Rechtliche Grenzen der Provokation von Straftaten [1 ed.] 9783428467570, 9783428067572

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Rechtliche Grenzen der Provokation von Straftaten [1 ed.]
 9783428467570, 9783428067572

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RAINER KELLER

Rechtliche Grenzen der Provokation von Straftaten

Schriften zum Strafrecht Heft 84

Rechtliche Grenzen der Provokation von Straftaten Von

Rainer Keller

DUßcker & Humblot . Berliß

Als Habilitationsschrift auf Empfehlung des Fachbereichs Rechtswissenschaften der Universität Hannover gedruckt mit Unterstützung der Deutschen Forschungsgemeinschaft

CIP-Titelaufnahme der Deutschen Bibliothek Keller, Rainer: Rechtliche Grenzen der Provokation von Straftaten / von Rainer Keller. - Berlin: Duncker u. Humblot, 1989 (Schriften zum Strafrecht; H. 84) Zugl.: Hannover, Univ., Habil.-Schr., 1988 ISBN 3-428-06757-6 NE:GT

Alle Rechte vorbehalten © 1989 Duncker & Humblot GmbH, Berlin 41 Druck: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin 61 Printed in Germany ISSN 0558-9126 ISBN 3-428-06757-6

Vorbemerkung Diese Arbeit habe ich im Mai 1987 abgeschlossen. Spätere Veröffentlichungen wurden vereinzelt in den Anmerkungen berücksichtigt. Der Fachbereich Rechtswissenschaften der Universität Hannover hat die Arbeit als Habilitationsschrift angenommen. Die Herren Prof. Calliess und Prof. Dencker haben die Arbeit durch Anregung und Kritik gefördert. Die Deutsche Forschungsgemeinschaft hat den Druck großzügig unterstützt. Ihnen allen danke ich. Hannover im Juni 1989

Rainer Keller

Inhaltsverzeichnis Einleitung

13

1. Definitionen........................................................

13

2. Tatsächliche Entwicklung und herkömmliche Bewertung der Deliktsprovokation ................................................

15

3. Zum historischen und soziologischen Verständnis von Deliktsprovokationen ......................................................

19

4. Polizeiliche Deliktsprovokation und innere Sicherheit.... . ..

21

5. Gang der Untersuchung ..........................................

26

1. Teil

Normative Schranken der Deliktsprovokation A. Spezifisch den Staat bindende Normen ...................................

27

I. Gesetzesbindung, Legalitätsprinzip und öffentliche Sicherheit 1. Bindung an Sekundärnormen ....................................

29 29 32

2. Entsprechungen im materiellen Strafrecht..................... 3. Gesetzesbindung, Vertrauensschutz und scheinbar privates Handeln......................................................... .... 4. Gesetzesbindung unzuständiger Behörden..................... 5. Gesetzesbindung staatlich beauftragter Privater. . . . . . . . . . . .. . 6. Fazit............................................................. ....

33 34 36 37

11. Tatstrafrecht versus Stigmatisierung von Tätern................. 1. Täterbezug der Provokation ...................................... 2. Tatprinzip als Garantie sozialer Freiheit....................... 3. Bindung von Exekutivbehörden und richterliche Unabhängigkeit ............................................................... 4. Das Prinzip des Tatstrafrechts nicht tangierende Provokationsarten ...........................................................

39 40 41

III. Schuldprinzip ..........................................................

46

IV. Grenzen strafprozessualer Ermittlungen und kompetenzielle Zuordnung der Provokation.............................................

47

V. Koppelungsverbot und Gewaltenteilung ...........................

50

VI. Zusammenfassung und Vergleich mit der Rechtsprechung......

57

44 45

8

Inhaltsverzeichnis

B. Elemente des allgemeinen Persönlichkeitsrechts als Grenze der Deliktsprovokation ........................................................... 1. Überblick zu den möglichen Beeinträchtigungen................. 11. Bisherige Fassung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts und seine Erweiterung ........................................................ 1. Zur Bedeutung und Begründung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts .......................................................... 2. Bewertung der Deliktsprovokation nach der Sphärentheorie 3. Probleme der Sphärentheorie .................................... 4. Erweiterung des Persönlichkeitsschutzes durch das Recht auf informationelle Selbstbestimmung.............................. a) Recht auf informationelle Selbstbestimmung und Deliktsprovokation ........................................... b) Begründung des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung ............................................................ c) Privatisierung der Öffentlichkeit und Begrenzung der Verantwortung? ............................................... d) Unübersichtlichkeit der differenzierten Gesellschaft als Legitimation von Kontrolle? ................................. e) Verrechtlichung von Freiheit - subjektives Recht und objektive Gerechtigkeit ......................................... 5. Erweiterung des allgemeinen Persönlichkeitsschutzes jenseits informationeller Selbstbestimmung? ............................ III. Schutz vor sozialer Desintegration ................................. 1. Verhältnis zwischen Bürgern und Selbstverantwortung ..... 2. Das Verhältnis des Bürgers zum Staat ......................... 3. Stellungnahmen der Rechtsprechung und Alternativen der polizeilichen Deliktsprovokation ................................... 4. Rechtsstaatliche Normen als Verbot der Desintegration durch den Staat ........................................................... IV. Schutz vor Vertrauensmißbrauch ................................... 1. Ve~rauens~~hutz und Selbstverantwortung im Verhältnis ZWIschen Burgern .................................................. a) Die Aufforderung, ein Delikt zu begehen.................. b) Die vertrauenswidrige Anzeige.............................. c) Die Provokation............................................... d) Schädigungsabsicht und Zweckverfehlung als mögliche Gründe des Mißbrauchsverbots ............................. e) Mißbrauchsverbote in Sonderverhältnissen ............... f) Soziales Vertrauen und bürokratische Generalisierung. 2. Vertrauensschutz im Verhältnis zum Staat .................... 3. § 136a StPO ........................................................ a) Beschuldigter, Zeuge und Vorstadium des Strafprozesses b) Vernehmung ................................................... c) Täuschung .....................................................

59 59 65 65 69 72 75 75 77 79 81 82 85 87 88 92 95 99 99 101 101 104 104 106 111 113 114 116 117 120 123

Inhaltsverzeichnis V. Nemo tenetur se ipsum prodere und das Recht auf informationelle Selbstbestimmung ..................................................... 1. Schutz von Informationen über rechtswidriges Verhalten... 2. Zusammenhang der informationellen Selbstbestimmung mit dem nemo tenetur-Grundsatz .................................... 3. Verstoß gegen den nemo tenetur-Grundsa tz durch Täuschung? 4. Differenzierung des Schutzes von Beschuldigten und Nichtbeschuldigten ......................................................... 5. Geltung des nemo tenetur-Grundsatzes außerhalb des Strafverfahrens .......................................................... a) Alltäglicher Zwang zur Selbstbelastung und Verteilung des informationellen Risikos ................................ b) Bedeutung der sozial gesonderten Sphäre der Öffentlichkeit für Freiheit und Zurechnung .......................... c) Überlagerung der Öffentlichkeit und rechtliche Trennung 6. Zusammenfassung................................................. 7. Zum Recht auf informationelle Selbstbestimmung gegenüber Privaten............................................................. VI. Allgemeines Persönlichkeitsrecht und Deliktsprovokation Zusammenfassung.....................................................

9 128 128 131 133 137 139 139 142 144 147 148 149

C. Zurechnung von Normverstößen zum Staat.......... ....................

151

D. Von der provozierten Tat betroffene Normen nichtstrafrechtlicher Art

158

E. Strafrechtliche Grenzen der Deliktsprovokation ...................... . .. I. Provokation des Versuchs durch Teilnahme....................... 1. Teilnahme als Delikt gegen den Täter (Schuldteilnahmelehre und Modifikation) ................................................. 2. Unrechtsteilnahme oder eigener Rechtsgutsangriff ........... 3. Das Verhältnis von Delikts- und Ergänzungstatbeständen .. a) Grenzen der Modifikation des Deliktstatbestandes bei Versuch und Teilnahme ...................................... b) Tatsächlicher Bezug des Teilnehmerverhaltens zum deliktstatbestandlichen Verhalten............................. c) Versuch des Versuchs......................................... d) Bezug der Teilnahme auf das deliktstatbestandliche Verhalten bei der Kettenteilnahme ............................. e) Bezug des strafbaren Unterlassens auf den Deliktstatbestand ............................................................ f) Selbständiger Unwert des Versuchs? ....................... g) Teilnahme am Versuch und Akzessorietät - Ergebnis ... 4. Provokation durch Beihilfe....................................... 5. Resümee............................................................. 11. Provokation des vollendeten Delikts durch Teilnahme .......... 1. Anwendbarkeit der materiellen Kriterien...................... a) Abstrakte Gefährdungsdelikte .............................. b) Konkrete Gefährdungsdelikte und Dauerdelikte ......... c) Absichts- und Untemehmensdelikte ....................... d) Rechtspolitische Erwägungen ...............................

160 161 161 165 173 175 177 178 180 190 191 191 194 195 195 198 198 201 202 204

10

Inhaltsverzeichnis 2. Kritik der materiellen Kriterien ................................. a)

205

~.aterielle und gesetzliche Bestimmung von Rechtsgutem ............ ................................ ..............

205

b) Rechtsgüter und Verkehrsformen ...........................

208

c) Grenzen der Wertung und des Schuldprinzips ............ 3. Analogie von Absichtsdelikt und Versuch......................

211 212

a) Politische Absichtsdelikte als Beispiel.....................

213

b) Begründung der Analogie....................................

215

c) Verhältnis von Vorsatz und Absicht........................

218

d) Verhältnis von Tätervorsatz und Teilnehmervorsatz .....

219

e) Formale Bedeutung der Akzessorietät .....................

224

f) Materielle Bedeutung der Akzessorietät...................

225

g) Anwendbarkeit der §§ 28, 29 StGB .........................

228

h) Schuldprinzip und Forderung nach Individualisierung

230

i) Vergleich mit notwendiger Teilnahme .....................

232

k) Wertungswidersprüche .......................................

234

1) Vernachlässigung des Rechtsgüterschutzes oder Gesinnungshaftung .................................................. 4. Provokation von Tendenz- und Unternehmensdelikten ...... 5. Analogie zum Rücktritt und polizeiliche Interessen an Straffreiheit ..............................................................

235 236 238

IU. Provokation durch Mittäterschaft ............... ; . . . . . ... . . . . . . . . . . .

246

IV. Straffreie Mittel der Provokation................................... 1. Besondere Mittel der Anstiftung................................. 2. Sozialadäquanz als Grenze der Teilnehmerhaftung ........... 3. Subjektive Freiheitsrechte als Grenze der Teilnehmerhaftung ... . . .. . . . . . . . . .. . . . . . . . .. . . . . . . . . . .. . . . .. . . . . . . . .. . . . . . . . . . . . 4. Parallelen in anderen Rechtsgebieten ........................... 5. Objektive oder subjektive Kriterien der subjektiven Rechte 6. Zusammenfassung .................................................

250 250 252 254 257 259 262

V. Besonderheiten der staatlichen Provokation (Pflichtdelikte) 1. Allgemeine Delikte und staatliche Sonderpflichten ...........

262 263

a) Öffentliche Sicherheit und Garantenpflicht ...............

264

b) Der polizeiliche Provokateur als Täter.....................

268

c) Garantenpflichten für Kollektivrechtsgüter ............... 2. Besondere Pflichtdelikte .......................................... 3. Haftung Privater als Amtsträger ................................

270 273 275

VI. Zusammenfassung der strafrechtlichen Grenzen der Deliktsprovokation ............................................................

276

Inhaltsverzeichnis

11

2. Teil

Möglichkeiten der Rechtfertigung und Begründung von Deliktsprovokationen A. Rechtfertigung privater Provokationen gemäß § 34 8tGB .............. I. Provokation zwecks Ahndung vergangener Straftaten........... 1. Schutz von Kollektivrechtsgütern - subjektives Recht und objektive Gerechtigkeit .............................................. 2. Konkretisierung und Gesetzesbindung des Rechtsguts ....... 3. Formales Recht und materiales Rechtsgut ..................... 4. Rechtsgut und Prozeß ............................................. 11. Provokation zwecks Gefahrenabwehr durch Strafe .............. 111. Sicherheit der Volksgesundheit als Beispiel eines Kollektivrechtsgutes ............................................................. IV. Gefährdung von Rechtsgütern und Erforderlichkeit von Schutzmaßnahmen ............................................................ V. Beeinträchtigte Rechtsgüter und Abwägung ....................... VI. Probleme der Angemessenheit und Kommensurabilität des Mittels der Provokation .................................................. 1. Verbot, auf die Seite des Unrechts zu treten? .................. 2. Unzuständigkeit Privater beim Schutz von Kollektivrechtsgütern? .............................................................. 3. Begre=ung privater Nothilfe gemäß den staatlichen Befugnissen? ............................................................... 4. Vorrang rechtlich geordneter Verfahren........................ a) Strikter oder relativer Vorrang von Verfahren............ b) Stellungnahmen von Rechtsprechung und Literatur..... c) Verhältnis von polizeilichen Verfahren und privatem Eingriff. . . . . .... . . . . . . . . . . .. . .. . . . . .. . . . .. . . . . . .. . . . .. . . . . . . . . . . . d) Die Phase staatlich organisierter Gefahrenabwehr ....... e) Fazit ............................................................

277 278

B. Einverständnis und Einwilligung ..........................................

330

C. Öffentlichrechtliche Begründungen der staatlichen Deliktsprovokation I. Strafprozeßrecht....................................................... 11. Polizeirecht, Gefahrenabwehr und Gefahrenvorsorge ............ 1. Konkrete Gefahr, Gefahrverdacht, Gefahrenvorsorge ........ 2. Polizeipflichtigkeit ................................................ 3. Geeignetheit und rechtliche Unmöglichkeit. . .. . . . .. . ... . . .. .. . 4. Gesetzesbindung ................................................... 5. Geringstmöglicher Eingriff und Verhältnismäßigkeij; ......... 6. Fazit ................................................................. 111. Verfassungsschutzrechtliche Gefahrenvorsorge als Begründung der Deliktsprovokation ............................................... IV. Präventive Verbote, gesetzliche Befreiungen und behördliche Erlaubnisse .............................................................

331 331 331 331 335 336 337 343 344

279 284 286 287 291 294 296 300 306 308 311 315 317 318 319 323 326 329

345 348

12

Inhaltsverzeichnis

D. Begründung staatlicher Deliktsprovokationen durch § 34 StGB .......

354

I. Eingriffe in Individualrechtsgüter .................................. 1. Argumente für die Anwendung des § 34 StGB auf hoheitliche Eingriffe ............................................................ 2. Kritik der Ausweitung des § 34 StGB .......................... 3. Grenzen der Legitimation von Mitteln durch Zwecke........ 4. Begründung staatlicher Eingriffe durch rechtlich geordnete Verfahren........................................................... 5. Empirische Differenzen von privatem und staatlichem Handeln ............................................................. 6. Allgemeine Rechtsgedanken und Analogie ..................... 7. Ausnahmezustand und Funktionstüchtigkeit der Strafrechtspflege ....... ........... ........ ......................................

355

II. Eingriffe in Rechtsgüter der Allgemeinheit........................ 1. Erweiterter Vorbehalt des Gesetzes und Primat parlamentarischer Entscheidung. . . . . . . . . . . . . . . .. . . . . . . . .. .. . .. .. . ... . . . . . . .. . .. 2. Vorrang des Gesetzes, öffentliches und Privatinteresse ......

369 371 374

E. Rechtswidrige staatliche Deliktsprovokation und Ausschluß des Strafunrechts gemäß § 34 StGB .................................... ..............

377

I. Allgemeine Erwägungen..............................................

378

355 358 361 363 364 365 367

II. Die Bedeutung des Handlungsunwerts für das Strafrecht .......

380

III. Die Bedeutung von Rollenpflichten für das Strafrecht...........

381

IV. Sozialethik als Kriterium ............................................

384

V. Die Bedeutung des Rechtsgüterschutzes für das Strafrecht .....

386

VI. Konkurrenz der Rechtfertigungsgründe ............................

388

VII. Ungleichheit und Rollenverteilung..................................

392

VIII. Normzweckerwägungen .............................................. 1. Schutz der Rechtsstaatlichkeit ................................... 2. Zweck von Kompetenzregelungen ............ ..... .............. 3. Hypothetischer Kausalverlauf, rechtmäßiges Alternativverhalten ............................................................... 4. Gesonderte Bewertung von Kompetenzanmaßungen? ........ 5. Die Rettungstendenz der Amtshandlung.......... ............. 6. Vergleich mit anderen Regelungen ..............................

392 393 394 396 397 398 401

IX. Teilweise Rechtfertigung, Analogie und Verhältnismäßigkeitserwägungen ............................................................

404

X. Fazit zum Strafunrechtsausschluß ..................................

409

Ergebnis der gesamten Untersuchung................................ ........

410

Literaturverzeichnis .............................................................

414

Einleitung Provozieren heißt hervorrufen. Etwas soll sich zeigen. Der Zoologe stößt im Experiment ein Verhalten des Tieres an, um seine Gesetzmäßigkeit zu erkennen. Der Verhaltensforscher läßt Menschen in einer Versuchsanordnung agieren, um ihre Reaktionsregelmäßigkeiten herauszufinden. Der Provokateur hat ein strategisches Verhältnis zum Provozierten. Daß dieser etwas Bestimmtes tun soll, darüber ist er mit ihm einig. Der Provokateur hat aber mit der Handlung etwas anderes vor, als der, der sie selbst vollzieht. Er erhebt sich über die Perspektive des Handelnden und läßt diesen in die Falle laufen, wenn er ihm feindlich gesonnen ist.

1. Definitionen Im folgenden soll als Provokation oder Deliktsprovokation bezeichnet werden: das Fördern einer Straftat mit dem Wissen, daß der Täter entgegen seiner eigenen Erwartung der Strafe nicht entgehen wird, und mit der Absicht, mit der Straftat oder der Bestrafung des Täters weitere, von den Zielen des Täters abweichende Ziele zu erreichen - etwa durch das Beobachten des Täters den Weg zu anderen, als gefährlich eingeschätzten Personen oder Gegenständen zu finden oder durch die Teilnahme am kriminellen Tun das Vertrauen der Akteure zu erwerben und in der kriminellen Szene respektiert zu werden oder mit den Beweisen der Tat den Täter zur Kooperation mit der Polizei zu erpressen oder durch die Tat einen Anlaß zu exekutivischen Zwangsmaßnahmen gegen den Täter oder Dritte (z. B. Auflösung einer Demonstration) zu schaffen oder durch die gegen den Täter zu vollstreckende Freiheitsstrafe diesen eine Zeitlang unschädlich zu machen. Die hier gegebene Bestimmung soll nur pragmatisch und vorläufig den Gegenstand der Untersuchung umreißen. ,Provokation' ist kein Rechtsbegriff. Für eine juristisch intendierte Untersuchung wie die vorliegende ist es deshalb nicht nötig, einen inhaltlich begründeten Begriff der Provokation zu entwickeln. Man kann noch viele andere kriminogene Verhaltensweisen, die nicht von der gegebenen Bestimmung erfaßt sind, als Provokation bezeichnen und rechtlich problematisieren, etwa eine Stadtplanung, die realisiert wird in dem Wissen, daß sie viele künftige Bewohner zu kriminellem Handeln stimuliert, oder die Gestaltung und Werbung eines Supermarktes in der Voraussicht, daß viele Leute zu Diebstählen stimuliert werden, die mit vorbereiteten Kontrolleinrichtungen beobachtet und der Bestrafung zugeführt werden sollen. Derartiges wird hier nicht erörtert in dem pragmatischen Interesse, das Thema zu begrenzen.

14

Einleitung

Deshalb sind auch nicht Gegenstand der Untersuchung die rechtlichen Konsequenzen der unzulässigen Provokation, insbesondere die in den letzten Jahren viel diskutierte Frage, ob und wie der von der Polizei Provozierte strafbar und verfolgbar ist. Bei dieser Fragestellung wird meist nach einzelnen mit der Provokation verbundenen Rechtsverstößen gesucht, die wegen ihrer Art oder Schwere begründen könnten, daß die provozierte Tat nicht strafbar, nicht verfolgbar oder nicht beweisbar ist. Da solche Konsequenzen vorliegend nicht Erkenntnisziel sind, wird nicht folgenorientiert nach einzelnen Rechtsverstößen geforscht, sondern umfassend erörtert, ob und unter welchen Bedingungen eine Provokation unzulässig und strafbar ist. Die Beantwortung dieser Frage kann relevant sein vor allem für staatliches, insbesondere polizeiliches Handeln, das beansprucht, Gesetzesvollzug zu sein. Punktuell allerdings, wo sie ohne weiteres naheliegen, werden auch vorliegend die Konsequenzen von Provokationen für die Strafbarkeit des Provozierten angesprochen. Auch werden sich bisher wenig beachtete Rückwirkungen zeigen: Die Provokation kann gerade deshalb zulässig sein, weil der Provozierte durch sie straffrei wird. Die Provokation als solche ist - anders als etwa polizeiliche Standardmaßnahmen - im Recht nirgends vorgesehen. Deshalb kann nicht primär geprüft werden, ob und wann etwa Kriterien ihrer Begründetheit erfüllt sind. Zunächst (1. Teil) ist vielmehr zu fragen, wie die Provokation rechtlich begrenzt ist. In einem weiteren Schritt (2. Teil) kann dann untersucht werden, ob die Provokation, die eine rechtliche Grenze überschreitet, gleichwohl begründet oder gerechtfertigt ist. Soweit dies nicht der Fall ist, wird schließlich (2. Teil E) geprüft, ob u. U. die spezifische Strafrechtswidrigkeit der Provokation ausgeschlossen sein kann. Die Provokation von Straftaten, so wie sie hier definiert wurde, kann im wesentlichen in drei Hinsichten rechtlich begrenzt oder begründet sein: Einmal kann das Fördern des Rechtsbruchs oder seiner schädlichen Wirkungen zu Lasten Dritter die Provokation unzulässig machen. Dafür ist das Staats- und Verwaltungsrecht einschlägig, das den Behörden gebietet, gesetzmäßig zu handeln und nicht grundlos in die Rechte der Bürger einzugreifen, weiter die allgemeinen Normen, die jedermann gebieten, die Rechte anderer zu achten, schließlich das Strafrecht, das jedermann verbietet, an Straftaten anderer teilzunehmen. Die Provokation kann weiter unzulässig sein, wenn sie den Provozierten rechtswidrig belastet. Insofern ist vor allem das allgemeine Persönlichkeitsrecht zu berücksichtigen, das eventuell die mit der Provokation einer Straftat verbundene Gefahr der sozialen Desintegration, den Vertrauensmißbrauch, den Eingriff in die informationelle Selbstbestimmung und die Veranlassung zur Selbstüberführung (nemo tenetur se ipsum prodere) verbietet. Schließlich kann die Provokation wegen ihres Zweckes (z. B. Gefahrenabwehr, Gefahrenvorsorge, Rettung bedrohter Rechtsgüter im Notstand) begründet oder gerechtfertigt sein. Der Zweck kann die Provokation auch rechtswidrig machen, wenn sie für ihn das falsche Mittel ist (z. B. weil sie die Strafjustiz für die

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15

exekutiv ische Gefahrenabwehr instrumentalisiert, weil durch sie die Strafe nicht mehr auf Taten, sondern auf gefährliche Personen bezogen wird).

2. Tatsächliche Entwicklung und herkömmliche Bewertung der Deliktsprovokation Für die rechtliche Bewertung der Provokation von Straftaten sind ihre realen Zusammenhänge wichtig. Daß sie von Privaten ausgeht, schien lange Zeit eine Ausnahme zu sein. Das ändert sich vermutlich mit dem Wachsen der privaten Sicherheitsdienste I. 1980 soll es davon 542 gegeben haben mit insgesamt über 60.000 Beschäftigten. Die Zahlen steigen. Die privaten Dienste werden engagiert z. B. von Betrieben zur Kontrolle des Personals und der Kunden. Nach detaillierten Berichten aus der Sicherheitsbranche gehört mehr oder weniger provokatorisches Vorgehen zu den professionell, d.h. regelmäßig eingesetzten Mitteln. Daß dies stets rechtlich einwandfrei geschähe, ist wegen des materiellen Interesses der Akteure am Erfolg unwahrscheinlich. Es wird von Arbeitgebern berichtet, die Kündigungsgründe schaffen, indem sie Angestellte zu Straftaten provozieren lassen. Bekannt ist, daß Versicherungsunternehmen Detektive engagieren, die die verschwundene Beute von Straftaten sicherstellen sollen; Zugang zu der Beute verschafft sich der Detektiv eventuell über die Provokation einer Straftat. Denkbar ist auch, daß Personen oder Unternehmen, die sich von professionellen Kriminellen bedroht glauben, einen privaten Sicherheitsdienst beauftragen, die Gefahr abzuwenden, was erreicht wird, indem die als gefährlich eingeschätzten Personen zu einem Delikt provoziert werden, bei dem sie der Polizei in die Hände fallen. Schließlich arbeiten private Sicherheitsdienste mit staatlichen Stellen zusammen im Bereich des Verfassungsschutzes, insbesondere beim Schutz sicherheitsempfindlicher Betriebe. Die privaten Dienste fungieren hier nicht, wie es juristischen Vorstellungen vom exklusiven staatlichen Gewaltmonopol naheliegt, als Konkurrenz der Polizei, sondern als deren Verlängerung. Führende Polizeibeamte nehmen die privaten Dienste gegen Vorurteile in Schutz und bewerten das Verhältnis als partnerschaftlich 2, was Berichte über den Detektiv Mauss bestätigen. - Im Hinblick auf die Expansion und Professionalisierung der privaten Sicherheitsdienste einerseits und auf die Brauchbarkeit der Deliktsprovokation für ihre Zwecke andererseits ist es durchaus relevant, die rechtlichen Grenzen der von Privaten ausgehenden Deliktsprovokation zu bestimmen. Wie sich zeigen 1 Zum folgenden: Busch u.a., Die Polizei in der Bundesrepublik, S. 41 ff.; Wirsching, Den Schnüfflern auf der Spur, S. 62 ff., 149 f, 172 ff. mit ausführlicher Darstellung der Arbeitsweise privater Sicherheitsdienste (der Autor ist Unternehmensberater für Betriebskriminalität und Sicherheit). 2 Vgl. Busch u.a., a.a.O., S. 44 ff. mit Belegen. Kritisch zur Privatisierung von Polizeigewalt Hoffmann-Riem, ZRP 1977,277 ff.

