Abs. 4 EGV eine Beziehung herstellt.330 Teleologisch widerspricht eine Beschränkung des Durchführungsverfahrens auf die von der Kommission initiierten Verfahrensergebnisse der sozialpartnerschaftlichen Autonomie.331 326 Bercusson, Social Policy, S. 149 (179); Deinert, Europäischer Kollektivvertrag, S. 195 f. 327 Jacobi, Sozialer Dialog, S. 257 (282); Keller / Sörries, MittAB 1999, S. 118 (124); der Druck auf die Sozialpartner wird mit der Formulierung „legislate or we will legislate“ umschrieben. 328 So im Ergebnis, wenn auch ohne Begründung Birk, EuZW 1997, S. 453 (458); überzeugend Piazolo, Sozialer Dialog, S. 101 ff.; außerdem Reichel, Kompetenzabgrenzung, S. 113; Schnorr, DRdA 1994, S. 193 (196 f.); Schulz, SF 1992, S. 79 (82); a.A. Bercusson / van Dijk, IJCLLIR 1995, S. 13 (23 f.). 329 Vgl. Bercusson / van Dijk, IJCLLIR 1995, S. 3 (24), die die Ansicht des Wirtschaftsund Sozialausschusses wiedergeben; ähnlich Bercusson, Social Policy, S. 149 (179); Heinze, ZfA 1997, S. 505 (515 f.); Schwarze, EAS, B 8100 Rn. 49. In diese Richtung auch KOM (98) 322 endg. v. 20. 05. 1998, S. 18. 330 Dies verkennt Gilles, Durchführung von Sozialpartnervereinbarungen, S. 103, der den Begriff „Vereinbarung“ i. S. d. Art. 139 Abs. 1 EGV als Ergebnis des Prozesses nach Art. 138, 139 EGV begreift. Diese Auslegung ist m.E. vor dem Hintergrund des Art. 138 Abs. 4 EGV, der pauschal auf Art. 139 EGV verweist, und des Art. 139 Abs. 2 EGV, der Vereinbarungen auch über Gegenstände außerhalb der Gemeinschaftskompetenz möglich erscheinen läßt, nicht nachvollziehbar.

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2. Teil: Art und Umfang der Normsetzung

2. Subsidiaritätsprinzip Auf den durch die Sozialpartner eingeleiteten Sozialen Dialog findet das Subsidiaritätsprinzip keine Anwendung. Gegenüber dem nationalen Gesetzgeber haben die europäischen Sozialpartner den Vorrang.332 Das Konkurrenzverhältnis der europäischen zu den nationalen Sozialpartnern muß auf innerverbandlichem Wege gelöst werden.333 3. Ergebnis Es gibt einen von den Sozialpartnern initiierten Sozialen Dialog. Bei ihm können die Sozialpartner über den Inhalt ihrer Vereinbarung bestimmen. Sie sind nicht an etwaige Gemeinschaftskompetenzen gebunden. Man kann hier von einem „autonomen“ Sozialen Dialog sprechen. Die in seinem Rahmen abgeschlossenen Vereinbarungen können Gegenstand einer Gemeinschaftsmaßnahme sein. Das Subsidiaritätsprinzip findet keine Anwendung. Die Zugehörigkeit dieser Art des Sozialen Dialogs zu dem formellen Verfahren i. S. d. Art. 138 f. EGV wird zum Teil bezweifelt.334 Tatsächlich bildet er nur einen Ausschnitt aus dem gesamten Verfahren. Unabhängig davon sprechen jedenfalls die sozialpartnerschaftliche Initiative und die weitgehenden Regelungsmöglichkeiten gegen eine Einbindung in die staatliche Normsetzung, so daß der „autonome“ Soziale Dialog nicht die hoheitlichste Dimension des Sozialen Dialogs darstellt und in der Folge unberücksichtigt bleibt.

III. Ergebnis Im Hinblick auf die Regelungsinhalte der Dialogergebnisse kommt es maßgeblich auf das Verhältnis der Art. 138 und 139 EGV zueinander an. Einerseits ist Art. 138 EGV Voraussetzung für Art. 139 EGV. Die Sozialpartner sind zum Tätigwerden auf die Initiative der Kommission angewiesen; in ihren Vereinbarungen können sie nur Regelungen über Gegenstände treffen, die in die Kompetenz der Gemeinschaft fallen. Der Soziale Dialog ist in dieser Ausprägung in das gemeinschaftliche Rechtsetzungsverfahren eingebettet, d. h. von ihm in verschiedener Hinsicht „abhängig“. Andererseits kann der Soziale Dialog i. S. d. Art. 139 EGV 331 Tatsächlich sind autonome Regelungen der Sozialpartner selten. Die Vorschriften des Art. 138 f. EGV wurden gerade geschaffen, um die Sozialpartner zu Verhandlungen anzuregen. 332 Ähnlich Schwarze, EAS, B 8100 Rn. 48, 57 m. w. N., der der Frage nach der Anwendbarkeit des Subsidiaritätsprinzips auf den Ratsbeschluß nachgeht. 333 Vgl. hierzu Schwarze, EAS, B 8100 Rn. 36. 334 Nach Betten, ELR 1998, S. 20 (29), zählt der von den Sozialpartnern initiierte Dialog nicht mehr zu dem Verfahren i. S. d. Sozialabkommens, heute EGV.

§ 6 Geltungsbereich der Dialogergebnisse

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auch ohne vorherige Anhörung der Sozialpartner i. S. d. Art. 138 EGV eingeleitet werden. Dies geschieht auf Initiative der Sozialpartner; sie können Gegenstände losgelöst von den Gemeinschaftskompetenzen regeln. Der Soziale Dialog erfolgt „autonom“. Nur in seiner abhängigen Form kann der Soziale Dialog Teil des gemeinschaftlichen Normsetzungsprozesses sein. Er steht daher im Mittelpunkt des Interesses. Das Subsidiaritätsprinzip ist auf ihn anwendbar.

§ 6 Geltungsbereich der Dialogergebnisse Der Geltungsbereich der Dialogergebnisse spezifiziert den Umfang der Normsetzung. Auch er dient dazu, den Verfahrenscharakter des Sozialen Dialogs festzulegen. Er läßt sich in einen räumlichen, fachlichen und personellen einteilen.335 Unterschiede ergeben sich bei dem räumlichen und fachlichen Geltungsbereich je nach Umsetzung auf der nationalen oder europäischen Ebene.

I. Räumlicher Geltungsbereich Im Hinblick auf den räumlichen Geltungsbereich stellt sich die Frage, ob die Dialogergebnisse über das Gebiet der Gemeinschaft hinaus erstreckt oder auf Teile von ihr beschränkt werden dürfen. Erfolgt die Umsetzung auf nationaler Ebene, ist abhängig von der Regelungsmacht der Sozialpartner und Mitgliedstaaten sowohl eine territoriale Ausdehnung über die Mitgliedstaaten der Gemeinschaft hinaus als auch eine territoriale Beschränkung auf einzelne Mitgliedstaaten möglich.336 Da die Dialogergebnisse nach dem Wortlaut des Art. 139 Abs. 1 EGV einen sachlichen Gemeinschaftsbezug aufweisen müssen, müssen sie jedoch mindestens zwei Mitgliedstaaten erfassen.337 Erfolgt die Umsetzung auf europäischer Ebene, scheidet eine Erstreckung des Geltungsbereichs über die Gemeinschaft hinaus mangels Kompetenz der Gemeinschaft aus. Die Möglichkeit einer räumlichen Beschränkung ist denkbar, wenn der Rat auch praktisch ausschließlich gemeinschaftsweite Regelungen trifft.338

335 So auch Birk, EuZW 1997, S. 453 (456); Calliess / Ruffert-Krebber, EUV / EGV, Art. 139 Rn. 13. 336 Blanpain / Schmidt / Schweibert, Europäisches Arbeitsrecht, Ziff. 517 (S. 357 f.). 337 Vgl. Bödding, Sozialpartner, S. 94 f. m. w. N.; Däubler, KJ 1990, S. 14 (29); ders., AiB 1989, S. 44 (47). 338 Birk, EuZW 1997, S. 453 (456); ähnlich Calliess / Ruffert-Krebber, EUV / EGV, Art. 139 Rn. 13.

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2. Teil: Art und Umfang der Normsetzung

II. Fachlicher Geltungsbereich Was den fachlichen Geltungsbereich angeht, können die auf nationaler Ebene umzusetzenden Dialogergebnisse unzweifelhaft branchenübergreifend, branchen-, unternehmensbezogen oder interregional sein. Möglicherweise sind aber die auf europäischer Ebene umzusetzenden Vereinbarungen auf branchenübergreifende beschränkt, weil sie sich primär wegen ihrer umfassenden Wirkung für die Umsetzung durch einen allgemeinen Geltungsanspruch erhebenden Gemeinschaftsakt eignen.339 Eine Beschränkung auf die branchenübergreifende Ebene geht aber weder aus dem Gesetzestext hervor, noch wäre sie mit der Autonomie der Sozialpartner vereinbar.340 Auch Ziff. 12 Abs. 2 der Gemeinschaftscharta der sozialen Grundrechte der Arbeitnehmer spricht gegen eine Beschränkung, so daß auch branchen- und unternehmensbezogene Dialogergebnisse nicht von der Umsetzung auf europäischer Ebene ausgeschlossen sind.

III. Persönlicher Geltungsbereich In personeller Hinsicht macht sich erstmals, wenn überhaupt, die Gegenüberstellung von „vertraglichen Beziehungen“ und „Vereinbarungen“ bemerkbar. Aus dem Vergleich zwischen Art. 139 Abs. 1 und Art. 139 Abs. 2 EGV folgt, daß die Vereinbarungen einer Durchführung bedürfen. Ihr Anwendungsbereich soll offenbar über den Kreis der Vertragsparteien hinausgehen und Rechte und Pflichten Dritter, insbesondere der nationalen Sozialpartner und der Arbeitnehmer und Arbeitgeber regeln.341 Die Drittrichtung ändert im übrigen nichts an ihrem schuldrechtlichen Charakter.342, 343 Vertragliche Beziehungen dagegen ordnen – unabhängig von 339 Birk, EuZW 1997, S. 453 (456); Calliess / Ruffert-Krebber, EUV / EGV, Art. 139 Rn. 14; in dieselbe Richtung äußert sich auch Weiss, FS für Gnade, S. 583 (592). 340 Blanpain / Schmidt / Schweibert, Europäisches Arbeitsrecht, Ziff. 525 (S. 360); Bödding, Sozialpartner, S. 95 f. und 103 f. 341 Zweifelhaft ist, welchem Recht der Arbeitgeber- und Arbeitnehmerbegriff zu entnehmen ist. Davon hängt ab, ob Beamte als Arbeitnehmer anzusehen sind. Für einen Rückgriff auf die nationalen Rechte spricht der sonst bei der Umsetzung auf nationaler Ebene möglicherweise auftretende Konflikt mit den mitgliedstaatlichen Rechten. Ein Rückgriff ist allerdings nur möglich, wenn die Einheitlichkeit der Regelung nicht gefährdet wird; vgl. Birk, EuZW 1997, S. 453 (456); dies gesteht auch Calliess / Ruffert-Krebber, EUV / EGV, Art. 139 Rn. 15, ein. Die Begriffe unterscheiden sich nicht wesentlich; vgl. Kommission, Die Regelung der Arbeitsbedingungen, Band 1, S. 8 f., zum Arbeitnehmerbegriff, und S. 14 f., zum Arbeitgeberbegriff. Ein Rückgriff ist daher zulässig, so daß Beamte nicht konsequent in den Arbeitnehmerbegriff einbezogen werden. 342 Nach Konzen, EuZW 1995, S. 39 (47), trifft die Sozialpartner mangels tarifpolitischen Mandats nur die Pflicht, für die Beachtung der Vereinbarung durch ihre Mitglieder zu werben. Auch im deutschen Recht ist die Regelung von Arbeitsbedingungen durch Schuldverträge nichts Neues; vgl. hierzu BAG v. 05. 11. 1997 – 4 AZR 872 / 95 –, NZA 1998, S. 654 (657).

§ 7 Umsetzung der Sozialpartnervereinbarungen

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einer Durchführung – eher die Rechte und Pflichten der Sozialpartner untereinander, d. h. den Binnenbereich zwischen den Sozialpartnern wie z. B. die Verhandlungspflichten.344 Damit sind Regelungen von Arbeitsbedingungen der Arbeitnehmer nicht ausgeschlossen.345 Wegen ihrer größeren Drittrichtung sind Vereinbarungen zur Normsetzung besser geeignet. Auf sie kommt es daher wesentlich an.

IV. Ergebnis Der Geltungsbereich des Sozialen Dialogs kann sich in allen seinen Ebenen räumlich auf das Gebiet der Gemeinschaft erstrecken. Das spricht für seinen hoheitlichen Charakter. Die Sozialpartnervereinbarungen sind wegen ihrer Drittrichtung am ehesten zur Normsetzung geeignet.

§ 7 Umsetzung der Sozialpartnervereinbarungen Den auf Gemeinschaftsebene geschlossenen Vereinbarungen der Sozialpartner kommt selbst keine normative Wirkung zu.346 Erst die Umsetzung durch andere mit Durchsetzungsmacht ausgestatteten Institutionen und Organe verleiht ihnen Drittwirkung.347 Sie macht also aus dem Sozialen Dialog überhaupt erst ein Rechtsetzungsverfahren. Zugleich legen die verschiedenen Umsetzungsarten den Umfang der Normsetzung durch den Sozialen Dialog fest. Die Umsetzung und die Umsetzungsarten bedürfen daher für Beantwortung der vorliegenden Frage der Erwähnung. Die verschiedenen Umsetzungsalternativen sind in Art. 139 Abs. 2 EGV (Art. 4 Abs. 2 AbkSozPol) geregelt. Nach ihm erfolgt die Durchführung entweder nach den jeweiligen Verfahren und Gepflogenheiten der Sozialpartner und der Mitglied343 Zu den verschiedenen die Drittrichtung begründenden Konstruktionen vgl. Löwisch / Rieble-Löwisch, TVG, Grundl. Rn. 90 ff. 344 Balze, Sozialpolitische Kompetenzen, S. 270; Birk, EuZW 1997, S. 453 (454); Höland, ZIAS 1995, S. 425 (434); Schnorr, DRdA 1994, S. 193 (196); Schwarze, EAS, B 8100 Rn. 24. 345 Deinert, Europäischer Kollektivvertrag, S. 179 m. w. N.; Schwarze, EAS, B 8100 Rn. 24; a.A. Däubler, EuZW 1992, S. 329 (331); ders., Tarifvertragsrecht, Ziff. 1728 (S. 710 f.); ders., Europäische Tarifverträge, S. 16 (20 f.); Gilles, Durchführung von Sozialpartnervereinbarungen, S. 143; MünchArbR-Löwisch / Rieble, § 254 Rn. 19; Kempen, KritV 1994, S. 13 (41); Zachert, FS für Schaub, S. 811 (818); Schnorr, DRdA 1994, S. 193 (196). 346 s. o. § 4 III.; Guéry, ILRev. 1992, S. 581 (588), führt aus: Einer Vereinbarung auf Gemeinschaftsebene kommt keine verbindliche Kraft in den Mitgliedstaaten zu. Das ist der Grund, warum Vorschriften für zusätzliche Verfahren erlassen wurden. 347 Zu der ausnahmsweisen Umsetzung der „vertraglichen Beziehungen“ auf nationaler Ebene, die gegenüber der Umsetzung der „Vereinbarungen“ keine Besonderheiten aufweist vgl. Gilles, Durchführung von Sozialpartnervereinbarungen, S. 94, 104.

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2. Teil: Art und Umfang der Normsetzung

staaten (Art. 139 Abs. 2 S. 1, 1. Alt. EGV) oder – in den durch Art. 137 erfaßten Bereichen – auf gemeinsamen Antrag der Unterzeichnerparteien durch einen Beschluß des Rates auf Vorschlag der Kommission (Art. 139 Abs. 2 S. 1, 2. Alt. EGV). Die Vorschrift sieht zwei Mechanismen vor, wobei das erste Verfahren kumulativ ausgestaltet ist, so daß letztendlich drei Umsetzungsmodalitäten bestehen. Bevor auf sie im einzelnen eingegangen wird, soll zunächst der Anwendungsbereich der Umsetzungsalternativen geklärt werden.

I. Anwendungsbereich der Umsetzungsalternativen Zweifellos findet die zweite Umsetzungsalternative ausschließlich auf die durch Art. 137 EGV erfaßten Bereiche Anwendung. Fraglich ist aber, ob die Sozialpartner im Bereich des Art. 137 EGV zwischen den verschiedenen Umsetzungsmodalitäten des abhängigen Sozialen Dialogs wählen dürfen. Eine Möglichkeit wäre, die Art der Umsetzung an den Inhalt der Vereinbarung zu koppeln. Fiele der Inhalt in den Regelungsbereich von Art. 137 EGV, hätte die Umsetzung durch Ratsbeschluß zu erfolgen, andernfalls nach den Verfahren und Gepflogenheiten der Sozialpartner und der Mitgliedstaaten.348 Diese Ansicht hat den Wortlaut des Art. 139 Abs. 2 EGV für sich. Der Einschub „in den durch Art. 137 erfaßten Bereichen“ legt nahe, in diesen Fällen einen Ratsbeschluß für erforderlich zu halten.349 In der Konsequenz hieße das: Die Sozialpartner verfügten über keine Wahlmöglichkeit. Eine zwangsweise Durchführung durch Ratsbeschluß in Fällen, in denen die Vereinbarungen einen Bereich des Art. 137 EGV regeln, widerspricht aber dem Subsidiaritätsgrundsatz. Auch erübrigte sich ein gemeinsamer Antrag der Sozialpartner i.R.d. Art. 139 Abs. 2 S. 1, 2. Alt. EGV, wäre der Ratsbeschluß zwingend.350 Würde man den Sozialpartnern ein Recht auf die Wahl der Umsetzungsart versagen, würde die Autonomie in Frage gestellt, die gerade gestärkt werden sollte.351 Hierfür müssen die Sozialpartner zwischen den verschiedenen Umsetzungsmechanismen im Rahmen des abhängigen Sozialen Dialogs wählen dürfen.352 Das bedeutet, daß auch die unter Art. 137 EGV fallenden Bereiche nach den Verfahren und Gepflogenheiten der Sozialpartner und der Mitgliedstaaten durchführbar sind.

348 Schnorr, DRdA 1994, S. 193 (197); im Ergebnis ähnlich Calliess / Ruffert-Krebber, EUV / EGV, Art. 139 Rn. 19, nach dem die Verfahrensweisen nur auf dem Papier nebeneinander stehen, in Wirklichkeit aber Inhalt und Geltungsbereich der Vereinbarungen die Umsetzungsart festlegen. 349 Blanpain / Engels, European Labour Law, Rn. 580 (S. 354). 350 Vgl. hierzu Reichel, Kompetenzabgrenzung, S. 117 f. 351 So auch Weiss, IJCLLIR 1992, S. 3 (11); Weiss, FS für Gnade, S. 583 (592). 352 Schwarze, EAS, B 8100 Rn. 37.

§ 7 Umsetzung der Sozialpartnervereinbarungen

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II. Umsetzung auf nationaler Ebene nach Art. 139 Abs. 2 S. 1, 1. Alt. EGV Bei der Durchführung einer Vereinbarung der europäischen Sozialpartner gem. Art. 139 Abs. 2 S. 1, 1. Alt. EGV handelt es sich um einen Vorgang, der sich auf der Ebene des nationalen Rechts abspielt, also rein nationalen Charakters ist.353 Daran werden vereinzelt unter Verweis auf den bestimmten Artikel – die Umsetzung soll nach den Verfahren und Gepflogenheiten der Sozialpartner erfolgen – Zweifel angemeldet. Danach sollen die europäischen Sozialpartner tätig werden können.354 Dieses Verständnis widerspricht m.E. einer anderen Formulierung von Art. 139 Abs. 2 S. 1, 1. Alt. EGV. Das Wörtchen „und“ weist darauf hin, daß die Durchführungsmaßnahmen von Sozialpartnern und Mitgliedstaaten auf derselben nationalen Regelungsebene liegen. Eine Normsetzung auf Gemeinschaftsebene scheidet hier aus. Um die Dimension des Sozialen Dialogs herauszufinden, auf die das Demokratie- und Rechtsstaatsprinzip am ehesten angewendet werden müssen, sind im folgenden die Verfahren und Gepflogenheiten der Sozialpartner und der Mitgliedstaaten zu analysieren. Daran schließt sich die Frage an, in welchem Verhältnis Tarifverträge und Gesetze zueinander stehen. Abschließend ist zu klären, ob die nationalen Sozialpartner und die Mitgliedstaaten eine Umsetzungspflicht trifft und es so überhaupt zu einer Normsetzung kommen muß.

1. Nationale Verfahren und Gepflogenheiten Auf der nationalen Ebene ist wie bereits erwähnt eine Unterscheidung zwischen den Instrumenten der Sozialpartner und den Instrumenten der Mitgliedstaaten zu treffen. a) Der Sozialpartner Die Durchführung der Vereinbarungen durch die nationalen Sozialpartner erfolgt nach ihren Handlungsmöglichkeiten. In Deutschland geschieht dies durch den Abschluß von Tarifverträgen.355 Das Tarifrecht ist in den Mitgliedstaaten 353 So die h.M. allerdings ohne Begründung; vgl. Bercusson, European Labour Law, S. 545; Birk, EuZW 1997, S. 453 (457); Blanpain / Schmidt / Schweibert, Europäisches Arbeitsrecht, Ziff. 173 (S. 124); Blank, FS für Gnade, S. 649 (655), nach dem in Art. 139 Abs. 2 S. 1, 1. Alt. EGV eine gemeinschaftsrechtliche Kollisionsregel vorgegeben ist; Bobke / Müller, WSI Mitteilungen 1995, S. 654 (656); Heinze, ZfA 1992, S. 331 (338); ders., ZfA 1997, S. 505 (516); Callies / Ruffert-Krebber, EUV / EGV, Art. 139 Rn. 19; Treu, Liber amicorum Wedderburn, S. 169 (173 f.). 354 Deinert, Europäischer Tarifvertrag, S. 196 ff., 443 f., kritisiert die überwiegende Meinung als zu oberflächlich, die Art. 139 Abs. 2 S. 1, 2. Alt. EGV ohne Begründung auf nationale Tarifverträge und Gesetze bezieht. 355 Die umsetzenden Tarifverträge sind dabei den sonstigen gleichzusetzen; vgl. Calliess / Ruffert-Krebber, EUV / EGV, Art. 139 Rn. 23; Reichel, Kompetenzabgrenzung, S. 116.

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2. Teil: Art und Umfang der Normsetzung

jedoch völlig unterschiedlich ausgestaltet. Differenzen bestehen vor allem hinsichtlich der Tariffähigkeit, Tarifgebundenheit, Wirkung und Geltung des Tarifvertrages.356 Um nur ein Beispiel zu nennen: In Deutschland können die Verbände gem. § 4 Abs. 1 TVG mit unmittelbar zwingender Wirkung nur für ihre Mitglieder handeln. Außenseiter werden in der Regel357 von der Normsetzung nicht erfaßt. In Belgien, Frankreich, Luxemburg und Österreich358 dagegen wirken die das Individualarbeitsverhältnis betreffenden Tarifnormen – im deutschen Sprachgebrauch: Abschluß-, Inhalts- und Beendigungsnormen – für alle organisierten und nichtorganisierten Arbeitnehmer, deren Arbeitgeber tarifgebunden ist. Um eine Harmonisierung der nationalen Rechtsordnungen zu erreichen,359 ist eine Ausweitung der Tarifvertragswirkung auf Außenseiter erforderlich. Dies geschieht durch ein Zusammenwirken zwischen Tarifvertragsparteien und staatlichem Gesetzgeber,360 das im deutschen Rechtskreis Allgemeinverbindlicherklärung heißt. Die Allgemeinverbindlicherklärung stellt einen Rechtsakt eigener Art zwischen autonomer Regelung und staatlicher Rechtsetzung dar, der seine Rechtsgrundlage in Art. 9 Abs. 3 GG findet.361 Die Möglichkeit der Allgemeinverbindlicherklärung ist wiederum in den Mitgliedstaaten uneinheitlich geregelt.362 In Deutschland ist dies nur unter den Voraussetzungen des § 5 Abs. 1 TVG durch den Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung möglich. Das öffentliche Interesse i. S. d. § 5 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 TVG könnte das Bedürfnis nach einer funktionierenden europaweiten Regelung begründen. Darüber hinaus müßten die tarifgebundenen Arbeitgeber mindestens 50 % der unter den Geltungsbereich des Tarifvertrags fallenden Arbeitnehmer beschäftigen. Von dieser Voraussetzung kann bei sozialem Notstand abgesehen werden (§ 5 Abs. 1 S. 2 TVG). Ein solcher ist nicht schon deshalb zu bejahen, weil das Ziel einer europaweiten Regelung sonst nicht erreicht würde.363 356 Vgl. Stiller, ZIAS 1991, S. 194 (215 f.); Treu, Liber amicorum Wedderburn, S. 169 (173); Weiss, FS für Kissel, S. 1253 (1255). 357 Ausnahmen bestehen allein in den Fällen der Allgemeinverbindlicherklärung nach § 5 Abs. 1 TVG und in den Fällen des § 3 Abs. 2 TVG, in denen eine sinnvolle tarifliche Normsetzung ohne Einbeziehung der Außenseiter nicht möglich ist. 358 Vgl. zu Frankreich Javillier, Droit du Travail, S. 569; Treu, European Employment, S. 70; zu den anderen Mitgliedstaaten vgl. Hummel, AuA 1994, S. 36 ff.; Runggaldier, ZIAS 1997, S. 1 (2 f.); Schintgen, Luxemburg, S. 233 (250 f.); Verly, Belgien, S. 21 (32 ff.). 359 Dies ist das erklärte Ziel der europäischen Sozialpolitik; vgl. hierzu Birk, EuZW 1997, S. 453 (458); Kasseler Hdb-Heinze, 11. Rn. 147; Herdegen, Europarecht, Rn. 178; Piazolo, Sozialer Dialog, S. 120; Reichel, Kompetenzabgrenzung, S. 118. 360 Däubler, Tarifvertragsrecht, Ziff. 1243 ff. (S. 537 ff.); Höland, ZIAS 1995, S. 425 (432). 361 U.a. BVerfG v. 24. 05. 1977 – 2 BvL 11 / 74 –, BVerfGE 44, S. 322 (340); BAG v. 28. 03. 1990 – 4 AZR 536 / 89 –, NZA 1990, S. 781; Däubler, Tarifvertragsrecht, Ziff. 1283 (S. 549); Otto, Arbeitsrecht, Rn. 149. 362 Ausführlich zu den verschiedenen Mechanismen der Allgemeinverbindlicherklärung in den Mitgliedstaaten Piazolo, Sozialer Dialog, S. 118 ff.

§ 7 Umsetzung der Sozialpartnervereinbarungen

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Spezielle Verfahren zur Umsetzung europäischer Vereinbarungen sind nicht vorgesehen.364 Die dem EGV angehängte Erklärung zu Art. 139 Abs. 2 EGV stellt ausdrücklich fest, daß Tarifverhandlungen gemäß den Regeln eines jeden Mitgliedstaats zu erfolgen haben.365 Der deutsche Gesetzgeber ist genausowenig wie die übrigen nationalen Gesetzgeber verpflichtet, den nationalen Sozialpartnern neben §§ 3 Abs. 2, 5 Abs. 1 TVG weitere Verfahren366 zur Verfügung zu stellen, durch die Nichtorganisierte einbezogen werden können.367 b) Der Mitgliedstaaten Die Vereinbarungen der europäischen Sozialpartner können statt durch die nationalen Sozialpartner auch durch die Mitgliedstaaten umgesetzt werden. Von dieser Möglichkeit haben sie bisher noch keinen Gebrauch gemacht. Eine rechtliche Erörterung hat sich damit aber nicht erledigt. Auch hier bestimmt sich die Durchführung nach dem nationalen Recht. In Betracht kommt eine Übernahme durch Gesetz, Verordnung i. S. d. Art. 80 GG oder Allgemeinverbindlicherklärung.368 Denkbar ist auch die Entwicklung besonderer Verfahren und rechtlicher Instrumentarien zur Umsetzung der europäischen Vereinbarungen.369 Wichtig ist, daß die Vereinbarungen für alle betroffenen Arbeitsverhältnisse und somit auch gegenüber Parteien gelten, die an ihrem Abschluß nicht beteiligt waren.370 Allerdings ist auch hier eine einheitliche Umsetzung nicht garantiert.

2. Verhältnis von Tarifvertrag und Gesetz Das BVerfG hat in bezug auf das Verhältnis von staatsfreier Tarifautonomie und staatlicher Gesetzgebung auf nationaler Ebene,371 das zunehmend in den Mittel363 Buchner, RdA 1993, S. 193 (201); Konzen, EuZW 1995, S. 39 (47); Schwarze, EAS, B 8100 Rn. 39. 364 Buchner, RdA 1993, S. 193 (200); Reichel, Kompetenzabgrenzung, S. 116. 365 Zur gleichlautenden Erklärung zu Art. 4 Abs. 2 AbkSozPol, deren Verbindlichkeit umstritten ist, vgl. Bercusson, ILJ 1994, S. 1 (24 f.); Whiteford, ELR 1993, S. 202 (210). Man kann sie zumindest als Indikator für den Willen der Unterzeichnerparteien ansehen, vgl. Schwarze, EAS, B 8100 Rn. 43. 366 Beispielsweise würde eine Reform der Allgemeinverbindlicherklärung das Problem aufwerfen, ob sie im Hinblick auf die negative Koalitionsfreiheit zulässig wäre. 367 Konzen, EuZW 1995, S. 39 (47); Schwarze, EAS, B 8100 Rn. 39. 368 Balze, Sozialpolitische Kompetenzen, S. 271; Calliess / Ruffert-Krebber, EUV / EGV, Art. 139 Rn. 24. 369 Birk, EuZW 1997, S. 453 (458); Calliess / Ruffert-Krebber, EUV / EGV, Art. 139 Rn. 24. 370 Ähnlich Wiedemann-Wiedemann, TVG, Einleitung Rn. 152; kritisch hierzu Weiss, IJCLLIR 1992, S. 3 (12). 371 Es handelt sich hier um das bereits oben angesprochene Subsidiaritätsprinzip auf nationaler Ebene.

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2. Teil: Art und Umfang der Normsetzung

punkt der Auseinandersetzung um die Koalitionsfreiheit rückt,372 ausgeführt: „Mit der grundrechtlichen Garantie der Tarifautonomie wird ein Freiraum gewährleistet, in dem Arbeitnehmer und Arbeitgeber ihre Interessengegensätze in eigener Verantwortung austragen können. Diese Freiheit findet ihren Grund in der historischen Erfahrung, daß auf diese Weise eher Ergebnisse erzielt werden, die den Interessen der widerstreitenden Gruppen und dem Gemeinwohl gerecht werden, als bei einer staatlichen Schlichtung.“373 Den Koalitionen kommt eine Normsetzungsprärogative zu, die jedoch nicht schrankenlos gilt.374 Der staatliche Gesetzgeber hat also den Vorrang der von Art. 9 Abs. 3 GG geschützten Tarifautonomie375 zu achten und nur das zur Funktionserfüllung Unerläßliche zu leisten.376 Die Grenzen des Art. 9 Abs. 3 GG gelten von Art. 139 Abs. 2 S. 1, 1. Alt. EGV unbeeinflußt weiter. Das bedeutet: Selbst wenn die nationalen Sozialpartner die europäischen Vereinbarungen noch nicht umgesetzt haben, darf der Gesetzgeber nicht regelnd in bestehende nationale Tarifregelungen eingreifen. Eine Ausnahme ist möglich, wenn die Sozialpartner eine gesetzliche Regelung wünschen oder Schutzregelungen zugunsten aller Arbeitnehmer erforderlich sind. Dieser Rechtsgedanke ist auf die anderen Mitgliedstaaten übertragbar, die alle den Grundsatz der Tarifautonomie kennen.377

3. Umsetzungspflicht der Sozialpartner und der Mitgliedstaaten Zu einer Normsetzung durch den Sozialen Dialog kann es überhaupt nur kommen, wenn die nationalen Sozialpartner und die Mitgliedstaaten eine Umsetzungspflicht trifft. Die Sozialpartner verpflichtet jedoch weder Art. 139 Abs. 2 S. 1, 1. Alt. EGV noch eine andere Rechtsgrundlage zur Umsetzung der europäischen Vereinbarung.378 Vielmehr steht ihnen die Entscheidung über das „Ob“ und „Wie“ der Umsetzung frei.379 Der Wortlaut, der mit der Formulierung „Durchführung erfolgt“ auf eine solche Pflicht schließen lassen könnte, erweist sich in dem Gesamtkontext des Normabsatzes als nicht eindeutig.380 Eine Umsetzungspflicht widerOtto, FS für Zeuner, S. 121. BVerfG v. 02. 03. 1993 – 1 BvR 1213 / 85 –, BVerfGE 88, S. 103 (114 f.). 374 BVerfG v. 24. 05. 1977 – 2 BvL 11 / 74 –, BVerfGE 44, S. 322 (341 f.); siehe auch Otto, FS für Zeuner, S. 121 (130). 375 Biedenkopf, Grenzen der Tarifautonomie, S. 102 ff.; Säcker, Koalitionsfreiheit, S. 71. 376 Sachs-Höfling, GG, Art. 9 Rn. 86; Schwarze, EAS, B 8100 Rn. 42. 377 Zu den mitgliedstaatlichen Tarifordnungen vgl. Deinert, Europäischer Tarifvertrag, S. 299 ff. und s. u. 4. Teil § 16 III. 1. a) cc). 378 Bödding, Sozialpartner, S. 100; Balze, Sozialpolitische Kompetenzen, S. 271; Birk, EuZW 1997, S. 453 (457); Konzen, EuZW 1995, S. 39 (47); Lenze, NZS 1996, S. 313 (318). 379 Calliess / Ruffert-Krebber, EUV / EGV, Art. 139 Rn. 21; Heinze, ZfA 1997, S. 505 (516 f.); Kampmeyer, Sozialpolitik, S. 92 f. 380 Siehe hierzu noch unter 5. Teil § 19 I. 1. 372 373

§ 7 Umsetzung der Sozialpartnervereinbarungen

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spricht indes der anerkannten Autonomie der nationalen Sozialpartner. Zudem geht sie mit dem Willen des Gemeinschaftsgesetzgebers nicht konform. Dieser konnte sich mit Rücksicht auf die Tarifautonomie in den Mitgliedstaaten nicht zur Schaffung eines normativ wirkenden europäischen Tarifvertrags entschließen.381 Jedes andere Instrument ist in der Sache aber an einen nationalen Vorbehalt gekoppelt.382 Etwas anderes gilt, wenn die Mitgliedschaft in einem europäischen Verband die nationalen Sozialpartner zur Umsetzung europäischer Vereinbarungen verpflichtet.383 Voraussetzung hierfür ist, daß die europäischen Sozialpartner ihre Mitgliedsverbände für eine tarifliche Umsetzung der abgeschlossenen Vereinbarungen in ihrem jeweiligen Zuständigkeitsbereich gewinnen. Dazu fehlen ihnen aber meist die verbandsrechtlichen Durchsetzungsmöglichkeiten.384 Die Sozialpartner sind daher nur aus politisch-moralischen Opportunitätsgründen zur Umsetzung von Vereinbarungen verpflichtet.385 Die Mitgliedstaaten trifft genausowenig wie die Sozialpartner eine Pflicht zur Umsetzung der europäischen Vereinbarungen.386 Dies geht aus der dem Amsterdamer Vertrag beigefügten Erklärung zu Art. 139 Abs. 2 EGV hervor.387 Die Mitgliedstaaten können sich also gegenüber der Sozialpartnervereinbarung indifferent verhalten. Sie können aber auch legislativ tätig werden oder die Vereinbarung über nationale Allgemeinverbindlicherklärungen durchführen.388 Es bleibt ihnen auch unbenommen, besondere Verfahren zur Umsetzung der europäischen Sozialpartnervereinbarungen zu entwickeln.389 Die Vereinbarkeit dieser Verfahren mit 381 s. o. § 4; Grabitz / Hilf-Langenfeld / Jansen, EGV, Art. 118b Rn. 4 (Stand: Oktober 1995); v. der Groeben / Thiesing / Ehlermann-Schulte, EGV, Art. 118b Rn. 35; Konzen, EuZW 1995, S. 39 (47). 382 Vgl. Schwarze, EAS, B 8100 Rn. 40. 383 Calliess / Ruffert-Kreeber, EUV / EGV, Art. 139 Rn. 21; ähnlich auch Wisskirchen, FS für Arbeitsgerichtsverband, S. 653 (672 f.). 384 Buchner, RdA 1993, S. 193 (200); Piazolo, Sozialer Dialog, S. 118; Bödding, Sozialpartner, S. 100. 385 Guéry, ILRev. 1992, S. 581 (589); Bödding, Sozialpartner, S. 100. 386 Vgl. die gleichlautende Erklärung zu Art. 4 Abs. 2 AbkSozPol, welche dem Abkommen als Anhang beigefügt ist, ABl. C 191 v. 29. 07. 1992, S. 92 f.; Birk, FS für Rehbinder, S. 3 (11); Bödding, Sozialpartner, S. 99; Heinze, ZfA 1997, S. 505 (516); Kasseler Hdb-Heinze, 11. Rn. 147; a.A. Bercusson, Social Policy, S. 149 (177 ff.), der auf den Wortlaut der englischen Fassung verweist, in dem es heißt: „Agreements concluded at Community level shall be implemented ( . . . ) in accordance with the procedures and practices specific to management and labour and the Member States.“ 387 Nach ihr sind die Mitgliedstaaten nicht verpflichtet, eine Vereinbarung unmittelbar anzuwenden, Umsetzungsregeln zu erarbeiten oder bei der Umsetzung durch eine Änderung der innerstaatlich geltenden Vorschriften erleichternd mitzuwirken. 388 Bödding, Sozialpartner, S. 99; übersichtlich hierzu Guéry, ILRev. 1992, S. 581 (588 ff.). 389 s. o. „Instrumente der Umsetzung“; Birk, EuZW 1997, S. 453 (458); Calliess / RuffertKrebber, EUV / EGV, Art. 139 Rn. 24.

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2. Teil: Art und Umfang der Normsetzung

der nationalen Tarifautonomie richtet sich dann allein nach dem Recht des betroffenen Mitgliedstaates. 4. Ergebnis Bei der Umsetzung durch die nationalen Sozialpartner offenbaren die Unterschiede in den nationalen Tarifrechten die Unzulänglichkeiten der Durchführung. Da der Soziale Dialog an die Tarifvertragsstrukturen und das Arbeitsrecht der Mitgliedstaaten gebunden ist, fallen insbesondere Inhalt und Kreis der durch die Tarifverträge Betroffenen unterschiedlich aus.390 Selbst der Wille zur gemeinschaftsweiten Regelung kann nicht sicherstellen, daß die Tarifverträge gleich lauten. Die Voraussetzungen einer Allgemeinverbindlicherklärung liegen in der Regel nicht vor. Das Umsetzungsverfahren nach Art. 139 Abs. 2 S. 1, 1. Alt. EGV gewährleistet daher den geringsten Grad der erstrebten einheitlichen Umsetzung.391 Da die Durchführung durch die nationalen Sozialpartner außerdem eher der autonomen Normsetzung zuzurechnen ist, scheidet sie als Untersuchungsgegenstand aus. Bei der Umsetzung durch die Mitgliedstaaten verhält es sich ähnlich. Vorausgesetzt, die Mitgliedstaaten werden legislativ tätig, ist eine gemeinschaftsweit gleichlautende Umsetzung nicht garantiert,392 so daß auch diese Umsetzungsmodalität von geringer praktischer Relevanz ist. Der Soziale Dialog kann hier zu einer staatlichen Normsetzung führen, allerdings „nur“ auf nationaler Ebene. Diese Umsetzungsalternative ist rechtlich gesehen nichts Außergewöhnliches. An nationale Umsetzungsverfahren können außerdem nicht gemeinschaftsrechtliche Prinzipien als Maßstab angelegt werden. Auch aus diesem Grund bildet der Soziale Dialog, der durch die Mitgliedstaaten durchgeführt wird, nicht den Untersuchungsgegenstand der vorliegenden Arbeit.

III. Umsetzung auf europäischer Ebene nach Art. 139 Abs. 2 S. 1, 2. Alt. EGV Die Vereinbarungen der europäischen Sozialpartner können nach Art. 139 Abs. 2 S. 1, 2. Alt. EGV auch durch einen Ratsbeschluß umgesetzt werden. Sie bekommen dann gemeinschaftsrechtlichen Charakter und genießen den Vorrang 390 Hummel, AuA 1994, S. 36 ff.; Heinze, ZfA 1997, S. 505 (516 f.); Kasseler Hdb-ders., 11. Rn. 147. Abzuwarten bleibt, wie die Rahmenvereinbarung über die Telearbeit umgesetzt wird. 391 Birk, Umsetzung von Vereinbarungen, S. 72 (101); ders., EuZW 1997, S. 453 (458); Kasseler Hdb-Heinze, 11. Rn. 147; Piazolo, Sozialer Dialog, S. 120; Reichel, Kompetenzabgrenzung, S. 118. 392 Zu demselben Ergebnis kommen Bödding, Sozialpartner, S. 99; Buchner, RdA 1993, S. 193 (201).

§ 7 Umsetzung der Sozialpartnervereinbarungen

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des Gemeinschaftsrechts vor dem nationalen Recht.393 Daraus folgt die Pflicht der Mitgliedstaaten, entgegenstehendes innerstaatliches Recht zu ändern.394 Nach einem kurzen Überblick über die Voraussetzungen der Umsetzungsalternative ist der für die Art und den Umfang der Normsetzung belangvolle Kreis der Betroffenen zu bestimmen.

1. Voraussetzungen der Umsetzung Der Ratsbeschluß erfolgt auf gemeinsamen Antrag der Sozialpartner auf Vorschlag der Kommission. Den Antrag müssen sämtliche Sozialpartner stellen.395 Ihn haben sie an die Kommission zu richten.396 Er setzt eine Vereinbarung der europäischen Sozialpartner voraus. Über die Form der Vereinbarung enthält der Gesetzeswortlaut keine Angaben. Jedoch spricht Art. 139 Abs. 2 S. 1, 2. Alt. EGV von einem „Antrag der Unterzeichnerparteien“. Sowohl aus dem Wort der Unterzeichnerparteien als auch aus der Form des Antrages folgt ein allgemeines Schriftformerfordernis für alle Vereinbarungen.397 Der Inhalt der Vereinbarung muß umsetzungsbedürftig, d. h. drittgerichtet sein. Weiterhin muß er unter Art. 137 EGV fallen. 2. Kreis der Betroffenen Eine autonome Regelung läge vor, wenn nur die Verbandsmitglieder der europäischen Sozialpartner von dem Umsetzungsbeschluß des Rates betroffen wären. Von dieser Warte bedeutete es ein Maximum an Zugeständnissen, die Verbindlichkeit der Sozialpartnervereinbarungen auf die nichtorganisierten Arbeitnehmer eines organisierten Arbeitgebers zu erstrecken.398 Für eine weitergehende Regelung fehlte es den Sozialpartnern an Legitimität. Es bestünde die Gefahr, daß Vereinbarungen von nicht repräsentativen Sozialpartnern umgesetzt würden.399 Diese 393 U.a. Steinmeyer, RdA 2001, S. 10 (21); Calliess / Ruffert-Wegener, EUV / EGV, Art. 220 Rn. 22 f. 394 Blank, FS für Gnade, S. 649 (656); Kasseler Hdb-Heinze, 11. Rn. 148; Schnorr, DRdA 1994, S. 193 (198); v. der Groeben / Thiesing / Ehlermann-Schulte, EGV, Art. 118b Rn. 57. 395 Vgl. auch Deinert, Europäischer Tarifvertrag, S. 198. 396 Blank, FS für Gnade, S. 649 (654); Bleckmann-Bleckmann, Europarecht, Rn. 2572; Calliess / Ruffert-Krebber, EUV / EGV, Art. 139 Rn. 25; Schwarze, EAS, B 8100 Rn. 52; ausführlich hierzu Bödding, Sozialpartner, S. 105 ff. 397 Birk, Umsetzung von Vereinbarungen, S. 73 (90); ders., EuZW 1997, S. 453 (455 f.); Bödding, Sozialpartner, S. 93; v. der Groeben / Thiesing / Ehlermann-Schulte, EGV, Art. 118b Rn. 55. 398 Ojeda Avilés, IJCLLIR 1993, S. 279 (283 f.); ähnlich Schnorr, DRdA 1994, S. 193 (198). 399 Betten, IJCLLIR 1997, S. 188 (191 f.); dies., ELR 1998, S. 20 (32 ff.); Schmidt, IJCLLIR 1999, S. 259 ff., bezweifelt die Repräsentativität der europäischen Sozialpartner.

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2. Teil: Art und Umfang der Normsetzung

Annahme würde den Sozialen Dialog in die Nähe eines normativ wirkenden europäischen Tarifvertrages rücken. Der Gegenentwurf, dem sich der überwiegende Teil der Literatur anschließt,400 geht von der Bindungswirkung des Ratsbeschlusses gegenüber allen aus. Ihm liegt die Vorstellung von einer staatlichen Rechtsetzung zugrunde, deren Geltung nicht an eine Voraussetzung wie die Verbandszugehörigkeit gebunden ist. Eine sachgerechte Lösung kann nur bei einer konkreten und differenzierten Betrachtungsweise erfolgen. Sie verlangt die Klärung der Instrumente, deren sich der Rat bedient. Der Kreis der Betroffenen hängt nämlich von ihrer Art und Wirkung ab. Der Rat wird zum Wächter über die erga omnes Wirkung.401 Sofern eine Umsetzung in nationales Recht erforderlich ist, kommt es entscheidend darauf an, wer auf nationaler Ebene tätig wird.

a) Rechtsnatur des Ratsbeschlusses zur Auswahl der Instrumente Die Instrumente des Rates ergeben sich aus der Rechtsnatur seines Beschlusses. Unklarheit herrscht allerdings über dessen rechtliche Qualifizierung. Sie resultiert daraus, daß der „Beschluß“ keine in Art. 249 Abs. 1 EGV vorgesehene Handlungsform des Rates ist. So stellt er nach einer Ansicht eine Richtlinie402 oder Entscheidung403, nach einer anderer Ansicht einen Rechtsakt sui generis404 dar. Wiederum andere verstehen ihn als die Summe aller in Art. 249 Abs. 1 EGV genannten Handlungsformen405 oder als einen nur die verbindlichen Rechtsakte der Verordnung, 400 Balze, Sozialpolitische Kompetenzen, S. 274; Blank, FS für Gnade, S. 649 (656); Däubler, EuZW 1992, S. 329 (333 f.); Konzen, EuZW 1995, S. 39 (42); Wank, RdA 1995, S. 10 (20); Weiss, FS für Kissel, S. 1253 (1264 f.), sieht den Ratsbeschluß nicht als Mechanismus zur Herstellung einer erga omnes, sondern zur Herstellung von Bindungswirkung; vgl. auch ders., IJCLLIR 1992, S. 3 (13); Guarriello, Giornale di diritto del lavoro e di relazioni industriali 1992, S. 21 (62 f.). 401 ELL-Blanpain, European Labour Law, Rn. 904; Calliess / Ruffert-Krebber, EUV / EGV, Art. 139 Rn. 30. 402 Blank, FS für Gnade, S. 649 (656); Buchner, RdA 1993, S. 193 (201); Kempen, KritV 1994, S. 13 (48 f.); Körtgen, Europäische Tarifverträge, S. 130 f.; Krimphove, Europäisches Arbeitsrecht, Rn. 601; Schnorr, DRdA 1994, S. 193 (197); in diese Richtung auch Wank, RdA 1995, S. 10 (20). 403 Diesen Schluß ziehen vor allem diejenigen, in deren sprachlicher Fassung des EGV von Entscheidung die Rede ist: Guéry, ILRev. 1992, S. 581 (590 f.); Watson, CML Rev. 1993, S. 481 (507); Whiteford, ELR 1993, S. 202 (209 f.). 404 Für einen entscheidungsähnlichen Akt halten den Beschluß Bercusson, ILJ 1994, S. 1 (27 f.); Heinze, FS für Kissel, S. 363 (382); ders., ZfA 1992, S. 331 (338); Langlois, Droit social 1993, S. 201 (206 f.); Schulz, SF 1992, S. 79 (82); ders., Sozialpolitik, S. 111; für richtlinienähnlich hält ihn Balze, Sozialpolitische Kompetenzen, S. 274. 405 Zu den Handlungsformen des Art. 249 Abs. 1 EGV gehören die Verordnung, Richtlinie, Entscheidung, Empfehlung oder Stellungnahme. Vgl. hierzu Blanpain / Schmidt / Schweibert, Europäisches Arbeitsrecht, Ziff. 528 (S. 361); Bödding, Sozialpartner, S. 122 f.; Höland, ZIAS 1995, S. 425 (446); Konzen, EuZW 1995, S. 39 (48).

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Richtlinie oder Entscheidung umfassenden Begriff406. Schließlich sieht eine Meinung in ihm einen internen Akt der Willensbildung und trennt ihn von der rechtlichen Handlungsform.407 Die dogmatische Hilfskonstruktion des Ratsbeschlusses als ein interner Akt der Willensbildung löst den Kern des Problems nicht. Sie ist vielmehr aufgrund des Wortlauts von Art. 139 Abs. 2 EGV abzulehnen. Die Durchführung erfolgt danach ohne weiteren Zwischenschritt durch den Ratsbeschluß. Der Wortlaut mißt also dem Durchführungsakt selbst schon rechtlichen Charakter bei. Teilweise wird der Ratsbeschluß unter Verweis auf die französische, italienische, spanische und portugiesische Fassung des EGV, die für „Beschluß“ i. S. d. Art. 139 Abs. 2 S. 1, 2. Alt. EGV und „Entscheidung“ i. S. d. Art. 249 Abs. 4 EGV denselben Begriff verwenden, als Entscheidung verstanden.408 Dem widersprechen u. a. die deutsche, die niederländische und die dänische Sprachwendung, die für „Beschluß“ und „Entscheidung“ verschiedene Begriffe gebrauchen.409 Wegen des Gebots einer einheitlichen Vertragsauslegung410 läßt sich dem Wortlaut keine eindeutige Antwort entnehmen. Auch der systematische Rückgriff auf die Vorschriften, die den Begriff des Beschlusses verwenden, führt zu keinem Ergebnis. Der Begriff z. B. in den Art. 232 Abs. 1, 250 Abs. 2, 300 Abs. 3 1. Unterabs. S. 3 bedeutet nämlich stets etwas anderes.411 Eine Antwort auf die Frage nach der Gestalt des Ratsbeschlusses kann vernünftigerweise nur vom Zweck des Art. 139 Abs. 2 EGV her gesucht und gefunden werden. Speziell die Durchführung gem. Art. 139 Abs. 2 S. 1, 2. Alt. EGV hat das naheliegende Ziel, den schuldrechtlich wirkenden Vereinbarungen der europäischen Sozialpartner gemeinschaftsweite normative Wirkung zu verschaffen.412 Dieses Ziel können die unverbindlichen Empfehlungen und Stellungnahmen 406 Däubler, EuZW 1992, S. 329 (334); Kasseler Hdb-Heinze, 11 Rn. 148; ders., ZfA 1997, S. 505 (517); nach der Kommissions-Mitteilung KOM (93) 600 endg. v. 14. 12. 1993, S. 17, sollte sich der Ratsbeschluß darauf beschränken, die Vereinbarung verbindlich zu machen, ohne daß sie Bestandteil des Beschlusses würde; Piazolo, Sozialer Dialog, S. 151; i.E. auch Schwarze, EAS, B 8100 Rn. 57. 407 Vgl. Reichel, Kompetenzabgrenzung, S. 124. 408 Im englischen: decision; im französischen: décision; im italienischen: decisione; im spanischen: descisión; im portugiesischen: decisão; vgl. Däubler, EuZW 1992, S. 329 (334); Piazolo, Sozialpartner, S. 144 Fn. 475. 409 Im niederländischen: besluit statt beschikking; im dänischen: afgörelse statt beslutning; vgl. Bödding, Sozialpartner, S. 120; Däubler, EuZW 1992, S. 329 (334). 410 Dieses Gebot folgt aus Art. 314 EGV (Art. 248 EGV a.F.), vgl. Geiger, EGV, Art. 314 Rn. 4. 411 Vgl. Lenz-Borchardt, EGV, Art. 232 Rn. 8; Lenz-Hetmeier, EGV, Art. 250 Rn. 2, und Piazolo, Sozialer Dialog, S. 147 f., mit der abweichenden Begründung, daß die zitierten Vorschriften mit dem Verfahren des Sozialen Dialogs nicht vergleichbar seien. 412 Siehe dazu Höland, ZIAS 1995, S. 425 (446); Steinmeyer, RdA 2001, S. 10 (20). Nach Reichel, Kompetenzabgrenzung, S. 118, liegt der Zweck des Sozialen Dialogs darin, ein einheitliches europäisches Sozialrecht zu schaffen.

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2. Teil: Art und Umfang der Normsetzung

i. S. d. Art. 249 Abs. 1, 5 EGV nicht erreichen. Sie scheiden daher als Handlungsformen aus.413 Als verbindliche Handlungsformen bleiben die Entscheidung, die Verordnung und die Richtlinie übrig. Anhaltspunkte für die Beschränkung auf eine der genannten Handlungsmodalitäten414 sind nicht ersichtlich. Der alleinige Weg über die Richtlinie ist daher sachlich nicht zwingend. Zwar verweist Art. 139 Abs. 2 S 1, 2. Alt. EGV auf Art. 137 EGV, was eine Beschränkung auf den Erlaß von Richtlinien415 nachvollziehbar macht. Doch unterscheidet sich das Verfahren nach Art. 139 Abs. 2 S. 1, 2. Alt. EGV von dem nach Art. 137 EGV durch seine größere Regelungsintensität. Diese erfordert eine flexiblere Umsetzung.416 Die Richtlinie mag möglicherweise das geeignetste, nicht aber das einzige Durchführungsinstrument sein. Daneben besteht für die Konstruktion des Ratsbeschlusses als Rechtsakt sui generis417 keine sachliche Notwendigkeit.418 Eines solchen bedarf es nur, wenn die Handlungsformen des Art. 249 EGV nicht ausreichen.419 Das könnte der Fall sein, käme dem Ratsbeschluß eine ähnliche Funktion wie der Allgemeinverbindlicherklärung im deutschen Recht zu.420 Der Ratsbeschluß dehnt jedoch nicht eine bereits vorhandene normative Wirkung der Vereinbarung aus, sondern stellt diese erstmals her.421 Der Rat trifft also eine gewöhnliche RegelungsentscheiZu den Vertretern der Gegenansicht vgl. Fn. 405. s. o. Fn. 402, 403. 415 Vgl. Buchner, RdA 1993, S. 193 (201); Birk, Umsetzung von Vereinbarungen, S. 73 (108); Deinert, Europäischer Tarifvertrag, S. 448; Wank, RdA 1995, S. 10 (20). 416 Die Sozialpartner sind im Gegensatz zum Rat nicht auf die Vereinbarung von Mindestvorschriften beschränkt; vgl. Bödding, Sozialpartner, S. 121 f.; Kliemann, Europäische Sozialintegration, S. 132. Schwarze, EAS, B 8100 Rn. 41, 57, hält das Subsidiaritätsprinzip, das für den Erlaß einer Richtlinie spricht, als auf die von dem Willen der Sozialpartner getragenen Rechtsakte des Rates nicht anwendbar; anders Höland, ZIAS 1995, S. 425 (439). 417 s. o. Fn. 404. 418 So auch Höland, ZIAS 1995, S. 425 (446); Schwarze, EAS, B 8100 Rn. 57; zurückhaltend Bödding, Sozialpartner, S. 118 f. 419 Nach h.M. ist Art. 249 EGV bereits in Bezug auf Rechtsakte mit Außenwirkung, d. h. mit Wirkung gegenüber außerhalb der Gemeinschaftsorgane stehenden Personen abschließend, wie es bei Sozialpartnervereinbarungen der Fall ist; vgl. Bleckmann-Bleckmann, Europarecht, Rn. 470; Bödding, Sozialpartner, S. 118 f.; Rabe, Verordnungsrecht der EWG, S. 48. Ausnahmen für zulässig erachten Lenz-Hetmeier, EGV, Art. 249 Rn. 3; Oppermann, Europarecht, Rn. 578. 420 Für die Vergleichbarkeit beider Institute sprechen sich aus Birk, EuZW 1997, S. 453 (458); Krimphove, Europäisches Arbeitsrecht, Rn. 601; Wank, RdA 1995, S. 10 (20). 421 Weitere Unterschiede zur Allgemeinverbindlichkerklärung liegen darin, daß Sozialpartnervereinbarungen und Ratsbeschluß nicht zeitlich befristet sind, und der Geltungsbereich i.d.R. nicht auf den räumlichen Geltungsbereich eines entsprechenden Tarifvertrages beschränkt bleibt. In diesem Sinne gegen eine Vergleichbarkeit des Ratsbeschlusses mit der Allgemeinverbindlicherklärung Hartenberger, Europäischer sozialer Dialog, S. 77; Höland, ZIAS 1995, S. 425 (446 f.); Schulz, Sozialpolitik, S. 111; Zachert, FS für Schaub, S. 811 (815). 413 414

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dung, deren Besonderheit darin liegt, daß der Inhalt von den Sozialpartnern vorformuliert ist. b) Die Instrumente des Rates im einzelnen aa) Verordnung Erläßt der Rat eine Verordnung, ist diese unmittelbar in den Mitgliedstaaten verbindlich.422 Eine erga omnes Wirkung gegenüber jedem einzelnen tritt ein, ohne daß es eines umsetzenden Aktes bedarf. Die Gemeinschaft setzt durch die Verordnung materielles Recht. Durch dieses Instrument würde eine Harmonisierung der Arbeitsbedingungen in den Mitgliedstaaten optimal erreicht. Praktisch aber erweist es sich für die Durchführung von Sozialpartnervereinbarungen mit Mindestregelungen als ungeeignet. Diese bedürfen nämlich der Ausfüllung. bb) Entscheidung Die Entscheidung trifft im Gegensatz zu der Verordnung eine verbindliche Regelung im Einzelfall. Als individueller Akt ist sie für denjenigen unmittelbar bindend, an den sie gerichtet ist, der also in ihr als Adressat genannt ist.423 Anwendbar ist sie bei einer ausnahmsweise nur die Sozialpartner selbst betreffenden Vereinbarung.424 Probleme treten allerdings bei einer Vereinbarung allgemeinen Inhalts auf, die z. B. branchenübergreifend die Arbeitsbedingungen aller Arbeitnehmer und Arbeitgeber regeln will.425 Hier müßte die Entscheidung die Mitgliedstaaten und die von der Vereinbarung Betroffenen in der Entscheidung nennen. Eine Umsetzung wäre auf diesem Wege praktisch undenkbar.426 Für eine einheitliche Geltung des Vereinbarungsinhalts müßte der Ratsbeschluß wenigstens an die Mitgliedstaaten gerichtet sein und sie zur Umsetzung verpflichten. cc) Richtlinie Wer ist jedoch letzten Endes durch eine Richtlinie des Rates betroffen? Die Richtlinie ist hinsichtlich des zu erreichenden Zieles verbindlich, überläßt jedoch 422 Herdegen, Europarecht, Rn. 176; Oppermann, Europarecht, Rn. 539 ff.; Schnorr, DRdA 1994, S. 193 (198). 423 Bleckmann-Bleckmann, Europarecht, Rn. 457 ff.; Bödding, Sozialpartner, S. 119; Herdegen, Europarecht, Rn. 186. 424 Diese Möglichkeit nennt Bödding, Sozialpartner, S. 123. 425 Zu dieser Konstellation vgl. Bödding, Sozialpartner, S. 123; Piazolo, Sozialer Dialog, S. 151. 426 Der für eine Entscheidung erforderliche individualisierbare Adressatenkreis liegt bei einer Vereinbarung mit einer Vielzahl von Adressaten gerade nicht vor; vgl. hierzu Balze, Sozialpolitische Kompetenzen, S. 272 f.; Haedrich, EAS, B 1000 Rn. 108 f.; Höland, ZIAS 1995, S. 425 (446); Konzen, EuZW 1995, S. 39 (48); Piazolo, Sozialer Dialog, S. 151.

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2. Teil: Art und Umfang der Normsetzung

den innerstaatlichen Stellen die Wahl der Form und der Mittel (vgl. Art. 249 Abs. 3 EGV).427 Nach Auffassung der Vertragsschöpfer sollte mit der Richtlinie ein zweistufiges Gesetzgebungsverfahren eingerichtet werden: Nach ihrem Erlaß muß eine Umsetzung ihres Inhalts durch einen innerstaatlichen Rechtsakt in nationales Recht erfolgen.428 Im Unterschied zur Verordnung ist die Richtlinie also nicht unmittelbar anwendbar.429 Art. 249 Abs. 3 EGV nennt die Mitgliedstaaten430 als Adressaten der Richtlinie. Gleichwohl könnten der Subsidiaritätsgedanke431 und Art. 137 Abs. 4 EGV432 diese klare Aussage zugunsten einer Umsetzung durch innerstaatlichen Tarifvertrag korrigieren. Das umso mehr, als seit dem Abkommen über die Sozialpolitik433 Kollektivverträge als nationales Durchführungsinstrument bei bestehen bleibender Letztverantwortung des Mitgliedstaates anerkannt sind.434 In diesem Fall wäre eine erga omnes Wirkung ausgeschlossen. Trotz der gewichtigen Argumente überzeugt die Umsetzung durch nationale Tarifverträge nicht. Sie muß letztlich durch die erga omnes Wirkung erzeugende nationale Gesetzgebung erfolgen.435 Zum einen ist der Rückgriff auf Art. 137 427 Zu der komplizierten Abgrenzung von Ziel, Form und Mittel vgl. Oldekop, Richtlinien der EWG, S. 106 ff. 428 Birk, EuZW 1997, S. 453 (459); Bleckmann-Bleckmann, Europarecht, Rn. 416; Weiss, IJCLLIR 1992, S. 3 (12). 429 Der EuGH hat inzwischen eine Ausnahme anerkannt, nach der die Richtlinie auch unmittelbare Wirkung entfaltet. Sie ist aber nur unter besonderen Voraussetzungen möglich; siehe EuGH v. 06. 10. 1970, Rs. 9 / 70 – Grad / Finanzamt Traunstein –, Slg. 1970, S. 825 (838 f.), Rn. 5 ff. als erste Entscheidung zur unmittelbaren Anwendbarkeit einer Richtlinie im Verhältnis Bürger / Staat; v. 05. 04. 1979, Rs. 148 / 78 – Ratti –, Slg. 1979, S. 1629 (1645), Rn. 41 ff.; v. 19. 01. 1982, Rs. 8 / 81 – Becker / Finanzamt Münster-Innenstadt –, Slg. 1982, S. 53 (70 f.), Rn. 23 ff.; zu den Voraussetzungen vgl. auch Bleckmann-Bleckmann, Europarecht, Rn. 433. 430 Die Richtlinie wendet sich ausweislich des Gesetzeswortlauts an einen oder mehrere Mitgliedstaaten und verpflichtet diese, d. h. deren Organe Parlament, Regierung, Verwaltung oder Gerichte, den Richtlinieninhalt in nationales Recht umzusetzen; Bleckmann-Bleckmann, Europarecht, Rn. 418, 441; Ipsen, FS für Ophüls, S. 67 (77); Oldekop, Richtlinien der EWG, S. 67. 431 Nach ihm besitzen die sozialpartnerschaftlichen Regelungen aus Gründen der Sachnähe grundsätzlich Vorrang vor den Regelungen der Mitgliedstaaten; vgl. Schnorr, DRdA 1994, S. 193 (198); Schwarze, EAS, B 8100 Rn. 48. 432 Dieser gestattet den Mitgliedstaaten, den Sozialpartnern auf deren gemeinsamen Antrag die Durchführung von Richtlinien zu übertragen, und erkennt die Umsetzung durch Tarifvertrag damit ausdrücklich an. 433 Davor war umstritten, ob die Umsetzung einer Richtlinie durch nationale Kollektivverträge möglich war; vgl. EuGH v. 10. 07. 1986, Rs. 235 / 84 – Kommission / Italien –, Slg. 1986, S. 2291 (2295, 2302), Rn. 20, wonach unter den Begriff der „Form und der Mittel“ keine nationalen Kollektivverträge fallen; Adinolfi, CML Rev. 1988, S. 291 (298 ff.). 434 Bödding, Sozialpartner, S. 145 ff., insbesondere S. 48; Watson, CML Rev. 1993, S. 481 (505 f.). 435 So auch Deinert, NZA 1999, S. 800; Preis / Gotthardt, EAS, B 1100 Rn. 48; Röthel, NZA 2000, S. 65 (67); Wißmann, RdA 1999, S. 152 (158).

§ 7 Umsetzung der Sozialpartnervereinbarungen

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Abs. 4 problematisch. Auch er setzt eine einheitliche und flächendeckende Umsetzung der Richtlinie voraus, um die Erreichung der durch sie vorgeschriebenen Ergebnisse zu gewährleisten.436 Das folgt aus dem staatlichen Charakter der Richtlinie, der unabhängig von der Organisationszugehörigkeit Geltung für alle fordert, die in ihren Geltungsbereich fallen.437 Zum anderen gebietet das Subsidiaritätsprinzip dem nationalen Gesetzgeber nur dann Zurückhaltung, wenn durch Tarifverträge ein sinnvolles Ergebnis erzielt werden kann. Dies kann wegen der unterschiedlichen Ausgestaltung der nationalen Tarifrechte zu Recht bezweifelt werden. Die Tatsache, daß die Vereinbarungen der europäischen Sozialpartner an die Stelle einer von der Kommission geplanten Regelung tritt, läßt sich aber nur verstehen, wenn das Verhandlungsergebnis allen zugute kommt.438 Beachtung verdient insbesondere auch der Umstand, daß auf der Gemeinschaftsebene Angelegenheiten von gewisser Dringlichkeit und Bedeutung für das öffentliche Interesse geregelt werden. Bei bloß verbandsinterner Geltung des auf die Sozialpartnervereinbarung gestützten Ratsbeschlusses müßte der Gemeinschaftsgesetzgeber die Nichtbeachtung öffentlicher Interessen hinnehmen. Eine andere Möglichkeit bestünde darin, nach der Umsetzung sogleich eine weitere, gemeinschaftsrechtliche Regelung zu treffen, die die Geltungsdefizite der ersten Regelung behebt.439 Das kann nicht Sinn des Verfahrens sein. Bei einer autonomen Rechtsetzung auf nationaler Ebene wäre auch die Beschränkung des Umsetzungsverfahrens auf die Regelungsbereiche des Art. 137 EGV nicht verständlich.

c) Zwischenergebnis Der Ratsbeschluß umfaßt die drei verbindlichen Handlungsformen des Art. 249 Abs. 1 EGV: die Entscheidung, Verordnung und Richtlinie. Der Kreis der Betroffenen unterscheidet sich zum Teil. Bei einer Entscheidung wäre die Benennung aller Arbeitgeber und Arbeitnehmer als Adressaten erforderlich, für die die Vereinbarung gelten soll. Das ist praktisch unmöglich. Eine erga omnes Wirkung kann hier nur über die Verpflichtung der Mitgliedstaaten zur Umsetzung erreicht werden. Die Verordnung und die durch nationale Gesetze umzusetzende Richtlinie können alle am Arbeitsleben Beteiligten unabhängig von ihrer Verbandszugehörigkeit binden. Probleme treten bei der Verordnung im Falle von ausfüllungsbedürftigen Sozialpartnervereinbarungen auf. Das effektivste und wahrscheinlichste Handlungsinstrument des Rates stellt die Richtlinie dar. Die weitgehende BindungsBlanpain / Schmidt / Schweibert, Europäisches Arbeitsrecht, Ziff. 162 (S. 118). Franzen, ZEuP 1995, S. 796 (804); Preis / Gotthardt, EAS, B 1100 Rn. 48; Watson, CML Rev. 1993, S. 481 (506); Wißmann, ArbRdGw 1991, S. 49 (53). In Deutschland wäre der Erlaß zahlreicher Allgemeinverbindlicherklärungen notwendig, deren strenge Voraussetzungen indes nicht vorliegen würden; vgl. Röthel, NZA 2000, S. 65 (67); Wißmann, RdA 1999, S. 152 (158). 438 Siehe Schwarze, EAS, B 8100 Rn. 45. 439 Schwarze, EAS, B 8100 Rn. 45. 436 437

7*

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2. Teil: Art und Umfang der Normsetzung

wirkung des Ratsbeschlusses weist auf eine staatliche Normsetzung hin und macht die Anwendung der Prinzipien der Demokratie und Rechtsstaatlichkeit besonders dringlich. 3. Ergebnis Der Beschluß garantiert eine relativ einheitliche Umsetzung der Sozialpartnervereinbarungen auf der Gemeinschaftsebene. Aufgrund seiner erga omnes Wirkung ist er der staatlichen Normsetzung zuzuordnen.

IV. Ergebnis Unter den Umsetzungsmodalitäten ist vor allem die Umsetzung durch die Mitgliedstaaten und durch den Ratsbeschluß staatlich geprägt. Nur bei dem Ratsbeschluß handelt es sich um einen gemeinschaftsrechtlichen Vorgang. Da nur er zu einer gemeinschaftsweit relativ einheitlichen Normsetzung führen kann, ist dieses Verfahren mit weniger Schwierigkeiten verbunden als das nach Art. 139 Abs. 2 S. 1, 1. Alt. EGV und nicht zuletzt wegen seiner jüngeren rechtlichen Regelung von größerer Bedeutung. Es steht daher im Mittelpunkt weiterer Analysen.440

§ 8 Zusammenfassung Der zweite Teil der Arbeit verfolgte das Ziel, Art und Umfang der durch den Sozialen Dialog gesetzten Normen zu bestimmen. Auf diese Weise wurde zugleich der Untersuchungsgegenstand der vorliegenden Arbeit präzisiert. Vor dem Hintergrund des Demokratie- und Rechtsstaatsprinzips sollte die „hoheitlichste“ Dimension des Sozialen Dialogs herausgefiltert werden, auf welche die Prinzipien am ehesten angewendet werden müssen. Für das Verständnis der Verfahrensgrundlagen war eine eingehende Prüfung erforderlich. Die hoheitlichste Dimension verwirklicht der von der Kommission initiierte formelle Soziale Dialog auf branchenübergreifender Ebene, dessen Ergebnisse vom Rat durch einen Richtlinienbeschluß auf Gemeinschaftsebene umgesetzt werden und sich auf das gesamte Gemeinschaftsgebiet erstrecken können. Als Gründe hierfür lassen sich nennen: Nur in einem formellen Verfahren kann es direkt zu einer hoheitlichen Normsetzung kommen. Die schuldrechtliche Wirkung der Vereinbarungen, die Bindung der Regelungsinhalte an die sozialpolitischen Kompetenzen der Gemeinschaft i.R.d. „abhängigen“ Sozialen Dialogs und der weite Geltungsbereich insbesondere branchenübergreifender Abmachungen indizieren eine solche Normsetzung. Ge440

§ 19.

Zum Ablehnungsrecht des Rates und der Kommission bei der Umsetzung s. u. 5. Teil

§ 8 Zusammenfassung

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nauso verhält es sich mit der Umsetzung durch einen Ratsbeschluß gem. Art. 139 Abs. 2 S. 1, 2. Alt. EGV, die eine vergleichsweise einheitliche und umfassende Geltung der Sozialpartnervereinbarungen gegenüber allen am Arbeits- und Wirtschaftsleben Beteiligten ermöglicht. Zugleich zeigen diese Aspekte: Die Sozialpartner sind bei dem von der Kommission initiierten Sozialen Dialog direkt in das gemeinschaftliche Rechtsetzungsverfahren bei sozialpolitischen Fragen eingebunden.441 Dabei handelt es sich bei ihnen um autonome Akteure. Aufgrund der Einbeziehung autonomer Sozialpartner in ein Rechtsetzungsverfahren nimmt der Soziale Dialogs eine Mittelstellung zwischen verbandsautonomer und quasi-staatlicher Rechtsetzung ein. Es läßt sich von einer „ausgehandelten europäischen Gesetzgebung“442 oder einer „autonomen „Mit-Rechtsetzung“443 sprechen. Auf sie finden das Demokratie- und Rechtsstaatsprinzip als Maßstab Anwendung.

441 Dieser Ansicht sind auch Birk, FS für Rehbinder, S. 3 (10); Krimphove, Europäisches Arbeitsrecht, Rn. 75 ff.; Watson, CML Rev. 1993, S. 481 (508). 442 Höland, ZIAS 1995, S. 425 (442); Zachert, FS für Schaub, S. 811 (814). 443 Oppermann, Europarecht, Rn. 1639; von ELL-Blanpain, European Labour Law, Rn. 906, wird die Frage aufgeworfen, wer – Sozialpartnervereinbarung oder Ratsbeschluß – „master or slave“ ist.

3. Teil

Demokratie- und Rechtsstaatsprinzip als Maßstab Nachdem Art und Umfang der Normsetzung durch den Sozialen Dialog geklärt sind, sind in einem nächsten Schritt das Demokratie- und das Rechtsstaatsprinzip als Maßstab zu entwickeln. Die Normsetzung durch den Sozialen Dialog weist zwei Besonderheiten auf: Zum einen ist das Europäische Parlament an dem Verfahren nicht formal beteiligt. Es wird zwar von der Kommission auf freiwilliger Basis unterrichtet. Doch kann diese wohlwollende Praxis nicht die rechtliche Beteiligung ersetzen.444 Zum anderen bestimmen die Sozialpartner faktisch den Inhalt der umsetzungsbedürftigen Vereinbarungen.445 Einem an nationalen Verfassungsprinzipien geschärften Blick drängen sich vor diesem Hintergrund folgende Fragen auf. Ist die Beteiligung des Europäischen Parlaments an dem Verfahren erforderlich? Müssen es die Sozialpartner bei einem Fehlen folglich substituieren? Die Beantwortung dieser Fragen bedarf eines Maßstabs. Er ist von vielschichtiger Relevanz insbesondere für die Rolle der Sozialpartner. Müßten die Sozialpartner die europäischen Völker repräsentieren, hätte dies weitreichende Konsequenzen z. B. für die Auslegung der genannten Dialogvorschriften. Indem der Maßstab die Anforderungen an die demokratische Legitimation der Akteure des Sozialen Dialogs und der Sozialpartnervereinbarungen definiert, prägt er entscheidend die anschließenden Teile 4 und 5 der Untersuchung. Er bestimmt nicht zuletzt über die Wirksamkeit der Gemeinschaftsmaßnahmen. Darüber hinaus wären die Art. 138 f. EGV wegen eines Verstoßes gegen das Demokratie- und Rechtsstaatsprinzip unwirksam, stellte sich heraus, daß das Europäische Parlament zu beteiligen ist, die Sozialpartner aber keine ihm gleichwertige Legitimation herstellen können. Bevor auf die Verankerung und den Inhalt der beiden Prinzipien eingegangen wird, ist zunächst entscheidend, welcher Rechtsebene sich ein geeigneter Beurteilungsmaßstab mit welchem Inhalt entnehmen läßt. In bezug auf den Inhalt werden demokratische und rechtsstaatliche Strukturprinzipien nur insoweit beleuchtet, als sie für die aufgeworfenen Fragen bedeutsam sind.

444 445

Ausführlich hierzu 4. Teil § 13. Zu den Besonderheiten vgl. auch Herdegen, Europarecht, Rn. 423.

§ 10 Demokratieprinzip

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§ 9 Rechtsebenen der Strukturprinzipien Bei dem Sozialen Dialog handelt es sich um ein Rechtsetzungsverfahren auf Gemeinschaftsebene. Im folgenden kann es daher nur um die demokratie- und rechtsstaatlichen Anforderungen an die Ausübung gemeinschaftlicher Hoheitsgewalt gehen. Wenn allerdings im Zusammenhang mit der Europäischen Gemeinschaft vom Demokratie- und Rechtsstaatsprinzip die Rede ist, stellt sich die Frage, ob diese Prinzipien dem Völkerrecht, dem Gemeinschaftsrecht oder dem jeweiligen nationalen Recht der Mitgliedstaaten zu entnehmen sind. Das Völkerrecht kommt in Betracht, weil die Gemeinschaft auf völkerrechtlichen Verträgen beruht. Das Gemeinschaftsrecht bildet den originären Maßstab. Die nationalen Rechte sind wiederum einschlägig, weil sie die Übertragung von Hoheitsrechten auf die Gemeinschaft regeln. Da der nationale Blick auf die Prinzipien möglicherweise unterschiedlich ausfallen könnte, sind zunächst die übergeordneten Ebenen zu untersuchen. Ließen sich die Rechtssätze schon dem Völker- oder Gemeinschaftsrecht entnehmen, bestünde eine für alle Mitgliedstaaten gleichlautende gemeinschaftsrechtliche Pflicht, den Grundsatz der Demokratie zu achten.446 Der aus den nationalen Rechten gewonnene Maßstab müßte sich dann an dem übergeordneten orientieren. Es soll daher zunächst das Vorhandensein eines völker- oder gemeinschaftsrechtlichen Demokratie- und Rechtsstaatsprinzips untersucht werden.

§ 10 Demokratieprinzip Sobald es um die Beteiligung des Parlaments geht, ist das Demokratieprinzip von zentraler Bedeutung. Prinzipien können die materiellen Gehalte der Verfassung verdeutlichen, den Zusammenhang von Einzelbestimmungen erklären und als Auslegungshilfe dienen.447 Ihnen muß ein normativer Gehalt zukommen,448 damit sie als Maßstab herangezogen werden können.

I. Aus völkerrechtlicher Sicht Die Europäische Gemeinschaft beruht auf völkerrechtlichen Verträgen und ist eine internationale Organisation im völkerrechtlichen Sinne.449 Es bietet sich daher Ress, GS für Geck, S. 625 (630 f.). Bernhardt, Verfassungsprinzipien, S. 63; Bleckmann, Demokratieprinzip, S. 159 (170). 448 Kaufmann, Demokratieprinzip, S. 87; Siekmann, Regelmodelle und Prinzipienmodelle, S. 52 ff.; a.A. Esser, Grundsatz und Norm, S. 185, nach dem Prinzipien nur heuristischen und nicht normativen Charakter haben. 449 Bleckmann-Bleckmann / Pieper, Europarecht, Rn. 153; Schweitzer / Hummer, Europarecht, Rn. 627. 446 447

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3. Teil: Demokratie- und Rechtsstaatsprinzip als Maßstab

an, zunächst das Völkerrecht auf die Geltung eines Demokratieprinzips zu untersuchen. Bei der Suche stößt man schnell auf die Frage, ob das Völkerrecht auf die Gemeinschaft als besondere supranationale Organisation überhaupt anwendbar ist.450 Diese Frage bedarf allerdings keiner näheren Erörterung. Das Völkerrecht enthält keinen Rechtssatz, wonach internationale Organisationen eine demokratische Struktur aufweisen müssen.451 Ihm ist daher kein geeigneter Beurteilungsmaßstab zu entnehmen, so daß es auf die Frage, ob es per se schon nicht gilt,452 nicht ankommt. Einen weiteren Anknüpfungspunkt bietet das Gemeinschaftsrecht.

II. Aus gemeinschaftsrechtlicher Sicht Dem Gemeinschaftsrecht fehlt ein gefestigter Bestand demokratiestaatlicher Aussagen, wie sie Art. 20 Abs. 1 GG im deutschen Verfassungsrecht enthält. Existenz, Inhalt und Reichweite eines allgemeinen Demokratieprinzips sind daher schwierig festzulegen. Bevor auf diese Fragen einzugehen ist, muß zunächst die Quelle eines möglichen Demokratieprinzips bestimmt werden.

1. Quelle des Demokratieprinzips im Gemeinschaftsrecht Das Gemeinschaftsrecht gliedert sich in das primäre und das sekundäre Gemeinschaftsrecht. Als Quelle möglicher Strukturprinzipien kommt nur das primäre Gemeinschaftsrecht in Betracht. Das sekundäre Gemeinschaftsrecht umfaßt die von der Gemeinschaft gesetzten Normen wie z. B. Verordnungen, Richtlinien und Entscheidungen.453 Dabei handelt es sich um aus der EG-Rechtsetzungsgewalt abgeleitetes Recht, das der Gemeinschaft selbst keine Pflichten auferlegen kann. Das primäre Gemeinschaftsrecht setzt sich aus den Verträgen zur Gründung der drei Gemeinschaften EGKS, EAG, EWG, zuletzt geändert und ergänzt durch den Maastrichter und den Amsterdamer Vertrag und einer größeren Zahl völkervertraglicher, ratifizierter Rechtsakte zusammen. Dazu zählen die verschiedenen Annexe der Verträge (z. B. Protokolle, Abkommen, Übereinkommen), die kraft Art. 311 EGV, Art. 207 EAGV und 84 EGKS als Bestandteile der Verträge gelten oder kraft ihres grundlegenden Regelungsgehalts dem primären Gemeinschaftsrecht zuzurechnen sind (z. B. Abkommen über die gemeinsamen Organe der EG 450 Vgl. zum Meinungsstreit Grabitz / Hilf-Vedder, EGV, Art. 228 Rn. 43 ff. (Stand: Mai 1986); Ipsen, Völkerrecht, § 31 Rn. 43, § 33 Rn. 2. 451 Vgl. Doehring, DVBl. 1997, S. 1133 (1136); Friauf, DVBl. 1964, S. 781 f.; Kamann, Mitwirkung der Parlamente, S. 230 f.; Randelzhofer, Demokratiedefizit, S. 39 (40). 452 Allgemein zum Verhältnis des europäischen Gemeinschaftsrechts zum Völkerrecht m. w. N. Bleckmann, DÖV 1978, S. 391 ff.; Everling, FS für Mosler, S. 173 (174 ff.). 453 Bleckmann-Bleckmann, Europarecht, Rn. 527; Schweitzer / Hummer, Europarecht, Rn. 18.

§ 10 Demokratieprinzip

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von 1957, Fusionsvertrag von 1965, Direktwahlbeschluß von 1976), sowie die Beitrittsverträge.454 Ferner zählt zum primären Gemeinschaftsrecht ungeschriebenes Recht wie das Gemeinschaftsgewohnheitsrecht und die allgemeinen Rechtsgrundsätze, die den mitgliedstaatlichen Verfassungsordnungen gemeinsam sind.455 Trotz dieser uneinheitlichen Ausprägung bildet das Gemeinschaftsrecht juristisch eine einheitliche Rechtsmasse.456

2. Verankerung und erste Gestalt des Demokratieprinzips Unter den zahlreichen Bestandteilen des primären Gemeinschaftsrechts gelten als Wurzeln des gemeinschaftsrechtlichen Demokratieprinzips (a) die vertraglichen Vorschriften der Gemeinschaft und (b) die demokratischen Verfassungsüberlieferungen der Mitgliedstaaten als allgemeine Rechtsgrundsätze.457

a) Gemeinschaftsverträge Zum besseren Verständnis soll die Verankerung und Gestalt des Demokratieprinzips in den Gemeinschaftsverträgen in einer historischen Perspektive betrachtet werden. Wie sich herausstellen wird, bestreitet letztendlich niemand die Existenz des Prinzips. Uneinigkeitkeit besteht nur darüber, ob ein konkretes, an den gemeinschaftlichen Vertragsvorschriften orientiertes, oder abstraktes, von den Verträgen losgelöstes Prinzip verankert wurde.

aa) Gründungsverträge Die Verträge zur Gründung der drei Europäischen Gemeinschaften, die auch als Verfassung der Gemeinschaft bezeichnet werden,458 führen das Verfassungsprinzip der Demokratie nicht explizit auf.459 Ebensowenig machen sie Vorgaben für eine weitere Demokratisierung der Gemeinschaft in Form von institutionellen ReforOppermann, Europarecht, Rn. 475. Lenz, ZRP 1988, S. 449 ff.; Oppermann, Europarecht, Rn. 479 ff.; Schweitzer / Hummer, Europarecht, Rn. 15 ff. 456 Oppermann, Europarecht, Rn. 474; Bleckmann-Bleckmann, Europarecht, Rn. 535; Hofmann, Rechtsstaatsprinzip, S. 321 (328). 457 Britz / Schmidt, EuR 1999, S. 467 (482); Kaufmann, Demokratieprinzip, S. 86; Zuleeg, JZ 1993, S. 1069 (1070). 458 Lenaerts, L’ordre juridique européen, S. 249 ff.; Seidel, EuR 1992, S. 125; Iglesias, EuGRZ 1996, S. 125; Oppermann, Europarecht, Rn. 473; v. der Groeben / Thiesing / Ehlermann-Zuleeg, EGV, Art. 1 Rn. 10. 459 Hilf, EuR 1984, S. 9; Randelzhofer, Demokratiedefizit, S. 39 (41). 454 455

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3. Teil: Demokratie- und Rechtsstaatsprinzip als Maßstab

men oder veränderten Kompetenzzuweisungen.460 Ob indes die Präambeln des EGKS- und EWG-Vertrages Andeutungen des Demokratiegedankens enthalten,461 ist angesichts ihres Wortlauts zweifelhaft. Statt eines Hinweises auf das Demokratieprinzip enthalten sie wohl eher einen Hinweis auf die über einen bloßen Staatenbund hinausgehende Europäische Gemeinschaft.462 Der Beschluß und Akt des Rates vom 20. 09. 1976463 führte die allgemeine unmittelbare Wahl der Abgeordneten der Versammlung bzw. des Europäischen Parlaments statt ihrer Ernennung aus der Mitte der nationalen Parlamente ein. Die ersten Direktwahlen zum Europäischen Parlament fanden daraufhin 1979 statt.464 Von der Durchführung der Wahlen darf gleichwohl nicht auf ein abstraktes, über die konkreten Vertragsvorschriften hinausreichendes Demokratieprinzip geschlossen werden.465 Obwohl Wahlen ein wesentlicher Bestandteil des Prinzips sind,466 stellen sie nur eine demokratische Komponente dar, der sich keine über sie hinausgehenden Ableitungen entnehmen lassen. Die Unterschiede in Zusammensetzung und Wahlmodus des Europäischen Parlaments467 im Vergleich zu den nationalen Parlamente tun nichts zur Sache. Sie beziehen sich auf die Frage der grundsätzlichen demokratischen Legitimation des Europäischen Parlaments.468 Unabhängig von seiner Einordnung als Vollparlament ist festzuhalten, daß die Direktwahlen zwar einen Teilaspekt des Demokratieprinzips,469 jedoch kein allgemeines Demokratieprinzip etablieren.

Kaufmann, Demokratieprinzip, S. 81; Ress, GS für Geck, S. 625 (631). So Zuleeg, JZ 1993, S. 1069, der das Demokratieprinzip in dem fünften Erwägungsgrund der Präambel zum EGKS-Vertrag, wonach die „Errichtung einer wirtschaftlichen Gemeinschaft den ersten Grundstein für eine weitere und vertiefte Gemeinschaft unter Völkern ( . . . ) legen“ soll, und in dem ersten Erwägungsgrund der Präambel zum EWG-Vertrag angedeutet sehen will. Dort heißt es: „In dem festen Willen, die Grundlagen für einen immer engeren Zusammenschluß der europäischen Völker zu schaffen.“ 462 Randelzhofer, Demokratiedefizit, S. 39 (41). 463 ABl. L 278 v. 08. 10. 1976, S. 1; BGBl. 1977 II, S. 733 ff. 464 Seidel, EuR 1992, S. 125 (127); Ress, GS für Geck, S. 625 (628); Bernhardt, Verfassungsprinzipien, S. 118 m. w. N. 465 Lenz, Einheitliches Verfahren, S. 255; a.A. Bleckmann-Bleckmann, Europarecht, Rn. 290 und 325; ders., Demokratieprinzip, S. 159 (162). 466 Böckenförde, HStR I, § 22 Rn 9 ff.; Maunz / Zippelius, Staatsrecht, § 11 III. 1. 467 Die Bürger wählen hierbei bestimmte an der Bevölkerungsgröße des jeweiligen Mitgliedstaates orientierte Kontingente von Abgeordneten in getrennten Wahlen; vgl. Kaufmann, Demokratieprinzip, S. 82; Randelzhofer, Demokratiedefizit, S. 39 (43); s. u. § 10 II. 3. b) bb) (1) (a). 468 Kluth, Demokratische Legitimation, S. 69; vgl. § 10 II. 3. b) bb) (1). 469 Bernhardt, Verfassungsprinzipien, S. 118. 460 461

§ 10 Demokratieprinzip

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bb) Einheitliche Europäische Akte und Vertrag von Maastricht Seit der Einheitlichen Europäischen Akte vom 28. 02. 1986 und vor allem dem Unionsvertrag vom 07. 02. 1992 taucht das Wort „Demokratie“ im Vertragstext auf. In dem dritten Erwägungsgrund der Präambel zur Einheitlichen Europäischen Akte bekunden die Staatsoberhäupter der Mitgliedstaaten ihre Entschlossenheit, „gemeinsam für die Demokratie einzutreten“. Das in allgemeiner Wahl gewählte Europäische Parlament wird im vierten Erwägungsgrund als „unerläßliches Ausdrucksmittel“ der demokratischen Völker bezeichnet. Im fünften Erwägungsgrund bekennen sich die Vertragsparteien zu der Verantwortung, zur Wahrung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit für die Demokratie einzutreten. Der Unionsvertrag erwähnt das Demokratieprinzip in der dritten und fünften Erwägung seiner Präambel. Der dritte Erwägungsgrund bestätigt das Bekenntnis der vertragschließenden Parteien zum Grundsatz der Demokratie. Dieses wird in dem fünften Erwägungsgrund durch den Wunsch, „Demokratie und Effizienz in der Arbeit der Organe weiter zu stärken“, unterstützt. Den Präambeln, d. h. den vorangestellten Überlegungen der Vertragsparteien, lassen sich selbständige rechtliche Grundsätze entnehmen, die im Vertragstext nicht niedergeschrieben sind.470 Ihnen kommt rechtliche Bedeutung und die Eignung zu, das Demokratieprinzip festzuschreiben. Damit ist nichts über die Gestalt und den Inhalt des Demokratieprinzips gesagt.471

cc) Vertrag von Amsterdam Seit der Neufassung des Unionsvertrages durch den Amsterdamer Vertrag vom 02. 10. 1997 heißt es in Art. 6 Abs. 1 (ehem. Art. F) des EUV, daß die Union „auf den Grundsätzen der Freiheit, der Demokratie, der Achtung der Menschenrechte und Grundfreiheiten sowie der Rechtsstaatlichkeit“ beruht. Art. 6 EUV ist als Teil des Abschnitts „Gemeinsame Bestimmungen“ echter Vertragsbestandteil und gilt somit auch für den Sozialen Dialog. Die genannten Grundsätze müssen nicht nur die Mitgliedstaaten, sondern auch die Gemeinschaftsorgane und die Gemeinschaft selbst erfüllen. Ob es sich bei ihnen um allgemeine staatstheoretische Grundvor470 Badura, Staatsrecht, B 2 (S. 65 f.); Häberle, FS für Broermann, S. 211 (241); Ress, GS für Geck, S. 625 (633); a.A. Treviranus, Preamble, S. 393 f. und Randelzhofer, Demokratiedefizit, S. 39 (41 f.), die Präambeln eher als politische Bekenntnisse und als Orientierungshilfe für die Auslegung der Verträge und die Entwicklung von über den Vertrag hinausgehenden Zielen verstehen. 471 Zu dem Streit, ob die Präambeln der Einheitlichen Europäischen Akte und des Unionsvertrages ein abstraktes Demokratieprinzip festschreiben, vgl. bejahend Hilf, EuR 1984, S. 9 ff.; Huber, Staatswissenschaften und Staatspraxis 1992, S. 349 (350); Kluth, Demokratische Legitimation, S. 67 f.; Ress, GS für Geck, S. 625 (636); Zuleeg, JZ 1993, S. 1069 (1070 f.); verneinend Kaufmann, Demokratieprinzip, S. 82 ff.; Randelzhofer, Demokratiedefizit, S. 45.

