Internationaler Strafgerichtshof und Drittstaaten: Eine Untersuchung unter besonderer Berücksichtigung der Position der USA [1 ed.] 9783428527014, 9783428127016

Stellt das Rom-Statut zur Gründung des IStGH einen unzulässigen Vertrag zu Lasten dritter Staaten dar? Theresa Steinberg

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Internationaler Strafgerichtshof und Drittstaaten: Eine Untersuchung unter besonderer Berücksichtigung der Position der USA [1 ed.]
 9783428527014, 9783428127016

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Veröffentlichungen des Walther-Schücking-Instituts für Internationales Recht an der Universität Kiel Band 168

Internationaler Strafgerichtshof und Drittstaaten Eine Untersuchung unter besonderer Berücksichtigung der Position der USA

Von

Theresa Steinberger-Fraunhofer

asdfghjk Duncker & Humblot · Berlin

THERESA STEINBERGER-FRAUNHOFER

Internationaler Strafgerichtshof und Drittstaaten

Veröffentlichungen des Walther-Schücking-Instituts für Internationales Recht an der Universität Kiel Herausgegeben von J o s t D e l b r ü c k, T h o m a s G i e g e r i c h und A n d r e a s Z i m m e r m a n n Walther-Schücking-Institut für Internationales Recht 168

Völkerrechtlicher Beirat des Instituts: Rudolf Bernhardt Heidelberg

Eibe H. Riedel Universität Mannheim

Christine Chinkin London School of Economics

Allan Rosas Court of Justice of the European Communities, Luxemburg

James Crawford University of Cambridge

Bruno Simma International Court of Justice, The Hague

Lori F. Damrosch Columbia University, New York Vera Gowlland-Debbas Graduate Institute of International Studies, Geneva Fred L. Morrison University of Minnesota, Minneapolis

Daniel Thürer Universität Zürich Christian Tomuschat Humboldt-Universität, Berlin Rüdiger Wolfrum Max-Planck-Institut für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht, Heidelberg

Internationaler Strafgerichtshof und Drittstaaten Eine Untersuchung unter besonderer Berücksichtigung der Position der USA

Von

Theresa Steinberger-Fraunhofer

asdfghjk Duncker & Humblot · Berlin

Die Rechtswissenschaftliche Fakultät der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel hat diese Arbeit im Jahre 2007 als Dissertation angenommen.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Alle Rechte vorbehalten # 2008 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Fremddatenübernahme und Druck: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 1435-0491 ISBN 978-3-428-12701-6 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier ∞ entsprechend ISO 9706 *

Internet: http://www.duncker-humblot.de

Meinen Eltern in Liebe und Dankbarkeit

Vorwort If you want Peace, work for Justice. Papst Paul VI.

Die vorliegende Arbeit wurde von Herbst 2003 bis Sommer 2006 in Heidelberg und Trostberg verfasst und sodann im Sommer 2007 von der Juristischen Fakultät der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel als Dissertation angenommen. Herzlich bedanken möchte ich mich bei meinem Doktorvater, Herrn Professor Dr. Andreas Zimmermann, für die Betreuung der vorliegenden Arbeit, bei deren Entstehung er mir größtmöglichen Freiraum gelassen hat und zugleich trotz der großen Entfernung immer ein offenes Ohr für meine Fragen und Anliegen hatte. Mein Dank gilt weiterhin Herrn Prof. Dr. Thomas Giegerich für die Erstellung des Zweitgutachtens. Auch den Herausgebern der Veröffentlichungen des WaltherSchücking-Instituts für Internationales Recht an der Universität Kiel, Herrn Professor Dr. Jost Delbrück, Herrn Professor Dr. Thomas Giegerich und Herrn Professor Dr. Andreas Zimmermann, möchte ich sehr herzlich für die Aufnahme der Arbeit in die vom Institut herausgegebene Schriftenreihe danken. Mein besonderer Dank gilt weiterhin dem Max-Planck-Institut für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht in Heidelberg, wo der Großteil der vorliegenden Arbeit entstanden ist. Die angenehme und von regem internationalem Austausch geprägte Arbeitsatmosphäre sowie die freundlichen und hilfsbereiten Mitarbeiter des Instituts haben einen erheblichen Beitrag zur Fertigstellung der Arbeit geleistet. Nicht zuletzt bedanken möchte ich mich bei Herrn Professor Dr. Donald P. Kommers und der Law School der University of Notre Dame, Indiana, USA. Ohne meine Studienzeit in Notre Dame in den Jahren 1996 / 1997 wäre die vorliegende Arbeit nicht entstanden. Dort ist mein Interesse für das Völkerrecht und das internationale Strafrecht geweckt worden, und ich hatte zum ersten Mal die Gelegenheit, mich intensiv mit der Errichtung des Internationalen Strafgerichtshofs zu befassen. Die oben zitierten Worte Papst Pauls VI., die sich in großen Lettern in der Bibliothek der Law School finden, scheinen mir für die Thematik der vorliegenden Arbeit wie gemacht. Herzlich danken möchte ich auch meinem Vater, Herrn Professor Dr. Helmut Steinberger, für Anregungen und Kritik sowie für das Korrekturlesen der vorliegenden Arbeit.

4

Vorwort

Ein besonderes Dankeschön geht weiterhin an meinen Mann, Herrn Rechtsanwalt Michael Fraunhofer, der mich beim Verfassen der Arbeit unterstützt und gerade in schwierigen Zeiten aufgemuntert hat, sowie an meine Schwiegereltern, Sigrid und Alfred Fraunhofer, die mir durch die liebevolle Betreuung unserer kleinen Elena neben meiner Tätigkeit als Staatsanwältin bei der Staatsanwaltschaft Traunstein auch die letzte Überarbeitung der Dissertation und die Vorbereitung auf das Rigorosum ermöglicht haben. Herzlich bedanken möchte ich mich schließlich auch bei meiner Schwester, Frau Regierungsrätin Eva-Maria Steinberger, und allen Freunden, die zahlreiche rechtliche Probleme mit mir diskutiert und mich beim Verfassen der Arbeit motiviert und unterstützt haben. Mein innigster Dank gebührt jedoch meinen Eltern, Frau Dr. Heide Steinberger, Vorsitzende Richterin am Landgericht a. D., und Herrn Professor Dr. Helmut Steinberger, Bundesverfassungsrichter a. D., die uns fünf Kindern immer mit Rat und Tat zur Seite stehen und uns ein in jeder Hinsicht sorgenfreies Studium ermöglicht haben. Guter akademischer Tradition entsprechend widme ich ihnen diese Arbeit. Ich möchte ihnen von Herzen für alles danken! Trostberg, im Dezember 2007

Theresa Steinberger-Fraunhofer

Inhaltsübersicht A. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

17

B. Die Gerichtsbarkeit des IStGH . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

22

I. Der Begriff der Gerichtsbarkeit im Rom-Statut . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

22

II. Die Zuständigkeit des IStGH ratione materiae . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

24

III. Die gerichtsverfassungsrechtliche Zuständigkeit des IStGH . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

29

C. Die materielle Strafbarkeit der in Artikel 5 genannten Verbrechen . . . . . . . . . . . . . .

48

I. Strafbarkeit nach nationalem Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

48

II. Strafbarkeit aufgrund völkerrechtlicher Verträge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

49

III. Strafbarkeit aufgrund von Völkergewohnheitsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

50

IV. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

59

D. Die Strafgerichtsbarkeit der Einzelstaaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

60

I. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

60

II. Strafgerichtsbarkeit aufgrund des Territorialitätsprinzips . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

60

III. Extraterritoriale Strafgerichtsbarkeit der Einzelstaaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

61

E. Die völkerrechtliche Legitimation der Strafgerichtsbarkeit des IStGH . . . . . . . . . .

75

I. Problemaufriss . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

75

II. Die Legitimation der Strafgerichtsbarkeit bei Verfahrenseinleitung durch die Vertragsstaaten oder den Ankläger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

76

III. Die Legitimation der Strafgewalt des IStGH bei Verfahrenseinleitung durch den Sicherheitsrat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 131 IV. Fehlende Präzedenzfälle für eine internationale Strafgerichtsbarkeit . . . . . . . . . . . . 143 V. Fazit zur Völkerrechtmäßigkeit des Jurisdiktionsregimes des IStGH . . . . . . . . . . . . 182 F. Vertragliche Belastung dritter Staaten durch sonstige Bestimmungen des Statuts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 184 I. Voraussetzungen für die Ausübung der Gerichtsbarkeit, Artikel 12 Abs. 2, Abs. 3 IStGH-Statut . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 184 II. Das Initiativrecht des Anklägers, Artikel 15 IStGH-Statut . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 185

6

Inhaltsübersicht III. Das Komplementaritätsprinzip, Artikel 17 IStGH-Statut . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 186 IV. Vorläufige Zulässigkeitsentscheidungen, Artikel 18 IStGH-Statut . . . . . . . . . . . 191 V. Die Prüfungskompetenz des Gerichtshofs, Artikel 19 Abs. 1 IStGH-Statut . . 194 VI. Die Anfechtung von Entscheidungen, Artikel 19 Abs. 2 IStGH-Statut . . . . . . . 196 VII. Die Verletzung völkerrechtlicher Immunität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 198 VIII. Ersuchen zur Zusammenarbeit, Artikel 54 Abs. 3 IStGH-Statut . . . . . . . . . . . . . 216 IX. Informationen betreffend die nationale Sicherheit, Artikel 72 IStGH-Statut 216 X. Informationen oder Unterlagen von Dritten, Artikel 73 IStGH-Statut . . . . . . . . 217 XI. Internationale Zusammenarbeit und Rechtshilfe, Artikel 86 ff. IStGH-Statut 218 XII. Verletzung des diplomatischen und konsularischen Schutzes . . . . . . . . . . . . . . . . 225 XIII. Unbestimmtheit der Straftatbestände . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 228 XIV. Verletzung von Angeklagtenrechten durch das Statut . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 229 XV. Rechtswidriger Eingriff in die Prärogative des Sicherheitsrates . . . . . . . . . . . . . . 231 XVI. Artikel 121 Abs. 5 IStGH-Statut . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 241 XVII. Artikel 124 IStGH-Statut . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 242 XVIII. Exkurs: Verstoß des Statuts gegen nationales Verfassungsrecht . . . . . . . . . . . . . . 243

G. Prüfungskompetenz des IStGH . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 246 H. Aktuelle politische Entwicklungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 251 I. Die amerikanische Politik der konstruktiven Zusammenarbeit . . . . . . . . . . . . . . . 251 II. Die Nichtbeitrittserklärung der USA . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 256 III. Die UN-Sicherheitsratsresolutionen 1422 und 1487 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 256 IV. Der Abschluss von Nichtauslieferungsabkommen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 260 V. Der American Service Members Protection Act . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 272 VI. Die Nichtverlängerung der Sicherheitsratsresolution 1487 . . . . . . . . . . . . . . . . . . 275 I. Schlussbetrachtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 278 I. Die Anerkennung der Gerichtsbarkeit durch die Elfenbeinküste gemäß Artikel 12 Abs. 3 des IStGH-Statuts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 278 II. Die Krise in Darfur und die Sicherheitsratsresolution 1593 . . . . . . . . . . . . . . . . . . 279 III. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 281 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 284 Stichwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 297

Inhaltsverzeichnis A. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

17

B. Die Gerichtsbarkeit des IStGH . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

22

I. Der Begriff der Gerichtsbarkeit im Rom-Statut . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

22

II. Die Zuständigkeit des IStGH ratione materiae . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

24

1. Artikel 5 Abs. 1 IStGH-Statut . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

24

2. Das Verbrechen der Aggression . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

26

3. Vertragsverbrechen („treaty crimes“) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

28

III. Die gerichtsverfassungsrechtliche Zuständigkeit des IStGH . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

29

1. Überblick über das Jurisdiktionsregime . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

29

2. Die Zuständigkeit ratione temporis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

30

3. Die Ausübung der Gerichtsbarkeit, Artikel 13 IStGH-Statut . . . . . . . . . . . . . . . . .

30

4. Die Voraussetzungen für die Ausübung der Gerichtsbarkeit, Artikel 12 IStGH-Statut . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

33

a) Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

34

b) Die verschiedenen konzeptionellen Ansätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

35

aa) Universale Gerichtsbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

35

bb) Gerichtsbarkeit nach dem Konsensprinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

36

cc) Der Vorschlag Südkoreas . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

37

c) Die Anerkennung der Gerichtsbarkeit des IStGH . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

38

aa) Die Anerkennung durch Nichtvertragsstaaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

38

bb) Die Anerkennung durch Vertragsstaaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Zustimmungserfordernis im Einzelfall . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Opt-in / Opt-out-Regime . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (3) Automatische Jurisdiktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

39 39 39 41

d) Die Endfassung von Artikel 12 Abs. 2 IStGH-Statut . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

43

e) Die Opt-Out-Möglichkeit für Kriegsverbrechen, Artikel 124 IStGH-Statut

45

f) Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

46

8

Inhaltsverzeichnis

C. Die materielle Strafbarkeit der in Artikel 5 genannten Verbrechen . . . . . . . . . . . . . .

48

I. Strafbarkeit nach nationalem Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

48

II. Strafbarkeit aufgrund völkerrechtlicher Verträge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

49

III. Strafbarkeit aufgrund von Völkergewohnheitsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

50

1. Die strafrechtliche Verantwortlichkeit des Einzelnen im Völkerrecht . . . . . . . .

50

2. Überblick über die verwendete Terminologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

52

3. Die völkergewohnheitsrechtliche Strafbarkeit der Kernverbrechen . . . . . . . . . . .

54

a) Völkermord . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

55

b) Kriegsverbrechen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

55

c) Verbrechen gegen die Menschlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

56

d) Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

57

IV. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

59

D. Die Strafgerichtsbarkeit der Einzelstaaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

60

I. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

60

II. Strafgerichtsbarkeit aufgrund des Territorialitätsprinzips . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

60

III. Extraterritoriale Strafgerichtsbarkeit der Einzelstaaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

61

1. Unbeschränkte staatliche Strafgerichtsbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

61

a) Das Lotus-Urteil des StIGH . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

62

b) Rechtsfolgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

64

aa) Umfassende staatliche Strafverfolgungskompetenz . . . . . . . . . . . . . . . . . .

64

bb) Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

64

2. Das Erfordernis von Anknüpfungspunkten für die Ausübung staatlicher Strafgerichtsbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

67

a) Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

68

b) Das aktive Personalitätsprinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

69

c) Das passive Personalitätsprinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

70

d) Das Schutzprinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

70

e) Das Prinzip der stellvertretenden Strafrechtspflege . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

70

f) Das Universalitäts- oder Weltrechtsprinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

71

g) Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

73

Inhaltsverzeichnis

9

3. Konkurrierende Strafgerichtsbarkeit der Einzelstaaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

73

4. Die Anknüpfungspunkte des Rom-Statuts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

74

E. Die völkerrechtliche Legitimation der Strafgerichtsbarkeit des IStGH . . . . . . . . . .

75

I. Problemaufriss . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

75

II. Die Legitimation der Strafgerichtsbarkeit bei Verfahrenseinleitung durch die Vertragsstaaten oder den Ankläger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

76

1. Strafgerichtsbarkeit aufgrund des Konsensprinzips . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

76

2. Übertragbarkeit auf den IStGH . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

77

a) Rechtsgrundlage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

78

b) Staatliche Handlungsfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

79

c) Erforderlichkeit einer Erlaubnisnorm . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

80

d) Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

81

e) Völkerrechtliche Zulässigkeit der Übertragung von Hoheitsrechten . . . . . .

82

aa) Der IStGH als internationale Organisation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

82

bb) Zulässigkeit der Gründung internationaler Organisationen . . . . . . . . . . .

83

3. Besonderheiten bei der Übertragung von Strafgewalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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a) Übertragbarkeit staatlicher Strafgerichtsbarkeit aufgrund des aktiven Personalitätsprinzips . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

85

b) Übertragbarkeit staatlicher Strafgerichtsbarkeit aufgrund des Territorialitätsprinzips . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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aa) Unzulässigkeit von Verträgen zu Lasten dritter Staaten, Artikel 34 WVK . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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bb) Ausnahmen von der pacta tertiis-Regel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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(1) Territorial- und Grenzverträge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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(2) Institutionelle Verträge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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(a) Originäre Völkerrechtssubjektivität internationaler Organisationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

90

(b) Derivative Völkerrechtssubjektivität internationaler Organisationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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(c) Rechtsprechung des IGH im Reparations for Injuries-Fall . . .

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(d) Übertragbarkeit auf andere internationale Organisationen . . .

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(e) Übertragbarkeit auf den IStGH . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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(3) Statusverträge oder „objective régimes“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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(a) Der Aalandinseln-Fall . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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(b) Der Wimbledon-Fall . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Inhaltsverzeichnis (c) Die Rechtsprechung des IGH zur Rechtsstellung Südwestafrikas . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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(d) Übertragbarkeit der entwickelten Grundsätze auf den IStGH

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(4) Sonstige Ordnungsverträge oder normative Verträge . . . . . . . . . . . . . 102 (a) Voraussetzungen für die Allgemeinverbindlichkeit globaler Verträge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 104 (b) Rechtsgrund für die Allgemeinverbindlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . 106 (c) Übertragbarkeit auf den IStGH . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 108 (d) Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 113 cc) Das IStGH-Statut als Vertrag zu Lasten Dritter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 114 (1) Gerichtsbarkeit über Staatsangehörige aus Nichtvertragsstaaten 114 (a) Wegfall bilateraler Verhandlungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 115 (b) Strafverfahren vor dem IStGH als Verfahren gegen den Heimatstaat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 116 (c) Autorität internationaler Strafverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 123 (d) Völkerrechtsfortbildung durch den IStGH . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 124 (e) Das Komplementaritätsprinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 124 (f) Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 125 (2) Unübertragbarkeit territorialer Jurisdiktionsgewalt . . . . . . . . . . . . . . 126 III. Die Legitimation der Strafgewalt des IStGH bei Verfahrenseinleitung durch den Sicherheitsrat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 131 1. Strafgerichtsbarkeit aufgrund des Universalitätsprinzips . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 132 2. Materielle Kompetenzen des IStGH . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 132 3. Völkerrechtmäßigkeit der universellen Gerichtsbarkeit des IStGH . . . . . . . . . . . 134 a) Verstoß gegen die Souveränität der Staaten und das Nichteinmischungsprinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 134 b) Begrenzung staatlicher Souveränität durch die Menschenrechte . . . . . . . . . . 137 c) Verpflichtung der Staaten zur Zusammenarbeit mit dem IStGH . . . . . . . . . . 140 IV. Fehlende Präzedenzfälle für eine internationale Strafgerichtsbarkeit . . . . . . . . . . . . 143 1. Die Kriegsverbrechertribunale nach dem Zweiten Weltkrieg . . . . . . . . . . . . . . . . . 143 a) Geschichte der Errichtung des Nürnberg-Tribunals . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 145 b) Das Nürnberg-Tribunal als internationales Gericht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 146 aa) Die Internationalität des Nürnberg-Tribunals . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 147 bb) Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 149 c) Die Rechtsgrundlage des Nürnberg-Tribunals . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 152 aa) Ausübung von eigener Hoheitsgewalt durch die Alliierten . . . . . . . . . . . 153

Inhaltsverzeichnis

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bb) Deutschland als Vertragspartei des Londoner Abkommens . . . . . . . . . . 155 cc) Ermächtigung der Alliierten durch die Weltgemeinschaft . . . . . . . . . . . 158 dd) Völkerrechtliches Besatzungsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 161 ee) Strafgerichtsbarkeit nach allgemeinen völkerrechtlichen Grundsätzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 164 (1) Kriegsverbrechen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 165 (2) Verbrechen gegen die Menschlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 167 (3) Verbrechen gegen den Frieden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 170 ff) Übertragbarkeit der Strafgerichtsbarkei der Alliierten auf das IMT . . 172 2. Die Internationalen Gerichtshöfe für Jugoslawien und Ruanda . . . . . . . . . . . . . . 173 3. Weitere internationalisierte Gerichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 177 a) Die Spezialgerichte für den Kosovo und Osttimor . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 178 b) Der Special Court for Sierra Leone (SCSL) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 179 c) Das Sondergericht für Kambodscha . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 180 d) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 180 4. Ansätze in internationalen Konventionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 181 V. Fazit zur Völkerrechtmäßigkeit des Jurisdiktionsregimes des IStGH . . . . . . . . . . . 182 F. Vertragliche Belastung dritter Staaten durch sonstige Bestimmungen des Statuts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 184 I. Voraussetzungen für die Ausübung der Gerichtsbarkeit Artikel 12 Abs. 2, Abs. 3 IStGH-Statut . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 184 II. Das Initiativrecht des Anklägers, Artikel 15 IStGH-Statut . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 185 III. Das Komplementaritätsprinzip, Artikel 17 IStGH-Statut . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 186 1. Der IStGH als völkerrechtswidrige Superrevisionsinstanz . . . . . . . . . . . . . . . . . . 188 2. Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 188 IV. Vorläufige Zulässigkeitsentscheidungen, Artikel 18 IStGH-Statut . . . . . . . . . . . . . 191 V. Die Prüfungskompetenz des Gerichtshofs, Artikel 19 Abs. 1 IStGH-Statut . . . . . 194 VI. Die Anfechtung von Entscheidungen, Artikel 19 Abs. 2 IStGH-Statut . . . . . . . . . 196 VII. Die Verletzung völkerrechtlicher Immunität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 198 1. Staatenimmunität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 199 2. Immunität von Amtsträgern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 200

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Inhaltsverzeichnis 3. Immunität vor internationalen Gerichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 202 4. Immunität und Überstellung an den IStGH, Artikel 98 Abs. 1 IStGH-Statut 204 a) Immunität contra individuelle strafrechtliche Verantwortlichkeit . . . . . . . 206 aa) Keine Immunität bei Begehung von Völkerrechtsverbrechen . . . . . . . 206 (1) Die Pinochet-Entscheidungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 207 (2) Weitere nationale Strafverfahren gegen ehemalige Amtsträger 209 bb) Immunität amtierender Amtsträger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 209 (1) Neuere Auffassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 209 (2) Herrschende Ansicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 210 b) Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 212 VIII. Ersuchen zur Zusammenarbeit, Artikel 54 Abs. 3 IStGH-Statut . . . . . . . . . . . . . . . 216 IX. Informationen betreffend die nationale Sicherheit, Artikel 72 IStGH-Statut . . . 216 X. Informationen oder Unterlagen von Dritten, Artikel 73 IStGH-Statut . . . . . . . . . 217 XI. Internationale Zusammenarbeit und Rechtshilfe, Artikel 86 ff. IStGH-Statut . . 218 1. Ersuchen um Zusammenarbeit, Artikel 87 IStGH-Statut . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 218 2. Formen der Zusammenarbeit mit dem IStGH, Artikel 89 ff. IStGH-Statut 220 a) Überstellung von Personen an den Gerichtshof, Artikel 89 IStGH-Statut 220 b) Andere Formen der Zusammenarbeit, Artikel 93 IStGH-Statut . . . . . . . . . 223 3. Internationale Zusammenarbeit bei Überweisung durch den Sicherheitsrat 224 XII. Verletzung des diplomatischen und konsularischen Schutzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . 225 1. Grundsätze des diplomatischen und konsularischen Schutzes . . . . . . . . . . . . . . 225 2. Diplomatischer Schutz vor internationalen Gerichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 226 3. Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 227 XIII. Unbestimmtheit der Straftatbestände . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 228 XIV. Verletzung von Angeklagtenrechten durch das Statut . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 229 XV. Rechtswidriger Eingriff in die Prärogative des Sicherheitsrates . . . . . . . . . . . . . . . 231 1. Das Verhältnis zwischen IStGH und Sicherheitsrat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 231 a) Das Initiativrecht des Sicherheitsrates, Artikel 13 lit. b IStGH-Statut . . . 232 b) Aufschub der Ermittlungen durch den Sicherheitsrat, Artikel 16 IStGHStatut . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 232 aa) Entstehungsgeschichte der Vorschrift . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 232

Inhaltsverzeichnis

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bb) Kritik an der Vorschrift . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 234 cc) Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 235 c) Das Verbrechen der Aggression . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 238 XVI. Artikel 121 Abs. 5 IStGH-Statut . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 241 XVII. Artikel 124 IStGH-Statut . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 242 XVIII. Exkurs: Verstoß des Statuts gegen nationales Verfassungsrecht . . . . . . . . . . . . . . 243 G. Prüfungskompetenz des IStGH . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 246 H. Aktuelle politische Entwicklungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 251 I. Die amerikanische Politik der konstruktiven Zusammenarbeit . . . . . . . . . . . . . . . 251 1. Versuch der Einschränkung der Zulässigkeit von Strafverfahren . . . . . . . . . . 252 2. Versuch der Ausweitung von Immunitätsregelungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 253 II. Die Nichtbeitrittserklärung der USA . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 256 III. Die UN-Sicherheitsratsresolutionen 1422 und 1487 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 256 IV. Der Abschluss von Nichtauslieferungsabkommen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 260 1. Inhalt der Nichtauslieferungsabkommen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 260 2. Artikel 98 Abs. 2 IStGH-Statut als Rechtsgrundlage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 262 a) Zeitlicher Anwendungsbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 262 b) Inhaltlicher Anwendungsbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 264 3. Völkerrechtmäßigkeit des Handelns der Nichtvertragsstaaten . . . . . . . . . . . . 270 V. Der American Service Members Protection Act . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 272 VI. Die Nichtverlängerung der Sicherheitsratsresolution 1487 . . . . . . . . . . . . . . . . . . 275 I. Schlussbetrachtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 278 I. Die Anerkennung der Gerichtsbarkeit durch die Elfenbeinküste gemäß Artikel 12 Abs. 3 des IStGH-Statuts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 278 II. Die Krise in Darfur und die Sicherheitsratsresolution 1593 . . . . . . . . . . . . . . . . . . 279 III. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 281 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 284 Stichwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 297

Abkürzungsverzeichnis A.A. / a.A. ABl. Abs. Abschn. AJIL ASPA Aufl. Bd. BGBl. I BGBl. II BVerfGE BYIL ca. ders. / dies. Doc. ECOMOG EG EGV EJIL EPIL et al. etc. EU EuGRZ EWR-Abkommen FAZ ff. Fn. FS GA GYIL HLKO h. M. HRLJ Hrsg.

Anderer Ansicht Amtsblatt Absatz Abschnitt American Journal of International Law American Service Members’ Protection Act Auflage Band Bundesgesetzblatt Teil I Bundesgesetzblatt Teil II Entscheidungssammlung des Bundesverfassungsgerichts British Yearbook of International Law circa derselbe / dieselbe Document Economic Community of Western African States Military Observer Group Europäische Gemeinschaft(en) Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft European Journal of International Law Encyclopedia of Public International Law et alii et cetera Europäische Union Europäische Grundrechtezeitschrift Abkommen über den Europäischen Wirtschaftsraum Frankfurter Allgemeine Zeitung fortfolgende Fußnote Festschrift General Assembley German Yearbook of International Law Haager Landkriegsordnung herrschende Meinung Human Rights Law Journal Herausgeber

Abkürzungsverzeichnis ICC ICJ ICJ-Rep. ICTY IGH IKRK ILC ILM ILR IMT IPbpR IStGH i.V. m. KartellVO Lit. / lit. m. w. N. NATO NGO Nr. / No. para. / -s PCIJ PCIJ Ser. A. PCIJ Ser. B RdC Res. Rn. Rs. S. SCSL Sess. Slg. s. o. SOFA SR SZ u. a. UdSSR UN UNAMSIL UNMIK

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International Criminal Court International Court of Justice International Court of Justice-Reports of Judgments, Advisory Opinions and Orders International Criminal Tribunal for the Former Yugoslavia Internationaler Gerichtshof Internationales Komitee des Roten Kreuzes International Law Commission International Legal Materials International Law Reports International Military Tribunal Internationaler Pakt über bürgerliche und politische Rechte Internationaler Strafgerichtshof in Verbindung mit Kartellverordnung Buchstabe mit weiteren Nachweisen North Atlantic Treaty Organisation Non Governmental Organization Nummer Paragraph / -en Permanent Court of International Justice Publications of the Permanent Court of International Justice: Collections of Judgments Publications of the Permanent Court of International Justice: Collections of Advisory Opinions Recueil des Cours Resolution Randnummer Rechtssache Seite Special Court for Sierra Leone Session Sammlung siehe oben Status of Forces Agreement Sicherheitsrat Süddeutsche Zeitung und andere Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken United Nations United Nations Peace Keeping Mission to Sierra Leone United Nations Interim Administration in Kosovo

16 UNO UNTAET U.N.T.S. US USA v. / vs. vgl. VN Vol. Vorbem. WÜD WÜK WVK YBILC ZaöRV Ziff. ZP I ZP II ZStW

Abkürzungsverzeichnis United Nations Organisation United Nations Transitional Administration in East Timor United Nations Treaty Services United States United States of America versus vergleiche Vereinte Nationen Volume Vorbemerkung Wiener Übereinkommen über diplomatische Beziehungen Wiener Übereinkommen über konsularische Beziehungen Wiener Übereinkommen über das Recht der Verträge Yearbook of the International Law Commission Zeitschrift für ausländisches und öffentliches Recht Ziffer Zusatzprotokoll I zu den Genfer Abkommen vom 12. August 1949 über den Schutz der Opfer internationaler bewaffneter Konflikte Zusatzprotokoll II zu den Genfer Abkommen vom 12. August 1949 über den Schutz der Opfer internationaler bewaffneter Konflikte Zeitschrift für die gesamte Strafrechtswissenschaft

A. Einleitung Am 17. Juli 1998 wurde das Römische Statut zur Errichtung eines Internationalen Strafgerichtshofs verabschiedet.1 Das Statut trat mit der nach Artikel 126 erforderlichen 60. Ratifikation am 1. Juli 2002 in Kraft und der Internationale Strafgerichtshof (IStGH) hat mittlerweile seine Arbeit aufgenommen. Die Idee der Errichtung eines internationalen Strafgerichts ist in der Geschichte des Völkerstrafrechts keineswegs neu, sie existiert vielmehr schon lange.2 Erste Entwicklungen in diese Richtung sind bereits aus dem 15. Jahrhundert bekannt. So wurde etwa im Jahr 1474 in Breisach ein Strafverfahren gegen den burgundischen Landvogt Peter Hagenbach eingeleitet, der über das von ihm beherrschte Gebiet am Oberrhein eine Terrorherrschaft errichtet hatte. Da das Tribunal mit Richtern aus Österreich, Frankreich sowie aus verschiedenen oberrheinischen Städten besetzt war und sich auf die Anwendung von Völkerrecht (Laws of humanity) berief, wird es teilweise als Vorläufer einer internationalen Strafgerichtsbarkeit angesehen.3 Nach Ende des Ersten Weltkriegs versuchten die siegreichen Alliierten schließlich, den Deutschen Kaiser Wilhelm II. wegen schwerster Verletzungen des Sittengesetzes und der Heiligkeit der Verträge vor einem internationalen Gericht anzuklagen. Nach Artikel 227 Abs. 2 des Versailler Vertrages4 sollte zu diesem Zweck ein besonderer Gerichtshof mit Richtern aus den Vereinigten Staaten, Großbritannien, Frankreich, Italien und Japan eingerichtet werden. Der Deutsche Kaiser befand sich jedoch im niederländischen Exil und das geplante Verfahren scheiterte letztlich an der Weigerung der Niederlande, den Monarchen auszuliefern. Schließlich kam es nach dem Zweiten Weltkrieg zur Errichtung der Internationalen Militärgerichtshöfe von Nürnberg und Tokio, um deutsche und japanische Kriegsverbrecher zu bestrafen. Auch diese Tribunale waren mit internationalen Richtern besetzt und für die Aburteilung von Kriegsverbrechen, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Verbrechen gegen den Frieden zuständig. Die Militärgerichtshöfe von Nürnberg und Tokio haben die Entwicklung des Völkerstrafrechts entscheidend vorangebracht. Insbesondere in den ersten NachDas Statut ist abgedruckt in Sartorius II, Nr. 35. Woetzel, The Nuremberg Trials in International Law, S. 17 ff., der einzelne Präzedenzfälle von der Antike bis ins 19. Jahrhundert darstellt. 3 Paust et al., International Criminal Law, S. 708; Woetzel, The Nuremberg Trials in International Law, S. 20, der allerdings betont, dass insoweit nicht von einem echten Präzedenzfall gesprochen werden könne. 4 Abrufbar unter http: // www.dhm.de / lemo / html / dokumente / versailles / . 1 2

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A. Einleitung

kriegsjahren wurden zahlreiche Initiativen ergriffen, um die Errungenschaften der Kriegsverbrechertribunale zu bewahren und fortzuführen. So verabschiedete die Generalversammlung der Vereinten Nationen bereits in ihrer ersten Sitzung am 11. 12. 1946 die so genannten Nürnberger Prinzipien. Am 21. 11. 1947 wurde die International Law Commission (ILC) von der Generalversammlung damit beauftragt, diese Prinzipien zu formulieren. Im weiteren Verlauf wurden mehrfach Versuche unternommen, ein völkerrechtliches Strafgesetzbuch zu kodifizieren und einen internationalen Strafgerichtshof zu errichten. Die durch den Kalten Krieg ausgelösten politischen Spannungen führten jedoch immer wieder zum Scheitern dieser Bemühungen Die Arbeit der ILC an einem Völkerstrafgesetzbuch wurde schließlich 1954 wegen erheblicher Meinungsverschiedenheiten für mehrere Jahrzehnte ausgesetzt und die Errichtung eines internationalen Strafgerichts konnte nicht verwirklicht werden.5 Erst der Zusammenbruch der Sowjetunion und das damit verbundene Ende des Kalten Krieges führten zu einer neuen Qualität der internationalen Beziehungen. Die jahrzehntelange Lähmung des Sicherheitsrates aufgrund der gegenseitigen Blockadehaltung der vetoberechtigten Großmächte USA und Russland fand ein Ende. Dies wirkte sich auch entscheidend auf die Fortentwicklung des Völkerstrafrechts aus. So legte die Internationale Völkerrechtskommission schließlich 1991 einen ausgearbeiteten Entwurf für ein Völkerstrafgesetzbuch, den Draft Code for Crimes against Peace and Security of Mankind, vor. 1993 errichtete der Sicherheitsrat durch seine Resolution 827 den Internationalen Strafgerichtshof für das ehemalige Jugoslawien.6 Der Gerichtshof ist zuständig für die strafrechtliche Verfolgung bestimmter Völkerrechtsverbrechen, die während des Bürgerkriegs im ehemaligen Jugoslawien begangenen wurden. Zu nennen sind schwere Verletzungen der Genfer Abkommen, Verstöße gegen die Gesetze und Gebräuche des Krieges, Völkermord und Verbrechen gegen die Menschlichkeit.7 Im Jahr 1994 wurde durch eine weitere Resolution des Sicherheitsrates der Internationale Gerichtshof für Ruanda geschaffen, um die während des Bürgerkriegs in Ruanda begangenen Gräueltaten zu ahnden. Seine Gerichtsbarkeit entspricht im Wesentlichen der des Internationalen Strafgerichtshofs für das ehemalige Jugoslawien.8 Die Errichtung der beiden ad hoc Tribunale gab der Diskussion über die Gründung eines ständigen Internationalen Strafgerichtshofs neuen Auftrieb. Die Völkerrechtskommission befasste sich auf Bitten der UN-Generalversammlung bereits ab 1989 erneut mit der Möglichkeit der Errichtung eines ständigen Strafgerichts.9 Im Jahr 1992 wurde der Kommission sodann der Auftrag erteilt, ein Statut für einen solchen Gerichtshof zu erarbeiten.10 Diese verfasste einen entsprechenden Statuts5 6 7 8 9

Schroeder, in: Graf Vitzthum (Hrsg.) Völkerrecht, 6. Abschn., Rn. 42. SR-Res. 827 vom 25. 5. 1993, UN Doc. S / Res / 827 (1993). Vgl. Artikel 2 – 5 des ICTY-Statuts. SR-Res. 955 vom 8. 11. 1994, UN Doc. S / Res / 955 (1994). GA-Res. 44 / 39 vom 4. 12. 1989.

A. Einleitung

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entwurf, der 1995 in einem von der UN-Vollversammlung hierfür eingesetzten ad hoc Komitee überarbeitet wurde.11 Dessen Arbeiten wurden schließlich von dem daraufhin eingerichteten Preparatory Committee fortgeführt, das als weiterer Vorbereitungsausschuss zwischen 1996 und 1998 mehrfach tagte.12 Nach diesen jahrelangen intensiven Vorarbeiten beschloss die UN-Vollversammlung schließlich im Jahr 1998, eine internationale Konferenz zur Errichtung eines Internationalen Strafgerichtshofs abzuhalten.13 Die United Nations Diplomatic Conference of Plenipotentiaries on the Establishment of an International Criminal Court tagte vom 15. Juni bis 17. Juli in Rom. An ihr nahmen Delegierte aus über 160 Staaten, 124 Nichtregierungsorganisationen sowie zahlreiche zwischenstaatliche Organisationen teil. Nach wochenlangen intensiven Verhandlungen kam es am 17. Juli 1998 in letzter Minute zur Verabschiedung des Römischen Statuts für einen Internationalen Strafgerichtshof (IStGH). Das Statut wurde in geheimer Abstimmung mit 120 Stimmen bei 7 Gegenstimmen und 21 Enthaltungen angenommen. Nach eigenen Angaben stimmten China, der Irak, Israel, Jemen, Libyen, Katar sowie die Vereinigten Staaten von Amerika gegen das Statut. Mittlerweile sind 100 Staaten dem IStGH beigetreten und haben das Statut ratifiziert.14 Wohl kein völkerrechtlicher Vertrag hat in derart kurzer Zeit so große Zustimmung erfahren, so dass man durchaus von einer Erfolgsgeschichte sprechen kann. Andererseits darf nicht übersehen werden, dass einige sehr einflussreiche Staaten dem Strafgerichtshof bisher nicht beigetreten sind. Insbesondere der Nichtbeitritt der USA, die die Errichtung eines internationalen Strafgerichts ursprünglich unterstützt hatten, stellt eine ganz erhebliche Schwächung des IStGH dar. Daneben haben aber auch weitere Großmächte wie Russland, Indien und China das Rom-Statut bisher nicht ratifiziert. Es bleibt daher abzuwarten, wie effektiv und glaubwürdig eine internationale Strafgerichtsbarkeit trotz der Ablehnung und teilweise sogar aktiven Bekämpfung durch diese Nichtvertragsstaaten tatsächlich sein kann. Die Gegner des Strafgerichtshofs, allen voran die USA, haben gegen das Rom-Statut zahlreiche rechtliche wie politische Bedenken geltend gemacht. So wird immer wieder vorgebracht, das Statut verletze die Souveränität der Staaten und stelle einen unzulässigen Vertrag zu Lasten Dritter dar. Zahlreiche Bestimmungen des Vertrages werden als völkerrechtswidrig kritisiert. Es stellt sich daher die Frage, ob das Rom-Statut mit geltendem Völkerrecht in Einklang steht und inwieweit die vorgetragene Kritik die Legitimation des IStGH tatsächlich in Frage stellt. 10 GA-Res. 45 / 54 vom 9. 12. 1991, UN-Res. 47 / 33 vom 25. 11. 1992, UN-Res. 48 / 31 vom 9. 12. 1993. 11 GA-Res. 49 / 53 vom 9. 12. 1994; UN-Doc. A / CONF.183 / 2 / Add.1. 12 GA-Res. 50 / 46 vom 11. 12. 1995; Das Preparatory Committee tagte vom 25. 3. – 12. 4. 1996, vom 12. – 30. 8. 1996, vom 11. – 21. 2., vom 4. – 15. 8., vom 1. – 12. 12. 1997 sowie vom 16. 3. – 3. 4. 1998. 13 GA-Res. 52 / 160. 14 Stand 1. 7. 2006.

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A. Einleitung

Die vorliegende Arbeit setzt sich mit der Beziehung zwischen dem IStGH und den Nichtvertragsstaaten auseinander und untersucht die von den Gegnern des Gerichtshofs vorgebrachten rechtlichen wie politischen Argumente auf ihre Stichhaltigkeit hin. Nur soweit das Rom-Statut der geäußerten Kritik rechtlich standhält, hat der IStGH eine hinreichende Legitimationsbasis für sein weiteres Handeln. Voraussetzung für ein ordnungsgemäßes Tätigwerden des Strafgerichtshofs ist zum einen die Völkerrechtmäßigkeit der ihm eingeräumten Gerichtsbarkeit. Ihr kommt daher eine Schlüsselrolle für die effektive Aufgabenerfüllung des Gerichtshofs zu.15 Gerade die dem IStGH eingeräumte Gerichtsbarkeit steht jedoch im Mittelpunkt der Kritik. Das vielbekämpfte Jurisdiktionsregime des Rom-Statuts soll daher zunächst im Überblick dargestellt werden. Sodann erfolgen eine Auseinandersetzung mit der materiellen Strafbarkeit der vom IStGH zu ahndenden Verbrechen sowie eine dogmatische Herleitung der ihm verliehenen Strafgerichtsbarkeit. Nur wenn den Vertragsstaaten selbst die im Statut für den IStGH vorgesehene Strafgewalt zusteht und diese auch auf ein internationales Gericht übertragbar ist, können dem IStGH entsprechende Befugnisse vertraglich eingeräumt werden. Im Mittelpunkt der Diskussion steht damit zunächst die Frage, ob die dem IStGH von den Vertragsstaaten verliehene Strafgerichtsbarkeit Nichtvertragsstaaten tatsächlich in ihren Rechten verletzt. Im Anschluss hieran sollen weitere Argumente der Gerichtshofgegner näher untersucht werden. So werden neben der Gerichtsbarkeit des IStGH auch andere Bestimmungen des Rom-Statuts als völkerrechtswidrig bekämpft. Insbesondere das Recht des Anklägers zur Verfahrenseinleitung und die Tatsache, dass der Gerichtshof im Rahmen der Zulässigkeitsprüfung selbst abschließend beurteien kann, ob ein nationales Strafverfahren ordnungsgemäß durchgeführt wurde, stehen im Mittelpunkt der Kritik. Daneben wird beispielsweise auch immer wieder vorgebracht, das Rom-Statut verstoße gegen völkerrechtliche Grundsätze der Staatenimmunität und des diplomatischen Schutzes und verletze unveräußerliche Rechte des Angeklagten. Gerade die USA und China sind als ständige Mitglieder des UNSicherheitsrates weiterhin der Auffassung, die Errichtung des IStGH beschneide in unzulässiger Weise die Befugnisse des Sicherheitsrates.16 Auch hier soll im Hinblick auf die angegriffenen Statutsbestimmungen geprüft werden, ob und inwieweit das Rom-Statut tatsächlich gegen geltendes Völkerrecht verstößt. Der letzte Teil der vorliegenden Arbeit beschäftigt sich mit neueren politischen Entwicklungen im Verhältnis zwischen Strafgerichtshof und Nichtvertragsstaaten seit Inkrafttreten des Rom-Statuts. Im Mittelpunkt steht insoweit die schwierige 15 16

Kaul / Kreß, Jurisdiction and Cooperation in the Statute of the ICC, S. 144. Jianping / Zhixiang, China’s Attitude Towards the ICC, S. 608.

A. Einleitung

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Beziehung zwischen dem IStGH und den Vereinigten Staaten. Es werden die verschiedenen von den USA ergriffenen Maßnahmen zur Bekämpfung des Gerichtshofs dargestellt und auf ihre Völkerrechtmäßigkeit hin untersucht.

B. Die Gerichtsbarkeit des IStGH Voraussetzung für die Durchführung eines Strafverfahrens vor dem IStGH ist zunächst die Bejahung seiner Gerichtsbarkeit. Diese ist in Teil 2 des Rom-Statuts näher geregelt. Die Artikel 5 – 21 behandeln die Gerichtsbarkeit des Strafgerichtshofs, die Zulässigkeit von Verfahren sowie das für den IStGH anwendbare Recht. Die Ausarbeitung des Jurisdiktionsregimes des Gerichtshofs entwickelte sich auf der Konferenz von Rom zu einer der schwierigsten und umstrittensten Aufgaben für die Delegierten. Die Frage, unter welchen Voraussetzungen die formelle Zuständigkeit des IStGH begründet wird und wer ein internationales Strafverfahren vor dem Gerichtshof einleiten kann, wurde zum Kernproblem des Statuts und führte bei dessen Verabschiedung zur Zerreißprobe.1 Insbesondere die Ablehnung der USA beruht hauptsächlich auf dem nunmehr im Rom-Statut vorgesehenen Jurisdiktionsregime.

I. Der Begriff der Gerichtsbarkeit im Rom-Statut Das Rom-Statut behandelt die Frage, wann und unter welchen Bedingungen ein Tätigwerden des Gerichtshofs in Betracht kommt, einheitlich unter dem Begriff der „jurisdiction“. Auch die deutsche Fassung spricht insoweit durchgehend von „Gerichtsbarkeit“. In Artikel 12 sind nunmehr die „Voraussetzungen für die Ausübung der Gerichtsbarkeit“ des IStGH geregelt. Artikel 13 bestimmt unter der Überschrift „Ausübung der Gerichtsbarkeit“, wer ein Strafverfahren vor dem IStGH initiieren kann. Es soll daher zunächst kurz auf den Begriff der „Gerichtsbarkeit“ oder „jurisdiction“ im Kontext des Rom-Statuts eingegangen werden. Die Bedeutung von „Gerichtsbarkeit“ im deutschen und „jurisdiction“ im englischsprachigen Rechtskreis ist nicht identisch. Nach deutschem Rechtsverständnis umfasst der Begriff der Gerichtsbarkeit oder Jurisdiktion zunächst generell die aus der staatlichen Souveränität fließende Entscheidungsgewalt eines jeden Staates, die dieser seinen Gerichten, aber auch seinen Behörden verleiht.2 Gerichtsbarkeit im Sinne von allgemeiner Entscheidungsgewalt beinhaltet damit zum einen die gerichtliche Jurisdiktion, das heißt die völkerrechtliche Befugnis eines Staates, durch 1 La Haye, The Jurisdiction of the ICC, S. 3; Stahn, Zwischen Weltfrieden und materieller Gerechtigkeit, S. 577, der insoweit vom „Herzstück des Statuts“ spricht. 2 von Stoephasius, Anwendung des europäischen Kartellrechts auf Unternehmen mit Sitz in Drittstaaten, S. 67 – 68.

I. Der Begriff der Gerichtsbarkeit im Rom-Statut

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seine Gerichte Recht zu sprechen. Daneben wird aber auch die behördliche Jurisdiktion erfasst, das heißt die Befugnis des Staates zur Ausübung hoheitlicher Entscheidungsgewalt durch seine Behörden.3 Im Gegensatz zur Gerichtsbarkeit als der allgemeinen Entscheidungsgewalt des Staates bezeichnet der Begriff der Zuständigkeit demgegenüber nach deutschem Rechtsverständnis die tatsächliche Berufung eines Gerichts oder einer sonstigen Behörde zur Entscheidung über eine bestimmte Art von Fällen.4 Die konkrete Zuständigkeit eines bestimmten staatlichen Gerichts oder einer Behörde setzt also bereits zwingend die allgemeine Jurisdiktion des jeweiligen Staates voraus. Von diesen prozessualen Fragen der staatlichen Gerichtsbarkeit sowie der gerichtsverfassungsrechtlichen Zuständigkeit eines bestimmten Gerichts zur Entscheidung sind dann nach deutscher Rechtsvorstellung weiterhin materiellrechtliche Aspekte abzugrenzen. Für den Bereich des Strafrechts ergibt sich insoweit die Frage der Strafbarkeit einer Tat, die sich nach dem hierfür maßgeblichen materiellen Strafrecht bestimmt.5 Demgegenüber differenziert der englische Terminus „jurisdiction“ nicht zwischen verfahrensrechtlichen Fragen staatlicher Gerichtsbarkeit und gerichtsverfassungsrechtlicher Zuständigkeit einerseits sowie materiellrechtlicher Strafbarkeit einer Tat andererseits.6 Der Begriff der „jurisdiction“ umfasst vielmehr beides, ihm liegt mithin ein wesentlich weiteres Begriffsverständnis zugrunde. In der deutschen Fassung des Rom-Statuts wird der englische Ausdruck „jurisdiction“ allerdings entgegen der sonst gebräuchlichen Terminologie des deutschen Rechts pauschal mit Gerichtsbarkeit übersetzt. Die Artikel 5 ff. des Rom-Statuts verdeutlichen, dass sich die im deutschen Recht übliche Trennung zwischen verfahrensrechtlichen und materiellrechtlichen Normen im Rom-Statut nicht wiederfindet. So zählt Artikel 5 des Statuts zunächst die Verbrechen auf, die der Gerichtsbarkeit des IStGH unterliegen. Dem Wortlaut nach handelt es sich hierbei also nach deutschem Rechtsverständnis um eine Zuständigkeitsnorm. Dennoch werden die Artikel 5 bis 8 des Statuts zu Recht als Tatbestände bezeichnet. Denn sie definieren zugleich die Verbrechen Völkermord, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen. Die Zuständigkeit des IStGH zur Aburteilung dieser Ver3 von Stoephasius, Anwendung des europäischen Kartellrechts auf Unternehmen mit Sitz in Drittstaaten, S. 68. 4 von Stoephasius, Anwendung des europäischen Kartellrechts auf Unternehmen mit Sitz in Drittstaaten, S. 68. 5 König, Die völkerrechtliche Legitimation der Strafgewalt internationaler Strafjustiz, S. 27; Eser, Harmonisierte Universalität nationaler Strafgewalt, S. 227. 6 Eser, Harmonisierte Universalität nationaler Strafgewalt, S. 227; von Stoephasius, Anwendung des europäischen Kartellrechts auf Unternehmen mit Sitz in Drittstaaten, S. 67, 75 ff., der ausführt, dass im anglo-amerikanischen Recht der Begriff der „personal jurisdiction“ die verfahrensrechtliche internationalen Zuständigkeit umfasst, während die „subject matter jurisdiction“ letztlich auf die Anwendbarkeit materiellen Rechts abzielt.

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B. Die Gerichtsbarkeit des IStGH

brechen setzt die materielle Strafbarkeit der dort aufgezählten Handlungen voraus. Die Verbrechenstatbestände des Statuts sind damit zwar auf den ersten Blick Zuständigkeitsnormen, gleichwohl sind sie als Normen des materiellen Strafrechts zu qualifizieren.7 Die Artikel 12 und 13 sprechen erneut von Gerichtsbarkeit des IStGH, regeln nach deutschem Rechtsverständnis aber die Voraussetzungen, unter denen der IStGH zuständig ist und bestimmen, wem ein Initiativrecht zur Einleitung eines Strafverfahrens zukommt. Soweit in der deutschen Fassung des Statuts pauschal von Gerichtsbarkeit die Rede ist, sollte man sich zum besseren Verständnis verdeutlichen, dass hierunter im Kontext des Rom-Statuts sowohl die materiellen Straftatbestände, für deren Aburteilung der Gerichtshof zuständig ist, als auch Fragen der gerichtsverfassungsrechtlichen Zuständigkeit und der Verfahrenseinleitung gefasst werden.

II. Die Zuständigkeit des IStGH ratione materiae 1. Artikel 5 Abs. 1 IStGH-Statut Artikel 5 Abs. 1 des Rom-Statuts legt zunächst die der Gerichtsbarkeit des IStGH unterliegenden Verbrechen fest. Genannt werden Völkermord, Verbrechen gegen die Menschlichkeit, Kriegsverbrechen sowie das Verbrechen der Aggression. Eine Zuständigkeit des IStGH für das Verbrechen der Aggression kommt allerdings noch nicht in Betracht, da man sich nicht auf eine gemeinsame Aggressionsdefinition einigen konnte. Der Gerichtshof kann daher derzeit nur Völkermord, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen aburteilen. Diese Straftatbestände werden sodann in den Artikeln 6 bis 8 definiert. Zwar war man sich während der Arbeiten der UN-Völkerrechtskommission und des UN-Vorbereitungsausschusses grundsätzlich einig, dass jedenfalls Völkermord, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen in den Zuständigkeitsbereich des Strafgerichtshofs fallen sollten. Diese drei Verbrechen wurden von Anfang an als Kernverbrechen oder „core crimes“ bezeichnet. Dennoch kam es sodann bei Verabschiedung des Verbrechenskatalogs des Artikels 5 zu ersten Unstimmigkeiten. So umfasst die in Artikel 8 des Statuts enthaltene Definition der Kriegsverbrechen auch bewaffnete Konflikte, die keinen internationalen Charakter haben. Damit fallen auch Bürgerkriege und innerstaatliche kriegerische Auseinandersetzungen grundsätzlich in den Schutzbereich des Rom-Statuts. Eine Gerichtsbarkeit des IStGH kommt daher auch in Betracht, wenn die in Artikel 8 genannten Ver7 Tomuschat, Das Statut von Rom für den IStGH, S. 337; Werle, Völkerstrafrecht, Rn. 121. Richtig ist insoweit, dass durch das Rom-Statut nicht etwa neues materielles Recht geschaffen wurde. Das Statut stellt vielmehr eine Kodifizierung des bereits geltenden Rechts dar, es kommt lediglich zur Begründung einer neuen gerichtlichen Zuständigkeit.

II. Die Zuständigkeit des IStGH ratione materiae

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brechen im Rahmen gewaltsamer nationaler Konflikte begangen werden. Die Einbeziehung auch nationaler Kriegsschauplätze war einigen Staaten durchaus ein Dorn im Auge. Damit wäre es denkbar, dass beispielsweise Verbrechen im Zusammenhang mit den kriegerischen Auseinandersetzungen Russlands in Tschetschenien oder Indiens in Kaschmir zum Gegenstand eines internationalen Strafverfahrens gemacht werden. Das interne staatliche Vorgehen im Rahmen derartiger Bürgerkriege könnte so vermehrt zum Gegenstand internationaler Aufmerksamkeit und Kritik werden. Gerade Staaten wie Russland, Indien oder China waren daher mit einer Einbeziehung innerstaatlicher Konflikte in die Definition der Kriegsverbrechen keinesfalls einverstanden.8 Ähnliches galt für die in Artikel 7 definierten Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Gerade die Staaten, denen immer wieder schwerste Menschenrechtsverletzungen vorgeworfen werden, wehrten sich naturgemäß gegen eine Aufnahme dieses Tatbestandes in den Verbrechenskatalog des Statuts. So war für China die Aufnahme von Verbrechen gegen die Menschlichkeit ein Grund, gegen die Verabschiedung des Statuts zu votieren.9 Man befürchtete insoweit ganz offensichtlich, die eigene Menschenrechtspolitik könnte künftig verstärkt internationalem Druck ausgesetzt sein und forderte als Voraussetzung für die Gerichtsbarkeit des IStGH über Verbrechen gegen die Menschlichkeit das Vorliegen eines bewaffneten Konflikts. Der verabschiedete Artikel 8 führe demgegenüber zu einer unzulässigen Einmischung in innere Angelegenheiten.10 Auch für den Iran stellte die Einbeziehung von Verbrechen gegen die Menschlichkeit einen Grund für den Nichtbeitritt zum Statut dar.11 Das im Iran geltende Recht der Sharia sieht insbesondere grausame Strafen wie Stockschläge, Steinigungen oder das Abtrennen von Gliedmaßen vor. Daneben gehen Experten davon aus, dass zahlreiche der in Artikel 7 genannten Verbrechen wie Freiheitsentzug oder sonstige schwerwiegende Beraubung der körperlichen Freiheit unter Verstoß gegen die Grundregeln des Völkerrechts ebenso wie Folter, die Verfolgung von Minderheiten oder das zwangsweise Verschwindenlassen von Personen, aber auch die im Rom-Statut genannten geschlechtsspezifischen Verbrechen gegen die Menschlichkeit im Iran an der Tagesordnung sind und ungestraft bleiben.12 Auch wenn Artikel 7 insoweit einen ausgedehnten und systematischen Angriff auf die Zivilbevölkerung und Kenntnis diesbezüglich fordert, erscheint ein internationales Strafverfahren gegen die Verantwortlichen für solche Verbrechen jedenfalls denkbar. 8 Jianping / Zhixiang, China’s Attitude Towards the ICC, S. 611; Ramanathan, India and the ICC, S. 631. 9 Jianping / Zhixiang, China’s Attitude Towards the ICC, S. 615 ff. 10 Jianping / Zhixiang, China’s Attitude Towards the ICC, S. 615 ff. 11 Abtahi, The Islamic Republic of Iran and the ICC, S. 644. 12 Abtahi, The Islamic Republic of Iran and the ICC, S. 645.

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B. Die Gerichtsbarkeit des IStGH

Abgesehen vom Widerstand einzelner Staaten akzeptierte die ganz überwältigende Mehrheit der Staaten jedoch eine Gerichtsbarkeit des IStGH über Völkermord, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen.

2. Das Verbrechen der Aggression Keine Einigung konnte der UN-Vorbereitungsausschuss indessen für das Verbrechen der Aggression erzielen. Dieser Tatbestand war zwar bereits im Artikel 20 lit. b des Statutsentwurfs der Völkerrechtskommission aus dem Jahr 1994 enthalten13, seine endgültige Aufnahme in das Statut erschien jedoch aufgrund zahlreicher rechtlicher und politischer Probleme von Anfang an fraglich. Man war sich einerseits grundsätzlich einig, dass Aggressions- und Angriffshandlungen in der Regel ursächlich sind für Völkermord, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen. Der Tatbestand der Aggression sollte deshalb nach Auffassung der meisten Delegierten Eingang in den Verbrechenskatalog von Artikel 5 finden. Andererseits konnte man jedoch auch auf der Rom-Konferenz keine gemeinsame Definition finden.14 Eine allgemein anerkannte Aggressionsdefinition existiert bis heute nicht. Erste Versuche in diese Richtung wurden bereits bei Erarbeitung der UN-Charta unternommen, eine Einigung konnte jedoch schon damals nicht erzielt werden.15 Weder der erste Grundsatz der „Erklärung über völkerrechtliche Grundsätze für freundschaftliche Beziehungen und Zusammenarbeit zwischen den Staaten im Sinne der Charta der Vereinten Nationen“ vom 24. Oktober 1974 noch die von der Generalversammlung erarbeitete „Aggressionsdefinition“ vom 14. Dezember 1974 enthalten eine für die Begründung individueller strafrechtlicher Verantwortlichkeit ausreichende Bestimmung des Aggressionstatbestandes. Artikel 1 der „Aggressionsdefinition“ bestimmt insoweit nur, dass Aggression die Anwendung von Waffengewalt durch einen Staat voraussetzt. Artikel 5 Satz 3 legt weiterhin fest, dass eine Aggressionshandlung zu internationaler Verantwortlichkeit führt. Jedoch stellt Artikel 4 der „Aggressionsdefinition“ ausdrücklich klar, dass es sich bei der Resolution lediglich um eine Richtlinie für den Sicherheitsrat handelt, die dieser angemessen berücksichtigen soll. Voraussetzungen für eine individuelle Strafbarkeit werden gerade nicht genannt. Nach den Bestimmungen der UN-Charta ist die UNGeneralversammlung weiterhin nur dazu ermächtigt, Empfehlungen abzugeben, diese haben indessen keine rechtlich bindende Wirkung.16 Schließlich haben nur wenige Staaten das Verbrechen der Aggression in ihren nationalen Strafgesetzen 13 Report of the Preparatory Committee on the Establishment of an International Criminal Court, Vol. II (Compilation of Proposals), UN Doc. A / 51 / 22, Suppl. 22a, S. 55. 14 Sunga, The Crimes within the Jurisdiction of the ICC, S. 381. 15 Akande, The ICJ and the Security Council: Is there Room for Judicial Control of Decisions of the Political Organs of the United Nations?, S. 339. 16 Hailbronner / Klein, in: Simma (Hrsg.), The UN Charter, Artikel 10, Rn. 44 – 45.

II. Die Zuständigkeit des IStGH ratione materiae

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definiert und unter Strafe gestellt.17 Dementsprechend fehlt es im Hinblick auf den Aggressionstatbestand an internationaler wie nationaler gerichtlicher Praxis. Abgesehen vom Urteil des Nürnberger Kriegsverbrechertribunals, dessen Statut in seinem Artikel 6 lit. a das Planen, Vorbereiten und Einleiten eines Angriffskrieges unter Strafe stellte, sind Präzedenzfälle nicht vorhanden, auch die wenigen vorhandenen nationalen Strafvorschriften kamen bisher kaum je zur Anwendung.18 Artikel 5 Abs. 2 des Rom-Statuts bestimmt daher nunmehr, dass der IStGH Gerichtsbarkeit über das Verbrechen der Aggression erst ausüben kann, nachdem eine Verbrechensdefinition verabschiedet ist und die Bedingungen für die Ausübung seiner Gerichtsbarkeit festgelegt worden sind. Insbesondere die Rolle des Sicherheitsrates gestaltete sich im Zusammenhang mit dem Verbrechen der Aggression als äußerst schwierig. Nach Artikel 24 UNCharta trägt der Sicherheitsrat die Hauptverantwortung für die Wahrung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit. Er ist gemäß Artikel 39 UN-Charta ausschließlich zuständig für die Frage, ob eine Bedrohung oder ein Bruch des Friedens oder eine Angriffshandlung vorliegt. Die Feststellung einer Aggressionshandlung obliegt damit nach der UN-Charta zunächst dem Sicherheitsrat. Gemäß Artikel 25 sind die UN-Mitgliedstaaten verpflichtet, dessen Beschlüsse auszuführen. Zwar ist der IStGH selbst weder Organ noch Mitglied der UNO und somit selbst grundsätzlich nicht ohne weiteres an die UN-Charta gebunden. Dennoch ist er von den Bestimmungen der UN-Charta keinesfalls unabhängig. So kann er bereits aus tatsächlichen Gründen nicht einfach ohne Rücksicht auf eine entsprechende Feststellung des Sicherheitsrates in eigener Zuständigkeit über das Vorliegen einer Aggressionshandlung entscheiden. Denn Artikel 103 UN-Charta bestimmt insoweit, dass bei Widersprüchen zwischen Verpflichtungen aus der UN-Charta und anderen internationalen Übereinkünften für die UN-Mitgliedstaaten die Verpflichtungen aus der Charta der Vereinten Nationen Vorrang genießen. Da grundsätzlich alle Vertragsstaaten des IStGH auch UN-Mitgliedstaaten sind, kann der IStGH bereits aus tatsächlichen Gründen nicht mit verbindlicher Wirkung gegenüber den Vertragsstaaten tätig werden, soweit der Sicherheitsrat im Rahmen von Kapitel VII der UN-Charta agiert und einen anderweitigen Beschluss erlässt. Denn die UNMitgliedstaaten sind insoweit vorrangig an die Beschlüsse des Sicherheitsrates gemäß Artikel 24, 39 ff. UN-Charta gebunden. Daneben ist fraglich, ob ein widersprüchliches Handeln für den IStGH nicht auch aus rechtlichen Gründen unzulässig wäre. Es erscheint nämlich zweifelhaft, ob die Vertragsstaaten als UN-Mitglieder eine unabhängige internationale Organisation gründen können, die ihrerseits nicht an die UN-Charta gebunden ist. Hierin könnte durchaus eine unzulässige Umgehung der Charta liegen. Es wird insoweit mit guten Gründen geltend geZimmermann, The Creation of a Permanent International Criminal Court, S. 198. Zimmermann, The Creation of a Permanent International Criminal Court, S. 198, der auch auf § 80 StGB hinweist, jedoch betont, dass deutsche Strafgerichte diese Vorschrift bisher kaum je herangezogen haben. 17 18

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B. Die Gerichtsbarkeit des IStGH

macht, dass auch die von den UN-Mitgliedstaaten gegründeten internationalen Organisationen wie der IStGH an Resolutionen des Sicherheitsrates gebunden sind, soweit diese in Übereinstimmung mit der UN-Charta verabschiedet wurden.19 Daneben ist ein widersprüchliches Handeln von IStGH und Sicherheitsrat beziehungsweise ein Strafverfahren in Fällen von Aggression vor dem IStGH ohne Ermächtigung des Sicherheitsrates auch aus poltischen Gründen abzulehnen. Insbesondere könnte ein solches Vorgehen zu einer Eskalation der jeweiligen Situation und damit zu einer verstärkten Gefährdung des internationalen Friedens und der internationalen Sicherheit führen.20 Dies entspricht keinesfalls dem Sinn und Zweck der Errichtung eines internationalen Strafgerichts. Eine sachliche Zuständigkeit des IStGH für das Verbrechen der Aggression erfordert daher neben einer dem Bestimmtheitsgrundsatz genügenden Definition auch eine detaillierte Regelung des Verhältnisses zwischen Sicherheitsrat und Strafgerichtshof. 3. Vertragsverbrechen („treaty crimes“) Das ILC Draft Statute sah in seinem Artikel 20 lit. e weiterhin eine materielle Zuständigkeit des Gerichtshofs für so genannte Vertragsverbrechen oder „treaty crimes“ vor.21 So hätte der IStGH auch für bestimmte vertraglich festgelegte Völkerrechtsverbrechen zuständig sein sollen, soweit der ihnen zugrunde liegende internationale Vertrag in den Anhang des Statuts aufgenommen wird. Nach den Vorstellungen der Völkerrechtskommission hätten insbesondere Verträge zur Bekämpfung von Terrorismus und Drogenkriminalität in diesen Annex Eingang finden sollen, unter anderem das Haager Übereinkommen zur Bekämpfung der widerrechtlichen Inbesitznahme von Luftfahrzeugen22, die Konvention von Montreal zur Bekämpfung widerrechtlicher Handlungen gegen die Sicherheit der Zivilluftfahrt23, die Apartheidkonvention24, das internationale Übereinkommen gegen Geiselnahme25, die UN-Konvention zur Verhütung von Folter und anderer grausamer, unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe26 sowie die 19 Zimmermann, „Acting under Chapter VII ( . . . )“ – Resolution 1422 and Possible Limits of the Powers of the Security Council, S. 275 – 276. 20 Zimmermann, The Creation of a Permanent International Criminal Court, S. 203. 21 Report of the International Law Commission on the Work of its Forty-sixth Session, 2 May – 22 July 1994, United Nations General Assembly Official Records, Fourty-ninth Session, Supplement No. 10, A / 49 / 10 (1994); Stahn, Zwischen Weltfrieden und materieller Gerechtigkeit, S. 579, der zu Recht darauf hinweist, dass die Bezeichnung „treaty crimes“ insoweit irreführend ist, als auch die nunmehr in Artikel 5 genannten Verbrechen größtenteils völkervertraglich festgehalten sind. 22 BGBl. 1972 II, S. 1505. 23 BGBl. 1977 II, S. 1745. 24 ILM 13 (1974), S. 51. 25 BGBl. 1980 II, S. 246. 26 BGBl. 1990 II, S. 246.

III. Die gerichtsverfassungsrechtliche Zuständigkeit des IStGH

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UN-Konvention gegen den illegalen Handel mit Drogen und psychotropen Substanzen.27 Bereits im Laufe der Verhandlungen der Vorbereitungskommission mehrte sich allerdings der Widerstand gegen eine derartig umfassende sachliche Zuständigkeit des Gerichtshofs.28 Dies wurde vor allem damit begründet, dass die völkergewohnheitsrechtliche Anerkennung dieser Vertragsverbrechen zweifelhaft sei.29 So wurde angeführt, dass bis heute keine allgemein anerkannten Definitionen für Terrorismus oder Drogenverbrechen existierten.30 Es kam daher auch in Rom nicht zu einer Aufnahme der „treaty crimes“ in den Verbrechenskatalog von Artikel 5. Es wurde allerdings vereinbart, die Problematik der Vertragsverbrechen im Rahmen einer Überprüfungskonferenz erneut zu erörtern, um ihre Aufnahme in das Statut zu einem späteren Zeitpunkt zu erreichen.

III. Die gerichtsverfassungsrechtliche Zuständigkeit des IStGH 1. Überblick über das Jurisdiktionsregime Die Vorschriften der Artikel 11 bis 16 des Statuts bestimmen die Gerichtsbarkeit des IStGH im Sinne von gerichtsverfassungsrechtlicher Zuständigkeit nach deutschem Rechtsverständnis. Sie regeln, unter welchen zeitlichen und sachlichen Voraussetzungen der Gerichtshof tätig werden kann und wer befugt ist, ein Gerichtsverfahren einzuleiten. Im Spannungsfeld zwischen der Souveränität der Nationalstaaten einerseits und der Effektivität des geplanten internationalen Spruchkörpers andererseits ließen sich bereits frühzeitig zwei unterschiedliche Lager ausmachen. So wollten die Skeptiker einen jedenfalls für den Anfang eher schwachen, symbolischen Spruchkörper, dessen Zuständigkeit stark eingeschränkt und an vielerlei Voraussetzungen gebunden sein sollte.31 Demgegenüber befürworteten die Anhänger eines starken Gerichtshofs, die so genannten gleich gesinnten Staaten oder „like minded states“32, eine möglichst umfassende Gerichtsbarkeit des IStGH und damit eine weitergehende Beschränkung der einzelstaatlichen Souveränität. Abgedruckt unter http: // www.unodc.org / pdf / convention_1988_en.pdf. Zimmermann, The Creation of a Permanent International Criminal Court, S. 204; Wilmshurst, Jurisdiction of the Court, S. 130. 29 Stahn, Zwischen Weltfrieden und materieller Gerechtigkeit, S. 579; Zimmermann, The Creation of a Permanent International Criminal Court, S. 204. 30 Stahn, Zwischen Weltfrieden und materieller Gerechtigkeit, S. 579, Fn. 23. 31 Kreß, Römisches Statut des IStGH, Vor III 26, Rn. 5; Werle, Völkerstrafrecht, Rn. 59 ff. 32 Stahn, Zwischen Weltfrieden und materieller Gerechtigkeit, S. 586; Kaul, Der IStGH: Das Ringen um seine Zuständigkeit und Reichweite, S. 139; Kreß, Römisches Staut des IStGH, Vor III 26, Rn. 5. 27 28

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B. Die Gerichtsbarkeit des IStGH

Das in Rom erarbeitete Jurisdiktionsregime für den IStGH stellt einen mühsam errungenen Kompromiss dar, der von 120 Staaten und damit von der überwältigenden Mehrheit der Konferenzteilnehmer verabschiedet wurde. Einigen wichtigen Staaten der Völkergemeinschaft, insbesondere den USA, China und Indien, ging er jedoch zu weit. Sie sind dem Statut nach eigenen Angaben vornehmlich wegen der für den IStGH ausgehandelten gerichtsverfassungsrechtlichen Zuständigkeit nicht beigetreten.33 Zum besseren Verständnis der rechtlichen Position dieser Drittstaaten soll das im Statut vorgesehene Jurisdiktionsregime des IStGH nunmehr näher dargestellt werden.

2. Die Zuständigkeit ratione temporis Artikel 11 Abs. 1 beschränkt die Gerichtsbarkeit des Strafgerichtshofs ratione temporis auf Verbrechen, die nach Inkrafttreten des Statuts begangen wurden. Artikel 126 bestimmt insoweit, dass das Rom-Statut am ersten Tag des Monats in Kraft tritt, der auf den sechzigsten Tag der Hinterlegung der sechzigsten Ratifikations-, Annahme-, Genehmigungs- oder Beitrittsurkunde folgt. Dies war der 1. Juli 2002, so dass zuvor begangene Verbrechen vom IStGH nicht verfolgt werden können.

3. Die Ausübung der Gerichtsbarkeit, Artikel 13 IStGH-Statut Artikel 13 IStGH-Statut regelt die „Ausübung der Gerichtsbarkeit“ des Strafgerichtshofs und bestimmt, wer ein Verfahren vor dem IStGH einleiten kann. Nach Artikel 13 lit. a in Verbindung mit Artikel 14 kann zum einen jeder Vertragsstaat dem Gerichtshof eine Situation unterbreiten, in der es den Anschein hat, dass Verbrechen gemäß Artikel 5 begangen wurden. Gemäß Artikel 13 lit. b kann der UN-Sicherheitsrat auf der Grundlage von Kapitel VII der UN-Charta dem Strafgerichtshof eine entsprechende Situation vorlegen. Schließlich bestimmt Artikel 13 lit. c in Verbindung mit Artikel 15, dass der Ankläger des IStGH ex officio, das heißt aus eigener Initiative heraus, Ermittlungen in Bezug auf eines der in die Zuständigkeit des IStGH fallenden Verbrechen einleiten kann. Die Möglichkeit einer Verfahrenseinleitung durch die Vertragsstaaten war im Wesentlichen unstreitig und bereits im ILC Draft Statute von 1994 enthalten.34 33 So die Abstimmungserklärungen Indiens, Chinas und der USA vom 17. Juli 1998, http: // www.un.org / icc; La Haye, The Jurisdiction of the ICC, S. 3; Ramanathan, India and the ICC, S. 628. 34 Report of the International Law Commission on the Work of its Forty-sixth Session, 2 May – 22 July 1994, United Nations General Assembly Official Records, Forty-ninth Session, Supplement No. 10, A / 49 / 10 (1994), Artikel 25 Abs. 1, S. 89.

III. Die gerichtsverfassungsrechtliche Zuständigkeit des IStGH

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Nicht ganz so einheitlich beurteilt wurde allerdings das nunmehr in Artikel 13 lit. b des Statuts vorgesehene Initiativrecht des Sicherheitsrats. Die fünf ständigen Mitglieder des Sicherheitsrats betonten naturgemäß dessen herausgehobene Stellung. Vor allem die USA wollten ein Tätigwerden des IStGH ohne gleichzeitige Zustimmung von Territorialstaat und Täterstaat nur bei Überweisung einer Situation durch den Sicherheitsrat zulassen. Demgegenüber wandten sich andere Staaten gegen besondere Befugnisse des Sicherheitsrates im Hinblick auf den Strafgerichtshof, dieser sollte insbesondere nicht zur Verfahrenseinleitung berechtigt sein.35 So betonte die indische Delegation, es sei widersprüchlich und ungerecht, wenn einige Sicherheitsratsmitglieder zwar dem Rom-Statut nicht beitreten wollten, andererseits aber für sich selbst Privilegien in Anspruch nähmen und über den Sicherheitsrat erreichen könnten, die Staatsangehörigen anderer Nichtvertragsstaaten der Gerichtsbarkeit des IStGH zu unterwerfen.36 Ein entsprechendes Initiativrecht für den Sicherheitsrat sei in der UN-Charta nicht vorgesehen, die Einräumung entsprechender Befugnisse für den Sicherheitsrat verstoße daher gegen das Kompetenzgefüge der Satzung der Vereinten Nationen.37 Vereinzelt wurde auch vorgeschlagen, das Recht zur Verfahrenseinleitung nicht dem UN-Sicherheitsrat, sondern einem anderen Organ der Vereinten Nationen, etwa der UN-Generalversammlung oder der UN-Kommission für Menschenrechte, einzuräumen.38 Die große Mehrheit der Staaten befürwortete indessen ein Initiativrecht des Sicherheitsrates. Es wurde insoweit zu Recht darauf hingewiesen, dass der Sicherheitsrat nach Kapitel VII der UN-Charta ad hoc Straftribunale wie den das Jugoslawientribunal und das Ruandatribunal errichten kann, so dass ihm erst recht die Kompetenz eingeräumt werden müsse, eine Situation an einen ständigen Strafgerichtshof zu verweisen. Das Statut begründet damit für den Sicherheitsrat keine neuen Rechte außerhalb der UN-Charta, sondern nimmt lediglich Bezug auf seine bereits bestehenden Befugnisse.39 Artikel 13 lit. c schließlich räumt auch dem Ankläger des Gerichtshofs das Recht ein, selbständig Ermittlungen in Bezug auf die in Artikel 5 genannten Verbrechen einzuleiten. Die Aufnahme dieser Bestimmung in das Statut war äußerst umstritten. Insbesondere gerichtshofskeptische und einflussreiche Staaten 35 Abtahi, The Islamic Republic of Iran and the ICC, S. 643; Ramanathan, India and the ICC, S. 633. 36 LaHaye, The Jurisdiction of the ICC, S. 12; hierzu auch Bergsmo, The Jurisdictional Régime of the ICC, S. 353; Kaul / Kreß, Jurisdiction and Cooperation in the Statute of the ICC, S. 154; Kemper, Der Weg nach Rom, S. 256. 37 Bergsmo, Occasional Remarks on State Concerns about the Jurisdictional Reach of the ICC, S. 93; Kemper, Der Weg nach Rom, S. 256; Hoffmeister / Knoke, Das Vorermittlungsverfahren vor dem IStGH, S. 789 – 790. 38 Proposal of Mexico, UN Doc. A / CONF.183 / C.1 / L.81 (1998); LaHaye, The Jurisdiction of the ICC, S. 11. 39 Bergsmo, Occasional Remarks on State Concerns about the Jurisdictional Reach of the ICC, S. 94; Kemper, Der Weg nach Rom, S. 257.

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B. Die Gerichtsbarkeit des IStGH

wie die USA, China, Indien oder Russland wehrten sich gegen eine starke Anklagebehörde und ein Recht des Anklägers, aus eigener Initiative ein Strafverfahren in Gang zu setzen. Sie verwiesen insoweit auf die Gefahr eines übereifrigen Anklägers und die Angst vor der Einleitung politisch motivierter Strafverfahren.40 So wurde argumentiert, dass die Anklagebehörde dem politischen Druck der internationalen Öffentlichkeit ausgesetzt sei und zum politischen Spielball werden könnte.41 Daneben wurde vorgetragen, dass der Gerichtshof bei einem Initiativrecht des Anklägers mit Beschwerden überschüttet und völlig überlastet werden würde.42 Demgegenüber setzten sich die Befürworter eines starken Gerichts sowie zahlreiche Nichtregierungsorganisationen für möglichst weitreichende Befugnisse der Anklagebehörde ein. Der Schaffung einer eigenständigen Anklagevertretung mit ex officio Befugnissen, die ein Verfahren auch dann einleiten kann, wenn die Vertragsstaaten oder der Sicherheitsrat aus politischen Motiven heraus untätig bleiben, wurde erhebliche Bedeutung für die Objektivität und Unabhängigkeit des Gerichtshofs beigemessen.43 So wurde immer wieder betont, dass die einzelnen Staaten bisher kaum je bereit gewesen seien, andere Staaten oder deren Repräsentanten für Völkerrechtsverletzungen zur Verantwortung zu ziehen. Von einer gleichmäßigen Reaktion der Staatengemeinschaft auf schwere Völkerrechtsverbrechen konnte bisher tatsächlich keine Rede sein. Soweit eigene Interessen nicht unmittelbar betroffen sind, werden selbst schwerste Völkerrechtsverbrechen von vielen Staaten nach wie vor ignoriert. Ein politisch unabhängiger und selbständiger Ankläger bietet daher wohl am ehesten die Gewähr für eine Gleichbehandlung kritischer Situationen. Um den Bedenken skeptischer Staaten entgegenzukommen, wurde im März 1998 ein deutsch-argentinischer Kompromissvorschlag unterbreitet, der dem Ankläger zwar ein Initiativrecht einräumte, aber eine rechtliche Gegenkontrolle durch die Vorverfahrenskammer vorsah. Dieser Kompromiss fand die überwiegende Zustimmung der Konferenzteilnehmer und wurde ohne wesentliche Änderungen in das Rom-Statut aufgenommen.44 Das in Artikel 13 lit. c vorgesehen Recht der Anklagebehörde zur Einleitung von Ermittlungen wird nunmehr durch Artikel 15 ergänzt. Artikel 15 Abs. 2 erlaubt es dem Ankläger, die Stichhaltigkeit erlangter Informationen in eigener Verantwortung zu überprüfen und zu diesem Zweck zunächst ohne gerichtliche Mitwirkung Auskünfte einzuholen sowie am Sitz des 40 Seguin, Denouncing the International Criminal Court, S. 99; Schwartz, The United States and the ICC: The Case for „Dexterous Multilateralism“, S. 226; Ramanathan, India and the ICC, S. 632 – 633; Jianping / Zhixiang, China’s Attitude Towards the ICC, S. 608. 41 Bergsmo, The Jurisdictional Régime of the ICC, S. 356; Wilmshurst, Jurisdiction of the Court, S. 136; LaHaye, The Jurisdiction of the ICC, S. 15. 42 Statement of David J. Scheffer Before the Committee on Foreign Relations of the U.S. Senate, 23. Juli 1998. 43 Stahn, Zwischen Weltfrieden und materieller Gerechtigkeit, S. 588. 44 Bergsmo, The Jurisdictional Régime of the ICC, S. 355.

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Gerichtshofs schriftliche und mündliche Zeugenaussagen entgegenzunehmen. Die angesprochene Gegenkontrolle der Anklagebehörde ist in Artikel 15 Abs. 3 und 4 geregelt. Hiernach kann der Ankläger ein konkretes Ermittlungsverfahren nur nach Genehmigung durch die Vorverfahrenskammer einleiten. Er muss einen entsprechenden Antrag bei der Vorverfahrenskammer stellen und diesen unter Vorlage der gesammelten Unterlagen auch begründen. Die Vorverfahrenskammer erteilt gemäß Artikel 15 Abs. 4 die beantragte Genehmigung, wenn sie nach Prüfung von Antrag und Unterlagen zu dem Schluss kommt, dass eine hinreichende Grundlage für die Aufnahme von Ermittlungen besteht und die Angelegenheit in die Gerichtsbarkeit des Gerichtshofs zu fallen scheint. Verweigert die Vorverfahrenskammer die Genehmigung, so kann der Ankläger gemäß Artikel 15 Abs. 5 seinen Antrag in Bezug auf dieselbe Situation wiederholen, soweit dieser auf neue Tatsachen oder Beweismittel gestützt wird. Die Entscheidungen der Vorverfahrenskammer können zudem sowohl vom Ankläger als auch von betroffenen Staaten vor der Berufungskammer des Gerichtshofs angefochten werden. Artikel 18 Abs. 4 sieht insoweit ein Recht zur Beschwerde vor und garantiert dadurch eine zweifache Kontrolle des jeweiligen Ermittlungsersuchens der Anklagebehörde. Die Ermächtigung der Anklagebehörde zur Einleitung von Ermittlungen dürfte in jedem Fall abschreckende Wirkung haben. Ein entsprechendes Initiativrecht könnte gerade dann, wenn die Vertragsstaaten und der Sicherheitsrat aus politischen Erwägungen heraus untätig bleiben, unter Umständen doch noch zu einer internationalen Strafverfolgung schwerster Verbrechen führen.45 Die Anklagebehörde als ständiges, unabhängiges und dauerhaftes Organ des Gerichtshofs kann zudem bei entstehenden Konflikten rasch reagieren und bereits frühzeitig Informationen sammeln sowie Beweise sichern. Sie kann sehr schnell die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens beantragen, während es wohl verhältnismäßig lange dauern wird, bis sich die Vertragsstaaten dazu durchgerungen haben, dem Gerichtshof eine Situation zu unterbreiten oder sich die relativ schwerfällige Apparatur des UN-Sicherheitsrates in Bewegung setzt. Das Initiativrecht der Anklagebehörde ist daher im Interesse einer effektiven internationalen Strafrechtspflege zu begrüßen. Die Gefahr eines übereifrigen Anklägers wurde durch das System der richterlichen Gegenkontrolle hinreichend eingedämmt.

4. Die Voraussetzungen für die Ausübung der Gerichtsbarkeit, Artikel 12 IStGH-Statut Artikel 12 bestimmt die weiteren Voraussetzungen, die erfüllt sein müssen, damit der IStGH im konkreten Fall Gerichtsbarkeit ausüben kann. Er lautet: 45 Bergsmo, The Jurisdictional Régime of the ICC, S. 354; Dahm / Delbrück / Wolfrum, Band I / 3, S. 1153; Stahn, Zwischen Weltfrieden und materieller Gerechtigkeit, S. 588.

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Voraussetzungen für die Ausübung der Gerichtsbarkeit (1) Ein Staat, der Vertragspartei dieses Statuts wird, erkennt damit die Gerichtsbarkeit des Gerichtshofs für die in Artikel 5 bezeichneten Verbrechen an. (2) Im Fall des Artikels 13 Buchstabe a oder c kann der Gerichtshof seine Gerichtsbarkeit ausüben, wenn einer oder mehrere der folgenden Staaten Vertragspartei dieses Statuts sind oder in Übereinstimmung mit Abs. 3 die Gerichtsbarkeit des Gerichtshofs anerkannt haben: a) der Staat, in dessen Hoheitsgebiet das fragliche Verbrechen stattgefunden hat, sofern das Verbrechen an Bord eines Schiffes oder Luftfahrzeugs begangen wurde, der Staat, in dem dieses registriert ist; b) der Staat, dessen Staatsangehörigkeit die des Verbrechens beschuldigte Person besitzt. (3) Ist nach Abs. 2 die Anerkennung der Gerichtsbarkeit durch einen Staat erforderlich, der nicht Vertragspartei dieses Statuts ist, so kann dieser Staat durch Hinterlegung einer Erklärung beim Kanzler die Ausübung der Gerichtsbarkeit durch den Gerichtshof in Bezug auf das fragliche Verbrechen anerkennen. Der anerkennende Staat arbeitet mit dem Gerichtshof ohne Verzögerung oder Ausnahme in Übereinstimmung mit Teil 9 zusammen.

a) Überblick Artikel 12 Abs. 1 bestimmt zunächst, dass ein Staat, der Vertragspartei des RomStatuts wird, damit automatisch die Gerichtsbarkeit des Gerichtshofs für alle in Artikel 5 bezeichneten Verbrechen anerkennt. Artikel 12 Abs. 2 knüpft ein Tätigwerden des Gerichtshofs an weitere Voraussetzungen, wenn ein Vertragsstaat oder die Anklagebehörde gemäß Artikel 13 lit. a oder c ein Verfahren einleiten. Der Gerichtshof kann in diesen Fällen nur dann handeln, wenn entweder der Staat, in dessen Territorium das Verbrechen begangen wurde (Territorialstaat) oder der Staat, dessen Staatsangehörigkeit der Beschuldigte hat (Täterstaat), Vertragspartei des Rom-Statuts ist oder als Nichtvertragsstaat die Gerichtsbarkeit des IStGH durch eine gesonderte Erklärung im Sinne von Artikel 12 Abs. 3 anerkannt hat. Damit können nach Artikel 12 Abs. 3 auch Nichtvertragsstaaten, auf deren Territorium die in Artikel 5 genannten Kernverbrechen begangen wurden oder deren Staatsangehörige mutmaßliche Täter derartiger Verbrechen sind, die Ausübung der Gerichtsbarkeit des IStGH für das fragliche Verbrechen anerkennen. Soweit also weder Territorialstaat noch Täterstaat Vertragspartei des Statuts sind, kann der Gerichtshof dennoch tätig werden, wenn einer dieser betroffenen Staaten für den Einzelfall ad hoc durch besondere Erklärung die Gerichtsbarkeit des IStGH anerkennt. Diese zusätzlichen Voraussetzungen eines Vertragsbeitritts oder einer Anerkennung für den Einzelfall müssen jedoch nur bei Verfahrenseinleitung durch einen Vertragsstaat oder den Ankläger erfüllt sein. Artikel 12 Abs. 2 und 3 verweisen insoweit nur auf Artikel 13 lit. a und c des Statuts. Überweist demgegenüber der

III. Die gerichtsverfassungsrechtliche Zuständigkeit des IStGH

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Sicherheitsrat nach Artikel 13 lit. b des Rom-Statuts eine Situation an den IStGH, so kann der Gerichtshof umfassend tätig werden, ohne dass es auf den Vertragsbeitritt oder das Einverständnis irgendeines Staates ankommt. Die Festlegung der Voraussetzungen für die Ausübung der Gerichtsbarkeit des Strafgerichtshofs stellte sich als der politisch schwierigste und umstrittenste Punkt der Vertragsverhandlungen dar und wurde als die „Frage aller Fragen“ bezeichnet.46 Die jetzige Fassung des Artikels 12 war Ergebnis eines erst in letzter Minute mühsam errungenen Kompromisses. Dennoch scheiterte an dieser Kompromisslösung für das Jurisdiktionsregime des IStGH insbesondere die Zustimmung der USA, Indiens und Chinas.47

b) Die verschiedenen konzeptionellen Ansätze Ein kurzer Überblick über die unterschiedlichen vorgetragenen konzeptionellen Ansätze und ihre Entwicklung hin zur Endfassung von Artikel 12 sind für die rechtliche Beurteilung der Position dieser Drittstaaten von entscheidender Bedeutung. Zum einen ging es bei Errichtung des Jurisdiktionsregimes um die Frage, ob der Strafgerichtshof nach Inkrafttreten des Statuts unbeschränkt für die Aburteilung von Völkermord, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen zuständig sein sollte oder ob für die Ausübung seiner Gerichtsbarkeit unter Zugrundelegung des Konsensprinzips zusätzlich eine gesonderte Anerkennung seiner Gerichtsbarkeit durch bestimmte, besonders von der Tat betroffene Staaten erforderlich sein sollte. aa) Universale Gerichtsbarkeit Die Idee einer universalen Gerichtsbarkeit des IStGH für alle Kernverbrechen findet sich insbesondere in einem Vorschlag der Bundesrepublik Deutschland.48 Der deutsche Vorschlag befürwortete unter Berufung auf das Universalitätsprinzip eine uneingeschränkte und vom Willen einzelner Staaten unabhängige Gerichtsbarkeit des IStGH. Der Gerichtshof sollte hiernach mit Inkrafttreten des Statuts universell und ohne weitere Vorbedingungen Strafgerichtsbarkeit über die in Artikel 5 genannten Verbrechen ausüben können. Eine gesonderte Anerkennung seiner Gerichtsbarkeit durch irgendwelche Staaten – Vertragsstaaten oder Nichtvertrags46 Kaul, Der IStGH: Das Ringen um seine Zuständigkeit und Reichweite, S. 139; ähnlich Wilmshurst, Jurisdiction of the Court, S. 127. 47 Vgl. die Abstimmungserklärungen Indiens, Chinas und der USA vom 17. Juli 1998, abrufbar unter http: // www.un.org / icc; La Haye, The Jurisdiction of the ICC, S. 3. 48 The jurisdiction of the International Criminal Court, An informal discussion paper submitted by Germany, UN Doc. A / AC.249 / 1998 / DP.2 vom 23. März 1998; Stahn, Zwischen Weltfrieden und materieller Gerechtigkeit, S. 587.

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staaten – als weitere Voraussetzung für sein Tätigwerden wäre nach diesem Ansatz nicht erforderlich gewesen.49 Dies wurde dogmatisch damit begründet, dass nach geltendem Völkerstrafrecht ohnehin jeder einzelne Staat aufgrund des Universalitäts- beziehungsweise Weltrechtsprinzips Strafgerichtsbarkeit über die drei Kernverbrechen Völkermord, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen ausüben kann. Eine Einwilligung irgendeines anderen Staates ist bei Anwendung des Universalitätsprinzips gerade nicht erforderlich. Man vertrat daher die Ansicht, dem IStGH könne durch das Rom-Statut als völkerrechtlichem Gründungsvertrag im gleichen Umfang Strafgerichtsbarkeit eingeräumt werden, wie sie den einzelnen Vertragsstaaten selbst zusteht. Auch dem IStGH könne daher unabhängig von der Zustimmung bestimmter Staaten umfassende Gerichtsbarkeit im Hinblick auf die so genannten Kernverbrechen übertragen werden.50 Nach diesem Ansatz sollte die Strafgerichtsbarkeit des IStGH die auf dem Universalitätsprinzip beruhende Strafgerichtsbarkeit der einzelnen Vertragsstaaten über die in Artikel 5 des Statuts aufgezählten Schwerstverbrechen widerspiegeln.51 Bedeutsame Rechtsfolge dieses Vorschlags einer universellen Gerichtsbarkeit des IStGH wäre gewesen, dass hiernach alle mutmaßlichen Täter, insbesondere auch Staatsangehörige aus Drittstaaten, uneingeschränkt und ohne weitere Voraussetzungen vor dem IStGH hätten angeklagt werden können. Dementsprechend wurde dieses Konzept von zahlreichen gerichtshoffreundlichen Staaten sowie Nichtregierungsorganisationen unterstützt.52 bb) Gerichtsbarkeit nach dem Konsensprinzip Die Mehrzahl der verhandelnden Staaten stand jedoch einer universellen Gerichtsbarkeit des IStGH eher skeptisch gegenüber. Insbesondere die USA machten deutlich, dass eine derart weitreichende Zuständigkeit des IStGH für sie nur bei einer Verfahrenseinleitung durch den Sicherheitsrat akzeptabel sei.53 Aber auch andere Staaten gingen unter stärkerer Betonung der nationalen Souveränität davon aus, dass jedenfalls bei einer Verfahrenseinleitung durch die Vertragsstaaten oder den Ankläger nicht das Universalitätsprinzip, sondern das Konsensprinzip Grundlage für die dem Strafgerichtshof eingeräumten Kompetenzen sein sollte. So wurde 49 The jurisdiction of the International Criminal Court, An informal discussion paper submitted by Germany, UN Doc. A / AC.249 / 1998 / DP.2 vom 23. März 1998, S. 1; Kaul / Kreß, Jurisdiction and Cooperation in the Statute of the ICC, S. 145. 50 The jurisdiction of the International Criminal Court, An informal discussion paper submitted by Germany; UN Doc. A / AC.249 / 1998 / DP.2, S. 2 – 3; Kaul / Kreß, Jurisdiction and Cooperation in the Statute of the ICC, S. 145. 51 Kaul / Kreß, Jurisdiction and Cooperation in the Statute of the ICC, S. 152. 52 Kaul, Der IStGH: Das Ringen um seine Zuständigkeit und Reichweite, S. 141. 53 Kaul, Der IStGH: Das Ringen um seine Zuständigkeit und Reichweite, S. 142.

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immer wieder betont, dass die Errichtung des IStGH auf der Grundlage eines völkerrechtlichen Vertrages erfolge und seine Gerichtsbarkeit damit letztlich auf der Zustimmung der Vertragsstaaten beruhe.54 Diese Auffassung findet sich auch in einem Vorschlag Südkoreas zu den Voraussetzungen der Gerichtsbarkeit des IStGH. Dort heißt es: „It is State consent that justifies the jurisdictional link between the States Parties to the Statute and the Court. Foregoing any precondition to the exercise of jurisdiction would run a risk of rendering the acceptance of the Court’s jurisdiction meaningless.“55

Die Mehrheit der Konferenzteilnehmer wollte also bei der Einleitung eines Verfahrens durch die Vertragsstaaten oder den Ankläger keine uneingeschränkte Zuständigkeit des Strafgerichtshofs begründen.56 Auch bei den so genannten Kernverbrechen sollte Voraussetzung für die Ausübung von Gerichtsbarkeit durch den IStGH die Zustimmung beziehungsweise Anerkennung seiner Gerichtsbarkeit durch Staaten mit einem gewissen Näheverhältnis zur Tat sein.57 Unklar und streitig war allerdings, welche Staaten sich kumulativ oder alternativ der Gerichtsbarkeit des IStGH unterworfen haben müssen, damit dieser tätig werden kann. Zur Debatte standen insoweit der Staat, auf dessen Territorium sich das Verbrechen ereignete (Territorialstaat), der Staat, dessen Staatsangehörigkeit der mutmaßliche Täter besitzt (Täterstaat), der Heimatstaat des Opfers (Opferstaat) sowie der Staat, in dessen Gewahrsam sich der Täter befindet (Gewahrsamsstaat) beziehungsweise eine Kombination mehrerer der genannten Staaten.58 cc) Der Vorschlag Südkoreas Die größte Zustimmung fand ein in Rom vorgelegter Vorschlag Südkoreas, wonach der IStGH dann Gerichtsbarkeit hätte ausüben können, wenn sich entweder der Territorialstaat, der Täterstaat, der Opferstaat oder der Gewahrsamsstaat der Gerichtsbarkeit des IStGH unterworfen haben.59 Bereits die Zustimmung eines dieser vier Staaten hätte einen hinreichenden Anknüpfungspunkt für die Zuständigkeit des Strafgerichtshofs begründet.60 Dieser gerichtshoffreundliche Vorschlag beruhte zwar dogmatisch auf dem Konsensprinzip, hätte aber im Wesentlichen zu Kaul, Der IStGH: Das Ringen um seine Zuständigkeit und Reichweite, S. 142. UN Doc. A / CONF.183 / C.1 / L.6 vom 18. 6. 1998; Hervorhebung durch die Verfasserin. 56 Bei einer Verfahrenseinleitung durch den Sicherheitsrat gelten demgegenüber die auf S. 130 ff. erläuterten Besonderheiten. 57 Stahn, Zwischen Weltfrieden und materieller Gerechtigkeit, S. 587; Kaul, Der IStGH: Das Ringen um seine Zuständigkeit und Reichweite, S. 141. 58 Vgl. insoweit Artikel 7 des Draft Statute des UN-Preparatory Committee, UN Doc. A / CONF.183 / 2 (1998), S. 37; Wilmshurst, Jurisdiction of the Court, S. 133, 135. 59 UN Doc. A / CONF. 183 / C.1 / L.6 vom 18. 6. 1998, Artikel 8, S. 4. 60 UN Doc. A / CONF. 183 / C.1 / L.6 vom 18. 6. 1998, Begründung, S. 2. 54 55

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denselben Ergebnissen geführt wie der auf dem Universalitätsprinzip beruhende deutsche Ansatz. Denn insbesondere das Ausreichen der Zustimmung des Gewahrsamsstaates hätte dem IStGH Gerichtsbarkeit auch über Staatsangehörige aus Nichtvertragsstaaten gesichert.61 Der koreanische Ansatz wurde dementsprechend auch von den zahlreichen Befürwortern eines starken Strafgerichtshofs unterstützt und fand die Zustimmung von über 80 Prozent der teilnehmenden Delegierten.62 c) Die Anerkennung der Gerichtsbarkeit des IStGH Auch wenn man also mehrheitlich davon ausging, dass für die Ausübung der Gerichtsbarkeit des IStGH nach dem Konsensprinzip zunächst eine Anerkennung der Gerichtsbarkeit durch bestimmte, besonders betroffene Staaten erforderlich war und auch wenn der südkoreanische Vorschlag und sein Abstellen auf die alternative Zustimmung von Territorialstaat, Täterstaat, Opferstaat oder Gewahrsamsstaat überwiegend Zustimmung erfahren hatte, so war doch weiterhin streitig, in welcher Form eine entsprechende Anerkennung der Gerichtsbarkeit des IStGH durch die fraglichen Staaten erfolgen sollte. aa) Die Anerkennung durch Nichtvertragsstaaten Im Hinblick auf Nichtvertragsstaaten war die Lage insoweit unproblematisch. Nach Ablehnung des deutschen Vorschlags universaler Gerichtsbarkeit ging man übereinstimmend davon aus, dass diese die Gerichtsbarkeit des IStGH durch eine gesonderte Erklärung im Einzelfall ausdrücklich anerkennen müssen, soweit nicht der Sicherheitsrat tätig wird. Artikel 12 Abs. 3 des Rom-Statuts, der die Begründung der Zuständigkeit des Gerichtshofs ad hoc durch Abgabe einer entsprechenden Erklärung durch einen Nichtvertragsstaat regelt, war demgemäß bereits frühzeitig anerkannt.63 Eine Anerkennungserklärung gemäß Artikel 12 Abs. 3 wurde bisher von der Elfenbeinküste abgegeben.64 Kaul / Kreß, Jurisdiction and Cooperation in the Statute of the ICC, S. 153. Kaul, Der IStGH: Das Ringen um seine Zuständigkeit und Reichweite, S. 142 unter Verweis auf die Auswertungsprotokolle der „NGO Coalition for an International Criminal Court“ über die Orientierungsdebatten, http: // www.igc.org / icc; Stahn, Zwischen Weltfrieden und materieller Gerechtigkeit, S. 587, Fn. 101; Wilmshurst, Jurisdiction of the Court, S. 136. 63 Auch das ILC Draft Statute aus dem Jahr 1994 hatte in seinem Artikel 22 Abs. 4 die Möglichkeit einer entsprechenden Zustimmungserklärung im Einzelfall für Nichtvertragsstaaten vorgesehen, vgl. Report of the International Law Commission on the Work of its Forty-sixth Session, 2 May – 22 July 1994, United Nations General Assembly Official Records, Forty-ninth Session, Supplement No. 10, A / 49 / 10 (1994), S. 82. 64 Update on Communications Received by the Office of the Prosecutor of the ICC, http: // www.icc-cpi.int / library / organs / otp / OTP_Update_on_Communications_10_February_ 2006.pdf. 61 62

III. Die gerichtsverfassungsrechtliche Zuständigkeit des IStGH

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bb) Die Anerkennung durch Vertragsstaaten Weitaus schwieriger war es jedoch, eine Einigung im Hinblick auf die Frage zu erzielen, in welcher Form eine Anerkennung der Gerichtsbarkeit des IStGH durch die Vertragsstaaten selbst erfolgen sollte. Auch hier waren unterschiedliche Ansätze Gegenstand reger Diskussion. (1) Zustimmungserfordernis im Einzelfall Der restriktivste Vorschlag einer fakultativen Einzelfallzuständigkeit wurde dem UN-Vorbereitungsausschuss bereits im Sommer 1996 von Frankreich vorgelegt.65 Hiernach hätten alle von einem Kernverbrechen betroffenen Staaten in Bezug auf jeden einzelnen Beschuldigten ausdrücklich die Zuständigkeit des IStGH anerkennen müssen, um dessen Tätigwerden zu ermöglichen. Als betroffen wurden insoweit der Territorialstaat, der Heimatstaat des Beschuldigten, der Heimatstaat des Opfers und der Gewahrsamsstaat angesehen. Bei Vorliegen eines Auslieferungsersuchens durch einen weiteren Staat hätte darüber hinaus auch der die Auslieferung des Beschuldigten beantragende Staat die Zuständigkeit des IStGH für das fragliche Verbrechen anerkennen müssen. Im Extremfall wäre hiernach zur Begründung der Gerichtsbarkeit des IStGH die kumulative Zustimmung von fünf Staaten erforderlich gewesen. Dieses strenge „State Consent“-Verfahren66 hätte höchstwahrscheinlich zu einer völligen Handlungsunfähigkeit des Gerichtshofs geführt. Die betroffenen Staaten hätten sich weder für einen bestimmten Zeitraum noch für bestimmte Verbrechenstatbestände der Gerichtsbarkeit des IStGH unterwerfen müssen, sondern beliebige, jeweils politisch opportune Einzelfallentscheidungen treffen können. Lediglich bei einer Verfahrenseinleitung durch den Sicherheitsrat hätte der IStGH auch nach diesem Ansatz unabhängig von der Zustimmung der betroffenen Staaten tätig werden können. Der Gerichtshof wäre dadurch faktisch zu einem ständigen ad hoc Tribunal im Dienste des Sicherheitsrats degradiert worden.67 Angesichts dieser Schwächen spielte der französische Vorschlag bei der Konferenz in Rom keine ernsthafte Rolle mehr.68 (2) Opt-in / Opt-out-Regime Nicht ganz so weitreichend war der 1994 von der UN-Völkerrechtskommission vorgelegte Jurisdiktionsentwurf. Auch er ging von einem gesonderten Zustim65 Artikel 34 des französischen Statutsentwurfs, UN Doc. A / AC.249 / L.3 vom 6. August 1996. 66 Kaul, Der IStGH: Das Ringen um seine Zuständigkeit und Reichweite, S. 140. 67 Stahn, Zwischen Weltfrieden und materieller Gerechtigkeit, S. 586. 68 Kaul, Der IStGH: Das Ringen um seine Zuständigkeit und Reichweite, S. 140; Kaul / Kreß, Jurisdiction and Cooperation in the Statute of the ICC, S. 154; Stahn, Zwischen Weltfrieden und materieller Gerechtigkeit, S. 586.

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mungserfordernis der Vertragsstaaten im Hinblick auf die Anerkennung der Gerichtsbarkeit des Strafgerichtshofs aus. Gemäß Artikel 22 Abs. 1 bis 3 des ILC Draft Statute hätte sich jeder Vertragsstaat zusätzlich zur Ratifizierung des Statuts der Gerichtsbarkeit des IStGH mittels gesonderter Erklärung unterwerfen müssen.69 Eine sachliche und zeitliche Begrenzung dieser Unterwerfungserklärung wäre möglich gewesen. Eine solche Einschränkung hätte allerdings nicht von Fall zu Fall, sondern pauschal und vorab erklärt werden müssen. Hiernach hätte die Anerkennung der Gerichtsbarkeit für alle drei Kernverbrechen oder aber nur für einzelne Verbrechenstatbestände erfolgen können. Weiterhin wäre es jedem Vertragsstaat möglich gewesen, sich nur für einen bestimmten Zeitraum zu binden und seine Unterwerfungserklärung mit sechsmonatiger Kündigungsfrist zu widerrufen. Dieses Konzept einer gesonderten Anerkennung der Gerichtsbarkeit orientierte sich erkennbar an der Zuständigkeitsregelung für den Internationalen Gerichtshof (IGH) gemäß Artikel 36 des IGH-Statuts. Der IGH kann nur bei Vertragsbeitritt und gesonderter Unterwerfungserklärung durch die Vertragsstaaten tätig werden. Auch dort ist also über die Ratifizierung des Statuts hinaus eine zusätzliche Anerkennung der Gerichtsbarkeit des IGH erforderlich, die im Voraus sowohl zeitlich als auch inhaltlich beschränkt werden kann. Eine Ausnahme von diesem Opt-in / Opt-out-Regime sah das Draft Statute für den IStGH nur für das Verbrechen des Völkermordes vor. Nach Artikel 21 Abs. 1 (a) des Entwurfs von 1994 sollte der Gerichtshof für Völkermord umfassend und bedingungslos zuständig sein und seine Gerichtsbarkeit ausüben können, ohne dass es auf eine zusätzliche Anerkennung seiner Gerichtsbarkeit durch die Vertragsstaaten angekommen wäre.70 Im Übrigen hätte der Vorschlag der Völkerrechtskommission lediglich zu einer fakultativen Zuständigkeit des Strafgerichtshofs und damit zu einer „Gerichtsbarkeit à la carte“71 geführt. Zwar hätten die Staaten von ihrem Wahlrecht („pick and choose“72) anders als nach französischem Vorschlag vorab 69 Artikel 22 des ILC Draft Statute 1994, in: Report of the International Law Commission on the Work of its Forty-sixth Session, 2 May – 22 July 1994, United Nations General Assembly Official Records, Forty-ninth Session, Supplement No. 10, A / 49 / 10 (1994), S. 82. 70 Report of the International Law Commission on the Work of its Forty-sixth Session, 2 May – 22 July 1994, United Nations General Assembly Official Records, Forty-ninth Session, Supplement No. 10, A / 49 / 10 (1994), S. 79. Diese automatische und vom Konsens der Vertragsstaaten unabhängige Befugnis, Gerichtsbarkeit auszuüben, wurde zunächst auch als „inherent jurisdiction“ bezeichnet, vgl. Report of the International Law Commission on the Work of its Forty-sixth Session, 2 May-22 July 1994, United Nations General Assembly Official Records, Forty-ninth Session, Supplement No. 10, A / 49 / 10 (1994), S. 72; vgl. auch Wilmshurst, Jurisdiction of the Court, S. 128, 132, die darauf hinweist, dass der Begriff der „inherent jurisdiction“ im weiteren Verlauf aufgegeben wurde, da insoweit unklar war, ob dieser sich nur auf Vertragsstaaten oder auch auf Nichtvertragsstaaten beziehen sollte. 71 Stahn, Zwischen Weltfrieden und materieller Gerechtigkeit, S. 586; Kaul, Der IStGH: Das Ringen um seine Zuständigkeit und Reichweite, S. 140. 72 Kaul, Der IStGH: Das Ringen um seine Zuständigkeit und Reichweite, S. 141; Schwartz, The United States and the ICC: The Case for „Dexterous Multilateralism“, S. 231.

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Gebrauch machen müssen, dennoch wäre auch hierdurch die Effektivität des IStGH ganz erheblich gefährdet worden. Insbesondere die amerikanische, aber auch die indische und die chinesische Delegation unterstützte jedoch unter Verweis auf die Souveränität und Entscheidungsfreiheit der Staaten eine fakultative Gerichtsbarkeit des IStGH für Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit im Rahmen einer solchen Opt-in / Opt-out-Regelung.73 (3) Automatische Jurisdiktion Der gerichtshoffreundlichste Ansatz ging von einer obligatorischen und automatischen Gerichtsbarkeit des IStGH für alle Vertragsstaaten aus. Mit Ratifizierung der Römischen Verträge sollte hiernach jeder Vertragsstaat automatisch und für alle Kernverbrechen die Gerichtsbarkeit des IStGH akzeptieren. Eine gesonderte Zustimmungserklärung neben der Ratifizierung war hiernach nicht mehr erforderlich. Im Hinblick auf die Vertragsstaaten sollte der Gerichtshof seine Gerichtsbarkeit vielmehr uneingeschränkt und ohne das Erfordernis einer weiteren zusätzlichen Anerkennung ausüben können. Dieser konzeptionelle Ansatz war wie bereits angesprochen in dem Draft Statute der UN-Völkerrechtskommission von 1994 für das Verbrechen des Völkermordes vorgesehen. In Anlehnung hieran sah ein dem UN-Vorbereitungsausschuss im Jahr 1996 unterbreiteter deutscher Vorschlag erstmals eine automatische Anerkennung der Gerichtsbarkeit des IStGH für alle seiner Zuständigkeit unterliegenden Verbrechen mit Vertragsbeitritt vor. In dem Entwurf heißt es: „A State which becomes a Party to the Statute thereby accepts the inherent jurisdiction of the Court with respect to crimes referred to (in the Statute)“.74

Dahinter stand die Vorstellung, dass jeder Vertragsstaat mit der Ratifizierung des Statuts automatisch auch die Gerichtsbarkeit des IStGH akzeptiert. Eine gesonderte Anerkennung in Form einer Unterwerfungserklärung für jeden Einzelfall oder in Form einer zeitlich oder inhaltlich im Voraus festgelegten Opt-in-Erklärung war hiernach nicht mehr erforderlich. Beitritt und Anerkennung der Zuständigkeit sollten vielmehr in einem Akt zusammenfallen. Der Gerichtshof sollte mit Ratifizierung des Statuts durch die Vertragsstaaten diesen gegenüber auch automatisch die ihm eingeräumte Gerichtsbarkeit ausüben können. Insbesondere nachdem man die Zuständigkeit des Gerichtshofs ratione materiae auf die drei Kernverbrechen Völkermord, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen sowie den allerdings noch näher auszugestaltenden Tatbestand der Aggression beschränkt und eine Aufnahme von „treaty crimes“ mehr73 Stahn, Zwischen Weltfrieden und materieller Gerechtigkeit, S. 586; Kaul, Der IStGH: Das Ringen um seine Zuständigkeit und Reichweite, S. 143; Ramanathan, India and the ICC, S. 628; Jianping / Zhixiang, China’s Attitude Towards the ICC, S. 611. 74 UN Doc. A51 / 22, Supplement No. 22A, Report of the Preparatory Committee on the Establishment of an International Criminal Court, Vol. II, Compilation of Proposals, S. 73; Hervorhebung durch die Verfasserin.

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B. Die Gerichtsbarkeit des IStGH

heitlich abgelehnt hatte, gewann das Konzept einer automatischen Gerichtsbarkeit des IStGH im Verhältnis zu den Vertragsstaaten immer mehr Anhänger.75 In diesem Sinn äußerte sich auch der auf dem Konsensprinzip beruhende und bereits angesprochene südkoreanische Vorschlag zur Gerichtsbarkeit. In dessen Begründung heißt es insoweit: „. . . the requirement of State consent at two distinct stages – acceptance and exercise – would render the Court ineffective owing to this jurisdictional hazard. For the Court to be as effective as possible, State consent should be called for once, when a State becomes a party to the Statute. Otherwise it would deprive the Court of predictability of its function by granting States a de facto right of veto to determine whether the Court is able to exercise jurisdiction. Thus, State consent to the acceptance and exercise of jurisdiction should be integrated into a single act.“76

Dieses Konzept konnte sich in den Römischen Verträgen schließlich auch durchsetzen. Gemäß Artikel 12 Abs. 1 erkennt jeder Staat nunmehr mit Ratifizierung des Rom-Statuts automatisch die Gerichtsbarkeit des IStGH an und unterwirft sich ihr.77 Der Grundsatz automatischer Gerichtsbarkeit des IStGH für die Mitgliedsstaaten stellt einen gewaltigen Fortschritt im Bereich internationaler Strafgerichtsbarkeit dar und erleichtert die Begründung der Zuständigkeit des Gerichtshofs. Die Übertragung staatlicher Strafkompetenz mit Vertragsbeitritt erlaubt eine effektive internationale Strafverfolgung gerade auch dann, wenn dies den Interessen des Vertragsstaates später zuwiderlaufen sollte.78 Dies stellt auch entgegen vereinzelt vorgetragener Auffassung79 keinesfalls einen Verstoß gegen das völkerrechtliche Konsensprinzip oder die Souveränität der Einzelstaaten dar, da eine Zustimmung ja weiterhin erforderlich ist. Diese muss allerdings bereits mit Vertragsbeitritt, das heißt im Voraus und grundsätzlich allgemein für alle in Artikel 5 aufgelisteten Verbrechen erteilt werden und kann nicht aus Gründen politischer Opportunität auf bestimmte Einzelfälle beschränkt werden.80 Es darf nicht übersehen werden, dass diese vereinfachte Zuständigkeitsregelung die Akzeptanz des Gerichtshofs für 75 Stellungnahme Neuseelands sowie des IKRK, UN Doc. A / CONF.183 / INF / 9, 13. Juli 1998; Wilmshurt, Jurisdiction of the Court, S. 129, 131; auch ein im Frühjahr 1998 von Großbritannien vorgelegter Vorschlag ging von automatischer Gerichtsbarkeit aus, vgl. UN Doc. A / AC.249 / 1998 / WG.3 / DP.1 (1998). 76 UN Doc. A / CONF. 183 / C.1 / L.6 vom 18. Juni 1998, S. 2; Hervorhebung durch die Verfasserin. 77 Das in Artikel 12 Abs. 1 vorgesehene Prinzip der automatischen Gerichtsbarkeit für Vertragsstaaten bleibt allerdings in Bezug auf das Verbrechen des Völkermords hinter der im Draft Statute der ILC vorgesehenen Lösung zurück. Denn im Gegensatz zu Artikel 21 Abs. 1 des Draft Statute, der bei Völkermord von universaler Gerichtsbarkeit ausging, ist nunmehr nach Artikel 12 Abs. 1 und 2 auch in diesem Fall die gesonderte Zustimmung des Territorialstaates oder des Täterstaates erforderlich, soweit beide Nichtvertragsstaaten sind. 78 Stahn, Zwischen Weltfrieden und materieller Gerechtigkeit, S. 586. 79 So die Stellungnahme Chinas, UN Doc. A / AC.244 / I vom 20. März 1995, und Indiens im UN-Vorbereitungsausschuss, UN Press Release L / 2774 vom 2. April 1996. 80 Irmscher, Das Römische Statut für einen ständigen IStGH, S. 482; Miskowiak, The ICC, S. 31.

