Rechtswahlfreiheit im europäischen Insolvenzrecht: Eine Untersuchung zum forum shopping unter der EuInsVO unter besonderer Berücksichtigung von Effizienzgesichtspunkten 9783161523137, 9783161522468

Eine zentrale Weichenstellung der Zuständigkeitsermittlung gemäß der Europäischen Insolvenzverordnung wird durch den �

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Rechtswahlfreiheit im europäischen Insolvenzrecht: Eine Untersuchung zum forum shopping unter der EuInsVO unter besonderer Berücksichtigung von Effizienzgesichtspunkten
 9783161523137, 9783161522468

Table of contents :
Cover
Vorwort
Inhaltsübersicht
Inhaltsverzeichnis
Abkürzungsverzeichnis
Kapitel 1: Einführung und Überblick über die Problemstellung, die Ziele und den Gang der Untersuchung
A. Einleitung
B. Überblick über die Problemstellung
C. Ziele der Arbeit
D. Eingrenzung und Gang der Untersuchung
E. Fokussierung auf Unternehmensinsolvenzen
Kapitel 2: Rechtswahlfreiheit unter der EuInsVO – die Situation de lege lata
A. Die rechtlichen Rahmenbedingungen einer Rechtswahl unter der EuInsVO
I. Bestimmung der Begriffe „Rechtswahl“ und „Rechtswahlfreiheit“ im Regelungszusammenhang der EuInsVO
II. Grundsätze der Zuständigkeits- und Anerkennungsordnung der EuInsVO
1. Territorialität und Universalität, Verfahrenseinheit und -pluralität als Strukturelemente grenzüberschreitender Insolvenzverfahren
2. Der Kompromiss der EuInsVO: Modifizierte Universalität
III. Rechtswahl durch Forumswahl
1. Die Kollisionsnorm des Art. 4 Abs. 1 EuInsVO
2. Art. 3 Abs. 1 EuInsVO als Schlüssel zur faktischen Rechtswahl
IV. Rechtswahl und die Regelungsziele der EuInsVO
1. Vermeidung des forum shopping
2. Ermöglichen einer Risikoantizipation durch die Verfahrensbeteiligten
3. Ziel der bestmöglichen Haftungsverwirklichung
4. Gläubigergleichbehandlung
5. Zusammenfassung
B. Möglichkeiten und Grenzen der Rechtswahl de lege lata
I. Drei Ansatzpunkte einer Rechtswahl unter der EuInsVO
1. Unbestimmtheit des Tatbestandes von Art. 3 Abs. 1 S. 1 EuInsVO
2. Veränderlichkeit der zuständigkeitsrelevanten Tatsachen
3. Anerkennungspflicht nach Art. 16 f. EuInsVO
4. Wechselwirkungen und Überlagerungen
II. Grenzen der Rechtswahlfreiheit
1. Kein ausdrückliches Verbot des forum shopping in der EuInsVO
2. Grenzen aus der Unbestimmtheit der Kompetenzordnung der EuInsVO – Anatomie der Kompetenzordnung
a. Die Kompetenzordnung der EuInsVO in der Judikatur der Mitgliedstaaten
(1) BRAC/Budget
(2) Enron Directo SA
(3) EMBIC
(4) Daisytek/ISA
(5) Ci4net USA
(6) Eurofood/Parmalat
(7) Parmalat Deutschland
(8) Crisscross Telecommunications Group
(9) Hettlage Österreich
(10) HUKLA Österreich
(11) Collins & Aikman
(12) MG Rover Group
(13) EMTEC
(14) Deutsche Nickel
(15) Schefenacker
(16) Hans Brochier
(17) Zusammenfassung
b. Das COMI-Kriterium in der Rechtsprechung des EuGH – die Entscheidung im Fall Eurofood
(1) Bedeutung der Entscheidung für das Verständnis des COMI-Kriteriums
(2) Bedeutung der Entscheidung für die weitere Konkretisierung der Zuständigkeitsvorschrift
c. Die zentralen Fragen der Kompetenzvorschrift des Art. 3 Abs. 1 EuInsVO
(1) Besonderheiten bei der Auslegung des COMI-Kriteriums
(2) Wortlaut der Vorschrift
(3) Auslegung nach dem Normzweck
(a) Eingrenzung der Normzwecke
(b) Zusammenfassung
(4) Teleologische Normauslegung und Rechtswahlfreiheit
(a) Einordnung des Erkennbarkeitskriteriums
(aa) Erkennbarkeitskriterium als Korrektiv
(bb) Erkennbarkeit als Grundvoraussetzung aller Anknüpfungsmomente
(cc) Kritik
(dd) Zusammenfassung
(b) Einzelaspekte – Grenzen teleologischer Auslegung
(aa) Gegenstand des Erkennbarkeitserfordernisses
(bb) COMI-Lokalisierung als Gewichtungsproblem
(cc) Einzelne Anknüpfungsmomente; Kriterienbündel der head office theory und mind-of-management-Doktrin
d. Zusammenfassung
3. Grenzen der Rechtswahl durch nationales Recht
a. Kompetenzvorschriften des nationalen Insolvenzrechts
b. Schuldnerbegriff des mitgliedstaatlichen Rechts
c. Zusammenfassung
4. Grenzen manipulativen Einwirkens auf die zuständigkeitsrelevante Tatsachenbasis
a. Grenzen durch die erforderliche Manipulationstiefe (Aufwand)
b. Zeitliche Grenzen
(1) Rechtsprechung
(a) Mitgliedstaaten
(b) EuGH
(2) Nähere Bestimmung des Bezugnahmezeitpunkts
(a) Bezugnahmezeitpunkt des mitgliedstaatlichen Verfahrensrechts
(b) Zeitpunkt des Eintritts der Insolvenzgründe
(c) Durch Antragspflichten bestimmter Zeitpunkt
(d) Zeitpunkt der Anspruchsentstehung
(e) Zeitpunkt der Verfahrenseröffnung
(f) Zeitpunkt der Antragstellung
(3) Zusammenfassung
c. Begrenzung der faktischen Rechtswahlfreiheit durch ungeschriebenen Missbrauchsvorbehalt?
(1) Kein ausdrücklicher Missbrauchsvorbehalt in der EuInsVO
(2) Missbrauchsregelung durch mitgliedstaatliche Sanktionen der „Sitzverlegung“?
(3) Ungeschriebener Vorbehalt der Zuständigkeitserschleichung?
(4) COMI-Verlegung und ordre-public-Vorbehalt aus Art. 26 EuInsVO
(5) Zusammenfassung
5. Grenzen der Rechtswahlfreiheit durch den Anerkennungstatbestand des Art. 16 EuInsVO
a. Inhaltliche Grenzen der Anerkennungspflicht
(1) Überprüfungsrecht des Anerkennungsstaates über Voraussetzungen von Art. 3 EuInsVO?
(2) Rechtswahlspezifische Implikationen
b. Zeitliche Grenzen
(1) Eintrittszeitpunkt der Sperrwirkung; Behandlung von Rückwirkungsfiktionen des nationalen Rechts
(2) Begriff der Verfahrenseröffnung
(a) EuGH
(b) Kritik
(c) Notwendigkeit weitergehender Einschränkungen nach Maßgabe mitgliedstaatlichen Rechts?
(3) Keine Rechtshängigkeitssperre durch Antragstellung
(4) Zusammenfassung
c. Der ordre-public-Vorbehalt aus Art. 26 EuInsVO als Grenze des forum shopping unter Ausnutzung der Anerkennungsregeln
(1) Keine ordre-public-Verletzung infolge bloßer Kompetenzwidrigkeit der Verfahrenseröffnung
(2) Ordre public-Verstoß infolge einer Verletzung von Art. 6 EMRK
(a) Verletzung rechtlichen Gehörs
(b) Inanspruchnahme der Eröffnungszuständigkeit trotz Fehlens jeglicher Beziehung zum Schuldner
(3) Ordre-public-Verstoß infolge „Rechtsgefälles“ zwischen den Mitgliedstaaten
(4) Täuschung über Tatsachen
(5) Zusammenfassung
d. Grenzen durch den erforderlichen Aufwand
e. Beschränkung der infolge faktischen Prioritätsprinzips bestehenden Wahlfreiheit durch mitgliedstaatliche und gemeinschaftsrechtliche Rechtsbehelfe
(1) Angreifen kompetenzwidriger Eröffnungsentscheidungen mit Rechtsbehelfen des autonomen Rechts
(2) Vorlageverfahren nach Art. 267 AEUV
f. Zusammenfassung
6. Rechtswahl und Handelndenhaftung
7. Rechtswahlfreiheit und Zuständigkeitsermittlung von Amts wegen
8. Zusammenfassung
III. Reichweite der Rechtswahl unter der EuInsVO
1. Forumswahl
2. Lex fori concursus des Hauptverfahrens – Qualifikationsprobleme
a. Insolvenzantragspflichten
(1) Qualifikation
(2) Anknüpfung
(3) Antragspflichten und Sekundärverfahren
b. Insolvenzverschleppungshaftung
c. Eigenkapitalersatzrecht
d. Existenzvernichtungshaftung
e. Zusammenfassung
3. Zuständigkeitswahl und Annexverfahren
4. Durchbrechungen des lex-fori-Prinzips durch Sonderanknüpfungen und materiell-rechtliche Ausnahmebestimmungen (insb. Art. 5 und 7 EuInsVO)
a. Grundsatz
b. Sonderfall: Die Ausnahmeregelungen der Art. 5, 7 EuInsVO
(1) Regelungsgehalt der Vorschriften
(2) Gegenausnahme für doloses Handeln?
(3) Besonderheiten des forum shopping i.V.m. Art. 5, 7 EuInsVO
5. Rechtswahlfreiheit und Sekundärverfahren
a. Beschränkungen der Reichweite einer Rechtswahl durch Sekundärverfahren
b. Exkurs: Sekundärverfahren als Gegenmaßnahme zum forum shopping
(1) Beschränkungen durch Niederlassungsbegriff und Antragsberechtigung
(a) Niederlassungsbegriff und Rechtswahl durch Zuständigkeitserschließungen
(b) Niederlassungsbegriff und Rechtswahl durch Ausnutzung des Anerkennungszwangs
(c) Antragsbefugnis des Schuldners
(2) Regulatives Potenzial von Sekundärverfahrens
(3) Zusammenfassung
6. Zusammenfassung zur Reichweite der Rechtswahlmöglichkeiten
C. Die faktische Rechtswahlfreiheit de lege lata – Bestandsaufnahme in Thesen
Kapitel 3: Die Rechtswahlfreiheit unter der EuInsVO in der Analyse
A. Rechtswahlspezifische Anreizstruktur der EuInsVO
I. Handlungsanreize für die Verfahrensbeteiligten
1. Insolvenzgerichte
2. Gläubiger
3. Schuldner (Gesellschafter und Management)
4. Insolvenzverwalter, Berater und andere Insolvenzpraktiker
II. Wettbewerbssituation und Verfahrenspluralität als Folgen divergierender Handlungsanreize
B. Status quo und Effizienz
I. Effizienzgesichtspunkte als Bewertungsmaßstab
II. Effizienzanalyse und konkrete Zielgrößen
1. Vorhersehbarkeit des international-insolvenzrechtlichen Risikos
a. Die Vorhersehbarkeit des Insolvenzrechtsregimes aus ökonomischer Perspektive
b. COMI-Standard, faktische Rechtswahlfreiheit und Vorhersehbarkeit
(1) International-insolvenzrechtliche Risiken und das COMI-Kriterium
(2) Risikoantizipation unter dem COMI-Standard
c. Risikoantizipation durch kautelarische Vorsorge; „COMI-covenants“
d. Risikoantizipation und gesellschaftsrechtliche Strukturierungen (insb. Anteilsverpfändung in Doppelholdings)
e. Risikoantizipation und Sekundärverfahren
f. Zusammenfassung im Spiegel erster empirischer Daten
2. Verfahrenseffizienz im engeren Sinne (Maximierung des haftenden Schuldnervermögens und Verfahrensvereinfachung)
a. Denkbare Effizienzvorteile durch Rechtswahl bei Insolvenzverfahren unter der EuInsVO im Allgemeinen
(1) Auswahl eines effizienten Verfahrensrechts
(2) Einflussnahme auf den Zeitpunkt der Verfahrenseröffnung
(3) Zusammenfassung
b. Denkbare Effizienzvorteile durch Verfahrensbündelung bei der Insolvenz von Unternehmensgruppen unter der EuInsVO
(1) EuInsVO und Konzerninsolvenzrecht
(2) Möglichkeiten formeller Verfahrensbündelung und Rechtswahlfreiheit
c. Realisierung der Effizienzvorteile unter dem Status quo
(1) Wahl des Hauptverfahrensstatuts und Verfahrensbündelung im Eröffnungswettlauf
(a) Verfahrensplatzierung und heterogene Interessenstruktur der Antragsberechtigen
(b) Disziplinierende Marktmechanismen als funktionierendes Regulativ?
(c) Effizienzvorteile durch Eröffnungswettlauf?
(d) Zusammenfassung
(2) Wahl des Hauptverfahrensstatuts, Verfahrens-bündelung und Sekundärverfahren
(a) Sekundärverfahren und Effizienzstörungen
(b) Personenidentität des Verwalters in Haupt- und Sekundärverfahren als praktikable Lösungsmöglichkeit?
(c) Sekundärverfahren in Eigenverwaltung als praktikable Lösungsmöglichkeit?
(d) Verhinderung von Sekundärverfahren als praktikable Lösungsmöglichkeit?
d. Zusammenfassung
3. Minimierung des Aufwands für die Verfahrensbeteiligten
4. Minimierung der Verfahrensdauer
5. Minimierung von Konflikten zwischen den beteiligten Staaten
III. Rechtswahlfreiheit und Regulierungswettbewerb der Insolvenzrechte
1. Interjurisdiktioneller Regulierungswettbewerb im Gesellschaftsrecht
2. Interjurisdiktioneller Regulierungswettbewerb im Insolvenzrecht
3. Die Rahmenbedingungen eines Wettbewerbs der Insolvenzrechte unter der EuInsVO
a. EuInsVO als Teil der Meta-Ordnung eines Regulierungswettbewerbs
b. Nachfrageseite
(1) Mobilität der Rechtsnachfrager unter der EuInsVO
(a) Mobilität nach der Konzeption der EuInsVO
(b) Mobilität und faktische Rechtswahlfreiheit
(2) Nachfrageverhalten und die Handlungsanreize unter der EuInsVO
c. Angebotsseite
(1) Handlungsspielraum der Rechtsanbieter und Wahrnehmung der Rechtswahl
(2) Anreize zur Steigerung der Verfahrenseffizienz durch die Anbieter
(a) Legislatorische Maßnahmen (Normgeber der Mitgliedstaaten)
(b) Handhabung des bestehenden Rechts (Gerichte)
d. Zusammenfassung
IV. Ergebnis
Kapitel 4: Alternative Regelungsmodelle
A. Modifikationen
I. Voraussetzungen effektiver Modifikationen im Bereich der Zuständigkeitsordnung
1. Tatsächliche Veränderung der Einwirkungsmöglichkeiten
2. Gleichlauf von Kompetenzvorschriften und Kollisionsnorm
II. Einzelne Modifikationsvorschläge
1. Gemeinsame Wahl von Organisations- und Insolvenzrecht
a. Anknüpfung an Satzungssitz und Gründungsstatut (Kombinationslösung)
b. Kritik
c. Kombinationslösung durch strenge Interpretation der gesetzlichen Vermutung
d. Kombinationslösung und weitergehende Änderungen
2. Einführung einer konzernbezogenen Zuständigkeitsregel
3. Freie Wählbarkeit des Insolvenzstatuts
4. Zusammenfassung
B. Schlussbetrachtung und Ausblick
C. Zusammenfassung in Thesen
Literaturverzeichnis
Entscheidungsverzeichnis
Verzeichnis der Gesprächspartner
Stichwortverzeichnis

Citation preview

Studien zum ausländischen und internationalen Privatrecht 304 Herausgegeben vom

Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Privatrecht Direktoren:

Jürgen Basedow, Holger Fleischer und Reinhard Zimmermann

Jan-Henning Wyen

Rechtswahlfreiheit im europäischen Insolvenzrecht Eine Untersuchung zum forum shopping unter der EuInsVO unter besonderer Berücksichtigung von Effizienzgesichtspunkten

Mohr Siebeck

Jan-Henning Wyen, geboren 1979; Studium der Rechtswissenschaften in Heidelberg, Lausanne, Münster und München; Referendariat am Landgericht Düsseldorf; 2009 LL.M. (Columbia); seit 2009 Rechtsanwalt in München; 2012 Promotion.

e-ISBN PDF 978-3-16-152313-7 ISBN 978-3-16-152246-8 ISSN 0720-1141 (Studien zum ausländischen und internationalen Privatrecht) Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen National­bibliographie; detaillierte bibliographische Daten sind im Internet über http://dnb. dnb.de abrufbar. © 2014  Mohr Siebeck Tübingen. www.mohr.de Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwer­ tung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elek­ tronischen Systemen. Das Buch wurde von Gulde-Druck in Tübingen auf alterungsbeständiges Werkdruck­ papier gedruckt und von der Buchbinderei Nädele in Nehren gebunden.

“In theory there is no difference between theory and practice. In practice, there is.” Yogi Berra

Vorwort Die vorliegende Arbeit wurde im Wesentlichen in den Jahren 2005–2008 verfasst und im Jahr 2010 offiziell eingereicht. Betreuer der Arbeit war Professor Dr. Horst Eidenmüller. Die Untersuchung war von der Herausforderung gekennzeichnet, einer Materie im Spannungsverhältnis zwischen Recht und Rechtswirklichkeit Herr zu werden, die sich im Kräftefeld des Wettbewerbs der Rechtsordnungen stetig fortentwickelte und weiter fortentwickelt. Nicht zuletzt aufgrund ihrer großen praktischen Relevanz standen und stehen die untersuchten Fragen in besonderem Maße im Fokus der rechtswissenschaftlichen Literatur. Darüber hinaus waren und sind Kompetenzfragen des europäischen Insolvenzrechts fortwährend Gegenstand der Rechtsprechung der mitgliedstaatlichen Gerichte und des EuGH. Einige der untersuchten Fragestellungen wurden daher noch während der Zeit der Erstellung der Arbeit von einer theoretischen Frage zu einer gerichtlich entschiedenen praktischen Angelegenheit. Seit Fertigstellung der Untersuchung ist die Zeit nicht stehengeblieben. Verschiedene Ereignisse, die für die Untersuchung und ihre Thesen von Belang sein könnten, haben sich ereignet oder zeichnen sich ab. Zum einen hatte die Rechtsprechung Gelegenheit, zu verschiedenen ungelösten Problemen im Zusammenhang mit den Zuständigkeitsfragen unter der EuInsVO Stellung zu nehmen. Dabei konnte der EuGH weitere Erläuterungen zum Verständnis des COMI-Kriteriums geben. Hervorzuheben ist insoweit die Interedil-Entscheidung1, welche die Rolle des Erkennbarkeitskriteriums und die Bedeutung der gesetzlichen Vermutung in Fortführung der Eurofood-Leitsätze weiter zu konturieren sucht2. Im Kern plädiert diese Entscheidung für eine einzelfallbezogene Gesamtbetrachtung aller für die Ermittlung des COMI relevanten „objektiven und durch Dritte feststellbaren Faktoren“, von denen die Entscheidung auch gleich zahlreiche nennt. Eine maßgebliche praktische Einschränkung der Einwirkungsmöglichkeiten auf die Eröffnungszuständigkeit ist damit allerdings nicht ver1

EuGH, Rs. C-396/09 (Interedil Srl), Urteil vom 20.10.2011 (im Internet abzurufen unter ); zu offenen Fragen nach dieser Entscheidung vgl. etwa Honorati/Corno, IILR 2013, 18 ff. 2 Siehe hierzu die Besprechung von Mankowski, NZI 2011, 990.

VIII

Vorwort

bunden3. Wie schon die Eurofood-Entscheidung zeichnet sich die Interedil-Entscheidung vielmehr dadurch aus, dass, oft im Abstrakten verharrend, verschiedene zuständigkeitsrelevante Anknüpfungsmerkmale bezeichnet werden. Das Verhältnis dieser tatsächlichen Umstände zueinander wird jedoch nicht in einer Weise geordnet oder gar abschließend geklärt, die wesentliche Einschränkungen für ein forum shopping durch Verfahrensbeteiligte mit sich brächte. Zugleich wird in der Entscheidung das erforderliche (Rang-)Verhältnis zwischen objektiv bestehender Situation und Erkennbarkeit der maßgeblichen Umstände nicht hinreichend beleuchtet. Wenn die Interedil-Entscheidung insoweit wissen lässt, dass die gesetzliche Vermutung der Belegenheit des COMI am Satzungssitz nicht widerlegt werden kann, falls dort auch für Dritte erkennbar die Verwaltungsentscheidungen der Gesellschaft getroffen werden, resultiert dies nicht in wesentlichen praktischen Einschränkungen. Davon abgesehen bleibt das Verständnis des für die Entscheidung zentralen Kriteriums der Erkennbarkeit „durch Dritte“ letztlich im Dunkeln. Die bloße Betonung der Bedeutung dieser Erkennbarkeit, die in der Literatur verschiedentlich als Klarstellung angesehen wurde, erweist sich damit letztlich als weitgehend inhaltsleer. Auch in der weiteren Entscheidung des EuGH zum COMI in der Rechtssache Rastelli Davide sind die damit noch offenen Fragen nicht aufgegriffen worden4. Wenngleich sie in tatsächlich eindeutig gelagerten Fällen zur weiteren Konturierung des Zuständigkeitskriteriums beitragen konnte, verbleibt unter der Rechtsprechung des EuGH mithin ein hohes Maß an Unschärfe. Diese resultiert in einem weitreichenden interpretatorischen Gestaltungsspielraum der Verfahrensbeteiligten. Dieser Befund spiegelte sich bereits kurz nach dem Interedil-Urteil in Entscheidungen der mitgliedstaatlichen Gerichte wider. Prominentes Beispiel ist die Entscheidung der Cour d’Appel von Versailles in der Sache Coeur Défense5. Unter ausdrücklicher Zugrundelegung der EuGH-Rechtsprechung findet in dieser Entscheidung als Ergebnis einer einzelfallbezogenen Gesamtbetrachtung eine Widerlegung der mit dem Interedil-Urteil vermeintlich gestärkten Vermutung der Belegenheit des COMI am Gesellschaftssitz statt. Diese Entwicklung zeigt, dass gerade in der praktisch nicht besonders häufigen, aber im international-insolvenzrechtlichen Kontext immer wieder relevanten Problemstellung der COMI-Verortung bei 3

EuGH, Rs. C-396/09 (Interedil Srl), Urteil vom 20.10.2011, Rn. 45 ff. EuGH, Rs. C-191/10 (Rastelli Davide), Urteil vom 15.12.2011 (im Internet abzurufen unter ). 5 Cour d’Appel Versailles, Entsch. v. 19.1.2012 – 11/03519, Bull. Joly Sociétés 2012, § 189 S. 329. Die wesentlichen Entscheidungsgründe werden bei Damann/Müller, NZI 2012, 643 wiedergegeben. 4

Vorwort

IX

Zweckgesellschaften unverändert erhebliche Unsicherheiten bestehen, die mit erheblichen Gestaltungsspielräumen korrespondieren. Maßgeblich würde der Gegenstand der Untersuchung von einer Reform der EuInsVO betroffen. Mit dem Bericht von Hess/Oberhammer/Pfeiffer wurde inzwischen erstmals ein umfassender Report zu den Erfahrungen bei Anwendungen der EuInsVO in den Mitgliedstaaten erstattet6. Ausgehend von den gewonnenen Erkenntnissen legte die Kommission am 12.12.2012 nunmehr einen Vorschlag zur Änderung der EuInsVO vor („EuInsVOÄnderungsverordnung“)7. Sollte dieser Reformvorschlag einmal geltendes Recht werden, würden damit weitreichende Änderungen einhergehen8. Allerdings sieht Art. 2 der EuInsVO-Änderungsverordnung einen Übergangszeitraum von zwei Jahren vor, der mit Erlass der Verordnung abzulaufen begänne9. Mit der geltenden Rechtslage wird man sich folglich ungeachtet der laufenden Reformbemühungen noch für einige Zeit auseinanderzusetzen haben. Der Kommissionsvorschlag sieht eine Erweiterung des Anwendungsbereichs der Verordnung vor. Bisherige Zweifelsfälle sollen damit vermieden und vorinsolvenzliche Sanierungsverfahren, die eine materielle Insolvenz nicht voraussetzen, eindeutig in den Regelungsbereich der EuInsVO einbezogen werden10. Hintergrund dieser Neuregelung ist offenbar unter anderem das Bestreben, das in den vergangenen Jahren zur Durchführung von Sanierungen vielfach aus dem Ausland heraus in Anspruch genommene Verfahren des scheme of arrangement nach englischem Recht in den Anwendungsbereich der EuInsVO einzubeziehen11. Über die Auswirkungen dieser Änderung auf das Phänomen des forum shopping lässt sich nur spekulieren. Beachtenswert scheint jedoch, dass damit für mobile Schuldner eine besonders frühzeitige Inanspruchnahme eines mit den Anerkennungswirkungen der EuInsVO ausgestatteten Verfahrens in Betracht kommt. Dies könnte von hoher motivatorischer Bedeutung sein. Das scheme of arrangement hat inzwischen auch bei Gläubigern eine gewisse Akzeptanz als 6

Hess/Oberhammer/Pfeiffer, Study for an evaluation of Regulation (EC) No 1346/ 2000 on Insolvency Proceedings, im Internet abzurufen unter . 7 Europäische Kommission, Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 1346/2000 des Rates über Insolvenzverfahren vom 12.12.2012, COM(2012) 744. 8 Einen Überblick über die beabsichtigten Neuregelungen vermitteln etwa Thole/ Swierczok, ZIP 2013, 550 ff.; Reuß, EuZW 2013, 165 ff.; Prager/Keller, NZI 2013, 57 ff. 9 Ausgenommen wären die Regelungen zur Informationsübermittlung nach Art. 44a EuInsVO in der Fassung der EuInsVO-Änderungsverordnung, die für die hier behandelten Fragen keine besondere Bedeutung haben. 10 Art. 1 Abs. 1 EuInsVO in der Fassung der EuInsVO-Änderungsverordnung. 11 Prager/Keller, NZI 2013, 57.

X

Vorwort

Restrukturierungswerkzeug erreicht. Finanzierungsverträge nach englischem Recht, für deren Restrukturierung das scheme of arrangement beliebtes Mittel ist, erfreuen sich weltweit einer besonderen Beliebtheit. Von der Anziehungskraft dieses Verfahrens könnte ein weiterer Anreiz zum forum shopping ausgehen. Es ist zweifelhaft, ob sich Verfahrensbeteiligte künftig vom Erfordernis des COMI-Kriteriums davon abhalten lassen werden, dieses Verfahren in Anspruch zu nehmen, wenn sie sich davon eine Erleichterung der Sanierung versprechen. Die Einbeziehung des scheme of arrangement, das eine Verlagerung des COMI nach zutreffender Auffassung bislang nicht voraussetzte, könnte folglich zum kreativen Umgang mit der Zuständigkeitsnorm anhalten. Die Änderungen, die der Reformvorschlag in Verbindung mit dem COMI-Kriterium vorsieht12, werden die Möglichkeiten des forum shopping auch in Zukunft nicht maßgeblich einschränken. Die Funktionsweise des Zuständigkeitskriteriums würde mit einer Implementierung des Reformvorschlages nicht angefasst. Neben einer Aufnahme des gegenwärtigen 13. Erwägungsgrunds in Art. 3 der EuInsVO sollen die Erwägungsgründe unter einer neuen Nr. 13a zukünftig um die in den Entscheidungen Eurofood und Interedil formulierten Erkenntnisse zur Bedeutung und Widerlegung der gesetzlichen Vermutung des Gesellschaftssitzes als Belegenheitsort des COMI und des Erkennbarkeitskriteriums ergänzt werden. Dies entspricht den Forderungen des Berichts von Hess/Oberhammer/Pfeiffer13. Praktische Sicherheit oder gar eine allgemeine Einschränkung der Einwirkungsmöglichkeiten ergeben sich aus dieser legislativen Änderung im Falle einer Umsetzung allerdings kaum14. Vielmehr würden die bestehenden Unklarheiten der Eurofood- und Interedil-Entscheidungen damit perpetuiert. Die strukturellen Probleme des Zuständigkeitskriteriums, die Gegenstand dieser Arbeit sind, blieben folglich auch nach Umsetzung des gegenwärtig vorliegenden Vorschlags bis auf Weiteres bestehen15. Selbst wenn man in der zukünftig möglicherweise im Verordnungstext verankerten Akzentuierung bestimmter Anknüpfungsmerkmale eine Betonung der Management-Aktivitäten sehen wollte, so wäre darauf hinzuweisen, dass gerade diese eine gewisse Mobilität aufzeigen. Auch die Amtsermittlungspflicht für die Zuständigkeitsermittlung und das Recht bestimmter Verfahrensbeteiligter, eine Überprüfung der Eröff12

Art. 3 EuInsVO in der Fassung der EuInsVO-Änderungsverordnung. Hess/Oberhammer/Pfeiffer, Study for an evaluation of Regulation (EC) No 1346/ 2000 on Insolvency Proceedings, S. 16. 14 Anderer Ansicht offenbar Prager/Keller, NZI 2013, 57, 58 f., die in dieser Änderung eine Wiederherstellung der Rechtssicherheit erblicken wollen. 15 Ähnlich Reuß, EuZW 2013, 165, 167. 13

Vorwort

XI

nungszuständigkeit vornehmen zu lassen, die durch die EuInsVO-Änderungsverordnung eingeführt werden sollen16, dürften den gegenwärtig bestehenden Handlungsspielraum der Verfahrensbeteiligten nicht wesentlich einschränken. In vielen Fällen der gezielten Inanspruchnahme eines bestimmten COMI wird dieses zu Recht in Anspruch genommen oder es lässt sich jedenfalls argumentieren, dass es zu Recht in Anspruch genommen worden sei. Mit Blick auf die Kräfte des Faktischen gilt zudem unverändert, dass ein Verfahren Wurzeln in einem Forum gerade auch dann schlägt, wenn es sich im Nachhinein als zuständigkeitswidrig eröffnet herausstellt. Wenn eine nachträgliche Überprüfung wesentliche Entwicklungen nicht rückgängig machen kann, mag dies Einfluss auf die Motivation zur Anstrengung einer solchen nachträglichen Überprüfung haben. Dass Einwirkungsmöglichkeiten auf das COMI auch zukünftig jedenfalls bis unmittelbar vor Beantragung eines Insolvenzverfahrens bestehen, folgt insbesondere aus dem unverändert maßgeblichen Beurteilungszeitpunkt. Der in der Entscheidung Staubitz-Schreiber (zutreffend und in der Rechtsprechung des EuGH inzwischen bestätigt17) insoweit für maßgeblich erklärte Zeitpunkt wird von der Reform nach dem Kommissionsvorschlag nicht berührt18. Tatsächliche Einwirkungen auf die zuständigkeitsrelevanten Umstände sind damit unverändert bis zur Antragstellung möglich und anzuerkennen. Mankowskis Resümee „COMI – und wahrscheinlich nie ein Ende“19 wird daher ungeachtet einer Umsetzung des Kommissionsvorschlags auf absehbare Zeit Bestand haben. Von „klare[n] Vorschriften zur gerichtlichen Zuständigkeit“, wie sie die Pressemitteilung zum Kommissionsvorschlag vollmundig in Aussicht stellt20, wird also auch zukünftig keine Rede sein können. Mit der Einführung einer gesetzlichen Zuständigkeit für insolvenzbezogene Annexverfahren würde der Kommissionsvorschlag die in der EuGHEntscheidung Deko Marty21 entfalteten Grundsätze kodifizieren. Damit würden die Folgen einer Einflussnahme auf die internationale Zuständigkeit für Annexverfahren nun zum Teil gesetzlich geregelt. Wesentliche Fragen blieben jedoch weiterhin ungelöst22. Weitreichende Konsequenzen für die hier untersuchten Fragen hat diese Änderung jedoch nicht. 16

Art. 3b EuInsVO in der Fassung der EuInsVO-Änderungsverordnung. Vgl. EuGH, Rs. C-396/09 (Interedil Srl), Urteil vom 20.10.2011, Rn. 55. 18 Thole/Swierczok, ZIP 2013, 550, 552; Prager/Keller, NZI 2013, 57, 59. 19 Mankowski, NZI 2011, 994. 20 Pressemitteilung der Europäischen Kommission vom 12. Dezember 2012 „Redliche Unternehmer sollen eine zweite Chance erhalten: Kommission will modernere Insolvenzverfahren“. 21 EuGH, NJW 2009, 2189 (Christopher Seagon/Deko Marty Belgium). 22 Thole/Swierczok, ZIP 2013, 550, 553. 17

XII

Vorwort

Wesentliche Auswirkungen auf den Gegenstand der vorliegenden Arbeit würden sich indes ergeben, wenn es zu einer Umsetzung der im Kommissionsentwurf vorgesehenen Regelungen für das Verhältnis von Haupt- und Sekundärverfahren käme. Der Entwurf enthält insoweit insbesondere eine Regelung, nach der das Insolvenzgericht des Sekundärverfahrensstaats von der Verfahrenseröffnung absehen kann, wenn der Verwalter des Hauptverfahrens dies beantragt und eine solche Verfahrenseröffnung auch nicht erforderlich ist, um die Interessen der Gläubiger im Niederlassungsstaat zu schützen23. Dem Verwalter des Hauptverfahrens soll gegen die Eröffnung eines Sekundärverfahrens zudem künftig ein eigener Rechtsbehelf zustehen24. Ferner beinhaltet der Kommissionsentwurf die Möglichkeit, Gläubiger eines Hauptverfahrens durch eine gezielte Bevorzugung so zu behandeln, wie sie stünden, wenn ein Sekundärverfahren eröffnet würde25. Diese Änderungen würden sich auf die Motivationslage im Zusammenspiel der Haupt- und Sekundärverfahren maßgeblich auswirken können. Es besteht die Hoffnung, dass damit Fehlanreize der bestehenden Regelung abgeschwächt oder gar überwunden werden könnten. Die vielfältigen Anreize, Sekundärverfahren zu beantragen, werden allerdings auch nach einer etwaigen Umsetzung des Kommissionsvorschlags nicht sämtlich aufgehoben werden können. Ferner bleibt abzuwarten, inwieweit sich die Stärkung des Hauptverfahrens, die in dem Kommissionsvorschlag angelegt ist, in der Praxis etablieren kann. Die in der Untersuchung beschriebenen Anreize für die Gerichte des jeweiligen Niederlassungsstaats, ein Sekundärverfahren zu eröffnen, bestünden im Grundsatz weiter. Sie dürften gerade dann besonders ausgeprägt sein, wenn das COMI an einem Ort in Anspruch genommen wird, der weniger starke Bezüge zum Schuldner aufweist als der mögliche Sekundärverfahrensstaat. Der zu begrüßende Vorschlag, dass Sekundärverfahren künftig nicht mehr zwingend Liquidationsverfahren sein müssen26, könnte ebenfalls Auswirkungen auf die Motivationslage der Verfahrensbeteiligten haben. Allerdings ist nicht auszuschließen, dass damit im Einzelfall wiederum Anreize für eine Inanspruchnahme des Sekundärverfahrens gesetzt werden und die Beantragung eines solchen Verfahrens – trotz der genannten Besserstellungsmöglichkeit im Hauptverfahren – letztlich begünstigt wird. Auswirkungen auf die Anreize der Verfahrensbeteiligten dürften auch von den Kommunikations- und Kooperationsregeln für Konzerninsolven-

23

Art. 29a Abs. 2 EuInsVO in der Fassung der EuInsVO-Änderungsverordnung. Art. 29a Abs. 4 EuInsVO in der Fassung der EuInsVO-Änderungsverordnung. 25 Art. 29a Abs. 2 i.V.m. Art. 18 Abs. 1 EuInsVO in der Fassung der EuInsVO-Änderungsverordnung. 26 Art. 29a Abs. 3 EuInsVO in der Fassung der EuInsVO-Änderungsverordnung. 24

Vorwort

XIII

zen ausgehen, welche als wohl einschneidendste Veränderung durch den Kommissionsentwurf anzusehen sind27. Weitere Bedeutung für die Thesen der Untersuchung haben die nach deren Fertigstellung umgesetzten Reformen des materiellen deutschen Insolvenzrechts. Mit dem Gesetz zur weiteren Erleichterung der Sanierung von Unternehmen (ESUG)28 wurden weitreichende Änderungen implementiert, die für die Stellung Deutschlands im Wettbewerb der Insolvenzrechte in mehrfacher Hinsicht von Bedeutung sein könnten. Dies gilt vor allem für das neu eingeführte Schutzschirmverfahren nach § 270b InsO. Eine entsprechende Änderung der EuInsVO vorausgesetzt, führt es dazu, dass nun auch das deutsche Insolvenzrecht ein Verfahren zur Verfügung stellt, das Sanierungsfälle abdeckt, die unter die im europäischen Ausland teilweise bekannten vorinsolvenzlichen Sanierungsverfahren im Anwendungsbereich der EuInsVO fallen. Diese und weitere Änderungen könnten zukünftig die Attraktivität Deutschlands als Insolvenzstandort und damit die Motivationslage von Schuldnern beeinflussen, die gewillt sind, Einfluss auf die internationale Zuständigkeit zu nehmen. Ähnliches wird auch für die Modifikationen des Insolvenzplanverfahrens zu konstatieren sein, das nach der Änderung durch das ESUG mit den Vereinfachungen zur Umwandlung von Forderungen in Anteilsrechte und den Beschränkungen des Obstruktionspotentials der Gesellschafter des Schuldners an praktischer Bedeutung gewonnen hat. Bei Einführung des ESUG war es erklärtes Ziel des Reformgesetzgebers, das deutsche Insolvenzrecht im Wettbewerb mit anderen Sanierungsstandorten zu stärken29. Dies verdeutlicht die Wechselwirkungen, die Fragen des internationalen Insolvenzrechts auf die Entwicklung der mitgliedstaatlichen Insolvenzrechte auch abseits der fortschreitenden Aufnahme von materiell-rechtlichen Regelungen in das europäische Insolvenzrecht haben. Es bleibt zu konstatieren, dass die Zuständigkeitsregeln der EuInsVO auch weiterhin von erheblicher Bedeutung für das Insolvenzrecht sein werden, und zwar sowohl aufgrund ihrer ordnungsgebenden Funktion als auch aufgrund ihre Rolle als Katalysator der Rechtsentwicklung und nicht zuletzt als Werkzeug bei der Bewältigung internationaler Insolvenzen. Für die Aufnahme der Arbeit in die Schriftenreihe Studien zum ausländischen und internationalen Privatrecht sowie engagierte Kommentare zu meinen Thesen bin ich Professor Jürgen Basedow sehr verbunden. Ich 27

Art. 42a–42d EuInsVO in der Fassung der EuInsVO-Änderungsverordnung. BGBl. I S. 2582. Ein Überblick hierzu findet sich bei Römermann, NJW 2012, 645 ff. 29 BT Drs. 17/5712, S. 1, 17. 28

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Vorwort

danke ferner der Studienstiftung des deutschen Volkes, die dieses Projekt mit einem Promotionsstipendium gefördert hat. Zu besonderem Dank bin ich Dr. Peter Bujotzek, Professor Martin Oehmke, Dr. Hartwig Schäfer und Iris Schäffner verpflichtet, die mich mit Kommentaren zum Manuskript der Arbeit und wertvollem Rat unterstützt und so manche Frustration zu überwinden geholfen haben. Melina Polychronidis und Bodo SchmidtSchmiedebach sei für die geduldige und wertvolle Hilfe bei der Formatierung des Manuskripts und der Endredaktion gedankt. Professor Dr. Ingo Saenger sei dafür gedankt, dass er mir während meiner juristischen Ausbildung stets fördernd und unterstützend zur Seite stand. Ganz besonderer Dank gilt meiner Mutter Marietta Wyen, die mir stets ermöglicht hat, zu tun, was ich tun wollte. Ihr widme ich diese Arbeit. München, im Oktober 2013

Jan-Henning Wyen

Inhaltsübersicht Vorwort ................................................................................................. VII Inhaltsverzeichnis ............................................................................... XVII Abkürzungsverzeichnis .................................................................... XXVII

Kapitel 1: Einführung und Überblick über die Problemstellung, die Ziele und den Gang der Untersuchung ...................... 1 A. Einleitung ............................................................................................ 1 B. Überblick über die Problemstellung ..................................................... 3 C. Ziele der Arbeit ................................................................................... 8 D. Eingrenzung und Gang der Untersuchung .......................................... 10 E. Fokussierung auf Unternehmensinsolvenzen ...................................... 12

Kapitel 2: Rechtswahlfreiheit unter der EuInsVO – die Situation de lege lata .................................................................. 15 A. Die rechtlichen Rahmenbedingungen einer Rechtswahl unter der EuInsVO ............................................................................. 15 I. Bestimmung der Begriffe „Rechtswahl“ und „Rechtswahlfreiheit“ im Regelungszusammenhang der EuInsVO..................... 15 II. Grundsätze der Zuständigkeits- und Anerkennungsordnung der EuInsVO ................................................................................ 16 III. Rechtswahl durch Forumswahl ..................................................... 20 IV. Rechtswahl und die Regelungsziele der EuInsVO ......................... 22 B. Möglichkeiten und Grenzen der Rechtswahl de lege lata ................... 31 I. Drei Ansatzpunkte einer Rechtswahl unter der EuInsVO .............. 32 II. Grenzen der Rechtswahlfreiheit .................................................... 37 III. Reichweite der Rechtswahl unter der EuInsVO .......................... 184

XVI

Inhaltsübersicht

C. Die faktische Rechtswahlfreiheit de lege lata – Bestandsaufnahme in Thesen ........................................................... 234

Kapitel 3: Die Rechtswahlfreiheit unter der EuInsVO in der Analyse ................................................................................... 237 A. Rechtswahlspezifische Anreizstruktur der EuInsVO ........................ 237 I. Handlungsanreize für die Verfahrensbeteiligten ......................... 238 II. Wettbewerbssituation und Verfahrenspluralität als Folgen divergierender Handlungsanreize................................................ 249 B. Status quo und Effizienz .................................................................. 252 I. Effizienzgesichtspunkte als Bewertungsmaßstab ........................ 252 II. Effizienzanalyse und konkrete Zielgrößen .................................. 256 III. Rechtswahlfreiheit und Regulierungswettbewerb der Insolvenzrechte..................................................................... 328 IV. Ergebnis ..................................................................................... 345

Kapitel 4: Alternative Regelungsmodelle .................................... 347 A. Modifikationen ................................................................................ 347 I. Voraussetzungen effektiver Modifikationen im Bereich der Zuständigkeitsordnung ......................................................... 347 II. Einzelne Modifikationsvorschläge .............................................. 350 B. Schlussbetrachtung und Ausblick..................................................... 369 C. Zusammenfassung in Thesen ........................................................... 371

Literaturverzeichnis .............................................................................. 375 Entscheidungsverzeichnis ..................................................................... 391 Verzeichnis der Gesprächspartner ......................................................... 395 Sachverzeichnis .................................................................................... 397

Inhaltsverzeichnis Vorwort ................................................................................................. VII Inhaltsübersicht ...................................................................................... XV Abkürzungsverzeichnis .................................................................... XXVII

Kapitel 1: Einführung und Überblick über die Problemstellung, die Ziele und den Gang der Untersuchung ...................... 1 A. Einleitung ............................................................................................ 1 B. Überblick über die Problemstellung ..................................................... 3 C. Ziele der Arbeit ................................................................................... 8 D. Eingrenzung und Gang der Untersuchung .......................................... 10 E. Fokussierung auf Unternehmensinsolvenzen ...................................... 12

Kapitel 2: Rechtswahlfreiheit unter der EuInsVO – die Situation de lege lata .................................................................. 15 A. Die rechtlichen Rahmenbedingungen einer Rechtswahl unter der EuInsVO ............................................................................. 15 I. Bestimmung der Begriffe „Rechtswahl“ und „Rechtswahlfreiheit“ im Regelungszusammenhang der EuInsVO..................... 15 II. Grundsätze der Zuständigkeits- und Anerkennungsordnung der EuInsVO ................................................................................ 16 1. Territorialität und Universalität, Verfahrenseinheit und -pluralität als Strukturelemente grenzüberschreitender Insolvenzverfahren ................................................................... 16 2. Der Kompromiss der EuInsVO: Modifizierte Universalität ...... 18 III. Rechtswahl durch Forumswahl ..................................................... 20 1. Die Kollisionsnorm des Art. 4 Abs. 1 EuInsVO ....................... 20 2. Art. 3 Abs. 1 EuInsVO als Schlüssel zur faktischen Rechtswahl .............................................................................. 21

XVIII

Inhaltsverzeichnis

IV. Rechtswahl und die Regelungsziele der EuInsVO ......................... 22 1. Vermeidung des forum shopping .............................................. 22 2. Ermöglichen einer Risikoantizipation durch die Verfahrensbeteiligten ............................................................... 24 3. Ziel der bestmöglichen Haftungsverwirklichung ...................... 27 4. Gläubigergleichbehandlung ...................................................... 28 5. Zusammenfassung .................................................................... 31 B. Möglichkeiten und Grenzen der Rechtswahl de lege lata ................... 31 I. Drei Ansatzpunkte einer Rechtswahl unter der EuInsVO .............. 32 1. Unbestimmtheit des Tatbestandes von Art. 3 Abs. 1 S. 1 EuInsVO .................................................................................. 32 2. Veränderlichkeit der zuständigkeitsrelevanten Tatsachen ......... 34 3. Anerkennungspflicht nach Art. 16 f. EuInsVO ......................... 34 4. Wechselwirkungen und Überlagerungen .................................. 35 II. Grenzen der Rechtswahlfreiheit .................................................... 37 1. Kein ausdrückliches Verbot des forum shopping in der EuInsVO ........................................................................ 37 2. Grenzen aus der Unbestimmtheit der Kompetenzordnung der EuInsVO – Anatomie der Kompetenzordnung .................... 39 a. Die Kompetenzordnung der EuInsVO in der Judikatur der Mitgliedstaaten .............................................................. 39 (1) BRAC/Budget .............................................................. 40 (2) Enron Directo SA ........................................................ 41 (3) EMBIC ........................................................................ 42 (4) Daisytek/ISA ............................................................... 43 (5) Ci4net USA ................................................................. 45 (6) Eurofood/Parmalat ....................................................... 46 (7) Parmalat Deutschland .................................................. 50 (8) Crisscross Telecommunications Group ........................ 51 (9) Hettlage Österreich ...................................................... 52 (10) HUKLA Österreich ...................................................... 53 (11) Collins & Aikman ........................................................ 53 (12) MG Rover Group ......................................................... 54 (13) EMTEC ....................................................................... 56 (14) Deutsche Nickel ........................................................... 56 (15) Schefenacker ............................................................... 57 (16) Hans Brochier .............................................................. 58 (17) Zusammenfassung ....................................................... 60 b. Das COMI-Kriterium in der Rechtsprechung des EuGH – die Entscheidung im Fall Eurofood ...................................... 62 (1) Bedeutung der Entscheidung für das Verständnis des COMI-Kriteriums ........................................................ 63

Inhaltsverzeichnis

XIX

(2) Bedeutung der Entscheidung für die weitere Konkretisierung der Zuständigkeitsvorschrift............... 66 c. Die zentralen Fragen der Kompetenzvorschrift des Art. 3 Abs. 1 EuInsVO .................................................. 68 (1) Besonderheiten bei der Auslegung des COMI-Kriteriums .................................................. 69 (2) Wortlaut der Vorschrift ................................................ 71 (3) Auslegung nach dem Normzweck ................................ 73 (a) Eingrenzung der Normzwecke ................................ 74 (b) Zusammenfassung .................................................. 77 (4) Teleologische Normauslegung und Rechtswahlfreiheit.................................................................. 78 (a) Einordnung des Erkennbarkeitskriteriums............... 78 (aa) Erkennbarkeitskriterium als Korrektiv ............. 79 (bb) Erkennbarkeit als Grundvoraussetzung aller Anknüpfungsmomente ............................. 80 (cc) Kritik ............................................................... 81 (dd) Zusammenfassung ........................................... 85 (b) Einzelaspekte – Grenzen teleologischer Auslegung .............................................................. 86 (aa) Gegenstand des Erkennbarkeitserfordernisses .................................................. 86 (bb) COMI-Lokalisierung als Gewichtungsproblem ........................................................... 88 (cc) Einzelne Anknüpfungsmomente; Kriterienbündel der head office theory und mind-ofmanagement-Doktrin ....................................... 91 d. Zusammenfassung ............................................................... 97 3. Grenzen der Rechtswahl durch nationales Recht ...................... 98 a. Kompetenzvorschriften des nationalen Insolvenzrechts ....... 98 b. Schuldnerbegriff des mitgliedstaatlichen Rechts ................ 103 c. Zusammenfassung ............................................................. 104 4. Grenzen manipulativen Einwirkens auf die zuständigkeitsrelevante Tatsachenbasis ........................................................ 105 a. Grenzen durch die erforderliche Manipulationstiefe (Aufwand) ......................................................................... 105 b. Zeitliche Grenzen .............................................................. 108 (1) Rechtsprechung ......................................................... 109 (a) Mitgliedstaaten ..................................................... 109 (b) EuGH ................................................................... 111 (2) Nähere Bestimmung des Bezugnahmezeitpunkts ........ 112 (a) Bezugnahmezeitpunkt des mitgliedstaatlichen Verfahrensrechts ................................................... 113

XX

Inhaltsverzeichnis

(b) Zeitpunkt des Eintritts der Insolvenzgründe .......... 114 (c) Durch Antragspflichten bestimmter Zeitpunkt ...... 115 (d) Zeitpunkt der Anspruchsentstehung ...................... 115 (e) Zeitpunkt der Verfahrenseröffnung ....................... 116 (f) Zeitpunkt der Antragstellung ................................ 120 (3) Zusammenfassung ..................................................... 123 c. Begrenzung der faktischen Rechtswahlfreiheit durch ungeschriebenen Missbrauchsvorbehalt?............................ 124 (1) Kein ausdrücklicher Missbrauchsvorbehalt in der EuInsVO .......................................................... 125 (2) Missbrauchsregelung durch mitgliedstaatliche Sanktionen der „Sitzverlegung“? ............................... 126 (3) Ungeschriebener Vorbehalt der Zuständigkeitserschleichung? ........................................................... 128 (4) COMI-Verlegung und ordre-public-Vorbehalt aus Art. 26 EuInsVO .................................................. 134 (5) Zusammenfassung ..................................................... 139 5. Grenzen der Rechtswahlfreiheit durch den Anerkennungstatbestand des Art. 16 EuInsVO ............................................. 139 a. Inhaltliche Grenzen der Anerkennungspflicht .................... 140 (1) Überprüfungsrecht des Anerkennungsstaates über Voraussetzungen von Art. 3 EuInsVO? .............. 140 (2) Rechtswahlspezifische Implikationen......................... 145 b. Zeitliche Grenzen ............................................................... 146 (1) Eintrittszeitpunkt der Sperrwirkung; Behandlung von Rückwirkungsfiktionen des nationalen Rechts..... 146 (2) Begriff der Verfahrenseröffnung ................................ 150 (a) EuGH ................................................................... 150 (b) Kritik .................................................................... 151 (c) Notwendigkeit weitergehender Einschränkungen nach Maßgabe mitgliedstaatlichen Rechts? ........... 154 (3) Keine Rechtshängigkeitssperre durch Antragstellung . 155 (4) Zusammenfassung ..................................................... 157 c. Der ordre-public-Vorbehalt aus Art. 26 EuInsVO als Grenze des forum shopping unter Ausnutzung der Anerkennungsregeln .................................................... 158 (1) Keine ordre-public-Verletzung infolge bloßer Kompetenzwidrigkeit der Verfahrenseröffnung.......... 159 (2) Ordre public-Verstoß infolge einer Verletzung von Art. 6 EMRK ...................................................... 160 (a) Verletzung rechtlichen Gehörs .............................. 160 (b) Inanspruchnahme der Eröffnungszuständigkeit trotz Fehlens jeglicher Beziehung zum Schuldner 165

Inhaltsverzeichnis

XXI

(3) Ordre-public-Verstoß infolge „Rechtsgefälles“ zwischen den Mitgliedstaaten .................................... 167 (4) Täuschung über Tatsachen ......................................... 170 (5) Zusammenfassung ..................................................... 170 d. Grenzen durch den erforderlichen Aufwand ....................... 171 e. Beschränkung der infolge faktischen Prioritätsprinzips bestehenden Wahlfreiheit durch mitgliedstaatliche und gemeinschaftsrechtliche Rechtsbehelfe ....................... 172 (1) Angreifen kompetenzwidriger Eröffnungsentscheidungen mit Rechtsbehelfen des autonomen Rechts ................................................ 173 (2) Vorlageverfahren nach Art. 267 AEUV ..................... 176 f. Zusammenfassung ............................................................. 177 6. Rechtswahl und Handelndenhaftung....................................... 179 7. Rechtswahlfreiheit und Zuständigkeitsermittlung von Amts wegen .................................................................... 181 8. Zusammenfassung .................................................................. 183 III. Reichweite der Rechtswahl unter der EuInsVO .......................... 184 1. Forumswahl ........................................................................... 184 2. Lex fori concursus des Hauptverfahrens – Qualifikationsprobleme .......................................................... 185 a. Insolvenzantragspflichten .................................................. 189 (1) Qualifikation .............................................................. 189 (2) Anknüpfung ............................................................... 193 (3) Antragspflichten und Sekundärverfahren ................... 199 b. Insolvenzverschleppungshaftung ....................................... 201 c. Eigenkapitalersatzrecht ...................................................... 204 d. Existenzvernichtungshaftung ............................................. 205 e. Zusammenfassung ............................................................. 207 3. Zuständigkeitswahl und Annexverfahren ................................ 209 4. Durchbrechungen des lex-fori-Prinzips durch Sonderanknüpfungen und materiell-rechtliche Ausnahmebestimmungen (insb. Art. 5 und 7 EuInsVO) .......................... 213 a. Grundsatz .......................................................................... 213 b. Sonderfall: Die Ausnahmeregelungen der Art. 5, 7 EuInsVO ........................................................ 214 (1) Regelungsgehalt der Vorschriften .............................. 215 (2) Gegenausnahme für doloses Handeln? ....................... 218 (3) Besonderheiten des forum shopping i.V.m. Art. 5, 7 EuInsVO ...................................................... 220 5. Rechtswahlfreiheit und Sekundärverfahren ............................ 221 a. Beschränkungen der Reichweite einer Rechtswahl durch Sekundärverfahren ................................................... 221

XXII

Inhaltsverzeichnis

b. Exkurs: Sekundärverfahren als Gegenmaßnahme zum forum shopping .......................................................... 224 (1) Beschränkungen durch Niederlassungsbegriff und Antragsberechtigung ........................................... 224 (a) Niederlassungsbegriff und Rechtswahl durch Zuständigkeitserschließungen ..................... 224 (b) Niederlassungsbegriff und Rechtswahl durch Ausnutzung des Anerkennungszwangs ................. 225 (c) Antragsbefugnis des Schuldners ........................... 228 (2) Regulatives Potenzial von Sekundärverfahrens .......... 230 (3) Zusammenfassung ..................................................... 233 6. Zusammenfassung zur Reichweite der Rechtswahlmöglichkeiten ........................................................................ 234 C. Die faktische Rechtswahlfreiheit de lege lata – Bestandsaufnahme in Thesen ........................................................... 234

Kapitel 3: Die Rechtswahlfreiheit unter der EuInsVO in der Analyse ................................................................................... 237 A. Rechtswahlspezifische Anreizstruktur der EuInsVO ........................ 237 I. Handlungsanreize für die Verfahrensbeteiligten ......................... 238 1. Insolvenzgerichte ................................................................... 238 2. Gläubiger ............................................................................... 241 3. Schuldner (Gesellschafter und Management).......................... 244 4. Insolvenzverwalter, Berater und andere Insolvenzpraktiker .... 246 II. Wettbewerbssituation und Verfahrenspluralität als Folgen divergierender Handlungsanreize................................................ 249 B. Status quo und Effizienz .................................................................. 252 I. Effizienzgesichtspunkte als Bewertungsmaßstab ........................ 252 II. Effizienzanalyse und konkrete Zielgrößen .................................. 256 1. Vorhersehbarkeit des international-insolvenzrechtlichen Risikos ................................................................................... 258 a. Die Vorhersehbarkeit des Insolvenzrechtsregimes aus ökonomischer Perspektive ........................................... 259 b. COMI-Standard, faktische Rechtswahlfreiheit und Vorhersehbarkeit......................................................... 263 (1) International-insolvenzrechtliche Risiken und das COMI-Kriterium ........................................... 263 (2) Risikoantizipation unter dem COMI-Standard............ 264 c. Risikoantizipation durch kautelarische Vorsorge; „COMI-covenants“ ............................................................ 266

Inhaltsverzeichnis

XXIII

d. Risikoantizipation und gesellschaftsrechtliche Strukturierungen (insb. Anteilsverpfändung in Doppelholdings) ............................................................ 271 e. Risikoantizipation und Sekundärverfahren ......................... 276 f. Zusammenfassung im Spiegel erster empirischer Daten ..... 278 2. Verfahrenseffizienz im engeren Sinne (Maximierung des haftenden Schuldnervermögens und Verfahrensvereinfachung) ............................................... 279 a. Denkbare Effizienzvorteile durch Rechtswahl bei Insolvenzverfahren unter der EuInsVO im Allgemeinen ................................................................. 280 (1) Auswahl eines effizienten Verfahrensrechts ............... 280 (2) Einflussnahme auf den Zeitpunkt der Verfahrenseröffnung ................................................................... 281 (3) Zusammenfassung ..................................................... 286 b. Denkbare Effizienzvorteile durch Verfahrensbündelung bei der Insolvenz von Unternehmensgruppen unter der EuInsVO ............................................................. 286 (1) EuInsVO und Konzerninsolvenzrecht ........................ 290 (2) Möglichkeiten formeller Verfahrensbündelung und Rechtswahlfreiheit .............................................. 292 c. Realisierung der Effizienzvorteile unter dem Status quo .... 294 (1) Wahl des Hauptverfahrensstatuts und Verfahrensbündelung im Eröffnungswettlauf .............................. 295 (a) Verfahrensplatzierung und heterogene Interessenstruktur der Antragsberechtigen ............ 296 (b) Disziplinierende Marktmechanismen als funktionierendes Regulativ? ............................ 298 (c) Effizienzvorteile durch Eröffnungswettlauf? ......... 301 (d) Zusammenfassung ................................................ 303 (2) Wahl des Hauptverfahrensstatuts, Verfahrensbündelung und Sekundärverfahren ............................. 304 (a) Sekundärverfahren und Effizienzstörungen ........... 304 (b) Personenidentität des Verwalters in Hauptund Sekundärverfahren als praktikable Lösungsmöglichkeit? ............................................ 311 (c) Sekundärverfahren in Eigenverwaltung als praktikable Lösungsmöglichkeit? .................... 311 (d) Verhinderung von Sekundärverfahren als praktikable Lösungsmöglichkeit? .................... 314 d. Zusammenfassung ............................................................. 320 3. Minimierung des Aufwands für die Verfahrensbeteiligten ...... 322 4. Minimierung der Verfahrensdauer .......................................... 323

XXIV

Inhaltsverzeichnis

5. Minimierung von Konflikten zwischen den beteiligten Staaten ........................................................... 326 III. Rechtswahlfreiheit und Regulierungswettbewerb der Insolvenzrechte..................................................................... 328 1. Interjurisdiktioneller Regulierungswettbewerb im Gesellschaftsrecht ............................................................. 329 2. Interjurisdiktioneller Regulierungswettbewerb im Insolvenzrecht ................................................................... 330 3. Die Rahmenbedingungen eines Wettbewerbs der Insolvenzrechte unter der EuInsVO .................................. 331 a. EuInsVO als Teil der Meta-Ordnung eines Regulierungswettbewerbs ....................................................................... 332 b. Nachfrageseite ................................................................... 334 (1) Mobilität der Rechtsnachfrager unter der EuInsVO .... 334 (a) Mobilität nach der Konzeption der EuInsVO ........ 334 (b) Mobilität und faktische Rechtswahlfreiheit ........... 335 (2) Nachfrageverhalten und die Handlungsanreize unter der EuInsVO ..................................................... 336 c. Angebotsseite ..................................................................... 338 (1) Handlungsspielraum der Rechtsanbieter und Wahrnehmung der Rechtswahl ............................ 338 (2) Anreize zur Steigerung der Verfahrenseffizienz durch die Anbieter ..................................................... 339 (a) Legislatorische Maßnahmen (Normgeber der Mitgliedstaaten) .......................... 339 (b) Handhabung des bestehenden Rechts (Gerichte) ... 342 d. Zusammenfassung ............................................................. 344 IV. Ergebnis ..................................................................................... 345

Kapitel 4: Alternative Regelungsmodelle ............................... 347 A. Modifikationen ................................................................................ 347 I. Voraussetzungen effektiver Modifikationen im Bereich der Zuständigkeitsordnung ......................................................... 347 1. Tatsächliche Veränderung der Einwirkungsmöglichkeiten ..... 348 2. Gleichlauf von Kompetenzvorschriften und Kollisionsnorm... 349 II. Einzelne Modifikationsvorschläge .............................................. 350 1. Gemeinsame Wahl von Organisations- und Insolvenzrecht .... 350 a. Anknüpfung an Satzungssitz und Gründungsstatut (Kombinationslösung) ....................................................... 350 b. Kritik ................................................................................. 352

Inhaltsverzeichnis

XXV

c. Kombinationslösung durch strenge Interpretation der gesetzlichen Vermutung ............................................... 358 d. Kombinationslösung und weitergehende Änderungen ........ 359 2. Einführung einer konzernbezogenen Zuständigkeitsregel ....... 362 3. Freie Wählbarkeit des Insolvenzstatuts................................... 365 4. Zusammenfassung .................................................................. 369 B. Schlussbetrachtung und Ausblick..................................................... 369 C. Zusammenfassung in Thesen ........................................................... 371

Literaturverzeichnis .............................................................................. 375 Entscheidungsverzeichnis ..................................................................... 391 Verzeichnis der Gesprächspartner ......................................................... 395 Sachverzeichnis .................................................................................... 397

Abkürzungsverzeichnis a. A. a. a. o. ABl. ABl.EG Abs. AC a.E. AEUV AG AGB allg. Anh. Art. Az. BayObLG BB Bd. BCC Beschl. BGB BGH BGHZ B.V. BVerfG BVerfGE bzw. CEO Ch. D. COMI DB ders. d. h. dies. DIP DZWIR EBOR ECFR EDV EG EGBGB

anderer Auffassung am angegebenen Ort Anwaltsblatt Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaft Absatz Law Reports, Appeal Cases (Third Series) am Ende Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union Amtsgericht Allgemeine Geschäftsbedingungen allgemein Anhang Artikel Aktenzeichen Bayerisches Oberlandesgericht Betriebsberater (Zeitschrift) Band British Company Cases Beschluss Bürgerliches Gesetzbuch Bundesgerichtshof Bundesgerichtshof für Zivilsachen besloten vennootschap Bundesverfassungsgericht Bundesverfassungsgerichtsentscheidung beziehungsweise Chief Executive Officer Chancery Division center of main interests Der Betrieb (Zeitschrift) derselbe das heißt dieselbe debtor in possession Deutsche Zeitschrift für Wirtschafts- und Insolvenzrecht European Business Organization Law Review European Company and Financial Law Review Elektronische Datenverarbeitung Europäische Gemeinschaft Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuch

XXVIII EGInsO EGV EMRK Engl. ed. EU EuGH EuGVÜ

EuGVVO

EuInsÜ EuInsVO EUV EuZPR EWHC EWiR EWS f. FAZ ff. FK-InsO Fn. FS GA GBP gem. GenG GG ggf. GmbH GmbHG GmbHR HGB Hrsg. i. Erg. IILR insb. i.S. i.V.m. ILF InsO InsR InsVO InsVV IPR IPRax JOR

Abkürzungsverzeichnis Einführungsgesetz zur Insolvenzordnung Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft Europäische Menschenrechtskonvention English edition Europäische Union Europäischer Gerichtshof Übereinkommen über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen Verordnung des Rates über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivilund Handelssachen Europäisches Insolvenzübereinkommen Europäische Insolvenzverordnung Vertrag über die Europäische Union Europäisches Zivilprozess- und Kollisionsrecht High Court of England and Wales Entscheidungen zum Wirtschaftsrecht (Zeitschrift) Europäisches Wirtschafts- und Steuerrecht (Zeitschrift) folgend Frankfurter Allgemeine Zeitung und folgende Frankfurter Kommentar zur Insolvenzordnung Fußnote Festschrift Generalanwalt beim EUGH Great Britain Pound gemäß Gesetz betreffend die Erwerbs- und Wirtschaftsgenossenschaften Grundgesetz gegebenenfalls Gesellschaft mit beschränkter Haftung Gesetz betreffend die Gesellschaften mit beschränkter Haftung GmbH-Rundschau (Zeitschrift) Handelsgesetzbuch Herausgeber/herausgegeben im Ergebnis International Insolvency Law Review (Zeitschrift) insbesondere im Sinne in Verbindung mit Institute for Law and Finance Insolvenzordnung Insolvenzrecht Insolvenzverordnung Insolvenzrechtliche Vergütungsverordnung Internationales Privatrecht Praxis des Internationalen Privat- und Verfahrensrechts (Zeitschrift) Jurisprudentie Onderneming & Recht (Zeitschrift)

Abkürzungsverzeichnis JZ Kap. KG KGaA KO krit. KTS LBOs LG lit. Ltd. LugÜ MoMiG MünchKomm AktG MünchKomm BGB MünchKomm InsO m. w. N. NJW No. Nr. NZG NZI OGH OLG plc. RabelsZ RG RIW Rn. RNotZ Rz. S. S. A. Sec. sog. S.p.A. s.u. Slg. SZIER u. a. UmwG Unterabs. Urt. usw. v. Verf.

XXIX

Juristen Zeitung Kapital Kommanditgesellschaft Kommanditgesellschaft auf Aktien Konkursordnung kritisch Zeitschrift für Insolvenzrecht Leveraged Buy-Out Transaktionen Landgericht Buchstabe Limited Lugano-Übereinkommen Gesetz zur Modernisierung des GmbH-Rechts und zur Bekämpfung von Missbräuchen Münchener Kommentar zum Aktiengesetz Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch Münchener Kommentar zur Insolvenzordnung mit weiteren Nachweisen Neue Juristische Wochenschrift Numero Nummer Neue Zeitschrift für Gesellschaftsrecht Neue Zeitschrift für das Recht der Insolvenz und Sanierung Oberster Gerichtshof Oberlandesgericht public limited company Rabels Zeitschrift für ausländisches und internationales Privatrecht Rôle Général Recht der internationalen Wirtschaft (Zeitschrift) Randnummer Rheinische Notar-Zeitschrift Randzeichen Seite/Satz Société Anonyme section sogenannte/sogennanter Società per Azioni siehe unten Sammlung der Rechtsprechung des Gerichtshofes und des Gerichts Erster Instanz Schweizerische Zeitschrift für internationales und europäisches Recht unter anderem Umwandlungsgesetz Unterabschnitt Urteil und so weiter vom/versus Verfasser

XXX vgl. Vorb. WM w. N. z.B. ZEuP ZfB ZfRV ZGR ZHR ZIK ZInsO ZIP zit. z. T. ZVglRWiss ZZP

Abkürzungsverzeichnis vergleiche Vorbemerkung Wertpapiermitteilungen weitere Nachweise zum Beispiel Zeitschrift für Europäisches Privatrecht Zeitschrift für Betriebswirtschaft Zeitschrift für Europarecht, Internationales Privatrecht und Rechtsvergleichung Zeitschrift für Unternehmens- und Gesellschaftsrecht Zeitschrift für das gesamte Handels- und Wirtschaftsrecht Zeitschrift für Insolvenzrecht und Kreditschutz Zeitschrift für das gesamte Insolvenzrecht Zeitschrift für Wirtschaftsrecht zitiert zum Teil Zeitschrift für vergleichende Rechtswissenschaft Zeitschrift für Zivilprozess

Kapitel 1

Einführung und Überblick über die Problemstellung, die Ziele und den Gang der Untersuchung A. Einleitung Einleitung

Eine europäische bürgerliche Gesellschaft1 schien noch bis Mitte des vergangenen Jahrhunderts bloße Utopie zu sein. Inzwischen haben die Bürger der Mitgliedstaaten eine gemeinsame Verfassung. Das „Europarecht“, das Recht der europäischen Gemeinschaften und das Recht der Organisationen der EU, nimmt mittlerweile maßgeblichen Einfluss auf die meisten Lebensbereiche der Gemeinschafts- und Unionsbürger. Insbesondere auf dem Gebiet des Wirtschaftsrechts ist die Bedeutung gemeinschaftsrechtlicher2 Regelungen enorm. Schätzungen zufolge sind schon seit über einem Jahrzehnt etwa 80 % aller gesetzlichen Bestimmungen des Wirtschaftsrechts unmittelbar durch Gemeinschaftsrecht geregelt oder auf gemeinschaftsrechtliche Normen zurückzuführen3. Dennoch bedurfte es mehrerer Jahrzehnte des wissenschaftlichen Diskurses und des politischen Ringens, ehe am 31.05.2002 die Europäische Insolvenzverordnung (EuInsVO)4 in Kraft treten konnte. Sie stellt zusammen mit der EuGVVO5 ein Kernstück des europäischen Prozessrechts dar. Erstmalig besteht nun ein verbindliches gemeinschaftsrechtliches Regelwerk über die Durchführung und Anerkennung von Insolvenzverfahren6.

1

Vgl. hierzu Hegel, Grundlinien der Philosophie des Rechts, § 249. Für die Rechtsordung der EU wird in dieser Untersuchung weiter der Begriff „Gemeinschaftsrecht“ verwendet. 3 Bangemann, in: Brückner, Europa transparent, S. 5. Zur allgemeinen Bedeutung des Gemeinschaftsrechts in Deutschland vgl. BVerfGE 89, 155, 173. 4 Verordnung (EG) Nr. 1346/2000 des Rates vom 29.05.2000 über Insolvenzverfahren. 5 Verordnung (EG) Nr. 44/2001 des Rates vom 22.12.2000 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen. 6 Dänemark hat nach Art. 69 EGV aufgrund eines entsprechenden Protokolls Vorbehalte gegen die auf Titel IV des EGV gestützte EuInsVO erklärt. Dänemark ist daher vom territorialen Geltungsbereich der Verordnung ausgenommen, vgl. auch Erwägungsgrund Nr. 33 zur EuInsVO. 2

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Kapitel 1: Einführung und Überblick

Die rechtstatsächliche Bedeutung der EuInsVO und der mit ihrer Anwendung verbundenen Probleme ist enorm. Denn die Verordnung ist, anders als man zunächst annehmen könnte, im Bereich der Unternehmensinsolvenzen nicht nur für den international agierenden Konzern von Relevanz. Gerade kleine, als Personengesellschaft verfasste Unternehmen oder einzelne Gewerbetreibende können aufgrund ihrer Beweglichkeit in besonderem Maße von der durch das Primärrecht der Gemeinschaft gewährleisteten Niederlassungsfreiheit und Freizügigkeit Gebrauch machen. Im Falle ihrer Insolvenz entsteht vielfach ein grenzüberschreitender Bezug, der den räumlichen Anwendungsbereich der Verordnung eröffnet7. So erstaunt es nicht, dass in der Judikatur bislang nicht nur Großinsolvenzen, sondern genauso Insolvenzen kleiner Unternehmen eine hervorstechende Rolle spielen8. Diese Entwicklung dürfte sich in Anbetracht des Mobilitätszuwachses unternehmenstragender Gesellschaften nach den Entscheidungen des EuGH in den Rechtssachen Centros, Überseering, Inspire Art und Cartesio weiter verstärken9. Das Insolvenzrecht wird hierdurch vor besondere Herausforderungen gestellt10. Schließlich lassen auch die umfangreichen Verflechtungen der deutschen Wirtschaft mit dem europäischen Ausland erwarten, dass die EuInsVO immer öfter auch deutsche Insolvenzgerichte und -verwalter beschäftigen wird. Die Rechtspraxis hatte mittlerweile Gelegenheit, Erfahrungen mit Insolvenzverfahren unter der EuInsVO zu machen. Dabei zeigt sich, dass schon im Hinblick auf die Anwendung der Vorschriften über die Verfahrenseröffnung ein erheblicher Interpretationsspielraum besteht. Binnen kurzer Zeit hat sich unter den Praktikern in den Mitgliedstaaten ein weit gefächertes Meinungsspektrum zum Verständnis fundamentaler Fragen gebildet. Unterschiedliche Auffassungen bestehen dabei nicht nur zwischen den mitgliedstaatlichen Gerichten. Auch im Bereich der Lehre und unter den außergerichtlich tätigen Praktikern, insbesondere Verwaltern und Beratern, wird bisweilen ein völlig uneinheitliches Meinungsbild erkennbar. Teil7

Zum Erfordernis eines grenzüberschreitenden Elements zur Eröffnung des Anwendungsbereichs der EuInsVO vgl. nur Huber, in: Geimer/Schütze, Art. 1 EuInsVO, Rn. 15 ff.; Virgós/Garcimartín, The European Insolvency Regulation, Nr. 26 ff. 8 Diese Entwicklung setzt sich bis zum EuGH fort, der bislang sowohl über eine Frage zu entscheiden hatte, die sich im Zusammenhang mit dem Zusammenbruch eines Großkonzerns ergeben hatte (so im Fall Eurofood, eingehend unten, S. 62 ff.), als auch über eine Frage, die einen Einzelkaufmann betraf und sich als typisch für die Insolvenzen von Einzelunternehmern erweisen dürfte (so in der Rs. Staubitz-Schreiber, eingehend dazu unten, S. 111 ff.). 9 Vgl. Oberhammer, ZInsO 2004, 761. Zu diesen Entscheidungen und ihrer Bedeutung im Zusammenhang mit der EuInsVO vgl. unten, S. 185 ff.; 329 ff. 10 Müller, NZG 2003, 414 ff.; Fischer, ZIP 2004, 1477 ff. spricht sogar von einer „Verlagerung des Gläubigerschutzes vom Gesellschafts- in das Insolvenzrecht“.

B. Überblick über die Problemstellung

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weise besteht gar der Eindruck, dass die EuInsVO als Instrument zur Verwirklichung individuell gewünschter Ergebnisse begriffen wird und sich die Verfahrensbeteiligten dazu über die ursprünglichen Regelungsintentionen hinwegsetzen. Die Ursachen für die Meinungsverschiedenheiten sind vielfältig. Neben die im Einzelfall bestehenden Anreize zu einer opportunistischen Auslegung der EuInsVO treten strukturelle Faktoren: Zum einen berufen sich die Gerichte der Mitgliedstaaten bei der Auslegung einzelner Tatbestandsmerkmale auf nationale Rechtstraditionen und Sonderregelungen. Zum anderen begünstigt auch der recht minimalistische Verordnungstext, der einige grundlegende Rechtsfragen nur implizit regelt, Dispute. Die wissenschaftliche Kontroverse um die EuInsVO wird zudem ganz erheblich durch eine mit ihr verbundene wirtschaftliche und politische Auseinandersetzung überlagert und verschärft. An vielen der noch ungelösten Probleme hängen Fragen von großer ökonomischer Bedeutung. Damit ist nicht nur das wirtschaftliche Schicksal des Schuldners gemeint. Im Konflikt um das prävalierende Verständnis der Zuständigkeits- und Kollisionsregeln der EuInsVO geht es letztlich auch um den Fortbestand eines veritablen Wirtschaftszweigs in den jeweiligen Mitgliedstaaten. Im Laufe der letzten Jahre ist dort im Wege zunehmender Professionalisierung eine eigene Branche um die Insolvenzverwaltung und die damit zusammenhängende Rechts- und Wirtschaftsberatung entstanden, die sich mit der Einführung der EuInsVO einem veränderten Wettbewerbsumfeld ausgesetzt sieht und sich an den Entwicklungen aktiv beteiligt. Die politische Brisanz der Thematik besteht darin, dass mit der Frage nach Forum und Statut eines Insolvenzverfahrens nichts Geringeres als die „Insolvenzhoheit“ der Mitgliedstaaten auf dem Spiel steht, also die Fähigkeit, im Wege gezielter legislatorischer oder exekutiver Maßnahmen auf die Insolvenz einzelner, als besonders wichtig erachteter Schuldner Einfluss nehmen zu können.

B. Überblick über die Problemstellung Überblick über die Problemstellung

„Forum shopping is now the norm before commencing a process“11 konstatierte die führende europäische Praktikervereinigung INSOL Europe im 11 So die INSOL Europe News, auf der website ; inzwischen deutet eine empirische Untersuchung, Eidenmüller/Frobenius/Prusko, NZI 2010, 545, darauf hin, dass die gezielte Einwirkung auf das Insolvenzforum unter Insolvenzpraktikern längst nicht als Regelfall begriffen wird. Dennoch zeigen Entwicklungen wie die verstärkte Inanspruchnahme Londons als Ort zur Abwick-lung von pre-packaged Insolvenzverfahren in der Finanzkrise (vgl. The Sunday Times, 07.03.2010 „Firms flock to ‚bankruptcy brothel‘ UK“) sowie die strategische Nutzung vorinsolvenzlicher Sanierungsverfahren, dass das Thema des forum shopping nach wie vor von großer Bedeutung ist. In-

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Kapitel 1: Einführung und Überblick

Jahr 2005. Damit benannte sie zugleich das Phänomen, das den Kern der in dieser Arbeit untersuchten Problemstellung darstellt. Forum shopping ist die gezielte Inanspruchnahme eines bestimmten Verfahrensorts12. Mit der EuInsVO ist den Verfahrensbeteiligten in begrenztem Umfang die Möglichkeit vermittelt worden, faktisch auf Verfahrensrecht und -ort einzuwirken. Die EuInsVO enthält nur wenige materiell-rechtliche Vorschriften. Ihre Aufgabe besteht vielmehr in erster Linie darin, bei Insolvenzen mit grenzüberschreitendem Bezug innerhalb der Gemeinschaft zu bestimmen, welcher Mitgliedstaat für die Durchführung eines sog. Hauptverfahrens13 zuständig ist, und sodann nach Eröffnung die gemeinschaftsweite Anerkennung des Verfahrens sicherzustellen14. Es kommt dann nach Art. 4 EuInsVO grundsätzlich das nationale Insolvenzrecht desjenigen Staates zur Anwendung, in dem das Verfahren eröffnet worden ist. Zuständig für die Durchführung des Insolvenzverfahrens sind gem. Art. 3 Abs. 1 EuInsVO die Gerichte des Mitgliedstaates, in dem der Schuldner den „Mittelpunkt seiner hauptsächlichen Interessen“, seinen COMI, hat15. Es zeigt sich, dass die EuInsVO an der zentralen Weichenstellung im Vorfeld des Insolvenzverfahrens von einem unbestimmten Rechtsbegriff beherrscht wird. Während der Wortlaut der Verordnung vorauszusetzen scheint, dass sich die internationale Zuständigkeit eindeutig lokalisieren lässt, sind in der Praxis vielfach Auseinandersetzungen über die Eröffnungskompetenz solvenzpraktiker sehen gerade in der Inanspruchnahme des scheme of arrangement unter englischem Recht ein Wiederaufleben der forum shopping-Bewegung. Vgl. zu diesem Widerspruch zwischen der wissenschaftlichen Erhebung und der Wahrnehmung in der Praxis auch den Beitrag „Mehr deutsche Pleiten!“ im Branchenmagazin JUVE Rechtsmarkt, Heft 04/2011, S. 86, 87 f. 12 Der Begriff des forum shopping und das in dieser Untersuchung zugrunde gelegte Verständnis dieses Begriffs werden im folgenden Kapitel der Arbeit erläutert. Die EuInsVO selbst definiert den Begriff des forum shopping im 4. Erwägungsgrund als Verlagerung von Rechtsstreitigkeiten oder Vermögensgegenständen von einem Mitgliedstaat in einen anderen in der Absicht, eine verbesserte Rechtsstellung zu erreichen. 13 Hauptinsolvenzverfahren werden abweichend von der Terminologie der EuInsVO im Folgenden kurz als „Hauptverfahren“ bezeichnet. 14 Virgós/Schmit, Bericht, Nr. 5, 72. Der Bericht von Virgós/Schmit bezieht sich auf das EuInsÜ von 1995, das nicht in Kraft getreten ist. Der Bericht gehört folglich bei genauer Betrachtung nicht zu den offiziellen Gesetzgebungsunterlagen der EuInsVO. Nachdem jedoch der Wortlaut der meisten Vorschriften der EuInsVO unverändert aus dem EuInsÜ übernommen wurde (einen Überblick über die wesentlichen Unterschiede gibt Eidenmüller, IPRax 2001, 2, 7 f.), stellt der Bericht auch bei der Interpretation der EuInsVO eine bedeutsame Quelle dar. Im Folgenden wird im Fußnotentext nicht mehr gesondert darauf hingewiesen, dass sich die Ausführungen des Berichts auf das EuInsÜ beziehen. 15 COMI ist eine internationale gebräuchliche Kurzform für „Centre of Main Interests“, das Zuständigkeitskriterium in der englischen Textfassung der EuInsVO.

B. Überblick über die Problemstellung

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festzustellen: Die Auslegung des Begriffs „Mittelpunkt der hauptsächlichen Interessen“ ist ein maßgeblicher Ansatzpunkt zur Einflussnahme auf den Verfahrensort und dementsprechend in Rechtsprechung und Lehre umstritten. Dabei sind besonders solche Konstellationen streitbefangen, bei denen es um die Insolvenz von konzernabhängigen Gesellschaften geht. Inwieweit die EuInsVO Regelungen zur Situation einer Konzerninsolvenz trifft, ist noch nicht abschließend geklärt16. So besteht auch zur Auslegung von Art. 3 EuInsVO gerade für Konzernkonstellationen noch keine hinreichende Übereinkunft. Einerseits wird behauptet, entscheidend komme es für die Subsumtion unter Art. 3 EuInsVO darauf an, wo die maßgeblichen Entscheidungen über Tätigkeit und Schicksal eines abhängigen Unternehmens getroffen werden, sodass regelmäßig das Insolvenzgericht am Verwaltungssitz der Konzernspitze zuständig wäre. Andere Stimmen sprechen sich mit Hinweis auf die Erwägungsgründe zur EuInsVO für den Ort der Entfaltung der geschäftlichen Aktivität aus. Wieder andere halten den Belegenheitsort des Gesellschaftsvermögens für entscheidend oder schlagen eine differenzierte Betrachtung vor. Unbeantwortet ist in diesem Zusammenhang insbesondere die Frage nach der Bedeutung des in Erwägungsgrund Nr. 13 zur EuInsVO niedergelegten Komplementärkriteriums der Erkennbarkeit. Vor noch ungelösten Fragen steht die Anwendung des Art. 3 Abs. 1 EuInsVO auch angesichts möglicher Schuldnerhandlungen. So ist beispielsweise noch nicht abschließend geklärt, wie der Fall zu behandeln ist, dass der Schuldner auf die für das COMI konstitutiven Umstände zwischen Antragstellung und Verfahrenseröffnung dergestalt Einfluss nimmt, dass sich die internationale Zuständigkeit in einen anderen Mitgliedstaat verlagert. Letztlich wird hier die Frage nach einem ungeschriebenen Missbrauchsvorbehalt und dem für die Ermittlung des Mittelpunkts der hauptsächlichen Interessen maßgeblichen Zeitpunkt virulent. Darüber hinaus ist die Reichweite der Vermutungsregel des Art. 3 Abs. 1 S. 2 EuInsVO, die im Hinblick auf den daneben bestehenden Amtsermittlungsgrundsatz ebenfalls Gegenstand einer Kontroverse ist, für die Möglichkeiten manipulativen Einwirkens auf den Verfahrensort von Bedeutung17. Auch vor den mitgliedstaatlichen Gerichten haben die Meinungsverschiedenheiten um die Kompetenzvorschrift nicht Halt gemacht – die von der EuInsVO in Erwägungsgrund Nr. 22 vorausgesetzte vertrauensvolle 16 Vgl. aber Virgós/Schmit, Bericht, Nr. 76. Welche Regelungen der EuInsVO im Hinblick auf die Insolvenz von Unternehmensgruppen bestehen, wird im 3. Kapitel der Arbeit untersucht, siehe S. 290 ff. 17 Der Begriff „Manipulation“ ist im allgemeinen Sprachgebrauch negativ besetzt. Für Zwecke dieser Arbeit soll er allerdings wertungsfrei als Sammelbegriff zielgerichteter Einwirkungshandlungen verstanden werden.

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Kapitel 1: Einführung und Überblick

Zusammenarbeit der mitgliedstaatlichen Gerichte bleibt wohl weiterhin die Ausnahme18. Exemplarisch hierfür ist die Situation, in der sich sowohl ein irisches als auch ein italienisches Gericht für die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über eine zum italienischen Parmalat-Konzern gehörende Finanzierungsgesellschaft mit Satzungs- und Verwaltungssitz in Irland für zuständig erklärten19. Die unterschiedlichen Auffassungen über den Tatbestand des Art. 3 Abs. 1 EuInsVO führten dazu, dass zwei Hauptverfahren über dieselbe Gesellschaft eröffnet wurden. Dabei ist ein solcher Zustand nach der Systematik der EuInsVO grundsätzlich ausgeschlossen. Nach der Verordnung unterliegt ein einmal eröffnetes Verfahren einem (allerdings punktuell durchbrochenen) Universalitätsprinzip. Ohne weitere Bedingungen aufzustellen, sieht Art. 16 Abs. 1 EuInsVO vor, dass die Eröffnungsentscheidung mit ihrer Wirksamkeit in allen Mitgliedstaaten anerkannt wird. Ein zweites Hauptverfahren soll nicht eröffnet werden können. Damit wird deutlich, dass sich eine Untersuchung der Einwirkungsmöglichkeiten der Verfahrensbeteiligten unter der EuInsVO keinesfalls auf die Kompetenznorm der Verordnung beschränken kann, denn von ebenso großer Bedeutung sind die Grenzen, in denen gegen eine für kompetenzwidrig erachtete Verfahrenseröffnung vorgegangen werden kann. Sie ergeben sich aus den Anerkennungsvorschriften. Wenn – was mit dem Verordnungstext vereinbar wäre – eine Überprüfung der Entscheidung des eröffnenden Gerichts im Anerkennungsstaat grundsätzlich nicht mehr stattfindet, bedeutete dies, dass die EuInsVO faktisch ein Prioritätsprinzip statuiert; das schneller entscheidende Gericht könnte sich mit seinem Verständnis zu Art. 3 Abs. 1 EuInsVO durchsetzen. Dies führte zu einem Vorteil solcher Gerichte, die über eine Verfahrenseröffnung schnell entscheiden können, etwa weil sie anderen prozessrechtlichen Anforderungen unterliegen. Allerdings sind längst noch nicht alle Determinanten dieses Prioritätsgrundsatzes geklärt. So besteht etwa über das zentrale Problem des Zeitpunkts des Eintretens der Sperrwirkung noch Dissens. Verschiedentlich wird die Sperrwirkung in der Literatur gar gänzlich in Abrede gestellt. Im Zusammenhang mit den Zuständigkeitsregeln stellt sich darüber hinaus die Frage, wann die fälschliche Inanspruchnahme der Zuständigkeit durch ein mitgliedstaatliches Gericht gegen den ordre public verstößt, sodass gem. Art. 26 EuInsVO die Eröffnungsentscheidung ausnahmsweise nicht anerkannt werden muss.

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Vgl. AG Mönchengladbach, NZI 2004, 383 ff. High Court Dublin, ZIP 2004, 1223 ff.; Tribunale di Parma, ZIP 2004, 1220 ff.; der irische Supreme Court hat daraufhin mit Vorlagebeschluss vom 27.07.2004 (ZIP 2004, 1969) dem EuGH Fragen zur Auslegung von Art. 3, 16 und 26 EuInsVO zur Vorabentscheidung vorgelegt. 19

B. Überblick über die Problemstellung

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Weiterhin ist von Interesse, welche Rechtsbehelfe Betroffene gegen eine kompetenzwidrige Verfahrenseröffnung ergreifen könnten. Erfolgversprechende Mittel zur Gegenwehr verkürzen die manipulativen Einwirkungsmöglichkeiten der Verfahrensbeteiligten. Das Vorlageverfahren nach Art. 267 AEUV20, das der Verordnungsgeber hier ausweislich der Gesetzgebungsmaterialien im Auge hatte, könnte sich in der Praxis als wenig effektiv erweisen. Verschiedentlich wird die Durchführung von Sekundärverfahren, die die EuInsVO in den Art. 3 Abs. 2, 27 ff. als territorial begrenzte Durchbrechung der Universalität des Hauptverfahrens vorsieht, als Regulativ gegenüber gezielten Einwirkungen in Erwägung gezogen. Ein Sekundärverfahren kann jedoch gem. Art. 3 Abs. 2 EuInsVO nur in Mitgliedstaaten eröffnet werden, in denen der Schuldner eine Niederlassung (Art. 2 lit. h) EuInsVO) hat. Es stellt sich daher die Frage, ob und bejahendenfalls in welchen Fällen die Reichweite eines forum shopping im Hauptverfahren mittels Sekundärverfahren verkürzt werden kann. Die Reichweite des Hauptverfahrens ist indessen auch unter anderen Gesichtspunkten ungeklärt. Für wesentliche Regelungsgegenstände besteht keine Einigkeit darüber, ob sie als Teil der lex fori concursus i.S. des Art. 4 EuInsVO mit Ausschlusswirkung gegenüber dem Recht anderer Mitgliedstaaten zur Anwendung gelangen. Damit ist zugleich noch unklar, auf welche Regelungen im Wege des forum shopping überhaupt Einfluss genommen werden kann. Dieser Aspekt interessiert auch deshalb, weil er Rückschlüsse auf die Handlungsmotive der beteiligten Akteure zulässt. Die wissenschaftliche Kontroverse beschränkt sich nicht auf die Rechtsfragen der EuInsVO. Sie setzt sich vielmehr nahtlos in den Bereich der Bewertung des Faktischen fort. Während in den Kompetenzvorschriften der EuInsVO teilweise die Möglichkeit zu einer unter Effizienzgesichtspunkten bestmöglichen Bewältigung insbesondere von Konzerninsolvenzen erblickt wird, halten andere Stimmen die bestehende Situation aufgrund der mit ihr verbundenen Unsicherheiten für Schuldner und Gläubiger auch unter wirtschaftlichen Aspekten für nachteilhaft. Die Prognosen zu diesem Fragenkomplex lassen sich nur abhängig von der noch weitgehend ungeklärten Problematik abgeben, welche Möglichkeiten der Verfahrenskoordination die EuInsVO bereithält. In diesem Zusammenhang stellt sich weiterhin die Frage nach der ökonomischen Bewertung der Verfahrensmehrheit von Haupt- und Sekundärverfahren. Hier könnte etwa das deutsche Verfahren der Eigenverwaltung nach §§ 270 ff. InsO ein effektives Koordinationsinstrument darstellen, dessen Anwendung unter der EuInsVO jedoch weitere Probleme aufwirft. Antworten lassen sich auf alle diese Fragen naturgemäß nur in Ansehung eines möglichst genauen Bildes der bestehenden Einwirkungsmög20

Zum Zeitpunkt des Verordnungserlasses Art. 234 EGV.

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Kapitel 1: Einführung und Überblick

lichkeiten geben. Dasselbe gilt für die noch schwieriger zu beantwortende Frage, ob die durch die EuInsVO vermittelten Handlungsspielräume einen effizienzstiftenden Regelungswettbewerb entstehen lassen könnten. Die Frage der Bewertung der durch die EuInsVO vermittelten Einwirkungsmöglichkeiten ist mithin eng mit den rechtlichen Detailfragen der Verordnung verbunden. Schließlich ist von großem Interesse, wie die geltenden Vorschriften geändert werden könnten, um Verbesserungen zu erreichen. Auch hier konkurrieren verschiedene Thesen schon hinsichtlich der Frage, ob es überhaupt irgendwelcher Modifikationen bedarf. Die Frage nach angezeigten Änderungen durch den Verordnungsgeber kann wiederum nur in Bezug auf die zur Rechtslage und zur Rechtspraxis gewonnenen Thesen beantwortet werden.

C. Ziele der Arbeit Ziele der Arbeit

Ausgehend von der geschilderten Problemstellung verfolgt die Arbeit drei Anliegen: Erstens sollen die Möglichkeiten, unter der EuInsVO auf Verfahrensort und -recht Einfluss zu nehmen, umfassend analysiert werden. Zweitens sollen diese Einwirkungsmöglichkeiten unter Effizienzgesichtspunkten beurteilt werden. Drittens soll die Arbeit Möglichkeiten aufzeigen, die bestehende Rechtslage zum Besseren hin zu verbessern. In der beabsichtigten rechtlichen Bestandsaufnahme soll dargelegt werden, dass es verschiedene Mechanismen gibt, die eine Rechtswahl21 im europäischen Insolvenzrecht ermöglichen, und dass die Beschränkungen der Manipulationsmöglichkeiten maßgeblich vom gewählten Ansatzpunkt einer Rechtswahl abhängen. Im Fokus der Untersuchung steht dabei die Rechtswahl gegenüber (also von und nach) Deutschland. Das Thema dieser Arbeit lebt von einem Auseinanderfallen von Theorie und Praxis: Während der EuInsVO, wie im Einzelnen noch darzulegen sein wird, das Leitbild einer feststehenden, weitgehend unveränderlichen internationalen Zuständigkeit am COMI des Schuldners zugrunde liegt, bestehen, wie bereits angedeutet wurde, in der Praxis deutliche Differenzen darüber, wo im konkreten Fall ein Insolvenzverfahren stattzufinden hat. Dieser Umstand markiert den Ausgangspunkt manipulativer Einwirkungen. Dabei haben sich die Praktiker nicht mit der bloßen Ausnutzung der eröffneten Handlungsspielräume begnügt. Vielmehr haben verschiedene Akteure, Gerichte wie Verwalter, für ihr Handeln einen eigenen theoretischen Überbau entwickelt, der vielfach im Wettstreit mit Auffassungen in der 21

Die für diese Untersuchung zentralen Begriffe der Rechtswahl und der Rechtswahlfreiheit werden im zweiten Kapitel der Arbeit definiert (vgl. dazu S. 15).

C. Ziele der Arbeit

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Lehre und im Widerspruch zu den positivierten Zielen der EuInsVO steht. Die theoretische Aufarbeitung dieser Schere zwischen Gewolltem und Gewordenem, Normtext und gelebter EuInsVO, ist ein weiteres Anliegen der Arbeit. Die Untersuchung steht daher verschiedentlich vor der Herausforderung, rechtliche Probleme zu behandeln, deren bloße Existenz bereits Gestaltungsspielräume eröffnet. Es ist nicht primäres Ziel der Arbeit, solchen Fragen, die sich gerade aufgrund ihrer Streitbefangenheit als Determinanten der Rechtswahlfreiheit darstellen, der unter der Prämisse der Fortgeltung der bestehenden Normen überzeugendsten Lösung zuzuführen. Stattdessen sollen sie im Hinblick auf die verschiedenen nach dem Stand der Entwicklung vertretbaren Lösungen erörtert werden. Dadurch wird der durch sie vermittelte Bewegungsspielraum der Verfahrensbeteiligten offenbar. Dies gilt insbesondere für das COMI-Kriterium in Art. 3 Abs. 1 S. 1 EuInsVO, das Dreh- und Angelpunkt des Untersuchungsgegenstands ist. Dort wo eine Stellungnahme zu den bestehenden Streitfragen unausweichlich ist, etwa weil sie für die Frage der äußersten, insbesondere zeitlichen Grenzen der bestehenden Einwirkungsmöglichkeiten von besonderer Bedeutung ist, soll hingegen eine abschließende Diskussion stattfinden. Der praktische Wert einer Untersuchung, die sich mit einer zum Teil von der Praxis gewissermaßen erst erschaffenen Thematik auseinandersetzt, hängt maßgeblich davon ab, inwieweit sie sich dem Untersuchungsgegenstand aus dem Blickwinkel des Rechtsanwenders nähert. Die Arbeit geht daher umfassend auf ausgewählte zur Zuständigkeit nach der EuInsVO ergangene Judikate ein. Sie sind für den Zugang zur Problematik des forum shopping unter der EuInsVO von großer Bedeutung. Zudem wurden für diese Untersuchung Insolvenzpraktiker interviewt, die die Entwicklungen seit Einführung der EuInsVO maßgeblich beeinflusst und mitgestaltet haben. Zwar werden die Verwalter, Sanierungsspezialisten und Richter, die sich als Gesprächspartner zur Verfügung stellten, im Laufe der Untersuchung nur punktuell zitiert. Die Arbeit verfolgt jedoch insgesamt das Ziel, ihre Auffassungen und Vorstellungen kritisch zu würdigen und die von ihnen formulierten Bedürfnisse im Auge zu behalten. Die weitreichenden Implikationen, die Zuständigkeitsfragen nach der EuInsVO haben können, ergeben sich vielfach erst in der Zusammenschau mit dem autonomen Recht, speziell dem Insolvenz- und Gesellschaftsrecht der Mitgliedstaaten. Sämtliche in Betracht kommenden Probleme behandeln oder auch nur benennen zu wollen, ist nicht beabsichtigt und auch in tatsächlicher Hinsicht ausgeschlossen. Die Untersuchung beabsichtigt deshalb, die wichtigsten Fragen, die sich im Verhältnis zu Deutschland stellen können, zu berücksichtigen. Das Ziel einer Bewertung der unter der EuInsVO bestehenden Mobilität der Verfahrensbeteiligten muss losgelöst von den Vorgaben des histori-

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Kapitel 1: Einführung und Überblick

schen Verordnungsgebers erfolgen, der – wie gezeigt werden wird – eine Einwirkung auf Verfahrensort und -recht schlechterdings als nicht wünschenswert erachtete. Maßstab der Untersuchung sollen hier daher Fragen der Effizienz, insbesondere der Verfahrenseffizienz, sein. Diese wird vielfach als Argument zur Rechtfertigung eines kreativen Umgangs mit der Zuständigkeitsvorschrift der EuInsVO herangezogen. Mit dem Anliegen einer umfassenden Würdigung der Chancen und Risiken einer beschränkten faktischen Rechtswahlfreiheit im europäischen Insolvenzrecht bezweckt die Arbeit mithin auch in diesem Abschnitt einen Brückenschlag zwischen Theorie und Praxis. Sowohl für den statischen als auch für den dynamischen Aspekt der Untersuchung ist es dabei erforderlich, konkrete Ziel- und Einflussgrößen zu benennen, anhand derer die Bewertung stattfinden soll. Es ist jedoch nicht Ziel der Untersuchung, sich abschließend mit den mitunter recht streitbefangenen Fragen auseinanderzusetzen, die die ökonomischen Bewertungsgrößen als solche betreffen. Einwirkungen auf die internationale Zuständigkeit stellen in Europa – zumindest in der hier untersuchten Form – ein noch junges Phänomen dar, zu dem es bislang kaum empirische Untersuchungen gibt. Abschließende Aussagen lassen sich folglich nur selten treffen; die Beleuchtung der Problematik unter Effizienzgesichtspunkten hat stattdessen vielfach notwendig prognostischen Charakter. Dennoch sollen die grundlegenden Beschränkungen aufgezeigt werden, die durch die Regelungen der EuInsVO bedingt sind. Dies gilt in noch größerem Maße für die Diskussion um Veränderungen: Die Untersuchung denkbarer Modifikationen kann demgemäß nur das Ziel verfolgen, die Vor- und Nachteile der alternativen Regelungsmodelle im Spiegel der in den vorhergehenden Teilen der Arbeit gewonnenen Erkenntnisse darzulegen. Unter diesem Paradigma werden verschiedene Regelungsalternativen erörtert. Einen umfassenden Gegenentwurf zur bestehenden Rechtslage zu entwickeln, ist nicht Anspruch der Arbeit.

D. Eingrenzung und Gang der Untersuchung Eingrenzung und Gang der Untersuchung

Die Arbeit wird sich den genannten Zielen entsprechend neben diesem ersten in drei weitere Kapitel gliedern, die jeweils einem Schritt der Untersuchung entsprechen. Zunächst soll im zweiten Kapitel untersucht werden, welche Möglichkeiten der Rechtswahl schon de lege lata bestehen. Das dritte Kapitel nimmt eine Bewertung der bestehenden Einwirkungsmöglichkeiten unter ökonomischen Gesichtspunkten vor. Im vierten und letzten Kapitel befasst sich die Untersuchung im Spiegel der gewonnenen Ergebnisse mit den Vor- und Nachteilen ausgewählter Modifikationen de lege ferenda.

D. Eingrenzung und Gang der Untersuchung

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Innerhalb der jeweiligen Abschnitte wird wie folgt verfahren: Das zweite Kapitel der Untersuchung gliedert sich in drei Schritte. Zunächst werden die rechtlichen Rahmenbedingungen erläutert, die unter der EuInsVO eine Einwirkung auf das zur Anwendung kommende Verfahrensrecht ermöglichen. Sodann werden die Grenzen der Rechtswahlfreiheit, also die Beschränkungen der Einwirkungsmechanismen als solche beleuchtet. Im Ergebnis werden damit die Voraussetzungen einer erfolgreichen Rechtswahl herausgearbeitet (Mit welchen Mitteln kann eine Rechtswahl stattfinden? Wie können Verfahrensbeteiligte auf Verfahrensforum und -recht einwirken?). Um die Grenzen der Gestaltungsfreiheit und die Reichweite des Handelns der Verfahrensbeteiligten genau zu beschreiben, bedarf es einer eingehenden Auseinandersetzung mit der Zuständigkeits- und Anerkennungsordnung der EuInsVO. Dabei wird sich im Rahmen einer Betrachtung der grundsätzlichen Struktur der EuInsVO erweisen, dass Einwirkungsmöglichkeiten der Beteiligten unter der bestehenden Rechtslage von verschiedenen Ansatzpunkten ausgehen können. Die durch die jeweiligen Ansatzpunkte manipulativen Handelns vermittelten Einwirkungsmöglichkeiten werden daher voneinander getrennt untersucht. Im Rahmen dieses Abschnitts der Untersuchung wird auch eine eingehende Auseinandersetzung mit dem Zuständigkeitskriterium des COMI und der dazu ergangenen Judikatur erforderlich. Im weiteren Verlauf des zweiten Kapitels gilt das Augenmerk dem gegenständlichen Wirkungsbereich einer Rechtswahl (Was kann überhaupt gewählt werden? Welche Regelungen unterstehen faktisch dem Einfluss der Verfahrensbeteiligten?). Die Arbeit beschäftigt sich dabei mit Szenarien und folglich mit Rechtsproblemen, die eine Rechtswahl im Verhältnis zu Deutschland betreffen. An einigen Stellen der Arbeit ist es unvermeidlich, Fragen des autonomen deutschen Gesellschafts- und Insolvenzrechts zu behandeln. Damit werden zugleich die Schwierigkeiten exemplifiziert, die aus dem notwendigen Zusammenspiel zwischen nationalem Recht und Gemeinschaftsrecht erwachsen können. Das zweite Kapitel schließt mit einer Untersuchung der Bedeutung von Sekundärverfahren22 und der nach ihrer Eröffnung eintretenden Verfahrensmehrheit für die Rechtswahl im europäischen Insolvenzrecht. Ausgehend von den im zweiten Kapitel gewonnenen Befunden findet im dritten Kapitel eine Bestandsaufnahme der mit der geltenden Regelung verbundenen Effekte statt. Bei der Bestimmung des Untersuchungsmaßstabs und der Beleuchtung der Auswirkungen der europäischen Regelung ist ein Blick auf das umfangreiche ausländische Schrifttum zu den Auswirkungen des forum shopping auf Verfahrenseffizienz und Verfahrensrecht 22

Sekundärinsolvenzverfahren werden abweichend von den Termini der EuInsVO im Folgenden kurz als „Sekundärverfahren“ bezeichnet.

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Kapitel 1: Einführung und Überblick

unverzichtbar. Die Analyse des Status quo unter Effizienzgesichtspunkten beginnt mit einer Darstellung der Anreizstrukturen, die aus den Einwirkungsmöglichkeiten der Verfahrensbeteiligten resultieren. Sie sind für die nachfolgenden Untersuchungsschritte von grundlegender Bedeutung. Sodann wird im Rahmen einer zunächst statischen Betrachtung analysiert, welche Effizienzgewinne sich durch die Einflussnahme auf die internationale Zuständigkeit ergeben könnten und inwieweit Chancen bestehen, diese auch praktisch zu realisieren. Die Wechselwirkungen zwischen dem Handeln der Akteure und dem aus der Gesamtheit des geschriebenen und praktizierten Rechts der Gemeinschaft und der Mitgliedstaaten bestehenden rechtlichen Handlungsumfeld bleiben in diesem Untersuchungsschritt noch ausgeblendet. Mit ihnen befasst sich der letzte Teil des dritten Kapitels. Dort wird der Frage nachgegangen, ob die durch die EuInsVO eröffneten Handlungsanreize und -spielräume einen wohlfahrtsstiftenden Regulierungswettbewerb zwischen den Insolvenzrechtssystemen der Mitgliedstaaten entstehen lassen könnten. Das in den vorhergehenden Kapiteln der Arbeit gewonnene Bild wird im vierten Kapitel zum Prüfstein denkbarer Alternativregelungen. Zunächst wird herausgearbeitet, welche Anforderungen allen diskutierten Regelungsalternativen gemeinsam sein sollen. Es werden also die Grundvoraussetzungen effektiver Modifikationen benannt. Sodann werden drei Modifikationsvorschläge, die diesen grundsätzlichen Bedingungen genügen, im Lichte der gewonnenen Erkenntnisse auf ihre spezifischen Vor- und Nachteile hin untersucht. Die Arbeit schließt mit einer Zusammenfassung der Thesen.

E. Fokussierung auf Unternehmensinsolvenzen Fokussierung auf Unternehmensinsolvenzen

Die gesamte Untersuchung konzentriert sich auf die Insolvenz von Unternehmen. In erster Linie geht es daher um Fälle, in denen eine oder mehrere unternehmenstragende Gesellschaften Schuldner sind. Ein Schwerpunkt liegt auf Problemen, die kennzeichnend für die gemeinhin als „Konzerninsolvenz“ bezeichnete Problematik der Insolvenz eines Verbunds unternehmenstragender Gesellschaften sind. Darüber hinaus werden vereinzelt auch Fragen berücksichtigt, die sich als typisch für die Insolvenz des Einzelkaufmanns darstellen. Der in rechtstatsächlicher Hinsicht ebenfalls bedeutsame Fragekomplex der Rechtswahlmöglichkeiten im Rahmen von Verbraucherinsolvenzen soll aus der Untersuchung der Rechtslage hingegen gänzlich ausgeklammert werden, wenngleich viele der gewonnenen Thesen sich auf Verbraucherinsolvenzen ohne Weiteres übertragen lassen. Allein im Rahmen der Darstellung des mit der bestehenden Regelungslage

E. Fokussierung auf Unternehmensinsolvenzen

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einhergehenden Grades an Vorhersehbarkeit insolvenzrechtlicher Risiken wird auf das Problem der Verbraucherinsolvenzen zurückzukommen sein.

2. Kapitel

Rechtswahlfreiheit unter der EuInsVO – die Situation de lege lata A. Die rechtlichen Rahmenbedingungen einer Rechtswahl unter der EuInsVO Rahmenbedingungen einer Rechtswahl unter der EuInsVO

Im folgenden Abschnitt soll untersucht werden, inwieweit bereits das geltende Recht der EuInsVO Einwirkungsmöglichkeiten bereitstellt, mit denen einzelne Verfahrensbeteiligte auf das Rechtsregime einwirken können, unter dem ein Hauptverfahren stattfindet. I. Bestimmung der Begriffe „Rechtswahl“ und „Rechtswahlfreiheit“ im Regelungszusammenhang der EuInsVO Wie im Folgenden gezeigt werden wird, ist dem europäischen Insolvenzrecht eine Rechtswahl als solche unbekannt. Eine Einflussnahme der Verfahrensbeteiligten auf das Insolvenzrechtsregime, das zwischen ihnen zur Anwendung kommt, kann nur mittelbar erfolgen. Daraus folgt für die Verwendung des Begriffs „Rechtswahl“ im Regelungszusammenhang der EuInsVO eine grundlegende Eingrenzung: Eine Rechtswahl im eigentlichen Sinne bzw. „direkte“ kollisionsrechtliche Rechtswahl, so wie sie etwa das europäische Internationale Privatrecht in Art. 3 der Rom-I-Verordnung1 für Vertragsverhältnisse regelt, kann nicht gemeint sein; der Begriff der Rechtswahl hat hier vielmehr eine umfassende Bedeutung unter Berücksichtigung der Faktizität der Einwirkungsmöglichkeiten. „Rechtswahl“ ist daher als Synonym für sämtliche Einwirkungs- und Entscheidungsvorgänge zu verstehen (sowohl in tatsächlicher Hinsicht als auch durch steuernde Eingriffe in die von der EuInsVO geprägten Verfahrensschritte), mit denen die Akteure unter der EuInsVO auf das im Haupt- oder Sekundärverfahren zur Anwendung kommende Insolvenzrecht Einfluss nehmen können. Der Begriff der „Rechtswahlfreiheit“ beschreibt den hieraus entstehenden Aktionsraum. Diese Begriffsbelegung mag aus der Perspektive der herkömmlichen Diktion des internationalen Privatrechts befremdlich klingen. Vom Ergebnis der im Folgenden zu untersuchenden Mechanismen 1

Verordnung (EG) Nr. 593/2008 vom 17.06.2008 über das auf vertragliche Schuldverhältnis anzuwendende Recht.

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Kapitel 2: Rechtswahlfreiheit unter der EuInsVO – de lege lata

weist die „Rechtswahl“ in dem hier benutzen Begriffsverständnis allerdings erhebliche Ähnlichkeiten mit einer Rechtswahl im hergebrachten Begriffsverständnis auf. Bevor die Möglichkeiten der Rechtswahl im Einzelnen ausgelotet werden, wird die in der EuInsVO statuierte Zuständigkeits- und Anerkennungsordnung kurz skizziert und dargelegt werden, in welchen Bahnen sich unter der EuInsVO eine Rechtswahl – bedingt durch deren grundsätzliche Mechanismen – zwangsläufig vollziehen muss. Damit werden zugleich die Ausgangspunkte einer genauen Analyse der Rechtswahlmöglichkeiten benannt. Schließlich sollen diejenigen Ziele, die der Verordnungsgeber im Hinblick auf die Rechtswahl durch Verfahrensbeteiligte verfolgt, dargelegt werden und es wird untersucht, inwieweit sich daraus unmittelbar Schlüsse zu der Frage der unter dem Status quo bestehenden Möglichkeiten der Rechtswahl ableiten lassen. II. Grundsätze der Zuständigkeits- und Anerkennungsordnung der EuInsVO 1. Territorialität und Universalität, Verfahrenseinheit und –pluralität als Strukturelemente grenzüberschreitender Insolvenzverfahren Hat ein insolventer Schuldner seinen Sitz in einem anderen Staat als dem der Verfahrenseröffnung oder befinden sich dort seine Gläubiger oder Teile seines Vermögens oder sind gar mehrere dieser Bedingungen gegeben, so ist das Insolvenzverfahren über das Schuldnervermögen ein internationales2. Das oder die Insolvenzverfahren über das Schuldnervermögen können sich in einem solchen Fall auf unterschiedliche Weise vollziehen. Es stellt sich zunächst die Frage, welche Wirkungen im Falle einer solchen grenzüberschreitenden Insolvenz mit dem staatlichen Hoheitsakt der Verfahrenseröffnung verbunden sein sollen3. Soll das Verfahren alle Vermögensgüter des Schuldners unabhängig von deren Belegenheitsort erfassen, so spricht man von Universalität. Beschränkt sich die Wirkung des Konkursbeschlags auf die im Eröffnungsstaat belegenen Vermögensgegenstände, so ist von Territorialität die Rede4. Über die konkrete Bedeutung dieser unterschiedlichen Regelungsansätze besteht im Detail keine Einigkeit5, wohl auch, weil die Termini selbst in ihrer Reichweite nicht hinrei2

Smid, Internationales Insolvenzrecht, Einleitung, Rn. 7. Fletcher, Insolvency S. 11; Trunk, Internationales Insolvenzrecht, S. 10. 4 Trunk, Internationales Insolvenzrecht, S. 10 f., Trautman/Westbrook/Gaillard, 41 American Journal of Comparative Law, 573, 579 (1993). 5 Mit der Frage der Begriffsverwendung setzt sich eingehend Bloching, Pluralität und Partikularinsolvenz, S. 20 ff., auseinander. 3

A. Rahmenbedingungen einer Rechtswahl unter der EuInsVO

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chend genau bestimmt sind6. Dennoch ist die grundlegende Frage, welches dieser „Strukturelemente“7 eine Regelung grenzüberschreitender Insolvenzverfahren implementieren sollte, Gegenstand einer lange währenden und bis heute nicht abgeschlossenen rechtspolitischen Auseinandersetzung8. Auf viele der dabei ausgetauschten Argumente wird an anderer Stelle noch zurückzukommen sein. Eine zweite grundsätzliche Charakterisierung internationaler Insolvenzen, die mit der Entscheidung zwischen den Prinzipien der Universalität und Territorialität eng zusammenhängt, aber dennoch von ihr zu unterscheiden ist, betrifft die Anzahl der bei der Verwirklichung der vorstehend genannten Prinzipien durchgeführten Verfahren9. Es bedarf keiner weiteren Erläuterung, dass Territorialität in internationalen Sachverhalten zwangsläufig eine Verfahrensmehrheit bedingt, um das gesamte Schuldnervermögen zu erfassen. Dem universalistischen Ansatz hingegen würde zwar die Umsetzung in einem Einheitsverfahren, dem eine „universelle Sollgeltung“10 gegenüber dem gesamten Schuldnervermögen zukommt, am besten entsprechen. Er könnte jedoch auch mittels einer Verfahrenspluralität verwirklicht werden, indem zusätzlich zu einem Hauptverfahren Ergänzungs- oder Sekundärverfahren stattfinden, sei es zur Durchsetzung rechtlicher Vorgaben des Hauptverfahrens, sei es um der Verwirklichung des nationalen Insolvenzrechts des jeweiligen Verfahrensstaates willen11. Im zweiten Fall ist das Wesenmerkmal der Universalität freilich durch die territorialen Durchbrechungen abgeschwächt12. Einer Einordnung der bestehenden Regeln der EuInsVO in die vorstehend genannten Kategorien können natürlich keine Schlussfolgerungen für die Frage entnommen werden, inwieweit diese eine Rechtswahlfreiheit zulässt – die Frage der Bestimmung des zur Anwendung kommenden Sachund Verfahrensrechts ist unabhängig von der Frage nach der territorialen Beschränkung seines Geltungsanspruchs. Indes gibt die Einordnung der Regelungen der EuInsVO in die genannten groben Koordinaten einen ers6

Hanisch, ZIP 1994, 1 ff.; Trunk, Internationales Insolvenzrecht, S. 10. Smid, Internationales Insolvenzrecht, Einleitung, Rn. 2. 8 Vgl. etwa Hanisch, FS Nakamura (1996), 221, 225 f.; v. Wilmowsky, WM 1997, 1461, 1462; Spahlinger, Sekundäre Insolvenzverfahren, S. 286 ff. jeweils mit umfangreichen w.N. Aus dem jüngeren US-amerikanischen Schrifttum vgl. statt vieler Guzman, 98 Michigan Law Review, 2177 ff. (2000) sowie LoPucki, 84 Cornell Law Review, 697 (1998/1999). 9 Fletcher, Insolvency S. 10 f.; Hanisch, FS Nakamura (1996), 221, 225; Trunk, Internationales Insolvenzrecht, S. 10. 10 Trunk, Internationales Insolvenzrecht, S. 10; vgl. auch Vogler, ZIK 2001, 290, der eine weltweite Sollgeltung der Beschlagnahmewirkung annimmt. 11 Hanisch, FS Nakamura (1996), 221, 226. 12 Hanisch, FS Nakamura (1996), 221, 226. 7

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ten Einblick in die Reichweite der Insolvenzrechtsordnungen, auf deren Eingreifen die Verfahrensbeteiligten möglicherweise Einfluss nehmen können. Wie sich zeigen wird, liegt darüber hinaus in der durch die EuInsVO statuierten Zuständigkeits- und Anerkennungsordnung ein maßgeblicher Ansatzpunkt zur Rechtswahl im europäischen Insolvenzrecht. 2. Der Kompromiss der EuInsVO: Modifizierte Universalität Die EuInsVO verfolgt weder einen rein universalistischen noch einen rein territorialistischen Ansatz, sondern vereint die Extrempositionen in einem System. Neben einem sog. Hauptverfahren, dessen Eröffnungsbeschluss grundsätzlich eine Beschlagwirkung im Sinne einer universellen Vermögenserfassung13 zeitigt (vgl. Art. 3 Abs. 2, Art. 3 Abs. 1 i.V.m. Art. 4 Abs. 2 S. 2 lit. b) EuInsVO), können unter den Voraussetzungen des Art. 3 Abs. 2 S. 1 i.V.m. Art. 2 lit. h) EuInsVO in anderen Staaten als dem Eröffnungsstaat des Hauptverfahrens zusätzlich14 Sekundärverfahren stattfinden, deren Wirkungen sich allerdings weitestgehend15 auf das im Gebiet des jeweiligen Mitgliedstaates belegene Schuldnervermögen beschränken (Art. 3 Abs. 2 S. 2 EuInsVO). Nur dort ist die Beschlagwirkung des Hauptverfahrens von derjenigen des Sekundärverfahrens überlagert16. Der universalistische Ausgangspunkt ist also einerseits territorial durchbrochen. Andererseits sieht die Verordnung in den Art. 5 ff. Sonderanknüpfungen und sachrechtliche Regelungen vor, die sich als materielle Ausnahme zu dem in Art. 4 Abs. 1 zum Ausdruck kommenden Grundsatz der universellen Geltung des Insolvenzrechts des Eröffnungsstaates des Hauptverfahrens (sog. lex fori concursus) erweisen. Der Status quo wird vielfach mit den Begriffen „modifizierte“17, oder auch „kupierte“18 Universalität, ver-

13 Vgl. etwa Herchen, EuInsÜ, S. 49; Lüke, ZZP 111 (1998), 275, 281; Taupitz, ZZP 111 (1998), 315, 324. Vgl. auch Virgós/Schmit, Bericht, Nr. 12, die von „grundsätzlich universale[r] Wirkung“ sprechen. 14 Nur in den in Art. 3 Abs. 4 EuInsVO genannten Fällen kann ein solches Verfahren stattfinden, ohne dass bereits ein Hauptverfahren eröffnet ist. Bei den Verfahren handelt es sich dann um sog. Partikularverfahren. Zu dem Verhältnis zu einem bereits abgeschlossenen Hauptverfahren siehe EuGH, Rs. C-112/10 (Zaza Retail), Urteil vom 17.11. 2011. 15 Dass auch von Sekundär- und Partikularverfahren nach Art. 3 Abs. 2–4 EuInsVO grenzüberschreitende Wirkungen ausgehen, verdeutlichen z. B. Art. 18 Abs. 2, 21 Abs. 1 EuInsVO. 16 Reisch/Winkler, ZIK 2004, 80, 81. 17 So etwa Balz, ZIP 1998, 948, 953; Smid, Internationales Insolvenzrecht, Vor Art. 1, Rn. 9, Art. 17, Rn. 1; Franken, 11 European Law Review, 232 (2005). 18 So Taupitz, ZZP 111 (1998), 315, 325.

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einzelt gar als modifizierter Fall der Territorialität19 bezeichnet. Diese weitreichenden Durchbrechungen rechtfertigt der Verordnungsgeber mit der gemeinschaftsweiten Verschiedenheit der Sachrechte20. Von der Annahme der Vorzugswürdigkeit der Verwirklichung eines universalistischen Einheitsverfahren ausgehend21 erweist sich das Regelungsmodell der EuInsVO folglich als politischer Kompromiss22. Was die Frage der Verfahrenseinheit anbetrifft, so ist diese zwar in den Art. 16, 17 EuInsVO im Grundsatz angelegt23. Dieses Prinzip ist jedoch durch die Ermöglichung von Sekundärverfahren ebenfalls weitreichend durchbrochen, sodass in praxi regelmäßig mit einer Verfahrensmehrheit zu rechnen ist24. Die Verfahrenspluralität infolge paralleler Haupt- und Sekundärverfahren und das Verhältnis dieser Verfahren untereinander spielen für die Frage der Reichweite einer Rechtswahl und die bestehenden Wahlmöglichkeiten naturgemäß eine große Rolle. Die Eröffnung des Hauptverfahrens ist grundsätzlich in allen Mitgliedstaaten möglich, und die „Auswahl“ der für das Hauptverfahren (alternativ) zur Verfügung stehenden Insolvenzrechtsordnungen entspricht folglich theoretisch der Anzahl der Mitgliedstaaten – immer vorausgesetzt, es bestehen die erforderlichen Einwirkungsmöglichkeiten auf die Eröffnungsvoraussetzungen als Determinanten der Rechtswahl. Demgegenüber findet ein Sekundärverfahren stets nach dem Recht desjenigen Staates statt, auf den sich die Wirkungen des Verfahrens beschränken. Soweit sich der Blick allein auf das jeweilige Sekundärverfahren richtet, kann von einer Rechtswahl daher eigentlich schon mangels alternativ zur Anwendung kommender Rechtsordnungen nicht die Rede sein: Das Antragsrecht bestimmter Verfahrensbeteiligter aus Art. 29 EuInsVO und die in den Art. 3 Abs. 2, 27 EuInsVO genannten Voraussetzungen betreffen zunächst also nur die Möglichkeiten der Einflussnahme auf die Frage, ob ein Sekundärverfahren überhaupt stattfindet. Denkbar ist allerdings, dass Veränderungen geschaffen werden, in deren Folge ein Sekun19

Eidenmüller, EBOR 6 (2005), 423, 433 spricht von einer „modified version of territorialism“. Eine besondere Nähe zu territorialistischen Wesensmerkmalen betont auch Herchen, EuInsÜ, S. 52 der von „kontrollierter Territorialität“ spricht. 20 Der 11. Erwägungsgrund zur EuInsVO führt aus, „dass aufgrund der großen Unterschiede im materiellen Recht ein einziges Insolvenzverfahren mit universaler Geltung für die gesamte Gemeinschaft nicht realisierbar“ sei und somit eine „ausnahmslose Anwendung des Rechts des Staates der Verfahrenseröffnung [...] häufig zu Schwierigkeiten“ führe. Vgl. auch FK-InsO/Wimmer, Anh. I, Rn. 28. 21 Vgl. hierzu etwa Eidenmüller, IPRax 2001, 2, 6. Eingehend mit der ökonomischen Bedeutung des in der EuInsVO implementierten Systems modifizierter Territorialität befasst sich das 3. Kapitel der Arbeit. 22 Kemper, ZIP 2001, 1609, 1610; Omar, European Insolvency Law, S. 141. 23 Herchen, EuInsÜ, S. 52; Weller, IPRax 2005, 412, 414. 24 Herchen, EuInsÜ, S. 53.

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därverfahren über einen bestimmten Vermögensgegenstand in einem anderen Mitgliedstaat stattfinden kann, als dies ohne die jeweilige Einwirkung der Fall wäre. In diesem Fall läge eine Rechtswahl allein mit Blick auf die in Reichweite des Sekundärverfahrens befindlichen Gegenstände vor. Bezogen auf das gesamte schuldnerische Unternehmen führt die Eröffnung von Sekundärverfahren dazu, dass über die lex fori concursus des Hauptverfahrens hinaus weitere Insolvenzrechtsordnungen zur Anwendung kommen. Das Problem der Einflussnahme darauf, ob zusätzlich zum Hauptverfahren ein Sekundärverfahren stattfinden kann, ließe sich folglich als Frage nach der Möglichkeit einer „Hinzuwahl“ weiterer Insolvenzrechtsordnungen begreifen, die in ihren Wirkungen freilich auf das jeweilige Territorium des Eröffnungsstaates begrenzt sind. Wenn im folgenden Abschnitt der Arbeit die de lege lata bestehenden Möglichkeiten einer Rechtswahl untersucht werden, so stehen dabei aufgrund ihrer maßgeblichen Bedeutung in erster Linie die Möglichkeiten der Einflussnahme auf das Insolvenzrecht des Hauptverfahrens im Mittelpunkt. Die rechtswahlspezifischen Fragestellungen im Zusammenhang mit dem Sekundärverfahren werden vor allem im Hinblick auf eine sich aus einer Verfahrensmehrheit von Haupt- und Sekundärverfahren möglicherweise ergebenden Verkürzung der bestehenden Gestaltungsräume bezüglich der lex fori concursus generalis zu untersuchen sein. Auf die Frage der Verlagerung des Sekundärverfahrens zwischen verschiedenen Staaten wird nur kurz eingegangen. III. Rechtswahl durch Forumswahl 1. Die Kollisionsnorm des Art. 4 Abs. 1 EuInsVO Nach welchem mitgliedstaatlichen Insolvenzrecht sich (von den angesprochenen Durchbrechungen abgesehen) die materiellen und prozessualen Wirkungen des Hauptverfahrens richten, bestimmt Art. 4 EuInsVO. Bei dieser Vorschrift handelt es sich um eine Sachnormverweisung25, die eine kollisionsrechtliche lex specialis gegenüber den Kollisionsnormen des allgemeinen Internationalen Privatrechts darstellt26. Die Suche nach etwaigen Rechtswahlmöglichkeiten der Verfahrensbeteiligten muss daher zwingend bei Art. 4 Abs. 1 EuInsVO ihren Ausgangspunkt nehmen. Eine Rechtswahl durch die Verfahrensbeteiligten sieht Art. 4 Abs. 1 EuInsVO nicht vor. Die Vorschrift ordnet stattdessen die Anwendbarkeit der lex fori concursus als Insolvenzstatut an. Nachdem allein der Verord25

Duursma-Kepplinger, in: Duursma-Kepplinger/Duursma/Chalupsky, EuInsVO, Art. 4, Rn. 1. 26 Virgós/Schmit, Bericht, Nr. 87; Moss/Fletcher/Isaacs, Rz. 4.05; Smid, Internationales Insolvenzrecht Art. 4, Rn. 1.

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nungsgeber dieses anerkannte Prinzip aufheben könnte, ist der unmittelbaren Regelungsgehalt der zentralen Kollisionsnorm der EuInsVO, nämlich für das Verfahren das Recht des Eröffnungsstaates zur Anwendung kommen zu lassen, einer Beeinflussung durch die Verfahrensbeteiligten nicht zugänglich. Anders gewendet könnte man mit Blick auf den Wahlaspekt auch sagen, dass die EuInsVO das zur Anwendung kommende Sachrecht selbst wählt, und zwar eindeutig und unverrückbar. Die Suche nach möglichen Ansatzpunkten einer Rechtswahl durch die Verfahrensbeteiligten muss sich folglich auf die Tatbestandsseite der Kollisionsnorm beschränken. Eine Wahl des einschlägigen Verfahrensrechts kann de lege lata mithin allein in Gestalt einer Einflussnahme auf den Ort der Verfahrenseröffnung stattfinden: Rechtswahl ist im Regelungsbereich der EuInsVO notwendig Wahl des Insolvenzforums, die Wahl des Insolvenzforums ist Rechtswahl. 2. Art. 3 Abs. 1 EuInsVO als Schlüssel zur faktischen Rechtswahl Durch die zwingende Anknüpfung des anwendbaren Insolvenzrechts an den Staat der Verfahrenseröffnung werden die Bestimmungen der EuInsVO über die internationale Zuständigkeit zum Schlüssel für die Frage nach der Wählbarkeit der anwendbaren Rechtsordnung. Gelänge es den Verfahrensbeteiligten, auf die internationale Eröffnungskompetenz Einfluss zu nehmen, könnten sie den Ort der Verfahrenseröffnung bestimmen und damit das dort geltende Recht als Statut des Hauptverfahrens installieren. Damit wäre eine Rechtswahl möglich27. Die Verordnung regelt die internationale Zuständigkeit in Art. 3 Abs. 1 EuInsVO als direkte28, mithin als Entscheidungszuständigkeit29. Die Kompetenz für die Eröffnung des Hauptverfahrens liegt danach bei den Gerichten desjenigen Staates, in dem der Schuldner sein COMI hat. Wenn die 27 Smid, Internationales Insolvenzrecht, Art. 3, Rn. 3 ist der Auffassung, durch die Verbindung von Kollisionsnorm und internationaler Zuständigkeit sei forum shopping (zum Begriff s.u., Fn. 36) die Grundlage entzogen. Richtigerweise ist dem Umstand, dass die Kollisionsnorm und die Zuständigkeitsnorm gekoppelt sind und letztere damit gewissermaßen mit weiterreichenden Rechtsfolgen ausstattet wird, jedoch keine Aussage über die Möglichkeiten des forum shopping zu entnehmen, da es für diese allein auf die Voraussetzungen der Kompetenzvorschriften ankommt. 28 Von einer direkten ist die indirekte Zuständigkeit zu unterscheiden, die auch als „Anerkennungszuständigkeit“ bezeichnet wird. Bei einer solchen Ausgestaltung der Kompetenzregeln beurteilt sich die Frage, ob ein im Ausland eröffnetes Verfahren im Inland anzuerkennen ist, danach, ob die Gerichte des Eröffnungsstaates aus inländischer Sicht zuständig sind. Vgl. hierzu Balz, ZIP 1996, 948, 949. 29 Siehe nur Smid, Internationales Insolvenzrecht, Art. 3, Rn. 3; Haß/Herweg, in: Geimer/Schütze, Art. 3 EuInsVO, Rn. 21. Allgemein zum Begriff der direkten Zuständigkeit Schack, IZVR, Rn. 187.

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Verfahrensbeteiligten die Voraussetzungen dieser Vorschrift in tatsächlicher Hinsicht oder aber die Anwendung der Vorschrift beeinflussen könnten, wäre es ihnen möglich, mit der internationalen Kompetenz zur Eröffnung des Hauptverfahrens auch auf dessen Insolvenzstatut einzuwirken. Welche Möglichkeiten dabei im Einzelnen bestehen und welche Rolle in diesem Zusammenhang den Anerkennungsregeln der Art. 16 Abs. 1, 17 EuInsVO zukommt, wird sogleich eingehend untersucht werden. IV. Rechtswahl und die Regelungsziele der EuInsVO Bevor eine detaillierte Analyse stattfindet, ist indes die Frage zu stellen, welche Schlussfolgerungen sich aus den Regelungszielen der EuInsVO für die Frage der Rechtswahlfreiheit unter dem Status quo ableiten lassen. Mit anderen Worten: Es soll zunächst die Frage beantwortet werden, ob mit der Verordnung überhaupt Einwirkungsmöglichkeiten der Akteure zur Auswahl von Verfahrensrecht und -statut geschaffen werden sollten. Den Aussagen, die sich den Verordnungszielen zur Frage nach der Rechtswahl entnehmen lassen, wird für die Bestimmung der Rechtswahlfreiheit im nächsten Abschnitt der Arbeit eine wichtige Rolle zukommen, und zwar unmittelbar, falls sich aus ihnen konkrete Grenzen ableiten lassen, oder mittelbar, wenn sie im Rahmen von Auslegungsfragen herangezogen werden müssen. Bei der Bestimmung der Regelungsziele einer gemeinschaftsrechtlichen Verordnung sind die in der Präambel niedergelegten Erwägungsgründe eine der wichtigsten Hilfen30. Der Verordnungsgeber stellt sie den Bestimmungen der EuInsVO voran, um seiner Begründungspflicht aus Art. 253 EGV31 nachzukommen. Obwohl sie eine bedeutsame Auslegungshilfe darstellen, haben die Erwägungsgründe selbst keine Gesetzeskraft. Im Konfliktfall treten sie hinter dem eigentlichen Verordnungstext zurück32. Drei Regelungsziele der Verordnung geben Aufschluss darüber, inwieweit mit der EuInsVO eine Rechtswahlfreiheit beabsichtigt worden ist: 1. Vermeidung des forum shopping Erwägungsgrund Nr. 4 zur EuInsVO führt aus, dass „[i]m Interesse eines ordnungsgemäßen Funktionierens des Binnenmarktes [...] verhindert werden [muss], dass es für die Parteien vorteilhafter ist, Vermögensgegenstände oder Rechtsstreitigkeiten von einem Mitgliedstaat in einen anderen zu 30

Colneric, ZEuP 2005, 225, 227 f.; Smid, Internationales Insolvenzrecht, Vor Art. 3 EuInsVO, Rn. 14; Moss/Fletcher/Isaacs, Rz. 2.26. 31 Nunmehr folgt die Begründungspflicht aus Art. 296 AEUV. 32 EuGH, Rs. C-412/93 (Societé d’importation Edouard Leclerc Siplec/TFI Publicité SA) Slg. 1995, S. I-2867, 2895.

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verlagern, um auf diese Weise eine verbesserte Rechtsstellung anzustreben...“33. Bei genauem Lesen kann dem Wortlaut des Erwägungsgrundes zunächst nur das gesetzgeberische Ziel entnommen werden, ein Regelungsregime zu etablieren, unter dem sich ein forum shopping – sei es im Wege einer Wahl innerhalb mehrerer schon bestehender internationaler Zuständigkeiten34 oder im Wege einer Erschließung derselben35 – nicht lohnt. Ungeachtet der Tatsache, dass über die genaue Begriffsbedeutung von „forum shopping“ im Zusammenhang mit dem europäischen Insolvenzrecht keine Einigkeit besteht36, lässt sich im Wege eines Erstrechtschlusses aus dem 4. Erwägungsgrund ableiten, dass auch die Vermeidung des forum shopping als solche zu den Verordnungszielen gehört37. Der Wortlaut des Erwägungsgrundes lässt jedoch noch eine weitere Schlussfolgerung zu, die in Anbetracht des Umstandes, dass Rechtswahl unter der EuInsVO stets in Gestalt einer Forumswahl stattfinden muss, von besonderem Interesse ist: Der 4. Erwägungsgrund zeigt, dass auch der Verordnungsgeber davon ausgeht, dass ein forum shopping weiterhin stattfinden kann – und zwar in Form beider dort benannter Vorgehensweisen, Verlagerung von Vermögen und Rechtsstreitigkeiten. Im Umkehrschluss 33

Auf die Funktionsfähigkeit des Binnenmarktes hinzuwirken, ist einer der Hauptzwecke der Verordnung. Er ist in Erwägungsgrund Nr. 2 zur EuInsVO niedergelegt. Aus Art. 65 EGV (jetzt Art. 81 Abs. 2 AEUV) wird zugleich herausgelesen, dass diese Zwecksetzung gleichsam auch notwendige Voraussetzung für den Erlass der EuInsVO ist. Zu diesem nicht unumstrittenen Erfordernis vgl. Eidenmüller IPRax 2001, 2, 3 m.w.N. (dort Fn. 10). 34 So die Definition von Schack, IZVR, Rn. 221, 489. 35 Für das allgemeine IZVR vertreten etwa Siehr, ZfRV 25 (1984), 124, 125; Kegel, IPRax 1996, 309, 311; Keller/Siehr, IPR, S. 408 ein solches Begriffsverständnis. 36 Der Begriff „forum shopping“ entstammt der angloamerikanischen Rechtssprache und bezeichnet zunächst nur die Ausübung von bereits bestehenden Wahlmöglichkeiten im Hinblick auf den Gerichtsstand. Mittlerweile ist der Begriff jedoch für das Insolvenzrecht im Sinne einer gezielten Ausnutzung einer Zuständigkeitsordnung mit dem Ziel, in den Genuss eines bestimmten Sachrechts oder dessen spezifischer Anwendung zu kommen, besetzt, vgl. nur LoPucki, Courting Failure, S. 27; Koch, FS Jayme (2004), 437; Duursma-Kepplinger, in: Duursma-Kepplinger/Duursma/Chalupsky, EuInsVO, Vorb., Rn. 11; Weller, IPRax 2004, 412, 413 (dort Fn. 9). Im Einzelnen bestehen über das genaue Begriffsverständnis indes weiterhin Differenzen. So scheint etwa Mankowski, NZI 2005, 369, 372 als forum shopping nur solche Vorgänge bezeichnen zu wollen, die durch ein Auseinanderfallen von „eigentliche[m] Mittelpunktsstaat“ und Forumsstaat gekennzeichnet sind. Knof, NZI 2005, 1017, 1025 bezeichnet die Fälle der Zuständigkeitserschleichung als „forum hopping“. Im Folgenden soll der Begriff forum shopping jedoch auch für solche Konstellationen verwendet werden, in denen gerade durch eine Verschiebung des COMI die Zuständigkeit eines (neuen) Forumsstaats erschlossen wird. 37 Allgemeine Meinung, siehe nur Duursma-Kepplinger, in: Duursma-Kepplinger/ Duursma/Chalupsky, EuInsVO, Vorb., Rn. 11; Pannen/Riedemann, NZI 2004, 646, 651.

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Kapitel 2: Rechtswahlfreiheit unter der EuInsVO – de lege lata

lässt sich dem Erwägungsgrund zum einen entnehmen, dass der Verordnungsgeber voraussetzt, dass ein forum shopping unter der EuInsVO nicht schlechterdings ausgeschlossen ist. Dieser Befund bestätigt sich durch einen Blick in den Verordnungstext, der – anders als beispielsweise das Internationale Insolvenzrecht einiger Mitgliedstaaten38 – weder ein generelles Verbot manipulativer Einflussnahmen auf das Insolvenzforum noch pauschale Unbeachtlichkeitsanordnungen für bestimmte insolvenznahe Veränderungen beinhaltet39. Nachdem es sich bei der zweiten beschriebenen Modalität, der Verlagerung von Rechtsstreitigkeiten40, sogar bereits um das Resultat eines (erfolgreichen) forum shopping handelt, kann dem 4. Erwägungsgrund zum anderen entnommen werden, dass der Verordnungsgeber von der Vorstellung geleitet war, dass ein forum shopping unter der EuInsVO die bezweckten Erfolge tatsächlich bewirken kann. Es ist daher festzuhalten, dass mit der EuInsVO zwar der Versuch unternommen werden sollte, die Attraktivität des forum shopping als „Vehikel“ der Rechtswahl im europäischen Insolvenzrecht zu verringern, dass aber gleichzeitig ein generelles Verbot des forum shopping nicht zu den erklärten Verordnungszielen gehört. 2. Ermöglichen einer Risikoantizipation durch die Verfahrensbeteiligten Erwägungsgrund Nr. 13 legt dar, dass als Mittelpunkt der hauptsächlichen Interessen (COMI = centre of main interests) „der Ort gelten [solle], an dem der Schuldner gewöhnlich der Verwaltung seiner Interessen nachgeht und daher für Dritte erkennbar ist“. Dieser Text ist dem Bericht von Virgós/Schmit zu dem mit der EuInsVO beinahe identischen und im Hinblick auf Art. 3 vollkommen übereinstimmenden EuInsÜ von 1995 entnommen41. Die Ausführungen des 13. Erwägungsgrundes sind in erster Linie technischer Natur, d.h. es werden Anweisungen zum Verständnis des Art. 3 Abs. 1 EuInsVO gegeben, ohne dass allerdings die im Zweifelsfall ausschlaggebende Frage nach dem Normzweck explizit beantwortet würde. Genau genommen verfehlt Erwägungsgrund Nr. 13 damit ein Stück weit das aus Art. 253 EGV/Art. 296 AEUV resultierende Erfordernis, über die gesetzgeberischen Motive der Verordnung Aufschluss zu geben. So ist es 38 Z. B. in Frankreich, wo Art. 1 Abs. 1 des Dekrets 94-910 für die internationale Zuständigkeit unter bestimmten Voraussetzungen eine Unbeachtlichkeit eines Sitzwechsels des Schuldners vorsieht, vgl. Dostal, ZIP 1998, 969, 970. Siehe auch Haubold, in: Gebauer/Wiedemann, Art. 3 EuInsVO, Rn. 52 m.w.N. 39 Vgl. Smid, Internationales Insolvenzrecht, Art. 3, Rn. 14. 40 Zur Frage der Annexkompetenz für Gerichtsverfahren, die im Zusammenhang zum eröffneten Verfahren stehen, siehe unten, S. 209 ff. 41 Vgl. Virgós/Schmit, Bericht, Nr. 75.

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dann auch nicht verwunderlich, dass insbesondere das im Erwägungsgrund statuierte Kriterium der Erkennbarkeit in Rechtsprechung und Literatur verschiedene Zweckausdeutungen erfährt42. Ausgehend von den Ausführungen des erläuternden Berichts von Virgós/Schmit wird dabei indes in vielen Entscheidungen und Aufsätzen auf den Gesichtspunkt der Risikoantizipation durch die Gläubiger verwiesen43. Angesichts des Umstands, dass der Text des Erwägungsgrundes selbst diesem Bericht entstammt, scheint ein solches Vorgehen auch methodisch konsequent. In dem Bericht heißt es im Abschnitt Nr. 75 über den in die Erwägungsgründe aufgenommenen Text hinaus: „Die Insolvenz ist ein konkretes Risiko. Deshalb ist es wichtig, dass die internationale Zuständigkeit [...] an einen Ort geknüpft wird, den die potenziellen Gläubiger des betreffenden Schuldners kennen. Damit können die rechtlichen Risiken im Insolvenzfall kalkuliert werden.“

Eine funktionierende Risikoantizipation wird in den Gesetzgebungsmaterialien folglich als Ergebnis eines als zwingend dargestellten Kausalzusammenhangs geschildert44. Die damit notwendig verbundene Voraussetzung, dass über den Wortlaut des 13. Erwägungsgrundes hinaus (dieser spricht genau genommen nur von der Erkennbarkeit des Schuldners) auch das COMI selbst ohne Weiteres erkennbar ist, ist inzwischen durch die Rechtswirklichkeit überholt worden45. Die etwas befremdlichen Ausführungen des Reports von Virgós/Schmit lassen ungeachtet dieser inhaltlichen Brüche immerhin keine Zweifel daran, dass eine funktionierende Risikoerkennung durch die potenziellen Gläubiger vom Verordnungsgeber gewollt war und mit dem Kriterium der Erkennbarkeit nicht bezweckt ist, einzelne Gläubiger lediglich wissen zu lassen, wo sie die Verfahrenseröffnung zu beantragen haben46. Trotz der genannten Unvollkommenheiten handelt es sich bei den Ausführungen von Virgós/Schmit also um ein bedeutsames historisch-genetisches Argument dafür, dass die Risikoantizipa42

Zu den anderen Normzwecken, die dem 13. Erwägungsgrund entnommen werden, vgl. unten, S. 74 ff. 43 Vgl. nur High Court of Justice Leeds, NZI 2004, 219, 221; Tribunale di Parma, ZIP 2004, 1220, 1222; High Court Dublin, ZIP 2004, 1223, 1225 f.; AG Mönchengladbach NZI 2004, 383, 384; AG München, NZI 2004, 450; Bähr/Riedemann, ZIP 2004, 1066, 1067; Ehricke, EWS 2002, 101, 103; Eidenmüller, NJW 2004, 3455, 3456; Kebekus, EWiR 2004, 705, 706; Kübler, FS Gerhardt (2004), 527, 551 ff., 555; Lautenbach, NZI 2004, 384, 385; Mankowski, NZI 2004, 450, 451; Sabel, NZI 2004, 126; Wimmer, ZInsO 2005, 119, 122. Zur ökonomischen Bedeutung des Gesichtspunkts der Risikoantizipation vgl. unten, S. 258 ff. 44 Ausdrücklich bemängelt dies Eidenmüller, NJW 2004, 3455, 3456. 45 Eingehend zur zentralen Problematik der Auseinandersetzung um das Verständnis des Tatbestands von Art. 3 Abs. 1 EuInsVO unten, S. 68 ff. 46 So jedoch offenbar Prütting, Insolvenzrecht 2003, 59, 69, 70.

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Kapitel 2: Rechtswahlfreiheit unter der EuInsVO – de lege lata

tion durch den genannten Personenkreis zumindest einer der Zwecke des Art. 3 Abs. 1 EuInsVO ist47. Es kann danach festgehalten werden, dass mit der Zuständigkeitsordnung der EuInsVO intendiert wurde, die aus ihr resultierenden Risiken für die Verfahrensbeteiligten möglichst berechenbar zu machen. Diesem Ziel entspricht die Implementierung des lex-fori-Prinzips in der EuInsVO, da mit der Erkennbarkeit des Forums auch die zur Anwendung kommende Insolvenzrechtsordnung feststünde48. Auf die insolvenzspezifischen Besonderheiten der Risikoantizipation geht Virgós an anderer Stelle näher ein49. Er weist darauf hin, dass das spezifisch international-insolvenzrechtliche Risiko der Gerichtsbarkeit, definiert als das Risiko, Ansprüche in einem ausländischen Forum unter dortigem Recht durchsetzen oder sich unter diesen Umständen gegen Forderungen wehren zu müssen, eines der bedeutsamsten bei internationalen Insolvenzen sei. Im Ausgangspunkt betrachtet er den Problemkomplex als Frage der Risikozuweisung. Er weist darauf hin, dass sich die Situation der Insolvenz wesentlich von den bilateralen Beziehungen im Verhältnis Schuldner/Gläubiger unterscheidet, durch welche normale Geschäftsbeziehungen (d.h. solche, in denen der Schuldner nicht insolvent ist) gekennzeichnet sind: „For insolvency law actions this risk is allocated according to a specific criteri[on], which differs from the general law situations. […] In bankruptcy situations the […] system (under a model of universality) follows a ‚common disaster‘ strategy (= a group game: creditor-debtor-creditor). The risk cannot be assessed individually (is not especially in the control of one party or another). Consequently all the participants share in common risks of business failure: all claimants must file and defend their bankruptcy rights in a common procedure […]“50.

Aus dieser Feststellung lassen sich wichtige Schlüsse für die Rechtswahl ziehen. Aufgrund der zwingenden Verbundenheit der Gläubiger in der „Schicksals- und Verlustgemeinschaft“51 des Insolvenzverfahrens wirkt auch eine „Rechtswahl“ zwangsläufig für und gegen alle Verfahrensbeteiligten. Die Problematik der Einflussnahme auf das anwendbare Recht ist also unter dem Gesichtspunkt der Ermöglichung einer Risikoantizipation von besonderer Tragweite. 47

So im Ergebnis auch Eidenmüller, NJW 2004, 3455, 3456; Wimmer, ZInsO 2005, 119, 122; Kübler, FS Gerhardt (2004), 527, 555; Lautenfeld, European Business Law Review 2001, 79, 83. 48 Vgl. Trunk, Internationales Insolvenzrecht, S. 370. 49 Virgós, Forum Internationale No. 25, S. 13. Die Ausführungen beziehen sich auf die im Wortlaut identische Vorschrift des Art. 3 EuInsÜ von 1995. 50 Virgós, Forum Internationale No. 25, S. 13. Zur Rolle des Insolvenzrechts in dieser Situation unter ökonomischen Gesichtspunkten siehe unten, S. 252 ff. 51 Pape/Uhlenbruck, Insolvenzrecht, Rn. 128.

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Zwischen Rechtswahlfreiheit und Risikoantizipation können erhebliche Konflikte entstehen, auf deren wirtschaftliche Bedeutung im Rahmen einer Bestandsaufnahme des Status quo unter ökonomischen Gesichtspunkten noch eingehend zurückzukommen sein wird52. Die Vorhersehbarkeit der mit der internationalen Insolvenz verbundenen Risiken durch die Verfahrensbeteiligten verschlechtert sich zwangsläufig mit der Unbestimmtheit der Anknüpfungskriterien, nach denen sich das einschlägige Verfahrensrecht bestimmt, und mit der Veränderlichkeit der zugrunde liegenden Tatsachenbasis. Eine besonders weitreichende Einschränkung der Vorhersehbarkeit entsteht, wenn einzelne Verfahrensbeteiligte auf den Ort der Eröffnung des Hauptverfahrens und damit auf dessen Verfahrensstatut ständig einwirken können, sodass sich noch kurz vor Eintritt der Insolvenz (oder gar nach diesem Zeitpunkt noch bis zur Verfahrenseröffnung) Veränderungen ergeben könnten. Das international-insolvenzrechtliche Risiko läge dann – anders als Virgós es voraussetzt53 – doch in der Hand einzelner Verfahrensbeteiligter. Die Gläubiger des Unternehmens könnten sich zum Zeitpunkt ihrer Kreditentscheidung54 auf ihre Beurteilung der international-insolvenzrechtlichen Risiken in diesen Situationen nur unter Vorbehalt einer noch eintretenden Änderung der Lage verlassen – einmal unterstellt, die internationale Eröffnungszuständigkeit bestimmte sich nach einem trennscharfen Kriterium und sei so in jedem Zeitpunkt zumindest für die Gegenwart zu ermitteln. Das Verordnungsziel, eine Vorhersehbarkeit der spezifisch international-insolvenzrechtlichen Risiken zu etablieren, macht deutlich, dass die gezielte Einflussnahme einzelner Verfahrensbeteiligter auf die internationale Zuständigkeit und das anwendbare Insolvenzrecht, jedenfalls isoliert betrachtet, nicht im Sinne der EuInsVO ist. Inwieweit die konkreten Regelungen der Verordnung mit diesem Zweck korrespondieren und die Stabilität der Anknüpfung gewährleisten, wird sich erweisen müssen. 3. Ziel der bestmöglichen Haftungsverwirklichung Wie noch eingehend auszuführen sein wird, ist Ziel jeder insolvenzrechtlichen Regelung die Herbeiführung einer bestmöglichen Haftungsverwirklichung. Insolvenzrechtliche Verfahrensbestimmungen dienen dem Zweck, 52

Siehe unten, 3. Kapitel, S. 237 ff. Virgós, Forum Internationale No. 25, S. 13. 54 Natürlich treffen nicht alle Gläubiger überhaupt eine bewusste Kreditentscheidung. Der Aspekt der Risikoantizipation ist insbesondere für bestimmte gesetzliche Gläubiger wie etwa die Inhaber deliktischer Ansprüche, bestimmte Kondiktionsgläubiger oder den Staat als Gläubiger der Steuerschulden nur von beschränkter Bedeutung. Vgl. hierzu die ausführliche Behandlung der Problematik der Vorhersehbarkeit unter dem Status quo unten, S. 258 ff. 53

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Kapitel 2: Rechtswahlfreiheit unter der EuInsVO – de lege lata

die den Gläubigern zur Verfügung stehende Haftungsmasse bestmöglich zu verwirklichen. Aus Sicht der Gläubigergemeinschaft ist entscheidend, inwieweit es dem Verfahrensrecht gelingt, die zu verteilende Masse zu maximieren. Nachdem für die am Ende des Verfahrens den Gläubigern zur Verfügung stehende Masse auch die aus dem Insolvenzverfahren resultierenden Kosten berücksichtigt werden müssen, ist für eine bestmögliche Haftungsverwirklichung letztlich die aggregierte Masse nach Abzug aller Kosten des Insolvenzverfahrens entscheidend. Das Ziel einer möglichst kosteneffizienten Verfahrensgestaltung ist der EuInsVO erkennbar zu eigen: Die Erwägungsgründe 2, 8, und 20 nehmen ausdrücklich Bezug auf das Ziel der „effizienten“ Verfahrensgestaltung. Aus zahlreichen anderen Erwägungsgründen lässt sich dieses Ziel mittelbar ableiten, so etwa aus dem 11., 16., und 19. Erwägungsgrund. Wie noch im Einzelnen darzulegen sein wird, besteht zwischen dem Ziel der Maximierung der Nettomasse und anderen Zielen der EuInsVO ein potenzieller Zielkonflikt – etwaige Bewegungsräume, die die EuInsVO eröffnen mag, könnten etwa im Sinne der Verbesserung der Haftungsverwirklichung genutzt werden, wodurch wiederum Nachteile mit Blick auf die Vorhersehbarkeit der spezifisch international-insolvenzrechtlichen Risiken entstehen könnten. Die Fragen nach der Struktur dieses Zielkonflikts und den Möglichkeiten zu seiner bestmöglichen Auflösung werden im dritten und vierten Kapitel dieser Arbeit eingehend zu untersuchen sein. 4. Gläubigergleichbehandlung Ein weiteres Verordnungsziel, das im Hinblick auf die Frage nach den Möglichkeiten einer Rechtswahl von Bedeutung sein könnte, ist das Prinzip der Gläubigergleichbehandlung. Bei der Frage, ob und inwieweit Rangunterschiede zwischen den Gläubigern anzuerkennen sind und wie diese Priorisierung der Forderungen im Einzelnen auszugestalten ist, handelt es sich letztlich um eine politische Entscheidung, die von Mitgliedstaat zu Mitgliedstaat durchaus recht unterschiedlich getroffen wird55. Der Grundsatz der Gläubigergleichbehandlung kann also im staatenübergreifenden Kontext nur für die Gläubiger derselben, durch das nationale Insolvenzrecht der Mitgliedstaaten bestimmten Rangklasse Geltung beanspruchen56. Dennoch ist der insolvenzspezifische Verfahrensgrundsatz der par conditio 55

Beispielsweise kennen die Insolvenzrechte Belgiens, Frankreichs, Italiens und Luxemburgs besondere Vorrechte für Lohnforderungen der Arbeitnehmer, Beitragsforderungen der Sozialversicherungen sowie Steuerforderungen, während ein solcher Vorrang in Deutschland, England und Dänemark nicht in gleicher Weise besteht. Einen guten Überblick über die unterschiedlichen Regelungen geben Jahn/Sahm, Insolvenzen in Europa, passim. 56 Flessner, ZEuP 2004, 887, 896; Fletcher, Cross-Border Insolvency, S. 270.

A. Rahmenbedingungen einer Rechtswahl unter der EuInsVO

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creditorum57 sachrechtliches Ziel aller mitgliedstaatlichen Insolvenzrechte58 und gehört, wie sich dem 21. Erwägungsgrund entnehmen lässt, zu den Grundprinzipien der EuInsVO59; er findet insbesondere in den Regelungen der Art. 4, 20, 32, 35, 39 EuInsVO Niederschlag60. Speziell im Bestehen einer einheitlichen Eröffnungszuständigkeit gem. Art. 3, 4 EuInsVO, nach der sich das (allerdings durch die Art. 5 bis 15, 27 ff. EuInsVO vielfach durchbrochene) einheitliche Rechtsregime des Hauptverfahrens bestimmt, ist ein zentrales Element zur Verwirklichung des Gleichbehandlungsgrundsatzes zu sehen61. Der Verordnung liegt die Vorstellung zugrunde, dass eine, wenngleich eingeschränkte, Verfahrenseinheit eine bestmögliche Durchsetzung der Gläubigergleichbehandlung sicherstellt62. Bei der einheitlichen Ausgestaltung der Anknüpfung im europäischen Insolvenzkollisionsrecht handelt es sich um die „kollisionsrechtliche Dimension“63 des sachrechtlichen Ziels der Gläubigergleichbehandlung. Denn sie stellt sicher, dass sich die Verteilung der Masse für alle Gläubiger nach dem- bzw. denselben (im Falle von Sekundärverfahren) Maßstäben vollzieht. Es stellt sich nunmehr die Frage, inwieweit dieses Verordnungsziel der Gläubigergleichbehandlung Schlüsse im Hinblick auf die Zulässigkeit einer Rechtswahl durch einzelne Verfahrensbeteiligten ermöglicht. Denn auch wenn einzelne Verfahrensbeteiligte durch ihr Handeln auf den Ort der Verfahrenseröffnung Einfluss nehmen könnten, so würden dadurch unmittelbar weder der Regelungsgehalt der Art. 3, 4 EuInsVO betroffen noch würde allein durch die Manipulation die Gleichbehandlung innerhalb des „gewählten“ Statuts des Hauptverfahrens tangiert. Mit Blick auf die Rechtswahlproblematik kommt es letztlich also darauf an, ob von der par conditio creditorum gleichsam „Vorwirkungen“ für den Prozess der Festlegung des anwendbaren formellen und materiellen Rechts innerhalb der durch Art. 3, 4 EuInsVO bestimmten Vorgehensweise ausgehen. Dies wird angesichts der aufgezeigten Reichweite, die das Prinzip im internationalen Insolvenzrecht einnimmt, wohl nur bejaht werden können, 57

Dieser Begriff wird schon im Corpus Iuris, Ulp. Digesten 42. 8. 6. 7 verwendet. Herchen, EuInsÜ, S. 46. Zur im Einzelnen sehr unterschiedlichen Ausgestaltung des Prinzips der Gläubigergleichbehandlung in den Mitgliedstaaten vgl. Wiórek, Gläubigergleichbehandlung, S. 99 ff. 59 Herchen, EuInsÜ, S. 47, ders., ZInsO 2003, 742, 746. Siehe auch Koch, FS Jayme (2004), 437. 60 Duursma-Kepplinger, in: Duursma-Kepplinger/Duursma/Chalupsky, EuInsVO, Vorbemerkungen Rn. 19. Vgl. auch Wiórek, Gläubigergleichbehandlung, S. 196 ff. 61 Duursma-Kepplinger, in: Duursma-Kepplinger/Duursma/Chalupsky, EuInsVO, Art. 3, Rn. 3. 62 Wiórek, Gläubigergleichbehandlung, S. 63. 63 Trunk, Internationales Insolvenzrecht, S. 12 (Hervorhebung im Original). 58

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Kapitel 2: Rechtswahlfreiheit unter der EuInsVO – de lege lata

wenn die bestehende Regelung faktische Manipulationsmöglichkeiten bereithielte, die es einzelnen Gläubigern ermöglichten, durch ihre Rechtswahl Vorteile gegenüber den anderen Verfahrensbeteiligten zu erlangen. Als weitere Voraussetzung einer Verletzung eines auf der Ebene der EuInsVO bestehenden Gleichheitsgebots müsste die erlangte Besserstellung jedoch über die Unterschiede hinausreichen, die aus der Wahl eines anderen Verteilungsmechanismus resultieren. Denn die unterschiedlichen Ausgestaltungen der nationalen Verfahrensrechte sind – ungeachtet der Frage, wie sie ihrerseits den Gleichheitsgrundsatz wahren64 – angesichts der ausdrücklichen Entscheidung des Verordnungsgebers gegen eine Harmonisierung der Insolvenzsachrechte der Mitgliedstaaten hinzunehmen65; die EuInsVO dient in allererster Linie der Durchsetzung der in den autonomen Insolvenzrechten der Mitgliedstaaten hinsichtlich der konkreten Ausgestaltung des Gleichbehandlungsgrundsatzes zum Ausdruck kommenden Gerechtigkeitsvorstellungen66. Es ist nicht Aufgabe der EuInsVO, dem Umstand Rechnung zu tragen, dass Regelungen des mitgliedstaatlichen Insolvenzrechts als Verletzung der par conditio creditorum anzusehen sein könnten. Die Auflösung dieser Konflikte ist der mitgliedstaatlichen Judikative und Legislative zugewiesen. Durch Einwirkungen Verfahrensbeteiligter auf die Eröffnungszuständigkeit wird der Gleichbehandlungsgrundsatz daher vor allem dann berührt, wenn sich Gläubiger den gleichbehandlungsrelevanten Einschränkungen des Eröffnungsstatuts, insbesondere hinsichtlich der darin vorgesehenen Behandlung von Sicherungsrechten, entziehen. Ein solches Ergebnis wäre etwa zu bejahen, wenn Sicherungsgüter in betrügerischer Absicht vor Verfahrenseröffnung ins Ausland verbracht werden67. Zweifelhaft ist indessen, ob eine zur Berührung des Gleichbehandlungsgrundsatzes führende, weil über die Wahl einer spezifischen Ausgestaltung dieses Prinzips durch autonomes Recht hinausgehende Einflussnahme auch schon im Be64 Zu denken wäre hier an die Sonderprivilegierung für Arbeitnehmer oder das inzwischen auch in Deutschland gerade auch unter dem Gesichtspunkt der Vereinbarkeit mit dem Grundsatz der Gläubigergleichbehandlung diskutierte Fiskusvorrecht im Insolvenzverfahren – vgl. nur die Stellungnahme 34/2010 des Deutschen Anwaltvereins zur beabsichtigen Wiedereinführung des „Fiskusvorrechts“ durch die Bundesregierung, abrufbar unter . 65 Wiórek, Gläubigergleichbehandlung, S. 194. 66 Von der hier diskutierten Problematik der Bedeutung des Regelungsziels der Sicherstellung der Gläubigergleichbehandlung für die Einwirkungsmöglichkeiten einzelner Verfahrensbeteiligter unter der EuInsVO ist die Frage zu unterscheiden, inwieweit der Grundsatz der par conditio creditorum in seiner kollisionsrechtlichen Dimension insgesamt als in der EuInsVO (insb. durch Art. 4, 5, 7 EuInsVO) zufriedenstellend verwirklicht angesehen werden kann. Eingehend dazu Wiórek, Gläubigergleichbehandlung, S. 240 ff. et passim mit zahlreichen w.N. 67 Wiórek, Gläubigergleichbehandlung, S. 242.

B. Möglichkeiten und Grenzen der Rechtswahl de lege lata

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treiben der Verfahrenseröffnung in einem bestimmten Mitgliedstaat gesehen werden kann, wenn diese mit der Absicht der Ausnutzung des Regelungsgehalts der Art. 5, 7 EuInsVO geschieht68. Im Widerspruch mit dem Ziel der Gläubigergleichbehandlung auf der Ebene der EuInsVO (und nicht im nationalen Insolvenzrecht) stünde es indes auch, wenn die gezielte Einflussnahme einzelner Gläubiger auf Kosten anderer Gläubiger ermöglicht würde, wenn also die Einflussmöglichkeiten der Gläubiger sich unterscheiden würden. 5. Zusammenfassung Verschiedenen Verfahrenszielen der EuInsVO lässt sich entnehmen, dass ein manipulatives Einwirken des Schuldners auf das zur Anwendung kommende Verfahrensrecht nicht gewollt ist. Dies gilt in erster Linie für das Verfahrensziel, forum shopping – wie dargelegt das notwendige Vehikel einer Rechtswahl unter der EuInsVO – zu verhindern. Auch die Intention, mit den Regelungen der EuInsVO eine möglichst weitreichende Risikoantizipation zu ermöglichen, steht mit Einwirkungsmöglichkeiten der Verfahrensbeteiligten zumindest dann in Widerspruch, wenn damit der Status quo zum Zeitpunkt der Kreditentscheidung aufgrund einer nachträglichen Veränderlichkeit nicht als verlässliche Kalkulationsgrundlage für die Berechnung der spezifisch international-insolvenzrechtlichen Risiken durch die Verfahrensbeteiligten herangezogen werden kann. Auch dem Prinzip der Gläubigergleichbehandlung kommt im Hinblick auf eine Rechtswahl durch forum shopping Bedeutung zu, obwohl eine Wahl des anwendbaren Rechts zunächst alle Gläubiger betrifft. Unterschiedliche Einflussmöglichkeiten verschiedener Gläubiger wären mit der Bedeutung, die dem Gleichbehandlungsgrundsatz auch für die Fragen im Regelungsbereich der EuInsVO zukommt, nicht zu vereinbaren. Ob die Verordnung ihren eigenen Ansprüchen im Hinblick auf die Rechtswahl gerecht wird, wird sich im Rahmen der Untersuchung erweisen.

B. Möglichkeiten und Grenzen der Rechtswahl de lege lata Möglichkeiten und Grenzen der Rechtswahl de lege lata

Im Folgenden sollen die Möglichkeiten und Grenzen einer Rechtswahl unter dem Regime der EuInsVO im Einzelnen dargelegt werden. Dazu werden zunächst die denkbaren Ansatzpunkte dargestellt, von denen eine Rechtswahl de lege lata ausgehen könnte. Dabei ist ein Blick auf die bis-

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Eingehend zu dieser Vorgehensweise, die je nach Lage des Falls zu einem Ergebnis führen kann, das der Verbringung des Sicherungsgegenstands entspricht, unten, S. 214 ff.