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3. Teil: Demokratie- und Rechtsstaatsprinzip als Maßstab

stellungen oder um Verfassungsprinzipien handelt, kann an dieser Stelle dahinstehen.472 Der Wert der Demokratie wurde erstmals umfassend festgeschrieben;473 er bedarf in jedem Fall einer inhaltlichen Ausfüllung. Im folgenden wird der Einfachheit halber der Begriff des Demokratieprinzips verwendet, auch wenn er eine konkretisiertere Vorstellung suggeriert. Das entspricht der ganz herrschenden Ansicht, nach der der Amsterdamer Vertrag das Verfassungsprinzip der Demokratie im Gemeinschaftsrecht verankerte.474 Durch den Vertrag von Nizza hat sich an Art. 6 Abs. 1 EUV nichts geändert.475 An späterer Stelle476 ist zu klären, ob sich dem Prinzip über das Normenmaterial der Gemeinschaftsverträge hinausgehende Aussagen entnehmen lassen.

b) Allgemeine Rechtsgrundsätze Als weitere Erkenntnisquelle des Demokratieprinzips kommen die allgemeinen Rechtsgrundsätze in Betracht. Ihre Findung vollzog und vollzieht sich in erster Linie in der Rechtsprechung des EuGH.477 Unter den allgemeinen Rechtsgrundsätzen sind allgemein Rechtsgrundsätze zu verstehen, die den mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen gemeinsam, d. h. im innerstaatlichen Recht der Völker anerkannt sind.478 Aus ihnen werden für die Gemeinschaft geltende Prinzipien abgeleitet.479 Für die vorliegende Arbeit von Bedeutung sind allein die gemeinsamen Verfassungsüberlieferungen der Mitgliedstaaten.

aa) Anwendbarkeit neben den Gemeinschaftsverträgen Die allgemeinen Rechtsgrundsätze finden grundsätzlich nur Anwendung, wenn das geschriebene Gemeinschaftsrecht Regelungslücken aufweist.480 Konsequenter472 Ausführlich hierzu Schmitz, Integration in der Supranationalen Union, S. 321 ff., insbesondere S. 324. 473 Ähnlich Schmitz, Integration in der Supranationalen Union, S. 354, der die verschiedenen Werte umfassend festgeschrieben sieht. 474 Britz / Schmidt, EuR 1999, S. 467 (482 f.); Calliess / Ruffert-Calliess, EUV / EGV, Art. 1 Rn. 14; Oppermann, Europarecht, Rn. 240. 475 Vgl. ABl. C 80 v. 10. 03. 2001, S. 1 ff., das keine Änderungen hinsichtlich Art. 6 EUV aufführt. 476 Vgl. insbesondere § 10 II. 3. 477 Gündisch, Allgemeine Rechtsgrundsätze, S. 97 ff.; Oppermann, Europarecht, Rn. 482. 478 Ress, GS für Geck, S. 625 (640 ff.); Hilf, EuR 1984, S. 9 ff.; Pescatore, CDE 1974, S. 499 (508 ff.); Frowein, EuR 1983, S. 301 ff.; Zuleeg, Der Staat 1978, S. 27 (44). 479 Zu der Methode der „wertenden“ Rechtsvergleichung vgl. Häberle, EuGRZ 1991, S. 261 (271 ff.); Oppermann, Europarecht, Rn. 482 ff.; Schweitzer / Hummer, Europarecht, Rn. 15; Kaufmann, Demokratieprinzip, S. 89 f. 480 U. a. Daig, FS für Zweigert, S. 395 (399 f.); Ress, GS für Geck, S. 625 (640).

§ 10 Demokratieprinzip

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weise dürfte auf sie nicht zurückgegriffen werden, wenn wie hier bereits den Gemeinschaftsverträgen Strukturprinzipien zu entnehmen sind. Die vorrangige Ableitung normativ verankerter Prinzipien aus allgemeinen Rechtsgrundsätzen wäre vor diesem Hintergrund mehr als dogmatisch fragwürdig.481 Die Gemeinschaftsverträge erwähnen das Demokratieprinzip indes nur knapp. Ausführungen inhaltlicher Art fehlen gänzlich, so daß zum Teil eine Lücke bestehen bleibt. Außerdem handhabt selbst der EuGH die Voraussetzung der Regelungslücke nicht so streng. Vielmehr zieht er allgemeine Rechtsgrundsätze unterstützend und ergänzend zur Absicherung eines im Gemeinschaftsrecht gefundenen Prinzips heran.482 Er trägt damit dem Umstand Rechnung, daß die Gemeinschaftsrechtsordnung und die mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen nicht streng voneinander getrennt, sonder vielmehr institutionell und normativ vielseitig miteinander verwoben sind. Die „Autonomie der Gemeinschaftsrechtsordnung“ vermag deshalb eine Notwendigkeit, Rechtsgrundsätze ausschließlich aus den Vertragstexten herzuleiten, nicht zu begründen.483

bb) In der Rechtsprechung des EuGH Der EuGH hat in seinen Isoglucose-Urteilen484 erstmals Stellung zum Verfassungsgrundsatz der Demokratie genommen. In diesen Fällen ging es um die Nichtigerklärung einer die Grundquote für die Isoglucoseproduktion festsetzenden Verordnung wegen Verletzung einer wesentlichen Formvorschrift i. S. d. Art. 173 Abs. 2, 3 EGV a.F. (heute Art. 230 EGV). Die Verletzung lag darin, daß der Rat die Verordnung ohne ordnungsgemäße Anhörung des Parlaments nach Art. 43 Abs. 2 S. 3 EGV a.F. (heute Art. 37 Abs. 2 S. 3 EGV) erlassen hat. Zur Begründung führt das Gericht aus: „Die in ( . . . ) Vertragsbestimmungen vorgesehene Anhörung ermöglicht dem Parlament eine wirksame Beteiligung im Gesetzgebungsverfahren der Gemeinschaft. Diese Befugnis ist für das vom Vertrag gewollte institutionelle Gleichgewicht wesentlich. Sie spiegelt auf Gemeinschaftsebene, wenn auch in beschränktem Umfang, ein grundlegendes demokratisches Prinzip wider, nach dem die Völker durch eine Versammlung ihrer Vertreter an der Ausübung der hoheitlichen Gewalt beteiligt sind.“485

Vgl. Kluth, Demokratische Legitimation, S. 67 Fn. 5. Zu den Urteilen des EuGH vgl. Bernhardt, Verfassungsprinzipien, S. 64 f. 483 Eingehend zum Wechselverhältnis der beiden Rechtserkenntnisquellen Bernhardt, Verfassungsprinzipien, S. 63 ff. 484 EuGH v. 29. 10. 1980, Rs. 138 / 79 – SA Roquette Frères / Rat –, Slg. 1980, S. 3333 ff.; v. 29. 20. 1980, Rs. 139 / 79 – Maizena / Rat –, Slg. 1980, S. 3393 ff. 485 EuGH v. 29. 10. 1980, Rs. 138 / 79 – SA Roquette Frères / Rat –, Slg. 1980, S. 3333 (3360), Rn. 33; v. 29. 10. 1980, Rs. 139 / 79 – Maizena / Rat –, Slg. 1980, S. 3393 (3424), Rn. 34. 481 482

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3. Teil: Demokratie- und Rechtsstaatsprinzip als Maßstab

Diese Formulierung wiederholt sich in späteren Urteilen des EuGH.486 Eindeutig erkennt das Gericht mit ihr die Existenz des Demokratiegrundsatzes an. Uneinheitlich beurteilt wird nur, ob sich aus der Rechtsprechung ein über die Regelungen des Vertrages hinausgehender gemeinschaftsrechtlicher Verfassungsgrundsatz der Demokratie ableiten läßt.487 Der EuGH behauptet m.E. nicht, daß sich dem Demokratieprinzip klare Aussagen über die Gestaltung der Gemeinschaft entnehmen lassen. Er begreift das „grundlegende demokratische Prinzip“ als auf Gemeinschaftsebene nur beschränkt ausgestaltet.488 Das Demokratieprinzip ist nach dem EuGH vielmehr Reflex des institutionellen Gefüges der Gemeinschaft, d. h. der Beteiligungsrechte des Parlaments. In den Isoglucose-Fällen folgt die Nichtigkeit des betroffenen Rechtsaktes bereits aus der Verletzung einer Vertragsvorschrift, nicht aus der Verletzung eines ihr zugrunde liegenden Prinzips.489 Der Verweis auf das Demokratieprinzip dient hier dazu, die Bedeutung des schon vertraglich vorgesehenen Anhörungsrechts des Parlaments argumentativ zu untermauern. Die Rechtsprechung des EuGH erkennt mithin das Demokratieprinzip insoweit an, als es im Gemeinschaftsrecht Ausprägungen gefunden hat.490 Von einem abstrakten Demokratieprinzip mit normativem Eigensinn, das sich von den Regelungen des Vertrages löst, kann nicht die Rede sein.

cc) In der Rechtsprechung des EuG Das Europäische Gericht erster Instanz (EuG) nahm die Formulierung des EuGH in seiner Entscheidung über die Klage des die kleineren und mittleren Unternehmen vertretenden Verbandes UEAPME491 auf Nichtigerklärung der Richtlinie über den Elternurlaub wegen unzureichender Beteiligung an der der Richt486 EuGH v. 11. 06. 1991, Rs. C-300 / 89 – Kommission / Rat –, Slg. I-1991, S. 2867 (2900), Rn. 20; v. 30. 03. 1995, Rs. C-65 / 93 – Parlament / Rat –, Slg. I-1995, S. 643 (668), Rn. 21; v. 05. 07. 1995, Rs. C-21 / 94 – Parlament / Rat –, Slg. I-1995, S. 1827 (1851 f.), Rn. 17; v. 10. 06. 1997, Rs. 392 / 95 – Parlament / Rat –, Slg. I-1997, S. 3213 (3246), Rn. 14. 487 Dafür Zuleeg, EuR 1982, S. 21 (22 f.); ders., JZ 1993, S. 1069 (1070); Ress, GS für Geck, S. 625 (648), nach dem der EuGH an den Verfassungsgrundsatz keinerlei Konsequenzen für das institutionelle Gefüge der Gemeinschaft knüpfen will; dagegen Randelzhofer, Demokratiedefizit, S. 39 (43 ff.), nach dem sich Ausprägungen des Demokratieprinzips nur aus dem primären oder sekundären Gemeinschaftsrecht entnehmen lassen. 488 Zu dieser Auslegung vgl. Bleckmann, Demokratieprinzip, S. 159; Zuleeg, JZ 1993, S. 1069 (1071); anders versteht wohl Huber, Staatswissenschaften und Staatspraxis 1992, S. 349 (351), die Urteils-Passage, wenn er die Beteiligungsrechte als beschränkten Ausdruck eines voll ausgestalteten Prinzips ansieht. 489 Kaufmann, Demokratieprinzip, S. 87; a.A. Zuleeg, JZ 1993, S. 1069 (1072). Ganz ähnlich verhält es sich bei der Rechtsprechung des EuGH zu den Grundrechten. Auch hier führt die Berufung auf sie zu keinem anderen Ergebnis als sich aus dem Primär- und Sekundärrecht ergibt; vgl. Gündisch, Allgemeine Rechtsgrundsätze, S. 97 (114). 490 Vgl. Britz / Schmidt, EuR 1999, S. 467 (480 f.); Kaufmann, Demokratieprinzip, S. 87; Randelzhofer, Demokratiedefizit, S. 39 (45). 491 Union européen de l’artisanat et des petites et moyennes entreprises.

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linie zugrunde liegenden Rahmenvereinbarung auf.492 Das Gericht führt in Rn. 88 der Entscheidung aus, daß die Beteiligung des Europäischen Parlaments am Gesetzgebungsverfahren der Gemeinschaft ein grundlegendes demokratisches Prinzip auf Gemeinschaftsebene widerspiegelt, „wonach die Völker durch eine Versammlung ihrer Vertreter an der Ausübung der hoheitlichen Gewalt beteiligt sind“. In Rn. 89 heißt es: „Die Wahrung des demokratischen Prinzips, auf dem die Union beruht, macht es, wenn das Europäische Parlament an einem Gesetzgebungsverfahren nicht beteiligt ist, erforderlich, daß die Beteiligung der Völker an diesem Verfahren auf andere Weise sichergestellt wird, im zu entscheidenden Fall durch Vermittlung der Sozialpartner, die die Vereinbarung geschlossen haben. ( . . . ) Um die Einhaltung dieses Erfordernisses zu kontrollieren, haben Kommission und Rat die Repräsentativität der betreffenden Sozialpartner zu prüfen.“

Das EuG versteht also die Beteiligung des Europäischen Parlaments als Ausdruck des Demokratiebegriffs, obwohl die Art. 3 Abs. 4, 4 AbkSozPol bzw. Art. 138 Abs. 4, 139 EGV diese nicht vorsehen. Es löst sich auf diese Weise von dem Erfordernis einer Normierung und somit von der Sichtweise des EuGH, wonach das Demokratieprinzip nur in konkreten Vorschriften zum Ausdruck kommen kann. Es soll vielmehr abstrakt gelten.493 Das EuG hält eine Beteiligung der Völker durch eine Versammlung ihrer Vertreter (Rn. 88, S. 3)494 an nicht „klassischen Gesetzgebungsverfahren“ für erforderlich, d. h. an Verfahren, die eine Mitwirkung des Europäischen Parlaments nicht vorsehen (Ziff. 88, Satz 2). Daraus läßt sich schließen: Die bloße Beteiligung von Rat und Kommission reicht nicht aus, die Völkerpartizipation zu gewährleisten. Es bedarf hierfür der Beteiligung des Europäischen Parlaments oder der Sozialpartner, die anscheinend das Europäische Parlament adäquat ersetzen können. Ob dieser Ansatz überzeugend ist, ist an späterer Stelle zu erörtern.495 Dem Urteil liegt jedenfalls die Vorstellung einer parlamentarischen Demokratie zugrunde. Das EuG geht somit von einem Demokratieprinzip mit eigenständigem normativen Gehalt aus, ohne auf seine Verankerung in bestimmten Vorschriften abzustellen.

492 EuG v. 17. 06. 1998, Rs. T-135 / 96 – Union européenne de l’artisanat et des petites et moyennes entreprises (UEAPME) / Rat –, Slg. II-1998, S. 2335 ff., oder Droit social 1999, S. 60 ff. Das Urteil ist auch abgedruckt in EAS C, Stand: Mai 1999, Protokoll Sozialpolitik. 493 Zu dieser Bewertung kommt auch Britz / Schmidt, EuR 1999, S. 467 (481). 494 Mit der Versammlung der Vertreter ist das Europäische Parlament gemeint. Dies ergibt sich aus dem systematischen Zusammenhang mit Ziff. 89, wonach die Beteiligung der Völker auf andere Weise sichergestellt werden muß, wenn das Europäische Parlament an einem Gesetzgebungsverfahren nicht beteiligt ist. 495 s. u. 4. Teil § 16.

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3. Teil: Demokratie- und Rechtsstaatsprinzip als Maßstab

c) Zwischenergebnis Das Demokratieprinzip ist sowohl in den Gemeinschaftsverträgen als auch in den allgemeinen Rechtsgrundsätzen verankert. Seine Existenz wird von niemandem mehr ernsthaft in Zweifel gezogen.496 Aussagen über den konkreten Inhalt des Demokratieprinzips und insbesondere über das Erfordernis einer Parlamentsbeteiligung sind damit nicht getroffen. Insbesondere ist nicht geklärt, ob das Demokratieprinzip einen konkreten, an die Vertragsvorschriften gebundenen, oder einen abstrakten, über das Normmaterial hinausweisenden, normativen Gehalt hat. Die Gemeinschaftsverträge haben bisher eher ein konkretes Prinzip verkörpert. Änderungen könnten sich erstmals nach Art. 6 Abs. 1 EUV ergeben. Im Hinblick auf die allgemeinen Rechtsgrundsätze nimmt der EuGH einen konkreten, das EuG wiederum einen abstrakten Gehalt des gemeinschaftsrechtlichen Demokratieprinzips an. Seine genauere Gestalt und sein Inhalt bleiben noch offen; sie müssen in einem weiteren Schritt bestimmt werden.

3. Ausprägungen des Demokratieprinzips Nachdem die Verankerung des gemeinschaftsrechtlichen Demokratieprinzips herausgearbeitet wurde, ist nun nach den konkreten Ausformungen, d. h. nach dem konkreten Inhalt dieses Prinzips zu fragen, sofern er auf Gemeinschaftsebene existiert. Auf diese Weise wird der Maßstab konkretisiert, an dem die demokratische Legitimation vor allem der Akteure des Sozialen Dialogs zu messen ist. Auf die mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen kann zur Bildung allgemeiner Rechtsgrundsätze vor allem dann zurückgegriffen werden, wenn das Gemeinschaftsrecht den Begriff der Demokratie nicht aus sich selbst heraus erklärt.497 Das ist der Fall. Abgesehen von den Vorschriften über die Wahl des Europäischen Parlaments (Art. 189 ff. EGV) fehlen explizite Äußerungen über den Inhalt des Demokratieprinzips sowohl in den Verträgen als auch in den nationalen „Denkschriften“ zur Ratifizierung des Art. 6 Abs. 1 EUV. Bei dem Rückgriff auf die mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen ist zunächst auf die grundlegende Aussage und Vorbedingung der Demokratie einzugehen: die Volkssouveränität.498 Im späteren Verlauf ist der Focus auf die Ausdrucksform der parlamentarischen Demokratie zu richten. Sie ist im Kontext des Sozialen Dialogs mangels Beteiligung des Europäischen Parlaments problematisch.499 496 Selbst Kaufmann, Demokratieprinzip, S. 100, stellt fest, daß das Demokratieprinzip dem Unionsrecht als allgemeines Bekenntnis eingeschrieben ist. 497 Daig, FS für Zweigert, S. 395 (399 f.). 498 Ihrem griechischen Ursprung entsprechend wird Demokratie meist als Volksherrschaft definiert; Dreier-Dreier, GG, Art. 20 (Demokratie) Rn. 58; Sachs-Sachs, GG, Art. 20 Rn. 11; Scharpf, Demokratietheorie, S. 25.

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a) Volkssouveränität als Kern des Demokratieprinzips Als Kern des Beurteilungsmaßstabs kommt die Volkssouveränität in Betracht. Vorausgesetzt, bei der Volkssouveränität handelt es sich um einen allgemeinen Rechtsgrundsatz (aa), beschäftigen sich die folgenden Ausführungen mit den Fragen: Läßt sich der Inhalt des Demokratieprinzips auf die Aussage der Volkssouveränität konkretisieren (bb) und liegen die Voraussetzungen der Volkssouveränität auf Gemeinschaftsebene vor (cc)? Ist dies nicht der Fall, ist auf die Grundformen der sog. Bürgersouveränität einzugehen (dd). Nur ein materiell aufgefülltes und auf europäischer Ebene wirksames Demokratieprinzip kann einen geeigneten Beurteilungsmaßstab abgeben. Dieser wird Auswirkungen darauf haben, welcher der am Sozialen Dialog Beteiligten dem Verfahren demokratische Legitimation vermitteln kann. aa) Geltung in den Mitgliedstaaten Allerorten herrscht Einigkeit, daß der Volkssouveränitätsgrundsatz in allen Mitgliedstaaten gilt. Seine Geltung wird daher nur kurz festgestellt. So implizieren die europäischen Gerichte das Prinzip in ihrer Äußerung, die Völker seien an der Ausübung der hoheitlichen Gewalt durch die Versammlung ihrer Vertreter zu beteiligen. Die Literatur begreift es explizit als Grundlage aller europäischen Demokratiekonzeptionen.500 Eine Herleitung dieses allgemeinen Rechtsgrundsatzes erfolgt nicht. Der Kern der Volkssouveränität,501 dem zufolge die Innehabung und Ausübung von Herrschaft in einer lückenlosen Legitimationskette auf das Volk rückführbar und von seinem Willen getragen sein muß,502 kann aber nur gelten, wenn die Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten im wesentlichen in ihm übereinstimmen.503 Dies ist bekanntlich in den republikanisch verfaßten Mitgliedstaaten504 der Fall.505 Die 499 Zu den sonstigen im Zusammenhang mit dem Demokratieprinzip bestehenden Problemen wie z. B. das europäische Wahlverfahren vgl. Huber, Staatswissenschaften und Staatspraxis 1992, S. 349 (362 ff.); Frowein, EuR 1983, S. 301 (302 ff.). 500 Vgl. Bleckmann, Demokratieprinzip, S. 159 (162); Britz / Schmidt, EuR 1999, S. 467 (484); Huber, Staatswissenschaften und Staatspraxis 1992, S. 349 (351 f.); Ress, GS für Geck, S. 625 (641); vor einer solchen kurzschlüssigen Wortableitung warnt Kluth, Demokratische Legitimation, S. 34 Fn. 23. 501 Zu dem historischen Ursprung des Gedankens der Volkssouveränität vgl. Kamann, Mitwirkung der Parlamente, S. 195 f.; Kluth, Demokratische Legitimation, S. 37. 502 Vgl. Maunz / Dürig-Herzog, GG, Art. 20 Rn. 53; Jestaedt, Demokratieprinzip, S. 163 ff.; Ress, GS für Geck, S. 625 (641); Böckenförde, Demokratie als Verfassungsprinzip, S. 289 (299). Zu den verschiedenen Formen der Volks- bzw. Bürgersouveränität vgl. unten § 10 II. 3. a) dd). 503 Zu den Voraussetzungen eines allgemeinen Rechtsgrundsatzes vgl. Daig, FS für Zweigert, S. 395 (407). 504 Dies sind Deutschland, Finnland, Frankreich, Griechenland, Irland, Italien, Österreich und Portugal. 505 Ausdrücklich geregelt ist die Volkssouveränität in Art. 20 Abs. 2 GG; § 2 finnische Verf.; Art. 2, 3 Abs. 1 französische Verf.; Art. 1 Abs. 2 griechische Verf.; Art. 6 Abs. 1 irische

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3. Teil: Demokratie- und Rechtsstaatsprinzip als Maßstab

Macht liegt hier bei den aufgrund regelmäßig wiederkehrender Wahlen verantwortlichen Parlamenten. Nicht selbstverständlich ist dies m.E. in den konstitutionellen Monarchien wie Belgien, Dänemark, Großbritannien, Luxemburg, den Niederlanden, Schweden und Spanien. Die Kernaussagen der Volkssouveränität sind hier auf ihr Vorliegen zu untersuchen. An einer Legitimationskette könnte es fehlen, weil in diesen Staaten zum Teil nicht demokratisch legitimierte Personen oder Organe Einfluß auf die Gesetzgebung haben.506 Die demokratische Legitimation entfällt dann aber nicht, wenn wesentliche Entscheidungen von mehrheitlich demokratisch legitimierten Institutionen getragen werden und der Einfluß des demokratisch nicht legitimierten Organs auf eine Mitwirkung, nicht aber Mitentscheidung beschränkt bleibt.507 Zwar ist die verfassungsrechtliche Stellung der Monarchen erstaunlich stark ausgebaut.508 Jedoch werden ihre rechtlichen Kompetenzen durch die ministerielle Gegenzeichnungspflicht beschränkt, wenn nicht gar aufgehoben.509 Gewohnheitsrecht und Verfassungskonventionen haben außerdem die Monarchen politisch-faktisch auf eine reine Repräsentation beschränkt. Von einer königlichen Macht kann nirgendwo mehr die Rede sein.510 Ein Beispiel hierfür ist die rechtlich weitgehende Entmachtung des britischen House of Lords, in dem nicht gewählte Personen sitzen.511 Die Rechte der Monarchen überschreiten die Grenze der Mitwirkung nicht. Die wesentlichen Entscheidungen liegen bei demokratisch legitimierten Personen oder Organen. So ist auch das Parlament maßgeblich für die Gesetzgebung verantwortlich.512 Verf.; Art. 1 Abs. 2 italienische Verf.; Art. 1 österreichische Verf.; Art. 1 ff. portugiesische Verf.; vgl. Kimmel, Die Verfassungen der EU-Mitgliedstaaten; Kluth, Demokratische Legitimation, S. 33. 506 Vgl. zum Initiativrecht des Monarchen Art. 36, 75 belgische Verf.; § 21 dänische Verf.; Art. 47 luxemburgische Verf.; Art. 82 Abs. 1 f. niederländische Verf. Kein Initiativrecht hat der Monarch von Spanien (Art. 87 Abs. 1 spanische Verf.), von Schweden und kraft Konvention auch vom Vereinigten Königreich von Großbritannien und Nordirland. 507 Böckenförde, Demokratie als Verfassungsprinzip, S. 289 (305 f.). 508 Dies drückt sich neben dem Initiativrecht in dem Recht des Monarchen zur Parlamentsauflösung und zur Ernennung der Minister aus; vgl. hierzu Art. 46 (auf Antrag der Mehrheit der Abgeordnetenkammer) und 96 belgische Verf.; Art. 74 und 77 luxemburgische Verf.; § 32 (Ausschreibung von Neuwahlen) und 14 dänische Verf.; Art. 64 Abs. 1 und 43 niederländische Verf. Kein Auflösungs- und Ernennungsrecht existiert in Schweden und Spanien (Art. 62b und 99 Abs. 1, 100). 509 Vgl. Art. 106 belgische Verf.; Art. 45 luxemburgische Verf.; Kap. 7 § 7 schwedische Verf.; Art. 64 spanische Verf.; keine Gegenzeichnungspflicht besteht in Dänemark und den Niederlanden. 510 Kimmel, Verfassungen der EU-Mitgliedstaaten, S. XXII. 511 Das britische Oberhaus wurde durch mehrere Parliament Acts von 1911, 1949 und 1999 stark geschwächt und besitzt heute nur noch ein eingeschränktes Vetorecht; vgl. Kimmel, Verfassungen der EU-Mitgliedstaaten, S. X; Saalfeld, Rolle des Parlaments, S. 95 (111). 512 Die formale Gesetzgebungszuständigkeit des Parlaments regeln Art. 36 belgische Verf.; § 3 dänische Verf.; Art. 46 luxemburgische Verf.; Art. 81 niederländische Verf.; Kap. 1 § 4 schwedische Verf.; Art. 66 Abs. 2 spanische Verf.

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Zusätzlich muß die Herrschaft von dem Willen des Volkes getragen sein. Als Indiz ist vor allem die Verantwortlichkeit der Staatsorgane gegenüber dem Volk oder der Volksvertretung heranzuziehen. Daß die konstitutionellen Monarchien auch diese Voraussetzung erfüllen, obwohl ihre Verfassungen nicht alle den Begriff der Demokratie oder Volkssouveränität verwenden,513 verdeutlichen folgende Überlegungen: Die Verantwortlichkeit des Parlaments zeigt sich in regelmäßig wiederkehrenden Wahlen, die auch in den konstitutionellen Monarchien stattfinden.514 Die Unterschiede in der Verantwortlichkeit der Regierung im Vergleich zu den Republiken515 sind letztlich irrelevant. Unter den Monarchien regeln zwar nur die belgische (Art. 96 seit 1994), die dänische (Art. 15), die schwedische (Kap. XII § 4) und die spanische Verfassung (Art. 101, 112 ff.) eindeutig die parlamentarische Verantwortlichkeit der Regierung. Keine vergleichbaren Formulierungen enthalten die luxemburgische und die niederländische Verfassung, obwohl sie die Verantwortlichkeit der Minister (Art. 78 luxemburgische Verf.; Art. 42 Abs. 2 niederländische Verf.) erwähnen. Sie lassen aber offen, wem gegenüber sie verantwortlich sind. Auch diese Monarchien sind in ihrer lebenden Verfassung aber Demokratien und parlamentarische Systeme.516 Wie sich gezeigt hat, liegen die Kernaussagen der Volkssouveränität auch in den konstitutionellen Monarchien vor. bb) Ausprägung eines normativen Gehalts im Gemeinschaftsrecht Die Demokratie ist im Gemeinschaftsrecht prinzipiell verankert. Denkbar ist allerdings, daß das Prinzip von vornherein keinen hinlänglich bestimmten Inhalt hat, aus dem sich konkrete Vorgaben ableiten lassen.517 Das verwundert deshalb nicht, weil dem Demokratieprinzip eine inhaltliche Unschärfe eigen ist, die bereits 513 Die Demokratie erwähnen nicht die belgische, die dänische, die niederländische und die schwedische Verfassung. In dem Vereinigten Königreich gilt als einzigem Land nicht der Grundsatz der Volks-, sondern der Parlamentssouveränität; vgl. v. Mangoldt / Klein / StarckClassen, GG, Art. 23 Abs. 1 Rn. 26; ders., AöR 1994, S. 238 (247). 514 Vgl. Art. 61 ff. belgische Verf.; § 29 ff. dänische Verf.; Art. 51 ff. luxemburgische Verf.; Art. 53 ff. niederländische Verf.; Kap. 3 § 1 ff. schwedische Verf.; Art. 68 ff. spanische Verf. 515 Die stärkste Form der Verantwortlichkeit der Regierung zeigt sich in der Möglichkeit eines Mißtrauensvotums des Parlaments gegenüber der Regierung, das in den repräsentativen Demokratien unterschiedlich ausgeformt ist. Vgl. Art. 67 Abs. 1 GG; Art. 49 f. französische Verf.; § 43 f. finnische Verf.; Art. 84 Abs. 2 griechische Verf.; Art. 94 italienische Verf.; Art. 74 Abs. 1 österreichische Verf.; Art. 195 Abs. 1 lit. f portugiesische Verf. In Frankreich hat die Nationalversammlung gegenüber der Regierung zwar faktisch nur eingeschränkte Kontrollmöglichkeiten. Die parlamentarische Verantwortlichkeit der Regierung ist also abgeschwächt, besteht aber verfassungsrechtlich fort; vgl. Jun, „Cohabitation“ in Frankreich, S. 146 (156); Kimmel, Verfassungen der EU-Mitgliedstaaten, S. XXIII; Mayer-Tasch, Verfassungen der Staaten Europas, S. 23. 516 Kimmel, Verfassungen der EU-Mitgliedstaaten, S. XXII. 517 Vgl. Kaufmann, Demokratieprinzip, S. 100; Randelzhofer, Demokratiedefizit, S. 39 (45 f.).

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3. Teil: Demokratie- und Rechtsstaatsprinzip als Maßstab

im nationalen Verfassungsrecht eine präzise Definition erschwert.518 Sie rührt zum einen daher, daß die Demokratie nicht nur eine juristische Kategorie mit konkret angebbaren normativen Direktiven, sondern zugleich ein politisches Ideal und Staatsziel ist.519 Zum anderen verursachen unterschiedliche geisteswissenschaftliche Disziplinen, die sich mit der Demokratie beschäftigen, zahlreiche Deutungen und Analysen.520 Das schließt aber nicht aus, den normativen Gehalt überhaupt zu bestimmen, diesmal nach Maßgabe einer konkreten Verfassung. Das Demokratieprinzip gilt dann in der Gestalt, die es in den vertraglichen Vorschriften findet.521 Hiergegen könnte man einwenden, das Demokratieprinzip würde auf diese Weise zu einer bloßen Worthülse522 mit beliebigem Inhalt degradiert. Außerdem würde den Mitgliedstaaten die Möglichkeit eröffnet, im Namen der Demokratie eine Diktatur auf Gemeinschaftsebene zu begründen. Diese Einwände greifen jedoch nicht durch. Die Bestimmung eines abstrakten Gehalts birgt generell die Gefahr, aus den Verträgen ein bestimmtes Demokratieverständnis herauszudestillieren und es zu einem möglicherweise mit den vertraglichen Vorschriften kollidierenden Prinzip zu erklären. Das ist angesichts der Komplexität des supranationalen Institutionengefüges nicht angezeigt.523 Ganz davon abgesehen stellt sich das Problem eines kollidierenden Prinzips bei dem Grundsatz der Volkssouveränität nicht. Dadurch, daß sämtliche Mitgliedstaaten demokratisch verfaßt sind, wird ein Mindestgehalt an demokratischen Verbürgungen auch auf der Gemeinschaftsebene garantiert. Wie die Untersuchung erweisen wird, verkörpern die Verträge einen normativen Gehalt in Gestalt der Volkssouveränität,524 der als Beurteilungsmaßstab dienen kann. Das erklärt sich daraus, daß mit der Übertragung eines Teils der mitgliedstaatlichen Hoheitsrechte auf die Gemeinschaft auch das Postulat der Volkssouveränität übergegangen ist,525 das auf Gemeinschaftsebene in gewandelter Gestalt gilt, wie im Anschluß zu zeigen sein wird. 518 Bugiel, Volkswille, S. 29 ff.; Fromme, DÖV 1970, S. 518 ff.; Stern, Staatsrecht I, § 18 I. 2. f), S. 588 ff. 519 Badura, HStR I, § 23 Rn. 41, spricht von „Staatsidee und Staatsideal“; Scharpf, Demokratietheorie, S. 8 f.; Schmidt-Aßmann, AöR 1991, S. 329 (334 ff.), unterscheidet zwischen „Dogma, Prinzip und Idee“; vgl. Dreier-Dreier, GG, Art. 20 (Demokratie) Rn. 57. 520 Siehe die Literaturnachweise bei Dreier, Jura 1997, S. 249 ff. 521 Kaufmann, Demokratieprinzip, S. 100; Randelzhofer, Demokratiedefizit, S. 39 (45 f.), die allerdings zur Bestimmung eines abstrakten normativen Gehalts auf die nationalen Verfassungen wie das deutsche Grundgesetz zurückgreifen (S. 101 f. bzw. S. 46 ff.). 522 Kritisch in diese Richtung Doehring, DVBl. 1997, S. 1133. Von einer solchen Worthülse sprechen sowohl Kaufmann, Demokratieprinzip, S. 99, als auch Randelzhofer, Demokratiedefizit, S. 39 (46). 523 Vgl. Beutler, EuR 1984, S. 143 (152 ff.); Kaufmann, Demokratieprinzip, S. 88 f. Das Problem stellt sich deutlicher bei der Ausprägung der Parlamentsdemokratie. 524 Dazu s. u. 4. Teil. So im Ergebnis auch Bleckmann, Demokratieprinzip, S. 159 (162 ff.); Britz / Schmidt, EuR 1999, S. 467 (484 ff.); Huber, Staatswissenschaften und Staatspraxis 1992, S. 349 (351 ff.); Ress, GS für Geck, S. 625 (641). 525 Seeler, EuR 1998, S. 721 (723).

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cc) Volk und Souveränität als Vorbedingungen zur Verwirklichung demokratischer Legitimation auf der Gemeinschaftsebene Wie gesehen baut die Demokratie in den nationalen Verfassungsrechten auf dem Legitimationsgrund der Volkssouveränität526 auf. Sein maßgeblicher Kern besteht darin, daß das Volk als Gesamtheit aller durch die Staatsangehörigkeit verbundenen Bürger527 einheitlicher Träger und Inhaber der Staatsgewalt ist.528 Damit der nationale Grundsatz der Volkssouveränität auf die Gemeinschaft übertragbar ist, müssen seine Voraussetzungen auch auf europäischer Ebene vorliegen. Gibt es also ein Volk, das einer staatlichen Hoheitsgewalt originäre demokratische Legitimation verleihen kann oder kann demokratische Legitimation nur über die Völker bzw. Bürger der Mitgliedstaaten abgeleitet werden? Die Formulierung des Art. 189 EGV, wonach das Europäische Parlament „aus Vertretern der Völker der in der Gemeinschaft zusammengeschlossenen Staaten“ besteht, spricht gegen die Annahme eines Unionsvolkes, von dem alle „Gemeinschaftsgewalt“ ausgehen könnte.529 Weiterhin haben nach h.M. weder die Europäische Gemeinschaft noch die Europäische Union die Stufe der Staatlichkeit erreicht; sie verfügen über keine originäre Staatsgewalt.530 Die Voraussetzungen der Volkssouveränität sind streng genommen nicht erfüllt. Fraglich ist, ob es auf Gemeinschaftsebene etwas der Volkssouveränität Vergleichbares gibt und somit eine demokratische Legitimation möglich ist. Nur unter dieser Bedingung ist an eine Beteiligung des Europäischen Parlaments an den Rechtsetzungsakten zu denken. (1) Demokratische Legitimation nur durch ein Volk Zum Teil wird angenommen, daß nur ein Volk im staatlichen Rahmen demokratische Legitimation leisten könne.531 Da es nach einhelliger Ansicht kein europäisches Volk gibt, sei auf europäischer Ebene keine originäre demokratische Legitimation herzustellen. Diese könnten nur die nationalen Parlamente garantieren,532 so daß letztlich – wenn überhaupt – der Rat Gesetze erlassen könne. 526 Ob die Volkssouveränität zu Recht als Bedingung demokratischer Legitimation angesehen werden kann, kann hier nicht untersucht werden; vgl. Kielmansegg, Volkssouveränität, S. 9 ff. 527 Böckenförde, HStR I, § 22 Rn. 26 f.; Isensee, HStR I, § 13 Rn. 112 f. 528 Badura, HStR I, § 23 Rn. 28; Kluth, Demokratische Legitimation, S. 33; Sachs-Sachs, GG, Art. 20 Rn. 12. 529 Auch die Literatur lehnt die Existenz eines europäischen Volkes ab; vgl. Kirchhof, JZ 1998, S. 965 (972); Klein, EuR 1987, S. 97 (102 ff.); Kohler, EuR 1978, S. 333 (343); Ossenbühl, DVBl. 1993, S. 629 (634); Philipp, ZRP 1992, S. 433 (438); Schwarze, JZ 1993, S. 585 (588 f.); Tomuschat, EuGRZ 1993, S. 489 (491). 530 Oppermann, Europarecht, Rn. 902 ff. 531 Badura, HStR I, § 23 Rn. 27; Bleckmann, JZ 1990, S. 301; Böckenförde, HStR I, § 22 Rn. 26; Di Fabio, Der Staat 1993, S. 191 (201); Isensee, HStR I, § 13 Rn. 113; Ossenbühl, DVBl. 1993, S. 629 (634).

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3. Teil: Demokratie- und Rechtsstaatsprinzip als Maßstab

(2) Kritik an demokratischer Legitimation nur durch ein Volk Die vorstehenden Ausführungen beschränken den Ausgangs- und Bezugspunkt der demokratischen Legitimation auf ein Staatsvolk. Nur dieses stelle eine Schicksalsgemeinschaft dar, die Erfolg und Mißerfolg eines Staates tragen müsse.533 So gesehen scheidet eine Gruppe oder Vielzahl von Menschen als Legitimationssubjekt zwingend aus. Es steht außer Frage, daß der an die Staatsangehörigkeit anknüpfende Volksbegriff auf europäischer Ebene trotz Unionsbürgerschaft nicht gelten kann. Denn die Unionsbürgerschaft leitet sich gem. Art. 17 Abs. 1 EGV aus der Staatsangehörigkeit der Mitgliedstaaten ab und verdichtet sich nicht zu einer eigenständigen echten Rechtsgestalt.534 Auch läßt sich zweifelsfrei feststellen: Der demokratische Gedanke wurde zunächst im nationalen Staat umgesetzt.535 Trotz der fehlenden Staatsqualität der Union und Gemeinschaft bestehen jedoch an ihrer Fähigkeit keine Zweifel, hoheitliche Befugnisse auszuüben.536 Das obige Demokratieverständnis erweist sich angesichts zunehmender Zusammenschlüsse von Staaten in internationale und supranationale Gemeinschaften537 außerdem als zu eng und unflexibel. Der zentrale Gedanke der Demokratie liegt in der Selbstbestimmung des einzelnen.538 Dem Demokratieprinzip lag schon immer die Vorstellung zugrunde, daß die obrigkeitliche Gewalt von denjenigen, die ihr auf Dauer unterworfen sind, legitimiert werden muß.539 Legitimationsgrund kann demnach nicht nur das Volk als ganzes, sondern auch die Zustimmung der einzelnen Herrschaftsunterworfenen sein.540 532 Neben den in Fn. 529 genannten Autoren sprechen sich hierfür aus: Schachtschneider u. a., JZ 1993, S. 751 (755). 533 Vgl. Böckenförde, HStR I, § 22 Rn. 26 f. 534 BVerfG v. 12. 10. 1993 – 2 BvR 2134, 2159 / 92 –, BVerGE 89, S. 155 (184); Doehring, ZRP 1993, S. 98 (101); Oppermann / Classen, NJW 1993, S. 5 (7). 535 Kamann, Mitwirkung der Parlamente, S. 200; Klein, FS für Remmers, S. 195 (204); Zuleeg, JZ 1993, S. 1069 (1072). 536 Vgl. statt vieler BVerfG v. 12. 10. 1993 – 2 BvR 2134, 2159 / 92 –, BVerfGE 89, S. 155; Bleckmann-Bleckmann / Pieper, Europarecht, Rn. 13 / 140 ff.; Everling, DVBl. 1993, S. 936 (941); Häberle, EuGRZ 1992, S. 429 (435); Tomuschat, EuGRZ 1993, S. 489 (491). 537 Diese Prognose teilt Schmitz, Integration in der Supranationalen Union, S. 89 ff., 164. 538 Böckenförde, HStR I, § 22 Rn. 35; Zuleeg, JZ 1993, S. 1069 (1072); BVerfG v. 02. 03. 1977 – 2 BvE 1 / 76 –, BVerfGE 44, S. 125 (142), das den Grundgedanken in der „Selbstbestimmung aller in Freiheit“ sieht. Zu den verschiedenen Demokratietheorien Zippelius, Allgemeine Staatslehre, § 17 III. 1. Die Selbstbestimmung drückt Schmitt, Verfassungslehre, S. 234, prägnant in der Formulierung „Demokratie ( . . . ) ist Identität von Herrscher und Beherrschten, Regierenden und Regierten, Befehlenden und Gehorchenden.“ aus; ähnlich Kelsen, Demokratie, S. 3 ff., 14, 85. Die Formulierung von Schmitt kritisiert Klein, FS für Forsthoff, S. 165 (166), aus Sicht der repräsentativen Demokratie als falsch. 539 Den Legitimationsgrund bildet hier nicht das Volk, sondern die Herrschaftsbetroffenheit; Klein, FS für Remmers, S. 195 (204); Pernice, Die Verwaltung 1993, S. 449 (480). 540 Jestaedt, Demokratieprinzip, S. 141 ff. m. w. N.; Peters, Zentralisation und Dezentralisation, S. 27 f.

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Obwohl beide Prinzipien bei erster Betrachtung gleich erscheinen, unterscheiden sie sich in dem Ausgangspunkt demokratischer Legitimation. Das Prinzip der Volkssouveränität geht zentralistisch von dem Volk als ganzem aus. Das Prinzip der Souveränität der Herrschaftsunterworfenen knüpft dezentral an das Merkmal der Herrschaftsbetroffenheit an.541 Demokratie kann also auch losgelöst von der Souveränität eines genau zu definierenden Volkes verwirklicht werden.542 Die Anforderungen beider Prinzipien decken sich bei einer Gesamtbetroffenheit des Volkes.543 (3) Demokratische Legitimation durch mehrere Völker oder Bürger Offener und zeitgerechter ist der Ansatz, die demokratische Legitimation auf supranationaler Ebene von der (Zwangs)Vorstellung eines europäischen Volkes zu lösen. Klärungsbedürftig bleibt nur, wer Legitimationssubjekt ist: die souveränen Völker der Mitgliedstaaten544 (kollektiver Ansatz) oder die einzelnen Bürger in ihrer Verbundenheit545 (individualistischer Ansatz). Auf supranationaler Ebene von einem „Volk“ zu sprechen,546 verursacht hingegen nur Abgrenzungsschwierigkeiten zu dem nationalen Volksbegriff, der eng an die Nation und die Vorstellung von einem Kulturvolk angelehnt ist. Der kollektive Ansatz findet scheinbar in Art. 1 Abs. 2 EUV Ausdruck, der für die „Union der Völker Europas“ möglichst bürgernahe Entscheidungen vorsieht. Daher wird durch den Hinweis, das Gesetzgebungsrecht des Europäischen Parlaments sei nicht Ausdruck der Souveränität eines bereits existierenden europäischen Volkes, sondern Ausdruck einer gebündelten fünfzehnfachen Volkssouveränität547, das Fehlen eines europäischen Volkes zu überwinden versucht. Die Vorstellung von den souveränen Völkern als Legitimationssubjekt ist aber nur schwer mit dem 3. Erwägungsgrund der Präambel des EUV und Art. 6 Abs. 1 EUV in Einklang zu bringen. Diese Vorschriften nennen die Demokratie zusammen mit den Menschen541 Ausführlich zu der Unterscheidung von Volkssouveränität und Zustimmung der Herrschaftsunterworfenen als Legitimationsgründe, die zusammenfallen können, aber nicht müssen Jestaedt, Demokratieprinzip, S. 141 ff.; Peters, Zentralisation und Dezentralisation, S. 28 ff.; Dreier-Pernice, GG, Art. 23 Rn. 54 f., faßt auch dieses Prinzip unter die „klassische Idee der Volkssouveränität“. 542 Dies zeigt die staatstheoretische Betrachtung der Demokratie und der Volkssouveränität, nach der sich beide Begriffe nicht gegenseitig bedingen; Jestaedt, Demokratieprinzip, S. 161; Kamann, Mitwirkung der Parlamente, S. 223 f.; Kluth, Demokratische Legitimation, S. 33 ff. 543 Jestaedt, Demokratieprinzip, S. 143. 544 Classen, AöR 1994, S. 238 (247); v. Mangoldt / Klein / Starck-ders., GG, Art. 23 Rn. 28 ff.; Isensee, Europa, S. 103 (133); Pernice, Die Verwaltung 1993, S. 449 (477 f.); Ress, GS für Geck, S. 625 (646). 545 Kamann, Mitwirkung der Parlamente, S. 252 ff.; Klein, FS für Remmers, S. 195 (204); Kluth, Demokratische Legitimation, S. 42 f.; ähnlich Zuleeg, JZ 1993, S. 1069 (1072). 546 So v. Simon, EuR 1991, S. 1 (8 ff.). 547 Ress, GS für Geck, S. 625 (646 f.) und ihm folgend Pernice, Die Verwaltung 1993, S. 449 (479).

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3. Teil: Demokratie- und Rechtsstaatsprinzip als Maßstab

rechten und Grundfreiheiten des einzelnen. Überdies wird sie der Eigenständigkeit und Unabgeleitetheit der demokratischen Legitimation des Europäischen Parlaments nicht gerecht.548 Tragfähiger ist der individualistische Ansatz. Bei ihm stehen anstelle der Völker die Bürger in ihrer Gesamtheit als Ursprung hoheitlicher Gewalt im Vordergrund.549 Sie sind der Gemeinschaftsgewalt auf Dauer und in ähnlicher Weise wie Staatsbürger ihrer Staatsgewalt unterworfen. Bildhaft gesprochen ist mit der Gründung der EU ihr Zusammenschluß zu einer Schicksalsgemeinschaft einhergegangen.550 So weist Kluth nach, daß das Demokratieprinzip nicht nur formal auf ein Staatsvolk Bezug nimmt, sondern unter bestimmten Rahmenbedingungen demokratischer Legitimation an das gebietsgesellschaftliche Zusammenwirken der Bürger anknüpft, das auf der supranationalen Ebene möglich ist.551 Konsequent zu Ende gedacht liegt auf der supranationalen Ebene eine „Demokratie ohne Volk“552 vor. Sie beruht auf dem Grundsatz der Bürgersouveränität.553 Danach können die Bürger die Gemeinschaftsgewalt in doppelter Hinsicht legitimieren. Einerseits als Staatsbürger, d. h. als Mitglieder der Völker der Mitgliedstaaten, denen die Letztverantwortung über die Unionsgrundordnung und -entscheidungen zukommt. Andererseits aufgrund ihrer Staatsbürgerschaft als Unionsbürger, die über das Europäische Parlament demokratische Legitimation vermitteln.554 Auch ohne einheitliches europäisches Volk ist eine demokratische Legitimation durch das Europäische Parlament parallel zu der durch die nationalen Regierungen vermittelten Legitimation im Ministerrat denkbar.555 (4) Dogmatische Einordnung des Grundsatzes der Bürgersouveränität Das Verhältnis des Grundsatzes der Bürgersouveränität zu dem der Volkssouveränität versteht nur, wer ersteren dogmatisch einzuordnen weiß. Es erstaunt daher, daß eine solche Einordnung zumeist unterbleibt.556 Wenn sie erfolgt, dann sehr unKluth, Demokratische Legitimation, S. 43. Vgl. z. B. Zuleeg, JZ 1993, S. 1069 (1071 f.). 550 Classen, AöR 1994, S. 238 (247); Klein, FS für Remmers, S. 195 (204 f.); Pernice, Die Verwaltung 1993, S. 449 (478). 551 Kluth, Demokratische Legitimation, S. 39 ff. 552 Dies ist das Ergebnis bei Kluth, Demokratische Legitimation, S. 42 und 66, nachdem er auf den Seiten 44 – 65 die verschiedenen Vorbedingungen demokratischer Legitimation als vorliegend bejaht. So auch Seidel, EuR 1992, S. 125 (127, 140 f.). 553 Diesen Begriff verwenden auch Kamann, Mitwirkung der Parlamente, S. 256; DreierPernice, GG, Art. 23 Rn. 55. 554 Zu der doppelten Legitimationsbasis der Gemeinschaft s. noch weiter unten unter § 10 II. 3. b) bb) (2) (b). 555 Pernice, Die Verwaltung 1993, S. 449 (479). 556 So stellen viele Autoren nur fest, daß es auf supranationaler Ebene eine demokratische Legitimation geben muß; vgl. Classen, AöR 1994, S. 238 (247); Klein, FS für Remmers, S. 195 (204 f.); Zuleeg, JZ 1993, S. 1069 (1071 f.). 548 549

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terschiedlich. Eine Möglichkeit läge darin, das Konzept der Volkssouveränität zu modifizieren557 oder auf den Kreis der durch die Gemeinschaftsgewalt betroffenen Völker bzw. Bürger der Mitgliedstaaten zu erweitern558. Es würde dann entsprechend angewandt und der Legitimationsgrund der Zustimmung der Herrschaftsbetroffenen sachlich noch unter den der Volkssouveränität gefaßt. Dieses Vorgehen birgt die Gefahr begrifflicher Ungenauigkeiten. Dies insbesondere, weil die dogmatische Konstruktion nicht expliziert wird. Es sollen daher Lösungsalternativen aufgezeigt werden. Ein Extrem zu dem genannten Ansatz stellte es dar, die Demokratie nicht mit der Volkssouveränität gleichzusetzen, das Demokratieprinzip also von dem Legitimationsgrund der Volkssouveränität abzukoppeln.559 Das hieße: Die für die Demokratie ausschlaggebende Identität von Regierenden und Regierten560 im Sinne der Zustimmung der Herrschaftsunterworfenen zur Hoheitsgewalt561 wäre auch anderweitig erreichbar.562 Eine Abkopplung könnte wegen der m.E. zutreffenden Differenzierung zwischen den Legitimationsgründen und -subjekten Volk und Bürger angebracht sein. Hierbei würde aber ein wesentlicher Aspekt außer Acht gelassen. Volks- und Bürgersouveränität sind ihrem Gedanken nach sachlich vergleichbar. Auch die Volkssouveränität knüpft an das gebietsgesellschaftliche Zusammenwirken der Bürger an, die durch den gleichen Bürgerstatus verbunden sind.563 Der Legitimationsgrund der Bürgersouveränität bedarf keiner grundlegend neuen Begründung. Er hat dieselben Voraussetzungen wie die Volkssouveränität. An dem bisherigen Legitimationskonzept ändert sich auf europäischer Ebene nichts. Der Gedanke der Volkssouveränität gilt somit nicht direkt, aber in sachlich ähnlicher Form für die Gemeinschaft. Einer Abkopplung von der Volkssouveränität bedarf es vorliegend nicht, auch wenn die Verschiedenheit der Legitimationsgründe grundsätzlich anzuerkennen ist.564 Die überzeugendste Lösung liegt m.E. zwischen den bisher genannten Auffassungen. Sie setzt die Demokratie mit ihrem zugrunde liegenden Identitätskonzept von Herrschenden und Beherrschten nicht mit der Volkssouveränität Vgl. Ress, GS für Geck, S. 625 (646). Vgl. Pernice, Die Verwaltung 1993, S. 449 (478), nennt dies eine Relativierung der „nationalen“ Volkssouveränität. 559 Vgl. Kamann, Mitwirkung der Parlamente, S. 252. 560 Vgl. Schmitt, Verfassungslehre, S. 234; ähnlich Kelsen, Demokratie, S. 3 ff., 14, 85; kritisch hierzu Kreutz, Betriebsautonomie, S. 88. 561 Jestaedt, Demokratieprinzip, S. 141 ff.; Kamann, Mitwirkung der Parlamente, S. 223 f. 562 Die Gleichsetzung des Grundsatzes der Volkssouveränität mit dem der Identität von Regierenden und Regierten lehnen als kurzschlüssig und oberflächlich ab Jestaedt, Demokratieprinzip, S. 143; Kamann, Mitwirkung der Parlamente, S. 223 f. 563 Vgl. Kluth, Demokratische Legitimation, S. 37. 564 Jestaedt, Demokratieprinzip, S. 143, spricht von einer okkasionellen Gleichartigkeit bei grundsätzlicher Verschiedenheit. 557 558

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3. Teil: Demokratie- und Rechtsstaatsprinzip als Maßstab

gleich,565 hält aber gleichzeitig Abstriche von dem „vertrauten und bewährten Legitimationskonzept“ nicht für erforderlich.566 (5) Zwischenergebnis Die Voraussetzungen der Volkssouveränität liegen auf Gemeinschaftsebene nicht vor, da ein europäisches Volk als Legitimationssubjekt ausscheidet. Das Prinzip der Volkssouveränität gilt jedoch in dem zwar nicht identischen, aber sachlich ähnlichen Gedanken der Bürgersouveränität fort. Eine demokratische Legitimation auf supranationaler Ebene ist möglich. Legitimationssubjekte sind in diesem Fall die der Gemeinschaftsgewalt unterworfenen Bürger. Es ist damit vorstellbar, daß das Europäische Parlament demokratisch legitimiert ist und demokratische Legitimation erzeugt. dd) Grundformen der Bürgersouveränität Die Grundaussagen der mit der Volkssouveränität inhaltlich übereinstimmenden Bürgersouveränität entscheiden darüber, ob die Verfahrensbeteiligten demokratisch legitimiert sind, und die durch den Sozialen Dialog gesetzten Rechtsakte den Anforderungen der demokratischen Legitimation genügen. Sie bilden den konkreten Beurteilungsmaßstab. Zu diesem Zweck sind sie näher zu bestimmen. Mangels Konkretisierungen im Gemeinschaftsrecht geschieht dies unter Rückgriff auf das deutsche Verfassungsrecht. Vorausgesetzt, seine Aussagen zur Volkssouveränität stimmen im wesentlichen mit denen der anderen mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen überein, sind sie als allgemeine Rechtsgrundsätze auf die Gemeinschaftsebene zu übertragen. Im deutschen Verfassungsrecht unterscheidet man im wesentlichen drei Formen demokratischer Legitimation: die institutionell-funktionelle, organisatorisch-personelle und sachlich-inhaltliche. 567 Für einen hinreichenden Gehalt an demokratischer Legitimation haben die verschiedenen Formen nicht jede für sich, sondern nur in ihrem Zusammenwirken Bedeutung. Es muß ein bestimmtes Legitimationsniveau erreicht werden. Demokratische Legitimation hat zum Ziel, einen effektiven Einfluß des Volkes, d. h. auf die Gemeinschaft übertragen: der Bürger, auf die Ausübung der Staatsgewalt zu gewährleisten.568 565 Kluth, Demokratische Legitimation, S. 34; dieser Meinung ist dezidiert auch Jestaedt, Demokratieprinzip, S. 161 f. 566 Vgl. Kluth, Demokratische Legitimation, S. 38 und 42 f. 567 Böckenförde, Demokratie als Verfassungsprinzip, S. 289 (300 ff.); ders., HStR I, § 22 Rn. 14 ff.; Classen, AöR 1994, S. 238 (243 f.); Denninger, Normsetzung im Umwelt- und Technikrecht, S. 119; Sachs-Sachs, GG, Art. 20 Rn. 35, unterscheidet zwischen personeller und inhaltlicher demokratischer Legitimation; Maunz / Dürig-Herzog, GG, Art. 20 Rn. 48 f., und Emde, Funktionale Selbstverwaltung, S. 327 ff., differenzieren in personelle und materielle demokratische Legitimation. 568 BVerfG v. 31. 10. 1990 – 2 BvF 3 / 98 –, BVerfGE 83, S. 60 (71 f.); Böckenförde, Demokratie als Verfassungsprinzip, S. 289 (300); Sachs-Sachs, GG, Art. 20 Rn. 35.

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Die institutionell-funktionelle demokratische Legitimation bezeichnet neben dem Verhältnis der drei Gewalten zueinander insbesondere die Konstituierung der Staatsorgane durch das Staatsvolk.569 Da es auf europäischer Ebene nach allgemeiner Auffassung kein Staatsvolk gibt,570 müssen die Gemeinschaftsorgane durch die Bürger der Mitgliedstaaten gebildet werden. Dies geschieht durch die Zustimmungsgesetze der Mitgliedstaaten zu den EG-Verträgen und dem EUV.571 Eine für den Sozialen Dialog darüber hinausgehende Bedeutung besitzt die institutionellfunktionelle demokratische Legitimation nicht. Es sollen daher im folgenden primär die Aussagen der organisatorisch-personellen und sachlich-inhaltlichen Legitimation untersucht werden. Dabei wird auch auf ihren Charakter als allgemeine Rechtsgrundsätze einzugehen sein. (1) Organisatorisch-personelle Legitimation Innehabung und Ausübung staatlicher Herrschaft bedürfen nach der verfassungsrechtlichen Rechtsprechung572 und Lehre573 in Deutschland einer ununterbrochenen Legitimationskette, die von den mit staatlichen Befugnissen ausgestatteten Entscheidungsträgern lückenlos auf das Volk zurückführt (sog. organisatorisch-personelle Legitimation).574 Diese organisatorisch-personelle demokratische Legitimation muß nicht unmittelbar auf das Volk zurückgehen. Vielmehr ist auch eine mittelbare Berufung auf das Volk zulässig, jedoch unter demokratischen Gesichtspunkten weniger wertvoll.575 Entscheidend ist, daß die staatlichen Entscheidungsträger oder ihre Entscheidungen der Kontrolle eines demokratisch bestellten Organs unterliegen. Diese Anforderung ist für den Bereich der Rechtsetzung unbestritten.576 Die organisatorisch-personelle demokratische Legitimation ist wie unter § 10 II. 3. a) aa) gesehen auch in den Verfassungen der anderen Mitgliedstaaten verankert. Sie bildet somit einen allgemeinen Rechtsgrundsatz. Auf der Gemeinschaftsebene geht die Legitimationskette allerdings nicht auf ein Volk, sondern auf die Bürger zurück. Classen, AöR 1994, S. 238 (244). s. o. § 10 II. 3. a) cc). 571 Classen, AöR 1994, S. 238 (244); Sachs-Streinz, GG, Art. 23 Rn. 25. 572 BVerfG v. 15. 02. 1978 – 2 BvR 134, 268 / 76 –, BVerGE 47, S. 253 (275). 573 Maunz / Dürig-Herzog, GG, Art. 20 Rn. 53; Jestaedt, Demokratieprinzip, S. 163 ff.; Ress, GS für Geck, S. 625 (641); Böckenförde, Demokratie als Verfassungsprinzip, S. 289 (299). 574 Böckenförde, Demokratie als Verfassungsprinzip, S. 289 (302 ff.); ders., HStR I, § 22 Rn. 16; ders., HStR II, § 30 Rn. 15. 575 Böckenförde, Demokratie als Verfassungsprinzip, S. 289 (302). 576 Zur Kritik an dieser Form demokratischer Legitimation im Bereich der mittelbaren Staatsverwaltung oder der wirtschaftlichen Tätigkeit der öffentlichen Hand vgl. Blanke, KJ 1998, S. 452 ff. 569 570

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3. Teil: Demokratie- und Rechtsstaatsprinzip als Maßstab

(2) Sachlich-inhaltliche Legitimation Die sachlich-inhaltliche demokratische Legitimation tritt ergänzend zur organisatorisch-personellen Legitimation hinzu.577 Sie verlangt auf nationaler Ebene, die Ausübung der Staatsgewalt auch ihrem Inhalt nach vom Volk und seinem Willen herzuleiten. Das heißt: Es muß ein irgendwie vom Volk autorisiertes und legitimiertes Organ handeln, das bei seinem Handeln inhaltlich den Volkswillen aktualisiert.578 Um die Rückbindung der Regierenden an die Regierten579 zu gewährleisten, muß jeder Hoheits- und insbesondere Rechtsetzungsakt der Kontrolle und der Sanktionsmöglichkeit des Volkes bzw. seiner Vertretung, dem Parlament, unterliegen.580 Hergestellt wird die sachlich-inhaltliche Legitimation auf zwei Wegen: Über die durch regelmäßige Wahlen garantierte unmittelbare oder mittelbare Verantwortlichkeit der Entscheidungsträger gegenüber dem Volk oder der Volksvertretung und die Bindung der vollziehenden und rechtsprechenden Gewalt an die vom Parlament beschlossenen Gesetze.581 Fehlt die sachlich-inhaltliche demokratische Legitimation, droht dem demokratischen System der Verlust seiner Legitimationsbasis, und der Sinn der demokratischen Willensbildung wird in Frage gestellt.582 Die Verantwortlichkeit der Entscheidungsträger gegenüber dem Volk oder seiner Vertretung ist nicht nur in der deutschen, sondern auch in den anderen mitgliedstaatlichen Verfassungen niedergeschrieben.583 Auch die sachlich-inhaltliche demokratische Legitimation hat somit den Charakter eines allgemeinen Rechtsgrundsatzes und gilt als solcher für die Gemeinschaft. Entsprechend müssen sich die konkreten Entscheidungen und Rechtsakte der Gemeinschaft am Willen der Bürger orientieren.584 Danach kann nicht nur das Europäische Parlament585 die sachlichinhaltliche demokratische Legitimation der Gemeinschaftsakte bewirken. Wie der weitere Gang der Untersuchung zeigen wird, ist die Beteiligung der Sozialpartner an dem Sozialen Dialog für die sachlich-inhaltliche Legitimation der 577 Böckenförde, Demokratie als Verfassungsprinzip, S. 289 (306 f.); Maunz / Dürig-Herzog, GG, Art. 20 Rn. 48, spricht von materiell-demokratischer Legitimation. 578 Böckenförde, HStR II, § 30 Rn. 18. 579 Böckenförde, HStR II, § 30 Rn. 15; Schmitt, Verfassungslehre, S. 234. 580 Denninger, Normsetzung im Umwelt- und Technikrecht, S. 119; Britz / Schmidt, EuR 1999, S. 467 (492); Böckenförde, Demokratie als Verfassungsprinzip, S. 289 (306); BVerfG v. 09. 05. 1972 – 1 BvR 518 / 62 und 308 / 64 –, BVerfGE 33, S. 125 (158), stellte dies in seinem Facharzt-Beschluß im Zusammenhang mit der Satzungsautonomie der Ärztekammern fest. 581 Böckenförde, Demokratie als Verfassungsprinzip, S. 289 (307); Denninger, Normsetzung im Umwelt- und Technikrecht, S. 120; Kriele, VVDStRL 1971, S. 46 (63 f.); Maunz / Dürig-Herzog, GG, Art. 20 Rn. 48. 582 Böckenförde, HStR II, § 30 Rn. 24. 583 s. o. § 10 II. 3. a) aa). 584 Vgl. Kamann, Mitwirkung der Parlamente, S. 257. 585 A.A. Calliess / Ruffert-Kluth, EUV / EGV, Art. 189 Rn. 7, wonach nur das Europäische Parlament demokratische Legitimation vermitteln kann.

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Rechtsetzungsakte von Belang. Die hoheitlichen Entscheidungsträger können nämlich den Volkswillen besser erkennen, wenn sie Interessenverbände und Sachverständige am Rechtsetzungsverfahren beteiligen. Inhaltliche Repräsentation und Legitimität der staatlichen Handlungen können auf diese Weise erhöht werden.586 Ein Gebot, bestimmte Interessenvertreter in ein Rechtsetzungsverfahren einzubeziehen, läßt sich hieraus nicht entnehmen.587 Ist die Beteiligung europäischer Interessenverbände588 allerdings wie beim Sozialen Dialog vertraglich vorgesehen, müssen an sie m.E. wegen der großen Einflußmöglichkeiten der Verbände präzise Anforderungen gestellt werden.589 (3) Zwischenergebnis Die Bürgersouveränität hat entsprechend der Volkssouveränität drei Grundformen: die institutionell-funktionelle, die organisatorisch-personelle und die sachlich-inhaltliche. Sie sind den Verfassungen der Mitgliedstaaten im Grundsatz gemeinsam.590 Von besonderer Bedeutung für den Sozialen Dialog sind die organisatorisch-personelle und die sachlich-inhaltliche Legitimation, die beide – einmal personell, einmal inhaltlich – die Rückbindung der Entscheidungsträger und Entscheidungen an die Bürger fordern. ee) Zwischenergebnis Der Gedanke der Volkssouveränität bildet als Grundaussage der mitgliedstaatlichen Verfassungen und Minimum dessen, was die Demokratie verlangt, den normativen Kern des gemeinschaftsrechtlichen Demokratieprinzips. Ein europäisches Volk im Sinne einer formalen, an die Staatsbürgerschaft anknüpfenden Bezugsgröße existiert zwar nicht. Es kann deshalb nicht der Anknüpfungspunkt für eine 586 Böckenförde, HStR II, § 30 Rn. 17 ff.; Scheuner, DÖV 1965, S. 577 (579 f.), zu den Voraussetzungen der inhaltlichen Repräsentation, die m.E. nicht denen der sachlich-inhaltlichen Legitimation entsprechen. 587 So zu Recht Britz / Schmidt, EuR 1999, S. 467 (492 f.); Kluth, Demokratische Legitimation, S. 41, nach denen die inhaltliche Repräsentation zwar aufgegeben, jedoch institutionell nicht garantiert und garantierbar ist. Auch der institutionalisierten Einbeziehung von Interessenverbänden im Wirtschafts- und Sozialausschuß (Art. 257 ff. EGV) lassen sich keine diesbezüglichen Anforderungen entnehmen. 588 Angesichts der unendlichen Vielfalt organisierter Interessen steht der Begriff der „Interessenverbände“ in dieser Arbeit für Verbände, die auf Dauer angelegt sind und versuchen, Einfluß auf staatliche Entscheidungen zu nehmen, ohne eine politische Partei zu sein; vgl. Steinberg, Parlament, § 7 Rn. 2. 589 Hierzu s. u. 5. Teil § 18; a.A. Britz / Schmidt, EuR 1999, S. 467 (493 f.), die ihre Auffassung in Fn. 147 abschwächen. 590 v. Mangoldt / Klein / Starck-Classen, GG, Art. 23 Abs. 1 Rn. 26; Kamann, Mitwirkung der Parlamente, S. 195 ff., inbesondere S. 198; Mayer-Tasch, Verfassungen der Staaten Europas, S. 20, 36; speziell zur Geltung der sachlich-inhaltlichen Legitimation Classen, AöR 1994, S. 238 (250).

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3. Teil: Demokratie- und Rechtsstaatsprinzip als Maßstab

demokratische Legitimation sein. Gleichwohl ist eine originäre demokratische Legitimation der Gemeinschaftsgewalt denkbar. An die Stelle eines Volkes tritt die Mehrheit der einzelnen Bürger als Quelle demokratischer Legitimation der gemeinschaftlichen Hoheitsgewalt. Sie stellen ein gegenüber einem Volk weniger verdichtetes Legitimationssubjekt dar. Die Hoheitsgewalt der Gemeinschaft vermögen sie dennoch nicht nur in ihrer Gesamtheit als Unionsbürger auf supranationaler Ebene, sondern vor allem in ihrer Gesamtheit als Mitglieder der Staatsvölker der Mitgliedstaaten zu legitimieren. Dies ist gemeint, wenn von der Doppelstellung der Bürger die Rede ist. Sie ermöglicht einen Zu- bzw. Rückgriff auf die Demokratiepotentiale aus den Mitgliedstaaten. Rechtsakte der Gemeinschaft können so auch durch nationale Quellen legitimiert werden. Die Souveränität der Bürger muß sich jedenfalls sowohl in organisatorisch-personeller als auch in sachlich-inhaltlicher Hinsicht ausdrücken. Dabei handelt es sich um die wesentlichen Formen demokratischer Legitimation, die für die Gemeinschaft gelten.591 Angesichts eines anderen Legitimationssubjekts kann das Prinzip der Volkssouveränität nicht unmodifiziert gelten. Es läßt sich hier von einer Bürgersouveränität sprechen. Sie ist der Volkssouveränität sachlich vergleichbar. Damit ist der Minimalgehalt des gemeinschaftsrechtlichen Demokratieprinzips festgestellt. Er bildet den Beurteilungsmaßstab, an dem die demokratische Legitimation der durch den Sozialen Dialog gesetzten Normen zu messen ist.

b) Parlamentarische Demokratie wie in den mitgliedstaatlichen Verfassungen? Mangels formaler Beteiligung des Europäischen Parlaments an dem Sozialen Dialog besitzt die Frage hohe Brisanz, ob der Grundsatz der parlamentarischen Demokratie Ausdruck des gemeinschaftsrechtlichen Demokratieprinzips ist. Wäre dem so, müßten die Sozialpartner zur Sicherung der demokratischen Legitimation notwendigerweise an die Stelle des Europäischen Parlaments treten. Andernfalls wären nicht nur die durch den Sozialen Dialog gesetzten Sekundärnormen, sondern auch die primärrechtlichen Vorschriften der Art. 138 f. EGV unwirksam, die eine Beteiligung des Parlaments gerade nicht vorsehen.592 Es ist daher zu analysieren, ob der auf die Repräsentationsfunktion des Parlaments aufbauende Grundsatz der parlamentarischen Demokratie einen allgemeinen Rechtsgrundsatz bildet (aa) und auf die Gemeinschaft übertragbar (bb) ist. Im Anschluß an die vorherigen Ausführungen fragt sich also, welche Schlüsse sich aus dem Rückgriff auf die mitgliedstaatlichen Legitimationspotentiale für die Beteiligung des Europäischen Parla591 So im Ergebnis auch Kamann, Mitwirkung der Parlamente, S. 256, der allerdings keine Herleitung der Formen demokratischer Legitimation vornimmt. 592 Um diese Konsequenz zu vermeiden, schlägt Arnold, NZA 2002, S. 1261 (1268), entgegen dem klaren Wortlaut des Art. 139 EGV, eine Beteiligung des Europäischen Parlaments vor.

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ments ziehen lassen. Diese Frage ist wegen der doppelten Legitimationsfunktion der Unions- bzw. Staatsbürger schwierig zu beantworten.

aa) Repräsentationsfunktion des Parlaments in den Mitgliedstaaten Ein Volk kann seine Staatsgewalt grundsätzlich unmittelbar oder mittelbar durch repräsentative Institutionen ausüben.593 In der mittelbaren Demokratie ist das Parlament wichtigster Mittler und wichtigstes Repräsentationsorgan des Volkes.594 Die Staatsform wird deswegen auch parlamentarische Demokratie genannt. Nicht zuletzt die Erkenntnis, daß eine herrschaftslose Organisation der Gesellschaft nicht praktikabel ist,595 hat die Idee der repräsentativen Demokratie gestärkt. Obwohl die Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaft gemäß der westeuropäischen Verfassungstradition einzelne Elemente der direkten Demokratie kennen,596 stellen sie repräsentative Demokratien dar.597 Nach ganz allgemeiner Ansicht ist die Ausprägung der parlamentarischen Demokratie allen Mitgliedstaaten im Kern gemeinsam.598 Die parlamentarische Demokratie zeichnet sich dadurch aus, daß das Parlament zentrale Entscheidungs- und vor allem Gesetzgebungsbefugnisse besitzt.599 Das gilt wie bereits erwähnt600 auch für die konstitutionellen Monarchien. Die Monarchen verfügen rechtlich und / oder faktisch über keine entscheidende Macht mehr. In der Konsequenz bedeutet das: Der Grundsatz der parlamentarischen Demokratie bildet einen allgemeinen Rechtsgrundsatz. Als solcher ist er grundsätzlich auf die Gemeinschaft übertragbar und kann als eigenes Prinzip der Gemeinschaft angesehen werden. Es existiert auch ein Parlament, das die Repräsentationsaufgabe theoretisch wahrnehmen könnte.

Böckenförde, HStR I, § 22 Rn. 5. Vgl. Badura, HStR I, § 23 Rn. 27, 34 f. 595 Badura, HStR I, § 23 Rn. 35. 596 Vgl. Luthardt, Direkte Demokratie, S. 41 ff. 597 U. a. Ress, GS für Geck, S. 625 (641). 598 Vgl. Bieber, Struktur und Befugnisse, S. 148 (149); neulich Bleckmann, JZ 2001, S. 53 ff.; Doehring, DVBl. 1997, S. 1133 ff.; Ress, GS für Geck, S. 625 (629, 641 f.); Zuleeg, JZ 1993, S. 1069 (1071 ff.); ders., Der Staat 1978, S. 27 (44). Zu den Urteilen des EuGH und des EuG vgl. § 10 II. 2. b). 599 In Deutschland ist das Demokratieverständnis von der Wesentlichkeitstheorie geprägt, die zentrale Rechtsetzungsbefugnisse für das Parlament einfordert; vgl. u. a. BVerfG v. 29. 10. 1987 – 2 BvR 624, 1080, 2029 / 83 –, BVerfGE 77, S. 170 (230 f.); v. 08. 04. 1997 – 1 BvR 48 / 94 –, BVerfGE 95, S. 267 (307 f.). Weitergehend leitet BVerfG v. 12. 05. 1992 – 2 BvR 470, 650, 707 / 90 –, BVerfGE 86, S. 90 (106), aus dem Demokratieprinzip einen Parlamentsvorbehalt ab. 600 s. o. § 10 II. 3. a) aa). 593 594

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3. Teil: Demokratie- und Rechtsstaatsprinzip als Maßstab

bb) Spezifische Stellung in der Gemeinschaftsrechtsordnung Nach dieser Rechtslage wären alle Rechtsetzungsakte wegen Verstoßes gegen das gemeinschaftsrechtliche Demokratieprinzip unwirksam, die ohne Beteiligung des Europäischen Parlaments oder eines gleichwertigen Legitimationssubjekts zustande kämen.601 Entgegen dieser ersten Annahme ist das Erfordernis der Parlamentsbeteiligung aber nicht so eindeutig.602 Ihm steht kritisch gegenüber, wer glaubt, daß die Übertragbarkeit des parlamentarischen Demokratieprinzips an ihre Grenzen stößt, wo es mit Inhalt, Aufbau und Struktur der Gemeinschaft nicht kompatibel ist.603 Im folgenden ist dem Bestehen dieser Grenzen der Übertragbarkeit nachzugehen (2). Die Untersuchung ist für die Entscheidung wichtig, ob die Sozialpartner das Europäische Parlament ersetzen, d. h. eine ihm gleichwertige Legitimation herstellen müssen. Bevor dies geschieht, ist indes die Vorfrage zu klären, ob das Europäische Parlament überhaupt eine demokratische Legitimation vermitteln und das Prinzip der parlamentarischen Demokratie damit Rechtswirksamkeit entfalten kann (1). Nur unter dieser Voraussetzung stellt sich das Problem, ob das Europäische Parlament an allen Rechtsetzungsakten der Gemeinschaft zwingend teilhaben muß. (1) Eignung des Europäischen Parlaments zur Vermittlung der Legitimation Über die Beteiligung des Europäischen Parlaments läßt sich nur ernsthaft streiten, wenn es überhaupt eine demokratische Legitimation vermitteln kann. Seine Eignung hierzu kann wegen der fehlenden Erfüllung der formalen Wahlrechtsgleichheit und der vorrechtlichen Voraussetzungen wie einer gemeinsamen Sprache, gemeinsamer Parteien und eines gemeinsamen Raumes politischer Kommunikation bezweifelt werden. (a) Grundsatz der Wahlrechtsgleichheit Den Grundsatz der formalen Wahlrechtsgleichheit verwirklicht das Europäische Parlament aufgrund seiner zur Bevölkerungsgröße der Mitgliedstaaten disproportionalen Sitzverteilung und der national uneinheitlichen Wahlverfahren (Verhältniswahlrecht in 14 Mitgliedstaaten versus relatives Mehrheitswahlrecht in Großbritannien)604 nicht. Man müßte im Grunde deshalb seine demokratische Legiti601 Zu dieser mutigen Schlußfolgerung ringt sich Arnold, NZA 2002, S. 1261 (1268), nicht durch und gelangt so zu nicht überzeugenden Lösungen. 602 s. u. § 10 II. 3. b) bb) (2). 603 Bernhardt, Verfassungsprinzipien, S. 66; Bleckmann, JZ 2001, S. 53; Daig, FS für Zweigert, S. 395 (408); Kaufmann, Demokratieprinzip, S. 90; Ress, GS für Geck, S. 625 (643 ff.). 604 Lenz, Einheitliches Verfahren, S. 29 ff.

§ 10 Demokratieprinzip

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mation verneinen.605 Der auch für die Gemeinschaft geltende Grundsatz der Wahlrechtsgleichheit 606 ist jedoch Einschränkungen zugänglich. Wie weit die Einschränkungen gerechtfertigterweise gehen können, hängt von der Kompetenzfülle des Europäischen Parlaments ab. Mit zunehmenden Kompetenzen sinkt die Einschränkbarkeit und steigen die Anforderungen an die Rechtfertigung.607 Letztere sind wegen der gestärkten608 Kompetenzen des Europäischen Parlaments als nicht gering einzustufen. Die anfänglichen Kontroll- und Mitwirkungsrechte des Europäischen Parlaments am gemeinschaftlichen Rechtsetzungsverfahren, die sich im wesentlichen auf Anhörungsrechte, das Zusammenarbeits- und das Zustimmungsverfahren beschränkten, sind mit dem Maastrichter Vertrag um das Verfahren der Mitentscheidung ergänzt worden.609 Der Amsterdamer Vertrag hat das Mitentscheidungsverfahren von 15 auf 38 Fälle und damit auf ungefähr zwei Drittel der Gemeinschaftskompetenzen ausgedehnt.610 Der Nizzaer Vertrag setzt diesen Trend allerdings nicht weiter fort.611 Von einer Gleichberechtigung mit dem Rat kann nicht die Rede sein; das entscheidende Rechtsetzungsorgan bleibt er.612 Die Rechtfertigung der disproportionalen Sitzverteilung und der ungleichen Wahlverfahren gestaltet sich angesichts der tendenziell steigenden Kompetenzen des Europäischen Parlaments zunehmend schwierig,613 ist aber im Ergebnis noch 605 Vgl. Kirchhof, JZ 1998, S. 965 (972); Lenz, Einheitliches Verfahren, S. 33 ff.; Pechstein / Koenig, Europäische Union, Rn. 437, 569, 571; Schwarze, RdA 2001, S. 208 (217); Seidel, EuR 1992, S. 125 (127 f.); in diese Richtung auch BVerfG v. 12. 10. 1993 – 2 BvR 2134, 2159 / 92 –, BVerfGE 89, S. 155 (185 f.). 606 Der Grundsatz der Wahlrechtsgleichheit läßt sich aus dem Demokratieprinzip und dem allgemeinen Gleichheitssatz ableiten; vgl. Huber, Staatswissenschaften und Staatspraxis 1992, S. 349 (367 ff.). 607 Huber, Staatswissenschaften und Staatspraxis 1992, S. 349 (370 ff.); Pechstein / Koenig, Europäische Union, Rn. 437. 608 U.a. Magiera, FS für Everling, S. 789 (800); Weidenfeld / Giering, Europäische Union nach Amsterdam, S. 19 (70 f.); a.A. Kirchner / Haas, JZ 1993, S. 760 (764 f.); Rupp, ZRP 1993, S. 211 (212); a.A. Huber, Staatwissenschaften und Staatspraxis 1992, S. 349 (356), der die Parlamentskompetenzen als „en quelque façon nulle“ bezeichnet. 609 Zu der Kompetenzverteilung zwischen Rat, Kommission und Europäischem Parlament vgl. Boest, EuR 1992, S. 182 ff.; Frowein, EuR 1983, S. 301 (305 f.); Zuleeg, Der Staat 1978, S. 27 (36 ff.). 610 Weidenfeld / Giering, Europäische Union nach Amsterdam, S. 19 (67, 70 ff.); Oppermann, Europarecht, Rn. 269; Seeler, EuR 1998, S. 721 (730); aus der gleichberechtigten Stellung des Europäischen Parlaments im Mitentscheidungsverfahren leitet v. Mangoldt / Klein / Starck-Classen, GG, Art. 23 Abs. 1 Rn. 32, eine Parlamentsbeteiligung ab. Eine Auflistung der Beteiligungsrechte des Europäischen Parlaments in den verschiedenen Vorschriften des EGV nimmt Bleckmann, JZ 2001, S. 53 (55), vor. 611 Vgl. Neisser / Verschraegen, Europäische Union, Rn. 11.106 ff. 612 U.a. Weidenfeld / Giering, Europäische Union nach Amsterdam, S. 19 (67, 90); Seeler, EuR 1998, S. 721 (730). Zu der Situation unter dem Nizzaer Vertrag s. Neisser / Verschraegen, Europäische Union, Rn. 11.102. 613 Kritisch auch Pechstein / Koenig, Europäische Union, Rn. 437.

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3. Teil: Demokratie- und Rechtsstaatsprinzip als Maßstab

gegeben. Sie liegt in dem Umstand, daß das Europäische Parlament im Unterschied zu einem nationalen Parlament die Bürger mehrerer Staaten repräsentieren muß.614 Die formale Gleichheit der Staatsbürger wird durch das Prinzip der Staatengleichheit zulässig beschränkt.615 Damit sich die kleinen Staaten nicht völlig unterrepräsentiert fühlen, muß ihnen gemessen an ihrer Bevölkerungszahl ein überproportionaler Einfluß gesichert werden.616 Daneben tragen die unterschiedlichen Wahlverfahren den nationalen Wahltraditionen Rechnung.617 Eine Vereinheitlichung darf mit diesen Traditionen nicht abrupt brechen, vorausgesetzt, das Parlament ist uneingeschränkt funktionsfähig. (b) Vorrechtliche Voraussetzungen Gegen die Eignung des Europäischen Parlaments zur Vermittlung demokratischer Legitimation ließe sich weiterhin einwenden, es fehlten auf europäischer Ebene wesentliche vorrechtliche Voraussetzungen wie z. B. ein Volk618, eine gemeinsame Sprache, gemeinsame Parteien und ein gemeinsamer Raum politischer Kommunikation.619 Auf ihr Vorliegen kommt es nur an, wenn man sie nicht nur wie das BVerfG in seinem Maastricht-Urteil620 und die große Mehrheit der Literatur621 als rechtspolitische Bedingungen einer lebendigen Demokratie, sondern als rechtsdogmatische Bedingungen der demokratischen Legitimation622 begreift. Ob die Rahmenbedingungen gegeben sind und damit eine demokratische Legiti614 Classen, AöR 1994, S. 238 (248 f.); v. Mangoldt / Klein / Starck-ders., GG, Art. 23 Abs. 1 Rn. 32. 615 BVerfG v. 31. 05. 1995 – 2 BvR 635 / 95 –, NJW 1995, S. 2216; Huber, Staatswissenschaften und Staatspraxis 1992, S. 349 (372). 616 Klein, FS für Remmers, S. 195 (205); Magiera, FS für Everling, S. 789 (797); Pechstein / Koenig, Europäische Union, Rn. 436; Pernice, Die Verwaltung 1993, S. 449 (482). 617 Classen, AöR 1994, S. 238 (249); Pernice, Die Verwaltung 1993, S. 449 (482); a.A. Huber, Staatswissenschaften und Staatspraxis 1992, S. 349 (372), dem zufolge die Vereinheitlichung schon lange geschehen sein müßte. 618 Die unumstrittene Aussage, daß es auf Gemeinschaftsebene kein kulturell und politisch einheitliches Volk gibt, wurde unter § 10 II. 3. a) cc) behandelt. 619 Siehe zu der Vielzahl der angeblich fehlenden vorrechtlichen Voraussetzungen Bleckmann, ZRP 1990, S. 265 (267); Breuer, NVwZ 1994, S. 417 (424); Di Fabio, Der Staat 1993, S. 191 (202 ff.); Grimm, JZ 1995, S. 581 (588 ff.); Kirchner / Haas, JZ 1993, S. 760 (766 f.); Ossenbühl, DVBl. 1993, S. 629 (633 f.); Scharpf, Staatswissenschaften und Staatspraxis 1992, S. 293 (296 f.); ders., Staatswissenschaften und Staatspraxis 1995, S. 565 (566); ansatzweise Streinz, DVBl. 1990, S. 949 (958); a.A. Bieber, ZEuS 1999, S. 141 (142), der nicht alle Aspekte der demokratischen Willensbildung zur Bedingung der demokratischen Legitimation erheben will. 620 BVerfG v. 12. 10. 1993 – 2 BvR 2134, 2159 / 92 –, BVerfGE 89, S. 155 (185). 621 Vgl. Bleckmann, ZRP 1990, S. 265 (267); Breuer, NVwZ 1994, S. 417 (424); Di Fabio, Der Staat 1993, S. 191 (202 ff.); Grimm, Der Spiegel Nr. 43 / 1992, S. 57 ff.; ders., JZ 1995, S. 581 (588 f.); Ossenbühl, DVBl. 1993, S. 629 (634); Scharpf, Staatswissenschaften und Staatspraxis 1992, S. 293 (296 f.); Tomuschat, EuGRZ 1993, S. 489 (491). 622 Vgl. Kluth, Demokratische Legitimation, S. 44 ff.

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mation durch das Europäische Parlament möglich ist, soll anhand einer Systematisierung in sozio-kulturelle und politisch-strukturelle Voraussetzungen623 untersucht werden. (aa) Sozio-kulturelle Voraussetzungen Zu den sozio-kulturellen Voraussetzungen zählt vor allem eine relative624 wirtschaftlich-soziale Homogenität, die die Ausbildung und Fortdauer eines WirGefühls fördert.625 Fraglos stellt die Gemeinschaft trotz der zunehmenden Harmonisierungen noch keine den Nationalstaaten vergleichbare kulturelle, soziale und politische Einheit dar. Zwischen den Mitgliedstaaten bestehen ökonomische, sprachliche und kulturelle Barrieren,626 die die Ausbildung einer kollektiven Identität und sozialen Homogenität erschweren. Allerdings wäre es ein Fehler, die für Staaten geltenden Maßstäbe zur Beurteilung der sozialen Homogenität ohne weiteres auf die Gemeinschaft zu übertragen.627 Vielmehr sind an die wirtschaftlich-soziale Homogenität der Gemeinschaft geringere Anforderungen zu stellen,628 weil die Bürger in die nationale Rechtssphäre sehr viel stärker als in die gemeinschaftliche eingebunden sind. Der Grund hierfür liegt in der umfassenden Souveränität und Kompetenz-Kompetenz der Nationalstaaten 629 und der nach dem Prinzip der begrenzten Einzelermächtigung beschränkten Hoheitsgewalt der Gemeinschaft630. Die nicht abzustreitende Ausweitung und teilweise exzessive631 und extensive632 InanspruchDie Systematisierung erfolgt in Anlehnung an Böckenförde, HStR I, § 22 Rn. 58 ff. Eine relative Homogenität liegt nach Böckenförde, HStR I, § 22 Rn. 63, vor, wenn Integration und Frieden trotz gewisser politischer, ökonomischer, sozialer und kultureller Interessengegensätze und Konflikte bewirkt und erhalten werden können. 625 Böckenförde, HStR I, § 22 Rn. 63 ff. 626 Vgl. Grimm, Der Spiegel Nr. 43 / 1992, S. 57 (59); Kirchner / Haas, JZ 1993, S. 760 (767); Ossenbühl, DVBl. 1993, S. 629 (634); Scharpf, Staatswissenschaften und Staatspraxis 1992, S. 293 (296). 627 So zutreffend Classen, AöR 1994, S. 238 (256); v. Mangoldt / Klein / Starck-ders., GG, Art. 23 Abs. 1 Rn. 35; Kamann, Mitwirkung der Parlamente, S. 226 f.; Kluth, Demokratische Legitimation, S. 50 ff. 628 Der Einwand von Ossenbühl, DVBl. 1993, S. 629 (634 f.), der Gedanke der Demokratie sei auf diese Weise in Europa nicht zu verwirklichen, überzeugt nicht, da Anforderungen nicht vollends fehlen, sondern in einer den sozialen und politischen Bedingungen angepaßten Form gestellt werden. 629 Kluth, Demokratische Legitimation, S. 50 f. 630 Ausführlich hierzu Kraußer, Prinzip begrenzter Ermächtigung, S. 21 ff. Zu dem Streit, ob das Prinzip der begrenzten Einzelermächtigung i. S. d. Art. 5 Abs. 1 EGV angesichts der tatsächlichen Entwicklungen noch immer Rechtswirksamkeit entfaltet; vgl. Kamann, Mitwirkung der Parlamente, S. 212; Kluth, Demokratische Legitimation, S. 51 ff. 631 Daraus folgt nach Delors, Bull. EG 7 / 8 – 1988, S. 124, daß fast über die Hälfte der deutschen Gesetze auf einem gemeinschaftlichen Rechtsetzungsakt beruht; vgl. auch Rabe, NJW 1993, S. 1 ff. 623 624

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3. Teil: Demokratie- und Rechtsstaatsprinzip als Maßstab

nahme von Kompetenzen durch die Gemeinschaft haben diese Konstellation nicht verändert.633 Die wirtschaftlich-soziale Homogenität besteht am ehesten im Haupttätigkeitsfeld der Gemeinschaft, d. h. im wirtschaftlichen Bereich.634 Indem die Gemeinschaft die für die wirtschaftliche Betätigung wichtigen fünf Grundfreiheiten des freien Waren-, Personen-, Dienstleistungs-, Kapital- und Zahlungsverkehrs635 gewährleistet, stärkt sie das Bewußtsein der Zusammengehörigkeit.636 Auch die bestehenden kulturellen und sprachlichen Unterschiede innerhalb der Gemeinschaft und die Betonung der nationalen Identität der Mitgliedstaaten in Art. 6 Abs. 3 EUV stehen einem Wir-Gefühl nicht entgegen.637 Der Zusammenschluß zu größeren politischen und geographischen Einheiten bewirkt oft eine Besinnung auf die eigenen Wurzeln.638 (bb) Politisch-strukturelle Voraussetzungen Unter die politisch-strukturellen Voraussetzungen fallen sowohl die Möglichkeit für den einzelnen, politische Sachfragen zu beurteilen, als auch die Vermittlung von Entscheidungsinhalten durch Parteien und andere politische Instanzen.639 Gegen ihr Vorliegen wird das Fehlen integrativer Institutionen wie europäischer Bürgerinitiativen, Verbände und insbesondere Parteien sowie die Nichtexistenz europäischer Funk- und Printmedien angeführt.640 Diese Einschätzung trifft jedoch nicht zu. Ein europäisches Kommunikationssystem und eine demokratische Infrastruktur liegen bereits in ihren Anfängen vor. 632 Hierzu Kraußer, Prinzip begrenzter Ermächtigung, S. 64 ff. Viele Politikbereiche werden außerdem aufgrund ihres inneren Zusammenhangs mit der Wirtschaft von gemeinschaftlichen Regelungskompetenzen erfaßt; vgl. Kluth, Demokratische Legitimation, S. 52. 633 Insbesondere haben der Maastrichter und Amsterdamer Vertrag weniger neue Kompetenzen geschaffen, als bereits bestehende Kompetenzen präzisiert und weiterentwickelt. Zu dem Maastrichter Vertrag vgl. Everling, DVBl. 1993, S. 936 (938 ff.); Kamann, Mitwirkung der Parlamente, S. 211 f.; Oppermann / Classen, NJW 1993, S. 5 (9). Nach Pernice, Die Verwaltung 1993, S. 449 (459 f.), bedeuten die Maastrichter Vorschriften in ihrer Präzisierung vielmehr eine Einschränkung als eine Ausweitung der Kompetenzen. Zu dem Amsterdamer Vertrag vgl. Oppermann, Europarecht, Rn. 1567 ff. 634 Bleckmann-Bleckmann, Europarecht, Rn. 5; BVerfG v. 12. 10. 1993 – 2 BvR 2134, 2159 / 92 –, BVerfGE 89, S. 155 (190). 635 Dazu Bleckmann-Bleckmann, Europarecht, Rn. 184. 636 Ausführlich hierzu Kluth, Demokratische Legitimation, S. 56 ff. 637 Vgl. die Staaten mit mehreren Sprachen wie die USA, Belgien, Finnland und die Schweiz, die schließlich auch funktionierende Demokratien sind. Auf diesen Vergleich verweisen auch Classen, AöR 1994, S. 238 (256); Kamann, Mitwirkung der Parlamente, S. 226 f.; Kluth, Demokratische Legitimation, S. 50 ff. 638 Kluth, Demokratische Legitimation, S. 59. 639 Böckenförde, HStR I, § 22 Rn. 70 ff.; Kluth, Demokratische Legitimation, S. 41. 640 Bleckmann, JZ 1990, S. 301 (303); Grimm, Der Spiegel Nr. 43 / 1992, S. 57; ders., JZ 1995, S. 581 (588 f.); Kirchner / Haas, JZ 1993, S. 760 (767); Lepsius, Nationalstaat, S. 19 (29); Scharpf, Staatswissenschaften und Staatspraxis 1992, S. 293 (296 f.).