III. Die gerichtsverfassungsrechtliche Zuständigkeit des IStGH

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manche, dem Souveränitätsdogma stärker verbundene Staaten erschwert hat.81 Andererseits ist ein Strafgerichtshof, dem zwar alle Staaten beitreten, der aber aufgrund einer völlig selektiven Gerichtsbarkeit letztlich handlungsunfähig ist, von mehr als fragwürdigem Nutzen. d) Die Endfassung von Artikel 12 Abs. 2 IStGH-Statut Der zunächst favorisierte südkoreanische Vorschlag sah, wie bereits erwähnt, für die Ausübung von Gerichtsbarkeit die alternative Zustimmung von Territorialstaat, Täterstaat, Opferstaat oder Gewahrsamsstaat vor. Bei automatischer Gerichtsbarkeit mit Vertragsbeitritt hätte der IStGH hiernach in zahlreichen Fällen auch ohne Zustimmung des Heimatstaates des Beschuldigten Gerichtsbarkeit ausüben können. Insbesondere den Vereinigten Staaten ging diese Regelung zu weit. Ihr erklärtes Ziel war es, amerikanische Staatsangehörige umfassend vor der Gerichtsbarkeit des IStGH zu schützen. So forderten die amerikanischen Delegierten während der gesamten Verhandlungen für ein Tätigwerden des Gerichtshofs in jedem Fall die Zustimmung des Heimatstaates des Beschuldigten.82 Eine Ausnahme sollte lediglich bei der Verfahrenseinleitung durch den Sicherheitsrat gelten. Auch in diesem Fall wäre ein Strafverfahren gegen amerikanische Staatsangehörige nur mit Zustimmung der USA möglich gewesen, da diese als ständiges Mitglied des Sicherheitsrates eine Überweisung an den IStGH aufgrund ihres Vetorechts nach Artikel 27 Abs. 3 UN-Charta jederzeit verhindern können. Jedoch fand der südkoreanische Entwurf einer automatischen Gerichtsbarkeit des IStGH, soweit nur einer der genannten vier Staaten dem Rom-Statut beigetreten ist, immer mehr Anhänger. Daraufhin versuchten die USA, diesen Ansatz zugunsten einer zwingenden Zustimmung des Täterstaates auszuhebeln. Am 14. Juli 1998 wurde daher zunächst ein amerikanischer Vorschlag unterbreitet, nach dem für die Ausübung von Gerichtsbarkeit das kumulative Einverständnis von Territorialstaat und Täterstaat erforderlich gewesen wäre.83 Dieser Idee begegneten die anderen Staaten jedoch mit Ablehnung, da man der Auffassung war, dass nach geltendem Völkerrecht bereits die Zustimmung eines dieser beiden Staaten ausreichend sei für die Ausübung von Gerichtsbarkeit. Nur zwei Tage vor Konferenzende wurde deshalb erneut ein amerikanischer Entwurf vorgelegt, der wiederum eine Einschränkung der Gerichtsbarkeit des IStGH im Hinblick auf Staatsangehörige aus Nichtvertragsstaaten vorsah.84 Soweit Irmscher, Das Römische Statut für einen ständigen IStGH, S. 483. UN Doc. A / CONF.183 / C.1 / L.6; Stahn, Zwischen Weltfrieden und materieller Gerechtigkeit, S. 587; Kaul, Der IStGH: Das Ringen um seine Zuständigkeit und Reichweite, S. 143. 83 UN Doc. A / CONF.183 / C.1 / L.70 (1998); Wilmshurst, Jurisdiction of the Court, S. 137. 84 UN Doc. A / CONF.183 / C.1 / L.90, diesem Vorschlag war ein Abstimmungstreffen der fünf ständigen Sicherheitsratsmitglieder vorausgegangen, die jedenfalls zeitweise die Pläne 81 82

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B. Die Gerichtsbarkeit des IStGH

Täterstaat oder Territorialstaat dem Statut nicht beigetreten sind, sollten diese beiden Nichtvertragsstaaten hiernach die Möglichkeit haben, die Gerichtsbarkeit des Strafgerichtshofs auszuschließen, indem sie erklären, dass das in Frage stehende Völkerrechtsverbrechen bei Ausführung offizieller Aufgaben und Pflichten, das heißt also in „offizieller Mission“, begangen worden sei. Nach Abgabe einer solchen Erklärung, durch die der betroffene Nichtvertragsstaat offiziell die Verantwortung für die fraglichen Handlungen übernimmt, hätte der IStGH nur mit ausdrücklicher Zustimmung dieses Nichtvertragsstaates Gerichtsbarkeit ausüben können. Die Möglichkeit eines Ausschlusses der Gerichtsbarkeit des IStGH durch Qualifizierung eines Verhaltens als Handeln in staatichem Auftrag hätte auch für den Fall gelten sollen, dass neben dem Nichtvertragsstaat noch ein weiterer Vertragsstaat als Täter- oder Territorialstaat beteiligt gewesen wäre. So lautete Artikel 7 des dem Konferenzbüro vorgelegten Vorschlags: „1. With respect to States not Party to the Statute, the Court shall have jurisdiction over acts committed in the territory of a State not party, or committed by officials or agents of a State not party in the course of official duties and acknowledged by the State as such, only if the State or States in question have accepted jurisdiction in accordance with this article.“85

Hierdurch wären US-Bürger auch bei Begehung der genannten Kernverbrechen in einem Vertragsstaat umfassend vor der Gerichtsbarkeit des IStGH geschützt worden, soweit die amerikanische Regierung erklärt hätte, dass das fragliche Handeln in offizieller Mission erfolgt sei. Insbesondere in staatlichem Auftrag handelnde Personen wie Beamte, Soldaten aber auch ziviles Helferpersonal wären durch eine entsprechende staatliche Erklärung von der internationalen Strafgerichtsbarkeit befreit worden. Daneben sah der Vorschlag der US-Delegation eine zehnjährige Opt-outMöglichkeit für Vertragsstaaten im Hinblick auf Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit vor. Eine weitere Verlängerung dieser Option sollte schon mit einfacher Mehrheit möglich sein.86 Auf eine derartig weitgehende Schwächung des IStGH wollten sich die übrigen Staatenvertreter indessen nicht einlassen. Insbesondere die Befugnis eines Nichtvertragsstaates, einen Akt als offizielle Handlung zu deklarieren und damit für die Immunität von Personen zu sorgen, die möglicherweise „im Namen des Staates“ schwerste Verbrechen begangen haben, wurde mit äußerster Skepsis begegnet. So kam es auch nicht zur Aufnahme der amerikanischen „official act provision“ in die vom Konferenzbüro schließlich ausgearbeitete Endfassung des Statuts.87 der USA unterstützt und sich wohl entsprechend abgesprochen hatten, vgl. Kaul, Der IStGH: Das Ringen um seine Zuständigkeit und Reichweite, S. 143. 85 UN Doc. A / CONF.183 / C.1 / L.90. 86 UN Doc. A / CONF.183 / C.1 / L.90. 87 Wilmshurst, Jurisdiction of the Court, S. 137.

III. Die gerichtsverfassungsrechtliche Zuständigkeit des IStGH

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Im Hinblick auf die Voraussetzungen für die Ausübung der Gerichtsbarkeit des IStGH war man aber schließlich bereit, sich auf einen Mittelweg zwischen dem südkoreanischen und dem amerikanischen Vorschlag einzulassen. Statt der alternativ vorgesehenen vier Anknüpfungsmomente des koreanischen Ansatzes kommt eine Zuständigkeit des Gerichtshofs gemäß Artikel 12 Abs. 2 des Rom-Statuts nur noch in Betracht, soweit entweder der Territorialstaat oder der Täterstaat die Gerichtsbarkeit akzeptieren. Die Zustimmung des Gewahrsamsstaates oder des Opferstaates reicht indessen nicht mehr aus.88 Durch diese Beschränkung wollte man den USA entgegenkommen und die Akzeptanz des Statuts erleichtern. Allerdings war man nicht bereit, die von den USA geforderte kumulative Vertragsmitgliedschaft oder Zustimmung von Territorial- und Täterstaat für eine Gerichtsbarkeit des IStGH anzuerkennen. e) Die Opt-Out-Möglichkeit für Kriegsverbrechen, Artikel 124 IStGH-Statut Die Mehrheit der Delegierten war jedoch damit einverstanden, auch in Bezug auf die von den USA angestrebte Opt-out-Möglichkeit für Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit einen Kompromiss einzugehen. So wurde jedenfalls für Kriegsverbrechen eine Ausnahme von dem in Artikel 12 Abs. 1 niedergelegten Grundsatz einer automatischen Gerichtsbarkeit des IStGH vorgesehen. Nach Artikel 124 des Rom-Statuts kann ein Vertragsstaat nunmehr für zunächst sieben Jahre die Gerichtsbarkeit des IStGH im Hinblick auf Kriegsverbrechen ausschließen, soweit diese von seinen Staatsangehörigen oder auf seinem Territorium begangen worden sein sollen. Eine Verlängerung der Opt-outMöglichkeit wird auf der sieben Jahre nach Inkrafttreten des Rom-Statuts vorgesehenen Überprüfungskonferenz erneut erörtert werden, sie kann jedoch gemäß Artikel 123 Abs. 3, 121 Abs. 3 des Statuts nur mit Zweidrittelmehrheit beschlossen werden. Die Möglichkeit für die Mitgliedsstaaten, die Zuständigkeit des IStGH für Kriegsverbrechen auszuschließen, stellt eine erhebliche Schwächung des Prinzips der automatischen Gerichtsbarkeit dar. Andererseits wollte man den Staaten, die in Übereinstimmung mit dem ILC Draft Statute ein Opt-out-Regime für Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit gefordert hatten, ein Zugeständnis machen. Gerade den Ländern, deren militärische Streitkräfte in erheblichem Umfang an internationalen Einsätzen beteiligt sind, sollte durch diese vertrauensbildende Maßnahme die Angst vor einem internationalen Strafgericht genommen werden. Die durch Artikel 124 eröffnete Möglichkeit, die Gerichtsbarkeit des IStGH über Kriegsverbrechen zunächst auszuschließen, wurde bisher von den Vertragsstaaten jedoch kaum genutzt. Nur Frankreich und Kolumbien haben derzeit eine entsprechende Erklärung abgegeben.89 88

Wilmshurst, Jurisdiction of the Court, S. 137.

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B. Die Gerichtsbarkeit des IStGH

Den Vereinigten Staaten ging der gefundene Kompromiss jedoch nach wie vor nicht weit genug. Ein Tätigwerden des Gerichtshofs ohne Zustimmung des Täterstaates sollte um jeden Preis verhindert werden. Dementsprechend beharrte die amerikanische Delegation am 17. Juli auf einer offiziellen Abstimmung über die von ihr vorgebrachten Änderungsanträge. Diese wurden daraufhin in der letzten Sitzung des Committee of the Whole am 16. Juli 1998 aufgrund einer Non Action Motion mit 113 Stimmen bei 17 Gegenstimmen und 25 Enthaltungen abgelehnt und Artikel 12 des Statuts schließlich in der nunmehr geltenden Fassung verabschiedet.90 f) Zusammenfassung Soweit ein Verfahren durch die Vertragsstaaten oder den Ankläger eingeleitet wird, lässt sich im Hinblick auf die Ausübung der Gerichtsbarkeit des IStGH zusammenfassend feststellen, dass sich die deutsche Idee einer auf dem Weltrechtsprinzip beruhenden universalen Gerichtsbarkeit nicht durchsetzen konnte. Die Mehrheit der Staatengemeinschaft wollte dem Gerichtshof in diesen Fällen ausschließlich Gerichtsbarkeit aufgrund des Konsensprinzips einräumen und damit die Zustimmung der Staaten zur Grundlage seiner Zuständigkeit machen. Für die Vertragsstaaten gilt allerdings eine nunmehr obligatorische Gerichtsbarkeit. Gemäß Artikel 12 Abs. 1 des Statuts unterwirft sich jeder Staat mit Vertragsbeitritt der Gerichtsbarkeit des IStGH, wobei eine siebenjährige Ausnahmeregelung für Kriegsverbrechen vorgesehen ist. Nach Artikel 12 Abs. 2 kann der IStGH bei Verfahrenseinleitung durch einen Vertragsstaat oder den Ankläger Gerichtsbarkeit ausüben, wenn entweder der Territorialstaat oder der Täterstaat dem Statut beigetreten sind beziehungsweise im Einzelfall zugestimmt haben. Damit können auch Staatsangehörige dritter Staaten ohne Zustimmung ihres Heimatstaates vor das internationale Strafgericht gestellt werden, wenn der Territorialstaat Vertragspartner ist oder der Gerichtsbarkeit ad hoc zustimmt. Auch soweit Staatsangehörige aus Nichtvertragsstaaten im Ausland Völkerrechtsverbrechen begehen, kommt daher eine Gerichtsbarkeit des IStGH durchaus in Betracht. Allerdings führt insbesondere die Tatsache, dass entgegen dem zunächst favorisierten südkoreanischen Vorschlag die alleinige Zustimmung des Gewahrsamsstaates nicht mehr ausreicht, zu erheblichen Strafbarkeitslücken. Denn die meisten Kriege sind Bürgerkriege, die meisten Völkerrechtsverbrechen der letzten Jahre 89 Rome Statute of the ICC, Ratification Status, Declarations and Reservations, http: // www.un.org / law / icc / statute / status.htm, S. 8 (Erklärung Frankreichs); Colombia reservation text, http: // www.icrc.org / IHL.nsf / NORM / 909EEAAE157FBD43412566E100542BDE? OpenDocument. 90 Stahn, Zwischen Weltfrieden und materieller Gerechtigkeit, S. 587; Wilmshurst, Jurisdiction of the Court, S. 139.

III. Die gerichtsverfassungsrechtliche Zuständigkeit des IStGH

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wurden im Rahmen innerstaatlicher Konflikte begangen.91 Zu denken ist hier beispielsweise an die Bürgerkriege im ehemaligen Jugoslawien, in Ruanda, im Kongo oder im Sudan. Die jetzige Regelung in Artikel 12 Abs. 2 führt dazu, dass ein Bürgerkriegsverbrecher in der Regel nur noch zur Rechenschaft gezogen werden kann, wenn das Bürgerkriegsland Vertragsstaat ist. Dass der Täter in einem Vertragsstaat festgenommen und inhaftiert wird, reicht nicht aus. Gerade im Hinblick auf die zahlreichen innerstaatlichen Konflikte wäre es daher von großer Bedeutung gewesen, die Zustimmung beziehungsweise Anerkennung des Gewahrsamsstaates ausreichen zu lassen.92 In diesen Fällen kann nunmehr allein eine Verfahrenseinleitung durch den Sicherheitsrat der drohenden Straflosigkeit der Täter ein Ende bereiten. Denn soweit der UN-Sicherheitsrat gemäß Artikels 13 lit. b des IStGH-Statuts eine Situation an den Gerichtshof verweist, kann dieser uneingeschränkt und ohne weitere Bedingungen tätig werden. Eine Vertragsmitgliedschaft des Territorialstaates oder des Heimatstaates des Täters oder deren Zustimmung im Einzelfall ist insoweit für die Ausübung der Gerichtsbarkeit des IStGH nicht erforderlich. Die in Artikel 12 Abs. 2, Abs. 3 des Statuts vorgesehenen Einschränkungen gelten dann gerade nicht. Das Jurisdiktionsregime des Rom-Statuts, das schließlich nach zähen Verhandlungen und unter zahlreichen Kompromissen verabschiedet werden konnte, beantwortet jedoch noch nicht die Frage, woraus sich die materielle Strafbarkeit der in Artikel 5 aufgezählten und in den Artikeln 6 – 8 näher definierten Verbrechen ergibt, für deren Aburteilung der IStGH unter den in den Artikeln 12 ff. geregelten Voraussetzungen zuständig ist.

Kaul, Der IStGH: Das Ringen um seine Zuständigkeit und Reichweite, S. 144. Stahn, Zwischen Weltfrieden und materieller Gerechtigkeit, S. 587; Werle, Völkerstrafrecht, Rn. 59, Fn. 120. 91 92

C. Die materielle Strafbarkeit der in Artikel 5 genannten Verbrechen I. Strafbarkeit nach nationalem Recht Nach überkommener Auffassung war das Strafrecht ausschließlicher Bestandteil der nationalen Rechtsordnung. Die Befugnis, bestimmte Handlungen unter Strafe zu stellen, Straftatbestände zu definieren und entsprechende Verstöße zu ahnden, ist grundlegender Bestandteil der souveränen Hoheitsgewalt der Einzelstaaten. 1 Die Bestimmung von Inhalt und Umfang des staatlichen Strafanspruchs ist daher eng verknüpft mit dem Begriff der staatlichen Souveränität. So übt jeder souveräne Staat auf seinem Hoheitsgebiet die von anderen Staaten jedenfalls formal unabhängige „höchste Gewalt“ aus.2 Diese höchste Gewalt beinhaltet die territoriale Souveränität, das heißt die umfassende räumliche Herrschaft eines Staates über sein Territorium. Jeder Staat hat das Recht, über sein Staatsgebiet beziehungsweise Teile desselben uneingeschränkt zu verfügen.3 Diese territoriale Souveränität umfasst die Gebietshoheit, das heißt die Ausübung der aufgrund der territorialen Souveränität bestehenden tatsächlichen Herrschaftsgewalt über die in einem bestimmten Raum befindlichen Personen und Güter.4 Zur Ausübung dieser Hoheitsgewalt im Innenverhältnis gehört die ausschließliche Zuständigkeit des Staates zum Erlass von Hoheitsakten auf dem von ihm beherrschten Territorium.5 Dem Staat steht also für sein Staatsgebiet die alleinige Verfassungs- und Gesetzgebungskompetenz zu. Er ist befugt, die Rechts- und Lebensverhältnisse aller Menschen und Dinge, die sich in seinem Staatsgebiet befinden, umfassend zu regeln. Hiervon wird insbesondere auch die Strafhoheit mitumfasst. So gehört es zum grundlegenden Bestandteil 1 Doehring, Völkerrecht, Rn. 1148; Dahm / Delbrück / Wolfrum, Völkerrecht, Band I / 1, § 47 III. 1. a, S. 321 ff. 2 Ipsen, Völkerrecht, § 23, Rn. 3 – 4; Verdross / Simma, Universelles Völkerrecht, § 35; Müller-Werwel, Souveränitätskonzepte im geltenden Völkerrecht, S. 204, der darauf hinweist, dass unter dem Schlagwort der inneren Souveränität nicht nur die angesprochene Existenz einer „höchsten Gewalt“, sondern vielmehr auch die Frage diskutiert wird, wer Träger oder Inhaber der „höchsten Gewalt“ im Staate ist. Dieser Ansatz beschäftigt sich mit der so genannten Organsouveränität oder Souveränität im Staat. 3 Dahm / Delbrück / Wolfrum, Völkerrecht Bd. I / 3, S. 783; Stein / von Buttlar, Völkerrecht, Rn. 536; Seidl-Hohenveldern / Stein , Völkerrecht, Rn. 1112. 4 Zur Unterscheidung von territorialer Souveränität und Gebietshoheit insoweit Dahm / Delbrück / Wolfrum, Völkerrecht Bd. I / 1, S. 318 – 319. 5 Ipsen, Völkerrecht, § 23, Rn. 3; Müller-Werwel, Souveränitätskonzepte im geltenden Völkerrecht, S. 2; Dahm / Delbrück / Wolfrum, Völkerrecht Bd. I / 3, S. 783; Stein / von Buttlar, Völkerrecht, Rn. 536 ff.; Doehring, Völkerrecht, Rn. 133.

II. Strafbarkeit aufgrund völkerrechtlicher Verträge

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staatlicher Souveränität, innerhalb des eigenen Territoriums Strafgewalt auszuüben, das heißt Strafgesetze zu erlassen, Verstöße hiergegen gerichtlich zu ahnden und verhängte Strafen zu vollstrecken.6 Die Souveränität gibt jedem Staat das Recht, ausschließliche Gerichtsbarkeit in seinem Staatsgebiet und persönliche Gerichtsbarkeit über seine Staatsangehörigen auszuüben. 7 Das Rom-Statut nennt als Straftatbestände Völkermord, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen.8 Jeder souveräne Staat kann aus eigener Machtvollkommenheit heraus bestimmen, welches Verhalten er materiellrechtlich unter Strafe stellen will und entsprechende nationale Strafgesetze erlassen.9 Aufgrund seiner umfassenden Verfassungs- und Gesetzgebungskompetenz kann jeder Staat in seinem eigenen Territorium die Rechts- und Lebensverhältnisse aller Personen umfassend regeln und bestimmen, wann seine gesellschaftliche Ordnung als gestört anzusehen ist.10 Dies führt zu einer lückenlosen Anwendung der staatlichen Strafgesetze auf alle Handlungen, die im Staatsgebiet begangen werden, unabhängig von der Staatsangehörigkeit des Täters oder des Opfers. Dieser fundamentale strafrechtliche Grundsatz beruht auf der einzelstaatlichen Souveränität und ist weltweit anerkannt.11 Die einzelnen Vertragsstaaten können also aufgrund der aus ihrer Souveränität folgenden Strafhoheit die in Artikel 5 des IStGH-Statuts aufgezählten Verbrechen definieren und nach nationalem Recht unter Strafe stellen.

II. Strafbarkeit aufgrund völkerrechtlicher Verträge Daneben können aber auch mehrere Staaten gemeinsam die Strafbarkeit bestimmter Handlungen in internationalen Vereinbarungen bestimmen. Den einzelnen Staaten ist es ohne weiteres möglich, im Rahmen eines völkerrechtlichen Vertrages die Strafbarkeit bestimmter Tathandlungen gemeinsam festzulegen und auf vertraglicher Grundlage entsprechende Verbrechensdefinitionen zu erarbeiten. Da jeder Staat für sein eigenes Territorium Handlungen unter Strafe stellen kann, können mehrere Staaten sich insoweit auch zusammentun und gemeinsam Straftatbestände erarbeiten.12 Insoweit ist auf zahlreiche völkerrechtliche Konventionen 6 König, Die völkerrechtliche Legitimation der Strafgewalt internationaler Strafjustiz, S. 24; Doehring, Völkerrecht, Rn. 1148, 1152. 7 Steinberger, Sovereignty, in: Bernhardt (Hrsg.) EPIL, Vol. IV, S. 513. 8 Für das Verbrechen der Aggression, Artikel 5 Abs. lit. d Rom-Statut, muss gem. Artikel 5 Abs. 2 in Verbindung mit Artikel 121, 123 Rom-Statut erst eine Definition sowie die Bedingungen für die Ausübung der Gerichtsbarkeit erarbeitet werden. 9 Ali Khan-Allemann, Die Abgrenzung der staatlichen Strafgerichtsbarkeit, S. 29. 10 Ipsen, Völkerrecht, § 23, Rn. 4; Doehring, Völkerrecht, Rn. 1151. 11 Ali Khan-Allemann, Die Abgrenzung der staatlichen Strafgerichtsbarkeit, S. 26; Habscheid, in: LdR / VR (3. Aufl.), S. 132; Doehring, Völkerrecht, Rn. 1148 – 1152. 12 Halberstam, Terrorism on the High Seas, S. 272; Scharf, The ICC’s Jurisdiction Over the Nationals of Non-Party States: A Critique of the U.S. Position, S. 101.

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C. Die materielle Strafbarkeit der in Art. 5 genannten Verbrechen

zu verweisen, in denen die jeweiligen Vertragsstaaten bestimmte Vertragsverbrechen („treaty crimes“) definiert und die entsprechenden Tathandlungen unter Strafe gestellt haben. Zu denken ist hier etwa an die UN-Folterkonvention13 oder das Internationale Übereinkommen gegen Geiselnahme.14 Die Strafbarkeit des Einzelnen folgt hier allerdings grundsätzlich nicht schon unmittelbar aus dem völkerrechtlichen Vertrag, sondern wird erst durch die Transformation der völkervertraglichen Bestimmungen in nationale Strafrechtsbestimmungen begründet.15 In den jeweiligen Konventionen verpflichten sich die Mitgliedstaaten dazu, die vertraglich festgelegten Verbrechen nach nationalem Recht unter Strafe zu stellen und die Täter vor nationalen Gerichten zu verfolgen. Erfüllt ein Staat seine vertragliche Verpflichtung zur Umsetzung der Tatbestände in nationales Recht nicht, so begeht er ein völkerrechtliches Delikt und haftet unter Umständen seinerseits nach den völkerrechtlichen Grundsätzen zur Staatenverantwortlichkeit.16 Der individuelle Täter ist jedoch grundsätzlich mangels nationaler Strafbestimmung nicht strafbar.17 Die Verantwortlichkeit des Einzelnen ergibt sich also auch in diesem Fall letztlich erst aus dem nationalen Recht.

III. Strafbarkeit aufgrund von Völkergewohnheitsrecht Daneben stellt sich die Frage einer unmittelbar durch das Völkerrecht begründeten Strafbarkeit des Einzelnen für bestimmte Verbrechen, ohne dass es auf die Existenz entsprechender nationaler Strafbestimmungen ankommt. Vorliegend ist insbesondere von Bedeutung, ob sich die materielle Strafbarkeit der in Artikel 5 genannten Verbrechen unmittelbar aus Völkerrecht herleiten lässt. Voraussetzung hierfür ist, dass das Völkerrecht eine unmittelbare strafrechtliche Verantwortlichkeit des Einzelnen kennt und sich die Strafbarkeit der in Artikel 5 genannten Verbrechen aus universell geltendem Völkerrecht ergibt. 1. Die strafrechtliche Verantwortlichkeit des Einzelnen im Völkerrecht Das traditionelle Völkerrecht kannte zunächst nur Staaten als Völkerrechtssubjekte und damit als Träger von Rechten und Pflichten. Für Völkerrechtsdelikte wurden zunächst ausschließlich Staaten zur Verantwortung gezogen und haftbar gemacht, die dahinter stehenden Individuen wurden ignoriert.18 Nach der im klassi13 14

BGBl. 1990 II, S. 246. GA-Res. 34 / 145 (XXXIV), 34 U.N. GAOR Supp. (No. 46), S. 245, U.N. Doc. A / 34 /

146. 15 16 17

Doehring, Völkerrecht, Rn. 1148. Doehring, Völkerrecht, Rn. 827 ff. Doehring, Völkerrecht, Rn. 1150.

III. Strafbarkeit aufgrund von Völkergewohnheitsrecht

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schen Völkerrecht vorherrschenden Objekttheorie kam eine Völkerrechtssubjektivität des Einzelnen nicht in Betracht. Dieser konnte direkt aus dem Völkerrecht weder Rechte noch Pflichten herleiten, er war vielmehr durch das Dazwischentreten der nationalen Rechtsordnung mediatisiert. Die Rechtsstellung des Individuums ergab sich damit zunächst ausschließlich aus nationalem Recht.19 Dementsprechend wurden Völkerrechtsverletzungen des Einzelnen nur geahndet, soweit nationale Bestimmungen eine entsprechende Strafbarkeit vorsahen, also eine Transformation von Völkerrecht in nationales Recht stattgefunden hatte. Eine Strafverfolgung erfolgte dann ausschließlich vor nationalen Gerichten.20 Nach dem Ersten Weltkrieg begann sich diese Impermeabilität der staatlichen Rechtsordnung zu lockern. Das zunächst undurchlässige staatliche Rechtssystem erlaubte vermehrt einen Durchgriff des Völkerrechts auf den Einzelnen. So kam es zum einen im Anschluss an den Versailler Friedensvertrag zum Abschluss von Schutzverträgen für nationale Minderheiten, aus denen die Betroffenen unmittelbar Rechte geltend machen konnten.21 Weiterhin wurde erstmals der Versuch einer Strafverfolgung einzelner Personen für schwere Verletzungen des Völkerrechts unternommen. So sollte etwa Kaiser Wilhelm II. für Verstöße gegen das Sittengesetz und die Heiligkeit der Verträge und damit für die Verletzung internationalen Rechts strafrechtlich zur Verantwortung gezogen werden. Zwar scheiterte dieser Plan an der Weigerung der Niederlande, den deutschen Kaiser auszuliefern. Dennoch gewann die Vorstellung einer unmittelbar auf Völkerrecht beruhenden strafrechtlichen Verantwortlichkeit des Einzelnen an Boden.22 Dieser Idee wurde schließlich mit Gründung der Kriegsverbrechertribunale von Nürnberg und Tokio nach Ende des Zweiten Weltkriegs zum Durchbruch verholfen. Hier kam es erstmals zu einer Bestrafung Einzelner für Verstöße gegen das Völkerrecht. Unter dem Eindruck der in beiden Weltkriegen begangenen Gräueltaten verfestigte sich die Idee einer unmittelbaren strafrechtlichen Verantwortlichkeit des Individuums.23 Dieses wurde 18 Dupuy, International Criminal Responsibility of the Individual and the International Responsibility of the State, in: Cassese / Gaeta / Jones, The Rome Statute of the ICC, S. 1086. 19 Hailbronner, in: Graf Vitzthum (Hrsg.), Völkerrecht, 3. Abschn., Rn. 14 – 15; Ipsen, Völkerrecht § 7, Rn. 1; Stein / von Buttlar, Völkerrecht, Rn. 494 ff.; Dahm / Delbrück / Wolfrum, Völkerrecht, Band I / 3, S. 1025 ff.; Oellers-Frahm, Internationale Gerichtsbarkeit – gestern und heute, S. 468 ff. 20 Doehring, Völkerrecht, Rn. 1148; Schmidt, Externe Strafpflichten, S. 37 ff.; Bleckmann, in: LdR / VR (2. Aufl.), S. 397. 21 Karl, in: LdR / VR (3. Aufl.), S. 281; Beyerlin, in: LdR / VR (3. Aufl.), S. 276; Schmidt, Externe Strafpflichten, S. 37 – 38. 22 Dupuy, International Criminal Responsibility of the Individual and the International Responsibility of the State, in: Cassese / Gaeta / Jones, The Rome Statute of the ICC, S. 1086; Doehring, Völkerrecht, Rn. 1162; Triffterer, in: Triffterer, Artikel 27, Rn. 1. 23 Oellers-Frahm, Internationale Gerichtsbarkeit – gestern und heute, S. 469; Schmidt, Externe Strafpflichten, S. 38 ff.; Schröder, in: Graf Vitzthum (Hrsg.), Völkerrecht, 6. Abschn., Rn. 36 ff.; Dahm / Delbrück / Wolfrum, Völkerrecht, Band I / 1; S. 21 ff., die davon sprechen, dass das moderne Völkerrecht den Mantel staatlicher Souveränität vermehrt durchstößt.

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C. Die materielle Strafbarkeit der in Art. 5 genannten Verbrechen

zunächst vereinzelt, mit Fortschreiten des 20. Jahrhunderts immer häufiger selbst zum Völkerrechtssubjekt, das heißt zum Träger von Rechten und Pflichten.24 Mittlerweile ist eine jedenfalls partielle Völkerrechtsfähigkeit des Einzelnen absolut anerkannt.25 2. Überblick über die verwendete Terminologie Fraglich ist jedoch, für welche Handlungen das Völkerrecht eine strafrechtliche Verantwortlichkeit des Einzelnen begründet. Während für die völkerrechtliche Verantwortlichkeit von Staaten und internationalen Organisationen mittlerweile ein anerkanntes Konzept existiert, hat sich für die völkerrechtliche Verantwortlichkeit von Individuen bisher noch kein einheitliches System herausgebildet. Bereits die gebräuchliche Terminologie ist uneinheitlich.26 So wird die Thematik unter dem Begriff des internationalen Strafrechts erfasst27, andere sprechen von Völkerstrafrecht28, daneben ist vielfach von internationalen Verbrechen („international crimes“)29 oder Verbrechen gegen das Völkerrecht („crimes against the law of nations“ beziehungsweise „crimes against international law“)30 die Rede. Insbesondere der Begriff des internationalen Strafrechts ist insoweit jedoch missverständlich.31 Er wird zwar teilweise auch für den vorliegend zu untersuchenden Bereich der völkerrechtlichen Strafnormen verwendet, die eine unmittelbare Verantwortlichkeit des Einzelnen begründen.32 Daneben umfasst das internationale Oellers-Frahm, Internationale Gerichtsbarkeit – gestern und heute, S. 466. Hailbronner, in: Graf Vitzthum (Hrsg.), Völkerrecht, 3. Abschn., Rn. 15; Bleckmann, in: LdR / VR (3. Aufl.), S. 518; Oellers-Frahm, Internationale Gerichtsbarkeit – gestern und heute, S. 466, 468 ff. 26 Schröder, in: Graf Vitzthum (Hrsg.), Völkerrecht, 6. Abschn., Rn. 34 ff.; Stein / von Buttlar, Völkerrecht, Rn. 1163 ff. 27 Oehler, Internationales Strafrecht, Rn. 3, 995 ff.; Doehring, Völkerrecht, Rn. 1146 ff.; Dahm / Delbrück / Wolfrum, Völkerrecht, Band I / 3, S. 1003 ff.; Oehler, in: LdR / VR (3. Aufl.), S. 207. 28 Stein / von Buttlar, Völkerrecht, Rn. 1163; Schröder, in: Graf Vitzthum (Hrsg.), Völkerrecht, 6. Abschn., Rn. 36 ff., der zwischen Völkerstrafrecht im weiteren Sinn und Völkerstrafrecht im engeren Sinn differenziert. 29 Jescheck, International Crimes, in: Bernhardt (Hrsg.) EPIL, Vol. II, S. 1120; zu dieser Differenzierung auch Schröder, in: Graf Vitzthum (Hrsg.), Völkerrecht, 6. Abschn., Rn. 35. 30 Schindler, Crimes Against the Law of Nations, in: Bernhardt (Hrsg.), EPIL, Vol. I, S. 875 ff.; Jescheck, International Crimes, in: Bernhardt (Hrsg.), EPIL, Vol. II, S. 1120, der der Auffassung ist, es handle sich beim Begriff „crime against international law“ um den engeren Begriff; hierzu auch Schröder, in: Graf Vitzthum (Hrsg.), Völkerrecht, 6. Abschn., Rn. 35. 31 Dahm / Delbrück / Wolfrum, Völkerrecht, Band I / 3, S. 993; Stein / von Buttlar, Völkerrecht, Rn. 1163; Schröder, in: Graf Vitzthum (Hrsg.), Völkerrecht, 6. Abschn., Rn. 335. 32 Dahm / Delbrück / Wolfrum, Völkerrecht, Band I / 3, S. 994, die insoweit von materiellem internationalem Strafrecht sprechen. 24 25

III. Strafbarkeit aufgrund von Völkergewohnheitsrecht

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Strafrecht nach allgemeiner Auffassung aber jedenfalls auch die Bestimmungen des staatlichen Strafanwendungsrechts, das heißt die innerstaatlichen Rechtsnormen, die den Anwendungsbereich des eigenen Strafrechts gegenüber dem Strafrecht anderer Staaten abgrenzen, wie etwa die §§ 3 ff. des deutschen Strafgesetzbuchs. Bei diesen Normen handelt es sich aber um nationale Vorschriften, die den Anwendungsbereich des eigenen Strafrechts festlegen und damit um innerstaatliches Recht.33 Auch der Begriff des Völkerstrafrechts wird nicht ganz einheitlich verwendet. Teilweise werden hierunter sowohl völkergewohnheitsrechtlich anerkannte Verbrechen als auch in völkervertraglichen Konventionen wie in der Konvention gegen Geiselnahme34 oder den internationalen Konventionen zur Bekämpfung des Terrorismus35 festgelegte Straftatbestände erfasst. Es erfolgt also keine Unterscheidung danach, ob sich die individuelle Strafbarkeit des Einzelnen tatsächlich unmittelbar aus geltendem Völkerrecht und damit unabhängig von nationalen Strafnormen herleiten läßt oder ob diese Strafbarkeit erst durch die nationale Gesetzgebung, das heißt durch Transformation der völkervertraglich definierten Delikte in nationales Recht, begründet wird.36 Soweit hier alle internationalen Delikte ohne Unterscheidung nach dem Rechtsgrund für ihre Strafbarkeit erfasst werden, ist auch von Völkerstrafrecht im weiteren Sinn die Rede.37 Nach anderer Terminologie umfasst der Begriff des Völkerstrafrechts nur die völkerrechtlichen Verbrechen, die eine unmittelbare strafrechtliche Verantwortlichkeit des Einzelnen begründen, ohne dass eine Transformation ins nationale Recht erforderlich ist.38 Rechtsgrundlage für die Strafbarkeit ist hier Völkergewohnheitsrecht. Insoweit wird auch von Völkerstrafrecht im engeren Sinne gesprochen.39 Dieser Ansatz stimmt mit der gebräuchlichen Verwendung der Begriffe „internationales Verbrechen“ („internatioOehler, in: LdR / VR (2. Aufl.), S. 158. BGBl. 1980 II, S. 1361. 35 Convention on Offences and Certain Other Acts Committed on Board Aircraft vom 14. 9. 1963, Convention for the Suppression of Unlawful Seizure of Aircraft vom 16. 12 1970; der Text der internationalen Terrorismuskonventionen ist abrufbar unter http: // www. auswaertiges-amt.de / www / de / aussenpolitik / vn / itb / konventionen_html. 36 Oehler, in: LdR / VR (3. Aufl.), S. 207 ff. fasst unter den Begriff des Völkerstrafrechts zunächst alle internationalen Delikte, differenziert dann aber zwischen internationalen Verbrechen im materiellen und formellen Sinn, je nachdem ob ihre Strafbarkeit völkergewohnheitsrechtlich oder völkervertraglich begründet ist. Eine Differenzierung ist für das IStGHStatut von Bedeutung, soweit der Sicherheitsrat eine Situation überweist. Eine unmittelbar aus dem Völkerrecht folgende Strafbarkeit des Einzelnen ist hier nur gegeben, soweit es sich bei den in Artikel 5 genannten Verbrechen um universell geltendes Völkerstrafrecht handelt. Differenzierend nach der Rechtsgrundlage für die Strafbarkeit des Einzelnen auch SeidlHohenveldern / Stein, Völkerrecht, Rn. 1381. 37 Schröder, in: Graf Vitzthum (Hrsg.), Völkerrecht, 6. Abschn., Rn. 36. 38 Bruer-Schäfer, Der IStGH, S. 34 ff.; Schmidt, Externe Strafpflichten, S. 37 ff.; Ipsen, Völkerrecht, § 38, Rn. 12. 39 Schröder, in: Graf Vitzthum (Hrsg.), Völkerrecht, 6. Abschn., Rn. 36. 33 34

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C. Die materielle Strafbarkeit der in Art. 5 genannten Verbrechen

nal crime“) sowie „Verbrechen gegen das Völkerrecht“ („crime against the law of nations“, „crime against international law“) überein. Auch hierunter fallen nach allgemeiner Ansicht nur solche Verbrechen, bei denen eine Strafbarkeit und Verfolgbarkeit unmittelbar durch das Völkerrecht begründet wird, ohne dass es auf eine Kriminalisierung durch die einzelstaatliche Gesetzgebung ankommt.40 Im Hinblick auf die Mehrdeutigkeit des Begriffs des internationalen Strafrechts soll vorliegend von Völkerstrafrecht die Rede sein. In Übereinstimmung mit dem geschilderten engen Begriffsverständnis sollen hierunter im Folgenden ausschließlich die Delikte zu verstehen sein, deren individuelle Strafbarkeit sich bereits unmittelbar aus geltendem Völkerrecht ergibt, ohne dass es auf ihre Strafbarkeit nach nationalem Recht ankommt. 3. Die völkergewohnheitsrechtliche Strafbarkeit der Kernverbrechen Es ist heute allgemein anerkannt, dass das Völkerrecht für die Begehung bestimmter schwerster Verbrechen eine unmittelbare strafrechtliche Verantwortlichkeit des Einzelnen begründet. Dies gilt unabhängig davon, ob die fragliche Tat am Tatort oder durch den Heimatstaat des Täters aufgrund nationaler Vorschriften unter Strafe gestellt ist. Die völkerrechtliche Strafbarkeit beruht vielmehr auf dem Konsens der internationalen Staatengemeinschaft und damit auf Völkergewohnheitsrecht. Als klassische Völkerrechtsverbrechen bereits frühzeitig anerkannt waren die Piraterie auf Hoher See, der Sklavenhandel und die Münzfälschung.41 Die Täter wurden als hostes humani generis, als Feinde der gesamten Weltgemeinschaft, angesehen. Insbesondere nach Ende des Ersten Weltkriegs sowie mit Errichtung der Nürnberger Kriegsverbrechertribunale kam es zur gewohnheitsrechtlichen Anerkennung weiterer Völkerrechtsverbrechen. Das Nürnberg-Tribunal hatte Gerichtsbarkeit über Verbrechen gegen die Menschlichkeit, worunter insbesondere auch der Tatbestand des Völkermordes fiel, sowie über Kriegsverbrechen und das Verbrechen der Aggression. Nach allgemeiner Auffassung zählen die „klassischen Nürnberger Verbrechen“ Völkermord, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen, über die gerade auch der IStGH gemäß Artikel 5 des Rom-Statuts Gerichtsbarkeit ausübt, zum geltenden Völkerstrafrecht.42

Jescheck, International Crimes, in: Bernhardt (Hrsg.) EPIL, Vol. II, S. 1120. Tomuschat, The Duty to Prosecute International Crimes Committed by Individuals, S. 328; Brown, U.S. Objections to the Statute of the ICC, S. 873. 42 Bungenberg, Extraterritoriale Strafrechtsanwendung, S. 178; Randall, Universal Jurisdiction, S. 801; Orentlicher, International Criminal Law and the Cambodian Killing Fields, S. 705. Demgegenüber ist die Frage, ob auch das Verbrechen der Aggression ein Völkerrechtsverbrechen darstellt, das zu einer umfassenden Strafverfolgung durch alle Staaten der Weltgemeinschaft aufgrund des Universalitätsprinzips berechtigt, äußerst problematisch. 40 41

III. Strafbarkeit aufgrund von Völkergewohnheitsrecht

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a) Völkermord Unumstrittener Bestandteil des geltenden Völkerstrafrechts ist das Verbrechen des Völkermordes.43 Schon zur Zeit des Nürnberger Kriegsverbrechertribunals ging die herrschende Auffassung davon aus, dass Völkermord ein Verbrechen gegen die internationale Gemeinschaft in ihrer Gesamtheit darstellt und unabhängig von nationalen Strafvorschriften zur Strafbarkeit der Täter nach Völkerrecht führt. Auch wenn die Nürnberg-Charta den Völkermord nicht als eigenständiges Verbrechen erwähnte, so stellte er bereits damals eine Fallgruppe der dort genannten Verbrechen gegen die Menschlichkeit dar. Weiterhin kam es 1948 zur Verabschiedung der Völkermordkonvention, von der der IGH bereits 1951 in einem Rechtsgutachten feststellte: „. . . the principles underlying the Convention are principles which are recognized by civilized nations as binding on States, even without conventional obligation. “44

Von einer völkergewohnheitsrechtlich anerkannten Verantwortlichkeit des Einzelnen gehen dementsprechend auch zahlreiche nationale Entscheidungen aus.45 b) Kriegsverbrechen Ähnliches gilt für Kriegsverbrechen. Sowohl die völkerstrafrechtliche Verantwortlichkeit des Einzelnen für die Begehung von Kriegsverbrechen als auch deren universelle Verfolgbarkeit durch alle Staaten der Völkergemeinschaft waren bereits zur Zeit des Zweiten Weltkriegs überwiegend anerkannt.46 Die vier Genfer Konventionen von 1949 wurden mittlerweile von fast allen Staaten der Welt ratifiziert und sind demgemäß als Bestandteil des geltenden Völkergewohnheitsrechts einzustufen.47 Jedenfalls schwere Verstöße gegen die Genfer Konventionen (grave 43 Tomuschat, The Duty to Prosecute International Crimes Committed by Individuals, S. 331 mit zahlreichen Nachweisen; Broomhall, Towards the Development of an Effective System of Universal Jurisdiction, S. 404; Dahm / Delbrück / Wolfrum, Völkerrecht, Bd. I / 1, S. 322; Enache-Brown / Fried, Universal Crime, Jurisdiction and Duty, S. 623; König, Die völkerrechtliche Legitimation der Strafgewalt internationaler Strafjustiz, S. 406, 410; BruerSchäfer, Der IStGH, S. 136. 44 Reservations to the Convention on Genocide, Advisory Opinion, ICJ Reports 1951, S. 23. 45 Federation Nationale de Deportes et Internes Resistants et Patriotes And Others v. Barbie, 78 ILR, S. 125 ff. (Cass. Crim. 1983); Attorney General of Israel v. Eichmann, 36 ILR, S. 277 ff. (Supreme Court Israel 1962); Demjanjuk v. Petrovsky, 776 F.2d, S. 571 ff. (6th Cir. 1985). 46 Stein / von Buttlar, Völkerrecht, Rn. 1171 ff. unter Verweis auf die schon in der ersten Genfer Konvention vom 22. 8. 1864 festgelegte Strafbarkeit von Kriegsverbrechen sowie die nach dem Ersten Weltkrieg von den Alliierten angestrebte Aburteilung deutscher Kriegsverbrecher, die zu den fragwürdigen Leipziger Kriegsverbrecherprozessen führte; zur Geschichte des Kriegsrechts seit dem 19. Jahrhundert Rn. 1223 ff. 47 Stein / von Buttlar, Völkerrecht, Rn. 1228 (192 Vertragsstaaten, Stand Oktober 2004); Bothe, in: Graf Vitzthum (Hrsg.), Völkerrecht, 7. Abschn., Rn. 50.

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C. Die materielle Strafbarkeit der in Art. 5 genannten Verbrechen

breaches) führen nach allgemeiner Auffassung zu individueller strafrechtlicher Verantwortlichkeit. Auch Kriegsverbrechen begründen daher die völkerrechtliche Strafbarkeit des Einzelnen.48

c) Verbrechen gegen die Menschlichkeit Daneben sind auch Verbrechen gegen die Menschlichkeit als Verbrechen gegen die Weltgemeinschaft einzustufen.49 Zwar bestehen im Detail Unstimmigkeiten im Hinblick auf Umfang und Reichweite des völkergewohnheitsrechtlichen Tatbestandes der Verbrechen gegen die Menschlichkeit. So wird teilweise geltend gemacht, einzelne der in Artikel 7 IStGH-Statut aufgelisteten Tathandlungen gingen über geltendes Völkerstrafrecht hinaus und stellten insoweit eine Rechtsfortbildung dar.50 Genannt werden hier etwa die in Artikel 7 Abs. 1 lit. g genannten Verbrechen gegen die sexuelle Integrität wie Vergewaltigung, erzwungene Schwangerschaft oder Zwangssterilisation, für die sich in früheren Texten keine Parallele finden läßt und in denen sich insbesondere die schrecklichen Erfahrungen im JugoslawienKonflikt widerspiegeln.51 Nach anderer Auffassung stellt die ausdrückliche Einbeziehung dieser Tathandlungen keine Rechtsfortbildung dar. Insoweit wird insbesondere darauf verwiesen, dass auch die in der Nürnberg-Charta und in den Statuten der ad hoc Straftribunale ausdrücklich genannten Tathandlungen für Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen keinesfalls abschließend waren, sondern vielmehr eine rein beispielhafte Aufzählung darstellen sollten. Neben den dort genannten Verbrechenshandlungen waren ausdrücklich auch noch „andere unmenschliche Handlungen ähnlicher Art“ umfasst. Die im Rom-Statut aufgezählten geschlechtsspezifischen Verbrechen stellten solche ähnlich unmenschliche Handlungen dar, sie seien letztlich also bereits Bestandteil des geltenden Völkergewohnheitsrechts. Dies habe man durch ihre Auflistung im Statut lediglich besonders betonen wollen.52 48 Broomhall, Towards the Development of an Effective System of Universal Jurisdiction, S. 404; Enache-Brown / Fried, Universal Crime, Jurisdiction and Duty, S. 613 ff., 621; Bungenberg, Extraterritoriale Strafrechtsanwendung, S. 178; Jescheck, Die Verantwortlichkeit der Staatsorgane nach Völkerrecht, S. 11. 49 Broomhall, Towards the Development of an Effective System of Universal Jurisdiction, S. 404; Dahm / Delbrück / Wolfrum, Völkerrecht, Bd. I / 1, S. 322; Enache-Brown / Fried, Universal Crime, Jurisdiction and Duty, S. 623; König, Die völkerrechtliche Legitimation der Strafgewalt internationaler Strafjustiz, S. 406, 410; Bruer-Schäfer, Der IStGH, S. 136. 50 Werle, Völkerstrafrecht, Rn. 127, 141; Meron, Crimes Under the Jurisdiction of the ICC, S. 48; Tomuschat, Das Statut von Rom für den IStGH, S. 339; Sadat, The ICC and the Transformation of International Law, S. 267; Roberts, Assault on Sovereignty, S. 67. 51 Sadat, The ICC and the Transformation of International Law, S. 267; Tomuschat, Das Statut von Rom für den IStGH, S. 339. 52 Scharf, The ICC’s Jurisdiction over the Nationals of Non-Party States, S. 82; Robinson, in: Lee (Hrsg.), Elements of Crimes and Rules of Procedure and Evidence, S. 58.

III. Strafbarkeit aufgrund von Völkergewohnheitsrecht

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Daneben wird darauf verwiesen, dass die im Statut kodifizierten Verbrechen gegen die Menschlichkeit letztlich hinter geltendem Völkergewohnheitsrecht zurückbleiben und an wesentlich engere Tatbestandsvoraussetzungen geknüpft sind. So erfaßt Artikel 7 nur Handlungen, die im Rahmen eines „ausgedehnten oder systematischen Angriffs“ erfolgen. Grundsätzlich stellt indessen bereits jede Verletzung der Genfer Konventionen ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit dar. Eine derartige Einschränkung wäre daher keinesfalls gewohnheitsrechtlich erforderlich gewesen.53 Festzuhalten bleibt, dass trotz dieser Unstimmigkeiten im Detail ein „Kernbestand“ von Verbrechen gegen die Menschlichkeit völkergewohnheitsrechtlich absolut anerkannt ist.54 Hierzu gehören neben dem bereits gesondert angeführten Völkermord insbesondere Apartheid, Folter, sowie die vorsätzliche Tötung, Ausrottung, Versklavung und Deportation von Personen. Der Tatbestand der Verbrechen gegen die Menschlichkeit findet sich in den Statuten aller internationaler Strafgerichtshöfe, in zahlreichen nationalen Rechtsordnungen sowie im Entwurf zum Völkerstrafgesetzbuch der UN-Völkerrechtskommission.55

d) Stellungnahme Auch Kritiker des Rom-Statuts wie die Vereinigten Staaten haben traditionell nie bestritten, dass es sich bei Völkermord, Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit um Straftaten handelt, die eine unmittelbare Strafbarkeit des Einzelnen aufgrund von Völkerrecht begründen. So haben gerade amerikanische Vertreter im Zusammenhang mit der Errichtung des Nürnberg-Tribunals und der Bestrafung der deutschen Täter immer wieder betont, dass deren strafrechtliche Verantwortlichkeit für die fraglichen Verbrechen unmittelbar aus dem Völkerrecht abzuleiten sei.56 Schließlich haben die beiden ad hoc Straftribunale für Jugoslawien und Ruanda ebenfalls Gerichtsbarkeit über Völkermord, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen. Die universelle Strafbarkeit dieser Verbrechen wurde auch von diesen internationalen Gerichtshöfen betont, so führte etwa das Jugoslawientribunal aus: 53 Paust, ICC: Views from Rome, S. 73; so auch Scheffer, The U.S. Perspective on the ICC, S. 272. 54 Bosch, Immunität und internationale Verbrechen, S. 32 mit zahlreichen Nachweisen. 55 Bosch, Immunität und internationale Verbrechen, S. 32. 56 Glueck, War Criminals Their Prosecution and Punishment, S. 139; Glueck, The Nuremberg Trial and Aggressive War, S. 71 ff., 91 – 92; Smith, The American Road to Nuremberg, S. 158, Document 49, prepared in Assistant Secretary of War’s Office: „The Punishment of those guilty of war crimes and atrocities is for criminal violation of international law“; Sack, Punishment of War Criminals and the Defence of Superior Order, S. 67.

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C. Die materielle Strafbarkeit der in Art. 5 genannten Verbrechen „. . . it should be noted that the crimes which the International Tribunal has been called upon to try are not crimes of a purely domestic nature. They are really crimes which are universal in nature, well recognised in international law as serious breaches of international humanitarian law, and transcending the interest of any one state. The Trial Chamber agrees that in such circumstances, the sovereign rights of States cannot and should not take precedence over the right of the international community to act appropriately as they affect the whole of mankind and shock the conscience of all nations of the world. There can therefore be no objection to an international tribunal properly constituted trying these crimes on behalf of the international community“.57

Auch bei Errichtung der ad hoc Straftribunale war man sich einig, dass die von den Tribunalen abzuurteilenden Verbrechen bereits nach geltendem Völkerrecht strafbar seien.58 Allerdings sind die im Rom-Statut aufgezählten Kernverbrechen nicht in allen nationalen Rechtsordnungen unter Strafe gestellt. So schildert beispielsweise der Führer der amerikanischen Verhandlungsdelegation in Rom, David Scheffer, dass Verbrechen gegen die Menschlichkeit vom U.S. Criminal Code nicht umfasst seien.59 Er beschreibt weiterhin eindrucksvoll, dass auch die Ausübung von Strafgerichtsbarkeit aufgrund des Universalitätprinzips nach amerikanischem Recht nicht ohne weiteres in Betracht komme. Vielmehr sei es derzeit fast unmöglich, einen fremden Staatsbürger, der sich im Ausland wegen Völkermordes strafbar gemacht hat, in den USA vor Gericht zu stellen.60 Es erscheint daher naheliegend, dass amerikanische Kritiker teilweise im Hinblick auf die in Artikel 5 des Rom-Statuts aufgezählten Verbrechen nicht hinreichend differenzieren zwischen der Strafbarkeit nach nationalem Recht einerseits und der Strafbarkeit nach Völkerrecht andererseits. Die Tatsache, dass das amerikanische Strafgesetzbuch hinter dem geltenden Völkergewohnheitsrecht zurückbleibt und im Verhältnis zum internationalen Recht erhebliche Strafbarkeitslücken aufweist,61 ändert jedoch nichts an der Strafbarkeit der Kernverbrechen nach derzeitigem Stand des Völkerstrafrechts. Die in Artikel 5 aufgezählten Verbrechen begründen vielmehr nach ganz herrschender Auffassung unabhängig von der nationalen Strafgesetzgebung eine unmittelbare Verantwortlichkeit des Einzelnen nach Völkerrecht.

57 Prosecutor v. Dusko Tadic, Decision on the Defence Motion of Jurisdiction (Trial Chamber), Ziffer 42, http: // www.un.org / icty / tadic / trialc2 / decision-e / 100895.htm, bestätigt und zitiert von der Berufungskammer, Prosecutor v. Dusko Tadic (Appeals Chamber), Case No. IT-94 – 1-AR72, 35 ILM (1996), S. 32 – 33, Ziff. 59. 58 Kolodkin, An Ad Hoc International Tribunal for the Prosecution of Serious Violations of International Humanitarian Law in the Former Yugoslavia, S. 812; Jianping / Zhixiang, China’s Attitude Towards the ICC, S. 614 – 617. 59 Scheffer, Advancing U.S. Interests with the ICC, S. 1573. 60 Scheffer, Advancing U.S. Interests with the ICC, S. 1574. 61 Scheffer, Advancing U.S. Interests with the ICC, S. 1573 – 1574.

IV. Fazit

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IV. Fazit Abschließend lässt sich daher zum einen festhalten, dass jeder Staat aufgrund seiner souveränen Hoheitsgewalt bestimmte Handlungen nach nationalem Recht unter Strafe stellen und entsprechende materielle Straftatbestände schaffen kann. Mehrere Staaten können weiterhin die individuelle Strafbarkeit bestimmter Handlungen gemeinsam festlegen und entsprechende Straftatbestände definieren, wie dies in zahlreichen völkerrechtlichen Übereinkommen geschehen ist. Eine individuelle Strafbarkeit folgt in diesen Fällen grundsätzlich nicht unmittelbar aus der jeweiligen Konvention, sondern erst durch Transformation der völkervertraglichen Bestimmungen in das nationale Strafrecht. Daneben begründen bestimmte Verbrechen aber auch unmittelbar aufgrund geltenden Völkergewohnheitsrechts eine strafrechtliche Verantwortlichkeit des Einzelnen, ohne dass es darauf ankommt, ob die jeweiligen Tathandlungen nach nationalem Recht unter Strafe gestellt sind. Dies gilt gerade für die im Rom-Statut aufgezählten und definierten Verbrechen Völkermord, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen. Das Rom-Statut als völkerrechtlicher Vertrag schafft insoweit anders als viele andere Konventionen keine neuen Vertragsverbrechen, sondern kodifiziert lediglich ohnehin geltendes Völkerstrafrecht.62

62 Scharf, The ICC’s Jurisdiction over the Nationals of Non-Party States, S. 82, der darauf hinweist, dass die Tatsache, dass die Reichweite eines Tatbestandes im Einzelnen nicht abschließend geklärt ist, so dass einzelne der im Statut als Verbrechen gegen die Menschlichkeit definierten Tathandlungen teilweise als Rechtsfortbildung angesehen werden, insoweit nichts an der völkerrechtlichen Strafbarkeit des Verbrechens an sich ändert. Im Übrigen könnten die Vertragsstaaten entsprechende Verbrechen ohnehin gemeinsam vertraglich festlegen und definieren. Für eine Strafverfolgung vor nationalen Gerichten wäre dann eine Transformation der Bestimmungen ins nationale Recht erforderlich, soweit ihre Strafbarkeit nicht bereits unmittelbar aus geltendem Völkergewohnheitsrecht folgt.

D. Die Strafgerichtsbarkeit der Einzelstaaten I. Allgemeines Grundsätzlich ist es Aufgabe der Einzelstaaten, Straftaten zu ahnden und die Täter vor nationalen Strafgerichten zur Rechenschaft zu ziehen. Auch die Begehung völkerrechtlicher Verbrechen wird grundsätzlich durch nationale Strafgerichte verfolgt. Das Rom-Statut sieht demgegenüber eine Strafverfolgungskompetenz für den IStGH als internationales Strafgericht vor. Zahlreiche Kritiker bestreiten indessen die Befugnis der Vertragsstaaten, dem Strafgerichtshof eine entsprechende Strafverfolgungsbefugnis einzuräumen. Insbesondere die vorgesehene Strafgerichtsbarkeit des IStGH über Staatsangehörige aus Nichtvertragsstaaten ohne Einverständnis der betroffenen Heimatstaaten sei völkerrechtlich nicht zulässig. Eine Auseinandersetzung mit der Strafgerichtsbarkeit des IStGH erfordert daher zunächst eine Auseinandersetzung mit der Strafgerichtsbarkeit der Einzelstaaten.

II. Strafgerichtsbarkeit aufgrund des Territorialitätsprinzips Zunächst ist festzuhalten, dass jeder Staat die nach seinen Gesetzen unter Strafe gestellten Handlungen, die in seinem Staatsgebiet begangen werden, auch verfolgen und die Täter strafrechtlich belangen kann. Ein Staat kann insoweit uneingeschränkt bestimmen, dass sein Strafanwendungsrecht zum Einsatz kommen soll und seine eigenen Gerichte für zuständig erklären. Auch diese Befugnis folgt aus seiner territorialen Souveränität und der hieraus abzuleitenden Gebietshoheit. Jeder Staat ist also aufgrund der Tatbegehung im Staatsgebiet berechtigt, Strafgerichtsbarkeit auszuüben. Irgendeiner weiteren Rechtfertigung bedarf es nicht, denn eine stärkere Beziehung zwischen Täter und nationalem Strafanwendungsrecht als die durch den Tatort begründete kommt letztlich nicht in Betracht.1 Es ist nach geltendem Völkerrecht absolut anerkannt, dass der Territorialstaat sowohl eigene als auch fremde Staatsangehörige für Handlungen in seinem Staatsgebiet belangen kann, soweit diese nach seinem nationalen Recht unter Strafe gestellt sind.2 Der be1 Oehler, Internationales Strafrecht, § 15, Rn. 125; Ali Khan-Allemann, Die Abgrenzung der staatlichen Strafgerichtsbarkeit, S. 26. 2 Dahm / Delbrück / Wolfrum, Völkerrecht, Bd. I / 1, S. 320; Ali Khan-Allemann, Die Abgrenzung der staatlichen Strafgerichtsbarkeit, S. 25 – 26; Oehler, Internationales Strafrecht, § 15, Rn. 125; Schachter, General Course in Public International Law, S. 245; Feller in: Bassiouni / Nanda, A Treatise on International Law, Volume II, S. 17 ff.

III. Extraterritoriale Strafgerichtsbarkeit der Einzelstaaten

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troffene Staat ist damit aufgrund des Territorialitätsprinzips grundsätzlich umfassend zur Strafverfolgung berechtigt.3

III. Extraterritoriale Strafgerichtsbarkeit der Einzelstaaten Fraglich ist daneben, inwieweit die Staaten auch zur Aburteilung extraterritorialer Sachverhalte befugt sind. Aus den Ausführungen zur territorialen Souveränität ergibt sich zunächst, dass kein Staat auf fremdem Staatsgebiet Hoheitsakte setzen und durchsetzen kann. Dem steht vielmehr die Souveränität des betroffenen Staates und das hieraus abzuleitende völkerrechtliche Gebot der Nichteinmischung entgegen.4 Damit ist aber noch nicht geklärt, inwieweit ein Staat Vorgänge außerhalb seines Staatsgebiets zum Gegenstand innerstaatlicher gesetzlicher Regelungen machen und die entsprechende Einhaltung der von ihm gesetzten Normen dann innerhalb seines Territoriums durchsetzen kann.5 Es stellt sich also die Frage, in welchem Umfang die Staaten ihr innerstaatliches Recht und ihre Strafgerichtsbarkeit legitimerweise auch auf Ereignisse außerhalb des eigenen Staatsgebietes ausdehnen und für anwendbar erklären können. Nach den gemachten Ausführungen zur Souveränität als „höchster Gewalt“ könnte man annehmen, dass das staatliche Strafanwendungsrecht unbeschränkt und in jedem beliebigen Fall für einschlägig erklärt und im eigenen Territorium auch durchgesetzt werden kann.

1. Unbeschränkte staatliche Strafgerichtsbarkeit Eine umfassende staatliche Strafgerichtsbarkeit wurde in der Tat immer wieder angenommen. Insbesondere die Strafrechtslehre des 19. Jahrhunderts stand unter Betonung der absoluten Souveränität des Nationalstaates und der hieraus abzuleitenden allgemeinen Handlungsfreiheit auf dem Standpunkt, dass der Staat grundsätzlich berechtigt sei, jede Strafmöglichkeit zu ergreifen, solange kein ausdrückliches völkerrechtliches Verbot Einschränkungen vorsieht.6 Aber auch in neuerer Zeit wurde vereinzelt ein umfassender Geltungsanspruch des staatlichen Strafanwendungsrechts vertreten. Hiernach sollen souveräne StaaEine Ausnahme ergibt sich etwa aus Immunitätsgrundsätzen, vgl. hierzu S. 201 ff. Vgl. hierzu Stein / von Buttlar, Völkerrecht, Rn. 606; The Case of the S.S. Lotus, PCIJ, Ser. A, 1927, S. 18 ff. 5 Stein / von Buttlar, Völkerrecht, Rn. 609. 6 Bartholdy, in: von Birkmeyer (Hrsg.), Vergleichende Darstellung des deutschen und ausländischen Strafrechts, S. 106; hierzu auch Oehler, Internationales Strafrecht, § 15, Rn. 111; Graf Vitzthum, in: Graf Vitzthum (Hrsg.), Völkerrecht, 1. Abschn., Rn. 50. 3 4

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D. Die Strafgerichtsbarkeit der Einzelstaaten

ten den Geltungsbereich ihrer Strafgesetze auch auf extraterritoriale Sachverhalte ausdehnen können, solange keine konkrete Völkerrechtsnorm entgegensteht.7 a) Das Lotus-Urteil des StIGH Für eine derart uneingeschränkte Strafgerichtsbarkeit der Nationalstaaten wurde immer wieder das Lotus-Urteil des Ständigen Internationalen Gerichtshofs (StIGH) aus dem Jahr 1927 herangezogen.8 Es behandelt die Frage der Zulässigkeit der Ausübung staatlicher Strafgerichtsbarkeit auf einen Sachverhalt, der sich außerhalb des Staatsgebietes ereignet hatte. Auf hoher See war es 1926 zum Zusammenstoß des französischen Dampfers „Lotus“ mit dem türkischen Kohlenschiff „Boz-Kourt“ gekommen. Hierbei starben acht türkische Seeleute. Nach Ankunft des französischen Dampfers im Hafen von Istanbul wurde der französische Kapitän der Lotus von einem türkischen Gericht, gestützt auf türkisches Recht, wegen fahrlässiger Tötung angeklagt und letztlich auch verurteilt, weil man die Kollision auf sein Verschulden zurückführte. Frankreich verklagte daraufhin die Türkei vor dem StIGH mit der Begründung, dass eine türkische Strafgerichtsbarkeit im fraglichen Fall nicht gegeben sei. Die Türkei sei nicht befugt gewesen, ein Strafverfahren gegen den Kapitän der Lotus durchzuführen, da dieser auf einem französischen Schiff und damit außerhalb türkischen Hoheitsgebiets gehandelt, das heißt die Ursache für den Zusammenstoß gesetzt habe. Die französische Regierung berief sich insoweit auf das allgemein anerkannte und dem Territorialitätsprinzip eng verwandte Flaggenprinzip, nach dem ein Schiff auf hoher See der alleinigen Hoheitsgewalt des Staates untersteht, dessen Flagge es führt.9 Ausschließlich zuständig für die Strafverfolgung sei hiernach Frankreich als Flaggenstaat der Lotus gewesen.10 Die Ausübung extraterritorialer Strafgerichtsbarkeit durch einen anderen Staat komme nur dann in Betracht, wenn dieser sich insoweit auf eine ausdrückliche völkerrechtliche Erlaubnisnorm stützen könne.11 Da die schädigende Handlung auf einem französischen Schiff und damit auf französischem Hoheitsgebiet begangen worden sei, könnten türkische Gerichte nur zuständig sein, soweit ihnen eine be7 Drost, The Crime of State, Bd. II, S. 130 – 131, vgl. hierzu auch Ali-Khan-Allemann, Die Abgrenzung der staatlichen Strafgerichtsbarkeit, S. 31. 8 The Case of the S.S. Lotus, PCIJ, Ser. A, 1927, S. 1 ff.; Henkin / Pugh / Schachter / Smit, International Law, S. 5 ff. 9 Verzijl, The Jurisprudence of the World Court, Band I, S. 76, 81; allgemein zu dem mit dem Territorialitätsprinzip eng verwandten Flaggenprinzip: Tröndle / Fischer § 4 StGB, Rn. 2; Henkin / Pugh / Schachter / Smit, International Law, S. 1330 – 1334. 10 The Case of the S.S. Lotus, PCIJ, Ser. A, 1927, S. 22; Verzijl, The Jurisprudence of the World Court, Band I, S. 76. 11 The Case of the S.S. Lotus, PCIJ, Ser. A, 1927, S. 18; Verzijl, The Jurisprudence of the World Court, Band I, S. 76.

III. Extraterritoriale Strafgerichtsbarkeit der Einzelstaaten

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sondere völkerrechtliche Kompetenznorm zur Seite stehe. Eine Völkerrechtsnorm, die den Erlass und die Anwendung von Strafvorschriften auf außerhalb des staatlichen Hoheitsgebietes begangene Handlungen vorsehe, sei im vorliegenden Fall aber nicht auszumachen und von der Türkei auch nicht vorgetragen worden. Demgegenüber stand die Türkei zum einen auf dem Standpunkt, dass für die Ausübung von Strafgerichtsbarkeit nicht nur der Territorial- beziehungsweise Flaggenstaat, also der Staat, auf dessen Territorium oder Schiff die fragliche Handlung begangen wurde, zuständig sei. Vielmehr könnten auch andere Staaten strafverfolgend tätig werden. Die Ausübung extraterritorialer Hoheitsgewalt durch einen Staat bedürfe insoweit keiner ausdrücklichen völkerrechtlichen Erlaubnisnorm, sondern sei grundsätzlich zulässig, solange kein völkerrechtliches Verbot entgegenstehe.12 Ein solches Verbot müsse weiterhin der Staat nachweisen, der auf dem Standpunkt steht, die Ausübung extraterritorialer Strafgewalt sei völkerrechtswidrig, nicht aber der Staat, der strafverfolgend tätig werde. Weiterhin argumentierte die Türkei, dass sie ihre Strafverfolgungskompetenz im vorliegenden Fall jedenfalls auch auf das Flaggen- beziehungsweise Territorialitätsprinzip stützen könne. Denn der Tod der türkischen Seeleute, das heißt der „Handlungserfolg“, sei auf einem türkischen Schiff und damit auf türkischem Hoheitsgebiet eingetreten.13 Territorial- oder Flaggenstaat ist nach diesem Ansatz nicht nur der Staat, in dessen Hoheitsgebiet die Ursache gesetzt wird, sondern auch der Staat, in dessen Hoheitsgebiet die Wirkung des fraglichen Verhaltens eintritt. Der StIGH folgte in seiner Lotus-Entscheidung im Ergebnis der Rechtsauffassung der Türkei und erklärte das türkische Strafverfahren gegen den verantwortlichen Kapitän des französischen Schiffs für völkerrechtmäßig. Der Gerichtshof wandte sich in einer viel zitierten Passage des Lotus-Urteils ausdrücklich gegen eine ausschließliche Strafzuständigkeit des Territorialstaates: „Now the first and foremost restriction imposed by international law upon a State is that – failing the existence of a permissive rule to the contrary – it may not exercise its power in any form in the territory of another State. In this sense jurisdiction is certainly territorial; it cannot be exercised by a State outside its territory except by virtue of a permissive rule derived from international custom or from a convention. It does not, however, follow that international law prohibits a State from exercising jurisdiction in its own territory, in respect of any case which relates to acts which have taken place abroad, and in which it cannot rely on some permissive rule of international law. Such a view would only be tenable if international law contained a general prohibition to States to extend the application of their laws and the jurisdiction of their courts to persons, property and acts outside their territory, and if, as an exception to this general prohibition, it allowed States to do so in certain specific cases. But this is certainly not the case under international law as it stands at present. Far from laying down a general prohibition to the effect that States may not 12 The Case of the S.S. Lotus, PCIJ, Ser. A., 1927, S. 18; Verzijl, The Jurisprudence of the World Court, Band I, S. 77. 13 Verzijl, The Jurisprudence of the World Court, Band I, S. 77.

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D. Die Strafgerichtsbarkeit der Einzelstaaten extend the application of their laws and the jurisdiction of their courts to persons, property and acts outside their territory, it leaves them in this respect a wide measure of discretion which is only limited in certain cases by prohibitive rules; as regards other cases, every state remains free to adopt the principles which it regards as best and most suitable.“14

b) Rechtsfolgen Dass ein Staat auf dem Gebiet eines anderen Staates ohne dessen Zustimmung keine Hoheitsakte setzen und durchsetzen darf, wurde bereits dargelegt und folgt zwingend aus der territorialen Souveränität anderer Staaten.15 Erhebliche Kontroversen hat das Lotus-Urteil aber im Hinblick auf seine Aussage zur Ausübung von Strafgerichtsbarkeit über extraterritoriale Sachverhalte ausgelöst. aa) Umfassende staatliche Strafverfolgungskompetenz Von den Befürwortern einer umfassenden staatlichen Strafverfolgungskompetenz wird das Lotus-Urteil unter Berufung auf die soeben zitierte Passage dahingehend interpretiert, dass die Ausübung extraterritorialer Strafgewalt durch einen Staat immer dann zulässig ist, wenn kein ausdrückliches völkerrechtliches Verbot entgegensteht. Hiernach hätte neben dem Territorialstaat auch jeder andere Staat konkurrierende Strafgewalt über einen extraterritorialen Sachverhalt, soweit keine Völkerrechtsnorm diese Freiheit einschränkt. Es bedarf nach dieser Auslegung der Lotus-Entscheidung also gerade keiner speziellen völkerrechtlichen Erlaubnisnorm für die Anwendung staatlicher Strafgesetze auf einen extraterritorialen Sachverhalt.16 bb) Stellungnahme Es erscheint jedoch zweifelhaft, ob der StIGH tatsächlich von einer derart umfassenden Strafgewalt der Staaten im Hinblick auch auf extraterritoriale Sachverhalte ausging und diese nur bei ausdrücklich entgegenstehender völkerrechtlicher Verbotsnorm verneine wollte. Zum einen deutete auch der StIGH bereits gewisse Grenzen für die Ausübung von Strafgerichtsbarkeit auf extraterritoriale Sachverhalte an („jurisdiction . . . is . . . limited in certain cases“), auch wenn er diese nicht genauer benannte. 14 The Case of the S.S. Lotus, Ser. A, 1927, No. 10, S. 18 ff., Hervorhebungen durch die Verfasserin. 15 Stein / von Buttlar, Völkerrecht, Rn. 609; Ipsen, Völkerrecht, § 23, Rn. 6. 16 Verdross, Die Verfassung der Völkerrechtsgemeinschaft, S. 165; Ali-Khan-Allemann, Die Abgrenzung der staatlichen Strafgerichtsbarkeit, S. 29 / 31; Scharf, The ICC’s Jurisdiction Over the Nationals of Non-Party States: A Critique of the U.S. Position, S. 73.

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Gegen eine Interpretation des Lotus-Urteils dahingehend, dass die Ausübung von extraterritorialer Strafgerichtsbarkeit grundsätzlich immer erlaubt ist, solange kein ausdrückliches völkerrechtliches Verbot entgegensteht, sprechen jedoch auch die weiteren Ausführungen des Gerichts. So hatte sich die Türkei ihrerseits auf das Territorialitäts- oder Flaggenprinzip berufen, indem sie geltend machte, dass vorliegend der Handlungserfolg, nämlich die Auswirkungen der schädigenden Handlung auf einem türkischen Schiff und damit auf türkischem Hoheitsgebiet eingetreten seien. Obwohl die türkische Regierung also einerseits für eine umfassende staatliche Strafverfolgungsbefugnis auch ohne ausdrückliche völkerrechtliche Erlaubnisnorm plädiert hatte, zog sie andererseits mit dem Flaggenprinzip doch gleichzeitig einen völkerrechtlichen Erlaubnissatz zur Rechtfertigung türkischer Strafgerichtsbarkeit heran. Ähnlich begründete auch der StIGH trotz seiner zunächst getroffenen Aussage, dass die Strafgerichtsbarkeit der Staaten grundsätzlich unbegrenzt sei, im konkreten Fall die Strafgerichtsbarkeit der Türkei ausdrücklich mit dem Territorialitätsbeziehungsweise Flaggenprinzip und damit letztlich gerade doch mit einer Erlaubnisnorm, die die Ausübung von Strafgerichtsbarkeit rechtfertigt. So erläuterte der Gerichtshof, es sei erforderlich: „. . . to take into consideration the fact that the offence produced its effects on the Turkish vessel and consequently in a place assimilated to Turkish territory in which the application of Turkish criminal law cannot be challenged even in regard to offences committed there by foreigners . . . it is certain that the courts of many countries, even of countries which have given their criminal legislation a strictly territorial character, interpret criminal law in the sense that offences, the authors of which are in the territory of another State, are nevertheless to be regarded as having been committed in the national territory; if one of the constituent elements of the offence, and more specially its effects, have taken place there . . . there is no reason preventing the Court from confining itself to observing that, in this case, a prosecution may also be justified from the point of view of the so-called territorial principle.“17

Damit leitete der StIGH die Strafgerichtsbarkeit der Türkei im Lotus-Fall also letztlich auch aus dem Territorialitäts- oder Flaggenprinzip ab.18 Trotz der zu Beginn des Urteils postulierten umfassenden extraterritorialen Strafgerichtsbarkeit eines jeden Staates erläuterte der Gerichtshof sodann detail17 The Case of the S.S. Lotus, PCIJ, Ser. A, 1927, S. 23, Hervorhebungen durch die Verfasserin. 18 So auch Oehler, in: LdR / VR (2. Aufl.), S. 158, der davon ausgeht, dass der StIGH im Lotus-Urteil die Strafgerichtsbarkeit der Türkei auf das Flaggenprinzip stützte, weil der Handlungserfolg auf dem türkischen Schiff eintrat; ähnlich nimmt Verzijl, The Jurisprudence of the World Court, Band I, S. 77, an, dass der StIGH die Strafgerichtsbarkeit der Türkei damit begründete, dass der Handlungseffekt auf einem türkischen Schiff eintrat, das mit türkischem Territorium gleichzusetzen sei. Er verweist insoweit auf den engen Zusammenhang zwischen Ursache und Wirkung, S. 81: „. . . the existence of a nexus causalis between faulty navigations and the death of Turkish nationals, this relation between cause and effect could not be denied in the present case.“.

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liert, weshalb der Türkei im fraglichen Fall ein positiver völkerrechtlicher Erlaubnissatz zur Ausübung von Strafgerichtsbarkeit zur Seite stand. Das Gericht führte aus, dass die Folgen der Tathandlung vorliegend auf einem türkischen Schiff und damit an einem Ort eingetreten seien, der dem türkischen Hoheitsgebiet gleichzusetzen sei.19 Insoweit scheint das Urteil nicht ganz frei von Widersprüchen.20 Wenn jeder Staat ohnehin unbegrenzte extraterritoriale Strafgerichtsbarkeit auch ohne ausdrückliche völkerrechtliche Erlaubnisnorm ausüben kann, hätte der Gerichtshof nicht so viel Mühe darauf verwenden müssen, die Befugnis der Türkei zur Bestrafung des französischen Kapitäns aus einem positiven Erlaubnissatz herzuleiten. Da die Ausübung türkischer Strafgerichtsbarkeit letztlich mit dem Eintritt des Erfolges auf türkischem Territorium gerechtfertigt wurde, stützte man sich im konkreten Fall auf das Territorialitäts- oder Flaggenprinzip und damit auf eine positive Norm.21 Die Ausführungen des StIGH zur allgemeinen Handlungsfreiheit der Staaten, solange keine ausdrückliche Verbotsnorm entgegensteht, sind damit im Grunde allenfalls als obiter dictum zu werten. Selbst wenn man jedoch mit Teilen der Literatur davon ausgeht, dass die LotusEntscheidung den Staaten unbegrenzte extraterritoriale Strafgerichtsbarkeit zugestehen wollte, ist insoweit der historische Kontext der Entscheidung zu beachten. Diese fällt in eine Zeit, in der man vom mehr oder weniger absolut souveränen Nationalstaat ausging, dessen Hoheitsgewalt kaum völkerrechtlichen Beschränkungen unterliegt. Nach den Vorstellungen des zu Beginn des 20. Jahrhunderts vorherrschenden Rechtspositivismus konnten sich eventuelle Beschränkungen staatlicher Hoheitsgewalt allenfalls aus dem positiven Recht ergeben.22 Ein Wandel hin zur Naturrechtslehre und eine gewisse Skepsis gegenüber dem allmächtigen Staat traten erst nach Ende des Zweiten Weltkriegs und nach der Erkenntnis ein, wieviel Missbrauch mit dem so genannten positiven Recht möglich gewesen war. Das Lotus-Urteil sollte also keinesfalls losgelöst von seinen geschichtlichen Zusammenhängen betrachtet werden. Schließlich darf nicht übersehen werden, dass auch innerhalb des Gerichts keinesfalls Einigkeit bestand im Hinblick auf die generelle Befugnis der Staaten zur Ausübung extraterritorialer Strafgerichtsbarkeit. So beruhte die Lotus-Entscheidung auf einem sechs zu sechs Votum, wobei die Stimme des Gerichtshofspräsidenten ausschlaggebend war.23 Auch dieses knappe Ergebnis bringt zum Ausdruck, dass bereits zu Beginn des 20. Jahrhunderts eine unbeschränkte StrafgeVerzijl, The Jurisprudence of the World Court, S. 86. So auch Morris, High Crimes and Misconceptions, S. 48. 21 The Case of the S.S. Lotus, PCIJ, Ser. A, 1927, No. 10, S. 23. 22 Verzijl, The Jurisprudence of the World Court, S. 83, 85; in diesem Sinn auch Graf Vitzthum, in: Graf Vitzthum (Hrsg.), Völkerrecht, 1. Abschn., Rn. 50. 23 Verzijl, The Jurisprudence of the World Court, S. 77. 19 20

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richtsbarkeit der Staaten keineswegs mehr unbestritten war.24 So betonte der StIGH selbst, dass sich seine Ausführungen zur unbeschränkten Strafgewalt der Staaten allenfalls auf das zur Zeit der Entscheidung 1927 geltende Völkerrecht beziehen sollten: „. . . at present . . . (there is no) general prohibition to the effect that States may not extend the application of their laws and the jurisdiction of their courts to persons, property and acts outside their territory . . .“25

Auch wenn zu Beginn des letzten Jahrhunderts aufgrund des übermächtigen Einflusses des souveränen Nationalstaates im Völkerrecht noch kaum Beschränkungen extraterritorialer Strafgewalt anerkannt waren, so ist mittlerweile doch von einer entgegenstehenden Staatenübung auszugehen. Trotz der im Lotus-Fall zunächst festgestellten grundsätzlichen Freiheit der Staaten zur strafrechtlichen Regelung von Auslandssachverhalten haben die Staaten in der Praxis Strafgewalt nämlich nur dann ausgeübt, wenn eine enge Verbindung zwischen der Tat und der staatlichen Hoheitssphäre im Sinn einer „echten Verknüpfung“ vorlag.26

2. Das Erfordernis von Anknüpfungspunkten für die Ausübung staatlicher Strafgerichtsbarkeit Demgemäß entspricht es der heute ganz herrschenden Auffassung, dass ein Staat seine Strafgerichtsbarkeit keinesfalls beliebig auf jeden extraterritorialen Sachverhalt erstrecken kann, auch wenn insoweit keine ausdrückliche Verbotsnorm entgegensteht. Es bedarf insoweit vielmehr einer besonderen Beziehung zwischen dem regelnden Staat und der jeweiligen Straftat.27 Dem Staat sind insoweit gewisse Beschränkungen auferlegt, die „höchste Gewalt“ der Staaten besteht nämlich gerade nur in den Grenzen des Völkerrechts.28 Eine solche Grenze für die Ausübung staatlicher Strafgerichtsbarkeit ergibt sich etwa aus dem völkerrechtlichen Nichteinmischungsgebot. Dieses verbietet die Einmischung eines Staates in die Angelegenheiten eines anderen Staates, soweit sie dessen ausschließlicher Zuständigkeit unterfallen. Es findet seine Rechtsgrundlage für den zwischenstaatlichen Bereich in der souveränen Gleichheit der Staaten, 24 Insbesondere Richter Loder bestreitet in seiner abweichenden Meinung, dass nach Völkerrecht alles erlaubt sei, was nicht ausdrücklich verboten ist, PCIJ, Ser. A, 1927, No.10, S. 34 – 39. ff; Verzijl, The Jurisprudence of the World Court, S. 93. 25 The Case of the S.S. Lotus, PCIJ, Ser. A, 1927, S. 18 ff. 26 Ipsen, Völkerrecht, § 23, Rn. 95; Stein / von Buttlar, Völkerrecht, Rn. 606 sprechen insoweit von einer Abkehr der Staatenpraxis von der im Lotus-Fall aufgestellten Vermutungsregel; Morris, High Crimes and Misconceptions, S. 47. 27 Oehler, Internationales Strafrecht, § 15, Rn. 111; Schachter, General Course in Public International Law, S. 240, 246; Ipsen, Völkerrecht, § 23, Rn. 95. 28 Steinberger, Sovereignty, in: Bernhardt (Hrsg.) EPIL, Vol. IV, S. 512.

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D. Die Strafgerichtsbarkeit der Einzelstaaten

Artikel 2 Nr. 1 UN-Charta.29 Das zwischenstaatliche Interventionsverbot findet sich auch in der so genannten Friendly Relations Declaration der Vereinten Nationen vom 24. 10. 1970. Hier wird gleichfalls die Verpflichtung eines jeden Staates betont, sich nicht in Angelegenheiten einzumischen, die der inneren Jurisdiktion eines anderen Staates unterstehen. Hierdurch wird letztlich auch die willkürliche Ausübung staatlicher Gerichtsbarkeit ausgeschlossen.30 Die Ausübung extraterritorialer Strafgerichtsbarkeit durch einen Staat stellt sich unter Umständen als Eingriff in die territoriale Souveränität eines anderen Staates dar. Soweit Handlungen in seinem Staatsgebiet betroffen sind, könnte der andere Staat aufgrund seiner eigenen Gebietshoheit ja selbst Hoheitsgewalt und mithin auch Strafgerichtsbarkeit ausüben. Mit der Gebietshoheit eines Staates ist daher ein uneingeschränktes extraterritoriales Handeln durch andere Staaten nicht vereinbar. Für die Ausübung von extraterritorialer Gerichtsbarkeit ist vielmehr ein legitimes Interesse, das heißt eine besondere Verbindung zwischen Staat und ausländischem Sachverhalt, erforderlich.31 Die Ausübung von Strafgerichtsbarkeit in Fällen mit Auslandsbezug muss insoweit anerkanntermaßen durch das Vorliegen spezieller Anknüpfungspunkte gerechtfertigt sein.32 a) Überblick Eine ausreichende Beziehung zwischen Staat und Straftat wird nach allgemeiner Auffassung begründet durch die Staatsangehörigkeit des Täters (aktives Personalitätsprinzip), die Staatsangehörigkeit des Opfers (passives Personalitätsprinzip), die Betroffenheit wichtiger Staatsinteressen (Schutzprinzip) sowie bei Übernahme der Strafverfolgungsgewalt eines anderen Staates (Prinzip der stellvertretende Strafrechtspflege) und bei bestimmten Verbrechen, die aufgrund ihrer Schwere die internationale Gemeinschaft als Ganzes berühren (Universalitäts- oder Weltrechtsprinzip).33 Umfang und Reichweite der einzelnen Anknüpfungsmomente sind jedoch teilweise umstritten.34 29 Ipsen, Völkerrecht, § 59, Rn. 51; Artikel 2 Nr. 7 UN-Charta ist insoweit nicht einschlägig, da hierdurch lediglich eine Verpflichtung der VN zur Nichteinmischung gegenüber ihren Mitgliedstaaten begründet wird, ein zwischenstaatliches Verbot kann hieraus nicht hergeleitet werden. 30 Oehler, Internationales Strafrecht, § 15, Rn. 111; Ipsen, § 59, Rn. 51. 31 Doehring, Völkerrecht, Rn. 815; Dinstein The Universality Principle and War Crimes, S. 17; Tomuschat, The Duty to Prosecute International Crimes Committed by Individuals, S. 327. 32 Kälin / Epiney, Völkerrecht, S. 140; Ipsen, Völkerrecht, § 23, Rn. 95 ff.; Tomuschat, The Duty to Prosecute International Crimes Committed by Individuals, S. 327; Anknüpfungspunkte für die Ausübung von nationalstaatlicher Gerichtsbarkeit sind daher auch in anderen Bereichen des materiellen Rechts erforderlich, so etwa im Steuerrecht oder Kartellrecht, vgl. hierzu Dahm / Delbrück / Wolfrum, Völkerrecht Bd. I / 1, S. 324 ff. 33 Seidl-Hohenveldern / von Buttlar, Völkerrecht, Rn. 1367; Dahm / Delbrück / Wolfrum, Völkerrecht Bd. I / 3, S. 1003 ff.; Akehurst, A Modern Introduction to International Law,

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b) Das aktive Personalitätsprinzip Absolut anerkannter Anknüpfungstatbestand für die Anwendung der eigenen Strafrechtsordnung auch auf extraterritoriale Sachverhalte ist zum einen die Staatsangehörigkeit des Beschuldigten. Die Autorität des Heimatstaates, in diesen Fällen tätig zu werden, beruht auf seiner Personalhoheit. Die Personalhoheit über eigene Staatsangehörige endet anders als die bereits angesprochene Gebietshoheit nicht an den territorialen Grenzen des Staates. Aufgrund der engen Beziehung zu seinen Staatsbürgern kann der Staat diese nämlich grundsätzlich auch bei deren Aufenthalt in fremden Staaten bestimmten Rechtsregeln unterstellen und deren Nichtbeachtung vor den Gerichten des Heimatstaates ahnden. Das aktive Personalitätsprinzip erlaubt einem Staat die Bestrafung eines Täters, der seine Staatsangehörigkeit innehat, grundsätzlich unabhängig davon, auf welchem Territorium die Tat begangen wurde.35 Das aktive Personalitätsprinzip genießt weltweite Anerkennung und rechtfertigt nach allgemeiner Auffassung die Ausübung extraterritorialer Strafgerichtsbarkeit, weil der Staat aufgrund der Staatsangehörigkeit des Beschuldigten mit der Tat hinreichend verbunden ist.36 Staatsangehörigen gleichgestellt werden in der Regel auch Nichtstaatsangehörige, die in besonderer Beziehung zum strafenden Staat stehen, etwa Personen, die im Staat dauerhaft niedergelassen sind oder Angehörige seiner Streitkräfte.37 In der Praxis wird bei der Bestrafung extraterritorialer Straftaten am häufigsten auf das aktive Personalitätsprinzip abgestellt, es ist mithin wichtigster Anknüpfungspunkt für die Ausübung extraterritorialer Gerichtsbarkeit.38 S. 104 ff.; König, Die völkerrechtliche Legitimation der Strafgewalt internationaler Strafjustiz, S. 150 ff.; Brownlie, Principles of Public International Law, S. 299 ff. Das bereits angesprochene Territorialitätsprinzip drückt aus, dass der Staat bei Tatbegehung im Inland bereits aufgrund seiner territorialen Souveränität und der aus ihr fließenden Gebietshoheit umfassende Strafgerichtsbarkeit ausüben kann. Es gehört daher nicht zu den Anknüpfungskriterien im engeren Sinn, sondern ist ureigenster Ausdruck staatlicher Souveränität. Eine besondere Verknüpfung zwischen Staat und Tat über den territorialen Bezug hinaus ist nicht erforderlich, vgl. König, Die völkerrechtliche Legitimation der Strafgewalt internationaler Strafjustiz, S. 150. 34 Dinstein, The Universality Principle and War Crimes, S. 17 ff.; Kälin / Epiney, Völkerrecht, S. 141. 35 Dahm / Delbrück / Wolfrum, Völkerrecht, Bd. I / 1, S. 216; Doehring, Völkerrecht, Rn. 816; Hailbronner, in: Graf Vitzthum (Hrsg.) Völkerrecht, S. 221; Eser, Harmonisierte Universalität nationaler Strafgewalt, S. 229. Soweit der Staatsangehörige die Tat im Staatsgebiet begeht, lässt sich die Strafausübung darüberhinaus auf das Territorialitätsprinzip stützen. Falls sich bei Auslandstaten der Strafanspruch des Heimatstaates in Widerspruch zur Rechtsordnung des Aufenthaltsstaates setzt, gelten jedoch Besonderheiten, vgl. Doehring, Völkerrecht, Rn. 1156. 36 Akehurst, A Modern Introduction to International Law, S. 105; Schachter, General Course in Public International Law, S. 245. 37 Dinstein, in: Schmitt / Freen, S. 18; Feller in: Bassiouni / Nanda, A Treatise on International Criminal Law, Volume II, S. 30. 38 Feller in: Bassiouni / Nanda, A Treatise on International Criminal Law, Volume II, S. 30.

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D. Die Strafgerichtsbarkeit der Einzelstaaten

c) Das passive Personalitätsprinzip Daneben ermächtigt das passive Personalitätsprinzip einen Staat dazu, auch einen Täter fremder Staatsangehörigkeit vor seine Gerichte zu stellen, wenn dessen Tat gegen einen eigenen Staatsangehörigen beziehungsweise Inländer gerichtet war. Dies gilt grundsätzlich auch bei Tatbegehung im Ausland. Das hier zugrunde liegende staatliche Interesse, die eigenen Staatsangehörigen vor Straftaten zu schützen, wird insoweit als legitimer Anknüpfungspunkt für die Ausübung von Strafgewalt anerkannt.39 Das passive Personalitätsprinzip war ursprünglich insbesondere im angloamerikanischen Rechtsraum nicht unumstritten.40 Es hat jedoch stetig, insbesondere im Zusammenhang mit der internationalen Terrorismusbekämpfung, an Bedeutung gewonnen.41 d) Das Schutzprinzip Als weiteres Anknüpfungsmoment für die Ausübung extraterritorialer Strafgewalt ist das so genannte Schutzprinzip zu nennen. Dieses berechtigt Staaten zur Verfolgung und Bestrafung von Delikten, die wichtige Rechtsgüter des Staates, etwa seine politische Existenz oder nationale Sicherheit bedrohen. Dies gilt gerade auch dann, wenn die fragliche Tat im Ausland und von Ausländern begangen wurde, eine besondere Beziehung zur Tat ergibt sich hier aus den betroffenen staatlichen Interessen.42 Das Schutzprinzip ist in den Rechtsordnungen fast aller Staaten zu finden und völkerrechtlich unumstritten.43 e) Das Prinzip der stellvertretenden Strafrechtspflege Eine hinreichende Nähebeziehung für die Ausübung extraterritorialer Strafgewalt wird weiterhin durch das Prinzip der stellvertretenden Strafrechtspflege begründet.44 Dieses umfasst Fälle, in denen ein Täter von dem Staat, in dem er sich aufhält, aus rechtlichen oder faktischen Gründen nicht an einen anderen Staat, der 39 Doehring, Völkerrecht, Rn. 817; Hailbronner, in: Graf Vitzthum (Hrsg.), Völkerrecht, 3. Abschn., Rn. 125. 40 Brownlie, Principles of Public International Law, S. 303. 41 Dahm / Delbrück / Wolfrum, Völkerrecht, Bd. I / 3, S. 1004; König, Die völkerrechtliche Legitimation der Strafgewalt internationaler Strafjustiz, S. 151; Schachter, General Course in Public International Law, S. 245. 42 Dahm / Delbrück / Wolfrum, Völkerrecht, Bd. I / 1, S. 321; Dinstein The Universality Principle and War Crimes, S. 18. 43 Doehring, Völkerrecht, Rn. 1158; Stein / von Buttlar, Völkerrecht, Rn. 621; Akehurst, A Modern Introduction to International Law, S. 105. 44 Doehring, Völkerrecht, Rn. 906; Kälin / Epiney, Völkerrecht, S. 142 – 144 unter Verweis auf die Rechtslage in der Schweiz; König, Die völkerrechtliche Legitimation der Strafgewalt internationaler Strafjustiz, S. 152.

III. Extraterritoriale Strafgerichtsbarkeit der Einzelstaaten

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nach völkerrechtlichen Grundsätzen zur Strafverfolgung berechtigt wäre, ausgeliefert werden kann. Liefert der Aufenthaltsstaat den Täter nicht aus, so kann er stellvertretend für den berechtigten Staat die Strafverfolgung übernehmen, wenn die abzuurteilende Tat nach dem Recht des Tatorts strafbar war.45 So werden Strafbarkeitslücken geschlossen für den Fall, dass eine Auslieferung nicht möglich ist, die Tat nach dem Recht des Aufenthaltsstaates aber grundsätzlich nicht bestraft werden kann, weil sie etwa nicht unter Strafe gestellt ist. Das Prinzip der stellvertretenden Strafrechtspflege geht letztlich zurück auf die Vorstellung einer Solidarität der Staaten.46 Der Aufenthaltsstaat übernimmt die Strafverfolgungskompetenz des berechtigten Staates und macht sich dessen Wertvorstellungen zu Eigen, selbst wenn die Tat nach seinem nationalen Strafrecht nicht verfolgbar wäre, um die Straffreiheit des Täters zu verhindern.47 Zahlreiche völkerrechtliche Verträge verankern nach dem Grundsatz aut dedere aut judicare eine entsprechende staatliche Verpflichtung, entweder auszuliefern oder selbst strafverfolgend tätig zu werden.48 f) Das Universalitäts- oder Weltrechtsprinzip Schließlich kann staatliche Strafhoheit anerkanntermaßen auch auf das Universalitäts- oder Weltrechtsprinzip gestützt und entsprechend über die eigenen Staatsgrenzen hinaus ausgedehnt werden. Hiernach ist ausnahmsweise die Ausübung von Gerichtsbarkeit durch einen Staat auch dann erlaubt, wenn ein Anknüpfungspunkt im Sinne einer besonderen Beziehung speziell zwischen dem strafenden Staat und der Tat nicht gegeben ist.49 Vielmehr darf aufgrund des Universalitätsprinzips jeder Staat Strafgewalt ausüben, soweit es sich bei den begangenen Taten um bestimmte völkerrechtliche Schwerstverbrechen, so genannte delicta iuris gentium, handelt. Die materielle Rechtfertigung einer derartigen umfassenden Strafverfolgungskompetenz ergibt sich aus der Tatsache, dass gewisse Verbrechen so schwerwiegend sind, dass der Täter als hostis humani generis, das heißt als Feind der gesamten Menschheit, anzusehen ist. Die unter das Universalitätsprinzip fallenden Verbrechen sind für alle Staaten gleichermaßen gefährlich, und alle Staaten sind als Teil der Völkergemeinschaft von ihnen gleichermaßen betroffen.50 Jeder 45 Dahm / Delbrück / Wolfrum, Völkerrecht, Bd. I / 3, S. 1004; König, Die völkerrechtliche Legitimation der Strafgewalt internationaler Strafjustiz, S. 152; Doehring, Völkerrecht, Rn. 906. 46 König, Die völkerrechtliche Legitimation der Strafgewalt internationaler Strafjustiz, S. 152. 47 Dahm / Delbrück / Wolfrum, Völkerrecht, Bd. I / 3, S. 1005. 48 Dahm / Delbrück / Wolfrum, Völkerrecht, Bd. I / 3, S. 1004; Doehring, Völkerrecht, S. 400, Fn. 99. 49 Randall, Universal Jurisdiction, S. 791. 50 Bungenberg, Extraterritoriale Strafrechtsanwendung, S. 185; Dahm, Völkerrecht, Rn. 819; van Heeck, Die Anwendbarkeit deutschen Strafrechts auf Balkankriegsverbrechen,

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D. Die Strafgerichtsbarkeit der Einzelstaaten

Staat kann daher für die gesamte internationale Staatengemeinschaft Strafgewalt ausüben und die von ihr als Völkerrechtsverbrechen qualifizierten Straftaten verfolgen. Hinreichender Anknüpfungspunkt für die in diesen Fällen anerkannte Strafbefugnis aller Staaten ist somit das verletzte Schutzgut und der Unrechtsgehalt bestimmter Taten selbst, eine darüber hinausgehende Nähebeziehung des Staates zur Tat ist nicht erforderlich.51 Das Universalitätsprinzip ist als Anknüpfungspunkt für die Begründung von Strafgerichtsbarkeit im geltenden Völkerrecht allgemein anerkannt.52 Es ermächtigt jeden Staat zur Strafverfolgung solcher Verbrechen, deren Strafbarkeit im materiellen Sinne sich unmittelbar aus dem Völkerrecht ergibt. Im Zusammenhang mit dem Universalitätsprinzip kommt es also zu einer gewissen Überschneidung von Strafgerichtsbarkeit im Sinne gerichtsverfassungsrechtlicher Zuständigkeit und materiellem Völkerstrafrecht. Denn nur dann, wenn die materielle Strafbarkeit der Tathandlung und ihre Bewertung als Verbrechen unmittelbar aus dem Völkerrecht und damit aus dem Konsens der internationalen Staatengemeinschaft herzuleiten ist, kann jeder Staat auch Strafgerichtsbarkeit aufgrund des Universalitätsprinzips ausüben. Die individuelle Strafbarkeit des Täters muss sich also unabhängig von einzelstaatlichen Bestimmungen unmittelbar und verbindlich aus dem Völkerrecht herleiten lassen. Die materielle Strafbarkeit einer Tat aufgrund nationaler Bestimmungen reicht allein nie aus, um extraterritoriale Strafgerichtsbarkeit aufgrund des Universalitätsprinzips zu begründen. Zwar ist im Einzelnen streitig, welche Verbrechen zum Völkerstrafrecht im engeren Sinne zählen und somit unter das Universalitätsprinzip fallen. Gerade in neuerer Zeit wird insoweit eine Erweiterung des anerkannten Kernbestandes diskutiert. So zählen nach Auffassung einiger Autoren auch Straftaten wie die Verbreitung pornographischer Schriften, die Verschmutzung der Umwelt oder die Entführung von Luftfahrzeugen zu den internationalen Verbrechen, die vom Universalitätsprinzip erfasst werden.53 Einigkeit besteht jedoch dahingehend, dass jedenfalls die in Artikel 5 des RomStatuts genannten Verbrechen zum festen Bestand der gewohnheitsrechtlich anerkannten Völkerrechtsverbrechen zählen. Völkermord, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen können aufgrund ihrer Schwere von jedem Staat aufgrund des Universalitätsprinzips geahndet werden, ohne dass es einer darüber hinausgehenden Nähebeziehung bedarf.54 S. 29. Teilweise wird bei der Verletzung von derartigen Universalrechtsgütern sogar eine Verfolgungspflicht angenommen, vgl. Eser, Harmonisierte Universalität nationaler Strafgewalt, S. 229. 51 Bungenberg, Extraterritoriale Strafrechtsanwendung, S. 185; Randall, Universal Jurisdiction, S. 785; Schachter, General Course in Public International Law, S. 262. 52 Enache-Brown / Fried, Universal Crime, Jurisdiction and Duty, S. 621; Eser, Harmonisierte Universalität nationaler Strafgewalt, S. 229; Dahm / Delbrück / Wolfrum, Völkerrecht, Bd. I / 1, S. 322; Oehler, in: LdR / VR (3. Aufl.), S. 209; Broomhall, Towards the Development of an Effective System of Universal Jurisdiction, S. 402; Paust et al., International Criminal Law, S. 95 ff. 53 Bassiouni, Universal Jurisdiction for International Crimes, S. 106 – 107; hierzu auch Bosch, Immunität und internationale Verbrechen, S. 29 – 30.

III. Extraterritoriale Strafgerichtsbarkeit der Einzelstaaten

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g) Zusammenfassung Es lässt sich somit festhalten, dass nationale Strafgerichtsbarkeit auch über Taten ausgeübt werden kann, die außerhalb des staatlichen Hoheitsgebietes begangen werden, soweit eines der anerkannten Anknüpfungsmomente gegeben ist.55 Insoweit ist zu betonen, dass die Ausübung von Souveränität auf eigenem Gebiet, also der Erlass von Gesetzen mit extraterritorialer Wirkung oder die Ausübung nationaler Strafgerichtsbarkeit über einen extraterritorialen Sachverhalt nicht zu verwechseln ist mit Vollzugshandlungen auf fremdem Gebiet. Eine extraterritoriale Rechtsdurchsetzung, das heisst die Ausübung hoheitlicher Gewalt auf fremdem Staatsgebiet ohne Zustimmung des betroffenen Staates, stellt eine Verletzung von dessen Gebietshoheit dar und ist völkerrechtswidrig.56

3. Konkurrierende Strafgerichtsbarkeit der Einzelstaaten Die Ausübung staatlicher Strafgerichtsbarkeit im Inland über einen extraterritorialen Sachverhalt kann allerdings trotz der Existenz eines legitimen Anknüpfungspunktes zu Zuständigkeitsüberschneidungen und damit zu Zuständigkeitskonflikten führen. Denn neben dem Territorialstaat können sich nach den soeben geschilderten Grundsätzen unter Umständen mehrere Staaten auf ein anerkanntes Anknüpfungsmoment berufen, so etwa wenn ein Verbrechen im Staat A von einem Täter aus Staat B an einem Opfer aus Staat C begangen wurde. Mehrere aufgrund eines bestimmten Anknüpfungsmoments betroffene Staaten haben nach allgemeiner Auffassung grundsätzlich sachlich konkurrierende Strafgewalt. Es gibt also gerade keinen Vorrang des Tatortstaates, vielmehr kann jeder Staat unter Berufung auf eines der anerkannten Anknüpfungskriterien strafverfolgend tätig werden.57 Eine strafrechtliche Regel hört daher nicht auf anwendbar zu sein, weil das Strafgesetz eines anderen Staates gleichfalls Geltung beansprucht. Die unterschiedlichen nationalen Strafansprüche bestehen nebeneinander und sind in der Regel als gleichberechtigt und gleichwertig anzusehen.58

54 Broomhall, Towards the Development of an Effective System of Universal Jurisdiction, S. 404; Enache-Brown / Fried, Universal Crime, Jurisdiction and Duty, S. 623; Dahm / Delbrück / Wolfrum, Band I / 1, S. 322. 55 Ali-Khan-Allemann, Die Abgrenzung der staatlichen Strafgerichtsbarkeit, S. 29; Kälin / Epiney, Völkerrecht, S. 140 / 142. 56 Ali-Khan-Allemann, Die Abgrenzung der staatlichen Strafgerichtsbarkeit, S. 28 – 29; Kälin / Epiney, Völkerrecht, S. 139. 57 Eser, Harmonisierte Universalität nationaler Strafgewalt, S. 229; Schachter, General Course in Public International Law, S. 253; Scharf, The ICC’s Jurisdiction Over the Nationals of Non-Party States: A Critique of the U.S. Position, S. 75; gegen die ausschließliche Zuständigkeit des Territorialstaates auch der StIGH im Lotus-Urteil, PCIJ, Ser. A., 1927, S. 27. 58 Ali-Khan-Allemann, Die Abgrenzung der staatlichen Strafgerichtsbarkeit, S. 29.

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D. Die Strafgerichtsbarkeit der Einzelstaaten

4. Die Anknüpfungspunkte des Rom-Statuts Das Rom-Statut verweist für die Ausübung von Strafgerichtsbarkeit bei Verfahrenseinleitung durch einen Vertragsstaat oder den Ankläger auf zwei absolut anerkannte Anknüpfungspunkte, nämlich das Territorialitätsprinzip und das aktive Personalitätsprinzip. Artikel 12 Abs. 2 des Rom-Statuts macht die Ausübung von Gerichtsbarkeit durch den IStGH grundsätzlich davon abhängig, dass entweder der Staat, in dessen Hoheitsgebiet die Straftat begangen wurde oder der Staat, dessen Staatsangehörigkeit die des Verbrechens beschuldigte Person besitzt, die Gerichtsbarkeit des Strafgerichtshofs anerkannt haben. Nur soweit einer dieser beiden Staaten dem Rom-Statut beigetreten ist oder die Gerichtsbarkeit des IStGH im Einzelfall anerkannt hat, kann der Gerichtshof strafverfolgend tätig werden. Im Hinblick auf diese beiden Anknüpfungsmomente ist festzustellen, dass jeder souveräne Staat aufgrund des Territorialitätsprinzips oder des aktiven Personalitätsprinzips zur Strafverfolgung berechtigt ist, wenn er die fraglichen Taten im nationalen Recht definiert und unter Strafe gestellt hat. Soweit der Sicherheitsrat gemäß Artikel 13 lit. b ein Verfahren einleitet, hat der IStGH nach dem Rom-Statut umfassende Strafgerichtsbarkeit. Im Hinblick auf diese vollumfängliche Zuständigkeit ist festzuhalten, dass nach geltendem Völkerrecht jedenfalls jeder einzelne Staat die im Statut aufgezählten Verbrechen aufgrund des Universalitätsprinzips uneingeschränkt verfolgen kann, ohne dass weitere Voraussetzungen erfüllt sein müssen. Die vorliegend relevanten Anknüpfungspunkte stehen unabhängig und gleichberechtigt nebeneinander, insbesondere wird die extraterritoriale Jurisdiktionsgewalt aufgrund des aktiven Personalitätsprinzips oder des Universalitätsprinzips nicht etwa von der Strafgerichtsbarkeit des Territorialstaates verdrängt, sondern konkurriert vielmehr mit dieser.59 Nach allem können jedenfalls die einzelnen Vertragstaaten des Rom-Statuts Strafgerichtsbarkeit in dem Umfang ausüben, wie das Statut sie für den IStGH selbst vorsieht. Dies wird auch von Kritikern des Gerichtshofs anerkannt.60

59 60

Hafner et al., A Response to the American View, S. 117. Morris, High Crimes and Misconceptions, S. 45 – 47.

E. Die völkerrechtliche Legitimation der Strafgerichtsbarkeit des IStGH I. Problemaufriss Fraglich ist jedoch, ob es den einzelnen Vertragsstaaten möglich war, dem IStGH Strafgerichtsbarkeit in dem im Rom-Statut vorgesehenen Umfang einzuräumen. Dies wird von zahlreichen Gerichtshofgegnern bestritten. Insoweit wird geltend gemacht, die dem IStGH zugewiesene Gerichtsbarkeit stelle eine unzulässige Ausübung extraterritorialer Jurisdiktionsgewalt durch die Vertragsstaaten dar. Zentrale Frage für das Verhältnis des IStGH zu Drittstaaten ist daher, ob das Jurisdiktionsregime des IStGH im Einklang mit geltendem Völkerrecht steht, so dass auch Drittstaaten die entsprechenden Regelungen akzeptieren müssen. Es ist folglich zu untersuchen, ob es den Gründungsstaaten des Rom-Statuts völkerrechtlich möglich war, dem IStGH Strafgerichtsbarkeit in dem im Statut vorgesehenen Umfang einzuräumen. Im Hinblick auf die Gerichtsbarkeit des IStGH ist zwischen einer Verfahrenseinleitung durch die Vertragsstaaten oder den Ankläger gemäß Artikel 12 Abs. 2 und 3 in Verbindung mit Artikel 13 lit. a, c einerseits und der Verfahrenseinleitung durch den Sicherheitsrat nach Artikel 13 lit. b andererseits zu unterscheiden. Bei Verfahrenseinleitung durch einen Vertragsstaat oder den Ankläger kann der IStGH Gerichtsbarkeit nur dann ausüben, wenn entweder der Territorialstaat oder der Heimatstaat des Täters dem Statut beigetreten ist oder der Gerichtsbarkeit im Einzelfall zugestimmt hat. Demgegenüber kommt es bei Unterbreitung einer Situation durch den Sicherheitsrat gerade nicht auf die Vertragsmitgliedschaft oder Zustimmung irgendeines Staates an. Der IStGH hat in diesem Fall vielmehr unabhängig vom Willen irgendeines Staates umfassende Strafgerichtsbarkeit. Das Statut sieht hier also zwei ganz unterschiedliche Ansätze für die Ausübung von Strafgerichtsbarkeit vor.

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E. Völkerrechtliche Legitimation der Strafgerichtsbarkeit des IStGH

II. Die Legitimation der Strafgerichtsbarkeit bei Verfahrenseinleitung durch die Vertragsstaaten oder den Ankläger 1. Strafgerichtsbarkeit aufgrund des Konsensprinzips Soweit die Vertragsstaaten oder die Anklagebehörde ein Verfahren initiieren, ist die Gerichtsbarkeit des IStGH von der Zustimmung des Territorialstaates oder des Personalstaates des Beschuldigten abhängig. Die Legitimation der Strafgewalt beruht hier also letztlich auf dem Konsensprinzip, nämlich auf der Übertragung einzelstaatlicher Strafgewalt auf den Gerichtshof.1 Die betroffenen Staaten treten ihre Strafgerichtsbarkeit aufgrund des Territorialitätsprinzips oder des aktiven Personalitätsprinzips im Hinblick auf die in Artikel 5 des Statuts genannten Verbrechen im Voraus vertraglich oder durch ad hoc Erklärung im konkreten Einzelfall an den IStGH ab. Die Kompetenzen des Strafgerichtshofs ergeben sich insoweit aus der Übertragung von Hoheitsrechten durch die in Artikel 12 Abs. 2 IStGH-Statut genannten Staaten, die sich der Gerichtsbarkeit des IStGH unterwerfen.2 Seine Gerichtsbarkeit kann daher bei Verfahrenseinleitung durch die Vertragsstaaten oder den Ankläger als abgeleitete Gerichtsbarkeit bezeichnet werden, es wird insoweit auch von „ceded“ oder „transferred jurisdiction“ gesprochen.3 Der Gerichtshof tritt grundsätzlich an die Stelle des zustimmenden und verzichtenden Staates und übt für diesen Gerichtsbarkeit aus.4 Zwar können nach hier vertretener Auffassung alle Staaten die im Statut aufgezählten Völkerrechtsverbrechen auch aufgrund des Universalitätsprinzips verfolgen. Wie jedoch bereits im Zusammenhang mit der Entstehungsgeschichte des Artikels 12 erläutert, sprach sich die Mehrheit der Gründungsstaaten jedenfalls für den Fall einer Verfahrenseinleitung durch die Vertragsstaaten oder den Ankläger gegen eine derart universelle Zuständigkeit auch für den IStGH aus. Dessen Zuständigkeit sollte vielmehr auf dem vertraglichen oder ad hoc erklärten Konsens von Territorial- oder Personalstaat beruhen. Das Universalitätsprinzip wird insoweit vom Konsensprinzip überlagert: „If the Prosecutor or a State refers the case, although the universality principle does not disappear, layered upon it is a State consent regime based on two additional principles (which are disjunctive) of jurisdiction: the territoriality and the nationality principle.“5 1 Zu diesem Konzept einer von den Vertragsstaaten abgeleiteten Strafgewalt OellersFrahm, Die Einsetzung des „Internationalen Tribunals über Kriegsverbrechen im ehemaligen Jugoslawien“ durch den Sicherheitsrat, S. 734. 2 König, Die völkerrechtliche Legitimation der Strafgewalt internationaler Strafjustiz, S. 30 ff., 154 ff.; Sadat, The ICC and the Transformation of International Law, S. 117 – 118; Bruer-Schäfer, Der IStGH, S. 337, 340. 3 Fox, The Objections to Transfer of Criminal Jurisdiction to the UN Tribunal, S. 435; König, Die völkerrechtliche Legitimation der Strafgewalt internationaler Strafjustiz, S. 30 ff. 4 Cassese, The Statute of the ICC, S. 160.

II. Legitimation bei Verfahrenseinleitung durch die Vertragsstaaten

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Entscheidendes Merkmal dieser abgeleiteten Gerichtsbarkeit ist, dass die Kompetenzen des Gerichtshofs der übertragenen staatlichen Strafgewalt entsprechen müssen. Der Gerichtshof kann also nur solche Delikte aburteilen, die auch von der jeweiligen nationalen Strafjustiz abgeurteilt werden könnten.6 Denn die Vertragsstaaten können einem internationalen Strafgerichtshof in keinem Fall mehr Hoheitsrechte übertragen, als sie selbst innehaben, insoweit gilt der Grundsatz nemo plus iuris transferre potest quam ipse habet.7 Der IStGH kann also aufgrund dieser abgeleiteten Gerichtsbarkeit nur dann tätig werden, wenn die einzelnen Vertragsstaaten selbst über Strafgewalt in dem für den IStGH vorgesehenen Umfang verfügen. Dies wurde bereits bejaht, da die Einzelstaaten die fraglichen Verbrechen zum einen selbst definieren und materiellrechtlich unter Strafe stellen können und weiterhin sowohl das in Artikel 12 genannte Territorialitätsprinzip als auch das aktive Personalitätsprinzip anerkannte Anknüpfungskriterien für die Ausübung staatlicher Strafgerichtsbarkeit sind. Darüberhinaus müsste die Übertragung dieser nationalen Strafgewalt der Einzelstaaten auf ein internationales Strafgericht völkerrechtlich zulässig sein.

2. Übertragbarkeit auf den IStGH Die Zulässigkeit der gemeinsamen Schaffung materieller Strafnormen durch mehrere Staaten im Rahmen eines völkerrechtlichen Vertrages wurde bereits bejaht. Entsprechende Konventionen sind weit verbreitet. Daneben müsste aber auch die formelle Strafgewalt des IStGH, das heißt seine Befugnis, anstelle der Einzelstaaten Gerichtsbarkeit auszuüben, völkerrechtlich legitimiert sein. Die Besonderheit des Rom-Statuts besteht nämlich darin, dass nicht nur bestimmte Verbrechen vertraglich definiert werden, sondern die Vertragsstaaten darüber hinaus auch die Strafverfolgung selbst einem internationalen Strafgericht übertragen haben. Bisher war in internationalen Verträgen nämlich trotz gemeinsamer Bestimmung der materiellen Strafbarkeit die Strafverfolgung grundsätzlich nationalen Strafgerichten überlassen worden. Zwar verweist die Völkermordkonvention8 in ihrem Artikel VI für die gerichtliche Zuständigkeit zur Strafverfolgung nicht nur auf die Gerichte des Staates, in dessen Gebiet ein Völkermord begangen wurde, sondern alternativ auch auf ein internationales Strafgericht. Mangels Errichtung eines solchen Gerichts verblieb es jedoch auch hier bisher bei der Zuständigkeit der nationalen Gerichte. 5 Sadat, The ICC and the Transformation of International Law, S. 117; in diesem Sinn auch Scharf, The ICC’s Jurisdiction Over the Nationals of Non-Party States: A Critique of the U.S. Position, S. 116. 6 König, Die völkerrechtliche Legitimation der Strafgewalt internationaler Strafjustiz, S. 154. 7 Chapuis, Die Übertragung von Hoheitsrechten auf supranationale Organisationen, S. 95. 8 Konvention über die Verhütung und Bestrafung des Völkermordes vom 9. 12. 1948, BGBl. 1954 II, S. 730.