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Kapitel 2: Rechtswahlfreiheit unter der EuInsVO – de lege lata

herige Praxis der Zuständigkeitsordnung unter der EuInsVO unumgänglich. I. Drei Ansatzpunkte einer Rechtswahl unter der EuInsVO Für eine Rechtswahl unter den Regelungen der EuInsVO lassen sich drei Ansatzpunkte ausmachen. Alle drei Faktoren ließen sich unabhängig voneinander zur Einflussnahme auf den Ort der Verfahrenseröffnung und damit zur Auswahl des Statuts des Hauptverfahrens nutzen. Sie sollen daher zunächst isoliert behandelt werden, obwohl sie in der Rechtspraxis zumeist in Kombination miteinander auftreten und durch erhebliche Wechselwirkungen und Überlagerungen gekennzeichnet sind. 1. Unbestimmtheit des Tatbestandes von Art. 3 Abs. 1 S. 1 EuInsVO Der erste Faktor, der Manipulationen ermöglicht, ist die Unbestimmtheit des Tatbestands von Art. 3 Abs. 1 S. 1 EuInsVO. Eine der zentralen Vorschriften der EuInsVO – verschiedentlich ist gar vom „Herz“ der Zuständigkeitsregelung der Verordnung die Rede69 – wird vom Kriterium des COMI beherrscht, das zur Anwendung auf den zu bewertenden Sachverhalt aufgrund seiner Abstraktheit einer Konkretisierung durch Rechtsprechung und Lehre bedarf70. Wo der Schuldner seinen Interessenmittelpunkt hat, ergibt sich erst im Lichte der noch zu bildenden Konturen des Art. 3 Abs. 1 S. 1 EuInsVO. Bei der Auslegung der Vorschrift wird der Mittelpunkt der hauptsächlichen Interessen mithin nicht nur bestimmt, wie es bei Tatbestandsvoraussetzungen der Fall wäre, die auf unmittelbar ermittelbare Größen Bezug nehmen. Vielmehr wird er zugleich notwendig erst erschaffen. Im Rahmen dieser näheren Bestimmung des Tatbestands besteht naturgemäß ein erhebliches Einwirkungspotenzial. Mittels ihrer jeweiligen Interpretation der Kompetenzvorschrift können einzelne Verfahrensbeteiligte die Eröffnungszuständigkeit dort verorten, wo es ihren Präferenzen entspricht. Natürlich kann ein forum shopping auf diese Weise nicht gegen die Auffassung des mit der Eröffnungsentscheidung befassten Gerichts erfolgen – dieses hat seine Eröffnungskompetenz (ungeachtet der bezüglich der

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Vgl. Moss/Fletcher/Isaacs, Rz. 3.10 f., 8.37 „[The concept of the centre of main interests] lies at the heart of the Regulation’s principal jurisdiction rule“. 70 Eine unmittelbare Anwendbarkeit des Kriteriums wird soweit ersichtlich von niemandem für möglich gehalten, siehe nur Haubold, in: Gebauer/Wiedemann, Art. 3 EuInsVO, Rn. 46; Wessels, ILF working paper 17, S. 4; Duursma-Kepplinger, in: DuursmaKepplinger/Duursma/Chalupsky, EuInsVO, Art. 3, Rn. 12 ff.; Omar, European Insolvency Law, S. 142; Pannen/Riedemann, NZI 2004, 646 f.

B. Möglichkeiten und Grenzen der Rechtswahl de lege lata

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Details bestehenden Zweifelsfragen71) und trotz der für Gesellschaften und juristische Personen in Art. 3 Abs. 1 S. 2 EuInsVO aufgestellten Vermutungsregel von Amts wegen zu überprüfen72. Diese Vorgehensweise ließe sich daher auch als „gerichtsabhängig“ bezeichnen. Die Gerichte sind aber ebenfalls mit dem diffusen Tatbestand von Art. 3 Abs. 1 S. 1 EuInsVO konfrontiert. Die Chancen, dass sich der Antragsteller mit seinem Verständnis zur internationalen Zuständigkeit durchsetzt, sind schon aus diesem Grunde hoch. Darüber hinaus geht das Gericht auch bei Ermittlung der internationalen Zuständigkeit zunächst vom Tatsachenvortrag des Antragstellers aus73. Ohne der Untersuchung vorgreifen zu wollen, sei außerdem schon an dieser Stelle darauf hingewiesen, dass auch für den mit der Entscheidung befassten Richter im Einzelfall erhebliche Anreize bestehen können, die eigene Eröffnungszuständigkeit zu bejahen74. Es ist daher wenig verwunderlich, dass die bisherige Rechtspraxis kaum je einen Fall gesehen hat, in dem ein Gericht seine internationale Zuständigkeit abgelehnt hätte75, während positive Kompetenzkonflikte, also Fälle in denen mehr als ein Gericht die Eröffnungszuständigkeit für sich reklamiert, die Rechtswirklichkeit bestimmen76.

71 Die Reichweite der Amtsermittlungspflicht ist insbesondere aufgrund der untypischen Konstellation eines Zusammentreffens von Pflicht zur amtswegigen Prüfung und gesetzlicher Vermutung umstritten. Einen kursorischen Überblick über den Streitstand vermittelt Strasser, KTS 2005, 219, 220 f. Zu den Einzelheiten siehe auch unten, S. 181 ff. 72 Smid, DZWIR 2003, 397, 399 f.; ders., Internationales Insolvenzrecht, Art. 3, Rn. 13; Eidenmüller, NJW 2004, 355, 357; Gottwald, Grenzüberschreitende Insolvenzen, S. 20; Huber, ZZP 114 (2001), 133, 141; Haubold, in: Gebauer/Wiedemann, Art. 3 EuInsVO, Rn. 47; Carstens, Internationale Zuständigkeit, S. 64 ff. behandelt das Problem in erster Linie unter dem Aspekt der durch das nationale deutsche Insolvenzrecht in § 5 Abs. 1 S. 1 InsO statuierten Ermittlungspflicht. 73 Eingehend unten, S. 181. 74 Vgl. hierzu unten, S. 238 ff. 75 Vgl. aber AG Hamburg, NZI 2006, 486. In der Gesamtschau der ergangenen Judikate stellt sich diese Entscheidung als Ausnahmefall dar. 76 Vgl. etwa die Eröffnung von zwei Hauptverfahren über das Vermögen der zum Parmalat-Konzern gehörenden Eurofood IFSC Ltd. durch das Tribunale di Parma, ZIP 2004, 1220 ff. und den High Court Dublin, ZIP 2004, 1223 ff. Die Sache lag nach Vorlagebeschluss durch den Supreme Court of Ireland, NZI 2004, 506 ff., dem EuGH zu Entscheidung vor (Rs. C-341/04). Vgl. dazu die Ausführungen unten, S. 62 ff. Ein weiterer positiver Kompetenzkonflikt ist beispielsweise infolge einer Verfahrenseröffnung durch das Stadtgericht Prag, ZIP 2005, 1431 im Verhältnis zum AG Hamburg entstanden (vgl. LG Hamburg, NZI 2005, 645).

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Kapitel 2: Rechtswahlfreiheit unter der EuInsVO – de lege lata

2. Veränderlichkeit der zuständigkeitsrelevanten Tatsachen Art. 3 Abs. 1 S. 1 EuInsVO ermöglicht indes noch auf eine andere Weise eine Steuerung der Verfahrenseröffnung durch Verfahrensbeteiligte. Verlegt der Schuldner seinen Mittelpunkt der hauptsächlichen Interessen vor dem für die Ermittlung maßgeblichen Zeitpunkt77, so kann er dadurch das zuständige Insolvenzforum und mit diesem das zur Anwendung kommende Verfahrensrecht aussuchen. Anders als bei der vorstehend genannten Vorgehensweise wird hier in tatsächlicher Hinsicht auf diejenigen Umstände eingewirkt, anhand derer die Zuständigkeitsbestimmung erfolgt. Zwar ist angesichts der Unbestimmtheit der Kompetenznorm bislang unklar, was genau die „zuständigkeitsrelevanten Tatsachen“ kennzeichnet. Ein forum shopping wird aber jedenfalls dann erfolgreich sein, wenn der Schuldner die Gesamtheit seines Unternehmens in einer für den Rechtsverkehr erkennbaren Weise an den von ihm gewünschten Ort verlegt. Schwieriger ist die Frage zu beantworten, welche mit geringerem Aufwand verbundenen tatsächlichen Veränderungen den bezweckten Effekt eines Zuständigkeitswechsels haben. In Betracht kämen insoweit beispielsweise Modifikationen, die allein den Verwaltungssitz betreffen oder die Einstellung des Geschäftsbetriebes. 3. Anerkennungspflicht nach Art. 16 f. EuInsVO Das weite Verständnis des Begriffes „Rechtswahl“, das dieser Untersuchung zugrunde liegt, gebietet es, auch solche Einwirkungsmöglichkeiten zu berücksichtigen, die nicht unmittelbar mit der Auslegung des Zuständigkeitstatbestands zu tun haben. Besteht die Möglichkeit, dass ein Gericht ein Hauptverfahren über das Vermögen des Schuldners eröffnen kann, obwohl es bei objektiver Betrachtung nicht zuständig ist, da sich der Mittelpunkt der hauptsächlichen Interessen des Schuldners bei jedem Verständnis von Art. 3 Abs. 1 EuInsVO in einem anderen Mitgliedstaat befindet, so wäre auch dies eine Rechtswahl im oben genannten Sinne. Diese Manipulationsmöglichkeit unterfiele nicht den genannten Kategorien einer Auslegung oder Verändung der zuständigkeitsbegründenden Tatsachen. Auch wenn es auf den ersten Blick merkwürdig wirken mag, wiese dieses Vorgehen einen eigenen Weg zum erfolgreichen forum shopping auf: Die „Auswahl“ des Insolvenzforums erfolgte in diesem Fall, anders als bei den vorstehend genannten Vorgehensweisen, nicht durch Ausnutzung der Zuständigkeits-, sondern der Anerkennungsvorschriften der EuInsVO. Für die Frage nach den Möglichkeiten der Rechtswahl im europäischen Insolvenzrecht kommt es daher in besonderem Maße auch darauf an, in77

Vgl. hierzu unten, S. 112 ff.

B. Möglichkeiten und Grenzen der Rechtswahl de lege lata

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wieweit die durch die EuInsVO in Art. 16 f. statuierte Pflicht zur Anerkennung ausländischer Eröffnungsbeschlüsse eine Verfahrenseröffnung durch unzuständige Gerichte ermöglicht. Eine Rechtswahl im Wege der Ausnutzung der Anerkennungspflicht ist naturgemäß in hohem Maße vom Handeln des angerufenen Gerichts abhängig, denn sie setzt voraus, dass es die Eröffnungskompetenz trotz objektiven Fehlens in Anspruch nimmt. Dies könnte etwa der Fall sein, wenn das Gericht unter dem Einfluss der handelnden Verfahrensbeteiligten eine falsche Entscheidung über die Zuständigkeit trifft. Zudem könnte eine Rechtswahl unter Ausnutzung der Anerkennungsordnung möglicherweise durch einen partiellen Gleichlauf der Interessen von Antragsteller und Gericht begünstigt sein78. 4. Wechselwirkungen und Überlagerungen Zwischen den genannten Ansatzpunkten bestehen weitreichende Überschneidungen und Wechselwirkungen, die ein genaues Auseinanderhalten der unterschiedlichen Einwirkungsmöglichkeiten im Einzelfall schwierig oder sogar unmöglich machen können. Bis beispielsweise über die rechtliche Frage der Auslegung des Kriteriums „Mittelpunkt der hauptsächlichen Interessen“ in Art. 3 Abs. 1 S. 1 EuInsVO hinreichende Einigkeit erzielt ist, werden zwangsläufig Unsicherheiten darüber bestehen, welche manipulativen Eingriffe in tatsächlicher Hinsicht eine Zuständigkeitsänderung bewirken können. Ein Antragsteller wird daher immer bemüht sein, dem Gericht eine Auffassung zum Verständnis von Art. 3 Abs. 1 EuInsVO nahezulegen, die mit einer etwaigen konkret vorgenommenen Sachverhaltsänderung korrespondiert. Und das eröffnende Gericht wird seinerseits in der Praxis darlegen, dass aus seiner Sicht und nach dem von ihm propagierten Verständnis des Kriteriums der Mittelpunkt der hauptsächlichen Interessen des Schuldners im Eröffnungsstaat des Hauptverfahrens belegen ist. Es wird dies tun, um dem Begründungszwang zu genügen, der nach zutreffender Auffassung79 und den deutschen Ausführungsvorschriften80 für eine Verfahrenseröffnung unter der EuInsVO besteht. Eine trennscharfe Unterscheidung zwischen einer „Zuständigkeitserschließung“, bei der die Voraussetzungen des Art. 3 Abs. 1 S. 1 tatsächlich gegeben sind, und einer bloßen Zuständigkeitswahrnehmung, bei der dies ohne Veränderungen in tatsächlicher Hinsicht behauptet wird, ist daher bis auf Weiteres nicht im78

Vgl. hierzu unten, S. 238 ff. Eingehend Smid, DZWIR 2003, 397, 398 f., 400. Vgl. ferner Balz, ZIP 1996, 948, 949; Duursma-Kepplinger, in: Duursma-Kepplinger/Duursma/Chalupsky, EuInsVO, Art. 3, Rn. 16; Leipold, Vorschläge und Gutachten zum Umsetzung des EuInsÜ, S. 193; Lüke ZZP 111 (1998), 275, 289; Wimmer, ZInsO 2005, 119, 123. 80 Vgl. Art. 102 § 2 EGInsO. 79

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mer möglich. Eine Verschiebung des Interessenmittelpunkts in tatsächlicher Hinsicht ist somit auch nur im Rahmen einer theoretischen, isolierten Betrachtung nur dieser Vorgehensweise in geringerem Maße gerichtsabhängig, als eine solche in rechtlicher Hinsicht. Während im ersten Fall die Notwendigkeit besteht, das Gericht für eine bestimmte Rechtsauffassung zu gewinnen, bedarf es eines solchen Überzeugens des Gerichts im zweiten Fall nicht. Solange jedoch keine abschließende Übereinkunft über das Verständnis des COMI-Kriteriums erzielt wird, besteht neben der Veränderung der zuständigkeitsbegründenden Tatsachen stets die Notwendigkeit, das befasste Gericht von der Relevanz des veränderten Sachverhalts für die Bestimmung der internationalen Zuständigkeit zu überzeugen. Damit wird gleichzeitig deutlich, dass die Berücksichtigung des Verordnungszwecks, forum shopping zu vermeiden, aufgrund der verschiedenen Ansatzpunkte manipulativen Handelns bei der näheren Auslegung der Zuständigkeitsregel zu einem Dilemma führt. Eine möglichst konkrete Interpretation des Tatbestands wäre zwar in besonderer Weise geeignet, die aus den verschiedenen Auslegungsmöglichkeiten entstehenden Einwirkungsmöglichkeiten auf ein Minimum zu begrenzen. Mit einer engen Eingrenzung des Tatbestands würde den Verfahrensbeteiligten jedoch gleichzeitig der Weg zu einer erfolgreichen Veränderung des Sachverhalts gewiesen. Solange der Zuständigkeitstatbestand nicht abschließend und verbindlich konturiert ist, sind auch die Übergänge zwischen einem forum shopping durch rechtliche oder tatsächliche Einflussnahme auf die Subsumtion unter Art. 3 Abs. 1 EuInsVO einerseits und einem forum shopping durch Ausnutzung der Anerkennungsordnung (soweit dieses möglich ist) andererseits fließend: In dem Augenblick, in dem die Auslegungsgrenzen des Art. 3 EuInsVO bei der Verfahrenseröffnung überschritten oder die zuständigkeitsrelevanten Aspekte des Sachverhalts nicht in ausreichendem Maße variiert worden sind, um den Interessenmittelpunkt an den Ort der Verfahrenseröffnung zu verschieben, kommt es infolge der dann bestehenden Unzuständigkeit stets auf die durch Art. 16 Abs. 1 EuInsVO determinierte rechtliche Belastbarkeit der kompetenzwidrigen Verfahrenseröffnung an. Ein eigenständiges Manipulationspotenzial privater Akteure ergäbe sich folglich aus der Anerkennungsordnung solange, wie sie es ihnen ermöglicht, durch Betreiben von Insolvenzeröffnungen bei Gerichten in Jurisdiktionen, in denen eine Zuständigkeit nach den maßgeblichen Kriterien nicht gegeben ist, erfolgreich ein Insolvenzverfahren zu platzieren. Damit wird auch die große Bedeutung offenbar, die der Frage nach der Reichweite der Anerkennungspflicht im Gesamtkontext der Problematik zukommt. Denn in Anbetracht der dargestellten Überlagerung der Kompetenzordnung der EuInsVO durch die Anerkennungsregeln werden die äußersten Koordinaten einer Rechtswahlfreiheit durch letztere bestimmt; die

B. Möglichkeiten und Grenzen der Rechtswahl de lege lata

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Beschränkungen von Rechtswahlmöglichkeiten durch die Zuständigkeitsordnung der EuInsVO sind also praktisch solange irrelevant, wie Überschreitungen die gemeinschaftsweiten Wirkungen des Eröffnungsbeschlusses nicht tangieren. Für die Frage, ob eine solche Überschreitung überhaupt vorliegt, kommt es allerdings wiederum auf die aus Art. 3 Abs. 1 EuInsVO folgenden Grenzen der Rechtswahlfreiheit an. Die Überlagerung der Zuständigkeitsordnung durch die Anerkennungspflicht macht mithin eine genaue Analyse der beiden sich aus den Zuständigkeitsvorschriften ergebenden Manipulationsmöglichkeiten notwendig. II. Grenzen der Rechtswahlfreiheit Im Folgenden sollen die Grenzen der Rechtswahlfreiheit unter der EuInsVO untersucht werden. Dabei wird für alle drei Faktoren, die eine Einflussnahme auf den Ort der Eröffnung des Hauptverfahrens ermöglichen, eine getrennte Betrachtung stattfinden. Es wird in diesem Zusammenhang nicht darum gehen, was sich durch eine Rechtswahl erreichen lässt – diese Frage betrifft die Reichweite des forum shopping und ist Gegenstand des III. Abschnitts dieses Kapitels. Vielmehr geht es um die Beschränkungen, denen Mechanismen, die ein forum shopping ermöglichen, unterliegen. Mit anderen Worten: Es sollen zunächst die Grenzen des Wie der Rechtswahl erörtert werden, bevor dann auf die Beschränkungen des Was der Rechtswahl einzugehen sein wird. 1. Kein ausdrückliches Verbot des forum shopping in der EuInsVO Die EuInsVO beinhaltet trotz der intendierten Vermeidung des forum shopping kein ausdrückliches Verbot desselben81. Insbesondere beinhaltet die EuInsVO keine generelle Untersagung der Nutzung der Einwirkungsmöglichkeiten, die sich aus den Zuständigkeits- oder Anerkennungsregeln der Verordnung ergeben. Sie knüpft die Eröffnungszuständigkeit für das Hauptverfahren mit dem COMI des schuldnerischen Unternehmens stattdessen sogar an einen Umstand an, der seiner Natur nach Veränderungen unterliegen kann: Ungeachtet der Streitfrage, auf welche Kriterien es bei der Bestimmung des COMI im Detail ankommt82, steht fest, dass es sich verschieben können muss83. Zutreffend wird daher auch in der englischen obergerichtlichen Rechtsprechung konstatiert: „A debtor must be free to choose where he carries 81

Thornley, 2 International Corporate Rescue, 51, 52 (2005). Eine Darstellung und Bewertung von in Rechtsprechung und Lehre zur näheren Bestimmung des COMI bemühten Einzelkriterien findet unten, S. 91 f. statt. 83 Siehe nur Mankowski, NZI 2005, 368, 369; Virgós/Garcimartín, The European Insolvency Regulation, S. 8. 82

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on his activities which fall within the concept of ‚administration of his interest‘“84. Als vollkommen unstreitig wird man hier zwar angesichts der Meinungsvielfalt zur näheren Konkretisierung des COMI nur solche Fälle ansehen können, in denen das schuldnerische Unternehmen in seiner Gesamtheit, also beispielsweise Verwaltungssitz, etwaige Produktions- und Lagerstätten, Geschäftsbeziehungen etc. von einem Mitgliedstaat in einen anderen verlegt wird. Die grundsätzliche Veränderlichkeit des COMI wird allerdings letztlich von niemandem bestritten85. Ein Verbot des forum shopping durch Veränderung der tatsächlichen Situation hätte den Verordnungsgeber vor besondere Schwierigkeiten gestellt. Soweit man nicht pauschal die Unbeachtlichkeit aller in einem bestimmten Zeitraum erfolgenden Veränderungen anordnet, müsste bei Veränderungen, die zu einer internationalen Verschiebung des COMI führen, danach differenziert werden, ob sie um ihrer selbst willen geschehen und demgemäß eine Manipulation im engeren Sinne darstellen. Eine Abgrenzung von solchen Veränderungen, die durch die Entwicklung des schuldnerischen Unternehmens bedingt sind, wäre in der Mehrzahl der Fälle mangels eines griffigen Kriteriums praktisch kaum durchführbar, zumal infolge der Unsicherheiten über das konkrete Verständnis von Art. 3 Abs. 1 EuInsVO noch nicht einmal mit Gewissheit gesagt werden könnte, ob eine bestimmte tatsächliche Veränderung überhaupt einen Wechsel der internationalen Zuständigkeit bedingt. Auch dies mag ein Grund dafür sein, weshalb die Verordnung solche tatsächlichen Veränderungen, mit denen allein das Ziel verfolgt wird, die Eröffnungszuständigkeit zu beeinflussen, nicht explizit verbietet: Ein Verbot der Verlegung des COMI wäre notwendig mit denselben Schwierigkeiten konfrontiert wie die Bestimmung der internationalen Zuständigkeit. Wenn Weller demgegenüber ausführt, ein forum shopping sei „unter dem Regime der EuInsVO unzulässig“86, so ist diese Aussage jedenfalls unter Zugrundelegung des hier vertretenen, weiten Begriffsverständnisses von „forum shopping“87 nicht haltbar88. Denn obwohl die EuInsVO das

84

Malcolm Brian Shierson (trustee in bankruptcy of Martin Vlieland-Boddy) v Clive Vlieland-Boddy, Court of Appeal Civil Division, NZI 2005, 571, 573 (Rn. 55). 85 Ob hier im Einzelfall Beschränkungen bestehen und wie diese aussehen, wird im weiteren Verlauf der Arbeit untersucht, siehe unten, S. 105 ff. 86 Weller, IPRax 2004, 412, 417. Weller widerspricht mit dieser Aussage zudem seinem eigenen Befund, dass eine Verlagerung des COMI möglich ist. Seine Ausführungen wären nur dann konsistent, wenn er mit dem Begriff „forum shopping“ lediglich bestimmte Veränderungen bezeichnen wollte, die seinen Ausführungen zufolge für die Bestimmung der Zuständigkeit unbeachtlich wären. Weller selbst definiert forum shopping indes weit (IPRax 2004, 412, 413 [dort in Fn. 9]). 87 Eingehend dazu oben, Fn. 36.

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forum shopping zu verhindern bezweckt89, statuiert sie eine Zuständigkeitsordnung, die bei einer am Gesetzeswortlaut orientierten Anwendung gerade zur Beachtlichkeit von Verlagerungen des COMI führt und damit ein forum shopping ermöglicht90. In dieser Hinsicht besteht also auch nach der Konzeption der Verordnung eine Freiheit zur Rechtswahl im hier verwendeten Sinn des Begriffs. 2. Grenzen aus der Unbestimmtheit der Kompetenzordnung der EuInsVO – Anatomie der Kompetenzordnung Die Grenzen für ein forum shopping und damit für eine Rechtswahl, die unter der EuInsVO de lege lata bestehen, ergeben sich daher zu einem wesentlichen Teil erst unmittelbar aus der Kompetenzordnung der EuInsVO. Erst die Rechtsprechung mitgliedstaatlicher Gerichte hat hier eine breite Interpretationsvielfalt offenbart und damit das Interpretationspotenzial erschlossen, das unverändert im Brennpunkt des wissenschaftlichen Interesses steht. Wie es dazu kommen konnte, dass mit dem Erlass einer Zuständigkeitsnorm, deren Wortlaut ein eindeutig zu bestimmendes Kriterium vorauszusetzen scheint, gleichsam der Startschuss für ein Einwirken auf die Eröffnungszuständigkeit gefallen ist, erschließt sich erst mit einer Analyse der mitgliedstaatlichen Judikatur. Von Interesse ist ferner, inwieweit Entscheidungen des EuGH die mit diesen Judikaten eröffneten Grenzen wieder verkürzen konnten und können. Ausgehend von der Rechtsprechung des Gerichtshofs wird schließlich die entscheidende Frage zu beantworten sein, bis zu welchem Punkt eine rechtlich belastbare Inanspruchnahme des COMI-Kriteriums gelingt, welche Umrisse des COMI-Kriteriums also nach dem bisherigen Erkenntnisstand als gesichert und damit praktisch verbindlich anzusehen sind. Die in diesem Zusammenhang gewonnenen Ergebnisse sind aufgrund der genannten Wechselwirkungen zwischen den Ansatzpunkten einer Rechtswahl unter der EuInsVO auch für die Frage des forum shopping durch Modifikationen der zuständigkeitsrelevanten Tatsachenbasis von Bedeutung. a. Die Kompetenzordnung der EuInsVO in der Judikatur der Mitgliedstaaten Die Gerichte der Mitgliedstaaten haben gelich nach Einführung der EuInsVO vielfach Gelegenheit gehabt, sich zum Tatbestand des Art. 3 Abs. 1 EuInsVO zu äußern. Gegenstand der Vorschrift ist die für das jeweils ent88

Vgl. nur Mankowski, NZI 2005, 368, 372, dessen Ausführungen voraussetzen, dass ein forum shopping im genannten Sinne möglich ist. 89 Oben, S. 22. 90 So auch Koch, FS Jayme (2004), 437, 443.

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scheidende Gericht existentielle Frage nach seiner weiteren Handlungsberechtigung. Auch dies mag dazu beigetragen haben, dass es auch in der Rechtsprechung bereits in den ersten Jahren nach Inkrafttreten der EuInsVO mehrfach zu veritablen Auseinandersetzungen über die Anwendung des Art. 3 Abs. 1 EuInsVO gekommen ist91. In verschiedenen Fällen stellte die Frage nach der internationalen Zuständigkeit einen Schwerpunkt der Entscheidung dar. Als umstritten erwiesen sich vor allem diejenigen Konstellationen, in denen es um die Eröffnungszuständigkeit von Insolvenzverfahren über das Vermögen von Gesellschaften ging, deren Mehrheitsgesellschafter eine Gesellschaft mit Satzungs- und Verwaltungssitz in einem anderen Mitgliedstaat war. Diese Fälle kennzeichnen jedoch keine Konstellation, die in rechtstatsächlicher Hinsicht als Ausnahme zu bewerten wäre. Konzerninsolvenzen sind vielmehr eine häufig anzutreffende Konstellation internationaler Unternehmenszusammenbrüche, da der Konzern typische rechtliche Einkleidung grenzüberschreitenden unternehmerischen Handelns ist. Darüber hinaus haben sich auch Fälle des Auseinanderfallens von statutarischem Sitz und faktischem Verwaltungssitz als streitbefangen herausgestellt. Die aus Sicht des deutschen Rechtsanwenders bedeutsamsten der in der Anfangszeit nach Einführung der EuInsVO ergangenen Entscheidungen sollen im Folgenden genauer dargestellt werden92. Erst die Rechtspraxis hat offenbart, welche Unwägbarkeiten und Gestaltungsräume sich bei Anwendung der EuInsVO aufzeigen und welche Auslegungsfragen und methodischen Schwierigkeiten sich ergeben. Die Judikate aus der Anfangszeit der EuInsVO sind von besonderem Interesse, weil sie exemplarisch die Bandbreite der Probleme und Verständnismöglichkeiten aufzeigen. Soweit sie in den mitgeteilten Entscheidungsgründen zum Ausdruck kommt, soll daher insbesondere die Methode, der sich das Gericht zur Lokalisierung des Mittelpunkts der hauptsächlichen Interessen bedient hat, kurz nachgezeichnet werden. Von besonderem Interesse ist ferner die – oft unterschiedliche – Einordnung einzelner Sachverhaltselemente. (1) BRAC/Budget Der englische High Court of Justice (Chancery Division) eröffnete im Februar 2003 mit Erlass einer administration order ein Insolvenzverfahren 91

Eingehend zu den von der Zuständigkeitsordnung ausgehenden Handlungsanreizen siehe unten, S. 238 ff. 92 Eine konzise Zusammenstellung ergangener Entscheidungen findet sich ferner bei Hamburger Kommentar InsR/Undritz, Anhang zu §§ 335 ff., Rn. 15 ff. auch der Bericht von Hess/Oberhammer/Pfeiffer, Study for an evaluation of Regulation (EC) No 1346/ 2000 on Insolvency Proceedings, vermittelt einen guten Überblick über die seit Fertigstellung dieser Arbeit ergangenen Entscheidungen.

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über das Vermögen der BRAC Rent-A-Car International Inc., einer in Delaware (USA) nach amerikanischem Recht gegründeten und auch dort registrierten Gesellschaft93. Über die Unternehmensgruppe, der die Gesellschaft angehörte, war in den USA ein Reorganisationsverfahren nach Chapter 11 Bankruptcy Code eröffnet worden, das jedoch in England nach Auffassung des entscheidenden Gerichts keinen Vollstreckungsschutz gewährte94. Die Verwaltung der Gesellschaft hatte ihren Sitz in England, wo sich auch beinahe alle Angestellten des Unternehmens befanden. Von England aus wurde auch der ganz überwiegende Teil aller Geschäfte vorgenommen, wobei man sich in verschiedenen europäischen Staaten Franchisenehmern oder eigener Niederlassungen bediente. Die entsprechenden Verträge unterstanden, wie auch die Anstellungsverhältnisse der englischen Arbeitnehmer, englischem Recht. In den USA war hingegen niemals eine geschäftliche Aktivität entfaltet worden; das Unternehmen hatte dort keine Beschäftigten. Darüber hinaus war die Gesellschaft in England nach dem Companies Act als Overseas Company registriert. In Anbetracht dieser Sachlage stützte das Gericht seine internationale Eröffnungskompetenz auf Art. 3 Abs. 1 EuInsVO. Besonders hervorzuheben ist der Umstand, dass hier die Zuständigkeitsregeln der EuInsVO gegenüber einer Gesellschaft angewendet werden, die nicht nach dem Recht eines Mitgliedstaates errichtet wurde, ihren registrierten Sitz außerhalb der Gemeinschaft hatte und darüber hinaus sämtliche Auslandsbezüge gegenüber einem Nichtmitgliedstaat aufwies95. (2) Enron Directo SA In einer nicht publizierten Entscheidung eröffnete ein englisches Gericht ein Insolvenzverfahren über das Vermögen der Enron Directo SA, der spanischen Tochter des zusammengebrochenen US-amerikanischen Energiekonzerns Enron96. Der Satzungssitz der Gesellschaft befand sich, wie auch 93

High Court of Justice Chancery Division, ZIP 2003, 813 ff. Für Deutschland hat der BGH mit Urteil vom 13.10.2009 (BeckRS 2009, 29126) entschieden, dass ein Chapter 11-Verfahren ein Insolvenzverfahren i.S. des § 352 InsO darstellt und daher in den Grenzen des § 343 InsO anzuerkennen ist. 95 Ein im Rahmen dieser Untersuchung nicht behandeltes Kernproblem der Entscheidung war folglich, ob die Zuständigkeitsvorschriften der EuInsVO schon dann Anwendung finden können, wenn ein grenzüberschreitender Bezug nur gegenüber einem Nichtmitgliedstaat besteht, oder ob es zusätzlich eines weiteren, innergemeinschaftlichen Auslandsbezugs bedarf. 96 Lightman J, High Court of Justice Chancery Division, Entscheidung vom 05.07. 2002. In England ist es nicht unüblich, dass keine Urteilsbegründung veröffentlicht wird, wenn in der gerichtlichen Anhörung die Ausführungen des Antragstellers unwidersprochen bleiben. Auf der Website des International Insolvency Institute – – ist allerdings das sog. „skeleton argument“ des Antragstellers abzurufen, dem sich die Entscheidung im Ergebnis anschließt. 97 AG Mönchengladbach, NZI 2004, 383 ff. 98 AG Mönchengladbach, NZI 2004, 383, 384.

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Mutter geeignet. Eine andere Betrachtung negiere die rechtliche Eigenständigkeit der deutschen Tochtergesellschaft99. Bemerkenswert ist, dass es das AG Mönchengladbach bei der Bestimmung des Mittelpunkts der hauptsächlichen Interessen nicht für notwendig erachtete, die mögliche Sichtweise derjenigen Gläubiger einzunehmen, die die Schuldnerin zu dem vom Gericht für maßgeblich gehaltenen Beurteilungszeitpunkt hatte. Stattdessen wurde eine neutrale, am Gegenstand des operativen Geschäfts der Schuldnerin orientierte Perspektive eingenommen. (4) Daisytek/ISA Besondere Beachtung hat in Deutschland der Fall Daisytek/ISA erfahren100. Die im Hinblick auf Art. 3 Abs. 1 EuInsVO zu beurteilende Situation der insolventen Unternehmensträger ISA Deutschland GmbH, Daisytek Supplies Team GmbH sowie Daisytek SAS stellte sich wie folgt dar101: Die beiden deutschen Gesellschaften hatten ihren Satzungssitz in Neuss und waren über zwei gemeinsame Zwischenholdings im Rahmen einer europaweiten Konzernkonstruktion Töchter der englischen Gesellschaft ISA International plc., die ihrerseits eine Tochter der englischen Gesellschaft Daisytek ISA Ltd. war. Die beiden englischen Gesellschaften waren in vielerlei Hinsicht erheblich in die Geschäftstätigkeit der deutschen Töchter involviert. So wurde die Finanzierung der deutschen Unternehmen von der in Bradford ansässigen Zentrale der englischen Gesellschaften organisiert. Dabei wurde ein Factoring-Vertrag mit der Royal Bank of Scotland abgeschlossen, sodass auch das Forderungsmanagement zu einem großen Teil in England stattfand. Für die Verbindlichkeiten der deutschen Holdinggesellschaften bürgte die ISA International plc., deren Zustimmung es auch bedurfte, um Ausgaben von mehr als € 5000,- zu tätigen oder leitendes Personal einzustellen. Alle gesamteuropäischen Kunden wurden von Bradford aus betreut. 70 % des Einkaufsvolumens der deutschen Gesellschaften fiel unter Verträge, die die ISA International plc. in Bradford geschlossen hatte. Demgegenüber wurden 85 % der Verkaufsaktivitäten der deutschen Gesellschaften von den regionalen Niederlassungen der deutschen Unternehmen aus vorgenommen. Managementstrategie und öffentliches Auftreten (Corporate Identity und Branding) der deutschen Gesellschaften wurde von der europäischen Konzernspitze in Bradford erarbeitet. Deren Ge99

AG Mönchengladbach, NZI 2004, 383, 384 Vgl. High Court of Justice Leeds, ZIP 2003, 1362 f.; die ausführliche Begründung ist abgedruckt in NZI 2004, 219 ff. 101 Aus Gründen der Übersichtlichkeit wird die Situation hier leicht vereinfacht dargestellt. Bezüglich weiterer Einzelheiten des Sachverhalts sei auf die Übersetzung der Entscheidung des High Court of Justice Leeds, NZI 2004, 219, 220 verwiesen. 100

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schäftsführer (CEO) widmete den deutschen Gesellschaften 30 % seiner Arbeitszeit und besuchte die deutschen Unternehmen an zwei Tagen im Monat. Die Situation der ebenfalls insolventen französischen Tochtergesellschaft Daisytek SAS, die von einem Büro an ihrem Satzungssitz in Frankreich aus operierte, war mit derjenigen der deutschen Gesellschaften beinahe identisch102. Allerdings nahm ihre Verwaltung und Steuerung etwa 40 % der Arbeitszeit des CEO in Anspruch. Im Unterschied zu den deutschen Gesellschaften wurde die Daisytek SAS außerdem durch die ISA International plc. finanziell unterstützt. Der entscheidende High Court of Justice Leeds verortete den Mittelpunkt der hauptsächlichen Interessen aller drei Gesellschaften in England. Bei der Subsumtion unter Art. 3 Abs. 1 EuInsVO wurde nach ausdrücklichem Bekunden des entscheidenden Richters methodisch so vorgegangen, dass zunächst Umfang und Bedeutung der an einem bestimmten, als Mittelpunkt der hauptsächlichen Interessen in Betracht kommenden Ort verwalteten Interessen ermittelt worden seien. In einem weiteren Schritt habe dann eine Abwägung der für die jeweiligen Orte gewonnenen Interessen stattgefunden103. Besonderes Augenmerk soll dabei den Vorgaben des Erwägungsgrunds Nr. 13 gegolten haben; das Gericht führt im Rahmen der Erörterungen, die es mit Hinweis auf diesen Erwägungsgrund macht, aus, „potenzielle Gläubiger“ seien die „wichtigsten ‚Dritten‘“. In den weiteren Ausführungen des Gerichts heißt es, „im Falle einer Handelsgesellschaft“ seien die Dritten, auf deren Sicht es maßgeblich ankommen soll, „in der Regel Finanzierer und Zulieferer“104. Das Gericht ging also offenbar von der Notwendigkeit aus, bei der Bestimmung der „Dritten“ nach Art des Unternehmensgegenstandes differenzieren zu müssen. In seinen weiteren Erörterungen bestimmte das Gericht, auf welche der konkret betroffenen Gläubiger unter den Finanzierern und Zulieferern abzustellen sei. Dabei wurde eine erneute Abwägung vorgenommen, auf die der High Court of Justice in seinen einführenden Erwägungen allerdings nicht explizit hinweist. Als Unterscheidungsgröße bemühte das Gericht in diesem Zusammenhang nicht etwa die Anzahl der verschiedenen Gläubiger, sondern die Gesamthöhe der Forderungen der jeweils betroffenen Gläubigergruppe105. Der Umstand, dass 70 % der Forderungsvolumens aus Verträgen stammte, die in Bradford abgeschlossen worden waren, ließ das Gericht maßgeblich auf die Sicht der Inhaber dieser Forderungen abstellen.

102

Vgl. High Court of Justice Leeds, NZI 2004, 219, 222. High Court of Justice Leeds, NZI 2004, 219, 220, 221. 104 High Court of Justice Leeds, NZI 2004, 219, 221. 105 High Court of Justice Leeds, NZI 2004, 219, 221. 103

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Der Fall ISA/Daisytek erregte in Deutschland vor allem wegen der im Anschluss an die Entscheidung des High Court of Justice Leeds aufgekommenen Auseinandersetzungen um die von der Entscheidung ausgehende Bindungswirkung106 Aufmerksamkeit107. Weiterhin ist zu erwähnen, dass in einer später aufgehobenen Entscheidung des AG Düsseldorf vom 10.07.2003 ein Hauptverfahren über die ISA Deutschland GmbH eröffnet worden war, was voraussetzt, dass sich das Amtsgericht – auch international – für zuständig erachtete. Die Sichtweise des englischen Gerichts blieb also auch in der Rechtsprechung nicht völlig unangefochten. (5) Ci4net USA Der High Court of Justice Leeds hatte in einer weiteren Entscheidung die Gelegenheit, seine im Verfahrenskomplex ISA/Daisytek zur Bestimmung des Mittelpunktes der hauptsächlichen Interessen getroffenen Aussagen zu ergänzen. Eine Gläubigerin der in Delaware/USA errichteten und eingetragenen Gesellschaft Ci4net USA beantragte in England den Erlass einer administration order, eines englischen Sanierungsverfahrens. Unstreitig war, dass die Gesellschaft bis Ende 2001 Geschäftstätigkeiten entfaltete, die in erster Linie Beteiligungen in England betrafen und im Wesentlichen von einer Londoner Adresse aus betrieben worden waren. Die Gesellschaft verfügte darüber hinaus über ein Büro in New York, dessen Anschrift auch als Korrespondenzadresse verwendet wurde, während etwa die angegebene Telefonnummer stets eine des Londoner Büros war. In New York eingehende Post wurde ebenfalls an dieses Büro weitergeleitet. Ab Anfang 2002 bis zur Antragstellung im Jahr 2004 hielt sich der Geschäftsführer der Gesellschaft meist in Spanien oder den USA auf und nahm seine Aufgaben auch von dort aus wahr, wobei streitig ist, ob die Gesellschaft überhaupt noch ihrem operativen Geschäft nachgegangen ist. Das Gericht bejahte zunächst die Anwendbarkeit der EuInsVO im Verhältnis zu Drittstaaten und ging kurz auf die Vermutung des Art. 3 Abs. 1 S. 2 EuInsVO ein, die es als nicht besonders gewichtig bezeichnete108. Es führte dann aus, auch die bis zur Antragstellung jedenfalls betriebenen Aktivitäten in eigener Sache seien für die Bestimmung des Mittelpunkts der hauptsächlichen Interessen relevant, sodass es nicht darauf ankomme, ob

106

Zum Eintritt einer Sperrwirkung infolge von gerichtlichen Maßnahmen siehe unten, S. 139 ff. 107 Vgl. AG Düsseldorf, ZIP 2003, 1363; ZIP 2004, 623 ff., sowie die Besprechungen von Mankowski, EWiR 2003, 767 f. und Liersch, NZI 2004, 271 ff. 108 High Court of Justice Leeds, ZIP 2004, 1769, 1771. Zur rechtlichen Behandlung der Kombination von Amtsermittlungsgrundsatz und gesetzlicher Vermutung siehe unten, S. 181 f.

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die werbende Tätigkeit der Schuldnerin bereits eingestellt worden sei109. Infolge einer vergleichenden Betrachtung kam das Gericht zu dem Schluss, dass sich weder in New York noch anderswo etwas befände, das unter Berücksichtigung von Art und Umfang der am jeweiligen Ort vorgenommenen Tätigkeiten ebenso bedeutsam sei wie das Londoner Büro110. Es knüpfte insoweit an die Vorgehensweise in der Entscheidung ISA/Daisytek an. Darüber hinaus verwies das Gericht auf konkrete Informationen, die der Hauptgläubigerin HSBC in Form von Entwürfen von Reports der US-amerikanischen Börsenaufsicht vorgelegen haben und London als Hauptbüro auswiesen. Des Weiteren wird betont, HSBC habe mit der Ci4net USA stets in diesem Büro verhandelt111. Das Gericht ermittelte also die zur Bestimmung des Mittelpunktes der hauptsächlichen Interessen einzunehmende Perspektive anhand einer Gewichtung der Gläubiger nach der Höhe ihrer Forderungen. Das Vorbringen des Vertreters der Ci4net, wonach das Londoner Büro nicht mehr als eine Art Briefkasten gewesen sei, wies das Gericht unter Bezugnahme auf eine Vielzahl von Einzelgesichtspunkten (u.a. Auskünfte, die das Hauspersonal des Londoner Bürogebäudes erteilte) zurück. Nach den Erörterungen des High Court of Justice kommt zwar im Zuge der Einstellung der werbenden Tätigkeit eines Unternehmens eine Verlagerung des Mittelpunkts der hauptsächlichen Interessen grundsätzlich in Betracht, soweit die Verlegung des faktischen Unternehmenssitzes nicht willkürlich und ohne vernünftige Erwägungen erfolgt. Es sei jedoch mit dem Erfordernis einer gewissen Permanenz, welches dem Kriterium des COMI notwendig innewohne, nicht vereinbar, Letzteres bei einer Gesellschaft ohne operatives Geschäft am wechselnden gewöhnlichen Aufenthaltsort des Geschäftsführers zu verorten112. Unter Zugrundelegung dieser Prämisse war nach Auffassung des Gerichts kein Umstand erkennbar, wonach sich der Mittelpunkt der hauptsächlichen Interessen der Schuldnerin nach etwaiger Einstellung der werbenden Tätigkeit nicht weiter in London befände113. (6) Eurofood/Parmalat Die Auseinandersetzungen um das Verständnis von Art. 3 Abs. 1 EuInsVO erreichten im weiteren Verlauf der Entwicklungen ihren Höhepunkt im

109 High Court of Justice Leeds, ZIP 2004, 1769, 1772, „Although [Ci4net] USA may have ceased to trade, there has not been a cessation of activities on its own part“. 110 High Court of Justice Leeds, ZIP 2004, 1769, 1772. 111 High Court of Justice Leeds, ZIP 2004, 1769, 1772. 112 High Court of Justice Leeds, ZIP 2004, 1769, 1771, 1772. 113 High Court of Justice Leeds, ZIP 2004, 1769, 1772.

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Fall Eurofood/Parmalat114, der in der Literatur zu Recht als „spektakulär“115 eingeordnet wird. Zwar stand in diesem Fall vor allem auch die Frage nach der Auflösung des nach Eröffnungsentscheidungen beider Gerichte entstandenen positiven Kompetenzkonfliktes im Fokus116. An der Wurzel dieses Konfliktes standen jedoch abermals die unterschiedlichen Auffassungen zur Einordnung des Sachverhaltes unter den Tatbestand des Art. 3 Abs. 1 EuInsVO. Bei der Schuldnerin handelte es sich um die Eurofood IFSC Ltd., eine vom italienischen Parmalat-Konzern 1997 als Finanzierungsgesellschaft in Dublin gegründete Gesellschaft. Die Gesellschaft beschäftigte in Irland weder Angestellte noch unterhielt sie eigene Geschäftsräume. Der Sitz der Gesellschaft befand sich in den Räumen einer Dubliner Anwaltssozietät117. Vertretungsberechtigt für die Gesellschaft waren zwei non-executives (ein Sozius der beherbergenden Anwaltskanzlei sowie ein Angestellter der Bank of America) und zwei executives, die beide Angestellte der Konzernmutter waren. Alle Sitzungen des Verwaltungsrates wurden in Dublin durchgeführt, die executives nahmen daran allerdings mitunter nur telefonisch teil. Zwischen der Schuldnerin und der Bank of America bestand eine Verwaltungsvereinbarung. Darüber hinaus befand sich der rechtliche Sitz der Schuldnerin in unmittelbarer Nähe zu den Dubliner Geschäftsräumen dieser Bank. Bis zum Zusammenbruch der Parmalat-Gruppe118 bestand die Tätigkeit der Eurofood IFSC Ltd. in erster Linie in der Durchführung dreier Finanzmaßnahmen: Mit Hilfe der Bank of America wurden zwei Anleihen über US-$ 80 Mio. und US-$ 100 Mio. emittiert und ein Swap-Geschäft durch-

114

Vgl. Tribunale di Parma, ZIP 2004, 1220 ff.; Supreme Court of Ireland, NZI 2004, 506 ff. 115 Eidenmüller, NJW 2004, 3455, 3456. 116 Ausführlich zu den Einzelheiten des durch die EuInsVO faktisch statuierten Prioritätsprinzips sowie zur Behandlung positiver Kompetenzkonflikte unten, S. 139 ff. 117 Im International Financial Service Center (IFSC) in Dublin angesiedelte Zweckgesellschaften (special purpose investment companies) kamen bis zum 31.12.2005 in den Genuss eines auf 10 % ermäßigten Körperschaftssteuersatzes. Die Gründung der irischen Finanzierungsgesellschaft ist folglich in erster Linie auf steuerliche Gesichtspunkte zurückzuführen. 118 Der betrügerische Bankrott des Parmalat-Konzerns wies in Europa bis dahin unbekannte Dimensionen auf: Vom Zusammenbruch der Gruppe waren mehr als 36.000 Arbeitnehmer betroffen. Das zusammengebrochene Gesellschaftsgeflecht der eigentlichen Parmalat-Gruppe umfasste rund 250 Gesellschaften, hinzu kamen weitere 200 Gesellschaften der Tanzi-Familienholding „La Coloniale“. Vgl. zum Ganzen Cherubini, 1 International Corporate Rescue (2004), S. 63 ff. Eine zusammenfassende Darstellung der Unternehmensgeschichte vor und nach Eröffnung der amministrazione straordinaria findet sich bei Carrara, RabelsZ 70 (2006), 538, 539 ff.

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geführt. Für alle drei Transaktionen garantierte die begünstigte italienische Muttergesellschaft Parmalat S.p.A. Das Tribunale di Parma bestätigte die vom italienischen Industrieminister nach einer eigens für den Fall Parmalat erlassenen Sondervorschrift119 angeordnete amministratione stradinaria120 über das Vermögen der irischen Gesellschaft121. Das Gericht habe „keine Zweifel“, dass sich das COMI (centro degli interessi principali) der irischen Gesellschaft in Parma befinde122. Obwohl alle Mitglieder der Geschäftsführung nach der Satzung der Gesellschaft dieselben Befugnisse gehabt hätten, seien die „tatsächliche Unternehmensführung“ und „jede richtungsweisende und operative Entscheidung“ stets von den executives betrieben worden, die alle von der Gesellschaft durchgeführten Maßnahmen stets eigenständig von Parma aus durchgeführt hätten. Im Hinblick auf den 13. Erwägungsgrund führte das Tribunale di Parma aus, dass anhand der von der Parmalat S.p.A. übernommenen Garantien für alle Geschäftspartner der Gesellschaft erkennbar gewesen sei, dass es sich bei der Eurofood IFSC Ltd. allein um eine Zweckgesellschaft („bloßer Mittler“, „bloßes Werkzeug“)123 gehandelt habe. Das Gericht hielt überdies eine wirtschaftliche Betrachtungsweise für maßgeblich, wenn es ausführte, aus einer solchen Perspektive habe es sich bei der Begebung der Anleihen letztlich um Geschäfte der Muttergesellschaft gehandelt, da dieser auch die erwachsenden Vorteile zugutekommen sollten. Die Gegenargumente des zuvor in Irland eingesetzten provisional liquidators, darunter ein Hinweis auf die erhebliche rechtliche und tatsächliche Nähe der Schuldnerin zu den Dubliner Aktivitäten der Bank of America, wies das Gericht zurück. Die Verwaltungsvereinbarung stelle bloß eine Übereinkunft „logistischer und beratender Art“124 dar. Ferner spreche auch die behördliche Genehmigung der Eurofood IFSC Ltd. zur Kassenführung in Irland nicht dafür, dass sich der tatsächliche Interessenmittelpunkt in Irland befinde. Dieser Gesichtspunkt sei rein formaler Natur und damit für 119

Das auch als „lex Parmalat“ bezeichnete Dekret „zur Ergänzung von Eilmaßnahmen für die Restrukturierung großer insolventer industrieller Unternehmen“ (No. 347/03) wurde einen Tag vor Stellung des Insolvenzantrages durch den damaligen Industrieminister Marzano in den Gesetzgebungsprozess eingebracht und später mit Rückwirkung bestätigt. Die Vorschrift sieht vor, dass bei Insolvenzen, die mehr als eintausend Arbeitnehmer betreffen und bei denen die Verbindlichkeiten € 1 Mrd. übersteigen, von der Gesellschaft ein Antrag auf eine sog. amministratione straordinaria unter Aufsicht des Industrieministers gestellt werden kann. Die Eröffnungsentscheidung des Ministers kann durch ein Gericht überprüft und ggf. bestätigt werden. 120 Eingehend zu diesem Verfahrenstypus Carrara, RabelsZ 70 (2006), 538, 542 ff. 121 Tribunale di Parma, ZIP 2004, 1220 ff. 122 Tribunale di Parma, ZIP 2004, 1220, 1221 f. 123 Tribunale di Parma, ZIP 2004, 1220, 1222. 124 Tribunale di Parma, ZIP 2004, 1220, 1222.

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die bei Art. 3 Abs. 1 EuInsVO ausschließlich zu stellende Frage nach der tatsächlichen Situation unbeachtlich. Anlässlich der Entscheidung des Tribunale di Parma erging durch den Supreme Court of Ireland der Beschluss, verschiedene Fragen der Auslegung des Art. 3 Abs. 1 EuInsVO dem EuGH vorzulegen125. Dabei bekräftigte das irische Gericht seine abweichende Sicht der Dinge126. Daraus, dass die Mitarbeiter der Bank of America das Tagesgeschäft der Schuldnerin führten und alle durchgeführten Transaktionen in Board Meetings beschlossen wurden, die in Dublin stattfanden, ergebe sich, dass die Gesellschaft ihrem Geschäft stets von Irland aus nachgegangen sei. Weiter führte der Supreme Court of Ireland aus, eine Verortung des Mittelpunkts der hauptsächlichen Interessen anhand der vom Tribunale di Parma vorgetragenen Gesichtspunkte lasse außer Acht, dass die Beherrschbarkeit 100 %iger Tochtergesellschaften gerade keine Besonderheit, sondern ein völlig normales gesellschaftsrechtliches Phänomen sei127. Der Umstand, dass es sich bei den Tochtergesellschaften um rechtlich eigenständige Gebilde handele, für die durchaus andere rechtliche Bestimmungen gelten könnten, als für die jeweilige Obergesellschaft, werde in der Darstellung des italienischen Gerichts vernachlässigt. Im Hinblick auf den 13. Erwägungsgrund hieß es, die Geschäftspartner der Schuldnerin hätten sich stets darauf verlassen, dass sie mit einer Gesellschaft zusammenarbeiteten, die in rechtlicher und finanzieller Hinsicht einem irischen Regelungsregime unterstehe128. Während die Perspektive des Tribunale di Parma also vor allem die durch rechtliche und faktische Beherrschbarkeit und funktionelle Abhängigkeit typisierte Beziehung im „Innenverhältnis“129 zwischen der Parmalat S.p.A. und der Eurofood IFSC Ltd. unterstreicht, stellen die Ausführungen des Supreme Court of Ireland auf die rechtliche und organisatorische Eigenständigkeit und die daran möglicherweise anknüpfenden berechtigten Erwartungen Dritter ab.

125

Supreme Court of Ireland, NZI 2004, 506 ff. „In the view of this Court, the evidence overwhelmingly leads to the conclusion that the centre of main interests of the Company was in Ireland at all times prior to the insolvency“, NZI 2004, 506, 509 (Hervorhebungen durch den Verfasser). 127 „It is perfectly normal and to be expected that subsidiary companies in a group will pursue and give effect to group policy“, Supreme Court of Ireland, NZI 2004, 506, 509. 128 Supreme Court of Ireland, NZI 2004, 506, 509. 129 Bei gesellschaftsrechtlicher Betrachtung ist freilich auch das Verhältnis zwischen Mutter- und Tochtergesellschaft als Rechtsbeziehung des Außenverhältnisses der Gesellschaften zu qualifizieren. Insofern etwas ungenau AG Mönchengladbach, NZI, 2004, 383, 384. 126

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(7) Parmalat Deutschland Zusammen mit fünf niederländischen sowie zwei luxemburgischen Finanzierungsgesellschaften, die alle zur niederländischen Zwischenholding Parmalat Nederlands BV gehörten, sind in Parma mit Hinweis auf Art. 3 EuInsVO insgesamt vierundsechzig Gesellschaften aus EU-Staaten durch das italienische Wirtschaftsministerium unter Sonderverwaltung gestellt worden130, so auch die Deutsche Parmalat GmbH. Die Gesellschaft hatte in Deutschland etwa dreißig Beschäftigte. Sie hatte Anlagevermögen und Betriebsgrundstücke in erheblichem Ausmaß. Die Deutsche Parmalat GmbH war eine 100 %ige Tochter der Konzernmutter Parmalat S.p.A. Ihre Aufgabe bestand in erster Linie in der Lieferung von Milch an in Italien belegene Produktionsstätten der Konzernmutter. Die Gesellschaft wurde in Deutschland von zwei Geschäftsführern geführt, die sich vollständig nach den Weisungen der Muttergesellschaft zu richten hatten. So sah der deutsche Gesellschaftsvertrag einen umfangreichen Katalog von Maßnahmen vor, die unter dem Vorbehalt der Zustimmung des Managements der Muttergesellschaft standen. Der Katalog umfasste sowohl Rechtsgeschäfte mit Dritten als auch Geschäftsführungsmaßnahmen. Auch hier stellte das Tribunale di Parma in seiner Feststellungsentscheidung fest, der Mittelpunkt der hauptsächlichen Interessen der deutschen Gesellschaft befinde sich in Parma131. Die bereits in der EurofoodEntscheidung deutlich gewordene Tendenz, die Zuständigkeit für die Durchführung eines Hauptverfahrens i.S. der EuInsVO am Sitz der Konzernmutter anzunehmen, wurde in der Entscheidung im Fall Parmalat Deutschland mithin auch für solche Gesellschaften beibehalten, die am Ort ihres rechtlichen Sitzes ein nicht unerhebliches tatsächliches operatives Geschäft betreiben. Argumentativ blieb das Gericht dabei dem schon in der Eurofood-Entscheidung eingeschlagenen Weg treu, als es ausführte, die deutsche Gesellschaft habe „nur Hilfsfunktion für die Verfolgung der Interessen der Pamalat S.p.A.“132. Das Tribunale di Parma bestimmte den Mittelpunkt der hauptsächlichen Interessen mithin vornehmlich im Wege einer Untersuchung der Abhängigkeitsbeziehungen zwischen dem Leitungsorgan der Tochtergesellschaft und dem Management der Konzernspitze. Diese Fokussierung auf „die Konzentration der Entscheidungsgewalt“133, die die Geschäftsführung der Deutschen Parmalat GmbH zu einem „rein ausführenden Organ für [...] Anweisungen“134 mache, korrespondiere mit einer weitgehenden Außerachtlassung des Umstandes, dass die Gesellschaft in 130

Vgl. die Schilderung der Ereignisse bei Pannen/Riedemann, NZI 2004, 646, 650. Tribunale di Parma, ZIP 2004, 2295 ff. 132 Tribunale di Parma, ZIP 2004, 2295, 2296. 133 Tribunale di Parma, ZIP 2004, 2295, 2296, 2297. 134 Tribunale di Parma, ZIP 2004, 2295, 2297. 131

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Deutschland gegenüber einer Vielzahl von Geschäftspartnern (hauptsächlich Lieferanten) aufgetreten sei und mit ihrem operativen Geschäft am hiesigen Wirtschaftsleben teilgenommen habe. Auf die Außenbeziehungen der Gesellschaft und ihr Auftreten im Rechtsverkehr ging das Gericht nur insoweit ein, als im Hinblick auf das Erkennbarkeitskriterium des 13. Erwägungsgrundes ausgeführt wird, auch den deutschen Gläubigern sei bewusst gewesen, dass das Management der Deutschen Parmalat „faktisch keinerlei Entscheidungsgewalt“ gehabt habe. Dies komme auch darin zum Ausdruck, dass sich die „Hauptgläubiger“ direkt an die Muttergesellschaft wendeten135. Methodisch ging das Tribunale di Parma folglich so vor, dass zunächst anhand einer Analyse der „Innenbeziehungen“ zwischen Tochter- und Muttergesellschaft der Ort der faktischen Verwaltungskontrolle bestimmt und das gewonnene Ergebnis dann nur noch im Hinblick auf seine Vereinbarkeit mit dem Erfordernis der Erkennbarkeit durch Dritte überprüft wurde. Die Verwendung des Begriffes „Hauptgläubiger“ deutet außerdem auch hier auf eine differenzierte Berücksichtigung der Gläubigerperspektive in Abhängigkeit vom Forderungsvolumen hin136. Bemerkenswert ist ferner, dass das Gericht im Rahmen seiner Erörterung auch auf die Details des deutschen Gesellschaftsvertrages einging, diese jedoch aus der Perspektive des italienischen Rechts beurteilte137. (8) Crisscross Telecommunications Group Der London High Court betrachtete London als Mittelpunkt der hauptsächlichen Interessen aller acht Konzerngesellschaften einer Telekommunikations-Unternehmensgruppe und eröffnete daher für alle Gesellschaften Hauptverfahren in England, wobei stets derselbe administrator eingesetzt wurde138. In Bezug auf den Tatbestand des Art. 3 Abs. 1 EuInsVO führte das Gericht aus, die Leitungsfunktionen des Konzerns seien von London aus wahrgenommen worden. Auch sei die überwiegende Zahl der Geschäfte über eine Londoner Bankverbindung abgewickelt worden. Darüber hin135

Tribunale di Parma, ZIP 2004, 2295, 2297. Es ist anzunehmen, dass das Gericht mit dem Terminus „Hauptgläubiger“ eine Unterscheidung hinsichtlich der Forderungshöhe vornimmt, da beispielhaft auf die Geschäftsbeziehung zu einer deutschen Großbank verwiesen wird. 137 Vgl. Bauer/Schlegel, EWiR 2004, 1181, 1182, die darauf hinweisen, dass es in Italien üblich ist, in Gesellschaftsverträgen die Befugnisse einzelner Geschäftsführer umfangreich festzulegen, während dies in Deutschland nicht erforderlich ist. Dass der deutsche Gesellschaftsvertrag nur den Vorbehaltskatalog ausführlich bestimmte – was in Deutschland üblich ist –, wurde vom Gericht als maßgebliches Argument zur Annahme der faktischen Abhängigkeit vorgebracht. 138 The London High Court, Beschluss vom 20.5.2003, unveröffentlicht. Vgl. ferner die Darstellung bei Pannen/Riedemann, NZI 2004, 646, 648. 136

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aus hätten die meisten Kunden nach englischem Recht mit einer englischen Gesellschaft kontrahiert. Der Beschluss verfolgte argumentativ folglich denselben Ansatz wie die Entscheidung des High Court of Justice Leeds im Fall ISA/Daisytek. Bemerkenswert ist hier, dass es nicht die Mutter, sondern eine der Tochtergesellschaften der nach englischem Recht gegründete Gesellschaft war, an deren Sitz das Gericht das COMI für gegeben ansah. Die Motivation des Gerichts, durch die Inanspruchnahme der Eröffnungszuständigkeit für alle Gesellschaften eine Verfahrensbündelung zu erreichen, kommt in den Entscheidungsgründen – soweit berichtet – nicht zum Ausdruck. (9) Hettlage Österreich Unter ausdrücklicher Berufung auf die Entscheidung des High Court of Justice Leeds im Fall ISA/Daisytek eröffnete im Frühjahr 2004 das AG München ein Hauptverfahren über die österreichische Hettlage Aktiengesellschaft & Co KG, eine Gesellschaft mit Satzungs- und Verwaltungssitz in Innsbruck139. Alle Kommanditanteile dieser Gesellschaft befanden sich in der Hand der deutschen Hettlage KGaA, über die in Deutschland bereits ein Insolvenzverfahren eröffnet worden war. Die im liechtensteinischen Triesenberg ansässige Komplementär-AG war am Vermögen der österreichischen KG nicht beteiligt. Die Verwaltung der Hettlage KGaA bestimmte in Deutschland über die strategische und operative Ausrichtung der österreichischen Tochter. Am Verwaltungssitz der deutschen Muttergesellschaft im bayerischen Neuried wurde auch das operative Geschäft verantwortet und der gesamte Einkauf entschieden und organisiert. Des Weiteren wurden alle Dienstleistungen, darunter Personalabrechnung, Rechnungswesen und Controlling, EDV, Planung, Vertragswesen, Versicherungen, Ladenbau und Werbung von Verantwortlichen der Hettlage KGaA erbracht. Im Gegenschluss lässt sich dem umfangreichen Sachverhalt entnehmen, dass die Aufgabe des österreichischen Unternehmens mit dreizehn Verkaufsfilialen allein in der Durchführung des von Deutschland aus konzipierten und gelenkten Verkaufsgeschäfts bestand. Das Gericht führte im Hinblick auf diesen Sachverhalt aus, bei „wirtschaftlicher Betrachtungsweise“ würden die „Handelsaktivitäten“ der österreichischen Tochter in Neuried ausgeführt. „Vergleichbare Einrichtungen“ zu den dort belegenen, „für das Betriebsgeschehen erheblichen Organisationsteile[n]“ seien in Österreich nicht vorhanden140. Auch das AG München bediente sich zur Ermittlung des COMI also letztlich einer Vor-

139 140

AG München, NZI 2004, 450. AG München, NZI 2004, 450.

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gehensweise, bei der die in den einzelnen Ländern belegenen Unternehmensteile gegeneinander abgewogen werden. Das Landesgericht Innsbruck zweifelte im Rahmen einer späteren Eröffnungsentscheidung über ein Sekundärverfahren (nach Art. 27 ff. EuInsVO) über das Vermögen der Hettlage Aktiengesellschaft & Co KG an den Ausführungen des deutschen Amtsgerichts141. In seinen Erörterungen griff es die Annahme des Mittelpunktes der hauptsächlichen Interessen am Sitz des Kommanditisten mit Hinweis auf § 170 HGB an, der die organschaftliche Vertretungsmacht von Kommanditisten ausschließe. Das Gericht ging also offenbar davon aus, dass es einer solchen Vertretungsmacht bedurft hätte, um am Sitz der Muttergesellschaft den Mittelpunkt der hauptsächlichen Interessen der Tochter annehmen zu können. (10) HUKLA Österreich Ähnlich wie das AG München argumentierte im Fall HUKLA Österreich das AG Offenburg. Zu entscheiden war über die Eröffnung eines Hauptverfahrens über das Vermögen der HUKLA-Werke GmbH, der österreichischen Tochtergesellschaft einer ebenfalls insolventen, gleichnamigen deutschen Muttergesellschaft mit Sitz in Gengenbach/Offenburg. Das AG Offenburg sah Gengenbach als Mittelpunkt der hauptsächlichen Interessen der österreichischen Gesellschaft an142. Es begründete seine Entscheidung damit, dass die österreichische Tochter eine „wirtschaftlich unselbstständige“, „reine Vertriebsgesellschaft“ darstelle, deren „strategische und operative Ausrichtung“ von Gengenbach aus bestimmt werde, wo sich auch die Geschäftsführer der österreichischen Tochter aufhielten und zudem „alle wesentlichen Geschäftsbücher und Unterlagen“ befänden143. Von Gengenbach aus würden auch Organisation und Vertriebssteuerung erbracht. Das Urteil entspricht folglich der Tendenz, auch in Deutschland – anders als etwa noch in der Entscheidung des AG Mönchengladbach im Fall EMBIC – mittlerweile maßgeblich darauf abzustellen, an welchem Ort die Verwaltungskontrolle über die jeweilige Gesellschaft letztlich ausgeübt wird. (11) Collins & Aikman Im Fallkomplex Collins & Aikman ging es um die Eröffnungszuständigkeit für ein Insolvenzverfahren über das Vermögen eines großen Automobilzulieferers. In der Eröffnungsentscheidung verortet der High Court of Justice

141

Landesgericht Innsbruck, ZIP 2004, 1721, 1722. AG Offenburg, NZI 2004, 673. 143 AG Offenburg, NZI 2004, 673. 142

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London das COMI aller europäischen Tochtergesellschaften in England144. Für die nach anderem als englischem Recht gegründeten der 24 betroffenen Konzerngesellschaften sieht das Gericht die gesetzliche Vermutung des Art. 3 Abs. 1 S. 2 EuInsVO als widerlegt an, so auch für die vier deutschen GmbH, die zur Unternehmensgruppe gehörten145. Das Gericht begründete die Inanspruchnahme der internationalen Zuständigkeit damit, dass das gesamte cash management für alle europäischen Gesellschaften auf tägliche Anfragen der einzelnen Gesellschaften hin von England aus gesteuert wurde, wo sich auch das strategic committee befunden habe, das alle wesentlichen strategischen Entscheidungen für die europäischen Gesellschaften getroffen habe146. Ferner habe sich die zentrale Abwicklung der Bankgeschäfte in England vollzogen. Dort sei auch das Personalwesen koordiniert worden, und ein Großteil, etwa 60 %, der Verkaufsaktivitäten seien vom englischen Ort Fen End aus erfolgt. Schließlich habe sich in England auch die Entwicklungsabteilung der europäischen Unternehmensteile befunden. Der High Court of Justice London begründete seine Zuständigkeit folglich in erster Linie unter Bezugnahme auf die interne Organisation des schuldnerischen Unternehmens. Auf die Frage der Erkennbarkeit der argumentativ nutzbar gemachten Umstände ging das Gericht nicht gesondert ein. Bemerkenswert ist, dass das Gericht in wesentlichen Punkten auf die tatsächliche Situation Bezug nahm, die sich infolge der Eröffnung eines Insolvenzverfahrens über die US-amerikanische Muttergesellschaft ergeben hatte. Erst nach Eröffnung dieses Verfahrens war es nämlich zu der Zentralisierung wesentlicher Verfahrensabläufe in England gekommen, die das Gericht zur Lokalisierung der COMIs heranzog147. Es wird berichtet, dass die großzügige Inanspruchnahme der Zuständigkeit über alle konzernzugehörigen Gesellschaften im Sinne eines Konzerngerichtsstandes „selbst in England ein gewisses Unbehagen“ auslöste148. (12) MG Rover Group Auch im Fall MG Rover Group entschied sich ein englisches Gericht zur Eröffnung von Insolvenzverfahren über alle als europaweiter Konzern agierenden Gesellschaften149. Beim High Court of Justice Birmingham wurden Anträge auf Eröffnung von Insolvenzverfahren über acht Vertriebsgesellschaften gestellt. Diese gehörten über eine Zwischenholding, 144

Collins & Aikman Corporation Group [2005] EWHC 1754 (Ch. D.), Rn. 42. Collins & Aikman Corporation Group [2005] EWHC 1754 (Ch. D.), Rn. 32 ff. 146 Collins & Aikman Corporation Group [2005] EWHC 1754 (Ch. D.), Rn. 32 ff. 147 Vgl. Collins & Aikman Corporation Group [2005] EWHC 1754 (Ch. D.), Rn. 19. 148 Paulus, NZI 2005, 647. 149 High Court of Justice Birmingham, NZI 2005, 467 ff. 145

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die MG Rover Overseas Holdings Ltd., der Konzernmutter MG Rover Group Ltd. Über eine weitere der Konzernmutter gehörende Gesellschaft, die MG Rover Exports Ltd., wurden die Aktivitäten der Vertriebsgesellschaften gesteuert. Zur Lokalisierung des COMI stellte das Gericht auf verschiedene Aspekte ab. Zum einen hielt es für beachtlich, dass der alleinige Zweck der Gesellschaften im Vertrieb der von der Mutter hergestellten Fahrzeuge gelegen habe150. Dabei seien strategische Entscheidungen umgesetzt worden, die zuvor am Sitz der Mutter im englischen Longbridge getroffen worden seien. Auch habe dem Management der Vertriebsgesellschaften stets wenigstens ein director mit Wohnsitz in England angehört. Das Gericht hob hervor, dass von dort aus die Führungskräfte des Unternehmens rekrutiert worden seien. Auch die Finanzstruktur des Konzerns weise auf die Belegenheit des COMI in Longbridge hin, denn die wesentlichen Finanzflüsse seien über die Schwestergesellschaft MG Rover Exports Ltd. abgewickelt worden, die darüber hinaus die Budgetierung der Vertriebsgesellschaften vorgenommen habe. Ferner seien in England sämtliche Aspekte des Marketings geplant worden. Den Vertriebsgesellschaften komme daher keine funktionelle Eigenständigkeit zu151. Hinsichtlich der Gläubiger wies das Gericht darauf hin, dass die Konzernmutter selbst einen maßgeblichen Gläubiger der lokalen Gesellschaften dargestellt habe, da sie mit den Waren in Vorleistung getreten sei152. Das Gericht hielt mithin auch die Sicht konzerninterner Gläubiger für bedeutsam. Auf den Aspekt der Erkennbarkeit des Interessenmittelpunkts für Dritte ging das Gericht nicht konkret ein. Es stellte jedoch die Frage, welches der Ort sei, von dem Gläubiger annehmen müssten, dass sich dort das Schicksal ihrer Forderungen entscheide. Das Gericht argumentierte in diesem Zusammenhang, die Gläubiger der nationalen Vertriebsgesellschaften hätten sich nach Eintritt der Krise an die Konzernmutter gewandt. Auch hier wurde also auf Entwicklungen nach Eintritt des Zusammenbruchs der Unternehmensgruppe abgestellt. Andererseits wurde der Grund dafür erstaunlicherweise nicht mit der konkreten Bedeutung der Muttergesellschaft für die Tochtergesellschaften, sondern umgekehrt mit einer „parasitären“ Stellung der Töchter für die Mutter benannt153. Angesichts der gegebenen Um-

150

High Court of Justice Birmingham, NZI 2005, 467, 468. High Court of Justice Birmingham, NZI 2005, 467, 468. 152 High Court of Justice Birmingham, NZI 2005, 467, 468. 153 High Court of Justice Birmingham, NZI 2005, 467, 468, („This [gemeint ist das Begehren der Gläubiger nationaler Gesellschaften gegenüber der Konzernmutter] is hardly surprising. The operation of the national sales companies is wholly parasitic on the main operation of manufacture at Longbridge.“). 151

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stände fasste das Gericht zusammen, es habe sich bei den Vertriebsgesellschaften um bloße Nebenstellen der Gesellschaften gehandelt154. (13) EMTEC Über das Vermögen der deutschen MPO-TEC GmbH eröffnete das Tribunal de Commerce Nanterre das Hauptverfahren155. Die Gesellschaft gehörte zum EMTEC-Konzern. Dessen niederländische Holdinggesellschaft hielt neben der deutschen alle Anteile an zwei französische Gesellschaften, der EMTEC France und der EMTEC International. Diese hielten Anteile an weiteren Auslandsgesellschaften. Die niederländische Holding beschäftigte kein Personal und war nicht operativ tätig. Warenlieferung, Geschäftspolitik, Finanzmanagement wurden – auch für die deutsche Schuldnerin – von den französischen Gesellschaften vorgenommen. Die Geschäftsführer aller Gesellschaften wohnten in Frankreich. Das Gericht kam zu dem Schluss, angesichts dieser Umstände sei aus Sicht der Gläubiger das COMI aller Gesellschaften in Frankreich belegen. Das Gericht bediente sich einer von ihm ausdrücklich als headquarter functions156 bezeichneten Lesart des COMI-Kriteriums, es stellte mithin die Frage der internen Organisationsabläufe in den Mittelpunkt der Betrachtung157. Dabei stellt das Tribunal de Commerce Nanterre auch auf die Sicht der Arbeitnehmer ab. Auch bei dieser Entscheidung besteht eine Besonderheit darin, dass das Gericht das COMI nicht bei einer Mutter-, sondern bei einer Schwestergesellschaft verortete158. Bemerkenswert ist, dass die Auffassung des Gerichts durch die französische Staatsanwaltschaft, die nach dortigem Recht bei Verfahrenseröffnung angehört wird, nicht geteilt wurde159. (14) Deutsche Nickel Ein Beispiel für besonders planvolles Gebrauchmachen der Gestaltungsmöglichkeiten bei Sanierung einer Unternehmensgruppe offenbart der Fall

154 High Court of Justice Birmingham, NZI 2005, 467, 468, („[The] national sales company […] is purely an extension of the sales operation carried out worldwide at Longbridge.)“. 155 Tribunal de Commerce de Nanterre, PCL 2006J00174, in Auszügen wiedergegeben bei Penzlin, EWiR 2006, 207. 156 In der Entscheidung heißt es: „Que pour localiser le centre des intérêts principaux des filiales au siège de la société contrôlante, les tribunaux se réfèrent à un faisceau d’indices tels que le concept des headquarter functions qui s’appuient notamment sur les éléments suivants: …“ (Hervorhebungen im Original). 157 Eingehend zu dieser Figur unten, S. 91 ff. 158 Vgl. Penzlin, EWiR 2006, 207 f. 159 Vgl. Penzlin, EWiR 2006, 207 f.

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der Deutschen Nickel160. Der als Aktiengesellschaft nach deutschem Recht verfasste Unternehmensträger Deutsche Nickel mit Verwaltungssitz im nordrhein-westfälischen Schwerte wurde zu Sanierungszwecken auf eine hierfür gegründete englische Gesellschaft, die Dnick Ltd., verschmolzen. Die ehemaligen Tochtergesellschaften der Deutschen Nickel AG wurden so zu Tochtergesellschaften der Dnick Ltd., die diese über eine ebenfalls neu gegründete Zwischenholding, die Dnick Holdings plc., verwaltete. Das operative Geschäft, insbesondere die ebenfalls in Schwerte belegenen Produktionsstätten, wurden in eine neue Gesellschaft, die DN GmbH, ausgegliedert. Diese Gesellschaft war ebenfalls eine Tochter der Dnick Holdings plc. Über das Vermögen der neuen Konzernspitze Dnick Ltd. wurde sodann eine administration nach englischem Recht eröffnet, die nach nur zwei Monaten durch ein company voluntary arrangement beendet wurde, das ein Umtauschverhältnis für die Umwandlung von Forderungen in Eigenkapital beinhaltete161. Das Unternehmen konnte so von Finanzschulden in Gesamthöhe von € 197 Mio. befreit werden. Ein beteiligter Praktiker führt aus, das Verfahren habe unter englischem Recht stattfinden können, weil die Gruppenholding, über die das Verfahren eröffnet wurde, in London „ansässig und tätig war“162. Darin kommt ein an gesellschaftsrechtliche Strukturen sowie den Ort der faktischen Leitungsmacht anknüpfendes Verständnis des COMI-Kriteriums zum Ausdruck. Zu berücksichtigen ist, dass hier das Verfahren allein über die neue Holdinggesellschaft, nicht jedoch über die Gesellschaften, die das operative Geschäft betrieben, durchgeführt wurde. Anders als in vielen der vorgenannten Fälle geht es daher nicht um die Frage, inwieweit der Ort, an dem die faktische Leitungsmacht der Muttergesellschaft ausgeübt wird, für die Bestimmung der internationalen Zuständigkeit im Falle der Insolvenz von deren Tochtergesellschaften herangezogen werden kann. (15) Schefenacker Im Falle der Insolvenz der Schefenacker AG, einem deutschen Autozulieferer, der aufgrund einer hohen Schuldenlast ab dem Jahr 2003 in eine finanzielle Schieflage geriet, fand eine Restrukturierung gezielt unter Ausnutzung ausländischen Rechts statt. Die Aktiengesellschaft wurde zunächst in 160 Die Eröffnungsentscheidung ist, soweit ersichtlich, nicht veröffentlicht worden. Die nachfolgende Darstellung des Falls bezieht sich auf den Erfahrungsbericht „Englische Lösung“ des an der Sanierung beteiligten Turnaround-Beraters Wlecke in der Financial Times Deutschland vom 04.05.2006. 161 Allgemein zur strategischen Bedeutung von sog. vorinsolvenzlichen Sanierungsverfahren siehe auch unten, S. 282. 162 Wlecke, „Englische Lösung“, Sonderbeilage zur Financial Times Deutschland vom 04.05.2006.

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eine Aktiengesellschaft nach englischem Recht, eine Public Limited Company, umgewandelt. Deren Geschäftsführer schlugen sodann ein company voluntary arrangement vor163. Die Gläubigerversammlung fand in einem Londoner Hotel statt und genehmigte mit einer Mehrheit von nur knapp über den erforderlichen 75 % den Restrukturierungsplan. Die Bondholder der Gesellschaft waren in der Nähe von Stuttgart ansässig164. Das Arrangement sah vor, dass die Gläubiger einer nachrangigen Anleihe in Höhe von € 200 Millionen eine Abfindung in Gestalt einer Barzahlung in Höhe von € 7,5 Millionen erhalten sollten und dass der Eigenkapitalanteil des bisherigen Alleingesellschafters, nur in Folge eines Verzichts auf ein Gesellschafterdarlehen in Höhe von € 100 Millionen, auf 25 % reduziert werden sollte. In der Wirtschaftspresse wurde das Vorgehen als „Austricksen“ des Insolvenzrechts wahrgenommen165. Die Restrukturierung fand insbesondere auf das Betreiben von Hedgefonds statt, die zuvor wesentliche Teile der Verbindlichkeiten des Unternehmens erworben hatten. Diese Entscheidung deutet auf eine stark an gesellschaftsrechtliche Strukturen anknüpfende Sichtweise der englischen Gerichte hin. Besonders bemerkenswert ist, dass sich die entstandenen Beraterkosten sich auf € 40 Millionen belaufen haben sollen166. (16) Hans Brochier Im Falle Hans Brochier, einer als GmbH & Co. KG verfassten Gesellschaft, wurden sämtliche Kommanditanteile sowie sämtliche Geschäftsanteile der Komplementär-GmbH an eine zu diesem Zweck unter englischem Recht neu errichtete Ltd., die Hans Brochier Holdings Ltd. mit Sitz in London, sowie zwei mit dieser Limited verbundenen Gesellschaften, übertragen. Die Hans Brochier Ltd. hatte kein eigenes operatives Geschäft, sondern war eine reine Holding-Gesellschaft. Die Übertragungen fanden im Dezember 2004 statt. Im Wege einer Vermögensanwachsung wurde sodann das gesamte Vermögen der KG auf die Ltd. übertragen167. Auch nach Durchführung dieser gesellschaftsrechtlichen Maßnahme wurden die Geschäfte des Unternehmens weiterhin von Nürnberg aus geführt. Im August 2006 kam es schließlich an einem Tag zur Eröffnung zweier Insolvenzverfahren über das Vermögen der Ltd.: Nachdem um 12:35 Uhr das zuständige Gericht in London ein Insolvenzverfahren eröffnete, erging eine Eröff-

163

Zu dieser nicht notwendig insolvenzbezogenen Verfahrensart vgl. unten, S. 282. Handelsblatt vom 03.05.2007 „Schefenacker trickst Insolvenzrecht aus“, abzurufen im Internet unter . 165 Ebd. 166 Ebd. 167 Ballmann, BB 2007, 1121. 164

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nungsentscheidung des Amtsgerichts Nürnberg um 14:30 Uhr deutscher Zeit. Dabei eröffnete das Amtsgericht Nürnberg ein vorläufiges Insolvenzverfahren nach deutschem Recht168. Der deutsche Insolvenzverwalter entschied sich, gegen die Eröffnung des englischen Insolvenzverfahrens mit den ihm zur Verfügung stehenden Mitteln vorzugehen. Einem entsprechenden Antrag auf Unwirksamkeit der Eröffnung des englischen Hauptinsolvenzverfahrens entsprach der High Court of Justice in London mit Entscheidung vom 15.08.2006. Er begründete seine Entscheidung damit, dass der Mittelpunkt der hauptsächlichen Interessen der Gesellschaft in Deutschland liege169. In tatsächlicher Hinsicht stellte das Gericht darauf ab, dass sich Buchhaltung, Geschäftsunterlagen und tatsächlicher Verwaltungssitz der Gesellschaft in Nürnberg befänden. Weiterhin wurde auf die von der Gesellschaft in öffentlich einsehbaren Quellen angegebene Geschäftsadresse sowie das Fehlen einer eigenen organisatorischen Struktur in England Bezug genommen und das Fehlen von Mitarbeitern in England hervorgehoben. Zugleich berief sich der deutsche Insolvenzverwalter vor deutschen Gerichten auf Art. 26 EuInsVO. Einem darauf gestützter Antrag wurde vom Amtsgericht Nürnberg am 15.08.2006 stattgegeben170. Das Amtsgericht Nürnberg begründete seine Entscheidung in erster Linie damit, dass eine bewusst unwahre und überdies nicht ausreichend substantiierte Darstellung des Sachverhalts durch die Geschäftsführer der Gesellschaft erfolgt sei171. Hervorhebenswert ist, dass das Gericht in seiner Entscheidung auf die unter englischem Recht nicht bestehende Möglichkeit der Insolvenzgeldvorfinanzierung hingewiesen hat. Am 30.08.2006 kam es sodann zu einer Eröffnung eines Sekundärinsolvenzverfahrens über die Brochier Holdings Ltd. Am 01.10.2006 eröffnete das Amtsgericht Nürnberg das Insolvenzverfahren über das Vermögen der Hans Brochier Holdings sodann als Hauptverfahren172. In einer Entscheidung vom 08.12.2006 stellte der High Court of Justice London schließlich fest, dass auch die am 30.08.2006 eröffneten Sekundärinsolvenzverfahren wegen des Nichtvorliegens einer Niederlassung im Sinne des Art. 2 lit. h) EuInsVO ex tunc unwirksam seien. Diese Entscheidung entsprach dem Antrag des deutschen Hauptinsolvenzverwalters173.

168

Ballmann, BB 2007, 1121. Order of the High Court of Justice, Chancery Division, no. 25618 of 2006. 170 AG Nürnberg, NZI 2007, 185. 171 AG Nürnberg, NZI 2007, 185, 186. 172 Amtsgericht Nürnberg, ZIP 2007, 83. 173 High Court of Justice, Chancery Division, Order no. 6211 of 2006. 169

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(17) Zusammenfassung Alle dargestellten Entscheidungen ermitteln den Mittelpunkt der hauptsächlichen Interessen des Schuldners nicht ausschließlich anhand eines einzigen Umstands, sondern erwägen stets verschiedene Anknüpfungspunkte. Es fällt außerdem auf, dass keines der Gerichte in den Entscheidungsgründen in nennenswertem Umfang auf die Vermutungsregel des Art. 3 Abs. 1 S. 2 EuInsVO eingeht oder seine Entscheidung gar allein auf diese Regelung stützt. Bemerkenswert ist ferner, dass zunächst insbesondere englische Gerichte tendenziell dazu bereit waren, sich über die Vermutung des Art. 3 Abs. 1 S. 2 EuInsVO hinwegzusetzen und anstelle des Satzungssitzes der beherrschten Gesellschaft den Verwaltungssitz der beherrschenden Gesellschaft als Mittelpunkt der hauptsächlichen Interessen anzusehen. Die Entscheidungen des AG München und des AG Offenburg zeigen, dass auch bei deutschen Insolvenzgerichten eine großzügigen Inanspruchnahme der Eröffnungskompetenz nicht schlechterdings auszuschließen ist. Im Rahmen der Gesamtwürdigung, die von allen Gerichten zur Subsumtion unter Art. 3 Abs. 1 S. 1 EuInsVO angestellt wird, offenbaren sich weitreichende Unterschiede. Es bleibt zunächst festzuhalten, dass die mitgliedstaatlichen Gerichte die Facetten des jeweiligen Sachverhalts unterschiedlich, vereinzelt sogar völlig konträr einordnen. Abgesehen von der Beurteilung einzelner Sachverhaltselemente, wie etwa dem Ort der board meetings oder der Anzahl der Beschäftigten am jeweils als COMI infrage kommenden Ort, werden auch methodisch deutliche Unterschiede erkennbar. Während sich manche Gerichte argumentativ vor allem auf das Verhältnis des Schuldners zur Obergesellschaft beziehen und damit letztlich die Frage nach dem Ort der faktischen Verwaltungskontrolle als maßgeblich bewerten, beleuchten andere in erster Linie die mögliche Wahrnehmung des Unternehmens durch Dritte. Auch im zweiten Fall werden unterschiedliche Wege eingeschlagen: Teilweise wird der Versuch unternommen, den Blickwinkel potenzieller Geschäftspartner, also insbesondere auch prospektiver Gläubiger, einzunehmen, wobei verschiedentlich wiederum ausdrücklich nach dem Gegenstand des von der Gesellschaft betriebenen Unternehmens differenziert wird. Es findet also eine typisierende, generalisierende Betrachtung statt. Andere Entscheidungen gehen im Zusammenhang mit dem 13. Erwägungsgrund hingegen vor allem auf die präsumtiven Erwartungen der konkret betroffenen Gläubiger ein. Als weitere Steigerung einer solchen Fokussierung kann die Gewichtung der für die verschiedenen Gläubiger denkbaren Wahrnehmungsergebnisse anhand der Höhe der jeweiligen Forderungen angesehen werden. Der maßgeblichen Perspektive liegt dann unausgespro-

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chen eine Quantifizierung der Geschäftskontakte, nicht nach deren Anzahl, sondern nach deren jeweiligem Umfang zugrunde. Von diesen Einzelfragen abgesehen, bestehen jedoch auch schon bezüglich der grundlegenden Einordnung des Komplementärkriteriums der Erkennbarkeit weitreichende Unterschiede. Bei einigen Gerichten ist das Erfordernis der Erkennbarkeit Ausgangspunkt der Erörterungen. Zur Ermittlung des COMI werden folglich nur solche Umstände herangezogen, von denen Dritte überhaupt hätten Kenntnis erlangen können. Die Erkennbarkeit wird bei dieser Betrachtungsweise zu einem Unterscheidungsmerkmal von konstitutiver Bedeutung. Andere Gerichte gehen zwar auch auf die Frage nach der Erkennbarkeit ein. Sie tun dies jedoch erst im Anschluss an die wesentlichen, zur Ermittlung des Interessenmittelpunktes dienenden Feststellungen. Bei dieser Vorgehensweise wird die Frage der Erkennbarkeit folglich zu einem bloßen Regulativ: Der zuvor in Anbetracht des ermittelten Sachverhalts bestimmte Mittelpunkt der hauptsächlichen Interessen wird nur noch einer Art Gegenprobe unterzogen. Viele der Judikate ermitteln das COMI, indem sie nach einer Zuordnung der einzelnen für die Konstituierung des Interessenmittelpunkts infrage kommenden Gesichtspunkte (etwa Gründungs- bzw. Satzungssitz, Sitz des Geschäftsführers, Ort der strategischen Steuerung, Abschluss- und Abwicklungsort der Einkaufs- und Verkaufsaktivitäten, Ort und Rechtsstatut der Rechnungslegung, Ort der Abwicklung der Bankgeschäfte, Belegenheitsort von Kreditsicherheiten etc.) zu einem der jeweils in Betracht kommenden Orte feststellen, auf welche dieser Faktoren es in dem zu entscheidenden Fall maßgeblich ankommen soll. Ein anderes Vorgehen lassen diejenigen Entscheidungen erkennen, die das COMI im Wege einer relativen Betrachtung ermitteln. Ausgehend von einem Ort, der denkbarer Mittelpunkt der hauptsächlichen Interessen ist, stellen sie die Frage, ob sich an den anderen, ebenfalls als COMI in Erwägung zu ziehenden Orten etwas nach Art und Umfang Vergleichbares befindet. Solange sich jedoch die dabei verglichenen Faktoren (etwa Geschäftsführungs-, Verkaufs-, Einkaufsaktivitäten usw.) nicht nur quantitativ, sondern auch qualitativ unterscheiden – was in aller Regel der Fall sein wird –, befreit auch diese Vorgehensweise nicht von dem zentralen Problem der normativen Gewichtung der einzelnen Vergleichsfaktoren. Einzig in Fallkonstellationen, in denen der Schuldner durch ein dezentrales Unternehmensgebilde gekennzeichnet ist, bei dem an jedem Tätigkeitsort dieselben Funktionen wahrgenommen werden, nur eben in unterschiedlichem Umfang, führt der vergleichende Ansatz zu einem praktischen Vorteil. Zu denken wäre in diesem Zusammenhang etwa an eine Gesellschaft, die an verschiedenen Orten verschiedene Geschäfte betreibt, die (ohne eine Zentrale zu haben) zwar in Abstimmung miteinander, aber dennoch selbstständig wirtschaften. Dabei ist

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freilich zuzugeben, dass diese Konstellation eher von theoretischer denn von praktischer Relevanz ist. Die in den Entscheidungen erörterten Sachverhalte vermitteln einen ersten Eindruck von der Vielfalt der bei der Bestimmung der internationalen Zuständigkeit in Betracht kommenden Anknüpfungspunkte. Zusammenfassend entfalten die dargelegten Judikate ein spannungsreiches Terrain, dessen Ausdehnung sich wahlweise durch die Begriffspaare Innen-/Außenperspektive, konkrete/abstrakte Gläubigersicht, konstitutive/regulative Verwendung des Erkennbarkeitskriteriums und relative/absolute Bestimmung des COMI skizzieren lässt. Zwar ermöglicht es die Offenheit des Tatbestandes, ein Maximum an Fallgestaltungen zu erfassen und so der Vielgestaltigkeit denkbarer Konstellationen begegnen zu können – eine Subsumtion unter Art. 3 Abs. 1 S. 1 EuInsVO hielten die Gerichte bislang in allen Fällen für möglich. Dies erfolgt allerdings, wie gerade die Vielschichtigkeit der Argumente in den vorgestellten Entscheidungen verdeutlicht, auf Kosten einer unkomplizierten Überprüfbarkeit des Ergebnisses und damit auch auf Kosten einer einfachen Handhabbarkeit der Norm. Die Vielseitigkeit der Regelung erkaufte der europäische Verordnungsgeber folglich mit den im Einzelfall jetzt schon aufgetretenen Unsicherheiten und Konflikten. Folge dieser Schwierigkeiten ist, dass etwaige Risiken durch die wirtschaftlichen Akteure, insbesondere prospektive (Insolvenz-)Gläubiger, nicht mehr ohne Weiteres festgestellt werden können. Jedenfalls wird häufig mit einem erhöhten Aufwand ermittelt werden müssen, was sich naturgemäß auch in höheren Ermittlungskosten niederschlagen wird174. b. Das COMI-Kriterium in der Rechtsprechung des EuGH – die Entscheidung im Fall Eurofood Dass angesichts der Vielfalt der zur Konkretisierung des COMI-Kriteriums beschrittenen Wege und der großen praktischen Relevanz der Materie in Wissenschaft und Praxis mit Spannung auf die Entscheidung des EuGH zur vierten vorgelegten Frage im Vorlageverfahren in der Sache Eurofood gewartet wurde, überrascht nicht175. Die das COMI betreffende vierte Vorlagefrage lautete: „Sind, wenn a) der satzungsmäßige Sitz einer Muttergesellschaft und der ihrer Tochtergesellschaft in zwei verschiedenen Mitgliedstaaten liegen, b) die Tochtergesellschaft der Verwaltung ihrer Interessen in einer für Dritte erkennbaren Art und Weise gewöhnlich und unter vollständiger und stetiger Wahrung ihrer eigenen corporate identity in dem 174

Auf diesen Aspekt der Regelung wird im dritten Kapitel, S. 258 ff., zurückzukommen sein. 175 EuGH, Rs. C-341/04 (Eurofood), Urteil vom 02.05.2006 (im Internet abzurufen unter ).

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Mitgliedstaat nachgeht, in dem ihr satzungsmäßiger Sitz liegt, und c) die Muttergesellschaft aufgrund ihrer Beteiligung und ihrer Befugnis zur Bestellung der Verwaltungsratsmitglieder in der Lage ist, die Geschäftspolitik der Tochtergesellschaft zu kontrollieren, und dies auch tut, bei der Bestimmung des ‚Mittelpunkts der hauptsächlichen Interessen‘ die vorstehend unter b) oder unter c) genannten Faktoren ausschlaggebend?“.

Dieser abstrakten Rechtsfrage lag der zum Fall Eurofood/Parmalat dargestellte Sachverhalt zugrunde176. (1) Bedeutung der Entscheidung für das Verständnis des COMI-Kriteriums Von der Entscheidung wurde naturgemäß in erster Linie erwartet, dass sie wegweisende Klarstellungen zum COMI-Kriterium treffen würde. Sie soll daher zunächst unter diesem Gesichtspunkt betrachtet werden. Vom COMI-bezogenen Teil der Fragestellung ausgehend, gelangte der EuGH zu dem Ergebnis, dass „dann, wenn der Schuldner eine Tochtergesellschaft ist, deren satzungsmäßiger Sitz in einem anderen Mitgliedstaat steht, als der der Muttergesellschaft, die in Art. 3 Abs. 1 S. 2 der Verordnung aufgestellte Vermutung, wonach diese Tochtergesellschaft den Mittelpunkt ihrer hauptsächlichen Interessen in dem Mitgliedstaat hat, in dem sich ihr satzungsmäßiger Sitz befindet, nur widerlegt werden kann, sofern objektive und für Dritte feststellbare Elemente belegen, dass in Wirklichkeit die Lage nicht derjenigen entspricht, die die Verortung am genannten satzungsmäßigen Sitz widerspiegeln soll“177.

Die mit diesem unübersichtlichen Satz getroffenen Aussagen enthalten angesichts des Wortlauts von Art. 3 Abs. 1 EuInsVO i.V.m. dem 13. Erwägungsgrund zur Verordnung keinen zusätzlichen Erkenntnisgewinn. Sie wurden durch den EuGH schließlich mit Blick auf die Vorlagefrage wie folgt exemplifiziert und konkretisiert: „Dies [gemeint ist die Widerlegung der Vermutung] könnte insbesondere bei einer Gesellschaft der Fall sein, die im Gebiet des Mitgliedstaates, in dem sich ihr satzungsmäßiger Sitz befindet, keiner Tätigkeit nachgeht. Wenn jedoch eine Gesellschaft ihrer Tätigkeit im Gebiet des Mitgliedstaats, in dem sie ihren satzungsmäßigen Sitz hat, nachgeht, so reicht die Tatsache, dass ihre wirtschaftlichen Entscheidungen von einer Muttergesellschaft mit Sitz in einem anderen Mitgliedstaat kontrolliert werden können, nicht aus, um die mit der Verordnung aufgestellte Vermutung zu entkräften.“178

Die vierte Vorlagefrage wird damit letztlich im Sinne der ersten angebotenen Entscheidungsalternative entschieden. Das Gericht kommt mit sehr knappen Ausführungen zu diesem Ergebnis. Dabei vollziehen sich die rechtlichen Erörterungen in wenigen Schritten: Zunächst stellt das Gericht nach Darlegung der Regelungssystematik 176

Vgl. oben, S. 46 ff. EuGH, Rs. C-341/04 (Eurofood), Urteil vom 02.05.2006, Rn. 37. 178 EuGH, Rs. C-341/04 (Eurofood), Urteil vom 02.05.2006, Rn. 37 mit wortlautidentischer Wiederholung von Rn. 36. 177

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von Art. 3 EuInsVO fest, dass es einer gesonderten Bestimmung der Zuständigkeit für jeden Schuldner bedürfe, der eine juristisch selbstständige Einheit darstelle179. Sodann geht die Betrachtung des Gerichts vom Wortlaut des 13. Erwägungsgrund aus, wobei die große Bedeutung der durch Art. 3 Abs. 1 EuInsVO vermittelten Vorhersehbarkeit für das Verständnis der Vorschrift hervorgehoben wird. Bereits nach diesen wenigen Argumentationsschritten kommt das Gericht zu dem Zwischenergebnis, dass nur solche „Elemente“180 bei der Widerlegung der gesetzlichen Vermutung in Art. 3 Abs. 1 S. 2 EuInsVO berücksichtigungsfähig seien, die objektiv bestünden, für Dritte erkennbar seien und darüber hinaus verdeutlichten, dass die tatsächliche nicht der durch die gesetzliche Vermutung widergespiegelten Lage entspreche. Dies sei für Schuldner, die im Staate ihres Satzungssitzes auch ihrer „Tätigkeit“ nachgingen, nicht der Fall, könne aber für Schuldner zutreffen, die wie Briefkastenfirmen im Staate des Satzungssitzes keiner Tätigkeit nachgingen. Die eminent wichtige Frage, was genau Tätigkeiten im genannten Sinne sind, lässt die Entscheidung allerdings offen. Aus der dargelegten Argumentationsweise ergibt sich lediglich, dass nur solche Umstände herangezogen werden können, für die auch das Kriterium der Erkennbarkeit gegeben ist. Die einzige inhaltliche Konkretisierung der vom EuGH mit „Tätigkeit“181 beschriebenen Umstände findet durch die Vorlagefrage selbst statt, auf welche die Entscheidung mit der Verwendung des Begriffs Bezug nimmt. Die Vorlagefrage bezieht sich ihrerseits allerdings mit der Wendung „Verwaltung ihrer Interessen in einer für Dritten erkennbaren Art und Weise“ ausgerechnet auf den Wortlaut der Erwägungsgründe zur EuInsVO. Deshalb ist letztlich zu konstatieren, dass die Vorlagefrage durch ihre Formulierung die vom vorlegenden irischen Gericht intendierte Bescheidung des Vorlageverfahrens bereits implizierte. Denn in der Vorlagefrage werden Merkmale des zu ihrer Beantwortung heranzuziehenden 13. Erwägungsgrunds verwendet, der, wie gezeigt wurde, gewissermaßen eine Tatbestandserweiterung von Art. 3 Abs. 1 EuInsVO darstellt. Genau genommen sagt die Entscheidung mithin nicht, was im Vorlagefall der „entscheidende Faktor für die Identifizierung“182 des Interessenmittelpunkts ist, sondern lediglich, dass Faktoren, die eine Abkehr von der in Art. 3 Abs. 1 S. 2 EuInsVO aufgestellten Vermutung zugunsten des Sat179

EuGH, Rs. C-341/04 (Eurofood), Urteil vom 02.05.2006, Rn. 30. EuGH, Rs. C-341/04 (Eurofood), Urteil vom 02.05.2006, Rn. 34; in der englischen Fassung des Urteils ist von factors die Rede. 181 In der englischen Urteilsfassung ist von „carrying on its business“ die Rede, einer Wendung, die aus sich heraus ebenso wenig aufschlussreichreich ist wie der in der deutschen Fassung verwendete Begriff. 182 So aber die Zusammenfassung der Frage durch den EuGH, Rs. C-341/04 (Eurofood), Urteil vom 02.05.2006, Rn. 26. 180

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zungssitzes erlauben, nicht vorliegen. Auf die alles entscheidende Frage, welche Umstände das COMI des Schuldners im Einzelnen als solches konstituieren und damit zur Widerlegung der an den Satzungssitz anknüpfenden Vermutung führen können, geht die Entscheidung nicht ein. Um es mit den Worten des Gerichtshofs zu sagen: „[W]as der entscheidende Faktor für die Identifizierung des Mittelpunkts der hauptsächlichen Interessen ist“183, bleibt auch nach der Entscheidung im Dunklen. Auch wird nicht näher darauf eingegangen, welche „Lage“ es ist, die die „Verortung […des COMI] am satzungsmäßigen Sitz widerspiegeln“ soll. Die Entscheidung setzt sich auch mit dem Fragenkreis der Stärke und Reichweite der Vermutung nicht auseinander. Dies wäre indes von zentraler Bedeutung zur Lösung vieler noch ungeklärter Fragen im Zusammenhang mit dem COMI-Kriterium. Die Entscheidung erlaubt infolge dieser Auslassung nicht einmal im Wege eines Gegenschlusses eine nähere Eingrenzung der für die Bestimmung des COMI nach Auffassung des EuGH konstitutiven Umstände184. Gerade in Fällen, in denen – wie etwa in Deutschland – eine amtswegige Zuständigkeitsermittlung stattfindet, ist das Zusammenspiel von Vermutung und den Voraussetzungen von Art. 3 Abs. 1 S. 1 EuInsVO jedoch besonders bedeutsam. Darüber hinaus offenbart die Vorgehensweise des Gerichts, dass sich dieses auch über die zur (positiven) Bestimmung des schuldnerischen COMI zu bemühenden Umstände Gedanken gemacht haben müsste. Denn auf die Vermutung zu verweisen mit der Begründung, diese sei nicht widerlegt, ist nur dann möglich, wenn man sich zugleich darüber im Klaren ist, was genau das COMI kennzeichnet: Die internationale Zuständigkeit in dem Staat zu lokalisieren, auf den die Vermutung hinweist, bedeutet stets auch zu konstatieren, dass sich das schuldnerische COMI nicht in einem anderen Staat befindet. Nach alldem ist mit Blick auf das COMI-Kriterium als solches festzuhalten, dass sich der Aussagegehalt der Entscheidung des EuGH darin erschöpft, allein für eine eng umgrenzte und auch in den Entscheidungsgründen nicht abschließend konkretisierte Situation festzustellen, dass in dieser die gesetzliche Vermutung nicht widerlegt ist. Fundamentale Fragen bleiben also offen. Dass das Vorlageverfahren nicht zur Klarstellung der über die konkrete Vorlagefrage hinaus aufgeworfenen Fragen genutzt wurde, mag man als vertane Chance ansehen und bedauerlich finden185. In dem hier behandelten Zusammenhang interessieren jedoch vor allem die auch nach der Entscheidung weiterhin offenen Rechtsfragen. Sie erlauben eine 183

EuGH, Rs. C-341/04 (Eurofood), Urteil vom 02.05.2006, Rn. 31. A.A. Kammel, NZI 2006, 334, 336. 185 So Knof/Mock, ZIP 2006, 911, 915; ähnlich Poertzgen/Adam, ZInsO 2006, 505, 507. 184

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Bestimmung des durch die Kompetenznorm vermittelten Bewegungsraums und werden im weiteren Verlauf dieses Kapitels unter Bezugnahme auf die Entscheidungsgründe noch im Einzelnen erörtert. (2) Bedeutung der Entscheidung für die weitere Konkretisierung der Zuständigkeitsvorschrift Die Entscheidung ist darüber hinaus auch im Hinblick darauf von Interesse, welche Bedeutung der Rechtsfindungsprozess im Verfahren nach Art. 267 AEUV für die Konkretisierung und damit ggf. eine Verkürzung des Bewegungsraums hat, in dem unter der EuInsVO durch Verfahrensbeteiligte eine Einflussnahme auf Recht und Forum des Insolvenzverfahrens stattfinden kann. Auf dieser zweiten Betrachtungsebene ist die Entscheidung möglicherweise gar aussagekräftiger für den hier behandelten Fragenkomplex, als es die inhaltlichen Ausführungen des Urteils zum Verständnis der Kompetenzvorschriften sind. Denn die Entscheidung offenbart einige charakteristische Eigenarten des Vorlageverfahrens, denen in Verbindung mit der Problematik der Bestimmung des COMI nach Art. 3 Abs. 1 EuInsVO auch für die Zukunft große Bedeutung zukommen dürfte. Zum einen zeigt sich, dass das Vorlageverfahren bis auf Weiteres nicht auf breiter Basis eine Klärung der mit Art. 3 Abs. 1 EuInsVO verbundenen Probleme ermöglichen wird. Eine zeitnahe Klärung scheitert bereits an der langen Dauer des Vorlageverfahrens186. Da das Vorlageverfahren nach Art. 267 AEUV allein der Beantwortung abstrakter Rechtsfragen dient187 und der vom mitgliedstaatlichen Gericht festgestellte Sachverhalt der Beurteilung durch den EuGH entzogen ist und sich dieser auch nicht zur Anwendung des Gemeinschaftsrechts im konkreten Fall äußern darf188, sind die Vorlagefragen in der Praxis zudem häufig in bloßer Abstrahierung des bei dem vorlegenden Gericht rechtshängigen Falls formuliert. So kann sichergestellt werden, dass aus der durch den EuGH getroffenen Entscheidung ein für das vorlegende Gericht praktisch verwertbares Ergebnis folgt. Aus den dergestalt zugespitzten Vorlagefragen resultiert indes, dass der Erkenntniswert der Entscheidungen auch in Zukunft regelmäßig weitgehend auf Fälle beschränkt sein wird, die mit dem konkreten Anlassfall weitgehend identisch sind. Schon aus strukturellen Gründen führt das Vorlageverfahren daher zu einer weitgehend kasuistischen Beleuchtung auch solcher Fragen, deren Klärung in breiter Allgemeinheit wünschenswert wäre. Umfassende Ausführungen zum konkreten Verständnis des COMI-Kri186

Vom Vorlagezeitpunkt bis zur Verkündung des Urteils vergingen im hier besprochenen Verfahren fast 21 Monate. 187 Vgl. nur Geiger, EGV, Art. 234, Rn. 5; Ehricke, in: Streinz, Art. 234 EGV, Rn. 12 (zur insoweit identischen Vorschrift des EGV). 188 EuGH, Rs. C-366/96 (Cordelle), Slg. 1998, S. I-583, Rn. 9.

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teriums lässt das Vorlageverfahren schon aufgrund der genannten Umstände nicht notwendig erwarten. Trotz des zwischenzeitlichen Wegfalls von Art. 68 EGV mit Inkrafttreten des AEUV (zumal er mit einem Wegfall der Erweiterung der Vorlagebefugnis in Art. 68 Abs. 3 EGV einherging) ist damit zu rechnen, dass sich dieses strukturelle Defizit auch zukünftig zulasten einer raschen Konkretisierung der Zuständigkeitsordnung bemerkbar macht. Darüber hinaus war im Fall Eurofood eine Vorlage an den EuGH durch den Supreme Court of Ireland auch durch den konkreten Konflikt, in dem sich die irischen Gerichte infolge der Verfahrenseröffnung in Italien befanden, erforderlich geworden. Nicht in jedem Fall sind jedoch äußere Umstände zu erwarten, die eine Befassung der Luxemburger Richter geradezu erzwingen. Daher ist fraglich, ob auftretende Rechtsfragen zukünftig vermehrt an die einzige Institution herangetragen werden, die eine gemeinschaftsweit verbindliche, rechtsfortbildende189 Klärung schaffen kann. Der zweite Aspekt, den die Entscheidung des EuGH unter perspektivischen Gesichtspunkten erkennbar werden lässt, betrifft die Bedeutung der konkreten Vorlagefrage. Wie gezeigt wurde, implizierte die hier entschiedene vierte Vorlagefrage durch Verwendung von Begrifflichkeiten, von denen abzusehen war, dass ihnen für die Beantwortung eine zentrale Bedeutung zukommen könnte, bereits eine Beantwortung nach der vom vorlegenden Gericht vertretenen Auffassung. Die durch den EuGH getroffene Entscheidung erfolgte schließlich auch in dem genannten Sinne. Es erweist sich mithin, dass es von großer Relevanz sein kann, welches Gericht einen – ggf. innergemeinschaftlich streitbefangenen – Lebenssachverhalt in abstrahierter Form zu Entscheidung vorlegt, da zumindest eine faktische Einflussnahme durch das vorlegende Gericht auf den Inhalt einer späteren Entscheidung nach den Erfahrungen im Fall Eurofood als möglich angesehen werden muss. Diese Beobachtung ist bedeutsam für die Frage nach den Einflussnahmemöglichkeiten mitgliedstaatlicher Stellen auf ein mit der EuInsVO geschaffenes Regelungsumfeld eines Regulierungswettbewerbs190.

189 Die Bindungswirkung von Entscheidungen im Vorlageverfahren ist Gegenstand einer Kontroverse. Während verschiedentlich eine bloße Bindung der Parteien befürwortet wird, ist richtigerweise auch bei Auslegungsentscheidungen aufgrund der mit dem Urteil verbundenen Präjudizfunktion von einer zumindest faktischen Bindungswirkung erga omnes auszugehen, auch wenn dadurch die Rolle des EuGH an diejenigen eines zweiten gemeinschaftsrechtlichen Normgebers angenähert wird. Zum Ganzen vgl. Dauses, Vorabentscheidungsverfahren, S. 148 ff., 155; Ehricke, in: Streinz, Art. 234 EGV, Rn. 64; Borchardt, in: Lenz/Borchardt, Art. 234 EGV, Rn. 60, jeweils mit umfangreichen w.N. 190 Zur Bedeutung der Beeinflussbarkeit des Regelungsgehalts von Vorschriften der EuInsVO durch die Mitgliedstaaten vgl. unten, S. 332 f.

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c. Die zentralen Fragen der Kompetenzvorschrift des Art. 3 Abs. 1 EuInsVO Im Folgenden werden die wesentlichen, auch nach der EuGH-Entscheidung im Fall Eurofood ungeklärten Fragen im Zusammenhang mit der Kompetenzvorschrift des Art. 3 Abs. 1 EuInsVO dargelegt. Nachdem sich Einwirkungsmöglichkeiten der Verfahren im Rahmen der dargelegten Ansatzpunkte gerade aus der weitreichenden Unschärfe des COMI-Standards ergeben, erschließen sich die damit verbundenen Wahlmöglichkeiten der Verfahrensbeteiligten erst im Rahmen einer näheren Auseinandersetzung der mit der Auslegung des COMI-Kriteriums verbundenen Probleme. Es ist weder Aufgabe noch Anspruch dieser Untersuchung, darzulegen, wie das bestehende Kriterium verstanden werden müsste, um den Zielsetzungen der Verordnung oder solchen Zwecken, die spezifisch mit dem gewählten Kompetenzkriterium verfolgt werden sollten, bestmöglich zu verwirklichen. Daher wird in den folgenden Darstellungen auch nicht der Versuch unternommen, den zahlreichen, teils vollkommen unterschiedlichen Annäherungen, die innerhalb von Rechtspraxis und -wissenschaft in den vergangenen Jahren unternommen wurden, eine weitere, vermeintlich bessere Lösung hinzuzufügen. Der Aspekt, unter dem die Thematik in dieser Untersuchung beleuchtet werden soll, lebt vielmehr gerade auch davon, dass in der Praxis weiterhin eine weitgehende Unbestimmtheit des COMIKriteriums besteht. Dennoch ist eine wertende Auseinandersetzung mit den in der Verordnung und den Gesetzgebungsmaterialien angelegten Kernproblemen unumgänglich; für die Erfolgschancen eines forum shopping unter Ausnutzung der Offenheit des Zuständigkeitstatbestands kommt es letztlich darauf an, inwieweit diese unter Auslegungsgesichtspunkten in der Praxis vertretbar sind. Hierfür ist wiederum entscheidend, welche Fragen im Einzelnen noch der Erzielung von weitreichender Übereinkunft harren. Um die Einflussmöglichkeiten darzulegen, die sich aus der Unbestimmtheit von Art. 3 Abs. 1 EuInsVO für die Verfahrensbeteiligten ergeben, wird sich dieser Abschnitt der Untersuchung zunächst mit den Besonderheiten der Auslegung von Art. 3 Abs. 1 EuInsVO beschäftigen und dann auf die im Wege teleologischer Auslegung zu gewinnenden Grenzen der Inanspruchnahme der Eröffnungszuständigkeit unter Rückgriff auf die Unbestimmtheit der Kompetenzregeln eingehen. Dabei werden auch die vom Verordnungswortlaut ausgehenden Einschränkungen darzulegen sein. Schließlich sollen die vielgestaltigen Anknüpfungsmomente, die zur Ausfüllung des Tatbestands herangezogen werden, in den Fokus rücken.

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(1) Besonderheiten bei der Auslegung des COMI-Kriteriums Die EuInsVO ist Teil des Gemeinschaftsrechts. Dieses stellt eine eigene, autonome Rechtsordnung dar, die vom nationalen Recht der Mitgliedstaaten unabhängig ist und sich daher auch in Fragen der Rechtsanwendung von diesem unterscheidet: Bei der Anwendung des Gemeinschaftsrechts kann nicht einfach ohne Weiteres auf die in den Mitgliedstaaten praktizierten Verfahrensweisen der Gesetzesinterpretation zurückgegriffen werden. Ein solches Vorgehen würde in Anbetracht der weitreichenden Unterschiede der in den nationalen Rechtsordnungen einschlägigen Methoden der Gesetzesexegese dem Ziel der gemeinschaftsweiten Rechtsvereinheitlichung durch den jeweiligen Rechtsakt zuwiderlaufen191. Obwohl die EuInsVO folglich einheitlich europäisch-autonom interpretiert werden muss192, wird sie doch immer zwangsläufig durch das Medium des Verordnungstextes angewendet. Dieser stellt ungeachtet der Frage, in welcher der verschiedenen Amtssprachen er verfasst ist, eine authentische Originalfassung dar193. Aus dem dargelegten Gedanken der Uniformität der Anwendung unmittelbar geltender Gemeinschaftsrechtsakte und dem Risiko einer Fehlübersetzung194 ergibt sich, dass bei der Interpretation des Wortlauts nicht allein eine auf die nationale Fassung beschränkte Deutung stattfinden darf195. Von einem tradierten Begriffsverständnis ausgehend, wäre es den Rechtsanwendern in den Mitgliedstaaten überdies bei Begriffen mit autonom-gemeinschaftsrechtlicher Bedeutung schlechthin unmöglich, sich den gesamten Gehalt der Norm zu erschließen. Aus den genannten Gründen ist bei der Bestimmung des Sinngehalts unbestimmter Tatbestandmerkmale auch über Fragen des Wortlauts hinaus stets ein länderübergreifender, vergleichender Ansatz zu verfolgen196.

191

Vgl. statt aller Colneric, ZEuP 2005, 225 f. EuGH, Rs. C-341/04 (Eurofood), Urteil vom 02.05.2006, Rn. 31. 193 EuGH, Rs. 283/81 (CILFIT Srl / Ministry of Health), Slg. 1982, S. 3415, Rn. 18. 194 Moss/Fletcher/Isaacs, Rz. 2.23, dort in Fn. 67, weisen etwa auf eine durch Übersetzungsfehler begründete, nachträgliche Korrektur des finnischen Verordnungstextes hin. Zu welchen materiell-rechtlichen Divergenzen die verschiedene sprachliche Fassungen führen können, veranschaulicht der Fall Rockfon (EuGH, Slg. 1995, S. I-4291), bei dem die unterschiedlichen Übersetzungen einer Kommissionsentscheidung zu weitreichenden Abweichungen der Regelung führten. Auch finden sich in der Vermutung des Art. 3 Abs. 1 S. 2 EuInsVO mit dem Satzungssitz und dem registered office in den verschiedenen Sprachfassungen zwei nicht genau regelungsidentische Termini. 195 Vgl. nur EuGH Rs. 69/79 (Jordens-Vosters/Bedrijsvereniging voor de Leder- en Lederwerkende Industrie) Slg. 1980, 75 Rn. 6; EuGH Rs. C-296/95 (EMU Tabac) Slg. 1998, S. I-1605 Rn. 30. 196 Duursma-Kepplinger, in: Duursma/Duursma-Kepplinger/Chalupsky, EuInsVO, Vorb., Rn. 22. 192

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Nun zu verlangen, dass die mitgliedstaatlichen Gerichte bei Anwendung einer Verordnung alle sprachlichen Fassungen berücksichtigen, wäre jedoch unverhältnismäßig und unpraktikabel. Eine Rechtspflicht zu einem solchen Vorgehen wird vom EuGH konsequenterweise auch nicht angenommen197. Aus der Notwendigkeit, sich bei der Verordnungsanwendung vom nationalen Begriffsverständnis zu lösen, folgt jedoch, dass die Erörterungen in Zweifelsfällen nicht auf eine Fassung des Normtextes beschränkt bleiben können. Gerade bei Vorschriften, denen im Gesamtkontext einer Verordnung zentrale Bedeutung zukommt, kann es erforderlich sein, sie auch in anderen sprachlichen Fassungen bei der Entscheidungsfindung zu berücksichtigen. Für die Regelung des Art. 3 Abs. 1 EuInsVO wird eine solch herausragende Stellung in der Kommentarliteratur ausdrücklich bejaht198. Die aufgeführten gemeinschaftsrechtsspezifischen Schwierigkeiten verdeutlichen gleichzeitig, dass die grammatikalische Interpretation von Gemeinschaftsrechtsakten in ihrer Aussagekraft vielfach zwangsläufig sehr beschränkt ist199. Einer systematisch-teleologischen Gesetzesexegese kommt in diesem Zusammenhang folglich eine besondere Bedeutung zu200. Dieser Umstand bedingt besonders in denjenigen Jurisdiktionen eine Umstellung, nach deren Methodenlehre eine weitgehende Übereinstimmung von grammatikalischer und juristischer Begriffsbedeutung Ausgangspunkt der dann zumeist streng am Wortlaut orientierten Norminterpretation ist. In diesem Zusammenhang ist wohl in erster Linie auf die in England vorgenommene Gesetzesauslegung im statutory context hinzuweisen201. Die besondere Bedeutung der zweckorientierten Auslegung hat der EuGH vielfach hervorgehoben; dabei hat er auch darauf hingewiesen, dass es sich um eine Interpretation intra legem, nicht um eine solche extra legem oder gar contra legem handelt202. Auch bei der teleologischen Interpretation des Gemeinschaftsrechts gilt es, den Grundsatz der autonomen Auslegung zu wahren. Die konkrete Bedeutung einer Vorschrift ist folglich wiederum nur im Wege einer staatenübergreifenden, von der Erzielung eines gemeinschaftsweiten Konsenses geleiteten Perspektive zu ermitteln203. Darüber 197

Vgl. EuGH GA Jacobs Rs. C-338/95 (Wiener SI GmbH v. Hauptzollamt Emmerich) Slg. 1997, S. I- 6496, Rn. 65. 198 Moss/Fletcher/Isaacs, Rz. 2.24 (dort in Fn. 69). 199 Vgl. Colneric, ZEuP 2005, 225, 227. 200 Smid, Internationales Insolvenzrecht, Vor Art. 1 EuInsVO, Rn. 13; Moss/Fletcher/ Isaacs, Rz. 2.25. Vgl. allgemein Colneric, ZEuP 2005, 525, 527. 201 Smid, Internationales Insolvenzrecht, Vor Art. 1 EuInsVO, Rn. 13; Moss/Fletcher/ Isaacs, Rz. 2.25. 202 EuGH GA Cosmas, Rs. C-125/97 (Regeling/Bestuur van de Bedrijvsvereinigung voor de Metaalnijverheid), Slg. 1998, S. I-4493, 4505. 203 Vgl. BGH, ZInsO 2004, 34; Colneric, ZEuP 2005, 225, 227 f.

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hinaus sind auch bei der Verordnungsauslegung der Subsidiaritätsgrundsatz, das Verhältnismäßigkeitsprinzip und der Grundsatz gegenseitigen Vertrauens zu berücksichtigen204. (2) Wortlaut der Vorschrift Zentraler Topos der nach dem Wortlaut des Art. 3 Abs. 1 S. 1 EuInsVO zur Ermittlung der internationalen Zuständigkeit anzustellenden Betrachtung sind die „hauptsächlichen Interessen“ des Schuldners. Dem Verordnungstext der EuInsVO ist eine weiterführende Definition dieses Begriffes nicht zu entnehmen. Zwar spricht auch der 13. Erwägungsgrund von den „Interessen“. Seinen erläuternden Ausführungen ist jedoch ebenfalls nicht mehr zu entnehmen, als dass Interessen vom Schuldner „verwaltet“ werden können. Der Begriff der „Interessen“ kennzeichnet, obwohl ursprünglich ein juristischer Begriff205, im herkömmlichen Sprachgebrauch Wissbegierde und Neigungen einer Person, aber auch Dinge, für die eine Person eintritt206. Es ist zwar aus einem anderen Zusammenhang längst anerkannt, dass auch juristische Personen Interessen haben können; der Begriff des „Unternehmensinteresses“ ist ein Phänomen, dessen nähere Konkretisierung seit langer Zeit Gegenstand des Gesellschaftsrechts ist207. Im Rahmen der Auslegung der EuInsVO helfen die im Rahmen dieser Diskussion gewonnenen Ergebnisse allerdings nicht weiter. Hier bedarf es – wie dargelegt – einer Auslegung im Regelungskontext des europäischen Insolvenzrechts. Die Begriffe „Mittelpunkt“ und „hauptsächlichen“ geben zwar zu erkennen, dass die Zuständigkeit zur Eröffnung des Hauptverfahrens an einem Ort begründet werden soll, an dem eine Akkumulation von bestimmten Faktoren stattfindet, die sich ihrerseits in neben- und hauptsächliche gewichten lassen. Die alles entscheidende Frage, welche Faktoren es sind, die sich hinter dem Wort „Interessen“ verbergen, bleibt jedoch unbeantwortet. Auch in den anderen sprachlichen Fassungen der Vorschrift, sei es in der englischen, in der vom „centre of main interests“ die Rede ist, in der

204

Smid, Internationales Insolvenzrecht, Vor Art. 1 EuInsVO, Rn. 14. Vgl. insoweit Kluge, Etymologisches Wörterbuch, Begriff „Interesse“, der darauf hinweist, dass der Begriff „Interesse“ zunächst als juristisches Fachwort ins Deutsche aufgenommen wurde. Die neuere Bedeutung der (geistigen) Teilnahme wird dem Begriff erst seit dem 13. Jh. entliehen. 206 Gerhard Wahrig, Deutsches Wörterbuch, Begriff „Interesse“. Auf die Diskrepanzen zwischen der herkömmlichen Verwendung des Begriffs „Interessen“ und seiner Bedeutung im EuInsVO weist auch Leipold, Vorschläge und Gutachten zum Umsetzung des EuInsÜ, S. 185, 190 hin. 207 Vgl. nur MünchKomm AktG/Hefermehl/Spindler, § 76, Rn. 69 ff. 205

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französischen, die vom „centre d’intérêts principeaux“208 spricht, oder etwa in der italienischen, in der man vom „centro degli interessi principali“ lesen kann, macht die verwendete Formulierung nicht aus sich heraus deutlich, was genau gemeint ist. Die Wendung stellt also in allen Sprachen eine synthetische Konstruktion dar, die der Kategorie der spezifisch gemeinschaftsrechtlichen begrifflichen Neubesetzungen zugeordnet werden kann209. Der Bericht von Virgós/Schmit zum insoweit wortlautidentischen EuInsÜ führt aus: „Durch die Verwendung des Wortes „Interessen“ sollen nicht nur handelsgewerbliche oder berufliche Tätigkeiten, sondern auch allgemein wirtschaftliche Tätigkeiten erfasst werden“210. Im folgenden Unterabsatz des Berichts heißt es, „bei Personen, die einer beruflichen Tätigkeit nachgehen [sei] der Mittelpunkt der hauptsächlichen Interessen der Ort, an dem sie diese Tätigkeit ausüben“211. Diesen Ausführungen lässt sich entnehmen, dass mit der Verwendung des Begriffs „Interessen“ zumindest auch die Tätigkeiten des Schuldners gemeint sind, obwohl diese, wie dargelegt, nach dem herkömmlichen Begriffsverständnis eher Ausdruck oder Folge von Interessen sind. Die Tätigkeiten des Schuldners können jedoch sehr heterogen sein – man denke beispielsweise an die von jedem Handelsunternehmen zu bewältigenden Verkaufs-, Einkaufs-, Verwaltungs- oder Finanzierungsaktivitäten. Auch die Gesetzgebungsunterlagen zum EuInsÜ beantworten somit nicht die Frage nach den konkreten Ansatzpunkten einer Subsumtion unter den Begriff der „Interessen“. Die Entscheidung des EuGH in der Rechtssache Eurofood hat diesen Aspekt ebenfalls nicht weiter konkretisiert. Diese Schwierigkeiten einer näheren Begriffsbestimmung durch Wortlautauslegung vermag auch das in Art. 3 Abs. 1 S. 1 EuInsVO angelegte Komplementärkriterium der Hauptsächlichkeit nicht zu lösen. Zwar soll dieses weitere Unterscheidungsmerkmal gerade dann eine Subsumtion unter die Kompetenznorm ermöglichen, wenn die „Interessen verschiedenartige Tätigkeiten beinhalten, die von verschiedenen Zentren aus ausgeübt 208 Der EuGH geht bei seiner Wortlautauslegung regelmäßig zunächst von der französischen Fassung des Verordnungstextes aus. Vgl. insoweit Colneric, ZEuP 2005, 225, 227. 209 Ähnlich Lautenfeld, European Business Law Review 2001, 79, 82 f., der darauf hinweist, dass eine gemeinschaftsautonome Begriffsbildung ohne Bezugnahme auf bestehende konkrete Anknüpfungen des Internationalen Zivilverfahrensrechts stattgefunden habe. 210 Virgós/Schmit, Bericht, Nr. 75. 211 Virgós/Schmit, Bericht, Nr. 75. Einen Interpretationsansatz, der stark an einer strikt auf die Tätigkeit des Gläubigers bezogenen Interpretation des Interessenbegriffs“ orientiert ist, stellt Klöhn, NZI 2006, 383 ff. vor. Dieser Ansatz vermag jedoch, bei Lichte besehen, die elemantaren Unsicherheiten auch nicht aus sich heraus zu überwinden.

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werden“212. Ohne eine nähere Konkretisierung der Einzelkriterien, mittels derer die Gewichtung stattfinden soll, ist das Merkmal der Hauptsächlichkeit einer Anwendung auf den jeweiligen Lebenssachverhalt allerdings nicht zugänglich. Im Wege einer Wortlautauslegung ist eine entsprechende Eingrenzung jedenfalls nicht möglich; der Begriff „hauptsächlich“ erklärt nicht aus sich heraus, ob es etwa einer qualitativen oder einer quantitativen Unterscheidung bedarf. Schließlich gibt auch Art. 3 Abs. 1 S. 2 EuInsVO, der bestimmt, dass bei Gesellschaften und juristischen Personen bis zum Beweis des Gegenteils das COMI am satzungsmäßigen Sitz bzw. dem registered office vermutet wird, keine weiteren Anhaltspunkte zur grammatikalischen Interpretation des Kriteriums. Der Bestimmung scheint die Hypothese zugrunde zu liegen, dass tatsächlicher Unternehmenssitz und Satzungssitz in vielen Fällen an einem Ort liegen. Diese Annahme kommt auch im letzten Unterabsatz des 75. Abschnitts des Berichts von Virgós/Schmit zum Ausdruck, wo es heißt, der satzungsmäßige Sitz entspreche „gewöhnlich dem Hauptsitz des Schuldners“213. Im Ausgangspunkt lässt sich dieser Bestimmung zwar entnehmen, dass das COMI häufig durch Umstände gekennzeichnet wird, die auch den Verwaltungssitz charakterisieren. Gewonnen ist damit jedoch wenig. Es kann daher festgehalten werden, dass aus einer Wortlautinterpretation keine wesentlichen Hindernisse für eine individuelle Interpretation des COMI-Kriteriums durch einzelne Verfahrensbeteiligte resultieren. Ausgehend vom Begriff „Mittelpunkt der hauptsächlichen Interessen“ eröffnet sich den Verfahrensbeteiligten mithin ein weitläufiges Interpretationspotenzial. (3) Auslegung nach dem Normzweck Maßgeblich kommt es für eine Ermittlung der aus der Unbestimmtheit von Art. 3 Abs. 1 EuInsVO resultierenden Einschränkungen mithin auf eine Auslegung nach Sinn und Zweck der Vorschrift an. Dabei bereitet schon die Bestimmung des Normzwecks Schwierigkeiten, da aus den einzelnen Normen der EuInsVO nicht ausdrücklich hervorgeht, was mit ihnen eigentlich erreicht werden soll214. Die Vorschrift des Art. 3 EuInsVO lässt ihren Anwender nicht nur über das Verständnis des Tatbestandes von Art. 3

212

Virgós/Schmit, Bericht, Nr. 75. Virgós/Schmit, Bericht, Nr. 75. Dieser Abschnitt wird argumentativ insbesondere von den Befürwortern der sog. „head office theory“ bemüht, die darin den Beweis dafür sehen, dass der Ort des faktischen Hauptsitzes der Gesellschaft den Mittelpunkt der hauptsächlichen Interessen darstellt. Zu dieser Theorie vgl. eingehend unten, S. 91 ff. 214 So auch Moss/Fletcher/Isaacs, Rz. 3.08, 3.10. 213

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EuInsVO, sondern auch über den konkreten Normzweck weitgehend im Dunklen. (a) Eingrenzung der Normzwecke In der Formulierung „Mittelpunkt der hauptsächlichen Interessen“ ist eine Ausprägung des allgemeinen international-privatrechtlichen „Prinzips der engsten Verbindung“ zu erkennen215. Daraus lässt sich jedoch kein valider Ansatzpunkt für eine systematisch-teleologische Normauslegung gewinnen. Das Prinzip der engsten Verbindung dient auch in vielen Normen des deutschen IPR als Anknüpfungspunkt216. Dabei findet allerdings regelmäßig eine weitere Konkretisierung der zur Bestimmung der engsten Verbindung unmittelbar heranzuziehenden Anknüpfungsmomente statt, da eine allein anhand der Umstände des Einzelfalls vorzunehmende, individualisierende Schwerpunktermittlung mit erheblichen Rechtsunsicherheiten verbunden ist217. Teilweise wird dem Kriterium der engsten Verbindung deshalb, soweit eine nähere Eingrenzung fehlt, gar jede Unterscheidungskraft abgesprochen und polemisiert, es handele sich bei dem Grundsatz um eine non rule218. Normen, die das Prinzip selbst zum Anknüpfungspunkt erheben, seien „Ausdruck der Verzweiflung, keine regelhaften Kriterien mehr benennen zu können“219. Eben diese weitere Eingrenzung der Anknüpfungsmomente ist es jedoch, an der es Art. 3 EuInsVO mangelt – zumindest bei isolierter Betrachtung des Tatbestandes. Aus dem Prinzip der engsten Verbindung allein lässt sich mithin zwar der Zweck ableiten, das Insolvenzverfahren von dem Gericht eröffnen zu lassen, das über die größte Sachnähe verfügt220. Rückschlüsse auf die konkreten von Art. 3 EuInsVO verfolgten Ziele und eine mit deren Berücksichtigung mögliche nähere Ausgestaltung des Kriteriums der Sachnähe lassen sich jedoch nicht zie-

215

Ehricke, EWS 2002, 101, 103; Ehricke/Ries, JuS 2003, 313, 314; Leible/Staudinger, KTS 2000, 533, 543; Duursma-Kepplinger, in: Duursma/Duursma-Kepplinger/ Chalupsky, EuInsVO, Art. 3, Rn. 12; Taupitz, ZZP 111 (1998), 315, 326. 216 Vgl. etwa Art. 4 Abs. 3 S. 2, 5 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 14 Abs. 1 Nr. 3, 28 Abs. 1 EGBGB sowie § 1051 Abs. 2 ZPO. 217 V. Hoffmann, Internationales Privatrecht, § 1, Rn. 14; vgl. exemplarisch für die unterschiedlichen denkbaren Konkretisierungen des Prinzips der engsten Verbindung Eidenmüller, Unternehmenssanierung, S. 956 ff., der bei der Auseinandersetzung mit der (im hier diskutierten Kontext irrelevanten) Frage der Bestimmung des Kooperationsstatuts bei der außergerichtlichen Sanierung multinational operierender Konzerngebilde verschiedene konkrete Anknüpfungspunkte benennt. 218 So Juenger, RabelsZ 46 (1982), 57, 72 m.w.N. 219 So v. Bar/Mankowski, Internationales Privatrecht, § 7, Rn. 92 (S. 606). 220 So beispielsweise auch Wimmer, ZInsO 2005, 119, 121.

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hen221. Stattdessen spiegelt sich im unbestimmten Tatbestand der Vorschrift die fehlende Operationalität, die dem Prinzip der engsten Verbindung in seiner nackten Form anhaftet. Anhaltspunkte für eine Auslegung der Zuständigkeitsordnung müssen daher in erster Linie die bereits benannten zuständigkeitsbezogenen Verordnungsziele sein: die Vermeidung des forum shopping, die Sicherstellung der Gläubigergleichbehandlung und das Ermöglichen einer funktionierenden Risikoantizipation für die Verfahrensbeteiligten. Über die genannten Verordnungsziele hinaus wird von Duursma/Duursma-Kepplinger in Ansehung von Art. 3 Abs. 1 EuInsVO ein weiterer, spezifisch dieser Vorschrift anhaftender Normzweck benannt. Ihrer Auffassung nach bestehen „Sinn und Zweck der Anknüpfung an den Mittelpunkt der hauptsächlichen Interessen“ auch in einer „Verfahrenskonzentration an jenem Ort, an dem sich erfahrungsgemäß die meisten Vermögensgegenstände und Gläubiger des Schuldners befinden“222. Wäre diese Zielsetzung bei Auslegung des COMI-Kriteriums tatsächlich von zentraler Bedeutung, so hätte dies für die Frage der Rechtswahlfreiheit je nach Lage des Falls einschneidende Konsequenzen. In Abhängigkeit davon, woraus sich das schuldnerische Vermögen konstituiert, wäre eine Einflussnahme auf die internationale Eröffnungszuständigkeit beinahe unmöglich (z. B. bei Industrieanlagen) oder gar sehr einfach möglich (z. B. bei leicht transportierbaren Vermögenswerten wie Fahrzeugen). Völlig unklar bliebe das Manipulationspotenzial bei Schuldnern, bei denen das Vermögen in erster Linie aus Beteiligungen besteht (z. B. bei Holding-Gesellschaften). Die Ausführungen von Duursma/Duursma-Kepplinger implizieren eine tatsächliche strukturelle Konzentration des Schuldnervermögens. Sie setzen voraus, dass es überhaupt einen Ort gibt, an dem sich die meisten Vermögensgegenstände befinden, was beispielsweise für Großunternehmen der Industrie, deren Anlagevermögen und Gläubiger oft weltweit verteilt sind, nur noch in Form einer relativen Vermögensakkumulation bejaht werden könnte. An dem jeweiligen Ort wäre dann zwar das „meiste“ Vermögen belegen. Verglichen mit dem Gesamtvermögen wäre diese Ansammlung jedoch im Extremfall verschwindend gering. Es ist daher unklar, ob der von Duursma/Duursma-Kepplinger formulierte Normzweck in der Lebenswirklichkeit überhaupt eine Entsprechung findet. Darüber hinaus stellt sich die elementare Frage, ob die Kompetenznorm das Insolvenz221

Anders offenbar Vormstein, Zuständigkeit bei Konzerninsolvenzen, S. 192, der aus diesem Prinzip gar ableiten will, dass es in Konzernkonstellationen auf den Ort ankomme „an dem die Konzernleitung tätig wird“, und damit eines der zentralen Probleme der Zuständigkeitsordnung im Sinne eines Konzerngerichtsstands löst. 222 Duursma/Duursma-Kepplinger, DZWIR 2003, 447, 448; Duursma-Kepplinger, ZIK 2003, 182, 185; vgl. auch dies., in: Duursma-Kepplinger/Duursma/Chalupsky EuInsVO, Art. 3, Rn. 12.

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verfahren wirklich an dem Ort stattfinden lassen will, an dem sich der Verfahrensgegenstand und die meisten der am Verfahren beteiligten Akteure befinden. Praktisch wäre dies wohl allemal: Die Gläubiger könnten ihre Forderungen mit vergleichsweise geringem Aufwand anmelden und in anderen Verfahrensabschnitten ihre Rechte unkompliziert wahrnehmen. Auch das Insolvenzgericht und der Insolvenzverwalter würden aufgrund der örtlichen Nähe zum Schuldnervermögen ihre Aufgaben regelmäßig einfacher erfüllen können. Wäre es jedoch ein Hauptanliegen der Verordnung, das Verfahren am Vermögensmittelpunkt, oder dort stattfinden zu lassen, wo sich die Mehrzahl der Gläubiger befindet, so hätte der Tatbestand des Art. 3 Abs. 1 S. 1 EuInsVO wesentlicher einfacher formuliert werden können. Statt kryptisch vom „Mittelpunkt der hauptsächlichen Interessen“ zu sprechen, hätte man etwa einfach vom „Vermögensmittelpunkt“ oder dem „Ort, an dem sich die meisten Gläubiger befinden“ sprechen können. Zwar sind auch dies Begriffe, die einer näheren Bestimmung bedürfen. Ihre Anwendung auf den jeweiligen Lebenssachverhalt wäre aber (notfalls unter Hinzuziehung der Geschäftsbücher) wohl immer noch einfacher gewesen, als es die Subsumtion unter Art. 3 Abs. 1 S. 1 EuInsVO ist. Weiterhin geben auch die Gesetzgebungsmaterialien keine Hinweise darauf, dass der von Duursma und Duursma-Kepplinger genannte Zweck wirklich intendiert war, sondern sprechen eher für das Gegenteil: Zum einen berichtet der Report von Virgós/Schmit weder im Zusammenhang mit Art. 3 EuInsVO noch an anderen Stellen von einem solchen Normzweck223. Zum anderen heißt es in der Initiative der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Finnland, die dem Rat im Hinblick auf die Annahme einer Europäischen Insolvenzverordnung am 26.05.1999 vorgelegt wurde, in Erwägungsgrund Nr. 13, Sätze 3 und 4: „Mit dem Mittelpunkt der hauptsächlichen Interessen wird ein Ort bezeichnet, zu dem der Schuldner regelmäßig die engsten Beziehungen unterhält, an dem sich seine vielfältigen Geschäftsbeziehungen konzentrieren und an dem zumeist der Schwerpunkt seines Vermögens belegen ist. Dieser Ort ist auch den Gläubigern bestens bekannt.“224.

Obwohl die Initiative vom Wirtschafts- und Sozialausschuss in seiner Stellungnahme insgesamt begrüßt wurde, findet sich in dieser keinerlei Bemerkung zum Entwurf des Art. 3 Abs. 1 S. 1 EuInsVO und zu den Erläuterun223

Virgós, Forum Internationale No. 25, S. 13, weist vielmehr ausdrücklich darauf hin, dass es für die Bestimmung der Eröffnungszuständigkeit gerade nicht auf die Belegenheit des Gesellschaftsvermögen ankomme („... not the place where the assets, whatever their value, are located“). 224 Initiative der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Finnland – dem Rat am 26.05.1999 vorgelegt – im Hinblick auf die Annahme einer Verordnung des Rates über Insolvenzverfahren, ABl. C 221/8, 9 (1999).

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gen in der Initiative225. Die in der Initiative vorgeschlagenen Änderungen wurden in die spätere EuInsVO schließlich nicht übernommen. Dieser Verzicht auf die Erweiterung des „Ergänzungstatbestandes“ in Erwägungsgrund Nr. 13, der auch in der Fassung der Initiative eher technische Ausführungen macht, als dass er die gesetzgeberischen Motive verdeutlicht, lässt Rückschlüsse auf den intendierten Normzweck zu. Denn wäre es das Ziel der EuInsVO, das Insolvenzverfahren am Vermögensmittelpunkt stattfinden zu lassen, so hätte im Normgebungsverfahren jedenfalls der Vorschlag der deutsch-finnischen Initiative aufgegriffen werden können. In diesem Zusammenhang ist allerdings darauf hinzuweisen, dass damit nicht ausgeschlossen werden soll, dass die Belegenheit des Schuldnervermögens ein bei der Subsumtion unter den geltenden Art. 3 Abs. 1 S. 1 EuInsVO maßgeblicher Umstand ist. Genauso wenig kann ausgeschlossen werden, dass sich an dem Ort, an dem der Mittelpunkt der hauptsächlichen Interessen anzunehmen ist, häufig „der Großteil des schuldnerischen Vermögen und die Mehrheit der Gläubiger“ befinden, wie Duursma-Kepplinger an anderer Stelle vorsichtiger ausführt226. Soweit es um die Frage nach dem Zweck der Vorschrift geht, kann als Zwischenergebnis indes nur festgehalten werden, dass die „Verfahrenskonzentration“227 in der von Duursma/Duursma-Kepplinger vorgeschlagenen Form nicht Zweck, sondern allenfalls Folge der Zuständigkeitsregelung ist. (b) Zusammenfassung Die Normzwecke, anhand derer eine teleologische Auslegung von Art. 3 Abs. 1 EuInsVO stattzufinden hat, sind die Verordnungszwecke der Ermöglichung einer Risikoantizipation durch die Verfahrensbeteiligten sowie der Verhinderung des forum shopping. Letztlich verbessert auch das letztgenannte Ziel die Vorhersehbarkeit. Es ließe sich folglich als Teilaspekt des erstgenannten Normzwecks begreifen228.

225

Stellungnahme des Wirtschafts- und Sozialausschusses vom 26.01.2000 zu der Initiative der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Finnland – dem Rat am 26.05. 1999 vorgelegt – im Hinblick auf die Annahme einer Verordnung des Rates über Insolvenzverfahren, ABl. C 75/1, 3, Nr. 3.7 (2000). 226 Duursma-Kepplinger, in: Duursma-Kepplinger/Duursma/Chalupsky, EuInsVO, Art. 3, Rn. 12. 227 Duursma/Duursma-Kepplinger, DZWIR 2003, 447, 448. Bemerkenswert an der Verwendung des Begriffs „Verfahrenskonzentration” ist, dass diese Bezeichnung in erster Linie zur Beschreibung des Verhältnisses mehrerer Verfahren gebraucht wird (vgl. zu dieser Thematik in Verbindung mit der EuInsVO unten, S. 286 ff.), es in dem Zitat jedoch ausschließlich um die Kompetenz zur Eröffnung eines Verfahrens über das Vermögen eines einzelnen Schuldners geht. 228 Ähnlich Moss/Fletcher/Isaacs, Rz. 3.10.

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(4) Teleologische Normauslegung und Rechtswahlfreiheit Damit ist der Ausgangspunkt statthafter Auslegung des COMI-Kriteriums gewonnen. Im Folgenden sollen die zentralen Fragen zu den Konturen des Kompetenztatbestands als wesentliche Determinanten einer Rechtswahl näher untersucht werden. (a) Einordnung des Erkennbarkeitskriteriums Dabei soll sich das Augenmerk zunächst auf methodische Frage der bei der Ermittlung des schuldnerischen COMI einschlägigen Betrachtungsweise richten. Insoweit besteht zwar Einigkeit darüber, dass es einer wirtschaftlichen Betrachtungsweise bedarf229. Wie das auch vom EuGH in seiner Bedeutung besonders hervorgehobene Komplementärkriterium der Erkennbarkeit bei der Bestimmung des COMI zu berücksichtigen ist, ist hingegen in der wissenschaftlichen Literatur streitbefangen. Könnte eine bestimmte Einordnung des Erkennbarkeitskriteriums ausgeschlossen werden, so ergäbe sich daraus eine wichtige Einschränkung für die Einwirkungsmöglichkeiten der Verfahrensbeteiligten. Die Voraussetzung der Erkennbarkeit kann bei Bestimmung der maßgeblichen Beurteilungsperspektive auf unterschiedliche Weise berücksichtigt werden. Dies ist bereits in der Analyse der mitgliedstaatlichen Judikate deutlich geworden. In Betracht kommt hier einerseits, dass dem Erkennbarkeitserfordernis lediglich die Funktion eines Korrektivs einer zunächst objektiven230 Ermittlung zukommt. Man könnte insoweit auch von einer zuständigkeitsbegrenzenden Rolle des Kriteriums sprechen. Andererseits könnte man in der Erkennbarkeit eines bestimmten Umstands durch Dritte eine notwendige Voraussetzung dafür sehen, diesen überhaupt als Anknüpfungsmoment heranziehen zu können. In dieser Aufgabe als Mindesterfor229

Vgl. nur Huber, ZZP 114 (2001), 133, 140; Kolmann, Kooperationsmodelle, S. 284; Prütting, Insolvenzrecht 2003, 59, 69; Smid, DZWIR 2003, 397, 399. Zweifelnd für die im Rahmen dieser Arbeit nicht weiter verfolgte Frage nach der Eröffnungszuständigkeit bei grenzüberschreitenden Insolvenzen von Privatpersonen, Leipold, Vorschläge und Gutachten zum Umsetzung des EuInsÜ, S. 185, 190. 230 Die Verwendung des Begriffes „objektiv“ im Zusammenhang mit der Ermittlung der Eröffnungszuständigkeit erfolgt uneinheitlich und ist daher nicht unproblematisch. Vielfach bezeichnet „objektiv“ eine Betrachtungsweise, bei der die Perspektive Dritter ausgeklammert ist und die Bestimmung ausgehend von einem vollständig aufgeklärten Sachverhalt erfolgt. Teilweise sollen mit dem Begriff jedoch gerade Anforderungen an die inhaltliche Ausgestaltung der Sichtweise Dritter oder die infrage kommenden Anknüpfungsmomente formuliert werden (im letzteren Sinne z. B. Pannen/Riedemann, NZI 2004, 646, 651; dies., EWiR 2005, 73, 74). Wenn im Folgenden von einer „objektiven“ Ermittlung die Rede ist, so wird damit eine Ermittlung bezeichnet, der keine (wie auch immer geartete) Perspektive eines Dritten zugrunde liegt, soweit nicht eine andere Einordnung kenntlich gemacht wird.

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dernis käme dem Kriterium im Hinblick auf die Einzelumstände eine zuständigkeitsbegründende Wirkung zu. (aa) Erkennbarkeitskriterium als Korrektiv Verschiedene Literaturstimmen haben sich für eine Einordnung im erstgenannten Sinne ausgesprochen. So argumentiert Prütting, das in den Gesetzgebungsmaterialien umfangreich dargestellte Kriterium der Erkennbarkeit sei als bloßes Korrektiv zu verstehen. Das COMI müsse daher zunächst „objektiv“ im Wege einer „wirtschaftlichen Betrachtung unter Berücksichtigung der konkreten Handelstätigkeit und der allgemein wirtschaftlichen Tätigkeit“ ermittelt werden231. Erst dann sei in einem weiteren Schritt das gefundene Ergebnis daraufhin zu untersuchen, ob ein Dritter, nachdem er sich eingehend aus öffentlich zugänglichen Quellen über die Geschäftsstruktur des Schuldners informiert hat, einen anderen Ort als den tatsächlichen Interessenmittelpunkt ansehen würde. Prütting hält eine solche Bestimmung im Wege einer objektiven Betrachtung für notwendig, da es ansonsten vorkommen könne, dass die Gläubiger des Schuldners in den verschiedenen Mitgliedstaaten unterschiedliche Orte als Mittelpunkt der hauptsächlichen Interessen ansehen könnten. Es gäbe in der Konsequenz dann mehrere Staaten, die zur Verfahrenseröffnung i.S. des Art. 3 Abs. 1 EuInsVO zuständig seien232, was auszuschließen sei. Mit der Forderung, das COMI sei zunächst objektiv zu ermitteln, ist Prütting nicht allein. In den zur Frage der Eröffnungszuständigkeit ergangenen Entscheidungen ist das Erkennbarkeitskriterium, wie dargelegt, vielfach nicht Ausgangspunkt der Erörterungen. Vielmehr wird auch hier eine im Hinblick auf ein bestimmtes Ergebnis eingeschlagene Argumentation verschiedentlich nur noch daraufhin untersucht, ob es mit dem Gesichtspunkt der Erkennbarkeit vereinbar ist233. Eine untergeordnete Rolle weist auch Moss dem Kriterium der Erkennbarkeit zu, wenn er zum 13. Erwägungsgrund ausführt: „[...] it does not say that the centre of main interests depends on ascertainability by third parties: it says that the centre of main interests is ascertainable because the debtor conducts the administration of his interests on a regular basis there. The focus is on an objectively ascertainable state of affairs, not subjective ascertainment by creditors“234.

231

Prütting, Insolvenzrecht 2003, 59, 70. Prütting, Insolvenzrecht 2003, 59, 70. 233 Vgl. statt aller Tribunale di Parma, ZIP 2004, 1220, 1222 sowie Tribunale di Parma ZIP 2004, 2295, 2296. 234 So Moss, Vortrag „International Aspects of German Insolvency Law and dealing with International Insolvency Proceedings“, 2. Deutscher Insolvenzrechtstag, 10.03.2005. Hervorhebungen aus dem Original des Handouts (S. 11). 232

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Moss befürwortet ebenfalls, dass zunächst eine objektive Ermittlung des Hauptsitzes (head office)235 des Schuldners stattfindet. Dieser könne dann – das folgt notwendig aus dem vorstehend geschilderten Verständnis der Aussagen des 13. Erwägungsgrundes – von Dritten wahrgenommen werden („[...] it is precisely there [gemeint ist der Ort, an dem die head office functions wahrgenommen werden] that third parties can ascertain such administration“)236. Mankowski spricht im Zusammenhang mit dem Erkennbarkeitskriterium von einer „Kontrollüberlegung“237. Dieser Begriff deutet darauf hin, dass auch er eine Vorgehensweise für statthaft erachtet, bei der das Ergebnis eines objektiven Ermittlungsvorganges erst im Nachhinein im Hinblick auf seine Erkennbarkeit für Dritte untersucht wird. Weiter führt Mankowski aus, die Sichtweise der Gläubiger könne „nicht allein ausschlaggebend sein, zumal wenn man ihr eine stark subjektive Färbung zubilligt“238. Er äußert sich damit zwar auch zu der von der Frage nach der Vorgehensweise unabhängigen Problematik der inhaltlichen Ausgestaltung des Erkennbarkeitskriteriums, gibt aber vor allem zu erkennen, dass er eine „Konkretisierung“ mittels „tatsächliche[r] Kriterien“ für notwendig hält239. Von der von Prütting befürworteten Ermittlungspraktik unterscheidet sich dieser Vorschlag daher – ungeachtet der konkret für ausschlaggebend gehaltenen Anknüpfungsmomente – vor allem bezüglich der Abfolge der Ermittlungsschritte. (bb) Erkennbarkeit als Grundvoraussetzung aller Anknüpfungsmomente Als Gegenmodell zu den dargestellten Vorgehensweisen ist eine Beurteilungsperspektive vorstellbar, bei der nur solche Umstände einen Anknüpfungspunkt zur Ermittlung der Zuständigkeit darstellen können, die einer Überprüfung am Kriterium der Erkennbarkeit standhalten. Eine derartige Perspektive wird verschiedentlich auch im deutschsprachigen Schrifttum ausdrücklich befürwortet240. So fordert Kübler, dass die Auslegung des Tatbestands des Art. 3 Abs. 1 S. 1 EuInsVO nur in die Benennung solcher Kriterien münden dürfe, „die potentiellen Gläubigern bei Beachtung der im 235

Eingehend zu dieser Figur unten, S. 91 ff. So Moss im weiteren Verlauf des Vortrages (Fn. 234). 237 Mankowski, NZI 2004, 450, 451. 238 Mankowski, NZI 2004, 450, 451. 239 Mankowski, NZI 2004, 450, 451 f. 240 Kübler, FS Gerhardt (2004), 527, 550 ff., 555; Wimmer, ZInsO 2005, 119, 121 ff. Ähnlich dürfte das von Virgós/Garcimartín, The European Insolvency Regulation, Nr. 52 entfaltete Kriterium des „primacy of the external sphere“ einzuordnen sein, mit dem der nach außen tretenden Manifestation der schuldnerischen Organisation gegenüber den in deren Inneren stattfindenden Vorgängen uneingeschränkt Vorrang eingeräumt werden soll. 236

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Verkehr erforderlichen Sorgfalt grundsätzlich bekannt sein können“241. Umstände, die für potenzielle Gläubiger „typischerweise nicht ersichtlich“ seien, könnten zur Festlegung des COMI nicht herangezogen werden242. Eine Küblers Ansatz stark ähnelnde Beurteilungsperspektive wird auch von Wimmer für erforderlich gehalten. Ihm zufolge können nur solche Anknüpfungsmomente bei der Ermittlung des Mittelpunkts der hauptsächlichen Interessen berücksichtigt werden, die „für die wesentlichen Beteiligten, also insbesondere für die Gläubiger, transparent und bei ihrem üblichen Umgang mit dem schuldnerischen Unternehmen erkennbar sind“243. An anderer Stelle spricht Wimmer gar von der Wahrnehmung des „breiten Publikums“244. Ein Verständnis des Erkennbarkeitskriteriums als Mindestanforderung aller zur Ermittlung des schuldnerischen COMI heranzuziehenden Umstände kann im Einzelfall zu erheblichen Unterschieden führen, da der als Ausgangspunkt für die Zuständigkeitsermittlung heranzuziehende Sachverhalt bei einem solchen Verständnis ein ganz anderer sein kann; alle rein internen Vorgänge würden bei einer solchen Vorgehensweise von vornherein ausgeschlossen sein. (cc) Kritik Die Einordnung des Erkennbarkeitskriteriums als bloßes Korrektiv begegnet durchgreifenden Bedenken und kann daher nicht Grundlage der Ermittlung der Unschärfen des Kompetenztatbestandes sein. Gegenüber einer zuständigkeitsbegrenzenden Einordnung bestehen bereits mit Blick auf die gewählten dogmatischen Konstruktionen Zweifel. Nachdem die von Prütting aufgeführten Abgrenzungsmerkmale auch bei juristischen Personen, die keinen besonderen Publizitätspflichten unterliegen, regelmäßig einfach zu ermitteln sein oder aber häufig selbst dem Gericht – das sich ebenfalls in erster Linie zugänglicher Quellen bedienen wird – im Rahmen seiner „objektiven“ Ermittlung verschlossen bleiben werden, wird deutlich, dass der von Prütting als „tatsächlich“ bezeichnete Mittelpunkt der hauptsächlichen Interessen in aller Regel von dem nach den gemachten Einschränkungen für Dritte erkennbaren nicht abweicht. Das Korrektiv erweist sich damit als in seinem Anwendungsbereich auf die Ausnahmesituation beschränkt, in der sich die maßgeblichen Umstände zwar durch das Gericht, durch Dritte jedoch selbst nach eingehender Recherche nicht ermitteln lassen. Die Bezeichnung des von Prütting als grundsätzlich maßgeblich erachteten, objektiv ermittelten Interessenmittel241

Kübler, FS Gerhardt (2004), 527, 555. Kübler, FS Gerhardt (2004), 527, 555. 243 Wimmer, ZInsO 2005, 119, 122. 244 Wimmer, ZInsO 2005, 119, 123. 242

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punktes als „tatsächlich“ ist darüber hinaus nicht besonders glücklich. Denn mit der Verwendung dieses Begriffes wird eine in Wirklichkeit nicht vorhandene Feststellbarkeit im naturwissenschaftlichen Sinne suggeriert, deren Nichtbestehen gerade den Kern des Problems ausmacht: Die Feststellung des COMI ist immer von der in der EuInsVO leider nicht beantworteten Frage der näheren Interpretation des Tatbestands von Art. 3 Abs. 1 EuInsVO abhängig. Sie bleibt damit stets Definitionsfrage. Erfüllt ein bestimmter Ort allerdings die jeweils aufgestellten Kriterien, so ist er der „tatsächliche“ Interessenmittelpunkt245. Auch Moss’ Ausführungen zur Vorgehensweise bei der Ermittlung des COMI ist zu widersprechen. Zwar ließe sich die Erkennbarkeit des Schuldners bei einer auf den Wortlaut des 13. Erwägungsgrundes beschränkten Betrachtung in der Tat als bloße Folge einer Subsumtion unter Art. 3 Abs. 1 S. 1 EuInsVO ansehen, bei der die weiteren Vorgaben des 13. Erwägungsgrundes (von Moss zum Kriterium des head office gebündelt) beachtet werden. Aus dem Satzbau der Erwägungsgründe Näheres über die zur Bestimmung der Eröffnungszuständigkeit einschlägige Methode ableiten zu wollen ist darüber hinaus angesichts der bemerkenswerten Gestaltung der Formulierungen des Berichts von Virgós/Schmit insgesamt ein fragwürdiges Vorgehen. Der Bericht liest sich – wie dargelegt246 – stellenweise wie ein positiver Erfahrungsbericht, obwohl er zu einem Zeitpunkt verfasst wurde, zu dem weder das EuInsÜ noch die EuInsVO auch nur einen Tag in Kraft gewesen sind. Wenn Moss bezüglich der näheren Ausgestaltung des Erkennbarkeitskriteriums fordert, dass es auf ein objektives Erkennenkönnen, nicht jedoch die subjektiven Feststellungen der Gläubiger selbst ankommen soll, so ist dies lediglich die zwingende Konsequenz seiner Einordnung des Kriteriums. Dass der Sicht Dritter die Funktion eines nachträglichen Korrektivs zukommt, ist bei diesem Verständnis allerdings notwendig ausgeschlossen. Die Vorhersehbarkeit i.S. eines Erkennenkönnens, die Moss bei der von ihm befürworteten Vorgehensweise stets als gewahrt betrachtet, kann mithin nur im Wege ihrer (unausgesprochenen) Einbeziehung bei der Festlegung des objektiven Kriteriums des head office erreicht werden. Anderenfalls lässt sich die Moss’ Ausführungen zugrunde liegende, axiomatische Annahme, die zur Ermittlung der Eröffnungszuständigkeit herangezogenen Umstände seien stets durch Dritte wahrnehmbar, nicht rechtfertigen. Insoweit unterscheidet sich Moss’ Ansatz auch von demjenigen Prüttings, 245

Korrekt ist insoweit etwa die Verwendung des Begriffs „tatsächliche[r] Interessenmittelpunkt“ in Abgrenzung zum vermuteten Interessenmittelpunkt i.S. von Art. 3 Abs. 1 S. 2 EuInsVO bei Duursma-Kepplinger, in: Duursma-Kepplinger/Duursma/Chalupsky, EuInsVO, Art. 3, Rn. 30. 246 Vgl. oben, S. 24 f.

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der davon ausgeht, dass das von Dritten wahrgenommene COMI sich durchaus von dem objektiv ermittelten, von ihm als „tatsächlich“ bezeichneten unterscheiden kann. Das maßgebliche Argument gegen eine Einordnung der Erkennbarkeit als bloßes Korrektiv ist allerdings in den Normzwecken zu erblicken, die als Fluchtpunkte der Auslegung isoliert werden konnten. Diese Sichtweise würde nämlich der Zwecksetzung nicht gerecht, die aus dem gesamten Kontext, dem der Erwägungsgrund wörtlich entnommen wurde, hervorgeht. Wie dargelegt, verdeutlichen insbesondere die Ausführungen des Berichts von Virgós/Schmit, dass die Erkennbarkeit des Schuldners und die damit einhergehende Vorhersehbarkeit der Eröffnungszuständigkeit nicht bloße Folge, sondern gerade Zweck der Verordnung sind247. Mithin kann auch die im 13. Erwägungsgrund bezeichnete Erkennbarkeit nicht im Sinne von Moss’ Ausführungen nur als Effekt einer ordnungsgemäßen Ermittlung der Eröffnungszuständigkeit angesehen werden – welche Kriterien hierfür auch im Einzelnen statthaft sein mögen. Nimmt man die zentrale Stellung des Aspekts der Vorhersehbarkeit des Risikos der Internationalität ernst, so können bei der Bestimmung der Eröffnungszuständigkeit mithin allein solche Umstände berücksichtigt werden, die in den Beziehungen zwischen Schuldner und Dritten erkennbar gewesen sind. Die für die Erkennbarkeit vereinzelt formulierte Anforderung eines intensiven Studiums öffentlich zugänglicher Quellen stellt insoweit eine Verobjektivierung dar, die einer funktionierenden Risikoantizipation zuwiderlaufen könnte: Zwar kennt der Rechtsverkehr, insbesondere für Kaufleute, erhebliche Publizitäts- und Informationspflichten248. Es ist allerdings zu bezweifeln, dass deren Befolgung bereits den Anforderungen genügt, die mit dem Erfordernis einer „eingehenden Information aus öffentlich zugänglichen Quellen“ verbunden sind. Damit würden an das Korrektiv Maßstäbe angelegt, die über denjenigen liegen, welche die Rechtsbeziehung kennzeichnen, in der die Risikoantizipation ermöglicht werden soll. An diesem Punkt wird außerdem deutlich, dass sich das Problem der Einordnung unterschiedlicher Sichtweisen Dritter auch bei einer von objektiven Feststellungen ausgehenden Betrachtungsweise unausweichlich stellt. Eine normative Beschränkung und Gewichtung der unter-

247 Vgl. ausführlich die Ausführungen oben, S. 24 ff. Daher kann dahinstehen, ob sich aus der Existenz der gesetzlichen Vermutung in Art. 3 Abs. 1 S. 2 EuInsVO im Wege systematischer Auslegung eine „Vertrauensschutzwirkung“ ableiten lässt (so Kübler, FS Gerhardt [2004], 527, 551) oder ob diese Vermutung allein die Aufgabe hat, in Zweifelsfällen zu einer Lösung zu kommen. 248 Zu denken ist hier etwa an die Publizitätswirkungen des Handelsregisters (§ 15 HGB) i.V.m. der handelsrechtlichen Publizitäts- und Eintragungspflichten (z. B. §§ 29, 31, 53, 106, 125, 143 HGB).

