Der informale Rechtsstaat: Eine empirische und rechtliche Untersuchung zum Gesetzesvollzug unter besonderer Berücksichtigung des Immissionsschutzes [1 ed.] 9783428450329, 9783428050321

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Der informale Rechtsstaat: Eine empirische und rechtliche Untersuchung zum Gesetzesvollzug unter besonderer Berücksichtigung des Immissionsschutzes [1 ed.]
 9783428450329, 9783428050321

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Schriftenreihe zur Rechtssoziologie und Rechtstatsachenforschung

Band 49

Der informale Rechtsstaat Eine empirische und rechtliche Untersuchung zum Gesetzesvollzug unter besonderer Berücksichtigung des Immissionsschutzes

Von

Eberhard Bohne

Duncker & Humblot · Berlin

EBERHARD BOHNE

Der informale Rechtsstaat

Schriftenreihe zur Rechtssoziologie und Rechtstatsachenforschung Herausgegeben von Ernst E. Hirsch und Manfred Rehbinder

Band 49

Der informale Rechtsstaat Eine empirische und rechtliche Untersuchung zum Gesetzesvollzug unter besonderer Berücksichtigung des Immissionsschutzes

Von

Eberhard Bohne

DUNCKER

&

HUMBLOT

I

BERLIN

Die Arbeit wurde im März 1980 abgeschlossen und im Wintersemester 1980/81 von der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Universität zu Köln als Dissertation angenommen.

Alle Rechte vorbehalten & Humblot, Berl1n 41 Gedruckt 1981 bei Buchdruckerei A. Sayffaerth - E. L. Krohn, Berl1n 61 Printed in Germany

© 1981 Duncker

ISBN 3 428 05032 0

Inhaltsverzeichnis 1. Teil

Fragestellung, Konzeption und Methode A. Fragestellung

17

B. Konzeption ......................................................

19

I. Empirische Erhebung ........................................

20

1. Auswahl des Untersuchungsbereichs .............. . ........

20

2. Grundlagen der Erhebung ...... . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

22

a) Ausgangsfrage: Vollzugsdefizit im Umweltschutz. . . . . . . . aa) Vollzugsdefizit als Soll-Ist-Abweichung ............. bb) Unmöglichkeit eines ökologischen Soll-1st-Vergleichs mit sozialempirischen Methoden .................... ce) So11-lst-Vergleich hinsichtlich Entscheidungsverhaltens ............................................... dd) Vollzugshemmende Faktoren ....................... ee) Beschränkung auf alternative Handlungsformen ....

22 22 23 26 28 28

b) Annahmen .............................................

28

e) Variablenkomplexe .................................. . .

30

d) Untersuchungs einheit .............. . ...................

31

11. Erklärung und Verallgemeinerung............................

31

1. Immissionsschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

33

2. Sonstige Gesetzesbereiche ............. . ...................

33

111. Rechtliche Beurteilung .......................... . . . ...... . .. .

35

C. Methode I. Datenerhebung

35 35

1. Interviews ........ . ...... . .... . ...... . . . .. . . . .............

35

2. Fallstudien ...............................................

36

6

Inhal tsverzeichnis 3. Schriftliche Befragung ....................................

37

4. Validität ........................ . ....................... . .

37

II. Rechtsanwendung ............................................

38

1. Rechtliche Tendenzaussagen ...............................

38

2. Abhängigkeit rechtlicher Bewertungen von empirischen Prämissen ................................................

39

2. Teil Zur Empirie des informalen Rechtsstaats A. Formales und informales Verwaltungshandeln ....................

42

I. Abgrenzung ........................ . .........................

43

1. Begriffselemente ........... . .. . ...... . . . ...... . ...........

43

2. Rechtliche Bedeutung ..... . ...... . . . .............. . ....... a) Entscheidung ............................ . .... . .. . . . ... b) Verfahrenshandlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

46 46 47

H. Zweck der Unterscheidung ...................................

48

B. Erscheinungen und Bestimmungsfaktoren informalen Verwaltungshandelns im Immissionsschutz ....................................

49

I. Genehmigung von Anlagen .......... . ........................

49

1. Vorverhandlungen ........................................

50 50 52 53 54 54

a) b) c) d) e)

Teilnehmer Inhalt.................................................. Auswirkungen auf Genehmigungsverfahren ............. Dauer.................................................. Materielle Entscheidungsverlagerung ................... aa) Keine rechtliche Bindungswirkung von Vorverhandlungen............................................. bb) Vorverhandlungen und Genehmigungsverfahren im Ablauf der Projektplanung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ce) Faktische Bindungswirkung von Vorverhandlungen dd) Vorverhandlungen statt Vorbescheid ................ ee) Vorverhandlungen ohne Bürgerbeteiligung . . . . . . . . . .

54 55 56 57 58

2. Vorabzuleitung von Entscheidungsentwürfen ...............

59

3. Informalität ..............................................

60

Inhaltsverzeichnis

7

a) Keine Regelung materieller Vorverhandlungen in § 2 Abs. 2 der 9. BImSchV ... . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Wortlaut und Amtliche Begründung des § 2 Abs.2 der 9. BlmSchV ........................................ bb) Systematischer Zusammenhang von § 2 Abs. 2 der 9. BImSchV und § 25 BVwVfG ...................... ce) Gegenstand der Antragsberatung gemäß § 2 Abs. 2 der 9. BImSchV ....................................

65

b) Keine Regelung der Vorabzuleitung von EnUlcheidungsentwürfen in § 28 BVwVfG ............................. aa) Anwendungsbereich des § 28 Abs. 1 BVwVfG ........ bb) Gegenstand der Anhörung gemäß § 28 Abs.l BVwVfG

65 66 67

c) Hauptmerkmale von Vorverhandlungen und Vorabzulei-

61 61 62

tung von EnUlcheidungsentwürfen ...................... aa) Ergänzungs- und Alternativfunktionen . . . . . . . . . . . . . . bb) Tauschprinzip ......................................

67 67 68

11. Sanierung von Anlagen ......................................

69

1. Formale EnUlcheidungen ..................................

69

2. Informale Absprachen ............. . . . .....................

71

a) Inhalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

71

b) Alternativfunktionen

72

c) Tauschprinzip ......................................... .

72

3. Typen informaler Absprachen.............................

74

111. Bestimmungsfaktoren ........................................

77

1. Komplexität der EnUlcheidungssituation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

77

2. Interessenkonflikte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

79

3. Verwaltungsinterne Machtstrukturen ......................

82

4. Unbestimmtheit von Rechtsnormen ........................

84

5. Kontrollen und Sanktionen ..................... . .... . .....

85

6. Verwaltungsgerichte ......................................

86

C. Verallgemeinerungen

............................................

87

I. Informale Handlungsprozesse in immissionsschutzfremden Rechtsbereichen ..............................................

90

1. WasseITecht

90

a) Erlaubniserteilung für Abwassereinleitungen ........ . . . .

90

b) Sanierung und überwachung von Abwassereinleitungen

91

Inhal tsverzeichnis

8

2. Natur- und Landschaftsschutzrecht .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

93

3. Baurecht .................................................

94

4. Amerikanischer Rechtskreis ..... . . . ................ . ......

95

a) Wirtschaftsverwaltungsrecht ............................

95

b) Strafrecht..............................................

96

c) Privatrecht .................... . .......................

97

5. Folgerungen ..............................................

97

II. Ansatzpunkte der Theoriebildung .............................

98

1. Pluralität der Akteure und rechtliche Formalisierung ..... .

98

2. Vorhandene Ansätze ......................................

100

a) Studien zum Verwaltungshandeln der regulatory agencies

100

b) Implementationsforschung ..............................

100

c) Organisationsanalyse ................................... aa) Organisatorische Innen- und Außenbeziehungen .... bb) "Brennpunkt-Organisation" als Grundlage interorganisatorischer Handlungssysteme .................... ce) Gemeinsames Interesse als Grundlage interorganisatorischer Handlungssysteme ........................

100 101

III. Formale Handlungssysteme .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

106

1. Organisation .................................... . .........

107

2. Gesetzesvollzugssystem ...... . .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

109

a) Ziele ................................... . ........... . ...

110

102 104

b) Mitglieder

111

c) Strukturen

112

d) Systemzugehörigkeit und Rechtsnormadressaten . . . . . . . . .