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Die Unionsbürger können sich trotz mangelnder europäischer, in allen Sprachen erscheinender Medien641 auch in ihrer eigenen Sprache über europäische Themen sachlich informieren.642 Im Falle von Meinungsdifferenzen zwischen den Mitgliedstaaten werden die nationalen Standpunkte häufig herausgestellt und erläutert. Eine nationale Färbung der Informationsaufbereitung ist zwar nicht auszuschließen,643 insofern aber nachrangig. Darüber hinaus schreitet im Sinne eines europäischen öffentlichen Diskurses die Europäisierung der Medien voran.644 Was die Verbände und Parteien angeht, lassen sich Ansätze einer europäischen Kooperation erkennen, durch die ein stetiger politischer Gedankenaustausch ermöglicht wird.645 Positiv anzumerken ist, daß sich die Abgeordneten im Europäischen Parlament nicht in nationalen Delegationen, sondern in multinationalen Fraktionen nach politischer Richtung organisieren.646 Eine demokratische Infrastruktur entwickelt sich zudem nur dort, wo gewisse institutionelle Strukturen vorhanden sind.647 Die zunehmende Erweiterung der Kompetenzen des Europäischen Parlaments wird den Ausbau der für den Prozeß demokratischer Legitimation schlechthin konstituierenden gesellschaftlichen Institutionen648 also weiter befördern. (c) Zwischenergebnis Das Europäische Parlament ist zur Vermittlung einer demokratischen Legitimation geeignet. Das erklärt sich dadurch, daß die Eingriffe in den Grundsatz der formalen Wahlrechtsgleichheit gerechtfertigt sind und die vorrechtlichen Voraussetzungen bereits ansatzweise vorliegen. Es läßt sich allerdings nicht leugnen, daß die Qualität der Legitimation unter dem ungleichen Wahlrecht leidet.649 Ob das EuroHierzu Bleckmann, JZ 1990, S. 301 (303); Grimm, JZ 1995, S. 581 (588 f.). Eine zutreffende Analyse nimmt Kluth, Demokratische Legitimation, S. 62, vor. 643 Die nationalen Sichtweisen und Gewohnheiten konterkarieren nach Grimm, JZ 1995, S. 581 (588 f.), einen europäischen Diskurs. 644 Classen, AöR 1994, S. 238 (257). Eine positive Einschätzung des europäischen Integrationsprozesses insgesamt trifft Schwarze, JZ 1993, S. 585 (589). 645 Lenz, NJW 1993, S. 1962 (1963); Oppermann, FS für v. der Heydte I, S. 449 (460); a.A. Kirchner / Haas, JZ 1993, S. 760 (767), nach denen eine Europäisierung nur auf der höheren Leitungsebene stattfindet und der Abstand zur Basis noch zunimmt. 646 v. Mangoldt / Klein / Starck-Classen, GG, Art. 23 Abs. 1 Rn. 34; Lange / Schütz, EuGRZ 1996, S. 299 (300 ff.). 647 Classen, AöR 1994, S. 238 (257); Klein, FS für Remmers, S. 195 (205); Kluth, Demokratische Legitimation, S. 61 f.; Pernice, Die Verwaltung 1993, S. 440 (480 f.); v. Brünneck, EuR 1989, S. 249 (259); Ress, GS für Geck, S. 625 (647). 648 BVerfG v. 02. 03. 1977 – 2 BvE 1 / 76 –, BVerfGE 44, S. 125 (139 f.); Kirchhof, HStRVII, § 183 Rn. 39 ff.; Kirchner / Haas, JZ 1993, S. 760 (764). 649 BVerfG v. 12. 10. 1993 – 2 BvR 2134, 2159 / 92 –, BVerfGE 89, S. 155 (185 f.); anders v. Mangoldt / Klein / Starck-Classen, GG, Art. 23 Abs. 1 Rn. 29, der die Äußerungen des BVerfG als grundsätzliche Ablehnung der demokratischen Legitimation interpretiert. 641 642

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3. Teil: Demokratie- und Rechtsstaatsprinzip als Maßstab

päische Parlament einem Gemeinschaftsakt eine hinreichende demokratische Legitimation vermitteln und ihn somit alleine erlassen könnte, ist daher zweifelhaft.650 Auch läßt sich nicht abstreiten, daß der noch in der Entwicklung befindliche Ausbau der demokratischen Infrastruktur die Legitimationskraft des Europäischen Parlaments zusätzlich negativ beeinträchtigt. Von einem den nationalen Parlamenten vergleichbaren Vollparlament kann wohl nicht die Rede sein. (2) Grenzen der Übertragbarkeit Darzulegen bleibt, ob Inhalt, Aufbau und Struktur der Gemeinschaft der Übertragung des aus den nationalen Verfassungen abgeleiteten651 allgemeinen Rechtsgrundsatzes der parlamentarischen Demokratie auf sie Grenzen setzen. Die Diskussion über den Inhalt des Demokratieprinzips wird vorwiegend, wenn auch nicht ausschließlich,652 unter dem rechtspolitischen Stichwort des Demokratiedefizits653 geführt. Rechtspolitik (was soll gelten?) und Rechtsdogmatik (was gilt?) lassen sich allerdings nicht immer scharf voneinander trennen. An dieser Stelle soll die Diskussion rein rechtsdogmatisch reflektiert werden. Nur so stellen sich die für den Sozialen Dialog bedeutsamen Fragen, ob die Sozialpartner das Europäische Parlament ersetzen müssen und die primärrechtlichen Vorschriften wirksam sind. Der Kern der Auseinandersetzung kreist um das Problem, ob ein von den Vertragsvorschriften der Gemeinschaft abstrahiertes oder vielmehr ein an ihnen orientiertes konkretes Demokratieprinzip gilt.654 (a) Abstraktes Verständnis des gemeinschaftsrechtlichen Prinzips Grenzen des allgemeinen Rechtsgrundsatzes steht ablehnend gegenüber, wer dem Demokratieprinzip durch die uneingeschränkte Übertragung des allgemeinen Rechtsgrundsatzes einen allgemeingültigen und von der konkreten Gemeinschaftsordnung losgelösten Inhalt beimißt.655 Zu Recht läßt sich aus einer abstrakten 650 Vgl. Kluth, Demokratische Legitimation, S. 95 f.; im Ergebnis auch Magiera, FS für Everling, S. 789 (798). 651 Bieber, Struktur und Befugnisse, S. 148 (149); Ress, GS für Geck, S. 625 (629, 641 f.); Zuleeg, Der Staat 1978, S. 27 (44). 652 Vgl. z. B. Dederer, RdA 2000, S. 216 (222). 653 Statt vieler Commichau, Nationales Verfassungsrecht, S. 103 ff.; Kluth, Demokratische Legitimation, S. 11 ff. m. w. N.; Oeter, ZaöRV 1995, S. 659 (661) m. w. N.; Randelzhofer, Demokratiedefizit, S. 39 ff. Das Demokratiedefizit bejahen mit unterschiedlichen Begründungen Bleckmann-Bleckmann, Europarecht, Rn. 325 ff.; ders., Demokratieprinzip, S. 159 ff.; ders., JZ 2001, S. 53 ff. m. w. N.; Doehring, DVBl. 1997, S. 1133 (1133 ff.); Frowein, EuR 1983, S. 301 ff.; Hilf, EuR 1984, S. 9 (13 ff.); Huber, Staatswissenschaften und Staatspraxis 1992, S. 349 (350 ff.), Klein, EuR 1987, S. 97 ff.; Ress, GS für Geck, S. 625 (641 ff.); Zuleeg, Der Staat 1978, S. 27 (32 ff.); ders., EuR 1982, S. 21 (22 ff.); ders., JZ 1993, S. 1069 ff. 654 Siehe zu diesem Problem schon oben § 10 II. 2. c). 655 In diese Richtung gehen Doehring, DVBl. 1997, S. 1133 ff.; Zuleeg, JZ 1993, S. 1069 (1071 ff.). Auch die Kommission führt in ihrem Bericht über den Anwendungsbereich der

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Sicht des Demokratiegrundsatzes heraus kritisieren, daß bei einer Ableitung des Demokratiegrundsatzes aus den konkreten Vertragsvorschriften immer das Demokratie ist, was gerade gilt.656 Es erscheint zumindest problematisch, daß die demokratisch legitimierten Mitgliedstaaten jeglichen Inhalt der von ihnen erlassenen Verfassungsvorschriften rechtfertigen können.657 Das Ergebnis dieser abstrakten Sicht wäre nicht nur ein rechtspolitisches Demokratiedefizit der Europäischen Gemeinschaft.658 Darüber hinaus wären die Rechtsetzungsakte des Rates, an denen das Europäische Parlament nicht beteiligt ist, und die primärrechtlichen Vorschriften659 nichtig, die wie die Art. 138 f. EGV keine Parlamentsbeteiligung festlegen.660 Noch einen Schritt weitergedacht würde damit der gesamte europäische Integrationsprozeß in Frage gestellt.661 Der Hinweis, daß diese Konsequenz „zu hart“ ist und deswegen nicht richtig sein kann, mag im Ergebnis zutreffen. Eine fundierte Auseinandersetzung mit der genannten Sichtweise vermag er aber nicht zu erübrigen. Immerhin legt sie vor dem Verweis auf einen Demokratieverstoß einen genauen Beurteilungsmaßstab fest. Dieser wird unter Rückgriff auf die gemeinsamen Verfassungsüberlieferungen der Mitgliedstaaten gewonnen. Die Vorstellung von einem abstrakten Inhalt des Demokratieprinzips löst sich dabei offensichtlich von den konkreten Verbürgungen der nationalen Verfassungen.662 Bevor auf sie näher eingegangen wird, stellt sich aus Gründen der Vollständigkeit die Frage, zu welchem Ergebnis der Rückgriff auf die nationalen Verfassungen in ihrer konkreten Gestalt führt und ob er auch als Grundlage für eine abstrakte Sicht dienen könnte.

Mitentscheidung von 1996 aus, daß das Reifestadium der Gemeinschaft eine umfassende parlamentarische Kontrolle verlange. Eine nur geschmälerte Rolle des Europäischen Parlaments würde gegen das Demokratieprinzip verstoßen; vgl. Bull. EU 7 / 8 – 1996, Ziff. 2.3.1 (S. 216 ff.). Dem schließt sich selbstverständlich das Europäische Parlament an; vgl. Entschließung des Europäisches Parlaments zum demokratischen Defizit der Europäischen Gemeinschaft; ABl. C 187 v. 17. 06. 1988, S. 229 ff., und Europäisches Parlament, Dok. A3 – 0269 / 94 v. 20. 04. 1994, S. 9. 656 Doehring, DVBl. 1997, S. 1133 (1133, 1136). 657 In diesem Sinne versteht aber Bleckmann, JZ 2001, S. 53, das Maastricht-Urteil des BVerfG. 658 s. o. Fn. 655. 659 Vgl. Art. 96 Abs. 2, 119 Abs. 2, 132 Abs. 1 EGV. 660 So konsequent stellt dies Dederer, RdA 2000, S. 216 (222), unter Verweis auf Randelzhofer, Demokratiedefizit, S. 39 (53 f.), fest. Zutreffend zwischen rechtspolitischer und rechtsdogmatischer Argumentation differenziert Magiera, FS für Everling, S. 789 (794 f.). 661 Ähnlich Dederer, RdA 2000, S. 216 (222); kritisch Cremer, EuR 1995, S. 21 (31); Magiera, FS für Everling, S. 789 (795) m. w. N. 662 Statt vieler Doehring, DVBl. 1997; S. 1133; Zuleeg, Der Staat 1978, S. 27 (44); grundlegend zur Gewinnung allgemeiner Rechtsgrundsätze Daig, FS für Zweigert, S. 395 (407); nicht explizit Kluth, Demokratische Legitimation, S. 67 ff.

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3. Teil: Demokratie- und Rechtsstaatsprinzip als Maßstab

(aa) Rückgriff auf die konkrete Gestalt der nationalen Verfassungen Betrachtet man die Verfassungsordnungen der Mitgliedstaaten anders als die genannte Ansicht in ihrer konkreten Gestalt, kommt man zu folgendem Ergebnis: Die Ausprägungen der Demokratie unterscheiden sich in den Mitgliedstaaten so sehr, daß sich ein fester Satz an parlamentarischen Rechten schwer bestimmen läßt.663 Die parlamentarische Demokratie läßt sich also nicht auf eine feste Form der Parlamentsbeteiligung festschreiben. Insbesondere verlangt sie keine vorherrschende Rolle des Parlaments bei allen Rechtsetzungsakten. Vielmehr ist auch eine dominante Stellung der Regierung denkbar.664 So bezweifelt z. B. niemand die demokratische Legitimation des französischen Präsidialsystems. Auch die mitgliedstaatlichen Ordnungen weichen von der an einem abstrakten Prinzip der parlamentarischen Demokratie orientierten Vorstellung ab. Die konkrete Betrachtung ergibt ein divergentes und differenziertes Bild. Sie hat zur Folge, daß die Anforderungen an die parlamentarische Demokratie großzügiger ausfallen. Dem so gewonnenen Demokratiebegriff ist möglicherweise ein Optimierungsgebot zu entnehmen; ansonsten ist er hinsichtlich der Formen der Parlamentsbeteiligung offen und flexibel zu verstehen. Es ist nicht ausgeschlossen, daß die Gemeinschaft danach den Grundsatz der parlamentarischen Demokratie verwirklicht. Diese Art des Rückgriffs ist nicht geeignet, die Grundlage für ein abstraktes Verständnis des Demokratieprinzips zu bilden. Sie könnte einige Schwierigkeiten in der Frage der Übertragbarkeitsgrenzen ersparen. Leider sieht das die erwähnte Ansicht nicht so. (bb) Rückgriff auf die Kernaussagen der nationalen Verfassungen Reduziert man die nationalen Verfassungen auf ihre Kernaussagen, entsteht ein abstraktes Bild der parlamentarischen Demokratie. Sie findet ihren Ausdruck in einer umfassenden Beteiligung des Europäischen Parlaments an den Rechtsetzungsakten der Gemeinschaft. Wie gesagt geht offensichtlich die obige Ansicht von diesem sog. „klassischen“ Demokratiemodell der westeuropäischen Verfassungen665 aus. Ihr Vorgehen darf dabei nicht mit einer oberflächlichen Betrachtung verwechselt werden.666 Meiner Ansicht nach muß sich der allgemeine Rechtsgrundsatz der parlamentarischen Demokratie aber in die Strukturen der Gemeinschaft einfügen, soll er in vollem Umfang gelten.667 663 Vgl. zu diesem Vorgehen Kluth, Demokratische Legitimation, S. 92 ff. Zu den Unterschieden der nationalen Verfassungen im Detail vgl. Beutler, EuR 1984, S. 143 (144); Hilf, EuR 1984, S. 9 (10). 664 Zu den unterschiedlichen Umsetzungen derselben abstrakten staatstheoretischen Grundvorstellung, die hinter einem Strukturprinzip steht; vgl. Schmitz, Integration in der Supranationalen Union, S. 354. 665 Bleckmann, JZ 2001, S. 53 ff. 666 So aber Bleckmann, JZ 2001, S. 53, dem zufolge die Literatur das europäische Modell der parlamentarischen Demokratie ohne einen Rechtsvergleich der europäischen Verfassungen begründet.

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Wie sich gleich noch näher herausstellen wird, wird das dadurch gewährleistet, daß der Inhalt der Rechtsprinzipien nicht von außen an das Recht herangetragen, sondern aus den primärrechtlichen Vorschriften abgeleitet wird. Ansonsten besteht die Gefahr, ein dem Gemeinschaftsrecht fremdes „übervertragliches“ Prinzip zu konstituieren, mit dem die Vertragsvorschriften kollidieren.668 Auf diese Weise würde das komplexe supranationale Institutionengefüge untergraben, das die Mitgliedstaaten absichtlich geschaffen haben. Das Gefüge einer supranationalen Gemeinschaft, auf das im Anschluß zurückzukommen sein wird, weicht aber notwendig von der eines modernen Staates ab.669 Die Gemeinschaft verfügt über ein eigenes System demokratischer Legitimation. Statt auf eine vor-gemeinschaftsrechtliche abstrakte Idee ist daher auf ihre spezifisch verfaßte Struktur als Interpretationszusammenhang zur Ermittlung der demokratischen Ausprägungen abzustellen.670 Gegen Verallgemeinerungen sprechen auch die Prozeß- und die Kompromißhaftigkeit des politischen Prozesses der europäischen Integration.671 Das kontextgebundene Verständnis und damit die Grenzen der allgemeinen Rechtsgrundsätze haben die europäischen Gerichte bereits in ihrer Rechtsprechung zu den Grundrechten herausgestellt.672 Wenn aber für den allgemeinen Rechtsgrundsatz der parlamentarischen Demokratie Grenzen gelten, gelten sie auch für Art. 6 Abs. 1 EUV. Diese Bestimmung positiviert nur den allgemeinen Rechtsgrundsatz. (b) Strukturangepaßtes Verständnis des gemeinschaftsrechtlichen Prinzips Eine strukturangepaßte Sicht, die den Inhalt des Demokratieprinzips konkret anhand der Vertragsvorschriften bestimmt, hält Grenzen der Übertragbarkeit grundsätzlich für möglich. Die pauschale Feststellung, daß die Gemeinschaft kein Nationalstaat ist, reicht jedoch nicht aus, die Übertragbarkeit des parlamentarischen Demokratiegrundsatzes auszuschließen. Den Beweis lieferte der Grundsatz der Volkssouveränität. Auch er findet auf die Gemeinschaft Anwendung. Die Struktur 667 So auch u. a. Bernhardt, Verfassungsprinzipien, S. 66; Daig, FS für Zweigert, S. 395 (408); Kaufmann, Demokratieprinzip, S. 90. 668 Ähnlich Beutler, EuR 1984, S. 143 (152 ff.); Kaufmann, Demokratieprinzip, S. 88 f. 669 Bleckmann, Demokratieprinzip, S. 159 (163); Ress, GS für Geck, S. 625 (643); keine Begründung liefert Daig, FS für Zweigert, S. 395 (408). 670 Heintzen, EuR 1994, S. 35 (45); Kaufmann, Demokratieprinzip, S. 89. Das erkennen auch Beutler, EuR 1984, S. 143 (144 ff.); Bleckmann-Bleckmann, Europarecht, Rn. 326; ders., Demokratieprinzip, S. 159 (168); Randelzhofer, Demokratiedefizit, S. 39 (45); Ress, GS für Geck, S. 625 (643). 671 Vgl. Winter, DÖV 1993, S. 173 ff. 672 EuGH v. 13. 12. 1979, Rs. 44 / 79 – Liselotte Hauer / Land Rheinland Pfalz –, Slg. 1979, S. 3727 (3747), Rn. 23; v. 05. 10. 1994, Rs. C-280 / 93 – Deutschland / Rat –, Slg. I-1994, S. 4973 (5065), Rn. 78; v. 30. 07. 1996, Rs. C-84 / 95 – Bosphorus –, Slg. I-1996, S. 3953 (3985 f.), Rn. 21; EuG v. 29. 01. 1998, Rs. T-113 / 96 – Dubois et Fils / Rat und Kommission –, Slg. 1998, S. 125 (150), Rn. 74.

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3. Teil: Demokratie- und Rechtsstaatsprinzip als Maßstab

der Gemeinschaft bedarf daher einer eingehenderen Untersuchung. Schließlich bestimmt sie über das Bestehen der Übertragungsgrenzen. Die Besonderheit der Gemeinschaft als einer supranationalen Organisation liegt in ihrer doppelten Legitimationsbasis. Diese beruht zum einen auf den Mitgliedstaaten, d. h. auf den Staatsbürgern, die demokratisch legitimierte Regierungsvertreter in den Rat entsenden,673 und zum anderen auf den Unionsbürgern, die das Europäische Parlament wählen.674 Die beiden Legitimationsstränge stehen aber nicht gleichberechtigt nebeneinander.675 Bildlich veranschaulicht bildet der Rat die tragende Legitimationsstütze. Dabei ermöglicht es die Bürgersouveränität, auf die Demokratiepotentiale der Mitgliedstaaten zurückzugreifen. Das Europäische Parlament nimmt im Gegensatz dazu nur eine stützende Legitimationsfunktion wahr.676 Diese Rollenverteilung erfordert eine nähere Begründung. Die Mitglieder der Gemeinschaft sind trotz des durch den Maastrichter und Amsterdamer Vertrages intensivierten Integrationsgrades der Gemeinschaft selbständige Staaten geblieben.677 Solange dies der Fall ist, muß ihnen in wesentlichen Politikbereichen die Letztverantwortung zukommen.678 Das entspricht ihrem Willen als „Herren der Verträge“,679 die ihren Einfluß auf die Entscheidungen der Gemeinschaft gesichert sehen wollten. So hat auch das BVerfG festgestellt, daß die Legitimation gemeinschaftlicher Rechtsetzungsakte „zuvörderst“ durch den Rat geschehen soll.680 Voraussetzung ist allerdings immer, daß der Rat über eine ausArt. 203 EGV; Bleckmann-Bleckmann, Europarecht, Rn. 209. Brosius-Gersdorf, EuR 1999, S. 133 ff.; Kluth, Demokratische Legitimation, S. 87, 94 f.; BVerfG v. 12. 10. 1993 – 2 BvR 2134, 2159 / 92 –, BVerfGE 89, S. 155 (185 f.); Calliess / Ruffert-Kluth, EUV / EGV, Art. 189 Rn. 6; Magiera, FS für Everling, S. 789 (792 ff.). 675 Vgl. Ipsen, FS für Lerche, S. 425 (426 f.); Kluth, Demokratische Legitimation, S. 96; a.A. Pechstein / Koenig, Europäische Union, Rn. 571, nach denen das Europäische Parlament eine dem Rat gleichberechtigte Position einnimmt, sobald es die vorrechtlichen Voraussetzungen erfüllt. 676 Schwarze, EAS, B 8100 Rn. 46; Kluth, Demokratische Legitimation, S. 87 f. 677 Zu dem Integrationsstand unter dem Maastrichter Vertrag vgl. v. Bogdandy, Europäische Integrationsgemeinschaft, S. 97 (119 ff.); Everling, Diskussionsbeitrag, S. 61; Frowein, EuR 1983, S. 301 (302); Magiera, FS für Everling, S. 789 (790); Randelzhofer, Demokratiedefizit, S. 39 (48); zu dem Integrationsstand unter dem Amsterdamer Vertrag vgl. Britz / Schmidt, EuR 1999, S. 467 (483); Weidenfeld / Giering, Europäische Union nach Amsterdam, S. 19 ff. 678 Der Streit über die Rechtsnatur der Europäischen Gemeinschaft und Europäischen Union ist hier nicht relevant, da die Mitgliedstaaten nach allen Theorien souveräne Staaten sind, die die Letztverantwortung tragen müssen; vgl. Schmitz, Integration in der Supranationalen Union, S. 91 f., 169 ff., insbesondere S. 178 ff.; 237 ff.; Seeler, EuR 1998, S. 721 (728). 679 Zu der Stellung der Mitgliedstaaten vgl. Hillgruber, AVR 34 (1996), S. 347 ff. 680 BVerfG v. 12. 10. 1993 – 2 BvR 2134, 2159 / 92 –, BVerfGE 89, S. 155 (184). Im Maastricht-Urteil mißt das Bundesverfassungsgericht das Zustimmungsgesetz zum EUV nicht an Art. 23 Abs. 1 S. 1 GG, sondern an Art. 38 GG. Dessen Gewährleistungsgehalt wird aber auch durch das in Art. 23 Abs. 1 S. 3 i.V.m. 79 Abs. 3 GG für unantastbar erklärte Demokratieprinzip bestimmt. 673 674

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reichende demokratische Legitimation verfügt. Auf sie ist im 4. Teil näher einzugehen. Berechtigterweise läßt sich bezweifeln, daß das Europäische Parlament eine hinreichende demokratische Legitimation vermitteln kann.681 Vor allem aber würde seine vorrangige Stellung die demokratische Verantwortlichkeit der Mitgliedstaaten aushöhlen.682 Deshalb wäre eine vollständige Überantwortung der Rechtsetzungsbefugnisse auf das Parlament mit der Grundordnung des Grundgesetzes (Art. 79 Abs. 3, 20 Abs. 2 S. 1 GG) nicht vereinbar. Aber auch eine bloße Beteiligung ist kein Muß. An anderer Stelle weist das BVerfG angesichts des Einflußverlustes des Bundestags auf supranationale Entscheidungen darauf hin, daß sich in einem Staatenverbund demokratische Legitimation nicht in gleicher Form wie innerhalb einer einheitlich und abschließend geregelten Staatsordnung herstellen läßt.683 Diese Feststellung läßt sich m.E. auf die Parlamentsbeteiligung übertragen. Zusammenfassend läßt sich feststellen: „Bricht“ der Pfeiler der Parlamentsbeteiligung wie beim Sozialen Dialog „weg“, kann der Rat als tragende Stütze den Rechtsetzungsakt alleine legitimieren.684 Umgekehrt gilt das nicht. Im Ergebnis darf das institutionelle Gefüge der Gemeinschaft nicht durch die uneingeschränkte Übertragung eines abstrakten Grundsatzes der parlamentarischen Demokratie gestört werden. Das gilt auch, wenn der Grundsatz der parlamentarischen Demokratie in seiner abstrakten Aussage allen Mitgliedstaaten eigen ist.685 Es muß vielmehr versucht werden, die Gemeinschaft nach ihrem Wesen und Zweck aus sich selbst heraus zu verstehen. Insbesondere darf eine Übertragung der Strukturprinzipien auf die Gemeinschaft nach ihrem Wesen und Zweck nicht dazu führen, die Stellung des Europäischen Parlaments contra legem zu stärken. Letztere kann sich nur schritthaltend mit der Integration entwickeln.686 Anders ausgedrückt: Es läßt sich ein zwingendes Mitwirkungsrecht s. o. § 10 II. 3. b) bb) (1). Bleckmann, Demokratieprinzip, S. 159 (168); Heintzen, EuR 1994, S. 35 (45); Huber, Staatswissenschaften und Staatspraxis 1992, S. 349 (360 ff.); Kluth, Demokratische Legitimation, S. 96. 683 BVerfG v. 12. 10. 1993 – 2 BvR 2134, 2159 / 92 –, BVerfGE 89, S. 155 (182). 684 Nach Kluth, Demokratische Legitimation, S. 87 besitzen beide Legitimationsstränge auch Bereiche alleiniger Legitimationsvermittlung. Der plural-territorial legitimierte Rat spielt jedoch eine „tragende“ Rolle; in diesem Sinne auch Sachs-Streinz, GG, Art. 23 Rn. 26; Piazolo, Sozialer Dialog, S. 202; a.A. Dederer, RdA 2000, S. 216 (219) und Brosius-Gersdorf, EuR 1999, S. 133 (167), die für ein Verhältnis der Komplementarität plädieren. 685 Vgl. im Ergebnis Britz / Schmidt, EuR 1999, S. 467 (483); Kluth, Demokratische Legitimation, S. 96; Randelzhofer, Demokratiedefizit, S. 39 (51 f.); Steffani, ZParl 1995, S. 33 (37), der die leichtfertige Übertragung nationalstaatlicher Demokratieverständnisse auf die Gemeinschaft kritisiert. Nach Kluth, Demokratische Legitimation, S. 93 ff., gilt der Grundsatz der parlamentarischen Demokratie auf Gemeinschaftsebene umfassend, da er konkret betrachtet auch in den mitgliedstaatlichen Verfassungen keine dominante Rolle des Parlaments verlangt. 686 Vgl. BVerfG v. 12. 10. 1993 – 2 BvR 2134, 2159 / 92 –, BVerfGE 89, S. 155 (186). 681 682

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3. Teil: Demokratie- und Rechtsstaatsprinzip als Maßstab

des Europäischen Parlaments nicht begründen, wo die Vertragsvorschriften dies nicht vorschreiben.687 An der vorrangigen Bedeutung des Rates hat auch der Amsterdamer Vertrag nichts geändert. Zwar hat er die Stellung des Europäischen Parlaments durch eine Ausweitung des Mitentscheidungsverfahrens erneut ausgebaut. Zentrales Rechtsetzungsorgan bleibt aber weiterhin der Europäische Ministerrat.688 Daran hält der Nizzaer Vertrag ebenfalls fest.689 Die Auslegung des Demokratieprinzips durch das EuG, die eine Beteiligung des Europäischen Parlaments an allen Rechtsetzungsverfahren unabhängig von ihrer Erwähnung in den Vertragsvorschriften verlangt, wird dem im EGV und EUV verankerten institutionellen Gefüge nicht gerecht. Sein Vorgehen überzeugt somit nicht. Die Beteiligung des Europäischen Parlaments an dem Verfahren des Sozialen Dialogs ist zwar politisch wünschenswert, aber rechtlich nicht zwingend. Aus ihrem Fehlen folgt meiner Ansicht nach allenfalls ein rechtspolitisches Demokratiedefizit,690 nicht aber ein Demokratieverstoß der primärrechtlichen Vorschriften oder der Rechtsetzungsakte. Erst wenn dem Europäischen Parlament in der Zukunft tragende legislative Befugnisse übertragen werden sollten, was evtl. mit einer Änderung der Gemeinschaftsstruktur von einer supranationalen Organisation in Richtung Bundesstaat verbunden wäre,691 würde seine Beteiligung an Rechtsetzungsverfahren unumgänglich.692

cc) Zwischenergebnis Der Grundsatz der parlamentarischen Demokratie stellt einen allgemeinen Rechtsgrundsatz dar. Er ist grundsätzlich auf die Gemeinschaft übertragbar. Rechtswirksam ist er auch, weil das Europäische Parlament geeignet ist, wenn nicht eine hinreichende, so doch überhaupt eine demokratische Legitimation zu vermitteln. Der Inhalt des Demokratieprinzips läßt sich aber wegen des supranationalen Institutionengefüges und der Prozeßhaftigkeit der europäischen Integration nicht abstrakt bestimmen. Insbesondere die supranationale Struktur setzt der grundsätzlichen Übertragbarkeit Grenzen. Danach ist der Rat, der sich aus Vertre687 Vgl. Bleckmann-Bleckmann, Europarecht, Rn. 326; Randelzhofer, Demokratiedefizit, S. 39 (54). 688 U. a. Weidenfeld / Giering, Europäische Union nach Amsterdam, S. 19 (67, 70); Seeler, EuR 1998, S. 721 (730). 689 Neisser / Verschraegen, Europäische Union, Rn. 11.102. 690 Zu der komplexen Frage eines Demokratiedefizits auf Gemeinschaftsebene vgl. Kamann, Mitwirkung der Parlamente, S. 200 ff.; Kluth, Demokratische Legitimation, S. 11 ff. 691 Ob eine Entwicklung der Europäischen Union und der Gemeinschaft zum Bundesstaat mit Art. 23 Abs. 1 S. 3 i.V. m. Art. 79 Abs. 3 GG vereinbar wäre, ist in der Literatur umstritten, vgl. Sachs-Streinz, GG, Art. 23 Rn. 84 m. w. N.; Schmidt-Bleibtreu / Klein, GG, Art. 23 Rn. 5a m. w. N. 692 So auch Classen, ZRP 1993, S. 57 (59 f.); Schwarze, EAS, B 8100 Rn. 46; Streinz, Bundesverfassungsgerichtlicher Grundrechtsschutz, S. 255 f.

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tern der Mitgliedstaaten zusammensetzt, das vorrangige Legitimationsorgan. Eine Beteiligung des Europäischen Parlaments ist nicht zwingend vorgeschrieben.

4. Ergebnis Das gemeinschaftsrechtliche Demokratieprinzip ist im Primärrecht verankert. Als seine Quellen kommen Art. 6 Abs. 1 EUV und die allgemeinen Rechtsgrundsätze in Betracht. Das Prinzip verfügt über einen normativen Gehalt. Er liegt in dem der Volkssouveränität verwandten Gedanken der Bürgersouveränität mit seinen Voraussetzungen der organisatorisch-personellen und sachlich-inhaltlichen demokratischen Legitimation. Allerdings verbürgt es vor allem wegen der gegenüber den nationalen Staaten andersartigen Struktur einer supranationalen Gemeinschaft nicht uneingeschränkt den allgemeinen Rechtsgrundsatz der parlamentarischen Demokratie. Das bedeutet: Das Europäische Parlament ist nicht an den Rechtsetzungsakten zu beteiligen, die ausdrücklich eine Rechtsetzungsbefugnis des Rates vorsehen. Die Sozialpartner müssen es dann auch nicht zwingend ersetzen. Die Vorschriften der Art. 138 f. EGV sind daher wirksam. Eine umfassende Beteiligung des Europäischen Parlaments an Rechtsetzungsakten der Gemeinschaft ist allerdings mit Fortschreiten der Integration de lege ferenda zu fordern.

III. Aus grundgesetzlicher Sicht Eine weitere Quelle des Demokratieprinzips bildet das Grundgesetz, das die Übertragung von Hoheitsrechten auf die Gemeinschaft regelt. Nach dem bisher Gesagten ist eines klar: Die Gemeinschaft hat nicht die gleichen Demokratieanforderungen wie die Mitgliedstaaten zu erfüllen,693 obwohl die Anforderungen des gemeinschaftsrechtlichen Demokratieprinzips in ihrem Kern mit denen der nationalen Demokratieprinzipien übereinstimmen. Im folgenden ist daher nicht nach einem Prinzip zu suchen, das die Demokratieanforderungen an den deutschen Staat regelt, sondern nach einem Prinzip, das die Anforderungen an die Gemeinschaft regelt. Welche Anforderungen stellt also das Grundgesetz an die demokratische Legitimation der Gemeinschaft? Als Beurteilungsmaßstab kommen Art. 20 und Art. 23 GG in Betracht.

1. Art. 20 Abs. 1, 2 GG als Beurteilungsgrundlage Im deutschen Verfassungsrecht enthält Art. 20 Abs. 1, 2 GG die Verpflichtung zur Demokratie. Danach muß sich die Ausübung staatlicher Aufgaben auf das 693

Anders Bleckmann, JZ 2001, S. 53 (54).

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3. Teil: Demokratie- und Rechtsstaatsprinzip als Maßstab

deutsche Staatsvolk zurückführen lassen.694 Angesichts der verbindlichen Wirkung der gemeinschaftlichen Hoheitsakte für den innerstaatlichen Bereich könnte man meinen, Art. 20 Abs. 1, 2 GG gelte letztendlich auch für die Gemeinschaft und mache Vorgaben für die Ausübung ihrer Hoheitsgewalt.695 Die Gemeinschaft unterliegt seinen Anforderungen jedoch nicht. Das verdeutlicht bereits der systematische Bezug von Art. 20 Abs. 2 S. 1 GG auf Art. 20 Abs. 1 GG. Er legt offen, daß mit der vom Volk ausgehenden Staatsgewalt diejenige der Bundesrepublik Deutschland gemeint ist. Art. 20 Abs. 1, 2 GG gilt also unmittelbar nur für die deutsche Staatsgewalt, nicht für die in Deutschland ausgeübte Staatsgewalt.696 Die Gemeinschaftsgewalt als selbständige Hoheitsgewalt stellt keine Staatsgewalt i. S. d. Art. 20 Abs. 2 S. 1 GG dar.697

2. Art. 23 Abs. 1 S. 1 GG als Beurteilungsgrundlage Stattdessen bildet Art. 23 Abs. 1 S. 1 GG698 die Beurteilungsgrundlage für ein an die Gemeinschaft zu stellendes Demokratiegebot. In den anderen mitgliedstaatlichen Verfassungen gibt es keine Norm, die vergleichbar dem Art. 23 Abs. 1 S. 1 GG Anforderungen an die Struktur der Europäischen Gemeinschaft und Union formulieren würde.699 Das Grundgesetz hat als ein Prototyp westlicher U. a. Sachs-Sachs, GG, Art. 20 Rn. 12. So Brosius-Gersdorf, EuR 1999, S. 133 ff., insbesondere S. 146 ff., nach der Art. 23 Abs. 1 GG das Gebot nationaler demokratischer Legitimation nach Art. 20 Abs. 2 GG rezipiert. Letztlich gilt nach ihrer Ansicht für die europäische Hoheitsgewalt sowohl ein Gebot gemeinschaftsrechtlicher (Art. 23 Abs. 1 S. 1 GG), als auch ein Gebot nationaler demokratischer Legitimation (Art. 20 Abs. 2 GG); vgl. S. 155, 166 ff. 696 Classen, AöR 1994, S. 238 (241); Doehring, ZRP 1993, S. 98 (99); a.A. Dreier-Dreier, GG, Art. 20 (Demokratie) Rn. 37 ff.; Brosius-Gersdorf, EuR 1999, S. 133 (146 ff.); Huber, Maastricht, S. 28 ff. 697 Ausführlich hierzu Cremer, EuR 1995, S. 21 (24 ff.) m. w. N.; Doehring, ZRP 1993, S. 98 ff.; Dreier-Dreier, GG, Art. 20 (Demokratie) Rn. 82. 698 Diese Vorschrift ist durch das Gesetz zur Änderung des Grundgesetzes v. 21. 12. 1992 (BGBl. 1992 I, S. 2086) in das Grundgesetz eingefügt worden und am 25. 12. 1992 in Kraft getreten. Er ersetzt den durch Art. 4 Nr. 2 Einigungsvertrag v. 31. 08. 1990 (BGBl. 1990 II, S. 889) aufgehobenen Art. 23 GG a.F., der den räumlichen Geltungsbereich des Grundgesetzes vor der deutschen Wiedervereinigung absteckte. 699 Vgl. Dreier-Dreier, GG, Art. 23 Rn. 8. Allein gem. Kap. 10 § 5 schwedische Verf. kann der Reichstag Beschlußrechte auf die Europäische Gemeinschaft übertragen, solange diese über einen der schwedischen Verfassung und der Europäischen Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten entsprechenden Freiheits- und Rechtsschutz verfügt. § 94 letzter Absatz der finnischen Verf. setzt fest, daß internationale Verpflichtungen die demokratische Grundordnung der nationalen Verfassung nicht gefährden dürfen. Ähnlich darf die nationale Souveränität Griechenlands gem. Art. 28 Abs. 3 griechische Verfassung nur eingeschränkt werden, wenn dies ein wichtiges nationales Interesse erfordert, die Menschenrechte und die Grundlagen der demokratischen Staatsordnung nicht berührt werden und dies in Gleichberechtigung und Gegenseitigkeit erfolgt. Mit der Forderung nach Demokratie auf 694 695

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Demokratien zentrale Bedeutung.700 Die sogenannte Struktursicherungsklausel verpflichtet die zuständigen deutschen Organe verfassungsrechtlich zur Mitwirkung an der Entwicklung einer Europäischen Union, „die demokratischen, rechtsstaatlichen, sozialen und föderativen Grundsätzen und dem Grundsatz der Subsidiarität verpflichtet ist und einen dem Grundgesetz im wesentlichen vergleichbaren Grundrechtsschutz gewährleistet“. Die Anforderungen beziehen sich auf die Struktur der Europäischen Union und die direkte und indirekte Anwendung von Gemeinschaftsrecht, nicht auf die Geltung dieser Grundsätze in Deutschland und die Anwendung nationalen Rechts.701 Obwohl Art. 23 Abs. 1 S. 1 GG von der „Europäischen Union“ spricht, sind die folgenden Ausführungen auf die Gemeinschaft als eine der drei Säulen der Europäischen Union übertragbar.702 Art. 23 Abs. 1 S. 1 GG ist sowohl Verhaltensnorm (Handlungsmaßstab) der Integrationsgewalt als auch Beurteilungsnorm (Urteilsmaßstab) zur Kontrolle der Integrationsgewalt.703 Vorliegend ist ihre Funktion als Urteilsmaßstab von besonderem Interesse. Umstritten ist auch hier, welchen Inhalt die von Art. 23 Abs. 1 S. 1 GG genannten Strukturprinzipien haben und was vor allem unter dem Begriff „demokratische Grundsätze“ zu verstehen ist. Im Ergebnis wird sich zeigen, daß der Inhalt des Demokratieprinzips nach Art. 23 Abs. 1 S. 1 GG nicht von dem nach Art. 6 Abs. 1 EUV abweicht. 3. These von der strukturellen Kongruenz Die These von der strukturellen Kongruenz wurde bereits vor Einfügung des Art. 23 in das GG,704 d. h. unter der Geltung des alten Art. 24 GG aufgestellt, der Gemeinschaftsebene kann das nicht gleichgesetzt werden. Eine undemokratische Gemeinschaftsordnung müßte die nationale demokratische Ordnung nicht zwingend stören. Daneben regeln einige Verfassungen wie die französische (Art. 88 – 1 ff.); die irische (Art. 29); die österreichische (Art. 23a ff.) und die portugiesische (Art. 7 Abs. 5, 6) speziell die Mitwirkung und die Übertragung von Hoheitsrechten an die Europäische Union. Die meisten Verfassungen wie die belgische (Art. 167 ff.); die luxemburgische (Art. 49bis); die niederländische (Art. 90 ff.) und die spanische (Art. 93 ff.) enthalten generelle Regelungen über internationale Beziehungen. Vgl. hierzu generell Kimmel, Verfassungen der EU-Mitgliedstaaten. 700 Ähnlich Dreier-Dreier, GG, Art. 20 (Demokratie) Rn. 52; Fraenkel, Westliche Demokratien, S. 32 ff. 701 Maunz / Dürig / Herzog-Randelzhofer, GG, Art. 24 Abs. 1 Rn. 202; Jarass / Pieroth-Jarass, GG, Art. 23 Rn. 7. 702 Auf die anderen beiden Säulen der Europäischen Union geht Brosius-Gersdorf, EuR 1999, S. 133 (153 ff.), ein. 703 v. Münch / Kunig-Rojahn, GG, Art. 23 Rn. 18; Dreier-Pernice, GG, Art. 23 Rn. 48. 704 Ob es sich bei Art. 23 GG in seiner jetzigen Fassung gegenüber Art. 24 GG a.F. um eine konstitutive Neuerung handelt, ist umstritten. Dafür Jarass / Pieroth-Jarass, GG, Art. 23 Rn. 1; Randelzhofer, Demokratiedefizit, S. 39 (50); Maunz / Dürig / Herzog-Randelzhofer, GG, Art. 24 Abs. 1 Rn. 202; Ossenbühl, DVBl. 1993, S. 629 (631); dagegen die h.M., vgl. statt vieler Everling, DVBl. 1993, S. 936 (943); Magiera, Jura 1994, S. 1 (8); v. Münch / Kunig-Rojahn, GG, Art. 23 Rn. 21.

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3. Teil: Demokratie- und Rechtsstaatsprinzip als Maßstab

die Übertragung von Hoheitsrechten auf zwischenstaatliche Einrichtungen regelte. Sie besagt, daß Hoheitsrechte nur auf solche zwischenstaatlichen Einrichtungen übertragen werden dürfen, die der innerstaatlichen Verfassungsordnung in dem Sinne kongruent sind, als sie eine mit der Bundesverfassung übereinstimmende demokratische, rechtsstaatliche und föderale Struktur haben.705 Dies ergebe sich aus dem Wortlaut des Art. 24 GG und allgemeinen Erwägungen.706 Die These von der strukturellen Kongruenz gilt heute, wenn auch in sehr abgeschwächter Form, in der These von der Homogenität der supranationalen mit den grundgesetzlichen Wertvorstellungen707 fort. Dies allerdings nur, wenn man die Homogenität als Gleichförmigkeit versteht.708 In diese Richtung zielen Bezeichnungen von Art. 23 Abs. 1 S. 1 GG als „Homogenitätsklausel“709 und „strukturelles Homogenitätsgebot“710. Danach beansprucht der Grundsatz der parlamentarischen Demokratie für die Gemeinschaft uneingeschränkte und unbegrenzte Geltung. Die These von der strukturellen Kongruenz überzeugt nicht. Mag sie auch darauf beruhen, daß die in Art. 23 Abs. 1 S. 1 GG genannten Grundsätze selbstverständliche Grundlage jedes öffentlichen Gemeinwesens sind und sich zugleich nur schwerlich spezifizieren lassen.711 Die Staatsstruktur der Bundesrepublik Deutschland läßt sich, ohne den Vorwurf des „Grundgesetzimperialismus“ 712 erheben zu wollen, gleichwohl nicht zum verbindlichen Leitmodell der Union aufwerten. Zum einen unterscheiden sich die konkreten Konzeptionen der in Art. 23 Abs. 1 S. 1 GG genannten Grundsätze von Mitgliedstaat zu Mitgliedstaat. Für die Gemeinschaft müssen auch die Verfassungstraditionen der anderen Mitgliedstaaten berücksichtigt werden. Zum anderen trägt die These der supranationalen Gestalt der Gemeinschaft nicht Rechnung.713 Eine grundgesetzintrovertierte Sicht stellt aber die völkerrechtliche Struktur und die Autonomie der Gemeinschaft in Frage.714 Ähnliches 705 Friauf, AöR 1960, S. 224 (232 f.); Kraus, Kampf um den Wehrbeitrag II / 2, S. 545 (553); Kruse, FS für Kraus, S. 112 (121 ff.); vgl. auch aktueller Di Fabio, Der Staat 1993, S. 191 (202, 205, 207). 706 Kraus, Kampf um den Wehrbeitrag II / 2, S. 545 (550). 707 Vgl. Ress, GS für Geck, S. 625 (670 ff.). 708 Ein großzügiges Verständnis von Homogenität haben Kluth, Demokratische Legitimation, S. 49; Schmitz, Integration in der Supranationalen Union, S. 303, 311 f. Homogenität bedeutet nach ihnen lediglich eine gewisse Gleichartigkeit, nicht Gleichförmigkeit oder Identität von Überzeugungen und Institutionen. 709 Sommermann, DÖV 1994, S. 596 (600); ähnlich Kirchner / Haas, JZ 1993, S. 760 (763). 710 Weber, DVBl. 1993, S. 325 (329); in diesem Sinne auch Scholz, NJW 1992, S. 2593 (2598). 711 Classen, ZRP 1993, S. 57 (59); Randelzhofer, Demokratiedefizit, S. 39 (54); a.A. Dreier-Pernice, GG, Art. 23 Rn. 47, nach dem Art. 23 Abs. 1 S. 1, 2. HS spezifische materielle Bedingungen vorgibt. 712 Diesen Vorwurf erhebt Breuer, NVwZ 1994, S. 417 (421). 713 Dreier-Pernice, GG, Art. 23 Rn. 50; Everling, DVBl. 1993, S. 936 (944); Häberle, EuGRZ 1991, S. 261 ff.; Schmidt-Bleibtreu / Klein, GG, Art. 23 Rn. 7 f.

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läßt sich dem Grundsatz von der Homogenität der Wertvorstellungen erwidern. Dieser erkennt zwar, daß die Eingliederung in eine Gemeinschaft nur im Wege eines gegenseitigen Ausgleichs erfolgen kann.715 Einziger Orientierungspunkt bleibt allerdings das GG.

4. These von der Geltung eines strukturangepaßten Kerngehalts Ein großzügigeres Vorgehen stellt es dar, die Struktursicherungsklausel als Verweis auf den Kerngehalt jener Prinzipien zu verstehen, die allen Mitgliedstaaten der Union und somit der gemeineuropäischen Verfassungskultur – ungeachtet ihrer unterschiedlichen Ausprägung – gemeinsam sind. Für die Entwicklung der Europäischen Union ist danach nur ein Mindestmaß homogener Wertvorstellungen über die Legitimation und Schranken der supranationalen Hoheitsgewalt erforderlich.716 Entscheidend ist, daß dieser Ansatz aufgrund seiner größeren Offenheit eine Anpassung an die anderen Strukturen der Gemeinschaft bei der Konkretisierung der demokratischen Grundsätze anerkennt.717 Diese Anerkennung unterstreicht der Wortlaut des Art. 23 Abs. 1 S. 1 GG, der im Unterschied zu dem Grundrechtsschutz auf europäischer Ebene keine Verwirklichung der demokratischen, rechtsstaatlichen, sozialen und föderativen Grundsätze in einer dem Grundgesetz „im wesentlichen vergleichbaren“ Weise fordert.718 Andernfalls würde der Prozess der europäischen Integration unnötig erschwert. Auch das BVerfG bestätigt den Ansatz mit seiner Feststellung, daß in einer zu eigenem hoheitlichen Handeln befähigten Staatengemeinschaft wie der Europäischen Union die demokratische Legitimation nicht in gleicher Form her714 Randelzhofer, Demokratiedefizit, S. 39 (47 f.); BK-Tomuschat, GG, Art. 24 Rn. 55 (Stand: April 1981). 715 Kirchner / Haas, JZ 1993, S. 760 (763). 716 Breuer, NVwZ 1994, S. 417 (422); Dreier-Pernice, GG, Art. 23 Rn. 47; Maunz / Dürig / Herzog-Randelzhofer, GG, Art. 24 Abs. 1 Rn. 202: „Mindestmaß an Verfassungshomogenität“; v. Münch / Kunig-Rojahn, GG, Art. 23 Rn. 20; Ossenbühl, DVBl. 1993, S. 629 (633 f.); Sachs-Streinz, GG, Art. 23 Rn. 21; Schmalenbach, Der neue Europaartikel 23 des Grundgesetzes, S. 65 und 204; Schmitt Glaeser, Grundgesetz und Europarecht, S. 77: „Kongruenz der Grundüberzeugungen“; Schwarze, JZ 1993, S. 585 (588 f.). Schmitz, Integration in der Supranationalen Union, S. 301 ff., insbesondere S. 313 ff., untersucht zunächst die Notwendigkeit von Homogenität unter den Mitgliedstaaten und trifft damit eher Aussagen zu den vorrechtlichen Voraussetzungen der Demokratie. Auf S. 321 ff. geht er auf die Homogenität der Wertvorstellungen als Fundament der Gemeinschaft ein. 717 Der Ansatz wird deswegen teilweise als „strukturangepaßte Grundsatzkongruenz“ bezeichnet; vgl. Streinz, Bundesverfassungsgerichtlicher Grundrechtsschutz, S. 254 ff.; SachsStreinz, GG, Art. 23 Rn. 22 und ähnlich Oppermann, Europarecht, Rn. 491; Dreier-Pernice, GG, Art. 23 Rn. 52; Randelzhofer, Demokratiedefizit, S. 39 (51 f.); v. Münch / Kunig-Rojahn, GG, Art. 23 Rn. 20. 718 v. Münch / Kunig-Rojahn, GG, Art. 23 Rn. 20; Sachs-Streinz, GG, Art. 23 Rn. 20.

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3. Teil: Demokratie- und Rechtsstaatsprinzip als Maßstab

gestellt werden kann wie innerhalb einer einheitlich und abschließend geregelten Staatsordnung.719 Zu den homogenen Grundüberzeugungen zählt eindeutig die Volkssouveränität.720 Weil es kein europäisches Volk gibt, gilt sie auf der Gemeinschaftsebene in ihrer strukturangepaßten Form der Bürgersouveränität fort. Sie verlangt eine organisatorisch-personelle und sachlich-inhaltliche Legitimation, wobei sie die Legitimationsketten der organisatorisch-personellen Legitimation entweder auf die Staats- oder die Unionsbürger zurückführt.721 Der Grundsatz der parlamentarischen Demokratie ist hingegen nicht uneingeschränkt auf die Gemeinschaftsebene übertragbar, obwohl auch er zu dem Kerngehalt der nationalen Demokratiegrundsätze zählt.722 Die Gründe, die in der besonderen Struktur der Gemeinschaft liegen, wurden bereits oben eingehend erläutert723 und sollen nicht wiederholt werden. Sie gelten auch hier. Art. 23 Abs. 1 S. 1 GG orientiert sich bekanntlich nicht an der parlamentarischen Demokratie des Grundgesetzes, sondern stellt auf das gemeinschaftsrechtliche Demokratieprinzip ab.724 5. Ergebnis Aus grundgesetzlicher Sicht determiniert Art. 23 Abs. 1 S. 1 GG die Sicht auf das gemeinschaftsrechtliche Demokratieprinzip. Sein Inhalt stimmt erwartungsgemäß mit dem des Art. 6 Abs. 1 EUV und der allgemeinen Rechtsgrundsätze überein. Anwendbar ist dabei nicht die These von der strukturellen Kongruenz, die ein zu hohes Maß an Gleichförmigkeit der gemeinschaftsrechtlichen Prinzipien mit dem GG verlangt und daher eher als integrationsunfreundlich einzustufen ist. Vielmehr ist die These von der Geltung des Kerngehalts der Verfassungen in einer an die Gemeinschaftsstruktur angepaßten Form ausschlaggebend. Nach ihr gilt der Grundsatz der Bürgersouveränität. Eine Beteiligung des Europäischen Parlaments am gemeinschaftlichen Rechtsetzungsprozeß ist hingegen rechtlich nicht zwingend. 719 BVerfG v. 12. 10. 1993 – 2 BvR 2134, 2159 / 92 –, BVerfGE 89, S. 155 (182); a.A. Brosius-Gersdorf, EuR 1999, S. 133 (138), nach deren Ansicht das Gericht offen gelassen hat, was als sedes materiae des Demokratiegebotes anzusehen ist. Nicht nachvollziehbar ist, wie Bleckmann / Pieper, RIW 1993, S. 969 (974), in der Maastricht-Entscheidung eine Wiederaufnahme des Gedankens der strukturellen Kongruenz sehen wollen. 720 v. Mangoldt / Klein / Starck-Classen, GG, Art. 23 Abs. 1 Rn. 26; Randelzhofer, Demokratiedefizit, S. 39 (53), der die ähnlich lautenden Feststellungen des BVerfG auf Art. 23 Abs. 1 S. 1 GG bezieht, obwohl das BVerfG am Maßstab des Art. 38 GG geurteilt hat; ähnlich Cremer, EuR 1995, S. 21 (22). 721 Zur näheren Begründung s. o. § 10 II. 3. a) cc). 722 Im Ergebnis Schmidt-Bleibtreu / Klein, GG, Art. 23 Rn. 2a; a.A. v. Mangoldt / Klein / Starck-Classen, GG, Art. 23 Abs. 1 Rn. 26 ff., der unter die Grundüberzeugungen auch parlamentarische Elemente faßt. 723 s. o. § 10 II. 3. b) bb) (2). 724 Vgl. die Kommentierungen zu Art. 23 GG wie z. B. Dreier-Pernice, GG, Art. 23 Rn. 50 ff., und Brosius-Gersdorf, EuR 1999, S. 133 (138).

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§ 11 Rechtsstaatsprinzip Geltung und Anforderungen des Rechtsstaatsprinzips725 auf Gemeinschaftsebene werden im Vergleich zu dem Demokratieprinzip geradezu stiefmütterlich diskutiert.726 Über die Gründe der Mißachtung soll hier nicht spekuliert werden.727 An seiner Einschlägigkeit für den Sozialen Dialog besteht kein Zweifel. Mögliche Konflikte können daraus resultieren, daß den Sozialpartnern als Verbänden eine wichtige Rolle in dem staatlichen Verfahren übertragen wurde und ihre Vereinbarungen der Umsetzung durch den Rat bedürfen, also Rechtsetzung durch ein Exekutivorgan728 stattfindet. Die Probleme im Zusammenhang mit dem Rechtsstaatsprinzip sind zum Teil mit denen im Zusammenhang mit dem Demokratieprinzip identisch. Sie bestehen darin, ob und ggf. mit welchem Inhalt das Rechtsstaatsprinzip als Bestandteil der Gemeinschaftsrechtsordnung anzusehen ist und ob ein Rechtsstaatsverstoß besteht. Hinsichtlich seiner Verankerung läßt sich mit gutem Gewissen auf die Ausführungen zu dem Demokratieprinzip verweisen. Sowohl Art. 6 Abs. 1 EUV als auch Art. 23 Abs. 1 S. 1 GG zeugen übereinstimmend von der grundlegenden Anerkennung des Rechtsstaatsprinzips auf Gemeinschaftsebene.

I. Einzelausprägungen in der Rechtsprechung des EuGH Was den Inhalt des Rechtsstaatsprinzips angeht, ist ein Blick auf die Rechtsprechung des EuGH hilfreich. Der EuGH benutzt den Begriff der Rechtsstaatlich725 Von einem Rechtsstaatsprinzip spricht auch Steinberger, VVDStRL 1991, S. 9 (30); zurückhaltender von Rechtsstaatlichkeit spricht Schmitz, Integration in der Supranationalen Union, S. 99. Zu dem im Zusammenhang mit der Gemeinschaft schiefen Begriff der „Staatlichkeit“ s. o. Fn. 86. 726 Viele Publikationen beschäftigen sich allerdings mit der Rechtsprechung des EuGH, vgl. u. a. Borchardt, Vertrauensschutz, S. 2 ff.; Buchwald, Der Staat 1998, S. 189 ff.; Gündisch, Allgemeine Rechtsgrundsätze, S. 97 ff.; Calliess / Ruffert-Kingreen, EUV / EGV, Art. 6 Rn. 6 ff.; ausführlich Hofmann, Rechtsstaatsprinzip, S. 321 ff.; a.A. Steinberg, ZRP 1999, S. 365 (366). 727 Mögliche Erklärungen könnten nach Hofmann, Rechtsstaatsprinzip, S. 321 (323), zum einen die angesichts der rechtsstaatlichen Verfaßtheit der Mitgliedstaaten selbstverständliche Annahme der Rechtsstaatlichkeit und zum anderen die geringere Bedeutung einer präzisen Definition aufgrund der Besonderheit der Gemeinschaftsrechtsordnung sein. 728 Eine eindeutige Zuordnung des Rates in die Kategorie der Legislative oder Exekutive ist zugegebenermaßen schwierig. Der Rat übt nämlich gesetzgeberische Befugnisse aus, setzt sich aber aus Regierungsvertretern der Mitgliedstaaten zusammen. In seiner Zusammensetzung ist er somit ein Exekutivorgan, in seiner Funktion ein Legislativorgan. Streng die Qualifizierung als Legislativorgan verurteilend Friauf, DVBl. 1964, S. 781 (783); von einer Legislative durch Exekutive sprechen Epping, Der Staat 1997, S. 349 (351); Gündisch, Allgemeine Rechtsgrundsätze, S. 97 (115); Ress, GS für Geck, S. 625 (627).

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3. Teil: Demokratie- und Rechtsstaatsprinzip als Maßstab

keit kaum.729 Trotzdem hat er in seinen Urteilen, wenn auch ohne ausführlichere Herleitung,730 einzelne Ausprägungen des Rechtsstaatsprinzips entwickelt und als allgemeine Rechtsgrundsätze zum Bestandteil des Gemeinschaftsrechts gemacht. Dazu zählen u. a. die Bindung der Staatsgewalt an die Grundrechte731, die Rechtssicherheit732, der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit733, der Gewaltenteilung734 und der Gesetzmäßigkeit735, d. h. die Rechtsbindung der Gemeinschaftsorgane. Im folgenden sollen die für den Sozialen Dialog relevanten Einzelausprägungen kurz erläutert werden. 729 Die Worte „Rechtsstaat“ oder „rechtsstaatlich“ tauchen u. a. in folgenden Judikaten auf: EuGH v. 13. 02. 1979, Rs. 101 / 78 – Granaria / Hoofdproduktschap voor Akkerbouwprodukten –, Slg. 1979, S. 623 (637), Rn. 5; v. 07. 06. 1988, Rs. 63 / 87 – Kommission / Griechenland –, Slg. 1988, S. 2875 (2891), Rn. 10; zur „Rechtsgemeinschaft“ vgl. EuGH v. 23. 04. 1986, Rs. 294 / 83 – Les Verts / Parlament –, Slg. 1986, S. 1339 (1365), Rn. 23. 730 Vgl. Hofmann, Rechtsstaatsprinzip, S. 321 (324). 731 Erstmalig erkannte der EuGH die Geltung der Grundrechte in seinem Urteil v. 12. 11. 1969, Rs. 29 / 69 – Stauder / Ulm –, Slg. 1969, S. 419 (425), Rn. 7, an. Die Rechtsprechung bereiten Schweitzer / Hummer, Europarecht, Rn. 792 ff., auf; eine Übersicht über die geschriebenen und ungeschriebenen Gemeinschaftsgrundrechte geben Kingreen / Störmer, EuR 1998, S. 263 ff. 732 Die Rechtssicherheit ist seit Anfang der 1960er Jahre anerkannt. Beispielhaft seien hier folgende Urteile genannt: EuGH v. 01. 06. 1961, Rs. 15 / 60 – Simon / EuGH –, Slg. 1961, S. 239 ff.; v. 05. 07. 1973, Rs. 1 / 73 – Westzucker / Einfuhr- und Vorratsstelle Zucker –, Slg. 1973, S. 723 (729), Rn. 6; v. 05. 03. 1980, Rs. 265 / 78 – Ferwerda / Produktschap voor Vee en Vlees –, Slg. 1980, S. 617 (631), Rn. 17. 733 Vgl. zur ersten Entscheidung EuGH v. 24. 10. 1973, Rs. 5 / 73 – Balkan Import-Export GmbH / Hauptzollamt Berlin-Packhof –, Slg. 1973, S. 1091 (1110 ff.), Rn. 19 ff.; eine ausführliche Übersicht über die Rechtsprechung des EuGH bis zum Jahre 1980 liefert Gündisch, Allgemeine Rechtsgrundsätze, S. 97 (103 ff.); zu neueren Entscheidungen vgl. EuGH v. 21. 06. 1989, Verb. Rs. 46 / 87 u. 227 / 88 – Hoechst / Kommission –, Slg. 1989, S. 2859 (2924), Rn. 19.; v. 11. 07. 1989, Rs. 265 / 87 – Schräder / Hauptzollamt Gronau –, Slg. 1989, S. 2237 (2268), Rn. 15; v. 05. 10. 1994, Rs. C-280 / 93 – Deutschland / Rat –, Slg. I-1994, S. 4973 (5065), Rn. 78; v. 13. 12. 1994, Rs. C-306 / 93 – SMW Winzersekt –, Slg. I-1994, S. 5555 (5581), Rn. 22; v. 11. 07. 1997, Verb. Rs. C-248 / 95 u. C-249 / 95 – SAM Schiffahrt und Stapf –, Slg. I-1997, S. 4475 (4512), Rn. 66; kritisch zur Kontrolle der Verhältnismäßigkeit durch den EuGH mit gleichzeitiger Rechtsprechungsübersicht Kischel, EuR 2000, S. 380 ff. 734 Der EuGH hat die Kompetenzen der Gemeinschaftsorgane wiederholt voneinander abgegrenzt, ohne jedoch das Gewaltenteilungsprinzip explizit zu erwähnen. Stattdessen spricht er von einem „institutionellen Gleichgewicht“; vgl. EuGH v. 17. 12. 1970, Rs. 25 / 70 – Einfuhr- und Vorratsstelle Getreide / Köster –, Slg. 1970, S. 1161 (1171), Rn. 4; v. 29. 10. 1980, Rs. 138 / 79 – Roquette Frères / Rat –, Slg. 1980, S. 3333 (3360), Rn. 33; zurückhaltend EuGH v. 06. 07. 1982, Verb. Rs. 188 – 190 / 80 – Frankreich, Italien und Vereinigtes Königreich / Kommission –, Slg. 1982, S. 2545 (2572), Rn. 4 ff. und v. 04. 10. 1991, Rs. C-70 / 88 – Parlament / Rat –, Slg. I-1991, S. 4529 (4563), Rn. 4 ff. 735 EuGH v. 12. 07. 1962, Rs. 14 / 61 – Hoogovens / Hohe Behörde der EGKS –, Slg. 1962, S. 511 (553); speziell zum Gesetzesvorbehalt EuGH v. 25. 09. 1984, Rs. 117 / 83 – Könecke / Bundesanstalt für landwirtschaftliche Marktordnung –, Slg. 1984, S. 3291 (3302), Rn. 11; v. 21. 09. 1989, Verb. Rs. 46 / 87 u. 227 / 88 – Hoechst / Kommission –, Slg. 1989, S. 2859 (2924), Rn. 19; v. 17. 10. 1989, Verb. Rs. 97 – 99 / 87 – Dow Chemical Ibérica u. a. / Kommission –, Slg. 1989, S. 3165 (3186), Rn. 16.

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Im Zusammenhang mit dem Sozialen Dialog könnte die Rechtssicherheit eine Definition des Sozialpartnerbegriffs verlangen. Auf den Begriff und seine Definierbarkeit ist im 5. Teil zurückzukommen, in dem die Anforderungen an die Sozialpartner untersucht werden.

1. Grundsatz der Gewaltenteilung Der Grundsatz der Gewaltenteilung setzt klassischerweise eine Verteilung der gesetzgebenden, vollziehenden und rechtsprechenden Gewalt auf besondere, sich gegenseitig kontrollierende Organe voraus, wobei die Normsetzung primär das Parlament ausüben soll.736 Da sowohl beim Sozialen Dialog als auch auf der Gemeinschaftsebene insgesamt vor allem der Rat Rechtsetzungsbefugnisse besitzt, entzündet sich an diesem Grundsatz eine Diskussion über ein Rechtsstaatsdefizit.737 Sie ist der über das Demokratiedefizit vergleichbar. Entsprechend ist hier erstens festzustellen, daß der Gewaltenteilungsgrundsatz in seiner klassisch-strengen Form auch nicht in den Mitgliedstaaten verwirklicht ist.738 Ihnen ist vielmehr ein Gefüge gegenseitiger Verschränkung und Kontrolle zwischen den verschiedenen Gewalten im Sinne eines Systems von „checks and balances“ eigen, das annäherungsweise739 auch auf der Gemeinschaftsebene angelegt ist.740 Zweitens kann schließlich ein im staatlichen Kontext entwickelter abstrakter bzw. „klassischer“ Grundsatz der Gewaltenteilung in einer supranationalen Gemeinschaft, in der die Regierungen der Mitgliedstaaten einen großen Einfluß behalten sollen, nur bedingt gelten.741 Im weiteren Verlauf der Arbeit spielt der Grundsatz der Gewaltenteilung keine Rolle mehr. Eine intensive Darstellung verspricht gegenüber der ausführlichen Diskussion des Demokratieverstoßes keinen weiteren Erkenntnisgewinn.

Hofmann, Rechtsstaatsprinzip, S. 321 (325); Sachs-Sachs, GG, Art. 20 Rn. 82. Befürworter eines Rechtsstaatsdefizits sind u. a. Doehring, DVBl. 1997, S. 1133 (1134 f.); Epping, Der Staat 1997, S. 349 (350); Friauf, DVBl. 1964, S. 781 (781, 784); im Ergebnis auch Kirchner / Haas, JZ 1993, S. 760 (768); Seeler, EuR 1998, S. 721 (728). 738 Auch in Deutschland sind z. B. Legislative und Exekutive nicht streng voneinander getrennt; vgl. v. Mangoldt / Klein / Starck-Classen, GG, Art. 23 Abs. 1 Rn. 37. 739 Von einer Übereinstimmung kann nicht gesprochen werden, da in den Mitgliedstaaten dem Parlament legislative Kompetenzen tatsächlich in weit höherem Maße als auf Gemeinschaftsebene zustehen. 740 Hierzu v. Mangoldt / Klein / Starck-Classen, GG, Art. 23 Abs. 1 Rn. 39; Hofmann, Rechtsstaatsprinzip, S. 321 (326, 328); Jarass / Pieroth-Jarass, GG, Art. 23 Rn. 9; Kirchner / Haas, JZ 1993, S. 760 (768); Oppermann, Europarecht, Rn. 243. 741 Hofmann, Rechtsstaatsprinzip, S. 321 (325 ff., 335 f.); Huber, Europäische Integration, § 3 Rn. 8, Sachs-Streinz, GG, Art. 23 Rn. 27; Schmitz, Integration in der Supranationalen Union, S. 99; hinsichtlich der Rechtsprechung siehe Streinz, HStR VII, § 182 Rn. 54 f.; a.A. s. o. Fn. 740. 736 737

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3. Teil: Demokratie- und Rechtsstaatsprinzip als Maßstab

2. Grundsatz der Gesetzmäßigkeit Der Grundsatz der Gesetzmäßigkeit verlangt nach dem EuGH insbesondere die Verwirklichung des Grundsatzes des Vorrangs und Vorbehalts des Gesetzes.742 Er beruht auf der Überlegung, daß die Normsetzung als Akt der Fremdbestimmung743 einer besonderen Rechtfertigung bedarf.744 Diese Rechtfertigung kann in einer demokratischen Wahl liegen. In einem Rechtsstaat steht die Befugnis zur Normsetzung grundsätzlich nur staatlichen, d. h. demokratisch legitimierten Gesetzgebungsorganen zu. Eine Übertragung der Normsetzungsbefugnis auf nichtstaatliche Organe, wie die Sozialpartner es sind, ist nicht ohne weiteres möglich. Der Gesetzmäßigkeitsgrundsatz schließt darüber hinaus eine unkontrollierte staatliche Rechtsetzung durch primär gegenüber ihren Mitgliedern legitimierte Verbände als Verbürgung des Rechtsstaatsprinzips aus.745 Er zielt darauf, die individuelle Freiheit vor staatlichen Eingriffen zu schützen. Dieser Schutz erfolgt durch Verfahrensgarantien, d. h. durch verfahrensmäßige Beschränkungen staatlicher Machtausübung.746 Durch den Gesetzmäßigkeitsgrundsatz wird daher das demokratische Verfahren um der Freiheit des einzelnen willen zur rechtsstaatlichen Verfahrensgarantie erhoben. Aus ihm folgt eine Legitimitätsgarantie.747 In dieser Ausprägung spielt das Rechtsstaatsprinzip in die demokratische Legitimation der Akteure hinein, die konkret im nachfolgenden Teil der Arbeit zu analysieren ist. Es verlangt von sich aus, daß die Akteure organisatorischpersonell und sachlich-inhaltlich legitimiert sind.

II. Verhältnis von Rechtsstaats- und Demokratieprinzip Für den weiteren Gang der Untersuchung ist insbesondere der Gesetzmäßigkeitsgrundsatz von Interesse. In dieser Ausprägung ist das Rechtsstaatsprinzip nicht von dem Demokratieprinzip zu trennen. Beide Prinzipien ergänzen sich vielZu der Rechtsprechung s. o. Fn. 738. Eine Fremdbestimmung kann es nur bei einer Selbstbestimmung geben. Der Grundsatz der Selbstbestimmung gilt auch im Gemeinschaftsrecht. Er fließt aus dem vom EuGH in ständiger Jurisdiktion als durch die Gemeinschaftsrechtsordnung anerkannten Grundrecht auf Achtung des Privatlebens. Vgl. zu letzterem EuGH v. 17. 10. 1989, Verb. Rs. 97 – 99 / 87 – Dow Chemical Ibérica u. a. / Kommission –, Slg. 1989, S. 3165 (3185 f.), Rn. 14 ff.; v. 08. 04. 1992, Rs. C-62 / 90 – Kommission / Deutschland –, Slg. I-1992, S. 2575 (2609), Rn. 23; v. 14. 04. 1994, Rs. T-10 / 93 – A / Kommission –, Slg. II-1994, S. 179 (200 f.), Rn. 47 f.; vgl. Kokott, AöR 1996, S. 599 (615 f.). 744 Schwarze, Der Betriebsrat, S. 123 ff. 745 Siehe Schwarze, EAS, B 8100 Rn. 84. 746 Genauer zu dem Gesetzmäßigkeitsgrundsatz als Kern des Rechtsstaatsprinzips vgl. Schwarze, Der Betriebsrat, S. 122 ff., insbesondere S. 126 ff. 747 Siehe Schwarze, Der Betriebsrat, S. 128. 742 743

§ 12 Zusammenfassung

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mehr.748 Das Rechtsstaatsprinzip sichert verfahrensmäßig ab, was das Demokratieprinzip hinsichtlich des Inhabers der Herrschaftsgewalt bestimmt. Es zielt auf die Begrenzung staatlicher Herrschaftsgewalt im Interesse der Sicherung individueller Freiheit.749 Einen über das Demokratieprinzip hinausgehenden normativen Gehalt besitzt es nicht. Im Rahmen dieser Arbeit steht deshalb das Demokratieprinzip im Vordergrund.

§ 12 Zusammenfassung Die Ergebnisse des dritten Teils sind abschließend noch einmal unter der Perspektive der Relevanz für den Sozialen Dialog zu veranschaulichen. Das gemeinschaftsrechtliche Demokratie- und Rechtsstaatsprinzip dienten als Maßstab, um über das Erfordernis der Parlamentsbeteiligung und die möglicherweise parlamentsersetzende Funktion der Sozialpartner entscheiden zu können. Das Demokratieprinzip ist durch Art. 6 Abs. 1 EUV und die allgemeinen Rechtsgrundsätze im Gemeinschaftsrecht verankert. Sein Inhalt folgt mangels expliziter Aussagen in den Gemeinschaftsverträgen aus den gemeinsamen Verfassungsüberlieferungen der Mitgliedstaaten, den sog. allgemeinen Rechtsgrundsätzen. Dazu zählt zum einen der Grundsatz der Volkssouveränität. Er entfaltet auf der Gemeinschaftsebene in Gestalt der Bürgersouveränität Wirksamkeit. Das Legitimationssubjekt ist dann nicht ein Volk. Vielmehr geht die Legitimation von den Bürgern in ihrer Doppelstellung als Staats- und Unionsbürger aus. Ein Rückgriff auf die nationalen Legitimationspotentiale der Staatsbürger ist dadurch möglich. Die Voraussetzungen der Bürgersouveränität liegen – entsprechend der Volkssouveränität – in der organisatorisch-personellen und sachlich-inhaltlichen Legitimation. Das sind die Anforderungen, welche die Verfahrensbeteiligten für ihre demokratische Legitimation zu erfüllen haben. Daneben stellt der Grundsatz der parlamentarischen Demokratie eine Ausprägung des Demokratieprinzips dar. Er ist allerdings wegen des besonderen supranationalen Institutionengefüges nur eingeschränkt auf die Gemeinschaft übertragbar. Der Inhalt des Demokratieprinzips ist nicht abstrakt, sondern konkret an den Vertragsvorschriften zu bestimmen. In dieser wesentlichen Aussage stimmt Art. 23 Abs. 1 S. 1 GG mit dem Gemeinschaftsrecht überein. Ganz gleich verhält es sich mit dem Rechtsstaatsprinzip. Seine für den Sozialen Dialog relevante Aussage liegt in dem Gesetzmäßigkeitsgrundsatz. Dieser sichert die demokratische Legitimation verfahrensmäßig ab, steht also in engem Zusammenhang mit dem Demokratieprinzip. 748 Zu der Synthese beider Prinzipien, d. h. zu ihrer gegenseitigen Ergänzung vgl. Böckenförde, Demokratie als Verfassungsprinzip, S. 289 (365 ff.); Denninger, Normsetzung im Umwelt- und Technikrecht, S. 118; Stern, Staatsrecht I, § 18 II. 6. b), S. 623. 749 Böckenförde, Demokratie als Verfassungsprinzip, S. 289 (365 f.).

152

3. Teil: Demokratie- und Rechtsstaatsprinzip als Maßstab

Für den Sozialen Dialog bedeutet das: Die Beteiligung des Europäischen Parlaments an Rechtsetzungsakten, d. h. seine Rechtsetzungsbefugnis ist nicht zwingend, wo sie die Gemeinschaftsverträge nicht vorsehen. Die Sozialpartner müssen nicht das Europäische Parlament ersetzen und seine Position einnehmen. Die Untersuchung ihrer Legitimation hat sich dennoch nicht erledigt, wie sich im anschließenden Teil der Arbeit zeigen wird. Die fehlende Parlamentsbeteiligung allein macht die Vorschriften über den Sozialen Dialog also nicht unwirksam, denn die aus den Gemeinschaftsverträgen abzuleitenden Prinzipien bilden noch keinen Maßstab, an dem das Primärrecht selbst zu messen wäre.750 Die Ergebnisse stehen allerdings unter dem Vorbehalt, daß der Rat Rechtsetzungsakten grundsätzlich eine hinreichende demokratische Legitimation vermitteln kann. Auch bedarf weiterer Untersuchungen, ob die durch den Sozialen Dialog zustande gekommenen Gemeinschaftsmaßnahmen wirksam sind.

750

Vgl. Schwarze, RdA 2001, S. 208 (217).

4. Teil

Demokratische Legitimation der Akteure Das gemeinschaftsrechtliche Demokratieprinzip schreibt rechtlich keine Beteiligung des Europäischen Parlaments vor. Doch welcher der am formellen Sozialen Dialog teilnehmenden Akteure kann die durch den Sozialen Dialog gesetzten Gemeinschaftsmaßnahmen grundsätzlich demokratisch legitimieren, ist also Quelle der vom BVerfG751 geforderten effektiven demokratischen Legitimation? Da das nationale Zustimmungsgesetz als einmaliger historischer Akt nicht ausreicht, die Gemeinschaftsgewalt demokratisch zu legitimieren,752 hängt von der Legitimation der Beteiligten u. a. die Wirksamkeit der Gemeinschaftsaktionen ab. Im folgenden wird die Legitimation des Europäischen Parlaments (§ 13), des Rates (§ 14), der Kommission (§ 15) und der Sozialpartner (§ 16) beleuchtet. Letztere steht wegen ihrer möglicherweise weitreichenden Konsequenzen für die Auslegung der Dialogvorschriften, aber auch für die Auslegung der nationalen Tarifrechte und eines künftigen europäischen Kollektivvertragsrechts im Mittelpunkt der Betrachtung.

§ 13 Legitimation des Europäischen Parlaments nur bei Beteiligung In der Regel kann ein direkt vom Volk gewähltes Parlament in der repräsentativen Demokratie den höchsten Grad an organisatorisch-personeller und sachlichinhaltlicher Legitimation vermitteln.753 Ob das auf das Europäische Parlament zutrifft, ist angesichts der ponderierten Sitzverteilung, die nicht proportional zu der Bevölkerungsgröße erfolgt, und der unterschiedlichen Wahlsysteme in den Mitgliedstaaten mehr als zweifelhaft.754 Das ist allerdings nur von Belang, wenn das Europäische Parlament überhaupt am Sozialen Dialog zu beteiligen ist, was eindeutig nicht der Fall ist. BVerfG v. 12. 10. 1993 – 2 BvR 2134, 2159 / 92 –, BVerfGE 89, S. 157 (182). Classen, AöR 1994, S. 238 (250); Huber, Staatswissenschaften und Staatspraxis 1992, S. 349 (361). 753 Böckenförde, HStR I, § 22 Rn. 16, 21; kritisch zu der Repräsentation durch das Parlament Scheuner, DÖV 1965, S. 577. 754 s. o. 3. Teil § 10 III. 2. a) und Classen, AöR 1994, S. 238 (246 ff.); Huber, Staatswissenschaften und Staatspraxis 1992, S. 349 (363 ff.); Pernice, Die Verwaltung 1993, S. 449 (481 f.); Steffani, Demokratie-Dilemma, S. 33 (38 ff.). 751 752

154

4. Teil: Demokratische Legitimation der Akteure

Zwar verweist Art. 139 Abs. 2 EGV auf Art. 137 EGV. Die Verweisung bezieht sich ausdrücklich aber nur auf die Regelungsbereiche und Abstimmungsverhältnisse des Art. 137 Abs. 2, 3 EGV, nicht aber auf das Mitentscheidungsverfahren des Art. 137 Abs. 2 EGV, das eine Beteiligung des Europäischen Parlaments vorsieht. Wer die fehlende Verweisung mit einem redaktionellen Versehen zu begründen versucht755 und eine Beteiligung des Europäischen Parlaments für erforderlich hält,756 setzt sich in Anbetracht der Ernsthaftigkeit des Verfahrens zum Erlaß von primärrechtlichen Vorschriften und der fünfzehnfachen Kontrolle ihres Inhalts über den Willen der Vertragsgeber hinweg. Art. 137 Abs. 2 EGV ist aber auch keine allgemeine Vorschrift, die auf das Verfahren nach Art. 139 Abs. 2 S. 1, 2. Alt. EGV Anwendung findet.757 Hiergegen spricht schon die Systematik des Gesetzes. Die Bestimmung ist gerade nicht Teil der Gründsätze des EGV, vgl. Art. 1 – 16 EGV. An der formellen Nichtbeteiligung des Europäischen Parlaments ändert auch die Tatsache nichts, daß die Kommission es von sich aus von der Vereinbarung unterrichtet und ihm Gelegenheit zur Stellungnahme gibt758. Eine derartige Praxis verlangen weder der Wortlaut der Vorschrift noch andere Auslegungsmethoden.759 Obgleich es auf den ersten Blick bedenklich erscheinen mag,760 ist eine Beteiligung des Europäischen Parlaments rechtlich nicht vorgesehen. Die Frage nach der Legitimation der Sozialpartner und letztlich der Gemeinschaftsmaßnahmen ist damit nicht gelöst, sondern eher verschärft worden.

§ 14 Legitimation des Ministerrats Die zentrale Rolle des Ministerrats bei der Normsetzung verstößt wie gesehen allgemein nicht gegen das gemeinschaftsrechtliche Demokratieprinzip. Seine demokratische Legitimation ist als solche letztlich unbestritten.761 Eine nähere Be755 So ausdrücklich Schulz, SF 1992, S. 79 (82 f.), und im Anschluß an ihn Kliemann, Sozialunion, S. 171 (188). 756 Vgl. Kasseler Hdb-Heinze, 11. Rn. 152; Kliemann, Europäische Sozialintegration, S. 138; a.A. Bödding, Sozialpartner, S. 114 ff., nach dem das Europäische Parlament zu beteiligen ist, weil die Sozialpartner dieses nicht ersetzen könnten. 757 Zu diesen Überlegungen vgl. ausführlich Reichel, Kompetenzabgrenzung, S. 118 f. und Schulz, SF 1992, S. 79 (82 f.); Wank, RdA 1995, S. 10 (20). Für eine Änderung der Vorschrift des Art. 139 Abs. 2 EGV plädiert Kasseler Hdb-Heinze, 11. Rn. 152. 758 KOM (93) 600 endg. v. 14. 12. 1993, S. 4, 15, 17. 759 So die überwiegende Ansicht; vgl. u. a. Betten, ELR 1998, S. 20 (30); Schmidt, IJCLLIR 1999, S. 259 (260); anders klingt dies bei Kampmeyer, Sozialpolitik, S. 101 und Steinmeyer, RdA 2001, S. 10 (19 f.), an, die die Zusicherung der Kommission, das Europäische Parlament umfassend zu unterrichten, als Ausgleich für die Nichterwähnung der Parlamentsbeteiligung im EGV ansehen. 760 Betten, ELR 1998, S. 20 (32); Weiss, IJCLLIR 1992, S. 3 (13). 761 v. Mangoldt / Klein / Starck-Classen, GG, Art. 23 Abs. 1, Rn. 31.

§ 14 Legitimation des Ministerrats

155

gründung steht bisher allerdings aus. Problematisch ist, ob der Rat ein effektives demokratisches Legitimationsniveau in organisatorisch-personeller und sachlichinhaltlicher Hinsicht gewährleisten kann. Die demokratische Legitimation und ihre Effektivität bilden eine Einheit,762 auch wenn die Effektivität nicht stets ausdrücklich miterwähnt wird. Die demokratische Legitimation hat gerade einen effektiven Einfluß der Bürger zum Ziel.763 Sie geht m.E. automatisch mit einem bestimmten Grad an Effektivität einher.764 Rechtsdogmatisch ist eine uneffektive demokratische Legitimation schlicht undenkbar. Vorüberlegungen dazu, ob das Legitimationsniveau oder das Maß an Effektivität auf Gemeinschaftsebene dem des Grundgesetzes entsprechen oder ihm gegenüber reduziert werden muß, sind müßig und sollen hier nicht angestellt werden.765 Es läßt sich abstrakt nicht festlegen.766 Vielmehr ist es im Zusammenhang mit konkreten Problemen zu bestimmen. Grundsätzlich gilt: Eine effektive demokratische Legitimation kann es nur geben oder nicht geben. Sie kann nicht mehr oder weniger verwirklicht sein.767 Die Effektivität liegt vor, wenn sich die Hoheitsgewalt tatsächlich von den Bürgern herleitet und ihnen gegenüber verantwortet wird.768 Gegen die effektive demokratische Legitimation des Rates bestehen erhebliche rechtspolitische Bedenken.769 Sie sollen hier auf ihre rechtsdogmatische Einschlägigkeit untersucht werden. Der Rat führt die Sozialpartnervereinbarungen gem. Art. 139 Abs. 2 S. 1 2. Alt. EGV auf gemeinsamen Antrag der Unterzeichnerparteien und auf Vorschlag der Kommission durch. Er ist das entscheidende Rechtsetzungsorgan.

Vgl. auch Böckenförde, HStR I, Rn. 11 ff., insbesondere Rn. 14. Böckenförde, Demokratie als Verfassungsprinzip, S. 289 (300); ders., HStR I, § 22 Rn. 14. 764 Die Effektivität bezieht sich auf das Zusammenwirken der verschiedenen Legitimationsformen, d. h. der institutionell-funktionellen, organisatorisch-personellen und sachlichinhaltlichen Legitimation; vgl. BVerfG v. 31. 10. 1990 – 2 BvF 3 / 89 –, BVerfGE 83, S. 60 (71 f.); Böckenförde, Demokratie als Verfassungsprinzip, S. 289 (301, 308). 765 Auch das BVerfG äußert sich in seinem Urteil v. 12. 10. 1993 – 2 BvR 2134, 2159 / 92 –, BVerfGE 89, S. 157 (182) nicht zu der Höhe des Legitimationsniveaus. Konkreter ist da schon das Urteil v. 31. 10. 1990 – 2 BvF 3 / 89 –, BVerfGE 83, S. 60 (72, 74), in dem das BVerfG für eine effektive demokratische Legitimation das Zusammenwirken der institutionell-funktionellen, organisatorisch-personellen und sachlich-inhaltlichen Legitimation verlangt. Anders Brosius-Gersdorf, EuR 1999, S. 133 (155 ff.); Ipsen, FS für Lerche, S. 425 (430 f.). 766 Vgl. Cremer, EuR 1995, S. 21 (23 f., 40), nach dem die Effektivität demokratischer Legitimation nicht meßbar ist. 767 So im Ergebnis auch Brosius-Gersdorf, EuR 1999, S. 133 (160 ff.). 768 Vgl. Pernice, HStR VIII, § 191 Rn. 38; ähnlich Cremer, EuR 1995, S. 21 (40), nach dem die demokratische Legitimation funktionsfähig angelegt sein muß. 769 Statt vieler v. Mangoldt / Klein / Starck-Classen, GG, Art. 23 Abs. 1 Rn. 28; Cremer, EuR 1995, S. 21 (36 ff.); Preis / Gotthardt, EAS, B 1100 Rn. 46. 762 763

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4. Teil: Demokratische Legitimation der Akteure

I. Organisatorisch-personelle Legitimation des Rats Es ist anerkannt, daß der Rat über eine organisatorisch-personelle Legitimation verfügt.770 Gem. Art. 203 EGV setzt er sich aus je einem Regierungsvertreter der Mitgliedstaaten auf Ministerebene zusammen. Die Minister sind durch die nationalen Parlamente, d. h. vielmehr nach den nationalen Wahl- oder Ernennungsverfahren demokratisch legitimiert.771 Die Legitimationskette reicht von den Staatsbürgern über die nationalen Parlamente zu den nationalen Regierungen772 und setzt sich ununterbrochen im Rat fort. Das Europäische Parlament kann zu seiner organisatorisch-personellen Legitimation nichts beitragen. Fraglos ist die Legitimation des Ministerrates eine sehr mittelbare. Sie wird daher in ihrer Qualität in Frage gestellt.773 Wenngleich die unmittelbare Legitimation als demokratisch „wertvoller“ einzustufen ist, ist doch die mittelbare in rechtsdogmatischer Hinsicht gleich zulässig und hinreichend.774 Die demokratische Legitimation kann nämlich nur bestehen oder nicht bestehen. Für ihr Bestehen kommt es – sowohl auf nationaler wie auf europäischer Ebene – allein auf die Lückenlosigkeit der Legitimationskette an.775

II. Sachlich-inhaltliche Legitimation der Ratsentscheidungen Die Entscheidungen des Rates sind nun darauf zu untersuchen, ob ihre sachlichinhaltliche Legitimation hinlänglich tragfähig ist. Damit die Ausübung von Hoheitsgewalt mit dem Willen der Bürger übereinstimmt, müssen die Bürger oder ihre Vertretung grundsätzlich das die Hoheitsgewalt ausübende Gemeinschaftsorgan zur Verantwortung ziehen können.776 Eine Kontrolle des Rates durch das Europäische Parlament scheidet beim Sozialen Dialog aus, da es nicht am Verfah770 Britz / Schmidt, EuR 1999, S. 467 (487 f.); Classen, AöR 1994, S. 238 (246); Kluth, Demokratische Legitimation, S. 78 ff.; Ossenbühl, DVBl. 1993, S. 629 (635); Zuleeg, JZ 1993, S. 1069 (1072). 771 Die Regierungen bzw. die Regierungschefs werden entweder wie in Deutschland oder Spanien durch das nationale Parlament gewählt oder durch einen direkt gewählten Präsidenten oder König eingesetzt, der auf die Mehrheitsverhältnisse im Parlament Rücksicht nehmen muß; Kluth, Demokratische Legitimation, S. 86, 91. 772 In Deutschland können auch Ländervertreter die Rechte der Bundesrepublik im Rat wahrnehmen, vgl. Art. 23 Abs. 6 GG. 773 Kokott, AöR 1994, S. 207 (215); Pernice, HStR VIII, § 191 Rn. 53 m. w. N. 774 Böckenförde, HStR I, § 22 Rn. 16; ders., Demokratie als Verfassungsprinzip, S. 289 (302); Hoffmann-Riem, DÖV 1997, S. 433 (438); a.A. Magiera, FS für Everling, S. 789 (792), der glaubt, daß im staatlichen Bereich stets eine unmittelbare Legitimation erforderlich ist. Hierzu gleich mehr. 775 Böckenförde, HStR I, § 22 Rn. 16. 776 Böckenförde, HStR I, § 22 Rn. 21 f.; Magiera, FS für Everling, S. 789 (793); s. o. 3. Teil § 10 II. 3. a) dd) (2).