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schiedlichen Sichtweisen Dritter muss also auch dann stattfinden, wenn diesen allein regulative Bedeutung zukommt. Auch unter dem Gesichtspunkt der Vermeidung des forum shopping scheint eine von einer „objektiven“ Betrachtung anhand weniger Kriterien ausgehende Vorgehensweise nicht unproblematisch. Wie bereits dargelegt, steigen die Möglichkeiten des Schuldners, durch Einwirkung auf den zu bewertenden Sachverhalt die Eröffnungszuständigkeit zu beeinflussen, grundsätzlich mit Abnahme der Anzahl der für maßgeblich erachteten Kriterien249. Eine auf ein bestimmtes Kriterium wie den Hauptverwaltungssitz fokussierte, „objektive“ Bestimmung beinhaltet folglich ein vergleichsweise hohes Einwirkungspotenzial und weist den Verfahrenbeteiligten zudem den Weg zu den erfolgversprechenden Ansatzpunkten manipulativen Handelns auf der Ebene tatsächlicher Veränderungen. Ähnliches gilt für die Umsetzung des Erfordernisses der Erkennbarkeit durch eine objektivierte Sichtweise Dritter: Je weniger das tatsächliche Auftreten des Schuldners am Markt berücksichtigt wird, desto eher ist es diesem möglich, gegebenenfalls kurzfristig Veränderungen vorzunehmen. Brauchen sich diese bloß in öffentlich zugänglichen Quellen wie etwa dem Handelsregister, einer Zeitung oder gar der Website des Schuldners im Internet niederzuschlagen, so sind eine Erfüllung des Erkennbarkeitskriteriums und mit ihm auch die Einwirkung auf die Determinanten der Eröffnungszuständigkeit verhältnismäßig einfach zu bewerkstelligen. Hinzu kommt, dass die Voraussetzung einer Erkennbarkeit auch nach den spärlichen zuständigkeitsbezogenen Ausführungen des EuGH in der Sache Eurofood kaum noch als bloß korrektives Komplementärkriterium angesehen werden können. In der Entscheidung ist davon die Rede, dass das COMI „nach objektiven und zugleich für Dritte feststellbaren Kriterien zu bestimmen“ sei, „um Rechtssicherheit und Vorhersehbarkeit bei der Bestimmung des für die Eröffnung eines Hauptverfahrens zuständigen Gerichts zu garantieren“250. Mit dieser Passage der Entscheidung dürfte nicht nur die Frage nach den nach Auffassung des Gerichtshofs zu berücksichtigenden Normzwecken als rechtsverbindlich geklärt anzusehen sein. Die genannten Ausführungen der Entscheidung sind so zu verstehen, dass nicht allein das Kriterium als solches, sondern auch die zur Subsumtion unter das Kriterium heranzuziehenden tatsächlichen Umstände per se erkennbar sein müssen. Denn der EuGH leitet aus der Erkennbarkeitsvoraussetzung des Kriteriums das Erfordernis ab, „Elemente“, mit denen beabsichtigt würde, die gesetzliche Vermutung zu widerlegen, müssten ihrerseits „für 249

Siehe oben, S. 36. EuGH, Rs. C-341/04 (Eurofood), Urteil vom 02.05.2006, Rn. 33 f. In der englischen Originalfassung heißt es: „[…] criteria that are both objective and ascertainable by third parties […]“. Hervorhebungen jeweils durch den Verfasser. 250

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Dritte feststellbar sein“. Auch ergäben die argumentativen Rückgriffe des EuGH auf das Verordnungsziel der Ermöglichung einer Risikoantizipation251 anderenfalls keinen Sinn. (dd) Zusammenfassung Soll die Inanspruchnahme der internationalen Eröffnungszuständigkeit unter Ausnutzung der Unbestimmtheit des Kompetenztatbestands stattfinden, so wird sie nur dann erfolgreich sein, wenn sie mit erkennbaren tatsächlichen Umständen begründet wird. Ein zuständigkeitsbegründendes Verständnis des Erkennbarkeitserfordernisses ist als konzeptionelles Gegenstück zu einer maßgeblich objektiven Bestimmung spiegelbildlich von den mit jener Vorgehensweise verbundenen Vor- und Nachteilen betroffen. Dies gilt ungeachtet der individuellen Unterschiede, die allein die nähere Eingrenzung der mit dem Erkennbarkeitskriterium verbundenen Anforderungen betreffen. Daraus folgt, dass eine Beurteilungsperspektive, die a priori durch das Erkennbarkeitskriterium bestimmt wird, prinzipiell eher in der Lage ist, dem Normzweck der Vorhersehbarkeit der Insolvenzrisiken Rechnung zu tragen. Sie verringert außerdem die Wahrscheinlichkeit, dass die Vorschrift des Art. 3 Abs. 1 EuInsVO entgegen den mit der EuInsVO angestrebten Zielen zum „Vehikel“252 einer manipulativen Beeinflussung der Eröffnungskompetenz wird: Der Prüfstein der Erkennbarkeit stellt sicher, dass zahlreiche Faktoren, die im Inneren des schuldnerischen Unternehmens lokalisiert sind und auf die der Schuldner daher in besonderer Weise Einfluss nehmen kann, bei der Subsumtion unter die Zuständigkeitsnorm von Anfang an „ausgeblendet“ werden. Mit dieser Verringerung der jeweils in Betracht zu ziehenden Anknüpfungsmomente reduziert sich naturgemäß auch die Anzahl der aus ihnen abstrakt abzuleitenden Kriterien, denn Umstände, die für Dritte nicht erkennbar sind, können im Gegensatz zu einer objektiven Bestimmung der Eröffnungszuständigkeit im Rahmen der Auslegung des Tatbestands nicht berücksichtigt werden. Ist Erkennbarkeit unumstößliche Voraussetzung aller in Betracht kommenden Anknüpfungspunkte, so führt dies – bei einer abstrakten Betrachtung – zu einer Einschränkung der Möglichkeiten des forum shopping mittels manipulativer Sachverhaltsbeeinflussung. Eine Umstellung der Betriebsorganisation, die zu einer Verschiebung der Eröffnungszuständigkeit führte, würde außerdem erkennbar sein, sodass die Gläubiger sich auf die Veränderungen einstellen könnten253. Darüber hinaus würden jedoch auch 251

EuGH, Rs. C-341/04 (Eurofood), Urteil vom 02.05.2006, Rn. 32. Kübler, FS Gerhardt (2004), 527, 554. 253 Ob der insbesondere von Kübler, FS Gerhardt (2004), 527, 555 hervorgehobene Effekt, „negative Überraschungen“ zu verhindern, auch im Einzelfall eintritt, hängt aller252

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diejenigen Einwirkungsmöglichkeiten beschränkt, die sich erst auf rechtlicher Ebene aufgrund der Vielzahl der abstrakten Kriterien ergeben. Allerdings wirft ein vom Merkmal der Erkennbarkeit beherrschter Beurteilungsmaßstab in besonderer Weise Anschlussfragen auf. In seiner rechtstatsächlichen Dimension könnte sich der soeben gewonnene Zwischenbefund daher weitaus weniger einschränkend auswirken, als man zunächst vermuten wollte. Denn die Folgefragen betreffen die inhaltliche Ausgestaltung des Kriteriums. Soweit auf zentrale Fragen wie etwa die, auf wessen Sicht es ankommen soll, welches Maß an Kenntnis zu fordern ist und wie eine Gewichtung etwaiger unterschiedlicher Wahrnehmungen vorgenommen werden kann, keine verbindlichen Antworten bestehen, werden die durch Art. 3 Abs. 1 EuInsVO eröffneten interpretatorischen Freiheiten weiterhin nicht eingeschränkt. Auch insoweit resultieren aus der Betonung des Erkennbarkeitskriteriums durch den EuGH kaum unmittelbare Verkürzungen der durch Art. 3 Abs. 1 EuInsVO vermittelten Wahlmöglichkeiten. (b) Einzelaspekte – Grenzen teleologischer Auslegung Die weiterhin ungeklärten Fragen sind letztlich zwei Komplexen zuzuordnen, die in Wechselwirkung zueinander stehen. Bei der ersten Frage geht es darum, wann die Erkennbarkeitsvoraussetzung im Einzelnen als erfüllt angesehen werden kann. Eng damit zusammen hängt die zweite Frage, welche die zur Ermittlung des COMI heranzuziehenden Anknüpfungsmomente sind und wie diese gewichtet werden können. (aa) Gegenstand des Erkennbarkeitserfordernisses Für das nähere Verständnis des Erkennbarkeitskriteriums kommt es darauf an, auf wen zur Bestimmung der Erkennbarkeit abzustellen ist. Die Entscheidung des EuGH hat insoweit keine verbindliche Konkretisierung gebracht254. Der Verordnungstext grenzt den Personenkreis, auf dessen Wahrnehmungen es im Hinblick auf das Kriterium der Erkennbarkeit ankommen soll, nicht näher ein. Erwägungsgrund Nr. 13 spricht insoweit undifferenziert von „Dritten“. Dieser Begriff ließe, für sich genommen, aufgrund seiner Unbestimmtheit verschiedene Interpretationsergebnisse zu; mit ihm könnte genauso eine breite Öffentlichkeit gemeint sein wie die potenziellen oder konkreten Gläubiger des Schuldners oder andere Verfah-

dings von verschiedenen Einzelfragen der inhaltlichen Ausgestaltung des Erkennbarkeitskriteriums ab, vgl. zusammenfassend S. 97. 254 So auch Knof/Mock, ZIP 2006, 911, 915.

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rensbeteiligte wie etwa der Verwalter oder das zuständige Gericht255. Als „Dritter“ scheidet in den Ausführungen des Erwägungsgrunds allein der Schuldner selbst aus, denn die Bezeichnung wird gerade diesem gegenüber zur Abgrenzung verwendet. Im erläuternden Bericht zum EuInsÜ, dem der Text des Erwägungsgrundes entstammt, heißt es im Rahmen der Erörterungen zum Zweck der Zuständigkeitsregelung, es gehe darum, die durch die Internationalität begründeten Risiken des Verfahrens für „potentielle Gläubiger“ kalkulierbar zu machen256. Nachdem nicht auf andere Verfahrensbeteiligte eingegangen wird, impliziert der Bericht also, dass der Begriff des Dritten sich auf diese Gläubiger beschränkt. Viele Stimmen in Literatur und Rechtsprechung schließen sich den Ausführungen des Berichts an, ohne auf das Problem des maßgeblichen Personenkreises selbst weiter einzugehen257. Dass es bei der Ermittlung der Eröffnungszuständigkeit maßgeblich auf die Gläubiger ankommen muss, zeigt eine zweckbezogene Bestimmung des Kriteriums. Wie dargelegt, ist das mit dem Merkmal der Erkennbarkeit verfolgte Ziel eine weitreichende Ermöglichung des Vorhersehens der mit der Insolvenz verbundenen Risiken. Es geht folglich um die Antizipation von Risiken, durch die allein die Geschäftsbeziehungen zwischen dem späteren Insolvenzschuldner und seinen Gläubigern gekennzeichnet sind258. Schon daraus ergibt sich, dass es auf die Wahrnehmungen all derjenigen Verfahrensbeteiligten, die erst nach Eintritt der Insolvenz mit dem Schuldner in Kontakt treten, nicht ankommen kann. Nachdem die Vorhersehbarkeit von Risiken letztlich nur dann sinnvoll ist, wenn auf die dabei gewonnenen Einschätzungen noch reagiert werden kann, muss mit dem Erkennbarkeitskriterium der Versuch unternommen werden, alle mit dem Schuldner in Geschäftsverbindungen stehenden Personen in den Genuss der mit der Vorhersehbarkeit verbundenen weitreichenden Kalkulierbarkeit der rechtlichen Insolvenzrisiken zu bringen259. Nur unter Einbeziehung dieses Personenkreises besteht die Möglichkeit, dass das Kriterium mehr leistet, 255

Prütting, Insolvenzrecht 2003, 59, 69 reduziert die infrage kommenden Auslegungsmöglichkeiten auf die Alternativen „potentielle Gläubiger“ oder aber „objektiver Verkehrskreis“, was angesichts der offenen Formulierung bei deren isolierter Betrachtung zumindest ungenau ist. 256 Virgós/Schmit, Bericht, Nr. 75. 257 High Court of Justice Leeds, ZIP 2005, 963, 965; Kübler, FS Gerhardt (2004), 527, 551, 554; Ehricke, EWS 2002, 101, 103; Lautenfeld, European Business Law Review 2001, 79, 83; Mankowski NZI 2004, 450, 451. 258 Ähnlich Smid, Internationales Insolvenzrecht, Art. 3, Rn. 9, der von einem „spezifischen Risiko des Gläubigers“ spricht, ohne allerdings mit seinen Ausführungen ausdrücklich den Personenkreis einzugrenzen. 259 So sprechen etwa Moss/Fletcher/Isaacs, Rz. 3.10 zutreffend von „parties who have dealings with a debtor“.

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als den Gläubigern die mit einer von ihnen schon getroffenen Entscheidung verbundenen rechtlichen Konsequenzen vor Augen zu führen. Bei der Bestimmung des COMI anhand seiner Erkennbarkeit müsste es also auf die Sicht sowohl der konkreten als auch der potenziellen Gläubiger ankommen. Unklar ist weiter, welchen Grad der Erkennbarkeit ein Umstand aufweisen muss, um zur Bestimmung der internationalen Eröffnungszuständigkeit bemüht werden zu können. Aus dem Normzweck ergibt sich zwar, dass es nicht allein auf die subjektiven Wahrnehmungen der Gläubiger ankommen kann. Wann genau ein Umstand allerdings als erkennbar anzusehen sein wird, ist im Wege der Auslegung von Art. 3 Abs. 1 EuInsVO nicht mit hinreichender Sicherheit zu beantworten. Auch die EuGH-Entscheidung in der Rechtssache Eurofood lässt eine verbindliche Klärung insoweit vermissen. Schon an dieser Stelle zeigt sich, dass eine weitere Konkretisierung des Zuständigkeitstatbestandes hin zu operablen Größen, anders als es die Auseinandersetzungen um das Erkennbarkeitserfordernis implizieren, trotz dessen grundlegender Einordnung im Wege systematisch-teleologischer Normauslegung kaum möglich ist. (bb) COMI-Lokalisierung als Gewichtungsproblem Die soeben gewonnene Zielvorgabe der Erkennbarkeit für alle Gläubiger wird sich in rechtstatsächlicher Hinsicht nicht ohne weitreichende Abstriche umsetzen lassen. Denn in praxi wird man bei einem Unternehmen, das eine Vielzahl ganz unterschiedlicher Gläubiger (etwa Kunden, Lieferanten, Finanziers) hat, zwangsläufig in zweierlei Hinsicht eine Gewichtung vornehmen müssen260: Zum einen sind die verschiedenen Gläubigerperspektiven zu gewichten, die durchaus unterschiedliche Orte als COMI ausweisen können, zum anderen ist auch innerhalb einer bestimmten, für maßgeblich erachteten Perspektive eine Gewichtung der auf unterschiedliche Orte hindeutenden Anknüpfungsmomente erforderlich. Diese Notwendigkeiten ergäben sich wenigstens dann, wenn es stets nur einen Interessenmittelpunkt gäbe. Verschiedentlich wird es für möglich gehalten, dass mehrere Orte bestehen können, die als Interessenmittelpunkt i.S. von Art. 3 Abs. 1 S. 1 EuInsVO anzusehen sind261. Andere Stimmen 260 Eine solche Gewichtungsaufgabe kommt letztlich auch dem von Virgós/Garcimartín, The European Insolvency Regulation, Nr. 49, 54 kreierten Merkmal „principle of unity“ zu. 261 Kolmann, Kooperationsmodelle, S. 284. Allerdings setzt die Argumentation Kolmanns implizit voraus, dass der Mittelpunkt der hauptsächlichen Interessen als Kriterium nicht erst durch die EuInsVO entsteht, sondern diese auf eine ohnehin „objektiv“ bestehende Größe nur noch Bezug nimmt. Die Schwierigkeiten der näheren Interpretation von Art. 3 Abs. 1 S. 1 EuInsVO resultieren jedoch gerade daraus, dass die Tatbestandsmerk-

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hingegen weisen darauf hin, dass es nur ein einziges COMI geben könne262. Die dafür vorgebrachten Argumente sind nicht immer stichhaltig. Wenn beispielsweise argumentiert wird, die Zuständigkeit der Verfahrenseröffnung könne nur an einem Ort bestehen, da gem. Art. 3 Abs. 3 S. 1 EuInsVO auch nur ein Hauptverfahren über das Vermögen des Schuldners stattfinden könne263, dann ist dem zu entgegnen, dass diese Regelung durchaus auch andere Schlussfolgerungen zulässt. Denn die Beschränkung auf ein Hauptverfahren ist bereits durch dessen Natur einer (freilich territorial durchbrochenen) Universalität bedingt. Der gesetzlichen Beschränkung der Anzahl der Hauptverfahren lässt sich so gesehen zu Fragen der Ermittlung der Eröffnungszuständigkeit letztlich gar keine Aussage entnehmen264; sie betrifft vielmehr allein den Fragenkreis der Wahrnehmung dieser Kompetenzen. Aus diesem Grunde würde umgekehrt auch die Annahme zweier Mittelpunkte der hauptsächlichen Interessen nicht zur Unvereinbarkeit mit dem Universalitätsprinzip führen, denn die gesetzliche Höchstzahl von einem Hauptverfahren im Anwendungsbereich der Verordnung bliebe vom Bestehen einer Alternativzuständigkeit unberührt. Es käme dann allerdings vielfach zu Kompetenzkonflikten, mit denen wiederum eine Vielzahl von noch ungeklärten Folgefragen verbunden ist265. Stichhaltige Anhaltspunkte dafür, dass die Eröffnungszuständigkeit lediglich an einem Ort bestehen kann, gibt der Wortlaut der zentralen Kompetenzvorschrift des Art. 3 Abs. 1 EuInsVO, in dem nur von einem Interessenmittelpunkt die Rede ist. Auch die Verwendung des Tatbestandselements „Mittelpunkt“ impliziert, dass die zuständigkeitsbegründenden Voraussetzungen für jeden Tatbestand nur einmal vorhanden sein können. Entscheidend kommt es nun allerdings darauf an, ob auch das Problem der male der Vorschrift nicht bereits mit objektiven Größen korrespondieren, sondern diese gewissermaßen neu erschaffen. Die von Kolmann beschriebene Situation betrifft außerdem den Fall, dass an zwei Orten – unter stillschweigend vorausgesetzter Zugrundelegung einer maßgeblichen Beurteilungsperspektive – zwei gleichwertige Interessenmittelpunkte bestehen. Er beschreibt also das Problem einer Pattsituation zwischen den jeweils heranzuziehenden Anknüpfungsmomenten. Das von Kolmann hierfür genannte Beispiel der „völlig gleichwertigen Verwaltungszentralen“ des DaimlerChrysler-Konzerns vermag allerdings in Anbetracht der tatsächlichen Lage nicht zu überzeugen. 262 Balz, ZIP 1996, 948, 949, ders., 70 American Bankruptcy Law Journal (1996), 485, 504; Prütting, Insolvenzrecht 2003, 59, 73. 263 So Balz, ZIP 1996, 948, 949; Duursma-Kepplinger, in: Duursma-Kepplinger/ Duursma/Chalupsky, EuInsVO, Art. 3, Rn. 15. 264 Anders Duursma-Kepplinger, in: Duursma-Kepplinger/Duursma/Chalupsky, EuInsVO, Art. 3, Rn. 15, die u.a. aus Passagen der Berichts von Virgós/Schmit, welche die Exklusivität des Hauptverfahrens betreffen, die Aussage ableitet, dass Alternativzuständigkeiten nicht bestehen können. 265 Die aus dem Prioritätskonflikt resultierenden Fragen sind im weiteren Verlauf Gegenstand der Arbeit, siehe S. 139 ff.

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auseinanderfallenden Beurteilungsperspektiven von dieser Alleinstellungsmaxime umfasst sein soll oder diese lediglich die Ordnung der „innerperspektivisch“ heranzuziehenden Anknüpfungsmomente betrifft. Dass sich der Verordnungsgeber des Problems der zu unterschiedlichen Ergebnissen führenden divergierenden Beurteilungsperspektiven bewusst war, darf bezweifelt werden, denn das Problem wird in den Materialien zu EuInsVO und EuInsÜ an keiner Stelle erwähnt. Schon im Hinblick auf dieses grundsätzliche ungeklärte Problem besteht für die Akteure ein erheblicher Argumentationsspielraum. Darüber hinaus ist unklar, wonach sich die Gewichtung der unterschiedlichen Anknüpfungsmomente und (soweit man mit der hier vertretenen Auffassung davon ausgeht, dass es nur ein COMI geben kann) Perspektiven vollzieht. Denkbar wäre insofern, die in den einzelnen Beziehungen zwischen den konkreten und potenziellen Gläubigern und dem Schuldner erkennbar gewordenen Anknüpfungsmomente im Rahmen einer an Unternehmensgegenstand und Organisationsgefüge orientierten, normativen Betrachtung zu gewichten266. Auch bei der Frage der Gewichtung der aus den unterschiedlichen Gläubigerperspektiven entstehenden Einschätzungen könnte eine Ordnung anhand des Unternehmensgegenstandes in Betracht zu ziehen sein. Ein solches Vorgehen wird beispielsweise in der Entscheidung des High Court of Justice Leeds in der Sache ISA/Daisytek erkennbar, der argumentiert, „im Falle einer Handelsgesellschaft“ seien die „Dritten“, auf deren Sicht es maßgeblich ankomme, „in der Regel Finanzierer und Zulieferer“267. Beide Ansätze bergen jedoch naturgemäß ein weiter verbleibendes, hohes Unsicherheitspotenzial bezüglich der Lokalisierung des COMI. Auch andere Gewichtungsansätze sind vorstellbar, so etwa die Bildung von Schnittmengen, wonach das COMI den kleinsten gemeinsamen Nenner aller Perspektiven darstellte. Denkbar ist auch eine Gewichtung anhand des repräsentierten Forderungsvolumens268. Darüber hinaus käme eine Ordnung anhand der Anzahl der repräsentierten Schuldner-Gläubiger-Beziehungen infrage. 266 Ein solches Vorgehen fordern ausdrücklich Wimmer, ZInsO 2005, 119, 122 f.; Kübler, FS Gerhardt (2004), 527, 549. 267 High Court of Justice Leeds, NZI 2004, 219, 221. 268 Vgl. Eidenmüller, NJW 2004, 3455, 3457. Eine solche Sichtweise wird auch in der Entscheidung des High Court of Justice Leeds, NZI 2004, 219, 221 deutlich, in der bei der Ermittlung der Eröffnungszuständigkeit auf die Sicht „bezogen auf die Forderungshöhe [...] größten Mehrheit“ der Gläubiger abgestellt wird. Ein solches Vorgehen halten Weller, IPRax 2004, 412, 416 sowie Knof/Mock, ZIP 2006, 911, 915 für unstatthaft, da es den Gleichbehandlungsgrundsatz verletze. Nicht zuletzt angesichts dessen spezifischer Besonderheiten im Zusammenhang mit dem internationalen Insolvenzrecht (dazu oben, S. 28 ff.) wird man eine Gewichtung nach Forderungsvolumen jedoch nicht schon aus diesem Grund ausschließen können.

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Eine Entscheidung zwischen diesen Vorgehensweisen im Wege der Auslegung des COMI-Kriteriums gelingt nicht und ist auch in der Entscheidung des EuGH in der Rechtssache Eurofood nicht in abstrakter Form angelegt269. (cc) Einzelne Anknüpfungsmomente; Kriterienbündel der head office theory und mind-of-management-Doktrin Aus den vorstehend geschilderten Unsicherheiten dogmatischer Art folgt, dass auch die einzelnen Faktoren, anhand derer im Einzelfall das COMI zu bestimmen sein wird, in aller Regel nicht mit Sicherheit feststehen. Daran hat sich durch die EuGH-Entscheidung letztlich nichts geändert. In dieser wird zwar mit dem Begriff der „Tätigkeiten“ operiert, auf deren Erkennbarkeit es ankomme. Allerdings wird, wie dargelegt, an keiner Stelle näher ausgeführt, auf welche Tätigkeiten in concreto abzustellen ist270. Auf die Weitläufigkeit des Begriffs wurde bereits hingewiesen271. Gerade bei international agierenden Schuldnern können einzelne Anknüpfungsmomente auf ganz unterschiedliche Eröffnungszuständigkeiten hindeuten. So ist es etwa, wenn ein Unternehmen mit Satzungssitz in einem Mitgliedstaat der Gemeinschaft seinen Verwaltungssitz in einem zweiten, seinen Einkauf in einem dritten und seine wichtigsten Handelspartner und Finanziers in einem weiteren Mitgliedstaat hat. Das Postulat, entscheidend komme es auf die Erkennbarkeit „objektive[r] und zugleich für Dritte feststellbare[r] Elemente“ an272, führt daher kaum zu einer Beschränkung der Anknüpfungsmomente. Prima facie scheint die Auseinandersetzung darüber, ob es für die Eröffnungszuständigkeit darauf ankommt, von wo das schuldnerische Unternehmen gelenkt wird273, oder darauf, von wo aus sich das operative Geschäft, also die werbende Tätigkeit des Unternehmens, entfaltet274 (um nur die zwei Eckpunkte der Auseinandersetzung in Erinnerung zu rufen), nach 269

Vgl. oben, S. 63 ff. So auch Knof/Mock, ZIP 2006, 911, 914 f. 271 Oben, S. 71 f. 272 EuGH, Rs. C-341/04 (Eurofood), Urteil vom 02.05.2006, Rn. 33, 36. 273 In diesem Sinne könnten etwa die Entscheidungen AG München, NZI 2004, 450, High Court of Justice Leeds, ZIP 2004, 963, 964 und Tribunale di Parma ZIP 2004, 1220, 1221f. zusammengefasst werden. Vgl. auch Eidenmüller, in: Ausländische Kapitalgesellschaften, § 9, Rn. 11; Huber, ZZP 114 (2001), 133, 141. Ein ganzes Kriterienbündel benennen Virgós/Garcimartín, The European Insolvency Regulation, Nr. 49, 50 mit der Bedingung des „primacy of the administrative connection“, der wesentlichen inhaltlichen Spezifizierung des COMI-Kriteriums in der von ihnen zur Ermittlung des COMI entwickelten Trias an Bedingungen. 274 Auf diese Formel ließe sich etwa die Entscheidung des AG Mönchengladbach, NZI 2004, 383 ff. zuspitzen. Vgl. auch Wimmer, ZInsO 2005, 119, 123. 270

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dem EuGH-Urteil im Fall Eurofood im Sinne der zweiten Alternative entschieden. Zur Bestimmung des COMI kämen danach neben dem Satzungssitz zunächst alle diejenigen Umstände in Betracht, die sich als konstitutiv für die Begriffe der „Tätigkeit“ bzw. der „Verwaltung der Interessen“ darstellen. Neben dem ohnehin in den seltensten Fällen einwandfrei identifizierbaren275 „Ort der Entfaltung des operativen Geschäfts“276 kämen auch die Produktionsstätten277 weiterhin als Anknüpfungspunkt infrage. Auch hinsichtlich weiterer Umstände, die sich je nach Lage des Falls für die Ermittlung der „Tätigkeit“ fruchtbar machen ließen, ergeben sich weder aus den gewonnenen Ergebnissen der teleologischen Exegese noch aus der EuGH-Entscheidung im Fall Eurofood durchgreifende, generelle Einschränkungen. Dies gilt sowohl für die tatsächliche Belegenheit der Büroräume und Warenlager278 als auch für Aufenthaltsort und Reisetätigkeit des Managements279 als auch für das Auftreten des einzelnen Schuldners am Markt (corporate identity)280 und seine Postadresse281. Voraussetzung bleibt freilich, dass das Erkennbarkeitskriterium gewahrt bleibt. Auch hier 275 Zum einen ist das Kriterium für sich genommen schon aufgrund seiner begrifflichen Weite wenig bestimmt, denn das operative Geschäft entfaltet der Schuldner im Wege zahlreicher Einzelaktivitäten, wie etwa Einkauf, Verkauf von Waren oder Vertrieb von Dienstleistungen. Damit ist die Frage aufgeworfen, welche dieser Facetten des Geschäftsbetriebes den Ort des operativen Geschäfts kennzeichnet. Zum anderen stellt sich das Problem, dass die zur Subsumtion unter den Terminus „werbendes Handeln“ in Betracht kommenden Umstände vom betriebenen Geschäft, also dem Gegenstand des schuldnerischen Unternehmens, abhängen, was für jeden Schuldner eine individuelle Bestimmung des Orts des operativen Geschäfts erforderlich macht, vgl. Kübler, FS Gerhardt (2004), 527, 549. 276 An diesen knüpfen AG Mönchengladbach, NZI 2004, 383, 384 und Weller, IPRax 2004, 412, 415 f., 417 an. Ähnlich Pannen/Riedemann, NZI 2004, 646, 651 sowie Kübler, FS Gerhardt (2004), 527, 548 ff., der das Kriterium des „Orts des operativen Geschäfts“ als Gegenmodell zu einer Anknüpfung an den „Ort der Verwaltungskontrolle“ verstanden wissen will. 277 Vgl. Wimmer, ZInsO 2005, 119, 123; Kübler, FS Gerhardt (2004), 527, 550. Virgós, Forum Internationale No. 25, S. 13, spricht hingegen gerade in Abgrenzung zu der im 13. Erwägungsgrund genannten Verwaltung der Interessen von den Produktionsstätten. 278 Hamburger Kommentar InsR/Undritz, Anhang zu §§ 335 ff., Rn. 36. 279 Vgl. High Court of Justice Leeds, ZIP 2004, 963, 965. 280 Mit dieser in der vierten Vorlagefrage im Verfahren Eurofood eingeführten Größe ist ebenfalls kein wesentlicher Gewinn an Rechtssicherheit erzielt worden. Der Begriff als solcher ist unbestimmt und wird auch in den Entscheidungsgründen nicht weiter konkretisiert. Für die Verfahrensbeteiligten ergibt sich folglich die Möglichkeit, nicht aber die Notwendigkeit, darzulegen, wieso der jeweilige Schuldner unter „vollständiger und stetiger Wahrung […der] eigenen Corporate Identity“ tätig wurde. 281 Das Urteil des EuGH, Rs. C-341/04 (Eurofood), Urteil vom 02.05.2006, Rn. 35 verdeutlicht mit der Verwendung des Begriffs „Briefkastenfirma“ freilich, dass es auf den zuletzt genannten Umstand keinesfalls allein ankommen kann.

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bieten die weiterbestehenden Unschärfen umfangreichen Argumentationsspielraum. Dasselbe gilt für das sogenannte head office, das in Literatur282 und Rechtsprechung283 mit Hinweis284 auf die Materialien zum EuInsÜ285 als maßgebliches Anknüpfungsmoment befürwortet wird. Nach der sog. head office theory werden die Voraussetzungen des Art. 3 Abs. 1 EuInsVO durch den „Hauptverwaltungssitz“ der Gesellschaft erfüllt. Bei genauem Hinsehen stellt freilich auch der Hauptverwaltungssitz kein eigenständiges Kriterium zur Ermittlung der Eröffnungszuständigkeit dar, sondern ist als ausfüllungsbedürftiger Begriff lediglich eine Bezeichnung für die Bündelung einer Vielzahl von Einzelmerkmalen. Unter Rückgriff auf das Abgrenzungsmerkmal des head office ließe sich das COMI im Fall Eurofood in Italien und nicht in Irland lokalisieren, was in Widerspruch zur Beantwortung der vierten Vorlagefrage durch den EuGH stünde. Gleichwohl führt die Entscheidung nicht dazu, dass das Kriterium zukünftig als Anknüpfungspunkt gänzlich ausscheidet. Denn Gegenstand der abstrakten Vorlagefrage im Fall Eurofood war eine abstrahierte Situation, in der ein Schuldner „der Verwaltung seiner Interessen in einer für Dritten erkennbaren Art und Weise“ in dem vom EuGH danach als COMI identifizierten Mitgliedstaat nachgeht. Gegenstand der head office theory ist jedoch letztlich die Frage, wie der Begriff der „Tätigkeit“ zu verstehen ist. Nachdem die Vorlagefrage diesen entscheidenden Teil der Subsumtion unter Art. 3 Abs. 1 EuInsVO, wie dargelegt, teils vorwegnimmt, kann die Entscheidung die head office theory letztlich gar nicht be282

Vgl. nur Eidenmüller, in: Ausländische Kapitalgesellschaften § 9, Rn. 11 (tatsächlicher Sitz der Hauptverwaltung); Moss/Fletcher/Isaacs, Rz. 8.39 (head office functions); Huber, ZZP 114 (2001), 133, 141; Moss, Vortrag „International Aspects of German Insolvency Law and dealing with International Insolvency Proceedings“, 2. Deutscher Insolvenzrechtstag, 10.03.2005, Handout S. 11. (head office functions theory); Prütting, Insolvenzrecht 2003, 59, 71 (tatsächlicher Hauptverwaltungssitz); vgl. auch Moss, IILR 2011, 237, 238. 283 In den unveröffentlichten Entscheidungen Enron Directo SA sowie Crisscross Telecommunications Group begründete der London High Court seine Eröffnungskompetenz damit, dass sich die headquarter functions (diesen Begriff verwendet auch das skeleton argument des Antragstellers im Fall Enron Directo SA [vgl. Fn. 96, dort S. 5]) bzw. headquarter activities in London befänden, zit. nach Pannen/Riedemann NZI 2004, 646, 648. Vgl. auch AG Duisburg, NZI 2003, 658, 659 (tatsächliche zentrale Verwaltung); AG Duisburg, NZI 2003, 160 (zentrale Leitungs- und Verwaltungseinrichtungen) sowie Tribunal de Commerce de Nanterre, PCL 2006J00174 (Fn. 155). 284 Moss, Vortrag „International Aspects of German Insolvency Law and dealing with International Insolvency Proceedings“, 2. Deutscher Insolvenzrechtstag, 10.03.2005, Handout S. 11. 285 Virgós/Schmit, Bericht, Nr. 75 sprechen vom „Hauptverwaltungssitz“ bzw. „head office“.

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rühren286 – jedenfalls solange dabei nicht allein auf eine funktionelle, konzernübergreifende Betrachtung abgestellt wird287. Die head office theory betrifft mithin Fragestellungen, die dem Gegenstand des Vorabentscheidungsverfahren vorgelagert sind288. Erfasste man als Tätigkeiten nicht die Leitungsmacht als solche, sondern gerade diejenigen Einzelfunktionen, die in einer Konzernkonstellation von einer der Gesellschaften übernommen werden, so ließe sich die head office theory als praktisch verwertbares Argumentationsmuster auch nach der Entscheidung des Gerichtshofs im Fall Eurofood beibehalten. Entscheidungsrezensionen durch Praktiker nach Eurofood lassen genau diesen Ansatz erkennen289. Dieses Vorgehen bleibt auch durch die anderen Ausführungen der Entscheidung unberührt. Denn wie dargelegt werden konnte, fehlt es an substantiierten Ausführungen des Gerichtshofs zum konkreten inhaltlichen Verständnis des Kompetenztatbestandes. Darüber hinaus ist zu konstatieren, dass die gewonnenen Auslegungsergebnisse und die Ausführungen des EuGH selbst für die von Praktikern aus der Taufe gehobene sog. mind-of-management-Doktrin nicht schlechterdings das Ende bedeutet. Mit dem Begriff mind of management290 wird eine Betrachtungsweise bezeichnet, derzufolge bei Bestimmung der Eröffnungszuständigkeit maßgeblich darauf abzustellen ist, wo die strategischen Entscheidungen des Unternehmens getroffen werden. Eine solche Sichtweise wird in einigen der Entscheidungen291 und in der Literatur befürwor286 I. Erg. ebenso Moss, Insolvency Intelligence 2006, 97, 99: „[T]he ECJ judgment does not in any way contradict or overturn the „head office functions“ case-law“;vgl. auch Moss, IILR 2011, 237, 238. Anders offenbar Kammel, NZI 2006, 334, 336, 338. 287 Etwa im Sinne der head office functions theory, vgl. dazu Fn. 282. Zur Behandlung dieser Figur siehe sogleich (mind-of-management-Ansatz). 288 Dies wird auch im Schlussantrag des EuGH GA Jacobs im Fall Eurofood, ZIP 2005, 1878, Nr. 111, 112 deutlich, wenn er ausführt, er halte den head-office-Ansatz für „vernünftig und überzeugend“, aber wenig geeignet, um die Vorlagefrage zu beantworten. 289 So weitgehend die Einschätzung eines Praktikers, der die auf der head office theory fußende Entscheidung EMTEC (dazu Penzlin, EWiR 2006, 207 f.) als mit den in der Eurofood-Entscheidung statuierten Voraussetzungen für vereinbar hält: „[T]he courts reasoning does seem to meet the standards subsequently set by the Court of Justice in Eurofood, as the administration of the debtor was not only able to be influenced by its affiliates, but rather was obviously factually conducted by the French companies and managing directors.“ (White&Case Insolvency Notes May 2006, im Internet abrufbar unter ). 290 Der Begriff wurde im Zusammenhang mit den Kompetenzvorschriften der EuInsVO maßgeblich vom englischen Insolvenzverwalter im Verfahren Daisytek/ISA, Stephen Taylor, geprägt, vgl. Leithaus, NZI 2004, 194, 195. 291 Dies gilt insbesondere für die Entscheidungen im Fall Daisytek/ISA, High Court of Justice Leeds, ZIP 2003, 1362 f., NZI 2004, 219 ff. sowie die darauf Bezug nehmende Entscheidung des AG München, NZI 2004, 450.

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tet. Bei genauem Hinsehen benennt auch der mind-of-management-Ansatz nicht einen bestimmten, konkreten Umstand, mittels dessen die Eröffnungszuständigkeit direkt festgestellt werden könnte292. Denn der Prozess der strategischen Entscheidungen kann sich sehr vielgestaltig und an verschiedenen Orten vollziehen. Für die Praxis müssen die Vertreter dieser Auffassung also implizit voraussetzen, dass überhaupt ein feststellbares Zentrum des Prozesses der strategischen Entscheidungsfindung besteht. Genauso wie mit der verwandten293 head office theory wird hier folglich mit dem Ziel der Bündelung aller Insolvenzverfahren der zu einem Unternehmensverbund gehörenden Schuldner eine Art synthetisches Zwischenkriterium geschaffen, für das eine tatsächliche Entsprechung axiomatisch angenommen wird. Zwar ist nach der Entscheidung des EuGH gerade nicht auf die rechtliche und faktische Leitungsmacht der Muttergesellschaft als solche abzustellen – die in der geschlossen formulierten Vorlagefrage diesbezüglich angebotene Alternative wurde verneint294. Allerdings ist auch hier zu berücksichtigen, dass die Vorlagefrage – und damit die Entscheidung – allein eine Situation betrifft, in der bereits a priori feststeht, dass die Tätigkeiten des Schuldners (eindeutig) in einem bestimmten Mitgliedstaat stattfinden. Es ist indes auch vorstellbar, dass diese Voraussetzungen für den Schuldner in keinem Staat zutreffen, da er als bloße Zwischenholding nirgends in der von der Vorlagefrage vorausgesetzten Art und Weise tätig wird295. In diesem Fall kann nach dem Aussagegehalt der Eurofood-Entscheidung auf

292 Leithaus, NZI 2004, 194, 195 zitiert Taylor beispielsweise so, dass es zur Bestimmung u.a. auch auf die Finanzierungsaktivitäten des Schuldners ankomme. 293 So nimmt etwa Moss, Vortrag „International Aspects of German Insolvency Law and dealing with International Insolvency Proceedings“, 2. Deutscher Insolvenzrechtstag, 10.03.2005, Handout S. 10 im Rahmen seines Plädoyers für die head office theory ausdrücklich auf die vom mind-of-management-Ansatz beherrschten Entscheidungen Bezug. In seinem Beitrag in Insolvency Intelligence 2006, 97 ff. beschränkt er sich gar auf die Darlegung der head office approach. In einem dem Verfasser vorliegenden Fragebogen, in dem Stephen Taylor, engagierter Verfechter des mind-of-management-Konzepts, aufgefordert wird, im Namen der im Verwaltungsgeschäft unter der EuInsVO maßgeblich engagierten Wirtschaftsprüfungsgesellschaft PriceWaterhouseCoopers (Verwalter u.a. in den Fällen Daisytek/ISA, Parkside Flexibles SA sowie MG Rover Group) der Regierung des Vereinigten Königreichs seine bisherigen Erfahrungen mit der EuInsVO zu schildern, vereinnahmt dieser mit den Entscheidungen Enron Directo, BRAC, Crisscross, Automold, Daisytek, Ci4net sowie Eurofood gleich eine ganze Reihe der ergangenen Judikate für das Konzept des mind of management. 294 EuGH, Rs. C-341/04 (Eurofood), Urteil vom 02.05.2006, Rn. 36. 295 Es fehlt dann ggf. auch an der von Haubold, in: Gebauer/Wiedemann, Art. 3 EuInsVO, Rn. 46 als Mindestvoraussetzung geforderten „nach außen sichtbare[n] Tätigkeit von einiger Dauer und Intensität“. Dennoch wird keinesfalls bezweifelt werden können, dass auch solche Schuldner ein COMI haben müssen.

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Art. 3 Abs. 1 S. 2 EuInsVO nicht abgestellt werden296. Es erscheint dann denkbar, wenn nicht je nach Lage des Falles gar erforderlich, auf Umstände wie die Belegenheit von Kreditsicherheiten oder aber auf die konzerninterne Einbindung des Schuldners abzustellen, sei es im Rahmen von Zahlungsflüssen oder im Rahmen der faktischen Ausübung der Leitungsmacht. Allerdings müsste auch die Lokalisierung des COMI nach dem mind-ofmanagement-Kriterium dem Erkennbarkeitserfordernis genügen. Darauf, dass eine Nichterkennbarkeit bei wörtlichem Verständnis des Begriffs mind schon dem Kriterium selbst immanent ist, wurde in der Literatur schon früh hingewiesen297. Aber auch der letztlich gemeinte Prozess der strategischen Planung selbst ist nur in seltenen Fällen durch Dritte wahrnehmbar. Das liegt daran, dass die betreffenden Entscheidungen, auch soweit sie zentral erfolgen, vielfach tatsächlich „im Kopf“ des Geschäftsführers oder aber von einem Kollegialorgan getroffen werden, das großes Interesse daran hat, etwaige interne Differenzen über die zu treffenden Entscheidungen nicht öffentlich werden zu lassen. Für den Geschäftsverkehr sind folglich zumeist allenfalls die Mitteilung, die Weitergabe und die Umsetzung der Entscheidungen wahrnehmbar. Erst diese Vorgänge, die indes vielfach bereits den vorstehend genannten, einzelnen Anknüpfungsmomenten zugeordnet werden können, lassen das Kriterium des mind of management operabel werden. Insoweit beinhaltet das Abstellen auf den Ort der strategischen Entscheidungsfindung regelmäßig kein zusätzliches Anknüpfungsmoment. Eine unmittelbare, also nicht durch weitere, erkennbare Einzelumstände mediatisierte Bezugnahme auf den Ort der strategischen Unternehmensplanung wird daher zur Begründung der Eröffnungszuständigkeit nur in besonderen Ausnahmefällen denkbar sein, in denen die strategische Unternehmensplanung und ihre unternehmens- oder ggf. konzerninterne Umsetzung ausnahmsweise für den Rechtsverkehr erkennbar werden. Das ist in erster Linie für solche Fälle vorstellbar, in denen das schuldnerische Unternehmen selbst gar nicht oder kaum am Rechtsverkehr mit Dritten teilnimmt und sich daher – wenn es überhaupt in Erscheinung tritt – als unselbstständiger Teilbereich des lenkenden Unternehmens darstellt. Diese in der Literatur als „echte Fernsteuerung“298 oder auch „verlängerte Werkbank“299 bezeichneten Konstellationen werden selten sein. Sie können jedoch durchaus umfassende Vermögen betreffen. Jedenfalls ist auch mit der Entscheidung in der Rechtssache Eurofood kein Schlussstrich unter die Bestrebungen gesetzt, Art. 3 Abs. 1 EuInsVO einen konzernrechtlichen Regelungsgehalt abzugewinnen. Genauso wenig 296

EuGH, Rs. C-341/04 (Eurofood), Urteil vom 02.05.2006, Rn. 35. Eidenmüller, NJW 2004, 3455, 3456. 298 Lautenbach, NZI 2004, 384, 386. 299 Kübler, FS Gerhardt (2004), 527, 550; Wimmer, ZInsO 119, 123. 297

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lässt sich freilich ein solcher Regelungsgehalt als einzig vertretbares Auslegungsergebnis nachweisen. d. Zusammenfassung Was genau im Einzelfall den COMI eines Schuldners ausmacht, ist unklar und wird es für den weit überwiegenden Teil internationaler Insolvenzen innerhalb der Gemeinschaft auch bis auf Weiteres bleiben. Dabei sind sowohl die konkreten, für die Bestimmung des Interessenmittelpunkts heranzuziehenden Anknüpfungsmomente als auch ihre Gewichtung zweifelhaft. Eine Annäherung an das Kriterium im Wege der Wortlautinterpretation und im Wege der teleologisch-systematischen Auslegung des Gemeinschaftsrechts gelingt nur sehr begrenzt; die genannten Einzelfragen, auf die es zur Ermittlung der Eröffnungszuständigkeit ankommt, lassen sich trotz der zur Reichweite des Komplementärkriteriums der Erkennbarkeit gewonnenen Ergebnisse nicht abschließend beantworten. Ihre verbindliche Klärung, die zu einer hinreichenden Konturierung des Kompetenztatbestands führte, wird – wenn überhaupt – erst im Rahmen einer Vielzahl von Entscheidungen durch den EuGH bewältigt werden können. Trotz der Einschränkungen, die der EuGH gegenüber bestimmten Interpretationsansätzen in der Entscheidung im Fall Eurofood zum Ausdruck bringt, verbleibt ein weitreichender Interpretationsspielraum, denn die Entscheidung enthält nur wenige Ausführungen, die in der Praxis konkreten Anhalt für die Festlegung des COMI geben könnten300. Insbesondere führt auch die in der Entscheidung bei formaler Betrachtung vorgenommene Stärkung der gesetzlichen Vermutung in Art. 3 Abs. 1 S. 2 EuInsVO301 kaum zu praktischen Einschränkungen, da das Urteil weitestgehend offenlässt, womit die Vermutung im Einzelnen zu widerlegen wäre. Vereinzelte Einschätzungen halten gar die vor der Entscheidung des EuGH entwickelten Ansätze zur Bestimmung des COMI anhand der faktischen und rechtlichen Herrschaftsstrukturen innerhalb des Konzerns für mit dieser Rechtsprechung vereinbar302, obwohl diese durch das Judikat auf den ersten Blick gerade geschwächt werden sollte. Dass sich die Gläubiger über das COMI ihres potenziellen Insolvenzschuldners verlässlich und ohne großen Aufwand, etwa „durch einen Blick ins Handelsregister informieren können“303, bleibt daher bis auf Weiteres 300

Ähnlich Poertzgen/Adam, ZInsO 2006, 505, 510. Eine solche konstatieren etwa Knof/Mock, ZIP 2006, 911, 914. 302 Oben, Fn. 289. 303 So die Forderung von Wimmer, ZInsO 2005, 119, 123. Er widerspricht mit diesem Postulat allerdings seinen eigenen Ausführungen, denen zufolge es für die Bestimmung der Eröffnungszuständigkeit maßgeblich auf die Belegenheit der Geschäftsräume oder Fabrikationsräume ankomme, denn dieser Umstand ergibt sich ebenfalls nicht zwangsläu301

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ein bloßer Wunsch. Für den hier untersuchten Aspekt der durch Art. 3 Abs. 1 EuInsVO vermittelten, faktischen Rechtswahlfreiheit ist daher festzustellen, dass sich bereits aus der Kompetenznorm weitreichende Möglichkeiten der Verfahrensbeteiligten ergeben, die Zuständigkeit zur Durchführung eines Verfahrens in einem bestimmten Forum zu verorten. Dies gilt insbesondere für international agierende Schuldner und auch für solche, die einem transnational agierenden Konzern zugehörig sind. Schon für den ersten der drei denkbaren Ansatzpunkte einer Rechtswahl, die Unbestimmtheit des Kompetenztatbestandes der EuInsVO, ist daher festzustellen, dass er eine Einwirkung auf den Ort der Verfahrenseröffnung ermöglicht. Dazu bedarf es keines großen Aufwands. Kosten entstehen durch diese Vorgehensweise insbesondere in Form von Rechtsberatungs- oder Gutachtenkosten. Insbesondere große Gläubiger können diese ohne Weiteres stemmen. Ob Verfahrensbeteiligte mit diesem vergleichsweise geringen Kosten schon ihr Ziel einer erfolgreichen Rechtswahl erreichen, hängt letztlich von den Wechselwirkungen mit den anderen Vorgehensweisen und bei diesen anfallenden Kosten ab304. 3. Grenzen der Rechtswahl durch nationales Recht Für die Frage der Rechtswahlsfreiheit privater Akteure wäre es von großer praktischer Relevanz, wenn die Mitgliedstaaten die Kompetenzvorschriften der EuInsVO durch Normen ihres nationalen Rechts überlagern könnten. Es wäre dann möglich, gezielt auf diejenigen Faktoren, die de lege lata eine Rechtswahl ermöglichen, Einfluss zu nehmen. Die Grenzen der „Rechtswahlfreiheit“ unter der EuInsVO bestimmten sich dann nicht allein nach Gemeinschaftsrecht, sondern gleichermaßen nach dem einfachgesetzlichen Sachrecht der Mitgliedstaaten. Auch würden die Mitgliedstaaten ein forum shopping selbst begünstigen oder bremsen können, wenn sie auf die Zuständigkeitsordnung Einfluss nehmen könnten. Damit könnten sie letztlich innerhalb bestimmter Grenzen über die Frage der Anwendbarkeit ihres nationalen Sach- und Verfahrensrechts disponieren. a. Kompetenzvorschriften des nationalen Insolvenzrechts Diskutiert wird in diesem Zusammenhang besonders, ob Vorschriften des autonomen mitgliedstaatlichen Rechts, denen zufolge die Insolvenzverfah-

fig aus dem Handelsregister. Darüber hinaus ist zu berücksichtigen, dass gerade vertraglich etablierte Konzernstrukturen, die Wimmer zufolge gerade keine zuständigkeitsbegründende Bedeutung haben können, jedenfalls für die Fälle des Vertragskonzerns eintragungspflichtig sind (§ 294 AktG) und somit bei Bestimmung der Eröffnungskompetenz anhand des Handelsregisters zu berücksichtigen wären. 304 Vgl. dazu die Darstellungen unten S. 105 ff. und insb. 171 f.

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ren über die Vermögen aller einem Konzerngebilde zugehöriger Gesellschaften an einem Ort stattzufinden haben, die durch die EuInsVO statuierte Zuständigkeitsordnung zu überlagern vermögen. Wäre diese Frage zu bejahen, stünde es den Mitgliedstaaten anheim, innerhalb ihrer Insolvenzrechte Konzernzuständigkeiten zu etablieren und so eine bisweilen oft nur rein faktisch unter Ausnutzung der kompetenz- und anerkennungsrechtlichen Besonderheiten der EuInsVO geschaffene „Konzernzuständigkeit“ allgemeingültig zu positivieren. Eine solche Konzernzuständigkeit sieht etwa das italienische Recht in Art. 80 legge sull’ amministrazione straordinaria delle grandi imprese in crisi vor305. Auch das polnische, spanische, französische und irische Insolvenzrecht kennen eine solche Bündelung der Kompetenzen306. Paulus erblickt im Falle des Bestehens einer solchen Vorschrift ein Problem im Umfeld des Art. 4 EuInsVO307. Er argumentiert, ausweislich Art. 4 Abs. 2 S. 1 EuInsVO regele die lex fori concursus auch die Eröffnungsvoraussetzungen des Insolvenzverfahrens. Dass in der Kollisionsvorschrift des Art. 4 EuInsVO stets nur von einem Insolvenzverfahren die Rede sei, bedeute nicht, dass das einmal anwendbare mitgliedstaatliche Insolvenzrecht nicht auch bezüglich anderer konzernzugehöriger Gesellschaften verbindlich die Eröffnungszuständigkeit regeln könne308. Sehe das mitgliedstaatliche Recht also eine Konzernzuständigkeit vor, so müsse diese nach Art. 4, 16 f. EuInsVO „akzeptiert werden“309. Diese Ausführungen verheißen auf den ersten Blick eine attraktive Beantwortung vieler der aufgeworfenen Kompetenzfragen. Bei näherer Betrachtung offenbart die Argumentation aber weitreichende Brüche. Ohne dem damit verbundenen Fragenkomplex zu sehr vorgreifen zu wollen, sei zunächst darauf hingewiesen, dass der Hinweis auf Art. 16 f.

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Die Vorschrift sieht vor, dass selbstständige Insolvenzverfahren über Tochtergesellschaften am Sitz der Muttergesellschaft eröffnet werden können; die jeweiligen Vermögensmassen bleiben indes getrennt. Eine Kompetenzbündelung kommt in Betracht, wenn gemeinsame Verwaltungsorgane, direkter oder indirekter Besitz von mehr als der Hälfte der Stimmrechte in der ordentlichen Hauptversammlung oder sonstiger beherrschender Einfluss auf die ordentliche Gesellschafterversammlung oder die Gesellschaft selbst bestehen (Art. 2359 codice civile, auf den die insolvenzrechtliche Vorschrift verweist). Zu Erleichterung von Zuständigkeitsbündelungen durch Herabsetzung der erforderlichen Kontrolle auf 20 % bzw. 10 % bei börsennotierten Gesellschaften vgl. Vallens/ Dammann, NZI 2006, 29, 30. 306 Vgl. die Nachweise bei Paulus, FS Kreft (2004), 469, 473; Ehricke, Konzernunternehmen, S. 503 ff., 555 ff.; Westbrook, The Multinational Provisions of the New Spanish Law; Falcke, Konzernrecht in Frankreich, S. 122 ff. 307 Paulus, FS Kreft (2004), 469, 473 f. 308 Paulus, FS Kreft (2004), 469, 474 (dort Fn. 19). 309 Paulus, FS Kreft (2004), 469, 474.

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EuInsVO in dem hier interessierenden Zusammenhang irreführend ist310. Denn nach ganz überwiegender Auffassung kann der in den Art. 16, 17 EuInsVO vorgesehene Mechanismus einer „automatischen Anerkennung“311 unter den im weiteren Verlauf der Untersuchung noch näher zu analysierenden Voraussetzungen gerade auch dazu führen, dass eine rechtswidrige Inanspruchnahme der Eröffnungszuständigkeit von den Anerkennungsstaaten hinzunehmen ist. Dass damit die faktische Möglichkeit einer Bündelung der Insolvenzverfahren über das Vermögen verschiedener konzernzugehöriger Gesellschaften erreicht werden kann, sagt folglich noch nichts darüber aus, ob die von Paulus beschriebene Konstruktion rechtlich konsistent ist. Nur am Rande sei bemerkt, dass daher auch die von ihm gezogene Schlussfolgerung erstaunt. „Was [...] von den anderen Mitgliedstaaten akzeptiert werden muss“, so Paulus, könne „schwerlich eine unzulässige Rechtsauslegung sein“312. Dem ist aus den genannten Gründen zu widersprechen; aus dem Zwang zur Anerkennung sind gerade keine Rückschlüsse über die Rechtmäßigkeit der Inanspruchnahme der Eröffnungszuständigkeit abzuleiten. Aber auch die kompetenzrechtlichen Ausführungen Paulus’ vermögen nicht zu überzeugen. Bei seinen Ausführungen setzt er nämlich stillschweigend voraus, dass die lex fori concursus, die eine Bündelung der Eröffnungszuständigkeiten enthält, überhaupt auf den Schuldner anwendbar ist. Nach welchem mitgliedstaatlichen Recht das oder – im Falle von Sekundärverfahren – die Insolvenzverfahren über das Vermögen eines Schuldners stattfinden, bestimmt sich zwar in der Tat nach Art. 4 EuInsVO (ggf. in Verbindung mit Art. 28 EuInsVO). Beide Vorschriften setzen jedoch ausdrücklich die Inanspruchnahme der Eröffnungszuständigkeit nach Art. 3 EuInsVO voraus313. Bevor konzernbezogene Zuständigkeitsvorschriften des mitgliedstaatlichen Verfahrensrechts Anwendung finden können, muss folglich zunächst, d.h. logisch und zeitlich vorgelagert, die internationale Zuständigkeit bejaht werden314. Die Beantwortung dieser Frage muss jedoch notwendig von den Regeln des mitgliedstaatlichen Rechts, um dessen Anwendbarkeit es gerade geht, unberührt sein – andernfalls würde schon bei der Beantwortung der Zuständigkeitsfrage ihr Ergebnis antizipiert. Schon aus logischen Überlegungen müsste folglich auch nach 310

Ausführlich zur Problematik der Anerkennung kompetenzwidriger Eröffnungsentscheidungen siehe unten, S. 139 ff. 311 Vgl. zu diesem Begriff auch den Wortlaut des 22. Erwägungsgrundes zur EuInsVO. 312 Paulus, FS Kreft (2004), 469, 474. 313 Einer erfolgten Verfahrenseröffnung bedarf es indessen nicht, vgl. dazu unten, S. 193 f. 314 Vgl. Duursma-Kepplinger, in: Duursma-Kepplinger/Duursma/Chalupsky, Art. 3, Rn. 3. Einer erfolgten Verfahrenseröffnung bedarf es indessen nicht, vgl. dazu unten, S. 193 f.

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der Konzeption Paulus’ wenigstens für eine der Gesellschaften des insolventen Unternehmensverbands die Eröffnungszuständigkeit allein nach Art. 3 Abs. 1 EuInsVO gegeben sein, denn der Anwendungsbereich der Vorschrift, in der eine Konzernzuständigkeit vorgesehen wird, muss durch Art. 3, 4 EuInsVO zunächst einmal eröffnet sein. Dass es zunächst einer von mitgliedstaatlichem Recht unbeeinflussten Überprüfung des Sachverhalts anhand von Art. 3 Abs. 1 EuInsVO bedarf, ergibt sich darüber hinaus auch aus dem Prinzip des Anwendungsvorrangs gemeinschaftsrechtlicher Rechtsakte. Dieser Grundsatz stellt eines der grundlegenden Prinzipien zur Behandlung von Kollisionslagen zwischen Normen des autonomen mitgliedstaatlichen Rechts und denen des Gemeinschaftsrechts dar. Er betrifft die sog. direkte Kollision, bei der unmittelbar anwendbares Gemeinschaftsrecht mit einer Vorschrift des nationalen Rechts kollidiert, weil Letztere eindeutig verfasst ist und ihrem Anwender keinen Spielraum zur gemeinschaftskonformen Auslegung lässt. Während die betroffene Norm des mitgliedstaatlichen Rechts auf innerstaatliche Sachverhalte weiter anwendbar bleibt, sind Gerichte und nationale Verwaltungsbehörden, solange und soweit ein Normwiderspruch mit dem Gemeinschaftsrecht besteht, nach Art. 4 Abs. 3 EUV berechtigt und zugleich verpflichtet, die jeweilige Vorschrift nicht anzuwenden315. Der Vorrang des Gemeinschaftsrechts wird folglich in diesem Fall nicht auf der Stufe der Rechtssetzung, sondern der Rechtsanwendung berücksichtigt und durch den lex-posterior-Grundsatz316 nicht überlagert317. Als „Bedingung für die einheitliche Geltung des Gemeinschaftsrechts“318 gilt der Anwendungsvorrang, der ungeachtet der Auseinandersetzung um seine Herleitung zumindest im Hinblick auf einfaches mitgliedstaatliches Recht im Ergebnis unumstritten ist319, für alle Rechtsquellen des Gemeinschaftsrechts320. Er betrifft daher auch die zum sekundären Gemeinschaftsrecht gehörende EuInsVO321. Eine Bestimmung eines mitgliedstaatlichen Insolvenzrechts, die ihrem Inhalt nach auf die durch den gemeinschaftsrechtlichen Rechtsakt der EuInsVO festgelegte Zuständigkeitsordnung Einfluss nähme, indem sie etwa Abweichungen vom Tatbestand des Art. 3 Abs. 1 EuInsVO vorsieht, kann und darf daher nicht berücksichtigt werden. Eine derartige Berück315

EuGH, Rs. 6/64, (Costa/ENEL), Slg. 1964, S. 1141; Slg. 1978, S. 623, 643 f., Rn. 17, 18 (Simmenthal II); Borchardt, Die rechtlichen Grundlagen der EU, Rn. 122; Schroeder, in: Streinz, Art. 249 EGV, Rn. 44 ff. (jeweils noch zu Art. 10 Abs. 2 EGV). 316 Lex posterior derogat legi priori. 317 Burgi, Verwaltungsprozess und Europarecht, S. 22. 318 Wiedemann, in: Gebauer/Wiedemann, Kapitel 2, Rn. 45. 319 Vgl. nur Wegener, in: Callies/Ruffert, Art. 220 EGV Rn. 24. 320 Vgl. nur Schroeder, in: Streinz, Art. 249 EGV, Rn. 44. 321 Vgl. nunmher auch BGH, NJW 2011, 1818 f. (Rn. 12 ff.).

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sichtigung setzt Paulus jedoch voraus. Zwar ordnet gerade der zum Gemeinschaftsrecht gehörende Art. 4 EuInsVO die Anwendung nationalen Verfahrensrechts auch für die Fragen der Verfahrenseröffnung an. Davon müssen jedoch zum einen notwendig diejenigen Fragen ausgenommen sein, die in den Regelungsbereich des Art. 3 EuInsVO fallen, da andernfalls, wie dargelegt, die in den Art. 3, 4 EuInsVO bestehende Zuständigkeits- und Kollisionsregel nicht funktionieren kann. Zum anderen wird selbstverständlich durch die Zugehörigkeit einer Vorschrift zu der nach Art. 4 EuInsVO anzuwendenden lex fori concursus der Anwendungsvorrang nicht außer Kraft gesetzt. Beispielsweise würde eine mitgliedstaatliche Vorschrift mit dem Inhalt „Alle Insolvenzverfahren über in Deutschland registrierte Unternehmensträger finden in Deutschland statt“ wegen des Anwendungsvorrangs des Gemeinschaftsrechts in Anbetracht des entgegenstehenden Inhalts von Art. 3 Abs. 1 S. 1 EuInsVO unangewendet bleiben müssen, unabhängig davon, ob sie im Insolvenzrecht oder anderswo verortet ist. Eine entsprechende Ausnahme vom Anwendungsvorrang des Gemeinschaftsrechts kann die von Art. 4 EuInsVO getroffene Anordnung der grundsätzlichen Geltung mitgliedstaatlichen Verfahrensrechts auch deshalb nicht beinhalten, weil sich sonst die in den Art. 5 ff. EuInsVO vorgesehenen Durchbrechungen des Verfahrensstatuts durch mitgliedstaatliche Regelungen aushebeln ließen. Der stattdessen bestehende Vorbehalt zugunsten entgegenstehenden Gemeinschaftsrechts findet darüber hinaus im Zweck der gemeinschaftsrechtlichen Zuständigkeitsregelungen im Insolvenz- und Vollstreckungsrecht eine Stütze. Dieser besteht darin, einen Rückgriff auf mitgliedstaatliche Normen bei der internationalen Zuständigkeitsermittlung entbehrlich zu machen322. Ein solcher Vorbehalt wird auch im Wortlaut der Sachnormverweisung des Art. 4 Abs. 1 EuInsVO deutlich, in dem es heißt: „Soweit diese Verordnung nichts anderes bestimmt, …“323. Ist nun für eine der zum insolventen Unternehmensverbund zugehörigen Gesellschaften die Eröffnungszuständigkeit in einem Mitgliedstaat zu bejahen, dessen Verfahrensrecht eine Zuständigkeitsbündelung für Schuldner derselben Unternehmensgruppe anordnet, so kann diese Zuständigkeitsnorm nicht ohne Weiteres auf die anderen Konzerngesellschaften angewendet werden. Ungeachtet der Frage, ob Art. 3 Abs. 1 EuInsVO eine Konzernzuständigkeit beinhaltet324, setzt diese vorrangige Kompetenznorm 322

EuGH, Rs. C-341/04 (Eurofood), Urteil vom 02.05.2006, Rn. 40 mit ausdrücklicher Bezugnahme auf die in der Rs. C-116/02 (Gasser), Urteil vom 09.12.2003, Slg. 2003, S. I-14693, Rn. 72, Rs. C-159/02 (Turner), Urteil vom 27.04.2004, Slg. 2004, S. I-3565, Rn. 24. 323 Hervorhebung durch den Verfasser. 324 Vgl. die Ausführungen zu den konzernbezogenen Ansätzen oben, S. 86 ff., insb. S. 91 ff.

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für die Anwendbarkeit der lex fori concursus nämlich für jeden Schuldner eine eigenständige Bestimmung der Eröffnungskompetenz voraus325. Es spielt daher auch keine Rolle, ob Art. 4 Abs. 2 S. 1 EuInsVO entgegen seinem Wortlaut („…das Insolvenzverfahren…“) auch Vorschriften erfasst, welche die Eröffnung einer Mehrzahl von Insolvenzverfahren zum Gegenstand haben326. b. Schuldnerbegriff des mitgliedstaatlichen Rechts Es verbleibt die Frage, inwieweit die Zuständigkeitsvorschriften der EuInsVO und die Einflussmöglichkeiten privater Akteure durch den Schuldnerbegriff der mitgliedstaatlichen Insolvenzrechte betroffen werden327. Nach Art. 4 Abs. 2 S. 2 lit. a) EuInsVO bestimmt sich nach der lex fori concursus, wer Schuldner eines Verfahrens sein kann. Auch für die Frage, welche Rechtsträger und -gebilde überhaupt als ein Schuldner anzusehen sind, ist das mitgliedstaatliche Recht bedeutsam; oftmals wird der Schuldner durch das mitgliedstaatliche Organisationsrecht als rechtsfähige Entität erst konstituiert. Dies gilt etwa, wenn es sich um eine Gesellschaft oder juristische Person handelt. Vorschriften insolvenzrechtlicher oder organisationsrechtlicher Natur können das Erfordernis einer getrennten Feststellung der Zuständigkeit überwinden, wenn sie die Schuldnereigenschaft als solche betreffen. Durch die rechtlichen Kategorien des nationalen Rechts findet eine juristische Vorprägung des Sachverhalts statt, die einer Bestimmung der Zuständigkeitsfrage notwendig vorausgehen muss. Sie bestimmt die personelle und gegenständliche Reichweite des Verfahrens. Das ist etwa der Fall, wenn verschiedene Betriebe in verschiedenen Mitgliedstaaten von einer juristischen Person betrieben werden oder wenn eine Verbindung mehrerer Personen eine Gesellschaft darstellt. Aus den Kategorien des mitgliedstaatlichen Rechts folgt dann, für welche Vermögensgegenstände und Personen die jeweilige Zuständigkeit besteht. Die Vorschrift muss folglich ihrer Natur nach regeln, wer oder was ein Schuldner unter dem nationalen Insolvenzrecht ist. Diese Unterscheidung mag im Einzelfall zu Abgrenzungs325

EuGH, Rs. C-341/04 (Eurofood), Urteil vom 02.05.2006, Rn. 30 sowie Virgós/ Schmit, Bericht, Nr. 76; Duursma-Kepplinger, in: Duursma-Kepplinger/Duursma/Chalupsky, EuInsVO, Art. 3, Rn. 120; Eidenmüller, IPRax 2001, 2, 4; Gottwald, Grenzüberschreitende Insolvenzen, 21 f.; Huber, ZZP 114 (2001), 133, 143; Virgós/Garcimartín, The European Insolvency Regulation, Nr. 61; i. Erg. auch Carrara, RabelsZ 70 (2006), 538, 561. 326 So aber Paulus, FS Kreft (2004), 469, 474 (dort Fn. 19), der argumentativ auf die Unbeachtlichkeit der Fassung des Wortlauts des Art. 4 Abs. 2 S. 1 EuInsVO abstellt. Vgl. hierzu nunmehr auch die Entscheidung EuGH, Rs. C-191/10 (Rastelli Davide), Urteil vom 15.12.2011 (im Internet abzurufen unter ). 327 Vgl. Eidenmüller, ZHR 169 (2005), S. 528, 561 f.

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schwierigkeiten führen, etwa dann, wenn ein mitgliedstaatliches Insolvenzrecht Konzernkonstellationen als Frage des Schuldnerbegriffs behandelt. Sie folgt jedoch aus der soeben dargestellten Notwendigkeit einer sezierenden Betrachtung bei der Ermittlung der Zuständigkeit. Sieht beispielsweise mitgliedstaatliches Recht lediglich die Konsolidierung der Haftungsmassen mehrerer Schuldner vor, so wird dies nach obigen Ausführungen ebenfalls nur dann geschehen können, wenn zuvor die Anwendbarkeit der entsprechenden Regeln für die betroffenen Rechtsträger nach Art. 3, 4 EuInsVO bejaht werden kann328. Entsprechende Regelungen zum Schuldnerbegriff, sollten sie im Einzelfall als rein insolvenzrechtlich zu qualifizieren sein und zur lex fori concursus i.S. des Art. 4 EuInsVO gehören, ließen sich durch die erfolgreiche Verfahrensöffnung in einem anderen Mitgliedstaat jedenfalls für den davon betroffenen Unternehmensteil aushebeln329. Die Reichweite der Regelung würde dann nach Maßgabe des Schuldnerbegriffs der lex fori concursus des bereits eröffneten Hauptverfahrens beschränkt. Der Schuldnerbegriff des nationalen Rechts wirkt sich daher nur in den genannten Grenzen auf die Wahlmöglichkeiten unter der EuInsVO aus. c. Zusammenfassung Die Zuständigkeitsregelungen des mitgliedstaatlichen Insolvenzrechts können die sich aus der EuInsVO ergebenden Determinanten einer faktischen Rechtswahlfreiheit – jedenfalls solange sie Ermittlung der internationalen Eröffnungskompetenz betreffen – nicht beschränken. Die innerstaatliche Zuständigkeitsordnung, die nicht Regelungsgegenstand der EuInsVO ist330, bleibt davon freilich unberührt. Liegt etwa die internationale Zuständigkeit für die Durchführung der Hauptverfahren über das Vermögen mehrer Unternehmen desselben Konzerns in Spanien (d.h. nach Art. 3 EuInsVO ist für jeden der Schuldner das COMI in Spanien zu verorten), so kann die Konzernzuständigkeit des spanischen Insolvenzrechts eingreifen331. Ähnliches gilt für den Schuldnerbegriff des mitgliedstaatlichen Rechts. Auch dieser vermag durch die EuInsVO eröffneten Bewegungsräume bezüglich Verfahrensforum und -recht kaum effektiv zu verkürzen, zumal Regelungen, welche die hier gestellten Anforderungen erfüllen, eine Ausnahme darstellen dürften. 328

Vgl. hierzu nunmehr auch die Entscheidung EuGH, Rs. C-191/10 (Rastelli Davide), Urteil vom 15.12.2011(Tz. 39) (im Internet abzurufen unter ). 329 Mit der Frage, inwieweit dieses Vorgehen möglich ist, befasst sich der folgende Teil der Untersuchung. 330 Vgl. den 15. Erwägungsgrund sowie Smid, Internationales Insolvenzrecht, Art. 3, Rn. 7, Virgós/Schmit, Bericht, Nr. 72. 331 Vgl. Balz, 70 American Bankruptcy Law Journal, 485, 503 f. (1996).

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Die Mitgliedstaaten sind folglich gehindert, einem forum shopping durch Änderung ihrer nationalen Kompetenzregelungen entgegenzutreten oder es zu fördern332. Die zum Verhältnis zwischen gemeinschaftsrechtlicher und nationaler Zuständigkeitsordnung gewonnenen Ergebnisse werden im Folgenden noch an mehreren Stellen von Bedeutung sein. 4. Grenzen manipulativen Einwirkens auf die zuständigkeitsrelevante Tatsachenbasis Im Folgenden wird zu untersuchen sein, durch welche Grenzen der zweite aufgezeigte Ansatzpunkt einer Rechtswahl, die Zuständigkeitserschließung, also die Schaffung der tatsächlichen Voraussetzungen einer Zuständigkeitsänderung, gekennzeichnet ist. Dabei können sich Einschränkungen sowohl aufgrund der erforderlichen Manipulationstiefe, also des Aufwands, den tatsächliche Verlegungen des COMI erforderlich machen, als auch in zeitlicher Hinsicht ergeben. Denn das Zeitfenster, in dem tatsächliche Veränderungen erfolgreich sein können, ist durch den einschlägigen Ermittlungszeitpunkt begrenzt. a. Grenzen durch die erforderliche Manipulationstiefe (Aufwand) Solange unklar ist, anhand welcher Tatsachen die Belegenheit des COMI zu ermitteln ist, bestehen aufgrund der beschriebenen Wechselwirkungen zwischen den verschiedenen Ansatzpunkten auch Unsicherheiten über den Aufwand, dessen es zu einer erfolgreichen Rechtswahl bedarf. Dieser wird je nach Lage des Einzelfalls ganz unterschiedlich hoch sein. Die Ausführungen zur erforderlichen Manipulationstiefe müssen folglich notwendig abstrakt bleiben. Gewisse Tendenzen lassen sich dennoch aufzeigen. Im Schrifttum wird in der bestehenden Zuständigkeitsregelung des Art. 3 Abs. 1 EuInsVO ein ausreichender Schutz gegen ein forum shopping im Wege tatsächlicher Veränderungen erblickt. Ein erfolgreiches Einwirken auf die Eröffnungszuständigkeit kurz vor Eintritt der Insolvenz scheitere, so wird argumentiert, vielfach schon an den dazu erforderlichen Mitteln333. Gelänge dennoch eine Verlegung des Mittelpunkts der hauptsächlichen Interessen, so sei diese eben in Anbetracht der dazu in tatsächlicher

332 Jedoch besteht in engen Grenzen die Möglichkeit, durch Veränderungen etwa der materiellen Regelungen des nationalen Rechts die Anreize zu schaffen, ein Verfahren in einem bestimmten Insolvenzforum stattfinden zu lassen. Vgl. dazu unten, S. 238 ff., 338 ff. 333 So Smid, Internationales Insolvenzrecht, Art. 3, Rn. 14; ähnlich Malcolm Brian Shierson (trustee in bankruptcy of Martin Vlieland-Boddy) v Clive Vlieland-Boddy, [2004] EWHC 2752 (Ch. D.); vgl. auch Thornley, 2 International Corporate Rescue, 51, 52 (2005).

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Hinsicht erforderlichen weitreichenden Veränderungen auch beachtlich334. Auch Mankowski sieht in den Verlegungskosten und den zum Wegzugsort bestehenden emotionalen Beziehungen des Schuldners ein „austarierendes Gegengewicht“335. Die These, dass schon der zu betreibende Aufwand und eine gefühlsmäßige Verbundenheit die vor Insolvenz erfolgenden Veränderungen beschränken, hat sich indes als unzutreffend erwiesen. Denn in der bisherigen Rechtspraxis sind viele der problematischen Fälle durch Konstellationen gekennzeichnet gewesen, in denen der Schuldner Einzelunternehmer bzw. natürliche Person war, die ihren Aufenthaltsort geändert hat336. Gerade Schuldner, die mit „leichtem Gepäck“337 unterwegs sind, können die Belegenheit des Mittelpunkts der hauptsächlichen Interessen mit recht geringem Aufwand beeinflussen338. Dies gilt in Ansehung vieler für die Ermittlung der Zuständigkeit als maßgeblich anzusehenden Anknüpfungsmomente. Auch ist denkbar, dass die Veränderungen in der Verringerung oder gar Einstellung von Aktivitäten bestehen, die regelmäßig gerade keinen großen Aufwand erforderlich machen und überdies in Niedergangsszenarien, die schließlich zur Insolvenz führen, nicht unüblich sind339. Insbesondere die Geschäftseinstellung, die zugleich zum Erlöschen des Anknüpfungskriteriums des operativen Geschäfts in all seinen Facetten führt, kann nicht nur mit Einsatz geringer Mittel erfolgen, sondern ist regelmäßig gerade Folge einer solchen Mittelknappheit. Etwas anderes würde gelten, wenn in diesen Konstellationen in Abweichung von den vom EuGH in der Entscheidung Eurofood aufgestellten Grundsätzen ausnahmsweise nicht auf die „Tätigkeit“ des Unternehmens abgestellt würde340, ein Fall vorläge in dem ausnahmslos jegliche Tätigkeit der Gesellschaft (d.h. einschließlich jeder auf Restrukturierung gerichtete Verwaltungstätigkeit) eingestellt würde341 oder man annähme, der Tatbestand des Art. 3 Abs. 1 EuInsVO enthalte gleichsam ein retrospektives Element. Dafür lassen sich jedoch keine Hinweise 334

Smid, Internationales Insolvenzrecht, Art. 3, Rn. 14. Mankowski, NZI 2005, 368, 372. 336 Vgl. etwa die Sachverhalte zum Vorlagebeschluss des BGH, NZI 2004, 139, 140 sowie der Entscheidung Gerechtshof Amsterdam, JOR 2003, Nr. 186. 337 Oberhammer, ZInsO 2004, 761, 764. 338 Dies gilt namentlich für den Ort, an dem sich die Geschäftsräume, die (bzw. der) Mitarbeiter oder die Vermögenswerte des Unternehmens befinden. 339 Vgl. abermals den Sachverhalt zum Vorlagebeschluss des BGH, NZI 2004, 139, 140. 340 So AG Hamburg, ZIP 2005, 2275, 2276. Vgl. dazu auch Herweg/Tschauner, EWiR 2006, 169. 341 EuGH, Rs. C-396/09 (Interedil Srl), Urteil vom 20.10.2011, Rn. 45 ff.; vgl. auch BGH, NZI 2012, 151 ff. 335

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erblicken342. Es erscheint danach gar denkbar, dass es zu einer Verlegung des COMI ganz ohne Mitteleinsatz kommen kann. Weiterhin ist zu berücksichtigen, dass in Konzernkonstellationen einzelne Schuldner durchaus noch über Vermögenswerte verfügen können, die tatsächliche Veränderungen noch vor Eintritt der Insolvenz möglich machen, auch wenn ein Insolvenzverfahren über andere konzernzugehörige Unternehmensträger bereits eröffnet worden ist343. Die Verlegung des COMI kann außerdem durch die Anwendung eines anderen Verfahrensrechts ganz erhebliche wirtschaftliche Konsequenzen haben, insbesondere wenn sie zugleich mit einer Verlegung der Vermögenswerte einhergeht und so die Wirkungen eines eventuellen Sekundärverfahrens gegenüber dem Hauptverfahrens ausschlösse oder verkürzte344. In Ansehung der dann mit dem forum shopping für einzelne Verfahrensbeteiligte zu generierenden Vorteile und der dadurch induzierten Handlungsanreize ist mithin eher davon auszugehen, dass auch von den tatsächlichen Veränderungsmöglichkeiten zukünftig weiter Gebrauch gemacht wird, zumal diese Spielart manipulativen Einwirkens mit zunehmender Konkretisierung des Kompetenztatbestands an Bedeutung gewinnen wird. Schließlich ist zu bezweifeln, dass in der Gefühlswelt insbesondere dolos handelnder Schuldner, denen für die Frage der Zuständigkeitsermittlung in Wegzugsfällen eine große praktische Relevanz zukommt, ein wirksames Moment gegen manipulative Einwirkungen auf die internationale Zuständigkeit erwartet werden darf. Schon für die Variante der Rechtswahl durch tatsächliche Zuständigkeitserschließungen kann daher festgehalten werden, dass Art. 3 Abs. 1 EuInsVO entgegen verschiedentlich vertretener Auffassungen nicht dazu führt, dass eine Rechtswahl aufgrund der erforderlichen Manipulationstiefe stets mit prohibitiv hohem Aufwand verbunden wäre. Allerdings kann der erforderliche Aufwand insbesondere in Konstellationen, die sich im Ausgangspunkt lediglich auf einen bestimmten Staat beziehen, erheblich sein. Dies gilt auch für die im Zusammenhang mit einer Einwirkung auf die tatsächlichen Gegebenheiten möglicherweise einhergehenden Beraterkosten345. Ferner ist bereits hier anzumerken, dass aufgrund der genannten 342 Vgl. dazu auch die Diskussion um die Frage des Bezugnahmezeitpunkts bei der Bestimmung des COMI, unten, S. 112 ff. 343 Die vom Verfasser befragten Insolvenzpraktiker teilten die Einschätzung, dass es unter dem Status quo zu tatsächlichen Veränderungen kommen könne. 344 Zu der Bedeutung, die dem Sekundärverfahren in diesem Zusammenhang zukommt, vgl. unten, S. 221 ff. 345 Eingehend wird die Problematik der Beraterkosten, da besonders mit den rechtlichen Aspekten der Einwirkung auf die Zuständigkeit verbunden, bei den Erörterungen des mit einer Einwirkung durch Ausnutzung von Art. 16 EuInsVO verbundenen Aufwands dargelegt (unten, S. 171).

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Wechselwirkungen zwischen den Ansatzpunkten einer Rechtswahl die Kosten tatsächlicher Veränderungen ohnehin unerheblich sind, wenn eine andere Rechtswahl mit einem anderen Ansatzpunkt günstiger zu bewerkstelligen wäre. b. Zeitliche Grenzen Von zentraler Tragweite bei der Untersuchung der Rechtswahlfreiheit unter der EuInsVO ist die Frage nach dem für die Ermittlung der Eröffnungszuständigkeit ausschlaggebenden Beurteilungszeitpunkt346, denn dieser Augenblick markiert auch die zeitliche Grenze für die Beachtlichkeit von Veränderungen der tatsächlichen Bewertungsgrundlage bei der Bestimmung des COMI. Der Verordnungstext trifft zu diesem Punkt keine ausdrückliche Aussage. Zur Klarstellung sei angemerkt, dass diese Problematik keinesfalls mit der Frage nach dem Zeitpunkt zu verwechseln ist, von dem an es anderen Gerichten aufgrund der Ausschließlichkeit des Hauptverfahrens (vgl. Art. 3 Abs. 1 S. 1 EuInsVO) und der Anerkennungsregeln der EuInsVO verwehrt ist, ein Hauptverfahren zu eröffnen347. Zwar bestehen zwischen beiden Fragestellungen inhaltliche Bezüge, eine gemeinsame Erörterung wird dadurch jedoch nicht erforderlich348. Die Frage nach dem maßgeblichen Beurteilungszeitpunkt stellt sich unweigerlich in jedem Fall: Zu einem bestimmten Augenblick muss das durch einen Insolvenzantrag zur Beschlussfassung über die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens berufene Gericht seine Zuständigkeit überprüfen und sich auf die Beständigkeit der in diesem Augenblick im Hinblick auf einen bestimmten zeitlichen Bezugspunkt gewonnenen Erkenntnisse verlassen können. Schon aus Gründen der Praktikabilität folgt daraus, dass es einen Moment geben muss, von dem an tatsächliche Veränderungen, die eine Veränderung der Eröffnungszuständigkeit nach sich ziehen würden, unberücksichtigt bleiben müssen349. Dieser Befund spiegelt sich ferner in dem Umstand wider, dass in der Kompetenzvorschrift des Art. 3 EuInsVO 346

Zu den Begrifflichkeiten sei angemerkt, dass die Beurteilung als solche stets durch das Insolvenzgericht vor der Verfahrenseröffnung bzw. deren Ablehnung stattfindet. Wenn in der Folge vom „Beurteilungszeitpunkt“ die Rede ist, so soll damit der Augenblick auf den bei Bestimmung der Eröffnungszuständigkeit Bezug zu nehmen ist, bezeichnet werden. 347 Zu diesem Problemkreis vgl. unten, S. 146 ff. 348 Eine gemeinsame Behandlung beider Fragen nimmt Oberhammer, ZInsO, 761, 763 f. vor. 349 Art. 6 Abs. 2, 3 des Entwurfs zum EG-Konkursübereinkommen von 1980 (abgedruckt bei Kegel/Thieme, Vorschläge und Gutachten, S. 48) normierte sogar ausdrücklich, dass ein ursprünglich zuständiges Gericht auch dann für die Eröffnung nachfolgender oder weiterer Verfahrens gegen denselben Schuldner zuständig bleiben sollte, wenn die Voraussetzungen der Zuständigkeitsnormen nachträglich entfallen waren.

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allein Anordnungen über die Verfahrenseröffnung, nicht jedoch über einen Zuständigkeitswechsel getroffen werden. Die Regelung ist also von der – freilich nicht positivierten – Annahme geleitet, dass ein kompetenzgemäß eröffnendes Gericht seine Zuständigkeit unwandelbar behält350. Damit ist gleichzeitig einer der Eckpunkte der Diskussion gewonnen, denn nach dem gerade Gesagten müssen jedenfalls solche Veränderungen unbeachtlich sein, die nach einer rechtmäßigen Inanspruchnahme der durch Art. 3 Abs. 1 S. 1 EuInsVO zugewiesenen Kompetenz erfolgen. (1) Rechtsprechung Der Auseinandersetzung mit der Frage des Bezugnahmezeitpunkts wird ein kursorischer Überblick über die Behandlung der Problematik in der Rechtsprechung der Mitgliedstaaten und der EuGH vorangestellt. (a) Mitgliedstaaten Bislang sind wenige Fälle bekannt, in denen die Gerichte mit der Schwierigkeit konfrontiert waren, dass sich der zu bewertende Sachverhalt noch relativ kurze Zeit vor Eintritt der Insolvenz, oder gar nachdem bereits ein Antrag gestellt worden war, aufgrund von Handlungen des Schuldners oder strukturellen Umgestaltungen des schuldnerischen Unternehmens in tatsächlicher Hinsicht änderte. In einem Fall, der Gegenstand eines Vorlagebeschlusses des BGH an den EuGH war351, hatte die als Einzelunternehmerin tätige Schuldnerin nach Stellung eines Eigenantrages vor dem AG Wuppertal, aber vor Eröffnung eines Insolvenzverfahrens ihren Wohnsitz nach Spanien verlegt. Ihre Geschäftstätigkeit hatte sie bereits ein halbes Jahr zuvor eingestellt. Das AG Celle hatte einen Fall zu beurteilen, in dem der Schuldner, nachdem er nach England verzogen war, in Deutschland, wo er ein Zahntechnikunternehmen betrieben hatte, einen Insolvenzantrag stellte352. Einen ähnlichen Fall hatte der Gerechtshof Amsterdam zu entscheiden. Die Schuldnerin hatte ein Jahr vor Eintritt der Insolvenz ihre Geschäftstätigkeit eingestellt und war nach Frankreich umgezogen. In zwei weiteren Fällen, die dem High Court of Justice zur Entscheidung vorlagen, war der Schuldner jeweils vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens, jedoch nach Antragstellung ins Ausland verzogen353. Auch das AG Hamburg hatte sich mit der Frage 350

Weller IPRax 2004, 412, 414. BGH, NZI 2004, 139 ff. 352 AG Celle, NZI 2005, 410. 353 Geveran Trading Co. Ltd. v. Kjell Tore Sjevensland, [2003] BCC 209, [2003] BCC 391; [2002] EWHC 2898 (Ch. D.); Malcolm Brian Shierson (trustee in bankruptcy of Martin Vlieland-Boddy) v Clive Vlieland-Boddy, [2004] EWHC 2752 (Ch. D.). 351

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auseinanderzusetzen, wo sich das COMI einer Schuldnerin befand, die ihr Geschäft bereits vor Eintritt der Insolvenz eingestellt hatte354. Die Frage nach dem Zeitpunkt, von dem an tatsächliche Veränderungen bei der Zuständigkeitsermittlung nach Art. 3 Abs. 1 EuInsVO nicht mehr berücksichtigt werden können, wird trotz der strukturellen Vergleichbarkeit der zu bewertenden Fälle nicht in allen drei Entscheidungen explizit aufgeworfen. Vom Gerechtshof Amsterdam und vom AG Hamburg355 wird das Problem ausschließlich als solches der Subsumtion unter den Begriff des Interessenmittelpunktes behandelt356, was auch damit zusammenhängen mag, dass die Veränderungen bereits einige Zeit vor Stellung der Insolvenzantrags stattgefunden hatten. Das niederländische Gericht bejahte seine Zuständigkeit nach Art. 3 Abs. 1 EuInsVO und begründete dies unter anderem damit, dass die wirtschaftlichen Tätigkeiten, aus denen die Forderungen entstanden waren, in den Niederlanden stattgefunden hätten357. Darüber hinaus gehe es um Forderungen, die im Zusammenhang mit einer niederländischen BV entstanden seien, bei der die Schuldnerin Geschäftsanteile gehalten habe. Der Gerechtshof Amsterdam stellt mithin gar nicht erst die Frage, ob bestimmte Veränderungen bei der Bestimmung der Eröffnungszuständigkeit trotz oder gerade wegen eines Zeitablaufs zu berücksichtigen sind. Stattdessen wird erörtert, wie die veränderte Situation unter die Tatbestandsmerkmale des Art. 3 Abs. 1 S. 1 EuInsVO zu subsumieren sein könnte358. Der BGH hingegen beschreibt das Problem im Fall Staubitz-Schreiber zwar in den Entscheidungsgründen vielfach als solches des Beurteilungszeitpunkts359, gibt der zur Vorabentscheidung durch den EuGH vorgelegten Frage aber eine prozessrechtliche Einkleidung. Er fragt danach, ob das mitgliedstaatliche Gericht, bei dem der Eröffnungsantrag gestellt worden war, bei einer später erfolgenden Verlegung des Mittelpunkts der hauptsächlichen Interessen des Schuldners zuständig bleibt360. Der BGH scheint 354

AG Hamburg, ZIP 2005, 2275 f. AG Hamburg, ZIP 2005, 2275 f. 356 So auch Herweg/Tschauner, EWiR 2006, 169, 170, die allerdings feststellen, der EuGH beschäftige sich mit der Frage nach dem einschlägigen Beurteilungszeitpunkt. Diese Feststellung ist allerdings ungenau, vgl. unten, S. 108. 357 Gerechtshof Amsterdam, JOR 2003, Nr. 186. 358 Vgl. Gerechtshof Amsterdam, JOR 2003, Nr. 186. 359 Z. B. BGH, NZI 2004, 139, 141: „Für die Ansicht [...], dass auf die Zuständigkeit im Zeitpunkt der Eröffnungsentscheidung abzustellen ist, könnte angeführt werden ...“. Der BGH führt der Sache nach in seinen Ausführungen also zwei Subsumtionen unter Art. 3 Abs. 1 S. 1 EuInsVO und gibt so zu erkennen, dass er das Problem nicht als Frage der Tatbestandsmerkmale von Art. 3 Abs. 1 EuInsVO begreift. 360 Vgl. die Vorlagefrage des BGH, NZI 2004, 139, 140; ähnlich Oberhammer, ZInsO 2004, 761, 762 f., der ebenfalls die Frage nach einer perpetuatio fori stellt. 355

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das Problem folglich im Kern als Frage nach einer perpetuatio fori zu begreifen und impliziert mit seiner Formulierung der Vorlagefrage, dass als maßgebliche Beurteilungszeitpunkte für die Bestimmung der Eröffnungszuständigkeit (nur) die Antragstellung oder die Verfahrenseröffnung in Betracht kommen. Als Problem der perpetuatio fori stellt sich die Frage allerdings nur dar, wenn das zunächst angerufene Gericht zuständig war361. Das AG Celle geht ausdrücklich auf die Frage des maßgeblichen Bezugspunkts ein und stellt fest, dass es jedenfalls nicht auf den Zeitpunkt der Entstehung der Verbindlichkeiten ankomme, weshalb es international nicht zuständig sei362. Der mit der Entscheidung Vlieland-Boddy befasste High Court of Justice äußert sich ebenfalls ausdrücklich zur Problematik des Bezugszeitpunktes und kassiert die Eröffnungsentscheidung eines Gerichtsbeamten, der für die Bestimmung des COMI des Schuldners auf den Zeitpunkt der Entstehung der jeweiligen Forderung abstellte. Nach Auffassung des Gerichts kommt es für die Bestimmung der internationalen Zuständigkeit auf den Zeitpunkt der Verfahrenseröffnung an, sodass im konkreten Fall ein Zuständigkeitswechsel stattgefunden habe363. Auch im Fall Geveran Trading Co. Ltd. wird bei der Bestimmung der internationalen Zuständigkeit ausdrücklich auf den Zeitpunkt der Antragstellung Bezug genommen364. (b) EuGH In der Entscheidung im Vorlageverfahren Staubitz-Schreiber hat der EuGH nunmehr festgestellt, Art. 3 Abs. 1 EuInsVO sei so zu verstehen, dass ein mitgliedstaatliches Gericht auch dann für die Eröffnungsentscheidung zuständig bleibt, wenn das COMI nach Antragstellung in diesem Mitgliedstaat in einen anderen Mitgliedstaat verlegt wird365. Der EuGH begründet die Entscheidung unter anderem mit dem Verordnungszweck der Gewährleistung einer effizienten Bewältigung grenzüberschreitender Insolvenzen, dem Verordnungsziel, forum shopping zu verhindern, der Herstellung größerer Rechtssicherheit sowie dem Schutz der Gläubiger, denen dadurch gedient sei, dass eine bei Antragstellung bestehende Zuständigkeit erhalten bliebe366. 361

Vgl. Haß/Herweg, in: Geimer/Schütze, Art. 3 EuInsVO, Rn. 16. AG Celle, NZI 2005, 410, 411. 363 Malcolm Brian Shierson (trustee in bankruptcy of Martin Vlieland-Boddy) v. Clive Vlieland-Boddy, [2004] EWHC 2752 (Ch. D.). 364 Geveran Trading Co. Ltd. v. Kjell Tore Sjevensland, [2003] EWHC 2898 (Ch. D.), Nr. 8 ff. 365 EuGH, Rs. C-1/04 (Staubitz-Schreiber), Urteil vom 17.01.2006, Rn. 29. Daraufhin erging ein Aufhebungsbeschluss des BGH (ZIP 2006, 529 f.). 366 EuGH, Rs. C-1/04 (Staubitz-Schreiber), Urteil vom 17.01.2006, Rn. 25 ff. 362

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Die Entscheidung des EuGH beantwortet allerdings nicht die für die Rechtswahlfreiheit entscheidende Frage nach dem Beurteilungszeitpunkt, also dem Augenblick, von dem an Veränderungen in tatsächlicher Hinsicht unbeachtlich sein müssen. Im Wege eines Umkehrschlusses kann der Entscheidung zwar entnommen werden, dass es auf nach der Antragstellung liegende Zeitpunkte nicht ankommen kann. Indes ist keine Aussage dazu getroffen, welcher der übrigen in Betracht kommenden Zeitpunkte den zeitlichen Bezugszeitpunkt kennzeichnet. Dass das Gericht desjenigen Mitgliedstaats, in dem sich das COMI bei Stellung des Antrags befindet, zuständig bleibt, bedeutet nicht, dass diese ursprüngliche Zuständigkeit nicht im Hinblick auf einen vor Antragstellung liegenden Zeitpunkt bestehen kann. Die Entscheidung des EuGH erübrigt schon aus diesem Grund nicht die nähere Bestimmung des Bezugnahmezeitpunktes. (2) Nähere Bestimmung des Bezugnahmezeitpunkts Die folgenden Überlegungen setzen eine wirksame Verlegung des COMI voraus und beschränken sich somit auf das Problem des Ermittlungszeitpunkts. Es wird nicht, wie es die Ausführungen des niederländischen Gerichts entspräche, untersucht, welche Veränderungen der Anknüpfungsmomente zur Annahme einer Verlegung des Mittelpunkts der hauptsächlichen Interessen berechtigen. Diese Frage ist in erster Linie dem Problemkreis der Gewichtung der Anknüpfungsmomente zugewiesen. Insoweit verbleiben die benannten erheblichen Unschärfen. Erst in einem zweiten Schritt wird zu untersuchen sein, ob in bestimmten Konstellationen auch solche Einwirkungen unbeachtlich sein müssen, die schon vor dem grundsätzlich als maßgeblich zu erachtenden Zeitpunkt erfolgen. Auf dem zur Verfahrenseröffnung (oder aber deren Ablehnung) führenden Zeitstrahl kommen verschiedene Ereignisse als Anknüpfungszeitpunkte in Betracht. Wie bereits dargelegt, markiert der Eröffnungs- bzw. Ablehnungsbeschluss den letzten in Betracht zu ziehenden Augenblick. Nach der Entscheidung des EuGH dürfte dieser jedoch praktisch nicht weiter bemüht werden, da eine Annahme der Zuständigkeit bei Antragstellung den Zeitpunkt der Verfahrenseröffnung ausschließt. Eine frühere Grenze für die Beachtlichkeit tatsächlicher Veränderungen wäre durch den Zeitpunkt der Antragstellung gekennzeichnet. Weiterhin könnte gar auf den vielfach noch früheren Zeitpunkt abzustellen sein, in dem aufseiten des Schuldners die Voraussetzungen zur Durchführung eines Insolvenzverfahrens gegeben waren367. Falls eine gesetzliche Pflicht zur Antragstellung besteht (z. B. nach deutschem Recht gem. §§ 15a InsO), könnte auch der 367

So wohl Weller, IPRax 2004, 412, 416, der sich für die „Insolvenzreife“ des Schuldners als maßgeblichen Beurteilungszeitpunkt ausspricht.

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Augenblick von Bedeutung sein, in dem der Antrag hätte gestellt werden müssen. Schließlich stellt auch die jeweilige Forderungsbegründung eine Zäsur dar, die den zeitlichen Bezugspunkt für die Ermittlung des COMI darstellen könnte. Die parallele Problematik, ob es für die internationale Zuständigkeit auf den Zeitpunkt der Anhängigkeit der Klage368 oder deren Rechtshängigkeit369 ankommt, ist im europäischen internationalen Zivilverfahrensrecht nicht ausdrücklich geregelt und daher ebenfalls Gegenstand einer Kontroverse. Der Blick auf andere europäische Rechtsquellen vermag die Problematik folglich nicht zu lösen. (a) Bezugnahmezeitpunkt des mitgliedstaatlichen Verfahrensrechts Dass überhaupt Unklarheiten im Hinblick auf den maßgeblichen Beurteilungszeitpunkt bestehen, wird in der Literatur vereinzelt mit Hinweis auf die Auslegung der Vorschrift des § 3 InsO, der für das deutsche Recht die örtliche Zuständigkeit regelt, bestritten. Es sei danach „unstreitig“ 370, dass es auf den Zeitpunkt der Antragstellung ankomme371. Wie bereits dargelegt, kann die Zuständigkeitsordnung der EuInsVO grundsätzlich weder anhand nationaler Normen ausgelegt noch durch mitgliedstaatliche Kompetenzvorschriften überlagert werden, soweit Letztere vom Regelungsgehalt der Verordnung abweichen372. Eine Ausfüllung der Verordnungsbestimmung mittels mitgliedstaatlicher Vorschriften setzte folglich voraus, dass sich im Rahmen der europäisch-autonomen Auslegung der EuInsVO ergäbe, dass diese die Frage des maßgeblichen Beurteilungszeitpunkts gerade dem Insolvenzrecht der Mitgliedstaaten überlassen wollte. Zwar ordnet Art. 4 Abs. 2 S. 1 EuInsVO an, dass sich die Voraussetzungen der Eröffnung des Insolvenzverfahrens nach mitgliedstaatlichem Recht bestimmen. Damit nimmt die EuInsVO sowohl auf die formellen als auch auf die materiellen Voraussetzungen der Verfahrenseröffnung (in Deutschland beispielsweise die Eröffnungsgründe der §§ 16 ff. InsO) Bezug. Ob diese Geltungsanordnung allerdings so weit reicht, dass auch die Feststellung der internationalen Eröffnungskompetenz zu dem für die Ermittlung der nationalen Zuständigkeit maßgeblichen Zeitpunkt erfolgen soll, erscheint sehr 368 So etwa Rauscher/Mankowski, Europäisches Zivilprozessrecht, Art. 2 Brüssel-I VO, Rn. 4. 369 So Schlosser, EU-Zivilprozessrecht, Vor Art. 2 EuGVVO Rn. 7; Zöller/Geimer ZPO, Art. 2 EuGVVO, Rn. 27. 370 Brenner, EWiR 2003, 925. 371 Für das deutsche Recht ist diese Frage in der Tat unumstritten, vgl. nur OLG Hamm, NZI 2000, 220, 221; Haubold, IPRax 2003, 34, 37; MünchKomm InsO/Ganter § 3, Rn. 5 ff.; Smid, Grundzüge des Insolvenzrechts § 4, Rn. 10. 372 So für ausdrücklich zur Problematik des Ermittlungszeitpunkts auch Moss/Fletcher/Isaacs, Rz. 8.44.

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zweifelhaft. Die Zuständigkeit müsste zum einen für den Verfahrensschritt ihrer Bestimmung fingiert werden, denn über Art. 4 EuInsVO ließe sich die Problematik nicht auflösen373. Zum anderen könnten die verschiedenen mitgliedstaatlichen Insolvenzrechte unterschiedliche Ermittlungszeitpunkte vorsehen, was zumindest theoretisch zur Folge haben könnte, dass nach einer Veränderung der tatsächlichen Situation kein Mitgliedstaat oder mehrere zur Verfahrenseröffnung zuständig wären374. Die Eröffnungszuständigkeit für das Hauptverfahren kann jedoch, wie dargelegt, nur an einem Ort bestehen375. Denkbar ist auch, dass das mitgliedstaatliche Insolvenzrecht einen Insolvenztatbestand (und damit auch einen korrespondierenden Ermittlungszeitpunkt) nicht als Eröffnungsvoraussetzung kennt. Dies alles zeigt, dass es für die Festlegung des Beurteilungszeitpunkts jedenfalls nicht auf die entsprechenden Bestimmungen mitgliedstaatlichen Rechts ankommen kann. Danach ist etwa auf den Zeitpunkt der Antragstellung nicht schon deshalb abzustellen, weil eine Vorschrift mitgliedstaatlichen Insolvenzrechts dies für die Ermittlung vorsieht. (b) Zeitpunkt des Eintritts der Insolvenzgründe Stellte man auf den von Weller als „Insolvenzreife“376 bezeichneten Zeitpunkt ab, käme es letztlich auf das Vorliegen der durch das Insolvenzrecht der Mitgliedstaaten formulierten Insolvenzgründe an. Denn es besteht trotz großer Gemeinsamkeiten der mitgliedstaatlichen Insolvenzrechte gemeinschaftsweit keine einheitliche Regelung darüber, durch welche Voraussetzungen die Situation des Schuldners gekennzeichnet sein muss, damit die Durchführung eines Insolvenzverfahrens gerechtfertigt ist377. Die Folge eines Abstellens auf die „Insolvenzreife“ bestünde also wiederum in einer unmittelbaren Überlagerung des Prozesses der Zuständigkeitsermittlung durch das nationale Recht, dessen Anwendbarkeit allerdings gerade Gegenstand der Prüfung ist. 373

Diese Vorschrift anzuwenden bedeutete, einen Zirkelschluss zu ziehen. Allgemein zum Problem der Überlagerung der Zuständigkeitsregelung der EuInsVO durch mitgliedstaatliches Recht vgl. oben, S. 98 ff. 374 Nachdem sich in der bisherigen Rechtspraxis allerdings eine Tendenz zur großzügigen Inanspruchnahme der Eröffnungskompetenz abzeichnet, dürfte vor allem der zweite Umstand zu erheblichen Problemen führen. 375 Vgl. hierzu oben, S. 88. 376 Weller, IPRax 2004, 412, 416; vgl. auch Duursma-Kepplinger, DZWIR 2006, 177, 179. 377 Vgl. nur die Zusammenfassungen bei Jahn/Sahm, Insolvenzen in Europa, passim. Zwar kennen fast alle nationalen Rechtsordnungen in ihren Insolvenztatbeständen die Elemente Zahlungsunfähigkeit sowie Überschuldung. Die inhaltliche Ausgestaltung weicht jedoch im Einzelnen teils erheblich voneinander ab.

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Darüber hinaus ist das Vorliegen der Insolvenzgründe regelmäßig aufgrund weitreichender Interpretationsmöglichkeiten nicht ohne Weiteres im Hinblick auf einen exakten Zeitpunkt zu ermitteln378. Bereits zur Festlegung des maßgeblichen Bezugnahmezeitpunkts müsste das Insolvenzgericht folglich gutachterlichen Sachverstand einholen (vgl. für das deutsche Insolvenzrecht § 22 Abs. 1 S. 2 Nr. 3 a.E. InsO). Die „Insolvenzreife“ scheidet danach als Beurteilungszeitpunkt sowohl aus rechtlichen Gründen als auch unter Praktikabilitätsgesichtspunkten aus. (c) Durch Antragspflichten bestimmter Zeitpunkt Nachdem die in den mitgliedstaatlichen Antragspflichten bezeichneten Handlungsfristen auf die Insolvenzgründe des nationalen Insolvenzrechts Bezug nehmen (vgl. nur § 15a InsO), kommt eine Bestimmung des Beurteilungszeitpunkt anhand dieser Vorschriften aus den genannten Gründen ebenfalls nicht in Betracht. (d) Zeitpunkt der Anspruchsentstehung Wäre der maßgebliche Beurteilungszeitpunkt, wie vom Gerichtsbeamten im Fall Vlieland-Boddy angenommen, derjenige der Forderungsentstehung379, so hätte dies den Vorteil, dass sich der jeweilige Gläubiger darauf verlassen könnte, dass für die Bestimmung der international-insolvenzrechtlichen Risiken stets die zum Zeitpunkt der Kreditvergabe bestehende Situation maßgeblich ist. Diejenigen Gläubiger, die eine bewusste Kreditentscheidung treffen können und wollen, hätten so eine mehr oder weniger verlässliche Grundlage zur Risikobewertung. Der High Court of Justice wendet ein, die sprachliche Fassung des Art. 3 Abs. 1 S. 1 EuInsVO, der im Präsens formuliert ist („hat“), spreche gegen ein solches Verständnis des COMI380. Dieses Argument vermag indes nicht zu überzeugen, denn bei der Bestimmung des Beurteilungszeitpunkts geht es ja gerade um die Frage, wo der Schuldner sein COMI hat, wenn der Sachverhalt durch das mit der Entscheidung befasste Gericht bestimmt wird. Der zeitliche Anknüpfungspunkt wird dabei gewissermaßen zum Definitionsbestandteil des „Mittelpunkts der hauptsächlichen Interessen“.

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Bichelmeier/Engberding/Oberhofer, Insolvenzhandbuch, S. 167. Vgl. Malcolm Brian Shierson (trustee in bankruptcy of Martin Vlieland-Boddy) v. Clive Vlieland-Boddy, [2004] EWHC 2752 (Ch. D.). 380 Vgl. Malcolm Brian Shierson (trustee in bankruptcy of Martin Vlieland-Boddy) v. Clive Vlieland-Boddy, [2004] EWHC 2752 (Ch. D.); die Berufungsentscheidung des Court of Appeal Civil Division, NZI 2005, 571, 572 ff. bestätigt diese Ausführungen. 379

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Vor allem aber bestünde der genannte Vorteil einer zeitlichen Anknüpfung an die Anspruchsentstehung nur in der praktisch kaum relevanten Konstellation, dass lediglich ein Anspruch besteht. Für den Regelfall bedürfte es hingegen eines weiteren Kriteriums zur Ordnung der je nach Ermittlungszeitpunkt divergierenden Ergebnisse. Ein solches „Stichkriterium“381 könnte aber bereits das Handhabungsproblem nicht zufriedenstellend lösen, da die Behandlung der Situation eines Eigenantrags durch den Schuldner, der sich nicht auf einen der Ansprüche, sondern deren Gesamtheit gründet, offenbliebe382. Außerdem sind einzelne Gläubiger oft Inhaber mehrerer Ansprüche, was dazu führte, dass bei einer Verschiebung des COMI zwischen der jeweiligen Anspruchsentstehung ein Wahlrecht entstünde. Darüber hinaus wäre diese Lösung je nach inhaltlicher Ausgestaltung des Sekundärkriteriums auch mit den Verordnungszielen, die eine Auslegung im Sinne einer weitestgehenden Vorhersehbarkeit gebieten, nicht zu vereinbaren. Denn wenn anhand zufallsabhängiger äußerer Umstände des Verfahrensgangs wie dem Zeitpunkt der Anhängigkeit des jeweiligen Antrags differenziert wird, setzt dies voraus, dass es mehrere gleichwertige COMI geben kann. Wie gezeigt werden konnte, entspricht diese Annahme jedoch nicht der Konzeption der EuInsVO 383. Darüber hinaus begünstigte ein solches Kriterium einen Eröffnungswettlauf384. Der Zeitpunkt der Anspruchsentstehung scheidet als maßgeblicher Beurteilungszeitpunkt daher aus385. (e) Zeitpunkt der Verfahrenseröffnung In zahlreichen ergangenen Judikaten wird eine Berücksichtigung aller bis zum Zeitpunkt der Verfahrenseröffnung eintretenden Veränderungen befürwortet386. Die englischen Gerichte wagen sich dabei an die ihrer Arbeitsweise ansonsten eher fremde Methode der teleologischen Exegese des Gesetzes. Aus der Legaldefinition der Verfahrenseröffnung in Art. 2 lit. f EuInsVO ergebe sich, dass mit dem Eröffnungszeitpunkt in Art. 3 Abs. 1 S. 1 EuInsVO, zu dem der Schuldner sein COMI in dem dann zuständigen Mitgliedstaat habe, derjenige Zeitpunkt gemeint sei, an dem die Eröffnungsentscheidung wirksam werde. Daraus leitet das Gericht ab, dass die381

Mankowski, NZI 2004, 368, 369. Mankowski, NZI 2004, 368, 369. 383 Vgl. oben, S. 88 f. 384 Mankowski, NZI 2004, 368, 369. 385 Ebenso im Ergebnis BGH, NZI 2004, 139; AG Celle NZI 2005, 410, 411; Malcolm Brian Shierson (trustee in bankruptcy of Martin Vlieland-Boddy) v. Clive VlielandBoddy, [2004] EWHC 2752 (Ch. D.); Knof, NZI 2005, 1017, 1023. 386 Malcolm Brian Shierson (trustee in bankruptcy of Martin Vlieland-Boddy) v. Clive Vlieland-Boddy, [2004] EWHC 2752 (Ch. D.); Geveran Trading Co. Ltd. v. Kjell Tore Skjevesland [2003] BCC 391, [2003] BCC 209 (Ch. D.), [2002] EWHC 2898 (Ch. D.). 382

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ser Zeitpunkt auch der Bezugszeitpunkt für die Bestimmung des COMI sein müsse387. Wie bereits dargelegt, befindet sich das COMI des Schuldners jedoch auch dann zu dem genannten Zeitpunkt in dem jeweils zuständigen Staat, wenn bei seiner Ermittlung auf einen zeitlich vorgelagerten Moment abgestellt werden müsste. Die Vorgehensweise des High Court of Justice kann also nicht überzeugen, zumal gerade das englische Recht mit der Rückwirkungsfiktionen des Eröffnungsbeschlusses auf den Zeitpunkt der Antragstellung (sec. 129 paragraph 2 Insolvency Act 1986) die besondere Bedeutung der Zäsur zwischen Antragstellung und Verfahrenseröffnung hervorhebt. Der BGH argumentiert in seinem ergebnisoffenen Vorlagebeschluss, das Hauptverfahren finde im Falle einer bis zur Verfahrenseröffnung erfolgenden Verlagerung des Mittelpunkts der hauptsächlichen Interessen aufgrund der damit regelmäßig einhergehenden Verschiebung von Vermögenswerten möglicherweise an einem Ort statt, an dem sich nur unwesentliche Teile des Schuldnervermögens befinden388. Und bei Vermögenslosigkeit des Schuldners könne dessen Wegzug vor Verfahrenseröffnung dazu führen, dass der „Schwerpunkt des Verfahrens“ in einem anderen als dem Eröffnungsstaat liege389. Das Verfahren werde dann dadurch erschwert, dass sich der Schuldner nicht im Eröffnungsstaat aufhalte und angesichts der Voraussetzungen des Art. 2 lit. h) EuInsVO dort häufig nicht einmal ein Sekundärverfahren nach Art. 3 Abs. 2, 27 ff. EuInsVO eröffnet werden könne. Die genannten Überlegungen vermögen in mehrerlei Hinsicht nicht zu überzeugen. Abgesehen davon, dass aufgrund der zur Gewichtung der Anknüpfungsmomente bestehenden Unklarheiten eine Verlegung der Eröffnungskompetenz nicht notwendig durch eine Vermögensverschiebung bedingt ist, kann auch der Hinweis des BGH auf das Sekundärverfahren letztlich nicht überzeugen: Die bisherige Rechtspraxis hat gezeigt, dass die Belegenheit von Schuldnervermögen im Ausland für das Hauptverfahren insbesondere auch dann zu Problemen führen kann, wenn dort ein Sekundärverfahren stattfindet390. Dass am Aufenthaltsort des Schuldners möglicherweise kein Sekundärverfahren eröffnet werden kann, ist also nicht unbedingt ein Argument dafür, dort ein Hauptverfahren stattfinden zu lassen. 387

Malcolm Brian Shierson (trustee in bankruptcy of Martin Vlieland-Boddy) v Clive Vlieland-Boddy, [2004] EWHC 2752 (Ch. D.), i. Erg. zustimmend auch die Berufungsentscheidung des Court of Appeal Civil Divsion, NZI 2005, 571, 572 ff. Vgl. auch die Darstellung bei Thornley, 2 International Corporate Rescue 51, 52 (2005). 388 Vgl. BGH, NZI 2004, 139, 141. 389 Der BGH, NZI 2004, 139, 141 geht hier beispielhaft auf die vom deutschen Recht in § 35 InsO vorgesehene Zugehörigkeit während des Insolvenzverfahrens erlangter Vermögensgegenstände zur Masse ein. 390 Eingehend zur Rolle des Sekundärverfahrens unten, S. 221 ff.

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Das zentrale Argument, ein Hauptverfahren könnte am Belegenheitsort der Masse oder am Aufenthaltsort der Gläubiger besser durchzuführen sein, verliert aber vor allem in Anbetracht der zur Auswahl stehenden Alternativen an Überzeugungskraft. Denn wenn sich eine Veränderung der Eröffnungszuständigkeit ergibt, nachdem der Schuldner lange Zeit an einem Ort seine Geschäfte betrieben hat, und sich dort der überwiegende Teil seiner Gläubiger aufhält, findet das Insolvenzverfahren zwar in der Nähe der Masse und/oder des Schuldners, aber weit abseits der Gläubiger und der Rechtsordnung statt, der insolvenzbezogene Zivilprozesse unterstehen könnten391. Zu einem solchen Ergebnis würde es insbesondere bei einer Änderung der Eröffnungszuständigkeit „in letzter Sekunde“, also unmittelbar vor Verfahrenseröffnung, kommen. Gerade um die Behandlung dieser Situation geht es jedoch in der Diskussion um den Beurteilungszeitpunkt, da tatsächliche Veränderungen, die einen Kompetenzwechsel bewirken, nicht schlechterdings untersagt sind. Obwohl die EuInsVO den Gläubigern in internationalen Insolvenzverfahren weitreichende Befugnisse einräumt (vgl. nur die Art. 39 ff. EuInsVO), dürfte der zu betreibende Aufwand speziell Kleingläubiger von der Geltendmachung ihrer Forderung im Ausland abhalten392. Es stellt sich dann die Frage, ob es insgesamt nicht besser ist, bildlich gesprochen „den deutschen Verwalter und nicht die deutschen Gläubiger nach Mallorca zu schicken“393. Die bei den großen Wirtschaftsprüfungsgesellschaften ansässigen Verwalter394, aber auch mittelständische Kanzleien haben mit dem internationalen Insolvenzgeschäft mittlerweile weitreichende Erfahrungen395. Im Gegensatz zu den Schuldnern kann von ihnen die Bewältigung internationaler Sachverhalte durch Nutzung ihrer universal wirkenden Befugnisse aus Art. 18 EuInsVO erwartet werden396. Betrachtet man das Problem nicht unter Praktikabilitätsgesichtspunkten, sondern unter teleologischen Aspekten, so ist zunächst daran zu erinnern, dass es entgegen verschiedentlicher Behauptung nicht Zweck der Kompetenzordnung der EuInsVO ist, Hauptverfahren am Vermögensmittelpunkt

391

Die internationale Zuständigkeit für insolvenzbezogene Zivilprozesse ist Gegenstand einer eigenen Kontroverse. Mehr dazu unten, S. 209 ff. 392 So auch Oberhammer, ZInsO 2004, 761, 763. 393 Oberhammer, ZInsO 2004, 761, 763. 394 Vor allem in England ist die Insolvenzverwaltung seit jeher Geschäft der großen Wirtschaftsprüfungsgesellschaften und nicht der Rechtsanwälte, vgl. Köster, RIW 2006, 24 f. 395 Vgl. z. B. die Bestandsaufnahme im Branchendienst JUVE, Heft Juni 2005, S. 60. 396 Ähnlich Liersch, NZI 2004, 141, 142; Mankowski, RIW 2004, 587, 599.

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des Schuldners stattfinden zu lassen397. Im Rahmen einer Auslegung nach Sinn und Zweck der EuInsVO deutet stattdessen vieles darauf hin, bei der Bestimmung der Eröffnungszuständigkeit einen möglichst frühen Beurteilungszeitpunkt maßgeblich sein zu lassen: In diesem Zusammenhang ist zunächst der Zweck der Vermeidung des forum shopping zu nennen398. Würde eine Verlegung des Mittelpunkts der hauptsächlichen Interessen bis zum Zeitpunkt der Verfahrenseröffnung Eingang in die Bestimmung der Eröffnungszuständigkeit finden, könnte der Schuldner nach der Antragstellung, die ihm regelmäßig signalisiert, dass mit einem Insolvenzverfahren zu rechnen ist, noch unmittelbar vor Verfahrenseröffnung manipulativ auf die für die Zuständigkeit konstitutiven Umstände einwirken; das „nachlaufende Manipulationspotenzial“399, der „Manövrierraum für böswillige Schuldner“400, vergrößerte sich. Mit dem Bestehen der Insolvenzgründe oder dem Insolvenzantrag sind bereits andere Fixpunkte vorhanden, die als zeitlicher Anknüpfungspunkt geeignet wären, sodass jedenfalls das Fehlen entsprechender Einschnitte als Argument nicht verfängt. Im Extremfall könnte ein Abstellen auf den Eröffnungszeitpunkt sogar dazu führen, dass besonders bewegliche Schuldner durch ein stetiges Weiterziehen dafür sorgen, dass in den Mitgliedstaaten, in denen die Gerichte aufgrund eines Insolvenzantrags oder ex officio die Zuständigkeit prüfen, keine Eröffnungskompetenz bestünde. Das forum shopping würde dem Schuldner so nicht nur die „Wahl“ des Eröffnungsstaates des Hauptverfahrens und damit eines für den Schuldner günstigen Hauptverfahrensstatuts, sondern eine erhebliche Verschleppung der Verfahrenseröffnung ermöglichen401. Dies wäre für den Schuldner eine Einladung zum „Katz-undMaus-Spiel“. Dass für die Ermittlung der Eröffnungszuständigkeit ein möglichst früher Zeitpunkt ausschlaggebend sein muss, zeigt auch ein Blick auf die mit der Zuständigkeitsregelung bezweckte Berechenbarkeit der spezifisch international-insolvenzrechtlichen Risiken. Je länger Veränderungen der heranzuziehenden Tatsachenbasis noch bei Ermittlung der Eröffnungszuständigkeit einbezogen werden müssen, desto stärker würden die ohnehin sehr begrenzten Möglichkeiten der Antizipation dieser Risiken weiter verkürzt402. Weller weist darüber hinaus zu Recht darauf hin, dass die Erwar397

Siehe oben, S. 74 ff. Vgl. auch Mankowski, NZI 2005, 369, 371 („Grundanknüpfung [...] nicht vermögensbezogen“). Vgl. aber den Schlussantrag des EuGH GA Colomer, Rs. C-1/04, Rn. 64. Abzurufen im Internet unter . 398 So nun auch EuGH, Rs. C-1/04 (Staubitz-Schreiber), Urteil vom 17.01.2006, Rn. 27. 399 Mankowski, EWiR 2004, 229, 230. 400 Mankowski, NZI 2005, 575, 576. 401 Oberhammer, ZInsO 2004, 761, 763; Mankowski, NZI 2005, 575, 576. 402 Vgl. EuGH, Rs. C-1/04 (Staubitz-Schreiber), Urteil vom 17.01.2006, Rn. 27.

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tungen der Schuldner sich auf das Eingreifen einer bestimmten Haftungsordnung im Falle des Eintretens der Insolvenz beziehen403. Bezugspunkt der Gläubigerexspektanzen ist also der Augenblick, in dem die Insolvenz des Schuldners ihren Voraussetzungen nach eingetreten ist. Nachdem dieser Zeitpunkt selbst jedoch als zeitlicher Anknüpfungspunkt aus den genannten Gründen nicht infrage kommt, könnte auf den ihm (verglichen mit der Verfahrenseröffnung) näherstehenden Zeitpunkt der Antragstellung abgestellt werden. Der Zeitpunkt der Verfahrenseröffnung scheidet als zeitlicher Anknüpfungspunkt nach alldem aus404. Die Entscheidung des EuGH, die den Zeitpunkt der Verfahrenseröffnung als Beurteilungszeitpunkt ausschließt, erweist sich insoweit als zutreffend. (f) Zeitpunkt der Antragstellung Prima facie scheint der Einwand der Überlagerung der gemeinschaftsrechtlichen Kompetenzordnung durch mitgliedstaatliches Insolvenzrecht ebenfalls Geltung zu beanspruchen, wenn der Zeitpunkt der Antragstellung für maßgeblich erachtet wird. Denn auch Antragserfordernis und -recht sind – anders als das in Art. 29 lit. a) EuInsVO unmittelbar normierte Antragsrecht zur Durchführung von Sekundärverfahren – zunächst Gegenstand des mitgliedstaatlichen Rechts: Soweit die EuInsVO keine abweichenden Bestimmungen trifft, müssen die vor Eröffnung eines Hauptverfahrens liegenden Verfahrensschritte sich notwendig auch dann nach den nationalen Insolvenzrechtsordnungen der Mitgliedstaaten richten, wenn deren weitere Anwendbarkeit auf das ggf. zu eröffnende Verfahren vor Klärung der Zuständigkeitsfrage noch nicht feststeht. Zu Recht wird daher auch die Anwendbarkeit der EuInsVO auf die Durchführung von Eröffnungsverfahren als solchen verneint405. Von der Bezugnahme auf die „Insolvenzreife“ unterscheidet sich die Bezugnahme auf den Augenblick der Antragstellung insoweit, als letzterer Zeitpunkt durch das mitgliedstaatliche Insolvenzrecht nicht erst geschaffen 403 Weller, IPRax 2004, 412, 416. Weller geht in seinen Ausführungen allerdings nicht auf die erheblichen allgemeinen Schwächen ein, welche die von der EuInsVO bezweckte Möglichkeit der Risikobewertung de lege lata kennzeichnen. Darüber hinaus vermag auch die von Weller gezogene Parallele zum Verbot identitätswahrender Sitzverlegung nicht zu überzeugen, da dieses Verbot einer Verlegung des Verwaltungssitzes in einen anderen Mitgliedstaat bekanntlich nicht entgegensteht. 404 Anders im Ergebnis LG Wuppertal, ZInsO 2002, 1099 und Wessels, Moving House, S. 6 (unter Punkt 5 a.E.) sowie Malcolm Brian Shierson (trustee in bankruptcy of Martin Vlieland-Boddy) v. Clive Vlieland-Boddy, Court of Appeal Civil Divsion, NZI 2005, 571, 572 ff. 405 Vgl. BGH, NZI 2004, 139, 140; Duursma, in: Duursma-Kepplinger/Duursma/Chalupsky, Art. 43, Rn. 12.

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wird, sondern einen tatsächlichen Vorgang bezeichnet, der lediglich aufgrund von Bestimmungen mitgliedstaatlichen Verfahrensrechts erfolgt. Das Insolvenzrecht der Mitgliedstaaten fordert und regelt also das maßgebliche Ereignis als verfahrensrechtliche Voraussetzung, konstituiert es hingegen nicht erst. Anders als ein Abstellen auf den Zeitpunkt des Eintritts der Insolvenzgründe macht eine Bezugnahme auf den Zeitpunkt der Antragstellung folglich nicht die Subsumtion unter Vorschriften notwendig, deren Geltung zum Zeitpunkt der Anwendung noch nicht feststeht. Vielmehr kommen allein diejenigen verfahrensrechtlichen Bestimmungen des mitgliedstaatlichen Rechts zur Geltung, die nach der Konzeption der EuInsVO ohnehin eingreifen müssen, da diese keine umfassende Regelung von Antragsverfahren und Verfahrenseröffnung enthält. Außerdem ist eine zeitliche Anknüpfung an die Antragstellung, anders als eine solche an das bloße Vorliegen der Voraussetzungen der Insolvenz aufseiten des Schuldners, der EuInsVO nicht fremd: In den Bestimmungen der Art. 25 Abs. 1 Unterabs. 3, 38 EuInsVO sowie dem 16. Erwägungsgrund stellt die Verordnung selbst ausdrücklich auf den Zeitpunkt der Antragstellung ab. Den Regelungen der EuInsVO liegt folglich erkennbar die Annahme zugrunde, dass ein Antrag in allen Insolvenzverfahren zu stellen ist. Die zeitliche Anknüpfung erfolgt mithin an einen Verfahrensschritt, den die EuInsVO selbst voraussetzt. Eine Bezugnahme auf den Zeitpunkt der Antragstellung verletzt daher weder den Anwendungsvorrang des Gemeinschaftsrechts noch das Prinzip der europäisch-autonomen Gesetzesauslegung. Die genannten Vorschriften, die auf die Antragstellung Bezug nehmen, dienen der Sicherung künftiger Partikularmassen schon vor Verfahrenseröffnung406. Sie geben zu erkennen, dass die EuInsVO vom Moment der Antragstellung an auch die zur Verlegung des Interessenmittelpunkts oftmals erforderlichen Vermögensbewegungen zu unterbinden sucht, soweit dies nach dem jeweiligen mitgliedstaatlichen Insolvenzrecht möglich ist. Auch dies spricht dafür, später erfolgende Veränderungen im Hinblick auf die Ermittlung der Eröffnungszuständigkeit nicht zu berücksichtigen. Ferner würde die praktische Unterbindung von Manipulationen erschwert, da mit der im Antragsverfahren wechselnden Zuständigkeit zugleich die Kompetenz zur Anordnung von Sicherungsmaßnahmen wechselte407. Die zeitliche Anknüpfung an die Antragstellung hätte weiterhin zur Folge, dass sich die Gläubiger bei der Frage, wo sie den Antrag zu stellen haben, von der Maßgeblichkeit der zu diesem Zeitpunkt bestehenden Situa-

406

Vgl. Smid, Internationales Insolvenzrecht, Art. 38, Rn. 5. Liersch, NZI 2004, 141, 142, vgl. auch Haß/Herweg, in: Geimer/Schütze, Art. 3 EuInsVO, Rn. 16. 407

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tion und damit von den am günstigsten zu beschaffenden Informationen408 leiten lassen dürften409. Dies ist begrüßenswert, da ansonsten auch der in Kenntnis aller relevanten Tatsachen handelnde, „allwissende“ Gläubiger nicht mit Sicherheit sagen könnte, ob er den Antrag beim zuständigen Gericht gestellt hat. Das Insolvenzgericht wiederum hat die internationale Zuständigkeit vom Moment der Antragstellung an von Amts wegen zu ermitteln410. Käme es auf einen anderen Zeitpunkt als den der Antragstellung an, müsste das Gericht die sich vor Antragstellung bzw. während der Bestimmung der Eröffnungskompetenz ergebenden tatsächlichen Änderungen verfolgen und – ggf. auf den erwarteten Eröffnungszeitpunkt antizipiert – berücksichtigen, was in vielerlei Hinsicht praktisch unmöglich sein dürfte. Nach alldem könnte nur noch ein Gesichtspunkt gegen eine zeitliche Anknüpfung an den Augenblick der Antragstellung sprechen: In einigen Mitgliedstaaten gibt es in den Anwendungsbereich der EuInsVO fallende Verfahrensarten, die von Amts wegen eröffnet werden können, sodass eine Antragstellung nicht notwendig stattfindet411. Dies gilt etwa für das administration-Verfahren nach englischem Recht, das gem. Art. 2 lit. a) S. 2 EuInsVO i.V.m Anhang A der EuInsVO unterfällt412. Dieses Problem ist bislang in der Literatur wenig beachtet413 und auch vom Verordnungsgeber augenscheinlich nicht berücksichtigt worden. Explizite Regelungen über die amtswegige Aufnahme eines Eröffnungsverfahrens enthält die EuInsVO jedenfalls genauso wenig wie eine nähere Erläuterung dessen, was die EuInsVO als Antrag begreift. Es ist aber kein Grund ersichtlich, der die Annahme rechtfertigte, dass die von der EuInsVO ab dem Zeitpunkt der Antragstellung vorgesehene Anerkennung von Sicherungsmaßnahmen nicht bestehen solle, wenn das Eröffnungsverfahren von Amts wegen aufgenommen wurde. Der Antragsbegriff der EuInsVO muss daher auch die Aufnahme eines Eröffnungsverfahrens ex officio umfassen. Dementsprechend kommt es für die Bestimmung der internationalen Zuständigkeit auf

408

Auf den Kostenaspekt weist Mankowski, NZI 2005, 368, 369 hin. Informationen über die alternativ heranzuziehende, zukünftige Tatsachenbasis sind freilich zum Zeitpunkt der Antragstellung zu keinem Preis erhältlich. 409 Vgl. EuGH, Rs. C-1/04 (Staubitz-Schreiber), Urteil vom 17.01.2006, Rn. 27. 410 Zu der nach deutschem Insolvenzrecht bestehenden Pflicht der Ermittlung der örtlichen Zuständigkeit von Amts wegen vgl. Becker, in: Nerlich/Römermann, InsO, § 5, Rn. 5. 411 Vgl. Smid, Grundzüge des Insolvenzrechts § 3, Rn. 3 in Fn. 1, der auf Art. 4 Abs. 2, 5 des Französischen Insolvenzgesetzes v. 25.1.1985 hinweist. 412 Die administration kann eröffnet werden, ohne dass ein entsprechender Schuldneroder Gläubigerantrag gestellt wurde; Sec. 12 (1) lit. d) Schedule B1 to the Insolvency Act 1986. 413 Auf die amtswegig eröffneten Verfahren weisen unter anderem Kegel/Thieme, Vorschläge und Gutachten, S. 213, 274 sowie Oberhammer, ZInsO 2004, 761, 762 hin.

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den Zeitpunkt an, zu dem der Eröffnungsantrag gestellt oder das Eröffnungsverfahren von Amts wegen anhängig wird414. (3) Zusammenfassung Zeitlicher Anknüpfungspunkt bei der Bestimmung der internationalen Zuständigkeit nach Art. 3 Abs. 1 S 1 EuInsVO ist grundsätzlich der Augenblick der Antragstellung. Kommt es ex officio zu einem Eröffnungsverfahren, so ist der Augenblick maßgeblich, in dem das Gericht von Amts wegen tätig wird415. Ein forum shopping im hier vertretenen Verständnis des Begriffs416 kommt in jedem Fall bis zu diesem Zeitpunkt in Betracht. Einer Hin- und Herverlegung des COMI bedarf es nicht417. Nach der Antragstellung erfolgende Änderungen des Bewertungsgegenstands finden regelmäßig keinen Eingang in die Zuständigkeitsermittlung, wobei jedoch Einschränkungen bestehen: Vereinzelt wird offenbar angenommen, mit diesem Befund seien zugleich die zeitlichen Grenzen eines forum shopping unter Ausnutzung der Veränderlichkeit des Sachverhalts festgelegt418. Dies stimmt jedoch nur bedingt, denn die Bezugnahme auf den Zeitpunkt der Antragstellung führt nicht immer dazu, dass in diesem Augenblick auch ein Schlusspunkt für manipulatives Einwirken gesetzt ist. Verlegt der Schuldner sein COMI beispielsweise, nachdem ein Antrag gestellt worden ist, und wird im neuen Belegenheitsstaat des COMI ebenfalls – ggf. in Form eines Eigenantrags durch den Schuldner – ein Antrag gestellt, so kommt es für die Beachtlichkeit der Änderung nicht auf die Frage des Bezugnahmezeitpunkts, sondern allein darauf an, ob bereits die Anhängigkeit des Verfahrens durch den ersten Antrag eine Sperrwirkung nach sich zieht419. Wäre dies nicht der Fall, 414

So im Ergebnis auch Mankowski, NZI 2005, 368, 369, 372, ders., EWiR 2004, 229, 230; Brenner, EWiR 2003, 925; Liersch, NZI 2004. 141, 142.; Herchen, ZInsO 2004, 825, 830; Haubold, in: Gebauer/Wiedemann, Art. 3 EuInsVO, Rn. 52; Carstens, Internationale Zuständigkeit, S. 38. 415 Wenn im Folgenden von der Antragstellung die Rede ist, so ist damit stets auch dieser Zeitpunkt gemeint, soweit eine weitere Eingrenzung nicht erfolgt. 416 Vgl. oben Fn. 36. 417 So aber offenbar Mankowski, NZI 2005, 368, 372; ders., EWiR 2004, 229, 230. Die Ausführungen Makowskis treffen insoweit zu, als die EuInsVO keine mit dem Beurteilungszeitpunkt einhergehende Beschränkung bezüglich einer Verlagerung der für das COMI konstitutiven Tatsachen beinhaltet und das vom zuständigen Gericht eröffnete Insolvenzverfahren somit erschwert werden könnte. 418 So will etwa Knof, NZI 2005, 1017, 1024 mit der Festlegung des Bezugnahmezeitpunkts auf den Augenblick der Antragstellung das „Problem des forum shopping [...] lösen“. Zu einem ähnlichen Resümee gelangt Vogl, EWiR 2006, 141, 142. 419 Vgl. Haubold, in: Gebauer/Wiedemann, Art. 3 EuInsVO, Rn. 52. Der BGH hat entschieden, dass die nach Art. 3 Abs. 1 EuInsVO im Zeitpunkt der ersten Antragstellung bestehende Zuständigkeit auch dann erhalten bleibe, wenn das COMI des Schuldners da-

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und kommt es etwa auf die Priorität der Eröffnungsentscheidungen an, so beinhaltet gerade die Möglichkeit des Eigenantrags ein erhebliches Manipulationspotenzial420. Ob sich die These, ein Abstellen auf den Zeitpunkt der Antragstellung führe zu einer weitreichenden Verhinderung von forum shopping, erhalte „Überraschungseffekt und Drohpotenzial“421 der Antragstellung und verhindere einen Eröffnungswettlauf422, tatsächlich bewahrheitet, wird sich also erst im Rahmen einer vertieften Auseinandersetzung mit der Behandlung konkurrierender Verfahren erweisen. c. Begrenzung der faktischen Rechtswahlfreiheit durch ungeschriebenen Missbrauchsvorbehalt? Der Befund, dass bis zur Antragstellung erfolgende Verlegungen des COMI beachtlich sind, wirft die Frage nach einem nicht positivierten Vorbehalt gegenüber missbräuchlichen „Sitzverlegungen“423 in zeitlicher Nähe zur Insolvenz auf. Ob Sitzverlegungen am Vorabend der Insolvenz unter dem Vorbehalt des Missbräuchlichkeit stehen, ist für die Frage nach den Möglichkeiten der Rechtswahl unter dem Regelungsregime der EuInsVO von erheblicher Bedeutung. Dass eine Insolvenz unabwendbar ist, wird dem Schuldner bzw. der Geschäftsführung des schuldnerischen Unternehmens teilweise erst in unmittelbarer zeitlicher Nähe zu ihrem Eintritt klar. Bis dahin gilt die Aufmerksamkeit regelmäßig der Verbesserung der wirtschaftlichen Situation. Oft wird der Schuldner daher erst dann, wenn sich der Eintritt der Insolvenzgründe unumkehrbar abzeichnet, seine Kräfte darauf verwenden, Maßnahmen im Hinblick auf das kommende Insolvenzverfahren durchzuführen. Ob und unter welchen Voraussetzungen eine Verlegung des COMI in Insolvenznähe als rechtsmissbräuchlich und daher

nach ins Ausland verlegt wurde und weitere Anträge gestellt werden, bevor der noch bei Belegenheit des COMI im Antragsstaat gestellte Antrag zurückgenommen wurde (BGH, ZIP 2006, 767, 768). Dies ist zwar Aussagegehalt der Entscheidung des EuGH in der Rs. Staubitz-Schreiber. Jedenfalls wäre ein Gericht eines anderen Mitgliedstaates aber nicht daran gehindert, von der inzwischen bei ihm gegebenen Zuständigkeit Gebrauch zu machen, sofern nicht der Erstantrag schon eine Sperrwirkung entfaltete (dazu unten, S. 146 ff.). 420 Diesen Gesichtspunkt scheint Mankowski, RIW 2004, 587, 600 zu übersehen. 421 Mankowski, NZI 2005, 368, 369. 422 Mankowski, NZI 2005, 368, 369, 372. 423 Angesichts der Befunde zu den einzelnen Anknüpfungsmomenten im Rahmen von Art. 3 Abs. 1 S. 1 EuInsVO (vgl. oben, S. 91 ff.) wird deutlich, dass der Begriff „Sitzverlegung“ in diesem Zusammenhang weit verstanden werden muss. Es müssen all diejenigen Veränderungen erfasst sein, die zu einer Verlegung der Eröffnungskompetenz führten. So wird auch die Verwendung des Begriffs bei Duursma-Kepplinger, in: DuursmaKepplinger/Duursma/Chalupsky, Art. 3, Rn. 17 zu verstehen sein (a.A. offenbar Smid, Internationales Insolvenzrecht, Art. 3, Rn. 14).

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unbeachtlich anzusehen ist, spielt daher für die Rechtspraxis eine bedeutende Rolle. (1) Kein ausdrücklicher Missbrauchsvorbehalt in der EuInsVO Die EuInsVO enthält – anders als noch ein früher Entwurf zum EuInsÜ424 und mitgliedstaatliche Insolvenzrechte425 – keine gesonderte Regelung bezüglich einer Verlegung des COMI in zeitlicher Nähe zur Insolvenz426. Dieser Umstand wird unterschiedlich beurteilt. Verschiedentlich wird in ihm ein „bedauerlich[es]“ Unterlassen des Verordnungsgebers gesehen427. Andere Stimmen scheinen bereits in dem Aufwand, den eine Verlegung des COMI erfordert, einen ausreichenden Schutz gegen ein forum shopping in Insolvenznähe zu sehen428. Dass diese Einschätzung angesichts des tatsächlich erforderlichen Manipulationsaufwands letztlich nicht überzeugen kann, wurde bereits dargelegt429. Aus dem Umstand, dass die Regelung aus dem Entwurfs zum EG-Konkursübereinkommen von 1980 nicht in das EuInsÜ und die EuInsVO übernommen wurde, lässt sich jedenfalls der Schluss ziehen, dass der Verordnungsgeber auf eine Regelung des Zuständigkeitswechsels in Insolvenznähe bewusst verzichtete.

424

Vgl. Art. 6 Abs. 1 des Entwurfs zum EG-Konkursübereinkommen von 1980 (abgedruckt bei Kegel/Thieme, Vorschläge und Gutachten, S. 48.): „Hat der Schuldner weniger als sechs Monate vor dem Zeitpunkt, in dem das Gericht befasst wird, sein Geschäftszentrum in das Hoheitsgebiet eines anderen Vertragsstaates verlegt, sind die Gerichte dieses Staates und die Gerichte des Staates, in dem sich das Geschäftszentrum vorher befand, für die Konkurseröffnung zuständig“. 425 So kennt etwa das französische Recht eine solche Regelung, vgl. oben, Fn. 38. 426 Unstr. vgl. nur Smid, Internationales Insolvenzrecht, Art. 3, Rn. 14. 427 Duursma-Kepplinger/Duursma/Chalupsky, Art. 3, Rn. 1. Carstens, Internationale Zuständigkeit, S. 122, 126 spricht sich dafür aus, die internationale Zuständigkeit im Falle ihrer Veränderung für eine bestimmte Frist bei dem bis zur Verlegung zuständigen Gericht zu belassen. Die Wirksamkeit einer solchen Regel setzt jedoch voraus, dass ein Zuständigkeitswechsel auch als solcher identifiziert werden kann. Das von Carstens diesbezüglich vorgeschlagene Kriterium des „effektiven Sitzes“ dürfte sich in Zweifelsfällen als ähnlich schwierig handhabbar erweisen wie das COMI. Darüber hinaus sah zumindest Art. 6 Abs. 1 des Entwurfs zum EG-Konkursübereinkommen von 1980 vor, dass die Zuständigkeit auch am Zuzugsort begründet war. 428 So Smid, Internationales Insolvenzrecht, Art. 3, Rn. 14, Mankowski, NZI 2005, 368, 372; ähnlich Malcolm Brian Shierson (trustee in bankruptcy of Martin VlielandBoddy) v. Clive Vlieland-Boddy, [2004] EWHC 2752 (Ch. D.); vgl. auch Thornley, 2 International Corporate Rescue, 51, 52 (2005). 429 Vgl. oben, S. 105 ff.

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(2) Missbrauchsregelung durch mitgliedstaatliche Sanktionen der „Sitzverlegung“? Mitunter wird bezüglich der Behandlung insolvenznaher Verlegungen des COMI die Anwendung der nationalen Rechtsordnungen für möglich gehalten430, wenn auch teilweise auf eine „Rechtsmissbrauchsprüfung nach Maßgabe des forumstaatlichen Rechts“431 beschränkt. Gegen die Einbeziehung mitgliedstaatlicher Bestimmungen, seien es allgemeine Missbrauchsvorschriften oder Bestimmungen, die ausdrücklich die „Sitzverlegung“ in zeitlicher Nähe der Insolvenz betreffen432, sprechen allerdings schwerwiegende Argumente. Die Geltung der mitgliedstaatlichen Sonderregelungen würde zu einer kaum zu handhabenden Gemengelage unterschiedlicher Normen führen433. Würde, um ein einfaches Beispiel zu nennen, der Schuldner den Mittelpunkt seiner hauptsächlichen Interessen fünf Monate vor Eintritt der Insolvenz von einem Staat, dessen Insolvenzrecht Veränderungen der zuständigkeitsrelevanten Tatsachenbasis in den letzten sechs Monaten vor Eintritt der Insolvenz pauschal für unbeachtlich erklärt, in einen Staat verlegen, dessen Rechtsordnung eine solche Sanktion nicht kennt, so stellte sich eine Vielzahl von Einzelfragen: Kann jetzt das Gericht des Zuzugsstaats seine unter Berücksichtigung (nur) seiner nationalen Rechtslage und entsprechend dem Befund zum maßgeblichen Ermittlungszeitpunkt der Antragstellung nach Art. 3 Abs. 1 S. 1 EuInsVO gegebene Zuständigkeit wahrnehmen? Oder muss es zunächst die „Bewegungen“ des Schuldners in den letzten Jahren im Wege hypothetischer Zuständigkeitsbestimmungen nachverfolgen, um dann jeweils zu überprüfen, ob dort, wo der Interessenmittelpunkt vormals lokalisiert gewesen ist, eine lex fori eingegriffen hätte, derzufolge die später vollzogenen Bewegungen unbeachtlich gewesen wären? Könnte ein Insolvenzgericht des Wegzugsstaates sich für zuständig erklären, obwohl die Zuständigkeit nun in einem anderen Staat nach dessen Regeln und den für die Bestimmung geltenden Grundsätzen bestünde? 430

So Duursma-Kepplinger, in: Duursma-Kepplinger/Duursma/Chalupsky, Art. 3, Rn. 17; vgl. nunmehr auch Armour, in: Prohibition of Abuse of Law. 431 Mankowski, EWiR 2004, 229, 230; ders., NZI 2005, 368, 372; ders., RIW 2004, 587, 600. 432 Das englische Recht sieht in Sec. 265 (1) Insolvency Act 1986 vor, dass die Zuständigkeit englischer Gerichte auch dann besteht, wenn der Schuldner in den letzten drei Jahren vor Antragstellung in England geschäftlich tätig gewesen ist. Eine Anwendbarkeit dieser Regelung würde in Umzugsfällen eine parallele Zuständigkeit begründen. Nach englischer Rechtsprechung wird außerdem im Falle einer Einstellung der Geschäftstätigkeit deren Weiterbestehen in England bis zur Ergreifung von Maßnahmen zur Regulierung der Verbindlichkeiten durch den Schuldner fingiert, vgl. Re a debtor (No 784 of 1991) [1992] Ch 554; Theophile v. Solicitor-General [1950] AC 186, HL. 433 So auch Haubold, in: Gebauer/Wiedemann, Art. 3 EuInsVO, Rn. 52.

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Diese Problematik verkompliziert sich noch erheblich, wenn der Schuldner nicht nur zwischen zwei, sondern mehreren Mitgliedstaaten umherzieht, die für die Ermittlung der örtlichen Zuständigkeit verschiedene Regelungen vorsehen. Ähnlich unklar wäre die Rechtslage, wenn der Wegzugsstaat Verlegungen des Interessenmittelpunkts nicht innerhalb der Kompetenzvorschriften des Insolvenzrechts, sondern andernorts regelte. Zunächst stellte sich auch hier die Frage, ob der Zuzugsstaat eine verbotswidrige Verlegung des Interessenmittelpunkts, die nach seinem eigenen Recht nicht sanktioniert wird, anerkennen müsste. Abgesehen davon wären solche Regelungen – etwa ein Verbot der Verlegung des Verwaltungssitzes oder ein Wegzugsverbot für Gewerbetreibende bei drohender Insolvenz – nur bedingt mit den europäischen Grundfreiheiten (insbesondere der Art. 45, 49, 54 AEUV sowie Art. 15 und 16 der Europäischen Grundrechtecharta) vereinbar und somit ggf. unionsrechtswidrig. Darüber hinaus unterliegt die Kompetenzordnung der EuInsVO, wie bereits dargelegt, keiner Modifikation durch mitgliedstaatliche Normen. Zwar vollzieht sich die Kompetenzermittlung durch das Insolvenzgericht notwendig in den vom mitgliedstaatlichen Verfahrensrecht vorgegebenen Schritten. Die Zuständigkeit als solche richtet sich indes allein nach den Bestimmungen der EuInsVO. Nachdem sich die Geltung des „forumstaatlichen Rechts“ erst infolge der Eröffnungszuständigkeit ergibt – erst mit der Eröffnung steht die Geltung der lex fori concursus nach Art. 3 Abs. 1, 4 Abs. 1 EuInsVO endgültig und mit Wirkung gegenüber anderen Staaten fest434 –, würde mit der Anwendung mitgliedstaatlicher Sanktionen eben dieser lex fori das mitgliedstaatliche Recht die Frage seiner Anwendbarkeit abermals selbst regeln. Dass dies nicht möglich ist, wurde bereits nachgewiesen435. Die Regelung und ggf. Verhinderung einer „Sitzverlegung“ in der Krise mit Wirkung gegenüber der Zuständigkeitsordnung der EuInsVO ist daher nicht dem nationalen Recht der Mitgliedstaaten überlassen. Aus den genannten Gründen kann auch die obergerichtliche Rechtsprechung im deutschen Insolvenzrecht, derzufolge die Sitzverlegung einer Gesellschaft nach Einstellung der Geschäftstätigkeit als rechtsmissbräuch-

434 Eingehend werden dieses Problem und die Fragen der Notwendigkeit der Heranziehung der hypothetischen lex fori concursus und deren Behandlung bei Verfahrenseröffnung in einem zweiten Forum unten, S. 193 ff., im Zusammenhang mit der Frage der Anknüpfung der Insolvenzantragspflicht behandelt. 435 Zutreffend insofern die Stellungnahme des französischen Justizministeriums, Bulletin officiel du Ministère de la Justice n° 89, Ciculaire relative â l’entrée en vigeur du règlement n° 1346/2000, CIV 2003-05 D4/17-03-2003 (unter I.2.1.), im Internet abzurufen unter .

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Kapitel 2: Rechtswahlfreiheit unter der EuInsVO – de lege lata

lich anzusehen ist436, im Kontext der internationalen Zuständigkeitsermittlung nicht berücksichtigt werden437. Dasselbe gilt für die zum deutschen Internationalen Insolvenzrecht zur Problematik der internationalen Zuständigkeit bei grenzüberschreitendem Umzug ergangenen Judikate438. (3) Ungeschriebener Vorbehalt der Zuständigkeitserschleichung? Die Frage, inwieweit tatsächliche Veränderungen in zeitlicher Nähe zur Insolvenz aufgrund eines Missbrauchsvorbehalts beschränkt sind und somit eine Grenze für die Forums- und Rechtswahl durch die Verfahrensbeteiligten darstellen, muss daher ausgehend von den Vorschriften der EuInsVO untersucht werden. Nachdem die EuInsVO kein generelles Verbot der Verlagerung von COMI beinhaltet, stellt sich die Frage, ob Handlungen von Verfahrensbeteiligten, durch die in tatsächlicher Hinsicht auf die Zuständigkeitsvoraussetzungen des Art. 3 Abs. 1 S. 1 EuInsVO eingewirkt wird, nicht dennoch unter bestimmten Voraussetzungen als unwirksam angesehen werden müssen. Wäre dies der Fall, so ergäben sich daraus Grenzen für die Gestaltungsmöglichkeiten zur Rechtswahl. Ohne dass dabei nähere Konkretisierungen stattfänden, wird mitunter behauptet, die Wirksamkeit einer Zuständigkeitsänderung infolge einer Verlegung des schuldnerischen COMI stehe unter dem Vorbehalt, dass die Verlegung nicht „nur zum Schein“ stattgefunden haben dürfe439. Die Feststellung, dass COMI-Verlegungen „bloß zum Schein [...] in Wahrheit gar keine Verlegung[en]“440 sind, ist zutreffend, aber nur selbstverständlich, solange man als Scheinverlegungen solche Verlegungen begreift, welche die aus Art. 3 Abs. 1 S. 1 EuInsVO folgenden Voraussetzungen nur zu er-

436 Z. B. BayObLG, ZIP 2004, 90 f. BayObLG, ZIP 2004, 148 f., OLG Celle, NZI 2004, 258 ff. 437 Anders scheinbar AG Mönchengladbach NZI 200, 383, 384, das auf diese Rechtsprechung Bezug nimmt. 438 Vgl. etwa BGHZ 132, 195; OLG Köln, NZI 2001, 380. 439 Mankowski, NZI 2005, 369, 372; Haubold, in: Gebauer/Wiedemann, Art. 3 EuInsVO, Rn. 52; Duursma-Kepplinger, DZWIR 2006, 177, 180; Virgós/Garcimartín, The European Insolvency Regulation, Nr. 69. Die vorstehend genannten Stimmen verweisen mehrheitlich französisches Justizministerium, Bulletin officiel du Ministère de la Justice n° 89, Ciculaire relative â l’entrée en vigeur du règlement n° 1346/2000, CIV 2003-05 D4/17-03-2003 (unter I.2.1.), im Internet abzurufen unter . Die Stellungnahme des französischen Justizministeriums trifft jedoch in den Passagen, welche die internationale Zuständigkeit betreffen, keine Aussagen über einen Vorbehalt gegenüber Scheinverlegungen. Sie sieht eine Ausnahme allein für die Fälle betrügerischen Handelns vor: „Toutefois il convient de réserver l’hypothèse de la fraude [...]“. 440 Mankowski, NZI 2005, 369, 372.

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füllen vorgeben, ohne sie tatsächlich zu erreichen441. Genau genommen handelt es sich bei dieser Kategorie von Fällen also nicht um solche des Rechtsmissbrauchs, sondern um Fälle, in denen eine Täuschung über die das COMI konstituierenden Tatsachen vorliegt442. Diese Fallkategorie ist in der Theorie relativ einfach zu behandeln, da bereits eine korrekte Subsumtion der Fakten zum richtigen Ergebnis führte. Die mit der Versagung der Wirkung einer dennoch erfolgenden Verfahrenseröffnung verbundenen normativen Fragen sind daher in diesen Fällen nicht dem Problemkreis des Rechtsmissbrauchs, sondern der Durchbrechung des Anerkennungszwangs hinsichtlich falscher Inanspruchnahmen der Eröffnungszuständigkeit zuzuweisen443. Diese vermeintlich einfache Differenzierung steht freilich unter dem Vorbehalt, dass gerade aufgrund der Unschärfe des COMI-Kriteriums die Lüge von der bewussten Akzenturierung der Tatsachenschilderung nicht immer Unterschieden werden kann. Als wesentlich problematischer wäre indes ein Ausnahmetatbestand anzusehen, wenn er den Fall beträfe, dass sich hinter dem Erfordernis, eine Verlegung des COMI dürfe nicht nur zum Schein stattfinden, die Forderung nach weiterreichenden Einschränkungen verbirgt. Damit wäre die Frage aufgeworfen, ob die EuInsVO sog. Zuständigkeitserschleichungen444, also der Begründung einer ohne die infrage stehende Einwirkung nicht bestehenden internationalen Zuständigkeit, als einem Fall der Gesetzesumgehung (sog. fraus legis445) die Anerkennung verweigert. Wie bereits festgestellt, sieht die EuInsVO vor, dass Handlungen insbesondere des Schuldners zu einem Wechsel der internationalen Zuständigkeit führen können. Von diesen – legitimen – Vorgängen wäre die Zuständigkeitserschleichung abzugrenzen. Da Veränderungen des COMI wie darglegt von der EuInsVO grundsätzlich akzeptiert sind, würde eine Differenzierung zwischen zu respektieren441

So versteht etwa Knof, NZI 2005, 1017, 1025 diese Wendung. Undifferenziert Duursma-Kepplinger, DZWIR 2006, 177, 180. Vgl hierzu auch die für den Bereich der Verbraucherinsolvenzen ergangene Entscheidung des AG Köln, NZI 2009, 133 ff., die in einem Fall der Einschaltung einer Agentur zur Restschuldbefreiung im Ausland einen COMI-Wechsel letztlich im Wege einer detektivischen Kleinarbeit Anstellungen zu der Frage ermittelt ob eine Veränderung des Aufenthaltsorts der Sache nach stattgefunden hat und nicht einen wie auch immer gearteten Ausnahmetatbestand des Rechtsmissbrauchs bemüht. 442 Vgl. insoweit auch die Unterscheidung bei Eidenmüller, ECFR 2009, 2 8 ff. 443 Vgl. hierzu auch die Entscheidungen im Falle Hans Brochier, High Court of Justice London, NZI 2007, 187. 444 Zum Begriff Schack, IZVR Rn. 489. Schack verwendet die Bezeichnung in Abgrenzung zum forum shopping während sie nach dem hier befürworteten weiten Verständnis von „forum shopping“ (siehe oben, Fn. 36) einen Teilaspekt beschreibt. 445 Allgemein zur Figur der fraus legis bei Erschleichung der internationalen Zuständigkeit siehe Heeder, Fraus legis, S. 37 ff., 306 ff.

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den Verlegungen und Veränderungen, die auf die Anwendung der Mechanismen der EuInsVO keinen Einfluss haben, anhand der Motive für die Verschiebung des COMI erfolgen müssen. Damit ist nicht gemeint, dass es auf eine subjektive Betrachtung ankäme – die Motive könnten beispielsweise anhand objektiver Kriterien ermittelt werden. Schon hier stellt sich allerdings die Frage, wann eine solche Verschiebung als „missbräuchlich“ anzusehen sein soll. Man könnte eine COMI-Verschiebung als missbräuchlich betrachten, wenn sie nicht bloß das Resultat eines anderweitig motivierten Vorgangs ist, sondern um ihrer selbst willen erfolgt. Alle Vorgänge, in denen Veränderungen allein mit dem Ziel einer Veränderung des COMI vorgenommen werden, würden danach als missbräuchlich anzusehen sein446, und ihre Folgewirkungen würden sich nicht uneingeschränkt durch eine einfache Anwendung der Zuständigkeitsregeln der EuInsVO bewerten lassen. Für eine derart weitreichende Auslegung ließe sich der hohe Stellenwert des Verordnungsziels anführen, eine möglichst weitreichende Vorhersehbarkeit zu etablieren. Unter Berücksichtigung des Zwecks der EuInsVO zu einer bestmöglichen Haftungsverwirklichung beizutragen447 ließe sich jedoch auch eine weitergehende Differenzierung vornehmen. Eidenmüller will missbräuchliches von nicht missbräuchlichem Verhalten und damit anzuerkennende von nicht anzuerkennenden Verlegungen danach abgrenzen, ob die Veränderung lediglich distributive Effekte hat, sich also für die jeweilige Partei nur durch einen individuellen Vorteil auswirkt, oder ob die Einwirkung auf das COMI mit dem Ziel erfolgt, insgesamt eine Verbessung der Verwertung des Schuldnervermögens herbeizuführen448. Es stellt sich indes die Frage, ob eine Ausnahme im geschilderten Sinne überhaupt anzuerkennen ist und welche rechtlichen Konsequenzen mit ihr verbunden sein könnten. Dafür, dass Zuständigkeitserschleichungen auch unter der EuInsVO als Fall der Gesetzesumgehung anzusehen sind, spricht, dass dieses Institut dem europäischen Verfahrens- und Zuständigkeitsrecht nicht völlig fremd ist. Eine Positivierung hat etwa in Art. 6 Nr. 2 EuGVVO449 stattgefunden, wonach der für Gewährleistungs- und Interventionsklagen geltende Ge446 In diesem Sinne ist wohl auch Moss/Fletcher/Isaacs, Rz. 8.44 zu verstehen: „[T]he courts should interpret the Regulation so as to prevent any easy evasion of jurisdiction under the Regulation by moving the centre of main interests [...]. The courts should in a case of undesirable forum shopping of that kind, ignore the steps taken purely to avoid the appropriate jurisdiction.“ Ausdrücklich stimmt diesen Ausführungen Wessels, ILF working paper 17, S. 12 zu. 447 Vgl. dazu schon oben S. 27 f. sowie eingehend unten, S. 279. 448 Eidenmüller, ECFR 2009, 1, 15 ff. 449 Verordnung (EG) Nr. 44/2001 des Rates über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen.

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richtsstand des Hauptprozesses nicht gegeben ist, wenn damit der Zweck verfolgt wird, den Beklagten dem sonst für ihn zuständigen Gericht zu entziehen. Weiterhin scheint eine Abgrenzung nach dem von Eidenmüller vorgeschlagenem Kriterium theoretisch einen sachgerechten Ausgleich zwischen den in einem Spannungsverhältnis stehenden Verordungszielen der bestmöglichen Haftungsverwirklichung und Vorhersehbarkeit zu ermöglichen. Letztlich wird für den Bereich der EuInsVO eine ungeschriebene Ausnahme der Zuständigkeitserschleichung jedoch aus verschiedenen Gründen abzulehnen sein. Dabei ist zunächst darauf hinzuweisen, dass bereits für das allgemeine europäische Zivilverfahrensrecht eine über Art. 6 Nr. 2 EuGVVO hinausgehende Anwendung des Instituts der fraus legis mit guten Gründen abgelehnt wird450. Nachdem die Zuständigkeitsordnung der EuInsVO, anders als diejenige der EuGVVO, keine an die Handlungsmotive anknüpfende Ausnahmeregelung kennt und auch die Gesetzgebungsmaterialien keinen Hinweis auf einen ungeschriebenen Vorbehalt enthalten, spricht alles dafür, dass solche Ausnahmen vom historischen Verordnungsgeber nicht intendiert waren, sondern die internationale Zuständigkeit durch die in Art. 3 EuInsVO positivierten Voraussetzungen abschließend geregelt werden sollten. Darüber hinaus sind die großen praktischen Schwierigkeiten zu nennen, die eine Erweiterung der Zuständigkeitsordnung um eine Differenzierung nach den jeweiligen Beweggründen der mit dem COMI-Wechsel verbundenen Zuständigkeitserschließung mit sich brächte. Allein die äußeren Umstände einer erfolgreichen Verlegung des Interessenmittelpunkts lassen regelmäßig keine zuverlässigen Rückschlüsse auf die zugrunde liegenden Motive zu. Insbesondere wird man nicht die Frage stellen können, ob die jeweiligen Veränderungen betriebswirtschaftlich veranlasst waren. Und auch aus der zeitlichen Nähe zur Insolvenz wird man nicht immer auf manipulative Absichten des case placers451 schließen können. Auch die weitergehende Abgrenzung von Eidenmüller, bei deren praktischer Umsetzung letztlich aus dem (hypothetischen) Ausgang eines Insolvenzverfahrens auf die zugrunde liegenden Motive geschlossen würde, wäre diesen Schwierigkeiten ausgesetzt. Zudem würde auch bei einer Abgrenzung danach, ob Individualinteressen verfolgt werden, eine häufig schwierige Abgrenzung der Motive erfolgen müssen. Vor allem in Fällen, in denen eine präsumtive Zuständigkeitserschleichung durch den Schuldner erfolgt, müsste dann, 450

P. Huber, Die forum-non-conveniens-Doktrin, S. 184 f. (zum EuGVÜ); vgl. auch Kropholler, EuZPR, vor Art. 2 EuGVVO, Rn. 20. Anders Heeder, Fraus legis, S. 320 (noch zum EuGVÜ). 451 Als case placer werden im angloamerikanischen Schrifttum die aktiv an einer Rechtswahl teilnehmenden Verfahrensbeteiligten bezeichnet.

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wenn (bloße) Individualvorteile erkennbar werden, noch ermittelt werden, ob das Handeln letztlich wirklich durch diesen Vorteil motiviert war oder ob er lediglich Begleiterscheinung eines anderweitig motivierten Handelns ist. Auch hier würde sich die Frage nach einem Abgrenzungskriterium stellen. Ferner wäre fraglich, on der Rückschlusses von dem oft nur schwer zu ermittelnden Ergebnis eines hypothetischen Insolvenzverfahrens auf die Handlungsmotive statthaft wäre. Der Missbrauchsvorbehalt würde so möglicherweise zur Missbrauchsfiktion gemacht. Umgekehrt stellt sich die Frage nach der Behandlung solcher Fälle, in denen zwar individuelles Vorteilsstreben Antrieb der handelnden Akteure war, ein Schaden jedoch nicht für die Schuldner in ihrer Gesamtheit, sondern nur für einzelne von ihnen auftritt. Weiterhin würde auch ein Missbrauchsvorbehalt zu dem bereits oben beschriebenen Problem führen, dass bei verschiedenen Einwirkungen letztlich eine Rückverfolgung des Sachverhalts mit einer oder gar mehreren inzidenten Prüfungen des Ausgangs hypothetischer Insolvenzverfahren unter einem bestimmten Insolvenzstatut stattfinden müsste. Das wird das angerufene Gericht schon aufgrund fehlender Vertrautheit mit dem ausländischen Insolvenzrecht oft nicht leisten können. Mit Armour ist schließlich auf das Problem hinzuweisen, dass missbräuchliche COMI-Verlegungen möglicherweise längere Zeit vor der Insolvenz stattfinden. Es stellt sich dann nicht nur die Frage, auf Grundlage welchen Sachverhalts die hypothetischen Betrachtungen stattfinden, sondern auch, ob eine als missbräuchlich zu qualifizierende COMI-Veränderung durch nachfolgende Ereignisse ihre Unbeachtlichkeit wegen Missbräuchlichkeit wieder verliert452. Weiterhin würde ein Missbrauchsvorbehalt, da er zwingend eine COMIVeränderung erfordert, stets eine Anwendung von Art. 3 EuInsVO bedingen und nicht nur den genannten Unsicherheiten bei der Anwendung dieser Zuständigkeitsbestimmung unterliegen, sondern möglicherweise den Anwendungsspielraum und die Projektionsfläche im Hinblick auf die COMIErmittlung noch vergrößern, was zu einer Verstärkung der Unsicherheiten führen könnte. In vielen Fällen würde die Anerkennung eines Ausnahmetatbestands daher schon aufgrund seiner Ungeschriebenheit zu großer Unsicherheit über die internationale Zuständigkeit führen. Hinzu kommt die erhebliche Gefahr einer uneinheitlichen Auslegung durch die mitgliedstaatlichen Gerichte453. Diese könnten versucht sein, den im Einzelnen sehr unterschied-

452

Armour, in: Prohibition of Abuse of Law. Auf die Notwendigkeit einer einheitlichen Auslegung der EuInsVO zur Gewährleistung einheitlicher Rechte und Pflichten aus der EuInsVO weisen bereits Virgós/ Schmit, Bericht, Nr. 43 hin. 453

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lichen454 Ausnahmeregelungen des mitgliedstaatlichen (Richter-)Rechts Geltung zu verschaffen455. Nicht zuletzt erhöht sich mit den Unsicherheiten über die Konturen einer Ausnahmeregelung auch die Gefahr von Kompetenzkonflikten. Denn Unbeachtlichkeitsregeln hätten zur Folge, dass die Zuständigkeit an einem Ort begründet würde, an dem ihre Voraussetzungen objektiv nicht mehr gegeben sind. Letztlich würde also nicht nur die Rechtssicherheit des Einzelnen betroffen, die verschiedentlich als Einwand gegen die Anwendung der fraus legis akzeptiert wird456, sondern auch die Funktionsfähigkeit des durch die EuInsVO statuierten Systems als solche. Mit klarstellenden Worten und konkreten Handhabungshinweisen aus Luxemburg zum einheitlichen Verständnis eines Missbrauchsvorbehalts würde man in Anbetracht der Eigenarten des Vorabentscheidungsverfahrens wohl nicht allzu bald rechnen können. Gerade wegen des Umstands, dass der Erfolg des Europäisches Verfahrensrechts im Allgemeinen und der EuInsVO im Besonderen457 in hohem Maße von der Vorhersehbarkeit abhängt, die mit den Anknüpfungen der internationalen Zuständigkeit vermittelt wird, sollte die Unbeachtlichkeit von Zuständigkeitserschleichung im europäischen Insolvenzrecht nicht zum allgemeinen Prinzip erhoben werden458. Eine Verlegung des COMI begründet folglich schon dann eine wirksame Veränderung der internationalen Eröffnungszuständigkeit, wenn die geschriebenen Voraussetzungen der Kompetenznorm gegeben sind. Ein Vorbehalt der Zuständigkeitserschleichung besteht weder im Rahmen der Auslegung von Art. 3 EuInsVO als zusätzliche Voraussetzung459 noch als 454

Zu den Unterschieden siehe z. B. Schack, IZVR, Rn. 489 f., der darauf hinweist, dass in Frankreich eine sehr viel restriktivere Handhabung der Zuständigkeitserschleichung stattfinde als in Deutschland. Aus dieser Tradition dürfte sich auch der Vorbehalt des französischen Justizministeriums in der Stellungnahme zur EuInsVO (oben Fn. 435) erklären. Eine umfassende Darstellung der Unterschiede findet sich bei Heeder, Fraus legis. 455 Exemplarisch sei hier auf die bis zur Entscheidung des EuGH (Rs. C-281/02 [Owusu/Jackson u.a.], JZ 2005, 887 ff., dazu Rauscher/Fehre, ZEuP 2006, 459 ff.) ungeklärte Streitfrage über die Anwendbarkeit der forum-non-conveniens-Doktrin im Regelungsbereich der EuGVVO verwiesen. Vgl. hierzu Kropholler, EuZPR, vor Art. 2 EuGVVO, Rn. 20; Rauscher/Mankowski, EuZPR, Vorbem Art. 2 Brüssel I-VO, Rn. 15 jeweils m.w.N. 456 Vgl. Heeder, Fraus legis, S. 308 f. 457 Zum Verordnungsziel der Ermöglichung einer Risikoantizipation durch die Verfahrensbeteiligten siehe oben, S. 24 ff. 458 Vgl. auch Haubold, IPRax 2003, 34, 38; P. Huber, Die forum-non-conveniensDoktrin, S. 184 f. 459 Kropholler, IZVR I, Kap. III Rn. 180 und Schack, IZVR, Rn. 491 befürworten eine Berücksichtigung der Problematik der Zuständigkeitserschleichung bei der Auslegung der jeweiligen Kompetenznorm.