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16

wird, sind dies - sofern nicht staatliche Stellen die Auftraggeber sind allem strafrechtliche Grenzen.

vor

Mehr öffentliches Interesse als die privaten finden die von der Polizei und den Geheimdiensten ausgehenden Deliktsprovokationen. Hier dürfte auch der historische Schwerpunkt der Deliktsprovokation liegen. Das kommt schon in der lange Zeit auch im Strafrecht gebräuchlichen Bezeichnung des Problems zum Ausdruck: agent provocateur. Der agent ist nicht irgendein frei agierender Jedermann, sondern Beauftragter oder Beamter der Polizei, womit ursprünglich die französische Geheimpolizei gemeint war. Sie unterhielt vor, während und nach der Revolution, also unter sehr verschiedenen Regimes, ein umfangreiches und tief in die Gesellschaft eindringendes Agentenwesen, das Foucault beschrieben hat 3• Da nun die französische, insbesondere die napoleonische Staatsverwaltung für die deutschen Partikularstaaten im 19. Jahrhundert Vorbild war, da die restaurativen Staaten in der geheimdienstlichen Demagogenverfolgung, durch Metternich vermittelt, aktiv kooperierten und Delikte provozierten4, und da das Französische die Sprache der Gebildeten war, wurde die Bezeichnung ,agent provocateur' ins Deutsche übernommen. Die deutschen Strafrechtswissenschaftler allerdings veranlaßte die Tatsache, daß sie explizit beständig von Agenten redeten, bis vor kurzem nicht, das Staatliche am realen provokativen Handeln, die Steuerung von Kriminalität durch die Bürokratie, nachhaltig zur Kenntnis zu nehmen. Vielmehr wurde der provokatorische Agent als ein privater Jedermann behandelt, so daß sein Tun nicht die Polizei in Frage stellte, sondern in einem Seitenzweig der Teilnahmedogmatik als eher theoretischer Schulfall dazu diente, die Strafgründe der Teilnahme zu demonstrieren. Noch im Hinblick auf die gegenwärtige Strafrechtsprechung und Literatur läßt sich bezweifeln, ob das spezifisch Staatliche der polizeilichen Provokation hinreichend berücksichtigt wird. Der Provozierte z. B. soll nicht in seinem Freiheitsgrundrecht betroffen sein, weil er frei sei, die Provokation zurückzuweisen 5. Dieses im Hinblick auf Provokationen zwischen Privaten zureichende Argument soll auch für staatliche Provokationen gelten. Unter dem Aspekt der aus dem zwischenbürgerlichen Verhältnis übernommenen Freiheitsvorstellung müßte freilich auch jene Verfassungsrechtsprechung verfehlt sein, die nicht erst seit dem Volkszählungsurteil meint, der Staat greife in ein subjektives Freiheitsrecht ein, wenn seine Beamten Bürger dauerhaft beobachten (was zwischen Bürgern gestattet ist)6; der Beobachtete kann ja tun, was er will, wie Überwachen und Strafen, S. 78 Anm. 48, 273 ff., 356 ff. Vgl. Kirchheimer, Politische Justiz, S. 348; Marx, Enthüllungen über den Kommunisten-Prozeß zu Köln. In: Marx / Engels-Werke, Bd. 8, S. 409 ff., 469; Georg Büchner, Ludwig Weidig, Der Hessische Landbote, Texte, Briefe, Prozeßakten. Kommentiert von H.M. Enzensberger, S. 39 f., 47 f., 58 ff. 5 Puppe, NStZ 1986,404, (405); Schumann, JZ 1986,66 (68). 6 BVerfGE 27, 1 ff.; 32, 367 ff.; 34,238 ff.; 44, 353 ff.; 65,43 ff. 3

4

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der Provozierte. Mit der Gleichstellung von staatlichem und privatem Handeln wird auch begründet, daß der Staat bzw. die Beamten ihre Eingriffe auf die Jedermannsbefugnis des § 34 StGB sollen stützen dürfen 7. Freilich wird der Delikte provozierende Staat nicht konsequent Privaten gleichgestellt. Der Provozierte soll strafbar sein, auch wenn er von der Polizei rechtswidrig zur Tat gedrängt wurde. Die zivilrechtliehe Verwirkungseinrede 8 schließe die Strafbarkeit nicht aus, weil es keinen subjektiven Strafanspruch gebe 9. Warum nicht, wenn ansonsten der Staat als ein Subjekt wie jedermann handelt? - Die Gewaltenteilung soll durchbrochen sein, wenn infolge der polizeilichen Provokation der Provozierte nicht bestraft werden könne 10; ob etwa auch die polizeiliche Provokation selber die Gewaltenteilung durchbricht, weil sie die Justiz zum Instrument polizeilicher Gefahrenabwehr macht 11, wird nicht gefragt. Verständlich wird solcher Umgang mit dem Problem vor dem realen Hintergrund der modemen Kriminalität 12. Sie ist oft gestützt auf eine dichte, mit modemen technischen Mitteln arbeitende Organisation. Die Täter sind oft außerordentlich mobil und in eine relativ geschlossene soziale Sphäre integriert. Das macht es der Polizei schwer, Strafverfolgung und Gefahrenabwehr mit den herkömmlichen Mitteln erfolgreich zu betreiben. Deshalb setzt sie V-Leute ein, die in die jeweilige Szene einzudringen und sie zu kontrollieren suchen. Sie beteiligen sich auch an Straftaten, um Vertrauen zu erwerben, um die Arbeitsweise der Organisatoren der Kriminalität zu erkunden, um an gefährliche Gegenstände heranzukommen, um Personen der Strafjustiz auszuliefern. Um glaubhaft zu werden, müssen sie oft weitere Delikte begehen, wie Fälschung von Ausweispapieren, Hausfriedensbruch, Hehlerei, Verletzung der Vertraulichkeit des Wortes, Vortäuschen von Straftaten, Strafvereitelung l3. Im übrigen sind die Straftatbestände etwa des Betäubungsmittelrechts, des politischen Strafrechts und der §§ 129, 129a StGB so weit in den Bereich der Kommunikation und Kooperation ausgedehnt, daß kaum ein Kontakt mit den als gefährlich geltenden Szenen keinen Straftatbestand erfüllt. Die intensive Verstrickung der polizeilichen und geheimdienstlichen V-Leute in das kriminelle Geschehen der zu kontrollierenden Szene ist Programm, wenn 7 OLG München, NJW 1972, 2275; Rebmann, NJW 1985, 1 (5); Gössel, JuS 1979, 162 (164 f.); Dreher / Tröndle, § 34 Rn 24, 24a mit weiteren Nachweisen. 8 Dazu BGH NJW 1980, 1761; BGH NSt 1981,70; ähnlich BGH NJW 1981 1626. 9 BGHSt 32, 345 (353); Schumann, a.a.O., S. 69 f. 10 Foth, NJW 1984,221 (222); ihm folgend BGHSt 32, 345 (353). II Dazu Taschke, StrVert 1985, 178 (179). 12 Zum folgenden vgl. die "Ergebnisse der von dem Justizministerium und dem Innenministerium des Landes Baden-Württemberg eingesetzten Arbeitsgruppe" abgedruckt in: Bürgerrechte und Polizei / CILIP, Nr. 11 (1982), S. 63 ff.; Stümper, Organisierte Kriminalität. In: Lüderssen (Hg.), V-Leute. Die Falle im Rechtsstaat, S. 65 ff. l3 Vgl. Bericht des vom Arbeitskreis II der Innenministerkonferenz eingesetzten ad hoc-Ausschusses, in: Bürgerrechte und Polizei / CILIP, Nr. 17, 1984, S. ff (81 ff.).

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die Polizei in die Szene eindringen, sie von innen kontrollieren will. Die kriminelle Verstrickung wird von der Polizei denn auch eirrgeplant 14. Daß die strafrechtliche Literatur und Rechtsprechung privates und staatliches Handeln bei der Deliktsprovokation zuweilen nicht unterscheiden, hat in der Vermischung der Polizei mit der kriminellen Szene einen sachlichen Grund. Damit könnte freilich die Legitimation des staatlichen Strafens in Frage gestellt werden. Mit der Strafe wird ein Schuldvorwurf manifestiert. Soll er respektiert werden, so muß der, der ihn erhebt, möglichst Distanz haben vom abgewerteten Geschehen. Er muß ein davon gesonderter Dritter sein. Die Strafrechtsprechung 15 und neuerdings auch das Bundesverfassungsgericht 16 haben die polizeiliche Provokation von Straftaten für rechtmäßig erklärt, soweit sie zur Bekämpfung besonders gefährlicher und schwer aufklärbarer Kriminalität erforderlich sei. Für die Zulässigkeit der einzelnen Provokation seien entscheidend Grundlage und Ausmaß des gegen den Provozierten bestehenden Verdachts, Art, Intensität und Zweck der Einflußnahme des Provokateurs, Tatbereitschaft und eigene, nicht fremdgesteuerte Aktivitäten des Provozierten; präzisiert werden diese Kriterien nicht 16,. Sie sollen auch nicht als einzelne relevant sein, sondern als Elemente einer Gesamtwürdigung, so daß auch noch das gänzliche Fehlen eines Kriteriums, z. B. des Verdachts, durch ein anderes, z. B. die Tatbereitschaft, kompensiert werden kann. Nach Angaben der Polizei wird die Deliktsprovokation gegenwärtig eingesetzt vor allem gegen den illegalen Betäubungsmiuelhandel, Waffenhandel und Diebstähle, soweit sie in organisierter Form betrieben werden. Die Hauptverantwortlichen, Drahtzieher, Hintermänner, Finanziers der Organisationen sollen im Wege der verdeckten Fahndung und der Deliktsprovokation gestellt werden 17. Tatsächlich wird auch gegen die schlichte Straßenprostitution und gegen Kleindealer die polizeiliche Provokation eingesetzt 18. Zumindest provokationsähnlich wurde auch gegen die politische Kriminalität vorgegangen, wie der bekannte, von Verfassungsschutzbeamten durchgeführte Bombenanschlag auf die Celler Justizvollzugsanstalt zeigt, der V-Leute bei politischen Terroristen glaubhaft machen sollte 19. Der gegen die rechtsradikale Szene eingesetzte Agent des niedersächsischen Verfassungsschutzamtes, Dieter Lepzien, beteiligte sich an Sprengstoffund Waffendelikten 20 • Anfang der siebziger Jahre soll die RAF von dem Verfass.o. Anm. 12, 13. Statt vieler: BGH NJW 1981, 1626 f.; BGHSt 32, 345 (346 f.); BGH StrVert 1985, 309 (310). 16 BVerfG NStZ 1987,276. 16a So ausdrücklich BGH StrVert 1985, 309 (310). 17 s.o. Anm. 12, 13. 18 Vgl. den Fall BVerfG StrVert 1985, 177 mit ablehnender Anm. von Lüderssen. 19 Vgl. Der Spiegel, Nr. 19 v. 5.5. 1986. 20 Vgl. Scheub / Becker, Bürgerrechte und Polizei / CILIP, Nr. 17, 1984, S. 57 (61 f.); Ostendorf / Meyer-Seitz, StrVert 1985, 73 (76). 14 15

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sungsschutzagenten Urbach Waffen erhalten und eingesetzt haben 21 • Viele Fälle aus der neueren Zeit sind in der Literatur dokumentiert 22 •

3. Zum historischen und soziologischen Verständnis von Deliktsprovokationen In historischer Perspektive erweist sich der vorverlagerte Staatsschutz als einer der typischen Einsatzbereiche der polizeilichen Deliktsprovokation - unabhängig von der politischen Orientierung der jeweiligen Regimes. Das zeigt neben der erwähnten Entwicklung der französischen und deutschen Geheimpolizei im 18. und 19. Jahrhundert und der Tätigkeit des US-Geheimdienstes 23 besonders eindringlich die Praxis der zaristischen Ochrana bis zur Oktoberrevolution; ihre Agenten beteiligten sich an Ermordungen von Repräsentanten des eigenen Staates durch Anarchisten 24 • - Wenn die Polizei eines Regimes Gewalttätigkeiten regimefeindlicher Gruppen provoziert, so kann dies von verschiedenen Erwägungen motiviert sein. Einmal mag es um eine Rechtfertigung für Repressionsmaßnahmen gegen die Regimefeinde gehen 25 • Zum anderen mag die Polizei hoffen, daß infolge der Gewalttätigkeiten die regimekonforme Mehrheit der Bevölkerung politisch konsolidiert wird, "zusammenrückt", die bestehenden Normen bekräftigt 26. Dabei wird mit der Provokation E. Durkheims 27 These in Praxis umgesetzt, Kriminalität habe die positive Funktion, der konformen Gesellschaft die Gelegenheit zu bieten, die Normen zu bekräftigen und solidarisch zu werden. - Auch die Delikte von Regimefeinden können provokatorisch intendiert sein, nämlich die Ordnungskräfte des Regimes zu repressiven Überreaktionen zu provozieren und dadurch den "totalitären, faschistischen Charakter des Systems" zu "entlarven". Das war ein Element der Strategie der RAF. Vgl. Michael Baumann, Wie alles anfing, S. 110. Bürgerrechte und Polizei, a.a.O., S. 70 ff. 23 Kirchheimer, Politische Justiz, S. 349; G.T. Marx, Thoughts on the Neglected Category of Social Movement Participant: The Agent Provocateur and the Informant. In: American Journal of Sociology, 1980, S. 402 ff. 24 Vgl. Enzensberger, Die Träumer des Absoluten. In: ders., Politik und Verbrechen, S. 283 ff. 25 Kirchheimer, a.a.O .. In diesen Zusammenhang gehört evtl. auch der Fall des Mitarbeiters des Berliner Verfassungsschutzamtes, der 1983 als Rädelsführer dazu beitrug, daß eine Demonstration in gewalttätigen Auseinandersetzungen mit der Polizei kulminierte; dazu Lüderssen, Zynismus, Borniertheit oder Sachzwang? In: ders., V-Leute. Die Falle im Rechtsstaat, S. 15; Ostendorf / Meyer-Seitz, StrVert 1985,73(76). Grundsätzlich hat derartiges Vorgehen untersucht Sack, Staat, Gesellschaft und politische Gewalt: Zur "Pathologie" politischer Konflikte, in: Analysen zum Terrorismus, Bd. 4, 2, 1984. 26 Kirchheimer, a.a.O., S. 348; G.T. Marx, Ironies of Social Control; Authorities as Contributors to Deviance through Escalation. Nonenforcement and Covert Facilitation. In: Social Problems, 1981, S. 221 ff. 27 Über die Teilung der sozialen Arbeit, S. 149; zum ,,zusammenrücken" vgl. S. 144. 21

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Es wäre falsch, die polizeiliche Deliktsprovokation politisch als Element totalitärer Staatlichkeit zu deuten. Hannah Arendt 28 weist daraufhin, daß für totalitäre Regimes wie den deutschen Faschismus oder den Stalinismus die Deliktsprovokation als Mittel der Polizei obsolet ist, denn dort können verdächtige und mißliebige Personen ohne weiteres aus dem Verkehr gezogen werden. Zu einer Straftat müssen sie nicht erst provoziert werden. Insofern signalisiert die Praxis der polizeilichen Deliktsprovokation auch, daß dem Anspruch nach an Rechtsstaatlichkeit festgehalten wird. In vielen westlichen Demokratien, denen Rechtsstaatlichkeit nicht grundsätzlich abgesprochen werden kann, wird denn auch die polizeiliche Deliktsprovokation in Grenzen zugelassen 29. Kriminalpolitisch (nicht hinsichtlich der Rechtsform) entspricht die polizeiliche Deliktsprovokation wohl am ehesten der Herbeiführung von Verdachtsstrafen. Sie wurden bekanntlich im Spätmittelalter verhängt, als die Landfrieden durchgesetzt wurden und die Städte gegen "landschädliche Leute" vorgingen. "Gefährliche Subjekte niederer Abkunft" waren das, "auf die vom Standpunkt der Ansässigkeit und des Bürgerrechts keinerlei Rücksicht zu nehmen war" 30. Auch im Inquisitionsprozeß der frühen Neuzeit wurden Verdachtsstrafen verhängt. Die Deliktsprovokation soll sich ebenfalls ohne Tatnachweis gegen gefährliche und verdächtige Personen richten und sie der Bestrafung zuführen, sofern dies zur Bekämpfung schwer aufklärbarer, gefährlicher - "landschädlicher" Kriminalität erforderlich ist. Im übrigen ist auch dem gegenwärtigen Strafrecht - jenseits der Deliktsprovokation - die Verdachtsstrafe nicht ganz fremd. Arzt und Weber 3! meinen, die Anwendung der §§ 129, 129a StGB führe u. U. zu Verdachtsstrafen. Auch hinsichtlich der neuen Straftatbestände gegen die Wirtschaftskriminalität wird eingewandt, sie enthielten Elemente von Verdachtsstrafen 32 • Die Art, wie Gerichte zuweilen das ordentliche Beweisverfahren ablehnen, mit der Behauptung, Tatsachen seien gerichtskundig, kann ebenfalls in die Nähe von Verdachtsstrafen führen 33. Die staatliche Deliktsprovokation wird nach Angaben ihrer polizeilichen Befürworter eingesetzt gegen anders nicht aufklärbare, organisierte Kriminalität. Legt man dies, obwohl es, wie gezeigt, nicht ganz zutrifft, zugrunde, so fungiert Elemente und Ursprünge totalitärer Herrschaft, S. 620 ff. Dazu Drywa, Die materiellrechtlichen Probleme des V-Mann-Einsatzes, S. 89 ff.; Lüderssen, Festschrift für Peters, S.349 (354 f.); Dietze, Jahrbuch des öffentlichen Rechts, N.F., Bd. 28 (1979), 589 ff. 30 Eb. Schmidt, Einführung in die Geschichte der deutschen Strafrechtspflege, §§ 67, 71,78,81,84 ff., 155, 158, 161 ff.; vgl. auch K.A. Hall, Die Lehre vom corpus delicti, S. 8 f., Robert v. Hippel, Deutsches Strafrecht I, S. 236 f. Anm. 12; Schaffstein, Die allgemeinen Lehren vom Verbrechen in ihrer Entwicklung durch die Wissenschaft des gemeinen Strafrechts, S. 39 ff., 237 f., 248 ff., 256. 3! Strafrecht BT, Lehrheft 5,1982, Rn 35; den "Verdacht der Verdachtsstrafe" äußert Dencker, StrVert 1987, 117 (120). 32 Vgl. Grünwald, Verhandlungen des 49. DJT, Bd. II, Teil M, 1972, S. 123. 33 Zu einem Beispiel vgl. Keller, KJ 1984,418 (423 ff.). 28

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die staatliche Deliktsprovokation als Äquivalent für andere Aufklärungsformen, die gegenüber anderen Kriminalitätsarten effizient sind. Bei herkömmlicher Kriminalität wird die staatliche Verfolgung meist durch Anzeigen von Bürgern ausgelöst 34 . Bei der organisierten Kriminalität bleiben Anzeigen, die zur Aufdekkung des organisatorischen Zusammenhangs führen könnten, weitgehend aus. Hier ist die Aufnahme der Strafverfolgung auf staatliche Kontrollrnaßnahmen angewiesen. Die Deliktsprovokation nun soll der Polizei die organisierte Kriminalität sichtbar machen. Sie läßt sich verstehen als funktionales Äquivalent der Anzeigen aus der Bevölkerung. Freilich dringt die staatliche Kontrolle, sofern sie sich der Deliktsprovokation bedient, intensiver in den sozialen Bereich ein als bei herkömmlichen Kontrolldelikten z. B. der Straßenverkehrskriminalität. Bei der Deliktsprovokation kooperiert und vermischt sich die staatliche Kontrolle mit dem, was herkömmlich als Objekt ihrer Tätigkeit verstanden wird. Insofern hat die staatliche Deliktsprovokation Parallelen u. a. im Straferlaß für Kronzeugen und in der um sich greifenden Praxis des Vergleichs im Strafprozeß35 sowie - außerhalb des Strafrechts - in der zunehmenden Tendenz von Verwaltungsbehörden zu kooperativem, tauschförmigem Handeln mit Bürgern und Unternehmen, wo vom rechtlichen Programm her einseitig ordnendes Handeln geboten wäre 36 . Mit solchem Handeln von Behörden hat die staatliche Deliktsprovokation noch eine weitere Parallele. Das erwähnte kooperative Verwaltungshandeln folgt, wie die Implementationsforschung zeigt 37 , weitgespannten präventiven Zweckprogrammen - z. B.: effektiver Umweltschutz - und ist hinsichtlich der Mittel flexibel, gestattet den Bürgern qua Tausch Verhaltensweisen, die nach dem Konditionalprogramm des Gesetzes verboten wären. Parallel dazu ist der staatliche Einsatz der Deliktsprovokation orientiert an einem weitgespannten präventiven Zweck - Kontrolle gefährlicher sozialer Bereiche - und flexibel hinsichtlich der Mittel - Zusammenarbeit mit rechtswidrig handelnden Mitgliedern der gefährlichen Szene.

4. Polizeiliche Deliktsprovokation und innere Sicherheit Die polizeiliche Deliktsprovokation, für sich genommen, ist wie gezeigt weder historisch noch im internationalen Vergleich ein SpezifIkum der Bundes34 97 % der registrierten Eigentums- und Vermögensdelikte, die, von der Straßenverkehrskriminalität abgesehen, mehr als die Hälfte der registrierten Delikte ausmachen, werden der Polizei durch Anzeigen bekannt; vgl. Heinz in: Kleines Kriminologisches Wörterbuch, S. 27 (28). 35 Dazu Dencker / Hamm, Der Vergleich im Strafprozeß, 1988. 36 Dazu Treiber, KB 41 (1983), S. 28 ff. 37 Vgl. Treiber, a. a. O. (Anm. 36); zur Differenz von Zweckprogramm und Konditionalprogramm, vgl. Luhmann, Zweckbegriff und Systemrationalität, S. 93 ff.

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republik 38 . Dennoch kann sie in der spezifischen tatsächlichen und normativen Situation der Bundesrepublik und ihrer Polizei eine besondere Bedeutung haben. Die Bedeutung eines Mittels ergibt sich auch aus seinem spezifischen Verwendungszusammenhang. - 1972 beschloß die Innenministerkonferenz ein "Programm für die innere Sicherheit"39. Die Forderung nach mehr Geld für bessere personelle und sachliche Ausstattung der Polizei wurde darin begründet mit neuen Aufgaben der Polizei. Es wurde ein neues erweitertes Präventionskonzept vorgestellt, das seitdem in vielen Veröffentlichungen verfeinert und überarbeitet wurde 40. Danach soll die Polizei nicht mehr allein gegebene konkrete Gefahren abwenden und den je gegebenen Verdacht von Taten aufklären, sondern "proaktiv" sich darauf konzentrieren, daß es möglichst nicht zu Gefahren und Taten kommt. Damit wäre nicht nur eine zeitliche Vorverlagerung der polizeilichen Kontrolle verbunden, sondern auch eine sachliche Ausweitung derselben auf die gesamte Gesellschaft: Sind konkrete Gefahren und Taten begrenzte Ereignisse, so liegen deren mögliche Ursachen, auf die die Polizei sich nun richten soll, potentiell in der ganzen Gesellschaft. Sie wird insgesamt zum Sicherheitsproblem der Polizei 41. Die explizite Orientierung auf ,innere Sicherheit' der Gesellschaft signalisiert die programmatische Abwendung von der begrenzten Orientierung auf konkrete Gefahren. Konsequent werden die alten Unterscheidungen zwischen Störer und Nichtstörer und zwischen Verdächtigem und Nichtverdächtigem in dieser umfassend präventiven Sicht relativiert, denn die innere Sicherheit muß jenseits der mit dem Störerbegriff gegebenen Grenzen stabilisiert werden. Und wenn Straftaten nicht erst ermittelt, sondern präventiv verhindert werden sollen, so muß auch das herkömmliche Verdachtskriterium als Grenze überschritten werden. Auch kann die herkömmliche Orientierung auf Ermittlungen in einem bestimmten Verfahren nicht mehr eingehalten werden. Die Verfahrensgrenzen werden aufgelöst. Diese Entwicklungen haben sich inzwischen in Gesetzen niedergeschlagen. Die ,vorbeugende Bekämpfung von Straftaten' wurde in Polizeigesetzen als Anlaß von Standardmaßnahmen anerkannt 42 ; im neuesten Vorentwurf zum Musterentwurf eines einheitlichen Polizeigesetzes 43 werden 38 s.a. die Nachweise bei Lüderssen, Festschrift für Peters, S. 349 ff. 39 Veröffentlicht in Polizeirundschau 1972, Nr. 6, S. 3 ff., Nr. 7, S. 3 ff. 40 Z. B. Stümper, Systematisierung der Verbrechensbekämpfung; H. Schäfer, GA 1986, 49 ff.; daß dadurch die Dominanz der Polizei über die Staatsanwaltschaft noch verstärkt wird, zeigt - kritisch - Rüping, ZStW 95 (1983), 894 (899 ff.) Eine umfassende, von sozialwissenschaftlicher Theorie geleitete Analyse der neuen Prävention entwikkelt P.-A. Albrecht, KritV 1986, S. 55 ff.. 41 Eindrucksvoll Stümper, a.a.O., S. 9 f.; vgl. auch ders., Kriminalistik 1980, S. 242 (244): "In dieser Aufgabentotalität schimmert hinsichtlich des Umfangs und des Problemzusammenhangs, nicht jedoch hinsichtlich der Zuständigkeit, der alte Polizeibegriff aus dem 16. Jahrhundert durch, der sehr umfassend war. Das Polizeiliche integriert sich mit dem Gesamtstaatlichen und dem Gesamtgesellschaftlichen, ... ". Dazu Riehle, KrimJ 1982, 167 (170). 42 Z. B. §§ 12 ff. Nds. SOG.