113

IV. Formale und informale Handlungsebenen .....................

114

1. Informale Organisation ...................................

114

2. Informale Verhaltensmuster im Gesetzesvollzug . . . . . . . . . . . .

116

a) Rollentheoretische Aspekte .............................

116

b) Systemtheoretische Aspekte ............................ aa) Grundprobleme formaler Handlungssysteme ........ bb) Zielverwirklichung ................................. ce) Ressourcenmängel ................................. dd) Integration ........................................ ee) Umweltanpassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

117 118 120 121 122 124

Inhaltsverzeichnis

9

3. Teil

Rechtsprobleme des informalen Rechtsstaats A. Fragestellung und Gang der Erörterung ..........................

126

B. Ansatzpunkte zur rechtlichen Beurteilung informalen Verwaltungshandelns im Gesetzesvollzug . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

127

I. Diskussionsstand .............................................

128

1. Schlicht hoheitliches Handeln .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

128

2. Verwaltungsvorakt ............................... . . . ......

129

3. Formenmißbrauch ............. . ...........................

129

II. Bundes-Verwaltungsverfahrensgesetz ................ . . . ......

131

1. Zulässigkeitskriterien .....................................

132

a) Verfahrenshandlungen, § 10 BVwVfG ...................

132

b) Absprachen ............................................ aa) Absprachen über Nichteinleiten eines Verwaltungsverfahrens, § 22 BVwVfG .......................... bb) Absprachen als Verfahrensabschluß ................

132

2. Materielle Rechtmäßigkeitskriterien .......................

134

a) Verfahrenshandlungen, § 10 BVwVfG ...................

134

b) Absprachen ............................................ aa) Einfache Absprachen, § 40 BVwVfG ................. bb) Austauschabsprachen, § 56 BVwVfG analog ......... ce) Vergleichsabsprachen, § 55 BVwVfG analog .........

135 136 137 138

3. Rechtsfolgen rechtswidriger und fehlgeschlagener, rechtmäßiger informaler Handlungsbeziehungen ................

140

133 133

a) Rechtswidrige Verfahrenshandlungen ...................

140

b) Absprachen ............................................ aa) Fehlgeschlagene, rechtmäßige Absprachen ........... bb) Rechtswidrige Absprachen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

141 141 142

4. Ergebnis..................................................

143

C. Zur Rechtmäßigkeit informalen Verwaltungshandelns im Immissionsschutz ......................................................

144

I. Informale Verfahrenshandlungen bei der Genehmigung von Anlagen .....................................................

144

10

Inhaltsverzeichnis 1. Vorverhandlungen ........................................

144

a) Gesetzliche Ziele des Genehmigungsverfahrens .......... aal Schutz vor schädlichen Umwelteinwirkungen, Gefahren, erheblichen Nachteilen und erheblichen Belästigungen ............................................ bb) Rechtliches Gehör und Gleichbehandlung . . . . . . . . . . . . ee) Verfahrenspartizipation und Verhältnismäßigkeit ... dd) Präventiver Rechtsschutz ...........................

144

b) Rechtwidrigkeit der herrschenden Vorverhandlungspraxis aal Beeinträchtigung materieller Immissionsschutzziele bb) Beeinträchtigung von Verfahrensgrundsätzen ....... ee) Generelle Rechtswidrigkeit bei fehlender Bürgerbeteiligung ........................................

148 148 150

c) Voraussetzungen rechtmäßiger Vorverhandlungen ......

153

2. Vorabzuleitung von Entscheidungsentwürfen ...............

155

a) Rechtmäßigkeit der Vorabzuleitung an Antragsteller bei fehlenden Einwendungen bzw. bei Einbeziehung von Einwendungsführern ......................................

155

b) Rechtswidrigkeit der Vorabzuleitung an Antragsteller unter Ausschluß von Einwendungsführern .............. aal Beeinträchtigung materieller Immissionsschutzziele bb) ~~einträchtigung von Verwaltungsverfahrensgrundsatzen ............................................. ce) Rechtsschutzbeeinträchtigung im Widerspruchsverfahren ............................................. dd) Generelle Rechtswidrigkeit bei Ausschluß von Einwendungsführern ..................................

145 146 146 147

152

155 156 156 158 160

3. Rechtsfolgen rechtswidriger Vorverhandlungen und Vorabzuleitungen von Entscheidungsentwürfen ..................

161

a) Grundsätzlich keine Nichtigkeit der Genehmigungsentscheidung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aal Vorverhandlungen ................................. bb) Vorabzuleitung von Entscheidungsentwürfen ... . ...

162 162 162

b) Keine Heilbarkeit der Verfahrensmängel ................

163

c) Aufhebbarkeit der Genehmigungsentscheidung ........ . .

163

d) Kosten des Widerspruchverfahrens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

164

11. Informale Sanierungsabsprachen .............................

164

1. Normzweck und Ermessensrahmen des § 17 BImSchG ......

a) Normzweck ............................................ b) Ermessensrahmen ......................................

165 165 166

.2. Einfache Absprachen über eine Anlage. . . . . . . . . . .. . . . . . . . .

168

a) Typ 1: Fristgewährung für Sanierung . . . . . . . . . . . . . . . . . .

169

Inhaltsverzeichnis

11

b) Typ 2: Verzicht auf Sanierung, die nach dem Stand der Technik erforderlich, aber ein Änderungsgenehmigungsverfahren notwendig macht ............

171

3. Vergleichsabsprachen über eine Anlage bei Ungewißheit über Stand der Technik und wirtschaftliche Vertretbarkeit (Typen 3 und 4) ..................................................

173

a) Ermessenseinschränkung durch Beweislastregel des § 17 Abs.2 Satz 1 BImSchG ....... . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

173

b) Folgerungen ...........................................

175

4. Austauschabsprachen über mehrere Anlagen ...............

176

a) Typ 5: Vorläufiger Verzicht auf Sanierung einer Zweitanlage .........................................

176

b) Typ 6: Verzicht auf Verzögerung einer Neugenehmigung

178

c) 'Typ 7: Neugenehmigung mit Fristen für nach dem Stand der Technik erforderliche Auflagen .............

179

d) Typ 8: Genehmigung einer Neuanlage, die zwar die Emissionsgrenzwerte der TA-Luft, nicht aber den Stand der Technik einhält. . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. .

180

e) Typ 9: Genehmigung einer gleichartigen Neuanlage in Gebiet mit Immissionswertüberschreitung . . . . . . . aa) Immissionswerte als "antizipierte Sachverständigengutachten" ......................................... bb) Keine Einschränkung der Gutachtenfunktion von Immissionswerten durch Sanierungen von Altanlage (Teilnichtigkeit der Nr.2.2.1.3 TA-Luft) ............. ce) Erweiterte Untersuchungspflicht bei Sanierung von Altanlage (Verfahrensfunktion der Nr. 2.2.1.3 TA-Luft) dd) Folgerungen für die Rechtmäßigkeit der Absprache

181 183 185 187 188

f) Typ 10: Genehmigung einer andersartigen Neuanlage in Gebieten mit Immissionswertüberschreitung ....

188

5. Austauschabsprachen über eine Anlage und sonstige Verwaltungsaufgaben ........................................

189

a) Typ 11: Verzicht auf Bußge1dfestsetzung ................

189

b) Typ 12: Zugeständnisse bei immissionsschutzfremden Verwaltungsaufgaben ..............................

191

6. Austauschabsprachen unter Einbeziehung von Dritten ......

193

a) Typ 13: Genehmigung einer gleichartigen Neuanlage in Gebieten mit Immissionswertüberschreitung wegen Sanierung durch Drittbetreiber ............

193

b) Typ 14: Unterstützung gegenüber anderen Verwaltungsstellen außerhalb Immissionsschutz .............

195

III. Ergebnis ......................... . ...........................

196

D. Informales Verwaltungshandeln im Gesetzesvollzug aus verfassungsrechtlicher Sicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

199

12

Inhaltsverzeichnis I. Verfassungsrechtliche Prinzipien als oberste Ziele von Gesetzesvollzugssystemen ............................................

200

1. Formale Zielstruktur von Gesetzesvollzugssystemen . . . . . . . .

200

a) Gesetze ................................................ b) Verfassung... . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

201 201

2. Rechtsstaatlichkeit ........................................ a) Freiheitlichkeit und Rechtsgleichheit .............. . ..... b) Rechtsgebundenheit .................................... aa) Gesetzmäßigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Rechtssicherheit .................................... c) Gewaltenteilung und Gewaltenkontrolle ................ aa) Eigenverantwortlichkeit der Aufgabenwahrnehmung bb) Kontrollierbarkeit der Aufgabenwahrnehmung .....