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E. Völkerrechtliche Legitimation der Strafgerichtsbarkeit des IStGH

Es ist daher zu prüfen, ob die einzelnen Vertragsstaaten auch die ihnen zustehende nationale Strafgerichtsbarkeit aufgrund des Territorialitätsprinzips und des aktiven Personalitätsprinzips zusammenlegen und auf ein internationales Gericht übertragen konnten. Nur dann kommt das Konzept der abgeleiteten Gerichtsbarkeit als Rechtsgrundlage und Legitimation für die Gründung des IStGH in Betracht.9 Die dem IStGH vertraglich eingeräumte Gerichtsbarkeit (transferred jurisdiction) wäre nicht zu beanstanden, wenn die Einzelstaaten ihre nationale Strafgerichtsbarkeit aufgrund des aktiven Personalitätsprinzips beziehungsweise des Territorialitätsprinzips in völkerrechtlich zulässiger Weise bündeln und an ein internationales Strafgericht abtreten konnten. a) Rechtsgrundlage Die Übertragbarkeit nationaler Strafgerichtsbarkeit auf einen internationalen Spruchkörper wird insbesondere von den Gegnern des Gerichtshofs, allen voran den USA, vehement bestritten.10 Die Kritiker des IStGH stehen insoweit auf dem Standpunkt, dass die einzelnen Vertragsstaaten ihre Strafverfolgungskompetenzen nicht in völkerrechtlich zulässiger Weise auf einen internationalen Strafgerichtshof übertragen können. Eine Kernfrage im Hinblick auf die Rechtmäßigkeit der Errichtung des IStGH ist daher, ob es den Vertragsstaaten nach geltendem Völkerrecht möglich war, ihre einzelstaatliche Strafgerichtsbarkeit auf ein internationales Gericht abzutreten. Die Frage der Übertragbarkeit staatlicher Strafgerichtsbarkeit auf ein anderes Völkerrechtssubjekt, einen anderen Staat oder eine internationale Organisation ist eine Frage des Völkerrechts.11 In der Völkerrechtsliteratur wird eine entsprechende Übertragbarkeit fast ausschließlich bejaht, teilweise sogar als völlig selbstverständlich angesehen und meist nicht näher begründet.12 König, Die völkerrechtliche Legitimation der Strafgewalt internationaler Strafjustiz, S. 27. Vgl. Morris, High Crimes and Misconceptions, S. 45 – 47; Scheffer, The ICC: The Challenge of Jurisdiction, S. 70 ff. 11 Arnold, Der UNO-Sicherheitsrat und die strafrechtliche Verfolgung von Individuen, S. 33; Hoffmann, Strafrechtliche Verantwortung im Völkerrecht, S. 123. 12 Die Übertragbarkeit staatlicher Strafgerichtsbarkeit durch völkerrechtlichen Vertrag allgemein bejahend, aber ohne rechtliche Begründung insoweit Doehring, Völkerrecht, Rn. 808, 809; Hoffmann, Strafrechtliche Verantwortung im Völkerrecht, S. 151; Sadat / Carden, The New ICC: An Uneasy Revolution, S. 413; Bruer-Schäfer, Der IStGH, S. 342: „Jeder Staat hat das Recht, im Einklang mit seiner Verfassung, die Gerichtsbarkeit über eine angeklagte Person einem anderen Staat oder einem internationalen Gerichtswesen zu übertragen, mit welchem er einen Vertrag geschlossen hat. Ein solcher Transfer stellt sich als vollwirksame Ausübung der nationalen Souveränität dar, die allerdings im Einklang mit den internationalen humanitären Menschenrechten stehen muss . . . Es liegt in der souveränen Macht der Staaten, die ihnen obliegende Gerichtsbarkeit auf einen internationalen Körper zu übertragen . . .“; Fox, The Objections to Transfer of Criminal Jurisdiction to the UN Tribunal, S. 435; LaHaye, The Jurisdiction of the ICC, S. 19. 9

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II. Legitimation bei Verfahrenseinleitung durch die Vertragsstaaten

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Das Völkerrecht regelt die Möglichkeit einer derartigen Zusammenlegung einzelstaatlicher Strafgerichtsbarkeit allerdings nicht ausdrücklich. Vielmehr werden vom Völkerrecht grundsätzlich nur einzelne Staaten durch die Zuweisung von Jurisdiktionsbefugnis mit der Berechtigung zur Ausübung von Strafrechtsbefugnissen ausgestattet, nicht etwa ein Zusammenschluss oder eine Gemeinschaft von Staaten.13 Strafgerichtsbarkeit aufgrund der gewohnheitsrechtlich anerkannten Anknüpfungsmomente des internationalen Strafrechts haben zunächst also nur die Einzelstaaten. 14 Angesichts des Fehlens einer expliziten völkerrechtlichen Regelung sowie angesichts der scharfen Kritik, die der Übertragung nationaler Strafgerichtsbarkeit auf einen internationalen Spruchkörper derzeit von zahlreichen Drittstaaten entgegengebracht wird, erscheint eine genauere Untersuchung dieses Problems im Rahmen der vorliegenden Arbeit unabdingbar. Eine pauschale Bejahung der Abtretbarkeit staatlicher Strafverfolgungsbefugnisse an den IStGH kann der vorgebrachten Kritik nichts entgegensetzen und ginge über die durchaus berechtigte Frage nach einer entsprechenden völkerrechtlichen Rechtfertigung für die Bündelung nationaler Strafgewalt zu leichtfertig hinweg. Umso erstaunlicher ist es, dass diese Frage bisher nur ganz vereinzelt aufgeworfen wurde.15 Zunächst stellt sich die Frage, ob für die Bündelung und Übertragung nationaler Strafgerichtsbarkeit auf ein internationales Strafgericht eine spezielle Rechtsgrundlage erforderlich ist. b) Staatliche Handlungsfreiheit Unter Berufung auf die allgemeine Handlungsfreiheit souveräner Staaten wird teilweise geltend gemacht, dass staatliches Handeln grundsätzlich immer zulässig ist, solange keine spezielle völkerrechtliche Verbotsnorm entgegensteht. Den Staaten sei hiernach jedes Handeln erlaubt, das nicht ausdrücklich vom Völkerrecht verboten werde.16 Auch insoweit wird auf das bereits erwähnte Lotus-Urteil verwiesen, in dem der StIGH ausgeführt hatte: „The rules of law binding upon States therefore emanate from their own free will . . . Restrictions upon the independence of States cannot therefore be presumed . . . Every State remains free to adopt the principles which it regards as best and most suitable.“17 13 Hoffmann, Strafrechtliche Verantwortung im Völkerrecht, S. 123; Arnold, Der UNOSicherheitsrat und die strafrechtliche Verfolgung von Individuen, S. 33; Baldus, Übertragung von Hoheitsrechten auf ausländische Staaten, S. 484. 14 Oehler, Internationales Strafrecht, Rn. 910. 15 Angesprochen wird die Frage bei Arnold, Der UNO-Sicherheitsrat und die strafrechtliche Verfolgung von Individuen, S. 33; Hoffmann, Strafrechtliche Verantwortung im Völkerrecht, S. 123. 16 Scharf, The ICC’s Jurisdiction Over the Nationals of Non-Party States: A Critique of the U.S. Position, S. 73. 17 The Case of the S.S. Lotus, PCIJ, Ser. A, 1927, S. 18 – 19.

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E. Völkerrechtliche Legitimation der Strafgerichtsbarkeit des IStGH

Nach diesem Ansatz wäre die Übertragung von Strafgerichtsbarkeit auf ein internationales Gericht grundsätzlich ohne weiteres zulässig, soweit kein ausdrückliches völkerrechtliches Verbot entgegensteht. Auch zahlreiche Autoren gehen von einer entsprechend umfassenden Zulässigkeit staatlichen Tätigwerdens aus, solange keine positive Norm dies explizit verbietet.18 Nach dieser teilweise als Souveränitätstheorie bezeichneten Auffassung sind die Staaten in ihrem Tun frei, solange ihr Handeln keiner Norm des Völkerrechts widerspricht.19 Staatliche Handlungsfreiheit ist hiernach als negatives Rechtsprinzip zu verstehen, dem souveränen Staat ist alles erlaubt, was nicht ausdrücklich verboten ist.20 Folgt man der These von der allgemeinen Handlungsfreiheit souveräner Staaten, so bedarf auch die Übertragung von nationaler Strafgerichtsbarkeit auf ein internationales Gericht nicht etwa einer ausdrücklichen Erlaubnisnorm, sondern es ist vielmehr umgekehrt von der Zulässigkeit der Übertragung auszugehen, solange kein völkerrechtliches Verbot entgegensteht. c) Erforderlichkeit einer Erlaubnisnorm Nach anderer Auffassung indessen gibt es im modernen Völkerrecht keinen Platz für eine Regel, nach der den Staaten alles erlaubt ist, was nicht ausdrücklich verboten ist. Eine Vermutung für das Bestehen uneingeschränkter staatlicher Hoheitsgewalt oder eine allgemeine Handlungsfreiheit für souveräne Staaten wird hiernach abgelehnt.21 Staaten benötigen nach dieser Ansicht vielmehr spezielle Handlungsermächtigungen, das heißt Erlaubnisnormen, um tätig zu werden. Ein staatliches Handeln soll nur dann zulässig sein, wenn sich im Völkerrecht eine entsprechende Zuweisung von Handlungsfreiräumen finden lässt.22 In diesem Sinn führt Fastenrath aus: „Vieles spricht dafür, dass die Staaten jeweils spezielle Handlungsermächtigungen benötigen. Nicht alles, was nicht ausdrücklich verboten ist, ist erlaubt. Oder soll es den Staaten vor der Verankerung der Menschenrechte im Völkerrecht wirklich erlaubt gewesen sein, ihre Bürger völlig nach Belieben zu malträtieren? Soll vor der weltweiten Ächtung des 18 So Seidl-Hohenveldern / Stein, Völkerrecht, Rn. 537; zu diesem Ansatz Fastenrath, Lücken im Völkerrecht, S. 229 ff. 19 Scharf, The ICC’s Jurisdiction Over the Nationals of Non-Party States: A Critique of the U.S. Position, S. 73 unter Verweis auf das Lotus-Urteil, PCIJ, Ser. A, 1927, S. 18. 20 Lauterpacht, International Law, Vol. I, S. 95; Aznar-Gómez, The 1996 Nuclear Weapons Advisory Opinion and Non-Liquet in International Law, S. 8; Scharf, The ICC’s Jurisdiction Over the Nationals of Non-Party States: A Critique of the U.S. Position, S. 72 – 73. 21 Dahm, Völkerstrafrecht, S. 38, der darauf hinweist, dass der StIGH im Lotus-Urteil noch anders entschieden habe; so auch Graf Vitzthum, in: Graf Vitzthum (Hrsg.), Völkerrecht, 1. Abschn., Rn. 50; Dahm / Delbrück / Wolfrum, Völkerrecht. Bd. I / 1, S. 222. 22 Fastenrath, Lücken im Völkerrecht, S. 245.

II. Legitimation bei Verfahrenseinleitung durch die Vertragsstaaten

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Völkermordes dieser erlaubt gewesen sein? Es ist hier wohl eher von einem damals rechtsfreien Raum auszugehen, nicht aber davon, dass das Völkerrecht mangels Rechtsnorm ein Werturteil zugunsten des Völkermordes gefällt hätte.“23

d) Stellungnahme Dieser Ansatz ist überzeugend. Man wird in der Tat nicht ernsthaft davon ausgehen können, dass Menschenrechtsverletzungen, Völkermord oder andere mittlerweile gewohnheitsrechtlich anerkannte internationale Verbrechen erlaubt und vom Völkerrecht gedeckt waren, solange ein entsprechendes Verbot nur noch nicht weltweit anerkannt war. Vom Fehlen eines Verbots kann daher nicht umgekehrt auf einen entsprechenden Erlaubnissatz geschlossen werden. Der Gegenansicht, wonach ein Verhalten völkerrechtlich eben erlaubt ist, solange das Bestehen einer entgegenstehenden Verbotsnorm nicht nachgewiesen werden kann24, ist daher nicht zu folgen. Das Schweigen des Rechts kann vielmehr bedeuten, dass für den fraglichen Fall gar keine Willensäußerung vorliegt, das Problem bisher also übersehen oder aus sonstigen Gründen noch nicht geregelt wurde.25 Staatliche Souveränität und staatliche Handlungsfreiheit finden ihre Grenzen hiernach nicht nur in positiven Verbotsnormen des Völkerrechts.26 Bei fehlender Regelung kann nicht jeder Staat frei sein, nach seinem Belieben zu handeln. Insoweit ist zu berücksichtigen, dass sich im modernen Völkerrecht ein Wandel von bloßer Koexistenz souveräner Staaten hin zu wachsender Kooperation vollzogen hat. Angesichts zahlreicher Abhängigkeiten und zunehmender globaler Probleme kann eine generelle Handlungsfreiheit der Staaten nicht mehr ohne weiteres angenommen werden. Es käme ansonsten unweigerlich zu Konflikten mit den Freiheitsrechten anderer Staaten.27 Nach hier vertretener Auffassung erfordert staatliches Handeln grundsätzlich eine völkerrechtliche Erlaubnisnorm. Damit erfordert auch die Übertragung einzelstaatlicher Strafgerichtsbarkeit auf ein internationales Strafgericht eine völkerrechtliche Rechtfertigung.

Fastenrath, Lücken im Völkerrecht, S. 252. So aber Seidl-Hohenveldern / Stein, Rn. 537, nach denen es Lücken im Völkerrecht nicht gibt: „Kann das Bestehen einer entgegenstehenden Verbotsnorm nicht nachgewiesen werden, dann ist das gegenständliche Verhalten eben erlaubt.“. 25 Canaris, Die Feststellung von Lücken im Gesetz, S. 50. 26 Fastenrath, Lücken im Völkerrecht, S. 245 – 246; Mosler, Völkerrecht als Rechtsordnung, S. 40; Stone, Non Liquet and the Judicial Function, S. 310; allgemein hierzu Canaris, Die Feststellung von Lücken im Gesetz, S. 48 ff. 27 Fastenrath, Lücken im Völkerrecht, S. 252; Graf Vitzthum, in: Graf Vitzthum (Hrsg.), Völkerrecht, 1. Abschn., Rn. 50; Bruer-Schäfer, Der IStGH, S. 136; Tomuschat, The Duty to Prosecute International Crimes Committed by Individuals, S. 327 führt im Hinblick auf die Ausübung von Gerichtsbarkeit aus: „Any departure from that principle (of territoriality) requires special authorization by the international legal order.“. 23 24

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E. Völkerrechtliche Legitimation der Strafgerichtsbarkeit des IStGH

e) Völkerrechtliche Zulässigkeit der Übertragung von Hoheitsrechten Fraglich ist jedoch, ob die Bündelung und Übertragung nationaler Strafgerichtsbarkeit auf den IStGH nicht ohnehin in Einklang mit bereits geltendem Völkerrecht steht und damit auf einer völkerrechtlichen Rechtsgrundlage beruht. aa) Der IStGH als internationale Organisation Beim IStGH handelt es sich um ein von den Vertragsstaaten gegründetes internationales Gericht, das in den im Statut vorgesehenen Fällen anstelle der Mitgliedstaaten tätig werden soll. Damit könnte der IStGH als internationale Organisation einzustufen sein. Hierunter ist ein vertraglicher Zusammenschluss von Völkerrechtssubjekten zu verstehen, in dem gemeinsame Organe aufgrund übertragener Befugnisse bestimmte gemeinsame Aufgaben und Interessen verfolgen.28 Internationale Organisationen müssen über mindestens ein Organ verfügen, das einen eigenständigen und von den Mitgliedstaaten unabhängigen Willen bilden kann.29 Die Zuweisung bestimmter Aufgaben an die internationale Organisation korrespondiert insoweit mit dem Verzicht der Mitglieder auf einen Teil ihrer souveränen Hoheitsrechte. Die internationale Organisation nimmt sodann die entsprechenden Rechte im eigenen Namen wahr.30 Der IStGH wurde von den Gründungsstaaten durch völkerrechtlichen Vertrag zum Zweck der Verfolgung schwerster völkerrechtlicher Verbrechen errichtet, der Beitritt steht grundsätzlich allen Staaten offen. Der Gerichtshof verfügt über eigene Organe, Artikel 34 IStGH-Statut nennt insoweit das Präsidium, die Berufungsabteilung, die Hauptverfahrensabteilung, die Vorverfahrensabteilung sowie die Anklagebehörde und die Kanzlei. Der Gerichtshof besitzt damit die für eine internationale Organisation erforderliche eigene und vom Willen der Mitgliedstaaten unabhängige Organisationsstruktur. Die Zuständigkeit des IStGH im Fall der Verfahrenseinleitung durch einen Vertragsstaat oder den Ankläger beruht auf der Idee, dass die Mitgliedstaaten dem Gerichtshof einen Teil ihrer staatlichen Hoheitsrechte übertragen. Insoweit handelt es sich um die Befugnis der Einzelstaaten, über die in Artikel 5 des Statuts genannten Verbrechen nationale Strafgerichtsbarkeit aufgrund des Territorialitätsprinzips beziehungs28 Bleckmann, Völkerrecht, S. 42 – 43; Bindschedler, International Organizations, General Aspects, in: Bernhardt (Hrsg.) EPIL, Vol. II, S. 1289; Köck / Fischer, Grundzüge des Rechts der Internationalen Organisationen, S. 27; Schermers / Blokker, International Institutional Law, § 33; Ipsen, Völkerrecht, § 31, Rn. 1. 29 Wolfrum, in: LdR / VR (3. Aufl.), S. 189 ff.; Köck / Fischer, Das Recht der Internationalen Organisationen, S. 27; Schermers / Blokker, International Institutional Law, §§ 33 – 45; Bleckmann, Völkerrecht, S. 42 – 43. 30 Seidl-Hohenveldern / Loibl, Das Recht der Internationalen Organisationen, S. 6, Rn. 0106; Köck / Fischer, Das Recht der Internationalen Organisationen, S. 565; Wolfrum, in: LdR / VR (3. Aufl.), S. 190.

II. Legitimation bei Verfahrenseinleitung durch die Vertragsstaaten

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weise des aktiven Personalitätsprinzips auszuüben. Der Beitritt der Mitgliedstaaten zum IStGH gründet sich auf das Konsensprinzip und damit auf eine freiwillige Beschränkung staatlicher Hoheitsrechte. Der IStGH ist daher als internationale Organisation anzusehen.31 bb) Zulässigkeit der Gründung internationaler Organisationen Die Befugnis souveräner Staaten, sich zur Gründung einer internationalen Organisation zusammenzuschließen und dieser bestimmte staatliche Hoheitsrechte zu übertragen, ist heutzutage absolut anerkannt.32 So gibt es mittlerweile unzählige internationale Organisationen, die durch ihre eigenen Organe für die Mitgliedstaaten souveräne Hoheitsgewalt in dem im jeweiligen Gründungsvertrag vorgesehenen Umfang ausüben. Gerade das 20. Jahrhundert ist daher als Zeitalter der internationalen Organisationen bezeichnet worden.33 Die Gründung internationaler Organisationen durch souveräne Staaten war indessen keineswegs immer selbstverständlich, so alltäglich sie heute auch erscheinen mag. Mit der im 19. Jahrhundert herrschenden Vorstellung von der absoluten Souveränität des Staates war die mit dem Beitritt zu einer internationalen Organisation verbundene Übertragung staatlicher Hoheitsgewalt grundsätzlich nicht vereinbar. Das klassische Völkerrecht kannte als Rechtssubjekte zunächst nur Staaten. Diese galten als uneingeschränkte Inhaber der höchsten Gewalt. Ihre Eingliederung in eine internationale Organisation unter Aufgabe auch nur eines Teils ihrer äußeren staatlichen Souveränität erschien hiernach unvorstellbar und die Rechtsform eines derartigen Staatenzusammenschlusses galt als mit dem Wesen des Staates unvereinbar.34 Mit dem Wandel des Souveränitätsbegriffs im 20. Jahrhundert und der Abkehr von der Vorstellung des Staates als Träger absolut-höchster Gewalt35 kam es jedoch insoweit zu erheblichen Veränderungen. Die erfolgte Relativierung staatlicher Hoheitsmacht korrespondiert letztlich mit der Anerkennung weiterer Rechtssubjekte auf völkerrechtlicher Ebene. So wurden neben dem souveränen Staat all31 König, Die völkerrechtliche Legitimation der Strafgewalt internationaler Strafjustiz, S. 27. 32 Zur Geschichte der Internationalen Organisationen Klein, in: Graf Vitzthum (Hrsg.), Völkerrecht, 4. Abschn., Rn. 1 ff., S. 273; vgl. auch Steinberger, Sovereignty, in: Bernhardt (Hrsg.), EPIL, Vol. IV, S. 516 ff.; Bindschedler, International Organizations, General Aspects, in: Bernhardt (Hrsg.), EPIL, Vol. II, S. 1289 ff. 33 Steinberger, Sovereignty, in: Bernhardt (Hrsg.), EPIL, Vol. IV, S. 516. 34 Doehring, Internationale Organisationen und Staatliche Souveränität, S. 112 – 114; hierzu auch James, Sovereign Statehood, S. 185 ff.; Kelsen, Das Problem der Souveränität und die Theorie des Völkerrechts, S. 241 ff. 35 Bleckmann, Allgemeine Staats- und Völkerrechtslehre, S. 497; Dahm / Delbrück / Wolfrum, Völkerrecht. Bd. I / 1, S. 219; Kelsen, Das Problem der Souveränität und die Theorie des Völkerrechts, S. 241 ff.; James, Sovereign Statehood, S. 166 ff.; Bodley, Weakening the Principle of Sovereignty in International Law, S. 422.

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E. Völkerrechtliche Legitimation der Strafgerichtsbarkeit des IStGH

mählich auch Individuen und internationale Organisationen als Träger von Rechten und Pflichten und damit als internationale Akteure anerkannt.36 Nach heutiger Vorstellung bedeutet Souveränität gerade auch die Entscheidungsfreiheit der einzelnen Staaten, ihre Hoheitsgewalt freiwillig einzuschränken, indem sie internationalen Organisationen beitreten, diesen einzelne Hoheitsrechte übertragen und sich insoweit der Entscheidungsgewalt der Organe dieser Organisationen unterwerfen.37 Dies führt nicht zu einem Verlust des souveränen Status, sondern stellt vielmehr gerade eine Ausübung staatlicher Souveränität dar.38 Eine rechtliche Beschränkung der eigenen Souveränität ist also möglich, Freiheit beinhaltet eben auch das Recht, die eigene Freiheit einzuschränken.39 Souveräne Staaten können ihre Hoheitsrechte also auch beschneiden, indem sie internationale Organisationen gründen und diesen bestimmte Rechte übertragen.40 Diese auch in Artikel 6 WVK betonte Fähigkeit der Staaten, entsprechende Abkommen zu schließen (treaty making capacity), ist völkergewohnheitsrechtlich anerkannter Ausfluss staatlicher Souveränität.41 Die Staaten sind durch den Beitritt zu internationalen Organisationen bis heute weitgehende Beschränkungen eingegangen. Zu verweisen ist hier etwa auf den Beitritt zu zwischenstaatlichen Systemen kollektiver Sicherheit sowie auf die weitgehende Preisgabe staatlicher Souveränität auf dem Gebiet der Wirtschafts- und Währungshoheit oder der Außen- und Sozialpolitik.42 Gerade in Europa ist eine weitgehende Bereitschaft zum Zusammenschluss und zur freiwilligen Preisgabe individueller staatlicher Hoheitsgewalt in politischer, militärischer und wirtschaftlicher Hinsicht zugunsten internationaler Organisationen festzustellen. Kehrseite dieser Entwicklung ist eine entsprechende Machtzunahme zwischenstaatlicher und überstaatlicher Organisationen.43 So beruht auch die Hoheitsgewalt der Europäi36 Oellers-Frahm, Internationale Gerichtsbarkeit – gestern und heute, S. 466; James, Sovereign Statehood, S. 180; Bindschedler, International Organizations, General Aspects, in: Bernhardt (Hrsg.) EPIL, Vol. II, S. 1292. 37 Kelsen, Das Problem der Souveränität und die Theorie des Völkerrechts, S. 279 – 280; Doehring, Internationale Organisationen und Staatliche Souveränität, S. 111, 114; Doehring, Völkerrecht, Rn. 809; Dahm / Delbrück / Wolfrum, Völkerrecht. Bd. I / 1, S. 217; Dahm, Völkerrecht, Band 1, 1958, S. 152 ff. 38 Steinberger, Sovereignty, in: Bernhardt (Hrsg.) EPIL, Vol. IV, S. 517. 39 Kelsen, Das Problem der Souveränität und die Theorie des Völkerrechts, S. 77 ff.; Doehring, Internationale Organisationen und Staatliche Souveränität, S. 113. 40 James, Sovereign Statehood in Contemporary International Society, S. 468; Im Hinblick auf die EU: Steinberger, Die Europäische Union im Lichte der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 12. Oktober 1993, S. 1323. 41 Steinberger, Sovereignty, in: Bernhardt (Hrsg.) EPIL, Vol. IV, S. 517; Graft Vitzthum, in: Graf Vitzthum (Hrsg.), Völkerrecht, 1. Abschn., Rn. 117; Klein, in: Graf Vitzthum (Hrsg.), Völkerrecht, 4. Abschn., Rn. 32. 42 Dahm / Delbrück / Wolfrum, Völkerrecht, Bd. I / 1, S. 220; Oellers-Frahm, Internationale Gerichtsbarkeit – gestern und heute, S. 467; James, Sovereign Statehood, S. 181 ff.; Bodley, Weakening the Principle of Sovereignty in International Law, S. 422 ff. 43 Bleckmann, Allgemeine Staats- und Völkerrechtslehre, S. 497; Dahm / Delbrück / Wolfrum, Völkerrecht. Bd. I / 1, S. 220.

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schen Union auf völkervertraglicher Grundlage und ist mithin ausschließlich von den Mitgliedsstaaten abgeleitet, die ihr umfassende einzelstaatliche Hoheitsrechte übertragen haben.44 Die vertragliche Gründung einer internationalen Organisation durch souveräne Staaten und die damit verbundene Abtretung staatlicher Hoheitsrechte ist völkergewohnheitsrechtlich anerkannt und lässt sich insoweit auf eine Erlaubnisnorm stützen. Während man in Europa allerdings mit der entsprechenden Übertragung staatlicher Hoheitsrechte auf internationale oder zwischenstaatliche Einrichtungen seit Jahrzehnten bestens vertraut ist, ist die Lage in den USA anders. Dort ist die Abtretung souveräner staatlicher Rechte bisher keinesfalls alltäglich.45 Diese völlig unterschiedliche politische Situation darf gerade in Zusammenhang mit dem IStGH nicht unberücksichtigt bleiben und ist sicherlich eine Erklärung dafür, dass der Gerichtshof besonders in Europa so großen Zuspruch erfahren hat.

3. Besonderheiten bei der Übertragung von Strafgewalt Es stellt sich jedoch die Frage, ob die soeben geschilderte grundsätzliche Übertragbarkeit staatlicher Hoheitsrechte auf internationale Einrichtungen auch für den Bereich der staatlichen Strafgewalt gilt. Für die Rechtmäßigkeit der Errichtung des IStGH ist ausschlaggebend, ob die Vertragsstaaten auch ihre auf dem aktiven Personalitätsprinzip beziehungsweise dem Territorialitätsprinzip beruhenden Strafverfolgungskompetenzen auf den IStGH übertragen konnten. Die Strafgewalt der Einzelstaaten zählt traditionell zum Kernbereich ihrer staatlichen Souveränität.46 Für die Abtretung von Hoheitsrechten im Bereich des Strafrechts könnten daher Besonderheiten gelten. So wird von Kritikern des Gerichtshofs vorgebracht, staatliche Strafgerichtsbarkeit sei keinesfalls ohne weiteres übertragbar.47

a) Übertragbarkeit staatlicher Strafgerichtsbarkeit aufgrund des aktiven Personalitätsprinzips Die Personalhoheit des Staates berechtigt ihn grundsätzlich dazu, das Verhalten seiner eigenen Staatsangehörigen im Inland wie im Ausland vollumfänglich zu regeln. Der Heimatstaat hat hiernach umfassende Strafgewalt über seine Staats44 Steinberger, Die Europäische Union im Lichte der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 12. Oktober 1993, S. 1321. 45 Dahm / Delbrück / Wolfrum, Völkerrecht. Bd. I / 1, S. 221. 46 Schröder, in: Graf Vitzthum (Hrsg.), Völkerrecht, 6. Abschn., Rn. 45; Oellers-Frahm, Internationale Gerichtsbarkeit – gestern und heute, S. 469; König, Die völkerrechtliche Legitimation der Strafgewalt internationaler Strafjustiz, S. 24. 47 Morris, High Crimes and Misconceptions, S. 49 ff., 51.

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E. Völkerrechtliche Legitimation der Strafgerichtsbarkeit des IStGH

bürger, er ist grundsätzlich auch befugt, eigene Staatsangehörige für Taten zu bestrafen, die auf fremdem Territorium begangen wurden. Die Staatsangehörigkeit des Täters ist nach dem aktiven Personalitätsprinzip hinreichendes Anknüpfungskriterium für die Strafverfolgung im Heimatstaat. Da souveräne Staaten im Hinblick auf ihre eigenen Staatsangehörigen generell über eine uneingeschränkte Regelungsbefugnis verfügen, beinhaltet diese grundsätzlich auch das Recht, Strafgerichtsbarkeit über eigene Staatsbürger an ein anderes Völkerrechtssubjekt wie den IStGH abzutreten, solange hierdurch nicht gegen zwingendes Völkerrecht verstoßen wird. Zu denken ist in diesem Zusammenhang insbesondere an die Achtung der unveräußerlichen Menschenrechte der Betroffenen. Die Rechte dritter Staaten werden durch eine entsprechende Übertragung grundsätzlich nicht berührt. So wurde auch von Drittstaaten bisher nicht bestritten, dass es den Vertragsstaaten möglich ist, dem IStGH Strafgerichtsbarkeit im Hinblick auf ihre eigenen Staatsangehörigen einzuräumen.

b) Übertragbarkeit staatlicher Strafgerichtsbarkeit aufgrund des Territorialitätsprinzips Daneben beruht die Strafgerichtsbarkeit des IStGH auch auf dem so genannten Territorialitätsprinzip. Der Gerichtshof kann nach dem Rom-Statut dann tätig werden, wenn der Staat, in dessen Territorium sich die Tat ereignete, dem Statut beigetreten ist oder seine Zustimmung im Einzelfall erklärt hat. Dies begründet gerade auch dann die Strafgerichtsbarkeit des IStGH, wenn der Heimatstaat des Beschuldigten seinerseits dem Rom-Statut nicht beigetreten ist. Gegen diese Übertragung der territorialen Strafgerichtsbarkeit der Vertragsstaaten auf den IStGH wehren sich zahlreiche Drittstaaten, allen voran die USA. Insoweit wird vorgebracht, dass diese auf das Territorialitätsprinzip gestützte Gerichtsbarkeit des IStGH über Staatsangehörige aus Nichtvertragsstaaten völkerrechtswidrig sei. Die vertraglich begründete Ausübung von Strafgerichtsbarkeit über Staatsangehörige aus Nichtvertragsstaaten auch ohne Zustimmung ihres Heimatstaates stellt nach Auffassung der Gegner des Gerichtshofs eine unzulässige Belastung des jeweiligen Heimatstaates dar. Insbesondere die US-amerikanische Regierung sowie ein Teil der US-amerikanischen Völkerrechtsliteratur stufen das Rom-Statut damit letztlich als unzulässigen völkerrechtlichen Vertrag zu Lasten dritter Staaten ein. Zur Überprüfung dieser Kritik ist daher eine genauere Auseinandersetzung mit dem Begriff des Vertrages zu Lasten dritter Staaten erforderlich. aa) Unzulässigkeit von Verträgen zu Lasten dritter Staaten, Artikel 34 WVK Für die Beantwortung der Frage, welche rechtlichen oder tatsächlichen Wirkungen ein völkerrechtlicher Vertrag wie das Rom-Statut für Nichtvertragspar-

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teien zulässigerweise haben kann, ist zunächst die schon im Römischen Zivilrecht verankerte Maxime pacta tertiis nec nocent nec prosunt heranzuziehen, nach der Verträge für Dritte weder Rechte noch Pflichten begründen können.48 Verträge zugunsten wie zu Lasten Dritter sind mit dem das Vertragsrecht grundsätzlich beherrschenden Konsensprinzip unvereinbar und unzulässig. Ein Vertrag kann nur mit Zustimmung der Betroffenen Rechte oder Pflichten begründen.49 Auch das Völkerrecht wird vom Konsensprinzip beherrscht, denn nur im Konsens kommt der autonome Wille souveräner Staaten hinreichend zum Ausdruck.50 Grundlage für die Geltung der pacta-tertiis-Regel im Völkerrecht ist damit letztlich die souveräne Gleichheit aller Staaten, die ihre Grundlage in Artikel 2 Abs. 1 der UNCharta findet.51 Hiernach entscheidet jeder Staat selbstbestimmt über seine eigenen Angelegenheiten und damit auch über seine rechtlichen und tatsächlichen Beziehungen zu anderen Staaten. Nur durch eine strenge Relativität der Vertragsbeziehungen wird die völkerrechtliche Gleichheit und Unabhängigkeit der Staaten gewährleistet.52 Dementsprechend ist auch im Völkerrecht der Grundsatz pacta tertiis nec nocent nec prosunt gewohnheitsrechtlich anerkannt.53 Die pacta-tertiisRegel ist in dem am 23. 5. 1969 geschlossenen Wiener Übereinkommen über das Recht der Verträge (WÜK) niedergelegt, bei dem es sich nach ganz herrschender 48 Neuhold, Völkerrechtlicher Vertrag und Drittstaaten, S. 53; Wetzel / Rauschning, The Vienna Convention on the Law of Treaties, Kommentar der International Law Commission, S. 266; Tomuschat, Völkerrechtlicher Vertrag und Drittstaaten, S. 10. 49 So sind im deutschen Zivilrecht Verträge zu Lasten Dritter mit dem Grundsatz der Privatautonomie unvereinbar und unzulässig. Verträge zugunsten Dritter sind gemäß §§ 328 ff. BGB zwar grundsätzlich zulässig. Der Rechtserwerb des Dritten tritt hier auch automatisch, ohne dessen Zutun ein. § 333 BGB bestimmt jedoch, dass das Recht als nicht erworben gilt, soweit der Dritte das erworbene Recht dem Versprechenden gegenüber zurückweist. Somit wird sichergestellt, dass niemandem gegen seinen Willen ein endgültiger Rechtserwerb aufgezwungen werden kann. Ähnliches gilt nach deutschem Recht für öffentlich-rechtliche Verträge: Verträge, die in Rechte eines Dritten eingreifen, sind gemäß § 58 VwVfG erst mit schriftlicher Zustimmung des Dritten wirksam. Für Verträge zugunsten Dritter gelten gemäß § 62 VwVfG auch im öffentlichen Recht die Vorschriften des BGB und damit die bereits für das Zivilrecht erläuterten Grundsätze: Ein unmittelbarer Rechtserwerb zugunsten des Dritten ist möglich, seine Endgültigkeit hängt jedoch letztlich von der Zustimmung des Dritten ab, da dieser auch hier gemäß § 62 VwVfG in Verbindung mit § 333 BGB das Recht zurückweisen kann. 50 Hingst, Auswirkungen der Globalisierung auf das Recht der völkerrechtlichen Verträge, S. 194 und Einleitender Teil; Ballreich, Völkerrechtliche Verträge zu Lasten Dritter, S. 4. 51 Tomuschat, Völkerrechtlicher Vertrag und Drittstaaten, S. 39; Ballreich, Völkerrechtliche Verträge zu Lasten Dritter, S. 6 ff. 52 Geiger, in: LdR / VR (3. Aufl.), S. 477; Wetzel / Rauschning, The Vienna Convention on the Law of Treaties, Stellungnahme der tschechischen Regierung zum Entwurf der International Law Commission, S. 265; YBILC 1966, Vol. II, S. 287; Kommentar der Völkerrechtskommission der Vereinten Nationen zu Artikel 34 WÜK (Artikel 30 a. F.) S. 266; Tomuschat, Völkerrechtlicher Vertrag und Drittstaaten, S. 9; Hingst, Auswirkungen der Globalisierung auf das Recht der völkerrechtlichen Verträge, S. 176. 53 Wolfke, Treaties and Custom, S. 32; Tomuschat, Völkerrechtlicher Vertrag und Drittstaaten, S. 1; Wetzel, S. 66; Dahm / Delbrück / Wolfrum, Völkerrecht, Bd. I / 3, S. 613.

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E. Völkerrechtliche Legitimation der Strafgerichtsbarkeit des IStGH

Auffassung um kodifiziertes Gewohnheitsrecht handelt.54 Artikel 34 WÜK bestimmt: Allgemeine Regel bezüglich Drittstaaten Ein Vertrag begründet für einen Drittstaat ohne dessen Zustimmung weder Pflichten noch Rechte.

Völkerrechtliche Verträge sind hiernach grundsätzlich nur für die Vertragsparteien verbindlich. Gemäß Artikel 35 WÜK kann eine vertragliche Verpflichtung für dritte Staaten nur entstehen, wenn der Drittstaat diese Verpflichtung ausdrücklich in Schriftform annimmt. Ähnliches gilt grundsätzlich für Verträge zugunsten dritter Staaten. Artikel 36 WÜK fordert auch hier die Zustimmung des Drittstaates. Er sieht lediglich insoweit eine Erleichterung vor, als keine ausdrückliche schriftliche Zustimmung vorgesehen ist. Sofern der Vertrag nichts anderes bestimmt, wird die Zustimmung gemäß Artikel 36 Abs. 1 Satz 2 WÜK vermutet, solange nicht das Gegenteil erkennbar ist. Auch das Rom-Statut darf daher grundsätzlich nur zu einer Bindung der Vertragsstaaten führen. Drittstaaten können insoweit gegen ihren Willen weder Rechte noch Pflichten auferlegt werden. Für sie als Unbeteiligte ist die Gründung des IStGH zunächst vielmehr nur eine res inter alios acta, das heißt eine sie nicht berührende Vereinbarung Dritter. bb) Ausnahmen von der pacta tertiis-Regel Es stellt sich jedoch die Frage, ob es Ausnahmen von der pacta tertiis-Regel gibt. So werden immer wieder verschiedene völkerrechtliche Vertragstypen erörtert, die ausnahmsweise auch zu einer Bindung unbeteiligter Staaten führen, das heißt auch für Drittstaaten Rechte und Pflichten begründen sollen.55 Soweit es nach geltendem Völkerrecht Verträge gibt, die per se auch für Nichtvertragsstaaten bindend sind und das Rom-Statut als ein derartiger Sonderfall qualifiziert werden könnte, käme ein Verstoß des Statuts gegen Artikel 34 WVK von Vornherein nicht in Betracht. (1) Territorial- und Grenzverträge Als Ausnahme vom Grundsatz, dass Verträge nur die jeweiligen Vertragsparteien binden, werden zunächst so genannte Territorial- oder Grenzverträge genannt. Hierunter fallen Verträge über die Festlegung von Grenzen, die Abtretung von Gebieten oder die Einräumung von Servituten.56 Geiger, in: LdR / VR (3. Aufl.), S. 474. Delbrück, Laws in the Public Interest, S. 17 – 36; Tomuschat, Obligations for States, S. 241 ff., 268. 56 Klein, Statusverträge im Völkerrecht, S. 321 ff.; Geiger, in: LdR / VR (3. Aufl.), S. 477. 54 55

II. Legitimation bei Verfahrenseinleitung durch die Vertragsstaaten

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Grundsätzlich ist jeder Staat befugt, über sein Hoheitsgebiet und seine Existenz selbst frei zu verfügen.57 Vertragliche Verfügungen über das Staatsgebiet haben anerkanntermaßen absolute Wirkung, sie wirken gegenüber jedermann, das heißt auch gegenüber Drittstaaten. Ihnen kommt daher auch ohne die Beteiligung oder gar Zustimmung dritter Staaten absolute Wirkung zu.58 Um eine echte Ausnahme zur pacta tertiis-Regel soll es sich bei derartigen Verfügungsverträgen gerade nicht handeln. Dies geht auch aus der Entstehungsgeschichte des WÜK hervor. So war bereits bei der Diskussion des Konventionsentwurfs betont worden, dass die im Vertragsentwurf enthaltene pacta-tertiisRegel59 nicht für Territorial- und Grenzverträge gelte. Dementsprechend war von der niederländischen Regierung vorgeschlagen worden, eine ausdrückliche Sonderregelung für Grenz- beziehungsweise Gebietsverträge aufzunehmen.60 Zur Aufnahme einer Ausnahmebestimmung für Territorialverträge kam es jedoch nicht. Zwar war man sich einig, dass gebietsverändernde völkerrechtliche Verträge tatsächlich auch gegenüber Drittstaaten wirksam sind und somit absolute Außenwirkung haben.61 Dennoch wurde bereits damals betont, dass hierdurch keine neuen Rechte oder Verpflichtungen für Drittstaaten geschaffen würden, daher sei eine Sonderbestimmung auch nicht erforderlich. Dieser Argumentation ist zuzustimmen. Territorialverträge wirken sich vielmehr lediglich auf bereits bestehende Rechte und Pflichten aus. Deren konkrete Ausgestaltung beziehungsweise Anwendung wird infolge des späteren Verfügungsvertrages rein faktisch, nämlich aufgrund der geänderten Rechtszuständigkeit berührt.62 Abgesehen von diesen tatsächlichen Auswirkungen werden neue Rechte und Pflichten für Nichtvertragsstaaten aber tatsächlich nicht begründet. Es kommt insoweit nicht zu einer Veränderung ihrer materiellen Rechtsposition, sondern lediglich zur Auswechslung des Adressaten: An die Stelle des alten Souveräns tritt für Drittstaaten nunmehr der neue Souverän. Inhaltlich neuartige Rechte oder Pflichten ergeben sich für die Drittstaaten aus dem zwischen den Vertragsparteien stattfindenden Zuständigkeitswechsel aber nicht, unbeteiligte Staaten trifft als Reflexwirkung Dahm / Delbrück / Wolfrum, Völkerrecht, Bd. I / 1, S. 52. Klein, Statusverträge im Völkerrecht, S. 184 ff.; Ballreich, Völkerrechtliche Verträge zu Lasten Dritter, S. 11; Dahm, Völkerrecht Bd. 1, S. 23 – 24; Dahm / Delbrück / Wolfrum, Völkerrecht Bd. I / 1, S. 52; auch zivilrechtliche Verfügungen haben insoweit absolute, nach deutschem Rechtsverständnis so genannte dingliche Wirkung. 59 Zur Entstehungsgeschichte des WÜK und zum ursprünglich von Sir Henry Waldcock verfaßten Artikel 58 vgl. Wetzel / Rauschning, The Vienna Convention on the Law of Treaties, S. 23, 264 – 265. 60 Zur Stellungnahme der niederländischen Regierung vgl. Wetzel / Rauschning, The Vienna Convention on the Law of Treaties, S. 265; YBILC 1966, Vol. II, S. 321. 61 Wetzel / Rauschning, The Vienna Convention on the Law of Treaties, Beobachtungen und Vorschläge des Sonderberichterstaaters, S. 265. 62 Wetzel / Rauschning, The Vienna Convention on the Law of Treaties, Beobachtungen und Vorschläge des Sonderberichterstatters, S. 265; Klein, Statusverträge im Völkerrecht, S. 189. 57 58

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E. Völkerrechtliche Legitimation der Strafgerichtsbarkeit des IStGH

des Vertrages lediglich eine Respektierungspflicht.63 Die bloße Änderung der Rechtszuständigkeit über ein Gebiet mit Wirkung erga omnes wird schon von der territorialen Kompetenz eines Staates allein gedeckt. Er kann über sein Hoheitsgebiet grundsätzlich uneingeschränkt verfügen. Nur soweit die Rechtsstellung dritter Staaten inhaltlich berührt wird, ist eine besondere Regelungsbefugnis nötig.64 Territorial- und Grenzverträge stellen damit keine echte Ausnahme zu Artikel 34 WVK dar. (2) Institutionelle Verträge Eine allgemeinverbindliche Wirkung auch gegenüber Nichtvertragsstaaten wird verschiedentlich auch so genannten institutionellen Verträgen zugebilligt. Hierunter sind Gründungsverträge internationaler Organisationen oder sonstiger internationaler Einrichtungen zu verstehen.65 (a) Originäre Völkerrechtssubjektivität internationaler Organisationen Wird eine internationale Organisation wirksam durch völkerrechtlichen Vertrag gegründet, so soll ihr nach einer Auffassung gleichsam originär Völkerrechtssubjektivität auch gegenüber Nichtmitgliedsstaaten zukommen. Es wird insoweit eine Parallele zur Rechtsstellung von Staaten gezogen. Diese erwerben nach mittlerweile vorherrschender Ansicht bereits mit ihrer Entstehung, das heißt mit Vorliegen der von der Drei-Elemente-Lehre geforderten Merkmale Staatsgebiet, Staatsvolk und Staatsgewalt, unmittelbare Völkerrechtssubjektivität gegenüber jedermann. Ihre Anerkennung hat daher nur deklaratorische, nicht etwa konstitutive Wirkung.66 Überträgt man diese Grundsätze auf internationale Organisationen, so kommt man zu dem Ergebnis, dass diese bereits mit ihrer Gründung Rechtspersönlichkeit auch im Verhältnis zu Nichtmitgliedsstaaten erlangen.67 Anhänger dieser Auffassung gehen davon aus, dass der originäre Erwerb der Völkerrechtssubjektivität internationaler Organisationen auf Völkergewohnheitsrecht beruht.68 63 Klein, Statusverträge im Völkerrecht, S. 188; Hingst, Auswirkungen der Globalisierung auf das Recht der völkerrechtlichen Verträge, S. 178. 64 Klein, Statusverträge im Völkerrecht, S. 190. 65 Dahm, Völkerrecht, Bd. I, 1958, S. 23; Klein, Statusverträge im Völkerrecht, S. 45; Dahm / Delbrück / Wolfrum, Völkerrecht, Bd. I / 1, S. 53; zum Begriff der internationalen Organisation vgl. Doehring, Völkerrecht, Rn. 202 ff.; Klein, in: Graf Vitzthum (Hrsg.), Völkerrecht, S. 278 ff. 66 Hailbronner, in: Graf Vitzthum (Hrsg.), Völkerrecht, S. 227; BVerfGE 36, S. 22; Doehring, Völkerrecht, Rn. 942 ff. mit Ausführungen auch zur Gegenansicht. 67 Fischer / Köck, Das Recht der Internationalen Organisationen, S. 566; Hingst, Auswirkungen der Globalisierung auf das Recht der völkerrechtlichen Verträge, S. 178. 68 Tomuschat, Völkerrechtlicher Vertrag und Drittstaaten, S. 13.

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Demgemäß wird die geschilderte Ansicht auch als Gewohnheitsrechtstheorie bezeichnet.69 (b) Derivative Völkerrechtssubjektivität internationaler Organisationen Demgegenüber geht die überwiegende Auffassung in der Völkerrechtslehre von der so genannten Vertragstheorie aus. Hiernach erlangen internationale Organisationen im Gegensatz zu Staaten nicht bereits originär mit ihrer Gründung umfassende Völkerrechtssubjektivität auch gegenüber Nichtmitgliedstaaten. Die völkerrechtliche Rechtspersönlichkeit einer internationalen Organisation folgt vielmehr erst aus dem im Gründungsvertrag manifestierten Willen der Mitgliedstaaten. Völkerrechtssubjektivität ist hiernach nur anzunehmen, wenn diese im Gründungsvertrag entweder ausdrücklich vorgesehen ist oder aber der Vertrag Aufgabenzuweisungen an die Organisation enthält, die eine Völkerrechtspersönlichkeit notwendigerweise voraussetzen (implied-powers-Lehre).70 Die Rechtspersönlichkeit folgt zunächst nur aus dem Vertrag und wirkt demgemäß ausschließlich gegenüber den Vertragsstaaten. Drittstaaten gegenüber erlangt eine internationale Organisation Völkerrechtsfähigkeit erst durch entsprechende Anerkennung.71 Alles andere wäre nach herrschender Auffassung ein unzulässiger Vertrag zu Lasten Dritter. Nichtvertragsstaaten müssen daher die Rechtspersönlichkeit einer neu geschaffenen internationalen Organisation keinesfalls akzeptieren. Müssten sich die Drittstaaten etwa bei Haftungsfragen unmittelbar an internationale Organisationen wenden und nicht mehr an die hinter ihr stehenden Mitgliedstaaten, so könnte eine derartige Verpflichtung für sie unter Umständen zu einer Verschlechterung des bisherigen Haftungsobjekts führen. Eine derartige vertraglich begründete Schlechterstellung Dritter ohne ihre Zustimmung wäre jedoch unwirksam.72 Eine gewohnheitsrechtliche Regelung, die internationalen Organisationen originäre Völkerrechtssubjektivität verleiht, existiert nach überwiegender Ansicht gerade nicht. (c) Rechtsprechung des IGH im Reparations for Injuries-Fall Mit der Frage der Rechtspersönlichkeit internationaler Organisationen beschäftigte sich auch ein vom IGH 1949 erstelltes Rechtsgutachten im so genannten Reparations for Injuries-Fall.73 Garcon, S. 204. Garcon, S. 204 – 205; Klein, in: Graf Vitzthum (Hrsg.), Völkerrecht, S. 309 – 310. 71 Stein / von Buttlar, Völkerrecht, Rn. 383, die insoweit von beschränkter Völkerrechtspersönlichkeit sprechen. 72 Seidl-Hohenveldern / Loibl, Das Recht der Internationalen Organisationen, Rn. 0321; Klein, in: Graf Vitzthum (Hrsg.), Völkerrecht, 4. Abschn., Rn. 96. 73 Reparation for Injuries Suffered in the Service of the UN, Advisory Opinion, ICJ Reports 1949, S. 174 ff. 69 70

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E. Völkerrechtliche Legitimation der Strafgerichtsbarkeit des IStGH

Hier kam der IGH zu dem Ergebnis, dass den Vereinten Nationen nicht nur gegenüber ihren Mitgliedstaaten, sondern auch gegenüber Nichtmitgliedstaaten objektive Rechtspersönlichkeit zukommt. Damit entfaltet nach Auffassung des Gerichtshofs die UN-Charta als institutioneller Vertrag rechtliche Bindungswirkung auch für Nichtvertragsstaaten. Der IGH begründete die Völkerrechtssubjektivität der Vereinten Nationen auch gegenüber Nichtmitgliedstaaten zum einen damit, dass die große Mehrheit der Staaten der UNO als internationaler Organisation beigetreten sei. Insoweit verwies der Gerichtshof auf das Repräsentationsprinzip beziehungsweise den Grundsatz der Mehrheitsentscheidung: „. . . the Court’s opinion is that fifty States, representing the vast majority of the members of the international community, had the power, in conformity with international law, to bring into being an entity possessing objective international personality, and not merely personality recognized by them alone, together with capacity to bring international claims.“74

Weiterhin begründete der Gerichtshof die objektive Rechtspersönlichkeit der Vereinten Nationen damit, dass die mit ihrer Gründung verfolgten Ziele dem Gemeinwohl und den öffentlichen Interessen der internationalen Gemeinschaft dienten: „The subjects of law in any legal system are not necessarily identical in their nature or in the extent of their rights, and their nature depends upon the needs of the community. Throughout its history, the development of international law has been influenced by the requirements of international life, and the progressive increase in the collective activities of States has already given rise to instances of action upon the international plane by certain entities which are not States. This development culminated in the establishment in June 1945 of an international organization whose purpose and principles are specified in the Charter of the United Nations. But to achieve these ends the attribution of international personality is indispensable . . .“75

Die Gewohnheitsrechtslehre geht davon aus, der IGH habe im Reparations-forInjuries-Fall eine generelle Aussage dahingehend getroffen, dass einer internationalen Organisation bereits mit ihrer Gründung objektive Rechtspersönlichkeit auch gegenüber Dritten zukommt. Eine Anerkennung durch Nichtmitgliedstaaten habe daher lediglich deklaratorische, nicht aber konstitutive Wirkung.76 Demgegenüber geht die herrschende Vertragslehre davon aus, dass es sich bei der Reparations-for-Injuries-Entscheidung um eine Einzelfallentscheidung handelt, die der Sonderstellung der Vereinten Nationen Rechnung trägt. Nur der UNO 74 Reparations for Injuries Suffered in the Service of the UN, Advisory Opinion, ICJ Reports 1949, S. 185. 75 Reparations for Injuries Suffered in the Service of the UN, Advisory Opinion, ICJ Reports 1949, S. 178; Hervorhebungen durch die Verfasserin. 76 Bleckmann, Völkerrecht, S. 4; Lauterpacht, The development of the law of international organization by the decisions of international tribunals, S. 377 ff.; Dahm, Völkerrecht, Bd. I, 1958, S. 23; Hingst, Auswirkungen der Globalisierung auf das Recht der völkerrechtlichen Verträge, S. 178; Köck / Fischer, Rn. 381.

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komme aufgrund ihrer Universalität auch im Verhältnis zu Nichtvertragsstaaten uneingeschränkte Völkerrechtspersönlichkeit zu. Die vom Gerichtshof getroffene Aussage sei demgemäß nicht generell auf alle internationalen Organisationen übertragbar.77 (d) Übertragbarkeit auf andere internationale Organisationen Der IGH hat in seiner Reparations-for-Injuries-Entscheidung die objektive Völkerrechtspersönlichkeit der UNO mit der Universalität und weltweiten Akzeptanz dieser internationalen Organisation begründet. Insofern erscheint es tatsächlich zweifelhaft, ob man diese Grundsätze auf jede beliebige internationale Organisation übertragen kann. Andererseits stellt sich die Frage, ob die Gegenauffassung, die den Reparationsfor-Injuries-Fall ausschließlich als eine auf die Vereinten Nationen gemünzte Einzelfallentscheidung ansehen will78, nicht zu kurz greift und die vom IGH aufgestellten Grundsätze unzulässigerweise verengt. Der Gerichtshof stützt die objektive Rechtspersönlichkeit der Vereinten Nationen einerseits auf die Tatsache, dass die große Mehrheit der internationalen Staatengemeinschaft Mitglied der Vereinten Nationen ist und diese somit die internationale Staatengemeinschaft repräsentieren. Daneben wurde auf die gemeinnützigen Ziele und Aufgaben der UNO abgestellt. Es ist nicht ersichtlich, weshalb nicht auch anderen internationalen Organisationen umfassende, das heißt auch gegenüber Nichtvertragsstaaten wirkende, Völkerrechtssubjektivität zukommen sollte, soweit sie diese Kriterien erfüllen. Soweit eine internationale Organisation von der überwältigenden Mehrheit der Staatengemeinschaft gegründet beziehungsweise durch entsprechenden Beitritt getragen wird und Allgemeinwohlbelange verfolgt, wäre daher durchaus entsprechend der vom IGH aufgestellten Grundsätze eine umfassende Völkerrechtspersönlichkeit auch gegenüber Nichtvertragsstaaten denkbar. Fraglich ist allerdings, ob die vom IGH erwähnten fünfzig Staaten auch heute noch ein Richtwert für die Annahme der universalen Akzeptanz einer internationalen Organisation sein können. (e) Übertragbarkeit auf den IStGH Auch der IStGH stellt eine internationale Organisation dar. Unter Berücksichtigung der vom IGH aufgestellten Grundsätze kommt ihm jedoch nur dann umfassende Völkerrechtssubjektivität zu, soweit er von der überwältigenden Mehrheit der internationalen Gemeinschaft getragen wird, das heißt als universell bezeichnet werden kann.79 77 Klein, in: Graf Vitzthum (Hrsg.), Völkerrecht, S. 310; Tomuschat, Völkerrechtliche Grundlagen der Drittlandsbeziehungen der EG, in: Hilf / Tomuschat (Hrsg.), EG und Drittstaatenbeziehungen nach 1992, 1991, S. 141; Wolfrum, in: LdR / VR (3. Aufl.), S. 198. 78 Klein, in: Graf Vitzthum (Hrsg.), Völkerrecht, S. 315 spricht insoweit davon, dass die objektive Rechtspersönlichkeit der UNO als einzige Ausnahme anzusehen sei.

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E. Völkerrechtliche Legitimation der Strafgerichtsbarkeit des IStGH

Die Römischen Verträge wurden von einer großen Mehrheit der Staatengemeinschaft verabschiedet und unterschrieben und mittlerweile von 100 Staaten ratifiziert.80 Weiterhin entsprechen die Errichtung des Gerichtshofs und die mit ihm verfolgten Ziele ähnlich wie die Errichtung der Vereinten Nationen den „needs of the international community“. Auch im Hinblick auf die vom IGH für die UNO angesprochenen öffentlichen Interessen kann daher ohne weiteres eine Parallele gezogen werden. Nach allem erscheint eine Übertragung der im Reparations-forInjuries-Fall aufgestellten Kriterien auf den IStGH durchaus vertretbar.81 Die Bejahung der Völkerrechtssubjektivität des IStGH bedeutet jedoch nicht, dass auch die im Statut vorgesehenen materiellrechtlichen Regelungen, insbesondere die Bestimmungen über die Gerichtsbarkeit des Gerichtshofs über Staatsangehörige aus Nichtvertragsstaaten, Bindungswirkung gegenüber Drittstaaten entfalten. Eine Übertragung der vom IGH im Reparations for Injuries Case getroffenen Feststellungen auf das Rom-Statut würde noch nicht zu einer objektiven Wirkung der materiellen Regelungen des Statuts gegenüber Drittstaaten führen. In dieser Hinsicht helfen die für institutionelle Verträge teilweise vertretenen Grundsätze nicht weiter. Nichtvertragsstaaten müssten sich auch nach diesem Ansatz allenfalls die objektive Rechtspersönlichkeit des IStGH entgegenhalten lassen.82 Fraglich ist daher, ob die Regelungen des Rom-Statuts ausnahmsweise aus anderen Gründen zu einer vertraglichen Bindung auch dritter Staaten führen können. (3) Statusverträge oder „objective régimes“ Als echte Ausnahme von der Regel, dass Verträge für Drittstaaten ohne ihre Zustimmung weder Rechte noch Pflichten begründen, werden immer wieder so genannte Statusverträge oder „treaties providing for an objective régime“ angeführt.83 Hierunter sind zunächst Verträge zu verstehen, die von zwei oder mehren territorial zuständigen Staaten unter Beachtung des geltenden Völkerrechts geschlossen werden. Inhaltlich verfolgen Statusverträge die Errichtung eines internationalen Regimes84 beziehungsweise einer allgemeingültigen internationalen Ordnung85 für einen bestimmten Raum. Derartige Verträge legen den besonderen völkerrecht79 In diesem Sinn wohl auch Geiger, in: LdR / VR, (3. Aufl.), S. 477, der von einer Drittwirkung der Völkerrechtssubjektivität (aller) universeller internationaler Organisationen als Ergebnis der entsprechenden Regelung im Gründungsvertrag spricht und diese auf Gewohnheitsrecht stützt. 80 Stand 1. Juli 2006. 81 Danilenko, The ICC Statute and Third States, in: Cassese (Hrsg.), Bd. II, S. 1873. 82 In diesem Sinn auch Klein, Statusverträge, S. 45, Fußnote 1. 83 Klein, Statusverträge im Völkerrecht, S. 1; Dahm, Völkerrecht Bd. I, 1958, S. 24. 84 Delbrück, Laws in the Public Interest, S. 20, 26. 85 Dahm, Völkerrecht, Bd. 1 (1958), S. 23.

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lichen Status eines Territoriums fest, sie zeichnen sich daher durch ihre besondere Gebietsbezogenheit aus.86 So wurde typischerweise für Verträge, die die Entmilitarisierung oder dauerhafte Neutralität eines Gebietes regeln oder die Internationalisierung von Wasserstraßen beinhalten, eine objektive Drittwirkung auch gegenüber Nichtvertragsstaaten geltend gemacht.87 Von der völkerrechtlichen Rechtsprechung wurde mehrfach angenommen, dass derartigen vertraglichen Statusregelungen absolute Wirkung erga omnes, das heißt gegenüber der gesamten internationalen Gemeinschaft und nicht nur im Verhältnis der Vertragspartner zueinander, zukommen soll. (a) Der Aalandinseln-Fall Zu verweisen ist hier etwa auf ein Rechtsgutachten der Juristenkommission des Völkerbundes das sich mit dem militärischen Status der Aalandinseln beschäftigte.88 In einem Annex zum Pariser Frieden von 1856, mit dem der Krimkrieg beendet wurde, hatten die Vertragsparteien Frankreich, Großbritannien und Russland in der so genannten Aalandinseln-Konvention vereinbart, die damals zum russischen Hoheitsgebiet gehörenden Aalandinseln nicht militärisch zu befestigen und dort auch keinen Militärstützpunkt zu errichten. 1917 erklärte Finnland seine Unabhängigkeit von Russland und beanspruchte das Gebiet der Aalandinseln für sich. Daraufhin kam es zu einer Auseinandersetzung zwischen Finnland und Schweden im Hinblick auf die heute zu Finnland gehörenden Inseln, da Schweden den 1856 vereinbarten Status geltend machte. Problematisch war in diesem Zusammenhang zum einen, ob Schweden als Nichtvertragspartei des Pariser Friedens von Finnland die Einhaltung der 1856 zwischen Russland, Frankreich und Großbritannien vereinbarten Entmilitarisierung fordern, also Rechte aus der fraglichen Vereinbarung herleiten konnte. Des Weiteren stellte sich die Frage, ob Finnland, das bei Abschluss des Pariser Friedens noch gar nicht als unabhängiger Staat existiert hatte, dennoch verpflichtet sein sollte, die vertraglich festgelegten Entmilitarisierungsbestimmungen für die Aalandinseln einzuhalten. In ihrer Entscheidung kam die Juristenkommission des Völkerbundes zu dem Ergebnis, dass die Aalandinseln-Konvention auch gegenüber Nichtvertragsstaaten 86 Klein, Statusverträge im Völkerrecht, S. 21 ff.; Ballreich, Völkerrechtliche Verträge zu Lasten Dritter, S. 11. 87 Hingst, Auswirkungen der Globalisierung auf das Recht der völkerrechtlichen Verträge, S. 179. 88 Report of the International Committee of Jurists entrusted by the Council of the League of Nations with the task of giving an advisory opinion upon legal aspects of the Aaland Islands Question, League of Nations Official Journal, Special Supplement No. 3 (October 1920).

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wie Schweden und Finnland absolute Wirkung entfaltet und rechtliche Verpflichtungen begründet. So sei es die Absicht der Vertragsparteien des Pariser Friedens gewesen, einen internationalen Status der Entmilitarisierung der Aalandinseln im Interesse aller europäischen Staaten zu schaffen. Die von Russland übernommene Verpflichtung, die Inseln nicht militärisch zu nutzen, sei nicht nur zugunsten der beteiligten Vertragsparteien erfolgt, sondern sollte der gesamten europäischen Staatengemeinschaft und damit auch Schweden zugute kommen. Umgekehrt sei daher auch Finnland an den ohne seine Zustimmung begründeten Status gebunden. So stellte das Komitee fest: „. . . (i)t follows that until these provisions are duly replaced by others, every State interested has the right to insist upon compliance with them. It also follows that any State in possession of the islands must conform to the obligations, binding upon it, arising out of the system of demilitarization established by these provisions.“89

Der Aalandinseln-Konvention und ihrem System der Entmilitarisierung wurde somit unter Verweis auf die Interessen der damals bestehenden europäischen Staatengemeinschaft verbindliche Wirkung zugunsten beziehungsweise zu Lasten dritter Staaten zugesprochen 90 (b) Der Wimbledon-Fall Auch in einer weiteren Entscheidung des StIGH aus dem Jahre 1923 wurde die Auffassung vertreten, dass einer vertraglich geschaffenen territorialen Ordnung in Durchbrechung der pacta-tertiis-Regel objektive Wirkung auch gegenüber Dritten zukommen kann.91 So war nach Ende des Ersten Weltkriegs im Versailler Friedensvertrag zwischen Deutschland und den damaligen Siegermächten die Internationalisierung des Kieler Kanals festgelegt worden. Das Deutsche Reich war insoweit dazu verpflichtet worden, Schiffen aus anderen Ländern die friedliche Durchfahrt zu gewähren. Im Jahr 1921 forderte das britische Schiff Wimbledon freie Fahrt durch den Kieler Kanal, um Kriegsmaterial für die polnische Regierung, die sich zu dieser Zeit mit Russland im Krieg befand, nach Danzig zu liefern. Die deutsche Regierung verweigerte entgegen der Bestimmung des Versailler Friedensvertrages dem britischen Schiff die Durchfahrt. Sie berief sich dabei auf ihre Neutralität im polnisch-russischen Krieg. Diese verpflichte sie dazu, die Lieferung von Kriegsmaterial an eine der Kriegsparteien nicht zu unterstützen. Nach dem Versailler Friedensvertrag wäre das Deutsche Reich zwar verpflichtet gewesen, auch den Transport von 89 Report of the International Committee of Jurists entrusted by the Council of the League of Nations with the task of giving an advisory opinion upon legal aspects of the Aaland Islands Question, League of Nations Official Journal, Special Supplement No. 3 (October 1920); Hervorhebung durch die Verfasserin. 90 Delbrück, Laws in the Public Interest, FS Jaenecke, S. 22. 91 The Case of the S.S. Wimbledon, PCIJ, Ser. A, 1923, S. 12 ff.

II. Legitimation bei Verfahrenseinleitung durch die Vertragsstaaten

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Kriegsmunition nach Polen zu gestatten. Andererseits stellte sich die Frage, ob die Gestattung der Beförderung von Kriegsmaterial auf dem Kieler Kanal nicht eine Verletzung der Neutralitätspflichten des Deutschen Reiches gegenüber dem sowjetischen Staat und damit eine unzulässige vertragliche Belastung der Sowjetunion darstellte. Denn diese war am Abschluss des Versailler Friedensvertrages nicht beteiligt gewesen, die dort vereinbarte freie Durchfahrt für den Kieler Kanal hätte daher für sie als Nichtvertragsstaat nach allgemeinen Grundsätzen keine Wirkung entfaltet.92 Auf die Klage Großbritanniens, Frankreichs, Italiens und Japans entschied der Ständige Internationale Gerichtshof jedoch, dass die deutsche Regierung trotz ihrer Neutralitätsverpflichtung dem britischen Schiff die Durchfahrt durch den Kieler Kanal gestatten müsse. Denn die Vertragsparteien des Versailler Vertrages hätten ein internationales Regime für den Kieler Kanal errichten wollen, das Rechte und Pflichten für alle Nationen begründen sollte. Insbesondere sollte allen Staaten die sichere Durchfahrt in das Baltikum eröffnet werden. Es sei daher Sinn und Zweck der fraglichen Regelung gewesen, der gesamten internationalen Gemeinschaft zu dienen. Die Tatsache, dass auch Kriegsschiffe von dieser Möglichkeit Gebrauch machten, stelle die Neutralität des Deutschen Reiches nicht in Zweifel. Die objektive Wirkung des im Versailler Vertrag begründeten Regimes müsse auch die Sowjetunion als Nichtvertragsstaat gegen sich gelten lassen. Damit wurde die Durchfahrt der Wimbledon durch den Kieler Kanal gerade nicht als Verletzung der Neutralitätspflichten des Deutschen Reiches gegenüber der hierdurch belasteten Sowjetunion eingestuft.93 Das Gericht begründete im Wimbledon-Fall die objektive Geltung der Vertragsbestimmung auch gegenüber Nichtvertragsstaaten wie der Sowjetunion mit dem von den Parteien des Versailler Vertrages verfolgten Allgemeinwohl und den Interessen der internationalen Staatengemeinschaft. Dem Kieler Kanal sei ein Status verliehen worden, der für alle Staaten ein Durchfahrtsrecht eröffne. Dieser Vereinbarung komme allgemeingültige Wirkung zu.94 (c) Die Rechtsprechung des IGH zur Rechtsstellung Südwestafrikas Auch der IGH hat 1950 in einem Rechtsgutachten zur rechtlichen Stellung Südwestafrikas eine umfassende Bindungswirkung bestimmter vertraglicher Vereinbarungen im öffentlichen Interesse anerkannt. So war Südafrika nach dem Ende des Ersten Weltkriegs vom Völkerbund das Mandat für die ehemalige deutsche Kolonie Südwestafrika übertragen worden. Nach Ende des Zweiten Weltkriegs und der Auflösung des Völkerbundes versuchte Südafrika jedoch verstärkt, die ehemalige Kolonie Südwestafrika zu annektieren und ganz dem eigenen Staatsgebiet einzuverleiben. Gegen diese Politik wandten 92 93 94

Klein, Statusverträge im Völkerrecht, S. 8. Klein, Statusverträge im Völkerrecht, S. 8. The Case of the S.S. Wimbledon, PCIJ, Ser. A, 1923, S. 22.

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E. Völkerrechtliche Legitimation der Strafgerichtsbarkeit des IStGH

sich die Vereinten Nationen mit der Begründung, das vom Völkerbund vorgesehene Verwaltungsmandat für Südwestafrika bestehe fort und sei für Südafrika nach wie vor zwingend anzuerkennen. Demgegenüber berief sich Südafrika unter Hinweis auf die vertragliche Natur des Mandats darauf, dass mit der Auflösung des Völkerbundes und dem damit verbundenen Untergang seines Vertragspartners die vertraglichen Verpflichtungen aus der Mandatsvereinbarung erloschen seien.95 In seinem von der UN-Vollversammlung gemäß Artikel 96 UN-Charta in Auftrag gegebenen Rechtsgutachten zur internationalen Rechtsstellung Südwestafrikas gelangte der IGH zu dem Schluss, dass Südafrika nach wie vor an das vom Völkerbund erteilte Verwaltungsmandat gebunden und eine Eingliederung der ehemaligen Kolonie Südwestafrika demgemäß unzulässig sei. Die mittlerweile erfolgte Auflösung des Völkerbundes ändere hieran nichts: „The Mandate was created, in the interest of the inhabitants of the territory, and of humanity in general, as international institution with an international object – a sacred trust of civilization . . . The international rules regulating the Mandate constituted an international status for the Territory (of South West Africa) recognized by all the Members of the League of Nations, including the Union of South Africa.“96

Der IGH ging mithin davon aus, dass das vertraglich vereinbarte Verwaltungsmandat für Südafrika im Interesse der Völkergemeinschaft objektive Wirkung entfaltet, dem Mandat wurde ein objektiv-institutioneller Charakter zugesprochen.97 Der IGH ist im weiteren Verlauf noch mehrfach mit der Südwestafrika-Frage befasst worden.98 Auch in seinen weiteren Entscheidungen hat er die objektive Wirkung der Verwaltungsvereinbarung gegenüber Dritten und das mit dem Mandat verfolgte Gemeinwohl („sacred trust of civilization“) sowie die hieraus abzuleitende objektive Wirkung immer wieder betont.99

Klein, Statusverträge im Völkerrecht, S. 11. International Status of South-West Africa, Advisory Opinion, ICJ Reports 1950, S. 132. 97 Klein, Statusverträge im Völkerrecht, S. 13. 98 South-West Africa – Voting Procedure, Advisory Opinion of June 7th, 1955, ICJ Reports 1955, S. 73; Admissibility of Hearings of Petitioners by the Committee on South West Africa, Advisory Opinion of June 1st, 1956, ICJ Reports 1956, S. 28; South West Africa Cases (Ethiopia v. South Africa; Liberia v. South Africa), Preliminary Objections, Judgment of 21 December 1962, ICJ Reports 1962, S. 332 ff.; South West Africa, Second Phase, Judgment, ICJ Reports 1966, S. 19; Legal Consequences for States of the Continued Presence of South Africa in Namibia (South West Africa) notwithstanding Security Council Resolution 276 (1970), Advisory Opinion, ICJ Reports 1971, S. 16 ff. 99 Legal Consequences for States of the Continued Presence of South Africa in Namibia (South West Africa) notwithstanding Security Council Resolution 276 (1970), Advisory Opinion, ICJ Reports 1971, S. 32. 95 96

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(d) Übertragbarkeit der entwickelten Grundsätze auf den IStGH Fraglich ist, ob man aus den erwähnten Entscheidungen für die Errichtung des IStGH Schlussfolgerungen ziehen kann. Den geschilderten Beispielsfällen ist gemeinsam, dass sie die objektive Wirkung verschiedener völkerrechtlicher Verträge auch gegenüber Nichtvertragsstaaten bejahen und damit begründen, dass die fraglichen Regelungen besondere öffentliche Interessen verfolgen. Daneben weisen die vertraglichen Vereinbarungen betreffend die Aalandinseln, den Kieler Kanal und das Mandat für Südwestafrika jedoch allesamt einen besonderen territorialen Bezug auf. In den geschilderten Fällen, in denen die Rechtsprechung einen Vertrag als so genanntes „objective régime“ eingestuft hat, ging es um die Neutralisierung, Entmilitarisierung beziehungsweise internationale Verwaltung bestimmter Gebiete oder um die freie Schifffahrt auf internationalen Flüssen und Kanälen.100 Inhaltlich legen diese Statusverträge damit die Rechtsstellung eines Staates, eines Gebietes oder einer internationalen Verkehrsstraße fest, das heißt sie beziehen sich auf bestimmte geographische Räume.101 Zwar weisen, wie vereinzelt betont wird, die meisten völkerrechtlichen Verträge einen territorialen Bezug im weiteren Sinne auf. Dies gilt auch für das IStGH-Statut, das in seinem Artikel 12 für die Ausübung der Gerichtsbarkeit auf die örtliche Begehung von Verbrechen und die Zustimmung des Territorialstaates abstellt. Dennoch fehlt es dem Rom-Statut an dem für einen so genannten Statusvertrag nötigen unmittelbaren territorialen Bezug. Denn dieser ist nur gegeben, wenn in einem Vertrag spezielle auf das Gebiet als solches bezogene Rechte und Verpflichtungen begründet werden. Die bloße Definition des räumlichen Anwendungsbereichs einer Konvention reicht insoweit nicht aus.102 Dies ergibt sich auch unter Berücksichtigung der Entstehungsgeschichte des WÜK. Auch hier wurde bereits eine Ausnahmebestimmung von der pacta-tertiisRegel für bestimmte völkerrechtliche Verträge mit objektiver Wirkung erörtert. So wollte etwa der Berichterstatter der UN-Völkerrechtskommission Sir Humphrey Waldcock in das WÜK eine entsprechende Sonderregelung für „Treaties providing for objective régimes“ einfügen.103 Die Bezeichnung „objective régime“ lässt zwar zunächst nicht darauf schließen, dass es sich hierbei ausschließlich um die Errichtung territorialer Ordnungen handeln sollte. Aus dem Wortlaut der vorgeschlageSchweisfurth, International Treaties and Third States, S. 665. Dahm, Völkerrecht Bd. I, 1958, S. 24; Dahm / Delbrück / Wolfrum, Völkerrecht, Bd. I / 3, S. 62. 102 Klein, Statusverträge im Völkerrecht, S. 48. 103 Sir Humphrey Waldcock, Third Report on the Law of Treaties, YBILC 1964, Vol. II, S. 5, 26: Article 63; Rosenne, Developments in the Law of Treaties 1945 – 1986, S. 74. 100 101

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nen Bestimmung geht indessen eindeutig hervor, dass unter derartige Verträge nur solche mit Territorialbezug fallen sollten: Article 63 – Treaties providing for objective regimes 1. A treaty establishes an objective régime when it appears from its terms and from the circumstances of its conclusion that the intention of the parties is to create in the general interest general obligations and rights relating to a particular region, State, territory, locality, river, waterway, or to a particular area of sea, sea-bed, or air-space; provided that the parties include among their number any State having territorial competence with reference to the subject-matter of the treaty, or that any such State has consented to the provision in question.104

Die vorgeschlagene Sonderbestimmung im Hinblick auf „objective régimes“ wurde schließlich nicht in das WÜK aufgenommen. Sie scheiterte bereits innerhalb der Völkerrechtskommission, weil man sich nicht auf die Notwendigkeit einer derartigen Regelung einigen konnte. Die Mehrheit der Kommission sprach sich gegen eine Aufnahme in das WÜK auf, da es sich hierbei letztlich nicht um eine völkervertragliche, sondern um eine völkergewohnheitsrechtliche Frage handle.105 Auch die damals geführte Debatte zeigt, dass selbst die Anhänger einer Sonderregelung von einer Drittwirkung bestimmter Verträge nur für den Fall ausgingen, dass hierdurch eine allgemeine Ordnung für ein bestimmtes Gebiet geschaffen wird. Für Verträge ohne entsprechenden territorialen Bezug wurde die Konstruktion eines „objective régime“ nicht diskutiert. Der Vertrag zur Gründung des IStGH stellt also bereits deshalb keinen Statusvertrag mit Wirkung erga omnes dar, weil es insoweit am erforderlichen territorialen Bezug fehlt. Eine objektive Wirkung des Rom-Statuts auch gegenüber Nichtvertragsstaaten kann daher nicht mit Hilfe der Konstruktion eines Statusvertrages im herkömmlichen Sinn begründet werden. Daneben ist durchaus streitig, ob den angesprochenen Territorialverträgen tatsächlich auch ohne beziehungsweise gegen den Willen dritter Staaten objektive Wirkung zukommen kann. Die zitierte Rechtsprechung hat eine objektive und unmittelbare Drittwirkung bereits aufgrund der mit ihnen verfolgten öffentlichen Interessen angenommen. Eine irgendwie geartete, auch konkludente Zustimmung von Drittstaaten wurde gerade nicht für erforderlich erachtet. Die Drittwirkung derartiger Statusverträge zur Errichtung territorialer Ordnungen wurde dogmatisch mit einer Durchbrechung des pacta-tertiis-Grundsatzes begründet und insoweit als Ausnahme zu den allgemeinen Regeln des Völkervertragsrechts eingestuft. 104 Wetzel / Rauschning, The Vienna Convention on the Law of Treaties, S. 286; Hervorhebungen durch die Verfasserin. 105 Rosenne, Developments in the Law of Treaties 1945 – 1986, S. 74; Wetzel / Rauschning, The Vienna Convention on the Law of Treaties, S. 285; Chinkin, Third Parties in International Law, S. 35; Schweisfurth, International Treaties and Third States, S. 665.

II. Legitimation bei Verfahrenseinleitung durch die Vertragsstaaten

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Demgegenüber wird in der Literatur auch bei Statusverträgen eine echte Durchbrechung des Konsensualprinzips in der Regel verneint. Auch sie werden letztlich nicht als Verträge zu Lasten dritter Staaten qualifiziert. So wurde schon bei Schaffung der WÜK für eine Drittbindung von Statusverträgen zusätzlich ein traditionelles Element des Konsenses (acquiescence) gefordert. Erforderlich sollte hiernach jedenfalls die Zustimmung der Staaten sein, die die Territorialhoheit über das betroffene Gebiet innehaben. Nichtvertragsparteien hätten der geschaffenen territorialen Ordnung daher unverzüglich widersprechen müssen, andernfalls wäre ihr Einverständnis auch nach dem Entwurf der Vorschrift zu den Statusverträgen fingiert worden und das vertragliche Regime hätte in kürzester Zeit Wirkung erga omnes erlangen sollen.106 Teilweise wird die Drittbindung territorialer Ordnungsverträge, die öffentliche Interessen verfolgen, auf Völkergewohnheitsrecht und damit gerade nicht auf eine Ausnahme zum Verbot von Verträgen zu Lasten dritter Staaten gestützt.107 Auch hiernach ist aber eine jedenfalls konkludente Zustimmung betroffener Drittstaaten erforderlich. Diese soll eine Obliegenheit treffen, dem neu geschaffenen Regime zu widersprechen.108 Eine erga omnes-Wirkung von Statusverträgen lässt sich nach diesem Ansatz daraus herleiten, dass die Vertragsstaaten eine bestimmte Ordnungsbehauptung aufstellen und die Nichtvertragsparteien ihnen eine entsprechende Regelungskompetenz im Allgemeininteresse ausdrücklich oder stillschweigend zubilligen. Hierbei soll eben auch Schweigen nach einer bestimmten, angemessenen Frist als Zustimmung gelten. Soweit die Nichtvertragsstaaten dem Vertrag nicht widersprechen sollen sie nach Treu und Glauben an dessen Bestimmungen gebunden sein.109 Damit überwiegt die Auffassung, dass eine Bindung von Drittstaaten an einen vertraglich festgelegten Status nur bei jedenfalls stillschweigender Zustimmung beziehungsweise fehlendem Widerspruch erreicht werden kann. Auch ein solches konkludentes Einverständnis steht letztlich nicht mit Artikel 35 WVK in Einklang, da dieser für die Übernahme von Pflichten durch Drittstaaten deren explizite schriftliche Einwilligung fordert. Es wird hier also mehrheitlich eine Abschwächung oder Einschränkung des ausdrücklichen und formgebundenen Zustimmungserfordernisses angenommen, dieses soll in den Fällen objektiver Regimes vielmehr eine Überspannung des Schutzgedankens darstellen.110 106 Waldcock, in: YBILC 1964, Vol. II, S. 26 ff., 33; vgl. auch Wortlaut des Entwurfs des Artikels 63 Abs. 1 WVK, Dahm / Delbrück / Wolfrum, Völkerrecht, Bd. I / 3, S. 624; Hingst, Auswirkungen der Globalisierung auf das Recht der völkerrechtlichen Verträge, S. 186. 107 Fitzmaurice, in: YBILC 1960, Vol. II, S. 98. 108 Fitzmaurice, YBILC 1960, Vol. II, S. 77, 87, 93, 98; Klein, Statutsverträge im Völkerrecht, S. 210 – 216, Dahm / Delbrück / Wolfrum, Völkerrecht, Bd. I / 3, S. 622. 109 Schweisfurth, International Treaties and Third States, S. 666; Mosler, The International Society as a Legal Community, S. 11, 235. 110 Dahm / Delbrück / Wolfrum, Völkerrecht, Bd. I / 3, S. 615.

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E. Völkerrechtliche Legitimation der Strafgerichtsbarkeit des IStGH

Im Ergebnis folgen die meisten Autoren damit aber auch im Hinblick auf die vertragliche Schaffung territorialer Ordnungen der traditionellen Konsensualtheorie, nach der Verträge Rechte und Pflichten für Dritte nur mit deren Zustimmung begründen können.111 Die Rechtsfigur des Statusvertrages mit objektiver Drittwirkung wird im Schrifttum ganz überwiegend abgelehnt.112 Eine Bindung dritter Staaten an das Rom-Statut würde dementsprechend nach der herrschenden Lehre gerade auch am erforderlichen Konsenselement scheitern. Die Gegner des Strafgerichtshofs, allen voran die USA, haben ihren Widerstand gegen das Statut nämlich ausdrücklich und unmissverständlich zum Ausdruck gebracht. Sie sind daher auch künftig nicht aufgrund einer stillschweigenden Zustimmung oder nach Grundsätzen von Treu und Glauben an das IStGH-Statut gebunden. (4) Sonstige Ordnungsverträge oder normative Verträge113 Es bleibt zu überlegen, ob das Rom-Statut unter sonstigen Gesichtspunkten als ein auch Drittstaaten inhaltlich bindender Vertrag angesehen werden kann. Gerade in neuerer Zeit wird immer wieder erörtert, ob der Abschluss von Regelungsverträgen zur Sicherung wichtiger Gemeinschaftsinteressen mit Wirkung auch gegenüber dritten Staaten möglich ist und somit entgegen der pacta-tertiisRegel objektives Recht auch im Verhältnis zu Nichtvertragsstaaten gesetzt werden kann.114 Insoweit wird geltend gemacht: „The international community may establish international law that will bind every state without exception“.115

Derartige Überlegungen werden im Hinblick auf internationale Abkommen angestellt, die der Sicherung essentieller öffentlicher Interessen der internationalen Gemeinschaft dienen. Ein besonderer territorialer Bezug der vertraglichen Regelungen, für die neuerdings eine erga omnes Wirkung diskutiert wird, ist gerade nicht zwingend erforderlich.116 Die aktuellen Diskussionen zur Allgemeinverbindlichkeit bestimmter multilateraler Abkommen basieren vor allem auf der Tatsache, dass angesichts der zunehmenden Globalisierung zahlreiche vormals rein nationale oder regionale Probleme zunehmende internationale Bedeutung erlangen. Als internationale Anliegen sind hier insbesondere Fragen des Umweltschutzes, der Menschenrechte oder der Frie111 112 113 114 115 116

Schweisfurth, International Treaties and Third States, S. 666. Tomuschat, Völkerrechtlicher Vertrag und Drittstaaten, S. 44. So der Begriff bei Dahm, Völkerrecht, Bd. I, 1958, S. 25. Ballreich, Völkerrechtliche Verträge zu Lasten Dritter, S. 18 ff., 26. Charney, Universal International Law, S. 551. Dahm / Delbrück / Wolfrum, Völkerrecht, Bd. I / 3, S. 627.

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denssicherung zu nennen. Daneben spielen Herausforderungen im Bereich des internationalen Strafrechts, wie Terrorismus, Drogenhandel und sonstige internationale Verbrechen eine erhebliche Rolle.117 Schließlich geht es in der neueren Debatte auch um bestimmte Räume, die nicht der nationalen Jurisdiktionsgewalt eines oder mehrerer Staaten unterliegen. Zu denken ist hier etwa an den Meeresboden, das Weltall und die Antarktis. Diese Räume kann kein Staat für sich allein beanspruchen. Sie fallen nach allgemeiner Auffassung vielmehr unter das Erbe der Menschheit. Es geht insoweit bei der Errichtung einer internationalen Ordnung für diese Gebiete auch um Schutz und gerechte Teilhabe sowie verantwortungsvolle Nutzung internationaler Güter. Als derartige globale Verträge werden etwa die UNSeerechtskonvention, der Weltraumvertrag oder der Antarktisvertrag genannt.118 Um den wachsenden Regelungsbedürfnissen gerecht zu werden, wird deshalb zunehmend diskutiert, ob nicht die internationale Gemeinschaft zur Sicherung wichtiger Gemeinschaftsinteressen („international public or community interests“) Verpflichtungen auch für Drittstaaten ohne oder sogar gegen deren Willen begründen kann.119 Es stellt sich insoweit die Frage, ob die Mehrheit der Staaten Recht mit Wirkung auch gegenüber vereinzelten Abweichlern setzen kann, soweit es um überragend wichtige Gemeinwohlbelange oder „fundamentale Normen der öffentlichen Ordnung“120 geht. Bereits die 1936 von der International Law Association erlassene „Déclaration sur les données fondamentales et les grands principes du droit international moderne“ bestimmte in ihrem Artikel 20 (1): „Aucun Etat n’a le droit de s’opposer au nom de son intérêt particulier á la réglementation juridique d’une matière d’intérêt commun.“121

In der Literatur wird teilweise eine objektive Drittwirkung vertraglicher Regelungen in bestimmten globalen Verträgen angenommen, die im Interesse der internationalen Gemeinschaft geschlossen werden. Multilaterale Abkommen sollen hiernach als Surrogat für eine fehlende internationale Legislative dienen, da die zusammenwachsende Staatengemeinschaft dringend auf die Schaffung objektiver, allgemeinverbindlicher Ordnungen zum Schutz von lebenswichtigen Gütern wie Frieden, einer sauberen Umwelt oder internationaler Sicherheit angewiesen sei.122 117 Vgl. Charney, Universal International Law, S. 529; Riedel, International Environmental Law, S. 65; dazu, dass wachsende Interdependenzen und Gemeinschaftsinteressen eine verbindliche Rechtsetzung auch zu Lasten dritter Staatenr rechtfertigen könnten schon Ballreich, Völkerrechtliche Verträge zu Lasten Dritter, S. 14 – 19. 118 Danilenko, Law-Making in the International Community, S. 64 – 65. 119 Tomuschat, Obligations for States, S. 268 ff.; Charney, Universal International Law, S. 529 ff.; ders., International Lawmaking, S. 181; Hingst, Auswirkungen der Globalisierung auf das Recht der völkerrechtlichen Verträge, S. 193 ff.; Dahm / Delbrück / Wolfrum, Völkerrecht, Band I / 3, S. 619. 120 Mosler, The International Society as a Legal Community, S. 1 ff. 121 International Law Association, Report of the Thirty-Ninth Conference, Paris 1936, 1937, S. 335 – 336.

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E. Völkerrechtliche Legitimation der Strafgerichtsbarkeit des IStGH

Insoweit wird argumentiert, dass weltweite und grenzüberschreitende Probleme das Tätigwerden eines internationalen Gesetzgebers immer mehr erforderlich machten.123 Wichtige Gemeinwohlbelange und die Bedürfnisse der internationalen Staatengemeinschaft seien deshalb im Einzelfall höher einzustufen, als individuelle Interessen einzelner Staaten.124 (a) Voraussetzungen für die Allgemeinverbindlichkeit globaler Verträge Damit ist aber noch nicht geklärt, unter welchen Voraussetzungen die Befürworter derartiger normativ wirkender Vereinbarungen der internationalen Gemeinschaft eine solche Rechtsetzungsbefugnis auch gegenüber ablehnenden Staaten zusprechen wollen. Entscheidend hierfür soll zum einen der Regelungsinhalt der fraglichen Vereinbarung sein. Eine Durchbrechung der pacta-tertiis-Regel kommt nach einhelliger Auffassung nur in Betracht, soweit überragend wichtige Gemeinwohlbelange, das heißt öffentliche Interessen von essentieller Bedeutung betroffen sind.125 Neben diesem objektiven Aspekt des Vorliegens wichtiger Gemeinschaftsinteressen wird teilweise gefordert, dass die Gründungsstaaten die universale Geltung des völkerrechtlichen Vertrages beabsichtigt haben müssen, dieser also auch nach ihrer subjektiven Vorstellung Allgemeingültigkeit erlangen sollte.126 Weitere Voraussetzung für die Schaffung universellen Völkerrechts durch Vertrag soll die breite Zustimmung innerhalb der Staatengemeinschaft sein. Diese könne auch stillschweigend zum Ausdruck gebracht werden127, Einstimmigkeit sei aber gerade nicht erforderlich. Vielmehr stehe auch die Ablehnung durch eine geringe Anzahl von Staaten der Allgemeingültigkeit nicht entgegen.128 Entscheidend für eine Bindungswirkung sei vielmehr, dass die große oder überwältigende Mehr122 Dahm / Delbrück / Wolfrum, Völkerrecht, Bd. I / 2, S. 613; Delbrück, Laws in the Public Interest; Danilenko, Law-Making in the International Community, S. 65; Delbrück, New Trends in International Lawmaking, S. 18; Tomuschat, Obligations for States, S. 269, 271; Hailbronner, S. 7; Charney, Universal International Law, S. 542. 123 Tomuschat, Völkerrechtlicher Vertrag und Drittstaaten, S. 45; Chinkin, Third Parties in International Law , S. 141; Oxman, The International Commons, S. 25. 124 Danilenko, Law-Making in the International Community, S. 67; Oxman, The International Commons, S. 25; so wohl auch Ballreich, Völkerrechtliche Verträge zu Lasten Dritter, S. 26. 125 Charney, International Lawmaking, S. 19; Dahm / Delbrück / Wolfrum, Völkerrecht, Bd. I / 3, S. 626, 630; Chinkin, Third Parties in International Law, S. 139; Charney, Universal International Law, S. 529 ff.; Danilenko, Law-Making in the International Community, S. 64 ff. 126 Charney, Universal International Law, S. 536; Dahm / Delbrück / Wolfrum, Völkerrecht, Bd. I / 3, S. 630. 127 Charney, Universal International Law, S. 544. 128 Charney, Universal International Law, S. 544; Tomuschat, Obligations for States, S. 351; Charney, International Lawmaking, S. 19 / 20.

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heit der Staaten die gefundene Regelung befürworte und akzeptiere. 129 Im Hinblick auf einen solchen möglichst breiten Konsens wird die Entstehungsgeschichte der jeweiligen Norm herangezogen. Insbesondere internationalen Foren, wie der UNVollversammlung, regionalen Organisationen oder Staatenkonferenzen, wird bei der Entstehung und Fortentwicklung allgemeinverbindlicher Verträge erhebliche Bedeutung beigemessen.130 Ihnen soll aufgrund des Repräsentations- und Mehrheitsprinzips am ehesten die Rolle eines internationalen Gesetzgebers zukommen.131 Nach Auffassung der Befürworter von Verträgen mit Drittwirkung ist für die Schaffung von Völkerrecht durch internationale Foren weiterhin erforderlich, dass die entsprechenden Diskussionsplattformen allen Staaten für eine Teilnahme offen stehen. Hiernach müssen alle Staaten die Möglichkeit haben, an Vertragsverhandlungen mitzuwirken, um einen breiten öffentlichen Diskurs zu gewährleisten. Insbesondere eine Beteiligung nichtstaatlicher Organisationen wird als wünschenswert angesehen.132 Entsprechendes soll für den Vertragsbeitritt gelten. Um erga omnes Wirkung zu erlangen, muss der Vertrag hiernach auch nach seinem Inkrafttreten allen Staaten offen stehen.133 Bei Vorliegen dieser Voraussetzungen soll eine Bindung dritter Staaten auch gegen ihren Willen grundsätzlich möglich sein. Nach diesem Ansatz entfalten allerdings nur die Grundregeln beziehungsweise Grundprinzipien des Vertrages universelle Wirkung. Detailregelungen sollen demgegenüber nur zwischen den Vertragsparteien gelten, da diese zwar der Verwirklichung des öffentlichen Interesses der Staatengemeinschaft dienten, selbst jedoch nicht Ausdruck desselben seien.134 So sollen etwa die Bestimmungen in der UN-Seerechtskonvention über die Qualifizierung des Tiefseebodens als gemeinsames Erbe der Menschheit zu den grundlegenden Prinzipien des Seerechtsübereinkommens gehören.135 Demgegenüber seien Drittstaaten nicht an die von den Vertragsstaaten konkret vereinbarten Rege129 Tomuschat, Obligations for States, S. 351, spricht insoweit von „. . . binding effect of generally accepted norms and standards . . .“; Charney, Universal International Law, S. 542; Fifth Report on State Responsibility, UN Doc. A / CN.4 / SER.A / 1976 / Add.1 (ILC Report 1976, S. 119). 130 Charney, Universal International Law, S. 531; 543; ders., International Lawmaking, S. 177; Dahm / Delbrück / Wolfrum, Völkerrecht, Bd. I / 3, S. 630. 131 Dahm / Delbrück / Wolfrum, Völkerrecht, Bd. I / 3, S. 628 – 630; Delbrück, Laws in the Public Interest, S. 24, 30. 132 Charney, Universal International Law, S. 545; Tomuschat, Obligations for States, S. 269, spricht insoweit von einem „criteria of substantive fairness“; Dahm / Delbrück / Wolfrum, Völkerrecht, Bd. I / 3, S. 627 – 631; Delbrück, Laws in the Public Interest, S. 31. 133 Tomuschat, Völkerrechtlicher Vertrag und Drittstaaten, S. 37. 134 Tomuschat, Obligations for States, S. 271; Dahm / Delbrück / Wolfrum, Völkerrecht, Bd. I / 3, S. 631. 135 Tomuschat, Völkerrechtlicher Vertrag und Drittstaaten, S. 27.

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lungen zur Organisation und Verwaltung des Tiefseebodens gebunden. Insoweit sei das komplizierte, schwerfällige und kostenträchtige Modell des Seerechtsübereinkommens nicht der einzig denkbare, sich unmittelbar aus der Natur der Sache ergebende Ordnungsrahmen für eine Gemeinschaftslösung und deshalb auch nicht allgemeinverbindlich.136 (b) Rechtsgrundlage für die Allgemeinverbindlichkeit Fraglich bleibt, wie sich eine Bindung dritter Staaten an derartige Ordnungsverträge begründen lässt. Völkervertragsrecht kommt aufgrund des völkerrechtlichen Verbots von Verträgen zu Lasten dritter Staaten als Rechtsgrund insoweit nicht in Betracht. Die Allgemeinverbindlichkeit entsprechender Verträge kann auch nicht auf Völkergewohnheitsrecht im klassischen Sinne gestützt werden. Dieses kann zwar auch gegen den Willen einer Minderheit von Staaten entstehen. Nach allgemeiner Ansicht setzt die Entstehung von Gewohnheitsrecht jedoch eine gewisse Übung, das heißt Staatenpraxis (consuetudo), und eine entsprechende Rechtsüberzeugung (opinio iuris) voraus.137 Eine gewohnheitsrechtliche Bindung dritter Staaten an neue Regimes und Ordnungsverträge scheitert aber schon an der fehlenden Übung. Daneben besteht nach traditioneller Auffassung für einzelne Staaten grundsätzlich auch die Möglichkeit, einer gewohnheitsrechtlichen Bindung durch eindringlich geäußerten Widerspruch zu entgehen (persistent objector).138 Dennoch wird teilweise versucht, eine Allgemeinverbindlichkeit neu geschaffener internationaler Ordnungsverträge über die herkömmlichen Völkerrechtsquellen zu konstruieren. So soll eine Bindungswirkung gegenüber Nichtvertragsstaaten nach einem Ansatz doch auf Gewohnheitsrecht beruhen. Denn die vertraglichen Bestimmungen entfalteten nur insoweit normative Wirkung, als sie sich aus einem gewohnheitsrechtlichen Prinzip ableiten ließen. Sie dienten damit aber lediglich der Konkretisierung des dem gewohnheitsrechtlichen Rechtsbegriff bereits innewohnenden Regelungsgehalts und seien auch nur deshalb verbindlich.139 Hiernach soll etwa den Bestimmungen des UN-Seerechtsübereinkommens über den Tiefseeboden als gemeinsames Erbe der Menschheit deshalb normative Wirkung zukommen, weil die Einstufung des Tiefseebodens als gemeinsames Erbe der Menschheit bereits vor Abschluss des Übereinkommens gewohnheitsrechtlich anerkannt gewesen sei.140 Ein Ordnungsvertrag sei also nur verbindlich, soweit er ohnehin schon völ136 137 138 139 140

Tomuschat, Völkerrechtlicher Vertrag und Drittstaaten, S. 27. Stein / von Buttlar, Völkerrecht, Rn. 125 ff.; Doehring, Völkerrecht, Rn. 287 ff. Seidl-Hohenveldern, LdR / VR (3. Aufl.), S. 147; Doehring, Völkerrecht, Rn. 292. Tomuschat, Völkerrechtlicher Vertrag und Drittstaaten, S. 27. Tomuschat, Völkerrechtlicher Vertrag und Drittstaaten, S. 27.

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kergewohnheitsrechtlich geltende Prinzipien und Ordnungsgrundsätze erläutere und damit letztlich nur die Anwendbarkeit der zugrunde liegenden gewohnheitsrechtlichen Regel bestätige. Er entfalte lediglich insoweit Drittwirkung, als er bereits gewohnheitsrechtlich anerkannte Normen genauer umschreibe. Ein anderer Ansatz führt die Tatsache, dass auch Drittstaaten sich an vertragliche Regelungen zur Sicherung wichtiger Gemeinschaftsgüter festhalten lassen müssen, auf allgemeine völkerrechtliche Rechtsgrundsätze und damit auf eine bereits anerkannte völkerrechtliche Rechtsquelle zurück. Insoweit komme es zu einem „displacement of treaty law“141 und zu einem „normative effect of principles that have been developed outside treaty law“.142 Neben derartigen mehr oder weniger komplizierten rechtlichen Konstruktionen sind wiederum andere Befürworter allgemeinverbindlicher Ordnungsverträge der Auffassung, deren Bindungswirkung beruhe weder auf Völkervertragsrecht noch auf klassischem Völkergewohnheitsrecht.143 Allgemeinverbindlichkeit werde vielmehr aufgrund einer neuartigen Völkerrechtsquelle, nämlich einer neuen Form von Gewohnheitsrecht, erzeugt. So könne sich Völkergewohnheitsrecht heutzutage sehr viel schneller entwickeln, als nach traditionellem Verständnis. Insbesondere das Vorliegen einer langjährigen Staatenpraxis sei nicht mehr zwingend erforderlich. Im Zeitalter der Globalisierung bedürfe es angesichts wachsender internationaler Aufgaben und Probleme neuer Rechtsgrundlagen und schnellerer Entwicklungensprozesse im Bereich des Völkerrechts.144 Völkergewohnheitsrecht könne daher mittlerweile auch durch internationale Foren geschaffen werden. Die dort von der Mehrheit der Staatengemeinschaft verabschiedeten Regelungen und Abkommen könnten bei Vorliegen der genannten Voraussetzungen (Verfolgung überragender Gemeinschaftsinteressen, breite Zustimmung für die Norm, Möglichkeit der Teilnahme aller Staaten am Normfindungsprozess und am Vertrag) eine neue Form des Völkergewohnheitsrechts darstellen. Die erforderliche Rechtsüberzeugung sei dann gegeben, das klassische Erfordernis einer Staatenpraxis im Sinne von langjähriger Übung sei demgegenüber nicht mehr erforderlich: „. . . one clearly phrased and strongly endorsed declaration at a near universal diplomatic forum could be sufficient to establish new international law“.145

Es wird eingeräumt, dass es sich hierbei nicht mehr um herkömmliches Völkergewohnheitsrecht handeln kann. Das so verbindlich geschaffene Recht wird in AbChinkin, Third Parties in International Law, S. 136. Chinkin, Third Parties in International Law, S. 140. 143 Charney, International Lawmaking, S. 18. 144 Charney, Universal International Law, S. 543; Charney, International Lawmaking, S. 19; Tomuschat, Völkerrechtlicher Vertrag und Drittstaaten, S. 20 – 21. 145 Charney, Universal International Law, S. 546; so wohl auch Seidl-Hohenveldern, in: LdR / VR (3. Aufl.), S. 147: „Bei Vorhandensein der Rechtsüberzeugung kann schon die erstmalige Ausübung eines solchen Rechts als Staatenpraxis Gewohnheitsrecht begründen.“. 141 142

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grenzung zum herkömmlichen Völkergewohnheitsrecht vielmehr als generelles oder universelles Völkerrecht bezeichnet: „The process outlined above differs significantly from the traditional understanding of the customary lawmaking process as requiring general practice over time. It may thus be more accurate to call it general international law . . .“146

Teilweise wird demgegenüber vertreten, dass die Bindung dritter Staaten unmittelbar durch den völkerrechtlichen Vertrag selbst erfolge.147 Rechtsgrundlage für dessen objektive Geltung soll in echter Ausnahme zur pacta-tertiis-Regel der Vertrag an sich sein. Den fraglichen Regelungen komme unmittelbar aufgrund ihres Inhalts Wirkung erga omnes zu. Entscheidend sei allein, dass sie ein öffentliches Interesse zum Gegenstand hätten.148 Die im Völkervertragsrecht traditionell erforderliche Zustimmung werde insoweit ausnahmsweise von zwingenden Allgemeinwohlinteressen verdrängt. Auch wenn hier einerseits eine neue Art von Gewohnheitsrecht, andererseits der Vertrag selbst als Rechtsgrund für die Universalität bestimmter Ordnungsverträge genannt werden, so ist doch beiden Ansätzen gemeinsam, dass sie der internationalen Staatengemeinschaft das Recht einräumen, bei zwingendem öffentlichem Interesse als internationaler Gesetzgeber mit Wirkung auch gegenüber Dritten tätig zu werden.149 Die internationale Gemeinschaft soll hiernach bei Verfolgung wichtiger Gemeinwohlinteressen zu qualifizierten Mehrheitsentscheidungen befugt sein. (c) Übertragbarkeit auf den IStGH Es stellt sich die Frage, inwieweit die soeben dargestellten Voraussetzungen, unter denen nach Auffassung von Teilen der Literatur ein Ordnungsvertrag („global treaty“) mit normativer Wirkung auch gegenüber Nichtvertragsstaaten anzunehmen ist, auf das IStGH-Statut übertragen werden können. Soweit das Statut als allgemeinverbindlicher Ordnungsvertrag einzustufen ist, würde dieser ohnehin auch gegenüber Drittstaaten absolute Wirkung entfalten. Der von einigen Nichtvertragsstaaten geltend gemachte Einwand des unzulässigen Vertrags zu Lasten Dritter wäre dann unter Umständen nicht weiter beachtlich. Das Rom-Statut verfolgt zweifellos wichtige Interessen der internationalen Staatengemeinschaft. In der Tat wird wohl niemand ernsthaft bestreiten, dass es sich bei der Verfolgung und Bestrafung von Völkermord, Verbrechen gegen die Menschlichkeit, Kriegsverbrechen und Aggression um überragend wichtige Gemeinwohl146 Charney, Universal International Law, S. 546; zum Begriff des „general international law“ auch Charney, International Lawmaking, S. 17 ff. 147 Danilenko, Law-Making in the International Community, S. 64. 148 Dahm / Delbrück / Wolfrum, Völkerrecht, Bd. I / 3, S. 626. 149 Delbrück, Laws in the Public Interest, S. 25, 34 – 35; Hingst, Auswirkungen der Globalisierung auf das Recht der völkerrechtlichen Verträge, S. 300.

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belange handelt. Das Statut dient insoweit insbesondere auch dem Schutz und der Anerkennung unveräußerlicher Menschenrechte.150 Auch beabsichtigten die Gründungsstaaten, eine umfassende Ordnung zu schaffen, um eine internationale Verfolgung schwerster Verbrechen zu sichern.151 Die Verabschiedung des Rom-Statuts erfolgte weiterhin durch ein breit gefächertes internationales Forum, unter bisher wohl einzigartiger Mitwirkung nichtstaatlicher Organisationen.152 Es bestand für alle Staaten die Möglichkeit, an der Staatenkonferenz in Rom teilzunehmen und an der Gestaltung des Statuts mitzuwirken. Das Statut steht darüber hinaus nach wie vor allen Staaten der internationalen Gemeinschaft zum Beitritt offen. Die überwiegende Mehrheit der Staatengemeinschaft hat dem IStGH-Statut und seinen Regelungen zugestimmt. So haben bereits in Rom 120 Staaten für den Gründungsvertrag votiert und somit ihre Unterstützung zum Ausdruck gebracht. Lediglich sieben Staaten haben gegen das Statut gestimmt, drei weitere Staaten haben sich der Stimme enthalten. Der IGH ging 1956 in seiner Reparations for Injuries-Entscheidung davon aus, dass schon 50 Staaten die überwältigende Mehrheit der Staatengemeinschaft („vast majority of the members of the international community“) darstellen.153 Zwar hat sich die Staatengemeinschaft mittlerweile auf 192 vollständig anerkannte souveräne Staaten vergrößert154, so dass die vom IGH genannte Zahl insoweit kein absoluter Richtwert mehr sein kann. Bis dato haben jedoch bereits 139 Staaten das Rom-Statut unterzeichnet, 102 Staaten haben es ratifiziert.155 Berücksichtigt man die Tatsache, dass die bereits 1945 gegründeten Vereinten Nationen derzeit 191 Mitglieder haben, sind 139 Ratifikationen und 102 Vertragsstaaten für den erst 1998 gegründeten IStGH eine durchaus beeindruckende Zahl, auch wenn nicht zu leugnen ist, dass einige der einflussreichsten Staaten der Welt das Statut bisher nicht mittragen. Es ist zu überlegen, ob als Rechtsfolge jedenfalls den Grundregeln beziehungsweise Grundprinzipien des IStGH-Statuts normative Wirkung auch gegenüber Nichtvertragsstaaten zukommt. Damit stellt sich die Frage, welche Bestimmungen 150 Zimmermann, Role and Function of International Criminal Law, S. 37 ff.; Zwanenburg, The Statute for an ICC and the United States, S. 141. 151 Vgl. Präambel des Rom-Statuts: „. . . BEKRÄFTIGEND, dass die schwersten Verbrechen, welche die internationale Gemeinschaft als Ganzes berühren, nicht unbestraft bleiben dürfen und dass ihre Verfolgung durch Maßnahmen auf einzelstaatlicher Ebene und durch verstärkte Zusammenarbeit gewährleistet sein muss . . .“. 152 Kaul, Towards a Permanent International Criminal Court, S. 173. 153 Reparations for Injuries Suffered in the Service of the UN, Advisory Opinion, ICJ Reports 1949, S. 185. 154 Vgl. Der Staat, Wikipedia, Freie Enzyklopädie, http: // de.wikipedia.org / wiki / Staat, Stand vom 1. Juli 2006. 155 Stand 1. Juli 2007.

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des IStGH-Statuts als grundlegend und damit allgemeinverbindlich anzusehen sind. Zu nennen ist hier zweifellos das mit dem Statut verfolgte Ziel, nämlich die Bestrafung schwerster Verbrechen zu sichern, auch wenn nationale Gerichte nicht tätig werden. Fraglich ist allerdings, ob auch das Jurisdiktionsregime des IStGH und damit seine Gerichtsbarkeit über Staatsangehörige aus Drittstaaten als allgemeinverbindlich anzusehen ist. Dagegen ließe sich einwenden, dass auch die Vertragsstaaten selbst dem Gerichtshof lediglich komplementäre Zuständigkeit eingeräumt haben, seine Strafgerichtsbarkeit mithin unter Berücksichtigung staatlicher Souveränität nur subsidiär ist. Auch die Vertragsstaaten sind also davon ausgegangen, dass der IStGH keinesfalls die einzige Möglichkeit ist, um für eine umfassende Bestrafung völkerrechtlicher Verbrechen zu sorgen. Dies kann vielmehr auch auf nationaler Ebene erfolgen, wie zahlreiche internationale Verträge zeigen. Daneben wurde auch die Errichtung eines ständigen UN-Straftribunals sowie weiterer ad hoc Tribunale durch den Sicherheitsrat diskutiert.156 Somit könnte man, ähnlich wie bei der im Zusammenhang mit dem UN-Seerechtsübereinkommen geschilderten Argumentation, zwar eine Verpflichtung aller Staaten zur umfassenden Strafverfolgung der genannten völkerrechtlichen Verbrechen als normative Grundaussage des Rom-Statuts anerkennen. Eine Bindung dritter Staaten an das Jurisdiktionsregime des Rom-Statuts und damit an die dort vorgesehene Umsetzung und Organisation dieser Verpflichtung müsste damit aber noch nicht zwingend gegeben sein. Die Einrichtung des IStGH sowie der Umfang seiner Strafgerichtsbarkeit ist sicher nicht der einzig gangbare Weg. Man könnte daher durchaus zu dem Schluss kommen, dass jedenfalls die vorgesehene Gerichtsbarkeit über Staatsangehörige aus Nichtvertragsstaaten nicht zu den Grundregeln des Statuts zählt, die normative Wirkung auch für Drittstaaten entfalten. Andererseits ist nicht zu verkennen, dass nur die Schaffung eines einheitlichen Rechtssystems auch eine konsequente und gleichmäßige Strafverfolgung gewährleisten kann. Überlässt man die Strafverfolgung wie bisher den Einzelstaaten oder weiteren vom Sicherheitsrat zu errichtenden Einzeltribunalen, so wird eine einheitliche Rechtsanwendung auch weiterhin politischen Interessen zum Opfer fallen. Die bisherige Entwicklung belegt deutlich, dass eine internationale Ahndung schwerster Völkerrechtsverbrechen erforderlich ist, um der Straflosigkeit der Täter ein Ende zu bereiten. Eine internationale Strafgerichtsbarkeit ist daher wenn nicht rechtlich, so doch faktisch die einzige Möglichkeit, um die Bestrafung schwerster internationaler Verbrechen zu sichern. Das Konzept und die Voraussetzungen für die Schaffung allgemeinverbindlicher Ordnungsverträge durch die internationale Gemeinschaft sind jedoch äußerst problematisch. 156 Dugard, Obstacles in the Way of an ICC, S. 341; Warbrick, The United Nations System: A Place for Criminal Courts?, S. 260 – 261.

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So ist bereits fraglich, wie der Begriff der internationalen Staatengemeinschaft zu definieren ist. Soweit die Allgemeinverbindlichkeit einer Regelung von der Zustimmung einer breiten Mehrheit der Staaten abhängen soll, wäre zu klären, wie viele und welche Staaten zustimmen müssen und welche Kriterien – wirtschaftliche, politische oder geographische – hierfür ausschlaggebend sein sollen.157 Hier droht zum einen Rechtsunsicherheit, daneben bergen Mehrheitsentscheidungen zweifellos die Gefahr, dass wirtschaftlich und militärisch überlegene Staaten unter Berufung auf das angebliche Wohl der Menschheit andere Staaten dominieren.158 So stellt sich etwa im Hinblick auf das Rom-Statut die Frage, ob der Nichtbeitritt der USA, Chinas und Indiens angesichts der politischen und wirtschaftlichen Bedeutung dieser Staaten die Bejahung einer überwältigenden Zustimmung für das Statut hindern kann. Weiterhin ist der unbestimmte Rechtsbegriff des öffentlichen Interesses bereits im nationalen Recht durchaus problembehaftet. Insofern ist in der Tat fraglich, ob es in einer heterogenen Staatengemeinschaft eine Art internationales öffentliches Interesse geben kann und wie dies zu definieren ist. Vereinzelt wird die Existenz eines „internationalen öffentlichen Interesses“ bestritten. So handle es sich bei der internationalen Gemeinschaft nicht um eine hinreichend organisierte oder verfestigte Einheit, die zu einer entsprechenden Willensbildung über derartige zwingende Gemeinwohlbelange fähig sei.159 Ein Gemeinschaftsinteresse könne daher niemals objektiv bestimmt werden, es drohten viel mehr Manipulation und ideologische Beeinflussung unter dem Deckmantel gemeinsamer Wertvorstellungen. Jeder Staat vertrete letztlich ausschließlich eigene Interessen. Um eine friedliche Koexistenz und Kooperation der Staaten zu sichern, müsse das Völkerrecht daher neutral sein und dürfe nicht von irgendwelchen Staaten verfolgte Interessen besonders fördern oder propagieren.160 Diese Auffassung vermischt letztlich die Frage, ob es ein internationales öffentliches Interesse gibt mit der Frage, wer dazu befugt ist, ein solches zu definieren. Die Tatsache, dass keine internationale Legislativkompetenz zur verbindlichen Bestimmung und Festlegung öffentlicher Interessen besteht, bedeutet noch nicht, dass ein internationales öffentliches Interesse an sich nicht existiert. Es ist insoweit zu differenzieren zwischen dem Vorhandensein von Allgemeininteressen und der Befugnis, diese konkret zu definieren und festzulegen.161 Die Völkerrechtslehre geht überwiegend von der Existenz bestimmter Gemeinschaftsinteressen aus.162 Diese sollen insbesondere in den ius cogens Normen des Weil, Towards Relative Normativity in International Law?, S. 426 – 427. Neuhold, Völkerrechtlicher Vertrag und Drittstaaten, S. 85; Weil, Towards Relative Normativity in International Law?, S. 441. 159 Weil, Towards Relative Normativity in International Law?, S. 431; 441; Schwarzenberger, International Jus Cogens?, S. 455. 160 Weil, Towards Relative Normativity in International Law?, S. 423. 161 Klein, Statusverträge im Völkerrecht, S. 66. 157 158

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E. Völkerrechtliche Legitimation der Strafgerichtsbarkeit des IStGH

Völkerrechts sowie in dem zwischen allen Staaten anerkannten „ordre public“ zum Ausdruck kommen, die das Vorliegen gemeinsamer Wertvorstellungen dokumentieren, selbst wenn ihr Umfang im Detail umstritten ist.163 Auch in der Anerkennung und Kodifizierung eines einheitlichen Konzepts der Staatenverantwortlichkeit soll die Vorstellung bestimmter völkerrechtlicher Allgemeininteressen deutlich werden. Es gibt also durchaus gewisse einheitliche Vorstellungen von der Existenz allgemeiner Interessen, die die ganze Staatengemeinschaft als solche angehen.164 Auch der IGH nimmt die Existenz von „fundamental general principles of humanitarian law“ an, in denen sich das Gemeinschaftsinteresse widerspiegelt.165 In seiner Entscheidung Kongo gegen Ruanda aus dem Jahr 2006 bejaht der IGH weiterhin ausdrücklich das Vorhandensein von „. . . peremptory norms of general international law (ius cogens) . . .“ und zählt hierzu etwa das Verbot des Völkermordes.166 Es stellt sich jedoch die Frage, wer befugt ist, das Gemeinschaftsinteresse allgemeinverbindlich festzulegen und im Streitfall zu entscheiden, ob ein bestimmtes Ziel dem öffentlichen Interesse der Weltgemeinschaft zuzurechnen ist.167 Nach der zitierten Rechtsprechung zu den so genannten Statusverträgen sollten hierzu in erster Linie die Großmächte beziehungsweise die von der jeweiligen Regelung besonders betroffenen Staaten befugt sein. Mittlerweile wird der internationalen Staatengemeinschaft unter Hinweis auf das Repräsentations- beziehungsweise Mehrheitsprinzip eine derartige Befugnis eingeräumt.168 Insbesondere die UN-Generalversammlung soll zur Formulierung von Gemeinschaftsinteressen autorisiert sein.169 Fraglich ist aber, woher sich die Legitimation der repräsentativen Mehrheit der Staatengemeinschaft ableiten lässt, Normen mit Wirkung erga omnes, das heißt auch gegenüber Drittstaaten und auch gegen deren Willen, zu setzen. Eine derartige Befugnis zur Bindung dritter Staaten gegen ihren Willen kann mit keinem der angesprochenen Konsensmodelle, die eine ausdrückliche oder stillschweigende Zustimmung zur Voraussetzung einer Drittbindung machen, begrün162 Mosler, General Principles of Law, EPIL, Instalment 7 (1984), S. 89 ff.; Mosler, Völkerrecht als Rechtsordnung, S. 42 – 45; Dahm / Delbrück / Wolfrum, Völkerrecht, Bd. I / 3, S. 627; Frowein, Das Staatengemeinschaftsinteresse, S. 222; Klein, Statusverträge im Völkerrecht, S. 60 – 61; Riedel, International Environmental Law, S. 89. 163 Klein, Statusverträge im Völkerrecht, S. 57 – 58. 164 Klein, Statusverträge im Völkerrecht, S. 58. 165 Military and Paramilitary Activities in and against Nicaragua (Nicaragua v. United States of America), ICJ Reports 1986, S. 113 ff., Abs. 218. 166 Case Concerning Armed Activities on the Territory of the Congo (Democratic Republic of the Congo v. Rwanda), Jurisdiction of the Court and Admissibility of the Application, 3 February 2006, Abs. 56. 167 Klein, Statusverträge im Völkerrecht, S. 66. 168 Dahm / Delbrück / Wolfrum, Völkerrecht, Bd. I / 3, S. 628; Frowein, Das Staatengemeinschaftsinteresse, S. 223. 169 Frowein, Das Staatengemeinschaftsinteresse, S. 223.