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beachtlicher Einwand gegenüber einer begründeten Inanspruchnahme einer Eröffnungszuständigkeit. Eine gegebene Zuständigkeit nach Art. 3 Abs. 1 EuInsVO ist stattdessen anzuerkennen. Die Motive, aus denen eine Verlegung des COMI erfolgt, sind für die Frage der internationalen Zuständigkeit mithin ohne Bedeutung460. Daraus folgt, dass ein COMI-Wechsel ungeachtet der dabei von (oder gegenüber) allen oder einzelnen Verfahrensbeteiligten verfolgten Absichten wirksam ist und einen Zuständigkeitswechsel begründet461. Aus den genannten Gründen muss auch eine Ablehnung der Eröffnungsentscheidung durch ein zuständiges mitgliedstaatliches Gericht mit der Begründung, das Verfahren sei vor einem anderen Gericht besser aufgehoben, ausscheiden. Die Anerkennung der besonders in England praktizierten Lehre des forum non conveniens käme – die Anwendbarkeit im Gemeinschaftsrecht einmal vorausgesetzt462 – nur in Betracht, wenn nach der EuInsVO die Eröffnungszuständigkeit für das Hauptverfahren an mehreren Orten begründet sein könnte und die Zuständigkeitsnormen des Gemeinschaftsrechts ein entsprechendes richterliches Ermessen gestatteten463. Für beide Voraussetzungen bestehen indes keine Anhaltspunkte. Weiterhin bleibt festzuhalten, dass ein Missbrauchsvorbehalt, wenn man ihn entgegen der hier vertreten Auffassung annähme, in vielen Fällen die Interpretationsspielräume der Akteure noch vergrößerte und daher letztlich in der Praxis ein zweischneidiges Schwert darstellte. (4) COMI-Verlegung und ordre-public-Vorbehalt aus Art. 26 EuInsVO Ein weiterer normativer Ansatzpunkt für die Behandlung von Einwirkungen auf die internationale Zuständigkeit durch COMI-Verlegung könnte im ordre-public-Vorbehalt des Art. 26 EuInsVO zu erblicken sein464. Gem. Art. 26 EuInsVO besteht keine Pflicht zur Anerkennung der in anderen Mitgliedstaaten eröffneten Insolvenzverfahren nach Art. 16, 17, 25 EuInsVO, soweit diese zu einem Ergebnis führt, das mit der öffentlichen Ordnung des Anerkennungsstaates unvereinbar ist. Dabei ist zunächst zu beachten, dass eine Nichtanerkennung in Fällen der Zuständigkeitserschlie460

Zutreffend Thornley, 2 International Corporate Rescue, 51, 53. Anders offenbar die Stellungnahme des französischen Justizministeriums, oben Fn. 435. 462 Gegen eine solche Anwendbarkeit (zum Streit vgl. oben, Fn. 455) hat sich der EuGH, JZ 2005, 887 ff. ausgesprochen. 463 Kropholler, EuZPR, vor Art. 2 EuGVVO, Rn. 20; Rauscher/Mankowski, EuZPR, Vorbem Art. 2 Brüssel I-VO, Rn. 15. 464 Vgl. auch Duursma-Kepplinger, in: Duursma-Kepplinger/Duursma/Chalupsky, EuInsVO, Art. 3, Rn. 17; Koch, FS Jayme (2004), 437, 443. 461

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ßung je nach Lage des Falls auch in ihren praktischen Auswirkungen auf die internationale Eröffnungszuständigkeit kein besonders wirksames Gegenmittel darstellt. Denn eine Nichtanerkennung ist nur dann sinnvoll, wenn in den die Anerkennung verweigernden Staaten, insbesondere dem Staat, in dem sich das COMI zuvor befunden hat, weiterhin Vermögensgegenstände belegen sind. Zudem müssten dort nach autonomem Recht und der EuInsVO die Voraussetzungen einer Verfahrenseröffnung gegeben sein465. An beiden Voraussetzungen kann es infolge der gezielten Zuständigkeitserschließung fehlen466. Die aus Art. 26 EuInsVO erwachsenden Beschränkungen ließen sich in ihrer Gesamtheit als Frage der Reichweite des forum shopping begreifen, weil sie nicht unmittelbar die Manipulation oder Inanspruchnahme von Art. 3 Abs. 1 EuInsVO betreffen, sondern die von dem eröffneten Verfahren ausgehenden Wirkungen. Die Nichtanerkennung des Verfahrens nach Art. 26 EuInsVO infolge von Umständen, die mit der Ausnutzung der Anerkennungsregeln oder dem forum shopping als solchem notwendig oder zumindest typischerweise verbunden sind, kann jedoch aufgrund der schwerwiegenden Konsequenz der Nichtanerkennung auch als Grenze dieser Vorgehensweise angesehen werden. Die Problematik soll hier daher im Zusammenhang mit der Frage nach dem Wie des forum shopping behandelt werden. Besteht im Anerkennungsstaat ein Verstoß gegen den ordre public, so kann dort die Anerkennung der jeweiligen Entscheidung je nach Reichweite des Verstoßes (vgl. Art. 26 EuInsVO „... soweit ...“) ganz oder teilweise verweigert werden467. Art. 26 EuInsVO setzt voraus, dass die mit der Anerkennung oder Vollstreckung verbundenen Folgen mit der öffentlichen Ordnung des Anerkennungsstaates offensichtlich unvereinbar sind468; die Vorschrift verlangt folglich nicht, dass die anzuerkennende Entscheidung selbst formell und materiell rechtswidrig ist469. Eine Verletzung der öffentlichen Ordnung des 465

Es stellt sich dann die Frage, ob es auf die Voraussetzungen des Art. 27 EuInsVO ankommt oder ob aus der Nichtanerkennung des Hauptverfahrens zugleich folgt, dass allein auf die Voraussetzungen zur Eröffnung eines Hauptverfahrens oder aber ausschließlich auf die Zuständigkeitsvorschriften des autonomen Rechts abzustellen ist (vgl. dazu Duursma-Kepplinger, DZWIR 2006, 177, 180). Aufgrund des Anwendungsvorrangs des Gemeinschaftsrechts wird man hier fordern müssen, dass im Anerkennungsstaat wenigstens die Voraussetzungen des Art. 2 lit. h) EuInsVO bestehen. 466 Vgl. Duursma-Kepplinger, DZWIR 2006, 177, 180. 467 Virgós/Schmit, Bericht, Nr. 209; Smid, Internationales Insolvenzrecht, Art. 26 EuInsVO, Rn. 12. 468 Virgós/Schmit, Bericht, Nr. 202. 469 Virgós/Schmit, Bericht, Nr. 202 (unter 1.); Leible/Staudinger, KTS 2000, 533, 567 f. Zur Frage, inwieweit einer kompetenzwidrigen Entscheidung nach Art. 26 EuInsVO die Anerkennung verweigert werden kann, vgl unten, S. 158 ff.

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Kapitel 2: Rechtswahlfreiheit unter der EuInsVO – de lege lata

Anerkennungsstaates ist also nicht schon deshalb ausgeschlossen, weil infolge korrekter Subsumtion unter den Tatbestand des Art. 3 Abs. 1 S. 1 EuInsVO nach Verlegung des Mittelpunkts der hauptsächlichen Interessen ein Verfahren durch ein zuständiges Gericht eröffnet wird, die Entscheidung gemessen an Art. 3 Abs. 1 EuInsVO also rechtmäßig ist. Der Anerkennungsstaat könnte die Anerkennung der Eröffnungsentscheidung nach erfolgter Verlegung des Mittelpunkts der hauptsächlichen Interessen somit gem. Art. 26 EuInsVO unter Hinweis auf den Vorbehalt verweigern470, wenn die Entscheidung einen hinreichenden Inlandsbezug zu ihm aufweisen und das Ergebnis der Anerkennung offensichtlich seine öffentliche Ordnung verletzen würde. Ein hinreichender Inlandsbezug besteht, wenn inländisch geschützte Interessen berührt sind471. Für den Staat, in dem sich vor der Verlegung das COMI befunden hat, wird dies jedenfalls dann angenommen werden können, wenn sich dort weiterhin Verfahrensbeteiligte befinden. Schwieriger ist hingegen der Fall zu beurteilen, dass im Anerkennungsstaat lediglich Gegenstände des Schuldnervermögens vorhanden sind. Art. 26 EuInsVO ist ausweislich seines Wortlauts nicht allein auf den Schutz hochrangiger Rechtspositionen einzelner Verfahrensbeteiligter beschränkt472, sondern umfasst auch fundamentale Rechtsprinzipien und grundlegende Gerechtigkeitsvorstellungen, deren Regelungsgegenstand auch das Schuldnervermögen sein kann. Dessen Belegenheit im Anerkennungsstaat genügt daher den Anforderungen des Merkmals des Inlandsbezugs473. Der Verordnungstext fordert einen „offensichtlichen“ Verstoß und spezifiziert die Gegenstände der öffentlichen Ordnung beispielhaft („insbesondere“) mit „Grundprinzipien oder den verfassungsmäßig garantierten Rechten und Freiheiten des Einzelnen“. Dies verdeutlicht, dass der Vorbehalt des Art. 26 EuInsVO Ausnahmekonstellationen betrifft und nur in seltenen Fällen eingreifen kann474. Auch der 22. Erwägungsgrund zur EuInsVO, der eine Beschränkung der Nichtanerkennung „auf das unbedingt notwendige Maß“ vorsieht, veranschaulicht das Gebot einer möglichst re-

470

Art. 26 EuInsVO stellt einen Vorbehalt dar, weshalb es zur Geltendmachung einer ausdrücklichen Bezugnahme des sich auf die Vorschriften berufenden Staates bedarf, vgl. nur Herchen, ZInsO 2004, 61, 65; Duursma-Kepplinger, in: Duursma-Kepplinger/Duursma/Chalupsky, EuInsVO, Art. 26, Rn. 2. 471 Kemper ZIP 2001, 1609, 1614. 472 So aber anscheinend Smid, Internationales Insolvenzrecht, Art. 26, Rn. 6. 473 So im Ergebnis auch Kemper, ZIP 2001, 1609, 1614; dies., in: Kübler/Prütting, Art. 102 InsO, Rn. 86. 474 Vgl. nur Virgós/Schmit, Bericht, Nr. 204; Kemper ZIP 2001, 1609, 1614; Duursma-Kepplinger, in: Duursma-Kepplinger/Duursma/Chalupsky, EuInsVO, Art. 26, Rn. 1; Leible/Staudinger, KTS 2000, 533, 567.

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striktiven Handhabung des Tatbestands475. Damit ist klar, dass eine Anerkennung nicht schon aufgrund des bloßen Bestehens nationaler Vorschriften, die eine Einflussnahme auf die Eröffnungszuständigkeit vor Verfahrenseröffnung verbieten oder verhindern, verweigert werden kann. Die einfachgesetzliche mitgliedstaatliche Norm müsste vielmehr Ausdruck eines höchstrangigen Rechtsgrundsatzes sein, damit die Anerkennung zu einem Ergebnis führt, das der öffentlichen Ordnung widerspricht. Über die Frage, ob die Verletzung eines rechtlichen Prinzips die Voraussetzungen des Art. 26 EuInsVO erfüllt, können die Vorschläge der UNCITRAL für die innerstaatliche Gesetzgebung Aufschluss geben, da diese grundlegende und allgemein akzeptierte Standards beinhalten476. Der Legislative Guide der UNCITRAL477 fordert zwar eine ausreichende Beziehung („sufficient connection“) zur Begründung der Zuständigkeit zur Durchführung eines Insolvenzverfahrens, empfiehlt in diesem Zusammenhang jedoch neben dem Bestehen einer Niederlassung ausgerechnet die Belegenheit des Mittelpunkts der hauptsächlichen Interessen als Kriterium478. Die Empfehlungen sehen keine Regelung vor, wonach die Unveränderlichkeit der Eröffnungskompetenz in zeitlicher Nähe zur Insolvenz anzuordnen wäre. Dass sich ein Mitgliedstaat auf ein den Voraussetzungen des Art. 26 EuInsVO genügendes fundamentales Prinzip berufen können wird, das die Anerkennung der Eröffnungsentscheidung gerade aufgrund einer insolvenznahen Verlegung des Interessenmittelpunkts pauschal ausschließt, erscheint danach unwahrscheinlich. Aber auch wenn entsprechende mitgliedstaatliche Bestimmungen als Ausdruck elementarer Rechtsgrundsätze bestünden, die einer Zuständigkeitserschließung entgegenstehen, könnte diesen über den Umweg des Art. 26 EuInsVO nicht zur Geltung verholfen werden. Die EuInsVO enthält keine Sonderregelung über die Behandlung insolvenznaher Zuständigkeitsveränderungen, sodass bereits nach dem Regelungsgehalt der Verordnung die bis zum maßgeblichen Beurteilungszeitpunkt erfolgenden Veränderungen ausnahmslos berücksichtigungsfähig sein müssen. Denn die Anerkennung der Eröffnungsentscheidungen der Gerichte anderer Mitgliedstaaten wird zwar durch den Vorbehalt nach Art. 26 EuInsVO begrenzt. Dieser Vorbehalt findet jedoch seinerseits in dem von der EuInsVO Gewollten seine Grenze479: Das Kriterium der öffentlichen Ordnung ist zwar

475

So nun auch EuGH, Rs. C-341/04 (Eurofood), Urteil vom 02.05.2006, Rn. 61 f. Smid, Internationales Insolvenzrecht, Art. 26, Rn. 7. 477 Im Internet abrufbar unter . 478 UNCITRAL Legislative Guide on Insolvency Law, 2004, S. 41 sowie recommendation 10, S. 44. 479 Balz, ZIP 1996, 948, 953; Huber, ZZP 114 (2001), 138, 146. 476

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anhand der mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen auszufüllen480, die Grenzen des Begriffs werden jedoch durch das Gemeinschaftsrecht vorgegeben481. In diesem Zusammenhang ist auch darauf hinzuweisen, dass sich eine andere Behandlung der Zuständigkeitserschließung nach Art. 26 EuInsVO auch mit Blick auf Art. 49 AEUV als problematisch erweisen dürfte482. Denn die Unbeachtlichkeit von Verlegungen des COMI stellte sich als Beschränkung der Niederlassungsfreiheit des Schuldners dar. Eine Nichtanerkennung könnte dann nur unter Erfüllung der Voraussetzungen des Art. 52 AEUV (ggf. i.V.m. Art. 54 AEUV) oder bei Vorliegen eines zwingenden Allgemeininteresses483 stattfinden. Es bedürfte einer Rechtfertigung nach den Voraussetzungen des Weiteren ordre-public-Vorbehalts, der in dieser Vorschrift statuiert wird. Ob das damit verbundene, weitergehende Erfordernis einer tatsächlichen und hinreichend schwerwiegenden Gefährdung von Grundinteressen der Gesellschaft484 im jeweiligen Anerkennungsstaat allein aufgrund einer COMI-Verlegung in zeitlicher Nähe zur Insolvenz angenommen werden kann, ist ebenso zu bezweifeln wie die Annahme eines zwingenden Allgemeininteresses. Die Verlegung des COMI wird daher als solche keinen Verstoß gegen den mitgliedstaatlichen ordre public darstellen können485. Damit ist aller480

Virgós/Schmit, Bericht, Nr. 205; Smid, Internationales Insolvenzrecht, Art. 26,

Rn. 3. 481 Die Befugnis des EuGH, die Auslegung des Begriffs der „öffentlichen Ordnung“ durch die mitgliedstaatlichen Gerichte näher zu konkretisieren, ist Gegenstand einer Kontroverse. Nach der Rechtsprechung des EuGH beinhaltet der Begriff jedoch trotz des Wortlauts der ordre-public-Vorbehalte in Art. 26 EuInsVO und Art. 34 Nr. 1 EuGVVO, die eine Ausfüllung des Begriffs durch nationales Recht vorsehen, keine horizontale Kompetenzabgrenzung zu den Gerichten der Mitgliedstaaten. Zwar verortet der EuGH die primäre Definitionsmacht bei den mitgliedstaatlichen Gerichten. Er behält sich jedoch vor, die Grenzen dessen, was als Verletzung des ordre public anzusehen ist, selbst zu bestimmen. Vgl. EuGH, Rs. C-7/98 (Krombach/Bamberski), Slg. 2000, S. I-1935, Rn. 23, 37; EuGH, Rs. C-38/98 (Régie nationale des usines Renault SA/Maxicar SpA und Orazio Formento), Slg. 1988, S. 6039, Rn. 28 sowie EuGH, Rs. C-341/04 (Eurofood), Urteil vom 02.05.2006, Rn. 63 zum ordre-public-Vorbehalt der EuInsVO und den Schlussantrag des EuGH GA Jacobs im Fall Eurofood, ZIP 2005, 1878, Nr. 136. Diese Auslegungskompetenz ist mittlerweile auch vom BGH (siehe nur Vorlagebeschluss im Fall Krombach, IPRax 1998, 205) und von der Literatur anerkannt (vgl. Heß, IPRax 2001, 301, 302 m.w.N. sowie Matscher, IPRax 2001, 428, 431 f.). 482 Vgl. auch Laukemann, RIW 2005, 104, 107 (zu Art. 43 EGV). 483 Zu diesem ungeschriebenen Rechtfertigungsgrund für Eingriffe in die Niederlassungsfreiheit siehe Randelzhofer/Forsthoff, in: Grabitz/Hilf, Recht der EU, Art. 48 EGV, Rn. 38 f. 484 Zu diesen Voraussetzungen einer Rechtfertigung nach Art. 46 EGV vgl. Randelzhofer/Forsthoff, in: Grabitz/Hilf, Recht der EU, Art. 46 EGV, Rn. 19. 485 So ausdrücklich zur Zuständigkeitserschleichung Haubold, IPRax 2003, 34, 39.

B. Möglichkeiten und Grenzen der Rechtswahl de lege lata

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dings nicht ausgeschlossen, dass es infolge einer Verlegung des Mittelpunkts der hauptsächlichen Interessen im Einzelfall zu Situationen kommt, in denen etwa aufgrund fundamentaler Unterschiede zwischen der nach Art. 4 EuInsVO anzuwendenden lex fori und dem materiellen Insolvenzrecht des Anerkennungsstaats die Anerkennung nach Art. 26 EuInsVO verweigert werden kann. Dies ist genauso möglich wie vor der Verlegung. Die Anforderungen für einen Verstoß liegen aber auch dabei sehr hoch486. (5) Zusammenfassung Wird das COMI des Schuldners aufgrund tatsächlicher Veränderungen objektiv in einen anderen Mitgliedstaat verlegt, so wird dadurch ungeachtet der mit der Verlegung verfolgten Zwecke eine neue Eröffnungszuständigkeit nach Art. 3 Abs. 1 EuInsVO begründet. Eine solche Verlegung begründet darüber hinaus auch keinen Verstoß gegen den ordre public, der zur Nichtanerkennung nach Art. 26 berechtigte. Die Grenzen einer Rechtswahl durch Zuständigkeitserschließung sind damit allein durch den zur Einwirkung auf die zuständigkeitsrelevante Tatsachenbasis erforderlichen Aufwand bestimmt. 5. Grenzen der Rechtswahlfreiheit durch den Anerkennungstatbestand des Art. 16 EuInsVO Art. 16 Abs. 1 S. 1 EuInsVO ordnet an, dass die Eröffnung des Insolvenzverfahrens durch ein nach Art. 3 EuInsVO zuständiges Gericht mit der Wirksamkeit der Eröffnungsentscheidung im Staat der Verfahrenseröffnung in allen übrigen Mitgliedstaaten anzuerkennen ist. Die Verordnung sieht vor, dass die Anerkennung „automatisch“487 erfolgt, also ohne dass es dazu der Entscheidung eines Gerichts des Anerkennungsstaates oder anderer formaler Voraussetzungen, wie beispielsweise eines Exequaturverfahrens, bedarf. Wenn und soweit sich aus dieser Vorschrift eine Pflicht auch zur Anerkennung kompetenzwidriger Verfahrenseröffnungen ergäbe, würde sich eine Rechtswahl schon durch bloßes Inanspruchnehmen der Eröffnungskompetenz im gewünschten Forum bewerkstelligen lassen. In den 486 Koch, FS Jayme (2004), 437, 443 weist beispielsweise darauf hin, dass ein Verstoß gegen den ordre public nicht schon wegen unterschiedlicher Ausgestaltungen der Regelung über die Restschuldbefreiung angenommen werden kann. Auch können bloße Kostenzuwächse oder höherer Aufwand eine solche Verweigerung nicht rechtfertigen (Duursma-Kepplinger, DZWIR 2006, 177, 180). Der High Court of Justice Birmingham, NZI 2005, 515, 516 sieht hingegen die Gefahr einer Nichtanerkennung infolge des unterschiedlichen Rangs von Lohn- und Gehaltsansprüchen in den Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten. 487 Vgl. Erwägungsgrund Nr. 22, S. 2 zur EuInsVO sowie Virgós/Schmit, Bericht, Nr. 143.

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Kapitel 2: Rechtswahlfreiheit unter der EuInsVO – de lege lata

Grenzen der Anerkennungspflicht wäre eine Überschreitung der Auslegungsgrenzen von Art. 3 Abs. 1 EuInsVO also zunächst irrelevant. Für die Grenzen der Rechtswahl käme es letztlich allein darauf an, inwieweit eine Möglichkeit besteht, die fälschliche Inanspruchnahme der Eröffnungszuständigkeit mit Rechtsbehelfen des Eröffnungsstaates oder solchen des Gemeinschaftsrechts effektiv anzugreifen. a. Inhaltliche Grenzen der Anerkennungspflicht Ob sich die Anerkennungspflicht auf Eröffnungsentscheidungen solcher Gerichte bezieht, bei denen die Voraussetzungen des Art. 3 Abs. 1 S. 1 EuInsVO nicht erfüllt sind, wird unterschiedlich beurteilt. Für die inhaltlichen Grenzen der Rechtswahl, ist diese Frage indes von immenser Relevanz. Denn wenn nicht nur das Forum, in dem die internationale Zuständigkeit tatsächlich gegeben ist, „gewählt“ werden kann, sondern jedes Forum, in dem die Zuständigkeit erfolgreich in Anspruch genommen wird, vergrößert sich die unter Art. 3 Abs. 1 EuInsVO zur Auswahl stehende „Palette“ an für das Hauptverfahren zur Auswahl stehenden Statuten um ein Vielfaches. (1) Überprüfungsrecht des Anerkennungsstaates über Voraussetzungen von Art. 3 EuInsVO? Im Mittelpunkt der Betrachtung steht folglich die Frage, ob der Anerkennungsstaat ein Überprüfungsrecht hinsichtlich der Inanspruchnahme der internationalen Zuständigkeit durch das Erstgericht hat. Diese Frage ist auch Gegenstand des Vorlagebeschlusses des Supreme Court of Ireland gewesen488. Ist sie zu verneinen, ist also die Kompetenzwidrigkeit der Verfahrenseröffnung kein Anerkennungsversagungsgrund, könnten auch Einwirkungen mit dem Ziel der Verfahrenseröffnung in einem unzuständigen Forum erfolgversprechend sein. Im Schrifttum spricht sich vor allem Mankowski mit Verve für eine Überprüfungskompetenz des Anerkennungsstaates aus489. Er weist darauf hin, dass eine voraussetzungslose Priorität in der EuInsVO ausdrücklich hätte festgeschrieben werden müssen, zumal andere europäische Rechtsakte (Art. 35 EuGVVO, 28 Abs. 1 LugÜ) einen grundsätzlichen Ausschluss der Nachprüfung explizit vorsehen490. Auch aus der deutschen Ausführungsvorschrift in Art. 102 § 3 Abs. 1 EGInsO, die von der Anhängigkeit des Verfahrens bei einem Gericht in einem anderen Mitgliedstaat an die Eröffnung eines weiteren Hauptverfahrens durch ein deutsches Ge488

Supreme Court of Ireland, ZIP 2004, 1969, Vorlagefrage Nr. 3. Mankowski, RIW 2004, 587, 596 ff.; ders., EWiR 2003, 767, 768. 490 Mankowski, RIW 2004, 587, 598; ders., EWiR 2003, 767, 768. 489

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richt ausschließt, könne das Fehlen einer Überprüfungskompetenz nicht abgeleitet werden. Eine prinzipielle (also lediglich ggf. durch Art. 26 EuInsVO durchbrochene) Pflicht zur Anerkennung auch kompetenzwidriger Verfahrenseröffnung lasse sich schließlich auch aus den Erwägungsgründen, insbesondere Erwägungsgrund Nr. 22, S. 5, 6 zur EuInsVO, nicht ableiten. Deren Inhalt komme nämlich bloß erläuternde Funktion, nicht aber Normcharakter zu, weshalb sie für die Frage einer Überprüfungskompetenz keine unmittelbaren Regelungen konstituierten491. Aus dem Wortlaut von Art. 16 EuInsVO, der für die Anerkennung „ein nach Art. 3 zuständiges“ und nicht bloß ein sich für zuständig erklärendes Gericht fordere, und aus der Art. 16 EuInsVO zugrunde liegenden Idee einer Konzentrationswirkung, deren innere Berechtigung die tatsächlich bestehende Eröffnungszuständig sei, ergebe sich vielmehr ein Überprüfungsrecht492. Von der ganz überwiegenden Mehrheit der Lehre493 und in der Rechtsprechung der Mitgliedstaaten494 sowie des EuGH495 wird eine Kompetenz des Anerkennungsstaats zur Überprüfung einer Verfahrenseröffnung im Hinblick auf Art. 3 EuInsVO dagegen zu Recht abgelehnt. Obwohl einige der Argumente Mankowskis in Anbetracht der teilweise abenteuerlich anmutenden Begründungen für die Belegenheit des schuldnerischen COMI Sympathien wecken mögen, wird man letztlich nicht annehmen können, dass eine Anerkennungspflicht nur von Eröffnungsentscheidungen objektiv nach Art. 3 EuInsVO zuständiger Gerichte ausgeht. Mankowski ist darin zuzustimmen, dass aus den Ausführungsvorschriften des Art. 102 EGInsO keine Rückschlüsse auf den Regelungsgehalt von Vorschriften des Ge-

491

Mankowski, RIW 2004, 587, 598; ders., EWiR 2003, 767, 768. Mankowski, RIW 2004, 587, 598 f.; ders., EWiR 2003, 767, 768. 493 So etwa Balz, 70 American Bankruptcy Law Journal (1996), 485, 505; Huber, FS Heldrich (2005), 679, 681 f.; ders., ZZP 114 (2001), 133, 146; Paulus, ZIP 2003, 1725, 1727; Bähr/Riedemann, ZIP 2004, 1066, 1067; Haddick, ZHR 168 (2004), 369, 370; Smid, Internationales Insolvenzrecht, Art. 16, Rn. 5; ders., DZWIR 2003, 397, 401 f.; Duursma-Kepplinger, in: Duursma-Kepplinger/Duursma/Chalupsky, EuInsVO, Art. 16, Rn. 5; Kolmann, Kooperationsmodelle, S. 282 f.; Herchen, ZInsO 2004, 61, 63; ders., ZIP 2005, 1401, 1402 ff.; Sabel, NZI 2004, 126, 127; Lautenbach NZI 2004, 384, 385; Virgós/Garcimartín, The European Insolvency Regulation, Nr. 70; Haubold, in: Gebauer/ Wiedemann, Art. 3 EuInsVO, Rn. 75; Haß/Herweg, in: Geimer/Schütze, Art. 3 EuInsVO, Rn. 32; Carstens, Internationale Zuständigkeit, S. 92; Herweg/Tschauner, EWiR 2004, 495, 496; Saenger/Klockenbrink, DZWIR 2006, 183, 185; Weller, IPRax 2004, 412, 417. 494 AG Köln, NZI 2004, 151, 152; Landesgericht Innsbruck, ZIP 2004, 1721, 1722; Rechtbank van Koophandel Tongeren, 20.02.2003 A/02/04259, RDC/TBH 2004, 70; Tribunal de Commerce Pontoise, 26.05.2003/ 01.07.2003 (aufgehoben durch CA Versailles 4. 9. 2003, Dalloz 2003, jur. 2352); AG Düsseldorf, ZIP 2003, 1363 (vgl. aber AG Düsseldorf, ZIP 2004, 623). 495 EuGH, Rs. C-341/04 (Eurofood), Urteil vom 02.05.2006, Rn. 38 ff., 44. 492

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meinschaftsrechts gezogen werden können496. Dies folgt bereits aus dem Anwendungsvorrang der Vorschriften und aus gemeinschaftsrechtsspezifischen Auslegungsgrundsätzen497. Weiterhin ist zu konzedieren, dass sich die Erwägungsgründe auf Erläuterungen beschränken. Gerade in der Frage nach den Voraussetzungen der Anerkennung sind diese jedoch so weitgehend und detailliert, dass man sich über ihre Ausführungen nur schwerlich wird hinwegsetzen können. Auch die Formulierung des Erwägungsgrunds, der eine zwingende Anerkennung und den Ausschluss einer Nachprüfung nicht allein in der deutschen Textfassung nur zu empfehlen scheint, stützt nicht die gegenteilige Auffassung, da andere Erwägungsgründe (z. B. Nr. 21, 23, 26, 29, 31) bei gleicher Formulierung in explizit zwingenden Regelungen der EuInsVO Niederschlag gefunden haben498. Eine Betrachtung unter systematischen Gesichtspunkten zeigt im Wege eines Umkehrschlusses aus Art. 16 Abs. 2 und Art. 3 Abs. 3 EuInsVO, wonach die Eröffnung eines Hauptverfahrens (allein!) der Eröffnung eines Sekundärverfahrens nicht entgegensteht, dass ein zweites Hauptverfahren unter Inanspruchnahme der Kompetenz aus Art. 3 Abs. 1 EuInsVO nicht eröffnet werden kann499. Darüber hinaus kann aber durchaus auch die universale (vgl. Art. 17 Abs. 1 EuInsVO) Beschlagnahmewirkung des zunächst eröffneten Verfahrens argumentativ dafür fruchtbar gemacht werden, dass eine Anerkennung nicht nur dann stattzufinden hat, wenn die Inanspruchnahme von Art. 3 EuInsVO einer Überprüfung durch den Anerkennungsstaat standhält. Art. 16 Abs. 1 S. 1 EuInsVO kann – entgegen Mankowski500 – gerade nicht entnommen werden, ob das statuierte Wirksamkeitserfordernis die Zuständigkeit des Gerichts voraussetzt. Nicht zuletzt die gesonderte Benennung der Zuständigkeit des eröffnenden Gerichts als weiteres Tatbestandsmerkmal in Art. 16 Abs. 1 S. 1 EuInsVO spricht dafür, dass insoweit nur die Wirksamkeitsvoraussetzungen der lex fori concursus (vgl. Art. 4 Abs. 2 S. 1, S.2 lit. j) EuInsVO) gefordert sind. Die Frage der Zuständigkeit ändert also zunächst nichts an der Wirksamkeit des Eröffnungsbeschlusses und seiner Beschlagnahmewirkung. Ein wirksamer Eröffnungsbeschluss des unzuständigen Gerichts entzieht mithin der nachfolgenden Eröffnung eines

496 Vgl. zur Anwendung der Ausführungsbestimmungen des deutschen Rechts auch BGH, NZI 2008, 572. 497 Anders offenbar Sabel, NZI 2004, 126, 127; Haubold, in: Gebauer/Wiedemann, Art. 3 EuInsVO, Rn. 75, die von einer „verbindlichen“ Regelung sprechen. Ähnlich auch Westphal/Wilkens, EWiR 2004, 909, 910. 498 Herchen, ZIP 2005, 1401, 1403. 499 Herchen, ZIP 2005, 1401, 1402 500 Mankowski, RIW 2004, 587, 598.

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Hauptverfahrens das Schuldnervermögen501. Die Eröffnung eines zweiten Hauptverfahrens nach Art. 3 Abs. 1 EuInsVO bliebe als solche wirkungslos502. In der Zusammenschau zeigen diese Gesichtspunkte, dass ein zweites Hauptverfahren von der EuInsVO nicht vorgesehen ist503. Für den Fall des positiven Kompetenzkonflikts, in dem zwei oder mehr als „Hauptverfahren“ titulierte Verfahren in der Welt sind504, ergibt sich dadurch zwangsläufig ein Prioritätsprinzip505. Eine Nachprüfung durch den Anerkennungsstaat bezüglich der Voraussetzungen von Art. 3 EuInsVO wird zwar durch diesen Grundsatz nicht verhindert, rechtliche Folgen würde sie aber nicht hervorrufen können. Carstens weist zu Recht darauf hin, dass in Erwägungsgrund Nr. 22 zur EuInsVO für den Fall positiver Kompetenzkonflikte, wie sie sich infolge einer Nichtanerkennung ergeben würden, neben dem Prioritätsprinzip ein weiterer Grundsatz zum Ausdruck kommt, der zur Anerkennung kompetenzwidriger Verfahrenseröffnungen führen kann506: der Grundsatz gegenseitigen Vertrauens. Dieses Prinzip, auf das auch in den Materialien zum EuInsÜ vielfach hingewiesen wird507, ist Ausdruck der in Art. 4 Abs. 3 EUV verankerten Unionstreue der Mitgliedstaaten508. Die Pflicht zur Unionstreue trifft Mitgliedstaaten nicht nur im Verhältnis zur Union, sondern auch untereinander. Für die mitgliedstaatlichen Gerichte ergibt sich folglich nicht nur die Pflicht, selbst unionsrechtskonform zu handeln. Die Gerichte sind vielmehr dazu angehalten, auch mit den Gerichten anderer Mitgliedstaaten vertrauensvoll zu kooperieren. Hat eine kompetenzwidrige Inanspruchnahme von Art. 3 Abs. 1 EuInsVO stattgefunden, so ist vor allem Letzteres von Bedeutung. Obwohl in der Entscheidung des zuerst entscheidenden Gerichts eine Verletzung des Gemeinschaftsrechts und damit auch der soeben beschriebenen „vertikalen“ Unionstreue zwischen Mitgliedstaat 501

So auch Lüke, ZZP 111 (1998), 275, 290; Herchen, ZIP 2005, 1401, 1403; Carstens, Internationale Zuständigkeit, S. 88 f.; Leible/Staudinger, KTS 2000, 533, 545; Smid, Internationales Insolvenzrecht Art. 3, Rn. 18. 502 Es kommt dann nach Einstellung des Hauptverfahrens jedoch die Eröffnung eines Sekundärverfahrens nach Art. 27 ff. EuInsVO in Betracht. Vgl. hierzu AG Düsseldorf, ZIP 2004, 866 503 So auch ausdrücklich der erläuternde Bericht von Virgós/Schmit, Nr. 73. 504 Die Sperrwirkung erfordert folglich einen ausdrücklichen Hinweis darauf, dass das jeweilige Verfahren mit dem Geltungsanspruch eines Hauptverfahrens eröffnet wird, nur dann ist die Zuständigkeit aus Art. 3 Abs. 1 EuInsVO konsumiert. Vgl. dazu nur Duursma/Duursma-Kepplinger, DZWIR 2003, 447, 448. 505 Zum Begriff vgl. nur Herchen, ZInsO 2004, 61, 63; ders., ZIP 2005, 1401, 1402; Huber, FS Heldrich (2005), 679, 681 f. 506 Carstens, Internationale Zuständigkeit, S. 89 ff. 507 Virgós/Schmit, Bericht, Nr. 79, 202, 215, 220. 508 Vgl. Wessels, ILF working paper 17, S. 14.

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und Gemeinschaft besteht, ist es Gerichten anderer Mitgliedstaaten verwehrt, die Zuständigkeit des eröffnenden Gerichts infrage zu stellen509. Das gemeinschaftsrechtliche Prinzip des gegenseitigen Vertrauens lässt für eine Überprüfungskompetenz der Gerichte anderer Mitgliedstaaten daher keinen Raum510. In der zunehmenden Judikatur werden äußerst vielfältige Interpretationen des Kriteriums „Mittelpunkt der hauptsächlichen Interessen“ deutlich. Damit wird offenbar, dass ein solches Überprüfungsrecht auch die Funktionsfähigkeit der EuInsVO vollkommen unterminieren würde. Dieselbe Kreativität, die bisweilen bei der Bejahung der internationalen Zuständigkeit zutage tritt, würde bei Annahme einer Überprüfungskompetenz zu deren Verneinung eingesetzt. Es stünden sich dann nicht nur die verschiedenen Rechtsauffassungen derjenigen Gerichte gegenüber, welche die Eröffnungskompetenz für sich reklamieren. Stattdessen würden im schlimmsten Fall Gerichte aller Mitgliedstaaten, die von der Anerkennungswirkung betroffen sind, über die Belegenheit des COMI miteinander ringen. Die von der EuInsVO intendierte effiziente Durchführung gemeinschaftsweiter Insolvenzverfahren wäre so ausgeschlossen511. Punktuelle Klarstellungen durch den EuGH würden diesen Effekt kaum beheben können. Sowohl historisch-genetische als auch systematische und grammatikalische Argumente und rechtspraktische Aspekte sprechen mithin dafür, dass eine einmal auf Art. 3 EuInsVO gestützte Verfahrenseröffnung in allen Mitgliedstaaten grundsätzlich, d.h. unter Vorbehalt einer Verletzung von Art. 26 EuInsVO, anzuerkennen ist512. Die Pflicht zur Anerkennung kompetenzwidriger Entscheidungen wird (von den geschilderten frühen Entscheidungen abgesehen) mittlerweile auch in der Rechtspraxis der Mitgliedstaaten weitestgehend anerkannt. Selbst im Konfliktfall Parmalat und in einem zwischen dem Stadtgericht Prag513 und dem AG Hamburg im Fall Aircraft aufgetretenen positiven Kompetenzkonflikt geht es letztlich nur um die zeitlichen Determinanten der Anerkennungspflicht und die Ausnahme nach Art. 26 EuInsVO. 509

Carstens, Internationale Zuständigkeit, S. 92. So i.Erg. auch EuGH, Rs. C-341/04 (Eurofood), Urteil vom 02.05.2006, Rn. 44. Wimmer, NJW 2002, 2427, 2428; Weller, IPRax 2004, 412, 417; Vallender/Fuchs, ZIP 2004, 829, 833; Duursma-Kepplinger, in: Duursma-Kepplinger/Duursma/Chalupsky, EuInsVO, Art. 16, Rn. 2; Huber, ZZP 114 (2001), 133, 144; Paulus, EWiR 2003, 709 sowie Smid, DZWIR 2005, 64, 65 die das Prinzip jedoch verschiedentlich synonym mit dem Prioritätsgrundsatz oder diesen als Ausprägung des Gemeinschaftsvertrauens begreifen, vgl. hierzu wiederum Carstens, Internationale Zuständigkeit, S. 89 f. 511 Vgl. auch Herchen, ZInsO 2004, 63, 64. 512 Vorlagefrage Nr. 3 des Vorlagebeschlusses des Supreme Court of Ireland an den EuGH, ZIP 2004, 1969 f. ist daher zu Recht bejaht worden. 513 Stadtgericht Prag, ZIP 2005, 1431 f. 510

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(2) Rechtswahlspezifische Implikationen Für die Frage der Rechtswahl beinhaltet eine Anerkennungspflicht mit dem genannten Ausmaß weitreichende Auswirkungen. Zunächst lassen sich die geschilderten Wechselwirkungen zwischen den einzelnen Faktoren, die als mögliche Ansatzpunkte einer Rechtswahl herausgearbeitet wurden, nunmehr genauer bestimmen. Denn schlägt ein forum shopping durch Verlegung des COMI fehl, oder halten die zur Begründung der Belegenheit des COMI gemachten Ausführungen des Gerichts einer objektiven Überprüfung an den Voraussetzungen Art. 3 Abs. 1 EuInsVO nicht stand, so ist ein forum shopping dennoch erfolgreich, solange die Eröffnungsentscheidung nicht rechtlich zu Fall gebracht wird. Allerdings kann eine Rechtswahl durch Verlegung des COMI nicht erfolgreich sein, wenn es den Gläubigern gelingt, am Ort der ursprünglichen Lokalisierung des COMI eine anzuerkennende Eröffnungsentscheidung zu erzielen. Die in der EuInsVO statuierte Anerkennungspflicht erweist sich mithin als beherrschender Faktor für Einwirkungen auf die Eröffnungszuständigkeit und ihre Vereitelung. Ferner zeigt sich, dass mit Wirkung gegenüber allen Mitgliedstaaten gewählt werden kann und nach Eintritt der Anerkennungspflicht keine Möglichkeit besteht, die Wirkungen der Rechtswahl durch Eröffnung eines weiteren Hauptverfahrens auszuhebeln. Damit wird deutlich, dass für die Frage der Verkürzung der territorialen Reichweite der Wahl in erster Linie dem Sekundärverfahren nach Art. 3 Abs. 2 und 3, 27 ff. EuInsVO eine maßgebende Rolle zukommt. Schließlich deutet sich auch die besondere Tragweite der zeitlichen Abläufe an. Da ein einmal eröffnetes Hauptverfahren, solange es Bestand hat, eine Sperrwirkung entfaltet, wird es für diejenigen, die auf das anwendbare Recht Einfluss nehmen wollen, darauf ankommen, schnell tätig zu werden. Beim forum shopping durch Ausnutzen der Anerkennungsordnung besteht das erforderliche Handeln der Gläubiger und des Schuldners in der Antragstellung. Konkurrierende, also verschiedene Rechtswahlziele anstrebende Antragsteller werden sich daher veranlasst sehen, möglichst früh einen Eröffnungsantrag zu stellen – es kommt zum race to the courts514. Dies gilt ungeachtet der sogleich zu erörternden Frage nach dem genauen Zeitpunkt des Eintritts des beschriebenen Sperreffekts. Über die Auswirkungen, die sich hieraus besonders im Zusammenwirken mit anderen Anreizen ergeben können, wird noch zu sprechen sein.

514

Freilich kommt es infolge des im Anwendungsbereich der EuInsVO anzuerkennenden Verbots der Einzelvollstreckung nicht zu dem ebenfalls als „race to the courthouse“ bezeichneten Versuch der Einzelrechtsverfolgung in einem anderen Staat als dem Eröffnungsstaat.

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Kapitel 2: Rechtswahlfreiheit unter der EuInsVO – de lege lata

b. Zeitliche Grenzen Auch eine auf Ausnutzung der Anerkennungsregeln der EuInsVO beruhende Einflussnahme auf die zur Anwendung kommende Rechtsordnung unterliegt zeitlichen Grenzen. Entscheidend kommt es dabei auf den Augenblick an, in dem die beschriebene Sperrwirkung vom eröffneten Hauptverfahren ausgeht. Aber auch die Frage nach der letztmöglichen Einwirkung auf die zuständigkeitsrelevante Tatsachenbasis wird von der Problematik der Sperrwirkung überlagert. Denn nach den Voraussetzungen des Prioritätsprinzips bestimmt sich, ob nach erfolgter Anhängigkeit der Sache bei dem Gericht eines Mitgliedstaates noch eine Zuständigkeitserschließung durch Verlegung des COMI und weitere Antragstellung infrage kommt515. An dieser Stelle werden mithin die Wechselwirkungen zwischen den verschiedenen Ansatzpunkten einer Rechtswahl abermals deutlich. (1) Eintrittszeitpunkt der Sperrwirkung; Behandlung von Rückwirkungsfiktionen des nationalen Rechts Als Eintrittszeitpunkt der Sperrwirkungen werden sowohl der Zeitpunkt der Einreichung des Insolvenzantrages als auch derjenige der Verfahrenseröffnung befürwortet. Die Frage des Eintritts der Sperrwirkung ist eine Frage des Anerkennungszwangs unter der EuInsVO und ist durch eine ausgeprägte Gemengelage mit mitgliedstaatlichem Recht geprägt, da ein Insolvenzverfahren zwangsläufig in den jeweiligen, durch das mitgliedstaatliche Recht vorgegebenen, Schritten stattfindet. Die Frage, was eine Sperrwirkung im Sinne der EuInsVO auslöst, wann also ein Verfahren in dem von der Verordung geforderten Maße besteht, sodass daneben ein zweites Hauptverfahren nicht mehr anerkannt werden kann, ist dennoch allein im Wege europäisch-autonomer Auslegung der Regelungen der EuInsVO zu beantworten. Ein Fragenkomplex, bei dem die Gemengelage zwischen mitgliedstaatlichen und gemeinschaftsrechtlichen Regelungen besonders hervortritt, sind Rückwirkungsfiktionen: Verschiedene Verfahrensrechte wie etwa das irische516, das englische und das walisische Recht517 kennen eine Rückwirkungsfiktion der Verfahrenseröffnung auf den Zeitpunkt der Antragstellung. Ein eröffnetes Verfahren gilt danach als mit der Antragstellung eröffnet, auch wenn die eigentliche Eröffnung erst später stattgefunden hat. 515

Zur Frage einer darüber hinaus bestehenden Rechtshängigkeitssperre siehe sogleich, S. 155 ff. 516 Sec. 220 (2) Companies Act 1963: „[T]he winding up of a company by the court shall be deemed to commence at the time of the presentation of the petition for the winding up“. 517 Sec. 129 (2) Insolvency Act 1986: „[T]he winding up of a company by the court is deemed to commence at the time of the presentation of the petition for winding up“.

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Der EuGH geht auf die Behandlung dieser Regelungen in der Entscheidung in der Rechtssache Eurofood nicht ein518. Bei der Frage nach dem Eintritt einer Eröffnungssperre nach dem EuInsVO müssen diese Vorschriften jedoch aus verschiedenen Gründen unberücksichtigt bleiben519. Die Beachtlichkeit von Rückwirkungsfiktionen mitgliedstaatlichen Rechts würde, anders als in den oben diskutierten Fällen, keine unmittelbare Modifikation der Tatbestandsvoraussetzungen der Eröffnungszuständigkeit beinhalten und daher keine unmittelbare Änderung der Komptenzordung der EuInsVO darstellen. Eine Berücksichtigung verletzte jedoch den Anwendungsvorrang des Gemeinschaftsrechts520: Eine Rückwirkungsfiktion würde sich im Zusammenhang mit der hier behandelten Fragestellung der Grenzen des Anerkennungszwangs als Regelung zur Behandlung des Verhältnisses zweier Hauptverfahren erweisen, wenn sie dazu führte, dass der nach der EuInsVO entscheidende Schritt in einem Mitgliedstaat als vor Vornahme des entsprechenden Schritts in einem anderen Mitgliedstaat angesehen werden müsste. Für die Anwendung einer solchen Regelung wäre indes kein Platz, da die Verordnung für den Fall konfligierender Hauptverfahren mit dem sich aus der Konzeption der Anerkennungsregeln ergebenden Prioritätsprinzip selbst eine Regelung trifft. Diese bestehende Regelung geht anderslautenden Bestimmungen des mitgliedstaatlichen Rechts folglich zwingend voraus. Inhalt und Reichweite des Prioritätsgrundsatzes sind aufgrund der Notwendigkeit der autonomen Auslegung des Gemeinschaftsrechts aus der EuInsVO selbst zu entwickeln. Der für den Eintritt der Sperrwirkung maßgebliche Zeitpunkt muss folglich ebenfalls autonom aus dem System der Verordnung heraus und nicht nach den Regeln des mitgliedstaatlichen Rechts bestimmt werden521. Dafür, dass die EuInsVO Rückwirkungsfiktionen für die Bestimmungen der Zuständigkeit Bedeutung zumessen will, ist indes nichts ersichtlich. Aufgrund des Verhältnisses der Fragen der Ermittlung der internationalen Zuständigkeit und der daran anknüpfenden Frage des anwendbaren Rechts kann die sehr formalistische Argumentation, die Wirkungen der Verfahrenseröffnung richteten sich gemäß Art. 4 EuInsVO nach der lex fori concursus, sodass auch die darin enthaltenen Rückwirkungsfiktionen bei 518 EuGH, Rs. C-341/04 (Eurofood), Urteil vom 02.05.2006, Rn. 59. Dies ist darauf zurückzuführen, dass die zweite Vorlagefrage, welche die Behandlung der Rückwirkungsfiktionen betraf, unter die Bedingung der negativen Bescheidung der ersten Vorlagefrage gestellt worden war (vgl. Rn. 24 der Entscheidung). 519 So i. Erg. auch Knof/Mock, ZIP 2006, 911, 915; Schilling/Schmidt, ZInsO 2006, 113, 115. 520 Zum Anwendungsvorrang des Gemeinschaftsrechts vgl. vorstehend S. 101. 521 Zutreffend Haubold, in: Gebauer/Wiedemann, Art. 3 EuInsVO, Rn. 76. Im Ergebnis auch Haß/Herweg, in: Geimer/Schütze, Art. 3 EuInsVO, Rn. 37; Herchen, ZInsO 2004, 825, 829; ders., ZIP 2005, 1401, 1403; Poertzgen/Adam, ZInsO 2006, 505, 509.

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der Anwendung von Art. 16 EuInsVO berücksichtigt werden müssten, nicht verfangen522. Denn die rückwirkenden Effekte der lex fori concursus kommen zwar, wie die Materialien verdeutlichen523, bezogen auf den Zeitpunkt der Antragstellung oder gar weit früherer Zeitpunkte zur Anwendung. Dies gilt allerdings nicht, soweit sie die Frage der Anerkennung betreffen. Andernfalls würde das mitgliedstaatliche Recht letztlich über die Frage seiner Anwendbarkeit bestimmen. Dies kann nach oben Gesagtem nicht richtig sein. Eine Anerkennung der relation-back-principles würde darüber hinaus Konfliktsituationen provozieren, da sich Gerichte der betreffenden Jurisdiktionen herausgefordert sehen könnten, zeitlich nachfolgende Verfahrenseröffnungen zu rechtfertigen. Solange der Rückwirkungszeitpunkt vor dem maßgeblichen Schritt in einem parallel eröffneten Verfahren läge, würde ein nachfolgendes Verfahren Sperrwirkung gegenüber dem zuerst eröffneten Verfahren entfalten. Das zuerst eröffnende Gericht könnte unter diesen Umständen auf den Bestand seiner Entscheidung dann nicht mehr vertrauen. Es müsste die Entscheidung aussetzen, sobald (und soweit) es von einem parallel gestellten Antrag überhaupt Kenntnis erlangt. Die entstehenden Unsicherheiten und Verzögerungen wären mit dem Verordnungszweck einer effektiven und effizienten Verfahrensabwicklung524 nicht zu vereinbaren525. Dieser Befund lässt jedoch keine weitergehende Aussage über den Zeitpunkt des Eintritts der Sperrwirkung zu. Für ein Abstellen auf den Zeitpunkt der Antragstellung wird angeführt, dass die EuInsVO in Art. 38, der die Zuständigkeit nach Art. 3 Abs. 1 EuInsVO tatbestandlich voraussetzt, Sicherungsmaßnahmen auch eines vorläufigen Insolvenzverwalters vorsieht526. Art. 38 EuInsVO dürfte allerdings so zu verstehen sein, dass er zwar die Ergreifung von Sicherungsmaßnahmen nach dem Recht des Belegenheitsstaats527 erlaubt, für deren Anerkennung jedoch die spätere Eröffnung eines Hauptverfahrens (oder Sekundärverfahrens528) voraussetzt529. 522

So auch EuGH GA Jacobs in seinem Antrag in der Rs. C-341/04, ZIP 2005, 1878, Nr. 92. 523 Die Ausführungen bei Virgós/Schmit, Bericht, Nr. 135, auf den sich auch EuGH GA Jacobs (Fn. 522) beruft, sind insoweit zutreffend, als sie die Anwendbarkeit der lex fori concursus schon voraussetzen und Fragen der Behandlungen von Rechtsgeschäften in der Insolvenz, nicht aber solche der internationalen Zuständigkeit betreffen. 524 Vgl. Erwägungsgründe Nr. 2 und 8 zur EuInsVO. 525 Herchen, ZInsO 2004, 825, 829. 526 So Kolmann, Kooperationsmodelle, S. 287 f. 527 Mangels Anerkennung muss sich die Ergreifung von Sicherungsmaßnahmen in einem territorialistischen System vollziehen, vgl. etwa Smid, Internationales Insolvenzrecht, Art. 38 EuInsVO, Rn. 3 f. 528 Vgl. Heiderhoff, in: Geimer/Schütze, Art. 38 EuInsVO, Rn. 2. 529 Ähnlich Carstens, Internationale Zuständigkeit, S. 88.

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Ein Prioritätsprinzip für Sicherungsmaßnahmen ordnet die EuInsVO also nicht an530. Aufgrund der Vorläufigkeit von Sicherungsmaßnahmen dürften die aus einem solchen Verständnis erwachsenden praktischen Probleme nicht allzu groß sein. Die Nachteile der Alternative würden allemal überwiegen. Denn bis zur Verfahrenseröffnung durch ein Zweitgericht wäre ausschließlich das sich ggf. später für unzuständig erklärende Erstgericht mit der Sache zu befasst. Dass die Durchführung von (nach Art. 25 Abs. 1 Unterabs. 3 EuInsVO anzuerkennenden) vorläufigen Sicherungsmaßnahmen zugleich notwendig eine Bejahung der Zuständigkeit durch das anerkennende Gericht voraussetzt, heißt auch nicht, dass mit der Ergreifung solcher Maßnahmen zugleich die Sperrwirkung einsetzen müsste531. Denn die Problematik der Sperrwirkung wird stets in Fällen virulent, in denen sich ohnehin mehr als ein Staat für zuständig hält. Aus dem oben Gesagten folgt vielmehr, dass zur Ergreifung vorläufiger Sicherungsmaßnahmen erst ein weiterer Umstand, die Verfahrenseröffnung, hinzutreten muss, damit diese anerkannt werden müssen. Etwas anderes würde nur gelten, wenn man bereits die Ergreifung dieser Maßnahmen als Eröffnung ansehen könnte532. Gegen ein Abstellen auf den Zeitpunkt der Antragstellung spricht bei systematischer Betrachtung, dass Erwägungsgrund 22 sowie Art. 2 lit. f) i.V.m. Art. 16 EuInsVO eine Anerkennungspflicht und damit eine Sperre im Sinne der Priorität erst für wirksame, nach der Definition der Verordnung also eröffnete Hauptverfahren vorsehen533. Das Prioritätsprinzip ergibt sich wie dargelegt aus dem Umstand, dass es nach der Konzeption der Verordnung keine zwei Hauptverfahren geben kann. Sein Eingreifen macht daher das Bestehen eines Hauptverfahrens und damit dessen Eröffnung erforderlich. Darüber hinaus trägt auch hier ein Hinweis auf die Beschlagnahmewirkung des Hauptverfahrens. Es ist nicht ersichtlich, wie das zuerst angerufene Gericht, das selbst nach den Vorgaben der EuInsVO bis zu einer Verfahrenseröffnung nur Sicherungsmaßnahmen ergreifen kann, noch ein Hauptverfahren eröffnen können soll, wenn ein Gericht eines anderen Mitgliedstaates zuvor ein Verfahren nach Art. 3 Abs. 1 EuInsVO eröffnet hat534.

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So auch Herchen, ZInsO 2004, 63, 64, der jedoch eine Anwendung des Prioritätsprinzips auch für die einzelnen Sicherungsmaßnahmen vorschlägt. Deren Priorität hinge nach dem zu Art. 38 EuInsVO Gesagten freilich von der Eröffnung des Hauptverfahrens ab. Zum Problem sich widersprechender Verfügungen bis zur Eröffnung des Hauptverfahrens vgl. Weller, IPRax 2004, 412, 417. 531 Vgl. aber Duursma-Kepplinger, DZWIR 2006, 177, 183. 532 Dazu sogleich. 533 Anders wohl Stadtgericht Prag, ZIP 2005, 1431 f. 534 Herchen, ZIP 2005, 1401, 1404.

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Nach alledem ist also zur Bestimmung der Priorität auf den Zeitpunkt der Verfahrenseröffnung abzustellen535, dessen Voraussetzungen bei europäisch-autonomer Auslegung angesichts der Ausführungen des Art. 2 lit. f) EuInsVO keinesfalls schon durch eine Antragstellung erfüllt sein können536. (2) Begriff der Verfahrenseröffnung Damit sind jedoch noch nicht alle offenen Fragen hinsichtlich der zeitlichen Grenzen des Anerkennungszwangs gelöst. Denn entscheidend kommt es nunmehr darauf an, wodurch eine Verfahrenseröffnung im genannten Sinne kennzeichnet wird. Da der mit der EuInsVO statuierte Anerkennungszwang durch die anderenfalls entstehenden Parallelzuständigkeiten unterlaufen würde, bedarf es folglich abermals einer autonomen Begriffsauslegung537. (a) EuGH Diese Frage wird durch die EuInsVO selbst nicht eindeutig geregelt. Sie war Gegenstand des Vorabentscheidungsverfahrens im Fall Eurofood. Der EuGH kommt zu dem Schluss, dass das Verordnungsziel einer effizienten Verfahrensbewältigung ein frühestmögliches Eingreifen des Anerkennungszwangs erfordere538. Eine Verfahrensöffnung sei daher nicht erst dann anzunehmen, wenn eine auch nach mitgliedstaatlichem Recht als förmliche Verfahrenseröffnung bezeichnete Entscheidung ergehe. Sie liege stattdessen auch bereits dann vor, wenn infolge eines Antrags auf Eröffnung eines in Anhang A zur EuInsVO genannten Verfahrens eine Entscheidung ergeht, die einen Vermögensbeschlag zur Folge hat, sodass der 535 So i.Erg. auch LG Hamburg, NZI 2005, 645; AG Mönchengladbach, NZI 2004, 383 f.; Smid, DZWIR 2005, 64, 65; Herchen, ZinsO 2004, 61, 64; ders., ZIP 2005, 1401, 1403 ff; Oberhammer, ZInsO 2004, 761, 762; Haubold, in: Gebauer/Wiedemann, Art. 3 EuInsVO, Rn. 76; Carstens, Internationale Zuständigkeit, S. 88; Herweg/Tschauner, EWiR 2004, 599; Weller, IPRax 2004, 412, 417. Die Vorlagefrage Nr. 2 des Vorlagebeschlusses des Supreme Court of Ireland an den EuGH, ZIP 2004, 1969 f. wäre folglich zu verneinen gewesen. Aufgrund ihrer subsidiären Formulierung für den Fall des Verneinens der ersten Vorlagefrage ging der EuGH, Rs. C-341/04 (Eurofood), Urteil vom 02.05.2006, Rn. 59, auf die Frage der Rückwirkungsfiktion nicht ein. Die Beantwortung der dritten Vorlagefrage erübrigt eine Auseinandersetzung mit der Behandlung von Rückwirkungsfiktionen indes nicht denknotwendig (vgl. Knof/Mock, ZIP 2006, 911, 913). 536 Smid, DZWIR 2005, 64, 65, der die Frage nach der Relevanz der Antragstellung als eine solche des Eröffnungsbegriff der EuInsVO ansieht, kommt mit anderer Begründung zu demselben Ergebnis. 537 Zweifelnd Duursma-Kepplinger, DZWIR 2006, 177, 182. 538 EuGH, Rs. C-341/04 (Eurofood), Urteil vom 02.05.2006, Rn. 52.

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Schuldner die Befugnisse zur Verwaltung seines Vermögens verliert und ein in Anhang C der Verordnung aufgeführter Verwalter bestellt wird539. Der EuGH entfaltet in der Entscheidung mithin letztlich zwei Eröffnungsbegriffe, von denen der jeweils zuerst erfüllte maßgeblich ist. (b) Kritik Eines solchen gespaltenen Eröffnungsbegriffs hätte es nicht bedurft. Denn aus der Notwendigkeit der autonomen Auslegung des Gemeinschaftsrechts folgt nicht, dass dabei nicht auf die Kategorien des mitgliedstaatlichen Rechts abgestellt wird. Zwar kann eine Loslösung vom nationalen Begriffsverständnis, von der „Struktur“540 des nationalen Insolvenzrechts nicht in der Weise stattfinden, dass die Gerichte eines Anerkennungs- bzw. präsumtiven Hauptverfahrenseröffnungsstaates den Eintritt einer Sperrwirkung anhand der Ermittlung des ausländischen Verfahrensstands mit dem eigenen nationalen Insolvenzrecht feststellen. Jedoch kommt eine Anknüpfung an die Verfahrensschritte des Staates infrage, dessen Entscheidung anzuerkennen wäre541. Die Schaffung eigener Voraussetzungen für die Verfahrenseröffnung wäre auch nicht in Ansehung des Umstands erforderlich gewesen, dass eine förmliche, als solche bezeichnete Verfahrenseröffnung in vielen Jurisdiktionen gar nicht stattfindet542. Denn auch in diesen Staaten gibt es ein funktionales Äquivalent zu einer Verfahrenseröffnung. Im englischen Recht könnte man als solches etwa die Verfügung einer winding up order ansehen543. Die vom EuGH gewählte Lösung erweist sich darüber hinaus unter anderen Gesichtspunkten als fragwürdig. Zunächst verkürzt sie den tatbestandlichen Anwendungsbereich von Art. 38 EuInsVO. Es ist nicht erkennbar, weshalb Art. 38 EuInsVO auf solche Fälle beschränkt sein soll, in denen ein vorläufiger Verwalter den Schuldner bloß überwacht. Die Voraussetzungen der Vorschrift sind vielmehr ihrem Wortlaut nach auch dann erfüllt, wenn mit Einsetzung des vorläufigen Verwalters ein Übergang der Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis stattfindet. Dass die Vorschrift allein Fälle regelt, in denen ein Sekundärverfahren nicht beantragt werden kann544 und ein Übergang der Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis auf 539

EuGH, Rs. C-341/04 (Eurofood), Urteil vom 02.05.2006, Rn. 54, 58. Smid, DZWIR 2006, 45, 48. 541 Smid, DZWIR 2006, 45, 46. 542 So kennen etwa das englische und das irische Recht keine Eröffnungsentscheidung, die als solche bezeichnet würde. 543 Moss, Insolvency Intelligence 2006, 97, 100. 544 Die in Art. 38 EuInsVO eingeräumten Befugnisse gelten nach zutreffender Auffassung nur in solchen Staaten, in denen ein Sekundärverfahren beantragt werden könnte, dieses aber mangels zuvor eröffneten Hauptverfahrens nicht eröffnet werden kann. Vgl. dazu Heiderhoff, in: Geimer/Schütze, Art. 38 EuInsVO, Rn. 2 m.w.N. 540

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den vorläufiger Verwalter nicht stattgefunden hat545, ist ihr nicht zu entnehmen. Stattdessen besteht ein Interesse zur Ergreifung vorläufiger Sicherungsmaßnahmen bei Einsetzung eines vorläufigen Insolvenzverwalters grundsätzlich genauso, wenn der Schuldner zugleich über sein Eigentum nicht mehr verfügen kann. Etwas anderes gilt allein, wenn man zuvor, mithin als Ausgangspunkt und nicht als Folge der Überlegungen, von der Annahme ausgeht, eine Verfahrenseröffnung liege schon unter den vom Gericht genannten drei Voraussetzungen vor. Von dieser Annahme scheint der Gerichtshof geleitet worden zu sein. Bei Zugrundelegung eben dieser Lesart des Eröffnungsbegriffs auch in Art. 38 EuInsVO scheint nämlich in der Tat keine Notwendigkeit der Einbeziehung des unter Übergang der Verwaltungsund Verfügungsmacht eingesetzten vorläufigen Insolvenzverwalters zu bestehen, weil damit stets auch eine Verfahrenseröffnung im Sinne der Vorschrift bestünde. Der Tatbestand des Art. 38 EuInsVO hätte dann den vom EuGH dargestellten Anwendungsbereich. Allerdings geht die vom EuGH gezogene Schlussfolgerung nicht in jedem Fall auf: Verliert der Schuldner seine Verfügungsbefugnis zugunsten eines vorläufigen Insolvenzverwalters, der nicht in Anhang C der Verordnung aufgeführt ist, ist die Situation gegeben, dass dieser auch unter Zugrundelegung beider vom EuGH zum Eröffnungsbegriff vertretenen Alternativen noch nicht Verwalter eines eröffneten Hauptverfahrens ist und somit ein Sekundärverfahren von ihm (noch) nicht beantragt werden kann. Obwohl nach dem Normzweck des Art. 38 EuInsVO genau dieser Situation entgegengewirkt werden soll, wäre die Vorschrift unanwendbar546. Zugleich zeigt sich an dieser Stelle eine weitere Schwäche der vom EuGH entsonnenen Lösung. Denn welcher (vorläufige) Verwalter in Anhang C zur EuInsVO aufgenommen wird, ist bisweilen vom Zufall abhängig. So wurde der provisonal liquidator nach englischem Recht erst nachträglich mit Verordnung Nr. 603/2005 des Rates in den Anhang zur EuInsVO aufgenommen547, während der mit weitestgehend identischen Befugnissen ausgestattete provisional liquidator nach irischem Recht stets aufgeführt war. Es steht zu befürchten, dass die vorläufigen Verwalter anderer Jurisdiktionen ebenfalls nicht genannt sind548. Jedenfalls wird deut-

545 Dies impliziert der EuGH, Rs. C-341/04 (Eurofood), Urteil vom 02.05.2006, Rn. 57, wenn er auf dem von Enrico Bondi aus Art. 38 EuInsVO gezogenen Umkehrschluss, eine Verfahrenseröffnung könne bei Einsetzung eines vorläufigen Verwalters nicht schon mit dessen Einsetzung stattgefunden haben (vgl. dazu Rn. 56 der Entscheidung), entgegentritt. 546 Vgl. zum Ganzen auch Moss, Insolvency Intelligence 2006, 97, 99 ff. 547 ABl. L 100/1 ff. (2005). 548 Vgl. Moss, Insolvency Intelligence 2006, 97, 99 ff.

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lich, dass mit der vom EuGH gewählten Lösung der Zeitpunkt der Verfahrenseröffnung von Formalismen abhängt. Ferner kann es bei Zugrundelegung des in der Entscheidung Eurofood entwickelten Eröffnungsbegriffs dazu kommen, dass eine Eröffnung auch dann angenommen wird, wenn ihr eine solche im materiellen Sinne des mitgliedstaatlichen Rechts nicht nachfolgt. Die Entscheidung des EuGH zwingt folglich zur Anerkennung von „Verfahrenseröffnungen“, die nicht notwendig auch in einen der in Anhang A genannten Verfahren münden. Dies hätte vermieden werden können, wenn der EuGH sich an dem auch in der EuInsVO angelegten Dreischritt – Antragstellung, Einsetzung eines vorläufigen Verwalters, Verfahrenseröffnung – orientiert hätte. Schließlich ist nach dem vom EuGH entwickelten Eröffnungsbegriff vorstellbar, dass ein Sekundärverfahren eröffnet wird, ohne dass je die Voraussetzungen einer materiellen Insolvenz des Schuldners geprüft würden. Denn das Recht der Mitgliedstaaten erlaubt verschiedentlich einen Eintritt der in der Eurofood-Entscheidung genannten Voraussetzungen, ohne dass dabei bereits die Insolvenztatbestände des jeweiligen mitgliedstaatlichen Rechts geprüft werden müssten549. Nach Art. 27 S. 1 a.E. EuInsVO ist die Überprüfung der Insolvenz bei Eröffnung eines Sekundärverfahrens entbehrlich. Es könnte daher wenigstens theoretisch zu einer Vermögensverwertung kommen, ohne dass überhaupt einmal geprüft worden ist, ob der Schuldner insolvent ist. Schließlich würden auch die Unterrichtungspflichten nach Art. 40 EuInsVO schon zu einem frühen Zeitpunkt eingreifen550. Obwohl die Schaffung alternativer Voraussetzungen für die Annahme einer Verfahrenseröffnung aus den genannten Größen nicht geboten war, so sind mit dem vom EuGH entsonnenen Eröffnungsbegriff auch Vorteile verbunden. Er befreit Staaten weitgehend551 von der Einarbeitung in das Recht anderer Mitgliedstaaten. Eine solche würde nötig, wenn andere Staaten berücksichtigen müssten, ob in einem fremden Recht Verfahrensschritte erreicht sind, die als Verfahrenseröffnung anzusehen sind. Die Ausführungen des EuGH zur ersten Vorlagefrage sind darüber hinaus, anders als andere Passagen des Urteils, von wünschenswerter Klarheit. Die vermittelte Transparenz ließe erwarten, dass der Begriff der Verfahrenseröffnung in Zukunft – mit Ausnahme der weiterhin unbeantworteten Frage nach der Behandlung von Rückwirkungsfiktionen des mitgliedstaatlichen Rechts – als Problemherd ausscheiden sollte. 549

So etwa im deutschen Recht, vgl. dazu Liersch, NZI 2006, Heft 6, V f. Vgl. Liersch, NZI 2006, Heft 6, V f. 551 Allerdings muss ein ausländisches Gericht weiterhin beispielsweise berücksichtigen, ob die Einsetzung eines vorläufigen Insolvenzverwalters eines anderen Mitgliedstaats mit einem Vermögensbeschlag und dem Verlust der Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis einhergeht. 550

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(c) Notwendigkeit weitergehender Einschränkungen nach Maßgabe mitgliedstaatlichen Rechts? Trotz der Ausführungen des EuGH werden im Schrifttum verschiedentlich Einschränkungen befürwortet. Wenn das einzelstaatliche Insolvenzrecht eine Zwischenphase zwischen Antragstellung und Eröffnungsentscheidung kenne, in der ein einstweiliger Verwalter zur Sicherung des Vermögens bestellt werden kann, könne nur dann eine Sperrwirkung gegenüber weiteren Hauptverfahrenseröffnungen angenommen werden, wenn die Entscheidung auch nach dem Recht des jeweiligen Mitgliedstaats einer Verfahrenseröffnung gleichkomme552. Für das deutsche Recht schiede danach der Eintritt einer Sperrwirkung auch dann aus, wenn nach einem Antrag auf Eröffnung eines Insolvenzverfahrens ein allgemeines Verfügungsverbot nach § 22 Abs. 2 Nr. 2 EuInsVO ausgesprochen wird und ein „starker“ d.h. mit umfassender Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis (§ 22 Abs. 1 InsO) ausgestatteter vorläufiger Insolvenzverwalter553 eingesetzt würde554. Allerdings ist eine gemeinschaftsrechtlich-autonome Begriffsauslegung durch den EuGH auch dann anzuerkennen, wenn diese einen Rückgriff auf Kategorien des Insolvenzrechts der Mitgliedstaaten nur in sehr begrenzter, 552

Duursma-Kepplinger, DZWIR 2006, 177, 182 im Anschluss an Smid, DZWIR 2006, 45, 47. 553 Vgl. zu diesem Häsemeyer, Insolvenzrecht, Rn. 7.43. 554 OLG Innsbruck, NZI 2008, 700, 702; AG Köln, NZI 2009, 133; DuursmaKepplinger, DZWIR 2006, 177, 182; Smid, DZWIR 2006, 45, 46. Indes wird man entgegen Herchen, NZI 2006, 435, 437 und Reinhart, NZI 2009, 73, 74 die Einsetzung eines „schwachen“ vorläufigen Insolvenzverwalters, bei dem nach § 21 Abs. 1 Nr. 2, Alt. 2 InsO gerichtlich angeordnet wird, dass Verfügungen der Zustimmung des Insolvenzgerichts bedürfen, nicht als ausreichend auffassen können. Zwar kommt es auf das nationale, deutsche Begriffsverständnis des Begriffs des Vermögensbeschlags nicht an. Aber auch wenn man mit Rückgriff auf Virgós/Schmit, Bericht, Nr. 49, Einschränkungen der Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis durch das Eingreifen eines Verwalters und die Überwachung der Rechtshandlungen des Schuldners für ausreichend hielte, um einen Vermögensbeschlag zu bejahen, so fehlt es bei Einsetzung eines „schwachen“ vorläufigen Insolvenzverwalters weiterhin am Verlust der Verwaltungsbefugnis. Der von Herchen gezogene Schluss, dass ein Verwalter i.S. der EuInsVO auch bei Durchführung eines Verfahrens in Eigenverwaltung eingesetzt sei und es deshalb auf den Verlust der Verwaltungsbefugnis nicht ankommen könne, kann nicht überzeugen. Denn dass selbst dann die Voraussetzung einer Verfahrenseröffnung i.S. der EuInsVO gegeben sein können, wenn die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis schließlich beim Schuldner liegen, heißt nicht notwendig, dass diese nicht zuvor – und sei es für eine juristische Sekunde – entzogen worden sind und daher beide Voraussetzungen erfüllt sind. Obwohl eine Einbeziehung auch des schwachen Insolvenzverwalters die Rechtssicherheit unter der EuInsVO entscheidend erhöhte und die Handhabung der Verordnung verbesserte, ist daher auf sämtliche in der Entscheidung des EuGH und den Gesetzgebungsmaterialien statuierten Voraussetzungen, (d.h. auch den Verlust der Verwaltungsbefugnis) abzustellen.

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formalisierter Weise vorsieht. Dies ist mit der Entscheidung des EuGH geschehen – auch wenn man dies im Einzelfall für unglücklich halten mag. Dass der Einsetzung sog. „vorläufiger“ Verwalter in den unterschiedlichen Mitgliedstaaten ein differierender Bedeutungsgehalt zukommt, ließe sich durch ein Abstellen auf die lex fori concursus des jeweiligen Eröffnungsstaats lösen555. Einer solchen Betrachtungsweise hat der EuGH jedoch letztlich eine Absage erteilt. Das Gericht differenziert zwar nach Art der Stellung des „vorläufigen“ Verwalters556. Das vom EuGH herausgeschälte, nach dem Willen des Gerichts abschließende Kriterienbündel trägt ein Abstellen auf die Regelungen des mitgliedstaatlichen Rechts indes nur in den benannten, engen Grenzen, nämlich der Frage, ob auf einen Antrag auf Eröffnung eines in Anhang A genannten Verfahrens ein in Anhang C genannter Verwalter bestellt wird und der Schuldner hierdurch die Befugnisse zur Verwaltung seines Vermögens verliert557. Dies ist hinzunehmen, solange nicht der Gerichtshof eine weitere Differenzierung der Voraussetzungen vornimmt. Die deutsche Durchführungsvorschrift des Art. 102 § 3 Abs. 1 S. 1 EGInsO, die auf den Eröffnungszeitpunkt im herkömmlichen, technischen Begriffssinn abstellt, ist mithin entsprechend europarechtskonform auszulegen558. Auch hier gilt nunmehr der vom EuGH entwickelte Eröffnungsbegriff559. (3) Keine Rechtshängigkeitssperre durch Antragstellung Es erweist sich, dass es im Vorfeld der Verfahrenseröffnung nicht nur zu einem race to the courts der möglichen Antragsteller kommen könnte, sondern darüber hinaus – paradoxerweise gerade durch die Auswirkungen des gemeinschaftsrechtlichen Grundsatzes gegenseitigen Vertrauens – zu einem race of the courts, einem Wettbewerb der an der Verfahrenseröff555 Die Problematik der Inkenntnissetzung von der Eröffnung eines vorläufigen Insolvenzverfahrens ist Gegenstand der Entscheidung des AG Hamburg, NJW-Spezial 2009, 247, das mit einer entsprechenden Anwendung des Art. 102 § 2 EGInsO einen praktikablen Weg zur Behebung von Informationsdefiziten aufweist. Vgl. dazu auch Reinhart, NZI 2008, 73 sowie Reinhart, NZI 2009, 201 ff. 556 EuGH, Rs. C-341/04 (Eurofood), Urteil vom 02.05.2006, Rn. 57. 557 Vgl. EuGH, Rs. C-341/04 (Eurofood), Urteil vom 02.05.2006, Leitsatz 3. Auch die Einschränkung, die Liersch, NZI 2006, Heft 6, V f. für den durch den Schuldner gestellten Antrag machen will, wird danach nicht anzuerkennen sein. Zwar untersteht das Antragsverfahren der Dispositionsbefugnis des Antragstellers. Jedoch wird man die Entscheidung des EuGH nicht zwingend so verstehen müssen, dass ein „endgültiger“ Verlust der Verfügungsbefugnis stattgefunden haben muss. 558 Entgegen Liersch, NZI 2006, Heft 6, S. V f. muss diese Vorschrift daher bei entsprechendem Begriffsverständnis auch weiter „bestehen können“¸ so auch Reinhart, NZI 2009, 73, 77 ff. 559 Siehe dazu auch die Entscheidung des BGH, NZI 2008, 572 zur gemeinschaftsrechtskonformen Anwendung von Art. 102 § 4 Abs. 2 EGInsO.

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nung interessierten Gerichte. Um Letzteres zu verhindern, wird verschiedentlich unter Berufung auf eben dieses Prinzip vorgeschlagen, dass sich das als Zweites angerufene Gericht in Anlehnung an Art. 27 f. EuGVVO und Art. 21 EuGVÜ/LugÜ so lange einer Eröffnungsentscheidung enthalten solle, bis das Erstgericht über seine Zuständigkeit befunden habe560. Die genannten Vorschriften seien Ausdruck eines allgemeinen Rechtsgedankens des Gemeinschaftsrechts, wonach stets die zuerst erfolgende Befassung eines Organs der Rechtspflege durch Übergabe eines Antrags eine Rechtshängigkeit begründe, die eine Entscheidung der Organe anderer Mitgliedstaaten über einen später gestellten Antrag suspendiere; der zweite Antrag wäre danach zunächst schwebend unwirksam561. Nach dieser Lösung hätte es in erster Linie der Antragsteller in der Hand, auf die Frage der Entscheidung über die internationale Zuständigkeit Einfluss zu nehmen. Mit Annahme einer Rechtshängigkeitssperre im Gemeinschaftsrecht würden folglich Wettlaufszenarien in der Phase der Verfahrenseröffnung nicht vermieden562, sondern in den Bereich der Antragstellung vorverlegt. Der für die Antragsteller bestehende Anreiz zu schnellem Handeln würde so noch erheblich verstärkt. Mit dem Vertrauensgrundsatz ließe sich darüber hinaus auch gegen eine Rechtshängigkeitssperre argumentieren. Denn das Vertrauen darin, dass das Gericht eines anderen Mitgliedstaates zutreffend über einen dort anhängigen Antrag entscheidet, ließe gerade die Schlussfolgerung zu, dass parallele Antragsverfahren sich nicht als praktisches Problem darstellen dürften. Die Implementierung einer Rechtshängigkeitssperre hieße zudem, den Vertrauensgrundsatz auf die Richtigkeit der gestellten Anträge auszudehnen. Dafür gibt es jedoch keinen Anhaltspunkt. Im Gegenteil: Wie sich erweisen wird, bestehen sowohl für die Antragsberechtigten als auch für das entscheidende Gericht Beweggründe für ein opportunistisches Handeln. Die Annahme einer Sperrwirkung durch Antragstellung bedeutete, auf eine mögliche Kontrollinstanz (das Zweitgericht) gegenüber eigennützigem forum shopping durch den Antragsteller und fehlgeleiteter Inanspruchnahme der Eröffnungszuständigkeit durch das befasste Erstgericht zu verzichten. Eine solche Sperrwirkung wäre auch mit der Konsequenz verbunden, dass das jeweilige Gericht – falls insoweit eine Pflicht zur amtswegigen Ermittlung bestünde563 – eru-

560

Laukemann, RIW 2005, 104, 108 ff., 111; Haubold, in: Gebauer/Wiedemann, Art. 3 EuInsVO, Rn. 76. Ähnlich Duursma-Kepplinger, DZWIR 2006, 177, 183. 561 Laukemann, RIW 2005, 104, 110 f. 562 Laukemann, RIW 2005, 104, 110 sieht ein maßgebliches Argument für eine Rechtshängigkeitssperre darin, dass diese den Wettlauf zweier Gerichte vermeide. 563 Zur Reichweite der Amtsermittlungspflicht im sog. Zulassungsverfahren siehe unten, S. 181 ff.

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ieren müsste, ob auch in einem anderen Mitgliedstaat ein Antrag gestellt wurde. Praktisch wäre dies kaum möglich564. Vor allem ist jedoch zu berücksichtigen, dass die EuInsVO, anders als die herangezogenen Regelungen des Gemeinschaftsrechts, eine Sperrwirkung durch den Antrag eben nicht ausdrücklich vorsieht und mit dem durch Beschlagwirkung des Hauptverfahrens und Anerkennungszwang vermittelten Prioritätsprinzip bereits über einen Mechanismus verfügt, der zur eindeutigen Klärung von Kompetenzkonflikten geeignet ist. Dies gilt insbesondere mit Blick auf die weitere Konturierung dieses Prioritätsgrundsatzes durch den EuGH im Fall Eurofood. Bestünde nach Auffassung des Gerichtshofs eine Sperrwirkung durch die erste Antragstellung, so hätte er die Gelegenheit gehabt, darauf in dieser Entscheidung einzugehen. Nach den klaren Aussagen des Judikats wird man jedenfalls davon ausgehen müssen, dass eine Verfahrenseröffnung – auch dann, wenn sie nicht durch das zuerst befasste Gericht erfolgt – eine Eröffnung durch das zuerst befasste Gericht sperrt. Eine etwaige Sperrwirkung der Antragstellung würde durch die Sperrwirkung der Verfahrenseröffnung folglich überlagert. Mit Blick auf die Praxis wird denn auch von Befürwortern einer Sperrwirkung zugestanden, dass weiterhin das schnellstentscheidende Gericht mit seiner Auffassung prävalieren müsse565. (4) Zusammenfassung Der für die Bestimmung des COMI maßgebliche Beurteilungszeitpunkt (Zeitpunkt der Antragstellung) und der Eintrittszeitpunkt der Eröffnungssperre (Zeitpunkt der ersten Eröffnung eines Hauptverfahrens über das Schuldnervermögen) fallen auseinander. Für Einwirkungen auf die internationale Zuständigkeit bedeutet dies, dass ein forum shopping durch Verlegung des COMI auch dann erfolgreich sein kann, wenn das COMI erst nach einer Antragstellung verlegt wird und ein Gericht des neuen Belegenheitsstaats als erstes ein Hauptverfahren eröffnet. Das Eintreten der Sperrwirkung erst durch die Eröffnung des ersten Hauptverfahrens führt folglich dazu, dass Einwirkungen mit dem Ziel einer Rechtswahl bis zu einem sehr späten Zeitpunkt möglich sind. Je kürzer der Zeitraum zwischen Antragstellung und Verfahrenseröffnung im angestrebten Forum ist, desto größer sind die Erfolgschancen einer Ausnutzung der Anerkennungsvorschriften der EuInsVO. Dies führt dazu, dass bestimmte Destinationen, nämlich solche Foren, in denen das autonome Verfahrensrecht eine besonders schnelle Verfahrenseröffnung ermöglicht, von kompetitiven Verfahrensbeteiligten 564

Vgl. dazu auch AG Köln, NZI 2006, 57, das ausführt, angesichts des Umstands, dass es kein europäisches Insolvenzregister gebe, sei es nicht in der Lage zu prüfen, ob schon andernorts ein Antrag auf Eröffnung eines Hauptverfahrens gestellt worden ist. 565 Haubold, in: Gebauer/Wiedemann, Art. 3 EuInsVO, Rn. 76 (dort in Fn. 196).

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Kapitel 2: Rechtswahlfreiheit unter der EuInsVO – de lege lata

bevorzugt werden. Das vom EuGH in der Entscheidung Eurofood entfaltete gemeinschaftsrechtliche Verständnis des Begriffs der Verfahrenseröffnung führt dazu, dass die Wettbewerbsvorteile solcher Staaten weitestgehend zum Tragen kommen. Denn in dem Augenblick, in dem die vom EuGH aufgestellten Voraussetzungen erfüllt sind, ist der Wettlauf um die Verfahrenseröffnung für konkurrierende Gerichte auch dann verloren, wenn eine formale Verfahrenseröffnung noch nicht stattgefunden hat. Andererseits hängt die „Wettbewerbsfähigkeit“566 der einzelnen Jurisdiktionen nunmehr maßgeblich von der formalen Voraussetzung der Nennung des jeweiligen Verwalters in Anhang C zur EuInsVO ab. Mit Blick auf die deutsche Rechtslage ist zu konstatieren, dass die vom EuGH für eine Verfahrenseröffnung genannten Voraussetzungen auch dann vorliegen, wenn nach einem Antrag auf Eröffnung eines Insolvenzverfahrens ein allgemeines Verfügungsverbot nach § 22 Abs. 2 Nr. 2 InsO ausgesprochen wird und ein „starker“ Insolvenzverwalter eingesetzt wird567. Denn auch dieser ist in Anhang C zur EuInsVO aufgeführt. Die Abkehr vom formalen Eröffnungsbegriff durch den EuGH beinhaltet daher eine Stärkung der deutschen Gerichte in einem internationalen Wettbewerb um Insolvenzverfahren und macht somit auch Deutschland zu einem erfolgversprechenden Ziel für case placer. Die Gefahr von Kompetenzkonflikten ist mit dem vom EuGH entwickelten Eröffnungsbegriff freilich nicht gebannt. Denn es besteht die Möglichkeit, dass etwaige Anerkennungsstaaten ein zweites Hauptverfahren mit der Begründung eröffnen, im mutmaßlichen Eröffnungsstaat lägen noch nicht alle Voraussetzungen einer Verfahrenseröffnung im Sinne der Eurofood-Entscheidung vor. c. Der ordre-public-Vorbehalt aus Art. 26 EuInsVO als Grenze des forum shopping unter Ausnutzung der Anerkennungsregeln Nachdem, wie dargelegt, grundsätzlich auch kompetenzwidrig eröffnete Hauptverfahren nach Art. 16 Abs. 1 EuInsVO anzuerkennen sind, ist der ordre-public-Vorbehalt aus Art. 26 EuInsVO im Zusammenhang mit dem forum shopping unter Ausnutzung der Anerkennungsregeln von besonderem Interesse; er stellt das einzige Anerkennungshindernis der EuInsVO

566 Eingehend zur Bedeutung des Begriffs „Wettbewerb“ in Bezug auf die durch die EuInsVO vermittelten Verhaltensanreize, unten, Fn. 348 im folgenden Kapitel. 567 I. Erg. auch Schilling/Schmidt, ZInsO 2006, 113, 115, die sich den Schlussanträgen des EuGH GA Jacobs, Rs. C-341/04 (Eurofood), ZIP 2005, 1878, anschließen, ohne jedoch nach der Verfügungsbefugnis zu differenzieren. Zweifelnd Liersch, NZI 2006, Heft 6, V f. Die Gegenauffassung (vgl. zu dieser Pannen/Riedemann, NZI 2004, 646) dürfte im Hinblick auf die praktischen Grenzen der Rechtswahlfreiheit unter der EuInsVO bis auf Weiteres keine Bedeutung haben.

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gegen die Eröffnungsentscheidung eines anderen Mitgliedstaats dar568. Anders als bei der bereits dargestellten Frage, inwieweit eine Rechtswahl durch Zuständigkeitserschließungen möglich ist, geht es hier nicht darum, ob Art. 26 EuInsVO wegen einer erfolgten COMI-Verlegung die Nichtanerkennung von Hauptverfahrenseröffnungen erlaubt, bei denen die Voraussetzungen von Art. 3 EuInsVO erst infolge gezielter Einwirkungen gegeben sind. Vielmehr geht es darum, unter welchen Umständen die Anerkennung kompetenzwidriger Verfahrenseröffnungen verweigert werden kann. Dabei wird jedoch auch auf Gesichtspunkte zurückzukommen sein, die in allen Spielarten des forum shopping als mögliche ordre-public-Verletzung diskutiert werden. Die rechtstatsächlichen Einschränkungen, durch die eine Verweigerung der Anerkennung in den Fällen der Zuständigkeitserschließung geprägt war, greifen für die Fälle der kompetenzwidrigen Inanspruchnahme der Eröffnungszuständigkeit nicht vollumfänglich ein569. Sie beanspruchen jedoch im Übrigen auch hier Geltung. (1) Keine ordre-public-Verletzung infolge bloßer Kompetenzwidrigkeit der Verfahrenseröffnung Wie bereits dargelegt, ist der Tatbestand des Art. 26 EuInsVO auf besonders gelagerte Ausnahmefälle begrenzt, in denen die Anerkennung einer Entscheidung zum offensichtlichen Verstoß gegen den ordre public führte570. Nachdem die Anerkennung auch kompetenzwidriger Eröffnungsentscheidungen, wie gezeigt, Regelungsgehalt der EuInsVO ist, kann allein der Umstand, eine fälschliche Inanspruchnahme anerkennen zu müssen, keinen im Rahmen von Art. 26 EuInsVO beachtlichen ordre-public-Verstoß begründen571. Insoweit gelten die oben gemachten Ausführungen zum 568

Dies ergibt sich u.a. auch in einem Gegenschluss aus Art. 25 Abs. 1 S. 2 EuInsVO, der nur für die Anerkennung sonstiger insolvenzrechtlicher Entscheidungen auf die Art. 31-51 EuGVVO und die darin enthaltenen Anerkennungshindernisse des Art. 34 verweist. Vgl. auch Herchen, ZIP 2005, 1401, 1404. 569 Dies ist darauf zurückzuführen, dass es in dieser Situation wahrscheinlicher ist, dass sich im Anerkennungsstaat maßgebliche Vermögensgegenstände befinden. Allgemein zu den beschränkten Wirkungen der Verweigerung der Anerkennung oben, S. 134 ff. 570 Vgl. oben, S. 134 ff. 571 So auch Österr. OGH, NZI 2005, 465, 466; AG Düsseldorf, ZIP 2004, 623, 624; Duursma-Kepplinger, in: Duursma-Kepplinger/Duursma/Chalupsky, EuInsVO, Art. 16, Rn. 15, Art. 26, Rn. 1; Duursma/Duursma-Kepplinger, DZWIR 2003, 447, 450; dies., ZIK 2003, 182, 183 f.; dies. DZWIR 2006, 177, 180; Eidenmüller, NJW 2004, 3455, 3457; Haubold, IPRax 2003, 34, 39; Huber ZZP 114 (2001), 133, 146; Knof/Mock, ZIP 2006, 189, 190; Leible/Staudinger, KTS 200, 533, 568; Lüke, ZZP 111 (1998), 275, 287; Moss/Fletcher/Isaacs, Rz. 8.205; Sabel, NZI 2004, 126, 127; Smid, DZWIR 2005, 60, 65;

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Verhältnis der Regelungen der EuInsVO und dem ordre public entsprechend572. Eine Ausnahme kann danach auch für grobe Verstöße gegen die Zuständigkeitsordnung nicht gemacht werden573, soweit nicht aus anderen Gründen ein ordre-public-Verstoß zu bejahen ist. (2) Ordre public-Verstoß infolge einer Verletzung von Art. 6 EMRK In der bisherigen Rechtspraxis zur EuInsVO haben sich mehrere Fallgruppen zu einem möglichen ordre-public-Verstoß herausgebildet. Für die Frage der Einwirkungsmöglichkeiten der Verfahrensbeteiligten auf das Statut des Hauptverfahrens sind besonders Verfahrensmängel im Vorfeld der Eröffnungsentscheidung von Interesse, da diese zur Nichtanerkennung der Eröffnungsentscheidung führen und damit die in Art. 16 f. EuInsVO angeordnete Wirkungserstreckung aushebeln könnten. Im Fokus stehen dabei Verletzungen der aus Art. 6 EMRK abzuleitenden verfahrensrechtlichen Garantien. Nachdem alle Mitgliedstaaten der Gemeinschaft zugleich auch Vertragsstaaten der EMRK sind, stellen diese Garantien gemeinschaftsweit geltende, fundamentale Standards dar574. Ein Rückgriff auf nationale Rechtsgrundsätze zur Bestimmung eines ordre-public-Verstoßes erübrigt sich folglich, soweit dieser bereits in Ansehung der Prozessrechtsgarantien der EMRK zu bejahen ist. In Zusammenhang mit dem hier beleuchteten Aspekt der Rechtswahl ist ein Verstoß gegen Art. 6 EMRK aus verschiedenen Gründen denkbar. (a) Verletzung rechtlichen Gehörs Meistdiskutierter Fall ist der Verstoß gegen den Grundsatz des rechtlichen Gehörs575. Als Ausfluss aus der Garantie eines fairen Verfahrens umfasst Art. 6 Abs. 1 S. 1 EMRK auch das Recht auf Gehör576. Die Nichtanerkennung infolge Verletzung des rechtlichen Gehörs ist kein rechtswahlspezifisches Problem. Sie kann auch in Fällen auftreten, in denen keinerlei zielgerichtete Einwirkung auf den Ort der Verfahrenseröffnung stattgefunden hat Virgós/Schmit, Bericht, Nr. 148. Anders jedoch von der Fecht, FS Metzeler (2003), S. 121, 126. 572 Siehe oben, S. 138. 573 So aber Kolmann, Kooperationsmodelle, S. 289. Zutreffend insoweit AG Nürnberg, NZI 2007, 185, 186. 574 Herchen, ZInsO 2004, 61, 65; Paulus ZIP 2003, 1725, 1728 f., ders., EWiR 2003, 709, 710; Smid, DZWIR 2005, 64, 66. 575 Vgl. nur Supreme Court of Ireland, NZI 2004, 506 ff.; High Court Dublin, ZIP 2004, 1223, 1227; AG Mönchengladbach, NZI 2004, 383, 384; Eidenmüller, NJW 2004, 13455, 3457; Weller, IPRax 2004, 412, 417 Virgós/Schmit, Bericht, Nr. 206; Herchen, ZIP 2005, 1404; Lüke, ZZP 111 (1998), 275, 287. 576 Meyer-Ladewig, in: HK-EMRK, Art. 6, Rn. 38; Peters, EMRK, S. 131.

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und diese in dem Staat, in dem sich das COMI befindet, d.h. kompetenzgemäß erfolgt. Allerdings erhöht der Eröffnungswettlauf, der entsteht, wenn einzelne Verfahrensbeteiligte versuchen, das Verfahren im jeweils von ihnen präferierten Forum stattfinden zu lassen, das Risiko von Gehörsverletzungen und anderen Verfahrensfehlern. So gesehen erweist sich die Nichtanerkennung infolge unterbliebener Anhörung des Schuldners als wichtige Determinante der zeitlichen Grenzen einer Rechtswahl durch Ausnutzung der Zuständigkeitsregelungen. Der personelle Schutzbereich des Menschenrechts auf Gehör, das auch in Insolvenzverfahren gilt577, umfasst, wie sich aus Art. 34 EMRK ergibt, auch juristische Personen578. Dieses Recht ist darüber hinaus, obwohl nicht in allen Mitgliedstaaten mit Verfassungsrang kodifiziert579, vom EuGH als fundamentales Prinzip des Gemeinschaftsrechts anerkannt worden580. Der Sache nach leitet der EuGH den Maßstab des europäischen ordre public unter Berücksichtigung der Auslegung durch den EGMR ebenfalls unmittelbar aus Art. 6 EMRK ab581. Da sich das Recht auf Gehör auf alle Verfahrensstadien bezieht, folgt daraus beispielsweise, dass einem Schuldner bereits vor Verfahrenseröffnung die Gelegenheit zu geben ist, mit seinen Äußerungen auf die Entscheidung des Gerichts Einfluss zu nehmen582. An den verfahrensrechtlichen Garantien aus Art. 6 EMRK partizipieren jedoch nicht nur die Schuldner, sondern alle Verfahrensbeteiligten; auch die Gläubiger können ein Mindestmaß an Beteiligung und Anhörung beanspruchen583. Indes umfasst die Menschenrechtsgarantie nicht die Garantie einer bestimmten Verfahrensart oder Form der Gehörsgewährung584. Den Anhörungsrechten der Beteiligten kommt im Insolvenzverfahren, verglichen mit kontradiktorischen Zivil- oder gar Strafverfahren, zudem insgesamt eine schwächere Bedeutung zu585. Man wird daher, um in einem Anhörungs- oder Beteiligungsmangel bei der Verfahrenseröffnung einen ordre-public-Verstoß i.S. von Art. 26 EuInsVO erblicken zu können, nicht 577

Puschner, Konkurs und EMRK, S. 23. Puschner, Konkurs und EMRK, S. 38. 579 Gzybek, Prozessuale Grundrechte, S. 95. In Deutschland ist das Recht auf Gehör in Art. 103 Abs. 1 GG positiviert. Die Garantie des rechtlichen Gehörs gilt auch im Insolvenzverfahren, vgl. nur BVerfG, KTS 2002, 679. 580 EuGH, Rs. C-7/98 (Krombach/Bamberski), Slg. 2000, S. I-1935, Rz. 25, 39 f. 581 Vgl. hierzu Heß, FS Jayme (2004), 339, 349 f. mit umfangreichen w.N. 582 EGMR, Vermeulen/ Belgien, Slg. 1996, S. I-224, 234, Rn. 33. 583 EuGH, Rs. C-341/04 (Eurofood), Urteil vom 02.05.2006, Rn. 66; High Court Dublin, ZIP 2004, 1223, 1227; Virgós/Schmit, Bericht, Nr. 206; Herchen, ZIP 2005, 1404; Lüke, ZZP 111 (1998), 275, 287; Weller, IPRax 2004, 412, 417. 584 MünchKomm InsO (1. Auflage)/Reinhart, Art. 102 EGInsO, Rn. 312 (zu Art. 103 Abs. 1 GG). 585 Vgl. MünchKomm InsO/Reinhart, Art. 26 EuInsVO, Rn. 2. 578

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nur verlangen müssen, dass der Verfahrensverstoß zunächst im Verfahren vor den Gerichten des Ursprungsstaates der anzuerkennenden Entscheidung erfolglos gerügt worden ist, sofern dabei eine realistische praktische und rechtliche Chance auf Abhilfe besteht586. Vielmehr wird auch die Tragweite der Eröffnungsentscheidung für den jeweiligen Verfahrensbeteiligten zu berücksichtigen sein. Die Nichtanhörung des Schuldners wird aufgrund des Verlusts der Verfügungsbefugnis dabei eher einen für Art. 26 EuInsVO beachtlichen Verstoß darstellen als die eines Gläubigers, sofern hier ein Anhörungsrecht im Vorfeld der Verfahrenseröffnung nach oben Gesagtem überhaupt angenommen werden kann. Es wird nämlich nicht schlechterdings verlangt werden können, dass alle Gläubiger stets schon vor Verfahrenseröffnung angehört werden. Dies wird schon in praktischer Hinsicht nicht zu gewährleisten sein587. Etwas anderes ist lediglich dann in Betracht zu ziehen, wenn der Kreis der Gläubiger ausnahmsweise sehr überschaubar ist oder einige wenige, in Ansehung des von ihnen vertretenen Forderungsvolumens als besonders bedeutsam anzusehende Gläubiger vorhanden sind588. Die Entscheidung des EuGH im Fall Eurofood bestätigt nunmehr ausdrücklich, dass eine Gehörsverletzung grundsätzlich geeignet ist, die Nichtanerkennung einer Eröffnungsentscheidung auf Art. 26 EuInsVO zu stützen589. Zu den dafür konkret zu verlangenden Voraussetzungen macht das Gericht jedoch nur wenige Ausführungen. Zwar nehme der Grundsatz der Gehörsgewährung aufgrund der herzustellenden „Waffengleichheit“ zwischen den Verfahrensbeteiligten eine „herausragende Stellung“ ein. Jedoch fordert der EuGH einen „offensichtliche[n] Verstoß gegen das Grundrecht auf rechtliches Gehör“590. Damit dehnt er das in Art. 26 EuInsVO niedergelegte Erfordernis der Offensichtlichkeit des Verstoßes gegen die öffentliche Ordnung auf die Gehörsverletzung als solche aus591. Zudem stellt der Gerichtshof in der Entscheidung klar, dass die Reichweite des zu gewährenden Gehörs in Abhängigkeit von den Umständen des Ein586

Geimer, ZIP 2000, 863, 864; zustimmend Matscher, IPRax 2001, 428, 436 (dort in Fn. 61). Zum deutschen Insolvenzrecht vgl. auch Vallender, in: Kölner Schrift zur InsO, S. 256, Rn. 16. 587 So auch Eidenmüller, NJW 2004, 3455, 3457 im Anschluss an AG Mönchengladbach, NZI 2004, 383, 384. Noch weitergehend Puschner, Konkurs und EMRK, S. 27, wonach der antragstellende Gläubiger den Garantien des Art. 6 EMRK im Gegensatz zum Schuldner nicht unterfalle. 588 Vgl. High Court Dublin, ZIP 2004, 1223, 1227; der Vorlagebeschluss des Supreme Court of Ireland in der Sache Parmalat, NZI 2004, 506 ff. nimmt diese Frage nicht mehr auf. 589 EuGH, Rs. C-341/04 (Eurofood), Urteil vom 02.05.2006, Rn. 67. 590 EuGH, Rs. C-341/04 (Eurofood), Urteil vom 02.05.2006, Rn. 67. 591 In der englischen Textfassung ist von „flagrant breach of the fundamental right to be heard“ die Rede.

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zelfalls zu ermitteln sei592. Die Formulierung, eine Ausnahme vom Anerkennungszwang nach Art. 26 EuInsVO sei nicht allein unter Berücksichtigung der Stellung des Prinzips des rechtlichen Gehörs in der Rechtsordnung des Anerkennungsstaates möglich, sie könne vielmehr erst „anhand sämtlicher Umstände“593 erfolgen, zeigt, dass eine Nichtanerkennung stets auch durch die situativen Gegebenheiten gerechtfertigt sein muss. Der Gerichtshof öffnet folglich den Maßstab, der für die Voraussetzungen des Art. 26 EuInsVO maßgeblich ist. Gleichzeitig macht er ihn für normative Gesichtspunkte, die außerhalb des mitgliedstaatlichen Rechts liegen, zugänglich. Aufgrund dieser vielfältigen Einschränkungen wird nach der Entscheidung des EuGH zu berücksichtigen sein, dass in bestimmten Situationen eine Anhörung des Schuldners schon aus praktischen Gründen kaum möglich ist. In diesen Fällen wird, trotz der einschneidenden Bedeutung der öffentlichen Bekanntmachung des Verfügungsverbots und der Verfahrenseröffnung594, eine Gehörsgewährung im weiteren Verfahrensverlauf oder im Rechtsmittelverfahren als ausreichend anzusehen sein595. Das autonome deutsche Insolvenzrecht beschränkt in § 34 Abs. 2 InsO die Berechtigung zu Beschwerden gegen die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens auf den Schuldner. Diese Beschränkung der Gläubigerrechte ist vom Bundesverfassungsgericht auch unter dem Gesichtspunkt des Justizgrundrechts auf Gewährung rechtlichen Gehörs für verfassungskonform befunden worden596. Eine Nichtanerkennung ausländischer Verfahrenseröffnungen durch deutsche Gerichte setzt auch aus diesem Grund die Überwindung hoher Hürden voraus. Außerdem wird man nach den soeben dargestellten, vom EuGH entfalteten Grundsätzen aus dieser Beschränkung aus der Warte anderer Mitgliedstaaten nicht ohne Weiteres einen Anerkennungsverweigerungsgrund erkennen können. Umstritten und Gegenstand des Vorlagebeschlusses des Supreme Court of Ireland597 ist die Frage, inwieweit ein bereits in einem parallelen Eröff592

Der EuGH, Rs. C-341/04 (Eurofood), Urteil vom 02.05.2006, Rn. 66 weist ausdrücklich auf die Eilbedürftigkeit hin. 593 EuGH, Rs. C-341/04 (Eurofood), Urteil vom 02.05.2006, Rn. 68. Diese Passage scheint in der englischen Textfassung auf den ersten Blick Voraussetzungen für das italienische Gericht zu statuieren. Auf dessen Auffassungen kommt es für die Frage der Verweigerung der Anerkennung nach Art. 26 EuInsVO jedoch nicht an. Das Adjektiv „latter“ scheint sich folglich auf das explizit als „Court“ bezeichnete, vorlegende Gericht zu beziehen. 594 So für das internationale Insolvenzrecht auch das Bezirksgericht Zürich, IPRax 2002, 41, 43. 595 So zum autonomen deutschen Insolvenzrecht auch Vallender, in: Kölner Schrift zur InsO, S. 256, Rn. 14. 596 BVerfG, NJW 1990, 1902 (zur Vorgängervorschrift des § 109 KO). 597 Supreme Court of Ireland, NZI 2004, 506 ff.

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nungsverfahren eingesetzter, vorläufiger Insolvenzverwalter vor einer Verfahrenseröffnung durch das Zweitverfahren angehört werden muss. Wäre ein solches Anhörungsrecht mit Stimmen aus Literatur und Rechtsprechung598 zu bejahen, so würde dies erhebliche Auswirkungen auf einen möglichen Eröffnungswettlauf und damit auf die Möglichkeiten eines forum shopping im Wege der Stellung weiterer Insolvenzanträge haben599. Herchen600 lehnt ein Anhörungsrecht vorläufiger Insolvenzverwalter in parallelen Eröffnungsverfahren ab, da Letzterer weder Beteiligter des zweiten Verfahrens sei noch durch seine Nichtanhörung die Rechte und Interessen der Beteiligten beeinträchtigt würden. Die Begutachtungs- und Sicherungsaufgaben könnten nämlich durch einen vorläufigen Verwalter des zweiten Verfahrens genauso gut wahrgenommen werden. Im Hinblick auf Art. 26 EuInsVO fehle es aus den genannten Gründen und auch deshalb, weil eine Verletzung eines Anhörungsrechts immer von der Kenntnis über die Einsetzung eines vorläufigen Verwalters abhinge, jedenfalls an einem „offensichtlichen“ Verstoß. Nachdem Herchen auch die Wirksamkeit vorläufiger Sicherungsmaßnahmen nach dem Prioritätsprinzip beurteilt601, also die Wirksamkeit der vom zunächst eingesetzten vorläufigen Insolvenzverwalter vorgenommenen Handlungen von der Ersteröffnung des jeweiligen Hauptverfahrens abhängig macht, zu der es in der hier behandelten Kon-stellation nicht kommt, scheinen seine Ausführungen über den vorläufigen Verwalter nur konsequent. Es sprechen also gute Gründe dafür, ein Anhörungsrecht eines in einem anderen Insolvenzverfahren bestellten vorläufigen Verwalters abzulehnen, zumal andernfalls schon im Vorfeld der Insolvenz Unterrichtungspflichten zwischen zwei Verfahren bestünden. Dafür setzt die EuInsVO jedoch ausdrücklich voraus (Art. 31), dass bereits eröffnete Haupt- und Sekundärverfahren bestehen602. Auf die zusätzlichen, einzelnen Unterlassungen 603, die der Supreme Court of Ireland über den von ihm vorausgesetzten ordre-public-Verstoß hinaus dargelegt hatte, musste der EuGH aufgrund des im Vorlagebe598

High Court Dublin, ZIP 2004, 1223, 1227; zustimmend unter dem Vorbehalt der Erkennbarkeit durch das Zweitgericht Eidenmüller, NJW 2004, 3455, 3457. 599 Diesen Gesichtspunkt übersieht Carstens, Internationale Zuständigkeit, der im Rahmen seiner Erörterungen der Bedeutung des ordre-public-Vorbehalts für positive Kompetenzkonflikte (S. 94) nicht auf diese Problematik eingeht, sondern sich auf das Recht des Schuldners auf Gehör beschränkt. 600 Herchen, ZIP 2005, 1401, 1404. 601 Herchen, ZInsO 2004, 61, 64. 602 Smid, DZWIR 2005, 64, 66. 603 Vgl. EuGH, Rs. C-341/04 (Eurofood), Urteil vom 02.05.2006, Rn. 66: „Was im Besonderen das Recht auf Übermittlung der Verfahrensunterlagen und allgemeiner, den Anspruch auf rechtliches Gehör betrifft …“. Der EuGH überlässt es stattdessen dem vorlegenden Gericht, festzustellen, ob im konkreten Sachverhalt eine Gehörsverletzung stattgefunden hat (EuGH a.a.O., Rn. 68).

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schluss angenommenen ordre-public-Verstoßes nicht im Einzelnen eingehen. Die Vorlagefrage implizierte nämlich einen Verstoß gegen den mitgliedstaatlichen ordre public bereits604. Konkrete Ausführungen zum Recht auf Gehör eines im Parallelverfahren eingesetzten Insolvenzverwalters fehlen daher605. Es zeigt sich, dass eine Verweigerung der Anerkennung unter Berufung auf den ordre public infolge einer Verletzung rechtlichen Gehörs regelmäßig kein Hindernis einer erfolgreichen Einwirkung auf die internationale Zuständigkeit sein wird. (b) Inanspruchnahme der Eröffnungszuständigkeit trotz Fehlens jeglicher Beziehung zum Schuldner Einen besonderen Bezug zur Frage nach den Grenzen der faktischen Rechtswahlfreiheit hat jedoch ein anderer, in Zusammenhang mit der EuInsVO bislang kaum berücksichtigter Aspekt der Verfahrensgarantien aus Art. 6 EMRK. Bejaht man mit Stimmen in der Literatur eine „menschenrechtliche Relevanz“606 der Gerichtsstände, so ließe sich aus Art. 6 EMRK unter bestimmten Voraussetzungen das Recht des Schuldners ableiten, sich nicht auf einen Gerichtsstand einlassen zu müssen, zu dem er keinerlei Beziehungen hat607. In den Fällen der Ausnutzung der von Art. 16 EuInsVO ausgehenden Sperrwirkung einer Verfahrenseröffnung wäre dann ebenfalls eine Verletzung der Verfahrensgarantien aus Art. 6 EMRK in Betracht zu ziehen – zumal hier nicht einmal ein objektiv gegebener Gerichtsstand in Anspruch genommen wird. Erfolgte die Inanspruchnahme der Eröffnungszuständigkeit (von einem etwaigen Antrag oder Eigenantrag abgesehen) ohne jede tatsächliche Verbindung zum Schuldner, wäre ein ordre-public-Verstoß im Sinne des Art. 26 EuInsVO denkbar.

604

In der Vorlagefrage heißt es u.a. „… wenn es offensichtlich gegen seine [gemeint ist diejenige des betroffenen Anerkennungsstaates] öffentliche Ordnung verstößt …“. 605 Der EuGH, Rs. C-341/04 (Eurofood), Urteil vom 02.05.2006, Rn. 68, überlässt es stattdessen dem vorlegenden Gericht, festzustellen, ob im konkreten Sachverhalt eine Gehörsverletzung stattgefunden hat. 606 Zur Auseinandersetzung um die Bedeutung des Gerichtsstands in Verbindung mit den Verfahrensgarantien der EMRK vgl. Heß, FS Jayme (2004), 339, 346 m.w.N. 607 Diese Frage wird zurzeit insbesondere im Zusammenhang mit der Zuständigkeit nach Art. 6 Nr. 1 EuGVVO diskutiert. Vgl. Heß, FS Jayme (2004), 339, 347 f., der auf die zwischenzeitlich beim EGMR anhängige Sache Canada Trust Co. v. Stolzenberg eingeht, bei der US amerikanische Kläger motiviert durch die weitreichenden Befugnisse der englischen Gerichte unter Ausnutzung der Regelung des Art. 6 Nr. 1 EuGVVO in England als Streitgenossen auch Personen verklagte, die genauso wie auch der Streitgegenstand keinerlei Bezug zu englischen Gerichtsbarkeit hatten.

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Soweit ersichtlich, ist es in der bisherigen Rechtspraxis unter der EuInsVO noch zu keiner Verfahrenseröffnung gekommen, bei der zwischen dem Schuldner und dem späteren Forum des Hauptverfahrens nicht zumindest irgendwie geartete tatsächliche Beziehungen bestanden hätten, die – obwohl vielfach ausgesprochen schwach – zu Begründung der Belegenheit des COMI herangezogen wurden. Falls eine Pflicht zur amtswegigen Prüfung der Zuständigkeit nach Art. 3 Abs. 1 EuInsVO besteht, ist mit einer Verfahrenseröffnung an Orten, zu denen der Schuldner keinerlei Beziehungen hat, kaum zu rechnen. Selbst wenn es infolge massiven Einwirkens auf die Eröffnungszuständigkeit und ihre Wahrnehmung zur Verfahrenseröffnung in einem Forum kommen sollte, zu dem keinerlei Verbindung des Schuldners besteht, würde ein Verstoß gegen Art. 6 EMRK unter dem hier infrage stehenden Gesichtspunkt eines „offensichtlichen Verstoßes“ gegen den ordre public lediglich dann in Betracht kommen, wenn dadurch eine effektive Geltendmachung der Verfahrensrechte durch den Schuldner ausgeschlossen wäre608. Dies ist nicht bereits etwa deshalb zu bejahen, weil das Verfahren in einem objektiv unzuständigen Forum für den Schuldner nur mit einem erhöhten Aufwand betrieben werden kann. Vielmehr müsste sich die Durchführung des Verfahrens in dem objektiv unzuständigen Forum als schlechterdings unerträglich erweisen609. Auch die Ausführungen des EuGH, der sich etwa im Zusammenhang mit den Fällen des sog. „prozessualen Torpedos“610 mit der Ausnutzung von Zuständigkeits- und Anerkennungsregeln des europäischen Zivilprozessrechts auseinanderzusetzen hatte, lassen vermuten, dass dieser in der hier beschrieben Fällen keinen die Verweigerung der Anerkennung erlaubenden ordre-public-Verstoß annehmen wird. In den sog. Torpedo-Fällen blockiert ein Schuldner durch Erhebung einer (unbegründeten) negativen Feststellungsklage in einem international unzuständigen, sehr langsamen Forum über Art. 27 EuGVVO/Art. 21 EuGVÜ spätere Leistungsklagen des Schuldners europaweit. Die damit einhergehende, sehr weitreichende praktische Erschwerung einer effektiven Rechtsverfolgung hält der EuGH für nicht beachtlich; er verweist vielmehr auf eine von ihm gleichsam axiomatisch vorausgesetzte Gleichwertigkeit der Justiz der Mitgliedstaaten611. Angesichts dieser hohen Hürden für eine Annahme der Verletzung von Art. 6 EMRK ist die praktische Relevanz dieser Fallgruppe gering; einzig in extrem gelagerten Ausnahmefällen kann sie die Verweigerung der Anerkennung begründen. Die Konsequenzen einer 608

Heß, FS Jayme (2004), 339, 347 ff. Heß, FS Jayme (2004), 339, 348. 610 Allgemein zur „Torpedo“-Problematik vgl. Mankowski, RIW 2004, 481, 496 f. 611 EuGH, Rs. C-116/02, RIW 2004, 289, 292 (Rn. 72). Sehr kritisch Mankowski, RIW 2004, 481, 496 f. 609

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Nichtanerkennung könnten in diesen Fällen allerdings enorm sein, da es dann stärker als in den zuvor geschilderten Fallgruppen von der Anerkennung abhinge, ob das Verfahren überhaupt wesentliche Vermögenswerte des Schuldners erfasst. (3) Ordre-public-Verstoß infolge „Rechtsgefälles“ zwischen den Mitgliedstaaten Eine Durchbrechung der Wirkungserstreckung nach Art. 26 EuInsVO kommt schließlich infolge der materiell-rechtlichen Unterschiede zwischen der gem. Art. 4 EuInsVO zur Anwendung kommenden lex fori des Eröffnungsstaates und der Regelungen, insbesondere des autonomen Insolvenzrechts, des Anerkennungsstaates infrage. In Abgrenzung zu den vorstehend diskutierten, verfahrensrechtlichen Fragen ließe sich auch von einem „materiell-rechtlichen“ ordre-public-Vorbehalt sprechen612. Für die Frage nach den Grenzen der Rechtswahlfreiheit kommt der Behandlung eines etwaigen „Rechtsgefälles“613 eine besondere Rolle zu, da gerade in der Ausnutzung der materiell- und verfahrensrechtlichen Unterschiede ein großer Anreiz für die Einwirkung der Verfahrensbeteiligten auf die Eröffnungszuständigkeit bestehen kann614. Die möglichen Anerkennungshindernisse im Einzelnen aufzuzeigen, kann angesichts der Vielzahl der denkbaren Konstellationen nicht Aufgabe dieser Bearbeitung sein; bei der Anzahl von Staaten, in denen die EuInsVO Anwendung findet, ergäben sich insgesamt mehrere hundert zu untersuchende Paarungen von Eröffnungs- und Anerkennungsstaaten. Die folgenden Ausführungen werden sich daher auf grundlegende Befunde zur Nichtanerkennung infolge von Unterschieden des autonomen Insolvenzrechts beschränken. Bereits aus Zweck und Grundstruktur der EuInsVO ergibt sich, dass die Unterschiede, die zwischen dem Insolvenzrecht der einzelnen Mitgliedstaaten bestehen, prinzipiell nicht zu einer Verweigerung der Anerkennung berechtigen. Die zwischen den nationalen Rechtsordungen bestehenden Unterschiede waren dem europäischen Gesetzgeber bei Einführung des Prioritätsprinzips bekannt. Die in Art. 16, 17 EuInsVO zum Ausdruck kommende Grundwertung, dass die Wirkungen der lex fori concursus in den durch die Art. 5 ff. EuInsVO normierten Grenzen anzuerkennen sind, darf nicht durch eine großzügige Handhabung des Anerkennungsvorbehalts

612

So differenziert etwa MünchKomm InsO (1. Auflage)/Reinhart, Art. 102 EGInsO, Rn. 309. 613 Koch, FS Jayme (2004), 437, 442. 614 Eingehend zu der aus den Regelungen der EuInsVO resultierenden Anreizstruktur vgl. unten, S. 237 ff.

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ausgehöhlt werden615. Anderenfalls würde verkannt, dass der Verordnung die Vorstellung der prinzipiellen Gleichwertigkeit zugrunde liegt, die eine Gleichartigkeit nicht voraussetzt. Wie dargelegt, erfordert ein offensichtlicher Verstoß i.S. von Art. 26 EuInsVO, dass sich die einfachgesetzliche Vorschrift, die nach dem Recht des Anerkennungsstaates eine abweichende Regelung trifft, als Ausformung elementarer Rechtsgrundsätze darstellt. Hier besteht im Einzelnen freilich Interpretationsspielraum. Die damit verbleibenden Unsicherheiten stellen sich aus der Perspektive potenzieller Rechtswähler als Risiko für den Erfolg insbesondere des durch Ausnutzung der rechtlichen Unterschiede zwischen den Mitgliedstaaten motivierten forum shopping dar. Im Zusammenhang mit der Frage, inwieweit das Anerkennen-Müssen bestimmter insolvenzrechtlicher Regelungen des Eröffnungsstaates einen Verstoß gegen den ordre public des Anerkennungsstaates begründet, ist jedoch zu berücksichtigen, dass die Verordnung ihrer Konzeption nach den zwischen den Mitgliedstaaten bestehenden Unterschieden bereits durch die Ausstattung des universalistischen Systems mit territorialen Durchbrechungen Rechnung trägt. Der Schutz inländischer Interessen durch eine Berücksichtigung der Besonderheiten der einzelstaatlichen Insolvenzrechtsordnungen, speziell der jeweiligen Sicherheitsrechte, soll durch das Nebeneinander von Haupt- und Sekundärverfahren sichergestellt werden616. In Anbetracht dieses Ausgleichsmechanismus kann eine Verweigerung der Anerkennung des Hauptverfahrens nach Art. 26 EuInsVO gerade nicht ohne Weiteres auf materiell- oder verfahrensrechtliche Unterschiede gestützt werden, die im Wege eines territorial beschränkten Sekundärverfahrens vermieden werden können617. Allein der Umstand, dass die Voraussetzungen und Rechtsfolgen einzelner Institute des Insolvenzrechts, wie etwa die Restschuldbefreiung, unterschiedlich ausgestaltet sind618, vermag als solcher daher genauso wenig zur Verweigerung der Anerkennung berechtigen wie der Umstand, dass

615 So auch Duursma-Kepplinger, in: Duursma-Kepplinger/Duursma/Chalupsky, EuInsVO, Art. 26, Rn. 11 f. 616 Virgós/Schmit, Bericht, Nr. 12. 617 Insoweit vermögen auch die Ausführungen des High Court of Justice Birmingham in seinem Klarstellungsbeschluss (supplemental order) in der Sache MG Rover, NZI 2005, 515, 516 (Nr. 11) nicht zu überzeugen. Das Gericht befürchtet eine Nichtanerkennung infolge möglicher Rangunterschiede der Lohn- und Gehaltsforderungen im Vergleich zum englischen Recht. Wie das Gericht jedoch in seinen übrigen Ausführungen (insb. Nr. 9 f.) verdeutlicht, würde sich ein evtl. Vorrang der Forderungen im Wege der Durchführung eines Sekundärverfahrens durchsetzen lassen. Vgl. auch MünchKomm InsO (1. Auflage)/Reinhart, Art. 102 EGInsO, Rn. 321 a.E. 618 Zutreffend Koch, FS Jayme (2004), 437, 443.

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bestimmten ungesicherten Gläubigern619 (insbesondere Arbeitnehmern620) im Anerkennungsstaat ein anderer Rang zugewiesen wird als im Eröffnungsstaat621. Dasselbe gilt für die Tatsache, dass im Anerkennungsstaat aufgrund höherer Verfahrenseffizienz insgesamt eine höhere Befriedigungsquote hätte erzielt werden können. Selbst eine Schlechterstellung dinglich gesicherter Gläubiger wird in den wenigsten Fällen dazu führen, dass Art. 26 EuInsVO eingreift, zumal sich dieses Problem in Anbetracht der Ausnahmeregelung des Art. 5 EuInsVO bei nicht im Eröffnungsstaat belegenen Sicherheiten häufig nicht stellt622: Liegt die Kreditsicherheit im Eröffnungsstaat, so könnte es bereits an einer hinreichenden Inlandsbeziehung fehlen623. Kommt am Belegenheitsort ein Sekundärverfahren in Betracht, greifen darüber hinaus oben genannte Überlegungen ein. Ist beides nicht der Fall, und unterfällt die Sicherheit somit dem Insolvenzrecht des Eröffnungsstaats, so stellt sich die Frage, inwieweit die Stellung, welche die Sicherheit nach nationalem Recht einnimmt, durch elementare Rechtsgrundsätze geschützt wird. In Deutschland würde damit die Frage nach dem Schutzbereich von Art. 14 GG aufgeworfen624. Auch Grundprinzipien des Insolvenzrechts wie etwa die deutsche Verfahrensmaxime der Gläubigerselbstverwaltung genießen keinesfalls notwendig Verfassungsrang. Ein weitgehender Ausschluss der Gläubigerautonomie, wie ihn z. B. das italienische und das französische Insolvenzrecht in bestimmten Verfahren vorsehen, verstößt ebenfalls nicht gegen den Grundsatz rechtlichen Gehörs. Denn Letzterer umfasst, wie dargelegt, nicht die Garantie einer bestimmten Verfahrensart oder Form des rechtlichen Gehörs. Auch die Anerkennung sog. industriepolitischer Verfahren, die in erster Linie der Erhaltung des Unternehmens dienen und die Gläubigerinteressen diesem Ziel unterordnen, verstößt mithin nicht gegen den ordre public625. 619

So auch MünchKomm InsO (1. Auflage)/Reinhart, Art. 102 EGInsO, Rn. 317, 320. Art. 10 EuInsVO findet auf Lohn- und Gehaltsforderungen keine Anwendung. Deren Rang bestimmt sich allein nach der jeweiligen lex fori concursus. (Vgl. nur Virgós/ Schmit, Bericht, Nr. 128). 621 Man denke in diesem Zusammenhang nur an den durch § 39 InsO angeordneten Nachrang der Gesellschafterdarlehensforderungen und die damit einhergehenden verschärften Anfechtungsregeln des § 135 InsO. 622 Näheres zur Bedeutung des Art. 5 EuInsVO in Zusammenhang mit Fragen der Rechtswahl unten, S. 214 ff. 623 MünchKomm InsO (1. Auflage)/Reinhart, Art. 102 EGInsO, Rn. 321. 624 Vgl. MünchKomm InsO (1. Auflage)/Reinhart, Art. 102 EGInsO, Rn. 320. 625 Vgl. MünchKomm InsO (1. Auflage)/Reinhart, Art. 102 EGInsO, Rn. 319. Als ein solches industriepolitisches Verfahren ließe sich die Durchführung der italienischen amministratione straordinaria begreifen. Für den infolge der Gesetzgebungshistorie (vgl. dazu oben, Fn. 119) gegebenen Fall einer nachträglichen, nach Erlass der EuInsVO erfolgten Gesetzesänderung ließe sich jedoch überlegen, ob es sich angesichts der weitrei620

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Das Rechtsgefälle zwischen den nationalen (Insolvenz-)Rechtsordnungen wird nach alledem nur in äußerst seltenen Fällen einen ordre-publicVerstoß der Anerkennung begründen können626. (4) Täuschung über Tatsachen Als praktisch fruchtbar zu machender Ausgangspunkt einer Anerkennungsverweigerung dürfte sich auch die Fallgruppe der Täuschung nicht erweisen. Diese war im Fall Hans Brochier Gegenstand der Entscheidung des AG Nürnberg627. Richtigerweise ist der vom AG Nürnberg aufgestellte zweite Leitsatz so zu verstehen, dass eine auf vorsätzlicher Täuschung beruhende Verfahrenseröffnung zur Verweigerung der Verfahrensanerkennung berechtigt, soweit von einem Geschäftsführer arglistig über zuständigkeitsrelevante Tatsachen getäuscht wird. Die Entscheidung ist insoweit missverständlich, als es, anders als der zweite Leitsatz und die Entscheidungsgründe suggerieren, Angaben zur Lage des COMI als solche nicht gibt. Dessen Ermittlung, jedenfalls aber die Bestätigung seiner Belegenheit, ist als Rechtsfrage nämlich Aufgabe des Gerichts. Auch ist zu berücksichtigen, dass eine Sanktion von bloßen Falschangaben, wenn sie nicht absichtlich erfolgen, nicht zu einer Anwendung von Art. 26 EuInsVO führen darf. Zu Falschangaben kann es in jedem Verfahren kommen, insbesondere wenn der Antragsteller als Gläubiger nicht so vertraut mit den tatsächlichen Gegebenheiten des Schuldners ist, wie es die Geschäftsführer im Falle Hans Brochier hätten sein müssen. Für Durchbrechungen des Anerkennungszwangs infolge Täuschung müssen daher hohe Hürden gelten. Andernfalls würde Art. 26 EuInsVO zum Einfallstor für grenzüberschreitende Sachverhaltsüberprüfungen. Mit den Prinzipien der Verordnung wäre dies nicht zu vereinbaren. (5) Zusammenfassung Sofern die Gerichte die zur Wahrung der elementaren Anhörungs- und Beteiligungsrechte der Verfahrensbeteiligten erforderlichen Verfahrensschritchenden Modifikationen bei dem Verfahren überhaupt noch um das in Anhang A der EuInsVO genannte Verfahren, hier also die dort benannte amministratione straordinaria, handelt. Diese Frage ist bislang nicht aufgeworfen worden. Wäre sie zu verneinen, so dürfte aufgrund der Ausschließlichkeit der Aufzählung der Verfahren (vgl. Virgós/ Schmit, Bericht, Nr. 63) keine Anerkennung nach Art. 16 f. EuInsVO stattfinden, bis im Verfahren nach Art. 45 der Anhang geändert worden ist. 626 Zweifelhaft daher die Auffassung des AG Nürnberg, NZI 2007, 185, 186, bereits die Stellung des Insolvenzverwalters könne, wenn dieser anders als im deutschen Recht nicht unabhängig sei (wobei sich bereits diese Prämisse kritisch hinterfragen ließe), einen für Art. 26 EuInsVO relevanten Verstoß begründen. 627 Vgl. AG Nürnberg, NZI 2007, 185, 186.

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te unternehmen, ist im ordre-public-Vorbehalt des Art. 26 EuInsVO regelmäßig kein maßgebliches Hindernis für ein forum shopping unter der EuInsVO zu erblicken. Auf das verbleibende Risiko, dass die Anerkennung der Verfahrenseröffnung dennoch in Ausnahmefällen unter den Vorbehalt des Art. 26 EuInsVO fällt, haben Gläubiger und Schuldner naturgemäß nur eingeschränkt Einfluss. Am schwersten wiegt in der Praxis wohl die Gefahr, dass sich ein für das konkrete Verfahren bedeutsamer Mitgliedstaat (z. B. der Staat, in dem sich der Großteil des Schuldnervermögens befindet) ungerechtfertigt auf Art. 26 EuInsVO beruft. Obwohl sich die öffentliche Ordnung weitgehend aus dem einzelstaatlichen Recht ableitet, wacht der EuGH über die Grenzen des anerkennungsrechtlichen ordre public628. Bleiben in einer solchen Situation nationale Rechtsmittel des betreffenden Anerkennungsstaates erfolglos, so kommt ein Vorlageverfahren nach Art. 267 AEUV in Betracht. Auch nach Wegfall der Einschränkungen des Art. 68 EGV ist jedoch fraglich, ob dies einen Behelf von praktischem Wert darstellt629. Auch ein Vertragsverletzungsverfahren nach Art. 258 f. AEUV, das gegen den sich unrechtmäßig verhaltenden Staat eingeleitet werden könnte630, wäre für das jeweilige Insolvenzverfahren wenig erfolgversprechend. d. Grenzen durch den erforderlichen Aufwand Bei einer Rechtswahl durch rechtswidrige Inanspruchnahme des COMI, also ohne Veränderungen der zuständigkeitsbegründenden Umstände, sind – ähnlich wie bei einer Ausnutzung der Unbestimmtheit von Art. 3 Abs. 1 S. 1 EuInsVO – vor allem Gutachter- und weitere Rechtsberatungs- sowie Rechtsverfolgungskosten aufzubringen. Diese können von den Verfahrensbeteiligten, insbesondere Großgläubigern, häufig ohne Weiteres aufgebracht werden. Die Rechtswirklichkeit hat allerdings gezeigt, dass aufgrund der im Wettstreit zwischen Schuldner und Gläubiger oder unter Gläubigern kontroversen Interessenlage in Einzelfällen ein erheblicher Beratungsaufwand entstehen kann631. Beraten werden bei drohender Insolvenz nicht nur Gläu628

Vgl. oben, Fn. 481. Taylor, der schon unter der alten Rechtslage bei Bestehen des EGV einen „short cut“ zum EuGH forderte, zit. nach Leithaus, NZI 2004, 194, 195. 630 Duursma-Kepplinger, in: Duursma-Kepplinger/Duursma/Chalupsky, EuInsVO, Art. 26, Rn. 11 (dort insb. Fn. 42). 631 Genannt seien nur die 40 Millionen Euro, die im Fall Schefenacker an Beratungshonoraren angefallen sind, vgl. Handelsblatt vom 03.05.2007 „Schefenacker trickst Insolvenzrecht aus“, abzurufen im Internet unter . In anderen dem Autor bekannten Fällen beliefen sich die Beraterhonorare ebenfalls auf mittlere zweistellige Millionenbeträge. 629

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biger und Schuldner, sondern auch Gesellschafter und das Management sowie ggf. nachrangige Gläubiger. Sie alle haben oft eigene Berater632. Letzteres trifft besonders auf verstärkt insolvenzanfällige, oft einen hohen Verschuldungsgrad aufweisende Unternehmen zu633. Hinzu kommt, dass für die Gläubiger vielfach kein Anreiz besteht, die anfallenden Beraterkosten von Anwälten und Investmentbankern gering zu halten. Standardmäßige Kreditdokumentationen, etwa nach den im Markt sehr weit verbreiteten Mustern der Loan Market Association634, enthalten regelmäßig eine Kostentragungspflicht des Schuldners hinsichtlich aller bei den Gläubigern infolge der Verletzung von Bestimmungen des Kreditdokumentation anfallenden Kosten. Dies führt dazu, dass aufseiten der Gläubiger im Anwendungbereich dieser häufig ausgesprochen weit gefassten und angewendeten Erstattungsregeln vielfach gar kein Hindernis darstellt. Auch die Gefahr einer etwaigen Masseschmälerung wird den Aufwand vielfach in den Augen der Gläubiger nicht prohibitv hoch ansehen lassen, da diese Kostentragung über den Schuldner hinaus vielfach auch Dritte (sog. guarantors) mit einschließt, also auf das Haftungssubstrat Dritter zugegriffen werden kann. An dieser Stelle zeigt sich, dass das Argument, Einwirkungen auf die Zuständigkeit unter Anerkennungstatbestands des Art. 16 gingen regelmäßig mit einem hohen finanziellen Aufwand einher, sodass ein forum shopping wirksam verhindert werde, in vielen Fallkonstellationen nicht greift. e. Beschränkung der infolge faktischen Prioritätsprinzips bestehenden Wahlfreiheit durch mitgliedstaatliche und gemeinschaftsrechtliche Rechtsbehelfe Es hat sich gezeigt, dass die Anerkennungsregeln der EuInsVO zunächst auch eine Verfahrenseröffnung in einem Forum ermöglichen, in welchem die Voraussetzungen des Art. 3 Abs. 1 EuInsVO nur mit großen Zweifeln bejaht werden können oder sogar nicht gegeben sind. Daher ist die Frage von Interesse, inwieweit sich ein solches Vorgehen mit Rechtsbehelfen des autonomen Verfahrensrechts oder des Gemeinschaftsrechts angreifen lässt. Soweit sich die kompetenzwidrige Inanspruchnahme der Eröffnungszuständigkeit – die für die folgenden Überlegungen trotz Pflicht zur amtswegigen Prüfung vorausgesetzt werden soll – mit einfachen Gegenmaßnahmen vereiteln ließe, würde dies die Tauglichkeit der Vorgehensweise be-

632

Siehe nur die Darstellung in der Studie „European Debt Advisory Mandates“ des Branchendienstes Debtwire, abzurufen im Internet unter . 633 Ein verbreitetes Beispiel sind Unternehmen, die Private-Equity-Beteiligungsunternehmen gehören. 634 .

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treffen und damit eine Grenze der Rechtswahl durch Ausnutzung des Mechanismus der automatischen Anerkennung darstellen635. (1) Angreifen kompetenzwidriger Eröffnungsentscheidungen mit Rechtsbehelfen des autonomen Rechts Die einzige Möglichkeit, unmittelbar gegen eine kompetenzwidrige Entscheidung vorzugehen, besteht in der Wahrnehmung der durch das Verfahrensrecht des Eröffnungsstaates vorgegebenen Rechtsbehelfe636. Lässt sich mit Rechtsbehelfen des Eröffnungsstaates die Aufhebung des Eröffnungsbeschlusses erreichen637, so endet zwangsläufig die Anerkennungspflicht der übrigen Mitgliedstaaten; es besteht dann die Möglichkeit der Verfahrenseröffnung im zuständigen Forum638. In diesem Falle hätte sich das Betreiben der Verfahrenseröffnung nicht als probates Mittel zur Rechtswahl erwiesen. Problematisch ist, dass es einigen Verfahrensbeteiligten bereits an der zur Ergreifung des jeweiligen Rechtsbehelfs im mitgliedstaatlichen Instanzenzug erforderlichen Aktivlegitimation – diese richtet sich gemäß Art. 4 EuInsVO ebenfalls nach der lex fori concursus – mangelt. So beschränkt etwa die schon angesprochene deutsche Vorschrift des § 34 Abs. 2 InsO die Möglichkeiten, gegen eine kompetenzwidrige Eröffnungsentscheidung vorzugehen, ganz erheblich. Die hieraus resultierenden Einschränlungen werden auch durch die in Art. 102 § 3 EGInsO enthaltenen Beschwerdeberechtigungen nicht vollständig kompensiert639. Andere Mitgliedstaaten kennen ähnliche Beschränkungen640. In der Literatur wird daher bereits gefordert, zur Ergreifung des statthaften Rechtsbehelfs sollten alle diejenigen Personen befugt sein, deren rechtliche Inte635 Eine andere Maßnahme, die Verfahrensbeteiligte ergreifen könnten und die Einfluss auf die Tragweite einer Rechtswahl hat, ist die Eröffnung eines Sekundärverfahrens. Sie betrifft indes in erster Linie die Reichweite der Einwirkungen und wird daher nachfolgend, S. 221 ff., behandelt. 636 So schon Virgós/Schmit, Bericht, Nr. 202 (unter Nr. 2 a.E.); vgl. außerdem EuGH, Rs. C-341/04 (Eurofood), Urteil vom 02.05.2006, Rn. 44; Weller, IPRax 2004, 412, 417; Duursma/Duursma-Kepplinger, DZWIR 2003, 447, 450 f.; Paulus, ZIP 2003, 1725, 1729; Liersch, NZI 2004, 271, 272. 637 Vgl. zu einer solchen Verfahrenseröffnung wegen Unzuständigkeit die Entscheidung des High Court of Justice London NZI 2007, 187, der im Fall Hans Brochier eine Verfahrenseröffnung und die Bestellung eines Administrators wegen Belegenheit des COMI in Deutschland für unwirksam erklärte. 638 Moss/Fletcher/Isaacs, Rz. 8.143. 639 Eingehend zu diesen Reinhart, NZI 2009, 73 ff., der sich für die Notwendigkeit einer extensiven Auslegung ausspricht. 640 Zu den Besonderheiten der Antragsbefugnis im englischen Recht vgl. Carstens, Internationale Zuständigkeit, S. 98.

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ressen durch die Verfahrenseröffnung tangiert sind641. Dabei handelt es sich allerdings bei genauer Betrachtung zumindest in Ansehung des deutschen Rechts um ein rechtspolitisches Desiderat. Zwar liegt der Beschränkung der Beschwerdeberichtigung auf den Schuldner die Annahme zugrunde, die Verfahrenseröffnung diene stets den Belangen der Gläubigergemeinschaft642. Diese Annahme hält – wie bereits für die entsprechende Vorschrift der KO zutreffend hervorgehoben wird643 – einer kritischen Überprüfung nicht in jedem Falle stand644. Einen Ausnahmefall stellt diesbezüglich gerade die Konstellation der fehlenden örtlichen Zuständigkeit des eröffnenden Gerichts dar645. Dennoch hält das BVerfG die von der Regelung ausgehenden Beschränkungen für verfassungsgemäß646. Anhaltspunkte dafür, dass diese Bewertung für den Fall einer internationalen Einbettung dieser Beschränkung keinen Bestand haben würde, bestehen nicht. Ferner ist nicht zu erkennen, dass die EuInsVO hinsichtlich der prozessualen Voraussetzungen eines Vorgehens gegen eine kompetenzwidrige Verfahrenseröffnung eigene Anordnungen i.S. einer abweichenden Regelung trifft, auf die sich die Gläubiger aufgrund des Anwendungsvorrangs des Gemeinschaftsrechts berufen könnten. Folglich kann es für ein Vorgehen gegen kompetenzwidrige Eröffnungsbeschlüsse bereits an der Beschwerdebefugnis fehlen. Darüber hinaus wird zu Recht darauf hingewiesen, dass die Erhebung eines Rechtsbehelfs vielfach schon mangels Kenntnis des potenziellen Beschwerdeführers nicht unter Wahrung eventueller Fristen erfolgen kann, da die öffentliche Bekanntmachung über den Eröffnungsstaat hinaus vom Erlass entsprechender Bestimmungen nach Art. 21 Abs. 2, 22 Abs. 2 EuInsVO oder einem entsprechenden Antrag des Verwalters (Art. 21 Abs. 1, 22 Abs. 1 EuInsVO) abhängig ist647. Gerade der Verwalter unterliegt jedoch Anreizen, die ihn von einer solchen Antragstellung abhalten können, da die frühe Kenntnis Rechtsbehelfsberechtigter von der Verfahrenseröffnung im unzuständigen Forum letztlich dazu führen könnte, dass er infolge erfolgreicher Erhebung eines Rechtsbehelfs seine Verwalterstellung einbüßt648. Insgesamt ist also festzustellen, dass bereits die verfahrensrechtlichen Vor641

So Duursma/Duursma-Kepplinger, DZWIR 2003, 447, 450. Motive zur KO II, S. 334. 643 Jaeger/Weber, KO, § 109, Rn. 1. 644 So etwa Jaeger/Schilken, InsO, § 34, Rn. 19; krit. auch Häsemeyer, Insolvenzrecht, Rn. 29.16. 645 Jaeger/Schilken, InsO, § 34, Rn. 19. 646 BVerfG, NJW 1990, 1902 (zur Vorgängervorschrift des § 109 KO). 647 Vgl. Paulus, ZIP 2003, 1725, 1729 (in Fn. 26); Duursma/Duursma-Kepplinger, DZWIR 2003, 447, 450 f. 648 Zu den Anreizen, die vom Status quo für Insolvenzverwalter ausgehen, siehe unten, S. 246 ff. 642

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aussetzungen im Bereich der Zulässigkeit der Rechtsbehelfe einem effektiven Vorgehen gegen eine kompetenzwidrige Verfahrenseröffnung weitgehend entgegenstehen. Schließlich ist nochmals auf den ersten Faktor, der eine Einflussnahme auf den Ort der Verfahrenseröffnung begünstigt, hinzuweisen: die Unbestimmtheit des Tatbestands des Art. 3 Abs. 1 EuInsVO. Das eröffnende Gericht wird, wie es etwa das irische und das italienische Gericht im Fall Parmalat und auch sonst alle Gerichte, die parallele Hauptverfahren eröffnet haben, getan haben, die Eröffnungszuständigkeit für sich reklamieren. Dabei wird das Gericht dann auf ein Verständnis der Tatbestandsvoraussetzungen von Art. 3 Abs. 1 EuInsVO zurückgreifen, das in Ansehung des Sachverhalts eine Eröffnungskompetenz begründet. Im nationalen Instanzenzug geht es also vor allem um Streitfragen über die Auslegung des Gemeinschaftsrechts, die vielfach (freilich gemeinschaftsrechtswidrig) schon jetzt durch Rückgriff auf Rechtstraditionen und Begrifflichkeiten des autonomen Rechts erfolgt649. Schließen sich die Instanzgerichte der Einschätzung des Insolvenzgerichts und einem ggf. von diesem zum Verständnis von Art. 3 Abs. 1 EuInsVO entwickelten theoretischen Überbau an, weil auch sie einer unzutreffenden Vorstellung der Auslegung von Art. 3 Abs. 1 EuInsVO unterliegen, so wird der Rechtsbehelfsführer keinen Erfolg haben. Die Gerichte werden dann auch keinen Anlass sehen, ein Vorabentscheidungsverfahren nach Art. 267 AEUV einzuleiten (vgl. Art. 267 Abs. 2 AEUV). Ist sich auch das letztinstanzliche mitgliedstaatliche Gericht dabei seiner Sache sicher oder nimmt es an, dass (beispielsweise in Gestalt der Entscheidung in der Rechtssache Eurofood) eine gesicherte Rechtsprechung zu der Frage durch den EuGH bereits besteht, so wird es auch keinen Anlass sehen, nach Art. 267 Abs. 3 AEUV eine Vorlagepflicht anzunehmen und ein Vorlageverfahren beim EuGH zu initiieren. Die Unbestimmtheit des Art. 3 Abs. 1 EuInsVO und der damit korrespondierende weite Interpretationsspielraum fördern folglich nicht nur objektiv kompetenzwidrige Verfahrenseröffnungen, sondern sie erschweren zugleich die Geltendmachung der fehlenden Zuständigkeit. Ein Angreifen kompetenzwidriger Verfahrenseröffnungen mit Rechtsbehelfen des Eröffnungsstaates wäre darüber hinaus ausgeschlossen, falls mit Rechtskraft des Eröffnungsbeschlusses eine Heilung des Zuständigkeitsmangels eintritt. Die höchstrichterliche deutsche Rechtsprechung bejaht eine solche Heilung650. Jedoch ist die Frage nach dem Ob einer Heilung nicht nach autonomem Verfahrensrecht zu beurteilen, da insoweit 649

Vgl. nur Tribunale di Parma, ZIP 2004, 2295, 2297; auf die auch durch das italienische Gesellschaftsrecht beherrschte Perspektive des Gerichts weisen Bauer/Schlegel, EWiR 2004, 1181, 1182 hin. 650 BGHZ 113, 216, 218; BGH NJW 1998, 1318.

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keine Öffnung der gemeinschaftsrechtlichen Zuständigkeitsordnung erkennbar ist und der zur Verwirklichung des Integrationszwecks der Verordnung erforderliche „gemeinschaftsweite Gleichklang“651 in der Bestimmung der internationalen Zuständigkeit durchbrochen würde652. Für eine Heilung mit Rechtskraft des Eröffnungsbeschlusses sprechen gewichtige Argumente. Zum einen kann nicht sein, dass mit mitgliedstaatlichen Rechtsbehelfen eine uneingeschränkte Angreifbarkeit des kompetenzwidrigen Eröffnungsbeschlusses besteht und damit innerstaatlich ein Zustand geschaffen wird, der zwischenstaatlich gerade mit dem Zwang zur Anerkennung nicht bestehen soll653. Die mit dem Grundsatz des gemeinschaftlichen Vertrauens verfolgten Ziele würden so durch Anerkennung „nationalen Misstrauens“ ad absurdum geführt. Darüber hinaus würden eine unbeschränkte Möglichkeit der Geltendmachung der Unzuständigkeit und eine darauffolgende Einstellung des Hauptverfahrens zu kaum lösbaren Folgeproblemen führen, da die vielfältigen Beziehungen, die durch das Insolvenzverfahren entstanden sind, rückgängig zu machen wären654. Es muss daher eine Heilung kompetenzwidriger Verfahrenseröffnungen stattfinden655. (2) Vorlageverfahren nach Art. 267 AEUV Wie bereits gezeigt, kommt dem Vorlageverfahren nach Art. 267 AEUV für das einheitliche Verständnis der Regelungen der EuInsVO eine besondere Bedeutung zu. Darauf weisen bereits die Materialien zum EuInsÜ hin656. Als praktisch relevante Grenze einer Rechtswahl unter Ausnutzung der Anerkennungsregeln dürfte sich das Verfahren jedoch aus den schon im Zusammenhang mit der Darstellung der Entscheidung im Fall Eurofood genannten Gründen nicht erweisen. Zudem scheidet eine direkte Anrufung des EuGH zur Klärung auftretender Konflikte aus657. Auch nach Wegfall 651 Duursma-Kepplinger, in: Duursma-Kepplinger/Duursma/Chalupsky, EuInsVO, Art. 3, Rn. 45. 652 Vgl. zum Verhältnis von Zuständigkeitsvorschriften der EuInsVO und solchen des nationalen Verfahrensrechts S. 98 ff. Zum Integrationszweck vgl. Virgós/Schmit, Bericht, Nr. 7. 653 So auch Duursma-Kepplinger, in: Duursma-Kepplinger/Duursma/Chalupsky, EuInsVO, Art. 3, Rn. 45 f. 654 Zu den Einzelheiten vgl. Duursma-Kepplinger, in: Duursma-Kepplinger/Duursma/ Chalupsky, EuInsVO, Art. 3, Rn. 46 (dort insb. Fn. 104). 655 So auch Duursma-Kepplinger, in: Duursma-Kepplinger/Duursma/Chalupsky, EuInsVO, Art. 3, Rn. 46; Geimer, IZPR, Rn. 3471; Trunk, Internationales Insolvenzrecht, S. 97; Herchen, EuInsÜ, S. 40, 43. 656 Vgl. Virgós/Schmit, Bericht, Nr. 202. 657 Zutreffend Duursma-Kepplinger, in: Duursma-Kepplinger/Duursma/Chalupsky, EuInsVO, Art. 3, Rn. 38.

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der Besonderheiten, die für das Vorlageverfahren nach Art. 68 EGV für die EuInsVO als eine nach dem IV. Titel des EGV erlassenen Verordnung (Art. 65) galten, ist aus den genannten Gründen nicht sicher, ob es im erforderlichen Maße zu Vorlageverfahren kommt und ob diese geeignet sind, zu praktisch nutzbaren Lösungen zu führen. Dies gilt auch in Ansehung des Wegfalls der Vorlageberechtigungen von Rat und Kommission, die Art. 68 Abs. 3 EGV vorsah. Die bisherige Erfahrung legt den Schluss nahe, dass trotz zahlreicher offener Einzelfragen wohl nur in Fällen, in denen es zu einem tatsächlichen Konflikt kommt, mit einem Vorlagebeschluss zu rechnen ist. Wenn es nach dem Gang durch die Instanzen schließlich zu einer Vorlage kommen sollte, wird das betroffene Insolvenzverfahren, auch wenn eine Anfechtung der Eröffnungsentscheidung noch möglich sein sollte, vielfach im unzuständigen Forum bereits „Wurzeln geschlagen“ haben658. Eine Rückgängigmachung könnte dann an den normativen Kräften des Faktischen scheitern. Die im Wege des Vorlageverfahrens ergehenden Befunde werden zwar aufgrund ihrer präjudizierenden Wirkung das aus der Unbestimmtheit der Zuständigkeitsvorschrift resultierende Potenzial für ein forum shopping erheblich verkürzen. Es ist indes nicht damit zu rechnen, dass in naher Zukunft eine so weitgehende Konturierung insbesondere der Tatbestandsmerkmale des COMI zu erreichen ist. Nicht nur im Einzelfall, sondern auch bei einer generellen Betrachtung, gehen vom Vorlageverfahren beim EuGH daher keine nennenswerten Einschränkungen einer Rechtswahl unter Ausnutzung der Anerkennungspflichten aus. Ohne Auswirkungen auf rechtskräftige Entscheidungen bleiben das Vertragsverletzungsverfahren nach Art. 258 AEUV sowie die Geltendmachung der unionsrechtlichen Staatshaftung659. Ihnen kommt daher für die Frage der Rechtswahl keine besondere Bedeutung zu. f. Zusammenfassung Eine Rechtswahl durch Ausnutzung des durch die EuInsVO statuierten Anerkennungszwangs kann bis zur Eröffnung des Hauptverfahrens erfolgen. Das zuerst eröffnete Hauptverfahren führt aufgrund des den Anerken658

Die praktische Unwahrscheinlichkeit dafür, dass ein einmal eröffnetes Verfahren noch einmal beendet wird, hängt vor allem damit zusammen, dass vom Zeitpunkt der Verfahrenseröffnung an bereits Entscheidungen des Insolvenzgerichts über die Behandlung bestehender Geschäftsbeziehungen und das weitere Vorgehen stattfinden, die ggf. auch Dritte betreffen. Vgl. allgemein zu dieser Problematik LoPucki, 84 Cornell Law Review, 696, 722 (1998/1999) m.w.N. 659 Vgl. zu beiden Instituten als denkbare „Gegensteuerungsmaßnahme“ bei ungerechtfertigter Inanspruchnahme der internationalen Zuständigkeit Duursma/DuursmaKepplinger, DZWIR 2003, 447, 452.

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nungsregeln immanenten Prioritätsprinzips zu einer Sperrwirkung. Diese Sperrwirkung, die erst mit Verfahrenseröffnung, nicht jedoch bereits mit Antragstellung eintritt, fördert Eröffnungswettläufe, bei denen Jurisdiktionen mit kurzem Eröffnungsverfahren klar im Vorteil sind. Eine Verlegung des COMI ist daher auch nach einer erfolgten Antragstellung noch möglich und für einen am neuen Belegenheitsort gestellten Antrag auch beachtlich. Solange noch kein Hauptverfahren eröffnet ist, sind daher noch Einwirkungen auf dessen Statut möglich. Ein Abstellen auf den Zeitpunkt der Antragstellung für die Fixierung des jeweiligen COMI führt daher nicht zwingend zu einer Verhinderung des „catch me if you can“660, da dem Schuldner oder konkurrierenden Gläubigern die Möglichkeit bleibt (mit oder eben ohne eine noch erfolgende Relokation des COMI), eine Verfahrenseröffnung in einem weiteren Forum zu betreiben. Dazu genügt, dass in einem solchen Forum allein ein Antrag auf Eröffnung eines Sekundärverfahrens nach Art. 3 Abs. 2 EuInsVO gestellt wurde, da dieser als Antrag auf Eröffnung eines Hauptverfahrens ausgelegt werden kann661. „Überraschungseffekt und Drohpotential“662 der Antragstellung bestehen daher entgegen Mankowski nur sehr beschränkt, da ein Abstellen auf den Zeitpunkt der Antragstellung, wie gezeigt, eben nicht verhindern kann, dass danach erfolgende tatsächliche Manipulationen doch noch zu einer – ggf. abermals kompetenzgemäßen – weiteren Antragstellung führen. Der Umstand, dass auch kompetenzwidrige Verfahrenseröffnungen grundsätzlich anzuerkennen sind und die bloße Unzuständigkeit des eröffnenden Insolvenzgerichts genauso wenig wie die typischen Begleitumstände und Folgen einer solchen Eröffnungsentscheidung zu einem Fall des Art. 26 EuInsVO führen, hat zur Folge, dass sich das theoretische Auswahlspektrum für den potenziellen case placer erheblich verbreitert. Es bestehen zwar Chancen, eine rechtwidrige Inanspruchnahme der internationalen Zuständigkeit im Rahmen der Rechtsbehelfe des nationalen Verfahrensrechts bis zum Zeitpunkt der Unanfechtbarkeit zu bekämpfen. Der Rechtsbehelfsführer kann sich jedoch auch im Fall objektiver Unzuständigkeit des eröffnenden Gerichts keinesfalls sicher sein, dass er erfolgreich sein wird. Denn es kann durchaus passieren, dass sich die Instanzgerichte der Ausdeutung des COMI durch das Insolvenzgericht anschließen und eine Vorlage an den EuGH nicht für möglich oder erforderlich erachten. Insgesamt ist daher festzuhalten, dass die durch die Anerkennungsordnung der EuInsVO vermittelten Einwirkungsmöglichkeiten ein starkes Manipulationsmedium darstellen, da sie in erheblichen Wechselwirkungen mit 660

So aber Mankowski, NZI 2005, 368, 369. So auch AG Mönchengladbach, NZI 2004, 383. 662 Mankowski, NZI 2004, 368, 369. 661

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den anderen Faktoren stehen, die eine Rechtswahl begünstigen und eine rechtswidrige Inanspruchnahme der Eröffnungskompetenz in vielen Fällen erfolgversprechend aussehen lassen. 6. Rechtswahl und Handelndenhaftung Wenig thematisiert, in der Beratungspraxis jedoch in den vergangenen Jahren vermehrt von Bedeutung ist die Frage, inwieweit Einflussnahmen auf die zuständigkeitsrelevante Tataschenbasis oder sonstige Maßnahmen zur Beeinflussung des COMI eine Handelndenhaftung nach sich ziehen können. Denkbar sind insoweit verschiedenartige Anspruchsgrundlagen. Neben vertraglichen663 und gesellschaftsrechtlichen Anspruchsgrundlagen kommen solche aus Deliktsrecht infrage. Da es sich bei dem auftretenden Schaden in der Regel um einen Vermögensschaden handeln wird, wird in erster Linie eine Haftung nach § 826 BGB in Betracht kommen. Hier sind allerdings hohe Hürden zu überwinden. Bereits die Einordnung in die in der höchstrichterlichen Rechtsprechung für das Verhältnis zwischen Schuldnern und ihren Gläubigern bzw. zwischen verschiedenen Gläubigern genannten Fallgruppen bereitet Schwierigkeiten. Die erste Schwierigkeit besteht darin, dass sich Einwirkungsmaßnahmen nicht immer isoliert identifizieren lassen. Darüber hinaus ist die Inanspruchnahme der Eröffnungszuständigkeit in einem anderen als beispielsweise dem Gründungsstaat oder Sitzstaat nicht per se sittenwidrig sondern im Gegenteil erst einmal erlaubt und je nach Sachlage sogar geboten. Nach deutschem Recht besteht ein grundsätzlicher Vorrang der Anfechtungs- vor der Deliktshaftung wegen Gläubigerbenachteiligung. Darin kommt zum Ausdruck, dass sich beide Haftungsinstitute und Fallgruppen als Ausprägung der par conditio creditorum erweisen664. Eine Einwirkung auf das COMI dergestalt, dass ein anderer Verteilungsschlüssel eingreift, mag zwar zu Verschiebungen zwischen den Gläubigern führen. Eine solche Verschiebung erfolgt dann jedoch nicht schlechterdings entgegen dem Prinzip der Gläubigergleichbehandlung, sondern ist zunächst einmal Anwendung und damit Ausdruck dieses Grundsatzes – freilich stets in der Ausprägung, die das Prinzip durch die Regelungen des Insolvenzrechts in dem jeweiligen Forum erfahren hat. Auch insoweit besteht mithin keine Parallele zu den Fällen der Gläubigerbegünstigung und -benachteiligung. Selbst wenn man § 826 BGB bei insolvenznahen Einflussnahmen als Mittel der Durchsetzung der „Gesamtinteressen der Gläubigerkollektivs“665 begreift, kann dieses Verständnis zudem keinesfalls so weit reichen, dass 663

Die Einflussnahmemöglichkeiten durch die Kreditdokumentation (und ihre Sanktionen) werden eingehend auf S. 266 ff. behandelt. 664 Vgl. die Nachweise bei Thole, WM 2010, 685, 690. 665 Thole, WM 2010, 685, 690.

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eine bloße Einwirkung, die lediglich zu einer suboptimalen Interessenverwirklichung führt, zum Eingreifen des Haftungstatbestands führen würde. Die Regelung des § 826 BGB darf nicht zum Mittel der Etablierung einer „Strukturverantwortung“ für Marktunvollkommenheiten werden666. Schließlich ist zu berücksichtigen, dass die Ausnutzung bestimmter, durch die Rechtsordnung etablierter Bewegungsspielräume bei der Konkretisierung des Sittenwidrigkeitsmaßstabs herangezogen werden muss667. Daraus folgt, dass auch COMI-bezogene Aktivitäten, die auf einem etwaigen Informationsvorsprung einzelner Schuldner zurückgehen, nicht schon aus diesem Grund als sittenwidrig angesehen werden können. Im Rahmen eines Sittenwidrigkeitsurteils wird überdies nach den in Literatur und Rechtsprechung entwickelten Grundsätzen auch die grundsätzliche Zulässigkeit von Unternehmenssanierungen und auch eine etwaige Sanierungsabsicht zu berücksichtigen sein668. Nichts anderes darf für Fälle einer Einflussnahme durch den Schuldner gelten. Grundsätzlich ist zu akzeptieren, dass eine Einwirkung auf das COMI, selbst wenn sich hierdurch die Zugriffsmöglichkeiten einzelner oder aller Schuldner auf das Haftungssubstrat verschlechtern, eben keine Vereitelung des Zugriffs darstellt, da für diese nur eine Verschlechterung des Zugriffs innerhalb der jeweiligen rechtlichen Rahmenbedingungen entscheidend sein kann. Die insolvenzrechtliche Rechtswahl in dem hier verwendeten Begriffssinn betrifft jedoch als Einwirkungsmöglichkeit eben diesen Rahmen als Ganzes und damit eine vorgelagerte Frage. Eine rechtmäßige (und auch eine bloß kompetenzwidrige) Inanspruchnahme eines bestimmten Forums kann daher lediglich in krassen Einzelfällen eine Haftung nach § 826 BGB nach sich ziehen. Einen Handlungsanreiz im Sinne eines Korrektivs stellt eine solche Haftung folglich nicht dar. Diese Sichtweise deckt sich auch mit den im Zusammenhang mit der Reichweite des ordre-public-Vorbehalts dargestellten Wertungen. Weiterhin wird eine Haftung nach gesellschaftsrechtlichen Bestimmungen diskutiert. Insbesondere Geschäftsführer könnten fürchten, sich durch eine Einwirkung auf das COMI und seine Inanspruchnahme haftbar zu machen. Dabei werden unter Praktikern eine Kompetenzüberschreitung und eine Verletzung von Treuepflichten argumentiert. Da es sich bei den mit der Einwirklung auf die Eröffnungszuständigkeit in Zusammenhang stehenden Maßnahmen der Geschäftsleitung vielfach um geschäftliche Entscheidungen handelt, die nur in den Grenzen der Kontrolle unternehmerischer Ermessensausbüng auf eine Haftung hin bedeutsam sind, wird das 666

Staudinger/Oechsler, § 826, Rn. 348. Vgl. nur Staudinger/Oechsler, § 826, Rn. 424. 668 Zur Berücksichtigungfähigkeit einer Sanierungsabsicht vgl. allgemein Staudinger/ Oechsler, § 826, Rn. 363 ff. 667

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Risiko einer Haftung, etwa nach § 43 GmbHG, vielfach begrenzt sein. Auch werden die Geschäftleiter versucht sein, durch Abstimmung mit den Gesellschaftern ihr Haftungsrisiko zu beschänken. Es verbleibt freilich die Möglichkeit, dass die Binnenordung der jeweiligen Gesellschaft Kautelen gegen eine Einwirkung auf das COMI vorsieht. Diese Beschränkungen im Innenverhältnis finden freilich ihre Grenze dort, wo insolvenzbezogenes Handeln kraft gesetzlicher Anordung stattfindet, beispielsweise aufgrund gesetzlicher Antragspflichten. Im Schutze dieser Pflichten kann sich für das Management im Einzelfall ein erheblicher Argumentations- und Handlungsspielraum gegenüber den Prinzipalen ergeben. Aus anderen Staaten wie Luxemburg ist bekannt, dass ein Haftungsrisiko bei einer COMI-Veränderung insoweit besteht, als unter dem Gesellschaftsstatut die Änderung der „Nationalität“ einer Gesellschaft eine Entscheidung darstellt, die zu treffen allein den Gesellschaftern vorbehalten ist. Eine COMI-Veränderung könnte in diesen Fällen eine Haftung begründen, wobei abermals der Nachweis eines kausalen Schadens geführt werden müsste. Überdies zeigt die Beratungspraxis aus Luxemburg, dass diese Sanktion Einwirkungen auf das COMI nicht schlechterdings entgegensteht, da eine COMI-Veränderung eben nicht notwendig mit einer Veränderung der „Nationalität“ einhergeht. Auch hier stellt sich das Problem außerdem überhaupt erst dann, wenn nicht durch gezielte Abstimmung ein Eingriff in den Aufgabenkreis der Gesellschafter a priori ausgeschlossen wird. Nach alledem ist festzuhalten, dass mögliche Haftungssanktionen bei Einflussnahme auf das COMI zwar nicht schlechterdings ausgeschlossen sind, aber auch kein Hindernis von allgemeiner Bedeutung gegen solche Einflussnahmen darstellen. 7. Rechtswahlfreiheit und Zuständigkeitsermittlung von Amts wegen Die in den genannten Grenzen bestehende Wahlfreiheit der Verfahrensbeteiligten wird durch die Pflicht zur Ermittlung der internationalen Zuständigkeit von Amts wegen – beispielsweise nach § 5 InsO – nicht wesentlich eingeschränkt. Die amtswegige Ermittlung der zuständigkeitsbegründenden Tatsachen verkürzt die genannten Faktoren der Veränderlichkeit der zuständigkeitsbegründenden Tatsachen und der Unbestimmtheit des Tatbestands nicht. Durch die Anerkennungspflicht wird die Reichweite des Amtsermittlungsgrundsatzes zudem letztlich ihrerseits beschränkt. Hinzu kommt, dass der jeweilige Insolvenzantrag die Umstände, aus denen sich die internationale Zuständigkeit des angerufenen Gerichts ergibt, substantiiert benennen muss, wenn er in Deutschland gestellt wird. Denn nach deutschem Recht erstreckt sich die Pflicht zur Ermittlung von Amts wegen nach § 5 Abs. 1 S. 1 InsO nicht auf das dem Eröffnungsver-

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fahren vorausgehende sog. Zulassungsverfahren669. Spätestens nach richterlichem Hinweis wird der Antragsteller daher seinen Vortrag nachbessern müssen, will er verhindern, dass das angerufene Gericht den Antrag als unzulässig zurückweist670. Der Umfang der Ermittlungspflicht ist in das pflichtgemäße Ermessen des Insolvenzgerichts gestellt. Unter deutschem Verfahrensrecht richtet sich diese Pflicht folglich einzelfallabhängig nach den Behauptungen der Verfahrensbeteiligten671, an die das Gericht freilich nicht gebunden ist672. Der Antragsteller kann mit seinem Vortrag also gerade unter Berücksichtigung der Unbestimmtheit der Rechtslage in der Praxis weitreichenden Einfluss auf die Ermittlung und somit auf die Bejahung der internationalen Zuständigkeit nehmen. Zu denken ist hier etwa an die Konstellation, dass der Antragsteller unter Ausnutzung der dargelegten Unbestimmtheit des Zuständigkeitstatbestands in einem ausführlichen Gutachten darlegt, weshalb das schuldnerische COMI bei dem mit dem Antrag befassten Gericht zu lokalisieren ist. Zwar wird in der Praxis von der Bereitschaft berichtet, nötigenfalls seitens des Gerichts ebenso Gutachten zur Belegenheit des COMI einzuholen673. Besteht jedoch ein Interesse des Gerichts an der Inanspruchnahme der mutmaßlich gegebenen Zuständigkeit, so werden solche Gutachten aufgrund des damit verbundenen zeitlichen Aufwands in der vom Eröffnungswettlauf bestimmten Praxis keine besondere Bedeutung haben können. Darüber hinaus wird auch der vom Gericht bestellte Gutachter mit der Unbestimmtheit des Art. 3 Abs. 1 EuInsVO konfrontiert sein. Erst im Hinblick auf eine konkrete Interpretation der Kompetenznorm wird er in tatsächlicher Hinsicht Feststellungen treffen können. In der Judikatur anderer Mitgliedstaaten kommt dem Vortrag der Verfahrensbeteiligten gar eine noch größere Bedeutung zu674. Im internationa-

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AG Köln, NZI 2006, 57; AG Göttingen, ZInsO 2001, 137; Jaeger/Gerhardt, InsO, § 3, Rn. 42, § 5, Rn. 2; Vallender, ZGR 2006, 425, 431. 670 Zu dieser Frage und zur Frage der Voraussetzung zur Inanspruchnahme der Zuständigkeit nach Art. 3 Abs. 2 S. 1 i.V.m. Art. 2 lit. g) EuInsVO vgl. AG Köln, NZI 2006, 57 mit Anm. Mankowski, EWiR 2006, 109 f. 671 Jaeger/Gerhardt InsO, § 5, Rn. 3. 672 BGH, NZI 2008, 121. 673 So Richter am AG Köln Prof. Dr. Vallender im Gespräch mit dem Verfasser am 11.04.2006. 674 Ein besonders großer Einfluss des Vortrags der Verfahrensbeteiligten auf die Reichweite des Untersuchungsgrundsatzes kommt in englischen Judikaten zum Ausdruck. In der Begründung der Entscheidung im Fall Parkside Flexibles geht der High Court of Justice Leeds beispielsweise darauf ein, der Antrag erfordere deshalb unabhängige Ermittlungen, weil ihm nicht durch andere Verfahrensbeteiligte bezüglich der internationalen Zuständigkeit widersprochen werde. Richter Langan führt aus: „[The] question of jurisdiction […] seemed to require some independent analysis by me particularly

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len Kontext ist er generell von besonders großer Bedeutung, weil hinsichtlich bestimmter zuständigkeitsrelevanter Tatsachen bereits keine praktikable Möglichkeit für das angerufene Gericht besteht, diese zu ermitteln675. Die daraus für die Ermittlung der Zuständigkeit erwachsenden Steuerungsmöglichkeiten betreffen die Sachverhaltsermittlung als solche und gehen einer etwaigen Anwendung der Vermutungsregel voraus, da zunächst ermittelt werden muss, ob in tatsächlicher Hinsicht die Voraussetzungen der Anwendung der Vermutungsregel zu ermitteln sind. Sie bleiben folglich auch dann erhalten, wenn man den Anwendungsbereich der Vermutungsregel des Art. 3 Abs. 1 S. 2 EuInsVO als auf die Fälle beschränkt ansieht, in denen auch nach eingehender Ermittlung der Zuständigkeit Zweifel verbleiben676. Für die Frage des Einwirkungspotenzials ist die dogmatische Einordnung der Vermutungsregel mithin von untergeordneter Bedeutung. Auch unter diesem Aspekt erweist sich die Vermutungsregel als praktisch wenig wertvoll. 8. Zusammenfassung Die hier als „Grenzen“ bezeichneten Beschränkungen auf der Seite der Voraussetzungen einer Rechtswahl ergeben sich aus den drei eine Einwirkung überhaupt erst ermöglichenden Faktoren: der Veränderlichkeit der zuständigkeitsrelevanten Tatsachen, der Unbestimmtheit des Tatbestands von Art. 3 Abs. 1 EuInsVO und den Besonderheiten der Anerkennungspflichten unter der EuInsVO. Aufgrund der Wechselwirkungen zwischen den verschiedenen denkbaren Ansatzpunkten nehmen die beiden letztgenannten Faktoren für die Grenzen der Rechtswahl eine besondere Bedeutung ein. Alles in allem zeigt sich, dass noch unmittelbar bis vor Eröffnung eines Insolvenzverfahrens die Möglichkeit eines forum shopping besteht. Die EuInsVO offeriert dabei eine ganze Reihe praktisch nutzbarer Ansatzpunkte zu einer Rechtswahl. Die konkreten Grenzen der Einflussnahme ergeben sich nach dem Gesagten vielfach erst aus der jeweiligen Wettbewerbssituation. Verfolgen beispielsweise verschiedene Gläubiger verschiedene Interessen hinsichtlich der Platzierung677, so wird der zeitliche Rahmen für as the application was not opposed.“ (Zit. nach Vallens/Dammann, NZI 2006, 29, 30 [dort Fn. 6]). 675 Vgl. AG Köln, NZI 2006, 57, das darauf hinweist, dass der Umstand, ob über das Vermögen des Schuldners bereits ein Hauptverfahren eröffnet worden ist, für das Gericht nicht ermittelbar ist. Die Schwierigkeit der Ermittlung betrifft jedoch nicht allein solche Rechtstatsachen, sondern auch rein tatsächliche Umstände. 676 Anders etwa Kübler, FS Gerhardt (2004), 527, 551. 677 Divergierende Interessen bzgl. des Eröffnungsortes können vor allem durch die Reichweite einer Rechtswahl begründet sein. Zur Anreizstruktur der Verordnung und zum daraus folgenden Wettbewerb vgl. unten, S. 237 ff., 328 ff.