203 204 206 206 207 208 208 209

d) Gerichtsschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

210

e) übermaßverbot ....................... . ......... . . . ....

210

3. Demokratie ........................... . ...................

212

a) Partizipationsmodelle ............... . .................. b) Verfahrenspartizipation ................................

212 213

4. Sozialstaatlichkeit

........................................

215

a) Erhaltung individueller und kollektiver Lebensbedingungen.................................................... b) Schutz sozial schwächerer Personen ....................

215 216

5. Kein verfassungs rechtliches Effizienzgebot ................. a) Effizienz als Optimierungsprinzip ............... . ....... b) Diskussionsstand ....................................... c) Effizienzneutralität der Verfassung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aal Rechtliche Zielsysteme und Zielgewichtungen im Gesetzesvollzug ...................................... bb) Kein Effizienzverbot ......... . ...... . .............. ce) Kein Effizienzgebot . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11. Konflikte zwischen informaler Handlungs- und verfassungsrechtlicher Zielstruktur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Tausch .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

217 217 218 220 220 221 221 224

Ungesetzlichkeit ........................................ Materielle Grundrechtsverletzungen .................... Soziale Ungleichheit ... . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . übermaß ............... . ..............................

224 224 225 226 229

2. Entscheidungsverlagerung .. . .............................. a) Personale Mißachtung ..................................

229 229

b) Legitimationsdefizite ........................... . .......

230

a) b) c) d)

Inhaltsverzeichnis

18

3. Rechtliche Unverbindlichkeit und Formlosigkeit . . . . . . . . . . . .

230

a) Rechtsunsicherheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

230

b) Unkontrollierbarkeit ....... . .................. . ........

232

c) Rechtsschutzverkiirzung ................................

233

111. Formale Zielverwirklichung und Systembestand ..............

234

1. Spannungsverhältnis zwischen formalen und funktionalen Systemanforderungen .....................................

234

a) Systernbestand als Bedingung der Zielverwirklichung . . . .

235

b) Widerspruche ..........................................

235

"Brauchbare Illegalität" und Informalität . . . . . . . . . . . . . . .

237

c)

2. Verfassungsrechtlicher Vorrang rechtsnormativer System-

anforderungen ............................................

237

3. Verbesserung informaler Handlungsbedingungen ..........

239

E. Der informale Rechtsstaat: Ausblick auf staats- und rechtstheoretische Aspekte informaler Handlungsbeziehungen ................

241

1. Rechtsstaatsbegriff und "informaler Rechtsstaat" ........... . ..

242

1. Normativer Rechtsstaatsbegriff ................... . . . . . . . . .

242

2. "Informal" als empirsch-analytische Kategorie. . . . . . . . . . . . .

242

3. Rechtsstaat als soziales Gebilde . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

243

a) Normative und empirische Elemente ... . . . . . . . . . . . . . . . . .

243

b) Informale Handlungsbeziehungen als empirische Rechtsstaatselemente .........................................

245

11. Rechtsstaat als gemeinsamer Erkenntnisgegenstand von Rechtsund empirischen Sozialwissenschaften .........................

245

1. Ansatzpunkte in Staatslehre und Rechtstheorie . . . . . . . . . . . . .

246

a) Heller: Staat als organisierte Entscheid\lngs- und Wirkungseinheit ...........................................

247

b) Verwandte Auffassungen...............................

249

2. Zur Zweckmäßigkeit eines gemeinsamen Bezugsrahmens für

empirische und rechtsnormative Aussagen .................

251

a) Wechselseitige Abhängigkeit empirischer und rechtsnormativer Aussagen ......................................

252

b) Einwände gegen einen gemeinsamen Bezugsrahmen ....

254

Einwände gegen einen systemtheoretischen Bezugsrahmen ...................................................

257

3. Rechtsstaat als zielgerichtetes, formales Handlungssystem

258

a) Akteure ................................................

259

c)

14

Inhaltsverzeichnis b) Formale Ziele und Systemzusammenhang ............ . . aal Zielbegriff ......................................... bb) Verfassung als Grundlage formaler, staatlicher Ziele und Handlungszusammenhänge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Verfassungs rechtliche Zielbestimmungen ..... . ......

260 260

c) Systemgrenzen ......................................... aal Staatsorganisation ..... . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Staat ............................................ . . cc) Politisches Gemeinwesen ...... . .................. . . dd) Gesellschaft ................ . .. . . . ................ . .

269 270 274 275 276

d) Strukturen ............................................. aal Subsysteme ........................................ bb) Rechtliche Strukturen als Interaktionssysteme ......

277 277 277

e) Funktionen ............................................ aal Verhältnis zu Zielen. . . . . . . . . . . . . .. . . . . . . . .. . . . . . . . . bb) Funktionalität als Beurteilungsmaßstab .............

278 279 280

111. Einige Anwendungsmöglichkeiten für einen interdisziplinären, systemtheoretischen Bezugsrahmen außerhalb des Gesetzesvollzugs .........................................................

282

262 266

Zusammenfassung

289

Literaturverzeichnis

297

Tabellen verzeichnis Tab. 1: Merkmale von Vorverhandlungen. ...................... .....

51

Tab. 2: Vorabzuleitung von Entscheidung,sentwürfen durch Genehmigungsbehörden an Betreiber und Einwendung,sführer ........

59

Tab. 3: Tauschstrukturen von Sanierungsabsprachen ... . ............

73

Tab. 4: Durchschnittliche Zahl formaler und informaler Entscheidungen bei bestehenden Anlagen im Jahre 1975 ..... . . . . . . . . . . .. .

75

Tab. 5: Typen informaler Absprachen....................... . .......

76

Tab. 6: Korrelationen zwischen der Anwendung,shäufigkeit von Sanierungsabsprachen und politischen, wirtschaftlichen und sozialen Belangen ...................................................

BI

Tab. 7: Bestimmungsfaktoren fonnalen und informalen Verwaltungshandelns (Korrelationen) ....................................

B7

Tab. B: Rechtliche Bewertung informaler Handlungstypen im Immissionsschutz ..................................................

197

Erster Teil

Fragestellung, Konzeption und Methode A. Fragestellung Die rechtliche Formalisierung des Verwaltungshandelns gehört zu den grundlegenden Strukturprinzipien des demokratischen und sozialen Rechtsstaats. Der Verwaltung ist nicht freigestellt, in welcher Form Hoheitsakte ergehen, sondern sie muß sich der Verfahren und Entscheidungsformen bedienen, die die Rechtsordnung zur Verfügung stellt. Grundlage dieser formalen Bindung ist das Konzept des "formalen Rechtsstaats", das vom politischen Liberalismus des 19. Jahrhunderts entwickelt wurde, um die Macht der Exekutive zu beschränken und das Individuum vor staatlichen Eingriffen in Freiheit und Eigentum zu schützen. Gesetzmäßigkeit, Gleichbehandlung und Rechtssicherheit gehören zu den traditionellen rechtsstaatlichen Funktionen, denen Verfahrensvorschriften und Entscheidungsformen dienen. Neben diese formellen Elemente des Rechtsstaatsbegriffs treten unter der Geltung des Grundgesetzes inhaltliche Elemente. Rechtliche Formalisierungen sollen auch die sachliche Richtigkeit und materiale Gerechtigkeit von VerwaltungsentscheiJdungen sicherstellen und - unter dem Gesichtspunkt des Sozialstaatsprinzips - sozial schwachen Bürgern ernnöglichen, ihre Interessen gegenüber der Verwaltung zur Geltung zu bringen. Schließlich dienen rechtliche Formalisierungen demokratischen Funktionen, indem sie administrative Entscheidungsprozesse für den Einzelnen und die Öffentlichkeit transparenter machen und den Bürgern Anhörungs- und sonstige Mitwirkungsrechte gewähren, wenn Verwaltungsentsche~dungen über den individuellen Rechtskreis hinaus von Bedeutung sind. Im Gesetzesvollzug ist die rechtliche Fornnalisierung des Verwaltungshandelns besonders weit fortgeschritten. Ein dichtmaschiges Netz von Rechtsvorschriften und ungeschriebenen rechtsdogmatischen Regeln legen Entscheidungsabläufe und Entscheidungsformen der Verwaltung :liest. Verwaltungsakt und Verwaltungsvertrag sind dre vom Gesetz am häufigsten vo:t;"gesehenen administrativen Handlungsformen. Sie dienen der Entscheidung von EinzelfäUen und beherrschen nach allgemeiner Meinung die Praxis des Gesetzesvollzuges. Insbesondere der Verwal2 Bohne