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det werden. Allein soweit man eine echte Durchbrechung des pacta-tertiis-Grundsatzes bejaht, ist eine Bindung dritter Staaten gegen deren Willen möglich. Eine entsprechende Befugnis der Mehrheit der Staatengemeinschaft wird dann wie geschildert unmittelbar aus den zwingenden Bedürfnissen der internationalen Gemeinschaft abgeleitet.170 Die Berechtigung der Weltgemeinschaft zur Bestimmung öffentlicher Interessen soll also ihrerseits aus zwingenden öffentlichen Interessen folgen. Diese Argumentation stellt jedoch einen Zirkelschluss dar und ist damit letztlich unschlüssig. Die Legitimation der Staatengemeinschaft zur Definition des Allgemeinwohls kann nicht ihrerseits auf genau dieses Allgemeinwohl gestützt werden. (d) Stellungnahme Nach allem erscheint zwar die Idee einer internationalen Gesetzgebung und die Schaffung verbindlicher Normen durchaus begrüßenswert, soweit überragend wichtige öffentliche Interessen betroffen sind und die überwältigende Mehrheit der Staaten eine entsprechende Regelung mitträgt. Dennoch darf nicht übersehen werden, dass die Existenz entsprechender allgemeinverbindlicher Ordnungsverträge mehrheitlich abgelehnt wird.171 Dies ergibt sich gerade auch aus aktuellen Stellungnahmen und Diskussionen im Zusammenhang mit der Gründung des IStGH.172 So erkennt die Staatenpraxis weder die Entstehung von Völkergewohnheitsrecht im Schnelldurchlauf ohne entsprechende Übung noch eine Durchbrechung des Konsensprinzips und der pacta-tertiis-Regel aufgrund wichtiger öffentlicher Interessen an. Auch die ganz überwiegende Völkerrechtslehre verneint eine Legislativgewalt der internationalen Gemeinschaft. Demnach sei selbst eine erhebliche Anzahl von Staaten nach wie vor nicht in der Lage, anderen Staaten ihren Willen aufzuzwingen: „The concept of a global treaty capable of binding all States without their specific consent is not accepted in contemporary international law . . . There is no evidence that by entering into negotiations leading to treaty norms expressing general interest members of the international community endorse legislative techniques based on majority lawmaking.“173

Auch wenn internationale Mehrheitsentscheidungen im Hinblick auf zahlreiche mit der Globalisierung einhergehende Probleme für einheitliche, schnellere und effektivere Lösungen sorgen würden, so stehen sie doch in absolutem Widerspruch Delbrück, Laws in the Public Interest, S. 24 – 25. Doehring, Völkerrecht, Rn. 1198; Weil, Towards Relative Normativity in International Law?, S. 420 ff.; Empell, Die Staatengemeinschaftsnormen und ihre Durchsetzung, S. 159; Danilenko, Law-Making in the International Community, S. 67; Neuhold, Völkerrechtlicher Vertrag und Drittstaaten, S. 85. 172 Bolton, The Risks and Weaknesses of the ICC from America’s Perspective, S. 171; Rubin, The ICC: Possibilities for Prosecutorial Abuse, S. 164. 173 Danilenko, Law-Making in the International Community, S. 67 – 68. 170 171

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zu bis heute absolut anerkannten Grundsätzen des Völkerrechts, wie der Souveränität und Gleichheit aller Staaten und der freien Willensentscheidung jedes Einzelstaates. Eine internationale, auf Mehrheitsentscheidungen beruhende Gesetzgebung existiert auf internationaler Ebene bisher nicht, sie wäre mit der gegenwärtigen Rechtsüberzeugung der Staaten auch nicht in Einklang zu bringen. Völkerrecht beinhaltet aber gerade die von den Staaten aufgestellten und von diesen als Recht anerkannten Regeln.174 Ob angesichts praktischer Notwendigkeiten die völkerrechtliche Entwicklung hin zu einer verstärkten Zentralisierung, etwa zur Anerkennung eines internationalen Rechtsetzungsorgans oder zur Schaffung einer zentralen Zwangsgewalt zur Durchsetzung des Völkerrechts gehen wird, bleibt abzuwarten. Die vermehrte Diskussion allgemeinverbindlicher Ordnungsverträge und die wachsende Zahl von Befürwortern in der Völkerrechtslehre sind einer entsprechenden Rechtsentwicklung sicher förderlich, derzeit zeichnet sich das Völkerrecht aber nach wie vor durch seinen relativ schwach organisierten und dezentralen Charak-ter aus.175 Eine Bindung souveräner Staaten an neu geschaffene internationale Verträge kann daher mangels bereits existierenden Gewohnheitsrechts nach wie vor nur aufgrund des traditionellen Elements der Zustimmung erreicht werden. Dies gilt auch für das Rom-Statut, so billigenswert und dringlich die Verfolgung von Völkerrechtsverbrechen auch erscheint. cc) Das IStGH-Statut als Vertrag zu Lasten Dritter Es muss daher letztlich doch näher untersucht werden, ob das IStGH-Statut einen unzulässigen völkerrechtlichen Vertrag zu Lasten dritter Staaten im Sinne von Artikel 34 WVK darstellt. Ausnahmen von diesem Grundsatz werden nach allem zwar vereinzelt diskutiert, sind aber nach ganz herrschender und zutreffender Auffassung jedenfalls derzeit abzulehnen. Soweit einzelne Bestimmungen im RomStatut auch Nichtvertragsstaaten tatsächlich rechtliche Verpflichtungen auferlegen, wären sie daher als völkerrechtswidrig einzustufen. (1) Gerichtsbarkeit über Staatsangehörige aus Nichtvertragsstaaten Die Strafverfolgung fremder Staatsbürger durch den IStGH ohne beziehungsweise gegen den Willen des Heimatstaates, der dem IStGH-Statut nicht beigetreten ist, stellt nach Auffassung der Gerichtshofgegner eine unzulässige vertragliche Belastung dritter Staaten dar und verstößt gegen den in Artikel 34 WVK niedergelegten völkerrechtlichen Grundsatz pacta tertiis nec nocent nec prosunt.176 Die GeSchweisfurth, in: LdR / VR (3. Aufl.), S. 516; Stein / von Buttlar, Völkerrecht, Rn. 7 ff. Schweisfurth, in: LdR / VR (3. Aufl.), S. 515. 176 Roberts, Assault on Sovereignty, S. 60 ff.; Morris, High Crimes and Misconceptions, S. 14; Scheffer, The ICC: The Challenge of Jurisdiction, S. 68 ff.; Arbour / Bergsmo, Conspi174 175

II. Legitimation bei Verfahrenseinleitung durch die Vertragsstaaten

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richtsbarkeit des IStGH über Staatsangehörige aus Drittstaaten sei dementsprechend „contrary to the most fundamental principles of treaty law.“177 Insoweit wird nicht bestritten, dass ein anderer Staat Strafgerichtsbarkeit auch über fremde Staatsangehörige hat, soweit das Verbrechen in seinem Hoheitsgebiet begangen wurde.178 Auch die Gerichtshofgegner bestreiten weiterhin nicht die Befugnis der Vertragsstaaten, durch übereinstimmende Willenserklärungen Strafgerichtsbarkeit über ihre eigenen Staatsangehörigen auf ein internationales Strafgericht zu übertragen. Angegriffen wird jedoch die in Artikel 12 Abs. 2 lit. a des Rom-Statuts vorgesehene Gerichtsbarkeit des IStGH über Staatsangehörige aus Nichtvertragsstaaten. Insoweit wird die völkerrechtliche Übertragbarkeit von Strafgewalt aufgrund des Territorialitätsprinzips auf ein internationales Gericht ohne Zustimmung des Heimatstaates des Beschuldigten verneint.179 Dies wird zum einen damit begründet, dass der Heimatstaat hierdurch ohne seine Zustimmung rechtlich schlechter gestellt werde, als wenn der Territorialstaat selbst strafverfolgend tätig wird: „. . . by conferring upon the ICC jurisdiction over non-party nationals, the ICC Treaty would abrogate the pre-existing rights of non-parties which, in turn, would violate the law of treaties.“180

(a) Wegfall bilateraler Verhandlungen So wird darauf hingewiesen, dass zwischen dem strafbefugten Territorialstaat und dem Heimatstaat des Beschuldigten oftmals bilaterale Verhandlungen geführt werden, im Rahmen derer sich der Heimatstaat für seine Staatsbürger einsetzen könne. Derartige Verhandlungen führten oftmals zu politischen Lösungen und bewahrten eigene Staatsangehörige vor einem ausländischen Strafverfahren im Territorialstaat. Soweit nun der Territorialstaat seine Strafverfolgungskompetenz durch Vertrag auf ein internationales Gericht übertrage, komme eine Klärung zwischen den beiden unmittelbar betroffenen Staaten auf diplomatischem Wege nicht mehr in Betracht. Bereits diese Veränderung stelle eine Benachteiligung des Heimatstaates und damit eine unzulässige rechtliche Belastung dritter Staaten dar.181 Diesen cious Absence of Jurisdictional Overreach, S. 135; McNerny, Issues for Consideration by the U. S. Senate, S. 183. 177 Scheffer, Statement Before the Committee on Foreign Relations of the U. S. Senate, S. 4; ders., Statement before the House International Relations Committee, S. 2. 178 Morris, High Crimes and Misconceptions, S. 41. 179 Morris, High Crimes and Misconceptions, S. 27 ff.; Wedgwood, The Irresolution of Rome, S. 199; Litzau, International Criminal Law After Rome, S. 135; Scheffer, The ICC: The Challenge of Jurisdiction, S. 71. 180 Morris, High Crimes and Misconceptions, S. 26. 181 Scheffer, The ICC: The Challenge of Jurisdiction, S. 70; Morris, High Crimes and Misconceptions, S. 29 ff., 44 ff.

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werde eine bilaterale Lösung des Problems auf diplomatischem Wege abgeschnitten, wenn der eigentlich zuständige Territorialstaat seine Hoheitsgewalt an ein internationales Strafgericht abtritt, das künftig für ihn im Verhältnis zu Dritten auftritt und agiert.182 Dieser Argumentation ist indessen entgegenzuhalten, dass ohnehin kein Staat einen rechtlichen Anspruch auf die Durchführung solcher bilateraler Verhandlungen zur Vermeidung eines Strafverfahrens gegen seine Staatsbürger hat. Jeder Territorialstaat hat vielmehr das Recht, außergerichtliche Vereinbarungen abzulehnen, politischem Druck seitens des Personalstaates standzuhalten und ein Strafverfahren gegen dessen Staatsangehörige auch ohne vorausgehende Verhandlungen durchzuführen. Soweit der Territorialstaat die diplomatischen Bemühungen des Heimatstaates berücksichtigt, handelt es sich lediglich um Courtoisie, das heißt um einen Akt internationaler Höflichkeit, keinesfalls aber um eine entsprechende rechtliche Verpflichtung gegenüber dem Heimatstaat.183 Es ist sicher richtig, dass zahlreiche Staaten in bestimmten Fällen von der Strafverfolgung ausländischer Beschuldigter aus politischen oder sonstigen taktischen Erwägungen heraus absehen und dem Druck einflussreicher Nationen wie der USA nachgeben. Entsprechende diplomatische Lösungen sind, wie amerikanische Autoren wohl befürchten, bei Einschaltung eines internationalen Gerichts nicht ohne weiteres zu erwarten.184 Dennoch ist auch jeder noch so kleine und politisch schwache Staat berechtigt, Strafgerichtsbarkeit aufgrund des Territorialitätsprinzips ohne vorausgehende bilaterale Gespräche auszuüben. Dementsprechend hat selbst der einflussreichste Staat keinen rechtlichen Anspruch auf solche Vorverhandlungen. Die Tatsache, dass ein Staat in bestimmten Fällen künftig ein internationales Gericht für sich tätig werden lässt, führt daher auch nicht zu einer rechtswidrigen rechtlichen Belastung dritter Staaten im Sinne von Artikel 34 WVK. Der künftige Wegfall der Möglichkeit zwischenstaatlicher Absprachen zur Vermeidung eines Strafverfahrens gegen eigene Staatsbürger im Territorialstaat stellt vielmehr lediglich einen rein tatsächlichen Nachteil des betroffenen Personalstaates dar. (b) Strafverfahren vor dem IStGH als Verfahren gegen den Heimatstaat Weiterhin wird vorgebracht, dass auch die tatsächliche Durchführung eines Strafverfahrens gegen einen Staatsangehörigen aus einem Nichtvertragsstaat vor dem IStGH als eine unzulässige vertragliche Belastung des betreffenden Heimat182 Scheffer, The ICC: The Challenge of Jurisdiction, S. 70; Morris, High Crimes and Misconceptions, S. 29 ff. 183 Scharf, The ICC’s Jurisdiction Over the Nationals of Non-Party States: A Critique of the U.S. Position, S. 75. 184 Wobei gerade auch in diesem Zusammenhang auf das Komplementaritätsprinzip hinzuweisen ist, nach dem die Einleitung eines nationalen Strafverfahrens grundsätzlich zur Unzulässigkeit einer Sache vor dem IStGH führt, Artikel 18 Rom-Statut.

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staates einzustufen sei.185 Gegen eine rechtliche Verpflichtung von Nichtvertragsstaaten spricht zunächst aber bereits der Wortlaut des Statuts. Alle Bestimmungen, die sich dort mit der Gerichtsbarkeit des IStGH befassen, beziehen sich ausschließlich auf natürliche Personen. Es ist nirgendwo vorgesehen, dass der IStGH Gerichtsbarkeit über Nichtvertragsstaaten selbst ausüben kann. Derartige Bestimmungen würden selbstverständlich gegen Artikel 34 WÜK verstoßen, finden sich jedoch an keiner Stelle des Statuts.186 Verpflichtet werden durch das Rom-Statut lediglich natürliche Personen. Gemäß Artikel 1 des Vertrags hat der IStGH Gerichtsbarkeit ausschließlich über Individuen, nicht etwa über Staaten. Damit wirkt auch Artikel 12 des Statuts grundsätzlich ausschließlich zu Lasten von Individuen, nämlich Staatsangehörigen aus Vertragsstaaten wie Nichtvertragsstaaten. Die Gründung des IStGH beruht auf dem seit Ende des Zweiten Weltkriegs auch im Völkerrecht anerkannten Grundsatz individueller strafrechtlicher Verantwortlichkeit, nach dem auch Einzelpersonen für die von ihnen begangenen Völkerrechtsverbrechen zur Rechenschaft gezogen werden können.187 Während nach traditionellem Völkerrechtsverständnis zunächst nur Staaten als Völkerrechtssubjekte anerkannt waren und der Einzelne lediglich durch die dazwischentretende staatliche Rechtsordnung berechtigt und verpflichtet werden konnte, begann nach dem Ersten Weltkrieg die impermeable staatliche Rechtsordnung, die den Einzelnen vom Völkerrecht fernhielt, allmählich durchlässig zu werden. Der Idee einer unmittelbaren strafrechtlichen Verantwortlichkeit des Individuums für Verstöße gegen das Völkerrecht wurde schließlich mit der Gründung des Nürnberger Kriegsverbrechertribunals zum Durchbruch verholfen.188 Es ist heute unbestrit-ten, dass auch der Einzelne unmittelbar durch das Völkerrecht berechtigt oder verpflichtet werden kann. Hieran knüpft auch Artikel 25 Rom-Statut an. Dieser lautet: Individuelle strafrechtliche Verantwortlichkeit (1) Der Gerichtshof hat aufgrund dieses Statuts Gerichtsbarkeit über natürliche Personen. (2) Wer ein der Gerichtsbarkeit des Gerichtshofs unterliegendes Verbrechen begeht, ist dafür in Übereinstimmung mit diesem Statut individuell verantwortlich und strafbar. 185 Morris, High Crimes and Misconceptions, S. 26; Scheffer, The United States and the International Criminal Court, S. 18. 186 Washburn, The International Criminal Court Arrives, S. 875. 187 Orentlicher, Politics by Other Means, S. 490 – 491; Washburn, The International Criminal Court Arrives, S. 874 – 875; Bickley, U. S. Resistance to the ICC, S. 265, 275; Dahm / Delbrück / Wolfrum, Völkerrecht, Band I / 3, § 189, S. 995 ff.; Schmidt, Externe Strafpflichten, S. 37 ff. 188 Schmidt, Externe Strafpflichten, S. 38; Jescheck, Die Verantwortlichkeit der Staatsorgane nach Völkerrecht, S. 206 ff., 319 ff.; Dupuy, International Criminal Responsibility of the Individual and the International Responsibility of the State, in: Cassese / Gaeta / Jones, The Rome Statute of the ICC, S. 1086 ff.

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E. Völkerrechtliche Legitimation der Strafgerichtsbarkeit des IStGH

(4) Die Bestimmungen dieses Statuts betreffend die individuelle strafrechtliche Verantwortlichkeit berühren nicht die Verantwortung der Staaten nach dem Völkerrecht.

Der IStGH hat mithin ausschließlich Gerichtsbarkeit über natürliche Personen. Nichtvertragsstaaten selbst werden durch das Rom-Statut jedoch grundsätzlich keinerlei rechtliche Bindungen auferlegt.189 Einzig und allein die Vertragsstaaten werden zur Zusammenarbeit mit dem Gerichtshof verpflichtet.190 Die pauschale Behauptung zahlreicher amerikanischer Kritiker, das Rom-Statut sei ein unzulässiger Vertrag zu Lasten dritter Staaten, greift daher zu kurz.191 Das Rom-Statut sieht seinem Wortlaut nach lediglich die Strafverfolgung von Einzelpersonen vor. Die Verurteilung einzelner Personen stellt aber grundsätzlich gerade keine vertragliche Belastung ihres Heimatstaates dar. Relativ eindeutig ist dies, soweit Individuen für „private Handlungen“ zur Verantwortung gezogen werden, da in diesen Fällen unstreitig ausschließlich die individuelle Schuld einzelner Täter im Mittelpunkt steht.192 Hiervon gehen letztlich wohl auch amerikanische Gegner des Gerichtshofs aus, die im Hinblick auf dessen Gerichtsbarkeit zwar immer wieder eine Ausnahmeregelung für Amtsträger, nicht aber für reine Privatpersonen gefordert hatten.193 Problematischer erscheint eine Strafverfolgung einzelner staatlicher Amtsträger im Hinblick auf dienstliche Handlungen. Auch in derartigen „official acts cases“ geht es zunächst um das Handeln Einzelner, diese werden aber auf staatliche Veranlassung und in Ausführung staatlicher Politik tätig.194 Die nach dem Wortlaut des Statuts mögliche Verurteilung von Amtsträgern aus Nichtvertragsstaaten wird von den Kritikern des Gerichtshofs als unzulässige vertragliche Belastung der betroffenen Nichtvertragsstaaten gesehen. Zwar wird auch bei einer Strafverfolgung von Amtshandlungen, die im Einklang mit der staatlichen Politik des Drittstaates stehen, nominell nur der individuelle 189 Etwas anderes gilt nur, soweit der Sicherheitsrat gemäß Kapitel VII der UN-Charta dem IStGH einen Sachverhalt unterbreitet, Artikel 13 lit. b des Rom-Statuts. Dann können rechtliche Verpflichtungen auch für Drittstaaten entstehen, vgl. S. 139 ff. Hierzu auch Zimmermann / Scheel, Zwischen Konfrontation und Kooperation, S. 139. 190 Zimmermann, Role and Function of International Criminal Law, S. 46; Orentlicher, Politics by Other Means, S. 490 – 491; Hafner et al., A Response to the American View, S. 118; Scharf, The ICC’s Jurisdiction Over the Nationals of Non-Party States, S. 220; Schabas, General Principles of Criminal Law in the ICC-Statute, S. 409. 191 Dies wird durchaus auch von amerikanischen Kritikern gesehen, vgl. Morris, High Crimes and Misconceptions, S. 26; Lietzau, International Criminal Law After Rome, S. 130, Fn. 40. 192 So letztlich auch Morris, High Crimes and Misconceptions, S. 14 ff. 193 Lietzau, International Criminal Law After Rome, S. 128 ff. 194 Morris, High Crimes and Misconceptions, S. 15, 25; McNerney, The ICC: Issues for Consideration by the U.S. Senate, S. 188; erläuternd insoweit Washburn, The International Criminal Court Arrives, S. 875; Lietzau, International Criminal Law After Rome, S. 128.

II. Legitimation bei Verfahrenseinleitung durch die Vertragsstaaten

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Beschuldigte angeklagt. De facto erfolge aber eine rechtliche Beurteilung der hinter den Tatvorwürfen stehenden staatlichen Politik.195 „In ICC cases in which a state’s national is prosecuted for an official act that the state maintains lawful or that the state maintains did not occur, the lawfulness or occurrence of that official state act – that is, the question whether the state had a right to take such action or whether it did so – would form the very subject matter of the dispute. “196

Der Gerichtshof überprüfe daher bei der Strafverfolgung von Amtsträgern aus Nichtvertragsstaaten in unzulässiger Weise die Rechtmäßigkeit militärischer Aktionen, humanitärer Interventionen oder friedenserhaltender Operationen, das heißt die Rechtmäßigkeit staatlichen Handelns. Dies sei aber eine unzulässige vertragliche Verpflichtung von Nichtvertragsstaaten im Sinne der pacta tertiis-Regel und eine verbotene Einmischung in innerstaatliche Angelegenheiten.197 Insbesondere seitens der USA werden insoweit politisch motivierte Anklagen gegen hochrangige Politiker und Militärs befürchtet.198 Fraglich ist, ob die Strafverfolgung von Staatsangehörigen aus Nichtvertragsstaaten dann einen Verstoß gegen das in Artikel 34 WVK niedergelegte Verbot von Verträgen zu Lasten dritter Staaten darstellt, wenn es sich bei den Beschuldigten um staatliche Amtsträger handelt, die sich für offizielle Handlungen verantworten müssen. In diesen Fällen stellt sich das Problem, ob nicht in Wahrheit der betroffene Drittstaat ohne seine Zustimmung auf der Anklagebank sitzt: „In these sorts of ICC cases, notwithstanding the presence of individual defendants in the dock, the cases will represent bona fide legal disputes between states. When the ICC is hearing cases in the official-acts category, its function will resemble less that of a municipal court than that of an international court for the adjudication of interstate disputes.“199

Die vorgebrachte Kritik scheint auf den ersten Blick durchaus ansprechend. Ist es nicht tatsächlich denkbar, eine Anklage gegen den amerikanischen Präsidenten beziehungsweise andere hochrangige Politiker oder Militärs mit einer Anklage gegen die Vereinigten Staaten selbst gleichzusetzen? Der Staat, dessen Vertreter vor dem IStGH angeklagt wird, kann durchaus als „party in interest“200 angesehen werden, er hat zweifellos ein erhebliches Interesse am Verlauf des Prozesses. 195 Morris, High Crimes and Misconceptions, S. 15; Wedgwood, The Irresolution of Rome, S. 199; Scheffer, The United States and the International Criminal Court, S. 19; Lahiri, Explanation of Vote of India; McNerney, The ICC: Issues for Consideration by the U. S. Senate, S. 187 ff. 196 Morris, High Crimes and Misconceptions, S. 21. 197 Morris, High Crimes and Misconceptions, S. 25; Scheffer, Statement Before the Committee on Foreign Relations of the U.S. Senate, S. 4; Lietzau, International Criminal Law After Rome, S. 128 ff., 135 ff. 198 Roberts, Assault on Sovereignty, S. 70; Lietzau, International Criminal Law After Rome, S. 136. 199 Morris, High Crimes and Misconceptions, S. 15. 200 Wedgwood, The Irresolution of Rome, S. 199.

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E. Völkerrechtliche Legitimation der Strafgerichtsbarkeit des IStGH

Derartige Überlegungen erinnern an die bereits nach dem Zweiten Weltkrieg geführten Diskussionen im Zusammenhang mit dem Nürnberger Kriegsverbrechertribunal. Schon damals setzte sich jedoch die Auffassung durch, dass eine individuelle strafrechtliche Verantwortlichkeit jedes einzelnen Menschen existiert und dieser sich auch in seiner Eigenschaft als Amtsträger oder Staatsorgan gerade nicht hinter seinem Heimatstaat verstecken kann. Demgemäß lautet eine berühmte Passage des Nürnberger Urteils: „. . . individuals can be punished for violations of international law. Crimes against international law are committed by men, not by abstract entities, and only by punishing individuals who commit such crimes can the provisions of international law be enforced . . . The principle of international law, which under certain circumstances, protects the representatives of a state, cannot be applied to acts which are condemned as criminal by international law. The authors of these acts cannot shelter themselves behind their official position in order to be freed from punishment in appropriate proceedings.“201

Die Anerkennung der individuellen strafrechtlichen Verantwortlichkeit des Einzelnen im modernen Völkerrecht führt zu der vorliegend so wichtigen Unterscheidung zwischen der Verantwortlichkeit des Staates einerseits und der Verantwortlichkeit seiner Staatsangehörigen andererseits.202 Soweit insbesondere amerikanische Kritiker nunmehr geltend machen, die Verurteilung einzelner Amtsträger sei gleichzusetzen mit einer Verurteilung des Staates selbst, stellt dies einen Rückgriff auf die klassische Vorstellung des Völkerrechts dar, nach der nur Staaten, nicht aber Individuen als Völkerrechtssubjekte anzusehen waren. Die Differenzierung zwischen staatlicher und individueller Verantwortlichkeit im Völkerrecht ist aber mittlerweile absolut anerkannt und wurde gerade von den Vereinigten Staaten entscheidend mitgeprägt. Sie spielte auch im Zusammenhang mit der Errichtung eines internationalen Strafgerichts von Anfang an eine entscheidende Rolle. Insbesondere wurde immer wieder eine Gerichtsbarkeit des IStGH auch über Staaten und eine staatliche Verantwortlichkeit für völkerrechtliche Verbrechen diskutiert. Eine entsprechende Strafgerichtsbarkeit über Staaten wurde dann aber gerade nicht vorgesehen. Man hat hier also von Anfang an genau zwischen Staat und Individuum differenziert.203 201 IMT, Judgment and Sentences, AJIL Band 41 (1947), S. 221, Hervorhebung durch die Verfasserin. 202 Dupuy, International Criminal Responsibility of the Individual and the International Responsibility of the State, in: Cassese / Gaeta / Jones, The Rome Statute of the ICC, S. 1091 ff.; Bickley, U. S. Resistance to the ICC, S. 265 ff.; Orentlicher, Politics by Other Means, S. 491; Schmidt, Externe Strafpflichten, S. 42; zu dieser Differenzierung auch Oellers-Frahm, Die Einsetzung des „Internationalen Tribunals für Kriegsverbrechen im ehemaligen Jugoslawien“ durch den Sicherheitsrat, S. 739 – 740, 743; Triffterer, Prosecution of States for Crimes of State, S. 341 ff. 203 Triffterer, Prosecution of States for Crimes of State, S. 349 – 354; Sadat, The ICC and the Transformation of International Law, S. 105; Dupuy, International Criminal Responsibility of the Individual and the International Responsibility of the State, in: Cassese / Gaeta / Jones, The Rome Statute of the ICC, S. 1085 ff.

II. Legitimation bei Verfahrenseinleitung durch die Vertragsstaaten

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Es ist mittlerweile unbestritten, dass nicht nur dem Staat, sondern auch dem Einzelnen in gewissem Umfang Völkerrechtssubjektivität zukommt. Es handelt sich bei Staat und Individuum also um zwei unterschiedliche Rechtssubjekte.204 In ähnlicher Weise wird etwa im nationalen Recht zwischen der Kapitalgesellschaft als juristischer Person einerseits und den Aktionären als natürlichen Personen andererseits unterschieden.205 Die Strafgerichtsbarkeit des IStGH über Einzelpersonen kann daher keinesfalls gleichgesetzt werden mit Gerichtsbarkeit über den jeweiligen Personalstaat, auch wenn es sich bei dem betroffenen Individuum um einen Amtsträger handeln sollte, der sich für dienstliches Tätigwerden verantworten muss. Da es sich bei Staat und Individuum um zwei unterschiedliche Völkerrechtssubjekte handelt, kann dasselbe Völkerrechtsverbrechen unter Umständen sowohl eine staatliche als auch eine individuelle strafrechtliche Haftung begründen. Der IStGH ist in keiner Weise dazu ermächtigt, die Völkerrechtmäßigkeit beziehungsweise Legalität staatlicher Aktionen zu untersuchen.206 Dies gilt für die staatliche Politik von Vertragsstaaten wie Nichtvertragsstaaten gleichermaßen. Die Rechtmäßigkeit eines militärischen Einsatzes könnte der IStGH also gar nicht überprüfen. Der Gerichtshof kann vielmehr lediglich untersuchen, ob es im Rahmen der Durchführung des jeweiligen staatlich autorisierten Einsatzes zur Begehung von Verbrechen im Sinne des Artikels 5 Rom-Statut durch Einzelpersonen gekommen ist. Zwar ist den Kritikern zweifellos zuzugestehen, dass die Verurteilung eines Individuums unter Umständen auch die von ihm ausgeführte staatliche Politik in schlechtem Licht erscheinen lässt. Insbesondere Verbrechen wie Völkermord oder Aggression begründen in der Regel sowohl eine staatliche als auch eine individuelle Verantwortlichkeit und werden daher auch als „double crimes“ bezeichnet. 207 Sie werden einerseits von Einzelnen begangen, erfordern andererseits aber tatbestandsmäßig eine systematische und massive Begehungsweise und damit grundsätzlich irgendeine Form von staatlicher Organisation. Der IStGH ist jedoch ausschließlich dazu ermächtigt, die strafrechtliche Verantwortlichkeit Einzelner zu prüfen. 204 Scharf, The ICC’s Jurisdiction Over the Nationals of Non-Party States: A Critique of the U.S. Position, S. 75; Dupuy, International Criminal Responsibility of the Individual and the International Responsibility of the State, in: Cassese / Gaeta / Jones, The Rome Statute of the ICC, S. 1098; Akande, The Jurisdiction of the ICC over Nationals of Non-Parties, S. 620. 205 Schmidt, Externe Strafpflichten, S. 37 ff.; Scharf, Application of Treaty-Based Universal Jurisdiction to Nationals of Non-Party States, S. 377; Dupuy, International Criminal Responsibility of the Individual and the International Responsibility of the State, in: Cassese / Gaeta / Jones, The Rome Statute of the ICC, S. 1091 ff. 206 Kaul / Kreß, Jurisdiction and Cooperation in the Statute of the ICC, S. 173; Triffterer, Prosecution of States for Crimes of State, S. 353. 207 Dupuy, International Criminal Responsibility of the Individual and the International Responsibility of the State, in: Cassese / Gaeta / Jones, The Rome Statute of the ICC, S. 1089.

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E. Völkerrechtliche Legitimation der Strafgerichtsbarkeit des IStGH

Eine parallele Verantwortlichkeit von Individuum und Staat ist weiterhin keineswegs zwingend. Gerade Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit begründen oftmals ausschließlich eine individuelle Verantwortlichkeit.208 Sie werden häufig von Einzelnen bei der konkreten Durchführung eines an sich völkerrechtmäßigen staatlichen Einsatzes begangen. So schließt selbst eine nach ihrem Sinn und Zweck noch so legitime und im Einklang mit geltendem Völkerrecht stehende militärische oder humanitäre Intervention nicht die Begehung von Kriegsverbrechen durch einzelne Teilnehmer aus. Zu denken ist hier etwa an die 1997 von der UNO autorisierte militärische Intervention Westafrikanischer Staaten im Zusammenhang mit dem Bürgerkrieg in Sierra Leone ECOMOG (Economic Community of Western African States Military Observer Group) und die 1999 hieran anschließende Friedensmission der UNO in Sierra Leone UNAMSIL (United Nations Peace Keeping Mission to Sierra Leone), bei der einzelne Mitglieder der ECOMOG- sowie der UNAMSIL-Streitkräfte wegen der Begehung internationaler Verbrechen in die Schlagzeilen gerieten.209 So soll es insbesondere zu standrechtlichen Erschießungen von Rebellen, unter ihnen Kinder, zu willkürlichen Luftbombardements sowie zu Misshandlungen, Vergewaltigungen und anderweitigen sexuellen Übergriffen gekommen sein.210 In diesem Fall stellt die Verfolgung von Einzelverbrechen keineswegs die Rechtmäßigkeit der Mission an sich in Frage. Eine staatliche Haftung für Völkerrechtsverbrechen kommt zwar unabhängig von der individuellen Verurteilung der Einzeltäter in Betracht, ist aber nicht Verfahrensgegenstand vor dem IStGH. Die Verurteilung von Einzelpersonen durch den IStGH wird zwar in vielen Fällen auch die Legalität der hinter ihrem Tun stehenden staatlichen Politik in Frage stellen. Dennoch bleibt festzuhalten, dass hierdurch für den betroffenen Staat keine rechtlichen Verpflichtungen begründet werden. Die indirekte Feststellung der Fragwürdigkeit eines bestimmten staatlichen Handelns aus völkerrechtlicher Sicht begründet keine unzulässige Rechtspflicht des betroffenen (Dritt-)Staates. Auch die Tatsache, dass die Verurteilung eines bestimmten staatlichen Verhaltens gleichsam als Vorfrage für den jeweiligen Staat, egal ob Vertragsstaat oder Nichtvertragsstaat, politisch äußerst nachteilig wäre und ihn wohl erheblichem internationalem Druck aussetzen würde, ändert hieran nichts.211 Eine Verurteilung des Staates selbst erfolgt durch den IStGH nämlich 208 Dupuy, International Criminal Responsibility of the Individual and the International Responsibility of the State, in: Cassese / Gaeta / Jones, The Rome Statute of the ICC, S. 1090. 209 Knoops, The Prosecution and Defense of Peacekeepers Under International Criminal Law, S. 11 ff. 210 Knoops, The Prosecution and Defense of Peacekeepers Under International Criminal Law, S. 13 ff. 211 So auch Washburn, The International Criminal Court Arrives, S. 876; Scharf, Application of Treaty-Based Universal Jurisdiction to Nationals of Non-Party States, S. 378; Triffterer, Prosecution of States for Crimes of State, S. 346; A.A.: Wedgwood, The Irresolution of Rome,

II. Legitimation bei Verfahrenseinleitung durch die Vertragsstaaten

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gerade nicht. Dieser befasst sich ausschließlich mit der Strafbarkeit individuellen Handelns nach Völkerrecht. Für die Beurteilung der Völkerrechtmäßigkeit staatlichen Handelns ist demgegenüber bisher allein der IGH zuständig. Insofern handelt es sich vorliegend letztlich um eine Frage des zuständigen Forums.212 Die vorgebrachte Kritik vermischt daher zwei völlig unterschiedliche Fragen. Die Beurteilung der Rechtmäßigkeit staatlicher Politik ist von ihrer Umsetzung durch Einzelne zu trennen.213 Nur letztere beurteilt der IStGH, sein Statut wirkt damit nur zu Lasten von Individuen, nicht zu Lasten von Staaten. Die Gerichtsbarkeit des IStGH über Einzelpersonen hat für den betroffenen Heimatstaat allenfalls praktische Auswirkungen, rechtliche Verpflichtungen für ihn werden hierdurch nicht begründet.214 Ein unzulässiger Vertrag zu Lasten Dritter im Sinne von Artikel 34 WVK liegt aber gerade nicht vor, wenn dieser den Drittstaat nur faktisch belastet oder seine Rechtsposition lediglich im Wege des Reflexes berührt.215 (c) Autorität internationaler Strafverfahren Daneben wird auch die von Entscheidungen eines internationalen Gerichts ausgehende Autorität als rechtliche Schlechterstellung dritter Staaten gewertet. So betonen amerikanische Kritiker, dass ein nationales Strafurteil gegen einen fremden Staatsangehörigen international als bloße Meinungsverschiedenheit zwischen gleichberechtigten Staaten anzusehen sei („disagreement among equals“), während der Verurteilung durch ein internationales Gericht ein ungleich größeres Gewicht zukomme. Diese sei mit erheblichen politischen Auswirkungen für den Heimatstaat des Verurteilten verbunden.216 Bereits diese Argumentation zeigt, welche Bedeutung und Autorität einem internationalen Strafgerichtshof letztlich auch seitens seiner Gegner beigemessen wird. Fraglich ist allerdings, ob das größere internationale Gewicht einer Entscheidung des IStGH tatsächlich eine unzulässige rechtliche Belastung von Nichtvertragsstaaten darstellt. Auch dies ist zu verneinen. Der Heimatstaat des Verurteilten hat keinerlei rechtlichen Anspruch auf die Durchführung eines nationalen anstelle eines internatioS. 201, 214; Morris, High Crimes and Misconceptions, S. 25, die sich gegen eine Unterscheidung zwischen Staat und Staatsangehörigen wenden, soweit Amtsträger betroffen sind. 212 Oellers-Frahm, Die Einsetzung des „Internationalen Tribunals für Jugoslawien“ durch den Sicherheitsrat, S. 739; Scharf, Application of Treaty-Based Universal Jurisdiction to Nationals of Non-Party States, S. 378; Dupuy, International Criminal Responsibility of the Individual and the International Responsibility of the State, in: Cassese / Gaeta / Jones, The Rome Statute of the ICC, S. 1095. 213 Kaul / Kreß, Jurisdiction and Cooperation in the Statute of the ICC, S. 173. 214 Zimmermann / Scheel, Zwischen Konfrontation und Kooperation, S. 137; Orentlicher, Politics by Other Means, S. 490 – 491; Hafner et al., A Response to the American View, S. 118. 215 Geiger, in: LdR / VR (3. Aufl.), S. 477. 216 Morris, High Crimes and Misconceptions, S. 30.

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E. Völkerrechtliche Legitimation der Strafgerichtsbarkeit des IStGH

nalen Strafverfahrens im Hinblick auf seine Staatsangehörigen. Er kann vom Territorialstaat nicht verlangen, dass dieser die Abtretung seiner territorialen Strafgerichtsbarkeit auf ein internationales Gericht unterlässt. Dies mag aus Sicht des betroffenen Heimatstaates zwar politisch wünschenswert sein, rechtlich durchsetzbar wäre eine entsprechende Forderung indes nicht. Insoweit stellt eine internationale Entscheidung allenfalls einen politischen, nicht aber einen rechtlichen Nachteil dar. (d) Völkerrechtsfortbildung durch den IStGH Eine rechtliche Benachteiligung kann dementsprechend auch nicht darin gesehen werden, dass die Entscheidungen des IStGH möglicherweise in erheblichem Umfang zur Fortentwicklung des Völkerrechts beitragen werden. Es ist durchaus nahe liegend, dass auch dem IStGH als internationalem Gericht eines Tages ähnlich wie dem Nürnberger Militärgerichtshof oder den UN-Tribunalen erhebliche Autorität und Bedeutung bei der Rechtsfortbildung zukommen könnte. Insbesondere in den USA wird der künftige Einfluss des IStGH auf das Völkerrecht gefürchtet. Insoweit wird vorgetragen, dass auch in einer Rechtsfortbildung durch den Strafgerichtshof ohne Zustimmung dritter Staaten letztlich eine rechtliche Benachteiligung im Sinne von Artikel 34 WVK zu sehen sei.217 Diese Argumentation ist indessen gleichfalls verfehlt. Die Entscheidungen des IStGH binden unmittelbar nur Individuen. Soweit bestimmten, vom IStGH aufgestellten Grundsätzen eines Tages allgemeingültige Wirkung zukommen sollte, liegt dies an der Akzeptanz der Staatengemeinschaft und an der Entstehung entsprechenden Völkergewohnheitsrechts, nicht aber unmittelbar am Rom-Statut als völkerrechtlichem Vertrag, der Drittstaaten nicht binden kann. Auch in der internationalen Entscheidungen zukommenden Autorität kann daher kein vertraglich begründeter Nachteil für dritte Staaten gesehen werden. Soweit solchen gerichtlichen Entscheidungen beziehungsweise den in ihnen postulierten Grundsätzen irgendwann Allgemeingültigkeit zukommen sollte, stellt dies eine rein tatsächliche Entwicklung dar. (e) Das Komplementaritätsprinzip Von den Gegnern des Gerichtshofs wird ein Verstoß gegen Artikel 34 WVK schließlich damit begründet, dass die Nichtvertragsstaaten aufgrund des in Artikel 17 IStGH-Statut niedergelegten Komplementaritätsprinzips praktisch gezwungen würden, ein Ermittlungsverfahren gegen eigene Staatsangehörige einzuleiten, um diese der Gerichtsbarkeit des IStGH zu entziehen, selbst wenn sie der Auffassung sind, dass das Verhalten ihrer Staatsangehörigen nicht zu beanstanden ist. Dieser auf Drittstaaten ausgeübte Zwang sei völkerrechtswidrig.218 217 Morris, High Crimes and Misconceptions, S. 30; Lietzau, International Criminal Law After Rome, S. 123.

II. Legitimation bei Verfahrenseinleitung durch die Vertragsstaaten

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Gemäß Artikel 17 ist ein Verfahren vor dem IStGH grundsätzlich unzulässig, soweit ein Staat, dessen Gerichtsbarkeit gegeben ist, selbst Ermittlungen oder eine Strafverfolgung in derselben Sache durchführt. Aber auch diese Vorschrift begründet insoweit keine unzulässige rechtliche Verpflichtung dritter Staaten zur Durchführung eines nationalen Ermittlungsverfahrens. Der jeweilige Heimatstaat kann hierdurch zwar ein Tätigwerden des IStGH verhindern, muss dies aber selbstverständlich nicht. Auch insoweit handelt es sich allenfalls um faktische Zwänge zur Verhinderung eines politisch unerwünschten internationalen Strafverfahrens gegen eigene Staatsbürger. Eine unzulässige rechtliche Belastung des Nichtvertragsstaates wird durch das Komplementaritätsprinzip nicht geschaffen. Im Gegenteil räumt dieses den Nichtvertragsstaaten lediglich das Recht beziehungsweise die Möglichkeit ein, ein internationales Verfahren zu umgehen. (f) Stellungnahme Das Jurisdiktionsregime des Rom-Statuts ist daher nach allem nicht als unzulässiger Vertrag zu Lasten dritter Staaten anzusehen, da es keine rechtlichen Verpflichtungen für Nichtvertragsstaaten begründet. Diese werden allenfalls rein tatsächlich von der Gerichtsbarkeit des IStGH berührt. Der Wegfall bilateraler Verhandlungen, die größere politische Bedeutung einer internationalen Gerichtsentscheidung oder die Tatsache, dass eine staatliche Politik durch die Verurteilung eigener Staatsangehöriger in schlechtem Licht erscheint, berühren zwar zweifellos die Interessen des Heimatstaates, stellen aber keine rechtliche Belastung dar. Für die vertragliche Delegierung von territorialer Strafgerichtsbarkeit über fremde Staatsangehörige auf ein internationales Gericht nach dem angesprochenen Konzept der „ceded jurisdiction“ ist daher eine Zustimmung des Heimatstaates des Täters nicht erforderlich. Ein Verstoß gegen Artikel 34 WVK kommt insoweit nicht in Betracht, da die Übertragung der ohnehin kraft des Territorialitätsprinzips bestehenden Strafgerichtsbarkeit der einzelnen Mitgliedstaaten über fremde Staatsangehörige auf den IStGH keinen weitergehenden, gesonderten Eingriff in die Rechte dritter Staaten darstellt. Für die Übertragung eines ohnehin vom Völkerrecht eingeräumten Rechts auf eine internationale Organisation wie den IStGH bedarf es keiner gesonderten Rechtsgrundlage. Eine unzulässige Schlechterstellung des Täterstaates oder ein Eingriff in dessen souveräne Rechte ist hiermit nicht verbunden.

218 Wedgwood, The Irresolution of Rome, S. 199; Lietzau, International Criminal Law After Rome, S. 136.

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E. Völkerrechtliche Legitimation der Strafgerichtsbarkeit des IStGH

(2) Unübertragbarkeit territorialer Jurisdiktionsgewalt Vereinzelt wird jedoch geltend gemacht, dass die einem souveränen Staat aufgrund des Territorialitätsprinzips zustehende Strafgerichtsbarkeit nicht auf ein internationales Gericht übertragen werden könne.219 So ergebe es sich schon aus der Natur des Territorialitätsprinzips, dass die durch den Tatort im Inland begründete Gerichtsbarkeit eines Staates unübertragbar sei. Zum einen existiere keine entsprechende Erlaubnisnorm zur Übertragung territorialer Gerichtsbarkeit. Entsprechendes Völkergewohnheitsrecht, insbesondere Präzedenzfälle für die Übertragung einzelstaatlicher territorialer Jurisdiktionsgewalt auf ein internationales Gericht, seien nicht nachweisbar.220 Weiterhin würden Sinn und Zeck des Territorialitätsprinzips verloren gehen, soweit die territoriale Gerichtsbarkeit trotz ihres speziellen örtlichen Bezugs, durch den sie erst gerechtfertigt sei, auf einen Dritten übertragen werden könnte: „First there is no precedent for the exercise of this type of jurisdiction; and second, the rationale for territorial jurisdiction would be lost if territorial jurisdiction could be transferred to a third party. “221

Als Argumente für die Unübertragbarkeit von Gerichtsbarkeit aufgrund des Territorialitätsprinzips werden einerseits also die Interessen des Territorialstaates genannt. Eine Verletzung seiner Belange ist aber gerade nicht ersichtlich, soweit er seine territoriale Gerichtsbarkeit freiwillig auf den IStGH übertragen hat. Weiterhin ist nach dem Komplementaritätsprinzip jeder Territorialstaat nach wie vor befugt, trotz des Vertragsbeitritts selbst vorrangig Gerichtsbarkeit auszuüben, wenn er dies als vorzugswürdig erachtet. Daneben werden mit dem „convenience of forum“-Argument vor allem praktische Überlegungen geltend gemacht. So sei die Ausübung von Gerichtsbarkeit im Territorialstaat aufgrund der in der Regel besseren Erreichbarkeit von Zeugen und Beweismitteln am Ort des Geschehens besonders nahe liegend und praktikabel.222 219 Seguin, Denouncing the International Criminal Court, S. 98; hierzu auch Scharf, The ICC’s Jurisdiction over Nationals of Non-Party States, S. 110, beide unter Verweis auf ein nicht veröffentlichtes Manuskript von Madeline Morris, Exercise of ICC Jurisdiction over Nationals of Non-Party States (1999), S. 11. Die veröffentlichte Endfassung dieses Aufsatzes enthält eine entsprechende Argumentation jedoch nicht mehr. 220 Morris, High Crimes and Misconceptions, S. 45; so auch Seguin, Denouncing the International Criminal Court, S. 98. 221 Seguin, Denouncing the International Criminal Court, S. 98; Scharf, The ICC’s Jurisdiction over Nationals of Non-Party States, S. 110. 222 Seguin, Denouncing the International Criminal Court, S. 98; Scharf, The ICC’s Jurisdiction over Nationals of Non-Party States, S. 110.

II. Legitimation bei Verfahrenseinleitung durch die Vertragsstaaten

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Hiergegen lässt sich jedoch zu Recht anführen, dass gerade die USA regelmäßig territoriale Gerichtsbarkeit unter Verweis auf die so genannte „effects doctrine“ ausüben. So wurde von amerikanischen Gerichten insbesondere im Bereich der internationalen Drogenkriminalität unter Verweis auf die erheblichen Auswirkungen solcher Taten im Inland Strafgerichtsbarkeit aufgrund des Territorialitätsprinzips ausgeübt, obwohl die Tathandlungen selbst im Ausland stattgefunden hatten.223 Ähnliches gilt für das Wettbewerbs- und Kartellrecht. Auch hier berufen sich amerikanische Gerichte regelmäßig auf das Territorialitätsprinzip, obwohl die fraglichen Handlungen außerhalb des amerikanischen Territoriums begangen wurden.224 Für die Ausübung von Gerichtsbarkeit soll auch hier der im Inland erzielte Effekt wettbewerbsbeschränkender Handlungen ausreichend sein.225 Gerade bei Anwendung der in den USA so beliebten „effects doctrine“ werden die nunmehr von amerikanischen Gerichtshofgegnern geltend gemachten Vorteile des Territorialitätsprinzips zumeist gänzlich außer Acht gelassen. Zeugen und Beweismaterial befinden sich hier in der Regel gerade nicht in den Vereinigten Staaten, auf das „convenience of forum“-Argument kann sich die amerikanische Justiz in diesen Fällen daher in aller Regel nicht berufen. Auch können die mit der Übertragung territorialer Jurisdiktionsgewalt auf einen Dritten möglicherweise entstehenden Nachteile gerade im Zeitalter moderner Kommunikationsmittel durch entsprechende Rechtshilfeersuchen und eine effektive internationale Kooperation ausgeglichen werden. Demgemäß enthält das IStGH-Statut in seinem Teil 9 ausführliche Regelungen zur internationalen Zusammenarbeit und Rechtshilfe. Eine amerikanische Kritikerin behauptet: „. . . the consequences of delegated territorial jurisdiction are quite different from those of territorial jurisdiction exercised by the territorial state . . . consent to one is not equivalent to states’ consent to the other.“226

Nach allem ist jedoch festzuhalten, dass es für die Rechtsposition dritter Staaten keinen Unterschied macht, ob der Territorialstaat selbst Gerichtsbarkeit über ihre 223 Scharf, The ICC’s Jurisdiction over Nationals of Non-Party States, S. 110; Paust et al., International Criminal Law, S. 1270 mit Verweis auf umfangreiche Rechtsprechung; Meng, Extraterritoriale Jurisdiktion in der US-amerikanischen Sanktionsgesetzgebung, S. 427. 224 So wurde etwa der deutsche BASF-Konzern im Januar 2003 von einem US-Gericht zu einer Millionenstrafe verurteilt, weil er mit dem Schweizer Hersteller Hoffmann-LaRoche ein internationales Vitaminkartell mit Auswirkungen in den USA betrieben hatte, vgl. hierzu Angst vor dem Weltgericht, SZ vom 27. 2. 2004, S. 21. 225 Schröter, in: von der Groeben (Hrsg.), Kommentar zum Vertrag über die EU und zur Gründung der EG, Band 2, Vorbem. zu den Artikeln 81 bis 85 EGV, Rn. 58; von Stoephasius, Anwendung des europäischen Kartellrechts auf Unternehmen mit Sitz in Drittstaaten, S. 92. 226 Morris, High Crimes and Misconceptions, S. 43 – 44.

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E. Völkerrechtliche Legitimation der Strafgerichtsbarkeit des IStGH

Staatsangehörigen ausübt oder ein internationales Gericht. Es ist das ureigenste Recht jedes Einzelstaates, über die von Individuen in seinem Territorium begangenen Handlungen Strafgerichtsbarkeit auszuüben. Es wurde bereits ausgeführt, dass die Delegierung souveräner Hoheitsrechte auf andere Staaten oder internationale Organisationen gewohnheitsrechtlich anerkannt ist. Auch die Übertragung territorialer Gerichtsbarkeit über Individuen bedarf keines gesonderten Zustimmungserfordernisses, da hiermit gerade keine rechtliche Schlechterstellung des Heimatstaates des Betroffenen und somit kein Eingriff in dessen Rechtsstellung verbunden ist. Die Rechtsposition dritter Staaten wird durch nationale Gerichtsverfahren gegen Einzelne grundsätzlich nicht berührt, sie nehmen am Prozess gegen Individuen nicht teil. Betroffen sind hier zunächst ausschließlich individuelle, nicht aber staatliche Rechte. Dies gilt unabhängig davon, ob das jeweilige Verfahren vor einem nationalen oder einem internationalen Gericht stattfindet.227 Die Übertragung von (Straf-)Gerichtsbarkeit stellt daher an sich noch keine Rechtsverletzung dritter Staaten dar. Eine Übertragung staatlicher Gerichtsbarkeit aufgrund des Territorialitätsprinzips an eine internationale Einrichtung ist schließlich auch keineswegs so unerhört und neuartig, wie Kritiker des Gerichtshofs dies gerne darstellen.228 In diesem Zusammenhang ist beispielsweise an die Europäische Gemeinschaft (EG) zu denken. Auch hier wurde von den Mitgliedstaaten Gerichtsbarkeit im Sinne von hoheitlicher Entscheidungsgewalt übertragen. Das Gemeinschaftsrecht bindet seinem Inhalt nach nicht nur die Mitgliedstaaten, die die Verträge zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft beziehungswiese zur Gründung der Europäischen Union abgeschlossen haben oder ihnen beigetreten sind. Soweit die Bestimmungen des Gemeinschaftsrechts hinreichend bestimmt und unbedingt sind, begründen sie vielmehr auch für den Einzelnen unmittelbar Rechte und Pflichten.229 Dies gilt für die Staatsangehörigen aus EU-Mitgliedstaaten ebenso wie für Staatsangehörige aus Drittstaaten. Besondere Erwähnung verdient in diesem Zusammenhang das Wettbewerbs- und Kartellrecht der Europäischen Gemeinschaft, das gerade auch natürliche und juristische Personen aus Nichtvertragsstaaten betrifft. So gelten die Wettbewerbsregeln der Artikel 81, 82 des Vertrags zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft (EGV)230 nicht nur für Wettbewerbsteilnehmer aus den Mitgliedstaaten der EG, sondern für alle Unternehmen. 227 Bruer-Schäfer, Der IStGH, S. 341; Cassese, The Statute of the ICC: Some Preliminary Reflections, S. 160. Zu einer möglichen Rechtsverletzung dritter Staaten bei Verletzung völkerrechtlicher Grundsätze des diplomatischen oder konsularischen Schutzes vgl. S. 200 ff., 232 ff. 228 Morris, High Crimes and Misconceptions, S. 47 ff.; Scheffer, The ICC: The Challenge of Jurisdiction, S. 71; Wedgwood, The Irresolution of Rome, S. 199 – 200. 229 EuGH Rs. 26 / 62, van Gend & Loos, Slg. 1963, 1 / 24 ff.; Streinz, Europarecht, Rn. 349. 230 Der EGV ist abgedruckt in Sartorius II, Nr. 150.

II. Legitimation bei Verfahrenseinleitung durch die Vertragsstaaten

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Artikel 83 Abs. 1, 2 lit. a EGV ermächtigt die Gemeinschaft ausdrücklich, wettbewerbsrechtliche Verstöße durch Verordnung mit Geldbußen oder Zwangsgeldern zu ahnden, die EG ist insoweit Träger der ihr von den Mitgliedsaaten übertragenen Entscheidungsgewalt und hat die entsprechende Gerichtsbarkeit, das heißt die gerichtliche und behördliche Jurisdiktion.231 Die Wettbewerbssicherung unterliegt der Europäischen Kommission. Sie übt als Exekutivorgan innerhalb der Gemeinschaft die behördliche Jurisdiktion aus und ist international zuständig für die Einhaltung des EG-Wettbewerbsrechts.232 Die Kommission kann jeden Fall an sich ziehen, insbesondere beendet die Einleitung eines förmlichen Verfahrens durch die Kommission die Zuständigkeit der nationalen Behörden.233 Die Kommission kann die Rechtmäßigkeit unternehmerischen Verhaltens überprüfen und bei Verstößen gegen das gemeinschaftliche Wettbewerbsrecht insbesondere nach der gemäß Artikel 83 EGV vom Rat erlassenen Kartellverordnung (KartellVO)234 Geldbußen und Zwangsgelder gegen Unternehmen und Unternehmensvereinigungen verhängen, Artikel 15, 16 KartellVO. Unter den Begriff des Unternehmens fällt nach ständiger Rechtsprechung des EuGH jede eine wirtschaftliche Tätigkeit ausübende Einheit, unabhängig von Rechtsform oder Finanzierung.235 Damit sind auch natürliche Personen als Unternehmen einzustufen, soweit sie kommerziell oder wirtschaftlich tätig werden. Zu nennen sind hier etwa Einzelhandelskaufleute, Handelsvertreter, Landwirte, Apotheker, Ärzte, Spediteure oder auch Berufssportler.236 Die von den Mitgliedstaaten auf die Europäische Gemeinschaft übertragene Gerichtsbarkeit erfasst damit insbesondere auch den behördlichen Erlass von Hoheitsakten gegenüber natürlichen wie juristischen Personen aus Drittstaaten. Die Europäische Kommission kann Geldbußen und Zwangsgelder auch gegenüber Staatsangehörigen aus Nichtvertragsstaaten verhängen, wenn diese innerhalb des Territoriums der EG unternehmerisch tätig sind und gegen die gemeinschaftlichen Wettbewerbsregeln verstoßen. Die entsprechende Jurisdiktion beruht auf dem Territorialitätsprinzip. 237 231 von Stoephasius, Anwendung des europäischen Kartellrechts auf Unternehmen mit Sitz in Drittstaaten, S. 67 ff. 232 von Stoephasius, Anwendung des europäischen Kartellrechts auf Unternehmen mit Sitz in Drittstaaten, S. 68 – 69. 233 Jakob, in: von der Groeben (Hrsg.), Kommentar zum Vertrag über die EU und zur Gründung der EG, Band 2, Vorbem. zu den Artikeln 81 bis 89 EG, Rn. 67. 234 Verordnung Nr. 17 des Rates: Erste Durchführungsverordnung zu den Artikeln 81, 82 des Vertrages, Sartorius II, Nr. 165. 235 EuGH Höfner und Elsner / Macroton, C-41 / 90, Slg. 1991, I-1979, S. 2016; vgl. auch Artikel 1 des Protokolls Nr. 22 zum EWR-Abkommen, ABl. 1994 Nr. L1, S. 185. 236 Schröter, in: von der Groeben (Hrsg.), Kommentar zum Vertrag über die EU und zur Gründung der EG, Band 2, Vorbem. zu den Artikeln 81 bis 85 EG, Rn. 21, 26. 237 Schröter, in: von der Groeben (Hrsg.), Kommentar zum Vertrag über die EU und zur Gründung der EG, Band 2, Vorbem. zu den Artikeln 81 bis 85 EG, Rn. 59; Meng, in: von der

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E. Völkerrechtliche Legitimation der Strafgerichtsbarkeit des IStGH

Daneben kann das Gemeinschaftsrecht weiterhin extraterritoriale Wirkung entfalten, das heißt seinen Geltungsanspruch auch auf außerhalb des Gemeinschaftsgebietes ansässige natürliche und juristische Personen erheben. Denn auch Unternehmen, die ihren Sitz außerhalb der EG haben und außerhalb der EG tätig werden, können von der Kommission sanktioniert werden, soweit ihre Verhaltensweisen wettbewerbsverzerrende Wirkungen auf den Gemeinschaftsmarkt haben. Dieser Anknüpfungspunkt für eine Gerichtsbarkeit der Gemeinschaft wird allgemein als Auswirkungsprinzip bezeichnet und entspricht letztlich der amerikanischen „effects doctrine“.238 Auch hierbei handelt es sich um eine besondere Ausprägung des Territorialitätsprinzips, weil insoweit auf den Erfolg der Handlung im jeweiligen Hoheitsgebiet abgestellt wird. Man spricht daher auch vom objektiven Territorialitätsprinzip. 239 Im Bereich des EG-Wettbewerbsrechts erfolgt gerade keine Verweisung auf das nationale Recht, sondern die Kommission wird selbst unmittelbar aufgrund von Gemeinschaftsrecht tätig. Damit ist die Kommission aufgrund des EGV verfahrensrechtlich dafür zuständig, zu beurteilen, ob das Verhalten von Unternehmen gegen Gemeinschaftsrecht verstößt und kann anstelle der Mitgliedstaaten Sanktionen gegen Staatsangehörige aus Nichtvertragsstaaten erlassen. Sie übt als innerhalb der Gemeinschaft zuständiges Exekutivorgan insoweit Gerichtsbarkeit im Sinne behördlicher Jurisdiktion für die Mitgliedstaaten aus.240 Umstritten ist der Charakter der von der Kommission zu verhängenden Geldbußen und Zwangsgelder. Teilweise werden die entsprechenden Maßnahmen dem Kriminalstrafrecht zugeordnet.241 Nach anderer Ansicht handelt es sich hierbei lediglich um Verwaltungssanktionen und damit nur um strafrechtsähnliche Maßnahmen beziehungsweise Strafrecht im weiteren Sinne.242 Ein weiterer Ansatz weist darauf hin, dass eine entsprechende Einteilung in Kriminalstrafrecht und Verwaltungsunrecht zwar der aus dem nationalen Recht bekannten Kategorien entspreche, diese Terminologie und Struktur jedoch nicht ohne weiteres auf das europarechtliche System punitiver Sanktionen übertragen werden könne.243 Groeben (Hrsg.), Kommentar zum EU- / EG-Vertrag, Band 5, Extraterritoriale Anwendung des EU-Rechts, Rn. 75. 238 Streinz, Europarecht, Rn. 101; Schröter, in: von der Groeben (Hrsg.), Kommentar zum Vertrag über die EU und zur Gründung der EG, Band 2, Vorbem. zu den Artikeln 81 bis 85 EG, Rn. 59; Meng, in: von der Groeben (Hrsg.), Kommentar zum EU- / EG-Vertrag, Band 5, Extraterritoriale Anwendung des EU-Rechts, Rn. 67. 239 von Stoephasius, Anwendung des europäischen Kartellrechts auf Unternehmen mit Sitz in Drittstaaten, S. 97. 240 von Stoephasius, Anwendung des europäischen Kartellrechts auf Unternehmen mit Sitz in Drittstaaten, S. 68 – 69. 241 Böse, Strafen und Sanktionen im Europäischen Gemeinschaftsrecht, Teil E, S. 140 ff. 242 Dannecker, Strafrecht der Europäischen Gemeinschaft, S. 2005; Böse, Strafen und Sanktionen im Europäischen Gemeinschaftsrecht, S. 149. 243 Heitzer, Punitive Sanktionen im Europäischen Gemeinschaftsrecht, S. 135, 164.

III. Legitimation bei Verfahrenseinleitung durch den Sicherheitsrat

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Unabhängig von der Frage, ob man die von der Kommission im Bereich des Wettbewerbsrechts zu verhängenden Geldbußen oder Zwangsgelder als Strafgewalt im engeren oder im weiteren Sinne bezeichnet, so ist doch festzuhalten, dass die Kommission grundsätzlich dazu befugt ist, entsprechende Maßnahmen auch gegenüber Angehörigen aus Drittstaaten zu verhängen. Die Gemeinschaft wurde von den Mitgliedstaaten durch Übertragung entsprechender einzelstaatlicher Hoheitsgewalt dazu ermächtigt, die Rechtmäßigkeit unternehmerischen und damit auch individuellen Handelns zu überprüfen, sie hat insoweit Gerichtsbarkeit. Die Kommission als innerhalb der Gemeinschaft zuständiges Organ kann demgemäß auch über das Handeln von Staatsangehörigen aus Drittstaaten urteilen und diese mit Sanktionen bestrafen. Nach allem wurde damit aber auch der EG auf dem Gebiet des Strafrechts im weiteren Sinne Jurisdiktion über Staatsangehörige aus Nichtvertragsstaaten übertragen. Eine entsprechende Delegierung von Kompetenzen ist daher keinesfalls so neu und unerhört, wie amerikanische Kritiker im Hinblick auf den IStGH geltend machen. Adressaten der EG-rechtlichen Sanktionen sind die betroffenen Unternehmen beziehungsweise Unternehmensvereinigungen und damit natürliche oder juristische Personen, nicht etwa deren Heimatstaaten.244 Demgemäß stellt auch die Verhängung von gemeinschaftsrechtlichen Geldbußen oder Zwangsgeldern gegenüber Staatsangehörigen aus Drittstaaten keine unzulässige Belastung des jeweiligen Heimatstaates dar. Die Befugnis der Mitgliedstaaten zur Übertragung von entsprechender Gerichtsbarkeit über Staatsangehörige aus Drittstaaten aufgrund des Territorialitätsprinzips auf eine supranationale Organisaton wie die EG wurde von den Nichtmitgliedstaaten bisher nicht bestritten. Insbesondere die USA haben eine entsprechende Kompetenzübertragung bisher nicht in Frage gestellt.245 Ein Vergleich mit europarechtlichen Bestimmungen zeigt also, dass die Delegation territorialer Gerichtsbarkeit auf eine internationale Organisation keineswegs völlig unerhört und einzigartig ist. Das in Artikel 13 lit. a, c zugrunde gelegte Konzept einer von den Mitgliedstaaten abgeleiteten Strafgerichtsbarkeit des IStGH („transferred“ oder „ceded jurisdiction“) entspricht daher geltendem Völkerrecht.

III. Die Legitimation der Strafgewalt des IStGH bei Verfahrenseinleitung durch den Sicherheitsrat Soweit der Sicherheitsrat aufgrund von Kapitel VII der UN-Charta tätig wird und dem Strafgerichtshof gemäß Artikel 13 lit. b des Rom-Statuts eine Situation überweist, ist die Ausübung der Gerichtsbarkeit des IStGH an keine weiteren 244 Böse, Strafen und Sanktionen im Europäischen Gemeinschaftsrecht, S. 182; Jescheck, Die Strafgewalt übernationaler Gemeinschaften, S. 506. 245 Zu aktuell von der EU-Kommission verhängten Bußgeldern gegen amerikanische Konzerne vgl. SZ vom 24. 3. 2004, S. 1, Microsoft soll 497 Millionen Euro Bußgeld zahlen.

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E. Völkerrechtliche Legitimation der Strafgerichtsbarkeit des IStGH

Voraussetzungen gebunden. In diesem Fall ist es anders als bei Verfahrenseinleitung durch einen Vertragsstaat oder den Ankläger gerade nicht erforderlich, dass der Staat, der aufgrund des Territorialitätsprinzips oder des aktiven Personalitätsprinzips Gerichtsbarkeit ausüben könnte, Vertragspartei des Statuts ist oder der Gerichtsbarkeit des IStGH im Einzelfall zugestimmt hat. Bei Überweisung einer Situation durch den Sicherheitsrat sieht das Rom-Statut vielmehr eine umfassende Gerichtsbarkeit des IStGH über Individuen vor, die nicht von weiteren Voraussetzungen abhängig ist.246 Hierdurch wird der besonderen Stellung des Sicherheitsrates für die weltweite Friedenssicherung Rechnung getragen.247 Es bleibt zu prüfen, ob auch dieser Ansatz einer universellen Strafgerichtsbarkeit gegenüber jedermann völkerrechtlich legitimiert ist.

1. Strafgerichtsbarkeit aufgrund des Universalitätsprinzips Wie schon erörtert wurde, ist die Ausübung von Gerichtsbarkeit zunächst Teil der souveränen Hoheitsgewalt der Einzelstaaten. Strafgerichtsbarkeit kann nur bei Vorliegen eines völkerrechtlichen Anknüpfungsmomentes im Sinne einer hinreichenden Verbindung zur Tat ausgeübt werden. Genannt wurden insoweit insbesondere der Tatort, die Nationalität von Täter oder Opfer sowie die Betroffenheit wichtiger staatlicher Interessen. Allein das Universalitätsprinzip erlaubt eine umfassende Strafverfolgung von Einzelpersonen auch ohne eine über die besondere Schwere der Tat hinausgehende besondere Beziehung zur Tat. Nach seinem Gründungsstatut ist der Strafgerichtshof bei Verfahrenseinleitung durch den Sicherheitsrat zur uneingeschränkten Ausübung von Strafgerichtsbarkeit ermächtigt. Die formelle Legitimation des Gerichtshofs ergibt sich auch in diesem Fall aus dem Rom-Statut als völkerrechtlichem Vertrag. Die Befugnis des IStGH zur Ausübung von umfassender Jurisdiktionsgewalt beruht hier auf einer Übertragung von Strafgerichtsbarkeit aufgrund des Universalitäts- oder Weltrechtsprinzips, da die Vertragsstaaten nur in diesem Fall auch selbst uneingeschränkt strafverfolgend tätig werden können.248

2. Materielle Kompetenzen des IStGH Etwas anderes gilt in diesem Fall jedoch für die materiellen Kompetenzen des IStGH. Dessen Befugnis zur umfassenden materiellrechtlichen Bestrafung jedes Einzelnen für die Begehung der im Statut genannten Verbrechen beruht in diesem Fall nicht auf der Übertragung materieller Kompetenzen der Einzelstaaten, sondern Sadat, The ICC and the Transformation of International Law, S. 113, 116. Bruer-Schäfer, Der IStGH, S. 353. 248 König, Die völkerrechtliche Legitimation der Strafgewalt internationaler Strafjustiz, S. 161. 246 247

III. Legitimation bei Verfahrenseinleitung durch den Sicherheitsrat

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folgt unmittelbar aus geltendem Völkerstrafrecht. Denn eine umfassende Strafverfolgungsbefugnis aufgrund des Universalitätsprinzips kommt gerade nur für solche Verbrechen in Betracht, deren materielle Strafbarkeit völkerrechtlich anerkannt ist. Im Hinblick auf das Universalitätsprinzip kommt es also zu einer gewissen Überschneidung von Strafgerichtsbarkeit im formellen Sinn und Strafbarkeit im materiellen Sinn. Nur wenn sich die Strafbarkeit einer Tat unmittelbar aus geltendem Völkerrecht ergibt und die materielle Strafgewalt des IStGH deshalb als originär und nicht nur als vom nationalen Recht abgeleitet anzusehen ist, kann sie auch universell verfolgt werden. Gerade die materielle Strafbarkeit der im Statut genannten drei Kernverbrechen Völkermord, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen folgt jedoch wie bereits erläutert unmittelbar aus geltendem Völkerstrafrecht. Sie muss daher nicht vertraglich festgelegt werden. Auf eine Zustimmung, Anerkennung oder Definition durch bestimmte Einzelstaaten kommt es deshalb auch nicht an. Die materielle Strafgewalt des Gerichtshofs ist hier nicht von den Einzelstaaten abgeleitet, sondern originär.249 Dieser Ansatz wird auch als Konzept inhärenter universeller Zuständigkeit bezeichnet.250 Bei Verfahrenseinleitung durch den Sicherheitsrat gemäß Artikel 13 lit. c ist also eine Differenzierung zwischen formeller und materieller Legitimation des Gerichtshofs festzustellen. Zur Ausübung von Jurisdiktionsgewalt wird der IStGH auch hier durch das Rom-Statut autorisiert. Die Vertragsstaaten übertragen ihm insoweit ihre nationale Strafgerichtsbarkeit aufgrund des Universalitätsprinzips. Seine materiellen Kompetenzen zur Bestrafung Einzelner für die in Artikel 5 genannten Verbrechen beruhen jedoch auf geltendem Völkergewohnheitsrecht. Damit steht auch der in Artikel 13 lit. b niedergelegte Ansatz der unbeschränkten Gerichtsbarkeit des IStGH im Fall der Verfahrenseinleitung durch den Sicherheitsrat mit geltendem Völkerrecht in Einklang. Der IStGH wurde ordnungsgemäß durch völkerrechtlichen Vertrag gegründet, ist mithin formell hinreichend legitimiert. Seine Strafgerichtsbarkeit leitet er von der Strafgerichtsbarkeit der Vertragsstaaten aufgrund des Universalitätsprinzips ab. Da die im Statut aufgezählten Straftatbestände als Völkergewohnheitsrecht weltweite Geltung beanspruchen, kann sich die Strafgewalt des IStGH bei der Einleitung eines Verfahrens durch den UN-Sicherheitsrat gemäß Artikel 13 lit. b auf universell geltendes Völkerrecht stützen.251 249 Sadat, The ICC and the Transformation of International Law, S. 116; König, Die völkerrechtliche Legitimation der Strafgewalt internationaler Strafjustiz, S. 161. 250 König, Die völkerrechtliche Legitimation der Strafgewalt internationaler Strafjustiz, S. 28 ff., 155 ff. 251 Sadat, The ICC and the Transformation of International Law, S. 116 – 117: „. . . the universality principle has been extended from a principle governing inter-State relations to one of general prescriptive international law . . .“; König, Die völkerrechtliche Legitimation der Strafgewalt internationaler Strafjustiz, S. 161 – 162.

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E. Völkerrechtliche Legitimation der Strafgerichtsbarkeit des IStGH

3. Völkerrechtmäßigkeit der universellen Gerichtsbarkeit des IStGH Die überwältigende Mehrheit der Staaten sprach sich für ein Initiativrecht des Sicherheitsrates sowie eine uneingeschränkte Gerichtsbarkeit des IStGH für diesen Fall aus.252 Von einzelnen Staaten wie Indien und Mexiko wurde die Befugnis des Sicherheitsrates zur Verfahrenseinleitung indessen abgelehnt.253

a) Verstoß gegen die Souveränität der Staaten und das Nichteinmischungsprinzip Insoweit wurde geltend gemacht, es sei eine ungerechtfertigte Privilegierung, wenn die Mitglieder des Sicherheitsrates dem IStGH Situationen überweisen und Strafverfahren gegen fremde Staatsangehörige initiieren könnten, auch wenn sie selbst keine Vertragsstaaten sind und ihre eigenen Staatsangehörigen von der Gerichtsbarkeit des IStGH auszunehmen suchen.254 Gerade ständige Sicherheitsratsmitglieder wie die USA, China oder Russland sind dem Rom-Statut bisher nicht beigetreten. Sie können durch eine Verfahrenseinleitung vor dem IStGH aber dennoch erreichen, dass Staatsangehörige aus anderen Nichtvertragsstaaten vor den IStGH gestellt werden, während sie selbst in Bezug auf eigene Staatsangehörige die Möglichkeit haben, eine Überweisung durch ihr Vetorecht zu blockieren. Die Befugnis des Sicherheitsrates, durch sein Tätigwerden eine umfassende Strafgerichtsbarkeit des IStGH auszulösen, sei deshalb völkerrechtlich fragwürdig und ungerecht. Sie fördere nur die politische Selektivität und Beliebigkeit seiner Entscheidungen.255 Es ist sicher richtig, dass das Initiativrecht des Sicherheitsrates zu der angesprochenen Ungleichbehandlung führt. Während insbesondere die ständigen Sicherheitsratsmitglieder in der Lage sind, eine Verfahrenseinleitung gegen eigene Staatsbürger zu verhindern, können sie Staatsangehörige aus Nichtvertragsstaaten durch eine Überweisung nach Artikel 13 lit. b der umfassenden Strafgerichtsbarkeit des IStGH aussetzen. Diese Tatsache mag man gutheißen oder nicht, hierin ist jedoch entgegen vereinzelt vertretener Auffassung kein Verstoß gegen geltendes Völkerrecht zu sehen. Insbesondere verletzt das im Rom-Statut vorgesehene Initiativrecht des Sicherheitsrates nicht den Nichteinmischungsgrundsatz und die Souveränität der Staaten. Denn die Sonderstellung des Sicherheitsrates wird nicht erst 252 Stahn, Zwischen Weltfrieden und materieller Gerechtigkeit, S. 588; La Haye, The Jurisdiction of the ICC, S. 11 – 12. 253 Vgl. UN Doc. A / CONF.183 / C.1 / L.72 beziehungsweise L.75 (Stellungnahme Indiens) und UN Doc. A. / Conf. 183 / C.1 / L.81 vom 15. 7. 1998 (Stellungnahme Mexikos). 254 La Haye, The Jurisdiction of the ICC, S. 11 – 12, Fn. 12 unter Verweis auf Äußerungen der indischen Verhandlungsdelegation; vgl auch die Stellungnahme Indiens, UN Doc. A / CONF.183 / C.1 / L.72. 255 Stahn, Zwischen Weltfrieden und materieller Gerechtigkeit, S. 588.

III. Legitimation bei Verfahrenseinleitung durch den Sicherheitsrat

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durch das Rom-Statut selbst vertraglich begründet. Hierdurch wird vielmehr der bereits bestehenden Sonderstellung des Sicherheitsrates innerhalb der Weltordnung Rechung getragen. Die UN-Charta räumt dem Sicherheitsrat nach ganz herrschender Auffassung ohnehin das Recht ein, ad hoc Strafgerichte als Hilfsorgane zur Wahrung oder Wiederherstellung des Weltfriedens einzusetzen.256 So wurde vom Sicherheitsrat 1993 der Internationale Strafgerichtshof für Jugoslawien257 und 1994 der Internationale Strafgerichtshof für Ruanda258 errichtet. Die Kompetenz des Sicherheitsrates zur Gründung solcher Straftribunale beruht nach allgemeiner Ansicht auf Kapitel VII der UN-Charta.259 Die Artikel 39 ff. ermächtigen den Sicherheitsrat, geeignete Maßnahmen zur Sicherung beziehungsweise Wiederherstellung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit zu ergreifen. Hat der Sicherheitsrat gemäß Artikel 39 der UN-Charta das Vorliegen einer Bedrohung oder eines Bruchs des Friedens oder einer Angriffshandlung festgestellt, so kann er die in Kapitel VII genannten Maßnahmen ergreifen. Artikel 41 der UN-Charta ermächtigt ihn insoweit zu gewaltlosen Sanktionen, das heißt zu nicht-militärischen Maßnahmen, die der Friedenssicherung dienen. Die Charta räumt dem Sicherheitsrat ein weites Ermessen im Hinblick auf die Frage ein, welche Maßnahmen insoweit geeignet sind. Nach ganz überwiegender Auffassung ermächtigt Artikel 41 den Sicherheitsrat gerade auch zur Errichtung internationaler Straftribunale zur Bestrafung von Einzelpersonen.260 Zwar räumt die UN-Charta dem Sicherheitsrat keine Legislativkompetenz ein. Er ist nach ganz herrschender Auffassung nicht befugt, als internationaler Gesetzgeber tätig zu werden, die Schaffung materiellen Völkerstrafrechts durch den Sicherheitsrat ist daher aus256 Stahn, Zwischen Weltfrieden und materieller Gerechtigkeit, S. 588; Maikowski, Staatliche Kooperationspflichten gegenüber dem IStGH, S. 165; zu den ad hoc Tribunalen für Jugoslawien und Ruanda vgl. auch S. 176 ff. 257 SR-Res. 827 vom 25. 5. 1993, UN Doc. S / Res / 827 (1993). 258 SR-Res. 955 vom 8. 11. 1994; UN Doc. S / Res / 955 (1994). 259 Tadic-Urteil des ICTY (Appeals Chamber), HRLJ 1995, 447 ff.; Kreß, Friedenssicherungs- und Konfliktvölkerrecht auf der Schwelle zur Postmoderne, S. 643; Oellers-Frahm, Die Errichtung des „Internationalen Tribunals über Kriegsverbrechen im ehemaligen Jugoslawien“ durch den Sicherheitsrat, S. 744; Partsch, Der Sicherheitsrat als Gerichtsgründer, S. 12; König, Die völkerrechtliche Legitimation der Strafgewalt internationaler Strafjustiz, S. 165. 260 Bodley, Weakening the Principle of Sovereignty in International Law, S. 434 ff.; Pascal, Der UNO-Sicherheitsrat und die strafrechtliche Verfolgung von Individuen, S. 64 ff.; OellersFrahm, Die Errichtung des „Internationalen Tribunals über Kriegsverbrechen im ehemaligen Jugoslawien“ durch den Sicherheitsrat, S. 744; Partsch, Der Sicherheitsrat als Gerichtsgründer, S. 12; König, Die völkerrechtliche Legitimation der Strafgewalt internationaler Strafjustiz, S. 165; Arnold, Der UN-Sicherheitsrat und die strafrechtliche Verfolgung von Individuen, S. 73, 77; Dugard, Obstacles in the Way of an ICC, S. 341; Morris / Scharf, An Insider’s Guide to the International Criminal Tribunal for the Former Yugoslavia, S. 42; zu diesem Ergebnis kommt insbesondere auch das Jugoslawientribunal selbst im Rahmen der Überprüfung der Rechtmäßigkeit seiner Errichtung, vgl. Dusco Tadic, Case No. IT-94-1-ART 72, 2. Oktober 1995 (Appeals Chamber), para. 27; Fox, The Objections to Transfer of Criminal Jurisdiction to the UN Tribunal, S. 434 ff.

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E. Völkerrechtliche Legitimation der Strafgerichtsbarkeit des IStGH

geschlossen.261 Der Sicherheitsrat wurde bei Errichtung der ad hoc Tribunale aber gerade nicht als materieller Gesetzgeber tätig, da die von den Strafgerichtshöfen für Jugoslawien und Ruanda anzuwendenden Straftatbestände ebenso wie die der Gerichtsbarkeit des IStGH unterfallenden Straftatbestände ohnehin bereits Bestandteil des geltenden Völkergewohnheitsrechts sind. Ihre Definition in den Statuten ist insoweit lediglich als Festlegung der gerichtlichen Zuständigkeit zu sehen.262 Die formelle Gründung entsprechender ad hoc Straftribunale gehört indessen nach fast einhelliger Auffassung zu den Kompetenzen des Sicherheitsrates. Die allermeisten Staaten gingen dementsprechend auch davon aus, dass dem Sicherheitsrat erst recht die Befugnis zustehen müsse, einen permanenten Strafgerichtshof zu nutzen und auch vor diesem ein Strafverfahren einzuleiten, argumentum a maiore ad minus.263 Die Souveränität der UN-Mitgliedstaaten ist insoweit also bereits durch die Bestimmungen der UN-Charta beschränkt.264 Dementsprechend kann aber auch die Strafgerichtsbarkeit des IStGH bei Überweisung einer Situation durch den Sicherheitsrat nicht an weitere Voraussetzungen, insbesondere nicht an die Zustimmung oder Vertragsmitgliedschaft weiterer Staaten, gebunden sein. Nicht das Rom-Statut räumt dem Sicherheitsrat ein entsprechendes Recht ein, sondern Kapitel VII der UN-Charta. Der sich aus dem Nichteinmischungsgebot des Artikels 2 Nr. 7 der Satzung der Vereinten Nationen ergebende Souveränitätsanspruch der Mitgliedstaaten ist damit bereits abstrakt durch die Befugnisse des Sicherheitsrates nach Kapitel VII begrenzt. So bestimmt Artikel 2 Nr. 7 der UN-Charta, dass trotz des grundsätzlich geltenden Nichteinmischungsgebots die Anwendung von Zwangsmaßnahmen nach Kapitel VII unberührt bleibt. Da der Sicherheitsrat ad hoc Strafgerichtshöfe errichten kann, ist er nach allgemeiner Ansicht erst recht zur Einleitung eines Strafverfahrens gegen Individuen vor einem permanenten Strafgerichtshof befugt. Auf deren Staatsangehörigkeit kommt es insoweit nicht an. Das Rom-Statut erkennt in Artikel 13 lit. b lediglich diese sich originär aus der Charta der Vereinten Nationen ergebenden Kompetenzen des Sicherheitsrates an, schafft also keinesfalls neue Befugnisse für den Sicherheitsrat. Das Initiativrecht verletzt daher nicht die Souveränität der Mitgliedstaaten. 261 Ahlbrecht, Geschichte der völkerrechtlichen Strafgerichtsbarkeit im 20. Jahrhundert, S. 244; Hollweg, Das neue Internationale Tribunal der UNO im Jugoslawienkonflikt, S. 985; König, Die völkerrechtliche Legitimation der Strafgewalt internationaler Strafjustiz, S. 171 – 172; Partsch, Der Sicherheitsrat als Gerichtsgründer, S. 13. 262 König, Die völkerrechtliche Legitimation der Strafgewalt internationaler Strafjustiz, S. 171. 263 Stahn, Zwischen Weltfrieden und materieller Gerechtigkeit, S. 588; La Haye, The Jurisdiction of the ICC, S. 11 – 12. 264 Kreß, Friedenssicherungs- und Konfliktvölkerrecht auf der Schwelle zur Postmoderne, S. 643; Prosecutor v. Dusko Tadic (Appeals Chamber), Case No. IT-94-1-AR72, 35 ILM (1996), S. 29, Ziff. 56.

III. Legitimation bei Verfahrenseinleitung durch den Sicherheitsrat

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Da die materielle Strafbarkeit der Verbrechen unmittelbar aus geltendem Völkerstrafrecht folgt, diese mithin auch bisher schon unabhängig von der Zustimmung irgendeines Staates verfolgbar waren, ist die Souveränität der Staaten insoweit längst beschnitten.265 Auch soweit das Statut von einer uneingeschränkten Gerichtsbarkeit des IStGH bei Überweisung einer Situation durch den Sicherheitsrat ausgeht, ist hierin kein Vertrag zu Lasten dritter Staaten zu sehen. Da im Hinblick auf die dem IStGH materiellrechtlich zugewiesenen Verbrechen ohnehin jeder Staat Gerichtsbarkeit aufgrund des Universalitätsprinzips ausüben könnte und dies der Vorstellung inhärenter universeller Zuständigkeit gemäß Artikel 13 lit. b des Rom-Statuts auch zugrunde liegt, findet insoweit kein Eingriff in die Rechte dritter Staaten statt. Da jeder Staat befugt wäre, die betreffenden Straftaten zu verfolgen, stehen die Nichtvertragsstaaten nicht schlechter, als sie auch ohne Errichtung eines internationalen Strafgerichts stünden.266 Auch die universelle Gerichtsbarkeit des IStGH gegenüber Einzelpersonen bei einer Verfahrenseinleitung durch den Sicherheisrat nach Artikel 13 lit. b des RomStatuts beruht daher auf einer hinreichenden völkerrechtlichen Grundlage.

b) Begrenzung staatlicher Souveränität durch die Menschenrechte Im Zusammenhang mit der universellen Strafgerichtsbarkeit des IStGH bei Verfahrenseinleitung durch den Sicherheitsrat ist schließlich auch auf die besondere Bedeutung der Menschenrechte zu verweisen. Wie bereits erläutert wurde, ist staatliche Souveränität keine absolute Größe mehr, vielmehr sind Einschränkungen möglich. Auf die freiwillige Begrenzung staatlicher Souveränität insbesondere durch den Beitritt zu internationalen Organisationen aber auch durch den Abschluss sonstiger völkerrechtlicher Verträge wurde insoweit bereits hingewiesen.267 Daneben ist jedoch eine zunehmende Einschränkung staatlicher Souveränität durch den internationalen Menschenrechtsschutz zu verzeichnen. Während die Achtung der Menschenrechte nach klassischem Völkerrecht ausschließlich das Verhältnis zwischen Staaten und ihren Staatsangehörigen betraf und damit als innerstaatliche Angelegenheit betrachtet wurde, kam es insbesondere nach dem Zweiten Weltkrieg unter der Schirmherrschaft der Vereinten Nationen zu umfangreichen 265 König, Die völkerrechtliche Legitimation der Strafgewalt internationaler Strafjustiz, S. 168. 266 König, Die völkerrechtliche Legitimation der Strafgewalt internationaler Strafjustiz, S. 168. 267 Zu dieser Problematik s. o., S. 74 ff.; vgl. auch Gading, Der Schutz grundlegender Menschenrechte durch militärische Maßnahmen des Sicherheitsrates – das Ende staatlicher Souveränität?, S. 187 ff.

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E. Völkerrechtliche Legitimation der Strafgerichtsbarkeit des IStGH

völkerrechtlichen Kodifikationen auf diesem Gebiet und damit zu einer weitgehenden Internationalisierung der Menschenrechte.268 Die Rechte des Einzelnen, die eine internationale Regelung erfahren haben und mittelerweile völkergewohnheitsrechtlich anerkannt sind, fallen nicht mehr in die ausschließliche innere Zuständigkeit der betroffenen Staaten.269 Soweit auf internationaler Ebene Maßnahmen zur Durchsetzung universeller Menschenrechte veranlasst werden, können die betroffenen Staaten sich ohnehin nicht mehr auf den Einwand der unzulässigen Einmischung in innerstaatliche Belange und damit auf einen Verstoß gegen das Interventionsverbot berufen. Vielmehr sind schwere Menschenrechtsverletzungen mittlerweile als internationale Angelegenheit anzusehen.270 Im Ergebnis ist es daher bereits zu einer Einschränkung staatlicher Souveränität durch international anerkannte Menschenrechtsstandards gekommen.271 Hierbei darf insbesondere nicht übersehen werden, dass die in Artikel 5 genannten Völkerrechtsverbrechen schwerste Menschenrechtsverletzungen darstellen. Angesichts der überragenden Bedeutung der Menschenrechte kommt daher eine Verletzung staatlicher Souveränität auch im Hinblick auf die Nichtvertragsstaaten der UNO nicht in Betracht, soweit der Sicherheitsrat ein Strafverfahren einleitet und dem IStGH hiernach umfassende Gerichtsbarkeit zukommt. So stellte das Jugoslawientribunal im Fall Tadic zum Verhältnis von staatlicher Souveränität und Menschenrechten fest: „. . . the sovereign rights of States cannot and should not take precedence over the right of the international community to act appropriately as they affect the whole mankind and shock the conscience of all nations of the world.272 . . . (The) state-sovereignty oriented approach has been gradually supplanted by a human-being-oriented approach . . .“273

Ähnlich äußerte sich die Berufungskammer, die gleichfalls betonte dass der an der Souveränität der Staaten orientierte Ansatz im Völkerrecht vermehrt einem an den Menschenrechten orientierten Ansatz weichen müsse: „It would be a travesty of law and a betrayal of the universal need for justice, should the concept of state sovereignty be allowed to be raised successfully against human rights.“274

268 Gading, Der Schutz grundlegender Menschenrechte durch militärische Maßnahmen des Sicherheitsrates – das Ende staatlicher Souveränität?, S. 191. 269 Ermacora, in: Simma (Hrsg.), Charta der Vereinten Nationen, Artikel 2 Nr. 7, Rn. 41; Gading, Der Schutz grundlegender Menschenrechte durch militärische Maßnahmen des Sicherheitsrates – das Ende staatlicher Souveränität?, S. 38. 270 Bennoune, Sovereignty vs. Suffering?, S. 250; Doehring, Völkerrecht, Rn. 456. 271 Gading, Der Schutz grundlegender Menschenrechte durch militärische Maßnahmen des Sicherheitsrates – das Ende staatlicher Souveränität?, S. 195. 272 Dusco Tadic, Case No. IT-94-I-T, 10. August 1994 (Trial Chamber), para. 41. 273 Dusco Tadic, Case No. IT-94-1-AR72, 2. Oktober 1995 (Appeals Chamber), para. 97; Alvarez, Nuremberg Revisited: The Tadic Case, S. 261. 274 Dusco Tadic, Case No. IT-94-1-AR72, 2. Oktober 1995 (Appeals Chamber), para. 58, 35 ILM S. 32.

III. Legitimation bei Verfahrenseinleitung durch den Sicherheitsrat

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Auch eine Berufung auf die staatliche Souveränität kann schwere Menschenrechtsverletzungen daher nicht mehr rechtfertigen. Die Souveränität der Staaten muss vielmehr in der Normenhierarchie hinter universell geltenden Menschenrechten zurückstehen.275 Gerade das Verbot und die Verhinderung von Völkermord, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen sind als solche höherrangigen Normen einzustufen, der Vorrang dieser Normen beruht im Ergebnis auf dem Konsens der Staatengemeinschaft. 276 Die Einleitung eines Verfahrens durch den Sicherheitsrat und die hierdurch begründete unbeschränkte Gerichtsbarkeit des IStGH über jedes Individuum stellt daher auch deshalb keine Verletzung der Souveränität der Nichtvertragsstaaten dar, weil es insoweit durch das Erstarken der Menschenrechte längst zu staatlichen Souveränitätseinbußen gekommen ist.277 Die Begehung der in Artikel 5 des Statuts genannten Verbrechen und der Verstoß gegen Menschenrechte mit Wirkung erga omnes ist als Bedrohung des Friedens im Sinne von Artikel 39 UN-Charta anzusehen.278 Ein Eingreifen der Staatengemeinschaft ist damit im Fall schwerer Menschenrechtsverletzungen aufgrund von Kapitel VII UN-Charta möglich. Der Sicherheitsrat kann hiernach insbesondere internationale Straftribunale zur Verfolgung der einzelnen Täter errichten und als ultima ratio sogar militärische Maßnahmen gegen den betroffenen Staat ergreifen.279 Er ist erst Recht dazu befugt, ein entsprechendes Verfahren vor dem IStGH einzuleiten. Eine Verletzung staatlicher Soveränität ist hierin nicht zu sehen. Darüber hinaus gilt auch bei der Verfahrenseinleitung durch den Sicherheitsrat, was bereits für das Modell der übertragenen Strafgewalt ausführlich erörtert wurde: Da sich die Gerichtsbarkeit des IStGH ausschließlich auf Individuen beschränkt, werden Staaten hierdurch weder unmittelbar berechtigt noch verpflichtet, so dass auch ein Verstoß gegen Artikel 34 WVK nicht in Betracht kommt.

275 Aceves, Relative Normativity: Challenging the Sovereignty Norm Through Human Rights Litigation, S. 263 – 264. 276 Aceves, Relative Normativity: Challenging the Sovereignty Norm Through Human Rights Litigation, S. 265, 278. 277 Dugard, Obstacles in the Way of an ICC, S. 338; Klein, in: Graf Vitzthum (Hrsg.), Völkerrecht, 3. Abschn., Rn. 92. 278 Gading, Der Schutz grundlegender Menschenrechte durch militärische Maßnahmen des Sicherheitsrates – das Ende staatlicher Souveränität?, S. 205; Hailbronner, in: Graf Vitzthum (Hrsg.), Völkerrecht, 3. Abschn., Rn. 197 – 198. 279 Gading, Der Schutz grundlegender Menschenrechte durch militärische Maßnahmen des Sicherheitsrates – das Ende staatlicher Souveränität?, S. 205; Doehring, Völkerrecht, Rn. 456, 1013.

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E. Völkerrechtliche Legitimation der Strafgerichtsbarkeit des IStGH

c) Verpflichtung der Staaten zur Zusammenarbeit mit dem IStGH Soweit der Sicherheitsrat dem Strafgerichtshof eine Situation unterbreitet, kann dieser grundsätzlich universelle Strafgerichtsbarkeit über die betroffenen Einzelpersonen ausüben. Weiterhin hat die Überweisung durch den Sicherheitsrat jedenfalls für die UNMitgliedstaaten bindende Wirkung. Sie sind gemäß Artikel 25 der UN-Charta an die Beschlüsse des Sicherheitsrates gebunden.280 Soweit sie daher vom Sicherheitsrat zu einer Zusammenarbeit mit dem IStGH verpflichtet werden, müssen sie dem nachkommen, auch wenn sie selbst dem Rom-Statut nicht beigetreten sind. Entscheidend ist für die UN-Mitgliedstaaten insoweit, welche Bestimmungen der Sicherheitsrat trifft. Mit Resolution 1593 vom 31. März 2005 hat der Sicherheitsrat erstmals von seinem Recht Gebrauch gemacht, gemäß Artikel 13 lit. b des Rom-Statuts ein Verfahren an den IStGH zu verweisen und dem IStGH die Situation in Darfur im Sudan unterbreitet.281 Hierbei hat der Sicherheitsrat jedoch ausdrücklich davon abgesehen, alle UNMitgliedstaaten, auch soweit sie dem Rom-Statut nicht beigetreten sind, zur Zusammenarbeit mit dem IStGH zu verpflichten. Vielmehr bestimmt die Resolution ausdrücklich: „Der Sicherheitsrat . . . beschließt, dass die Regierung Sudans und alle anderen Parteien des Konflikts in Darfur gemäß dieser Resolution mit dem Gerichtshof und dem Ankläger uneingeschränkt zusammenarbeiten und ihnen jede erforderliche Unterstützung gewähren müssen, und wenngleich er anerkennt, dass den Staaten, die nicht Vetragspartei des Römischen Statuts sind, keine Verpflichtung nach dem Statut obliegt, fordert er alle Staaten und zuständigen regionalen und internationalen Organisationen nachdrücklich zur uneingeschränkten Zusammenarbeit auf . . .“282

Damit wird allein der Sudan als Nichtvertragsstaat des Rom-Statuts sowie die anderen am Konflikt beteiligten Parteien zur Zusammenarbeit mit dem Strafgerichtshof verpflichtet. Anderen UN-Mitgliedstaaten, die dem Statut nicht beigetreten sind, werden im konkreten Fall keinerlei Kooperationspflichten auferlegt. Insoweit erfolgte lediglich eine rechtlich nicht bindende Aufforderung. Diese Zurückhaltung beruht vor allem auf dem Widerstand der USA, die andernfalls wohl von ihrem Vetorecht Gebrauch gemacht hätten.283 Hierzu auch Delbrück, in: Simma (Hrsg.), The UN-Charter, Artikel 25, Rn. 4 ff. SR-Res. 1593 vom 31. März 2005, UN-Doc. S / RES / 1593(2005). 282 SR-Res. 1593 vom 31. März 2005, UN-Doc. S / RES / 1593(2005). 283 Vgl. hierzu Zimmermann, Two steps forward, one step backwards?, S. 10 ff., der darauf hinweist, dass nach dem ursprünglich von Frankreich eingebrachten Resolutionsentwurf alle Staaten zur Zusammenarbeit mit dem IStGH verpflichtet worden wären. 280 281

III. Legitimation bei Verfahrenseinleitung durch den Sicherheitsrat

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Soweit jedoch der Sicherheitsrat wie im Fall des Sudan UN-Mitgliedstaaten, die keine Vertragsstaaten des Rom-Statuts sind, zur Zusammenarbeit mit dem Strafgerichtshof anweist, werden hierdurch keine unzulässigen rechtlichen Verpflichtungen zu Lasten Dritter begründet. Denn nicht das Rom-Statut verpflichtet in diesem Fall die Nichtvertragsstaaten, sondern Artikel 25 der UN-Charta, wonach das Handeln des Sicherheitsrates jedenfalls für alle UN-Mitgliedstaaten verbindlich ist. Nach Auffassung einiger Autoren kommt der Satzung der Vereinten Nationen und dem Handeln ihrer Organe sogar universelle Wirkung zu. Hiernach sind auch Nichtmitgliedstaaten an die Resolutionen des UN-Sicherheitsrates gebunden und wären demgemäß bei Verfahrenseinleitung und entsprechender Aufforderung durch den Sicherheitsrat zur Zusammenarbeit mit dem IStGH verpflichtet.284 Dies wird damit begründet, dass heutzutage ohnehin fast alle Staaten Mitglieder der Vereinten Nationen sind. Da die UN-Charta fast universelle Zustimmung genießt, wird sie als Verfassung der internationalen Gemeinschaft mit entsprechender Bindungswirkung eingestuft.285 In Übereinstimmung mit diesem Ansatz hat der UN-Sicherheitsrat mehrfach Resolutionen erlassen, die auch an Nichtmitgliedstaaten gerichtet waren und diese verpflichten sollten.286 So heißt es etwa in der Resolution Nr. 827 zur Gründung des Jugoslawientribunals: „All States shall cooperate with the International Tribunal and its organs in accordance with the present resolution and the Statute of the International Tribunal and . . . consequently all States shall take measures necessary under their domestic law to implement the provisions of the present resolution and the Statute, including the obligation of States to comply with requests for assistance or orders issued by a Trial Chamber under Article 29 of the Statute.“287

Die Bindungswirkung der Sicherheitsratsresolution Nr. 827 gegenüber einem Nicht-UN-Mitgliedstaat hat auch das Jugoslawientribunal ausdrücklich bejaht. So 284 Fassbender, The United Nations Charter As Constitution of The International Community, S. 593; Sadat, The ICC and the Transformation of International Law, S. 113, Fn. 43; Dugard, Obstacles in the Way of an ICC, S. 339; Partsch, Der Sicherheitsrat als Gerichtsgründer, S. 17 im Hinblick auf die Verpflichtung aller Staaten zur Zusammenarbeit mit den ad hoc Tribunalen. 285 Verdross / Simma, Universelles Völkerrecht, S. 59 – 60, 62; Fassbender, UN Security Council Reform and the Right to Veto, S. 1 ff.; Franck, Is the U.N. Charter a Constitution, S. 99. 286 Prosecutor v. Milan Milutinovic, Dragoljub Ojdanic, Nikola Sainovic, Decision on Motion Challenging Jurisdiction, 6 May 2003, Case No. IT-99-37-PT, Abs. 55, Fn. 110 mit zahlreichen Nachweisen. 287 SR-Res. 827 vom 25. 5. 1993, S. 4; Hervorhebungen durch die Verfasserin; zur Praxis des Sicherheitsrates, seine Resolutionen seit 1977 an „alle Staaten“ zu richten vgl. Fassbender, UN Security Council Reform and the Right to Veto, S. 93; Tomuschat, Obligations for States, S. 256.

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E. Völkerrechtliche Legitimation der Strafgerichtsbarkeit des IStGH

war die nach dem Zerfall der Sozialistischen Föderativen Republik Jugoslawien und dem Ausbruch des Bürgerkriegs von den beiden einzigen im ehemaligen Jugoslawien verbliebenen Republiken Serbien und Montenegro am 27. 4. 1992 ausgerufene Föderative Republik Jugoslawien zunächst nach allgemeiner Ansicht nicht Mitglied der Vereinten Nationen.288 Erst am 1. November 2000 erfolgte die Neuaufnahme der Föderativen Republik Jugoslawien als UN-Mitgliedstaat289. Dennoch hat das ICTY ausdrücklich festgestellt, dass auch die Föderative Republik Jugoslawien beziehungsweise der später aus ihr hervorgegangene Staat Serbien und Montenegro als Nichtmitglied der Vereinten Nationen an die bereits 1993 erlassene Sicherheitsratsresolution zur Errichtung des Jugoslawientribunals gebunden gewesen sei. So heißt es in der Zuständigkeitsentscheidung des ICTY im Fall Milutinovic: „The constitutional character of the Charter, its near universal membership, the critical importance to the international community of the goal of the maintenance of international peace and security, are all factors that combine to render the Chapter VII resolution establishing the Tribunal applicable to any country that was part of the former SFRY (Socialist Federal Republic of Yugoslavia), irrespective of its UN membership at the time of the adoption of that resolution or at the time of the commission of the offences. The Chamber, therefore, holds that even if the FRY (Federal Republic of Yugoslavia) was not a member of the United Nations at the relevant time, Chapter VII of the Charter is open to the interpretation that the Security Council had authority over the FRY in the circumstances of this case.“290

Nach anderer Auffassung begründet die UN-Charta, auch soweit man sie als Verfassung der Weltgemeinschaft qualifiziert, keine rechtlichen Verpflichtungen für Nichtvertragsstaaten. Insbesondere könnten diese nicht zur Zusammenarbeit verpflichtet werden. Dies wird zum einen damit begründet, dass Drittstaaten gerade keinen Einfluss auf die Entscheidungen der UNO haben. Daneben spricht Artikel 25 der UN-Charta ausdrücklich davon, dass nur die Mitgliedstaaten den Beschlüssen des Sicherheitsrates Folge zu leisten haben. Eine Durchbrechung der traditionellen pacta tertiis-Regel wird auch im Hinblick auf die UN-Charta abgelehnt.291 288 ICJ, Case Concerning the Legality of Use of Force (Serbia and Montenegro v. Belgium), Preliminary Objections, 15 December 2004, Abs. 79; SR-Res. 777 vom 19. September 1992, UN Doc. S / RES / 777 (1992); GA-Res. 47 / 1 vom 22. Septemeber 1992, UN Doc. A / RES / 47 / 1 (1992). 289 GA-Res. 55 / 12, 1 November 2000, UN Doc. A / RES / 55 / 12 (2000). 290 Prosecutor v. Milan Milutinovic, Dragoljub Ojdanic, Nikola Sainovic, Decision on Motion Challenging Jurisdiction, 6 May 2003, Case No. IT-99-37-PT, Abs. 62 – 63, Hervorhebung durch die Verfasserin. 291 Vitzthum, in: Simma (Hrsg.), The Charter of the United Nations, Artikel 2(6), Rn. 21, 23; Scheuner, Die Vereinten Nationen und die Stellung der Nichtmitglieder, S. 383; Verdross / Simma, Universelles Völkerrecht, S. 176 ff.; Geiger, in: LdR / VR (3. Aufl.), S. 477; Mosler, The International Society as a Legal Commmunity, S. 205 – 207, der betont, dass die Charta noch nicht als Bestandteil des allgemeinen Völkerrechts einzustufen sei und daher die allgemeinen Grundsätze des Vertragsrechts, insbesondere die pacta tertiis-Regel Anwendung

IV. Fehlende Präzedenzfälle für eine internationale Strafgerichtsbarkeit

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Angesichts dieses Widerstandes gegen eine Allgemeinverbindlichkeit der UNCharta und der durch sie begründeten Verpflichtungen erscheint es fraglich, ob auch Nichtvertragsstaaten gewohnheitsrechtlich zur Zusammenarbeit mit den Vereinten Nationen, insbesondere zur Befolgung der Beschlüsse der Sicherheitsrates verpflichtet sind. Insoweit dürfte es letztlich sowohl an der erforderlichen Übung als auch an der entsprechenden opinio juris fehlen. Eine Durchbrechung vertragsrechtlicher Grundsätze, insbesondere der pacta tertiis-Regel, ist grundsätzlich abzulehnen. Nach hier vertretener Auffassung können daher auch die Resolutionen des Sicherheitsrates rechtliche Verpflichtungen grundsätzlich nur für die UN-Mitgliedsstaaten begründen. Dass die Nichtbefolgung von Sicherheitsratsresolutionen auch für Nichtvertragsstaaten erhebliche faktische Auswirkungen haben kann, steht außer Zweifel.292

IV. Fehlende Präzedenzfälle für eine internationale Strafgerichtsbarkeit Von amerikanischer Seite wird weiterhin geltend gemacht, dass es für die Übertragung nationaler Strafgewalt auf einen internationalen Spruchkörper keinerlei Präzedenzfälle in der Völkerrechtsgeschichte gebe.293 Durch die Gründung des IStGH erfolge vielmehr zum ersten Mal eine Zusammenlegung nationaler Strafgewalt, die Wirkung auch im Verhältnis zu Nichtvertragsstaaten beansprucht. Man könne sich also zur Rechtfertigung einer derartigen Strafgerichtsbarkeit des IStGH auch deshalb nicht auf entsprechendes Völkergewohnheitsrecht berufen, weil es an einer entsprechenden Übung fehle. Die vertragliche Gründung eines internationalen Gerichts mit Strafgerichtsbarkeit über Individuen aus Nichtvertragsstaaten sei vielmehr ein völlig neuer Vorgang. Im Folgenden soll untersucht werden, ob es bisher tatsächlich keinerlei Präzedenzfälle für eine Bündelung und Übertragung einzelstaatlicher Strafgerichtsbarkeit und materieller Strafgewalt auf ein internationales Gericht gab.

1. Die Kriegsverbrechertribunale nach dem Zweiten Weltkrieg Als Vorläufer des IStGH werden immer wieder die beiden nach dem Zweiten Weltkrieg von den Alliierten gegründeten Kriegsverbrechertribunale von Nürnberg fänden; für eine ausschließliche Verpflichtung von UN-Mitgliedstaaten wohl auch Franck, Is the U.N. Charter a Constitution?, S. 101; Klein, in: Graf Vitzthum (Hrsg.), Völkerrecht, 4. Abschn., Rn. 154. 292 Vitzthum, in: Simma (Hrsg.), The Charter of the United Nations, Artikel 2(6), Rn. 23 – 24. 293 Wedgwood, The Irresolution of Rome, S. 199; Litzau, International Criminal Law After Rome, S. 135; Scheffer, The ICC: The Challenge of Jurisdiction, S. 71.

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E. Völkerrechtliche Legitimation der Strafgerichtsbarkeit des IStGH

und Tokio zur Bestrafung der Kriegsverbrecher der europäischen Achse beziehungsweise Japans genannt.294 Fraglich ist, ob man diese Tribunale im Hinblick auf die rechtlichen Grundlagen ihrer Errichtung mit dem IStGH vergleichen kann. Dies wird von der offiziellen US-amerikanischen Position bestritten. Weder der Internationale Militärgerichtshof in Nürnberg noch der Internationale Militärgerichtshof für den Fernen Osten in Tokio hätten auf der Übertragung und Bündelung nationaler Strafgewalt der Siegermächte gegen den Willen Japans beziehungsweise Deutschlands beruht. Die Gerichtsbarkeit beider Tribunale habe sich vielmehr auf die Zustimmung des jeweiligen Täterstaates gegründet, das heißt die durchgeführten Strafverfahren seien gerade mit Einwilligung des jeweiligen Heimatstaates der Angeklagten durchgeführt worden.295 Für den Fall des Militärtribunals für den Fernen Osten ist festzuhalten, dass dessen Gründung und die hieran anschließende Strafverfolgung japanischer Kriegsverbrecher in der Tat mit Zustimmung der japanischen Regierung erfolgten. Japan war im Gegensatz zu Deutschland militärisch nur teilweise und auch erst nach der japanischen Kapitulationserklärung besetzt worden. Der Fortbestand Japans als Völkerrechtssubjekt wurde daher nie bestritten.296 Die japanische Regierung behielt jedenfalls formal auch nach der Kapitulation die souveräne Hoheitsgewalt. Sie akzeptierte in der von ihr unterzeichneten Kapitulationsurkunde die Errichtung eines Internationalen Militärgerichtshofs zur Strafverfolgung japanischer Kriegsverbrecher. Rechtsgrundlage für das Tribunal von Tokio war damit letztlich ein völkerrechtlicher Vertrag, dessen Partei auch der japanische Staat, vertreten durch seine Regierung war.297 Fraglich ist indessen, ob Entsprechendes auch für das Nürnberger Kriegsverbrechertribunal gilt oder ob dessen rechtliche Grundlage nicht doch in einer gemeinsamen Ausübung von Strafgewalt durch die Alliierten ohne Mitwirkung des besiegten deutschen Staates zu sehen ist. Soweit die Gründung des Nürnberg-Tribunals auf einer entsprechenden Bündelung und Delegation nationaler Strafgewalt der Siegermächte beruht, könnte man durchaus gewisse Parallelen zwischen dem Nürnberger Militärgerichtshof und dem IStGH ziehen. Damit wäre die in der amerikanischen Literatur geltend gemachte Behauptung widerlegt, wonach die Übertragung nationaler Strafgewalt auf eine internationale Einrichtung wie den IStGH ein bisher einzigartiger und noch nie da gewesener Vorgang sein soll. Man könnte dann Nürnberg durchaus als Präzedenzfall für die Übertragung nationaler Strafgerichtsbarkeit auf einen internationalen Spruchkörper ohne Mitwirkung des Täter294 Schmidt, Externe Strafpflichten, S. 58 ff.; Doehring, Völkerrecht, Rn. 1169; Dahm / Delbrück / Wolfrum, Völkerrecht, Band I / 3, S. 1024, 1036 – 1037. 295 Morris, High Crimes and Misconceptions, S. 37. 296 Ahlbrecht, Geschichte der völkerrechtlichen Strafgerichtsbarkeit im 20. Jahrhundert, S. 104. 297 Ahlbrecht, Geschichte der völkerrechtlichen Strafgerichtsbarkeit im 20. Jahrhundert, S. 104.

IV. Fehlende Präzedenzfälle für eine internationale Strafgerichtsbarkeit

145

staates einstufen. Eine Vergleichbarkeit des Nürnberg-Tribunals mit dem IStGH kommt jedoch nur in Betracht, wenn das International Military Tribunal (IMT) als internationales Gericht eingestuft werden kann und seine Strafgerichtsbarkeit als von den Gründungsstaaten abgeleitet anzusehen ist. Rechtsnatur und Rechtmäßigkeit der Gründung des Internationalen Militärgerichtshofs von Nürnberg sowie der Umfang seiner Zuständigkeit sind umstritten. a) Geschichte der Errichtung des Nürnberg-Tribunals Völkerrechtliche Grundlage für die Errichtung des IMT war das Londoner Viermächte-Abkommen „über die Verfolgung und Bestrafung der Hauptkriegsverbrecher der europäischen Achse“. Dieses wurde am 8. August 1945 von den Regierungen der USA, des Vereinigten Königreichs von Großbritannien und Nordirland, der UdSSR und der provisorischen Regierung Frankreichs unterzeichnet. Es sah die Errichtung eines internationalen Militärgerichtshofs zur Strafverfolgung der Nazi-Kriegsverbrecher vor. Ihm wurde das Statut des Internationalen Militärgerichtshofs, das so genannte Londoner Statut beigefügt.298 Das Londoner Viermächte-Abkommen war damit Rechtsgrundlage für den so genannten Hauptkriegsverbrecherprozess gegen Göring et al. 299 Bereits während des Zweiten Weltkriegs war es zu einer regen Diskussion über die Bestrafung der von Deutschen und ihren Verbündeten begangenen Kriegsverbrechen gekommen.300 So bildeten sich nach 1940 mehrere internationale Kriegsverbrecherkommissionen, die sich mit einer künftigen Bestrafung von Kriegsverbrechen beschäftigten. 301 Teilweise wurde dafür plädiert, lediglich summarische Hinrichtungen durchzuführen und „kurzen Prozess“ mit den Haupttätern zu machen. Diese sollten ohne förmliches Verfahren möglichst rasch liquidiert werden. Man fürchtete, die Durchführung von Strafprozessen könnte den Kriegsverbrechern ein öffentliches Forum zur Rechtfertigung ihrer Gräueltaten bieten und sie zu Märtyrern machen.302 Hierzu ausführlich Ambos, Der Allgemeine Teil des Völkerstrafrechts, S. 78 ff. Allied Control Council Law No. 10, 20 December 1945; auszugsweise abgedruckt in Ambos, Der Allgemeine Teil des Völkerstrafrechts, S. 887 / 888. Neben dem Verfahren vor dem IMT fanden in Nürnberg weitere zwölf Verfahren vor US-amerikanischen Militärgerichten statt. Rechtsgrundlage für diese Prozesse war jedoch nicht das Londoner Viermächte-Abkommen, sondern das Kontrollratsgesetz Nr. 10 (KRG 10). 300 Jung, Die Rechtsprobleme der Nürnberger Prozesse, S. 96 ff. 301 Zur Entwicklung der Kriegsverbrecherkommissionen ausführlich Jung, Die Rechtsprobleme der Nürnberger Prozesse, S. 96 ff. 302 Röling, Crimes Against Peace, EPIL, Vol. I, S. 874; Jung, Die Rechtsprobleme der Nürnberger Prozesse, S. 104; Maier, Nürnberg, Den Haag, Rom, S. 22 – 23, unter Verweis auf die Skepsis insbesondere der Briten gegenüber einem ordentlichen Gerichtsverfahren sowie auf den noch unter dem amerikanischen Präsidenten Roosevelt vorgelegten Morgenthau-Plan 298 299

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E. Völkerrechtliche Legitimation der Strafgerichtsbarkeit des IStGH

Auch die Durchführung von Strafprozessen wurde erörtert, wobei sowohl kurze Schauprozesse als auch ordentliche Gerichtsverfahren diskutiert wurden.303 Schließlich konnten sich die Befürworter ordentlicher Kriegsverbrecherprozesse durchsetzen, wobei zunächst unklar war, durch wen eine solche Aburteilung erfolgen sollte.304 Eine Bestrafung der Hauptkriegsverbrecher durch deutsche Gerichte kam aufgrund der schlechten Erfahrungen mit den nationalen Prozessen zur Bestrafung deutscher Kriegsverbrecher nach dem Ersten Weltkrieg und dem Misstrauen gegenüber dem deutschen Justizsystem für die Alliierten nicht in Betracht.305 Aber auch eine Strafverfolgung vor den nationalen Gerichten der Sieger wäre in jedem Fall dem Verdacht der Parteilichkeit und der Siegerjustiz ausgesetzt gewesen.306 Man sah daher die Einrichtung eines internationalen Gerichts als beste Lösung an. Von ihm war auch aus Sicht der Besiegten am ehesten Objektivität und Unparteilichkeit zu erwarten.307 Vor diesem Hintergrund kam es zum Abschluss des Londoner Viermächte-Abkommens, das in seinem Artikel 1 die Errichtung eines Internationalen Militärgerichtshofs vorsah. Artikel 6 bestimmte die individuelle Verantwortlichkeit und Bestrafung der Hauptkriegsverbrecher des Deutschen Reiches und seiner Verbündeten für Verbrechen gegen den Frieden, Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit.308 b) Das Nürnberg-Tribunal als internationales Gericht Fraglich ist allerdings, ob es sich bei dem Internationalen Militärgerichtshof tatsächlich um ein internationales Gericht handelte. Insbesondere in der deutschen Völkerrechtsliteratur der Nachkriegszeit wurde zunächst überwiegend die Auffassung vertreten, dass es sich beim IMT lediglich um ein nationales Gericht der Siegerstaaten oder ein Militärgericht eigener Art gehandelt habe.309 vom September 1944, der summarische Hinrichtungen der Hauptkriegsverbrecher und Massendeportationen von Nationalsozialisten vorsah. 303 Jung, Die Rechtsprobleme der Nürnberger Prozesse, S. 105. 304 Jung, Die Rechtsprobleme der Nürnberger Prozesse, S. 96 ff. 305 Damals hatte die Reichsregierung zugesagt, eine Strafverfolgung deutscher Kriegsverbrecher vor dem Reichsgericht durchführen zu lassen. Angeklagt wurden letztlich aber nur zwölf Personen, sechs wurden freigesprochen, die anderen wurden zu Strafen zwischen zwei Monaten und vier Jahren verurteilt. Dies wurde von den Alliierten als Affront gesehen, vgl. Simons, The Jurisdictional Bases of the IMT, S. 4; vgl. auch Eröffnungsrede des amerikanischen Hauptanklägers Justice Jackson, in: Steiniger, Der Nürnberger Prozess, Band I, S. 85. 306 Jung, Die Rechtsprobleme der Nürnberger Prozesse, S. 94. 307 Jung, Die Rechtsprobleme der Nürnberger Prozesse, S. 94 ff. 308 Lawrence (Hrsg.), Der Prozess gegen die Hauptkriegsverbrecher vor dem IMT, Band 1, S. 11 – 12.