§ 14 Legitimation des Ministerrats

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ren beteiligt ist. Davon abgesehen besteht auch keine personelle Rückbindung des Ministerrats an das Europäische Parlament, sondern an die nationalen Parlamente.777 Die daraus folgende hohe Mediatisierung seiner Entscheidungen kann die effektive sachlich-inhaltliche Legitimation indes nicht ernsthaft gefährden.778 Sicher ist zwar: Je mehr Glieder in die Legitimationskette zwischen Bürger und entscheidendem Organ treten und die Legitimation weitervermitteln, desto stärker dünnt sich die Zustimmung der Vertretenen aus779 und leidet die rechtspolitische Effektivität der demokratischen Legitimation. Rechtsdogmatisch kann die demokratische Legitimation aber nur bestehen oder nicht bestehen. Eine Abstufung der demokratischen Legitimation ist ausgeschlossen. Die Grenze der demokratischen Legitimation ist rechtsdogmatisch erst erreicht, wenn die Ratsvertreter ihre Entscheidungen nicht am Willen der Bürger ausrichten bzw. den Bürgern nicht verantwortlich sind. Um diese Grenze geht es im folgenden. Zweifel an der sachlich-inhaltlichen Legitimation knüpfen an die fehlende Gesamtverantwortlichkeit des Rates an. Falls sich diese Zweifel als berechtigt erweisen (1.), kommt es auf eine wirksame Kontrolle der Ratstätigkeit im Wege der Verantwortlichkeit der Ratsvertreter vor den unmittelbar demokratisch legitimierten nationalen Parlamenten an (2.).

1. Keine Verantwortlichkeit des Rates in seiner Gesamtheit Der Rat übt als Vertreter der Mitgliedstaaten und als Gemeinschaftsorgan eine Doppelfunktion aus.780 Als Gemeinschaftsorgan unterliegt er nicht der parlamentarischen Verantwortlichkeit. Der Grund liegt darin, daß die demokratische Legitimation des Rates nationalen Ursprungs ist.781 Die einzelnen aus den Mitgliedstaaten herrührenden Legitimationsstränge enden im Rat und weisen untereinander keine Querverbindungen auf. Ein dogmatisches Instrument, das sie verknüpft und somit dem Organ in seiner Gesamtheit zuführt, ist bisher nicht gefunden worden.782 In der Konsequenz bedeutet das: Ein nationales Parlament kann zwar seiOppermann, Europarecht, Rn. 284. Hilf, EuR 1984, S. 9 (10); Müller-Graff, Direktwahl, S. 41. 779 U. a. Everling, DVBl. 1993, S. 936 (944); Ossenbühl, DVBl. 1993, S. 629 (634); Zuleeg, JZ 1993, S. 1069 (1071). 780 Zur Doppelstellung der Ratsvertreter Kluth, Demokratische Legitimation, S. 84; Grabitz / Hilf-Schweitzer, EGV, Art. 146 Rn. 1 (Stand: Mai 1995). 781 In diesem Sinne Kluth, Demokratische Legitimation, S. 83, der von „zwölf einzelne(n) Stränge(n), die unverbunden im Rat enden“, spricht. Es wird daher die Beteiligung des Europäischen Parlaments an den Rechtsetzungsakten der Gemeinschaft für erforderlich gehalten; Dederer, RdA 2000, S. 216 (219 f.); Rupp, Diskussionsbeitrag, S. 59; Seeler, EuR 1998, S. 721 (729, 732). 782 Kluth, Demokratische Legitimation, S. 83 ff., spricht von einer plural-territorialen Legitimation des Ministerrates, die schließlich die Anknüpfung an den einzelnen Ratsvertreter nicht überwinden kann. Das Bestehen einer demokratischen Legitimation ist ihm zufolge „communio opinio“; vgl. ders., Demokratische Legitimation, S. 79. 777 778

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4. Teil: Demokratische Legitimation der Akteure

nen eigenen Regierungsvertreter zur Verantwortlichkeit ziehen. Es kann jedoch nicht die Regierungsvertreter der anderen Mitgliedstaaten oder gar den Rat in seiner Gesamtheit seiner Kontrolle unterwerfen.783 Das Staatsvolk eines Mitgliedstaates vermag also nicht das Handeln der Ratsvertreter anderer Mitgliedstaaten und erst recht nicht die supranationale Hoheitsgewalt als solche mit ihren Entscheidungen sachlich-inhaltlich zu legitimieren.

2. Verantwortlichkeit der Ratsvertreter gegenüber den nationalen Parlamenten Eine sachlich-inhaltliche Legitimation der Ratsentscheidungen ist gleichwohl nicht ausgeschlossen. Statt über die Verantwortlichkeit des Rates in seiner Gesamtheit kann sie über die Verantwortlichkeit der Ratsmitglieder vor dem jeweiligen nationalen Parlament hergestellt werden.784 Damit sich der Wille der Staatsbürger in den Ratsentscheidungen aktualisieren kann, muß es den nationalen Parlamenten möglich sein, durch ihre jeweiligen Vertreter auf die Tätigkeit des Rates Einfluß zu nehmen. Im folgenden ist nachzuweisen, daß die nationalen Parlamente ihre Regierungsvertreter kontrollieren können (a) und ihre Kontrolle letztendlich auch durchgreift (b, c).

a) Rechtliche Grundlagen einer Kontrolle der nationalen Vertreter im Rat In Deutschland bildet die rechtliche Grundlage für die Rückbindung des Vertreters im Rat an den Bundestag seit Maastricht Art. 23 Abs. 2, 3 GG i.V. m. ZEUBBG.785 Danach hat die Bundesregierung den Bundestag umfassend und frühestmöglich zu unterrichten, ihm Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben und diese bei den Verhandlungen zu berücksichtigen. Zur effektiveren Mitwirkung bestellt der Bundestag gem. Art. 45 GG einen Ausschuß für die Angelegenheiten der Europäischen Union, den er ermächtigen kann, die Rechte aus Art. 23 GG wahrzunehmen.786 Die Pflicht, die Bundestags-Stellungnahme zu berücksichtigen, er783 In diesem Sinne Classen, AöR 1994, S. 238 (253 f.); Dederer, RdA 2000, S. 216 (219); Doehring, ZRP 1993, S. 98 (100). Ähnlich Ress, GS für Geck, S. 625 (646); schief hier Zuleeg, JZ 1993, S. 1069 (1071), der in Mehrheitsentscheidungen deshalb kein Problem sieht, weil auch hier die Einigung zwischen mehreren Staaten erforderlich ist. 784 U. a. Klein, VVDStRL 1991, S. 56 (76); Schwarze, JZ 1993, S. 585 (588). 785 Gesetz über die Zusammenarbeit von Bundesregierung und Deutschem Bundestag in Angelegenheiten der Europäischen Union v. 12. 03. 1993, BGBl. 1993 I, S. 311 f. Zu der Mitwirkung des Bundesrates i. S. d. Art. 23 Abs. 4 – 6 GG vgl. das Gesetz über die Zusammenarbeit von Bundesregierung und Ländern in Angelegenheiten der Europäischen Union v. 12. 03. 1993, BGBl. 1993 I, S. 313 ff. (ZEUBLG) und Schede, Bundesrat, S. 86 ff. 786 Pernice, Die Verwaltung 1993, S. 449 (466).

§ 14 Legitimation des Ministerrats

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legt der Bundesregierung nach überwiegender Meinung eine Befassungs-, Begründungs- und Sorgfaltspflicht auf, bindet sie aber nicht rechtlich.787 Die weitergehende Fassung des § 5 S. 3 ZEUBBG, wonach die Bundesregierung die Stellungnahme ihren Verhandlungen zugrunde legt, ist verfassungskonform einschränkend auszulegen.788 Das politische Letztentscheidungsrecht verbleibt bei der Bundesregierung.789 Zu beachten ist jedoch, daß der Bundestag die Europapolitik der Bundesregierung wiederum durch deren parlamentarische Verantwortlichkeit beeinflussen kann.790 In anderen Mitgliedstaaten wie Finnland (§ 96 finnische Verf.), Frankreich (Art. 88 – 4 französische Verf.), Irland (Art. 29 Abs. 5 irische Verf.), Österreich (Art. 23e österreichische Verf.) und auch Dänemark und England ist eine ähliche parlamentarische Rückbindung der Ratsvertreter auch ausdrücklich geregelt, was nicht heißt, daß die restlichen Mitgliedstaaten sie nicht praktisch ebenso kennen.791 b) Grenze der Legitimation wegen mangelnder Öffentlichkeit Trotz der rechtlichen Absicherung der Kontrolle der nationalen Vertreter im Rat sind der sachlich-inhaltlichen demokratischen Legitimation der Ratsentscheidungen insoweit Grenzen gesetzt, als die Öffentlichkeit insgesamt792 nicht ausreichend gewährleistet ist. Der Mangel an Publizität und Transparenz drückt sich darin aus, daß die Ratssitzungen nicht öffentlich stattfinden und die Entscheidungsvorgänge und Verhandlungsergebnisse im Rat der Öffentlichkeit nicht ausreichend in Form von Dokumenten zugänglich gemacht werden. Die nationalen Parlamente oder Staatsbürger können in diesem Fall die Ratsvertreter für ihr Handeln im Rat nicht wirksam zur Verantwortlichkeit ziehen.793 787 Kamann, Mitwirkung der Parlamente, S. 79 f., 81; Möller / Limpert, ZParl 1993, S. 21 (28); Ossenbühl, DVBl. 1993, S. 629 (634); v. Münch / Kunig-Rojahn, GG, Art. 23 Rn. 62; Sachs-Streinz, GG, Art. 23 Rn. 101. Dagegen unterliegt das Ratsmitglied Weisungen der Bundesregierung. Ein abweichendes Stimmverhalten bleibt jedoch rechtsgültig, vgl. hierzu Oppermann, Europarecht, Rn. 284. Ob die Stellungnahme des Bundesrates i. S. d. Art. 23 Abs. 5 S. 2 1. HS GG bindend ist und ihm damit ein Letztentscheidungsrecht zukommt, ist umstritten; vgl. Pernice, Die Verwaltung 1993, S. 449 (467); Schede, Bundesrat, S. 138 f.; Sachs-Streinz, GG, Art. 23 Rn. 108 ff. m. w. N.; a.A. Lang, Mitwirkungsrechte, S. 179 f. 788 Sachs-Streinz, GG, Art. 23 Rn. 101. 789 v. Münch / Kunig-Rojahn, GG, Art. 23 Rn. 61. 790 Der Bundestag kann seine parlamentarische Kontrolle z. B. über Art. 67 Abs. 1 S. 1, 68 Abs. 1 S. 1, 69 Abs. 2 GG ausüben; BVerfG v. 12. 10. 1993 – 2 BvR 2134, 2159 / 92 –, BVerfGE 89, S. 155 (191); so auch Dederer, RdA 2000, S. 216 (219); Klein, VVDStRL 1991, S. 56 (76); Schwarze, JZ 1993, S. 585 (588). 791 Hierzu Classen, ZRP 1993, S. 57 (60); ders., AöR 1994, S. 238 (253 f.); Kimmel, Verfassungen der EU-Mitgliedstaaten; Oppermann, Europarecht, Rn. 284; Pernice, Die Verwaltung 1993, S. 449 (467); pauschal Seeler, EuR 1998, S. 721 (729). 792 Curtin / Meijers, CML Rev. 1995, S. 391 ff., differenzieren zwischen der Öffentlichkeit der Ratssitzungen, der Verhandlungsergebnisse, etc.; Oeter, ZaöRV 1995, S. 659 (703); Zuleeg, JZ 1993, S. 1069 (1071).

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4. Teil: Demokratische Legitimation der Akteure

Der Europäische Rat hat sich in seinen Erklärungen von Birmingham und Edinburgh im Oktober und Dezember 1992 um die Offenheit und Transparenz der Ministerratstätigkeit bemüht.794 Entsprechend wurde die Geschäftsordnung des Rates neu gefaßt, die Vorschriften über die Öffentlichkeit enthält.795 Obwohl die neue Geschäftsordnung die Verhandlungen und Entscheidungsprozesse im Rat der Öffentlichkeit zugänglicher als noch in den 1980er Jahren796 macht, bleiben Tagungen des Rates in der Regel vertraulich. Das fällt dann weniger ins Gewicht, wenn ein ausreichender öffentlicher Zugang zu Informationen über die Ratsverhandlungen besteht.797 Der Rat kann aber von der in Art. 7 Abs. 5 GO vorgesehenen Veröffentlichung der Abstimmungsprotokolle bei gesetzgeberischen Entscheidungen mit einfacher Mehrheit seiner Mitglieder absehen.798 Die Geschäftsordnung bleibt an dieser Stelle hinter den Anforderungen des durch den Amsterdamer Vertrag neu eingefügten zweiten Unterabsatzes zu Art. 207 Abs. 3 (Art. 151 Abs. 3 EGV a.F.) i.V.m. Art. 255 Abs. 3 EGV zurück, der den Zugang zu den Ratsdokumenten regelt. Sie ist angesichts der höherrangigen Regelung nicht mehr akzeptabel.799 Nach Satz drei des zweiten Unterabsatzes zu Art. 207 Abs. 3 EGV sind die Abstimmungsergebnisse sowie die Erklärungen zur Stimmabgabe und die Protokollerklärungen in jedem Fall zu veröffentlichen, wenn der Rat als Gesetzgeber tätig wird. In dieser Hinsicht wurde den Forderungen nach mehr Transparenz entsprochen.800 Weder die Geschäftsordnung des Rates noch der EGV schreiben allerdings eine vollständige Öffentlichkeit fest.801 Es ist daher anzunehmen, daß wichtige Verhandlungen und Letztentscheidungen in Ratssitzungen weiterhin unter Ausschluß 793 U. a. Brosius-Gersdorf, EuR 1999, S. 133 (157 ff.); Doehring, DVBl. 1997, S. 1133 (1134); Hilf, EuR 1984, S. 9 (10 ff.); Klein, FS für Remmers, S. 195 (200); Magiera, FS für Everling, S. 789 (793) m. w. N.; Seeler, EuR 1998, S. 721 (729, 732); zu dem weiteren Problem der kaum noch vorhandenen Mitwirkungsmöglichkeiten der nationalen Parlamente im Vorfeld einer gemeinschaftlichen Rechtsetzung und bei der Umsetzung von Richtlinien vgl. Ossenbühl, DVBl. 1993, S. 629 (636 f.); Weber, JZ 1993, S. 325 (330). 794 Hierzu BVerfG v. 12. 10. 1993 – 2 BvR 2134, 2159 / 92 –, BVerfGE 89, S. 155 (185); Calliess / Ruffert-Calliess, EUV / EGV, Art. 1 Rn. 36 f. 795 Zu der Geschäftsordnung, die im direkten Anschluß an den Verhaltenskodex von Rat und Kommission für den Zugang der Öffentlichkeit zu ihren Dokumenten und den ihn umsetzenden Ratsbeschluß 93 / 731 / EG über den Zugang der Öffentlichkeit zu Ratsdokumenten (ABl. L 340 v. 31. 12. 1993, S. 41 ff.) erlassen wurde, vgl. Lenz-Breier, EGV, Art. 205 Rn. 12 f.; Curtin / Meijers, CML Rev. 1995, S. 391 (425 ff.); Röger, DVBl. 1994, S. 1182 ff.; Schweitzer / Hummer, Europarecht, Rn. 943 f. 796 Die alte Geschäftsordnung wurde 1979 erlassen und galt bis 1993. 797 Ähnlich Kamann, Mitwirkung der Parlamente, S. 272 f. 798 Vgl. Lenz-Breier, EGV, Art. 205 Rn. 12; ausführlich Kahl, ZG 1996, S. 224 (230 ff.). 799 U. a. Lenz-Breier, EGV, Art. 205 Rn. 12; Calliess / Ruffert-Wichard, EUV / EGV, Art. 207 Rn. 9. 800 Calliess / Ruffert-Wichard, EUV / EGV, Art. 207 Rn. 7. 801 Kamann, Mitwirkung der Parlamente, S. 273.

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161

der Öffentlichkeit getroffen werden.802 Der Ausschluß fällt dann besonders negativ ins Gewicht, wenn der Verhandlungsverlauf und das Abstimmungsergebnis nicht transparent sind und eine Mehrheitsentscheidung vorliegt. Denn hier können die nationalen Parlamente im Unterschied zu einstimmigen Entscheidungen das Abstimmungsverhalten ihres Ratsvertreters nicht mehr rekonstruieren. Die sachlichinhaltliche Legitimation ist hier nicht mehr gewahrt. Die Verstöße gegen den Grundsatz der Öffentlichkeit und der sachlich-inhaltlichen Legitimation sind jedoch gerechtfertigt. Der Rat ist in Fällen vorrangigen Interesses berechtigt, die Publizität nicht nur von seinen Sitzungen, sondern auch von den Dokumentationen generell zu begrenzen. Dies ist unter dem Gesichtspunkt der Funktionsfähigkeit des Rates hinzunehmen.803 Sie wäre z. B. betroffen, wenn der Rat bei der Behandlung von sensiblen Themen wie dem Umweltschutz durch die öffentliche Artikulation der nationalen Interessengegensätze die Vorbehalte der Mitgliedstaaten untereinander schüren würde. In den Mitgliedstaaten verhält es sich nicht anders: Beratungen in den nationalen Entscheidungsgremien wie den Parlamentsausschüssen werden ebenfalls nicht immer öffentlich abgehalten und die Gründe hierfür überwiegend als legitim angesehen.804

c) Teilweise Durchbrechung der Legitimation bei Mehrheitsentscheidungen Eine Einflußnahme der nationalen Parlamente auf anstehende Ratsentscheidungen über ihren jeweiligen Minister scheidet auch aus, wenn der nationale Vertreter bei Mehrheitsentscheidungen mangels Veto-Möglichkeit überstimmt wird oder abwesend ist.805 Obgleich die nationalen Parlamente ihren Vertreter unverändert kontrollieren können, greift ihre Kontrolle und Legitimationsvermittlung im Fall des Überstimmtwerdens und der Abwesenheit nicht wirksam durch. Die sachlichinhaltliche Legitimation wird insoweit durchbrochen. Die Ursache des Problems liegt erneut darin, daß die demokratische Legitimation rein nationalen Ursprungs ist und eine demokratische Verantwortlichkeit der anderen Ratsmitglieder gegenüber dem überstimmten Staatsvolk nicht besteht.806 802 Die Einschätzung teilen Calliess / Ruffert-Calliess, EUV / EGV, Art. 1 Rn. 35; Pernice, Die Verwaltung 1993, S. 449 (467). 803 Dreier-Pernice, GG, Art. 23 Rn. 52; ders., Die Verwaltung 1993, S. 449 (467). 804 Classen, AöR 1994, S. 238 (253); ähnlich Lenz-Hetmeier, EGV, Art. 255 Rn. 8, zu den Gründen der Geheimhaltung von Dokumenten. 805 So auch Dederer, RdA 2000, S. 216 (218 f.); Doehring, DVBl. 1993, S. 1133 (1134); ders., ZRP 1993, S. 98 (99); Ipsen, EuR 1994, S. 1 (13); Pernice, Die Verwaltung 1993, S. 449 (469); Dreier-Dreier, GG, Art. 23 Rn. 52, 57; Seeler, EuR 1998, S. 721 (729, 732). 806 Es wird daher die Beteiligung des Europäischen Parlaments an den Rechtsetzungsakten der Gemeinschaft für erforderlich gehalten; Dederer, RdA 2000, S. 216 (219 f.); Rupp, Diskussionsbeitrag, S. 59, der sich gegen die „gouvernementale Oligarchie der Europäischen Union“ wendet; Seeler, EuR 1998, S. 721 (729, 732).

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4. Teil: Demokratische Legitimation der Akteure

Daran kann auch die auf dem Gipfeltreffen in Nizza beschlossene Neugewichtung der Stimmen bei Mehrheitsentscheidungen im Rat, die durch die zahlenmäßige Mehrheit der Mitgliedstaaten zugleich eine qualifizierte Mehrheit der Gemeinschaftsbevölkerung repräsentiert sehen will,807 nichts ändern.

aa) Erfordernis der Legitimation durch Bürger aller Mitgliedstaaten Die Durchbrechung der Legitimation des Rates bei Mehrheitsentscheidungen ist aber um der Handlungs- und Integrationsfähigkeit der Gemeinschaft willen hinzunehmen.808 Die Gegenauffassung versucht wenig überzeugend, Art. 20 Abs. 2 GG über Art. 23 Abs. 1 S. 3 GG direkt auf die Gemeinschaft anzuwenden und die gemeinschaftliche Hoheitsgewalt an ein Volk bzw. die Bürger eines Mitgliedstaates rückzubinden.809 Aus der deutschen Sicht müßten sich verbindliche Entscheidungen der Gemeinschaft mit Wirkung für die deutschen Bürger dann in einer ununterbrochenen Legitimationskette auf sie zurückführen lassen und vor ihnen verantwortet werden.810 In der Konsequenz hieße das, daß Mehrheitsentscheidungen gegen den Willen der deutschen Bürger unzulässig wären. Diese Denkweise ist zu grundgesetzzentriert und daher zu verwerfen. Die Gemeinschaftsgewalt ist gerade keine Staatsgewalt i. S. d. Art. 20 Abs. 2 S. 1 GG. Indem das Grundgesetz in Art. 24 Abs. 1 GG und konkretisiert durch Art. 23 GG die Übertragung von Hoheitsrechten auf eine zwischenstaatliche Einrichtung vorsieht, hat es sich der internationalen Zusammenarbeit geöffnet. Damit werden gleichzeitig die solchen Organisationen eigenen Strukturen in Kauf genommen.811 Die Propagierung nur eines Legitimationssubjekts i. S. d. Art. 20 Abs. 1, 2 GG widerspricht denn nach dem BVerfG auch der Integrationsoffenheit des Grundgesetzes und macht jedes hoheitliche Gebilde jenseits des Einstimmigkeitsprinzips integrations- und handlungsunfähig.812 Aus dem soeben Gesagten folgt, daß das fehlende Durchgreifen der parlamentarischen Kontrolle um einer handlungsfähigen Integrationsgemeinschaft willen gerechtfertigt ist, ohne daß daraus zwingend auf die fehlende demokratische Legitimation des Ministerrates geschlossen werden könnte.813 Dagegen ist die Grenze für inhaltliche Änderungen oder Ergänzungen 807 Es handelt sich hier um ein Prinzip der doppelten Mehrheit; vgl. Theato, EuZW 2001, S. 129. 808 Vgl. u. a. Badura, VVDStRL 1966, S. 34 (39); BK-Tomuschat, GG, Art. 24 Rn. 55 (Stand: April 1981); Oppermann, FS für v. der Heydte I, S. 449 (456 f.). 809 Brosius-Gersdorf, EuR 1999, S. 133 (160). 810 Ähnlich Brosius-Gersdorf, EuR 1999, S. 133 (156 ff.). 811 Cremer, EuR 1995, S. 21 (24 ff., 31 f.); Kirchner / Haas, JZ 1993, S. 760 (766). 812 BVerfG v. 12. 10. 1993 – 2 BvR 2134, 2159 / 92 –, BVerfGE 89, S. 155 (183); Cremer, EuR 1995, S. 21 (31 ff.); v. Münch / Kunig-Rojahn, GG, Art. 23 Rn. 23; Seeler, EuR 1998, S. 721 (729, 731). 813 So auch Sachs-Streinz, GG, Art. 23 Rn. 26; Classen, AöR 1994, S. 238 (254 f.).

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des Grundgesetzes gem. Art. 23 Abs. 1 S. 3, 79 Abs. 3, 20 Abs. 2 GG erreicht, wenn die Verfassungsstruktur des Grundgesetzes ausgehöhlt wird.814 Durch diese Grenze wird die Souveränität des deutschen Volkes auch bei der europäischen Integration erhalten.815

bb) Einflußnahme der Staatsbürger trotz Überstimmung Selbst im Falle der Überstimmung ist eine gewisse Verantwortlichkeit der Mehrheit gegenüber den überstimmten Bürgern denkbar. Auf der Gemeinschaftsebene existieren nämlich Entscheidungsstrukturen, die den Rat auch an den Willen der überstimmten Bürger binden.816 An der Willensbildung des Rates sollen gemäß dem Konkordanzprinzip grundsätzlich alle Mitgliedstaaten mitwirken. Nach der Konzeption des EGV fallen die Ratsentscheidungen nicht spontan, sondern stellen das Ergebnis ausführlicher Vorbereitungen (Art. 207 EGV) und Verhandlungen dar, die auf einen möglichst breiten Kompromiß gerichtet sind. Bei diesen Vorbereitungen können auch Ideen der überstimmten Staaten in die Formulierung der Rechtsakte einfließen und den Mehrheitsbeschluß sachlich-inhaltlich legitimieren.817 Damit ein Mitglied nicht ständig überstimmt und seine Souveränität auf diese Weise untergraben wird, findet das Mehrheitsprinzip seine Grenze in dem Grundsatz von Treu und Glauben.818 Dieser im Völkerrecht allgemein anerkannte und für internationale Organisationen im völkerrechtlichen Sinne geltende Rechtsgrundsatz, der für die Gemeinschaft aus Art. 10 EGV abgeleitet wird, verpflichtet Mitgliedstaaten und Gemeinschaft zu wechselseitiger Rücksichtnahme.819 Die Summe der gegen den Willen eines Mitgliedstaates erlassenen Entscheidungen darf also die Grenze des Zumutbaren nicht überschreiten.820 Das kann die von politischen Erwägungen getragene Stimmgewichtung i. S. d. Art. 205 EGV verhindern, wenn 814 Kirchhof, HStR VII, § 183 Rn. 58 f.; König, ZaöRV 1994, S. 17 (35 f.); Schwarze, JZ 1993, S. 585 (592). 815 BVerfG v. 12. 10. 1993 – 2 BvR 2134, 2159 / 92 –, BVerfGE 89, S. 155 (184); Herdegen, EuGRZ 1992, S. 589 (590); Ossenbühl, DVBl. 1993, S. 629 (631 f.). 816 Vgl. Kamann, Mitwirkung der Parlamente, S. 270 f., der die Strukturen der Rückbindung an die überstimmten Staatsvölker „Legitimationsreserven“ nennt. 817 Klein, FS für Remmers, S. 195 (203). 818 Der Grundsatz wird auch Grundsatz der Gemeinschaftstreue genannt; vgl. BleckmannBleckmann, Europarecht, Rn. 697 ff.; Lück, Gemeinschaftstreue, S. 107 ff.; Hailbronner, JZ 1990, S. 149 (152 f.). Nach Klein, FS für Remmers, S. 195 (203), dürfen keine „strukturellen Minderheiten“ entstehen. 819 Vgl. BVerfG v. 12. 10. 1993 – 2 BvR 2134, 2159 / 92 –, BVerfGE 89, S. 155 (184), nach dem das Mehrheitsprinzip „gemäß dem aus der Gemeinschaftstreue folgenden Gebot wechselseitiger Rücksichtnahme eine Grenze in den Verfassungsprinzipien und elementaren Interessen der Mitgliedstaaten“ findet; Cremer, EuR 1995, S. 21 (32 f.). 820 Hailbronner, JZ 1990, S. 149 (152).

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4. Teil: Demokratische Legitimation der Akteure

auch die Mitgliedstaaten die Einhaltung des Grundsatzes nicht einklagen können, da Art. 10 EGV sie nur zur Veranlassung geeigneter Maßnahmen verpflichtet, um die Geltung und Wirksamkeit des Gemeinschaftsrechts zu gewährleisten.821 Abhängig von dem Entscheidungsprozeß wird die Rückbindung des Rates auch an die überstimmten Bürger nicht völlig durchbrochen und sind Mehrheitsentscheidungen damit zulässig.822 Dies bestätigt die demokratische Legitimation des Bundesrates, dem der Ministerrat strukturell vergleichbar ist.823

3. Ergebnis Die sachlich-inhaltliche Legitimation des Rates mag rechtspolitisch schwach sein. Rechtsdogmatisch ist sie als hinreichend anzusehen,824 auch wenn sie in Fällen der fehlenden Öffentlichkeit und der Mehrheitsentscheidungen gestört wird. Die fehlende Öffentlichkeit wird durch die Notwendigkeit der Funktionsfähigkeit des Rates gerechtfertigt. Die bei Mehrheitsentscheidungen auftretende Durchbrechung des von den nationalen Parlamenten zu dem Rat gespannten Legitimationsstranges wird abhängig von den Einflußnahmemöglichkeiten der überstimmten Mitgliedstaaten im Vorbereitungsstadium der Rechtsakte entweder strukturell abgefedert oder durch die Integrations- und Handlungsfähigkeit der Gemeinschaft gerechtfertigt. Eine absolute Grenze ist bei einer permanenten Minderheitenposition erreicht.

§ 15 Legitimation der Kommission Der Kommission kommt im Verfahren des Sozialen Dialogs neben der einleitenden Anhörung der Sozialpartner die Aufgabe zu, auf den gemeinsamen Antrag der Unterzeichnerparteien hin dem Rat die Sozialpartnervereinbarung zu ihrer Durchführung vorzuschlagen. Sie nimmt also an dem Rechtsetzungsverfahren teil und übt Rechtsetzungsbefugnisse aus.

Vgl. Geiger, EGV, Art. 10 Rn. 4; Schwarze-Hatje, Kommentar, Art. 10 Rn. 55. Widersprüchlich Classen, AöR 1994, S. 238 (242, 254 f.); Cremer, EuR 1995, S. 21 (27, 30 ff.); Dreier-Dreier, GG, Art. 20 (Demokratie) Rn. 43; Everling, Diskussionsbeitrag, S. 61 (62); Sachs-Streinz, GG, Art. 23 Rn. 26; Zuleeg, JZ 1993, S. 1069 (1071). 823 Classen, AöR 1994, S. 238 (246); Everling, Diskussionsbeitrag, S. 61 (62); Kluth, Demokratische Legitimation, S. 79 f. m. w. N.; Stern, Staatsrecht I, § 19 III. 8. f), S. 737. 824 So im Ergebnis auch BVerfG v. 12. 10. 1993 – 2 BvR 2134, 2159 / 92 –, BVerfGE 89, S. 155 (183); Britz / Schmidt, EuR 1999, S. 467 (487 f.); Kluth, Demokratische Legitimation, S. 78 ff.; Piazolo, Sozialer Dialog, S. 202. 821 822

§ 15 Legitimation der Kommission

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I. Organisatorisch-personelle Legitimation Die Mitglieder der Kommission sind ebenfalls mittelbar demokratisch legitimiert.825 Sie werden gem. Art. 214 Abs. 2 EGV durch die demokratisch legitimierten Regierungen der Mitgliedstaaten im gegenseitigen Einvernehmen nach einem Zustimmungsvotum des Europäischen Parlaments ernannt.826 Ihre organisatorischpersonelle Legitimation speist sich damit aus zwei Quellen: aus den nationalen Regierungen und dem Europäischen Parlament.827

II. Sachlich-inhaltliche Legitimation Die sachlich-inhaltliche Legitimation der Kommission wird durch ihre Verantwortlichkeit vor dem Europäischen Parlament bewirkt. Das Europäische Parlament kann die Kommission gem. Art. 197 Abs. 3 EGV durch sein Fragerecht und gem. Art. 201 EGV durch seinen Mißtrauensantrag kontrollieren.828 Aufgrund des gemeinschaftlichen Legitimationsstrangs zurück auf die Unionsbürger ist es weniger problematisch, daß die Kommission als Kollegialorgan829 ihre Beschlüsse mit einer Mehrheit ihrer Mitglieder treffen kann und einzelne Mitglieder dadurch überstimmt und die Legitimationsstränge zurück zu den nationalen Parlamenten durchbrochen werden. Dieses Problem stellte sich bereits beim Ministerrat. Bei ihm allerdings in verschärfter Form, da seine Mitglieder nachdrücklich die mitgliedstaatlichen Interessen vertreten, die Kommissionsmitglieder aber genuin europäische Interessen verfolgen.830 Waren Mehrheitsentscheidungen des Rates schon möglich, sind solche der Kommission es erst recht.

Classen, AöR 1994, S. 238 (246); Zuleeg, JZ 1993, S. 1069 (1071). Britz / Schmidt, EuR 1999, S. 467 (488); Dederer, RdA 2000, S. 216 (219); Klein, FS für Remmers, S. 195 (199). Dem Zustimmungsvotum des Europäischen Parlaments zu dem gesamten Kommissionskollegium gehen die Benennung des Kommissionspräsidenten durch die nationalen Regierungen im gegenseitigen Einvernehmen, die Zustimmung des Europäischen Parlaments speziell zu der Benennung des Präsidenten und die Benennung der übrigen Kommissionsmitglieder durch die nationalen Regierungen im Einvernehmen mit dem ausgewählten Präsidenten voraus. 827 Classen, AöR 1994, S. 238 (246); Dederer, RdA 2000, S. 216 (219). 828 Britz / Schmidt, EuR 1999, S. 467 (488); Dederer, RdA 2000, S. 216 (219); Lenz-Kaufmann / Bühler, EGV, Art. 197 Rn. 9. 829 Brosius-Gersdorf, EuR 1999, S. 133 (136 ff.); Oppermann, Europarecht, Rn. 357. 830 Vgl. Oppermann, Europarecht, Rn. 332. 825 826

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4. Teil: Demokratische Legitimation der Akteure

§ 16 Legitimation der Sozialpartner Die folgenden Ausführungen beschäftigen sich mit der Legitimation der Sozialpartner. Da das Europäische Parlament an dem Sozialen Dialog nicht notwendig zu beteiligen ist, müssen die Sozialpartner es folglich nicht, wie vom EuG behauptet, ersetzen. Offen bleibt, ob sie das Europäische Parlament ersetzen können. Die Beantwortung dieser Frage ist nicht nur dogmatisch interessant. Sie ist auch für die Klärung des sozialpartnerschaftlichen Beitrags zu der demokratischen Legitimation der durch den Sozialen Dialog gesetzten Gemeinschaftsmaßnahmen und für die Auslegung der Dialogvorschriften im anschließenden 5. Teil wichtig: Sie ermöglicht zum einen, das Verhältnis der Sozialpartner zu den anderen Beteiligten sowie ihren jeweiligen Einfluß auf die Gemeinschaftsmaßnahmen im Detail zu bestimmen. Zwar läßt sich nicht abstreiten, daß der Ministerrat den Sozialpartnervereinbarungen mangels eigener normativer Wirkung831 die erga omnes Wirkung verleiht und sie dadurch zumindest formal demokratisch legitimiert. Doch bleibt zu klären, woraus die Sekundärnormen ihre sachlich-inhaltliche bzw. materielle demokratische Legitimation schöpfen. Zum anderen könnte eine demokratische Legitimation der Sozialpartner die an sie zu stellenden Anforderungen beeinflussen. Zu untersuchen ist, wie intensiv die legitimatorische Funktion der Sozialpartner ist, ob sie also über eine eigene (demokratische) Legitimation verfügen oder eine fremde demokratische Legitimation nur stärken. Das setzt voraus, daß die Sozialpartner überhaupt eine legitimatorische Funktion wahrnehmen. Wie in der Einleitung gezeigt, ist dies der Fall. Zunächst soll der Ausgangspunkt der Frage nach der Legitimation der Sozialpartner zur Normsetzung gegenüber Nichtmitgliedern, d. h. gegenüber Nicht- und Andersorganisierten, hergeleitet werden (I.). Im Anschluß daran ist das von dem EuG entworfene Legitimationsprinzip kraft Repräsentativität näher auf seine möglichen Konsequenzen hin zu analysieren (II.). Dann ist das Erfordernis einer demokratischen Legitimation der Sozialpartner bei ihrer Normsetzung zu klären (III.), bevor näher auf die Konstruktion der Legitimation kraft Repräsentativität als Äquivalent zu der demokratischen Legitimation eingegangen wird (IV.). Hier wird sich zeigen, ob die Legitimation kraft Repräsentativität eine eigenständige Legitimation der Sozialpartner begründen oder eine fremde Legitimation nur stützen kann.

I. Ausgangspunkt: Urteil des EuG v. 17. 06. 1998 Den entscheidenden Ausgangspunkt der Betrachtung bildet das bereits erwähnte Urteil des EuG.832 Darin geht das Gericht von der Legitimation der Sozialpartner zur Normsetzung auch gegenüber Außenseitern kraft Repräsentativität aus, wie 831 832

s. o. 2. Teil § 4 III. s. o. 1. Teil § 1 I.; 2. Teil § 10 II. 2. b) cc).

§ 16 Legitimation der Sozialpartner

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sich zeigen wird. Diese Vorstellung löst sich zugegebenermaßen zum Teil von dem Verfahren des Sozialen Dialogs, in dem die Sozialpartner gerade keine normativ wirkenden Vereinbarungen schließen. Gleichwohl bleibt sie nicht ohne jeglichen Bezug zu dem Sozialen Dialog, denn sie läßt Rückschlüsse auf das Verfahren833 und insbesondere die Rolle der Sozialpartner zu.

1. Sozialpartner als Gesetzgeber und Parlamentssubstitut Das EuG hat sich in seinem in der Rechtswissenschaft kaum beachteten834 Urteil vom 17. 06. 1998 in der Rechtssache T-135 / 96 kurz und grundlegend zur Legitimation der Sozialpartner geäußert. Seiner Ansicht nach spiegelt die Beteiligung des Europäischen Parlaments an gemeinschaftlichen Rechtsetzungsverfahren in Anlehnung an den EuGH ein „grundlegendes demokratisches Prinzip ( . . . ) wider, wonach die Völker durch eine Versammlung ihrer Vertreter an der Ausübung der hoheitlichen Gewalt beteiligt sind“ (Rn. 88). Ist das Europäische Parlament in das Verfahren nicht involviert, ist die Beteiligung der Völker auf andere Weise zu gewährleisten. So hat es entschieden, die Wahrung des demokratischen Prinzips mache erforderlich, an einem Gesetzgebungsverfahren „die Beteiligung der Völker ( . . . ) durch Vermittlung der Sozialpartner, die die Vereinbarung geschlossen haben,“ sicherzustellen.835 Um das demokratische Prinzip und somit das Erfordernis der Völkerbeteiligung zu wahren, müssen Kommission und Rat die Gesamtrepräsentativität der Sozialpartner überprüfen.836 Sie besteht, wenn die Sozialpartner im Hinblick auf den Inhalt ihrer Vereinbarungen insgesamt hinreichend repräsentativ sind (Rn. 90). Es kommt also nicht darauf an, daß jeder einzelne Verband alle Normunterworfenen repräsentiert, also über eine generelle Repräsentativität verfügt, sondern daß die Sozialpartner in ihrer Gesamtheit, also kumulativ „alle Gruppen von Unternehmen und Arbeitnehmern auf europäischer Ebene repräsentieren können“ (Rn. 90, 94). Die Repräsentativität bezeichnet hier auch eine Zurechnungsbeziehung zwischen den Sozialpartnern und den Normunterworfenen. Das Augenmerk ist aber zunächst weg vom Bedeutungsgehalt der Repräsentativität hin auf die grundlegende Aussage des EuG zu richten. Die Sozialpartner können dem Urteil zufolge alle Normunterworfenen unabhängig von ihrer Mitgliedschaft in den Sozialpartnerverbänden vertreten. – Normunterworfen können nur die aktuell am Arbeitsleben Beteiligten sein. Zukünftig normunterworfen sind die heute potentiell am Arbeitsleben Beteiligten wie Auszus. u. 5. Teil § 19. Ausnahmen bilden die Aufsätze von Bercusson, ILJ 1999, S. 153 ff.; Britz / Schmidt, EuR 1999, S. 467 ff.; Dederer, RdA 2000, S. 216 ff. 835 s. o. 3. Teil § 10 II. 2. b) cc); EuG v. 17. 06. 1998, Rs. T-135 / 96 – UEAPME / RAT –, Slg. II-1998, S. 2335 (2371), Rn. 89. 836 EuG v. 17. 06. 1998, Rs. T-135 / 96 – UEAPME / RAT –, Slg. II-1998, S. 2335 (2371 f.), Rn. 89 f. 833 834

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4. Teil: Demokratische Legitimation der Akteure

bildende, Studierende oder auch Arbeitslose. Es würde ausufern, den Kreis der Normunterworfenen auf sie zu erweitern. Man müßte nämlich überlegen, was sie in ihrer potentiellen Stellung als Arbeitnehmer oder Arbeitgeber wollen würden. – Das Gericht entwirft eine Vision repräsentativer Sozialpartner. Dies bedeutet: Die Sozialpartnervereinbarung bekommt ihre demokratische Legitimation nicht wie bei dem deutschen Verfahren der Allgemeinverbindlicherklärung i. S. d. § 5 TVG837 durch einen Akt der Gemeinschaftsorgane verliehen. Vielmehr stattet die Beteiligung der Sozialpartner den gemeinschaftlichen Rechtsakt erst mit einer hinreichenden Legitimation gegenüber allen Nichtorganisierten aus. Die Sozialpartner sind also genau wie das Europäische Parlament legitimiert, auch für ihre Nichtmitglieder kollektive Normen zu setzen. Sie können das Europäische Parlament unter der Voraussetzung ersetzen, daß der EGV ihre Beteiligung vorsieht. Das Gericht nimmt damit eine staatlich-demokratische Legitimation der Sozialpartner an.838 Rat und Kommission erwähnt das Gericht nur insoweit, als sie der Sozialpartnervereinbarung eine legislative Grundlage auf Gemeinschaftsebene verleihen (Rn. 88, 89). Dies könnte darauf hinweisen, daß doch nicht die Sozialpartner, sondern die Gemeinschaftsorgane legitimierend wirken. Als mögliche Legitimationsvermittler sieht sie das Gericht dennoch nicht an. Die Sozialpartner stellen nach seinem Verständnis den einzigen Legitimationsquell dar,839 auch wenn ihre Vereinbarungen als solche bisher noch nicht verbindlich sind. Dies folgt aus dem Kontext der Urteilswürdigung durch das Gericht. In dem als „klassisch“ verstandenen Rechtsetzungsverfahren des Art. 137 EGV sieht das EuG die demokratische Legitimation trotz der Beteiligung insbesondere des Rates und des Wirtschafts- und Sozialausschusses allein durch das Europäische Parlament gewahrt. (Rn. 73, 88). Der Sichtweise des EuG schließen sich nicht alle,840 aber offenbar manche Teile der Literatur an. Sie begreifen die Sozialpartner als ein demokratisches Element.841 837 Tatsächlich stattet erst die staatliche Beteiligung die Allgemeinverbindlicherklärung mit der notwendigen demokratischen Legitimation aus; vgl. Kempen / Zachert-Kempen, TVG, § 3 Rn. 18; ErfK-Schaub, § 3 TVG Rn. 3. Die allgemeinverbindlich zu erklärenden Tarifverträge unterscheiden sich von den Sozialpartnervereinbarungen dadurch, daß ihnen bereits vor der Umsetzung normativ zwingende Wirkung zukommt. 838 Zu dem Begriff der staatlich-demokratischen Legitimation in Abgrenzung zu der gesellschaftlich-demokratischen s. sogleich unter § 16 I. 2. c). 839 So verstehen auch Britz / Schmidt, EuR 1999, S. 487 (490) und Schwarze, RdA 2001, S. 208 (211), das Urteil. 840 Viele stellen nur kategorisch fest, daß die europäischen Sozialpartner die Beteiligung des Europäischen Parlaments nicht ersetzen können; vgl. Blank, FS für Gnade, S. 649 (659); Clever, SfSH / SGB 1996, S. 188 (191); Kampmeyer, Sozialpolitik, S. 101; Schulz, Sozialpolitik, S. 113; Weiss, FS für Gnade, S. 583 (595). 841 Brinkmann, EuroAS 6 / 1993, S. 5 (7); Buchner, RdA 1993, S. 193 (202); Höland, ZIAS 1995, S. 425 (449); Lenze, NZS 1996, S. 313 (321); Pitschas / Peters, VSSR 1996, S. 21 (34); unklar Blank, FS für Gnade, S. 649 (652, 659); Kampmeyer, Sozialpolitik, S. 101 ff.; Wank, RdA 1995, S. 10 (21); zurückhaltend Kempen, KritV 1994, S. 3 (50 f.); aus politikwissenschaftlicher Sicht (Markmann, Rolle der Verbände, S. 269 (270)) verfügen die euro-

§ 16 Legitimation der Sozialpartner

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Dies mag auf den ersten Blick nahe liegen, da die Sozialpartner Millionen von Mitgliedern vertreten.842 Vielfach bleibt aber unklar, was mit dem Begriff der „Demokratie“ gemeint sein soll, worin also genau der Legitimationsbeitrag der Sozialpartner liegt.843 Können sie eine eigene Legitimation erzeugen oder die Legitimation des Rates nur stärken? Um diese begrifflichen Ungenauigkeiten aufzuklären, soll im folgenden die Prämisse insbesondere des EuG dogmatisch ergründet werden. Dabei ist in einem nächsten Schritt zu klären, was die Repräsentativität in ihrer Aussage als Legitimationsprinzip bedeutet.

2. Repräsentativität als Legitimationsprinzip Einen Schlüsselbegriff in dem Urteil des EuG stellt die Repräsentativität dar. Das Gericht verwendet allein diesen Begriff. In den anderen Sprachfassungen des Urteils sieht es ähnlich aus.844

a) Doppelte Bedeutung der Repräsentativität Nach Auffassung des EuG bedeutet die Repräsentativität zweierlei. Zum einen stellt sie ein Element der Tariffähigkeit und damit ein Prinzip der Verbandsbildung dar. Als solche ist sie der „représentativité“ des französischen Tarifvertragsrechts vergleichbar, die mit ihren im Code du Travail verankerten Merkmalen der Mitgliederzahl, Gegnerunabhängigkeit, Finanzkraft, Erfahrung zusammen mit der Betätigungsdauer und patriotischen Haltung845 die Teilhabe an der sozialen Selbstverwaltung anstrebt.846 Ihr Ziel besteht darin, von staatlicher Seite als Kollektivvertragspäischen Sozialpartner „in den Ländern der Gemeinschaft über die stärkste demokratische Legitimation“; a.A. Betten, ELR 1998, S. 20 (32, 35), die zwischen der behaupteten demokratischen Funktion der Sozialpartner und ihrem tatsächlichen Vertretungsanspruch ein Paradoxon sieht; Moreau, Droit social 1999, S. 53 (55 ff., insbesondere 59); Schmidt, IJCLLIR 1999, S. 259; ausführlicher Britz / Schmidt, EuR 1999, S. 467 (490 ff.); Dederer, RdA 2000, S. 216 (220 ff.). 842 Lenze, NZS 1996, S. 313 (321). 843 Blank, FS für Gnade, S. 649 (652, 659); Kampmeyer, Sozialpolitik, S. 101 ff.; Wank, RdA 1995, S. 10 (21). 844 Dort heißt es: representativity in englisch, représentativité in französisch, rappresentatività in italienisch, repraesentationsevne in dänisch, representativiteit in niederländisch, representatividade in portugiesisch, representativitet in schwedisch, representatividad in spanisch; vgl. http: // europa.eu.int / smartapi / cgi / sga_doc?smartapi!celexapi!prod!CELEX numdoc&lg=it&numdoc=61996 A0135&model=guicheti v. 23. 02. 2002. 845 Vgl. Art. L 133 – 2 Code du Travail. Daneben gibt es weitere ungeschriebene Kriterien wie z. B. die „audience“, d. h. Gehör, das eine Gewerkschaft unter den Arbeitnehmern findet; vgl. hierzu Krieger, Französisches Tarifvertragsrecht, S. 44 ff. 846 Gamillscheg, FS für Herschel, S. 99 (109 ff.); Krieger, Französisches Tarifvertragsrecht, S. 43 ff.

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4. Teil: Demokratische Legitimation der Akteure

koalition anerkannt zu werden. In dieser Form ist sie allen mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen eigen.847 Für diese Untersuchung spielt sie keine weitere Rolle. Zum anderen drückt sich in ihr ein Prinzip der Legitimation aus, das an die Stelle des demokratischen Wahlakts tritt.848 Die Repräsentativität bezeichnet hier eine Zurechnungsbeziehung zwischen den Verbänden und den Normunterworfenen. Das EuG stellt einen Zusammenhang zwischen Repräsentativität und Legitimation her. Die Legitimation erwächst aus der Repräsentativität; es existiert somit eine Legitimation kraft Repräsentativität. Diese kann die Außenwirkung – i. S. d. Wirkung auch für Nicht- und Andersorganisierte – der kollektiven Regelungen begründen. Ihre genaue Gestalt bleibt allerdings offen. Eine Ausgestaltung der Merkmale steht noch aus.849 Im Anschluß bleibt darzulegen, was unter der Repräsentativität als Legitimationsprinzip zu verstehen ist.850 Insbesondere in der zweiten Bedeutung ist die Repräsentativität problematisch; sie hat eine weit über das Verfahren des Sozialen Dialogs hinausreichende Aussagekraft.851 Im weiteren Verlauf der Arbeit geht es nur um sie.

b) Repräsentativität und Repräsentation Um Fehlverständnissen vorzubeugen, sind die Begriffe der Repräsentativität und Repräsentation zu klären. Wie soeben erläutert, bezeichnet die Repräsentativität in ihrer zweiten Bedeutung einen Zurechnungszusammenhang zwischen den Sozialpartnern als Repräsentanten und den Normunterworfenen (einschließlich der Nichtmitglieder) als Repräsentierten. Repräsentativität kann Legitimation herstellen. Umgekehrt formuliert bedeutet das: Legitimation kann sich unter bestimmten Bedingungen852 auf Repräsentativität stützen.853 Repräsentation hingegen verlangt Legitimation, setzt sie voraus.854 Konsequenterweise kann die pure Repräsentation 847 Siehe die ausführliche Untersuchung der Koalitionsfreiheit bei Deinert, Europäischer Kollektivvertrag, S. 289 ff.; zu einigen Mitgliedstaaten der Gemeinschaft siehe Gamillscheg, FS für Herschel, S. 99 ff. 848 Vgl. Biedenkopf, Grenzen der Tarifautonomie, S. 53. 849 Vgl. 5. Teil § 18. 850 Mangels expliziter Äußerungen des EuG oder des Vertragsgebers zur Legitimation kraft Repräsentativität soll versucht werden, sie aus deutscher Sicht mit deutschen Systembegriffen zu erklären. 851 s. u. § 16 II. 852 s. u. § 16 IV. 1. 853 Eine Legitimation kraft Repräsentation wäre demnach nicht denkbar. Grundlage der Legitimation kann nur die Repräsentativität sein. 854 Biedenkopf, Grenzen der Tarifautonomie, S. 41; Wiedemann, RdA 1969, S. 321 (328), dem zufolge die Repräsentation keinen „Zurechnungsgrund“, sondern einen „Legitimationsmodus“ abgibt, der eines legitimierenden Auftrages durch die Repräsentierten bedarf. Der Repräsentationsbegriff suche weder noch finde er eine Legitimation. Siehe auch Leibholz, Wesen der Repräsentation, S. 140 ff.; ähnlich Wolff, Organschaft, Bd. 2, S. 45 ff.

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den rechtlichen Zurechnungszusammenhang zwischen dem Verhalten des Repräsentanten und der Repräsentierten eben nicht begründen, sondern ihn bloß fordern. Großzügig betrachtet schafft die Repräsentation den Rahmen für die Zurechnung, stellt sie aber nicht selbst her.855 Da die Repräsentation legitimationsbedürftig und somit der Gegenstand der sozialpartnerschaftlichen Legitimation ist, ist zunächst auf ihren Bedeutungsgehalt einzugehen. Im weiteren Gang der Untersuchung856 wäre dann zu klären, wie das Verhalten und Handeln des Repräsentanten den Repräsentierten zuzurechnen ist, d. h. welche Grundlage die Repräsentativität hat. Die wissenschaftlichen Disziplinen der Soziologie, Politik, Philosophie, Theologie, Kunst weisen dem historisch gewachsenen Begriff der Repräsentation eine je eigene Bedeutung zu.857 Daraus resultiert eine terminologische Verwirrung. Sie reicht bis in das deutsche Privatrecht und die deutsche Staatstheorie hinein.858 Nach dem ursprünglichen Wortsinn859 bedeutet Repräsentation, etwas nicht Präsentes präsent bzw. etwas nicht Gegenwärtiges anwesend zu machen. Es geht um die Vergegenwärtigung eines nicht Anwesenden.860 Das Verständnis ist auf alle genannten Disziplinen anwendbar.861 In soziologischer Hinsicht können die Gewerkschaften beispielsweise ihre Nichtmitglieder vergegenwärtigen, so daß ihre soziale Funktion faktisch über ihre Mitglieder hinausreicht.862 Vorliegend interessiert die 855 Vgl. Wiedemann, RdA 1969, S. 321 (328); widersprüchlich Schwarze, RdA 2001, S. 208 (211 f.); unklar auch Leibholz, Wesen der Repräsentation, S. 37 f. 856 s. u. § 16 IV. 857 Zu der historischen Sprachentwicklung und den verschiedenen Bedeutungsgehalten in den Wissenschaften vgl. Hofmann, Repräsentation, S. 29 ff.; Runkel, Repräsentation, S. 1 ff. 858 Im Privatrecht bestehen Abgrenzungsschwierigkeiten zur Stellvertretung; die Staatstheorie setzt die Repräsentativverfassung mit dem Parlamentarismus gleich; vgl. Leibholz, Wesen der Repräsentation, S. 25 m. w. N. 859 Kritisch der Methode gegenüber steht Hofmann, Repräsentation, S. 32. 860 Die Verfaßtheit des Repräsentierten kann dabei ganz unterschiedlich gedacht werden. 1. Der Repräsentierte kann nur sein, wenn und soweit er repräsentiert wird; vgl. Landshut, Hamburger Jahrbuch für Wirtschafts- und Gesellschaftspolitik 1964, S. 175 (181 f.). 2. Durch die Repräsentation findet eine Umformung von einem unkörperlichen und nicht faßbaren Sein zu einem körperlichen und faßbaren Sein statt; vgl. Schmitt, Verfassungslehre, S. 209 f., und ihm folgend Böckenförde, Demokratie und Repräsentation, S. 24 f.; Pollmann, Repräsentation und Organschaft, S. 31 ff., insbesondere S. 42 f.; ähnlich Wolff, Organschaft, Bd. 2, S. 18 f., 24 ff., dem zufolge ein Etwas A durch ein Etwas B präsent und somit etwas nicht bereits Anwesendes gegenwärtig gemacht werden kann. 3. Der Repräsentierte existiert zweimal, einmal in der Gegenwart und einmal in der Repräsentation. Die Repräsentation ist dann durch eine personelle Duplizität gekennzeichnet; vgl. Gerber, Staatstheoretischer Begriff der Repräsentation, S. 5; Leibholz, Wesen der Repräsentation, S. 26, 28. Wie hier neutral bleibt Kaiser, Staatslexikon Bd. 6, Sp. 865: Repräsentation bedeutet „Vergegenwärtigung einer Potenz, die als abwesend vorgestellt wird.“; Wiedemann, RdA 1969, S. 321 (327). Ausführlich zu der Wort- und Begriffsgeschichte der Repräsentation Hofmann, Repräsentation, S. 38 ff., der das obige Verständnis als landläufig kritisiert (S. 32). 861 Kaiser, Staatslexikon Bd. 6, Sp. 865. 862 Hirsch, Funktionen der Gewerkschaften, S. 139; Kaiser, Repräsentation, S. 354 f.; Wiedemann, RdA 1969, S. 321 (327).

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Repräsentation allein im Zusammenhang mit der rechtlichen Zurechnung. Die Repräsentation im soziologischen oder politischen Sinne bleibt vorerst außer Betracht. Anleihen bei anderen Disziplinen erfolgen nur, soweit der rechtliche Begriff selbst auf die Soziologie oder Politik verweist. Die juristische Repräsentation bezieht sich im hiesigen Kontext auf die Vergegenwärtigung aller durch die Kollektivregelung Betroffenen863 durch die Sozialpartner bei der Normsetzung. Danach müßten die Sozialpartner die der Kollektivregelung unterliegenden Arbeitnehmer und Arbeitgeber ungeachtet der Verbandsmitgliedschaft als eine Gemeinschaft864 repräsentieren. Die Repräsentation der Mitglieder und Nichtmitglieder soll dabei nach dem EuG durch die Repräsentativität der Sozialpartner legitimiert werden. Grundsätzlich genießen Repräsentanten gegenüber Stellvertretern die größere Unabhängigkeit und Handlungsbefugnis. Sie müssen nicht offensichtlich an der Stelle eines anderen tätig werden, um die Wirkung für und gegen ihn zu erreichen. Vielmehr können sie an Stelle ihrer selbst tätig werden und zugleich einen anderen verkörpern. Das Handeln des Repräsentanten ist gleichzeitig Handeln des Repräsentierten; es wird ihm zugerechnet.865 Völlig handlungsfrei sind die Repräsentanten hingegen wegen des Erfordernisses der Legitimation nicht. Die Repräsentation findet vielmehr im Feld zwischen Weisungsabhängigkeit und totaler Handlungsfreiheit statt.866 Gegenüber einem Organ muß der Repräsentant keine Organisationsstruktur einhalten. Er kann darüber hinaus eine unorganisierte Gruppe wie die Normunterworfenen vertreten.867

c) Gesellschaftlich-demokratische versus staatlich-demokratische Legitimation Wie bereits in der Einleitung erwähnt, ist der juristische Begriff der Legitimation für die Abhandlung zentral. Bei der demokratischen Legitimation der Repräsentation ist zwischen der gesellschaftlich-demokratischen und der staatlich-demokratischen Legitimation zu unterscheiden.868 Auf diese Formen ist kurz einzuDas heißt insbesondere auch der Nicht- und Andersorganisierten. Nach Leibholz, Wesen der Repräsentation, S. 32, sind ideelle Werte, Individuen oder Gemeinschaften repräsentationsfähig; ähnlich Kaiser, Staatslexikon Bd. 6, Sp. 865; Wolff, Organschaft, Bd. 2, S. 48 ff.; a.A. Landshut, Hamburger Jahrbuch für Wirtschafts- und Gesellschaftspolitik 1964, S. 181 ff., der ausschließlich Ideen für repräsentationsfähig hält. 865 Vgl. Kaiser, Staatslexikon Bd. 6, Sp. 868; Wiedemann, RdA 1969, S. 321 (328); Wolff, Organschaft, S. 87 ff.; gegen die Identität des Verhaltens von Repräsentanten und Repräsentierten wendet sich Leibholz, Wesen der Repräsentation, S. 28 f. 866 Böckenförde, Repräsentation, S. 24; Fraenkel, Westliche Demokratien, S. 113. Dazu siehe auch unten: § 16 IV. 1. b) aa). 867 Wolff, Organschaft, Bd. 2, S. 18; zu den verschiedenen Lehren der Organschaft vgl. Pollmann, Repräsentation und Organschaft, S. 51 ff. 868 Hierzu Kreutz, Betriebsautonomie, S. 89; Schwarze, Der Betriebsrat, S. 125 f. Fn. 15. 863 864

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gehen, um klarzustellen, welchem Bereich die Repräsentativität als Legitimationsprinzip zuzuordnen ist. Die gesellschaftlich-demokratische Legitimation steht für die verbandsinterne Legitimation kraft Wahlakt der Mitglieder. Die staatlich-demokratische Legitimation läßt sich dagegen auf das Gesamtvolk oder dessen Vertretung zurückführen. Obwohl die Gemeinschaft weder einen Staat darstellt noch ein Gemeinschaftsvolk hat, können die Bürger eine demokratische Legitimation gewährleisten. Sie drückt sich in den Formen der organisatorisch-personellen und sachlich-inhaltlichen Legitimation aus. Die gesellschaftlich-demokratische kann die staatlich-demokratische Legitimation nicht ersetzen.869 Die Repräsentativität soll die Außenwirkung der Kollektivnormen begründen und zielt daher auf die Herstellung einer der staatlich-demokratischen Legitimation vergleichbaren Legitimation. Die Arbeit hat den juristischen Legitimationsbegriff in seiner staatlich-demokratischen Bedeutung zum Inhalt. Er entscheidet u. a. über die Wirksamkeit der primärrechtlichen Dialogvorschriften und der durch den Sozialen Dialog gesetzten sekundärrechtlichen Gemeinschaftsmaßnahmen.

II. Konsequenzen der Repräsentativität als Legitimationsprinzip Das dem Urteil zugrunde liegende Verständnis von der Repräsentativität als Legitimationsprinzip hat zunächst für den Sozialen Dialog Bedeutung. Dabei bleibt es aber nicht. Um seine ganze Tragweite zu verdeutlichen, sollen die Konsequenzen im folgenden umfassend dargelegt werden. Auch das EuG erkennt an, daß im Verfahren gem. Art. 138 f. EGV der Rat den Sozialpartnervereinbarungen die normative Grundlage verleiht (Rn. 89). Sein Konzept der Legitimation kraft Repräsentativität, wonach die Sozialpartner die vom Europäischen Parlament ausgehende Legitimation kraft eigener Repräsentativität substituieren können, basiert gleichwohl auf der Vorstellung von einer Legitimation der Sozialpartner zur Normsetzung ohne hoheitlichen Umsetzungsakt. Die Entscheidung ist in diese Richtung weiterzudenken. Sie könnte erstens Konsequenzen für ein möglicherweise entstehendes europäisches Kollektivvertragssystem, zweitens für die nationalen Tarifrechte, welche die Sozialpartner als bloße Vertretung ihrer Mitglieder verstehen, und drittens für die Rolle und Auswahl der Sozialpartner im Rahmen des Sozialen Dialogs haben.

869 Benda / Maihofer / Vogel-Grimm, Hdb des VerfR, § 15 Rn. 15; Kreutz, Betriebsautonomie, S. 89 m. w. N.

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1. Für das europäische Kollektivvertragsrecht Bereits Anfang der 1960er Jahre fand auf Anregung der Kommission eine intensive Diskussion über das Erfordernis europäischer Kollektivverträge statt. Dem Bestehen und später auch dem praktischen Bedürfnis für solche Verträge wurde eine Absage erteilt.870 Über den heutigen Bedarf an europäischen Tarifverträgen läßt sich trotz des einheitlichen Binnenmarktes seit Anfang 1993 nur schwer eine Aussage treffen. Für die Zukunft scheint er aber nicht völlig ausgeschlossen. Aktuelle Untersuchungen kommen ganz überwiegend zu dem Ergebnis, daß de lege lata ein europäischer Tarifvertrag nicht geregelt, sondern de lege ferenda noch zu konstruieren ist.871 Das ist sicherlich richtig, soll der Kollektivvertrag entsprechend § 4 Abs. 1 TVG eine unmittelbare und zwingende normative Wirkung aufweisen. Der Soziale Dialog ist dem gegenüber ein „Minus“, aber doch ein erster Schritt in diese Richtung.872 Wann die Vertragsgeber sich zu der Regelung eines „echten“873 europäischen Kollektivvertragsrechts entschließen, läßt sich nicht prognostizieren. Tun sie dies, müssen sie jedenfalls klären, ob die tarifliche bzw. kollektive Regelung nur gegenüber den Mitgliedern oder auch gegenüber den Nichtmitgliedern wirken soll. Es liegt auf der Hand, daß ein die Außenwirkung begründendes Prinzip der Legitimation kraft Repräsentativität die rechtspolitische 870 Dazu Schnorr, Droit social 11 / 1971, S. 157 ff.; Steinberg, RdA 1971, S. 18 ff.; Stiller, ZIAS 1991, S. 194 (195 ff.) m. w. N. 871 s. o. 2. Teil § 4 III. 1. und u. a. Baumann / Laux / Schnepf, WSI Mitteilungen 1997, S. 134 ff.; Fleischer, DB 2000, S. 821 (825); Körtgen, Europäische Tarifverträge, S. 1 ff., der allerdings unter Tarifverträge sowohl normative als auch nicht normative Regelungen faßt; Kowanz, Kollektivvertragsordnung, S. 25 ff.; Langenbrinck, DB 1998, S. 1081 (1086) m. w. N.; Lecher, Perspektiven, S. 401 (402 f.); Schmidt, Arbeitsrecht, V Rn. 1 ff.; Schwarze, EAS, B 8100 Rn. 3; Stiller, ZIAS 1991, S. 194 (202 ff.); Timmesfeld, Europäische Kollektivverhandlungen, S. 11 ff.; Venturini, Europäischer Sozialraum, S. 69 f.; a.A. Deinert, Europäischer Tarifvertrag, S. 208 ff., 436 ff., der einem europäischen Kollektivvertrag nach dem Modell der parallelen Wirkungsstatute die Wirkung des jeweiligen innerstaatlichen Kollektivvertrages zuschreibt. Das Ziel einer gemeinschaftsweit einheitlich geltenden Regelung würde damit nicht erreicht. Die Kollektivvertragsbindung kann nur durch einen Ratsbeschluß ausgeweitet werden (S. 473). Ähnlich Ojeda Avilés, FS für Däubler, S. 519 ff., der aus den mitgliedstaatlichen Kollektivvertragsrechten eine unmittelbare und zwingende Wirkung ableitet. Diese Konstruktion will die vorliegende Arbeit nicht diskutieren. 872 EuGH v. 21. 09. 1999, Rs. C-67 / 96 – Albany International BV / Stichting Bedrijfspensioenfonds Textielindustrie –, DB 2000, S. 826, Rn. 54 ff.; Buda, Europäische Arbeitsbeziehungen, S. 289 (302, 312 f.); Körtgen, Europäische Tarifverträge, S. 3, 54 ff., dem zufolge zwar der Soziale Dialog, nicht aber Art. 118b EGV a.F. normative Vereinbarungen ermöglicht; Kuhn, Soziale Dimension, S. 276 f.; Langenbrinck, DB 1998, S. 1081 (1084 f.); Schwarze, EAS, B 8100 Rn. 4 f.; Waas, ZTR 1995, S. 294 (300); weitergehend Kowanz, Kollektivvertragsordnung, S. 114 ff. 873 „Echte“ europäische Tarifverträge sind solche, die keiner gemeinschaftsorganschaftlichen Entscheidung zu ihrer normativen Wirkung bedürfen; vgl. Ojeda Avilés, FS für Däubler, S. 519 (522, 524).

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Entscheidung beeinflussen kann.874 In der ersten Konsequenz hat das EuG mit seinem vorliegenden Urteil ein Fundament für die generelle Außenwirkung eines europäischen Kollektivvertrages ohne hoheitlichen Umsetzungsakt gelegt.

2. Für die mitgliedstaatlichen Tarifvertragsrechte Die Frage nach den Konsequenzen für die nationalen Tarifvertragsrechte ist eindeutig. Wie kann das dem Urteilsspruch zugrunde liegende Legitimationsprinzip auf die nationalen Konzeptionen wirken? Eine Wirkung zeichnet sich insbesondere auf die nationalen Tarifvertragsrechte ab, welche die nationalen Sozialpartner abweichend von dem Urteil als bloße Mitgliederorganisationen begreifen. Daneben ist der Zusammenhang mit der nationalen Ebene aus einer anderen Perspektive denkbar. Die Frage bestünde dann darin, ob das Legitimationsprinzip Ausdruck eines allen mitgliedstaatlichen Tarifvertragsrechten zu entnehmenden allgemeinen Rechtsgrundsatzes ist oder es sich um ein originär gemeinschaftsrechtliches Prinzip handelt. Die Analyse der nationalen Tarifordnungen kann zugleich die zweite Frage nach der Rechtsnatur des Legitimationsprinzips beantworten. Wie bereits ausgeführt, begründet das Legitimationsprinzip kraft Repräsentativität eine Wirkung der kollektiven Regelungen auch gegenüber Außenseitern. Das Bild der Außenwirkung stellt sich in den Mitgliedstaaten differenziert dar. Tatsächlich gelten viele Tarifnormen in den Mitgliedstaaten umfassend sowohl für die Verbandsmitglieder als auch für andere.875 Dies kann z. B. durch eine individualrechtliche Einbeziehung der Tarifnormen in den Arbeitsvertrag erreicht werden.876 Dem liegt der Gedanke zugrunde, daß die Koalitionen bei ihrer Rechtsetzung die Interessen aller Arbeitnehmer und Arbeitgeber berücksichtigen.877 Die rechtliche Lage sieht hingegen ganz anders aus.878 Hier unterscheiden sich die Antworten der Mitgliedstaaten auf die Frage der verbandlichen Legitimation. Sie darf angesichts der dogmatisch und praktisch großen Bedeutung der Normsetzungsbefugnis nicht unterschätzt werden.879 874 Ein entsprechender Einfluß würde auch auf einen bereits bestehenden europäischen Kollektivvertrag bestehen. 875 In Deutschland galten die Tarifverträge in den 1990er Jahren faktisch für 80 – 90 % der Arbeitnehmer. Zu dem hohen Verbreitungsgrad von Tarifverträgen vgl. Wiedemann-Wiedemann, TVG, § 1 Rn. 29 f. 876 Gamillscheg, FS für Kehrmann, S. 247. 877 Zöllner, Differenzierungsklausel, S. 49 f., meint „daß sie (die Verbände) sich so zu verhalten haben, als ob sie Recht für alle setzen würden“. 878 Ausführlich zu der Koalitionsfreiheit und der Tarifautonomie in den Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaft vgl. Deinert, Europäischer Tarifvertrag, S. 293 ff. 879 Anders Gamillscheg, FS für Kehrmann, S. 247; ders., Kollektives Arbeitsrecht I, § 15 III. 3. b), S. 560 ff., der der herrschenden Dogmatik, die eine Tarifbindung der Außenseiter problematisiert, eine Verfehlung der Wirklichkeit vorwirft.

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Der anschließende Abschnitt behandelt die Tarifbindung880 in den einzelnen Mitgliedstaaten. Im Mittelpunkt steht somit nicht die Art, sondern der Umfang der Tarifwirkung.881 Er läßt sich in drei verschiedene Grundkonzeptionen gliedern: Die Konzeption der Bindung allein der Verbandsmitglieder, der Bindung aller Arbeitnehmer und der allgemeinverbindlichen Wirkung. Die Kategorien wurden aus Gründen der Übersichtlichkeit entsprechend ihrem steigenden Geltungsbereich gebildet und sind dogmatisch nicht zwingend.882

a) Konzeption der Bindung allein der Mitglieder Das engste Verständnis der Tarifbindung findet sich in Deutschland, Italien und Portugal. aa) In Deutschland Im deutschen Tarifvertragsrecht gilt die Systementscheidung des § 3 Abs. 1 TVG i.V.m. § 4 Abs. 1 TVG, wonach nur die Mitglieder der Tarifvertragsparteien und der Arbeitgeber, der selbst Partei des Tarifvertrages ist, tarifgebunden sind.883 Die Geltung eines Tarifvertrages setzt also grundsätzlich die beiderseitige Tarifgebundenheit voraus, die an die Mitgliedschaft in der Tarifvertragspartei anknüpft.884 Daraus folgt: Die Tarifvertragsparteien sind legitimiert, tarifliche Regelungen mit gesetzesgleicher Wirkung nur für ihre Mitglieder zu setzen.885 Zu diesem Grundsatz gibt es zwei Ausnahmen: die Allgemeinverbindlicherklärung nach § 5 TVG und § 3 Abs. 2 TVG.886 Streit entzündet sich an der Vorschrift Zu der hiervon zu unterscheidenden Tarifwirkung im Ansatz s. o. 2. Teil § 4. So beschreibt dies auch Zachert, Wirkung des Tarifvertrages, S. 193 (195). Die Tarifgebundenheit ist weiter gefaßt als der persönliche Geltungsbereich eines Tarifvertrages. Sie bezeichnet den potentiell von einem Tarifvertrag erfaßten Personenkreis; vgl. Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht I, § 17 I. 1. a), S. 711; Wiedemann-Oetker, TVG, § 3 Rn. 8. 882 Einen anderen Aufbau wählt z. B. Schwarze, RdA 2001, S. 208. 883 Der Sache nach sind Großbritannien und Nordirland mit der Konzeption in Deutschland, Italien und Portugal vergleichbar. Die Kollektivvereinbarungen entfalten dort überhaupt nur Wirkung, wenn die Arbeitsvertragsparteien dies ausnahmsweise vereinbaren. Tarifverträge wirken also nicht automatisch, sondern aufgrund einer einzelvertraglichen Inkorporation. Ist der Arbeitgeber tarifgebunden, führt die ausdrückliche oder stillschweigende Inbezugnahme jedoch regelmäßig zu einer Bindung aller Arbeitnehmer des Unternehmens. Die Gewerkschaftszugehörigkeit der Arbeitnehmer ist unerheblich. Dieser Umstand rückt Großbritannien und Nordirland in die Nähe der zweiten Konzeption. Vorausgesetzt, es kommt zu einer Einbeziehung, gelten die kollektiven Regelungen allen Arbeitnehmern gegenüber; vgl. Burgess, Großbritannien, S. 153 (171); Deinert, Europäischer Kollektivvertrag, S. 383 ff., 393 f. m. w. N.; ELL-Hepple / Fredman / Truter, Great Britain, Rn. 465; Mecke, Kollektive Vereinbarungen in England, S. 151 ff., 180 ff.; Kronke, Regulierungen, S. 344. 884 Kempen / Zachert-Kempen, TVG, § 3 Rn. 12; Wiedemann-Oetker, TVG, § 3 Rn. 18. 885 Wiedemann-Wank, TVG, § 5 Rn. 4; Wiedemann-Wiedemann, TVG, § 1 Rn. 555 ff. 880 881

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des § 3 Abs. 2 TVG887 darüber, ob die Grundaussage des § 3 Abs. 1 TVG auf ihn anwendbar sein soll und somit für betriebliche und betriebsverfassungsrechtliche Normen eine zusätzliche demokratische Legitimation zu fordern ist. Betriebs- und betriebsverfassungsrechtliche Tarifnormen gelten nämlich unabhängig von der Tarifgebundenheit der Arbeitnehmer für alle Betriebe – besser: für alle Arbeitsverhältnisse –, deren Arbeitgeber tarifgebunden ist.888 Dieser Streit und die Argumentation der h.M. ist interessant für die spätere Konstruktion der Legitimation kraft Repräsentativität,889 denn dort spielen ähnliche Erwägungen eine Rolle. Auf sie ist daher einzugehen. Die Besonderheit bei § 3 Abs. 2 TVG liegt darin, daß die Regelung weder privatautonom durch den Verbandsbeitritt890 noch demokratisch durch einen normierenden Akt des Staates wie bei der Allgemeinverbindlichkeit legitimiert ist.891 Möglicherweise bedarf die Normsetzung gegenüber Außenseitern keiner zusätzlichen staatlich-demokratischen Legitimation. In dem Fall wäre die herrschende Verbandstheorie, nach der allein die Mitgliedschaft in einer Koalition eine Bindung an die von ihr abgeschlossenen Tarifverträge begründet,892 zusammen mit Gamillscheg893 als wirklichkeitsfremd und rechtswidrig zu verurteilen. Statt aus der Verbandsmitgliedschaft leitet er die umfassende Tarifmacht aus der Repräsentationsbzw. Ordnungsaufgabe des Tarifrechts und der Tarifparteien ab.894 Er versteht die Gewerkschaften895 als repräsentative Vereinigungen896 und setzt dabei die Auf-

886 Kempen / Zachert-Kempen, TVG, § 3 Rn. 2, 12; Zachert, Beispiel Deutschland, S. 17 (29, 35); Wiedemann-Oetker, TVG, § 3 Rn. 127. 887 Zu der Kontroverse über die Verfassungsmäßigkeit der Norm im folgenden und ausführlich Schmidt-Eriksen, Betriebsnormen, S. 114 ff. 888 Nach einer Mindermeinung setzt die Tarifgebundenheit des Arbeitgebers voraus, daß im Betrieb zumindest ein Arbeitnehmer Mitglied in der tarifschließenden Gewerkschaft ist; vgl. u. a. Löwisch / Rieble-Rieble, TVG, § 3 Rn. 60 ff.; ErfK-Schaub, § 3 TVG Rn. 25. Das widerspricht dem klaren Wortlaut der Vorschrift, weshalb die h.M. dieses Erfordernis zu Recht ablehnt; vgl. Kempen / Zachert-Kempen, TVG, § 3 Rn. 18; Wiedemann-Oetker, TVG, § 3 Rn. 130 m. w. N 889 s. u. § 16 IV. 890 Dahinstehen kann, ob die Mitgliedschaft ihre legitimatorische Wirkung wie hier behauptet aufgrund der Privatautonomie oder aufgrund des gesellschaftlichen Demokratieprinzips entfaltet. 891 Vgl. Hanau, RdA 1996, S. 158 (167 ff.); Reuter, FS für Schaub, S. 605 (614); Wiedemann-Wiedemann, TVG, § 1 Rn. 564. 892 Statt vieler Ojeda Avilés, FS für Däubler, S. 519 (528); Löwisch / Rieble-Rieble, TVG, § 3 Rn. 1; Zöllner / Loritz, Arbeitsrecht, § 37 I 1, S. 411. 893 Gamillscheg, FS für Kehrmann, S. 247 ff.; ders., Kollektives Arbeitsrecht I, § 15 III. 3., S. 560 ff. 894 Gamillscheg, Differenzierung, S. 46; ders., FS für Kehrmann, S. 247; ders., Kollektives Arbeitsrecht I, § 15 III. 3. b) (2), S. 562 und § 15 III. 3. e), S. 567 und s. u. § 16 III. 2. 895 Das Problem der Außenwirkung stellt sich insbesondere für die Gewerkschaften, die aus dem Gedanken der Selbsthilfe entstanden sind; vgl. Herschel, FS für Bogs, S. 125

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gabe zur Repräsentation mit der Legitimation zur Überwirkung der Tarifmacht auf Außenseiter gleich.897 Indessen argumentiert Gamillscheg nicht mit einer Legitimation kraft Repräsentativität, sondern negativ mit einer Ausnahme zur Legitimation kraft Mitgliedschaft.898 Die Richtigkeit seiner Vorstellung ist damit nicht erwiesen. Es fehlt vielmehr eine positive Begründung seiner Legitimationsauffassung. Rechtsdogmatisch muß auch er die generelle Geltung des § 3 Abs. 1 TVG anerkennen.899 Ebenso läßt die ursprünglich von Bogs im Anschluß an Gierke900 entwickelte „erweiterte Autonomie“901, die die Vertretung der Gesamtinteressen der eigenen Seite mit der Legitimation gleichsetzt, eine Erklärung vermissen, warum und wie die von den Koalitionen gesetzten Tarifnormen auch Nicht-Verbandsmitglieder erfassen. Eine theoretische Begründung der Theorie ist nicht ersichtlich.902 Es verwundert daher nicht, daß die genannten Ansichten sich nicht haben durchsetzen können. Entsprechend der herrschenden Verbandstheorie hat das BVerfG entschieden, daß sich die Normsetzungsbefugnis der Koalitionen von Verfassungs wegen auf die Mitglieder beschränke und nur ein zusätzlicher demokratisch legitimierter staatlicher Akt die Bindungswirkung auf die Nichtmitglieder erstrecken könne.903 Vor diesem Hintergrund wird die Verfassungsmäßigkeit von Art. 3 Abs. 2 TVG (132). Prinzipiell ist aber auch die Arbeitgeberseite betroffen, so daß in den folgenden Ausführungen allgemein von einem Problem der Koalitionen oder Verbände die Rede ist. 896 Vgl. Gamillscheg, Differenzierung, S. 36 ff., 43; ders., Kollektives Arbeitsrecht I, § 15 III. 3. e), S. 567. 897 Gamillscheg, Differenzierung, S. 36 ff., 43; ders., Kollektives Arbeitsrecht I, § 15 III. 3. b) (12), S. 565. Anders interpretiert Floretta, DRdA 1968, S. 1 (5 f.), Gamillscheg. Letzterer versteht nach Floretta die Repräsentation nur faktisch-soziologisch und nicht rechtsverbindlich. Das hiesige Verständnis teilen z. B. Ganter, Betriebliche Fragen, S. 108 f.; Schwarze, RdA 2001, S. 208 (210). 898 Nach Gamillscheg, Differenzierung, S. 96, ist auf die Legitimation durch den Außenseiter zu verzichten. Er bezieht sich dabei auf die Legitimation durch die Mitgliedschaft, die sich entweder auf die Privatautonomie oder auf das gesellschaftliche Demokratieprinzip stützt. Auf S. 97 heißt es dagegen, daß „So viel Legitimation wie möglich, so viel Außenwirkung wie nötig“ herzustellen sei. 899 Dies tut er in Gamillscheg, FS für Kehrmann, S. 247 (260): Trotz der Schwäche des § 3 Abs. 1 TVG „ist es Sache des Gesetzgebers, ihn zu beseitigen“. 900 Gierke, Deutsches Privatrecht, Bd. I, § 19 IV. 3., S. 153. 901 Bogs, FS für Gierke, S. 39 (50 f., 60 f.); ders., RdA 1956, S. 1 (4); ihm folgend Herschel, FS für Bogs, S. 125 (126 ff.); Schneider, FS für Möhring, S. 521 (534 f.). 902 Ablehnend stehen der Theorie der erweiterten Autonomie auch Adomeit, RdA 1967, S. 297 (303); Hanau, RdA 1996, S. 158 (166); Zöllner, Differenzierungsklausel, S. 44, gegenüber. 903 In den folgenden Urteilen hat das BVerfG Stellung zur Zulässigkeit von § 5 TVG genommen: BVerfG v. 24. 05. 1977 – 2 BvL 11 / 74 –, BVerfGE 44, S. 322 (347 f.) = AP Nr. 15 zu § 5 TVG; v. 15. 07. 1980 – 1 BvR 24 / 74 und 439 / 79 –, BVerfGE 55, S. 7 (23 f.) = AP Nr. 17 zu § 5 TVG; v. 14. 06. 1983 – 2 BvR 488 / 80 –, BVerfGE 64, S. 208 (213 ff.) = AP Nr. 21 zu § 9 BergmannsVersorgScheinG NRW, zu den verfassungsrechtlichen Grenzen

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oft kritisch beurteilt.904 Die ganz überwiegende Ansicht teilt die verfassungsrechtlichen Bedenken indes nicht.905 Sie interpretiert § 3 Abs. 2 TVG dahingehend, daß die Nichtmitglieder der Norm nur wegen der auf die Koalitionsmitglieder fixierten sachgerechten Ausübung und Funktionsfähigkeit der Normsetzung zu unterwerfen seien. Die Betriebs- und betriebsverfassungsrechtlichen Normen könnten aufgrund der sich für alle Betroffenen gleich stellenden Arbeitsbedingungen im Betrieb nur einheitlich gelten.906 Entsprechend nimmt das BAG die Verfassungsmäßigkeit von § 3 Abs. 2 TVG und eine Bindung der Außenseiter an, wenn eine individualrechtliche Regelung wegen „evident sachlogischer Unzweckmäßigkeit“ ausscheide.907 Zwar fehle bei § 3 Abs. 2 TVG die Mitwirkung eines staatlichen Organs. Doch erfolge die Legitimation durch das Gesetz.908

einer dynamischen Verweisung auf eine tarifvertragliche Regelung; ähnlich BVerfG v. 10. 09. 1991 – 1 BvR 561 / 89 –, AP Nr. 27 zu § 5 TVG, Bl. 1R f. 904 Die Verfassungsmäßigkeit der Norm verneinen einige Autoren insbesondere im Hinblick auf die negative Koalitionsfreiheit der Außenseiter, die Berufsfreiheit aus Art. 12 Abs. 1 GG und das Demokratie- und Rechtsstaatsprinzip aus Art. 2 Abs. 1 i.V. m. Art. 20 Abs. 1 GG. Sie versuchen, § 3 Abs. 2 TVG durch eine tatbestandliche Reduktion, die den Tarifnormen die normative Wirkung gegenüber Außenseitern abspricht und die Außenseiter vor Belastungen bewahrt, oder durch eine intensivierte Rechtskontrolle zu erhalten; vgl. Biedenkopf, Grenzen der Tarifautonomie, S. 310 ff.; Buchner, RdA 1966, S. 208 ff.; Lieb, RdA 1967, S. 441 (443 ff.); Loritz, Tarifautonomie und Gestaltungsfreiheit, S. 41 ff.; Reuter, FS für Schaub, S. 605 (616 ff.); Richardi, Kollektivgewalt und Individualwille, S. 229 ff; Zöllner, RdA 1962, S. 453 ff.; ders., RdA 1964, S. 443 (446 f.). Nur vereinzelt halten Autoren die Norm für nichtig; vgl. Buchner, Tarifvertragsgesetz, S. 67 ff., insbesondere S. 84 f., 99. Ausführlich zu dem Meinungsstreit Reuter, ZfA 1978, S. 1 (5 ff.); Schmidt-Eriksen, Betriebsnormen, S. 109 ff. 905 Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht I, § 17 I. 2. d), S. 717 ff.; Hanau, RdA 1996, S. 158 (165 ff.); Kempen / Zachert-Kempen, TVG, § 3 Rn. 19 f.; MünchArbR-Löwisch / Rieble, § 245 Rn. 46; MünchArbR-dies., § 261 Rn. 7 ff.; Reuter, RdA 1994, S. 152 (153); Säcker, Gruppenautonomie, S. 331 Fn. 268 m. w. N.; Säcker / Oetker, Tarifautonomie, S. 141 ff.; Schmidt-Eriksen, Betriebsnormen, S. 149; Wiedemann-Wiedemann, TVG, § 3 Rn. 138; ders., RdA 1964, S. 321 (323). 906 Vgl. Schmidt-Eriksen, Betriebsnormen, S. 196 f., der von „nicht-differenzierungsfähigen Arbeitsbedingungen“ spricht. 907 Ähnlich BAG v. 21. 01. 1987 – 4 AZR 486 / 86 – und – 4 AZR 547 / 86 –, AP Nr. 46 und 47 zu Art. 9 GG, Bl. 3R und Bl. 4; v. 07. 11. 1995 – 3 AZR 676 / 94 –, AP Nr. 1 zu § 3 TVG Betriebsnormen, Bl. 2R; v. 17. 06. 1999 – 2 AZR 456 / 98 –, AP Nr. 103 zu § 1 KSchG 1969 Betriebsbedingte Kündigung, Bl. 3. Wörtlich BAG v. 26. 04. 1990 – 1 ABR 84 / 87 –, AP Nr. 57 zu Art. 9 GG, S. 7 = NZA 1990, S. 850 (853); v. 17. 06. 1997 – 1 ABR 3 / 97 –, AP Nr. 2 zu § 3 TVG Betriebsnormen, Bl. 2. 908 ErfK-Dieterich, Einl. GG Rn. 47; Hueck / Nipperdey, Arbeitsrecht II / 2, § 27 VIII., S. 550 f.; Kempen / Zachert-Kempen, TVG, § 3 Rn. 18; Nikisch, Arbeitsrecht II, § 78 I. 1., S. 361; kritisch Biedenkopf, Grenzen der Tarifautonomie, S. 41, 313; Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht I, § 17 I. 2. d) (2), S. 719. 12*

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bb) In Italien und Portugal In Italien beschränkt sich die Wirkung des Tarifvertrages ebenfalls auf die Mitglieder.909 Das Prinzip beruht weniger auf einer gesetzgeberischen Entscheidung als auf einer richterrechtlichen Lückenschließung.910 Die Verfassung sieht in ihrem Art. 39 eine erga omnes Wirkung der im Rahmen eines Ausführungsgesetzes geschlossenen Tarifverträge vor. Ein solches Gesetz ist bis heute nicht wirksam erlassen worden.911 Für den sogenannten Kollektivvertrag des „gemeinen Rechts“ gilt daher die „Auftragstheorie“. Nach ihr ist der Vertretene durch das von seinem Stellvertreter in seinem Namen Unterzeichnete gebunden.912 Zu einer indirekten Erstreckung der Tarifbindung auf Außenseiter kann allerdings Art. 36 der italienischen Verfassung i.V.m. Art. 2099 des italienischen Zivilgesetzbuches führen, der einen Anspruch auf eine angemessene Entlohnung begründet.913 Portugal als junge arbeitsrechtliche Kodifikation hat das deutsche Verbandsmodell übernommen. Die Kollektivabkommen binden gem. Art. 8 LRCT914 nur die Mitglieder der vertragschließenden Verbände und den vertragschließenden Einzelarbeitgeber.915 Der maßgebliche Zeitpunkt für die über die Verbandsmitgliedschaft vermittelte Tarifbindung ist allerdings nicht der Zeitpunkt des Tarifabschlusses, sondern der des Verhandlungsbeginns.916

b) Konzeption der Bindung aller Arbeitnehmer u. a. in Frankreich Unter den Mitgliedstaaten der Gemeinschaft hat eine Konzeption weite Verbreitung gefunden, die die einseitige Mitgliedschaft des Arbeitgebers für eine um909 Mariucci, Beispiel Italien, S. 155 (160 ff.); Wiedemann-Oetker, TVG, § 3 Rn. 3; Zachert, Wirkung des Tarifvertrages, S. 193. 910 Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht I, § 17 I. 2. a) (10), S. 717; Kronke, Regulierungen, S. 317 f. 911 Eine Ausnahme bildet das Gesetz Nr. 741 v. 14. 07. 1959, das von dem Verfassungsgerichtshof für nichtig erklärt wurde; vgl. Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht I, § 17 I. 2. a) (10), S. 717; Mariucci, Beispiel Italien, S. 155 (160). 912 Ojeda Avilés, FS für Däubler, S. 519 (528); Treu, Italien, S. 203 (217 f.). 913 Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht I, § 17 I. 2. a) (10), S. 717 m. w. N. 914 Die Abkürzung LRCT bezeichnet das Decreto-Lei Nr. 519-C / 79 v. 20. 12. 1979, das die Gewerkschaftsfreiheit ausgestaltende Gesetz der kollektiven Arbeitsbeziehungen (Lei das relações colectivas de trabalho). Die Bezeichnung ist nicht offiziell. Teilweise wird das Gesetz als Lei da regulamentação colectiva de trabalho (Gesetz der kollektiven Arbeitsregulierung) bezeichnet; vgl. Pinto, ZIAS 1989, S. 1 (5). 915 Nach Art. 8 LRCT tritt die Tarifbindung mit dem Beginn des Verhandlungsprozesses oder dem späteren Verbandsbeitritt ein. Ein Austritt während der Verhandlungsphase verhindert sie daher nicht; vgl. Deinert, Europäischer Kollektivvertrag, S. 352 ff.; Kronke, Regulierungen, S. 329; Pinto, ZIAS 1989, S. 1 (33 f.). 916 Vgl. Art. 8, 16 Nr. 1 LRCT.