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forum-shopping-Aktivitäten von der Bereitwilligkeit und Schnelligkeit der Verfahrenseröffnung durch die Gerichte diktiert. Damit ist festzuhalten, dass ein professionell vorbereitetes forum shopping, insbesondere dann, wenn es in Abstimmung zwischen dem Schuldner und den wesentlichen Gläubigern erfolgt, gute Erfolgschancen hat. Große Gläubiger werden dabei ihren wirtschaftlichen und – in Abhängigkeit von der individuellen Ausgestaltung des Darlehensverhältnisses – juristischen Einfluss auf den Schuldner einsetzen können. III. Reichweite der Rechtswahl unter der EuInsVO Im Folgenden wird die Frage zu behandeln sein, was durch die Einflussnahme auf das Forum des Hauptverfahrens überhaupt gewählt werden kann, welche gegenständliche und territoriale Reichweite also eine Rechtswahl de lege lata hat. Dabei ist von Interesse, was zum wählbaren Insolvenzrecht gehört und welche Gegenstände und Sachverhalte davon erfasst sind. Letztlich geht es also darum, wie weit die „Exklusivität des Hauptverfahrens“678 reicht. In diesem Kontext werden insbesondere die Mechanismen zu beleuchten sein, derer sich die Verordnung zur Abmilderung der prinzipiell universalen Beschlagwirkung des Hauptverfahrens bedient. In kollisionsrechtlicher Hinsicht sind dies in erster Linie Ausnahmeregelungen und Sonderanknüpfungen, welche die EuInsVO in den Art. 5 ff. für eine ganze Reihe von Regelungsgegenständen statuiert. In verfahrensrechtlicher Hinsicht wird die Reichweite des Hauptverfahrensstatuts durch die Durchführung von Sekundärinsolvenzen nach Art. 27 ff. EuInsVO verkürzt. Ausgehend von dem dabei entstehenden Bild zur Reichweite einer Rechtswahl unter der EuInsVO werden auch Rückschlüsse auf die motivierenden Momente möglich, die von den Wahlmöglichkeiten ausgehen. Die Problematik der Reichweite der Rechtswahl steht somit in enger Verbindung zur Frage nach den Handlungsanreizen, die sich aus den Rechtswahlmöglichkeiten unter der EuInsVO ergeben. Diese werden im nächsten Kapitel der Untersuchung in den Fokus rücken. 1. Forumswahl Unter den Zuständigkeitsregeln der EuInsVO erfolgt eine Rechtswahl im hier gebrauchten Sinne im Wege einer Forumswahl. Die Frage nach dem Wirkungsradius dieses Mittels ist daher zwar eigentlich keine Frage der Reichweite der Rechtswahl, sondern dieser vorgeschaltet, sie soll aber dennoch an dieser Stelle erwähnt werden. Denn bereits die Einflussnahme auf den Ort der Verfahrenseröffnung wird für manchen Verfahrensbeteilig678

Weller, IPRax 2004, 412, 413.

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ten per se das Ziel seiner Bemühungen sein. So könnte Gläubigern an der besonderen Ortsnähe zum durchgeführten Verfahren gelegen sein. Insbesondere Schuldner könnten demgegenüber ein Interesse daran haben, ein Insolvenzverfahren vor einem von ihrem Aufenthaltsort möglichst weit entfernten Gericht stattfinden zu lassen: „Vollstreckungsschutz am Wohnsitz und ein Insolvenzverwalter in weiter Ferne – vielleicht lässt es sich so (jedenfalls für eine Weile) ganz gut leben“679, wird über die Beweggründe so mancher Antragstellung gemutmaßt. Damit wird auch deutlich, dass ein forum shopping nach dem hier befürworteten weiten Begriffsverständnis680 auch Fälle umfassen muss, in denen der Schuldner im Nachgang zu in tatsächlicher Hinsicht erfolgenden Manipulationen einen Eigenantrag am alten COMI stellt. Ein solches Verhalten stellt also nicht schlechterdings das „Gegenteil dessen, was ein forum shopper getan hätte“681, sondern eine weitere Spielart der Ausnutzung der Zuständigkeitsordnung dar. Damit kann festgehalten werden, dass eine wichtige Dimension der Reichweite des forum shopping schon durch die Einwirkung auf den Eröffnungsort gekennzeichnet wird. 2. Lex fori concursus des Hauptverfahrens – Qualifikationsprobleme Mit dem Ort der Eröffnung des Hauptverfahrens steht auch fest, dass dieses dem Insolvenzrecht des Eröffnungsstaates untersteht682. Dies ist Regelungsgehalt von Art. 4 Abs. 1 EuInsVO. Der Katalog in Art. 4 Abs. 2 EuInsVO zählt beispielhaft einige der zur lex fori concursus gehörenden Regelungsgegenstände auf. Diese befinden sich ohne Zweifel in der Reichweite einer Rechtswahl unter der EuInsVO. Dazu gehören so zentrale Regelungsgegenstände wie der Rang der Forderungen im Verfahren (Art. 4 Abs. 2 lit. i) EuInsVO) oder – in den Grenzen des Art. 13 EuInsVO – die einschlägigen Anfechtungsvorschriften. Bestimmte Fragen bezüglich des Anwendungsbereichs der Kollisionsnorm, mithin der Reichweite der Anknüpfung und der Qualifikation683, bleiben trotz der detaillierten Aufzählung offen. Von der Beantwortung dieser Fragen hängt die Reichweite der mit der EuInsVO vermittelten Gestaltungsmöglichkeiten jedoch maßgeblich ab. 679

Oberhammer, ZInsO 2004, 761, 763. Siehe dazu oben, Fn. 36. 681 So Mankowski, NZI 2005, 368, 372. 682 Das Recht des prospektiven Eröffnungsstaates findet freilich auch auf die vor der Hauptverfahrenseröffnung liegenden Schritte Anwendung, vgl. etwa Mankowski, EWiR 2006, 109 f. 683 Der Begriff der Qualifikation beschreibt das Problem der Einordnung einer Sachnorm oder einer Rechtsfigur zu einem Systembegriff, das sich bei der Frage nach dem Anwendungsbereich einer Kollisionsnorm stellt, siehe dazu etwa Kegel/Schurig, IPR, § 7 I, S. 327; v. Hoffmann, IPR, § 6, Rn. 1; Siehr, IPR, § 49 II, S. 429. 680

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Als besonders problemträchtig erweisen sich die Grenzbereiche von Insolvenz- und Gesellschaftsrecht684. Das zur Anwendung kommende Insolvenzrecht richtet sich (in den noch zu erörternden Grenzen) gemäß Art. 3, 4 EuInsVO nach der Lage des schuldnerischen COMI, zumindest jedoch nach dem Ort der Verfahrenseröffnung. Demgegenüber ergibt sich im europäischen internationalen Gesellschaftsrecht infolge einer Reihe prominenter EuGH-Entscheidungen zur Niederlassungsfreiheit nach Art. 43, 48 EGV (nunmehr Art. 49, 54 AEUV) für die Frage nach dem anwendbaren Gesellschaftsrecht ein anderes Bild. Aus den Entscheidungen in den Sachen Centros685, Überseering686 und Inspire Art687 hat der EuGH – jedenfalls für Zuzugsfälle688, in denen eine Gesellschaft nach dem Recht eines Mitgliedstaates gegründet wird, um dann in einem anderen Mitgliedstaat tätig zu werden – eine Gründungsanknüpfung etabliert. Der Zuzugsstaat kann der jeweiligen Gesellschaft nicht infolge der Niederlassung in seinem Gebiet die Rechtsfähigkeit nach dem Gesellschaftsrecht des Gründungsstaat aberkennen und sie nach Maßgabe des eigenen Gesellschaftsrechts behandeln, sei es im Hinblick auf die Rechtsfähigkeit, sei es in einzelnen Beziehungen wie den Bestimmungen über die Kapitalausstattung. Es kommt in der Situation des Zuzugs daher nicht zu einem Statutenwechsel; die Gesellschaft untersteht auch dann dem Gesellschaftsrecht des Gründungsstaates, wenn sich ihr tatsächlicher Sitz in einem anderen Mitgliedstaat befindet689. Diese Rechtsprechung zu den gemeinschaftsrechtlichen Grundfreiheiten macht sog. Scheinauslandsgesellschaften, also im Inland tätige, nach dem Recht eines anderen Mitgliedstaats gegründete Gesellschaften, attraktiv, da sie es ermöglicht, sich Gesellschaftsformen ausländischen Rechts zu bedienen690. 684

Vgl. nur Diskussionsbericht von Haddick, ZHR 168 (2004), 369, 370; eingehend Eidenmüller, RabelsZ 70 (2006), 474 ff. 685 EuGH, Rs. C-212/97, Slg. 1999, S. I-1459. 686 EuGH, Rs. C-208/00, Slg. 2002, S. I-9919. 687 EuGH, Rs. C-167/01, NJW 2003, 3331. 688 Eingehend zur Unterscheidung zwischen Zuzugs- und Wegzugskonstellationen in der Rechtsprechung des EuGH vgl. Rehm, in: Ausländische Kapitalgesellschaften, § 2, Rn. 57 ff. Die Unterscheidung zwischen Zuzugs- und Wegzugsfällen wird in der Literatur überwiegend kritisch bewertet (vgl. statt aller Eidenmüller/Rehm, ZGR 2004, 159, 164; Ziemons, ZIP 2003, 1913, 1918). Ob sich diese Unterscheidung nach der Entscheidung des EuGH in der Rs. C-411/03 (SEVIC Systems Aktiengesellschaft), EWS 2006, 27 ff.) überhaupt noch aufrechterhalten lässt, wurde bezweifelt (vgl. Kieninger, EWS 2006, 49, 51). Diese Frage ist mit der Entscheidung in der Rs. Cartesio (C-210/06) nunmehr geklärt. 689 Allgemein zu diesem vielschichtigen Fragekomplex vgl. Hirte, in: Grenzüberschreitende Gesellschaften, § 1 mit umfangreichen w.N. 690 Allein im Jahre 2004 sind 15.000 Gesellschaften in der Rechtsform der Private Company Limited by Shares mit Verwaltungssitz in Deutschland gegründet worden, bis

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Hat nun beispielsweise eine englische Gesellschaft in der Rechtsform der Private Company Limited by Shares (Limited) ihr COMI in Deutschland, oder findet das Insolvenzverfahren über das Vermögen einer deutschen GmbH in England statt, so stellt sich die Frage, welche Regelungen als gesellschaftsrechtlich zu qualifizieren sind und somit dem Gründungsstatut unterfallen und welche Regelungen als der lex fori concursus zugehörig nach Art. 4 EuInsVO zur Anwendung kommen. Dabei ist das Gesetz, in dem eine Kodifizierung stattfindet, nur ein erster Anhaltspunkt691; beispielsweise enthält die deutsche InsO gesellschaftsrechtliche Regelungen, während sich im AktG und im GmbHG Vorschriften befinden, die als insolvenzrechtlich anzusehen sind692. Die Qualifikation ist daher ausgehend vom Gemeinschaftsrecht autonom zu entwickeln693. Im Ausgangspunkt könnte die Abgrenzung dabei sowohl in Bezug auf Art. 4 EuInsVO als positivierte Kollisionsnorm694 als auch anhand der Art.49, 54 AEUV erfolgen695, deren Regelungsgehalt sich für die Fragen des internationalen Gesellschaftsrecht ebenfalls als (wenn auch „versteckte“) Kollisionsnorm begreifen ließe696. Soweit beispielsweise die Anwendbarkeit der Vorschriften über die Antragspflichten bereits durch Art. 4 EuInsVO eröffnet wäre, käme es auf die Frage der Reichweite der aus der Niederlassungsfreiheit abzuleitenden Nichtanwendbarkeit bzw. zwingenden Anwendbarkeit organisationsrechtlicher Bestimmungen des Gründungsstatuts so lange nicht an, wie sich die Kollisionsnorm des Sekundärrechts gegenüber den Schranken aus Art. 49, 54 AEUV als „sichere Bastion“697 erwiese, da der Rat mit Erlass der EuInsVO dann in zulässiger

August 2005 wurden in Deutschland 66 Insolvenzen über das Vermögen solcher Gesellschaften eröffnet, vgl. Lawlor, NZI 2005, 432 f. 691 MünchKomm BGB/Sonnenberger, Einl. IPR, Rn. 505; Ulmer, KTS 2004, 291, 293. 692 Vgl. nur Borges, ZIP 2004, 733, 738 ff.; Mock/Schildt, in: Grenzüberschreitende Gesellschaften, § 16, Rn. 16 f.; Vallender/Fuchs, ZIP 2004, 829, 830 (dort Fn. 16). 693 So für die Frage nach der Anwendung von Instrumenten des Gläubigerschutzes Weller, Europäische Rechtsformwahlfreiheit, S. 115. 694 Ulmer, KTS 2004, 291, 294. Vgl. auch Mock/Schildt, in: Grenzüberschreitende Gesellschaften, § 16, Rn. 35. 695 Zutreffend Ulmer, KTS 2004, 291, 293 f. (noch unter Bezugnahme auf Art. 43, 48 EGV). 696 Vgl. Eidenmüller/Rehm, ZGR 2004, 159, 164 f.; ders., RabelsZ 70 (2006), 474, 479 ff.; Weller, Europäische Rechtsformwahlfreiheit, S. 53 f. 697 Ulmer, KTS 2004, 291, 296 zustimmend U. Huber, in: Europäische Auslandsgesellschaften, S. 307, 347. Anders Haß/Herweg, in: Geimer/Schütze, Art. 4 EuInsVO, Rn. 14, die zumindest das gefundene Ergebnis wiederum an der Niederlassungsfreiheit messen wollen. Eine insolvenzrechtliche Qualifikation der Antragspflichten würde dann jedoch unter Berücksichtigung der sog. Keck-Rechtsprechung des EuGH nicht als rechtfertigungsbedürftiger Eingriff in die Niederlassungsfreiheit anzusehen sein, vgl. dazu

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Weise von seiner Kompetenz Gebrauch gemacht hat, den sachlichen Anwendungsbereich der Grundfreiheiten im Interesse der Errichtung des Gemeinsamen Marktes und zur Integration der Rechts- und Wirtschaftsordnungen der Mitgliedstaaten zu konkretisieren698. Für eine Primärrechtswidrigkeit von Art. 4 EuInsVO ist nichts ersichtlich. Gleichwohl ist zu berücksichtigen, dass ein Verstoß mitgliedstaatlichen Rechts gegen Primärrecht der Gemeinschaft schwerlich durch Sekundärrecht verhindert werden könnte699, sodass im Zweifelsfall gefragt werden müsste, ob eine mitgliedstaatliche Vorschrift überhaupt den von der Reichweite der EuInsVO erfassten Instituten entspricht und es verneinendenfalls zu einer Überprüfung des Ergebnisses an den europäischen Grundfreiheiten käme700. Die Qualifikation der einzelnen Regeln mitgliedstaatlichen Rechts hat anhand einer Betrachtung zu erfolgen, die sowohl die Ordungsziele der Kollisionsnorm als auch den Zweck der jeweiligen Sachnorm berücksichtigt701. Die Einordung erfolgt mithin europäisch-autonom aber notwendig mit Blick auf die Funktion der Regelung im mitgliedstaatlichen Recht702. Zudem ist in allen Fällen neben der Qualifikation die für den hier behandelten Problemkomplex ebenso wichtige Frage nach der Anknüpfung zu beantworten. Denn eine Vorschrift, die nach den genannten Maßstäben als insolvenzrechtlich zu qualifizieren wäre, müsste auch im Regelungsbereich von Art. 4 EuInsVO liegen, um in die Reichweite einer Rechtswahl zu gelangen. Im Rahmen einer Abgrenzung nach Art. 4 EuInsVO ließen sich beide Fragen zugleich beantworten. Auch bei Bestimmung der Reichweite der Regelanknüpfung in Art. 4 ist aufgrund des Verordungsziels der Gläubigergleichbehandlung grundsätzlich eine extensive Auslegung angezeigt703. Alle problematischen Beziehungen zwischen den Mitgliedstaaten beleuchten zu wollen würde den Umfang dieser Untersuchung sprengen. Es sollen daher mit Fokus auf das deutsche Recht und damit auf Szenarien des forum shopping, die Deutschland einbeziehen, diejenigen Qualifikations-

Eidenmüller, in: Ausländische Kapitalgesellschaften, § 9, Rn. 30; A.A. Gross/Schork, NZI 2006, 10, 14. 698 Ulmer, KTS 2004, 291, 295 f.; Wienberg/Sommer, ZIP 2005, 353, 356. Vgl. auch Fischer, ZIP 2004, 1477, 1478. 699 Zutreffend Enriques/Gelter, EBOR 7 (2006), 417, 441. 700 Ähnlich Haß/Herweg, in: Geimer/Schütze, Art. 4 EuInsVO, Rn. 14, die eine solche Überprüfung generell verlangen. Damit erweist sich jedenfalls, dass die Mitgliedstaaten nicht durch bloßes „Relabeling“ von Insolvenz- in Gesellschaftsrecht oder umgekehrt ohne Weiteres auf die Reichweite einer Rechtswahl unter der EuInsVO Einfluss nehmen können. 701 Vgl. nur MünchKomm BGB/Kindler, IntGesR, Rn. 719 ff. mit umfangreichen w.N. 702 Vgl. MünchKomm BGB/Kindler, IntGesR, Rn. 719. 703 MünchKomm BGB/Kindler, IntGesR, Rn. 720.

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und Anknüpfungsfragen behandelt werden, denen in der Praxis eine besondere Bedeutung zukommt. Diesen Faktoren könnte ein großes motivatorisches Moment immanent sein. Dabei werden nicht alle Argumente gewogen werden können704. Um die Tragweite der Einflussmöglichkeiten der Verfahrensbeteiligten unter der EuInsVO verstehen zu können, bedarf es indes einer Auseinandersetzung mit dieser Problematik. a. Insolvenzantragspflichten Von großem Interesse für potenzielle Rechtswähler dürfte die Frage sein, ob mit der Wahl eines anderen Verfahrensstatuts auch die Antragspflichten nach § 15a InsO705 „abgewählt“ werden können. Dies wäre der Fall, wenn sich die Antragspflicht nach der für die Qualifikation maßgeblichen Betrachtungsweise als insolvenzrechtlich darstellt und so angeknüpft ist, dass auf sie mit den identifizierten Mitteln des forum shopping unter EuInsVO Einfluss genommen werden kann. (1) Qualifikation Mit Blick auf die soeben dargelegten Abgrenzungsmöglichkeiten ist zunächst danach zu fragen, ob schon im Hinblick auf die Kollisionsnorm des Art. 4 EuInsVO eine Qualifikation stattfinden kann706. Der nicht abschließende707 Katalog des Art. 4 Abs. 2 EuInsVO führt die Antragspflicht organschaftlicher Vertreter einer Kapitalgesellschaft indes nicht auf. Allein anhand des Wortlauts von Art. 4 EuInsVO ist eine Zuordnung der Antragspflichten folglich nicht zu leisten708. Da eine verordnungsautonome Qualifikation der Antragspflichten709 nicht anhand der EuInsVO gelingt, muss diese durch Rückgriff auf die durch das Sachrecht vorgegebene Zuordnung 704 Insbesondere das gesellschaftsrechtliche Schrifttum zu den folgenden Fragen ist überaus umfangreich. Die Nachweise beschränken sich im Folgenden daher auf ausgewählte Literatur. 705 Vormals §§ 64 Abs. 1 GmbHG, § 130 a HGB, 92 Abs. 2 AktG. 706 Haubold, in: Gebauer/Wiedemann, Art. 4 EuInsVO, Rn. 90; Haß/Herweg, in: Geimer/Schütze, Art. 4 EuInsVO, Rn. 14; Mankowski, RIW 2004, 481, 484. Etwas ungenau sind daher die Ausführungen von Mock/Schildt, in: Grenzüberschreitende Gesellschaften, § 16, Rn. 16 f., die schon im Ausgangspunkt auf die durch das deutsche Sachrecht vorgegebene Zuordnung verweisen. 707 Leible/Staudinger, KTS 2000, 533, 550; Smid, Internationales Insolvenzrecht, Art. 4 EuInsVO, Rn. 7; anders offenbar Spindler/Berner, RIW 2004, 7, 12, die aus dem Fehlen von Antragspflichten im Beispielkatalog abzuleiten scheinen, dass diese der Kollisionsnorm nicht unterfallen. 708 Mock/Schildt, in: Grenzüberschreitende Gesellschaften, § 16, Rn. 78; Spindler/ Berner, RIW 2004, 7, 12; Ulmer KTS 2004, 291, 296. 709 Zu deren Notwendigkeit Haubold, in: Gebauer/Wiedemann, Art. 4 EuInsVO, Rn. 90.

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zwischen Insolvenz- und Gesellschaftsrecht erfolgen710. Von diesem Punkt ausgehend, werden valide Argumente sowohl für eine insolvenzrechtliche als auch für eine organisationsrechtliche Qualifikation vorgebracht711. Für eine Behandlung der Antragspflicht als gesellschaftsrechtliche Regelung wird von den Vertretern einer im Vordringen befindlichen Auffassung vorgetragen, die Antragspflicht betreffe, anders als das Antragsrecht nach § 15 InsO, allein Gesellschaftsformen mit einem beschränkten Haftungsfonds. Die mit ihr statuierte Risikoverteilung sei Ausdruck einer gesellschaftsrechtlichen Wertung, da sie das Tätigwerden mit unzureichender Kapitalausstattung sanktioniere712 und in engem Zusammenhang mit den Einberufungs- und Verlustanzeigepflichten (§ 92 Abs. 1 AktG, § 49 Abs. 3 GmbHG) und dem Zahlungsverbot (§ 92 Abs. 2 AktG, § 64 GmbHG) stehe. Die Antragspflichten verfolgten daher keine „insolvenztypischen“ Zwecke, sie dienten vielmehr in erster Linie dem Schutz von Neugläubigern713. Darüber hinaus sprächen auch die mit der Antragspflicht verbundenen Folgen, die möglicherweise in der Beendigung der Gesellschaft bestehen, und somit ein Pendant zu den gesellschaftsrechtlichen Vorschriften über die Gründung der Gesellschaft darstellten, für eine gesellschaftsrechtliche Qualifikation der Antragspflichten714. Die gläubigerschützenden Regelungen des Gesellschaftsstatuts bildeten außerdem jeweils eine Regelungseinheit mit den Antragspflichten. Die Anwendung der Antragspflichten des autonomen deutschen Insolvenzrechts i.V.m. den Gläubigerschutzvorschriften des ausländischen Organisationsrechts führe daher zu Friktionen und könne eine Normenhäufung oder einen Normenmangel715 zur Folge haben716. Schließlich wird argumentiert, eine Zuordnung der Antragspflichten zum Insolvenzrecht führe in mehrerlei Hinsicht zu Rechtsunsicherheiten: Der präsumtiv Verpflichtete könne nur unter Berücksichtigung der schwierigen Frage, wo sich das COMI der von ihm geführten, international agierenden schuldnerischen Gesellschaft befindet, Art und 710 So i.Erg. auch Mock/Schildt, in: Grenzüberschreitende Gesellschaften, § 16, Rn. 16; Ulmer, KTS 2004, 291, 297. 711 Eine umfassende Darstellung der zur Frage der Qualifikation und Anknüpfung von Antragspflichten bestehenden Auffassungen findet sich bei U. Huber, in: Europäische Auslandsgesellschaften, S. 307 ff. 712 Vallender/Fuchs, ZIP 2004, 829, 830; Mock/Schildt, in: Grenzüberschreitende Gesellschaften, § 16, Rn. 35 f.; Mock/Westhoff, DZWIR 2004, 23, 27. 713 Ulmer, KTS 2004, 291, 301. 714 Mock/Schildt, in: Grenzüberschreitende Gesellschaften, § 16, Rn. 37. 715 Allgemein zur Problematik von Normenhäufung und Normwidersprüchen in Verbindung mit Scheinauslandsgesellschaften vgl. Weller, Europäische Rechtsformwahlfreiheit, S. 104 ff. Zur Figur des Normenmangels siehe Kropholler, Internationales Privatrecht, S. 234 f. 716 Zu den genannten Punkten Mock/Schildt, in: Grenzüberschreitende Gesellschaften, § 16, Rn. 40.

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Umfang der Antragspflichten abschätzen, was dazu führe, dass es zu unnötigen, verfrühten Antragstellungen komme. Im Falle von Auslandsgesellschaften ergäben sich aufgrund der Notwendigkeit einer Substitution durch inländische Gesellschaftsformen weitere Unwägbarkeiten717. Den genannten Argumenten ist zuzugeben, dass eine Gemengelage von Insolvenzrecht des COMI-Staates und Gesellschaftsrecht des Gründungsstaates zu erheblichen praktischen Problemen führt. Diese sind jedoch Folge der unterschiedlichen Anknüpfung von Gesellschafts- und Insolvenzstatut. So wünschenswert eine Vermeidung der gezeigten praktischen Schwierigkeiten wäre, für die Zuordnung einzelner Regelungen zum Gesellschafts- oder Insolvenzrecht ist ihnen allenfalls die rechtspolitische Forderung nach einem Gleichlauf der Anknüpfungen zu entnehmen718. Darüber hinaus wird übersehen, dass eine von der Belegenheit des COMI abhängige Antragspflicht der Geschäftsleitung durch eine Verlegung des Interessenmittelpunkts je nach Lage der Dinge nicht notwendig zu einer besonders frühen Verfahrenseröffnung führt. Durch gezielte (Re-)Lokation des COMI könnte vielmehr auf die Frage der Antragspflichten in erheblichem Maße verzögernd Einfluss genommen werden719. Sähe man in den Antragspflichten organisationsrechtliche Bestimmungen, so ergäbe sich ebenfalls eine erhebliche Unsicherheit. Für den Schuldner oft schwierig zu beantwortende Fragen stellten sich nämlich in diesem Fall unverändert spätestens im Zusammenhang mit der Frage nach den Voraussetzungen einer Erfüllung der Antragspflicht organschaftlicher Vertreter, da dieser nicht mit einem (unzulässigen) Antrag beim unzuständigen Gericht entsprochen ist720 und der Schuldner somit ohnehin Feststel717 Mock/Schildt, in: Grenzüberschreitende Gesellschaften, § 16, Rn. 38, 41. Zur Substitution siehe Eidenmüller, in: Ausländische Kapitalgesellschaften, § 9, Rn. 27; Trunk, Internationales Insolvenzrecht, S. 104. 718 Zu dieser Forderung und ihrer Realisierbarkeit durch den Gleichlauf von Gründungs- und Verfahrensstatut siehe unten, S. 349 ff.; 352 ff. 719 Darin könnte man freilich ebenso ein Argument für eine Zuordnung zum Gesellschaftsrecht erblicken. 720 Vallender/Fuchs, ZIP 2004, 829, 831, offenlassend hingegen AG Köln, NZI 2005, 564, das allein auf die Unzulässigkeit eines zweiten Antrags bei vorheriger Eröffnung eines Hauptverfahrens abstellt. Für die Erfüllung der Antragspflicht kann es aus diesem Grund auch nicht auf die Wirkungen des Hauptverfahrens in dem innergemeinschaftlich zuständigen Forum ankommen (vgl. aber Mock, NZI 2006, 24, 25). Noch nicht abschließend geklärt ist, wie ein Gericht vorzugehen hat, wenn es sich als international unzuständig erachtet. Die EuInsVO enthält insoweit keine ausdrücklichen Bestimmungen. Das AG Hamburg, NZI 2006, 486 f. hält in diesem Fall eine nicht bindende internationale Verweisung für möglich. Demgegenüber wird in der Literatur (Vallender, KTS 2005, 293, 298; Mankowski, NZI 2006, 487 f.) vertreten, die EuInsVO kenne eine solche Verweisung nicht. Da bereits dem europäischen Internationalen Zivilprozessrecht ein solches Institut nicht bekannt sei, könne es auch im Bereich der EuInsVO

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lungen zum Ort des COMI und über die Möglichkeit der Stellung eines Antrags auf Eröffnung eines Sekundärverfahrens treffen müsste721. Darüber hinaus lässt sich allein aus dem Umstand, dass der Beispielkatalog in Art. 4 Abs. 2 EuInsVO die Antragspflichten nicht erwähnt, nicht ableiten, dass diese nicht von dem nach Art. 4 Abs. 1 EuInsVO anzuwendenden mitgliedstaatlichen Recht umfasst sein sollen722. Das aus dem Integrationszweck der EuInsVO723 folgende Gebot einer extensiven Auslegung der Kollisionsvorschrift des Art. 4 spricht vielmehr für das Gegenteil724. Jedenfalls steht die Nichterwähnung im Katalog des Art. 4 EuInsVO einer insolvenzrechtlichen Qualifikation nicht zwingend entgegen. Wären die Insolvenzantragspflichten jedoch Teil der lex fori concursus, so sprächen die oben genannten Argumente zum Verhältnis von Art. 4 EuInsVO und der Niederlassungsfreiheit nach dem AEUV dafür, dass sich das Problem der Rechtfertigung des Eingriffs in Art. 49, 54 AEUV nicht stellt725. Zumindest würde man in einer Anwendung der Antragspflicht auf Scheinauslandsgesellschaften eine aus zwingenden Gründen des Allgemeininteresses zum Schutze der Gläubiger erfolgende und zur Erreichung dieses Ziels i.S. der durch den EuGH entfalteten Rechtfertigungsdogmatik726 geeignete und damit gerechtfertigte Maßnahme erblicken können727. Auch die systematischen Überlegungen, die eine gesellschaftsrechtliche Qualifikation stützen sollen, begegnen Bedenken. Zwar ist nicht jeder Ankeine Berücksichtigung finden. Mankowski schlägt vor, eventuell drohenden Verstößen gegen die Antragspflicht am COMI mit der Einführung eines subjektiven Tatbestandsmerkmals zu begegnen. Antragspflichten wären dann nur versäumt, wenn der Verpflichtete seinen Antrag „vorsätzlich“ beim falschen Gericht stelle (Mankowski, NZI 2006, 487). 721 Vallender/Fuchs, ZIP 2004, 829, 833 ff.; vgl. auch Mock, NZI 2006, 24, 25 f. 722 So i. Erg. aber Schumann, DB 2004, 743, 746; Ulmer, NJW 2004, 1201, 1207; U. Huber, in: Europäische Auslandsgesellschaften, S. 307, 322 ff. 723 Vgl. Erwägungsgründe Nr. 3, 4, 5, 23 zur EuInsVO. 724 Die Notwendigkeit einer extensiven Auslegung bejahen Duursma-Kepplinger, in: Duursma-Kepplinger/Duursma/Chalupsky, EuInsVO, Art. 4, Rn. 7. Kritischer sind dagegen Haß/Herweg, in: Geimer/Schütze, Art. 4 EuInsVO, Rn. 11. 725 So aber Mock/Schildt, in: Grenzüberschreitende Gesellschaften, § 16, Rn. 39, welche die Frage der Rechtfertigung argumentativ für eine gesellschaftsrechtliche Qualifikation fruchtbar machen wollen. Dieser Ansatz ist jedoch methodisch zweifelhaft, da die Frage der Rechtfertigung derjenigen nach der Qualifikation nachgelagert ist, zutreffend Kuntz, NZI 2005, 425, 427. Eidenmüller, in: Ausländische Kapitalgesellschaften, § 9, Rn. 30 sieht in der Antragspflicht unter Berücksichtigung der sog. Keck-Rechtsprechung des EuGH ohnehin keinen rechtfertigungsbedürftigen Eingriff in die Niederlassungsfreiheit. Ähnlich U. Huber, in: Europäische Auslandsgesellschaften, S. 307, 351. 726 Zu den einzelnen Kriterien der Rechtfertigung eines Eingriffs in die Niederlassungsfreiheit vgl. etwa Eidenmüller, JZ 2004, 24, 26 ff. 727 Zutreffend Zimmer, NJW 2003, 3585, 3590; Müller, NZG 2003, 414, 417; Schanze/ Jüttner, AG 2003, 661, 670 zustimmend Riedemann, GmbHR 2004, 345, 348.

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tragsberechtigte nach deutschem Recht auch zur Stellung des Antrags verpflichtet. Aber die organschaftlichen Antragspflichten setzen ein Antragsrecht voraus, an dem es fehlen könnte, wenn es für die Antragsberechtigung auf ein anderes Statut ankäme als dasjenige, aus dem sich auch die Antragspflicht ergibt. Die Antragspflichten korrespondieren folglich mit der Antragsberechtigung nach der InsO728 und sind nach deren Neufassung durch das MoMiG nunmehr auch gebündelt in die InsO aufgenommen worden. Darüber hinaus bezwecken die Antragspflichten – wenngleich sie mit der Haftungsbeschränkung in Zusammenhang stehen – die Einleitung des Insolvenzverfahrens und den Schutz der Insolvenzmasse und dienen so der Sicherstellung der Funktionsweise des Insolvenzrechts729 und dem Schutz des Rechtsverkehrs vor insolventen Gesellschaften, was seit jeher Schutzrichtung des Insolvenzrechts ist730. Dass ein nach Erfüllung der Antragspflicht stattfindendes Insolvenzverfahren zur Liquidation des Unternehmensträgers führen kann, berechtigt ebenfalls nicht zur Einordnung der Antragspflichten als insolvenzrechtlich, da die Auflösung als solche ohnehin Gegenstand des Gesellschaftsrechts ist (vgl. §§ 60 Abs. 1 Nr. 4 GmbHG, 262 Abs. 1 Nr. 3 AktG), während das Insolvenzverfahren, dessen Einleitung den Auflösungsgrund darstellt (bzw. darstellen kann) zweifellos als insolvenzrechtlich zu qualifizieren ist. Die besseren Argumente sprechen danach für eine Qualifikation der Antragspflichten als insolvenzrechtlich731. (2) Anknüpfung Dieser Befund führt allerdings zur schwierigen Anschlussfrage, ob die Antragspflichten damit auch in der Reichweite einer Rechtswahl, also einer Einwirkung auf die internationale Zuständigkeit unter der EuInsVO, liegen. Zur Beantwortung dieser Frage kommt es maßgeblich auf die Anknüpfung der Antragspflicht an. Die Antragspflichten beziehen sich auf einen Zeitpunkt, der vor demjenigen der Eröffnung eines Insolvenzverfahrens liegt. Infolge der insolvenzrechtlichen Qualifikation wird daher bedeutsam, inwieweit schon vor An728

So auch Müller, NZG 2003, 414, 416. Eidenmüller, in: Ausländische Kapitalgesellschaften, § 9, Rn. 26. 730 Borges, ZIP 2004, 733, 739; zustimmend Röhricht, ZIP 2005, 505, 507. 731 So i. Erg. außer den Genannten auch LG Kiel, NZI 2006, 482, 483; Mankowski, NZI 2006, 487, 488; Haubold, in: Gebauer/Wiedemann, Art. 4 EuInsVO, Rn. 92; Trunk, Internationales Insolvenzrecht, S. 103; Günter H. Roth, NZG 2003, 1081, 1085; Vallender, ZGR 2006, 425, 441; Wachter, GmbHR 2004, 88, 101; Riewe/Leithaus, NZI 2008, 598, 600. Anders wohl AG Köln, NZI 2005, 564 (obiter). Ohne die Frage der Qualifikation ausdrücklich aufzuwerfen, wendet das Gericht die Antragspflichten auf die organschaftlichen Vertreter einer Gesellschaft mit Satzungssitz in Köln an, die einen Insolvenzantrag an ihrem (behaupteten) COMI in England gestellt hatten. 729

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tragstellung und Verfahrenseröffnung anhand der Kollisionsnorm das jeweils anwendbare Insolvenzrecht bestimmt werden kann bzw. muss. Eine Bestimmung nach dem Kollisionsrecht der EuInsVO wird verschiedentlich mit dem Argument abgelehnt, Art. 4 EuInsVO setze eine Verfahrenseröffnung voraus, die Frage einer Antragspflicht sei dieser indes zeitlich vorgelagert732. Hinsichtlich der Antragspflichten schiede Art. 4 EuInsVO als Kollisionsnorm danach aus. Allerdings setzt der Wortlaut des Art. 4 EuInsVO nicht voraus, dass bereits eine Verfahrenseröffnung stattgefunden hat, damit der Regelungsbereich der Kollisionsnorm eröffnet ist. Die Vorschrift spricht allein davon, dass ein Verfahren „eröffnet wird“. Damit könnte auch die nachfolgende Eröffnung eines Verfahrens gemeint sein733. Der Wortlaut der Verordnung deutet folglich darauf hin, dass die Kollisionsnorm auch solche Regelungsgegenstände des mitgliedstaatlichen Insolvenzrechts betrifft, die einer Verfahrenseröffnung zeitlich vorgelagert sind. Auch der Katalog in Art. 4 Abs. 2 EuInsVO legt ein solches Verständnis nahe: Nach dem Recht des Eröffnungsstaates bestimmt sich unter anderem, was die Voraussetzungen einer Verfahrenseröffnung sind (Art. 4 Abs. 2 lit. j) EuInsVO) und bei welcher Art von Schuldnern ein Verfahren überhaupt zulässig ist (Art. 4 Abs. 2 lit. a) EuInsVO). Nach der Konzeption der Verordnung ist das Recht des Eröffnungsstaates folglich auch für solche insolvenzrechtlichen Fragen heranzuziehen, die einer Verfahrenseröffnung notwendig vorausgehen734. Zudem ist zu berücksichtigen, dass auch das eröffnete Verfahren schlechterdings „Rückwirkungen“ in den Bereich vor Verfahrenseröffnung zeitigt: Erst nach Eröffnung des Verfahrens ist entschieden, welches Recht auf bestimmte Fragen zur Anwendung kommt und welche Rechtfolgen in der Vergangenheit vorgenommene Handlungen von Schuldner und Gläubigern haben735. Genauso muss daher – bei gegebener Zuständigkeit – eine „Vorwirkung“ des Verfahrensstatuts möglich sein736. Eine Einbeziehung der vor Verfahrenseröffnung zu beantwortenden Rechtsfragen in die lex fori concursus entspricht der Leitidee der Verord732

Eidenmüller, RabelsZ 70 (2006), 474, 495. Insoweit übereinstimmend U. Huber, in: Europäische Auslandsgesellschaften, S. 307, 324. 734 Dabei müssen freilich die Voraussetzungen des Art. 3 Abs. 1 EuInsVO gegeben sein, denn die Zuständigkeitsvorschriften der EuInsVO unterliegen wie dargelegt (oben, S. 98 ff.) keiner „Vorwirkung“ durch die Kompetenzvorschriften der Mitgliedstaaten. 735 U. Huber, in: Europäische Auslandsgesellschaften, S. 307, 326 differenziert demgemäß zwischen kollisionsrechtlichen und materiell-rechtlichen Rückwirkungen. 736 Der Befund zum Verhältnis von nationalen Zuständigkeitsregelungen und solchen der EuInsVO bleibt durch dieses Ergebnis unberührt, denn anders als im hier untersuchten Zusammenhang bestehen dort aufgrund der Kollisionslage gerade keine Anhaltspunkte für eine Anwendbarkeit nationalen Rechts. 733

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nung. Diese geht, wie dargelegt, davon aus, dass die Zuständigkeit nach Art. 3 Abs. 1 EuInsVO nur an einem Ort besteht und sich das insolvenzrechtliche Schicksal daher einheitlich nach dem Recht eines Staates bestimmt. Schließlich wäre es unpraktikabel, solche Fragen, die der Verfahrenseröffnung zeitlich und logisch vorgehen, anders anzuknüpfen als solche, die den Zeitraum nach Verfahrenseröffnung betreffen, da weitreichende Friktionen und Inkompatibilitäten entstünden. Es spricht daher vieles dafür, die Antragspflichten als Bestandteil der lex fori concursus i.S. des Art. 4 EuInsVO anzusehen737. Nähme man für die vor Verfahrenseröffnung liegenden insolvenzrechtlichen Fragen an, dass die Kollisionsvorschriften der EuInsVO nicht unmittelbar anwendbar sind738, so ließe sich zur Ermittlung des maßgeblichen Insolvenzstatuts auf das Statut der hypothetischen Verfahrenseröffnung abstellen. Entscheidend käme es damit auf den Ort der Belegenheit des schuldnerischen COMI an739. Teilweise wird demgegenüber vertreten, die Anknüpfung der Insolvenzantragspflicht könne keinesfalls aus der EuInsVO entwickelt werden. Neben dem – nach obigen Ausführungen wenig überzeugenden – Hinweis auf die fehlende Erwähnung im Katalog des Art. 4 EuInsVO wird dabei vor allem argumentiert, die EuInsVO setze für ihre Regelungsgegenstände voraus, dass es überhaupt zur Befassung eines mitgliedstaatlichen Gerichts mit einem Verfahren komme740. Dies sei jedoch bei der Antragspflicht überhaupt nicht der Fall, da deren Tatbestandsvoraussetzungen und Sanktionen unabhängig von der Frage der nachfolgenden Befassung eines Gerichts mit einem Insolvenzverfahren einträten741. Die Antragspflicht unterfalle daher einer kollisionsrechtlichen Sonderanknüpfung die sich nach den beteiligten sachrechtlichen Regelungsinteressen bestimme: Geboten sei eine isolierte Anknüpfung der Antragspflicht an das COMI des Schuldners742. Nur so werde sichergestellt, dass das Insolvenzverfahren dort stattfinde, wo auch die betroffenen Gläubigerinteressen ihren Schwerpunkt hätten. Ferner werde nur so dem Sachzusammenhang zwischen Insolvenzantragspflicht und dem Insolvenzverfahren im Ganzen Rechnung getragen.

737

So i. Erg. auch LG Kiel, NZI 2006, 482, 483. Eine unmittelbare Einbeziehung nimmt Müller, NZG 2003, 414, 416 vor. Danach wäre die Antragspflicht als Teil der lex fori concursus anzusehen. 739 So Eidenmüller, RabelsZ 70 (2006), S. 474, 495. 740 U. Huber, in: Europäische Auslandsgesellschaften, S. 307, 325. 741 U. Huber, in: Europäische Auslandsgesellschaften, S. 307, 325 ff. 742 Vgl. zu allen hier dargestellten Argumenten U. Huber, in: Europäische Auslandsgesellschaften, S. 307, 328 ff., 334; zustimmend Mock, NZI 2006, 484, 485. Dabei will Huber diese Anknüpfung unabhängig von der Qualifikation als gesellschafts-, deliktsoder insolvenzrechtlich vornehmen. 738

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Aus diesem gespaltenen Meinungsbild zur Anknüpfung der Antragspflicht ergibt sich, dass die Antragspflichten jedenfalls dann in der Reichweite eines forum shopping liegen, wenn diese im Wege der Zuständigkeitserschließung erfolgt: Wird auf die zuständigkeitsbegründenden tatsächlichen Umstände dergestalt eingewirkt, dass eine Verlegung des COMI stattfindet, so bestimmen sich auch die Voraussetzungen einer Antragspflicht nach dem Recht am neuen COMI, während Antragspflichten des am Ausgangspunkt der Verlegung geltenden Insolvenzrechts nicht weiter eingreifen können. Einer Auseinandersetzung mit den divergierenden Auffassungen bedarf es indes, soweit eine Rechtswahl durch kompetenzwidrige Inanspruchnahme eines bestimmten Forums erfolgt. Dies ist unter der EuInsVO in den aufgezeigten Grenzen der Anerkennungspflicht möglich. Nähme man an, bei den Antragspflichten handelte es sich um einen zur lex fori concursus gehörenden und damit unmittelbar Art. 4 EuInsVO unterfallenden Regelungsgegenstand, so käme es darauf an, inwieweit neben der lex fori concursus generalis noch solche insolvenzrechtlichen Bestimmungen anderer Mitgliedstaaten, insbesondere des Gründungsstaats oder des Staats, in dem sich das COMI tatsächlich befindet, zur Anwendung kommen können. Aufgrund des Zusammenspiels von Zuständigkeits- und Anerkennungsregeln der Verordnung ist hier zwischen der Situation vor und der Situation nach Eröffnung eines Hauptverfahrens zu unterscheiden; bevor ein Verfahren eröffnet wird, sind nach allen genannten Auffassungen die Antragspflichten der am COMI geltenden Jurisdiktion maßgeblich. Dass mit der Eröffnung eines Hauptverfahrens nach Art. 4 EuInsVO die lex fori concursus generalis dieses Verfahrens zur Anwendung kommt und die Vorschrift insofern keine gegenteiligen Anordnungen vorsieht, spricht für eine ausschließliche Anwendbarkeit der Antragspflichten des Insolvenzstatuts des Hauptverfahrens, nachdem es eröffnet wurde. Jede andere Sichtweise, etwa eine fortdauernde Anknüpfung am tatsächlichen anstelle einer Anknüpfung am in Anspruch genommenen COMI, führte in einer Vielzahl von Fällen zu der Notwendigkeit, zwischen einer alternativen und einer kumulativen Anwendung beider Normen zu entscheiden743. Die insolvenzrechtliche Behandlung des Schuldners würde so mehreren Statuten unterstehen, was dem Sinn und Zweck der EuInsVO diametral entgegenstünde. Dieser liegt, wie dargelegt, gerade die Idee eines einheitlichen Verfahrens (mit den von der Verordnung bezeichneten territorialen Durchbrechungen) zugrunde. Infolge der uneinheitlichen Qualifikation sich überschneidender Regelungsgegenstände könnte es trotz extensiver verordnungsautonomer Auslegung des Art. 4 EuInsVO zu vergleichbaren Pro743

Allgemein zu diesen beiden Möglichkeiten zur Bewältigung der dann im Ergebnis bestehenden Mehrfachanknüpfung siehe Kegel/Schurig, IPR, § 6 IV, S. 319 f.

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blemen zwar grundsätzlich auch dann kommen, wenn man eine Ausschließlichkeit der Insolvenzstatuts annähme. Diese verbleibenden Friktionen sind jedoch als unter dem bestehenden System unvermeidbar hinzunehmen. Ausgehend von der Auffassung, derzufolge die Antragspflichten einer Sonderanknüpfung unterliegen, müssten indes auch nach einer Verfahrenseröffnung weiterhin die Antragspflichten des Insolvenzrechts am tatsächlichen Belegenheitsort des COMI eingreifen. Dieses Ergebnis ist jedoch aus den genannten Gründen kaum wünschenswert. Selbst wenn die Antragspflicht voraussetzte, dass noch kein Antrag gestellt wurde, so führt dies keinesfalls dazu, dass sie „mit logischer Notwendigkeit“ aus dem Anwendungsbereich der EuInsVO herausfällt744. Denn die Antragspflicht ist ein den Antrag betreffender Regelungsgegenstand, der genauso wie das Antragsrecht oder die weiteren Voraussetzungen, unter denen ein Antrag erfolgen kann, die rechtlichen Bedingungen der Antragstellung betrifft. Nachdem jedoch zumindest die Frage, wer überhaupt einen Antrag stellen kann, nicht unabhängig vom Verfahrensstatut beantwortet werden kann (sonst würde dieses nicht einmal abschließend darüber entscheiden, über wessen Vermögen ein Verfahren stattfinden kann), liegt auch eine Einbeziehung der Antragspflichten nahe. Eine Beurteilung der Antragspflichten nach dem Verfahrensstatut würde dieser inneren Verbindung zwischen der Antragspflicht und den Voraussetzungen des Insolvenzverfahrens entsprechen. Der auch zur Begründung der Sonderanknüpfung der Antragspflichten am COMI herangezogene Zusammenhang zwischen den Voraussetzungen des Insolvenzverfahrens (die sich unweigerlich nach der lex fori concursus richten) und den Antragspflichten, die dessen Einleitung sicherstellen sollen745, sollte konsequenterweise in der Forderung enden, dass die Antragspflichten am COMI nicht mehr eingreifen, wenn es einmal an einem anderen Ort als dem COMI zu einer Verfahrenseröffnung gekommen ist. Schließlich ist zu berücksichtigen, dass die Antragspflicht zwar Antragstellung und Verfahrenseröffnung vorausgeht, sie jedoch das Verfahren regelmäßig nach sich zieht und ihre Verletzung nur dann sanktioniert wird, wenn es zum Eintritt der materiellen Insolvenz gekommen ist, die zugleich notwendige Verfahrensvoraussetzung ist. Denkbar ist sogar, dass eine Verletzung der Antragspflicht, anders als nach deutschem Recht, nur innerhalb des Insolvenzverfahrens haftungsrechtliche Konsequenzen zeitigen kann746.

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So U. Huber, in: Europäische Auslandsgesellschaften, S. 307, 325. U. Huber, in: Europäische Auslandsgesellschaften, S. 307, 331. 746 So können beispielsweise Ansprüche aus dem im englischen Recht bekannten Institut des wrongful tradings ausschließlich durch einen liquidator in einem in England 745

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Ein Festhalten an den Antragspflichten des COMI-Staates wäre in dieser Situation kaum sinnvoll. Die Anknüpfung ist daher nicht nur „[…] an denjenigen Ort zu legen, an dem das Insolvenzverfahren durchzuführen ist“747, sondern letztlich an denjenigen, an dem es – mit Sperrwirkung auch gegenüber dem vorgenannten Ort – durchgeführt wird. Eine andere Auffassung würde den erheblichen Unsicherheiten, die aus der Unbestimmtheit des COMI-Kriteriums resultieren, nicht gerecht. Denn es ist keinesfalls sichergestellt, dass das „tatsächliche“ COMI nach einer Verfahrenseröffnung in einem bestimmten Forum ermittelt werden kann. Eine Anknüpfung am COMI wäre indes nur dann sinnvoll und interessengerecht, wenn sich die internationale Zuständigkeit zum Zeitpunkt einer andernorts und kompetenzwidrig erfolgenden Verfahrenseröffnung weiterhin identifizieren ließe. Daran mangelt es jedoch vielfach. An dieser Stelle wird deutlich, dass das von den Vertretern einer Sonderanknüpfung vorausgesetzte Verständnis des COMI in vielen Fällen nicht der Realität entspricht. Dies gilt insbesondere hinsichtlich der Annahme, die Durchführung des Verfahrens am COMI korrespondiere am ehesten auch den Gläubigerinteressen748. Dieser Annahme wird eine besonders gläubigerbezogene Ausdeutung des COMI zugrunde gelegt, jedoch in derselben praxisfremden Abstraktheit, wie sie auch in den Erwägungsgründen zur EuInsVO zum Ausdruck kommt. Wie gezeigt werden konnte, sind die mit Art. 3 Abs. 1 S. 1 EuInsVO verbundenen Interpretationsansätze allerdings sehr vielfältig. Das vorausgesetzte Verständnis ist daher nur eines von vielen möglichen und übersieht dazu die weitreichende Manipulationsempfindlichkeit des Kriteriums. Die Sonderanknüpfung fußt mithin auf einer bloß denkbaren, aber keinesfalls zwingenden und ebenso wenig der Praxis entsprechenden Lesart der Zuständigkeitsvorschrift. Aus den Argumenten, die für eine Sonderanknüpfung am COMI vorgetragen werden, folgt nicht zwingend, dass die Antragspflichten auch nach Verfahrenseröffnung weiter Bestand haben müssen. Spätestens nachdem eine Verfahrenseröffnung vorliegt – und zwar im Sinne des vom EuGH entfaltetens Eröffnungsbegriffs749 –, kommt eine Anwendung anderer Antragspflichten als derjenigen des Eröffnungsstaates stattfindenden Insolvenzverfahren geltend gemacht werden, vgl. dazu Gräfe, DZWIR 2005, 410 ff. sowie Steffek, NZI 2010, 589 ff. 747 U. Huber, in: Europäische Auslandsgesellschaften, S. 307, 359. 748 So U. Huber, in: Europäische Auslandsgesellschaften, S. 307, 333. Huber nennt zwar den typischen Zweifelsfall der Konzernkonstellation, geht aber in diesem Zusammenhang (a.a.O., S. 307, 336 f.) allein auf die Frage ein, ob das COMI einer Tochter- bei der Muttergesellschaft zu verorten wäre. Genauso kann sich jedoch die viel grundsätzlichere Frage stellen, wo sich die jeweiligen COMI befinden. 749 Zu diesem vgl. oben, S. 150 ff.

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nach alldem nicht weiter in Betracht. Entscheidend kommt es von diesem Zeitpunkt an nur noch auf die in Anspruch genommene, nicht die tatsächliche Zuständigkeit an. In welchem Staat sich das COMI tatsächlich befindet, ist dann also irrelevant750. Das im Sinne des gemeinschaftsrechtlichen Begriffs „eröffnete“ Verfahren zeitigt danach eine Sperrwirkung gegenüber ausländischen Antragspflichten751, die unabhängig von einer tatsächlichen Verlegung des COMI eingreift. Die tatbestandlichen Voraussetzungen der Antragspflichten des Verfahrensstatuts müssen jedoch keineswegs notwendig erfüllt sein. Mittels erfolgreichen forum shopping ließe sich – auch durch kompetenzwidrige Inanspruchnahme der Eröffnungszuständigkeit – eine Antragspflicht daher ggf. sogar nachträglich, d.h. nach Eintritt ihrer Voraussetzungen, noch umgehen, soweit das Insolvenzrecht am Ort der Verfahrenseröffnung nicht ebenfalls eine identisch ausgestaltete Pflicht kennt und eine Verfahrenseröffnung dort bereits möglich ist752. Allerdings ist vorstellbar, dass die Antragspflichten im Eröffnungsstaat strengere Voraussetzungen kennen und es daher erst infolge eines forum shopping zum Pflichtenverstoß kommt. Dieser Nachteil ist unbefriedigend, würde aufgrund der Unbestimmtheit des Kriteriums jedoch auch bei Beibehaltung der Sonderanknüpfung am COMI für den Zeitraum nach einer Verfahrenseröffnung in gleicher Weise auftreten können. Die Antragspflichten liegen so gesehen unabhängig von dem beim forum shopping verfolgten Ansatzpunkt in der Reichweite einer Rechtswahl unter der EuInsVO. (3) Antragspflichten und Sekundärverfahren Es stellt sich schließlich noch die Frage, wie Antragspflichten aus lex fori concursus generalis und möglichen leges fori concursus secundariae bezüglich der Stellung eines Antrags auf Eröffnung eines Sekundärverfahrens nach Art. 29 lit. b) EuInsVO zu behandeln sind753. Bejahte man im jeweiligen Mitgliedstaat (Haupt- oder potenziellem Sekundärverfahrensstaat) die Pflicht zur Stellung eines entsprechenden Antrags, so würde diese eingreifen, wenn dort die Voraussetzungen der Niederlassung vorlägen 750

Auf den hypothetischen Staat der Verfahrenseröffnung kommt es hingegen wiederum an, wenn der Eröffnungsantrag mangels Masse zurückgewiesen wurde, zutreffend Vallender, ZGR 2006, 425, 457. 751 Eine solche impliziert auch Mock, NZI 2006, 24, 25, wenn er ausführt, eine Verfahrenseröffnung könne die Inanspruchnahme eines Geschäftsleiters wegen Insolvenzverschleppung verhindern, wenn sie nicht in dem Staat stattfinde, in dessen Insolvenzrecht die zivilrechtliche Haftungsbewehrung der Antragspflicht normiert sei. 752 Einen Überblick über die bestehenden Antragspflichten in wirtschaftlich bedeutsamen europäischen Jurisdiktionen geben Sahm/Jahn, Insolvenzen in Europa, passim, sowie Mock/Westhoff, DZWIR 2004, 23, 27. 753 Dies offenlassend Vallender/Fuchs, ZIP 2004, 829, 834 f.

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– und sei es infolge einer kompetenzwidrigen, aber anzuerkennenden Hauptverfahrenseröffnung in einem anderen Mitgliedstaat als Minus gegenüber dem tatsächlichen COMI754. Die Manipulationsmöglichkeiten bezüglich der Antragspflichten wären dann stark beschränkt. Diese Antragspflicht wäre indes nur erfüllbar, wenn nicht durch die vorhergehende Eröffnung eines Hauptverfahrens der Übergang der Vertretungs- und Verfügungsbefugnis stattgefunden hat und infolge dieses Übergangs die Geschäftsführung des schuldnerischen Unternehmens ihre Antragsberechtigung verloren hätte755. Mit Blick auf Sinn und Zweck der Antragspflicht, den Schutz des Rechtsverkehrs vor insolvenzreifen Gesellschaften, dürfte eine Erstreckung der Antragspflicht auf Sekundärverfahren jedoch insgesamt abzulehnen sein756. Denn der genannte Schutzzweck ist bereits durch Stellung eines Antrags auf Eröffnung eines Hauptverfahrens nach Art. 3 Abs. 1 EuInsVO erreicht757. Mit Blick auf den Aspekt des praktisches Werts von Manipulationen der Verfahrenseröffnung gilt auch hier: Solange die genannten Fragen einer verbindlichen Klärung durch die Rechtsprechung harren, können selbst erfolgreiche case placer sich ihrer Sache nicht sicher sein, sodass es jeweils bei einer bloßen Chance auf erfolgreiche Einwirkungen bleibt. In den strafrechtlichen Sanktionen einer unterbliebenen Antragstellung (z. B. im deutschen Recht durch § 84 Abs. 1 Nr. 2 GmbHG, § 401 Abs. 1 AktG, deren Anwendbarkeit im jeweiligen Fall Gegenstand einer gesonderten Prüfung

754 Entgegen einer vereinzelt vertretenen Auffassung (vgl. die Nachweise bei Vallender/Fuchs, ZIP 2004, 829, 834) ist mit den Voraussetzungen des Niederlassungsbegriffs in Art. 2 lit. a) EuInsVO nicht auch ein Maximum an Voraussetzungen, also eine Obergrenze statuiert. Ausführlich dazu unten, S. 226. 755 Ein weiterbestehendes Antragsrecht bejaht etwa AG Köln, NZI 2004, 151, 153 mit der Begründung, die Gesellschaftsorgane und ihre Aufgaben blieben nach Verfahrenseröffnung bestehen, der Übergang der Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis betreffe allein das Schuldnervermögen. Anders hingegen Duursma-Kepplinger/Chalupsky, in: Duursma-Kepplinger/Duursma/Chalupsky, EuInsVO, Art. 29, Rn. 8; Eidenmüller, NJW 2004, 3455, 3458; FK-InsO/Wimmer, Anh. I, Art. 102 EGInsO, Rn. 387; Uhlenbruck/ Lüer, InsO, Art. 102 EGInsO, Rn. 200. 756 So wohl auch AG Köln, NZI 2005, 564 (obiter), wonach mit Stellung eines Antrags nach Art. 3 Abs. 1 EuInsVO in England der Antragspflicht aus § 64 GmbHG a. F. entsprochen war, obwohl laut Sachverhalt in Deutschland die Voraussetzungen einer Niederlassung gegeben waren. Vgl. auch Meyer-Löwy/Poertzgen, ZInsO 2004, 195, 197. Wenn Schilling/Schmidt, DZWIR 2006, 219, 220 aus dem Zweck des Sekundärverfahrens hingegen ableiten, dass eine Haftung wegen Insolvenzverschleppung in einem Sekundärverfahren möglich ist, so müssten sie – bei Zugrundelegung einer insolvenzrechtlichen Qualifikation – jedenfalls auf die Antragspflichten des Hauptverfahrensstatuts abstellen. 757 Unzureichend wäre hingegen die Stellung eines Antrags nur auf Eröffnung eines Sekundär- oder Partikularverfahrens, vgl. auch AG Köln, NZI 2005, 564.

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sein muss758) wird man zudem ein Moment erblicken können, das verhindern könnte, dass es das Management in der Praxis auf die bloße Exspektanz einer erfolgreichen Abwahl der Antragspflichten ankommen lassen wird. Allerdings zeigen die praktischen Erfahrungen sogar, dass in strafrechtlichen Antragspflichten eine Triebfeder zur Stellung von Insolvenzanträgen auch im Ausland liegen kann759. In jedem Falle bleibt festzuhalten, dass sich ein wichtiger Regelungskomplex in der Reichweite von Einwirkungen durch die Verfahrensbeteiligten befindet. b. Insolvenzverschleppungshaftung Ein weiterer Aspekt, für den die Frage nach der Reichweite eines Insolvenzstatuts von großem Interesse ist, ist die Insolvenzverschleppungshaftung. Wenngleich viele der Mitgliedstaaten entsprechende Regelungen kennen760, so ließe sich doch, wenn die Vorschriften ausschließlich dem Insolvenzstatut zuzuordnen wären, mit einer Rechtswahl auch Einfluss auf das Haftungsregime nehmen, dem die Geschäftsleiter des Schuldners unterstehen761. Nach deutschem Recht haften die Geschäftsleiter nach §§ 93 Abs. 3 Nr. 6, 92 Abs. 2 AktG, § 64 GmbHG, 99 GenG der Gesellschaft auf Ersatz nach Eintritt der Insolvenzreife geleisteter Zahlungen. Darüber hinaus stellt § 15a InsO ein Schutzgesetz dar, das in Verbindung mit § 823 Abs. 2 BGB zu einer Haftung gegenüber den Gläubigern für den Eingehungs- bzw. Quotenschaden führen, den diese infolge einer pflichtwidrigen

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Ungeachtet der Frage, ob auch die strafrechtlichen Bestimmungen insolvenzrechtlich qualifiziert werden könnten, kommt eine Anwendung auf die Organe von nicht nach deutschem Recht verfassten Unternehmen auch aufgrund des im Strafrecht unbedingt zu beachtenden Verbots strafbegründender Analogien (Art. 103 Abs. 2 GG), gegen das mit einer Substitution verstoßen würde, nicht in Betracht. Zwar wird vertreten, wer Geschäftsführer im Sinne der strafrechtlichen Vorschriften ist, sei nicht allein nach Maßgabe juristischer Kategorien des deutschen Rechts zu bestimmen. Die Einbeziehung etwa des directors einer englischen Limited stelle daher keinen Verstoß gegen die Wortlautgrenze dar (so Gross/Schork, NZI 2006, 10, 12 ff.; i.Erg. nunmehr auch OLG Jena, NZI 2013, 807, dagegen Poertzgen, NZI 2013, 809). Jedoch wird man zur Beachtung der Auslegungsgrenzen verlangen müssen, dass es sich um den juristischen oder faktischen Geschäftsführer einer GmbH im juristischen Sinne, also einer GmbH i.S. des GmbHG, handelt (anders Gross/Schork a.a.O.). Siehe dazu auch Zimmer, NJW 2003, 3585, 3590; Wachter, GmbHR 2004, 88, 101; U. Huber, in: Europäische Auslandsgesellschaften, S. 307, 343; Vallender, ZGR 2006, 425, 458. 759 Ballmann, BB 2007, 1121, 1122. 760 Ein kursorischer Überblick über die rechtliche Lage in verschiedenen Mitgliedstaaten findet sich bei Mock/Westhoff, DZWIR 2004, 23, 27. Umfassend Strauß, Insolvenzbezogene Geschäftsleiterhaftung. 761 Mock, NZI 2006, 24, 25 spricht daher von einem „Steuerungspotenzial“.

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und schuldhaften Verzögerung der Antragstellung erlitten haben762. Auch für die Regelungen der Insolvenzverschleppungshaftung lässt sich nicht schon anhand des Beispielkatalogs in Art. 4 Abs. 2 EuInsVO feststellen, ob sie Teil des Insolvenzstatuts sind. Die Zuordnung der Vorschriften über die Insolvenzverschleppungshaftung zum Gesellschafts-, Insolvenz- oder/und Deliktsstatut ist ebenfalls Gegenstand einer kontroversen Diskussion763. Zumindest die Haftung nach § 823 Abs. 2 BGB legt auf den ersten Blick eine deliktsrechtliche Qualifikation nahe, sodass die Anwendbarkeit ausgehend von der deutschen Vorschrift des Art. 40 Abs. 1 EGBGB zu beurteilen wäre764. Bei der Haftung der Geschäftsleiter gegenüber der Gesellschaft scheint außerdem eine Zuordnung zum Organisationsstatut in Betracht zu kommen765, insbesondere wenn man mit der soeben dargelegten Auffassung schon in den Antragspflichten gesellschaftsrechtliche Regelungen erblickt. Jedoch erscheint es widersinnig, die Sanktionen gegen eine als insolvenzrechtlich anzusehende Pflicht ihrerseits als organisationsrechtlich anzusehen766. Gegen eine deliktsrechtliche Qualifikation oder eine Mehrfachqualifikation767 sprechen darüber hinaus weitere Gesichtspunkte. Zum einen ist zu berücksichtigen, dass die Insolvenzverschleppungshaftung allein bei Eintritt der Insolvenz relevant wird und damit genauso wie die Insolvenzantragspflicht in einer sehr engen Beziehung zum Insolvenzverfahren steht. Einer Mehrfachqualifikation steht entgegen, dass im Rahmen einer Schwerpunktbildung der insolvenzrechtliche Gehalt der Normen deutlich überwiegt768. Zum anderen deutet auch die Entscheidung des EuGH in der Rechtssache Gourdain/Nadler zur Einordnung des französischen Instituts der Klage en comblement de passif social (die bei funktioneller Betrachtung der deutschen Insolvenzverschleppungshaftung entspricht769) auf eine ausschließliche Zuordnung zum Insolvenzrecht hin770. Die vom EuGH mit dem Er762 Vgl. dazu BGHZ 126, 181, 190; BGHZ 100, 19, 21; BGHZ 75, 96, 106; BGHZ 29, 100, 102 sowie Uhlenbruck/Hirte, InsO, § 11, Rn. 85 ff. m.w.N. 763 Einen Überblick über den Stand der Diskussion vermittelt Mankowski, NZI 2012, 53. 764 So Schanze/Jüttner, AG 2003, 661, 670. 765 So etwa Ulmer, KTS 2004, 291, 301; ders., NJW 2004, 1201, 1207 f.; Altmeppen/ Wilhelm, DB 2004, 1983, 1088. 766 Müller, NZG 2003, 414, 417; Wachter, GmbHR 2004, 88, 101 (in Fn. 101). 767 Eine solche befürwortet Kindler, FS Jayme (2004), 409, 418; ders., NZG 2003, 1086, 1090. 768 Kuntz, ZIP 2005, 424, 428 f. 769 Vgl. Müller, NZG 2003, 414, 417. 770 EuGH, Rs. 133/78 (Gourdain/Nadler), Slg. 1979, S. 733, 743, Rn. 3 ff. Da eine Qualifikation zunächst von den Vorschriften des Gemeinschaftsrechts auszugehen hat, ist die Einordnung durch den EuGH entgegen Mock/Schildt, in: Grenzüberschreitende Ge-

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gebnis einer Zuweisung zum Insolvenzrecht (und damit einer Subsumtion unter die Bereichsausnahme des § 1 EuGVÜ [jetzt § Abs. 2 lit. b) EuGVVO]) herangezogenen Aspekte des Nutzens für die Gläubigergesamtheit und der fehlenden Einzelklagebefugnis treffen weitgehend771 auch auf die Insolvenzverschleppungshaftung nach deutschem Recht zu. Ein Verständnis der Insolvenzverschleppungshaftung als insolvenzrechtlich führt folglich auch zur Vermeidung einer Rechtsschutzlücke, die sich aus einer anderenfalls zu befürchtenden Nichtanwendbarkeit von EuGVVO und EuInsVO ergeben könnte772, solange keine gemeinschaftsweit einheitlichen Regelungen über eine Insolvenzverschleppungshaftung bestehen773. Mit dieser gemeinschaftsrechtlichen Betrachtung sind zugleich Erkenntnisse zur Reichweite des Art. 4 EuInsVO gewonnen. Denn die bestmögliche Lösung der Schnittfeldproblematik zwischen EuGVVO und EuInsVO setzt eine Zuordnung der Insolvenzverschleppungstatbestände zur lex fori concursus voraus. Schließlich ist auch nicht zu erkennen, dass mit der Einführung der EuInsVO eine Abkehr von den durch den EuGH in der Rechtssache Gourdain/Nadler entfalteten Abgrenzungskriterien erforderlich wird. Vielmehr nimmt die Verordnung selbst im 6. Erwägungsgrund auf den Wortlaut dieser Entscheidung Bezug774. Nach alldem ist auch die Insolvenzverschleppungshaftung nach deutschem Recht einheitlich als insolvenzrechtlich zu qualifizieren775. Kommt es zu einer Verfahrenseröffnung in einem anderen Forum als dem COMI, so kann auf die von der Antragspflichtverletzung abhängigen haftungsrechtlichen Sanktionen aus dem Recht des COMI-Staates ebenfalls nicht zurückgegriffen werden. Eine Anwendung der Verschleppungshaftung nach der für das Insolvenzrecht maßgeblichen Anknüpfung scheisellschaften, § 16, Rn. 46 (dort in Fn. 104 a.E.) durchaus von Interesse. Darüber hinaus ist das Institut seit dem Jahr 2000 im insolvenzrechtlichen Teil (Art. L 624-3) des neuen französischen Code de Commerce kodifiziert. 771 Die Frage nach der Anwendbarkeit von § 92 InsO auf den Eingehungsschaden von Neugläubigern ist freilich umstritten, vgl. Uhlenbruck/Hirte, InsO, § 92, Rn. 12 f.; MünchKomm InsO/Brandes, § 92, Rn. 36; die Rechtsprechung erachtet die individuelle Geltendmachung solcher Schäden für möglich (BGHZ 126, 181, 201). 772 Eidenmüller, in: Ausländische Kapitalgesellschaften, § 9, Rn. 32. 773 Zu entsprechenden Bestrebungen der Kommission vgl. Eidenmüller, in: Ausländische Kapitalgesellschaften, § 9, Rn. 35. 774 EuGH, Rs. 133/78 (Gourdain/Nadler), Slg. 1979, S. 733, 743, Rn. 5. 775 I. Erg. auch LG Kiel, NZI 2006, 482, 484; Müller, NZG 2003, 414, 417; Eidenmüller, in: Ausländische Kapitalgesellschaften, § 9, Rn. 32; Borges ZIP 2004, 733, 740; Schilling/Schmidt, DZWIR 2006, 219; Weller, IPRax 2003, 324, 328; ders., IPRax 203, 520, 524; Lehmann, GmbHR 2005, 978, 982. Die Entscheidung des OLG Karlsruhe, NZG 2010, 509 lässt offen, ob eine Zuständigkeit aus Art. 5 Nr. 3 EuGVVO oder Art. 25 Abs. 1 EuInsVO besteht. Vgl. hierzu nunmehr auch OLG Köln, NZI 2012, 52 sowie OLG Jena, NZI 2013, 807.

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tert aus den bereits zur Antragspflicht genannten Gründen auch nicht an der Hürde der gemeinschaftsrechtlichen Niederlassungsfreiheit776. Die Insolvenzverschleppungshaftung richtet sich daher nach dem Statut des eröffneten Hauptverfahrens. Es wird im Wege der im vorhergehenden Abschnitt der Untersuchung dargelegten Mechanismen „gewählt“777. c. Eigenkapitalersatzrecht Ein dritter Regelungsgegenstand, für den die Frage nach der Zugehörigkeit zu der in den genannten Grenzen „wählbaren“ lex fori concursus nach Art. 4 Abs. 1 EuInsVO von Interesse ist, sind die Regelungen über die Subordination von Gesellschafterdarlehen. Es tritt mit Einführung des MoMiG an die Stelle des Rechts der eigenkapitalersetzenden Gesellschafterdarlehen, das zunächst durch die höchstrichterliche Rechtsprechung in Fortbildung der §§ 30, 31 GmbHG778 geschaffen und später in Teilen in Rahmen der GmbH-Rechts-Novelle von 1980 kodifiziert wurde (§§ 32 a, 32 b GmbHG i.V.m. §§ 39 Abs. 1 Nr. 5, 135 InsO). Über die Qualifikation und Anknüpfung dieser Regeln, die eine Durchsetzungssperre der Rückzahlungsforderung und für den Fall erfolgter Rückzahlung eine Erstattungspflicht beinhalten, bestand Dissens779. Die nunmehr mit dem MoMiG getroffene Regelung einer generellen Subordinierung von Gesellschafterdarlehen ungeachtet der Umstände ihrer Gewährung stellt sich in erster Linie als Bestimmung über den Rang der Forderung dar, die nach Art. 4 Abs. 2 lit. g) und i) EuInsVO Teil der lex fori concurus sind. Hier ließe sich jedoch mit Blick auf die Niederlassungsfreiheit nach Art. 49, 54 AEUV eine andere Sichtweise vertreten. In der Sache kann in der Subordinationsregelung nämlich weiterhin eine ge776

Nach Eidenmüller, in: Ausländische Kapitalgesellschaften § 9, Rn. 33 sowie Kuntz, ZIP 2004, 424, 429 fehlt es abermals bereits an einem rechtfertigungsbedürftigen Eingriff in Art. 43, 48 EGV (nunmehr Art. 49, 54 AEUV). 777 Eine Ausnahme für unvorhergesehene Belastungen infolge eines Statutenwechsels schlägt Eidenmüller, RabelsZ 70 (2006), 474, 494 ff. vor. Enthält das Statut des Eröffnungsstaates eine schärfere Verschleppungshaftung als dasjenige am tatsächlichen COMI des Schuldners, so wird man den Einwand, dass der Haftungsumfang den am COMI zu erwartenden nicht übersteigen dürfe, allerdings nur zubilligen können, wenn dies nicht auf ein manipulatives Einwirken der Haftenden zurückgeht. 778 Zum Stand dieser Rechtsprechung vgl. etwa Raiser, Recht der Kapitalgesellschaften, § 38, Rn. 56. 779 Für eine insolvenzrechtliche Qualifikation OLG Köln, NZI 2010, 1001; Mankowski, NZI 2010, 1004 m.w.N. zum aktuellen Streitstand; Haas, NZG 1999, 1148, 1153; ders., NZI 2001, 1, 5 ff., 7, Ulmer, KTS 2004, 291, 299 und Paulus ZIP 2002, 729, 734; für eine Zugehörigkeit zum Gesellschaftsstatut i. Erg. Trunk, Internationales Insolvenzrecht, S. 192 ff.; Eidenmüller, RabelsZ 70 (2006), 474, 491 ff.; Müller NZG 2003, 414, 417; Zimmer, NJW 2003, 3585, 3589; Prütting, Insolvenzrecht 2003, S. 59, 83 f.; Schumann, DB 2004, 743, 748.

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setzliche Regelung zur Frage der Finanzierung der Gesellschaft gesehen werden, da sie letztlich in erster Linie Aussagen darüber trifft, wie eine Kapitalgesellschaft zu ihren Lebzeiten zu finanzieren ist. So gesehen würde auch die neue auf den ersten Blick insolvenzrechtliche Regelung des § 39 Abs. 1 Nr. 5 InsO eine Bestimmung über die Finanzverfassung darstellen, deren Anwendbarkeit auf Auslandsgesellschaften letztlich ein Hindernis zum Markteintritt darstellte, das an den Grundfreiheiten zu messen wäre780. Auch nach der Neuregelung des Rechts der Gesellschafterdarlehen durch das MoMiG sprechen daher weiterhin gute Gründe dafür, die Bestimmung als gesellschaftsrechtlich anzusehen. Von einer Rechtswahl im Wege einer COMI-Verlegung bzw. -Inanspruchnahme wären sie dann nicht zwingend berührt781. d. Existenzvernichtungshaftung Von hoher praktischer Relevanz ist schließlich die Qualifikation der Existenzvernichtungshaftung782. Dieses in der Rechtsprechung des BGH als rein objektive, an den existenzvernichtenden Eingriff als solche anknüpfende Haftung ausgestaltete Institut783 ist nach der Abkehr von der Figur des qualifiziert-faktischen Konzerns durch die höchstrichterlichen Entscheidungen in den Sachen Bremer Vulkan784 und Trihotel785 von großer Bedeutung. Vor allem Weller hat sich engagiert für eine insolvenzrechtliche Qualifikation und eine Anknüpfung der Existenzvernichtungshaftung nach der EuInsVO ausgesprochen786. Er begründet dies damit, dass die materielle Insolvenz der jeweiligen Gesellschaft typischerweise Voraussetzung für die Haftung und deren Geltendmachung im Insolvenzverfahren analog § 93 InsO dem Insolvenzverwalter vorbehalten sei. Zwischen der Existenzvernichtungshaftung und der insolvenzrechtlich einzuordnenden Anfechtung wegen Gläubigerbenachteiligung (§ 133 InsO) bestehe darüber hinaus eine Funktionsäquivalenz787. Die von Weller vorgebrachten Argumente besitzen, gerade im Lichte der Notwendigkeit einer extensiven Auslegung des Anwendungsbereiches von Art. 4 EuInsVO, ein beachtliches Gewicht. Jedoch weisen insbesonde780

Eidenmüller, RabelsZ 70 (2006), 474, 493. Anders nunmehr OLG Köln, NZI 2010, 1001. 782 Allgemein zur Geltendmachung einer Existenzvernichtungshaftung in der Insolvenz siehe Bork, KTS 2006, 39 ff. 783 Vgl. BGHZ 173, 246. 784 BGHZ 149, 10 ff. 785 BGHZ 173, 246. 786 Weller, Europäische Rechtsformwahlfreiheit, S. 235 ff., 262 ff., ders., IPRax 2003, 207, 210, ähnlich Zimmer, NJW 2003, 3585, 3589. 787 Weller, Europäische Rechtsformwahlfreiheit, S. 267 f. 781

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re der vom BGH im Rahmen seiner Konturierung des Existenzvernichtungstatbestands hervorgehobene Zusammenhang zwischen Haftungsprivileg und Vermögenstrennung und der Aspekt der missbräuchlichen Nutzung der mit beschränkter Haftung ausgestatteten Gesellschaftsform auf eine gesellschaftsrechtliche Qualifikation hin. Ferner besteht auch eine funktionelle Nähe zu den Kapitalerhaltungsvorschriften der §§ 30, 31 GmbHG788. Der Durchgriff dient nämlich in erster Linie dazu, die mangelnde Effektivität von Tatbeständen des Gesellschaftsrechts auszugleichen789. Zu Recht wird ferner darauf hingewiesen, dass zwischen der insolvenzrechtlichen Anfechtung wegen Gläubigerbenachteiligung und der Existenzvernichtungshaftung trotz der vergleichbaren Schutzrichtung auch erhebliche Unterschiede bestehen. Während Erstere an die Mitgliedschaft anknüpft, ein subjektives Moment verlangt und sich auf Rückgewähr der unberechtigt aus der Masse erlangten Vermögensvorteile beschränkt (§ 143 Abs. 1 S. 1 InsO), ist Letztere in ihrem personellen Anwendungsbereich nicht auf Gesellschafter begrenzt, rein objektiv ausgestaltet und der Höhe nach unbeschränkt790. Schließlich bestehen gegenüber einer Sonderanknüpfung der Existenzvernichtung auch Zweifel hinsichtlich einer Vereinbarkeit mit den Grundfreiheiten unter den Verträgen. Als Marktzugangsschwelle müssten sie sich an den in der Rechtsprechung des EuGH entwickelten Rechtfertigungskriterien messen lassen. Alles in allem überwiegen daher die Gesichtspunkte, die für eine gesellschaftsrechtliche Einordnung der Existenzvernichtungshaftung sprechen791. Schließlich ist hervorzuheben, dass an diesem Befund auch die Neuverortung des Haftungstatbestands in der Entscheidung Trihotel nichts zu ändern vermag. Denn richtigerweise ist nach Art. 4 Abs. 3 der Rom-II-Verordnung zur Wahrung des Funktionszusammenhangs und aufgrund der gesellschaftsrechtlichen Verwurzelung der Haftungstatbestände eine Anknüpfung akzessorisch zum Gesellschaftsstatut vorzunehmen792.Ob dieser Haftungstatbestand eingreift, bestimmt sich mithin nicht nach der internationalen Zuständigkeit im europäischen Insolvenzrecht, sondern nach der Gründungsanknüpfung des Gesellschaftsstatuts. 788

Ulmer, KTS 2004, 291, 302. Kuntz, NZI 2005, 424, 431. 790 Ulmer, KTS 2004, 291, 302 f. 791 So der Sache nach auch Spindler/Berner, RIW 2004, 11; Ziemons, ZIP 2003, 1913, 1917; Kuntz, NZI 2005, 424, 430 f. Eingehend und zwischen gesellschaftsrechtlichem Durchgriff und deliktischer Verantwortlichkeit unterscheidend Eidenmüller, RabelsZ 70 (2006), 474, 487 f.; ders., ZIP 2002, 2233, 2242. Für eine Mehrfachqualifikation (also gesellschafts-, delikts- und insolvenzrechtlich) spricht sich Kindler, FS Jayme (2004), 409, 416 f. aus, für eine deliktsrechtliche Einordnung Lehmann, GmbHR 2005, 978, 982. 792 Vgl. dazu Eidenmüller, in: Vorschläge und Berichte zur Reform des europäischen und deutschen internationalen Gesellschaftsrechts, S. 469, 481 f. 789

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e. Zusammenfassung Die Befunde zu den Qualifikationsfragen zeigen mit Blick auf das deutsche Recht, dass mit der Einflussnahme auf den Ort der Verfahrenseröffnung auch auf die Insolvenzantragspflichten und die Insolvenzverschleppungshaftung eingewirkt werden kann, während dies für die Bestimmungen über eigenkapitalersetzende Gesellschafterdarlehen und die Existenzvernichtung nicht zutrifft. Die dadurch entstehende, mögliche Aushöhlung der Antragspflicht wird auch durch eine Einbeziehung der Anträge auf Eröffnung eines Sekundärverfahrens nicht kompensiert, zumal schwerwiegende Argumente gegen eine solche Pflicht und das Fortbestehen der entsprechenden Kompetenzen der Geschäftsleiter sprechen und es infolge der Einwirkung auf die Eröffnungszuständigkeit – besonders in Fällen der Zuständigkeitserschleichung oder bei einer vor Eintritt der Insolvenz erfolgten Einstellung des operativen Geschäfts793 – durchaus auch an den Voraussetzungen einer Niederlassung i.S. von Art. 2 lit. h) EuInsVO fehlen kann. Dennoch führt etwa die insolvenzrechtliche Qualifikation der Insolvenzverschleppungshaftung nicht mit Sicherheit dazu, dass eine in Deutschland tätige deutsche Gesellschaft oder Scheinauslandsgesellschaft dieser Haftung auch tatsächlich unterliegt. Wie bereits gezeigt wurde, kann es selbst dann, wenn das COMI des Schuldners in Deutschland belegen ist, zu einer Verfahrenseröffnung in einem anderen Forum kommen. Das Anknüpfungsmerkmal des Mittelpunkts der hauptsächlichen Interessen führt folglich nicht einmal für die dem Insolvenzrecht zugehörigen Tatbestände zwingend dazu, dass den Verkehrs- und Ordnungsinteressen am Ort des tatsächlichen Wirtschaftens eines Unternehmens entsprochen wird. Aber selbst wenn man entgegen der hier vertretenen Auffassung mit der Existenzvernichtungshaftung und den Bestimmungen über eigenkapitalersetzende Gesellschafterleistungen zwei maßgeblich Pfeiler des Gläubigerschutzes als insolvenzrechtlich betrachtete und dem Regelungsgegenstand der Kollisionsnorm des Art. 4 EuInsVO zuwiese, so wäre die in Art. 3, 4 EuInsVO statuierte kompetenz- und kollisionsrechtliche Regelung aufgrund der aufgezeigten Manipulationsmöglichkeiten entgegen Weller keinesfalls „geradezu prädestiniert [...], das Phänomen der Scheinauslandsgesellschaften rechtlich in den Griff zu bekommen“794. Vielmehr ist zu erwarten, dass gerade diejenigen, die von der durch den EuGH eröffneten Mobilität im Gesellschaftsrecht Gebrauch machen, dieselbe Beweglichkeit

793 So etwa in dem Sachverhalt, welcher der Entscheidung des AG Hamburg, ZIP 2005, 2275 zugrunde lag. 794 Weller, Europäische Rechtsformwahlfreiheit, S. 331.

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an den Tag legen werden, wenn es darum geht, die mit der EuInsVO verbundenen Vorteile auszunutzen795. Schließlich ist festzustellen, dass sich die Problematik mit Blick auf deutsche Gesellschaften auch nicht wesentlich entschärfte, wenn es im internationalen Gesellschaftsrecht für die sog. Wegzugsfälle bei einer Beibehaltung der Sitzanknüpfung bliebe796. Mit seiner Entscheidung in der Rechtssache Cartesio stellte der Gerichtshof für Wegszugsfälle klar, dass das Europarecht Wegzugsbeschränkungen durch mitgliedstaatliches Recht gegenüber solchen Gesellschaften, die unter Beibehaltung ihres Gründungsstatuts wegziehen wollen, nicht entgegenstehe. Eine wegziehende Gesellschaft nehme am Schutz der Niederlassungsfreiheit teil, soweit sie sich bei Wegzug in eine Rechtsform des Zuzugsstaates umwandle797. Im Falle der tatsächlichen Sitzverlegung ins Ausland droht einer deutschen Gesellschaft daher nach weiterhin verschiedentlich vertretener Ansicht die Sanktion der Auflösung798; in den Grenzen der Cartesio-Entscheidung sind darüber hinaus mitgliedstaatliche Vorschriften möglich, die eine Auflösung für den Fall des Wegzugs anordneten. Allein, derartige Wegzugsbeschränkungen würde ein forum shopping nicht schlechterdings verhindern können. Zum einen ist das COMI nicht gleichbedeutend mit dem tatsächlichen Sitz. Dies ergibt sich bereits aus Art. 3 Abs. 1 EuInsVO. Die widerlegliche Vermutung in Art. 3 Abs., 1 S. 2 EuInsVO wäre andernfalls sinnlos. Zum anderen ergibt sich nicht zuletzt aus der Reichweite des Erkennbarkeitserfordernisses und der Ungewissheit über die für das COMI konstitutiven Umstände, dass COMI und Verwaltungssitz auseinanderfallen können. Eine Relokation des COMI korrespondiert daher nicht notwendig mit einer Verlegung des Verwaltungssitzes. In den Fällen der tatsächlichen Einwirkungen auf das COMI ist die Frage der gesellschaftsrechtlichen Behandlung der Wegzugsproblematik also keinesfalls zwingend aufgeworfen. Für das deutsche Recht ist mit der Neufassung von § 4a GmbHG zudem nun auch ausdrücklich die Möglichkeit eröffnet worden, den Verwaltungssitz einer GmbH im Ausland zu errichten, also eine ausdrückliche Wegzugserleichterung etabliert worden, die im Gesetzgebungsverfahren gerade 795

So wird in den Entscheidungsgründen Collins & Aikman Corporation Group [2005] EWHC (Ch. D.), Rn. 40 f. berichtet, Ford habe in Deutschland die Eröffnung von Insolvenzverfahren angestrebt, um durch Anwendung des deutschen Eigenkapitalersatzrechts eine Vergrößerung des zur Befriedigung der ungesicherten Gläubiger zur Verfügung stehenden Vermögens zu erzielen. 796 Dafür spricht sich beispielsweise Weller, Europäische Rechtsformwahlfreiheit, S. 73 ff. aus. 797 EuGH, Rs. C-210/06 (Cartesio); NJW 2009, 569. 798 Vgl. BGHZ 25, 134, 144; Kallmeyer DB 2002, 2521, 2522; Paefgen WM 2003, 561, 567; Weller, Europäische Rechtsformwahlfreiheit, S.76 f.; ablehnend Eidenmüller, ZIP 2002, 2233, 2243; Lutter/Hommelhoff, GmbHG, § 4a, Rn. 20.

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wegen ihrer möglichen Auswirkungen auf die Zuständigkeit nach Art. 3 EuInsVO für Diskussionen gesorgt hat799. Darüber hinaus ist eben nicht auszuschließen, dass unter der EuInsVO auch dort eine Eröffnungszuständigkeit erfolgreich in Anspruch genommen wird, wo sich das COMI tatsächlich nicht befindet. Ein solches Vorgehen würde durch die Sanktionierung des Wegzugs einer deutschen Gesellschaft mit Auflösung nur insoweit eingeschränkt, als die Belegenheit des COMI im Eröffnungsstaat nicht damit begründet werden könnte, dass sich dort der Verwaltungssitz des Schuldners befinde. 3. Zuständigkeitswahl und Annexverfahren Eine weitere für die Frage der Reichweite einer Rechtswahl unter der EuInsVO bedeutsame Frage betrifft sog. Annexverfahren, also solche Einzelklagen, die im Zusammenhang mit einem Insolvenzverfahren stehen, etwa weil es in ihnen um die Durchsetzung einer Insolvenzanfechtung, die Geltendmachung der persönlichen Haftung von Gesellschaftern, Geschäftsführern oder Insolvenzverwaltern oder um die Aus- bzw. Absonderung von Gegenständen aus der Verfahrensmasse geht. Die damit verbundenen Probleme sind so weitläufig, dass sie mittlerweile alleiniger Gegenstand monografischer Abhandlungen sind800. Darüber hinaus ist der Aspekt der internationalen Zuständigkeit für Insolvenzverfahren kein Aspekt der Rechtswahl als solcher, beantworten sich doch die in den Annexverfahren zu klärenden insolvenzrechtlichen Fragen nach Maßgabe der EuInsVO, also in den vorstehend und nachfolgend genannten Grenzen, nach dem Statut von Haupt- und etwaigen Sekundärverfahren. Schließlich ist aus eben diesem Grund von der Behandlung der Annexverfahren auch nur eine vergleichsweise geringe motivatorische Wirkung zu erwarten. Angesichts der Zuständigkeits- und Kollisionsvorschriften der EuInsVO werden die Entscheidungen potenzieller case placer notwendig zu allererst von den Aspekten der Verfahrenstatuts und -forums determiniert sein. Die Problematik der Annexverfahren soll daher im Folgenden nur kursorisch, zur vollständigen Darlegung der mit einer Einwirkung auf die Eröffnungszuständigkeit verbundenen Konsequenzen, umrissen werden.

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Siehe etwa BT-Drs. 16/1640, 71 f., 78 f. Eine umfassende Auseinandersetzung mit der Problematik der internationalen Zuständigkeit für Annexverfahren haben Willemer, Vis attractiva concursus und EuInsVO, sowie V. Lorenz, Annexverfahren bei Internationalen Insolvenzen, vorgelegt. Selbst die letztgenannte Abhandlung setzt sich schwerpunktmäßig allein mit einem Teilproblem, nämlich der Frage der Bestimmung der Zuständigkeit, nicht deren Reichweite auseinander. 800

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Kapitel 2: Rechtswahlfreiheit unter der EuInsVO – de lege lata

Im Ausgangspunkt sind zwei Probleme zu unterscheiden801: Zum einen ist unklar, anhand welcher Vorschriften die internationale Zuständigkeit für Annexverfahren zu bestimmen ist. Zum anderen stellt sich die Anschlussfrage, welche Verfahren von der jeweiligen Zuständigkeitsvorschrift, ggf. in Abgrenzung zur Reichweite anderer international-privatrechtlicher Zuständigkeitsvorschriften, erfasst sind. In der Diskussion der ersten Frage wird sowohl eine Lösung anhand der Kompetenzvorschriften des autonomen Rechts der Mitgliedstaaten802 als auch anhand der Bestimmungen der EuGVVO803 als auch anhand der EuInsVO in Betracht gezogen. Die Vorschrift des Art. 3 Abs. 1 EuInsVO bezieht sich ihrem Wortlaut nach nur auf das Insolvenzverfahren selbst, sodass eine direkte Anwendung dieser Vorschrift auf Annexverfahren ausscheidet. Auch die Materialien zum EuInsÜ deuten, soweit sie die Entstehungeschichte darlegen und ausführen, dass eine vis attractiva concursus in das Übereinkommen im Gegensatz zu Vorgängerregelungen nicht aufgenommmen wurde, darauf hin, dass die internationale Eröffnungszuständigkeit nicht auch im Sinne einer vis attractiva concursus die Zuständigkeit für Annexverfahren umfasst804. Jedoch wird von der im deutschsprachigen insolvenzrechtlichen Schrifttum wohl überwiegenden Auffassung eine entsprechende Heranziehung der Zuständigkeitsvorschrift über die Verfahrenseröffnung befürwortet805. Die Vertreter dieser Ansicht können sich auf gewichtige Argumente berufen. Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass die EuInsVO im 6. Erwägungsgrund selbst davon spricht, dass auch die Zuständigkeit für solche Entscheidungen geregelt werden solle, „die unmittelbar aufgrund des Insolvenzverfahrens ergehen und im engen Zusammenhang damit stehen“806. Nachdem in Art. 25 Abs. 1 Unterabsatz 2, der einzigen Bestim801

Vgl. hierzu auch Haubold, in: Gebauer/Wiedemann, Art. 3 EuInsVO, Rn. 81. So Mörsdorf-Schulte, IPRax 2004, 31, 36, der eine Abgrenzung letztlich anhand der Frage der Ausgestaltung des Insolvenzverfahrens durch das nationale Recht vornehmen will. Insoweit greifen jedoch bereits die zur Überlagerung der in den Verordnungen des Gemeinschaftsrechts geregelten Zuständigkeiten vorgetragenen Bedenken durch, sodass jedenfalls dann, wenn man Art. 3 EuInsVO entsprechend auch für Annexverfahren heranzieht, diese Zuständigkeitsnorm in ihrer Reichweite durch das nationale autonome Verfahrensrecht nicht überlagert werden kann. 803 So MünchKomm InsO/Reinhart, Art. 25 EuInsVO, Rn. 6 f.; Schwarz, NZI 2002, 290, 294. 804 Vgl. Virgós/Schmit, Bericht, Nr. 77. 805 Haß/Herweg, in: Geimer/Schütze, Art. 3 EuInsVO, Rn. 23 ff.; Haubold, IPRax 2002, 157, 160 ff.; ders., in: Gebauer/Wiedemann, Art. 3 EuInsVO, Rn. 85; V. Lorenz, Annexverfahren, S. 104 ff.; Duursma-Kepplinger, in: Duursma-Kepplinger/Duursma/ Chalupsky, EuInsVO, Art. 25, Rn. 36 ff.; ebenso wohl auch Weller, IPRax 2004, 412, 415; ders., Europäische Rechtsformwahlfreiheit, S. 277 ff. 806 Hervorhebungen durch den Verfasser. 802

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mung der EuInsVO, die Regelungen zu Annexverfahren trifft, keine Zuständigkeitsnorm erblickt werden kann, weil sie dann eine indirekte Zuständigkeitsregelung darstellte, die der Regelungssystematik der EuInsVO widerspräche807, liegt eine planwidrige Unterlassung des Normgebers nahe808. Darüber hinaus kommt eine Bestimmung der internationalen Zuständigkeit nach der EuGVVO jedenfalls unter der vom EuGH zum Verständnis des in Art. 1 Abs. 2 lit. b) bzw. der Vorgängernorm des Art. 1 Abs. 2 Nr. 2 EuGVÜ vorgesehenen Ausschlusstatbestands entwickelten Rechtsprechung809 nicht in Betracht. Nach Auffassung des Gerichts fallen nämlich Entscheidungen, die aufgrund des Insolvenzverfahrens ergehen oder mit diesem in engem Zusammenhang stehen, mithin genau diejenigen Entscheidungen, für welche die EuInsVO ihren Erwägungsgründen nach die Zuständigkeit hätte regeln sollen, nicht in den Anwendungsbereich der EuGVVO810. Dieser Auffassung hat sich der BGH im Anschluss an eine in einem Vorlageverfahren durch den EuGH811 getroffenen Entscheidung nunmehr für Ansprüche aus Insolvenzanfechtungsklagen gegen Anfechtungsgegner mit Sitz im Ausland angeschlossen812. Die Frage nach der Kompetenz für Annexverfahren ist damit jedoch keinesfalls abschließend geklärt813. Dass frühe Entwürfe zu einem Europäischen Insolvenzübereinkommen eine umfassende vis attractiva concursus vorsahen814, die in die EuInsVO letztlich nicht aufgenommen wurde815, steht einer Bestimmung der Kompetenz für Annexverfahren nach Art. 3 Abs. 1 EuInsVO nicht zwingend entgegen816. Denn mit der Einbeziehung von Annexverfahren in Art. 3 EuInsVO fände nicht notwendig eine umfassende Zuständigkeitsbündelung

807

Die EuInsVO bedient sich direkter Zuständigkeitsregelungen, vgl. Balz, ZIP 1996, 948, 949. 808 Haß/Herweg, in: Geimer/Schütze, Art. 3 EuInsVO, Rn. 20. 809 EuGH, Rs. 133/78 (Gourdain/Nadler), Slg. 1979, S. 733, 743 (Rn. 3 ff.), noch zur Vorgängerregelung des Art. 1 Abs. 2 Nr. 2 EuGVÜ. 810 EuGH, Rs. 133/78 (Gourdain/Nadler), Slg. 1979, S. 733, 743 (Rn. 4). 811 EuGH, NJW 2009, 2189 (Christopher Seagon/Deko Marty Belgium). 812 BGH, NJW 2009, 2215 ff. 813 Vgl. nur die Entscheidung des OLG Karlsruhe, NZG 2010, 509, die diese Frage für die Geltendmachung der Haftung aus § 64 GmbHG offen lässt. 814 Vgl. die Darstellungen zu Art. 15 des Übereinkommensentwurfs der Gemeinschaft von 1982 bei Virgós/Schmit, Bericht, Nr. 77. 815 Gegen deren Einführung bestanden erhebliche Bedenken, vgl. etwa Thieme, in: Kegel/Thieme, Vorschläge und Gutachten, S. 213, 275. 816 So auch Hinkel/Flitsch, EWiR 2006, 237, 238. A.A. OLG Frankfurt/Main, ZIP 2006, 769, 771.

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statt, weil damit über die Reichweite des Kompetenztatbestandes noch keine abschließende Aussage getroffen wäre817. Gegenüber einer Kompetenzbestimmung anhand von Vorschriften des autonomen mitgliedstaatlichen Rechts hätte ein Gleichlauf der Eröffnungszuständigkeit und der Kompetenz für Annexverfahren zwar nicht den Vorteil, dass Kompetenzkonflikte gänzlich vermieden würden818, wohl aber, dass nach Verfahrenseröffnung hinsichtlich der erfassten Annexverfahren keine weiteren Kompetenzkonflikte entstehen könnten, deren Anzahl also insgesamt reduziert werden dürfte. Darüber hinaus würde nur eine Bestimmung der Kompetenz für Annexverfahren anhand der EuInsVO zu einem nahtlosen Zusammenspiel der Zuständigkeitsregelungen in EuInsVO und EuGVVO führen. Ein Gleichlauf von Eröffnungs- und Annexkompetenz ist außerdem auch unter Effizienzgesichtspunkten begrüßenswert. Er würde nicht nur kostenträchtige819 Rechtsunsicherheiten verhältnismäßig gering halten, sondern darüber hinaus aufgrund des Zusammenspiels der Zuständigkeitsvorschriften beider Regelwerke zumindest zu einer Einschränkung unerwünschter Konflikte führen und die damit verbundenen Friktionen vermeiden. Damit stellt sich die Frage der Reichweite der skizzierten Zuständigkeitsvorschrift. Verschiedentlich wird hier eine Beschränkung auf solche Verfahren befürwortet, welche die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens zwingend voraussetzen. Der Verwirklichung des Insolvenzverfahrenszwecks sollen allein Insolvenzanfechtungsklagen, Feststellungsklagen zur Insolvenztabelle mit spezifisch insolvenzrechtlichem Gehalt sowie Klagen, welche die Haftung des Insolvenzverwalters betreffen, unterfallen820. In anderen Fällen sei von der bislang für den Ausschlusstatbestand des Art. 1 Abs. 2 Nr. 2 EuGVÜ/Art. 1 Abs. 2 lit. b) EuGVVO vertretenen weiten Auslegung abzukehren. Begründet wird dies vor allem mit den Zuständigkeitsinteressen der Beteiligten, nach denen eine ausschließliche Verfahrensbündelung im Eröffnungsstaat für andere Verfahren nicht als gerechtfertigt angesehen werden könnten. Zwingend ist eine Abkehr von der früheren Abgrenzung von EuInsVO und EuGVVO in der Rechsprechung des EuGH allerdings nicht, zumal mit der Einführung der EuInsVO das Ver-

817 Haß/Herweg, in: Geimer/Schütze, Art. 3 EuInsVO, Rn. 24; Haubold, in: Gebauer/ Wiedemann, Art. 3 EuInsVO, Rn. 86; vgl. aber Kolmann, Kooperationsmodelle, S. 291. 818 Missverständlich insoweit Haß/Herweg, in: Geimer/Schütze, Art. 3 EuInsVO, Rn. 20. 819 Eingehend zur ökonomischen Bedeutung von Vorhersehbarkeitsdefiziten im insolvenzrechtlichen Kontext, unten, S. 259 ff. 820 So Haubold, in: Gebauer/Wiedemann, Art. 3 EuInsVO, Rn. 86; Haß/Herweg, in: Geimer/Schütze, Art. 3 EuInsVO, Rn. 27.

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hältnis des Insolvenzgerichtsstands und der allgemeinen Gerichtsstände weiter offenbleibt821. Daher ist zumindest in Betracht zu ziehen, die Zuständigkeit für solche Verfahren, die Fragen betreffen, die nach vorstehend vertretener Auffassung als insolvenzrechtlich i.S. des Art. 4 EuInsVO einzuordnen sind, nach der EuInsVO zu bestimmen. Andernfalls würde es vielfach zur Anwendung des autonomen ausländischen Rechts durch die Mitgliedstaaten kommen müssen. Ob den Parteien damit gedient ist, ist äußerst fraglich. Darüber hinaus hätte eine Anknüpfung an das schuldnerische COMI den Vorteil, dass nach einer Verfahrenseröffnung keine weiteren Unsicherheiten bezüglich der erfassten Verfahren aufträten. Erst in dieser Phase stellt sich regelmäßig die Frage nach der Durchführung auch solcher Annexverfahren, die nicht dem gerade dargestellten Abgrenzungskriterium unterfallen. Schließlich würde eine Vielzahl von Entscheidungen im Anwendungsbereich der vereinfachten Anerkennung und Vollstreckbarkeit nach Art. 25 Abs. 1 EuInsVO liegen. Bis zu einer Klärung dieser Frage durch den EuGH verbleiben die mit dem Fragekomplex einhergehenden Unsicherheiten jedoch faktisch822. Nach der hier vertretenen Auffassung ist festzuhalten, dass die Einwirkungen auf die Eröffnungszuständigkeit folglich auch in den Bereich der Annexverfahren hineinreichen. Die jüngere höchstrichterliche Rechtsprechung, die eine Zuständigkeit im Eröffnungsstaat nach Maßgabe von Art. 3 Abs. 1 EuInsVO für in die gesetzliche Ausnahme vom Anwendungsbereich der EuGVVO fallende Entscheidungen nunmehr bestätigt823, unterstreicht einmal mehr die Tragweite einer erfolgreichen Fallplatzierung unter der EuInsVO. 4. Durchbrechungen des lex-fori-Prinzips durch Sonderanknüpfungen und materiell-rechtliche Ausnahmebestimmungen (insb. Art. 5 und 7 EuInsVO) a. Grundsatz Die Reichweite einer Rechtswahl unter der EuInsVO wird auch durch die Sonderregelungen der Art. 5 ff. EuInsVO bestimmt. Diese Vorschriften enthalten als Korrektiv zur umfassenden Wirkungserstreckung des Hauptverfahrens zum Teil Sonderanknüpfungen, die durch die Beeinflussung der zuständigkeitsbegründenden Tatsachen oder der Inanspruchnahme des 821

Inwieweit dies Intention des Gesetzgebers war, ist nicht bekannt, siehe auch Haubold, in: Gebauer/Wiedemann, Art. 3 EuInsVO, Rn. 86 (dort in Fn. 218). 822 Eingehend zu den nach der Entscheidung Deko Marty Belgium verbleibenden Unsicherheiten und zu einer möglichen weiteren Konkretisierung des Begriffs des Annexverfahrens im Lichte der in dieser Entscheidung etablierten beschränkten vis attractiva concursus siehe Cranshaw, DZWIR 2009, 353. 823 BGH, NJW 2009, 2215.

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COMI nicht unmittelbar berührt werden. Diese territorialistischen Durchbrechungen der Reichweite des Hauptverfahrenstatuts sieht die Verordnung für Regelungsgegenstände vor, die dem Verordnungsgeber als besonders sensibel erschienen. Im Hinblick auf den Regelungsbereich dieser Vorschriften ist eine Rechtswahl mit den in diesem Kapitel erörterten Mechanismen eigentlich nicht möglich. So erklärt beispielsweise Art. 6 Abs. 1 EuInsVO für vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens entstandene Aufrechungslagen mit den in Abs. 2 genannten Einschränkungen die schuldrechtlichen Vorschriften des Status der Passivforderung für maßgeblich824. Art. 8 EuInsVO ordnet für schuld- und sachenrechtliche Verträge über Immobilien die Anwendbarkeit der lex rei sitae an, sodass sich dieselbe rechtliche Situation ergibt, als fände das Insolvenzverfahren im jeweiligen Belegenheitsstaat statt825. Art. 9 bis 11 EuInsVO suspendieren die in den geschilderten Grenzen wählbare lex fori concursus in Bezug auf Zahlungssysteme und Finanzmärkte, Arbeitsverträge sowie registerpflichtige Rechte. Art. 14 EuInsVO beruft als Sonderkollisionsnorm für die Frage nach dem Schutz (gutgläubiger) Dritterwerber das am Belegenheits- oder Registerort geltende Sachrecht826, während die Sachnormverweisung des Art. 15 EuInsVO bezüglich der Wirkungen der Eröffnung des Insolvenzverfahrens auf laufende Gerichtsverfahren auf die jeweilige lex fori processus verweist827. Soweit diese Regelungen an beeinflussbare tatsächliche Umstände wie die Belegenheit eines beweglichen Gegenstands anknüpfen, sind sie jedoch ihrerseits einer Manipulation zugänglich. b. Sonderfall: Die Ausnahmeregelungen der Art. 5, 7 EuInsVO Von besonderem Interesse sind in diesem Zusammenhang Art. 5 und 7 EuInsVO, die vorsehen, dass bestimmte dingliche Rechte und bestimmte Formen des Eigentumsvorbehalts von der Verfahrenseröffnung unberührt bleiben, falls sich der vom Sicherungsrecht betroffene Gegenstand bzw. das Eigentumsvorbehaltsgut zum Zeitpunkt der Verfahrenseröffnung in einem anderen als dem Eröffnungsstaat befinden (Art. 2 lit. g) EuInsVO).

824 Vgl. Duursma-Kepplinger, in: Duursma-Kepplinger/Duursma/Chalupsky, EuInsVO, Art. 6, Rn. 2. 825 Duursma-Kepplinger, in: Duursma-Kepplinger/Duursma/Chalupsky, EuInsVO, Art. 8, Rn. 7. 826 Duursma-Kepplinger, in: Duursma-Kepplinger/Duursma/Chalupsky, EuInsVO, Art. 14, Rn. 4 f.; Leible/Staudinger, KTS 2000, 533, 557. Die Notwendigkeit zu dieser Regelung ergibt sich freilich nur, soweit man die Regelungen über den Gutglaubenserwerb als insolvenzrechtlich qualifiziert. 827 Herchen, EuInsÜ, S. 197; Smid, Internationales Insolvenzrecht, Art. 15 EuInsVO, Rn. 1 ff.

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(1) Regelungsgehalt der Vorschriften Der Regelungsgehalt dieser Vorschriften ist aufgrund der Unbestimmtheit ihrer Formulierung streitbefangen828. Erst aus ihm ergibt sich allerdings die Brisanz, die den Bestimmungen für die Fragen nach der Rechtswahl zukommt. Der Wortlaut von Art. 5 EuInsVO („wird [...] nicht berührt“) und Art. 7 EuInsVO („läßt [...] unberührt“) kann in zweierlei Richtungen interpretiert werden, zumal auch die Materialien mehrdeutig sind und verschiedene Schlüsse zulassen829. Dies hat zu einer Diskussion geführt, die von einer Vielzahl von Argumenten und Einzelmeinungen bestimmt ist. Sie soll im Folgenden nur insoweit nachgezeichnet und entschieden werden, als sie für die Frage der Reichweite einer Rechtswahl und die für Manipulationsbemühungen ursächlichen Motive von Bedeutung ist. Teilweise werden die Art. 5, 7 EuInsVO als kollisionsrechtliche Bestimmungen begriffen. Danach trifft die Regelung der Art. 5, 7 EuInsVO nicht selbst eine Aussage zu der Frage, inwieweit dingliche Rechte Dritter an nicht im Eröffnungsstaat belegenen Vermögensgegenständen bzw. Rechte Dritter an einem dort nicht belegenen Eigentumsvorbehaltsgut in das Hauptverfahren einbezogen werden können. Diese Frage beurteile sich vielmehr nach dem Recht des Belegenheitsstaats830. Wenn dessen Kollisionsrecht auf die lex rei sitae verweist, bestimme sich die insolvenzrechtliche Behandlung der betroffenen Rechte folglich nach dem Insolvenzrecht des Lagestaats831. Diese Auffassung wird unter anderem damit begründet, dass der Verwalter wenigstens diejenigen Rechte haben müsse, die der Lagestaat im Falle eines inländischen Verfahrens einräume832. Eine andere Sichtweise sei in Anbetracht der Tatsache, dass der jeweilige Gegenstand weiterhin Teil einer Verfahrensmasse sei833, inkonsequent. Darüber hinaus wird auf den 25. Erwägungsgrund zur EuInsVO hingewiesen, der im Zu828

Allgemein zu dieser Problematik vgl. Duursma-Kepplinger, in: Duursma-Kepplinger/Duursma/Chalupsky, EuInsVO, Art. 5, Rn. 12 ff. 829 Vgl. Flessner, FS Drobnig (1998), 277, 281 f.; Duursma-Kepplinger, in: DuursmaKepplinger/Duursma/Chalupsky, EuInsVO, Art. 5, Rn. 14. 830 So etwa Fritz/Bähr, DZWIR 2001, 221, 228; Flessner, IPRax 1997, 1, 7; ders., in: FS Drobnig (1998), 277, 281 ff.; Oberhammer, ZInsO 2004, 761, 772; v. Bismarck/ Schümann-Kleber, NZI 2005, 147, 148 f. 831 Siehe nur Flessner, in: FS Drobnig (1998), 277, 283 f.; Gottwald, Grenzüberschreitende Insolvenzen, S. 33. 832 Flessner, FS Drobnig (1998), 277, 285. 833 Dies wird soweit ersichtlich ungeachtet der Einordnung von Art. 5, 7 EuInsVO von beinahe niemandem bestritten, vgl. statt aller Duursma-Kepplinger, in: Duursma-Kepplinger/Duursma/Chalupsky, EuInsVO, Art. 5, Rn. 28 mit umfangreichen w. N. Einzig v. Wilmowsky, EWS 1997, 295, 297 hält das in den anderen Staaten belegene Schuldnervermögen für „völlig ausgeklammert“. Eine solche Interpretation ist jedoch weder mit dem Wortlaut noch mit Systematik und Zweck der Ausnahmeregelungen zu begründen.

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sammenhang mit den Sonderanknüpfungen der Verordnung die „Recht[e] zur Aus- und Absonderung“ erwähnt. Von denen könne indes nur dann die Rede sein, wenn die Rechte von einem Insolvenzverfahren betroffen seien834. Weiterhin wird darauf hingewiesen, dass es bei einem Verständnis der Art. 5, 7 EuInsVO als kollisionsrechtliche Vorschriften nicht dazu kommen könnte, dass im Einzelfall – nämlich dann, wenn mangels Bestehen der Voraussetzungen einer Niederlassung i.S. des Art. 2 lit. h) EuInsVO am Belegenheitsort kein Sekundärverfahren stattfinden kann – „insolvenzfreies Vermögen“835 entsteht836. Schließlich stünden auch Verhältnismäßigkeitsschranken des nationalen und des Europarechts einer sachrechtlichen Interpretation der Vorschriften entgegen837. Der wohl überwiegende Teil der Lehre sieht in Art. 5, 7 EuInsVO hingegen sachrechtliche Vorschriften838. Von den Wirkungen des Hauptverfahrens bleiben die in den Bestimmungen genannten Rechte danach im Hinblick sowohl auf die lex fori concursus generalis als auch auf das Insolvenzrecht des Belegenheitsorts oder das nach dem Kollisionsrecht des Lageorts anwendbare Insolvenzrecht ausgeklammert, solange dort nicht ein Sekundärverfahren stattfindet. Zwischen den Vertretern dieser Auffassung ist vor allem839 umstritten, nach welchem Recht sich die Vorfrage des Bestehens des ausländischen Sicherungsrechts beurteilt840. Die besseren Argumente sprechen für eine Behandlung der Art. 5, 7 EuInsVO als einheitsrechtliche Sachnorm841. Mit Kolmann ist den Vertre834

Fritz/Bähr, DZWIR 2001, 221, 228. Gottwald, Grenzüberschreitende Insolvenzen, S. 35. 836 Fritz/Bähr, DZWIR 2001, 221, 227. 837 Fritz/Bähr, DZWIR 2001, 221, 227. 838 Vgl. etwa Herchen, EuInsÜ, S. 76 ff.; v. Wilmowsky, EWS 1997, 295 ff.; Duursma-Kepplinger, in: Duursma-Kepplinger/Duursma/Chalupsky, EuInsVO, Art. 5, Rn. 22, 44, Art. 7, Rn. 17; Kolmann, Kooperationsmodelle, S. 308; Leible/Staudinger, KTS 2000, 533, 551; Taupitz, ZZP 111 (1998), 315, 334; Huber, ZZP 114 (2001), 133, 154; Wiórek, Gläubigergleichbehandlung, S. 236 f; ebenso wohl auch Smid, Internationales Insolvenzrecht, Art. 5 EuInsVO, Rn. 23. 839 Darüber hinaus besteht Uneinigkeit darüber, wonach sich bestimmt, was ein dingliches Recht ist, vgl. zu diesem Problem Eidenmüller, IPRax 2001, 2 ff. 840 Auf das Insolvenzstatut des Hauptverfahrens stellen v. Wilmowsky, EWS 1997, 295, 297 sowie v. Bismarck/Schümann-Kleber, NZI 2005, 147, 149 ab, während überwiegend – Duursma-Kepplinger, in: Duursma-Kepplinger/Duursma/Chalupsky, EuInsVO, Art. 5, Rn. 21; Leible/Staudinger, KTS 2000, 533, 551; Eidenmüller, IPRax 2001, 1, 6 (in Fn. 29); Taupitz, ZZP 111 (1998), 315, 334 – eine Bestimmung nach dem allgemeinen IPR des Eröffnungsstaates befürwortet wird. 841 In der Aussage des EuGH in der Entscheidung ERSTE Bank Hungary Nyrt, ZIP 2012, 1815 (Rn. 44), Art.5 Abs. 1 EuInsVO sei dahingegend zu verstehen, „dass er es abweichend von der Regel des Rechts des Eröffnungsstaats erlaubt, auf das dingliche Recht eines Gläubigers [...] an bestimmten dem Schuldner gehörenden Vermögensgegenständen das Recht des Mitgliedstaats anzuwenden, in dessen Gebiet sich der fragliche 835

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tern des kollisionsrechtlichen Ansatzes zu entgegnen, dass sowohl Systematik und Wortlaut von Art. 5 und Art. 7 EuInsVO als auch die Gesetzgebungsmaterialien für einen sachrechtlichen Regelungsgehalt sprechen842. Die Vorschriften stehen in der EuInsVO zwar im Kontext der (abschließenden) Regelung der Reichweite des aus Sicht des Hauptverfahrens anwendbaren Rechts. Sind die Rechte i.S. der Art. 5, 7 EuInsVO jedoch den Wirkungen des Hauptverfahrens entzogen, so kann sich die Frage nach der Anwendung insolvenzrechtlicher Vorschriften des Belegenheitsstaats gar nicht mehr stellen843. Art. 5 EuInsVO ist, wie auch Art. 7 EuInsVO, zudem passivisch formuliert. Das legt nahe, dass diese Bestimmungen aus der Perspektive der Anerkennungsstaaten formuliert wurden. Auch die übrigen Sondervorschriften lassen erkennen, dass der Verordnungsgeber wohl eine andere Formulierung gewählt hätte, hätte er dingliche Sicherheiten im Hauptverfahren den insolvenzrechtlichen Bestimmungen des Belegenheitsorts unterstellen wollen. Darüber hinaus spricht gerade der von den Vertretern der kollisionsrechtlichen Konzeption bemühte 25. Erwägungsgrund davon, dass sich die Behandlung dinglicher Rechte (nur) „regelmäßig“ nach der lex rei sitae bestimmt. E contrario lässt sich dem entnehmen, dass es nicht notwendig zu deren Einbeziehung kommt. In Ansehung dieses Erwägungsgrundes stellt sich ferner die Frage, wieso nicht zusätzlich zu „Begründung, Gültigkeit und Tragweite“ des dinglichen Rechts auch von dessen Verwertung die Rede ist844. Auch deuten der erläuternde Bericht zum EuInsÜ845 und die Erwägungsgründe Nr. 19 und 25 darauf hin, dass es zur Realisierung insolvenzrechtlicher Belastungen der in Art. 5, 7 EuInsVO bezeichneten Rechte der Durchführung eines Sekundärverfahrens bedarf. Zuletzt ist nicht zu erkennen, inwieweit die Ausnahmebestimmungen aus Sicht des nationalen Verfassungsrechts oder aufgrund der Verhältnismäßigkeitsmaxime des Gemeinschaftsrechts problematisch sein sollten. Insbesondere die von Fritz/Bähr846 genannten Grundrechte des Sicherungsnehmers (in Deutschland etwa aus Art. 14 GG) werden speziell infolge der nach der sachrechtlichen Lösung möglichen Aussparung der grundVermögensgegenstand befindet“, wird verschiedentlich eine Entscheidung des EuGH im Sinne einer kollisionsrechtlichen Einrdnung gesehen (so Magnus, LMK 2012, 337359). Dies ist jedoch ausgesprochen zweifelhaft, da in einer anderen Entscheidung des EuGH, Slg. 2009 I-08421 der Vorschrift des Art. 7 EuInsVO erkennbar sachrechtliche Natur zugewiesen wird. Vgl. auch die Einschätzung von Laukemann, IPRax 2013, 150, 151. 842 Kolmann, Kooperationsmodelle, S. 308, zustimmend Duursma-Kepplinger, in: Duursma-Kepplinger/Duursma/Chalupsky, EuInsVO, Art. 5, Rn. 18. 843 So auch Kolmann, Kooperationsmodelle, S. 308. 844 Duursma-Kepplinger, in: Duursma-Kepplinger/Duursma/Chalupsky, EuInsVO, Art. 5, Rn. 18. 845 Virgós/Schmit, Bericht, Nr. 98 f. 846 Fritz/Bähr, DZWIR 2001, 221, 227.

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rechtlich geschützten Sicherungsrechte aus dem Insolvenzverfahren eben weder in ihrem Umfang noch in ihrem Bestand beeinträchtigt. Für eine verfassungswidrige Inhalts- und Schrankenbestimmung ist daher nichts erkennbar. Dass der sachrechtliche Ansatz zu dem merkwürdigen Ergebnis einer Besserstellung sowohl gegenüber der lex fori concursus generalis als auch gegenüber dem Recht des Lagestaates führt, ist in der Tat misslich847. Es ist aber Folge des politischen Kompromisses, welcher der Aussparung der genannten Rechte aus der Reichweite des Hauptverfahrens aus Gründen des Verkehrsschutzes848 einerseits und den Bedingungen für die Durchführungen eines Sekundärverfahrens andererseits (kein bloßer Vermögensgerichtsstand, sondern Niederlassung i.S. von Art. 2 lit. f) EuInsVO) zugrunde liegt. Die Behebung der zulasten der Masse entstehenden „Erfassungslücken“ ist mithin kein Argument für einen kollisionsrechtlichen Ansatz, sondern vielmehr – wenngleich grundsätzlich begrüßenswertes – Postulat. Dieser Befund verdeutlicht, dass Einwirkungen in Bezug auf die Regelungen der Art. 5 und 7 EuInsVO je nach Lage der Dinge von erheblicher wirtschaftlicher Bedeutung sein können849. Mittels einer Verlegung der als Kreditunterlage verwendeten Mobilie oder des unter Vorbehalt übereigneten Kaufgegenstands könnten dolos handelnde Schuldner oder andere Verfahrensbeteiligte versuchen, noch kurz vor Eröffnung850 des Insolvenzverfahrens in den Genuss der Sonderregelung zu kommen. Angesichts der im Einzelfall zu erzielenden Vorteile können die Anreize für ein solches Vorgehen groß sein. Insbesondere, wenn sich dingliche Rechte im Eröffnungsstaat des Hauptverfahrens nicht oder nicht vollständig als insolvenzfest erweisen, können die für den Sicherungsnehmer mit einem Transfer beweglichen Sicherungsguts zu erzielenden Vorteile enorm sein und den Aufwand der Verbringung überwiegen. (2) Gegenausnahme für doloses Handeln? Es stellt sich somit abermals die Frage, ob ein ungeschriebener Ausnahmetatbestand für doloses Handeln besteht. Dabei ist zu berücksichtigen, dass Art. 5 Abs. 1, 7 Abs. 1 und 2 EuInsVO aufgrund der Regelungen in Art. 5 847 Allgemein zu diskutierten Lösungsansätzen zur Abmilderung der durch Art. 5 EuInsVO vermittelten „überschießenden“ Besserstellung vgl. Virgós/Garcimartín, The European Insolvency Regulation, Nr. 165. 848 Siehe etwa Erwägungsgrund Nr. 25 sowie Virgós/Schmit, Bericht, Nr. 100. Dem Verkehrsschutzgedanken wäre indes weitestmöglich Rechnung getragen, wenn sich die insolvenzrechtliche Behandlung der jeweiligen Rechte nach dem Statut ihrer Bestellung bestimmte. 849 Vgl. Saenger/Klockenbrink, DZWIR 2006, 183, 185. 850 Spätestens mit der Eröffnung des Verfahrens greifen (auch für den Insolvenzverwalter) die aus Art. 18 Abs. 2, 38 EuInsVO resultierenden Beschränkungen ein.

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Abs. 4, 7 Abs. 3 EuInsVO ohnehin nicht vor solchen Bestimmungen der lex fori concursus des Hauptverfahrens schützt, welche die Nichtigkeit, Anfechtbarkeit oder relative Unwirksamkeit einer Handlung anordnen, wenn auch die lex causae die entsprechende Anfechtungsmöglichkeit anerkennt851. Nach der eingeschränkten Kumulationslösung des Art. 13 EuInsVO käme dann eine Anfechtung in Betracht852. Für den Fall jedoch, dass die Einwirkung nicht zur Anfechtung berechtigt und damit in den Immunisierungsbereich der Sonderregelungen fiele, stellte sich weiterhin die Frage nach einer „Ausnahme von der Ausnahme“853. Von einigen Literaturstimmen wird daher befürwortet, Einwirkungen, die allein mit dem Ziel der Verbesserung der Rechtsstellung Einzelner, also in „betrügerischer Absicht“854 erfolgen, ungeachtet ihrer Anfechtbarkeit von vornherein die Beachtlichkeit abzusprechen855. Dann käme wieder uneingeschränkt nach Art. 4 EuInsVO die lex fori concursus zur Anwendung, und entgegen dem Wortlaut von Art. 18 Abs. 1 S. 2 EuInsVO bestünde ein Verbringungsrecht (unter Beachtung von Art. 18 Abs. 3 EuInsVO) des Verwalters. Diese Auffassung findet in den Materialien zum EuInsÜ eine Stütze856, sie stellt die Rechtspraxis allerdings vor die schwierige Herausforderung, die Beweggründe für den jeweiligen Transfer von Eigentumsvorbehalts- oder Sicherungsgut zu ermitteln857. Darüber hinaus stellt sich unverändert das Problem, wie die Situation zu behandeln ist, dass der jeweilige Gegenstand in einen Staat verbracht wird, in dem es zur Eröffnung eines Sekundärverfahrens kommt. Eine automatische Durchbrechung der Anerkennungswirkungen des Sekundärverfahrens nach Art. 16, 17 Abs. 2 EuInsVO wäre völlig unpraktikabel858, sodass hier nur eine Lösung durch Ergreifung der jeweiligen Rechtsbehelfe des Sekundärverfahrensstaats infrage kommt. Wenn die lex fori des Sekundärverfahrens eine bessere Be851 Duursma-Kepplinger, in: Duursma-Kepplinger/Duursma/Chalupsky, EuInsVO, Art. 7, Rn. 56. 852 Das Anfechtungsprivileg des Art. 13 EuInsVO gilt trotz des Verweises von Art. 5 Abs. 4, 7 Abs. 3 EuInsVO auf Art. 4 Abs. 2 lit. m) EuInsVO, siehe nur Duursma-Kepplinger, in: Duursma-Kepplinger/Duursma/Chalupsky, EuInsVO, Art. 5, Rn. 59. 853 Vgl. Duursma-Kepplinger, in: Duursma-Kepplinger/Duursma/Chalupsky, EuInsVO, Art. 5, Rn. 10. 854 Diese Wendung benutzen Virgós/Schmit, Bericht, Nr. 105 und im Anschluss daran Duursma-Kepplinger, in: Duursma-Kepplinger/Duursma/Chalupsky, EuInsVO, Art. 5, Rn. 10, Art. 7, Rn. 57. 855 Duursma-Kepplinger/Duursma/Chalupsky, EuInsVO, Art. 5 , Rn. 10; Art. 7, Rn. 57; Taupitz, ZZP 111 (1998), 315, 341; zustimmend wohl Huber, ZZP 114 (2001), 133, 156. 856 Vgl. Virgós/Schmit, Bericht, Nr. 105. 857 Dass erhebliche Beweisprobleme bestehen, gestehen auch Duursma-Kepplinger, in: Duursma-Kepplinger/Duursma/Chalupsky, EuInsVO, Art. 7, Rn. 57 (dort Fn. 119) zu. 858 Ähnlich Duursma-Kepplinger, in: Duursma-Kepplinger/Duursma/Chalupsky, EuInsVO, Art. 7, Rn. 57 (dort in Fn. 118).

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handlung des Sicherungsgutes bzw. des Eigentumsvorbehaltsguts vorsieht und der Verwalter des Sekundärverfahrens die Gegenstände als „seiner“ Sekundärmasse zugehörig erachtet (wozu Insolvenzverwalter tendenziell geneigt sind), bestehen gute Chancen, dass sich die Veränderung für einzelne Verfahrensbeteiligte als gewinnbringend erweist, zumal eine Geltendmachung der Zugehörigkeit zur Masse des Hauptverfahrens ebenfalls vielfach an Beweisfragen scheitern wird859. (3) Besonderheiten des forum shopping i.V.m. Art. 5, 7 EuInsVO Nachdem Art. 5 Abs. 1 und Art. 7 Abs. 1 EuInsVO voraussetzen, dass sich ein Gegenstand in einem anderen Staat als demjenigen der Verfahrenseröffnung befindet, kann von diesen Bestimmungen indes nicht nur ein Anreiz ausgehen, die jeweiligen Gegenstände in rechtlich beachtlicher Weise vor Verfahrenseröffnung in einen anderen Staat zu verbringen, sondern – beispielsweise wenn der Schuldner gar keinen Einfluss auf den Belegenheitsort des jeweiligen Gegenstands nehmen kann – stattdessen auf den Ort der Verfahrenseröffnung Einfluss zu nehmen. Auch so werden inländische Sicherheiten oder unter Eigentumsvorbehalt stehende Kaufgegenstände dann zu ausländischen. Wie dargelegt, untersteht auch diese Manipulationsmöglichkeit keinen ungeschriebenen Einschränkungen860. Im Rahmen der Diskussion um die Verlegung von Vermögensgegenständen ins Ausland wird diese Einwirkungsmöglichkeit, im Gegensatz zu den vorstehend diskutierten Veränderungen, bislang nicht explizit erörtert861. Soweit sich die Vorteile der Exemtion der jeweiligen Rechte aus dem Hauptverfahren jedoch mittels der genannten indirekten Einwirkung durch Verschiebung des COMI oder wenigstens dessen erfolgreicher Inanspruchnahme in einem Mitgliedstaat erreichen lassen, wird auch die Diskussion um eine Gegenausnahme für den Fall des absichtsvollen Transfers von Vermögenswerten hinfällig. Im äußersten Fall könnte im Rahmen einer tatsächlichen Verlegung des COMI auch auf die Voraussetzungen einer Niederlassung eingewirkt werden, sodass dann auch kein Sekundärverfah-

859

Daran ändert auch die Indizwirkung, die beispielsweise Duursma-Kepplinger, in: Duursma-Kepplinger/Duursma/Chalupsky, EuInsVO, Art. 5, Rn. 27 dem Fall der Verbringung einer großen Zahl von Gütern in einen anderen Mitgliedstaat zumessen wollen, nichts. Denn bereits die Verbringung einzelner Gegenstände könnte zu erheblichen Verkürzungen der Masse führen, zumal Art. 11 EuInsVO auch registerpflichtige Mobilien nur bezüglich der Rechte des Schuldners den insolvenzrechtlichen Beschränkungen der lex libri unterstellt. 860 Siehe oben, S. 139. 861 Auf die Relevanz des forum shopping im Zusammenhang mit einem sachrechtlichen Verständnis von Art. 5 weisen allein v. Bismarck/Schümann-Kleber, NZI 2005, 147, 149 hin.

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ren mehr stattfinden könnte. Eine Einbeziehung der Vermögensgegenstände durch das Insolvenzverfahren wäre dann nicht garantiert. Die Regelungstechnik der Art. 5, 7 EuInsVO eröffnet mithin, obwohl als Ausnahmeregelung zur lex fori, dem eigentlichen Gegenstand einer Rechtswahl, gedacht, weitere Gestaltungsmöglichkeiten. 5. Rechtswahlfreiheit und Sekundärverfahren a. Beschränkungen der Reichweite einer Rechtswahl durch Sekundärverfahren Nicht nur im vorstehend behandelten Zusammenhang, sondern ganz allgemein ist das Sekundärverfahren nach Art. 3 Abs. 2 bis 4, 27 ff. EuInsVO für die Frage der Reichweite einer Rechtswahl von besonderer Relevanz. Das in den aufgezeigten Grenzen wählbare Verfahrensstatut des Hauptverfahrens ist im buchstäblichen Sinne in seiner Reichweite beschränkt, wenn und soweit in einem anderen Mitgliedstaat ein Sekundärverfahren stattfindet. Das im Staat des Sekundärverfahrens belegene Vermögen ist dann nach Art. 17 Abs. 1 a.E. EuInsVO von der universalen Beschlagwirkung des Hauptverfahrens nicht erfasst862. Die lex fori concursus generalis wird mit der Eröffnung eines Sekundärverfahrens durch die lex fori concursus secundariae bis auf wenige punktuelle Ausnahmen863 ex nunc suspendiert864. Erst diese nachträgliche, zugunsten des Sekundärverfahrensstatuts hierarchisierte Statutenüberlagerung macht eine Vielzahl von Sonderanknüpfungen entbehrlich, derer es zur Herstellung der Homogenität des anwendbaren Rechts bedurft hätte865. Die Auswirkungen einer Forums- und Rechtswahl bezüglich des Hauptverfahrens enden folglich grundsätzlich an den Grenzen des Sekundärverfahrensstaats, da gemäß Art. 28 i.V.m. Art. 4 EuInsVO auch für das Sekundärverfahren das lex-fori-Prinzip gilt, wenngleich die Wirkung der lex fori concursus secundariae gemäß Art. 3 Abs. 2 S. 2 EuInsVO, anders als beim Hauptverfahren, territorial beschränkt ist. Die EuInsVO sieht jedoch in vielerlei Hinsicht eine „Verzahnung des Sekundär- mit dem Hauptverfahren“866 vor. Soweit das Hauptverfahren dem bzw. den Sekundärverfahren dabei übergeordnet ist, könnten sich bei 862

Vgl. nur Balz, ZIP 1996, 948, 953. So bestimmen sich etwa die Voraussetzungen der Insolvenz des Schuldners nicht nach dem Recht des Forumsstaats des Sekundärverfahrens, sondern nach der lex fori concursus generalis, Art. 16, 27 S. 1 a.E. vgl. Virgós/Schmit, Bericht, Nr. 211. Weitere Durchbrechungen finden sich bei Duursma-Kepplinger, in: Duursma-Kepplinger/Duursma/Chalupsky, EuInsVO, Art. 28, Rn. 7. 864 Duursma/Duursma-Kepplinger, DZWIR 2003, 447, 451. 865 Weller, ZHR 169 (2005), 570, 575, der allerdings etwas ungenau von einem „Statutenwechsel“ spricht. 866 Balz, ZIP 1996, 948, 954. 863

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Eröffnung des Hauptverfahrens vorgenommene Einwirkungen trotz des gerade geschilderten Grundsatzes in beschränktem Umfang im Bereich des Sekundärverfahrens und der davon erfassten Vermögensgegenstände fortsetzen. Das noch in vielerlei Hinsicht nicht abschließend geklärte Verhältnis zwischen Haupt- und Sekundärverfahren im Rahmen der Teilung der operativen Verwaltung867, ist daher im hier erörterten Zusammenhang von besonderem Interesse. Schon der 20. Erwägungsgrund zur EuInsVO, in dem von einer „dominierenden Rolle“ des Hauptverfahrens die Rede ist, verdeutlicht, dass diesem eine leitende Funktion zukommt; es besteht folglich ein „Primat des Hauptverfahrens“868. Die Vorschriften über das Sekundärverfahren enthalten zahlreiche Bestimmungen, die diesen Vorrang des Hauptverfahrens näher konkretisieren. So ist der Verwalter des Hauptverfahrens nach Art. 29 lit. a) EuInsVO selbst zur Beantragung eines Sekundärverfahrens berechtigt, nach Art. 31 Abs. 3 EuInsVO kommt ihm ein Verwertungsvorschlagsrecht hinsichtlich der Masse des Sekundärverfahrens zu, und nach Art. 33 EuInsVO hat er ein Antragsrecht auf Aussetzung der Verwertung, das von einem Vorschlagsrecht zur Beendigung des Sekundärverfahrens nach Art. 34 Abs. 3 EuInsVO flankiert wird. Weiterhin besteht nach Art. 35 EuInsVO die Pflicht des Verwalters des Sekundärverfahrens, Überschüsse, die nach Verwertung der Masse des Sekundärverfahrens übrig geblieben sind, an den Verwalter des Hauptverfahrens auszukehren. Schließlich besteht die Möglichkeit, dass der Verwalter des Hauptverfahrens mit Vorschlägen nach Art. 31 Abs. 3 EuInsVO an den jeweiligen Sekundärinsolvenzverwalter maßgeblichen Einfluss auf den konkreten Ablauf des Sekundärverfahrens nimmt. Der Verwalter des Sekundärverfahrens hat diesen Vorschlägen, obwohl kein Weisungsrecht im eigentlichen Sinne besteht869, nach zutreffender Ansicht Folge zu leisten, da er der haftungsbewehrten Pflicht unterliegt, das Sekundärverfahren im Sinne des Hauptverfahrens zu betreiben870. Ein anderes Verständnis des Vorschlagsrechts, etwa im Sinne 867

Vgl. etwa die umfassenden Darstellungen bei Ehricke, ZIP 2004, 1104 ff., Taylor, 2 International Corporate Rescue (2005), 173 ff. sowie das working paper „Inter-Relationship“ von Rajak. 868 Allgemeine Auffassung, siehe nur Ehricke, ZIP 2004, 1104, 1107; Vallender, FS Kreft (2004), S. 565, 566; Duursma-Kepplinger, in: Duursma-Kepplinger/Duursma/Chalupsky, EuInsVO, Art. 33, Rn. 2; Staak, NZI 2004, 480, 481, 485; Moss/Fletcher/Isaacs, Rz. 5.78. 869 Kolmann, Kooperationsmodelle, S. 350; Ehricke, ZIP 2004, 1104, 1107. 870 So zutreffend Ehricke, ZIP 2005, 1104, 1107. Erkennt man dem Vorschlagsrecht einen solchen verpflichtenden Charakter zu, so stellt sich die Frage, ob die Verwalterhaftung Bestandteil der lex fori concursus oder getrennt anzuknüpfen ist und ob ein Anpassungsbedarf im nationalen Haftungsrecht besteht. Problematisch im Rahmen einer Haftung nach § 60 InsO ist nämlich, ob es sich auch bei den Gläubigern des jeweils anderen Verfahrens um „Beteiligte“ i.S. der Vorschrift handelt. Einen Anpassungsbedarf bejahen

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einer Ausnahmeregelung871, findet keine Stütze im Verordnungstext und hielte auch dem Ergebnis einer systematischen Normauslegung nicht stand. Denn es würde der in der EuInsVO angelegten, engen funktionalen Beziehung zwischen dem Vorschlagsrecht und dem Antragsrecht nach Art. 33 EuInsVO nicht gerecht. Auch wäre ein Vorschlagsrecht praktisch sinnlos, wenn der Verwalter des Sekundärverfahrens Vorschläge ohne Weiteres außer Acht lassen könnte872. Wenngleich damit ein erheblicher Einfluss des Verwalters des Hauptverfahrens gegenüber dem Verwalter des Sekundärverfahrens besteht, so finden die aus dem Subordinationsverhältnis resultierenden Steuerungsbefugnisse jedenfalls dort ihre Grenze, wo der Verwalter des Sekundärverfahrens gegen zwingende Vorschriften des Sekundärverfahrensstaats, insbesondere die lex fori concursus secundariae, verstoßen müsste873. Der Verwalter des Sekundärverfahrens darf sich über diese Bestimmungen nicht hinwegsetzen, da andernfalls der mit der Durchführung von Sekundärverfahren verfolgte Zweck des Schutzes inländischer Interessen874, der auch die Anwendung des jeweiligen Insolvenzrechts umfasst, unterlaufen würde. Aber auch wenn man mit Ehricke annähme, infolge von Vorgaben des Hauptverfahrens erfolgende Verstöße gegen die lex fori concursus secundariae begründeten keine Haftung des Verwalters des Sekundärverfahrens 875, so wäre diesem zumindest ein Weigerungsrecht zuzubilligen. Zu der für die Reichweite der Rechtswahl zentralen Frage der Suspendierungswirkung des Sekundärverfahrens ist daher festzustellen, dass auch die Befugnisse des Verwalters des Hauptverfahrens dem Hauptverfahrensstatut im Zweifel nicht zur Geltung verhelfen können werden. Immer dann, wenn der Hauptinsolvenzverwalter bei dem Versuch, rechtliche Möglichkeiten der lex fori des Hauptverfahrens im Sekundärverfahren durchzusetzen, auf entgegenstehendes Recht des Sekundärverfahrensstatuts trifft, wird er sich nicht durchsetzen können. Inwieweit mittels forum shopping eine erfolgreiche Rechtswahl stattfinden kann, hängt folglich ganz erheblich davon ab, ob es in anderen Mitgliedstaaten zur Durchführung von Sekundärinsolvenzen kommt.

Duursma-Kepplinger/Chalupsky, in: Duursma-Kepplinger/Duursma/Chalupsky, EuInsVO, Art. 31, Rn. 25 f., während etwa Eidenmüller, IPRax 2001, 1, 9 die bestehenden Sanktionen des autonomen Rechts im Rahmen seiner Erörterungen für ausreichend erachtet. 871 So etwa Duursma-Kepplinger, in: Duursma-Kepplinger/Duursma/Chalupsky, EuInsVO, Art. 31, Rn. 24; Kolmann, Kooperationsmodelle, S. 350. 872 Zutreffend Herchen, EuInsÜ, S. 152. 873 Ehricke, ZIP 2005, 1104, 1110; Staak, NZI 2004, 480, 484. 874 Vgl. nur Erwägungsgrund Nr. 19 zur EuInsVO. 875 So Ehricke, ZIP 2005, 1104, 1107.

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b. Exkurs: Sekundärverfahren als Gegenmaßnahme zum forum shopping Nachdem folglich jedes Sekundärverfahren den Arm der mittels forum shopping in den genannten Grenzen wählbaren Insolvenzrechtsordnung des Eröffnungsstaates verkürzt, verwundert es nicht, dass in der Durchführung von Insolvenzverfahren eine potente „Gegensteuerungsmaßnahme“876, ein „Notanker“877 für den Fall der ungerechtfertigten Inanspruchnahme oder der Beeinflussung der internationalen Zuständigkeit nach Art. 3 Abs. 1 EuInsVO erblickt wird. Zu der in Lehre und Praxis inzwischen vielfach in Erwiderung (vermeintlichen) forum shopping propagierten und auch tatsächlich erfolgten Eröffnung von Sekundärverfahren resümiert etwa Taylor: „The COMI arguments that continue to rage are essential about control and many secondaries have been filed with the express and sometimes overt intention to thwart the Main Proceeding. [...]. [L]ike a knight in shining armour the Secondary Liquidator rides to rescue the innocent company from the hand of foreign marauders.“878.

(1) Beschränkungen durch Niederlassungsbegriff und Antragsberechtigung Die Eignung des Sekundärverfahrens als Regulativ eines forum shopping hängt in erster Linie davon ab, ob nach einem erfolgreichen forum shopping weiterhin eine Niederlassung besteht. Denn erst diese führt nach Art. 3 Abs. 2 S. 1 EuInsVO zur Zuständigkeit für die Eröffnung eines Sekundärverfahrens. (a) Niederlassungsbegriff und Rechtswahl durch Zuständigkeitserschließungen In Fällen, in denen durch eine Veränderung der zuständigkeitsbegründenden tatsächlichen Umstände, also eine Verlegung des COMI, eine Eröffnungszuständigkeit neu begründet wird, kommt eine Vereitelung der manipulativen Einwirkungen nur in Betracht, soweit trotz der tatsächlichen Veränderungen weiterhin die Voraussetzungen einer Niederlassung i.S. des Art. 2 lit. h) EuInsVO, d.h. eine wirtschaftliche Tätigkeit nicht nur vorübergehender Art unter Einsatz von Personal und Vermögenswerten, gegeben sind879. Damit ist indes bereits ein wesentlicher Schwachpunkt benannt, mit dem Sekundärverfahren unter dem Gesichtspunkt eines „Gegenmittels“ zum forum shopping in den Fällen der Zuständigkeitserschlie876

Duursma/Duursma-Kepplinger, DZWIR 2003, 447. Duursma-Kepplinger, NZI 2003, 87, 90. 878 Taylor, 2 International Corporate Rescue (2005), 173, 174. 879 Wann die Voraussetzungen des Niederlassungsbegriffs zu bejahen sind, ist im Einzelnen streitbefangen. Zu den Zweifelsfällen vgl. etwa Carstens, Internationale Zuständigkeit, S. 76 f. m.w.N. 877

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ßung behaftet sind. Insbesondere in denjenigen Konstellationen, in denen der Insolvenz die Einstellung der operativen Tätigkeit des schuldnerischen Unternehmens vorausgeht und es somit schon an der Entfaltung wirtschaftlicher Tätigkeiten fehlt880, sowie im Falle von kleinen unternehmerischen Einheiten, besteht die Möglichkeit, dass nach einer tatsächlichen Verlegung des COMI nicht einmal mehr eine Niederlassung existiert. Berücksichtigt man zudem, dass insbesondere kleine Unternehmen aufgrund ihrer vergleichsweise hohen Mobilität dazu prädestiniert sind, von den mit der EuInsVO verbundenen faktischen Wahlfreiheiten Gebrauch zu machen, so lässt dies erwarten, dass sich in einer großen Anzahl von Fällen die Auswirkungen des forum shopping schon in Ermangelung der Eröffnungsvoraussetzungen nicht mit der Durchführung von Sekundärverfahren kompensieren lassen. Die Entscheidung des Verordnungsgebers gegen einen Vermögensgerichtsstand des Sekundärverfahrens führt überdies dazu, dass gerade in den Fällen, in denen manipulative Einwirkungen stattfinden, um bestimme Vermögensgegenstände zu „ausländischen“ zu machen und so in den Genuss der Regelungen der Art. 5, 7 EuInsVO zu gelangen, die Durchführung von Sekundärinsolvenzen keinen Ausweg darstellt. In der Praxis könnten sich die durch die Notwendigkeit einer Niederlassung entstehenden Beschränkungen dadurch abmildern, dass die mit dem Eröffnungsantrag über das Sekundärverfahren befassten Gerichte an die einzelnen Voraussetzungen des Art. 2 lit. h) EuInsVO keine allzu großen Anforderungen stellen. Denn für die Zuständigkeit nach Art. 3 Abs. 2 S. 1 EuInsVO gilt Ähnliches wie für die Kompetenz nach Art. 3 Abs. 1 S. 1 EuInsVO; ihre rechtswidrige Inanspruchnahme ist zunächst anzuerkennen, da Art. 16 Abs. 1 die Anerkennungspflicht für alle nach Art. 3 EuInsVO bestehenden Zuständigkeiten statuiert. Dies ergibt sich bereits aus einem Gegenschluss zu Art. 16 Abs. 2 EuInsVO, der, anders als Abs. 1, zwischen den einzelnen Verfahrensarten unterscheidet. Eine Geltendmachung der Kompetenzwidrigkeit kommt daher auch hier nur mittels der jeweiligen Rechtsbehelfe des Eröffnungsstaates in Betracht. (b) Niederlassungsbegriff und Rechtswahl durch Ausnutzung des Anerkennungszwangs Anders als in den Fällen des tatsächlichen Zuständigkeitswechsels durch eine COMI-Verschiebung stellt sich die Situation in den Fällen des forum shopping dar, in denen das COMI des Schuldners in Wirklichkeit nicht am Ort der Hauptverfahrens liegt. Gerade in den Fällen insolventer Unternehmensgruppen, in denen eine Inanspruchnahme der Eröffnungszuständigkeit 880

So z. B. im Fall AG Hamburg, ZIP 2005, 2275 f.

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am Sitz der Konzernmutter, einer Zwischenholding oder einer unter strategischen Gesichtspunkten ausgewählten konzernzugehörigen Gesellschaft o.ä. erfolgt, sind die Voraussetzungen für die Eröffnung einer Sekundärinsolvenz häufig gegeben. Hier kommt es nicht zu einer tatsächlichen Erschließung der Eröffnungszuständigkeit, sondern infolge einer Ausnutzung des Systems der Anerkennungsvorschriften in Verbindung mit der Unbestimmtheit des COMI-Kriteriums in Art. 3 Abs. 1 S. 1 EuInsVO bloß zu deren Inanspruchnahme881. Bereits der noch nicht verlegte Verwaltungssitz, etwaig noch vorhandene Büros oder Produktionsstätten der schuldnerischen Gesellschaft erfüllen in solchen Fällen regelmäßig die Kriterien des Niederlassungsbegriffs882. Den im Eröffnungswettlauf des Hauptverfahrens unterlegenen Verfahrensbeteiligten wird es daher regelmäßig möglich sein, mit der Durchführung einer Sekundärinsolvenz gewissermaßen eine „second front“883 im Wettkampf um Vermögenswerte zu eröffnen. Die Voraussetzungen einer Niederlassung müssen indes weiterbestehen, die bloße Belegenheit von Vermögen am Ort des tatsächlichen COMI ist nicht ausreichend884. In den Fällen der völligen Geschäftseinstellung kann es an diesen Voraussetzungen, wie gezeigt, fehlen. Ein solches Vorgehen wäre nach vereinzelt vorgebrachter Auffassung jedoch ausgeschlossen, wonach Art. 2 lit. h) EuInsVO zugleich ein Maximum an Voraussetzungen statuiert885. Dafür, dass der Niederlassungsbegriff der EuInsVO auch eine Obergrenze dessen enthält, was an tatsächlichen Gegebenheiten die Durchführung einer Sekundärinsolvenz ermöglicht, ist indes nichts zu erkennen: Zum einen ist kaum vorstellbar, welche Umstände gemessen am Erfordernis „wirtschaftliche Tätigkeit nicht nur vorübergehender Art unter Einsatz von Personal und Vermögenswerten“ als ein Mehr anzusehen sein sollten. Zum anderen wird zwar trotz der Unsicherheiten im Bereich der Auslegung von Art. 3 Abs. 1 S. 1 EuInsVO 881

In vielen der Entscheidungen ist es daher nach Inanspruchnahme der Zuständigkeit nach Art. 3 Abs. 1 S. 1 EuInsVO zur Eröffnung von Sekundärverfahren gekommen. Vgl. nur Landesgericht Innsbruck, ZIP 2004, 1721 (Hettlage); Landesgericht Klagenfurt, NZI 2004, 677 (Zenith); AG Köln, NZI 2003, 151 (Automold). Auch über das Vermögen der MG Rover Deutschland ist es nach einem entsprechenden Antrag des Verbands der deutschen Rover-Händler zur Eröffnung eines Sekundärverfahrens gekommen. 882 Duursma/Duursma-Kepplinger, DZWIR 2003, 447, 451; Sabel, NZI 2004, 126, 127. 883 Taylor, 2 International Corporate Rescue (2005), 173, 174. 884 So aber offenbar Haß/Herweg, in: Geimer/Schütze, Art. 3 EuInsVO, Rn. 62. 885 Darauf, dass ein solches Verständnis befürwortet wird, weisen Vallender/Fuchs, ZIP 2004, 829, 834 hin. Danach hätten die Vertreter verschiedener Mitgliedstaaten auf einer Veranstaltung der Europäischen Rechtsakademie die Möglichkeit der Eröffnung eines Sekundärverfahrens am tatsächlichen COMI abgelehnt. Bedenken äußerte auch der Cour d’Appel Versailles, Urt. vom 04.09.2003 (nicht rechtskräftig). Bedenken artikuliert auch Kemper, in: Kübler/Prütting, Art. 27 EuInsVO, Rn. 5 f.