IV. Fehlende Präzedenzfälle für eine internationale Strafgerichtsbarkeit

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Unumstritten ist, dass die Errichtung des Nürnberg-Tribunals ein völkerrechtliches Novum darstellte. Das IMT ist seiner Rechtsnatur nach insofern schwer einzuordnen.310 aa) Die Internationalität des Nürnberg-Tribunals Betrachtet man die Entwicklungs- und Entstehungsgeschichte des Nürnberger Militärgerichtshofs und berücksichtigt man die im Zusammenhang mit seiner Errichtung geführten Diskussionen, so ergibt sich allerdings, dass die Alliierten gerade kein nationales Gericht, sondern einen internationalen Spruchkörper mit der Verfolgung deutscher Kriegsverbrecher befassen wollten. Ziel der Siegermächte war die gemeinsame Bestrafung der Hauptkriegsverbrecher durch ein internationales Vorgehen. So erklärte beispielsweise der französische Hauptankläger in seiner Eröffnungsrede vor dem IMT: „Nur ein internationaler Gerichtshof, hervorgegangen aus der Gesamtheit der Vereinten Nationen, die gestern noch im Kriege mit Deutschland standen, ist dazu mit Recht berufen (die nationalsozialistischen Kriegsverbrecher zu richten)“.311

Ebenso führte der russische Hauptankläger aus, dass „. . . der gegenwärtige Prozess der erste in der Geschichte ist, in dem die Rechtsprechung von einem Organ der internationalen Justiz, nämlich dem Internationalen Militärgerichtshof, ausgeübt wird.“312

Dementsprechend wurde auch in der ausländischen Völkerrechtslehre die Internationalität des IMT ganz überwiegend bejaht.313 Für eine Bewertung dieser Ansicht ist zunächst erforderlich, den Begriff des internationalen Gerichts näher zu bestimmen. Nach einer Ansicht soll hierfür entscheidend sein, dass es sich bei den Parteien, die eine Entscheidung begehren, um Staaten handelt.314 Die Rechtseigenschaft der Parteien kann jedoch kein ausschlaggebendes Kriterium sein, da verschiedene internationale Gerichte auch die Parteifähigkeit von Individuen anerkennen.315 So sind etwa vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte Individualbeschwerden zulässig, und auch die beiden UN ad hoc 309 Jescheck, Die Verantwortlichkeit der Staatsorgane nach Völkerrecht, S. 168, bezeichnet das IMT als reines Besatzungsgericht und verneint seine Internationalität; Woetzel, The Nuremberg Trials in International Law, S. 40. 310 Ahlbrecht, Geschichte der völkerrechtlichen Strafgerichtsbarkeit im 20. Jahrhundert, S. 70. 311 Steiniger, Der Nürnberger Prozess, Band I, S. 95. 312 Steiniger, Der Nürnberger Prozess, Band I, S. 99. 313 Vgl. Jung, Die Rechtsprobleme der Nürnberger Prozesse, S. 109, mit weiteren Nachweisen. 314 Hierzu Hoffmann, Strafrechtliche Verantwortung im Völkerrecht, S. 158. 315 So auch Hoffmann, Strafrechtliche Verantwortung im Völkerrecht, S. 158.

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E. Völkerrechtliche Legitimation der Strafgerichtsbarkeit des IStGH

Tribunale für Jugoslawien und Ruanda führen Strafverfahren gegen Einzelpersonen durch. Teilweise wird für die Qualifikation eines Gerichts als national oder international auf das von ihm anzuwendende Recht abgestellt.316 Auch dies kann letztlich jedoch kein entscheidender Gesichtspunkt für seine Internationalität sein. Denn es ist durchaus denkbar, dass internationale Gerichte nationales Recht sowie umgekehrt nationale Gerichte internationales Recht anwenden.317 Gerade vor nationalen Gerichten kommt es immer wieder zur Anwendung von Völkerrecht und zur Aburteilung völkerrechtlicher Verbrechen.318 Einer anderen Auffassung zufolge soll für die Internationalität eines Spruchkörpers entscheidend sein, dass seine Errichtung und Zuständigkeit unmittelbar auf völkerrechtlichen Normen beruht und dass es sich nicht nur um das nationale Organ eines Einzelstaates handelt.319 Darauf, ob seine Zuständigkeit über die eines nationalen Gerichts hinausgeht, kommt es nach dieser Ansicht nicht an. Internationale Gerichte können demnach auch durch die Zusammenlegung nationaler Gerichte und ihrer Zuständigkeiten entstehen. Vereinbaren etwa mehrere Staaten, dass für bestimmte Völkerrechtsverbrechen, zu deren Aburteilung jeder einzelne von ihnen aufgrund des Universalitätsprinzips befugt wäre, ein gemeinsames Gericht zuständig sein soll und übertragen sie diesem entsprechende nationale Zuständigkeiten, so soll es sich hierbei um ein internationales Gericht handeln. Dieses habe aber gerade keine Zuständigkeiten, die über diejenigen der am Vertrag beteiligten Staaten hinausgehen.320 Dieser Ansatz bejaht demgemäß die Internationalität des IMT. Denn das Nürnberg-Tribunal sei ein durch völkerrechtlichen Vertrag gegründetes Gericht, dessen Zuständigkeit aus einer Bündelung nationaler Zuständigkeiten der Siegermächte folge.321 Auch andere Autoren gehen im Anschluss hieran davon aus, dass für die Internationalität eines Gerichts dessen völkerrechtliche Rechtsgrundlage ausschlaggebend sei und kommen für das IMT gleichfalls zu dem Schluss, dass bereits seine Errichtung durch das Londoner Abkommen als völkerrechtlichem Vertrag seine Internationalität begründete.322 Dem wird entgegengehalten, dass die Existenz einer völkerrechtlichen Rechtsgrundlage kein ausschlaggebendes Merkmal für die Internationalität eines Gerichts Hudson, International Tribunals, S. 99. Hoffmann, Strafrechtliche Verantwortung im Völkerrecht, S. 158. 318 Woetzel, The Nuremberg Trials in International Law, S. 42. 319 Dahm, Zur Problematik des Völkerstrafrechts, S. 17. 320 Dahm, Zur Problematik des Völkerstrafrechts, S. 17. 321 Dahm, Zur Problematik des Völkerstrafrechts, S. 38, 17 – 18. 322 Maier, Nürnberg, Den Haag, Rom, S. 163; Arnold, Der UNO-Sicherheitsrat und die strafrechtliche Verfolgung von Individuen, S. 21 – 22. 316 317

IV. Fehlende Präzedenzfälle für eine internationale Strafgerichtsbarkeit

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sei.323 Denn einerseits könnten auch nationale Gerichte aufgrund eines völkerrechtlichen Vertrages geschaffen werden. So habe sich die Bundesrepublik Deutschland im völkerrechtlichen Vertrag zur Regelung aus Krieg und Besatzung entstandener Fragen von 1952 / 54, dem so genannten Überleitungsvertrag, dazu verpflichtet, das Bundesamt für äußere Restitutionen und das Bundesamt zur Prüfung ausländischer Rückgabe- und Wiederherstellungsansprüche zu errichten, das zur Entscheidung über entsprechende ausländischen Schadensersatzforderungen berufen sei. Hierbei handle es sich um einen auf völkerrechtlicher Grundlage errichteten, aber dennoch nationalen Spruchkörper.324 Darüber hinaus könnten auch nationale Gerichte, die nicht aufgrund von völkerrechtlichen Regelungen errichtet worden seien, im Einzelfall durch entsprechende Vereinbarung mit der Entscheidung zwischenstaatlicher Streitigkeiten beauftragt werden. Für den Begriff der Internationalität sei daher allein entscheidend, aus welcher Rechtsordnung das Gericht seine Zuständigkeit ableitet. Ein Gericht gehört hiernach einer bestimmten Rechtsordnung an, wenn deren Bestimmungen die Instanz mit bestimmten Zuständigkeiten, das heißt mit bestimmten Berechtigungen und Verpflichtungen, ausstattet. Kompetenzzuweisung aus einer Rechtsordnung bedeute also Zugehörigkeit zu dieser Rechtsordnung.325 Auch nach diesem Ansatz ist das Nürnberg-Tribunal als internationales Gericht einzustufen, da sich seine Zuständigkeit und Rechtsverbindlichkeit aus dem Völkerrecht, nämlich aus dem Londoner Statut als völkerrechtlichem Vertrag herleiten läßt. bb) Stellungnahme Sowohl der Ansatz, der für die Internationalität eines Gerichts darauf abstellt, ob seine Errichtung und Zuständigkeit unmittelbar auf völkerrechtlichen Normen beruht, als auch Überlegungen, wonach entscheidend sein soll, dass Zuständigkeit und Kompetenzzuweisung des Gerichts aus der völkerrechtlichen Rechtsordnung folgen, erscheinen zustimmungswürdig. Beide Auffassungen unterscheiden sich letztlich nicht wesentlich. Während einerseits auf die mehr formale Frage der konkreten Rechtsgrundlage abgestellt wird, rückt der andere Ansatz die eher materielle Frage der tatsächlichen Kompetenzzuweisung aus dem Bereich des Völkerrechts in den Vordergrund. Zunächst ist dem Grundsatz zu folgen, dass jedes internationale Gericht auf eine völkerrechtliche Rechtsgrundlage zurückzuführen sein muss. Die Zuständigkeit eines internationalen Gerichts muss sich aus völkerrechtlichen Normen ergeben, in der Regel also aus einem völkerrechtlichen Vertrag. Die Errichtung eines internationalen Spruchkörpers auf nationaler Rechtsgrundlage ist im Hinblick auf die Souveränität anderer Staaten nicht denkbar. 323 324 325

Hoffmann, Strafrechtliche Verantwortung im Völkerrecht, S. 159. Hoffmann, Strafrechtliche Verantwortung im Völkerrecht, S. 159. Hoffmann, Strafrechtliche Verantwortung im Völkerrecht, S. 160 – 161.

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E. Völkerrechtliche Legitimation der Strafgerichtsbarkeit des IStGH

Zwar wurde darauf hingewiesen, dass auch Gerichte, die aufgrund landesrechtlicher Bestimmungen geschaffen worden sind, im Einzelfall mit der Entscheidung zwischenstaatlicher Streitigkeiten betraut werden können.326 Dies widerspricht letztlich jedoch nicht der These von der Erforderlichkeit einer völkerrechtlichen Rechtsgrundlage. Denn die völkerrechtliche Kompetenzzuweisung im Einzelfall, die ein nationales Gericht dazu ermächtigt, ausnahmsweise als internationale Instanz tätig zu werden, muss letztlich wiederum auf einer völkerrechtlichen Norm, etwa auf einem zwischenstaatlichen Übereinkommen, beruhen. Man wird also tatsächlich sagen können, dass jedes internationale Gericht auf Völkerrecht zurückzuführen sein muss. Fraglich ist allerdings, ob jedes Gericht mit völkerrechtlicher Rechtsgrundlage auch ein internationales sein muss. So wird unter Verweis auf Bundesoberbehörden wie das Bundesamt für äußere Restitutionen und das Bundesamt zur Prüfung ausländischer Rückgabe- und Wiederherstellungsansprüche auch angenommen, dass die Gründung nationaler Gerichte auf völkerrechtlicher Grundlage möglich ist.327 Hier ist jedoch zu beachten, dass sich im fraglichen Fall die Bundesrepublik Deutschland zwar nach außen durch völkerrechtlichen Vertrag zur Einrichtung der genannten Institutionen verpflichtet haben mag. Ihre Errichtung und Zuständigkeit beruht jedoch keinesfalls unmittelbar auf völkerrechtlichen Normen, sondern vielmehr auf nationalem Recht. Dieses weist den fraglichen Spruchkörpern nicht nur materiellrechtlich die Kompetenzen zu, sondern bildet hier auch die unmittelbare Rechtsgrundlage. Ihr internationaler Charakter müsste daher auch bei Abstellen auf die mehr formale Frage der konkreten Rechtsgrundlage mangels unmittelbaren Beruhens auf völkerrechtlichen Normen verneint werden. Damit erweist sich aber das Abstellen auf die Rechtsgrundlage einerseits328 beziehungsweise auf die Kompetenzzuweisung aus einer Rechtsordnung andererseits329 letztlich nicht als Widerspruch. Vielmehr kann eine Rechtsgrundlage, die einer bestimmten Rechtsordnung angehört, immer nur auch die der jeweiligen Rechtsordnung innewohnenden Kompetenzen zuweisen. Zur Bestimmung der Internationalität eines Gerichts ist daher beiden genannten Ansätzen zuzustimmen. Danach kann von einem internationalen Gericht gesprochen werden, wenn dessen Zuständigkeit unmittelbar auf völkerrechtlichen Normen beruht, was gleichzeitig auch bedeutet, dass es seine Zuständigkeit und Kompetenzzuordnung aus der völkerrechtlichen Rechtsordnung ableitet. In der deutschen Völkerrechtslehre wurde teilweise vertreten, dass es sich beim Nürnberger Militärgerichtshof nicht um ein echtes internationales Gericht, sondern vielmehr um ein Besatzungsgericht oder Ausnahmegericht gehandelt habe.330 326 327 328 329 330

Hoffmann, Strafrechtliche Verantwortung im Völkerrecht, S. 159 – 160. Hoffmann, Strafrechtliche Verantwortung im Völkerrecht, S. 159 – 160. Dahm, Zur Problematik des Völkerstrafrechts, S. 17 ff., 38. Hoffmann, Strafrechtliche Verantwortung im Völkerrecht, S. 159 – 161. Jescheck, Die Verantwortlichkeit der Staatsorgane nach Völkerrecht, S. 153, 283 ff.

IV. Fehlende Präzedenzfälle für eine internationale Strafgerichtsbarkeit

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Insoweit wurde zum einen auf die ausschließliche Besetzung des Gerichts mit Angehörigen der vier Siegermächte und eine hierin begründete mangelnde Neutralität der Richter verwiesen.331 Gegen die Einstufung des Militärgerichtshofs als echtes völkerrechtliches Organ wurde weiterhin die fehlende Trennung legislativer und judikativer Aufgaben bei Errichtung und Tätigkeit des Nürnberg-Tribunals vorgebracht. So wirkten einige der späteren Richter bereits bei der Erarbeitung seines Statuts mit. Auch die Beteiligung eines sowjetischen Richters bei der Aburteilung von Verbrechen gegen den Frieden trotz Beteiligung der Sowjetunion am Angriffskrieg gegen Polen sowie die Tatsache, dass das IMT nur für ein einziges Verfahren, nämlich den Hauptkriegsverbrecherprozess gegen Göring et al. zuständig war, wurden heftig kritisiert. Das Nürnberger Kriegsverbrechertribunal wurde daher teilweise als völkerrechtlich unzulässiges Ausnahmegericht angesehen.332 Es stellt sich allerdings die Frage, ob diese inhaltlich durchaus berechtigte Kritik, die zu einer Charakterisierung des Vorgehens in Nürnberg als Siegerjustiz geführt hat,333 tatsächlich die Internationalität des Nürnberger Militärgerichtshofs ausschließt. Die fehlende Neutralität der Richter, die Vermischung rechtsetzender und rechtsprechender Tätigkeit aber auch die Rolle der Sowjetunion im Zusammenhang mit dem IMT sind unter moralischen wie auch unter rechtsstaatlichen Gesichtspunkten äußerst bedenklich. Sie mögen zur Rechtswidrigkeit des Nürnberg-Tribunals nach Maßstäben des nationalen Rechts und unter Umständen auch des Völkerrechts führen, soweit sich die vorgebrachten Kritikpunkte etwa als Verstöße gegen allgemeine Rechtsgrundsätze im Sinne von Artikel 38 Abs. 1 lit. c des IGH-Statuts erweisen. Die Charakterisierung des Nürnberg-Tribunals als internationaler Spruchkörper wird hiervon indessen nicht betroffen. So wurde zu Recht immer wieder darauf hingewiesen, dass die Zusammensetzung eines Gerichts insoweit nicht ausschlaggebendes Kriterium sein kann.334 Denn genauso wie es nationale Instanzen geben kann, die sich aus Angehörigen verschiedener Staaten zusammensetzen, ist es denkbar, dass ein einzelner oder mehrere Angehöriger eines bestimmten Staates, etwa als Organ einer internationalen Organisation, internationales Recht setzen.335 Weil das Nürnberg-Tribunal durch völkerrechtlichen Vertrag gegründet wurde und deshalb seine Rechtsverbindlichkeit auf Völkerrecht beruht, ist es nach hier Jescheck, Die Verantwortlichkeit der Staatsorgane nach Völkerrecht, S. 284. Jescheck, Die Verantwortlichkeit der Staatsorgane nach Völkerrecht, S. 283 – 284; Maser, 1946: Der Nürnberger Prozess, S. 835 – 837. 333 Zu den schweren Vorwürfen, denen sich der Nürnberger Prozess insbesondere in Deutschland ausgesetzt sah: Maser, 1946: Der Nürnberger Prozess, S. 832 ff.; Doehring, Völkerrecht, Rn. 1165. 334 Woetzel, The Nuremberg Trials in International Law, S. 53; Hoffmann, Strafrechtliche Verantwortung im Völkerrecht, S. 159. 335 Hoffmann, Strafrechtliche Verantwortung im Völkerrecht, S. 159 mit Beispielen. 331 332

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E. Völkerrechtliche Legitimation der Strafgerichtsbarkeit des IStGH

vertretener Ansicht als internationaler Spruchkörper einzustufen. Über seine tatsächliche Völkerrechtmäßigkeit ist hierdurch freilich noch nichts gesagt. Von einigen Autoren wurde das IMT nicht als internationales Gericht, sondern als Besatzungsgericht bezeichnet.336 Die Einstufung als Besatzungsgericht bringt jedoch nicht zum Ausdruck, welcher Rechtsordnung dieses Gericht angehört. Sie schließt insbesondere eine völkerrechtliche Kompetenzzuweisung nicht aus. So wurde gerade bei einer Qualifizierung des IMT als Besatzungsgericht darauf hingewiesen, dass sich die Befugnis der vier Hauptsiegermächte zur Errichtung des Nürnberg-Tribunals und zur Strafverfolgung auch aus der ihnen als Besatzungsmächte zugewiesenen Kompetenz und damit aus Völkerrecht ableiten lasse.337 Von einem internationalen Gericht lässt sich daher auch sprechen, wenn man seine Gründung auf Besatzungsgewalt nach Völkerrecht zurückführen will.338 Daneben gehen auch die Autoren, die den Begriff des Besatzungsgerichts verwenden, davon aus, dass ein internationales Gericht nur durch einen völkerrechtlichen Vertrag geschaffen werden kann und stufen das Londoner Statut als einen solchen ein.339 Es handelt es sich insoweit also eher um eine begriffliche Unterscheidung.340 c) Die Rechtsgrundlage des Nürnberg-Tribunals Ausgehend von der Internationalität des Nürnberger Gerichtshofs stellt sich das Problem der rechtlichen Grundlage für seine formelle und materielle Legitimation. Fraglich ist, ob es auch in Nürnberg ähnlich wie beim IStGH zu einer Übertragung nationaler Strafgerichtsbarkeit gekommen ist und worauf sich seine materiellen Kompetenzen gründen. Das Urteil des IMT selbst hat die Frage der Rechtsgrundlage des Gerichts leider nur gestreift.341 Dementsprechend werden insoweit auch unterschiedliche Ansätze diskutiert.

336 Jescheck, Die Verantwortlichkeit der Staatsorgane nach Völkerrecht, S. 151; Dahm, Zur Problematik des Völkerstrafrechts, S. 18; Ahlbrecht, Geschichte der völkerrechtlichen Strafgerichtsbarkeit im 20. Jahrhundert, S. 70; Dahm / Delbrück / Wolfrum, Völkerrecht, Bd. I / 3, S. 1031. 337 Hoffmann, Strafrechtliche Verantwortung im Völkerrecht, S. 162. 338 So Woetzel, The Nuremberg Trials in International Law, S. 41: „. . . (the IMT was) based on powers of occupation under International law.“. 339 Jescheck, Die Verantwortlichkeit der Staatsorgane nach Völkerrecht, S. 151; Dahm, Zur Problematik des Völkerstrafrechts, S. 18; Ahlbrecht, Geschichte der völkerrechtlichen Strafgerichtsbarkeit im 20. Jahrhundert, S. 70. 340 So auch Jung, Die Rechtsprobleme der Nürnberger Prozesse, S. 110; Hoffmann, Strafrechtliche Verantwortung im Völkerrecht, S. 162, der feststellt, dass sowohl die Bezeichnung völkerrechtliches Gericht als auch Besatzungsgericht richtig sei. 341 Grewe, Nürnberg als Rechtsproblem, S. 16; Arnold, Der UNO-Sicherheitsrat und die strafrechtliche Verfolgung von Individuen, S. 24.

IV. Fehlende Präzedenzfälle für eine internationale Strafgerichtsbarkeit

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aa) Ausübung von eigener Hoheitsgewalt durch die Alliierten Teilweise wird vertreten, dass die Errichtung des Nürnberg-Tribunals als zulässige Ausübung der eigenen souveränen Hoheitsgewalt der Siegermächte anzusehen sei. Mit der bedingungslosen Kapitulation des Deutschen Reiches und der Verhaftung der letzten Geschäftsführenden Regierung unter Admiral Dönitz sei es zur Debellatio, das heißt zum Wegfall der für die Staatlichkeit erforderlichen Staatsgewalt und damit zum Untergang des Deutschen Reiches gekommen.342 Der deutsche Staat habe aufgehört zu existieren und die Staatsgewalt sei auf die Alliierten als neue souveräne Herrscher übergegangen.343 Die Errichtung des IMT stellt sich hiernach als „exercise of sovereign legislative power by the countries to which the German Reich had surrendered“ dar.344 Die Siegermächte hätten als neue Inhaber der staatlichen Hoheitsgewalt insbesondere auch die Justizhoheit ausüben und das IMT durch entsprechenden völkerrechtlichen Vertrag errichten sowie mit Strafverfolgungsbefugnissen ausstatten können. Mangels Existenz einer deutschen Staatsgewalt zu diesem Zeitpunkt sei eine irgendwie geartete Zustimmung Deutschlands nicht erforderlich gewesen. Die Einstufung des Londoner Abkommens als Vertrag zu Lasten Deutschlands kommt hiernach mangels Vorhandensein eines deutschen Staates erst gar nicht in Betracht. Vielmehr sei es jedenfalls vorübergehend zu einer vollständigen Übernahme der Souveränität durch die Alliierten gekommen. Diese hätten mit der Errichtung des IMT eigene souveräne Rechte, also eigene Hoheitsgewalt ausgeübt, insbesondere die Gerichtsbarkeit im untergegangenen deutschen Staat übernommen und der Strafverfolgung vor dem IMT zugestimmt.345 Rechtsgrund für die Errichtung des Nürnberg-Tribunals seien hiernach „the powers relating to legislative, judicial and administrative authority in Germany enjoyed by the Allies qua Government of Germany . . .“346 gewesen. Dieser Ansicht scheinen neuerdings auch US-amerikanische Kritiker des IStGH zuzuneigen. So wird jegliche Präzedenzwirkung des Londoner Abkommens für das Rom-Statut mit dem Argument bestritten, dass es in Nürnberg zu einer Ausübung von Strafgewalt über deutsche Kriegsverbrecher mit Zustimmung des Deutschen Reiches und damit letztlich mit Zustimmung des Heimatstaates der Angeklagten gekommen sei. Rechtsgrundlage für die Tätigkeit des Gerichts sei hier also, anders als im Fall des IStGH, ausschließlich der Konsens des Personalstaates Deutschland gewesen: 342 Zum Begriff der Debellatio Seidl-Hohenveldern / Stein, Völkerrecht, Rn. 1158; Blumenwitz, in: LdR / VR (3. Aufl.), S. 52. 343 Kelsen, The Legal Status of Germany According to the Declaration of Berlin, S. 521; so führte auch der französische Hauptankläger aus „Gegenwärtig gibt es keinen deutschen Staat . . .“, Steiniger, Nürnberger Prozess, Band I, S. 96. 344 Simons, The Jurisdictional Bases of the IMT, S. 50. 345 Zu diesem Ansatz auch Jung, Die Rechtsprobleme der Nürnberger Prozesse, S. 113. 346 Simons, The Jurisdictional Bases of the IMT, S. 51.

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E. Völkerrechtliche Legitimation der Strafgerichtsbarkeit des IStGH

„. . . the Nuremberg and Tokyo tribunals each, in different ways based their jurisdiction on the consent of the state of nationality of the defendant. “347

Die Alliierten hätten die tatsächliche Hoheitsgewalt über das untergegangene Deutschland ausgeübt und seien zum neuen deutschen Souverän geworden. Der Nürnberger Militärgerichtshof sei also mit Einverständnis der (neuen) deutschen Staatsgewalt errichtet worden: „We may conclude as a minimum, that the Nuremberg tribunal, having acted with the consent of the Allies, acted with the consent of the effective sovereign of the defendants’ state of nationality . . . the Allies actually created the tribunal and conducted those prosecutions in their capacity as effective sovereign.“348

Die überwiegende Auffassung in der Völkerrechtsliteratur geht demgegenüber davon aus, dass es auch nach der bedingungslosen Kapitulation nicht zum Untergang des Deutschen Reiches kam und die Alliierten dementsprechend auch nicht als neuer deutscher Souverän anzusehen waren. Vielmehr bejaht die ganz herrschende Kontinuitätstheorie das Fortbestehen des deutschen Staates auch nach der bedingungslosen Kapitulation als zunächst zwar handlungsunfähiges aber doch eigenständiges Völkerrechtssubjekt.349 Hierfür sprechen zunächst sowohl der Wille als auch die Staatenpraxis der Siegermächte nach Ende des Zweiten Weltkriegs. So übernahmen nach dem eindeutigen Wortlaut der Berliner Erklärung vom 5. 6. 1945 die Alliierten zwar die oberste Regierungsgewalt in Deutschland, lehnten aber eine Annexion Deutschlands ausdrücklich ab.350 Im Potsdamer Abkommen vom 2. 8. 1945 bekräftigten sie diese Absicht und setzten den Alliierten Kontrollrat für alle Deutschland als Ganzes betreffenden Fragen ein, der als völkerrechtliches Vertretungsorgan im Namen Deutschlands handeln sollte.351 Daneben hatten die Siegermächte aber auch keinerlei praktisches Interesse an einer Vernichtung der Völkerrechtspersönlichkeit des deutschen Staates. Denn nur dessen Fortbestand sicherte ihnen auch einen Schuldner für sämtliche von ihnen geltend gemachten Kriegsforderungen und Reparationszahlungen. 352 Morris, High Crimes and Misconceptions, S. 37. Morris, High Crimes and Misconceptions, S. 40. 349 Jung, Die Rechtsprobleme der Nürnberger Prozesse, S. 118 ff.; Hailbronner, in: Graf Vitzthum (Hrsg.), Völkerrecht, 3. Abschn., Rn. 178 ff.; Ahlbrecht, Geschichte der völkerrechtlichen Strafgerichtsbarkeit im 20. Jahrhundert, S. 69; Grewe, Nürnberg als Rechtsproblem, S. 30; Jescheck, Die Verantwortlichkeit der Staatsorgane nach Völkerrecht, S. 169; Stein / von Buttlar, Völkerrecht, Rn. 354; Blumenwitz, in: LdR / VR (3. Aufl.), S. 52 ff.; BVerfGE 2, S. 56; BVerfGE 3, S. 319 ff.; BVerfGE 36, S 16; Dahm / Delbrück / Wolfrum, Völkerrecht, Band I / 1, S. 357. 350 Berliner Erklärung, Amtsblatt des Kontrollrates, Ergänzungsblatt Nr. 1, 7. 351 Stein / von Buttlar, Völkerrecht, Rn. 354 ff. 352 Blumenwitz, in: LdR / VR (3. Aufl.), S. 52 unter Verweis auf die Staatenpraxis der Siegermächte, die endgültige Entscheidungen aufschieben und sich ein dauerhaftes Mitsprache347 348

IV. Fehlende Präzedenzfälle für eine internationale Strafgerichtsbarkeit

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Gegen die Tatsache, dass die Alliierten das IMT in ihrer Rolle als neuer deutscher Souverän errichteten, spricht weiterhin Artikel 6 des Nürnberg-Statuts. Dieser räumt dem IMT nämlich ausdrücklich Gerichtsbarkeit „zur Aburteilung der Hauptkriegsverbrecher der der europäischen Achse angehörigen Staaten“ ein. Da die Alliierten aber über die anderen Länder der europäischen Achse, das heißt über die Kriegsverbündeten des Deutschen Reiches, weder tatsächliche Hoheitsgewalt ausübten noch beanspruchten, kann die Errichtung des Nürnberg-Tribunals auch aus diesem Grund nicht auf eine Stellung der Alliierten als neuer Souverän Deutschlands gestützt werden.353 Denn die Siegermächte wollten bei Gründung des IMT Strafgewalt über alle Kriegsverbrecher der europäischen Achse in Anspruch nehmen, nicht nur über die Staatsangehörigen des Deutschen Reiches. Eine Strafgerichtsbarkeit über Kriegsverbrecher aus anderen europäischen Staaten hätte sich aber kaum mit der Zustimmung des neuen deutschen Souveräns rechtfertigen lassen. Letztlich ist auch zu berücksichtigen, dass weder die bedingungslose Kapitulation als militärischer Akt noch die Verhaftung der Regierung Dönitz den Kern der deutschen Staatsgewalt trafen. Denn zum einen hängt die Staatsgewalt nicht vom Schicksal eines ihrer Funktionsträgers ab, zum anderen wurde im besiegten Deutschland auf mittlerer und unterer Ebene nach wie vor deutsche Staatsgewalt ausgeübt.354 Dies bedeutet aber, dass Deutschland als eigenständiges Völkerrechtssubjekt mit eigener staatlicher Souveränität weiterexistierte. Die Auffassung von der Debellatio des Deutschen Reiches, nach der die Alliierten als neuer deutscher Souverän einzustufen sind und die Errichtung des IMT letztlich auf der Zustimmung des Heimatstaates der deutschen Täter beruht, ist daher abzulehnen. bb) Deutschland als Vertragspartei des Londoner Abkommens Teilweise wird angenommen, dass Deutschland, vertreten durch die Alliierten, Vertragspartei des Londoner Abkommens gewesen sei und somit der Gründung des IMT ausdrücklich zugestimmt habe. So hätten die Alliierten nach der bedingungslosen Kapitulation stellvertretend für das Deutsche Reich deutsche Hoheitsgewalt ausgeübt und Deutschland insoweit bei Abschluss des Londoner Abkommens repräsentiert.355 Nach dieser Ansicht haben die Alliierten keine eigenen souveräne Hoheitsrechte ausgeübt, sondern fremde deutsche Staatsgewalt treuhänderisch wahrgenommen. Deutschland sei damit bei Abschluss des Londoner Abkommens durch die Siegermächte vertreten worden und hierdurch letztlich selbst Vertragspartner, nicht etwa Drittstaat, gewesen.356 recht in Status- und Sicherheitsfragen Mitteleuropas sichern wollten und auch deshalb vom Fortbestand des Deutschen Reiches ausgegangen seien. 353 Simons, The Jurisdictional Bases of the IMT, S. 51 – 52. 354 Blumenwitz, in: LdR / VR (3. Aufl.), S. 52 – 53. 355 Meier, Nürnberg, Den Haag, Rom, S. 163 – 164. 356 Meier, Nürnberg, Den Haag, Rom, S. 164.

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E. Völkerrechtliche Legitimation der Strafgerichtsbarkeit des IStGH

Von den Gegnern einer solchen Konstruktion wurde eine entsprechende Vertretung Deutschlands durch die Alliierten als unzulässiges Kontrahieren mit sich selbst eingestuft, da insoweit ein Interessenkonflikt zwischen Vertreter und Vertretenem vorgelegen habe. Unter Verweis auf das im Zivilrecht zahlreicher Staaten geltende Vertretungsverbot bei einem entsprechenden Interessengegensatz zwischen Vertreter und Vertretenem, wurde auch ein entsprechender völkerrechtlicher Rechtsgrundsatz proklamiert.357 Insbesondere in der deutschen Völkerrechtslehre wurde eine treuhänderische Wahrnehmung deutscher Staatsgewalt durch die Siegermächte unter Hinweis auf entgegenstehende deutsche Interessen als völkerrechtswidrig eingestuft. Eine wirksame Beteiligung Deutschlands am Londoner Abkommen, vertreten durch die Alliierten, wurde daher als unzulässiger Vertrag der Alliierten mit sich selbst zu Lasten des vertretenen deutschen Staates abgelehnt.358 Dieser im ersten Moment ansprechende Ansatz führt bei näherer Auseinandersetzung mit überraschender Deutlichkeit vor Augen, wie ähnlich die nach 1945 gegen den Nürnberger Gerichtshof vorgebrachten Argumente den nach 1998 gegen den IStGH geltend gemachten Bedenken sind. Damals wie heute birgt der Ansatz vom Vertrag zu Lasten Dritter eine gewisse Attraktivität, damals wie heute ist er indessen weder für das IMT-Statut noch für das Rom-Statut richtig. Das Londoner Abkommen stellt keinen Vertrag zu Lasten des deutschen Staates dar. Vielmehr proklamierte auch dieses Abkommen lediglich eine individuelle strafrechtliche Verantwortlichkeit von Einzelpersonen, nicht aber eine rechtliche Verpflichtung des deutschen Staates selbst.359 Denn die Begründung von Gerichtsbarkeit des IMT über deutsche Kriegsverbrecher ist nicht gleichzusetzen mit einer rechtlichen Belastung des deutschen Heimatstaates, ebenso wenig wie die Begründung von Gerichtsbarkeit des IStGH über Kriegsverbrecher aus Nichtvertragsstaaten eine rechtliche Verpflichtung der jeweiligen Heimatstaaten der Täter schafft. So stellte der amerikanische Völkerrechtler Wright schon 1947 fest: „Sovereign states, it is true, cannot be subjected to a foreign jurisdiction without their consent but such principle applies not to individuals. The Nuremberg Tribunal did not exercise jurisdiction over Germany but over certain German individuals accused for crimes.“360

Diese Aussage hat bis heute nichts an Gültigkeit und Aktualität verloren. Eine Vertretung Deutschlands durch die Alliierten hätte also im Hinblick auf die Errichtung des Nürnberger Gerichtshofs kein unzulässiges Kontrahieren mit sich selbst dargestellt. Gegen eine Beteiligung Deutschlands am Londoner Abkommen als Vertragspartei spricht jedoch zum einen der Wortlaut des Abkommens. Das besiegte DeutschGrewe, Nürnberg als Rechtsproblem, S. 95. Jescheck, Die Verantwortlichkeit der Staatsorgane nach Völkerrecht, S. 169; Grewe, Nürnberg als Rechtsproblem, S. 62. 359 So auch Kemper, Der Weg nach Rom, S. 115. 360 Wright, The Law of the Nuremberg Trial, S. 46. 357 358

IV. Fehlende Präzedenzfälle für eine internationale Strafgerichtsbarkeit

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land wurde nach der Niederlage im Zweiten Weltkrieg zunächst völkerrechtlich durch den Alliierten Kontrollrat, nicht aber durch die Alliierten selbst vertreten.361 Das Londoner Abkommen wurde aber nicht zwischen den Siegermächten und dem Kontrollrat im Namen Deutschlands abgeschlossen. Vielmehr sieht sein Artikel 1 lediglich eine Beratung mit dem Kontrollrat als Vertretungsorgan Deutschlands vor und bestimmt: „There shall be established after consultation with the Control Council for Germany an International Military Tribunal for the trial of war criminals . . .“362

Wegen dieser lediglich beratenden Funktion kann nicht von einer direkten Beteiligung des Kontrollrats gesprochen werden.363 Auch ansonsten sieht der Vertragstext keinerlei Mitwirkung oder Beteiligung Deutschlands vor, die Zuweisung der Strafgerichtsbarkeit über deutsche Kriegsverbrecher an das Nürnberg-Tribunal erfolgte ohne wenigstens formelle Beteiligung deutscher Staatsorgane.364 Weiterhin spricht ein Vergleich mit dem Tokio-Tribunal und der Rolle Japans gegen eine Beteiligung oder Vertretung Deutschlands bei Abschluss des Londoner Abkommens. Denn Japan stimmte in seiner Kapitulationserklärung der Errichtung des Militärgerichtshofs für den Fernen Osten jedenfalls formell zu.365 Hätte man Deutschland tatsächlich als Vertragspartei des Londoner Abkommens angesehen, so hätte es nahe gelegen, gleichfalls eine entsprechende Beteiligung des Alliierten Kontrollrats herbeizuführen. Schließlich hat sich auch der Internationale Militärgerichtshof selbst in seinem Urteil an keiner Stelle auf ein stellvertretendes Handeln oder ein treuhänderisches Tätigwerden der Alliierten für Deutschland berufen.366 Deutschland ist daher nicht als Vertragspartei des Londoner Abkommens anzusehen, für dessen Verbindlichkeit müssen mithin andere rechtliche Begründungsansätze herangezogen werden.

361 Seidl-Hohenveldern / Stein, Völkerrecht, Rn. 690, 740; Stein / von Buttlar, Völkerrecht, Rn. 354. 362 Londoner Vier-Mächte-Abkommen vom 8. August 1945 und Statut für den Internationalen Militärgerichtshof in: Internationaler Militär-Gerichtshof, Nürnberg: Der Prozess gegen die Hauptkriegsverbrecher vor dem Internationalen Militärgerichtshof, Band I, S. 7 ff.; Agreement for the Prosecution and Punishment of the Major War Criminals of the European Axis, with the Charter of the Military Tribunal, London, 8th August, 1945, 82 U.N.T.S. (1951), No. 251, S. 279 ff., Hervorhebung durch die Verfasserin. 363 Arnold, Der UNO-Sicherheitsrat und die strafrechtliche Verfolgung von Individuen, S. 39; Jescheck, Die Verantwortlichkeit der Staatsorgane nach Völkerrecht, S. 169. 364 So auch Jescheck, Die Verantwortlichkeit der Staatsorgane nach Völkerrecht, S. 169; Ahlbrecht, Geschichte der völkerrechtlichen Strafgerichtsbarkeit im 20. Jahrhundert, S. 360. 365 Ahlbrecht, Geschichte der völkerrechtlichen Strafgerichtsbarkeit im 20. Jahrhundert, S. 104, 106. 366 So auch Jescheck, Die Verantwortlichkeit der Staatsorgane nach Völkerrecht, S. 285.

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E. Völkerrechtliche Legitimation der Strafgerichtsbarkeit des IStGH

cc) Ermächtigung der Alliierten durch die Weltgemeinschaft Gerade in der ausländischen Völkerrechtsliteratur wurde als rechtliche Grundlage für das Nürnberg-Tribunal immer wieder die Ermächtigung der Alliierten zu dessen Errichtung durch die Völkergemeinschaft genannt.367 Kerngedanke dieses Ansatzes ist, dass das Vorgehen der Alliierten von der internationalen Gemeinschaft autorisiert beziehungsweise gebilligt wurde. Diese Zustimmung der Weltgemeinschaft soll zu einer Allgemeinverbindlichkeit des Londoner Abkommens und zu einer Legitimation der Ausübung von Strafgewalt durch die Siegermächte geführt haben. Zur Begründung dieser Ansicht wurde zum einen auf das wiederholte Handeln der Siegermächte im Namen der internationalen Gemeinschaft verwiesen. So verkündeten Großbritannien, die Sowjetunion und die USA bereits in der Moskauer Dreimächte-Erklärung vom 30. 10. 1943, dass sie deutsche Kriegsverbrecher „im Namen der 32 vereinten Nationen“ zur Verantwortung ziehen würden.368 Auch in der Präambel des Londoner Viermächte-Abkommens beriefen sich die Alliierten darauf, im Interesse Weltgemeinschaft zu handeln.369 Artikel 5 des Londoner Abkommens sah weiterhin eine Beitrittsmöglichkeit für alle Mitglieder der Vereinten Nationen vor. Von dieser Möglichkeit machten neunzehn Staaten auch Gebrauch. Hieraus schloss man immer wieder, dass die Siegermächte mit Zustimmung und in Vertretung der überwältigenden Mehrheit der Staatengemeinschaft tätig geworden seien. So äußerte der amerikanische Hauptankläger im Nürnberger Prozess, das IMT repräsentiere „. . . die Weisheit, das Gerechtigkeitsgefühl und den Willen von 21 Regierungen, einer überwältigenden Mehrheit aller zivilisierten Menschen“.370

Auch sein französischer Kollege erklärte: „Dieser Gerichtshof . . . übt sein Amt für die Gesamtheit der Vereinten Nationen aus und ist dazu berufen, im Namen der freien Völker, im Namen der befreiten Menschheit, über Nazi-Deutschland Recht zu sprechen.“371

Die Ermächtigung der Alliierten durch die Weltgemeinschaft sollte auch nach im Schrifttum vertretener Auffassung hinreichende rechtliche Grundlage für die Errichtung des IMT sein. So wurde im Hinblick auf die Autorität der Alliierten ausgeführt: 367 Simons, The Jurisdictional Bases of the IMT, S. 53 ff.; Woetzel, The Nuremberg Trials in International Law, S. 49 ff. 368 Arnold, Der UNO-Sicherheitsrat und die strafrechtliche Verfolgung von Individuen, S. 37. 369 „. . . acting in the interest of all United Nations“, Londoner Vier-Mächte-Abkommen vom 8. August 1945, in: Internationaler Militär-Gerichtshof, Nürnberg: Der Prozess gegen die Hauptkriegsverbrecher vor dem Internationalen Militärgerichtshof, Band I, S. 7 ff. 370 Steiniger, Der Nürnberger Prozess, Band I, S. 86. 371 Steiniger, Der Nürnberger Prozess, Band I, S. 94 – 95.

IV. Fehlende Präzedenzfälle für eine internationale Strafgerichtsbarkeit

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„. . . the authority to create the Charter and the Tribunal . . . was granted to them by a majority of the world community“372.

An anderer Stelle heißt es: „. . . the fact that twenty-three nations, representing the quasi-totality of civilised states subscribed to the London Charter, indicates that the IMT clearly had the sanction of the international community . . . It is evident therefore that international sanction constitutes the most important condition for the legal character and the legal basis of the Nuremberg trial.“373

Dem Londoner Abkommen sollte hiernach aufgrund der Zustimmung und des Beitritts der überwältigenden Mehrheit der internationalen Gemeinschaft Allgemeinverbindlichkeit auch gegenüber dem deutschen Staat zukommen.374 Das Nürnberg-Statut wurde somit als ausnahmsweise zulässiger Vertrag zu Lasten Deutschlands angesehen. Die Durchbrechung des pacta-tertiis-Grundsatzes wurde mit der Zustimmung der internationalen Gemeinschaft gerechtfertigt.375 Auch dieser Begründungsansatz wurde bereits im Zusammenhang mit dem Rom-Statut erörtert, er ist jedoch auch im Hinblick auf das Londoner Abkommen abzulehnen. Denn das Londoner Abkommen bindet wie das Rom-Statut ausschließlich Individuen, nicht aber Staaten. Ein Vertrag zu Lasten dritter Staaten liegt damit ohnehin nicht vor. Unabhängig davon ist aber bereits zweifelhaft, ob dreiundzwanzig Staaten tatsächlich als die Gesamtheit aller zivilisierten Staaten angesehen werden können. Zu Recht wurde von einigen Autoren etwa darauf hingewiesen, dass mehrere Kriegsgegner Deutschlands wie China, Kanada und Südafrika dem Londoner Abkommen gerade nicht beigetreten sind.376 Daneben wurde bereits dargelegt, dass die Zustimmung der internationalen Gemeinschaft bisher zu keinem Zeitpunkt die Allgemeinverbindlichkeit völkerrechtlicher Verträge begründet hat. Auch das Londoner Abkommen konnte demgemäß bei seiner Gründung nicht als allgemeinverbindlich angesehen werden, selbst wenn man davon ausgeht, dass es von der „Quasi-Gesamtheit der zivilisierten Staaten“377 gebilligt wurde. Durch ein Handeln im Auftrag oder mit Zustimmung der internationalen Gemeinschaft konnte auch 1945 kein Völkergewohnheitsrecht im Schnellverfahren geschaffen werden. Die Zustimmung der Weltgemeinschaft hat Simons, The Jurisdictional Bases of the IMT, S. 53. Woetzel, The Nuremberg Trials in International Law, S. 57, 95. 374 Woetzel, The Nuremberg Trials in International Law, S. 86 ff.; Simons, The Jurisdictional Bases of the IMT, S. 52 ff. 375 Woetzel, The Nuremberg Trials in International Law, S. 86 – 87, 95. 376 Grewe, Nürnberg als Rechtsproblem, S. 17; Jescheck, Die Verantwortlichkeit der Staatsorgane nach Völkerrecht, S. 153 – 154; Arnold, Der UNO-Sicherheitsrat und die strafrechtliche Verfolgung von Individuen, S. 52. 377 Woetzel, The Nuremberg Trials in International Law, S. 55. 372 373

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E. Völkerrechtliche Legitimation der Strafgerichtsbarkeit des IStGH

insoweit allenfalls Bedeutung für die Zukunft. Derartige Überlegungen machen jedoch deutlich, dass sich im Zusammenhang mit der Rechtmäßigkeit der Errichtung des Nürnberger Kriegsverbrechertribunals zum Teil ganz ähnliche Rechtsfragen stellten wie heute bei der Gründung des IStGH.378 Ebensowenig wie heute die internationale Gemeinschaft allein durch Abschluss des Rom-Statuts dritte Staaten binden kann, konnte die internationale Gemeinschaft damals durch bloße Billigung beziehungsweise teilweisen Beitritt zum Londoner Abkommen die Alliierten mit gesetzgeberischer Gewalt ausstatten.379 Der internationalen Gemeinschaft kommt bis heute keine internationale Gesetzgebungskompetenz zu, auch 1945 konnten daher nicht 23 Staaten die Alliierten zum Erlass verbindlicher Normen ermächtigen. Insoweit gilt nach wie vor, dass weder einzelne Staaten noch Gruppen von Staaten das Recht haben, sich durch einseitigen Akt zu Sachwaltern der internationalen Gemeinschaft einzusetzen und ohne Zustimmung der betroffenen Staaten Jurisdiktion auszuüben, soweit sich diese nicht ohnehin aus dem vom allgemeinen Völkerrecht anerkannten Bereich ihrer nationalen Gerichtsbarkeit ergibt.380 Die Billigung der internationalen Gemeinschaft an sich stellt insoweit keine ausreichende Rechtsgrundlage dar. Es ist mithin zu prüfen, ob das IMT trotz fehlender deutscher Beteiligung nach anderen völkerrechtlichen Grundsätzen Strafgerichtsbarkeit über deutsche Staatsangehörige ausüben konnte. Aufgrund der fehlenden Zustimmung Deutschlands war die Übertragung von Strafgerichtsbarkeit und materieller Strafgewalt auf das Tribunal nur insoweit möglich, als dies nach bereits geltendem Völkerrecht ohnehin zulässig war.381 Geht man mit der allgemeinem Meinung von einem Fortbestehen des deutschen Staates auch nach der bedingungslosen Kapitulation aus, so stellt sich die Frage, ob es den Siegermächten nach allgemeinen völkerrechtlichen Grundsätzen möglich war, formelle und materielle Strafgewalt über deutsche Kriegsverbrecher auszuüben und diese, wie im Londoner Abkommen geschehen, auf einen internationalen Gerichtshof zu übertragen.

378 Vgl. oben, S. 110 ff.; ähnlich Grewe, Nürnberg als Rechtsproblem, S. 17; Jescheck, Die Verantwortlichkeit der Staatsorgane nach Völkerrecht, S. 153 – 154; Arnold, Der UNOSicherheitsrat und die strafrechtliche Verfolgung von Individuen, S. 52. 379 Hoffmann, Strafrechtliche Verantwortung im Völkerrecht, S. 152; Dahm, Zur Problematik des Völkerstrafrechts, S. 18; allgemein hierzu siehe S. 102 ff. dieser Arbeit. 380 Dahm, Zur Problematik des Völkerstrafrechts, S. 19 – 20; so auch Meier, Nürnberg, Den Haag, Rom, S. 164; A.A. Woetzel, The Nuremberg Trials in International Law, S. 54; Charney, Universal International Law, S. 551. 381 Dahm, Zur Problematik des Völkerstrafrechts, S. 18.

IV. Fehlende Präzedenzfälle für eine internationale Strafgerichtsbarkeit

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dd) Völkerrechtliches Besatzungsrecht Teilweise wird die Verbindlichkeit der Nürnberger Gerichtsbarkeit gegenüber Deutschland auf die Haager Landkriegsordnung (HLKO)382 und damit auf völkerrechtliches Besatzungsrecht gestützt.383 Die für Deutschland zu bejahende militärische Besetzung unter Fortbestand der Eigenstaatlichkeit und die damit verbundenen Rechte und Pflichten von Besatzern wie Besetzten bestimmen sich grundsätzlich nach den Artikeln 42 – 56 der HLKO.384 Diese Bestimmungen geben allgemein anerkanntes Völkergewohnheitsrecht wieder.385 Von Bedeutung für die Jurisdiktionsgewalt der Alliierten ist insbesondere die Generalklausel des Artikels 43 HLKO, nach der die Besatzungsmacht alle Vorkehrungen zu treffen hat, um nach Möglichkeit die öffentliche Ordnung und das öffentliche Leben wiederherzustellen und aufrechtzuerhalten. Dies hat unter Beachtung der Landesgesetze zu erfolgen, soweit kein zwingendes Hindernis existiert. Nach der HLKO besteht eine Jurisdiktionsgewalt der Besatzer also nur, soweit dies zur Sicherung der öffentlichen Ordnung notwendig ist. Die Strafgerichtsbarkeit der Besatzungsmächte erstreckt sich deshalb nur auf Taten, die während der Okkupation begangen werden. Straftaten aus der Zeit vor Beginn der Besatzung werden von Artikel 43 HLKO nur erfasst, soweit der geordneten staatlichen Gerichtsbarkeit im besetzten Gebiet unüberwindliche Hindernisse entgegenstehen.386 Eine Ausnahme von diesem Grundsatz gilt für Kriegsverbrechen. Diese dürfen von der Besatzungsmacht auch bei Tatbegehung vor Besetzung verfolgt werden.387 Das Statut des IMT erstreckte sich bekanntermaßen nicht nur auf diese klassischen Kriegsverbrechen, sondern erfasste auch Verbrechen gegen die Menschlichkeit, Verbrechen gegen den Frieden und Organisationsverbrechen. Die deutsche ordentliche Gerichtsbarkeit war jedoch spätestens seit dem Frühjahr 1946 wieder funkAbgedruckt in Sartorius II, Nr. 46. Jescheck, Die Verantwortlichkeit der Staatsorgane nach Völkerrecht, S. 168 ff.; Dahm, Zur Problematik des Völkerstrafrechts, S. 18; Dahm / Delbrück / Wolfrum, Völkerrecht, Bd. I / 3, S. 1031. 384 Jung, Die Rechtsprobleme der Nürnberger Prozesse, S. 112; Doehring, Völkerrecht, Rn. 606. 385 IMT, Judgment and Sentences, AJIL Band 41 (1947), S. 325; Stein / von Buttlar, Völkerrecht, Rn. 157; Doehring, Völkerrecht, Rn. 318; Woetzel, The Nuremberg Trials in International Law, S. 81. 386 Jung, Die Rechtsprobleme der Nürnberger Prozesse, S. 112 ff.; Woetzel, The Nuremberg Trials in International Law, S. 79; Dahm, Zur Problematik des Völkerstrafrechts, S. 18; Jescheck, Die Verantwortlichkeit der Staatsorgane nach Völkerrecht, S. 172. 387 Jescheck, Die Verantwortlichkeit der Staatsorgane nach Völkerrecht, S. 173; Jung, Die Rechtsprobleme der Nürnberger Prozesse, S. 112 – 113; Arnold, Der UNO-Sicherheitsrat und die strafrechtliche Verfolgung von Individuen, S. 36. 382 383

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tionsfähig.388 Damit war die Strafverfolgung durch den Nürnberger Militärgerichtshof, soweit sie über die Verfolgung von Kriegsverbrechen im klassischen Sinn hinausging, nach allgemeiner Ansicht nicht mehr von dem in der HLKO festgehaltenen Besatzungsrecht gedeckt.389 Keine Einigkeit konnte aber im Hinblick auf die aus dieser Erkenntnis zu ziehenden Schlussfolgerungen erzielt werden. Teilweise wird vertreten, dass die Alliierten bei Gründung des IMT nur eingeschränkt beziehungsweise gar nicht an die Grundsätze der HLKO gebunden waren. Hierfür wird angeführt, die HLKO regle lediglich die Pflichten der Besatzungsmächte, nicht aber deren Rechte. Diese ergäben sich vielmehr aus allgemeinem Völkergewohnheitsrecht und umfassten auch die Kriegsziele der Okkupanten im Rahmen ihrer Besatzung. Zu den Kriegszielen der Alliierten für Deutschland hätte nach dem Zweiten Weltkrieg eben auch die Bestrafung von Völkerrechtsverbrechen gehört. Alle Maßnahmen zur Verwirklichung dieses Ziels seien daher von der Okkupationsgewalt gedeckt, so dass die Errichtung des IMT durch die Alliierten völkerrechtlich zulässig gewesen sei.390 Insbesondere im ausländischen Schrifttum wurde sogar eine gänzliche Unanwendbarkeit der HLKO angenommen. So sei die Situation aufgrund der bedingungslosen Kapitulation Deutschlands bis dato einzigartig gewesen. Hier habe eine Besatzung sui generis vorgelegen, auf die die HLKO nicht anwendbar gewesen sei, so dass den Alliierten entgegen Artikel 43 HLKO umfassende Justizhoheit zugestanden habe.391 Dieses Ergebnis wurde auch mit einem argumentum a majore ad minus begründet. Die Alliierten seien nach der bedingungslosen Kapitulation in der Lage gewesen, das Deutsche Reich zu annektieren und die Souveränität vollständig zu übernehmen. Sie seien daher erst recht zu einem „Weniger“, nämlich zur nur vorübergehenden Übernahme der Souveränität einschließlich der uneingeschränkten (Straf-)Gerichtsbarkeit ohne die in der HLKO vorgesehenen Beschränkungen berechtigt gewesen.392 Die Siegermächte hätten den Achsenstaaten faktisch jede Be388 Jescheck, Die Verantwortlichkeit der Staatsorgane nach Völkerrecht, 173; Jung, Die Rechtsprobleme der Nürnberger Prozesse, S. 113; Maier, Nürnberg, Den Haag, Rom, S. 157 weist darauf hin, dass bereits im Juni 1945 die ersten deutschen Amts- und Landgerichte wiedereröffnet und im Herbst 1945 die ersten Oberlandesgerichtspräsidenten ernannt wurden. 389 Kimminich, Die Menschenrechte in der Friedensregelung nach dem Zweiten Weltkrieg, S. 91; Jescheck, Die Verantwortlichkeit der Staatsorgane nach Völkerrecht, S. 172; Ahlbrecht, Geschichte der völkerrechtlichen Strafgerichtsbarkeit im 20. Jahrhundert, S. 68; Jung, Die Rechtsprobleme der Nürnberger Prozesse, S. 113; Maier, Nürnberg, Den Haag, Rom, S. 159. 390 Vgl. Jung, Die Rechtsprobleme der Nürnberger Prozesse, S. 119 ff. 391 Maier, Nürnberg, Den Haag, Rom, S. 161; Kelsen, The Legal Status of Germany According to the Declaration of Berlin, S. 518 ff.; hierzu kritisch Kimminich / Fiedler, in: LdR / VR (3. Aufl.), S. 41; Jung, Die Rechtsprobleme der Nürnberger Prozesse, S. 116 ff. mit zahlreichen Nachweisen. 392 Simons, The Jurisdictional Bases of the IMT, S. 51; hierzu auch Jung, Die Rechtsprobleme der Nürnberger Prozesse, S. 115 ff.; Maier, Nürnberg, Den Haag, Rom, S. 159.

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dingung auferlegen können, insbesondere auch eine Auslieferung der Völkerrechtsverbrecher ohne Gerichtsverfahren. Dann sei aber aufgrund der damit verbundenen Besserstellung der Täter erst recht ein Gerichtsverfahren zulässig gewesen, selbst wenn diesem Gericht Einwände des klassischen Besatzungsvölkerrechts entgegenstanden.393 Dem ist zu erwidern, dass das Völkerrecht eine uneingeschränkte Hoheitsgewalt über besiegtes Territorium gerade nur für den Fall der Annexion vorsieht. Eine solche widersprach aber wie bereits erwähnt den ausdrücklichen Interessen der Alliierten, etwa ihrem Wunsch, sich mit dem als Völkerrechtssubjekt fortbestehenden deutschen Staat einen Schuldner für Reparationszahlungen zu sichern. Mangels Annexion kann aber auch die bedingungslose Kapitulation des Deutschen Reiches die Besatzungsmächte nicht von der Beachtung der HLKO als völkergewohnheitsrechtlich anerkanntem Besatzungsrecht und von den entsprechenden Pflichten entbinden, die im Interesse aller Staaten bestehen.394 Der Besatzer kann nicht einerseits auf eine Annexion verzichten, andererseits aber alle Rechte ausüben, die die Einverleibung eines Gebietes mit sich bringen würde. Erfolgt eine Annexion nicht, ist der Siegerstaat vielmehr verpflichtet, die staatliche Selbständigkeit des besetzten Staates in irgendeiner Form wiederherzustellen. Eine Loslösung von diesen völkergewohnheitsrechtlichen Grundsätzen kommt nicht in Betracht.395 Die Besatzer können die Bestimmungen der HLKO auch nicht dadurch umgehen, dass sie die uneingeschränkte Ausübung von (Straf-)Gerichtsbarkeit zum Kriegsziel erklären. Wäre eine Besatzungsmacht in der Lage, unbegrenzt Kriegsziele festzulegen, könnte sie letztlich beliebig über die Besetzten verfügen und die Grundsätze der HLKO so umgehen.396 Sowohl die Besiegten als auch das völkerrechtliche Besatzungsrecht wären den Besatzern willkürlich ausgeliefert. Dies entspricht aber gerade nicht den Gedanken des Kriegsvölkerrechts und der HLKO. Ihre Anwendbarkeit kann nach ihrem Sinn und Zweck nicht unter Berufung auf die Besonderheiten einer Besatzung oder bestimmte Kriegsziele ausgeschlossen oder eingeschränkt werden. Die HLKO galt daher auch bei der Besatzung Deutschlands uneingeschränkt. Gegen die Annahme, dass die Gründung des IMT auf völkerrechtliches Besatzungsrecht zu stützen sei, lässt sich schließlich erneut Artikel 6 des Londoner Abkommens anführen, wonach die Alliierten den Gerichtshof zur Aburteilung aller 393 Vgl. Jung, Die Rechtsprobleme der Nürnberger Prozesse, S. 99 – 100; Glueck, War Criminals, their Prosecution and Punishment, S. 13 ff. 394 Kimminich / Fiedler, in: LdR / VR (3. Aufl.), S. 41; Seidl-Hohenveldern / Stein, Völkerrecht, Rn. 1865; Doehring, Völkerrecht, Rn. 318; Woetzel, The Nuremberg Trials in International Law, S. 80 ff.; Kimminich, Die Menschenrechte in der Friedensregelung nach dem Zweiten Weltkrieg, S. 91; a. A. Kelsen, The Legal Status of Germany According to the Declaration of Berlin, S. 521 ff. 395 Kimminich, Die Menschenrechte in der Friedensregelung nach dem Zweiten Weltkrieg, S. 91 ff. 396 Jescheck, Die Verantwortlichkeit der Staatsorgane nach Völkerrecht, S. 172.

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Hauptkriegsverbrecher der europäischen Achse ermächtigen wollten. Die europäische Achse umfasste neben Deutschland jedoch zahlreiche nicht in der Besatzungszone liegende Staaten, die gerade nicht der alliierten Besatzungsgewalt unterstanden.397 Die Errichtung des Nürnberg-Tribunals kann somit nicht auf völkerrechtliches Besatzungsrecht im Sinne der HLKO gestützt werden. Zur Erlangung der uneingeschränkten Hoheitsgewalt über Deutschland hätte es vielmehr einer Annexion bedurft. Mit dem IMT wurde daher ein internationales Gericht errichtet, dessen Zuständigkeit über das völkerrechtlich anerkannte Besatzungsrecht und das Kriegsrecht der HLKO hinausging.398 ee) Strafgerichtsbarkeit nach allgemeinen völkerrechtlichen Grundsätzen Damit bleibt zu prüfen, ob die Alliierten nach allgemeinen völkerrechtlichen Grundsätzen ihre nationale Strafgerichtsbarkeit über die deutschen Kriegsverbrecher zusammenlegen und auf ein internationales Gericht wie das Nürnberg-Tribunal übertragen konnten. Aufgrund der fehlenden Zustimmung des deutschen Staates zur Errichtung des IMT konnten die alliierten Staaten dem Nürnberger Gerichtshof Gerichtsbarkeit nur insoweit übertragen, als dies nach allgemein geltendem Völkerrecht zulässig war. Neben der materiellen Strafbarkeit der fraglichen Verbrechen setzt dies weiterhin die Strafgerichtsbarkeit der einzelnen alliierten Staaten über diese Verbrechen voraus.399 Der Nürnberger Militärgerichtshof machte in seinem Urteil zur rechtlichen Grundlage seiner Errichtung die folgenden berühmten Ausführungen: „The Signatory Powers created this Tribunal, defined the law it was to administer, and made regulations for the proper conduct of the Trial. In doing so, they have done together what each of them might have done singly; for it is not to be doubted that any nation has the right to set up special courts to administer law.“400

Dies spricht für eine Berechtigung jedes Staates zur Bestrafung der im Statut genannten Verbrechen nach allgemeinem Völkerrecht und nicht für eine besondere Befugnis der siegreichen Besatzungsmächte aufgrund von speziellem Besatzungsrecht.401 Nach Auffassung des Gerichts haben die Alliierten gemeinsam das getan, was jeder Einzelne von ihnen ohnehin alleine hätte tun können. 397 Arnold, Der UNO-Sicherheitsrat und die strafrechtliche Verfolgung von Individuen, S. 37; Simons, The Jurisdictional Bases of the IMT, S. 51 – 52. 398 Ahlbrecht, Geschichte der völkerrechtlichen Strafgerichtsbarkeit im 20. Jahrhundert, S. 70. 399 Dahm, Zur Problematik des Völkerstrafrechts, S. 18. 400 IMT, Judgment and Sentences, AJIL Band 41 (1947), S. 216. 401 Arnold, Der UNO-Sicherheitsrat und die strafrechtliche Verfolgung von Individuen, S. 24.

IV. Fehlende Präzedenzfälle für eine internationale Strafgerichtsbarkeit

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Damit stellt sich zunächst die Frage nach der Strafgerichtsbarkeit der Siegerstaaten. Zahlreiche der abgeurteilten Taten wurden nicht im Staatsgebiet der Alliierten begangen, sondern vielmehr im Territorium dritter Staaten und im Deutschen Reich selbst. Ebenso waren die Opfer keinesfalls nur Staatsangehörige der Alliierten. Die genannten Verbrechen wurden vielfach am eigenen Volk, etwa an deutschen Juden oder an den Angehörigen dritter Staaten verübt. Damit lässt sich die Strafgerichtsbarkeit der Alliierten über die in Artikel 6 des IMT-Statuts aufgezählten Verbrechen nur teilweise auf das Territorialitätsprinzip, das passive Personalitätsprinzip oder das Schutzprinzip stützen.402. Insbesondere eine Zuständigkeit für Verbrechen, die von Deutschen an Deutschen oder an Staatsangehörigen dritter Staaten begangen wurden, lässt sich aufgrund fehlender sonstiger Nähebeziehung zur Tat nur durch das Universalitätsprinzip rechtfertigen. Gerade dieses setzt aber voraus, dass für die abzuurteilenden Taten bereits bei ihrer Tatbegehung eine unmittelbare völkerrechtliche Strafbarkeit des Einzelnen begründet war. Auch an dieser Stelle ergibt sich daher wiederum eine Überschneidung von materieller Strafbarkeit und staatlicher Strafgerichtsbarkeit. Materiellrechtlich kann jeder Staat kraft seiner souveränen Hoheitsgewalt bestimmte Verbrechen definieren und nach nationalem Recht unter Strafe stellen. Demgemäß konnten die Staaten sich auch 1945 zusammentun und die Strafbarkeit bestimmter Tathandlungen gemeinsam festlegen. Vorliegend wurde das Londoner Abkommen indes erst nach Ende des Zweiten Weltkriegs abgeschlossen, das heißt die vertragliche Fixierung der Strafbarkeit der aufgezählten Verbrechen erfolgte erst nach Begehung der Taten. Nach dem auch im Völkerstrafrecht fest verankerten Grundsatz nullum crimen, nulla poena sine lege muss eine Tat jedoch bereits bei ihrer Begehung unter Strafe gestellt sein.403 Eine erst nachträgliche Bestimmung der Strafbarkeit von Handlungen wäre auch mit dem bei Kriegsende geltenden Völkerrecht nicht in Einklang zu bringen gewesen. Die in Artikel 1 des Londoner Abkommens aufgezählten Verbrechen müssten also bereits zum Zeitpunkt ihrer Tatbegehung strafbar gewesen sein. Ihre materielle Strafbarkeit dürfte nicht erst völkervertraglich durch das Londoner Abkommen selbst begründet worden sein, die Verbrechen müssten vielmehr bereits vor Tatbegehung Bestandteil des geltenden Völkerstrafrechts gewesen sein. Nur dann wäre es den Einzelstaaten auch möglich gewesen, umfassende Strafgerichtsbarkeit aufgrund des Universalitätsprinzips über die Täter auszuüben. (1) Kriegsverbrechen Die völkerrechtliche Strafbarkeit von Kriegsverbrechen im Sinne von Artikel 6 lit. b des Nürnberg-Statuts war auch schon zur Zeit der Gründung des Nürnberger 402 Arnold, Der UNO-Sicherheitsrat und die strafrechtliche Verfolgung von Individuen, S. 27; Jescheck, Die Verantwortlichkeit der Staatsorgane nach Völkerrecht, S. 163. 403 Schmidt, Externe Strafpflichten, S. 43, 45 ff.; Doehring, Völkerrecht, Rn. 1164.

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Militärgerichtshofs allgemein anerkannt.404 Verstöße gegen die Regeln und Gebräuche des Krieges wurden bereits lange vor Ausbruch des Zweiten Weltkriegs als strafwürdige Verbrechen angesehen und in zahlreichen internationalen Abkommen unter Strafe gestellt. Zu nennen sind hier etwa die Haager Konvention von 1907 oder die Genfer Konventionen von 1929, die auch schon vor 1945 als geltendes Gewohnheitsrecht eingestuft wurden.405 Die Genfer Rotkreuz-Abkommen von 1949 haben die Anerkennung dieser Tatbestände als internationale Verbrechen bestätigt. Im Hinblick auf die klassischen Kriegsverbrechen kommt daher ein Verstoß gegen den Grundsatz nullum crimen, nulla poena sine lege nicht in Betracht. So kommt auch der Nürnberger Militärgerichtshof in seinem Urteil zu dem Schluss: „. . . the crimes defined by Article 6, Section (b) of the Charter were already recognized as War Crimes under international law“.406

Auch was die Bestrafung dieser Kriegsverbrechen anbelangt, so wurde die Geltung des Weltrechtsprinzips für ihre Strafverfolgung ganz überwiegend schon 1945 bejaht. So ging man grundsätzlich bereits damals davon aus, dass nach geltendem Völkergewohnheitsrecht jeder Staat fremde Staatsangehörige für begangene Kriegsverbrechen bestrafen kann.407 Die tatsächliche Anwendung des Universalitätsprinzips auf Kriegsverbrechen wird zwar von einzelnen Autoren als neu bezeichnet, auch sie bejahen jedoch eine entsprechende Rechtsfortentwicklung durch das Nürnberg-Tribunal unter Hinweis auf die Schwere der begangenen Verbrechen und das Interesse aller Staaten an ihrer Verfolgung.408 Die in Nürnberg erfolgte Anwendung des Weltrechtsprinzips auf Kriegsverbrechen wird damit ganz allgemein als völkerrechtlich zulässig angesehen.409 Sie wird letztlich aus einer rechtsvergleichenden Analogie von Kriegsverbrechen zu bestimmten Völkerrechtsverbrechen wie etwa Piraterie oder Sklaverei hergeleitet, für die die Geltung des 404 Doehring, Völkerrecht, Rn. 1164; Simons, The Jurisdictional Bases of the IMT, S. 47; Jescheck, Die Verantwortlichkeit der Staatsorgane nach Völkerrecht, S. 177 ff.; Grewe, Nürnberg als Rechtsproblem, S. 17; Arnold, Der UNO-Sicherheitsrat und die strafrechtliche Verfolgung von Individuen, S. 32. 405 Kimminich, Die Menschenrechte in der Friedensregelung nach dem Zweiten Weltkrieg, S. 80; eine Auflistung gewohnheitsrechtlich auch schon vor 1945 geltender internationaler Abkommen findet sich bei Doehring, Völkerrecht, Rn. 583 ff.; Bothe, in: Graf Vitzthum (Hrsg.), Völkerrecht, 7. Abschn., Rn. 49; Wright, The Law of the Nuremberg Trial, S. 59. 406 IMT, Judgment and Sentences, AJIL Band 41 (1947), S. 248. 407 Grewe, Nürnberg als Rechtsproblem, S. 18; Doehring, Völkerrecht, Rn. 1164 unter Verweis auf Urteil des IMT; Stein / von Buttlar, Völkerrecht, Rn. 1174; Jescheck, Die Verantwortlichkeit der Staatsorgane nach Völkerrecht, S. 163; Cowles, Universality of Jurisdiction Over War Crimes S. 177 ff. 408 Randall, Universal Jurisdiction Under International Law, S. 803; Arnold, Der UNOSicherheitsrat und die strafrechtliche Verfolgung von Individuen, S. 29, 32; Jescheck, Die Verantwortlichkeit der Staatsorgane nach Völkerrecht, S. 163. 409 Maier, Nürnberg, Den Haag, Rom, S. 156, Rn. 274; Arnold, Der UNO-Sicherheitsrat und die strafrechtliche Verfolgung von Individuen, S. 32; Dinstein, The Universality Principle and War Crimes, S. 19; Cowles, Universality of Jurisdiction Over War Crimes, S. 218.

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Weltrechtsprinzips bereits seit jeher völkergewohnheitsrechtlich anerkannt ist.410 Angesichts der Schwere der Verbrechen sowie des Interesses der gesamten Menschheit an der Unversehrtheit der in Frage stehenden Rechtsgüter kann diesem Ansatz nur zugestimmt werden. Zwar werden Kriegsverbrechen anders als Akte der Piraterie im Territorium eines bestimmten Staates begangen, jedoch ist aufgrund des durch den Krieg begründeten Ausnahmezustandes in der Regel auch hier eine geordnete staatliche Strafverfolgung gerade nicht mehr gewährleistet. Der Unterschied im Hinblick auf den Tatort hindert daher einen entsprechenden Analogieschluss nicht.411 Entsprechend erklärte das britische Militärgericht im Almelo-Fall 1945: „. . . under the general doctrine called Universality of Jurisdiction over War Crimes, every independent state has in International Law jurisdiction to punish pirates and war criminals in its custody regardless of the nationality of the victim or the place where the offence was committed.“412

Im Ergebnis lässt sich festhalten, dass sowohl die völkerrechtliche Strafbarkeit von Kriegsverbrechen als auch ihre auf das Weltrechtsprinzip gestützte Strafverfolgung von keiner Seite ernsthaft bestritten wurde und bereits zur Zeit der Gründung des IMT völkerrechtlich zulässig war.413 Die Alliierten waren somit aufgrund des Universalitätsprinzips zur umfassenden Bestrafung deutscher Kriegsverbrechen befugt, auch soweit diese nicht auf ihrem Territorium, an ihren Staatsangehörigen oder unter Bedrohung ihrer Sicherheitsinteressen verübt wurden und daher eine Strafverfolgung gestützt auf das Territorialitäts-, das Personalitäts- oder das Schutzprinzip nicht alle in Nürnberg verhandelten Fälle erfasst hätte. (2) Verbrechen gegen die Menschlichkeit Im Hinblick auf Verbrechen gegen die Menschlichkeit, Artikel 6 lit. c des Nürnberg-Statuts, erscheint die Rechtslage schon etwas problematischer. Das Statut bestimmte, dass unter Verbrechen gegen die Menschlichkeit insbesondere die vorsätzliche Tötung, Ausrottung, Versklavung oder Vertreibung der Zivilbevölkerung sowie andere unmenschliche Handlungen fallen sollten. Die insoweit aufgelisteten Tathandlungen unterschieden sich nicht wesentlich von den Kriegsverbrechen. Der entscheidende Unterschied bestand darin, dass der Tatbestand der Verbrechen gegen die Menschlichkeit anders als der Tatbestand der 410 Randall, Universal Jurisdiction Under International Law, S. 803; Dinstein, The Universality Principle and War Crimes, S. 19; 20; Cowles, Universality of Jurisdiction Over War Crimes, S. 218. 411 Randall, Universal Jurisdiction Under International Law, S. 803. 412 The Almelo Trial, Law Reports of Trials of War Criminals 1947, Band I, S. 35 ff., 42. 413 Simons, The Jurisdictional Bases of the IMT, S. 47; Grewe, Nürnberg als Rechtsproblem, S. 17; Arnold, Der UNO-Sicherheitsrat und die strafrechtliche Verfolgung von Individuen, S. 52 – 53; Randall, Universal Jurisdiction Under International Law, S. 807 ff. unter Hinweis auf die Entscheidungen in den Fällen List, Zyklon B, Hadamar u. a.

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E. Völkerrechtliche Legitimation der Strafgerichtsbarkeit des IStGH

Kriegsverbrechen auch die von Deutschen an Deutschen, das heißt an eigenen Staatsangehörigen, begangenen Gräueltaten erfasste.414 Ursprünglich waren die an eigenen Bürgern und im Heimatstaat selbst begangenen Verbrechen auf internationaler Ebene nicht verfolgt worden, da hierin nach klassischem Völkerrecht zunächst eine unzulässige Einmischung in die inneren Angelegenheiten anderer Staaten gesehen worden war.415 Demgemäß wurde in der deutschen Völkerrechtslehre der Nachkriegszeit eine völkerrechtliche Strafbarkeit von Verbrechen gegen die Menschlichkeit bei Tatbegehung auch teilweise bestritten und ein Verstoß gegen den Grundsatz nulla poena sine lege geltend gemacht.416 Die tatsächliche Bestrafung deutscher Kriegsverbrecher für Verbrechen, die sie an ihren Landsleuten begangen hatten, stellte eine Neuerung im Völkerrecht dar. Allerdings war die Frage der Begehung von Gräueltaten an eigenen Staatsangehörigen auch schon vor Nürnberg vereinzelt Gegenstand des Völkerrechts gewesen. So sah Artikel 230 des Vertrages von Sèvres aus dem Jahr 1920 eine Verfolgung und Bestrafung der Personen vor, die während des Ersten Weltkriegs für die in der Türkei an den Armeniern begangenen Massaker verantwortlich waren.417 Damit sollten die 1915 / 1916 von Türken in der Türkei an türkischen Staatsbürgern armenischer Herkunft begangenen Verbrechen auf internationaler Ebene geahndet werden, bei denen je nach Schätzung 600.000 bis 1,5 Millionen Armenier ermordet worden waren. Die Übergriffe in den beiden vorangegangenen Jahrzehnten hatten bereits hunderttausenden Armeniern das Leben gekostet.418 Die Täter sollten den Alliierten überstellt und vor einem internationalen Gericht zur Verantwortung gezogen werden. Zwar wurde der Vertrag letztlich nicht ratifiziert. In dem 1923 schließlich verabschiedeten Vertrag von Lausanne waren keine entsprechenden Bestimmungen mehr enthalten, und die Unterzeichner vereinbarten am Tag seines Inkrafttretens eine umfassende Amnestie für die Täter.419 Dennoch 414 Gemäß Artikel 6 lit. b des IMT-Statuts kamen als Opfer von Kriegsverbrechen nur die Angehörigen der Zivilbevölkerung von oder in besetzten Gebieten, Kriegsgefangenen oder Personen auf Hoher See in Betracht; Artikel 6 lit. c schützt demgegenüber jede, das heißt auch die heimische Zivilbevölkerung, vgl. Statut für den Internationalen Militärgerichtshof, in: Lawrence (Hrsg.), Der Prozess gegen die Hauptkriegsverbrecher vor dem IMT, Band 1, S. 11 – 12. 415 Orentlicher, Settling Accounts, S. 2555; Dahm, Zur Problematik des Völkerstrafrechts, S. 36; Jescheck, Die Verantwortlichkeit der Staatsorgane nach Völkerrecht, S. 163. 416 Dahm, Zur Problematik des Völkerstrafrechts, S. 36, der betont, dass es sich insoweit um einen Tatbestand ohne feste Konturen handle. 417 Jescheck, Die Verantwortlichkeit der Staatsorgane nach Völkerrecht, S. 163; Zimmermann, Role and Function of International Criminal Law, S. 38; Dahm / Delbrück / Wolfrum, Völkerrecht, Bd. I / 3, S. 1026; der Vertrag von Sèvres ist abrufbar unter http: // www.lib. byu.edu / ~rdh / wwi / versa / sevres1.html. 418 Völkermord an den Armeniern, http: // www.wikipedia.org / wiki / Voelkermord_an_den _Armeniern. Die weitgehende Ausrottung der Armenier wird auch als der erste V lkermord des 20. Jahrhunderts bezeichnet, vgl. Wolfgang & Sigrid Gust (Ed.), A Documentation on the Armenian Genocide in World War I, Vorwort, http: // www.armenocide.de. 419 Dahm / Delbrück / Wolfrum, Völkerrecht, Bd. I / 3, S. 1026.

IV. Fehlende Präzedenzfälle für eine internationale Strafgerichtsbarkeit

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entwickelten sich bereits damals Ansätze für eine völkerstrafrechtliche Verantwortlichkeit Einzelner auch für die im eigenen Staatsgebiet und an eigenen Staatsangehörigen begangenen Taten. Der Internationale Militärgerichtshof von Nürnberg rechtfertigte die im Statut bestimmte Strafbarkeit von Verbrechen gegen die Menschlichkeit zum Zeitpunkt ihrer Begehung damit, dass die genannten Einzeltaten wie vorsätzliche Tötung, Ausrottung etc. nach den Rechtsordnungen aller zivilisierter Staaten ohnehin strafbar seien und daher eine entsprechende Strafbarkeit dieser Tathandlungen auch international anerkannt sei.420 Aufgrund der Strafbarkeit der Einzelakte in den Rechtsordnungen der meisten Staaten konnte man auch 1945 durchaus von einer völkerrechtlichen Strafbarkeit der aufgezählten Tathandlungen jedenfalls nach allgemeinen völkerrechtlichen Rechtsgrundsätzen ausgehen. Unter Verweis auf Artikel 230 des nicht ratifizierten Friedensvertrages von Sèvres wurde weiterhin von vielen geltend gemacht, dass eine Bestrafung Einzelner für die rassische und religiöse Verfolgung von eigenen Staatsangehörigen und Minderheiten im Inland bereits seit dem Ersten Weltkrieg anerkannt sei.421 Die Menschenrechte wurden insoweit schon damals vielfach als allgemeinverbindlich und universal schutzwürdig angesehen. Eine individuelle völkerstrafrechtliche Verantwortlichkeit für die während des Zweiten Weltkriegs begangenen Verbrechen gegen die Menschlichkeit wurde schließlich zu Recht auch damit begründet, dass die in Artikel 6 lit. c genannten Tathandlungen alle Grundsätze der Menschlichkeit und damit letztlich übergeordnetes Recht verletzen.422 Auch wenn es sich insoweit möglicherweise noch nicht um einen völkergewohnheitsrechtlich anerkannten Straftatbestand handelte, so gab es doch bereits Ansätze zur Bildung von entsprechendem Gewohnheitsrecht.423 Nach hier vertretener Auffassung entsprach die Strafbarkeit von Verbrechen gegen die Menschlichkeit auch zur Zeit des Zweiten Weltkriegs in jedem Fall bereits geltenden völkerrechtlichen Rechtsgrundsätzen, da die Strafbarkeit der jeweiligen Einzeltaten allgemein anerkannt war. Eine Strafbarkeit der entsprechenden Handlungen zum Zeitpunkt ihrer Begehung ist daher zu bejahen. Auch wäre bei Formulierung des Tatbestandes im Nürnberg-Statut eine entsprechende Rechtsfortbildung wohl in jedem Fall angebracht gewesen, da sich die Staatengemeinschaft mit Verbrechen von bisher unerreichtem Ausmaß konfrontiert sah.424 420 Doehring, Völkerrecht, Rn. 1164 unter Verweis auf das Nürnberger Urteil, IMT, Judgment and Sentences, AJIL Band 41 (1947), S. 224 ff.; Glueck, The Nuremberg Trial and Aggressive War, S. 79. 421 Jescheck, Die Verantwortlichkeit der Staatsorgane nach Völkerrecht, S. 163. 422 Orentlicher, Settling Accounts, S. 2556 – 2557; Bungenberg, Extraterritoriale Strafrechtsanwendung, S. 172; Wright, The Law of the Nuremberg Trial, S. 60. 423 Jescheck, Die Verantwortlichkeit der Staatsorgane nach Völkerrecht, S. 163; Arnold, Der UNO-Sicherheitsrat und die strafrechtliche Verfolgung von Individuen, S. 52 – 53. 424 Arnold, Der UNO-Sicherheitsrat und die strafrechtliche Verfolgung von Individuen, S. 52 – 53.

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Im Ergebnis wurde die Geltung des Weltrechtsprinzips für die Bestrafung von Verbrechen gegen die Menschlichkeit aufgrund der Schwere der Taten und des Interesses der gesamten internationalen Staatengemeinschaft an der Strafverfolgung ganz überwiegend bejaht.425 Auch hier wurde dies letztlich mit einem Analogieschluss zu Verbrechen wie Piraterie oder Sklavenhandel begründet.426 (3) Verbrechen gegen den Frieden Als weiteren strafbaren Tatbestand sah Artikel 6 lit. a des Nürnberg-Statuts so genannte Verbrechen gegen den Frieden vor. Problematisch war insoweit die völkerrechtliche Strafbarkeit zum Zeitpunkt ihrer Tatbegehung. Die internationale Staatengemeinschaft hatte im Briand-Kellogg Pakt von 1928 den Krieg als Mittel der nationalen Politik verurteilt. Auch war die Führung eines Angriffskrieges in mehreren internationalen Erklärungen, unter anderem von der Vollversammlung des Völkerbundes, als internationales Verbrechen eingestuft worden.427 Dementsprechend wird vielfach angenommen, dass das völkerrechtliche Verbot der Führung eines Angriffskrieges bereits lange vor Beginn des zweiten Weltkriegs anerkannt gewesen sei.428 Fraglich ist jedoch, ob das Völkerrecht bereits von einer individuellen strafrechtlichen Verantwortlichkeit der Kriegführenden ausging. Der Briand-Kellogg-Pakt sah keinerlei strafrechtliche Sanktionen vor. Der US-amerikanische Außenminister Kellogg selbst erklärte hierzu vor dem amerikanischen Senat, dass niemand sich vor Gericht auf den Pakt berufen könne. Demgemäß bestand wohl weder der Wille der Vertragsparteien noch eine entsprechende Übung zur individuellen Bestrafung von Angriffskriegen. Für eine entsprechende strafrechtliche Verantwortlichkeit des Einzelnen wird teilweise angeführt, dass bereits Artikel 227 des Versailler Vertrages429 die Verantwortlichkeit Kaiser Wilhelms II. für die Führung eines solchen Angriffskrieges vorsah. Weiterhin wird auf zahlreiche internationale Abkommen und Erklärungen aus der Völkerbundära verwiesen, die eine Ächtung von Angriffskriegen vorsehen.430 Diesen Erklärungen kommt jedoch nach überwiegender 425 IMT, Judgment and Sentences, AJIL Band 41 (1947), S. 224 ff.; so auch der sowjetische Hauptankläger vor dem IMT, Steiniger, Der Nürnberger Prozess, Band I, S. 10; Jescheck, Die Verantwortlichkeit der Staatsorgane nach Völkerrecht, S. 163; Doehring, Völkerrecht, Rn. 1164. 426 Randall, Universal Jurisdiction Under International Law, S. 803; Attorney General of Israel v. Eichmann, 36 ILR, S. 25 (Israel District Court Jerusalem 1961), affirmed, 36 ILR, S. 277 (Israel Supreme Court 1962). 427 Der amerikanische Hauptankläger verwies insoweit auf die achte Vollversammlung des Völkerbundes von 1927 sowie die sechste Panamerikanische Konferenz von 1928, vgl. Steiniger, Der Nürnberger Prozess, Band I, S. 87; Röling, Crimes Against Peace, EPIL, Vol. I, S. 873. 428 Lukashuk / Murphy, Crimes Against Peace, S. 121 ff., 127, 152; Dahm / Delbrück / Wolfrum, Völkerrecht. Bd. I / 3, S. 1033 / 1034; Doehring, Völkerrecht, Rn. 1164. 429 Abrufbar unter http: // www.dhm.de / lemo / html / dokumente / versailles.

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Ansicht keine rechtlich bindende Wirkung zu.431 Die internationalen Abkommen, die die Führung eines Angriffskriegs als internationales Verbrechen bezeichneten, wurden nie ratifiziert. Sie enthielten weder eine allgemein akzeptierte Definition des rechtswidrigen Angriffskrieges noch irgendwelche Bestimmungen zur individuellen Bestrafung der Täter.432 Auch im Vertrag von Versailles war eine strafrechtliche Verantwortlichkeit des Deutschen Kaisers nicht vorgesehen. Der Kaiser sollte zwar „wegen schwerster Verletzungen des internationalen Sittengesetzes und der Heiligkeit der Verträge“ unter öffentliche Anklage gestellt werden. Grundlage für seine Verurteilung sollten nach Artikel 227 Abs. 3 des Versailler Vertrages jedoch die „erhabensten Grundsätze der Politik“ sein. Man strebte mithin letztlich eine politisch-moralische, nicht jedoch eine strafrechtliche Verurteilung an. Großbritannien, Frankreich und die Sowjetunion standen aus diesem Grund dem amerikanischen Vorstoß einer individuellen Bestrafung deutscher Kriegsführer für Verbrechen gegen den Frieden auch äußerst skeptisch gegenüber.433 Nach allem wird man sagen müssen, dass das Führen eines Angriffskrieges zur Zeit der Errichtung des IMT noch nicht als internationales Verbrechen anerkannt war, das eine individuelle strafrechtliche Verantwortlichkeit nach sich zieht.434 Auch die erforderliche hinreichende Bestimmtheit des Tatbestandes erscheint mehr als zweifelhaft.435 Die Bestrafung einzelner Personen für die Begehung von Verbrechen gegen den Frieden verstieß daher gegen den Grundsatz nulla poena nullum crimen sine lege.436 Die Ermächtigung des IMT war insoweit völkerrechtswidrig, da die entsprechenden Handlungen zum Zeitpunkt der Tatbegehung noch nicht unter Strafe gestellt waren. Damit war eine völkerrechtliche Strafbarkeit zum Tatzeitpunkt nicht gegeben, und die Einzelstaaten konnten dem430 Dahm / Delbrück / Wolfrum, Völkerrecht, Bd. I / 3, S. 1033 – 1034: die bereits 1918 erfolgte Ächtung des Angriffskrieges entspreche der Präambel des Genfer Protokolls von 1924, wo der Angriffskrieg als internationales Verbrechen bezeichnet wird. Diese Äußerung sei deklaratorisch zu verstehen, sie gehe daher von einem bereits existierenden Verbot des Angriffskrieges aus. 431 Röling, Crimes Against Peace, EPIL, Vol. I, S. 873. 432 Doehring, Völkerrecht, Rn. 1164; Röling, Crimes Against Peace, EPIL, Vol. I, S. 873 unter Verweis auf den Draft Treaty of Mutual Assistance von 1923 beziehungsweise das Genfer Protokoll über die friedliche Regelung Internationaler Streitigkeiten von 1924; Arnold, Der UNO-Sicherheitsrat und die strafrechtliche Verfolgung von Individuen, S. 52. 433 Röling, Crimes Against Peace, EPIL, Vol. I, S. 874; Kemper, Der Weg nach Rom, S. 101 ff. 434 Verdross / Simma, Universelles Völkerrecht, S. 265 – 267, § 442; Röling, Crimes Against Peace, EPIL, Vol. I, S. 873; Doehring, Völkerrecht, Rn. 1164; Arnold, Der UNO-Sicherheitsrat und die strafrechtliche Verfolgung von Individuen, S. 52 – 53; Meier, Nürnberg, Den Haag, Rom, S. 156, Fn. 274; Bosch, Immunität und internationale Verbrechen, S. 30. 435 Hierzu auch Bosch, Immunität und internationale Verbrechen, S. 31. 436 Verdross, Völkerrecht, S. 220; Doehring, Völkerrecht, Rn. 1164; Kemper, Der Weg nach Rom, S. 119.

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entsprechend ihre Strafgerichtsbarkeit auch nicht auf das Universalitätsprinzip stützen. Demgegenüber war sowohl die materielle Strafbarkeit von Kriegsverbrechen, als auch von Verbrechen gegen die Menschlichkeit bereits zur Zeit der Errichtung des Nürnberg-Tribunals völkerrechtlich anerkannt. Angesichts der Schwere dieser Verbrechen und des Interesses der gesamten Menschheit an ihrer Bestrafung war eine umfassende Strafverfolgung durch die einzelnen alliierten Staaten aufgrund des Universalitätsprinzips gerechtfertigt. ff) Übertragbarkeit der Strafgerichtsbarkeit der Alliierten auf das IMT Die Alliierten konnten die ihnen zustehende nationale Strafgerichtsbarkeit kraft ihrer Souveränität auch auf einen internationalen Spruchkörper wie das NürnbergTribunal übertragen.437 Wie bereits ausführlich erläutert wurde, ist es den Staaten nach geltendem Völkerrecht ohne weiteres möglich, ihre Strafgerichtsbarkeit zu bündeln und auf eine internationale Einrichtung zu übertragen. Nach hier vertretener Auffassung findet das Nürnberg-Tribunal damit seine Rechtsgrundlage im allgemeinen Völkerrecht. Die materielle Strafbarkeit von Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit ergab sich unmittelbar aus bereits geltendem Völkerstrafrecht, die Strafgerichtsbarkeit des Tribunals folgte aus der völkervertraglichen Übertragung einzelstaatlicher Jurisdiktionsgewalt aufgrund des Weltrechtsprinzips. Auch in Rechtsprechung und Völkerrechtslehre geht man überwiegend davon aus, dass das Nürnberg-Tribunal seine rechtliche Grundlage in der gemeinschaftlichen Ausübung und Übertragung einzelstaatlicher Strafverfolgungsbefugnisse aufgrund des Universalitäts- oder Weltrechtsprinzips findet.438 Die Siegermächte gestalteten hiernach durch die Zusammenlegung ihrer formellen und materiellen Strafgewalt eine ihnen nach allgemeinem Völkerrecht ohnehin bereits zustehende Strafverfolgungsbefugnis aus, indem sie die ihnen zunächst isoliert zustehenden Kompetenzen durch völkerrechtlichen Vertrag zusammenlegten und einem internationalen Spruchkörper übertrugen.439 Gerade in den Vereinigten Staaten ist die437 Hierzu auch Bassiouni, Policy Perspectives Favoring an International Criminal Court, S. 798 – 799. 438 Orentlicher, Settling Accounts, S. 2555; Graefrath, Universal Criminal Jurisdiction and an International Criminal Court, S. 68; Randall, Universal Jurisdiction Under International Law, S. 801 ff.; Wright, The Law of the Nuremberg Trial, S. 49, 51; Orentlicher, Politics by Other Means, S. 493; Oellers-Frahm, Die Einsetzung des „Internationalen Tribunals über Kriegsverbrechen im ehemaligen Jugoslawien“ durch den Sicherheitsrat, S. 744; Hoffmann, Strafrechtliche Verantwortung im Völkerrecht, S. 151, Fn. 5; Jescheck, Die Strafgewalt übernationaler Gemeinschaften, S. 500. 439 Hoffmann, Strafrechtliche Verantwortung im Völkerrecht, S. 170; Sadat / Carden, The New ICC: An Uneasy Revolution, S. 413; Seidl-Hohenveldern / Stein, Völkerrecht, Rn. 933; Jescheck, Die Strafgewalt übernationaler Gemeinschaften, S. 506.

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ser Begründungsansatz für die Rechtmäßigkeit der Errichtung des IMT absolut anerkannt.440 Auch der amerikanische Federal Court of Appeals erklärte im Fall Demjanjuk v. Petrovsky zur Rechtsgrundlage des IMT und der US-amerikanischen Militärgerichte441, vor denen weitere zwölf Verfahren stattfanden: „. . . it is generally agreed that the establishment of these tribunals and their proceedings were based on universal jurisdiction. “442

Dieses Konzept wurde von amerikanischer Seite nie in Frage gestellt, sondern vielmehr über Jahrzehnte hinweg als völkerrechtskonform angesehen. Es scheint von sehr fragwürdigem Nutzen, diese anerkannten Grundsätze plötzlich anzuzweifeln und zu bekämpfen, nur weil erstmals die Möglichkeit besteht, dass sich auch amerikanische Staatsbürger für schwerste Völkerrechtsverbrechen vor einem internationalen Gericht verantworten müssen. Als Ergebnis bleibt festzuhalten, dass die Gründung des Nürnberger Militärgerichtshofs einen Präzedenzfall für die Bündelung und Übertragung einzelstaatlicher Strafgerichtsbarkeit auf ein internationales Gericht darstellt. Dieses auch für den IStGH vorgesehene Verfahren ist daher nicht als absolut einzigartiger, noch nie da gewesener Vorgang einzustufen. Die materiellen Kompetenzen des Nürnberger Tribunals leiteten sich ähnlich wie heute beim IStGH im Fall der Verfahrenseinleitung durch den Sicherheitsrat unmittelbar aus geltendem Völkerstrafrecht ab.443 Das IMT wird daher zu Recht als Vorläufer des IStGH bezeichnet. 2. Die Internationalen Gerichtshöfe für Jugoslawien und Ruanda Als weitere Präzedenzfälle für die Errichtung eines internationalen Strafgerichts kommen die vom UN-Sicherheitsrat errichteten Internationalen Strafgerichtshöfe für Jugoslawien444 und Ruanda445 in Betracht. Während der IStGH jedoch auf das Rom-Statut und damit auf einen völkerrechtlichen Vertrag und auf die Idee der Übertragung nationaler Strafgewalt der Vertragsparteien auf einen internationalen Spruchkörper zurückgeht, wurden die bei440 Randall, Universal Jurisdiction, S. 805; Sponsler, The Universality Principle and the Threatened Trials of American Airmen, S. 53; Cowles, Universality of Jurisdiction Over War Crimes S. 177; Orentlicher, Settling Accounts, S. 2555; Scharf, The ICC’s Jurisdiction over the Nationals of Non-Party States, S. 82; Paust, ICC: Views from Rome, S. 74. 441 Rechtsgrundlage für diese Prozesse war das Kontrollratsgesetz Nr. 10 vom 20. Dezember 1945; auszugsweise abgedruckt in Ambos, Der Allgemeine Teil des Völkerstrafrechts, Anhang B II, S. 887 / 888. 442 Demjanjuk v. Petrovsky, 776 F.2d 571, S. 582 (6th Cir. 1985). 443 Dies gilt wie bereits erwähnt nicht für das Führen eines Angriffskrieges, da es sich hierbei zwar um ein staatliches Delikt, aber noch nicht um ein individuelles völkerrechtliches Verbrechen handelte; so auch Dahm, Zur Problematik des Völkerstrafrechts, S. 48. 444 SR-Res. 827 vom 25. 5. 1993, UN Doc. S / Res / 827 (1993). 445 SR-Res. 955 vom 8. 11. 1994, UN Doc. S / Res / 955 (1994).

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den ad hoc Tribunale durch Resolutionen des UN-Sicherheitsrates gemäß Kapitel VII der UN-Charta errichtet. Sie beruhen mithin auf einer anderen Rechtsgrundlage und sind Ausfluss der Kompetenzen des Sicherheitsrates. Fraglich ist, ob man die ad hoc Tribunale dennoch als Präzedenzfälle im Hinblick auf ein internationales Strafgericht einstufen kann. Wie bereits erwähnt ist der Sicherheitsrat nicht dazu befugt, als Gesetzgeber tätig zu werden und materielles Strafrecht zu schaffen.446 Die von den ad hoc Tribunalen wie vom IStGH anzuwendenden Straftatbestände sind jedoch ohnehin bereits Bestandteil des Völkergewohnheitsrechts. Ihre Definition in den Statuten ist insoweit lediglich als Festlegung der gerichtlichen Zuständigkeit der Strafgerichtshöfe zu sehen.447 Die formelle Gründung entsprechender Straftribunale fällt nach allgemeiner Ansicht in die Kompetenz des Sicherheitsrates. Sie beruht jedenfalls mittelbar gerade auch auf vertraglicher Grundlage, nämlich auf der UN-Charta. Durch die Gründung beziehungsweise den Beitritt zu den Vereinten Nationen haben die UNMitgliedstaaten dem Sicherheitsrat einen Teil ihrer staatlichen Hoheitsgewalt bereits für die Zukunft, das heißt präventiv, übertragen. Die einzelnen Staaten haben sich durch ihren Beitritt zur UNO damit einverstanden erklärt, dass der Sicherheitsrat künftig in der Lage sein soll, Maßnahmen nach Kapitel VII der UN-Charta zu ergreifen, insbesondere auch internationale Straftribunale zu errichten.448 Diese Kompetenz des Sicherheitsrates beruht auf einer entsprechenden abstraktgenerellen Ermächtigung durch die UN-Mitgliedstaaten und damit auf einer Übertragung von Teilen ihrer Strafgewalt. Mit Gründung beziehungsweise Beitritt zur UNO haben die Mitgliedstaaten dem Sicherheitsrat derartige Kompetenzen allgemein und für die Zukunft eingeräumt und insoweit ihre nationale Souveränität bereits im Voraus vertraglich eingeschränkt. Die konkrete Errichtung eines ad hoc Straftribunals wie im Fall von Jugoslawien und Ruanda beruht daher zwar unmittelbar auf Artikel 41 der UN-Charta, das heißt auf einem Beschluss des Sicherheitsrates nach Kapitel VII. Mittelbar ist sie jedoch gleichfalls auf einen völkerrechtlichen Vertrag der Mitgliedstaaten, nämlich auf die Satzung der Vereinten Nationen und damit auf eine entsprechende Übertragung staatlicher Hoheitsrechte zurückzuführen.449 Denn auch der Sicherheitsrat 446 Ahlbrecht, Geschichte der völkerrechtlichen Strafgerichtsbarkeit im 20. Jahrhundert, S. 244; Hollweg, Das neue Internationale Tribunal der UNO im Jugoslawienkonflikt, S. 985; König, Die völkerrechtliche Legitimation der Strafgewalt internationaler Strafjustiz, S. 171; Partsch, Der Sicherheitsrat als Gerichtsgründer, S. 13. 447 König, Die völkerrechtliche Legitimation der Strafgewalt internationaler Strafjustiz, S. 171. 448 Zu diesem Ansatz auch Lüke, Die Immunität staatlicher Funktionsträger, S. 242; Fox, The Objections to Transfer of Criminal Jurisdiction to the UN Tribunal, S. 435. 449 Kreß, Friedenssicherungs- und Konfliktvölkerrecht auf der Schwelle zur Postmoderne, S. 643; Jones, The Implications of the Peace Agreement for the International Criminal Tribu-

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kann als Organ einer internationalen Organisation nicht mehr Kompetenzen in Anspruch nehmen, als ihm durch die Satzung der Vereinten Nationen als völkerrechtlichem Vertrag zugewiesen worden sind.450 Daher kann letztlich auch die Gründung der ad hoc Tribunale als Präzedenzfall für die Übertragung von Strafgerichtsbarkeit einzelner Staaten auf einen internationalen Strafgerichtshof angesehen werden. Diese wurden zwar direkt und unmittelbar durch den Sicherheitsrat errichtet, indirekt beruht dessen Befugnis zur Errichtung der Straftribunale jedoch auf der UN-Charta und damit gleichfalls auf einem völkerrechtlichen Vertrag und der entsprechenden Einräumung strafrechtlicher Kompetenzen durch die Vertragsstaaten.451 Die Satzung der Vereinten Nationen schaltet für die Errichtung von Strafgerichtshöfen den Sicherheitsrat ein und verleiht diesem entsprechende Befugnisse, während die Vertragsstaaten den IStGH durch das Rom-Statut direkt und unmittelbar errichtet haben. Abgesehen von diesem Zwischenschritt beruht aber auch die Errichtung der Straftribunale für Jugoslawien und Ruanda durch den Sicherheitsrat auf der UN-Charta und damit ebenso wie die Errichtung des IStGH auf dem Konsensprinzip.452 Da Artikel 41 dem Sicherheitsrat nach herrschender Ansicht die Gründung internationaler Straftribunale ermöglicht, beinhaltet der Beitritt eines Staates zur UNO auch eine entsprechende Übertragung formeller Strafgewalt auf die UNO. Die konkrete Errichtung eines Straftribunals im Einzelfall beruht dann zwar auf einem Tätigwerden des Sicherheitsrates, ist aber mittelbar genauso wie die Einrichtung des ständigen IStGH auf einen völkerrechtlichen Vertrag gegründet. nal for the former Yugoslavia, S. 226; Morris / Scharf, An Insider’s Guide to the International Criminal Tribunal for the Former Yugoslavia, S. 45; Oellers-Frahm, Die Errichtung des „Internationalen Tribunals über Kriegsverbrechen im ehemaligen Jugoslawien“ durch den Sicherheitsrat, S. 744 ff.; Franck, The „Powers of Appreciation“: Who is the Ultimate Guard of UN Legality?, S. 523, der die UN-Charta als „. . . ,constitution‘ of delegated powers“ bezeichnet. 450 Prosecutor v. Dusko Tadic (Appeals Chamber), Case No. IT-94 – 1-AR72, 35 ILM (1996), S. 42, Ziff. 28; Schermers / Blokker, International Institutional Law, § 209; OellersFrahm, Internationale Gerichtsbarkeit – gestern und heute, S. 460; König, Die völkerrechtliche Legitimation der Strafgewalt Internationaler Strafjustiz, S. 164; Franck, The „Powers of Appreciation“: Who is the Ultimate Guard of UN Legality?, S. 523. 451 Oellers-Frahm, Internationale Gerichtsbarkeit – gestern und heute, S. 460; König, Die völkerrechtliche Legitimation der Strafgewalt internationaler Strafjustiz, S. 164; OellersFrahm, Die Errichtung des „Internationalen Tribunals über Kriegsverbrechen im ehemaligen Jugoslawien“ durch den Sicherheitsrat, S. 750; Partsch, Der Sicherheitsrat als Gerichtsgründer, S. 12; König, Die völkerrechtliche Legitimation der Strafgewalt internationaler Strafjustiz, S. 165; Kreß, Friedenssicherungs- und Konfliktvölkerrecht auf der Schwelle zur Postmoderne, S. 643; Morris / Scharf, An Insider’s Guide to the International Criminal Tribunal for the Former Yugoslavia, S. 45; Bodley, Weakening the Principle of Sovereignty in International Law, S. 421 ff., 435, 440. 452 Oellers-Frahm, Internationale Gerichtsbarkeit – gestern und heute, S. 460; Arnold, Der UNO-Sicherheitsrat und die strafrechtliche Verfolgung von Individuen, S. 64 ff., 122; Jones, The Implications of the Peace Agreement for the International Criminal Tribunal for the former Yugoslavia, S. 227.

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E. Völkerrechtliche Legitimation der Strafgerichtsbarkeit des IStGH

Die von den ad hoc errichteten UN-Straftribunalen zu verfolgenden Verbrechen wie Völkermord, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen begründen eine unmittelbare strafrechtliche Verantwortlichkeit jedes Einzelnen und können aufgrund des Universalitätsprinzips von jedem Staat verfolgt werden. Auch die UN-Straftribunale sind befugt, Staatsangehörige aus Nicht-UN-Mitgliedstaaten zu verurteilen. Dies wird am Beispiel des Jugoslawientribunals deutlich. So wurden zahlreiche Staatsangehörige der Bundesrepublik Jugoslawien, die sich später in Serbien und Montenegro umbenannte, vor dem ICTY angeklagt und auch verurteilt, obwohl die Bundesrepublik Jugoslawien nach überwiegender Auffassung zunächst kein Mitgliedstaat der Vereinten Nationen war. So kam es zu Beginn der 1990er Jahre zum Zerfall der Sozialistischen Bundesrepublik Jugoslawien. 1991 erklärten die Teilrepubliken Kroatien, Slowenien und Mazedonien ihre Unabhängigkeit, 1992 folgte Bosnien-Herzegowina. Daraufhin riefen Serbien und Montenegro am 27. 4. 1992 die Bundesrepublik Jugoslawien aus.453 Insoweit wurde zunächst geltend gemacht, dass die Bundesrepublik Jugoslawien völkerrechtlich identisch sei mit der früheren Sozialistischen Bundesrepublik Jugoslawien und daher insbesondere auch automatisch deren UN-Mitgliedschaft übernommen habe.454 Eine derartige Staatennachfolge wurde jedoch ganz überwiegend abgelehnt. Vielmehr entsprach es der internationalen Auffassung, dass die neu ausgerufene Bundesrepublik Jugoslawien (beziehungsweise der später aus ihr hervorgegangene Staat Serbien und Montenegro) nicht ohne weiteres die Rechtsnachfolge der Sozialistischen Bundesrepublik Jugoslawien angetreten habe und demgemäß auch nicht Mitgliedsstaat der Vereinten Nationen sei.455 Sowohl der Sicherheitsrat als auch die Generalversammlung der Vereinten Nationen verneinten daher eine fortbestehende UN-Mitgliedschaft der Bundesrepublik Jugoslawien und appellierten an diese, ihre Aufnahme als neues Mitglied bei den Vereinten Nationen zu beantragen.456 Dieser Rechtsauffassung schloss sich die Bundesrepublik Jugoslawien schließlich an und man beantragte im Herbst 2000 die Aufnahme als neues Mitglied der UNO.457 Am 1. November 2000 wurde diesem Antrag in Übereinstimmung mit 453 Zu dieser Entwicklung vgl. ICJ, Case Concerning the Legality of Use of Force (Serbia and Montenegro v. Belgium), Preliminary Objections, 15 December 2004, Abs. 55 ff. 454 Zu dieser Entwicklung ICJ, Case Concerning the Legality of Use of Force (Serbia and Montenegro v. Belgium), Preliminary Objections, 15 December 2004, Abs. 55 ff., abrufbar unter http: // www.icj-cij.org. 455 Akande, The Jurisdiction of the ICC over Nationals of Non-Parties, S. 628 – 629; SRRes. 777 vom 19. 9. 1992, UN Doc. S / Res / 777 (1992); GA-Res. 47 / 1 vom 22. 9. 1992, UN Doc. A / Res / 47 / 1 (1992); ICJ, Case Concerning the Legality of Use of Force (Serbia and Montenegro v. Belgium), Preliminary Objections, 15 December 2004, Abs. 79. 456 Akande, The Jurisdiction of the ICC over Nationals of Non-Parties, S. 628 – 629; SR.Res. 777 vom 19. 9. 1992, UN Doc. S / Res / 777 (1992); GA-Res. 47 / 1 vom 22. 9. 1992, UN Doc. A / Res / 47 / 1 (1992). 457 UN Doc. A / 55 / 528-S / 2000 / 1043.

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Artikel 4 Abs. 2 der UN-Charta durch Beschluss der Generalversammlung stattgegeben.458 Erst seit diesem Zeitpunkt ist die Bundesrepublik Jugoslawien beziehungsweise das aus ihr hervorgegangene Serbien und Montenegro Mitglied der Vereinten Nationen.459 Dennoch hat das ICTY die nach Gründung der Bundesrepublik Jugoslawien von ihren Staatsangehörigen begangenen Völkerrechtsverbrechen verfolgt, auch soweit diese vor der erst im Jahr 2000 neu erlangten UN-Mitgliedschaft der Bundesrepublik Jugoslawien und damit zu einem Zeitpunkt begangen wurden, als der Heimatstaat der Angeklagten kein Vertragsstaat der UN-Charta war.460 Das ICTY hat insoweit seine Strafgerichtsbarkeit auch über Staatsangehörige aus Nichtvertragsstaaten ausdrücklich bejaht und betont, dass die Mitgliedschaft der Bundesrepublik Jugoslawien in den Vereinten Nationen zur Zeit der Errichtung des Tribunals beziehungsweise zur Zeit der Begehung der fraglichen Verbrechen für seine Zuständigkeit unerheblich sei.461 Insbesondere wurden gegen hochrangige Amtsträger wie den ehemaligen Präsidenten Slobodan Milosevic Strafverfahren eingeleitet. Auch das Jugoslawien- und das Ruanda-Tribunal belegen somit, dass die Übertragung nationalstaatlicher Strafgewalt auf eine internationale Organisation keinesfalls ein absolutes Novum darstellt.462 Den UN-Tribunalen für Jugoslawien und Ruanda kommt daher im Hinblick auf die vertragliche Übertragung von Strafgerichtsbarkeit auch über Staatsangehörige aus Nichtmitgliedstaaten und die Errichtung des IStGH Präzedenzwirkung zu.463 Die Strafverfolgung von Einzelpersonen durch das ICTY, obwohl ihr Heimatstaat nicht Mitglied der Vereinten Nationen war, erfolgte mit ausdrücklicher Zustimmung der Weltgemeinschaft, insbesondere der USA464 3. Weitere internationalisierte Gerichte Seit 1999 sind zudem weitere institutionelle Entwicklungen im Bereich der internationalen Strafgerichtsbarkeit zu verzeichnen. So wurden neben den beiden UN-Tribunalen für Jugoslawien und Ruanda mittlerweile mehrere hybride, das GA-Res. 55 / 12 vom 1. 11. 1992, UN Doc. / Res / 55 / 12 (1992). ICJ, Case Concerning the Legality of Use of Force (Serbia and Montenegro v. Belgium), Preliminary Objections, 15 December 2004, Abs. 79; Akande, The Jurisdiction of the ICC over Nationals of Non-Parties, S. 628 – 629. 460 Akande, The Jurisdiction of the ICC over Nationals of Non-Parties, S. 629 – 630. 461 Prosecutor v. Milan Milutinovic, Dragoljub Ojdanic, Nikola Sainovic, Decision on Motion Challenging Jurisdiction, 6 May 2003, Case No. IT-99-37-PT, Abs. 79. 462 Scharf, The ICC’s Jurisdiction over Nationals of Non-Party States, in: Sewall / Kaysen, S. 225; Akande, The Jurisdiction of the ICC over Nationals of Non-Parties, S. 630. 463 Doehring, Völkerrecht, Rn. 1169; Dahm / Delbrück / Wolfrum, Völkerrecht, Band I / 3, S. 1024. 464 Akande, The Jurisdiction of the ICC over Nationals of Non-Parties, S. 629 – 630. 458 459

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E. Völkerrechtliche Legitimation der Strafgerichtsbarkeit des IStGH

heißt gemischte Gerichtshöfe errichtet. Diese neuartigen Gerichte zeichnen sich dadurch aus, dass internationale und nationale Akteure bei der Aufarbeitung von Völkerrechtsverbrechen kooperieren.465 Gemischte Gerichte, die einen ganz unterschiedlichen Grad der Internationalisierung aufweisen, wurden beispielsweise im Kosovo, in Ost-Timor, in Sierra Leone und in Kambodscha errichtet.466 a) Die Spezialgerichte für den Kosovo und Osttimor Die für den Kosovo und Osttimor errichteten Spezialtribunale gehen letztlich auf Resolutionen des UN-Sicherheitsrates zurück. So kam es durch den Krieg im ehemaligen Jugoslawien beziehungsweise durch die Unabhängigkeitserklärung Ost-Timors und die hierauf folgenden schweren Menschenrechtsverletzungen durch die indonesischen Besatzungstruppen zu einer völligen Zerstörung der dortigen Strukturen. Daraufhin wurden im Jahr 1999 durch Resolutionen des UNSicherheitsrates in beiden Territorien UN-Sonderverwaltungen eingesetzt.467 Diese Übergangsverwaltungen für den Kosovo (United Nations Interim Administration in Kosovo, UNMIK) beziehungsweise Osttimor (United Nations Transitional Administration in East Timor, UNTAET) wurden vom Sicherheitsrat beauftragt, alle legislativen, judikativen und exekutiven Aufgaben zu übernehmen und insbesondere auch die strafrechtliche Aufarbeitung der begangenen Völkerrechtsverbrechen in die Wege zu leiten.468 Die jeweiligen UN-geführten Interimsregierungen wurden sodann als Gesetzgeber tätig und gründeten durch den Erlass so genannter Regulations spezielle Strafkammern, die ausschließlich zuständig sind für die Verfolgung schwerster Verbrechen und sich aus nationalen und internationalen Richtern zusammensetzen.469 Die von der UN-Verwaltung erlassenen Regulations haben innerstaatlichen Gesetzesrang und genießen gegenüber bereits bestehenden innerstaatlichen Normen Vorrang. Sowohl in Osttimor als auch im Kosovo wurden die errichteten Sonderkammern in das nationale Gerichtssystem integriert. In Ost-Timor wurde das Spezialtribunal als Sonderkammer des District Court in Dili eingerichtet. Die seiner GerichtsbarGeißler, Die internationale Strafgerichtsbarkeit, S. 200. Geißler, Die internationale Strafgerichtsbarkeit, S. 200 ff.; Ambach, Laufen hybride ad hoc-Gerichte dem IStGH den Rang ab?, S. 106 ff. 467 SR-Res. 1244 vom 10. 6. 1999 für den Kosovo, UN Doc. S / Res / 1244 (1999), SR-Res. 1272 vom 25. 10. 1999 für Osttimor, UN Doc. S / Res / 1272 (1999); hierzu auch Geißler, Die internationale Strafgerichtsbarkeit, S. 200. 468 Kondoch, Neueste Entwicklungen im Völkerstrafrecht aufgezeigt am Beispiel Sierra Leone, Kambodscha und Ost-Timor, S. 129; Ambach, Laufen hybride ad hoc-Gerichte dem IStGH den Rang ab?, S. 108. 469 UNTAET Regulation No. 2000 / 15, UNTAET / REG / 2000 / 15 vom 6. Juni 2000, Abschnitt 1; zur Zusammensetzung vgl. Abschnitt 22; UNMIK Regulation 2000 / 64 vom 15. Dezember 2000, abrufbar unter http: // www.unmikonline.org; Ambach, Laufen hybride ad hoc-Gerichte dem IStGH den Rang ab?, S. 108 – 109. 465 466

IV. Fehlende Präzedenzfälle für eine internationale Strafgerichtsbarkeit

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keit unterliegenden Verbrechenstatbestände entsprechen im Wesentlichen dem Verbrechenskatalog des IStGH-Statuts, hinzu kommen weitere Straftatbestände nach indonesischem Strafrecht wie Mord und Sexualverbrechen.470 Auch im Kosovo wurden internationale Richter und Anwälte durch den Erlass von Regulations in bestimmte Kammern nationaler Gerichte eingegliedert.471 Die genannten Spezialgerichte in Ost-Timor und im Kosovo wurden anders als der IStGH nicht unmittelbar durch eine völkervertragliche Vereinbarung, sondern durch die vom Sicherheitsrat eingesetzten UN-Interimsverwaltungen errichtet. Damit ist jedoch auch ihre Gründung ähnlich wie die Errichtung der UN-Tribunale für Jugoslawien und Ruanda auf die UN-Charta und damit jedenfalls mittelbar auf einen völkerrechtlichen Vertrag zurückzuführen. Auch insoweit gilt, dass die UNMitgliedstaaten durch ihren Beitritt zur UN-Charta den Sicherheitsrat bereits vorab über Artikel 41 der UN-Charta zu entsprechenden Maßnahmen ermächtigt haben. Die entsprechende staatliche Strafgewalt wurde daher bereits für die Zukunft übertragen, so dass auch die Spezialtribunale für Ost-Timor und den Kosovo letztlich auf eine völkervertragliche Grundlage zurückzuführen sind. b) Der Special Court for Sierra Leone (SCSL) Demgegenüber beruht die Errichtung des Spezial-Tribunals für Sierra Leone unmittelbar auf einer völkerrechtlichen Vereinbarung zwischen den Vereinten Nationen und der Regierung Sierra Leones. Diese wurde am 16. Januar 2002 unterzeichnet und zugleich kam es zur Verabschiedung des Statuts für diesen Gerichtshof.472 Damit wurde der Sondergerichtshof wie der IStGH unmittelbar auf vertraglicher Grundlage errichtet. Die sachliche Zuständigkeit des Gerichtshofs erstreckt sich auf Verbrechen gegen die Menschlichkeit, Kriegsverbrechen und schwere Verstöße gegen das humanitäre Völkerrecht. Mit Ausnahme des Tatbestandes des Völkermordes wurde hier im Wesentlichen der Verbrechenskatalog des Rom-Statuts übernommen. Darüberhinaus unterfallen auch bestimmte Verbrechen nach nationalem Recht der Gerichtsbarkeit des Spezialtribunals, soweit sie im Hoheitsgebiet Sierra Leones begangen wurden.473 Anders als die für Ost-Timor und den Kosovo errichAmbach, Laufen hybride ad hoc-Gerichte dem IStGH den Rang ab?, S. 109. UNMIK Regulation No. 2000 / 64 vom 15. Dezember 2000, abrufbar unter http: // www.unmikonline.org; Ambach, Laufen hybride ad hoc-Gerichte dem IStGH Rang ab?, S. 109. 472 Trittin / Weiß, Das Sondergericht in Sierra Leone, S. 175; Geißler, Die internationale Strafgerichtsbarkeit, S. 201; die Gründung des Spezialgerichtshofs wurde auf Bitten der Regierung von Sierra Leone bereits am 14. August 2000 vom Sicherheitsrat beschlossen, vgl. SR-Res. 1315 vom 14. 8. 2000, abrufbar unter http: // www.unorg.Depts / german / sr / sr_00 / sr2000-1.pdf. 473 SR-Res. 1315 vom 14. 8. 2000, abrufbar unter http: // www.unorg.Depts / german / sr / sr_00 / sr2000 – 1.pdf; Ambach, Laufen hybride ad hoc-Gerichte dem IStGH den Rang ab?, S. 109. 470 471

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E. Völkerrechtliche Legitimation der Strafgerichtsbarkeit des IStGH

teten Spezialkammern besitzt der SCSL eine eigene völkerrechtliche Rechtspersönlichkeit und zeichnet sich mithin durch einen höheren Grad der Internationalisierung aus.474 c) Das Sondergericht für Kambodscha Im März 2003 schließlich kamen die UNO und die Regierung von Kambodscha nach jahrelangen Verhandlungen überein, die Extraordinary Chambers of Cambodia als weiteres hybrides Gericht zur Ahndung der unter der Herrschaft der Roten Khmer und ihrem Führer Pol Pot zwischen 1975 und 1979 begangenen Völkerrechtsverbrechen zu errichten.475 Rechtsgrundlage ist auch hier ein völkerrechtlicher Vertrag zwischen der UNO und Kambodscha, der schließlich im Oktober 2004 von der kambodschanischen Nationalversammlung verabschiedet wurde.476 Das Gericht hat jedoch ähnlich wie die Gerichte für Ost-Timor und den Kosovo keine eigene völkerrechtliche Rechtspersönlichkeit. Es operiert vielmehr in der Form von Spezialkammern innerhalb des nationalen Gerichtssystems und ist mit nationalem und internationalem Personal besetzt.477 d) Zwischenergebnis Auch für die angesprochenen Spezialgerichte gilt somit, dass sie entweder auf die UN-Charta oder auf ihren jeweiligen Gründungsvertrag zurückzuführen sind, das heißt mittelbar oder unmittelbar auf völkervertraglicher Grundlage beruhen. Weiterhin ist ihre Strafgerichtsbarkeit ähnlich wie beim IStGH keinesfalls auf Staatsangehörige der betroffenen Staaten beschränkt. Vielmehr können auch vor den neu errichteten hybriden Gerichten Staatsangehörige aus Drittstaaten ohne Zustimmung ihres Heimatstaates zur Verantwortung gezogen werden. So üben etwa die Spezialtribunale für den Kosovo und Osttimor nach den Bestimmungen der UN-Verwaltung Strafgerichtsbarkeit aufgrund des Weltrechtsprinzips aus. Es kommt also weder auf den Tatort der fraglichen Verbrechen noch auf die Staatsangehörigkeit der Täter oder Opfer an.478 Die Ausübung von Strafgerichtsbarkeit über Staatsangehörige aus Drittstaaten wie den USA wäre damit auch hier theoretisch denkbar. 474 SCSL Decision on preliminary motion on lack of jurisdiction materiae, Prosecutor v. Moinina Fofana, Case No. SCSL-2004-14-AR72(E), S. 6850. 475 Ambach, Laufen hybride ad hoc-Gerichte dem IStGH den Rang ab?, S. 110. 476 Draft Agreement between the United Nations and the Royal Government of Cambodia concerning the Prosecution under Cambodian Law of Crimes committed during the Period of Democratic Kampuchea, 17 March 2003, U.N. GAOR 3d Comm., 57th Sess., Annex, Agenda Item 109 (b), UN Doc. A / 57 / 806 (2003); Ambach, Laufen hybride ad hoc-Gerichte dem IStGH den Rang ab?, S. 110. 477 Ambach, Laufen hybride ad hoc-Gerichte dem IStGH den Rang ab?, S. 110. 478 UNTAET Regulation No. 2000 / 15, UNTAET / REG / 2000 / 15 v. 6. Juni 2000.