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die Vorbeugung und die ,Vorbereitung auf die Gefahrenabwehr' als neue Aufgaben der Polizei vorgestellt. Zusammenfassend wird beides als Gefahrenvorsorge bezeichnet. In der StPO wurde die Tendenz zur Nivellierung der Differenz von Verdächtigen und Nichtverdächtigen und die Auflösung der Verfahrensgrenzen in mehreren Novellen legalisiert (§§ 103 Abs. 1 S.2, 111, 163b, 163d StPO). Es gab früher schon einzelne Elemente vorbeugender Verbrechensbekämpfung (z. B. 81b 2. Alt. StPO). Auch die Gefahrenvorsorge ist in Gestalt des Verbots mit Erlaubnisvorbehalt der Verwaltung nicht neu. Mit dem neuen polizeilichen Präventionskonzept aber werden sie zum umfassenden Programm. Freilich ist die Legalisierung des gesamtgesellschaftlichen Programms der inneren Sicherheit bisher punktuell geblieben. Die herkömmliche Grundstruktur des Polizeirechts und des Strafprozeßrechts ist erhalten geblieben. Praktisch aber wird der Strafprozeß, der herkömmlich auf die Bearbeitung einzelner vergangener Taten konzentriert ist, zuweilen schon überlagert und zum funktionalen Element der polizeilichen Prävention gemacht 44 • Ein Beispiel dafür ist, wie in dieser Untersuchung zu zeigen ist, die präventive polizeiliche Deliktsprovokation. Sie überschreitet die herkömmliche konditionale Orientierung der Strafverfolgung auf vergangene Taten. Sie folgt statt dessen einem Zweckprogramm - Bekämpfung besonders geHihrlicher Kriminalität - und ist hinsichtlich ihres Mittels im Einzelfall - Provokation - nur durch die erwähnten sehr flexiblen Kriterien begrenzt. Sie macht die Straftat und eventuell auch die Bestrafung zum funktionalen Element der Gefahrenvorsorge oder der vorbeugenden Verbrechensbekämpfung. Auch die mit der Provokation verbundene Vermengung des staatlichen Handeins mit der Kriminalität der Privaten fügt sich in das präventive Konzept. Dieses verlangt von der Polizei, sich an die Gesellschaft anzunähern. Die "Verbundprophylaxe" von Polizei und Sozialarbeit 45, der Kontaktbereichsbeamte, der jenseits konkreter Gefahren mit den Bürgern verkehrt und ihren Alltag beobachtet, sind Elemente der neuen Prävention. Sozialarbeiter und Kontaktbereichsbeamte sollen sich vertrauensvoll und flexibel verhalten, wie überhaupt Flexibilität ein wesentliches Ziel der neuen polizeilichen Prävention ist 46 • Wenn er in der Szene effektiv sein soll, muß auch der polizeiliche Provokateur sich vertrauenswürdig und flexibel verhalten. Wenn mit dem Programm der inneren Sicherheit die gesamte Gesellschaft zum Aufgabenbereich der Gefahrenvorsorge wird, bedeutet das selbstverständlich nicht, daß der Polizei jeder als gefährlich oder verdächtig gälte. Aber nach dem Programm entscheidet die Polizei nach eigenen Kriterien, wer als gefährlich oder verdächtig gilt. Die Gesellschaft wird in Sicherheitszonen eingeteilt 47 • Eine 43 Vom 12. 3. 1986, veröffentlicht in Bürgerrechte und Polizei, 1986, Nr. 24, S. 75 ff.; vgl. auch Stümper, Kriminalistik 1975, 49 ff. 44 Vgl. H. Schäfer, a.a.O. 45 Dazu Riehle, KrimJ 1982, 167 (169 f.). 46 Busch u.a., Die Polizei in der Bundesrepublik, S. 93 ff., 412 ff.

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wichtige Voraussetzung derartiger Gefahrenvorsorge ist die modeme Informationstechnik 48 • Sie ermöglicht es, wie inzwischen vielfach beschrieben wurde, große Datenmengen ohne weiteres zu speichern, abzurufen, abzugleichen. Differenzierte und umfassende Einschätzungen der Gefahren in verschiedenen sozialen Bereichen werden dadurch erst realisierbar. Ohne offenes polizeiliches Handeln können z. B. mehrere Datenbestände über eine große Zahl von Personen anhand bestimmter Merkmalskombinationen so gerastert werden, daß schließlich eine Person oder eine überschaubare Zahl von Personen bleibt, die als gefährlich eingeschätzt werden. Diese können dann zu Straftaten provoziert werden, um sie bestrafen zu lassen 49 • Je mehr die Datenverarbeitung das "Ausfiltern einzelner Problemfälle" ermöglicht, desto mehr Einsatzmöglichkeiten erhält die Deliktsprovokation. Der Einsatz der modemen Datenverarbeitung wird dementsprechend auch für eben den Bereich empfohlen, in dem auch die polizeiliche Deliktsprovokation stattfinden soll: Gegen die organisierte Kriminalität 50. Fazit: Die Struktur der Deliktsprovokation fügt sich in das Programm der inneren Sicherheit. In dessen Kontext kann sie von der Ausnahme zur bürokratisch geplanten Regelmaßnahme werden. Ihre praktische Einsetzbarkeit wird durch die modeme Informationstechnik gesteigert. Das ist das Neue an der polizeilichen Deliktsprovokation der Gegenwart. Sozialwissenschaftliche Untersuchungen 51 des erweiterten polizeilichen Präventionskonzepts haben gezeigt, daß es nicht primär eine Reaktion auf die terroristischen Attentate der siebziger Jahre war. Diese gaben ihm Plausibilität. Das Konzept wurde früher entworfen und unabhängig vom Terrorismus verfolgt. Zugrunde liegt ihm, was auch die Reformeuphorie seit 1970 antrieb: Die Vorstellung einer rationalen Gestaltbarkeit der Gesellschaft durch einen umfassend steuernden und stabilisierenden Zentral staat. Das Programm der inneren Sicherheit der gesamten Gesellschaft durch den Staat ist im politischen Ansatz die Kehrseite der umfassenden sozialstaatlichen Prävention. Je mehr das Leben der einzelnen staatlich vermittelt ist, desto mehr wird auch ihre Sicherheit nicht mehr in der Gesellschaft durch ihre Interaktionen hergestellt, sondern staatlich vermittelt. Im übrigen ähnelt auch die Deliktsprovokation selber der sozialstaatlichen Prävention. Für diese gilt der einzelne nicht als grundsätzlich frei und selbstverantwortlich. Der Sozialstaat, wo er aktiv wird, nimmt dem einzelnen die Folgen seiner Handlungen partiell ab, antizipiert und lenkt planend seine Ziele und Nöte und finanziert ihm gegebenenfalls eine Therapie. Seine Freiheit wird relativiert Busch u.a., a.a.O., S. 425 f. Stümper, Systematisierung der Verbrechensbekämpfung, S. 86 ff.; Herold, Die Polizei, 1972, S. 133 (134). 49 Busch u.a., a.a.O., S. 422, 424. 50 Stümper, a.a.O., S. 92 f. 51 Busch u.a., a.a.O., S. 63 ff., 432 ff., 438 ff. 47 48

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in übergreifender Planung und Zweckprogrammen der Verwaltung. Die polizeiliche Deliktsprovokation behandelt die einzelnen ebenfalls als nur relativ frei. Sie werden unterschieden in mehr oder weniger problematische Fälle. Ihre Tatgeneigtheit ist Prämisse und Legitimation der Deliktsprovokation nach Ansicht des BGH52. Die Tatgeneigtheit wird zum Element der präventiven Herstellung von Sicherheit. Die bisherigen Überlegungen betrafen die Programmatik der inneren Sicherheit. Wie die sozialstaatlichen Reformen ist auch das neue polizeiliche Präventionskonzept in der Realität an Grenzen gestoßen 53. Es führte weder zum rationalen Sonnenstaat noch zum totalen Verwaltungsstaat, sondern nur zu teilweisen Neuorientierungen polizeilichen Handeins. Nach wie vor arbeitet die Polizei in vielen Bereichen reaktiv, weil das Konkrete sich dem bürokratischen Schematismus entzieht. Deshalb kann auch im Kontext des neuen Präventionskonzepts die polizeiliche Deliktsprovokation nicht etwa als Anzeichen des totalen Überwachungsstaates verstanden werden. Wie eingangs angedeutet, ist die reinste Form der Provokation die des wissenschaftlichen Experiments. Der Experimentator ist dadurch Wissenschaftler, daß er sich nicht mit dem subjektiven Zweck seines Objekts identifiziert, auch nicht sich ihm auf gleicher Ebene entgegenstellt, sondern sich darüber erhebt; objektiv sein heißt hier, den anderen als Objekt eigener wissenschaftlicher Erkenntnisinteressen behandeln. Das Experiment der modernen Sozialwissenschaften kann die Gestalt der Deliktsprovokation annehmen bei der "teilnehmenden Beobachtung"54. Die daraus entstehenden Rechtsfragen sollen hier nicht vertieft werden. Der wissenschaftlichen Provokation ist im Zusammenhang des Programms der inneren Sicherheit zu gedenken, weil dieses Programm auf umfassende wissenschaftlich gestützte Sicherheit zielte, die ihren Gegenstand allerdings noch weit mehr objektivieren sollte, als es bei der Deliktsprovokation geschieht; die Zeugenbeweise sollten ersetzt werden durch Sachbeweise 55 . Neu ist diese Tendenz nicht. Seit der Beseitigung der "irrationalen" Beweisregeln durch die Aufklärung wird die Überführung von Verdächtigen zunehmend mit wissenschaftlich-technischen Mitteln betrieben 56.

52 Statt vieler: BGHSt 32, 345 (346 f.); BGH NJW 1981, 1626 f. 53 Einzelheiten dazu bei Busch u.a., a.a.O., S. 410 ff.; s.a. Rüping, ZStW 95 (1983),

894 (902). 54 Dazu Metzger-Pregizer, KrimJ 1974,229 (230); Dencker, Festschrift für Dünnebier, S.447 (455 Anm.47); Lüderssen, Zynismus, Borniertheit oder Sachzwang? In: ders., V-Leute. Die Falle im Rechtsstaat, S. 46 Anm. 68a; Schwind, Kriminologie, § 2 Rn. 3l. 55 Herold, Kriminalistik, 1979, S. 17; ders., transatlantik 1980, Nr. 11, S. 29 (30). Zur Wissenschaftlichkeit der Wahrheitserforschung vgl. Preuß KJ 1981, 108 (125 f.). 56 Dazu Feest, Polizeiwissenschaft, in: Kaiser I Kerner I Sack IISchelihoss (Hg.), Kleines Kriminologisches Wörterbuch, S. 335 f.

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5. Gang der Untersuchung Im folgenden werden zunächst (1. Teil A) die öffentlichrechtlichen Normen erörtert, die speziell der staatlichen Deliktsprovokation entgegenstehen, anschließend (1. Teil B) die Normen des allgemeinen Persönlichkeitsrechts, die jeder, also auch der von Privaten ausgehenden Deliktsprovokation entgegenstehen könnten. Es wird sich zeigen, daß auch die Normen des allgemeinen Persönlichkeitsrechts privates und staatliches Handeln in unterschiedlicher Weise begrenzen. Auch überschneiden sich der Bereich der öffentlichrechtlichen Normen und der des allgemeinen Persönlichkeitsrechts, weil Teile desselben zum öffentlichen Recht gehören. Dies gilt hinsichtlich des in § 136a StPO enthaltenen Täuschungsverbots und hinsichtlich des Grundsatzes ,nemo tenetur se ipsum prodere'; beide werden hier im Zusammenhang des allgemeinen Persönlichkeitsrechts behandelt. - Mit den öffentlichrechtlichen, speziell staatliches Handeln bestimmenden Normen zu beginnen, ist zwar unsystematisch, entspricht aber dem praktischen Übergewicht staatlicher Deliktsprovokationen. In einem gesonderten Abschnitt (1. Teil E) wird untersucht, inwieweit das Strafrecht die Deliktsprovokation begrenzt. Gegenstand des 2. Teils sind dann die Möglichkeiten der Rechtfertigung und Begründung von Deliktsprovokationen, die die im 1. Teil dargestellten Grenzen überschreiten. Schließlich wird (2. Teil E) geprüft, ob ein Beamter, der unter Verstoß gegen das öffentliche Recht eine Straftat provozierte, dennoch gemäß § 34 StGB straffrei sein kann.

1. Teil

Normative Schranken der Deliktsprovokation A. Spezifisch den Staat bindende Normen Der Staatsapparat ist kein freies Subjekt wie Bürger. Er ist als Rechtsstaat ein nonnatives Konstrukt. Die Bürger sind grundsätzlich frei. Die Verbote und Gebote des Rechts werden von außen an ihre Freiheit als Grenzen und partielle Verhaltensfestlegungen herangetragen. Der Staat besteht überhaupt nur aufgrund solcher Nonnen und ist jederzeit durch sie bestimmt. Variationsmöglichkeiten hat das staatliche Handeln durch die Unbestimmtheit der Nonnen. Aber auch, wo diese sehr weit ist, ist das staatliche Handeln nicht frei, sondern hat den Zweck der Nonnen zu konkretisieren. Bei der planenden und vorsorgenden Staatstätigkeit werden zwar keine gesetzlichen Begründungen gefordert. Das staatliche Handeln muß hier aber auf die verfassungsmäßig nonnierten Staatsziele gerichtet sein 1. Die Nonniertheit des Handeins als Prinzip des Rechtsstaats gilt nicht für Bürger. Ihr Handeln muß keineswegs gesetzlichen oder verfassungsmäßigen Zwecken folgen. Nur einzelne ihrer sozialen Rollen sind rechtlich nonniert. - Wenn der Staat ein nonnatives Konstrukt ist, so ist es unzulänglich, sein Handeln wie das freier Bürger zu bewerten. Das aber geschieht, wenn in der einschlägigen Literatur meist nur gefragt wird, ob die staatliche Deliktsprovokation subjektive Rechte der Bürger (etwa das Recht, nicht in die Kriminalität gelockt zu werden, oder das Recht des von der Tat Betroffenen) beeinträchtigt oder gegen Strafgesetze verstößt. Gewiß ist es ein Kennzeichen des Rechtsstaats, daß er solche Rechte respektiert. Damit ist er aber nicht hinreichend bestimmt. Denn subjektive Rechte grenzen aus, gewähren ihrem Inhaber quasi eine Zone unberührter Herrschaft; jenseits derselben beginnt die Freiheit der andern. Freiheit aber ist nicht Eigenschaft des Rechtsstaats. Auch die subjektiven öffentlichen Rechte in ihrer ursprünglichen Bedeutung grenzen derart aus. Sie sind nicht Bestimmungsgrund des staatlichen Handeins. Sie begrenzen nur den staatlichen Zugriff. Die demokratischen subjektiven Rechte der einzelnen gewähren zwar Einfluß auf den Inhalt staatlichen Handeins, nicht aber auf seine objektive Fonn. Die Strafgesetze enthalten ebenfalls keine den Staat spezifisch konstituierenden Regeln; sie sind auf das Verhalten privater wie beamteter Einzelner zugeschnitten. 1

Badura, Staatsrecht, D Rn 53.

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1. Teil: Nonnative Schranken der Deliktsprovokation

Die Rechtsprechung scheint es ebenso zu sehen. Dem Anspruch nach beurteilt sie die staatliche Provokation von Straftaten nicht nur im Hinblick auf etwa durch sie verletzte subjektive Rechte und nicht nur nach dem Strafgesetz. Das Rechtsstaatsprinzip soll der Beurteilungsmaßstab sein 2. Die herkömmlich als rechts staatlich bezeichneten Normen des Vorrangs und des Vorbehalts des Gesetzes z. B. werden allerdings nicht erwähnt. Vielmehr wird das als solches höchst abstrakte Rechtsstaatsprinzip ohne konkretisierende Zwischenschritte unvermittelt auf die Einzelheiten des Falles bezogen: "Grundlage und Ausmaß des ... Verdachts, Art, Intensität und Zweck der Einflußnahme des Lockspitzels, Tatbereitschaft und eigene, nicht fremd gesteuerte Aktivitäten" des Provozierten sollen beim Rechtsstaatsprinzip erheblich sein 3 • Der Sache nach geht es demnach um den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz. Er gehört anerkanntermaßen zum Rechtsstaatsprinzip. Aber der Bezugsrahmen der Verhältnismäßigkeit bleibt dunkel. Es wird nicht erwähnt, in welches Recht aufgrund welcher Norm eingegriffen wird mit der Provokation. Herkömmlich wird der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz nur im Rahmen einer bestimmten Eingriffsnorm im Hinblick auf einen bestimmten belastenden Eingriff angewendet. Als eigenständige Eingriffsbegründung akzeptiert führte der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz zur kompletten Auflösung der Verfaßtheit des Staates. Das BVerfG4 betont im Hinblick auf die staatliche Deliktsprovokation die "Unbestimmtheit des Rechtsstaatsprinzips". Es verlange die "Beachtung aller Umstände" und enthalte "Gegenläufigkeiten"; verdeckte polizeiliche Ermittlungen stünden in einem "Spannungsfeld" einerseits des Gebots, Würde, Persönlichkeit und Subjektivität des Verdächtigen zu achten, andererseits der "Bedürfnisse einer wirksamen Strafrechtspflege". Letzteres hat das BVerfG im Stiller-Beschlußs erläutert: ,,zur Bekämpfung besonders gefährlicher Kriminalität, wie etwa der Bandenkriminalität und des Rauschgifthandels können die Strafverfolgungsorgane, wenn sie ihrem Auftrag der rechtsstaatlieh gebotenen Verfolgung von Straftaten überhaupt gerecht werden sollen, ohne den Einsatz sogenannter V-Leute nicht auskommen ... "6. Daß die Bedürfnisse der wirksamen Strafrechtspflege auch positive Normen relativieren können, hat das BVerfG schon mehrfach angenommen 7. - Im folgenden soll versucht werden, die Unbestimmtheit des Rechtsstaatsprinzips einzugrenzen. Die staatliche Deliktsprovoka2 BGH GA 1975,333 (334), BGH NJW 1981, 1626,; BOH NStZ 1984,78; BGH StrVert 1985, 309 (310); BGHSt 32, 345 (346); BVerfG NStZ 1987, 276. 3 BGH NJW 1981, 1626. Kritisch Dencker, Festschrift für Dünnebier, S. 447 (454). 4 StrVert 1985, 177 mit Anm. Lüderssen; BVerfG NStZ 1987,276; ähnlich BGHSt 32, 345 (350 f.). S E 57 250ff. = NJW 1981, 1719 (1724). 6 Ebenso zur Notwendigkeit der staatlichen Provokation BVerfG NStZ 1987, 276; BOH NJW 1981, 1626. 7 Z. B. BVerfGE 41, 250. Zu dieser Rechtspr. vgl. GTÜnwald, JZ 1976, 772 f.; Hassemer, Die ,,Funktionstüchtigkeit der Strafrechtspflege" -- ein neuer Rechtsbegriff? In: Lüderssen (Hg), V-Leute, S. 71 ff.; F. Herzog, NStZ 1985, 153 ff. Zur Expansion des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes Naucke, KritV 1986, 189 (204 f.).

A. Spezifisch den Staat bindende Nonnen

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tion soll anhand anerkannter, einigermaßen präziser Elemente des Rechtsstaatsprinzips geprüft werden. Davon gesondert wird untersucht, ob die Bedürfnisse einer wirksamen Strafrechtspflege die Provokation begründen.

I. Gesetzesbindung, Legalitätsprinzip und öffentliche Sicherheit Um zu erkennen, ob die staatliche De1iktsprovokation gegen den Rechtsstaat in seiner objektiven Form bestimmende Regeln verstößt, soll zunächst die die Provokation meist begleitende Täuschung beiseite gelassen und geprüft werden, gegen welche Regeln es verstößt, wenn ein offen dienstlich handelnder Polizist einen Privaten zu einer rechtswidrigen Handlung auffordert. Die Aufforderung mag - dazu unten B - ins Persönlichkeitsrecht des Aufgeforderten eingreifen. Sie verstößt auch gegen das Verbot der Anstiftung, wenn die provozierte Tat selber strafbar ist und - dazu unten E - zur Vollendung kommen soll. Auch wenn diese Bedingungen nicht gegeben sind, könnte die Aufforderung, rechtswidrig zu handeln, aber gegen die Gesetzesbindung des Staates (Art. 20 Abs. 3 GG) verstoßen. 1. Bindung an Sekundärnormen

Den meisten gesetzlichen Normen lassen sich bekanntlich zwei Anweisungen entnehmen: Einmal die an jedermann gerichtete Primäranweisung: Du sollst X nicht tun. Sodann die an die für die Normdurchsetzung zuständigen Staatsorgane gerichtete Sekundäranweisung: Wenn jemand X tut, sollst du ihn durch Verweis, Zwang o.ä. davon abhalten oder ihn bestrafen etc. 8 • Der zuständige Amtsträger hat im Verhältnis zur Norm einen Doppelstatus: Er ist der Primär- und der Sekundärnorm verpflichtet. Die Differenz der Status zeigt sich in den Folgen des Normbruchs. Auf den Bruch der Primärnorm folgt das in der Sekundärnorm Angeordnete. Auf deren Bruch folgen behördeninterne Reaktionen, Disziplinarmaßnahmen, Strafen wegen Amtsdelikten, Rechtsbeugung etc. Die erwähnte Aufforderung eines Polizisten an einen Bürger zu rechtswidrigem Handeln läßt sich einmal, wie es herkömmlich geschieht, dem ersten Status zuordnen; sie wird dann bewertet als Bruch der Primärnormen, die das Anstiften zu Straftaten und das Beeinträchtigen der Persönlichkeit verbieten, sofern diese Primärnormen 8 Zu dieser Unterscheidung vgl. Bucher, Das subjektive Recht als Nonnsetzungsbefugnis, S. 51 ff. Für Kelsen, Allgemeine Staatslehre, S. 53 ff., ist, was hier als Sekundärnorm bezeichnet wird, die primäre Norm. Nach Schmidhäuser, Strafrecht AT, 2/2,5/11, ist für strafrechtliche Normen nur die Sekundärnonn relevant; die Primärnorm gehöre zur gesellschaftlichen Rechtsordnung; vgl. auch Schmidhäuser, Von den zwei Rechtsordnungen, S. 13 ff.; ders., Notwehr und Nothilfe des Polizeibeamten aus strafrechtlicher Sicht, in: Merten (Hg.), Aktuelle Probleme des Polizeirechts, S. 53 ff.; Calliess, Theorie der Strafe im demokratischen und sozialen Rechtsstaat, S. 18 ff., zeigt, daß die Anwendung dieser Sekundärnonn nicht irreflexiv zu verstehen ist. Diese Ansichten stehen der folgenden Argumentation nicht entgegen.