A. Fragestellung

18

tungsakt wird - trotz der Verbreitung, die inzwischen der öffentlichrechtliche Vertrag vor allem im Bereich der gestaltenden Verwaltung gefunden hat - übereinstimmend als die für den Gesetzesvollzug wichtigste Handlungsform angesehen1 • Alternativen zu den öffentlich-rechtlichen Handlungsformen werden weniger für den Gesetzesvollzug als vor allem für den Bereich der nicht-gesetzes'akzessorischen, gestaltenden Verwaltung unter dem Stich.wort "Verwaltungsprivatrecht" dis~utiert. Aber auch hierbei handelt es sich um rechtlich geregelte Handlungsformen, die dem Zivilrecht entlehnt sind und die für die Verwaltung mit zusätzlichen Bindungen versehen werden. Rechtliche Formalisierungen des Verwaltungshandelns fehlen lediglich in manchen Bereichen, in denen sich das Handeln der Behö,rden auf rein faktische Verrichtungen beschränkt, z. B. Straßenhau. Sieht man von diesen rechtlich nicht formalisierten Bereichen einmal ab, so läßt sich die allgemeine Meinung auf die Kurzformel bringen: Verwaltungshandeln ist überwiegend rechtsförmliches Handeln. Im Gesetzesvollzug sind die Rechtsformen für Einzelfallentscheidungen in der Regel der Verwaltungsakt und - mit Abstrichen - der öffentlich-rechtliche Vertrag sowie die hierzu gehörenden Verfahrensvorschriften. Die Verrechtlichung des Verwaltungshandelns und die damit verbundene Ausweitung gerichtlicher Rechtsschutzmöglichkeiten sind in der Rechtswissenschaft auf Kritik gestoßen2 • So hat Bachof "Verwaltung" ironisch als "diejenige Tätigkeit des Staates" definiert, "die den einzigen Zweck hat, sich selbst gerichtlich voll überprüfbar zu machen". In empirischer Hinsicht ist die These von der Vorherrschaft rechtsförmtichen Verwaltungshandelns im Gesetzesvollzug und von der Vorrangstellung des Verwaltungsakts allerdings bisher - soweit ersichtlich nicht in Zweifel gezogen worden. Gleichwohl sind Zweifel angebracht. Diese gründen sich auf folgende überlegungen: Diese These beruht auf rechtswissenschaftlichen Untersuchungen. Systematische empirische Erhebungen zum Gesetzesvollzu:g fehlen. Rechtswissenschaftliche Untersuchungen sind dadurch gekennzeichnet, daß sie ihr empirisches Material - von persönlichen Impressionen ab1 Wolf! 1 Bachof, Verwaltungsrecht I, 1974, § 46 Ia (S. 370); Erichsen 1 Martens, Das Verwaltungshandeln, in: dies. (Hrsg.), Allgemeines Verwaltungsrecht, 1978, § 11 I (S. 140); Kopp, Verwaltungsverfahrensgesetz mit Erläuterungen, 1976, vor § 54 VwVfG, Anm. 1; Meyer 1 Borgs, Verwaltungsverfahrensgesetz, 1976, § 35 VwVfG Rdnr. 1, 2; Schmidt, Gesetzesvollziehung durch Rechtsetzung, 1969, S. 270; Amtliche Begründung zum EVwVfG 1973, BT-Drs.

7/910, S. 56. 2

Krause, Rechtsformen des Verwaltungshandeins, 1974, S. 51 f., 102 ff.,

I

DÖV 1972, 280 (Urteilsanmerkung).

115 ff.

In. W.

N.

A. Fragestellung

19

gesehen - aus den Sachverhalten beziehen, die in Gerichtsentscheidungen mitgeteilt werden. Durch diese "gerichtsabhängige" Perspektive wird von vornherein der größte Teil des Verwaltungshandelns von der Betrachtung ausgeschlossen, da nur ein Bruchteil der Verwaltungsentscheidungen zu gerichtlichen Auseinandersetzungen führt. "Das Bild der Verwaltung wird", wie Ossenbühl4 beklagt, "vom Ausnahmefall geprägt". Durch diese am Ausnahme~all orientierte Perspektive werden - einseitig -rechtlich geregelte HandlungsfoI1IIlen, insbesondere der Verwaltungsakt, ins Blickfeld gerückt. Denn die gerichtliche überprüfung von Einzelfallentscheidungen erfordert vielfach den Edaß eines Verwaltungsakts, da diese Entscheidungsform Anknüpfungspunkt für die wichtigsten Klagearten ist. Aus dieser "gerichtsabhängigen" Perspektive heraus ist es somit nicht verwunderlich, daß sich die Erfüllung staatlicher Aufgaben im Gesetzesvollzug überwiegend in den Formen des Verwaltungsakts zu vollziehen scheint. Das Bild der Verwaltung wird weiterhin dadurch verzerrt, daß der Ablauf administrativer Entscheidungsprozesse in Gerichtsentscheidungen nur unvollkommen in Erscheinung tritt. Denn das Gericht überprüft nur "punktuell" das Ergebnis eines Entscheidungsprozesses. Die Merkmale des Entscheidungsablaufs finden lediglich in Einzelfällen Berücksichtigung, wenn konkrete Verfahrensvorschriften verletzt zu sein scheinen. Diese selektive Betrachtung des Verw'altungsverfahrens führt dazu, daß Entsch.eidungsabläufe, die dem rechtlich geregelten Verwaltungsverfahren zeitlich vorgelagert sind oder die außerhalb des formalisierten Verfahrens stattfinden, nicht ins Blickfeld geraten. Die am Ausnahmefall orientierte und zudem selektive, "gerichtsabhängige" BetrachtuIlig'sweise rechtswissenschaftlicher Untersuchungen macht deutlich, daß die These von der Rechtsförmlichkeit des Verwaltungshandelns im Gesetzesvollzug empirisch wenig gesichert ist. Thema der folgenden Untersuchung ist daher die Frage, ob und inwieweit rechtsförmliches Verwaltungshandeln im Gesetzesvollzug durch alternative, rechtlich nicht geregelte Handlungsweisen ersetzt oder ergänzt wird und wie alternative Handlungsweisen im Hinblick auf die Prinzipien des demokratischen und soz1alen Rechtsstaats zu bewerten sind.

B. Konzeption Die Fragestellung macht es erforderlich, gesetzesvollziehende Ent.scheidungsabläufe in ihrer Gesamtheit - und nicht nur in der für den , Die Quellen des Verwaltungsrechts, in: Erichsen / Martens (Fn 1), § 5 I (S.55). 2"

20

B. Konzeption

Gerichtsprozeß aufbereiteten Form - zu erfassen und zu analysieren. Dies lenkt den Blick auf den außergerichtlichen Bereich des Verwaltungshandelns und führt zum Einsatz sozialwissenschaftlicher Erhebungsmethoden und Theorieansätze. Denn nur mit Hilfe der empirischen So~alforschung lassen sich die notwendigen Informationen übe,r das Handeln der Verwaltung im außergerichtlichen Bereich gewinnen. Angesichts der unübersehbaren Zahl von Gesetzen ist eine alle Gesetzesbereiche erfassende empirische Erhebung praktisch unmöglich. Die Erhebung muß sich daher auf einen Gesetzesbereich beschränken. Alsdann ist zu fragen, inwieweit sich die Untersuchungsergebnisse verallgemeinern lassen und wie sie rechtlich zu beurteilen sind. I. Empirische Erhebung 1. Auswahl des Untersuchungsbereichs