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fassende Tarifbindung der mit ihm kontrahierenden Arbeitnehmer genügen läßt. Unterschiede zeigen sich im Detail. Automatisch für alle Vertragspartner unter den Arbeitnehmern gilt der jeweils aktuelle917 Tarifvertrag in Belgien918, Frankreich919, Luxemburg920 und Österreich921. Die Außenseiterwirkung tritt nur auf Arbeitnehmerseite ein.922 Sie gründet auf dem Prinzip der Einheitlichkeit der anwendbaren Rechtsnormen.923 Außerdem sollen die Außenseiter daran gehindert werden, die Kollektivvertragsbestimmungen zu unterlaufen.924 Eine andere Konstruktion findet in Dänemark925, Finnland926, den Niederlanden927 und Schweden928 Anwendung, wo der Arbeigeber rechtlich verpflichtet ist, 917 So zu Frankreich Krieger, Französisches Tarifvertragsrecht, S. 166 ff.; Kronke, Regulierungen, S. 313. 918 Art. 19 Abs. 4 Loi sur les conventions collectives de travail et les commissions paritaires (Gesetz über die Kollektivverträge und die paritätischen Kommissionen) v. 05. 12. 1968; vgl. ELL-Blanpain, Belgium, Rn. 578, 590; Kronke, Regulierungen, S. 308; Verly, Belgien, S. 21 (32). Die in paritätisch besetzten Organen abgeschlossenen Tarifverträge gelten auch für die Arbeitgeber und Arbeitnehmer, die nicht tarifgebunden sind, dann allerdings nur dispositiv; vgl. Kronke, Regulierungen, S. 308. 919 Art. L 135 – 2 Code du Travail; vgl. u. a. Le Friant, Beispiel Frankreich, S. 103 (123 ff.); Krieger, Französisches Tarifrecht, S. 163 f.; Kronke, Regulierungen, S. 313; LyonCaen, Soziales Europa, Beiheft 5 / 1993, S. 101 (114). Der weiten Ausdehnung kritisch gegenüber steht Lyon-Caen, Droit social 1979, S. 350 (355). 920 Art. 8 Abs. 2 Loi concernant les conventions collectives de travail (Gesetz über die Tarifverträge); vgl. Schintgen, Luxemburg, S. 233 (250 f.). 921 Art. 12 Abs. 1 Arbeitsverfassungsgesetz; vgl. u. a. Runggaldier, ZIAS 1997, S. 1 (3); MPI-Tomandl / Marhold, Koalitionsfreiheit, S. 653 (664, 699 f.); Tomandl, Arbeitsrecht 1, S. 140; ders., RdA 1995, S. 76 (77 f.). 922 Hier wie Lyon-Caen, Soziales Europa, Beiheft 5 / 1993, S. 101 (114), allgemein von einer erga omnes Wirkung zu sprechen, ist wegen der vorausgesetzten Tarifbindung des Arbeitgebers schlicht unzutreffend. 923 Deinert, Europäischer Kollektivvertrag, S. 310; Le Friant, Beispiel Frankreich, S. 103 (123). 924 Tomandl, Arbeitsrecht 1, S. 140; MPI-Tomandl / Marhold, Koalitionsfreiheit, S. 653 (699). 925 Ausführlich Deinert, Europäischer Kollektivvertrag, S. 401 ff.; ELL-Jacobsen / Hasselbalch, Denmark, Rn. 642; MPI-Jacobsen, Freedom of the Worker, S. 109 (141 f.); Kronke, Regulierungen, S. 310 f.; Meinertz, Dänemark, S. 80 (93); Nielsen, Soziales Europa, Beiheft 5 / 1993, S. 26 (32 f.). 926 Deinert, Europäischer Kollektivvertrag, S. 420 f.; MPI-Modeen, Freedom of the Worker, S. 223 (237); ELL-Suviranta, Finland, Rn. 78, 358, nach dem die Außenseiter-Arbeitnehmer nur ausnahmsweise Pflichten aus dem Tarifvertrag tragen müssen (Rn. 78). 927 Jacobs, Soziales Europa, Beiheft 5 / 1993, S. 168 (182); Kronke, Regulierungen, S. 326 f.; ELL-Rood, Netherlands, Rn. 219. 928 ELL-Adlercreutz, Sweden, Rn. 563 ff.; Deinert, Europäischer Kollektivvertrag, S. 411 ff.; MPI-Hemström, Freedom of the Worker, S. 771 (809).

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die tariflichen Regelungen auch seinen nichtorganisierten Arbeitnehmern zu gewähren.929 In Dänemark folgt die Pflicht des Arbeitgebers aus dem Tarifvertrag. Mit ihm gibt der Arbeitgeber ein schuldrechtliches Versprechen gegenüber der Gewerkschaft zur unterschiedslosen Anwendung der Tarifbedingungen ab.930 Hiervon abweichende einzelvertragliche Abmachungen sind wirksam, stellen aber einen Vertragsbruch im Verhältnis zu der Gewerkschaft dar und geben ihr, nicht dem betroffenen Außenseiter, einen Anspruch auf Zahlung einer Geldbuße.931 Ganz vergleichbar ist die rechtliche Lage in Schweden: Die Gleichbehandlungspflicht folgt aus dem Tarifvertrag. Nur die Gewerkschaft kann aber kraft ihres Schadensersatzanspruches gegen einen Verstoß vorgehen; dem Außenseiter kommt kein Anspruch zu.932 In Finnland statuiert das finnische Tarifvertragsgesetz die Pflicht des Arbeitgebers, auch mit nicht- und andersorganisierten Arbeitnehmern mit dem Tarifvertrag übereinstimmende Arbeitsverträge zu schließen, falls der Tarifvertrag nicht etwas anderes vorsieht.933 Genauso verhält es sich in den Niederlanden. Auch hier besitzt nicht der Arbeitnehmer-Außenseiter, sondern nur die Gewerkschaft einen mittelbaren Anspruch auf Anwendung des Tarifvertrages.934 Die genannten nordischen Rechtsordnungen verfolgen einen Mittelweg. Die nicht- oder andersorganisierten Arbeitnehmer und Arbeitgeber sind grundsätzlich nicht tarifgebunden. Die Tarifregelungen wirken daher nicht automatisch auf das Arbeitsverhältnis ein, sondern müssen einzelvertraglich vereinbart werden. Die Gewerkschaften haben allerdings bei Verletzung der aus dem Tarifvertrag oder Tarifvertragsgesetz folgenden Arbeitgeberpflicht mit ihrem Schadensersatzanspruch eine Handhabe, den Arbeitgeber zu der Gewährung tariflicher Bestimmungen gegenüber allen Arbeitnehmern anzuhalten, so daß eine abgeschwächte Außenseiterwirkung vorliegt. Die Zuordnung in die zweite Gruppe ist deshalb gerechtfertigt, da unter dem Blickwinkel des Geltungsbereichs die alleinige Tarifbindung des Arbeitgebers für eine umfassende Geltung der Tarifregelungen unter den Vertragspartnern ausschlaggebend ist.935

Generell zu den nordischen Ländern vgl. Bruun, Nordic Model, S. 1 (34 f.). MPI-Jacobsen, Freedom of the Worker, S. 109 (142); Kronke, Regulierungen, S. 310 f.; Nielsen, Soziales Europa, Beiheft 5 / 1993, S. 26 (32). 931 Man kann hier von einer abgeschwächten Außenseiterwirkung sprechen, da eine Pflicht des Arbeitgebers nicht gegenüber dem Außenseiter, sondern allein gegenüber der Gewerkschaft besteht; vgl. ELL-Jacobsen / Hasselbalch, Denmark, Rn. 642; MPI-ders., Freedom of the Worker, S. 109 (142); Nielsen, Soziales Europa, Beiheft 5 / 1993, S. 26 (32). 932 s. o. Fn. 928. 933 Art. 4 Abs. 2 v. 07. 06. 1946; vgl. ELL-Suviranta, Finland, Rn. 78. 934 Art. 14 Wet op de collectieve arbeidsovereenkomst v. 24. 12. 1927 (niederländisches Kollektivvertragsgesetz); vgl. Deinert, Europäischer Kollektivvertrag, S. 335 f. 935 Meinertz, Dänemark, S. 80 (93). 929 930

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c) Konzeption der allgemeinverbindlichen Wirkung vor allem in Spanien Noch einen Schritt weiter geht Spanien. Die Regeln des Arbeitnehmerstatuts schreiben eine allgemeinverbindliche Wirkung der Tarifverträge gesetzlich fest, Art. 82.3. Das bedeutet: Ein nach den Regeln des Arbeitnehmerstatuts zustande gekommener Tarifvertrag bindet in seinem räumlich-fachlichen Geltungsbereich alle Arbeitnehmer und Arbeitgeber unabhängig von ihrer Zugehörigkeit zu den vertragschließenden Verbänden. Die Tarifmacht erstreckt sich also auch auf die nichtorganisierten Arbeitgeber.936 Dabei wirkt der Tarifvertrag von außen auf den Arbeitsvertrag ein, ohne in ihn aufgenommen zu werden.937 Ist eine Voraussetzung des Arbeitnehmerstatuts nicht erfüllt, beschränkt sich die Geltung der entstehenden außergesetzlichen Tarifverträge auf die Mitglieder der Unterzeichnerparteien.938 Eine dogmatische Begründung der allgemeinverbindlichen Wirkung ist nicht ersichtlich.939 Griechenland kennt die allgemeinverbindliche Wirkung bei allgemeinen nationalen Tarifverträgen. Bei allen anderen Tarifverträgen beschränkt sich die Tarifgebundenheit auf die Verbandsmitglieder. Griechenland kombiniert damit die beiden extremen Systeme der Beschränkung auf die Mitglieder einerseits und der allgemeinverbindlichen Wirkung andererseits graduell nach Art des Tarifvertrages.940 d) Fazit Die mitgliedstaatlichen Tarifvertragsordnungen weisen hinsichtlich der Tarifgebundenheit sehr unterschiedliche Konzeptionen auf. Die Vision des EuG von einem eine generelle Außenwirkung begründenden Legitimationsprinzip kraft Repräsentativität steht im Widerspruch insbesondere zu den ersten beiden Modellen. Dazu zählen die Länder, die die Tarifmacht vollständig auf die Mitglieder der tarifschließenden Verbände beschränken oder zumindest die Tarifgebundenheit des 936 Kramer, Spanien, S. 370 (372 f.); Kronke, Regulierungen, S. 332, 336; Zachert / Ojeda Avilés / Pérez Pérez, Beispiel Spanien, S. 51 (68 f.); ders., ZIAS 1992, S. 1 (16). 937 Deinert, Europäischer Kollektivvertrag, S. 347 m. w. N. 938 Das Arbeitnehmerstatut stellt abhängig von dem Geltungsbereich des Tarifvertrages an die tarifschließenden Gewerkschaften und Arbeitgeberverbände mehr oder weniger strenge Repräsentativitätsanforderungen. Darüber hinaus muß die für den Abschluß eines über das Unternehmen hinausgehenden Tarifvertrages zuständige Tarifkommission die absolute Mehrheit der betrieblichen Interessenvertreter repräsentieren. Zu den komplizierten Voraussetzungen der Tariffähigkeit vgl. Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht I, § 17 I. 2. a) (10), S. 716 f.; Kronke, Regulierungen, S. 332 ff.; Zachert, ZIAS 1992, S. 1 (4 ff.); ders. / Ojeda Avilés / Pérez Pérez, Beispiel Spanien, S. 51 (59 ff.). 939 Selbst Zachert, ZIAS 1992, S. 1 ff., gibt keine Begründung. 940 Deinert, Europäischer Kollektivvertrag, S. 373 f.; Kouzis, Griechenland, S. 132 (141); Kravaritou, Soziales Europa, Beiheft 5 / 1993, S. 63 (74).

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4. Teil: Demokratische Legitimation der Akteure

Arbeitgebers fordern, um die Normwirkung auf die Außenseiter unter den Arbeitnehmern zu erstrecken. Stattdessen kann die Vision Einfluß in Richtung einer Ausdehnung der Tarifgebundenheit ausüben. Für Deutschland heißt dies: Das Urteil kann jene Stimmen neu stärken, die die Überwirkung der Tarifmacht auf Außenseiter wie in betrieblichen und betriebsverfassungsrechtlichen Fragen ohne weiteres zulassen. Weiterhin kann es die Systementscheidung in § 3 Abs. 1 TVG grundsätzlich in Frage stellen.941 Die Ausführungen haben des weiteren gezeigt, daß den mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen aufgrund ihrer Unterschiedlichkeit kein allgemeiner Rechtsgrundsatz entnommen werden kann. Das Legitimationsprinzip kraft Repräsentativität ist originär gemeinschaftsrechtlich.

3. Für die Rolle und Auswahl der Sozialpartner Von der Rechtsfolgenseite gedacht prägt die Auffassung des EuG drittens die Rolle und die Auswahl der europäischen Sozialpartner, die an dem Sozialen Dialog zu beteiligen sind. Könnten die Sozialpartner alle Normunterworfenen vertreten und das Europäische Parlament substituieren, könnten sie einerseits den Gemeinschaftsmaßnahmen die vollständige demokratische Legitimation vermitteln. Ihr maßgeblicher inhaltlicher Einfluß wäre nicht zu beanstanden und die Aufgabe der Gemeinschaftsorgane auf die bloße Durchführung der Sozialpartnervereinbarungen begrenzt. Andererseits wären die an sie zu stellenden Anforderungen streng zu fassen. Jeder kleinste Verstoß gegen sie müßte zur Unwirksamkeit der durch den Sozialen Dialog gesetzten Rechtsakte führen. Gemeinschaftsorgane und Gericht müßten in diesem Fall die Repräsentativität der Sozialpartner durch eine intensive inhaltliche Prüfung der Vereinbarung kontrollieren.942 Beschränkte sich die sozialpartnerschaftliche Vertretungsbefugnis indes auf die Mitglieder und auf die legitimatorische Unterstützung des Rates, müßten die Anforderungen nicht so streng ausfallen. Die sozialpolitischen Rechtsakte wären nur unwirksam, wenn der Verstoß gegen die Anforderungen und damit gegen die Interessen der Betroffenen grob ausfallen würde. Die Rechtsfolgen sind noch einmal genauer im 5. Teil zu erläutern.

III. Erfordernis der demokratischen Legitimation der Sozialpartner Bevor auf die Konstruktion der Legitimation kraft Repräsentativität unter IV. eingegangen werden kann, ist zunächst zu prüfen, ob die Sozialpartner bei ihrer Normsetzung erga omnes überhaupt der (staatlich)demokratischen Legitimation bedürfen. Daß die Sozialpartner bei ihrer Normsetzung den Anforderungen der 941 942

s. o. § 16 II. 2. a) aa). s. u. 5. Teil § 18 III. 3.

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demokratischen Legitimation unterliegen, kann aus zwei Gründen in Frage gestellt werden. 1. Im Bereich der Sozialautonomie finden hoheitliche Prinzipien grundsätzlich keine Anwendung, so daß das Demokratieprinzip evtl. nicht einschlägig ist. 2. Die Ordnungsaufgabe der Sozialpartner im Zusammenhang mit dem Abschluß von Kollektivregelungen könnte sie bereits ausreichend zur Normsetzung legitimieren, so daß keine weiteren Erfordernisse zu stellen sind.

1. Das Verhältnis von Sozialautonomie und Demokratieprinzip Nach der Vision und Interpretation des EuG-Urteils sind die Sozialpartner generell zur Normsetzung ohne staatlichen Umsetzungsakt befugt und verfügen hierbei über eine demokratische Legitimation. Das ist angesichts ihrer Verwurzelung im gesellschaftlichen Bereich nicht ohne weiteres nachvollziehbar.943 Zwischen den Sozialpartnern als Verbänden und den Mitgliedern bzw. Nichtmitgliedern als Bürgern liegt kein staatliches, sondern ein rein „innergesellschaftliches“ 944 oder „soziales“945 Machtverhältnis vor. Verbände, die im Rahmen ihrer Autonomie handeln, sollen grundsätzlich nicht an das Demokratieprinzip gebunden sein.946 Die bloße Berufung auf das EuG als Autorität liefert kein ausreichendes Gegenargument. Bevor unter b) und c) über die Geltung des Demokratieprinzips im Verhältnis Sozialpartner / Normunterworfene entschieden wird, soll der Ansatzpunkt der mit dem EuG abstrakt angenommenen sozialpartnerschaftlichen Selbstgesetzgebungsbefugnis – die (Sozial)Autonomie – aus dem Gemeinschaftsrecht abgeleitet werden. Für die Bestimmung der sozialpartnerschaftlichen Rolle interessiert die Existenz der Sozialautonomie viel mehr als die aus ihr abzuleitenden Kollektivvertragswirkungen.947

a) Verankerung der Sozialautonomie im Gemeinschaftsrecht Die Autonomie der Sozialpartner folgt aus der Koalitionsfreiheit; sie ist ein Teil von ihr.948 In den Gemeinschaftsverträgen ist sie nicht ausdrücklich nieder943 Leichtfertig die Diktion des EuG übernimmt Schmidt, Befugnisse der Sozialpartner, S. 215, 298, die die Sozialpartner als mittelbar legitimiert ansieht. 944 Däubler, Grundrecht auf Mitbestimmung, S. 283. 945 Gamillscheg, Grundrechte, S. 84. 946 Däubler, Grundrecht auf Mitbestimmung, S. 283; Ganter, Betriebliche Fragen, S. 70 f.; a.A. die Lehre von der unmittelbaren Drittwirkung der Grundrechte; vgl. Gamillscheg, Grundrechte, S. 75 ff. 947 Letztere Frage untersucht Deinert, Europäischer Kollektivvertrag, S. 254 ff. 948 Piazolo, Sozialer Dialog, S. 166; Schwarze, EAS, B 8100 Rn. 32; für das deutsche Verfassungsrecht vertreten dies Biedenkopf, Grenzen der Tarifautonomie, S. 102 ff.; Säcker, Koalitionsfreiheit, S. 71 ff.; Scholz, HStR VI, § 151 Rn. 101.

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geschrieben. Das Problem besteht hier wie bei fast949 allen anderen Grundrechtsverbürgungen darin, daß die Gemeinschaftsverträge keinen Grundrechtskatalog beinhalten.950 Trotz zahlreicher Kritik951 haben es die Mitgliedstaaten sowohl auf dem Gipfel von Amsterdam als auch von Nizza versäumt, einen solchen Katalog in die Gemeinschaftsverträge aufzunehmen.952 Auch die auf dem Gipfel von Nizza unterzeichnete Charta der Grundrechte der Europäischen Union953 kann ihn angesichts ihrer rechtlichen Unverbindlichkeit nicht ersetzen.954 In den Gemeinschaftsverträgen verweist Art. 6 Abs. 2 EUV auf den Grundrechtsschutz. Er fordert die Gemeinschaft zur Achtung der Grund- und Menschenrechte auf, wie sie in der Europäischen Menschenrechtskonvention gewährleistet sind und sich aus den gemeinsamen Verfassungsüberlieferungen der Mitgliedstaaten ergeben. Die Vorschrift verschaffte der langjährigen Rechtsprechung des EuGH zu den Grundrechten Anerkennung.955 Der EuGH bemüht sich seit langem, die Schutzlücken im Wege richterlicher Rechtsfortbildung956 zu füllen. Dabei arbeitet er Gemeinschaftsgrundrechte aus den gemeinsamen Verfassungsüberlieferungen der Mitgliedstaaten und den völkerrechtlichen Verträgen heraus.957 In seinen Urteilen hat er bisher indes kein spezielles Grundrecht der Koalitionsfreiheit anerkannt, 949 Ausgenommen sind die Grundrechte, die ihren Ausdruck in den Gemeinschaftsverträgen gefunden haben, wie z. B. die speziellen Diskriminierungsverbote in Art. 12 oder 14 Abs. 1 EGV; vgl. Bode, Diskriminierungsverbote, S. 37 ff.; Feger, Grundrechte, S. 62; Kischel, EuGRZ 1997, S. 1 ff.; Oppermann, Europarecht, Rn. 490. 950 U. a. Geiger, EGV, Art. 220 Rn. 32; Läufer, GS für Grabitz, S. 355 ff.; Lenz, NJW 1997, S. 3289; Pechstein / Koenig, Europäische Union, Rn. 590; Schwarze-Schwarze, Kommentar, Art. 220 EGV Rn. 17. 951 Lenz-Borchardt, EGV, Art. 220 Rn. 33; Grabitz / Hilf-Hilf, EGV, Art. F Rn. 47 (Stand: Mai 1995); ders., EuR 1991, S. 19 ff.; Simitis, FS für Kissel, S. 1097 (1112). 952 Die Bemühungen der Bundesrepublik, den Schutz der Sozialautonomie festzuschreiben, sind bereits zu Zeiten des Maastrichter Vertrages gescheitert; vgl. Coen, AiB 1992, S. 256 (257); ders., BB 1992, S. 2068 (2069). 953 Vgl. ABl. C 364 v. 18. 12. 2000, S. 1 ff. 954 Vgl. Borchmann, EuZW 2001, S. 170; Lörcher, AuR 2000, S. 241 (242); Schmidt, Arbeitsrecht, I Rn. 86; zur Debatte über die europäische Grundrechtscharta s. Alber / Widmaier, EuGRZ 2000, S. 497 (498) m. w. N. 955 König / Pechstein, Europäische Union, Rn. 117; Oppermann, Europarecht, Rn. 494; Schwarze-Schwarze, Kommentar, Art. 220 EGV Rn. 17; zu Art. F Abs. 2 EUV Grabitz / HilfHilf, EGV, Art. F Rn. 24 (Stand: Mai 1995). 956 Zu der Rechtfertigung der richterlichen Rechtsfortbildung Hummer / Obwexer, EuZW 1997, S. 295 (296 f.); Schwarze-Schwarze, Kommentar, Art. 220 EGV Rn. 4 ff. 957 Beispielhaft EuGH v. 14. 05. 1974, Rs. 4 / 73 – Nold / Kommission –, Slg. 1974, S. 491 (507), Rn. 13; v. 15. 06. 1978, Rs. 149 / 77 – Defrenne / Sabena –, Slg. 1978, S. 1365 (1379), Rn. 26 / 29; v. 18. 05. 1982, Rs. 155 / 79 – AM & S / Kommission –, Slg. 1982, S. 1575 (1610), Rn. 19; v. 10. 07. 1984, Rs. 63 / 83 – Regina / Kirk –, Slg. 1984, S. 2689 (2718), Rn. 22.; v. 15. 05. 1986, Rs. 222 / 84 – Johnston / Chief Constable of the Royal Ulster Constabulary –, Slg. 1986, S. 1651 (1682), Rn. 18. Allgemein hierzu Nicolaysen, Europarecht I, S. 55 f.; Oppermann, Europarecht, Rn. 482 ff.; Streinz, Grundrechtsprobleme, S. 120 ff.

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obwohl er in Vorabentscheidungsverfahren zur Geltung von Tarifverträgen schon mehrmals Gelegenheit dazu hatte.958 Allerdings sieht er in der allgemeinen Vereinigungsfreiheit959 und der Vereinigungsfreiheit der Gemeinschaftsbeamten 960 ein Grundrecht, das den Vereinigungen das Recht gibt, die beruflichen Interessen ihrer Mitglieder mit erlaubten Mitteln zu verfolgen. Im Grundsatz ist die Koalitionsfreiheit mit ihrer Teilverbürgung der Kollektivautonomie nach der Methode des EuGH als Gemeinschaftsgrundrecht anzusehen, wenn die völkerrechtlichen Verträge und mitgliedstaatlichen Verfassungen sie anerkennen. Zunächst müssen aber die Gemeinschaftsverträge selbst als mögliche Quelle eines Gemeinschaftsgrundrechts herangezogen werden, obgleich der EuGH in seiner Grundrechtsrechtsprechung nur selten auf sie Bezug nimmt961. Ansonsten liefe man Gefahr, sich zu den Prinzipien und Strukturen des Gemeinschaftssystems in Widerspruch zu setzen.962 aa) Gemeinschaftsverträge Die primärrechtlichen Vorschriften enthalten zwar Anhaltspunkte zu Inhalt und Grenzen der Grundrechte.963 Eine grundrechtliche Garantie können sie aber nicht ersetzen, da der Gemeinschaftsgesetzgeber die Vorschriften frei ändern kann. Grundrechte sind hingegen grundsätzlich nicht der freien gesetzgeberischen Disposition ausgesetzt.964 So verhält es sich auch hinsichtlich der Koalitionsfreiheit 958 Der EuGH hat insbesondere in der Rs. C-184 / 89 einen nationalen Tarifvertrag wegen Verstoßes gegen das Gemeinschaftsrecht für unanwendbar erklärt, ohne den Tarifparteien die von ihm angesprochene Gelegenheit zur autonomen „Nachbesserung“ zu geben; vgl. EuGH v. 08. 04. 1976, Rs. 43 / 75 – Defrenne / Sabena –, Slg. 1976, S. 455 (476), Rn. 38 ff.; v. 08. 11. 1983, Rs. 165 / 82 – Kommission / Vereinigtes Königreich –, Slg. 1983, S. 3431 (3447), Rn. 11; v. 27. 06. 1990, Rs. C-33 / 89 – Kowalska / Hamburg –, Slg. I-1990, S. 2591 (2612 f.), Rn. 17 – 20, und insbesondere v. 07. 02. 1991, Rs. C-184 / 89 – Nimz / Hamburg –, Slg. I-1991, S. 297 (320 f.), Rn. 16 – 21; v. 15. 01. 1998, Rs. C-15 / 96 – Kalliope SchöningKougebetopoulou / Freie und Hansestadt Hamburg –, EuZW 1998, S. 118 (119), Rn. 29, 35. Hierzu Haedrich, EAS, B 1000 Rn. 59. 959 EuGH v. 15. 12. 1995, Rs. C-415 / 93 – Bosman –, Slg. I-1995, S. 4921 (5065), Rn. 79. 960 Die Entscheidungen beruhen auf Art. 24a des Beamtenstatuts (abgedruckt in ABl. C 100 v. 28. 09. 1972, S. 5 ff., 11); vgl. EuGH v. 08. 10. 1974, Rs. 175 / 73 – Gewerkschaftsbund, Massa und Kortner / Rat –, Slg. 1974, S. 917 (924 f.), Rn. 9 / 13 f.; v. 08. 10. 1974, Rs. 18 / 74 – Allgemeine Gewerkschaft / Kommission –, Sgl. 1974, S. 933 (944), Rn. 5 / 9 f.; v. 18. 01. 1990, Rs. C-193 / 87 und C-194 / 87 – Maurissen und Gewerkschaftsbund / Rechnungshof –, Slg. I-1990, S. 95 (117 ff.), Rn. 11 ff., insbesondere 21 f. 961 Vgl. Deinert, Europäischer Kollektivvertrag, S. 262. 962 Zu dem Postulat der Widerspruchsfreiheit siehe Lenz-Borchardt, EGV, Art. 220 Rn. 17; Zuleeg, EuR 1969, S. 97 (102 f.); im Ergebnis auch Nicolaysen, Europarecht I, S. 55. 963 Bleckmann, DVBl. 1978, S. 457 (462); Hirsch, RdA 1998, S. 194 (195); Pernice, NJW 1990, S. 2409 (2412 f.). 964 Das folgt aus parallelen Überlegungen zu Art. 79 Abs. 3 GG, der für Änderungen des Grundgesetzes eine qualifizierte Mehrheit verlangt. So im Ergebnis auch Schwarze, EAS, B 8100 Rn. 32.

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und der Kollektivautonomie.965 Die sozialpolitischen Vorschriften enthalten Bekenntnisse zu den Grundrechten, ohne sie grundrechtlich abzusichern.966 Die Art. 137 Abs. 6967 und 140 S. 1 Spiegelstrich 7968 EGV, die das Koalitionsrecht explizit erwähnen, sind überwiegend primärrechtlicher Ausdruck der mitgliedstaatlichen Koalitionsfreiheit. 969 Art. 139 EGV wiederum, wonach der „Dialog zwischen den Sozialpartnern auf Gemeinschaftsebene ( . . . ) zur Herstellung vertraglicher Beziehungen, einschließlich des Abschlusses von Vereinbarungen, führen“ kann, ist Ausdruck der gemeinschaftsrechtlichen Sozialautonomie.

bb) Völkerrechtliche Verträge Eine wichtigere Erkenntnisquelle des EuGH sind völkerrechtliche Verträge, die die Mitgliedstaaten ratifiziert haben.970 Die Koalitionsfreiheit und die Autonomie der Sozialpartner werden in vielen dieser Verträge gewährleistet. Dazu zählen: das Übereinkommen Nr. 87 über die Vereinigungsfreiheit und den Schutz des Vereinigungsrechtes v. 9. Juli 1948971 und Nr. 98 über die Anwendung der Grundsätze des Vereinigungsrechtes und des Rechtes zu Kollektivverhandlungen v. 1. Juli 1949972 der ILO, die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte der Vereinten Nationen (Art. 23 Nr. 4: Koalitionsfreiheit) v. 10. Dezember 1948973, die Europäische Menschenrechtskonvention (Art. 11 Abs. 1: Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit, die die Koalitionsfreiheit mitumfaßt) v. 4. November 1950974, die Europäische Sozialcharta (Teil I Nr. 5 und Teil II Art. 5: Vereinigungsrecht und Teil I Nr. 6 und 965 Anders Piazolo, Sozialer Dialog, S. 166, die in Art. 4 Abs. 1 des Sozialabkommens (heute Art. 139 Abs. 1 EGV) die Grundlage der Sozialautonomie sieht. 966 Vgl. umfassend Deinert, Europäischer Kollektivvertrag, S. 262 ff.; Treu, Liber amicorum Wedderburn, S. 169 (173); weitergehend Schnorr, DRdA 1994, S. 193 (194), nach dem die Gemeinschaftsverträge eine „Art Grundrecht der Autonomie der Sozialpartner“ anerkennen. 967 Art. 137 Abs. 6 EGV schließt eine Tätigkeit der Gemeinschaft auf dem Gebiet des Arbeitsentgelts, des Koalitionsrechts, Streikrechts und Aussperrungsrechts aus. 968 Nach Art. 140 EGV soll die Kommission die Zusammenarbeit der Mitgliedstaaten auf dem Gebiet „des Koalitionsrechts und der Kollektivverhandlungen zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern“ fördern. 969 Feger, Grundrechte, S. 184 ff.; ders., RdA 1987, S. 13 (20). 970 Eine Übersicht über den Stand der Ratifikationen im Jahre 1992 und 1994 gibt Däubler / Kittner / Lörcher, Internationale Arbeitsordnung, Ziff. 106, Übersicht C zu 206 und 306. 971 Abgedruckt in Däubler / Kittner / Lörcher, Internationale Arbeitsordnung, Ziff. 210. 972 Abgedruckt in Däubler / Kittner / Lörcher, Internationale Arbeitsordnung, Ziff. 211. 973 Abgedruckt in Däubler / Kittner / Lörcher, Internationale Arbeitsordnung, Ziff. 110. 974 Abgedruckt in Däubler / Kittner / Lörcher, Internationale Arbeitsordnung, Ziff. 310. Hierzu Frowein / Peukert, EMRK, Art. 11 unter Rn. 6 ff. zur Vereinigungsfreiheit und unter Rn. 9 ff. zur Koalitionsfreiheit als Bestandteil der Vereinigungsfreiheit; MPI-Kitz, Koalitionsfreiheit, S. 1073 (1078 ff.).

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Teil II Art. 6: Recht auf Kollektivverhandlungen) v. 18. Oktober 1961975, der Internationale Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte (Art. 8 Abs. 1: Koalitionsfreiheit) v. 16. Dezember 1966976, der Internationale Pakt über bürgerliche und politische Rechte (Art. 22 Abs. 1: Koalitionsfreiheit) v. 19. Dezember 1966977, die Gemeinschaftscharta der Sozialen Grundrechte der Arbeitnehmer (Titel I Art. 11 und 12 : Koalitionsfreiheit und Tarifverhandlungen) v. 9. Dezember 1989978 und schließlich die Charta der Grundrechte der Europäischen Union (Art. 12: Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit, Art. 28: Recht auf Kollektivverhandlungen und Kollektivmaßnahmen) v. 7. Dezember 2000979. Hinsichtlich des Grundrechtsschutzes nimmt Art. 6 Abs. 2 EUV lediglich auf die Europäische Menschenrechtskonvention Bezug.980 Die Präambel des EUV und im Zusammenhang mit der Sozialpolitik Art. 136 EGV verweisen auf die Europäische Sozialcharta und die Gemeinschaftscharta der sozialen Grundrechte der Arbeitnehmer. Aber auch die anderen völkerrechtlichen Verträge können herangezogen werden981 und werden dies vom EuGH982 auch.

cc) Gemeinsame Verfassungsüberlieferungen Die gemeinsamen Verfassungsüberlieferungen der Mitgliedstaaten bilden eine weitere Erkenntisquelle der Gemeinschaftsgrundrechte. Die nationalen Verfassungen sollen somit rechtsvergleichend betrachtet werden. 975 Abgedruckt in Däubler / Kittner / Lörcher, Internationale Arbeitsordnung, Ziff. 320. Hierzu Wiese, JIR 1973, S. 328 ff.; MPI-Kitz, Koalitionsfreiheit, S. 1073 (1086 ff.); MünchArbR-Birk, § 17 Rn. 88 – 91. 976 Abgedruckt in Däubler / Kittner / Lörcher, Internationale Arbeitsordnung, Ziff. 130. 977 Abgedruckt in Däubler / Kittner / Lörcher, Internationale Arbeitsordnung, Ziff. 120. 978 Abgedruckt in Däubler / Kittner / Lörcher, Internationale Arbeitsordnung, Ziff. 409, und Soziales Europa 1 / 1990, S. 52 ff. Zu ihrem fehlenden rechtsverbindlichen Charakter vgl. Deinert, Europäischer Kollektivvertrag, S. 289. 979 Die „Charta der Grundrechte der Europäischen Union“ ist veröffentlicht im ABl. C 364 v. 18. 12. 2000, S. 1 ff. In ihrer Präambel heißt es: Die Union gründet sich auf die „universellen Werte der Würde des Menschen, der Freiheit, der Gleichheit und der Solidarität. Sie stellt die Person in den Mittelpunkt ihres Handelns, indem sie ( . . . ) einen Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts begründet.“ Zu den vorbereitenden Arbeiten vgl. Lörcher, AuR 2000, S. 241 ff. m. w. N.; zu dem Rat von Nizza vgl. Borchmann, EuZW 2001, S. 170 ff. 980 Art. 46 lit. d EUV erklärt die aus den drei Gründungsverträgen folgenden Zuständigkeitsregelungen des EuGH auf Art. 6 Abs. 2 EUV anwendbar. Der EuGH ist somit für den Schutz der Grundrechte zuständig. 981 Grabitz / Hilf-Hilf, EGV, Art. F Rn. 25, 34 (Stand: Mai 1995). 982 Auf die Europäische Sozialcharta bezieht sich der EuGH beispielsweise in seinem Urteil v. 15. 06. 1978, Rs. 149 / 77 – Defrenne / Sabena –, Slg. 1978, S. 1365 (1379), Rn. 26 / 29; auf den Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte in seinem Urteil v. 18. 10. 1990, Verb. Rs. C-297 / 88 und C-197 / 89 – Dzodzi –, Slg. I-1990, S. 3763 (3800), Rn. 68.; v. 17. 02. 1998, Rs. C-249 / 95 – Lisa Jacqueline Grant / South-West Trains Ltd –, NZA 1998, S. 301 (303), Rn. 43 f.

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In Deutschland garantiert Art. 9 Abs. 3 GG seinem Wortlaut nach zunächst die individuelle Koalitionsfreiheit. Ganz überwiegend wird er aber als Doppelgrundrecht verstanden, das seinem Zweck nach zugleich die kollektive Koalitionsfreiheit umfaßt.983 Die kollektive Koalitionsfreiheit findet ihren Ausdruck u. a. in dem Recht, Kollektivverträge abzuschließen (sog. Tarif- bzw. Kollektivautonomie). Ebenso folgen die kollektive Koalitionsfreiheit und Kollektivautonomie aus der individuellen Koalitionsfreiheit in Frankreich984, Finnland985 und Luxemburg986. Eine ausdrückliche Gewähr der Kollektivautonomie enthalten die griechische987, italienische988, portugiesische989 und spanische990 Verfassung. In einigen Ländern 983 Aus der Literatur Dreier-Bauer, GG, Art. 9 Rn. 77; Biedenkopf, Grenzen der Tarifautonomie, S. 88; Sachs-Höfling, GG, Art. 9 Rn. 51, 63 ff.; Otto, Arbeitsrecht, Rn. 32 und BVerfG v. 18. 11. 1954 – 1 BvR 629 / 52 –, BVerfGE 4, S. 96 (101 f.); v. 01. 03. 1979 – 1 BvR 532, 533 / 77, 419 / 78 und 1 BvL 21 / 78 –, BVerfGE 50, S. 290 (367); selbstverständlicher v. 26. 06. 1991 – 1 BvR 779 / 85 –, BVerfGE 84, S. 212 (224); v. 02. 03. 1993 – 1 BvR 1213 / 85 –, BVerfGE 88, S. 103 (114); v. 10. 01. 1995 – 1 BvF 1 / 90, 1 BvR 342, 348 / 90 –, BVerfGE 92, S. 26 (38); v. 04. 07. 1995 – 1 BvF 2 / 86 und 1, 2, 3, 4 / 87 und 1 BvR 1421 / 86 –, BVerfGE 92, S. 365 (393 f.). 984 Die Präambel der Verfassung v. 17. 10. 1946 gilt über die Verweisung in der Präambel der Verfassung v. 04. 10. 1958 weiter. Relevant für die Koalitionsfreiheit sind ihre Absätze 6 und 8: „Jedermann darf seine Rechte und Interessen durch gewerkschaftliche Tätigkeit verteidigen und sich einer Gewerkschaft seiner Wahl anschließen. ( . . . ) Jeder Arbeiter nimmt durch seine Delegierten an der kollektiven Festsetzung der Arbeitsbedingungen sowie an der Verwaltung der Betriebe teil.“ Vgl. Krieger, Französisches Tarifvertragsrecht, S. 7 ff.; Le Friant, Beispiel Frankreich, S. 103 (111). 985 § 13 Abs. 2 der finnischen Verfassung von 1999 gewährleistet die Gewerkschaftsfreiheit: „Jeder hat das Recht auf Vereinigungsfreiheit. Die Vereinigungsfreiheit umfaßt das Recht, ohne Erlaubnis Vereinigungen zu bilden, Vereinigungen anzugehören oder auch nicht und an den Aktivitäten der Vereinigungen teilzunehmen. Die gewerkschaftliche Vereinigungsfreiheit und die Freiheit, sich zum Schutz anderer Interessen zu organisieren, werden gleichermaßen gewährleistet.“ Die Koalitionsfreiheit der Arbeitgeber folgt aus der allgemeinen Vereinigungsfreiheit. Vgl. zu der Rechtslage unter der alten Verfassung von 1919 MPIModden, Freedom of the Worker, S. 223 (225 f.). 986 Luxemburg stellt einen Grenzfall dar. Die Verfassung verbürgt nämlich nicht eindeutig die Kollektivautonomie. Gleichwohl trifft das Gesetz nach Art. 11 Abs. 4 der luxemburgischen Verfassung von 1868 „Vorsorge für die soziale Sicherheit, den Schutz der Gesundheit sowie die Erholung der Arbeiter und gewährleistet die gewerkschaftlichen Freiheiten“. Die Koalitionsfreiheit genießt also Verfassungsrang. Gleichzeitig wird sie als Spezialfall der Vereinigungsfreiheit in Art. 26 der Verfassung angesehen; vgl. ELL-Schintgen, Luxembourg, Rn. 355. 987 Art. 22 Abs. 2 der griechischen Verfassung von 1975: „Die allgemeinen Arbeitsbedingungen werden durch Gesetz festgesetzt und ergänzt durch in freien Verhandlungen abgeschlossene Tarifverträge, bei deren Mißlingen durch schiedsrichterlich gesetzte Regeln.“ Art. 23 Abs. 1 schreibt die Koalitionsfreiheit fest. 988 Art. 39 Abs. 4 der italienischen Verfassung von 1947: „Die eingetragenen Gewerkschaften sind juristische Personen. Aufgrund einer einheitlichen, ihrer Mitgliederzahl entsprechenden Vertretung können sie kollektive Arbeitsverträge abschließen; diese haben eine allgemein verbindliche Wirkung für alle Beschäftigten der Arbeitskategorien, auf die sich der Vertrag bezieht.“ Der Verfassungsartikel ist nie umgesetzt worden; vgl. Mariucci, Beispiel Italien, S. 155 (160).

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wie Belgien991, Dänemark992, Irland993, Niederlande994, Österreich995, Schweden996 und dem Vereinigten Königreich997 wird die Koalitionsfreiheit nur über die Vereinigungsfreiheit garantiert. Die Ausführungen zeigen, daß alle mitgliedstaatlichen Verfassungen eine Gewährleistung der individuellen und kollektiven Koalitionsfreiheit und Kollektivautonomie enthalten. Aussagen über den Inhalt998 der Koalitionsfreiheit und insbesondere der Kollektivautonomie lassen sich hingegen nur schwer treffen, da die Mitgliedstaaten den Grundrechtsgehalt sehr unterschiedlich ausgestalten. Es steht wohl nur fest, daß die Koalitionsfreiheit generell die Kollektivautonomie der Sozialpartner mit ihrem Recht auf autonome Verhandlungen und Abschluß von Kollektivverträgen999 umfaßt und die Kollektivautonomie im Kern die von hoheitlichen Eingriffen freie Selbstbestimmung der Koalitionen verbürgt.1000 Detaillier989 Art. 55 ff., insbesondere Art. 56 Abs. 3 der portugiesischen Verfassung von 1976: „Die gewerkschaftlichen Vereinigungen üben das Recht der Tarifvertragsverhandlungen aus; dieses Recht wird nach Maßgabe des Gesetzes gewährleistet.“ 990 Art. 37 Abs. 1 der spanischen Verfassung von 1978 erkennt das Recht auf Kollektivverhandlungen ausdrücklich an: „Das Gesetz gewährleistet das Recht auf Kollektivverhandlungen zwischen den Vertretern der Arbeitnehmer und der Arbeitgeber sowie die Verbindlichkeit der Abkommen.“ Art. 28 Abs. 1 der spanischen Verfassung garantiert die individuelle Koalitionsfreiheit. 991 Art. 27 der belgischen Verfassung von 1994: „Die Belgier haben das Recht, Vereinigungen zu bilden; dieses Recht darf keiner präventiven Maßnahme unterworfenen werden.“ 992 § 78 Abs. 1 der dänischen Verfassung von 1953: „Die Bürger sind berechtigt, ohne vorherige Erlaubnis Vereine zu jedem gesetzlich zulässigen Zweck zu bilden.“ 993 Art. 40 Abs. 6 Nr. 1 lit. c der irischen Verfassung von 1937: „Der Staat gewährleistet vorbehaltlich der Beachtung der öffentlichen Ordnung und Moral die Freiheit zur Ausübung folgender Rechte: Das Recht der Staatsbürger, sich zu Gesellschaften und Vereinigungen zusammenzuschließen.“ Vgl. MPI-Kelly, Freedom of the Worker, S. 367 (370 ff.). 994 Art. 8 der niederländischen Verfassung von 1983: „Das Recht auf Bildung von Vereinen wird anerkannt. Dieses Recht kann im Interesse der öffentlichen Ordnung durch Gesetz eingeschränkt werden.“ Vgl. ELL-Rood, Netherlands, Rn. 204. 995 Art. 12 des Staatsgrundgesetzes von 1867: „Die österreichischen Staatsbürger haben das Recht, sich zu versammeln und Vereine zu bilden.“; vgl. Strasser, Arbeitsrecht II, S. 18 f.; MPI-Tomandl / Marhold, Koalitionsfreiheit, S. 653 (656 ff.). Das Koalitionsrecht ist allerdings in Art. 18 Abs. 5 des Bundesverfassungsgesetzes von 1920 erwähnt. 996 Kapitel 2 § 1 Nr. 5 der schwedischen Verfassung von 1975: „Jedem Staatsbürger ist dem Gemeinwesen gegenüber zugesichert: Vereinigungsfreiheit: die Freiheit, auf öffentlichen Plätzen Demonstrationen zu veranstalten und daran teilzunehmen.“ Kapitel 2 § 17 erlaubt allerdings Kampfmaßnahmen der Koalitionen. 997 Der ungeschriebenen englischen Verfassung fehlt logischerweise ein Hinweis auf die Koalitionsfreiheit und die Kollektivautonomie. Diese Grundrechte sind aber in den verschiedenen Parlamentsakten und faktisch anerkannt; vgl. Kulbe, Englisches Arbeitsrecht, S. 51. 998 Eine detailgenaue Untersuchung nimmt Deinert, Europäischer Kollektivvertrag, S. 289 ff. vor. 999 Die Wirkung der Tarifverträge gibt die Tarifautonomie nicht vor. Anders Sachs-Höfling, GG, Art. 9 Rn. 78, nach dem die Tarifautonomie die Befugnis zur Setzung normativer Regelungen schafft.

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tere Aussagen interessieren im vorliegenden Zusammenhang nicht. Wichtig ist nur, daß auf Gemeinschaftsebene ein Gemeinschaftsgrundrecht der Kollektivautonomie existiert, an das die Normsetzungsbefugnis theoretisch ansetzen kann. b) Geltung des Demokratieprinzips Zu untersuchen bleibt, ob das Demokratieprinzip im Verhältnis der Tarifparteien zu den normunterworfenen Bürgern (Mitglieder und Nichtmitglieder), d. h. für die Normsetzung in Gestalt von Kollektivregelungen gilt. Hierzu sollen die Legitimationsgrundlagen kurz betrachtet werden: Als Akt der Fremdbestimmung bedarf die Normsetzung vor dem Hintergrund des dem Privatrecht zugrunde liegenden und im Gemeinschaftsrecht verankerten Grundsatzes der Selbstbestimmung1001 stets der Legitimation.1002 Prinzipiell lassen sich zwei Arten der Legitimation unterscheiden: die privatautonome, die auf dem Willen der Vertragsparteien beruht,1003 und die demokratische, die sich auf eine Wahl stützt.1004 Für die Legitimation kraft Repräsentativität interessiert die Geltung des Demokratieprinzips vor allem im Verhältnis der Sozialpartner zu den Außenseitern. Im Verhältnis zu den Mitgliedern gründet sich die Legitimation der Koalitionen zum Erlaß von Tarifnormen nach in der deutschen Diskussion sehr verbreiteter Ansicht auf die innerverbandliche Wahl der Verbandsorgane durch die Mitglieder1005 oder den Beitritt zum Verband1006 als Ausdruck einer „kollektiven Privatautonomie“.1007 Auch wenn z. B. der Verbandsbeitritt die Mitglieder an die Tarif1000 Vgl. Buchner, RdA 1993, S. 193 (201 f.); Deinert, Europäischer Kollektivvertrag, S. 269 f., 287 f., 426 ff.; Piazolo, Sozialer Dialog, S. 171; Schwarze, EAS, B 8100 Rn. 15; a.A. Schmidt, Befugnisse der Sozialpartner, S. 166 f., die vorschnell aus dem auslegungsbedürftigen Inhalt des Rechts auf dessen Nichtexistenz schließt. Zurückhaltend zur Verankerung der Koalitionsfreiheit im Primärrecht auch Fleischer, DB 2000, S. 821 (823). 1001 s. u. § 16 IV. 1. b) bb). 1002 Richardi, Kollektivgewalt, S. 50 f.; Schwarze, Der Betriebsrat, S. 123. Grundlegend a.A. wohl Biedenkopf, Grenzen der Tarifautonomie, S. 29 ff., der die Privatautonomie für die Normsetzung wegen der Regelung der Rechtsbeziehungen von am Vertrag nichtbeteiligten Dritten nicht als ausreichend ansieht; Gamillscheg, Differenzierung, S. 93 ff.; ders., Kollektives Arbeitsrecht I, § 15 III. 3. a), b), S. 558 ff. 1003 Bogs, RdA 1956, S. 1; Biedenkopf, Grenzen der Tarifautonomie, S. 29 f., spricht von einer Rechtfertigung „aus sich selbst“ heraus, die keiner zusätzlichen Legitimation bedarf. Grundlegend zu dem Verhältnis von Privatautonomie und Sozialbindung Otto, Personale Freiheit, S. 1 ff. 1004 Die Unterscheidung der Legitimationsgründe folgt der Trennung in gesellschaftlichdemokratische und staatlich-demokratische Legitimation; vgl. § 16 I. 2. c). 1005 Schwarze, Der Betriebsrat, S. 132. 1006 ErfK-Dieterich, Einl. GG, Rn. 20, 47; Richardi, Kollektivgewalt, S. 127 ff., 164 ff.; Rieble, Arbeitsmarkt und Wettbewerb, Rn. 1196; Schüren, RdA 1988, S. 138 (140 ff.). 1007 Statt vieler Mayer-Maly, BB 1965, S. 829 (832); Rieble, Arbeitsmarkt und Wettbewerb, Rn. 1151, 1194 f.; grundlegend Zöllner, RdA 1962, S. 453 (456 ff., 459); ders., RdA 1964, S. 443 ff.

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abschlüsse binden kann, vermag er die unmittelbare und zwingende Wirkung der Normen nicht zu begründen.1008 Er kann überdies nicht ohne Modifikationen die Außenseiterwirkung von Kollektivnormen erklären.1009 Hierfür ist in Anlehnung an die deutsche Delegationstheorie1010 zusätzlich eine gesetzliche Ermächtigung erforderlich, die neben die privatautonome Legitimation tritt.1011 Schließlich steht die Normsetzung primär dem Hoheitsträger zu.1012 Gibt die Autonomie allein bereits im Verhältnis zu den Mitgliedern keinen ausreichenden Legitimationsgrund ab, vermag sie die Normsetzung gegenüber den Nichtmitgliedern erst Recht nicht zu begründen. Diese ist von der Autonomie der Sozialpartner gerade nicht erfaßt.1013 Das ist offensichtlich, erstreckt sich die Autonomie doch nicht auf die Normsetzung gegen den Willen der Nichtmitglieder. Gegenüber den Nichtmitgliedern treten die Sozialpartner wie ein hoheitlicher Normsetzer auf. Außerdem nehmen die Außenseiter nicht an der privatautonomen Legitimation durch Verbandsbeitritt oder verbandsinterne Wahl teil.1014 Da an der freiheitsrelevanten Wirkung der Kollektivnormen1015 kein Zweifel besteht, muß 1008 Der Geltungsgrund der Tarifnormen ist strittig. Allein die privatautonome Legitimation läßt hierfür ausreichen Rieble, Arbeitsmarkt und Wettbewerb, S. 1199 ff.; dagegen wie hier z. B. Biedenkopf, Grenzen der Tarifautonomie, S. 29 ff., 47 ff. Im Verhältnis der Koalitionen zu den Mitgliedern besteht keine privatautonome Konstruktion – es greift weder die Stellvertretung noch die Leistungsbestimmung durch Dritte noch das Satzungsrecht –, die die unmittelbare und zwingende Wirkung der Kollektivregelungen erklären könnte; vgl. für das deutsche Zivilrecht Wagenitz, Tarifmacht, S. 19 ff. 1009 Zu der Kritik vgl. u. a.Wiedemann-Wiedemann, TVG, § 1 Rn. 42. 1010 Die Delegationstheorie vertreten im deutschen Recht unter vielen anderen: Bulla, DB 1980, S. 103 (104 ff.); im Ergebnis Kirchhof, Private Rechtsetzung, S. 159 ff.; Nikisch, Arbeitsrecht II, § 60 I. 2., S. 45 f.; Peters / Ossenbühl, Übertragung von öffentlich-rechtlichen Befugnissen, S. 13 ff.; vgl. hierzu auch Hinz, Tarifhoheit und Verfassungsrecht, S. 68 ff. 1011 ErfK-Dieterich, Einl. GG, Rn. 47; Wiedemann-Wiedemann, TVG, § 1 Rn. 43. Dahinstehen kann, ob die Delegation in dem Grundrecht der Sozialautonomie oder der gesetzlichen Ermächtigung begründet liegt. Vgl. zu dem Streit zwischen der Delegations- und Integrationstheorie Bulla, DB 1980, S. 103 (104 f.); Peters / Ossenbühl, Übertragung von öffentlichrechtlichen Befugnissen, S. 13 ff. Gegen die Delegationstheorie wurde in der deutschen Diskussion insbesondere vorgebracht, sie sei nur entwickelt worden, um die Tarifnormen den Grundrechten unterwerfen zu können; vgl. Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht I, § 15 III. 2. a), S. 557. Weitere Kritik äußern auch Kirchhof, Private Rechtsetzung, S. 162 ff.; Richardi, Kollektivgewalt, S. 144 ff.; Schneider, FS für Möhring, S. 521 (523 f.). 1012 Vgl. Zöllner, RdA 1962, S. 453 (457 f.). Der Tarifvertrag nimmt eine Mittelstellung zwischen heteronom hoheitlicher und autonom privater Normsetzung ein. Zu der unüberschaubaren Meinungsvielfalt über den Legitimationsgrund von Kollektivverträgen gibt einen guten Überblick Wiedemann-Wiedemann, TVG, § 1 Rn. 39 ff. 1013 Vgl. zum TVG Biedenkopf, Grenzen der Tarifautonomie, S. 310; Zöllner, RdA 1962, S. 453 ff.; ders., DB 1967, S. 334 (335); kritisch Söllner, AuR 1966, S. 257 (261); Schwarze, Der Betriebsrat, S. 99, 133. 1014 Die Möglichkeit des Verbandsbeitritts und dadurch die Möglichkeit der Einflußnahme reichen für eine privatautonome Legitimation wohl nicht aus; vgl. hierzu oben § 16 III. 1. b). 1015 Darauf stellt Schwarze, Der Betriebsrat, S. 133 ab.

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die erforderliche Legitimation eine demokratische sein. Die hoheitliche Delegation tritt hier also in den Vordergrund.1016 Das Demokratieprinzip ist ohne weiteres anwendbar. c) Ausnahmen von der Geltung des Demokratieprinzips Eine Ausnahme zu dem Grundsatz demokratischer Legitimation ist der Gemeinschaftsrechtsordnung unbekannt.1017 Die Vorschriften über den Sozialen Dialog haben hier außen vor zu bleiben, da sie gerade auszulegen sind. Mögliche Ausnahmetatbestände außerhalb der Rechtsordnung müßten angesichts der hohen Wertigkeit des Demokratieprinzips selbst einen zwingenden Charakter aufweisen. Rein praktische Gründe reichen hierfür nicht aus.1018 Als Ausnahmetatbestände in Betracht kommen die Geschichte der Koalitionsfreiheit auf Gemeinschaftsebene, der Wille des Gemeinschaftsgesetzgebers oder der Gleichbehandlungsgrundsatz1019. Aus der geschichtlichen Entwicklung der Koalitionsfreiheit ist keine von der demokratischen Legitimation losgelöste, personell umfassende Normsetzungsbefugnis der Sozialpartner abzuleiten. Ihnen fehlt bis heute die Möglichkeit der Normsetzung.1020 Auch haben die Mitgliedstaaten bei dem Abschluß der Römischen Verträge und später nicht über die Normsetzungsbefugnisse der Koalitionen beraten,1021 so daß ihr Wille diesbezüglich keinen Aufschluß gibt. Ferner macht der im Gemeinschaftsrecht geltende1022 Grundsatz der Gleichbehandlung zwischen Mitgliedern und Nichtmitgliedern die demokratische Legitimation nicht überflüssig. Er ist entweder aufgrund verbandspolitischer Erwägungen – es bedeutete den Ausverkauf der Koalitionen, wenn Nichtorganisierte denselben ErfK-Dieterich, Einl. GG, Rn. 47 m. w. N. Zu der Frage, ob die generelle Ordnungsaufgabe der Koalitionen zur Ordnung des Arbeitslebens eine Ausnahme von dem Grundsatz demokratischer Legitimation statuieren kann, s. u. § 16 III. 2. 1018 Ähnlich Schwarze, Der Betriebsrat, S. 150, 156. 1019 Den allgemeinen Gleichheitssatz hat der EuGH aus den Diskriminierungsverboten i. S. d. Art. 12, 39 Abs. 2 (aus Gründen der Staatsangehörigkeit) und Art. 141 Abs. 1 EGV (aus Gründen des Geschlechts) abgeleitet; vgl. EuGH v. 19. 10. 1977, Verb. Rs. 117 / 76 und 16 / 77 – Ruckdeschl / Hauptzollamt Hamburg-St. Annen –, Slg. 1977, S. 1753 (1769 f.), Rn. 7; v. 08. 10. 1980, Rs. 810 / 79 – Überschär / Bundesversicherungsanstalt für Angestellte –, Slg. 1980, S. 2747 (2764 f.), Rn. 15 f.; v. 13. 07. 1983, Rs. 152 / 82 – Forcheri / Belgien –, Slg. 1983, S. 2323 (2334 f.) Rn. 7 ff.; v. 13. 02. 1985, Rs. 293 / 83 – Gravier / Stadt Lüttich –, Slg. 1985, S. 593 (610 f.), Rn. 11 ff.; Kischel, EuGRZ 1997, S. 1 (3 ff.). In der EMRK ist das Diskriminierungsverbot in Art. 14 niedergeschrieben. Zu weiteren Diskriminierungsverboten vgl. Bode, Diskriminierungsverbote, S. 37 ff.; Lenz-Borchardt, EGV, Art. 220 Rn. 40; Kischel, EuGRZ 1997, S. 1 ff. 1020 s. o. 2. Teil § 4 III. 2. 1021 Im Vordergrund stand und steht die wirtschaftliche Integration vgl. Borchardt, Europäische Einigung, S. 24 f., 31 ff. 1022 s. o. § 16 III. 1. b). 1016 1017

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normativen Schutz wie Organisierte genießen würden1023 – oder der faktischen Gleichbehandlung aufgrund einzelvertraglicher Bezugnahmen1024 auf die Kollektivregelungen nicht verletzt bzw. nicht einschlägig. So oder so kann er als Ausdruck der Rechtsstaatlichkeit1025 die demokratische Legitimation nicht ersetzen. d) Zwischenergebnis Die Sozialautonomie ist synonym zu der Kollektivautonomie ein Teil der Koalitionsfreiheit. Diese wird grundrechtlich durch die Völkerverträge und die gemeinsamen Verfassungsüberlieferungen der Mitgliedstaaten garantiert. Sie verbürgt das Recht der Sozialpartner, Verhandlungen autonom führen und kollektive Verträge autonom, d. h. ohne Einflußnahme der Gemeinschaftsorgane schließen zu können. Bei ihrer Normsetzung mit Außenwirkung sind die Sozialpartner trotzdem dem Demokratieprinzip unterworfen. Bereits bei der Normsetzung gegenüber ihren Mitgliedern bedürfen die Koalitionen zusätzlich zu dem verbandsinternen Wahlakt bzw. dem Verbandsbeitritt der hoheitlichen Ermächtigung. Ihre Normsetzung gegenüber Außenseitern ist von der Sozialautonomie aber nicht umfaßt. Die Sozialpartner handeln hier gerade nicht im Rahmen ihrer Autonomie. Da zwingende Ausnahmetatbestände nicht ersichtlich sind, bedarf ihre Normsetzung daher der demokratischen Legitimation. 2. Erfordernis der Legitimation jenseits der allgemeinen Ordnungsaufgabe Die sozialpartnerschaftliche Normsetzung gegenüber allen am Arbeitsleben Beteiligten, wie sie vom EuG entwickelt wird, bedarf entgegen des bisherigen Ergebnisses dann keiner besonderen demokratischen Legitimation, wenn die Sozialpartner aufgrund ihrer Ordnungsaufgabe1026 hinreichend zur personell umfassenden Normsetzung befugt sind.1027 Die Sozialpartner wären in diesem Fall nicht legiti1023 Umstritten ist, ob in Kollektivverträgen eine Differenzierung nach der Gewerkschaftszugehörigkeit zulässig ist oder nicht; vgl. grundlegend Gamillscheg, Differenzierung, S. 7 ff.; Zöllner, Differenzierungsklausel, S. 11 ff. 1024 Die einzelvertraglichen Bezugnahmen können eine Gleichbehandlung losgelöst von der Diskussion über die Zulässigkeit von Differenzierungen erreichen. 1025 Vgl. Lenz-Hecker, EGV, Art. 177 Rn. 12; Oppermann, Europarecht, Rn. 244. 1026 Die Ordnungsaufgabe bezeichnet eine über die Wahrnehmung der Mitgliederinteressen hinausgehende Aufgabe zur Ordnung und Befriedung des Arbeitslebens. Ob sie auch hinsichtlich des Erlasses tariflicher Regelungen besteht, soll hier der Einfachheit halber angenommen werden. Unterschiedliche Auffassungen hierzu vertreten z. B. Gamillscheg und Rieble. Zu weiteren Nachweisen vgl. Wiedemann-Wiedemann, TVG, Einl. Rn. 13 ff. 1027 Nach Ganter, Betriebliche Fragen, S. 97 ff. und Wiedemann, RdA 1969, S. 321 (323, 329), kann die Ordnungsaufgabe die „Globalwirkung“ einiger betrieblicher Normen i. S. d. § 3 Abs. 2 TVG erklären. So auch Gamillscheg, Differenzierung, S. 97; Söllner, AuR 1966, S. 257 (263).

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mationsbedürftige Repräsentanten der Normunterworfenen. Das deutsche Tarifsystem, das allein die Mitglieder der Tarifvertragsparteien den tariflichen Normen unterwirft und für eine weiterreichende Geltung eine demokratische Legitimation verlangt, stellt im europäischen Vergleich eine Ausnahme dar. Die überwiegende Zahl der anderen Tarifvertragsordnungen setzt für eine Normerstreckung zumindest auf Arbeitnehmerseite keine Mitgliedschaft voraus.1028 So gesehen könnte die Forderung nach einer demokratischen Legitimation der Sozialpartner zu sehr einem deutschen Blickwinkel verhaftet sein. Wem gegenüber die Sozialpartner Recht zu setzen befugt sind, hängt vor allem von ihrer Funktion ab, die in zwei Gegenpolen denkbar ist. Die Sozialpartner können entweder als Mitgliederorganisation die Interessen ihrer Verbandsangehörigen1029 oder als Repräsentanten1030 bzw. Berufsorgan1031 die Interessen aller Berufsangehörigen vertreten. In der ersten Funktion können die Organisationen Normen zum Teil innerhalb ihrer Privatautonomie1032 setzen und damit staatlichen Regelungen zuvorkommen. Eine Einbeziehung von Außenseitern ist nur in Ausnahmefällen, nicht aber grundsätzlich möglich.1033 An die Legitimation zur Normsetzung gegenüber Anders- oder Nichtorganisierten sind im Vergleich zu ihrer Funktion als Repräsentanten hohe Anforderungen zu stellen. Die Aufgabe der Organisationen beschränkt sich auf die Wahrnehmung der Mitgliederinteressen. In der zweiten Funktion sind die Sozialpartner ohne weiteres zur Normsetzung gegenüber allen Arbeitsverhältnispartnern der Arbeitswelt, ihres Berufes oder ihrer Branche1034 legitimiert. Eine Einbeziehung von Außenseitern ist nicht nur erwünscht, sondern unproblematisch und eher die Regel als die Ausnahme. Wenn überhaupt, sind die Anforderungen an die Legitimation der Sozialpartner gering. Die Aufgabe der Organisationen erstreckt sich auf eine Interessenvertretung aller am Arbeitsleben Beteiligten. Beide Modelle unterscheiden nicht ausreichend zwischen der faktischen und rechtlichen Ebene; sie setzen die Aufgabe der Koalitionen mit ihrer Legitimation gleich. Problematisch ist dies insbesondere bei der Repräsentationstheorie, die an s. o. § 16 II. 2.; im Überblick vgl. Wiedemann-Oetker, TVG, § 3 Rn. 3 ff. Britz / Schmidt, EuR 1999, S. 467 (495); Dederer, RdA 2000, S. 216 (220); Rieble, Arbeitsmarkt und Wettbewerb, Rn. 1305 ff. 1030 Gamillscheg, Differenzierung, S. 36 ff.; Hirsch, Funktionen der Gewerkschaften, S. 27 ff., 127 ff.; Kunze, Koalitionsfreiheit, S. 101 (108 ff.), zur Repräsentantenstellung der Gewerkschaften; Müller, DB 1957, S. 718 f. 1031 Wiedemann, RdA 1969, S. 321 ff., insbesondere S. 327 ff.; vgl. hierzu Schwarze, RdA 2001, S. 208. 1032 Anders Biedenkopf, Grenzen der Tarifautonomie, S. 30 f., der die Normsetzung durch die Kollektivvertragsparteien auch nicht zum Teil auf die Privatautonomie, sondern auf die Delegation durch den Gesetzgeber zurückführt. 1033 Vgl. Schwarze, Der Betriebsrat, S. 151 f.; ders., RdA 2001, S. 208 f. 1034 Das hängt von der Organisation der Koalitionen und schließlich von dem personellen Geltungsbereich der Kollektivregelung ab. 1028 1029

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die weite Vorstellung von den Sozialpartnern als Berufsorganen anknüpft. Es mag zwar stimmen, daß die Koalitionen einen Auftrag zur Ordnung und Befriedung des Arbeitslebens haben.1035 Unter dieser Annahme kommt den Sozialpartnern wie auf nationaler so auch auf internationaler Ebene die Aufgabe zu, Sprachrohr für die eigene Seite zu sein und eventuell Recht für alle zu formulieren.1036 Nicht nur nach ihrem eigenen Selbstverständnis,1037 sondern auch in der Selbstverwaltung nehmen die Verbände eine öffentlich-repräsentative Funktion wahr.1038 In Deutschland hat der Gesetzgeber den Koalitionen unstreitig repräsentative Aufgaben zugewiesen. Sie bestehen u. a. darin, Vorschläge bei der Besetzung der Richter in der Arbeits- und Sozialgerichtsbarkeit abzugeben oder an der Arbeits- und Sozialgerichtsbarkeit selbst mitzuwirken.1039 Von der faktischen Aufgabe der Verbände zur Repräsentation aller Interessen darf freilich nicht auf die rechtliche Legitimation zur Rechtsetzung gegenüber der gesamten Arbeitnehmer- und Arbeitgeberschaft geschlossen werden.1040 Zwischen Aufgabe und Legitimation besteht ein qualitativer Unterschied.1041 Um es auf den Punkt zu bringen: Den Verbänden kann zugleich die Aufgabe einer umfassenden Interessenvertretung, aber dennoch nicht die Legitimation zu einer umfassenden Normsetzung zukommen. Aufgabe und Legitimation können also auseinanderfallen. Das hat auch eine Entscheidung des BVerfG gezeigt, wonach die Koalitionen die Aufgabe der sinnvollen Ordnung des Arbeitslebens durch Art. 9 Abs. 3 GG zugedacht bekommen, grundsätzlich aber nur gegenüber ihren Mitgliedern zur Normsetzung befugt sind.1042 Die Ordnungsaufgabe verleiht den Sozialpartnern keine personell umfassende Normsetzungsbefugnis. Die sozialpartnerschaftliche Normsetzung ist und bleibt zusätzlich legitimationsbedürftig. Alles andere wäre vor dem Hintergrund des Demokratie- und Rechtsstaatsprinzips bedenklich. Spätestens wenn die Normsetzung durch die Sozialpartner den autonomen Rahmen verläßt und sich auf die Arbeitnehmer- und Arbeitgeberschaft insgesamt erstreckt, gebieten die Prinzipien eine demokratische Legitimation der Normsetzung. Da die Legitimation der 1035 Vgl. Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht I, § 15 III. 3. b) (2), S. 562; a.A. Löwisch / Rieble-Rieble, TVG, § 3 Rn. 3; Rieble, Arbeitsmarkt und Wettbewerb, Rn. 1305 ff. 1036 Zu der deutschen Ebene: Zöllner, Differenzierungsklausel, S. 49. 1037 Vgl. Biedenkopf, Grenzen der Tarifautonomie, S. 49; Däubler, Grundrecht der Mitbestimmung, S. 282. 1038 Für das deutsche Tarifrecht stellen dies Gamillscheg, Differenzierung, S. 36 ff.; Schüren, RdA 1988, S. 138 ff., fest. 1039 Hierzu Gamillscheg, Differenzierung, S. 44 f. 1040 Zöllner, Differenzierungsklausel, S. 49 ff.; ähnlich Biedenkopf, Grenzen der Tarifautonomie, S. 40, der zwischen der Befugnis zur Ordnung des Verbandslebens und zur Rechtsetzung unterscheidet; auch Wiedemann, RdA 1969, S. 321 (322), der zwischen weitreichenden Mitwirkungs- und Beratungsaufgaben und engerer Regelungszuständigkeit differenziert; Däubler, Grundrecht der Mitbestimmung, S. 282; a.A. Gamillscheg, Differenzierung, S. 36 ff. 1041 Ähnlich Schwarze, Der Betriebsrat, S. 150; Wiedemann, RdA 1969, S. 321 (322). 1042 BVerfG v. 24. 05. 1977 - 2 BvL 11 / 74 -, BVerfGE 44, S. 322 (347 ff.) = AP Nr. 15 zu § 5 TVG.

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Sozialpartner nur vom hoheitlichen Normsetzer abgeleitet werden kann, ist sie in einem nächsten Schritt als Äquivalent zu der demokratischen Legitimation zu konstruieren.

IV. Konstruktion einer Legitimation kraft Repräsentativität Das Modell der Legitimation kraft Repräsentativität vermag den europäischen Sozialpartnern die Befugnis zuzuweisen, Normen auch für Außenseiter zu setzen. Entsprechend soll nun diese besondere Form der Legitimation der Sozialpartner im Vordergrund stehen. Ziel ist herauszufinden, ob die Sozialpartner wie vom EuG suggeriert eigenständig Legitimation vermitteln oder doch nur eine fremde demokratische Legitimation ergänzen können.

1. Als eigene Legitimation Eine Legitimation der Sozialpartner erfordert eine inhaltliche Auffüllung des Modells der Legitimation kraft Repräsentativität. Um der staatlich-demokratischen Legitimation gleich zu kommen, müßte es dessen Voraussetzungen in vergleichbarer Weise erfüllen. Die Ausführungen beschäftigen sich demnach mit der Konstruktion der Legitimation kraft Repräsentativität, die eine Außenwirkung herstellen kann.1043 Im folgenden sind in einem ersten und zweiten Schritt die Grundlagen einer organisatorisch-personellen (a) und sachlich-inhaltlichen Legitimation (b) zu entwickeln. Da den Sozialpartnern, wie sich sogleich herausstellen wird, die Legitimation kraft demokratischer Wahl fehlt, ist dabei ein anderer Grund jenseits der demokratischen Wahl zu finden, der sie zur Normsetzung gegenüber allen Normunterworfenen legitimiert. Im Rahmen der sachlich-inhaltlichen Legitimation ist problematisch, wie das Handeln der Repräsentanten den Repräsentierten zugerechnet werden kann. In einem dritten Schritt ist die gefundene Konstruktion abschließend auf ihre Gleichwertigkeit mit der demokratischen Legitimation hin zu bewerten (c). Das EuG-Urteil soll vorwiegend mit deutschen Systembegriffen analysiert und mit dem deutschen Tarifvertragsgesetz verglichen werden. Dieses Vorgehen rechtfertigt sich zum einen aus Art. 23 Abs. 1 S. 1 GG. Zum anderen erklärt es sich neben der speziellen Kenntnis der Rechtsordnung mit dem offensichtlichen Widerspruch des EuG-Entwurfs zu der deutschen Konzeption. Es folgt somit auch Zweckmäßigkeitsüberlegungen.1044 1043 Die Konstruktion der Legitimation kraft Repräsentativität ist vor den an sie zu stellenden Kriterien zu klären; vgl. 5. Teil § 18. 1044 Daig, FS für Zweigert, S. 395 (403 ff.), zu der Auswahl der Methode nach Zweckmäßigkeitserwägungen.

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a) Organisatorisch-personelle als quasi staatlich-demokratische Legitimation Die erste der beiden Voraussetzungen für die demokratische Legitimation hoheitlichen Handelns ist die organisatorisch-personelle Legitimation. Im europäischen Kontext verlangt sie eine auf die Bürger in ihrer Gesamtheit zurückführende ununterbrochene Legitimationskette.1045 Sie wird in der Regel durch eine demokratische Wahl gewährleistet.1046 Ausgeschlossen ist jedenfalls eine außerrechtliche Legitimation, die den bloßen Willen der Verbände zur Vertretung aller Interessen zur demokratischen Legitimation genügen läßt.1047 Da nicht die Bürger, sondern die Verbandsmitglieder die Führung der nationalen Sozialpartner wählen, aus denen sich die europäischen Sozialpartner konstituieren,1048 besteht kein Zweifel, daß Gruppen und Organisationen wie die europäischen Sozialpartner die organisatorisch-personelle Legitimation nicht garantieren können.1049 Unabhängig davon, ob die verbandsinternen Wahlen und Abstimmungen „demokratisch“ ablaufen,1050 könnten sie nur eine gesellschaftlich-demokratische, nicht aber eine staatlich-demokratische Legitimation erzeugen.1051 Auch wenn die Sozialpartner mitgliedsstark sind, stellen sie keine durch einen Wahlakt legitimierte repräsentative Versammlung dar. Ausgeschlossen ist sicherlich auch, daß die Repräsentativität der Sozialpartner die organisatorisch-personelle demokratische Legitimation ersetzen kann, vermag sie doch keine Legitimationskette zurück auf alle Bürger zu begründen. Die Repräsentativität soll m.E. auch eher für eine inhaltliche und nicht formale Anforderung an die Sozialpartner stehen.1052 Weiterhin ist die Legitimationskette von den Bürgern zu den Entscheidungsträgern nicht mit der gesetzlichen Ermächtigung zur Normsetzung zu verwechseln. Trotz allem ist die Voraussetzung der organisatorisch-personellen demokratischen Legitimation für die Sozialpartner erfüllbar und eine Legitimation kraft Repräsen1045 s. o. 3. Teil § 10 II. 3. a) cc). Zu der „Gesamtheit der Staatsbürger“ als Bezugspunkt der organisatorisch-personellen demokratischen Legitimation vgl. Böckenförde, HStR I, § 22 Rn. 29. 1046 Vgl. BVerfG v. 31. 10. 1990 – 2 BvF 3 / 89 –, BVerfGE 83, S. 60 (72 f.); Hirsch, Funktionen der Gewerkschaften, S. 124, der die Wahlen im Kontext der demokratischen Repräsentation erwähnt. Arnold, NZA 2002, S. 1261 (1267), verkennt, daß etwa die „doppelte Subsidiarität“ kein Konzept zur Herstellung organisatorisch-personeller Legitimation abgeben kann. 1047 Ausführlicher Schwarze, RdA 2001, S. 208 (212). 1048 Zu der Struktur der europäischen Sozialpartner vgl. Piazolo, Sozialer Dialog, S. 49 ff. 1049 So auch Böckenförde, HStR I, § 22 Rn. 29; Bödding, Sozialpartner, S. 116; Britz / Schmidt, EuR 1999, S. 467 (482); abweichend Kliemann, Europäische Sozialintegration, S. 121. 1050 Kritisch zu der Organisationsstruktur deutscher Gewerkschaften Schüren, RdA 1988, S. 138 (140 ff.). 1051 s. o. § 16 I. 2. c); Kreutz, Betriebsautonomie, S. 89. 1052 Eine andere Interpretation nehmen Britz / Schmidt, EuR 1999, S. 467 (490 f.) vor.

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tativität möglich. Wie im deutschen Kollektivvertragsrecht reicht eine gesetzliche Ermächtigung der Sozialpartner zur Normsetzung aus,1053 um die demokratische Legitimation in einer der Legitimationskette gleichwertigen Weise herzustellen.1054 Um der Klarheit willen soll noch einmal betont werden: Die Sozialpartner verfügen über keine organisatorisch-personelle demokratische Legitimation im eigentlichen Sinne, sondern über eine vom Gesetzgeber via gesetzlicher Ermächtigung abgeleitete Legitimation. b) Sachlich-inhaltliche als quasi staatlich-demokratische Legitimation Entsprechend der organisatorisch-personellen kann die sachlich-inhaltliche demokratische Legitimation wie gleich zu sehen auch nur „uneigentlich“ sein. Die sachlich-inhaltliche Legitimation verlangt, den Inhalt der sozialpartnerschaftlichen Kollektivregelung an den Willen der Bürger rückzubinden.1055 Sie ist grundsätzlich eng mit der organisatorisch-personellen verbunden, denn wer könnte besser den Bürgerwillen aktualisieren als ein von den Bürgern direkt oder indirekt durch Wahlen legitimiertes Organ? Wie zuletzt dargestellt fehlt den Sozialpartnern aber die demokratische Legitimation kraft Wahlakt, die die politischen Repräsentanten inne haben. Die gesetzliche Ermächtigung vermag indes die Normsetzung auch gegenüber Nichtmitgliedern sachlich-inhaltlich nicht zu legitimieren.1056 Sie ist in einem Rechtsstaat eine notwendige, aber nicht hinreichende Bedingung für die sozialpartnerschaftliche Normsetzung. Der Grund hierfür ist ganz einfach: Den Inhalt der kollektiven Bestimmungen bestimmt in keinem Fall der Gesetz- bzw. Vertragsgeber. Mangels seines materiellen Einflusses können die Sozialpartner also nicht von seiner demokratischen Legitimation zehren. Die kollektiven Regeln bedürfen daher einer außerhalb der gesetzlichen Ermächtigung liegenden eigenen sachlichinhaltlichen Legitimation.1057 Bei einer arbeitsrechtlichen Normsetzung durch die Sozialpartner leuchtet ein, daß der Wille der normunterworfenen Arbeitgeber und Arbeitnehmer1058 dem BürVgl. die h.M. zu § 3 Abs. 2 TVG; u. a. Kempen / Zachert-Kempen, TVG, § 3 Rn. 18. Zu der vom Hoheitsträger durch gesetzliche Ermächtigung abgeleiteten Normsetzungsbefugnis der Koalitionen vgl. Schwarze, Der Betriebsrat, S. 124. Unklar hier Schwarze, RdA 2001, S. 208 (212). 1055 s. o. 3. Teil § 10 II. 3. a) dd). 1056 Das stellt für die politischen Repräsentanten der Gemeinde, die zur Rechtsetzung gesetzlich ermächtigt sind, darüber hinaus aber auch der Legitimation durch die Normunterworfenen bedürfen, Biedenkopf, Grenzen der Tarifautonomie, S. 47 f. fest. 1057 Schwarze, RdA 2001, S. 208 (209, 213). 1058 Zu dem Kreis der Normunterworfenen vgl. oben § 16 I. 1. Zu der Stellung des Repräsentanten zwischen Freiheit und Bindung an den natürlich-empirischen Willen der Repräsentierten vgl. Böckenförde, Repräsentation, S. 22 ff. 1053 1054

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gerwillen vorgeht.1059 In dem vorliegenden Zusammenhang muß die Legitimation kraft Repräsentativität in sachlich-inhaltlicher Hinsicht also eine Rückbindung des Norminhalts an den Willen aller Normunterworfenen und damit eben auch der Nichtmitglieder vermitteln, soll sie der demokratischen Legitimation gleichwertig sein. Der Kreis der legitimationsvermittelnden Subjekte ist folglich enger gefaßt. Um die Rückbindung zu garantieren, kommt es entscheidend auf die Verantwortlichkeit der Entscheidungsträger oder Repräsentanten gegenüber den Repräsentierten insbesondere durch die Möglichkeit der (Ab)Wahl an.1060 Hier ist zwischen der Verantwortlichkeit gegenüber den Mitgliedern und gegenüber den Nichtmitgliedern zu differenzieren. Zweifellos werden die leitenden Funktionäre der Sozialpartner nicht von den Nichtmitgliedern gewählt. Eine wenn auch nur mittelbare Verantwortlichkeit besteht nur gegenüber den Verbandsmitgliedern. Gleichwohl reicht es m.E. bei einer der demokratischen Legitimation gleichwertigen Legitimationsform nicht aus, nur auf den Verbandswillen abzustellen.1061 Da es konstruiert erscheint, die Verantwortlichkeit der rechtsetzenden Sozialpartner gegenüber den Nichtmitgliedern aus der sozialpartnerschaftlichen Bindung an das Primärrecht abzuleiten,1062 ist ein anderer Mechanismus erforderlich, um die Rückbindung des Norminhalts an den Willen der Normunterworfenen herzustellen. Die Repräsentativität im Sinne von Größe und Bedeutung der Sozialpartner kann eindeutig keine Legitimation zur Normsetzung schaffen.1063 Der Mechanismus muß die Rückbindung und die Verantwortlichkeit der Entscheidungsträger verfahrensmäßig absichern. Angesichts der Tatsache, daß eine Wahl den größten Druck auf die Entscheidungsträger (Repräsentanten) ausübt, kommt es bei anderen Mechanismen auf eine mittelbarere Einflußnahme und die Eigenverantwortlichkeit des Repräsentanten an. Nicht zuletzt deswegen kann die Legitimation kraft Repräsentativität höchstens ein Äquivalent zu der demokratischen Legitimation sein. Zur Klärung dieses Mechanismus ist zunächst zu untersuchen, wie der Wille der Normunterworfenen beschaffen sein muß (aa). Die sachlich-inhaltliche Legitimation verlangt nämlich die Rückbindung des Norminhalts an den Willen der Normunterworfenen.1064 Anschließend ist zu ermitteln, auf welche Grundlage sich die umfassende Geltung auch für die Nichtmitglieder stützen läßt (bb – ff). 1059 Vgl. Schwarze, RdA 2001, S. 208 (212), der allerdings die gesellschaftlich-demokratische mit der staatlich-demokratischen Legitimation gleichsetzt. 1060 Ebenso zu der demokratischen Verantwortlichkeit der Verbandsrepräsentanten Hirsch, Funktionen der Gewerkschaften, S. 136 ff. 1061 Anders Schwarze, RdA 2001, S. 208 (212 ff.). 1062 Für die Verantwortlichkeit der vollziehenden und rechtsprechenden Gewalt mag eine Bindung an die von einem Parlament erlassenen Gesetze genügen. Die Bindung der Sozialpartner an das Primärrecht besteht aber gerade nicht wegen der Nichtmitglieder, sondern wegen der Mitgliedschaft in der Gemeinschaft. 1063 Biedenkopf, Grenzen der Tarifautonomie, S. 59. 1064 s. o. 3. Teil § 10 II. 3. a) dd).

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aa) Beschaffenheit des Willens der Normunterworfenen Grundvoraussetzung für die Konstruktion eines Mechanismus zur Rückbindung des Norminhalts an den Willen der Normunterworfenen ist wie erwähnt die Klärung seiner Beschaffenheit. Die Bindung steht in keinem Widerspruch zu der unabhängigen Stellung des Repräsentanten. Dieser muß nicht streng den Mehrheitswillen1065 vollziehen, selbst wenn dieser sich innerhalb des rechtlichen Wertesystems bewegt und somit besonders „beachtenswert“ ist.1066 Zur Verfolgung höherer Ziele oder Prinzipien oder zur Schlichtung von Interessengegensätzen unter den Norm-unterworfenen kann der Repräsentant durchaus von ihm abweichen.1067 Wichtig ist nur, daß die Willensbindung durch die Möglichkeit der Absetzung des Repräsentanten verfahrensmäßig gesichert ist.1068 Darum geht es im weiteren Verlauf. Der Repräsentant kann auch auf politischem Wege zur Verantwortlichkeit gezogen werden. Eine über die genannte Rückbindung hinausgehende besondere Sensibilität für die Wünsche und Interessen der Repräsentierten im Sinne einer Responsivität ist nicht zu fordern.1069 Den Ausgleich zwischen weisungsabhängiger Vollziehung und inhaltsleer-abgehobener Formalrepräsentation vermag bereits die Verantwortlichkeit des Repräsentanten zu bewirken. Ein Orientierungspunkt für die sachlich-inhaltliche Legitimation, auf den der Norminhalt rekurrieren muß, soll der vom Volksgeist geprägte Volkswille1070, die politische Einheit des Volkes als ganzes1071 oder die gemeinverbindliche Leitidee der Lebensführung1072 sein. Mehr Klarheit bietet die Unterscheidung in einen hypothetischen oder empirischen Willen.1073 Der hypothetische Wille ist aus der objektiven Interessenlage der Normunterworfenen abzuleiten.1074 Eine ansatzweise demokratische Legitimation vermag er jedoch nicht zu gewährleisten. Zum 1065 In Demokratien wie den Mitgliedstaaten oder der Gemeinschaft bauen Entscheidungen auf dem Mehrheitsprinzip auf. 1066 Ähnlich Biedenkopf, Grenzen der Tarifautonomie, S. 61, wobei seiner Meinung nach der Repräsentant nie an den Mehrheitswillen gebunden ist. 1067 Schwarze, RdA 2001, S. 208 (212 f.). 1068 Die Bedeutung der demokratischen Verantwortlichkeit betont auch Hirsch, Funktionen der Gewerkschaften, S. 125. 1069 Die sog. responsiveness fordern amerikanische Repräsentationstheorien; vgl. Böckenförde, Repräsentation, S. 24 f. m. w. N.; Schüren, RdA 1988, S. 138 (142). 1070 Vgl. Kaufmann, Problematik des Volkswillens, S. 20 (22 f.). 1071 Schmitt, Verfassungslehre, S. 210, 212 f. 1072 Landshut, Begriff der Repräsentation, S. 482 (492 f.). 1073 Die Kategorisierung in hypothetischen und empirischen Willen nimmt auch Fraenkel, Westliche Demokratien, S. 113 ff. vor. Die Beispiele sind dem hypothetischen Willen zuzuordnen. 1074 Hirsch, Funktionen der Gewerkschaften, S. 125; Wiedemann, RdA 1969, S. 321 (327). Das gleiche gilt für den strafrechtlichen Rechtfertigungsgrund der mutmaßlichen Einwilligung; vgl. Schönke / Schröder-Lenckner, StGB, Vorbem. §§ 32 ff. Rn. 54 ff.

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einen ist der hypothetische Wille der Nichtmitglieder schwerer als der der Mitglieder zu ermitteln. Zum anderen legt er eine Loslösung vom wirklichen Willen der Betroffenen nahe und öffnet dem Mißbrauch der Macht im Namen des öffentlichen Interesses und des Gemeinwohls Tür und Tor.1075 Ferner ist der Repräsentant wegen Mißachtung des hypothetischen Willens nur schwierig zur Verantwortung zu ziehen.1076 Der Inhalt des hoheitlichen Handelns kann so der demokratischen Kontrolle vorenthalten werden. Der Norminhalt hat sich an dem empirischen oder tatsächlichen Willen der Normunterworfenen zu orientieren.1077 Hierin spiegelt sich der Zeitgeist wider.1078 Der tatsächliche Wille ist nicht mit dem „Gesamtwillen“ der Normunterworfenen1079 gleichbedeutend. Der Gesamtwille ist ein von den individuellen Willen der Regelungsunterworfenen unabhängiger und zugleich mit diesen identisch gedachter Wille. Seine Formulierung obliegt dem Repräsentanten, so daß er von den Regelungsunterworfenen nicht zur Verantwortung gezogen werden kann.1080 Der Realität, die aus verschiedenen Individualwillen besteht, kann das Konstrukt des Gesamtwillens nicht Rechnung tragen. Es widerspricht dem modernen pluralistischen Verständnis1081 der westlichen Gesellschaften. Die Ausdifferenzierung der gesellschaftlichen Interessen beachtet der tatsächliche Wille als Bezugspunkt sachlichinhaltlicher Legitimation. Die Manipulationsgefahren1082 bei seiner Bestimmung sind wegen seiner Bindung an die rechtliche Wertordnung gering einzuschätzen. Die nachfolgenden Mechanismen müssen somit die Rückbindung der Verbandstätigkeit an den empirischen Willen der Normunterworfenen gewährleisten.1083 1075 Ähnlich Böckenförde, Repräsentation, S. 22. Hirsch, Funktionen der Gewerkschaften, S. 131 ff., sieht die Repräsentanz der Gewerkschaften sinken, wenn sie die objektiven Interessen der Mitglieder berücksichtigen, deren aktuellen und subjektiven Bedürfnisse aber vernachlässigen. 1076 Ähnlich Hirsch, Funktionen der Gewerkschaften, S. 125, und Wiedemann, RdA 1969, S. 321 (327), die die Zurechnung eines die hypothetischen Interessen wahrnehmenden Handelns verneinen. Vorliegend kommt es allerdings auf den Bezugspunkt eines Zurechnungsgrunds an. 1077 Siehe Kaiser, Repräsentation, S. 338 ff. Nicht ganz der Meinung ist Böckenförde, Repräsentation, S. 21 ff., der eine Rückbeziehung auf den natürlich-empirischen Willen für notwendig, aber mangels normativen Elements nicht für hinreichend hält. Nicht klar ist, worin der selbständige Gehalt des normativen Elements gegenüber dem hypothetischen Willen liegt. Die von Böckenförde genannten Repräsentationsbegriffe der formalen und inhaltlichen Repräsentation (S. 18 ff.) sind Bestandteile der sachlich-inhaltlichen Legitimation, vgl. Schwarze, RdA 2001, S. 208 (212 Fn. 76). 1078 Fraenkel, Westliche Demokratien, S. 123. 1079 So aber Wiedemann, RdA 1969, S. 321 (329); ähnlich Kaiser, Repräsentation, S. 357, dem zufolge nur das „soziale Ganze“ repräsentationsfähig sein soll. 1080 Ähnlich zu diesem ständischen Ansatz Schwarze, RdA 2001, S. 208 (214). 1081 Fraenkel, Westliche Demokratien, S. 113; Kaiser, Repräsentation, S. 313. 1082 Zu den Gefahren der Demoskopie vgl. Böckenförde, Repräsentation, S. 22 f.; Hennis, Meinungsforschung, S. 32 ff. 1083 Auf seine genauere Gestalt ist unter § 16 IV. 1. b) ff) zurückzukommen.