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1. Teil: Nonnative Schranken der Deliktsprovokation

jeweils einschlägig sind. Die Aufforderung kann auch im Zusammenhang des zweiten Status bewertet werden. Insofern ist der Polizist durch die Sekundärnorm verpflichtet, die Primärnorm durchzusetzen. Seine Aufgabe ist der Schutz der öffentlichen Sicherheit; das ist die gesamte Rechtsordnung 9 • Sie ist Primärnorm. Die Pflicht, sie zu schützen, ist die Sekundärnorm. In dem Gebot der Sekundärnorm, die Primärnorm zu schützen, für ihre Einhaltung zu sorgen, steckt das Verbot, Durchbrechungen der Primärnorm zu fördern. Die an den Polizisten gerichtete Sekundärnorm, für die Einhaltung der Primärnorm zu sorgen, rechtfertigt allerdings nicht alle Mittel. Innerhalb der Sekundärnorm sind Aufgaben - d. h. hier, für die Einhaltung der Primärnorm zu sorgen - und Befugnisse - das sind hier die polizeilichen Zwangsmittel - zu unterscheiden. Nur mit gesetzlich zugewiesenen Mitteln, d. h. Befugnissen, ist der Polizist verpflichtet, für die Einhaltung der Primärnorm zu sorgen. Da nun in den Regelungen der polizeilichen Befugnisse nicht die Rede ist von einem Verbot, Durchbrechungen der Primärnorm zu fördern, könnte man annehmen, dies sei nicht verboten, weil eben die Polizei nicht mit allen Mitteln für die Einhaltung der Primärnorm zu sorgen hat. Indessen gehört das Verbot, Durchbrechungen der Primärnorm zu fördern, genau genommen gar nicht zur Regelung der Befugnisse. Der Polizist, der Durchbrechungen der Primärnorm fördert, widerspricht seiner Aufgabe, für die Einhaltung der Primärnorm zu sorgen. Daß diese Aufgabe nicht alle Mittel zu ihrer Durchsetzung legitimiert, ist eine Bürgerschutzregelung. Die Bürger darf der Polizist nicht mit beliebigen Mitteln belasten, um die Primärnorm durchzusetzen. Der Polizist selbst als Adressat der Sekundärnorm ist durch die Aufgabenzuweisung zwar noch nicht positiv zu irgendetwas befugt, wohl aber - negativ - begrenzt. Er darf der Aufgabe nicht zuwider handeln. Das tut er, wenn er Durchbrechungen der Primärnorm fördert. Das ist implizit im Polizeirecht anerkannt 9&. Es wird zwar meist nur hinsichtlich polizeilicher Verfügungen, d. h. Regelungen, formuliert, wozu die Provokation nicht gehört; sie ist Realakt. Auch Realakte stehen jedoch unter dem Verbot, Gesetzesdurchbrechungen zu fördern, denn das Verbot ergibt sich aus der Gesetzesbindung, die auch Realakte betrifft. Wer die hier vertretene Bewertung bezweifelt, mag die hermeneutische Einsicht 10 berücksichtigen, daß allgemeine Normen stets der Konkretisierung bedürfen und gesetzliche Normen die an die zuständigen Instanzen gerichtete Anweisung enthalten, sie methodisch und in formellen Verfahren zu konkretisieren, was verfahrensrechtlich im Legalitätsprinzip fixiert ist. Die von einem Amtsträger ausgehende Aufforderung, gegen eine Primärnorm zu verstoßen, konkretisiert diese nicht, sondern widerspricht ihr. Gleiches gilt für die unter dem 9 Vogel, in Drews / Wacke / Vogel / Martens, Gefahrenabwehr, 1. Bd., S. 158, 166; Wagner, Polizeirecht, S. 71 ff. Näher dazu unten 1. Teil E Via. 9. Vgl. Vogel, a.a.O., S. 190; Wagner, a.a.O., S. 93 f. 10 Vgl. Friedrich Müller, Juristische Methodik, S. 125 ff.

A. Spezifisch den Staat bindende Normen

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Anschein privaten Handeins verdeckte Aufforderung und für die Unterstützung des Verstoßes gegen die Primämorm. Der Polizist hat also gegen die Sekundärnorm verstoßen, auch wenn seine Aufforderung nicht ins Persönlichkeitsrecht eingreift und nicht als Anstiftung verboten ist, also keine Primämorm durchbricht. Aber selbst wenn sie die genannten Primämormen durchbricht, geht die rechtliche Bedeutung seiner Aufforderung darin nicht auf. Denn Primämormen binden den Polizisten wie jeden privaten Bürger. Ihre Durchbrechung ist ein Jedermannsdelikt. Die Sekundämormen binden ihn als Träger hoheitlicher Gewalt. Ihre Durchbrechung verstößt gegen die verfassungsmäßige Gesetzesbindung der "vollziehenden Gewalt". In verfahrensrechtlicher Hinsicht liegt ein Verstoß gegen das Legalitätsprinzip vor. "Im demokratischen Rechtsstaat muß die öffentliche Verwaltung als "vollziehende Gewalt" den in Gesetzesform gebrachten Willen der Volksvertretung verwirklichen"lOa. Das in der Öffentlichkeit gegen staatliche Provokationen zuweilen geäußerte Mißtrauen betrifft den Verstoß gegen die Sekundämorm. Denn er geschieht in einem Status, der der normsetzenden Instanz näher ist als der Status der der Primämorm Unterworfenen. Im Status der normdurchsetzenden Instanz werden bei der Normkonkretisierung wiederum (abgeleitete) Normen gesetzt, die für Bürger verbindlich sein und Vertrauen begründen sollen: bestandskräftige Verwaltungsakte und rechtskräftige Urteile. Das Verhalten der Exekutive wird selbst dort als abgeleitete Norm verstanden, wo es äußerlich als blanke Faktizität erscheint: Der unmittelbare Zwang impliziert die anfechtbare, also normative Festsetzung desselben, d. h. die Norm, er solle sein 11. Im Status der Normdurchsetzung erscheint das offene Auffordern zu rechtswidrigem Handeln als Setzen einer Gegennorm 12, die in der Normenhierarchie denselben Rang beansprucht, wie das Setzen einer abgeleiteten Norm in Gestalt eines Verwaltungsakts. Das als privat vorgestellte Auffordern ist zwar nicht derart normativ zu verstehen. Es verstößt aber ebenfalls gegen die Gesetzesbindung, d. h. gegen die Sekundärnorm, die Primämorm durchzusetzen. In der modernen Strafrechtstheorie wird auch der Bruch von Primämormen kommunikativ und normativ gedeutet: Die Aktion des Täters bedürfe der Antwort 13. Wer eine Tat begeht, mache "expressiv", daß er sein Verhalten "für angebracht hält" 14. Akzeptiert man dieses Tatverständnis, so folgt daraus jedoch nicht, daß der hier erörterte Verstoß gegen eine Sekundämorm vom Bruch der lOa Faber, Verwaltungsrecht, S. 45. Wolff / Bachof, Verwaltungsrecht III, § 16011 h; Forsthoff, Lehrbuch des Verwaltungsrechts, S. 294 ff. 12 Vgl. Puppe NStZ 1986,404 (405). 13 Calliess, Theorie der Strafe im demokratischen und sozialen Rechtsstaat, S. 26, 11

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Jakobs, Strafrecht AT, 1 / 9; ähnlich schon Hegels Deutung des Verbrechens als Negation (Grundlinien der Philosophie des Rechts, § 97); dagegen Calliess, a.a.O., S. 56 f., 80 ff., 89 f. 14

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1. Teil: Nonnative Schranken der Deliktsprovokation

Primämonn nicht zu unterscheiden wäre. Beide sind so weit voneinander entfernt, wie das Aussagen einer Nonn von ihrer Befolgung entfernt ist. Ersteres wird von einer Instanz vollzogen, die organisiert ist, um für andere nonnativ verbindlich zu handeln, was auch strafrechtlich besonders abgesichert ist durch die Amtsdeliktstatbestände und die Tatbestände zum Schutz des Rechtsstaats. Befolgung und Durchbrechung von Primämonnen hingegen vollzieht das Individuum, das frei ist, Nonnativität also in relevanter Weise nur infonnell und für sich selbst verbindlich beanspruchen kann 15.

2. Entsprechungen im materiellen Strafrecht Das aus der rechtsstaatlichen Gesetzesbindung entwickelte Provokationsverbot hat eine Entsprechung in der von Welzel und Stratenwerth vertretenen Version der Unrechtsteilnahmelehre 16. Sie erklärt die Strafbarkeit der Teilnahme nicht aus ihrer Ausrichtung auf eine Rechtsgutsverletzung, also auf eine vollendete oder beendete Straftat. Unrecht handle der Teilnehmer vielmehr, weil er "eine sozial unerträgliche Tat gefördert hat", d. h. die Durchbrechung einer Primämonn gefördert hat. Eben dies ist durch die Gesetzesbindung und die Sekundämonnen auch den Hoheitsträgern verboten. Die Unrechtsteilnahmelehre Stratenwerths führt dementsprechend zu ähnlichen Ergebnissen wie die Gesetzesbindung: Die Förderung aller Straftaten, nicht nur der vollendeten, soll verboten und strafbar sein. Der Vergleich mit dem Provokationsverbot der Gesetzesbindung zeigt aber auch die Problematik dieser Version der Unrechtsteilnahmelehre; sie tendiert u. U. dazu, beim Teilnahmeverbot die Bürger staatlichen Beamten gleichzustellen, die für die allgemeine Nonneinhaltung kraft besonderer Zuständigkeit zu sorgen haben. Aber die Bürger sind nur den Primämonnen, nicht den Sekundärnonnen verpflichtet. Sie unterstehen nicht der Gesetzesbindung des Art. 20 Abs. 3 GG, weil sie nicht mit der "vollziehenden Gewalt" identisch sind, sondern gegen diese Grundrechte haben. Eine Entsprechung hat die hier vorgestellte Gesetzesbindung der Behörden weiter in der zu § 34 StGB von Lenckner u. a. vertretenen These, eine Rettungsmaßnahme sei nicht durch Notstand zu rechtfertigen, wenn der Retter mit ihr sich "auf die Seite des Unrechts" stelle 17. Gemeint ist der Fall des von einem Delikt Bedrohten, der zur Abwendung der Gefahr in Rechtsgüter Dritter eingreift. Konsequent angewandt würde von dem besonderen Verbot, "sich auf die Seite 15 Zu dieser Unterscheidung von behördlichem und privatem Handeln vgl. Luhmann, Recht und Automation in der öffentlichen Verwaltung, S. 15 ff. 16 Welzel, ZStW 61 (1941), S.209ff.; ders., Deutsches Strafrecht, S.112ff., 117; Stratenwerth MDR 1953,717 ff.; ähnlich ders., Strafrecht AT, Rn 586, 858. Einzelheiten dazu unten 1. Teil E I 2 b. 17 Lenckner, Notstand, S. 117; ders. in Schönke / Schröder § 34 Rn 41; R. Lange, NJW 1978, 784 (785).

A. Spezifisch den Staat bindende Nonnen

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des Unrechts" zu stellen, aber auch die Deliktsprovokation erfaßt. Warum dies so ist, wird später genauer zu zeigen sein, ebenso, daß das besondere Verbot nicht akzeptabel ist. Es gilt aber für das Handeln von staatlichen Behörden. Zur Begründung muß freilich nicht zurückgegriffen werden auf die symbolische Wirkung der Identifikation mit "dem Unrecht", die in der Formulierung vom Sich-auf-die-Seite-stellen angedeutet ist. Vielmehr ist schon aufgrund der verfassungsmäßigen Gesetzesbindung den Behörden in besonderer Weise verboten, Rechtsbrüche zu fördern. Damit mag auch die symbolische Identifikation mit dem Unrecht dem Rechtsstaat untersagt sein. In diesem Zusammenhang ist auch die in der älteren Rechtsprechung 18 zuweilen geäußerte These zu verstehen, das staatliche Fördern von strafbaren Handlungen sei sittenwidrig; das sittenwidrige Mittel könne nicht durch den Zweck "geheiligt" werden. Darum geht es auch, wenn Lenckner das Verbot, sich auf die Seite des Unrechts zu stellen, der Kosten / Nutzen-Kalkulation des § 34 StGB entziehen, es für inkommensurabel erklären will. Auch die rechtsstaatliche Gesetzesbindung ist das Gegenprogramm zur Heiligung des Mittels durch den Zweck.

3. Gesetzesbindung, Vertrauensschutz und scheinbar privates Handeln Das an den Staat gerichtete Verbot, rechtswidrige Handlungen zu provozieren, wahrt die Widerspruchsfreiheit und insofern die "Einheit der Staatsgewalt" 19. Dies besagt jedoch auch nicht mehr als die Forderung nach rechtsstaatlicher Gesetzesbindung. Ob die Einheit der Staatsgewalt ein darüber hinaus bedeutsames (normatives) Prinzip ist, ist umstritten 20, kann hier aber offen bleiben. In teleologischer Hinsicht geht es beim Provokationsverbot aufgrund der rechtsstaatlichen Gesetzesbindung um den Schutz von Vertrauen, allerdings nicht in Form eines subjektiven Rechts, sondern sozial generalisiert. Der Vertrauensgrundsatz des materiellen Strafrechts 21 zeigt, daß Recht nicht nur je einzelne Konflikte entscheidet, sondern durch seine allgemeine empirischepeltung auch dazu beiträgt, den Verkehr der einzelnen berechenbar zu machen. Die empirische Geltung wird nach der Gesetzesbindung und dem Legalitätsprinzip bewirkt, indem das Recht von den zuständigen Behörden durchgesetzt wird. Wenn die Behörden den Rechtsbruch fördern, wird die Grundlage des Vertrauens zwischen Bürgern in rechtswidriger Weise beeinträchtigt.

18 BGHZ 8, 83 (87); ebenso das von Kohlrausch in ZStW 33 (1912),688 (693 ff.) mitgeteilte Urteil des RG; dazu Lüderssen, Festschrift für Peters, S. 349 (350 Anm. 5); Dencker, Festschrift für Dünnebier, S. 447 (450). 19 BVerfGE 21, 362 (370). 20 Vgl. Schlink, Amtshilfe, S. 73 ff. 21 Dazu Stratenwerth, Strafrecht AT, Rn 1155 ff.; ders., Festschrift für Eb. Schmidt, S. 383 ff. Einzelheiten dazu unten 1. Teil B IV 1 b.

3 Keller

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1. Teil: Normative Schranken der Deliktsprovokation

Allerdings wird die Orientierungswirkung von Normen durch staatliche Deliktsprovokationen anscheinend nicht in anderer Weise geschwächt als durch "normale" Anstiftungen von Seiten Privater. Wenn die Angestifteten diesen zu widerstehen haben, so scheint hinsichtlich staatlicher Provokationen nichts anderes zu gelten. Die Beeinträchtigung der Vertrauensmöglichkeit wäre irrelevant. Der Vergleich der staatlichen Provokation mit der privaten ist jedoch verfehlt. Das Unterlassen einer bestimmten Strafverfolgung durch einen Staatsanwalt ist nicht deshalb zulässig, weil der Bürger, der die zu verfolgende Tat anzeigte, die Anzeige hätte unterlassen und damit die Strafverfolgung praktisch unmöglich machen dürfen. Die staatlichen Behörden sind speziell beauftragt, das Recht, welches Vertrauen ermöglicht, zu bewirken. Sie beeinträchtigen die Vertrauensmöglichkeit in unzulässiger Weise, wenn sie zum Rechtsbruch auffordern. Ob sie dies offen tun oder als Private getamt 22 , ist irrelevant. Das Unterlassen der Strafverfolgung durch den Staatsanwalt würde auch nicht zulässig, wenn es ihm gelänge, vorzuspiegeln, daß ein Privater seinen Strafantrag wirksam zurückgenommen habe. Der mit der verfassungsrechtlichen Gesetzesbindung gewährte Vertrauens schutz kann nicht durch Verwendung privater Formen umgangen werden 23. Er richtet sich nicht wie die strafrechtliche Zurechnung nach den erkennbaren Umständen des Einzelfalles. Er wird generell, objektivistisch bestimmt. Solche Bewertung ist im übrigen auch dem Strafrecht nicht fremd. Jede gesetzliche Bestimmung des Rechtsgüterschutzes enthält eine Generalisierung 24. Die Strafbarkeit eines Diebstahls hängt nicht davon ab, ob der Bestohlene der entwendeten Sache konkret bedurfte. - Den für die Durchsetzung einer Norm zuständigen Behörden (Verwaltungsbehörde, Staatsanwaltschaft, Gericht) ist es also verboten, die Durchbrechung der Norm offen oder verdeckt zu fördern. Zu klären bleibt, wie es sich mit Behörden verhält, die für die jeweilige Normdurchsetzung nicht zuständig sind.

4. Gesetzesbindung unzuständiger Behörden Beispiel: Ein Verfassungsschutzbeamter provoziert einen Bürger zum Diebstahl, wissend, daß die Tat nicht wird vollendet werden können, weil die Polizei eingeschaltet wird. Zur Zuständigkeit des provozierenden Beamten gehört es nicht, Diebstahlsversuche zu verhindern, zu verfolgen oder zu ahnden. Er ist jedenfalls nicht unmittelbar an die Sekundärnorm der §§ 242,22 StGB gebunden. Demnach wäre seine Provokationshandlung wie die von Privaten nur anhand von primären Normen zu bewerten (also keine verbotene Anstiftung, weil nur 22 Darauf abzustellen erwägt Puppe, NStZ 1986, 404 (405). Nach BGHSt 32, 345 (353) soll der Vertrauensschutz entfallen, weil der polizeiliche Provokateur als Privater auftrat. 23 Forsthoff, Lehrbuch des Verwaltungsrechts, S. 99 f. 24 Bohnert, JuS 1984, 182 ff.; Jakobs, Strafrecht AT, 6/88.

A. Spezifisch den Staat bindende Nonnen

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Versuch gewollt war, eventuell aber staatlicher Eingriff ins Persönlichkeitsrecht des Provozierten). Der Beamte des Verfassungsschutzes ist jedoch mittelbar an die vorliegend die Polizei bindende Sekundämorm gebunden. Jede Behörde ist verpflichtet, die Zuständigkeit anderer Behörden zu respektieren. Die Zuständigkeit beinhaltet eine Aufgabe 25. Eine Behörde darf also nicht behindern, was einer anderen Behörde mit ihrer Zuständigkeit zu bewirken gesetzlich aufgegeben ist. Das aber geschieht, wenn eine Behörde rechtswidriges Handeln Privater, das eine andere Behörde zu verhindern hat, fördert. Daß eine Behörde nicht in den Aufgabenbereich der anderen eingreifen darf, ist anerkannt bei der Bestimmung der Polizeipflichtigkeit von Hoheitsträgern. Einerseits sind nach neuerer Ansicht auch nichtpolizeiliche Behörden verpflichtet, die (polizeiliche) öffentliche Sicherheit zu wahren (Art. 20 Abs. 3 GG)26. Andererseits darf die Polizei behörde bei ihrem Vorgehen gegen eine andere, die öffentliche Sicherheit störende Behörde nicht die Erfüllung der dieser übertragenen Aufgabe beeinträchtigen. Tut sie dies doch, so überschreitet sie ihre Zuständigkeit 27 . Zuständigkeitswahrung und Nichtstörung der Aufgaben anderer Behörden gehören zusammen. Das Fördern einer versuchten Straftat, das der oben erwähnte Verfassungsschutzbeamte vollzieht, wäre allerdings, wie später gezeigt wird, einem vom Staat unabhängigen Privaten nicht verboten, weil das Verhalten den Anstiftungstatbestand nicht erfüllt. Die Gesetzesbindung von Behörden gemäß Art. 20 Abs. 3 GG bringt jedoch auch hier mehr Bindung als die allgemeine Verpflichtung von jedermann, Gesetze (Primämormen) zu befolgen. Daß beides zu unterscheiden ist, ist offensichtlich bei der Zuständigkeitsbindung. Beispielsweise die Allgemeinheit über Mißstände in der Verwaltung aufzuklären, ist der Behörde X nicht gestattet, wenn sie damit in die Zuständigkeit der Behörde Y (des Presseamtes) eingreift. Diese Zuständigkeit tangiert aber nicht die Freiheit privater Bürger, die Allgemeinheit über die erwähnten Mißstände aufzuklären. Die von privaten Verpflichtungen unterschiedene Bindung der Behörden ist reflektiert im Begriff des öffentlichen Interesses. Dieses müssen die Behörden, nicht die Bürger wahrnehmen. Die Bürger können ihr Partikularinteresse verfolgen, das nicht mit dem öffentlichen identisch ist 28 . Zum öffentlichen Interesse gehört im Rechtsstaat die Einhaltung der Normen durch die ihnen Unterworfenen. 25 Wolff / Bachof, Verwaltungsrecht 11, § 72 11 b 2; Luhmann, Zweckbegriff und Systemrationalität, S. 98. 26 Wolff / Bachof, Verwaltungsrecht III, § 127 Rn 30. 27 Wagner, Polizeirecht, S. 88; Martens, in Drews / Wacke / Vogel / Martens, Gefahrenabwehr, 2. Bd., S. 125 ff., 174. 28 Deshalb ist die Polizei bei der Gefährdung von Individualrechtsgütern nicht ohne weiteres zum Eingreifen zuständig, sondern nur wenn der Einzelne "als Teil des Publikums" betroffen ist; vgl. Martens, a.a.O., S. 113 ff.; Wagner, Polizeirecht, S. 73. Zum öffentlichen Interesse siehe auch Forsthoff, Lehrbuch des Verwaltungsrechts, S. 88 ff., 188.

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1. Teil: Nonnative Schranken der Deliktsprovokation

Die Durchbrechung von Normen zu fördern, widerspricht dem öffentlichen Interesse, ist also Behörden verboten, auch wenn es Bürgern, weil sie nicht das öffentliche Interesse zu verfolgen haben, sondern ihr Partikularinteresse verfolgen dürfen, erlaubt sein mag. Aufschlußreich ist insofern das Urteil des Großen Senats des BGH in Strafsachen zur Geheimhaltung der Informationen polizeilicher V-Leute im Verhältnis zur Strafjustiz gemäß §§ 54, 96 StP029. Die Exekutivbehörde hat nach Ansicht des BGH bei der Entscheidung über die Geheimhaltung ihrer Informationen die entgegenstehenden, im Strafprozeß relevanten Interessen selbst zu berücksichtigen. Entsprechend ist umgekehrt das Strafgericht verpflichtet. Demnach setzt sich das exekutivische Interesse nur durch, soweit es mit dem strafprozessualen Interesse zu einem übergreifenden Ausgleich, dem öffentlichen Interesse, gebracht wurde; und dieses zu vollziehen, ist schon jede Einzelbehörde selbst verpflichtet.

5. Gesetzesbindung staatlich beauftragter Privater Daß jemand als Privater im Auftrag des Staates handelt, ist rechtlich grundsätzlich möglich 30. Die Tätigkeit von nicht beamteten V-Leuten der Verfassungsschutzämter und der Polizei wird zuweilen als solch ein privates Handeln qualifiziert 31 . Ob dies angemessen ist, ist umstritten 32. Es soll hier vorläufig akzeptiert werden. Nimmt man weiter an, daß der Staat V -Leute auch in privatrechtlichen Formen einsetzen dürfe 32., so greift der bekannte Grundsatz ein, daß dem Staat der Formenrnißbrauch verboten ist; er kann sich seinen öffentlichrechtlichen Bindungen nicht dadurch entziehen, daß er Private für sich handeln und Delikte provozieren läßt 33 . Wird dieser Grundsatz nicht dadurch realisiert, daß der Einsatz Privater verboten wird, so dürfen zumindest die Bürger, die betroffen sind von den Handlungen der staatlich beauftragten Privaten, nicht schlechter gestellt werden, als sie es wären, wenn der Staat in eigener Verwaltung, also durch Beamte gehandelt hätte 34 . Wenn kein Bürger unmittelbar betroffen ist und nur die Gesetzesbindung auf dem Spiel steht, kann es nicht anders sein, denn rechtswidrige 29 BGHSt 32, 125 ff. 30 Ossenbühl, VVDStRL 29, 137 (194 Anm. 252a). 31 Salzwedel, Gedächtnisschrift für Peters, S. 756 (778 ff.); Roewer, Nachrichten-

dienstrecht, § 3 BVerfSchG Rn 151; wohl auch Amelung / Schall, JuS 1975,565 (568). 32 Die meisten Autoren (Nachweise s. u. 1. Teil C Anm. 11) bewerten das Handeln der V-Leute als öffentlichrechtliches; Einzelheiten dazu u. 1. Teil C. 32. s.o. Anm. 31 33 Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts der Bundesrepublik Deutschland, § 11 II; Erichsen / Martens, Allgemeines Verwaltungsrecht, § 32; BVerGE 10, 302 (327); Forsthoff, Lehrbuch des Verwaltungsrechts, S. 99 f., 544 f.; Gallwas, a.a.O., S. 228. 34 Forsthoff, a.a.O.; Gallwas, a.a.O., S. 228.