IV. Fehlende Präzedenzfälle für eine internationale Strafgerichtsbarkeit

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Vor dem Sondergericht für Sierra Leone wurde bereits am 4. Juni 2003 Anklage gegen den amtierenden Präsidenten Liberias Charles Taylor erhoben.479 Zwar hat Liberia hiergegen unter dem Gesichtspunkt der völkerrechtlichen Immunität Einwände erhoben.480 Die grundsäzliche Befugnis des internationalen Gerichtshofs für Sierra Leone, auch ohne Zustimmung des Heimatstaates Strafgerichtsbarkeit aufgrund des Territorialitätsprinzips über fremde Staatsangehörige ausüben zu können, wurde jedoch von keiner Seite bestritten.481 Insbesondere hat kein Staat geltend gemacht, dass Sierra Leone völkerrechtlich nicht dazu in der Lage gewesen sei, die entsprechende nationale Strafgerichtsbarkeit über fremde Staatsangehörige auf die durch Vertrag mit den Vereinten Nationen gegründete internationale Strafkammer zu übertragen. Vielmehr hat die Weltgemeinschaft, insbe-sondere auch die USA, sowohl die Errichtung als auch das Vorgehen des Sondergerichtshofs ausdrücklich begrüßt.482 Damit belegt aber auch die Gründung der angesprochenen Spezialgerichte ein Bestreben der internationalen Staatengemeinschaft, eine Bestrafung von Menschenrechtsverletzungen durch vertragliche Delegation staatlicher Strafgewalt auf ein internationales Strafgericht zu erreichen.483 Die vertragliche Übertragung einzelstaatlicher Strafgewalt auf ein internationalisiertes Gericht kann daher keinesfalls als absolut neu und noch nie dagewesen bezeichnet werden.

4. Ansätze in internationalen Konventionen Abschließend ist darauf hinzuweisen, dass auch vor Gründung des IStGH bereits zahlreiche internationale Konventionen auf die Errichtung eines internationalen Strafgerichts hingewiesen haben und die Möglichkeit der Übertragung nationaler Strafgerichtsbarkeit auf ein solches Tribunal vorsehen. So erwähnen etwa Artikel VI der Völkermordkonvention484 sowie Artikel 5 der Apartheidkonvention485 ein solches internationales Strafgericht. Die Vertragsstaaten der jeweiligen 479 Trittin / Weiß, Das Sondergericht in Sierra Leone, S. 173; C. Romano / A. Nollkaemper, The Arrest Warrant Against the Liberian President Charles Taylor, ASIL Insights, June 2003, http: // www.asil.org / insights / insigh110.htm. 480 Akande, The Jurisdiction of the ICC over Nationals of Non-Parties, S. 631; ICJ Press Release 2003 / 26 (5 August 2003). Dieser Einwand ist jedoch ohne Durchschlagskraft, da das SCSL als internationales Gericht anzusehen ist, vgl. Prosecutor against Charles Ghankay Taylor, Appeals Chamber, Decision on Immunity from Jurisdiction, 24 February 2005, SCSL-2003-01-I, S. 3031. Völkerrechtliche Immunitätsgrundsätze können jedoch vor internationalen Gerichten keine Geltung beanspruchen, vgl. S. 202 ff. 481 Akande, The Jurisdiction of the ICC over Nationals of Non-Parties, S. 631. 482 SC Res. 1315; U.S. State Dept., Press Statement (18 January 2002), http: // www. state.gov / r / pa / prs / ps / 2002 / 7348.htm. 483 Schmidt, Externe Strafpflichten, S. 60. 484 Konvention über die Verhütung und Bestrafung des Völkermordes vom 9. 12. 1954, BGBl. 1954 II, S. 730, Sartorius II, Nr. 48.

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E. Völkerrechtliche Legitimation der Strafgerichtsbarkeit des IStGH

Konventionen gingen somit gleichfalls von ihrer Befugnis aus, Gerichtsbarkeit auch im Hinblick auf fremde Staatsangehörige und unabhängig von der Zustimmung des jeweilien Heimatstaates auf ein solches Gericht übertragen zu können.486 Angesichts dieser Entwicklungen kann nicht mehr behauptet werden, es finde sich seit Durchführung der Nürnberger Prozesse keinerlei Staatenpraxis für die Übertragung von Strafgerichtsbarkeit auf ein internationales Strafgericht mehr.487

V. Fazit zur Völkerrechtmäßigkeit des Jurisdiktionsregimes des IStGH Nach allem stellt das Rom-Statut als völkerrechtlicher Vertrag eine hinreichende Rechtsgrundlage für die Errichtung des IStGH dar.488 Seine formelle Strafgewalt, das heißt seine Strafgerichtsbarkeit, beruht auf der vertraglichen Übertragung der den Vertragsstaaten zustehenden Strafgerichtsbarkeit auch über Staatsangehörige aus Nichtvertragsstaaten. Bei Verfahrenseinleitung durch einen Vertragsstaat oder den Ankläger beruht die formelle Strafgewalt des IStGH auf einer Übertragung von einzelstaatlicher Strafgerichtsbarkeit aufgrund des Territorialitäts- beziehungsweise Personalitätsprinzips. Soweit der Sicherheitsrat eine Sitaution überweist, beruht die Strafgerichtsbarkeit des IStGH demgegenüber auf der einzelstaatlichen Übertragung von Strafgerichtsbarkeit aufgrund des Universalitätsprinzips. Hiermit korrespondiert auch die materielle Strafgewalt des IStGH. Seine Befugnis zur Bestrafung der in Artikel 5 genannten Verbrechen folgt bei Verfahrenseinleitung durch einen Vertragsstaat oder den Ankläger bereits aus den übertragenen materiellen Kompetenzen der einzelnen Vertragsstaaten, die die in Artikel 5 genannten Verbrechen ohnehin gemeinsam definieren und unter Strafe stellen können („ceded jurisdiction“). Bei Verfahrenseinleitung durch den Sicherheitsrat ergeben sich die materiellen Kompetenzen des Gerichtshofs demgegenüber unmittelbar aus geltendem Völkerstrafrecht, unabhängig davon, ob bestimmte betroffene Staaten dem Statut beigetreten sind und diese delicta iuris gentium in ihrem nationalen Strafrecht oder in gemeinsamen völkerrechtlichen Verträgen unter Strafe gestellt haben („inherent jurisdiction“). 485 Internationales Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form von Rassendiskriminierung vom 21. 12. 1965, abrufbar unter http: // www.unhchr.ch / html / menu3 / b / d_icerd.htm. 486 Danilenko, in: Cassese (Hrsg.), ICC Statute and Third States, Bd. II, S. 1882. 487 Schmidt, Externe Strafpflichten, S. 60; Akande, The Jurisdiction of the ICC over Nationals of Non-Parties, S. 633. 488 Bruer-Schäfer, Der IStGH, S. 199 – 200; LaHaye, The Jurisdiction of the ICC, S. 19.

V. Fazit

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Das Jurisdiktionsregime des Rom-Statuts begründet daher keine unzulässige vertragliche Belastung dritter Staaten, es steht vielmehr mit geltendem Völkerrecht in Einklang.

F. Vertragliche Belastung dritter Staaten durch sonstige Bestimmungen des Statuts Fraglich ist, ob andere Vorschriften des Rom-Statuts, die das Verhältnis zu Nichtvertragsstaaten betreffen, gegen den Grundsatz pacta tertiis nec nocent nec prosunt verstoßen. Im Folgenden soll ein kurzer Überblick über weitere Vertragsbestimmungen mit Bezug zu Drittstaaten gegeben und geprüft werden, ob unter anderen Gesichtspunkten eine unzulässige vertragliche Belastung dritter Staaten in Betracht kommt.

I. Voraussetzungen für die Ausübung der Gerichtsbarkeit, Artikel 12 Abs. 2, Abs. 3 IStGH-Statut Soweit ein Vertragsstaat oder der Ankläger des Gerichtshofs ein Verfahren einleiten, ist gemäß Artikel 12 Abs. 2 in Verbindung mit Abs. 3 Voraussetzung für die Ausübung von Gerichtsbarkeit des IStGH, dass entweder der Territorialstaat oder der Täterstaat dem Rom-Statut beigetreten sind oder die Gerichtsbarkeit im Einzelfall anerkannt haben. Letztere Alternative betrifft gerade die so genannten Nichtvertragsstaaten. Diese können durch Hinterlegung einer entsprechenden Erklärung beim Kanzler die Gerichtsbarkeit des IStGH in Bezug auf das fragliche Verbrechen ad hoc anerkennen. Der anerkennende Staat ist dann jedoch nach Artikel 12 Abs. 3 Satz 2 verpflichtet, mit dem Gerichtshof ohne Verzögerung oder Ausnahme in Übereinstimmung mit Teil 9 des Statuts zusammenzuarbeiten. Auch diese Regelung steht im Einklang mit geltendem Völkerrecht. Sie berechtigt Drittstaaten im Einzelfall die Gerichtsbarkeit des IStGH anzuerkennen. Nur soweit sie dies tun, werden Kooperationspflichten auch für sie begründet. Bei der Regelung des Artikels 12 Abs. 3 Satz 2 handelt es sich damit um eine Vertragsbestimmung zugunsten dritter Staaten im Sinne von Artikel 36 WVK. Drittstaaten sind berechtigt, nicht aber verpflichtet, die Gerichtsbarkeit im Einzelfall anzuerkennen. Nur bei Akzeptanz dieser Gerichtsbarkeit sind sie dann auch zur Zusammenarbeit verpflichtet.

II. Das Initiativrecht des Anklägers

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II. Das Initiativrecht des Anklägers, Artikel 15 IStGH-Statut Artikel 15 des Statuts erläutert das Initiativrecht des Anklägers. Abs. 1 bestimmt zunächst, dass der Ankläger aus eigener Initiative heraus Ermittlungen einleiten kann. Dieses Ermittlungsrecht gilt gerade auch für Situationen, die sich in Drittstaaten oder unter Beteiligung ihrer Staatsangehörigen ereignen. Nach Artikel 15 Abs. 2 prüft der Ankläger die Ernsthaftigkeit von erhaltenen Informationen. Er kann hierzu Staaten, Organe der UNO und andere internationale Organisationen um Auskünfte und Informationen ersuchen, das heißt er kann entsprechende Anfragen gerade auch an Nichtvertragsstaaten richten. Diesen steht es jedoch selbstverständlich völlig frei, mit dem Ankläger zusammenzuarbeiten. Eine unzulässige Belastung ist in dieser Bestimmung daher nicht zu sehen. Dennoch sind Kritiker der Auffassung, das Rom-Statut führe zu einem übereifrigen und unkontrollierten Ankläger.1 Gerade die USA befürchten, als einzig verbleibende Weltmacht in Zukunft politisch motivierten Anklagen ausgesetzt zu sein.2 Sie verweisen darauf, dass sie aufgrund ihres weltpolitischen Engagements und ihrer zahlreichen Auslandseinsätze besonders anfällig für einen ermittlungswütigen Ankläger seien.3 Der Ankläger kann gemäß Artikel 15 zwar selbst Ermittlungen einleiten, er benötigt hierfür jedoch gemäß Artikel 15 Abs. 3 und 4 die Genehmigung der Vorverfahrenskammer. Diese Gegenkontrolle wird indessen teilweise als nicht ausreichend angesehen. So wird darauf verwiesen, dass die Vorverfahrenskammer nach Artikel 39 Abs. 2 lit. b iii) des Statuts lediglich aus drei Richtern, in Übereinstimmung mit der Verfahrens- und Beweisordnung unter Umständen sogar aus nur einem Richter, besteht. Eine derartig eingeschränkte richterliche Überprüfung des Anklägers sei unzureichend, da eine weitere förmliche Kontrolle nicht existiere.4 Auch hierbei handelt es sich jedoch lediglich um ein politisches Argument. Eine unzulässige vertragliche Belastung dritter Staaten und damit eine Völkerrechtswidrigkeit des Rom-Statuts wird hierdurch nicht begründet. Zwar können internationale Ermittlungen, etwa gegen Militärangehörige oder Politiker, erhebliche politischen Auswirkungen haben. Gerade ein übereifriger Ankläger könnte dem jeweiligen Heimatstaat erheblichen Schaden zufügen, selbst 1 McNerney, The ICC: Issues for Consideration by the U. S. Senate, S. 186; Ramanathan, India and the ICC, S. 632. 2 Grossman, Remarks to the Center for Strategic and International Studies, 6. Mai 2002, http: // www.state.gov / p / 9949pf.htm; Rubin, The ICC: Possibilities for Prosecutorial Abuse, S. 158 ff.; Bolton, The Risks and Weaknesses of the ICC from America’s Perspective, S. 172 – 173; McNerney, The ICC: Issues for Consideration by the U.S. Senate, S. 186. 3 Bolton, The Risks and Weaknesses of the ICC from America’s Perspective, S. 172 – 173. 4 Rubin, The ICC: Possibilities for Prosecutorial Abuse, S. 158.

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F. Vertragliche Belastung dritter Staaten

wenn es letztlich nicht zur Anklageerhebung kommt.5 Auch hier ist jedoch erneut zu betonen, dass es keinen rechtlichen Anspruch auf eine „gute Presse“ gibt. Rechtlich unmittelbar betroffen von den Ermittlungen des Anklägers sind wiederum lediglich einzelne Personen, nicht ihre Heimatstaaten. Strafrechtliche Ermittlungen gegen führende Politiker oder Militärs beeinflussen daher zweifellos die politische Situation eines Staates, eine rechtliche Benachteiligung wird für ihn jedoch nicht begründet. Zu bedenken ist schließlich, dass auch der IStGH und sein Ankläger erheblichen politischen Schaden nähmen, soweit sich strafrechtliche Ermittlungen später als völlig haltlos und ungerechtfertigt erweisen sollten. Die Strafverfolgungsbehörde und die Vorverfahrenskammer sind mithin letztlich einem ganz ähnlichen politischen Druck ausgesetzt. An politisch motivierten aber grundlosen Ermittlungen haben weder Ankläger noch Vorverfahrenskammer ein Interesse. Dem internationalen Ansehen des IStGH würde hierdurch mindestens genauso geschadet wie dem Ruf des betroffenen Staates. Andere an zahlreichen Friedensmissionen beteiligte Länder, wie etwa Großbritannien und Frankreich, haben offensichtlich keine so große Angst vor böswilligen Ermittlungsverfahren wie die Vereinigten Staaten. Es ist sehr bedauerlich, dass die USA nicht bereit sind, sich und ihr militärisches Personal an denselben völkerrechtlichen Standards messen zu lassen, denen sich die restliche Weltgemeinschaft verpflichtet fühlt. Die Angst vor unbegründeten Ermittlungen berechtigt die Vereinigten Staaten zweifellos dazu, dem Rom-Statut nicht beizutreten. Die Völkerrechtswidrigkeit des Statuts kann hierdurch jedoch nicht begründet werden.

III. Das Komplementaritätsprinzip, Artikel 17 IStGH-Statut Artikel 17 beinhaltet das so genannte Komplementaritätsprinzip, nach dem ein nationales Strafverfahren grundsätzlich Vorrang genießt gegenüber einem internationalen Strafverfahren vor dem IStGH. Ein Verfahren vor dem IStGH ist hiernach in vier Fallkonstellationen unzulässig. Artikel 17 lit. a bestimmt die Unzulässigkeit für den Fall, dass ein zuständiger Staat in der fraglichen Sache selbst Ermittlungen einleitet oder ein Strafverfahren durchführt. Artikel 17 lit. b sieht gleichfalls die Unzulässigkeit eines internationalen Strafverfahrens vor, wenn ein Staat nach Durchführung von nationalen Ermittlungen beschließt, von einer Strafverfolgung der betreffenden Person abzusehen. Weiterhin ist eine Sache gemäß Artikel 17 lit. c in Verbindung mit Artikel 20 Abs. 3 dann unzulässig, wenn die fragliche Person für ihr Verhalten bereits strafrechtlich belangt wurde. 5

Bolton, The Risks and Weaknesses of the ICC from America’s Perspective, S. 173.

III. Das Komplementaritätsprinzip

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Gleiches gilt, wenn die gegenständliche Tat nach Artikel 17 lit. d nicht schwerwiegend genug ist, um Maßnahmen des Strafgerichtshofs zu rechtfertigen. Grundsätzlich kann hiernach also jeder Staat ein Strafverfahren vor dem IStGH bereits dadurch abwenden, dass er selbst Ermittlungen einleitet. Auch Drittstaaten wie die USA können daher ihre Staatsbürger vor der Gerichtsbarkeit des IStGH schützen, indem sie gegen die Betroffenen Strafverfolgungsmaßnahmen auf nationaler Ebene durchführen. Etwas anderes gilt allerdings gemäß Artikel 17 lit. a, soweit der handelnde Staat nicht willens oder in der Lage ist, die Ermittlungen beziehungsweise Strafverfolgung ernsthaft durchzuführen oder wenn die Entscheidung des betreffenden Staates, eine Person nicht zu verfolgen, auf dem mangelnden Willen oder Unvermögen des Staates beruht, eine Strafverfolgung ernsthaft durchzuführen, Artikel 17 lit. b. Unzureichende nationale Maßnahmen können die Zuständigkeit des IStGH insoweit nicht verdrängen. Nach Artikel 17 lit. c in Verbindung mit Artikel 20 Abs. 3 lit. a ist eine Sache vor dem IStGH weiterhin ausnahmsweise zulässig, wenn die betroffene Person zwar wegen eines nach dem Statut verbotenen Verhaltens vor ein anderes Gericht gestellt wurde, dieses Verfahren jedoch lediglich dazu diente, sie vor strafrechtlicher Verantwortlichkeit für die Verbrechen zu schützen, die der Gerichtsbarkeit des IStGH unterliegen. Schließlich hindert ein nationales Strafverfahren auch dann nicht ein Einschreiten des IStGH, wenn es in sonstiger Hinsicht nicht unabhängig oder unparteiisch betrieben oder in einer Weise geführt wurde, die mit der Absicht, die betreffende Person vor Gericht zu stellen, unvereinbar war, Artikel 20 Abs. 3 lit. b. Derartige Scheinverfahren können eine internationale Strafverfolgung nicht umgehen. Die Entscheidung über die Zulässigkeit eines Strafverfahrens vor dem IStGH trifft gemäß Artikel 17 Abs. 1 des Rom-Statuts der Strafgerichtshof in eigener Verantwortung. Der IStGH beurteilt also selbst abschließend, ob der ermittelnde Staat willens und in der Lage ist, Ermittlungen oder Strafverfahren ernsthaft durchzuführen und ob die Einstellung nationaler Ermittlungen für ihn akzeptabel ist. Auch soweit gegen den Betroffenen bereits ein nationales Verfahren durchgeführt wurde, entscheidet der Gerichtshof, ob dieses Verfahren nicht nur pro forma eingeleitet wurde, um die Person vor der Gerichtsbarkeit des IStGH zu schützen. Der IStGH überprüft weiterhin gemäß Artikel 20 Abs. 3 des Statuts in eigener Zuständigkeit, ob ein Verfahren unabhängig und unparteiisch durchgeführt wurde. Die Entscheidungen der nationalen Strafverfolgungsbehörden und Gerichte unterliegen insoweit einer Kontrolle durch den IStGH.6 Nur soweit er ein ordnungsgemäßes nationales Verfahren bejaht, wird er die Unzulässigkeit eines entsprechenden internationalen Strafverfahrens feststellen.

6

Elsea, U.S. Policy Regarding the ICC, S. 5.

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F. Vertragliche Belastung dritter Staaten

1. Der IStGH als völkerrechtswidrige Superrevisionsinstanz Teilweise wird geltend gemacht, diese im Rom-Statut vorgesehene Nachprüfbarkeit nationaler Ermittlungen verletze die Souveränität der betroffenen Nichtvertragsstaaten.7 Der IStGH wird insoweit als völkerrechtswidrige internationale Superrevisionsinstanz kritisiert, die für sich in Anspruch nehme, die Rechtmäßigkeit von Verfahren und Entscheidungen der Behörden und Gerichte souveräner Staaten abschließend zu beurteilen: „The Rome Statute creates a super-international appellate court with unchecked de novo review over national jurisdictions. In its current form, the Statute threatens national sovereignty . . .“8

Bereits der ILC Entwurf von 1994 sah vor, dass dem IStGH selbst die Befugnis zustehen sollte, über die Zulässigkeit eines Verfahrens zu entscheiden.9 Zwar äußerten einzelne Staaten wie die USA oder China insoweit Bedenken und wollten unter Betonung staatlicher Souveränität eine derartige Prüfungskompetenz nicht dem Strafgerichtshof, sondern den Einzelstaaten oder dem Sicherheitsrat einräumen.10 Auch die ablehnende Haltung Indiens gegenüber dem Statut wird auf die Angst zurückgeführt, die nationale Gerichtsbarkeit werde internationalen Standards nicht standhalten.11 Die Mehrheit der Staaten befürwortete indessen die Befugnis des Gerichtshofs, in eigener Verantwortung über das Vorliegen seiner Gerichtsbarkeit entscheiden zu können.12

2. Stellungnahme Das im Statut niedergelegte Komplementaritätsprinzip sowie die dem IStGH durch das Rom-Statut eingeräumte Befugnis, selbst abschließend zu prüfen, ob ein Verfahren vor dem Gerichtshof zulässig ist oder nicht, stellt keine Verletzung staatlicher Souveränität dar. Für die Vertragsstaaten folgt dies schon daraus, dass sie dem Statut beigetreten sind und hierdurch ihre Zustimmung zu den geschilderten Bestimmungen zum Ausdruck gebracht haben. 7 Gurulé, United States Opposition to the 1998 Rome Statute Establishing an ICC, S. 6 ff.; Lietzau, International Criminal Law After Rome, S. 123, 138; Roberts, Assault on Sovereignty, S. 54 ff. 8 Gurulé, United States Opposition to the 1998 Rome Statute Establishing an ICC, S. 45. 9 Williams, in: Triffterer, Artikel 17, Rn. 7; Bleich, Complementarity, S. 288. 10 Bleich, Complementarity, S. 284 ff.; Farbstein, The Effectiveness of the Exercise of Jurisdiction by the ICC, S. 66. 11 Ramanathan, India and the ICC, S. 629 ff., der das Vorhandensein einer „culture of impunity“ im indischen Rechtssystem kritisiert und die Notwendigkeit von Reformen betont. 12 Bleich, Complementarity, S. 284 ff.

III. Das Komplementaritätsprinzip

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Aber auch im Hinblick auf Drittstaaten gilt insoweit nichts anderes. In den Fällen, in denen der IStGH gemäß Artikel 17 über die Zulässigkeit eines Verfahrens entscheidet, ist seine Gerichtsbarkeit gemäß den Artikeln 12 und 13 des Rom-Statuts ohnehin gegeben. Der IStGH könnte also aufgrund der ihm von den Vertragsstaaten eingeräumten Befugnisse ohnehin Strafgerichtsbarkeit ausüben. Dass daneben auch bestimmte Einzelstaaten Strafgerichtsbarkeit innehaben, ändert hieran nichts. Wie bereits festgestellt wurde, gibt es insoweit gerade keine Hierarchie unter den völkerrechtlich anerkannten Anknüpfungskriterien, diese führen vielmehr zu einer konkurrierenden Strafgerichtsbarkeit. Die Gerichtsbarkeit des IStGH steht in diesen Fällen also gleichberechtigt neben der nationaler Staaten. Wenn der IStGH trotz bestehender Gerichtsbarkeit nationalen Ermittlungen beziehungsweise einzelstaatlichen Entscheidungen den Vorrang lässt, so ist hierin lediglich ein völkerrechtlich keinesfalls zwingend erforderliches Zugeständnis an die nationale Strafgewalt zu sehen. Der IStGH tritt in diesen Fällen freiwillig hinter nationalen Strafverfolgungsmaßnahmen zurück. Unter diesen Umständen hat er aber ohne weiteres das Recht, zu beurteilen, ob das nationalstaatliche Verfahren ordnungsgemäß durchgeführt wurde. Es stellt keine Rechtsverletzung gleichfalls zuständiger Staaten dar, wenn der IStGH selbst die Voraussetzungen prüfen kann, unter denen er einem nationalen Strafverfahren den Vorrang zukommen lässt. Da die Gerichtsbarkeit des IStGH und der Einzelstaaten konkurrierend ist, könnte der IStGH grundsätzlich auch unabhängig von den Ermittlungen anderer Staaten tätig werden. Er müsste also den Gerichten der Einzelstaaten nicht zwingend entgegenkommen. Die komplementäre Ausgestaltung seiner Strafgerichtsbarkeit war insoweit lediglich ein Zugeständnis an die Souveränität der Einzelstaaten. Demnach ist es aber rechtlich nicht zu beanstanden, dass die Vertragsstaaten dem IStGH die Kompetenz eingeräumt haben, anhand des in den Artikeln 17 und 20 niedergelegten Maßstabs selbst zu beurteilen, ob und wann er zugunsten einzelner Staaten auf die Durchführung eines internationalen Strafverfahrens verzichtet. Der Strafgerichtshof prüft gemäß Artikel 17 gerade nicht die Rechtmäßigkeit nationaler Strafermittlungen oder Verfahren.13 Er beurteilt lediglich, ob die nationalen Maßnahmen den Voraussetzungen genügen, unter denen er selbst von der Ausübung seiner Gerichtsbarkeit absieht. Diese Befugnis des IStGH, über die Zulässigkeit der bei ihm eingeleiteten Strafverfahren selbst zu entscheiden, stellt keinen unzulässigen Eingriff in die Rechte dritter Staaten dar. Soweit der IStGH zu dem Ergebnis kommt, dass ein Strafverfahren vor ihm trotz nationaler Strafverfolgungsmaßnahmen zulässig ist, dürfte dies zweifellos erhebliche faktische Auswirkungen für den betroffenen Staat haben. Auf internationaler Ebene würde das staatliche Vorgehen, insbesondere die durchgeführten nationalen 13 Ähnlich auch Bassiouni, Policy Perspectives Favoring the Establishment of the ICC, S. 798.

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F. Vertragliche Belastung dritter Staaten

Ermittlungen in schlechtem Licht erscheinen. Auch hierin ist jedoch kein rechtlicher, sondern wiederum nur ein rein tatsächlicher, politischer Nachteil zu sehen. Fraglich ist, ob dies auch gilt, soweit ein Staat davon ausgeht, dass das Verhalten seiner Amtsträger einen rechtmäßigen offiziellen Akt darstellt und er deshalb selbst erst gar keine Ermittlungen aufnimmt. Für die Fälle, dass ein Staat seine offiziellen Handlungen ohnehin für rechtmäßig hält, ist Artikel 17 nach Auffassung der USA nicht akzeptabel, da der Gerichtshof nicht befugt sei, hoheitliches staatliches Handeln zu überprüfen.14 Beispielhaft erwähnt werden in diesem Zusammenhang immer wieder die von der NATO durchgeführten Bombardierungen im Kosovo. Während die NATO davon ausging, dass es sich insoweit um völkerrechtmäßige Aktionen handelte, stufte die Bundesrepublik Jugoslawien die fraglichen Handlungen als Kriegsverbrechen ein und und forderte eine Strafverfolgung der verantwortlichen NATO-Militärs.15 Nach geltendem Völkerrecht kann jedoch auch für derartige Fälle nichts anderes gelten. Soweit die Gerichtsbarkeit des IStGH gegeben ist, kann dieser ohnehin tätig werden. Er ist daher grundsätzlich auch bei offiziellen Handlungen nicht an einzelstaatliche Entscheidungen, keine Strafverfolgung durchzuführen, gebunden. Soweit der Strafgerichtshof aufgrund der in Artikel 17 des Statuts vorgesehenen Selbstbeschränkung freiwillig zurücktritt, muss es ihm daher möglich sein, zu überprüfen, ob die staatliche Entscheidung auch für ihn selbst akzeptabel ist. Dies stellt keine Kontrolle staatlicher Hoheitsakte, sondern letztlich eine Überprüfung der Zulässigkeit eigener Strafverfolgungsmaßnahmen dar. Dies muss erst recht gelten, wenn ein Staat keinerlei Ermittlungen einleitet, das heißt einem Tatvorwurf überhaupt nicht nachgeht. Denn nach geltendem Völkerrecht existiert für die im Statut definierten Verbrechen eine unmittelbare strafrechtliche Verantwortlichkeit des Einzelnen. Auch Amtsträger sind also vor Strafe nicht gefeit und können sich nicht auf den offiziellen Charakter ihrer Handlungen berufen. Diese Grundsätze wurden insbesondere von den USA im Zusammenhang mit den Kriegsverbrechertribunalen nach dem Zweiten Weltkrieg hochgehalten. So wurde immer wieder darauf verwiesen, dass sich Kriegsverbrecher eben nicht hinter ihrer Amtsträgereigenschaft oder hinter der Tatsache verstecken können, dass ihr Tun vom jeweiligen Regime für rechtmäßig gehalten wurde. Der IStGH soll gerade dann einschreiten, wenn die Staaten selbst untätig bleiben. Die Idee seiner Gründung würde ad absurdum geführt, wäre er an die Entscheidung einzelner Staaten gebunden. Die im Statut vorgesehene Überprüfung staatlicher Maßnahmen geht im Ergebnis nicht über einen unfreundlichen politischen Akt hinaus.16 Könnte der IStGH nicht selbst über die Zulässigkeit eines Verfahrens entscheiden und prüfen, ob nationale Maßnahmen den in Artikel 17 gestellten Anforderun14 15 16

Scheffer, Remarks Before the 6th Committee of the 53rd General Assembly. Van de Kieft, Uncertain Risk: The U.S. Military and the I.C.C., S. 2336 ff., 2340, 2355. Palmisano, The ICC and Third States, S. 397, 415.

IV. Vorläufige Zulässigkeitsentscheidungen

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gen an das Komplementaritätsprinzip genügen, so wäre er von Anfang an als Papiertiger einzustufen. Die betroffenen Staaten könnten jederzeit jedes Verfahren an sich ziehen, indem sie pro forma Ermittlungen einleiten oder einen Scheinprozess durchführen.17 Um derartigen Missbrauch zu verhindern, muss der Strafgerichtshof die Frage der Zulässigkeit eines internationalen Strafverfahrens selbst beurteilen können. Diese Ansicht wird durchaus auch von amerikanischen Experten geteilt.18 Das Statut geht seinem Wortlaut nach zunächst von der Zulässigkeit eines Verfahrens vor dem IStGH aus. Damit hat der mittelbar betroffene Staat die Beweislast für das Vorliegen der Voraussetzungen, unter denen der IStGH hinter der nationalen Strafgerichtsbarkeit zurücktritt. Insoweit muss dargelegt und bewiesen werden, dass auf staatlicher Ebene Ermittlungen oder ein Strafverfahren durchgeführt werden und dass der handelnde Staat Gerichtsbarkeit in der Sache hat. Ist der Nachweis nationaler Strafverfolgungsmaßnahmen erbracht, so spricht dies grundsätzlich für die Unzulässigkeit eines Verfahrens vor dem IStGH. Die Beweislast dafür, dass das nationale Vorgehen nicht den Voraussetzungen des Artikels 17 entspricht, trifft sodann den Ankläger.19

IV. Vorläufige Zulässigkeitsentscheidungen, Artikel 18 IStGH-Statut Auch Artikel 18, der sich mit vorläufigen Entscheidungen im Hinblick auf die Zulässigkeit eines Verfahrens befasst, weist in mehrfacher Hinsicht einen Bezug zu Drittstaaten auf. Dieser entspricht teilweise der soeben im Zusammenhang mit Artikel 17 geschilderten Zulässigkeitsproblematik. Artikel 18 setzt zunächst voraus, dass ein Verfahren vor dem IStGH entweder von einem Vertragsstaat gemäß Artikel 13 lit. a eingeleitet wurde und der Ankläger festgestellt hat, dass eine hinreichende Grundlage für die Einleitungen von Ermittlungen besteht oder dass der Ankläger aus eigener Initiative heraus mit Genehmigung der Vorverfahrenskammer Ermittlungen gemäß Artikel 13 lit. c in Verbindung mit Artikel 15 eingeleitet hat. In diesen beiden Fällen verpflichtet Artikel 18 Abs. 1 den Ankläger dazu, alle Vertragsstaaten sowie diejenigen Staaten zu unterrichten, die unter Berücksichtigung der zur Verfügung stehenden Informationen im Regelfall Strafgerichtsbarkeit über die betreffenden Verbrechen ausüben würden.20 Williams, in: Triffterer, Artikel 17, Rn. 11 – 12; Bleich, S. 289. Scheffer, Advancing U.S. Interests with the ICC, S. 1573. 19 Meißner, Die Zusammenarbeit mit dem IStGH nach dem Römischen Statut, S. 71; Kaul, Towards a Permanent International Criminal Court, S. 172. 20 Eine hinreichende Grundlage für die Einleitung von Ermittlungen ist in beiden Fällen nötig, Artikel 18 Abs. 1, Artikel 13 lit. c inVerbindung mit Artikel 15 Abs. 3, so auch Nsereko, in: Triffterer, Artikel 18, Rn. 7. 17 18

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F. Vertragliche Belastung dritter Staaten

Nach dem Wortlaut des Artikels 18 Abs. 1 sind zum einen alle Vertragsstaaten förmlich zu benachrichtigen. Daneben ist der Ankläger aber auch verpflichtet, diejenigen Staaten zu informieren, die unter Berücksichtigung der zur Verfügung stehenden Informationen im Regelfall Gerichtsbarkeit über das betreffende Verbrechen ausüben würden.21 Damit betrifft Artikel 18 Abs. 1 auch Drittstaaten. Er stellt jedoch keine unzulässige Belastung, sondern ausschließlich eine Begünstigung dritter Staaten dar. Auch diesen soll ermöglicht werden, bereits frühzeitig ihre Interessen wahrzunehmen. Artikel 18 Abs. 2 bestimmt, dass ein Staat den Gerichtshof innerhalb eines Monats nach seiner Benachrichtigung davon in Kenntnis setzen kann, dass er selbst in der Sache ermittelt hat oder ermittelt. Der betreffende Staat kann den Ankläger ersuchen, seine Ermittlungen zugunsten der staatlichen Ermittlungen zurückzustellen. Diesem Ersuchen muss der Ankläger folgen, es sei denn, die Vorverfahrenskammer ermächtigt ihn auf seinen Antrag hin, weitere Ermittlungen durchzuführen. Damit können gemäß Artikel 18 Abs. 2 auch Nichtvertragsstaaten die Zurückstellung von Ermittlungen des Anklägers beantragen. Um ein faires Verfahren zu gewährleisten, muss die Vorverfahrenskammer einem betroffenen Staat rechtliches Gehör gewähren, das heißt ihm Gelegenheit zur Stellungnahme geben, bevor sie über einen entsprechenden Antrag des Anklägers entscheidet.22 Weiterhin trifft den Ankläger die Beweislast dafür, dass hinreichende Gründe für seine Ermächtigung zur Durchführung von Ermittlungen durch die Vorverfahrenskammer bestehen.23 Damit stellt auch Artikel 18 Abs. 2 ausschließlich eine Begünstigung der Nichtvertragsstaaten dar. Diese können grundsätzlich die Zurückstellung von Ermittlungen erreichen, rechtliche Verpflichtungen sind hiermit jedoch nicht verbunden. Soweit die Einmonatsfrist verpasst wurde, ist jeder betroffene Staat, das heißt auch jeder Nichtvertragsstaat, berechtigt, die Zulässigkeit einer Sache gemäß Artikel 19 Abs. 2 lit. b und Abs. 5 anzufechten. Gemäß Artikel 18 Abs. 3 kann der Ankläger die Zurückstellung seiner Ermittlungen zugunsten eines Staates entweder sechs Monate nach erfolgter Zurückstellung oder jederzeit überprüfen, falls sich die Sachlage aufgrund des mangelnden Willens oder des Unvermögens des betreffenden Staates zur ernsthaften Durchführung von Ermittlungen die Sachlage wesentlich geändert hat. Den Ankläger trifft insoweit die Beweislast für eine wesentliche Änderung der Umstände, weiterhin ist auch hier dem betroffenen Staat Gelegenheit zur Stellungnahme und zum Widerspruch zu geben.24 Eine vertragliche Belastung dritter Staaten ist hierin wie21 Nsereko, in: Triffterer, Artikel 18, Rn. 9, der allerdings diskutiert, ob Artikel 18 Abs. 1 nicht nur für Vertragsstaaten gelten sollte. Hiergegen spricht allerdings der Wortlaut des Artikels, der eine Informationspflicht gegenüber allen Vertragsstaaten und denjenigen Staaten, die im Regelfall Gerichtsbarkeit hätten, vorsieht, vgl. Artikel 18 Abs. 1. 22 Nsereko, in: Triffterer, Artikel 18, Rn. 18. 23 Nsereko, in: Triffterer, Artikel 18, Rn. 16. 24 Nsereko, in: Triffterer, Artikel 18, Rn. 20.

IV. Vorläufige Zulässigkeitsentscheidungen

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derum nicht zu sehen, da der Strafgerichtshof ohnehin Gerichtsbarkeit hätte und die Zurückstellung der Ermittlungen ein Entgegenkommen auch gegenüber Nichtvertragsstaaten darstellt. Gemäß Artikel 18 Abs. 4 haben sowohl der Ankläger als auch der betroffene Staat die Möglichkeit, nach Artikel 82 bei der Berufungskammer gegen die Entscheidung der Vorverfahrenskammer Beschwerde einzulegen. Artikel 82 lit. a sieht für Entscheidungen betreffend die Zulässigkeit oder Gerichtsbarkeit ausdrücklich die Möglichkeit der Beschwerde vor. Dieses Recht steht auch betroffenen Nichtvertragsstaaten zu. Hierin ist eimal mehr eine Begünstigung dritter Staaten zu sehen. Die Beschwerde kann beschleunigt behandelt werden, Artikel 18 Abs. 4 S. 2. Sie hat jedoch nach Artikel 82 Abs. 3 grundsätzlich keine aufschiebende Wirkung, es sei denn die Berufungskammer trifft ausdrücklich eine entsprechende Anordnung in Übereinstimmung mit der Verfahrens- und Beweisordnung. Soweit also der Ankläger von der Vorverfahrenskammer ermächtigt wurde, Ermittlungen durchzuführen, ändert eine Beschwerde hieran zunächst grundsätzlich nichts. Soweit der Ankläger seine Ermittlungen zurückgestellt hat, ist er gemäß Artikel 18 Abs. 5 berechtigt, die betreffenden Staaten zu ersuchen, ihn regelmäßig über den Stand ihrer Ermittlungen sowie eine anschließende Strafverfolgung zu unterrichten. Die Vertragsstaaten müssen diesem Ersuchen ohne unangemessene Verzögerung nachkommen, Artikel 18 Abs. 5 S. 2. Eine Informationspflicht besteht also nur für die Vertragsstaaten, anderen Staaten steht es selbstverständlich frei, dem Ersuchen des Anklägers nachzukommen. Nach Artikel 18 Abs. 6 kann der Ankläger die Vorverfahrenskammer ausnahmsweise im Hinblick auf die Sicherung von Beweismitteln bereits vorab um die Ermächtigung zur Durchführung notwendiger Ermittlungsmaßnahmen ersuchen. Dies gilt auch, wenn diese noch nicht darüber entschieden hat, ihn zur Durchführung von Ermittlungen in der fraglichen Situation zu ermächtigen. Nachdem der Ankläger seine Ermittlungen zurückgestellt hat, kann er ein entsprechendes Ersuchen zur Beweissicherung an die Vorverfahrenskammer richten. Im Hinblick auf die Gestaltung des Abs. 6 als Ausnahmeregelung muss der Ankläger die dringende Notwendigkeit für solche vorläufigen Beweissicherungsmaßnahmen darlegen.25 Auch hierin ist keine unzulässige Belastung dritter Staaten zu sehen. Im Territorium eines Nichtvertragsstaates darf die Anklagebehörde ohne eine entsprechende Einwilligung ohnehin nicht tätig werden. Im Übrigen gilt das für Artikel 17 Gesagte: Da der IStGH in den fraglichen Fällen ohnehin Gerichtsbarkeit hat und insoweit lediglich aus Rücksichtnahme auf die Souveränität der Staaten hinter der staatlichen Gerichtsbarkeit zurücktritt, kann der Ankläger in dringenden Situationen auch zu Maßnahmen ermächtigt werden, die der vorläufigen Beweissicherung dienen. Schließlich stellt Artikel 18 Abs. 7 klar, dass die erfolglose Anfechtung der Einleitung von Ermittlungen durch den Ankläger im Hinblick auf eine Situation den 25

Nsereko, in: Triffterer, Artikel 18, Rn. 25.

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F. Vertragliche Belastung dritter Staaten

betroffenen Staat nicht daran hindert, später die Zulässigkeit einer konkreten Sache gemäß Artikel 19 aufgrund zusätzlicher wesentlicher Tatsachen oder einer wesentlichen Änderung der Sachlage anzufechten. Auch der Staat, dessen Beschwerde nach den Artikeln 18 Abs. 4 und 82 gegen eine Entscheidung der Vorverfahrenskammer im Hinblick auf die Einleitung von Ermittlungen durch den Ankläger zunächst erfolglos war, kann also später noch einmal die Zulässigkeit einer Sache angreifen.26 Hiernach können auch Drittstaaten zum einen gegen Ermittlungen im Hinblick auf eine Situation im Sinne von Artikel 18, zum anderen gegen die Zulässigkeit einer Sache nach Artikel 19 vorgehen. Der Begriff der Situation („situation“) ist hierbei offensichtlich wesentlich weiter als der Begriff der bereits anhängig gemachten Sache („case“).27 Artikel 18 Abs. 7 stellt letztlich eine Präklusionsvorschrift dar, um eine unnötige Verfahrensverschleppung zu verhindern. Eine erneute Zuständigkeitsrüge desselben Staates im Rahmen von Artikel 19 ist nur aufgrund neuer Tatsachen oder einer wesentlichen Änderung der Umstände möglich. Artikel 18 findet nach seinem eindeutigen Wortlaut keine Anwendung bei der Einleitung eines Verfahrens durch den UN-Sicherheitsrat auf Grundlage von Kapitel VII der UN-Charta. Dessen Entscheidungen sind jedenfalls für die UN-Mitgliedstaaten bindend. In diesem Fall bedarf es keiner weiteren Voraussetzungen für ein Tätigwerden des Anklägers mehr. Dieser ist weder verpflichtet, betroffene Staaten zu unterrichten noch bedarf er für vorläufige Maßnahmen zur Beweissicherung einer gesonderten Erlaubnis durch die Vorverfahrenskammer.28 Der Ankläger muss in diesem Fall vielmehr umgehend tätig werden und alle notwendigen Maßnahmen ergreifen.29

V. Die Prüfungskompetenz des Gerichtshofs, Artikel 19 Abs. 1 IStGH-Statut Gemäß Artikel 19 Abs. 1 S. 1 vergewissert sich der Gerichtshof, dass er in jeder bei ihm anhängig gemachten Sache Gerichtsbarkeit hat. Daneben kann der Gerichtshof aus eigener Initiative über die Zulässigkeit einer Sache nach Artikel 17 entscheiden. Gerichtsbarkeit und Zulässigkeit werden hiernach unterschiedlich behandelt. Der IStGH ist verpflichtet, seine Gerichtsbarkeit von Amts wegen in jedem einzelnen Fall zu überprüfen.30 Im Hinblick auf die Zulässigkeit einer anhängig gemachten Sache ist ihm demgegenüber insoweit ein Ermessen eingeräumt. Nsereko, in: Triffterer, Artikel 18, Rn. 26 – 27. Hall, in: Triffterer, Artikel 19, Rn. 3. 28 Cassese, The Statute of the ICC: Some Preliminary Reflections, S. 159. 29 Nsereko, in: Triffterer, Artikel 18, Rn. 4. 30 Hall, in: Triffterer, Artikel 19, Rn. 4; Sadat, The ICC and the Transformation of International Law, S. 122. 26 27

V. Die Prüfungskompetenz des Gerichtshofs

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Er kann untersuchen, ob die Voraussetzungen des Artikels 17 vorliegen.31 Eine Verpflichtung zur Prüfung der Zulässigkeit besteht also gerade nicht. Artikel 19 des Statuts sieht neben der Prüfungspflicht des IStGH im Hinblick auf seine Gerichtsbarkeit weiterhin ausdrücklich vor, dass der Strafgerichtshof im Streitfall selbst abschließend darüber entscheidet, ob seine Gerichtsbarkeit im konkreten Fall gegeben ist.32 Jedes internationale Gericht hat nach herrschender Auffassung das Recht beziehungsweise die Pflicht, sich in jedem einzelnen Fall zu vergewissern, ob ihm tatsächlich Gerichtsbarkeit zusteht.33 Zwar ist die Gerichtsbarkeit zunächst im jeweiligen Gründungsstatut, etwa in einem völkerrechtlichen Vertrag wie dem Rom-Statut oder wie im Fall der UN-Tribunale in einer Sicherheitsratsresolution festgelegt. Dennoch obliegt es letztlich dem Gericht selbst, die ihm eingeräumte gerichtsverfassungsrechtliche Zuständigkeit im Einzelfall auszulegen und zu konkretisieren. So hat das Jugoslawientribunal im Fall Tadic entschieden, dass ein internationales Gericht auch ohne entsprechende ausdrückliche Regelung dazu befugt ist, Umfang und Reichweite der eigenen Gerichtsbarkeit zu überprüfen: „. . . it is part, and indeed, a major part of the incidental or inherent jurisdiction of any judicial or arbitral tribunal, consisting of its ,jurisdiction to determine its own jurisdiction‘. It is a necessary component in the exercise of the judicial function and does not need to be expressly provided for in the constitutive documents of those tribunals.“34

Diese Kompetenz-Kompetenz oder „inherent jurisdiction“ eines Gerichts, wonach Streitigkeiten über seine Gerichtsbarkeit von ihm selbst entschieden werden, folgt letztlich aus der Natur der Sache.35 Könnten die einzelnen Staaten im Einzelfall über die Gerichtsbarkeit des IStGH mitentscheiden, so würde das Gericht zum Papiertiger verkümmern, da die Gerichtsbarkeit des IStGH gerade in kritischen Situationen wohl zumeist verneint werden würde. Eine unzulässige vertragliche Belastung von Nichtvertragsstaaten ist hierin wiederum nicht zu sehen.

31 Hall, in: Triffterer, Artikel 19, Rn. 4; Sadat, The ICC and the Transformation of International Law, S. 113. 32 Kaul / Kreß, Jurisdiction and Cooperation in the Statute of the ICC, S. 144. 33 Gaeta, Inherent Powers of International Courts and Tribunals, S. 356. 34 Prosecutor v. Tadic, Decision on the Defence Motion for Interlocutory Appeal on Jurisdiction, Case No. IT-94 – 1-AR 72, Appeals Chamber, 2 Oct 1995, para. 18. 35 Prosecutor v. Tadic, Decision on the Defence Motion for Interlocutory Appeal on Jurisdiction, Case No. IT-94 – 1-AR 72, Appeals Chamber, 2 Oct 1995, para. 18; Oellers-Frahm, Internationale Gerichtsbarkeit – gestern und heute, S. 463; Hall, in: Triffterer, Artikel 19, Rn. 2 – 3; Gaeta, Inherent Powers of International Courts and Tribunals, S. 362 ff.; Kaul / Kreß, Jurisdiction and Cooperation in the Statute of the ICC, S. 144.

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F. Vertragliche Belastung dritter Staaten

VI. Die Anfechtung von Entscheidungen, Artikel 19 Abs. 2 IStGH-Statut Artikel 19 bestimmt weiterhin, dass sowohl die Gerichtsbarkeit des IStGH als auch die Zulässigkeit einer Sache angefochten werden können. Ein entsprechendes Anfechtungsrecht wird nicht nur Vertragsstaaten, sondern auch Drittstaaten eingeräumt. Während Artikel 18 den Staaten die Möglichkeit gibt, schon gegen die Ermittlungen der Anklagebehörde nach Unterbreitung einer Situation vorzugehen, soweit sie von der Vorverfahrenskammer genehmigt wurden, behandelt Artikel 19 die sich zeitlich später stellende Frage der Gerichtsbarkeit des IStGH sowie der Zulässigkeit einer Sache. Entsprechende Entscheidungen über Gerichtsbarkeit sowie Zulässigkeit einer Sache beruhen gerade auf den vorangegangenen Ermittlungen der Anklagebehörde. Das in Artikel 19 geregelte Anfechtungsrecht ermöglicht somit eine erneute Überprüfung im Rahmen der nächsten Verfahrensstufe. Artikel 19 Abs. 2 lit. a räumt dem Angeklagten sowie den Personen, gegen die ein Haftbefehl oder eine Ladung nach Artikel 58 ergangen ist, ein Anfechtungsrecht ein. Daneben kann nach Artikel 19 Abs. 2 lit. b aber auch jeder Staat, der Gerichtsbarkeit über die Sache hat, weil er in der Sache Ermittlungen durchführt oder durchgeführt hat, die Zulässigkeit einer Sache oder die Gerichtsbarkeit anfechten. Dieses Recht steht gemäß Artikel 19 Abs. 2 lit. c auch den Staaten zu, die nach Artikel 12 die Gerichtsbarkeit des IStGH anerkannt haben. Artikel 19 Abs. 2 lit. c berechtigt damit auch Nichtvertragsstaaten, die die Gerichtsbarkeit des IStGH gemäß Artikel 12 Abs. 3 im Einzelfall anerkannt und eine entsprechende Erklärung abgegeben haben, zur Anfechtung. Ein entsprechendes Anfechtungsrecht im Hinblick auf die Gerichtsbarkeit des IStGH oder die Zulässigkeit einer Sache steht nach Artikel 19 Abs. 3 des RomStatuts daneben auch dem Ankläger selbst zu. In Artikel 19 Abs. 4 und 5 wird dieses Anfechtungsrecht genauer geregelt. Abs. 4 bestimmt, dass die Zulässigkeit oder die Frage der Gerichtsbarkeit von jedem Anfechtungsberechtigten grundsätzlich nur einmal angegriffen werden können und eine entsprechende Anfechtung vor oder bei Eröffnung des Hauptverfahrens erfolgen muss. Unter außergewöhnlichen Umständen kann der Gerichtshof gestatten, eine Anfechtung mehr als einmal oder auch noch nach Eröffnung des Hauptverfahrens vorzubringen. Eine Anfechtung der Zulässigkeit, die bei oder mit Erlaubnis des Gerichtshofs ausnahmsweise nach Eröffnung des Hauptverfahrens erfolgt, kann gemäß Artikel 19 Abs. 4 S. 4 nur auf Artikel 17 Abs. 1 lit. c gestützt werden. Gegen die Zulässigkeit kann damit nur vorgebracht werden, dass die betreffende Person wegen des tatgegenständlichen Verhaltens bereits gerichtlich belangt wurde und die Sache auch nicht nach Artikel 20 Abs. 3 beim Gerichtshof

VI. Die Anfechtung von Entscheidungen

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anhängig gemacht werden kann. Ein Vorgehen nach Artikel 20 Abs. 3 entfällt, soweit das nationale Verfahren ordnungsgemäß war, insbesondere nicht nur zum Schutz des Betroffenen vor Strafverfolgung durchgeführt wurde und auch ansonsten unabhängig und unparteiisch war. Artikel 19 Abs. 5 verpflichtet einen anfechtungsberechtigten Staat, seine Anfechtung bei frühestmöglicher Gelegenheit vorzubringen. Diese Regelung betrifft auch Nichtvertragsstaaten, soweit ihnen ein Anfechtungsrecht zusteht. Sie stellt indessen gleichfalls keine unzulässige vertragliche Belastung dar, da ein Nichtvertragsstaat ja keinesfalls verpflichtet ist, gegen die Gerichtsbarkeit oder Zulässigkeit vorzugehen. Lediglich wenn er von diesem ihm eingeräumten Recht Gebrauch macht, muss er gemäß Abs. 5 so früh wie möglich agieren, sich also an die im Statut vorgesehenen Verfahrensregeln halten. Die Beurteilung der Rechtzeitigkeit steht insoweit dem Gerichtshof kraft seiner Kompetenz-Kompetenz zu.36 Artikel 19 Abs. 6 bestimmt, dass über entsprechende Anfechtungen von Gerichtsbarkeit und Zulässigkeit vor Bestätigung der Anklage die Vorverfahrenskammer und nach Bestätigung der Anklage die Hauptverfahrenskammer entscheidet. Gemäß Artikel 19 Abs. 6 S. 2 kann gegen die getroffenen Entscheidungen nach Artikel 82 bei der Berufungskammer Beschwerde eingelegt werden. Dieses Recht steht gemäß Artikel 82 Abs. 1 allen Parteien und damit gleichfalls den Nichtvertragsstaaten zu. Auch hierin ist indessen ausschließlich eine vertragliche Begünstigung dieser Staaten zu sehen, ihre entsprechende Berechtigung korrespondiert nicht mit Verpflichtungen irgendwelcher Art. Nach Artikel 19 Abs. 7 setzt der Ankläger bei Anfechtung durch einen nach Artikel 19 Abs. 2 lit. b oder c berechtigten Staat die Ermittlungen so lange aus, bis der Gerichtshof gemäß Artikel 17 eine Entscheidung im Hinblick auf die Zulässigkeit einer Sache getroffen hat.37 Auch anfechtungsberechtigte Nichtvertragsstaaten können hierdurch also erreichen, dass die Ermittlungen ausgesetzt werden und werden insoweit von Artikel 19 Abs. 7 ausschließlich begünstigt. Artikel 19 Abs. 8 sieht vor, dass der Ankläger den Gerichtshof bis zu einer Entscheidung über das Anfechtungsvorbringen dennoch ausnahmsweise ersuchen kann, ihn zur Durchführung bestimmter Maßnahmen zu ermächtigen. Nach Artikel 19 Abs. 8 lit. a kommt insoweit eine Ermächtigung zur Durchführung von Maßnahmen der in Artikel 18 Abs. 6 bezeichneten Art in Betracht. Hierdurch werden wie bereits angesprochen Ermittlungsmaßnahmen zur Sicherung von Beweisen ermöglicht, wenn eine einmalige Gelegenheit zur Beschaffung wichtiger Beweismittel oder eine erhebliche Gefahr besteht, dass diese später nicht verfügbar sein werden. Solche und ähnliche Maßnahmen sind auch über Artikel 19 Abs. 8 lit. a möglich. Hall, in: Triffterer, Artikel 19, Rn. 18. Soweit die Gerichtsbarkeit des IStGH angefochten wird, kommt eine Unterbrechung der Ermittlungen demgegenüber nicht in Frage, Hall, in: Triffterer, Artikel 19, Rn. 22. 36 37

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F. Vertragliche Belastung dritter Staaten

Nach Artikel 19 Abs. 8 lit. b kann der Gerichtshof den Ankläger weiterhin auf dessen Ersuchen hin ermächtigen, schriftliche oder mündliche Zeugenaussagen einzuholen oder die Erhebung und Prüfung von Beweismitteln abzuschließen, mit der vor Erklärung der Anfechtung begonnen worden war. Artikel 19 Abs. 8 lit. c erlaubt die Ermächtigung des Anklägers zur Zusammenarbeit mit den in Betracht kommenden Staaten zur Verhinderung der Flucht von Personen, für die bereits ein Haftbefehl nach Artikel 58 beantragt worden war. Auch diesbezüglich ergibt sich eine entsprechende Verpflichtung, dem Ersuchen zur Zusammenarbeit zu folgen, ausschließlich für Vertragsstaaten aus Artikel 86 des Statuts.38 Soweit der Ankläger im Hinblick auf die Zulässigkeit eines Verfahrens gemäß Artikel 17 Ermittlungen zurückstellt, kann er den betreffenden Staat um Informationen bezüglich des in Frage stehenden nationalen Strafverfahrens ersuchen. Eine Kooperationspflicht besteht allerdings auch hier nur für Vertragsstaaten. Drittstaaten müssen einer entsprechenden Aufforderung selbstverständlich nicht nachkommen.39 Damit beinhalten die komplexen Vorschriften zur Zulässigkeit und Gerichtsbarkeit für Nichtvertragsstaaten ausschließlich Rechte, nicht aber Verpflichtungen. Gemäß den Artikeln 17 ff. des Rom-Statuts haben alle Beteiligten zahlreiche Möglichkeiten, die Gerichtsbarkeit des IStGH und die Zulässigkeit eines Straverfahrens in jedem Verfahrensstadium anzugreifen und im weiteren Verlauf gegen die jeweiligen Entscheidungen des Gerichts Beschwerde einzulegen. Als Kehrseite dieses umfassenden Rechtsschutzes besteht zweifellos die Gefahr, dass der IStGH mit Anträgen gegen seine Gerichtsbarkeit oder die Zulässigkeit einer Sache überschwemmt werden wird.40 Eine Rechtsverletzung dritter Staaten kommt insoweit jedoch nicht in Betracht.

VII. Die Verletzung völkerrechtlicher Immunität Teilweise wird allerdings vorgetragen, das Rom-Statut verstoße gegen die geltenden Grundsätze zur völkerrechtlichen Immunität. Artikel 27 des Statuts lautet insoweit: Unerheblichkeit der amtlichen Eigenschaft (1) Dieses Statut gilt gleichermaßen für alle Personen ohne jeden Unterschied nach ihrer amtlichen Eigenschaft. Insbesondere enthebt die amtliche Eigenschaft als Staats- oder Regierungschef, als Mitglied einer Regierung oder eines Parlaments, als gewählter Vertreter oder als Amtsträger einer Regierung eine Person nicht der strafrechtlichen Verantwortlichkeit nach diesem Statut und stellt für sich genommen keinen Strafmilderungsgrund dar. 38 39 40

Hall, in: Triffterer, Artikel 19, Rn. 27. Hall, in: Triffterer, Artikel 19, Rn. 31. Sadat, The ICC and the Transformation of International Law, S. 122.

VII. Die Verletzung völkerrechtlicher Immunität

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(2) Immunitäten oder besondere Verfahrensregeln, die nach innerstaatlichem Recht oder nach dem Völkerrecht mit der amtlichen Eigenschaft einer Person verbunden sind, hindern den Gerichtshof nicht an der Ausübung der Gerichtsbarkeit über eine solche Person.

Hiernach ist die amtliche Eigenschaft einer Person für ihre strafrechtliche Verantwortlichkeit nach dem Rom-Statut unbeachtlich. Vielmehr kann jedermann ohne Rücksicht auf seine amtliche Stellung vor dem IStGH für die im Statut genannten Verbrechen belangt werden. Auch Staatsoberhäupter oder sonstige Amtsträger können demgemäß vor dem Strafgerichtshof angeklagt werden. Dies gilt nach Artikel 27 Abs. 2 gerade auch dann, wenn die fraglichen Personen aufgrund der ihnen nach nationalem oder internationalem Recht eingeräumten Immunität grundsätzlich keiner Strafverfolgung ausgesetzt wären. Fraglich ist, ob insoweit eine Strafverfolgung vor dem IStGH nicht gegen die erwähnten völkerrechtlichen Immunitätsgrundsätze verstieße. 1. Staatenimmunität Immunität bedeutet zunächst das Recht jedes Staates und seiner Hoheitsträger, sich für hoheitliche Handlungen nicht vor den nationalen Gerichten anderer Staaten zur Verantwortung ziehen lassen zu müssen.41 Ausgehend von der souveränen Gleichheit aller Staaten stand nach klassischem Völkerrecht keinem Staat das Recht zu, über hoheitliche Handlungen anderer souveräner Staaten zu richten, par in pares non habet imperium.42 Bis zum Ende des 19. Jahrhunderts galt das Prinzip der absoluten Immunität, das heißt Gerichtsverfahren gegen fremde Staaten waren grundsätzlich unzulässig.43 Das Verhalten eines anderen Staates konnte auf nationaler Ebene nicht in Frage gestellt, sondern lediglich auf völkerrechtlicher Ebene näher untersucht werden. Mit zunehmender wirtschaftlicher Aktivität der Staaten und ihrer wachsenden Beteiligung am internationalen Handelsverkehr entwickelte sich eine restriktive Immunitätslehre. Hiernach ist von einer beschränkten Immunität der Staaten für hoheitliches Handeln (acta iure imperii) auszugehen. Für nichthoheitliche Handlungen (acta iure gestionis), bei denen der Staat wie ein Privater auftritt, etwa im Bereich des Wirtschaftsverkehrs, kommt eine Immunität von der Gerichtsbarkeit anderer Staaten demgegenüber nicht mehr in Betracht.44 Bruer-Schäfer, Der IStGH, S. 213 – 214; Stein, in: LdR / VR (3. Aufl.), S. 167. Steinberger, Zur Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu Fragen der Immunität fremder Staaten, S. 906 ff.; Hailbronner, in: Graf Vitzthum (Hrsg.), Völkerrecht, 3. Abschn., Rn. 76; Doehring, Völkerrecht, Rn. 658; Stein, in: LdR / VR (3. Aufl.), S. 167; UK House of Lords, Ex Parte Pinochet, 24. März 1999, 38 ILM (1999), S. 592. 43 Steinberger, Zu neueren Entwicklungen im Bereich der völkerrechtlichen Staatenimmunität, S. 452. 44 Steinberger, Zu neueren Entwicklungen im Bereich der völkerrechtlichen Staatenimmunität, S. 453 ff.; Steinberger, Zur Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu Fragen der Immunität fremder Staaten, S. 893; Hailbronner, in: Graf Vitzthum (Hrsg.), Völkerrecht, 3. Abschn., Rn. 76; Stein / von Buttlar, Völkerrecht, Rn. 719. 41 42

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F. Vertragliche Belastung dritter Staaten

2. Immunität von Amtsträgern Die Freistellung staatlicher Hoheitsakte von fremder nationaler Gerichtsbarkeit wäre allerdings sinnlos, wenn zwar nicht der Staat selbst, wohl aber seine handelnden Staatsorgane hierfür zur Verantwortung gezogen werden könnten. Demgemäß genießen nach geltendem Völkergewohnheitsrecht nicht nur der Staat selbst, sondern auch seine Staatsorgane Immunität. Dies gilt zum einen für das Staatsoberhaupt.45 Etwa bis zum Ersten Weltkrieg konnten sich auch staatliche Herrscher auf absolute Immunität, das heißt auf umfassende und zeitlich unbeschränkte Freiheit von fremder staatlicher Gerichtsbarkeit, berufen. Nach der noch aus der Zeit des Absolutismus herrührenden Maxime „L’état, c’est moi“ wurde das Staatsoberhaupt als Personifizierung des Staates selbst angesehen und mit ihm gleichgesetzt. Die (straf-)rechtliche Unantastbarkeit des fremden Souveräns vor nationalen Gerichten sollte die Achtung der staatlichen Würde gewährleisten.46 Nach dem Ersten Weltkrieg kam es jedoch gerade im kontinentaleuropäischen Raum zu einem verstärkten gesellschaftlichen und politischen Wandel. Das Erstarken parlamentarischer Rechte führte zu einer Schwächung der Monarchien und zur vermehrten Entstehung demokratischer Gesellschaften. Der Souverän war damit nicht mehr alleiniges Synonym für den Staat. Diese Entwicklung führte zusammen mit der verstärkten staatlichen Teilnahme am Wirtschaftsverkehr zu der Vorstellung, dass sich auch Staatsoberhäupter nicht mehr uneingeschränkt auf ihre Immunität berufen und gleichsam hinter ihrem Staat verstecken können.47 Staatsoberhäupter genießen mittlerweile nach herrschender Meinung zwar während ihrer Amtszeit grundsätzlich absolute Immunität, das heißt sie können weder für hoheitliche noch private Handlungen vor ausländischen Gerichten zur Rechenschaft gezogen werden.48 Diese zunächst umfassende Immunität besteht jedoch nach Ende der Amtszeit nicht uneingeschränkt fort. Denn der Schutz vor fremder Gerichtsbarkeit dient gerade nicht den individuellen Interessen des Betroffenen, sondern soll die Würde und Souveränität des repräsentierten Staates achten und die Stabilität zwischenstaatlicher Beziehungen gewährleisten. Hieraus ergibt sich, dass die Immunität des Staatsoberhauptes für sein amtliches Handeln auch nach Ende seiner Amtszeit grundsätzlich nicht entfällt, da insoweit die Achtung staatlicher Hoheitsakte als Schutzzweck fortbesteht.49 Stein, in: LdR / VR (3. Aufl.), S. 167. Steinberger, Zur Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu Fragen der Immunität fremder Staaten, S. 906; Triffterer, in: Triffterer, Artikel 27, Rn. 1, 15; Doehring, Völkerrecht, Rn. 482, 658, 670. 47 Steinberger, Zu neueren Entwicklungen im Bereich der völkerrechtlichen Staatenimmunität, S. 452; Stein, in: LdR / VR (3. Aufl.), S. 168; Triffterer, in: Triffterer, Artikel 27, Rn. 13. 48 Habscheid, in: LdR / VR (2. Aufl.), S. 104 – 105; Doehring, Völkerrecht, Rn. 672 ff.; Zimmermann, Role and Function of International Criminal Law, S. 47; Arrest Warrant of 11 April 2000 (Democratic Republic of the Congo v. Belgium), Judgment, ICJ Reports 2002, S. 3 ff., 22. 45 46

VII. Die Verletzung völkerrechtlicher Immunität

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Privates Handeln des Staatsoberhauptes bleibt jedoch nach Ablauf seiner Amtszeit der Gerichtsbarkeit anderer Staaten nicht entzogen. Denn insoweit ist die Souveränität des Heimatstaates nicht betroffen.50 Ob auch Regierungschefs und sonstige Regierungsmitglieder, insbesondere Minister, eine entsprechende Immunität ratione personae genießen, ist umstritten. Die wohl überwiegende Auffassung billigt ihnen jedoch absolute Immunität vor nationalen Gerichten zu, solange sie im Amt sind und ihr Handeln erkennen lässt, dass sie im Auftrag des Staates tätig werden.51 Mit Ende ihrer hoheitlichen Tätigkeit entfällt die Immunität für privates Handeln, eine funktionelle Immunität für die während der Amtszeit erlassenen Hoheitsakte bleibt jedoch bestehen. Dies wird insbesondere unter Hinweis auf Artikel 7 Abs. 2 lit. a WVK begründet, wonach sowohl der Regierungschef als auch der Außenminister bereits kraft seines Amtes zur Vertretung des Staates befugt ist, ohne dass eine gesonderte Vollmacht erforderlich ist.52 Für eine persönliche Immunität auch des Regierungschefs und sonstiger Regierungsmitglieder sprechen insbesondere praktische Erwägungen. In vielen Staaten haben Staatsoberhäupter nurmehr repräsentative Funktionen, wohingegen die tatsächliche Leitung der Staatsangelegenheiten dem Regierungschef und seinen Ministern obliegt. Zur Vermeidung von Rechtsunsicherheit und im Interesse eines effektiven internationalen Rechtsverkehrs ist daher eine entsprechende Ausweitung der Immunität zu befürworten, auch wenn hierdurch zweifellos eine gewisse Missbrauchsgefahr gegeben ist.53 Besondere Privilegien gelten weiterhin für Diplomaten und Konsuln. Die entsprechenden Regelungen finden sich im Wiener Übereinkommen über diplomatische Beziehungen (WÜD) vom 18. 4. 196154 sowie im Wiener Übereinkommen über konsularische Beziehungen (WÜK) vom 24. 4. 1963.55 Beide Abkommen 49 Doehring, Völkerrecht, Rn. 672 – 673; UK House of Lords, Ex Parte Pinochet, 24. März 1999, 38 ILM (1999), S. 592 – 593. 50 Stein / von Buttlar, Völkerrecht, Rn. 725. 51 Für amtierende Außenminister und Regierungschefs ausdrücklich der IGH, Arrest Warrant of 11 April 2000 (Democratic Republic of the Congo v. Belgium), Judgment, ICJ Reports 2002, S. 20 ff.; Stein, in: LdR / VR (3. Aufl.), S. 167; Seidl-Hohenveldern / Stein, Völkerrecht, Rn. 1484; Hailbronner, in: Graf Vitzthum (Hrsg.), Völkerrecht, 3. Abschn., Rn. 38; Doehring, Völkerrecht, Rn. 672; Watts, The Legal Position of Heads of States, Heads of Governments and Ministers, S. 100 ff.; Bungenberg, Extraterritoriale Strafrechtsanwendung, S. 196; A.A: Dissenting Opinion of Judge Van den Wyngaert, Arrest Warrant of 11 April 2000 (Democratic Republic of the Congo v. Belgium), Judgment, ICJ Reports 2002, S. 142, 146 ff., die eine entsprechende Immunität nur dem Staatsoberhaupt selbst zuerkennen will; Bosch, Immunität und internationale Verbrechen, S. 74 – 75 mit weiteren Nachweisen. 52 Hailbronner, in: Graf Vitzthum (Hrsg.), Völkerrecht, 3. Abschn., Rn. 38; Doehring, Völkerrecht, Rn. 673. 53 Auf diese Missbrauchsgefahr hinweisend Bosch, Immunität und internationale Verbrechen, S 75. 54 Sartorius II Nr. 325. 55 Sartorius II Nr. 326.

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F. Vertragliche Belastung dritter Staaten

sind mittlerweile als kodifiziertes Völkergewohnheitsrecht anzusehen.56 Artikel 29 WÜD bestimmt, dass die Person des Diplomaten unverletzlich ist, er unterliegt insbesondere keiner Festnahme oder Haft. Artikel 31 WÜD sieht vor, dass jeder Diplomat grundsätzlich Immunität von der Strafgerichtsbarkeit des Empfangsstaates genießt. Zu beachten ist allerdings auch hier, dass die Immunität ratione personae, das heißt für privates Handeln, mit Amtsende erlischt. Die Immunität ratione materiae für Amtshandlungen des Diplomaten besteht demgegenüber nach Artikel 39 Abs. 2 WÜD fort. Amtliche Handlungen sind wie die hoheitlichen Akte anderer Staatenvertreter dem Staat selbst zuzurechnen und damit grundsätzlich von den nationalen Gerichten zu respektieren. Auch die Immunität eines Diplomaten ratione materiae für seine Amtshandlungen ist also ein Privileg des Entsendestaates, nicht etwa ein individuelles Recht des Betroffenen. Dementsprechend kann auch nur der Entsendestaat auf die Immunität von Diplomaten oder Konsuln verzichten.57 Konsularbeamte genießen nicht im gleichen Umfang Immunität wie Diplomaten. Auch sie unterliegen gemäß Artikel 41 WÜK zwar keiner Festnahme oder Haft, es sei denn wegen schwerer strafbarer Handlungen. Im Übrigen ist ihre Immunität gegen Eingriffe des Empfangsstaates jedoch von vornherein ausschließlich funktional, das heißt nur im Hinblick auf ihre Amtsführung gegeben. Diese Immunität für amtliches Handeln bleibt gemäß Artikel 53 Abs. 4 WÜK auch nach Ende der Amtszeit uneingeschränkt bestehen. Im Hinblick auf private Handlungen sind Konsularbeamte allerdings von Anfang an der Gerichtsbarkeit des Empfangsstaates ausgesetzt.58 Zusammenfassend bleibt damit festzuhalten, dass Staatsoberhäupter, Regierungsmitglieder und Diplomaten während ihrer Amtszeit in der Regel umfassende Immunität genießen. Nach Ende ihrer Amtszeit bleibt die Immunität für hoheitliche Handlungen fortbestehen, nicht jedoch die Immunität für privates Handeln.

3. Immunität vor internationalen Gerichten Fraglich ist jedoch, ob die genannten Amtsträger Immunität auch für den Fall ihrer Strafverfolgung vor einem internationalen Gericht genießen. Zum einen ist festzuhalten, dass eine Strafverfolgung staatlicher Hoheitsträger jederzeit möglich ist, soweit der betroffene Staat einwilligt. Denn das Recht eines Amtsträgers auf Immunität ist kein persönliches Recht des Betroffenen, sondern vielmehr ein Recht seines Heimatstaates.59 Dieser kann indessen jederzeit auf die Doehring, Völkerrecht, Rn. 674. Doehring, Völkerrecht, Rn. 679, 681. 58 Doehring, Völkerrecht, Rn. 682. 59 Stein, in: LdR / VR (3. Aufl), S. 169; Simbeye, Immunity and International Criminal Law, S. 136. 56 57

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Immunität seiner Amtsträger verzichten. Eine Strafverfolgung vor dem IStGH bereitet daher unter dem Gesichtspunkt völkerrechtlicher Immunität keine Schwierigkeiten, soweit Angehörige aus Vertragsstaaten betroffen sind. Die Vertragsstaaten haben mit Beitritt zum Rom-Statut die in Artikel 27 postulierte Unbeachtlichkeit der amtlichen Eigenschaft ihrer Hoheitsträger akzeptiert, so dass die Bestimmung im Hinblick auf ihre Staatsangehörigen nicht zu beanstanden ist. Artikel 27 verstößt jedoch auch in Bezug auf Amtsträger aus Drittstaaten nicht gegen völkerrechtliche Immunitätsgrundsätze. Vielmehr ist ein Strafverfahren gegen staatliche Hoheitsträger vor dem IStGH auch ohne Einwilligung des betroffenen Heimatstaates möglich. Eine unzulässige vertragliche Belastung dritter Staaten kommt insoweit nicht in Betracht. Denn die erläuterten Immunitätsrechte für Amtsträger gelten nach herrschender Auffassung zwar vor nationalen Gerichten, nicht jedoch vor internationalen Spruchkörpern. Der Ausschluss der Immunität vor internationalen Gerichten ist heute allgemein anerkannt und stellt einen seit Nürnberg geltenden Grundsatz des Völkerrechts dar.60 Auch wenn es den Einzelstaaten traditionell untersagt ist, Gerichtsbarkeit über Staatsorgane und Funktionsträger anderer Staaten ohne deren Einwilligung auszuüben, kommen diese Grundsätze vor internationalen Gerichten nicht zur Anwendung. Die geschilderten Immunitätsregelungen sollen die souveräne Gleichheit der Staaten sowie den zwischenstaatlichen Verkehr schützen und verhindern, dass ein Staat über die Hoheitsakte anderer souveräner Staaten zu Gericht sitzt. Vor einem internationalen Strafgericht wie dem IStGH, das ein Vollzugsorgan der internationalen Staatengemeinschaft darstellt, können sich Amtsträger demgegenüber nicht auf ihre hoheitliche Stellung und eine hierdurch begründete Immunität vor Strafverfolgung berufen. Der mit der Immunität im einzelstaatlichen Verfahren verfolgte Schutzzweck kommt hier von Vornherein nicht zum Tragen.61 Auch Artikel 7 des Statuts des Internationalen Strafgerichtshofs für Jugoslawien62 sowie Artikel 6 des Statuts des Internationalen Strafgerichtshofs für Ruanda63 gehen von einer unmittelbaren strafrechtlichen Verantwortlichkeit des Einzelnen nach geltendem Völkerrecht ohne Rücksicht auf dessen offizielle Funk60 So auch das Jugoslawientribunal, Urteil vom 10. 12. 1998, IT-95 – 17 / 1-T (Prosecutor v. Anto Furundzija), para. 140; UK House of Lords, Ex Parte Pinochet (Appeal), 24. März 1999, ILM 38 (1999), S. 589; Bosch, Immunität und internationale Verbrechen, S. 126; Dahm / Delbrück / Wolfrum, Völkerrecht, Band I / 3, S. 1036; König, Die völkerrechtliche Legitimation der Strafgewalt internationaler Strafjustiz, S. 398; Lüke, Die Immunität staatlicher Funktionsträger, S. 242. 61 Dahm / Delbrück / Wolfrum, Völkerrecht. Bd. I / 3, S. 1018 – 1019; Lüke, Die Immunität staatlicher Funktionsträger, S. 242; Brown, U.S. Objections to the Statute of the ICC, S. 875; Bungenberg, Extraterritoriale Strafrechtsanwendung bei Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Völkermord, S. 173; König, Die völkerrechtliche Legitimation der Strafgewalt internationaler Strafjustiz, S. 398 ff.; Dahm / Delbrück / Wolfrum, Völkerrecht, Bd. I / 3, S. 1018; Triffterer, in: Triffterer, Artikel 27, Rn. 9. 62 I.L.M 32 (1993), S. 1194. 63 I.L.M 33 (1994), S. 1604.

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tion oder Stellung aus. Hiermit steht die in Artikel 27 des Rom-Statuts postulierte Unerheblichkeit der amtlichen Eigenschaft für die Strafbarkeit der Begehung von Völkerrechtsverbrechen in Einklang. Nach herrschender Auffassung genießen auch amtierende Amtsträger keine Immunität vor internationalen Gerichten. Denn insoweit geht es gerade nicht um den Schutz zwischenstaatlicher Beziehungen gleichberechtigter Staaten. So wurde mit der Anklage gegen den jugoslawischen Staatspräsidenten Milosevic vor dem UN-Strafgerichtshof für Jugoslawien ein internationales Strafverfahren gegen ein noch amtierendes Staatsoberhaupt eingeleitet. 64 Die Möglichkeit eines internationalen Strafverfahrens gegen noch amtierende Amtsträger wurde auch vom IGH in seiner Entscheidung im Fall Kongo gegen Belgien ausdrücklich bejaht. Dort führt der Gerichtshof aus: „. . . an incumbent or former Minister of Foreign Affairs may be subject to criminal proceedings before certain international criminal courts, where they have jurisdiction. Examples include the International Criminal Tribunal for the former Yugoslavia, and the International Criminal Tribunal for Rwanda, established pursuant to Security Council resolutions under Chapter VII of the United Nations Charter and the future International Criminal Court created by the 1998 Rome Convention.“ 65

Der IStGH ist daher als internationales Gericht bei der Strafverfolgung an die zwischen den Staaten geltende völkerrechtliche Immunitätsgrundsätze nicht gebunden. Artikel 27 verstößt mithin nicht gegen geltendes Völkerrecht. Der Gerichtshof kann vielmehr ohne Rücksicht auf die amtliche Eigenschaft einer Person Gerichtsbarkeit auch über Hoheitsträger ausüben.

4. Immunität und Überstellung an den IStGH, Artikel 98 Abs. 1 IStGH-Statut Voraussetzung für ein Strafverfahren vor dem IStGH ist allerdings, dass sich die betroffene Person im Gewahrsam des Gerichtshofs befindet, da gemäß Artikel 63 Abs. 1 Rom-Statut eine Verhandlung vor dem IStGH nur in Anwesenheit des Angeklagten möglich ist. Für die tatsächliche Prozessdurchführung muss der Betroffene also an den Gerichtshof überstellt werden. Die Vertragsstaaten trifft bei einem entsprechenden Ersuchen des Strafgerichtshofs gemäß Artikel 89 Abs. 1 die Pflicht, einen Angeklagten, der sich in ihrem Hoheitsgebiet befindet, festzunehmen und an den IStGH zu überstellen. Diese Verpflichtung der Vertragsstaaten besteht grundsätzlich auch im Hinblick auf fremde Staatsangehörige. Auf die Zustimmung des jeweiligen Heimatstaates 64 Bungenberg, Extraterritoriale Strafrechtsanwendung bei Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Völkermord, S. 171. 65 Arrest Warrant of 11 April 2000 (Democratic Republic of the Congo v. Belgium), Judgment, ICJ Reports 2002, S. 26, Abs. 61.

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kommt es auch hier nicht an, andernfalls würde die Gerichtsbarkeit des IStGH ausgehöhlt und untergraben. Soweit nunmehr seitens des Gerichtshofs die Auslieferung eines Amtsträgers aus einem Nichtvertragsstaat gefordert wird, stellt sich die Frage, ob die Vertragsstaaten hierdurch nicht ihre völkerrechtlichen Verpflichtungen gegenüber dem betroffenen Nichtvertragsstaat verletzen. Denn nach den gemachten Ausführungen zur völkerrechtlichen Immunität können die einzelnen Vertragsstaaten selbst grundsätzlich keine Gerichtsbarkeit über die Hoheitsträger anderer Staaten ausüben. In diesen Fällen ist Artikel 98 des Rom-Statuts heranzuziehen: Zusammenarbeit im Hinblick auf den Verzicht auf Immunität und die Zustimmung zur Überstellung (1) Der Gerichtshof darf kein Überstellungs- oder Rechtshilfeersuchen stellen, das vom ersuchten Staat verlangen würde, in Bezug auf die Staatenimmunität oder die diplomatische Immunität einer Person oder des Eigentums eines Drittstaats entgegen seinen völkerrechtlichen Verpflichtungen zu handeln, sofern der Gerichtshof nicht zuvor die Zusammenarbeit des Drittstaats im Hinblick auf den Verzicht der Immunität erreichen kann. (2) Der Gerichtshof darf kein Überstellungsersuchen stellen, das vom ersuchten Staat verlangen würde, entgegen seinen Verpflichtungen aus völkerrechtlichen Übereinkünften zu handeln, denen zufolge die Überstellung eines Angehörigen des Entsendestaates an den Gerichtshof der Zustimmung des Staates bedarf, sofern der Gerichtshof nicht zuvor die Zusammenarbeit des Entsendestaates im Hinblick auf die Zustimmung zur Überstellung erreichen kann.

Artikel 98 regelt den Fall, dass die Kooperationspflichten eines Vertragsstaates gegenüber dem Strafgerichtshof den völkerrechtlichen Verpflichtungen des Vertragsstaates gegenüber Drittstaaten im Hinblick auf die Immunität von Personen oder Eigentum widersprechen. Entgegenstehende nationale Bestimmungen zur Immunität Einzelner werden von Artikel 98 demgegenüber nicht berührt. Ein Vertragsstaat kann daher eine Überstellung von Personen an den Gerichtshof nicht unter Berufung auf widersprechende innerstaatliche Normen verweigern.66 Nach Artikel 98 Abs. 1 darf der IStGH einen Vertragsstaat nicht zur Überstellung einer Person auffordern, wenn dieser hierdurch gegen völkerrechtliche Grundsätze der Staatenimmunität oder diplomatischen Immunität einer Person oder des Eigentums eines Drittstaates verstoßen würde. Die Regelung soll Vertragsstaaten davor schützen, durch die Auslieferung von Personen an den IStGH gegen geltendes Völkergewohnheitsrecht zu verstoßen. Artikel 98 Abs. 1 will somit für die Vertragsstaaten Konflikte zwischen den Kooperationspflichten gegenüber dem IStGH einerseits und ihren allgemeinen Verpflichtungen gegenüber dritten Staaten andererseits vermeiden.67 Er bestimmt daher, dass der Gerichtshof in einer derartigen Konfliktsituation keine Überstellung vom Vertragsstaat fordern kann, soweit er 66 67

Prost / Schlunck, in: Triffterer, Artikel 98, Rn. 3. Prost / Schlunck, in: Triffterer, Artikel 98, Rn. 1.

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nicht zuvor die Zusammenarbeit des Drittstaates und dessen Verzicht auf Immunität seiner Amtsträger erreichen konnte. Für Artikel 98 Abs. 1 ist damit entscheidend, inwieweit einzelne Personen nach geltendem Völkergewohnheitsrecht Immunität von der Gerichtsbarkeit anderer Staaten genießen. Wie bereits erläutert wurde, sind staatliche Amtsträger während ihrer Amtszeit nach traditionellem Völkerrecht umfassend von der Gerichtsbarkeit anderer Staaten befreit; nach Ende der Amtszeit besteht die funktionelle Immunität für ihre während der Amtszeit erlassenen Hoheitsakte fort. a) Immunität contra individuelle strafrechtliche Verantwortlichkeit Fraglich ist jedoch, inwieweit diese Grundsätze noch Anwendung finden, soweit es um die Begehung der in Artikel 5 des Rom-Statuts genannten Völkerrechtsverbrechen wie Völkermord, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen geht. aa) Keine Immunität bei Begehung von Völkerrechtsverbrechen Eine Immunität staatlicher Funktionäre wird für die Begehung schwerer Menschenrechtsverletzungen in neuerer Zeit vermehrt in Frage gestellt. Soweit sich die von Amtsträgern begangenen Handlungen als Völkerrechtsverbrechen darstellen, erscheint ihre Immunität nach herkömmlichen Grundsätzen aufgrund der entgegenstehenden umfassenden strafrechtlichen Verantwortlichkeit des Einzelnen für Völkerrechtsverbrechen zweifelhaft. Der Grundsatz individueller strafrechtlicher Verantwortlichkeit ohne Rücksicht auf die amtliche Eigenschaft ist im geltenden Völkerstrafrecht mittlerweile fest verankert und findet sich bereits in Artikel VII der Nürnberg Charta. In Bestätigung dieses Prinzips erklärte der Nürnberger Gerichtshof in seinem Urteil: „. . . the principle of international law, which under certain circumstances protects the representatives of a State, cannot be applied to acts which are condemned as criminal by international law. The authors of these acts cannot shelter themselves behind their official position in order to be freed from punishment in appropriate proceedings.“68

Nach neuerer Auffassung sollen staatliche Hoheitsträger daher für die Begehung von Völkerrechtsverbrechen auch vor nationalen Gerichten anderer Staaten umfassend zur Verantwortung gezogen werden können.69 Dies wird damit begründet, 68 Zitiert bei Dupuy, International Criminal Responsibility of the Individual and the International Responsibility of the State, in: Cassese / Gaeta / Jones, The Rome Statute of the ICC, S. 1093. 69 Graefrath, Universal Criminal Jurisdiction and an International Criminal Court, S. 78 – 79; Prost / Schlunck, in: Triffterer, Artikel 98, Rn. 3; Schultz, Anmerkungen zum Urteil des IGH vom 14. Februar 2002 im Fall betreffend den Haftbefehl vom 11. April 2000, S. 750;

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dass das geltende Völkerstrafrecht als internationales und damit über der staatlichen Souveränität stehendes Recht gerade auch die Verfolgung von Staatsorganen und Hoheitsträgern bezweckt. Es widerspreche aber dem Sinn und Zweck des Völkerstrafrechts, ausgerechnet den Hauptverantwortlichen für derartige Verbrechen, wie etwa Staats- und Regierungschefs oder Ministern, für die Begehung und Anordnung derartiger Verbrechen uneingeschränkte funktionelle Immunität und damit im Ergebnis Straffreiheit zu gewähren.70 (1) Die Pinochet-Entscheidungen Von einer entsprechenden Einschränkung des traditionellen Immunitätsverständnisses gehen insbesondere die Entscheidungen des britischen House of Lords im Fall Pinochet vom 25. 11. 199871, vom 15. 1. 199972 sowie vom 24. 3. 199973 aus. Hier kam es erstmals zur Aberkennung der strafrechtlichen Immunität eines ehemaligen Staatsoberhauptes vor einem nationalen Gericht. General Augusto Pinochet war von 1973 bis zu seinem Rücktritt 1990 Staatsoberhaupt der Militärdiktatur in Chile. Während seiner Amtszeit war es zur Folterung, Ermordung und Verschleppung unzähliger Menschen gekommen. 1998 hielt sich der ehemalige Diktator zur medizinischen Behandlung im Vereinigten Königreich auf und wurde am 16. 10. 1998 aufgrund eines spanischen Haftbefehls in London festgenommen. Ihm wurde zur Last gelegt, für zahlreiche schwere Menschenrechtsverletzungen während der Militärdiktatur verantwortlich gewesen zu sein. Die spanische Justiz stellte ein Auslieferungsersuchen, um den ehemaligen Diktator in Spanien vor Gericht zu stellen. Pinochet berief sich demgegenüber auf seine funktionelle Immunität als ehemaliges Staatsoberhaupt.74 In seiner Berufungsentscheidung kam das House of Lords zu dem Ergebnis, dass der ehemalige Diktator im Hinblick auf die ihm vorgeworfenen Folterungen und Menschenrechtsverletzungen keine völkerrechtliche Immunität beanspruchen könne. Zwar seien die fraglichen Verbrechen während seiner Amtszeit begangen worBröhmer, State Immunity and the Violation of Human Rights, S. 189 ff.; für eine Immuntätsausnahme bei Begehung von interationalen Verbrechen, die gleichzeitig ius cogens-Verletzungen darstellen auch Bosch, Immunität und internationale Verbrechen, S. 109 ff. 70 Schultz, Anmerkungen zum Urteil des IGH vom 14. Februar 2002 im Fall betreffend den Haftbefehl vom 11. April 2000, S. 744, 750; Dissenting Opinion of Judge Van den Wyngaert, Arrest Warrant of 11 April 2000 (Democratic Republic of the Congo v. Belgium), Judgment, ICJ Reports 2002, S. 152 ff. 71 UK House of Lords, Regina v. Bartle et al., ex parte Pinochet, Regina v. Evans et al., ex parte Pinochet, vom 25. November 1998, 37 ILM (1998), S. 1302 ff. 72 UK House of Lords, Opinions of the Lords of Appeal for Judgment in the Cause in re Pinochet, 15. Januar 1999, 38 ILM (1998), S. 581 ff. 73 UK House of Lords, Ex Parte Pinochet (Appeal), 24. März 1999, 38 ILM (1999), S. 581 ff. 74 UK House of Lords, Ex Parte Pinochet (Appeal), 24. März 1999, 38 ILM (1999), S. 583.

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den, auf eine Immunität ratione materiae für Amtshandlungen konnte sich Pinochet nach Auffassung der Lords dennoch nicht berufen. Dies wurde zum einen mit der Systematik der UN-Folterkonvention begründet.75 Gemäß Artikel 1 der Folterkonvention kann das Verbrechen der Folter gerade nur von Angehörigen des öffentlichen Dienstes oder anderen in amtlicher Eigenschaft handelnden Personen und damit per definitionem nur von Amtsträgern begangen werden. Die britischen Richter kamen deshalb zu dem Ergebnis, dass es mit dem Sinn und Zweck der Folterkonvention nicht vereinbar sei, wenn sich jeder Amtsträger für die Begehung von Folterungen auf völkerrechtliche Immunität berufen könne, während zugleich nur Amtsträger als Täter in Betracht kämen. Eine Strafverfolgung der Hauptverantwortlichen sei dann nämlich gerade niemals möglich.76 Da Folter sich nach der Folterkonvention ausschließlich als „amtliche“ Handlung darstelle und die Artikel 4 ff. des Übereinkommens dennoch eine universelle Strafgerichtsbarkeit aller Staaten zur Bestrafung von Folterhandlungen vorsähen, sei insoweit von einem impliziten Souveränitätsverzicht aller Staaten im Hinblick auf ihre von den Foltervorwürfen betroffenen Amtsträger auszugehen, auch soweit es sich hierbei um ehemalige Staatsoberhäupter handle.77 Weiterhin wurde geltend gemacht, dass die Anordnung und Begehung von Folter unter Berücksichtigung des gewohnheitsrechtlich anerkannten Folterverbots nicht als eine Immunität res materiae begründende Amtshandlung eingestuft werden könne.78 Zwar seien Amtsträger im Hinblick auf ihre offiziellen Handlungen grundsätzlich auch vor Strafverfolgung geschützt. Die Begehung von Völkerrechtsverbrechen könne jedoch nicht als schützenswertes hoheitliches Handeln eingestuft werden. Schwere Menschenrechtsverletzungen wie Folterungen zählten gerade nicht zu den Aufgaben eines Staatsoberhauptes und seien daher auch nicht vom Schutzweck der funktionellen Immunität erfasst.79 Soweit also ein Staatschef während seiner Amtszeit völkerrechtliche Verbrechen angeordnet hat, soll er hierfür nach Ende seiner Amtszeit auch vor den (Straf-)Gerichten anderer Staaten zur Verantwortung gezogen werden können.

75 Übereinkommen gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe vom 10. 12. 1984, BGBl. 1990 II S. 246. 76 UK House of Lords, Ex Parte Pinochet (Appeal), 24. März 1999, 38 ILM (1999), S. 591, 594. 77 UK House of Lords, Ex Parte Pinochet (Appeal), 24. März 1999, 38 ILM (1999), S. 594; Dahm / Delbrück / Wolfrum, Völkerrecht. Bd. I / 3, S. 1018; Ambos, Der Fall Pinochet und das anwendbare Recht, S. 22. 78 UK House of Lords, Ex Parte Pinochet (Appeal), 24. März 1999, 38 ILM (1999), S. 593 – 594; Ambos, Der Fall Pinochet und das anwendbare Recht, S. 22. 79 UK House of Lords, Ex Parte Pinochet (Appeal), 24. März 1999, 38 ILM (1999), S. 593; Bungenberg, Extraterritoriale Strafrechtsanwendung bei Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Völkermord, S. 196 – 197.

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(2) Weitere nationale Strafverfahren gegen ehemalige Amtsträger Daneben ist auf weitere nationale Strafverfahren zu verweisen, in denen ehemaligen staatlichen Amtsträgern die Berufung auf Immunität für Amtshandlungen verweigert wurde, soweit die Begehung internationaler Verbrechen in Frage stand. So wird seit Juli 2003 dem ehemaligen argentinischen General Ricardo Cavallo, der während der Zeit der Militärdiktatur in Argentinien in einer berüchtigten Folterstätte gewütet haben soll, in Spanien der Prozess gemacht. Nach der Verhaftung des Ex-Generals in Mexiko im Jahr 2000 wurde er schließlich im Juli 2003 an Spanien ausgeliefert. Ihm wird die Verschleppung, Folter und Ermordung hunderter Regimegegner vorgeworfen. Daneben werden ihm zahlreiche terroristische Akte und Völkermord zur Last gelegt.80 Weiterhin wurde gegen den ehemaligen Diktator Tschads, Hossene Habré, der während seiner Herrschaft von 1982 bis 1990 die Folterung und Ermordung tausender Oppositioneller veranlasst haben soll, zunächst im Senegal, sodann auch in Belgien ein Strafverfahren wegen Folter und Verbrechen gegen die Menschlichkeit eingeleitet. 81 Die genannten nationalen Strafverfahren und Entscheidungen beziehen sich jedoch ausschließlich auf ehemalige Amtsträger. Fraglich ist, ob darüber hinaus auch amtierenden Hoheitsträgern Immunität vor nationalen Gerichten versagt werden kann, soweit die Begehung völkerrechtlicher Verbrechen in Frage steht. bb) Immunität amtierender Amtsträger (1) Neuere Auffassung In letzter Zeit wird vermehrt angenommen, dass staatliche Funktionäre auch während ihrer Amtszeit keine Immunität mehr für die Begehung der in Artikel 5 des Rom-Statuts aufgezählten Kernverbrechen vor nationalen Gerichten genießen.82 Dies wird damit begründet, dass die unmittelbare strafrechtliche Verantwortlichkeit des Einzelnen für die Begehung von Völkerrechtsverbrechen sowie das Inte80 Die Welt vom 30. 6. 2003, Ein Scherge der Diktatur muss sich Madrider Richtern stellen, http: // www.welt.de / data / 2003 / 06 / 30 / 126423.html; Oberster Gerichtshof stimmt Auslieferung Cavallos zu, http: // www.mexiko-mexico.info / _nachrichten / 03_juni_2003 / . 81 Reed Brody, Gerechtigkeit im Tschad, April 2002, http: // www.project-syndicate.org / commentaries / commentary_text; Die Welt schaut in die Folterkeller, SZ vom 13. 4. 2002, http: // www.coeicl.de / konferenz / ullrich.html. 82 Dissenting Opinion of Judge Van den Wyngaert, Arrest Warrant of 11 April 2000 (Democratic Republic of the Congo v. Belgium), Judgment, ICJ Reports 2002, S. 152, Abs. 24; Schultz, Anmerkungen zum Urteil des IGH vom 14. Februar 2002 im Fall betreffend den Haftbefehl vom 11. April 2000, S. 740 ff.; so wohl auch Lüke, Die Immunität staatlicher Funktionsträger, S. 241 ff., die insoweit nicht ausdrücklich zwischen amtierenden und ehemaligen Staatsoberhäuptern unterscheidet; Bosch, Immunität und internationale Verbrechen, S. 109.

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resse der Staatengemeinschaft an der Bestrafung solcher Verbrechen Vorrang genießen müssten vor immunitätsrechtlichen Regelungen.83 Es sei widersprüchlich, einerseits von einer staatlichen Bindung an die Menschenrechte auszugehen, andererseits aber eine Bestrafung schwerster Menschenrechtsverletzungen durch Berufung auf die Immunität staatlicher Amtsträgern zu umgehen. Die Begehung völkerrechtlicher Verbrechen stelle einen Verstoß gegen zwingendes Völkerrecht dar, während die völkergewohnheitsrechtlichen Regeln zur Immunität nicht zum Bestand des ius cogens gehörten. Sie müssten daher im Rahmen einer Abwägung zurückstehen hinter der unmittelbaren strafrechtlichen Haftung auch von Amtsträgern.84 (2) Herrschende Ansicht Der geschilderte Ansatz entspricht jedoch noch nicht dem derzeit geltenden Völkergewohnheitsrecht. Hierfür ist zum einen auf die Rechtsprechung nationaler Gerichte zu verweisen. So hat die französische Cour de Cassation entschieden, dass ein Strafverfahren gegen den amtierenden libyschen Staatschef Gaddafi im Hinblick auf dessen Immunität vor französischen Gerichten derzeit nicht in Betracht komme. Dies gelte auch, soweit dem Staatsoberhaupt schwere Völkerrechtsverbrechen wie Terrorismus zur Last gelegt würden (im konkreten Fall ein Bombenanschlag am 19. 9. 1989 auf ein Flugzeug über Niger mit 170 Toten), denn die Immunität amtierender Staatschefs sei umfassend, insoweit gebe es keine Ausnahmen.85 Auch ein Strafverfahren gegen Fidel Castro wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit wurde von einem spanischen Gericht unter Hinweis auf die Immunität Castros als amtierendes kubanisches Staatsoberhaupt nicht zugelassen.86 In Übereinstimmung hiermit hat weiterhin der IGH in seiner Entscheidung vom 11. 4. 2000 im Fall Kongo gegen Belgien ausdrücklich festgestellt, dass amtierende Außenminister im Hinblick auf Kriegsverbrechen oder Verbrechen gegen die Menschlichkeit Immunität vor nationalen Gerichten genießen.87 83 Dissenting Opinion of Judge Van den Wyngaert, Arrest Warrant of 11 April 2000 (Democratic Republic of the Congo v. Belgium), Judgment, ICJ Reports 2002, S. 155 ff., Abs. 28; Schultz, Anmerkungen zum Urteil des IGH vom 14. Februar 2002 im Fall betreffend den Haftbefehl vom 11. April 2000, S. 722, 726. 84 Schultz, Anmerkungen zum Urteil des IGH vom 14. Februar 2002 im Fall betreffend den Haftbefehl vom 11. April 2000, S. 745. 85 Cour de Cassation, Chambre Criminelle, Arret no. 1414 du 13 Mars 2001, abrufbar unter http: // www.courdecassation.fr / agenda / arrets / arrets / 00 – 87215.htm. 86 Spanische Entscheidung im Fall Fidel Castro, Order No. 1999 / 2723 vom 4. März 1999; hierzu auch: Ein historischer Präzedenzfall, Interview mit Kai Ambos, www.zeit.de / archiv / 1998 / 50 / 199850.ambos_.xml. 87 Arrest Warrant of 11 April 2000 (Democratic Republic of the Congo v. Belgium), Judgment, ICJ Reports 2002, S. 24, Abs. 58.

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Hintergrund der Entscheidung war der Erlass eines Haftbefehls gegen den amtierenden kongolesischen Außenminister Yerodia durch einen belgischen Ermittlungsrichter und dessen Verbreitung über Interpol. Der amtierende Minister stand in Verdacht, Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit begangen, insbesondere zur Hetzjagd auf die in der kongolesischen Hauptstadt Kinshasa lebende Tutsi-Minderheit aufgerufen zu haben und für die spätere Ermordung hunderter Tutsi mitverantwortlich zu sein. Für die in Frage stehenden Verbrechen beanspruchte Belgien universelle Strafgerichtsbarkeit aufgrund des Weltrechtsprinzips. Daraufhin kam es zu einer Klage der Republik Kongo gegen Belgien vor dem IGH, da die kongolesische Regierung im Erlass des Haftbefehls gegen ihren amtierenden Außenminister eine Verletzung der souveränen Gleichheit der Staaten sowie eine Missachtung der diplomatischen Immunität Yerodias sah. Der IGH schloss sich der kongolesischen Rechtsauffassung an und begründete seine Entscheidung mit dem Sinn und Zweck der immunitätsrechtlichen Regelungen. Die Immunität amtierender Außenminister sei völkergewohnheitsrechtlich anerkannt. Diese diene nicht dem persönlichen Vorteil des Amtsinhabers, sondern ausschließlich den Interessen seines Heimatstaates, insbesondere der effektiven Ausübung seines Amtes und der Sicherung seiner außenpolitischen Aufgaben. Ein Außenminister könne seine Funktionen aber nicht ungestört ausüben, wenn er während seiner Amtszeit nicht uneingeschränkt vor nationaler Strafverfolgung geschützt sei. Zur Förderung und Aufrechterhaltung ungestörter internationaler Beziehungen sei es daher unabdingbar, amtierenden Außenministern umfassende Immunität vor fremder staatlicher Gerichtsbarkeit zu gewähren.88 Dies gelte ohne Unterschied für hoheitliche und private Handlungen, da ansonsten zahlreiche Streitigkeiten im Hinblick auf die Einordnung von Akten in den öffentlichen oder privaten Bereich drohten und die für den diplomatischen Verkehr erforderliche uneingeschränkte Aktions- und Reisefreiheit nicht mehr gewährleistet sei.89 Nach Auffassung des IGH bedeutet dies jedoch gerade nicht, dass den Immunitätsregelungen Vorrang einzuräumen sei vor der völkerrechtlichen Verantwortlichkeit des Einzelnen für Völkerrechtsverbrechen. Vielmehr handle es sich insoweit um zwei voneinander zu trennende Fragen: „The Court emphasizes however, that the immunity from jurisdiction enjoyed by incumbent Ministers of Foreign Affairs does not mean that they enjoy impunity in respect of any crimes they might have committed, irrespective of their gravity. Immunity from criminal jurisdiction and individual criminal responsibility are quite separate concepts. While jurisdictional immunity is procedural in nature, criminal responsibility is a question of substantive law. Jurisdictional immunity may well bar prosecution for a certain period for 88 Arrest Warrant of 11 April 2000 (Democratic Republic of the Congo v. Belgium), Judgment, ICJ Reports 2002, S. 21 ff., Abs. 53 ff.; so auch Academy of European Law, Case Concerning the Arrest Warrant of 11 April 2000, http: // www.ejil.org / journal / Vol13 / No3 / sr102.html. 89 Arrest Warrant of 11 April 2000 (Democratic Republic of the Congo v. Belgium), Judgment, ICJ Reports 2002, S. 22, Abs. 55.

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certain offences; it cannot exonerate a person to whom it applies from all criminal responsibility.“90

Amtierende Staatenvertreter genießen hiernach zwar vorübergehend Immunität für die Begehung völkerrechtlicher Verbrechen und unterstehen während ihrer Amtszeit grundsätzlich nicht der Gerichtsbarkeit anderer Staaten. Dies sagt jedoch nichts über ihre strafrechtliche Verantwortlichkeit nach materiellem Recht aus. Immunität ist hiernach als prozessuales Institut zu verstehen, das im Interesse eines ungehinderten zwischenstaatlichen Verkehrs dazu führt, dass die materielle Strafbarkeit eines bestimmten Verhaltens während der Amtszeit von Hoheitsträgern nicht überprüft werden darf. Der Gerichtshof selbst nennt sodann Ausnahmen, in denen auch amtierende Hoheitsträger sich nicht auf Immunität als Verfahrenshindernis berufen können.91 Zum einen könne der Heimatstaat des Betroffenen jederzeit Gerichtsbarkeit über ihn ausüben, da Immunität ja kein persönliches Recht, sondern ein staatliches Privileg sei. Aus diesem Grund könne weiterhin jeder Staat gegenüber anderen Staaten auf die seinen amtierenden Hoheitsträgern grundsätzlich zustehende Immunität verzichten. Daneben seien andere Staaten nach Ende der Amtszeit des Betroffenen dazu befugt, Strafgerichtsbarkeit über ihn auszuüben, soweit ein anerkanntes Anknüpfungsmoment besteht. Gerade im Hinblick auf Völkerrechtsverbrechen sei insoweit auf das Universalitätsprinzip als zulässiges Anknüpfungskriterium zu verweisen. Schließlich betont der IGH, dass Besonderheiten für internationale Strafgerichte gelten. Diese könnten Strafgerichtsbarkeit auch über amtierende Außenminister ausüben, ohne an die ausschließlich zwischen den einzelnen Staaten geltenden immunitätsrechtlichen Regelungen gebunden zu sein. b) Stellungnahme Der Ansatz des IGH ist überzeugend. Entgegen teilweise vertretener Ansicht misst er insbesondere den völkerrechtlichen Regeln zur Immunität keine größere Bedeutung bei als dem Grundsatz der persönlichen Verantwortlichkeit für Völkerrechtsverbrechen.92 Nach dem Konzept des IGH sind nationale Gerichte im Interesse der Funktionsfähigkeit internationaler Beziehungen lediglich nicht befugt, 90 Arrest Warrant of 11 April 2000 (Democratic Republic of the Congo v. Belgium), Judgment, ICJ Reports 2002, S. 25, Abs. 60; Hervorhebungen durch die Verfasserin. 91 Arrest Warrant of 11 April 2000 (Democratic Republic of the Congo v. Belgium), Judgment, ICJ Reports 2002, S. 25, Abs. 61. 92 So aber Schultz, Anmerkungen zum Urteil des IGH vom 14. Februar 2002 im Fall betreffend den Haftbefehl vom 11. April 2000, S. 722.

VII. Die Verletzung völkerrechtlicher Immunität

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Gerichtsbarkeit über die amtierenden Staatenvertreter anderer Länder auszuüben. Könnten nationale Gerichte jederzeit Strafgerichtsbarkeit auch über amtierende Staatsoberhäupter, Regierungschefs oder Außenminister ausüben, so brächte dies neben einer erheblichen Störung der zwischenstaatlichen Beziehungen auch eine erhebliche Missbrauchsgefahr mit sich. Insoweit haben die traditionell anerkannten Immunitätsregelungen nach wie vor durchaus ihren Sinn. Sie stellen nach der zutreffenden Auffassung des IGH jedoch nur ein prozessuales Hindernis während der Amtszeit dar. Über die materielle Strafbarkeit des jeweiligen Verhaltens ist damit gerade nichts gesagt. Soweit ein Staatschef während seiner Amtszeit völkerrechtliche Verbrechen anordnete, kann er daher nach Ende seiner Amtszeit vor den Strafgerichten anderer Staaten zur Verantwortung gezogen werden. Das Urteil des IGH hat in der Völkerrechtslehre zu unterschiedlichen Reaktionen geführt.93 Auch wenn insbesondere in der Literatur ein Trend zur Einschränkung der Immunität amtierender Amtsträger bei schweren Völkerrechtsverletzungen auszumachen ist, geht doch die überwiegende Ansicht, insbesondere die nationale Rechtsprechung, nach wie vor davon aus, dass amtierende Staatenvertreter während ihrer Amtszeit umfassende Immunität genießen und auch im Hinblick auf Völkerrechtsverbrechen der nationalen Strafgerichtsbarkeit nicht unterstehen. Hierbei handelt es sich jedoch nur um ein zeitlich begrenztes prozessuales Hindernis, das vorübergehend die Strafverfolgung hindert, um Rechtsunsicherheit und Missbrauch auszuschließen. Die materielle Strafbarkeit bestimmter Handlungen wird hiervon indessen nicht berührt, so dass der Strafanspruch der internationalen Gemeinschaft uneingeschränkt erhalten bleibt.94 Eine Immunität für ehemalige staatliche Amtsträger im Hinblick auf schwere Menschenrechtsverletzungen wie die in Artikel 5 IStGH-Statut aufgezählten Verbrechen wird demgegenüber auch in der Literatur verneint.95 Diese widerspricht dem Sinn und Zweck des Völkerstrafrechts, das eine individuelle strafrechtliche Verantwortlichkeit jedes Einzelnen für die Begehung schwerster Menschenrechtsverletzungen vorsieht. 93 Zustimmend Dahm / Delbrück / Wolfrum, Völkerrecht, Band I / 3, S. 1018 – 1019; Triffterer, Der lange Weg zu einer internationalen Strafgerichtsbarkeit, S. 365; ablehnend Bosch, Immunität und internationale Verbrechen, S. 216 mit weiteren Nachweisen zur Gegenansicht. 94 Dahm / Delbrück / Wolfrum, Völkerrecht, Band I / 3, S. 1018 – 1019; Triffterer, Der lange Weg zu einer internationalen Strafgerichtsbarkeit, S. 365; Academy of European Law, Case Concerning the Arrest Warrant of 11 April 2000, http: // www.ejil.org / journal / Vol13 / No3 / sr1-02.html; König, Die völkerrechtliche Legitimation der Strafgewalt internationaler Strafjustiz, S. 400. 95 Doehring, Völkerrecht, Rn. 672; Bungenberg, Extraterritoriale Strafrechtsanwendung bei Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Völkermord, S. 196 – 197; Dahm / Delbrück / Wolfrum, Völkerrecht, Band I / 3, S. 1018 – 1019; Prost / Schlunck, in: Triffterer, Artikel 98, Rn. 3; Ambos, Der Fall Pinochet und das anwendbare Recht, JZ 1999, 20 ff., 24; Watts, The Legal Position in International Law of Heads of States, Heads of Governments and Foreign Ministers, S. 88; Triffterer, Der lange Weg zu einer internationalen Strafgerichtsbarkeit, S. 365; Bosch, Immunität und internationale Verbrechen, S. 244.

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F. Vertragliche Belastung dritter Staaten

Neben Artikel 1 der Folterkonvention sieht insbesondere Artikel IV der Völkermordkonvention ausdrücklich eine materielle Strafbarkeit von regierenden Personen vor. Gerade die Hauptverantwortlichen für derartige Verbrechen gingen straffrei aus, würde man ihnen für die Begehung und Anordnung derartiger Verbrechen uneingeschränkte funktionelle Immunität gewähren. Die „amtliche“ Begehung der Kernverbrechen des Rom-Statuts wie Völkermord, Kriegsverbrechen oder Verbrechen gegen die Menschlichkeit ist insoweit auch nicht als schützenswerte staatliche Tätigkeit anzusehen. Die Begehung solcher Gräueltaten fällt gerade nicht in die anerkannte Zuständigkeit von Hoheitsträgern oder Staatsorganen.96 Ein Staat kann mit den seiner Hoheitsgewalt unterstellten Personen nicht mehr willkürlich und nach Belieben verfahren. Die Begehung schwerster Menschenrechtsverletzungen stellt eben keine innere Angelegenheit mehr dar, die vom Völkerrecht nicht erfasst wird und jede Einmischung verbietet. Ein entsprechendes staatliches Handeln ist gerade nicht vom Völkerrecht gedeckt. Es wäre untragbar und widersprüchlich, staatlichen Handlungsträgern umfassende Straffreiheit für ein Verhalten zuzugestehen, das seinerseits ein Völkerrechtsverbrechen darstellt.97 Die verantwortlichen Amtsträger können sich daher nach zutreffender Auffassung auch vor nationalen Gerichten dritter Staaten nach ihrem Ausscheiden aus dem Amt nicht mehr hinter dem Deckmantel staatlicher Souveränität verstecken. Eine zeitlich unbegrenzte Immunität für die Begehung von Völkerrechtsverbrechen stünde in eklatantem Widerspruch zur unmittelbaren strafrechtlichen Verantwortlichkeit des Einzelnen nach geltendem Völkerstrafrecht. Eine so weitgehende Immunität würde im Gegensatz zu dem vom IGH vertretenen Ansatz nicht nur zu einem vorübergehenden Verfahrenshindernis, sondern im Ergebnis zur Straflosigkeit der Hauptverantwortlichen führen. Den Immunitätsregelungen käme dann nicht nur prozessuale, sondern letztlich auch materielle Bedeutung zu. Nach allem ist eine Pflichtenkollision der Vertragsstaaten im Sinne von Artikel 98 Abs. 1 durchaus denkbar. Soweit der IStGH um die Auslieferung eines noch amtierenden Regierungschefs, Amtsträgers oder Diplomaten eines dritten Staates ersuchen würde, dürfte der Vertragsstaat selbst nach der Rechtsprechung des IGH im Fall Kongo gegen Belgien keine Gerichtsbarkeit über den Betroffenen ausüben. Es stellt sich daher die Frage, ob die Auslieferung des amtierenden Hoheitsträgers an den IStGH eine Verletzung völkerrechtlicher Verpflichtungen gegenüber dem Drittstaat darstellt. Die geschilderten aktuellen Entwicklungen zeigen, dass die 96 UK House of Lords, Ex Parte Pinochet (Appeal), 24. März 1999, 38 ILM (1999), S. 593 ff.; Bruer-Schäfer, Der IStGH, S. 190; Nill-Theobald, „Defences“ bei Kriegsverbrechen am Beispiel Deutschlands und der USA, S. 382; Bungenberg, Extraterritoriale Strafrechtsanwendung bei Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Völkermord, S. 196 – 197; Dissenting Opinion of Judge Van den Wyngaert, Arrest Warrant of 11 April 2000 (Democratic Republic of the Congo v. Belgium), Judgment, ICJ Reports 2002, S. 161 – 162, Abs. 36. 97 Doehring, Völkerrecht, Rn. 672 unter Verweis auf das Urteil des Nürnberger Kriegsverbrechertribunals, wonach niemand Immunität beanspruchen kann „while acting in pursuance of the authority of the State if this State is authorising action moves outside its competence under international law“.