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schon aus der Verordnung deutlich, dass der Schuldner am Ort der Niederlassung in tatsächlicher Hinsicht nicht so präsent sein muss wie am COMI. Insbesondere wenn man das mit der Verordnung aufgestellte Erkennbarkeitskriterium886 mit der gebotenen Ernsthaftigkeit berücksichtigt, kann es jedoch durchaus vorkommen, dass sich wesentliche Teile des schuldnerischen Unternehmens nicht im Staat der Verfahrenseröffnung befinden. Des Weiteren deuten auch die Erwägungsgründe der EuInsVO und die Materialien zum EuInsÜ darauf hin, das sich die Niederlassung im Hinblick auf die tatsächlichen Gegebenheiten nicht notwendig als wie auch immer geartetes quantitatives Minus, sondern schlichtweg als (qualitatives) Aliud zum COMI erweisen muss887, wobei die Voraussetzungen beider Kriterien durchaus zugleich gegeben sein könnten. Ist dies der Fall, scheitert die Eröffnung eines Sekundärverfahrens in demselben Staat nach der Inanspruchnahme der internationalen Zuständigkeit für das Hauptverfahren bereits an der Regelungstechnik der EuInsVO, die im Hauptverfahrensstaat keine Eröffnung von Sekundärverfahren zulässt (siehe nur Art. 27 S. EuInsVO: „[...] ein Gericht dieses anderen Mitgliedstaates [...]“888). Der 19. Erwägungsgrund verdeutlicht, dass es dem historischen Verordnungsgeber mit der Ermöglichung von Sekundärverfahren in erster Linie darum ging, lokale Interessen zu schützen und die Verwaltung verschachtelten Vermögens zu vereinfachen. Zwar setzen die genannten Zwecke offensichtlich ein Auseinanderfallen von COMI und Niederlassung voraus. Dass sie nur für den Fall der kompetenzgemäßen Inanspruchnahme verfolgt werden sollen, ist allerdings nicht ersichtlich; die genannten Ziele treffen vielmehr genauso auf die Konstellation zu, dass das COMI kompetenzwidrig in Anspruch genommen wurde889. Der erläuternde Bericht zum EuInsÜ führt darüber hinaus aus, das Gericht, welches das Sekundärverfahren eröffne, überprüfe nicht, ob die Eröffnungszuständigkeit für das Hauptverfahren kompetenzgemäß in Anspruch genommen sei890. Daraus ergibt sich, dass auch dann noch ein Sekundärverfahren eröffnet werden kann, wenn sich zusätzlich zu den Voraussetzungen einer Niederlassung in demselben Mitgliedstaat auch das COMI des Schuldners befindet891. Schließlich kann ein Sekundärverfahren am Belegenheitsort des Interessenmittelpunkts auch nicht deshalb ausgeschlossen werden, weil damit dem andernorts eröffneten Hauptverfahren ein Großteil oder gar die ge-

886

Zu diesem siehe oben, S. 85. So letztlich auch Kemper, in: Kübler/Prütting, Art. 27 EuInsVO, Rn. 5. 888 Hervorhebungen durch den Verfasser. 889 Vgl. auch Weller, ZHR 169 (2005), 570, 587. 890 Virgós/Schmit, Bericht, Nr. 215. 891 So i. Erg. auch AG Köln NZI 2004; Duursma/Duursma-Kepplinger, DZWIR 2003, 447, 451; Vallender/Fuchs, ZIP 2004, 831, 834; Sabel, NZI 2004, 126, 127. 887

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samte Masse entzogen würde892. Das Sekundär- ist dem Hauptverfahren zumindest nach der Konzeption der EuInsVO in vielerlei Hinsicht untergeordnet, sodass von einer Aushöhlung des Hauptverfahrens durch ein im Gewand des Sekundärverfahrens stattfindendes „faktisches Hauptverfahren“ nicht pauschal und undifferenziert die Rede sein kann. Im Gegenteil: Der 19. Erwägungsgrund, die zum Regelungsgehalt von Art. 5 Abs. 1, 7 Abs. 1 erzielten Befunde893 sowie das Antragsrecht des Hauptinsolvenzverwalters nach Art. 29 lit. a) EuInsVO veranschaulichen, dass es durchaus erforderlich sein kann und im Sinne der Verordnung ist, am Belegenheitsort ggf. sogar des gesamten Schuldnervermögens ein Sekundärverfahren zu eröffnen. Anderenfalls würden die dinglichen Rechte der Gläubiger nicht vom Insolvenzverfahren erfasst894. Ein Sekundärverfahren kann folglich in jedem Mitgliedstaat eröffnet werden, in dem die Voraussetzungen des Art. 2 lit. h) EuInsVO bestehen; ausgenommen ist allein der Eröffnungsstaat des Hauptverfahrens. Darüber hinaus ist auch die kompetenzwidrige Inanspruchnahme der Eröffnungszuständigkeit des Sekundärverfahrens zunächst nach Art. 16, 17 EuInsVO anzuerkennen, was eine großzügige Auslegung des Niederlassungsbegriffs begünstigen könnte. In den Fällen der erfolgreichen kompetenzwidrigen Inanspruchnahme der Eröffnungszuständigkeit nach Art. 3 Abs. 1 EuInsVO könnte so der Versuch unternommen werden, die Rechtswahl auf der Ebene des Sekundärverfahrens gleichsam „mit den eigenen Waffen“ zu schlagen. (c) Antragsbefugnis des Schuldners Ein weiteres Problem im Zusammenhang mit der Frage nach der Eignung von Sekundärverfahren als „Gegenmittel“ zum forum shopping betrifft die Antragsbefugnis des Schuldners. Während die Gläubiger regelmäßig nach dem Recht des Sekundärverfahrensstaats (vgl. Art. 29 lit. b)) EuInsVO ein Antragsrecht haben werden, könnte der Schuldner, auch wenn er nach dem Recht des Sekundärverfahrensstaats antragsberechtigt ist, sein Antragsrecht infolge des Übergangs von Verwaltungs- und Verfügungsrecht nach Eröffnung des Hauptverfahrens verloren haben. Der Schuldner selbst hätte in diesem Fall keine Möglichkeit, die Folgen eines durch die Gläubiger betriebenen forum shopping mit der Beantragung eines Sekundärverfahrens zu sanktionieren. Für das deutsche Recht bejahte das AG Köln ein auch nach Eröffnung des Hauptverfahrens fortbestehendes Antragsrecht mit der Begründung, die Gesellschaftsorgane blieben von der Eröffnung des Insolvenzverfahrens als 892

So auch Herchen, ZInsO 2004, 825, 829. Vgl. oben, S. 220 ff. 894 Sabel, NZI 2004, 126, 127. 893

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solche unberührt895. Diese Argumentation übersieht indes, dass bereits das deutsche internationale Insolvenzrecht in den §§ 354 I, 356 II InsO nach Verfahrenseröffnung keine Antragsbefugnis des Schuldners mehr vorsieht. Da zwischen dem deutschen und dem europäischen Insolvenzrecht nicht schlechterdings ein Ausschließlichkeitsverhältnis besteht, wird man diese Bestimmungen auch heranziehen können, wenn in den deutschen Durchführungsvorschriften eine Regelungslücke besteht896. Aber auch wenn man die §§ 354 I, 356 II InsO im Anwendungsbereich der EuInsVO für unanwendbar erachtet897, wird man aus ihnen jedoch schließen können, dass sie das Entfallen des Antragsrechts als allgemeinen Grundsatz voraussetzen, ein solches nach internationalem wie nationalem deutschen Recht folglich bereits mit der Eröffnung eines Hauptverfahrens nicht mehr besteht898. Auch kann Art. 29 lit. b) EuInsVO nicht entnommen werden, dass eine nach dem Recht des Sekundärverfahrensstaats bestehende Antragsberechtigung trotz eines von der lex fori concursus generalis angeordneten Entfallens der Antragsberechtigung weiterbestehen soll899. Der Verweis auf die Antragsberechtigung des Sekundärverfahrensstaats befreit gerade nicht davon, bei der Bestimmung des Antragsrechts auch die Auswirkungen der vorhergehenden Eröffnung eines Hauptverfahrens zu berücksichtigen. Schließlich erfordert auch die Schutzrichtung des Sekundärverfahrens, das allein dem Schutz der Gläubiger am Niederlassungsstaat, nicht aber dem Schutz des Schuldners dient900, kein Fortbestehen von dessen Antragsberechtigung. Die ohnehin auf juristische Personen als Schuldner zugeschnittene Argumentation des AG Köln, die offenbar auch von der Intention geleitet war, die organschaftlichen Antragspflichten unberührt zu lassen, vermag angesichts dieser eindeutigen Regelung nicht zu überzeugen901. Dem Schuldner steht im Falle des forum shopping die „Gegenmaßnahme“ des Sekundärverfahrens mithin nur dann zur Verfügung, wenn sowohl die Wirkungen der Eröffnung des Hauptverfahrens als auch das Recht des Sekundärverfahrensstaats ein Antragsrecht und sein Fortbestehen vorsehen. In allen Fällen mit Bezug zu Deutschland ist er also an der Beantragung von Sekundärverfahren gehindert. 895

AG Köln, NZI 2004, 151, 153, zustimmend Liersch, NZI 2004, 271, 272. Vgl. Eidenmüller, NJW 2004, 3455, 3458. 897 So Liersch, NZI 2004, 271, 272. 898 Anders Liersch, NZI 2004, 271, 272. 899 Anders wohl AG Köln, NZI 2004, 151, 153. 900 Siehe nur Virgós/Schmit, Bericht, Nr. 32. 901 So i. Erg. auch Duursma-Kepplinger/Chalupsky, in: Duursma-Kepplinger/Duursma/Chalupsky, EuInsVO, Art. 29, Rn. 8; Eidenmüller, NJW 2004, 3455, 3458; FK-Inso/ Wimmer, Anh. I, Art. 102 EGInsO, Rn. 387; Uhlenbruck/Lüer, InsO, Art. 102 EGInsO, Rn. 200; an einer weiterbestehenden Antragsbefugnis zweifelnd auch AG Düsseldorf, ZIP 2004, 623, sowie Sabel, NZI 2004, 126, 128. 896

230

Kapitel 2: Rechtswahlfreiheit unter der EuInsVO – de lege lata

(2) Regulatives Potenzial von Sekundärverfahrens Kommt danach in vielen Fällen, in denen ein forum shopping stattgefunden hat, die Eröffnung von Sekundärverfahren in Betracht, so stellt sich die Frage nach deren regulativer Kraft. Mit anderen Worten: Inwieweit lässt sich mit der Eröffnung der Sekundärinsolvenz die Einflussnahme auf die Eröffnungszuständigkeit des Hauptverfahrens abfedern? Zunächst ist zu berücksichtigen, dass sich bestimmte Regelungsgegenstände der lex fori concursus schlechterdings außerhalb der Reichweite von zusätzlichen Sekundärverfahren befinden. So scheidet insbesondere dann, wenn hinsichtlich Qualifikation und Reichweite der Antragspflicht die hier vertretenen Auffassungen zugrunde gelegt werden, eine nachträgliche Inkraftsetzung lokaler Antragspflichten des Sekundärverfahrensstaats und ihrer zivilrechtlichen Haftungsbewehrung aus902. Im Übrigen kommt es ganz maßgeblich auf die Umstände des jeweiligen Einzelfalls an. Die Bedeutung und das – aus Sicht des Hauptverfahrens – bestehende Störpotenzial903 einer Sekundärinsolvenz hängen in erster Linie davon ab, welche Teile der Masse im Sekundärverfahrensstaat belegen sind und daher – auch – vom Vermögensbeschlag des Sekundärverfahrens erfasst werden. Gerade in den Konzernkonstellationen, wo maßgebliches Vermögen des Schuldners sich nicht am geltend gemachten COMI befindet, also beispielsweise an der Konzernspitze, lässt sich mit der Eröffnung eines Sekundärverfahrens ein Zustand schaffen, der in vielerlei Hinsicht der dortigen Eröffnung eines Hauptverfahrens entspricht. Insbesondere wenn eine Einwirkung auf die Eröffnungszuständigkeit vorgenommen wurde, um in den Genuss bestimmter Besonderheiten der damit „gewählten“ lex fori concursus generalis zu gelangen, kann die dargestellte Beschränkung der Reichweite zu einer weitgehenden Vereitelung der mit dem forum shopping verfolgten Zweck führen. Diese nachteiligen Folgen lassen sich in aller Regel auch nicht dadurch vermeiden, dass der Verwalter des Hauptverfahrens noch vor Eröffnung des Sekundärverfahrens die entsprechenden Vermögenswerte nach Art. 18 Abs. 1 S. 2 EuInsVO in den Hauptverfahrensstaat verbringen lässt. Zwar würden die verbrachten Gegenstände von dem ex nunc904 wirkenden Be902

A.A. etwa Schilling/Schmidt, DZWIR 2006, 219, 220. Natürlich ist ein Sekundärverfahren aus der Perspektive des Hauptverfahrens nicht schlechterdings störend. Nach der Konzeption der Verordnung handelt es sich dabei sogar zumindest auch um ein Instrument zur besseren Verwaltung komplizierter Vermögensverhältnisse (vgl. nur Erwägungsgrund Nr. 19 sowie Virgós/Schmit, Bericht, Nr. 33). Hier geht es jedoch gerade um die Funktion der Sekundärinsolvenz als „Gegenmaßnahme“ zum forum shopping, also Fälle, in denen der Verwalter des Hauptverfahrens von seinem Antragsrecht nach Art. 29 lit. a) EuInsVO bewusst keinen Gebrauch macht. 904 Duursma-Kepplinger/Chalupsky, in: Duursma-Kepplinger/Duursma/Chalupsky, EuInsVO, Art. 18, Rn. 12; Weller, ZHR 169 (2005), 570, 585. 903

B. Möglichkeiten und Grenzen der Rechtswahl de lege lata

231

schlag des Sekundärverfahrens nicht erfasst. Ein solches Vorgehen, das ohnehin nur für Mobilien und andere bewegliche Vermögensgegenstände infrage kommt, wird häufig jedoch an dem mit der Verbringung verbundenen Aufwand oder daran scheitern, dass die entsprechenden Vermögensgegenstände als Teile des Betriebsvermögens des Schuldners an ihrem Belegenheitsort benötigt werden. Des Weiteren kann einer Verbringung gem. Art. 18 Abs. 1 S. 1 a.E. EuInsVO auch mit vorläufigen Sicherungsmaßnahmen im Vorfeld des Sekundärverfahrens entgegengewirkt werden905. Der Hauptinsolvenzverwalter hat – obwohl auch ihn nach Art. 31 EuInsVO Kooperations- und Unterrichtungspflichten treffen – infolge der rechtlichen Überordnung weiterhin die aufgeführten umfangreichen Einwirkungsmöglichkeiten gegenüber Sekundärinsolvenzverwaltern. Verhelfen die Sekundärinsolvenzverwalter den Mitwirkungsrechten des Hauptinsolvenzverwalters jedoch nicht zum Erfolg, so stellt sich die Frage, wie der Verwalter des Hauptverfahrens seine Mitwirkungsrechte im Sekundärverfahren effektiv, also vor allem in der gebotenen Schnelligkeit, umsetzen könnte. Die Verwertung der Sekundärmasse kann der Verwalter des Hauptverfahrens bei Vorliegen der entsprechenden Voraussetzungen nach Art. 33 EuInsVO gerichtlich aussetzen lassen. Dabei handelt es sich um das schärfste Eingriffsrecht des Hauptinsolvenzverwalters gegenüber dem Sekundärverfahren, da Art. 33 Abs. 1 S. 2 EuInsVO den Entscheidungsspielraum des ersuchten Gerichts erheblich eingrenzt und eine Verweigerung der Aussetzung letztlich auf Missbrauchsfälle beschränkt906. Dennoch deutet sich auch hier in Judikaten ein weiter gefasstes, offenbar protektionistisch motiviertes Verständnis des Ausnahmetatbestandes an907. Darüber hinaus steht dem Hauptinsolvenzverwalter aufgrund des Stufenverhältnisses von Vorschlagsrecht und gerichtlicher Aussetzung der Verwertung Letztere erst mit erheblicher Verzögerung und als Ultima Ratio zur Verfügung908. Das Sekundärverfahren kann daher nicht einfach mittels eines Antrags auf Aussetzung sämtlicher Verwertung vollständig ausgesetzt werden. Eine Aussetzung des gesamten Sekundärverfahrens als sol905

Virgós/Schmit, Bericht, Nr. 163. Vallender, KTS 2005, 283, 304. 907 Vgl. etwa Landesgericht Leoben, NZI 2005, 646 f., welches das Bevorstehen einer konkreten Liquidationshandlung zur Voraussetzung einer gerichtlichen Aussetzung erhebt und außerdem hilfsweise die Aussetzung der Verwertung u.a. mit Hinweis auf die Massearmut als offensichtlich den Interessen der Gläubiger des Hauptverfahrens widersprechend ablehnt. Gerade die extensive Inanspruchnahme von Art. 3 Abs. 1 EuInsVO kann jedoch zu massearmen Hauptverfahren führen. 908 Insoweit zutreffend Landesgericht Leoben, NZI 2005, 646; a.A. Paulus, NZI 2005, 647 sowie Sommer, ZInsO 2005, 1137, 1138. Dabei muss es jedoch nicht, wie das Landesgericht Leoben meint, bereits zu einer konkreten Verwertung kommen. Insoweit dürften prospektive Vorschläge über die Verwertung ausreichen. 906

232

Kapitel 2: Rechtswahlfreiheit unter der EuInsVO – de lege lata

che ermöglicht Art. 33 EuInsVO ohnehin nicht – dies ist allein mit dem Rechtsmittel gegen den jeweiligen Eröffnungsbeschluss möglich909. Vor allem aber eröffnen die unbestimmten Wendungen in Art. 33 Abs. 2, 2. Spiegelstrich EuInsVO dem zuständigen Gericht des Sekundärverfahrensstaats zahlreiche Möglichkeiten, die Mitwirkungsbefugnisse des Verwalters des Hauptverfahrens nach eigenem Ermessen später – theoretisch schon „am Tag nach der Aussetzung“910 der Verwertung – wieder zu beschränken. Zwar sieht die EuInsVO vor, dass die Aussetzung der Verwertung auf Antrag des Hauptinsolvenzverwalters erfolgt. Danach ist es nur folgerichtig, dass nach der Konzeption der EuInsVO nicht das über die Aussetzung der Verwertung entscheidende Gericht, sondern zunächst der Hauptinsolvenzverwalter über die Interessen der Gläubiger zu befinden hat911. In der Praxis wird sich jedoch kaum verhindern lassen, dass das Gericht über diese Einschätzungsprärogative hinweggeht und anstelle einer bloßen Überprüfung der Auffassung des Hauptinsolvenzverwalters auf offensichtliche Fehler der Sache nach eine eigene Bewertung der Interessen der Gläubiger des Hauptverfahrens vornimmt. Mit der Ausnahmeregelung des Art. 33 Abs. 2, 2. EuInsVO sind die ohnehin recht beschränkten Instrumentarien zur Koordination von Haupt- und Sekundärverfahren daher praktisch weitgehend entwertet. Hier zeigt sich eindrucksvoll, dass der Verwalter des Hauptverfahrens eben faktisch nicht auch Herr des Sekundärverfahrens ist. Für andere Befugnisse ist die gerichtliche Durchsetzung in der Verordnung gar nicht ausdrücklich vorgesehen. Man wird allerdings auch die Befolgung von Pflichten nach der unmittelbar anwendbaren EuInsVO vom Aufsichtsrecht des Insolvenzgerichts (für das deutsche Recht vgl. § 58 InsO) des Sekundärverfahrens umfasst anzusehen haben912. Das Verhältnis zwischen Haupt- und Sekundärinsolvenzverwalter ist noch lange nicht abschließend ausgelotet. Daher ist zu befürchten, dass die Gerichte des Sekundärverfahrensstaats, je nachdem, welches Interesse aus ihrer Sicht an einem nicht durch den Verwalter des Hauptverfahrens behinderten Fortgang des Verfahrens besteht, die bestehenden Mitwirkungsrechte nicht durchsetzen. Welche Motive das Gericht zu einem solchen Handeln veranlassen könnten, wird noch zu erörtern sein913. Letztlich werden auch drohende Schadensersatzklagen vielfach bereits daran scheitern, dass eine 909 So auch Landesgericht Leoben, NZI 2005, 646 mit insoweit zust. Anmerkung Paulus, NZI 2005, 647 f. 910 Paulus, NZI 2005, 647, 648. 911 So i. Erg. auch Sommer, ZInsO 2005, 1137, 1139. 912 Zutreffend Duursma-Kepplinger/Chalupsky, in: Duursma-Kepplinger/Duursma/ Chalupsky, EuInsVO, Art. 31, Rn. 32; a.A.: Lüke, ZZP 111 (1998), 275, 305 (zum EuInsÜ). 913 Siehe dazu S. 238 ff.

B. Möglichkeiten und Grenzen der Rechtswahl de lege lata

233

Verweigerung des Verwalters des Sekundärverfahrens gegenüber den Mitwirkungsbefugnissen des Verwalters des Hauptverfahrens nicht zwangsläufig zu einem Schaden führt. Dies gilt ungeachtet der Frage nach der einschlägigen Haftungsgrundlage. Es sind vor allem diese praktischen Gesichtspunkte, die das Sekundärverfahren zu einem effektiven Mittel machen, um die Absichten von case placers zu vereiteln. Besonders dann, wenn unter Ausnutzung der Zuständigkeitsordnung der EuInsVO wenigstens eine informelle Bündelung der Insolvenzverfahren über alle zu einem Unternehmensverbund zugehörigen Schuldner stattfinden soll, ist die von einem Praktiker als „administrative nightmare“914 bezeichnete Gemengelage von Haupt- und Sekundärverfahren von erheblichem Störpotenzial. Besonders plastisch wird die Furcht von Verwalter und Insolvenzgericht des Hauptverfahrens vor der Beantragung von Sekundärverfahren im Fall MG Rover Group Ltd. In sog. supplemental orders zu den Beschlüssen, mit denen die Hauptverfahren über acht Auslandsgesellschaften in England eröffnet wurden, stellte der High Court of Justice Birmingham nachträglich klar, dass es das autonome englische Insolvenzrecht erlaube, Forderungen denselben Rang zuzuweisen, der ihnen in einem Sekundärverfahren zugewiesen würde915. Das Gericht unternimmt damit den Versuch, den Gläubigern Anreize zur Beantragung von Sekundärinsolvenzen zu nehmen, da diese seiner Auffassung nach zur unkoordinierten Zerstörung der Einzelunternehmen führten916. Die Bemühungen des Gerichts waren weitgehend fruchtlos, denn in mehreren Mitgliedstaaten sind Sekundärverfahren beantragt und eröffnet worden917. (3) Zusammenfassung Sofern die prozessualen Voraussetzungen der Niederlassung und des Antragsrechts bestehen, können betroffene Verfahrensbeteiligte die Auswirkungen des forum shopping mit der Beantragung von Sekundärverfahren verkürzen. Wie effektiv die Gegenmaßnahme ist, hängt stets von den Umständen des Einzelfalls ab: Je größer das vom Sekundärverfahren betroffene Schuldnervermögen, desto stärker ist die Beeinträchtigung der Reichweite des forum shopping. Zumindest aus Sicht des Hauptverfahrens wird

914

Taylor, 2 International Corporate Rescue (2005), 173, 177. High Court of Justice Birmingham, NZI 2005, 515 ff. 916 High Court of Justice Birmingham, NZI 2005, 515, 516. 917 AG Düsseldorf, Beschl. vom 22. 6. 2005 (Az. 502 IN 110/05). Auch über das Verfahren der MG Rover Nederland BV wurde ein Sekundärverfahren eröffnet (vgl. Penzlin/ Riedemann, NZI 2005, 469, 470). 915

234

Kapitel 2: Rechtswahlfreiheit unter der EuInsVO – de lege lata

also mit Taylor häufig schon an dieser Stelle zu konstatieren sein: „Secondary appointments are destructive weapons“918. Welche rechtswahlspezifischen Handlungsanreize sich aus den beschriebenen Abwehrmechanismen ergeben und welche wirtschaftlichen Effekte die durch die und in den Grenzen der Zuständigkeitsregeln der EuInsVO eröffnete, faktische Rechtswahlfreiheit insgesamt zeitigen, ist Gegenstand des nächsten Kapitels der Arbeit. Dort werden die als Gegenmaßnahme durchgeführten Sekundärverfahren, auch unter dem Gesichtspunkt ihrer Beschränkung auf Liquidationsverfahren (Art. 3 Abs. 3 S. 2 EuInsVO), sowie unter Effizienzgesichtspunkten zu beleuchten sein. 6. Zusammenfassung zur Reichweite der Rechtswahlmöglichkeiten Zusammenfassend ist zur Reichweite einer Rechtswahl zu konstatieren, dass mit den Einwirkungsmöglichkeiten auf die lex fori des Hauptverfahrens eine weitreichende Einflussnahme auf das im Insolvenzverfahren zur Anwendung gelangende Recht eröffnet wird. Damit kann auch auf die Anwendbarkeit bedeutsamer insolvenzrechtlicher Institute wie der Antragspflicht organschaftlicher Vertreter oder Insolvenzverschleppungshaftung steuernd eingewirkt werden. Die Rechtswahl findet grundsätzlich eine Grenze in den Sonderanknüpfungen und materiellen Ausnahmeregelungen der Art. 5 ff. EuInsVO. Sofern diese Ausnahmebestimmungen allerdings ein Auseinanderfallen von Eröffnungs- und Lagestaat voraussetzen und bei Nichtbestehen einer Niederlassung die Insolvenzfestigkeit des betroffenen Vermögensgegenstands zur Folge haben können, eröffnen sie weitere Gestaltungsmöglichkeiten. Je nachdem, auf welche Weise sich das forum shopping vollzogen hat, kann die Reichweite mit der Durchführung von Sekundärinsolvenzen erheblich beschränkt werden.

C. Die faktische Rechtswahlfreiheit de lege lata – Bestandsaufnahme in Thesen Die faktische Rechtswahlfreiheit de lege lata

Als Ausgangspunkt der im folgenden Teil der Arbeit zu unternehmenden Bewertung kann zur Frage nach der de lege lata bestehenden Rechtswahlfreiheit Folgendes resümiert werden: Nach der Grundkollisionsnorm des Art. 4 EuInsVO untersteht ein Hauptverfahren dem Insolvenzrechts des Eröffnungsstaates. Wahlmöglich918

Taylor, 2 International Corporate Rescue (2005), 173, 178. Zweifelhaft ist daher die Einschätzung Oberhammers, Internationales Zivil- und Verfahrensrecht, S. 117, 126 f., der in der Durchführung von Sekundärinsolvenzen keine „tückische Abwehrmaßnahme“, sondern vielmehr das Mittel der Wahl rational handelnder Hauptinsolvenzverwalter erblickt.

C. Die faktische Rechtswahlfreiheit de lege lata

235

keiten sieht die EuInsVO daher im Bereich der Anknüpfung des Verfahrensstatus nicht vor. Eine Rechtswahl im hier verwendeten Sinne des Begriffs kann mithin allein im Wege einer Einflussnahme auf den Ort der Verfahrenseröffnung stattfinden. Auch in den Kompetenzregeln des Art. 3 EuInsVO sind Einwirkungen der Verfahrensbeteiligten auf die Eröffnungszuständigkeit nicht explizit vorgesehen. Im Gegenteil: Nach der Konzeption der Verordnung soll ein forum shopping mittels der Anknüpfung an den Interessenmittelpunkt des Schuldners gerade vermieden werden. Dennoch ermöglichen drei Faktoren ein forum shopping: die Unbestimmtheit des maßgeblichen Kriteriums „Mittelpunkt der hauptsächlichen Interessen“, die Veränderlichkeit der zuständigkeitsbegründenden Tatsachen sowie der mit der EuInsVO statuierte Anerkennungszwang. Eine Einflussnahme darauf, in welchem Staat das Hauptverfahren eröffnet wird, ist folglich in den Grenzen, die durch die genannten Mechanismen bestimmt werden, möglich. In der Rechtspraxis wird von dieser Möglichkeit bereits Gebrauch gemacht. Die Unschärfe des COMI-Kriteriums führt dazu, dass Unsicherheit darüber besteht, ob eine Verfahrenseröffnung kompetenzgemäß erfolgte. Die Geltendmachung der Unzuständigkeit des eröffnenden Gerichts ist aufgrund der nur unter Beschränkungen bestehenden gemeinschaftsrechtlichen und der oft wenig erfolgversprechenden mitgliedstaatlichen Rechtsbehelfe nur in sehr begrenztem Umfang möglich. Auch aus der Beschränkung des Anerkennungszwangs durch den mitgliedstaatlichen ordre public ergeben sich nur selten Einschränkungen des forum shopping. Es entsteht nicht nur rechtlich, sondern vor allem faktisch ein Prioritätsprinzip. Entscheidend kommt es für eine erfolgreiche Verfahrensplatzierung mithin darauf an, welches Gericht zuerst ein Hauptverfahren eröffnet. Mittels Sanktionen des autonomen mitgliedstaatlichen Rechts lassen sich Zuständigkeitsveränderungen oder -erschließungen nicht verhindern. Genauso wenig werden die Zuständigkeitsvorschriften der EuInsVO in ihrem Regelungsbereich durch Kompetenznormen des nationalen Rechts überlagert. Etwas anderes gilt für den Schuldnerbegriff des autonomen Insolvenzrechts. Angesichts dieser Umstände und der Manipulationstiefe, die (auch bei richtigem Verständnis des für das COMI geltenden Kriteriums der Erkennbarkeit als zuständigkeitsbegründendes Merkmal) eine tatsächliche Verlegung des Interessenmittelpunkts ermöglicht, kann von einer, wenngleich begrenzten, faktischen Rechtswahlfreiheit die Rede sein. Anders als im Gesellschaftsrecht steht case placers nicht die Gesamtheit der autonomen Rechtsordnungen aller Mitgliedstaaten zur Auswahl. Dies folgt aus der Notwendigkeit einer gerichtlichen Verfahrenseröffnung. Ge-

236

Kapitel 2: Rechtswahlfreiheit unter der EuInsVO – de lege lata

rade bei Gesellschaften, die international operierenden Konzernen zugehörig sind, oder bei kleinen und dadurch besonders beweglichen schuldnerischen Unternehmen besteht jedoch auch nach den formalen Konkretisierungen des COMI-Kriteriums durch den EuGH im Fall Eurofood ein weitreichender Aktionsraum. Einwirkungen auf die lex fori concursus können dabei bis unmittelbar vor Verfahrenseröffnung erfolgen, obwohl nach zutreffender Auffassung jeweils der Augenblick der Antragstellung maßgeblicher Bezugszeitpunkt ist. Entscheidend kommt es auf den vom EuGH entfalteten, zweigliedrigen Eröffnungsbegriff an. Eine Rechtshängigkeitssperre oder weitergehende Reduktionen des Eröffnungsbegriffs bestehen dabei nicht. Mit der Rechtskraft des Eröffnungsbeschlusses wird ein Zuständigkeitsmangel nach der EuInsVO geheilt. Ungeachtet der Frage, welche assets von der Eröffnung von Sekundärverfahren betroffen sind, kommt dem forum shopping eine erhebliche Reichweite zu, da sich wichtige Institute mitgliedstaatlichen Insolvenzrechts „abwählen“ lassen. Hierzu gehören etwa die Antragspflichten und die Insolvenzverschleppungshaftung nach deutschem Recht. Das Sekundärverfahren kann im Einzelfall ein potentes Gegenmittel (i.S. einer Wiederherstellung eines ohne die Einwirkung bestehenden Zustands) gegen manipulative Einwirkungen auf die Eröffnung des Hauptverfahrens darstellen. Die von der EuInsVO konzipierte Subordination des Sekundärverfahrens erweist sich in vielerlei Hinsicht als stumpfes Schwert. Aufgrund der notwendigen Voraussetzungen der Niederlassung, die ihrerseits ebenfalls veränderlich sind, ist der Anwendungsbereich dieses Gegenmittels indes beschränkt.

3. Kapitel

Die Rechtswahlfreiheit unter der EuInsVO in der Analyse Ausgehend von den im vorhergehenden Kapitel gewonnenen Ergebnissen zu Art und Umfang der bestehenden Einwirkungsmöglichkeiten befasst sich der folgende Teil der Arbeit mit einer Bewertung des Status quo. Dabei wird die Frage im Mittelpunkt stehen, wie die bestehende Zuständigkeitsordnung der EuInsVO unter Effizienzgesichtspunkten zu beurteilen ist. Zuvor wird indes zu erörtern sein, welche Handlungsanreize im Hinblick auf die unter der EuInsVO in den dargelegten Grenzen mögliche Einflussnahme auf die internationale Zuständigkeit und das anwendbare Insolvenzrecht für die Verfahrensbeteiligten bestehen. Der folgende Abschnitt der Untersuchung ist zugleich Grundlage für den letzten Teil der Arbeit, in dem die Frage nach der Notwendigkeit und der möglichen Ausgestaltung von Alternativregelungen gestellt werden soll.

A. Rechtswahlspezifische Anreizstruktur der EuInsVO Rechtswahlspezifische Anreizstruktur der EuInsVO

Bereits die Ausführungen zur Rechtslage haben deutlich gemacht, dass ein forum shopping besonders große Erfolgsaussichten aufweist, wenn mehrere Verfahrensbeteiligte zusammenwirken. Der Einfluss einzelner Verfahrensbeteiligter hängt in erheblichem Maße von den Faktoren ab, die de lege lata eine Rechtswahl ermöglichen: Während eine tatsächliche Verlegung des COMI kaum ohne den Schuldner vonstattengehen kann, da es nach den gewonnenen Erkenntnissen primär um sein nach außen erkennbares Handeln im Rechtsverkehr geht, hängt die Wahrnehmung der Eröffnungskompetenz in einem objektiv unzuständigen Staat, die ein Gläubiger oder der Schuldner mit einem mehr oder weniger fantasievoll begründeten Antrag zu betreiben sucht, vor allem davon ab, ob sich das mit dem Antrag befasste Insolvenzgericht der Auffassung des Antragstellers anschließt. Für die Frage, inwieweit damit zu rechnen ist, dass von der Wahlfreiheit unter den genannten Voraussetzungen Gebrauch gemacht werden kann, spielen die Handlungsanreize eine große Rolle.

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Kapitel 3: Die Rechtswahlfreiheit unter der EuInsVO in der Analyse

Von entscheidender Bedeutung für die Bestimmung der Handlungsanreize ist der Bezugnahmezeitpunkt. Nachdem die entscheidenden Schritte für eine erfolgreiche Platzierung des Hauptverfahrens unter dem Status quo, wie gezeigt werden konnte, noch in unmittelbarer zeitlicher Nähe zu dessen Eröffnung stattfinden, kommt es maßgeblich auf die Handlungsanreize an, denen die Akteure in unmittelbarer Insolvenznähe unterliegen. I. Handlungsanreize für die Verfahrensbeteiligten Getrennt nach den einzelnen Verfahrensbeteiligten lassen sich die Handlungsanreize, die sich aus den geschilderten Einwirkungsmöglichkeiten ergeben, wie folgt skizzieren1: 1. Insolvenzgerichte Ohne Mitwirkung der Insolvenzgerichte kann es nicht zu einer erfolgreichen Rechtswahl kommen; tendieren sie zu einer restriktiven Auslegung der Kompetenznormen, scheitert ein forum shopping bereits nach der Antragstellung. Bisweilen ist allerdings eine Tendenz der mitgliedstaatlichen Insolvenzgerichte erkennbar, die Eröffnungszuständigkeit auch in Zweifelsfällen für sich zu behaupten2. Nur so konnte es überhaupt zu den positiven Kompetenzkonflikten kommen, in denen mehrere Insolvenzgerichte mit Hinweis auf Art. 3 Abs. 1 S. 1 EuInsVO die Kompetenz zur Eröffnung eines Hauptverfahrens für sich reklamierten3 und an dieser Auffassung mitunter sogar dann gegenüber dem jeweils anderen Gericht festhielten, wenn dieses bereits zuvor ein Hauptverfahren über das Schuldnervermögen eröffnet hatte4. Rein phänomenologisch scheint im Bereich des internationalen Insolvenzrechts also entgegen der landläufigen Annahme, Richter bejahten ihre 1

Die Handlungsanreize, denen die mitgliedstaatlichen Normgeber unterliegen, die keine unmittelbaren Verfahrensbeteiligten sind, werden erst im Rahmen der Diskussion der möglichen dynamischen Aspekte der Rechtswahlfreiheit behandelt. 2 Anders noch eine frühe Bestandsaufnahme des Praktikers Taylor in einer Befragung durch die britische Regierung (Fn. 293 zum vorigen Kapitel), der in der vergleichsweise umfassenden Verfahrenseinbindung, die Richter in vielen kontinentalen Rechtssystemen einnähmen, einen Grund dafür sieht, dass diese Verfahren nur dann durchführen würden, wenn sich im Eröffnungsstaat auch der Satzungssitz befinde (dort unter Punkt 2.1.3). 3 So in den Fällen Daisytek/ISA (Verfahrenseröffnung sowohl durch High Court of Justice Leeds, NZI 2004, 219 ff. als auch durch das AG Düsseldorf (Beschluss v. 10.07.2003, unveröffentlicht; zur Aufhebung des Eröffnungsbeschlusses siehe ZIP 2004, 623 ff.), Parmalat (Verfahrenseröffnung sowohl durch das Tribunale di Parma, ZIP 2004, 1220 ff., als auch durch den High Court Dublin, ZIP 1223 ff.) sowie Stadtgericht Prag ZIP 2005, 1431 trotz einer vorhergehenden Eröffnungsentscheidung des AG Hamburg, vgl. dazu auch die Beschwerdeentscheidung LG Hamburg, NZI 2005, 645. 4 So im Fall Parmalat und in der Entscheidung des Stadtgerichts Prag (Fn. 3).

A. Rechtswahlspezifische Anreizstruktur der EuInsVO

239

Zuständigkeit aufgrund des damit verbundenen Arbeitsanfalls nur zurückhaltend, eine besondere Bereitschaft zur Wahrnehmung einer nur möglicherweise gegebenen Eröffnungszuständigkeit zu bestehen5. Daten, anhand derer sich diese Hypothese empirisch belegen ließe, sind für den Bereich der Gemeinschaft nicht verfügbar. Dennoch lassen sich verschiedene Faktoren ausmachen, die eine Tendenz zur Wahrnehmung der Eröffnungskompetenz nach Antragstellung6 insgesamt begünstigen dürften. Ungeachtet der konkreten Aufgaben, mit denen das jeweilige Gericht nach der lex fori concursus betraut wäre, ist zunächst darauf hinzuweisen, dass das Insolvenzgericht bei der Verfahrenseröffnung über eine Schlüsselrolle in dem von ihm zu eröffnenden Verfahren zu befinden hat, sich also selbst eine erhebliche Verantwortungs- und Machtposition zuweisen kann. Hinzu kommt, dass Großunternehmen, wenigstens aber der Verbund, dem sie angehören, ab einer bestimmten Größe in aller Regel nicht nur innerhalb eines Staates tätig sind. Vielmehr wird gerade in einem liberalisierten Handlungsumfeld wie dem europäischen Binnenmarkt zumindest ein Teil der vielfältigen Aktivitäten des Schuldners (Einkauf, Produktion, Vertrieb, Finanzierung) grenzüberschreitend stattfinden7. Nachdem alle diese Tätigkeiten (auch) als Anknüpfungsmomente zur näheren Bestimmung des COMI herangezogen werden, steigen die Schwierigkeiten bei der Ermittlung der internationalen Zuständigkeit mit der Größe des Schuldners. Oftmals handelt es sich in den Fällen, die einen erheblichen staatenübergreifenden Aspekt aufweisen und daher in den örtlichen Zuständigkeitsbereich mehrer Jurisdiktionen fallen könnten, um spektakuläre Großinsolvenzen. Mit der Aufgabe konfrontiert, einen derartigen Fall handhaben zu können, dürften sich viele Richter veranlasst sehen, ihre Zuständigkeit – und sei es, weil diese „ganz knapp“8 bejaht werden müsse – zu beanspruchen. Denn die Bearbeitung eines solchen, gemessen an der Vielzahl aller Insolvenzen seltenen Falles stellt sich für den Richter möglicherweise als einmalige berufliche Herausforderung dar, bei der er mit anderen spezialisierten Insolvenzrechtlern zusammenarbeiten und den Ablauf des Verfahrens mitgestalten kann.

5

Ähnlich Weller, ZHR 169 (2005), 570, 581. Oder in den Jurisdiktionen, die eine amtswegige Verfahrenseröffnung kennen (vgl. oben, S. 122), von Amts wegen. 7 Die Situation in den oben, S. 39 ff. geschilderten Fällen, insb. MG Rover, ISA/ Daisytek und Parmalat, exemplifiziert diese Umstände. 8 So in der unveröffentlichten Entscheidung Parkside Flexibles S.A., in der ein englisches Gerichts über das Vermögen der polnischen Tochter einer englischen Gesellschaft ein Hauptverfahren eröffnete, da das COMI „by the narrowest of margins“ in England belegen sei. Entscheidung zitiert nach Klempka, 2 International Corporate Rescue 171, 172 (2005). 6

240

Kapitel 3: Die Rechtswahlfreiheit unter der EuInsVO in der Analyse

Auch in der Vereinigten Staaten, wo das Phänomen des forum shopping bereits länger Gegenstand einer wissenschaftlichen Kontroverse ist, wird in der rechtlichen und tatsächlichen Attraktivität der Verfahren ein wesentlicher Grund für die Bereitschaft der Richter gesehen, bei der Auswahl des Verfahrensgerichts durch andere Verfahrensbeteiligte durch Inanspruchnahme der Zuständigkeit entgegenkommend mitzuwirken9. LoPucki führt eine ganze Reihe von Handlungsmotiven auf, die seiner Auffassung nach die extensive Wahrnehmung der Eröffnungszuständigkeit fördern10. Viele dieser Gesichtspunkte dürften auch für den innergemeinschaftlichen Bereich Geltung beanspruchen: Hier wie dort sind Großverfahren aufgrund der umfangreichen Berichterstattung durch Fach- und Massenmedien mit einer erheblichen Präsenz in der Öffentlichkeit verbunden. Die Annahme des Verfahrens kann also für den Insolvenzrichter mit einem erheblichen Prestigegewinn einhergehen. Von der Steigerung des Renommees kann darüber hinaus auch das persönliche und berufliche Fortkommen profitieren. Im Gegensatz dazu könnte die Ablehnung der Verfahrenseröffnung als Schwäche angesehen werden. Schon die entsprechenden Erwartungen bzw. Befürchtungen sind, je nach persönlicher Disposition des entscheidenden Richters, im Einzelfall geeignet, die Bejahung der (internationalen wie nationalen) Zuständigkeit zu begünstigen. Im amerikanischen Schrifttum wird noch ein weiterer Handlungsanreiz für die Insolvenzgerichte benannt: Neben persönlichem Ehrgeiz und individueller Eitelkeit könnte ein Motiv für die Bejahung der Eröffnungszuständigkeit trotz objektiv begründeter Zweifel in sozialen (Abhängigkeits-) Beziehungen des entscheidenden Richters zu den örtlichen Insolvenzspezialisten, also Kollegen, Verwaltern, Beratern sowie Vertretern anderer Berufsgruppen, bestehen. Sie haben ein erhebliches Interesse an einer Verfahrenseröffnung und können je nach Lage des Falls gar diejenigen sein, die das forum shopping vorangetrieben haben. Diese Mechanismen verstärken sich weiter, wenn das jeweilige Gericht bereits in einem Wettbewerb um Großverfahren eine bestimmte Position errungen hat, die es zu bestätigen oder auszubauen gilt. Die Erwartungen des professionellen Umfelds wären in dieser Situation noch größer. Jedoch ist zu berücksichtigen, dass dieser Mechanismus in den Vereinigten Staaten, wo Insolvenzrichter von Insolvenzpraktikern gewählt werden, wesentlich stärker ausgeprägt sein dürfte als in europäischen Staaten, in denen dies nicht der Fall ist. Über die Anreize der sog. private benefits hinaus wird auch im Motiv der Rechtsschutzgewähr und im Versuch der Verhinderung von Zuständigkeitsmanipulationen ein denkbarer Grund für die Tendenz zur bereitwilli-

9

LoPucki, Courting Failure, S. 20. LoPucki, Courting Failure, S. 20 f., 39.

10

A. Rechtswahlspezifische Anreizstruktur der EuInsVO

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gen Inanspruchnahme der internationalen Zuständigkeit gesehen11. Auch ist denkbar, dass ein Richter seine Kompetenz in der Absicht bejaht, das Verfahren über verschiedene, wirtschaftlich miteinander verbundene Schuldner in seine Zuständigkeit oder die seines Gerichts zu bringen, um eine unter ökonomischen Gesichtpunkten bestmögliche Bewerkstelligung des Verfahrens zu erreichen. Zugegebenermaßen konnte die Wirkungsweise der genannten Mechanismen bislang nicht eindeutig belegt werden. Dass sie einen Wettbewerb zwischen den Insolvenzgerichten, bei denen ein Antrag gestellt wurde, fördern, ist jedoch plausibel. Darüber hinaus lässt sich die Beobachtung, dass die (in Deutschland amtswegige, vgl. § 5 Abs. 1 S. 1 InsO) Prüfung der Eröffnungszuständigkeit vielmals mit deren Inanspruchnahme durch mehrere Gerichte endet, mit dieser Anreizstruktur erklären. 2. Gläubiger Anders als bei den rechtlich und wirtschaftlich unabhängigen Richtern, die von einer Verfahrenseröffnung nicht unmittelbar wirtschaftlich profitieren, ist für die Gruppe der Gläubiger schon nach den Gesetzen wirtschaftlicher Logik zu ermessen, wieso sie versucht sein könnten, von den Rechtswahlmöglichkeiten unter der EuInsVO Gebrauch zu machen. Die ihnen zur Verfügung stehenden Einwirkungsmöglichkeiten, besonders die Möglichkeit der frühzeitigen Antragstellung im favorisierten Forum, werden sie nutzen, wenn sie sich von der Durchführung des Verfahrens vor dem Gericht eines bestimmten Mitgliedstaats einen Vorteil versprechen. Was sie zu dieser Erwartung veranlassen könnte, ist bereits im ersten Teil der Bearbeitung deutlich geworden12. Zunächst kann es sein, dass die lex fori Regelungen enthält, die für den jeweiligen Gläubiger vergleichsweise günstig sind, weil sie ihm beispielsweise einen besseren Rang als andere Insolvenzordnungen zuweisen13. Die Insolvenzrechtsordnungen der Mitgliedstaaten weisen ganz erhebliche Un11

Vgl. etwa Köndgen, 18 Jahrbuch für Neue Politische Ökonomie, 52, 66 (1999), der allerdings protektionistische Motivationen „schon angesichts der spezifischen beruflichen Sozialisation der Richter“ weitgehend ausschließen will, eine These, die angesichts der bisherigen Rechtspraxis zumindest in der Allgemeinheit, mit der Köndgen sie formuliert, erhebliche Zweifel weckt. 12 Hier sei exemplarisch nochmals auf die im Verfahren Collins & Aikman Corporation Group [2005] EWHC (Ch. D.), Rn. 40 f. deutlich gewordene Motivation eines Verfahrensbeteiligten hingewiesen, dem von einem anderen Gläubiger vorgehalten wird, er betreibe eine Verfahrenseröffnung in Deutschland, da er sich davon spezifische Vorteile erhoffe („[T]he two companies which have commenced bankruptcy proceedings in Germany have been put up to it by Ford for purely tactical reasons.“). Vgl. auch Vallens/Dammann, NZI 2006, 29, 31. 13 Vgl. LoPucki, 84 Cornell Law Review, 696, 721 (1998/1999).

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Kapitel 3: Die Rechtswahlfreiheit unter der EuInsVO in der Analyse

terschiede bezüglich des Rangs einzelner Gläubiger auf. Eine Studie von Davydenko und Franks verdeutlicht, wie sehr es für die Befriedigungsquoten einzelner Gläubiger darauf ankommen kann, welches mitgliedstaatliche Insolvenzrecht zur Anwendung kommt: In einer vergleichenden Untersuchung von Insolvenzverfahren in den drei größten europäischen Volkswirtschaften Deutschland, Frankreich und Großbritannien zeigt sich, dass bei den Insolvenzverfahren Unterschiede der Median-Befriedigungsquoten von Banken bestehen, die mehr als 40 Prozentpunkte betragen können14. Diese Unterschiede sind in erster Linie auf die differierende Ausgestaltung des Insolvenzverfahrens, insbesondere die unterschiedliche Stellung gesicherter Gläubiger, zurückzuführen15. Banken, die bei Unternehmensinsolvenzen naturgemäß bedeutsame Gläubiger sind und nicht selten über erhebliche Informationen über die wirtschaftliche Situation des Schuldners verfügen, werden bemüht sein, in Foren zu drängen, in denen sich im Verfahren die für sie bestmöglichen Erträge realisieren lassen. Dabei ist freilich einschränkend darauf hinzuweisen, dass die geschilderten Unterschiede weitestgehend aus der unterschiedlichen Behandlung von Sicherungsgütern durch das autonome Recht resultieren16. Gerade der unterschiedliche Grad der „Insolvenzfestigkeit“ der in diesem Kontext besonders bedeutsamen Immobiliarsicherheiten17 lässt sich im Wege eines forum shopping angesichts der Sonderanknüpfung in Art. 5 EuInsVO, der die Rechtswahlfreiheit unter der EuInsVO wie dargelegt gegenständlich beschränkt, nicht immer gewissermaßen als Arbitragegewinn realisieren. Dennoch bleiben ganz wesentliche und für die Gläubiger bedeutsame Unterschiede, etwa bezüglich der Verfahrensdauer18, die unmittelbar von der lex fori concursus abhängen und für die Anreize der Verfahrensplatzierung eine zentrale Bedeutung einnehmen19. Eine weitere Untersuchung von Blazy, Petey und Weill erhärtet diesen Befund20: Sie zeigt ebenfalls, dass zwischen den verschiedenen Insolvenzverfahren der Mitgliedstaaten erhebliche Unterschiede bestehen. In der Probe ihrer Untersuchung erreichten Banken in deutschen und französischen Insolvenzverfahren eine bessere Befriedigungsquote als in solchen 14

Davydenko/Franks, 63 The Journal of Finance (2006), 565, 566, 581 ff. Davydenko/Franks, 63 The Journal of Finance (2006), 565, 586 ff. 16 Davydenko/Franks, 63 The Journal of Finance (2006), 565, 581. 17 Davydenko/Franks, 63 The Journal of Finance (2006), S. 565, 566 f., 586 ff. 18 Zu den innergemeinschaftlichen Unterschieden bezüglich der Verfahrensdauer und ihrer umstrittenen Bedeutung unter dem Gesichtspunkt der Verfahrenseffizienz unten, S. 323 ff. 19 Vgl. auch Cole, 55 Vanderbilt Law Review 1845, 1860 f. (2002) zur großen Bedeutung der Dauer der Verfahrensabwicklung aus der Sicht der Praktiker, welche die Fälle platzieren. 20 Blazy/Petey/Weill, Can Bankruptcy Codes Create Value? (2009). 15

A. Rechtswahlspezifische Anreizstruktur der EuInsVO

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im Vereinigten Königreich. Während in Frankreich und Deutschland Befriedigungsquoten von 20,67 % bzw. 21,46 % ermittelt wurden, waren es für das Vereinigte Königreich lediglich 13,82 %. Bemerkenswert ist zudem, dass Gläubiger die erst nach Verfahrensbeginn Darlehen gewährt haben, im Vereinigten Königreich (99,75 %) wesentlich höhere Befriedigungsquoten erreichen konnten als in Frankreich (53,34 %) oder Deutschland (78,58 %)21. In dieser Studie wird der Versuch unternommen, im Wege einer Regressionsanalyse solche Faktoren auszublenden, die ebenfalls zu einer Veränderung der Befriedigungsquoten führen können, ohne jedoch unmittelbar durch die Effizienz des Insolvenzverfahrens bedingt zu sein. Zu diesem Zweck werden sowohl die Struktur der jeweiligen Forderungen als auch die Art der Vermögensgegenstände beim Eintritt in das Verfahren berücksichtigt: Die Befriedigungsquoten vergleichbarer Gläubiger werden verglichen, und zudem wird als Gradmesser für die Qualität der zur Verfügung stehenden assets einbezogen, welchen Deckungsgrad die jeweiligen Verfahren in ihrem jeweiligen Staat aufweisen. Blazy/Petey/ Weill kommen zu dem statistisch signifikanten Ergebnis, dass das deutsche Insolvenzrecht gerade unter einfachen Gläubigern die höchsten Befriedungsquoten aufweist, was auf einen verfahrensrechtsbedingten Vorteil hindeutet22. In der bisherigen Rechtspraxis hat sich außerdem die unterschiedliche Behandlung von Lohn- und Gehaltsforderungen zwischen den mitgliedstaatlichen Insolvenzrechten als treibende Kraft hinter Platzierungsbemühungen erwiesen23. Deren insolvenzrechtliche Behandlung richtet sich ausweislich der Normgebungsmaterialien nicht nach Art. 10 EuInsVO, sondern nach der lex fori concursus24. Speziell für die deutsche GmbH greift ein weiterer Gesichtspunkt ein: Bereits der Umstand, dass im Rahmen des wissenschaftlichen Diskurses eine insolvenzrechtliche Qualifikation (und Anknüpfung über Art. 4 EuInsVO) der Vorschriften über eigenkapitalersetzende Gesellschafterdarlehen vertreten wird25, könnte Gesellschafter dazu anhalten, in einem Forum tätig zu werden, dessen Insolvenzrecht kein solches Institut kennt. An diesem Gesichtspunkt hat auch die Einführung der Subordinationregelungen in § 39 InsO durch das MoMiG nichts geändert. Im Gegenteil: Unter Annahme der nun prima facie naheliegenden insolvenzrechtlichen Qualifikation und Anknüpfung der Subordinationsre21 Zum Ganzen, vgl. die Darstellung bei Blazy/Petey/Weill Can Bankruptcy Codes Create Value? (2009), S. 18 ff. 22 Blazy/Petey/Weill Can Bankruptcy Codes Create Value? (2009), S. 23 f. (und Tabellen 8, 9, 10). 23 Diese anreizspezifische Bedeutung des sog. superprivilège nach französischem Recht heben auch Vallens/Dammann, NZI 2006, 29, 31 hervor. 24 Vgl. nur Virgós/Schmit, Bericht, Nr. 128. 25 Eingehend zu dieser Qualifikationsfrage, oben, S. 204 ff.

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Kapitel 3: Die Rechtswahlfreiheit unter der EuInsVO in der Analyse

geln besteht ein erheblicher Anreiz, ein Insolvenzverfahren beispielsweise unter englischem Recht stattfinden zu lassen, das eine solche Subordination nicht kennt. Weiterhin liegt es in der Natur der Sache, dass Gläubiger nur wenig Interesse an der Durchführung der in südeuropäischen Staaten bekannten industriepolitischen Sanierungsverfahren haben, in denen ihr Einfluss weitgehend beschränkt ist. Vielfach werden sie daher in ein Forum drängen, das ihnen statt einer mit Unsicherheiten behafteten, weil von politischen Erwägungen abhängigen Befriedigungsaussicht die sofortige Befriedigung, etwa im Rahmen einer Liquidation des Schuldnervermögens, ermöglicht26. Ein Sonderfall besteht in der Konstellation, dass Gläubiger in den Genuss der Regelungen der Art. 5, 7 EuInsVO kommen möchten. Es geht dem Gläubiger dann nicht darum, wo das jeweilige Insolvenzverfahren stattfindet, sondern in erster Linie darum, dass es nicht am Belegenheitsort des Sicherungs- oder Vorbehaltskaufguts stattfindet. Aber auch ohne dass das gewählte Forum eine materielle Besserstellung vorsieht, kann sich forum shopping für Gläubiger schon aufgrund ihrer Vertrautheit mit der jeweiligen lex fori und der größeren Nähe zum Eröffnungsstaat als wirtschaftlich vorteilhaft erweisen. Sie können dann Mehrkosten für die zusätzlich erforderlichen Beratungsleistungen und die trotz der von der EuInsVO vorgesehenen Erleichterungen vielmals gesteigerten Distanzkosten (z. B. Reisekosten zur Gläubigerversammlung) sparen. Darüber hinaus kann es sein, dass der Gläubiger sich speziell von der Anwendung des Insolvenzrechts durch ein bestimmtes Gericht Vorteile erhofft, sich das forum shopping also als judge shopping erweist27. 3. Schuldner (Gesellschafter und Management) Auf die verschiedenen Ansatzpunkte eines forum shopping, die im ersten Teil vorgestellt wurden, hat der Schuldner einen besonders weitreichenden Einfluss. Von der zur Insolvenz führenden wirtschaftlichen Abwärtsbewe26

Vallens/Dammann, NZI 2006, 29, 30 berichten davon, dass dies auch die Motivation für den Hauptgläubiger im Fall Eurofood/Parmalat gewesen sei, sich für die Durchführung des Hauptverfahrens in Irland einzusetzen, da nach italienischem Recht für Großinsolvenzen die Einleitung einer Sanierung erst zwei Jahre nach Verfahrenseröffnung erfolgen muss. 27 Dieses Phänomen beherrscht seit einiger Zeit einen Diskurs in der Rechtslehre in den Vereinigten Staaten, wo in erheblichem Maße ein forum shopping in bestimmte Bundesstaaten zu verzeichnen ist, obwohl der US Bankruptcy Code Teil des Bundesrechts ist. Unterschiede (und damit Handlungsanreize für ein forum shopping) bestehen hier also nicht im Recht, sondern in dessen Anwendung durch das jeweilige Gericht. Grundlegend zu dieser Problematik LoPucki, Courting Failure, insb. S. 123 ff., sowie speziell zu den Beweggründen eines „shopping for judges“ ders., 84 Cornell Law Review, 972 ff. (1998/1999).

A. Rechtswahlspezifische Anreizstruktur der EuInsVO

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gung des Unternehmens erfährt sein Management naturgemäß häufig zuerst. Diesen Zeitvorteil könnte er in allen vorgestellten Spielarten des forum shopping zumindest dann opportunistisch ausnutzen, wenn das Insolvenzrecht des angestrebten Hauptverfahrensstaats auch Schuldnern ein Antragsrecht gewährt. Anreize dafür, dass er von der begrenzten faktischen Rechtswahlfreiheit der EuInsVO Gebrauch macht, sind in vielerlei Hinsicht vorstellbar. Einerseits kann es sein, dass in einem der als Insolvenzforum infrage kommenden Staaten aus Sicht der Gesellschafter und des Managements des Schuldners bessere Chancen für eine Fortführung des Unternehmens bestehen, sei es, weil die dortigen Regelungen eine Sanierung wahrscheinlicher aussehen lassen, sei es, weil der Schuldner dort in den Genuss nachgiebiger Vorschriften über die Restschuldbefreiung kommt28, oder sei es, weil die Rechtspraxis in diesem Forum für Besonderheiten bei der Handhabung bestimmter Fälle bekannt ist. Auch die Motivation, in einem bestimmten Forum mittels forum shopping eine Bündelung der Insolvenzverfahren über alle zu einer Unternehmensgruppe gehörenden Schuldner durchzuführen, gehört in diesen Zusammenhang. Andererseits können auch eigenbezogene Überlegungen des Managements ausschlaggebend sein, das in der Anwendung einer bestimmten Insolvenzrechtsordnung möglicherweise die Chance sieht, einer persönlichen Haftung zu entweichen oder den Fortbestand seiner Beschäftigung sicherzustellen29. Im sprichwörtlichen Überlebenskampf von Unternehmen und Management ist die Verlockung groß, sich von einem forum shopping Vorteile zu versprechen. Dies gilt besonders, wenn es darum geht, der Anwendbarkeit eines Insolvenzrechts zu entgehen, das im Regelfall, wie viele europäische Verfahren, zur Entbindung des Managements von seinen Aufgaben führt30. Im Falle organschaftlicher Geschäftsführung besteht ein Informationsvorsprung der Manager gegenüber Gesellschaftern und Gläubigern, den das Management zum Nachteil derjenigen ausnutzen kann, in de-

28

Dieser Gesichtspunkt dürfte vor allem für die Privatinsolvenzen bedeutsam sein (vgl. Saenger/Klockenbrink, DZWIR 2006, 183 f.), die jedoch nicht Gegenstand dieser Untersuchung sind. 29 Vgl. Rasmussen/Thomas, 94 Northwestern University Law Review, 1357, 1368 (2000); vgl. auch das Zwischenfazit der Praktiker Videon/McCabe, European Company Law 2005, 76, 82 (dort in Fn. 74). 30 Enriques/Gelter, EBOR 7 (2006), 417, 444 f. weisen zu Recht darauf hin, dass sich die Situation in Europa in diesem Punkt erheblich von derjenigen in den USA unterscheidet: Während dort das Verfahren nach Chapter 11 US Bankruptcy Code, das sich als „manager-driven“ charakterisieren ließe, eine große praktische Rolle spielt, sind viele europäische Verfahrenstypen „manager-displacing“. Eigenbezogene Überlegungen können freilich im Einzelfall dazu führen, dass die Manager den Insolvenzantrag dennoch hinauszögern.

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Kapitel 3: Die Rechtswahlfreiheit unter der EuInsVO in der Analyse

ren Diensten es steht31. Es besteht also ein sog. agency-Problem, das durch die organschaftlichen Antragspflichten nur unzureichend kompensiert wird. Dies gilt speziell unter Berücksichtigung der diesbezüglich bestehenden Besonderheiten im Zusammenhang mit den Einwirkungsmöglichkeiten unter der EuInsVO32. Auch eine eingehende Beobachtung des Schuldners wird diesen Vorsprung in vielen Fällen nicht wesentlich verkürzen können33. Zugleich zeigt sich an dieser Stelle, dass der Informationsvorsprung, den der Schuldner haben kann, nicht notwendig zum Vorteil des schuldnerischen Unternehmens oder der Gläubiger genutzt wird. Auch bei Gesellschaftern und Geschäftsführung des Schuldners kann schließlich, wie dargelegt, schon das Mittel einer Rechtswahl, die Forumswahl, selbst Zweck von Manipulationen sein. Vollstreckungshandlungen des Verwalters gestalten sich trotz der gemeinschaftsweiten Anerkennung des Verfahrens in Anerkennungsstaaten in Anbetracht der Regelungen des Art. 18 Abs. 1 S. 1, Abs. 3 S. 1 EuInsVO praktisch deutlich schwieriger als im Eröffnungsstaat34. Die Erwartung, kleine Gläubiger wegen des mit der Rechtverfolgung in einem anderen Forum verbundenen Aufwands von der Verfolgung ihrer Ansprüche abhalten zu können oder am tatsächlichen Aufenthaltsorts- bzw. Lageort des insolventen Unternehmens in den Schutz des Insolvenzverfahrens zu gelangen, ohne jedoch im unmittelbaren räumlichen Einfluss des Insolvenzverwalters zu stehen, wird manchem Gesellschafter oder Geschäftsführer manipulative Einwirkungen auf die internationale Zuständigkeit attraktiv erscheinen lassen. In Konstellationen, in denen es vor Eintritt der Insolvenz zu einer Einstellung der Geschäftstätigkeit gekommen ist, hätten Management und Gesellschafter oftmals nicht einmal zu befürchten, dass ihre Pläne mit der Durchführung eines Sekundärverfahrens durchkreuzt werden. Denn dann fehlt es an den Voraussetzungen einer Niederlassung. 4. Insolvenzverwalter, Berater und andere Insolvenzpraktiker Auch die Interessen von Insolvenzverwaltern werden von dem durch die EuInsVO eröffneten Gestaltungsrahmen betroffen. Besteht die Möglichkeit der Einflussnahme auf die internationale Zuständigkeit, so bedeutet dies, dass steuernd auf die örtliche Verteilung des Geschäfts der Insolvenzverwaltung und -beratung Einfluss genommen werden kann. Die jeweiligen 31

Bei juristischer Betrachtung sind dies im Falle der Insolvenz die Gesellschafter, bei wirtschaftlicher Betrachtung die Gläubiger. 32 Zu den Einwirkungsmöglichkeiten auf die Antragspflichten siehe oben, S. 189 ff. 33 So aber Enriques/Gelter, EBOR 7 (2006), 417, 446. Zur beschränkten Bedeutung von covenants in diesem Zusammenhang eingehend unten, S. 266 ff. 34 Zu den Einzelheiten und Streitfragen im Zusammenhang mit dieser Regelung vgl. Smid, Internationales Insolvenzrecht, Art. 18, Rn. 9 ff.

A. Rechtswahlspezifische Anreizstruktur der EuInsVO

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Verwalter haben in erster Linie ein erhebliches wirtschaftliches Interesse (Gebühreninteresse) daran, dass die zumeist sehr lukrativen internationalen Großverfahren in den Zuständigkeitsbereich eines Gerichtes gelangen, von dem sie als Verwalter bestellt werden können35. So haben sie zudem die Chance, sich im Wettbewerb um diese Verfahren als verlässliche und erfahrene Größe zu etablieren36, denn bei einer Verfahrenseröffnung in einem anderen Staat kommt ihre Bestellung als Verwalter oft schon in Ermangelung der entsprechenden berufsrechtlichen Voraussetzungen nicht infrage. Der „professional jealousy“37 wird darüber hinaus dadurch Vorschub geleistet, dass oftmals Misstrauen zwischen den Insolvenzpraktikern im Hinblick auf die fachliche Qualifikation des jeweiligen Gegenübers besteht. Kann sich ein Insolvenzverwalter nicht über die fachlichen Qualifikationen des Kollegen sicher sein, mit dem er beispielsweise als Verwalter eines weiteren konzernzugehörigen Schuldners zusammenarbeiten würde, so wird er versucht sein, diese Unwägbarkeiten zu umgehen, indem er auch das zweite Verfahren in seinem persönlichen Wirkungskreis oder zumindest unter dem ihm vertrauten Insolvenzstatut positioniert38. In Fällen, in denen mehrere miteinander verbundene Unternehmen insolvent werden, besteht über dieses Motiv hinaus auch aus verwaltungstechnischer Perspektive ein Interesse der Verwalter, alle Verfahren in ihrem jeweiligen Einflussbereich stattfinden zu lassen. So ließen sich die durch Auseinandersetzungen der Verwalter entstehenden Friktionen vermeiden, die im internationalen Kontext auch durch unvereinbare Regelungen unterschiedlicher Insolvenzstatute entstehen. So formuliert ein englischer Insolvenzverwalter: „[A] way of avoiding the clash of jurisdictions is to win the battle of the jurisdictions before it even starts“39. Damit könnte auch eine Koordination der einzelnen Verfahren vereinfacht werden, die gemessen an einer getrennten Verwaltung insgesamt eine größere Verfahrenseffizienz und höhere Erträge erwarten lässt40. Dies kann dadurch geschehen, dass alle Hauptverfahren durch entsprechende Einwirkungen der35

Es besteht freilich nach der Einsetzung durch ein Gericht zumindest nach deutschem Recht noch die Möglichkeit, dass der Verwalter durch die Gläubigerversammlung nicht bestätigt wird, § 57 InsO, die Abwahlquoten sind jedoch gering. Mönning, in: Kölner Schrift zur InsO, S. 375, 377 weist auf eine Untersuchung aus dem Jahr 1978 hin, die eine Abwahlquote von nur 0,15 % feststellt. 36 Auf das eigenbezogene Interesse der insolvency professionals weisen auch Rasmussen/Thomas, 94 Northwestern University Law Review, 1357, 1368 (2000) sowie LoPucki, Courting Failure, S. 124 ff. hin. 37 Taylor, 2 International Corporate Rescue 173, 174. 38 Vgl. auch Taylor, 2 International Corporate Rescue 173, 174. 39 Homan, in: Cross-Border Security and Insolvency, 243, 249. 40 Eingehend wird die Bedeutung der Zuständigkeitsordnung der EuInsVO im Zusammenhang mit sog. Konzerninsolvenzen im nächsten Abschnitt behandelt.

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Kapitel 3: Die Rechtswahlfreiheit unter der EuInsVO in der Analyse

selben lex fori concursus unterstellt werden und in allen Verfahren – soweit rechtlich möglich41 – derselbe Verwalter eingesetzt wird. Ist dies nicht möglich, so können beispielsweise Verwalter aus derselben Sozietät oder Wirtschaftsprüfungsgesellschaft bestellt werden, um wenigstens eine informelle Koordination zu ermöglichen. Speziell in der zuletzt genannten Konstellation wird deutlich, wieso auch die Anreize für die Verwalter von erheblicher Relevanz für die Praxis des forum shopping unter der EuInsVO sind. Der Insolvenzverwalter kommt bei einem auf einen Schuldner reduzierten Blickwinkel zumeist erst ins Spiel, nachdem ein großer Teil der für das forum shopping wesentlichen Verfahrensschritte erfolgt ist. Das gilt auch im Falle einer vorläufigen Einsetzung42. Denn seine Bestellung erfolgt durch das Gericht, nachdem dieses sich für international zuständig befunden hat. Dennoch kann im Falle der Gruppeninsolvenz beispielsweise der für die Mutter eingesetzte Verwalter auf das Management der verbundenen Unternehmen einwirken, eine im Sinne eines beabsichtigten forum shopping liegende Antragstellung am Sitz der Muttergesellschaft vorzunehmen43. Dabei kann er einerseits infolge des Übergangs der Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis (im deutschen Recht § 80 Abs. 1 InsO44) von der Weisungsbefugnis der von ihm bereits verwalteten Gesellschaft Gebrauch machen. Andererseits wird er oft auch auf informelle Beziehungen zurückgreifen können, die infolge seiner Tätigkeit zwischen ihm und der Leitung der anderen Gesellschaften aus derselben Unternehmensgruppe entstanden sind, und auf diese Art und Weise auf einen entsprechenden Antrag hinwirken. Auch der Insolvenzverwalter unterliegt mithin starken Anreizen, von seinen Einwirkungsmöglichkeiten auf die internationale Zuständigkeit Gebrauch zu machen. Dieser Eindruck bestätigt sich darin, dass führende Insolvenzpraktiker, wohl in Abhängigkeit von der Frage, ob sie ein forum shopping als Bedrohung betrachten, sich vehement für45 oder aber gegen46 41 42

Zu den Einzelproblemen im deutschen Recht siehe unten, S. 292 ff., insb. Fn. 209. Zur Sperrwirkung auch der Einsetzung eines vorläufigen Insolvenzverwalters, siehe

oben. 43 Eine solche Antragstellung für die ausländischen Tochtergesellschaften am Sitz der Mutter hat beispielsweise im Fall ISA/Daisytek infolge einer vorhergehenden Rechtsberatung durch den späteren Verwalter aller konzernzugehörigen Gesellschaften stattgefunden, vgl. Erfahrungsbericht von Klempka, 1 International Corporate Rescue, 27 (2004). 44 Im Falle der Insolvenz einer juristischen Person bestehen zwar deren Organe fort, deren Kompetenzen beschränken sich indes allein auf das Innenverhältnis und die Verwaltung etwaigen freien Vermögens, vgl. nur Lutter/Hommelhoff/Kleindiek, GmbHG, § 64, Rn. 34. 45 So etwa einige der englischen Verwalter, die vom Interpretationsspielraum des Art. 3 Abs. 1 EuInsVO bislang in besonderem Umfang Gebrauch gemacht haben. Vgl. nur Moss, Vortrag „International Aspects of German Insolvency Law and Dealing with International Insolvency Proceedings“, 2. Deutscher Insolvenzrechtstag, 10.03.2005. In

A. Rechtswahlspezifische Anreizstruktur der EuInsVO

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ein Verständnis von Art. 3 Abs. 1 S. 1, das zu einer weiteren Flexibilisierung der Rechtswahl führt, aussprechen47. Für andere Insolvenzpraktiker, wie Sanierungsberater, gilt Ähnliches. Sie werden versucht sein, ein Verfahren vor einem Gericht stattfinden zu lassen, das ihren Interessen am ehesten entspricht. Dabei kann durchaus ein Gleichlauf mit den Interessen des Schuldners bzw. des schuldnerischen Managements bestehen. Zunächst werden Berater ein Verfahren in einer Jurisdiktion stattfinden lassen wollen, das in ihren Kompetenzbereich fällt. Darüber hinaus wird auch hier die Überlegung von Bedeutung sein, welches Gericht besonders hohe Honorarforderungen erlaubt und wie das jeweilige Gericht Interessenkonflikte handhabt. Auch in diesem Zusammenhang gilt, dass die Anreize über eine antragsberechtige Person vermittelt werden müssen. Eine Einflussnahme im Sinne einer Platzierung in einem Forum, das eine maximale Honorierung erlaubt, ist aufgrund eines oft schon länger bestehenden Näheverhältnisses, etwa zwischen Anwalt und Mandant, durchaus möglich48. II. Wettbewerbssituation und Verfahrenspluralität als Folgen divergierender Handlungsanreize Damit wird bereits eine wesentliche Auswirkung der Anreizstruktur der EuInsVO deutlich: Die mit der Zuständigkeitsordnung der EuInsVO vermittelten Beweggründe – wie auch der Rechtswahlmechanismus selbst – lassen zwischen den Verfahrensbeteiligten eine Wettbewerbssituation entstehen. Die Verfahrensbeteiligten verfolgen im Einzelfall naturgemäß nicht immer dieselben Ziele. Verschiedene Gläubiger werden versuchen, das Insolvenzverfahren jeweils dort zu platzieren, wo es ihren individuellen Verhältnissen am ehesten entspricht49. Aber nicht nur zwischen den Gläubigern, sondern vor allem auch im Verhältnis zwischen ihnen und dem Schuldner bzw. dessen antragsberechtigtem Vertreter bestehen Interessenkonflikte. Während Letztere wie dargelegt bemüht sein könnten, mittels einem dem Verfasser vorliegenden Fragebogen (oben, Fn. 293 zum zweiten Kapitel) der britischen Regierung lobt Verwalter Stephen Taylor den mind-of-management-Ansatz als universell einsetzbare, flexible Auslegungsmethode. 46 Vgl. etwa das engagierte Plädoyer von Braun, NZI 2004, Heft 1, V ff., und Kübler, FS Gerhardt (2004), 527 ff. sowie die Urteilsanmerkung von Kebekus, EWiR 2004, 705, 706. 47 Auf eine Spaltung der Gruppe der bankruptcy professionals im Hinblick auf die Handhabung der Zuständigkeitsordnung der EuInsVO weist auch Franken, 11 European Law Journal, 232, 246 (2005) hin. 48 Vgl. Zywicki, 94 Georgetown Law Journal, 1141, 1173 ff. (2006). 49 Köndgen, 18 Jahrbuch für Neue Politische Ökonomie, 52, 67 (1999), weist exemplarisch auf den Interessenwiderspruch zwischen Arbeitnehmern einerseits und gesicherten Gläubigern andererseits hin.

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Kapitel 3: Die Rechtswahlfreiheit unter der EuInsVO in der Analyse

forum shopping ihr Haftungsrisiko zu schmälern, ist den Gläubigern regelmäßig viel daran gelegen, ein möglichst strenges insolvenzrechtliches Haftungsregime eingreifen zu lassen. Speziell beim Schuldner macht sich darüber hinaus bemerkbar, dass es sich bei der Insolvenz in vielen Fällen um eine aus spieltheoretischer Perspektive als endgame50 zu bezeichnende Situation handelt. In einer solchen Lage sind die Anreize für den Schuldner, zulasten der Gläubiger zu handeln, maximal, weil für ihn feststeht, dass zukünftige Geschäftsbeziehungen mit den Gläubigern nicht bestehen werden. Darüber hinaus entfällt unter diesen Bedingungen die disziplinierende Rolle des Kapitalmarktes. Bei insolvenzbedrohten Kapitalgesellschaften führt außerdem das Auseinanderfallen von Verfügungsbefugnis und Haftung zu Anreizen für die Gesellschafter (und die Vertreter des schuldnerischen Unternehmens), Maßnahmen auf Kosten der Gläubiger zu ergreifen; deren Geld und nicht dasjenige der Gesellschafter ist es nämlich, das die Gesellschaft bei Aufzehrung des Eigenkapitals bei wirtschaftlicher Betrachtung einsetzt51. Dies lässt erwarten, dass der Schuldner vielfach versucht sein wird, in einer Weise von der Rechtswahlfreiheit unter der EuInsVO Gebrauch zu machen, die nicht mit den Interessen der Gläubiger korrespondiert und daher den von diesen angestrebten Ergebnissen widerspricht. Weiterhin stehen auch die angerufenen Gerichte und die Verwalter im Wettstreit miteinander. Die Gerichte werden daher versuchen, es möglichst schnell zu einer Verfahrenseröffnung kommen zu lassen. Dieser Umstand wird wiederum auf das Verhalten der anderen Verfahrensbeteiligten zurückwirken, die sich mit einer Antragstellung beeilen werden. Erschwerend kommt hinzu, dass viele der genannten Handlungsanreize gleichermaßen die Eröffnung von Haupt- und Sekundärverfahren betreffen. Verfahrensbeteiligte, die sich von der Durchführung eines Sekundärverfahrens individuelle Vorteile versprechen, werden also auch dann auf die Eröffnung einer Sekundärinsolvenz hinwirken, wenn ihre Bemühungen bezüglich des Hauptverfahrens gescheitert sind. Die Handlungsanreize begünstigen folglich das Entstehen einer Verfahrenspluralität. Zusammenfassend kann daher festgehalten werden, dass in Fällen, in denen einzelne Verfahrensbeteiligte glauben, von einer Rechtswahl profitieren zu können, vielfach damit zu rechnen ist, dass sie von den durch die EuInsVO vermittelten Einflussmöglichkeiten mit ihrer beträchtlichen 50 Zu diesem Begriff Franken, 11 European Law Journal, 232, 237 (dort Fn. 18) (2005); Rasmussen/Thomas, 94 Northwestern University Law Review, 1357, 1396 (2000) sprechen von einer „final term situation“. 51 Zu diesem Effekt und dem Verfahrensziel des Insolvenzrechts, einen Gleichlauf von Haftung und Verfügungsgewalt wiederherzustellen, vgl. Eidenmüller, Unternehmenssanierung, S. 22 ff.

A. Rechtswahlspezifische Anreizstruktur der EuInsVO

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Reichweite Gebrauch zu machen versuchen. Allerdings deuten die bisherigen Erfahrungen nicht darauf hin, dass zutrifft, was 2005 – wohl auch mit programmatischer Intention – von einer der führenden europäischen Praktikervereinigungen proklamiert wurde: „Forum shopping is now the norm before commencing a process“52. Als sogenannter Insolvenztourismus hat forum shopping in den vergangenen Jahren mehrheitlich Bedeutung für die hier nicht näher analysierten Verbraucherinsolvenzen gewonnen53. Jedoch zeigt die Praxis, dass eine gezielte Platzierung von Großinsolvenzen mittlerweile nicht mehr als exotisch, sondern als ernsthaft in Erwägung gezogene Alternative betrachtet wird54. Dies wurde beispielsweise durch die im Zusammenhang mit dem Verfahren Wind Hellas (das COMI der betroffenen Gesellschaften war von Luxemburg nach England verlegt worden) entflammte Diskussion um London als „insolvency brothel“55 augenfällig. Diese Schlussfolgerung wird durch einen Blick auf die praktische Entwicklung gestützt. Zuletzt sehen Praktiker in der Inanspruchnahme des englischen scheme-of-arrangement-Verfahrens gerade im Bereich von Großinsolvenzen eine mehrfach gewählte Restrukturierungslösung56. In den Branchennachrichten ist zu lesen, dass die beteiligten Praktiker eine „starke Nachfrage“ nach diesem Ansatz erwarten57; programmatisch nimmt daher auch das Branchenblatt JUVE Rechtsmarkt im Frühjahr 2011 mit der Überschrift „Mehr deutsche Pleiten!“ ein Petitum aus der Insolvenzverwalterszene auf und konstatiert: „Zwischen der wissenschaftlichen Einschätzung und der Praxis klafft eine Lücke“58. Die Entstehung eines internationalen Wettstreits ist dabei immer dann zu erwarten, wenn Antragsberechtigte unterschiedliche Foren anstreben. Ausgehend von dem Befund, dass es sich bei der Frage des Wo der Verfahrenseröffnung um den Gegenstand eines Wettbewerbs der Verfahrensbeteiligten, aber auch lokaler Gemeinschaften handelt59 und unter Berücksichti-

52

So die INSOL Europe News, auf der Website . Vgl. hierzu nur die Untersuchung von Eidenmüller/Frobenius/Prusko NZI 2010, 545 ff. 54 Vgl. die Fallschilderungen im ersten Kapitel, S. 39 ff. 55 Sunday Times, 18.01.2010: „Abuse of pre-pack deals could turn Britain into an ‚insolvency brothel‘“; The Times, 07.03.2010: „Firms flock to ‚bankruptcy brothel‘ UK“. 56 Vgl. die Nachweise bei JUVE Rechtsmarkt „Mehr deutsche Pleiten!“, Heft 04/2001, S. 86, 88. Zu der Frage, ob das scheme-of-arrangement-Verfahren als gesellschaftsrechtliches Vergleichsverfahren überhaupt dem Answendungsbereich der EuInsVO unterfällt, vgl. unten, S. 284. 57 JUVE Rechtsmarkt, Heft 04/2011, S. 86, 88. 58 JUVE Rechtsmarkt, Heft 04/2011, S. 86, 87. 59 Vgl. allgemein zur Insolvenz als Gegenstand eines Wettbewerbs lokaler Gemeinschaften Skeel, 1 Delaware Law Review 1 ff. (1998); LoPucki, 84 Cornell Law Review, 696, 721 (1998/1999). Zu den Auswirkungen eines solchen Wettbewerbs unten, S. 328 ff. 53

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Kapitel 3: Die Rechtswahlfreiheit unter der EuInsVO in der Analyse

gung der im vorhergehenden Kapitel dargestellten Determinanten dieses Wettstreits wird im folgenden Abschnitt zu untersuchen sein, wie sich der Status quo nach dem Maßstab der Verfahrenseffizienz darstellt. Der Gesichtspunkt des individuellen Vorteilsstrebens der einzelnen Akteure wird für die Frage der Effizienzerwägungen, insbesondere der Realisierbarkeit von durch die gegenwärtige Regelung eröffneten Effizienzvorteilen, von zentraler Bedeutung sein.

B. Status quo und Effizienz Status quo und Effizienz

Welche Bedeutung haben die unter der EuInsVO bestehenden Einflussmöglichkeiten der Verfahrensbeteiligten unter Effizienzgesichtspunkten? Diese Frage wird man stellen müssen, wenn man zu einer Bewertung des Status quo gelangen will. Denn allein die Tatsache, dass die Rechtswirklichkeit der Zuständigkeitsordnung nicht den Motiven hinter den positivierten Bestimmungen entspricht, sagt noch nichts darüber aus, ob nicht mit der faktischen Rechtswahlfreiheit nach außerhalb der EuInsVO liegenden Maßstäben in ökonomischer Hinsicht Verbesserungen einhergehen. Es ist durchaus vorstellbar, dass sich die „gelebte“ EuInsVO gemessen an der Situation, die mit dem Wortlaut der Verordnung bezweckt war, als wirtschaftlich vorteilhaft erweist. Viele Praktiker behaupten dies. Es kann aber ebenfalls sein, dass die Einwirkungsmöglichkeiten sich als insgesamt nachteilhaft darstellen, also nachteilige Effekte letztlich punktuell ggf. entstehende Effizienzvorteile überwiegen. Effizienzgesichtspunkte stellen darüber hinaus ein geeignetes Vergleichskriterium für die im nächsten Kapitel der Arbeit zu untersuchenden Alternativregelungen dar. Eine effizienzbezogene Untersuchung der EuInsVO muss sich auf die spezifischen Auswirkungen der dargestellten Einflussmöglichkeiten beschränken; eine Analyse der Gesamtregelung ist im Rahmen dieser Arbeit weder möglich noch beabsichtigt. I. Effizienzgesichtspunkte als Bewertungsmaßstab Das Insolvenzverfahren erfolgt nicht zum Selbstzweck. Es findet seine Legitimation vielmehr darin, dass es gegenüber einer rechtlich unstrukturierten Auseinandersetzung zwischen dem Schuldner und den Gläubigern unter ökonomischen Gesichtspunkten in vielerlei Hinsicht vorzugswürdig ist60. Mit der Kollektivierung des Haftungszugriffs lassen sich die höheren

60

Grundlegend Jackson, The Logic and Limits of Bankruptcy Law, S. 7 ff. Vgl. auch Balz, ZIP 1988, 1438 ff.; ders., in: Kölner Schrift zur InsO, Rn. 9 ff.

B. Status quo und Effizienz

253

Transaktionskosten61 und ein Vollstreckungswettlauf vermeiden, die bei einer Vielzahl von unverbundenen Rechtsverfolgungsmaßnahmen entstehen62. Darüber hinaus lässt ein Kollektivverfahren eine Realisierung des Verbundwerts des schuldnerischen Vermögens erwarten und aufgrund der prozeduralen Einbindung der Gläubiger bestimmte immaterielle Einzelinteressen unbeachtlich werden, die andernfalls zur Obstruktion der bestmöglichen Verwertung des Schuldnervermögens führten63. Das Insolvenzrecht erzwingt folglich Kooperationslösungen, die ohne gesetzliche Regelungen aufgrund der spezifischen Handlungsanreize der Gläubiger nicht zustande kämen64. Schließlich vermindert ein Insolvenzverfahren auch Informationsasymmetrien unter den Beteiligten65, die ebenso wie die vorstehend genannten Sachverhalte als marktwirtschaftliche Unvollkommenheiten ein Marktversagen einer rechtlich unstrukturierten Insolvenzverwaltung zur Folge haben könnten66. Der mit Eröffnung des Insolvenzverfahrens eintretende Vollstreckungsstopp und der damit verbundene Zwang kollektiven Handelns dienen also der Maximierung der Masse. Das Insolvenzrecht erweist sich als Instrument der „Haftungsverwirklichung unter Knappheitsbedingungen“67, es dient mithin in erster Linie einer bestmöglichen Befriedigung der Gläubiger. Die aus ökonomischer Perspektive zentrale Funktion eines Insolvenzverfahrens ist, mit geringstmöglichem Aufwand aller Beteiligten eine bestmögliche Verwertung des Schuldnervermögens zu gewährleisten68. 61 Zum Begriff der Transaktionskosten vgl. grundlegend Williamson, Ökonomische Institutionen, S. 17 ff., 21 ff. 62 Kritisch z. B. Foerste, Insolvenzrecht, S. 9, der in der Vermeidung eines solchen Wettlaufs in erster Linie eine politische Entscheidung erblickt. Eidenmüller, Unternehmenssanierung, S. 21 weist darauf hin, dass die Sanktionierung individuellen Vorteilsstrebens nicht per se Einwand gegen das Prioritätsprinzip sein könne, da einer marktwirtschaftlichen Rechtsordnung im Ausgangspunkt die Belohnung eines Gewinnstrebens immanent sei. 63 Jackson, The Logic and Limits of Bankruptcy Law, S. 10 f. Die Verhinderung einer Schmälerung dieses going-concern-Wertes war nach Virgós/Schmit, Bericht, Nr. 37 ein maßgeblicher Grund für die Vereinheitlichung und gemeinschaftsrechtliche Regelung des europäischen Insolvenzrechts in Gestalt der EuInsVO. 64 Vgl. dazu Jackson, The Logic and Limits of Bankruptcy Law, S. 10 ff.; ders., 91 Yale Law Journal, 857, 860 ff. (1982). 65 Balz, in: Kölner Schrift zur InsO, Rn. 13. 66 Balz, ZIP 1988, 1438 ff. 67 Eidenmüller Unternehmenssanierung, S. 18. Allgemein zu diesem Aspekt als zentralem Zweck des Unternehmensinsolvenzrechts Eidenmüller, a.a.O, S. 17 ff., 24; Braun/ Kießner, InsO, § 1, Rn. 3 ff.; Pape/Uhlenbruck, Insolvenzrecht, Rn. 96; Uhlenbruck/Uhlenbruck, InsO, § 1, Rn. 1, 6; Balz, ZIP 1988, 273, 277. 68 Balz, in: Kölner Schrift zu InsO, Rn. 17 ff. spricht hier paradigmatisch von einer „Vermögensorientierung“ des Verfahrens. Dies ist von besonderem Interesse, da der Verordnungstext des EuInsVO ausweislich der Materialien (Virgós/Schmit, Bericht, Nr. 1)

254

Kapitel 3: Die Rechtswahlfreiheit unter der EuInsVO in der Analyse

Das Verfahren soll folglich zu einer Maximierung des Eigenkapitals beitragen69. Letztlich geht es darum, die den Gläubigern am Ende des Verfahrens in Summe zur Verfügung stehende Masse zu maximieren. Dieser Zielsetzung ist die Forderung nach einer Effizienz des Verfahrens, umfassend verstanden als Effizienz aller Vorgänge, die in Zusammenhang mit einem Insolvenzverfahren auftreten („Verfahrenseffizienz“), immanent: Keinem Gläubiger ist an einem Verfahren gelegen, das mit hohen Kosten verbunden ist und deshalb seine ohnehin oftmals geradezu „homöopathische“ Quote weiter schmälert. Dabei kommt es nicht darauf an, ob diese Kosten als Verfahrenskosten im eigentlichen Sinne, als Kosten infolge suboptimaler Verwertung des Schuldnervermögens oder als Kosten, die unmittelbar bei den Gläubigern anfallen, entstehen. Effizienz ist daher als Maxime des Insolvenzrechts zu betrachten70. Die Gewinnung und Distribution der Masse erfolgen, wie dargelegt, auch bei internationalen Insolvenzen unter der EuInsVO maßgeblich nach den Regeln des autonomen Insolvenzrechts der Mitgliedstaaten. Auf den ersten Blick scheint daher die verfahrensrechtliche Frage nach der Zuständigkeitsordnung für die Effizienz eines Insolvenzrechts, insbesondere die Verfahrenseffizienz, nur eine nachrangige Bedeutung zu haben. Für eine Untersuchung nach Effizienzgesichtspunkten ist die Dichotomie zwischen materiellem Recht und Verfahrensrecht indes irrelevant; der Blickwinkel der Ökonomie richtet sich auf das verwirklichte Recht und betrifft daher gerade auch die spezifisch verfahrensrechtlichen Risiken71. So gesehen wird die erhebliche ökonomische Tragweite der Kompetenzregeln des europäischen Insolvenzrechts deutlich, die sich als zentrale Weichenstellung darstellt, bei der Verfahrensbeteiligte auf die Bestimmung des später zur Anwendung gelangenden Verteilungsmechanismus Einfluss nehmen können. Internationale Insolvenzverfahren zeichnen sich darüber hinaus, verglichen mit solchen, die sich auf nur einen Staat beschränken, naturgemäß maßgeblich auf Balz zurückgeht, der Vorsitzender der Sachverständigenkommission zum EuInsÜ war. Aus historisch-genetischer Perspektive wird somit die Annahme gestützt, dass Externalitäten, die eine Insolvenz mit sich bringt (etwa negative externe Effekte für die Wirtschaftsstruktur oder die Arbeitnehmer), auch im insolvenzrechtlichen Verfahren nach der EuInsVO nicht abgebildet werden sollen. Vgl. dazu auch Balz, ZIP 1988, 273, 275 (zur InsO m.w.N.). 69 Balz, ZIP 1988, 273, 277; vgl. auch Drukarczyk, Unternehmen und Insolvenz, S. 62 ff. 70 So auch speziell im Kontext des internationalen Insolvenzrechts Rasmussen, 19 Michigan Journal of International Law 1, 4 (1997); LoPucki, 84 Cornell Law Review, 696, 703 (1998/1999). Verschiedentlich werden indes Einschränkungen der Maxime der Verfahrenseffizienz unter dem Gesichtspunkt der Verteilungsgerechtigkeit postuliert (vgl. die Nachweise bei Rassmussen, a.a.O, dort in Fn. 21). 71 Köndgen, 18 Jahrbuch für Neue Politische Ökonomie, 52, 60 f. (1999).

B. Status quo und Effizienz

255

vielfach durch eine erhöhte tatsächliche und rechtliche Komplexität aus. Die Ursachen hierfür sind vielfältig; das Schuldnervermögen befindet sich wie die Gläubiger oft in zahlreichen Staaten, und das Verfahren weist Berührungspunkte zu mehreren Jurisdiktionen auf. Die daraus möglicherweise erwachsenden Friktionen, die sich ökonomisch als Transaktionskosten darstellen, gering zu halten ist Aufgabe des internationalen Insolvenzrechts. Nicht zuletzt aufgrund dieser vor allem in transnationalen Sachverhalten auftretenden Faktoren sind die Regeln des europäischen internationalen Insolvenzrechts unter Effizienzgesichtspunkten von Interesse. Die grundlegende Bedeutung, die der Verfahrenseffizienz im internationalen Kontext zukommt, findet auch in den Materialien zur EuInsVO Niederschlag. Bereits die Erwägungsgründe zur Verordnung führen die Maxime der Effizienzsteigerung an zwei Stellen explizit auf. In den Erwägungsgründen Nr. 2 und Nr. 8 wird in ihr gar ein zentraler Grund für die Verhältnismäßigkeit des Gemeinschaftsrechtsakts im Hinblick auf das Erforderlichkeitskriterium des Art. 65 S. 1, 2. TS. EGV (nunmehr Art. 81 Abs. 1, 2. TS. AEUV) gesehen. Von einer „effizienten Verwertung der Insolvenzmasse“ ist zudem im 20. Erwägungsgrund die Rede. Die EuInsVO macht sich daher die vermögensbezogene Zwecksetzung des Insolvenzrechts zu eigen. Den Zielsetzungen der EuInsVO entspricht es folglich, als Bewertungsmaßstab für die zur Rechtslage gewonnenen Ergebnisse den Maßstab der Effizienz heranzuziehen. Wie noch im Einzelnen darzulegen sein wird, kann schon zu Lebzeiten eines Unternehmens insolvenzrechtlichen Regelungen eine verhaltenssteuernde Funktion zukommen. Private Akteure können ihr Handeln an dem im Fall der Fälle einschlägigen Insolvenzrecht ausrichten. Auch dieser Gesichtspunkt spricht für eine Untersuchung der bestehenden Regelungslage unter Effizienzgesichtspunkten. Es soll nicht verschwiegen werden, dass der ökonomischen Analyse des Rechts verschiedentlich kritisch begegnet wird. Gerade im Zusammenhang mit dem Problemkreis des Wettbewerbs der Rechtsordnungen, wie er in verschiedenen Facetten noch Gegenstand der Untersuchung sein wird, wird angeführt, das Menschenbild der ökonomischen Analyse entspreche nicht der Wirklichkeit; der rational vorgehende, vom Kalkül der Gewinnmaximierung bestimmte homo oeconomicus unterscheide sich nur allzu oft vom tatsächlich handelnden Menschen72. Aber es gibt wohl nur wenige Situationen, in denen die Fokussierung auf den individuellen Vorteil so unzweifelhaft zum beherrschenden Handlungsmotiv wird, wie im unmittelbaren zeitlichen Zusammenhang mit dem wirtschaftlichen Niedergang eines Unternehmens und bei der Vergabe von Krediten. Diese Phänomene rücken jedoch in den folgenden Abschnitten in den Fokus der Untersuchung. 72

Vgl. nur Raiser, ZGR 2006, 495, 496 f.

256

Kapitel 3: Die Rechtswahlfreiheit unter der EuInsVO in der Analyse

Nicht nur in Ansehung des Zwecks der untersuchten Gesetze, sondern auch mit Blick auf die untersuchten Lebenssachverhalte scheint eine Analyse unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten daher nicht nur statthaft, sondern geboten. Die folgenden Ausführungen beschäftigen sich mit der Frage, anhand welcher konkreten Zielvorgaben die Effizienz der Zuständigkeits- und Anerkennungsordung unter der EuInsVO gemessen werden soll und inwieweit die Verordnung zur Erreichung dieser Ziele beiträgt. Bei der auf das europäische internationale Insolvenzrecht fokussierten Betrachtung sollen die durch das autonome Recht vorgegebenen Zielrichtungen der einzelnen Verfahren als unveränderliche Größen angesehen und ungeachtet der berechtigten Frage nach ihrer ökonomischen Sinnhaftigkeit vorausgesetzt werden. Gemeint sind die individuellen rechtspolitischen Zwecksetzungen in den einzelnen Mitgliedstaaten, die neben der Gläubigerbefriedigung verschiedentlich beispielsweise auch den Erhalt von Arbeitsplätzen oder den Schutz staatlicher Investitionen umfassen73. Ihr ökonomischer Wert bleibt folglich außer Betracht. Sie stehen einer Untersuchung der Zuständigkeitsordnung des europäischen Insolvenzrechts unter Effizienzgesichtspunkten nicht entgegen. II. Effizienzanalyse und konkrete Zielgrößen International-insolvenzrechtliche Regeln erweisen sich unter verschiedenen Aspekten als effizienzrelevant, da Effizienzgewinne und -verluste aufgrund verschiedener rechtlicher und tatsächlicher Gegebenheiten eintreten können. Um zu bestimmen, inwieweit die Regelungen der EuInsVO der Maxime einer unter ökonomischen Gesichtspunkten bestmöglichen Ausgestaltung der international-insolvenzrechtlichen Vorschriften gerecht werden, müssen folglich verschiedene Zielgrößen herangezogen werden. Sind diese bestmöglich erfüllt, haben die Regelungen ein Optimum an Wirtschaftlichkeit erreicht. Erst anhand solcher substanziellen Zielvorgaben lässt sich in einer Gesamtschau eine Aussage über die Effizienzeffekte der bestehenden Regelung treffen. Zwar besteht darüber, auf welche Faktoren es für die Effizienz internationaler Insolvenzverfahren besonders ankommt, noch keine abschließende Übereinkunft74. In der im Schrifttum umfangreich geführten Auseinandersetzung über die wirtschaftlich optimale Ausgestaltung internationalinsolvenzrechtlicher Bestimmungen wird mit bestimmten effizienzrelevanten Faktoren operiert, über deren grundlegende Bedeutung weitgehend Konsens besteht. Diese sollen im Folgenden auch zur Analyse der de lege 73 74

Vgl. nur Paulus, NZI 2001, 505, 515. Vgl. LoPucki, 84 Cornell Law Review, 696, 702 (dort in Fn. 22) (1998/1999).

B. Status quo und Effizienz

257

lata bestehenden Situation herangezogen werden, obwohl hier nicht abstrakt die rechtspolitische Systemfrage nach der Ausgestaltung internationaler Insolvenzen behandelt, sondern zunächst die in Gestalt der EuInsVO schon bestehende Regelung bewertet werden soll. Im Ausgangspunkt ist festzuhalten, dass die Regeln des internationalen Insolvenzrechts prinzipiell auf zweierlei Weise Kosten verursachen können75. Zum einen in Form der Kosten, die das Verfahren erzeugt. Diese Kosten können an verschiedenen Stellen anfallen: als Verfahrenskosten im engeren Sinne, also in Gestalt der Gerichts- und Verwaltungskosten, um die das zu verteilende haftende Schuldnervermögen unmittelbar geschmälert wird, oder aber in Form von Kosten, die direkt aufseiten der Gläubiger anfallen. Hierzu zählen beispielsweise Rechtsverfolgungs- und Reisekosten. Zum anderen entstehen Kosten infolge bestimmter international-insolvenzrechtlicher Regelungen auch außerhalb des Verfahrens. Diese Kosten, für die verschiedentlich angenommen wird, dass sie volumenmäßig einen die vorstehenden Kosten weit überragenden Umfang einnehmen können76, entstehen vor allem77 in Abhängigkeit von der durch ein insolvenzrechtliches Regelungsregime vermittelten Möglichkeit der Risikoantizipation78. Ausgehend von dieser Unterscheidung soll die Analyse des Status quo anhand von fünf Zielgrößen erfolgen, die auch die ökonomische Diskussion um die Ausgestaltung des internationalen Insolvenzverfahrensrechts

75

Vgl. nur Westbrook, 65 American Bankruptcy Law Journal, 457, 460 f. (1991). Westbrook, 65 American Bankruptcy Law Journal, 457, 460 (1991): „The total expense of these millions of increments must dwarf even the substantial losses experienced in specific cases of default“. 77 Kosten können außerhalb des Verfahrens noch aus anderen Gründen entstehen, etwa infolge einer Rufschädigung. So kann die Nachricht über eine Insolvenz sowohl zu konkreten Schäden als auch zu einer Schädigung des good will des Unternehmens führen. Bekannt sind vor allem negative Börsenkursentwicklungen in der Folge von Insolvenznachrichten. Jedoch ist unklar, in welchem Umfang diese Schäden einen unmittelbar international-insolvenzrechtlichen Aspekt aufweisen, etwa dadurch entstehen, dass sich die Nachricht von einer Insolvenz in einem bestimmten Forum verbreitet. Vgl. etwa Financial Times Deutschland online am 21.08.2010: „Spekulationen, Eircom könnte es Wind Hellas gleichtun und bestimmte Gesellschaften umsiedeln, damit sie unter englisches Recht fallen, drückten einige Bonds des Unternehmens“. 78 Diese Annahme wird von Praktikern teils kritisch betrachtet. Teilweise wird die praktische Bedeutung der Antizipierbarkeit der international-insolvenzrechtlichen Risiken für die Kreditkosten als allgemein von der Wissenschaft überbewertet angesehen (so etwa Stephen Taylor im Gespräch mit dem Verfasser). Im Zusammenspiel der einzelnen Risiken wäre deren Bedeutung ausgesprochen gering und somit vernachlässigbar. Daten, die eine solche pauschale Zurückweisung der Annahme rechtfertigen, liegen nicht vor. Stattdessen deuten erste Studien im Anwendungsbereich der EuInsVO auf einen Zusammenhang zwischen Erkennbarkeit des international-insolvenzrechtlichen Risikos und Fremdkapitalkosten hin (vgl. dazu unten, S. 278). 76

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Kapitel 3: Die Rechtswahlfreiheit unter der EuInsVO in der Analyse

beherrschen79: Neben der Vorhersehbarkeit des Systems sind dies die Maximierung der Insolvenzmasse und die Vereinfachung des Verfahrens, die Minimierung der Verfahrensdauer und des Aufwands für die Verfahrensbeteiligten und schließlich die Minimierung von Konflikten zwischen den beteiligten Staaten80. Die vier letztgenannten Größen stehen in einem engen inhaltlichen Zusammenhang. Sie lassen sich auch als ex-post-Effizienz der insolvenzrechtlichen Regelungen begreifen, wohingegen die Frage nach der durch das System vermittelten Vorhersehbarkeit maßgeblich ist für die ex-ante-Effizienz der Regelungen. Entscheidend kommt es für die Frage der Effizienz einer Regelung nicht auf die im Einzelnen, sondern auf die insgesamt entstehenden Kosten an81. Die genannten Zielgrößen stehen in erheblichen Wechselwirkungen zueinander: Ein besonders effizientes Verfahrensrecht oder eine Verfahrensbündelung, die eine bestmögliche Verwertung der Masse ermöglicht, könnte beispielsweise je nach Sachlage zu höheren, unmittelbar bei den Gläubiger anfallenden Verfahrenskosten führen, wenngleich sich die Kombination alles in allem als beste Lösung darstellt. Dennoch soll die nachfolgende Darstellung aus Gründen der Übersichtlichkeit nach den genannten Zielgrößen aufgeschlüsselt erfolgen. Dabei sind inhaltliche Überschneidungen nicht gänzlich zu vermeiden. 1. Vorhersehbarkeit des international-insolvenzrechtlichen Risikos Die Funktionsweise des Insolvenzrechts erschöpft sich nicht darin, Bestimmungen über den Eintritt der materiellen Insolvenz und das damit be79

Vgl. LoPucki, 84 Cornell Law Review, 696, 702 f. (1998/1999) mit umfangreichen

w. N. 80

Keine unmittelbar die Verfahrenseffizienz betreffende Voraussetzung ist die von Westbrook, 65 American Bankruptcy Law Journal, 457, 466 (1991) hervorgehobene Befriedigung der Gläubiger pro rata. Die Distribution der Masse selbst ist kein unmittelbar effizienzrelevanter Gesichtspunkt. Dass ein Verfahrensrecht unter dem hier angelegten Maßstab besonders effizient ist, weil den Gläubigern infolge seiner Anwendung ein größtmögliches Vermögen zu Befriedigung ihrer Forderungen zur Verfügung steht, sagt nichts darüber aus, wie dieses Vermögen unter den Gläubigern verteilt wird. Vgl. insoweit auch die grundlegende ökonomische Unterscheidung zwischen Effizienz und Verteilungsgerechtigkeit (sog. first and second fundamental theorem of welfare economics; siehe dazu nur Varian, Microeconomic Analysis, S. 326 ff.). 81 Die Kosten des forum shopping erschöpfen sich folglich nicht in der Kostendifferenz zu einem Verfahren am COMI, sondern erfordern auch eine Berücksichtigung der im Einzelnen kaum zu beziffernden Kosten des Regelungsumfelds, das eine Einflussnahme auf den Ort der Verfahrenseröffnung erst ermöglicht. Gemessen an diesem Umstand ist es sehr erstaunlich, dass erste Versuche, die Kosten des forum shopping zu bestimmen, sich in der Erfassung der zusätzlichen Reisekosten erschöpften, vgl. die Nachweise bei Rasmussen/Thomas, 94 Northwestern University Law Review, 1357, 1378 f. (2000).

B. Status quo und Effizienz

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ginnende Prozedere festzulegen. Denn dem Insolvenzrecht kommt generell auch eine Steuerungs- und Anreizfunktion zu; das bestehende Regelwerk entfaltet Wirkungen auch für den Zeitraum vor Eintritt einer Insolvenz82. Die Effizienz eines Insolvenzrechts ist mithin nicht allein daran zu messen, von welchem Kosten-Nutzen-Verhältnis das eigentliche Verfahren, also die mit Eintritt der Insolvenz stattfindenden Abläufe, bestimmt sind. Stattdessen sind auch die Effizienzeffekte von Vorwirkungen zu berücksichtigen, die sich aus der bestehenden Rechtslage ergeben. Für diesen Aspekt des Insolvenzrechts ist die Frage nach der Vorhersehbarkeit des zur Anwendung gelangenden Regelungsregimes von zentraler Bedeutung. Es wurde bereits gezeigt, dass mit der EuInsVO die Errichtung eines für die Beteiligten bestmöglich antizipierbaren Zuständigkeitskriteriums intendiert wurde83. Wie es um die praktische Dimension dieser rechtspolitischen Zielsetzung steht und welche Bedeutung dieser zukommt, soll nun in den Mittelpunkt der Untersuchung rücken. a. Die Vorhersehbarkeit des Insolvenzrechtsregimes aus ökonomischer Perspektive Aus ökonomischer Perspektive spielt die Möglichkeit der Antizipation insolvenzrechtlicher Regelungen eine große Rolle84. Der Aspekt der Vorhersehbarkeit wird insbesondere in der Diskussion um die Systemfrage nach Territorialismus und Universalismus als vorzuziehenden Strukturelementen eines internationalen Insolvenzrechts eingehend beleuchtet. Die dabei gezogenen Schlussfolgerungen sind für die hier behandelte Frage von Interesse, weshalb sie zusammen mit den grundlegenden Annahmen kurz dargestellt werden sollen: Der Geschäftsverkehr muss den wirtschaftlichen Niedergang von Beteiligten, der ein unvermeidliches Phänomen jeder Marktwirtschaft ist, ins Kalkül einbeziehen. Mit welchen Konsequenzen die Insolvenz des Schuldners verbunden ist, bestimmt sich maßgeblich nach dem zur Anwendung kommenden Insolvenzrechtsregime. Die Vorhersehbarkeit des Insolvenzrechtsregimes ermöglicht Marktteilnehmern mithin, ihr Handeln, also die Kreditkonditionen wie den zu fordernden Zinssatz85, aber auch die zu ver82

Eidenmüller, Unternehmenssanierung, S. 27 ff. Vgl. oben, S. 24 ff. 84 Eingehend zur Bedeutung der Vorhersagbarkeit des zur Anwendung gelangenden Insolvenzrechts Franken, 11 European Law Journal, 232, 236 (2005). 85 Davydenko/Franks, 63 The Journal of Finance (2006), 565, 596 ff., 600 kommen für die Stichprobe ihrer ökonometrischen Studie zu dem Ergebnis, dass sich die Zinssätze zwischen den beobachteten Mitgliedstaaten Großbritannien, Deutschland und Frankreich trotz unterschiedlicher Befriedigungsquoten nicht signifikant unterscheiden. Abgesehen davon, dass dieses Ergebnis auf lokale Wettbewerbsmechanismen oder unterschiedliche Gebühren bei Kreditgewährung zurückzuführen sein könnte (Davydenko/Franks, 63 The 83

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Kapitel 3: Die Rechtswahlfreiheit unter der EuInsVO in der Analyse

langenden Sicherheiten86, danach auszurichten, welche Regelungen im Falle einer Insolvenz zur Anwendung kommen. Natürlich können und wollen nicht alle Marktteilnehmer ihr Handeln den zu erwartenden Insolvenzrisiken anpassen. So können beispielsweise Delikts- und bestimmte Kondiktionsgläubiger oder der Staat, der vielfach ebenso wenig ein freiwilliger Gläubiger ist, nur sehr eingeschränkt oder gar keinen Einfluss auf die Entstehung ihrer Forderungen nehmen; sie sind sog. involuntary creditors und treffen keine bewusste Kreditentscheidung. Ähnlich verhält es sich mit manchen rechtsgeschäftlichen Kreditoren. Auch sie können oder wollen oft keine einzelfallbezogene Bestimmung der spezifisch international-insolvenzrechtlichen Risiken vornehmen87. Der Grund dafür wird regelmäßig sein, dass eine Ermittlung der Risiken für diese Gläubiger mit Kosten verbunden wäre, die die mit der Berücksichtigung dieser Risken zu erzielenden Vorteile überwiegen würden88. Selbst für Gläubiger, deren Forderungen zwangsläufig unabhängig von den jeweiligen insolvenzrechtlichen Risiken entstehen, kann die Vorhersehbarkeit der insolvenzrechtlichen Risiken allerdings noch bedeutsam werden. Wenngleich sie keine bewusste Kreditentscheidung treffen89, werden etwa Deliktsgläubiger vielfach vor der Frage stehen, ob es sich lohnt, ihre Ansprüche gerichtlich zu verfolgen. Je nach Forderungsumfang ist bei dieser Kalkulation des Nutzens einer Rechtsverfolgung die Frage nach dem Journal of Finance (2006), a.a.O.), könnte darin gerade ein Argument dafür erblickt werden, dass eine funktionierende Anpassung an die individuellen Kreditrisiken über die übrigen Kreditbedingungen möglich war. Der Verlust der freien Verfügung über Sicherungsgut lässt sich jedoch ebenfalls als Kostenfaktor begreifen. Eine auf breiter Basis angelegte Studie über die Entwicklung der Kreditkosten nach Einführung der EuInsVO (Sussman, in: Financial Markets and Institutions, S. 239, 251 ff.) legt hingegen einen Einfluss der Vorhersehbarkeit auf die Kreditkosten auch empirisch nahe. Eingehend dazu unten, S. 278. 86 Vgl. nur Fletcher/Anderson, in: Cross-Border Security and Insolvency, S. 281, 287 f. 87 Natürlich spielen nicht allein die durch das zur Anwendung eines bestimmten Insolvenzrechtsregimes entstehenden Risiken eine Rolle, diese stellen neben der Solvenz des Schuldner und vielen anderen Gesichtspunkten nur einen Faktor dar (vgl. wiederum Guzman, 98 Michigan Law Review, 2177, 2193 [2000], der allerdings die relative Bedeutung des Insolvenzregimes, zumindest gemessen an den erheblichen Auswirkungen, die eine Rechtswahl unter der EuInsVO hat, wohl zu niedrig ansetzt). In der Folge beschränkt sich die Darstellung jedoch auf das spezifisch international-insolvenzrechtliche Risiko der Rechtsverfolgung in einem bestimmten Forum unter einem bestimmten Insolvenzrecht. 88 Guzman, 98 Michigan Law Review, 2177, 2182 (2000). 89 Auch bei Deliktsgläubigern kommt zwar eine Anpassung des Sorgfaltsmaßstabs in Betracht. Angesichts des geringen Einflusses, den die international-insolvenzrechtlichen Risiken für dessen Festlegung haben, ist der Gesichtspunkt der Vorhersehbarkeit hier aber wohl zu vernachlässigen.

B. Status quo und Effizienz

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Insolvenzrechtsregime, dem die Forderungen im Falle der Insolvenz unterfallen, und dem Forum, in dem die Rechtsverfolgung stattfindet, von maßgeblicher Bedeutung. Denn nur wenn Gläubiger absehen können, wo und nach welchem Recht eine Insolvenz des Schuldners stattfindet, können sie auch abschätzen, ob die danach zu erwartende Befriedigung die zu erwartenden Rechtsverfolgungskosten aufwiegt. Von größerem Interesse ist die Vorhersehbarkeit für diejenigen – zumeist rechtsgeschäftlichen – Gläubiger, die ihre Kreditentscheidung an die zu erwartenden Insolvenzrisiken anpassen. Gläubiger, die für jede Kreditvergabe eine Bestimmung der insolvenzrechtlichen Risiken vornehmen, werden die aus einer beschränkten Vorhersehbarkeit resultierenden Kosten und Risiken in die von ihnen geforderte Risikoprämie einpreisen. Aus Sicht des Schuldners führt eine Verschlechterung der Vorhersehbarkeit daher zu höheren Finanzierungskosten90. Ausgehend von der Differenzierung zwischen sog. adjusting creditors, also Gläubigern, die in Abhängigkeit von den zu erwartenden Risiken eine Anpassung der Kreditkonditionen vornehmen, und sog. nonadjusting creditors, die dies nicht tun91, ist eine weitere Unterscheidung für die nachteiligen Auswirkungen beschränkter Vorhersehbarkeit international-insolvenzrechtlicher Risiken von Erkenntniswert92: Es gibt Gläubiger, die zwar nicht für jede einzelne Krediterteilung, wohl aber über das gesamte Portfolio der von ihnen gewährten Kredite eine Berechnung der internationalinsolvenzrechtlichen Risiken vornehmen. Grund dafür kann beispielsweise sein, dass eine Berechnung der individuellen Risiken mit einem zu hohen Aufwand verbunden wäre. Diese in Abgrenzung zu den bereits genannten strongly nonadjusting creditors, die überhaupt keine Anpassung ihrer Kreditbedingungen vornehmen, als weakly nonadjusting creditors bezeichneten Gläubiger (zum Beispiel Kreditkartenunternehmen93) offerieren den Schuldnern Kredite zu vereinheitlichten Bedingungen. Diese sind im Einzelfall folglich zwingend risikoinadäquat – Gläubiger, die gemessen an dem zugrunde gelegten Durchschnittsrisiko ein geringeres Risiko aufweisen, subventionieren dann diejenigen Gläubiger mit einem überdurchschnittlichen Risiko. Insbesondere für Letztere besteht jedoch in den offerierten, günstigen Bedingungen ein Anreiz, Kredite aufzunehmen. Das 90

Grundlegend Westbrook, 65 American Bankruptcy Law Journal, 457, 460 (1991); vgl. auch Rasmussen/Thomas, 94 Northwestern University Law Review, 1357, 1399 (2000). 91 Diese Unterscheidung geht zurück auf Bebchuck/Fried, 105 Yale Law Journal 857, 882 ff. (1996) und hat sich auch im Rahmen ökonomischer Untersuchung des internationalen Insolvenzrechts weitgehend durchgesetzt. 92 Zur Differenzierung vgl. etwa Guzman, 98 Michigan Law Review, 2177, 2182 (2000). 93 Guzman, 98 Michigan Law Review, 2177, 2182 f. (2000).

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Kapitel 3: Die Rechtswahlfreiheit unter der EuInsVO in der Analyse

durch portfoliobezogene Risikokalkulation begünstigte Investitionsverhalten führt zu Fehlallokationen und damit zu Effizienzverlusten94 und könnte letztlich sogar ein Marktversagen nach sich ziehen. Die beschriebenen Effekte nehmen mit der Schwankungsbreite der Risiken, im hier diskutierten Zusammenhang also der Anzahl der Insolvenzrechtsregime, auf die sich die Unvorhersehbarkeit bezieht, zu95. Je mehr Einflussmöglichkeiten auf Insolvenzrechtsregime und Foren des Verfahrens bestehen, je größer die Zahl der einzuberechnenden Szenarien ist, desto schwieriger und damit kostenintensiver gestaltet sich die individualisierte Antizipation dieser Risiken. Wird die Vorhersehbarkeit aufgrund weitreichender Einflussmöglichkeiten der Verfahrensbeteiligten beschränkt, so lässt dies aufgrund steigender Kosten eine Zunahme nur portfoliobezogener Risikokalkulationen erwarten. Zugleich erhöht sich die ins Kalkül zu nehmende Varianz der Risiken. Neben diesen allgemeinen Auswirkungen auf die Kreditkosten ist die Vorhersehbarkeit der Kreditrisiken besonders bedeutsam, wenn es um die Gewährung von Sanierungskrediten geht. In einem solchen Fall ist der Eintritt der Insolvenz, verglichen mit der Situation der Kreditaufnahme durch einen wirtschaftlich gesunden Schuldner, naturgemäß oft sehr viel wahrscheinlicher. Dann ist durchaus vorstellbar, dass sich Unsicherheiten über das zur Anwendung kommende Verfahrensrecht auch auf die Frage auswirken, ob es überhaupt zu einer Gewährung des Kredits kommt96. Denn wenn potenzielle Darlehensgeber das Risiko als nicht beherrschbar ansehen, wird ein Kredit möglicherweise nur zu Bedingungen gewährt werden können, die der Schuldner schlechterdings nicht erfüllen kann. So kann es passieren, dass infolge schlechter Vorhersehbarkeit der zu erwartenden insolvenzrechtlichen Risiken eine Sanierung des schuldnerischen Unternehmens nicht stattfindet, auch wenn diese verglichen mit der später folgenden Insolvenz die effizientere Alternative darstellt.

94 Franken, 11 European Law Journal, 233, 238 (2005); Guzman, 98 Michigan Law Review, 2177, 2187 ff. (2000). 95 Guzman, 98 Michigan Law Review, 2177, 2188 (2000) sieht darin ein Argument zulasten universalistischer Systeme. 96 Die Bedeutung der Möglichkeiten zur Risikoantizipation wurden im Gespräch auch von den jenen Praktikern als „durchaus vorstellbar“ eingeschätzt, die Auswirkungen auf die Kreditgewährung an einen normalen Schuldner für unwahrscheinlich halten (oben, Fn. 78). Anders Ayotte/Skeel, 73 The University of Chicago Law Review, 425, 457, 462 ff. (2006), die in insolvenznahen Finanzierungsmaßnahmen gerade einen stabilisierenden Umstand erblicken (eingehend dazu sogleich, S. 298 ff.).

B. Status quo und Effizienz

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b. COMI-Standard, faktische Rechtswahlfreiheit und Vorhersehbarkeit (1) International-insolvenzrechtliche Risiken und das COMI-Kriterium Die Bedeutung der dargestellten Rechtswahlfreiheit für die Vorhersehbarkeit der international-insolvenzrechtlichen Risiken ergibt sich bereits aus den Befunden zur Reichweite der Rechtswahl unter der EuInsVO97: Gestaltungsmöglichkeiten einzelner Verfahrensbeteiligter und Defizite bei der Risikoantizipation sind zwei Seiten derselben Medaille, soweit die zu beurteilenden Risiken dem Regelungsbereich der lex fori concursus entspringen. Aber auch die Durchbrechungen des in Art. 3, 4 EuInsVO statuierten Prinzips durch die Art. 5 und 7 EuInsVO, denen gerade auch das gesetzgeberische Ziel zugrunde liegt, das Vertrauen in die Behandlung der Sicherheiten nach dem Recht des Belegenheitsstaats zu schützen und so die Vorhersehbarkeit der international-insolvenzrechtlichen Risiken zu verbessern98, vermögen eine verlässliche Risikoantizipation für ihren Regelungsbereich nicht zu gewährleisten. Der Grund dafür besteht zum einen in der aufgezeigten unmittelbaren Beeinflussbarkeit der Tatbestandsvoraussetzungen auch dieser Vorschriften durch die Verfahrensbeteiligten. Zum anderen geht von diesen Normen eine Verbesserung der Vorhersehbarkeit für andere als die Inhaber der jeweiligen Sicherungsrechte nur insoweit aus, als die Voraussetzungen zur Eröffnung eines Haupt- oder Sekundärverfahrens99 im Belegenheitsstaat vorliegen. Nur dann kann das jeweilige Sicherungsrecht wenigstens nach Maßgabe der Bestimmungen des Belegenheitsstaats in das Insolvenzverfahren einbezogen werden. Ist unklar, wo bzw. ob es zur Eröffnung von Haupt- und ggf. Sekundärverfahren kommt, so ist auch nicht abzusehen, inwieweit die jeweiligen Gegenstände in die Masse der jeweiligen Verfahren fallen und inwieweit überhaupt Regelungen eingreifen können, die das Statut des Belegenheitsstaats zugunsten ungesicherter Gläubiger vorsieht100. Auch die von Art. 5, 7 EuInsVO vermittelten Möglichkeiten zur Risikoantizipation aller Verfahrensbeteiligten stehen demnach in erheblichen 97

Oben, S. 184 ff. Vgl. Virgós/Schmit, Bericht, Nr. 97; Huber, in: Geimer/Schütze, Art. 3 EuInsVO, Rn. 62; Duursma-Kepplinger, in: Duursma-Kepplinger/Duursma/Chalupsky, EuInsVO, Art. 5, Rn. 23. 99 Eingehend zur Bedeutung des Sekundärverfahrens für die Frage der Risikoantizipation sogleich, S. 276 ff. 100 Vgl. Wiórek, Gläubigergleichbehandlung, S. 245, der veranschaulichend auf den Fall hinweist, dass die Einschränkungen, durch die das englische Institut der floating charge zugunsten ungesicherter Gläubiger gekennzeichnet ist, nur dann angewendet werden, wenn es im Belegenheitsstaat zur Eröffnung eines Haupt- oder Sekundärverfahrens kommt. 98

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Kapitel 3: Die Rechtswahlfreiheit unter der EuInsVO in der Analyse

Wechselwirkungen mit der Vorhersagbarkeit, die mit der Zuständigkeitsordnung einhergeht. Die vom COMI-Kriterium ausgehenden Beschränkungen der Risikoantizipation weisen also über die lex fori concursus hinaus. (2) Risikoantizipation unter dem COMI-Standard Für die Vorhersehbarkeit international-insolvenzrechtlicher Risiken ist die Regelung des Art. 3 Abs. 1 EuInsVO folglich von zentraler Bedeutung. Im zweiten Kapitel konnte gezeigt werden, dass bereits der Tatbestand des Art. 3 Abs. 1 S. 1 EuInsVO weitgehend unbestimmt ist und auch die Rechtspraxis noch keine hinreichende Einigkeit darüber erzielen konnte, anhand welcher Anknüpfungsmomente das schuldnerische COMI zu lokalisieren ist101. Bereits das diffuse Zuständigkeitskriterium als solches führt damit zu einer erheblichen Beeinträchtigung der Vorhersehbarkeit. Auch ohne dass eine zielgerichtete Einwirkung auf die Kompetenz nach Art. 3 Abs. 1 S. 1 EuInsVO stattfindet, ist die in den Erwägungsgründen zur EuInsVO vorausgesetzte Antizipierbarkeit der international-insolvenzrechtlichen Risiken nicht gewährleistet102. Die Vermutung, die Art. 3 Abs. 1 S. 2 EuInsVO für Gesellschaften und juristische Personen aufstellt, ist unter dem Gesichtspunkt der Risikoantizipation von nur geringer praktischer Bedeutung. Dies gilt sowohl mit Blick auf die bisherige Rechtspraxis, die der Regelung wenig Beachtung schenkt103, als auch mit Blick auf den noch unklaren Regelungsgehalt des Art. 3 Abs. 1 S. 1 EuInsVO. Wie gezeigt werden konnte, korrespondiert die Vorhersehbarkeit jedoch, anders als vom historischen Verordnungsgeber offenbar vorausgesetzt, keinesfalls nur mit dem Grad der Konturierung des Tatbestands von Art. 3 Abs. 1 S. 1 EuInsVO. Entscheidend kommt es auf die Stabilität des Anknüpfungsmoments an. Auch wenn – und sei es infolge einer Reihe von Judikaten des EuGH – eines Tages feststehen sollte, welche tatsächlichen Gegebenheiten den Interessenmittelpunkt des Schuldners konstituieren, und diese Faktoren sich auch von Außenstehenden überblicken ließen, so ist, obwohl das Zuständigkeitskriterium dann in dem von der Verordnung vorausgesetzten Maße konkretisiert wäre, eine funktionierende Risikoantizipation angesichts der stetigen Veränderlichkeit der zuständigkeitsbegründenden Tatsachen bis unmittelbar vor Eröffnung eines ersten Hauptverfahrens weiterhin nicht zu gewährleisten. Gerade in unmittelbarer zeit101

Vgl. oben, S. 86 ff. So auch Eidenmüller, EBOR 6 (2005) 423, 430 f. sowie Franken, 11 European Law Journal, 232, 248 ff. (2005). Nicht nur die Erwägungsgründe zur EuInsVO sowie der Bericht von Virgós/Schmit, Nr. 75, sondern auch Stimmen im Schrifttum erblicken im COMI-Standard hingegen einen Garanten für eine weitreichende Vorhersehbarkeit. 103 Dies gilt auch trotz der Betonung der Vermutung durch den EuGH in der Entscheidung Eurofood, vgl. dazu oben, S. 63 ff. 102

B. Status quo und Effizienz

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licher Nähe zur Insolvenz bestehen nämlich, wie dargelegt, erhebliche und in verschiedene Richtungen weisende Anreize für eine Einflussnahme der Verfahrensbeteiligten auf die Eröffnungskompetenz. Besonders schwer wiegt zudem der Umstand, dass die EuInsVO eine anzuerkennende Verfahrenseröffnung in den genannten Grenzen auch durch ein unzuständiges Gericht ermöglicht. Nicht nur die Unbestimmtheit des COMI-Standards und das mit diesem begründete Einwirkungspotenzial, sondern auch die Manipulationsmöglichkeiten, die der Anerkennungszwang eröffnet, stehen einer funktionierenden Risikoantizipation somit entgegen. Damit wird zugleich ein für die Vorhersehbarkeit wesentlicher Faktor deutlich: Nicht die Möglichkeit einer Einflussnahme auf das im Falle einer Insolvenz zur Anwendung gelangende Recht, also die Wahl des Insolvenzstatuts als solche, ist es, welche die Vorhersehbarkeit der international-insolvenzrechtlichen Risiken beeinträchtigt, sondern die Tatsache, dass Einwirkungen auf das zur Anwendung kommende Insolvenzrechtsregime nachträglich stattfinden können104. Eine Bestimmung des oder der in Betracht zu ziehenden Insolvenzforen und damit -statute des Hauptverfahrens kann daher nicht mit Sicherheit erfolgen, selbst wenn im Zeitpunkt der Kreditentscheidung alle zuständigkeitsrelevanten Umstände bekannt sind. Will ein Gläubiger bei seiner Kreditentscheidung die internationalinsolvenzrechtlichen Risiken berücksichtigen, muss er jedoch nicht nur die soeben dargestellte breite Palette an nachträglichen Veränderungen in Rechnung stellen. Er müsste auch berücksichtigen, dass selbst dann, wenn es nach der hier vorgeschlagenen Gewichtung der Gläubigerperspektiven im Zusammenhang mit Art. 3 Abs. 1 S 1. EuInsVO bei der Bestimmung der Eröffnungszuständigkeit zu einer Gewichtung abhängig vom Forderungsvolumen kommen sollte, letztlich kleine und große Gläubiger über ein ähnliches Einwirkungspotenzial verfügen. Selbst wenn ein großer Kreditgeber wie etwa eine Bank sich weitreichende Einblicke in die Unternehmensstruktur des Schuldners verschafft, steigt dadurch nicht unbedingt der ihm verfügbare Grad an Vorhersehbarkeit des Risikos105. Denn dieser wird maßgeblich auch vom Verhalten der anderen Verfahrensbeteiligten bestimmt. Zusätzlich wird die Vorhersehbarkeit unter der EuInsVO auch dadurch eingeschränkt, dass der Umfang dessen, was an rechtlichen Regelungen nach einer anzuerkennenden Hauptverfahrenseröffnung in einem bestimm-

104

Allgemein zur Problematik des Auseinanderfallens der Zeitpunkte von Kreditentscheidung und Forumswahl Rasmussen/Thomas, 94 Northwestern University Law Review, 1357, 1399 ff. (2000). 105 Zu den Möglichkeiten der vertraglichen Absicherung dieses Risikos siehe sogleich, S. 266.

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Kapitel 3: Die Rechtswahlfreiheit unter der EuInsVO in der Analyse

ten Forum zur Anwendung kommt, aufgrund der individuellen Bestimmung der Reichweite der lex fori concursus unbestimmt ist. Um eine ungefähre Vorhersage über die Bandbreite des internationalinsolvenzrechtlichen Risikos zu treffen, wird ein Gläubiger ausgehend von der bisherigen Rechtspraxis zumindest in Betracht ziehen müssen, zu welchen Staaten der Schuldner besondere Berührungspunkte aufweist und in welchen Staaten sich weitere Gläubiger befinden. Zudem wird er stets solche Staaten, die sich als insolvency haven106 etablieren, berücksichtigen müssen. Auch dann bleibt die Einschätzung freilich nur eine mehr oder weniger vage Prognose. Unter dem Status quo besteht somit nur eine sehr geringe Vorhersagbarkeit der international-insolvenzrechtlichen Risiken. Aufgrund der gleichzeitig gegebenen hohen Varianz des Risikos führt die de lege lata bestehende Situation mit Blick auf die Verfahrenseffizienz zu den oben beschriebenen nachteiligen Folgen von Vorhersehbarkeitsdefiziten. Unmittelbar Benachteiligte eines forum shopping sind all diejenigen Gläubiger, die damit einhergehende Kosten bei Entstehung der Forderungen nicht berücksichtigen konnten und der Anwendung eines neuen Insolvenzstatuts notwendig „hilflos“ gegenüberstehen107. Besonders bedeutsam ist, dass sich die geschilderte Problematik aufgrund der Notwendigkeit der Risikoantizipation zum Zeitpunkt der Kreditvergabe nicht nur für solche Unternehmen bemerkbar machen kann, die schon zu diesem Zeitpunkt durch internationale Tätigkeit oder in anderer Weise die zur Bestimmung des COMI heranzuziehenden Kriterien in mehrdeutiger Weise berühren. Denn die Kosten schlechter Vorhersehbarkeit werden all jene Schuldner betreffen, bei denen eine spätere COMIVerlegung oder COMI-Inanspruchnahme in einem anderen Staat in Betracht zu ziehen ist. Zusammenfassend kann daher festgestellt werden, dass die in den Erwägungsgründen und Materialien unter besonderem Hinweis auf deren Wichtigkeit als funktionierend vorausgesetzte Risikoantizipation in der Realität nicht besteht. Die EuInsVO bleibt insofern hinter den Zielen, die sie sich steckt, weit zurück. c. Risikoantizipation durch kautelarische Vorsorge; „COMI-covenants“ Dieses Ergebnis wirft die Frage auf, inwieweit die Vorhersehbarkeit durch individualvertragliche Vereinbarungen hergestellt werden kann. Immerhin ist in der Praxis zu beobachten, dass Kreditgeber versuchen, sich durch die 106

So werden solche Foren bezeichnet, die sich durch ein aus Sicht des Betroffenen (regelmäßig derjenigen des Schuldners) besonders angenehmes oder vorteilhaftes Insolvenzrecht auszeichnen. 107 Guzman, 98 Michigan Law Review, 2177, 2214 (2000) (dort in Fn. 134).

B. Status quo und Effizienz

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Aufnahme von COMI-bezogenen Nebenabreden des Kreditvertrages – COMI-covenants108 – Gewissheit über das Forum eines eventuellen Insolvenzverfahrens zu verschaffen und entsprechende Manipulationen des Schuldners, sei es durch tatsächliche Verlegungen des COMI oder entsprechende Antragstellungen, zu vermeiden. Ein Beispiel für eine im Londoner Markt gebräuliche Klausel lautet: „Centre of main interests and establishments – No obligor whose jurisdiction of incorporation is in a member state of the European Union shall, without the prior written consent of the agent [gemeint ist der für das Konsortium der Kreditgeber handelnde Agent], deliberately change its centre of main interests (as that term is used in Article 3(1) of The Council of the European Union Regulation No. 1346/2000 on Insolvency Proceeding) in a manner that would have a Material Adverse Effect“.

Eine andere häufig anzutreffende Klausel ist folgende: „No obligor shall, and each obligor will procure that none of its subsidiaries will, do anything to change the location of its centre of main interests, for the purposes of Council Regulation (EC) 1346/2000 of 29 May 2000 on insolvency proceedings, where that change would be reasonably likely to be materially adverse to the interests of the senior finance parties“109

Der praktische Nutzen derartiger kautelarischer Maßnahmen dürfte sich indes, zumindest in den herkömmlichen Funktionsmechanismen von covenants, aus mehreren Gründen als sehr begrenzt erweisen. Im Ausgangspunkt ist festzuhalten, dass über das COMI nicht im Wege einer Gerichtsstandsvereinbarung Vereinbarungen getroffen und COMIKlauseln in Finanzierungsvereinbarungen daher nicht als solche qualifiziert werden können. Die Vereinbarung von Gerichtsständen ist Form einer direkten Privatautonomie, die mit den Zielen des Kollektivverfahrens des internationalen Insolvenzrechts nicht vereinbar ist; es fehlt nicht nur an einer für die Gesamtheit der Verfahrensbeteiligten vertretungsberechtigten Person. Entsprechende Vertretungs- und Kanalisierungsmechanismen eines Willensbildungsprozesses, etwa in Gestalt eines „Wahlmodus“, bei dem die Verfahrensbeteiligten das Forum einer Insolvenz wählen könnten, sind von der EuInsVO nicht vorgesehen110.

108

Allgemein zur Bedeutung und Funktion von covenants im Rahmen der kautelarischen Vorsorge bei Darlehensgewährung siehe Eidenmüller, Unternehmenssanierung, S. 136 ff. sowie Bratton, EBOR 7 (2006), 39 ff. 109 Im Original sind einige der Begriffe definiert; dies führt jedoch im Hinblick auf COMI-Manipulationen nicht zu weitergehenden Einschränkungen. Von einer Wiedergabe der Definitionen wurde daher abgesehen. 110 So im Ergebnis auch Mankowski, ZIP 2010, 1376, 1377.

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Kapitel 3: Die Rechtswahlfreiheit unter der EuInsVO in der Analyse

Die Vereinbarungen stellen demnach einfache vertragliche Abreden dar111, die schon ihrem Inhalt nach oft nur schwer anzuwenden sein werden. Angesichts der Unbestimmtheit des COMI-Kriteriums wird häufig unklar sein, wann ein Verstoß gegen die entsprechende Nebenabrede anzunehmen ist. Die verhaltenssteuernde Funktion von covenants ist indes von der Nachweisbarkeit der Einhaltung der jeweiligen Bedingung abhängig112. Sofern die einzelne Nebenabrede die Veränderung des COMI in den Tatbestand der Bedingung aufnimmt, könnte es an der erforderlichen Kontrollierbarkeit fehlen. Schließen die covenants hingegen lediglich Handlungsweisen aus, die eine Relokation der internationalen Zuständigkeit bewirken könnten, so müssten sie infolge der Unbestimmtheit des Kriteriums so umfassend formuliert sein, dass der verbleibende Handlungsspielraum des Schuldners umfassende Einschränkungen erfährt. Der Schuldner wäre dann in vielerlei Hinsicht am Betrieb seines Unternehmens gehindert, was nicht nur völlig unpraktikabel wäre, sondern auch für den Gläubiger nachteilige Konsequenzen hätte; so könnte es etwa zu einer Subordination seiner Forderungen wegen gesellschafterartigen Einflusses auf die Entscheidungen des Schuldners kommen. Darüber hinaus erweist sich die wichtigste Sanktion des covenants, die Fälligstellung bzw. Kündigung des Kredits113, regelmäßig als stumpfes Schwert. Denn vielfach wird sie zu einem Zeitpunkt erfolgen, in dem die Kündigung des Kredits den Eintritt der materiellen Insolvenz hervorruft, sofern diese nicht ohnehin bereits eingetreten ist. Insbesondere wenn sich ein Verstoß gegen die Bedingungen der Nebenabrede durch eine Antragstellung des Schuldners in einem anderen als dem durch den covenant benannten Forum stattfindet, läuft die Sanktion ins Leere. Bei nahender Insolvenz droht außerdem durch den Bruch anderer covenants ein event of default, sodass auch die von Armour als disziplinierend angeführte Aussicht114, noch offene Kreditfazilitäten infolge einer covenant-Verletzung auch mit Wirkung für andere Kredite (cross default) nicht mehr in An111

Die Wirksamkeit dieser Vereinbarungen bestimmt sich nach zutreffender Auffassung nicht nach der lex fori concursus, sondern nach dem Vertragsstatut, regelmäßig dem Statut der Hauptforderung, vgl. Mankowski, NZI 2010, 1376, 1378. Die von Mankowski in diesem Zusammenhang geprüften Wirksamkeitshindernisse nach deutschem AGBRecht dürften in der Praxis allerdings aus einer Reihe von Gründen oftmals keine Rolle spielen; zum einen unterliegen die entsprechenden Verträge, die regelmäßig auf den Mustern der Loan Market Association basieren, regelmäßig englischem Recht, zum anderen werden diese Verträge vielfach zwischen Unternehmern geschlossen, unter Einschaltung von Rechtsberatern detailreich verhandelt und sind als Dauerschuldverhältnisse zu qualifizieren, weswegen für die AGB-Kontrolle, wenn überhaupt, ein beschränkter Anwendungsbereich verbleibt. 112 Eidenmüller, Unternehmenssanierung, S. 138. 113 Vgl. Eidenmüller, Unternehmenssanierung, S. 138 f. 114 Armour, in: Prohibition of Abuse of Law.

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spruch nehmen zu können, vielfach bedeutungslos wäre. Dem Schuldner ist dann zum Zeitpunkt der Verletzung der COMI-bezogenen covenants längst klar, dass eine Inanspruchnahme noch offener Kreditlinien ohnehin nicht stattfinden kann. Ein Blick in die Rechtswirklichkeit offenbart zudem, dass Schadensersatzansprüche, etwa bezogen auf einen Quotenschaden, den ein Gläubiger durch Durchführung eines Insolvenzverfahrens in einem anderen als dem vertraglich vorgesehenen Forum geltend machen kann, oder Vertragsstrafen keine große Rolle spielen werden, zumal im Falle einer Insolvenz das Haftungssubstrat der unter der entsprechenden Finanzierungsdokumentation verpflichteten Parteien sehr beschränkt sein wird115. Die von Mankowski vorgeschlagene Lösung einer vertraglichen Verpflichtung der „Hintermänner“ des Schuldners116 wird sich in der Praxis (abgesehen davon, dass auch sie den Schutz nicht wesentlich erhöhen wird) als schwierig erweisen. Beteiligungsgesellschaften werden etwa stets versuchen, ihre Fonds oder deren verwaltende Berater nach Möglichkeit nicht zur Partei der Finanzierungsvereinbarung zu machen; abweichende Gepflogenheiten müssten langwierig etabliert werden. Ähnliches gilt für die Projekt- oder Unternehmensfinanzierung, bei der die Gründung und Verwendung besonderer Finanzierungsgesellschaften vielmals gerade mit dem Ziel einer Haftungsabschirmung stattfindet. Erst recht sind die Chancen als gering anzusehen, dass sich einzelne Mitglieder der Geschäftsführung des Schuldners persönlich zur Wahrung COMI-bezogener Verhaltenspflichten verpflichtet erklären. In praktischer Hinsicht ist bei der in der Rechtswirklichkeit häufig vorkommenden syndizierten Finanzierung in mehreren Tranchen noch ein weiterer Umstand zu berücksichtigen, der die Reichweite vertraglicher Vereinbarung über das COMI empfindlich beschränken kann. CovenantVerletzungen erlauben den Kreditgebern grundsätzlich verschiedene Maßnahmen wie beispielsweise Fälligstellung und unmittelbare Durchsetzung der aufgelaufenen Ansprüche. Jedoch wird zwischen den Gläubigern der unterschiedlichen Ranggruppen durch gesonderte „Intercreditor“-Vereinbarungen und Kanalisierung der Entscheidungsprozesse durch einen Agenten regelmäßig sichergestellt, dass über die Ergreifung von Maßnahmen bei Verletzung von covenants zunächst die vorrangigen Kreditgeber entscheiden und im Falle der Untätigkeit die nachrangigen Kreditgeber erst nach Ablauf einer Warteperiode von oft mehreren Monaten tätig werden dürfen. Solange die vorrangigen Gläubiger mit einem forum shopping einverstanden sind (beispielsweise weil es im Wege einer pre-pack-Insolvenz 115 Die Überlegungen zu einer Schadensberechnung in einem solchen Falle, vgl. Mankowski, ZIP 2010, 1376, 1381 f., sind daher in erster Linie theoretischer Natur. 116 Mankowski, ZIP 2010, 1376, 1384 ff.

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Kapitel 3: Die Rechtswahlfreiheit unter der EuInsVO in der Analyse

ein Herausdrängen nachrangiger Tranchen ermöglicht), sind nachrangigen Gläubigern die Hände gebunden. Das Beispiel dieser in der Rechtswirklichkeit häufiger aufgetretenen Konstellation zeigt auch, dass durch das Phänomen der free riders im Zusammenhang mit COMI-covenants eine Kompensation für fehlende Beobachtungs- oder Einflussmöglichkeiten bestimmter Gläubiger jedenfalls nicht allgemein zu erwarten ist117; die individuellen Interessen sind gerade beim syndizierten Kreditgeschäft in mehreren Tranchen zu unterschiedlich118. Schließlich können vertragliche Vereinbarungen im Verhältnis zwischen Gläubiger und Schuldner naturgemäß keine Bindungswirkungen gegenüber antragsberechtigten Dritten entfalten. Diese Begrenztheit der personellen Reichweite vertraglicher Vereinbarungen über das COMI reduziert ihre Bedeutung ebenfalls erheblich119. Dritte können weiterhin in dem von ihnen präferierten Forum auf eine Verfahrenseröffnung hinwirken. Angesichts dieser Einschränkungen dürfte der größte Nutzen der COMIcovenants darin liegen, im Falle einer Antragstellung durch den jeweiligen Gläubiger als Beweis dafür zu dienen, dass der Schuldner das betreffende Forum selbst als Belegenheitsort erachtet120. Es bleibt danach festzuhalten, dass die Vorhersehbarkeit hinsichtlich des international-insolvenzrechtlichen Risikos sich nicht im Wege kautelarischer Maßnahmen verlässlich sicherstellen lässt. Allerdings kann anderen covenants, insbesondere solchen, die Frühwarnverpflichtungen des Schuldners statuieren, in der Wettbewerbssituation vor Eintritt der Insolvenz eine wichtige Funktion zukommen. Gegenstand der Meldepflicht ist jedoch regelmäßig nicht der Eintritt der Insolvenz selbst – der covenant wäre dann sinnlos121. Daher beinhalten derartige Verpflichtungen auch im Falle ihrer Befolgung nur eine bloße Verbesserung der Chance, am Rennen um die Verfahrenseröffnung partizipieren und so auf dessen Ausgang und damit die Art der Realisierung des international-insolvenzrechtlichen Risikos Einfluss nehmen zu können.

117

Optimistischer hingegen Armour, in: Prohibition of Abuse of Law. Vgl. auch die allgemeine Einschätzung zu Manipulationen von LoPucki, Courting Failure, S. 210: „When billions of dollars are at stake, there are no free riders“. 119 Auf diesen Punkt geht Armour, in: Prohibition of Abuse of Law nicht ein. 120 In die Nebenabreden wäre dafür eine entsprechende Formulierung aufzunehmen, z. B.: „The debtor considers [Ort bzw. Staat] his Centre of Main Interests (Art. 3 paragraph 1 European Insolvency Regulation)“. 121 Vgl. hierzu auch Bratton, EBOR 7 (2006), 39, 57. 118

B. Status quo und Effizienz

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d. Risikoantizipation und gesellschaftsrechtliche Strukturierungen (insb. Anteilsverpfändung in Doppelholdings) Seit der zweiten Hälfte des Jahres 2010 kommen, insbesondere bei der Finanzierung von Leveraged-Buy-out-Transaktionen („LBOs“) und bei Restrukturierungen von stark „gehebelten“, d.h. in erheblichem Maße fremdfinanzierten Unternehmen, doppelstöckige Holdingstrukturen zum Einsatz, um den aus dem europäischen Insolvenzrecht folgenden Gestaltungsmöglichkeiten und Unwägbarkeiten entgegenzutreten. Besonders in Fällen mit Bezug zu Frankreich und auch zu Deutschland wird hierfür auf eine Kreditsicherung durch Anteilsverpfändung durch luxemburgische Holdinggesellschaften zurückgegriffen, die der bestehenden Gruppenstruktur vor Beginn der jeweiligen Transaktion „vorgeschaltet“ werden. Für diese Konstruktion hat sich in Finanzkreisen die Bezeichnung „Double LuxCo“ durchgesetzt. Im Einzelnen wird wie folgt vorgegangen: Das zum Erwerb der operativen Zielgesellschaft („OpCo“) verwendete Erwerbsvehikel („BidCo“, in der Regel eine Kapitalgesellschaft, gegründet unter der Jurisdiktion der OpCo) ist eine hunderprozentige Tochtergesellschaft einer luxemburgischen Kapitalgesellschaft („HoldCo“, regelmäßig eine Societé Anonyme nach luxemburgischem Recht), deren Anteile wiederum sämtlich von einer weiteren luxemburgischen Kapitalgesellschaft („TopCo“) gehalten werden. Erst die Anteile an der TopCo (oder einer weiteren Holdinggesellschaft, „TopCo 2“122) werden dann von den Eigenkapitalgebern, den Investoren, gehalten. Die Anteile von HoldCo an BidCo und von TopCo an HoldCo werden sodann nach luxemburgischem Recht an die Kreditgeber verpfändet und das Aktienregister von HoldCo wird treuhänderisch in Luxemburg verwahrt. Es verpfändet also unter anderem eine luxemburgische Rechtsperson in Luxemburg und unter dem Recht Luxemburgs Anteile an einer weiteren luxemburgischen Gesellschaft. TopCo(s) und HoldCo gehen in der Regel keiner operativen Tätigkeit nach. Derartige Holdingstrukturen sind im Bereich von Leveraged Buy-outs nichts Neues, zumeist werden mit ihnen jedoch bislang andere als insolvenzrechtliche Zwecke verfolgt. Die steuerlichen Vorteile und die struktu122 Die equity sponsors sind häufig erst an einer weiteren Muttergesellschaft von TopCo unmittelbar beteiligt; dies dient dem Zweck, Verträge mit Banken auf der Ebene derjenigen Holdinggesellschaft zu vermeiden, bei der die Investoren investiert sind – Konflikte, die aus dem Spannungsverhältnis von Investorenvereinbarung und Kreditdokumentation entstehen, können so reduziert werden, und etwaige Rechte der Gesellschaft gegen die Investoren bestehen nicht auf der Ebene der Kreditschuldner, weswegen diese dem Zugriff der jeweiligen Gesellschaften (bzw. eines Insolvenzverwalters) entzogen sind.

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relle Subordination bestimmter Gläubigergruppen, die eine mehrstufige luxemburgische Konzernspitze erlauben, sind ein wichtiger Beweggrund. Doch um diese Ziele zu verfolgen, bedürfte es nicht der Zwischenschaltung zweier luxemburger Zwischenholdings. Dieser Konstruktion bedarf es zum einen, um sich der einfachen Vollstreckungsmethoden des luxemburgischen Rechts zu bedienen, das eine Pfandrechtsverwertung nicht nur im Wege eines freihändigen Verkaufs, sondern sogar durch eine appropriation, also eine Ergreifung des Eigentums bzw. der Inhaberschaft am verpfändeten Gegenstand bzw. Recht, ermöglicht123. Damit weist es gegenüber Jurisdiktionen, in denen wie in Deutschland eine Pfandrechtsverwertung grundsätzlich im Wege der öffentlichen Versteigerung zu erfolgen hat, aus Sicht der finanzierenden Banken wesentliche Vorteile auf. In der Finanzkrise 2008/2009 haben zahlreiche Geldgeber aus dem anglo-amerikanischen Raum feststellen müssen, welche Unsicherheiten und welcher prozessuale Aufwand (insb. im Sinne von echten Transaktionskosten) mit einer Sicherheitenverwertung in Deutschland verbunden sind, was die Nachfrage nach Double-LuxCos weiter vorangetrieben hat. Zum anderen weist die oben beschriebene Konstruktion der doppelstöckigen Holdingstruktur jedoch eine zusätzliche, speziell internationalinsolvenzrechtliche Stoßrichtung auf, die am besten mit Blick auf die ihrer Einführung vorausgegangenen Geschehnisse zu verstehen ist: In der Vergangenheit war es in einigen Fällen bei LBO- und syndizierten Projektfinanzierungen dazu gekommen, dass (auf Veranlassung der Gesellschafter) von der vollstreckungshindernden Wirkung der procedure de sauvegarde Gebrauch gemacht wurde, die auf die sicherungsgebenden Holdinggesellschaften ausgedehnt worden war124. Trotz entsprechender Verletzung von Auflagen der Kreditdokumentation war ein Zugriff der finanzierenden Parteien auf das schuldnerische Vermögen somit nicht möglich. Der entstehende Handlungsspielraum und der Vollstreckungsschutz konnten vom Schuldner zur Neuverhandlung oder Refinanzierung genutzt werden. Die für diese Methode in Bankenkreisen genutzte Bezeichnung „hostile safeguard“ lässt erkennen, wie diese Vorgehensweise von finanzierenden Parteien eingeordnet wird. Die luxemburgische Doppelholding mit Anteilsverpfändung soll nun folgende Wirkung haben: Die verpfändeten Gesellschaftsanteile sollen nach Maßgabe von Art. 5 EuInsVO von einem in einem anderen Staat (zu denken wäre hier in erster Linie an den Sitz von OpCo oder BidCo) eröffneten Insolvenzverfahren unberührt bleiben. Die Doppelholding dient die123

Art. 10 (1) Loi du 5 août 2005 sur les contrats de garantie financière. Zu den Möglichkeiten der frühen Antragstellung unter diesem Verfahren des französischen Rechts und einer Auswahl ergangener Entscheidungen vgl. nachfolgend, S. 283. 124

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sem Ziel in zweierlei Hinsicht. Die Vornahme der Sicherheitenbestellung durch zwei in einem anderen Staat als dem Staat der OpCo oder BidCo gegründeten und operierenden Gesellschaften führt mit Blick auf die Vermutung des Art. 3 Abs. 1 S. 2 EuInsVO dazu, dass für die Inanspruchnahme der internationalen Zuständigkeit in einem anderen Staat jedenfalls ein erhöhter Begründungsaufwand entsteht. Kommt es dennoch zur Verfahrenseröffnung in einem anderen Mitgliedstaat, so greifen die Rechtsfolgen des Art. 5 EuInsVO ein, der, wie bereits dargestellt wurde, nicht einen kollisions-, sondern einen sachrechtlichen Charakter aufweist. Das Pfandrecht bleibt von der Verfahrenseröffnung unberührt, seine Verwertung bestimmt sich dann grundsätzlich nach den Bestimmungen der lex rei sitae bzw. (in Fällen von Rechten ggf. der lex libri siti) in den Fällen der „Double LuxCo“ also dem luxemburgischen Loi du 5 août 2005 sur les contrats de garantie financière, das in Art. 20 (4) die Insolvenzfestigkeit der Verpfändung vorsieht. Der von dieser Konstruktion beabsichtigte Schutz besteht also nicht in nur in einer Verankerung des COMI, sondern in einer Sicherstellung der Vorhersehbarkeit des zur Anwendung kommenden Rechtsregimes mit Blick auf einen spezifischen Vorgang, der aufgrund der Anteilsverpfändung wirtschaftlich betrachtet das gesamte Schuldnervermögen erfassen kann. Darüber hinaus könnte eine Anteilsverpfändung auch auf andere Weise den Einfluss der begünstigten Gläubiger hinsichtlich der Einwirkungen auf die Inanspruchnahme auf das COMI erhöhen. In Staaten, in denen bei der Verpfändung von Gesellschaftsanteilen bei Eintritt der Verwertungsreife der Sicherungsnehmer die Stimmrechte aus den verpfändeten Gesellschaftsanteilen ausüben kann, können – soweit das jeweilige Gesellschaftsstatut eine unmittelbare Weisung durch Gesellschafter an die Geschäftsführer zulässt – Maßnahmen der Einflussnahme auf das COMI vorgenommen oder rückgängig gemacht werden. Die Reichweite der durch die Verpfändung in Verbindung mit der Doppelholding vermittelten Vorhersehbarkeit hinsichtlich des spezifisch international-insolvenzrechtlichen Risikos hängt allerdings in erheblichem Maße von der problematischen und durch viele ungelöste Fragen gekennzeichneten Beziehung zwischen Art. 5 einerseits und Art 4 Abs. 1, 17, 18 EuInsVO andererseits ab. In welchen Bahnen und nach Maßgabe welcher Bestimmungen der Verwalter des Hauptverfahrens auf die Vermögensgegenstände, an denen Sicherungsrechte im Sinne des Art. 5 EuInsVO bestehen, zugreifen kann, ist folglich noch nicht abschließen geklärt. Die zu diesem Fragenkreis bestehende Meinungsvielfalt125 soll hier nicht im Detail dargestellt werden. Es kann allerdings festgehalten werden, dass auch im Anwendungsbereich des Art. 4 EuInsVO liegende Sicherungsrechte 125

Einen Überblick vermittelt Huber, in: Geimer/Schütze, Art. 5 EuInsVO, Rn. 13 ff.

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nicht schlechterdings den Zugriff des Verwalters des Hauptverfahrens auf die Vermögensgegenstände verhindern, an denen das Sicherungsrecht i.S. des Art. 5 EuInsVO bestellt ist − jedenfalls solange es nicht im Belegenheitsstaat zur Eröffnung eines Sekundärinsolvenzverfahrens gekommen ist. Nicht abschließend geklärt ist insbesondere, nach dem Recht welchen Staates sich das Bestehen einer etwaigen eigenen Verwertungsberechtigung des Verwalters des Hauptverfahrens bestimmt126. Diese Frage wird jedoch entscheidend, wenn es zu einer Verfahrenseröffnung im Ausland über die das Sicherungsrecht stellende Gesellschaft kommt. Hier ist im Falle einer Verfahrenseröffnung jedenfalls mit einer faktischen Beeinträchtigung der Verwertungsmöglichkeit bis zur Klärung der entsprechenden Fragen zu rechnen. In Anbetracht der Unschärfe des COMI-Standards ist eine Verfahrenseröffnung im Ausland über Gesellschaften der Double LuxCo bereits ohne ein manipulatives Einwirken nicht ausgeschlossen. So ist es beispielsweise im Falle Dame Luxembourg SARL/Heart of La Défense SAS zu einer erfolgreichen Inanspruchnahme des COMI der verpfändenden luxemburgischen Gesellschaft in Paris gekommen127. Denkbar ist weiterhin, dass Schuldner, ggf. in Verwirkung eines default, unter der Kreditdokumentation in tatsächlicher Hinsicht auf das COMI einwirken; Schuldner, die bereit sind, sich vertragswidrig den Schutz der procedure de sauvegarde zu eigen zu machen, haben wohl auch wenig Hemmungen, Einfluss auf die das COMI beeinflussenden Tatsachen und seine Inanspruchnahme auszuüben. Unverändert besteht zudem die Einwirkungsbereitschaft anderer Gläubiger. Auch dies könnte Doppelholdingstrukturen anfälliger machen, als sie auf den ersten Blick wirken. Da die Sicherungsgeberin in den Doppelholdingstrukturen regelmäßig auch für die gesicherte Hauptforderung einsteht (im Wege eines Schuldbeitritts oder einer Garantie), fehlt es jedenfalls nach deren Fälligstellung nicht an der Voraussetzung einer materiellen Insolvenz, sodass ein Insolvenzverfahren nicht gänzlich ausgeschlossen werden kann und sich die Zuständigkeitsproblematik nicht schon aus diesem Grund vermeiden lassen wird. Der durch gesellschaftsrechtliche Einwirkungsmöglichkeiten gewonnene Einfluss des Gläubigers auf COMI-bezogenes Handeln des Schuldners dürfte vielfach, obwohl möglich, nur mit größter Zurückhaltung wahrge126

Vgl. Huber, in: Geimer/Schütze, Art. 5 EuInsVO, Rn. 19 ff. Tribunal de Commerce de Paris, 03.11.2008, RG n° 2008077996 (Dame Luxembourg); Tribunal de Commerce de Paris, 03.11.2008, RG n° 2008077997 (SAS Heart of La Défense). Diese Entscheidung wurde später vom Cour d’Appel de Paris, 25.02.2010, RG n° 09/22756 (Heart of La Défense) wieder aufgehoben, allerdings nicht wegen fehlender internationaler Zuständigkeit nach dem COMI-Standard, sondern weil es nach Auffassung des Gerichts an den Voraussetzungen der procedure de sauvegarde fehlte. 127

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nommen werden. Eine mögliche Subordinierung des Darlehens als Gesellschafterdarlehen und die Furcht vor einer Geltendmachung von Ansprüchen durch andere Gläubiger dürften (und haben) Gläubiger vor solchen Maßnahmen zurückschrecken lassen.128 Es bleibt daher festzuhalten, dass die Sicherheitenbestellung innerhalb der Doppelholding in bestimmten Situationen zu einer Verbesserung der Vorhersehbarkeit des spezifischen Risikos einer internationalen Insolvenz wie auch – durch Wahl eines im Staat der Bestellung und Belegenheit des Sicherungsgutes insolvenzfesten Sicherungsmittels – des insolvenzrechtlichen Risikos führen kann. Jedoch sind dieser Vorgehensweise nicht nur in rechtlicher, sondern auch in tatsächlicher Hinsicht Grenzen gesetzt. Sie steht nur bestimmten vertraglichen Gläubigern zur Verfügung, die eine entsprechende Verhandlungsmacht gegenüber dem Kreditnehmer haben und erfolgreich auf die Implementierung einer Doppelholdingstruktur drängen können. Dies ist nicht immer der Fall. Insbesondere die angesprochene Möglichkeit einer Pfandverwertung durch bloße appropriation unter luxemburgischem Recht wecken aufseiten des Sicherungsgebers Befürchtungen vor einer unter Wert erfolgenden Verwertung des Sicherungsrechts und resultieren folglich in Widerständen. Neben einer entsprechenden Verhandlungsmacht wird die jeweilige Transaktion auch eine gewisse Größe aufweisen müssen, in Anbetracht derer die entstehenden zusätzlichen Transaktionskosten sich lohnen: Errichten und Betreiben der luxemburgischen Holdinggesellschaften, insbesondere in der vergleichweise unterhalts- und damit kostenintensiven Rechtsform der Societé Anonyme, derer es zwecks verwahrbaren Aktienregisters bedarf, sind nur bei großen Transaktions- oder Infrastrukturfinanzierungen vernachlässigbar. Darüber hinaus versteht es sich von selbst, dass die Funktionsweise der Doppelholding verschiedene Voraussetzungen hat, die nicht in jedem Mitgliedstaat erfüllt sind. Die Übertragbarkeit der Konstruktion auf andere Staaten als Luxemburg ist daher nur in Grenzen möglich. Ein weiterer Nachteil besteht darin, dass die Doppelholdingstruktur regelmäßig die Begebung nachrangiger Schuldverschreibungen erschwert129. Ohne weitere Erklärung versteht es sich zudem, dass am Schutz durch ge-

128 Dem Verfasser sind Fälle bekannt, in denen Gläubigerkonsortien trotz entsprechender Befürchtungen und trotz der Befürchtung, auf die Eröffnungszuständigkeit könnte in nachhaltige Weise Einfluss genommen werden, auf die durch die Verpfändung der Anteile vermittelten Einflussmöglichkeiten nicht zurückgegriffen haben. 129 Allerdings sind Fälle bekannt, in denen eine High-Yield-Anleihe unter einer Double-LuxCo-Struktur begeben worden, vgl. dazu IFLR, 27.10.2010 zum Erwerb von Picard durch Lions Capital, abzurufen im Internet unter .

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sellschaftsrechtliche Gestaltungen andere als diejenigen Gläubiger, auf welche die Gestaltung zurückgeht, nicht notwendig profitieren. e. Risikoantizipation und Sekundärverfahren In der Rechtspraxis wird einer Forumswahl bezüglich des Hauptverfahrens vielfach mit der Beantragung von Sekundärverfahren begegnet. Dies wirft die Frage auf, ob das Sekundärverfahren zu einer Vereinfachung der Risikoantizipation für lokale Gläubiger führt. Der Bericht von Virgós/Schmit zum EuInsÜ legt eine solche Funktion nahe130, und auch andere Literaturstimmen sehen einen Vorteil territorialer Verfahren in einer Vertrauensschutzwirkung hinsichtlich des zur Anwendung kommenden Rechts131, wenngleich sie auf die Möglichkeit eines Vermögenstransfers hinweisen132. Die Vorhersehbarkeit wird durch die Möglichekeit von Sekundärverfahren nicht notwendig besser: Auch die gesetzlichen Voraussetzungen des Niederlassungsbegriffs begründen in den Händen des Schuldners ein erhebliches Manipulationspotenzial. An den Voraussetzungen einer Niederlassung nach Art. 2 lit. h) EuInsVO kann es nämlich, wie dargelegt, vielfach bereits bei Einstellung operativer Geschäftstätigkeit fehlen. Auch kann es sein, dass eine Kapitalüberlassung in Staaten erfolgt, in denen eine Niederlassung zu keinem Zeitpunkt bestand. Daraus folgt, dass die bloße Möglichkeit von Sekundärverfahren ungeachtet möglicher Manipulationen der Voraussetzungen von Haupt- und Sekundärverfahren jedenfalls kein allgemeines Vertrauen „lokaler“ Gläubiger darin berechtigt, dass in dem Staat der Kreditüberlassung später in jedem Fall zumindest ein Insolvenzverfahren durchgeführt wird. Aufgrund der unterschiedlichen konstitutiven Elemente des COMI- und des Niederlassungskriteriums133 kann sich der Schuldner häufig auch nicht von der Vorstellung leiten lassen, dass an dem Ort, der sich zum Zeitpunkt der Kapitalüberlassung als Interessenmittelpunkt darstellt, später wenigstens ein Sekundärverfahren wird stattfinden können. Dies gilt für erfolgreiches forum shopping, ungeachtet der Frage, ob es in Form der Zuständigkeitserschließung durch Einwirkung auf die relevanten Tatsachen oder in Form der unberechtigten Inanspruchnahme der Eröffnungskompetenz stattgefunden hat. Die territorialen Durchbrechungen des Hauptverfahrens 130

Virgós/Schmit, Bericht, Nr. 32: „Die Gläubiger [...] können [...] sicher sein, dass sie rechtlich genauso wie bei einem inländischen Verfahren gestellt sind“. 131 Vgl. Weller, ZHR 169 (2005), 570, 575, 585 f. 132 Nach Köndgen, 18 Jahrbuch für Neue Politische Ökonomie, 52, 68 (1999) dürfen unter einem strikten Territorialitätsprinzip „die Gläubiger auf die Anwendbarkeit des ihnen bekannten Rechts vertrauen“. 133 Vgl. oben, S. 224 ff.

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durch Sekundärinsolvenzen können das durch die Rechtswahlfreiheit entstehende Vorhersehbarkeitsdefizit hinsichtlich des Hauptverfahrens häufig nicht kompensieren. Durch die Möglichkeit des Sekundärverfahrens wird daher – ungeachtet der weiteren Frage nach der vom Sekundärverfahren betroffenen Haftungsmasse – keineswegs ein Mindeststandard an Vorhersehbarkeit etabliert. Ausnahmen bestehen in Konstellationen, in denen beispielsweise bei laufendem Geschäftsbetrieb in einem Staat die Voraussetzungen des COMI in einen anderen transferiert oder dort jedenfalls erfolgreich in Anspruch genommen werden. Eine starke Präsenz physischer Positionen kann die aus der Instabilität des COMI folgenden Defizite dann in den durch das Verhältnis von Sekundär- und Hauptverfahren vorgegebenen Grenzen auffangen134. 134 Damit sind auch Erkenntnisse zur Frage der Ausschöpfung der unter dem mit der EuInsVO gewählten System eines Universalismus mit territorialen Druchbrechungen in Form von Partikular- und Sekundärverfahren gewonnen. Die Frage nach der Verfahrenseffizienz beherrscht die Auseinandersetzung zwischen den zwei großen Schulen des internationalen Insolvenzrechts, den wohl in der Minderheit befindlichen Territorialisten auf der einen Seite und den Universalisten auf der anderen (beispielhaft sei auf die Diskussion zwischen Guzman, 98 Michigan Law Review, 2177, 2206 f. [2000] und LoPucki, 84 Cornell Law Review, 696, 720 f. [1998/1999] verwiesen). Dabei geht es auch um die mit dem System einhergehende Möglichkeit einer Risikoantizipation durch die Gläubiger. Für die universalistische Ausgestaltung internationalen Insolvenzrechts wird unter anderem vorgebracht, territorialistische Systeme führten für alle diejenigen Gläubiger, die zumindest partiell eine Anpassung der Kreditbedingungen vornehmen, zu einem erhöhten Informationsbedarf (Guzman, 98 Michigan Law Review, 2177, 2199 f. [2000]). Darüber hinaus sei auch die einzelne Information nur mit einem, gemessen an universalistischen Systemen, höherem Aufwand zu erlangen, weil stets die Frage zu beantworten sei, wie sich das Schuldnervermögen auf die verschiedenen Staaten verteile und wie es dort, unter Berücksichtigung der dort bestehenden Gläubiger, in der Insolvenz behandelt werde. Insgesamt ziehe ein universalistisches System also sehr viel niedrigere Informationskosten nach sich (Guzman, 98 Michigan Law Review, 2177, 2199 f. [2000]), welche die Verfahrensbeteiligten etwa durch eine regionale Fokussierung ihres Geschäfts überdies noch weiter senken könnten. Die Diskussion um die Regelungen der EuInsVO zeigt, dass sich der Streit um die systemspezifischen Möglichkeiten einer Risikobemessung ex ante als Auseinandersetzung um die zugrunde gelegten Annahmen erweist. Die These, ein universalistisches System sei einem territorialistischen in puncto Informationskosten überlegen, steht und fällt naturgemäß mit der durch das jeweilige Anknüpfungskriterium vermittelten Möglichkeit der Risikobemessung (Franken, 11 European Law Journal, 233, 236 [2005]. Vgl. auch Guzman, 98 Michigan Law Review, 2177, 2206 f. [2000] sowie LoPucki, 84 Cornell Law Review, 696, 720 f. [1998/1999]). Angesichts der nur beschränkten Risiko-Vorhersagbarkeit nach dem COMI-Kriterium des europäischen internationalen Insolvenzrechts kann daher für die EuInsVO festgestellt werden, dass sie auch die (relativen) Effizienzvorteile, die mit der im Ansatz universalistischen Ausgestaltung des Systems verbunden sind und deren Nutzung auch mit der Gestaltung der EuInsVO in Form des Parallelmodells aus universalistischen Haupt- sowie territorial beschränkten Sekundärverfahren beabsichtigt war, ungenutzt bleiben. Im Gegenteil: Die Vielzahl der zur näheren Konkre-

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f. Zusammenfassung im Spiegel erster empirischer Daten Die faktische Rechtswahlfreiheit unter der EuInsVO erschwert die Vorhersagbarkeit international-insolvenzrechtlicher Risiken im Zeitpunkt der Kreditüberlassung, da die Zuständigkeitsregelungen der Verordnung als solche unscharf sind und ihre Inanspruchnahme sowie der zuständigkeitsrelevante Sachverhalt bis unmittelbar vor der ersten Verfahrenseröffnung einer Einflussnahme durch die Verfahrensbeteiligten zugänglich sind. Dies lässt eine Erhöhung der Kreditkosten und risikoinadäquate Kreditbedingungen erwarten, die ihrerseits unerwünschte Investitionsanreize entstehen lassen. Aus der schlechten Vorhersehbarkeit resultiert zudem, dass die Gewährung frischen Kapitals an Schuldner, deren Insolvenz droht, gefährdet wird. Wie gezeigt werden konnte, sind die beschriebenen Ineffizienzen nicht allein auf Ausgestaltung des Status quo als modifiziert universalistisches System, sondern vor allem auf die Besonderheiten der Zuständigkeitsvorschriften zurückzuführen. Empirische Daten scheinen diese Befunde zu bestätigen. In einer ökonometrischen Untersuchung über die Kreditkosten international tätiger oder verflochtener Unternehmen aus Frankreich, Spanien, Italien, Deutschland und Großbritannien konnte Sussman bei deutschen, spanischen und britischen Unternehmen, die EU-Ausländern gehören oder Tochtergesellschaften besitzen, für den Zeitraum seit Inkrafttreten der EuInsVO bis einschließlich 2003 ein signifikantes Sinken der Fremdkapitalquote feststellen135. Diese als Indikator für die Kosten der Kreditaufnahme herangezogene Größe sank in den genannten Staaten um 15 % auf 40 %. In Frankreich und Italien ließ sich hingegen nur ein nicht signifikanter Rückgang des Eigenkapitalanteils verzeichnen136. Insgesamt deutet dies auf gestiegene Kreditkosten seit Inkrafttreten der EuInsVO hin.

tisierung des COMI mittlerweile in Lehre und Rechtsprechung bemühten Anknüpfungsmomente führen zu einem Informationsaufwand, der demjenigen des reinen Territorialismus – einer Anknüpfung an die bloße Vermögensbelegenheit – zumindest entsprechen dürfte. Auch bezüglich manipulativer Einflussmöglichkeiten weist die Zuständigkeit für Hauptverfahren nach der EuInsVO jedenfalls dasjenige Maß an Empfindlichkeit auf, das Befürworter eines universalistischen Systems dem Territorialismus zuweisen. Während bei striktem Territorialismus zumindest eine tatsächliche Sachverhaltsänderung stattzufinden hat, um die Reichweite des zur Anwendung kommenden Rechts zu beeinflussen, kann sich die Inanspruchnahme einer Eröffnungszuständigkeit unter dem Status quo im Einzelfall mit geringerem Aufwand vollziehen. Die Untersuchung des Status quo der Regelungen und deren Praxis zeigt also, dass die EuInsVO die mit einer (wenn auch nicht strikt) universalistischen Ausgestaltung des Systems verbundenen Effizienzvorteile nicht ausschöpft. 135 Sussman, in: Financial Markets and Institutions, S. 239, 255 ff. 136 Sussman, in: Financial Markets and Institutions, S. 239, 260.

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Diese Daten sind zwar aufgrund der Kürze des Erhebungszeitraums, der Schwierigkeit der Kreditkostenermittlung unter strenger Wahrung der Vergleichbarkeit sowie möglicherweise unberücksichtigter äußerer Faktoren137 bei Untersuchung und Auswahl der Stichprobe138 mit Vorsicht zu würdigen. Sie zeigen jedoch, dass eine Vergünstigung der Kreditbedingungen infolge der mit der EuInsVO bezweckten Vergrößerung der Transparenz der spezifisch international-insolvenzrechtlichen Risiken, nach allem, was erkennbar ist, nicht erreicht wurde. 2. Verfahrenseffizienz im engeren Sinne (Maximierung des haftenden Schuldnervermögens und Verfahrensvereinfachung) Neben den Wirkungen des internationalen Insolvenzrechts, die im Vorfeld des Insolvenzverfahrens eintreten, ist unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten von Interesse, welche Auswirkungen die faktische Rechtswahlfreiheit unter der EuInsVO auf die Effizienz des Verfahrens als solche hat139. Maßgeblicher Prüfstein ist dabei die Frage, inwieweit die Rechtswahlfreiheit zu einer Maximierung des haftenden Schuldnervermögens, dem zentralen Verfahrensziel des Insolvenzrechts140, beiträgt. Der als Zielgröße unter Effizienzgesichtspunkten in der Literatur hervorgehobene Aspekt der Vereinfachung des Insolvenzverfahrens im Sinne einer Reduzierung der Kosten ist bei Lichte besehen lediglich ein vom Ziel der Haftungsmaximierung abzuleitendes Unterziel. Die Senkung der unmittelbaren Verfahrenskosten (beispielsweise der Vergütung für den Insolvenzverwalter) ist erst dann von zentraler Bedeutung, wenn eine weitere Optimierung der Vermögensverwertung nicht zu erreichen ist. Als unmittelbar mit dem anwendbaren Insolvenzrecht in Verbindung stehende Faktoren sollen die so verstandene Verfahrensvereinbarung und Zielgröße der Haftungsmaximierung 137 Eidenmüller, ZGR 2006, 467, 479 weist in diesem Zusammenhang auf die Bedeutung einer möglichen Vorwirkung der Mindestkapitalausstattungsregeln nach „Basel II“ hin, die ebenfalls zu einer Verteuerung der Kreditaufnahme geführt haben könnte. 138 Als problematisch ist in diesem Zusammenhang vor allem anzusehen, dass bei der Bildung der Vergleichsgruppen auf die Beteiligung von und an Unternehmen im EUAusland abgestellt wurde (vgl. Sussman, in: Financial Markets and Institutions, 239 ff.). Jedoch ist die Verschlechterung der Vorhersehbarkeit der international-insolvenzrechtlichen Risiken gerade auch für solche Schuldner bedeutsam, deren COMI nicht aus Gründen, die sich mit dieser auf die Beteiligungsverhältnisse reduzierten Betrachtung abbilden lassen, in mehreren Staaten liegen könnte oder sich zumindest dahin verschieben ließe. Auf die Bedeutung der Vorhersehbarkeit auch für zum Zeitpunkt der Kreditvergabe noch nicht international tätige Unternehmen wurde bereits oben hingewiesen. 139 Zu dieser Trennung zwischen Kosten der Unvorhersehbarkeit des anwendbaren Rechts und Kosten des Insolvenzprozesses selbst vgl. Westbrook, 65 American Bankruptcy Law Journal, 457, 460 (1991). 140 Allgemein zum Verfahrensziel der Maximierung des haftenden Schuldnervermögens vgl. Eidenmüller, Unternehmenssanierung, S. 17 ff.