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Handlungen belasten die Allgemeinheit. Auch insofern darf der Staat durch den Übergang ins Privatrecht seine Befugnisse nicht erweitern. Die privaten V -Leute sind demnach wie Beamte gebunden 35. Diese Ausweitung öffentlichrechtlicher Bindungen folgt aus dem Rechtsstaatsprinzip und hat wenig zu tun mit der sogenannten Drittwirkung von Grundrechten 36, die einsetzen soll gegenüber besonderen Machtstellungen Privater 37, und die aus dem Sozialstaatsprinzip folgt. Die Ausweitung hat vielmehr eine Parallele im Verwaltungsprivatrecht, welches angewendet werden soll, wo der Staat Daseinsvorsorge in privatrechtlicher Form betreibt 38 • Auch der staatlich beauftragte private Vormund wurde staatsgleichen Bindungen unterstellt 39. Wenn es also dem Staat verboten ist, rechtswidrige Handlungen zu fördern, so ist dies auch privaten V -Leuten der Polizei und des Verfassungsschutzes verboten, soweit sie in dieser Eigenschaft handeln. Amelung und Scha1l 4O beschränken das Handeln polizeilicher V -Leute, indem sie bei Eingriffen in subjektive Rechte deren Rechtfertigung durch § 34 StGB im Wege mittelbarer Drittwirkung ausschließen. Das Verbot des Formenrnißbrauchs wird also nicht angewendet. Das hat nicht nur theoretische Bedeutung. Die subjektiven Rechte, in die die Deliktsprovokation eingreift - das Recht auf Wahrung der sozialen Integration und auf Vertrauensschutz - sind zwischen Privaten im allgemeinen nicht wirksam, wie noch zu zeigen ist. Dann kommt es auf eine Rechtfertigung nicht an und der Schutz der von dem staatlich beauftragten privaten V-Mann betroffenen Privaten kann nicht dadurch gewährleistet werden, daß dem V-Mann die Rechtfertigung entzogen wird. Allerdings könnte der Schutz der genannten subjektiven Rechte in diesen Fällen gemäß unmittelbarer Drittwirkung ausgedehnt werden. Aber die unmittelbare Drittwirkung ist umstritten, weil sie die Grenzen der staatlichen Sphäre in schwer kontrollierbarer Weise auflöst. Amelung und Schall lehnen sie ab 41 • Dann aber kann nach ihrem Ansatz der Staat im Bereich der Deliktsprovokation sich wichtigen Bindungen entziehen. Auch deshalb ist es vorteilhaft, die Bindung der privaten V -Leute aus dem Verbot des Formenrnißbrauchs abzuleiten. 6. Fazit Staatlichen Behörden und im staatlichen Auftrag handelnden Privaten ist es verboten, die Durchbrechung von Normen zu fördern. Im Hinblick auf diese Gusy, RiA 1982, 101 (102, 104). So aber Amelung / Schall, a.a.O., S. 570 f. 37 Hesse, a.a.O., § 11 11 a. E. 38 Wolff / Bachof, Verwaltungsrecht I, § 23 11 b; vgl. auch Schatzschneider, Ermittlungstätigkeit, S. 270. 39 BVerfGE 10, 302 (325, 327). 40 A.a.O. 41 A.a.O., S. 568. 35

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1. Teil: Nonnative Schranken der Deliktsprovokation

rechtsstaatliehe Bindung des Staates ist die herkömmlich häufig erörterte Frage, ob die staatliche Deliktsprovokation nach dem StGB schon verboten ist, wenn sie auf eine nur versuchte oder nur "formell" vollendete Tat gerichtet ist, zweitrangig. Es ist bemerkenswert, daß die rechtsstaatliehe Gesetzesbindung des Staates in der strafrechtlichen Diskussion um die Deliktsprovokation als Kriterium kaum auch nur erwogen wird 42 • Das mag damit zusammenhängen, daß bei der Beurteilung der Zulässigkeit der staatlichen Deliktsprovokation oft nach solchen Verstößen gefragt wird, die die Strafbarkeit des Provozierten oder seine Strafverfolgung ausschließen könnten; und insofern kommen primär Beeinträchtigungen der subjektiven Rechte des Provozierten in Betracht. Daß der Verstoß gegen die Gesetzesbindung des Staates vernachlässigt wird, könnte aber auch zusammenhängen mit der im Strafrecht verbreiteten Gleichstellung staatlichen Handeins mit privatem, sofern es um die Freistellung staatlichen Handeins geht. Diese Gleichstellung steht aber im Widerspruch zu der These, der Staat dürfe nicht den (angeblich) zivilrechtlichen Regeln der Verwirkung unterstellt werden 43, die sein Handeln beschränken würden. Das strafprozessuale Legalitätsprinzip und die Verpflichtung der Polizei, die öffentliche Sicherheit, d. h. die gesamte Rechtsordnung zu schützen und daher Straftaten zu verhindern und nicht zu fördern, sind spezielle Ausformungen der hier dargestellten Gesetzesbindung von Behörden. Abschließend sollen die hier vorgestellten Grenzen der staatlichen Provokation verglichen werden mit den vom 2. Strafsenat des BGH, ihm folgend von einer Vorprüfungskammer des BVerfG und ähnlich auch von der Polizei vertretenen Kriterien 44. Sie haben neben den bisher von der Rechtsprechung angewandten Kriterien - Grundlage und Ausmaß des gegen den "Täter" (d. h. den zu provozierenden zukünftigen Täter) bestehenden Verdachts, Art, Intensität und Zweck der Einflußnahme (d. h. der Provokation), Tatbereitschaft und eigene, nicht fremd gesteuerte Aktivitäten des Provozierten - eine zusätzliche Begrenzung statuiert: Die Provokation müsse dazu dienen, u. a. "verübte oder in Gang befindliche Straftaten zu ermitteln, ... strafbares Handeln in einer für die Überführung der Beteiligten ... geeigneten Weise zu steuern." Man könnte annehmen, bei einer derart eingegrenzten Provokation werde die Durchbrechung von Normen nicht gefördert, sondern nur ,gesteuert'. Was der Bundesgerichtshof als "steuern" bezeichnet, ist nicht der Provokationsakt und dessen Erfolg, sondern sein Fernzweck. Es wird damit nicht nur modifizierend auf "in Gang befindliches" Handeln 42 Vgl. aber BGHZ 8, 83 (87): "Aufgabe der Behörde ist es vielmehr ... , strafbare Handlungen zu verhindern." 43 BGHSt 32, 345 (353 f.); Schurnann, JZ 1986,66 (69 f.). 44 BGH Str.Vert 1985,309 (310); BGH NJW 1986, 1764; BVerfG NStZ 1987,276; ähnlich der "Bericht des vom Arbeitskreis II der Innenministerkonferenz eingesetzten ad hoc-Ausschusses" über ,,Neue Methoden der Verbrechensbekämpfung" in Bürgerrechte und Polizei / CILIP, Nr. 17, 1984, S. 77 ff.

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eingewirkt. Der BGH hält es vielmehr für zulässig, mehr oder weniger tatbereite Personen zu einer Straftat zu stimulieren, um dadurch das weitere Handeln derselben und Dritter zu "steuern". Die Stimulation selber fördert einen Normbruch. Daran ändert auch nichts der vom BGH betonte Umstand, daß der Stimulierte eventuell schon "grundsätzlich" eine Tat "in Aussicht genommen" hatte. Die je konkrete provozierte Tat hatte er bei der Provokation noch nicht begangen, und ohne die Provokation hätte er diese Tat nicht begangen (sonst hätte er nicht provoziert werden müssen). Der dolus generalis ist insofern irrelevant 45. Die vom BGH eingeschränkte Version der Provokation verstößt daher gegen die Gesetzes bindung.

11. Tatstrafrecht versus Stigmatisierung von Tätern Staatliche Maßnahmen werden beurteilt im Hinblick nicht nur auf ihre Wirkung, sondern auch auf ihren Zweck. Das hat nichts zu tun mit der zuweilen problematischen Tendenz, bei der Beurteilung des Handeins von Bürgern nach ihren Zwecken zu forschen, was zur Gesinnungszensur führen kann. Für die Rechtmäßigkeit staatlichen Handeins sind dessen Zwecke relevant, weil der Staat nur gesetzlich zugewiesene Zwecke verfolgen darf. (Diesen entsprechend werden z. B. die Zuständigkeit bestimmt und die zulässigen Befugnisse.) Das ist festzuhalten, weil Foth und ihm folgend der BGH bei der Frage nach den rechtlichen Konsequenzen der Provokation diese mit militärischen Befehlen zu rechtswidrigem Tun gleichstellen und damit den spezifischen Zweck der Provokation - z. B. die Bestrafung des Provozierten - außer acht lassen 46 • Von den möglichen Zwecken der Provokation sollen hier zunächst die folgenden untersucht werden: -

Die Polizei nimmt an, daß jemand tatbereit ist und auf eine Tatgelegenheit wartet (z. B. Rauschgiftverkauf); sie fürchtet aber, daß die erwartete Tat nicht zu ermitteln und also nicht zu bestrafen sein werde; deshalb provoziert sie eine Tat von der Art der erwarteten und läßt sie unter Beobachtung ablaufen, so daß sie bewiesen und bestraft werden kann; Zweck der Provokation ist hier die Sicherung von Ermittlungen 47.

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Die Polizei will als gefährlich eingeschätzte Personen einsperren lassen aufgrund der zu provozierenden Tat; damit wird mit dem Zweck der Bestrafung des Provozierten der weitere Zweck verfolgt, die Allgemeinheit vor drohenden weiteren schädlichen Handlungen zu schützen; es geht um Gefahrenabwehr.

Lüderssen, Festschrift für Peters, S. 349 (358 f.). Foth, NJW 1984, 221 (222); BORSt 32, 345 (354); dagegen Taschke, StrVert 1984, 178 (179). 47 Vgl. BOH StrVert 1985,309 (310). 45

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1. Teil: Nonnative Schranken der Deliktsprovokation Die Polizei will eine als gefährlich eingeschätzte Szene durch Spitzel kontrollieren lassen, die Vertrauen u. a. dadurch erwerben, daß sie Straftaten fördern; außerdem ist geplant, gegen die Täter Strafverfahren einzuleiten, falls die Polizei dies im Rahmen ihrer übergreifenden Strategie der Gefahrenkontrolle für zweckmäßig hält (z. B. meint, die Täter seien nun so gefährlich, daß ihre Einsperrung wichtiger sei als die weitere unauffällige Beobachtung der Szene). In diesem Fall ist der Zweck, durch die Bestrafung die Einsperrung und dadurch die Sicherheit der Allgemeinheit zu erreichen, zwar nicht alleiniger, aber doch Nebenzweck der Provokation von Delikten.

1. Täterbezug der Provokation Daß nach den Strafvorschriften Strafen an bestimmte Taten geknüpft werden und dies noch in der Vefassung (Art. 103 Abs. 2 GG) festgeschrieben ist, wird allgemein als Ausführung des Prinzips des Tatstrafrechts verstanden 48. Diese Art des Strafrechts wirkt zuweilen hart für den Betroffenen. Aus dem Zusammenhang seines konkreten Lebens wird anhand abstrakter Kriterien ein Stück isoliert, "zur Missetat hochstilisiert"49 und ihm allein als seine Tat angehängt, obgleich es oft wenig beherrschte Folge mächtiger sozialer Einflüsse und konstitutioneller Bedingungen ist. Diese anscheinende Borniertheit des reaktiven Zugriffs wird hingenommen, um Freiheit vor präventiver staatlicher Kontrolle des sozialen Lebens zu sichern. Das So-sein, gefährliche Neigungen, Gesinnungen der Personen gehen den Staat nichts an, solange es nicht zur Tat gekommen ist. Bis zu diesem Zeitpunkt bleibt den einzelnen der Genuß des Zufalls, in mehr oder weniger kriminogenen Verhältnissen aufgewachsen zu sein und zu leben, von Tatgelegenheiten und Stimulationen verschont oder behelligt zu werden. Sollte das Tatprinzip zugunsten gerechterer oder effektiverer Maßnahmeprogramme aufgegeben werden, so müßten das Leben und die sozialen Verhältnisse der Bürger strikt oder sanft unter staatliche Kontrolle gebracht und gesteuert werden. Die Freiheit der Bürger von solchen Maßnahmen wahrt das Prinzip des Tatstrafrechts 50• Es gewährt eine von solchen präventiven staatlichen Maßnahmen freie Sphäre sozialen und privaten Lebens der Bürger. Die genannte Kontrolle und Steuerung verstieße außerdem gegen Art. 2 Abs. 1 GG. Zur freien "Persönlichkeit" gehört ihre Verantwortlichkeit für ihre Taten, die Annahme also, daß der einzelne seine Verhältnisse im allgemeinen beherrscht, zurechnungsfähig ist, Probleme wie gefährliche Neigungen im sozialen Verkehr 48 Statt vieler: Schmidhäuser, Strafrecht AT, 2/27; grundlegend zum Tatprinzip Jakobs, ZStW 97 (1985),751 ff. 49 KrauB, Festschrift für Schaffstein, S. 411 (425). 50 Dazu Calliess, Theorie der Strafe im demokratischen und sozialen Rechtsstaat, S. 127; Jakobs, Schuld und Prävention, S. 6, 9, 13; ders., Strafrecht AT, 1/43,54; vgl. auch Backes, KritV 1986,315 (336,341).

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selbst bewältigen kann 51. Deshalb bedürfen die Bürger staatlicher Kontroll- und Steuerungsmaßnahmen nur in Ausnahmefällen (Tatverdacht und konkrete Gefahr). Die Deliktsprovokation ist aber eine solche Maßnahme. Sie ist ein Gegenprogramm zum Tatstrafrecht, sofern sie darauf gerichtet ist, den Provozierten wegen der provozierten Tat bestrafen zu lassen. Der Staat wartet bei dieser Strategie nicht ab, bis die Tat als Bedingung der Strafe geschieht. Er geht zur Prävention über und ruft die Tat hervor, so daß sie unter Kontrolle begangen wird und nicht zufallig ermittelt werden muß. Hervorgerufen wird die Bedingung der Strafe, weil jemand als gefährlich eingeschätzt wird. An die Gefährlichkeit der Person, nicht erst an ihre Tat wird die Strafe geknüpft durch das staatliche Hervorrufen der Tat. Der Bundesgerichtshof hat denn auch die Neigungen des einzelnen zu gefährlicher, anderweitig schwer kontrollierbarer Kriminalität, also die Gefährlichkeit des einzelnen zum Kriterium der Provokation erklärt 52. Dieses Kriterium tritt an die Stelle der Straftat. Das ist auch nicht" anders im ersten der oben dargestellten Provokationsfälle. Zwar bezweckt die Polizei dort nicht Gefahrenabwehr durch physisches Einsperren des ,zu Provozierenden, sondern, wie der BGH meint 53, die Verbesserung der Ermittlungsmöglichkeit. Aber die Provokation bezieht sich nicht auf schon geschehene Straftaten, die ermittelt werden sollen. Sie stimuliert vielmehr zunächst eine noch nicht geschehene Straftat bei jemandem, der als tatbereit eingeschätzt wird. Die Person, nicht die Tat ist Eingriffskriterium. Daß eine der konkreten Tat ähnliche ohnehin geschehen würde, wird bei der Provokation vermutet, ist aber keineswegs sicher. Würde die Vermutung einer künftigen Tat mit der effektiv vergangenen Tat gleichgestellt, so würde das Tatstrafrecht programmatisch aufgegeben. Auch der Strafprozeß mit seinen strengen Beweisanforderungen verlöre damit seinen Sinn.

2. Tatprinzip als Garantie sozialer Freiheit Allerdings ist auch die Tat vorhanden, wenn in weiterer Entwicklung des Provokationsgeschehens der Provozierte bestraft wird. Die Tat hat er aus Freiheit begangen, und dies, könnte man annehmen 54, unterbricht den staatlich hergestellten Zusammenhang von personaler Tatneigung und Strafe, der dem Prinzip des Tatstrafrechts widerspräche. Das Prinzip des Tatstrafrechts bezweckt jedoch 51

52 53

276.

KrauB, a.a.O. Zur Selbstverantwortlichkeit s. u. 1. Teil B III 1. BGHSt 32, 345 (346 f.) m. w. Nachw. BGH StrVert 1985,309 (310); ähnlich BGH NJW 1986, 1764; BVerfG NStZ 1987,

54 Vgl. Puppe, NStZ 1986, 404 (405); Schumann, JZ 1986, 66 (68); M.K. Meyer, Die Strafwürdigkeit der Anstiftung dem Grade nach, Diss. Hamburg 1970, S. 63 ff., 108.

1. Teil: Nonnative Schranken der Deliktsprovokation

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nicht den Schutz der Entscheidungsfreiheit hinsichtlich einer Tat, sondern den Schutz einer anderen Freiheit. Es soll wie gesagt die auf Bestrafung gerichtete staatliche Kontrolle und Steuerung des Lebens und der sozialen Verhältnisse vor der Tat verhindert werden. Deshalb ist der Hinweis auf die Entscheidungsfreiheit bei der Tatbegehung in diesem Zusammenhang unerheblich. Ob und was Freiheit im Rechtssinn sei, wird stets definiert. Wissenschaftlich läßt sich jede Tat auf Ursachen zurückführen und als unfrei decouvrieren. Für rechtliche Freiheit kommt es darauf an, welche Ursachen berücksichtigt werden als Unfreiheitskriterien im jeweiligen rechtlichen Kontext. Die Provokation zur Tat kann man, wie die h. M. es für angebracht hält, als Realisierung von Entscheidungsfreiheit definieren 55. Man kann auch die Frage der Entscheidungsfreiheit offenlassen und Freiheit sozial bestimmen im Verhältnis Staat / Gesellschaft / Einzelner als vom Staat nicht kontrollierte und gesteuerte Lebenswelt. Diese Freiheit ist z. B. mit den gegen den Staat gerichteten Grundrechten geschützt. Diese Freiheit ist schützenswert, auch wenn es in der Welt viele Zwänge gibt und das Glück, davon partiell frei zu sein, unterschiedlich verteilt ist. Diese Freiheit ist auch geschützt mit dem speziell gegen den strafenden Staat gemäß Art. 103 Abs. 2 GG gerichteten Prinzip des Tatstrafrechts. Die Provokation nimmt dem Einzelnen das Glück, zufällig frei zu sein von einer Tatstimulation. Es hätte ihm nach dem Prinzip des Tatstrafrechts gelassen werden müssen. Aus der Perspektive materialer Gerechtigkeit mag solche Freiheit gering geschätzt werden. Sie konstituiert aber die gegebene Gesellschaft. Das zufällige Glück wird in ihr den Menschen vom Staat im allgemeinen gelassen. Sollte es anders sein, so müßte ein totaler Verwaltungsstaat errichtet und die speziell gegen den Staat gerichteten Grundrechte beseitigt werden. Die staatliche provokatorische Einwirkung vor der Tat würde auch nicht dadurch zulässig, daß bei der Strafzumessung dem Täter der staatliche Motivationsanteil gutgeschrieben und die Strafe entprechend gesenkt wird 56. Denn die Provokation beeinflußte das ,ob' der Tat. Ohne die Provokation wäre sie ceteris paribus ausgeblieben und hätte gemäß Art. 103 Abs. 2 GG nicht zugerechnet werden können. Die Tatzurechnung läßt sich nicht wie die Strafzumessung quantifizieren 57. Der halbe Diebstahl ist nicht halb, sondern gar nicht strafbar. Die gefährliche Neigung zur Tat ist daher straflos und nicht gemildert zu bestrafen. Das hier zugrunde gelegte Verständnis der Freiheitsgrundrechte und des Art. 103 Abs. 2 GG als Sicherung gesonderter sozialer Sphären wurde besonders o. Anm. 54. So bezüglich rechtswidriger Provokation BGHSt 32, 345 (354 ff.). 57 Zum Verhältnis von Tatzurechnung und Strafzumessung vgl. Calliess, JZ 1975, 112 ff.; ders., Strafzumessung und Strafvollzug in strafverfahrensrechtlicher Sicht. In: Hassemer / Lüderssen (Hg.), Sozialwissenschriften im Studium des Rechts, Bd. III, S. 235 (246 ff.). 55 S. 56

A. Spezifisch den Staat bindende Nonnen

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von N. Luhmann ausgearbeitet 58. Er kritisiert die Vorstellung substantialischer Freiheit, deren Nachweis das Recht bekanntlich in Aporien führt. Die Annahme von substantialischer Freiheit stellt diese als vorsoziale Gegebenheit vor, die der isolierte Einzelne besitzt. Im sozialen Verkehr aber geraten die Substantialien beständig in Kollision. Ein auf solche Freiheit bezogenes Recht wird unbestimmt, denn es ist genötigt, beständig die kollidierenden einzelnen Freiheitswerte abzuwägen und sie dabei hoheitlich und kasuistisch zu definieren und zu bewerten. In solcher unberechenbaren Praxis wird der hohe Anspruch substantialischer Freiheit dementiert. Weil sie vorn isolierten Einzelnen ausgeht, kann die Vorstellung von substantialischer Freiheit auch nur schwer die Gefahren erfassen, die der Freiheit im sozialen Verkehr drohen: die Manipulation der Selbstdarstellung der einzelnen und ihre informationelle Kontrolle im sozialen Verkehr. Luhmann rezipiert sozialwissenschaftliche Erkenntnisse und setzt die Verflochtenheit der Individualfreiheit in soziale Zusammenhänge voraus. Grundrechte sollen bezogen sein auf spezifische Sphären des sozialen Verkehrs, die von der staatlichen Sphäre relativ gesondert werden, weil diese in besonderer Weise dazu tendiert, die anderen sozialen Sphären zu übergreifen, zu kontrollieren und zu steuern. Die Freiheit selbst substantialisch zu entwickeln, ist nach dieser Konzeption Sache der Menschen, nicht des Rechts. Insofern handelt es sich um eine liberale Konzeption. Sie wurde inzwischen auch in juristischer Literatur und Rechtsprechung rezipiert 59. Kriminologen erhalten, wenn die Rechtsprechung die polizeiliche Deliktsprovokation zuläßt, eine offizielle Bestätigung ihrer These von der Selektivität der staatlichen Strafverfolgung und von der justitiellen Vollstreckung sozialer Stigrnata 60 • Sie müssen sich nicht mehr vorhalten lassen, sie interpretierten die Wirklichkeit der Strafverfolgung verzerrt. Auf den BGR können sie sich berufen mit ihrer These, daß der registrierte Straftäter sich nicht so sehr dadurch auszeichnet, daß er eine Tat begangen hat, als dadurch, daß bestimmte wahrgenommene oder unterstellte Merkmale seiner Person negativ bewertet wurden. Das ist im Fall der Provokation die Tatneigung. Sie und nicht die Tat, die bei der Provokation noch nicht begangen ist, soll die provokatorische Einwirkung legitimieren. Die vermutete oder wirkliche Tatneigung ist das Stigma, das die Polizei veranlassen darf, eine zu bestrafende Tat anzustoßen. Es werden dann nicht mehr nur Normen auf von Personen gelieferte Taten angewendet. Personen werden wegen ihres Grundrechte als Institution, S. 24 f., 51 ff. Z. B. Calliess, Theorie der Strafe, S. 127; Jakobs, Schuld und Prävention, S. 8 ff.; Podlech, Der Staat, 1967, 341 ff.; Schlink, Amtshilfe, S. 194 ff.; wohl vennittelt über Podlech (u. a.: Das Recht auf Privatheit, in: Pereis (Hg.), Grundrechte als Fundamente der Demokratie, S. 50 ff.) wurde der Ansatz auch vom BVerfG aufgenommen in E 65, I (41 ff.). Dazu unten l. Teil B 11 4 b, c, e. 60 Z. B. Sack, Neue Perspektiven in der Kriminologie. In: Sack / König (Hg.), Kriminalsoziologie, S. 431 ff.; G. Albrecht, Stigmatisierung. In: Kaiser u. a. (Hg.), Kleines Kriminologisches Wörterbuch, S. 433 ff. 58

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1. Teil: Nonnative Schranken der Deliktsprovokation

Stigmas ausgegrenzt. - Auch hier ist der Einwand zu gewärtigen, der Provozierte habe vor seiner späteren Verurteilung auch die Tat begangen. Indessen wird damit die Tatsache, daß die Polizei dies allein aufgrund des Stigmas angestoßen hat, nicht aus der Welt geschafft. Wäre die Provokation für das Ergebnis irrelevant, hätte man sie unterlassen können. 3. Bindung von Exekutivbehörden und richterliche Unabhängigkeit Wenn die Polizei jemanden zu einer Straftat provoziert, um die Straftat zu beobachten, zu ermitteln, den Täter per Strafe einsperren zu lassen und ihn dadurch ungefahrlich zu machen, ermöglicht sie den Beweis einer Straftat und nimmt insofern ihre Strafverfolgungskompetenz wahr. Dabei ist sie an das Prinzip des Tatstrafrechts gebunden und hat durch die präventive Provokation gegen dieses Prinzip verstoßen. Allerdings hat die Polizei zugleich Gefahrenabwehr oder Gefahrenvorsorge betrieben. Wenn die Polizei in Wahrnehmung dieser Kompetenz nicht an das Prinzip des Tatstrafrechts gebunden wäre, so käme es für die Entscheidung über die Bindung ans Tatstrafrecht darauf an, welcher Kompetenz als Beurteilungsmaßstab Vorrang eingeräumt werden soll. Wenn die Provokation von einem Verfassungsschutzamt ausging, wäre zweifellos allein dessen exekutiv ische Kompetenz zu berücksichtigen, denn Strafverfolgung obliegt dem Verfassungsschutz nicht. Im Ergebnis ist es für das vorliegende Problem jedoch gleichgültig, ob die von der Polizei ausgehende Provokation deren Strafverfolgungskompetenz zugewiesen wird. Da jede Behörde im Verhältnis zu anderen verpflichtet ist, deren Aufgabenerfüllung nicht zu stören, dürfen Polizeiund Verfassungsschutz bei der Gefahrenabwehr und Gefahrenvorsorge nicht die Wahrung des Tatstrafrechts durch die Strafverfolgungsbehörden beeinträchtigen. Solche Beeinträchtigung entstünde, wie gesagt, wenn eine Person wegen ihrer angeblichen Gefahrlichkeit provoziert würde, Straftaten zu begehen, um sie wegen derselben einsperren zu lassen. Deshalb müssen Polizei- und Verfassungsschutz auch im Zusammenhang ihrer exekutiv ischen Kompetenzen derartige Provokationen unterlassen. Die genannten Provokationen durch die Polizei würden zugleich die sachliche Unabhängigkeit des Gerichts, d. h. seine Bindung an das gesetzliche Prinzip des Tatstrafrechts (Art. 97 Abs. 1 GG) beeinträchtigen. Insofern ähnelt die Wirkung der Provokation dem Fall der Beschränkung der richterlichen Wahrheitserforschung durch die Polizei, die gemäß §§ 54, 96 StPO zu exekutivischen Zwecken dem Prozeß Informationen vorenthält 61 • Das BVerfG sieht darin eine Beschränkung der Autonomie der Judikative (Art. 92 GG), die unzulässig ist, falls sie nicht überwiegend wichtigen Zwecken dient 62 • Ob die Provokation durch solche 61 v. Zezschwitz, NJW 1972, 796 (798 ff.), sieht darin einen Verstoß gegen Art. 97 Abs. 1 GG. Ähnlich Heinisch, MDR 1980,898 (900); Preuß, StrVert 1981, 312ff.