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bb) Grundsatz der Selbstbestimmung Die sachlich-inhaltliche Legitimation kann an den Grundsatz der Selbstbestimmung anknüpfen1084, wenn die bloße Möglichkeit des Verbandsbeitritts1085 und daraus folgend der potentielle Einfluß1086 der Nichtmitglieder auf die Koalitionsentscheidungen zur Bindung des Norminhalts an den Willen der Normunterworfenen ausreichten. Der einzelne kann direktes Mitglied nur der nationalen und nicht der europäischen Koalitionen sein. Der Verbandseintritt beruht in fast1087 allen Mitgliedstaaten auf dem Grundsatz der Selbstbestimmung. Er gilt auch auf europäischer Ebene. Obwohl die Gemeinschaft bisher keinen verbindlichen1088 Grundrechtskatalog auf Gemeinschaftsebene formuliert hat, erkennt der EuGH in einer umfassenden Rechtsprechung die Grundrechte als allgemeine Rechtsgrundsätze an.1089 Zu den in der EMRK und den mitgliedstaatlichen Verfassungen verankerten Grundrechten zählt das allgemeine Freiheitsgrundrecht der Selbstbestimmung.1090 Damit der Grundsatz der Selbstbestimmung die sachlich-inhaltliche Legitimation stützt, müssen zwei Voraussetzungen erfüllt sein. Erstens müssen die Mitglieder aufgrund des Grundsatzes der innerverbandlichen Demokratie (Möglichkeit der Mitbestimmung) tatsächlich Einfluß auf die Verbandsentscheidungen nehmen können. Zweitens müssen die Nichtmitglieder eine den Mitgliedern aufgrund des Grundsatzes der Selbstbestimmung (Möglichkeit des Koalitionsbeitritts) vergleichbaren Einfluß ausüben. Die Mitglieder nehmen an den innerverbandlichen Willensbildungs- und Entscheidungsprozessen der Koalitionen durch Wahlen und Abstimmungen teil. Die Im Ergebnis so auch Ganter, Betriebliche Fragen, S. 84, 92 f. m. w. N. Das lehnt ab Hirsch, Funktionen der Gewerkschaften, S. 136 ff., 140, der allerdings eine Modifikation des demokratischen Prinzips für erforderlich hält. 1086 Däubler, Grundrecht auf Mitbestimmung, S. 283 f., der die potentielle Einflußnahme im Zusammenhang mit der Vereinbarkeit der Tariferstreckung mit den Verfassungsrechten des Außenseiters behandelt. Kritisch zur legitimatorischen Kraft der Verbandsautonomie Biedenkopf, Grenzen der Tarifautonomie, S. 37 f. 1087 Eine Ausnahme bildet Österreich, das für die öffentlich-rechtlichen Kammern im Unterschied zu den freiwilligen Berufsvereinigungen eine Zwangsmitgliedschaft vorsieht; vgl. Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht I, § 9 II. 6., S. 406. 1088 Die unverbindliche Gemeinschaftscharta der sozialen Grundrechte der Arbeitnehmer und die Europäische Sozialcharta können keinen umfassenderen Grundrechtekatalog ersetzen; vgl. Lörcher, AuR 2000, S. 241 (242). 1089 Zu der uferlosen Literatur bezüglich des Grundrechtsschutzes in der Gemeinschaft vgl. Lenz-Borchardt, EGV, Art. 220 Rn. 30 ff. m. w. N.; Everling, Grundrechtsgemeinschaft, S. 167 ff.; Kokott, AöR 1996, S. 599 ff.; Lenz, NJW 1997, S. 3289 f.; Oppermann, Europarecht, Rn. 489 ff. m. w. N. 1090 Ob der Grundsatz der Selbstbestimmung aus der allgemeinen Handlungsfreiheit, aus der allgemeinen Handlungsfreiheit in Verbindung mit der Menschenwürde oder aus dem Recht auf Freiheit (Art. 5 EMRK) abzuleiten ist, kann dahinstehen. Wichtig ist nur, daß das Grundrecht anerkannt ist. 1084 1085

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Entscheidungsträger stehen dadurch in ihrer Verantwortlichkeit. Dabei handelt es sich angesichts der zunehmenden Oligarchisierungstendenzen1091 jedoch um ein theoretisches Szenario. In der Praxis ist es um den „demokratischen“ Aufbau oft schlecht bestellt. Die im nationalen Rahmen bestehenden Probleme verstärken sich auf europäischer Ebene. Die europäischen Dachorganisationen sind in ihrer Struktur noch unübersichtlicher und bürokratischer.1092 Ihre Mitglieder sind nationale Dachvereinigungen oder nationale Verbände.1093 Der einzelne kann nur einen sehr mittelbaren Einfluß nehmen. Eine effiziente Interessenvertretung1094 scheint das gleichwohl nicht zu hindern. Werden wesentliche Interessen berührt, ist ein Wandel der als „uninteressiert und lethargisch“1095 beschimpften Mitgliederschaft zu einer aktiven wahrscheinlich. Um sein fehlendes Einverständnis mit der Verbandspolitik zu demonstrieren, bleibt dem Mitglied als ultima ratio der Austritt aus dem Verband. Auch wenn es blauäugig wäre zu glauben, mit dem Austritt habe man sich jeglichem Einfluß der Koalition auf das Arbeitsverhältnis entzogen, so sollte die passive Wirkung der Mitgliederzahlen auf die Verbandsentscheidungen nicht unterschätzt werden.1096 Den Nichtmitgliedern bleiben diese Wege der Einflußnahme versperrt.1097 Zwischen der Möglichkeit der Mitbestimmung und der Möglichkeit des Verbandsbeitritts besteht ein gradueller Unterschied, denn die Verantwortlichkeit der Entscheidungsträger kann durch einen Eintritt oder ein Fernbleiben nicht erzwungen werden. Die Gleichsetzung von verbandsinternen und staatlichen Wahlen1098 verkennt, daß sich die verbandsinternen Wahlen von vornherein an den begrenzten Kreis der Mitglieder wenden und über keinen vergleichbaren Appellcharakter verfügen. Die Möglichkeit der Statusänderung vom Nichtmitglied zum Mitglied ist schließlich mit dem Grundsatz der negativen Koalitionsfreiheit 1099 nur schwer vereinbar. Der Grundsatz der Selbstbestimmung hilft also nicht weiter.

1091 Für die Gewerkschaften stellt das fest Schüren, Legitimation, S. 180 ff.; ders., RdA 1988, S. 138 (140 f.); a.A. Hirsch, Funktionen der Gewerkschaften, S. 136. 1092 Allein die Größe der Sozialpartnerorgane erfordert einen gesteigerten bürokratischen Aufwand, denn es muß die Zusammenarbeit der verschiedenen nationalen Vertreter koordiniert werden. 1093 Zu der Mitgliedschaft vgl. Piazolo, Sozialer Dialog, S. 49 ff. 1094 Vgl. Schüren, RdA 1988, S. 138 (141). 1095 Hirsch, Funktionen der Gewerkschaften, S. 140. 1096 Der Einfluß endet allerdings bei dem Bestand der Koalition, der vom Bei- und Austritt der Mitglieder unabhängig ist; vgl. Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht I, § 9 II. 4. a), S. 397. Schüren, RdA 1988, S. 138 (141), spricht hier von einer „Abstimmung mit den Füßen“. 1097 Die Nichtmitglieder bleiben von jeglicher Mitwirkung ausgeschlossen; vgl. Biedenkopf, Grenzen der Tarifautonomie, S. 315. 1098 Siehe Däubler, Grundrecht auf Mitbestimmung, S. 284. 1099 Vgl. Ganter, Betriebliche Fragen, S. 93.

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cc) Funktionsfähigkeit des Kollektivvertragssystems Denkbar ist, daß die Funktionsfähigkeit des Kollektivvertragssystems die sachlich-inhaltliche Legitimation erzeugt.1100 Eine derartige Begründung könnte geeignet sein, neben den praktischen Problemen im Zusammenhang mit der Durchführung kollektiver Regelungen1101 insbesondere die Unterbietung der kollektivvertraglichen Standards durch Außenseiter1102 zu verhindern. Der Focus der Betrachtung liegt hier auf den Koalitionsmitgliedern.1103 Das Nichtmitglied aber, das einen potentiellen „Störfaktor“ für die kollektive Ordnung darstellt, soll um ihrer Funktionsfähigkeit willen in diese einbezogen werden. Dies kann durch eine positivrechtliche Regelung geschehen, die die Koalitionen zur Normsetzung gegenüber auch den Außenseitern legitimiert, wie dies im deutschen Rechtssystem für die Ausnahmeregelung des § 3 Abs. 2 TVG überwiegend angenommen wird.1104 Obwohl die Funktionsfähigkeit z. B. in Deutschland und Österreich als Legitimationsgrund anerkannt ist, sollte die Legitimation kraft Repräsentativität im europäischen Kontext nicht auf sie gestützt werden. An ihrer Eignung, die generelle Außenwirkung der kollektiven Regelungen zu begründen, bestehen berechtigterweise Zweifel. An dem Kriterium der Funktionsfähigkeit als solchem ist zwar nichts auszusetzen. Bei ihm handelt es sich um einen auslegungsbedürftigen Rechtsbegriff, dem eine gewisse Offenheit eigen ist.1105 Schwierigkeiten bereitet angesichts der sehr verschiedenen nationalen Anforderungsprofile vielmehr seine Auslegung. Die Spannweite reicht von einem restriktiven Ansatz in Deutschland, wo die herrschende Meinung eine Außenwirkung erst annimmt, wenn eine Kollektivregelung sonst nicht sinnvoll gelten kann,1106 bis zu einem extensiven Ansatz in Österreich, wo für die Außenwirkung die bloße Möglichkeit des Unterlaufens der 1100 Zu § 3 Abs. 2 TVG s. o. § 16 II. 2. a) aa). Zu Österreich siehe Mayer-Maly / Marhold, Arbeitsrecht II, S. 68; Strasser, Arbeitsrecht II, S. 127, nach dem der österreichische Gesetzgeber für die Arbeitnehmer mit § 12 Abs. 1 ArbVG einen Schutzgedanken verfolgt, unter Verweis auf Floretta, DRdA 1968, S. 1 (15); Tomandl, Arbeitsrecht 1, S. 140. Andere Länder wie Frankreich, Belgien und Luxemburg, die eine dem österreichischen Kollektivvertragssystem vergleichbare Regelung kennen, äußern sich nicht zu dem Grund der Außenwirkung. 1101 Vgl. Gamillscheg, FS für Kehrmann, S. 247, dem zufolge die Kartellwirkung dem Arbeitgeber „gleichmäßige Handhabung und vereinfachte Verwaltung“ ermöglicht; Wiedemann, RdA 1969, S. 321 (323). 1102 Gamillscheg, Differenzierung, S. 95, spricht von „Schmutzkonkurrenz“ und weist in ders., Kollektives Arbeitsrecht I, § 7 III. 8. b) (2) (b), S. 362, auf eine Verdrängung der Arbeitnehmer vom Arbeitsmarkt und der Arbeitgeber vom Markt hin. 1103 Gamillscheg, Differenzierung, S. 94 f.; ders., Kollektives Arbeitsrecht I, § 7 III. 8. b) (2) (b), S. 362 und § 15 III. 3. d), S. 566; Hanau, RdA 1994, S. 172 (173). 1104 s. o. § 16 II. 2. a) aa). 1105 Zu der Auslegung als juristischen Methode vgl. Larenz / Canaris, Methodenlehre, S. 25 ff., 133 ff. 1106 Zu den Nachweisen vgl. § 16 II. 2. a) aa).

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Kollektivregelung durch die Außenseiter genügt.1107 Weit verstanden kann die Funktionsfähigkeit jede Außenwirkung legitimieren, soweit ein Ordnungsinteresse besteht. Eine extensive Auslegung der Funktionsfähigkeit wäre aber mit dem deutschen Verfassungsrecht nicht ohne weiteres vereinbar, vorausgesetzt, das Gemeinschaftsrecht darf an nationalem Recht überprüft werden.1108 Soviel steht fest: Die Funktionsfähigkeit ist nicht schon betroffen, wenn für Mitglieder und Nichtmitglieder verschiedene Kollektivregelungen nebeneinander gelten. Es muß vielmehr ein Grund vorliegen, der über das Ordnungsinteresse hinausgeht, ohne gleichzeitig die Anforderungen zu überspannen. Die mit der Ordnungsaufgabe zusammenhängende Kartellwirkung1109 der Kollektivnorm allein rechtfertigt ihre generelle Außenwirkung also nicht. Die völlige Zersplitterung der Koalitionen wiederum baut eine zu hohe Hürde auf. Die fehlende Praktikabilität vielfältiger Regelungen stellt dagegen ein objektives Kriterium dar, das verschiedene Regelungen zuläßt. Darin findet die Funktionsfähigkeit ihre Grenzen. Die Zahl der Regelungen ist aber nur in Ausnahmefällen nicht mehr überseh- und handhabbar. Die Funktionsfähigkeit ist somit nicht geeignet, eine generelle Außenwirkung des Kollektivvertragssystems herzustellen.

dd) Gerechtigkeitserwägungen Den richtigen Anknüpfungspunkt für die Bindung der Norminhalte an den Willen der Normunterworfenen kann auch nicht der Grundsatz der Gerechtigkeit mit seinen Gerechtigkeitsinhalten bieten. Dieser Ansatz läßt sich aus einer Mitte des 20. Jahrhunderts innerhalb der deutschen Repräsentationstheorien entstandenen Strömung ableiten, die die Repräsentation unmittelbar auf Ideen und Werte wie die Gerechtigkeit oder das Allgemeinwohl stützt.1110 Im Unterschied zur Repräsentation von Ideen geht es im vorliegenden Zusammenhang um eine auf die Idee der Gerechtigkeit gegründete Repräsentation von Koalitionsgemeinschaften. Der 1107 Mayer-Maly / Marhold, Arbeitsrecht II, S. 68; Strasser, Arbeitsrecht II, S. 127; Tomandl, Arbeitsrecht 1, S. 140. 1108 Vgl. die Solange-Rechtsprechung des BVerfG v. 29. 05. 1974 – 2 BvL 52 / 71 –, BVerfGE 37, S. 271 ff. (277 ff.); v. 22. 10. 1986 – 2 BvR 197 / 83 –, BVerfGE 73, S. 339 ff. (363 ff.) und das Maastricht-Urteil v. 12. 10. 1993 – 2 BvR 2134, 2159 / 92 –, BVerfGE 89, S. 155 ff. (174 f.), in dem das BVerfG ein Kooperationsverhältnis zwischen BVerfG und EuGH propagiert. 1109 Anders Gamillscheg, FS für Kehrmann, S. 247. Allgemein zu der Kartellwirkung vgl. Wiedemann-Wiedemann, TVG, Einleitung Rn. 34 f. 1110 Leibholz, Wesen der Repräsentation, S. 32 ff., setzt für die Repräsentation einen ideellen Wertakzent voraus. Interessen können nur vertreten, nicht aber repräsentiert werden; ein zeitlicher Vorreiter ist Schmitt, Verfassungslehre, S. 210: Bei der Repräsentation geht es um die Vergegenwärtigung einer „höhere(n) Art des Seins“; kritisch Böckenförde, Repräsentation, S. 22 Fn. 32. Das vorliegende Verständnis klingt bei Biedenkopf, Grenzen der Tarifautonomie, S. 63 ff., und Hennis, FS für Smend, S. 51 (54), an, die beide auf die Bindung der Herrschaft an die Gerechtigkeit und das Allgemeinwohl abstellen.

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Kollektivvertrag kann sich zusätzlich auf Nichtmitglieder nur erstrecken, wenn er einen „gerechten“ Inhalt hat oder andere höhere Werte verwirklicht. Die Mitgliedschaft spielt für die Legitimation dann keine Rolle mehr. Um ein Beispiel zu nennen: Erachtet sowohl die Arbeitgeber- als auch die Arbeitnehmerseite die Nivellierung jeglicher Lohnunterschiede oder die Zahlung eines qualifikations- und leistungsunabhängigen Basislohns für alle Arbeitnehmer als gerecht, wäre die Außenwirkung legitimiert. Bereits das Beispiel läßt erahnen, daß angesichts der unterschiedlichen Interessenlage nicht nur zwischen den Arbeitgebern und Arbeitnehmern, sondern auch innerhalb der Arbeitgeber- und Arbeitnehmerschaft ein Inhalt nur schwer als „gerecht“ zu definieren ist. Das große Manko des ideellen Ansatzes besteht darin, daß die Repräsentation sich, sobald sie allein einer Idee oder Idealen verpflichtet ist, von dem empirischtatsächlichen Willen der Normunterworfenen löst.1111 Der Zweck der sachlich-inhaltlichen Legitimation, den Regelungsinhalt nicht an den hypothetischen, sondern den tatsächlichen Willen der Normunterworfenen zurückzubinden, wird so verfehlt. Ein weiterer Punkt kommt hinzu. Wie oben bereits angedeutet, ist in einer pluralistischen Gesellschaft, die sich aus einem Komplex verschiedener Gruppierungen und Interessenrichtungen zusammensetzt,1112 der Wert der Gerechtigkeit nur schwer erkenn- und bestimmbar.1113 Hiergegen ließe sich einwenden, ein absoluter Wert wie die Gerechtigkeit sei unabhängig von der Meinung der Betroffenen festzulegen. Doch auch ein absoluter Wert muß von Menschen formuliert werden und unterliegt somit automatisch ihren subjektiven Wertungen. Er wandelt sich zudem im Laufe der Zeit.1114 Nicht umsonst stellt der demokratische Legitimationsbegriff auf den Willen der Normunterworfenen ab. Vor diesem Hintergrund scheint es überzeugend, die Repräsentation nicht auf Ideen, sondern auf Interessen zu beziehen.1115 Einen konkreten Inhalt der Gerechtigkeit, die die Verteilung und den Ausgleich von Gütern und Leistungen betrifft,1116 bildet das Gleichbehandlungsgebot.1117 Wie Schwarze zutreffend feststellte, verhält es sich mit der Gleichbehandlung jedoch schwierig. Zum einen kann sie aus der Sicht der Nichtmitglieder nur dort 1111 Zu der Ausgestaltung des Willens der Normunterworfenen genauer oben § 16 IV. 1. b) aa) und unten § 16 IV. 1. b) ff). Vgl. auch Böckenförde, Repräsentation, S. 22 f. 1112 So auch Kaiser, Repräsentation, S. 313 ff. 1113 Ganter, Betriebliche Fragen, S. 73 f.; Krüger, Allgemeine Staatslehre, S. 718. 1114 Ausführlich hierzu Jansen, Gerechtigkeit, S. 38. 1115 So geschehen bei Kaiser, Repräsentation, S. 310 ff.; Wolff, Organschaft, Bd. 2, S. 53 ff. In diesem Punkt besteht ein Unterschied zwischen der deutschen und amerikanischen Diskussion. In Amerika wird die Interessenrepräsentation nicht als problematisch empfunden; a.A. insbesondere Gerber, Staatstheoretischer Begriff der Repräsentation, S. 7; Leibholz, Wesen der Repräsentation, S. 32; Schmitt, Verfassungslehre, S. 210. 1116 Jansen, Gerechtigkeit, S. 40. 1117 Die Gleichbehandlung taucht im Zusammenhang mit der Gerechtigkeit oder der allgemeinen Moral auf; vgl. Ritsert, Gerechtigkeit, S. 60 ff.

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gerecht sein, wo es um die Erstreckung günstigerer Arbeitsbedingungen auf sie geht.1118 Zum anderen erweist sich die Beitragsbelastung allein der Mitglieder aus deren Sicht als mit der Gerechtigkeit unvereinbar.1119 Aus den gleichen Gründen ist die Einbeziehung der Außenseiter in den Kollektivvertrag aufgrund des Schutzprinzips nicht gerecht.1120 Wo der einzelne keinen Schutz verlangt, darf er ihm nicht aufgezwungen werden. Ein Ausweg über die Zwangsmitgliedschaft überzeugt nicht.1121 ee) Europäische Integration Möglicherweise kann die europäische Integration eine Basis für die sachlichinhaltliche Legitimation bilden. Der Integrationsgedanke vermag schließlich auch die besondere Struktur der Gemeinschaft mit der dominanten Stellung des Ministerrates zu rechtfertigen.1122 Zweifelsohne ist sie ein hoher Wert. Als Legitimationsgrund für die Außenwirkung von Kollektivregelungen, die auf die Harmonisierung von Arbeitsbedingungen gerichtet sind, scheint sie naheliegend und passend. Umso erstaunlicher ist, daß sie nicht als solcher angesehen ist.1123 Das erklärt sich daraus, daß die europäische Integration außer Stande ist, den Norminhalt an den Willen und das Interesse der Normunterworfenen rückzubinden. Erklärungen hierfür liefert der Vergleich mit den bisher genannten Legitimationsgründen. Auf der einen Seite fehlt der europäischen Integration im Unterschied zu der Funktionsfähigkeit der spezifisch arbeitsrechtliche Bezug. Das heißt: Während die Funktionsfähigkeit die Außenwirkung um der Interessen der Verbandsmitglieder willen legitimiert, verkörpert die europäische Integration ein allgemeinpolitisches Ziel. Einen Bezug zu den Normunterworfenen stellt sie gerade nicht her. Auf der 1118 Schwarze, RdA 2001, S. 208 (214); a.A. Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht I, § 15 III. 3. d), e), S. 566 ff., der die Erweiterung der kollektiven Normen auf die Außenseiter generell als günstig bewertet. 1119 So sieht auch fast die gesamte deutsche Literatur in der Nichtgewährung tariflicher Leistungen gegenüber den Außenseitern keinen Verstoß gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz; vgl. statt vieler Schmidt-Eriksen, Betriebsnormen, S. 149. 1120 Anders Wiedemann, RdA 1969, S. 321 (323), der entgegen der systemgewollten Differenzierung zwischen Mitgliedern und Nichtmitgliedern im deutschen Tarifvertragsrecht eine Gleichbehandlung wegen des Leistungs- und Schutzprinzips fordert. Kritisch zu der Ansicht Wiedemanns Schmidt-Eriksen, Betriebsnormen, S. 147 f. 1121 Während bereits der Zwangszusammenschluß zu öffentlich-rechtlichen Vereinigungen nur schwer mit den Grundrechten zu vereinbaren ist, ist eine Zwangsmitgliedschaft in privatrechtlichen Vereinigungen erst recht grundrechtswidrig, weil bei ihr keine übergeordneten Interessen bestehen, die sie rechtfertigen könnten; vgl. zu ersterem Mronz, Zwangsmitgliedschaft, S. 23 ff. 1122 s. o. 3. Teil § 10 II. 3. b) bb); BVerfG v. 12. 10. 1993 – 2 BvR 2134, 2159 / 92 –, BVerfGE 89, S. 155 (182). 1123 Für die Repräsentationstheorien ist das deswegen kein Wunder, da sie überwiegend vor dem Beginn des europäischen Integrationsprozesses entstanden.

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anderen Seite fehlt der europäischen Integration im Unterschied zu den Gerechtigkeitserwägungen die inhaltliche Aufladung. Unter ihren Vorzeichen wäre jeglicher Inhalt der Kollektivregelungen vertretbar, reichte doch die einheitliche Geltung zur Förderung des Integrationsziels aus. Im Ergebnis würde die Außenwirkung aus purer Zweckmäßigkeit zugelassen. Das genügt für einen Legitimationsgrund nicht. Einen inhaltlichen Grund für die generelle Außenwirkung kann die europäische Integration nicht bieten.

ff) Virtuelle Repräsentation als Grundlage Eine Theorie, die die Zurechnung zwischen Verbandstätigkeit und Normunterworfenen begründet und die Rückbindung des Norminhalts verfahrensmäßig absichert, muß sich an dem empirischen Willen der Normunterworfenen orientieren. Das könnte die Theorie der „virtuellen Repräsentation“ leisten, die dann Grundlage der sachlich-inhaltlichen Legitimation der Kollektivregelungen wäre. Sie stammt aus der angelsächsischen Verfassungstheorie und lag dem englischen Rechtssystem im 18. Jahrhundert als Modell zugrunde.1124 Ihr Grundgedanke beruht auf der faktisch gleichen Regelungsbetroffenheit und gleichen Willens- und Interessenlage1125 von Wahlberechtigten und Nichtwahlberechtigten. Er taucht erstmals bei Jenyns auf, der allerdings nicht den Begriff der virtuellen, sondern der imaginären Repräsentation verwendet.1126 Auf die Verbandsstruktur übertragen bedeutet das, daß die Außenseiter aufgrund ihrer gleichen Interessenlage von den Verbandsmitgliedern „mitrepräsentiert“ werden. Die Kollektivregelung gilt infolge der gleichen Interessenlage auch für die Außenseiter. Der Repräsentation ist eine gewisse Zweistufigkeit eigen. Die Entscheidungsträger repräsentieren die Mitglieder und über diese die Nichtmitglieder. Zurückzuführen ist die Theorie der virtuellen Repräsentation auf politische Spannungen zwischen den nordamerikanischen Kolonisten und der britischen Krone. Als Bestandteile des englischen Mutterlandes unterlagen die Kolonien insbesondere den gleichen Steuerpflichten wie die englischen Städte, wählten aber nicht das Westminster-Parlament. Gegen ihre Forderung „no taxation without representation“ erwiderte man, sie seien im Parlament genauso wie die englischen Städte, die keine Vertreter in das Parlament entsandten, „virtually represented“.1127 1124 Fraenkel, Westliche Demokratien, S. 122. Unabhängig von der virtuellen Repräsentation hat die Idee der identischen Interessenlage auch Ganter, Betriebliche Fragen, S. 87 ff. 1125 Die Interessen sind ein Indiz für die Willenslage der Repräsentierten; vgl. Schwarze, RdA 2001, S. 208 (214). 1126 Jenyns, Objections to the taxation, S. 8; siehe auch Ely, Democracy and Distrust, S. 82; Pitkin, Concept of Representation, S. 168 ff. Die deutsche Literatur nimmt auf die angelsächsischen Theoretiker nur Bezug, vgl. Fraenkel, Westliche Demokratien, S. 118 ff.; Hirsch, Funktionen der Gewerkschaften, S. 125 Fn. 7; ausführlicher Leibholz, Wesen der Repräsentation, S. 143 Fn. 3, 157, und Schüren, RdA 1988, S. 138 (144).

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Im scheinbaren Widerspruch hierzu steht die Definition der virtuellen Repräsentation von Burke. In seinen Studien über die englische Repräsentativverfassung schreibt er: Die virtuelle Repräsentation ist eine Repräsentation, die sich durch die Übereinstimmung von Interessen, Gefühlen und Wünschen zwischen den Repräsentanten als Treuhandnehmern und den Repräsentierten als Treuhandgebern auszeichnet, wenn auch die Repräsentanten nicht eigentlich von den Repräsentierten gewählt wurden.1128 Die Interessengleichheit soll also zwischen den Gewählten und den Nichtwahlberechtigten vorliegen. Das hieße für den hiesigen Zusammenhang, die Interessen der Sozialpartner als Entscheidungsträger und der Außenseiter müßten übereinstimmen, damit eine Repräsentation möglich ist. Angesichts der eindeutigen Formulierung scheint ein abweichendes Verständnis ausgeschlossen. Die Definition überspringt indes einen entscheidenden Schritt. Die Gewählten repräsentieren zunächst die Wahlberechtigten; sie sind den Wahlberechtigten verantwortlich. Nur wenn der Wille der Nichtwahlberechtigten mit dem der Wahlberechtigten identisch ist, können auch sie in die Repräsentation miteinbezogen werden. Die Gewählten sind außerdem gerade nicht wie die Wahlberechtigten von den Folgen der Repräsentation vergleichbar betroffen. Daher ist die Interpretation der Aussagen Burkes richtig, die auf die gleiche Willens- und Interessenlage1129 von Wahlberechtigten und Nichtwahlberechtigten bzw. von Mitgliedern und Nichtmitgliedern abstellt.1130 Entsprechend der Rückbindung an den empirischen Willen der Normunterworfenen, muß auch die Interessenlage von Mitgliedern und Nichtmitgliedern tatsächlich gleich sein. Die englischen Theoretiker gingen noch von der Repräsentation eines hypothetischen Willens aus.1131 Im Laufe der Zeit wandelte sich das Verständnis, und der empirische Wille trat mehr und mehr in den Vordergrund.1132 Vorliegend soll der Ansatz der virtuellen Repräsentation modern gedeutet auf die empirische Willens- und Interessenlage übertragen werden. Die tatsächliche Wil1127 Zu den englischen Städten ohne parlamentarische Vertreter zählten z. B. Birmingham und Manchester; vgl. Ely, Democracy and Distrust, S. 82; Jenyns, Objections to the taxation, S. 3 ff. 1128 Hierbei handelt es sich um eine sinngemäße Übersetzung folgender Definition von Burke, Letter to Sir Hercules Langrishe, S. 69 f.: „Virtual representation is that in which there is a communion of interests, and a sympathy in feelings and desires between those who act in the name of any description of people, and the people in whose name they act, though the trustees are not actually chosen by them. This is virtual representation. Such a representation I think to be, in many cases, even better than the actual.“ Burke behandelt die fehlende virtuelle Repräsentation der irischen Römisch-Katholischen im englischen Parlament. Die virtual representation erwähnt er erstmals auf S. 17. Ähnlich Wolff, Organschaft, Bd. 2, S. 54, 70 ff. 1129 Zu der vorrangigen Bedeutung der Interessen bei Burke vgl. Pitkin, Concept of Representation, S. 174 ff. 1130 Pitkin, Concept of Representation, S. 172 ff., insbesondere S. 180. 1131 Vgl. Fraenkel, Westliche Demokratien, S. 119 f.; Pitkin, Concept of Representation, S. 175. 1132 Fraenkel, Westliche Demokratien, S. 120.

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lens- und Interessengleichheit liegt also nicht schon bei der Subsumtion der Mitglieder und Nichtmitglieder unter denselben abstrakten Begriff vor.1133 Wie ist aber die tatsächliche Gleichheit der Interessen zu konstruieren? (1) Gleichheit der tatsächlichen Einzelinteressen Um die empirische Gleichheit der Interessen zwischen Mitgliedern und Nichtmitgliedern nachzuweisen, wäre eine soziologische Untersuchung erforderlich. Sie kann im vorliegenden Rahmen nicht geleistet werden. Im Mittelpunkt steht daher die dogmatische Begründbarkeit des empirischen Ansatzes. Die Gleichheit der Interessen ist nicht überzeugend aus einer klassenkämpferischen Gesellschaftssicht herzuleiten. Ihr zufolge verfügen sowohl Mitglieder als auch Nichtmitglieder unter den Arbeitnehmern über das einheitliche Interesse, die bestehenden Klassenunterschiede abzuschaffen.1134 Klare und übergreifende Klasseninteressen nehmen in der heutigen Dienstleistungsgesellschaft aber, wenn überhaupt, eine nur untergeordnete Stellung ein. Die Interessensolidarität zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern verliert bei gleichzeitiger Individualisierung an Bedeutung, so daß sich im Ergebnis keine einheitlichen Fronten von Produktionsmittelbesitzern und Produktionsmittelnichtbesitzern mehr gegenüberstehen.1135 Die Einteilung in zwei Klassen geht an der Wirklichkeit vorbei und führt zu einer unzulässigen Vereinfachung. Auch jenseits des klassenkämpferischen Standpunkts läßt sich die empirische Interessengleichheit nicht umfassend begründen. Das grundlegende Problem ist folgendes: Bereits eine Person kann sehr unterschiedliche und zum Teil sich widersprechende Interessen verfolgen. Interessen müssen eben nicht vernünftig sein, sondern können persönlichen Vorlieben entsprechen. Die Interessenzersplitterung nimmt im Personenvergleich noch zu. Hinzu kommt: Je komplexer der Regelungsinhalt, desto komplexer die möglichen Interessenkonstellationen. Ein Arbeitnehmer kann beispielsweise gleichzeitig Lohnverbraucher und Sparer, Familienmitglied und Workaholic sein.1136 Seine Interessen sind dementsprechend schwer vorhersehbar bzw. kalkulierbar. An einer materiellen Vergünstigung wie einer Lohnerhöhung werden alle Arbeitnehmer und umgekehrt an einer Lohneinsparung alle Arbeitgeber das gleiche Interesse haben.1137 Schwieriger wird es aber bei der Wahl zwischen mehreren Vergünstigungen. Während ein junger Arbeitnehmer eine Ge1133 Berkeley, Prinzipien der menschlichen Erkenntnis, § 12 S. 9 ff. Als Beispiele für einen abstrakten Begriff wären der „Arbeitnehmer“ oder der „Arbeitgeber“ zu nennen. 1134 Auf den klassentheoretischen Ansatz geht ein Hirsch, Funktionen der Gewerkschaften, S. 130 f. 1135 Zu der Kritik an dem klassentheoretischen Ansatz vgl. Hirsch, Funktionen der Gewerkschaften, S. 130 ff. 1136 Zu den unterschiedlichen Rollen des Menschen, die er in seinen verschiedenen Lebensbereichen ausübt, vgl. Otto, Personale Freiheit, S. 8. 1137 Anders Ganter, Betriebliche Fragen, S. 88, der zwischen Arbeitnehmern eines wirtschaftlich starken und schwachen Unternehmens unterscheidet.

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haltserhöhung bevorzugt, wählt ein älterer Arbeitnehmer eine höhere Abfindung. Der eine Arbeitgeber dagegen kürzt lieber das Grundgehalt, der andere die Prämien oder Zuschläge.1138 Schon unter den Mitgliedern besteht keine gleiche Interessenlage.1139 Einer Interessenkalkulation erst recht entzogen sind nichtmaterielle Arbeitsbedingungen wie der Arbeits- und Gesundheitsschutz oder die Arbeitsgestaltung, aber auch die Wahl zwischen Arbeitszeitverkürzung oder Lohnerhöhung, die keine komparative Wertung – was ist günstiger? – erlaubt.1140 Noch komplexer gestaltet sich die Wahl nicht nur zwischen der Art der Lohnerhöhung bzw. -kürzung, sondern z. B. zwischen der Dauer der Arbeitszeit, der Kündigungsfristen und der Gestaltung des Gesundheitsschutzes innerhalb der Arbeitnehmerund Arbeitgeberschaft. Bei einem Sammelsurium an verschiedenen Vor- und / oder Nachteilen sind die Interessen so individuell, daß das Fundament für eine Gleichheit zwischen Nichtmitgliedern und Mitgliedern wegbricht. Die Gegenannahme, die zu jedem Nichtmitglied ein „Pendant“ unter den Mitgliedern zu finden glaubt, geht in den Bereich der Spekulation über. Der Entwurf eines in der Ökonomie entwickelten Leitbildes „des“ Arbeitnehmers oder „des“ Arbeitgebers1141 unabhängig von ihrer Verbandszugehörigkeit1142 krankt nicht nur an einem unzulässigen Eingriff in die Autonomie der Sozialpartner. Als Modell für das individuelle Verhalten schränkt es auch die Freiheit des einzelnen über Gebühr ein. Der rein empirische Ansatz stößt an seine Grenzen. Aufgrund der zu großen und nicht zu leugnenden Interessendiversifizierung ist eine Widerspiegelung der Nichtmitglieder in den Mitgliedern unrealistisch. Das empirische Interesse muß so beschaffen sein, daß es der Interessenpluralität Rechnung trägt. (2) Gleichheit der typisierten Interessen Ist die Gleichheit der tatsächlichen Einzelinteressen zwischen Mitgliedern und Nichtmitgliedern aufgrund ihrer Komplexität nicht zu begründen, hilft möglicherweise die Gleichheit der typisierten Interessen weiter.1143 Dieser Schritt mündet zugegebenermaßen in eine Abkehr von dem empirischen Ansatz und in ein Zugeständnis an den hypothetischen Ansatz. Er ist pragmatisch gesehen „machbarer“. Eine vollständige Rückkehr zu der objektiven Interessenlage geht damit gleichwohl nicht einher. Statt dessen versucht der typisierende Ansatz, die empirische Gleichheit der Willens- und Interessenlage zwischen Mitgliedern und NichtZu ähnlichen Beispielen vgl. Schwarze, RdA 2001, S. 208 (215). Ganter, Betriebliche Fragen, S. 88. 1140 Vgl. zu den Beispielen auch Schwarze, RdA 2001, S. 208 (215). 1141 Wiedemann-Wiedemann, TVG, Einleitung Rn. 20 ff. m. w. N. 1142 Dies spricht Schwarze, RdA 2001, S. 208 (215), an. 1143 Diese Gleichheit ist in dem Burke’schen Konzept angelegt; vgl. Pitkin, Concept of Representation, S. 174 ff. 1138 1139

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mitgliedern herzustellen. Er teilt die Verbandsmitglieder in Gruppen ein – auf der Arbeitnehmerseite ist eine Aufspaltung in Normalbeschäftigte, befristet Beschäftigte, Teilzeitbeschäftigte oder Leiharbeiter, auf der Arbeitgeberseite in Klein-, Mittel- oder Großunternehmer denkbar – und faßt so ihre unübersichtlichen pluralen Interessen zu Interessentypen zusammen. Die ebenso unübersichtlichen pluralen Interessen der Nichtmitglieder ordnet er den so entstandenen Gruppen und Typen zu. Auf diese Weise erreicht er eine Übereinstimmung der typisierten Interessen, also eine Übereinstimmung der Interessen in ihrem Querschnitt. Dem Konzept liegen verschiedene Vorannahmen zugrunde. Zum einen, daß sich die Willens- und Interessenlage der Mitglieder und Nichtmitglieder zumindest in ihrem Querschnitt gleiche und sich zu Willens- und Interessentypen bündeln lasse. Zum anderen, daß die Mitglieder alle möglichen Interessentypen vertreten und abdecken könnten.1144 Auf dem Konzept beruht die Forderung des EuG nach der Repräsentativität der Verbände im Hinblick auf den Regelungsinhalt der Sozialpartnervereinbarung,1145 die u. a. an die Zahl der Verbandsmitglieder anknüpft. Es ist als Grundlage einer virtuellen Repräsentation grundsätzlich geeignet.1146 Gegen den typisierenden Ansatz ließe sich bereits einiges einwenden, ohne die Konstruktion der virtuellen Repräsentation als rechtstheoretische Basis einer die Außenwirkung begründenden Legitimation kraft Repräsentativität insgesamt zu würdigen. So ist die Vorannahme einer Gruppenbildung nicht unproblematisch. Fallen die Gruppen zu klein aus (Einteilung in männliche oder weibliche Teilzeitbeschäftigte mit 10, 15, 20 usw. Wochenarbeitsstunden, Teilzeitbeschäftigte über oder unter der Geringfügigkeitsgrenze), gestalten sich die typisierten Interessen erneut als zu plural und komplex. Es steigt dann die Gefahr, daß nicht alle Nichtmitglieder durch die Mitglieder „mitrepräsentiert“ werden. Fallen die Gruppen zu groß aus (Einteilung in Normalbeschäftigte oder atypische Beschäftigte), fallen zu viele Sonderinteressen durch das Querschnittsraster durch und bleiben unberücksichtigt. Die demokratische Rückbindung an den empirischen Willen der Normunterworfenen dünnt sich dann zu sehr aus. Man muß also den typisierenden Ansatz zunächst als idealtypisches Konzept hinnehmen, will man zu der wichtigen Gesamtbetrachtung der virtuellen Repräsentation als Grundlage für die Legitimation kraft Repräsentativität vordringen.

Vgl. auch Schwarze, RdA 2001, S. 208 (215). EuG v. 17. 06. 1998 – UEAPME / RAT –, Slg. II-1998, S. 2335 (2371 f.), Rn. 90. 1146 Zu der Verankerung des Konzepts nennt Schwarze, RdA 2001, S. 208 (215), weitere Beispiele wie etwa die Rechtsprechung des BAG, die einer einzelvertraglich übernommenen Tarifnorm, welche das Richterrecht zu befristeten Arbeitsverträgen abbedingt, eine „materielle Richtigkeitsgewähr“ auch gegenüber Nichtmitgliedern zubilligt. Er führt aber auch die deutsche Allgemeinverbindlicherklärung und die spanische und japanische Regelung an, die die Außenwirkung von der Zustimmung einer Mehrheit der Arbeitnehmer abhängig macht. 1144 1145

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c) Abschließende Bewertung: Gleichwertigkeit der virtuellen Repräsentation? Der Mechanismus der virtuellen Repräsentation ist aufgrund der (Ideal-)Vorstellung typisierbarer Interessen imstande, den Inhalt der Kollektivregelung an den Willen aller Normunterworfenen rückzubinden. Er kann den Zurechnungszusammenhang zwischen dem Handeln der Sozialpartner als Repräsentanten und den Normunterworfenen als Repräsentierten theoretisch begründen und das Fundament einer sachlich-inhaltlichen Legitimation bilden. Die Sozialpartner verfügen also über ein Legitimationspotential. Fraglich aber ist, ob ihre Legitimation der demokratischen Legitimation gleichwertig ist. Das bedeutet: Wie ist die virtuelle Repräsentation in einer Gesamtbetrachtung rechtsdogmatisch und rechtspolitisch zu bewerten? Der Hauptfocus liegt auf der rechtsdogmatischen Überzeugungskraft der Konzeption. Nur wenn diese Überzeugungskraft vorliegt, ist die auf die virtuelle Repräsentation gegründete Legitimation als der demokratischen Legitimation – wie bisher nur behauptet – wirklich gleichwertig anzusehen. Die Bewertung des Mechanismus hat seine Vereinbarkeit mit dem geltenden europäischen Primärrecht und dem Grundgesetz zum Inhalt.

aa) Vereinbarkeit mit dem europäischen Primärrecht In rechtsdogmatischer Hinsicht ist die Annahme einer der demokratischen Legitimation gleichwertigen Legitimation kraft Repräsentativität, die sich auf die virtuelle Repräsentation stützt, nicht mit dem europäischen Primärrecht vereinbar.1147 Zunächst scheint dem primären Gemeinschaftsrecht kein Einspruch gegen die virtuelle Repräsentation als Legitimationsgrundlage zu entnehmen zu sein. Die Vorschriften über den Sozialen Dialog können nicht als Argument herangezogen werden, da sie gerade der Auslegung unterliegen. Ebenso schließt der Grundsatz der demokratischen Legitimation als eine gemeinsame Verfassungsüberlieferung der Mitgliedstaaten ein auf virtueller Repräsentation basierendes Legitimationsprinzip nicht aus. Denn hinsichtlich der Außenseiterwirkung fehlt den nationalen Kollektivordnungen wie gesehen1148 eine dahingehend einheitliche Rechtstradition. Der Sichtweise liegt jedoch ein zu (verfahrens)technisches Verständnis der Legitimation zugrunde. Inhaltlich ist das Konzept der virtuellen Repräsentation schwer mit der Rechtssicherheit1149 als Ausprägung des gemeinschaftsrechtlichen Rechtsstaatsprinzips in Einklang zu bringen. „Virtuell“ bedeutet dem Wortsinn nach eben nicht tatsächlich, sondern potentiell.1150 Die Nichtmitglieder werden also nicht tatsächlich, sondern nur potentiell über eine angenommene gleiche Interessenlage 1147 1148 1149 1150

So aber Schwarze, RdA 2001, S. 208 (215 f.). s. o. § 16 II. 2. s. o. 3. Teil § 11 I. Duden, Fremdwörterbuch, S. 1401.

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mit den Mitgliedern repräsentiert. Dabei handelt es sich, wenn auch unter einem empirischen Blickwinkel, um eine Fiktion. Bei freiheitsrelevanten Rechtsfolgen darf die Empirie jedoch nicht außen vor bleiben. Jeder noch so kleine und unbedeutende Verband könnte ansonsten erst einmal1151 mit der Behauptung, er sei repräsentativ, Normen auch für Nichtmitglieder setzen. Ein fiktiver Ansatz mag dem westlichen Rechtsverständnis zwar nicht ganz fremd sein.1152 Für die Begründung einer gleichwertigen Legitimation ist er aber fremd genug. Obgleich eine Definition der Repräsentativität1153 trotz der Gefahr, angesichts niedriger Organisationsquoten und zunehmender Interessendifferenzierungen an der Rechtswirklichkeit vorbei zu gehen, grundsätzlich möglich ist, kann sie das der Virtualität innewohnende fiktive Element nicht überwinden. Überdies kann nicht positiv nachgewiesen werden, daß die Mitgliedstaaten, die die generelle Außenwirkung von Kollektivnormen anerkennen, diese auf eine virtuelle Repräsentation stützen.1154 Es läßt sich außerdem nicht leugnen, daß die Signalwirkung der mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen auf eine demokratische Legitimation ausgerichtet ist. Auch in rechtspolitischer Hinsicht ist die virtuelle Repräsentation zu kritisieren. Die Typisierung von Interessen, deren sie sich bedient, ist politisch angreifbar.1155 Sie fällt in der Regel zu grob aus, um alle Interessen zureichend zu erfassen. Zudem kann begründet bezweifelt werden, daß die Mitglieder alle Interessentypen abdecken. Ursache ist der niedrige Organisationsgrad der Arbeitnehmer. In dem höchst organisierten Mitgliedstaat Dänemark erreicht er außergewöhnliche 80 %. In den meisten anderen Mitgliedstaaten wie Deutschland, Frankreich, Griechenland, Großbritannien, Irland, Italien, den Niederlanden und Spanien bleibt er zum Teil weit unter der 50 % Marke.1156 Eine weitere Folge des sinkenden Organisationsgrades ist, daß in der Arbeitswelt wichtige Interessen wie die der weiblichen Teilzeitbeschäftigten oder auch Saisonarbeiter in den Verbänden gar nicht oder unterrepräsentiert bleiben müssen.1157 1151 Im weiteren hätte sicherlich ein Gericht über das Vorliegen der Repräsentativität zu befinden. 1152 In Großbritannien lag die virtuelle Repräsentation dem Rechtssystem im 18. Jahrhundert als Modell zugrunde. Die anderen Mitgliedstaaten berufen sich nicht explizit auf sie. Teilweise wird die Außenwirkung ausdrücklich auf die Funktionsfähigkeit gestützt. 1153 Hierzu s. u. 5. Teil § 18. Selbst in Spanien ist die Außenwirkung an strenge Voraussetzungen geknüpft. 1154 Anders Schwarze, RdA 2001, S. 208 (215), dem zufolge aktuellen ausländischen Rechtsordnungen der Gedanke der virtuellen Repräsentation zugrunde liegt. 1155 s. o. § 16 IV. 1. b) ff) (2). 1156 Für 1990 (1992) und die damals noch 12 Mitgliedstaaten gelten folgende Zahlen: Belgien 75 % (52,9 %), Dänemark 80 %, Deutschland 42 % (31,8 %), Frankreich 10 % (8,8 %), Griechenland 18 %, Großbritannien 43 % (37,2 %), Irland 44 %, Italien 40 % (38,8 %), Luxemburg 66 %, Niederlande 26 % (26,4 %), Portugal 30 % und Spanien 10 % (20,5 %), vgl. Däubler / Lecher, Gewerkschaften, S. 97; Ebbinghaus, Industrial Relations, S. 387 Abb. A.19. Allgemein zu der aktuellen Lage siehe Betten, ELR 1998, S. 20 (32).

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Schon deshalb setzen sich die Sozialpartner, die sich auf eine virtuelle Repräsentation berufen, stets dem politischen Vorwurf aus, nicht alle betroffenen Interessen bei einer Regelung angemessen zu berücksichtigen. So versteht sich, daß viele die mangelnde Einbeziehung von Interessen bestimmter Arbeitnehmer- oder Arbeitgebergruppen in den Sozialen Dialog beklagen.1158 Behauptet ein Verband, die erlassene Kollektivregelung verstoße gegen bestimmte Interessen, kommt das Gericht ins Spiel. Es muß dann die Grundbedingung der virtuellen Repräsentation, die Repräsentativität, überprüfen. Um das Vorliegen der Repräsentativitätskriterien untersuchen zu können, muß es eine intensive Inhaltskontrolle der in der Kritik stehenden Regelung vornehmen.1159 Der Grund hierfür liegt darin, daß es eben nicht nur auf die Organisationsstruktur der Sozialpartner, sondern auch auf die Berücksichtigung bestimmter Interessen zu achten hat. Es erhält derart einen weitgehenden Einfluß auf den materiellen Gehalt der Regelung, der sicherlich von niemandem gewollt ist und mit den Grundsätzen der Kollektivautonomie nicht im Einklang steht.1160 bb) Vereinbarkeit mit dem Grundgesetz Das europäische Modell einer auf virtueller Repräsentation beruhenden Legitimation geht auch mit dem Grundgesetz nicht konform. Die deutsche Rechtsordnung bietet sich für einen Vergleich an, da sie grundsätzlich hohe Anforderungen an die Legitimation stellt und hinsichtlich der Außenwirkung von Kollektivregelungen in einem Widerspruch zu der Legitimationsvorstellung des EuG steht.1161 Problematisch ist zunächst, ob die auf europäischer Ebene entworfene virtuelle Repräsentation überhaupt an nationalem Verfassungsrecht gemessen werden darf, das Grundgesetz also zulässiger Prüfungsmaßstab für die virtuelle Repräsentation ist.1162 Ein Folgeproblem liegt in der Vereinbarkeit mit dem Grundgesetz. 1157

Sehr kritisch Schmidt, IJCLLIR 1999, S. 259 (265 f.); Schüren, RdA 1988, S. 138

(148). 1158 Vgl. die Klage des Unternehmerverbandes UEAPME, der durch die Betonung der eigenen Repräsentativität implizit die Repräsentativität der abschließenden Verbände in Frage stellt (EuG v. 17. 06. 1998, Rs. T-135 / 96 – UEAPME / RAT –, Slg. II-1998, S. 2335 (2359 f.), Rn. 51, 54 und 101) und die Interessen der kleineren und mittleren Unternehmen bei Abschluß der Elternurlaubsrichtlinie mißachtet sieht (Rn. 97, 99). Im Anschluß daran Betten, ELR 1998, S. 20 (32 ff.), und Schmidt, IJCLLIR 1999, S. 259 (265 ff.), nach denen die Sozialpartner eben nicht die Mehrheit der Arbeitnehmer oder Arbeitgeber in der Gemeinschaft repräsentieren und somit keine interessengerechten Regelungen schließen können. 1159 Für eine gerichtliche Inhaltskontrolle von Kollektivregelungen zum Schutz von Minderheiten sprechen sich Ely, Democracy and Distrust, S. 135, und Schüren, RdA 1988, S. 138 (148 f.), aus. 1160 Kritisch auch Bercusson, ILJ 1999, S. 153 (170); Schwarze, RdA 2001, S. 208 (216 f.). 1161 Genausogut durchführbar wäre ein Vergleich mit dem italienischen Verfassungsrecht. Ziel der Arbeit ist jedoch, ein europäisches Prinzip aus der Perspektive der eigenen Rechtsordnung heraus zu beurteilen. Die deutsche Perspektive ist also bewußt gewählt und gewollt.

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Einer Antwort auf die erste Frage haben die obersten Gerichte auf europäischer und vor allem nationaler Ebene den Weg bereitet. Die Literatur nimmt mit der Interpretation der einschlägigen Urteile vorlieb.1163 Gestützt auf Art. 220 EGV hat der EuGH den allgemeinen Grundsatz vom Vorrang des Gemeinschaftsrechts1164 aufgestellt,1165 daraus aber keine Konsequenzen für die Zuständigkeitsabgrenzung von deutscher und europäischer Gerichtsbarkeit gezogen.1166 Dies hat das BVerfG getan.1167 Seine Meinung hat es anläßlich von Fragen zum Grundrechtsschutz mehrmals revidiert: Bereits in den 1960er Jahren erkannte das Gericht die These vom Anwendungs- und Kontrollvorrang des Gemeinschaftsrechts an.1168 In seinem sog. Solange I-Beschluß schränkte es dagegen – in Verkennung des tatsächlichen Grundrechtsschutzes durch die Gemeinschaftsgerichte – die Vorrangthese ein. Die Prüfung der Vereinbarkeit des Gemeinschaftsrechts (Primär- und Sekundärrecht) mit der deutschen Verfassung sei ihm vorbehalten, solange auf Gemeinschaftsebene kein dem Grundgesetz adäquater Grundrechtskatalog bestehe.1169 Nach heftiger Kritik1170 kehrte das BVerfG in seinem sog. Solange II-Beschluß zur Vorrangthese zurück und lehnte seine Prüfungskompetenz ab, solange die europäischen Gerichte einen wirksamen Schutz der Grundrechte gewährleisten würden, der dem „vom Grundgesetz als unabdingbar gebotenen Grundrechtsschutz im wesentlichen“ vergleichbar sei. Eine Überprüfung am Grundgesetz sei nur dort möglich, wo grundlegende Prinzipien auf europäischer Ebene ausnahmsweise nicht geschützt seien.1171 An dieser Rechtsprechung hielt es in seinem Maastricht-Urteil fest.1172 Es stehe mit dem EuGH in einem „Kooperationsverhältnis“, das seine 1162 Probleme treten dadurch auf, daß Rechtsfiguren verschiedener Rechtsordnungen miteinander kollidieren; vgl. Grimm, RdA 1996, S. 66 (68). 1163 s. u. Fn. 1172. 1164 Zu der großen Literaturfülle über den Grundsatz vom Vorrang des Gemeinschaftsrechts vgl. Oppermann, Europarecht, Rn. 615 m. w. N. Für eine Beschränkung der Verwerfungs-, nicht aber der Prüfungskompetenz des BVerfG vgl. Gersdorf, DVBl. 1994, S. 674 (675, 679 ff.). 1165 EuGH v. 05. 02. 1963, Rs. 26 / 62 – Van Gend & Loos –, Slg. 1963, S. 1 (4, 5, 25); grundlegend v. 15. 07. 1964, Rs. 6 / 64 – Costa / ENEL –, Slg. 1964, S. 1251 (1256 f., 1269 ff.); v. 17. 12. 1970, Rs. 11 / 70 – Internationale Handelsgesellschaft / Einfuhr- und Vorratsstelle Getreide –, Slg. 1970, S. 1125 (1135), Rn. 3; v. 09. 03. 1978, Rs. 106 / 77 – Staatliche Finanzverwaltung / Simmenthal –, Slg. 1978, S. 629 (644), Rn. 17 / 18. 1166 Überträgt man den Grundsatz vom Vorrang des Gemeinschaftsrechts über Art. 234 EGV (Auslegungszuständigkeit des EuGH) auf die Zuständigkeitsabgrenzung zwischen deutscher und europäischer Gerichtsbarkeit, ist die Überprüfung eines Gemeinschaftsaktes am nationalen Verfassungsrecht durch deutsche Gerichte gesperrt. 1167 Vgl. Gersdorf, DVBl. 1994, S. 674 (679 ff.). 1168 BVerfGE v. 18. 10. 1967 – 1 BvR 248 / 63 und 216 / 67 –, BVerfGE 22, S. 293 (298 f.). 1169 BVerfG v. 29. 05. 1974 – 2 BvL 52 / 71 –, BVerfGE 37, S. 271 ff. (277 ff., insbesondere 280 ff.). 1170 Statt vieler Ipsen, Gemeinschaftsrecht, S. 207 ff. 1171 BVerfG v. 22. 10. 1986 - 2 BvR 197 / 83 -, BVerfGE 73, S. 339 ff. (376 ff., 385 ff.), und bereits v. 25. 07. 1979 – 2 BvL 6 / 77 –, BVerfGE 52, S. 187 (199 ff.).

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Tätigkeit auf die Gewährung der unabdingbaren Grundrechtsstandards beschränke.1173 Primär müssen also die europäischen Gerichte die Vereinbarkeit von Primär- oder Sekundärrecht mit Grundrechten und auch allgemeinen Strukturprinzipien auf europäischer Ebene prüfen. Das deutsche Verfassungsrecht ist nur dann als Prüfungsmaßstab heranzuziehen, wenn die europäischen Gerichte untätig bleiben und ein evidenter Verfassungsverstoß vorliegt.1174 Obwohl die Übereinstimmung der virtuellen Repräsentation mit dem Grundgesetz nicht leicht zu beurteilen ist, liegt ein solcher Verstoß im Ergebnis vor. Die Probleme, die bei der verfassungsrechtlichen Würdigung der virtuellen Repräsentation auftreten, offenbart die Diskussion über die Verfassungsmäßigkeit des § 3 Abs. 2 TVG. Auch bei dieser Vorschrift stellt sich wie bei der virtuellen Repräsentation die Schwierigkeit, die Außenwirkung der Kollektivregelungen begründen zu müssen. Die Fülle der hierzu vertretenen Standpunkte und Argumente ist groß.1175 Gamillscheg hätte bezüglich der Verfassungsmäßigkeit der virtuellen Repräsentation sicherlich keine Bedenken.1176 Andere Autoren würden in der Ausdehnung der sozialpartnerschaftlichen Normsetzung auf Außenseiter einen eindeutigen Verstoß gegen das Demokratie- und Rechtsstaatsprinzip gem. Art. 2 Abs. 1 GG i.V. m. Art. 20 Abs. 1, 2 GG sehen.1177 Die Diskussion soll hier nicht dogmatisch aufbereitet werden. Sie füllt andere Dissertationen.1178 Das Gewirr der unterschiedlichen und verfassungsrechtlich nicht verbindlichen Meinungen über die Zulässigkeit der Außenwirkung kann allein das BVerfG auflösen. 1172 Ob das BVerfG seine Solange II-Rechtsprechung durch sein Maastricht-Urteil modifizieren wollte, wird kontrovers diskutiert; vgl. hierzu Hirsch, NJW 1996, S. 2457 (2459) m. w. N. Wie hier verneinend Oppermann, Europarecht, Rn. 497, 719; bejahend Calliess / Ruffert-Wegener, EUV / EGV, Art. 220 Rn. 25, der dem Maastricht-Urteil eine verunklarende Wirkung zuweist. 1173 BVerfG v. 12. 10. 1993 – 2 BvR 2134, 2159 / 92 –, BVerfGE 89, S. 155 ff. (174 f.) und v. 07. 06. 2000 – 2 BvL 1 / 97 –, BVerfGE 102, S. 147 (163 f.). 1174 Der Vorrang des Gemeinschaftsrechts ist anerkannt. Streitig ist nur der Umfang des Prüfungsvorbehalts des BVerfG, d. h. die Frage, wer bei der Prüfung der Grundrechtskonformität von Gemeinschaftsrecht das letzte Wort hat. Für eine Evidenzkontrolle durch das BVerfG Hirsch, NJW 1996, S. 2457 (2463 ff.); für ein Letztentscheidungsrecht des EuGH Sandner, DVBl. 1998, S. 262 (264 f.); Isensee, FS für Stern, S. 1239 (1255); Huber, EuZW 1997, S. 517 (520 f.). Weitergehend für eine umfassende Kontroll- bzw. Letztentscheidungsbefugnis des BVerfG Klein, VVDStRL 1991, S. 56 (67 ff.). Allgemein zu dem Kooperationsverhältnis zwischen BVerfG und EuGH Gersdorf, DVBl. 1994, S. 674 (675, 679 ff.), der im Unterschied zum BVerfG nicht dessen Prüfungs-, sondern nur dessen Verwerfungskompetenz durch das Vorrangprinzip beschränkt sieht. 1175 s. o. § 16 II. 2. a) aa). 1176 Siehe Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht I, § 17 I. 2. d), S. 717 ff. 1177 Beispielsweise Löwisch / Rieble-Rieble, TVG, § 3 Rn. 1; Zöllner, RdA 1962, S. 453 (456 ff.). 1178 Vgl. Buchner, Tarifvertragsgesetz, S. 67 ff.; Ganter, Betriebliche Fragen, S. 83 ff.; Schmidt-Eriksen, Betriebsnormen, S. 109 ff., und auch Wagenitz, Tarifmacht, S. 50 ff. Dieterich, Betriebliche Normen, S. 13 ff., und Schulz, Betriebsnormen, S. 58, beschränken sich auf die Begriffsbestimmung der betrieblichen Normen und Betriebsnormen.

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4. Teil: Demokratische Legitimation der Akteure

Das Gericht hat sich bisher zu der Verfassungsmäßigkeit von § 3 Abs. 2 TVG nicht geäußert. Klar argumentiert es in seinen Beschlüssen zu der Allgemeinverbindlicherklärung gem. § 5 TVG.1179 Diese dürften dem Gericht nicht so schwer gefallen sein, da es mit § 5 TVG über keine Regelung zu befinden hatte, die sich auf die Vorstellung einer „erweiterten Autonomie“ stützt.1180 Entsprechend den in seinem Beschluß zu den bindenden Festsetzungen von Entgelten und sonstigen Vertragsbedingungen für Heimarbeiter1181 aufgestellten Grundsätzen hält das BVerfG die Allgemeinverbindlicherklärung für verfassungsgemäß. Auf sie als Rechtsetzungsakt besonderer Art sei Art. 80 Abs. 1 GG nicht anwendbar. Ihre Rechtsgrundlage finde sie in Art. 9 Abs. 3 GG, der die Koalitionen aber nur zur Normsetzung gegenüber ihren Mitgliedern ermächtige. Die Ausdehnung der Tarifgeltung auf die Außenseiter sei nur durch einen staatlichen Hoheitsakt wie den Entscheidungsvorbehalt des Bundesministers, der insbesondere die Interessen der Außenseiter zu wahren habe, „noch ausreichend demokratisch legitimiert“.1182 Unmißverständlich macht das BVerfG klar, daß es für die Außenwirkung eine demokratische Legitimation fordert. Inzident erkennt es eine Ausnahme zu dem Prinzip der demokratischen Legitimation der Normsetzung nicht an. Folgt man ihm, ist die auf den Gedanken der virtuellen Repräsentation gestützte Unterwerfung von Nichtmitgliedern unter die verbandliche Normsetzung ohne staatliche Mitwirkung vor dem Hintergrund des Demokratieprinzips nicht mit dem Grundgesetz vereinbar. Nach hier vertretener Ansicht widerspricht die virtuelle Repräsentation außerdem bereits dem Rechtsstaatsprinzip.

d) Ergebnis Die vom EuG entworfene Legitimation kraft Repräsentativität kann eine eigene Legitimation der Sozialpartner nicht begründen, weil sie im Ergebnis in ihrer sachlich-inhaltlichen Komponente der demokratischen Legitimation nicht gleichwertig ist. Zwar verfügen die Sozialpartner bei einer gesetzlichen Ermächtigung über eine vom Gesetzgeber abgeleitete und der staatlich-demokratischen Legitimation gleichwertige organisatorisch-personelle Legitimation. Auch ist die Rückbindung des Norminhalts an den tatsächlichen Individualwillen aller Normunterworfenen verfahrensmäßig absicherbar, und damit die sachlich-inhaltliche Legitimation herzustellen. Der Rückbindungsmechanismus liegt dabei nicht in dem Grundsatz der 1179 BVerfG v. 24. 05. 1977 – 2 BvL 11 / 74 –, BVerfGE 44, S. 322 (340 ff.) = AP Nr. 15 zu § 5 TVG, Bl. 5 ff.; v. 15. 07. 1980 – 1 BvR 24 / 74 und 439 / 79 –, BVerfGE 55, S. 7 (20 ff.) = AP Nr. 17 zu § 5 TVG, Bl. 4R ff.; v. 14. 06. 1983 – 2 BvR 488 / 80 –, BVerfGE 64, S. 208 (215) = AP Nr. 21 zu § 9 BermannsVersorgScheinG NRW, Bl. 2R; zuletzt v. 10. 09. 1991 – 1 BvR 561 / 89 –, AP Nr. 27 zu § 5 TVG, Bl. 1R. 1180 BVerfG v. 24. 05. 1977 – 2 BvL 11 / 74 –, BVerfGE 44, S. 322 (344). 1181 BVerfG v. 27. 02. 1973 – 2 BvL 27 / 69 –, BVerfGE 34, S. 307 (316 ff.). 1182 BVerfG v. 24. 05. 1977 – 2 BvL 11 / 74 –, BVerfGE 44, S. 322 (332, 347 f., 349); v. 15. 07. 1980 – 1 BvR 24 / 74 und 439 / 79 –, BVerfGE 55, S. 7 (20, 23 f.).

§ 16 Legitimation der Sozialpartner

221

Selbstbestimmung, der den Nichtmitgliedern durch die Möglichkeit des Verbandsbeitritts nicht denselben Einfluß auf die interne Willensbildung des Verbandes wie den Mitgliedern sichern kann, nicht in der Funktionsfähigkeit, die nur ausnahmsweise berührt und daher eine generelle Außenwirkung zu begründen ungeeignet ist, nicht in den Gerechtigkeitserwägungen, die sich dem Problem einer allgemeingültigen Definition ausgesetzt sehen und nicht in der europäischen Integration, der u. a. die inhaltliche Aufladung fehlt. Er liegt in der virtuellen Repräsentation, die auf der Interessengleichheit von Mitgliedern und Nichtmitgliedern beruht. Aufgrund der Pluralität und Komplexität der Einzelinteressen sind die Interessen jedoch nicht in tatsächlicher, sondern nur in typisierter Form vergleichbar. Eine abschließende rechtsdogmatische Bewertung zeigt jedoch, daß die Legitimation kraft Repräsentativität auf der Grundlage der virtuellen Repräsentation nicht der demokratischen Legitimation gleichwertig ist. Die virtuelle Repräsentation verstößt sowohl gegen die europäische als auch gegen die deutsche Rechtsordnung. Das fiktive Element der Virtualität ist der europäischen Rechtstradition zu fremd, um eine der demokratischen Legitimation gleichwertige Legitimation zu stützen. Die Rechtsprechung des BVerfG zu § 5 TVG zeigt, daß eine Ausnahme zu der demokratischen Legitimation nicht möglich ist. Das der Auffassung des EuG zugrunde liegende Prinzip sollte daher auf europäischer Ebene nicht etabliert werden.

2. Als bloße Ergänzung einer fremden Legitimation Aus der obigen Prüfung folgt als Konsequenz, daß die Sozialpartner dem Sozialen Dialog keine ausreichende alleinige Legitimation im (quasi)staatlichen Sinne vermitteln können. Wenn auch nicht in demokratischer oder ihr gleichwertiger Weise, so verfügen sie dennoch über ein gewisses Legitimationspotential. Dieses kann die demokratische Legitimation der Gemeinschaftsorgane in sachlich-inhaltlicher Sicht unterstützen.1183 Unterstützung bedeutet hier, daß die Sozialpartner dem Normsetzer die Ermittlung der Willens- und Interessenlage der Normunterworfenen, gestützt auf die Vorstellung einer identischen Interessenlage zwischen Mitgliedern und Nichtmitgliedern, vereinfachen. In legitimatorischer Hinsicht geschieht dies, indem die Sozialpartner ihre Kollektivregelung an dem Willen aller Normunterworfenen ausrichten. Trotz der Schwächen der virtuellen Repräsentation kann diese unter der Voraussetzung, daß die Sozialpartner repräsentativ sind,1184 die Wahrscheinlichkeit steigern, die Willens- und Interessenlage der 1183 Dieser Aspekt wurde bereits oben unter 2. Teil § 2 II. 3. a) dd) (2) kurz angesprochen. Im Ergebnis auch Britz / Schmidt, EuR 1999, S. 467 (492 f.); Scheuner, DÖV 1965, S. 577 (580); Schwarze, RdA 2001, S. 208 (218); ähnlich Böckenförde, HStR I, § 22 Rn. 29 f. Kempen, KritV 1994, S. 13 (50), spricht von „Legitimationshilfe“, meint damit aber die politische Akzeptanz. 1184 s. u. 5. Teil § 18.

222

4. Teil: Demokratische Legitimation der Akteure

Normunterworfenen zu spiegeln. Sie bewirkt damit eine Annäherung an den Idealzustand. In nichtlegitimatorischer Hinsicht geschieht dies, indem die Sozialpartner ihre Aufgabe zur Interessenvertretung aller Normunterworfenen erfüllen. Der Normsetzer kann sich ihr Potential bei seiner Tätigkeit also in zweierlei Hinsicht zunutze machen. Wohl beide Aspekte sind angesprochen, wenn allenthalben von einer besonderer Sachnähe der Sozialpartner die Rede ist.1185 Autonome Verhandlungen der Sozialpartner gewinnen ihren Sinn auch nach dem BVerfG dadurch, daß „die unmittelbar Betroffenen besser wissen und besser aushandeln können, was ihren beiderseitigen Interessen und dem gemeinsamen Interesse entspricht, als der demokratische Gesetzgeber“.1186

§ 17 Zusammenfassung Von den drei am Sozialen Dialog beteiligten Akteuren – Rat, Kommission und Sozialpartner – können die beiden Gemeinschaftsorgane die in dem Verfahren gesetzten Gemeinschaftsmaßnahmen sowohl in organisatorisch-personeller als auch in sachlich-inhaltlicher Form effektiv demokratisch legitimieren. Ihre demokratische Legitimation sieht sich zwar wegen ihrer großen Mittelbarkeit rechtspolitischer Kritik ausgesetzt. Rechtsdogmatisch ist sie aber als hinlänglich anzusehen. Die Legitimationsquelle für die Ratstätigkeit leitet sich aus den Mitgliedstaaten ab. Die damit einher gehenden Legitimationsprobleme seiner supranationalen Hoheitsgewalt sind vor dem Hintergrund des jetzigen Integrationsstandes gerechtfertigt. Der Ministerrat bleibt das entscheidende Rechtsetzungsorgan. Im Gegensatz dazu vermögen die Sozialpartner die Gemeinschaftsmaßnahmen von sich aus nicht gleichwertig demokratisch zu legitimieren; sie sind nur zur Normsetzung gegenüber ihren Mitgliedern befugt. Die Vision des EuG von Sozialpartnern, die das Europäische Parlament ersetzen und demokratisch legitimiert sind, hält einer Prüfung nicht Stand. Zwar kann die virtuelle Repräsentation die Außenwirkung von Kollektivregelungen begründen. Doch verstößt eine auf einem virtuellen Repräsentationsmodell beruhende Legitimation kraft Repräsentativität, die die sozialpartnerschaftlich gesetzte Norm allen Normunterworfenen unabhängig von ihrer Verbandszugehörigkeit zurechnet, letztendlich gegen das Demokratie- und Rechtsstaatsprinzip. Es ist rechtsdogmatisch nicht anzuerkennen. Das EuG sollte es schon allein deshalb nicht als ein dem europäischen Kollektivvertragsrecht zugrunde liegendes Prinzip auf Gemeinschaftsebene etablieren, da es gegen 1185 Statt vieler Britz / Schmidt, EuR 1999, S. 467 (489 f.); Höland, ZIAS 1995, S. 425 (426); Hoffmann-Riem, DÖV 1997, S. 433 (438); KOM (2002) 341 endg. v. 26. 06. 2002, S. 5; Entschließung des Rates v. 06. 12. 1994, ABl. C 368 v. 23. 12. 1994, S. 6 (10); Schüren, RdA 1988, S. 138 (148); Schwarze, EAS, B 8100 Rn. 30, 48. 1186 BVerfGE v. 27. 02. 1973 – 2 BvL 27 / 69 –, BVerfGE 34, S. 307 (317), zu der Verfassungsmäßigkeit der bindenden Festsetzung für Heimarbeiter.

§ 17 Zusammenfassung

223

viele nationale Verfassungsordnungen wie das deutsche Grundgesetz verstößt, die eine unproblematische Außenwirkung der sozialpartnerschaftlichen Normsetzung nicht kennen. Dazu ist das Gericht durch das Gebot des schonendsten Eingriffs1187 in die mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen angehalten. Die Sozialpartner können ihr Legitimationspotential aber zur Steigerung der demokratischen Legitimation der Gemeinschaftsorgane nutzen.

1187

Schwarze, RdA 2001, S. 208 (218).

5. Teil

Schlußfolgerungen für das Verfahren Aus den bisherigen Ergebnissen vor allem zu dem Maßstab des Demokratieund Rechtsstaatsprinzips und der Legitimation der Sozialpartner sind Schlußfolgerungen für den Sozialen Dialog und die Auslegung der Verfahrensvorschriften gem. Art. 138 f. EGV zu ziehen. Dabei sollen die demokratische Grundlage der durch den Sozialen Dialog gesetzten Gemeinschaftsmaßnahmen – siehe die Ausgangsfrage: wer trägt in welcher Form zu der demokratischen Legitimation bei? –, die an die Sozialpartner zu stellenden Kriterien sowie die Vereinbarkeit der Dialogvorschriften mit dem Demokratie- und Rechtsstaatsprinzip abschließend konkret geklärt werden. Die nachfolgenden Prüfungspunkte dienen dazu, diese Fragen und die Rollenverteilung zwischen Gemeinschaftsorganen und Sozialpartnern in dem Verfahren zu erhellen. Wie bereits mehrfach erwähnt, muß das Europäische Parlament nicht an dem Sozialen Dialog mitwirken. Andere Probleme wie die Anforderungen an den Sozialpartnerbegriff inklusive des Kontrollmaßstabs der Gemeinschaftsorgane und der europäischen Gerichte (§ 18) und die Mitwirkung von Kommission und Rat bei der Umsetzung der Sozialpartnervereinbarungen (§ 19) bedürfen noch der Lösung. Sie treten auf, weil die Gemeinschaftsverträge keine ausdrücklichen Regelungen treffen. Am Ende wird die Frage beantwortet, ob die Verfahrensvorschriften gegen das gemeinschaftsrechtliche Demokratie- und Rechtsstaatsprinzip verstoßen bzw. wie sie auszulegen sind, damit sie nicht gegen die genannten Prinzipien verstoßen.

§ 18 Anforderungen an die Sozialpartner: Repräsentativität Der Begriff der Sozialpartner ist in den Gemeinschaftsverträgen nicht definiert.1188 Ob der Gemeinschaftsgesetzgeber tätig werden müßte, kann dahinstehen.1189 Fest steht: Die Sozialpartner können die Willens- und Interessenlage der 1188 Statt vieler Birk, EuZW 1997, S. 453 (455); Bödding, Sozialpartner, S. 82; Buchner, RdA 1993, S. 193 (202); Konzen, EuZW 1995, S. 39 (46). 1189 Hier stehen sich das Argument der Unsicherheit und das der flexiblen Anpassung der Kriterien an die zeitlichen Gegebenheiten gegenüber. Für eine gesetzliche Regelung sind Höland, ZIAS 1995, S. 425 (447); Konzen, EuZW 1995, S. 39 (46); Schwarze, EAS, B 8100 Rn. 16; dagegen Schulz, Sozialpolitik, S. 102.

§ 18 Anforderungen an die Sozialpartner: Repräsentativität

225

Normunterworfenen nur widerspiegeln und damit ihrer legitimationssteigernden Bedeutung gerecht werden, wenn sie bestimmte Anforderungen erfüllen. Die Anforderungen ermöglichen also die Stärkung der demokratischen Legitimation, auch wenn sie nicht gesetzlich festgeschrieben sind. Auch die Rechtssicherheit macht sie erforderlich. Allerdings gelten die Anforderungen nicht für das Gemeinschaftsrecht allgemein, sondern für die Art. 138 f. EGV speziell, denn der Kreis der Sozialpartner ist in Abhängigkeit von ihrer Funktion zu bestimmen.1190 Ganz überwiegend wird anerkannt, daß die Sozialpartner zur Teilnahme an dem Sozialen Dialog, d. h. an dem Verfahren der Anhörung gem. Art. 138 EGV und dem Verfahren der Verhandlung gem. Art. 139 EGV repräsentativ sein müssen.1191 Zweifelhaft ist bloß, welche Kriterien die Repräsentativität ausfüllen und die Sozialpartner somit sinnvollerweise verwirklichen müssen. Daraus läßt sich schließen, ob die bisherige Monopolstellung von UNICE, CEEP und EGB bei der Anhörung und den Verhandlungen gerechtfertigt ist oder nicht. Auf die Anforderungen unter II. und III. einzugehen, macht indes nur Sinn, wenn die Kriterien tatsächlich nicht verzichbar sind, vgl. I.

I. Kein Verzicht auf Auswahlkriterien Teilweise wird behauptet, die Sozialpartner unterlägen aufgrund der geringen Verrechtlichung des Sozialen Dialogs und seines freiwilligen Charakters keiner Auswahl – eine der nationalen Tariffähigkeit vergleichbare „Dialogfähigkeit“ gebe es nicht.1192 Ehrlicherweise müßte man den Sozialen Dialog dann auch für Wohlfahrtsverbände oder Kirchen öffnen. Wer den Teilnehmerkreis dennoch auf die Arbeitgeber- und Arbeitnehmerorganisationen beschränkt, erkennt stillschweigend Anforderungen an und unterliegt einem inneren Widerspruch.1193 Verzichtbar wären die Kriterien aber, wenn die Auswahl der anzuhörenden Sozialpartner im freien Ermessen der Kommission läge. Immerhin besteht auch in 1190 Ähnlich Schmidt, Befugnisse der Sozialpartner, S. 100. Außer in den Art. 138 f. taucht der Sozialpartnerbegriff im EGV in Art. 137 Abs. 4 und in den Art. 126 Abs. 2 und 130 im Zusammenhang mit dem Ständigen Ausschuß für Beschäftigungsfragen auf. Art. 259 Abs. 2 spricht im Zusammenhang mit dem Wirtschafts- und Sozialausschuß von „europäischen Organisationen“. Anders geht Bödding, Sozialpartner, S. 88 ff., 130, vor, der sich wenig überzeugend bemüht, für das Gemeinschaftsrecht eine einheitliche Lösung zu finden. 1191 Ausführlich hierzu s. u. § 18 III. Kritisch zur Repräsentativität Bercusson / van Dijk, IJCLLIR 1995, S. 3 (14 f.). Auch nach dem EuG, das hinsichtlich des Vereinbarungsinhalts auf die Gesamtrepräsentativität der Sozialpartner abstellt, müssen die Sozialpartner je für sich über eine Repräsentativität verfügen; vgl. EuG v. 17. 06. 1998, Rs. T-135 / 96 – UEAPME / RAT –, Slg. II-1998, S. 2335 (2370 f.), Rn. 85, 86, 88, 89. 1192 Däubler, Tarifvertragsrecht, Ziff. 1734 (S. 713); ders., Europäische Tarifverträge, S. 16 (23); ders., EuZW 1992, S. 329 (332). 1193 So auch Bödding, Sozialpartner, S. 83.

15 Spieß

226

5. Teil: Schlußfolgerungen für das Verfahren

sachlicher Hinsicht an ihrem Ermessen kein Zweifel, die Regelungserfordernisse der Gemeinschaftsmaßnahmen dadurch aufzustellen, daß sie über das „Ob“ der Gemeinschaftsmaßnahme entscheidet.1194 In personeller Hinsicht ist dagegen klar, daß die Repräsentativität oder generell Auswahlkriterien, die für alle Sozialpartner einheitlich gelten, für das Anhörungs- und Verhandlungsverfahren unverzichtbar sind.1195 Bei dem Sozialen Dialog handelt es sich nämlich um ein formelles Verfahren, das zu einem Rechtsetzungsakt führt. Es ist deutlich von einer rein informellen und beratenden Beteiligung von Verbänden im Vorfeld der Rechtsetzung abzugrenzen.1196 Die Mitwirkung der Sozialpartner hat zudem einen die demokratische Legitimation verbessernden Charakter.1197 Ein Verzicht wäre mit ihrer legitimatorischen Funktion nicht vereinbar. Für ein politisches Auswahlermessen hinsichtlich der zu beteiligenden Sozialpartner bleibt deshalb kein Raum. Wer das behauptet,1198 verkennt den Charakter des Verfahrens und vor allem die Bedeutung der Sozialpartner. Das heißt: Wenn die Kommission auch nicht alle Verbände anhören muß, die von sich selbst behaupten, europäische Sozialpartner zu sein, so doch die nach ihren Kriterien repräsentativen.1199 Etwas anderes gilt für die Organisationen, die von vornherein offensichtlich nicht repräsentativ sind. Ihre Anhörung steht im Zuge umfassender Konsultationen1200 im freien Ermessen der Kommission. Dieses Bemühen ist unter dem Blickwinkel der Berücksichtung aller Interessen und umfassenden Einbeziehung des sozialpartnerschaftlichen Sachverstandes vorbildlich. Den nicht anhörungsberechtigten Organisationen soll m.E. aber mangels vergleichbarer Bedeutung nicht dasselbe Gewicht zukommen wie den anhörungsberechtigten.1201 Schwarze, EAS, B 8100 Rn. 65. Vgl. Kampmeyer, Sozialpolitik, S. 103; anders Britz / Schmidt, EuR 1999, S. 467 (493), die die Beteiligung von Interessenverbänden ganz der politischen Entscheidung der Gemeinschaftsorgane anheim stellen; Dederer, RdA 2000, S. 216 (220 Fn. 51). Deinert, Europäischer Kollektivvertrag, S. 465, hält die Repräsentativitätskriterien für erforderlich, will aber keine generellen Kriterien aufstellen. 1196 So sind für den Wirtschafts- und Sozialausschuß gem. Art. 257 ff. EGV und den Ständigen Ausschuß für Beschäftigungsfragen gem. Art. 130 EGV, die eine beratende Funktion ausüben, die Auswahlkriterien nicht festgelegt. 1197 Auch Schwarze, RdA 2001, S. 208 (218). Anders stellen z. B. Piazolo, Sozialer Dialog, S. 173 ff., und Schulz, Sozialpolitik, S. 106, auf die Garantie des rechtspolitischen Kriteriums der sozialen Akzeptanz ab. 1198 So Britz / Schmidt, EuR 1999, S. 467 (493); Däubler, EuZW 1992, S. 329 (332); Dederer, RdA 2000, S. 216 (220 Fn. 51). 1199 Lenz-Coen, EGV, Art. 139 Rn. 7; Kempen, KritV 1994, S. 13 (46); Schwarze, EAS, B 8100 Rn. 65; a.A. Schulz, Sozialpolitik, S. 106, und ihm folgend Piazolo, Sozialer Dialog, S. 179. 1200 KOM (93) 600 endg. v. 14. 12. 1993, Ziff. 22, 28; KOM (96) 448 endg. v. 18. 09. 1996, Ziff. 59 f. 1201 Das Problem, daß nicht-repräsentativen, aber besonders betroffenen Sozialpartnern nicht dasselbe Gewicht wie den repräsentativen geschenkt wird, läßt sich mangels Konstruierbarkeit einer Gesamtrepräsentativität, vgl. § 18 III. 1., in der Anhörungsphase nicht 1194 1195

§ 18 Anforderungen an die Sozialpartner: Repräsentativität

227

Die repräsentativen Sozialpartner sind aufgrund der ohnehin bestehenden praktischen Probleme der Machbarkeit1202 vorrangig zu beachten.

II. Überblick über den Meinungsstand zur Repräsentativität Zu erörtern bleibt, welche Auswahlkriterien gelten. Die Meinungen werden im folgenden aus Gründen der Übersichtlichkeit nach ihren Vertretern gebündelt dargestellt.

1. Die Gemeinschaftsorgane und europäischen Sozialpartner Die Kommission hat ohne nähere Begründung sog. „Repräsentativitätskriterien“1203 für die Anhörungsphase aufgestellt, die die sektorübergreifenden und sektoralen Sozialpartner erfüllen müssen. Mangels entgegenstehender Äußerungen bezieht sie diese Kriterien auch auf die Verhandlungsphase. Die Organisationen sollen (1) branchenübergreifend, sektor- oder berufsspezifisch sein, (2) über eine Struktur auf europäischer Ebene verfügen, (3) aus Verbänden bestehen, die in ihrem Land integraler und anerkannter Bestandteil des Systems der Arbeitsbeziehungen sind, (4) Vereinbarungen aushandeln können, (5) so weit wie möglich alle Mitgliedstaaten vertreten und (6) über die geeigneten Strukturen verfügen, um effektiv an dem Anhörungsprozeß teilnehmen zu können.“1204 Schließlich seien (7) ggf. auch nationale Organisationen anzuhören, wenn die gemeinschaftliche Sozialpolitik sie potentiell betrifft.1205 Die Kommission erlegt sich damit eine Selbstbindung auf.1206 Zusätzlich überprüft sie die Vereinbarungen in jedem Einzelfall nachträglich darauf, ob alle Betroffenen repräsentiert waren.1207 Auf Grundlage der Kriterien erstellte sie im Anhang II ihrer Mitteilung von 19931208 eine Liste von ca. 30 Organisationen, die die genannten Kriterien erfüllen. Zu den Sozialpartnern zählen als überbereichliche Organisationen mit sog. alllösen. In ihr schließen sich die Sozialpartner nämlich nicht wie bei den Verhandlungen zu einer Gruppe zusammen. 1202 Vgl. KOM (93) 600 endg. v. 14. 12. 1993, Ziff. 26; KOM (96) 448 endg. v. 18. 09. 1996, Ziff. 18. 1203 Die Bezeichnung richtet sich nach KOM (96) 448 endg. v. 18. 09. 1996, Ziff. 68. 1204 Erstmals KOM (93) 600 endg. v. 14. 12. 1993, Ziff. 24. 1205 KOM (93) 600 endg. v. 14. 12. 1993, Ziff. 28. 1206 So auch Goos, EAS, B 8110 Rn. 20a; Schwarze, EAS, B 8100 Rn. 69. 1207 KOM (96) 448 endg. v. 18. 09. 1996, Ziff. 71. 1208 KOM (93) 600 endg. v. 14. 12. 1993, Anhang II = KOM (96) 448 endg. v. 18. 09. 1996, Anhang III, S. X. 15*

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5. Teil: Schlußfolgerungen für das Verfahren

gemeiner Bestimmung UNICE, CEEP und EGB, als überbereichliche Organisationen zur Vertretung gewisser Berufsgruppen von Arbeitnehmern oder Unternehmen UEAPME und CEC, als sog. spezifische Organisation EUROCHAMBRES und als sog. sektorale Organisationen, die keinem branchenübergreifenden Dachverband angeschlossen sind, EUROCOMMERCE, COPA und CEI. Dieses Verzeichnis unterliegt entsprechend den Erfahrungen mit den neuen Verfahren des Abkommens sowie der Entwicklung des Sozialen Dialogs einer ständigen Überprüfung.1209 In ihren Mitteilungen aus den Jahren 1996 und 1998 wurde die Liste der anzuhörenden Sozialpartner geringfügig modifiziert,1210 die Kriterien inhaltlich aber nicht verändert.1211 Die Ergebnisse der 1998 in Auftrag gegebenen zweiten Studie zur Repräsentativität, die im Jahresrhythmus aktualisiert werden soll,1212 liegen nun in einem Bericht über die Repräsentativität der Verbände der europäischen Sozialpartner von 19991213 vor. Der Bericht, der von der katholischen Universität in Löwen koordiniert wurde, stützt sich auf die oben genannten Kriterien der Kommission.1214 Er enthält keine nennenswerten Änderungen. Um den Ergebnissen der fortgesetzten Studie zur Repräsentativität der Sozialpartner in den einzelnen Branchen Rechnung zu tragen, hat die Kommission die Liste inzwischen auf knapp 60 Organisationen angepasst und dabei insbesondere den Kreis der branchenbezogenen Organisationen wesentlich erweitert.1215 Eine Neudefinition der Kriterien nahm sie auch hier nicht vor. Den Kriterienkatalog der Kommission hat das Europäische Parlament ohne weitere Begründung ergänzt. Die Sozialpartner müssen sich danach aus Arbeitgeber- oder Arbeitnehmerorganisationen zusammensetzen, die sowohl auf nationaler als auch auf europäischer Ebene auf freiwilliger Mitgliedschaft beruhen, über ein Mandat ihrer Mitglieder zu deren Vertretung im Rahmen des europäischen Sozialen Dialogs verfügen und ihre Repräsentativität nachweisen können.1216 Offenbar verlangt auch der Rat die Repräsentativität der Sozialpartner.1217 1209 Vgl. KOM (93) 600 endg. v. 14. 12. 1993, Ziff. 24; KOM (96) 448 endg. v. 18. 09. 1996, Ziff. 61, 63. 1210 Nicht in den Listen von 1993 und 1996, wohl aber in der Liste von 1998 ist in der Sparte der sektoralen Organisationen beispielsweise die Industrial Cleaning European Federation aufgenommen. Unterschiede treten auch zwischen 1993 und 1996 bei den Vertretungen der Luftverkehrsgesellschaften auf, was mit Umstrukturierungen zu erklären sein könnte (Airports Council International – European Region, ACI-Europe statt International Civil Airports Association; Association des Transports aériens à la demande statt Association of Charter Companies Airlines). 1211 KOM (96) 448 endg. v. 18. 09. 1996, Anhang III, S. X; KOM (98) 322 endg. v. 20. 05. 1998, S. 6 und Anhang I. 1212 KOM (98) 322 endg. v. 20. 05. 1998, S. 6 und Anhang I. 1213 Bericht über die Repräsentativität, http: // europa.eu.int / comm / employment_social / soc-dial / social / report_de.pdf v. 28. 11. 2001 (im folgenden: Bericht über die Repräsentativität). 1214 Bericht über die Repräsentativität, S. 2, 3. 1215 Vgl. KOM (2002) 341 endg. v. 26. 06. 2002, Anlage 1 (S. 27 ff.).

§ 18 Anforderungen an die Sozialpartner: Repräsentativität

229

Der Wirtschafts- und Sozialausschuß nennt zunächst keine präzisen Kriterien, sondern zwei Ansätze zur Bestimmung der Repräsentativität. Entweder könne die Repräsentativität nach nationalen oder nach transnationalen Gesichtspunkten definiert werden.1218 Im weiteren spricht er sich dafür aus, daß die europäischen Sozialpartner über ein Verhandlungsmandat verfügen und in den meisten Mitgliedstaaten Mitglieder haben sollten.1219 Die drei großen europäischen Sozialpartner UNICE, CEEP und EGB stellen die strengsten Kriterien auf,1220 so daß im Ergebnis nur sie an der Anhörung und Verhandlung zu beteiligen wären. Dem Katalog der Kommission und der vom Europäischen Parlament geforderten Freiwilligkeit der Mitgliedschaft und Mandatierung der Organisationen fügen sie ohne weitere Ausführungen hinzu, daß die Sozialpartner als in sozialpolitischer, beschäftigungspolitischer und arbeitsbeziehungsmäßiger Hinsicht repräsentativ gelten und in sämtlichen Mitgliedstaaten der Gemeinschaft vertreten sind oder am Sozialen Dialog im Anschluß an die Sitzung von „Val Duchesse“ teilgenommen haben. Die Teilnahme sektoraler Organisationen wäre damit ausgeschlossen.1221 Die Privilegierung der „historischen“ Sozialpartner klingt zudem nach einem Erhalt des status quo.1222

2. Die Literatur In der Literatur schließen sich zahlreiche Autoren der Kommission an.1223 Andere halten an der Repräsentativität fest, entwickeln aber in der Intention, die Auswahl der Sozialpartner unter dem Aspekt der Repräsentativität zu verbessern, eigene Kriterien, die den Katalog der Kommission ergänzen oder ersetzen: So sollen 1216 Vgl. Europäisches Parlament, Dok. A3 – 0269 / 94 v. 20. 04. 1994, S. 5, das von der Kommission eine Überarbeitung ihrer Liste fordert (S. 6); vgl. zudem KOM (96) 448 endg. v. 18. 09. 1996, Ziff. 62. 1217 Vgl. den Entwurf einer gemeinsamen Erklärung des Europäischen Parlaments, des Rates und der Kommission, der die Bedingungen für die Repräsentativität festlegt: ABl. C 77 v. 24. 02. 1994, S. 32. 1218 WSA, CES (94) 1310 v. 28. 11. 1994, S. 6 f. 1219 WSA, CES (94) 1310 v. 28. 11. 1994, S. 7 f. 1220 Vgl. ihren Vorschlag für die Umsetzung des dem Protokoll über die Sozialpolitik im Vertrag über die Europäische Union beigefügten Abkommens v. 29. 10. 1993, Soziales Europa 2 / 1995, S. 175 f. und Hornung-Draus, EuroAS 7 / 1993, S. 6 (7). 1221 Traxler, Transfer 1996, S. 287 (292). 1222 s. u. § 18 III. 2. 1223 Birk, EuZW 1997, S. 453 (455); ders., Umsetzung von Vereinbarungen, S. 73 (87 ff.); Kasseler Hdb-Heinze, 11 Rn. 137; Höland, ZIAS 1995, S. 425 (448); Konzen, EuZW 1995, S. 39 (46); Langenbrinck, DB 1998, S. 1081 (1085 f.); Lenze, NZS 1996, S. 313 (316); Tegtmeier, Perspektiven des Sozialen Dialogs, S. 13 (28 ff.); Weiss, FS für Kissel, S. 1253 (1256 f.); Zachert, FS für Schaub, S. 811 (823, 826). Deinert, Europäischer Kollektivvertrag, S. 461 ff., der die Kriterien vom Einzelfall abhängig machen will, übernimmt letztendlich doch in Teilen die Kommissionskriterien.