Gegenstand der empirischen Analyse sind Einzelfallmaßnahmen beim Vollzug des Bundes-Immissionsschutzgesetzes (BImSchG) im Bereich der Luftreinhaltung. Das im Gesetz geregelte Vollzugsinstrument ist die Polizeiverfügung in Gestalt von Geboten, Verboten und Genehmigungen. Hinzu kommen die übrigen öffentlich-rechtlichen Handlungsformen, die der Behandlung von Einzelfällen dienen, und zwar öffentlich-rechtlicher Vertrag, Zusage und öffentlich-rechtliche Willenserklärung. Die Auswahl dieses Untersuchungsbereichs beruht darauf, daß zum Vollzug des Bundes-Immissionsschutzgesetzes eine umfangreiche empirische Erhebung des Instituts für Angewandte Sozialforschung der Universität zu Köln vorliegt5 , die im Auftrag des Rats von Sachverständigen für Umweltfragen im Jahre 1976 in mehreren Bundesländern durchgeführt wurde. Ergänzend sind in die Analyse Daten zum Gewässerschutz einbezogen, die ebenfalls im Rahmen der erwähnten Untersuchung für den Sachverständigenrat erhoben wurden. Von einer ausführlichen Darstellung der Gewässerschut~daten wul'de aus Gründen der Stoffbegrenzung abgesehen. Neben diesen forschungspraktischen Gesichtspunkten e,rscheint der Immissionsschutz auch aus anderen Gründen besonders geeignet, um 6 Mayntz / Bohne / Derlien / Hesse / Hucke / Müller, Vollzugsprobleme der Umweltpolitik, 1978. Einige Untersuchungsergebnisse sind im Umweltgutachten 1978 des Rats von Sachverständigen für Umweltfragen veröffentlicht, BTDrs. 8/1938, Rdnr. 1521 bis 1618. Für die Fragestellung dieser Arbeit wurden die Daten neu ausgewertet und interpretiert. Hierfür trägt der Verfasser die Verantwortung.

I. Empirische Erhebung

21

die Frage nach alternativen Handlungsformen im Gesetzesvollzug zu untersuchen. Der Immissionsschutz ist ein Aufgabenbereich, der schon seit langem rechtlich geregelt ist8 • Bereits die AHgemeine Preußäsche Gewerbeordnung von 1845 sah für bestimmte Anl'agetypen eine Genehmigungspflicht vor. Diese Regelungen wurden in die Gewerbeordnung des Norddeutschen Bundes von 1869 und in die GewerbeoI"dnung für das Deutsche Reich von 1900 (§§ 16 bis 28 GewO) im Grundsatz nahezu unverändert übernommen. Im Jahre 1959 wurde in die Gewerbeordnung eine Ermächtigung zum Erlaß nachträglicher Anordnungen eingefügt (§ 25 Abs. 3 GewO). Damit war das Handlungsirustrumentarium vervollständ1gt, das heute den Kern des Bundes-Immissionsschutzgesetzes vom 15. 3. 1974 bildet. Die langjährige Praxis bei der Handhabung dieses Instrumentariums ist für die Aussagekraft der empirischen Erhebung von Vorteil. Denn es dürften sich im Laufe der Zeit verhältnismäßig stabile Handlungsstrukturen herausgebildet haben, so daß die Erhebungsergebnisse, die - ä:hnHcll wie eme Photographie - nur die Momentaufnahme eines soz~alen Zustands sein können, ceteris paribus auch für Vergangenheit und ZukUlIlft verallgemeinerungsfähig erscheinen. Hinzu kommt, daß der Immissionsschutz ein Sonderbereich der Ordnungsverwaltung ist. Die Ordnungsverwaltung gilt gemeinhin al's Musterbeispiel streng formgebundenen Verwaltungshandelns im Rechtssta·at. Hier nahm bekanntlicll im 19. Jahrhundert die Entwicklung rechtsstaatlicher Handlungsform,en ihren Ausgang7 • Das klassische Handlungsinstrument der Ordnungsbehörden ist die Polizeiverfügung in Gestalt von Geboten, Verboten und Erlaubnissen. Diese wurde zum Vorbild für das Handeln der Verwaltung in allen Bereichen des Gesetzesvollzugs. Die Ordnungsverwaltung bietet also als Paradigma des rechtssta'atlichen Gesetzesvollzugs einen besondern geeigneten Ansatzpunkt, um En1lscheidungsprozesse im Gesetzesvollzug zu analysieren und die Ergebnisse - vorbehaltlich neuerer Erkenntisse - zur Grundlage verallgemeinernder AU!ssagen zu machen.

e Dazu Miek, "Aerem corrumpere non licet". Luftverunreinigung und Immissionsschutz in PreuBen bis zur Gewerbeordnung 1869, Technikgeschichte 34 (1967), S. 36 ff., 67 ff., 74 ff.; Brunn, Die Entwicklung des Rechtsinstituts der nachträglichen Anordnung im Irnmissionsrecht der Bundesrepublik Deutschland (§§ 25 Abs.3 GewO, 17 BImSchG), jur. Diss. 1975, S. 4 ff. m. w. N. 7 Mayer, Deutsches Verwaltungsrecht I, 1924; Badura, Das Verwaltungsrecht des liberalen Rechtsstaats, 1967, S. 22 ff. m. w. N.

22

B. Konzeption 2. Grundlagen der Erhebung

a) Ausgangsfrage: Vollzugsdefizit im Umweltschutz Im Umweltgutachten 1974 hatte der Rat von Sachverständigen für Umweltfragen auf Mängel beim Vollzug von Umweltschutzgesetzen hingewiesen und die AuffassUllig vertreten, daß im Umweltrecht ein "Vollzugsdefizit" herrscheB. Eine genauere Beschreibung des "Vollzugsdefizits" konnte in dem Gutachten jedoch nicht gegeben werden, da die hierzu erforderlichen empirischen Daten fehlten. Dies veranlaßte den Sachverständigenrat, die vorliegenden Erhebungen zum Immissionsund Gewässerschutz in Auftrag zu geben. Der Begriff "Vollzugsdefizit" ist mehrdeutig und wurde in der Folgezeit eher als polemisches Schlagwort, denn als Bezeichnung für einen bestimmten Sachverhalt verwandt. Zum Verständnis der empirischen Erhebungen und zur Interpretation der Daten ist es daher erforderlich zu klären, was unter "Vollzugsdefizit" im Gesetzesvollzug sinnvollerweise verstanden werden kann. aa) Vollzugsdefizit als Soll-1st-Abweichung Der Begriff "Vollzugsdefizit" vermittelt prim,a facie die Vorstellung einer Soll-Ist-Abweichung, deren Ursachen im Handeln der Vollzugsinstanzen liegenD. In diesem Sinne wird denn auch in der Literatur versucht, den Begriff des "VollzugsdefiZlits" 2'1U definieren. Beispielhaft sei auf die Definition von StichlO verwiesen. Nach seine'r Definition bezeichnet der Begriff Vollzugsdefizit "die fehlende übereinstimmung der Wunschvorstellungen von einer menschengerechten Umwelt mit hoher Lebensqualität, die die Gesetzgeber in Bund und Ländern zu rechtsverbindlichen gesellschaftspolitischen Zielsetzungen erheben, und der Lebenswirklichkeit, wie sie von den für Umweltschutzfragen zuständigen Verwaltungsbehörden mitgestaltet wiId".

UZe / Laubingerll stimmen dieser Definition grundsätzlich zu und bezeichnen als Vollzugsdefizit "die Differenz ~en dem vom Gesetzgeber vorgegebenen Soll einerseits und dem von der Verwaltung erreichten Ist andererseits". AlleI'dings heben be1de Autoren hervor, daß Umweltgutachten 1974, S. 180 ff. Umweltgutachten 1974, S. 180 f. m. w. N. 10 Personale Probleme des Vollzugsdeftzits in der Umweltschutzverwaltung, in: Festschrift für Ule, 1977, S. 219. 11 Empfehlen sich unter dem Gesichtspunkt der Gewährleistung notwendigen Umweltschutzes ergänzende Regelungen im Verwaltungsverfahrens- und Verwaltungsprozeßrecht? Gutachten B für den 52. Deutschen Juristentag, in: Verhandlungen des 52. Deutschen Juristentags, Bd. I, 1978, S. 13 ff. (22). 8