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überwiegenden Zwecke gerechtfertigt werden kann, wird später erörtert werden. Daß die Provokation nicht wie das Geheimhalten von Informationen unmittelbar den Prozeß beschränkt, macht keinen relevanten Unterschied. An das Tatprinzip ist der Richter ebenso gebunden wie an die prozessualen Regeln der Wahrheitserforschung. Die Befolgung des ersteren kann wegen seines Regelungsbereichs - die Tat darf als Anknüpfungspunkt der Strafe nicht durch personale Merkmale ersetzt werden - schon durch außerprozessuale Eingriffe gestört werden.

4. Das Prinzip des Tatstrafrechts nicht tangierende Provokationsarten Beispiel: Die Polizei provoziert eine als ungefährlich eingeschätzte Person zu einem BtM-Delikt, um im Zusammenhang der Beobachtung der provozierten Tat Betäubungsmittel zu finden, beschlagnahmen und aus dem Verkehr ziehen zu können, oder um eine vorangegangene Straftat des Provozierten oder Dritter aufzuklären. Die Bestrafung des Provozierten ist hier Nebeneffekt, nicht Zweck der Provokation. Daß gleichwohl auch hier das Prinzip des Tatstrafrechts verletzt sei, könnte begründet werden mit der verbreiteten Annahme, auch Nebenwirkungen staatlicher Maßnahmen könnten gegebenenfalls als Grundrechtseingriffe ("faktische Beeinträchtigungen") bewertet werden 63. Auf die vorliegend relevante Wahrung des Tatprinzips ist dies nicht zu übertragen. Denn dieses Prinzip fordert, wie ausgeführt, im Verhältnis zum Staat nicht, daß der Bürger empirische Entscheidungsfreiheit behalte, sondern daß seine soziale Sphäre von gezielter staatlicher Kontrolle und Steuerung frei bleibe. Daß in dieser Sphäre die einzelnen diversen Zwängen ausgesetzt sind, schließt (bis zur Grenze der §§ 20, 35 StGB) nicht aus, ihnen ihr Handeln als eigene Tat zuzurechnen. Auch die von staatlichen Maßnahmen (z. B. Stadtplanung, Polizeieinsatz) in voraussehbarer Weise ausgehenden kriminogenen Einflüsse gehören zu den hinzunehmenden Zumutungen der genannten Lebenssphäre, wenn sie nicht darauf zielen, die einzelnen wegen Merkmalen ihrer Person bestrafen zu lassen. Auch das Gebot richterlicher Unabhängigkeit verlangt nicht, alle Nebenwirkungen exekutivischer Tätigkeit auf die Rechtsprechung zu unterbinden. Richterliche Unabhängigkeit ist nur im Zusammenhang der Tätigkeit anderer Staatsorgane, also vorab relativ garantiert 64. Das Ergebnis der hier vorgeschlagenen Unterscheidung mag paradox erscheinen, denn die im obigen Fall gegen einen Ungefährlichen gerichtete Provokation wäre danach erlaubt, die gegen einen Gefährlichen mit dem Ziel der Bestrafung gerichtete Provokation ist verboten. Indes greift, wo der Ungefährliche betroffen 62 BVerfGE 57, 250 (287) = NJW 1981, 1719 (1724). Ähnlich Keller StrVert 1984, 521 (524). Zu den damit relevant werdenden Problemen der Gewaltenteilung s. u. 1. Teil AV. 63 Amelung, JR 1984,256 (257); v. Zezschwitz, a.a.O.; BVerfGE 6, 55 (77). 64 Keller, a.a.O.

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1. Teil: Normative Schranken der Deliktsprovokation

ist, das allgemeine Persönlichkeitsrecht ein - genauer: das Verbot, Bürger sozial zu desintegrieren und ihr Vertrauen zu mißbrauchen. Dieses subjektive Recht steht auch ungezielten Beeinträchtigungen entgegen. Es hat um so mehr Gewicht, je weniger ein Bürger als gefährlich einzuschätzen ist. Das wird später gezeigt. Außerdem steht der Deliktsprovokation durch den Staat stets dessen Gesetzesbindung entgegen.

111. Schuldprinzip Mit dem Prinzip des Tatstrafrechts hängt das Schuldprinzip zusammen, wonach die Strafe verhältnismäßig auf den Unwert der Tat bezogen sein muß (§ 46 Abs. 1 S. 1 StGB) 65. Sie darf nicht verhängt werden, um die Allgemeinheit vor gefährlichen Personen zu sichern. Eben dies bezweckt die Provokation 66 • Allerdings ist die Ansicht verbreitet, auch die Schuldstrafe selber bezwecke u. a. die Sicherung der Allgemeinheit durch die Vollstreckung der Freiheitsstrafe 67. Aber dies ist eine andere Sicherheit als die mit der Provokation angestrebte. Die durch Freiheitsstrafe bewirkte Sicherheit ist eingebunden in den auf die vergangene Tat bezogenen Schuldgrundsatz. Außerdem darf der Sicherungszweck bei der Strafzumessung, wenn überhaupt, nur letztrangig berücksichtigt werden, wenn andere spezialpräventive Einwirkungen, die den Verurteilten nicht nur belasten und instrumentalisieren, keinen Erfolg versprechen 68. Auch gemäß § 2 S.2 StVollzG wird Sicherheit nur vor "weiteren" Taten, d. h. nach einer begangenen, angestrebt. Die Freiheitsstrafe gewährt Sicherheit also nur in einem begrenzten sozialen Feld. Jenseits dessen - vor begangenen Taten - vorhandene Gefahren läßt sie bestehen. Die Begrenzung staatlichen Sicherheitsstrebens auf ein bestimmtes soziales Feld ist verfassungsrechtlich geboten. Unbegrenztes staatliches Sicherheitsstreben führte zu totaler Kontrolle. Deshalb darf die mit der Freiheitsstrafe, wenn überhaupt, bezweckte Sicherheit nicht in eins gesetzt werden mit der durch polizeiliche Provokation bezweckten Sicherheit, die Gefahren ausschließen soll, die vor Straftaten bestehen. Der Einwand, der Provozierte werde letztlich wegen der frei begangenen Tat bestraft, ist auch hier nicht triftig. Das Schuldprinzip, indem es die Strafe an die Tat bindet, soll wie das Tatprinzip Interventionen, die die verhältnismäßige Reaktion auf die vergangene Tat überschreiten, verhindern. Dagegen verstößt die präventive, auf Sicherung vor Gefährlichkeit ohne Tat gerichtete Provokation. Das bestätigen Alltags- und soziologische Einsichten. Es kann nicht gut einen anderen beschuldigen, d. h. ihm legitim einen Vorwurf machen, wer die vorge65 BVerfGE 20, 323 (331); Calliess, Theorie der Strafe, S. 186 f.; Jakobs, Strafrecht AT, 17/29 m. w. Nachw. 66 Dencker, Festschrift für Dünnebier, S. 447 (460). 67 Stree in Schönke / Schröder, Rn 18 vor § 38; Bruns, Das Recht der Strafzumessung, S. 82, 94, 96; Maurach / Gössel/Zipf, Strafrecht AT, Tb. 2, S. 457. 68 Bruns, a.a.O., S. 96; Maurach / Gössel/Zipf, a.a.O.

A. Spezifisch den Staat bindende Nonnen

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worfene Tat selber in Gang gesetzt und vor der Tat deutlich gemacht, daß er den anderen bestrafen will und deshalb die Tat wünscht und erwartet. Die legitime Beschuldigung bezieht sich auf eine Abweichung von Erwartungen der verurteilenden Instanz 69. Und sie setzt Distanz voraus. In der Vorstellung von Laien muß der Richter ein von den Parteien abgehobener Dritter sein 70. Dementsprechend muß die vorzuwerfende Tat aus einer Sphäre kommen, die der Beschuldiger nicht vorab unter Kontrolle gebracht und in Richtung auf die Tat gesteuert hat. Nach Luhmann 71 hat das Grundrecht auf Freiheit die Funktion, die Zurechnung von Handlungen zum einzelnen zu ermöglichen. Da jedes Handeln auf Ursachen zurückgeführt, also als unfrei definiert werden kann, muß demnach als Freiheit dem Einzelnen eine von gezielter staatlicher Steuerung freie Sphäre gewährt werden, so daß ihm ein Handeln staatlich zugerechnet werden kann. Zur Freiheit als Voraussetzung staatlicher Zurechnung gehört nach diesem Ansatz nicht ontologische Freiheit, sondern (zumindest) eine vom Staat nicht gesteuerte Sphäre 72. Diese vom Staat unterschiedene Sphäre des Einzelnen ermöglicht es, dem Einzelnen die Tat als eigene zuzurechnen. Die Provokation hebt die Trennung der Sphären auf. Die Beschuldigung wegen einer gewünschten Tat droht dann zur durchschaubaren Inszenierung zu werden. (Das mag anders sein, wenn die Provokation als verboten bewertet und verpönt wird. Damit wird immerhin dem Anspruch nach an der Trennung der Sphären festgehalten.) Allerdings kann sich das Gericht, wenn eine Tat staatlich gewünscht und zulässigerweise provoziert wurde, durchaus noch distanziert gerieren. Aber es distanziert sich dann, genau genommen, nicht mehr von der Tat, sondern von der Gefährlichkeit, kriminellen Haltung, Lebensführung des Täters. Diese Umstellung des Vorwurfs widerspricht dem Schuldprinzip.

IV. Grenzen strafprozessualer Ermittlungen und kompetenzielle Zuordnung der Provokation Die prozessuale Seite des Prinzips des Tatstrafrechts ist die Bindung der Ermittlungen an zureichende tatsächliche Anhaltspunkte für eine bestimmte vergangene Tat gemäß § 152 Abs. 2 StPO. Diese Regelung begründet eine Pflicht zum Ermitteln. Sie wird aber auch als Begrenzung der Ermittlungen verstanden 73. 69 Vgl. Popitz, Die nonnative Konstruktion der Gesellschaft; Luhrnann, Grundrechte als Institution, S. 64 f.; Schild, JZ 1980, 597. 70 Schild, a.a.O., S. 600. 71 A.a.O., S. 63 ff. 72 Die Bedeutung der Trennung der Sphären des Bürgers und der Verwaltung für die rechtsstaatliche Begrenzung von Verwaltungszwecken zeigt Forsthoff, Lehrbuch des Verwaltungsrechts, S. 292 f. 73 Kleinknecht / Meyer, § 152 Rn 4; LR-Rieß, § 152 Rn 22; Wagner, Polizeirecht, S. 78, 82, 113. Zur Begrenzung der polizeilichen Deliktsprovokation gern. § 152 Abs. 2

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1. Teil: Nonnative Schranken der Deliktsprovokation

Das ist angemessen nicht nur, weil Ermittlungen einzelne Personen belasten, sondern auch weil sie eine Entfaltung informationeller Staatsmacht enthalten, die in jeder rechtsstaatlichen Verfassung begrenzt sein muß. Andernfalls könnten die Ermittlungen das gesamte soziale Leben überlagern und unter staatliche Kontrolle bringen. § 152 Abs. 2 StPO ist daher als institutionelle Fassung der regelmäßigen Grenze prozessualer Ermittlungsmaßnahmen zu verstehen. Wie das Tatprinzip eine Sphäre sozialen Lebens der Bürger von der Sphäre der staatlichen Reaktion auf bestimmte Taten trennt und freistellt, so statuiert § 152 Abs. 2 StPO eine von staatlichen Ermittlungen freie soziale Sphäre. Nicht wegen der Vermutung irgendwelcher Straftaten dürfen die Behörden ermitteln, sondern nur zur Aufklärung des Verdachts einer bestimmten vergangenen Straftat. Insofern hat dieser Verdacht eine ähnliche Funktion wie der Begriff der konkreten Gefahr im Polizeirecht 74, der polizeiliche Eingriffe auf die Abwehr von im (bestimmten) Einzelfall bestehenden Gefahren beschränkt. Nicht gegen die Grenze der Ermittlungen verstoßen Provokationen, die darauf gerichtet sind, einen Verdacht vergangener Straftaten, der die Konkretion des § 152 Abs. 2 StPO erreicht hat und sich gegen den Provozierten oder Dritte richtet, aufzuklären. In diesem Fall mag die Provokation aus anderen Gründen unzulässig sein; gegen die mit § 152 Abs. 2 StPO gegebene Grenze der Ermittlungen verstößt sie nicht. Lüderssen 75 hat allerdings darauf hingewiesen, daß gegen die Provozierten, auch wenn im Zeitpunkt der Provokation gegen sie ein Verdacht bestand, nach der Provokation meist nur wegen der provozierten Tat weiter ermittelt wird, was darauf hindeutet, daß die Verurteilung wegen der künftigen Tat auch Zweck der Provokation war 76 • War es so, so verstieß die Provokation, die darauf zielte, die zu provozierende Tat beweisbar zu machen, gegen die Begrenzung der Ermittlungen. Ein Verstoß liegt auch vor, wenn Provokationen darauf gerichtet sind, verübte oder in Gang befindliche Straftaten aufzuklären, hinsichtlich deren kein Verdacht i. S. des § 152 Abs.2 StPO besteht, die also nur allgemein "in der Szene" vermutet werden; dazu gehören auch die Provokationen, die dem Provokateur das Eindringen in die Szene ermöglichen, so daß er dort vermutete Straftaten ermitteln kann. Gegen die Annahme, durch die erwähnten Provokationsarten werde gegen § 152 Abs. 2 StPO verstoßen, läßt sich einwenden, daß diese Vorschrift nur die Strafverfolgung regelt; die erwähnten Provokationen aber seien nicht StrafverfolStPO: Lüderssen, Festschrift für Peters, S. 349 (357 ff.); ders., Zynismus, Borniertheit oder Sachzwang? In: ders. (Hg.), V-Leute, S. 1 (9 ff.); Mache, Die Zulässigkeit des Einsatzes von agents provokateurs, Diss. Frankfurt 1983, S. 77 ff. 74 Zur Parallele: Wagner, a.a.O. 75 Lüderssen, Borniertheit ... , a.a.O., S. 24, ders., StrVert 1985, 178 (179). 76 Solche Zweckbestimmung hat der 2. Senat des BGH, StrVert 1985,309 (310), für unzulässig erklärt, jedoch nicht konsequent wie später (s. u. 1. Teil A VI a. E.) gezeigt werden wird. Der 1. Senat, BGH StrVert 1985, 323 hat die Zweckbestimmung nicht beanstandet.

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gung, sondern bereiteten diese vor, gehörten also zu dem neuen Kompetenzbereich der vorbeugenden Straftatenbekämpfung und könnten nicht anhand des § 152 Abs.2 StPO beurteilt werden. - Wie Maßnahmen der erwähnten Art kompetenziell einzuordnen sind, läßt sich klären anhand der in Rechtsprechung und Literatur seit langem geführten Diskussion um die erkennungsdienstlichen Maßnahmen gemäß § 81 b StPO, die ebenfalls die Strafverfolgung vorbereiten. Zunächst aber ist die diesbezügliche Gesetzgebung zu berücksichtigen. Erkennungsdienstliche Maßnahmen der Polizei, die künftige Strafverfolgung vorbereiten, wurden seit den 70er Jahren in neuen Länderpolizeigesetzen geregelt 77 , wie es in § 10 des Musterentwurfs für ein einheitliches Polizeigesetz vorgeschlagen worden war. Gleichwohl wurde aber § 81 b 2. Alt. nicht aus der StPO gestrichen und eine Streichung ist auch nicht beabsichtigt, so daß aus der Gesetzgebung keine Schlüsse zu ziehen sind. - Das Bundesverwaltungsgericht18 , ihm folgend die übrige Rechtsprechung 79 und die Kommentarliteratur 80 ordnen die Maßnahmen gemäß § 81 b 2. Alt. StPO der Gefahrenabwehr zu, weil sie nicht auf ein konkretes Strafverfahren bezogen seien. Damit ist erklärt, warum die Maßnahmen nicht zur Strafverfolgung gehören sollen, nicht ist erklärt, warum sie zur Gefahrenabwehr gehören sollen. Die Argumentation läßt sich umkehren: Die Vorbereitung der Strafverfolgung dient nicht der Abwehr konkreter Gefahren; folglich könnte sie zur Strafverfolgung gehören. - Ein weiteres Argument lautet: Die Strafverfolgung hat die Staatsanwaltschaft zu leisten. Die Polizei aber hat nach h. M. in eigener Zuständigkeit die Mittel der Strafverfolgung bereitzustellen und zu organisieren. Dazu gehöre, so wird gesagt, auch die hier relevante Vorbereitung der Strafverfolgung 81 • - Auch dies ist nicht stichhaltig, denn aus einer Organisationskompetenz ergibt sich keine Eingriffskompetenz. Im Zusammenhang des § 23 EGGVG sieht sich auch die h. M. durch die organisatorische Selbständigkeit der Polizei nicht gehindert, deren Verwaltungs akte als Justizverwaltungsakte zu qualifizieren, sofern sie der Strafverfolgung dienen 82. Die in der Literatur vertretene Gegenmeinung 83 stützt sich auf eine Differenzierung der Präventionsarten. Die von der Polizei in eigener Zuständigkeit zu betreibende Gefahrenabwehr richtet sich in der Regel gegen Gefahren, die bei ungehindertem Ablauf zu einem Schaden für die Schutzgüter der öffentlichen Z. B. §§ 12 ff. Nds. SOG. BVerwGE 11, 181 (182 f.); anders noch BVerfGE 2, 302. 79 Z. B. OVG Münster DÖV 1983,603; VGH Mannheim NJW 1973, 1663. 80 LR-Meyer, § 81 b Rn 3; Kopp, VwGO, § 179 Rn 7; Kleinknecht / Meyer, StPO, § 81 b Rn 1, 12 ff.; Redeker / v. Oertzen, VwGO, § 40 Rn 57; Roxin, Strafverfahrensrecht, § 33 III. 81 BVerwG NJW 1983, 772. 82 BVerwG NJW 1974,893; OVG Lüneburg NJW 1984,940; Kleinknecht / Meyer, StPO, § 23 EGGVG Rn 9; Hilger, NStZ 1984, 145 ff. 83 Schwan, VerwArch 1979, 109 (120 ff.); Sydow, ZRP 1977, 119 (125); Rüping, ZStW 95 (1983), 894 (910). 77

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Sicherheit und Ordnung führen würden (konkrete Gefahr). Dabei muß die Polizei im allgemeinen die Umstände kennen, die bewirken würden, daß die Gefahr zum Schaden umschlägt, wenn der Ablauf nicht durch Gefahrenabwehr geändert wird. Durch die Bestrafung eines Täters wird nach der modemen Straftheorie auch Prävention bewirkt. Diese Prävention ist jedoch unabhängig von konkreten Gefahren. Allein auf diese Prävention, so die Meinung der Literatur, sei die Vorbereitung der Strafverfolgung gerichtet, weshalb sie der Strafverfolgung zuzuordnen sei. Der Begriff der Strafverfolgung wird dabei weit gefaßt. - Diese Argumentation ist konsistent. Den Begriff der Strafverfolgung weit zu fassen, ist zumindest hinsichtlich der Begrenzung von Ermittlungsmaßnahmen gemäß § 152 Abs. 2 StPO auch angemessen. Wenn diese Vorschrift die oben befürwortete Begrenzungsfunktion haben soll, kann nicht alles, was die Grenze überschreitet, einer anderen Kompetenz zugeordnet und damit dem Regelungsbereich der Vorschrift entzogen werden. Zur vorbeugenden Straftatenbekämpfung hat die Polizei bisher nur einzelne Befugnisse erhalten. Rechtlich kann dies noch nicht als eigenständiger geschlossener Kompetenzbereich bewertet werden. Die erwähnten Provokationen verstoßen also gegen die mit § 152 Abs. 2 StPO gegebene Begrenzung prozessualer Ermittlungsmaßnahmen. Dies ist auch anzunehmen, wenn die Polizei mit der Provokation nicht nur die Bestrafung vorbereiten, sondern mit dieser wiederum einen Gefahrenabwehrerfolg erzielen will. Zwar nimmt sie mit diesem Femzweck eine andere als die Strafverfolgungskompetenz wahr, aber ihr näherer Zweck ist die Vorbereitung der Strafverfolgung wegen der zu provozierenden Tat; diese soll unter Beobachtung ablaufen, bewiesen und bestraft werden. Deshalb gelten auch hier die Regeln der Strafverfolgung. Deren Grenzen machen auch die Provokation zwecks Einsperrung des Provozierten unzulässig. Nicht gelten die Grenzen der Strafverfolgung für von Verfassungsschutzämtern ausgehende Provokationen, denn der Verfassungsschutz hat nicht die Kompetenz der Strafverfolgung, ist also auch nicht deren Verfahrensregeln unterworfen. Ebenfalls stehen die Verfahrensregeln der Strafverfolgung nicht solchen polizeilichen Provokationen entgegen, für die die Bestrafung des Provozierten nur Nebeneffekt ist, weil sie etwa darauf gerichtet sind, gefährliche Gegenstände sicherzustellen; dabei betreibt die Polizei nur Gefahrenabwehr.