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5. Teil: Schlußfolgerungen für das Verfahren

alle Sozialpartner, die auf der Gemeinschaftsebene über eine dauerhafte und stabile Struktur verfügen und in den Mitgliedstaaten verwurzelt sind, am Anhörungsverfahren teilnehmen. Verhandlungen dürften sie hingegen nur führen, wenn sie durch ein Mandat ihrer Mitgliedsverbände hierzu ermächtigt seien.1224 Nach anderer Ansicht müssen die Sozialpartner für die Teilnahme an den Verhandlungen in Anlehnung an die nationale Tariffähigkeit vereinbarungsfähig sein. Die Vereinbarungsfähigkeit liege bei einer übergreifenden europäischen Organisationsstruktur, einem Mitwirkungswillen, der Gegnerunabhängigkeit und Unbeeinflußbarkeit durch die Gemeinschaftsorgane vor.1225 Ganz ähnlich verhalte es sich mit der Dialogfähigkeit.1226 Von noch einer anderen Seite wird gefordert, daß die Sozialpartner oder ihre angeschlossenen Verbände zusätzlich Tarifverhandlungen führen können müssen.1227 Entscheidend für die Anerkennung als europäischer Sozialpartner und die Repräsentativität soll eine „gewisse Breite“ und eine „für die Anhörungsverfahren bedeutsame Sachkompetenz“ der Verbände sein.1228 Von ihnen wird eine angemessene Größe und Mächtigkeit verlangt, wobei auf die Mitgliederzahl und Mitgliederstruktur abzustellen sei.1229 Nur ausnahmsweise wird die Auswahl der Sozialpartner sehr großzügig gehandhabt. Es werden dann keine genaueren Kriterien aufgestellt, da nur so eine echte Repräsentativität herzustellen sei. Neben den Arbeitgeber- und Arbeitnehmerorganisationen seien auch Verbände der freien Wohlfahrtspflege, Kirchen und andere gesellschaftliche Gruppen des „Dritten Sektors“ sowie Gruppierungen der lokalen und regionalen Arbeitsförderung an dem Rechtsetzungsverfahren zu beteiligen.1230 Wenige Autoren stehen der Repräsentativität und ihren Kriterien kritisch gegenüber. Der von der Kommission aufgestellte Kriterienkatalog sei zu formal, da er nur Aussagen über die Organisationsstruktur, nicht aber über die betroffenen Interessen enthalte.1231 Bei der nachträglichen Kontrolle der Sozialpartnervereinbarun1224 Schulz, Sozialpolitik, S. 106, 108; Blanpain / Schmidt / Schweibert, Europäisches Arbeitsrecht, Ziff. 514 (S. 357). 1225 Schnorr, DRdA 1994, S. 193 (195). Für einen Verhandlungswillen setzt sich auch ein v. der Groeben / Thiesing / Ehlermann-Schulte, EGV, Art. 118b Rn. 29. 1226 Nach Schwarze, EAS, B 8100 Rn. 16 f., müssen die Sozialpartner für die Dialogfähigkeit repräsentativ, verhandlungswillig und gegnerunabhängig sein. Keine Dialogfähigkeit fordert Däubler, Europäische Tarifverträge, S. 16 (23); ders., EuZW 1992, S. 329 (332). 1227 Blanpain / Schmidt / Schweibert, Europäisches Arbeitsrecht, Ziff. 514 (S. 357); v. der Groeben / Thiesing / Ehlermann-Schulte, EGV, Art. 118b Rn. 29. 1228 Buchner, RdA 1993, S. 193 (202 f.); Clever, ZfSH / SGB 1996, S. 188 (190). 1229 Die Anforderungen an die Mitgliederzahl und Mächtigkeit fallen sehr unterschiedlich aus. Für strenge Anforderungen Watson, CML Rev. 1993, S. 481 (508); für großzügige Anforderungen Bödding, Sozialpartner, S. 87 ff., und Buchner, RdA 1993, S. 193 (203). 1230 Pitschas / Peters, Rolle der Sozialpartner, S. 88 f.; dies., VSSR 1996, S. 21 (29 f.); Pitschas, DÖV 1992, S. 277 (283). 1231 Britz / Schmidt, EuR 1999, S. 467 (494 f.); Moreau, Droit social 1999, S. 53 (56); Schmidt, IJCLLIR 1999, S. 259 (263 f.).

§ 18 Anforderungen an die Sozialpartner: Repräsentativität

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gen darauf, ob sie alle betroffenen Interessen ausreichend berücksichtigten, seien die an die Sozialpartner zu stellenden Anforderungen nicht klar.1232 Die Repräsentativität sei außerdem deshalb nicht zur Auswahl geeignet, da selbst die drei großen europäischen Dachverbände nicht die Mehrheit der Arbeitnehmer und Arbeitgeber verträten und daher nur partiell und unzulänglich repräsentativ seien.1233

3. Das EuG Die bisher genannten Kriterien reflektieren die Einzelmeinungen der Gemeinschaftsorgane, der europäischen Sozialpartner sowie der Literatur. Verbindlich über die Auslegung der Art. 138 f. EGV befinden aber die europäischen Gerichte, wie sich aus Art. 220 EGV schließen läßt.1234 Bisher hat sich nur das EuG geäußert. In dem Urteil über die Beteiligung von UEAPME an den Verhandlungen über die Rahmenvereinbarung zum Elternurlaub übernimmt es die Kriterien der Kommission.1235 Zusätzlich zu der Repräsentativität stellt es das Erfordernis der Gesamtrepräsentativität auf. Es sei dann erfüllt, „wenn die einzelnen Unterzeichner der Rahmenvereinbarung alle Gruppen von Unternehmen und Arbeitnehmern auf europäischer Ebene repräsentieren können“.1236 Präzise Kriterien zur Ermittlung der Gesamtrepräsentativität nennt es nicht. Deutlich wird aber, daß das Gericht zwischen einer quantitativen und qualitativen Seite der Repräsentativität unterscheidet, wenn es einerseits auf den von der Mitgliederzahl bestimmten „Grad der Repräsentativität“1237 und andererseits auf die „Repräsentativität im Hinblick auf den sachlichen Anwendungsbereich“ der Vereinbarung1238 abstellt. Zusammenfassend läßt sich feststellen, daß die ganz überwiegende Mehrheit der Stimmen die Sozialpartner einer Auswahl unterwirft und ihre Repräsentativität verlangt. Allerdings unterscheiden sich die einzelnen Repräsentativitätskriterien im Detail, ohne daß hierfür Gründe genannt werden. Richtungsweisend ist der Kriterienkatalog der Kommission. 1232 Britz / Schmidt, EuR 1999, S. 467 (494); Moreau, Droit social 1999, S. 53 (54, 58); Schmidt, IJCLLIR 1999, S. 259 (263). 1233 Bercusson / van Dijk, IJCLLIR 1995, S. 3 (15); Betten, ELR 1998, S. 20 (30 f.); Schmidt, IJCLLIR 1999, S. 259 (265). 1234 Vgl. Bercusson / van Dijk, IJCLLIR 1995, S. 3 (6); Herdegen, ZHR 1991, S. 52 (56, 66); Schnorr, DRdA 1994, S. 193 (195). 1235 EuG v. 17. 06. 1998, Rs. T-135 / 96 – UEAPME / RAT –, Slg. II-1998, S. 2335 (2365 ff.), Rn. 72, 75, 77. Der Kommission und dem Rat erlegt das Gericht die Pflicht auf, die Repräsentativität der Sozialpartner zu überprüfen, vgl. S. 2335 (2370 f.), Rn. 85 ff. 1236 EuG v. 17. 06. 1998, Rs. T-135 / 96 – UEAPME / RAT –, Slg. II-1998, S. 2335 (2373), Rn. 94. 1237 EuG v. 17. 06. 1998, Rs. T-135 / 96 – UEAPME / RAT –, Slg. II-1998, S. 2335 (2368 ff.), Rn. 80, 91, 104. 1238 EuG v. 17. 06. 1998, Rs. T-135 / 96 – UEAPME / RAT –, Slg. II-1998, S. 2335 (2372 ff.), Rn. 91, 102, 110.

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5. Teil: Schlußfolgerungen für das Verfahren

III. Kritische Stellungnahme zu den Repräsentativitätskriterien Da die genannten Meinungen die Auswahl der Repräsentativitätskriterien nicht begründen, zielen die folgenden Ausführungen darauf, den Rahmen für die Definition der Repräsentativität zu klären (1. – 4.) und die hinter ihren Kriterien stehenden Gründe transparent zu machen. Auf dieser Grundlage sind dann die Kriterien wieder – zunächst für den branchenübergreifenden Sozialen Dialog (5.) und im Anschluß daran für die übrigen Dialogebenen (6.) – auf ihre Eignung zur Herstellung der Repräsentativität zu beurteilen. Die Repräsentativität bietet sich zur Abbildung der Willens- und Interessenlage der Normunterworfenen und damit unter einem legitimatorischen Blickwinkel zur Auswahl der am Verfahren gem. Art. 138 f. EGV zu beteiligenden Sozialpartner an.1239 Wie sich herausgestellt hat, können Verbände, die sich nicht auf die demokratische Wahl, sondern die freie Mitgliedschaft stützen, zwar nicht eine 100 %ige Repräsentativität im Sinne einer Vertretung aller Normunterworfenen gewährleisten.1240 Rechtlich können sie damit nur die Interessen ihrer Mitglieder repräsentieren.1241 Unberücksichtigt bleiben die nichtorganisierten am Arbeitsleben Beteiligten wie z. B. ein Großteil der atypisch beschäftigten Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen1242 und erst recht die nichtorganisierten am Wirtschaftsleben Beteiligten wie Arbeitslose. Die Repräsentativität vermag aber auf der Grundlage der virtuellen Repräsentation die Willens- und Interessenlage aller Normunterworfenen möglichst weitgehend abzubilden. Sie steigert allemal die Wahrscheinlichkeit eines Abbilds, auch wenn dieses nicht umfassend ausfallen kann. Die Vorstellung einer virtuellen Repräsentation verhilft also nicht jedem x-beliebigen Verband zu diesem Ziel. Die legitimatorische „Restausstrahlung“ der Sozialpartner vermag nur die Repräsentativität zu verkörpern. Sie kann somit das sozialpartnerschaftliche Legitimationspotential und die demokratische Legitimation generell stärken.1243 Unter den 1239 Zu der Struktur der wichtigsten europäischen Sozialpartner als Hintergrundinformation vgl. Goos, EAS, B 8110 Rn. 24 ff.; Piazolo, Sozialer Dialog, S. 49 ff.; ansatzweise Hartenberger, Europäischer sozialer Dialog, S. 160 ff. 1240 s. o. 4. Teil § 16 IV. 1.; Hirsch, Funktionen der Gewerkschaften, S. 141; HornungDraus, EuroAS 12 / 1996, S. 198; Piazolo, Sozialer Dialog, S. 181 f. 1241 Vgl. Britz / Schmidt, EuR 1999, S. 467 (495); Dederer, RdA 2000, S. 216 (220); Schmidt, IJCLLIR 1999, S. 259 (265 f.). Nichts spricht allerdings dagegen, daß die Sozialpartner bei ihren Verhandlungen die Außenseiterinteressen mitberücksichtigen. 1242 Vgl. die Studie der Kommission zur Vertretung der Frauen und ihrer Belange im europäischen Sozialen Dialog, Soziales Europa, Beiheft 4 / 1995, S. 1 ff.; Betten, ELR 1998, S. 20 (32); Schmidt, IJCLLIR 1999, S. 259 (265 f.). 1243 Ebenso Schwarze, RdA 2001, S. 208 (218). Falsch versteht Deinert, Europäischer Kollektivvertrag, S. 463 ff., die Repräsentativität, wenn er sie auf die Vertretung der Verbandsmitglieder bezieht.

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Sozialpartnern kann sie nur im Vergleich bewertet werden.1244 An dem Sozialen Dialog teilnehmen sollen daher die Verbände, die die relativ meisten Interessen der Arbeitnehmer insgesamt, einer Branche, etc. vertreten. Ein einschränkendes Kriterium ist also nicht nur um der Funktionsfähigkeit und Effektivität des Verfahrens,1245 sondern auch um der legitimatorischen Zielsetzung willen erforderlich. Es erfüllt dabei dieselbe Funktion wie die Durchsetzungsfähigkeit oder soziale Mächtigkeit im deutschen Tarifrecht, nämlich die Verengung des Kreises der zu beteiligenden Sozialpartner.1246 Meines Erachtens sind Repräsentativität und Durchsetzungsfähigkeit aber nicht inhaltsgleich. Die Durchsetzungsfähigkeit erfordert nämlich Mittel zur Druckausübung,1247 die den Sozialpartnern auf europäischer Ebene gerade fehlen und außerdem der Freiwilligkeit des Sozialen Dialogs widersprechen.1248 In ihrer Bedeutung kommt die Repräsentativität eher der Tariffähigkeit im nationalen Kontext gleich.1249

1. Repräsentativität jedes einzelnen Sozialpartners Fraglich ist, ob jeder Sozialpartnerverband für sich repräsentativ sein muß, oder möglicherweise eine sog. Gesamtrepräsentativität, wie sie das EuG erwähnt, ausreicht. Die Funktionsfähigkeit des Verfahrens ist m.E. der Grund, weshalb es bei dem branchenübergreifenden Sozialen Dialog maßgeblich auf die Repräsentativität jedes einzelnen Sozialpartners, d. h. die innere und nicht die äußere Repräsentativität ankommt. Während die äußere Repräsentativität durch das Zusammenwirken vieler kleiner, nicht zwingend repräsentativer Verbände gewahrt werden kann, setzt die innere Repräsentativität wenige repräsentative Sozialpartner voraus, die möglichst alle Interessen vertreten. Zwischen wenigen Verbänden ist ein Kompromiß eher vorstellbar als zwischen vielen. Auf die äußere Repräsentativität kann es daher nur ergänzend z. B. bei Branchen- oder Berufsgruppenverbänden ankommen,1250 wie sie das EuG mit dem Begriff der Gesamtrepräsentativität unterstrichen hat. Zu klären bleibt, wann von repräsentativen Verbänden gesprochen werden kann. Dabei ist zu untersuchen, ob sich der Sozialpartnerbegriff auf die 1244 Einen vergleichenden Ansatz vertreten auch Bercusson, ILJ 1999, S. 153 (157): „The requisite degree of representativity is not absolute.“, und Betten, ELR 1998, S. 20 (32). 1245 Bödding, Sozialpartner, S. 86 ff.; Buchner, RdA 1993, S. 193 (202 f.); Deinert, Europäischer Kollektivvertrag, S. 462; Schnorr, DRdA 1994, S. 193 (195); Schulz, Sozialpolitik, S. 106; Schwarze, EAS, B 8100 Rn. 16; ders., RdA 2001, S. 208 (218). 1246 Ähnlich Buchner, RdA 1993, S. 193 (203). 1247 Vgl. ausführlich zu der Durchsetzungsfähigkeit oder sozialen Mächtigkeit Doerlich, Tariffähigkeit, S. 75 ff.; Wiedemann-Oetker, TVG, § 2 Rn. 306 ff. 1248 s. u. § 18 III. 5. a) aa) (5). 1249 Höland, ZIAS 1995, S. 425 (448); Bericht über die Repräsentativität, S. 6; anders Schwarze, EAS, B 8100 Rn. 17. 1250 Ausführlich Piazolo, Sozialer Dialog, S. 181 ff.

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5. Teil: Schlußfolgerungen für das Verfahren

drei mächtigen Dachverbände beschränkt (2.), welcher Maßstab an die Kriterien anzulegen ist (3.) und ob sich die Kriterien für die Anhörungs- und Verhandlungsphase sowie die verschiedenen Dialogebenen1251 unterscheiden (4. – 6.).

2. Keine definitorische Beschränkung auf UNICE, CEEP und EGB Seit den Gesprächen von „Val Duchesse“ erkennt die Kommission die drei großen europäischen Dachverbände UNICE, CEEP und EGB als Sozialpartner an.1252 Die Verbände haben bereits damals einige gemeinsame Stellungnahmen und Empfehlungen verabschiedet und an der Fassung der Art. 3 f. AbkSozPol (heute Art. 138 f. EGV) mitgewirkt. Ihre Beteiligung entspricht immer noch der gängigen Praxis.1253 Bezugnehmend auf diese Dialogpraxis und vor allem auf die Verwendung des Sozialpartnerbegriffs durch die Gemeinschaftsorgane bezeichnen Teile der Literatur nur die genannten drei Verbände als Sozialpartner.1254 Es handelte sich gleichwohl um eine Unterstellung1255 zu behaupten, die Gemeinschaftsorgane und speziell die Kommission würden den Sozialen Dialog nur diesen dreien öffnen. Der Soziale Dialog hat zwar unbestreitbar zwischen den genannten Organisationen begonnen. Das Vorverständnis der Kommission1256 mag sich daher auf die „traditionellen“ Arbeitnehmer- und Arbeitgeberorganisationen von 1985 beziehen. In ihrer Mitteilung von 1993 hat sie aber viele andere Organisationen als beteiligungsberechtigte Sozialpartner aufgelistet.1257 Auch wenn sich ihre Auswahl explizit nur auf die Anhörung bezieht, ist eine Differenzierung zwischen der Anhörungsund Verhandlungsphase nicht ersichtlich. Genausowenig sagt die den Sozialpartnern von der Kommission in der Verhandlungsphase zugestandene Autonomie1258 etwas darüber aus, zwischen wem die Verhandlungen stattfinden sollen. Eine Ausnahme könnte gelten, wenn die Beschränkung nicht als gegeben hingenommen, sondern mit entsprechend strengen Auswahlkriterien begründet würde. Wie sich zeigen wird, erfordert die Funktion der Sozialpartner aber keine strenge Fassung der Kriterien. Dem Gemeinschaftsrecht sind mangels Aussagen über den Vgl. 2. Teil § 3 II. s. o. 2. Teil § 3 III. 1253 s. o. 2. Teil § 3 IV. 1254 Schnorr, RdA 1994, S. 193 (195); Weiss, FS für Gnade, S. 583 (593); Wisskirchen, FS für Arbeitsgerichtsverband, S. 653 (672), und insbesondere Venturini, Europäischer Sozialraum, S. 11. 1255 So Guéry, ILRev. 1992, S. 581 (594); Moreau, Droit social 1999, S. 53 (54). 1256 Vgl. etwa XXI. Gesamtbericht 1987, Ziff. 438; XXII. Gesamtbericht 1988, Ziff. 492. 1257 Vgl. KOM (93) 600 endg. v. 14. 12. 1993, Anhang II. 1258 KOM (93) 600 endg. v. 14. 12. 1993, Ziff. 10, 29 ff. 1251 1252

§ 18 Anforderungen an die Sozialpartner: Repräsentativität

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Kreis der Beteiligten keine Anhaltspunkte für eine rechtliche Monopolisierung zu entnehmen.1259 Eine restriktive Deutung, wie sie von den drei Dachverbänden vorgeschlagen wird,1260 läßt sich nur mit Machterhaltungsinteressen rechtfertigen.1261 Sie reichen vor dem Hintergrund des Demokratie- und Rechtsstaatsprinzips für einen sachlichen Grund nicht aus. Eine begriffliche Beschränkung der Sozialpartner auf die drei Dachverbände ist vor diesem Hintergrund nicht nachvollziehbar.

3. Fassung der Kriterien und Intensität der (gerichtlichen) Kontrolle Bevor unter 4. auf das Verhältnis der Kriterien von Anhörungs- und Verhandlungsphase zueinander eingegangen wird, ist vorab zu beleuchten, welche Meßlatte gewissermaßen von außen an die Kriterien anzulegen ist. Hinsichtlich der Frage, ob die Repräsentativität sowohl in der Anhörungs- als auch in der Verhandlungsphase strengen oder großzügigen Anforderungen1262 unterliegt, ließe sich folgende Grundregel aufstellen: Je verantwortlicher die Stellung der Sozialpartner ist, desto strenger sind die Anforderungen an ihre Repräsentativität. Es wäre dann der subjektiven Sicht überlassen, als wie führend die Rolle der Sozialpartner eingeschätzt würde.1263 Auf diese Weise ist ein vernünftiges Ergebnis nicht erzielbar, da der Vergleichspunkt zu schwanken scheint. Einmal liegt er in der vergangenen Position der Sozialpartner1264, einmal in der aktuellen Bedeutung der Gemeinschaftsorgane1265. Hilfreicher ist ein legitimatorisch-funktionaler Ansatz. Er beruht auf der Erkenntnis, daß die Funktion der Sozialpartner1266 die Weite der Kriterien steuert. Die Kriterien sind dann streng zu fassen, wenn die Sozialpartner wegen ihrer Nähe zu dem Europäischen Parlament möglichst alle Normunterworfenen und alle betroffenen Interessen repräsentieren müssen. Zur Verdeutlichung soll die Auffassung des EuG noch einmal unter diesem Gesichtspunkt beleuchtet werden, wonach die Sozialpartner das Europäische Parlament ersetzen und folglich eigene Legitimation herstellen können. Folgte man ihr, müßten die Anforderungen an die 1259 Buchner, RdA 1993, S. 193 (202); Guéry, ILRev. 1992, S. 581 (594). Als Hinweis gegen eine Beschränkung ist die Nennung anderer Sozialpartner im Zusammenhang mit dem Ständigen Ausschuß für Beschäftigungsfragen zu verstehen; vgl. Beschluß des Rates v. 20. 01. 1975, ABl. L 21 v. 28. 01. 1975, S. 17 f. 1260 Hierzu s. o. § 18 II. 1. 1261 Vgl. Traxler, Transfer 1996, S. 287 (292). 1262 Das Problem wurde bereits oben unter 4. Teil § 16 II. 3. angedeutet. 1263 Zurückhaltend Bercusson, Social Policy, S. 149 (175); Bödding, Sozialpartner, S. 83 ff.; Buchner, RdA 1993, S. 193 (203); mutiger Watson, CML Rev. 1993, S. 481 (508). 1264 So bei Watson, CML Rev. 1993, S. 481 (508). 1265 Vgl. Buchner, RdA 1993, S. 193 (203). 1266 Hierzu vgl. 4. Teil § 16 III. 2.

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Sozialpartner entsprechend anspruchsvoll und streng gefaßt werden. Als Repräsentanten bestünde ihr Ziel in der Vertretung aller Normunterworfenen. Der kleinste Verstoß gegen die Kriterien würde eine Mißachtung bestimmter Interessen und damit die Unwirksamkeit der Sozialpartnervereinbarungen nach sich ziehen. Das Gericht müßte neben der Repräsentativitätskontrolle der Sozialpartner eine Inhaltskontrolle der Vereinbarung vornehmen, um sicherzustellen, daß die Sozialpartner in ihr tatsächlich alle Interessen berücksichtigt haben.1267 Wie gesehen sind die Sozialpartner zur Normsetzung und damit rechtlichen Vertretung nur ihrer Mitglieder legitimiert; ihre Beteiligung an der Normsetzung hat legitimationsverbessernden Charakter. Die Repräsentativitätskriterien müssen daher gleichsam die angesprochene legitimatorische „Restausstrahlung“ vermitteln. Aufgrund dieser begrenzten Funktion sind sie großzügiger zu fassen. Die Fassung der Kriterien läßt aber einen Rückschluß auf den Umfang der repräsentierten Interessen und damit auf die Anforderungen zu, die an einen Verstoß gegen diese Interessen zu stellen sind. Fallen die Kriterien großzügig aus, kann es vorkommen, daß betroffene Interessen unberücksichtigt bleiben. Wegen der „bloß“ legitimationsverbessernden Funktion der Sozialpartner stellt dies die Wirksamkeit der Dialogergebnisse nicht in Frage. Probleme mit der Wirksamkeit der Sozialpartnervereinbarungen treten hingegen auf, wenn gegen die Kriterien und die betroffenen Interessen grob verstoßen wird.1268 Das bedeutet: Eine Sozialpartnervereinbarung ist nicht schon wegen Unwirksamkeit aufzuheben, wenn sich bei einer Abstimmung nach dem Mehrheitsprinzip innerhalb des EGB die Stimme des größten nationalen Arbeitnehmerverbandes nicht durchsetzt oder die UNICE trotz Einstimmigkeitsprinzips eine Entscheidung gegen den Willen eines Mitgliedsverbandes trifft. Die Wirksamkeit ist von Einzelfall zu Einzelfall zu prüfen. Da die gerichtliche Überprüfung nur auf grobe Verstöße zu erfolgen hat, kann sie vergleichsweise weniger intensiv ausfallen. Die Sozialautonomie ist dadurch keinem übermäßigem Eingriff ausgesetzt. Dabei ist unerheblich, ob nur das Gericht oder schon Kommission und Rat1269 eine Kontrolle der Repräsentativität durchführen.1270

1267 Hierfür spricht sich Schmidt, IJCLLIR 1999, S. 259 (264), aus; vgl. bereits 3. Teil § 4 III. 3. 1268 Zu der Begründung vgl. § 19 III. 1269 Die Kontrolle setzt ein Mitwirkungsrecht der Gemeinschaftsorgane bei der Durchführung voraus; vgl. dazu § 19. Sie ist allerdings nicht mit einer inhaltlichen Mitgestaltung der Sozialpartnervereinbarungen gleichzusetzen, die die europäischen Sozialpartner fürchten; vgl. Stellungnahme der BDA v. 29. 10. 2002 zu KOM (2002) 341 endg. v. 26. 06. 2002, S. 2 ff. 1270 Anders Bercusson, ILJ 1999, S. 153 (160 ff.), nach dem die Kontrolle der Sozialpartnervereinbarungen durch die Kommission zu weit geht und damit die Sozialautonomie zu stark begrenzt und verletzt wird.

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4. Unterschiedliche Anforderungen in der Anhörungs- und Verhandlungsphase Fraglich ist, ob die Kriterien, die an die Sozialpartner anzulegen sind, für die Anhörungs- und Verhandlungsphase identisch ausfallen. Wie selbstverständlich pflichtet dem die herrschende Meinung bei.1271 Nicht weiter hilft, für eine einheitlich weite Fassung der Auswahlkriterien auf die angeblich1272 zu unbedeutende Position der Sozialpartner i.R.d. Sozialen Dialogs zu verweisen. Dagegen läßt sich der systematische Zusammenhang und die Verzahnung der Art. 138 und Art. 139 EGV nur schwer von der Hand weisen.1273 Die Situation stellt sich gleichwohl aus legitimatorischen Gründen eher als aus Praktikabilitätserwägungen 1274 anders dar. Einzig sinnvoll ist es, an die Sozialpartner, die an den Verhandlungen teilnehmen, strengere Anforderungen als an die lediglich anzuhörenden Sozialpartner zu stellen.1275 Die Legitimationskraft der Sozialpartner kann sich – unabhängig von der Frage, ob die Gemeinschaftsorgane ihre Vereinbarung übernehmen oder nicht – überhaupt nur1276 in der Verhandlungsphase und hier speziell bei dem Abschluß der Sozialpartnervereinbarungen voll entfalten. Der Schwerpunkt der Betrachtung liegt daher auf ihr. Die Sozialpartner übernehmen die Initiativstellung der Kommission und müssen über die Möglichkeit verfügen, ihre Vereinbarung gegenüber ihren Mitgliedern zu behaupten. Ihre Repräsentativität ist daher bestmöglich zu garantieren. Das ist allein der Fall, wenn sie vergleichsweise strengen Anforderungen unterliegt. In der Anhörungsphase üben die Sozialpartner zwar auch schon eine legitimatorische Funktion dadurch aus, daß sie ihre Belange äußern.1277 Die Verantwort1271 Statt vieler Bödding, Sozialpartner, S. 129 ff., 133, 135; Buchner, RdA 1993, S. 193 (203); Konzen, EuZW 1995, S. 39 (46); Schwarze, EAS, B 8100 Rn. 65 f. Ebenfalls nicht von einer Differenzierung geht die Kommission aus. Anders versteht sie Deinert, Europäischer Kollektivvertrag, S. 462. 1272 Zu dem Argument vgl. Buchner, RdA 1993, S. 193 (203). 1273 So die h.M.: Bödding, Sozialpartner, S. 129 ff.; Buchner, RdA 1993, S. 193 (203); Konzen, EuZW 1995, S. 39 (46); Schwarze, EAS, B 8100 Rn. 65 f. 1274 Darauf stellt Piazolo, Sozialer Dialog, S. 179 ff., ab, die eine schriftliche Stellungnahme von zahlreichen Sozialpartnern im Rahmen der Anhörung für durchführbarer als einen Verhandlungskompromiß hält. 1275 Zu demselben Ergebnis kommen Betten, ELR 1998, S. 20 (30 f.); Deinert, Europäischer Tarifvertrag, S. 462; Langenbrinck, DB 1998, S. 1081 (1085 f.); Piazolo, Sozialer Dialog, S. 179; Schulz, Sozialpolitik, S. 108; neulich wieder Langenbrinck, ZTR 2001, S. 145 (149); Schmidt, Befugnisse der Sozialpartner, S. 207. Allein Bödding, Sozialpartner, S. 130, denkt die Möglichkeit an, an die Anhörungsfähigkeit strengere Anforderungen als an die Verhandlungs- bzw. Vereinbarungsfähigkeit zu stellen. 1276 Anders Höland, ZIAS 1995, S. 425 (448), nach dem die Sozialpartner schon in der zweiten Anhörungsphase voll mitbestimmen können. 1277 Die Rolle der Sozialpartner auf eine politische Interessenartikulation beschränken Deinert, Europäischer Kollektivvertrag, S. 462, und in sich widersprüchlich Schmidt, Befugnisse der Sozialpartner, S. 173, 207, 237.

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lichkeit und Entscheidungsmacht verbleibt aber bei der Kommission; sie hält das Initiativrecht in den Händen. Aus diesem Grund können die Sozialpartner ihr Legitimationspotential nicht zur vollen Geltung bringen. Zusätzlich zu der generell weiten Fassung der Kriterien fallen sie in der Anhörungsphase nochmal großzügiger aus. Im Rahmen der nachfolgenden Untersuchung sollen aufgrund des legitimatorischen Blickwinkels erst die für die Verhandlungsphase geltenden Kriterien getrennt nach den Dialogebenen entwickelt werden. Dann ist zu überlegen, welche Kriterien für die Anhörungsphase verzichtbar sind.

5. Branchenübergreifender Sozialer Dialog Wie bereits unter § 18 III. erwähnt, sollen die genannten Repräsentativitätskriterien an dieser Stelle auf die hinter ihnen stehenden Gründe und ihre Eignung zur Herstellung der Repräsentativität analysiert werden. Da die Diskussion über die Repräsentativitätskriterien im Zusammenhang mit dem branchenübergreifenden Sozialen Dialog geführt wird, ist auf sie im folgenden ausführlich einzugehen. Anschließend sind die Kriterien unter 6. auf die sonstigen Dialogebenen zu übertragen. a) Repräsentativitätskriterien für die Verhandlungsphase Die geschichtliche Entwicklung des Sozialen Dialogs zeigt, daß die drei europäischen Dachverbände zu den Sozialpartnern auf branchenübergreifender Ebene zählen.1278 Gleichzeitig ist der Sozialpartnerbegriff definitorisch nicht auf sie begrenzt. Doch welche Kriterien können die anstehende Entscheidung auf der Grundlage der virtuellen Repräsentation an die Willens- und Interessenlage aller Normunterworfenen annähern und damit für die Anerkennung als Sozialpartner ausschlaggebend sein? Im folgenden sind die genannten Kriterien1279 auf ihre Eignung zur Herstellung der Repräsentativität zu überprüfen und ggf. darüber hinaus Repräsentativitätskriterien zu entwickeln, was jedoch eine Prüfung im Einzelfall nicht überflüssig macht. Die Repräsentativität ist fraglos eigenständig anhand europäischer und nicht nationaler Kriterien zu bestimmen; sie stellt ein europäisches Konzept dar. Eine genaue Übernahme nationaler Kriterien scheidet aus.1280 Zu groß sind die Unterschiede nicht nur zwischen den nationalen Tarifstrukturen,1281 sondern bereits zwischen den nationalen Anforderungen an die Repräsentativität: 1278 So auch Buchner, RdA 1993, S. 193 (202); Goos, EAS, B 8110 Rn. 18; Lenze, NZS 1996, S. 313 (316); Schwarze, EAS, B 8100 Rn. 16. 1279 s. o. § 18 II. 1280 Vgl. Deinert, Europäischer Kollektivvertrag, S. 464 f.; Dötsch, AuA 1998, S. 262 (264); Piazolo, Sozialer Dialog, S. 182; Sciarra, Liber amicorum Wedderburn, S. 189 (200). 1281 U.a. Weiss, FS für Kissel, S. 1253 (1254 ff.).

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In den Ländern Belgien1282, Frankreich1283, Griechenland1284, Luxemburg1285 und Spanien1286 ist die Repräsentativität als konstituierendes Merkmal der Tariffähigkeit gesetzlich verankert. Ihre Bedeutung variiert offensichtlich in Bezug auf die Organisationsstruktur1287 und die Mitgliederzahlen. Die Mitgliedstaaten Dänemark1288, Finnland1289, Italien1290, die Niederlande1291, Portugal1292 und Schwe1282 Nach Art. 3 Loi sur les conventions collectives de travail et les commissions paritaires sind für den Abschluß von Kollektivverträgen im wesentlichen die Koalitionen repräsentativ, die national und überberuflich im Nationalen Arbeitsrat und Zentralen Wirtschaftsrat vertreten sind und mindestens 50.000 Mitglieder haben; vgl. Stroobant, Soziales Europa, Beiheft 5 / 1993, S. 5 (14). Zu den geringfügigen Unterschieden der Repräsentativität von Arbeitgeberverbänden und Gewerkschaften vgl. ELL-Blanpain, Belgium, Rn. 511. 1283 Art. L 133 – 2 Code du Travail bestimmt die Repräsentativität (von Gewerkschaften) nach der Mitgliederzahl, Unabhängigkeit von staatlicher Gewalt und sozialem Gegenspieler, Finanzkraft, Erfahrung der Organisation und Dauer des Bestehens, patriotischer Haltung während der deutschen Besatzungszeit; vgl. Le Friant, Beispiel Frankreich, S. 103 (118). 1284 Die Repräsentativität unterscheidet sich gem. Art. 3 des Tarifvertragsgesetzes Nr. 1876 / 90 nach der Art des Tarifvertrages. Wichtig ist ferner die Einteilung der Gewerkschaften in drei Instanzen gem. Art. 1 Abs. 3 Gesetz Nr. 1264 / 82. Einen Firmentarifvertrag können z. B. Gewerkschaften der ersten bis dritten Instanz abschließen, wobei die Anzahl der an den letzten Vorstandswahlen beteiligten Gewerkschaftsmitglieder ausschlaggebend ist; vgl. ausführlich hierzu Deinert, Europäischer Kollektivvertrag, S. 369 ff.; Kouzis, Griechenland, S. 132 (138 f.). 1285 Gem. Art. 2 Loi concernant les conventions collectives de travail sind nur die repräsentativsten Gewerkschaften, die einen hohen Mitgliederbestand haben, d. h. mind. 20 % der organisierten Arbeitnehmer ihre Mitglieder nennen dürfen, aktiv und gegnerunabhängig sind, zum Abschluß von Tarifverträgen befugt; vgl. ELL-Schintgen, Luxembourg, Rn. 497; ders., Luxemburg, S. 233 (243). 1286 Gem. Art. 87 Ley sobre el Estatuto de los Trabajadores ist eine Gewerkschaft auf nationaler Ebene repräsentativ, wenn sie 10 % der betrieblichen Interessenvertreter vertritt oder im jeweiligen räumlich-fachlichen Geltungsbereich mindestens 10% der Personaldelegierten und Betriebskomiteemitglieder stellt; vgl. ausführlich hierzu und zu den Repräsentativitätsvoraussetzungen der Arbeitgeberverbände Deinert, Europäischer Kollektivvertrag, S. 346. 1287 Die Organisationsstruktur betrifft z. B. die Frage, ob die Koalitionen in nationalen Arbeitsgremien vertreten sein müssen oder nicht. 1288 MPI-Jacobsen, Freedom of the Worker, S. 109 (135); ELL-Jacobsen / Hasselbalch, Denmark, Rn. 618. 1289 MPI-Modeen, Freedom of the Worker, S. 223 (233 f.); ELL-Suviranta, Finland, Rn. 359. 1290 Spezielle Gesetze knüpfen an die Repräsentativität Privilegien wie die Entsendung von Vertretern in öffentliche Verwaltungseinrichtungen oder in besondere tripartistische Kommissionen, nicht aber den Abschluß von Tarifverträgen. Auch die Rechtsprechung hat die Repräsentativität etabliert. Die Kriterien richten sich dabei nach der Zahl der Mitglieder, den Aktivitäten und der Präsenz; vgl. Treu, Italien, S. 203 (209); ELL-Treu, Italy, Rn. 346 ff.; MPI-Zanghi, Liberté syndicale, S. 389 (439 f.). 1291 Die Repräsentativität ist in den Niederlanden Voraussetzung für die Vertretung von Arbeitgeber- und Arbeitnehmerverbänden in Organen des öffentlichen Rechts, nicht aber für den Abschluß von Tarifverträgen; vgl. MPI-Fase / van der Ven, Liberté syndicale, S. 517 (526); ELL-Rood, Netherlands, Rn. 215.

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5. Teil: Schlußfolgerungen für das Verfahren

den1293 kennen das Kriterium der Repräsentativität für den Abschluß von Tarifverträgen nicht. In Deutschland1294, Österreich1295, Großbritannien1296 und Irland1297 ist die Repräsentativität eine Voraussetzung der Tariffähigkeit und bedeutet soziale Durchsetzungskraft. Die nationalen Kriterien haben sich über einen historisch langen Zeitraum entwickelt und sind auf die speziellen Erfordernisse in einem Land zugeschnitten. Die genaue Kopie eines Modells auf der europäischen Ebene würde die anderen konterkarieren. Aus Respekt vor den nationalen Traditionen sollte sie daher unterbleiben. Die Herleitung einer „europäischen Repräsentativität“ erschließt sich auch daraus, daß die europäischen Sozialpartner eben nicht auf der nationalen Ebene agieren. Die nationalen Kriterien können aber wegen ihrer sachlichen Einschlägigkeit erste Orientierungspunkte für die Bestimmung der europäischen Repräsentativität bilden. Die Repräsentativität setzt sich aus quantitativen und qualitativen Aspekten zusammen.1298 Die Einteilung in diese beiden Anforderungsprofile ist grundlegend. Die quantitativen Kriterien sollen sicherstellen, daß nur Organisationen mit gewissem Gewicht und einer gewissen Anzahl von Mitgliedern beteiligt werden.1299 Angesichts sinkender Mitgliederzahlen dürfen die Anforderungen nicht überspannt werden. Die Zahlen sollten nur relativ, also im Vergleich der Verbände untereinander nicht gering sein. Das schließt nicht aus, daß mehrere Organisationen gleichPinto, ZIAS 1989, S. 1 (11 f., 20 ff.). ELL-Adlercreutz, Sweden, Rn. 453; Bruun, Nordic Model, S. 35. 1294 Die Rechtsprechung stellte bei den Gewerkschaften zunächst auf die Zahl der Mitglieder, ihre Stellung im Betrieb und ihren organisatorischen Aufbau, dann auf den Abschluß von Tarifverträgen ab; vgl. etwa BAG v. 15. 03. 1977 – 1 ABR 16 / 75 –, AP Nr. 24 zu Art. 9 GG, S. 3R ff. mit ablehnender Anm. von Wiedemann; v. 25. 11. 1986 – 1 ABR 22 / 85 –, AP Nr. 36 zu § 2 TVG, S. 3R f.; Otto, Arbeitsrecht, Rn. 436 m. w. N; Wiedemann-Oetker, TVG, § 2 Rn. 306 ff. 1295 In Österreich ist umstritten, ob die Repräsentativität Voraussetzung für den Koalitionsstatus oder die Kollektivvertragsfähigkeit ist; vgl. Mayer-Maly / Marhold, Arbeitsrecht II, S. 10 f., 50; Strasser, Arbeitsrecht II, S. 23 ff. 1296 Die recognition, d. h. die Anerkennung einer Gewerkschaft durch die Arbeitgeberseite, setzt eine soziale Durchsetzungskraft voraus; vgl. van Scherpenberg, Kollektive Bestimmung, S. 29, 36. 1297 In Irland existiert genau wie in Großbritannien die recognition, die eine soziale Durchsetzungsmacht voraussetzt; vgl. Deinert, Europäischer Kollektivvertrag, S. 392 f. 1298 s. o. § 18 II. 3.: EuG v. 17. 06. 1998, Rs. T-135 / 96 – UEAPME / RAT –, Slg. II-1998, S. 2335 (2372 ff.), Rn. 91, 94, 100 ff.; KOM (93) 600 endg. v. 14. 12. 1993, Anhang III, S. IV und sie analysierend Bercusson / van Dijk, IJCLLIR 1995, S. 3 (12 ff.); Schwarze, RdA 2001, S. 208 (211); nach WSA, CES (94) 1310 v. 28. 11. 1994, S. 6, müssen alle quantitativen und qualitativen Kriterien dem anderen Kontext des Sozialen Dialogs auf Gemeinschaftsebene und den unterschiedlichen Gepflogenheiten in den Mitgliedstaaten Rechnung tragen. 1299 Vgl. Friedrich, FAZ v. 02. 11. 1999, S. 29, dem zufolge Dachorganisationen mit Millionen von Mitgliedern wie CESI nicht unberücksichtigt bleiben können. Für das Repräsentativitätserfordernis im deutschen Tarifrecht fordern dasselbe das BVerfG v. 26. 05. 1970 – 2 BvR 664 / 65 –, BVerfGE 28, S. 295 (305), und das BAG in seiner ständigen Rechtsprechung. 1292 1293

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zeitig als repräsentativ gelten.1300 Es kann allerdings nicht nur auf die (Mitglieder) Zahlen ankommen.1301 Ergänzend müssen qualitative Kriterien hinzutreten. Sie sollen gewährleisten, daß alle betroffenen Interessen repräsentiert und zu diesem Zweck alle Organisationen beteiligt werden, auf deren Mitglieder sich die Vereinbarungen auswirken.1302 Die Unterscheidung in quantitative und qualitative Kriterien legte die Kommission auch ihrer ersten Repräsentativitätsstudie zugrunde. Sie betonte dabei, daß qualitative Kriterien mindestens genauso wichtig wie Zahlenangaben seien.1303 Der Vorwurf, daß sich die von der Kommission aufgestellten Kriterien nur formal auf die Organisationsstruktur der Sozialpartner beziehen,1304 ist nicht begründet, wie sich zeigen wird.

aa) Quantitative Repräsentativitätskriterien Die quantitative Repräsentativität verlangt primär eine gewisse Mitgliederstärke der Sozialpartner.1305 Der direkteste Weg läge selbstverständlich darin, die Mitglieder der Organisationen zahlenmäßig aufzuschlüsseln und die Zahlen unter Berücksichtigung des Regelungsgegenstands und der betroffenen Interessen mit denen der anderen Organisationen zu vergleichen. Für die Herstellung einer europäischen Repräsentativität wäre dieses Vorgehen aber zu einseitig. Mit der Mitgliederstärke eng verbunden sind nämlich strukturelle Voraussetzungen, die mit der formalen Organisationsstruktur zu tun haben und für die Herstellung einer europäischen Repräsentativität zu den Mitgliederzahlen hinzukommen müssen. Beispiele hierfür sind die supranationale Struktur der Sozialpartner oder die Tariffähigkeit ihrer Mitgliedsverbände. Umgekehrt lassen diese Voraussetzungen wieder Rückschlüsse auf die Mitgliederstärke zu. Sie indizieren gleichsam die Mitgliederstärke. Ein kausaler Zusammenhang zwischen Strukturen und Mitgliederstärke besteht gleichwohl nicht. Die Aspekte der quantitativen Repräsentativität sind daher getrennt voneinander zu betrachten.

Vgl. Stroobant, Soziales Europa, Beiheft 5 / 1993, S. 5 (13). Ebenso Bercusson, ILJ 1999, S. 153 (158 f.); Schwarze, RdA 2001, S. 208 (211). 1302 Schedl als Generalsektretärin von CESI, FAZ v. 02. 11. 1999, S. 29; kritisch zu der qualitativen Repräsentativität Bercusson, ILJ 1999, S. 153 (159). Die Betroffenheit vernachlässigt Schwarze, RdA 2001, S. 208 (211), wenn er behauptet, die qualitative Repräsentativität orientiere sich an den typisierten Interessen. 1303 KOM (93) 600 endg. v. 14. 12. 1993, Anhang III, S. IV. 1304 Vgl. Britz / Schmidt, EuR 1999, S. 467 (494 f.); Schmidt, IJCLLIR 1999, S. 259 (263 f.). 1305 Vgl. auch das EuG, das mit dem „Grad der Repräsentativität“ die Mitgliederzahlen anspricht. 1300 1301

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5. Teil: Schlußfolgerungen für das Verfahren

(1) Hohe Mitgliederzahlen Die Mitgliederzahlen bestimmen entscheidend das Bestehen oder Nichtbestehen der quantitativen Repräsentativität. Sie bilden gleichsam die Repräsentativitätsgrundlage.1306 Wie bereits bemerkt,1307 läßt sich auf der einen Seite realistischerweise keine absolute Grenze fixieren, ab der die Repräsentativität vorliegt. Insbesondere müssen die Sozialpartner nicht die Mehrheit aller Arbeitnehmer und Arbeitgeber vertreten.1308 Auf der anderen Seite darf die Mitgliederstärke der europäischen Sozialpartner gemessen an der Gesamtbelegschaft auch nicht in die vollständige Bedeutungslosigkeit absinken, soll der Repräsentativität noch ein Aussagegehalt zukommen. Dasselbe Problem stellt sich den Tarifordnungen, die nur den „repräsentativen“ oder sogar „repräsentativsten“ nationalen Sozialpartnern die Tariffähigkeit zugestehen.1309 Hier wie dort kann nur ein komparatives Vorgehen weiterführen. Für die Beurteilung der Mitgliederstärke ausschlaggebend sind dabei die konkreten Umstände des Einzelfalls und nicht abstrakte Zahlen. Eine allgemeingültige Antwort kann an dieser Stelle nicht formuliert werden. Die Mitgliederstärke ist entsprechend in Relation zu der Größe der konkurrierenden Verbände derselben Organisationsebene und dem allgemeinen Organisationsgrad in dem jeweiligen Arbeitsbereich zu bestimmen. Für die Repräsentativität der Arbeitgeberverbände kommt es auf die Anzahl der beschäftigten Arbeitnehmer an.1310 Nicht vorstellbar ist, daß die Aktivität oder Erfahrung eines Verbandes die mangelnde Mitgliederstärke ausgleichen können. Das Erfordernis der Mitgliederstärke erlegt den Sozialpartnern nicht zuletzt die Obliegenheit auf, die Zahl ihrer Mitglieder annäherungsweise anzugeben.1311 (2) Supranationale Struktur An den Verhandlungen sind nur Verbände mit supranationaler Organisationsstruktur zu beteiligen.1312 Der Grund liegt darin, daß der Soziale Dialog nach dem Wortlaut der Art. 138 f. EGV „auf Gemeinschaftsebene“ vonstatten geht. Die EinVgl. Bericht über die Repräsentativität, S. 9 ff. s. o. § 18 III. 5. 1308 A.A. Betten, ELR 1998, S. 20 (32, 35), nach der die europäischen Sozialpartner die Mehrheit der Arbeitnehmer und Arbeitgeber vertreten sollten, was angesichts sinkender Organisationszahlen kein Verband tut. 1309 s. o. zu den Tarifordnungen in Belgien, Frankreich, Griechenland, Luxemburg, Spanien. 1310 Als grober Anhaltspunkt dient hier insbesondere das französische Tarifrecht, in dem die Repräsentativität viel diskutiert wird; vgl. Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht I, § 9 IV. 3. g) (3), S. 439 f.; Krieger, Französisches Tarifrecht, S. 43 ff. 1311 Zu den praktischen Problemen hierbei vgl. den Bericht über die Repräsentativität, S. 9 ff. 1312 Birk, Umsetzung von Vereinbarungen, S. 73 (88 f.); Deinert, Europäischer Kollektivvertrag, S. 467 f.; Heinze, ZfA 1997, S. 505 (510); Schulz, Sozialpolitik, S. 106, 108; Schwarze, EAS, B 8100 Rn. 17, 66; Tegtmeier, Perspektiven des Sozialen Dialogs, S. 13 (30). 1306 1307

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beziehung auch nationaler Sozialpartner könnte allerdings um der Vitalität des Sozialen Dialogs und der Verwendung des Sozialpartnerbegriffs im übrigen Gemeinschaftsrecht willen sinnvoll sein.1313 Die Vertreter dieser Auffassung bleiben aber ihrer Argumentationslinie nicht treu, wenn sie zunächst die Beteiligung gemeinschaftsweit tätiger Organisationen am Sozialen Dialog für sinnvoll erachten1314 und dann auch nationale Sozialpartner anerkennen. In diesem Fall würden die nationalen Tariffähigkeitsvoraussetzungen über die Teilnahme der Verbände an dem Sozialen Dialog bestimmen. Das widerspricht dem hier vertretenen Konzept einer europäischen Repräsentativität.1315 Es ist schlicht unvorstellbar, daß zwei national repräsentative Sozialpartner eine Vereinbarung abschließen, der eine gemeinschaftsweite Bedeutung zukommt. Nationale Sozialpartner können gerade nicht eine europäische Repräsentativität gewähren.1316 Für eine branchenübergreifende Vereinbarung müßten vielmehr alle auf nationaler Ebene als repräsentativ anerkannten Sozialpartner zusammenarbeiten, was schon zahlenmäßig nicht machbar ist. Aus demselben Grund gilt für die nationalen Verbände, die in keinem europäischen Dachverband vertreten sind und daher keine Chance auf Teilnahme an dem Sozialen Dialog haben,1317 keine Ausnahme. Davon abgesehen ist das Ziel einer einheitlichen Begriffsverwendung auch nach ganz h.M. nicht erreichbar, nach der Art. 137 EGV nur nationale Sozialpartner umfaßt, was sie für die Art. 138 f. EGV nicht behauptet. Für eine supranationale Struktur ist erforderlich, daß die Sozialpartner Mitglieder in mindestens zwei Mitgliedstaaten der Gemeinschaft haben. Eine Vertretung in zwei Dritteln1318 oder gar allen Mitgliedstaaten ist kein „Muß“.1319 Ganz klar würden das die drei großen Dachverbände lieber anders sehen.1320 Auch die Kommission1321 stellt sich so den optimalen Sozialpartner vor – wenn auch vorsichtig als 1313 Vgl. Bödding, Sozialpartner, S. 88 ff.; Däubler, EuZW 1992, S. 329 (332); Guéry, ILRev. 1992, S. 581 (594). 1314 Bödding, Sozialpartner, S. 69, 84, 86. 1315 s. o. § 18 III. 5. a). 1316 Anders Bödding, Sozialpartner, S. 89 f. 1317 Für eine Einbeziehung dieser Verbände Guéry, ILRev. 1992, S. 581 (594). Ein Beispiel neben der französischen Gewerkschaft CGT, die nicht im EGB vertreten ist, ist der griechische Dachverband landwirtschaftlicher Genossenschaften, der 40 % der griechischen Landwirte vertritt, aber nicht Mitglied im europäischen Dachverband COPA ist. Er hat daher in einer Anfrage an die Kommission seiner Benachteiligung Ausdruck verliehen; vgl. ABl. C v. 02. 10. 1998, S. 52 f. 1318 Europäisches Parlament, Dok. A3 – 0269 / 94 v. 20. 04. 1994, S. 6. 1319 Däubler, EuZW 1992, S. 329 (332); Deinert, Europäischer Kollektivvertrag, S. 467; Heinze, ZfA 1997, S. 505 (510); a.A. in dem Sinne, daß die Sozialpartner Mitglieder in allen Mitgliedstaaten haben müssen Bercusson, Social Policy, S. 149 (176); Piazolo, Sozialer Dialog, S. 184; Sciarra, Liber amicorum Wedderburn, S. 189 (200). 1320 Siehe die Vorschläge der Sozialpartner für die Umsetzung des dem Protokoll über die Sozialpolitik im Vertrag über die Europäische Union beigefügten Abkommens v. 29. 10. 1993, Soziales Europa 2 / 1995, S. 175.

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5. Teil: Schlußfolgerungen für das Verfahren

Soll-Vorschrift formuliert. Sind die Sozialpartner nicht in allen Mitgliedstaaten vertreten, können sie nur für den Raum repräsentativ sein, aus dem sie Mitglieder rekrutieren.1322 Das ist für eine gemeinschaftsweite Harmonisierungsmaßnahme nicht besonders hilfreich. Im Ergebnis müssen also die am Arbeitsleben Beteiligten aller Mitgliedstaaten repräsentiert sein, wenn auch nicht durch einen Sozialpartner.1323 Obwohl Art. 139 EGV gegenüber Art. 118b EGV a.F., der noch den „Dialog zwischen den Sozialpartnern auf europäischer Ebene“ vorsah, sprachlich enger auf die „Gemeinschaftsebene“ beschränkt ist,1324 bleibt gleichwohl unschädlich, wenn die Sozialpartner Mitgliedsverbände nicht nur in den Mitgliedstaaten der Gemeinschaft, sondern darüber hinaus in anderen europäischen Staaten haben.1325 Sozialpartner können also europäische Zusammenschlüsse nationaler Verbände oder nationaler Dachverbände, aber auch europäische Zusammenschlüsse einzelner Arbeitnehmer und Arbeitgeber aus mehreren Mitgliedstaaten1326 sein. Im ersteren Fall sind Mitglieder der Sozialpartner unmittelbar keine Personen, sondern nationale Sozialpartner. Auch reichen theoretisch ad hoc Koalitionen nationaler Verbände auf europäischer Ebene aus.1327 Sie müssen dann aber entsprechend dem Anwendungsbereich der Vereinbarung die europäische Repräsentativität wahren. (3) Tariffähige Mitgliedsorganisationen Um die europäische Repräsentativität zu erreichen und so zu der Legitimation des gemeinschaftlichen Rechtsetzungsaktes beizutragen, ist neben dem Koalitions1321 Sie erwähnt die europäische Struktur gleich zwei Mal in KOM (93) 600 endg. v. 14. 12. 1993, Ziff. 24, 1. und 2. Spiegelstrich. 1322 Deinert, Europäischer Kollektivvertrag, S. 467. 1323 Das meint das EuG mit der Gesamtrepräsentativität. Diese Frage wird nirgendwo zu Ende diskutiert. 1324 Damit wird nicht behauptet, daß der Dialog unter Art. 118b EGV a.F. über die Gemeinschaft hinausreichte; vgl. Wisskirchen, FS für Arbeitsgerichtsverband, S. 653 (663); a.A. unter Verweis auf die alte Sprachfassung v. der Groeben / Thiesing / Ehlermann-Schulte, EGV, Art. 118b Rn. 23. 1325 Beispielsweise haben EGB und UNICE Mitglieder auch in Nicht-Mitgliedstaaten der Gemeinschaft wie z. B. in Bulgarien, Rumänien, der Schweiz, der Slowakei und der Türkei. Zur Zeit gehören der UNICE 33 nationale Spitzenverbände aus 26 Staaten an, dem EGB 74 nationale und europäische Gewerkschaftsbünde aus 34 Staaten; vgl. http: // www.unice.org / unice / editable_content_files_members.htm und http: // www.etuc.org / en / index.cfm?target= / EN / About_ ETUC / memberorgs.cfm v. 13. 11. 2001. Das macht bereits gegenüber den Zahlen von 1997 einen großen Unterschied; vgl. hierzu Piazolo, Sozialer Dialog, S. 49 ff. 1326 Derartige Verbände existieren soweit ersichtlich noch nicht. Zu ihrer theoretischen Anerkennung vgl. Bödding, Sozialpartner, S. 86; Calliess / Ruffert-Krebber, EUV / EGV, Art. 138 Rn. 18; Schwarze, EAS, B 8100 Rn. 18. Anders die Kommission in KOM (93) 600 endg. v. 14. 12. 1993, Ziff. 7 der Zusammenfassung und Ziff. 24, die nur Verbände von Verbänden (von Verbänden) als Sozialpartner anerkennt. 1327 A.A. Schulz, Sozialpolitik, S. 106, der für Sozialpartner auf europäischer Ebene eine dauerhafte Struktur verlangt.

§ 18 Anforderungen an die Sozialpartner: Repräsentativität

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status die Tariffähigkeit1328 der nationalen Mitgliedsorganisationen wichtig. Auch die Kommission stellt auf die Tariffähigkeit der Mitglieder ab, wenn sie fordert, daß letztere „in ihrem Land integraler und anerkannter Bestandteil des Systems der Arbeitsbeziehungen sind“ und „Vereinbarungen aushandeln können“.1329 Daran könnte man unter Verweis auf die Nichterfüllung der Tariffähigkeitsvoraussetzungen und die faktisch fehlende Beteiligung der nationalen Dachverbände wie der BDA, des DGB oder der Confederation of British Industries an Tarifverhandlungen zweifeln, die Mitglieder der UNICE sind.1330 Die Zweifel bestehen aber nur scheinbar, da zumindest die Mitglieder der Mitglieder, d. h. die in der BDA oder dem DGB zusammengeschlossenen Verbände tariffähig sind und nach hier vertretener Auffassung auch sein müssen. Ziel der Festlegung von Repräsentativitätskriterien ist, eine möglichst hohe europäische Repräsentativität sicherzustellen. Das Kriterium der nationalen Tariffähigkeit, das die meisten betrieblichen Interessenvertretungen und die Wohlfahrtsverbände und Kirchen nicht erfüllen, kann hierzu einen Beitrag leisten. Zur Erreichung des Ziels ist letztlich unerheblich, wer tariffähig ist: die Mitglieder selbst oder die Mitglieder der Mitglieder. Eine bloß partielle Zusammensetzung der europäischen Sozialpartner aus tariffähigen Mitgliedern1331 reicht hingegen nicht aus. Um aber unmittelbar aus Arbeitgebern oder Arbeitnehmern bestehende europäische Verbände mangels Tariffähigkeit ihrer auf der nationalen Ebene nicht zusammengeschlossenen Mitglieder nicht aus dem Kreis der Sozialpartner auszuschließen, gilt für sie eine Ausnahme. (4) Sonstige Voraussetzungen wie die Durchsetzungskraft, Dauerhaftigkeit Als weitere Indizien für die Mitgliederstärke der Sozialpartner bedürfen folgende quantitative Repräsentativitätskriterien der näheren Betrachtung: die Durchsetzungskraft der europäischen Sozialpartner und die Dauerhaftigkeit ihrer Struktur. Die dem deutschen Tarifrecht entlehnte Forderung nach einer gesonderten Durchsetzungskraft könnte fraglos Größe und Macht und auf diesem Weg die Repräsentativität der Sozialpartner erhöhen. Gleichwohl ist sie kein geeignetes Auswahlkriterium. Denn die Sozialpartner sind derzeitig nicht in der Lage, Druck aufeinander 1328 Die Begriffe des Koalitionsstatus und der Tariffähigkeit implizieren, daß nur Arbeitgeber- und Arbeitnehmervertreter Sozialpartner sein können, was erst unter § 18 III. 5. a) bb) (1) begründet werden soll. 1329 KOM (93) 600 endg. v. 14. 12. 1993, Ziff. 24, 2. Spiegelstrich. Ebenso der Vorschlag von EGB, CEEP und UNICE für die Umsetzung des dem Protokoll über die Sozialpolitik im Vertrag über die Europäische Union beigefügten Abkommens v. 29. 10. 1993, Soziales Europa 2 / 1995, S. 175, 2. und 4. Spiegelstrich, und Europäisches Parlament, Dok. A3 – 0269 / 94 v. 20. 04. 1994, S. 5, 2. Spiegelstrich. 1330 Vgl. Blanpain / Schmidt / Schweibert, Europäisches Arbeitsrecht, Ziff. 514 (S. 357); Weiss, FS für Kissel, S. 1253 (1257); Kempen / Zachert-Kempen, TGV, § 2 Rn. 63. Zu den rechtlichen Voraussetzungen der Tariffähigkeit deutscher Spitzenorganisationen vgl. Wiedemann-Oetker, TVG, § 2 Rn. 332 ff. 1331 So Schwarze, EAS, B 8100 Rn. 16.

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5. Teil: Schlußfolgerungen für das Verfahren

auszuüben. Sie verfügen über keine effektiven Arbeitskampfmittel, mit denen sie eine Vereinbarung bestimmten Inhalts erzwingen könnten. Das folgt nicht aus Art. 137 Abs. 6 EGV,1332 der nur die Regelungsbefugnisse der Gemeinschaft auf dem Gebiet des Streik- und Aussperrungsrechts begrenzt, sondern vielmehr aus dem Umstand, daß die Arbeitnehmer und Arbeitgeber wegen ihrer bloß mittelbaren Mitgliedschaft in den europäischen Verbänden nicht bereit sein werden, für eine europäische Vereinbarung zu kämpfen.1333 Weniger ausschlaggebend kann dagegen sein, daß der Gedanke von Druck und Gegendruck der Grundkonzeption eines freiwilligen Sozialen Dialogs widerspricht.1334 Ein gewisser Druck kann nämlich einen Kompromiß durchaus erleichtern. Selbstverständlich müssen die europäischen Sozialpartner über geeignete Verhandlungsstrukturen verfügen.1335 Entgegen manchen Stimmen in der Literatur1336 muß die Struktur der europäischen Sozialpartner im Interesse eines offenen und bewegten Sozialen Dialogs nicht notwendig dauerhaft sein. Die Arbeitnehmer und Arbeitgeber haben zu den europäischen Verbänden bisher sowieso keinen direkten Kontakt und gegen sie auch keine Erfüllungsansprüche. Die einstimmige Entscheidungsfindung stellt ebenso kein taugliches Auswahlkriterium dar. Sie wäre zwar dem möglichst weitgehenden Vertretungsanspruch dienlich,1337 würde die Sozialpartner aber der Handlungsunfähigkeit verschreiben. bb) Qualitative Repräsentativitätskriterien Die qualitative Repräsentativität ist gewahrt, sofern die betroffenen Interessen ausreichend in dem Verhandlungsergebnis berücksichtigt sind.1338 Die Sozialpartner sind in qualitativer Hinsicht repräsentativ, wenn sie alle durch ihre Vereinbarung potentiell Betroffenen ausreichend repräsentieren und deren Interessen 1332 1333 1334 1335 1336

A.A. Dötsch, AuA 1998, S. 262 (264). Ähnlich Blank, FS für Gnade, S. 649 (658); Zachert, FS für Schaub, S. 811 (825). So aber Birk, EuZW 1997, S. 453 (454 f.); Bödding, Sozialpartner, S. 87 f. Vgl. KOM (93) 600 endg. v. 14. 12. 1993, Ziff. 37, 3. Spiegelstrich. Schulz, Europäische Sozialpolitik, S. 106, und ihm folgend Piazolo, Sozialer Dialog,

S. 179. Verständlich ist daher Betten, ELR 1998, S. 20 (32, 35). Der Aufgabe der Sozialpartner vergleichbar haben die gesellschaftlich relevanten Gruppen in den Aufsichtsgremien insbesondere der öffentlich-rechtlichen Runkfunkanstalten in Deutschland alle am Rundfunk Interessierten zu repräsentieren und die Mitwirkung der gesellschaftlich bedeutsamen Kräfte zu sichern. Letztendlich ist ihre Funktion aber eine ganz andere: Sie sollen die programmgestaltenden Kräfte darauf kontrollieren, daß sie den Interessen der gesellschaftlich bedeutsamen Gruppen Rechnung tragen; vgl. das erste Rundfunkurteil des BVerfG v. 28. 02. 1961 – 2 BvG 1, 2 / 60 –, BVerfGE 12, S. 205 (260 ff.). Nach dem Gericht kommt dem Gesetzgeber ein weiter Gestaltungsspielraum zu, das Kriterium der gesellschaftlichen Relevanz zu konkretisieren und danach die gesellschaftlich relevanten Gruppen zu bestimmen; vgl. BVerfG v. 05. 02. 1991 – 1 BvF 1 / 85, 1 / 88 –, BVerfGE 83, S. 238 (334 ff.). 1337 1338

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inhaltlich in das Verhandlungsergebnis einbringen und aufnehmen. Im folgenden sind die Kriterien zu klären, die sicherstellen, daß die Sozialpartner alle die vertreten, für die die anstehende Vereinbarung von Belang ist.1339 Auf dieser Grundlage ist zu entscheiden, ob die Kriterien der Kommission tatsächlich so formal sind wie vereinzelt behauptet wird.1340 Die Abgrenzung der qualitativ repräsentativen Sozialpartner hat in den Unterpunkten (1) – (4) nach zwei Seiten zu erfolgen. Auf der einen Seite zu den Organisationen, die keine Interessenvertretung wahrnehmen oder die sonstigen Repräsentativitätsvoraussetzungen nicht erfüllen. Auf der anderen Seite zu den Organisationen, die nicht betroffene Interessen repräsentieren. Die Repräsentation aller betroffenen Interessen ist erneut nur auf der Grundlage eines virtuellen Konzepts möglich. Die qualitativen Repräsentativitätskriterien können zu der Annäherung an diesen Idealzustand beitragen. Sie müssen zur Herstellung einer europäischen Repräsentativität zu den quantitativen Kriterien hinzutreten. (1) Arbeitnehmer- oder Arbeitgeberorganisationen Die bisherigen Vereinbarungen zum Elternurlaub, der Teilzeitarbeit und den befristeten Arbeitsverträgen betreffen aktuell nur die Interessen der Eltern-Arbeitnehmer, Teilzeitbeschäftigten, befristet Beschäftigten und der sie beschäftigenden Arbeitgeber, potentiell aber die Interessen der Arbeitnehmer und Arbeitgeber und der am Arbeitsleben aktuell Beteiligten insgesamt.1341 Diese können jederzeit dem persönlichen und sachlichen Schutzbereich der Vorschriften unterfallen. Weil es unwahrscheinlich ist, daß künftige Vereinbarungen die Interessen des Umweltschutzes1342 berühren und somit Umweltschutzverbände an dem Sozialen Dialog beteiligt werden müssen, beschränkt sich der Kreis der Sozialpartner auf Arbeitnehmer- oder Arbeitgeberorganisationen. Entgegen einigen Stimmen in der Literatur zählen betriebliche Interessenvertretungen1343 oder Wohlfahrtsverbände, Kirchen und gesellschaftliche Interessengruppen der Arbeitsförderung1344 nicht zu den Sozialpartnern, selbst wenn sie (wie 1339 Das Problem, daß nicht alle nach den Kriterien verhandlungsfähigen Sozialpartner tatsächlich verhandeln, kann hier zunächst außen vor bleiben. 1340 Britz / Schmidt, EuR 1999, S. 467 (494); Schmidt, IJCLLIR 1999, S. 259 (264). 1341 Der Begriff des Betroffenen stimmt mit dem des aktuell Normunterworfenen überein. 1342 Allein schon wegen der erforderlichen Detailgenauigkeit werden sich die Sozialpartner hüten, auf europäischer Ebene umweltrelevante Abmachungen über z. B. pauschalierte Aufwendungsentschädigungen (Reise- und Fahrtkosten) zu treffen. Mit der Nichtberücksichtigung von Umweltschutzinteressen argumentieren aber Britz / Schmidt, EuR 1999, S. 467 (495), gegen die Repräsentativität der Sozialpartner. 1343 So aber zu der Rechtslage unter Art. 118b EGV a.F. Däubler, Tarifvertragsrecht, Ziff. 1734, S. 713; ders., Europäische Tarifverträge, S. 16 (23); ders., EuZW 1992, S. 329 (332); aktuell ELL-Blanpain, European Labour Law, Rn. 881. 1344 So aber Pitschas / Peters, Rolle der Sozialpartner, S. 88 f.; dies., VSSR 1996, S. 21 (29 f.).

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5. Teil: Schlußfolgerungen für das Verfahren

die Europäischen Betriebsräte1345) über eine supranationale Struktur verfügen.1346 Das mag im Lichte der Interessenbetroffenheit erst einmal nicht einsichtig sein, da die genannten Gruppen die Interessen der Arbeitnehmer oder der sozial schwächeren Gruppen wie z. B. der Arbeitslosen als der potentiell Betroffenen zu repräsentieren scheinen. Tatsächlich aber sind vor allem die Wohlfahrtsverbände und Kirchen nach ihrer Struktur und ihrem Organisationszweck nicht auf eine Repräsentation der Interessen von Arbeitgebern und Arbeitnehmern in einem Aushandlungsprozeß von Arbeitsbedingungen oder gar auf die Teilnahme an Kollektivverhandlungen ausgerichtet. Von den Sozialpartnern muß aber aufgrund des Zusammenhangs des Kompetenzkatalogs des Art. 137 EGV mit den Art. 138 f. EGV verlangt werden, daß sie überhaupt eine ordnende Aufgabe in den ArbeitgeberArbeitnehmerbeziehungen spielen.1347 Sie sind daher genausowenig wie Wirtschaftsinteressenverbände, Umweltschutzverbände oder Bürgerinitiativen geeignet, im Rahmen des Sozialen Dialogs Verhandlungen zu führen. Unabhängig davon sind sie nicht tariffähig. Die betrieblichen Interessenvertretungen sind in den meisten Mitgliedstaaten nicht in die Kollektivverhandlungen einbezogen.1348 Darüber hinaus beruhen sie als gesetzliche Interessenvertretungen nicht auf einer freiwilligen, geschweige denn im Verhältnis zu der Gesamtbelegschaft oder der Belegschaft einer Branche zahlreichen Mitgliedschaft. Im Gegensatz zu den sozial schwächeren Gruppen, die überwiegend nicht organisiert sind, bleiben aber die Interessen der Belegschaften nicht unberücksichtigt. Die Arbeitnehmerorganisationen vertreten sie mit. Die Verfaßtheit der Sozialpartner als Arbeitnehmer- und Arbeitgeberorganisationen, wie sie in den Kommissionskriterien mitschwingt, kann die Repräsentation der Interessen der Betroffenen sicherstellen. (2) Zuständigkeit der Mitgliedsorganisationen für den Verhandlungsgegenstand Neben die oft formal verstandene Tariffähigkeit muß die inhaltliche Zuständigkeit1349 der Mitgliedsorganisationen treten, Tarifverhandlungen auf nationaler Ebene entsprechend dem Inhalt der Sozialpartnervereinbarungen führen zu dürELL-Blanpain, European Labour Law, Rn. 881. Siehe auch Deinert, Europäischer Kollektivvertrag, S. 460 f.; Schnorr, DRdA 1994, S. 193 (195 f.); Schwarze, EAS, B 8100 Rn. 16; im Ergebnis auch Bödding, Sozialpartner, S. 90 f., der wenig überzeugend für eine angeblich weitere Definition die englische Fassung „management and labour“ heranzieht und für die betrieblichen Interessenvertretungen eine nationale Struktur genügen läßt. 1347 Vgl. Goos, EAS, B 8110 Rn. 30. Ähnlich hinsichtlich der Nichtbeteiligung von Wirtschaftsinteressenverbänden Schwarze, EAS, B 8100 Rn. 16. 1348 Eine Ausnahme bildet neben Italien u. a. Spanien, wo Betriebskomitees und Personaldelegierte Tarifverträge abschließen können; vgl. Kramer, Spanien, S. 370 (374, 386 f.), und allgemeiner ELL-Blanpain, European Labour Law, Rn. 881. 1349 Ob die Tarifzuständigkeit Teil der Tariffähigkeit oder ein eigenständiges Kriterium ist, kann hier dahinstehen. 1345 1346

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fen.1350 Sie hat sich wie die Tarifzuständigkeit nach den in die mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen eingebetteten Satzungen der Verbände zu richten. Ihr Hauptzweck liegt im Kontext des branchenübergreifenden Sozialen Dialogs nicht darin, die Kompetenzen zwischen gleichrangigen Organisationen abzugrenzen und den maximalen Geltungsbereich von Tarifverträgen festzulegen,1351 sondern die Betroffenheit der Verbandsmitglieder zu indizieren. (3) Mandat durch die nationalen Mitgliedsorganisationen Wie u. a.1352 von dem Europäischen Parlament gefordert,1353 müssen die europäischen Sozialpartner über ein Mandat ihrer Mitglieder zur Aushandlung von europäischen Vereinbarungen im Rahmen des Sozialen Dialogs verfügen. Dies gilt insbesondere dann, wenn ihre Mitglieder nationale Verbände sind. In diesem Fall besteht keine Möglichkeit, die Ermächtigung zum Vereinbarungsabschluß unmittelbar von den Arbeitgebern und Arbeitnehmern herzuleiten, so daß die nationalen Organisationen ein Mandat erteilen müssen.1354 Ihr Mandat vermittelt den für eine möglichst umfassende Interessenspiegelung relevanten Willen der Verbands(gründungs)mitglieder und kann somit einen die europäische Repräsentativität gefährdenden Bruch zwischen den nationalen und europäischen Sozialpartnern verhindern. Es ist daher als qualitatives Repräsentativitätskriterium relevant. Praktische Probleme könnten auftreten, weil selbst nicht alle Mitgliedsverbände eine Verhandlungs- und Abschlußvollmacht besitzen1355 und deshalb eine rechtliche1356 Mandatierung der europäischen Sozialpartner erst recht unrealistisch ist.1357 Hier muß man allerdings zwischen dem Mandat zum Abschluß eines nor1350 Ähnlich Piazolo, Sozialer Dialog, S. 182, nach der die nationalen Mitgliedsverbände „der an den Verhandlungen beteiligten Sozialpartner ( . . . ) in dem konkreten Verhandlungsbereich Sach- und Handlungszuständigkeit haben“ sollen. 1351 Vgl. Wiedemann-Oetker, TVG, § 2 Rn. 47 ff. 1352 Ein Mandat für alle Handlungen der europäischen Sozialpartner fordern auch ELLBlanpain, European Labour Law, Rn. 890; Bobke / Müller, WSI Mitteilungen 1995, S. 654 (657), die das Problem der Mandatierung insbesondere für die Arbeitnehmerseite sehen; Guéry, ILRev. 1992, S. 581 (594 f.); KOM (98) 322 endg. v. 20. 05. 1998, S. 14; Vorschlag der Sozialpartner für die Umsetzung des dem Protokoll über die Sozialpolitik im Vertrag über die Europäische Union beigefügten Abkommens v. 29. 10. 1993, Soziales Europa 2 / 1995, S. 175, 6. Spiegelstrich; Calliess / Ruffert-Krebber, EUV / EGV, Art. 138 Rn. 17; Piazolo, Sozialer Dialog, S. 182, 184; Schulz, Europäische Sozialpolitik, S. 108; Weiss, IJCLLIR 1992, S. 3 (13); ders., FS für Gnade, S. 583 (595); ders., FS für Kissel, S. 1253 (1257). 1353 s. o. Europäisches Parlament, Dok. A3 – 0269 / 94 v. 20. 04. 1994, S. 5, 6. Spiegelstrich. 1354 Vgl. Deinert, Europäischer Kollektivvertrag, S. 468. 1355 s. o. § 18 III. 5. a) aa) (3). 1356 Für ein politisches Mandat spricht sich Guéry, ILRev. 1992, S. 581 (595), aus. 1357 Diese Argumentation legen nahe Blanpain / Schmidt / Schweibert, Europäisches Arbeitsrecht, Ziff. 514 (S. 357); Däubler, EuZW 1992, S. 329 (334); Weiss, FS für Kissel, S. 1253 (1257).

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mativen Tarifvertrages und einer schuldrechtlichen Vereinbarung unterscheiden. Während den europäischen Sozialpartnern angesichts der national unterschiedlichen Wirkungen von Tarifverträgen zu Recht ein Mandat zum Abschluß normativer Verträge abgesprochen wird,1358 wird ein solches zum Abschluß schuldrechtlicher Vereinbarungen im Rahmen des Sozialen Dialogs nicht explizit in Frage gestellt.1359 Die in der nachträglichen „Prüfung des Vertretungsanspruchs der Vertragsparteien“ durch die Kommission liegende Implikation eines Mandats1360 ist daher zutreffend. Es sollte in den Satzungen der europäischen Organisationen genauso seinen Niederschlag finden.1361 Falls die europäischen Sozialpartner sich über das Mandat hinwegsetzen, bleibt den nationalen Sozialpartnern die innerverbandliche Konfrontation. Wehren sie sich nicht, besteht eine erste Vermutung für die Repräsentativität. (4) Sonstige Voraussetzungen wie Verhandlungswille, Art der Mitgliedschaft In ihrer Bedeutung für die qualitative Repräsentativität nicht zu unterschätzen sind die Merkmale der Gegnerunabhängigkeit und des Verhandlungswillens.1362 Nicht zufälligerweise sind sie regelmäßig Voraussetzungen der Tariffähigkeit in den Mitgliedstaaten.1363 Sie bieten eine qualitative Gewähr dafür, daß ein Verband nur gleichgerichtete Interessen vertritt. Die Mitgliedschaft in den Sozialpartnerverbänden auf nationaler und europäischer Ebene muß ferner grundsätzlich freiwillig sein.1364 Zwar kann die Zwangsmitgliedschaft die höchste Repräsentativität gewähren. Sie ist aber mit der demokratischen Verbandsstruktur und der negativen Koalitionsfreiheit unvereinbar, die alle Mitgliedstaaten anerkennen.1365 Eine freiwillige Mitgliedschaft ist bei betrieblichen Interessenvertretungen grundsätzlich nicht gegeben, weshalb sie nach allgemeiner Ansicht1366 nicht zu den Sozialpartnern zählen. Nur ganz ausnahmsVgl. Langenbucher, ZEuP 2002, S. 265 (269) m. w. N. So auch die unter Fn. 1357 zitierten Autoren. 1360 KOM (93) 600 endg. v. 14. 12. 1993, Ziff. 39. 1361 Für das Mandat zum Abschluß normativer Verträge regen dies Blanpain / Schmidt / Schweibert, Europäisches Arbeitsrecht, Ziff. 514 (S. 357) an. 1362 Hierzu vgl. Reichel, Kompetenzabgrenzung, S. 114; v. der Groeben / Thiesing / Ehlermann-Schulte, EGV, Art. 118b Rn. 21; Schwarze, EAS, B 8100 Rn. 17; Schnorr, DRdA 1994, S. 193 (195). 1363 Vgl. die Länderberichte bei Deinert, Europäischer Kollektivvertrag, S. 293 ff. 1364 Deinert, Europäischer Kollektivvertrag, S. 460, 469, 471; Europäisches Parlament, Dok. A3 – 0269 / 94 v. 20. 04. 1994, S. 5, 4. Spiegelstrich; Vorschlag der Sozialpartner für die Umsetzung des dem Protokoll über die Sozialpolitik im Vertrag über die Europäische Union beigefügten Abkommens v. 29. 10. 1993, Soziales Europa 2 / 1995, S. 175, 4. Spiegelstrich; a.A. Piazolo, Sozialer Dialog, S. 178, 184. 1365 Vgl. Deinert, Europäischer Kollektivvertrag, S. 293 ff. 1366 Deinert, Europäischer Kollektivvertrag, S. 460 f.; Schnorr, DRdA 1994, S. 193 (195 f.); Schwarze, EAS, B 8100 Rn. 16. 1358 1359

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weise sind Zwangsverbände wie öffentlich-rechtliche Kammern in den Kreis der Mitgliedsverbände einzubeziehen, wenn dies aus den nationalen Verfassungstraditionen folgt. Die Verbände müssen dann aber nach dem nationalen Recht tariffähig sein.1367 cc) Zwischenergebnis Die europäische Repräsentativität gliedert sich in quantitative und qualitative Aspekte. Die quantitativen Aspekte zielen darauf, nur Organisationen mit gewissem Gewicht an dem Sozialen Dialog zu beteiligen. Die qualitativen Aspekte sollen die Berücksichtigung möglichst aller betroffenen Interessen sicherstellen. Das sind die Gründe, die hinter den Repräsentativitätskriterien stehen. Die hier für die Verhandlungsphase aufgestellten Kriterien einer europäischen Repräsentativität sind ausdifferenzierter als die der Kommission. Quantitative Kriterien sind neben der hohen Mitgliederzahl die supranationale Struktur der europäischen Sozialpartner und die Tariffähigkeit der Mitgliedsorganisationen. Unter die qualitativen Kriterien fallen die Verfaßtheit als Arbeitnehmer- oder Arbeitgeberorganisationen, die Zuständigkeit der Mitgliedsorganisationen, den Verhandlungsgegenstand auch national regeln zu dürfen, das Mandat durch die nationalen Organisationen, die Gegnerunabhängigkeit, der Verhandlungswille der europäischen Sozialpartner sowie die Freiwilligkeit der Mitgliedschaft. Vor allem die qualitativen Kriterien dienen dazu, eine Repräsentation der betroffenen Interessen inhaltlich abzusichern. Sie sind nicht so spärlich und nicht so schwierig zu bestimmen, wie teilweise behauptet wird. Alternativvorschläge fehlen bisher. Zutreffenderweise orientieren die Repräsentativitätskriterien sich an den Strukturen der Dachverbände, die ihren Gestaltungswillen und ihre Gestaltungsmacht bereits unter Beweis gestellt haben. Zum Teil sind sie auch in den Kommissionskriterien angelegt. Auch diese machen damit nicht nur formale, sondern auch inhaltliche Vorgaben.1368 In dem Kriterienkatalog der Kommission nicht ausdrücklich aufgeführt sind allerdings in quantitativer Hinsicht die hohe Mitgliederzahl, in qualitativer Hinsicht die Zuständigkeit der Mitgliedsorganisationen für den Ver1367 Dies ist bei den öffentlich-rechtlichen Kammern in Österreich der Fall. Sie sind keine Koalitionen und trotzdem tariffähig; vgl. Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht I, § 14 I. 5., S. 526 f.; MPI-Tomandl / Marhold, Koalitionsfreiheit, S. 653 (698). In Deutschland bilden die Handwerksinnungen und Innungsverbände nach §§ 54 Abs. 3 Nr. 1, 82 S. 2 Nr. 3, 85 Abs. 2 i.V. m. 82 S. 2 Nr. 3 HandwO die einzigen tariffähigen Zwangsverbände bzw. Nichtkoalitionen; vgl. MünchArbR-Löwisch / Rieble, § 255 Rn. 59. Ohne substantiierte Argumentation weitergehend Piazolo, Sozialer Dialog, S. 184. Nach hiesiger Argumentation ist der Status von EUROCHAMBRES problematisch. Dabei handelt es sich um einen europäischen Verband der Industrie- und Handelskammern, der in allen Mitgliedstaaten der Gemeinschaft vertreten ist. In acht der 15 Mitgliedstaaten besteht eine Pflichtmitgliedschaft in den IHK. Tariffähig sind die IHK aber nur in Österreich. Die Mitgliedschaft in EUROCHAMBRES ist wiederum freiwillig. Nach eigenen Aussagen ist der Verband nicht an der Teilnahme an den Verhandlungen interessiert; vgl. Bericht über die Repräsentativität, S. 17 ff. 1368 Vgl. ohne nähere Begründung Schwarze, RdA 2001, S. 208 (216 Fn. 125).

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5. Teil: Schlußfolgerungen für das Verfahren

handlungsgegenstand, das Mandat durch die Mitgliedsorganisationen, die Gegnerunabhängigkeit der europäischen Sozialpartner und die freiwillige Mitgliedschaft. b) Gegenseitige Anerkennung der Sozialpartner i.R.d. Verhandlungsphase Wäre die Repräsentativität die alleinige Voraussetzung für die Teilnahme an den Verhandlungen, müßten weitaus mehr als die bisherigen drei europäischen Dachverbände UNICE, CEEP und EGB an den Aushandlungen der Sozialpartnervereinbarungen mitwirken, da weitaus mehr Sozialpartner die genannten Kriterien erfüllen. Das Drängen von Seiten der Literatur1369 und der bisher nicht an den Verhandlungen beteiligten Sozialpartner1370 auf baldmöglichste Erweiterung des Kreises der Verhandlungspartner und Beendigung der faktischen Monopolstellung der drei großen Dachverbände wäre vor diesem Hintergrund sehr verständlich. Ginge es nach ihnen, müßten alle repräsentativen Sozialpartner einen Anspruch auf Beteiligung haben.1371 Immerhin müssen die Mitgliedsorganisationen auch der nicht beteiligten Verbände der Ratsrichtlinie auf nationaler Ebene Folge leisten. Die Proteststimmen erliegen jedoch einem Irrtum, wenn sie von dem Vorliegen der Repräsentativitätsvoraussetzungen auf ein Teilnahmerecht der Sozialpartner schließen. Das mag bei der Anhörungs-, nicht aber bei der Verhandlungsphase funktionieren. Hier darf die Repräsentativität gerade nicht mit dem Recht auf Teilnahme gleichgesetzt werden. Das wäre ein Schritt zu kurz gedacht. Die Sozialpartner werden ansonsten zu Verhandlungen untereinander verpflichtet, die sie in dieser Konstellation freiwillig nicht führen würden. Das widerspricht ihrer Sozialautonomie, zu der auch die freie Wahl des Verhandlungs- oder Vertragspartners gehört, und der Grundkonzeption eines freiwilligen Sozialen Dialoges. Es muß also neben der Repräsentativität ein zusätzliches Kriterium geben, das der Sozialautonomie Rechnung trägt. Dieselben Überlegungen stellt die Kommission an. Das zusätzliche Kriterium nennt sie den „Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung“1372 und betrachtet ihn als einen wesentlichen „Bestandteil der Autonomie der Sozialpartner“.1373 1369 Betten, ELR 1998, S. 20 (31), spricht von einem „closed shop“ zwischen den drei großen Dachverbänden; Bödding, Sozialpartner, S. 86; Deinert, Europäischer Tarifvertrag, S. 466; Weiss, FS für Gnade, S. 583 (595); ders., IJCLLIR 1992, S. 3 (13). 1370 Dazu zählen EUROCOMMERCE, UEAPME, CEC und CESI; vgl. die Klage von UEAPME in der Rechtssache T-135 / 96; die Generalsektretärin der Europäischen Union unabhängiger Gewerkschaften (CESI) Schedl, FAZ v. 02. 11. 1999, S. 29; N.N., EIRR 1995 (259), S. 3 f.; N.N., EIRR 1995 (260), S. 3; N.N., EIRR 1996 (264), S. 4. 1371 So das Vorbringen der UEAPME in ihrer Klage gegen die Richtlinie über den Elternurlaub; vgl. EuG v. 17. 06. 1998, Rs. T-135 / 96 – UEAPME / RAT –, Slg. II-1998, S. 2335 (2359 ff.), Rn. 52, 58, 60 f. 1372 KOM (96) 448 endg. v. 18. 09. 1996, Ziff. 17. 1373 KOM (98) 322 endg. v. 20. 05. 1998, S. 15, 17. Anders offensichtlich Goos, EAS, B 8110 Rn. 30, der die supranationale Struktur und die gegenseitige Anerkennung als Alternativen zueinander auffaßt.

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Nach ihrer Auffassung obliegt allein den Sozialpartnern die Entscheidung darüber, wer verhandeln und Vereinbarungen abschließen darf. Nur die Organisationen seien in der Lage, ihre Dialog- und Verhandlungsstrukturen aufzubauen. Sie selbst müsse sich daher bei der Konstituierung der Verhandlungspartner zurückhalten.1374 Das EuG, das sich anläßlich der Klage von UEAPME auch mit den Anforderungen an die Verhandlungspartner auseinanderzusetzen hatte, schloß sich der Auffassung der Kommission an. Es stellte wiederholt fest, daß allein die Sozialpartner die Herrschaft über die Verhandlungsphase ausübten.1375 Die Verhandlungspartner seien diejenigen, die sich ihre Bereitschaft signalisiert hätten, den Verhandlungsprozeß i. S. d. Art. 138 Abs. 3, 139 EGV einzuleiten und durchzuführen.1376 Dieses Vorgehen erinnert zugegebenermaßen an das Sprichwort: „Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben.“ Gleichwohl können Erwägungen nicht durchgreifen, zum Schutz aller verhandlungsbereiten Sozialpartner den Ausschluß von den Verhandlungen dem Willkürverbot zu unterwerfen und bei einem Verstoß die Beschwerde zu der Kommission zuzulassen. Denn das Willkürverbot findet im Rahmen autonomer Verhandlungen keine Anwendung. Jegliche Beschränkung der Sozialpartner scheidet im Hinblick auf ihre Autonomie aus. Es ist daher ganz richtig, daß das von den Repräsentativitätsanforderungen unabhängige Kriterium der gegenseitigen Anerkennung die beste Garantie für die Zusammenarbeit zwischen den Sozialpartnern ist.1377 Die Sozialpartner müssen sich also rechtzeitig um einen oder mehrere Verhandlungspartner bemühen, um sich auf Grundlage der gegenseitigen Anerkennung den Status eines Verhandlungsteilnehmers zu sichern. Eine einseitige Verhandlungsbereitschaft genügt nicht. Es können daher auch verhandlungsbereite Sozialpartner von dem Verhandlungsprozeß ausgeschlossen sein, wenn sie keinen Verhandlungspartner finden. Die europäischen Gerichte oder die Gemeinschaftsorgane Kommission und Rat können im Vorfeld nichts unternehmen, um „schwächere“ Sozialpartner in den Verhandlungsprozeß zu integrieren. Sie können die Akteure aber nachträglich auf ihre Repräsentativität kontrollieren. Da die qualitative Repräsentativität die Berücksichtigung möglichst aller betroffenen Interessen zum Gegenstand hat, trifft die Gemeinschaftsorgane ex post zum Schutz der schwächeren Sozialpartner die Pflicht, die Repräsentativität auch 1374 Vgl. zu allem KOM (93) 600 endg. v. 14. 12. 1993, Ziff. 26, 31; KOM (96) 448 endg. v. 18. 09. 1996, Ziff. 17 f., 70; KOM (98) 322 endg. v. 20. 05. 1998, S. 15, 17 und ABl. C 31 v. 05. 02. 1999, S. 69. 1375 EuG v. 17. 06. 1998, Rs. T-135 / 96 – UEAPME / RAT –, Slg. II-1998, S. 2335 (2366 ff.), Rn. 75 f., 79, 84. Auch der Wirtschaftsausschuß betont die Autonomie der Sozialpartner; vgl. WSA, CES (94) 1310 v. 28. 11. 1994, S. 3. 1376 EuG v. 17. 06. 1998, Rs. T-135 / 96 – UEAPME / RAT –, Slg. II-1998, S. 2335 (2366 f.), Rn. 75 f. 1377 Diese Ansicht teilen in der Literatur Britz / Schmidt, EuR 1999, S. 467 (474); Clever, ZfSH / SGB 1996, S. 188 (190), für den wichtig ist, daß die Sozialpartner konkrete Verhandlungsangebote vorlegen.