9

I. Empirische Erhebung

23

sich ein Vollzugsdefizit nur feststellen lasse, wenn der Gesetzgeber der Verwaltung ein quantifiziertes ode,r quantifizierbares Soll vorgegeben habe, was weithin nicht der Fall sei Daher ist es nach Ansicht bei der Autoren von vornherein aussichtslos, bei Gesetzesnormen, die wie § 1 Abs. 6 BBauG nur vage Ziel vorgaben wie "SicheTung einer menschenwürdigen Umwelt" enthalten, das Vorhandensein eines Vollzugsdefizits untersuchen zu wollen. Gleichwohl spricht nach Meinung von Ule / LaubingeT die Lebenserfahrung dafür, daß gesetzliche Aufträge nie zu hundert Prozent verwirklicht würden und daß die "Existenz" eines Vollzugsdefizits im Umweltschutz ebenso wie in anderen Verwaltungsbereichen daher nicht zu leugnen sei. Fraglich könne nur das "Ausmaß" des Vollzugsdefizits sein. Hinsichtlich der Ursachen des Vollzugsdefizits wollen beide Autoren zwei Ebenen unterscheiden, nämlich Rechtsanwendungsmängel und die Ursachen dieser Anwendungsmängel. Die Ausführungen von Ule / Laubinger deuten die Problematik an, die der gängigen Formel vom "Vollzugsdefizit" rugrundeliegt. Allerdings sind die AUJS,führungen nicht frei von Unklarheiten. bb) Unmöglichkeit eines ökologischen Soll-Ist-Vergleichs mit sozial empirischen Methoden Die Untersuchung des Gesetzesvollzugs unter der Fragestellung des "Vollzugsdefizits" gleicht der Erfolgskontrolle, die aus dem Bereich staatlicher Pläne und Programme bekannt ist1!. In der Tat geht es im Gesetzesvollzug wie im Planungsvollzug um dasselbe Problem, nämlich um die Feststellung von Soll-Ist-Abweichungen staatlichen HandeIns und der ihnen zugrundeliegenden Ursachen. Begreift man das Gesetz als eine besondere Form staatlicher Programmierung, so läßt sich die Untersuchung eines "Vollzugsdefizits" im Gesetzesvollzug als Erfolgskontrolle legislativer Programme bezeichnen. Im Bereich der Erfolgskontrolle werden - wenngleich ein einheitlicher Sprachgebrauch fehlt - üblicherweise drei Ebenen der Analyse unterschieden13 , die auch in den Ausführungen von Ule / Laubinger sichtbar sind. Es handelt sich um -

die Wirkungen des Gesetzes-(Programm-)Vollzugs auf die soziale und natürliche Umwelt (impact), z. B. Beseitigung von Geräusch-

Derlien, Die Erfolgskontrolle staatlicher Planung, 1976. Dazu Sharkansky, Environment, Policy Output and Impact, in: ders. (Hrsg.), Policy Analysis in Political Science, 1970, S. 6111.; Deniston I Rosenstock I Welch I Getting, Evaluation of Pro gram Effectiveness and Program Efficiency, in: Lyden I Miller (Hrsg.), Planning, Programming, Budgeting, 1972, S. 14111., 15711.; Bohne / König, Probleme der politischen Erfolgskontrolle, Die Verwaltung 9 (1976), S. 21 f.; Derlien, Die Erfolgskontrolle staat12

13

licher Planung, 1976, S. 21 f., 28.

24

B. Konzeption

belästigungen, Entlastung der Luft und des Wassers von Schadstoffen, Erhaltung des natürLichen Landschaf1:sbildes etc., -

die unmittelbaren "Produkte" des VollrugshandelIlB (output), z. B. Genehmigungsbescheid, Verfügungen, Entscheidungsabläufe etc. und

-

die Einflußfaktoren (Ursachen) des Vollzugshandelns (input), z. B. Organisationsstrukturen, personelle, sächliche und finanzielle Ressourcen, Informationen etc.

Die Bedeutung des Begriffs "Vollzugsdefizit", die dem Umweltgutachten 1974 und auch den Definitionen von Stich und Ule / Laubinger zugrundeliegt, betrifft die "impact"-Ebene des GesetzesvollZUlgs, nämlich die Diskrepanz zwischen dem tatsächlichen Zustand der natürlichen Umwelt und dem vom Gesetz geforderten Zustand. Auf dieser Ebene ist es in der Tat unmöglich, den Vollzug von Umweltschutz gesetzen mit den Mitteln der empirischen Sozialforschung zu untersuchen. Der Grund hierfür liegt allerdings nicht - wie Ule / Laubinger meinen in der fehlenden Quantifizierbarkeit gesetzlicher Zielbestimmungen, sondern in der Beschränkung der Sozialforschung auf menschliches Verhalten. Ule / Laubinger bezeichnen die Quantifizierung oder Quantifizierbarkeit gesetzlicher Soll-Vorgaben als Voraussetzung für einen Soll-IstVergleich. Wenn diese These richtig wäre, dann wäre nicht nur die Feststellbarkeit, sondern bereits die Existenz eines "Vollzugsdefizits" im Umweltschutz und in den meisten Gesetzesbereichen ausgeschlossen; konsequent zu Ende gedacht, würde diese These zudem der gerichtlichen Kontrolle des Verwaltungshandelns den Boden entziehen. Die Umweltschutzgesetze enthalten keine quantifizierten oder in rechtsnormativer Hinsicht quantri.fizierbaren Umweltgütestandards. Das Bundes-Immissionsschutzgesetz fordert in § 1 und in den übrigen Vorschriften nur Schutz und Vorsorge gegenüber schädlichen Umwelteinwirkungen sowie gegenüber Gefahren, erheblichen Nachteilen und erheblichen Belästigungen, die von Anlagen hervorgerufen werden können. Ähnlich sind gemäß § 6 WHG Gewässerbenutzungen unzulässig, die "das Wohl der Allgemeinheit", insbesondere die öffentliche Wasserversorgung, beeinträchtigen. Diese Liste ließe sich fortsetzen. Zwischen Zielvorgaben wie "Sicherung einer menschenwürdigen Umwelt" (§ 1 Abs. 6 BBauG) und "Schutz vor schädlichen Umwelteinwirkungen" im Bundes-Lmmissionsschutzgesetz besteht hinsichtlich des Konkretisierungsgrades allenfalls ein gradueller Unterschied. Gesetzlich quantifizierte oder quantifizierba:re Vorgaben fehlen in heiden Fällen. Auch die Festlegung von (quantitativen) ImmilSSionswerten durch die Bundesregierung in der Technischen Anleitung zur Reinhaltung der

I. Empirische Erhebung

25

Luft (TA-Luft) vom 28. 8. 19741" bei deren überschreitung die Behörden die Schädlichkeit bestimmter Luftverunreinigungen zu bejahen haben, ändert an dieser Feststellung nichts. Denn diese Werte besitzen keine Gesetzesqualität15 , sondern geben die - von der Bundesregierung übernommene - gegenwärtig herrschende Auffassung der Wissenschaft zur Schädlichkeit von Luftverunreinigungen wieder und beziehen sich zudem nur auf eine beschränkte Zahl von Schadstoffarten. Für weite Bereiche, insbesondere für Geruchsbelästigungen, fehlen quantitative Werte gänzlich. Ausgehend von Ule / Laubingers These, daß Soll-1st-Vergleiche Quantifizierungen voraussetzen, wäre es daher unzulässig, von einer Soll-IstDiskrepanz im Umweltschutz zu reden. Demzufolge ist es auch widersprüchlich, wenn heide Autoren die Existenz eines Vollzugsdefizits grundsätmich bejahen und meinen, al1ein das Ausm'aß dieses Defizits sei fraglich. Denn die Frage nach dem Ausmaß von Soll-1st-Abweichungen stellt sich gar nicht, wenn bereits das gesetzliche Soll mangels Quantifizierbarkeit nicht fe.ststellbar ist. Im Grunde geben Ule / Laubinger ihre "Quantifizierungs"-These auch mit der Feststellung auf, daß nach der Lebenserfahrung gesetzliche Aufträge nie in vollem Umf'ang erfüllt würden; denn "Lebenserfahrungen" dürften doch wohl nur selten auf quantitativen Messungen beruhen. In der Tat erforoern Soll-1st-Vergleiche keine Quantifizierungen, sondern können auch verbal beschrieben werden. So ist es evident, daß das "Wohl der Allgemeinheit" (§ 6 WHG) beeinträchtigt wird, wenn toxische Abwässer ohne Klärung in einen Vorfluter eingeleitet werden, oder daß eine "menschenwürdige Umwelt" im Sinne des § 1 Abs. 6 BBauG nicht gesichert ist, wenn die Bauleitplanung die Errichtung von stark emittierenden Industrieanlagen ohne Einhaltung von Mindestabständen, in unmittelbarer Nachbarschaft von Wohngebieten zuläßt. Quantifizierungen des "allgemeinen Wohls" oder einer "menschenwürdigen Umwelt" bedarf es für diese Soll-1st-Vergleiche nicht. Ferner ist damuf hinzuweisen, daß selbst in Bereichen der Erfolgskontrolle, in denen eine möglichst umfassende Quantifizierbarkeit von Programmzielen angestrebt wird und in denen die wi,rtschaftswissenschaftliche Nutzen-Kosten-Analyse Anwendung findet (z. B. Verkehrswegeplanung), verbale Soll-1st-Vergleiche einen legitimen Platz haben18• GMBl., S. 426. BVerwG, NJW 1978, S. 1450. 18 Siehe Erläuterungen zur Durchführung von Nutzen-Kasten-Untersuchungen, RdSchr.. des Bundesministers der Finanzen vom 21. 5. 1973, Nr. 2.10, abgedruckt bei Piduch, Bundeshaushaltsrecht, § 7 BHO. 14