V. Koppelungsverbot und Gewaltenteilung Wenn bisher gefragt wurde, ob die polizeiliche Provokation von Straftaten mit ihrem Zweck gegen das Tat- und das Schuldprinzip verstößt, so wurde das Verhältnis des Bürgers zur Strafjustiz und dessen Störung durch den polizeilichen Eingriff betrachtet. Davon unterschieden ist die Frage, ob mit der Provokation staatliche Machtbefugnisse gekoppelt werden, die getrennt bleiben müßten: die Gefahrenabwehr und die Ahndung von Straftaten. Solche Koppelung kann unzu-

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lässig sein, auch wenn die Ausübung der (gekoppelten) Befugnisse je für sich genommen zulässig ist, wenn also die vorliegend relevante strafrechtliche Befugnisausübung nicht gegen Tat- und Schuldprinzip verstieße. Problematisiert wird also die Konzentration von Staatsrnacht. Bevor insofern die verfassungsrechtliche Gewaltenteilung als Kriterium herangezogen wird, sollen die alle staatlichen Behörden bindenden Trennungsgebote berücksichtigt werden. Schon erwähnt wurde das Verbot des Formenrnißbrauchs, wonach der eingreifende Staat sich seiner Bindungen nicht dadurch entledigen kann, daß er dem Bürger in Gestalt des Privaten gegenübertritt. Die in der privatrechtlichen Handlungsform enthaltene Freiheit und Macht darf der eingreifende Staat sich nicht mit der privaten Form aneignen. Diese Regel betrifft jedoch nicht die Koppelung von staatlicher Gefahrenabwehr und Strafjustiz. Anerkannt ist weiter die Unterscheidung zwischen Aufgabe und Befugnis, woraus folgt, daß eine Behörde für ihren Zweck nur die ihr gesetzlich zugewiesenen Zwangsmittel anwenden darf, nicht die Zwangsmittel, die anderen Behörden zu deren Zwecken zugewiesen sind 84. Die Amtshilfe bedarf daher einer spezifischen gesetzlichen Begründung 85 • Durch diese Trennung werden die staatlichen Handlungsmittel sachgemäß verteilt und der Bürger vor Übermacht geschützt. Auch wo er dem Staat rechtlich zu einem Verhalten verpflichtet ist, tritt dieser ihm im allgemeinen nicht mit der Totalität seiner Machtmittel gegenüber, um pflichtgemäßes Verhalten zu erzwingen. Der Staat ist vielmehr grundsätzlich differenziert entsprechend seinen sozialen Aufgaben. Es gibt eine verwaltungsinterne Gewaltenteilung 86 • Ob die erwähnte Funktionalisierung der Strafjustiz für die Zwecke der Gefahrenabwehr der Unterscheidung von Aufgaben und Befugnissen widerspricht, ist nicht sicher. Zwar ist der Gefahrenabwehrkompetenz das Mittel der sichernden Einsperrung durch Freiheitsstrafen nicht zugewiesen. Aber im Zusammenhang der Provokation wird dieses Mittel nicht unmittelbar angewendet. Erst das Handeln des Bürgers, die Straftat, bringt das Zwangsmittel der Freiheitsstrafe effektiv in den Zweckzusammenhang der Polizei. Unmittelbar angewendet wird das Zwangsmittel dann aber nicht durch die Polizei qua Gefahrenabwehr, sondern durch die Strafverfolgungsbehörde, die dafür auch zuständig ist. Weitere Klärung kann das Verbot sachwidriger Koppelung von Verwaltungsobliegenheiten bieten 87 • Danach ist es unzulässig, Maßnahmen der Behörde A von Verhaltensweisen des Bürgers abhängig zu machen, zu denen dieser im Verhältnis zur Behörde B verpflichtet ist, die aber nicht in sachlichem ZusammenForsthoff, Lehrbuch des Verwaltungsrechts, S. 292 f. Dazu ausführlich Schlink, Amtshilfe, S. 145 ff.; Denninger, JA 1980, 281 ff.; Schneider, NJW 1978, 1601 (1602). 86 Luhmann, Recht und Automation in der Verwaltung, S. 21 ff.; Schlink, a.a.O., S. 12 ff., 26 ff.; Forsthoff, a.a.O., S. 505. 87 Wolff / Bachof, Verwaltungsrecht I, § 30 11 b 1, § 44 11 d 1. 84 85

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hang mit der Maßnahme der Behörde A stehen. Hier bezieht sich das Verbot nicht auf die unmittelbare Anwendung von Zwangsmitteln, die einer Behörde nicht zustehen. BeispieJ88: Eine Gemeinde macht durch Satzung die Stromlieferungen ihrer Stadtwerke davon abhängig, daß der Abnehmer seine Verpflichtungen gegenüber dem Wohnungsamt erfüllt. Forsthoff89 hält diese Konzentration von Verwaltungsmacht für mißbräuchlich und unzulässig, auch wenn einerseits das Wohnungsamt berechtigt war, vom Bürger pflichtgemäßes Verhalten zu fordern, und andererseits die Stadtwerke ihre Lieferungen prinzipiell hätten begrenzen und an Bedingungen knüpfen dürfen. Im Zusammenhang der Koppelung ist umstritten, wann die Koppelung sachwidrig ist. Abgestellt wird auf die Verschiedenheit der Verwaltungszwecke. Auf die Einzelheiten kommt es hier nicht an. Festzuhalten ist, daß bei gegebener Differenz der Verwaltungszwecke die faktische Durchsetzungsmacht der einen Behörde (des Wohnungsamtes) nicht verstärkt werden darf, indem die Abhängigkeit des Bürgers von (den Stromlieferungen) der anderen Behörde ausgenutzt wird. Mit dem Verbot der Koppelung wird eine Differenzierung der Sphären oder Verhältnisse, in denen der Bürger handelt, und eine entsprechende Differenzierung der Staatstätigkeit anerkannt. Die Verschiedenheit der Verwaltungszwecke wird festgestellt im Hinblick auf die soziale Differenzierung der Gesellschaft, auf die die Verwaltung bezogen ist. Indem verboten wird, die Trennung der Sphären aufzuheben, wird die Staatsrnacht gemäßigt und eine relative Freiheit der Bürger gewahrt. Dementsprechend hat das BVerfG für den Datenschutz eine "informationelle Gewaltenteilung" zwischen verschiedenen Behörden gefordert 90 • Informationen, die eine Behörde aus einer Sphäre bürgerlichen Handeins erhebt, dürfen nicht ohne weiteres verbunden werden mit Informationen anderer Behörden aus anderen sozialen Sphären. Die Macht, der der Bürger im Verhältnis zu einer Behörde - eventuell zulässigerweise - ausgesetzt ist, darf nicht ausgenutzt werden im Verhältnis zur anderen Behörde, auch wenn in diesem Verhältnis der Bürger pflichtwidrig handelt. Analog könnte differenziert werden bei der Provokation: Die Macht und die Einschränkungen zwecks Sicherheit, denen der Bürger im Verhältnis zur Strafjustiz ausgesetzt ist, dürfen nicht ausgenutzt werden im Verhältnis zur allgemeinen Gefahrenabwehr. Erste Voraussetzung solcher Differenzierung ist, daß zwischen dem Zweck der Bestrafung durch die Justiz und dem Zweck der polizeilichen Gefahrenabwehrmaßnahmen ein erheblicher Unterschied besteht 91 . Die Ahndung von Straftaten soll die Schuld vergangener Taten abgelten oder moderner: klarstellen, daß solche Taten nicht sein sollen. Im Strafverfahren wird 88 Nach Forsthoff, a.a.O., S. 99 f.; ähnlich der bei Wo1ff / Bachof, a.a.O., § 49 II b, mitgeteilte Fall. 89 A.a.O. und S. 292 ff., 505. 90 BVerfGE 65, 1 (46, 49 ff., 61 ff., 69). 91 Das folgende habe ich z. T. schon in StrVert 1984,521 (526) dargestellt.

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ein Vorwurf gegen ein Individuum erhoben. Die der Polizei übertragene Gefahrenabwehr hat mit dem Vorwurf individueller Schuld nichts zu tun. Die Polizei hat präventiv zweckrational die bestimmten Objekten drohenden Schäden abzuwehren, gleichgültig, ob diese Gefahren aus Schuld oder aus Naturereignissen entstanden sind. Die Differenz zwischen beiden Zwecken ist so erheblich wie die zwischen Menschen und Dingen. Allerdings wird das materielle Strafrecht selber gerade in den Bereichen, in denen staatliche Deliktsprovokationen häufig stattfinden, zunehmend präventiv orientiert. Die §§ 129, 129 a StGB z. B. richten sich über Täter und Beteiligte schwerer Straftaten hinaus auf den Schutz des öffentlichen Friedens und pönalisieren präventiv die auf Straftaten gerichtete Vereinigung und dazu noch das Werben um Anhänger und Sympathisanten für die Vereinigung. Auch die Geflihrdungstatbestände des politischen Strafrechts und des BtMG greifen weit ins Vorfeld dessen, was als schädliche Tat sozial bewertet wird. Sie richten sich auf die präventive Kontrolle sozialer Szenen und legen es der Polizei geradezu nahe, Straftaten unter Beobachtung taktisch geschehen zu lassen, um die Täter dann aburteilen zu lassen. Auch das Prozeßrecht fördert mit seinen neuen, vom konkreten Verdacht abgelösten Eingriffsbefugnissen die präventive Orientierung der Strafverfolgung. Angesichts solcher Tendenzen die Unterscheidung von Bestrafung und Gefahrenabwehr aufzugeben, wäre aber verfehlt. Eher wäre zu fragen, ob die neuen präventiven Tendenzen im Strafrecht noch dem verfassungsrechtlich vorgegebenen Tat- und Schuldprinzip entsprechen. Die Zwecke von Strafverfolgung und Gefahrenabwehr sind also erheblich unterschieden; die entsprechenden Befugnisse dürfen nicht gekoppelt werden. Freilich kann noch nicht jede Koordination zwischen beiden als unzulässige Koppelung bewertet werden. Gewiß ist es nicht unzulässig, wenn die Polizei sich in ihrer Sicherheitsplanung etwa darauf verläßt, daß jemand, der ansonsten gefährlich sein könnte, im Gefängnis sitzt und deshalb die Allgemeinheit nicht schädigen kann. Hier ist der potentiell Gefährliche der Macht der von der Polizei unterschiedenen Behörde faktisch unterworfen. Das Verhalten der Polizei ändert daran nichts. Eine unzulässige Koppelung kann angenommen werden, wenn das Verhalten einer Behörde auf den Zweck einer anderen ausgerichtet wird, also zwar für sich genommen korrekt ist, aber dem übergreifenden Zweckzusammenhang einer anderen Behörde folgt. Durch die Provokation macht sich die Polizei die Strafjustiz dienstbar. Diese verhängt zwar später die Strafe auf die Tat hin, also für sich genommen korrekt. Aber die Provokation bewirkt, daß die Strafe in einem anderen Zweckzusammenhang fungiert: als Mittel polizeilicher Gefahrenabwehr. Freilich ist diese Bestimmung noch ungenau. Das Koppelungsverbot betrifft verschiedene soziale Sphären, in denen ein Bürger handelt und die durch verschiedene Behörden verwaltet werden. Die Behörden sollen die Differenzierung der sozialen Sphären, die dem Bürger eine relative Freiheit gewährt, respektieren,

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indem sie ihre Maßnahmen nicht voneinander abhängig machen. Im Fall der Provokation seitens der Polizei könnte man nun annehmen, der Provokationsakt selber tangiere noch nicht das Verhältnis des Bürgers zur Strafjustiz und die von ihr verwaltete soziale Sphäre, weil im Zeitpunkt der Provokation der Betroffene zur Strafjustiz in keinem rechtlich relevanten Verhältnis stehe. (Von einem eventuellen Verdacht früherer Straftaten soll hier abgesehen werden.) Der Einfluß der Polizei könne zwar bewirken, daß ein solches Verhältnis entsteht; ob es aber zustande komme, hänge von der freien Entscheidung des Betroffenen ab, nämlich der Entscheidung zur Straftat, die das Verhältnis zur Strafjustiz erst zustande bringe. Die Maßnahmen in diesem Verhältnis, insbesondere die Strafe, die der Gefahrenabwehr zugute kommt, habe also der Bürger, nicht die Polizei gesteuert. Diese nutze sie nur noch aus. Diese Argumentation ist stichhaltig, wenn der Provokationsakt noch nicht das Verhältnis des Bürgers zur Strafjustiz tangiert. Ob dies anzunehmen ist, hängt davon ab, wieweit der Regelungsbereich dieses Verhältnisses reicht, wieweit es also unabhängig von Einwirkungen anderer Behörden gestellt werden muß. Zum Verhältnis des Bürgers zur Strafjustiz gehört nicht nur die Pflicht der letzteren, den Bürger zu bestrafen, wenn er eine Tat begangen hat, sondern auch das Recht des Bürgers, nicht präventiv überwacht und gesteuert zu werden im Hinblick auf Taten, die er noch nicht begangen hat. Das wurde im Zusammenhang des Tatprinzips gezeigt. Dieses Verhältnis zur Strafjustiz wird schon durch den Provokationsakt selbst beeinflußt und der Gefahrenabwehr angekoppelt. Daß dabei auch die Entscheidungsfreiheit des Bürgers mitwirkt, ist im Horizont des Koppe1ungsverbots irrelevant, denn der Schutzbereich des beeinflußten Verhältnisses Bürger I Strafjustiz reicht wie gezeigt über die Entscheidungsfreiheit des Bürgers hinaus. Eine unzulässige Koppelung und Konzentration staatlicher Macht liegt sogar vor, wo eine Behörde ein Verhältnis des Bürgers zu einer anderen Behörde beeinflußt, in dem der Bürger gar keine rechtlich geschützte Freiheit hat. In dem erwähnten Fall des gegenüber dem Wohnungsamt Verpflichteten würden die Stadtwerke auch dann unzulässig handeln, wenn sie die mögliche Stundung einer falligen und durchsetzbaren Forderung davon abhängig machten, daß der Bürger seine Verpflichtung gegenüber dem Wohnungsamt erfüllt. Beim Koppelungsverbot geht es nicht um die isolierte Entscheidungsfreiheit einzelner, sondern um die mißbräuchliche Konzentration staatlicher Macht, die auch dann wirkt, wenn der einzelne i. S. des Strafrechts frei ist. Die auf Gefahrenabwehr gerichtete polizeiliche Deliktsprovokation verstößt demnach gegen das Koppe1ungsverbot. Es mag befremden, diese Regelung, die vor allem für verwaltungsrechtliche Verträge relevant und insofern auch gesetzlich fixiert ist (§ 56 VwVfG), auf Vorgänge wie die Deliktsprovokation anzuwenden. Dem sozialen Sinn des Koppelungsverbots entspricht die Anwendung jedoch. Die von der verfassungsrechtlichen Gewaltenteilung unabhängige Bedeutung der Trennung zwischen Behör-

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den mit verschiedenen Zwecken hat zuerst Forsthoff erkannt 92 , der sich mit den Veränderungen im Verhältnis Einzelner / Gesellschaft / Staat im Gefolge der präventiven staatlichen Daseinsvorsorge beschäftigte 93 • Mit der Daseinsvorsorge wird der Bürger tendenziell in seiner gesamten Existenz vom Staat abhängig. Werden hier verschiedene Verwaltungsfunktionen gekoppelt, so kann der einzelne umfassend erpreßt werden 94. Die herkömmlichen Zwangsmittel mit ihren rechtsstaatlichen Grenzen werden dann zweitrangig. Deshalb hat im Bereich präventiver Daseinsvorsorge das Koppelungsverbot besondere Bedeutung. Die staatliche Deliktsprovokation betrifft nicht unmittelbar die positive Daseinsvorsorge. Sie steht aber ebenfalls im Kontext der präventiven Staatstätigkeit, die über die herkömmlichen rechtsstaatlichen Grenzen (vergangene Straftaten, konkrete Gefahr) hinausreicht. Durch diese Prävention, verbunden mit moderner Datenverarbeitung, kann das Leben der einzelnen weitgehend unter staatliche Kontrolle gebracht werden. Deshalb hat das BVerfG eine informationelle Gewaltenteilung zwischen verschiedenen Behörden gefordert. Es ist also nicht unangemessen, auch im Bereich der kontrollierenden und steuernden staatlichen Prävention das Koppelungsverbot anzuwenden. Die auf Gefahrenabwehr durch Bestrafung einer Person wegen künftiger Straftaten gerichtete polizeiliche Provokation verstößt gegen das Koppelungsverbot. Es fragt sich nun, ob auch die qualifizierte, verfassungsrechtliche Version der Gewaltenteilung (Art. 20 Abs. 2, 3 GG), tangiert ist, wenn die Polizei als Exekutivbehörde die Bestrafung eines Bürgers, die der Rechtsprechung zugewiesen ist (Art. 92 GG), für ihre Zwecke einsetzt 95 • Nach der Rechtsprechung des BVerfG96 gebietet die Gewaltenteilung keine scharfe Trennung der Funktionen Lehrbuch des Verwaltungsrechts, S. 292 ff., 505. Rechtsfragen der leistenden Verwaltung. In: res publica - Schriftenreihe, 1959. 94 Forsthoff, Lehrbuch, S. 505: " ... ein Zustand der Knechtschaft ... ein Knebelungssystem ohne geschichtliches Beispiel." 95 In der Diskussion um die Strafbarkeit und Verfolgbarkeit des von der Polizei Provozierten hat Foth, NJW 1984,221 (222), die Frage aufgeworfen, ob es nicht gegen die Gewaltenteilung verstoße, wenn jemand von der Strafjustiz nicht verurteilt werden dürfe, weil er von der Polizei provoziert wurde. Das widerspräche allerdings auch den polizeilichen Intentionen. Die Vorfrage, ob diese Intentionen selber, d. h. die Absicht der Polizei, die Strafjustiz zu (polizeilichen) Gefahrenabwehrzwecken zu funktionalisieren durch die polizeiliche Provokation von Straftaten, die Gewaltenteilung durchbricht, hat Foth nicht gestellt (dazu Taschke, StrVert 1984, 178 (180); ähnlich Bruns, StrVert 1984, 388 ff.; Herzog, NStZ 1985, 153 (157». Sie berührt die in Rechtsprechung und Literatur erörterte Frage, ob und wann die Polizei gegenüber der Strafjustiz gemäß §§ 54, 96 StPO Infonnationen geheimhalten und dadurch den Prozeß beeinflussen darf; Nachweise dazu oben Anm. 61,62; vgl. auch Lüderssen, Festschrift für Klug, 2. Bd., S. 527 (532 ff.); Taschke, a.a.O.; BGHSt 20, 189 (191); 29, 109 ff.; BGH GS StrVert 1983, 490 ff.; Grünwald, Festschrift für Dünnebier, S.347ff.; Engel, NJW 1983, 1530 ff.; Tiedemann / Sieber, NJW 1984,750 ff.; Bruns, MDR 1984, 177 ff. m. w. N.; ders., Neue Wege zur Lösung des strafprozessualen V-Mann- Problems; Backes, Festschrift für Klug, 2. Bd., S. 447 ff.; Krause, StrVert 1984, 169 ff.; Seebode / Sydow, JZ 1980,506 ff.; Fezer, JZ 1984,433 ff.; Miebach, ZRP 1984,81 ff.; Herdegen, NStZ 1984,97 ff., 200 ff. 96 BVerfGE 34, 52 (59). 92 93

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der Staatsgewalt. Es sind Verschränkungen zulässig und nötig, denn die Funktionen der Staatsgewalt sind aufeinander bezogen und angewiesen 97. Es werden daher nur die Kernbereiche der drei Gewalten der Veränderung entzogen. Unter diesem Vorbehalt ist es verboten, daß eine Gewalt der anderen die ihr zukommende Zuständigkeit nimmt 98. Auch darf keine Gewalt anstelle der anderen handeln 99. Das letztere geschieht bei der Provokation und in deren Folge nicht. Es ist auch zweifelhaft, ob der Strafjustiz eine Zuständigkeit genommen wird. Sie wird in der Ausübung ihrer Zuständigkeit gestört, weil das Tat- und das Schuldprinzip durch die Polizei unterlaufen werden. Dies dürfte jedoch angemessener als Beeinträchtigung der sachlichen Unabhängigkeit des Richters zu erfassen sein 100. Allerdings wird die Tätigkeit der Strafjustiz auch überlagert von der Gefahrenabwehr. Die Bestrafung erhält effektiv den ihr von der Polizei gegebenen Zweck, weil sie herbeigeführt wird als funktionales Element der die Grenzen des Tat- und des Schuldprinzips übergreifenden exekutivischen Strategie. Formell übt die Justiz weiterhin ihre Zuständigkeit aus; materiell ist sie ihr genommen. Damit könnte das zweite vom BVerfG aus der Gewaltenteilung abgeleitete Verbot einschlägig sein: "Keine Gewalt darf ein von der Verfassung nicht vorgesehenes Übergewicht über eine andere Gewalt erhalten" 101. Da diese Formulierung unmittelbar neben die von der Kompetenzentziehung eingefügt ist, dürfte sie etwas anderes meinen. Das Übergewicht ohne Entziehung der formellen Kompetenz wird problematisch, wenn die eine Gewalt sich der anderen wegen deren Übergewicht unterordnen, ihr folgen muß. So verstanden kann die Funktionalisierung der Justiz durch die Exekutive als Verstoß gegen die Gewaltenteilung bewertet werden. Diese Deutung entspricht auch dem Zweck der Gewaltenteilung. Sie soll u. a. Machtmißbrauch verhindern 102. Mißbrauch ist formell korrektes, materiell zweckwidriges Gebrauchen von Macht. Dies geschieht bei der Koppelung der Bestrafung an die Gefahrenabwehr. Betroffen ist von dem Übergriff die Verwirklichung des Tat- und des Schuldprinzips. Sie konstituieren den Kernbereich rechtsstaatlichen Strafens. Ihre Beeinträchtigung ist von der Verfassung nicht vorgesehen. Auch das BVerfG hat einen Verstoß gegen die Gewaltenteilung für möglich gehalten, wenn die Polizei den Strafprozeß beeinflußt, indem sie Informationen von V-Leuten geheimhält 103. Allerdings meint das BVerfG, zwingende Sachgründe könnten die Geheimhaltung und damit die Beeinflussung legitimieren. Dies könnte auch hinsichtlich 97 Das betont Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts der Bundesrepublik Deutschland, § 13. 98 BVerfG a.a.O., 99 BVerfGE 8, 274 (325). 100 Dazu oben 1. Teil A II 3. 101 BVerfGE 34, 52 (59). 102 Badura, Staatsrecht, D 49. 103 BVerfGE 57, 250 (287).

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der polizeilichen Provokation gelten. Die Sachgründe lassen sich präzisieren. Mit der Gewaltenteilung wird neben der Rechtsprechung auch der Bestand anderer staatlicher Aufgabenbereiche anerkannt. Die Eigenständigkeit der Rechtsprechung ist im Zusammenhang des Bestandes der anderen staatlichen Aufgabenbereiche, also vorab relativ zu bestimmen 104. Wenn die Tätigkeit einer Exekutivbehörde bewirkt, daß Bürger zu Straftaten provoziert werden, so kann das Bewirken nicht ohne weiteres als unzulässige Funktionalisierung bewertet werden. Eine solche liegt nur vor, wenn die Exekutivbehörde die Bestrafung bewirkt, um die Justiz zum Funktionselement ihrer Planung zu machen und damit die Tätigkeit der Justiz in ihren Dienst zu nehmen. Die Bestrafung als Nebenwirkung von exekutivischer Tätigkeit - Beispiel: die polizeiliche Deliktsprovokation mit dem Ziel, Drogen aus dem Verkehr zu ziehen - verstößt nicht gegen die Gewaltenteilung.

VI. Zusammenfassung und Vergleich mit der Rechtsprechung Jede Provokation von Straftaten durch staatliche Behörden verstößt gegen die Gesetzesbindung des Staates, unabhängig davon, ob die Provokation oder die provozierte Tat in subjektive Rechte des Provozierten oder Dritter eingreifen, unabhängig auch davon, ob die Provokation strafbar ist. Ist die Provokation darauf gerichtet, eine Person bestrafen zu lassen, so verstößt sie auch gegen das Prinzip des Tatstrafrechts, das Schuldprinzip und die richterliche Unabhängigkeit. Die von der Polizei ausgehende Provokation überschreitet die mit § 152 Abs. 2 StPO gegebene Grenze von Ermittlungen, wenn sie darauf gerichtet ist, jemanden wegen der provozierten Tat bestrafen zu lassen oder Straftaten zu erforschen, hinsichtlich deren kein bestimmter Anfangsverdacht gegeben ist. Ist die Provokation darauf gerichtet, jemanden durch Strafe einsperren zu lassen, so verstößt sie auch gegen das Koppelungsverbot und die Gewaltenteilung. Die Provokation durch einen im staatlichen Auftrag handelnden Privaten (VMann) ist ebenso zu beurteilen wie staatliches Handeln. Mit den nunmehr entwickelten Kriterien der Beurteilung der Provokation soll wiederum die schon z. T. dargestellte Rechtsprechung des 2. Senats des BGH, der das BVerfG und die Polizei zu folgen scheinen 105, verglichen werden. Der 2. Senat will Provokationen zulassen, die dazu dienen, in die ,,kriminelle Szene einzudringen". Nach der hier vertretenen Konzeption verstoßen solche Provoka104 Deshalb ist es korrekt, nicht nur Art. 92 GG zu berücksichtigen, wie das BVerfG, a.a.O., es tut, sondern auch Art. 20 Abs. 2, 3 GG, der die Relativität zeigt. 105 BGH StrVert 1985,309 (310); BGH NJW 1986, 1764; BVerfG NStZ 1987,276; zur Stellungnahme der Polizei s. o. Anm. 44.

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1. Teil: Nonnative Schranken der Deliktsprovokation

tionen gegen die Gesetzesbindung sowie gegen die Begrenzung der Ennittlungen gemäß § 152 Abs. 2 StPO, denn wenn in die Szene eingedrungen werden soll, ist noch kein Anfangsverdacht bezüglich bestimmter Straftaten gegeben. Daß die Szene als kriminell eingeschätzt wird, begründet keinen bestimmten Verdacht. Zulassen will der BGH weiter Provokationen, die dazu dienen, "verübte oder in Gang befindliche Straftaten" aufzuklären. Auch damit wird noch kein bestimmter Anfangsverdacht gefordert, denn der BGH faßt darunter auch Provokationen von beliebigen Tischnachbarn in für Drogenhandel bekannten Lokalen; gewiß kann man sagen, daß in solchen Lokalen Drogendelikte verübt worden und "in Gang" sind, aber damit ist noch kein bestimmter Anfangsverdacht (und auch keine konkrete Gefahr 106) gegeben. Auch solche Provokationen verstoßen daher gegen § 152 Abs. 2 StPO. Da der 2. Senat des BGH betont, Provokationen seien nur zur Enniulung von begangenen oder künftigen Straftaten und zur Sicherstellung von gefährlichen Gegenständen zulässig, scheint er nicht zulassen zu wollen, daß mit der Provokation bezweckt wird, jemanden einsperren zu lassen, um ihn unschädlich zu machen. Damit wäre diejenige Provokation ausgeschlossen, die - neben anderen - das Koppelungsverbot und die Gewaltenteilung überschreitet. Die auf Sicherstellung von gefährlichen Gegenständen gerichteten Provokationen sind als reine Gefahrenabwehnnaßnahmen zu bewerten. Sie verstoßen daher nicht gegen Tat- und Schuldprinzip, auch nicht gegen die richterliche Unabhängigkeit und die Grenze prozessualer Enniulungen, wohl aber gegen die Gesetzesbindung. Der 2. Senat meint, Personen dürften nicht provoziert werden, allein um sie dann wegen des provozierten Delikts zu bestrafen. Der 1. Senat hat allerdings eine derartige Provokation nicht beanstandet 107. Im übrigen will auch der 2. Senat Provokationen zulassen, wenn sie darauf gerichtet sind, den Provozierten und andere Beteiligte zu überführen, wobei es offensichtlich um die Überführung wegen der provozierten Tat geht, so daß das zugelassene Ziel der Provokation also doch Bestrafung sein kann; nur müssen mehrere Beteiligte Objekt solcher Maßnahme sein, denn die organisierte Kriminalität soll bekämpft werden. Nach der hier vertretenen Konzeption verstößt solche Provokation gegen die Gesetzesbindung, das Tat- und das Schuldprinzip, die richterliche Unabhängigkeit und die Grenze der Ennittlungen gemäß § 152 Abs. 2 StPO.