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im Hinblick auf den Inhalt der Vereinbarungen zu beurteilen.1378 Kommission und Rat müssen also überprüfen, ob die Sozialpartner in ihrer Vereinbarung die betroffenen Interessen repräsentiert haben. Die Kontrolle1379 beschränkt sich nach hier vertretener Auffassung aufgrund der nur stützenden legitimatorischen Funktion der Sozialpartner1380 auf grobe Interessenverstöße. Da diese nur in Ausnahmefällen vorkommen werden, wird die Vorherrschaft der drei mächtigen Dachverbände regelmäßig nicht zu beanstanden sein.

c) Repräsentativitätskriterien für die Anhörungsphase Viele der im Zusammenhang mit dem Meinungsstand genannten Kriterien wurden eigens für die zweistufige Anhörungsphase i.S.d Art. 138 Abs. 2, 3 EGV aufgestellt. Gleichwohl sind die Anforderungen wegen der geringeren Intensität des legitimatorischen Wirkens der Sozialpartner in der Anhörungsphase großzügiger zu fassen. Das ist auf zwei Wegen erreichbar. Entweder werden die Anforderungen an sich weiter definiert, oder es werden einzelne Anforderungen nicht mehr gestellt. Da bereits die Repräsentativitätskriterien der Verhandlungsphase nur schwer zu definieren waren, würde eine zusätzliche Lockerung der Anforderungen unbefriedigend schwammig ausfallen. Vor diesem Hintergrund scheint der Verzicht auf einzelne Anforderungen geboten.1381 Doch welche Kriterien sind verzichtbar? Die Entscheidung hat dem Ziel der Konsultationen Rechnung zu tragen, den Sachverstand der betroffenen Gruppen umfassend zu nutzen und die Legitimation zu erhöhen. Es versteht sich von selbst, daß wesentliche Merkmale wie die Mitgliederstärke, die supranationale Struktur und die Organisationsform als Arbeitnehmer- oder Arbeitgeberverband nicht dispositiv sind. Verzichtbar können nur die unwesentlicheren Merkmale sein. Dazu zählt das Mandat der angeschlossenen Verbände, das zu fordern auch für bedeutende Stellungnahmen zu viel verlangt wäre. Genausowenig vonnöten scheinen die Tariffähigkeit der Mitgliedsorganisationen und die Freiwilligkeit der Mitgliedschaft auf nationaler und europäischer Ebene.1382 Dadurch können die betroffenen Interessen umfassender einbezogen werden. Um aber nicht zugleich die Funktionsfähigkeit der Anhörungen in Frage zu stellen, ist Mindestbedingung, daß die europäischen Organisationen die Konsequenzen der anstehenden Gemeinschaftsmaßnahme einschätzen können und nach ihrer Struktur auf die Interessenvertretung in einem kollektiven Verhandlungsprozeß angelegt sind.1383 Wohlfahrtsverbände, 1378 KOM (93) 600 endg. v. 14. 12. 1993, Ziff. 39; KOM (96) 448 endg. v. 18. 09. 1996, Ziff. 71; KOM (98) 322 endg. v. 20. 05. 1998, S. 18. 1379 In welcher Form sie eingreifen kann, ist im Anschluß unter § 19 zu klären. 1380 s. o. § 18 III. 3. 1381 Vgl. im Ergebnis Piazolo, Sozialer Dialog, S. 179. 1382 Vgl. Schulz, Europäische Sozialpolitik, S. 107; Piazolo, Sozialer Dialog, S. 179. 1383 Siehe bereits oben § 18 III. 5. a) bb) (1).

§ 18 Anforderungen an die Sozialpartner: Repräsentativität

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Lobby- und sonstige gesellschaftliche Interessengruppen bleiben neben ihrer Organisationsform auch deshalb in der Anhörungsphase außen vor. Aus demselben Grund ist den europäischen Vereinigungen der Industrie- und Handelskammern (EUROCHAMBRES) und der freien Berufe ein Recht auf Anhörung zu versagen.1384 Die Konsultationen können nur auf freiwilliger Basis stattfinden. Erfüllen die Verbände andererseits die Voraussetzungen, haben sie im Unterschied zu der Verhandlungsphase einen Anspruch auf Anhörung.

6. Die sonstigen Dialogebenen Der Soziale Dialog kann neben der branchenübergreifenden noch auf der sektoralen, interregionalen und unternehmens- bzw. konzernbezogenen Ebene ablaufen.1385 Wie bereits erwähnt,1386 haben bisher namentlich die branchenübergreifenden, aber auch die sektoralen Dialoge Bedeutung erlangt.1387 Unabhängig von ihrer praktischen Bedeutung stellt sich gleichwohl die Frage, ob für die sonstigen Dialogebenen dieselben Kriterien wie für die branchenübergreifende Ebene gelten. Wer für die nicht-branchenübergreifenden Dialoge auf der einschlägigen Ebene organisierte Sozialpartner fordert,1388 setzt sich hier, wenn auch ungewollt, für eine Erweiterung der Repräsentativitätskriterien um das Merkmal der Dialogebene ein.1389 Ein Grund hierfür ist m.E. nicht ersichtlich. Für alle Dialogebenen sollten vielmehr einheitlich dieselben Prinzipien gelten.1390 Genauso wie die sektoriellen Verbände unter der Voraussetzung der Gesamtrepräsentativität branchenübergreifende Vereinbarungen schließen können, können auch die branchenübergreifenden Sozialpartner sektorielle Vereinbarungen treffen. Ganz klar müssen sie für die jeweilige Ebene repräsentativ sein, d. h. beispielsweise über ausreichend Mitglieder und ein entsprechendes Mandat verfügen. Ein einzelner Arbeitgeber eines multi1384 Ähnlich Schwarze, EAS, B 8100 Rn. 16 Fn. 48; zurückhaltend Goos, EAS, B 8110 Rn. 30; a.A. Schulz, Europäische Sozialpolitik, S. 107. 1385 Zu den Parteien der verschiedenen Dialogebenen gibt einen ersten Überblick ELLBlanpain, European Labour Law, Rn. 879 ff. 1386 s. o. 2. Teil § 3 II. 1387 Vgl. Wisskirchen, FS für Arbeitsgerichtsverband, S. 653 (663). Den branchenübergreifenden Sozialen Dialog schätzt Schwarze, EAS, B 8100 Rn. 16, seltener ein. Daß es sich bei dem sektoralen Sozialen Dialog nicht um eine bloß theoretische Möglichkeit handelt, beweist die am 22. 03. 2000 abgeschlossene europäische Vereinbarung über die Arbeitszeitorganisation für das fliegende Personal der Zivilluftfahrt; vgl. http: // europa.eu.int / eur-lex / de / lif / dat / 2000 / de_300L0079.html v. 18. 10. 2001. 1388 So für den sektoralen Dialog Lenze, NZS 1996, S. 313 (319), der sich die Schwierigkeit auftut, die richtigen Sozialpartner ausfindig zu machen; Schwarze, EAS, B 8100 Rn. 16. 1389 Für die branchenübergreifende Ebene wird die Frage, ob die sektoriellen Verbände branchenübgreifende Vereinbarungen abschließen können, nicht problematisiert. 1390 Hordnung-Draus, EuroAS 12 / 1996, S. 198 (199); Wisskirchen, FS für Arbeitsgerichtsverband, S. 653 (663).

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5. Teil: Schlußfolgerungen für das Verfahren

nationalen Unternehmens kann somit auch nur für einen europäischen unternehmensbezogenen Sozialen Dialog Sozialpartner sein.1391

IV. Fazit Damit die europäischen Sozialpartner ihre legitimationssteigernde Funktion wirksam ausfüllen können, unterliegen sie einer Auswahl und müssen gewisse Anforderungen erfüllen. Diese Anforderungen liegen nicht im freien Ermessen der Kommission und sind daher nicht verzichtbar. Größtenteils ist anerkannt, daß die Repräsentativität das Auswahlkriterium bildet. Unter einer legitimatorischen Zielsetzung ist sie, gestützt auf die Vorstellung der virtuellen Repräsentation, geeignet, die Willens- und Interessenlage der Normunterworfenen möglichst weitgehend abzubilden. Um die Funktionsfähigkeit des Sozialen Dialogs nicht in Frage zu stellen, muß jeder Sozialpartner für sich über eine gewisse innere Repräsentativität verfügen. Auf die äußere Repräsentativität kommt es erst in zweiter Linie an. Welche Kriterien füllen aber die innere Repräsentativität aus? Angesichts der zahlreichen Vorschläge mußten die Repräsentativitätskriterien ausgewählt werden, die unter einem legitimatorischen Blickwinkel erheblich sind. Eine definitorische Beschränkung auf die drei großen Dachverbände UNICE, CEEP und EGB besteht von vornherein nicht. Die Kriterien sind vielmehr wegen der „nur“ legitimationssteigernden und nicht parlamentsersetzenden Funktion der Sozialpartner weit zu fassen. Für die Kontrolle durch die Gemeinschaftsorgane und insbesondere die europäischen Gerichte bedeutet das: Sie fällt weniger intensiv aus. Die Sozialpartnervereinbarungen sind nur für unwirksam zu erklären, wenn sie Interessen von Betroffenen grob verletzen. Die insgesamt weite Fassung der Kriterien gestaltet sich für die Anhörungsphase noch einmal großzügiger, da sich die Legitimationskraft der Sozialpartner erst in der Verhandlungsphase und hier speziell in dem Abschluß von Vereinbarungen voll entfaltet. Die möglichst weitgehende Widerspiegelung der Willens- und Interessenlage der Normunterworfenen kann auf quantitativem und qualitativem Wege erreicht werden. Die quantitativen Repräsentativitätskriterien haben ein gewisses Gewicht der Sozialpartner zum Ziel. Die qualitativen Repräsentativitätskriterien beabsichtigen, alle betroffenen Interessen in die Sozialpartnervereinbarungen einzubringen. Für die Verhandlungsphase des branchenübergreifenden Sozialen Dialogs sind sie oben unter § 18 III. 5. a) aufgezählt. Für die Verhandlungen muß allerdings die gegenseitige Anerkennung der Sozialpartner hinzutreten. An der faktischen Monopolstellung von UNICE, CEEP und EGB ist deshalb rechtlich nichts auszusetzen. Im Rahmen der Anhörungsphase des branchenübergreifenden Sozialen Dialogs sind unwesentlichere Kriterien wie das Mandat und die Tariffähigkeit der natio1391

Weitergehend Deinert, Europäischer Kollektivvertrag, S. 466.

§ 19 Mitwirkung von Kommission und Rat bei der Umsetzung

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nalen Mitgliedsorganisationen sowie die Freiwilligkeit der Mitgliedschaft verzichtbar. Die Organisationen müssen nur in ihrem Zweck und Ziel auf die Teilnahme an kollektiven Verhandlungsprozessen ausgerichtet sein. Die Repräsentativitätskriterien gelten einheitlich für alle Dialogebenen.

§ 19 Mitwirkung von Kommission und Rat bei der Umsetzung Die „beschränkte“ legitimatorische Bedeutung der Sozialpartner hat Auswirkungen auf ihr Verhältnis zu den Gemeinschaftsorganen. Dieses besitzt für die Umsetzung der Sozialpartnervereinbarungen nach Art. 139 Abs. 2 S. 1, 2. Alt. EGV Relevanz,1392 die auf gemeinsamen Antrag der Sozialpartner durch einen Beschluß des Rates auf Vorschlag der Kommission erfolgt. Die Gemeinschaftsorgane sind noch vor dem Gericht die ersten, die die Sozialpartner und das Verhandlungsergebnis auf die Repräsentativität kontrollieren können und müssen.1393 Mangels gleichwertiger demokratischer Legitimation der Sozialpartner können letztlich nur sie den Sozialpartnervereinbarungen sowohl die organisatorisch-personelle als auch die sachlich-inhaltliche demokratische Legitimation verleihen. Die organisatorisch-personelle Legitimation wird bereits durch den formalen Umsetzungsbeschluß des Rates gewahrt. Problematisch erweist sich die Herstellung der sachlich-inhaltlichen Legitimation. Eine bloß formale Legitimation reicht für sie wohl nicht aus.1394 Sie ist nur möglich, wenn die Gemeinschaftsorgane auch einen gewissen inhaltlichen Einfluß auf die Rechtsetzung haben.1395 Wie können die Gemeinschaftsorgane also an der Rechtsetzung so ausreichend mitwirken, daß sie ihr die (sachlich-inhaltliche) demokratische Legitimation vermitteln können? Diese Frage betrifft die Auslegung der Dialogvorschriften. Auf der einen Seite ist die Vermittlung demokratischer Legitimation über eine inhaltliche Einflußnahme durch die Kommission und den Rat nur möglich, wenn sie nicht vollständig an die dem Antrag der Sozialpartner zugrunde liegende Sozialpartnervereinbarung gebunden sind. Eine Bindung liegt aber vor, wenn die Gemeinschaftsorgane hinsichtlich der Sozialpartnervereinbarungen über kein Ablehnungs- und Abänderungsrecht verfügen. 1392 Umgekehrt Britz / Schmidt, EuR 1999, S. 467 (476 f.), und Langenbucher, ZEuP 2002, S. 265 (268), nach denen das Ablehnungs- und Abänderungsrecht von Kommission und Rat die Legitimation der Rechtsetzungsakte mitbestimmt. Sie verkennen damit die Legitimation der Akteure als Grundvoraussetzung einer Beurteilung. 1393 Zu der Kontrollpflicht vgl. EuG v. 17. 06. 1998, Rs. T-135 / 96 – UEAPME / RAT –, Slg. II-1998, S. 2335 (2370 ff.), Rn. 85, 87 ff. 1394 In diese Richtung sind aber Britz / Schmidt, EuR 1999, S. 467 (490, 497), zu verstehen. 1395 Anders Britz / Schmidt, EuR 1999, S. 467 (488, 490), nach denen der inhaltliche Einfluß für die organisatorisch-personelle Legitimation ausschlaggebend ist.

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5. Teil: Schlußfolgerungen für das Verfahren

Auf der anderen Seite zeichnet sich der Soziale Dialog gerade durch den über die Autonomie der Sozialpartner transportierten Legitimationsbeitrag aus. Dieser Beitrag vermag die sachlich-inhaltliche demokratische Legitimation der Gemeinschaftsorgane zu stärken.1396 Ihn kann nur eine gewisse Bindung an die Sozialpartnervereinbarungen sichern. Damit ist das Spannungsfeld beschrieben, in dem sich die nachfolgende Diskussion über die Auslegung der Vorschriften bewegt. Unter Legitimationsgesichtspunkten ist keine der gegensätzlichen Positionen per se nachrangig. Sie sind vor dem Hintergrund des gemeinschaftsrechtlichen Demokratieprinzips einem optimalen Ausgleich zuzuführen. Da die Legitimation den bestimmenden Faktor bildet, konnte das Verhältnis der Akteure zueinander nicht schon zu Beginn der vorliegenden Arbeit beantwortet werden.

I. Ablehnungsrecht und Umsetzungspflicht von Kommission und Rat Zunächst ist zu untersuchen, ob die Gemeinschaftsorgane die Sozialpartnervereinbarungen ablehnen dürfen oder zu deren Vorschlag bzw. Durchführung verpflichtet sind. Ein Ablehnungsrecht räumt ihnen grundsätzlich einen indirekten inhaltlichen Einfluß auf die Vereinbarungen ein, über den sie die Gemeinschaftsmaßnahme sachlich-inhaltlich legitimieren könnten. Auf den ersten Blick scheint es, als ob die Rechte von Kommission und Rat aufgrund ihrer Stellung als demokratisch legitimierte Gemeinschaftsorgane und ihrer Beteiligung an dem Rechtsetzungsprozeß nur identisch ausfallen könnten. Eine nähere Betrachtung des Verfahrensablaufs ergibt jedoch, daß ihre unterschiedlichen Aufgaben – die Kommission schlägt dem Rat die Sozialpartnervereinbarung vor, während der Rat hinsichtlich der Durchführung der Vereinbarung einen Beschluß faßt – durchaus geeignet sind, eine unterschiedliche Beurteilung ihrer Rechte zu rechtfertigen. Die getrennte Behandlung dient daher nicht ausschließlich der Übersichtlichkeit der Darstellung.

1. Kommission Nach Art. 139 Abs. 2 S. 1, 2. Alt. EGV besteht die Aufgabe der Kommission darin, die Sozialpartnervereinbarung auf den gemeinsamen Antrag der Unterzeichnerparteien hin dem Rat für eine Beschlußfassung vorzuschlagen. Dies entspricht ihrer üblichen Rolle im Rechtsetzungsverfahren (vgl. Art. 249 ff. EGV), bei dem allerdings nicht die Sozialpartner, sondern sie selbst den Inhalt des Vorschlags formuliert. Problematischer als das Bestehen ist m.E. der Umfang eines Ablehnungsrechts. Dieses kann nämlich entweder aus rechtlichen oder rechtspolitischen Grün1396

Ausführlich hierzu s. o. 4. Teil § 16.

§ 19 Mitwirkung von Kommission und Rat bei der Umsetzung

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den ausgeübt werden. Ungeachtet dieser Differenzierung verneint die ganz überwiegende Meinung generell eine Pflicht der Kommission zur ungeprüften Weiterleitung der Sozialpartnervereinbarungen und begrüßt ein uneingeschränktes Ablehnungsrecht.1397 a) Bestehen eines Ablehnungsrechts Die Ableitung eines voluntativen Elements aus dem Wortlaut des Art. 139 Abs. 2 EGV1398 ist dabei als Argument nicht überzeugend. Der indikativen Formulierung „die Durchführung erfolgt“ kann wie der englischen strengen Fassung des Vertragstextes, nach der die Vereinbarungen „shall be implemented“ 1399, genausogut eine Pflicht zur Umsetzung entnommen werden. Wenig ergiebig ist daher auch die Überlegung, daß der Vorschlag von der Kommission stammt und sie ihn daher dirigieren können muß.1400 Dem Kern näher kommt die allgemein anerkannte Funktion der Kommission als Hüterin der Verträge und des Gemeinschaftsrechts (vgl. Art. 211 ff. EGV).1401 Mit dieser verantwortungsvollen Aufgabe verträgt sich die Herabstufung zur „Botin“1402 nicht. Als solche wäre ihre Beteiligung an dem Verfahren auch überflüssig.1403 Letztlich ausschlaggebend für ein Ablehnungsrecht der Kommission erscheint mir ein legitimatorischer Grund1404: Soll die Legitimation nicht nur formal ausfallen, muß die Kommission als demokratisch legitimiertes Organ eine inhaltliche Kontrolle über den Antrag der Sozialpartner ausüben können. Diesen inhaltlichen Einfluß verleiht ihr das Ablehnungsrecht.

1397 Balze, Sozialpolitische Kompetenzen, S. 273 f.; Betten, ELR 1998, S. 20 (33); Birk, EuZW 1997, S. 453 (458 f.); Britz / Schmidt, EuR 1999, S. 467 (477 f.); Bödding, Sozialpartner, S. 110; Buchner, RdA 1993, S. 193 (201); Däubler, EuZW 1992, S. 329 (334); Deinert, Europäischer Kollektivvertrag, S. 199; Kampmeyer, Sozialpolitik, S. 97; Schnorr, DRdA 1994, S. 193 (197); Schulz, Europäische Sozialpolitik, S. 108 f.; Wisskirchen, FS für Wlotzke, S. 793 (800); zurückhaltender Höland, ZIAS 1995, S. 425 (442 ff.); wirr Kliemann, Sozialunion, S. 171 (187). 1398 Buchner, RdA 1993, S. 193 (201), und Kliemann, Sozialunion, S. 171 (187), nach Schulz, SF 1992, S. 79 (83), verweisen auf die weichen Formulierungen „Durchführung“ (statt „Vollzug“) und „Vorschlag der Kommission“. 1399 Heinze, ZfA 1997, S. 505 (518); Kliemann, Europäische Sozialintegration, S. 133 f.; Piazolo, Sozialer Dialog, S. 132. 1400 Vgl. Bödding, Sozialpartner, S. 110. 1401 KOM (93) 600 endg. v. 14. 12. 1993, Ziff. 39, und allgemein Oppermann, Europarecht, Rn. 352. 1402 So Weiss, FS für Gnade, S. 583 (593). 1403 Vgl. Deinert, Europäischer Kollektivvertrag, S. 199; Schwarze, EAS, B 8100 Rn. 53. 1404 Legitimatorisch argumentiert auch Gilles, Durchführung von Sozialpartnervereinbarungen, S. 163 ff., ohne jedoch die legitimatorische Funktion der Sozialpartner genauer nachzuweisen.

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5. Teil: Schlußfolgerungen für das Verfahren

b) Umfang des Ablehnungsrechts Die h.M. ist insoweit zutreffend, als sie das Ablehnungsrecht auf rechtliche Gründe stützt.1405 Ein Ablehnungsrecht aus rechtspolitischen Gründen ginge hingegen zu weit.1406 Zwar legen die politische Mitverantwortung der Kommission für die Gemeinschaftsmaßnahme und ihre demokratische Legitimation ein unbeschränktes Ablehnungsrecht auch aus rechtspolitischen Gründen nahe. Doch verpflichtet sie zum einen ihre Stellung als Hüterin des Gemeinschaftsrechts nur, die Vereinbarkeit der Vereinbarungen mit dem Gemeinschaftsrecht zu überprüfen. Zum anderen würde ein rechtspolitisches Ablehnungsrecht m.E. dem Sinn und Zweck der Dialogvorschriften nicht gerecht, die Autonomie der Sozialpartner zu stärken und darüber das sozialpartnerschaftliche Legitimationspotential abzuschöpfen. Ein Ausgleich zwischen den Gegenpositionen würde verfehlt. Die Autonomie sowie die Legitimationskraft beschränken folglich zum Teil das aus dem Initiativmonopol der Kommission abgeleitete umfassende Prüfungs- und Ablehnungsrecht.1407 Die Kommission kann also einen Antrag nicht schon deshalb ablehnen, weil sie mit seinem Inhalt nicht einverstanden ist und eine andere politische Auffassung vertritt.1408 Der Antrag der Sozialpartner ist nicht nur ein bloßer Rechtsetzungsvorschlag an die Kommission.1409 Es kann auch nicht darauf vertraut werden, daß die Kommission von einem rechtspolitischen Ablehnungsrecht nicht unverhältnismäßig Gebrauch machen werde1410. Ein so weitgehendes Recht verlangt sie auch nicht, wenn sie ihre Prüfung auf den Vertretungsanspruch der Parteien, ihr Mandat und die Rechtmäßigkeit ihrer Vereinbarung beschränkt.1411 Auf die Frage, ob das eingeschränkte Ablehnungsrecht der Kommission ihr einen 1405 Die Gegenansicht, nach der sich der Soziale Dialog primär der gemeinschaftlichen Instrumentarien bediene, ist zu Recht in der Minderheit geblieben. Vgl. hierzu Kliemann, Europäische Sozialintegration, S. 134; Watson, CML Rev. 1993, S. 481 (507 f.); Whiteford, ELR 1993, S. 202 (210). Zu dem Streit ausführlich Gilles, Durchführung von Sozialpartnervereinbarungen, S. 163 ff. 1406 Im Ergebnis auch Heinze, ZfA 1997, S. 505 (518); Höland, ZIAS 1995, S. 425 (442 ff.); Kempen, KritV 1994, S. 13 (47 f.); Kliemann, Europäische Sozialintegration, S. 134; Piazolo, Sozialer Dialog, S. 133 f.; Schwarze, EAS, B 8100 Rn. 53; a.A. die h.M. und Hartenberger, Europäischer sozialer Dialog, S. 76. 1407 Dagegen wenden sich Britz / Schmidt, EuR 1999, S. 467 (477 f.); Buchner, RdA 1993, S. 193 (201); Hartenberger, Europäischer sozialer Dialog, S. 76. 1408 Vgl. Heinze, ZfA 1997, S. 505 (518); Kempen, KritV 1994, S. 13 (47 f.); Piazolo, Sozialer Dialog, S. 133 f. 1409 A.A. Britz / Schmidt, EuR 1999, S. 467 (489); Hornung-Draus, EuroAS 7 / 1993, S. 6 (7). 1410 Birk, EuZW 1997, S. 453 (459). 1411 KOM (93) 600 endg. v. 14. 12. 1993, Ziff. 39; vgl. Heinze, ZfA 1997, S. 505 (518). Nicht nachvollziehbar behaupten Britz / Schmidt, EuR 1999, S. 467 (477), daß sich die Kommission entgegen ihren klaren Aussagen zu dem auf die Vereinbarkeit mit dem Gemeinschaftsrecht beschränkten Prüfungsrecht die Durchführung einer Vereinbarung aus politischen Gründen vorbehalten will.

§ 19 Mitwirkung von Kommission und Rat bei der Umsetzung

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für die Legitimationsvermittlung ausreichenden inhaltlichen Einfluß gewährt, soll erst in einer abschließenden Bewertung unter § 19 IV. eingegangen werden. Klärungsbedürftig ist noch, auf welche Aspekte sich das auf rechtliche Gründe beschränkte Ablehnungsrecht erstreckt. Der Prüfungsmaßstab der Kommission umfaßt vor allem das primäre Gemeinschaftsrecht wie z. B. die Kompetenzvorschriften und die Vorschriften zum Schutz der kleinen und mittleren Unternehmen i. S. d. Art. 137 Abs. 2 S. 2 EGV. Zusätzlich hat die Kommission die Erfüllung der Repräsentativitätsvoraussetzungen zu kontrollieren. Ihren Vorschlag an den Rat kann sie allerdings nur bei einem groben Verstoß gegen die Kriterien verweigern. Nur unter diesen beiden Bedingungen können die Sozialpartner die Legitimation des Gemeinschaftsaktes steigern. Zu den Repräsentativitätsvoraussetzungen zählen nicht nur ein Mandat.1412 Daneben kommt es auf die Mitgliederstärke, die supranationale Struktur, die Verfaßtheit als Arbeitgeber- oder Arbeitnehmerorganisation, die Gegnerunabhängigkeit, etc. an. Außerhalb ihres Ablehnungsrechts aus rechtlichen Gründen ist die Kommission verpflichtet, dem Rat die Sozialpartnervereinbarung vorzuschlagen. 2. Rat Der Rat setzt die Sozialpartnervereinbarungen letztlich auf Vorschlag der Kommission mit einem Beschluß in Gemeinschaftsrecht um. Sein Recht auf Ablehnung des Kommissionsvorschlags und somit der Vereinbarungen folgt bereits aus Art. 139 Abs. 2 S. 2 EGV, der die Abstimmungsverhältnisse für den Beschluß regelt. Eine solche Regelung impliziert, daß die Durchführung der Vereinbarung am Fehlen des erforderlichen Abstimmungsergebnisses (Einstimmigkeit oder qualifizierte Mehrheit) scheitert.1413 Das Ergebnis unterstreichen die Stellung des Rates als das politische und rechtliche Letztentscheidungsorgan1414 und seine Haftung für rechtswidriges Verhalten nach Art. 288 Abs. 2 EGV, zu dem unter besonderen Voraussetzungen auch der Erlaß normativer Akte zählt.1415 Noch mehr als für die Kommission gilt daher: Der Rat muß aus legitimatorischen Gründen grundsätzlich über das „Ob“ der Durchführung entscheiden können; er darf nicht das Vollzugsorgan der demokratisch nicht legitimierten Sozialpartner sein.1416 Schwarze, EAS, B 8100 Rn. 53. Britz / Schmidt, EuR 1999, S. 467 (477); Piazolo, Sozialer Dialog, S. 135 ff. Im Ergebnis auch Buchner, RdA 1993, S. 193 (201), der der grundsätzlichen Zuständigkeitsverteilung zwischen Kommission und Rat ein Argument entnimmt; Heinze, ZfA 1997, S. 505 (519); Kempen, KritV 1994, S. 13 (47 f.); Konzen, EuZW 1995, S. 39 (47); Watson, CML Rev. 1993, S. 481 (507). 1414 Vgl. Art. 202, 2. Spiegelstrich EGV. 1415 Der EuGH erkennt eine Haftung wegen legislativen Unrechts nur an, wenn dadurch eine höherrangige, dem Schutz des einzelnen dienende Rechtsnorm qualifiziert verletzt wird. Die Rechtswidrigkeit des Verhaltens reicht nicht aus; vgl. EuGH v. 02. 12. 1971, Rs. 5 / 71 – Zuckerfabrik Schöppenstedt / Rat –, Slg. 1971, S. 975 (984), Rn. 11. 1416 Ähnlich Schwarze, EAS, B 8100 Rn. 47, 84. 1412 1413

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5. Teil: Schlußfolgerungen für das Verfahren

So reicht der Grund der Verfahrensbeschleunigung für die Annahme einer Umsetzungspflicht nicht.1417 Zweifellos kann der Rat den Kommissionsvorschlag und die zugrunde liegende Vereinbarung ablehnen, wenn letztere rechtswidrig ist oder die Sozialpartner die Repräsentativitätsvoraussetzungen nicht erfüllen und Interessen von Betroffenen grob verletzen. Zu einer Prüfung insbesondere der Repräsentativität hält ihn das EuG ausdrücklich an.1418 Problematisch ist erneut nur, ob der Rat über ein Ablehnungsrecht aus rechtspolitischen Gründen verfügt, d. h. sein Ablehnungsrecht aus freiem politischen Ermessen ausüben darf. Dies wird aufgrund seiner politischen und rechtlichen Letztverantwortlichkeit allgemein bejaht. Anders als bei der Kommission könnten die Autonomie und das Legitimationspotential der Sozialpartner das Ablehnungsrecht nicht begrenzen.1419 Die Gründe für ein „vollkommen freies“ Ablehnungsrecht sind nicht ohne Gewicht. Sie gebieten sicherlich eine gegenüber der Kommission unterschiedliche Behandlung. Die Entscheidung muß m.E. gleichwohl differenzierter ausfallen. Mich überzeugt nicht, daß der Rat eine formell und materiell tadellose Vereinbarung aus willkürlich politischen Gründen ablehnen können soll. Dies widerspräche der Grundentscheidung der Art. 138 f. EGV. Nach ihr sollen die Sozialpartner wegen ihrer größeren Sachnähe durch eine autonome Regelung einen legitimatorischen Beitrag liefern. Wer ihnen aber eine autonome Regelung zutraut, sollte dieses Vertrauen nicht bei der Frage der Durchführung zurücknehmen. Andernfalls wäre der Legitimationsvorteil, den die Beteiligung der Sozialpartner bringt, nicht ausnutzbar. Angemessen scheint mir daher folgende vermittelnde Lösung: Um der wegen seiner Bedeutung und Verantwortung hervorgehobenen Legitimationsvermittlung Rechnung zu tragen, kommt dem Rat im Unterschied zu der Kommission ein politisches Ablehnungsrecht zu. Dieses Recht kann er aber nicht unbegrenzt und willkürlich ausüben. Der Ablehnung müssen vielmehr sachliche Erwägungen zugrunde liegen.1420 Die Zuversicht, daß der Rat seine Rechte nicht mißbraucht,1421 genügt nicht als Schutz. Vielmehr muß der Rat seine Ablehnung sachlich begründen.1422 In diese Richtung Reichel, Kompetenzabgrenzung, S. 120 ff. EuG v. 17. 06. 1998, Rs. T-135 / 96 – UEAPME / RAT –, Slg. II-1998, S. 2335 (2370 ff.), Rn. 87 f., 89 ff. 1419 So Balze, Sozialpolitische Kompetenzen, S. 273; Betten, ELR 1998, S. 20 (33); Birk, EuZW 1997, S. 453 (458); Britz / Schmidt, EuR 1999, S. 467 (477); Hartenberger, Europäischer sozialer Dialog, S. 76; Piazolo, Sozialer Dialog, S. 136; Schwarze, EAS, B 8100 Rn. 47; Wisskirchen, FS für Wlotzke, S. 793 (800). 1420 Auch bei der deutschen Allgemeinverbindlicherklärung kommt dem Bundesminister ein Ermessensspielraum auf der Rechtsfolgenseite zu, den er nach einer sachlichen Abwägung der betroffenen Belange auszufüllen hat; vgl. MünchArbR-Löwisch / Rieble, § 268 Rn. 75 ff. 1421 Vgl. Birk, EuZW 1997, S. 453 (458); Däubler, EuZW 1992, S. 329 (334). 1422 Das Anfügen einer Begründung praktiziert die Kommission bereits bei ihren Vorschlägen; vgl. KOM (93) 600 endg. v. 14. 12. 1993, Ziff. 39. 1417 1418

§ 19 Mitwirkung von Kommission und Rat bei der Umsetzung

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Die Begründung muß dabei objektiv nachvollziehbar sein. Zur Bestimmung ihrer genaueren Gestalt bietet sich der Rückgriff auf Art. 253 EGV an, der eine Begründungspflicht für Rechtsakte auch des Rates vorsieht. Danach müssen die Gemeinschaftsorgane ihre Motive so klar und eindeutig zum Ausdruck bringen, daß die Betroffenen die Gründe für die getroffene Maßnahme entnehmen können und der Gerichtshof seine Kontrolle ausüben kann.1423 Falls sich keine sachlichen Gegengründe finden, ist der Rat durchaus zur Umsetzung verpflichtet.1424 Trotzdem ist er in seinen Entscheidungen letztlich freier als die Kommission.

3. Nach Ablehnung einmalige Zurückverweisung an die Sozialpartner Lehnen die Kommission oder der Rat aus welchen Gründen auch immer die Sozialpartnervereinbarungen ab, gibt es grundsätzlich drei Verfahrensweisen: Entweder bricht das Rechtsetzungsverfahren komplett ab, die Gemeinschaftsorgane treten in den Rechtsetzungsprozeß ein oder die Sozialpartner erhalten eine Chance zur Nachbesserung ihrer Vereinbarung. Bei einer Ablehnung durch die Kommission wird den Sozialpartnern regelmäßig eine Nachbesserungsmöglichkeit eingeräumt.1425 Dem ist vor dem Hintergrund der Sozialpartnerautonomie und des sozialpartnerschaftlichen Legitimationsbeitrags zuzustimmen. Diesen Beitrag könnten die Sozialpartner ansonsten, d. h. bei Wiederaufnahme des klassischen Rechtsetzungsverfahrens unter Beteiligung des Europäischen Parlaments, nicht mehr leisten. Bei einer Ablehnung durch den Rat soll dagegen sofort das klassische Rechtsetzungsverfahren anlaufen. Die Sozialpartner werden auf die autonome Umsetzung nach den Verfahren und Gepflogenheiten der Sozialpartner und der Mitgliedstaaten auf der nationalen Ebene verwiesen.1426 Dieser Verfahrensgang wird ihrer legitimatorischen Funktion nicht gerecht. Aus den genannten Gründen ist den Sozialpartnern auch bei einer Ablehnung durch den Rat eine Nachbesserungsmöglichkeit zu gewähren.1427 Damit das Rechtsetzungsverfahren aber nicht unnötig lange verzögert wird, reicht eine einmalige Zurückverweisung mit einer Fristsetzung aus, bis zu der die Sozialpartner eine Stellungnahme oder Änderung ihrer Vereinbarung Lenz-Hetmeier, EGV, Art. 253 Rn. 4. Vgl. Kempen, KritV 1994, S. 13 (48), der die Begründungspflicht nicht aus der Autonomie der Sozialpartner und ihrem legitimatorischen Beitrag, sondern aus dem Subsidiaritätsprinzip gem. Art. 5 Abs. 2 EGV ableitet. In der Tendenz, wenn auch mit anderen Argumenten, Reichel, Kompetenzabgrenzung, S. 120 ff. 1425 Buchner, RdA 1993, S. 193 (202); Kempen, KritV 1994, S. 13 (48); ähnlich Schwarze, EAS, B 8100 Rn. 53. 1426 Hartenberger, Europäischer sozialer Dialog, S. 76; Piazolo, Sozialer Dialog, S. 136; Schwarze, EAS, B 8100 Rn. 85; a.A. Dederer, RdA 2000, S. 216 (217), nach dem das Rechtsetzungsverfahren zum Erliegen kommt. 1427 So aus Gründen des Subsidiaritätsprinzips auch Kempen, KritV 1994, S. 13 (48). 1423 1424

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5. Teil: Schlußfolgerungen für das Verfahren

vorgenommen haben. Erst wenn sie ihre Chance ungenutzt verstreichen lassen oder ihren Pflichten nicht nachkommen, nimmt das klassische Rechtsetzungsverfahren mit einem Regelungsvorschlag der Kommission seinen Gang. Die Sozialpartner müssen dann zu dem Kommissionsvorschlag nur gehört werden, wenn er von dem abweicht, der vor ihren Verhandlungen formuliert wurde. 4. Ergebnis Damit die demokratische Legitimation der Gemeinschaftsorgane voll zum Tragen kommt, verfügen sowohl Kommission als auch Rat über ein Ablehnungsrecht. Diesbezüglich besteht also kein grundlegender Unterschied. Allerdings ist das Ablehnungsrecht der Kommission auf rechtliche Gründe beschränkt. Ein Ablehnungsrecht aus freien rechtspolitischen Gründen würde die Autonomie der Sozialpartner übermäßig einschränken und damit deren Legitimationsbeitrag zunichte machen. Zu der Umsetzung der Sozialpartnervereinbarungen ist sie also nur nicht verpflichtet, wenn diese mit geltendem Gemeinschaftsrecht nicht vereinbar sind oder die Sozialpartner die Repräsentativitätsvoraussetzungen nicht erfüllen. Hingegen ist die Kommission zur Umsetzung verpflichtet, auch wenn ihr der Inhalt der Sozialpartnervereinbarung mißfällt. Außerhalb rechtlicher Bedenken trifft sie also eine Umsetzungspflicht. Zugegebenermaßen ist aufgrund ihres beschränkten inhaltlichen Einflusses auch ihre Legitimationsvermittlung beschränkt. Hierauf wird nach Klärung des Abänderungsrechts noch einmal einzugehen sein, vgl. IV. Anders verhält es sich beim Rat. Angesichts seiner besonderen Verantwortlichkeit ist das ihm grundsätzlich einzuräumende Ablehnungsrecht nicht auf rechtliche Gründe beschränkt. Damit wird vermieden, daß der Rat zum verlängerten Arm der Sozialpartner wird. Das rechtspolitische Ablehnungsrecht darf er allerdings – in Parallele zu Art. 253 EGV – nur aus sachlichen Gründen ausüben. Es ist also durch die Begründungspflicht begrenzt. Der geringe Unterschied im Ablehnungsrecht aus rechtspolitischen Gründen zwischen Kommission und Rat erklärt sich aus der Letztverantwortung des Rates. Nach einer Ablehnung müssen sowohl Kommission als auch Rat die Sozialpartnervereinbarung einmalig an die Sozialpartner zurückverweisen, bevor sie das normale Rechtsetzungsverfahren wiederaufnehmen. Den Sozialpartnern ist damit eine Chance auf Nachbesserung eingeräumt.

II. Abänderungsrecht von Kommission und Rat Eine weitere wichtige Frage ist, ob die Gemeinschaftsorgane an den Text der Sozialpartnervereinbarungen gebunden sind oder diesen abändern können. Ein Abänderungsrecht würde ihnen einen größeren inhaltlichen Einfluß auf die Rechtsetzung gewähren. Wie bereits ausgeführt, können sie ihre sachlich-inhaltliche demokratische Legitimation nur bei einem entsprechenden inhaltlichen Einfluß vermitteln.

§ 19 Mitwirkung von Kommission und Rat bei der Umsetzung

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1. Kommission Ein Abänderungsrecht der Kommission leitet das Schrifttum teilweise aus ihrer politischen Verantwortung und ihrer Befugnis zur Formulierung eines eigenen Vorschlags an den Rat her.1428 Die Argumente entsprechen hier denen zum Ablehnungsrecht der Kommission. Warum aber nimmt die h.M.1429 eine von Kliemann treffend als „take it or leave it“-Position1430 beschriebene Grundhaltung ein, die ein Ablehnungsrecht der Gemeinschaftsorgane bejaht, ein Abänderungsrecht aber wie selbstverständlich ablehnt? Die Gründe für diesen im Ergebnis richtigen Kompromiß werden nicht immer expliziert. Dahinter stehen folgende, nur zum Teil zutreffende Überlegungen: Art. 139 Abs. 2 EGV sieht expressis verbis die „Durchführung der ( . . . ) Vereinbarungen“ vor. Dürfte die Kommission die Sozialpartnervereinbarungen inhaltlich abändern, würde ihr Vorschlag, aber nicht mehr die ursprüngliche Vereinbarung durchgeführt, und wäre die genannte Formulierung verfehlt.1431 Das Wortlautargument ist m.E. jedoch nicht zwingend, da die Vorschrift gleichzeitig von dem zwischen Sozialpartnerantrag und Ratsbeschluß geschalteten „Vorschlag der Kommission“ spricht, was eine Änderungsbefugnis der Kommission nahelegt. Aus demselben Grund ist es auch wenig gewinnbringend, auf den gemeinsamen Antrag der Sozialpartner als Grundlage für den Ratsbeschluß hinzuweisen.1432 Ob das Weglassen der von den europäischen Sozialpartnern noch vor dem Maastrichter Vertrag vorgeschlagenen Formulierung der Durchführung der Vereinbarungen „so wie diese abgeschlossen worden sind“1433 im Sinne eines Abänderungsrechts zu deuten ist oder eher aus Gründen der Selbstverständlichkeit erfolgte, bleibt der Spekulation anheimgestellt. 1434 Klarheit ergeben Sinn und Zweck der Dialogvorschriften verbunden mit einer legitimatorischen Betrachtung. Der Sinn und Zweck besteht darin, die (Verhand1428 Vgl. Bödding, Sozialpartner, S. 110 ff., der bei Änderungen durch die Kommission einen Wechsel des Verfahrens annimmt und nicht mehr Art. 139 Abs. 2 EGV, sondern Art. 137 EGV als ausschlaggebend ansieht; Däubler, EuZW 1992, S. 329 (334). 1429 Buchner, RdA 1993, S. 193 (202); Guéry, ILRev. 1992, S. 581 (591); Schnorr, DRdA 1994, S. 193 (197); Watson, CML Rev. 1993, S. 481 (507); Schwarze, EAS, B 8100 Rn. 85; Weiss, FS für Gnade, S. 583 (593); ders., IJCLLIR 1992, S. 3 (12); Wisskirchen, FS für Arbeitsgerichtsverband, S. 653 (672). 1430 Kliemann, Europäische Sozialintegration, S. 137, und nach ihr Heinze, ZfA 1997, S. 505 (519). 1431 Guéry, ILRev. 1992, S. 581 (591); Heinze, ZfA 1997, S. 505 (518 f.). 1432 So aber Buchner, RdA 1993, S. 193 (202); Deinert, Europäischer Kollektivvertrag, S. 200. 1433 Vgl. das Abkommen der europäischen Sozialpartner v. 31. 10. 1991, Soziales Europa 2 / 1992, S. 180. 1434 Diese Entwicklung im Sinne eines Abänderungsrechts deutet Heinze, ZfA 1997, S. 505 (518); es enthalten sich Guéry, ILRev. 1992, S. 581 (591); Piazolo, Sozialer Dialog, S. 137 f.

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5. Teil: Schlußfolgerungen für das Verfahren

lungs-)Autonomie der Sozialpartner und ihren Legitimationsbeitrag anzuerkennen und ihre Vereinbarungen auf Gemeinschaftsebene durchzuführen.1435 Dabei muß ihr über die Autonomie vermittelte Legitimationsbeitrag mit der demokratischen Legitimation der Kommission abgewogen werden.1436 Die demokratische Legitimation der Kommission würde ein Abänderungsrecht rechtfertigen. Unter dieser Voraussetzung würde allerdings die Autonomie der Sozialpartner und somit ihr Legitimationsbeitrag im Rahmen des Sozialen Dialogs untergraben. Die geänderte Vereinbarung könnte dann nicht mehr als die der Sozialpartner angesehen werden. Genauso verhält es sich bei einem nur teilweisen Vorschlag der Vereinbarung an den Rat.1437 Folglich würde der Rat nicht mehr wie in Art. 139 Abs. 2 EGV vorgesehen die Sozialpartnervereinbarung, sondern den Kommissionsvorschlag durchführen.1438 War der Wortlaut allein genommen als Argument nicht ergiebig, ist er es im Zusammenhang mit dem Sinn und Zweck der Vorschriften. Bei Annahme eines Abänderungsrechts verkümmerten die Sozialpartnervereinbarungen zu bloßen Vorschlägen an die Kommission zur Gestaltung der sozialpolitischen Gemeinschaftsmaßnahme.1439 Art. 139 EGV wäre nichts mehr Besonderes, ginge der Legitimationsbeitrag der Sozialpartner verloren. Es gäbe dann kein Motiv mehr, auf die Beteiligung des Europäischen Parlaments zu verzichten.1440 Begrüßenswerterweise hält die Kommission weder den Rat noch sich selbst zu der Vornahme von Abänderungen für befugt.1441

2. Rat Zu klären bleibt, ob der Rat an den Inhalt der Sozialpartnervereinbarungen gebunden ist oder über ein Abänderungsrecht verfügt. Wegen seiner hervorgehobenen Stellung als das Rechtsetzungsorgan1442 können die unter 1. genannten Argumente nicht ohne weiteres auf den Rat übertragen werden. Der Rat darf noch 1435 Birk, EuZW 1997, S. 453 (458); Schwarze, EAS, B 8100 Rn. 49; Wisskirchen, FS für Arbeitsgerichtsverband, S. 653 (672). 1436 s. o. § 19 I. 1437 Hier unterscheidet sich der Soziale Dialog von der deutschen Allgemeinverbindlicherklärung. Zwar ist der Bundesminister auch an den Inhalt des Tarifvertrages gebunden und darf seinen Inhalt nicht ändern. Allerdings hält die überwiegende Ansicht eine teilweise Allgemeinverbindlicherklärung für zulässig; vgl. MünchArbR-Löwisch / Rieble, § 268 Rn. 21 ff.; Kempen / Zachert-Kempen, TVG, § 5 Rn. 13; zu dem fehlenden Abänderungsrecht Wiedemann-Wank, TVG, § 5 Rn. 56. 1438 Vgl. Piazolo, Sozialer Dialog, S. 138. 1439 Vgl. Langenbucher, ZEuP 2002, S. 265 (271); a.A. Arnold, NZA 2002, S. 1261 (1268); Britz / Schmidt, EuR 1999, S. 467 (489); Hornung-Draus, EuroAS 7 / 1993, S. 6 (7). 1440 Vgl. Schwarze, EAS, B 8100 Rn. 85. 1441 KOM (93) 600 endg. v. 14. 12. 1993, Ziff. 15, 38 f., 41. 1442 U.a. Höland, ZIAS 1995, S. 425 (445).

§ 19 Mitwirkung von Kommission und Rat bei der Umsetzung

267

weniger als die Kommission bloßer „Notar“1443 sein. Seine inhaltliche Einflußnahme kann daher weiter gehen als die der Kommission. Der Wortlaut des Art. 139 Abs. 2 EGV gibt für sich allein genommen keinen Aufschluß über ein Abänderungsrecht des Rates. In Anbetracht seiner politischen und rechtlichen Verantwortlichkeit und seiner Befugnis zur Änderung von Kommissionsvorschlägen nach Art. 250 Abs. 1 EGV unter der Voraussetzung eines einstimmigen Beschlusses scheint ein solches Recht jedoch unabweisbar. Befürworter eines Abänderungsrechts führen auch an, daß die Position der Sozialpartner nicht stärker als die der Kommission sein könne.1444 Obwohl der Rat seinen Durchführungsbeschluß nach Abänderung einer Vereinbarung durchaus demokratisch zu legitimieren vermag,1445 ist ein dahingehendes Recht trotz allem abzulehnen.1446 Die Vorschrift des Art. 250 Abs. 1 EGV findet – abgesehen von einer fehlenden Verweisung in Art. 139 Abs. 2 EGV1447 – auf letztere Vorschrift bereits sachlich keine Anwendung, auch wenn der Rat seinen Durchführungsbeschluß auf der Grundlage eines Kommissionsvorschlags erläßt. Der Grund hierfür liegt darin, daß nicht die Kommission mit ihrem Vorschlag, sondern die Sozialpartner die Vereinbarungen initiieren, die dann zu Gemeinschaftsrecht werden. Im Unterschied zu Art. 250 Abs. 1 EGV würde jede Änderung durch den Rat nicht nur den Kommissionsvorschlag, sondern zugleich die ihm zugrunde liegende Sozialpartnervereinbarung erfassen. Darüber hinaus sind das „normale“ Rechtsetzungsverfahren, für das Art. 250 Abs. 1 EGV gilt, und der Soziale Dialog in funktioneller Hinsicht nicht vergleichbar.1448 Dies drückt sich darin aus, daß die Kommission mit ihrem Vorschlagsrecht eine andere Funktion verfolgt als die Sozialpartner mit ihrem Recht aus den Art. 138 f. EGV. Die Kommission wirkt als Integrationsmotor. Sie soll die Interessen zwischen den Mitgliedstaaten ausgleichen, die Gemeinschaftsrechtsordnung wahren und keine Partikularinteressen verfolgen. Ihre Gestaltungsmacht kann der Rat nur bei Einstimmigkeit begrenzen.1449 Die Kommission ist Schulz, SF 1992, S. 79 (83). Zu diesem Ergebnis kommen Däubler, EuZW 1992, S. 329 (334); Heinze, ZfA 1997, S. 505 (519 f.); Kliemann, Europäische Sozialintegration, S. 138; Langenbucher, ZEuP 2002, S. 265 (272). 1445 Nicht zutreffend meint Deinert, Europäischer Kollektivvertrag, S. 202, daß der Durchführungsbeschluß des Rates ohne Beteiligung des Europäischen Parlaments und des Wirtschafts- und Sozialausschusses nicht demokratisch legitimiert ist. 1446 So auch Birk, EuZW 1997, S. 453 (458 f.); Britz / Schmidt, EuR 1999, S. 467 (478); Buchner, RdA 1993, S. 193 (202); Deinert, Europäischer Kollektivvertrag, S. 200 ff.; Guéry, ILRev. 1992, S. 581 (591); Höland, ZIAS 1995, S. 425 (445); Konzen, EuZW 1995, S. 39 (47); Piazolo, Sozialer Dialog, S. 140, 144; Schnorr, DRdA 1994, S. 193 (197); Schwarze, EAS, B 8100 Rn. 53 f., 84 f.; Wank, RdA 1995, S. 10 (21); Watson, CML Rev. 1993, S. 480 (507); Weiss, FS für Gnade, S. 583 (593); Wisskirchen, FS für Wlotzke, S. 793 (800); widersprüchlich Schmidt, Befugnisse der Sozialpartner, S. 216 f. 1447 Vgl. Britz / Schmidt, EuR 1999, S. 467 (478); Höland, ZIAS 1995, S. 425 (445). 1448 Vgl. Deinert, Europäischer Kollektivvertrag, S. 201 f.; Piazolo, Sozialer Dialog, S. 141 f. 1443 1444

268

5. Teil: Schlußfolgerungen für das Verfahren

damit an den übereinstimmenden Willen der Mitgliedstaaten gebunden.1450 Die Sozialpartner dagegen können nach den Art. 138 f. EGV eigene Vereinbarungen aushandeln und zur Durchführung vorlegen und damit ihre Autonomie ausüben. Sie unterliegen nicht in gleicher Weise wie die Kommission dem Willen der Mitgliedstaaten. Aber auch eine analoge Anwendung des Art. 250 Abs. 1 EGV ist zu verwerfen.1451 Für sie besteht in legitimatorischer Hinsicht kein Bedürfnis. Der Rat kann der sachlich-inhaltlichen Legitimationsvermittlung durch sein Ablehnungsrecht ausreichend Rechnung tragen. Das Ablehnungsrecht ermöglicht es ihm, den Inhalt der Sozialpartnervereinbarungen indirekt zu steuern. Die mit der Überarbeitung der Vereinbarungen wegen der Rückverweisung an die Sozialpartner verbundenen Verzögerungen sind vor dem Hintergrund des sozialpartnerschaftlichen Legitimationsbeitrages hinnehmbar.1452 Ansonsten würde genau das eintreten, was zuvor kritisiert wurde1453: Die Vereinbarungen würden zu bloßen Anregungen herabsinken. Lohnenswerter ist der Vergleich mit den nationalen Verfahren der Allgemeinverbindlicherklärung.1454 Bei ihr verleiht die staatliche Mitwirkung ähnlich dem Ratsbeschluß bei dem Sozialen Dialog dem normativen Teil des Tarifvertrages erst die Außenwirkung. Den staatlichen Organen kommt dabei in der Regel kein Abänderungsrecht zu.1455 Auch Sinn und Zweck der Dialogvorschriften führen zu diesem Ergebnis. Da sie immer gleich sind, hat hier dieselbe Abwägung wie bei dem Abänderungsrecht der Kommission stattzufinden. Das bedeutet: Soll die Sozialpartnerautonomie nicht konterkariert werden, muß man dem Rat ein Abänderungsrecht versagen. Andernfalls läge keine Vereinbarung der Sozialpartner mehr vor.1456 Die Position der Sozialpartner ist damit tatsächlich stärker als die der Kommission.1457 Ursächlich hierfür ist die Konzeption des Sozialen Dialogs. In der Praxis gestaltet die Kommission ihren Vorschlag an den Rat daher so, daß die Sozialpartnervereinbarung dem Ratsbeschluß als Anlage beigefügt wird.1458 1449 Ausnahmen von der Einstimmigkeit gelten ausdrücklich für die Art. 251 Abs. 4 und 5 EGV, wonach der Vermittlungsausschuß im Verfahren der Mitentscheidung entscheidet. 1450 Hierzu Lenz-Hetmeier, EGV, Art. 250 Rn. 3. 1451 So aber Langenbucher, ZEuP 2002, S. 265 (272 f., 279). 1452 Zu berücksichtigen ist hier auch, daß das Verfahren des Sozialen Dialogs im Vergleich zu den sonstigen Rechtsetzungsverfahren sowieso weniger Zeit in Anspruch nimmt; vgl. KOM (2001) 130 endg. v. 07. 03. 2001, Anlage II (S. 14). 1453 s. o. § 19 II. 1.; a.A. hier Langenbucher, ZEuP 2002, S. 265 (272 f., 279). 1454 Ausführlicher hierzu Piazolo, Sozialer Dialog, S. 118 ff. 1455 Vgl. zu der deutschen Allgemeinverbindlicherklärung Wiedemann-Wank, TVG, § 5 Rn. 56. 1456 KOM (93) 600 endg. v. 14. 12. 1993, Ziff. 15. 1457 Nach Ansicht von Wank, RdA 1995, S. 10 (21), erklärt das möglicherweise, warum das Europäische Parlament nicht an dem Sozialen Dialog beteiligt ist. 1458 KOM (93) 600 endg. v. 14. 12. 1993, Ziff. 41.

§ 19 Mitwirkung von Kommission und Rat bei der Umsetzung

269

3. Ergebnis Trotz ihrer demokratischen Legitimation sind weder Kommission noch Rat zur Abänderung der Sozialpartnervereinbarungen befugt. Das ergibt die Abwägung zwischen dem über die Autonomie vermittelten Legitimationsbeitrag der Sozialpartner und der demokratischen Legitimation der Gemeinschaftsorgane im Rahmen der teleologischen Auslegung der Dialogvorschriften. Ansonsten würde der Legitimationsbeitrag der Sozialpartner zunichte gemacht. Ihre besondere Sachnähe soll aber gerade legitimatorisch ausgenutzt werden.

III. Problem der faktischen Bindungswirkung der Sozialpartnervereinbarungen Faktisch stellt sich – unabhängig von den Rechten der Gemeinschaftsorgane – das Problem, daß sich die hoheitlichen Entscheidungsträger aufgrund der sachlichen Kompetenz der Sozialpartner zum Teil an deren Vereinbarungen gebunden fühlen und daher die Sozialpartnervereinbarungen nicht auf eine mögliche Ablehnung hin prüfen.1459 Fraglos streitet die Sachnähe der Sozialpartner für die sachliche Richtigkeit ihrer Vereinbarungen. Ihre faktische Bindungswirkung darf deshalb nicht unterschätzt werden. Die rechtliche Stellung der Gemeinschaftsorgane und insbesondere des Rates als letztentscheidende Instanz bleibt hiervon zwar unberührt. Auch kann die sachlich-inhaltliche Legitimation der Gemeinschaftsmaßnahme schwerlich bestritten werden. Durch seinen Umsetzungsbeschluß bindet der Rat schließlich den Norminhalt, wenn auch nur formal, an den Willen der Normunterworfenen zurück. Die Maßnahme ist also nicht ipso jure unwirksam. Doch ist sie gerichtlich durch eine Nichtigkeitsklage auf der Grundlage von Art. 230 Abs. 4 EGV1460 angreifbar, wenn die Kommission und insbesondere der Rat die Repräsentativität der Sozialpartner im Hinblick auf den Inhalt der Sozialpartnervereinbarung tatsächlich nicht geprüft haben und / oder die am Abschluß 1459 Grundlegend zu dem Einfluß von Interessenverbänden auf die hoheitliche Willensbildung vgl. Benda / Maihofer / Vogel-Schneider, Hdb des VerfR, § 13 Rn. 23 f. m w. N.; kritisch dies.-Grimm, Hdb des VerfR, § 15 Rn. 12 ff.; Steinberg, ZRP 1972, S. 207 ff. 1460 Zu der Klagebefugnis bemerkt das EuG v. 17. 06. 1998, Rs. T-135 / 96 – UEAPME / RAT –, Slg. II-1998, S. 2335 (2371 f.), Rn. 90: Fehlt die Gesamtrepräsentativität „haben von der Kommission ( . . . ) gehörte Sozialpartner, die am Abschluß der betreffenden Vereinbarung nicht beteiligt waren und deren eigene Repräsentativität im Hinblick auf den Inhalt der Vereinbarung zur Herstellung der Gesamtrepräsentativität notwendig ist, das Recht, Kommission und Rat daran zu hindern, die Vereinbarung auf Gemeinschaftsebene durch einen Gesetzgebungsakt durchzuführen. Der gerichtliche Rechtsschutz, der zur Gewährleistung dieses Rechts zur Verfügung stehen muß, verlangt, daß die Sozialpartner, die die Vereinbarung nicht unterzeichnet haben und diese Merkmale erfüllen, bei Erhebung der Nichtigkeitsklage gegen den Rechtsakt des Rates, mit dem die Vereinbarung ( . . . ) durchgeführt werden soll, als durch diesen unmittelbar und individuell betroffen angesehen werden müssen.“

270

5. Teil: Schlußfolgerungen für das Verfahren

der Vereinbarung nicht beteiligten Sozialpartner ihre Interessen verletzt sehen.1461 Das Gericht muß dann sowohl die tatsächliche Durchführung der Prüfung durch die Gemeinschaftsorgane als auch die Repräsentativität der Sozialpartner überprüfen. Liegt ein (grober) Verstoß gegen eine der Voraussetzungen vor, hat es die Gemeinschaftsmaßnahme wegen eines Verfahrensfehlers1462 für nichtig zu erklären. Die Begründung für einen erheblichen Verfahrensfehler kann m.E. nur aus einem legitimatorischen Ansatz fließen: Tragen die Vereinbarungen den betroffenen Interessen nicht ausreichend Rechnung, greift die durch die Einbeziehung der Sozialpartner anvisierte Legitimationssteigerung nicht durch und soll die Gemeinschaftsmaßnahme mangels „besonderen“ legitimatorischen Wertes auch nicht wirksam sein. Den Gemeinschaftsorganen sind ihre Rechte daher ins Bewußtsein zu rufen. Sie sind angehalten, ihre Rechte auszuüben und die Repräsentativität der Sozialpartner zu prüfen, da andernfalls eine Aufhebung ihres Rechtsaktes durch die europäischen Gerichte droht. Dieser Appell gilt umso mehr, als sich nur schwer nachweisen lassen wird, daß die Organe von ihrem Prüfungs- und Ablehnungsrecht keinen Gebrauch gemacht haben. Bei der Prüfung haben sie insbesondere die Interessen im Blick zu behalten, die nur schwer zu organisieren sind und bei einer verbandlichen Interessenrepräsentation in der Regel untergehen.1463

IV. Bewertung der Mitwirkung von Kommission und Rat Fraglos können nur die Gemeinschaftsorgane die gemeinschaftlichen Rechtsetzungsakte organisatorisch-personell und sachlich-inhaltlich demokratisch legitimieren. Die organisatorisch-personelle Legitimation erzeugt spätestens der Umsetzungsakt des Rates. Die sachlich-inhaltliche Legitimation können die Gemeinschaftsorgane allerdings bloß vermitteln, wenn ihnen auch ein ausreichender inhaltlicher Einfluß auf die dem Rechtsetzungsakt zugrunde liegende Sozialpartnervereinbarung zukommt. Bei der Beurteilung des inhaltlichen Einflusses ist die demokratische Legitimation der Gemeinschaftsorgane mit dem vergleichbar wertvollen Legitimationsbeitrag der Sozialpartner in ein ausgewogenes Verhältnis zu bringen. Diese Balance wird erreicht, indem den Gemeinschaftsorganen ein mehr oder weniger eingeschränktes Ablehnungsrecht von Kommission und Rat gewährt, ein Abänderungsrecht aber versagt wird. 1461 Vgl. EuG v. 17. 06. 1998, Rs. T-135 / 96 – UEAPME / RAT –, Slg. II-1998, S. 2335 (2372 f.), Rn. 91, 93. 1462 Vgl. EuG v. 17. 06. 1998, Rs. T-135 / 96 – UEAPME / RAT –, Slg. II-1998, S. 2335 (2370), Rn. 87. 1463 Dazu zählen etwa die Interessen der unterrepräsentierten Normunterworfenen; vgl. Benda / Maihofer / Vogel-Grimm, Hdb des VerfR, § 15 Rn. 6; Hirsch, Funktionen der Gewerkschaften, S. 141; BVerfG v. 05. 02. 1991 – 1 BvF 1 / 85, 1 / 88 –, BVerfGE 83, S. 238 (335).

§ 20 Zusammenfassung

271

Entgegen allen Befürchtungen1464 gefährdet das allein auf rechtliche Gründe zu stützende Ablehnungsrecht der Kommission nicht die demokratische Legitimation der Rechtsetzungsakte. Zwar kann die Kommission ihrer politischen Verantwortlichkeit und damit der Vermittlung ihrer demokratischen Legitimation aufgrund ihres eingeschränkten Ablehnungsrechts nur begrenzt Rechnung tragen. Doch ist dies aufgrund des sozialpartnerschaftlichen Legitimationsbeitrags und des Umstandes hinzunehmen, daß die Kommission eine gegenüber dem Rat untergeordnete Rolle im Rechtsetzungsverfahren spielt. Der Rat kann hingegen durch sein weitergehendes rechtliches und (bedingt) politisches Ablehnungsrecht einen ausreichenden inhaltlichen Einfluß auf die Rechtsetzungsakte nehmen. Auf seine Legitimationsvermittlung kommt es entscheidend an. Indem er die Sozialpartnervereinbarungen zur Durchführung annimmt, nimmt er sie in seinen Willen auf. Bereits diese Entscheidung kann die Sozialpartnervereinbarung mit der erforderlichen sachlich-inhaltlichen demokratischen Legitimation ausstatten. Die ihm nach hier vertretener Ansicht auferlegte Begründungspflicht im Falle der Ablehnung aus politischen Gründen hindert seine inhaltliche Einflußnahme nicht wesentlich. Anders ausgedrückt schränkt die Begründungspflicht seine für die politische Verantwortung erforderliche Kontrolle über den Rechtsetzungsakt nicht übermäßig ein. Ein Abänderungsrecht von Kommission und Rat würde indes die erwähnte Balance übermäßig zu Lasten des sozialpartnerschaftlichen Legitimationsbeitrags verschieben. Es ist daher abzulehnen. Wichtig ist, daß Kommission und Rat von ihrem Letztentscheidungsrecht auch Gebrauch machen und die Sozialpartnervereinbarungen inhaltlich prüfen.

§ 20 Zusammenfassung Aus den Ergebnissen der vorangegangenen Teile ließ sich konkret für das Verfahren des Sozialen Dialogs und die Auslegung der Art. 138 f. EGV schlußfolgern, daß die Sozialpartner aufgrund ihrer legitimatorischen Funktion Auswahlkriterien zu erfüllen haben. An diese Auswahlkriterien ist ein großzügiger Maßstab anzulegen, eben weil die Sozialpartner keine originäre Legitimation erzeugen, sondern eine fremde Legitimation „nur“ unterstützen. Zur Auswahl der Sozialpartner hat sich das übergeordnete Kriterium der Repräsentativität als geeignet erwiesen. Es vermag eine möglichst weitgehende Annäherung an die Willens- und Interessenlage der Normunterworfenen sicherzustellen. Auf diesem Wege bringt es das sozialpartnerschaftliche Legitimationspotential zur Geltung. Da dieses Potential wegen der Initiativstellung der Sozialpartner in der Verhandlungsphase stärker ausgeprägt ist als in der Anhörungsphase, unterliegt die Repräsentativität in der Verhandlungsphase etwas strengeren Anforderungen. 1464

Vgl. Britz / Schmidt, EuR 1999, S. 467 (488 f.).

272

5. Teil: Schlußfolgerungen für das Verfahren

Ausgefüllt wird sie durch quantitative und qualitative Repräsentativitätskriterien. Die quantitativen Kriterien dienen dazu, Sozialpartner von gewissem Gewicht auszusuchen. Die qualitativen Kriterien sind darauf gerichtet, möglichst alle betroffenen Interessen in den Verhandlungsprozeß und das Verhandlungsergebnis einzubringen. Neben die Repräsentativität tritt in der Verhandlungsphase das Erfordernis der gegenseitigen Anerkennung der Sozialpartner. Es erschwert, daß auch weniger „mächtige“ Sozialpartner in den Verhandlungsprozeß eintreten. Daher müssen die Gerichte und auch die Gemeinschaftsorgane eine Kontrollfunktion wahrnehmen und die Sozialpartner und die Ergebnisse auf ihre Repräsentativität hin überprüfen. Die bisherigen Ergebnisse ließen des weiteren Schlußfolgerungen für die Mitwirkung der Gemeinschaftsorgane bei der Rechtsetzung zu. Es konnten dadurch konkret die Rollenverteilung von Gemeinschaftsorganen und Sozialpartnern und die Auslegung der Verfahrensvorschriften geklärt werden. Dabei hat sich gezeigt, daß die Vermittlung der demokratischen Legitimation bestmöglich ausfällt, wenn die Gemeinschaftsorgane ein Recht zur Ablehnung, aber nicht zur Abänderung der Sozialpartnervereinbarungen haben. Die unterschiedliche Reichweite des Ablehnungsrechts von Kommission und Rat erklärt sich aus der besonderen Aufgabenverteilung zwischen Kommission und Rat im Verfahren des Sozialen Dialogs. Die Letztentscheidung und Letztverantwortung liegt allein beim Rat. Abschließend bleibt daher festzustellen, daß die durch den Sozialen Dialog gesetzten Rechtsetzungsakte ihre demokratische Legitimation hauptsächlich durch den Rat und daneben durch die Kommission vermittelt bekommen. Die Sozialpartner stärken die Legitimation insbesondere des Rates. Die Verfahrensvorschriften sind entsprechend ausgelegt mit dem gemeinschaftsrechtlichen Demokratieprinzip vereinbar.

6. Teil

Zusammenfassung und Schlußbetrachtung Das Ziel der Untersuchung bestand in einer legitimatorischen Beurteilung des Sozialen Dialogs und seiner Rechtsetzungsakte unter besonderer Berücksichtigung der sozialpartnerschaftlichen Legitimationskraft. Dabei sollte ergründet werden, ob die Zweifel an der demokratischen Legitimation des Verfahrens berechtigt sind. Die Ergebnisse der einzelnen Teile wurden jeweils an deren Ende zusammengefaßt. An dieser Stelle sollen die anfänglichen Forschungsfragen beantwortet und zu diesem Zweck die wichtigsten Erkenntnisse zusammengetragen werden (§ 21). Anschließend ist auf die Zweifel an der demokratischen Legitimation und die Folgerungen für das Europäische Sozialmodell einzugehen (§ 22).

§ 21 Zusammenfassung der wesentlichen Ergebnisse I. Der von der Kommission initiierte formelle Soziale Dialog, der mangels eigener normativer Wirkung durch einen Ratsbeschluß auf Gemeinschaftsebene durchgeführt wird, muß wegen seiner Nähe zu hoheitlichen Rechtsetzungsverfahren am ehesten am Maßstab des Demokratie- und Rechtsstaatsprinzip gemessen werden. Die Beteiligung der Sozialpartner an ihm gestaltet sich unter legitimatorischen Gesichtspunkten am problematischsten.1465

II. Das gemeinschaftsrechtliche Demokratieprinzip, das aktuell in Art. 6 Abs. 1 EUV und den allgemeinen Rechtsgrundsätzen verankert ist, verlangt abstrakt keine Beteiligung des Europäischen Parlaments an allen gemeinschaftlichen Rechtsetzungsakten. Die Sozialpartner müssen es folglich auch nicht ersetzen.1466

1465 1466

18 Spieß

Vgl. 2. Teil §§ 3 – 7. Vgl. 3. Teil § 10.

274

6. Teil: Zusammenfassung und Schlußbetrachtung

Den normativen Kern des gemeinschaftsrechtlichen Demokratieprinzips bildet der Gedanke der Volkssouveränität, der den nationalen Verfassungen gemein ist. Zwar sind seine Voraussetzungen auf Gemeinschaftsebene im strengen Sinne nicht erfüllt. Erkennt man aber richtigerweise die Selbstbestimmung als Wesen der Demokratie an, können auch die herrschaftsunterworfenen Bürger in ihrer Doppelstellung als Staats- und Unionsbürger die gemeinschaftliche Hoheitsgewalt demokratisch legitimieren.1467 Ein Rückgriff auf die nationalen Legitimationsquellen der Staatsbürger ist also möglich. Dieser sog. Grundsatz der Bürgersouveränität ist abgesehen von dem Legitimationssubjekt sachlich mit dem Grundsatz der Volkssouveränität vergleichbar. Er verbürgt die organisatorisch-personelle und sachlich-inhaltliche demokratische Legitimation.1468 An den Grundformen der Bürgersouveränität sind die Legitimation der Akteure und die Wirksamkeit der Rechtsakte zu messen. Der Grundsatz der parlamentarischen Demokratie gilt zwar in seiner Kernaussage in allen mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen und bildet einen allgemeinen Rechtsgrundsatz. Auch vermag das Europäische Parlament grundsätzlich eine demokratische Legitimation zu vermitteln.1469 Wie sich herausgestellt hat, ist dieser allgemeine Rechtsgrundsatz aber aufgrund der supranationalen Struktur nicht uneingeschränkt auf die Gemeinschaft übertragbar.1470 Nach dieser Struktur muß den selbständigen Mitgliedstaaten nach ihrem Willen die Letztverantwortung über die gemeinschaftlichen Rechtsetzungsakte zukommen, weshalb der Rat das entscheidende Rechtsetzungsorgan darstellt. Die Legitimation durch das Europäische Parlament hat nur stützenden Charakter. Ein Ausbau seiner Befugnisse ist zwar politisch wünschenswert, aber rechtlich nicht zwingend. Das Demokratieprinzip darf also nicht übervertraglich konstruiert werden. Vielmehr hat es sich nicht zuletzt wegen der Prozeß- und Kompromißhaftigkeit der europäischen Integration an den gemeinschaftlichen Vertragsvorschriften zu orientieren.

III. Als Ausprägung des gemeinschaftsrechtlichen Rechtsstaatsprinzips erlaubt der Grundsatz der Gesetzmäßigkeit eine fremdbestimmende Normsetzung grundsätzlich nur durch demokratisch legitimierte Rechtsetzungsorgane. Er erhebt das demokratische Verfahren zur Verfahrensgarantie.1471 Das Rechtsstaatsprinzip sichert so verfahrensmäßig ab, was das Demokratieprinzip inhaltlich bestimmt.1472 Vgl. 3. Teil § 10 II. 3. a). Die erste Grundform verlangt, die Hoheitsgewalt in einer ununterbrochenen Legitimationskette auf die Bürger zurückzuführen. Die zweite Grundform soll gewährleisten, daß die Hoheitsgewalt ihrem Inhalt nach von den Bürgern hergeleitet wird. 1469 Vgl. 3. Teil § 10 II. 3. b) bb) (1). 1470 Vgl. 3. Teil § 10 II. 3. b) bb) (2). 1471 Vgl. 3. Teil § 11 I. 2. 1472 Vgl. 3. Teil § 11 II. 1467 1468

§ 21 Zusammenfassung der wesentlichen Ergebnisse

275

IV. Obwohl die Legitimationsketten nur mittelbar auf die (Staats-)Bürger zurückführen, vermögen die Gemeinschaftsorgane Kommission und Rat die gemeinschaftlichen Rechtsetzungsakte grundsätzlich rechtsdogmatisch in organisatorischpersoneller und sachlich-inhaltlicher Hinsicht ausreichend demokratisch zu legitimieren.1473 Die aus dem nationalen Ursprung der Legitimation folgende fehlende Gesamtverantwortlichkeit des Rates und insbesondere die fehlende Verantwortlichkeit einzelner Ratsvertreter kommt vor allem bei Mehrheitsentscheidungen negativ zum Tragen. Die Rückbindung des Rates an die überstimmten Staatsbürger wird aber entweder durch deren strukturell bedingte Einflußnahme im Vorfeld der Entscheidung gewahrt, oder ihr Fehlen durch die Integrations- und Handlungsfähigkeit der Gemeinschaft gerechtfertigt.1474 Die Legitimationsprobleme im Zusammenhang mit den Mehrheitsentscheidungen stellen sich bei der Kommission weniger stark, da ihr Legitimationsstrang auch auf die Unionsbürger zurückführt und sie primär gemeinschaftliche Interessen vertritt.1475

V. Die Sozialpartner verfügen über ein Legitimationspotential. 1476 Aufbauend auf die Vorstellung des EuG von einem Legitimationsprinzip kraft Repräsentativität erstreckt es sich auf die Normsetzung der Sozialpartner auch gegenüber Außenseitern ohne staatlichen Umsetzungsakt.1477 Diese Vorstellung ist nur auf der Grundlage der virtuellen Repräsentation denkbar, die auf die Identität der typisierten Willens- und Interessenlage zwischen Mitgliedern und Nichtmitgliedern abstellt. Wie sich erwiesen hat, kann sie eine dem Europäischen Parlament vergleichbare eigene Legitimation der Sozialpartner allerdings nicht stützen.1478 Das Legitimationsprinzip kraft Repräsentativität vermag zwar auf der Grundlage der virtuellen Repräsentation die für die sachlich-inhaltliche Legitimation erforderliche Zurechnungsbeziehung zwischen den Verbänden und Normunterworfenen und damit die Außenwirkung der kollektiven Normen zu rechtfertigen. Doch ist sie als der demokratischen Legitimation nicht gleichwertig anzusehen.1479 Die Vgl. 4. Teil §§ 14, 15. Siehe 4. Teil § 14 II. 2. 1475 Siehe 4. Teil § 15 II. 1476 Das bestätigen der systematische Vergleich mit den „klassischen“ Rechtsetzungsverfahren, an denen i.d.R. das Europäische Parlament beteiligt ist, die Entstehungsgeschichte sowie der Sinn und Zweck der Dialogvorschriften, s. 1. Teil § 1 II. 1477 Vgl. 4. Teil § 16 I. 1478 Siehe 4. Teil § 16 IV. 1. b) ff). 1479 Dazu 4. Teil § 16 IV. 1. c). 1473 1474

18*

276

6. Teil: Zusammenfassung und Schlußbetrachtung

Konzeption verstößt sowohl gegen das europäische Primärrecht als auch gegen das nationale Grundgesetz. Das der Virtualität inne wohnende fiktive Element ist dem modernen Verfassungsverständnis zu fremd. Es wäre außerdem mit dem nationalen Grundsatz der demokratischen Legitimation nicht vereinbar, wenn jeder Verband Außenseiter vertreten könnte, solange er repräsentativ wäre. Kein nationales Tarifvertragsrecht stützt sich explizit auf die Vorstellung einer virtuellen Repräsentation. Reicht die Legitimation der Sozialpartner nicht zur Normsetzung gegenüber allen Normunterworfenen, kann sie gestützt auf die Vorstellung der virtuellen Repräsentation die demokratische Legitimation insbesondere des Rates verstärken. Dabei hilft sie dem hoheitlichen Normsetzer bei der Ermittlung der Willens- und Interessenlage der Normunterworfenen.1480

VI. Aufgrund ihrer legitimationssteigernden Funktion sind an die Sozialpartner Anforderungen zu stellen, die auch justitiabel sind. Ein geeignetes Kriterium bildet die Repräsentativität, die möglichst weitgehend die Willens- und Interessenlage der Normunterworfenen abbildet. Die sie ausfüllenden Repräsentativitätskriterien stehen nicht im Ermessen der Kommission. Repräsentative Sozialpartner haben daher ein Recht auf Anhörung.1481 Die Verhandlungspartner haben aber wegen des zusätzlichen Kriteriums der gegenseitigen Anerkennung, das Ausdruck der Sozialautonomie ist, kein Recht auf Verhandlungsteilnahme. 1482 Die Repräsentativität hat einen eigenen europäischen Gehalt und setzt sich aus quantitativen und qualitativen Kriterien zusammen.1483 Die quantitativen Aspekte sollen gewährleisten, daß nur Organisationen mit gewissem Gewicht beteiligt werden. Neben der relativ hohen Mitgliederzahl, die im Vergleich zu den anderen Sozialpartnern derselben Organisationsebene und unter Berücksichtigung des allgemeinen Organisationsgrades zu bestimmen ist, kommt es in der Verhandlungsphase auf strukturelle Voraussetzungen wie die supranationale Struktur und die Tariffähigkeit der Mitgliedsorganisationen an. Die qualitativen Aspekte sollen die Berücksichtigung aller betroffenen Interessen in dem Verhandlungsergebnis sicherstellen. Sie drücken sich in der Verhandlungsphase in der Verfaßtheit als Arbeitnehmer- oder Arbeitgeberorganisation, der Zuständigkeit der Mitgliedsorganisationen für den Verhandlungsgegenstand, dem Mandat durch die nationalen Organisationen, der Gegnerunabhängigkeit, dem Verhandlungswillen sowie der Freiwilligkeit der Mitgliedschaft aus. Wichtig ist hier, daß die Sozialpartner ihrem 1480 1481 1482 1483

Vgl. 4. Teil § 16 IV. 2. Vgl. 5. Teil § 18 I. Dazu 5. Teil § 18 III. 5. b). Vgl. 5. Teil § 18 III. 5. a).

§ 21 Zusammenfassung der wesentlichen Ergebnisse

277

Zweck sowie ihrer Struktur nach auf die Beteiligung an Kollektivverhandlungen ausgerichtet sind. Die Anforderungen an die Repräsentativität sind großzügig zu fassen.1484 Die Sozialpartner müssen das Europäische Parlament nicht ersetzen. Für die Kontrolle der Sozialpartnervereinbarungen heißt das: Die Gemeinschaftsorgane und das Gericht müssen die Sozialpartner und ihre Ergebnisse auf die Repräsentativität hin überprüfen. – Dabei haben sie besonders auf die Wahrung der Minderheiteninteressen zu achten. – Sie können aber nur eingreifen, d. h. die Sozialpartnervereinbarungen ablehnen oder für unwirksam erklären, wenn diese betroffene Interessen grob verletzen. Die Anforderungen sind für die Anhörungsphase noch einmal weiter als für die Verhandlungsphase zu fassen, da die Legitimationskraft der Sozialpartner in ihr nicht zur vollen Geltung gelangt.1485 Konkret bedeutet das, daß die Tariffähigkeit der Mitgliedsorganisationen, das Mandat der angeschlossenen Verbände und die Freiwilligkeit der Mitgliedschaft verzichtbar sind. Davon abgesehen sind die Repräsentativitätskriterien für die verschiedenen Dialogebenen identisch.

VII. Das Endergebnis für das Sekundärrecht lautet: Die demokratische Grundlage der durch den Sozialen Dialog gesetzten Normen bilden der Rat, die Kommission und die Sozialpartner zu unterschiedlichen Anteilen. Aus der Legitimation der Beteiligten ließ sich schlußfolgern, daß die Gemeinschaftsorgane ihre demokratische Legitimation bei der Durchführung der Sozialpartnervereinbarungen vermitteln müssen. De jure reicht für die Vermittlung der sachlich-inhaltlichen Legitimation ein Recht zur Ablehnung der Vereinbarungen aus.1486 Die Sozialpartner können die demokratische Legitimation der Gemeinschaftsorgane unterstützen. Kommission und Rat können die Sozialpartnervereinbarungen aus rechtlichen Gründen ablehnen. Faktisch setzt das Ablehnungsrecht eine Prüfung der sozialpartnerschaftlichen Repräsentativität voraus.1487 Unterlassen die Gemeinschaftsorgane dies, ist der gemeinschaftliche Rechtsetzungsakt nicht zwingend unwirksam. Er ist allerdings gerichtlich angreifbar, falls an dem Abschluß der Vereinbarung nicht beteiligte Sozialpartner ihre Interessen nicht ausreichend berücksichtigt sehen. Die Gemeinschaftsorgane sind also zur umfassenden Legitimationsvermittlung und Vermeidung von Rechtsstreitigkeiten angehalten, die Prüfung der Repräsentativität tatsächlich durchzuführen. Nach einer Ablehnung ist die Sozialpartnervereinbarung ein Mal an die Sozialpartner zurückzuverweisen. 1484 1485 1486 1487

Vgl. 5. Teil § 18 III. 3. Siehe 5. Teil § 18 III. 4., 5. c). Siehe 5. Teil § 19 I. Vgl. 5. Teil § 19 III.

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6. Teil: Zusammenfassung und Schlußbetrachtung

Die Ablehnung aus politischen Gründen kann nur der Rat vornehmen, da er die politische und rechtliche Letztverantwortung trägt. Voraussetzung ist aber, daß er die Ablehnung parallel zu Art. 253 EGV sachlich, d. h. objektiv nachvollziehbar begründet. Das Abänderungsrecht würde indes den Ausgleich mit der sozialpartnerschaftlichen Legitimationskraft verfehlen.1488

VIII. Das Endergebnis für das Primärrecht lautet: Trotz einiger Bedenken verstoßen die Dialogvorschriften bei entsprechender Auslegung nicht gegen das gemeinschaftsrechtliche Demokratie- und Rechtsstaatsprinzip. Voraussetzung ist wie erwähnt, daß die Gemeinschaftsorgane tatsächlich die Repräsentativität der Sozialpartner überprüfen.1489

§ 22 Schlußbetrachtung Das rege Interesse der Literatur an dem Sozialen Dialog ist verständlich angesichts der vielschichtigen Fragen, die mit ihm einhergehen. An der „Attraktivität“ als Untersuchungsgegenstand wird er so schnell nichts einbüßen. Die vielfach geäußerten Zweifel an seiner demokratischen Legitimation sind indessen nur teilweise berechtigt. Sie treffen insoweit zu, als mit dem Verfahren rechtspolitische Defizite einhergehen. Diese liegen beispielsweise in der Nichtbeteiligung des unmittelbar demokratisch legitimierten Europäischen Parlaments und in der federführenden Stellung des nur mittelbar legitimierten Ministerrats. Legislative Verbesserungen sind hier alsbald anzumahnen. Die Zweifel sind jedoch insoweit unbegründet, als sie das gemeinschaftsrechtliche Demokratieprinzip durch den Sozialen Dialog verletzt sehen. Die Vorschriften über den Sozialen Dialog lassen sich demokratiekonform so auslegen, daß sie wirksam sind. Die Probleme stellen sich vielmehr im faktischen Verfahrensablauf. Es sei erneut darauf hingewiesen, daß die Gemeinschaftsorgane die Sozialpartner und ihre Vereinbarungen vor der Durchführung auf ihre Repräsentativität zu untersuchen haben. In der Summe mag die Diskussion in mancherlei Hinsicht unter Vermengung der rechtspolitischen und rechtsdogmatischen Konsequenzen überspitzt geführt sein. Sie entbehrt aber keinesfalls der argumentativen Grundlage. So kann der hinsichtlich des Politikgestaltungsprozesses durch die Sozialpartner gezogenen politischen Quintessenz „Viel Lärm um wenig“1490 aus rechtsdogmatischer Sicht nur zugestimmt werden. 1488 1489 1490

Vgl. 5. Teil § 19 II. Vgl. 5. Teil § 19 III. Hartenberger, Europäischer sozialer Dialog, S. 206 ff.

§ 22 Schlußbetrachtung

279

Für die Zukunft des Europäischen Sozialmodells bedeuten die Ergebnisse: Der Soziale Dialog kann wirksam an der Rechtsvereinheitlichung in den Mitgliedstaaten mitwirken. Er kann damit einen Beitrag zu dem Auf- und Ausbau eines einheitlichen Europäischen Sozialmodells leisten, d. h. zu seiner Konsolidierung beisteuern. Unterschreitungen des durch das Gemeinschaftsrecht vorgegebenen Sozialstandards auf nationaler Ebene kann er so entgegenwirken. Eine definitive Aussage darüber, in welche Richtung sich das Europäische Sozialmodell weiterentwickeln wird, kann nicht getroffen werden. Nur eins steht fest: Der Soziale Dialog versucht, über den Weg der Rechtsharmonisierung ein Sozialdumping1491 zu vermeiden.

1491

Vgl. 1. Teil § 2 III.

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Europäisches Gericht erster Instanz 25, 110, 166 ff., 183, 231 Europäisches Parlament – Beteiligung 24, 111, 139 f., 153 f., 274 – Kompetenzen 129 – Legitimation 128 f., 133 f. – Unterrichtung 24, 102, 154 – vorrechtliche Voraussetzungen der Legitimation 130 ff. Europäisches Sozialmodell 38 f., 279 Gegenseitige Anerkennung der Sozialpartner 252 f. Gemeinschaftscharta der sozialen Grundrechte 44, 49, 84, 189 Gesamtrepräsentativität 231, 233 Gleichbehandlungsgrundsatz 194, 208 Harmonisierung von Arbeitsbedingungen 38, 97 Kollektivautonomie, s. Sozialautonomie Kommission – Abänderungsrecht 265 f. – Legitimation 165 – Umfang des Ablehnungsrechts 258, 260 f. – Vorschlag 164 Legitimation – Ausnahmetatbestände 194 – Begriff 28, 36 f. – gesellschaftlich-demokratische 172 f., 192 – institutionell-funktionelle 123 – organisatorisch-personelle 123 – sachlich-inhaltliche 124 – Subjekt 117, 119 f. Legitimation kraft Repräsentativität 198 ff. – Außenwirkung von Tarifnormen 170, 173 – Konsequenzen 173 ff., 184 – mögliche Grundlagen 204, 206 f.

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Sachwortverzeichnis

– Rechtmäßigkeit der virtuellen Repräsentation 215 ff. – virtuelle Repräsentation 210 ff., 221, 275 – § 3 Abs. 2 TVG 176 ff., 219 Legitimität, s. Legitimation 36 f. Maastrichter Vertrag 50 f., 107 Ministerrat – Abänderungsrecht 266 ff. – Bindungswirkung des Ratsbeschlusses 94, 99 f. – demokratische Kontrolle 157 f. – Funktionsfähigkeit 161 – Grundsatz wechselseitiger Rücksichtnahme 163 f. – Legitimation 154 ff., 275 – Mehrheitsentscheidungen 161 ff. – Öffentlichkeit der Ratssitzungen 159 f. – Umfang des Ablehnungsrechts 262 ff. Mitgliedstaaten – Herren der Verträge 27, 138 – Tarifbindung 176 ff., 180, 183 – Tarifrechte 87 f., 92 – Verfassungen 113 f., 136, 189 ff. Nationale Sozialpartner 84, 175, 243 – Tariffähigkeit 245 – Tarifzuständigkeit 249 Nizzaer Vertrag 54, 108 Normsetzung der Sozialpartner 40, 167 f., 185, 196 – Geltung des Demokratieprinzips 185, 192 ff. – s. auch Legitimation kraft Repräsentativität Parlamentarische Demokratie 126 f., 136 – Übertragbarkeit auf Gemeinschaft 128, 134, 137 ff., 274 Protokoll über Sozialpolitik 51 Rahmenvereinbarung – über Elternurlaub 55 ff. – über Telearbeit 60 f. – zu befristeten Arbeitsverträgen 58 f. – zur Teilzeitarbeit 57 f. Rat, s. Ministerrat Rechtsstaatsprinzip 147, 274

– Gesetzmäßigkeit 150 – Gewaltenteilung 149 – Inhalt 147 ff. Repräsentation 170 ff. Repräsentativität der Sozialpartner 169 f., 224 ff., 232, 276 f. – als europäisches Konzept 238 ff. – Auswahlkriterien für Anhörungsphase 254 – Auswahlkriterien für Verhandlungsphase 241 ff., 251 – Kontrolle durch Gemeinschaftsorgane und Gerichte 236, 253 f., 270 – Kontrollmaßstab 235 ff. – Meinungsspiegel zu Auswahlkriterien 227 ff. – Studie 228 Selbstbestimmungsgrundsatz 118, 204 Sozialautonomie 27, 80, 84, 90, 185, 195, 264, 266 – Verankerung im Gemeinschaftsrecht 185 ff. Sozialer Dialog – branchenübergreifende Ebene 42, 44, 238 – formeller 41 f., 62, 273 – Geschichte 44 ff. – informeller 41 f. – sonstige Ebenen 42 f., 255 Sozialpartner 234 – Anhörung 23 f. – Arbeitnehmer- oder Arbeitgeberorganisationen 247 f. – dauerhafte Struktur 246 – Durchsetzungskraft 245 f. – freiwillige Mitgliedschaft 250 – Gegnerunabhängigkeit 250 – hohe Mitgliederzahlen 241 f. – Initiativrecht 79 ff., 237 – Legitimation 166, 168 f., 221 – legitimatorische Funktion 25 ff., 54, 166, 237, 275 – Mandatierung 249 f. – Nachbesserungsmöglichkeit 263 – Regelungsgegenstände 71 ff., 75, 79 ff. – Sachnähe 222, 269 – supranationale Struktur 242 ff. – Verhandlungswille 250

Sachwortverzeichnis Sozialpartnervereinbarungen 63, 65, 68, 85 – faktische Bindungswirkung 269 f. – Geltungsbereich 83 f. – Schriftform 93 – Wirkung 62, 64 ff., 70 Sozialpolitik 24, 45 f., 73 – Rechtsetzungskompetenzen der Gemeinschaft 23, 72 ff. – Regelungskompetenzen der Gemeinschaft 73 Ständiger Ausschuß für Beschäftigungsfragen 46 Struktur der Gemeinschaft 104, 116, 137 ff. Struktursicherungsklausel 142 f., 145 Subsidiarität 75 ff., 82, 99 Tarifautonomie, s. Sozialautonomie Umsetzung der Vereinbarungen 24, 81, 85 – Antrag der Sozialpartner 93 – auf europäischer Ebene 92 ff. – auf nationaler Ebene 87 ff.

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erga omnes Wirkung 24, 94 ff., 100 Instrumente des Rates 97 ff. Pflicht zur Umsetzung 90 f., 259, 261 Wahl der Umsetzungsart 86

Verbände, s. Sozialpartner Verbandstheorie 177 f., 180 Vertragliche Beziehungen 63, 65 Virtuelle Repräsentation, s. Legitimation kraft Repräsentativität, virtuelle Repräsentation Volkssouveränität 37, 113 ff., 119, 274 Vorrang des Gemeinschaftsrechts 218 Wirtschafts- und Sozialausschuß 45, 229 Wirtschaftsverbände 248 Wohlfahrtsverbände und Kirchen 225, 230, 245, 247 f. Zuständigkeit der Sozialpartner, s. Sozialpartner, Regelungsgegenstand Zustimmungsgesetz 123, 153