15

26

B. Konzeption

Schließlich ist zu bedenken, daß die gerichtliche Kontrolle nichts anderes als ein So11-Ist-Vergleich ist. Die Gerichte konkretisieren gesetzliche Zielvorgaben wie "Schutz vor schädlichen Umwelteinwirkungen" für den Einzelfall und vergleichen einen bestimmten Umweltzustand, z. B. die Immissionsbelastung im Einwirkungsbereich einer Anlage, mit dem gesetzlichen Soll. Niemand käme auf die Idee, gerichtliche Soll-Ist-Vergleiche wegen der fehlenden Quantifizierbarkeit des gesetzlichen Solls für unzulässig zu erachten. Kurz, von einem Vollzugsdefizit läßt sich auch dann sprechen, wenn die gesetzlichen Zielvorgaben nicht quantifizierbar sind und Soll-IstVergl'eiche nur in verbaler Form erfolgen können. Allerdings läßt sich ein Vollzugsdefizit auf der "impact"-Ebene von Umweltschutzgesetzen nicht mit den Mitteln der empirischen Sozialforschung untersuchen. Denn die Ermittlung eines bestimmten ökologischen Zustands erfol1dert naturwissenschaftliche Methoden. Die empirische Sozialforschung beschränkt sich auf die Analyse menschlichen Verhaltens. Hieraus folgt, daß nur das Vollzugshandeln selbst - also die output-Ebene - sowie die Einflußfaktoren des HandeIns - inPI\.ltEbene - Gegenstand sozialwissenschaftlicher Erhebungen und eines hierauf gegründeten Soll-Ist-Vergleichs sein können. cc) Soll-Ist-Vergleich hinsichtlich Entscheidungsverhaltens Der Soll-Ist-Vergleich auf der output-Ebene erfordert ZI\.lIlächst die Ermittlung und Beschreibung der tatsächlich erfolgenden Vollzugsentsche~dungen und Entscheidungsabläufe (Ist-Zustand). Dabei werden die EntscheidungssachverhaUe (z. B. technische, ökologische etc. Fakten) nicht unmittelbar, sondern nur in der Gestalt erhoben, in der sie in der Wahrnehmung der Entscheidungsträger erscheinen und von diesen mitgettült werden. Diese Tatsachenfeststellung geschieht mit den Mitteln der empirischen Sozialforschung. Alsdann sind die ermittelten Entscheidungen und Entscheidungsprozesse anhand der gesetzlichen Bestimmungen rechtlich zu beurteilen (Vergleich des Ist mit dem gesetzlichen Soll). Dies erfordert die Anwendung rechtswissenschaftlicher Methoden. Ansatzpunkt für die Feststellung eines "Vollzugsdefizits" auf der output-Ebene ist also die Abweichung des tatsächlichen Entsche~dungs­ verhaltens von dem gesetzlich vorgeschriebenen Entscheidungsverhalten. Dieser Ansatz ist dahingehend zu präzisieren, daß ein Vollzugsdefizit im Umweltschutz nur durch Gesetzesabweichungen begründet wird, die zu Lasten von Belangen des Umweltschutzes gehen. Abweichungen von sonstigen Rechtsvorschriften, die für die Verwirklichung

1. Empirische Erhebung

27

von Umweltschutzbelangen bedeutungslos sind, bleiben außer Betracht. Ferner ist zu berücksichtigen, daß unter dem Begriff des Vollzugsdefizits nicht ausschließlich Rechtsverstöße verstanden werden dürfen. Denn Umweltschutzziele bleiben auch dann unerfüllt, wenn gesetzliche Brmessensermächtigungen zum Erlaß von Umweltschutzmaßnahmen nicht oder nicht im rechtlich möglichen Umfang ausgeschöpft werden. Dabei kann die konkrete Entscheidung im Einzelfall durchaus ermessensfehlerfrei - also rechtmäßig - sein. Unter dem Gesichtspunkt der Verwirklichung von Umweltschutzbelangen liegt gleichwohl ein "Defizit" vor, wenn eine andere, Umweltschutzbelange besser berücksichtigende Entscheidung hätte getroffen werden können. Auf der output-Ebene läßt sich somit als Vollzugsdefizit die zu Lasten von Umweltschutzbelangen gehende Diskrepanz zwischen dem tatsächlichen Entscheidungsverhalten und dem rechtlich gebotenen oder möglichen Entscheidungsverhalten verstehen. Nach der Lebenserfahrung darf man mit Ule / Laubing'er erwarten, daß ein Vollzugsdefizit im genannten Sinne im Umweltschutz besteht, da Gesetzesverletzungen stets vorkommen und auch Ermessensermächtigungen nicht immer im vollen UmJiang ausgenutzt werden. Es wäre allerdings zu eng und für die Beurteilung des Entscheidungsverhaltens zudem irreführend, wenn sich das Erkenntnisinteresse nunmehr vorwiegend auf das quantitative "Ausmaß" des Vollzugsdefizits konzentrieren würde. Denn selbst eine exakte Quantifizierung "defizitärer" Entsch:eidungsmuster - z. B. x % aller Vollzugsentscheidungen im Zeitraum t sind wegen Verstoßes gegen materielle Umweltschutzvorschriften rechtswidrig, y % der Entscheidungen im selben Zeitraum sind rechtmäßig, schöpfen aber gesetzliche Ermessensermächtigungen nicht aus, - würde nichts über die qualitative Bedeutung der Entscheidungen und ihrer Mängel für den Umweltschutz aussagen. So dürften Entscheidungsdefizite - um es überspitzt auszudrücken - bei der atomrechtlichen Genehmigung des "Schnellen Brüters" in Kalkar für den Umweltschutz vermutlich bedeutsamer sein als sämtliche fehlerhaften Genehmigungen für Dampfkesselanlagen in der Bundesrepublik Deutschland zusammengenommen. Wichtig ist daher in erster Linie, Erscheinungsformen und Typen gesetzesvollziehenden Entscheidungsverhaltens zu analysieren und auf "Defizite" im oben genannten Sinn zu untersuchen. Quantifizierungen dienen dabei der Feststellung, ob die ermittelten Entscheidungsmuster singuläre Erscheinungen sind oder nach Häufigkeit und Verbreitung ihres Autretens für die Praxis bedeutsam erscheinen.

28

B. Konzeption

dd) Vollzugshemmende Faktoren Schließlich erfolgt auf der input-Ebene die Analyse der Ursachen, auf denen die jeweiligen Entscheidungsmuster des Gesetzesvollzugs beruhen. Dabei ist ein zweiter Aspekt zu berücksichtigen, der wegen der Fixierung der Diskussion auf das Vollzugsdefizit leicht übersehen wird. Ein?Jelne input-Merkmale des Gesetzesvollzugs können die Verwirklichung gesetzlicher Ziele behindern, ohne gleich zu einer Soll-lst-Diskrepanz oder zu einer Nichtausschöpfung gesetzlicher Ermächtigungen zu führen, z. B. unübersichtliche Zuständigkeiten, InfoTIIlationsmängel, Personalknappheit etc. Die Ermittlung und Analyse sog. vollzugshemmender Faktoren gehört daher ebenfalls zu einer empirischen Untersuchung des Gesetzesvollzugsl1• ee) Beschränkung auf alternative HandlungsfoTIIlen Die Erhebungen für den Sachtverständigenrat für Umrweltfragen beschränken sich auf die output- und input-Ebene des Gesetzesvollzugs in dem dargelegten Sinne. Soll-Ist-Vergleiche wurden im Rahmen jener Untersuchung nicht angestellt, da sie rechtliche Beurteilungen erfordert hätten, die nicht zum Untersuchungsauftrag gehörten. Die vorliegende Arbeit dagegen enthält rechtliche Analysen des VollzugshandeIns, soweit sie unter der besonderen Fragestellung dieser Arbeit erforderlich sind. In empirischer Hinsicht beschränkt sich die Darstellung auf alternative HandlungsfoTIIlen zu den gesetzlich geregelten Entscheidungsinstrumenten sowie auf die Faktoren, die das Auftreten alternativer Handlungsfomnen beeinflussen. D. h.: Erhebungsergebnisse, die zwar für den Gesetzesvollzug im allgemeinen, nicht aber für die Wahl alternativer Handlungsformen von Bedeutung sind, werden in dieser Arbeit nicht erwähnt. b) Annahmen