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folglich zusammen untersucht werden. Möglicherweise sind unter diesem Blickwinkel auf die Auswirkungen einer Rechtswahl Effizienzgewinne zu konstatieren141. Im folgenden Abschnitt soll zunächst aufgezeigt werden, welche Möglichkeiten zur Maximierung des haftenden Schuldnervermögens und zur Verfahrensvereinfachung aufgrund der faktischen Rechtswahlfreiheit unter der EuInsVO denkbar sind. In einem weiteren Schritt wird untersucht, inwieweit sich das mit der Verordnung verbundene Potenzial einer effizienten Verfahrensgestaltung auch praktisch ausschöpfen lässt. Dabei wird vor allem auf die oben beschriebenen Handlungsanreize der Verfahrensbeteiligten einzugehen sein. a. Denkbare Effizienzvorteile durch Rechtswahl bei Insolvenzverfahren unter der EuInsVO im Allgemeinen (1) Auswahl eines effizienten Verfahrensrechts Obwohl sich die Insolvenzverfahren innerhalb der Gemeinschaft strukturell und auch mit Blick auf die Einzelregelungen ähneln, bestehen in concreto doch ganz erhebliche Unterschiede. Diese Differenzen hinsichtlich der Ausgestaltung der Verfahren und ihrer praktischen Handhabung führen zu unterschiedlichen Verfahrenskosten. Es kann daher davon ausgegangen werden, dass sich die mitgliedstaatlichen Insolvenzrechte hinsichtlich ihrer Fähigkeit, das zur Befriedigung der Gläubiger dienende Schuldnervermögen zu maximieren, erheblich unterscheiden. Die einzelnen Gründe hierfür sind vielfältig. Sie können in der unterschiedlichen rechtlichen Grundkonzeption des Verfahrens begründet sein. So unterscheiden sich die Insolvenzrechte etwa in der Frage, ob das Verfahren auch dann, wenn der zu erwartende Fortführungswert den Liquidationswert übersteigt, zwangsläufig die Liquidation des schuldnerischen Unternehmens vorsieht. Aber auch die tatsächliche Abwicklung und Dauer142 des Verfahrens und die Höhe der Gebühren und Honorare, die dem Verwalter und Beratern zugebilligt werden, kommen als Ursache für Effizienzunterschiede in Betracht. Beispielsweise scheint die Chance, dass es zu einer aus Gläubigersicht erfolgreichen und damit im Sinne der Verfahrenseffizienz erfolgenden Unternehmenssanierung kommt, in erheblichem Maße von dem durch das 141

Dabei kommt es letztlich nicht ausschließlich darauf an, welche Quote im technischen Sinne realisiert werden kann. Denn dem Ziel der Gläubigerbefriedigung kann auch dadurch entsprochen werden, dass ein Insolvenzrecht Sicherungsmittel zur Verfügung stellt, mit deren Hilfe sich eine weitestgehende Befriedigung außerhalb des eigentlichen Verfahrens erzielen lässt. Dieser Gesichtspunkt wird im Folgenden jedoch nicht gesondert untersucht. 142 Zur Minimierung der Verfahrensdauer unten, S. 323 ff.

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Verfahrensrecht vermittelten Gläubigereinfluss abzuhängen143. Darüber hinaus können verschiedene Verfahrensrechte ganz unterschiedliche Vermögensgegenstände als insolvenzfest behandeln und sie so zu einem außerhalb insolvenzrechtlicher Distributionsmechanismen zu verteilenden Teil des Haftungssubstrats machen. Die Insolvenzfestigkeit von Sicherheiten spielt für die Frage der Gläubigerbefriedigung eine große Rolle; Studien legen nahe, dass die im Verfahren zu erzielende Befriedigung einzelner Gläubiger – nicht zu verwechseln mit der Insolvenzquote im technischen Sinne – in hohem Maße auch von der Behandlung von Sicherungsmitteln in der Insolvenz und dem Einfluss der Gläubiger auf das Insolvenzverfahren abhängt144. Schließlich können sich erhebliche Unterschiede bezüglich der Erlöse auch aus dem Verwertungsmodus ergeben, den das jeweilige autonome Insolvenzrecht anordnet. Dass es einen erheblichen Unterschied machen kann, ob eine Verwertung im Rahmen der Geldliquidation im Wege öffentlich-rechtlicher Institute durch das Insolvenzgericht oder aber durch Nutzung privatrechtlicher (Markt-)Mechanismen erfolgt, ist naheliegend. Auch diese Divergenz scheint sich anhand empirischer Daten zu bestätigen145. (2) Einflussnahme auf den Zeitpunkt der Verfahrenseröffnung Unter dem Gesichtspunkt der Maximierung des haftenden Schuldnervermögens ist ferner von Interesse, welche Auswirkungen die durch die EuInsVO vermittelten Gestaltungsmöglichkeiten auf die Verfahrenseröffnung haben können. Anders als für die Antragspflichten steht für die Auslösekriterien der materiellen Insolvenz außer Zweifel, dass sie der lex fori concursus zugehörig sind146. Die faktische Rechtswahlfreiheit ermöglicht es damit, auch auf die Frage Einfluss zu nehmen, ob die Voraussetzungen zur Durchführung einer Insolvenz überhaupt schon gegeben sind. Damit lässt sich der Zeitpunkt, zu dem es zu einer Insolvenz kommt, verglichen mit der Situation, dass keine Einwirkung stattfindet, verschieben. Zwar ist es nicht Aufgabe des Insolvenzrechts, durch eine möglichst frühe Verfahrenseröffnung dafür zu sorgen, dass stets eine große Haftungsmasse generiert und eine Massearmut somit schlechterdings vermieden wird147. Aus143

Vgl. Davydenko/Franks, 63 The Journal of Finance (2006), 565, 592. Vgl. Davydenko/Franks, 63 The Journal of Finance (2006) sowie Blazy/Petey/ Weill, Can Bankruptcy Codes Create Value? (2009 passim). 145 Davydenko/Franks, 63 The Journal of Finance (2006), 565, 592, 602 sehen hierin einen Grund für die vergleichsweise geringeren Befriedigungsquoten unter dem französischen Insolvenzrechtsregime. 146 Vgl. Art. 4 Abs. 2 EuInsVO. 147 So schon R. H. Schmidt, ZfB 1984, 717, 723. 144

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gehend von einem festgelegten Eröffnungskriterium, mit dessen Implementierung der jeweilige Gesetzgeber zum Ausdruck bringt, dass er die Überleitung der Einzelrechtsbeziehungen in ein Kollektivverfahren für geeignet erachtet, muss jedoch unter Effizienzgesichtspunkten wie dargelegt eine Maximierung des haftenden Schuldnervermögens angestrebt werden. Zu dem juristisch und vor allem wirtschaftswissenschaftlich lebhaft diskutierten schwierigen Problem des optimalen Insolvenzauslösungskriteriums148 Stellung zu nehmen ist nicht Ziel dieser Untersuchung. Es ist indes zu konstatieren, dass bei Vorliegen eines materiellen Insolvenzgrundes, etwa der Zahlungsunfähigkeit oder der Überschuldung nach autonomem deutschem Recht, die Reorganisationsmöglichkeiten vielfach schon erheblich beschränkt sind, da dem Unternehmen durch vorhergehende Rechtsverfolgungsmaßnahmen schon wichtige Vermögensteile entzogen worden sind oder für eine erfolgreiche Fortführung des Unternehmens wichtige Mitarbeiter abgewandert sind149. In diesen Fällen könnten die Rechtswahlmöglichkeiten durch den Schuldner – und, soweit möglich, auch durch die Gläubiger – dazu genutzt werden, durch Eröffnung eines Reorganisationsverfahrens eine Sanierung oder aber eine Verwertung des Unternehmens schon zu einem frühen Zeitpunkt auf den Weg zu bringen und so ein für die Gläubiger optimales Resultat zu erzielen. Besonders bedeutsam ist mit Blick auf das deutsche Recht, dass andere europäische Verfahrensordnungen ein Antragsrecht schon bei Bestehen wirtschaftlicher Schwierigkeiten vorsehen. An erster Stelle wäre insoweit wohl das company voluntary arrangement nach englischem Recht zu nennen150. Auch das neue französische Insolvenzrecht kennt neben verschiedenen Verfahrenstypen, die bereits im Vorfeld einer Insolvenz stattfinden können und nicht im Anwendungsbereich der Verordnung liegen151, ein präventives Verfahren, das in Anhang A zur EuInsVO aufgenommen werden soll152. Die Eröffnungsvorausset148 Vgl. hierzu Jackson, The Logic and Limits of Bankruptcy Law, S. 193 ff. Aus dem deutschsprachigen Schrifttum zur Behandlung der Problematik unter ökonomischen Gesichtspunkten siehe Drukarczyk, ZfB 1981, 235 ff., Franke, ZfB 1984, 692 ff., Hommelhoff, ZfB 1984, 698 ff. sowie Eidenmüller, EBOR 7 (2006), 239 ff. 149 Vgl. Eidenmüller, Unternehmenssanierung, S. 689 f.; Uhlenbruck/Uhlenbruck, InsO, § 18, Rn. 2 (jeweils zur Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung). Ein ähnlicher Befund hat auch den französischen Gesetzgeber dazu bewogen, die Eröffnungsgründe weitgehend zu modifizieren, da 90 % der Insolvenzverfahren mit dem Untergang des schuldnerischen Unternehmens endeten. Siehe dazu Klein, RIW 2006, 13 f. 150 Vgl. hierzu Piekenbrock, ZVglRWiss 108 (2009), 242, 259 ff. sowie Rumberg, RIW 2010, 358 ff. 151 Zu den französischen Verfahren, die bereits bei Vorliegen wirtschaftlicher Schwierigkeiten durchgeführt werden können, siehe z. B. Dammann, ZIP 1996, 300, 301 sowie zum neuen französischen Recht ders., RIW 2006, 16. 152 Dammann, RIW 2006, 16.

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zungen dieser procédure de sauvegarde könnten, verglichen etwa mit der Regelung des § 18 Abs. 2 InsO, eine verfrühte Verfahrenseröffnung ermöglichen153. Zumindest bezweckt die Novellierung des französischen Rechts gerade die Ermöglichung einer sehr frühen Verfahrenseröffnung, um eine größtmögliche Rettungschance für Unternehmen und Arbeitsplätze zu wahren154. Eine Reihe spektakulärer Entscheidungen hat in den vergangenen Jahren zunächst auf eine besonders schuldnerfreundliche Handhabung dieses Verfahrens hingedeutet155, zuletzt wurde der aus dem Gesetzeswortlaut bestehende, sehr weite Spielraum allerdings in den Entscheidungen Heart of La Défense156 und Mansford157 insoweit eingeschränkt, als es für reine Holdinggesellschaften, deren Tätigkeit allein in der Besicherung von Verbindlichkeiten der Tochtergesellschaften liegt, schwerer sein dürfte, den Schutz der procédure de sauvegarde in Anspruch zu nehmen, und bei Holdinggesellschaften, die auch einer operativen Tätigkeit nachgehen, die zur Inanspruchnahme der procédure de sauvegarde geltend gemachten Schwierigkeiten in einer Beziehung zu dieser operativen Tätigkeit stehen müssen. Welche Bedeutung die procédure de sauvegarde als strategisches Mittel in LBO-Konstellationen und Projektfinanzierungen zukünftig haben wird, bleibt abzuwarten. Auch nach den genannten Einschränkungen wird eine Inanspruchnahme allerdings in vielen Fällen früher als beispielsweise unter deutschem Recht erfolgen können. Aber auch das belgische Recht kennt mit dem Gerechtlijk Akkoord ein Verfahren, das auf Antrag des Schuldners auch ohne das Vorliegen einer materiellen Insolvenz stattfinden kann und ausweislich seiner Aufführung in Anhang A im Anwendungsbereich der EuInsVO liegt158. In Schweden und Österreich sind ebenfalls Verfahren bekannt, die bei Eigenantrag auf das Erfordernis eines materiellen Eröffnungsgrundes verzichten159. Weiter153 Voraussetzungen sind „difficultés, qu’il n’est pas en mesure de surmonter, de nature à le à la cessation des paiements“, Art. L. 620-1 Abs. 1 Code de commerce. Dammann, RIW 2006, 16, 19 (dort Fn. 29) hält diesen Eröffnungstatbestand indes für mit Art. 18 Abs. 2 InsO vergleichbar. Vgl. zu diesem Verfahren auch Westpfahl, ZGR 2010, 385, 410 ff. 154 Klein, RIW 2006, 13, 14. 155 Tribunal de Commerce de Beaune, 16.07.2008, RG n° 2008001585 (Belvédère); Tribunal de Commerce de Paris, 11.03.2009, RG n° 2009014452 (Hélios); Tribunal de Commerce de Paris, 03.11.2008, RG n° 2008077996 (Dame Luxembourg) sowie Tribunal de Commerce de Paris, 03.11.2008 RG n° 2008077997 (SAS Heart of La Defense). 156 Cour d’Appel de Paris, 25.02.2010, RG n° 09/22756 (Heart of La Defense). 157 Cour d’Appel de Paris, 25.02.2010, RG n° 09/17248, (SARL Mansford France Fund 1). 158 Gerechtlijk Akkoord nach Art. 9 § 1 Abs. 1 des Gesetzes vom 17.07.1997 über Vergleichsverfahren; vgl. dazu auch Demeyere/Everaert, KTS 1999, 165, 169 f. 159 Schlosser, in: Insolvenzrecht im Umbruch, S. 9, 13; Uhlenbruck/Uhlenbruck, InsO, § 16, Rn. 2.

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hin kennen auch die Niederlande, Italien160 und Griechenland entsprechende Verfahrenstypen 161. Das deutsche Recht ist hingegen von der Vorstellung bestimmt, erst die Voraussetzungen einer materiellen Insolvenz unter den in der InsO bestimmten Voraussetzungen rechtfertigten die mit der Durchführung des Verfahrens verbundenen Eingriffe in Schuldner- und Gläubigerrechte162. Wenngleich mit dem Eröffnungsgrund der drohenden Zahlungsunfähigkeit (§ 18 Abs. 2 InsO) ein Insolvenztatbestand besteht, der bei Antrag des Schuldners eine recht frühe Verfahrenseröffnung ermöglicht, und schon diese Möglichkeiten infolge eines weiterbestehenden Defizits praktischer Nutzung bislang nur unzureichend ausgeschöpft werden163, so sind dennoch Fälle vorstellbar, in denen die Inanspruchnahme eines noch früher eingreifenden Insolvenzauslösers der Verfahrenseffizienz dienlich sein kann, auch wenn mit ihm per se noch keine Aussage zu dem für die Verfahrensökonomie mindestens ebenso wichtigen Wie der Haftungsverwirklichung verbunden ist164. Unklar ist, ob die Gestaltungsmöglichkeiten unter der EuInsVO so weit reichen, dass sie auch die Inanspruchnahme von sog. Insolvenzverhütungsverfahren165 ermöglichen, die eine materielle Insolvenz nicht voraussetzen. Dies ist letztlich eine Frage des sachlichen Anwendungsbereichs der Verordnung. Art. 1 Abs. 1 EuInsVO setzt eine Insolvenz für die Eröffnung des sachlichen Anwendungsbereichs voraus. Daraus wird abgeleitet, dass solche Verfahren nicht erfasst seien, die einer möglichen Insolvenz bloß vorgeschaltet sind166. Allerdings wird eine materielle Insolvenz in bestimmten mitgliedstaatlichen Rechtsordungen gar nicht geprüft oder aber – wie in der Slowakischen Republik167 – bei Stellung des Eröffnungsantrags durch den Schuldner ohne Weiteres vorausgesetzt. Es ist nicht anzunehmen, dass sich diese Verfahren an einem autonom-europäischen Begriff einer materiellen Insolvenz messen lassen müssten. Anderenfalls müsste ihre Einbe160

Arlt, ZInsO 2009, 1081, 1085. Vgl. die Nachweise bei Paulus, NZI 2008, 1, 4. Allgemein zu den vorinsolvenzlichen Sanierungsverfahren vgl. Jacoby, ZGR 2010, 259 f. 162 Uhlenbruck/Uhlenbruck, InsO, § 16, Rn. 2; Smid, Grundzüge des Insolvenzrechts, § 3, Rn. 2; Drukarczyk/Schüler, in: Kölner Schrift zur InsO, Rn. 1 ff. 163 Vgl. nur das Resümee von Haarmeyer, FAZ vom 02.11.2005, S. 27, der rückblickend auf die Erfahrungen seit der Insolvenzrechtsreform ein Vollzugsdefizit infolge fehlender „Insolvenzkultur“ konstatiert. Zum Problem der fehlenden Eröffnungsanreize siehe Jaeger/Müller, InsO, § 18, Rn. 25. 164 Uhlenbruck/Uhlenbruck, InsO, § 18, Rn. 2; Burger, DB 1992, 2149. 165 Zu diesem Begriff und den Gründen, die eine Einführung eines solchen Verfahrens in Deutschland verhinderten, siehe Uhlenbruck/Uhlenbruck, InsO, § 18, Rn. 1. 166 Huber in: Geimer/Schütze, Art. 1 EuInsVO, Rn. 4 m.w.N.; Lüke, ZZP 111 (1998), S. 275, 284. 167 MünchKomm InsO/Giese/Krüger, Länderberichte, Slowakei, Rn. 10. 161

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ziehung in den Anwendungsbereich im Einzelfall ermittelt werden, was umfangreiche Einzelfragen aufwerfen würde168. Es sprechen daher gute Gründe dafür, alle als Insolvenzverfahren konzipierten Verfahren in Anhang A der EuInsVO auch dann als im Anwendungsbereich liegend zu betrachten, wenn ihre Eröffnungsvoraussetzungen eine materielle Insolvenz nicht oder ungeprüft voraussetzen. Etwas anderes gilt für solche Verfahren wie das winding-up nach englischem und irischem Recht, die eine Insolvenzbezogenheit nicht notwendig aufweisen, da sie ihrem Zweck nach auch vollkommen unabhängig von einer Insolvenz durchgeführt werden können169. Nach dieser Abgrenzung dürfte auch das populäre scheme-ofarrangement-Verfahren nicht dem Anwendungsbereich der EuInsVO unterfallen170. Mit einer frühen Eröffnung des Verfahrens wird auch der Zeitraum verkürzt, in dem außergerichtliche Sanierungsbemühungen angestrengt werden können171. Teilweise wird daher für bestimmte Antrags- und Berichtsvorschriften gar eine unter Effizienzaspekten nachteilige Wirkung angenommen172. Die Vorverlegung der Verfahrenseröffnung entspricht dem Verfahrensziel der Maximierung des haftenden Schuldnervermögens mithin nicht in jeder Konstellation; dass mit der EuInsVO die Möglichkeit einer Einflussnahme auf den Zeitpunkt, zu dem ein Verfahren beantragt werden kann (oder, soweit man die entsprechenden Pflichten mit der hier vertretenen Auffassung als insolvenzrechtlich qualifiziert, beantragt werden muss), könnte dennoch zu einer Stärkung des Wettbewerbs unter verschiedenen Lösungswegen führen173 und schon aus diesem Grund zu einer Verfahrensoptimierung beitragen. 168 Beispielsweise würde ein solches Verfahren zunächst keine Sperrwirkung entfalten können, was zu einer Verfahrensmehrheit führen könnte. Dann stellte sich die Frage, wie das zunächst eröffnete Verfahren zu behandeln wäre, wenn dort zwischenzeitlich auch eine Insolvenz eingetreten wäre. 169 Huber in: Geimer/Schütze, Art. 1 EuInsVO, Rn. 4 m.w.N. 170 Dieses Neuordungsverfahren nach englischem Recht kam beispielsweise bei der Restrukuturierung des spanischen Konzern La Seda de Barcelona sowie bei der Restrukturierung der Tele Columbus-Gruppe zum Einsatz, vgl. . 171 In den vergleichsweise frühen Verfahrenseröffnungen, die in Frankreich schon unter dem Status quo festzustellen sind, wird daher beispielsweise ein Nachteil des französischen Insolvenzrechts gegenüber solchen Statuten gesehen, die keinen vergleichbar strengen Pflichtenkanon gegenüber den Geschäftsleitern statuieren. Vgl. zu diesem Gesichtspunkt die Analyse von Davydenko/Franks, 63 The Journal of Finance (2006), 565, 603, denen zufolge das französische Insolvenzrecht verfrühte Antragstellungen begünstigt. 172 Vgl. Davydenko/Franks, 63 The Journal of Finance (2006), 565, 576. 173 Vgl. Drukarczyk, in: Kölner Schrift zur InsO, Rn. 132. Eingehend zur Frage der dynamischen Effekte der EuInsVO siehe S. 331 ff.

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Ungeachtet der Frage nach den Eröffnungstatbeständen des mitgliedstaatlichen Rechts könnten die mit der Rechtswahlfreiheit unter der EuInsVO in Gang gesetzten Mechanismen eine schnelle Verfahrenseröffnung begünstigen. Dieser Gesichtspunkt wird aus Gründen der Übersichtlichkeit eingehend im Zusammenhang mit dem Fragenkreis der Realisierung der Effizienzvorteile dargestellt174. (3) Zusammenfassung Theoretisch eröffnet die faktische Rechtswahlfreiheit unter der EuInsVO die Möglichkeit, durch Abweichung von der ohne Einwirkung bestehenden Eröffnungskompetenz dasjenige Insolvenzrechtsregime auszuwählen, das die effizienteste Verwertung des Schuldnervermögens ermöglicht175 und/oder eine im Hinblick auf den Verwertungserfolg zeitlich optimal gewählte Verfahrenseröffnung gestattet. Mit Blick auf die Kenngrößen einer möglichst effizienten Bewältigung des Verfahrens und der Maximierung des haftenden Schuldnervermögens kann daher festgehalten werden, dass es infolge der beschränkten, faktischen Rechtswahlfreiheit unter der EuInsVO zu einer Generierung von Vorteilen kommen kann. Welche Chancen einer Realisierung dieser Effekte in der Praxis bestehen, ist Gegenstand des übernächsten Abschnitts der Untersuchung. Zuvor soll sich der Blick auf die denkbaren Effizienzgewinne einer Rechtswahl bei Insolvenzen verbundener Unternehmensträger richten. b. Denkbare Effizienzvorteile durch Verfahrensbündelung bei der Insolvenz von Unternehmensgruppen unter der EuInsVO Insolvenzen von Unternehmensgruppen sind im internationalen Insolvenzrecht von erheblicher praktischer Bedeutung176. Sie sind „der Prototyp grenzüberschreitender Insolvenzen schlechthin“177 und damit Hauptanwendungsfall der EuInsVO. Vielfach ist diesbezüglich von der „Konzerninsolvenz“ die Rede, wobei es auf die Voraussetzungen des Konzerns im

174

Siehe unten, S. 301 ff. So berichtet der Verwalter im Fall Parkside Flexibles SA, Klempka, 2 International Corporate Rescue 171, 172 (2005): „There was a very strong commercial reason for looking to apply an English administration proceeding – that this would provide the quickest and best return to the company’s stakeholders“. 176 Viele der streitbefangenen Fälle unter der EuInsVO betreffen Konzernkonstellationen mit mehreren Gesellschaften (oben, S. 39 ff.). Im Fall Parmalat bestand der zusammengebrochene Konzern aus 260 Gesellschaften, vgl. die ausführliche Fallschilderung bei Cherubini, 1 International Corporate Rescue, 63 (2004). 177 Pannen/Riedemann, NZI 2004, 646, 647; vgl. auch Kübler, in: FS Gerhardt (2004) sowie Ehricke, in: Aufbruch nach Europa, S. 337, 339. 175

B. Status quo und Effizienz

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technischen Sinne (§18 AktG) nicht ankommt178. Das Scheitern gesunder Tochter- oder Schwestergesellschaften im Sog der Insolvenz einer oder mehrerer konzernzugehöriger Gesellschaften ist ein verbreitetes Phänomen. Auch in Fällen, in denen ganz unterschiedliche Unternehmen Gegenstand der verschiedenen Konzerngesellschaften sind, führt die Liquiditätsabhängigkeit gegenüber der Konzernmutter oder zwischen den konzernzugehörigen Gesellschaften vielfach zum Niedergang der gesamten Unternehmensgruppe. Diese Verbindung der wirtschaftlichen Schicksale der einzelnen Gesellschaften entsteht regelmäßig infolge eines durch ein zentrales Finanzmanagement koordiniertes cash pooling179. Um Zinsergebnis und Liquidität der Gruppe zu erhöhen, werden entstehende Liquiditätslücken zunächst konzernintern ausgeglichen. Zugleich sind die einzelnen Gesellschaften verpflichtet, überschüssige Liquidität zu diesem Zwecke zur Verfügung zu stellen. Wellensiek bezeichnet die Folgen dieser Verbindung in der Insolvenz als „Domino-Effekt“180. Wie die meisten anderen nationalen Insolvenzrechtsordnungen innerhalb der Gemeinschaft181 kennt auch das deutsche Recht keine spezifisch konzerninsolvenzrechtlichen Regelungen. Es bleibt hier vielmehr bei dem Grundsatz „Ein Schuldner, ein Vermögen, ein [oder im Falle von Sekundärverfahren ggf. sogar mehrere] Verfahren“182. Dennoch sind verschiedene Gründe denkbar, die eine Koordination der Insolvenzverfahren über unterschiedliche Unternehmensträger sinnvoll erscheinen lassen183. Vielfach bildet eine Unternehmensgruppe als solche eine wirtschaftliche Einheit, die auch in der Insolvenz regelmäßig einen wesentlich höheren Wert haben wird als die Summe der Werte ihrer Teile. Zwar hängt dieser konzernspezifische Mehrwert in wesentlichem Maße vom tatsächlichen Integrationsgrad der Einzelunternehmen ab. Jedoch wird deutlich, dass in der Mehrzahl der Fälle das insolvenzrechtliche Ziel einer Realisierung des Verbundwerts der schuldnerischen Vermögensgegenstände eine noch größere 178 Soweit im Folgenden vom Konzern die Rede ist, bezieht sich dies ebenfalls auf die untechnische Begriffsbesetzung. Gemeint sind mithin verbundene Unternehmen. 179 Die Erfahrung in Deutschland zeigt, dass auch die infolge gesellschaftsrechtlicher Bestimmungen einzurichtenden Frühwarnsysteme mit umfangreichen Berichtspflichten und korrespondierenden Kündigungsmöglichkeiten den Sog einer Konzerninsolvenz vielfach nicht verhindern können. 180 Wellensiek, ZIP 1984, 541, 543. 181 Die Zusammenfassung mehrerer Verfahren von Unternehmen desselben Konzerns ist jedoch in manchen Staaten in gewissen Grenzen möglich, vgl. oben, Fn. 305, 306 zum zweiten Kapitel. 182 Jaeger/Ehricke, InsO, § 11, Rn. 32; ders., ZInsO 2002, 393; Uhlenbruck KTS 1986, 419, 425; einer Anwendung von Regeln des nationalens Rechts mit dem Gegenstand einer Zuständigkeitkonzentration hat der EuGH, Rs. C-191/10 (Rastelli Davide), Urteil vom 15. 12. 2011, Rn. 28, inzwischen eine Absage erteilt. 183 Vgl. nur Eidenmüller ZHR 169 (2005), 528 ff.

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Kapitel 3: Die Rechtswahlfreiheit unter der EuInsVO in der Analyse

Bedeutung einnimmt als bei konzernfreien Schuldnern. Inwieweit dieses Ziel erreicht werden kann, wird in aller Regel davon abhängen, ob es gelingt, die wirtschaftliche Einheit, welche die Schuldner in ihrer Gesamtheit darstellen, auch im Insolvenzverfahren abzubilden184. Die Aspekte der Verfahrenskoordination, der Verfahrenskonzentration, und der Verfahrensvereinfachung nehmen daher in Konzernkonstellationen einen zentralen Stellenwert ein185. Dies gilt ungeachtet der Frage, ob mit dem jeweiligen Verfahren die Liquidation oder aber die Sanierung des Schuldners im Rahmen eines Insolvenzplanverfahrens bezweckt ist186. Ein Weg zur möglichst effizienten Durchführung der Insolvenzverfahren bestünde im Falle der internationalen Konzerninsolvenz darin, die Verfahren über die einzelnen Unternehmensträger einem Gericht zu unterstellen und nach dessen Geschäftsverteilung denselben Richter zu befassen. Die Zusammenfassung der Verfahren auf der Ebene des Gerichts bringt zahlreiche Vorteile mit sich. Diese bestehen in erster Linie in einer Vereinfachung des Informationsflusses und einer Informationsbündelung, einer Verfahrensbeschleunigung, der Vermeidung von zwischen verschiedenen Gerichten entstehenden Abstimmungsdefiziten und kostenträchtigen Auseinandersetzungen, einer Kostenersparnis im innergerichtlichen Bereich sowie einer möglichen Kostenersparnis für Verwalter und Gläubiger187. Im Kontext des europäischen Insolvenzrechts würde mit einer Zusammenlegung der Verfahren vor einem Gericht aufgrund des lex-fori-Prinzips zugleich sichergestellt sein, dass alle Hauptverfahren nach demselben Insolvenzrecht durchgeführt werden. Effizienzverluste infolge inkompatibler insolvenzrechtlicher Regelungen ließen sich so – wenigstens auf der Ebene der Hauptverfahren – vermeiden. Die Synergieeffekte und Kostenersparnisse ließen sich darüber hinaus mit einer Zusammenlegung der Verfahren auf der Ebene der Verwalter noch vergrößern188. Auch hier würde die Koordination der Verfahren durch eine Erhaltung der einheitlichen Leitung der Wirtschaftseinheit wesentlich 184

Dies gilt speziell für Reorganisationsverfahren. Diese stellen infolge der mit ihnen einhergehenden Notwendigkeit zum Eingriff in betriebswirtschaftliche Vorgänge der beteiligten Unternehmen besonders hohe Anforderungen an die Abstimmung von verschiedenen Verfahren sowohl über einzelne Rechtsträger (dazu Bloching, Pluralität und Partikularinsolvenz, S. 131 ff.) als auch über die Gesamtheit der konzernzugehörigen Schuldner. 185 Ehricke, DZWIR 1999, 353 f.; ders., ZInsO 2002, 393 f. 186 Zu den Möglichkeiten der Verbesserung des Sanierungserfolgs durch Schaffung eines „Sanierungsverbundes“ siehe Ehricke, ZInsO 2002, 393. Eine eingehende Darstellung der Problematik findet sich nunmehr auch bei Hirte, ECFR 2008, 213 ff. 187 Ehricke, DZWIR 1999, 353, 355. 188 Zum Ganzen vgl. abermals Ehricke, DZWIR 1999, 353, 356 sowie Hirte, ECFR 2008, 213, 219 ff.

B. Status quo und Effizienz

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erhöht189. Darüber hinaus würde der Aufwand einer Einarbeitung in die oft komplexen Konzernstrukturen nicht mehrfach anfallen. Schließlich sei auch auf die Verbesserung des Kooperations- und Vertrauensverhältnisses zwischen Gericht und Verwalter hingewiesen, die sich schon aus einer Reduzierung der Anzahl der zu steuernden Beziehungen ergibt. Eine Überforderung des Verwalters ist bei einem solchen Vorgehen nicht zu befürchten, da auf Großverfahren spezialisierte Verwalter mittlerweile regelmäßig über einen leistungsfähigen Apparat verfügen190. Einer Zusammenlegung der Verfahren auf den Ebenen von Gericht und Verwalter stehen freilich auch Nachteile gegenüber191. Abgesehen von der im Kontext ihrer internationalen Bedeutung bereits dargestellten Verschlechterung der Vorhersehbarkeit, zu der es käme, wenn eine Verfahrensbündelung nur unter Abweichung von der gesetzlichen Zuständigkeit und ohne ein entsprechendes Regelwerk möglich wäre, kann die Verfahrensbündelung zu sog. Distanzproblemen führen. Das Gericht und der Verwalter sind von den schuldnerischen Unternehmen gerade bei grenzüberschreitenden Konzerninsolvenzen räumlich zwangsläufig weiter entfernt, als dies ohne eine Verfahrenszusammenlegung der Fall wäre. Die örtliche Entfernung könnte eine Erhöhung der Kosten der Verfahrensbeteiligten (insb. Reisekosten, Rechtsberatungskosten, Gerichtskosten und Informationskosten nach Verfahrenseröffnung) bewirken192 und die Reaktionswege verlängern. Allerdings spielt der Faktor der Ortsnähe gerade dann, wenn es sich beim Schuldner um ein Großunternehmen handelt, nicht mehr diejenige Rolle, die ihm in der gesetzlichen Konzeption der Zuständigkeitsordnung zugewiesen ist. So ergeben sich etwa nach deutschem Recht im Rahmen der Zuständigkeitsermittlung nach § 3 InsO193 wie auch im internationalen Kontext in Konzernkonstellationen ja gerade deshalb Probleme, weil über die Ausfüllung des Kriteriums der engsten (gemeint ist dabei nicht zuletzt die engste örtliche) Verbindung keine hinreichende Übereinkunft besteht. Darüber hinaus ermöglichen moderne Kommunikationsmittel sowie der dem Verwalter zuarbeitende Personalstock aufseiten

189

Dazu Wittinghofer, Insolvenzverwaltungsvertrag, S. 34. Dies gilt natürlich besonders für die großen Wirtschaftsprüfungsgesellschaften, die im europäischen Wettbewerb um Großverfahren mittlerweile eine gute Marktposition erreichen konnten (z. B. PriceWaterhouseCoopers, siehe oben, Fn. 293 zum vorhergehenden Kapitel) und in England traditionell das Geschäft der Insolvenzverwaltung bestimmen (vgl. nur Köster, RIW 2006, 24 ff.). Allgemein zu den infrastrukturbezogenen Voraussetzungen der Verwaltung Mönning, in: Kölner Schrift zur InsO, Rn. 83 ff. 191 Vgl. zu den hier genannten Aspekten Ehricke, DZWIR 1999, 353, 355 f. 192 Darauf, dass dies nicht zwingend der Fall ist, weist zu Recht Ehricke, DZWIR 1999, 353, 355 f. hin. 193 Siehe hierzu Ehricke, DZWIR 1999, 353, 359 ff.; ders., ZInsO 2002, 393, 396 f. 190

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Kapitel 3: Die Rechtswahlfreiheit unter der EuInsVO in der Analyse

aller Verfahrensbeteiligten vielfach eine Überbrückung großer örtlicher Distanzen194. Letztlich dürften die mit einer Verfahrenskonzentration einhergehenden Effizienzvorteile bei Weitem überwiegen. Bei abstrakter Betrachtung ist daher eine formelle Verfahrenszusammenlegung auf der Ebene von Gericht und Verwalter auch bei grenzüberschreitenden Konzernkonstellationen mit Ehricke als „optimale Lösung“195 anzusehen, soweit die betroffenen Unternehmen wirtschaftlich integriert sind196. (1) EuInsVO und Konzerninsolvenzrecht Wie bereits dargelegt wurde, lässt sich für die Kompetenznorm des Art. 3 Abs. 1 EuInsVO ein konzernspezifischer Regelungsgehalt nicht nachweisen. Verschiedentlich wird indes in dem pluralistischen System von Hauptund Sekundärverfahren eine auf Konzernkonstellationen anwendbare Regelung der EuInsVO erblickt. Insbesondere Paulus argumentiert, auch rechtlich selbstständige Tochtergesellschaften sollten eine Niederlassung i.S. von Art. 2 lit. h) EuInsVO darstellen können, soweit sie die dort genannten Voraussetzungen erfüllten, was allein für „Briefkasten-Gesellschaften“ anzuzweifeln wäre197. Eine solche konzernrechtliche Dimension der Verordnung würde aufgrund des Anwendungsvorrangs auch in Jurisdiktionen zur Anwendung kommen, deren Insolvenzrecht keinerlei konzernbezogene Regelungsansätze aufweist. So angenehm eine Ausdehnung der Regelungen der Art. 27 ff. EuInsVO auf das Verhältnis wirtschaftlich verbundener, rechtlich selbstständiger Unternehmensträger auch sein mag198, de lege lata ist für eine solche Regelung aus einer Vielzahl von Gründen nichts ersichtlich. Bereits der Wortlaut von Art. 2 lit. h) EuInsVO impliziert, dass es allein um das Tätigwerden eines Schuldners mit eigener Rechtspersönlichkeit, nämlich des Schuldner des Hauptverfahrens, geht. Der erläuternde Bericht von Virgós/ Schmit zum EuInsÜ stellt zudem ausdrücklich klar, dass mit der gemeinschaftsrechtlichen Regelung keine Vorschriften für Unternehmenszusam194

Ehricke, DZWIR 1999, 353, 355 f. Ehricke, DZWIR 1999, 353, 355 f. 196 Soweit nicht abweichend dargestellt, wird dies in den folgenden Ausführungen vorausgesetzt. 197 Paulus, NZI 2001, 505, 510; ders., ZIP 2002, 729, 730; ders., FS Kreft (2004), 469, 476 (dort Fn. 25). 198 Van Galen regt in einem Vortrag anlässlich des INSOL-Europe-Jahreskongresses 2003, veröffentlicht in 1 International Corporate Rescue, 88 ff. (2004) an, die Regelungen der Art. 27 ff. EuInsVO de lege ferenda in modifizierter Form auf das Verhältnis von Konzernmutter und -töchtern zu übertragen. 195

B. Status quo und Effizienz

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menschlüsse geschaffen wurden199. Die dabei erfolgende Bezugnahme auf die Konstellation von Mutter- und Tochtergesellschaften ist als bloß veranschaulichend anzusehen. Würden auch Tochtergesellschaften eine Niederlassung darstellen können, so käme es aufgrund der Regelungen der Art. 32, 35 EuInsVO, nach denen Gläubiger berechtigt sind, ihre Forderungen sowohl im Haupt- als auch im Sekundärverfahren anzumelden und Überschüsse im Sekundärverfahren an den Verwalter des Hauptverfahrens auszukehren sind, zu einem unkontrollierten konzernweiten Haftungsdurchgriff und damit zu einer Art konzernweiter Einheitsinsolvenz mit einer materiellen Konsolidierung200 der Haftungsmassen201. Weiterhin ist darauf hinzuweisen, dass die Einbeziehung von selbstständigen Unternehmen (nur) aufgrund der Voraussetzungen des Art. 2 lit. h) EuInsVO bei strenger Berücksichtigung von Art. 27 Abs. 1 S. 1 a.E. EuInsVO, wonach die Überprüfung der materiellen Insolvenz am Ort der Niederlassung ausgeschlossen ist202, eine unbeschränkte Einbeziehung aller Konzerngesellschaften in die Insolvenz ermöglichte. Dies wäre ein gravierender Eingriff in die Privatautonomie der Gläubiger, denen vereinbarte Haftungsgegenstände entzogen würden und die sich unverhofft konkurrierenden Gläubigern ausgesetzt sähen. Damit würden zudem elementare Voraussetzungen für ein effizientes Funktionieren von Kreditmärkten tangiert203. Überdies führt eine Zusammenlegung der Haftungsmassen zu einer Verletzung des Gleichbehandlungsgrundsatzes204. Eine Anwendung der Regelungen über Sekundärverfahren auf rechtlich selbstständige Unternehmensträger stellt sich unter den geltenden

199

Virgós/Schmit, Bericht, Nr.76. Zu den mit einer solchen materiellen Konsolidierung einhergenden und der damit verbundenen Folgeproblemen Hirte, ECFR 2008, 213, 220 ff. 201 Es ist freilich auch der Fall vorstellbar, dass nach Inanspruchnahme der Zuständigkeit nach Art. 3 Abs. 1 EuInsVO in demselben Mitgliedstaat dessen autonomes Insolvenzrecht ein Einheitsverfahren über konzernzugehörige Gesellschaften vorsieht (vgl. nur Balz, 70 American Bankruptcy Law Journal, 485, 503 f. [1996]). Die erhebliche Beschränkung des Gleichbehandlungsgrundsatzes durch ein Einheitsverfahren mit Zusammenlegung der Massen lassen dann indes im Einzelfall eine Verweigerung der Anerkennung über Art. 26 EuInsVO möglich erscheinen. Für eine materielle Konsolidierung der Haftungsmassen in bestimmten Fallkonstellationen spricht sich de lege ferenda etwa Paulus, ZIP 2005, 1948, 1953 ff. aus. 202 Smid, Internationales Insolvenzrecht, Art. 27 EuInsVO, Rn. 16. 203 Eidenmüller, ZHR 169 (2005), 528, 532. 204 Dieses Prinzip ist rechtsdogmatisch als Konsequenz der durch die Gläubiger erfolgten Vermögensumsetzungen im Verhältnis zu demselben Schuldner anzusehen. Es erfordert mithin eine Gleichbehandlung in Anbetracht der Masse des jeweiligen konkreten Schuldners, vgl. allgemein Häsemeyer, Insolvenzrecht, Rz. 2.17 ff., 2.33. 200

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Kapitel 3: Die Rechtswahlfreiheit unter der EuInsVO in der Analyse

Regelungen daher als abwegig dar205. Selbst wenn es sich dabei tatsächlich um eine „Auslassungssünde“206 handelte, so berechtigt das Fehlen konzernbezogener Regelungen in der EuInsVO dennoch nicht dazu, auch rechtlich selbstständige Unternehmensträger in den Niederlassungsbegriff einzubeziehen. (2) Möglichkeiten formeller Verfahrensbündelung und Rechtswahlfreiheit Eine Verfahrensbündelung ist folglich auf der Ebene des europäischen Rechts nicht vorgesehen. Auf der Ebene des mitgliedstaatlichen Rechts stehen ihrer Verwirklichung ohne konzernbezogene Regelungen regelmäßig erhebliche Hindernisse entgegen207, die hier nur angedeutet werden können. Mit Blick auf das autonome deutsche Insolvenzrecht sei in diesem Zusammenhang nochmals darauf hingewiesen, dass auch die InsO im Bereich der Zuständigkeitsregelung keine konzernspezifische Verfahrensbündelung kennt208. Ferner besteht keine Verpflichtung des Gerichts, in den verschiedenen Verfahren über konzernzugehörige Unternehmensträger denselben Verwalter einzusetzen. Beschränkungen könnten sich unter der InsO mit Blick auf den Verwalter ferner aus § 56 ergeben209. Nicht obwohl, sondern weil die Voraussetzungen einer effizienten Bewältigung von Konzerninsolvenzen vielfach erst durch mitgliedstaatliches Recht geschaffen werden bzw. geschaffen werden müssten, drängt sich die 205 I. Erg. ganz h. A., siehe nur Balz, 70 American Bankruptcy Law Journal, 485, 503 (1996); Gottwald, Grenzüberschreitende Insolvenzen, S. 21; Huber ZZP 114 (2001), 133, 143; Duursma-Kepplinger/Duursma, IPRax 2003, 505, 509; Duursma-Kepplinger, in: Duursma-Kepplinger/Duursma/Chalupsky, EuInsVO, Art. 2, Rn. 29; Haß/Herweg, in: Geimer/Schütze, Art. 3 EuInsVO, Rn. 62; Smid, Internationales Insolvenzrecht, Art. 2, Rn. 23; Reisch/Winkler, ZIK 2004, 80, 81; Kolmann, Kooperationsmodelle, S. 329; Mankowski, RIW 2004, 587, 597; Moss/Fletcher/Issacs, Rn. 8.56; Oberhammer, Internationales Zivilprozess- und Verfahrensrecht, 117, 124; Haubold, in: Gebauer/Wiedemann, Art. 2 EuInsVO, Rn. 44; Vormstein, Zuständigkeit bei Konzerninsolvenzen, S. 168, 174; Weller, ZHR 169 (2005), 570, 581. 206 Paulus, NZI 2005, 501, 508. 207 Vgl. Wittinghofer, Insolvenzverwaltungsvertrag, S. 33 f.; Eidenmüller, ZZP 114, 3, 7 ff. (2001). 208 Ehricke, Konzernunternehmen, S. 477 ff.; ders., DZWIR 1999, 353, 359; Eidenmüller, ZZP 114, 3, 7 f. (2001) jeweils auch mit Ausführungen zum Problem der nachträglichen Verfahrensbündelung durch Verfahrenszusammenfassung nach § 4 InsO i.V.m. § 147 ZPO. Zu den de lege ferenda im Schrifttum unterbreiteten Änderungsvorschlägen vgl. Eidenmüller, ZHR 169 (2005), S. 528, 539 m.w.N. 209 § 56 InsO steht der Bestellung eines Verwalters für mehrere Gesellschaften desselben Konzern nicht schlechterdings entgegen, vgl. nur Uhlenbruck/Uhlenbruck, InsO, § 56, Rn. 29; Braun/Kießner, InsO, § 3, Rn. 18 f. Ehricke, DZWIR 1999, 353, 362 diskutiert gar eine Pflicht zur Verfahrenskonzentration aufgrund einer aus § 56 InsO resultierenden Ermessensbeschränkung.

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Frage auf, inwieweit die unter der EuInsVO bestehende Freiheit zur Rechts- und Forumswahl in der Theorie eine Verfahrensbündelung ermöglicht. Auf den ersten Blick erweisen sich die Rechtswahlmöglichkeiten unter der EuInsVO als Schlüssel zur effizienten Bewältigung von grenzüberschreitenden Konzerninsolvenzen, setzt die Zusammenfassung der Verfahren vor einem Gericht doch voraus, dass die internationale Zuständigkeit für alle Verfahren in einem Mitgliedstaat begründet ist. Ähnliches gilt auch für die Bestellung desselben Verwalters für alle Schuldner des Konzerns. Sie wird in praktischer Hinsicht vielfach voraussetzen, dass eine Verfahrensbündelung auf der Ebene des Gerichts gelingt. Dasselbe gilt für die Verfahrenskoordination mittels Bestellung von Verwaltern aus derselben Kanzlei bzw. Gesellschaft, da infolge des Fehlens internationaler Qualifikationen bei den meisten Verwaltungseinheiten ein koordiniertes Zusammenwirken einen Gleichlauf der Inanspruchnahme der internationalen Zuständigkeit bei allen konzernzugehörigen Schuldnern erforderlich macht. Auch die mitgliedstaatlichen Sonderregelungen über Konzerninsolvenzen können, da sie die Zuständigkeitsordnung der EuInsVO210 nicht überlagern können, nur dann eingreifen, wenn ein Gleichlauf der internationalen Zuständigkeit besteht211. Stehen nationale Vorschriften einer Verfahrensbündelung auf der Ebene des Gerichts oder des Verwalters entgegen, oder lehnt das Gericht Letztere ab, so unterstehen die Hauptverfahren wenigstens demselben Insolvenzstatut, wodurch eine bessere informelle Koordination der Verfahren ermöglicht wird. Auch wenn das jeweilige mitgliedstaatliche Insolvenzrecht eine innerstaatliche Zuständigkeitsbündelung auf der Ebene des Gerichts oder Verwalters nicht ermöglicht212, so besteht neben den allgemeinen Effizienzvorteilen eines einheitlichen Verfahrensstatuts, das bei konzernübergreifender Betrachtung vor allem in der Vermeidung kostenträchtiger Friktionen besteht, nur bei gleichgerichteter Inanspruchnahme der internationalen Zuständigkeit nach Art. 3 Abs. 1 EuInsVO die Möglichkeit, etwaigen Koordinationspflichten des autonomen Rechts213 zum Durchbruch zu verhelfen. Soweit Koordinationspflichten nämlich als insolvenzrechtlich zu qualifizieren sind, was insbesondere für solche zwischen Insolvenzverwaltern und -gerichten der Fall ist214, wird eine Pflicht zur Zusammenarbeit vielfach nur dann entstehen können, wenn die Verfahren derselben lex fori 210

Zum Problem der Überlagerung der Zuständigkeitsordnung der EuInsVO durch mitgliedstaatliches Recht siehe oben, S. 98 ff. 211 So schon ausdrücklich der Bericht von Virgós/Schmit, Nr. 76. 212 So verweist Art. 102 § 1 EGInsO für die örtliche Zuständigkeit auf § 3 InsO. 213 Vgl. zu den Koordinationspflichten unter dem deutschen Insolvenz- und Gesellschaftsrecht Eidenmüller, ZHR 169 (2005), 528, 549 ff. m.w.N. 214 Eidenmüller, ZHR 169 (2005), 528, 564 f.

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Kapitel 3: Die Rechtswahlfreiheit unter der EuInsVO in der Analyse

concursus unterstehen. Auch insoweit sind mit einer faktischen Rechtswahlfreiheit unter der EuInsVO konzernspezifische Effizienzgewinne denkbar. Zudem lässt ein Gleichlauf der Verfahrensstatute weitgehend diejenigen Kosten entfallen, die sich aus Friktionen der mitgliedstaatlichen Insolvenzrechte ergeben. Hier führen allein die Sonderanknüpfungen und die Ausnahmeregelungen der Art. 5 ff. EuInsVO weiterhin zu Reibungsverlusten. Schließlich ist zu erwarten, dass auch eine verbesserte Zusammenarbeit zwischen den Insolvenzgerichten gelingt, die sich auf einer gemeinsamen Ebene gegenüberstehen. Anders als bei Verfahren über konzernfreie Schuldner betrifft die Frage der Rechtswahl in der Konzernkonstellation mithin nicht allein die Auswahl des effizientesten Statuts, sondern darüber hinaus auch die Effizienzsteigerung durch Wahl desselben Insolvenzrechtsregimes. Die Einwirkungsmöglichkeiten unter der EuInsVO sind hier also auch unter dem Aspekt der Forumswahl als solcher von Interesse. Wie dargelegt wurde, bestehen verschiedene Möglichkeiten, die Eröffnungszuständigkeit für alle zusammengehörenden Unternehmensträger nach Art. 3 Abs. 1 S. 1 in einem Mitgliedstaat in Anspruch zu nehmen. Die Kompetenzordnung der EuInsVO führt nach den hier zu Art. 3 Abs. 1 S. 1 EuInsVO gewonnenen Erkenntnissen in den meisten Konstellationen der Insolvenz von Unternehmensgruppen, wie dargelegt, keinesfalls notwendig von sich aus zu einer Zuständigkeitskumulation am COMI der Konzernmutter oder einer Zwischenholding. In erster Linie ist daher an eine Rechtswahl durch Ausnutzung der Anerkennungsordnung i.V.m. einer konzernbezogenen Interpretation des Zuständigkeitstatbestands zu denken, wie sie für eine Vielzahl der bisherigen Fälle typisch ist215. Alternativ oder flankierend kommt darüber hinaus eine Durchführung von Veränderungen in tatsächlicher Hinsicht in Betracht216. c. Realisierung der Effizienzvorteile unter dem Status quo Im Folgenden soll die Frage untersucht werden, ob die Effizienzvorteile, die im Zusammenhang mit den Einwirkungsmöglichkeiten auf die internationale Zuständigkeit unter der EuInsVO vorstellbar sind, unter dem bestehenden Regelungsregime auch tatsächlich realisiert werden können. Besonderes Augenmerk wird daher auch in diesem Abschnitt Konzernkon-

215 So in der Mehrzahl der genannten Fälle (S. 40 ff.), in denen tatsächliche Veränderungen nicht stattgefunden haben. 216 Solche gezielten Umstrukturierungsmaßnahmen sind nach Angaben von Praktikern im Gespräch mit dem Verfasser in Konzerninsolvenzen, z.T. angeleitet durch Turnaround-Berater, mittlerweile ebenfalls in unmittelbarer zeitlicher Nähe zum Eintritt der Insolvenz zu beobachten.

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stellationen gewidmet, da die vorstellbaren Effizienzvorteile bei diesen besonders groß sind und ihnen in der Vergangenheit in Verbindung mit den Fragen der Zuständigkeitsregeln großes Gewicht zugekommen ist. Die Untersuchung wird sich dabei in zwei Schritten vollziehen. Zunächst wird betrachtet, welche Auswirkungen eines Eröffnungswettlaufs sich für die Möglichkeiten der Fallplatzierung ergeben. Sodann wird die Bedeutung des Sekundärverfahrens für die Wahl des Hauptverfahrensstatuts und Verfahrensbündelungen beleuchtet. (1) Wahl des Hauptverfahrensstatuts und Verfahrensbündelung im Eröffnungswettlauf Nach den bisherigen Erfahrungen ließ sich die theoretisch mögliche Effizienzsteigerung bei internationalen Konzerninsolvenzen verschiedentlich auch in praxi realisieren. So wird beispielsweise von den englischen administrators der europäischen ISA/Daisytek-Gesellschaften berichtet, erst die Zusammenfassung der Verfahren in England habe eine schnelle und erfolgreiche Verwertung des Schuldnervermögens im Wege eines zuvor für die Gesamtheit der europäischen Gesellschaften konzipierten Verkaufs zur Realisierung des Verbundwerts ermöglicht217. Auch in der Eröffnungsentscheidung über die Unternehmen der MG Rover Group wird auf die mit einer Verfahrensbündelung im konkreten Fall zu erzielenden Mehrerlöse ausdrücklich eingegangen218. Dasselbe gilt für den Verfahrenskomplex Collins & Aikman219. Dies legt den Schluss nahe, dass sich das Gericht bei der Subsumtion unter Art. 3 Abs. 1 S. 1 EuInsVO maßgeblich von der Überlegung hat leiten lassen, dass eine gebündelte Verwaltung aller Gesellschaften die Befriedigungsaussichten der Gläubiger erhöht220. Zum Verfahren über die Deutsche Nickel konstatiert ein daran beteiligter Turnaround-Manager, die erzielten Sanierungserfolge hätten bei einem Verfahren nach deutschem Recht nicht in gleichem Umfang realisiert werden können: 217

Im Verfahren ISA/Daisytek konnten für die Gläubiger der von Anfang an zentral verwalteten Schuldner selten gesehene Quoten zwischen 85 % und 100 % erzielt, die jeweiligen Unternehmen dauerhaft saniert und 1200 Arbeitsplätze erhalten werden. Vgl. den Erfahrungsbericht des an dem Verfahren beteiligten Verwalters Klempka, 1 International Corporate Rescue, 27 ff. (2004). 218 High Court of Justice Birmingham, NZI 2005, 467, 469. 219 So heißt es in Collins & Aikman Europe SA and other matters [2006] EWHC 1343 (Ch. D.), Rn. 8: „[A]lthough the European Companies were incorporates in several different jurisdictions, they formed a closely-linked group […]. The strategy […] was thus to adopt a co-ordinated approach to the continuation of the business, to the funding of the Administration and to the sale of the businesses and assets of the European Companies, in the firm belief that such approach would lead to the best possible returns to creditors.“ 220 So auch Penzlin/Riedemann, NZI 2005, 469, 471.

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„Es blieben Werte und Arbeitsplätze erhalten, die bei einem normalen deutschen Insolvenzverfahren stark gefährdet gewesen wären. Denn die Gesellschaften der DN-Gruppe – auch die guten – wären auf Grund ihrer finanziellen Verflechtungen wahrscheinlich alle in die Insolvenz geraten. Zudem hätte es wohl jeweils unterschiedliche Verwalter gegeben. Starker Kundenschwund und Umsatzrückgänge sowie erhebliche Störungen der konzerninternen Liefer- und Leistungsbeziehungen und damit erhebliche Wert- und Arbeitsplatzverluste wären die Folge gewesen. Nicht zuletzt hätten sich die Insolvenzverfahren – wie in Deutschland üblich – in die Länge gezogen. So aber wurden 650 von 830 deutschen Arbeitsplätzen gerettet und die DN-Gruppe erhalten“221.

Der Blick in die Praxis zeigt also, dass die Rechtswahlfreiheit insbesondere in Konzernkonstellationen auch praktisch ein Mittel zur Verwirklichung von Effizienzgewinnen sein kann. Die Realisierung der Effizienzvorteile hängt jedoch unter dem bestehenden Regelungsregime von erheblichen Unwägbarkeiten ab. Diese werden im Folgenden zunächst unter Ausklammerung von Regulativen dargestellt, die möglicherweise in Gestalt von Marktmechanismen eingreifen. (a) Verfahrensplatzierung und heterogene Interessenstruktur der Antragsberechtigen Die Schwierigkeiten, mit denen der Versuch einer gezielten Verfahrensplatzierung behaftet ist, sind vielfältig. Am bedeutsamsten dürfte insoweit sein, dass die Rechtswahlentscheidung unter der EuInsVO von einer Vielzahl von Personen ausgeht. Je nach individueller Disposition werden einzelne Verfahrensbeteiligte auf die Platzierung des Hauptverfahrens in demjenigen Forum hinwirken, von dem sie sich den größtmöglichen individuellen Vorteil erhoffen. Die opportunistische Einflussnahme auf das Forum des Hauptverfahrens wird dadurch begünstigt, dass im europäischen Insolvenzrecht für die einzelnen Akteure eine weitgehende Entkoppelung der Rechtswahlentscheidung und der mit der Rechtswahl verbundenen Kosten stattfindet: Die einzelnen Gläubiger tragen ggf. die für die Antragstellung anfallenden Kosten (etwa Reisekosten oder Kosten für Rechtsberatung, beim Schuldner auch die möglicherweise erheblichen Kosten einer Veränderung der zuständigkeitsbegründenden Tatsachen) und den bei ihnen anfallenden Teil der Verfahrenskosten. Sie können im Wege einer erfolgreichen Rechtswahl mithin auf die Höhe der bei ihnen selbst entstehenden Kosten hinwirken. Die von ihnen allein zu tragenden Kosten sind daher für die individuellen Handlungsanreize unter dem Status quo weitaus bedeutsamer als die von der Gläubigergesamtheit zu tragenden unmittelbaren Verfahrenskosten.

221

Wlecke, „Englische Lösung“, Sonderbeilage zur Financial Times Deutschland vom 04.05.2006.

B. Status quo und Effizienz

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Noch wichtiger als die individuell zu tragenden Verfahrenskosten ist für die konkreten Handlungsanreize jedoch die individuelle Besserstellung bestimmter Gläubiger (z. B. Arbeitnehmer222), zu der es bei Anwendung einer bestimmten lex fori concursus generalis kommt. Der Rang der jeweiligen Forderung kann sich auch innerhalb der Gemeinschaft erheblich unterscheiden. Die Antragsberechtigen weisen daher regelmäßig eine heterogene Interessenstruktur auf und favorisieren unterschiedliche Foren. Da alle Gläubiger antragsberechtigt sind, entsteht der aufgezeigte Wettlauf um die Verfahrenseröffnung bezogen auf jeden der einzelnen Schuldner. Für den Ausgang dieses Wettlaufs spielen effizienzbezogene Überlegungen nach dem gerade Gesagten eine nur untergeordnete Rolle. Für Konzernkonstellation potenzieren sich die genannten Probleme. Hier erfordert eine effiziente Durchführung der Insolvenzverfahren, dass es zu einer erfolgreichen Zentralisierung der internationalen Zuständigkeit der Hauptverfahren oder wenigstens zu deren Inanspruchnahme in demselben Forum kommt. Dies ist keinesfalls sicher, denn die potenziellen case placer werden bei jedem Schuldner aus den genannten Gründen versucht sein, das Verfahren in ihren jeweils präferierten und damit in verschiedenen Foren durchzuführen. Einschränkend ist darauf hinzuweisen, dass der Schuldner bzw. dessen Geschäftsleiter gegenüber anderen Antragsberechtigten vielfach über einen zeitlichen Informationsvorsprung verfügen, der gezielt zu einer Zuständigkeitswahl ausgenutzt werden kann. Dadurch besteht gerade in Konzernkonstellationen die Chance einer erfolgreichen Zuständigkeitsbündelung in einem „schnellen“ Forum. Dies gilt besonders dann, wenn die Tochtergesellschaften bei Eintritt der Insolvenz der Mutter noch nicht selbst materiell insolvent sind. Bislang hat sich denn auch gezeigt, dass eine koordinierte Inanspruchnahme der Eröffnungszuständigkeit für die Hauptverfahren in Konzernkonstellationen durch einen „pre-emtive strike“223 durchaus erfolgreich sein kann. Es gelten jedoch die allgemein zur Nutzung dieses Informationsvorsprungs gemachten Vorbehalte. So ist bereits fraglich, inwieweit der Schuldner von seinem Informationsvorsprung überhaupt Gebrauch macht. Vielfach wird der Schuldner versucht sein, mittels manipulativer Schritte die Verfahrenseröffnung zu verhindern oder herauszuzögern. Darüber hinaus ist zweifelhaft, ob Mechanismen existieren, die garantieren können, dass dieser zeitliche Vorsprung mit dem Ziel einer Effi-

222

Vgl. zur Bedeutung der Arbeitnehmer die Ausführungen im Zusammenhang mit der Problematik der Sekundärverfahren, sogleich auf S. 315. 223 Diese Bezeichnung verwendet Homan, in: Cross-Border Security and Insolvency, S. 243, 249.

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Kapitel 3: Die Rechtswahlfreiheit unter der EuInsVO in der Analyse

zienzsteigerung und nicht opportunistisch genutzt wird224. Schließlich ist zu berücksichtigen, dass eine Rechts- und Forumswahl unter Ausnutzung des Zeitvorsprungs auch nur dann erfolgreich sein kann, wenn das angerufene Gericht die erstrebte und mit Sperrwirkung ausgestattete Verfahrenseröffnung auch schnell durchführt. Andernfalls ist der zeitliche Vorsprung wertlos. Hier sind beispielsweise die englischen Gerichte, die unmittelbar nach Antragstellung ein Verfahren eröffnen können, strukturell im Vorteil. Aber auch eine Verfahrensbündelung in „schnellen“ Foren wie England ist nicht zwingend von Erfolg gekrönt. Nachdem die Vorgehensweisen eines erfolgreichen forum shopping nunmehr im Rechtsverkehr zunehmende Bekanntheit erlangen, ist außerdem mit einer weiteren Intensivierung des Wettbewerbs um Insolvenzverfahren zu rechnen. Ob auf der Ebene des Hauptverfahrens auch zukünftig für alle konzernzugehörigen Schuldner eine Wahl desselben Forums gelingt, um die Voraussetzungen einer formellen Verfahrensbündelung zu schaffen, ist daher fraglich. (b) Disziplinierende Marktmechanismen als funktionierendes Regulativ? Der soeben aufgeworfene Zwischenbefund führt zu der Frage, ob die Effekte, die durch den heterogenen Individualinteressen der Verfahrensbeteiligten bedingt sind, durch Marktmechanismen abgeschwächt werden, sodass es letztlich doch zu einer effizienzgeleiteten Rechtswahl kommt. Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass eine funktionierende Disziplinierung durch Kräfte des Marktes (sog. checks) nicht bereits im Rahmen der Forderungsentstehung, beispielsweise zum Zeitpunkt der Kreditaufnahme stattfindet225, da die Rechtswahl, wie dargelegt wurde, erst wesentlich später erfolgt und dem Schuldner kein Mittel zur Verfügung steht, mit dessen Hilfe er schon bei Entstehung der Forderungen das spätere Forum verbindlich festlegen könnte. Durch die schlechte Vorhersehbarkeit kann sich die Unsicherheit über das ggf. zur Anwendung kommende Verfahrensrecht zwar nachteilhaft auf die Kreditbedingungen auswirken. Auf die dafür ursächlichen Umstände, die aus der bestehenden Regelungslage resultieren, kann der Schuldner allerdings keinen Einfluss nehmen. Dennoch wird ausgehend von Beobachtungen zum Phänomen des forum shopping in den USA die Auffassung vertreten, dass in der Realität auch 224

Auch in der US-amerikanischen Diskussion um das dortige intranationale forum shopping besteht eine Hypothese darin, dass die Einflussmöglichkeiten auf die Zuständigkeit vom schuldnerischen Management systematisch auf Kosten der Gläubiger ausgenutzt werden. Vgl. LoPucki, Courting Failure, S. 137 ff. 225 Eingehend zu dieser Bedeutung des Zeitpunkts der Rechtswahl Rasmussen/Thomas, 94 Northwestern University Law Review, 1357, 1363 (2000). Zur Rolle des Wahlzeitpunktes im Hinblick auf einen Regulierungswettbewerb unten, S. 337.

B. Status quo und Effizienz

299

im Anwendungsbereich der EuInsVO ausreichende Schranken gegenüber einer opportunistischen Rechtswahl durch das schuldnerische Management bestünden. So weist Skeel darauf hin, dass sich insbesondere solche Financiers, die einem bereits in der Krise befindlichen Unternehmen Darlehen gewährten, vertraglich weitreichende Kontrollrechte gegenüber dem Schuldner einräumen ließen226. Diese beträfen auch schon die Zeit vor Eintritt der Insolvenz, sodass es vielfach letztlich Banken seien, die über das Forum des Insolvenzverfahrens entschieden227. Da diese kein Geld zu verschenken hätten, würden sie auf ein Forum hinwirken, das eine effiziente Verfahrensbewältigung gewährleiste228. Gelinge es also selbst in den USA, unter einem besonders managerfreundlichen Insolvenzrechtsregime, der eigennützigen Rechtswahl durch die Geschäftsleiter effektiv entgegenzutreten, so gelte dies in Europa, wo die Gläubiger allgemein einen noch größeren Einfluss auf die Schuldner hätten, umso mehr229. Diese Argumentation ist jedoch in mehrerlei Hinsicht fragwürdig. Ob Marktmechanismen tatsächlich dazu führen können, dass es zur Ausschöpfung der unter dem Status quo denkbaren Effizienzvorteile kommt, bleibt zu bezweifeln: Zuerst ist darauf hinzuweisen, dass die genannten Schlussfolgerungen ihrerseits auf einer nicht unumstrittenen Interpretation der umfangreichen Daten beruhen, die über das Phänomen des forum shopping innerhalb der USA verfügbar sind230. Denn die Argumentation fußt auf der Hypothese, dass sich die Beeinflussung des bankruptcy venues insgesamt als effizienzsteigernd erwiesen hat. Diese Annahme ist indes überaus umstritten. Eine Entscheidung zwischen den zur US-amerikanischen Situation vertretenen Auffassungen zu treffen ist nicht Gegenstand dieser Untersuchung. Es bleibt jedoch festzuhalten, dass die oben genannte These bereits im Ausgangspunkt angreifbar ist. Darüber hinaus stellt sich die Frage der Übertragbarkeit der aus den amerikanischen Daten gewonnenen Ergebnisse auf die Europäische Gemeinschaft. Denn die Fremdfinanzierung in oder unmittelbar vor der Durchführung von sog. debtor-in-possession-Verfahren (durch sog. DIP financer), deren große praktische Relevanz eine wesentliche Voraussetzung für die von Skeel getroffenen Vorhersagen ist231, ist in Europa keineswegs ebenso weit verbreitet wie in den Vereinigten Staaten. Anders als

226

Skeel, 54 Buffalo Law Review, 439, 458 f. (2006). Skeel, 54 Buffalo Law Review, 439, 458 f. (2006). 228 Vgl. Ayotte/Skeel, 73 The University of Chicago Law Review, 425, 457 ff. (2006). 229 Skeel, 54 Buffalo Law Review, 439, 459 (2006). 230 Ein Überblick zum Stand der Diskussion in den USA mit Hinweisen auf die wichtigsten Beiträge in der Literatur findet sich bei Klöhn, RIW 2006, 568 ff. 231 Vgl. Ayotte/Skeel, 73 The University of Chicago Law Review, 425, 457 ff. (2006). 227

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Kapitel 3: Die Rechtswahlfreiheit unter der EuInsVO in der Analyse

Reorganisationsverfahren nach Chapter 11 US Bankruptcy Code232, die Skeel zufolge mittlerweile meistens unter Beteiligung von DIP financers stattfinden, sind Verfahren, die sich als solche auf die Restrukturierung des Schuldners richten (wie sie beispielsweise das deutsche Insolvenzplanverfahren nach §§ 217 ff. InsO ermöglicht) oder in Eigenverwaltung des Schuldners erfolgen (z. B. nach §§ 270 InsO), in Europa auch bei Großinsolvenzen noch keineswegs die Regel233. Diese fehlende Vergleichbarkeit der Ausgangssituationen lässt daran zweifeln, ob sich für die Situation in den USA beanspruchte Schlussfolgerungen auf die Rechts- und Sachlage unter der EuInsVO übertragen lassen. Weiterhin ist zu berücksichtigen, dass auch die Entscheidung über die Inanspruchnahme von Liquidität im Falle akuter Finanznot im unternehmerischen Ermessen des Schuldners bzw. der schuldnerischen Geschäftsleitung liegt. Ob es überhaupt zum Eingreifen der von Skeel benannten regulativen Kräfte kommt, ist also ebenfalls von Entscheidungen des Schuldners abhängig. Kommt es zu einer Finanzierung in der Krise, so ist nochmals daran zu erinnern, dass vertragliche Abreden über die internationale Zuständigkeit wie dargelegt nur in sehr begrenztem Umfang sicherstellen können, dass es tatsächlich zur Eröffnung des Insolvenzverfahrens (nur) in dem vereinbarten Forum kommt234. Selbst wenn der in der Krise finanzierende Gläubiger im Rahmen des Kreditvertrages oder unter Ausnutzung zwischenzeitlich erlangten gesellschaftsrechtlichen Einflusses (z. B. im Rahmen eines sog. debt equity swaps235) die Entscheidungshoheit über den Ort der Antragstellung erlangt, so kann damit nicht sichergestellt werden, nach welchem Recht das spätere Hauptverfahren stattfindet. Das entscheidende Argument gegen die Auffassung, die Ausübung der Rechtswahlmöglichkeiten durch den Schuldner erfolge aufgrund von Marktmechanismen effizienzfördernd, liegt nämlich in der Antragsberechtigung aller Gläubiger236. Diese werden zunächst versucht sein, das Verfahren durch Antragstellung in dem von ihnen favorisierten Forum zu platzieren. Gegen dieses Phänomen kann sich ein einzelner Gläubiger jedoch kaum vertraglich absichern. Auf die Managerfreund232

Eine konzise Darstellung des Verfahrens nach Chapter 11 findet sich bei Uhlenbruck/Lüer, InsO, Vor § 217-269, Rn. 13 ff. 233 Zur beschränkten praktischen Bedeutung des Insolvenzplanverfahrens vgl. etwa Braun/Braun, InsO, vor § 217, Rn. 19; Frank, in: Anwalts-Handbuch Insolvenzrecht, § 20, Rn. 16 ff., 20. 234 Zur praktischen Bedeutung entsprechender kreditvertraglicher Vereinbarungen vgl. oben, S. 266 ff. 235 Allgemein zum Begriff des debt equity swaps und zu den Möglichkeiten von Distressed Debt Investments in Deutschland Kestler/Striegel/Jesch, NZI 2005, 417, 422 ff. 236 Skeel weist selbst auf die verglichen mit den USA größere Bedeutung der Antragstellung durch die Gläubiger hin, vgl. 54 Buffalo Law Review, 439, 459 (2006).

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lichkeit des Insolvenzrechtsregimes kommt es für die Frage der Forumswahl folglich gar nicht an. Maßgeblich ist vielmehr, dass einzelne Gläubiger gegen die durch das Insolvenzrechtsregime eingeräumte Antragsberechtigung anderer Gläubiger effektiv nur wenig unternehmen können. Skeel spricht das Problem opportunistischen Gläubigerhandelns selbst an. Unter der Prämisse, dass die Entscheidung über den Verfahrensort in der Macht eines Gläubigers steht, geht er auf die Gefahr ein, dass der über die Zuständigkeit bestimmende Gläubiger auf Kosten der anderen handeln könnte237, hält diese aber letztlich wie in den USA für unkritisch. Gerade infolge der großen Unterschiede zwischen den mitgliedstaatlichen Insolvenzrechten (speziell der Behandlung von Arbeitnehmern) können die insoweit in den Vereinigten Staaten, wo das zur Anwendung kommende Insolvenzrecht als Bundesrecht zumindest in seiner geschriebenen Form dasselbe ist, gemachten Erfahrungen jedoch keinesfalls auf die Situation in der Gemeinschaft übertragen werden238. Der Verweis auf das Sekundärverfahren239 ist in diesem Zusammenhang zwar zutreffend. Ohne der Untersuchung vorgreifen zu wollen, sei jedoch darauf hingewiesen, dass sich die Möglichkeit von Sekundärverfahren nicht als Korrektiv zugunsten, sondern eher als Hindernis zulasten einer effizienten Verfahrensbewältigung erweisen dürfte240. Zusammenfassend kann daher festgehalten werden, dass die aus den unterschiedlichen Individualinteressen resultierenden Handlungsanreize unter der EuInsVO durch Marktmechanismen nur unzureichend kompensiert werden. Die Realisierung denkbarer Effizienzvorteile ist danach auch unter Berücksichtigung dieses potenziellen Regulativs als ungewiss anzusehen. (c) Effizienzvorteile durch Eröffnungswettlauf? Im Zusammenhang mit der Realisierung der Effizienzvorteile ist indes eine zweite für das Verfahrensziel der Maximierung des haftenden Schuldnervermögens bedeutsame Frage zu untersuchen, die von der oben behandelten Frage des Auslösekriteriums zu unterscheiden ist, mit ihr gleichwohl in unmittelbarem Zusammenhang steht241: die Frage nach der Inanspruchnahme der Eröffnungsmöglichkeit durch rechtzeitige Antragstellung. In rechtstatsächlicher Hinsicht wird von einer vorherrschenden Auffassung in

237

Skeel, 54 Buffalo Law Review, 439, 459 (2006). Anders Skeel, 54 Buffalo Law Review, 439, 459 (2006): „Creditor influence is likely to have a similar benign influence on European insolvency law“. 239 Skeel, 54 Buffalo Law Review, 439, 459f. (2006). 240 Die Bedeutung der Sekundärverfahren wird im weiteren Verlauf der Untersuchung eingehend behandelt. Vgl. unten, S. 304 ff. 241 K. Schmidt, JZ 1982, S. 165. 238

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Wissenschaft242 und Praxis243 vielfach eine zu späte Eröffnung des Verfahrens beklagt, bei der der aus ökonomischer Perspektive optimale Zeitpunkt der Verfahrenseröffnung verpasst wird. Der durch die Ausschließlichkeit der Gestaltungsalternativen vermittelte Wettbewerb der Verfahrensbeteiligten könnte hier dazu führen, dass es, verglichen mit bloß nationalen Konstellationen, zu einer früheren Inanspruchnahme der Eröffnungszuständigkeit kommt244. Die maßgeblichen Ursachen einer verspäteten Verfahrensauslösung bestehen darin, dass der Schuldner eine Verfahrenseröffnung aufgrund der mit dem Verfahren verbundenen Konsequenzen oft lange zu vermeiden sucht, dass Gläubigern Informationen über die wirtschaftliche Lage des Schuldners fehlen und dass Gläubiger, deren Forderungen besichert sind, von einer Verfahrenseröffnung absehen245. Die Notwendigkeit schnellen Handelns könnte Gläubiger dazu anhalten, in internationalen Konstellationen möglichst früh auf eine Verfahrenseröffnung hinzuwirken und ihren Schuldner noch genauer zu beobachten. Mit den umfangreichen genannten Einschränkungen könnte auch der Schuldner selbst versucht sein, einen frühen Eröffnungsantrag zu stellen. Insbesondere könnte er seinen Informationsvorsprung strategisch dazu nutzen, das Verfahren in einem Forum zu platzieren, das verglichen mit dem ursprünglichen COMI-Staat bereits zu einem früheren Zeitpunkt eine Verfahrenseröffnung ermöglicht. Schließlich könnte es bei grenzüberschreitenden Insolvenzsachverhalten auch dazu kommen, dass gesicherte Gläubiger aufgrund der Besonderheiten, welche die EuInsVO in den Art. 5 ff. bezüglich der Behandlung bestimmter Sicherungsmittel vorsieht, eine Verfahrensplatzierung anstreben. Tendenziell begünstigen also die mit dem Eröffnungswettlauf verbundenen Handlungsanreize eine schnelle Verfahrenseröffnung246. Dies kann zur Folge haben, dass eine vergleichsweise größere Vermögensmasse zu verteilen ist oder bessere Chancen einer Sanierung von Unternehmen oder Unternehmensträgern bestehen.

242

Vgl. nur Burger, DB 1992, 2149. So wurde auf dem 2. Deutschen Insolvenzrechtstag 2005 allgemein die Forderung begrüßt, mittels einer Verschärfung von Bilanzvorschriften den Eröffnungsgrund der Überschuldung schneller herbeizuführen. In der derzeitigen Praxis komme es oftmals erst in einem so fortgeschrittenen Stadium zu einer Verfahrenseröffnung, dass für die Gläubiger nur noch ein suboptimales Ergebnis erreicht werden könne. 244 Vgl. die Einschätzung der Praktiker Videon/McCabe, European Company Law 2005, 76, 82. 245 Franke, ZfB 1984, 692, 693. 246 Ähnlich Eidenmüller, ZGR 2006, 467, 477. 243

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Im Einzelfall kann die zeitliche Vorverlegung der Verfahrenseröffnung allerdings, wie dargelegt, auch zu wirtschaftlichen Nachteilen führen247. Eine unter Effizienzgesichtspunkten verfrühte Einleitung des Insolvenzverfahrens wird als ein wesentlicher möglicher Nachteil eines Wettlaufs um die Verfahrenseröffnung betrachtet248. Dabei ist jedoch zu berücksichtigen, dass auch den Antragsberechtigten an einer unnötigen Verfahrenseröffnung regelmäßig nicht gelegen ist. In vielen Situationen werden sich die Gläubiger trotz des Wunsches einer Verfahrensplatzierung in einem bestimmten Forum daher zunächst sämtlich zurückhaltend verhalten. Dies gilt erst recht für den Schuldner, der infolge seines Wissensvorsprungs wie dargelegt vielfach als erster Antragsteller infrage kommt. Der durch die Verordnung vermittelte Anreiz zu schnellem Handeln bleibt also nicht ohne jegliches Regulativ. Unter Berücksichtigung dieses Umstands und in Ansehung der zurzeit für die Einleitung der Insolvenz vielfach noch kennzeichnenden Situation der Massearmut ist in der Möglichkeit der beschleunigten Verfahrenseinleitung ein begrüßenswerter Effekt zu sehen. (d) Zusammenfassung Insgesamt deutet sich bei einer Beschränkung der Perspektive auf das Hauptverfahren an, dass sich durch die mit der EuInsVO verbundenen individuellen Einwirkungsmöglichkeiten nicht immer die unter dem Aspekt der Effizienz beste Lösung realisiert, da die Gläubiger Handlungsanreizen unterliegen, die der Auswahl des effizientesten Verfahrensrechts und der Verwirklichung eines Gleichlaufs der internationalen Eröffnungszuständigkeiten entgegenstehen. Damit wird ein besonderer Effekt der Zuständigkeitsordnung der EuInsVO deutlich: Während das Insolvenzverfahren als solches ein Verbot der individuellen Rechtsverfolgung gerade deshalb statuiert, um die sich in einer Art „Gefangenendilemma“249 befindlichen Gläubiger zu einem Kooperationserfolg zu zwingen250, dessen Realisation individuelle Handlungsanreize entgegenstünden, lässt die EuInsVO eine 247

Vgl oben, S. 284. Vgl. Sussman, in: Financial Markets and Institutions, 239. 249 Die Situation des Gefangenendilemmas ist, wie auch die common-pool-Situation bei Eintritt einer Insolvenz mit mehreren Gläubigern, dadurch gekennzeichnet, dass die Akteure erstens daran gehindert sind, zusammenzutreffen, um eine gemeinsame Entscheidung zu treffen, und zweitens nicht altruistisch, sondern berechnend zum eigenen Vorteil handeln und drittens ein individuelles Vorteilsstreben der Akteure zu einem schlechteren Ergebnis führt als ein koordiniertes Zusammenwirken. Vgl. dazu Jackson, The Logic and Limits of Bankruptcy Law, S. 10, dort in Fn. 9 m.w.N. 250 Vgl. oben, S. 252 ff. sowie Köndgen, 18 Jahrbuch für Neue Politische Ökonomie, 52, 62 (1999); allgemein zum „Gefangenendilemma“ der Gläubiger siehe Jackson, The Logic and Limits of Bankruptcy Law, S. 10 f.; Scott/Jackson, 75 Virginia Law Review, 155 ff. (1989); Eidenmüller, Unternehmenssanierung, S. 19 ff., 690. 248

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ähnliche Anreizstruktur im Vorfeld der eigentlichen Insolvenz erst entstehen251. Mechanismen der Verordnung, die im Rahmen der unter dem Status quo bestehenden Rechtswahlfreiheit für alle die Verwirklichung des besten Ergebnisses sicherstellen könnten, fehlen schon deshalb, weil nach der Konzeption der EuInsVO im Bereich der Zuständigkeit keine Entscheidungsfreiheit bestehen soll und damit aus Sicht des historischen Verordnungsgebers kein Handlungsbedarf bestand. Den möglichen Effizienzgewinnen einer Rechtswahl stehen daher neben den allgemeinen Kosten schlechter Vorhersehbarkeit Überwachungskosten gegenüber, die aus dem Wettlaufszenario resultieren. (2) Wahl des Hauptverfahrensstatuts, Verfahrensbündelung und Sekundärverfahren (a) Sekundärverfahren und Effizienzstörungen Die Realisierung der Effizienzgewinne bei der Durchführung der Verfahren im Wege einer Rechtswahl ist unter dem Status quo auch noch unter anderen Gesichtspunkten gefährdet. Die infolge einer Einwirkung auf die Eröffnungszuständigkeit zu erwartenden Effizienzvorteile der Hauptverfahren sind besonders fragil, wenn der Schuldner außerhalb des Eröffnungsstaates über eine Niederlassung verfügt. Finden über einzelne oder gar mehrere Unternehmensträger Sekundärverfahren nach Art. 3 Abs. 2 EuInsVO statt, so kann es durchaus zu Konstellationen kommen, die, verglichen mit der Situation einer Verfahrenseröffnung ohne vorhergehende Einwirkung auf die Eröffnungszuständigkeit, sogar eine schlechtere Verfahrenseffizienz aufweisen. Die wirtschaftlichen Vorteile, die sich mit einer Rechtswahl besonders in Konzernkonstellationen verwirklichen ließen, drohen außerdem dadurch vernichtet zu werden, dass bedeutende Teile der Masse dem unmittelbaren Einfluss des Verwalters des Hauptverfahrens mit Eröffnung eines Sekundärverfahrens zunächst entzogen werden. Verfahrensmehrheiten werden durch die strategische Ausnutzung der Zuständigkeits- und Anerkennungsvorschriften der EuInsVO begünstigt. Speziell infolge einer Zuständigkeitsbündelung in internationalen Konzernkonstellationen befindet sich ein Großteil der Vermögensgegenstände der Schuldner außerhalb des Eröffnungsstaats. Eine Verbringung der Vermögenswerte in den Verfahrensstaat des Hauptverfahrens nach Art. 18 Abs. 1 S. 2 EuInsVO scheidet, wie dargelegt, in aller Regel aus mehreren Gründen aus. Besonders deutlich wird dies in der Situation der Konzernholding. Wenn die Muttergesellschaft 251 Auf die Gefahr eines Gefangenendilemmas infolge international-insolvenzrechtlicher Regelungen weist allgemein auch Westbrook, 65 American Bankruptcy Law Journal, 457, 466 (1991) hin.

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selbst kein operatives Geschäft betreibt, sondern ihre Tätigkeit sich im Halten und Verwalten von Beteiligungen an den regional in jeweils einem Mitgliedstaat tätigen Tochtergesellschaften erschöpft, kann es dazu kommen, dass diese Werte den Großteil des gesamten zu verwaltenden Schuldnervermögens darstellen. In dieser Situation kommt es bei einer Zuständigkeitsbündelung vielfach zu einer größeren Anzahl von Verfahren, da in einer großen Zahl der Fälle mindestens je ein (Sekundär-)Verfahren mehr stattfindet, als wenn die Inanspruchnahme des COMI ohne Einwirkungen auf die Eröffnungszuständigkeit erfolgt wäre. An dem für die Töchter in Anspruch genommenen COMI wird es dann nämlich häufig an den Voraussetzungen einer Niederlassung der Tochter fehlen. Dies führt zu einer Erhöhung der Verfahrenskosten. Die mit der Platzierung des Verfahrens über einen einzelnen Schuldner oder der formellen Zusammenfassung auf der Ebene des Gerichts oder des Verwalters bezweckte effiziente Verwertung wird durch diese Aufteilung der Massen entlang der Staatsgrenzen in mehrerlei Hinsicht erschwert: Die Zersplitterung führt nicht nur durch die Vergrößerung der Anzahl der zu koordinierenden Verfahren, sondern insbesondere dadurch zu einem Kostenzuwachs, dass eine konzertierte Verwertung des Vermögens erschwert wird, da sie die Regelungen der Sekundärverfahrensstatute zu berücksichtigen und je nach Situation zahlreiche Verwalter und Insolvenzgerichte einzubeziehen hat. Besonders deutlich wird diese Zerbrechlichkeit der Effizienzvorteile in den oben dargestellten nachträglichen supplemental orders im Fall MG Rover, mit denen der High Court of Justice Birmingham versucht, die Anreize lokaler Gläubiger zur Beantragung von Sekundärverfahren gering zu halten252. Nach Auffassung des Gerichts führt die Eröffnung von Sekundär-insolvenzen unausweichlich zu einer unkoordinierten Zerschlagung der einzelnen Unternehmen, mit der die mit der Zusammenlegung der Hauptverfahren verfolgten Zwecke vereitelt würden253. Ähnliches gilt im Fall Collins & Aikman. Die Anstrengungen, mit denen die joint administrators hier die Einstellung eines in Österreich eröffneten Sekundärverfahrens bezweckten, veranschaulichen ebenfalls254, dass Sekundärverfahren aus Sicht der Hauptinsolvenzverwalter den Erfolg einer konzernweiten Verfahrenskoordination erheblich behindern können. Diese Auffassung wird in einer späteren Entscheidung in diesem Fallkomplex 252

High Court of Justice Birmingham, NZI 2005, 515 ff., oben, S. 233. High Court of Justice Birmingham, NZI 2005, 515, 516: „But the inevitable consequence of [the commencement of secondary proceedings] will be the uncoordinated destruction of the individual businesses in the separate secondary proceedings, and the frustration of the purpose of the primary proceedings, which is the preservation and rescue of the business“. 254 Vgl. Landesgericht Leoben, NZI 2005, 646 f. 253

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sogar ausdrücklich geäußert. In der Entscheidung, in der es ebenfalls um die Möglichkeit der Gewährung lokaler Vorrechte im englischen Hauptverfahren zur Vermeidung von Sekundärverfahren geht, heißt es: „The joint administrators were of the view that the opening of such secondary proceedings and the appointment of local officeholders would have been likely to have impeded the achievement of the purposes of the Administration by making it difficult to continue to trade the businesses, fund the administration and conduct sales processes on a groupwide basis“255.

Da sich der Verwalter des Sekundärverfahrens in erster Linie an den Interessen der Niederlassungsgläubiger ausrichten wird und dies aufgrund einer etwaigen Haftungsbewehrung auch tun muss256, führt die Eröffnung von Sekundärverfahren tendenziell zu einer Beeinträchtigung der Ziele, die mit der Platzierung der Hauptverfahren in einem bestimmten Forum und ihrer Zusammenlegung bezweckt werden257. Auch die rechtliche Subordination des Sekundärverfahrens wird deren weitgehend ungestörte Verfolgung nicht gewährleisten können: Wie oben dargelegt wurde, bestehen trotz der zahlreichen Einwirkungsmöglichkeiten und der Kooperationspflichten im Verhältnis zwischen Haupt- und Sekundärinsolvenzverwalter vielfältige Gelegenheiten, bei denen der Verwalter des Sekundärverfahrens die im Hauptverfahren verfolgte Strategie behindern kann. Von diesen Möglichkeiten wird in der Praxis bereits Gebrauch gemacht258. Aus Sicht der zur Eröffnung eines Sekundärverfahrens antragsberechtigten Gläubiger kann sich die bloße Antragsbefugnis daher, bis es zur Verwertung von Vermögensgegenständen innerhalb der potenziellen Reichweite des Sekundärverfahrens gekommen ist, als potentes „negotiating tool“259 erweisen. Über die aus der Gemengelage von Haupt- und Sekundärverfahren resultierenden organisatorischen Probleme hinaus bereitet die Eröffnung von Sekundärverfahren am Ort der Niederlassung auch in rechtlicher Hinsicht Schwierigkeiten. Zum einen kann es sein, dass einzelne Regelungen der konzernweit ggf. zahlreichen Sekundärverfahrensstatute der koordinierten 255

Collins & Aikman Europe SA and other matters [2006] EWHC 1343 (Ch. D.),

Rn. 8. 256

Ehricke, ZIP 2005, 1104, 1105. Anderer Auffassung ist offenbar Tribunal de Commerce de Nanterre. In der Entscheidung EMTEC, PCL 2006J00174 (Fn. 155) veranlasst Richter Bazin die Veröffentlichung der Hauptverfahrenseröffnung über das Vermögen der zur EMTEC-Gruppe gehörenden MPO-TEC GmbH mit dem Ziel, es zur Durchführung von Sekundärverfahren kommen zu lassen. Vgl. dazu auch (insb. zu dem schon mit der Veröffentlichung je nach betroffenem Mitgliedstaat verbundenen, z.T. erheblichen Aufwand) Penzlin, EWiR 2006, 207 f. 258 Vgl. die Ablehnung einer Aussetzungsanordnung durch das Landesgericht Leoben, NZI 2005, 646. 259 Virgós/Garcimartín, The European Insolvency Regulation, Nr. 153. 257

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Verwertung des Vermögens aller Schuldner entgegenstehen, da sie mit den Vorschriften des lex fori concursus generalis unvereinbar sind. Zu denken ist dabei in erster Linie an die unterschiedliche Behandlung bestimmter Sicherheiten und die unterschiedliche Priorisierung bestimmter Forderungen, die vielfach auch Beweggründe für die Beantragung einer Sekundärinsolvenz durch lokale Gläubiger sind260. Zum anderen sind die oft divergierenden grundsätzlichen Zielsetzungen der einzelnen im Anhang zur EuInsVO aufgeführten Verfahren zu berücksichtigen. Schließlich ist den Insolvenzverwaltern durch das autonome Recht der Mitgliedstaaten oftmals eine unterschiedliche Stellung zugewiesen261. Auch dieser Umstand kann zu erheblichen Reibungsverlusten führen. Weiterhin bestehen aufgrund der teilweise geringen Regelungsdichte bezüglich des Verhältnisses von Haupt- und Sekundärverfahren rechtliche Unklarheiten. Sie stellen sich aus wirtschaftlichem Blickwinkel als potenziell kostenerhöhend dar. Dies gilt besonders für die praktisch sehr bedeutsame Frage, welchem Statut die – im Ausgangspunkt als insolvenzrechtlich zu qualifizierende262 – Frage der Behandlung laufender Vertragsverhältnisse nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens unterfällt. In Betracht kommen hier sowohl die lex fori concursus generalis als auch das oder die Statute eröffneter Sekundärverfahren. Lehnt man eine ausschließliche Zuordnung zum Hauptverfahrensstatut ab263, so ist das weitere Problem der Anknüpfung anhand der engsten Beziehung aufgeworfen. Hier wird eine Vielzahl von Anknüpfungskriterien diskutiert264: Neben dem Belegenheitsort der Aktivforderung des Gemeinschuldners oder des Vertragsgegenstandes kommen die lex causae oder eine Abgrenzung danach, ob gerade die jeweilige Niederlassung Verpflichtete oder Berechtigte der nach dem Vertrag zu erbringenden Leistung ist265, in Betracht. Auch wenn sich auf Dauer eines dieser Kriterien durchsetzen sollte, ist schon aufgrund der Vielgestaltigkeit der denkbaren Konstellationen zu erwarten, dass Grenz-

260

Vgl. High Court of Justice Birmingham, NZI 2005, 515 ff. Vgl. nur Duursma-Kepplinger, in: Duursma-Kepplinger/Duursma/Chalupsky, Vorb., Rn. 45, 52. 262 Siehe nur Art. 4 Abs. 2 S. 2 lit. e) EuInsVO mit den Ausnahmeregelungen in Art. 7 Abs. 2, 8, 10 EuInsVO sowie allgemein Bloching, Pluralität und Partikularinsolvenz, S. 209. 263 So Bloching, Pluralität und Partikularinsolvenz, S. 209 sowie Weller, ZHR 169 (2005), 570, 589 unter Hinweis auf Virgós/Schmit, Bericht, Nr. 155, wonach das Sekundärverfahrensstatut nicht allein Vermögensgegenstände, sondern auch „Rechtsverhältnisse“ erfasst. 264 Allgemein dazu vgl. Trunk, Internationales Insolvenzrecht, S. 249 f.; Schollmeyer, Gegenseitige Verträge, S. 170. 265 Dafür mit guten Argumenten Weller, Weller, ZHR 169 (2005), 570, 589. 261

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fälle verbleiben. Die zurzeit noch bestehende Unsicherheit in dieser zentralen Frage ist jedenfalls als äußerst unbefriedigend zu bewerten. Neben den Komplikationen, die sich bei Durchführung von Sekundärinsolvenzen aus den Kooperations- und Koordinationsschwierigkeiten im Verhältnis der Verwalter ergeben, treten Probleme auf, die aus der Beteiligung mehrerer Gerichte resultieren. Diese verfolgen ebenfalls vielfach lokale Interessen, die einem effizienten Verfahrensablauf entgegenstehen266. Für Gerichte sieht die EuInsVO, anders als beispielsweise Art. 25 des UNCITRAL-Modellgesetzes, nicht einmal ausdrückliche Kooperationspflichten vor267. Solche Pflichten werden sich, so wünschenswert sie erscheinen, auch schwerlich aus einer extensiven Auslegung des Verwalterbegriffs der EuInsVO herleiten lassen268. Denn obwohl mitgliedstaatliche Gerichte den Voraussetzungen des Art. 2 lit. b) EuInsVO bei rein formaler Betrachtung genügen mögen, so wird doch aus dem Gesamtkontext der Regelung an vielen Stellen unverkennbar deutlich, dass sich Verwalterund Gerichtsbegriff nach der Konzeption der Verordnung eben nicht überschneiden sollen269. Eine informelle grenzüberschreitende Zusammenarbeit der Gerichte scheitert vielfach schon an tatsächlichen Gegebenheiten270. Aber auch wenn Kooperationspflichten aus dem autonomen Insolvenzrecht der Mitgliedstaaten herzuleiten sein sollten, wird ihre Durchsetzung mit erheblichen Unsicherheiten und Kosten verbunden sein, da die Regelungsansätze der EuInsVO, Konflikte im Verhältnis von Haupt- und Sekundärverfahren zu vermeiden, in der Praxis weitgehend als gescheitert angesehen werden können. Der Grund hierfür ist in erster Linie, dass eine erfolgreiche Rechtswahl vielfach bereits das von der Verordnung vorausgesetzte gegenseitige Vertrauen, das sich, wie dargelegt, speziell auch auf das Verhältnis zwischen den beteiligten Gerichten erstreckt, verletzt. Kommt es dann zu einer Verfahrenseröffnung, so fehlt es (schon ungeachtet der widerstrei-

266

Vgl. oben, S. 238 ff. Ehricke, NZI 2005, 1104, 1112; ders., in: Aufbruch nach Europa, S. 337, 347; Smid, Internationales Insolvenzrecht, Art. 31 EuInsVO, Rn. 2. 268 So aber Herchen, EuInsÜ, S. 149. 269 Bereits der Umstand, dass sowohl Gericht als auch Verwalter in Art. 2 EuInsVO definiert werden, deutet auf die gegenseitige Ausschließlichkeit der Begriffe hin. Darüber hinaus setzen zahlreiche Vorschriften der Verordnung die Personenverschiedenheit von Gericht und Verwalter voraus, vgl. nur Art. 18, 19, 33 EuInsVO. 270 So berichtete eine Verwalterin in einer Diskussionsrunde auf dem 2. Deutschen Insolvenzrechtstag 2005 in Berlin, ihre Bemühungen, das deutsche Insolvenzgericht des Hauptverfahrens möge sich mit einem österreichischen Gericht in Verbindung setzen, seien bereits daran gescheitert, dass das Gericht nicht über ein Telefon verfüge, mit dem ins Ausland telefoniert werden könne. 267

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tenden Interessen der Verfahrensbeteiligten) an der Grundlage für eine fruchtbare Kooperation271. Als weiteres Hindernis für die Realisierung von Effizienzvorteilen durch eine Zuständigkeitsbündelung könnte sich schließlich die Regelung des Art. 3 Abs. 2 S. 2 EuInsVO erweisen, wonach es sich bei nach dem Hauptverfahren eröffneten Sekundärverfahren um Liquidationsverfahren handeln muss. In Verbindung mit Art. 37 EuInsVO können auch zeitlich vor dem Hauptverfahren eröffnete Partikularinsolvenzen in Liquidationsverfahren umgewandelt werden. Dieser Begriff ist in Art. 2 lit. c) EuInsVO legaldefiniert, der auf den Katalog in Anhang B zur EuInsVO verweist. Richtig verstanden folgt aus dieser Beschränkung auf Liquidationsverfahren nicht die Notwendigkeit zur sofortigen Abwicklung des im Sekundärverfahrensstaat belegenen Schuldnervermögens. Vielmehr ist beispielsweise für das Insolvenzverfahren nach autonomem deutschen Recht, trotz der grundsätzlichen Verfahrensausrichtung auf Liquidation (§ 1 Abs. 1 InsO)272, auch eine vorübergehende Weiterführung des Geschäftsbetriebs mit dem Ziel einer Erhaltung des Unternehmens im Wege eines asset deals möglich. Die Beschränkung auf Liquidationsverfahren steht also einer Sanierung des schuldnerischen Unternehmens nicht schlechthin entgegen273; vielmehr soll verhindert werden, dass es zur isolierten Sanierung einzelner Bereiche des schuldnerischen Unternehmens kommt, die mit Sanierungsbestrebungen im Hauptverfahren unvereinbar sind274. Auch wäre eine getrennte Sanierung der Niederlassung nicht immer in tatsächlicher Hinsicht „kaum denkbar“ oder „technisch nur schwer zu verwirklichen“275; kann doch gerade in Fällen, in denen sich praktisch alle Unternehmensgegenstände im Niederlassungsstaat befinden, weil eine Inanspruchnahme der Eröffnungszuständigkeit nach Art. 3 Abs. 1 S. 1 EuInsVO am Ort der Holding oder des Mehrheitsgesellschafters stattgefunden hat, ein vollständiges Unternehmen276 Gegenstand des Verfahrens sein. Richtet sich der Fokus abermals auf das deutsche Recht, so stellt sich die schwieriger zu beantwortende Frage, was im Hinblick auf das Sekun271

Exemplarisch sei abermals auf die Entscheidung des Landesgericht Leoben, NZI 2005, 646 f. hingewiesen. 272 Uhlenbruck/Uhlenbruck, InsO, § 1, Rn. 11; Gerhardt, in: Insolvenzrecht im Umbruch, S. 1, 2. 273 So auch Meyer-Löwy/Poertzgen, ZInsO 2004, 195, 196; Penzlin/Riedemann, NZI 2005, 518; Spahlinger, Sekundäre Insolvenzverfahren, S. 258; Weller, ZHR 169 (2005), 570, 588. 274 Virgós/Schmit, Bericht, Nr. 51, 221. 275 So aber Haß/Herweg, in: Geimer/Schütze, Art. 3 EuInsVO, Rn. 47. 276 Als Unternehmen wird hier die Gesamtheit der sachlichen und personellen Produktionsmittel sowie der Geschäftsbeziehungen verstanden.

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Kapitel 3: Die Rechtswahlfreiheit unter der EuInsVO in der Analyse

därverfahren für das deutsche Insolvenzplanverfahren gilt. Dieses ist vom Wortlaut des Anhangs B der EuInsVO erfasst277. Jedoch zeigt ein Vergleich mit Anhang A, dass Verfahrenstypen, die zu einer Umgestaltung der Rechtsbeziehungen zwischen Schuldner und Gläubigern führen, nicht erfasst werden sollen. Diese Regelung scheint zwar angesichts des Umstands, dass solche Umgestaltungen, wie sich aus Art. 34 Abs. 2 EuInsVO ergibt, nicht ausgeschlossen sind, inkonsequent278. Letztlich ist die Vorschrift jedoch nur Ausdruck des Gedankens, im Sekundärverfahren Verfahrenstypen auszuschließen, die eine Modifikation solcher Rechtsbeziehungen erfordern, die zugleich Gegenstand des Hauptverfahrens sind. Dies erklärt auch das Erfordernis der Zustimmung aller Gläubiger in Art. 34 Abs. 2 a.E. EuInsVO. Die Durchführung eines Insolvenzplanverfahrens in einem Sekundärverfahren ist somit nicht möglich, wenn zuvor ein Hauptverfahren eröffnet oder ein Antrag des Hauptinsolvenzverwalters nach Art. 37 EuInsVO gestellt wurde279. Andere mitgliedstaatliche Verfahrensarten fordern eine umgehende Veräußerung des Schuldnervermögens und stehen daher bei Durchführung als Sekundärverfahren selbst temporärer Unternehmensfortführung entgegen280. Dass die Maßnahme der Aussetzung der Verwertung nach Art. 33 EuInsVO hier schon wegen der sich vielfach widersprechenden Interessen der lokalen Verfahrensbeteiligten häufig kein Ausweg von praktischem Wert ist, hat sich bereits erwiesen281. Nicht nur die mögliche inhaltliche Unvereinbarkeit einzelner Regelungen von Haupt- und Sekundärverfahrensstatut, sondern auch die Inkompatibilität der dem jeweiligen Verfahren immanenten Ziele können die Vorteile einer Verfahrensbündelung unter dem Status quo zunichte machen.

277

Vgl. auch Wimmer, zit. nach Strüber, in: Insolvenzrecht 2003, S. 95, 96. So MünchKomm InsO/Reinhart, Art. 27 EuInsVO, Rn. 21, der bei Zustimmung aller Gläubiger das Sekundärverfahren auch als Insolvenzplanverfahren einbeziehen möchte. Vgl. hierzu auch die Regelung des deutschen Gesetzgebers in Art. 102 § 9 EGInsO. 279 Zweifelnd auch Penzlin/Riedemann, NZI 2005, 517, 518. Auch Balz, ZIP 1996, 948, 953 scheint in diesen Fällen auf Sanierung des Schuldner gerichtete Verfahrensarten für ausgeschlossen zu erachten. Die in Art. 37 Unterabs. 2 EuInsVO statuierte Pflicht zur Umwandlung wird entgegen der Auffassung einiger Mitgliedstaaten (so beispielsweise Portugals, vgl. ABlEG 2000 Nr. C 183/01; vgl. auch Strüber, in: Insolvenzrecht 2003, S. 95, 96) kaum über den ordre-public-Vorbehalt in Art. 26 EuInsVO verweigert werden können, da diese Pflicht unmittelbarer Regelungsgehalt der Verordnung ist. 280 Dies gilt beispielsweise für das englische Verfahren der Liquidation, vgl. Re Wreck Recovery and Salvage Company Ltd. 1880 15 (Ch. D.) 353, 360. 281 Vgl. abermals die Ablehnung der Verwertungsaussetzung durch das Landesgericht Leoben, NZI 2005, 646 f. 278

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(b) Personenidentität des Verwalters in Haupt- und Sekundärverfahren als praktikable Lösungsmöglichkeit? Eine Möglichkeit zur Lösung der aus der Verschlechterung der Koordination von Haupt- und Sekundärverfahren resultierenden Reibungsverluste wäre die Einsetzung derselben Person als Verwalter in Haupt- und Sekundärverfahren. In den Fällen, die bislang die Praxis beherrschen, wurden vielfach Verwalter aus international aufgestellten, schlagkräftigen Einheiten, häufig großen Wirtschaftsprüfungsgesellschaften, eingesetzt. Jedoch wird die Einsetzung derselben Person als Verwalter in Haupt und Sekundärverfahren vereinzelt für durch die EuInsVO ausgeschlossen gehalten282; immerhin setzen die Materialien eine Personenverschiedenheit offenbar voraus283. Daraus kann jedoch nicht geschlossen werden, dass sie schlechterdings unzulässig ist. Diese Frage ist vielmehr nach Maßgabe der leges fori concursus zu beantworten. Als Lösung bliebe darüber hinaus die Einsetzung zweier demselben Büro oder derselben Kanzlei zugehöriger Verwalter. Letztlich hängt die Verwirklichung dieser Lösung jedoch von der Bereitschaft des Gerichts und der Gläubiger ab, im Sekundärverfahrensstaat einen ausländischen Verwalter zu bestellen oder einer solchen Bestellung zuzustimmen. Sie ist damit sehr ungewiss. Ein solches Vorgehen würde zudem voraussetzen, dass die mit der Verwaltung befasste Einheit überhaupt über Mitarbeiter verfügt, welche die regional erforderlichen Qualifikationen aufweisen. Die hohen Anforderungen, welche die Mitgliedstaaten für die Ausübung des Amtes des Insolvenzverwalters stellen, und die vielfach umfangreichen bürokratischen Voraussetzungen für den Zugang zum Verwalterberuf sind weitere Hindernisse, die den genannten Lösungswegen in der Praxis entgegenstehen und abermals einen Wettbewerbsvorteil für große Einheiten wie die international arbeitenden Wirtschaftsprüfungsgesellschaften darstellen284. (c) Sekundärverfahren in Eigenverwaltung als praktikable Lösungsmöglichkeit? Ähnliches gilt für die Anordnung einer Eigenverwaltung für das Sekundärverfahren. Soweit ein solches Verfahren im Sekundärverfahrensstaat bekannt ist (in Deutschland nach §§ 270 ff. InsO), wird in seiner Durchführung die Lösung der aus dem Nebeneinander von Haupt- und Sekundärver-

282

So Lüke, ZZP 111 (1998), 275, 304. Vgl. Virgós/Schmit, Bericht, Nr. 232. 284 Zur Veranschaulichung sei auf die umfangreichen Voraussetzungen einer Zulassung als insolvency practitioner in England und Wales verwiesen. Siehe dazu Köster, RIW 2006, 24, 25 ff. 283

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fahren resultierenden Probleme erblickt285. So hat das AG Köln auf Antrag des Schuldners und des Verwalters des Hauptverfahrens für das deutsche Sekundärverfahren über einen Schuldner, dessen COMI in England lokalisiert wurde, die Eigenverwaltung angeordnet286. Dem Gericht ist dabei darin zuzustimmen, dass auch die Eigenverwaltung im Anwendungsbereich der EuInsVO liegt, da auch der Sachwalter unter den weiten Verwalterbegriff des Art. 2 lit. b) EuInsVO fällt. Nach Auffassung des AG Köln führt die Eigenverwaltung im Sekundärverfahren nicht zu einer Aufhebung der Beschlagwirkung des Hauptverfahrens, da ein Verfahren in Eigenverwaltung die – nach Eröffnung des Hauptverfahrens ggf. auf dessen Verwalter übergegangene – Verfügungsbefugnis des Schuldners fortbestehen lasse287. Mit dieser Konstruktion wären Haupt- und Sekundärverfahren in der Hand desselben Verwalters, es entstünde ein Gleichlauf der Verwalteraktivitäten durch Bündelung288. So ließen sich trotz der Durchführung eines Sekundärverfahrens ebenfalls wenigstens diejenigen Effizienzverluste auffangen, die aus einer mangelnden organisatorischen Koordination von Haupt- und Sekundärverfahren resultieren. Die ersten Erfahrungen mit diesem Modell zeigen, dass sich damit zwar Abstimmungsdefizite überwinden lassen, jedoch durch die Einsetzung eines ausländischen Verwalters in dem nach der lex fori concursus secundariae durchzuführenden Verfahren eigene, neue Schwierigkeiten entstehen289. So ist nicht immer gewährleistet, dass der Verwalter von Hauptund Sekundärverfahren auch über die erforderlichen Rechtskenntnisse zur erfolgreichen Bewältigung des Sekundärverfahrens verfügt. Nicht trotz, sondern auch anlässlich der Verwaltung von Haupt- und Sekundärverfahren „in Personalunion“ kann es mithin zu Schwierigkeiten bei der Bewältigung der Verfahrensmehrheit kommen. Infolge erster Erfahrungen wurde deshalb in einem weiteren Verfahren der gewählte Weg vom AG Köln noch modifiziert: Als Geschäftsführer des Schuldners wurde ein mit dem Sekundärverfahrensstatut vertrauter, erfahrener Insolvenzpraktiker eingesetzt, der mit Zustimmung des Haupt- und Sekundärinsolvenzverwalters (weiterhin eine Person) das Sekundärverfahren, wenn auch nicht rechtlich290, so doch faktisch, mit Zustimmung des Verwalters (und ggf. Sach285

So Meyer-Löwy/Poertzgen, ZInsO 2004, 195 ff. AG Köln, NZI 2004, 151 ff. 287 AG Köln, NZI 2004, 151, 153 ff. Dieser Entscheidung zustimmend AG Düsseldorf, NZI 2004, 623, 625. 288 So das Fazit von Blenske, EWiR 2004, 601, 602. 289 So der Erfahrungsbericht des Richters am AG Köln Prof. Dr. Vallender im Gespräch mit dem Verfasser. 290 Die Organe des Schuldners bestehen zwar nach zutreffender Auffassung auch nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens weiter, sie sind indes in rechtlicher Hinsicht gerade um die Kompetenzen des eingesetzten Verwalters und damit ganz wesentlich verkürzt 286

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walters) leitete. Die Erfahrungen mit dieser Veränderung des Modells im Fall Collins & Aikman, die im Einvernehmen der Verfahrensbeteiligten erzielt worden war, werden als positiv beschrieben291. Auch wenn sie sich im Einzelfall als funktionierende Lösung darstellt – ob es tatsächlich zur Anordnung einer Eigenverwaltung im Sekundärverfahren kommt, ist keinesfalls sicherzustellen. Darin besteht die maßgebliche praktische Unzulänglichkeit dieses Lösungsansatzes. Denn zum einen muss das Gericht im Staat der Niederlassung eine Eigenverwaltung überhaupt anordnen können292, zum anderen müssen auch die lokalen Gläubiger mitspielen. Da sie das Sekundärverfahren oft beantragen, ist etwa bei Durchführung eines Sekundärverfahrens in Deutschland zu erwarten, dass es aufgrund des Zustimmungserfordernisses aus § 270 Abs. 2 Nr. 2 InsO zu einer Verzögerung (wenn noch eine nachträgliche Anordnung der Eigenverwaltung erfolgt, § 271 InsO) oder späteren Verhinderung (§ 272 Abs. 1 Nr. 1 und 2 InsO) der Eigenverwaltung kommt293. Besteht die Motivation für die Beantragung eines Sekundärverfahrens darin, der Verfahrenseröffnung in einem anderen Staat entgegenzutreten, so kann es außerdem sehr problematisch sein, bei Anordnung einer Eigenverwaltung im Einvernehmen aller Verfahrensbeteiligten die vom AG Köln aufgezeigten Möglichkeit zum Ausgleich fehlender Rechtskenntnisse aufseiten des Verwalters zu nutzen. Ein Blick auf das deutsche Recht zeigt, dass die Konzeption jedoch nicht nur mit tatsächlichen Unsicherheiten behaftet, sondern ihre Implementierung unter den §§ 270 ff. InsO auch juristisch angreifbar ist294. Denn ein Fortbestehen der Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis in der Hand des Insolvenzverwalters des Hauptverfahrens kommt nur dann infrage, wenn diese dem Schuldner nicht durch das Insolvenzverfahren in Eigenverwaltung als originär insolvenzrechtliche Befugnis zugewiesen würden. Dann wäre der Schuldner nicht mehr kraft eigener Privatautonomie verfügungsbefugt, und die Verfügungsbefugnis bezüglich der Masse des Sekun-

(nach deutschem Recht infolge des Übergangs der Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis nach § 80 InsO). 291 So Richter am AG Köln Prof. Dr. Vallender im Gespräch mit dem Verfasser am 11.04.2006. 292 So kennt beispielsweise auch das italienische Recht ein Verfahren, bei dem die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis beim Schuldner verbleibt. Diese sog. amministratione controllata (eingehend Smid, DZWIR 2003, 57, 58 ff.) ist jedoch allein in Anhang A, nicht hingegen in Anhang B zur EuInsVO aufgeführt. Sie kommt als Koordinationsmittel im Verhältnis von Haupt- und Sekundärverfahren folglich bis auf Weiteres nicht in Betracht. 293 Eidenmüller, ZHR 169 (2005), 528, 545 spricht (allerdings im nationalen Zusammenhang) gar von einer „Zerbrechlichkeit“ des Sekundärverfahrens. 294 Vgl. Huber, FS Heldrich (2005), 679, 686.

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därverfahrens könnte zwangsläufig auch nicht mit der Beschlagwirkung des Hauptverfahrens auf den Verwalter des Hauptverfahrens übergehen. Stattdessen wäre der Schuldner selbst als Amtswalter in den durch die §§ 270 ff. InsO bestimmten Befugnissen über die Masse des Sekundärverfahrens verfügungsbefugt295. Die zuletzt genannte Lösung würde dem Zweck der Eigenverwaltung, die besonderen Kenntnisse des Schuldners von dem von ihm betriebenen Unternehmen zu nutzen296, besser entsprechen. Schließlich ist nicht auszuschließen, dass der Insolvenzverwalter beider Verfahren infolge seiner „Doppelfunktion“ in Interessenkonflikte gerät, die der Anordnung der Eigenverwaltung im Sekundärverfahren entgegenstehen297. Denn aus der Aufgabe des Sekundärverfahrens, die Interessen lokaler Gläubiger gegenüber den Wirkungen des Hauptverfahrens zu schützen, folgt zwingend, dass in beiden Verfahren unterschiedlichen Interessen zum Durchbruch verholfen werden soll. Die Eigenverwaltung im Sekundärverfahren ist nach alldem als Mittel zur Abfederung der aus dem Nebeneinander von Haupt- und Sekundärinsolvenzverwalter entstehenden Friktionen nur begrenzt geeignet und stellt nur in Ausnahmefällen einen gangbaren Ausweg zur Sicherstellung der Effizienzvorteile durch eine Verfahrensbündelung dar298. (d) Verhinderung von Sekundärverfahren als praktikable Lösungsmöglichkeit? Damit zeigt sich, dass die wohl beste Möglichkeit, die Effizienzgewinne einer erfolgreichen Verfahrensbündelung unter der EuInsVO zu erhalten, darin besteht, es erst gar nicht zu einem Sekundärverfahren kommen zu lassen. Praktisch gestaltet sich dies jedoch schwierig. Denn allen nach Art. 29 EuInsVO antragsberechtigten Personen müsste die Motivation zur Stellung eines Antrags auf Eröffnung eines Sekundärverfahrens genommen werden. Soweit die Anreize der Gläubiger zur Beantragung von Sekundärverfahren auf den Wunsch einer möglichst ortsnahen, kostengünstigen Verfolgung ihrer Forderungen zurückgeht, könnten die Verwalter versuchen, den Gläubigern ihre Verfahrensteilnahme trotz der Durchführung nur eines 295 So die inzwischen wohl herrschende Auffassung, vgl. MünchKomm InsO/Wittig, § 270, Rn. 69 m.w.N. 296 Vgl. nur MünchKomm InsO/Wittig, vor §§ 270–285, Rn. 6. 297 Vgl. Hamburger Kommentar InsR/Undritz, Anhang zu §§ 335 ff., Rn. 13. Allgemein zu Interessenkollisionen bei Verfahrensbündelung in der Hand eines Verwalters in Konzernkonstellationen Vormstein, Zuständigkeit bei Konzerninsolvenzen, S. 239 ff. m.w.N. 298 Fragwürdig ist daher das Fazit von Meyer-Löwy/Poertzgen, ZInsO 2004, 195, 198, die für das europäische Insolvenzrecht in der Eigenverwaltung nach §§ 270 ff. InsO einen „Exportschlager“ sehen.

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Hauptverfahrens unkompliziert und komfortabel zu gestalten. Mit dem Ziel der Vermeidung von Sekundärverfahren haben die großen Verwaltungsgesellschaften dies in ihrer Praxis bereits vielfach berücksichtigt, etwa indem sie wichtige Dokumente in verschiedenen Sprachen anbieten und bei der Ortswahl von Gläubigerversammlungen auf die Bedürfnisse lokaler, nicht im Eröffnungsstaat des Hauptverfahrens ansässiger Gläubiger Rücksicht nehmen299. Letztlich konnte die Beantragung von Sekundärverfahren damit jedoch vielfach nicht erfolgreich verhindert werden300. Dies wird auch darauf zurückzuführen sein, dass ein maßgeblicher Anreiz für die Beantragung von Sekundärverfahren in einer erwarteten Besserstellung einzelner Gläubiger unter der lex fori concursus secundariae besteht. Insbesondere die durch das Insolvenzrecht der Mitgliedstaaten vielfach unterschiedlich eingeordneten Lohnforderungen der Arbeitnehmer301 lassen vielmals bei einer großen Zahl von Gläubigern das Bedürfnis nach Durchführung eines Sekundärverfahrens aufkommen. Ein weiteres von vielen denkbaren Beispielen sind eigenkapitalersetzende Gesellschafterdarlehen. Werden diese im Forum des Hauptverfahrens entgegen den Vorschriften des deutschen GmbHG als einfache Insolvenzforderung und nicht nachrangig behandelt302, ergeben sich erhebliche Anreize zur Beantragung einer Sekundärinsolvenz303. Da materiell-rechtliche Regelungen des EuInsVO insoweit bislang fehlen, wäre einer weitergehende Privilegierung solcher Gläubiger, die als potenzielle Antragsteller eines Sekundärverfahrens infrage kommen, nur 299

Dies berichtet Verwalter Taylor in einer Befragung durch die britische Regierung (Fn. 293 zum vorigen Kapitel), dort unter Punkt 4.1.1. 300 Im Gespräch mit dem Verfasser berichtete Stephen Taylor indes von der erfolgreichen Verhinderung eines Sekundärverfahrens in den Verfahren über die deutschen Parmalat-Gesellschaften (zur internationalen Zuständigkeit in der Entscheidung Deutsche Pamalat siehe oben, S. 50). Den Gläubigern, ganz überwiegend Milchbauern, habe erfolgreich vermittelt werden können, dass die Eröffnung von Sekundärverfahren ihre Position erheblich verschlechtert hätte. Es wurde insbesondere verdeutlicht, dass nur bei alleiniger Durchführung der Hauptverfahren der weitere Ankauf von Milch gegen garantierte Kaufpreiszahlungen sicherzustellen sei. Die italienischen Formulare wurden übersetzt, und den Gläubigern wurde bei der Beantragung ihrer Forderungen weitreichende Hilfestellung geleistet. Der italienische Insolvenzverwalter bediente sich hierzu lokaler Berater, die selbst nicht als Verwalter der Gesellschaft tätig wurden. Taylor resümiert, dieser Fall verdeutliche, dass die Verhinderung von Sekundärverfahren durchaus möglich sei. 301 Vgl. oben, Fn. 55 zum vorhergehenden Kapitel sowie Penzlin/Riedemann, NZI 2005, 517, 518 f. 302 Nach der hier vertretenen gesellschaftsrechtlichen Qualifikation wäre dies nicht statthaft. 303 Vgl. Vallens/Dammann, NZI 2006, 29, 31, denen zufolge dies der Grund für die deutschen Rover-Vertragshändler war, die Durchführung eines Sekundärverfahrens zu beantragen.

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möglich, wenn sie durch die lex fori concursus generalis ermöglicht wird. In zwei englischen Entscheidungen, die jeweils Konzernkonstellationen betreffen, wurde entschieden, dass in einem nach englischem Recht durchgeführten Hauptverfahren eine Bevorzugung lokaler Gläubiger – etwa nach Maßgabe der hypothetischen leges fori concursus secundariae – im pflichtgemäßen Ermessen der Verwalter stehe. Dabei werden als Begründungsansätze sowohl das kodifizierte als auch das Fallrecht herangezogen304. Die Erfahrungen mit diesem Instrument sind uneinheitlich: So kam es in der Insolvenz des MG Rover-Konzerns trotz der supplemental orders des High Court of Justice Birmingham305, die eine über die im englischen Insolvenzrecht vorgesehene Behandlung hinausgehende Bevorzugung einzelner Forderungen erlauben, dennoch zur Beantragung und Eröffnung von Sekundärverfahren306. Bemerkenswert ist jedoch, dass die Beantragung eines Sekundärverfahrens durch die französischen Arbeitnehmer von Rover France S.A.S. trotz des ihnen nach französischem Recht zustehenden superprivilèges vermieden werden konnte307. Auch im Fall Collins & Aikman gelang es mit Zusagen an die lokalen Gläubiger bei vielen, nicht aber bei jeder der 24 betroffenen europäischen Gesellschaften, Sekundärverfahren zu verhindern308. Die Möglichkeiten, die Anreize zur Beantragung eines Sekundärverfahrens zu unterbinden, sind mithin selbst dann begrenzt, wenn im Einzelfall nach der lex fori concursus generalis die Möglichkeit einer privilegierten Behandlung besteht und diese durch das Gericht des Hauptverfahrens ausreichend kommuniziert wird. Dafür lassen sich im Wesentlichen drei Ursachen benennen. Zunächst sind dies technische Beschränkungen. Damit die Gläubiger unter der lex fori concursus secundariae im Hauptverfahren tatsächlich so stehen wie bei Durchführung eines Sekundärverfahrens, wird es vielfach nicht genügen, den Forderungen denjenigen Rang zuzuweisen, der ihnen nach dem Sekundärverfahrensstatut zukäme. Dies gilt insbesondere für den Fall, dass das Sekundärverfahren eine gänzlich andere Zwecksetzung als das Hauptverfahren aufwiese (z. B. Erhaltung der Arbeitsplätze), was trotz der durch die EuInsVO vorgegebenen Beschränkung auf Liquidationsverfahren nicht auszuschließen ist.

304

Eingehend Collins & Aikman Europe SA and other matters [2006] EWHC 1343 (Ch. D.), Rn. 14 ff., 41; High Court of Justice Birmingham, NZI 2005, 515, 516 f. 305 High Court of Justice Birmingham, NZI 2005, 515, 516 f. 306 Vgl. oben, Fn. 917 zum vorhergehenden Kapitel. 307 Vgl. Vallens/Dammann, NZI 2006, 29, 31. 308 Vgl. Collins & Aikman Europe SA and other matters [2006] EWHC 1343 (Ch. D.), Rn. 11.

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Auch wenn dies nicht der Fall sein sollte, kann erst unter Berücksichtigung der hypothetischen Verteilung der Insolvenzmasse auf Haupt- und Sekundärverfahren ermittelt werden, ob es zu einer wirtschaftlichen Gleichstellung kommt. Gerade in Konzernkonstellationen, in denen ein Großteil der Gesamtmasse dem Sekundärverfahren unterfiele, kann es sein, dass die Masse des alleinigen Hauptverfahrens zunächst nicht zur Befriedigung der nach der lex fori concursus und den individuellen Privilegierungen der hypothetischen Sekundärverfahrensstatute bevorrechtigten Gläubiger genügt, während dies bei Durchführung des Sekundärverfahrens der Fall wäre. Den potenziellen Antragstellern kann dann ihr Anreiz gar nicht wirksam genommen werden. Zu einer Masse, die verglichen mit dem hypothetischen Sekundärverfahren für die darin privilegierten Gläubiger kleiner wäre, kann auch eine nur nach dem Insolvenzrecht des Hauptverfahrens bestehende Insolvenzfestigkeit bestimmter Sicherheiten führen. Von Interesse für den Umfang der Masse, die in einem hypothetischen Sekundärverfahren den dort privilegierten Gläubigern zu Verfügung stünde, ist schließlich die Frage nach der Behandlung von Masseverbindlichkeiten. Denn wenn man annähme, für durch den Hauptinsolvenzverwalter vor Eröffnung eines Sekundärverfahrens begründete Masseverbindlichkeiten hafte die Masse des Sekundärverfahrens nicht unbeschränkt, sondern nur anteilig309, könnte auch dies eine erhebliche wirtschaftliche Besserstellung bestimmter Gläubiger bei Durchführung eines Insolvenzverfahrens bedeuten, die mit einer Bevorzugung im Hauptverfahren nicht zu kompensieren wäre. Hält man mit der zutreffenden Auffassung eine unbeschränkte Haftung der Sekundärverfahrensmasse für vor Eröffnung dieses Verfahrens entstandene Masseverbindlichkeiten für möglich310, so kann sich aus einer möglichst frühzeitigen Eröffnung eines Sekundärverfahrens ebenfalls eine wirtschaftliche Besserstellung im Sekundärverfahren bevorzugter Gläubiger ergeben. In den genannten Situationen ist daher vorstellbar, dass die im Sekundärverfahren vorrangig behandelten Gläubiger trotz der Anrechnungspflicht aus Art. 20 Abs. 2 EuInsVO bei tatsächlicher Durchführung eines Sekundärverfahrens besser stünden, als es durch eine Bevorzugung in einem ausschließlichen Hauptverfahren möglich wäre. Der zweite Grund, aus dem selbst die begründete Inaussichtstellung, im Hauptverfahren wirtschaftlich genauso gestellt zu werden, Anträge auf Eröffnung von Sekundärverfahren oft nicht verhindern können wird, besteht in einer psychologischen Facette der Problematik. Denn das weiterbestehende Misstrauen eines einzelnen nach Art. 29 EuInsVO antragsberechtig309

So Duursma-Kepplinger, in: Duursma-Kepplinger/Duursma/Chalupsky, EuInsVO, Art. 27, Rn. 58. 310 Dies vertreten mit überzeugenden Argumenten Ringstmeier/Homann, NZI 2004, 354 ff.

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ten Gläubigers gegenüber der Anspruchsverfolgung unter ausländischem Recht kann alle Bemühungen, Sekundärverfahren zu verhindern, vereiteln. Die Exspektanzen und der Geschäftssinn lokaler Insolvenzpraktiker führen dazu, dass bisweilen gezielt unter den im Sekundärverfahrensstaat ansässigen Gläubigern auf die Eröffnung von Sekundärverfahren hingewirkt wird311. Erschwerend kommt hinzu, dass infolge der im Hauptverfahren durchgeführten Verwertungs- und Umstrukturierungsmaßnahmen nachträglich die Voraussetzungen einer Niederlassung im Sinne der EuInsVO entfallen könnten312. Die örtlichen Gläubiger haben dann keine Möglichkeit mehr, eine Anwendung des hypothetischen Sekundärverfahrensrechts zu erzwingen, wenn sich die in Aussicht gestellte Besserstellung schließlich als nicht realisierbar erweisen sollte. Die Probleme, die mit dem Versuch der Vermeidung von Sekundärverfahren durch individuelle Besserstellung verbunden sind, verschärfen sich naturgemäß weiter, wenn zugleich im Hinblick auf mehrere potenzielle leges fori concursus secundariae die Anreize zur Verfahrenseröffnung genommen werden sollten. Ein weiterer Grund, aus dem sich die gezielte Besserstellung als eine nur in Ausnahmefällen gangbare Handhabe erweist, sind die damit verbundenen rechtlichen Probleme: Aus der Warte des deutschen Insolvenzrechts ließe sich mit guten Gründen annehmen, eine Bevorzugung bestimmter Gläubiger gegenüber der durch die lex fori concursus generalis statuierten Verteilungsordnung verstoße gegen den Grundsatz der Gläubigergleichbehandlung313. Die Anerkennung der Gewährung solcher Vorrechte durch andere Mitgliedstaaten könnte somit zu einer Verletzung des ordre public des Anerkennungsstaates führen und so zu einer Verweigerung der Anerkennung berechtigen314. Anders als in der oben thematisierten innerge-

311 Nach Einschätzung von Praktikern in Gesprächen mit dem Verfasser sind die Interessen lokaler Verwalter eine maßgebliche Kraft hinter der Eröffnung von Sekundärverfahren, obwohl dieselben Personen in einer Funktion als lokaler Berater seines Erachtens vielfach nicht schlechter stünden als bei Durchführung der Sekundärinsolvenz. 312 Auf diese Problematik weist ausdrücklich Collins & Aikman Europe SA and other matters [2006] EWHC 1343 (Ch. D.), Rn. 9, 33 hin. 313 So Penzlin/Riedemann, NZI 2005, 517, 520. Zur Unveränderlichkeit der Rangklassen durch Vereinbarung oder richterliche Entscheidung nach deutschem Recht siehe nur MünchKomm InsO/Ehricke, § 39, Rn. 9; Uhlenbruck/Uhlenbruck, InsO, § 39, Rn. 9. 314 Nachdem eine Abweichung von den in der InsO genannten Rangklassen durch richterliche Rechtsfortbildung als Verstoß gegen das rechtstaatliche Prinzip des Art. 20 Abs. 3 GG (vgl. BVerfGE 65, 182, 192 zur Begründung von Privilegierungen einzelner Forderungen außerhalb des geschlossenen Systems der KO) und den Grundsatz der Gläubigergleichbehandlung und damit als Verletzung fundamentaler Rechtsgrundsätze anzusehen sein wird, scheint eine Verweigerung der Anerkennung nach Art. 26 EuInsVO möglich, wenngleich die Garantien des GG als solche natürlich nicht gegenüber anderen Mitgliedstaaten wirken.

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meinschaftlichen Dimension315 betrifft das Prinzip der par conditio creditorum hier nämlich die selektive Privilegierung von Gläubigern innerhalb und entgegen der Rangfolge eines konkret anzuwendenden Insolvenzrechtsregimes. Eine wirtschaftliche Besserstellung von Gläubigern mit dem Ziel der Vermeidung eines Sekundärverfahrens ist daher auch mit dem Risiko der Nichtanerkennung des Hauptverfahrens nach Art. 26 EuInsVO behaftet. Die Unzulässigkeit einer gezielten Besserstellung einzelner Gläubiger nach dem Recht bestimmter Mitgliedstaaten beschränkt dieses Mittel daher nicht nur im Hinblick auf den Kreis der Anwender, sondern auch in der Reichweite seiner Wirkung. Abgesehen von dieser international-insolvenzrechtlichen Problematik ist die Bevorzugung bestimmter Gläubiger als Mittel zur Bewahrung der mit einer Verfahrensplatzierung oder -bündelung bezweckten Effizienzgewinne auch per se kritisch zu sehen. Denn letztlich führt dieses Vorgehen zu einer Aushöhlung der Verteilungsgrundsätze des mitgliedstaatlichen Rechts. Diese Ungleichbehandlung innerhalb eines Verteilungsschlüssels als gleichrangig betrachteter Gläubiger rührt an den grundsätzlichen juristischen (Verteilungsgerechtigkeit, wechselseitig zuzurechnende und nicht mehr im Einzelnen rückabzuwickelnde Einflussnahme aller Schuldner auf die Vermögens- und Haftungsverhältnisse des Gläubigers) und ökonomischen (Zwang zum kollektiven Zusammenwirken zur Gewährleistung einer optimalen Verwertung des Schuldnervermögens) Erwägungen, auf denen die Daseinsberechtigung des Instituts des Insolvenzverfahrens fußt. Obwohl es sich bei der Gläubigergleichbehandlung wohl nicht um eine unmittelbar effizienzrelevante Zielgröße handelt316, kommt auch dieser für die Funktionsfähigkeit eines internationalen Insolvenzrechts eine große Bedeutung zu. Schließlich würde mit der Gewährung von Privilegien den Antragsberechtigten i.S. des Art. 29 EuInsVO ein erhebliches Druckmittel an die Hand gegeben. Denn es ist nicht ersichtlich, wieso ein Gläubiger von der für ihn ggf. bei Antragstellung und auch im weiteren Verlauf mit geringerem Aufwand verbundenen Beantragung eines Sekundärverfahrens absehen sollte, wenn er in einem Hauptverfahren nur dieselbe Befriedigung erlangt und die Voraussetzungen eines Sekundärverfahrens weiter gegeben sein sollten. Danach ist im Einzelfall eine Ausweitung der Gewährung von Zahlungsprivilegien zu befürchten. Dass die Bewilligung als Ausnahme konzipierter Zahlungen sich so weit verselbstständigen kann, dass sie schließlich zur Regel wird, zeigen die aus dem US-amerikanischen Recht bekannten emergency preferential orders in Form sog. direct payments. Nach diesem auch in den USA mit Blick auf 315

Siehe oben, S. 28 ff. LoPucki, 84 Cornell Law Review, 696, 702 (1998/1999) m.w.N.; Westbrook, 65 American Bankruptcy Law Journal, 457, 466 (1991). 316

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den Gleichbehandlungsgrundsatz umstrittenen Institut ist eine vorgezogene Befriedigung solcher Gläubiger – der sog. critical vendors – möglich, die für die Fortführung des schuldnerischen Unternehmens eine zunächst unersetzbare, betriebsnotwendige Stellung einnehmen317. Critical vendors werden ähnlich behandelt wie Massegläubiger nach deutschem Recht. Im zurückliegenden Jahrzehnt wurde die Praxis der critical vendor payments in einigen Bundesstaaten immer großzügiger gehandhabt. Letzten Endes avancierte sie dort, nicht zuletzt aufgrund eines Wettbewerbs zwischen verschiedenen Insolvenzforen, zum Standard318. Die Erfahrungen in den USA zeigen, dass ungeachtet der juristischen Folgeprobleme, die vor allem in Gestalt von Auseinandersetzungen zwischen den benachteiligten und nachträglich bevorzugten Verfahrensbeteiligten eintreten, auch an der wirtschaftlichen Sinnhaftigkeit solcher Zahlungen noch Zweifel bestehen. Das für die Unternehmenssanierung – nur wenn eine solche beabsichtigt ist, sind critical vendor payments überhaupt sinnvoll – zur Verfügung stehende Vermögen wird nämlich ganz erheblich geschmälert319. Die Situation der nach Art. 29 EuInsVO antragsberechtigten Gläubiger unterscheidet sich zwar insofern von jener der critical vendors, als von ihrem Handeln nicht unmittelbar auf betrieblicher, sondern auf prozessualer Ebene eine effiziente Durchführung des Verfahrens abhängt. Aber auch gegenüber potenziellen Antragstellern könnte sich aufgrund der geschilderten Wettbewerbssituation zwischen den Gerichten, soweit rechtlich möglich, die Tendenz einer fortschreitenden Aufweichung der insolvenzrechtlichen Distributionsregelungen einstellen. d. Zusammenfassung Zusammenfassend ist festzuhalten, dass unter der EuInsVO in Ansehung des Verfahrensziels einer möglichst wirtschaftlichen Durchführung des Verfahrens und der Maximierung des haftenden Schuldnervermögens zwar Effizienzgewinne vorstellbar sind, die in der bisherigen Rechtspraxis auch verschiedentlich realisiert werden konnten. Die Effizienzvorteile, die in einem bestimmten Forum zu realisieren wären, sind jedoch im Wege einer Rechtswahl nur dann mit Sicherheit zu verwirklichen, wenn der Wettlauf 317

Eingehend zu diesem Institut Tabb, 65 American Bankruptcy Law Journal, 75, 92 f. (1991). 318 LoPucki, Courting Failure, S. 163 ff. m.w.N. 319 Vgl. LoPucki, Courting Failure, S. 163 ff.; Tabb, 65 American Bankruptcy Law Journal, 75, 92 f., 98 f. (1991). Die Regeln über die vorgezogene Befriedigung von critical vendors waren Gegenstand einer Gesetzesänderung durch das Bundesgesetz Bankruptcy Abuse Prevention and Consumer Protection Act of 2005. Dieses sieht eine Novellierung von Sec. 503 des U.S. Bankruptcy Code vor. Zu den Auswirkungen auf critical vendors vgl. Zywicki, 94 Georgetown Law Journal, 1141, 1192 ff. (2006).

B. Status quo und Effizienz

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um die Verfahrenseröffnung von einem in dieses Forum drängenden Antragsteller gewonnen wird. Dazu müsste sich das Recht dieses Forums mit Blick auf den Wettlauf als wettbewerbsfähig erweisen. Vor allem aber setzt dies voraus, dass die Verfahrenseröffnung in dem jeweiligen Forum überhaupt betrieben wird. Aufgrund der heterogenen Interessen der Verfahrensbeteiligten, für die eine Verfahrenseröffnung vielfach in einem bestimmten Forum attraktiv ist, fehlt es an einem Mechanismus, der ein Betreiben der Verfahrenseröffnung im „effizientesten“ Forum sicherstellen würde. Weiterhin würde eine Realisierung der Effizienzvorteile voraussetzen, dass keine Sekundärverfahren über nennenswerte Vermögensteile eines oder mehrerer Schuldner eröffnet werden. Denn die von der EuInsVO vorausgesetzte Akzessorietät der Interessen von Haupt- und Sekundärinsolvenzverwalter320 findet in der Verfahrenswirklichkeit bisweilen vielfach keine Entsprechung. Ein wirkungsvolles Instrumentarium, mit dem die einer effizienten Durchführung des bzw. der Hauptverfahren entgegenstehenden Störwirkungen des Sekundärverfahrens effektiv eingeschränkt werden können, besteht nicht. Der Verweis auf die Möglichkeiten von Insolvenzverwalterverträgen, sog. protocols321, oder einer informellen Koordination322 ist zutreffend, setzt jedoch den oftmals nicht bestehenden Willen der Verwalter zur Zusammenarbeit voraus. Sicherzustellen ist die Verwirklichung von Effizienzvorteilen einer Rechtswahl (und Verfahrensbündelung) auf der Ebene des Hauptverfahrens nur, indem Sekundärinsolvenzen vermieden werden. Besondere Hilfestellungen für lokale Gläubiger haben sich dabei in einzelnen Fällen als probates Mittel erwiesen. Für die Sicherung der Alleinstellung des Hauptverfahrens sind sie jedoch keine Garantie. Die Besserstellung potenzieller Antragsteller eines Sekundärverfahrens hilft dabei ebenso nur sehr begrenzt weiter und kann, soweit überhaupt möglich, weitreichende wirtschaftliche und juristische Folgeprobleme nach sich ziehen. Dass es unter der EuInsVO bisweilen dennoch möglich war, die Effizienzvorteile einer Verfahrensbündelung zu nutzen323, liegt wohl vor allem daran, dass es gelungen ist, wenigstens auf der Ebene der Hauptverfahren eine Verfahrenskonzentration herbeizuführen. Der Vorsprung, den insbesondere englische Verwalter durch die offensive Inanspruchnahme der Eröffnungszuständigkeit erreichen konnten, ist nicht unaufholbar. In anderen 320

Ehricke, in: Aufbruch nach Europa, S. 337, 342. Allgemein zu diesen vor allem im anglo-amerikanischen Rechtskreis bekannten Verwaltungsvereinbarungen vgl. Haß/Herweg, in: Geimer/Schütze, Art. 3 EuInsVO, Rn. 65 ff.; Paulus, ZIP 1998, 977 ff. 322 Ehricke, in: Aufbruch nach Europa, S. 337, 354; Eidenmüller, EBOR 6 (2005), 423, 440. 323 Zu den entsprechenden Fällen vgl. oben, S. 295. 321

322

Kapitel 3: Die Rechtswahlfreiheit unter der EuInsVO in der Analyse

Staaten, darunter auch Deutschland, finden die Methoden, wie oben dargestellt, mittlerweile ebenfalls Anwendung324. In einem zunehmenden Wettbewerb der Akteure verschlechtern sich indes die Chancen, das Verfahren über einen oder gar mehrere Schuldner in einem bestimmten Forum zu platzieren. Die These bzgl. der Realisierbarkeit von Effizienzgewinnen im Hinblick auf die Verfahrensgestaltung könnte sich so in der Praxis weitgehend als Mythos erweisen. Das Vorgehen englischer Gerichte und Verwalter als „Modernismus“ zu bezeichnen, „dem der Kontinent nicht allzu viel entgegenzusetzen hat“325, trifft die Realität daher nicht im Kern. Denn wenn Verfahrensbeteiligte in anderen Staaten ebenso kompetitiv und bisweilen protektionistisch vorgehen wie die englischen Gerichte und Verwalter326, wird eine Verfahrensbündelung künftig weiter erschwert werden. Vom „Modernismus“ bliebe dann nicht viel übrig. 3. Minimierung des Aufwands für die Verfahrensbeteiligten Die dritte Zielgröße, anhand derer Aussagen zur Verfahrenseffizienz getroffen werden sollen, ist die Minimierung des Aufwands für die Verfahrensbeteiligten. Dieses Verfahrensziel war notwendigerweise bereits teilweise Gegenstand der vorhergehenden Ausführungen, da Fragen der Verfahrensvereinfachung auf den Aufwand der Verfahrensbeteiligten zurückwirken. Ermöglicht eine gebündelte Inanspruchnahme der internationalen Zuständigkeit die Koordination der Insolvenzverfahren über Schuldner eines Konzerns, so ließen sich beispielsweise die Gläubigerversammlungen an einem Tag und an einem Ort durchführen. Für die Frage der Realisierung dieser Verringerungen des Aufwands, die sich daraus ergeben, gelten die soeben genannten Einschränkungen. Im Übrigen, d.h. bezogen auf einen einzelnen Schuldner, lässt sich nur in Abhängigkeit vom Einzelfall und in Ansehung des jeweiligen Gläubigers sagen, ob die unmittelbar bei diesem entstehenden Transaktionskosten kleiner werden. Da das COMI-Kriterium, wie gezeigt, nicht notwendig mit dem gewöhnlichen Aufenthaltsort bzw. tatsächlichen Sitz der Gläubiger korreliert327, führt eine Rechtswahl nicht schlechthin zu höheren oder geringeren Kosten für die Gläubiger. Bei gleicher Verteilung der Gläubiger 324

Vgl. die Fallschilderungen, oben S. 39 ff. Paulus, NZI 2005, 647, 648; ähnlich auch seine Einschätzung in 42 Texas International Law Review, 819, 821 ff. (2007). 326 Verwalter Stephen Taylor fordert etwa: „This regulation may not be good and it may not be perfect. But it’s the best we’ve got. The regulation will only work when we stop thinking of it as an Anglo-centric view.“ (zitiert nach Willcock, Eurofenix, Summer 2005, engl. ed., S. 15). 327 Vgl. hierzu oben, S. 92 ff. 325

B. Status quo und Effizienz

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über die infrage kommenden Insolvenzforen ergäbe sich mit Blick auf die unmittelbar beim Gläubiger anfallenden Kosten ein Nullsummenspiel. Anders sieht es hingegen aus, wenn die Gläubiger – wie häufig der Fall – sich mehrheitlich in einem bestimmten Mitgliedstaat befinden. Gemessen an einer Eröffnung des Hauptverfahrens in diesem Staat entstünde bei einer andernorts erfolgenden Eröffnung des Hauptverfahrens auf Gläubigerseite ein Mehr an Transaktionskosten, vor allem Reise- und sonstige Distanzkosten, sowie Kosten für Rechtsberatung und Übersetzung. Insbesondere kleine Gläubiger werden dann, soweit eine Niederlassung nach Art. 2 lit. h) EuInsVO vorhanden ist, oder ihnen eine Inanspruchnahme dieser Eröffnungsvoraussetzung aussichtsreich scheint, ein Sekundärverfahren beantragen. So können sie ihre Forderung im vertrauten und für sie daher regelmäßig kostengünstigeren Umfeld verfolgen und zugleich über die Regelung des Art. 32 Abs. 2 EuInsVO am Hauptverfahren teilnehmen328. Das Sekundärverfahren und die wechselseitige Forderungsanmeldung führen indes ebenfalls zu einem erheblichen Verwaltungsaufwand329, der mit zusätzlichen Kosten verbunden ist. Die faktische Rechtswahlfreiheit unter der EuInsVO beinhaltet folglich im Einzelfall die Chance einer Reduzierung der bei den Verfahrensbeteiligten anfallenden Kosten. Dies kann – abhängig von der tatsächlichen Situation – jedoch nur zur bestmöglichen Bewältigung internationaler Insolvenzen beitragen, wenn diese Möglichkeit auch koordiniert, d.h. an der übergeordneten Maxime der bestmöglichen Gestaltung des gesamten Verfahrens ausgerichtet, realisiert werden kann. Die heterogenen Handlungsanreize der einzelnen Akteure stehen einer Realisierung dieser Möglichkeit indes regelmäßig entgegen. 4. Minimierung der Verfahrensdauer Die Dauer des Verfahrens ist im Zusammenhang mit der Frage nach der Effizienz von Insolvenzverfahren von großer Bedeutung. Zunächst kann das Verfahren zu einer faktischen Abzinsung der Forderung führen. Wichtiger ist die Bedeutung der Verfahrensdauer jedoch für die Verfahrenskosten. Vielfach wird die Bewältigung einer internationalen Insolvenz zwar einer gewissen Dauer bedürfen, um das für die Gläubiger insgesamt bestmögliche Ergebnis erzielen zu können. Tendenziell ist ein längeres Verfah-

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In Deutschland besteht eine Amtspflicht des Verwalters zur Anmeldung der Forderung in den jeweils anderen Verfahren, vgl. nur Smid, DZWIR 1998, 432, 436; Balz, ZIP 1996, 948, 954. 329 Vgl. zu dieser Einschätzung aus Sicht der Praxis nur Taylor, 2 International Corporate Rescue (2005), 173, 177.

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Kapitel 3: Die Rechtswahlfreiheit unter der EuInsVO in der Analyse

ren jedoch mit höheren direkten Kosten verbunden330. Für die Untersuchung der Verfahrenseffizienz ist die Verfahrensdauer schon aus diesem Grund eine paradigmatisch zu berücksichtigende Größe. Aus Sicht der Praktiker handelt es sich bei der zu erwartenden Geschwindigkeit um einen bedeutsamen Gesichtspunkt331. Von besonders großer Bedeutung ist die Geschwindigkeit des Verfahrens für die erfolgreiche Sanierung oder Restrukturierung des Schuldners und/oder des schuldnerischen Unternehmens. Je schneller eine solche gelingt, desto größer sind die Chancen des Unternehmens, die zum Zeitpunkt der Insolvenz eingenommene Marktposition aufrechterhalten zu können. Je länger sich die Geschäftspartner des Schuldners in Unsicherheiten über dessen Fortbestand und das Schicksal ihrer Forderungen wähnen, desto eher wird es zu einer Verschlechterung der Beziehungen kommen, die wiederum zu einer Gefährdung des Sanierungsziels führt und damit eine Verringerung der zur Befriedigung der Gläubiger verfügbaren Haftungsmasse bedeutet. Obwohl diese Argumentation in dieser abstrakten Form kaum in Zweifel zu ziehen sein wird, besteht über die konkrete Bedeutung der Verfahrensdauer für die Verfahrenseffizienz von Sanierungen auch in Ansehung der umfangreichen empirischen Studien in den USA weiter Streit. Die Geschwindigkeitsunterschiede zwischen verschiedenen Foren werden zwar mittlerweile als Faktum anerkannt, teilweise werden jedoch besonders schnelle Verfahren als ökonomisch vielfach nachteilig erachtet, da sie übereilt seien und die gründliche Bewältigung der Profitabilitätsprobleme des Schuldners erschwerten. Entsprechend werden die höheren sog. refiling rates, also der Anteil der erneut in Insolvenz fallenden Schuldner, interpretiert, die in den USA für besonders schnelle Foren wie den Staat Delaware kennzeichnend sind332. Andere Stimmen begrüßen hingegen die Möglichkeit, im Wege der Forumswahl auf die Dauer des Verfahrens einzuwirken. Sie sehen darin einen der wesentlichen Gründe für ein forum shopping333 und einen Schrittmacher für die unter Effizienzgesichtspunkten bestmögliche Verfahrens-

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Auf diesen Zusammenhang deutet auch eine empirische Studie hin, die das amerikanische Liquidationsverfahren nach Chapter 7 betrifft: Ferris/Lawless, 75 Washington University Law Quarterly, 1207, 1230 f. (1997) belegen einen statistisch signifikanten Zusammenhang zwischen Verfahrensdauer und direkten Verfahrenskosten. 331 Vgl. Cole, 55 Vanderbilt Law Review, 1845, 1860 f. (2002), der davon berichtet, dass beinahe alle der von ihm interviewten Konkurspraktiker die Verfahrensdauer als wichtigen Grund für eine Verfahrensplatzierung in Delaware erachteten. Auf die besondere Bedeutung der Verfahrensdauer für die Verfahrenseffizienz wiesen auch Insolvenzpraktiker im Gespräch mit dem Verfasser hin. 332 Vgl. LoPucki, Courting Failure, S. 117. 333 Vgl. Ayotte/Skeel, UPenn Law School Paper 20 (2003), S. 16 ff.

B. Status quo und Effizienz

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bewältigung334. In der Beobachtung, dass es in dem besonders schnellen Forum Delaware mit höherer Wahrscheinlichkeit nach Verfahrensbeendigung zur erneuten Insolvenz des Schuldners kommt, sehen sie nicht eine Folge des schnellen Verfahrens. Stattdessen erkennen sie darin einen Hinweis darauf, dass das Forum gerade von solchen Schuldnern präferiert werde, für die eine besonders schnelles Verfahren auch gemessen am Kriterium der Verfahrenseffizienz besonders lohnenswert sei, da sie sich in einer besonders diffizilen Lage befänden335. Die Korrelation von Verfahrensdauer und -effizienz wird, insbesondere für den innergemeinschaftlichen Bereich, eine umfangreiche empirische Analyse verlangen, zumal schon zur Situation in den USA, wie dargelegt, keine eindeutigen Befunde erzielt werden konnten, obwohl dort die Einheitlichkeit des Verfahrensrechts verhältnismäßig gute Vergleichsbedingungen schafft. Es bleibt jedoch festzuhalten, dass innerhalb der Gemeinschaft ganz erhebliche Unterschiede der Verfahrensdauer bestehen. In der Stichprobe einer streng auf Vergleichbarkeit der beobachteten Sachverhalte bedachten Studie wurde für Verfahren in Deutschland mit 3,82 Jahren im Median die längste Gesamtdauer ermittelt, während diese für Frankreich bei 3,05 Jahren und für Großbritannien bei nur 1,45 Jahren lag336. Ähnliches gilt für den Zeitraum zwischen der Verfahrenseröffnung und der Auszahlung von Erlösen an die Gläubiger. Deren Dauer betrug im Median in Deutschland 3,58 Jahre, in Frankreich 1,81 und in Großbritannien nur 0,78 Jahre337. Durch Wahl eines Forums, in dem eine besonders schnelle Verfahrensabwicklung stattfindet, kann es zu einer Verfahrensbeschleunigung und damit zur Einwirkung auf einen für die Verfahrenseffizienz bedeutsamen Faktor kommen338. Auch führt die formelle Bündelung von Insolvenzverfahren über das Vermögen von Unternehmensträgern derselben Gruppe zu einer erheblichen Verfahrensbeschleunigung339. Jedoch beschreibt dieser 334 Ayotte/Skeel, UPenn Law School Paper 20 (2003), S. 16 ff.; mit der dynamischen Komponente, welche die Rechtswahlfreiheit für verfahrensrelevante Faktoren wie die Verfahrensdauer haben könnte, beschäftigt sich der folgende Abschnitt der Arbeit. 335 Ausführlich zu diesem Begründungsansatz Ayotte/Skeel, 73 The University of Chicago Law Review, 425 ff. (2006). 336 Davydenko/Franks, 63 The Journal of Finance (2006), 565, 581. 337 Davydenko/Franks, 63 The Journal of Finance (2006), 565, 581. 338 So konnte im Fall Deutsche Nickel (oben, S. 56) das Verfahren der administration in nur zwei Monaten bewältigt werden. Die Aussage der beteiligten Praktiker, dass ein solch schnelles Verfahren nach deutschem Recht nicht hätte stattfinden können, ist plausibel. 339 So weist etwa der international tätige Verwalter Taylor in einem unveröffentlichten Fragebogen gegenüber der britischen Regierung (vgl. dazu Fn. 293 zum vorigen Kapitel) unter Punkt 2.1.2. darauf hin, dass eine Durchführung der Hauptverfahren an einem Ort es ermögliche, das Verfahren schneller zu koordinieren und rascher mit den Gläubi-

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Kapitel 3: Die Rechtswahlfreiheit unter der EuInsVO in der Analyse

Befund wiederum nur eine bloße Chance; ebenso ist denkbar, dass die als case placer tätigen Akteure keinen Anreiz haben, in ein „schnelles“ Forum zu drängen. Das kann nicht nur für das Management des Schuldners und seine Gesellschafter zutreffen, die möglicherweise bestrebt sind, ihre Ablösung bzw. den Verlust ihrer Rechtspositionen möglichst weit hinauszuzögern. Auch Gläubiger haben an einer schnellen Abwicklung einer Insolvenz nicht immer ein Interesse. Gerade nachrangige Gläubiger (etwa die Darlehensgeber der zweiten Tranche einer syndizierten Finanzierung), die bei beabsichtigter Verwertung durch Verkauf des schuldnerischen Betriebs auf going-concern-Basis zu einem bestimmten Zeitpunkt nicht in den Genuss von Verwertungserlösen kommen können („out of the money“), haben nichts dabei zu verlieren, in ein langsames Forum zu drängen. Dies beinhaltet für sie zumindest die Aussicht auf eine eventuelle Verbesserung des Werts des schuldnerischen Unternehmens. Eine Verlangsamung schadet diesen Gläubigern nicht. Auch für die Straffung der Verfahrensabläufe durch Zuständigkeitsbündelung bei einer internationalen Konzerninsolvenz gelten die zur Problematik der Realisierung einer solchen Zuständigkeitsbündelung geäußerten Vorbehalte. 5. Minimierung von Konflikten zwischen den beteiligten Staaten Ein weiterer Gesichtspunkt, der für die Verfahrenseffizienz im internationalen Kontext von Bedeutung ist, ist die Frage, inwieweit sich mit einem bestimmten Regelungssystem Konflikte zwischen den beteiligten Staaten vermeiden lassen. Solche Konflikte haben nachteilige Auswirkungen auf die Verfahrenseffizienz, da sie die bestmögliche Verwertung des Schuldnervermögens erschweren; die Klärung zwischenstaatlicher Konflikte und die damit entstehenden Rechtsunsicherheiten kosten in einer Phase Zeit, in der schnelles Vorgehen, wie gerade dargelegt, von besonderer Bedeutung ist. Vielfach werden sich die Verwalter für ein möglichst zurückhaltendes Vorgehen entscheiden, das zu einer ganz erheblichen Entwertung des Schuldnervermögens führen kann340, denn sie sehen sich während der Klärung des Rechtsstreits sowohl wegen Verfahrensverzögerung als auch wegen kompetenzwidrigen Handelns einer möglichen persönlichen Haftung ausgesetzt. Die entstehenden Rechtsunsicherheiten schränken den bzw. die Verwalter mithin erheblich in ihrer Handlungsfreiheit ein. Schließlich ist

gern abzustimmen und zeitaufwendige Vorgänge wie ein konzerninternes asset tracing oder die Ermittlung der Rolle des jeweiligen Schuldners innerhalb des insolventen Konzerns erheblich zu beschleunigen. 340 So ausdrücklich die Einschätzung des Verwalters Taylor in der Befragung durch die britische Regierung (Fn. 293 zum vorigen Kapitel), dort unter Punkt 2.1.4.

B. Status quo und Effizienz

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die Klärung der Konflikte auch unmittelbar mit zusätzlichen Kosten (u.a. für Rechtsberatung und Prozessführung) verbunden. In der bisherigen Rechtspraxis lassen sich drei Problemkreise identifizieren, mit denen die Regelungen der EuInsVO internationale Konflikte begünstigen: Erstens ist den vielfach sehr unbestimmten Regelungen der EuInsVO ein hohes Konfliktpotenzial immanent; maßgebliche Fragen regelt die Verordnung nur implizit, dabei besteht ein erheblicher Interpretationsspielraum der Verfahrensbeteiligten. Dieser wird vielfach opportunistisch und – methodologisch gemeinschaftsrechtswidrig – unter Rückgriff auf nationale Rechtstraditionen genutzt341. Auch dies ist ein Grund, warum eindeutige Regelungen im internationalen Rahmen besonders wünschenswert sind. Beispielhaft wird dies durch den Streit um das Verständnis des COMI-Kriteriums und die Auseinandersetzung um die Grenzen der Anerkennungspflicht veranschaulicht. Zweitens geht von der Ausnutzung der faktischen Rechtswahlfreiheit als solcher, wie gezeigt, ein erhebliches Potenzial für Auseinandersetzungen aus. Die mitgliedstaatlichen Gerichte sind vielfach an der Durchführung der Insolvenzverfahren interessiert. Die Auseinandersetzung um die Eröffnungszuständigkeit in den Fällen ISA/Daisytek, Eurofood/Parmalat, MG Rover, Aircraft und Hans Brochier veranschaulichen342, welche Sprengkraft die Zuständigkeitsordnung der EuInsVO auch für Streitigkeiten im zwischenstaatlichen Bereich enthält. Diese beiden Faktoren sind auf die Grundannahme gegenseitigen Vertrauens zurückzuführen343, die in der Rechtswirklichkeit bisweilen enttäuscht wurde. Hinzu kommt, dass auch die materiell-rechtlichen Folgen eines forum shopping zu Konflikten zwischen den Mitgliedstaaten führen können, wenn beispielsweise durch Wahl eines bestimmten Forums ein schuldner- oder gläubigerfreundlicheres Insolvenzstatut eingreift, das mit den rechtspolitischen Zielsetzungen des autonomen Insolvenzrechts der Anerkennungsstaaten nicht korrespondiert. Drittens besteht ein weiterer Umstand, der zwischenstaatliche Probleme begünstigt, darin, dass die Verordnung für die Lösung internationaler Konflikte keine eigenen Wege aufzeigt, mit denen sich Konflikte zwischen den Gerichten der Mitgliedstaaten effektiv, d.h. vor allem zeitnah zu ihrer Entstehung, bewältigen lassen. Wie dargelegt, muss gegen eine Eröffnungsentscheidung zunächst im Eröffnungsstaat vorgegangen werden. Soweit dies überhaupt möglich ist, ist ein Vorgehen aus den genannten Gründen oft wenig erfolgversprechend. Überdies führt die Rückverweisung an die Vorinstanz zu einer weiteren Verzögerung von Verfahren. Schließlich ist 341

Vgl. nur die Falldarstellungen, S. 39 ff. Vgl. oben, S. 43 ff., 46 ff., 54 ff., 58 ff. 343 Zu dieser vgl. oben, S. 143. 342

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Kapitel 3: Die Rechtswahlfreiheit unter der EuInsVO in der Analyse

der Zugang zu höchstinstanzlichen Gerichten in einigen Mitgliedstaaten wie Deutschland und Frankreich auf bestimmte Prozessvertreter beschränkt, die vielfach keine besonderen insolvenzrechtlichen Kenntnisse aufweisen. Auch hierdurch kommt es nach Einschätzung von Praktikern zu einer erheblichen Erhöhung von Risiken und Kosten beim Einsatz von Rechtsbehelfen344. Das Fehlen einer entsprechenden Regelung ist wohl ebenfalls auf die Fehlannahme des historischen Verordnungsgebers zurückzuführen, wonach Streitigkeiten unter der Maxime vertrauensvoller Zusammenarbeit gar nicht erst entstehen. Letztlich fördert die bestehende Regelungslage damit nicht nur die kompetenzwidrige Inanspruchnahme der Eröffnungszuständigkeit und andere Verstöße gegen die EuInsVO durch das zuerst agierende Gericht, sondern gleichermaßen verordnungswidrige Reaktionen durch die betroffenen Gerichte anderer Mitgliedstaaten, wie etwa die Eröffnung eines zweiten Hauptverfahrens oder eine unbegründete Verweigerung der Verfahrensanerkennung. Darüber hinaus bleiben bedeutsame Anschlussfragen offen. So ist etwa ungeklärt, wie sich die Rückabwicklung von Vermögensverschiebungen in einem später einzustellenden, zweiten Hauptverfahren vollziehen soll. Auch ist ungewiss, ob Vermögensgegenstände, die erst nach Eröffnung eines ersten Hauptverfahrens in einen zweiten, unzulässigen Hauptverfahrensstaat verbracht werden, dort als zur Masse eines nach Einstellung dieses Verfahrens eröffneten Sekundärverfahrens zugehörig betrachtet werden dürfen. Dies kann zu weiteren Rechtsstreitigkeiten mit den geschilderten Nachteilen führen. Die faktische Rechtswahlfreiheit unter dem Status quo führt mithin dazu, dass das Verfahrensziel der Vermeidung von Konflikten zwischen den beteiligten Staaten weitestgehend verfehlt wird. Dies hat erhebliche Ineffizienzen zur Folge. III. Rechtswahlfreiheit und Regulierungswettbewerb der Insolvenzrechte Neben den obenstehenden Befunden, denen eine statische Betrachtung des Status quo zugrunde liegt345, ist die mit der EuInsVO geschaffene faktische Rechtswahlfreiheit auch unter dynamischen Aspekten von Interesse. Dadurch, dass die Akteure in den genannten Beschränkungen (den aufgezeigten Grenzen des Wahlmechanismus’ und dessen Reichweite) von ihren Einwirkungsmöglichkeiten Gebrauch machen, könnten Rückwirkungen auf das gewählte Recht entstehen. Es könnte ein „Markt für Insolvenzrech344

So auch Taylor in der Befragung durch die britische Regierung (Fn. 293 zum vorigen Kapitel), dort unter 2.1.4. 345 Als statisch werden solche Betrachtungen bezeichnet, die im Gegensatz zu dynamischen die mit Zeitablauf eintretenden Entwicklungen nicht berücksichtigen, vgl. H. Leipold, in: Systemwettbewerb, S. 93, 100.