VII. Die Verletzung völkerrechtlicher Immunität

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völkerrechtlichen Grundsätze zur staatlichen Immunität derzeit im Fluss sind. Insoweit ist von einer erheblichen Rechtsunsicherheit auszugehen, die auch im Rahmen des Rom-Statuts zu Konflikten führen kann. Es wird letztlich Aufgabe des IStGH sein, im Einzelfall Grenzen und Reichweite der völkerrechtlichen Immunitätsregelungen zu bestimmen und festzustellen, ob von einem Vertragsstaat die Überstellung einer Person gefordert werden kann oder ob die Erfüllung eines entsprechenden Ersuchens zu einer Verletzung völkerrechtlicher Verpflichtungen gegenüber Drittstaaten in Bezug auf die diplomatische Immunität seiner Amtsträger führen würde.98 Eine Überstellung kann gemäß Artikel 98 Abs. 1 nicht gefordert werden, soweit entgegenstehende gewohnheitsrechtliche oder vertragliche Verpflichtungen im Hinblick auf die diplomatische Immunität oder Staatenimmunität von Personen aus Drittstaaten bestehen. Kein Vertragsstaat wird gezwungen, eine entsprechende Auslieferung an den IStGH durchzuführen, wenn er sich hierdurch in Widerspruch zu seinen völkerrechtlichen Verpflichtungen gegenüber Drittstaaten setzen würde. Die Vertragsstaaten selbst sind jedoch durch den Beitritt zum Rom-Statut gegenüber dem Gerichtshof dazu verpflichtet, auf Immunität für ihre eigenen Hoheitsträger zu verzichten.99 Artikel 98 räumt selbst keine Immunität vor Strafverfolgung ein. Er steht insoweit nicht in Widerspruch zu Artikel 27, sondern bezieht sich vielmehr auf die Phase vor Überstellung einer Person an den Gerichtshof oder Beibringung von Beweismaterial. Artikel 98 bestimmt, unter welchen Voraussetzungen ein Vertragsstaat trotz Nichtüberstellung an den IStGH ausnahmsweise seine Kooperationspflichten aus dem Statut nicht verletzt. Bei Nichtüberstellung an den Gerichtshof hindert Artikel 98 den Gerichtshof wegen des Verbots von in absentia Verfahren zwar faktisch an der Ausübung von Strafgerichtsbarkeit.100 Sobald jedoch der Betroffene vor den IStGH tritt, etwa weil er sich freiwillig stellt oder trotz entgegenstehender Verpflichtungen vom Vertragsstaat ausgeliefert wird, gilt Artikel 27 des Statuts. Der Strafgerichtshof selbst ist dann wie erwähnt trotz amtlicher Eigenschaft einer Person an der Ausübung von Gerichtsbarkeit nicht gehindert, auch wenn die Amtsträgereigenschaft unter Umständen im Vorfeld dazu führt, dass Vertragsstaaten nicht zur Auslieferung an den IStGH verpflichtet sind. Damit bleibt abschließend festzuhalten, dass das Rom-Statut weder selbst gegen geltende immunitätsrechtliche Grundsätze verstößt noch die Vertragsstaaten hierzu verleitet. Im Hinblick auf die Zusammenarbeit mit dem Gerichtshof respektiert Artikel 98 Abs. 1 vielmehr ausdrücklich die bestehenden völkerrechtlichen Verpflichtungen der einzelnen Vertragsstaaten gegenüber Drittstaaten. So auch Kaul / Kreß, Jurisdiction and Cooperation in the Statute of the ICC, S. 164. Kaul / Kreß, Jurisdiction and Cooperation in the Statute of the ICC, S. 165. 100 Triffterer, in: Triffterer, Artikel 27, Rn. 24; Maikowski, Staatliche Kooperationspflichten gegenüber dem IStGH, S. 205; Triffterer, Der lange Weg zu einer interntionalen Strafgerichtsbarkeit, S. 365. 98 99

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F. Vertragliche Belastung dritter Staaten

VIII. Ersuchen zur Zusammenarbeit, Artikel 54 Abs. 3 IStGH-Statut Auch Artikel 54 Abs. 3 stellt eine Bestimmung dar, die einen Bezug zu Drittstaaten aufweist. Nach lit. c kann der Ankläger einen Staat, das heißt auch einen Nichtvertragsstaat, um Zusammenarbeit ersuchen. Auch hier ist der Drittstaat jedoch in keiner Weise verpflichtet, einer entsprechenden Anfrage des Anklägers Folge zu leisten. Eine unzulässige Benachteiligung dritter Staaten ist hierin nicht zu sehen. Daneben kann der Ankläger gemäß Artikel 54 Abs. 3 lit. d Abmachungen und Übereinkünfte eingehen, die notwendig sind, um einem Staat, einer internationalen Organisation oder einer Person die Zusammenarbeit zu erleichtern. Er kann insbesondere auch entsprechende Vereinbarungen mit dritten Staaten schließen. Diese sind als Nichtvertragsstaaten berechtigt, auf ein derartiges Ersuchen einzugehen. Da keine entsprechende Verpflichtung postuliert wird, ist eine unzulässige rechtliche Belastung auch diesbezüglich nicht gegeben.

IX. Informationen betreffend die nationale Sicherheit, Artikel 72 IStGH-Statut Artikel 72 des Rom-Statuts befasst sich mit der Offenlegung von Informationen oder Schriftstücken eines Staates, die nach dessen Auffassung seine nationalen Sicherheitsinteressen beeinträchtigen würden. Auch diese Bestimmung differenziert nicht zwischen Vertragsstaaten und Nichtvertragsstaaten. Sie beinhaltet jedoch gleichfalls keine unzulässige rechtliche Belastung Dritter. Soweit der Gerichtshof noch nicht über die fraglichen Informationen oder Schriftstücke verfügt, trifft Nichtvertragsstaaten ohnehin keine Verpflichtung zur Offenlegung oder Zusammenarbeit. Befinden sich die gegenständlichen Unterlagen bereits in der Hand des Gerichtshofs, so steht es Nichtvertragsstaaten frei, dem Verfahren beizutreten, um nach Maßgabe von Artikel 72 eine Offenlegung zu verhindern. Nur soweit ein betroffener Nichtvertragsstaat aus eigenem Entschluss am Verfahren des Artikels 72 teilnimmt, um eine gütliche Regelung der Frage der Offenlegung zu erzielen, ist er auch nach den dort vorgesehenen Maßgaben verpflichtet. So obliegt es ihm dann etwa, im Hinblick auf eine einvernehmliche Lösung an Anhörungen teilzunehmen oder mit den Organen des Gerichtshofs zu kooperieren, um eine Einigung über die Offenlegung zu erzielen.101

101

Dixon / Duffy, in: Triffterer, Artikel 72, Rn. 9.

X. Informationen oder Unterlagen von Dritten

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X. Informationen oder Unterlagen von Dritten, Artikel 73 IStGH-Statut Artikel 73 behandelt die Weiterleitung von Informationen oder Unterlagen an den Gerichtshof. Der IStGH kann die Vertragsstaaten grundsätzlich zur Herausgabe von Informationen und Unterlagen auffordern. Dies ist indessen problematisch, soweit der ersuchte Vertragsstaat das fragliche Material von dritten Staaten erhalten hat und diesen gegenüber zur vertraulichen Behandlung verpflichtet ist. Nach Artikel 73 obliegt es dem ersuchten Vertragsstaat, die Zustimmung des Drittstaates zur Überstellung an den Gerichtshof zu erlangen. Handelt es sich bei diesem Staat um einen Vertragsstaat, so hat dieser seine Zustimmung zur Weiterleitung an den IStGH grundsätzlich aufgrund seiner Kooperationspflichten aus dem Rom-Statut zu erteilen.102 Stammen die Informationen indessen von einem Nichtvertragsstaat oder einer internationalen beziehungsweise zwischenstaatlichen Organisation und sind diese mit der Übermittlung an den Gerichtshof nicht einverstanden, so teilt der Vertragsstaat dem IStGH mit, dass er wegen der gegenüber dem Urheber zuvor eingegangenen Verpflichtung zur Geheimhaltung nicht in der Lage ist, die Informationen oder Unterlagen zur Verfügung zu stellen. Artikel 73 betrifft damit auch Nichtvertragsstaaten und schützt ausdrücklich deren Geheimhaltungsinteresse. Er stellt klar, dass die Vertragsstaaten keinesfalls durch das Statut verpflichtet werden, zum Nachteil dritter Staaten gegen bereits früher mit diesen getroffene Vereinbarungen zu verstoßen. Fraglich ist, auf welchen Zeitpunkt für die Frage abzustellen ist, ob für den Vertragsstaat bereits zuvor anderweitige Verpflichtungen gegenüber Dritten bestanden. In Betracht kommt insoweit einerseits das gerichtliche Überstellungsersuchen, andererseits aber auch der Zeitpunkt der Ratifikation des Statuts durch den betroffenen Vertragsstaat.103 Auch Artikel 73 will die Vertragsstaaten vor kollidierenden völkerrechtlichen Verpflichtungen schützen, ohne jedoch ein effektives Strafverfahren vor dem IStGH unnötig zu behindern. Es widerspräche daher dem Sinn und Zweck der Bestimmung, wenn jeder Vertragsstaat auch nach seinem Beitritt zum Rom-Statut beliebig Geheimhaltungsvereinbarungen schließen könnte, die in ausdrücklichem Widerspruch zu seinen Kooperationspflichten stehen. Ein Vertragsstaat kann sich deshalb gegenüber dem Strafgerichtshof nur dann darauf berufen, nicht zur Übermittlung von Informationen in der Lage zu sein, wenn er sich bereits vor Vertragsbeitritt gegenüber Dritten zur vertraulichen Behandlung dieser Informationen oder Unterlagen verpflichtet hat.104 Eine nachträgliche Vertraulichkeitsvereinbarung 102 Bei Unstimmigkeiten, etwa im Hinblick auf entgegenstehende nationale Sicherheitsinteressen, verweist Artikel 73 auf das in Artikel 72 geregelte Verfahren. 103 Duffy, in: Triffterer, Artikel 73, Rn. 16; Maikowski, Staatliche Kooperationspflichten gegenüber dem IStGH, S. 242. 104 Maikowski, Staatliche Kooperationspflichten gegenüber dem IStGH, S. 242.

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F. Vertragliche Belastung dritter Staaten

mit Dritten kann indessen nach hier vertretener Ansicht nicht von den gegenüber dem IStGH nach Artikel 73 bestehenden Verpflichtungen entbinden. Über in diesem Zusammenhang auftretende Konflikte wird letztlich der IStGH abschließend zu entscheiden haben.

XI. Internationale Zusammenarbeit und Rechtshilfe, Artikel 86 ff. IStGH-Statut Von besonderer Bedeutung für das Verhältnis zwischen dem IStGH und den Nichtvertragsstaaten sind schließlich auch die Bestimmungen zur internationalen Zusammenarbeit und Rechtshilfe in Teil 9 des Statuts. Auch sie sollen daher kurz beleuchtet und daraufhin untersucht werden, ob sie unzulässige Belastungen für Nichtvertragsstaaten beinhalten. Artikel 86 begründet zunächst eine allgemeine Verpflichtung der Vertragsstaaten zur Zusammenarbeit mit dem Gerichtshof. Diese besteht jedoch nur „nach Maßgabe des Statuts“, ist also anders als bei den UN-ad hoc Straftribunalen auf den im RomStatut ausdrücklich vorgesehenen Umfang beschränkt. Eine umfassende Kooperationspflicht besteht daher auch für die Vertragsstaaten des Rom-Statuts nicht.105

1. Ersuchen um Zusammenarbeit, Artikel 87 IStGH-Statut Artikel 87 enthält allgemeine Bestimmungen im Hinblick auf die Ersuchen des Gerichtshofs um Zusammenarbeit. Der IStGH kann zunächst die Vertragsstaaten zur Zusammenarbeit und zur Einhaltung ihrer vertraglichen Pflichten auffordern. Gemäß Artikel 87 Abs. 5 lit. a kann er aber auch Nichtvertragsstaaten um Unterstützung ersuchen. Zwar folgt aus Artikel 34 WVK, dass diese durch das RomStatut grundsätzlich weder berechtigt noch verpflichtet werden. Sie können jedoch in Übereinstimmung mit Artikel 35 WVK freiwillig mit dem IStGH zusammenarbeiten und gewisse Verpflichtungen aus dem Statut annehmen.106 Auch Nichtvertragsstaaten steht es also frei, mit dem IStGH zu kooperieren. Als Grundlage für eine solche Zusammenarbeit des Gerichtshofs mit einem Nichtvertragsstaat nennt Artikel 87 Abs. 5 lit. a ad hoc Vereinbarungen, Übereinkünfte mit dem jeweiligen Staat oder jede andere geeignete Grundlage. Das Statut ermöglicht nach seinem Wortlaut damit zum einen den Abschluss verbindlicher ad hoc Regelungen oder anderweitiger rechtlich bindender Übereinkünfte. Verstößt ein Nichtvertragsstaat gegen die von ihm eingegangenen Verpflichtungen, so kann der IStGH nach Artikel 87 Abs. 5 lit. b die Versammlung der Ver105 106

Maikowski, Staatliche Kooperationspflichten gegenüber dem IStGH, S. 170. Maikowski, Staatliche Kooperationspflichten gegenüber dem IStGH, S. 170.

XI. Internationale Zusammenarbeit und Rechtshilfe

219

tragsstaaten oder den Sicherheitsrat hiervon unterrichten, falls dieser das Verfahren vor dem IStGH eingeleitet hat. Daneben sind aber auch rechtlich nicht verpflichtende Formen der Zusammenarbeit mit Nichtvertragsstaaten denkbar. Es können hier insbesondere unverbindliche Absprachen getroffen werden, etwa im Hinblick auf die Modalitäten einer freiwilligen Zusammenarbeit. 107 Soweit eine vertragliche Vereinbarung zwischen Strafgerichtshof und Drittstaat abgeschlossen wurde, soll diese sich gemäß Artikel 87 Abs. 5 lit. a inhaltlich an den in Teil 9 des Statuts enthaltenen Bestimmungen über die internationale Zusammenarbeit orientieren. Es bleibt jedoch selbstverständlich im Belieben der Nichtvertragsstaaten, ob und welche Verpflichtungen sie übernehmen. Das Kooperationsregime kann daher ganz oder teilweise vertraglich abbedungen werden. Haben Nichtvertragsstaaten ein Kooperationsabkommen mit dem IStGH abgeschlossen, so gelten zu ihren Gunsten grundsätzlich dieselben Bestimmungen, die auch im Verhältnis des Gerichtshofs zu den Vertragsstaaten anzuwenden sind. So können sich, wie bereits erwähnt, auch Nichtvertragsstaaten auf Artikel 72 berufen, soweit die Offenlegung bestimmter Informationen nach ihrer Auffassung ihre nationalen Sicherheitsinteressen beeinträchtigen würde.108 Wesentliche Unterschiede zwischen rechtlich verbindlichen und unverbindlichen Formen der Zusammenarbeit ergeben sich aus Artikel 87 Abs. 5 lit. b, der bestimmt, welche Folgen die fehlende Zusammenarbeit für einen Nichtvertragsstaat haben kann. Hat sich dieser gegenüber dem Gerichtshof zur Zusammenarbeit verpflichtet und kommt er seinen Obliegenheiten nicht nach, so kann der Gerichtshof die Versammlung der Vertragsstaaten hiervon unterrichten. Diese prüft sodann gemäß Artikel 112 Abs. 2 lit. f, ob eine fehlende Zusammenarbeit gegeben ist und kann sodann Gegenmaßnahmen ergreifen. Daneben haften die betroffenen Nichtvertragsstaaten dem Gerichtshof als eigenständigem Völkerrechtssubjekt bei einem Verstoß gegen die von ihnen in vertraglichen Übereinkünften oder ad hoc Vereinbarungen übernommenen Kooperationspflichten nach den allgemeinen völkerrechtlichen Grundsätzen zur Staatenverantwortlichkeit.109 Allein der IStGH hat daher das Recht zur Rüge und Ermahnung des Verletzerstaates. 110 Soweit der Sicherheitsrat dem Strafgerichtshof die Angelegenheit unterbreitet hat, kann dieser von der Verletzung der Kooperationspflicht informiert werden und alle nach der UN-Charta zulässigen Maßnahmen gegen den vertragsbrüchigen Staat ergreifen.111 Hat sich ein Nichtvertragsstaat demgegenüber lediglich zur Maikowski, Staatliche Kooperationspflichten gegenüber dem IStGH, S. 170. Maikowski, Staatliche Kooperationspflichten gegenüber dem IStGH, S. 231 ff. 109 Kaul / Kreß, Jurisdiction and Cooperation in the Statute of the ICC, S. 170. 110 Maikowski, Staatliche Kooperationspflichten gegenüber dem IStGH, S. 284 ff. 111 Kreß / Prost, in: Tirffterer, Artikel 87 Rn. 23; Palmisano, The ICC and Third States, S. 418 ff.; Maikowski, Staatliche Kooperationspflichten gegenüber dem IStGH, S. 277. 107 108

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F. Vertragliche Belastung dritter Staaten

unverbindlichen Zusammenarbeit mit dem Gerichtshof bereit erklärt oder wurde eine entsprechende informelle Abrede getroffen, so kann der IStGH eine Nichteinhaltung der entsprechenden Ankündigungen auch nicht sanktionieren. Der betroffene Staat kann die Zusammenarbeit vielmehr jederzeit und ohne Angabe von Gründen beenden.112 Artikel 87 Abs. 5 lit. b ist insoweit nicht einschlägig. Er betrifft lediglich die Nichteinhaltung von Abkommen mit Drittstaaten, die einen rechtlich verbindlichen Charakter haben.113

2. Formen der Zusammenarbeit mit dem IStGH, Artikel 89 ff. IStGH-Statut Das Rom-Statut unterscheidet zwei Hauptformen der Zusammenarbeit. Genannt werden die Überstellung von Personen und die damit verbundene Festnahme und Durchbeförderung gemäß den Artikel 89 ff. des Statuts sowie andere Formen der Zusammenarbeit, Artikel 93 ff. a) Überstellung von Personen an den Gerichtshof, Artikel 89 IStGH-Statut Der Gerichtshof kann nach Artikel 89 Abs. 1 jeden Staat, in dessen Hoheitsgebiet sich eine Person vermutlich befindet, um Überstellung ersuchen. Eine entsprechende rechtliche Verpflichtung, dieses Ersuchen auch zu erledigen, trifft selbstverständlich nur die Vertragsstaaten. Artikel 90 beschäftigt sich mit der Kollision von Kooperations- und Auslieferungspflichten im Fall konkurrierender Überstellungsersuchen. Er bestimmt, wie sich ein Vertragsstaat zu verhalten hat, der sowohl vom Gerichtshof als auch von einem anderen Staat ein Auslieferungsersuchen im Hinblick auf dieselbe Person erhält. Im Falle widerstreitender Ersuchen ist zunächst eine Entscheidung des Gerichtshofs darüber einzuholen, ob die Sache, derentwegen die Überstellung verlangt wird, gemäß den Artikeln 18, 19 des Rom-Statuts überhaupt zulässig ist. Soweit ein anderer Staat, der in der Angelegenheit Gerichtsbarkeit hat, tätig wird, ist ein Verfahren vor dem IStGH nach dem in Artikel 17 niedergelegten Komplementaritätsprinzip grundsätzlich unzulässig. Kommt der Gerichtshof zu diesem Ergebnis, so entfällt damit zugleich der Konflikt für den ersuchenden Staat. Denn bei Unzulässigkeit einer Sache vor dem IStGH muss auch keine Auslieferung an diesen erfolgen. Hat der IStGH trotz der Ermittlungen oder Strafverfolgung des ersuchenden Staates die Zulässigkeit eines internationalen Strafverfahrens festgestellt, so be112 113

Maikowski, Staatliche Kooperationspflichten gegenüber dem IStGH, S. 240. Kreß / Prost, in: Triffterer, Artikel 87, Rn. 23.

XI. Internationale Zusammenarbeit und Rechtshilfe

221

deutet dies nach Artikel 17 zugleich, dass der ersuchende Staat nicht willens beziehungsweise in der Lage ist, das Verfahren ernsthaft und ordnungsgemäß durchzuführen. Bei Bejahung der Zulässigkeit differenziert das Statut sodann danach, ob der ersuchende Staat Vertragsstaat ist oder nicht. Soweit es sich beim ersuchenden Staat gleichfalls um einen Vertragsstaat handelt, genießt grundsätzlich das Ersuchen des Gerichtshofs gemäß Artikel 90 Abs. 2, 3 in Verbindung mit den Artikeln 18, 19 Priorität. Denn in diesem Fall hat der Gerichtshof eine Zulässigkeitsentscheidung getroffen, die für beide Vertragsstaaten bindend ist. Beim Zusammentreffen eines Auslieferungsersuchens des IStGH mit dem Auslieferungsgesuch eines Nichtvertragsstaates gilt Artikel 90 Abs. 4 bis 6. Artikel 90 Abs. 4 behandelt hierbei zunächst die Konstellation, dass beide Ersuchen dasselbe vorwerfbare Verhalten einer Person betreffen und den ersuchten Vertragsstaat gegenüber dem ersuchenden Nichtvertragsstaat keine völkerrechtliche Verpflichtung zur Auslieferung trifft. Obwohl in diesem Fall keine widerstreitenden internationalen Verpflichtungen des ersuchten Staates bestehen, geht das Auslieferungsersuchen des IStGH auch hier nur dann vor, wenn der Gerichtshof die Zulässigkeit der Sache festgestellt hat. Hierdurch wird dem Komplementaritätsprinzip vollumfänglich Rechnung getragen.114 Soweit der Nichtvertragsstaat ein ordnungsgemäßes nationales Strafverfahren durchführt, ist das Verfahren vor dem IStGH unzulässig. Für diesen Fall ist auch eine Auslieferung an ihn nicht erforderlich. Nur soweit der IStGH die Zulässigkeit des Verfahrens bejaht und somit inzident festgestellt hat, dass das nationale Verfahren des ersuchenden Staates unzureichend im Sinne von Artikel 17 ist, gebührt dem Auslieferungsersuchen des Gerichtshofs und damit dem internationalen Verfahren der Vorrang. Soweit der Gerichtshof über die Zulässigkeit der Sache nicht entschieden hat, kann der ersuchte Vertragsstaat das Auslieferungsersuchen des Nichtvertragsstaates weiterbehandeln, auch wenn ihn keine völkervertragliche Verpflichtung zur Auslieferung trifft, Artikel 90 Abs. 5. Anders als beim Ersuchen eines Vertragsstaates gemäß Artikel 90 Abs. 3 besteht hier für den ersuchten Vertragsstaat kein Auslieferungsverbot bis zur Entscheidung des IStGH. Auf ein entsprechendes Verbot wurde verzichtet, um den Eindruck zu vermeiden, das Statut enthalte vertragliche Belastungen Dritter.115 Im Innenverhältnis trifft den ersuchten Vertragsstaat jedoch auch bei Ersuchen eines Nichtvertragsstaates die Pflicht, erst nach einer Entscheidung des IStGH gemäß den Artikeln 17 ff. des Statuts tätig zu werden, soweit dem Nichtvertragsstaat gegenüber keine völkerrechtliche Verpflichtung zur Auslieferung besteht. Liefert der Vertragsstaat also an den ersuchenden Nichtvertragsstaat aus, ohne die Zuläs114 Prost, in: Triffterer, Artikel 90, Rn. 15; Maikowski, Staatliche Kooperationspflichten gegenüber dem IStGH, S. 197. 115 Maikowski, Staatliche Kooperationspflichten gegenüber dem IStGH, S. 198.

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F. Vertragliche Belastung dritter Staaten

sigkeitsentscheidung des IStGH abzuwarten, so verletzt er seine Kooperationspflicht nach Artikel 89 Abs. 1 gegenüber dem Gerichtshof.116 Auch Artikel 90 Abs. 6 beschäftigt sich mit konkurrierenden Auslieferungsersuchen von IStGH und Nichtvertragsstaaten, die sich auf dasselbe vorwerfbare Verhalten einer Person beziehen. Soweit der ersuchte Vertragsstaat dem ersuchenden Nichtvertragsstaat gegenüber völkerrechtlich zur Auslieferung verpflichtet ist, ermächtigt ihn Abs. 6, in eigener Verantwortung zu entscheiden, ob er die Person an den IStGH überstellt oder sie an den Nichtvertragstaat ausliefert, auch wenn der Gerichtshof die Zulässigkeit der Sache bejaht hat. Bei seiner Entscheidung hat der betroffene Vertragsstaat gemäß Artikel 90 Abs. 6 alle maßgeblichen Umstände zu berücksichtigen, insbesondere jedoch das Datum der kollidierenden Ersuchen, die Interessen des ersuchenden Staates sowie die Möglichkeit einer späteren Überstellung der Person durch den ersuchenden Nichtvertragsstaat an den IStGH. Diese Kriterien entsprechen den typischerweise in zwischenstaatlichen Auslieferungsabkommen getroffenen Vereinbarungen.117 Der ersuchte Vertragsstaat sieht sich in diesem Fall tatsächlich konträren völkerrechtlichen Verpflichtungen ausgesetzt. Er ist zum einen gemäß Artikel 89 Abs. 1 dem Gerichtshof zur Auslieferung verpflichtet, soweit dieser die Zulässigkeit der Sache bejaht hat. Daneben besteht der Auslieferungsanspruch des Nichtvertragsstaates. Dieser ist anders als andere Vertragsstaaten an die Zulässigkeitsentscheidung des IStGH nicht gebunden, sie kann ihm also auch nicht entgegengehalten werden. In diesem Fall überlässt das Statut dem betroffenen Vertragsstaat selbst die Entscheidung. Sähe das Statut hier eine vorrangige Verpflichtung des Vertragsstaates zur Auslieferung an den IStGH vor, so würden die Vertragsstaaten letztlich zum Vertragsbruch gegenüber anderen Drittstaaten aufgefordert, denen gegenüber sie sich gleichfalls zur Auslieferung verpflichtet haben. Man wollte hier jeden Anschein einer Schlechterstellung dritter Staaten durch das Statut vermeiden und auch die Vertragsstaaten insoweit nicht in Konflikt bringen.118 Artikel 90 Abs. 7 behandelt das Zusammentreffen eines Auslieferungsgesuchs des IStGH mit dem eines Nichtvertragsstaates, wobei sich beide Ersuchen anders als im Fall von Artikel 90 Abs. 1 bis 6 auf unterschiedliches Verhalten der fraglichen Person beziehen. Soweit gegenüber dem Nichtvertragsstaat keine völkerrechtliche Auslieferungsverpflichtung besteht, überstellt der Vertragsstaat die Person vorrangig an den IStGH. Ist er demgegenüber auch dem Nichtvertragsstaat zur Maikowski, Staatliche Kooperationspflichten gegenüber dem IStGH, S. 198. Maikowski, Staatliche Kooperationspflichten gegenüber dem IStGH, S. 199 unter Verweis auf Artikel 17 des Europäischen Auslieferungsübereinkommens vom 13. 12. 1957, abrufbar unter http: // conventions.coe.int / Treaty / ger / Treaties / Html / 024.htm, sowie Artikel 16 des United Nations Model Treaty on Extradition vom 14. 12. 1990, U. N. Doc. A / CONF. 144 / 28 / Rev.1. 118 Zimmermann, The Creation of a Permanent International Criminal Court, S. 226 – 227; Maikowski, Staatliche Kooperationspflichten gegenüber dem IStGH, S. 199. 116 117

XI. Internationale Zusammenarbeit und Rechtshilfe

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Auslieferung verpflichtet, so kann der Vertragsstaat wiederum nach pflichtgemäßem Ermessen entscheiden, welchem Begehren er Folge leistet. Auch hier sind die in Abs. 6 genannten Kriterien sowie Wesen und Schwere des jeweils fraglichen Verhaltens zu berücksichtigen. Angesichts des Gewichts der von der Zuständigkeit des Gerichtshofs erfassten Verbrechen, dürfte dessen Begehren in der Regel vorrangig zu behandeln sein.119 Abschließend lässt sich festhalten, dass Artikel 90 auch Nichtvertragsstaaten betrifft, da er Regelungen im Hinblick auf die Behandlung konkurrierender Auslieferungsersuchen beinhaltet. Artikel 90 verletzt aber weder selbst die Rechte dritter Staaten noch wird ein Vertragsstaat dazu angehalten, seine gegenüber einem Nichtvertragsstaat bestehenden völkerrechtlichen Obliegenheiten zu verletzen. Soweit gegenüber dem betroffenen Nichtvertragsstaat keine Auslieferungsverpflichtung existiert, geht nach dem Statut das Ersuchen des IStGH vor, da diesem gegenüber ja ausdrücklich eine völkervertragliche Kooperationspflicht besteht, Artikel 86 ff. Soweit der ersuchte Vertragsstaat auch einem Drittstaat gegenüber zur Überstellung verpflichtet ist, entscheidet er bei konkurrierenden Ersuchen in eigener Verantwortung, an wen er ausliefert. Erfüllt er das Ersuchen des Drittstaates, so ist hierin grundsätzlich keine Verletzung des Rom-Statuts zu sehen. b) Andere Formen der Zusammenarbeit, Artikel 93 IStGH-Statut Entsprechendes gilt für die in Artikel 93 aufgezählten anderen Formen der Zusammenarbeit. Der Gerichtshof kann zwar insoweit jeden Staat um Kooperation ersuchen. Nur die Vertragsstaaten unterliegen jedoch einer entsprechenden Verpflichtung, die in Artikel 93 genannten Handlungen vorzunehmen. Nichtvertragsstaaten sind in ihrem Verhalten gegenüber dem Gerichtshof auch hier völlig frei. Eine ausdrückliche Begünstigung dritter Staaten enthält Artikel 93 Abs. 10 lit. c des Rom-Statuts. Er bestimmt, dass sowohl Vertragsstaaten als auch Nichtvertragsstaaten ihrerseits den IStGH um Zusammenarbeit und Rechtshilfe bitten können, soweit sie Ermittlungen oder Strafverfahren im Hinblick auf ein in Artikel 5 genanntes Verbrechen oder andere schwere Verbrechen nach innerstaatlichem Recht durchführen. Als Rechtshilfehandlungen des Gerichtshofs werden insbesondere die Übermittlung von Unterlagen und Beweismitteln an den ersuchenden Staat sowie die Vernehmung von Personen, die auf Anordnung des IStGH inhaftiert sind, genannt. Der IStGH kann also unter den in Artikel 93 genannten Voraussetzungen auch dem Rechtshilfeersuchen eines Nichtvertragsstaates Folge leisten. Abschließend lässt sich daher festhalten, dass auch die Bestimmungen des Statuts zur internationalen Zusammenarbeit und Rechtshilfe in Teil 9 des Statuts keinerlei unzulässige Kooperationspflichten für Nichtvertragsstaaten begründen.120 119 120

Prost, in: Triffterer, Artikel 90, Rn. 26 ff. Dahm / Delbrück / Wolfrum, Völkerrecht, Band I / 3, S. 1146.

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F. Vertragliche Belastung dritter Staaten

3. Internationale Zusammenarbeit bei Überweisung durch den Sicherheitsrat Gewisse Besonderheiten gelten, soweit eine Situation vom UN-Sicherheitsrat an den Gerichtshof überwiesen wurde. Wird der Sicherheitsrat nach Kapitel VII UNCharta tätig und unterbreitet er dem Ankläger gemäß Artikel 13 lit. b des Statuts einen Sachverhalt, so sind hieran zunächst jedenfalls alle UN-Mitgliedstaaten gebunden.121 Nach Artikel 41 der UN-Charta kann der Sicherheitsrat Maßnahmen ergreifen, um den Weltfrieden und die internationale Sicherheit zu wahren oder wiederherzustellen. Der Sicherheitsrat kann hierzu insbesondere ad hoc Straftribunale gründen, er ist daher erst recht befugt, Konfliktsituationen an einen bereits bestehenden Gerichtshof zu überweisen.122 Nach Artikel 25, 48 UN-Charta haben die Resolutionen des Sicherheitsrates für die UN-Mitgliedstaaten bindende Wirkung. Soweit der Sicherheitsrat die Mitgliedstaaten der UNO im Rahmen von Kapitel VII der UN-Charta zur Kooperation mit dem IStGH auffordert, besteht für diese daher wie bereits erwähnt eine entsprechende Verpflichtung, mit dem Gerichtshof zusammenzuarbeiten. 123 Es müssen dann auch Nichtvertragsstaaten, soweit sie UN-Mitgliedsstaaten sind, mit dem IStGH kooperieren. Demgemäß konnte der Sicherheitsrat in seiner Resolution 1593 aus dem Jahr 2005 auch den Sudan als UN-Mitgliedstaat zur Zusammenarbeit mit dem Strafgerichtshof verpflichten, obwohl der Sudan dem Rom-Statut bisher nicht beigetreten ist.124 Die Verpflichtung zur Zusammenarbeit folgt hier unmittelbar aus der UN-Charta.125 Aufgrund seiner Kompetenzen nach der UN-Charta kann der Sicherheitsrat für die UN-Mitgliedstaaten auch weitergehende Kooperationspflichten bestimmen, als im Rom-Statut vorgesehen. Eine entsprechende Sicherheitsratsresolution verdrängt insoweit das Kooperationsregime des Statuts, da gemäß Artikel 103 der UN-Charta die Verpflichtungen aus der Charta für die UN-Mitgliedstaaten Vorrang haben vor sonstigen Verpflichtungen aus vertraglichen Übereinkünften.126 Bei Überweisung einer Situation an den IStGH könnte der Sicherheitsrat beispielsweise die UN-Mitgliedstaaten anweisen, von nationalen Strafverfolgungsmaßnahmen abzusehen und so das im Rom-Statut grundsätzlich vorgesehene Komplementaritätsprinzip außer Kraft setzen. Die Einleitung eines nationalen Strafverfahrens würde sich dann für die UN-Mitgliedstaaten als Verstoß gegen eine bindende Sicherheitsratsresolution nach Kapitel VII UN-Charta darstellen.127 Vgl. hierzu Zimmermann, Two steps forward, one step backwards?, S. 7. Maikowski, Staatliche Kooperationspflichten gegenüber dem IStGH, S. 173. 123 Cassese, The Statute of the ICC: Some Preliminary Reflections, S. 166; Maikowski, Staatliche Kooperationspflichten gegenüber dem IStGH, S. 173. 124 SR-Res. 1593 vom 31. 3. 2005, UN-Doc. S / RES / 1593(2005). 125 Maikowski, Staatliche Kooperationspflichten gegenüber dem IStGH, S. 166, 174. 126 Kreß / Prost, in: Triffterer, Artikel 87, Rn. 20; Maikowski, Staatliche Kooperationspflichten gegenüber dem IStGH, S. 174. 127 Vgl. hierzu Zimmermann, Two steps forward, one step backwards?, S. 8. 121 122

XII. Verletzung des diplomatischen und konsularischen Schutzes

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Im Hinblick auf die Vorrangstellung der UN-Charta muss es dem Sicherheitsrat daneben auch möglich sein, bei Verfahrenseinleitung durch einen Vertragsstaat oder den Ankläger tätig zu werden. Er ist aufgrund seiner allgemeinen Befugnisse auch in diesen Fällen in der Lage, durch entsprechenden Beschluss alle UN-Mitgliedstaaten gemäß Artikel 25 UN-Charta zur Zusammenarbeit mit dem IStGH zu verpflichten.128

XII. Verletzung des diplomatischen und konsularischen Schutzes Es stellt sich jedoch die Frage, ob das Rom-Statut gegen anerkannte Grundsätze des diplomatischen und konsularischen Schutzes verstößt, so dass unter Umständen eine Verletzung von Rechten dritter Staaten unter diesem Aspekt in Betracht kommt. Insbesondere von amerikanischer Seite wird in diese Richtung argumentiert, indem die Behauptung aufgestellt wird, die Übertragung von Strafgerichtsbarkeit auf den IStGH könne zu einer Behinderung oder Verschlechterung des diplomatischen Schutzes für eigene Staatsangehörige und damit auch unter diesem Aspekt zu einer rechtlichen Schlechterstellung der betroffenen Nichtvertragsstaaten führen. Der betroffene Heimatstaat könne auch hier nicht mehr mit den nationalen Behörden verhandeln und nach diplomatischen Lösungen auf bilateraler Ebene suchen, sondern müsse sich unmittelbar an den Strafgerichtshof wenden, um den Schutz seiner Staatsangehörigen zu verwirklichen. Auch dies stelle eine Verschlechterung seiner Position dar.129

1. Grundsätze des diplomatischen und konsularischen Schutzes Man unterscheidet im Völkerrecht zunächst zwischen repressiven und präventiven staatlichen Schutzrechten. Unter den Begriff des repressiven Schutzes fällt das anerkannte Recht eines Heimatstaates, mit völkerrechtlich zulässigen Mitteln auf eine völkerrechtswidrige Behandlung durch einen anderen Staat zu reagieren.130 Bei repressiven Schutzrechten handelt es sich um Sekundäransprüche, die eine primär bereits erfolgte Völkerrechtsverletzung voraussetzen. Der repressive diplomatische oder konsula128 Cassese, The Statute of the ICC: Some Preliminary Reflections, S. 166; Zimmermann, The Creation of a Permanent International Criminal Court, S. 224. 129 Morris, High Crimes and Misconceptions, S. 33, Fn 81; S. 45. 130 Ipsen, Völkerrecht, § 36, Rn. 48; § 24, Rn. 32 ff. Streitig ist, ob daneben auch der einzelne Staatsangehörige einen Rechtsanspruch auf diplomatischen Schutz hat, vgl. Doehring, in: Ress / Stein (Hrsg.), Der diplomatische Schutz im Völkerrecht, S. 13 ff., 15, wonach ein individuelles Recht auf diplomatischen Schutz bei Eingriff in ein absolutes völkerrechtliches Menschenrecht bestehen soll.

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F. Vertragliche Belastung dritter Staaten

rische Schutz interessiert an dieser Stelle nicht, da vorliegend eine primäre Völkerrechtsverletzung gegenüber Nichtvertragsstaaten durch das Rom-Statut erst noch festgestellt werden müsste. Fraglich ist, ob das Statut gegen den präventiven diplomatischen Schutzanspruch der Nichtvertragsstaaten verstößt. Hierunter ist das auf Primärebene bestehende Recht eines Staates zu fassen, seine im Ausland befindlichen Staatsangehörigen durch diplomatische oder konsularische Missionen zu schützen.131 Das Recht der diplomatischen und konsularischen Beziehungen beruht auf langer gewohnheitsrechtlicher Tradition und ist mittlerweile im Wiener Übereinkommen über konsularische Beziehungen (WÜK) sowie im Wiener Übereinkommen über diplomatische Beziehungen (WÜD) niedergelegt. Bei diesen Übereinkommen handelt es sich im Wesentlichen um kodifiziertes Völkergewohnheitsrecht.132 Nach Artikel 5 WÜK und Artikel 3 WÜD erfolgt der staatliche Schutz eigener Staatsangehöriger, die sich im Ausland befinden, in der Regel durch Konsulate und Botschaften. So gehört es gemäß Artikel 5 lit. a, e WÜD zu den Aufgaben der konsularischen Mission, die Staatsangehörigen des Entsendestaates im Rahmen des völkerrechtlich Zulässigen zu unterstützen und ihnen Hilfe und Beistand zu leisten. Hierunter fällt insbesondere auch der gerichtliche Beistand für eigene Staatsangehörige in Verfahren vor anderen staatlichen Gerichten. Soweit zwischen den Staaten diplomatische Beziehungen bestehen, dürfen angeklagte Staatsbürger vom Heimatstaat beraten und betreut werden, auch wenn sie verhaftet sind.133 Im Hinblick auf die Vertragsstaaten des Rom-Statuts kommt eine Verletzung ihres Rechts auf diplomatische Protektion der eigenen Staatsbürger nicht in Betracht, da diese einer entsprechenden Einschränkung ihres staatlichen Rechts auf diplomatischen oder konsularischen Schutz durch das Rom-Statut ja in jedem Fall zugestimmt hätten. Die Übertragung von Strafgewalt auf den IStGH darf weiterhin aber auch nicht zu einer Verschlechterung des Rechts der Nichtvertragsstaaten auf diplomatischen Schutz ihrer Angehörigen führen, da sonst unter diesem Gesichtspunkt von einem unzulässigen Vertrag zu Lasten Dritter auszugehen wäre.

2. Diplomatischer Schutz vor internationalen Gerichten Die Grundätze des diplomatischen Schutzes sind traditionell für das Verhältnis souveräner Staaten untereinander entwickelt worden. Es stellt sich daher zunächst die Frage, ob ein Staat auch vor einem internationalen Gericht präventiven diplomatischen Schutz für seine Staatsbürger beanspruchen kann. Denkbar wäre auch, dass ein derartiger staatlicher Anspruch im Verhältnis zur internationalen Gerichts131 Ruffert, Diplomatischer und konsularischer Schutz zwischen Völker- und Europarecht, S. 461. 132 Doehring, Völkerrecht, Rn. 490. 133 Doehring, Völkerrecht, Rn. 496.

XII. Verletzung des diplomatischen und konsularischen Schutzes

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barkeit von vornherein nicht besteht, ähnlich wie vor einem internationalen Gericht auch ein Anspruch auf staatliche Immunität nicht geltend gemacht werden kann. Die staatliche Immunität beruht auf dem Grundsatz der souveränen Gleichheit der Staaten wonach kein Staat über einen anderen Staat zu Gericht sitzen kann. Diese immunitätsrechtlichen Grundsätze gelten jedoch nach den bereits gemachten Ausführungen nicht vor einem internationalen Gericht, da hier kein Gleichordnungsverhältnis gegeben ist. Der staatliche Anspruch auf Ausübung diplomatischen Schutzes beruht indessen nicht auf der souveränen Gleichheit der Staaten, sondern auf der besonderen Nähebeziehung des Staates zu seinen Staatsbürgern. Die Staatsangehörigkeit begründet ein besonderes Treue- und Schutzverhältnis zwischen Staat und Individuum, aus dem spezielle Schutzrechte und Schutzpflichten resultieren.134 Ein Bedürfnis des Einzelnen nach rechtlicher Beratung und diplomatischer Unterstützung besteht jedoch grundsätzlich auch vor einem internationalen Gericht. Selbst wenn insoweit ein internationales Gericht möglicherweise eher Gewähr für die Einhaltung von Angeklagten- und Verfahrensrechten bietet, so ist die Rechtsstellung und Belastung des Angeklagten doch ähnlich wie vor einem fremden nationalen Spruchkörper. Der Heimatstaat muss auch hier seine Staatsangehörigen unterstützen und beraten dürfen. Die Grundsätze des präventiven diplomatischen Schutzes beanspruchen mithin nach ihrem Sinn und Zweck auch vor internationalen Gerichten Geltung, so dass den Nichtvertragsstaaten auch vor dem IStGH ein gewohnheitsrechtlicher Anspruch auf diplomatischen Verkehr mit ihren Staatsangehörigen zusteht. Zwar ist der IStGH weder Vertragspartei des WÜK noch des WÜD. Er ist jedoch gemäß Artikel 4 Abs. 1 des Rom-Statuts als Völkerrechtssubjekt an die dort niedergelegten Bestimmungen gebunden, da es sich insoweit um Völkergewohnheitsrecht handelt. Im Übrigen steht nach der Rechtsprechung des IGH auch internationalen Organisationen ein Anspruch auf diplomatischen Schutz ihrer Bediensteten zu.135 Dann müssen im Umkehrschluss aber auch entsprechende Ansprüche gegen eine internationale Einrichtung geltend gemacht werden können.

3. Stellungnahme Eine Beeinträchtigung des diplomatischen Schutzanspruchs dritter Staaten durch das Rom-Statut ist indessen nicht ersichtlich. Zum einen kann jeder Staat nach den allgemeinen völkerrechtlichen Grundsätzen diplomatischen Schutz ausüben, bevor die Vertragsstaaten einen fremden Staatsangehörigen an den Gerichtshof überstellen.136 Daneben können auch Nichtvertragsstaaten den Beginn eines StrafverDoehring, Völkerrecht, Rn. 71; Stein / von Buttlar, Völkerrecht, Rn. 253 ff. Reparations for Injuries Suffered in the Service of the UN, Advisory Opinion, ICJ Reports 1949, S. 174 ff., 186, wo der IGH ein Recht der UNO auf diplomatischen Schutz ihrer Bediensteten bejahte; vgl. auch Stein / von Buttlar, Völkerrecht, Rn. 567. 136 Zimmermann, Role and Function of International Criminal Law, S. 46. 134 135

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F. Vertragliche Belastung dritter Staaten

fahrens gegen eigene Staatsangehörige vor dem IStGH jederzeit vermeiden, indem sie selbst Ermittlungen oder Strafverfolgungsmaßnahmen einleiten. Aber auch im Fall der Überstellung eines Staatsangehörigen an den IStGH ist eine Verschlechterung der Rechtsstellung des Nichtvertragsstaates nicht ersichtlich. Das Statut regelt die Frage des diplomatischen Schutzanspruchs von Nichtvertragsstaaten nicht ausdrücklich, es gelten daher insoweit die allgemeinen völkerrechtlichen Grundsätze, die der Strafgerichtshof nach Artikel 21 Abs. 1 lit. b des Rom-Statuts neben dem Statut selbst anzuwenden hat. Ein Nichtvertragsstaat kann daher seinen Staatsbürgern diplomatischen Beistand wie vor einem ausländischen Strafgericht leisten, insbesondere dessen rechtliche Beratung und Betreuung im Rahmen des völkerrechtlich Zulässigen übernehmen. Eine verschlechterte Rechtsstellung dritter Staaten kommt somit auch unter dem Gesichtspunkt des diplomatischen Schutzes nicht in Betracht. Die Tatsache, dass auf zwischenstaatlicher Ebene insoweit möglicherweise eher eine diplomatische Lösung erreicht oder politischer Druck ausgeübt werden kann, als vor dem IStGH, beinhaltet wiederum keine vertragliche, sondern lediglich eine rein tatsächliche Schlechterstellung dritter Staaten. Denn auch im Hinblick auf den diplomatischen Schutz besteht kein Aspruch auf ein solches Vorgehen.

XIII. Unbestimmtheit der Straftatbestände Teilweise wird weiterhin vorgebracht, die Straftatbestände des Rom-Statuts seien zu unbestimmt und verstießen daher gegen den auch im Völkerstrafrecht geltenden Bestimmtheitsgrundsatz.137 Das Statut kodifiziert indessen hauptsächlich die aus dem humanitären Völkerrecht längst bekannten Straftatbestände. Es erscheint insoweit äußerst bedenklich, wenn von amerikanischer Seite nunmehr sogar vereinzelt die in Artikel 6 kodifizierte und seit Nürnberg anerkannte Definition des Völkermords als zu unpräzise für ein internationales Strafverfahren kritisiert wird.138 Daneben ist darauf hinzuweisen, dass die Tatbestände des Rom-Statuts im Wesentlichen mit denen des Statuts für das Jugoslawientribunal und das RuandaTribunal übereinstimmen. Die dort unter Strafe gestellten Tathandlungen wurden nicht nur mit Zustimmung, sondern sogar auf ausdrückliche Initiative der USA hin in das Statut aufgenommen. Die USA verhalten sich widersprüchlich und 137 Roberts, Assault on Sovereignty, S. 65, 67, der von „vague provisions“ und einem „incredibly vague standard“ spricht; ähnlich auch Rubin, The ICC: Possibilities for Prosecutorial Abuse, S. 159; Bolton, The Risks and Weaknesses of the ICC from America’s Perspective, S. 169 – 170. 138 Rubin, The ICC: Possibilities for Prosecutorial Abuse, S. 159; Bolton, The Risks and Weaknesses of the ICC from America’s Perspective, S. 169.

XIV. Verletzung von Angeklagtenrechten durch das Statut

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inkonsequent, wenn dieselben Straftatbestände, die bei Errichtung der ad hoc Strafgerichtshöfe für Yugoslawien und Ruanda als hinreichend bestimmt angesehen wurden, in Bezug auf den IStGH plötzlich als zu vage und unbestimmt bezeichnet werden.

XIV. Verletzung von Angeklagtenrechten durch das Statut Die amerikanische Kritik richtet sich weiterhin gegen die im Statut vorgesehene Rechtsstellung des Angeklagten. So wird vorgebracht, das Statut sei völkerrechtlich fragwürdig, da die dem Angeklagten eingeräumten Rechte nicht ausreichend seien, um ein faires Verfahren zu gewährleisten.139 Wie bereits ausführlich erläutert wurde, ist jeder Staat grundsätzlich berechtigt, die ihm zustehende Strafgewalt über Einzelne auf einen anderen Staat oder ein internationales Gericht zu übertragen. Ein solcher Transfer stellt sich nach allgemeinen völkerrechtlichen Grundsätzen als vollwirksame Ausübung staatlicher Souveränität dar.140 Der einzelne Angeklagte hat also insbesondere keinen Anspruch auf ein nationales Strafverfahren. In Übereinstimmung hiermit wurde ein Recht des Einzelnen auf Strafverfolgung vor nationalen Gerichten bereits vom UN-Jugoslawientribunal verneint.141 Während früher jedoch der Staat mit den seiner Herrschaftsgewalt unterfallenden Individuen grundsätzlich nach Belieben verfahren konnte, kommt eine derart unbegrenzte staatliche Handlungsfreiheit heutzutage nicht mehr in Betracht. Die Anerkennung unveräußerlicher Menschenrechte und die damit verbundene beschränkte Völkerrechtssubjektivität des Einzelnen hat zu einer Bindung des Staates an entsprechende menschenrechtliche Mindeststandards geführt, die sowohl gegenüber fremden als auch gegenüber eigenen Staatsangehörigen zwingende Geltung beanspruchen.142 Nach geltendem Völkerrecht stehen jedem Einzelnen bestimmte unveräußerliche Menschenrechte zu, die dieser auch gegenüber seinem Heimatstaat geltend machen kann. Zu diesen unabdingbaren individuellen Rechten, die jeder staatlichen Disposition entzogen sind, zählt insbesondere auch das 139 U.S. Senate Comment on Foreign Relations, International Criminal Court, Senate Report No. 103 – 71 (1993); Rubin, The ICC: Possibilities for Prosecutorial Abuse, S. 161; Bolton, The Risks and Weaknesses of the ICC from America’s Perspective, S. 169; Bickley, U.S. Resistance to the ICC, S. 245. 140 Bassiouni, Policy Perspectives Favoring the Establishment of an ICC, S. 799; BruerSchäfer, Der IStGH, S. 342; Jescheck, Die Strafgewalt übernationaler Gemeinschaften, S. 498 ff. 141 Prosecutor v. Dusko Tadic A / K / A „Dule“, Decision on the Defence Motion on Jurisdiction (Trial Chamber), 10. 8. 1995, Abs. 39, http: // www.un.org / icty / tadic / trialc2 / decision-e / 100895.htm. 142 Doehring, Völkerrecht, Rn. 985 ff.; Hailbronner, in: Graf Vitzthum (Hrsg.), Völkerrecht, 3. Abschn., Rn. 194 ff.

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F. Vertragliche Belastung dritter Staaten

Recht des Einzelnen, nicht ohne ein ordentliches Gerichtsverfahren bestraft zu werden. Man spricht insoweit auch vom fair trial-Grundsatz.143 Auch die Übertragung der einzelstaatlichen Strafgerichtsbarkeit über Individuen auf ein internationales Gericht muss die unveräußerlichen Rechte der Betroffenen wahren und in Einklang mit international geltenden Menschenrechtsstandards stehen.144 Das Rom-Statut muss daher die Menschenrechte der Beschuldigten achten und insbesondere ein faires Verfahren unter Einhaltung der in Artikel 14 des Internationalen Paktes über bürgerliche und politische Rechte (IPpbR) aufgezählten Garantien gewährleisten.145 Betrachtet man die Gründungsstatute der vom Sicherheitsrat ins Leben gerufenen ad hoc Strafgerichtshöfe, so ist festzustellen, dass Artikel 21 des Statuts für das UN-Jugoslawientribunal sowie Artikel 20 des Statuts für das Ruanda-Tribunal die in Artikel 14 IPpbR genannten Angeklagtenrechte fast wortwörtlich übernehmen.146 Sie entsprechen mithin den anerkannten völkerrechtlichen Menschenrechtsstandards.147 Dasselbe gilt für das Gründungsstatut des IStGH. In Artikel 67 des Rom-Statuts sind die unveräußerlichen Rechte des Angeklagten während des Hauptverfahrens aufgezählt. Auch sein detaillierter Katalog beinhaltet die in Artikel 14 IPpbR genannten Verfahrensgarantien. Zu nennen sind insbesondere der Anspruch auf ein faires und öffentliches Verfahren, das Recht auf einen Dolmetscher und eine ordnungsgemäße Verteidigung, der Anspruch auf ein zügiges Verfahren, das Fragerecht sowie das Schweigerecht des Angeklagten. Artikel 63 verbietet Verfahren in absentia, Artikel 66 beinhaltet die Unschuldsvermutung. Daneben enthält das Statut zahlreiche Vorschriften, die die Rechte des Angeklagten bei Anwendung des materiellen Strafrechts berücksichtigen.148 Artikel 55 Abs. 1 regelt allgemein die Rechte von Personen während des Ermittlungsverfahrens, Artikel 55 Abs. 2 beschäftigt sich speziell mit den Rechten des Beschuldigten. Dieser ist insbesondere über sein Recht, zu schweigen nach dem nemo tenetur Grundsatz sowie über das Recht, einen Verteidiger herbeizuziehen, zu belehren. Artikel 60 betont, dass sich die Vorverfahrenskammer nach Überstellung einer Person an den IStGH zu vergewissern hat, dass der Betroffene über die gegen ihn Doehring, Völkerrecht, Rn. 986. Bassiouni, Policy Perspectives Favoring the Establishment of an ICC, S. 799; BruerSchäfer, Der IStGH, S. 342. 145 Prosecutor v. Dusko Tadic (Appeals Chamber), Case No. IT-94-1-AR72, 35 ILM (1996), S. 22 – 23, Ziff. 45 ff.; Doehring, Völkerrecht, Rn. 986. 146 Artikel 21 des Jugoslawien-Statuts, SR-Res. 827 vom 25. 5. 1993, UN Doc. S / Res / 827 (1993); Artikel 20 des Ruanda-Statuts, SR-Res. 955 vom 8. 11. 1994, UN Doc. S / Res / 955 (1994). 147 So das Jugoslawientribunal im Hinblick auf sein Gründungsstatut: Prosecutor v. Dusko Tadic (Appeals Chamber), Case No. IT-94-1-AR72, 35 ILM (1996), S. 22 – 23, Ziff. 46. 148 Hierzu Maikowski, Staatliche Kooperationspflichten gegenüber dem IStGH, S. 221. 143 144

XV. Rechtswidriger Eingriff in die Prärogative des Sicherheitsrates

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erhobenen Vorwürfe sowie seine Rechte nach dem Statut auch tatsächlich belehrt wurde. Artikel 21 Abs. 3 bestimmt ausdrücklich, dass der IStGH bei Anwendung und Auslegung des Rechts die international anerkannten Menschenrechtsstandards zu beachten hat. Die Artikel 22, 23 des Statuts enthalten den nullum crimen, nulla poena sine lege-Grundsatz, der ne bis in idem-Grundsatz findet sich in Artikel 17 Abs. 1 lit. c. Das Statut entspricht damit den völkerrechtlichen Vorgaben für ein faires Verfahren. Es wahrt insbesondere die unveräußerlichen Menschenrechte des Angeklagten und enthält anders als das bisher sehr rudimentäre Völkerstrafrecht detaillierte Bestimmungen zum Schutz des Einzelnen.149 Die Übertragung staatlicher Hoheitsgewalt auf den IStGH ist daher auch unter menschenrechtlichen Gesichtspunkten nicht zu beanstanden.

XV. Rechtswidriger Eingriff in die Prärogative des Sicherheitsrates Teilweise wird weiterhin geltend gemacht, das Rom-Statut verstoße gegen Völkerrecht, weil es in unzulässiger Weise in die Befugnisse und Zuständigkeiten des Sicherheitsrates eingreife. In der Tat stellte sich die Ausgestaltung des Verhältnisses zwischen Strafgerichtshof und UN-Sicherheitsrat als eine der schwierigsten und umstrittensten Fragen bei der Ausarbeitung des Statuts dar, die bis heute nicht abschließend geklärt werden konnte. Insbesondere die ständigen Sicherheitsratsmitglieder befürchteten eine Verletzung der in der UN-Charta niedergelegten Rechte des Sicherheitsrates. Demgegenüber äußerten andere Staaten die Sorge, der Sicherheitsrat und seine ständigen Mitglieder könnten zu großen Einfluss auf den Strafgerichtshof und sein Verfahren nehmen.

1. Das Verhältnis zwischen IStGH und Sicherheitsrat Nach dem Rom-Statut wird die Beziehung zwischen dem IStGH und dem Sicherheitsrat von drei Hauptaspekten geprägt.

149 Bassiouni, Policy Perspectives Favoring the Establishment of an ICC, S. 801 – 802; Maikowski, Staatliche Kooperationspflichten gegenüber dem IStGH, S. 218, 220; BruerSchäfer, Der IStGH, S. 342; Cassese, The Statute of the ICC: Some Preliminary Reflections, S. 148.

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F. Vertragliche Belastung dritter Staaten

a) Das Initiativrecht des Sicherheitsrates, Artikel 13 lit. b IStGH-Statut Zum einen ist der Sicherheitsrat gemäß Artikel 13 lit. b befugt, nach Kapitel VII UN-Charta tätig zu werden und ein Verfahren vor dem IStGH einzuleiten. Es wurde bereits erläutert, dass dieses Initiativrecht teilweise umstritten war. Rein rechtlich bereitet es indessen keine Probleme, da es sich hierbei ausschließlich um einen Anspruch des Sicherheitsrates handelt, nicht etwa um eine unzulässige vertraglich begründete Schlechterstellung. Auch die Tatsache, dass es in diesem Fall nicht mehr auf die Zustimmung irgendeines weiteren Staates für die Ausübung von Strafgerichtsbarkeit ankommt, stellt keine rechtliche Benachteiligung dritter Staaten dar. Denn die vom IStGH abzuurteilenden Verbrechen sind ohenhin bereits nach geltendem Völkergewohnheitsrecht strafbar.

b) Aufschub der Ermittlungen durch den Sicherheitsrat, Artikel 16 IStGH-Statut Entscheidend für das Verhältnis von Sicherheitsrat und Gerichtshof ist weiterhin Artikel 16 des Rom-Statuts. Dieser lautet: Artikel 16 Aufschub der Ermittlungen oder Strafverfolgung Richtet der Sicherheitsrat in einer nach Kapitel VII der Charta der Vereinten Nationen angenommenen Resolution ein entsprechendes Ersuchen an den Gerichtshof, so dürfen für einen Zeitraum von 12 Monaten keine Ermittlungen und keine Strafverfolgung aufgrund dieses Statuts eingeleitet oder fortgeführt werden; das Ersuchen kann vom Sicherheitsrat unter denselben Bedingungen erneuert werden.

aa) Entstehungsgeschichte der Vorschrift Die schon jetzt der Gerichtsbarkeit des IStGH unterstehenden Verbrechen Völkermord, Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit werden zumeist im Zusammenhang mit kriegerischen Auseinandersetzungen begangen. Sie sind oftmals mit einer Bedrohung oder einem Bruch des Friedens oder einer Angriffshandlung verbunden und ereignen sich daher in der Regel im politisch äußerst sensiblen Bereich von Kapitel VII UN-Charta. Unter Betonung der besonderen Zuständigkeit des Sicherheitsrates für die Behandlung solcher Situationen hätte der IStGH nach dem ursprünglichen Statutsentwurf der UN-Völkerrechtskommission aus dem Jahr 1994 deshalb grundsätzlich nicht tätig werden dürfen, wenn der Sicherheitsrat mit einer Situation gemäß Kapitel VII der UN-Charta befasst ist. So lautete Artikel 23 Abs. 3 des Entwurfs: „No prosecution may be commenced under this Statute arising from a situation which is being dealt by the Security Council as threat to or breach of the peace or an act of aggression under Chapter VII of the Charter, unless the Security Council otherwise decides.“150

XV. Rechtswidriger Eingriff in die Prärogative des Sicherheitsrates

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Die Begehung der in Artikel 5 des Rom-Statuts genannten Verbrechen stellt in der Regel eine Bedrohung oder einen Bruch des internationalen Friedens und der internationalen Sicherheit dar. Für eine entsprechende Feststellung ist gemäß Artikel 39 UN-Charta der Sicherheitsrat ausschließlich zuständig. Damit hätte aber nach Artikel 23 Abs. 3 des Statutsentwurfs bereits die Feststellung einer Friedensbedrohung oder eines Friedensbruchs durch den Sicherheitsrat ausgereicht, um den Gerichtshof auszuschalten. Denn sobald sich der Sicherheitsrat in Übereinstimmung mit Kapitel VII UN-Charta mit der Situation befasst hätte, wäre es dem Strafgerichtshof nur noch bei ausdrücklicher Zustimmung des Sicherheitsrates möglich gewesen, zu agieren. Selbst wenn der Sicherheitsrat – wie so oft bei kriegerischen Auseinandersetzungen – abgesehen von einer entsprechenden Feststellung nach Artikel 39 UNCharta im weiteren Verlauf des Geschehens keine konkreten Maßnahmen ergriffen hätte, wäre nach dem Vorschlag der International Law Commission ein Verfahren vor dem IStGH dennoch von seiner Zustimmung abhängig gewesen. Bereits ein ständiges Sicherheitsratsmitglied hätte dann aber ausgereicht, um ein Tätigwerden des Gerichts zu verhindern. Der Gerichtshof wäre hiernach in den meisten Fällen einer umfassenden Kontrolle des Sicherheitsrates ausgesetzt gewesen. Dieser Ansatz entsprach naturgemäß den Vorstellungen der ständigen Sicherheitsratsmitglieder.151 Demgegenüber wehrten sich die Anhänger eines starken Gerichtshofs gegen eine so einflussreiche Stellung des Sicherheitsrates mit dem Hinweis, dass dieser sich bereits mit unzähligen Situationen befasst habe, ohne tatsächlich Maßnahmen zur Konfliktlösung zu ergreifen. Der Sicherheitsrat bleibe aufgrund des Vetorechts seiner ständigen Mitglieder oftmals untätig. Die bloße Behandlung oder Diskussion eines Konflikts im Sicherheitsrat dürfe aber nicht zu einer faktischen Lähmung und Handlungsunfähigkeit des Gerichtshofs führen. Eine derart weitreichende Sonderstellung für den Sicherheitsrat gefährde die Unabhängigkeit und Handlungsfähigkeit des IStGH.152 Weiterhin wurde geltend gemacht, dass auch der IGH als unabhängiges internationales Gericht keiner Kontrolle durch den Sicherheitsrat unterliege. Für das Verhältnis zwischen IGH und Sicherheitsrat enthielten weder die UN-Charta noch das IGH-Statut eine Regelung.153 Der IGH könne daher bei Vorliegen der Voraussetzungen für die Ausübung seiner Gerichtsbarkeit auch dann tätig werden, wenn sich der Sicherheitsrat zeitgleich mit derselben Situation befasse. Die UN-Charta stehe parallelen Handlungen unterschiedlicher internationaler Einrichtungen im 150 Report of the International Law Commission on the Work of its Fourty-Sixth Session, U.N. Doc. A / 49 / 10 (1994), S. 85. 151 Bergsmo / Pejic, in: Triffterer, Artikel 16, Rn. 3; Hafner et al., A Response to the American View, S. 114. 152 Bergsmo / Pejic, in: Triffterer, Artikel 16, Rn. 3, 8. 153 Hierzu Zimmermann, The Creation of a Permanent International Criminal Court, S. 218; Stahn, Zwischen Weltfrieden und materieller Gerechtigkeit, S. 590.

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F. Vertragliche Belastung dritter Staaten

Hinblick auf dieselbe Situation gerade nicht entgegen.154 Demgemäß sprachen sich einige Staaten gegen eine ausdrückliche Regelung des Verhältnisses von Gerichtshof und Sicherheitsrat aus.155 Andererseits hätte das Fehlen einer entsprechenden Bestimmung die Frage der konkurrierenden Zuständigkeiten lediglich bis zu dem Moment hinausgezögert, in dem sich Strafgerichtshof und Sicherheitsrat tatsächlich mit derselben Situation befassen.156 Spätestens wenn der Sicherheitsrat den IStGH ersucht, ein Strafverfahren auszusetzen, wäre der Streit um das Verhältnis zwischen beiden Institutionen neu entbrannt. Da sich die Verbrechen, für die der IStGH zuständig ist, fast ausschließlich im hochpolitischen Kontext des Kapitels VII der UN-Charta abspielen, sprach vieles dafür, die Befugnisse des Sicherheitsrates im Rom-Statut zu berücksichtigen.157 Als Kompromisslösung wurde schließlich Artikel 16 des Rom-Statuts erarbeitet. Der Sicherheitsrat kann hiernach durch eine Resolution gemäß Kapitel VII der UNCharta vom Gerichtshof einen Aufschub der Ermittlungen oder Strafverfolgung für 12 Monate verlangen und dieses Ersuchen unter denselben Bedingungen erneuern. Die bloße Tatsache, dass sich der Sicherheitsrat mit einer Situation gemäß Kapitel VII SVN befasst, steht damit im Gegensatz zum ursprünglichen Statutsentwurf einem Strafverfahren vor dem IStGH nicht mehr entgegen. Vielmehr ist nach Artikel 16 des Rom-Statuts eine formelle Resolution des Sicherheitsrates nach Kapitel VII der UN-Charta erforderlich, um ein Verfahren vor dem Gerichtshof zu verhindern. Anders als nach dem früheren Artikel 23 Abs. 3 kann also ein Tätigwerden des IStGH nur durch aktives Handeln der Mehrheit der Sicherheitsratsmitglieder unter Einschluss aller ständigen Mitglieder blockiert werden.158 Der Sicherheitsrat steht also nunmehr unter Handlungszwang, soweit er ein Tätigwerden des Strafgerichtshofs verhindern will. bb) Kritik an der Vorschrift Fraglich ist, ob Artikel 16 mit geltendem Völkerrecht in Einklang steht, insbesondere ob er die in der UN-Charta vorgesehene Stellung des Sicherheitsrates hinreichend respektiert. Bergsmo / Pejic, in: Triffterer, Artikel 16, Rn. 3. Hafner et al., A Response to the American View, S. 114, die darauf verweisen, dass Ägypten, der Irak, Libyen, Nigeria, Oman, Pakistan, Senegal, Sudan, Syrien, Tunesien und Venezuela sich gegen eine Regelung des Verhältnisses zwischen IStGH und Sicherheitsrat wandten. 156 Hierzu Zimmermann, The Creation of a Permanent International Criminal Court, S. 218; Stahn, Zwischen Weltfrieden und materieller Gerechtigkeit, S. 590. 157 La Haye, The Jurisdiction of the ICC, S. 12 ff.; Stahn, Zwischen Weltfrieden und materieller Gerechtigkeit, S. 590. 158 Zimmermann, The Creation of a Permanent International Criminal Court, S. 218; Stahn, Zwischen Weltfrieden und materieller Gerechtigkeit, S. 590. 154 155

XV. Rechtswidriger Eingriff in die Prärogative des Sicherheitsrates

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Seitens der Kritiker des Strafgerichtshofs wird insoweit vorgetragen, Artikel 16 beschneide in unzulässiger Weise die dem Sicherheitsrat durch die UN-Charta eingeräumten Befugnisse, insbesondere das Vetorecht der ständigen Sicherheitsratsmitglieder.159 Denn das Veto eines ständigen Mitglieds hindert nach der jetzigen Fassung des Rom-Statuts den IStGH gerade nicht daran, ein Strafverfahren zu betreiben. Auch die in Artikel 16 vorgesehene Geltungsdauer einer Sicherheitsratsresolution von 12 Monaten missachte die Hauptverantwortung des Sicherheitsrates für Weltfrieden und internationale Sicherheit nach Artikel 24 der UN-Charta.160 Weiterhin verstoße das in Artikel 16 zugrunde gelegte Erfordernis einer qualifizierten Sicherheitsratsresolution nach Kapitel VII gegen die Architektur der UNCharta. Denn gemäß Artikel 25 SVN seien alle Beschlüsse des Sicherheitsrates verbindlich, nicht nur solche, denen die Feststellung einer Friedensbedrohung, eines Friedensbruchs oder einer Angriffshandlung vorausgeht. cc) Stellungnahme Nach den Artikeln 39 ff. der UN-Charta fällt es in die ausschließliche Kompetenz des Sicherheitsrates, eine Bedrohung oder einen Bruch des Friedens oder eine Angriffshandlung festzustellen und entsprechende Maßnahmen ergreifen. Gemäß Artikel 25 sind die UN-Mitgliedstaaten verpflichtet, die Beschlüsse des Sicherheitsrates anzunehmen und durchzuführen. Artikel 103 SVN bestimmt weiterhin, dass die durch die Charta begründeten Verpflichtungen der Mitgliedstaaten Vorrang vor anderweitigen Verpflichtungen genießen. Hieraus folgt, dass im Konfliktfall eine Resoluton des Sicherheitsrates für die Vertragsstaaten des Rom-Statuts, die UN-Mitgliedstaaten sind, vorrangig ist gegenüber ihren Obliegenheiten nach dem Rom-Statut. Die Artikel 25, 103 UN-Charta kommen jedoch gegenüber sonstigen Verpflichtungen der Mitgliedstaaten nur zum Tragen, soweit tatsächlich eine gegenteilige Resolution des Sicherheitsrates vorliegt. Wenn sich der Sicherheitsrat lediglich mit einer Situation befasst, ansonsten jedoch untätig bleibt, insbesondere keine Maßnahmen ergreift, werden andere völkerrechtliche Verpflichtungen der UN-Mitgliedstaaten hiervon nicht berührt. Der Sicherheitsrat kann gegenüber den UN-Mitgliedstaaten aufgrund seiner Befugnisse nach der UN-Charta zweifellos weitreichender tätig werden, als in Artikel 16 des Rom-Statuts vorgesehen. So könnte er etwa die UN-Mitgliedstaaten durch Beschluss anweisen, in einer bestimmten Angelegenheit nicht mit dem Gerichtshof zusammenzuarbeiten. Hierzu wäre eine einfache Sicherheitsratsresolution ausreichend, eine Resolution nach Kapitel VII UN-Charta wäre nicht erforderlich. Der 159 Rubin, The ICC: Possibilities for Prosecutorial Abuse, S. 177 ff.; Lietzau, International Criminal Law After Rome, S. 135. 160 Wedgwood, The ICC: An American View, S. 97 – 98.

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F. Vertragliche Belastung dritter Staaten

fragliche Sicherheitsratsbeschluss müsste weiterhin auch nicht auf 12 Monate begrenzt sein, sondern könnte eine längere oder unbeschränkte Geltungsdauer vorsehen. Die UN-Mitgliedstaaten müssten einem entsprechenden Ersuchen des Sicherheitsrates grundsätzlich folgen und ihre vertraglichen Kooperationspflichten gegenüber dem IStGH aufgrund von Artikel 103 UN-Charta hintanstellen.161 Würde Artikel 16 des Rom-Statuts diese Befugnisse des Sicherheitsrates beschneiden, so verstieße er in der Tat gegen das Kompetenzgefüge der UN-Charta und wäre völkerrechtswidrig. Artikel 16 greift jedoch zum einen nicht in die Kompetenzen des Sicherheitsrates gegenüber den UN-Mitgliedstaaten ein, sondern gilt ausschließlich im Verhältnis zwischen Sicherheitsrat und Strafgerichtshof. Er räumt dem Sicherheitsrat das Recht ein, den IStGH durch Beschluss gemäß Kapitel VII UN-Charta anzuweisen, seine Ermittlungen für 12 Monate zurückzustellen. Der IStGH ist ein selbständiges Völkerrechtssubjekt, dem gemäß Artikel 4 des Rom-Statuts ausdrücklich eigene Völkerrechtspersönlichkeit zukommt. Es stellt sich daher ohnehin die Frage, ob und inwieweit er an die Beschlüsse des Sicherheitsrates gebunden ist. Die Tatsache, dass der IStGH selbst nicht Mitglied der Vereinten Nationen ist, spricht zunächst gegen eine entsprechende Bindung. Andererseits darf selbstverständlich nicht übersehen werden, dass wohl so gut wie alle Vertragsstaaten des Rom-Statuts zugleich Mitglieder der Vereinten Nationen sind. Es erscheint durchaus problematisch, ob und inwieweit sie völkerrechtlich in der Lage sind, eine internationale Organisation zu gründen, die ihrerseits nicht an die UN-Charta gebunden ist. Insoweit droht eine Umgehung der Charta durch die Mitgliedstaaten. Die Frage kann vorliegend jedoch offen bleiben, da Artikel 16 des Rom-Statuts in jedem Fall die herausragende Stellung des Sicherheitsrates im Weltgefüge sowie seine Befugnis respektiert, gemäß Kapitel VII der UN-Charta das Vorliegen einer Bedrohung oder eines Bruchs des Friedens beziehungsweise einer Angriffshandlung festzustellen.162 Der Prärogative des Sicherheitsrates wird hinreichend Rechnung getragen, da dieser nach Artikel 16 Rom-Statut jederzeit durch Beschluss gemäß Kapitel VII UN-Charta ein Tätigwerden des IStGH blockieren und vorrangig tätig werden kann. Es ist jedoch auch unter Berücksichtigung der Bestimmungen der UN-Charta nicht erforderlich, dass darüber hinaus jedes Tätigwerden des 161 Gemäß Artikel 103 UN-Charta treten im Konfliktfall andere vertragliche Verpflichtungen zurück, Geiger, in: LdR / VR (3. Aufl.), S. 478. In diesem Zusammenhang würde sich die Frage stellen, ob und inwieweit entsprechende Sicherheitsratsresolutionen auf ihre Völkerrechtmäßigkeit hin überprüft werden können und wer hierzu befugt ist. Dies würde indessen den Rahmen der vorliegenden Arbeit sprengen. Zur Frage der Justiziabilität von Sicherheitsratsresolutionen vgl. etwa Akande, The ICJ and the Security Council: Is there Room for Judicial Control of Decisions of the Political Organs of the United Nations?, S. 309 ff. 162 Zimmermann, Acting under Chapter VII, S. 256 – 257; Bruer-Schäfer, Der IStGH, S. 353; Bassiouni, Policy Perspectives Favoring the Establishment of an ICC, S. 803.

XV. Rechtswidriger Eingriff in die Prärogative des Sicherheitsrates

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Strafgerichtshofs von einer ausdrücklichen Zustimmung des Sicherheitsrates abhängig gemacht wird. Auch die Artikel 25, 103 UN-Charta fordern von den UNMitgliedstaaten lediglich, einem tatsächlichen Beschluss, das heißt mithin einem aktiven Handeln des Sicherheitsrates, Vorrang gegenüber anderen Verpflichtungen einzuräumen. Nach dem Gefüge der Charta bedarf indessen nicht jedes Handeln einer anderen internationalen Organisation der ausdrücklichen Zustimmung des Sicherheitsrates. Bereits ein ständiges Sicherheitsratsmitglied kann zwar mit seinem Vetorecht gemäß Artikel 27 Abs. 3 UN-Charta einen Beschluss des Sicherheitsrates verhindern. Dies gilt jedoch nicht für das Tätigwerden einer anderen selbständigen internationalen Organisation. Es ist daher völkerrechtlich keinesfalls erforderlich, dass das bloße Untätigbleiben des Sicherheitsrates irgendwelche Auswirkungen auf den IStGH als unabhängigen internationalen Spruchkörper hat. Der Sicherheitsrat kann gemäß Artikel 16 Rom-Statut jederzeit in seiner Gesamtheit ein Verfahren vor dem IStGH stoppen, nicht jedoch ein einzelnes ständiges Mitglied. Artikel 16 entspricht damit den Grundsätzen und Bestimmungen der UN-Charta und stellt keine unzulässige Einmischung in die Kompetenzen des Sicherheitsrates dar.163 Zwar trägt der Sicherheitsrat nach Artikel 24 die Hauptverantwortung für den internationalen Frieden und die internationale Sicherheit. Er kann die UN-Mitgliedstaaten jedoch nur durch einen entsprechenden Beschluss binden. Das bloße Befassen mit einer Situation hindert nach Artikel 12 UN-Charta lediglich anderweitige Empfehlungen der UN-Generalversammlung. Auf die Mitgliedstaaten sowie auf andere internationale Organisationen hat dies grundsätzlich keine Auswirkungen. Die UN-Charta sieht gerade nicht vor, dass ein paralleles Vorgehen, insbesondere ein Gerichtsverfahren, ausgeschlossen ist, sobald sich der Sicherheitsrat mit einer Situation beschäftigt.164 Demgemäß haben sich der Sicherheitsrat und der IGH oftmals parallel mit bestimmten Situationen oder Verfahren beschäftigt.165 Auch nach der ständigen Rechtsprechung des IGH stellt die Befassung des Sicherheitsrates mit einer Situation gerade kein Hindernis für die Ausübung von Gerichtsbarkeit durch ihn dar.166 Vielmehr wird ein gleichzeitiges Agieren von Sicherheitsrat und IGH ohne weiteres für zulässig erachtet, obwohl sich in diesen Fällen grundsätzlich beide Institutionen mit staatlichem Handeln befassen. Zimmermann, The Creation of a Permanent International Criminal Court, S. 218 – 219. Martenczuk, The Security Council, the International Court and Judicial Review: What Lessons from Lockerbie?, S. 532. 165 Martenczuk, The Security Council, the International Court and Judicial Review: What Lessons from Lockerbie?, S. 532; zu denken ist hier an den Lockerbie-Fall oder den Konflikt im ehemaligen Jugoslawien. 166 United States Diplomatic and Consular Staff in Teheran (United States of America v. Iran), ICJ Reports 1980, S. 22; Military and Paramilitary Activities in and against Nicaragua (Nicaragua v. United States), Jurisdiction and Admissibility, ICJ Reports 1984, S. 435; Application of the Convention on the Prevention and Punishment of the Crime of Genocide, Provisional Measures (Bosnia and Herzegovina v. Yugoslavia), ICJ Reports 1993, S. 19. 163 164

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F. Vertragliche Belastung dritter Staaten

Ähnliches muss deshalb grundsätzlich auch für parallele Verfahren im Hinblick auf dieselbe Situation vor dem Sicherheitsrat und dem IStGH gelten. Denn der IStGH beschäftigt sich, anders als IGH und Sicherheitsrat, ohnehin nur mit der Strafbarkeit individuellen Verhaltens, die Rechtmäßigkeit staatlichen Handelns ist hier gerade nicht Streitgegenstand. Der Aufschub von Ermittlungen oder Strafverfahren nach Artikel 16 erscheint in bestimmten Fällen durchaus zweckmäßig, da ein Strafprozess vor dem IStGH unter Umständen einen Friedensprozess behindern oder erschweren kann. Weiterhin könnte der Sicherheitsrat die UN-Mitgliedstaaten nach Artikel 25 UN-Charta ohnehin auffordern, in bestimmten Fällen nicht mit dem IStGH zu kooperieren. Diese wären nach Artikel 103 UN-Charta auch verpflichtet, ein entsprechendes Ersuchen vorrangig zu erfüllen, so dass der Sicherheitsrat bereits aus tatsächlichen Gründen ein Strafverfahren erheblich behindern oder zerstören könnte. Der IStGH ist wesentlich auf die Kooperation seiner Vertragsstaaten angewiesen, insbesondere kann ein Verfahren nach Artikel 63 des Rom-Statuts nur in Anwesenheit des Angeklagten durchgeführt werden. Wenn die Vertragsstaaten daher ihrer grundsätzlichen Pflicht zur Zusammenarbeit nicht nachkommen, ist der IStGH zum Scheitern verurteilt. Auch aus diesem Grund ist es daher sinnvoll, dass sich der Sicherheitsrat direkt an den IStGH wenden kann, um die Aussetzung eines Verfahrens zu erreichen, anstatt etwa die UN-Mitgliedstaaten zur Beendigung der Zusammenarbeit mit dem Gerichtshof aufzurufen. Rechtlich zwingend ist die Bestimmung des Artikels 16 jedoch nicht, da nach der UN-Charta insoweit gerade kein ausschließliches Recht des Sicherheitsrates gegenüber internationalen Gerichten oder anderen internationalen Organisationen besteht. Artikel 16 ist daher als Zugeständnis an den Sicherheitsrat und dessen ständige Mitglieder zu werten, nicht als unzulässige Beschränkung seiner Rechte. Soweit der Sicherheitsrat sich lediglich mit einer Situation befasst, im weiteren Verlauf jedoch untätig bleibt, ist ein Strafverfahren vor dem IStGH nicht zu beanstanden. c) Das Verbrechen der Aggression Die wohl schwierigste Frage in Bezug auf das Verhältnis zwischen Sicherheitsrat und Strafgerichtshof stellt sich schließlich im Zusammenhang mit der in Artikel 5 Abs. 1 lit. d vorgesehenen Gerichtsbarkeit des IStGH über das Verbrechen der Aggression. Neben einer bisher fehlenden allgemeinen Aggressionsdefinition ist insbesondere problematisch, wer im Rahmen eines internationalen Strafverfahrens befugt ist, das Vorliegen einer Aggressionshandlung festzustellen. Nach Artikel 39 UN-Charta hat der Sicherheitsrat die alleinige Kompetenz, eine Bedrohung oder einen Bruch des Friedens beziehungsweise eine Angriffshandlung festzustellen und Maßnahmen zu ergreifen. Er ist ausschließlich zuständig für die im weiteren Verlauf zu treffenden Maßnahmen zur Friedenssicherung und Friedenserhaltung.

XV. Rechtswidriger Eingriff in die Prärogative des Sicherheitsrates

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Aufgrund dieser Befugnisse des Sicherheitsrates nach Kapitel VII der UNCharta stehen die ständigen Sicherheitsratsmitglieder, allen voran die USA, auf dem Standpunkt, jedem Strafverfahren vor dem IStGH im Hinblick auf das Verbrechen der Aggression müsse zunächst die Feststellung einer Aggressionshandlung durch den Sicherheitsrat vorausgehen. Andernfalls beschneide das Rom-Statut in völkerrechtswidriger Weise die in der UN-Charta festgelegten Befugnisse des Sicherheitsrates.167 In Übereinstimmung mit diesem Ansatz wäre nach dem Statutsentwurf der UNVölkerrechtskommission ein Verfahren vor dem IStGH im Hinblick auf das Verbrechen der Aggression erst möglich gewesen, nachdem der Sicherheitsrat in Bezug auf die verfahrensgegenständliche Situation eine staatliche Aggressionshandlung festgestellt hat.168 Diese Regelung wurde bisher nicht übernommen, da eine Einigung im Hinblick auf das Verbrechen der Aggression und die Rolle des Sicherheitsrates während der Rom-Konferenz nicht erzielt werden konnte. Artikel 5 Abs. 2 sieht stattdessen vor, dass der IStGH Gerichtsbarkeit über das Verbrechen der Aggression erst ausüben kann, nachdem eine Definition erarbeitet und die Bedingungen für die Ausübung seiner Gerichtsbarkeit in Übereinstimmung mit der UN-Charta festgelegt wurden. Dies soll gemäß den Artikeln 121, 124 des Rom-Statuts sieben Jahre nach Inkrafttreten des Statuts im Rahmen einer Überprüfungskonferenz geschehen. Eine entsprechende Änderung beziehungsweise Ergänzung des Statuts müsste gemäß Artikel 121 Abs. 3 mit Zweidrittelmehrheit verabschiedet werden. Artikel 5 Abs. 2 erkennt damit zwar letztlich eine tragende Rolle des Sicherheitsrates an. Es ist allerdings derzeit unklar, unter welchen Voraussetzungen der IStGH Gerichtsbarkeit über das Verbrechen der Aggression ausüben wird, insbesondere, ob in Übereinstimmung mit dem Statutsentwurf von 1994 die vorherige Feststellung einer Aggressionshandlung durch den Sicherheitsrat zwingende Voraussetzung für ein Tätigwerden des Gerichtshofs sein wird.169 Fraglich ist, ob die vorherige Feststellung einer Aggressionshandlung durch den Sicherheitsrat völkerrechtlich geboten ist. Hiergegen spricht zunächst die Tatsache, dass der Strafgerichtshof nach Artikel 1 des Rom-Statuts lediglich die Strafbarkeit einzelner Personen, das heißt individuelle Aggressionshandlungen prüft, während der Sicherheitsrat sich gemäß Kapitel VII UN-Charta mit staatlichen Aggressionshandlungen und weltpolitischen Situationen befasst. Beide Institutionen haben somit ganz unterschiedliche Aufgaben. 167 Van de Kieft, Uncertain Risk: The U.S. Military and the ICC, S. 2336; Wedgwood, The ICC: An American View, S. 97 – 98, 105. 168 Report of the International Law Commission on the Work of its Fourty-Sixth Session, U.N. Doc. A / 49 / 10 (1994), Artikel 23 Abs. 2, S. 84. 169 Bruer-Schäfer, Der IStGH, S. 352; Sadat, The ICC and the Transformation of International Law, S. 116, Fn. 57.

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F. Vertragliche Belastung dritter Staaten

Der Strafgerichtshof könnte deshalb im Hinblick auf die individuelle Strafbarkeit einzelner Personen zu einer selbständigen Prüfung und Feststellung unabhängig von einem Tätigwerden des Sicherheitsrates befugt sein. Daneben würde die Mitwirkung eines so politischen Organs wie des Sicherheitsrates an einem Strafverfahren die Unparteilichkeit und Unabhängigkeit des Gerichtshofs durchaus in Frage stellen.170 Es erscheint problematisch, die juristische Frage der individuellen strafrechtlichen Verantwortlichkeit Einzelner an die rein politischen Entscheidungen des Sicherheitsrates im Rahmen von Kapitel VII der UN-Charta zu koppeln. Soweit eine vorherige Feststellung des Sicherheitsrates für die Verurteilung Einzelner wegen Aggression erforderlich ist, käme es darüber hinaus aufgrund des Vetorechts der ständigen Sicherheitsratsmitglieder wohl nie zu einem internationalen Strafverfahren gegen ihre Staatsangehörigen oder die Staatsangehörigen verbündeter Staaten und damit im Ergebnis zu einer Zwei-Klassen-Justiz. Andererseits ist nicht zu verkennen, dass die Bestimmungen der UN-Charta dem Sicherheitsrat die entscheidende Rolle bei der Friedenssicherung und Friedensschaffung zuweisen. Zwar ist eine Definition für das Vorliegen individueller Aggressionshandlungen noch nicht gefunden, man wird aber bereits jetzt sagen können, dass ein derartiges Verbrechen in den meisten Fällen in Zusammenhang mit staatlichem Handeln stehen wird. Soweit eine individuelle Strafbarkeit wegen Aggression künftig von einer Feststellung des Sicherheitsrates nach Artikel 39 UN-Charta abhängig gemacht wird, stellt sich die Frage, ob der Strafgerichtshof erst tätig werden kann, wenn der Sicherheitsrat eine Aggressionshandlung ausdrücklich bejaht. Auch insoweit sind unterschiedlich Ansätze denkbar. Das Erfordernis einer positiven Feststellung durch den Sicherheitsrat würde zweifellos zu einer Lähmung des IStGH in zahlreichen Fällen führen. Teilweise wird daher vertreten, dass eine Verfahrenseinleitung vor dem IStGH jedenfalls zulässig sein sollte, solange der Sicherheitsrat untätig bleibt, das heißt das Vorliegen einer Aggressionshandlung nicht explizit verneint.171 Das Verhältnis zwischen Sicherheitsrat und Gerichtshof im Zusammenhang mit dem Verbrechen der Aggression gestaltet sich nach allem äußerst schwierig. Angesichts des erheblichen Konfliktpotentials erscheint eine Einigung im Hinblick auf eine gemeinsame Definition sowie die Voraussetzungen für eine entsprechende Gerichtsbarkeit des IStGH in näherer Zukunft fraglich.172 Die angesprochenen Probleme zeigen allerdings, dass eine Regelung des Verhältnisses von IStGH und 170 Sunga, The Crimes within the Jurisdiction of the ICC, S. 381 – 382; Sadat / Carden, The New ICC: An Uneasy Revolution, S. 443. 171 Zimmermann, The Creation of a Permanent International Criminal Court, S. 219. 172 Cassese, The Statute of the ICC: Some Preliminary Reflections, S. 147; Sadat / Carden, The New ICC: An Uneasy Revolution, S. 343 ff.

XVI. Artikel 121 Abs. 5 IStGH-Statut

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Sicherheitsrat auf Dauer für die Effektivität des Gerichtshofs unerlässlich ist.173 Artikel 2 des Rom-Statuts sieht den Abschluss eines Abkommens zwischen Strafgerichtshof und Vereinten Nationen vor, um die Beziehung zwischen beiden internationalen Einrichtungen abschließend zu klären. In diesem Zusammenhang wäre insbesondere eine detaillierte Regelung des Verhältnisses von IStGH und Sicherheitsrat wünschenswert.

XVI. Artikel 121 Abs. 5 IStGH-Statut Die Kritik der Nichtvertragsstaaten am Rom-Statut richtet sich weiterhin gegen die Bestimmung des Artikels 121 Abs. 5 des Rom-Statuts. Dieser lautet: Eine Änderung der in Artikel 5, 6, 7 und 8 dieses Statuts tritt für die Vertragsstaaten, welche die Änderung angenommen haben, ein Jahr nach Hinterlegung ihrer Ratifikationsoder Annahmeurkunde in Kraft. Hinsichtlich eines Vertragsstaates, der die Änderung nicht angenommen hat, übt der Gerichtshof seine Gerichtsbarkeit über ein von der Änderung erfasstes Verbrechen nicht aus, wenn das Verbrechen von Staatsangehörigen des betreffenden Vertragsstaates oder in dessen Hoheitsgebiet begangen wurde.

Hiernach können Vertragsstaaten künftige Änderungen, insbesondere eine Ausdehnung der Gerichtsbarkeit des IStGH auf weitere Verbrechen für sich ausschließen, indem sie entsprechende Bestimmungen nicht annehmen und hierdurch ihre eigenen Staatsangehörigen vor einer erweiterten Gerichtsbarkeit schützen. Ein Vertragsstaat könnte etwa durch die Nichtannahme einer künftigen Aggressionsdefinition eine entsprechende Gerichtsbarkeit des IStGH über eigene Staatsangehörige vermeiden. Nichtvertragsstaaten können demgegenüber derartige Änderungen im Hinblick auf ihre Staatsbürger nicht beeinflussen. Artikel 121 Abs. 5 kann mithin dazu führen, dass Staatsangehörige aus Nichtvertragsstaaten einem umfassenderen Zugriff des Strafgerichtshofs ausgesetzt sind, als Staatsangehörige aus Vertragsstaaten, da letztere eine Veränderung der Gerichtsbarkeit für ihre eigenen Staatsangehörigen ausschließen können. In dieser Besserstellung der Vertragsstaaten wird teilweise eine unzulässige vertragliche Belastung der Nichtvertragsstaaten gesehen.174 Artikel 121 Abs. 5 stellt zweifellos eine Begünstigung für Vertragsstaaten dar. Soweit sie eine entsprechende Änderung des Statuts nicht mittragen, werden ihre Staatsangehörigen im Hinblick auf die entsprechenden Neuerungen nicht vor den IStGH gestellt. Man wollte insoweit einen Anreiz für die Ratifizierung des Statuts setzen. Der hierdurch begründete tatsächliche Vorteil für Vertragsstaaten, insbeson173 Marchesi, in: Triffterer, Artikel 2, Rn. 9; Sadat / Carden, The New ICC: An Uneasy Revoluton, S. 443. 174 Wedgewood, An American View, S. 104; Scheffer, The United States and the International Criminal Court, S. 20; Lietzau, International Criminal Law After Rome, S. 131 – 132.

242

F. Vertragliche Belastung dritter Staaten

dere die Vermeidung von bestimmten Verfahren gegen eigene Staatsangehörige vor dem IStGH, mag als ungerecht empfunden werden und ist insoweit politisch angreifbar. Eine rechtliche Belastung dritter Staaten ist in dieser faktischen Besserstellung indessen nicht zu sehen.175 Soweit die Vertragsstaaten neue Verbrechen gemeinsam definieren und unter Strafe stellen sowie ihre Strafgerichtsbarkeit aufgrund des Territorialitätsprinzips auf den IStGH übertragen, kann der IStGH nach den erläuterten allgemeinen völkerrechtlichen Grundsätzen ohnehin Strafgewalt auch über Staatsangehörige aus Drittstaaten ausüben. Die Tatsache, dass insoweit Staatsangehörige der Vertragsparteien ausgenommen werden können, verstößt nicht gegen geltendes Völkerrecht, auch wenn sie unter Gerechtigkeitserwägungen problematisch erscheint.

XVII. Artikel 124 IStGH-Statut Eine vergleichbare Problematik ergibt sich im Hinblick auf Artikel 124 des Rom-Statuts. Hiernach besteht für Vertragsstaaten die Möglichkeit, die Gerichtsbarkeit des IStGH für Kriegsverbrechen für einen Zeitraum von sieben Jahren auszuschließen, soweit die fraglichen Verbrechen von eigenen Staatsangehörigen oder im eigenen Hoheitsgebiet begangen wurden. Damit können die Vertragsstaaten ihre eigenen Staatsangehörigen für sieben Jahre von der Gerichtsbarkeit des IStGH befreien. Für Staatsangehörige aus Nichtvertragsstaaten kommt ein entsprechender Ausschluss der Gerichtsbarkeit nicht in Betracht. Auch hierin wird von den Kritikern des Gerichtshofs eine unzulässige vertragliche Belastung der Nichtvertragsstaaten gesehen.176 Die in Artikel 124 Rom-Statut vorgesehene Opt-out-Möglichkeit für Vertragsstaaten im Hinblick auf Kriegsverbrechen wurde erst in letzter Minute in das Statut aufgenommen, um die Zustimmung einiger kritischer Staaten, insbesondere Frankreichs und der USA, zu sichern.177 Es sollte somit ein Anreiz gerade für gerichtshofskeptische Staaten geschaffen werden, dem Statut beizutreten. Um eine völkerrechtswidrige Schlechterstellung der Nichtvertragsstaaten handelt es sich jedoch auch hierbei nicht.178 Der Umstand, dass Vertragsstaaten insoweit mehr Befugnisse haben als Nichtvertragsstaaten, ist rechtlich nicht zu beanstanden. Betroffen werden auch hier lediglich einzelne Staatsangehörige, über die der IStGH bereits mit Inkrafttreten des Rom-Statuts Gerichtsbarkeit im Hinblick auf Kriegsverbrechen So auch Bruer-Schäfer, Der IStGH, S. 343. Lietzau, International Criminal Law After Rome, S. 132 ff. spricht insoweit von „. . . ironic, or perhaps even perverse anomalies . . .“. 177 Zimmermann, in: Triffterer, Artikel 124, Rn. 1; so auch Scheffer, Advancing U.S. Interests with the ICC, S. 1575, der die Bestimmung ausdrücklich als Vorteil bezeichnet, den man den USA und Frankreich zu verdanken habe. 178 Brown, U.S. Objections to the Statute of the ICC, S. 887; Bruer-Schäfer, Der IStGH, S. 343. 175 176

XVIII. Exkurs

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ausüben kann. Die Drittstaaten selbst erleiden hierdurch jedoch keinen rechtlichen Nachteil. In diesem Zusammenhang ist weiterhin darauf hinzuweisen, dass Artikel 124 letztlich auf eine Forderung der USA zurückgeht. Von amerikanischer Seite war ein Recht der Vertragsstaaten gefordert worden, die Gerichtsbarkeit des IStGH nicht nur für Kriegsverbrechen, sondern darüber hinaus auch für Verbrechen gegen die Menschlichkeit auszuschließen. Nach den Vorstellungen der USA hätte diese Opt-out-Möglichkeit ferner sogar auf zehn Jahre ausgedehnt werden sollen.179 Es erscheint äußerst widersprüchlich, wenn der schließlich in Artikel 124 vorgesehene Kompromiss einer immerhin siebenjährigen Opt-out-Möglichkeit für Kriegsverbrechen jetzt als Verstoß gegen den pacta tertiis-Grundsatz kritisiert und insoweit eine ungerechte Benachteiligung dritter Staaten geltend gemacht wird, obwohl man selbst eine weitergehende Möglichkeit für Vertragsstaaten gefordert hatte, die eigenen Staatsangehörigen von der Strafgerichtsbarkeit des IStGH auszunehmen. Eine unzulässige vertragliche Belastung der Nichtvertragsstaaten selbst ist auch hierin nicht zu sehen. Daneben ist die praktische Bedeutung der Vorschrift derzeit als gering einzustufen. Bisher haben mit Frankreich und Kolumbien lediglich zwei Vertragsstaaten von der Opt-out-Möglichkeit für Kriegsverbrechen nach Artikel 124 Gebrauch gemacht.180

XVIII. Exkurs: Verstoß des Statuts gegen nationales Verfassungsrecht Die vorliegende Arbeit befasst sich mit der Frage der Völkerrechtmäßigkeit des Rom-Statuts im Verhältnis zu Nichtvertragsstaaten. Dennoch ist vorliegend im Interesse einer umfassenden Darstellung darauf hinzuweisenn, dass zahlreiche Nichtvertragsstaaten neben völkerrechtlichen Argumenten einen Nichtbeitritt zum IStGH auch mit nationalem Verfassungsrecht begründen. So betonen insbesondere die USA, dass das Rom-Statut gegen die amerikanische Verfassung verstoße, ein Beitritt der USA komme daher auch aus diesem Grund nicht in Betracht.181 Als Hauptargument wird insoweit vorgebracht, die im Statut enthaltenen Verfahrensgrundsätze stünden nicht in Einklang mit den Mindestgarantien der amerikanischen Bill of Rights. 179 Brown, U.S. Objections to the Statute of the ICC, S. 885 – 886; Seguin, Denouncing the International Criminal Court, S. 99; Bergsmo, The Jurisdictional Régime of the ICC, S. 347. 180 Rome Statute of the ICC, Ratification Status, Declarations and Reservations, http: // www.un.org / law / icc / statute / status.htm, S. 8 (Erklärung Frankreichs); Colombia reservation text, http: // www.icrc.org / ihl.nsf / NORM / 909EEAAE157FBD43412566E100542BDE? OpenDocument. 181 U.S. Senate Comment on Foreign Relations, International Criminal Court, Senate Report No. 103 – 71 (1993); Rubin, The ICC: Possibilities for Prosecutorial Abuse, S. 161; Bolton, The Risks and Weaknesses of the ICC from America’s Perspective, S. 169; Bickley, U.S. Resistance to the ICC, S. 245.

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F. Vertragliche Belastung dritter Staaten

In diesem Zusammenhang wird von amerikanischen Kritikern zum einen darauf verwiesen, dass im Rom-Statut kein Geschworenenprozess vorgesehen sei.182 Auch nach der Rechtsprechung des Supreme Court der Vereinigten Staaten hindert jedoch die Tatsache, dass das Rechtssystem eines anderen Staates keinen JuryProzess kennt, die Auslieferung amerikanischer Staatsbürger nicht.183 Es besteht zwar nach der amerikanischen Verfassung im regulären nationalen Strafverfahren ein Anspruch amerikanischer Staatsangehöriger auf einen Geschworenenprozess. Der Oberste Gerichtshof hat jedoch betont, dass die amerikanische Verfassung im Fall der Auslieferung von Amerikanern keinesfalls die Anwendung amerikanischer Standards durch ausländische Gerichte fordert.184 Daneben ist darauf hinzuweisen, dass insbesondere Kriegsverbrechen in den USA in der Regel von Militärgerichten abgeurteilt werden, vor denen es gerade kein Jury-Verfahren gibt. Das aktuelle amerikanische Vorgehen im Zusammenhang mit dem vielbeschworenen Kampf gegen den internationalen Terrorismus und die Verfahren gegen angebliche internationale Terroristen vor solchen amerikanischen Militärtribunalen legen den Verdacht nahe, dass hier mit zweierlei Maß gemessen wird.185 Abgesehen vom fehlenden Geschworenenprozess, den die kontinentaleuropäischen Rechtsordnungen so ohnehin nicht kennen, finden sich jedoch alle Verfahrensgrundrechte der US-Verfassung auch im Rom-Statut.186 So erklärte selbst der Leiter der amerikanischen Verhandlungsdelegation in Rom, David Scheffer: „. . . the list of due process rights guaranteed by the Rome Statute is, if anything, somewhat more detailed and comprehensive than that in the U.S. Bill of Rights . . . It cannot be denied that the Rome Statute contains the most comprehensive list of due process protections that has thus far been promulgated“.187

Er stellt weiterhin die äußerst berechtigte Frage, ob es nicht gerade dem Schutz des Angeklagten dient, wenn im Fall des IStGH nicht Laien aus aller Welt als Geschworene über Völkerrechtsverbrechen urteilen, sondern ausschließlich Völkerrechtssexperten über die in Artikel 5 genannten Verbrechen zu Gericht sitzen.188 Im Übrigen ist der Beitritt zum Rom-Statut auch in anderen Ländern mit gewissen verfassungsrechtlichen Problemen verbunden. So beinhaltet beispielsweise auch die russische Verfassung das Recht des Angeklagten auf einen GeschworeHierzu Seguin, Denouncing the International Criminal Court, S. 107 – 108. Neely v. Hinkel, 180 U.S., S. 109; Seguin, Denouncing the International Criminal Court, S. 108; Marquardt, Law Without Borders: The Constitutionality of an ICC, S. 73. 184 Brown, U.S. Objections to the Statute of the ICC, S. 888 unter Verweis auf die Entscheidung des Supreme Court in Reid v. Covert, 354 U.S. S. 1, 6 (1957). 185 Elsea, U.S. Policy Regarding the ICC, S. 7. 186 Brown, U.S. Objections to the Statute of the ICC, S. 888. 187 Scheffer, Advancing U.S. Interests with the ICC, S. 1572. 188 Scheffer, Advancing U.S. Interests with the ICC, S. 1572. 182 183

XVIII. Exkurs

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nenprozess.189 Für den Iran und seine strikte Ausrichtung am islamischen Recht wurde darauf hingewiesen, dass sich die Abwesenheit muslimischer Richter nicht mit der iranischen Verfassung vereinbaren lässt, nach der Muslime ausschließlich von muslimischen Richtern abzuurteilen sind.190 Nach dem deutschen Grundgesetz war eine Auslieferung deutscher Staatsangehöriger bisher nicht möglich. Zur Umsetzung des Rom-Statuts ins nationale Recht war daher eine Grundgesetzänderung erforderlich. Entgegenstehendes nationales Recht und verfassungsrechtliche Einwände können selbstverständlich als Argument für einen Nichtbeitritt zum Rom-Statut vorgebracht werden. Entsprechende Erwägungen führen jedoch nicht zur Völkerrechtswidrigkeit des Statuts, sie stellen ausschließlich politische Überlegungen dar. Das Fehlen eines Geschworenenprozesses nach amerikanischem Vorbild mag damit zweifellos als Argument gegen einen Beitritt der USA zum IStGH dienen. Beim IStGH handelt es sich jedoch um ein unabhängiges internationales Gericht, das nicht an die verfassungsrechtlichen Vorgaben irgendeines Staates gebunden ist, solange die völkerrechtlichen Mindeststandards eingehalten werden.

189 190

Tuzmukhamedov, The ICC and Russian Constitutional Problems, S. 623. Abtahi, The Islamic Republic of Iran and the ICC, S. 646.

G. Prüfungskompetenz des IStGH Wie im Verlauf der Arbeit dargestellt wurde, sehen sich zahlreiche Bestimmungen des Rom-Statuts erheblicher Kritik ausgesetzt. Es ist daher abzusehen, dass die entsprechenden Regelungen auch im Rahmen der ersten Strafverfahren vor dem Gerichtshof angegriffen werden und der IStGH sich mit entsprechenden Einwänden der Völkerrechtswidrigkeit seiner Errichtung konfrontiert sehen wird. Fraglich ist, wer befugt ist, die Rechtmäßigkeit der Errichtung des IStGH und die Völkerrechtskonformität der einzelnen Bestimmungen des Statuts abschließend zu beurteilen. Insbesondere ist zu klären, ob ein internationales Gericht wie der IStGH in der Lage ist, die Rechtmäßigkeit seiner Errichtung und die Rechtmäßigkeit seines Gründungsstatuts sowie der hierin enthaltenen Vorschriften selbst zu überprüfen. Noch das Nürnberger Kriegsverbrechertribunal sah sich hierzu nicht imstande, es verneinte insbesondere seine Befugnis, über die erhobenen Einwände gegen seine Gerichtsbarkeit zu entscheiden. Die Nürnberger Richter gingen davon aus, dass die von den Gründerstaaten festgelegte Gerichtsbarkeit vom Militärgerichtshof selbst nicht untersucht werden könne. Sie gingen vielmehr von einer uneingeschränkten Bindung an das Gründungsstatut aus. So heißt es hierzu im Nürnberger Urteil: „The law of the Charter is decisive and binding upon the Tribunal. The making of the Charter was the exercise of the sovereign legislative power by the countries to which the German Reich unconditionally surrendered . . .“1

Ähnlich äußerte sich die Anklage im Fall Tadic vor dem Internationalen Straftribunal für das ehemalige Jugoslawien. Auch hier hatte der Angeklagte zahlreiche Einwände gegen die Völkerrechtmäßigkeit der Errichtung und die Gerichtsbarkeit des Jugoslawientribunals vorgebracht. Die Anklagebehörde ging jedoch davon aus, dass das Tribunal selbst nicht befugt sei, die Rechtmäßigkeit seiner Gründung zu untersuchen. Die zugrunde liegende Sicherheitsratsresolution sei vielmehr gerichtlich nicht überprüfbar. In der Stellungnahme des Anklägers heißt es hierzu: „. . . the International Tribunal lacks authority to review its establishment by the Security Council . . . the question whether the Security Council in establishing the International Tribunal complied with the United Nations Charter raises „political questions“ which are „non-justiciable.“2

IMT, Judgment and Sentences, AJIL Band 41 (1947), S. 216. Prosecutor v. Dusko Tadic, Decision on the Defence Motion on Jurisdicton (Trial Chamber), 10. 8. 1995, Abs. 10 – 14 unter Verweis auf den Prosecutor Trial Brief, http: // www.un. org / icty / tadic / trialc2 / decision-e / 100895.htm. 1 2

G. Prüfungskompetenz des IStGH

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Dieser Argumentation schloss sich auch das UN-Straftribunal in erster Instanz an. So erklärte die Trial-Chamber im Hinblick auf die Frage der Rechtmäßigkeit der eigenen Errichtung: „The Trial Chamber . . . decides it to be incompetent insofar as it challenges the establishment of the International Tribunal. “3

Das Gericht folgte also zunächst der Auffassung des Anklägers und ging davon aus, dass es nicht befugt sei, die seiner eigenen Errichtung zugrunde liegende Sicherheitsratsresolution auf ihre Gültigkeit hin zu überprüfen. Die Handlungen des Sicherheitsrates seien nicht justiziabel, es falle daher nicht in die Kompetenz des Gerichtshofs, den politischen Akt der eigenen Gründung zu kontrollieren.4 Auffällig ist jedoch, dass die Trial Chamber sich trotz dieser zunächst festgestellten Nichtüberprüfbarkeit von Sicherheitsratsresolutionen dennoch im weiteren Verlauf der Entscheidung ausführlichst mit der Rechtmäßigkeit der eigenen Errichtung beschäftigte. Das Gericht stellte zunächst fest, dass dem Sicherheitsrat im Hinblick auf die nach Kapitel VII UN-Charta zu ergreifenden Maßnahmen ein weiter Ermessensspielraum zustehe.5 Sodann erfolgte eine detaillierte Prüfung der Frage, ob der Sicherheitsrat bei Errichtung des Jugoslawientribunals in Übereinstimmung mit den Artikeln 39 ff. UN-Charta gehandelt hat. Schließlich kommt die Trial Chamber zu dem Ergebnis, dass dies eindeutig der Fall gewesen sei.6 Insofern ist die Entscheidung nicht frei von Widersprüchen. Anders als die erste Instanz äußerte sich dann auch die Berufungskammer des UN-Tribunals in ihrem Berufungsurteil im Fall Tadic vom 2. 10. 1995. Sie bejahte ausdrücklich die gerichtliche Überprüfbarkeit der Rechtmäßigkeit der eigenen Errichtung und kam zu dem Schluss, dass ein internationales Gericht auch ohne besondere Ermächtigung dazu befugt sei, die Rechtmäßigkeit seiner Gründung zu überprüfen.7 Diese Befugnis folge aus der jedem Gericht zustehenden Kompetenz-Kompetenz. Hiernach sei jedes Gericht als unabhängiger Spruchkörper nicht nur berechtigt, sondern auch verpflichtet, seine eigene Gerichtsbarkeit zu überprüfen, bevor es tätig werde. Hierzu gehöre gerade auch die Untersuchung der Recht3 Prosecutor v. Dusko Tadic, Decision on the Defence Motion on Jurisdicton (Trial Chamber), 10. 8. 1995, Abs. 83, http: // www.un.org / icty / tadic / trialc2 / decision-e / 100895.htm. 4 Prosecutor v. Dusko Tadic, Decision on the Defence Motion on Jurisdicton (Trial Chamber), 10. 8. 1995, Abs. 4 ff.; http: // www.un.org / icty / tadic / trialc2 / decision-e / 100895.htm. 5 Prosecutor v. Dusko Tadic, Decision on the Defence Motion on Jurisdicton (Trial Chamber), 10. 8. 1995, Abs. 7; http: // www.un.org / icty / tadic / trialc2 / decision-e / 100895.htm. 6 Prosecutor v. Dusko Tadic, Decision on the Defence Motion on Jurisdicton (Trial Chamber), 10. 8. 1995, Abs. 21 ff.; http: // www.un.org / icty / tadic / trialc2 / decision-e / 100895.htm. 7 Prosecutor v. Dusko Tadic (Appeals Chamber), Case No. IT-94-1-AR72, Abs. 22, 35 ILM (1996), S. 41.

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G. Prüfungskompetenz des IStGH

mäßigkeit der eigenen Errichtung. Denn nur wenn diese zu bejahen sei, könne das Gericht selbst in rechtmäßiger Weise agieren und Gerichtsbarkeit ausüben. Eine entsprechende Kontrollbefugnis sei daher aus der Natur der Sache herzuleiten: „. . . the principle of ,Kompetenz-Kompetenz‘ in German or ,la competence-competence‘ in French, is part, and indeed a major part, of the incidental or inherent jurisdiction of any judicial or arbitral tribunal, consisting of its ,jurisdiction to determine its own jurisdiction‘. It is a necessary component in the exercise of judicial function and does not need to be expressly provided for in the constitutive documents of those tribunals, although this is often done . . . In international law, where there is no integrated judicial system and where every judicial or arbitral organ needs a specific constitutional instrument defining its jurisdiction ,the first obligation of the Court – as of any judicial body – is to ascertain its own competence‘“.8

Die Befugnis zur Überprüfung der Rechtmäßigkeit der eigenen Errichtung könne allenfalls ausdrücklich und auch nur insoweit beschränkt werden, als hierdurch nicht der justizielle Charakter und die Unabhängigkeit des jeweiligen Gerichts in Frage gestellt werde.9 Eine entsprechende gerichtliche Prüfungskompetenz könne auch nicht mit dem Argument abgelehnt werden, dass es sich bei der Errichtung um eine nicht justiziable politische Entscheidung gehandelt habe: „The doctrines of ,political questions‘ and ,non-justiciable disputes‘ are remnants of the reservations of ,sovereignty‘, ,national honour‘ etc. in very old arbitration treaties. They have receded from the horizon of contemporary international law . . .“10

Dieser Ansatz entspricht der mittlerweile wohl herrschenden Auffassung im Völkerrecht. Auch in der Literatur geht man überwiegend davon aus, dass ein internationales Gericht dazu befugt ist, die Rechtmäßigkeit seiner Gründung, insbesondere die ihm eingeräumten Befugnisse sowie seine Gerichtsbarkeit zu überprüfen. Dies wird gleichfalls mit einer entsprechenden inhärenten Zuständigkeit oder Kompetenz-Kompetenz des Gerichts begründet.11 Teilweise wird insoweit auch von „implied powers“ gesprochen, wonach die Übertragung einer bestimmten Auf8 Prosecutor v. Dusko Tadic (Appeals Chamber), Case No. IT-94-1-AR72, Abs. 18, 35 ILM (1996), S. 40. 9 Prosecutor v. Dusko Tadic (Appeals Chamber), Case No. IT-94 1-AR72, Abs. 19, 35 ILM (1996), S. 40. 10 Prosecutor v. Dusko Tadic (Appeals Chamber), Case No. IT-94-1-AR72, Abs. 24, 35 ILM (1996), S. 41. 11 Zimmermann, Role and Function of International Criminal Law, S. 43; Gaeta, Inherent Powers of International Courts and Tribunals, S. 356 ff.; Oellers-Frahm, Internationale Gerichtsbarkeit – gestern und heute, S. 463; Baltes, Prosecutor v. Tadic, The Establishment of the ICTY, S. 601 ff., 607; Aldrich, Jurisdiction of the ICTY, S. 65; Kreß, Friedenssicherungsund Konfliktvölkerrecht auf der Schwelle zur Postmoderne, S. 64; Kaul / Kreß, Jurisdiction and Cooperation in the Statute of the ICC, S. 144; kritisch O’Brien, Current Developments: The International Tribunal for Violations of International Humanitarian Law in the Former Yugoslavia, S. 643; Fox, The Objections to Transfer of Criminal Jurisdiction to the UN Tribunal, S. 435 – 436.

G. Prüfungskompetenz des IStGH

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gabe zugleich das Vorhandensein der zur Ausführung dieser Aufgabe notwendigen Kompetenzen impliziert.12 Diesem Ansatz ist zuzustimmen. Ein Gericht als unabhängiger Spruchkörper ist nicht nur berechtigt, sondern auch verpflichtet, sich in jedem einzelnen Fall zu vergewissern, ob ihm tatsächlich Gerichtsbarkeit zukommt. Obwohl im Fall eines durch völkerrechtlichen Vertrag gegründeten internationalen Gerichts also die Gründungsstaaten seine Zuständigkeit festlegen, obliegt es letztlich dem Gericht selbst, diese ihm eingeräumte Zuständigkeit im Einzelfall zu überprüfen, auszulegen und zu konkretisieren. Die mittlerweile anerkannte Kompetenz-Kompetenz oder „inherent jurisdiction“ eines Gerichts, wonach Streitigkeiten über die dem Gericht übertragene Zuständigkeit vom Gericht selbst entschieden werden, folgt letztlich aus der Natur der Sache.13 Könnten die Vertragsstaaten hierüber entschieden, so würde das Gericht zum Papiertiger verkümmern, da gerade in kritischen Situationen letztlich immer eine Verneinung der Zuständigkeit zu befürchten wäre. Ein Gericht hat jedoch nur dann Gerichtsbarkeit, wenn es in rechtmäßiger Weise errichtet wurde. Die Rechtmäßigkeit seiner Gründung ist insoweit wesentliche Voraussetzung für das Vorliegen von Gerichtsbarkeit.14 Dem IStGH wurde in Artikel 19 des Rom-Statuts ausdrücklich die entsprechende Kompetenz eingeräumt, selbst darüber zu entscheiden, ob ihm im konkreten Fall Gerichtsbarkeit zusteht. Zu Recht ist festgestellt worden, dass ein anderes Ergebnis mit der Würde eines internationalen Gerichts wohl kaum vereinbar wäre.15 Eine entsprechende Kontrollkompetenz steht mangels ausdrücklicher anderweitiger Regelung jedem Gericht zu.16 Das im Zusammenhang mit dem Jugoslawientribunal aufgeworfene Problem, ob dessen Gründung durch eine Resolution des Sicherheitsrates einen nicht justiziablen politischen Akt darstellt, ist im Hinblick auf die Errichtung des IStGH nicht gegeben.17 Denn dieser wurde durch völkerrechtlichen Vertrag und damit auf rechtlich überprüfbarer Grundlage errichtet. Das Rom-Statut muss sich insoweit insbesondere an den in der WVK niedergelegten Grundsätzen messen lassen. 12 Gaeta, Inherent Powers of International Courts and Tribunals, S. 398; Wolfrum, in: LdR / VR (3. Aufl.), S. 190; Waltemathe, Austritt aus der EU S. 69 unter Verweis auf EuGH, Urteil v. 31. 03. 1971, Rs. 22 / 70, „Kommission gegen Rat“, Slg. 1971, S. 263 ff., 274 ff. 13 Prosecutor v. Dusko Tadic (Appeals Chamber), Case No. IT-94-1-AR72, Abs. 18, 35 ILM (1996), S. 40; Oellers-Frahm, Internationale Gerichtsbarkeit – gestern und heute, S. 463; Hall, in: Triffterer, Artikel 19, Rn. 2 – 3; Kaul / Kreß, Jurisdiction and Cooperation in the Statute of the ICC, S. 144. 14 Ausführlich insoweit Prosecutor v. Dusko Tadic (Appeals Chamber), Case No. IT94-1-AR72, Abs. 9 – 20, 35 ILM (1996), S. 38 – 40. 15 Oellers-Frahm, Internationale Gerichtsbarkeit – gestern und heute, S. 463. 16 Prosecutor v. Dusko Tadic (Appeals Chamber), Case No. IT-94 – 1-AR72, Abs. 14 – 19, 35 ILM (1996), S. 39 unter Hinweis auf das Nottebohm-Urteil des IGH; Kreß, Friedenssicherungs- und Konfliktvölkerrecht auf der Schwelle zur Postmoderne, S. 640. 17 Zum Problem der „political question“ Kreß, Friedenssicherungs- und Konfliktvölkerrecht auf der Schwelle zur Postmoderne, S. 640 ff.