Die empirische Erhebung geht von der auf der allgemeinen Lebenserfahrung beruhenden Prämisse aus, daß der Gesetzesvollzug ein Interaktionsprozeß ?Jwischen staatlichen und nicht-staatlichen Akteuren ist. Nach dieser Prämisse hängt das Vollrugshandeln der Behörden ab von 17 Roth, Effektivitätsprobleme im Umweltschutzrecht, in: Festschrift für v. d. Heydte, 1977, S. 1153 ff.

I. Empirische Erhebung

29

-

den Merkmalen der am Gesetzesvollzug beteiligten Behörden und sonstigen staatlichen und llIicht-staatlichen Stellen,

-

dem Problembewußtsein der Akteure, d. h. de-r Wahrnehmung und Beurteilung der objektiven W~rklichkeit und der bestehenden Probleme, deren Lösung das jeweilige Gesetz dient,

-

den Merkmalen des zu vollziehenden Normprogramms und

-

den Merkmalen des vorhandenen Entscheidungsinstrumentariums.

Diese Prämisse steckt das Untersuchungsfeld für die Erhebungen ab. Dabei werden die Merkmale der objektiven Problemsituation im Immissionsschutz nur indirekt - über die Wahrnehmung der Akteure erfaßt. Denn - abgesehen von der Unmöglichkeit, mit sozialwisS€nschaftlichen Methoden ökologische Daten zu erheben, - ist anzunehmen, daß weniger die objektive Wirklichkeit als vielmehr das, was die Akteure für die Wirklichkeit halten, für das Entscheidungsverhalten im Gesetzesvollzug von Bedeutung ist.

Am Vollzug des Bundes-Immi5Sionsschutzgesetzes sind folgende Akteure beteiligt: (a) Vollzugsbehörde, z. B. untere Verwaltungsbehörden (der Kreise und kreisfreien Städte), technische Fachbehörden, Regierungspräsidien (soweit mit Vollzugsaufgaben betraut), (b) Betreiber (Nomnadressaten), z. B. private Unternehmen, Kommunen, staatliche Stellen (Bundesbahn, Bundespost etc.), (c) sonsttge, am Vollzug beteiligte Behörden, z. B. Bauaufsichts- und Bauplanungsbehörden, Straßenbaubehörden etc., (d) mit Steuerungs- und Kontrollaufgaben betraute, vorgesetzte Behörden, z. B. Regierungspräsidien, Ministerien, (e) sonstige am Vollzug beteiligte, nicht-staatliche Stellen, insbesondere drittbetroffene Bürger und Akteure, die dem Bereich der Öffentlichkeit zuzurechnen sind, z. B. Bürgerinitiativen, Interessenorganisationen, politische Parteien, Nachrichtenmedien. (f) Gerichte.

Die Gestaltung der Wirklichkeit durch das Bundes-Immissionsschutzgesetz beruht nicht allein auf den Handlungen oder Unterlassungen der für den Vollzug gesetzlich zuständigen Behörden, sondern erfolgt in den und durch die Interaktionen der genannten Akte'1.lre. So lassen sich z. B. Erlaß und Vollstreckung einer Polizeiverfügung, die rechtlich als eine Abfolge einseitiger Entscheidungsakte der Behörde betrachtet werden, in empirischer Hinsicht a1:s ein Interaktionsprozeß begreifen, an dem zumindest die Vollzugsbehörde und der Entscheidungsadressat

30

B. Konzeption

regelmäßig aber noch andere staatliche und nicht-staatliche Stellen - beteiligt sind. Die Zahl der beteiligten Akteure ist von Fall zu Fall verschieden. Nicht in jedem Einzelfall sind Interaktionen zwischen allen genannten Akteuren zu erwarten. Betrachtet man jedoch die Summe aller Binzelfälle, so läßt sich der Vollzug des Bundes-Immissionsschutzgesetzes als ein Interaktionssystem begreifen, das Slich aus den auf den Immissionsschutz bezogenen Handlungen der genannten Akteure zusammensetzt. Im einzelnen ist auf den Systemcharakter des Gesetzesvollzugs noch später einzugehen. Die ermittelten Daten dienen nicht der Überprüfung, sondern der Gewinnung von Hypothesen und von Ansatzpunkten für verallgemeinernde theoretische Überlegungen, die die Richtung für weiterführende Untersuchungen weisen können. Denn mehr als eine explorative Studie ist beim gegenwärtigen Stand der Forschung nicht möglich. c) Variablenkomplexe

Die bisherigen Überlegungen lassen bereits die Variablen erkennen, deren Merkmale erhoben und analysiert werden. Die abhängigen Variablen sind die gesetzesvollziehenden Tätigkeiten der Vollzugsbehörden, insbesondere die Handhabung des rechtlichen Entsche1dungsinstrurnentariurns. Die unabhängigen Variablen beziehen sich auf die Faktoren, die nach den vorstehend dargelegten Annahmen das Entscheidungsverhalten der Vollzugsbehörden vermutlich bestimmen. Hierbei handelt es sich um folgende Variablenkomplexe: -

Merkmale der Vollzugsbehörden, z. B. Personal, Organisation, Ressourcen (technische Hilfsmittel etc.), Aufgab enverständnis ,

-

Merkmale der horizontalen und vertikalen Aufgaben- und Kompetenzverteilung zwischen staatlichen Akteuren,

-

Merkmale der Steuerung und Kontrolle von VoUzugsbehörden durch vorgesetzte Behörden,

-

Merkmale der Interaktionsbeziehungen zwischen Vollzugsbehörden und Betreibern,

-

Merkmale der Interaktionsbeziehungen zwischen Vollzugsbehörden und anderen staatlichen Akteuren,

-

Merkmale der Interaktionsbeziehungen zwischen Vollzugsbehörden und sonstigen nicht-staatlichen Akteuren,

-

Merkmale der Problem- und Entscheidungssituation, wie sie von Vollzugsbehörden und von vorgesetzten Behörden wahrgenommen werden und

11. Erklärung und Verallgemeinerung

-

31

Merkmale der gesetzlichen Ziele und des rechtlichen Entscheidungsinstnmnentariums im Immissionsschutz.

Diese Liste unabhängiger Variablenkomplexe ist nicht erschöpfend. Zu den unabhängigen Variablen gehören z. B. auch die Strukturmerkmale (Personal, Organisation etc.) anderer Akteure als der Vollzugsbehörden. Ferner zählen hierzu die Interaktionsbeziehungen, die zwischen diesen Akteuren bestehen (z. B. Betreiber - sonstige Behörden Gerichte), sowie Merkmale der Problemwahrnehmung durch diese Akteure oder Steuerungs- und Kontrolleinflüsse, denen sie ausgesetzt sind. Die Erhebungen wurden jedoch aus Gründen der Stoffbegrenzung nur für die aufgelisteten Variablenkomplexe durchgeführt. d) Untersuchungseinheit

Die Datenerhebung erstreckte sich auf mehrere Bundesländer und erfolgte im Wege einer mündlichen und schriftlichen Befragung der mit Irnmissionsschutzaufgaben betrauten unteren, mittleren, oberen und obersten Verwaltungsbehörden - also Kreise und kreisfreie Städte, Gewerbeaufsichtsämter, Regierungspräsidien, Landesanstalten für Immissionsschutz und Landesministerien. Da Kommunen, Regierungspräsidien und Ministerien außer Imm1issionsschutz noch eine Viel2'lahl anderer Aufgaben wahrnehmen, war Untersuchungseinheit die in diesen Behörden für den Immissionsschutz jeweils primär zuständige Organi:sationseinheit, repräsentiert durch ihren Leiter oder se