B. Status quo und Effizienz

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te“346 entstehen, auf dem die Anbieter versucht sind, durch Verbesserungen des von ihnen angebotenen Produkts „Insolvenzrecht“ die Gunst der Rechtsnachfrager zu gewinnen. Entsprechende Anreize und institutionelle Strukturen vorausgesetzt, könnte der zweifellos schon jetzt zu konstatierende internationale Wettbewerb um Unternehmensinsolvenzen also in einen Wettbewerb der verschiedenen Mitgliedstaaten um die „attraktivsten“ insolvenzrechtlichen Regelungen münden347. Ein solcher Regulierungswettbewerb348 könnte letztlich zu einem wohlfahrtsoptimalen Regelungsniveau führen. Angesichts der faktischen Wahlfreiheit unter der EuInsVO stellt sich die Frage, inwieweit auch von dieser Wettbewerbseffekte zwischen den verschiedenen Mitgliedstaaten ausgehen. 1. Interjurisdiktioneller Regulierungswettbewerb im Gesellschaftsrecht Das Phänomen eines Regulierungswettbewerbs ist bislang vor allem im Gesellschaftsrecht Gegenstand wissenschaftlichen Interesses. Im Fokus der Untersuchungen befindet sich dabei vor allem die US-amerikanische Situation, die dadurch gekennzeichnet ist, dass sich der Staat Delaware als bevorzugter Registersitz vieler Gesellschaften durchsetzen konnte. Ob und in welchem Maße aus der Vormachtstellung Delawares im Bereich des Gesellschaftsrechts Effizienzgewinne resultieren und ob ein interjurisdiktioneller Wettbewerb letzten Endes zu einer stetigen Verbesserung (sog. race to the top) oder aufgrund eines Unterbietungsprozesses zu einer stetigen

346

Zu diesem Begriff vgl. Eidenmüller, NJW 2004, 3455 f. Allgemein zu diesen grundsätzlichen Voraussetzungen eines Regulierungswettbewerbs der Insolvenzrechte vgl. Zywicki, 94 Georgetown Law Journal, 1141, 1146 ff. (2006). 348 Über die Begrifflichkeiten in diesem Bereich besteht noch keine Einigkeit, sie sind weiterhin unbestimmt, vgl. grundlegend Kieninger, Wettbewerb der Privatrechtsordnungen, S. 8 ff. mit umfangreichen w.N. Als weitere Bezeichnungen für den gemeinten Wettbewerbskreislauf zwischen verschiedenen Rechtsordnungen sind die Begriffe „Systemwettbewerb“ und „institutioneller Wettbewerb“ gebräuchlich. Zu beachten ist, dass auch der vorstehend diskutierte Fragenkreis der möglichen Effizienzgewinne unter dem Status quo verschiedentlich ebenso unter dem Begriff „Wettbewerb“ mitbehandelt wird (vgl. nur Eidenmüller, ZGR 2006, 467, 469). Dies ist statthaft, da bereits das Wählenkönnen unter verschiedenen Insolvenzrechten einen konstitutiven Faktor für einen „Markt für Insolvenzrechte“ darstellt; die verschiedenen Angebote mitgliedstaatlicher Insolvenzrechtsordnungen stehen, wie dargelegt wurde, unter der bestehenden Rechtslage unabhängig von der Bereitschaft der Mitgliedstaaten, auf das Nachfrageverhalten Einfluss zu nehmen, im Wettbewerb miteinander. Im Folgenden geht es jedoch allein um die vom Wettbewerb auf die Gestaltung des angebotenen „Produkts“ ausgehenden Rückwirkungen. 347

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Kapitel 3: Die Rechtswahlfreiheit unter der EuInsVO in der Analyse

Verschlechterung (sog. race to the bottom) der Effizienz der betroffenen Regelungen führt, wird kontrovers diskutiert349. Die durch die EuGH-Entscheidungen in den Sachen Centros, Überseering und Inspire Art etablierte Gründungsanknüpfung europäischer Prägung350, die letztlich eine isolierte Wahl des Gesellschaftsrechts ermöglicht, hat dazu geführt, dass der Frage des Wettbewerbs der Gesellschaftsrechte nunmehr auch im europäischen Kontext eine immer größere Bedeutung zukommt351. Es kann nur gemutmaßt werden, ob die Ablösung der zuvor in vielen Staaten angewendeten Sitztheorie durch die Gründungstheorie (in den durch das Gemeinschaftsrecht bestimmten Grenzen) überhaupt einen funktionierenden Regulierungswettbewerb zwischen den verschiedenen Staaten entstehen lassen wird. Die Zweifel betreffen dabei sowohl die Nachfrage- als auch die Angebotsseite352. Auch im europäischen Umfeld ist darüber hinaus unklar, welche Folgen von einem Regulierungswettbewerb im Gesellschaftsrecht zu erwarten sind. 2. Interjurisdiktioneller Regulierungswettbewerb im Insolvenzrecht Ein Wettbewerb verschiedener Gebietskörperschaften um die Durchführung von Insolvenzverfahren ist ebenfalls aus den Vereinigten Staaten bekannt. Er entstand dort, obwohl de lege lata auch dort keine Wahlfreiheit im eigentlichen Sinne bezüglich des Insolvenzgerichtsstands (sog. bankruptcy venues) besteht. Die örtliche Zuständigkeit für die Durchführung von Insolvenzverfahren ist nach amerikanischem Recht vielmehr auf wenige alternative Anknüpfungspunkte beschränkt, die sich, ähnlich den Kompetenzvorschriften der EuInsVO, strategisch ausnutzen lassen353. Obwohl die insolvenzrechtlichen Regelungen Bundesrecht sind, haben sich 349

Zu den Hypothesen des race to the top und race to the bottom siehe Heine, Regulierungswettbewerb, S. 121 ff. mit umfangreichen Literaturnachweisen. 350 Oben, S. 186. 351 Einen Überblick vermitteln Enriques/Gelter, EBOR 7 (2006), 417 ff. mit umfangreichen w.N. 352 Vgl. nur Tröger, EBOR 6 (2005), 3 ff., 31 ff. 353 Die entsprechende Regelung, 28 United States Code, § 1408, lautet: „Except as provided in section 1410 of this title, a case under title 11 [= Bankruptcy Code] may be commenced in the district of the court for the district – (1) in which the domicile, residence, principal place of business in the United States, or principal assets in the United States, of the person or entity that is the subject of such case have been located for the one hundred and eighty days immediately preceding such commencement, or for the longer portion of such one-hundred-and-eighty-day period than the domicile, residence or principal place of business, in the United States, or principal assets in the United States, of such person were located in any other district; or (2) in which there is pending another case under title 11 concerning such person’s affiliate, general partner, or partnership.“ Eingehend zu Möglichkeiten und Praxis der strategischen Ausnutzung dieser Zuständigkeitskriterien bei Unternehmensinsolvenzen vgl. LoPucki, Courting Failure, S. 30 ff.

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zwischen den verschiedenen Staaten erhebliche Unterschiede bezüglich der Interpretation des Bankruptcy Code und der praktischen Handhabung der Insolvenzverfahren entwickelt354. Ob die Handhabung der Insolvenzen in dem inzwischen auch in diesem Bereich zum „Marktführer“ aufgestiegenen Staat Delaware und später New York355 verglichen mit anderen Bundesstaaten unter Effizienzgesichtspunkten zu einer Verbesserung der insolvenzrechtlichen Praxis beitragen konnte, ist trotz umfangreicher empirischer Untersuchungen Gegenstand einer zuweilen hart geführten Kontroverse356. Es besteht keine Einigkeit darüber, ob Delawares Stellung auf einer effizienteren Handhabung von Insolvenzen durch die dortigen Gerichte beruht. Daher ist auch umstritten, wie der Wettbewerb insgesamt zu bewerten ist. Auch für den Wettbewerb der Insolvenzrechte bestehen also die Grundhypothesen eines race to the bottom und eines race to the top. 3. Die Rahmenbedingungen eines Wettbewerbs der Insolvenzrechte unter der EuInsVO Über die generellen Möglichkeiten und Grenzen eines Regulierungswettbewerbs im Insolvenzrecht Aussagen zu treffen, ist nicht Aufgabe dieser Untersuchung357. Den folgenden Überlegungen soll vielmehr die Annahme zugrunde gelegt werden, dass ein solcher Wettbewerb hin zu effizienten insolvenzrechtlichen Regelungen prinzipiell möglich ist, soweit entsprechende Rahmenbedingungen bestehen358. Es ist zu früh, um zur Situation im europäischen Insolvenzrecht im Wege einer tatsächlichen Bestandsaufnahme zu resümieren, welche Auswirkungen die mit der EuInsVO eingeführten Möglichkeiten des forum shopping mit Blick auf die dynamischen Effekte haben. Daher steht im Folgenden die Frage im Mittelpunkt, ob die mit der EuInsVO eröffnete Wahlfreiheit unter der bestehenden Rechtslage 354

Eingehend LoPucki, Courting Failure, passim. Vgl. nur Eisenberg/LoPucki, 84 Cornell Law Review 967, 977 ff. (1998/1999); LoPucki, Courting Failure 68 ff., 87 f., 90. 356 Aus der umfangreichen Literatur vgl. nur LoPucki, Courting Failure, passim; LoPucki/Kalin, 54 Vanderbilt Law Review, 231 ff. (2001); LoPucki/Doherty, 55 Vanderbilt Law Review, 1933 ff. (2003); Skeel, 1 Delaware Law Review, 1 ff. (1998); Ayotte/ Skeel, 73 The University of Chicago Law Review, 425 ff. (2006); Rasmussen/Thomas, 94 Northwestern University Law Review, 1347, 1382 ff.; dies. 54 Vanderbilt Law Review, 283 ff., 307 (2001); Zywicki, 94 Georgetown Law Journal, 1141 ff. (2006), jeweils mit umfangreichen w.N. Ein kursorischer Überblick zum Stand der Diskussion in den USA mit Hinweisen auf die wichtigsten Beiträge in der Literatur findet sich bei Klöhn, RIW 2006, 568 ff. 357 Vgl. allgemein zu diesem Fragenkomplex des Regulierungswettbewerbs Kiwit/ Voigt, 17 Jahrbuch für Neue Politische Ökonomie, 313 ff. (1998) mit umfangreichen weiterführenden Literaturhinweisen. 358 Vgl. dazu Rasmussen/Thomas 94 Northwestern Law Review 1357, 1363 (2000); Eidenmüller EBOR 6 (2005), 423 ff. 355

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Kapitel 3: Die Rechtswahlfreiheit unter der EuInsVO in der Analyse

einen effizienzfördernden Wettbewerb erwarten lässt. Wo es angezeigt erscheint, wird vergleichend auf die Situation im europäischen Gesellschaftsrecht, als auch auf die Situation innerhalb der USA, eingegangen. a. EuInsVO als Teil der Meta-Ordnung eines Regulierungswettbewerbs Für die Frage nach dem Regulierungswettbewerb zwischen den mitgliedstaatlichen Jurisdiktionen sind die Vorschriften EuInsVO von besonderem Interesse, denn der Regulierungswettbewerb lässt sich als regelgeleiteter Prozess begreifen359. Die Rahmenregeln sind für die Funktionsfähigkeit des Wettbewerbs mithin von überragender Bedeutung; sie entscheiden darüber, ob ein Wettbewerb Modifikationen zum Guten erfolgen lässt oder gar ein schädlicher Deregulierungswettlauf entsteht360. Die „Meta-Ordnung“ eines Wettbewerbs zwischen privatrechtlichen Regelungen besteht im Wesentlichen in den international-privatrechtlichen361, in dem hier betrachteten Kontext also in den international-insolvenzrechtlichen Regeln, welche die bedeutenden Aktionsparameter der Akteure am Markt für Rechtsordnungen bestimmen. Die zentrale Rolle der gemeinschaftsrechtlichen Vorschriften ergibt sich in diesem Zusammenhang einerseits daraus, dass sie Art und Umfang der bestehenden Wahlfreiheit der Rechtsnachfrager und der Handlungsfreiheit der Regelungsgeber festlegen, und andererseits daraus, dass diesen Regeln auch die Aufgabe obliegt, sicherzustellen, dass von einem Wettbewerb der Rechtsordnungen keine negativen Auswirkungen für unbeteiligte Dritte (sog. negative externe Effekte) ausgehen362. Die Ergebnisse der rechtlichen Bestandsaufnahme stellen daher den Ausgangspunkt der Untersuchung des mit der EuInsVO konstituierten Wettbewerbsumfelds dar. Als Voraussetzung für einen funktionierenden Regulierungswettbewerb wird im ökonomischen Schrifttum gefordert, dass die ihn beherrschenden international-privatrechtlichen Meta-Regeln nicht dem unmittelbaren Einfluss der konkurrierenden Gebietskörperschaften zugänglich sind. Andernfalls könnten diejenigen Akteure, deren Macht durch den Wettbewerbsprozess eingeschränkt wird, auch dessen Bedingungen bestimmen363. Bereits 359 Streit, in: Entstehung und Wettbewerb von Systemen, S. 223, 228 f.; Kiwit/Voigt, 17 Jahrbuch für Neue Politische Ökonomie, 313, 324 (1998). 360 Kerber, in: Systembildung, S. 67, 81 ff.; Kieninger, Wettbewerb der Privatrechtsordnungen, S. 32, 57. 361 Kieninger, Wettbewerb der Privatrechtsordnungen, S. 93 f.; dies., in: 17 Jahrbuch für Neue Politische Ökonomie, 338, 344 (1998); ähnlich Basedow, in: Internationales Verbraucherschutzrecht, S. 11, 18; Kerber, in: Systembildung, S. 67, 87. 362 Kieninger, Wettbewerb der Privatrechtsordnungen, S. 94. 363 Kiwit/Voigt, 17 Jahrbuch für Neue Politische Ökonomie, 313, 330 (1998); Kieninger, Wettbewerb der Privatrechtsordnungen, S. 94 f., dies., 17 Jahrbuch für Neue Politi-

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diese Voraussetzung ist für die EuInsVO jedoch nur teilweise erfüllt: Sie ist als Teil des gemeinschaftlichen Sekundärrechts durch die einzelnen Staaten zwar nicht unmittelbar änderbar. Indes können – und konnten – sich bereits erhebliche Unterschiede bei der Handhabung der Bestimmungen der EuInsVO ergeben364. Die Möglichkeiten des EuGH, die Einflussnahme der Mitgliedstaaten auf die Meta-Institution der EuInsVO im Rahmen des Vorabentscheidungsverfahrens durch einheitliche Rechtsfortbildung zu beschneiden, sind aufgrund der Beschränkung der Vorlagepflicht auf letztinstanzliche mitgliedstaatliche Gerichte und der aus dem autonomen Recht folgenden Beschränkungen in Bezug auf die Rechtsmittelberechtigung sowie der Möglichkeit der Einflussnahme des vorlegenden Gerichts im Wege der Formulierung der Vorlagefragen365 verkürzt. Damit wird eine wesentliche Anforderung an ein Wettbewerbsumfeld, das einen effizienzfördernden Wettbewerb generieren könnte, verfehlt. In praxi wird ein Regulierungswettbewerb durch diese Schwächen jedoch keinesfalls verhindert, da über die Parameter wettbewerbsentscheidender Fragen, insbesondere des Anerkennungszwangs nach Art. 16 f. EuInsVO, wenigstens auf Dauer in ausreichendem Maße ein Grundkonsens hergestellt werden kann366. In anderen Bereichen, beispielsweise im Hinblick auf das uneinheitliche Verständnis des COMI-Kriteriums, ist die verbleibende temporäre, faktische Interpretationshoheit der Mitgliedstaaten außerdem gar Ausdruck wettbewerbssteigernder, wenn nicht sogar wettbewerbsbegründender Umstände. Die Mobilität der Rechtsnachfrager367 wird etwa durch die Unbestimmtheit der Zuständigkeitsvorschriften zu einem erheblichen Maße erst geschaffen. Weitere wichtige Besonderheiten des mit der EuInsVO geschaffenen Regelungsrahmens für einen Wettbewerb der Insolvenzrechte sollen im

sche Ökonomie, 338, 339 (1998); von Delhaes/Fehl, in: Dimensionen des Wettbewerbs, S. 1, 19. 364 Vgl. nur die unterschiedliche Auslegung des COMI-Kriteriums oder die unterschiedlichen Auffassungen über die Sperrwirkung einer erfolgten Verfahrenseröffnung, mit denen zwei wesentliche Aktionsparameter durch die mitgliedstaatliche Rechtsprechung geprägt wurden. Allgemein zur Problematik der Beeinflussbarkeit der Meta-Wettbewerbsordnung durch die Wettbewerber selbst vgl. Kieninger, 17 Jahrbuch für Neue Politische Ökonomie, 338, 346 (1998). 365 Vgl. dazu S. 176 ff. 366 Zur Reichweite des Anerkennungszwangs vgl. die Entscheidung des EuGH, Slg. 2010, S. I-00417 (MG Probud Gdynia sp. z o.o.), derzufolge der Anerkennungszwang dazu führt, dass Behörden anderer Mitgliedstaaten als dem Staat der Eröffnung des Hauptverfahrens alle damit im Zusammenhang stehenden Entscheidungen anerkennen und vollstrecken müssen und sie somit nicht berechtigt sind, nach dem Recht des Eröffnungsstaates unzulässige Vollstreckungsmaßnahmen anzuordnen. 367 Zu dieser Voraussetzung eines Regulierungswettbewerbs sogleich.

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Kapitel 3: Die Rechtswahlfreiheit unter der EuInsVO in der Analyse

Folgenden umrissen werden. Dabei wird sich der Blick zunächst auf die Nachfrage- und dann auf die Angebotsseite richten. b. Nachfrageseite (1) Mobilität der Rechtsnachfrager unter der EuInsVO Grundvoraussetzung eines funktionierenden Wettbewerbs ist die Mobilität der Nachfrager368. Im europäischen Binnenmarkt wird die Beweglichkeit der Rechtsnachfrager durch die vier Grundfreiheiten des EGV garantiert. Nachdem an der Vereinbarkeit der Art. 3, 4 EuInsVO mit den Grundfreiheiten und dem übrigen Gemeinschaftsrecht keine berechtigten Zweifel bestehen369, werden die Wahlmöglichkeiten der Rechtsnachfrager durch die international-insolvenzrechtlichen Kollisionsvorschriften der EuInsVO konkretisiert370, die folglich auch insoweit die Meta-Ordnung des Regulierungswettbewerbs beherrschen. (a) Mobilität nach der Konzeption der EuInsVO Nach der Konzeption der EuInsVO findet im Bereich des europäischen Insolvenzrechts eine Rechtswahl allein in Form einer Standortwahl, nämlich der Wahl des Mittelpunkts der hauptsächlichen Interessen, statt. Der aus einer solchen Wahlfreiheit entstehende Wettbewerb wird auch als indirekt bezeichnet371. Damit ist die vermittelte Mobilität der Verfahrensbeteiligten unter der EuInsVO ganz maßgeblich von den konkreten Anknüpfungskriterien abhängig, die das COMI-Kriterium genauer kennzeichnen. Verglichen mit dem Zustand einer freien, isolierten Wählbarkeit des Insolvenzrechts bestehen auch bei zutreffendem Verständnis des Kriteriums, das eine Verlegung mit gewissem Aufwand ermöglicht, noch erhebliche Hindernisse für eine Rechtswahl372. Damit sind bereits die strukturellen Nachteile indi368 So allgemein zu den Voraussetzungen eines Regulierungswettbewerbs im europäischen Privatrecht Kieninger, Wettbewerb der Privatrechtsordnungen, S. 57 ff., 75 ff. 369 Vgl. oben, S. 187 sowie Duursma-Kepplinger, in: Duursma-Kepplinger/Duursma/ Chalupsky, EuInsVO, Art. 1, Rn. 24 ff.; Ulmer, KTS 2004, 291, 296. 370 So allgemein zur Wettbewerbsordnung durch kollisionsrechtliche Regelungen Kieninger, Wettbewerb der Privatrechtsordnungen, S.75, 93 f. 371 Wettbewerbe, bei denen eine Rechtswahl allein in Form einer Standort- oder Produktwahl erfolgen kann, lassen sich als indirekte Wettbewerbe bezeichnen (Kieninger, Wettbewerb der Privatrechtsordnungen, S. 12 ff.). Bei sog. direkten Wettbewerben, können Rechtsregeln hingegen unabhängig von einem tatsächlichen Standort gewählt werden. Ein solcher Zustand bestünde im Hinblick auf das Organisationsstatut einer Kapitalgesellschaft bei uneingeschränkter Geltung der Gründungstheorie. 372 Zu den offenen Fragen im Zusammenhang mit dem Zuständigkeitstatbestand, insb. der Frage nach der erforderlichen Manipulationstiefe, vgl. die Darstellungen in Kapitel 2, oben S. 105 ff.

B. Status quo und Effizienz

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rekten Wettbewerbs angesprochen; da eine Rechtswahl in Form einer Standortwahl – hier in Gestalt einer tatsächlichen COMI-Relokation – je nach tatsächlicher Lage weitreichende Veränderungen erforderlich machen kann und notwendigerweise immer auch zusammen mit anderen Entscheidungen erfolgen muss373, verhindert sie vielfach, dass von der Wahlfreiheit effektiv Gebrauch gemacht wird (sog. Bündelproblem)374. Dies ist der Fall, wenn die mit der Rechtswahl verbundenen Abwanderungskosten bzw. bei Ortsunabhängigkeit des Anknüpfungskriteriums Veränderungskosten (sog. exit-Kosten) die zu erwartenden Vorteile überwiegen, so, wenn die Rechtswahl selbst oder die zwingend mit der Rechtswahl verbundenen Entscheidungen insgesamt höhere Kosten erwarten lassen oder schon die Ermittlung dieser zu erwartenden Kosten aufgrund veränderter rechtlicher und wirtschaftlicher Faktoren mit prohibitiv hohem Aufwand verbunden ist375. (b) Mobilität und faktische Rechtswahlfreiheit Die rechtliche Bestandsaufnahme in Kapitel 2 konnte indes zeigen, dass für eine Lokalisierung der örtlichen Zuständigkeit aufgrund der weitgehenden Unbestimmtheit des Kriteriums realiter vielfach mehrere Orte als COMI in Betracht kommen und unter Nutzung der von der EuInsVO ausgehenden Anerkennungspflichten eine Verfahrensplatzierung auch in einem objektiv unzuständigen Forum gelingen kann. Unter bestimmten Umständen kann eine Rechtswahl folglich auch ohne eine tatsächliche Standortveränderung möglich sein. Freilich ist eine Rechtswahl auch im Rahmen der begrenzten faktischen Rechtswahlfreiheit unter der EuInsVO nur dann erfolgversprechend, wenn wenigstens ein Mindestmaß an rechtlichen und/oder tatsächlichen Bezügen zwischen Schuldner und angestrebtem Forum besteht. Andernfalls ist trotz der zu beobachtenden Bereitschaft zur großzügigen Inanspruchnahme der Eröffnungszuständigkeit durch die Insolvenzgerichte mit einer Abweisung des Antrags zu rechnen. Allerdings hat sich gezeigt, dass in der bisherigen Praxis oft schon schwach ausgeprägte Zusammenhänge eine erfolgreiche Inanspruchnahme des COMI ermöglichen, zumal gerade in Konzernkonstellationen bereits rechtliche oder tatsächliche Beziehungen der Schuldner gegenüber einer Vielzahl verschiedener Staaten bestehen. Danach steht einem Unternehmen in aller Regel eine begrenzte Anzahl von Mitgliedstaaten als mögliche Ziele eines forum shopping zur Verfügung. In den gerade genannten Grenzen ist die 373 Wäre das COMI beispielsweise mit einer weitverbreiteten Auffassung am tatsächlichen Verwaltungssitz des Schuldners zu lokalisieren (dazu oben S. 91 ff.), so beinhaltete die Entscheidung zur Verlegung des COMI immer auch die Entscheidung zum Umzug der Hauptverwaltung und deren Tätigwerden in einem anderen Staat. 374 Vgl. Kieninger, Wettbewerb der Privatrechtsordnungen, S. 103. 375 Kieninger, Wettbewerb der Privatrechtsordnungen, S.60 f.

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Kapitel 3: Die Rechtswahlfreiheit unter der EuInsVO in der Analyse

Rechtswahlfreiheit also an die Voraussetzungen eines direkten Wettbewerbs angenähert, der infolge geringerer Transaktionskosten durch höhere Mobilität der Akteure gekennzeichnet ist und sich somit prinzipiell wettbewerbsbegünstigend auswirkt376. Eine direkte Wahlfreiheit im eigentlichen Sinne, die zumindest in Ansehung allein des Hauptverfahrens ein Höchstmaß an Mobilität beinhaltete, besteht allerdings nicht. Auch für die Frage der Handlungsfreiheit der Marktteilnehmer unter dem Status quo spielen schließlich die Sekundärverfahren eine wichtige Rolle. Sekundärverfahren können je nach Lage des Einzelfalls zu einer erheblichen (territorialen) Begrenzung der Wahlfreiheit und damit der Mobilität führen, da ihre Eröffnung zur Folge hat, dass eine Rechtswahlentscheidung von den Rechtsnachfragern für bestimmte Lebenssachverhalte nicht getroffen werden kann. (2) Nachfrageverhalten und die Handlungsanreize unter der EuInsVO Vergleicht man die Situation unter der EuInsVO mit derjenigen im europäischen Gesellschaftsrecht, so werden im Hinblick auf die Person der Rechtsnachfrager und die Handlungsanreize der Rechtswahl große Unterschiede deutlich. Anders als im Gesellschaftsrecht, in dem die Wahlentscheidung von den Gründern einer Gesellschaft getroffen wird, geht die Rechtswahlentscheidung unter der EuInsVO – in den in Kapitel 2 der Arbeit dargelegten Grenzen – von verschiedenen Personen, nämlich theoretisch von allen Antragsberechtigten, aus. Je nach lex fori concursus sind die Gläubiger, soweit die Möglichkeit eines Eigenantrags besteht auch der Schuldner, und – wenn der Schuldner entsprechend verfasst ist – das Management des schuldnerischen Unternehmens unmittelbare Akteure der Wahlentscheidung377. Anders als bei der Wahl des Gesellschaftsstatuts gibt es daher eine Vielzahl von Personen, die auf den Ausgang der Rechtswahl Einfluss nehmen können. Des Weiteren kann eine Rechtswahl noch unmittelbar vor Eröffnung eines Insolvenzverfahrens stattfinden. In Anbetracht der divergierenden Handlungsanreize, die sich für diese Verfahrensbeteiligten unter dem bestehenden Regelungsregime ergeben378, wurde bereits deutlich, dass im Rahmen der Verfahrensplatzierung nur in unzureichendem Maße Kräfte wirken, die das individuelle Vorteilsstreben potenzieller case placer effektiv regeln und so die Durchführung des Hauptverfahrens in dem unter Effizienzgesichtspunkten besten Forum si-

376

Vgl. Kieninger, Wettbewerb der Privatrechtsordnungen, S. 58. Zur praktisch bedeutsamen Einflussnahme Dritter (z. B. Berater, noch nicht in der Gläubigerrolle befindliche Banken, Insolvenzspezialisten) auf die Wahlentscheidung siehe oben, S. 246 ff. 378 Oben, S. 238 ff. 377

B. Status quo und Effizienz

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cherstellen könnten379. Daher war schon unter Ausklammerung der dynamischen Aspekte zu konstatieren, dass einer Realisierung der im Rahmen des forum shopping denkbaren Effizienzgewinne erhebliche Hindernisse entgegenstehen. Insbesondere war festzustellen, dass disziplinierende Marktmechanismen, die auf die Wahl eines effizienten Forums hinwirken und so die Nachfrage nach Effizienz sicherstellen können, unter der EuInsVO kaum zum Tragen kommen380. Anders als die Wahl des Insolvenzstatuts findet die Wahl des Gesellschaftsstatuts bislang allein im Rahmen der Gründung bzw. Neugründung der Gesellschaft statt381. Eine Rechtswahl erfolgt im Gesellschaftsrecht also regelmäßig vor Aufnahme der Rechtsbeziehungen zu Dritten, weshalb sie in Ansehung der damit für die Gesellschaft künftig verbundenen Konsequenzen erfolgen muss. Dies lässt erwarten, dass eine Rechtsform gemieden wird, welche die Gesellschaft im Rechtsverkehr behindern würde, etwa weil die Aufnahme von Fremdkapital erschwert würde oder Geschäftspartner sich von der ihnen unvertrauten Rechtsform abschrecken ließen, soweit dem nicht überwiegende Vorteile gegenüberstünden. Praktisch ausgeschlossen wäre, dass es zur Wahl einer Rechtsform kommt, die beispielsweise allein ein besonders nachgiebiges Haftungsregime für Manager offeriert und sich auch im Übrigen für die Gesellschaft im Vergleich zu allen Alternativen als kostenintensiver erweist382. Der Vergleich der Situationen macht deutlich, dass dem gemeinschaftsweiten Wettbewerb um die Durchführung von Unternehmensinsolvenzen nicht zuletzt aufgrund des späten Zeitpunkts der Wahlentscheidung ein regulatives Moment fehlt, um überhaupt die Nachfrage nach der insgesamt effizientesten Lösung sicherstellen zu können. Diese wäre jedoch Voraussetzung eines funktionierenden Regulierungswettbewerbs im Bereich des europäischen Insolvenzrechts. Es erweist sich, dass das Problem des Zeitpunkts der Rechtswahl nicht nur für die Vorhersehbarkeit des international-insolvenzrechtlichen Risikos, sondern auch zur Kanalisierung des Nachfrageverhaltens und damit für den Wettbewerb der Verfahrensrechte von großer Bedeutung ist383.

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Oben, S. 296 ff. Zweifelhaft ist daher die Aussicht von Skeel, 54 Buffalo Law Review, 439, 462 f. (2006), der einen effizienzfördernden Regulierungswettbewerb in Europa für möglich hält. 381 Unter diesem Gesichtspunkt ist die Rechtswahlfreiheit im Gesellschaftsrecht folglich erheblich stärker eingeschränkt als im europäischen Insolvenzrecht. 382 Vgl. nur Tröger, EBOR 6 (2005), 3, 28 f. 383 Im Zeitpunkt der Wahlentscheidung sehen auch Rasmussen/Thomas, 94 Northwestern University Law Review, 1357, 1363 (2000) die zentrale Determinante eines interjurisdiktionellen Regulierungswettbewerbs. 380

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Kapitel 3: Die Rechtswahlfreiheit unter der EuInsVO in der Analyse

Auch für die Handlungsanreize der Verfahrensbeteiligten ist schließlich die Reichweite der Rechtswahl von Bedeutung. Sekundärverfahren lassen die mit einer Rechtswahl auf der Ebene des Hauptverfahrens zu erreichenden Effizienzvorteile, wie gezeigt, hinfällig werden. Sie führen so dazu, dass die zu erwartenden Transaktionskosten einer Rechtswahl (insbesondere die oben genannten exit-Kosten) größer als die mit ihr verbundenen Effizienzgewinne sind. Damit verkleinern sie auch die Anreize, ein forum shopping mit dem Ziel der Verbesserung der Verfahrenseffizienz vorzunehmen. Sekundärverfahren schützen mithin in einem Regulierungswettbewerb nicht nur bestimmte Gläubiger vor einer Schlechterstellung infolge der Rechtswahl384. Bereits in Gestalt einer bloßen Möglichkeit sind sie vielmehr unter Umständen geeignet, diese gänzlich zu verhindern. Auch die territoriale Beschränkung der Rechtswahl wirkt sich unter dem Status quo folglich wettbewerbshindernd aus. c. Angebotsseite (1) Handlungsspielraum der Rechtsanbieter und Wahrnehmung der Rechtswahl Mit der Notwendigkeit einer gewissen Mobilität als Wettbewerbsvoraussetzung auf der Nachfrageseite korrespondiert auf der Angebotsseite das Erfordernis eines Handlungsspielraums der Rechtsanbieter. Ein funktionierender Regulierungswettbewerb erfordert beide Voraussetzungen385. Nachdem die insolvenzrechtlichen Regelungen innerhalb der Gemeinschaft, mit Ausnahme der vorrangig anzuwendenden Vorschriften der EuInsVO, im alleinigen Verantwortungsbereich der staatlichen Gesetzgeber liegen, sind die Voraussetzungen für einen Wettbewerb zwischen den Mitgliedstaaten insoweit zu bejahen. Eine weitere Voraussetzung des Regulierungswettbewerbs besteht darin, dass dem Anbieter Informationen über das Nachfrageverhalten verfügbar sein müssen386. Nachdem die Eröffnung von Insolvenzverfahren Bekanntmachungspflichten unterliegt und damit zu rechnen ist, dass ein forum shopping im Bereich der Großverfahren erhebliche mediale Beachtung findet, dürfte sich dieses Informationsproblem nicht als schwerwiegend herausstellen. Größere Schwierigkeiten könnten allein hinsichtlich der Identifikation der konkreten Abwanderungsgründe bestehen. Aber auch hier

384

Auf diese Funktion weist insb. Skeel, 54 Buffalo Law Review, 439, 462 f. (2006)

hin. 385 Siehe nur Mussler/Wohlgemuth, in: Europas Arbeitsmärkte im Integrationsprozess, S. 9, 15. 386 Vgl. Kieninger, Wettbewerb der Privatrechtsordnungen, S. 88 f.

B. Status quo und Effizienz

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findet eine intensive Marktbeobachtung, beispielsweise durch Fachzeitschriften und Branchendienste, statt387. (2) Anreize zur Steigerung der Verfahrenseffizienz durch die Anbieter Ein funktionierender Regulierungswettbewerb im Sinne einer Effizienzverbesserung würde nur dann entstehen können, wenn für die Rechtsanbieter Anreize bestünden, ihr Produkt möglichst attraktiv zu gestalten, und diese Anreize die Rechtsanbieter zudem zu Effizienzverbesserungen veranlassen würden. Dabei ist zu berücksichtigen, dass das Insolvenzrecht der Mitgliedstaaten nicht allein durch den Normgeber, sondern auch durch die Normanwender, also die Insolvenzgerichte oder diesen funktional entsprechenden hoheitlichen Stellen, geschaffen wird. Es bietet sich daher eine zweigeteilte Betrachtung an. (a) Legislatorische Maßnahmen (Normgeber der Mitgliedstaaten) Für die Mitgliedstaaten kommen vielfältige Anreize in Betracht, die sie dazu bewegen könnten, sich am Wettbewerb um das meistnachgefragte Insolvenzrecht zu beteiligen. Hier sind zum einen politische Überlegungen ausschlaggebend. Wenn ein Staat ein Gesetz mit einem bestimmten Regelungsgehalt erlässt, ist es nur verständlich, dass auch ein Interesse daran besteht, dass eben dieses und nicht das Gesetz eines anderen Staates die entsprechenden Lebenssachverhalte regelt. Auch in ideeller Hinsicht kann je nach Regelungsgegenstand auch ein Interesse an der möglichst umfassenden Anwendung der eigenen Gesetze bestehen, lässt sich der Wettbewerb der Insolvenzrechte doch nicht zuletzt auch als Auseinandersetzung bestimmter (wirtschafts-)kultureller Konzeptionen begreifen. Schließlich bestehen, auch für die Mitgliedstaaten, erhebliche wirtschaftliche Interessen an der Durchführung von Insolvenzen im eigenen Land. Die Verwaltung großer Insolvenzverfahren stellt zusammen mit den dabei vielfach benötigten umfangreichen Beratungs- und anderen Dienstleistungen einen veritablen Wirtschaftszweig dar. So fließen etwa erhebliche Bestandteile des noch vorhandenen Schuldnervermögens in Form von Vergütungen und Honoraren an Anwälte und Wirtschaftsprüfer. Es besteht ein Interesse der Mitgliedstaaten, ein Abfließen dieser Vermögenswerte ins Ausland zu verhindern und zudem von der Ansiedlung der akzessorischen Dienstleistun-

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Hier sei beispielhaft auf die genaue und differenzierte Marktbeobachtung durch die Zeitschriften INDat-Report, International Corporate Rescue, JUVE sowie Eurofenix und die elektronische Datenbank INDat und vor allem die elektronische Datenbank debtwire hingewiesen.

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Kapitel 3: Die Rechtswahlfreiheit unter der EuInsVO in der Analyse

gen internationaler Insolvenzverfahren zu profitieren388, mithin Verfahren aus dem Ausland unter dem eigenen Recht abzuwickeln. Diese Interessen werden wohl trotz der vergleichsweise kleinen Zahl internationaler Großinsolvenzen schon deshalb angenommen werden können, weil die Mitgliedstaaten einer fortschreitenden Abwanderung im Ansatz entgegentreten werden wollen389. Diejenigen Handlungsanreize, die nicht ausschließlich wirtschaftlicher Natur sind, bestehen ohnehin weitgehend unabhängig. Auf Angebotsseite lässt sich folglich ein für den Regulierungswettbewerb erforderliches wirtschaftliches, politisches oder ideelles Interesse der Mitgliedstaaten an der Durchführung von Insolvenzen unter ihrem eigenen Verfahrensrecht voraussetzen390. Der Diskussionsentwurf zur Reform der Insolvenzordung lässt derartige Handlungsanreize erkennen; er nimmt unmittelbar Bezug auf das Phänomen des forum shopping und den damit einhergehenden Wettbewerb der Insolvenzrechte, der zu einer Schärfung des Blicks für „die Schwächen des geltenden deutschen Insolvenzrechts“391 geführt habe. Nun stellt sich die Frage, ob es dieses Interesse unter der EuInsVO aus Sicht der betroffenen Staaten angezeigt erscheinen lässt, legislatorische Änderungen zur Effizienzsteigerung vorzunehmen. Bei eingehender Betrachtung des Status quo wird man dies nicht bejahen können. Denn die Mitgliedstaaten könnten sich aufgrund der genannten Besonderheiten auf Nachfrageseite auch durch effizienzsteigernde Veränderungen der Regelungen aufgrund der Besonderheiten zwischen den Verfahrensrechten deren Inanspruchnahme nicht sicher sein. Das liegt daran, dass aufgrund der heterogenen Interessen der case placer das Ziel, ein möglichst attaraktives Insolvenzrecht zu gestalten, nicht notwendigerweise auch das Ziel beinhaltet, ein möglichst effizientes Insolvenzrecht anzubieten. Man könnte annehmen, dass die einzige Möglichkeit, mit der mitgliedstaatliche Gesetzgeber Anreize für einen Verbleib von Hauptverfahren in 388

Eidenmüller, ZGR 2006, 467, 471. So ist sich ein Praktiker, der am forum shopping aktiv teilnimmt, sicher, dass dieses auf Dauer in einen Regulierungswettbewerb münden wird (vgl. Wlecke, „Englische Lösung“, Sonderbeilage zur Financial Times Deutschland vom 04.05.2006). 390 Mechanismen, die einen solchen Anreiz zum wettbewerbsmäßigen Verhalten innerhalb der politischen Prozesse aufseiten der Rechtsanbieter hervorrufen und so zu einem politischen Wettbewerb führen könnten (zu nennen ist hier insbesondere die Steuerungswirkung von Wahlen), kommt der Funktionsfähigkeit eines interjurisdiktionellen Regulierungswettbewerbs eine zentrale Bedeutung zu, vgl. dazu nur Kiwit/Voigt, 17 Jahrbuch für Neue Politische Ökonomie, 321 f., (1998); Streit, in: Entstehung und Wettbewerb von Systemen, S. 223, 226, 231 sowie den Kommentar von Schmidtchen, 17 Jahrbuch für Neue Politische Ökonomie, 353 ff. (1998). 391 Diskussionsentwurf für ein Gesetz zur weiteren Erleichterung der Sanierung von Unternehmen (Bearbeitungsstand 01.09.2010, S. 17, abzurufen im Internet unter . 389

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ihrer Jurisdiktion schaffen können, jedenfalls solange es nicht gelingt, ein Insolvenzrecht zu schaffen, das alle potenziellen Rechtswähler392, besser stellt, als sie stünden, wenn es in einem anderen Forum zur Durchführung des Verfahrens käme, in der Harmonisierung des autonomen Rechts besteht: Je geringer die Unterschiede zwischen den mitgliedstaatlichen Regelungen, desto geringer sind die im Wege des forum shopping zu realisierenden Arbitrage-Vorteile, desto weniger lohnt sich eine Rechtswahl. Eine fortschreitende Harmonisierung würde also wenigstens tendenziell dazu führen, dass die Anreize sinken, ein forum shopping vorzunehmen. Es verwundert daher nicht, dass infolge der Regelungen der EuInsVO anstelle eines Wettlaufs der Regelungsgeber eine Vereinheitlichung der Rechtssysteme erwartet wird393. Mit Blick auf das Insolvenzverfahren lässt sich mithin bereits hier konstatieren, dass auch unter der Prämisse des politischen Ziels, Insolvenzverfahren im eigenen Mitgliedstaat stattfinden zu lassen, ein Handlungsdruck hin zu einer Steigerung der Verfahrenseffizienz nicht entstehen muss. Aber diese Hypothese des Harmonisierungsprozesses ist infrage zu stellen. Eine Angleichung der Insolvenzrechte im Wege gemeinschaftsrechtlicher Maßnahmen394 muss weiterhin als utopisch angesehen werden. Überdies stünden ihr gemeinschaftsrechtliche Gesichtspunkte entgegen395. Sie müsste sich daher im Wege der gegenseitigen Adaption der Regelungen anderer Staaten vollziehen. Ohne eine zentrale institutionelle Steuerung würde ein solcher Prozess zumindest viele Jahre in Anspruch nehmen. Ferner lässt sich mit guten Gründen bezweifeln, ob es unter der bestehenden Regelung überhaupt zu einem Harmonisierungsdruck kommt. Denn es ist nicht zu erkennen, wieso die in einigen Staaten bekannten, politisch motivierten Zielsetzungen des Insolvenzrechts aufgegeben werden sollten.

392

Damit sind all diejenigen gemeint, die gewillt sind, sich am Wettlauf um die Verfahrenseröffnung zu beteiligen. 393 So stellt etwa Smid in einem Referat zum Thema „Grenzüberschreitende Insolvenzverfahren – Wettlauf der Rechtssysteme?“ anlässlich des 2. Deutschen Insolvenzrechtstags am 10.11.2005 in Berlin die These auf, auf Dauer werde es nicht zu einem Wettlauf, sondern vielmehr zu einer Harmonisierung der autonomen Insolvenzrechte kommen. Zu berücksichtigen ist indes, dass auch ein Regulierungswettbewerb zu einer Vereinheitlichung führen kann und, soweit er funktioniert, auch wird. Ein Harmonisierungsprozess muss sich folglich nicht zwangsläufig als Alternative zu einem Wettbewerb der Rechtssysteme darstellen. 394 Zu denken wäre hier an die sog. substanzielle positive, also auf die Geltung einheitlicher Sachregelungen gerichtete Harmonisierung durch die Gemeinschaft. Zu den Begrifflichkeiten und den Schwierigkeiten, die mit einem solchen Vorgehen verbunden wären, vgl. Enriques, EC Company Law Directives and Regulations (Working Paper). 395 Vgl. nur Erwägungsgrund Nr. 6 zur EuInsVO, der die beschränkte Reichweite der EuInsVO mit dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz erklärt.

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Kapitel 3: Die Rechtswahlfreiheit unter der EuInsVO in der Analyse

Deren Beibehaltung entspräche unter dem Status quo vielmehr den politischen, ideellen und auch wirtschaftlichen Handlungsanreizen, jedenfalls dann, wenn sie die umworbenen case placer anlocken. Ferner werden mitgliedstaatliche Regelungen, die für bestimmte case placer besonders günstig (und keinesfalls zwingend zugleich besonders effizient) sind, regelmäßig sicherstellen, dass es zur Beantragung von Sekundärverfahren und damit zu einer (wenngleich territorial beschränkten) Durchsetzung des mitgliedstaatlichen Rechts kommt. Gerade die nationalen Besonderheiten werden so dazu führen, dass es in Ansehung der in einem potenziellen Sekundärverfahrensstaat belegenen Vermögensgegenstände aufgrund des temporären Vorrangs des Sekundärverfahrens bei wirtschaftlicher Betrachtung nicht zu einer Abwanderung des Insolvenzverfahrens kommt. Auch hinsichtlich der Vorschriften über die Verfahrenseröffnung besteht für die Mitgliedstaaten die Möglichkeit und damit auch der Anreiz, ihre Wettbewerbsposition für die Fälle paralleler Antragstellungen unmittelbar zu verbessern. In der Folge könnte es zu einem Wettbewerb um das kürzestmögliche Verfahren vor Verfahrenseröffnung zu einer Angleichung der Verfahrensrechte kommen396. Weder das Streben aller Mitgliedstaaten nach Harmonisierung infolge eines legislatorischen Wettbewerbs um die Möglichkeit einer schnellen Verfahrenseröffnung noch die Beibehaltung der autonomen Insolvenzrechte oder der Anreiz, ein möglichst attraktives Insolvenzrecht anzubeiten, münden in einen interjurisdiktionellen Wettbewerb, der den gewünschten Effekt einer Optimierung der Insolvenzrechte unter Effizienzgesichtspunkten durch die mitgliedstaatlichen Gesetzgeber mit sich bringen könnte. (b) Handhabung des bestehenden Rechts (Gerichte) Die Situation in den USA, wo die im Wettbewerb miteinander stehenden Foren dasselbe Insolvenzrecht anwenden397, zeigt, dass sich erhebliche Wettbewerbseffekte auch unterhalb gesetzgeberischer Änderungen im Bereich der Handhabung des Rechts ergeben können398. Auch Gerichte sind Rechtsanbieter, und das nicht nur, soweit sie auch nach dem jeweiligen Rechtssystem, wie etwa in Jurisdiktionen des common law, eine rechtsset396

So ebenfalls Smid in seinem Referat auf dem 2. Deutschen Insolvenzrechtstag (oben, Fn. 393). 397 Der Bankruptcy Code ist im 11. Titel des United States Code niedergelegt und somit Bundesrecht. 398 So sind Verfahren im Staat Delaware im Mittel 168 Tage schneller als in anderen Bundesstaaten, Ayotte/Skeel, 73 The University of Chicago Law Review (2006), 425, 461. Die dortige Handhabung unterscheidet sich auch im Hinblick auf die sog. prepackaged bankruptcies und die sog. emergency preferential orders. Vgl. dazu schon oben, S. 298 ff. sowie LoPucki, Courting Failure, passim.

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zende Funktion wahrnehmen, sondern auch, soweit sie überhaupt auf die tatsächliche Anwendung des Rechts Einfluss nehmen399. Dieser Aspekt ist bei der Frage nach möglichen Wettbewerbswirkungen zu berücksichtigen, denn im Mittelpunkt der ökonomischen Betrachtung steht nicht das geschriebene Recht, sondern das Recht in seiner letztlich verwirklichten Gestalt400. Die Lage in den Vereinigten Staaten ist dadurch gekennzeichnet, dass sich die faktisch zur Auswahl stehenden Foren durch die Handhabung derselben Vorschriften unterscheiden, allein diese (erwarteten) Handhabungsunterschiede also den Rechtsnachfragern die maßgeblichen Anreize für eine Platzierung des Verfahrens bieten. Unter der EuInsVO besteht nicht nur kein Mechanismus, der geeignet erscheint, eine Nachfrage nach dem effizientesten Forum sicherzustellen401. Die maßgeblichen Unterschiede zwischen den zur Wahl stehenden Foren liegen hier zudem in den Differenzen der Insolvenzrechte bzw. der Vertrautheit mit Recht und Sprache oder der örtlichen Nähe eines Verfahrensbeteiligten mit einem bestimmten Regelungsregime begründet. Aus diesen und nicht zuvörderst aus der erwarteten Handhabung der unterschiedlichen Regelungen resultieren im europäischen Wettbewerb um die bzw. der Insolvenzforen auch die individuellen Präferenzen der einzelnen Verfahrensbeteiligten402. Darüber hinaus ist die Wirkung der Handlungsanreize aufgrund der Existenz des Sekundärverfahrens, anders als in den USA, stets „zweischichtig“ zu berücksichtigen; in Abhängigkeit von der Verfahrensplatzierung auf der Ebene des Hauptverfahrens kommen auf der Ebene der Sekundärverfahren komplementäre Wahlentscheidungen in Betracht. Während in den USA eine einmal getätigte Rechtswahl definitiv und auf Grundlage einer durch das einheitliche Recht vermittelten Transparenz erfolgt, bleibt in Europa auch abseits der Rechtswahlentscheidung über das Hauptverfahren eine von den Rechtsanwendern zu befriedigende Nachfrage bestehen, soweit die Voraussetzungen des Art. 2 lit. h) EuInsVO gegeben sind. Das mit der EuInsVO geschaffene Wettbewerbsumfeld unterscheidet sich also enorm von der Situation des intranationalen forum shopping in den USA. 399

Kieninger, Wettbewerb der Privatrechtsordnungen, S. 23. Vgl. oben, S. 254. 401 Dies wird freilich von den Vertretern der Hypothese des race to the bottom auch für die Wettbewerbssituation des amerikanischen Insolvenzrechts behauptet. Vgl. nur LoPucki, Courting Failure, S. 236 ff., 249. Anderer Auffassung sowohl für die amerikanische als auch die europäische Situation ist Skeel, 54 Buffalo Law Review (2006), 439, 453 ff. 402 Auf eine erhebliche Verschärfung der Handlungsanreize, durch welche die Situation in der Gemeinschaft, verglichen mit der US-amerikanischen, gekennzeichnet ist, weisen auch Eidenmüller, ZGR 2006, 467, 476 sowie Skeel, 54 Buffalo Law Review (2006), 439, 453 ff. hin. 400

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Kapitel 3: Die Rechtswahlfreiheit unter der EuInsVO in der Analyse

Aufgrund dieser Unterschiede und der genannten Besonderheiten auf Nachfrageseite ist innerhalb der Gemeinschaft auch zu erwarten, dass Veränderungen der Handhabung in erster Linie darauf gerichtet sind, potenzielle Rechtswähler so zu stellen, dass sie von ihren nach Ort und Recht präferierten Antragszielen abweichen. Handhabungsunterschiede werden also vor allem auf die individuelle Besserstellung potenziell Antragsberechtigter – insbesondere im Hinblick auf Sekundärverfahren – abzielen403. Bei isolierter Betrachtung des Hauptverfahrens können die Veränderungen der Handhabung daher sogar effizienzmindernd sein, beispielsweise indem sie zu einer Verringerung der zur Verfügung stehenden Masse führen. Diese Hypothese scheint sich in der bisher unter der EuInsVO zu beobachtenden Rechtspraxis zu bestätigen404. Es ist freilich nicht ausgeschlossen, dass infolge der genannten Zusammenhänge auch Maßnahmen ergriffen werden, die insgesamt der Verfahrensoptimierung dienen405. Letztlich ist indes auch für den Aspekt des Angebots durch die Rechtsanwender festzustellen, dass die Regelungen des Status quo nicht die Nachfrage nach einer effizienten Verfahrensbewältigung stimulieren und daher nicht notwendigerweise zu einem effizienzfördernden Wettbewerb der Rechtsanbieter führen. d. Zusammenfassung Mit der faktischen Rechtswahlfreiheit unter der EuInsVO ist folglich ein Umfeld geschaffen worden, das einen effizienzfördernden Regulierungswettbewerb allenfalls bedingt zulässt. Dieser Befund scheint prima facie nur schwerlich mit dem Umstand in Einklang zu bringen zu sein, dass es in einer Reihe von Fällen gelungen ist, Verfahren unter Hinweis auf die besondere Effizienz des dortigen Verfahrensrechts in einem gewünschten Forum zu platzieren. Diese Entwicklung lässt für die Rechtswirklichkeit den Eindruck entstehen, dass die Kräfte des Wettbewerbs um internationale Konzerninsolvenzen entgegen obigen Feststellungen auch unter dem Status quo eine Nachfrage nach Verfahrenseffizienz generierten. Dabei ist indes zu berücksichtigen, dass Forumswahl und Verfahrensbündelung durchaus auf das individuelle Vorteilsstreben von Management, Insolvenzverwaltern 403

Diesen Aspekt vernachlässigt Skeel, 54 Buffalo Law Review 439 ff. (2006). In diesem Zusammenhang ist abermals auf die supplemental order des High Court of Justice Birmingham in der Sache MG Rover, NZI 2005, 515 f. zu verweisen. Wenn hier durch das englische Gericht auf die de lege lata bestehenden Möglichkeiten eingegangen wird, so besteht darin zugleich ein Hinweis auf eine intendierte Praxis, denn die Regeln erfordern die Bevorzugung keineswegs zwingend. 405 So dürfte die Einschätzung des High Court of Justice Birmingham, NZI 2005, 515 f., dass die Durchführung eines Sekundärverfahrens sich, verglichen mit der Gewährung von Sondervorteilen, als insgesamt sehr viel nachteiliger erweist, zutreffend sein. 404

B. Status quo und Effizienz

345

und Beratern zurückgehen könnten, die infolge eines Zeitvorsprungs und besonders schnellen Handelns sowie der Auswahl von Foren, in denen Verfahren schneller i.S. der EuInsVO eröffnet werden können, gegenüber den antragsberechtigten Gläubigern prävalieren konnten406. Dass das gewählte Insolvenzrecht tatsächlich Effizienzvorteile aufweist, wurde noch nicht nachgewiesen. Selbst wenn in diesen Fällen die Absicht einer effizienten Durchführung der Verfahren tatsächlich treibende Kraft gewesen sein sollte, so ist, wie dargelegt, nach einer Intensivierung der Auseinandersetzung um die Verfahrenseröffnung nicht damit zu rechnen, dass Versuche der Verfahrensbündelung künftig ebenso erfolgreich sind. Spätestens unter Einbeziehung der Sekundärverfahren wird deutlich, dass die divergierenden Präferenzen der Gläubiger auch schon in denjenigen Fällen bestanden, in denen auf der Ebene des Hauptverfahrens eine Verfahrensbündelung oder eine gezielte Ansteuerung eines Forums gelang. IV. Ergebnis Die Bestandsaufnahme zur Rechtswahlfreiheit unter der EuInsVO zeigt im Hinblick auf die Verfahrenseffizienz ein gespaltenes Bild. Zwar ist vorstellbar, dass durch gezielte Einflussnahme der Verfahrensbeteiligten ein Zustand hergestellt wird, der besonders im Fall von Konzerninsolvenzen zu deren rascher und effizienter Abwicklung beitragen kann. Es zeigt sich also, dass die Einflussnahme auf Forum und Verfahrensstatut als solche vorteilhaft sein kann. Die Realisierung dieser Vorteile ist jedoch infolge der durch EuInsVO vermittelten Handlungsanreize für die Akteure in vielerlei Hinsicht ungewiss. Einzelne Gläubiger werden auf die Durchführung eines Hauptverfahrens in dem Forum hinwirken, das ihnen als besonders vorteilhaft erscheint, weil die zu erwartenden Effizienzgewinne ihre persönlichen Mehrkosten nicht aufwiegen würden oder das von ihnen angestrebte Forum für sie (ungeachtet der dort bestehenden Verfahrenseffizienz) besonders günstig ist. Selbst wenn auf der Ebene des oder (in Konzernkonstellationen) der Hauptverfahren eine Rechtswahl stattfindet, die per se Effizienzvorteile generiert, kann es sein, dass sich diese infolge der Eröffnung von Sekundärinsolvenzen oder entstehender Streitigkeiten nicht verwirklichen. Besonders ausgeprägt sind diese Mechanismen in den für das internationale Insolvenzrecht praktisch sehr bedeutsamen Fällen der Insolvenz von Unternehmensgruppen. Den mit dem Status quo verbundenen Chancen stehen außerdem weitreichende Nachteile gegenüber, die durch das Verhalten der Akteure nicht beeinflusst werden. Die Rechtswahlfreiheit wird unter der EuInsVO erst 406 So kam es beispielsweise in den Konzernfällen ISA/Daisytek, Parmalat sowie im Fall Rover bei einzelnen Gesellschaften zu konkurrierenden Anträgen auf Eröffnung eines Hauptverfahrens.

346

Kapitel 3: Die Rechtswahlfreiheit unter der EuInsVO in der Analyse

durch den diffusen Kompetenztatbestand in Art. 3 Abs. 1 S. 1 EuInsVO eröffnet, der weitreichenden manipulativen Einwirkungen zugänglich ist. Die Vorhersehbarkeit wird dadurch mit den beschriebenen nachteiligen Auswirkungen wesentlich eingeschränkt. Darüber hinaus birgt die Ausnutzung der bestehenden Regelung ein erhebliches Potenzial für internationale Konflikte, die der effizienten Bewältigung internationaler Insolvenzen im Weg steht. Schließlich konnte gezeigt werden, dass die Zuständigkeits- und Anerkennungsvorschriften der EuInsVO auch einem effizienzfördernden Regulierungswettbewerb der Insolvenzrechte nicht dienlich sind; die maßgeblichen Handlungsanreize können hier dazu führen, dass der den Gesetzgebern und Rechtsanwendern zur Verfügung stehende Handlungsspielraum nicht im Sinne einer Effizienzsteigerung genutzt wird. In Anbetracht dieser Befunde lässt sich bezweifeln, dass die bisherige Ausnutzung des Kompetenztatbestandes mittels forum shopping auf Dauer tatsächlich Effizienzvorteile generieren wird, so wie es die Wegbereiter und Apologeten dieser Praxis für sich in Anspruch nehmen. Vergegenwärtigt man sich, dass es im Kern die Praxis der extensiven Auslegung und Inanspruchnahme von Art. 3 Abs. 1 EuInsVO ist, die zu den beschriebenen Defiziten beigetragen hat, so wird deutlich, dass die mit der EuInsVO eröffneten Möglichkeiten nicht die Lösung, sondern vielmehr einen Teil des Problems darstellen. Aber auch wenn man in der bestehenden Lösung einen Schrittmacher in Richtung einer Effizienz von Verfahren und Regelungen erblickt, beanspruchen die genannten Defizite des Status quo grundsätzlich Geltung. In jedem Fall ist daher die Frage nach Modifikationen der Rechtslage aufgeworfen. Der folgende Teil der Arbeit wird sich mit der Frage befassen, wie sich die bestehende Rechtslage zum Besseren hin verändern ließe. Im Mittelpunkt soll dabei die Frage stehen, ob die Unzulänglichkeiten der bestehenden Regelung behoben und gleichzeitig die bereits heute für ein bestimmtes Verständnis geltend gemachten wirtschaftlichen Vorteile tatsächlich realisiert werden könnten.

4. Kapitel

Alternative Regelungsmodelle A. Modifikationen Modifikationen

Wie gezeigt werden konnte, ist eine Bewältigung der bestehenden Probleme durch vertragliche Regelungen zwischen den Verfahrensbeteiligten nur unzureichend möglich. Einer Klärung aller zentralen Fragen des Zuständigkeitstatbestands durch den EuGH dergestalt, dass ein forum shopping zumindest in Form der Ausnutzung der Unbestimmtheit des Zuständigkeitstatbestands entfällt, wird in Ansehung der bislang ergangenen Judikate bis auf Weiteres vergeblich zu harren sein. Lösungen für die aufgezeigten Probleme müssen mithin im Regelwerk der EuInsVO gefunden werden. I. Voraussetzungen effektiver Modifikationen im Bereich der Zuständigkeitsordnung Bevor einzelne Veränderungen der bestehenden Zuständigkeitsordnung diskutiert werden, soll zunächst dargelegt werden, auf welchen Ebenen diese sich vollziehen könnten, um eine Verbesserung des Status quo zu erreichen. Hier müssen zwei Ansatzpunkte unterschieden werden. Einerseits ließe sich durch legislatorische Änderungen der Gegenstand der Rechtswahl, andererseits der Modus der Rechtswahl modifizieren1. Eine Beschränkung der inhaltlichen Ausgestaltung der zu wählenden Rechtsordnungen hätte Rückwirkungen auf die Anreizstruktur und könnte so zu Verbesserungen beitragen. Auch Probleme, die unmittelbar in den Regelungen der EuInsVO bestehen, ließen sich auf diesem Wege theoretisch lösen. So wäre etwa die schlechte Vorhersehbarkeit der spezifisch international-insolvenzrechtlichen Risiken weniger bedeutsam, wenn eine Angleichung der mitgliedstaatlichen Verfahrensrechte die Bandbreite der zu übersehenden Risiken verkürzte. Dieser Ansatzpunkt ist jedoch innerhalb der Gemeinschaft völlig unpraktikabel. Denn nach dem Gesagten ließe sich eine Angleichung oder eine zielgerichtete Änderung aller autonomen Insolvenzrechte der Mitgliedstaaten nur durch regulatorische Maß1 Zur Unterscheidung zwischen prozeduralen und substanziellen Veränderungen als möglichen Ansatzpunkten eines Reformprozesses vgl. Zywicki, 94 Georgetown Law Journal, 1141, 1185 ff. (2006).

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Kapitel 4: Alternative Regelungsmodelle

nahmen der Gemeinschaft effektiv durchsetzen. Ein europaweit weitgehend vereinheitlichtes oder gar uniformes Insolvenzrecht dürfte nicht zuletzt aus diesem Grund vorerst als bloße Utopie anzusehen sein. Anders als etwa in den USA2 können Modifikationen des Gegenstands der Rechtswahl unter der EuInsVO folglich keinesfalls das Fundament de lege ferenda vorzunehmender Änderungen darstellen. Veränderungsmöglichkeiten sind daher im prozeduralen Bereich der Rechtswahl zu suchen. Für die Frage, welche Modifikationen sich als erfolgreich erweisen könnten, ist noch einmal auf die identifizierten Ansatzpunkte manipulativen Einwirkens zurückzukommen. In diesen wurzelt die Problematik der faktischen Rechtswahlfreiheit. Daraus folgt, dass in Ansehung des Hauptverfahrens jeder der drei Faktoren, die eine Rechtswahl ermöglichen, denkbarer Ausgangspunkt für Modifikationen ist: Sowohl die tatsächliche Verlegbarkeit des COMI als auch die Unbestimmtheit der Kriteriums und die Voraussetzungen zur Anerkennung ausländischer Verfahrenseröffnungen könnten in ihren dargelegten Determinanten verändert werden. 1. Tatsächliche Veränderung der Einwirkungsmöglichkeiten Ob Umgestaltungen geeignet sind, eine Verbesserung gegenüber dem bestehenden Zustand herbeizuführen, hängt maßgeblich davon ab, inwieweit sich das Einwirkungspotenzial realiter verändert. So würde beispielsweise die Anordnung einer Unbeachtlichkeit tatsächlicher Veränderungen in einem bestimmten Zeitfenster vor Eintritt der Insolvenz nach dem Vorbild bestimmter mitgliedstaatlicher Rechtsordnungen3 an der bestehenden Situation effektiv wenig ändern. Modifikationen der zuständigkeitsrelevanten Tatsachenbasis in Insolvenznähe würden durch die Vorverlegung des Bezugnahmezeitpunktes zwar unterbunden. Solange jedoch ungewiss bleibt, was genau das COMI kennzeichnet, ist die Implementierung einer Unbeachtlichkeitsregel für tatsächliche Veränderungen ebenso wenig hilfreich4 wie Modifikationen des weitreichenden Anerkennungszwangs, mit dem sich diese Ungewissheit durch die verschiedenen Akteure ausnutzen lässt. Wie dargelegt, ist mit einer weitreichenden, effektiven Einschränkung der

2 In den Vereinigten Staaten ist das Insolvenzrecht, wie dargelegt, Bundesrecht und daher einheitlich änderbar (so etwa durch den Bankruptcy Abuse Prevention and Consumer Protection Act of 2005). Mit den Änderungen kann dann auch der Handlungs- und Auslegungsspielraum der Gerichte beschränkt werden, der dort maßgeblicher Beweggrund für ein forum shopping ist. 3 Siehe oben, Fn. 38 zum zweiten Kapitel. 4 Anders Carstens, Internationale Zuständigkeit, S. 124, der sich für die Vorverlegung des Bezugnahmezeitpunktes auf sechs Monate vor Eintritt der Insolvenz ausspricht.

A. Modifikationen

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Einwirkungsmöglichkeiten infolge von Judikaten des EuGH bis auf Weiteres nicht zu rechnen. Effektive Änderungen der Zuständigkeitsregel erfordern daher zumindest immer auch eine Abkehr vom COMI-Kriterium in seiner momentanen Ausgestaltung. Diese ist freilich in keiner Weise Garant einer Verbesserung, sondern lediglich Voraussetzung dafür. 2. Gleichlauf von Kompetenzvorschriften und Kollisionsnorm Grundsätzlich ist vorstellbar, dass Schuldner das zur Anwendung kommende Insolvenzrecht unabhängig vom Forum des Verfahrens wählen. Anders als in dem der EuInsVO zugrunde liegenden lex-fori-Prinzip könnte es dann zu der Situation kommen, dass das Gericht eines Mitgliedstaates das Hauptverfahren nach insolvenzrechtlichen Bestimmungen eines anderen Mitgliedstaates durchführt. Verglichen mit dem Status quo wären derartige Modifikationen jedoch mit weiteren Ineffizienzen verbunden. Denn die Anwendung eines fremden Rechts ist regelmäßig mit einem wesentlich größeren Aufwand verbunden als die Anwendung eigenen Rechts: Das jeweilige Gericht müsste sich zunächst mit Vorschriften des gewählten Statuts vertraut machen, was zu erheblichem Aufwand und zu Zeitverlusten führte5. Darüber hinaus bestünde eine zusätzliche Ungewissheit, wie die Gesetze des einen Staates durch die Gerichte eines anderen angewendet würden. Dabei ist nicht auszuschließen, dass eine unterschiedliche, im Einzelnen zum Zeitpunkt der Forderungsentstehung noch unvorhersehbare Interpretation stattfindet. Auch wenn zugleich die mit dem Status quo verbundenen Vorhersehbarkeitsdefizite bezüglich des COMI aufgehoben würden, wäre eine isolierte Wahl von Insolvenzforum und -statut als nachteilig anzusehen. Denn die mit der jeweiligen Kombination einhergehenden Risiken könnten dann zwar bei Kreditvergabe eingepreist werden. Jedoch besteht, wie dargelegt wurde, gerade nicht in jedem Fall und nicht für jeden Schuldner die Möglichkeit, die Kreditbedingungen an die spezifisch international-insolvenzrechtlichen Risiken anzupassen. Die Folge wären die bereits oben genannten Verzerrungen: Bestimmte Schuldner könnten sich auf Kosten anderer bereichern. Das wiederum würde zu Effizienzverlusten führen6. Ein Gleichlauf von internationaler Zuständigkeit und Kollisionsnorm in Gestalt des lex-fori-Grundsatzes ist daher zur Voraussetzung der zu diskutierenden Veränderungsvorschläge zu erheben.

5 6

Vgl. Eidenmüller, EBOR 6 (2005), 423, 430, 441. Vgl. Eidenmüller, EBOR 6 (2005), 441 f.

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Kapitel 4: Alternative Regelungsmodelle

II. Einzelne Modifikationsvorschläge Der folgende Teil der Arbeit beschränkt sich auf Veränderungsvorschläge, welche die vorstehend genannten Erfordernisse erfüllen. Dabei sollen ausgewählte Ansätze zunächst dargestellt und dann unter Berücksichtigung der im vorigen Kapitel benannten effizienzrelevanten Gesichtspunkte untersucht werden. 1. Gemeinsame Wahl von Organisations- und Insolvenzrecht a. Anknüpfung an Satzungssitz und Gründungsstatut (Kombinationslösung) Für eine Modifikation der Zuständigkeits- und Kollisionsregeln der EuInsVO hat sich Eidenmüller ausgesprochen7. Nach einer eingehenden Auseinandersetzung mit verschiedenen Modellen einer Rechtswahlfreiheit empfiehlt er eine Koppelung von Organisations- und Insolvenzrecht8. Im Falle einer Insolvenz solle eine Gesellschaft dem Insolvenzrecht desjenigen Staates unterstehen, in dem sie ihren Satzungssitz bzw. ihr registered office9 habe. Sei ein solcher nicht vorhanden, so solle es auf das Recht des Staates ankommen, nach dem der schuldnerische Unternehmensträger organisiert sei. Das zur Anwendung gelangende Insolvenzrecht wird also mit der Gründung der Gesellschaft „gewählt“. Einen Vorteil dieser Lösung sieht Eidenmüller in einer Verbesserung der Vorhersehbarkeit der insolvenzrechtlichen Risiken. Das weitgehend unbestimmte und manipulierbare COMI-Kriterium werde bei Implementierung des von ihm als constrained forum choice bezeichneten Modells durch einen für den Rechtsverkehr einfach zu ermittelnden und zumindest transnational unveränderlichen Anknüpfungspunkt ersetzt. Darüber hinaus entfielen bei einer nur gekoppelt möglichen „Wahl“ von Gesellschafts- und 7

Eidenmüller, EBOR 6 (2005), 423 ff.; ders., ZGR 2006, 467, 480 ff. Eidenmüller, EBOR 6 (2005), 423, 438 ff., 446 f.; ders., ZGR 2006, 467, 484 f. Dieser Vorschlag soll im Folgenden daher auch als „Kombinationslösung“ bezeichnet werden. 9 In der deutschen Textfassung könnte weiterhin, wie bislang, in der gesetzlichen Vermutung des Art. 3 Abs. 1 S. 2 EuInsVO allein vom „satzungsmäßigen Sitz“ die Rede sein, denn für Jurisdiktionen, denen diese Figur nicht bekannt ist (z. B. England und Irland) und daher auch in der entsprechenden Textfassung der EuInsVO allein vom registered office die Rede ist, ist als satzungsmäßiger Sitz das registered office anzusehen. Dies ergibt sich bereits aus dem Gebot der Heranziehung mehrerer Textfassungen bei Auslegung einer Verordnung des Gemeinschaftsrechts und ließe sich darüber hinaus durch einen Analogieschluss zur Verordnung (EG) 44/2001 begründen, die in Art. 60 Abs. 2 ausdrücklich die Erfassung des registered office durch den Terminus des satzungsmäßigen Sitzes anordnet (vgl. Virgós/Garcimartín, The European Insolvency Regulation, Nr. 60). 8

A. Modifikationen

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Insolvenzrecht zum Zeitpunkt der Gründung die andernfalls entstehenden schwierigen Abgrenzungsfragen zwischen der lex fori concursus und dem nach der Gründungsanknüpfung europäischer Prägung anwendbaren Gesellschaftsstatut. Die Insolvenzgerichte müssten dann stets nur inländisches, also ihnen vertrautes Insolvenz- und Gesellschaftsrecht anwenden. Die Informationskosten für die Gläubiger verringerten sich daher nicht nur infolge der einfachen Bestimmbarkeit des anzuwendenden Insolvenzrechts, sondern auch dadurch, dass diese sich nicht mit dem Risiko nicht zueinander passender insolvenzrechtlicher und gesellschaftsrechtlicher Risiken konfrontiert sähen. Darüber hinaus schaffe eine Koppelung von Gesellschafts- und Insolvenzstatut begrüßenswerte Anreize für eine effiziente Rechtswahl, da eine nachträgliche Rechtswahl zulasten bestimmter Gläubiger genauso wenig stattfinden könne wie eine gezielte Kombination schlecht harmonierender Gesellschafts- und Insolvenzrechte. So würden die Nachteile des Status quo und einer freien, also unabhängig vom Organisationsrecht erfolgenden Insolvenzrechtswahl umgangen, während die damit verbundenen Vorteile, insbesondere ein Wettbewerb der Insolvenzrechte, weitgehend erhalten blieben10. Ein gewichtiges Argument für die Einführung des Modells eines constrained forum choice sieht Eidenmüller schließlich darin, dass diese Veränderung, verglichen mit radikaleren Änderungsvorschlägen, politisch größere Chancen auf Verwirklichung habe und durch sehr einfache Änderungen des Wortlauts des bestehenden Art. 3 Abs. 1 EuInsVO implementiert werden könne11. Nachteile würde der Zwang zur Wahl des Insolvenzrechts im Wege der Gründung eines Unternehmensträgers allein hinsichtlich der Effizienzgewinne bereiten, die der Status quo oder eine ungekoppelte Rechtswahl in Fällen der Konzerninsolvenz generieren könnten. Indes sei hier zu erwägen, dass Unternehmensgruppen in Rechtsformen derselben Jurisdiktion organisiert werden könnten. Auch wenn dies nicht geschehe, bestünden in Form von Insolvenzverwalterverträgen und protocols Möglichkeiten einer effizienten Verfahrensbewältigung12. Des Weiteren weist Eidenmüller nach, dass die Einführung eines constrained forum choice in Einklang mit Art. 43, 48 EGV stünde. Es sei nicht Aufgabe der Niederlassungsfreiheit, nationalen Regelungen einzelner Mitgliedstaaten zum Durchbruch zu verhelfen, deren Insolvenzrecht infolge der Kombinationslösung nicht zur Anwendung kommt. Ebenso wenig fol-

10

Eidenmüller, EBOR 6 (2005), 423, 439 f. Eidenmüller, EBOR 6 (2005), 423, 447. 12 Eidenmüller, EBOR 6 (2005), 423, 440. 11

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Kapitel 4: Alternative Regelungsmodelle

ge aus der Niederlassungsfreiheit, dass die Möglichkeit gegeben sein müsse, das Insolvenzstatut unabhängig vom Gesellschaftsrecht zu wählen13. b. Kritik Mit dem Vorschlag einer gemeinsamen „Wahl“ von Gesellschafts- und Insolvenzstatut wird erstmals der Versuch unternommen, den unbefriedigenden Status quo durch Änderung des an der Wurzel der Problematik stehenden Kompetenztatbestands zu verbessern. Der Charme der Lösung liegt vor allem in seiner verhältnismäßig einfachen Implementierbarkeit, die neben einer geringfügigen Änderung des Verordnungswortlauts keine weiteren Modifikationen wie etwa die Neuschaffung von Institutionen erforderlich machte. Die Vorhersehbarkeit des international-insolvenzrechtlichen Risikos würde durch eine Anknüpfung an Satzungssitz oder Organisationsstatut erheblich verbessert. Der Anknüpfungspunkt wäre allein im Rahmen der rechtlichen Möglichkeiten zur Durchführung eines identitätswahrender Wechsel des Satzungssitzes veränderbar14. Nachträgliche oder gar in letzter Sekunde erfolgende Veränderungen in tatsächlicher Hinsicht wären daher kaum möglich. So sieht etwa die 10. Richtlinie15 für eine grenzüberschreitende Verschmelzung des Unternehmensträgers zugunsten der betroffenen Gläubiger die Anwendung der Sicherungsmaßnahmen des mitgliedstaatlichen Rechts vor (Art. 4 Abs. 1 lit. b) i.V.m. Abs. 2). Insbesondere Schuldner, die sich in einer existenzbedrohenden Krise befinden, werden diese regelmäßig nicht erfüllen können. Auch vor Umsetzung der Richtlinie sind bei einer grenzüberschreitenden Verschmelzung nach der Entscheidung des EuGH in der Rechtssache SEVIC16 die Gläubigerschutzvorschriften des mitgliedstaatlichen Rechts, bei einer Verschmelzung nach Deutschland etwa § 22 UmwG, einschlägig17. Von einer europäischen Sitzverlegungsrichtlinie18 wäre ebenfalls zu erwarten, dass sie eine Sitzverlegung zum Schutz der Gläubiger an Bedingungen knüpft. 13

Eidenmüller, EBOR 6 (2005), 423, 445 f. Ein Überblick zur deutschen Umsetzung der 10. Richtlinie sowie zu den bei grenzüberschreitenden Umwandlungen zu wahrenden Voraussetzungen findet sich bei MarschBahner, in: Kallmeyer UmwG, Vor §§ 122a-122l, sowie bei Klein, RNotZ 2007, 565, jeweils mit umfangreichen weiterführenden Hinweisen 15 Richtlinie 2005/56/EG vom 26.10.2005 über die Verschmelzung von Kapitalgesellschaften aus verschiedenen Mitgliedstaaten, ABl. L 310/1 (2005). 16 EuGH, Rs. C-411/03 (SEVIC Systems Aktiengesellschaft), EWS 2006, 27 ff. Vgl. dazu auch Lutter/Drygala, JZ 2006, 770 ff. 17 Vgl. Kieninger, EWS 2006, 49, 52. 18 So etwa die ehemals geplante, auf Artikel 44 Abs. 1 und Abs. 2 lit. g) EGV gestützte 14. gesellschaftsrechtliche Richtlinie über die grenzüberschreitende Verlegung des Satzungssitzes von Kapitalgesellschaften. Aus einer Antwort der Kommission vom 14

A. Modifikationen

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Der durch den Interpretationsspielraum des COMI-Kriteriums vermittelte Bewegungsraum für potenzielle case placer entfällt unter dem Modell des constrained forum choice aufgrund der Eindeutigkeit des Anknüpfungskriteriums gänzlich. Es bliebe daher lediglich die Möglichkeit, dem Verfahrensrecht eines anderen Staates im Wege der Inanspruchnahme der Eröffnungszuständigkeit in einem objektiv unzuständigen Forum zur Anwendung zu verhelfen. Jedoch wird auch diesem Faktor unter dem Modell einer kombinierten „Wahl“ von Gründungs- und Insolvenzstatut aufgrund der dargelegten Wechselwirkungen zwischen den Ansatzpunkten praktisch kaum mehr eine bedeutsame Rolle zukommen können. Die Gefahr der Eröffnung zweier paralleler Hauptverfahren wie im Fall Parmalat/Eurofood oder im Fall Aircraft durch eine doppelte Inanspruchnahme der Eröffnungszuständigkeit wäre weitgehend gebannt. Das von der bloßen Existenz eines zweiten, als „Hauptverfahren“ titulierten Verfahrens ausgehende immense Störpotenzial entfiele. Die in den ersten Jahren unter der EuInsVO aufgetretenen Fälle, in denen eine zum Zeitpunkt der Verfahrenseröffnung noch bestehende Sanierungschance vereitelt würde19, wären ausgeschlossen. Allerdings wären Verfahrenseröffnungen, die einer Überprüfung nach Art. 3 Abs. 1 EuInsVO nicht standhalten, derart offensichtlich, dass sich Gerichte anderer Mitgliedstaaten herausgefordert sehen könnten, die Sperrwirkung zu ignorieren. In jedem dieser Fälle beinhaltete eine Verfahrenseröffnung einen groben und offensichtlichen Rechtsverstoß, der den Gläubiger in den Genuss des (gemeinschaftsrechtlichen) Instituts der Staatshaftung bringen könnte20. Die Vorhersehbarkeit der mit dem Eintritt der Insolvenz verbundenen Risiken wäre schließlich bei einem Gleichlauf von Organisations- und Insolvenzstatut auch dadurch verbessert, dass die Ungewissheit über die Qualifikation der Regelungen, deren Gegenstand im Schnittfeld zwischen Gesellschafts- und Insolvenzrecht liegt, bedeutungslos würde. Schließlich würde die Regelung des Art. 3 Abs. 1 EuInsVO bei einer Anknüpfung an 18.08.2010 auf die parlamentarischen Anfragen der Abgeordneten Karas und Regner folgt, dass eine Regelung grenzüberschreitender Sitzverlegungen von Kapitalgesellschaften nicht erfolgt, solange nicht eine erneute Prüfung zu dem Ergebnis kommt, dass eine Regelung auf europäischer Ebene zusätzlichen Nutzen bringe und Aussicht auf politische Umsetzbarkeit habe. 19 So lag es etwa in einem dem Verfasser bekannten Fall, in dem ein wichtiger Kunde eines großen insolventen Automobilzuliefererunternehmens es zunächst nicht wagte, dem Schuldner ein für die Fortführung der Produktion unbedingt erforderliches Massedarlehen zu gewähren. Aufgrund der Eröffnung des Hauptverfahrens in einem anderen Mitgliedstaat als demjenigen, in dem sich Verwaltungssitz und Produktionsstandort befanden, befürchtete er, es könne dort später zu einem weiteren „Hauptverfahren“ kommen, in dem die Darlehenssumme (da vor Eröffnung des zweiten Verfahrens erteilt) als bloße Insolvenzforderung behandelt werden könnte. 20 Zu dessen Voraussetzungen vgl. Geiger, Art. 10 EGV, Rn. 46 f.

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Kapitel 4: Alternative Regelungsmodelle

den Satzungssitz oder das Organisationsstatut auch als Ausgangspunkt langwieriger und damit kostspieliger internationaler Rechtsstreitigkeiten ausscheiden. Die geschilderten Vorteile können uneingeschränkt jedoch nur attestiert werden, soweit sich der Blick auf das Hauptverfahren beschränkt. Denn die von der EuInsVO vorgesehene Mehrheit von Haupt- und Sekundärverfahren führt dazu, dass sich die mit dem Modell des constrained forum choice bei abstrakter Betrachtung verbundenen Vorteile nur eingeschränkt realisieren lassen werden. Damit ist bereits eine wesentliche Schwäche des Ansatzes identifiziert, die jedenfalls dann bedeutsam würde, wenn zusätzlich zu einer Modifikation von Art. 3 Abs. 1 EuInsVO keine weiteren legislatorischen Änderungen erfolgten: Die faktische, wirtschaftliche Bedeutung der Vorhersehbarkeit des international-insolvenzrechtlichen Risikos hängt – wie bereits deutlich wurde – insbesondere davon ab, für welche Teile des schuldnerischen Haftungssubstrats die Antizipierbarkeit gewährleistet ist. Bezieht sie sich nur auf das rechtliche und wirtschaftliche Schicksal einzelner Vermögensgegenstände, so schrumpfen die mit der Änderung verbundenen Vorteile. Die weit verbesserte Vorhersehbarkeit des international-insolvenzrechtlichen Risikos bestünde bei einer Implementierung der Kombinationslösung unter dem Status quo jedoch nur für die allein dem Hauptverfahren unterfallenden Vermögenswerte. Alle diejenigen Vermögenswerte, die (auch) in die Masse eines Sekundärverfahrens fallen, wären nicht erfasst, soweit es zur Eröffnung eines solchen Verfahrens käme. Dessen Voraussetzungen sind jedoch weiterhin veränderlich und je nach Art der betroffenen assets auch hinsichtlich der Reichweite Manipulationen zugänglich. Hinzu kommt, dass die damit verbundenen Auswirkungen auf die Vorhersehbarkeit unter dem Modell eines constrained forum choice deutlich stärker ins Gewicht fallen dürften als unter der bestehenden Regelung. Dies liegt zum einen an der dann bestehenden Manipulationsunempfindlichkeit der internationalen Zuständigkeit für die Eröffnung des Hauptverfahrens. Nachdem allein Sekundärverfahren als Ausgangspunkt strategischer Einwirkungen verbleiben, ist damit zu rechnen, dass von ihnen noch mehr als bislang Gebrauch gemacht wird. Zum anderen dürfte sich die Bedeutung von Sekundärverfahren auch infolge des neuen Anknüpfungskriteriums noch vergrößern. Denn der mit dem Modell des constrained forum choice verbundene Zwang zur gemeinsamen Wahl von Insolvenz- und Organisationsstatut wird in vielen Fällen dazu führen, dass sich die Wahlentscheidung des Unternehmers in erster Linie am gesellschaftsrechtlichen und nicht am insolvenzrechtlichen Normenangebot orientiert. Das Gesellschaftsrecht stellt sich als wesentliche Determinante für das „Leben“ des Unternehmens dar, während das Insolvenzrecht vor allem das bei Unternehmensgründung vielfach verdrängte

A. Modifikationen

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Szenario des Scheiterns betrifft21. Stellt sich die Entscheidung danach in vielen Fällen als eine gesellschaftsrechtsbezogene dar, so ist – insbesondere im Lichte der EuGH-Rechtsprechung zur Niederlassungsfreiheit22 – damit zu rechnen, dass die Wahlentscheidung häufig unabhängig von der Belegenheit der Vermögenswerte stattfindet23. Es fehlt also an Mechanismen, die sicherstellen, dass für das „mitgewählte“ Insolvenzrecht auch in tatsächlicher Hinsicht ein bedeutsamer Anwendungsbereich verbleibt. Setzt sich die Tendenz fort, mittels sog. Scheinauslandsgesellschaften das für besonders ansprechend empfundene Organisationsrecht eines Staates wahrzunehmen, obwohl das Unternehmen in einem anderen Mitgliedstaat tätig ist, so würden häufig kaum substanzielle Vermögenswerte vom Hauptverfahrensstatut erfasst, da sich die wesentlichen Vermögenswerte allein in den Mitgliedstaaten befänden, in denen das Unternehmen tatsächlich tätig ist. Darüber hinaus wären in diesen Staaten regelmäßig die Voraussetzungen zur Eröffnung eines Sekundärverfahrens gegeben24. Unterfallen wesentliche Teil des Haftungssubstrats jedoch dem Sekundärverfahrensstatut, so ergeben sich die bekannten Probleme; es kommt abermals zu Friktionen zwischen dem Organisations- und dem Sekundärverfahrensstatut, da das „eigentliche Hauptverfahren im Gewand eines Sekundärverfahrens“25 stattfindet. Abermals bedürfte es einer Auseinandersetzung vor allem mit den Schnittstellen von Insolvenz- und Organisationsrecht der Mitgliedstaaten. Die Schnittstellenproblematik, aufgrund der umstrittenen Qualifikationsfragen, wie gezeigt, ein wesentlicher Problemherd der bestehenden Rechtslage, würde also lediglich verlagert. Die mit dem Gleichlauf von Organisationsrecht und Insolvenzrecht

21

In diesem Zusammenhang ist auch auf das Phänomen des sog. managerial optimism und der overconfidence hinzuweisen. Danach lassen sich Manager bei der Entscheidungsfindung überwiegend von der Vorstellung eines positiven Ausgangs des jeweiligen Risikoszenarios leiten, d.h. sie handeln gemessen an der objektiv bestehenden Risikosituation überoptimistisch und somit bis zu einem gewissen Maße irrational. Vgl. allgemein dazu Roll, 59 Journal of Business, 197 ff. (1986) sowie aus dem jüngeren Schrifttum die Untersuchung von Baker/Ruback/Wurgler, in: Handbook of Corporate Finance: Empirical Corporate Finance. 22 Dazu oben, S. 186. 23 Bemerkenswert ist, dass sich in den Vereinigten Staaten, wo das Insolvenzrecht zur Bestimmung der Eröffnungszuständigkeit unter anderem auch auf den Registersitz des Schuldners abstellt, de lege ferenda angeregt wird, die Anknüpfung an den Registersitz aufzugeben. Vgl. Rasmussen/Thomas, 94 Northwestern University Law Review (2000) 1357, 1377 (dort Fn. 99). 24 Dort, wo ein Unternehmen seine tatsächlichen Aktivitäten i.S. des operativen Geschäfts entfaltet, werden regelmäßig die Voraussetzungen einer Niederlassung gem. Art. 2 lit. h) EuInsVO bestehen. 25 Herchen, ZInsO 2004, 825, 829.

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des Hauptverfahrens generierten Vorteile wären nur von untergeordnetem Wert. In Verbindung mit dem Phänomen der Scheinauslandsgesellschaften begünstigt die gemeinsame Wahl von Gesellschafts- und Insolvenzstatut mithin die Verkürzung der mit dem Ansatz eigentlich verbundenen Verbesserung der Vorhersehbarkeit des international-insolvenzrechtlichen Risikos. Denn bei einer strategischen Wahl des Gesellschafts- und damit des Insolvenzstatuts befindet sich eine Vielzahl der assets außerhalb des Eröffnungsstaates. Es zeigt sich, dass bei einer Implementierung der Kombinationslösung in das bestehende System des modifizierten Universalismus die Risikoprognose durchkreuzt werden könnte, obwohl sich das Statut des Hauptverfahrens einfach und mit Sicherheit vorhersagen ließe. Zum Zeitpunkt der Kreditvergabe könnte dann regelmäßig nicht gesagt werden, welchem Statut entscheidende Fragen einer Insolvenz unterstehen. An dieser Stelle wird ein weiterer Aspekt deutlich, unter dem sich das Konzept einer gebündelten Wahl als nachteilig erweisen könnte. Wie dargelegt wurde, führen Wahlmöglichkeiten bezüglich des Insolvenzstatuts nur dann zu einer Wahrnehmung des unter ökonomischen Gesichtspunkten vorzugswürdigen Insolvenzrechtsregimes und nur dann zu einem wohlfahrtsstiftenden Systemwettbewerb, wenn eine Nachfrage nach der effizienten Bewältigung der Insolvenz oder nach einem per se effizienten Insolvenzrecht besteht. Die gemeinsame Wahl von Organisations- und Insolvenzstatut wird jedoch aus den genannten Überlegungen in vielen Fällen dazu führen, dass sich die Wahlentscheidung in erster Linie am Gesellschaftsrecht orientiert. Die fundamentalen Voraussetzungen eines funktionierenden Regulierungswettbewerbs würden mit dem Zwang zu einer Gesellschafts- und Insolvenzrechtswahl en bloc mithin eingeschränkt. Zwar ließe sich argumentieren, dass die neuen Gestaltungsmöglichkeiten unter dem Regelungsregime eines constrained forum choice auch zu einer Veränderung der Anreizstruktur führten und die Wahlmöglichkeiten hinsichtlich des Insolvenzrechtsregimes einen erhöhten Stellenwert erlangten. Dies ist insbesondere für Zweckgesellschaften vorstellbar, denen je nach Ausrichtung beispielsweise allein die Aufgabe zukommen könnte, sicherzustellen, dass eine Finanzierungsmaßnahme unter einem bestimmtem Insolvenzrechtsregime besichert ist. Auch könnte ein Darlehensgeber die Gewährung eines Kredits zu günstigen Konditionen davon abhängig machen, dass der Schuldner seinen Satzungssitz in einem bestimmten Mitgliedstaat hat, der ein für den Gläubiger besonders günstiges Sicherungsinstrument kennt. Jedoch würden solche neuen systemimmanenten Mechanismen zum einen voraussetzen, dass auch die betroffenen Vermögensgegenstände entsprechend lokalisiert sind, was sich nicht immer sicherstellen lässt. Zum anderen werden diese Konstellationen im Rechtsverkehr eher die Ausnahme darstellen. Für einen Großteil der international agierenden

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Gesellschaften beanspruchten die soeben aufgestellten Bedenken deshalb weiterhin Geltung. Eine Implementierung der Kombinationslösung wäre aus dem Blickwinkel der statischen und dynamischen ökonomischen Analyse dennoch mit Vorteilen verbunden. So würden die faktischen Einwirkungsmöglichkeiten der Mitgliedstaaten auf die wettbewerbsbestimmende Meta-Ordnung, verglichen mit dem Status quo, weitgehend entfallen. Auch stünde nun die gesamte Bandbreite der in der Gemeinschaft angebotenen Insolvenzrechte zur Auswahl, ohne dass die Eröffnungszuständigkeit im gewünschten Forum durch den Antragsteller im Wege tatsächlicher Veränderungen erschlossen, mit argumentativen Verrenkungen erst kreiert oder gar unrechtmäßig in Anspruch genommen werden müsste. Wenigstens bezüglich des Hauptverfahrens muss eine Wahl bereits zum Zeitpunkt der Gründung des Unternehmensträgers stattfinden. Das unter dem Status quo bestehende Problem der opportunistischen Wahrnehmung der Einwirkungsmöglichkeiten würde sich auf den Bereich der Sekundärverfahren verlagern. Es ist aber zu befürchten, dass diese Vorteile aufgrund der Überlagerung durch die gesellschaftsrechtliche Wahlentscheidung nicht zum Tragen kämen. Weitere Besonderheiten einer Koppelung von Insolvenz- und Organisationsstatut in internationalen Konzernkonstellationen wurden bereits bei der Vorstellung des Vorschlags angedeutet. Die unter dem Status quo zumindest theoretisch bestehende Möglichkeit einer effizienten Verfahrensgestaltung durch gebündelte Inanspruchnahme der Eröffnungszuständigkeit auf der Ebene der Hauptverfahren entfiele. Aufgrund der geschilderten Anreize zur Beantragung eines Sekundärverfahrens, die ein Gleichlauf von Organisations- und Insolvenzrecht mit sich brächte, ist denkbar, dass diese Lösung insgesamt zu einer erhöhten Anzahl von Verfahren führt. Auch bei Strukturierung des Konzerns nach einem Organisationsrecht wird die Lösung des constrained forum choice daher mit einem erheblichen Bedarf an jurisdiktionsübergreifender Verfahrenskoordination einhergehen. Wie diese Situation gemessen an der bestehenden Regelungslage zu bewerten ist, ist unklar. Die hier verursachten Kosten hängen im Wesentlichen von der noch nicht abschließend beantworteten Frage der Realisierung der mit dem Status quo verbundenen Effizienzvorteile ab. Weiterhin ist davon auszugehen, dass ein Gleichlauf der Insolvenzrechte auf der Ebene des Hauptverfahrens im Konzern allein zu erreichen ist, wenn sich die Wahlentscheidung in erster Linie an insolvenzrechtlichen Gesichtspunkten orientiert oder aber zugleich ein konzernübergreifender Gleichlauf des Organisationsrechts angestrebt wird. Aufgrund der Überlagerung der Wahlentscheidungen wäre dies derzeit noch nicht zu erwarten. Von den durch Niederlassungsfreiheit vermittelten gesellschaftsrechtlichen Gestaltungsmöglichkeiten wird zwar in der Praxis bereits vielmals Ge-

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Kapitel 4: Alternative Regelungsmodelle

brauch gemacht. Dass ein international agierender Konzern nach dem Gesellschaftsrecht nur eines Mitgliedstaates organisiert wird, ist jedoch längst nicht der Regelfall. Die Koordinationsinstrumente, die der Praxis zur Verfügung stehen, sind, jedenfalls gemessen an dem unter der EuInsVO denkbaren Maß an Verfahrenskoordination, als Kompromiss anzusehen. Zusammenfassend kann daher konstatiert werden, dass die Idee eines constrained forum choice als erster legislatorischer Vorschlag zur Überwindung der mit der Zuständigkeitsordnung der EuInsVO verbundenen Probleme in die richtige Richtung weist und einen erfolgversprechenden Ansatzpunkt verfolgt. Denn sie unternimmt den Versuch, die unter dem Status quo bestehenden Probleme an ihrer Wurzel zu packen, dem Kompetenztatbestand des Art. 3 Abs. 1 EuInsVO. Wie dargelegt wurde, können Modifikationen nur zu einer Behebung der mit der geltenden Regelung verbundenen Probleme führen, wenn sie diese Kernvorschrift des europäischen Insolvenzrechts mit einbeziehen. Eine Diskussion der Veränderungsvorschläge kann jedoch nur in Ansehung des mit der EuInsVO konstituierten Nebeneinanders von Haupt- und Sekundärverfahren und deren Voraussetzungen erfolgen. Dabei zeigt sich, dass viele der zuvor bestehenden Probleme durch die Koppelung von Insolvenz- und Gesellschaftsstatut nicht gänzlich gelöst, sondern lediglich verlagert werden. Damit wird zugleich deutlich, dass der Fortbestand dieser Schwierigkeiten kein spezifischer Nachteil des Systems des constrained forum choice ist. Andere potenzielle Nachteile, wie etwa die Überlagerung des „Wettbewerbs der Insolvenzrechte“ durch den „Wettbewerb der Gesellschaftsrechte“, sind hingegen unmittelbar durch die Eigenheiten des Modifikationsvorschlags bedingt. c. Kombinationslösung durch strenge Interpretation der gesetzlichen Vermutung Ein Lösungsansatz unter dem bestehenden Recht, der demjenigen Eidenmüllers nahekäme, bestünde in einer besonders strengen Handhabung der gesetzlichen Vermutung, die eine Widerlegung nur in „Extremfällen“ erlaubte. Hierfür hat sich beispielsweise Armour ausgesprochen26. Die unter einem Regime des constrained forum choice zu erwartenden Vorteile ließen sich allerdings mit Sicherheit nur dann realisieren, wenn der Gleichlauf von Gesellschafts- und Insolvenzstatut durch eine legislative Maßnahme festgeschrieben würde. Eine restriktive Auslegung der gesetzlichen Vermutung weist zwar in der Theorie viele der vorstehend genannten Vorteile (und Grenzen) des constrained forum choice auf. In der Praxis wird sich eine solche Auffassung jedoch aufgrund der vielen Anrei26

Armour, in: Prohibition of Abuse of Law.

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ze der unterschiedlichen Verfahrensbeteiligten, das COMI-Kriterium in ihrem Sinne fruchtbar zu machen, wohl selbst dann nicht durchsetzen, wenn der EuGH dies so entschiede – einmal davon abgesehen, dass eine Auslegung nicht uneingeschränkt in der Tradition der Eurofood-Entscheidung stünde. Das Verbleiben einer Ausnahme für „Extremfälle“ hätte zur Folge, dass ein solcher Ansatz nicht den Charme der Klarheit und Rechtssicherheit aufweisen würde wie das constrained forum choice. Die mit dem constrained forum choice einhergehenden Verbesserungen wären daher nicht im gleichen Maße erreicht, während wirkliche Vorteile nicht bestünden. Insbesondere wäre die verbleibende Elastizität nicht so groß, dass mögliche Nachteile durch die weniger flexible Handhabung (wie etwa in Gruppeninsolvenzen) aufgewogen würden. d. Kombinationslösung und weitergehende Änderungen Ausgehend von den vorstehenden Befunden wird erkennbar, in welchen Bahnen sich die Diskussion um die weitere Veränderung der Zuständigkeitsordnung entfalten könnte: Es könnte der Versuch unternommen werden, die Kombinationslösung von den im System der modifizierten Universalität angelegten Nachteilen zu befreien. Dies erforderte freilich weitreichende Eingriffe in die Grundstruktur der EuInsVO27. Damit wäre das Argument der einfachen und nach politischen Maßstäben zumindest nicht gänzlich ausgeschlossenen Implementierung des Vorschlags hinfällig. Denn mit Blick auf den schwerfälligen Entwicklungsprozess bis zum Inkrafttreten der EuInsVO stellte eine Abkehr von der Verfahrensmehrheit wohl eine Unterfangen dar, dem bis auf Weiteres keine Chancen auf eine Realisierung zugemessen werden können. Denn die Mitgliedstaaten müssten sich zugleich von der Aussicht verabschieden, dass das nationale Insolvenzrecht auch unter einer gemeinschaftsrechtlichen Zuständigkeitsordnung weiterhin auf eine Vielzahl von Fallgestaltungen mit tatsächlichem Inlandsbezug Anwendung findet. Dennoch soll an dieser Stelle die Frage nach der weiteren Erforderlichkeit von Sekundärverfahren unter dem Modell des constrained forum choice gestellt werden. Eine der wesentlichen Überlegungen, die der Überlagerung des Hauptverfahrens durch territorial in ihrer Reichweite beschränkte Sekundärverfahren zugrunde liegt, ist der Schutz lokaler Gläubiger. Durch Sekundärverfahren soll unter anderem deren Erwartung geschützt werden, eine Insolvenz des in ihrem Staat unter den Voraussetzungen einer Niederlassung tätigen Schuldners unterfalle auch dem örtlichen Insolvenzrecht28. Diese Schutzrichtung der Berücksichtigung lokaler Be27 Für eine solche weitergehende Veränderung über die Modifikation von Art. 3 Abs. 1 EuInsVO hinaus spricht sich auch Eidenmüller, ZGR 2006, 467, 485 aus. 28 Vgl. oben, S. 276 f. sowie Virgós/Schmit, Bericht, Nr. 32.

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sonderheiten wäre jedoch unter dem Kombinationsmodell insoweit hinfällig, als das Insolvenzstatut des Hauptverfahrens – anders als unter dem Status quo – von Anfang an feststünde. Es gäbe mithin keine Unsicherheiten, denen mit dem Institut des Sekundärverfahrens begegnet werden müsste. Ein ausnahmsweise weiterhin bestehendes Vertrauen in die Anwendung bestimmter lokaler Regelungen ließe sich ausreichend durch punktuelle Sonderanknüpfungen und materiell-rechtliche Ausnahmeregeln schützen. Indes ist zu berücksichtigen, dass das Sekundärverfahren auch den Zweck verfolgt, die Abwicklung des Insolvenzverfahrens für die betroffenen Gläubiger möglichst einfach zu gestalten29. Ähnlich wie unter dem Status quo besteht unter dem Modell der Kombinationslösung die Gefahr, dass ein forum shopping zulasten kleiner, wenig anpassungsfähiger Gläubiger erfolgt. Zwar wäre die Situation auch für diese dadurch verbessert, dass für sie immerhin erkennbar wäre, unter welchem Insolvenzrecht sie ihre Forderungen verfolgen müssten. Aber die Rechtsverfolgung im Ausland, zu der es insbesondere im Fall sog. Scheinauslandsgesellschaften häufig käme, würde sich verglichen mit der Durchführung eines Sekundärverfahrens als aufwendiger erweisen. Rechtsgeschäftliche Gläubiger könnten allerdings schon im Moment des Vertragsschlusses absehen, in welchem Forum sie ihre Rechte verfolgen müssten. Ein mit der bestehenden Rechtslage vergleichbares Schutzniveau wäre mithin nur erreichbar, wenn anstelle des Sekundärverfahrens die Möglichkeiten der Gläubiger, ihre Forderungen in einem anderen Mitgliedstaat geltend zu machen, weiter verbessert würden. Einen Anhaltspunkt für die konkrete Ausgestaltung der Modifikationen könnten dabei die Dienstleistungen sein, die in der Vergangenheit von Verwaltern angeboten wurden, um Gläubiger von der Beantragung von Sekundärverfahren abzuhalten30. Diese Maßnahmen haben sich bisweilen als erfolgreich erwiesen. Dies spricht dafür, dass sie den Erfordernissen der Praxis gerecht werden. Überdies besteht unter der geltenden Rechtslage eine wichtige Funktion des Sekundärverfahrens darin, den Zugriff auf solche Vermögensgegenstände zu ermöglichen, die nach Art. 5, 7 EuInsVO von den Wirkungen des Hauptverfahrens nicht berührt sind31. Ein Wegfall des Sekundärverfahrens müsste folglich auch mit einer Modifikation dieser Vorschriften einhergehen. Die entsprechenden Sicherungsrechte würden dann nach Maßgabe des Verfahrensstatuts einbezogen werden. Auch hier würde die insge-

29

Vgl. Erwägungsgrund Nr. 12 zur EuInsVO, in dem allgemein vom „Schutz unterschiedlicher Interessen“ die Rede ist. 30 Zu diesen vgl. oben, S. 314. 31 Vgl. oben, S. 215 ff.

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samt höhere Transparenz des Systems die mit Art. 5, 7 EuInsVO verfolgte Schutzrichtung hinfällig werden lassen. Die Grenzen des normgeberischen Ermessens stünden der Einführung der Kombinationslösung bei Abschaffung von Sekundärinsolvenzen nicht entgegen. Unter der Prämisse, dass die bei Erlass des europäischen Insolvenzrechts zu beachtenden Interessen in erster Linie diejenigen der Gläubiger sind32, vollzieht sich die Normgebung im europäischen Insolvenzrecht im Spannungsfeld zwischen den Schranken, die aus den Grundfreiheiten folgen, und den Regelungszielen, die aus den Gläubigerinteressen abzuleiten sind. Hinsichtlich des verbleibenden Ermessenspielraums ergeben sich hieraus „Akzentunterschiede“33 zwischen dem Erlass gesellschaftsrechtlicher und dem Erlass insolvenzrechtlicher Vorschriften. An einer Überprüfung nach Maßgabe der Verträge der Union würden die weitergehenden Änderungen des Modifikationsvorschlags keinesfalls scheitern, zumal der EuGH aufgrund des zwingenden Kompromisscharakters von Gemeinschaftsrechtsakten an eine Verletzung der Grundfreiheiten hohe Anforderungen stellt34. Einerseits steht die Niederlassungsfreiheit Sekundärverfahren nicht entgegen, sodass mit der Einführung dieses Institutes keine Ermessensüberschreitung des Sekundärrechtsgebers besteht35. Andererseits ist die Einführung von Sekundärverfahren jedoch weder durch die Niederlassungsfreiheit36 noch durch das Regelungsziel des Schutzes der Gläubigerinteressen zwingend geboten. Unter dem Modell einer kombinierten Wahl von Insolvenz- und Gesellschaftsstatut bei Abschaffung der Sekundärverfahren würden die Interessen der Gläubiger nicht ermessenswidrig dem im Gesellschaftsrecht maßgeblichen Gestaltungsinteresse der Gesellschafter untergeordnet. Nachdem der Gesamtheit der Gläubiger mit dem Institut des Sekundärverfahrens, wie gezeigt, nicht schlechterdings gedient ist und bei weitreichenden Modifikationen vielmehr auch der Gläubigerschutz verbessert würde, schiede eine Überschreitung des normgeberischen Ermessens aus.

32

Vgl. dazu Trunk, SZIER 2004, 531, 537 f. Trunk, SZIER 2004, 531, 538. 34 Zum Ermessenspielraum beim Erlass von Gemeinschaftsrechtsakten im Kontext des internationalen Insolvenzrechts Trunk, SZIER 2004, 531, 538; allgemein vgl. Randelzhofer/Forsthoff, in: Grabitz/Hilf, Recht der EU, Vor Art. 39-55 EGV, Rn. 49 ff. mit umfangreichen w.N. 35 Trunk, SZIER 2004, 531, 538. 36 Insoweit greifen zunächst die oben, S. 351, zur Vereinbarkeit des Grundmodells mit der Niederlassungsfreiheit gemachten Ausführungen Eidenmüllers ein. 33

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2. Einführung einer konzernbezogenen Zuständigkeitsregel Ausgehend von den zahlreichen Anregungen zur Schaffung eines Konzerninsolvenzrechts37 ließe sich überlegen, ob nicht eine Modifikation der Zuständigkeitsregeln im Hinblick auf das Phänomen der Konzerninsolvenzen der richtige Ansatzpunkt für Modifikationen des bestehenden Systems ist. Nachdem viele der Schwierigkeiten unter der bestehenden Rechtslage ihren Ursprung in dem Bestreben finden, die Zuständigkeitsordnung für eine möglichst effiziente Handhabung von Konzerninsolvenzen zu nutzen, läge es nahe, Kompetenzvorschriften zu schaffen, die dem praktischen Bedürfnis einer unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten bestmöglichen Bewältigung des Phänomens der Insolvenz mehrerer Unternehmensträger entsprechen. Das Problem der Konzerninsolvenz würde so zumindest auf der Ebene der Zuständigkeitsfragen berücksichtigt38. Ein solcher Ansatz stellte gewissermaßen eine legislatorische Institutionalisierung der bestehenden konzernbezogenen Auslegungsansätze zum COMI-Kriterium dar39. Nach den zum Status quo getroffenen Befunden müsste eine solche Modifikation letztlich zwei Leistungen erbringen, um zu einer Verbesserung zu führen: Zum einen müsste sie tatsächlich den Weg zu einer effizienteren Durchführung von Konzerninsolvenzen ebnen. Zum anderen müsste sie das mit der bestehenden Rechtslage verbundene Vorhersehbarkeitsdefizit beheben. Diese beiden Bedingungen stehen miteinander jedoch zum Teil in einem Zielkonflikt. Denn es hängt in erster Linie von der tatsächlichen Struktur des Konzerns ab, wie die bestmögliche Abwicklung einer Konzerninsolvenz aussieht. Nicht zuletzt weil sich der Konzern bei wirtschaftlicher, also tatsächlicher Betrachtung häufig als eine über die rechtlichen Grenzen der einzelnen Unternehmensträger hinaus verwachsene Einheit darstellt, besteht, wie dargelegt, die Forderung nach einem „Konzerninsolvenzrecht“. Verfolgt man diesen Ausgangspunkt indes konsequent weiter, so ist aus der rechtstatsächlichen Vielgestaltigkeit sowohl der Konzerne als auch der bei der Konzernbildung bezweckten Interessen ebenso abzuleiten, dass eine formelle Bündelung der Konzerninsolvenzen in Abhängigkeit von der 37

Aus dem deutschen Schrifttum vgl. Paulus, ZIP 2005, 1948 ff., ders., NZI 2006, Heft 8, S. VII f. 38 Die Frage nach den Möglichkeiten zur konkreten Gestaltung eines konzernbezogenen Insolvenzrechts kann und soll hier allein in dem behandelten Fragenkreis, nämlich der denkbaren Modifikation von Art. 3 Abs. 1 EuInsVO, erörtert werden. Davon unabhängig stellt sich die Frage nach der inhaltlichen Ausgestaltung des dann zur Anwendung kommenden materiellen Insolvenzrechts. Dabei ist hochumstritten, inwieweit de lege ferenda gesellschaftsrechtlicher Haftungsbegrenzung im Falle der Insolvenz die Anerkennung verweigert werden soll, sodass es zu einer konsolidierten Insolvenz aller erfassten konzernzugehörigen Gesellschaften käme. 39 Zu diesen oben, S. 91 ff.

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tatsächlichen Integration der einzelnen Unternehmensträger erfolgen muss. Eine Zuständigkeitsordnung stünde daher vor der Herausforderung, ein Kriterium zu benennen, das nicht schlechterdings, sondern allein in Abhängigkeit von der realen wirtschaftlichen Integration zu einer Zuständigkeitsbündelung führte. Dabei ist zu bedenken, dass eine wirtschaftliche Einheit auch dann bestehen kann, wenn das Unternehmen von gesellschaftsrechtlich nicht oder kaum verbundenen (ggf. juristischen) Personen getragen wird, wie etwa in der Situation des joint venture. Jedoch können auch bei vollständiger gesellschaftsrechtlicher Eingliederung einzelne Schuldner verschiedene, bei wirtschaftlicher Betrachtung unabhängig voneinander agierende Unternehmen betreiben. Eine Konzentration der internationalen Zuständigkeit könnte sich in diesem Falle gar als nachteilig erweisen. Wie dieses Problem in einer handhabbaren Kompetenzvorschrift berücksichtigt werden könnte, ist bislang nicht untersucht worden und wird selbst von den umtriebigsten Befürwortern einer konzernbezogenen internationalen Zuständigkeitsordnung nicht konkret dargelegt40. Ein Kriterium, mit dem sich die Vielgestaltigkeit der Fallkonstellationen erfassen ließe und zugleich ein Höchstmaß an Vorhersehbarkeit etabliert werden könnte, ist kaum vorstellbar. Zum einen wäre ein – wie auch immer – an den Konzerncharakter anknüpfendes Zuständigkeitsregime wiederum mit dem Problem des Beurteilungszeitpunkts verbunden. Eine im Sinne bestmöglicher Abbildung des Konzerns im Insolvenzverfahren erfolgende und somit späte Beurteilung ginge, genauso wie der Status quo, mit einem Manipulationspotenzial einher. Davon abgesehen würde dem Bedürfnis der Gläubiger nach Vorhersehbarkeit des international-insolvenzrechtlichen Risikos am besten durch ein trennscharfes Kriterium, z. B. eine Eigenkapitalbeteiligungsquote von einem bestimmten Umfang, entsprochen. Ein solches Kriterium würde indes zugleich den Weg zu einem erfolgreichen nachträglichen forum shopping zulasten der Gläubiger weisen. Überdies könnte damit der Zweck einer konzernbezogenen Zuständigkeitsregelung nur beschränkt erreicht werden, da ein trennscharfes Abgrenzungsmerkmal den Zweck einer möglichst umfassenden Berücksichtigung der wirtschaftlichen Integration des Konzerns nicht immer erreichen könnte. Eine weitergehende Differenzierung auf der Ebene der internationalen Zuständigkeit führte hingegen dazu, dass schon von dem Kriterium selbst weitreichende Unsicherheiten ausgingen. Stellte man etwa die Frage nach 40

Vgl. abermals die engagierten Plädoyers von Paulus, ZIP 2005, 1948 ff., ders., NZI 2006, Heft 8, S. VII f. sowie ders., 42 Texas International Law Review, 819 ff. (2007). Grundsätzliche Erwägungen zur konzernbezogenen Regelung enthält der UNCITRAL Legislative Guide on Insolvency Law, Part three: Treatment of enterprise groups in insolvencies.

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dem Schwerpunkt der wirtschaftlichen Tätigkeit oder dem Auftreten der konzernzugehörigen Schuldner im Rechtsverkehr, so wäre man wieder an jenem Punkt angelangt, an dem sich die Diskussion um ein (internationales) Konzernrecht in Europa entzündete. Die Praxis derartiger Abgrenzungsmerkmale würde sich kaum von der Handhabung des COMI-Kriteriums unterscheiden. Der wesentliche Unterschied bestünde darin, dass die Zuständigkeitsvorschrift nun auch explizit auf Konzernkonstellationen Anwendung fände und – je nach Auffassung zum COMI – unter weit weniger strengen Anforderungen zu einer Zuständigkeitsbündelung führte. Jedoch stünde zu befürchten, dass sich die Rechtswirklichkeit je nach Ausgestaltung des Konzernkriteriums mit jenen bisweilen nicht abschließend konturierten Figuren konfrontiert sähe, die im Gesellschaftsrecht entwickelt worden sind, um der Vielgestaltigkeit der Konstellationen faktischer Unternehmenszusammenschlüsse Herr zu werden. Aus dieser kursorischen Problemschau lassen sich auch Prognosen zur Effizienz der Zuständigkeitsvorschrift treffen, die in dieser Untersuchung zum Maßstab erhoben werden sollte. Inwieweit sich eine konzernspezifische Veränderung der Zuständigkeitsregeln positiv auf die Verfahrenseffizienz auswirkt, hängt in erster Linie davon ab, in welchem Umfang die wirtschaftlichen Notwendigkeiten einer Konzerninsolvenz in der Zuständigkeitsnorm Niederschlag finden. Nach dem soeben Gesagten kann dies auch bei einer konzernbezogenen Zuständigkeitsvorschrift stets nur im Wege eines Kompromisses geschehen. Verfahrenskosten und Verfahrensdauer könnten unter einer konzernbezogenen Zuständigkeitsnorm zwar, verglichen mit dem Status quo, weiter sinken. Dies setzte indes voraus, dass die Vorschrift nur in Abhängigkeit von den tatsächlichen Gegebenheiten zu einer Konzentration der internationalen Zuständigkeiten führte. Sowohl eine besonders flexible als auch eine trennscharfe Fassung der Vorschrift würde allerdings jeweils die aufgezeigten Nachteile generieren. Einzelne Verfahrensbeteiligte könnten auf den Ort der Verfahrenseröffnung Einfluss nehmen, und die Möglichkeiten zur Risikoantizipation durch die Gläubiger wären ungeachtet der konkreten Fassung der Zuständigkeitsnorm weiterhin schlecht41. Darüber hinaus bergen insbesondere solche Zuständigkeitskriterien, die sich in Wahrheit als Kriterienbündel erweisen, nicht nur ein erhebliches Unsicherheits-, sondern auch ein beträchtliches Konfliktpotenzial. Das COMI-Kriterium ist dabei veranschaulichendes Beispiel. Schließlich stellte sich bei einer großzügig in Anspruch genom-

41

Unbeachtlichkeitsregelungen für einen bestimmten Zeitraum vor Verfahrenseröffnung wären angesichts des bestehenden Anerkennungszwangs in Verbindung mit einem unbestimmten Zuständigkeitskriterium nur begrenzt wirksam. Sie könnten überdies den mit einer konzernspezifischen Zuständigkeitsordnung verfolgten Zielen zuwiderlaufen.

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menen Konzernzuständigkeit unvermindert die Problematik der Sekundärverfahren. Auch aus dem Blickwinkel einer dynamischen Untersuchung würde eine im Einzelfall für die insolvente Unternehmensgruppe festzustellende Zuständigkeit gegenüber dem Status quo nicht unbedingt eine Verbesserung bedeuten. Denn es bestünden weiterhin unerwünschte Manipulationsund Handlungsanreize. Die Situation würde sich von derjenigen unter dem COMI wenig unterscheiden. Wiederum könnte es aufgrund der notwendigen Konturenlosigkeit der Vorschrift und vermittelt durch den Anerkennungszwang zu einem Wettlauf der Verfahrensbeteiligten kommen, der weder die Nachfrage nach einem insgesamt effizienten Verfahren erhöhte noch Anreize für die Verbesserung des kodifizierten und praktizierten Insolvenzrechts der Mitgliedstaaten erzwänge. Daneben wäre die EuInsVO als Meta-Ordnung eines Regulierungswettbewerbs durch eine weitreichende Interpretationsbefugnis der mitgliedstaatlichen Gerichte weiterhin dem Zugriff der Mitgliedstaaten ausgesetzt. Als Katalysator eines effizienzstiftenden „Wettbewerbs der Insolvenzrechte“ wäre die Implementierung einer konzernspezifischen Zuständigkeitsvorschrift in die EuInsVO danach nur sehr beschränkt geeignet. Zwar ist der soeben gewagte Ausblick spekulativ. Allerdings ist deutlich geworden, dass die Einführung einer konzernspezifischen Kompetenzvorschrift im europäischen Insolvenzrecht entweder neue Folgeprobleme zeitigen oder aber die Nachteile der bestehenden Regelungslage nicht beheben würde. Es fehlt schlechterdings an praktikablen Möglichkeiten, Art. 3 Abs. 1 EuInsVO in dem bestehenden Regelungskontext in einer Weise konzernübergreifend zu modifizieren, die gemessen an der bestehenden Regelungslage einen sicheren Effizienzgewinn mit sich brächte42. 3. Freie Wählbarkeit des Insolvenzstatuts Die wohl radikalste Veränderungsmöglichkeit bestünde in der Einführung einer freien Wählbarkeit des Insolvenzstatuts. Um den oben genannten Voraussetzungen effektiver Modifikationen zu genügen, müsste er in Gestalt einer kombinierten Forums- und Statutenwahl realisiert werden. Anders als in der oben diskutierten Variante des constrained forum choice würde eine isolierte Wahl unabhängig von der gesellschaftsrechtlichen Wahlentscheidung bei der Gründung des jeweiligen Rechtsträgers erfolgen. Welche Vorhersehbarkeit der international-insolvenzrechtlichen Risiken mit der freien Wählbarkeit des Insolvenzforums einherginge, hinge abermals vom Zeitpunkt der Wahlentscheidung ab. Nach dem Gesagten müsste 42 Zu einem ähnlichen Ergebnis kommen auch Deyda/Vallender, NZI 2009, 825, 834, die eine internationale Konzernzuständigkeit aufgrund der damit einhergehenden Nachteile nicht als wünschenswert erachten.

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die Wahl daher vor Teilnahme des Unternehmens am Rechtsverkehr erfolgen. Darüber hinaus müsste sichergestellt sein, dass der Rechtsverkehr von der getroffenen Wahlentscheidung Kenntnis nehmen könnte. Zudem müsste eine nachträgliche Änderung der Wahlentscheidung ausgeschlossen werden. Die genannten Anforderungen offenbaren bereits einen der maßgeblichen Schwachpunkte dieses Modifikationsvorschlags, denn seine Implementierung würde umfassende rechtstechnische Änderungen und Neuregelungen erfordern. Zunächst müsste veranlasst werden, dass im Gesellschaftsvertrag oder bei Gesellschaftsgründung oder – bei Tätigwerden in der Rechtsform des Einzelkaufmanns – zu Beginn der Tätigkeit eine definitive Wahlentscheidung stattfindet. Ferner müsste deren Publizität sichergestellt werden. Während dies bei registerpflichtigen Gesellschaften durch eine Erweiterung des Handelsregisters erfolgen könnte, müsste die Publizitätspflicht für alle anderen Unternehmensträger und sonstigen Schuldner gesondert statuiert werden. Darüber hinaus wären in die EuInsVO Regelungen aufzunehmen, denen zufolge eine nachträgliche Änderung der getroffenen Wahlentscheidung entweder ausgeschlossen und Zuwiderhandlungen gegen dieses Verbot unbeachtlich oder aber an weitreichende Kautelen gebunden wären. Hinzu kommt, dass eine freie Rechtswahl bereits mit Blick auf den Gesichtspunkt der Risikoantizipation nur dann eine Verbesserung darstellte, wenn zugleich auf das Institut der Sekundärverfahren verzichtet würde. Denn eine freie Wahlentscheidung wäre nur möglich, wenn sie auch zugunsten solcher Foren getroffen könnte, in denen sich nur wenige Vermögenswerte des Schuldners befinden. Dann aber würde die Wahl durch etwaige Sekundärverfahren weitgehend ausgehöhlt. Zugleich wäre infolge von Sekundärinsolvenzen die mit der Publizität der Wahlentscheidung bezweckte Vorhersehbarkeit des Insolvenzstatuts gestört. Mehr als bei allen anderen Vorschlägen würden Sekundärverfahren daher den mit der Änderung verfolgten Zielen zuwiderlaufen. Hinsichtlich der Abschaffung der Sekundärverfahren würden auch für das Modell einer freien Wählbarkeit des Insolvenzstatuts unverändert die oben dargelegten Überlegungen greifen43. Dies alles macht zugleich die politische Dimension des Veränderungsvorschlags deutlich. Bei realistischer Betrachtung bestehen nur äußerst geringe Chancen, zwei derart tief greifende Änderungen der EuInsVO erfolgreich durch den Normgebungsprozess der EU zu bringen. Gegen die Mitgliedstaaten, die befürchten müssten, infolge der dann etablierten Wahlfreiheit Nachteile zu erleiden, würden sich diejenigen, die erwarten, von der Modifikation profitieren zu können, kaum durchsetzen. Das originäre 43

Oben, S. 359 f.

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Interesse eines jeden Mitgliedstaats an einer möglichst weitgehenden Durchsetzung seiner Gesetze wäre aus Sicht vieler Mitgliedstaaten unter einer im Sinne einer isolierten Insolvenzrechtswahl veränderten EuInsVO gefährdet. Eine Verwirklichung des Vorschlags dürfte daher als aussichtslos anzusehen sein. Dennoch soll der Veränderungsvorschlag im Folgenden auch noch mit Blick auf die weiteren Zielgrößen untersucht werden. Eine freie Wählbarkeit des anzuwendenden Insolvenzrechts würde zukünftig die Auswahl des effizientesten Insolvenzstatuts ermöglichen und könnte so zu einer Maximierung der Haftungsmasse beitragen. Die negativen Anreize, die unter dem Status quo einer Wahl der effizientesten Insolvenzrechtsordnung entgegenstehen, würden bei Implementierung eines frühen Wahlzeitpunkts entfallen. Die Wahl könnte sich außerdem, anders als im Modell der Koppelung von Insolvenz- und Gesellschaftsstatut, allein nach insolvenzrechtlichen Gesichtpunkten vollziehen. Zudem bestünde die Möglichkeit, die verschiedenen Unternehmen desselben Konzerns einem Insolvenzstatut zu unterstellen, ohne dass möglicherweise zugleich eine gesellschaftsrechtlich wenig attraktive Organisationsform gewählt werden müsste. Das System einer freien Wählbarkeit des Insolvenzforums beinhaltete folglich ein Höchstmaß an Flexibilität bei weitreichender Wahrung der Vorhersehbarkeit der international-insolvenzrechtlichen Risiken. Dabei ist einschränkend zu berücksichtigen, dass eine Gemengelage aus möglicherweise nur unzureichend korrelierenden Regelungen von Gesellschafts- und Insolvenzstatut entstehen könnte, die in Konzernfällen eine Vielzahl von Rechtsordnungen umfasste. Dies ist als weiterer Nachteil dieses Modells anzusehen. Denn die Gefahr von Friktionen im Zusammenspiel von Gesellschafts- und Insolvenzstatut ließe nicht nur einen Anstieg von Beratungs- und Prozessführungskosten befürchten, sondern würde sich auch nachteilig auf die Vorhersehbarkeit der Risiken niederschlagen. Vermeidbar sind diese Schwachstellen jedoch, wie gezeigt, auch unter der Kombinationslösung nur, wenn keine Sekundärverfahren möglich sind. Eine isolierte Wählbarkeit des Insolvenzstatuts würde auch zu einer Senkung der Verfahrensdauer beitragen können. Diese gelänge, wenn ein Forum gewählt würde, das eine besonders schnelle Verfahrensbewältigung ermöglicht, und/oder wenn im Wege der Rechtswahl die Verfahren über alle einem Konzern zugehörigen Schuldner in demselben Forum platziert würden. Der Aufwand der Verfahrensbeteiligten könnte unter dem System einer isolierten Wahl des Insolvenzstatuts, gemessen am Status quo, aufgrund der größeren Auswahl der Verfahrensrechte steigen. Denn die Wahrscheinlichkeit, dass ein Verfahren in großer Entfernung von den Aufenthaltsorten der Gläubiger stattfindet, steigt naturgemäß mit der Abschaffung tatsächlicher Anknüpfungspunkte für die Bestimmung der internationalen Zuständigkeit. Zugleich entfiele die Notwendigkeit, eine am Ort der unternehme-

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rischen Tätigkeit praktikable Organisationsform zu wählen, die unter dem Modell des constrained forum choice insoweit ein erhebliches Korrektiv darstellt. Jedoch ist damit zu rechnen, dass sich in den bevorzugten Foren auf Dauer Strukturen bilden würden, die eine Rechtsverfolgung vereinfachen. Gemessen an den denkbaren und realisierbaren Effizienzvorteilen unter dem System der freien Wählbarkeit dürfte der Mehraufwand für Großgläubiger in vielen Fällen daher vernachlässigbar sein. Insbesondere für kleine Gläubiger könnten sich die Rechtsverfolgungskosten aber zunächst als prohibitiv hoch erweisen. Dies ist indes auch im Hauptverfahren unter dem Status quo keinesfalls ausgeschlossen. Auch hier müssten bei Abschaffung des Sekundärverfahrens Erleichterungen eingeführt werden, die zu einer Verbesserung beitragen. Kostenträchtige Konflikte sind unter dem Modell einer isolierten Wahl des Insolvenzrechts allenfalls aufgrund von Auseinandersetzungen im Schnittfeld von Gesellschafts- und Insolvenzrecht zu erwarten. Die in diesem Bereich bestehenden Schwierigkeiten sind im vorstehenden Kapitel veranschaulicht worden. In welchem Umfang Kosten aus diesen Unsicherheiten erwachsen können, ist noch unklar. Zur Frage nach einem möglichen Regulierungswettbewerb ist zu konstatieren, dass die Möglichkeit einer isolierten Wählbarkeit des Insolvenzforums zusammen mit den durch den frühen Wahlzeitpunkt einhergehenden Anreizen, verglichen mit der bestehenden Rechtslage, eine erhebliche Verbesserung darstellte. Die Meta-Ordnung des Regulierungswettbewerbs wäre den Mitgliedstaaten vollständig entzogen. Außerdem wäre die Mobilität der Nachfrager größtmöglich, da – ohne tatsächliche Veränderungen vornehmen zu müssen – alle Mitgliedstaaten im Geltungsbereich der EuInsVO zur Auswahl stünden. Der Wettbewerb der Rechtsordnungen würde ferner dadurch begünstigt, dass die Entscheidungen, anders als unter der Kombinationslösung, eindeutig als insolvenzrechtsbezogen zu treffen und zu erkennen wären. Die Rechtsanbieter würden das Nachfrageverhalten somit wesentlich genauer zuordnen können. Auch hier stellten Sekundärverfahren jedoch aufgrund der genannten Eigenheiten einen erheblichen Störfaktor dar, der sowohl das Angebots- als auch das Nachfrageverhalten nicht zuletzt aufgrund des späten Zeitpunkts, zu dem über die Beantragung von Sekundärinsolvenzen weiterhin entschieden würde, nachteilig beeinträchtigte. Das Modell einer freien Wählbarkeit des Insolvenzforums ist danach als vielversprechende Modifikationsmöglichkeit anzusehen. Der weite Ermessensspielraum des gemeinschaftsrechtlichen Normgebers44 würde dabei trotz der umfangreichen Neuregelungen nicht überschritten. Denn der Vorschlag würde zugleich den Zielen einer weitreichenden Mobilität innerhalb 44

Eingehend dazu oben, S. 361.

B. Schlussbetrachtung und Ausblick

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der Gemeinschaft und einer Berücksichtigung der Gläubigerinteressen Rechnung tragen. Angesichts der geringen Implementierungschancen ist dies allerdings kein Trost. Aufgrund der politischen und rechtstechnischen Implementierungshindernisse kann der Vorschlag daher vorerst nicht als gangbare Alternative zum Status quo angesehen werden. 4. Zusammenfassung Das Modell einer isolierten Forumswahl scheint am besten geeignet, die wesentlichen Schwächen der bestehenden Kompetenzvorschrift zu überwinden. Indes stehen seiner Implementierung kaum zu überwindende rechtstechnische und vor allem politische Hindernisse entgegen. Letzteres gilt auch für die Einführung einer konzernspezifischen Zuständigkeitsvorschrift unter der EuInsVO. Eine solche konzernbezogene Veränderung des Art. 3 Abs. 1 EuInsVO würde darüber hinaus kaum zu einer Verbesserung des Status quo beitragen können, da die Kompetenzvorschrift entweder nicht ausreichend flexibel oder aber zu unbestimmt wäre. Im Ergebnis würden die bereits heute aufgetretenen Probleme weiterbestehen. Demgegenüber verheißt die Kombinationslösung eine vielversprechende und rechtstechnisch einfach durchzuführende Änderung. Bei genauer Untersuchung erweist sich jedoch, dass wesentliche Verbesserungen mit ihr nur bei gleichzeitiger Abschaffung der Sekundärverfahrens sicherzustellen wären. Eine effektive Veränderung des Status quo setzte mithin in jedem Fall erhebliche Einschnitte in die jetzige Fassung der Verordnung voraus. Für die Realisierung der Kombinationslösung spricht, dass diese schrittweise erfolgen könnte und so der Gesichtspunkt des Vertrauensschutzes gewahrt bliebe; zunächst würde lediglich die einfache Kombinationslösung eingeführt, in einem weiteren Schritt würden dann die Sekundärverfahren abgeschafft. Darüber hinaus wäre sie – auch in Verbindung mit der Abschaffung der Sekundärinsolvenzen – durch technisch einfache Veränderungen (Streichungen) des Normtextes zu bewältigen.

B. Schlussbetrachtung und Ausblick Schlussbetrachtung und Ausblick

Mit Einführung der EuInsVO hat im europäischen Insolvenzrecht ein neues Zeitalter begonnen. Ausgehend von einer Norm, der vor Inkrafttreten mehrheitlich kein besonderes Konfliktpotenzial zugemessen worden war, ist ein regelrechter internationaler Wettkampf um Großinsolvenzen entstanden. Das Thema befindet sich in stetigem Fluss. Die Analyse der bestehenden Kompetenz- und Kollisionsnormen zeigt ein gespaltenes Bild. Einerseits sind die mit der EuInsVO eröffneten Be-

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wegungsräume als Voraussetzung einer unter Effizienzgesichtspunkten optimalen Bewältigung internationaler Insolvenzen wie auch eines effizienzsteigernden Wettbewerbs der Insolvenzrechte zu begrüßen. Andererseits setzt die Verordnung Mechanismen in Gang, die eine Ausnutzung dieser Möglichkeiten vielfach vereiteln. Die bisherige Rechtspraxis bestätigt diesen Eindruck. Erst die Zukunft wird zeigen, ob sich die EuInsVO auf Dauer als Schlüssel zur bestmöglichen Durchführung internationaler Insolvenzen und als Schrittmacher eines vorteilhaften Regulierungswettbewerbs bewährt. Wie gezeigt werden konnte, ist dies unter dem Status quo keinesfalls sicher, eine Intensivierung des Wettstreits könnte vielmehr zu einer weiteren Verschlechterung der Verfahrenseffizienz führen. Solange verbindliche sowie zeitnahe Konfliktlösungen und Konkretisierungen der Verordnung durch den EuGH – wie bislang – nicht stattfinden, ist zunächst mit einer Zunahme der internationalen Konflikte zu rechnen. Abgesehen davon ist zu berücksichtigen, dass viele der strukturellen Schwachpunkte der EuInsVO auch mit definitiven Entscheidungen aus Luxemburg nicht zu beheben wären. Obwohl inzwischen eine umfangreiche wissenschaftliche Aufarbeitung der mit der EuInsVO verbundenen Fragen stattfindet, ist wahrscheinlich, dass sich die Kreativität der Verfahrensbeteiligten auch in anderen Regelungsgebieten der EuInsVO Bahn bricht und sich weitere unerwartete Problemkonstellationen entwickeln. Die Situation könnte in Zukunft mithin noch unübersichtlicher und schwieriger werden. Sicherstellen ließen sich Verbesserungen allein durch legislatorische Maßnahmen. Angesichts des schwierigen Entstehungsprozesses der EuInsVO muss eine Umsetzung der aufgezeigten weitgehenden Reformansätze jedoch bis auf Weiteres als wirklichkeitsfernes Gedankenspiel angesehen werden. Der einzige Ausweg besteht mithin darin, dass die Akteure ihr Handeln im Lichte der gewonnenen Erkenntnisse anpassen, um die Gestaltungsmöglichkeiten unter der EuInsVO gezielt und abgestimmt auszunutzen. Damit wären zugleich sowohl für die Konstellation mehrerer Haupt-, als auch für die Konstellation von Haupt- und Sekundärverfahren die Voraussetzungen für eine gewinnbringende Koordination von Verfahrensmehrheiten geschaffen. Die Handlungsanreize unter der EuInsVO können eine solche Abstimmung vereiteln. Aber die bisherige Praxis zeigt, dass das Potenzial der Verordnung wenigstens teilweise gehoben werden kann, wenn praktische Hilfestellungen improvisiert oder die Möglichkeiten des nationalen Verfahrensrechts klug und findig ausgeschöpft werden. In jedem Fall bedarf es hierzu gegenseitigen Vertrauens der Verfahrensbeteiligten. Dies kann nach den Entwicklungen seit Einführung der EuInsVO allenfalls im Rahmen eines langwierigen Prozesses entstehen. Die faktische Rechtswahlfreiheit im europäischen Insolvenzrecht wird daher dauerhaft eine Herausforderung für Wissenschaft und Praxis darstellen.

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Infolge der Kompetenz-, Kollisions- und Anerkennungsvorschriften der EuInsVO entsteht ein Zustand, der sich als „faktische Rechtswahlfreiheit“ beschreiben lässt. Die Einwirkungsmöglichkeiten können dabei auf drei Faktoren zurückgeführt werden. Aus den verschiedenen Ansatzpunkten manipulativer Einwirkungen ist auch abzuleiten, welchen Beschränkungen der Aktionsraum der Verfahrensbeteiligten unterliegt. Die Reichweite der Rechtwahlfreiheit folgt aus Art. 4 EuInsVO. Grenzen der Rechtswahlfreiheit und Reichweite der Rechtswahl sind Gegenstand einer gesonderten Thesendarstellung am Ende des 2. Kapitels (oben, S. 234 f.). Die Handlungsanreize, die durch die EuInsVO vermittelt werden, begünstigen eine Ausnutzung der Einwirkungsmöglichkeiten und lassen einen Wettlauf der Verfahrensbeteiligten um die Verfahrenseröffnung entstehen. Aufgrund des Systems der modifizierten Universalität begünstigt das Wettstreben der Akteure eine Verfahrenspluralität. Die Vorhersehbarkeit der international-insolvenzrechtlichen Risiken ist unter dem COMI-Kriterium gestört. Dies kann zu einer Erhöhung der Kreditkosten und zu risikoinadäquaten Kreditbedingungen führen. Eine vertragliche Absicherung dieser Ungewissheit mithilfe von covenants ist kaum möglich. Aufgrund der faktischen Rechtswahlfreiheit unter der EuInsVO wären (in den bestehenden Grenzen) die Auswahl des effizientesten Verfahrensregimes und die gebündelte Inanspruchnahme der Eröffnungszuständigkeit in Konzernkonstellationen denkbar. Insbesondere kann auf die Bedingungen, unter denen ein Verfahren eröffnet werden kann, Einfluss genommen werden. Die damit verbundenen Effizienzvorteile lassen sich indes nur schwer realisieren. Dafür können zwei maßgebliche Ursachenkreise benannt werden: Erstens ermöglicht und fördert die bestehende Regelung die Verfolgung von Einzelinteressen bei der Verfahrensplatzierung. Es kommt zu einem individuellen Vorteilsstreben auf Kosten anderer Gläubiger. Zweitens stellen sich Verfahrensmehrheiten über das Vermögen desselben Schuldners als Hindernis einer Realisierung der Effizienzvorteile dar. Die Einsetzung personenidentischer Verwalter, die Durchführung von Sekundärverfahren in Eigenverwaltung und die Verhinderung von Sekundärverfahren werden sich dabei stets nur in besonders gelagerten Einzelfällen als gangbare Auswege erweisen. Positiver Nebeneffekt des Eröffnungswettlaufs kann die frühzeitige Einleitung von Insolvenzverfahren sein. Dass es hierdurch regelmäßig zu verfrühten oder unnötigen Anträgen kommt, ist wenig wahrscheinlich.

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Kapitel 4: Alternative Regelungsmodelle

Die Handlungsanreize, die aus den unterschiedlichen Individualinteressen resultieren, werden unter der EuInsVO nur unzureichend durch Marktmechanismen kompensiert. Die insoweit zur Situation in den Vereinigten Staaten bestehenden Hypothesen lassen sich auf das europäische Recht aus verschiedenen Gründen nicht übertragen. Ähnliches gilt für den Aufwand der Verfahrensbeteiligten und die Verfahrensdauer. Auch diese für die Verfahrenseffizienz wesentlichen Faktoren können im Wege des gezielten forum shopping positiv beeinflusst werden. Dass diese Effizienzvorteile realisiert werden, ist indes ebenfalls aus den genannten Gründen ungewiss. Darüber hinaus begünstigt die Rechtswahlfreiheit unter der EuInsVO kostenträchtige internationale Konflikte. Auch unter dynamischen Aspekten ist die bestehende Regelung problematisch. Mit der EuInsVO ist kein günstiges Umfeld für einen effizienzstiftenden Regulierungswettbewerb der Insolvenzrechte geschaffen worden. Zwar sind die Rechtsnachfrager aufgrund ihrer Einwirkungsmöglichkeiten auf die Wahl des Insolvenzforums (eingeschränkt) mobil. Jedoch stehen die Handlungsanreize, insbesondere aufgrund des späten Wahlzeitpunktes, der Nachfrage nach einem effizienten Insolvenzrecht entgegen. Der Antragsteller strebt unter der EuInsVO nicht dieses, sondern das für ihn jeweils vorteilhafteste Angebot an. Für Staaten und Gerichte fehlt es mithin an Anreizen zur Verbesserung des angebotenen Rechts, da sie die Nachfrage auf anderem Wege stimulieren können. Ferner ist die in der EuInsVO bestehende Meta-Ordnung des Regulierungswettbewerbs nicht vollständig dem Einfluss der Wettbewerber entzogen, da sie durch mitgliedstaatliche Gerichte angewendet und interpretiert wird. Um eine Verbesserung der Verfahrenseffizienz und einen effizienzstiftenden Regulierungswettbewerb zu ermöglichen, bedarf es einer Abkehr vom COMI-Kriterium in seiner bestehenden Form. Zugleich sollte sich auch zukünftig das anzuwendende Insolvenzrecht nach der internationalen Zuständigkeit richten, das lex-fori-Prinzip also beibehalten werden. Diese Bedingungen wären unter dem Modell einer gemeinsamen Wahl von Organisations- und Insolvenzstatut gewahrt. Jedoch könnte diese Veränderung viele der genannten Schwächen der EuInsVO nur überwinden, wenn zugleich das Sekundärinsolvenzverfahren abgeschafft würde. Beide Änderungen ließen sich technisch einfach bewerkstelligen, indem die Regelungen über Sekundärverfahren gestrichen und die Vermutung des Art. 3 Abs. 1 S. 2 EuInsVO in eine unwiderlegliche Regelung umgeformt würde. Verbleibende Nachteile wären die Überlagerung der gesellschafts- und insolvenzrechtlichen Wahlentscheidungen sowie die mangelnde Flexibilität bei Insolvenzen über bereits bestehende Konzerne. Eine konzernbezogene Modifikation von Art. 3 Abs. 1 EuInsVO stünde vor kaum überwindbaren rechtstechnischen Schwierigkeiten. Eine Kompetenzvorschrift, die in Abhängigkeit von der tatsächlichen wirtschaftlichen

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Integration der konzernzugehörigen Schuldner zu einer Verfahrensbündelung führt, ist nicht mit der Bedingung einer Verkürzung der Einwirkungsmöglichkeiten vereinbar. Eine Verbesserung des Status quo wäre von diesem Ausgangspunkt aus nicht zu erreichen. Das Modell einer isolierten Wahl des Insolvenzstatuts könnte beinahe alle Schwächen der bestehenden Regelung überwinden, soweit die Wahlentscheidung zum frühestmöglichen Zeitpunkt und unveränderlich erfolgte. So ließen sich ein effizientes Verfahrensrecht und in Konzernkonstellationen dasselbe Insolvenzstatut wählen. Zugleich wären die aus dem späten Wahlzeitpunkt des Status quo folgenden Nachteile ausgeschaltet. Ferner würde die Wahlentscheidung nicht von gesellschaftsrechtlichen Zwängen überlagert. Das international-insolvenzrechtliche Risiko wäre weitestgehend erkennbar. Weiterhin würden mit dem Modell einer isolierten Rechtswahl gute Bedingungen für einen Regulierungswettbewerb geschaffen. Das Nachfrageverhalten wäre nicht weiter von opportunistischem Vorteilsstreben geprägt. Die Nachfrage könnte zudem, anders als unter der Kombinationslösung, frei erfolgen und wäre für die Rechtsanbieter als solche nach Insolvenzrecht erkennbar. Die Vorteile dieser Lösung könnten sich ebenfalls nur bei gleichzeitiger Abschaffung des Sekundärverfahrens entfalten. Eine isolierte Rechtswahl würde folglich zwei politisch brisante Modifikationen erfordern. Da das Modell den Einflussbereich einiger mitgliedstaatlicher Gesetzgeber erheblich zu verkürzen drohte, sind ihm keine Chancen auf baldige Realisierung zuzumessen. Überdies wäre eine Implementierung auch mit erheblichem rechtstechnischen Aufwand verbunden.

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Entscheidungsverzeichnis Gericht / Fundstelle

Datum

Aktenzeichen / Rubrum

AG Celle, NZI 2005, 410 AG Duisburg, NZI 2003, 658 AG Düsseldorf, ZIP 2004, 623 AG Düsseldorf AG Düsseldorf, ZIP 2003, 1363 AG Düsseldorf, ZIP 2004, 623 AG Göttingen, ZInsO 2001, 137 AG Hamburg, NJW-Spezial 2009, 247 AG Hamburg, NZI 2006, 486 AG Hamburg, ZIP 2005, 2275 AG Köln, NZI 2004, 151 AG Köln, NZI 2006, 57 AG Köln, NZI 2009, 133 AG Mönchengladbach, NZI 2004, 383 AG München, NZI 2004, 450 AG Nürnberg, NZI 2007, 185 AG Offenburg, NZI 2004, 673 BayObLG, ZIP 2004, 90 Bezirksgericht Zürich, IPRax 2002, 41 BGH, BeckRS 2009, 29126 BGH, IPRax 1998, 205 BGH, NJW 1998, 1318 BGH, NJW 2009, 2215 BGH, NJW 2011, 1818 BGH, NZI 2004, 139 BGH, NZI 2008, 121 BGH, NZI 2008, 572 BGH, NZI 2012, 151 BGH, ZInsO 2004, 34 BGH, ZIP 2006, 529 BGHZ 25, 134 BGHZ 29, 100 BGHZ 75, 96 BGHZ 100, 19 BGHZ 126, 181 BGHZ 132, 195 BGHZ 149, 10 BGHZ 173, 246 BVerfG, NJW 1990, 1902

18.04.2005 14.10.2003 12.03.2004 22.06.2005 06.06.2003 12.03.2004 05.01.2001 11.02.2009 09.05.2006 01.12.2005 23.01.2004 01.12.2005 06.11.2008 27.04.2004 04.05.2004 15.08.2006 02.08.2004 03.06.2003 08.12.2000 13.10.2009 04.12.1997 22.01.1998 19.05.2009 03.02.2011 27.11.2003 21.06.2007 29.05.2008 01.12.2011 29.01.2004 09.02.2006 11.07.1957 16.12.1958 09.07.1979 03.02.1987 06.06.1994 20.03.1996 17.09.2001 16.07.2007 26.10.1989

29 IN 11/05 63 IN 48/03 502 IN 126/03 502 IN 110/05 502 IN 126/03 502 IN 126/03 74 IN 278/00 67c IE 1/09 67c IN 122/06 67a IN 450/05 71 IN 1/04 71 IN 564/05 71 IN 487/08 19 IN 54/04 1501 IE 1276/04 8004 IN 1326–1331/06 2IN 133/04 1 ABR 19/02 U/EK 2090 X ZR 159/05 IX ZB 23/97 IX ZR 99–97 IX ZR 39/06 V ZB 54/10 IX ZB 418/02 IX ZB 51/06 IX ZB 102/07 IX ZB 232/10 I ZB 34/03 IX ZB 418/02 II ZR 318/55 VI ZR 245/57 II ZR 118/77 VI ZR 268/85 II ZR 292/91 X ARZ 90/96 II ZR 178/99 II ZR 3/04 1 BvR 1130/89

392

Entscheidungsverzeichnis

Gericht / Fundstelle

Datum

Aktenzeichen / Rubrum

Cour d’Appel de Paris

25.02.2010

Cour d’Appel de Paris

25.02.2010

Court of Appeal Civil Division, NZI 2005, 571 EuGH, GA Cosmas, Slg. 1998, S. I-4493

27.07.2005

RG n° 09/22756 (Heart of La Défense) RG n° 09/17248 (SARL Mansford France Fund 1) (2005) EWCA Civ 974

14.05.1998

EuGH, GA Jacobs, Slg. 1997, S. I- 6496

20.11.1997

EuGH, EWS 2006, 27 EuGH, JZ 2005, 887

13.12.2005 01.03.2005

EuGH, NJW 2009, 569 EuGH, NJW 2009, 2189

16.12.2008 12.02.2009

EuGH, NJW 2003, 3331 EuGH, NZI 2006, 153

30.09.2003 17.01.2006

EuGH, NZI 2012, 147

15.12.2011

EuGH, ZIP 2012, 1815

05.07.2012

EuGH, Slg. 1964, S. 1141 EuGH, Slg. 1979, S. 733

03.06.1964 22.02.1979

EuGH, Slg. 1980, S. 75

10.01.1980

EuGH, Slg. 1982, S. 3415

06.10.1982

EuGH, Slg. 1988, S. 6039

11.05.2000

EuGH, EuGH, EuGH, EuGH, EuGH,

Slg. 1995, S. I-2867, 2895 Slg. 1998, S. I-583 Slg. 1998, S. I-1605 Slg. 1999, S. I-1459 Slg. 2000, S. I-1935

09.02.1995 12.02.1998 02.04.1998 09.03.1999 28.03.2000

EuGH, EuGH, EuGH, EuGH,

Slg. 2002, S. I-9919 Slg. 2003, S. I-14693 Slg. 2004, S. I-3565 Slg. 2006, S. I-03813

05.11.2002 09.12.2003 27.04.2004 02.05.2006

Rs. C-125/97 (Regeling/Bestuur van de Bedrijvsvereinigung voor de Metaalnijverheid) Rs. C-338/95 (Wiener SI GmbH v. Hauptzollamt Emmerich) Rs. C-411/03 (SEVIC) Rs. C-281/02 (Owusu/Jackson u.a.) Rs. C-210/06 (Cartesio) Rs. C-339/07(Christopher Seagon/Deko Marty Belgium) Rs. C-167/01 Rs. C-1/04 (StaubitzSchreiber) Rs. C 191/10 (Rastelli Davide) Rc. C-527/10 (ERSTE Bank Hungary Nyrt) Rs. 6/64 (Costa/ENEL) Rs. 133/78 (Gourdain/ Nadler) Rs. 69/79 (Jordens-Vosters/ Bedrijsvereniging voor de Leder- en Lederwerkende Industrie) Rs. 283/81 (CILFIT Srl/ Ministry of Health) Rs. C-38/98, (Régie nationale des usines Renault SA/Maxicar SpA und Orazio Formento) Rs C-412/93 Rs. C-366/96 (Cordelle) Rs. C-296/95 (EMU Tabac) Rs. C-212/97 Rs. C-7/98 (Krombach/Bamberski) Rs. C-208/00 Rs. C-116/02 (Gasser) Rs. C-159/02 (Turner) Rs. C-341/04 (Eurofood)

393

Entscheidungsverzeichnis Gericht / Fundstelle

Datum

Aktenzeichen / Rubrum

EuGH, Slg. 2009, S. I-8421

10.09.2009

EuGH, Slg. 2010, S. I-00417

21.01.2010

EuGH, Slg. 2011, S. I-09915 Gerechtshof Amsterdam, JOR 2003, Nr. 186 High Court Dublin, ZIP 2004, 1223 High Court of Justice Birmingham, NZI 2005, 515 High Court of Justice Birmingham, NZI 2005, 467 High Court of Justice Leeds, NZI 2004, 219 High Court of Justice Leeds, ZIP 2005, 963 High Court of Justice London, Chancery Division High Court of Justice London, NZI 2007, 187 High Court of Justice London High Court of Justice London, ZIP 2003, 813 High Court of Justice London, [2002] EWHC 2898 (Ch. D.) High Court of Justice London, [2003] BCC 209 High Court of Justice London, [2003] BCC 391 High Court of Justice London, [2004] EWHC 2752 (Ch. D.)

15.12.2011 17.06.2003

Rs. C-292/08 (German Graphics) Rs. C-444/07 (MG Probud Gdynia sp. z o.o.) Rs. C-191/10 (Interedil)

High Court of Justice London, [2005] EWHC 1754 (Ch. D.)

15.07.2005

High Court of Justice London, [2006] EWHC 1343 (Ch. D.) High Court of Justice London, [2006] EWHC 1343 (Ch.) Landesgericht Innsbruck, ZIP 2004, 1721 Landesgericht Klagenfurt, NZI 2004, 677 Landesgericht Leoben, NZI 2005, 646 LG Hamburg, NZI 2005, 645 LG Kiel, NZI 2006, 482, 483

23.03.2004 11.05.2005

33/04 2375 - 2382/05 (MG Rover)

18.04.2005

2375 - 2382/05 (MG Rover)

16.05.2003 24.02.2005

No. 861 - 876/03; Re Daisytek-ISA Limited & Ors I ZR 128/02

05.07.2002

Re Enron Directo SA

15.08.2006

No. 5618/06

12.09.2006 07.02.2003

09.06.2006

Order no. 6211 of 2006 0042/2003, 0042/03, 42/2003, 42/03 Geveran Trading Co. Ltd. v. Kjell Tore Sjevensland Geveran Trading Co. Ltd. v. Kjell Tore Sjevensland Geveran Trading Co. Ltd. v. Kjell Tore Sjevensland No. 1948/04 (Malcolm Brian Shierson (trustee in bankruptcy of Martin VlielandBoddy) v Clive VlielandBoddy) No. 4697-4712/05, 47174725/05, 4697-4712/05, 4717-4725/05 (Collins & Aikman Corporation Group) Re Collins & Aikman Europe SA No. 25618

11.05.2004

9 S 15/04

02.07.2004

41 S 75/04h (Zenith)

31.08.2005 18.08.2005 20.04.2006

17 S 56/05 326 T 34/05 10 S 44/05

11.11.2002 15.07.2002

26.11.2004

394

Entscheidungsverzeichnis

Gericht / Fundstelle

Datum

Aktenzeichen / Rubrum

OGH, NZI 2005, 465 OLG Celle, NZI 2004, 258 OLG Jena, NZI 2013, 807 OLG Frankfurt/Main, ZIP 2006, 769 OLG Hamm, NZI 2000, 220 OLG Innsbruck, NZI 2008, 700 OLG Karlsruhe, NZG 2010, 509 OLG Köln, NZI 2001, 380 OLG Köln, NZI 2010, 1001 OLG Köln, NZI 2012, 52 Stadtgericht Prag, ZIP 2005, 1431 Supreme Court of Ireland, ZIP 2004, 1969 Tribunal de Commerce de Beaune

17.03.2005 09.10.2003 17.07.2013 26.01.2006 14.01.2000 08.07.2008 22.12.2009 23.04.2001 28.09.2010 09.06.2011 26.04.2005 27.07.2004

8 Ob 135/04t 2 W 108/03 2 U 815/12 15 U 200/05 1 Sbd 100/99 1 R 176/08d 13 U 102/09 2 W 82/01 18 U 3/10 18 W 34/11 78 K 6/05-127 147/04

16.07.2008

Tribunal de Commerce de Nanterre, EWiR 2006, 207 Tribunal de Commerce de Paris

15.02.2006

RG n° 2008001585 (Belvédère) PCL 2006J00174

Tribunal de Commerce de Paris

03.11.2008

Tribunal de Commerce de Paris Tribunale di Parma, ZIP 2004, 122

11.03.2009 19.02.2004

03.11.2008

RG n° 2008077997 (SAS Heart of La Défense) RG n° 2008077996 (Dame Luxembourg) RG n° 2009014452 (Hélios) 53/04

Verzeichnis der Gesprächspartner Die nachstehend aufgeführten Insolvenzpraktiker standen dem Verfasser zum konstruktiven Dialog zur Verfügung. In mitunter mehrstündigen Gesprächen gaben sie wichtige Anregungen zur Entwicklung der Arbeit. Außerdem ermöglichten sie es, die Bedürfnisse und Schwierigkeiten der Praxis internationaler Insolvenzverfahren in die Untersuchung einzubeziehen. Dr. Detlef Haß Rechtsanwalt und Solicitor Hogan Lovells München Dr. Christian Herweg, LL.M. Rechtsanwalt Hogan Lovells München Gabriel Moss, QC Barrister 3/4 South Square London, UK Dr. Andreas Ringstmeier Rechtsanwalt Dr. Ringstmeier & Kollegen Köln Stephen Taylor London, UK Prof. Dr. Heinz Vallender Richter am AG, Leiter der Insolvenzabteilung am Amtsgericht Köln Köln

Stichwortverzeichnis Stichwortverzeichnis Stichwortverzeichnis Amtsermittlung X, 5, 33, 65, 122, 181 ff. Anerkennung IX, 6, 16 ff., 34 ff., 100, 129, 134 ff., 139 ff., 158 ff., 172, 235, 246 Anerkennungspflicht 34 ff., 140 ff., 146 f., 150, 157, 163, 173, 177, 181, 183, 196, 225, 235, 327, 265, 335, 348, 365 – Implikationen 145 – Grenzen 140 ff. – Überprüfungsrecht 141 ff. – zeitliche Schranken 146 ff. Anreizstruktur 12, 237 ff., 241, 249 ff., 253, 259, 296 f., 301 ff., 314 f., 323, 336 ff., 345 f., 347 f., 351, 356 f., 365, 368 – alternative Regelung 347 f., 351, 356 f., 365, 368 – amerikanisches Insolvenzrecht 342 ff. – Rechtsanbieter 339 ff. – Rechtsnachfrager 336 ff. – Sekundärverfahren 314 ff. Antragsbefugnis 228 ff., 306 Antragspflichten 115, 181, 187, 189 ff., 207, 229, 236, 246 – Anknüpfung 193 ff. – Sekundärverfahren 199 ff., 230 ff. – Qualifikation 189 ff. Befriedigungsquote 169, 242 ff., 254, 259, 280 f., 295 Beurteilungszeitpunkt XI, 43, 108, 110 ff., 113 ff., 118 ff., 123, 137, 157, 363 – Begriff 108 Bezugnahmezeitpunkt der Zuständigkeitsermittlung 109, 112 ff., 123, 238, 348 – mitgliedstaatliches Verfahrensrecht 113

Cash Pooling 287 COMI 4 f., 21, 24, 32 ff., 37 ff., 86 ff., 91 ff. – Auslegung 69 ff., 78 ff., 86 ff. – Begriff 24 – Einwirkung auf Tatsachenbasis 105 ff. – Rechtsprechung des EuGH 62 ff. – Tatsachenbasis 27, 39, 105 ff., 119, 122, 126, 139, 146, 348 – zentrale Fragen 68 ff. covenants 266 ff., 371 creditors, adjusting 261 creditors, involuntary 260 creditors, non adjusting 261 doloses Handeln 218 ff. Doppelholding-Strukturen 271 ff. double LuxCo 271 ff. Effizienz 218, 252 ff., 256 ff., 367, 322 f., 326 f., 372 – Aufwand der Verfahrensbeteiligten 218, 322 f., 326 f., 372 – Bewertungsmaßstab 252 ff. – Minimierung der Verfahrensdauer 258, 323 ff. – Minimierung von Konflikten 258, 326 ff. – Zielgrößen Effizienzvorteile 252 ff., 280 ff., 286 ff., 290, 294 ff., 295, 299, 301, 304, 309, 320 f., 338, 345, 357, 368, 371 – Eröffnungswettlauf 301 – Informationsbündelung 288 – Realisierung 294 ff., 309 – Sekundärverfahren 304 – Verfahrensbeschleunigung 288, 325 – Verfahrensbündelung 290, 295 – Verfahrensrecht 280 f. – Zeitpunkt der Verfahrenseröffnung 281 ff.

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Stichwortverzeichnis

Eigenkapitalersatzrecht 204 ff., 207, 315 Eigenverwaltung 7, 154, 300, 311 ff., 314, 371 EMRK 160 ff. Eröffnungsbegriff 151 ff., 198, 236 Eröffnungsbeschluss 18, 35, 37, 117, 142, 173 ff., 232, 236 Eröffnungswettlauf 116, 124, 161, 164, 178, 182, 226, 295 ff., 301 ff., 372 EuGVVO 1, 130 ff., 138, 140, 156, 165 f., 203, 210 ff. EuInsVO 15 – Reform IX ff. Eurofood 46 ff., 62 ff., 68, 72, 84, 88, 91 ff., 97, 106, 147, 150 ff., 157 f., 162 ff., 176, 236, 244, 353, 359 Existenzvernichtungshaftung 205 ff. forum non conveniens 131, 134 Forumswahl 20 ff., 184, 246, 276, 293 f., 298, 301, 324, 344, 369 Gehör, rechtliches 160 ff. Gehörsverletzung 161 f., 164 f. Gläubigergleichbehandlung 28 ff., 75, 90, 179, 188, 291, 318 ff. Haftung – Haftungsmaximierung 28, 253 f., 258, 279 ff., 285 f., 301, 320, 367 – Haftungsverwirklichung 27 f. – Konsolidierung der Haftungsmassen 104, 291 – Sekundärverfahrensmasse 317 Handelndenhaftung 179 ff. Handlungsanreize 12, 107, 184, 234, 237 ff., 249 ff., 253, 280, 296 ff., 301 ff., 323, 336 ff., 340 ff., 345, 365, 370 f. – Gläubiger 241 ff. – Insolvenzgerichte 238 ff. – Insolvenzverwalter, Berater, Praktiker 246 ff. – Interessenstruktur, heterogene 296 – Marktmechanismen 296, 298 ff., 336 ff., 372 – Schuldner 244 ff. – Wettbewerbssituation 183, 249 ff., 270, 320, 343

Insolvenzplanverfahren XII, 288, 300, 310 Insolvenzverschleppungshaftung 201 ff., 207, 234, 236 Insolvenzverwalter 148, 152 ff., 154, 158, 164 f., 209, 212, 231 f., 246 ff., 279, 306 ff., 311 ff., 321, 344 – Qualifikationen 311 – schwacher Insolvenzverwalter 154 – Sekundärverfahren, 222 f., 231, 306 ff., 311 ff., 321 – starker Insolvenzverwalter 154, 158 – Vergütung 279 – vorläufiger Insolvenzverwalter 148, 152 ff., 164 f. Interedil VII Kombinationslösung 350 ff., 357, 358 ff., 373, 359 ff. – Begriff 350 ff. – Implementierung 357 – weitergehende Änderungen 359 ff. Kompetenzkonflikt 33,47, 89, 133, 143 f., 157 f., 164, 212, 238 Konzerninsolvenz XII, 5, 7, 12, 40, 286 ff., 289, 290 ff., 295, 326, 344 f., 351, 362 ff. Konzernzuständigkeit 99, 101 f., 104, 365 Kreditkonditionen 259 ff. Kreditkosten 257, 260, 262, 278 f., 371 Leveraged Buy-Out 271 lex fori concursus 18, 20, 99 f., 102 f., 127, 167, 173, 185 ff., 192, 195 ff., 199, 204, 214, 219, 221 ff., 229 ff., 236, 239, 242 f., 248, 263, 266, 281, 297, 307, 312, 315 ff. – Antragspflichten 195 ff., 199 – Handlungsanreize 336 – Qualifikationsprobleme 185 ff. – Sekundärverfahren 221 ff., 229 ff., 315 ff. – Sonderanknüpfungen 213 ff. – Unterschiede 242, 280 f. Management X, 91 f., 96, 244 ff., 298 f., 326, 336, 344 Missbrauchsvorbehalt 124 ff., 128, 132 ff.

Stichwortverzeichnis Modifikationsvorschläge 347 ff., 350 ff., 358 – freie Wählbarkeit des Insolvenzstatuts 365 ff. – Kombinationslösung 12, 350 ff. – konzernbezogene Zuständigkeitsregel 362 ff., 369, 373 – Veränderung der Einwirkungsmöglichkeiten 348 ff. – Voraussetzung effektiver Modifikationen 12, 347 ff. Nichtanerkennung 134 ff., 138 f., 143, 159 ff., 167, 319 Niederlassung 7, 186, 199, 216, 218, 220, 224 ff., 234, 236, 246, 276, 290, 304 ff., 313, 318, 323, 359 – Tochtergesellschaften 291 f. Ordnung, öffentliche 6, 136, 158 ff., 162, 165, 167, 171 – EMRK 160 ff. – Kompetenzwidrigkeit der Verfahrenseröffnung 140, 159, 225 – Rechtsgefälle 167 ff. – Täuschung über Tatsachen 170 Prioritätsprinzip 139 ff., 143, 146 f., 149, 157, 164, 167, 172 ff., 178, 235, 253 procedure de sauvegarde 272 ff., 283 Qualifikationsprobleme 185 ff. Rechtsbehelfe XII, 7, 140, 172 ff., 178, 219, 225, 235, 328 – autonomes Recht 173 ff. – Sekundärverfahren 219 – Vorlageverfahren 7, 62, 64 ff., 67, 111, 171, 176 ff., 211, 333 Rechtshängigkeitssperre 155 ff., 236 Rechtswahl 15 ff., 20 ff., 89, 184 ff., 221 ff., 234, 280 ff. – Ansatzpunkte 11, 21, 31 ff., 35 ff., 39, 68, 98, 105, 108, 145 ff., 183, 244, 348 – Begriff 15 f. – Effizienzvorteile 280 ff. – Forumswahl 20 ff. – Grenzen 37 ff., 98 ff., 105 ff., 139 ff., 171 ff.

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– Gegenmaßnahmen 221 ff. – Rechtswahlfreiheit 15 ff., 37 ff., 98 – Reichweite 184 ff., 234 Regelungsmodelle, alternative 347 ff. Regulierungswettbewerb 12, 67, 328 ff., 344, 346, 356, 365, 368, 370, 372 f. – Angebotsseite 338 ff. – Gesellschaftsrecht 329 f. – Insolvenzrecht 330 ff. – Meta-Ordnung 332 ff. – Nachfrageseite 334 ff. Risikoantizipation 24 ff., 31, 75, 77, 83, 85, 257 263 ff., 271 ff., 364, 366 – Beeinträchtigung durch das COMI 263 ff. – gesellschaftsrechtliche Strukturen 271 ff. – kautelarische Maßnahmen 266 ff. – Sekundärverfahren 276 Rückwirkungen 117, 146 ff., 153, 194 Schädigung, sittenwidrige 179 ff. Scheinauslandsgesellschaft 186, 190, 192, 207, 355 f., 360 scheme of arrangement IX f., 4, 251, 285 Schuldnervermögen 16 ff., 75 ff., 117, 130, 136, 143, 157, 171, 228, 233, 238, 244, 253 ff, 279 ff., 286, 295, 305, 320, 339 – Haftungsmaximierung 279 ff. Sekundärverfahren XII, 199 ff., 221 ff., 224 ff., 230 ff., 276 ff., 304 ff., 311 ff., 366 ff. – Antragspflichten 199 ff. – Effizienzstörungen 304 ff. – Gegenmaßnahme 221 ff., 224 ff. – Modifikationen 366 ff. – Personenidentität der Verwalter 311 ff. – regulatives Potenzial 230 ff. – Risikoantizipation 276 ff. – Sonderanknüpfungen 221 Sonderanknüpfung 18, 184, 213 ff., 221, 234, 294, 360 Sperrwirkung 6, 45, 124, 146 ff., 151, 154, 156 f., 165, 178, 198 f., 298, 353 Täuschung 129, 170 Territorialität 16 f., 19, 276

400

Stichwortverzeichnis

Transaktionskosten 253, 255, 272, 275, 323 f., 336, 338 Überprüfungskompetenz 140 f., 144 UNCITRAL 137, 308, 363 Unionstreue 143 Universalität 6 f., 16 ff., 89, 359, 371 Verfahrensbündelung 52, 212, 258, 286 ff., 292 ff., 295 ff., 304 ff., 310, 314, 321 f., 344 f. Verfahrensdauer 242, 258, 280, 323 ff., 364, 367, 372 Verfahrenseffizienz 10 f., 169, 247, 252, 254 f., 266, 277, 279 ff., 304, 322, 324 ff., 338 ff., 341, 344 f., 364, 370, 372 – Effizienzvorteile 252, 277, 280 ff., 286 ff., 294 ff., 301 ff. – Maximierung des Schuldnervermögens 28, 253 ff., 258, 279 ff., 285 f., 301, 320, 367 Verfahrenseröffnung XII, 2, 4 ff., 109, 111, 116 ff., 139 ff., 150 ff., 281 Verfahrenskosten 254, 257 f., 279 f., 296 f., 305, 323, 364

Verfahrenspluralität 16 f., 19, 249 ff., 371 Vermögensmaximierung 28, 253 ff., 258, 279 ff., 285 f., 301, 320, 367 Vorhersehbarkeit 27 f., 64, 77, 82 ff., 87, 116, 130 ff., 212, 258 ff., 273, 275 ff., 278 f., 289, 298, 304, 337, 346, 349 f., 352 ff., 362 f., 366 f. Vorlageverfahren 7, 62, 64 ff., 67, 111, 171, 176 ff., 211, 333 Wettbewerb der Insolvenzrechte XIII, 249 ff., 328 f., 330 ff., 351, 372 Zeitpunkt der Verfahrenseröffnung 111, 112 f., 116 ff., 119 f., 150, 153, 214, 281 ff., 302, 353 Zuständigkeitserschleichung 23, 128 ff., 207 Zuständigkeitserschließung 23, 35, 105, 107, 131, 135, 137 ff., 146, 159, 196, 224 ff., 235, 276 Zuständigkeitsänderung 35, 105 ff., 128 – Manipulationstiefe 105 ff. – Überprüfungsrecht 140 ff.