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G. Prüfungskompetenz des IStGH

Es wird letztlich Aufgabe des IStGH sein, die zahlreichen im Zusammenhang mit der Rechtmäßigkeit seiner Errichtung aufgeworfenen Fragen selbst zu beantworten und kraft seiner Kompetenz-Kompetenz über die Rechtmäßigkeit des RomStatuts und seiner Bestimmungen zu befinden.

H. Aktuelle politische Entwicklungen Im bisherigen Verlauf der Arbeit wurden die wichtigsten rechtlichen Fragen erörtert, die sich bei der Errichtung des IStGH und der Erarbeitung seines Statuts im Verhältnis zu den Nichtvertragsstaaten aufgetan haben. Nunmehr sollen die aktuellen Entwicklungen seit Inkrafttreten des Statuts, insbesondere die Beziehung des Gerichtshofs zu den Staaten, die den Römischen Verträgen bisher nicht beigetreten sind und die Errichtung des IStGH sogar bekämpft haben, näher untersucht werden. Von erheblicher politischer Bedeutung ist insoweit vor allem das Verhältnis des IStGH zu den USA als einziger verbleibender Großmacht. Im Folgenden wird daher die amerikanische Politik als Reaktion auf das Inkrafttreten des Statuts und die damit verbundenen rechtlichen und tatsächlichen Auswirkungen näher dargestellt.

I. Die amerikanische Politik der konstruktiven Zusammenarbeit Die Vereinigten Staaten hatten das Römische Statut zunächst trotz der dargestellten Kritik und der hierbei geführten Auseinandersetzungen am 31. Dezember 2000 unterzeichnet. Mit der Unterschrift sicherte man sich buchstäblich in letzter Minute das Recht, als Signatarstaat am weiteren Entwicklungsprozess des IStGH mitzuwirken, insbesondere an einer Verfahrens- und Beweisordnung für den Gerichtshof mitzuarbeiten. Ab 1. Januar 2001 wäre eine entsprechende Mitarbeit nur noch bei Ratifikation des Statuts möglich gewesen, die bloße Unterzeichnung hätte nicht mehr ausgereicht.1 Der damalige Präsident Clinton unterzeichnete zwar das Statut, er empfahl jedoch in einer entsprechenden Stellungnahme seinem Amtsnachfolger ausdrücklich, das Statut in seiner jetzigen Form nicht zu akzeptieren und warnte vor „significant flaws in the Treaty“.2 Mit der Unterschrift hoffte man, die weitere Ausgestaltung des Statuts im Sinne der USA zu beeinflussen und weitere Kompromisse zu erzielen.3 Trotz der grundsätzlichen 1 Van de Kieft, Uncertain Risk: The U.S. Military and the ICC, S. 2327; Israel, US Sign Treaty to Create an ICC, Toronto Star, 1. 1. 2001, http: // www.globalpolicy.org / wldcourt / icc / 2001 / 0101us.htm>. 2 Statement by the President, Signature of the International Criminal Court Treaty (Dec. 31, 2000), http: // usinfo.state.gov / topical / pol / usandun / 00123101.htm; Schwartz, The United States and the ICC: The Case for „Dexterous Multilateralism“, S. 223 ff.

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H. Aktuelle politische Entwicklungen

Ablehnung des Statuts, insbesondere der Möglichkeit der Ausübung von Strafgerichtsbarkeit über amerikanische Staatsbürger ohne Zustimmung der USA, war man unter der Regierung Clinton daher zunächst zu einer konstruktiven Zusammenarbeit bereit, die als „good neighbour policy“4 oder „constructive engagement“5 bezeichnet wurde. Eine Bekämpfung oder ein Boykott des Gerichtshofs standen zunächst nicht zur Debatte, amerikanische Interessen sollten vielmehr im Dialog mit den Vertragsstaaten verfolgt werden.6 Die USA beteiligten sich daher im weiteren Verlauf aktiv am Entwurf einer Verfahrens- und Beweisordnung. Zahlreiche Bestimmungen gehen dementsprechend auf amerikanische Initiativen zurück, auch die Verbrechenselemente und ihre Definitionen beruhen auf Vorschlägen der USA.

1. Versuch der Einschränkung der Zulässigkeit von Strafverfahren Wichtigstes Ziel der amerikanischen Mitarbeit in der UN-Vorbereitungskommission war nach wie vor, ein Strafverfahren gegen amerikanische Staatsbürger ohne Zustimmung der USA zu verhindern. Nachdem die geforderte Zustimmung des Täterstaates als notwendige Voraussetzung für die Gerichtsbarkeit des IStGH mehrheitlich abgelehnt worden war, versuchte die amerikanische Verhandlungsdelegation, über die Verfahrens- und Beweisordnung eine Einschränkung der Zulässigkeit von Strafverfahren vor dem IStGH zu erreichen. So wurde eine Verfahrensvorschrift zu Artikel 17 vorgeschlagen, nach der der Gerichtshof für die Frage der ordnungsgemäßen Durchführung eines nationalen Strafverfahrens unter anderem die generelle Unabhängigkeit der Justiz des jeweiligen Staates, die ordnungsgemäße nationale Strafverfolgung in der Vergangenheit oder eine entsprechende schriftliche Versicherung des Staates, in der Sache ordnungsgemäß tätig zu werden, hätte berücksichtigen sollen. Weiterhin hätte der Beitrag des jeweiligen Staates für den internationalen Frieden und die internationale Sicherheit Beachtung finden sollen.7 Hiernach wäre ein Verfahren vor dem IStGH bereits dann unzulässig gewesen, wenn der im konkreten Einzelfall ermittelnde Nationalstaat bisher im Allgemeinen ordnungsgemäße Strafverfahren durchgeführt hat. Diesen Vorschlägen wurde allerdings zutreffenderweise entgegengehalten, dass es für Artikel 17 nicht auf den generellen Zustand eines nationalen Justizwesens oder auf den weltweiten Einsatz des betroffenen Staates für den internationalen Frieden ankommt, sondern auf die tatsächliche 3 Schwartz, The United States and the ICC: The Case for „Dexterous Multilateralism“, S. 229. 4 Van de Kieft, Uncertain Risk: The U.S. Military and the ICC, S. 2350. 5 Broomhall, Cornerstone or Stumbling Block? The United States and the ICC, S. 178. 6 Schwartz, The United States and the ICC: The Case for „Dexterous Multilateralism“, S. 230. 7 Broomhall, Cornerstone or Stumbling Block? The United States and the ICC, S. 172; Maikowski, Staatliche Kooperationspflichten gegenüber dem IStGH, S. 208.

I. Die amerikanische Politik

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Durchführung eines einwandfreien und mit den Artikeln 17, 20 Abs. 3 des RomStatuts in Einklang stehenden Strafverfahrens im konkreten Einzelfall. Die von den Vereinigten Staaten anvisierte Anerkennung eines grundsätzlichen Vorrangs amerikanischer Strafverfolgungsmaßnahmen für die Zukunft wäre hiermit nicht in Einklang zu bringen gewesen.

2. Versuch der Ausweitung von Immunitätsregelungen Nachdem der Versuch einer Einschränkung der Zulässigkeitsvoraussetzungen für ein Strafverfahren vor dem IStGH gescheitert war, versuchten die USA, ihre Staatsangehörigen durch eine Ausweitung der im Rom-Statut vorgesehenen Immunitätsregelungen von der Strafgerichtsbarkeit des IStGH auszunehmen. Wie bereits erläutert wurde, bestimmt Artikel 98 Abs. 2 des Rom-Statuts, dass der IStGH kein Überstellungsersuchen an einen Staat richten darf, welches von diesem verlangen würde, entgegen seinen staatlichen Verpflichtungen aus völkerrechtlichen Übereinkünften zu handeln, nach denen die Überstellung eines fremden Staatsangehörigen an den IStGH der Zustimmung des betroffenen Heimatstaates bedarf. Im Hinblick darauf unterbreiteten die USA im März 2000 einen zunächst formlosen neuen Vorschlag, in dem zum einen der Abschluss eines internationalen Abkommens zwischen Strafgerichtshof und Vereinten Nationen gefordert wurde. Der IStGH hätte sich hierin verpflichten sollen, Staatsangehörige aus Nichtvertragsstaaten nur mit ausdrücklicher Zustimmung des Heimatstaates oder bei Verhängung von Sanktionen gegen den betroffenen Nichtvertragsstaat durch den Sicherheitsrat gemäß Kapitel VII der UN-Charta zu verfolgen. In Übereinstimmung hiermit hätte weiterhin eine Verfahrensregel zu Artikel 98 des Rom-Statuts bestimmen sollen, dass der Gerichtshof ein Auslieferungsersuchen an die Vertragsstaaten nur in Übereinstimmung mit seinen völkervertraglichen Verpflichtungen – unter anderem aus dem geplanten Abkommen mit der UNO – hätte stellen dürfen.8 So lautete die von den USA vorgeschlagene Verfahrensregel zu Artikel 98 des Rom-Statuts: „The Court shall proceed with a request for surrender or an acceptance of a person into the custody of the Court only in a manner consistent with its obligations under the relevant international agreement.“9

Bei genauerer Betrachtung wird deutlich, dass hier durch die Hintertür eine Ausdehnung der Bestimmung des Artikels 98 Abs. 2 des Rom-Statuts erreicht werden sollte. Artikel 98 Abs. 2 verbietet ein Auslieferungsersuchen des Gerichtshofs lediglich, soweit die Vertragsstaaten hierdurch gegen ihre völkervertraglichen Ver8 Lee, The ICC, Elements of Crimes and Rules of Procedure and Evidence, S. 667; Maikowski, Staatliche Kooperationspflichten gegenüber dem IStGH, S. 208 – 209. 9 Der amerikanische Vorschlag ist abgedruckt bei Lee, The ICC, Elements of Crimes and Rules of Procedure and Evidence, S. 667; Hervorhebung durch die Verfasserin.

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H. Aktuelle politische Entwicklungen

pflichtungen verstoßen würden. Nach dem Wortlaut des amerikanischen Vorschlags wäre ein Auslieferungsersuchen auch dann nicht möglich gewesen, soweit der Gerichtshof hierdurch gegen seine eigenen völkervertraglichen Verpflichtungen verstößt. In dem gleichzeitig von den USA vorgeschlagenen Abkommen zwischen UNO und IStGH hätte sich der IStGH aber selbst gerade dazu verpflichten sollen, eine Auslieferung von Staatsangehörigen aus Nichtvertragsstaaten nur mit Zustimmung des Nichtvertragsstaates oder bei entsprechenden Maßnahmen des Sicherheitsrates gegen diesen Staat zu fordern. Auch nach diesem neuen Ansatz wäre ein Verfahren gegen amerikanische Staatsangehörige vor dem IStGH nicht mehr ohne Zustimmung der USA möglich gewesen. Anders als bisher wäre dieses Ergebnis jedoch nicht über eine Einschränkung der Zulässigkeitsvoraussetzungen oder der Strafgerichtsbarkeit des IStGH erreicht worden. Stattdessen wollte man nunmehr die tatsächliche Möglichkeit der Stellung eines Auslieferungsersuchens durch den IStGH beschränken. Dieser inoffizielle amerikanische Vorschlag stieß bereits im März 2000 auf erheblichen Widerstand. Zwar war der zweite Teil des Vorbringens, wonach ein Auslieferungsersuchen des IStGH mit seinen eigenen völkervertraglichen Verpflichtungen in Einklang stehen müsse, für sich allein noch nicht zu beanstanden. Die gleichzeitig erhobene amerikanische Forderung nach einem Abkommen zwischen IStGH und UNO, in dem sich der Gerichtshof verpflichten sollte, seine Strafgerichtsbarkeit über Staatsangehörige aus Nichtvertragsstaaten nur bei Zustimmung des jeweiligen Nichtvertragsstaates oder bei Verhängung von Sanktionen gegen diesen Staat durch den Sicherheitsrat auszuüben, wurde jedoch zutreffenderweise als Verstoß gegen das Jurisdiktionsregime des Rom-Statuts angesehen.10 Deshalb unterbreiteten die USA der UN-Vorbereitungskommission schließlich im Juni 2000 einen offiziellen Vorschlag. Dieser lautete: „The Court shall proceed with a request for surrender or an acceptance into the custody of the Court only in a manner consistent with international obligations applicable to the surrender of the person.“11

Hiernach war zum einen keine unmittelbare Verknüpfung von völkervertraglichen Verpflichtungen des IStGH und einem Abkommen mit der UNO zur Beschränkung von Strafgerichtsbarkeit mehr vorgesehen. Daneben war nur noch allgemein davon die Rede, dass ein Auslieferungsersuchen in Einklang mit völkerrechtlichen Verpflichtungen stehen müsse, es wurde offen gelassen, wessen Verpflichtungen insoweit in Rede stehen. Zwischen entsprechenden Obliegenheiten des IStGH einerseits sowie seiner Vertragsstaaten andererseits wurde gerade nicht mehr unterschieden.12 Lee, The ICC, Elements of Crimes and Rules of Procedure and Evidence, S. 667 – 668. Lee, The ICC, Elements of Crimes and Rules of Procedure and Evidence, S. 667. 12 Lee, The ICC, Elements of Crimes and Rules of Procedure and Evidence, S. 668; Maikowski, Staatliche Kooperationspflichten gegenüber dem IStGH, S. 209 ff. 10 11

I. Die amerikanische Politik

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Nach zähen Verhandlungen in der UN-Vorbereitungskommission wurde daraufhin schließlich folgende Verfahrensregel 195 Abs. 2 angenommen: The Court may not proceed with a request for the surrender of a person without the consent of a sending State if, under article 98, paragraph 2, such a request would be inconsistent with obligations under an international agreement pursuant to which the consent of a sending State is required prior to the surrender of a person of that State to the Court.13

Bei oberflächlicher Betrachtung scheint die Regelung Artikel 98 Abs. 2 des Rom-Statuts zu entsprechen. Bei genauerem Hinsehen fällt jedoch auf, dass unklar bleibt, um wessen völkervertragliche Verpflichtungen es sich handelt. Anders als Artikel 98 Abs. 2, der von den völkervertraglichen Verpflichtungen der Vertragsstaaten spricht, schließt die Verfahrensregel 195 Abs. 2 ihrem Wortlaut nach auch entsprechende Verpflichtungen des Strafgerichtshofs selbst keineswegs aus. Sie stünde daher dem von den USA geforderten Abkommen zur Einschränkung der Gerichtsbarkeit des IStGH über Staatsangehörige aus Drittstaaten jedenfalls nicht entgegen und ist mithin im Gegensatz zu den Bestimmungen des Rom-Statuts unklar und mehrdeutig. Zwar wurde gleichzeitig mit der Verfahrensregel 195 Abs. 2 folgende Auslegungsvorschrift verabschiedet: It is generally understood that Rule (195, sub-rule 2) should not be interpreted as requiring or in any way calling for the negotiation of provisions in any particular international agreement by the Court or by any other international organisation or State.14

Hierdurch sollte die Doppeldeutigkeit der angenommenen Verfahrensregel abgeschwächt und betont werden, dass keine Verpflichtung des IStGH besteht, ein Abkommen abzuschließen, in dem seine Strafgerichtsbarkeit über Staatsangehörige aus Nichtvertragsstaaten beschränkt wird. Andererseits verbietet die Auslegungsregel jedoch eine entsprechende Übereinkunft auch nicht. Zwar verwiesen die Vertragsstaaten auf Artikel 51 Abs. 5 des Rom-Statuts, der ausdrücklich bestimmt, dass im Fall eines Widerspruchs zwischen dem Statut und der Verfahrens- und Beweisordnung das Statut Vorrang genießt. Dennoch wurde der gefundene Kompromiss von den Vereinigten Staaten als Verhandlungserfolg gewertet.15 Die Vertragsstaaten waren sich zwar einig, dass dieser Kompromiss in keiner Weise eine Verpflichtung des IStGH zur vertraglichen Selbstbeschränkung seiner Gerichtsbarkeit begründen sollte.16 Eine solche stünde mit dem gemäß Artikel 51 Abs. 5 vorrangigen Jurisdiktionsregime des Rom-Statuts auch nicht in Einklang. Dennoch verabschiedete man die geschilderte mehrdeutige Verfahrensregel, um 13 Abgedruckt bei Lee, The ICC, Elements of Crimes and Rules of Procedure and Evidence, S. 836, Hervorhebung durch die Verfasserin. 14 Lee, The ICC, Elements of Crimes and Rules of Procedure and Evidence, S. 669. 15 Maikowski, Staatliche Kooperationspflichten gegenüber dem IStGH, S. 211. 16 Lee, The ICC, Elements of Crimes and Rules of Procedure and Evidence, S. 669.

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H. Aktuelle politische Entwicklungen

der amerikanischen Delegation entgegenzukommen und die USA als potentiellen Vertragsstaat nicht zu verlieren.

II. Die Nichtbeitrittserklärung der USA Trotz dieser Versuche einer Annäherung zwischen den Vertragsstaaten und den USA kam es jedoch mit dem Regierungswechsel und der Wahl von Präsident Bush zu einem einschneidenden Kurswechsel in der amerikanischen Außenpolitik. Unter der Regierung Bush wurde die konstruktive Zusammenarbeit mit dem Strafgerichtshof relativ schnell beendet und man begann, aktiv gegen den IStGH vorzugehen. Mit Beginn der neuen Legislaturperiode zogen sich zunächst die meisten amerikanischen Delegierten aus den Verhandlungen mit dem IStGH zurück und beendeten im Wesentlichen ihre Mitarbeit.17 Im Jahr 2001 wurden nur noch vereinzelt amerikanische Experten in die UN-Vorbereitungskommission entsandt, auch amerikanische Diskussionsvorschläge wurden kaum mehr eingebracht.18 Am 6. Mai 2002 wurde die UNO von der US-Regierung offiziell darüber in Kenntnis gesetzt, dass die Vereinigten Staaten nicht beabsichtigten, dem RomStatut beizutreten.19 Diese Mitteilung beendete die mit der Unterzeichnung des Statuts durch Präsident Clinton zunächst begründete völkerrechtliche Verpflichtung der USA, das Rom-Statut nicht zu boykottieren. Gemäß Artikel 18 WVK darf ein Staat Ziel und Zweck eines von ihm unterzeichneten völkerrechtlichen Vertrages so lange nicht vereiteln, bis er seine Absicht, nicht Vertragspartei zu werden, klar zu erkennen gegeben hat. Die offizielle Ankündigung der USA, das Statut nicht zu ratifizieren, machte daher den Weg frei für aktive Maßnahmen gegen den IStGH, ohne zugleich gegen das in Artikel 18 WVK niedergelegte Verbot des venire contra factum proprium zu verstoßen.

III. Die UN-Sicherheitsratsresolutionen 1422 und 1487 Die amerikanische Anti-Gerichtshofpolitik erreichte einen neuen Höhepunkt, als die USA am 1. Juli 2002 im Sicherheitsrat als einziger Staat gegen eine Verlängerung des UN-Mandats für die Nato-Truppen in Bosnien und Herzegowina stimmten und hierdurch zunächst eine Fortführung der Friedensmission verhinBroomhall, Cornerstone or Stumbling Block? The United States and the ICC, S. 178. Scheffer, Staying in Course with the ICC, S. 62 – 63, der insoweit erhebliche Kritik an der Regierung Bush übt; vgl. auch Dicker, Issues Facing the ICC’s Preparatory Commission, S. 474. 19 International Criminal Court: Letter to UN Secretary Kofi Annan (May 6 2002), http: // www.state.gov / r / pa / prs / ps / 2002 / 9968.htm. 17 18

III. Die UN-Sicherheitsratsresolutionen 1422 und 1487

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derten.20 Gleichzeitig kündigten sie an, ohne die Garantie einer dauerhaften Immunität für US-Soldaten vor dem IStGH auch künftige UN-Einsätze mit ihrem Vetorecht im Sicherheitsrat zu blockieren.21 Dieses Verhalten übte zweifellos erheblichen Druck auf die Weltgemeinschaft aus. Um den Fortbestand der UN-Friedensmission in Bosnien-Herzegowina nicht zu gefährden und künftige Friedenseinsätze zu sichern, verabschiedete der Sicherheitsrat daraufhin am 12. Juli 2002 gegen den Willen zahlreicher Staaten und internationaler Organisationen die Resolution Nr. 1422.22 Dort heißt es: The Security Council, 1. Requests, consistent with the provisions of Article 16 of the Rome Statute, that the ICC, if a case arises involving current or former officials or personnel from a contributing state not a Party to the Rome Statute over acts or omissions relating to a United Nations established or authorized operation, shall for a twelve-month period starting 1 July 2002 not commence or proceed with investigation or prosecution of any such case, unless the Security Council decides otherwise; 2. Expresses the intention to renew the request in paragraph 1 under the same conditions each 1 July for further 12-month periods for as long as may be necessary . . . 23

Die Resolution befreit damit die an einer UN-Mission Beteiligten für ein Jahr von der Gerichtsbarkeit des IStGH, soweit ihr Heimatstaat dem Rom-Statut nicht beigetreten ist. Sie gewährt den betroffenen Staatsangehörigen de facto Immunität für die während einer solchen UN-Operation von ihnen begangenen Völkerrechtsverbrechen. Als Rechtsgrundlage wurde insoweit auf Artikel 16 des Rom-Statuts verwiesen. Dieser sieht einen Aufschub der Ermittlungen oder Strafverfolgung durch den IStGH für zwölf Monate vor, wenn der Sicherheitsrat in einer nach Kapitel VII der UN-Charta angenommenen Resolution ein entsprechendes Ersuchen an den Gerichtshof stellt. Am 12. Juni 2003 kam es im Sicherheitsrat zu einer Verlängerung der Resolution 1422 um ein weiteres Jahr durch die Verabschiedung der Resolution 1487.24 Diese wurde mit zwölf Stimmen angenommen, Deutschland, Frankreich und Syrien enthielten sich der Stimme.25 Damit wurde dem an UN-Einsätzen teilneh20 Schwartz, The United States and the ICC: The Case for „Dexterous Multilateralism“, S. 234; Zappalá, The Reaction of the US to the Entry into Force of the ICC Statute, S. 117. 21 Schwartz, The United States and the ICC: The Case for „Dexterous Multilateralism“, S. 235; USA halten an Immunität fest, taz vom 24. 5. 2004, http: / / www.taz.de / pt / 2004 / 05 / 24 / a0142.nf / text; Weiterhin Straffreiheit für US-Soldaten? http: / / www.uni-kassel.de / fb10 / frieden / themen / ICC / un-sr-res-1487.html. 22 UN-Sicherheitsratsresolution 1422 (2002) vom 12. 7. 2002, UN-Doc. S / Res / 1422 (2002); hierzu auch El Zeidy, The United States Dropped the Atomic Bomb of Article 16 of the ICC Statute, S. 1528 – 1529; Tan, The Proliferation of Bilateral Non-Surrender Agreements, S. 1147. 23 SR-Res. 1422, U.N. Doc. S / RES / 1422 (2002). 24 SR-Res. 1487, U.N. Doc. S / Res / 1487 (2003).

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H. Aktuelle politische Entwicklungen

menden militärischen Personal aus Nichtvertragsstaaten für ein weiteres Jahr Immunität von der Strafverfolgung durch den internationalen Strafgerichtshof gewährt. Fraglich ist, ob die Sicherheitsratsresolutionen 1422 und 1487 tatsächlich auf Artikel 16 des Rom-Statuts gestützt werden konnten. Artikel 16 fordert hierfür ein Handeln nach Kapitel VII UN-Charta. Die dort enthaltenen Artikel 39 ff. UN-Charta setzen für eine solche Resolution des Sicherheitsrates jedoch nach einhelliger Ansicht eine konkrete Bedrohung oder einen Bruch des Weltfriedens beziehungsweise eine Angriffshandlung im Einzelfall voraus. Maßnahmen nach Kapitel VII UN-Charta müssen sich daher auf eine konkrete Situation beziehen. Ein pauschal-präventives Vorgehen oder eine Feststellung im Voraus ohne speziellen Anlass kommt für ein Handeln nach Kapitel VII der UN-Charta und damit auch für eine Resolution gestützt auf Artikel 16 des Rom-Statuts nicht in Betracht.26 Es muss daher im Einzelfall eine Friedensbedrohung beziehungsweise ein Friedensbruch festgestellt werden. Eine konkrete Gefährdung des Weltfriedens lag jedoch vorliegend der Verabschiedung der Resolution 1422 nicht zugrunde. Vereinzelt wird zwar argumentiert, dass die Ankündigung der USA, künftig jede UN-Friedensmission zu blockieren, als entsprechende Gefährdung des Weltfriedens im Sinne von Artikel 39 UNCharta einzustufen gewesen sei. Denn bereits hierdurch sei der Sicherheitsrat faktisch gehindert worden, künftig seiner Hauptverantwortung für Weltfrieden und internationale Sicherheit gerecht zu werden. Eine derartige Handlungsunfähigkeit des Sicherheitsrates hätte dann letztlich zu einer konkreten Friedensbedrohung führen können.27 Die pauschale amerikanische Androhung einer Blockade künftiger UN-Friedenseinsätze kann jedoch letztlich nicht als hinreichend konkrete Friedensgefährdung angesehen werden.28 Darüberhinaus fehlte es bei Verabschiedung der Resolutionen 1422 und 1487 aber auch an der nach Kapitel VII UN-Charta erforderlichen ausdrücklichen Feststellung einer solchen Gefährdung im Einzelfall, so dass das Vorgehen des Sicherheitsrates nach hier vertretener Auffassung auch aus diesem Grund formell nicht mit den Artikeln 39 ff. UN-Charta in Einklang steht.29 25 USA halten an Immunität fest, taz vom 24. 5. 2004, http: // www.taz.de / pt / 2004 / 05 / 24 / a0142.nf / text; Streit um Immunität für US-Truppen, NZZ Online vom 21. 5. 2004, http: // www.nzz.ch / 2004 / 05 / 21 / al / page-newzzDUIFN7W8 – 12.html, S. 1. 26 Arnold, Der UNO-Sicherheitsrat und die strafrechtliche Verfolgung von Individuen; Dugard, Obstacles in the Way of an ICC, S. 341; Zappalá, The Reaction of the US to the Entry into Force of the ICC Statute, S. 118. 27 Zappalá, The Reaction of the US to the Entry into Force of the ICC Statute, S. 119 – 120. 28 Scheffer, Advancing U.S. Interests with the ICC, S. 264. 29 So auch Zimmermann, Acting under Chapter VII, S. 262 ff., S. 273.

III. Die UN-Sicherheitsratsresolutionen 1422 und 1487

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Daneben ist fraglich, ob die Resolution 1422 inhaltlich auf Artikel 16 des RomStatuts gestützt werden konnte. Nach dem Rom-Statut erfordern Ermittlungen oder Strafverfolgungsmaßnahmen durch den Strafgerichtshof nämlich eine konkrete Situation, in der der IStGH tätig wird. Dementsprechend muss sich nach einhelliger Auffassung auch der Aufschub von Ermittlungen und Maßnahmen auf eine bestimmte Situation beziehen. Sinn und Zweck von Artikel 16 war es gerade nicht, eine generelle Zurückstellung von Ermittlungen und eine Ausschaltung des IStGH für eine unbestimmte Anzahl künftiger Fälle zu ermöglichen. Ein Aufschub sollte vielmehr nur ausnahmsweise und im konkreten Einzelfall erfolgen, etwa um laufende Friedensverhandlungen nicht zu gefährden.30 Der in der Resolution 1422 angestrebte pauschale Ausschluss des IStGH für 12 Monate im Hinblick auf mögliche künftige Ereignisse sowie die vorgesehene generelle Verlängerungsmöglichkeit für weitere zwölf Monate stehen hiermit jedoch gerade nicht in Einklang. Eine pauschale Verlängerung entsprechender Sicherheitsratsresolutionen für die Zukunft und ohne konkreten Anlaß kommt weder nach Kapitel VII der UN-Charta noch nach Artikel 16 in Betracht. Sowohl die Verabschiedung der Resolution 1422 als auch ihre 2003 erfolgte Verlängerung durch die Resolution 1487 können demgemäß nach überwiegender Auffassung nicht auf Artikel 16 des Rom-Statuts gestützt werden.31 Ein allgemeiner Ausschluss der Gerichtsbarkeit des IStGH ist im Rom-Statut gerade nicht vorgesehen und stellt damit letztlich eine Vertragsänderung dar, die nach Artikel 40 WVK zulässigerweise nur von den Vertragsstaaten beschlossen werden könnte. Der Sicherheitsrat ist nicht befugt, die justiziellen Aufgaben des Gerichtshofs derartig einzuschränken.32 Schließlich haben die USA auch in weiteren UN-Resolutionen versucht, Immunitätsregelungen durchzusetzen, um ein Verfahren gegen amerikanische Staatsangehörige vor dem IStGH zu verhindern. Zu erwähnen ist hier etwa die Sicherheitsratsresolution 1497 zur Entsendung einer multinationalen Truppe nach Liberia, um dort für Stabilisierung und Frieden zu sorgen.33 Nach dieser Resolution haben die am Friedenseinsatz teilnehmenden Staaten die ausschließliche Gerichtsbarkeit über während des Truppeneinsatzes begangene Völkerrechtsverbrechen. Eine Überstellung an den IStGH ist ausgeschlossen. Auch diese Resolution wurde vom Sicherheitsrat mit 12 zu 0 Stimmen verabschiedet, 30 Weiterhin Straffreiheit für US-Soldaten? http: // www.uni-kassel.de / fb10 / frieden / themen / ICC / un-sr-res-1487.html, S. 2; Zappalá, The Reaction of the US to the Entry into Force of the ICC Statute, S. 119 – 120. 31 Zimmermann, Acting under Chapter VII, S. 270; El Zeidy, The United States Dropped the Atomic Bomb of Article 16 of the ICC Statute, S. 1528 – 1529; Zappalá, The Reaction of the US to the Entry into Force of the ICC Statute, S. 120. 32 El Zeidy, The United States Dropped the Atomic Bomb of Article 16 of the ICC Statute, S. 1530. 33 S.C. Res. 1497, U.N. Doc. S / Res / 1497 (2003).

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wobei sich die Sicherheitsratsmitglieder Deutschland, Frankreich und Mexiko erneut der Stimme enthielten.34

IV. Der Abschluss von Nichtauslieferungsabkommen Neben dem Versuch, den IStGH mit Hilfe des eigenen Vetorechts im Sicherheitsrat zu schwächen und so eine weitreichende Immunität für amerikanische Staatsangehörige zu erreichen, hat sich die amerikanische Außenpolitik weiterhin darum bemüht, auch auf bilateraler Ebene einen möglichst umfassenden Schutz ihrer Bürger vor dem IStGH zu erreichen. So startete man eine weltweite Kampagne, um mit möglichst vielen Staaten Nichtauslieferungsabkommen zu schließen.35 Hierfür übten die USA erheblichen wirtschaftlichen, politischen und finanziellen Druck auf andere Staaten aus. Für den Fall der Weigerung wurden insbesondere Kürzungen der Militär- und Entwicklungshilfe sowie wirtschaftliche Sanktionen in Aussicht gestellt. Insbesondere zahlreiche kleinere und von den Vereinigten Staaten finanziell abhängige Staaten sahen sich diesem Druck nicht gewachsen und schlossen demgemäß entsprechende Nichtauslieferungsabkommen. Im Mai 2005 haben nach den insoweit vorliegenden Informationen insgesamt 91 Staaten entsprechende Abkommen mit den USA unterzeichnet, darunter auch 41 Vertragsstaaten des Rom-Statuts.36 Diese Entwicklung birgt zweifellos die Gefahr einer erheblichen Schwächung des Gerichtshofs. Zu beachten ist jedoch, dass bisher nur 20 dieser Abkommen tatsächlich ratifiziert wurden. Bei elf weiteren Vereinbarungen handelt es sich um Verwaltungsvereinbarungen, die keiner Ratifikation bedürfen. Auch haben 45 Staaten einen Abschluss entsprechender Nichtauslieferungsverträge öffentlich abgelehnt, die amerikanische Regierung hat daraufhin mindestens 21 Vertragsstaaten ihre finanzielle Unterstützung entzogen.37

1. Inhalt der Nichtauslieferungsabkommen Kern der von den USA initiierten zwischenstaatlichen Übereinkommen ist die Verpflichtung, amerikanische Staatsangehörige nicht ohne ausdrückliche Zustimmung der USA an ein internationales Gericht auszuliefern, sondern an den Heimat34 US Arm-Twisting Leads to Violations of National and International Law, NGO’s Say, Bericht der Coalition for the ICC, 1. 8. 2003, www.globalpolicy.org / ngos / governance / icc / 0804liberia.htm. 35 Tan, The Proliferation of Bilateral Non-Surrender Agreements, S. 1122. 36 Coaltion of the ICC, Status of US Bilateral Immunity Agreements (BIAs), http: // www iccnow.org / documents / otherissues / impunityart98 / BIAsByRegion_current.pdf. 37 Coaltion of the ICC, Status of US Bilateral Immunity Agreements (BIAs), http: // www. iccnow.org / documents / otherissues / impunityart98 / BIAsByRegion_current.pd.

IV. Der Abschluss von Nichtauslieferungsabkommen

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staat zu überstellen. Auch die Auslieferung an einen dritten Staat ist unzulässig, soweit hierdurch im weiteren Verlauf eine Überstellung an ein internationales Gericht wie den IStGH droht. Die Auslieferung ist nur erlaubt, soweit es sich um ein vom UN-Sicherheitsrat errichtetes Tribunal handelt.38 In den mit anderen Nichtvertragsstaaten abgeschlossenen Nichtauslieferungsverträgen wird diese Verpflichtung als wechselseitige begründet, das heißt auch die USA haben sich verpflichtet, Staatsangehörige des Vertragspartners nicht dem IStGH zu überstellen. Hervorzuheben ist weiterhin, dass sich die von den USA initiierten Nichtauslieferungsabkommen anders als die angesprochenen Truppenstatute (SOFAs) nicht etwa nur auf Truppenangehörige oder Personal eines militärischen Einsatzes, sondern vielmehr auf alle Staatsangehörigen beziehen, gleichgültig, ob diese sich zu offiziellen oder privaten Zwecken im Vertragsstaat aufhalten.39 Nach dem von den USA entworfenen Standardtext umfassen die angestrebten Nichtauslieferungsabkommen ganz allgemein: „. . . current or former Government officials, employees (including contractors), or military personnel or nationals of one Party.“40

Weiterhin verbieten die von den Vereinigten Staaten abgeschlossenen Nichtauslieferungsabkommen zwar eine Überstellung an den IStGH, sehen ihrerseits jedoch keine Strafverfolgungspflicht der USA oder des jeweiligen Heimatstaates vor. Im Hinblick auf strafrechtliche Maßnahmen gegen die betroffenen Staatsangehörigen bestimmmt das Musterabkommen lediglich: „. . . the Government of the United States of America has expressed its intention to investigate and to prosecute where appropriate acts within the jurisdiction of the International Criminal Court alleged to have been committed by its officials, employees, military personnel, or other nationals . . .“41

Die Durchführung von Strafverfolgungsmaßnahmen verbleibt hiernach also im Ermessen der USA, Ermittlungen werden nur dann eingeleitet, soweit dies angemessen erscheint.

38 Tan, The Proliferation of Bilateral Non-Surrender Agreements, S. 1123, der den genauen Wortlaut des insoweit typischen Nichtauslieferungsabkommens zwischen den USA und den Philippinen zitiert und erläutert. 39 Tan, The Proliferation of Bilateral Non-Surrender Agreements, S. 1123; Bardnidge, The ASPA and Article 98 Agreements, S. 746; Scheffer, Article 98(2) of the Rome Statute: America’s Original Intent, S. 345. 40 Propsed Text of Article 98 Agreements with the United States, July 2002, http: // www. derechos.org / nizkor / icc / usart98.html. 41 Propsed Text of Article 98 Agreements with the United States, July 2002, http: // www. derechos.org / nizkor / icc / usart98.html.

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2. Artikel 98 Abs. 2 IStGH-Statut als Rechtsgrundlage Insbesondere für die Vertragsstaaten des Rom-Statuts erscheint der Abschluss solcher Nichtauslieferungsabkommen äußerst problematisch. Artikel 86 des Rom-Statuts begründet eine allgemeine Verpflichtung der Vertragsstaaten zur uneingeschränkten Zusammenarbeit mit dem Gerichtshof. Nach Artikel 89 Abs. 1 sind die Vertragsstaaten insbesondere verpflichtet, einem Überstellungsersuchen des Strafgerichtshofs Folge zu leisten. Demgegenüber darf der IStGH nach Artikel 98 Abs. 2 kein Auslieferungsersuchen an einen Vertragsstaat stellen, wenn der ersuchte Staat hierdurch gegen seine Verpflichtungen aus völkerrechtlichen Übereinkünften verstoßen würde. Soweit die Überstellung eines fremden Staatsangehörigen also aufgrund eines zwischenstaatlichen Abkommens der Zustimmung des Entsendestaates bedarf, gilt für den Vertragsstaat eine Ausnahme von der Überstellungspflicht des Artikels 89 Abs. 1. Der Strafgerichtshof kann hier vom Vertragsstaat eine Überstellung nur fordern, sofern er zuvor die Zusammenarbeit des Entsendestaates im Hinblick auf dessen Zustimmung zur Auslieferung seines Staatsangehörigen erreichen konnte. Nach Auffassung der amerikanischen Regierung werden die von ihr initiierten bilateralen Nichtauslieferungsabkommen von Artikel 98 Abs. 2 des Rom-Statuts erfasst. Auch den Vertragsstaaten sei es daher möglich, die gewünschten bilateralen Vereinbarungen mit den USA zu schließen, ohne gegen die Verpflichtungen aus dem Rom-Staut zu verstoßen.42 Es ist daher zunächst der Anwendungsbereich des Artikels 98 Abs. 2 zu untersuchen. a) Zeitlicher Anwendungsbereich Problematisch ist insoweit zunächst der zeitliche Anwendungsbereich der Vorschrift. Zum einen ist fraglich, inwieweit Staaten, die das Statut zwar unterzeichnet, aber noch nicht ratifiziert haben, derartige Nichtauslieferungsabkommen abschließen können. Dieselbe Frage stellt sich aber gerade auch im Hinblick auf die Vertragsstaaten. Staaten, die das Statut lediglich unterzeichnet haben, sind nach allgemeinen völkerrechtlichen Grundsätzen gerade noch nicht verpflichtet, die Bestimmungen des Statuts einzuhalten. Andererseits ist nach Artikel 18 WVK jeder Unterzeichnerstaat verpflichtet, sich aller Handlungen zu enthalten, die Ziel und Zweck des Vertrages vereiteln würden. Etwas anderers gilt erst, nachdem der Signatarstaat seine Absicht zum Ausdruck gebracht hat, doch nicht Vertragspartei zu werden. Staaten, die das Rom-Statut zwar unterzeichnet, aber noch nicht ratifiziert haben, dürfen daher jedenfalls keine Verpflichtungen eingehen, die dem Statut völlig zuwiderlaufen. 42 Wedgwood, The ICC: An American View, S. 103; John Bolton, American Justice and the ICC (3 November 2003), S. 1 ff., http: // www.amicc.org / docs / Bolton11_3_03.pdf.

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Artikel 98 Abs. 2 äußert sich nicht ausdrücklich zu der Frage, ob die Staaten derartige Nichtauslieferungsabkommen auch noch nach Unterzeichnung oder gar Ratifizierung des Rom-Statuts abschließen können. Nach einer Ansicht sollte Artikel 98 Abs. 2 nur die bei Ratifizierung des RomStatuts schon bestehenden völkerrechtlichen Nichtauslieferungsabkommen zwischen Vertragsstaaten und Nichtvertragsstaaten erfassen.43 Nach Sinn und Zweck der Vorschrift habe man lediglich verhindern wollen, dass die Vertragsstaaten durch den Beitritt zum Statut in Konflikt mit bereits eingegangenen völkerrechtlichen Verpflichtungen geraten. Erst nach der Ratifizierung des Statuts abgeschlossene Nichtauslieferungsbakommen seien demgegenüber von Artikel 98 Abs. 2 gerade nicht gedeckt. Vielmehr widerspreche es dem Inhalt und Ziel des Rom-Statuts, wenn die Vertragsstaaten auch nach ihrem Beitritt zum Statut noch entgegengesetzte Verträge mit Drittstaaten abschließen könnten, in denen eine Überstellung an den IStGH ausgeschlossen und somit eine faktische Immunität der betroffenen Staatsangehörigen herbeigeführt wird. Artikel 98 Abs. 2 erfasse daher ausschließlich bereits geltende, nicht aber entsprechende künftige Vereinbarungen. Der nachträgliche Abschluss derartiger Abkommen führe zu einer Aushöhlung und Umgehung des Statuts und sei daher unzulässig.44 Nach andererer Auffassung sollen demgegenüber auch später abgeschlossene Nichtauslieferungsverträge den IStGH daran hindern, die Überstellung der betroffenen Individuen zu fordern. Eine zeitliche Beschränkung auf bereits geltende Nichtauslieferungsbakommen komme nach dem Wortlaut von Artikel 98 Abs. 2 nicht in Betracht. Vielmehr würden auch künftige Nichtauslieferungsabkommen von dieser Vorschrift erfasst. Demgemäß verletzten weder Signatar- noch Vertragsstaaten durch den Abschluss von nachträglichen Nichtauslieferungsabkommen ihre völkerrechtlichen Pflichten. Diese Ansicht wird naturgemäß insbesondere von der um den Abschluss entsprechender Vereinbarungen bemühten US-Regierung vertreten.45 Gegen die Zulässigkeit eines späteren Abschlusses von Nichtauslieferungsverträgen spricht zweifellos die Tatsache, dass diese faktisch gerade dazu dienen, eine Überstellung an den IStGH zu verhindern. Der Sinn und Zweck des Rom-Statuts erscheint hierdurch in der Tat gefährdet. 43 So Prost / Schlunck, in: Triffterer, Artikel 98, Rn. 6; Kaul / Kreß, Jurisdiction and Cooperation in the Statute of the International Criminal Court: Principles and Compromises, S. 165. 44 So auch European Parliament Resolution on the ICC (September 12, 2002), Doc. PE 323.025, http: // www.amicc.org / docs / EPres9_26_02.pdf; ähnlich Kaul / Kreß, Jurisdiction and Cooperation in the Statute of the ICC, S. 165, die sich gegen die Möglichkeit eines nachträglichen Abschlusses von SOFAs aussprechen. 45 Lincoln P. Bloomfield Jr., The U.S. Government and the ICC (September 12, 2003), http: // www.amicc.org / docs / Bloomfield9_03.pdf, S. 3; John Bolton, American Justice and the ICC (3 November 2003), S. 1 ff., http: // www.amicc.org / docs / Bolton11_3_03.pdf; Wedgwood, The ICC: An American View, S. 103.

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Andererseits zeigt jedoch ein Blick auf die Entstehungsgeschichte des Statuts, dass gerade Staaten wie die USA schon im Rahmen der Vertragsverhandlungen zum Rom-Statut auch künftigen zwischenstaatlichen Nichtauslieferungsabkommen Vorrang vor einem Überstellungsersuchen des IStGH einräumen wollten. Demgegenüber bemühten sich zahlreiche andere Staaten und Nichtregierungsorganisationen darum, den Anwendungsbereich von Artikel 98 Abs. 2 auf die bei Unterzeichnung oder Ratifizierung des Rom-Statuts bereits in Kraft getretenen Nichtauslieferungsabkommen zu begrenzen. Trotz dieser Diskussionen erfolgte in Artikel 98 Abs. 2 aber keine ausdrückliche zeitliche Beschränkung auf die bei Unterzeichnung oder Ratifizierung schon geltenden Abkommen. Vor diesem Hintergrund spricht der allgemein gehaltene Wortlaut der Vorschrift somit eher dafür, dass die Gründerstaaten Artikel 98 Abs. 2 nicht nur auf die bei Signatur oder Vertragsbeitritt bereits existenten völkerrechtlichen Übereinkommen beschränken, sondern vielmehr auch später abgeschlossene Verträge von Artikel 98 Abs. 2 erfasst sehen wollten.46 Andernfalls hätte man eine derartige Einschränkung wohl ausdrücklich festgehalten. b) Inhaltlicher Anwendungsbereich Äußerst umstritten ist weiterhin, welche völkerrechtlichen Übereinkünfte inhaltlich von Artikel 98 Abs. 2 erfasst werden. Nach einer Auffassung sollen unter Artikel 98 Abs. 2 lediglich so genannte Truppenstatute oder Status of Forces Agreements (SOFAs) fallen.47 So habe man bei der Verabschiedung von Artikel 98 Abs. 2 ausschließlich den weit verbreiteten völkerrechtlichen Vereinbarungen, nach denen Truppenangehörige des Entsendestaates im Empfangsstaat Immunität genießen und nicht ohne dessen Zustimmung ausgeliefert werden können, Rechnung tragen wollen, um die Vertragsstaaten insoweit vor rechtlichen Konflikten zu bewahren. Sonstige Staatsangehörige sollten demgegenüber von Artikel 98 Abs. 2 nicht erfasst werden.48 Die amerikanische Regierung steht demgegenüber auf dem Standpunkt, dass Artikel 98 Abs. 2 keinesfalls nur Truppenstatute, sondern auch alle sonstigen Nichtauslieferungsabkommen erfasst. Hierfür wird angeführt, dass Artikel 98 Abs. 2 gerade nicht nur von SOFAs, sondern allgemein von völkerrechtlichen Übereinkünften spricht. Diese könnten sich aber auf alle Staatsangehörigen, das heißt auf Amtsträger wie Privatpersonen, beziehen. Demgemäß verstießen auch Vertrags46 Zappalá, The Reaction of the US to the Entry into Force of the ICC Statute, S. 123; Crawford et al., In the Matter of the Statute of the ICC and in the Matter of Bilateral Agreements Sought by the U.S. Under Article 98 (2) of the Statute, S. 18; Maikowski, Staatliche Kooperationspflichten gegenüber dem IStGH, S. 206. 47 Prost / Schlunck, in: Triffterer, Artikel 98, Rn. 6. 48 Tan, The Proliferation of Bilateral Non-Surrender Agreements, S. 1136; Prost / Schlunck, in: Triffterer, Artikel 98, Rn. 6; wohl auch Maikowski, Staatliche Kooperationspflichten gegenüber dem IStGH, S. 205 ff.

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staaten des Rom-Statuts durch den Abschluss eines Nichtauslieferungsabkommens mit den USA nicht gegen ihre völkervertraglichen Verpflichtungen gegenüber dem Strafgerichtshof.49 Der Wortlaut von Artikel 98 Abs. 2 ist auch im Hinblick auf den inhaltlichen Geltungsumfang der Vorschrift nicht eindeutig. Es ist insoweit lediglich von völkerrechtlichen Übereinkünften zwischen ersuchtem Staat und Entsendestaat die Rede. Nach zutreffender Auffassung erlaubt Artikel 98 Abs. 2 den Vertragsstaaten jedoch keinesfalls, inhaltlich unbegrenzt Nichtauslieferungsabkommen abzuschließen. Ein derartiges Vorgehen widerspräche tatsächlich dem Sinn und Zweck der Errichtung des IStGH und stünde demgemäß nicht in Einklang mit dem RomStatut.50 Erklärtes Ziel des Rom-Statuts ist nach seiner Präambel, „. . . dass die schwersten Verbrechen, welche die internationale Gemeinschaft als Ganzes berühren, nicht ungestraft bleiben dürfen . . .“. Nach geltendem Völkergewohnheitsrecht ist jeder Staat verpflichtet, sich aller Handlungen zu enthalten, die Ziel und Zweck eines von ihm abgeschlossenen Vertrages vereiteln und untergraben.51 Sinn und Zweck der Gründung des IStGH ist es gerade, eine umfassende Strafverfolgung für die in Artikel 5 des Statuts genannten Völkerrechtsverbrechen zu sichern. Aus diesem Grund sind die Vertragsstaaten gemäß Artikel 89 des Rom-Statuts verpflichtet, den Überstellungsersuchen des IStGH Folge zu leisten. Ein Vertragsstaat, der nach seinem Beitritt zum Rom-Statut beliebige Nichtauslieferungsabkommen mit dritten Staaten schließt, bricht seine durch das Rom-Statut begründeten völkervertraglichen Verpflichtungen.52 Er vereitelt die vom IStGH verfolgten Ziele und verstößt mithin gegen Treu und 49 U.S. Departement of Defense, Defense Departement Operational Update Briefing (June 26, 2002), http: // www.amicc.rg / docs / Rumsfeld6_26_02.pdf; Press Briefing, Pierre-Richard Prosper, American Embassy London (September 24, 2002), http: // www.amicc.docs / Prosper9_20_02.pdf; Lincoln P. Bloomfield Jr., The U.S. Government and the ICC (September 12, 2003), http: // www.amicc.org / docs / Bloomfield9_03.pdf, S. 3; John Bolton, American Justice and the ICC, 3 November 2003, S. 2, http: // www.amicc.org / docs / Bolton11_3_ 03.pdf. 50 Dahm / Delbrück / Wolfrum, Völkerrecht, Band I / 3, S. 1159; Maikowski, Staatliche Kooperationspflichten gegenüber dem IStGH, S. 206; Tan, The Proliferation of Bilateral Non-Surrender Agreements, S. 1128 mit zahlreichen Nachweisen; Crawford et al., In the Matter of the Statute of the ICC and in the Matter of Bilateral Agreements Sought by the U.S. Under Article 98 (2) of the Statute, S. 20 ff. 51 So auch der IGH, Military and Paramilitary Activities in and against Nicaragua (Nicaragua v. United States of America), ICJ Reports 1986, S. 138, Abs. 275 – 276. 52 Tan, The Proliferation of Bilateral Non-Surrender Agreements, S. 1132; Zappalá, The Reaction of the US to the Entry into Force of the ICC Statute, S. 115 ff.; Bardnidge, The ASPA and Article 98 Agreements, S. 747; Crawford et al., In the Matter of the Statute of the ICC and in the Matter of Bilateral Agreements Sought by the U.S. Under Article 98 (2) of the Statute, S. 22 – 24.

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Glauben und den in Artikel 26 WVK niedergelegten Grundsatz pacta sunt servanda. Durch Artikel 98 Abs. 2 des Rom-Statuts sollte gerade keine allgemeine Öffnungsklausel zur Gewährung zwischenstaatlicher Immunität für jedermann geschaffen werden.53 Eine derartige Umgehung der Gerichtsbarkeit des IStGH würde zu einer Aushöhlung des Statuts führen. Der nachträgliche Abschluss uneingeschränkter Nichtauslieferungsabkommen mit Nichtvertragsstaaten stellt für die Vertragsstaaten des Rom-Statuts daher unzweifelhaft einen Verstoß gegen ihre vertraglich übernommenen Kooperationspflichten nach Artikel 86 ff. des Statuts dar.54 Damit ist jedoch noch nicht geklärt, welche Abkommen tatsächlich von Artikel 98 Abs. 2 erfasst werden. Der Wortlaut der Vorschrift spricht insoweit von Übereinkommen zwischen ersuchtem Staat und Entsendestaat. Dies spricht zunächst dafür, dass Artikel 98 Abs. 2 nicht nur die geschilderten Truppenstatute, sondern alle völkerrechtlichen Übereinkünfte erfasst, die sich auf Personen beziehen, die offiziell in das Territorium des ersuchten Staates entsandt wurden. Eine entsprechende Konstellation findet sich gerade nicht nur bei den genannten SOFAs, sondern insbesondere auch im Bereich konsularischer und diplomatischer Beziehungen.55 So ist auch in den Wiener Übereinkommen über diplomatische und konsularische Beziehungen vom Entsendestaat die Rede, der seine Angehörigen in offizieller Mission in den Empfangsstaat beordert.56 Dieser Ansatz entspricht auch der Auffassung des Rates der Europäischen Union zu Übereinkommen im Sinne von Artikel 98 Abs. 2. In den Leitlinien des Rates zum Abschluss von Nichtauslieferungsabkommen mit Nichtvertragsstaaten heißt es hierzu: „Any solution should cover only persons present on the territory of a requested State because they have been sent by a sending State, cf. Article 98, paragraph 2 of the Rome Statute.“57

Eine derartige Interpretation entspricht wohl am ehesten dem Wortlaut von Artikel 98 Abs. 2. Danach werden von den dort angesprochenen Nichtauslieferungsabkommen nur solche Personen erfasst, die sich in offizieller Mission im VertragsMaikowski, Staatliche Kooperationspflichten gegenüber dem IStGH, S. 206. Crawford et al., In the Matter of the Statute of the ICC and in the Matter of Bilateral Agreements Sought by the U.S. Under Article 98 (2) of the Statute, S. 20; Council of the European Union, Draft Council Conclusions on the International Criminal Court (September 30, 2002), Doc. 12488 / 1 / 02, http: // www.amicc.org / docs / EC9_30_02.pdf. 55 Tan, The Proliferation of Bilateral Non-Surrender Agreements, S. 1138 unter Verweis auf Artikel 3 WÜD; auch in Artikel 4 WÜK ist vom Entsendestaat die Rede; Zappalá, The Reaction of the US to the Entry into Force of the ICC Statute, S. 129. 56 Vgl. Artikel 3 des WÜD vom 18. 4. 1961, Sartorius II, Nr. 325; sowie Artikel 4 Abs. 2, 3 des Wiener Übereinkommens über konsularische Beziehungen (WÜK) vom 24. 4. 1963, Sartorius II, Nr. 326. 57 Council of the European Union, Draft Council Conclusions on the International Criminal Court (September 30, 2002), Doc. 12488 / 1 / 02, http: // www.amicc.org / docs / EC9_30_ 02.pdf. 53 54

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staat aufhalten, also entsandt wurden, nicht aber Privatpersonen wie Touristen oder Geschäftsleute.58 Obwohl zahlreiche Anhänger des IStGH lediglich eine Ausnahme für bereits geltende Truppenstatute (SOFAs) schaffen wollten und diese Position während der Vertragsverhandlungen hinreichend bekannt war, fand eine entsprechende inhaltliche Einschränkung gerade keinen Eingang in den Wortlaut von Artikel 98 Abs. 2. Vielmehr wurde die aus dem Bereich der diplomatischen und konsularischen Beziehungen geläufige Terminologie des Entsendestaates übernommen. Dies spricht dafür, dass die in Artikel 98 Abs. 2 angesprochenen Abkommen gerade auch sonstige offiziell entsandte Amtsträger eines Staates, nicht aber Privatpersonen umfassen sollten. Denn diese sind gerade nicht von ihrem Heimatstaat „entsandt“. Von besonderem Interesse ist insoweit, dass diese Interpretation auch der ursprünglichen noch unter der Regierung Clinton vertretenen offiziellen US-amerikanischen Verhandlungsposition entspricht.59 Auch die USA erstrebten zunächst eine Ausnahmeregelung ausschließlich für ihre Truppenangehörigen und sonstiges offiziell entsandtes Personal, nicht aber für Privatpersonen. Erst nach dem Regierungswechsel kam es unter der ausgesprochen gerichtshoffeindlichen Politik der Bush-Administration zu einer entsprechenden Interpretation und Ausdehung von Nichtauslieferungsabkommen auf alle amerikanischen Staatsangehörigen.60 Gerade der ehemalige Chef der amerikanischen Verhandlungsdelegation in Rom David Scheffer hat betont, dass das aktuelle Vorgehen der Regierung Bush insoweit weder mit den Vorstellungen der Vertragsgründer noch mit den Plänen der ClintonAdministration übereinstimmt. Während der Vertragsverhandlungen in Rom sollten von den Nichtauslieferungsabkommen nach Artikel 98 Abs. 2 auch aus Sicht der USA ausschließlich offiziell entsandte Staatsangehörige erfasst werden. Eine Ausnahme von der Strafgerichtsbarkeit des IStGH für amerikanische Privatpersonen, wie sie sich jetzt im amerikanischen Standardtext für Nichtauslieferungsabkommen findet, habe man nie angestrebt.61 Scheffer fordert insoweit ausdrück58 Zappalá, The Reaction of the US to the Entry into Force of the ICC Statute, S. 129; Crawford et al., In the Matter of the Statute of the ICC and in the Matter of Bilateral Agreements Sought by the U.S. Under Article 98 (2) of the Statute, S. 20; so im Ergebnis auch Maikowski, Staatliche Kooperationspflichten gegenüber dem IStGH, S. 206. 59 Scheffer, Article 98(2) of the Rome Statute: America’s Original Intent, S. 333 ff., 335. 60 John Bolton, American Justice and the ICC (3 November 2003), S. 1 ff., http: // www. amicc.org / docs / Bolton11_3_03.pdf; Lincoln P. Bloomfield Jr., The U.S. Government and the ICC (September 12, 2003), http: // www.amicc.org / docs / Bloomfield9_03.pdf, S. 4, der offensichtlich den Sinn und Zweck der Gründung des IStGH völlig aus den Augen verloren hat, wenn er die von der US-Regierung angestrebten Nichtauslieferungsabkommen für alle amerikanischen Staatsangehörigen, das heißt insbesondere auch für Privatpersonen, folgendermaßen begründet: „The United States is a nation of immigrants; we have familial ties to localities all over the world. Our national interests know no bounds: we have diplomatic representation almost everywhere, our private business and educational institutions are similarly represented far and wide.“ Hiernach sollen also offensichtlich selbst Völkerrechtsverbrecher nicht in ihrer Reisefreiheit behindert werden. 61 Scheffer, Article 98(2) of the Rome Statute: America’s Original Intent, S. 342.

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lich eine offizielle Erklärung der US-Regierung, die klarstellt, dass die bisher von den USA abgeschlossenen Nichtauslieferungsabkommen, die sich ihrem Wortlaut nach auf alle amerikanischen Staatsangehörigen („nationals“) beziehen, Privatpersonen nicht erfassen.62 Der Abschluss eines Nichtauslieferungsabkommens zwischen Vertragsstaaten des Rom-Statuts und Nichtvertragsstaaten ist weiterhin nach zutreffender Auffassung nur zulässig, soweit gleichzeitig eine Verpflichtung zur Durchführung nationaler Strafverfolgungsmaßnahmen gegen die betroffenen eigenen Staatsangehörigen begründet wird. Soweit ein Vertragsstaat sich gegenüber einem Nichtvertragsstaat dazu verpflichtet, dessen Staatsangehörige an ihn auszuliefern, muss eine nationale Strafverfolgung der Betroffenen gewährleistet sein.63 Erklärtes Ziel des Rom-Statuts ist es gerade, die Straflosigkeit von Völkerrechtsverbrechen zu verhindern. Der Abschluss der von der Bush-Regierung angestrebten Nichtauslieferungsabkommen ist daher für die Vertragsstaaten unzulässig, da diese keine entsprechende Verpflichtung zur einzelstaatlichen Strafverfolgung vorsehen, sondern eine solche lediglich in das Ermessen des Heimatstaates stellen. So weitgehende Nichtauslieferungsabkommen widersprechen zweifellos dem Sinn und Zweck des RomStatuts. Sie verstoßen nach zutreffender Auffassung daraüberhinaus auch gegen mittlerweile geltendes Völkergewohnheitsrecht. Zwar sind Nichtvertragstaaten wie die USA selbstverständlich nicht an die Bestimmungen des Rom-Statuts, insbesondere nicht an die dort begründeten Kooperations- und Auslieferungspflichten, gebunden. Dennoch besteht nach zunehmender Ansicht mittlerweile eine völkerrechtliche Verpflichtung aller Staaten zur Strafverfolgung der im Rom-Statut genannten schweren Völkerrechtsverbrechen wie Völkermord, Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit.64 Die zwischen den USA und anderen Staaten geschlossenen Nichtauslieferungsabkommen begründen ausschließlich die Verpflichtung zur Nichtüberstellung Einzelner an ein internationales Gericht, ohne zugleich eine Verpflichtung zur Durchführung einzelstaatlicher StrafverfolgungsmaßnahScheffer, Article 98(2) of the Rome Statute: America’s Original Intent, S. 352. Council of the European Union, Draft Council Conclusions on the International Criminal Court (September 30, 2002), 12488 / 1 / 02, http: // www.amicc.org / docs / EC9_30_02. pdf; Zappalá, The Reaction of the US to the Entry into Force of the ICC Statute, S. 129; Crawford et al., In the Matter of the Statute of the ICC and in the Matter of Bilateral Agreements Sought by the U.S. Under Article 98 (2) of the Statute, S. 21; Scheffer, Article 98(2) of the Rome Statute: America’s Original Intent, S. 353. 64 Zappalá, The Reaction of the US to the Entry into Force of the ICC Statute, S. 116 ff., 118, der darauf verweist, dass die völkerrechtliche Strafbarkeit internationaler Verbrechen konsequenterweise mit einer entsprechenden völkerrechtlichen Pflicht zur Strafverfolgung korrespondiert; Orentlicher, Settling Accounts, S. 2594 ff.; El Zeidy, The United States Dropped the Atomic Bomb of Article 16 of the ICC Statute, S. 1528 – 1529; gegen eine völkergewohnheitsrechtliche Verpflichtung der Staaten zur Strafverfolgung Doehring, Völkerrecht, Rn. 1149. 62 63

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men vorzusehen. Nationale Ermittlungen stehen nach dem Wortlaut der bisher bekannten Nichtauslieferungsabkommen im freien Ermessen und Belieben des Heimatstaates.65 Es wird zu Recht darauf verwiesen, dass dies im Ergebnis einer Nichtachtung der durch das Völkerrecht begründeten individuellen strafrechtlichen Verantwortlichkeit des Einzelnen gleichkommt und damit nicht nur den Bestimmungen des Rom-Statuts widerspricht, sondern zugleich auch gegen die völkerrechtliche Verpflichtung aller Staaten zur Verfolgung von Völkerrechtsverbrechen und den insoweit geltenden Grundsatz des aut dedere aut iudicare verstößt. Soweit in den fraglichen Abkommen also einerseits die Nichtauslieferung an den IStGH garantiert wird, andererseits aber die einzelstaatliche Strafverfolgung der betroffenen Staatsangehörigen in das freie Ermessen des Heimatstaates gestellt wird, kann dies faktisch zu Immunität und Straffreiheit für die Betroffenen führen. Mittlerweile exisitiert jedoch eine staatliche Verpflichtung zur Strafverfolgung schwerster Völkererchtsverbrechen, so dass die im amerikanischen Mustertext vorgesehene Strafverfolgung „where appropriate“ für Vertragsstaaten wie Nichtvertragsstaaten einen Verstoß gegen geltendes Völkerrecht darstellt.66 Diese Ansicht wird auch von führenden amerikanischen Experten geteilt, die betonen, dass es niemals Absicht der USA gewesen sei, eine derart umfassende Straffreiheit für alle amerikanischen Staatsangehörigen zu erlangen.67 Zu Recht bestimmen daher die Richtlinien des Rates der Europäischen Union zum Abschluss von Nichtauslieferungsabkommen gemäß Artikel 98 Abs. 2: „No impunity: any solution should include appropriate operative provisions ensuring that persons who have committed crimes falling within the jurisdiction of the Court do not enjoy impunity.“68

In Übereinstimmung mit den Empfehlungen des Rates der Europäischen Union an die EU-Mitgliedstaaten kommt der Abschluss eines Nichtauslieferungsabkommens mit Nichtvertragsstaaten gemäß Artikel 98 Abs. 2 Rom-Statut nur dann in Betracht, wenn ein entsprechendes Übereinkommen ausschließlich auf Amtsträger oder in offizieller Mission entsandte Staatsangehörige beschränkt ist. Weiterhin ist erforderlich, dass sich der jeweilige Nichtvertragsstaat zu einer ordnungsgemäßen Strafverfolgung der Betroffenen verpflichtet. Nur dann ist für die Vertragsstaaten des Statuts eine Nichtauslieferung an den IStGH beziehungsweise eine ÜberstelBardnidge, The ASPA and Article 98 Agreements, S. 746. Tan, The Proliferation of Bilateral Non-Surrender Agreements, S. 1133 ff., 1135; Bardnidge, The ASPA and Article 98 Agreements, S. 747; Zappalá, The Reaction of the US to the Entry into Force of the ICC Statute, S. 124; Crawford et al., In the Matter of the Statute of the ICC and In the Matter of Bilateral Agreements Sought by the U.S. Under Article 98 (2) of the Statute, S. 22 – 24. 67 Scheffer, Article 98(2) of the Rome Statute: America’s Original Intent, S. 352 – 353. 68 Council of the European Union, Draft Council Conclusions on the International Criminal Court (September 30, 2002), Doc. 12488 / 1 / 02, http: // www.amicc.org / docs / EC9_30_ 02.pdf. 65 66

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H. Aktuelle politische Entwicklungen

lung an den jeweiligen Heimatstaat möglich, ohne zugleich Sinn und Zweck des Rom-Statuts zu vereiteln und die insoweit eingegangenen völkervertraglichen Verpflichtungen zu verletzen. Dieselben Grundsätze gelten unter Berücksichtigung von Artikel 18 WVK für Unterzeichnerstaaten, die das Statut noch nicht ratifiziert haben. Unter den genannten Voraussetzungen können jedoch auch künftig entsprechende Nichtauslieferungsabkommen geschlossen werden, da das Statut insoweit keine zeitliche Begrenzung auf bereits bei seinem Inkrafttreten beziehungsweise bereits bei Beitritt des betroffenen Staates bestehende Abkommen enthält. Dies stellt durchaus eine gewisse Schwächung des Gerichtshofs dar. Man muss aber respektieren, dass eine zeitliche oder inhaltliche Beschränkung trotz reger Diskussionen nicht in das Statut aufgenommen wurde. Die Beurteilung der Frage, ob ein bestimmtes Nichtauslieferungsabkommen in den Anwendungsbereich des Artikels 98 Abs. 2 fällt, untersteht der ausschließlichen Kompetenz des Gerichtshofs.69 Es wird daher auch hier dem IStGH obliegen, im Einzelfall abschließend zu klären, ob ein bestimmtes Abkommen den Voraussetzungen von Artikel 98 Abs. 2 entspricht.

3. Völkerrechtmäßigkeit des Handelns der Nichtvertragsstaaten Fraglich ist, ob Nichtvertragsstaaten wie die USA völkerrechtswidrig handeln, wenn sie die Vertragsstaaten zum Abschluss von Nichtauslieferungsverträgen anhalten, die mit dem Rom-Statut nicht vereinbar sind, etwa weil sie eine einzelstaatliche Strafverfolgung nicht zwingend vorsehen oder aber alle Staatsangehörigen des betroffenen Staates, das heißt auch Privatpersonen, umfassen. Gerade die USA üben insoweit auf zahlreiche Vertragsstaaten des IStGH erheblichen Druck aus und animieren diese somit gleichsam zum Vertragsbruch, das heißt letztlich zur Begehung eines völkerrechtlichen Delikts. Es stellt sich die Frage, ob auch die Nichtvertragsstaaten selbst durch dieses Verhalten gegen Völkerrecht verstoßen. Zu denken wäre hier etwa an die Begehung einer Anstiftung zum völkerrechtlichen Delikt. Die Figur der Anstiftung ist aus dem nationalen Strafrecht gut bekannt. Eine staatliche Verantwortlichkeit für die Veranlassung anderer Staaten zur Begehung eines internationalen Delikts kommt auf völkerrechtlicher Ebene jedoch nicht in Betracht. Artikel 18 WVK begründet lediglich die Verpflichtung der Staaten, Ziel und Zweck eines völkerrechtlichen Vertrages solange nicht zu vereiteln, bis die Absicht, nicht Vertragspartei zu werden, klar zum Ausdruck gebracht wurde. Hieraus folgt im Umkehrschluss, dass ein Staat, der zu erkennen gibt, dass er 69 Tan, The Proliferation of Bilateral Non-Surrender Agreements, S. 1126 – 1127; Scheffer, Article 98(2) of the Rome Statute: America’s Original Intent, S. 352; Crawford et al., In the Matter of the Statute of the ICC and In the Matter of Bilateral Agreements Sought by the U.S. Under Article 98 (2) of the Statute, S. 11.

IV. Der Abschluss von Nichtauslieferungsabkommen

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einem Vertrag nicht beitreten werde, alle völkerrechtlich zulässigen Maßnahmen ergreifen kann, um gegen das betreffende Vertragsregime vorzugehen. Demgemäß bestimmt der Entwurf der UN-Völkerrechtskommission vom November 2001 zur Staatenverantwortlichkeit in seinem Artikel 13: An act of a State does not constitute a breach of international obligations unless the State is bound by the obligation in question at the time the act occurs.70

Artikel 16 und 17 des Entwurfs bestimmen zur Frage der Beihilfe beziehungsweise Anstiftung zum völkerrechtlichen Delikt eines anderen Staates: A State which aids or assists (Article 16) / directs and controls (Article 17) another State in the commission of an internationally wrongful act by the latter is internationally responsible for that act if: (a) That State does so with knowledge of the circumstances of the internationally wrongful act; and (b) The act would be internationally wrongful if committed by that State.71

Nachdem die USA am 6. 5. 2002 offiziell bekanntgegeben hatten, das Rom-Statut nicht zu ratifizieren72, konnten sie selbst alle völkerrechtlich zulässigen Mittel ergreifen, um gegen das Statut vorzugehen. Der Abschluss von Nichtauslieferungsabkommen ist insoweit ein legitimes Mittel, solange der anvisierte Vertrag selbst nicht gegen geltendes Völkerrecht verstößt. Dass der Vertragspartner eines solchen Nichtauslieferungsabkommens durch den Abschluss unter Umständen seinerseits gegen eigene vertragliche Verpflichtungen verstößt, spielt für die Verantwortlichkeit des Nichtvertragsstaates keine Rolle, solange er selbst einen solchen Vertrag abschließen kann. Die Bemühungen der USA, mit möglichst vielen Vertragsstaaten wie Nichtvertragsstaaten Nichtauslieferungsabkommen abzuschließen und hierdurch die Strafgerichtsbarkeit des IStGH auszuschließen, begründet daher per se keine völkerrechtliche Haftung. Wie bereits erwähnt wird jedoch zunehmend vertreten, dass die Staaten nicht nur dazu berechtigt sind, auf nationaler Ebene schwerste Völkerrechtsverbrechen aufgrund des Universalitätsprinzips zu ahnden, sondern dass das Völkerrecht mittlerweile auch eine entsprechende staatliche Verpflichtung begründet. Soweit die beteiligten Staaten ihrer völkerrechtlichen Verpflichtung zur einzelstaatlichen Strafverfolgung völkerrechtlicher Schwerstverbrechen nicht nachkommen, wird hierdurch nach hier vertretener Auffassung eine völkerrechtliche Haftung begrün70 Draft Articles on Responsibility of States for internationally wrongful acts adopted by the International Law Commission, 56th Sess., Supplement No.10, UN-Doc.A / 56 / 10, S. 46. 71 Draft Articles on Responsibility of States for internationally wrongful acts adopted by the International Law Commission, 56th Sess., Supplement No.10, UN-Doc.A / 56 / 10, S. 47; Hervorhebung durch die Verfasserin. 72 Vgl. hierzu: U.S. Will Not Join International Criminal Court, Under Secretary Marc Grossman addresses Center for Strategic and International Studies in Washington on U.S. Decision, http: // www.usembassy-australia.state.gov / hyper / 2002 / 0506 / epfl107.htm.

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H. Aktuelle politische Entwicklungen

det. Denn insoweit handelt es sich um eine mittlerweile durch Völkergewohnheitsrecht begründete Verpflichtung jedes Staates, deren Nichteinhaltung ein eigenes Fehlverhalten und damit ein eigenständiges völkerrechtliches Delikt darstellt. Soweit nach den geschilderten Überenkommen die einzelstaatliche Strafverfolgung in das freie Ermessen der beteiligten Staaten gestellt wird, verstoßen daher Vetragsstaaten wie Nichtvertragsstaaten gegen geltendes Völkerrecht.

V. Der American Service Members Protection Act Neben dem geschilderten außenpolitischen Vorgehen der USA im UN-Sicherheitsrat sowie auf bilateraler Ebene wurden weiterhin auch innenpolitische Maßnahmen gegen den IStGH ergriffen. So unterzeichnete Präsident George W. Bush am 2. 8. 2002 und damit nur einen Monat nach Inkrafttreten des Rom-Statuts den American Service Members’ Protection Act (ASPA).73 Auch wenn es sich insoweit um ein nationales Gesetzesvorhaben handelt, ist dieses doch mit erheblichen Auswirkungen auf internationaler Ebene verbunden. Der ASPA sieht grundsätzlich einen umfassenden Boykott des Strafgerichtshofs vor.74 Zu diesem Zweck verbietet Abschnitt 2004 des Gesetzes zunächst jegliche politische oder administrative Zusammenarbeit der Vereinigten Staaten mit dem Gerichtshof. Nach Abschnitt 2004 Abs. 2 lit. b dürfen Ersuchen des Gerichtshofs zur Zusammenarbeit nicht beantwortet, gemäß Abs. 2 lit. c Haftbefehle oder Festhalteanordnungen des IStGH nicht weitergeleitet werden. Abs. 2 lit. d untersagt darüber hinaus jede Auslieferung an den IStGH, weiterhin darf der Strafgerichtshof gemäß Abschnitt 2004 Abs. 2 lit. e und f weder finanziell noch in sonstiger Weise unterstützt werden. Abs. 2 lit. h schließlich verbietet dem Strafgerichtshof die Durchführung jeglicher Untersuchungshandlungen oder Ermittlungen auf amerikanischem Boden. Abschnitt 2005 des ASPA schränkt die Teilnahme der Vereinigten Staaten an Friedensmissionen der Vereinten Nationen ganz erheblich ein. Eine Mitwirkung amerikanischer Soldaten ist hiernach grundsätzlich nur noch möglich, soweit der Sicherheitsrat eine dauerhafte Befreiung amerikanischer Soldaten von der Strafgerichtsbarkeit des IStGH erreicht hat oder in sonstiger Weise garantiert ist, dass die entsandten US-Streitkräfte nicht an den IStGH ausgeliefert werden. Zu denken ist hier zum einen an den Abschluss der bereits erörterten Nichtauslieferungsabkommen zwischen dem Empfangsstaat und den Vereinigten Staaten. Daneben kommt eine Gerichtsbarkeit des IStGH über amerikanische Soldaten nicht in Betracht, soweit es sich beim Empfangsstaat um einen Nichtvertragsstaat 73 H.R. 4775, 107th Cong., Title II, §§ 2004 ff., abrufbar unter http: // www.amicc.org / docs / ASPA_2002.pdf. 74 Johnson, The ASPA: Protecting Whom?, S. 463.

V. Der American Service Members Protection Act

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handelt, der die Gerichtsbarkeit des IStGH auch nicht im Einzelfall anerkannt hat, Artikel 12 Abs. 3 des Rom-Statuts. Soweit demgegenüber die theoretische Möglichkeit einer Strafverfolgung amerikanischer Militärs durch den IStGH besteht, ist eine Teilnahme amerikanischer Streitkräfte an UN-Friedensmissionen nach dem ASPA künftig grundsätzlich ausgeschlossen. Abschnitt 2006 des verabschiedeten Gesetzes untersagt weiterhin jede direkte oder indirekte Weiterleitung von Informationen an den IStGH, soweit diese die nationalen Sicherheitsinteressen der Vereinigten Staaten berühren oder der Rechtsdurchsetzung beziehungsweise Strafvollstreckung dienen. Entsprechend eingestufte Informationen dürfen auch der UNO oder einem Vertragsstaat nur dann mitgeteilt werden, soweit eine Übermittlung an den IStGH ausgeschlossen ist. Daneben verbietet Abschnitt 2007 Abs. 1 des ASPA grundsätzlich jede militärische Unterstützung für die Vertragsstaaten des Rom-Statuts. Dieses umfassende Verbot wird zwar letztlich durch die nachfolgenden Absätze des Abschnitts relativiert. So bestimmt Abs. 2, dass der Präsident der Vereinigten Staaten auch Vertragsstaaten des Rom-Statuts ausnahmsweise dann militärische Hilfe zuteil werden lassen kann, wenn dies den nationalen Interessen der Vereinigten Staaten dient. Die Tatsache, dass der Präsident den Kongress hiervon nicht vorab unterrichten muss, gewährleistet ihm rasche Handlungsfähigkeit auch in Krisensituationen. Abs. 3 schließlich sieht vor, dass das Verbot militärischer Unterstützung nicht für die Vertragsstaaten des IStGH gilt, die NATO-Partner sind oder sonst zu den Hauptverbündeten der NATO-Staaten gehören. Besonderes Aufsehen im In- und Ausland hat Abschnitt 2008 des ASPA erregt. Dieser ermächtigt den amerikanischen Präsidenten dazu, alle notwendigen und angemessenen Maßnahmen zu ergreifen, um die Freilassung von amerikanischen Staatsbürgern und Angehörigen alliierter Staaten zu erreichen, die vom IStGH oder in seinem Auftrag festgehalten werden beziehungsweise sich in Haft befinden. Abschnitt 2008 autorisiert den Präsidenten insbesondere auch ausdrücklich zur Befreiung von in anderen Staaten festgenommenen oder inhaftierten amerikanischen Staatsbürgern.75 Die hier theoretisch vorgesehene gewaltsame Befreiung der Betroffenen aus dem Gewahrsam des IStGH unter Verletzung der territorialen Integrität und Souveränität anderer Staaten hat national wie international heftige Empörung ausgelöst. Derartige Drohgebärden erscheinen zum einen aus diplomatischer Sicht völlig deplaziert und haben die Vertragsstaaten des Gerichtshofs, insbesondere auch die europäischen Verbündeten, erheblich vor den Kopf gestoßen. Neben der hieraus resultierenden Belastung der zwischenstaatlichen Beziehungen lässt sich eine derartige Bestimmung aber auch kaum mit geltendem Völkerrecht vereinbaren. Die gewaltsame Befreiung von Gefangenen, die in einem anderen Staat festgehalten werden, verstieße zweifellos gegen das völkergewohnheitsrecht75 Im Hinblick darauf, dass der Gerichtshof seinen Sitz in Den Haag hat und angeklagte Personen sich in erster Linie dort aufhalten werden, ist der ASPA auch bereits ironisch als „The Hague Invasion Act“ bezeichnet worden, vgl. Kindt, Die USA und der IStGH, S. 429.

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H. Aktuelle politische Entwicklungen

lich anerkannte und in Artikel 2 Abs. 4 der UN-Charta proklamierte Gewaltverbot. Hiernach ist die Anwendung von Gewalt grundsätzlich nur zur staatlichen Selbstverteidigung, Artikel 51 UN-Charta, oder auf Grundlage der Kapitel VII, VIII der UN-Charta zulässig.76 Der ASPA ist gerade von amerikanischen Autoren zu Recht erheblich kritisiert worden. So wird geltend gemacht, die zahlreichen im ASPA enthaltenen Verbote beschnitten die verfassungsmäßigen Rechte des Präsidenten zur Gestaltung der diplomatischen Beziehungen sowie seine Stellung als Oberbefehlshaber der amerikanischen Streitkräfte in unzulässiger Weise.77 Insbesondere das umfassende Verbot einer internationalen Zusammenarbeit mit dem IStGH sei mit der in der amerikanischen Verfassung verbürgten Stellung des Präsidenten, der über solche Fragen unabhängig und in eigener Verantwortung zu entscheiden habe, nicht vereinbar. Neben derartigen verfassungsrechtlichen und damit innerstaatlichen Überlegungen schränkt die fragliche Bestimmung auch den außenpolitischen Spielraum der Vereinigten Staaten ganz erheblich ein. Das in Abschnitt 2004 vorgesehene Verbot jeglicher Kooperation mit dem IStGH ist letztlich überflüssig, da eine Verpflichtung zur Zusammenarbeit mit dem Strafgerichtshof für die USA als Nichtvertragsstaat ja ohnehin nicht besteht. Darüberhinaus würde die strikte Anwendung von Abschnitt 2004 zu dem absurden Ergebnis führen, dass es den Vereinigten Staaten untersagt wäre, einen Prozess gegen internationale Terroristen vor dem IStGH zu unterstützen. Es dürften weder Informationen an den Strafgerichtshof weitergeleitet noch Ermittlungen in den USA gestatten werden. Hierdurch würde der ASPA mithin gerade auch die Verantwortlichen für terroristische Anschläge in den USA schützen und deren Strafverfolgung vor einem internationalen Gericht behindern.78 Zu Recht haben daher gerade amerikanische Autoren darauf hingewiesen, dass der ASPA letztlich die amerikanischen Bemühungen um die Bestrafung internationaler Verbrechen untergräbt und weder nationalen noch internationalen Interessen im vielbeschworenen Kampf gegen den internationalen Terrorismus dient. Diese widersinnige Konsequenz wurde letztlich auch vom amerikanischen Gesetzgeber erkannt. Abschnitt 2015 des ASPA bestimmt daher abschließend: Nothing in this title shall prohibit the United States from rendering assistance to international efforts to bring to justice Saddam Hussein, Slobodan Milosevic, Osama bin Laden, other members of Al Queda, leaders of Islamic Jihad, and other foreign nationals accused of genocide, war crimes or crimes against humanity.79 Steinberger, Sovereignty, in: Bernhardt (Hrsg.), EPIL, Vol. IV, S. 514. So auch die Auffassung des amerikanischen Justizministeriums, vgl. Scheffer, Statement before the House International Relations Committee, July 26, 2000, S. 41; Johnson, The ASPA: Protecting Whom?, S. 464; Van de Kieft, Uncertain Risk: The U.S. Military and the ICC, S. 2348 ff.; Bardnidge, The ASPA and Article 98 Agreements, S. 741. 78 Bardnidge, The ASPA and Article 98 Agreements, S. 742; Johnson, The ASPA: Protecting Whom?, S. 464. 79 H.R. 4775, 107th Cong., Title II, §§ 2004 ff., abrufbar unter http: // www.amicc.org / docs / ASPA_2002.pdf. 76 77

VI. Die Nichtverlängerung der Sicherheitsratsresolution 1487

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Soweit also ausländische Staatsangehörige von internationaler Strafverfolgung betroffen sind, werden die in Abschnitt 2004 zunächst aufgezählten Verbote allesamt wieder aufgehoben, so dass die Bestimmung des Abschnitts 2004 letztlich auch aus diesem Grund überflüssig erscheint. Ähnliches gilt für Abschnitt 2005. Die hier postulierte Einschränkung einer amerikanischen Teilnahme an UN-Friedensmissionen begegnet zum einen verfassungsrechtlichen Bedenken im Hinblick auf die Rechte des amerikanischen Präsidenten als militärischem Oberbefehlshaber.80 Daneben erscheint es äußerst fraglich, ob eine derartige Behinderung der außenpolitischen Handlungsfreiheit auf längere Sicht tatsächlich amerikanischen Interessen dient. Wohl im Hinblick auf diese Problematik wurde Abschnitt 2005 um den in Abs. 3 vorgesehenen Ausnahmetatbestand ergänzt, wonach eine uneingeschränkte amerikanische Teilnahme an internationalen Friedenseinsätzen dann möglich ist, wenn nationale Interessen der Vereinigten Staaten die jeweilige Friedensmission rechtfertigen. Damit wird aber auch hier das ursprüngliche Verbot der Teilnahme amerikanischer Militärs an UN-Friedenseinsätzen soweit die Gefahr einer Strafverfolgung vor dem IStGH besteht, wieder aufgehoben, so dass auch Abschnitt 2005 Abs. 1 keine eigenständige Bedeutung zukommt. Insgesamt erscheint der ASPA daher letztlich als inhaltsleere amerikanische Drohgebärde, die allenfalls das ohnehin belastete Verhältnis zur internationalen Staatengemeinschaft weiter verschlechtert hat, ohne tatsächlich amerikanischen Zielen oder Interessen zu dienen. Gerade die amerikanischen Bemühungen um eine weltweite Koalition zum Kampf gegen den internationalen Terrorismus lassen sich mit der aktiven Bekämpfung des IStGH durch den ASPA kaum vereinen.81

VI. Die Nichtverlängerung der Sicherheitsratsresolution 1487 Auch die weiteren politischen Entwicklungen führten zu einer Verschlechterung des internationalen Verhandlungsklimas im Hinblick auf den Strafgerichtshof. Die feindselige Haltung der USA gegenüber dem Gerichtshof und die Verabschiedung der Resolutionen 1422 und 1487 ließen eine langfristige Schwächung des IStGH und der internationalen Strafgerichtsbarkeit befürchten. Insbesondere die im Statut vorgesehene Möglichkeit der Überweisung einer Situation durch den Sicherheitsrat schien in weite Ferne gerückt. Mit der amerikanischen Invasion im Irak im März 2003 erreichten die transatlantischen Beziehungen einen neuen Tiefstand. 80 Van de Kieft, Uncertain Risk: The U.S. Military and the ICC, S. 2348 ff.; Bardnidge, The ASPA and Article 98 Agreements, S. 741; Johnson, The ASPA: Protecting Whom?, S. 464. 81 Scheffer, Staying in Course with the ICC, S. 49.

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H. Aktuelle politische Entwicklungen

Im Jahr 2004 kam es jedoch zu einer überraschenden Wende. So löste zunächst im Frühjahr 2004 das Bekanntwerden schwerer Menschenrechtsverletzungen durch amerikanische Soldaten im Irak weltweite Empörung aus.82 Hinzu kamen zahlreiche weitere Berichte über Misshandlungen durch US-Militärs, etwa in Afghanistan und auf dem amerikanischen Militärstützpunkt Guantanamo Bay.83 Angesichts der gegen amerikanische Militärs erhobenen Vorwürfe gerieten die USA international erheblich unter Druck. Die bekannt gewordenen Völkerrechtsverletzungen führten insbesondere im UN-Sicherheitsrat zu einem Meinungsumschwung. Dort stand im Juni 2004 die bereits angesprochene Sicherheitsratsresolution 1487, durch die den US-Streitkräften im Jahr 2003 für ein weiteres Jahr Straffreiheit vor dem IStGH zugebilligt worden war, zur Verlängerung an. Bereits im Mai 2004 kündigten die Sicherheitsratsmitglieder Deutschland, Frankreich, Brasilien, Spanien und Chile an, sich bei der kommenden Abstimmung der Stimme zu enthalten. Auch China, Benin, Rumänien, Algerien und Pakistan erwägten im Hinblick auf den Folterskandal im Irak öffentlich eine Enthaltung.84 Damit wurde deutlich, dass die gemäß Artikel 27 Abs. 3 UN-Charta für eine erneute Verlängerung der Resolution erforderlichen 9 von 15 Ja-Stimmen unter Einschluss der Stimmen aller ständigen Mitglieder des Sicherheitsrates ernsthaft gefährdet waren. Die USA versuchten daher zunächst, einen Kompromiss im Sicherheitsrat zu erzielen. Während die ursprüngliche Sicherheitsratsresolution 1422 ausdrücklich eine erneute Verlängerung des Ausschlusses der Gerichtsbarkeit des IStGH um 82 Ansehen der US-Soldaten beschmutzt, SZ vom 3. 5. 2004, S. 5; Sadistisch und mutwillig kriminell, SZ vom 4. 5. 2004, S. 8; In der Hand der Befreier, SZ vom 7. 5. 2004, S. 1, S. 2; US-Militär foltert Gefangene in Guantanamo, SZ vom 1. 12. 2004, S. 1. 83 Lynch, U.S. Alters its Plan for Exemption at Court, S. 6, Washington Post vom 23. 6. 2204, http: // www.uni-kassel.de / fb10 / frieden / themen / ICC / immunitaet2.html; Stützpunkte des Abscheus, SZ vom 8. / 9. 5. 2004, S. 7. Das IKRK bezeichnete in einem vertraulichen Bericht an die US-Regierung aus dem Jahr 2004 die auf Guantanamo Bay angewandten Verhörmethoden als eine Form der Folter, http: // de.wikipedia.org / wiki / Guantanamo-Bucht; US-Militär foltert Gefangene in Guantanamo, SZ vom 1. 12. 2004, S. 1; Guantanamo ist „eine Form der Folter“, 11. 7. 2005, http: // www.tagesschau.de / aktuell / meldungen / 0,1185, OID3841962_TYP6. 84 Weiterhin Straffreiheit für US-Soldaten? http: // www.uni-kassel.de / fb10 / frieden / themen / ICC / un-sr-res-1487.html, S. 2, Abstimmung abermals verschoben, FAZ vom 25. 5. 2004, S. 7; Ein taktischer Rückzug, FAZ vom 25. 6. 2004; USA ziehen Antrag zurück, SZ vom 24. 6. 2004, S. 8; USA bestehen nicht mehr auf Immunität für US-Soldaten vor IStGH, ZDF vom 23. 6. 2004, http: // www.heute.t-online.de / ZDFheute / artikel16 / 0,1367,POL-0; USA bestehen nicht mehr auf Immunität für US-Soldaten vor IStGH, Phoenix Online vom 23. 06. 2004, http: // www.phoenix.de / ereig / exp / 20717 / . Die erhobenen Vorwürfe führten auch in den USA zu einem Stimmungswechsel, so befürworten nach einer Umfrage des Chicago Council on Foreign Relations mittlerweile 68 Prozent der US-Amerikaner den Beitritt ihres Heimatlandes zum IStGH, „Letztes Wort“ über einen Beitritt der USA zum IStGH noch nicht gesprochen, http: // www.bundestag.de / cgibin / druck.pl.

VI. Die Nichtverlängerung der Sicherheitsratsresolution 1487

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jeweils ein weiteres Jahr vorgesehen hatte, versuchte man nunmehr, eine lediglich einjährige Immunitätsregelung bis Juni 2005 durchzusetzen. Der Zusatz einer erneuten Verlängerbarkeit für die Zukunft sollte entfallen.85 Doch auch der Ausschluss der Strafgerichtsbarkeit des IStGH für ein weiteres Jahr ohne ausdrückliche Verlängerungsmöglichkeit stieß auf erheblichen Widerstand bei den übrigen Sicherheitsratsmitgliedern. Unter dem Eindruck der von US-Soldaten im Irak begangenen Verbrechen und nicht zuletzt aufgrund des großen Interesses der Weltöffentlichkeit zeigte sich die Mehrheit der Sicherheitsratsmitglieder nicht mehr bereit, amerikanische Soldatenten erneut von internationaler Strafverfolgung auszunehmen. Angesichts der weltweiten Kritik am amerikanischen Vorgehen im Irak wollten die USA eine zusätzliche öffentliche Niederlage im UN-Sicherheitsrat vermeiden. Deshalb wurde der Antrag auf Verlängerung der Resolution 1487 schließlich am 23. Juni 2004 von amerikanischer Seite zurückgezogen, nachdem die anstehende Abstimmung zuvor bereits mehrfach verschoben worden war.86 Mit Ablauf des 30. 6. 2004 hat die Sicherheitsratsresolution 1487 daher ihre Gültigkeit verloren. Bei Vorliegen der im Rom-Statut genannten Voraussetzungen kann der IStGH seither grundsätzlich auch Gerichtsbarkeit über Staatsangehörige aus Nichtvertragsstaaten ausüben, die an UN-Einsätzen teilnehmen.

85 Schluss mit lustig! Keine Immunität mehr für amerikanische Soldaten, http: // www.unikassel.de / fb10 / frieden / themen / ICC / immunitaet2.html, S. 1; Warren Hoge, U.S. Rewords a Resolution on Immunity for its Troops, http: // www.uni-kassel.de / fb10 / frieden / themen / ICC / immunitaet2.html, S. 5; Colum Lynch, U.S. Alters its Plan for Exemption at Court, Washington Post vom 23. 6. 2004, http: // www.uni-kassel.de / fb10 / frieden / themen / ICC / immunitaet2.html, S. 6. 86 Streit um Immunität für US-Truppen, NZZ Online vom 21. 5. 2004, http: // www.nzz. ch / 2004 / 05 / 21 / al / page-newzzDUIFN7W8 – 12.html, S. 1; Washington zieht Ausnahmeantrag für US-Bürger vor dem IStGH zurück, Die Welt vom 25. 6. 2004, http: // www.welt. de / data / 2004 / 06 / 25 / 295976.html; Ein taktischer Rückzug, FAZ vom 25. 6. 2004, S. 3; USA ziehen Antrag zurück, SZ vom 24. 6. 2004, S. 8; Schluss mit lustig! Keine Immunität mehr für amerikanische Soldaten, http: // www.uni-kassel.de / fb10 / frieden / themen / ICC / immunitaet2.html, S. 1.

I. Schlussbetrachtung Mittlerweile hat der Strafgerichtshof trotz des Widerstandes der USA und anderer Nichtvertragsstaaten seine Arbeit aufgenommen. So haben bisher drei Vertragsstaaten von der Möglichkeit Gebrauch gemacht, ein Verfahren vor dem IStGH einzuleiten. Neben Uganda unterbreiteten sowohl die Demokratische Republik Kongo als auch die Zentralafrikanische Republik in Übereinstimmung mit Artikel 13 lit. a des Rom-Statuts dem Gerichtshof jeweils die Bürgerkriegssituation im eigenen Land und baten darum, Ermittlungen im Hinblick auf die seit Inkrafttreten des Statuts begangenen Völkerrechtsverbrechen einzuleiten.1 Die Tätigkeit des IStGH bezieht sich derzeit jedoch nicht nur auf die in den Vertragsstaaten des Rom-Statuts oder von deren Staatsangehörigen begangenen Verbrechen. Der Gerichtshof ermittelt zwischenzeitlich vielmehr auch im Hinblick auf Verbrechen, die im Territorium von Nichtvertragsstaaten beziehungsweise von deren Staatsangehörigen begangen worden sind.

I. Die Anerkennung der Gerichtsbarkeit durch die Elfenbeinküste gemäß Artikel 12 Abs. 3 des IStGH-Statuts Zum einen hat sich mittlerweile erstmals auch ein Nichtvertragsstaat an den Strafgerichtshof gewandt. So hat die Elfenbeinküste von der in Artikel 12 Abs. 3 des Rom-Statuts vorgesehenen Möglichkeit Gebrauch gemacht und eine ad hoc Erklärung abgegeben, in der sie die Gerichtsbarkeit des IStGH im Hinblick auf die seit dem 19. September 2002 im eigenen Land begangenen Verbrechen anerkennt.2 Es können also umfassende Ermittlungen im Hinblick auf die Situation in der Elfenbeinküste eingeleitet werden, obwohl diese bisher kein Vertragsstaat des Rom-Statuts ist. Diese Entwicklung ist im Hinblick auf das Verhältnis des Strafgerichtshofs zu Drittstaaten und seine allgemeine Akzeptanz von besonderer Be1 Prosecutor of the ICC opens an investigation into Northern Uganda, http: // www.icc-cpi. int / pressrelease_details&id=33&l=en.html; The Office of the Prosecutor of the ICC opens its first investigation, http: // www.icc-cpi.int / pressrelease_details&id=26&l=en.html; http: // www.icc-cpi.int / pressrelease_details&id=87.htm. 2 Update on Communications Received by the Office of the Prosecutor of the ICC, http: // www.icc-cpi.int / library / organs / otp / OTP_Update_on_Communications_10_February_2006. pdf.

II. Die Krise in Darfur und die Sicherheitsratsresolution 1593

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deutung. Es wird insoweit deutlich, dass dem Gerichtshof auch von Staaten, die dem Statut bisher nicht beigetreten sind, erhebliches Vertrauen entgegengebracht wird.

II. Die Krise in Darfur und die Sicherheitsratsresolution 1593 Besondere Anerkennung im Verhältnis zu Drittstaaten hat der IStGH aber schließlich auch im Zusammenhang mit dem Bürgerkrieg im Sudan erfahren. Dort befindet sich die sudanesische Regierung in blutigen Kämpfen mit Rebellengruppen. Den in der westsudanesischen Region Darfur von mordenden Milizen begangenen Völkerrechtsverbrechen sind bisher tausende von Menschen zum Opfer gefallen, nach derzeit vorliegenden Informationen wurden bisher mindestens 1,9 Millionen Menschen vertrieben.3 Angesichts dieser Gräueltaten setzte der UN-Generalsekretär nach einem entsprechenden Ersuchen des Sicherheitsrates im Oktober 2004 eine Expertengruppe mit dem Auftrag ein, die Situation in Darfur zu untersuchen und den Berichten über Menschenrechtsverletzungen und Verstößen gegen das humanitäre Völkerrecht nachzugehen. In ihrem im Januar 2005 veröffentlichten Bericht erhob die Völkerrechtskommission schwere Vorwürfe gegen die durch das Land ziehenden Janjaweed-Milizen und gegen die sudanesische Zentralregierung. Auch die Regierung und ihre Truppen seien entgegen anderslautender Beteuerungen für die ausgedehnte und systematische Ermordung, Folter, Verschleppung, Vertreibung, Vergewaltigung und die Begehung weiterer Völkerrechtsverbrechen mitverantwortlich.4 Zwar wurden die in Darfur begangenen Gewaltexzesse von der Kommission nicht als Völkermord eingestuft, da der sudanesischen Zentralregierung eine genozidale Absicht derzeit nicht nachzuweisen sei. Die begangenen Gräueltaten wurden jedoch ausdrücklich als Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit qualifiziert.5 Das hierfür tatbestandsmäßig erforderliche systematische Vorgehen der Täter wurde von der Kommission zweifelsfrei bejaht.6 Die Berichterstatter appellierten daher bei Veröffentlichung ihres Darfur-Reports an den UN-Sicherheitsrat, endlich tätig zu werden und die Situation in Darfur ge3 Strafgerichtshof legt Hinweis auf tausende Morde im Sudan vor, Die Welt vom 1. 7. 2005, http: // www.welt.de / data / 2005 / 01 / 01739349.html. 4 Report of the International Commission of Inquiry in Darfur to the United Nations Secretary-General, S. 3, http: // www.un.org / News / du / sudan / com_inq_darfur.pdf. 5 Report of the International Commission of Inquiry in Darfur to the United Nations Secretary-General, S. 3, http: // www.un.org / News / du / sudan / com_inq_darfur.pdf. 6 Report of the International Commission of Inquiry in Darfur to the United Nations Secretary-General, S. 4, http: // www.un.org / News / du / sudan / com_inq_darfur.pdf; UN-Bericht; Verbrechen in Darfur: Die Vereinten Nationen klagen die sudanesischen Machthaber an und fordern ihre Bestrafung, SZ vom 2. 2. 2005, S. 9.

280

I. Schlussbetrachtung

mäß Artikel 13 lit. b des Rom-Statuts an den Strafgerichtshof zu überweisen.7 Da der Sudan nicht Vertragsstaat des Rom-Statuts ist und die fraglichen Verbrechen von sudanesischen Staatsangehörigen im Sudan selbst begangen wurden, war dies die einzige Möglichkeit, den Strafgerichtshof mit der Angelegenheit zu befassen. Eine derartige Vorgehensweise schien jedoch am Widerstand der USA zu scheitern. Diese lehnten eine Überweisung der Situation an den IStGH ab, um eine entsprechende Aufwertung des Strafgerichtshofs zu verhindern. Stattdessen forderte die amerikanische Regierung die Errichtung eines weiteren ad hoc Tribunals für die in Darfur begangenen Völkerrechtsverbrechen.8 Ein derart kostspieliges und vor allem langwieriges Unternehmen hätte indessen unzählige weitere Opfer gefordert. Angesichts des täglichen Bekanntwerdens neuer Gräueltaten in Darfur und des wachsenden internationalen Entsetzens kam es im Frühjahr 2005 jedoch zu einer weiteren überraschenden Wende in der amerikanischen Außenpolitik. So stellten die USA ihre ideologischen Bedenken gegen den IStGH zurück und kündigten an, eine Überstellung der Situation in Darfur an den Strafgerichtshof durch den UNSicherheitsrat nicht länger mit ihrem Veto zu blockieren. Der Sicherheitsrat verabschiedete daraufhin am 31. März 2005 unter Berufung auf Kapitel VII UN-Charta die Resolution 1593 und überwies hierin in Übereinstimmung mit Artikel 13 lit. b des Rom-Statuts die Situation in der Krisenregion Darfur an den IStGH. Die Resolution wurde mit elf Stimmen verabschiedet, die USA, China, Brasilien und Algerien enthielten sich. Damit wurde dem Ankläger erstmals eine Situation durch den UN-Sicherheitsrat überwiesen. Zwar hat der Sicherheitsrat in seiner Resolution 1593 lediglich den Sudan auf der Grundlage von Kapitel VII UN-Charta angewiesen, mit dem Gerichtshof und dem Ankläger uneingeschränkt zusammenzuarbeiten. Alle anderen Nichtvertragsstaaten wurden zwar zur uneingeschränkten Zusammenarbeit aufgefordert, eine entsprechende Verpflichtung wurde ihnen durch die Resolution aber gerade nicht auferlegt. Vielmehr wurde betont, dass den Staaten, die nicht Vertragspartei des Rom-Statuts sind, auch keine Verpflichtung nach dem Statut treffen. Weiterhin wurden nur sudanesische Staatsangehörige der Strafgerichtsbarkeit des IStGH unterstellt. Staatsangehörige aus anderen Nichtvertragsstaaten wurden ausdrücklich von der Gerichtsbarkeit des IStGH ausgenommen und der exklusiven Gerichtsbarkeit ihres Heimatstaates unterworfen. So heißt es in der Resolution: 7 Report of the International Commission of Inquiry in Darfur to the United Nations Secretary-General, S. 4, http: // www.un.org / News / du / sudan / com_inq_darfur.pdf; Report of the International Commission of Inquiry in Darfur to the United Nations Secretary-General, S. 5, http: // www.un.org / News / du / sudan / com_inq_darfur.pdf; Ein Fall für Den Haag, SZ vom 2. 2. 2005, S. 9; Why Should We Shield the Killers, The New York Times, 14. 2. 2005, S. 2. 8 Ein Fall für Den Haag, SZ vom 2. 2. 2005, S. 9; Why Should We Shield the Killers, The New York Times, 14. 2. 2005, S. 2.

III. Fazit

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„. . . (der Sicherheitsrat) beschließt, dass Staatsangehörige, derzeitige oder ehemalige Amtsträger sowie derzeitiges oder ehemaliges Personal eines beitragenden Staates außerhalb Sudans, der nicht Vertragspartei des Römischen Statuts des Internationalen Strafgerichtshofs ist, in Bezug auf alle behaupteten Handlungen oder Unterlassungen aufgrund von oder im Zusammenhang mit Einsätzen in Sudan, die vom Rat oder von der Afrikanischen Union eingerichtet oder genehmigt wurden, der ausschließlichen Gerichtsbarkeit dieses beitragenden Staates unterliegen, es sei denn, dass dieser Staat auf die ausschließliche Gerichtsbarkeit ausdrücklich verzichtet.“9

Ohne den Ausschluss der Gerichtsbarkeit des IStGH über nichtsudanesische Staatsangehörige aus Drittstaaten wäre die Resolution sicherlich am Veto der Vereinigten Staaten gescheitert. Die erste Überweisung einer Situation durch den Sicherheitsrat stellt dennoch eine kleine Sensation dar. Sie bedeutet einen immensen Fortschritt für die internationale Strafgerichtsbarkeit und die weltweite Anerkennung der Autorität des Strafgerichtshofs. Die Tatsache, dass die USA eine entsprechende Resolution gerade nicht mit ihrem Veto boykottiert haben, spricht für eine gewisse Bereitschaft zur Annäherung an den Gerichtshof und könnte eine Änderung der amerikanischen Außenpolitik hin zu einem mehr multilateralen Kurs bedeuten. Da sich mittlerweile auch amerikanische Regierungsvertreter positiv zur Einschaltung des IStGH in Darfur geäußert haben10, bleibt zu hoffen, dass eine mögliche Zusammenarbeit der USA mit dem Strafgerichtshof in der Darfur-Frage zu einer Verbesserung des angespannten Verhältnisses führen wird. Die vom Sicherheitsrat durchgeführte Überweisung der Situation in Darfur an den Strafgerichtshof wird in jedem Fall zu Recht als großer Durchbruch für den IStGH gefeiert.11 Mittlerweile hat der Ankläger des Strafgerichtshofs in der Darfur-Frage gemäß Artikel 53 des Rom-Statuts Ermittlungen eingeleitet und im Juni 2005 den Weltsicherheitsrat über den Stand seiner Ermittlungen informiert.12 Es ist davon auszugehen, dass auch hier bald erste Strafverfahren eingeleitet werden.

III. Fazit Für das hier zu untersuchende Verhältnis zwischen Strafgerichtshof und Nichtvertragsstaaten bleibt abschließend festzuhalten, dass das Rom-Statut als völkerrechtlicher Vertrag keine rechtlichen Verpflichtungen für dritte Staaten begründen kann. 9 SR-Res. 1593 vom 31. 3. 2005, UN-Doc. S / RES / 1593(2005); Hervorhebung durch die Verfasserin. 10 Secretary of State Robert Zoellick, Press Briefing on Sudan, 27.Mai 2005, abrufbar unter http: // www.amicc.org. 11 ICC News, http: // www.amicc.org. 12 Report of the Prosecutor of the ICC to the UN Security Council Pursuant to UNSCR 1593(2005), http: // www.amicc.org; The Prosecutor opens investigation in Darfur, http: // www.icc-cpi.int / pressrelease_details&id=107.html.

282

I. Schlussbetrachtung

Zwar verfolgt das Rom-Statut überragende Interessen der Weltgemeinschaft. So wurde der IStGH errichtet, um schwerste Verbrechen, die die internationale Gemeinschaft als Ganzes berühren, nicht ungesühnt zu lassen und künftig zur Verhütung solcher Verbrechen beizutragen.13 Eine allgemeinverbindliche Wirkung des Rom-Statuts ist dennoch abzulehnen. Selbst internationale Verträge, die der Sicherung überragend wichtiger Gemeinschaftsinteressen dienen und von einer großen Mehrheit der Staaten getragen werden, entfalten nach herrschender Auffassung keine verbindliche Wirkung für Nichtvertragsstaaten. Eine rechtliche Bindung dritter Staaten an ein derartiges vertraglich begründetes Regime ist mit den nach wie vor geltenden Grundsätzen des Völkervertragsrechts und der Souveränität der Staaten nicht in Einklang zu bringen. Entgegen der teilweise vorgebrachten Kritik beinhaltet das Rom-Statut jedoch auch keine unzulässigen rechtlichen Verpflichtungen für dritte Staaten, sondern steht in Einklang mit geltendem Völkerrecht. Insbesondere die Übertragung einzelstaatlicher Strafgerichtsbarkeit auch über fremde Staatsangehörige auf ein internationales Gericht ist völkerrechtlich zulässig und verstößt nicht gegen das völkerrechtliche Verbot von Verträgen zu Lasten dritter Staaten. Bei der Einleitung eines Vefahrens durch einen Vertragsstaat oder den Ankläger lässt sich die Gerichtsbarkeit des IStGH aus einer Zusammenlegung territorialer Jurisdiktion herleiten, im Fall der Einleitung eines Verfahrens durch den Sicherheitsrat handelt es sich rechtlich um eine Zusammenlegung universaler Jurisdiktionsgewalt. Auch ansonsten begründet das Statut keine rechtlichen Verpflichtungen für dritte Staaten. Die gegen das Rom-Statut geäußerten Bedenken mögen daher zwar aus politischen Gründen verständlich sein, rechtlich sind sie jedoch nicht haltbar. Auch wenn das Völkerrecht bislang von einer internationalen Gesetzgebung oder „Konstitutionalisierung“ weit entfernt ist, so sind doch wachsende Tendenzen hin zur vertraglichen Schaffung umfassender völkerrechtlicher Regelungssysteme durch eine große Anzahl von Staaten unverkennbar. Auch das Rom-Statut stellt ein derartiges umfassendes Regelungssystem dar. Zwar können solche völkervertraglichen Regimes zur Lösung globaler Fragen (noch) keine rechtlichen Bindungen für Nichtvertragsstaaten erzeugen. Sie haben jedoch ganz erhebliche faktische Auswirkungen auf dritte Staaten. Je mehr Staaten sich ihnen anschließen, desto stärker prägen sie das tatsächliche Verhalten der Außenstehenden. Wie stark der IStGH Nichtvertragsstaaten bereits jetzt beeinflusst, wird am Beispiel der USA deutlich. Die zahlreichen innen- wie außenpolitischen Maßnahmen, die zum vermeintlichen Schutz amerikanischer Staatsangehöriger vor der Gerichtsbarkeit des IStGH ergriffen worden sind, sprechen insoweit Bände. Die aktuellen Entwicklungen, insbesondere die überwältigende Zustimmung für das Rom-Statut und die rasche Einleitung erster Verfahren, machen deutlich, dass es sich beim IStGH keinesfalls um einen Papiertiger handelt. Es ist vielmehr davon 13

Vgl. die Präambel des Rom-Statuts.

III. Fazit

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auszugehen, dass der Gerichtshof ganz erheblich zur Fortentwicklung des Völkerstrafrechts beitragen wird. Die Tatsache, dass so einflussreicher Staaten wie die USA, China, Russland oder Indien das Rom-Statut bisher nicht ratifiziert haben, stellt eine erhebliche Schwächung des Gerichtshofs dar. Insbesondere der Nichtbeitritt der Vereinigten Staaten muss als herber Verlust für die internationale Strafgerichtsbarkeit gewertet werden. Gerade die USA haben bisher ganz wesentlich zur Fortentwicklung des Völkerstrafrechts und zur internationalen Strafverfolgung von Völkerrechtsverbrechen beigetragen. So wäre die Gründung der Kriegsverbrechertribunale von Nürnberg und Tokio ohne die Vereinigten Staaten ebensowenig möglich gewesen wie die Errichtung der UN-Strafgerichtshöfe für Jugoslawien und Ruanda. Im Zusammenhang mit dem IStGH drängt sich allerdings der Verdacht auf, dass die USA eine internationale Strafgerichtsbarkeit nur unterstützen, solange amerikanische Staatsangehörige hiervon nicht betroffen sind. Während die Überstellung fremder Staatsangehöriger an ein internationales Gericht seit Ende des Zweiten Weltkriegs von amerikanischer Seite grundsätzlich nie kritisiert, sondern vielmehr ausdrücklich mitinitiiert und gefördert wurde, hat nunmehr bereits die theoretische Möglichkeit einer Strafverfolgung eigener Staatsangehöriger für schwerste Völkerrechtsverbrechen zur aktiven Bekämpfung des Strafgerichtshofs geführt. Hier wird offensichtlich mit zweierlei Maß gemessen. Die Nachteile des amerikanischen Boykotts des Gerichtshofs liegen auf der Hand. Die Vereinigten Staaten geben durch ihr eigenes Verhalten gerade solchen Staaten Rückendeckung, in deren Hoheitsgebiet viel eher mit der Begehung von Völkerrechtsverbrechen zu rechnen ist. Insbesondere Staaten mit politisch instabilen und undemokratischen Systemen, in denen bürgerkriegsähnliche Zustände herrschen und Völkerrechtsverbrechen oftmals gerade von Amtsträgern begangen werden, können sich nunmehr die Argumentation der USA zu Eigen machen. Diese Entwicklung ist wesentlich gefährlicher als die theoretische Möglichkeit eines internationalen Strafverfahrens gegen amerikanische Staatsbürger. Die Errichtung des IStGH stellt einen Meilenstein in der Entwicklung der internationalen Strafgerichtsbarkeit dar. Es bleibt zu hoffen, dass es dem Gerichtshof durch seine Arbeit gelingt, Vorurteile und Ängste bei seinen Kritikern abzubauen und auf diesem Weg auch die gegen ihn vorgebrachten politischen Bedenken zu zerstreuen.

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Stichwortverzeichnis Aalandinseln 95 ff. Abtretung Ad-hoc-Tribunal 58 ff., 135 ff., 173 ff. Aggression 26 ff., 238 ff. American Servicemembers Protection Act 272 ff. Anerkennung der Gerichtsbarkeit des IStGH 34 ff., 38 ff. Angriffskrieg 170 ff. Auslieferung 204 ff., 214 ff., 253 ff., 260 ff. Automatische Jurisdiktion, 41

Internationale Organisationen – Gründung 83 ff. – IStGH 82 – Völkerrechtssubjektivität 90 ff. Internationaler Gerichtshof 91 ff., 109 ff., 123 Intervention 122 Interventionsverbot 68, 137 ff. Ius cogens 54 ff., 111, 209 ff.

Besatzungsrecht 161 ff. Briand-Kellogg-Pakt 170 Bürgerkrieg 46- 47, 279

Kieler Kanal 96 Komplementaritätsprinzip 124, 186 ff., 220 Kongo gegen Belgien-Fall 204, 210 ff. Konsensprinzip 31, 76 ff., 83 Konsularische Rechte 202 Konsularischer Schutz 225 ff. Kosovo-Tribunal 178 ff. Kriegsverbrechen 45, 55, 165 ff.

Charta der VN 26 ff., 135 ff., 173 ff., 224 ff., 232 ff. Darfur-Krise 279 Debellatio 153 – 154 Diplomaten 201 ff., 214 ff. Diplomatischer Schutz 225 ff. Effects Doctrine 127 ff. Elfenbeinküste 278 Europäische Gemeinschaft 128 ff.

Jugoslawien-Tribunal 138 ff., 173 ff.

Londoner Abkommen 145 ff., 155 ff. Lotus-Entscheidung 62 ff., 79 Menschenrechte 137 ff., 229 ff.

Friendly Relations Declaration 68

Nichtauslieferungsabkommen 260 ff. Nichteinmischungsprinzip 134 ff. Nürnberger Militärgerichtshof 145 ff., 169, 206, 246

Genfer Rotkreuz-Abkommen 55 ff., 166 Gewaltverbot 274 Gewohnheitsrecht 50 ff., 106 ff., 161 ff. Grenzverträge 88 ff.

Objective Régimes 94 – 95, 99 ff. Opt-in / Opt-out-Regime 39 ff., 45, 242 – 243 Ordnungsverträge 102 ff. Osttimor-Tribunal 178 ff.

Haager Landkriegsordnung 161 ff.

Pacta sunt servanda 266 Pacta-tertiis-Regel siehe Vertrag zu Lasten Dritter Personalhoheit 69,85

Immunität 198 ff., 253 ff. Institutionelle Verträge 90 ff.

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Stichwortverzeichnis

Personalitätsprinzip – aktives 69, 74, 85 – passives 70, 165 Reparations-for Injuries-Fall 91 ff., 109 Ruanda-Tribunal 173 ff., 203, 229 Sicherheitsrat – Aufschub der Ermittlungen 232 ff. – Initiativrecht 30, 131 ff., 232 Sicherheitsratsresolution 1487 256 ff., 275 ff. Sicherheitsratsresolution 1593 140 ff., 279 Souveränität 48 ff., 60 ff., 79 ff. 134 ff., 188 ff. Status of Forces Agreements 260 ff. Statusvertrag 94 ff., 99 ff. Strafgerichtsbarkeit – Allgemeine Grundsätze 60 ff., 164 ff. – des IStGH 22 ff., 29 ff. – internationale 143 ff. – Übertragbarkeit 75 ff., 172 ff. Südwestafrika-Fall 97 – 98 Territorialitätsprinzip 60, 86 ff. Territorialverträge 88 ff.

Universalitätsprinzip 35 ff., 71 ff., 132, 164 ff., 175 Vertrag zu Lasten Dritter 86 ff., 114 ff., 143, 159, 184 ff., 243 Vertragsverbrechen 28 Völkermord 24, 55 Völkergewohnheitsrecht 54 ff., 106 ff., 226 Völkerrechtssubjektivität – des Einzelnen 50 ff., 117 ff., 229 – internationaler Organisationen 90 ff. Völkerrechtsverbrechen 71, 137 ff., 165 ff., 206 ff., 279 ff. Weltrechtsprinzip 36 71, 132, 165 ff. Wiener Übereinkommen über diplomatische Beziehungen 201, 225 ff. Wiener Übereinkommen über konsularische Beziehungen 201, 225 ff. Wimbledon-Fall 96 Zentralafrikanische Republik 278 Zusammenarbeit mit dem IStGH 118, 125, 140 ff., 204 ff., 216 ff., 224 Zuständigkeit des IStGH – ratione materiae 24 ff. – ratione temporis 30 ff.