106 IO?

Dazu unten 2. Teil C 11 1.

BOH StrVert 1985, 323.

B. Elemente des allgemeinen Persönlichkeitsrechts als Grenze der Deliktsprovokation I. Überblick zu den möglichen Beeinträchtigungen Wurden bisher die speziell der staatlichen Provokation entgegenstehenden Regeln betrachtet, so sollen nun die Grenzen untersucht werden, die jeder, also auch der von Bürgern ausgehenden Provokation entgegenstehen. Sie ergeben sich aus den subjektiven privaten Rechten (dazu dieser Abschnitt) und dem Strafrecht (dazu der Abschnitt E). Auch der Staat hat diese Grenzen zu beachten. Es wird sich zeigen, daß die nun zu erörternden subjektiven Rechte dem Staat engere Grenzen setzen als privaten Bürgern, denn sie sind von den im vorangegangenen Abschnitt behandelten spezifisch rechtsstaatlichen Normen nicht scharf zu unterscheiden. Das Täuschungsverbot des § 136a StPO etwa und der Grundsatz ,nemo tenetur se ipsum prodere' lassen sich auch den spezifisch rechtsstaatlichen Regeln zuordnen. Sie gehören aber auch in den Zusammenhang des allgemeinen Persönlichkeitsrechts, das im Ansatz gegenüber jedermann geltend gemacht werden kann. Wer jemanden zu einer Straftat auffordert, erklärt, daß er ihn für fähig hält, die Tat zu begehen, was man als Ehrkränkung bewerten kann. Folgt der andere allerdings der Aufforderung, so traf die Behauptung zu, und die Ehre ist nicht gemindert. Wenn der Anstifter irrtümlich meinte, der Aufgeforderte werde folgen, hatte er keinen Vorsatz. - Insbesondere wenn sie wiederholt wird, kann die Aufforderung als Belästigung bewertet werden, die das vom Bundesverfassungsgericht anerkannte Recht, in Ruhe gelassen zu werden', in ähnlicher Weise beeinträchtigt wie etwa die unerbetene Zusendung von Werbeschriften, die von der Rechtsprechung schon als rechtswidrig bewertet wurde 2. Es wurde auch schon die einmalige Werbung für eine Bürgerinitiative, weil sie die Möglichkeit der Belästigung enthalte, präventiv verboten 3• Daß der vom Provokateur Angesprochene der Aufforderung folgt, muß kein Indiz gegen deren belästigende Wirkung sein, er folgte möglicherweise nur, um weiteren Behelligungen zu entgehen. Andererseits muß der einzelne ein Mindestmaß an derartigen Beeinträchtigungen hinnehmen, wenn er als frei, d. h. nicht perfekt bevormundet gelten soll. Die belästigende Wirkung der Aufforderung, ein Delikt zu begehen, dürfte , BVerfGE 27, 1 (6); 34, 269 (281); 35,202 (233); s. a. BGH MDR 1965,371. BGHZ 60, 296; s. a. BGH Betrieb 1970, 1583 f. (bett. Belästigung durch Telefonanrufe). 3 BVerfGE 44, 197 (203). 2

1. Teil: Normative Schranken der Deliktsprovokation

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selten intensiver sein als die von aggressiver Werbung, die die Rechtsprechung nicht beanstandet. Daß dem einzelnen der Gedanke nahegelegt wird, eine Straftat zu begehen, unterscheidet die Provokation nicht von reißerischen Gewaltdarstellungen, die ebenfalls nicht als belästigender Eingriff bewertet werden. Im Hinblick darauf läßt sich die in BGHZ 60, 296 bezüglich werbender Postsendungen getroffene Wertung nicht verallgemeinern 4. Der Beschluß des BVerfG zur Werbung für eine Bürgerinitiative betraf die Sondersituation von kasernierten Soldaten. Davon abgesehen ist seine Wertung wenig überzeugend, denn die Konfrontation mit Pornographie und Zoten wird dem einzelnen in der Kaserne ohne weiteres zugemutet. Eine andere Begrenzung könnte sich im Hinblick auf den Inhalt der Aufforderung ergeben. Sie fordert nicht wie Konsumwerbung rechtlich konformes, sondern strafbares Verhalten. Sie belastet den Adressaten mit der Entscheidung, kriminell zu werden, sich gegen die Normen der Gesellschaft zu stellen. Dieser Gesichtspunkt wird in der strafrechtlichen Diskussion wenig thematisiert. Sie ist in der Folge des Streits um die Schuldteilnahmelehre fixiert auf den Erfolg der Provokation. - Allerdings ist der Adressat meist im Sinn des Strafrechts frei, das Ansinnen zurückzuweisen. Darauf beruht die Zurechnung der Tat, wenn er auf das Ansinnen eingegangen ist. Deshalb, so wird argumentiert, sei die Aufforderung keine Verletzung des Rechts des Adressaten 5. Das ist ungenau. Die äußere Freiheit wird nicht eingeengt. Die innere Freiheit wird möglicherweise erweitert, wenn etwa Tathemmungen beseitigt werden. Möglicherweise wird sie eingeengt, wenn etwa der Adressat dem Auffordernden autoritär verbunden ist. Auf derartige Differenzierungen kommt es hier nicht an. Die angesonnene Tat begründet die schärfste staatliche Sanktion gegen einzelne. Durch die Tat würde sich nach der Konzeption des Strafrechts der einzelne gegen die Allgemeinheit stellen. Die Entscheidung darüber betrifft, könnte man sagen, das moralische Gewissen, den Innenbereich der Person. Deshalb könnte das allgemeine Persönlichkeitsrecht, welches den Innenbereich der Person schützt, tangiert sein. Dementsprechend hat die Rechtsprechung auch den Grundsatz ,nemo tenetur se ipsum prodere', der dem einzelnen erspart, entweder an seiner Bestrafung mitzuwirken oder wegen Schweigens unter Druck gesetzt zu werden, dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht zugeordnet 6, d. h. angenommen, daß die Entscheidung, sich selbst einer Straftat zu bezichtigen oder sie zu begehen, den Innenbereich der Person tangieren würde. Allerdings greift die bloße Aufforderung weit weniger ein als der Zwang zur Selbstbezichtigung. Vorab auszuschließen ist der Eingriff jedoch nicht. Wer dies für überzogen hält, mag bedenken, daß schon die staatliche Befragung einzelner über belanglose Daten als Eingriff in Freiheit bewertet Dazu Walz, JZ 1984, 106 f. Puppe, NStZ 1986, 404 (405); Schumann, JZ 1986, 66 (68); M. K. Meyer, Die Strafwürdigkeit der Anstiftung dem Grade nach, Diss. Hamburg 1970, S. 63 ff., 108. 6 BVerfGE 56, 37 (41 ff., 50). 4

5

B. Allgemeines Persönlichkeitsrecht und Deliktsprovokation

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wird 7. Wenn die informationelle Seite des allgemeinen Persönlichkeitsrechts derart sensibel behandelt wird, so liegt es nahe, moralische Belastungen nicht weniger sensibel zu berücksichtigen. Hat der Provokateur den Angesprochenen dazu gebracht, die Straftat zu begehen, so hat er bewirkt, daß der Provozierte in Widerspruch zur Rechtsordnung gerät. Darauf stützt sich die bekannteste Begründung der These, die Provokation greife in die Rechte des Provozierten ein 8 • Sie knüpft an die im Zusammenhang des Strafgrundes der Teilnahme entwickelte Schuldteilnahmelehre sowie an eine bestimmte Version der Unrechtsteilnahmelehre 9 • Danach hat der Provokateur zur sozialen Desintegration des Täters beigetragen, indem er ihn zur Tat stimulierte. Ungeachtet der Frage, ob damit das Strafunrecht der Teilnahme hinreichend erklärt ist, wird behauptet, jedenfalls das Recht des Provozierten werde durch die Förderung der Desintegration beeinträchtigt; der Provozierte werde in seiner Menschenwürde und in der freien Entfaltung seiner Persönlichkeit gestört. Zwar entscheide der Provozierte sich frei zu der ihm angesonnenen Tat; im Hinblick auf das Sozialstaatsprinzip aber könne dies nicht allein entscheidend sein. Das staatliche Recht schütze die Persönlichkeit unter Umständen auch, wenn der einzelne darauf verzichtet, weil es von seiner Schutzbedürftigkeit ausgehe. Die Autoren, die die Verletzung des Rechts des Provozierten bestreiten, gehen auf die Bedeutung der Sozialstaatlichkeit nicht ein; weil der Provozierte sich frei zur Tat entschlossen habe, habe er selbst, nicht der Provokateur seine soziale Integration, Menschenwürde und Entfaltung der Persönlichkeit gestört lO. Diese Argumentation ist verbreitet, aber zu kurz. Die Tatsache, daß der Provozierte selber für den negativen Erfolg verantwortlich ist, schließt nicht aus, daß für denselben Erfolg auch der Provokateur verantwortlich ist. Auf dieser Möglichkeit beruht die Haftung von Teilnehmern neben Tätern. Die Freiheit der Entscheidung des Täters zur Tat unterbricht weder die Kausalität noch die eventuelle Verantwortlichkeit des Teilnehmers für die Tat. Allerdings hat der Provozierte in den Erfolg, um den es hier geht, seine soziale Desintegration, eingewilligt. Aber nicht jede Einwilligung des Verletzten schließt die Annahme einer Rechtsverletzung aus. Der Provokateur von Straftaten täuscht im allgemeinen über den Zweck der Provokation. Deswegen könnte die Einwilligung des Provozierten unbeachtlich sein. Darüber hinaus könnte die Einwilligung des Angestifteten unwirksam sein im Hinblick auf den erwähnten sozialstaatlichen Schutz des einzelnen. Solange dies nicht geklärt ist, ist es eine petitio principii, wenn die These von Schlink, Amtshilfe, S. 188 ff. mit weiteren Nachweisen; BVerfGE 65, 1 (41 ff.). Seelmann, ZStW95 (1983),797 (813); Franzheim, NJW 1979,2014 (2015); Lüderssen, Festschrift für Peters, S. 349 (363 ff.); Berz, JuS 1982,416 (418 ff.); Mache, Die Zulässigkeit des Einsatzes von agents provocateurs, S. 54 ff., 72. 9 Nachweise dazu unten 1. Teil EIl. lO Schumann, JZ 1986,66 (68); Puppe, NStZ 1986,404 (405); ähnlich Jakobs, Strafrecht AT, 22 / 2; M. K. Meyer, Die Strafbarkeit der Anstiftung dem Grade nach, Diss. Hamburg 1970, S. 63 ff., 108. 7

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1. Teil: Nonnative Schranken der Deliktsprovokation

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der Rechtsverletzung durch Provokation abgelehnt wird mit dem Hinweis auf die Freiheit des Provozierten. Angesichts der apodiktischen Art, mit der der strafrechtliche Begriff von Freiheit zur Lösung zivil- und staatsrechtlicher Probleme herangezogen wird bisher hat noch niemand dargetan, daß der Freiheitsbegriff des § 823 BGB und des Art. 2 Abs. 1 GG mit dem der strafrechtlichen Zurechnung identisch sei - , ist bemerkenswert, daß der 2. Senat des BGH nun die Provokation als Eingriff in ein subjektives Recht des Provozierten qualifiziert. Die dem Provozierten "im öffentlichen Interesse angesonnene Verstrickung in Schuld und Strafe" sei u. U. "gravierend" und müsse gegebenenfalls durch zusätzliche Strafmilderung kompensiert werden 11. Wenn dies nötig ist, so muß die Verstrickung rechtlich relevant, muß ein Eingriff in ein subjektives Recht sein, der nur wegen des überwiegenden öffentlichen Interesses zugemutet wird,; wenn eine Art Aufopferungsentschädigung gewährt wird, muß in ein subjektives Recht eingegriffen worden sein. So leicht, wie die Vertreter der Allgeltung des strafrechtlichen Freiheitsbegriffs meinen, scheint also die These von der Verletzung eines subjektiven Rechts durch Provokation nicht abzutun zu sein. Der rechtliche Zusammenhang, in dem der Schutz der Bürger vor sozialer Desintegration durch Provokation zu bestimmen ist, ist wiederum das allgemeine Persönlichkeitsrecht. Zu ihm gehört nach Ansicht des BVerfG u. U. auch die Wahrung der Chance, sich ins legale soziale Leben einzufügen 110. Unzulässig könnte die Provokation weiter sein, wenn sie in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung - wiederum ein Teil des allgemeinen Persönlichkeitsrechts - eingreift. In aller Regel verschleiert der Provokateur, daß die Anstiftung sich darauf richtet, den Provozierten in einem staatlichen Strafverfahren zu überführen. Vielmehr wird er vorspiegeln, daß er auf der Seite des Provozierten steht. Die Täuschung veraniaßt diesen, auf die Provokation einzugehen und damit zugleich dem Provokateur Einblick in sein - des Provozierten - Handeln zu geben, u.a. die Information, daß er es ist, der die Tat begeht. Der Provozierte gibt persönliche Daten zu Zwecken preis, die ihm verschleiert werden und seinen Interessen widersprechen. In der verdeckten Verwendung der Daten des Provozierten gegen diesen liegt der praktische Schwerpunkt der Beeinträchtigung. Die Merkmale eines Eingriffs in das vom Blmdesverfassungsgericht aus Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. lAbs. 1 GG entwickelte Recht auf informationelle Selbstbestimmung 12, dessen Bedeutung vor allem in der Begrenzung der Verwendung von Daten liegt 13, dem "Systemdatenschutz", scheinen gegeben zu sein. Allerdings beziehen sich die Ausführungen des Gerichts auf staatliche Maßnahmen; sie stützen sich auf die primär den Staat bindenden 11 111

12 13

BGH StrVert 1985,309 (310); BGH NJW 1986, 1764. BVerfGE 35, 202 (226, 233 ff.). BVerfGE 65, 1 (41 ff.). Mückenberger, KJ 1984, 1 (7 ff.).

B. Allgemeines Persönlichkeitsrecht und Deliktsprovokation

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Grundrechte. Ob sie auch zwischen Privaten gelten sollen, bleibt offen. Ganz ausgeschlossen kann dies nach Ansicht des BVerfG jedoch nicht sein, denn es stellt das Recht auf infonnationelle Selbstbestimmung als Teil des allgemeinen Persönlichkeitsrechts vor, das auch im Privatrecht gilt. Mehrere Autoren meinen, die Provokation von Straftaten sei rechtswidrig, weil sie Vertrauen mißbrauche. Im Strafverfahren verbietet § 136a StPO die Täuschung des Beschuldigten und damit eine Art von Vertrauensmißbrauch 14. Der Provokateur täuscht über seine Pläne. Lüderssen u. a. sehen deshalb in der Deliktsprovokation einen Verstoß gegen § 136a StPO I 5. Problematisch ist allerdings, ob diese Vorschrift auch außerhalb des Verfahrens und schon bevor die Tat begangen ist, angewendet werden kann. - Den Ausführungen des BVerfG zum Recht auf infonnationelle Selbstbestimmung verwandt ist Denckers 16 Ansatz, der den Vertrauens schutz unabhängig von § l36a StPO begründet. Die Provokation greife in das Grundrecht aus Art. 2 Abs. 1 GG (i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG) ein, weil sie in Anspruch genommenes Vertrauen mißbrauche 17 • Werde solche Methode zugelassen, so beeinträchtige dies, ähnlich wie die Veröffentlichung von Tagebüchern, die Privatsphäre - auch dieser Ansatz steht also im Kontext des allgemeinen Persönlichkeitsrechts - und damit die allgemeine Handlungsfreiheit, weil sie geeignet sei, das für den unbefangenen sozialen Verkehr nötige Grundvertrauen zu zerstören. Ähnlich argumentiert die Strafrechtsprechung 18 zum allgemeinen Persönlichkeitsrecht und nun das BVerfG 19: Die Bürger würden auf die Ausübung etwa der Versammlungsfreiheit verzichten, wenn sie jederzeit damit rechnen müßten, registriert zu werden. Denn zur Grundrechtsausübung gehöre das Vertrauen, daß solches und die daraus folgenden Nachteile unterbleiben. Primär um der Abwesenheit einer Gefahr, weniger um einer faktischen Beeinträchtigung willen statuieren die Rechtsprechung und ebenso Dencker ein Recht, ein Methodenverbot. - Der Schutz des Vertrauens weicht insofern vom Recht auf infonnationelle Selbstbestimmung ab, als er sich nicht allein darauf bezieht, daß die Identität eines Straftäters verraten wird. Die Schutzwürdigkeit des Vertrauens des einen, daß sein strafbares Tun vom anderen nicht verraten wird, muß sich aus Umständen jenseits der Tat, aus dem Verhältnis der beiden ergeben. Wann ein solches Verhältnis als Vertrauen begrünDürig in Maunz / Dürig / Herzog, GG, Art. 2 Abs. 1 Rn 39. Lüderssen, Festschrift für Peters, S. 349 (363); ders., Borniertheit, Zynismus oder Sachzwang, in: ders., (Hg.), V-Leute. Die Falle im Rechtsstaat, S. 16 f.; Strafgericht Basel-Stadt, JZ 1986, 103 f.; Mache, a.a.O., S. 48 ff.; Voller, Der Staat als Urheber von Straftaten, Diss. Tübingen 1983, S. 73 ff. Den Rechtsgedanken des § 136a StPO will Berz, JuS 1982, 416 (419), berücksichtigen. 16 Festschrift für Dünnebier, S. 447 (455 ff.). Auch Rudolphi, SK StPO. Rn 48 vor § 94, betont den Vertrauensbruch. 17 Daß von Art. 2 Abs. 1 GG Vertrauen geschützt wird, zeigt Dürig, a.a.O. 18 BGHSt 14,358 (360); 19,325 (327). 19 BVerfGE 65, 1 (43). 14 15

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1. Teil: Nonnative Schranken der Deliktsprovokation

dender Tatbestand auch den rechtlichen Vertrauensschutz begründet, ob der zunillige momentane Kontakt zweier Menschen ausreicht, ein Dauer- oder Abhängigkeitsverhältnis, oder das Verhältnis Bürger / Staat relevant ist, bedarf näherer Bestimmung. Daß der Provokateur den Provozierten veraniaßt, selbst Informationen über die eigene Straftat und die Identität ihres Täters zu geben, könnte schließlich gegen das Verbot des Zwanges zur Selbstbezichtigung (nemo tenetur se ipsum prodere; im folgenden: nemo tenetur-Grundsatz) verstoßen. Zwar werden die Informationen außerhalb des Strafverfahrens gegeben. Das BVerfG hat den nemo tenetur-Grundsatz aber auch jenseits des Verfahrens angewandt 20 • Die Rechtsprechung stellt diesen Grundsatz in den Zusammenhang des allgemeinen Persönlichkeitsrechts 21 , weil die Menschenwürde, die Person geachtet werde, wenn dem Bürger erspart wird, sich selbst bezichtigen zu müssen. Beim Schutz des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung, ebenfalls ein Teil des allgemeinen Persönlichkeitsrechts, hat das BVerfG den Eingriff durch explizite Verpflichtung demjenigen durch Täuschung gleichgestellt 22. Das könnte auch hinsichtlich des nemo tenetur-Grundsatzes gelten; folglich wäre die Tatsache, daß dem Provozierten die Informationen abgeschwindelt werden, ebenso zu bewerten, wie wenn ihm die Informationen durch offene Verpflichtung mittelbar abgezwungen worden wären. Auch § 136a StPO könnte diese Gleichstellung begründen. All dies sind freilich noch näher zu überprüfende Hypothesen. Die einzelnen Rechte, die hier als mögliche Grenzen der Deliktsprovokation vorgestellt wurden, sind als solche nicht kodifiziert. Aus Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG lassen sie sich nicht strikt ableiten. Art. 8 Abs. 1 MRK gebietet nur vage die Achtung des Privat- und Familienlebens. Der Bestand der dargestellten Rechte ist nicht allgemein anerkannt. Für die Entscheidung, ob und wieweit sie zu akzeptieren sind, ist es nützlich, das die einzelnen Rechtspositionen übergreifende allgemeine Persönlichkeitsrecht genauer zu betrachten. Allerdings kann dabei nicht die ganze Differenziertheit, zu der das allgemeine Persönlichkeitsrecht in der zivilrechtlichen Literatur und Rechtsprechung entwickelt worden ist, nachgezeichnet und verarbeitet werden. Es sollen nur zwei für das vorliegende Problem wichtige Grundzüge vorgestellt werden: die Sphärentheorie und ihre Modifikation durch das BVerfG.

BVerfGE 56, 37 (50 f.). BVerfG a.a.O., OLG Celle NStZ 1982,393; BGHSt 14,358 (364 f.); Schlüchter, Das Strafverfahren, Rn 4. 2, 86 ffi. w. N. 22 BVerfGE 65, 1 (43). 20

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B. Allgemeines Persänlichkeitsrecht und Deliktsprovokation

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11. Bisherige Fassung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts und seine Erweiterung 1. Zur Bedeutung und Begründung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts Das allgemeine Persönlichkeitsrecht, wie es bisher in der Rechtsprechung anerkannt ist, soll das Ansehen der Person (l), ihre Privatsphäre (2), ihre Selbstbestimmung über Persönlichkeitsdetails (3) und ihre Selbstentfaltung (4) schützen 23. Sofern die Provokation sozial desintegriert, kann sie als Eingriff in den vierten Bereich bewertet werden, insofern sie Vertrauen mißbraucht oder das Recht auf informationelle Selbstbestimmung tangiert, als Eingriff in den zweiten und vierten Bereich. Das allgemeine Persönlichkeitsrecht verbietet freilich nur besonders gravierende Eingriffe. Es soll Lücken füllen, die die einzelnen positiv- rechtlichen Regeln des Persönlichkeitsrechts lassen und die im Hinblick auf neue Möglichkeiten des Ausspähens, Registrierens, Verwertens und Verbreitens von Informationen relevant geworden sind 24 • Die Reichweite des allgemeinen Persönlichkeitsrechts wird unterschiedlich bestimmt. Das BVerfG hat es im erwähnten Volkszählungsurteil weit über die herkömmliche Fassung ausgedehnt. Hinter den Differenzen hinsichtlich der Reichweite stehen unterschiedliche Begründungen des allgemeinen Persönlichkeitsrechts. Die ältere und lange Zeit vorherrschende Begründung hat u. a. ein Zivilsenat des BGH formuliert 25: "Die Art. 1 und 2 des Grundgesetzes schützen ... das, was man die menschliche Personhaftigkeit nennt; ja sie erkennen in ihr einen der übergesetzlichen Grundwerte der Rechtsordnung an. Sie schützen damit unmittelbar jenen inneren Persönlichkeits bereich , der grundsätzlich nur der freien und eigenverantwortlichen Selbstbestimmung des Einzelnen untersteht ... Diesen Bereich zu achten und nicht unbefugt in ihn einzudringen, ist ein rechtliches Gebot, das sich aus dem Grundgesetz selbst ergibt. Ebenso folgt aus dem Grundgesetz die Notwendigkeit, bei Verletzung dieses Bereiches, Schutz" - gemeint ist staatlicher Schutz - "zu gewähren". Diese Ableitung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts "unmittelbar" aus dem Inneren der Person und ihrem vorrechtlichen Wert ist repräsentativ. Immer wieder betonen Gerichte "die engste Eigensphäre" als Grundwert 26 • Der innere Persönlichkeitsbereich meint nicht notwendig einen Raum, der als Ding von der Person zu scheiden wäre, sondern etwa ihre Identität 27, ihre Moral 28 , 23 Schwertner, JuS 1978,289 (190); Zeuner, in: Soergel / Siebert, BGB, § 823 Rn 67; Schlechtriem, DRiZ 1975,65 (66); Brehmer / Voegeli, JA 1978, 374 (380). 24 BGHSt 19,325 (327); BVerfGE 34, 269 (281); BVerfGE 65, 1 (42); Schwerdtner, a.a.O. 25 BGHZ 26, 349 (354). 26 Z. B. BGHSt 19, 325 (327); BVerfGE 6, 32 (41); 32, 373 (379); 35, 202 (232). 27 BGH NJW 1965,685 f.; BVerfGE 34, 269 ff.; Schwerdtner, a.a.O., S.299.

5 Keller

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1. Teil: Nonnative Schranken der Deliktsprovokation

ihr inneres Leben. Dennoch soll er einer Bestimmung "unterstehen". Wessen Bestimmung? Wiederum der Person. Die innere Person unterstellt sich, ihr Inneres, sich selber. Der herrschaftliche In-sieh-Bezug des Inneren ist nicht ohne weiteres nachvollziehbar. Zwar ist es gebräuchlich zu sagen, ,Ich zwinge mich zu etwas'. Ob die damit bezeichnete In-sich-Differenzierung aber derart ist, daß sie rechtliche Differenzierungen begründen könnte, ist zweifelhaft. Daß der BGH derartige Metaphern bringt, ist gleichwohl verständlich, denn mit Worten läßt sich nicht leicht fassen, worum es hier geht 29. Individuum est ineffabile. Der BGH nähert sich ihm denn auch zunächst mit distanzierenden Formulierungen: " ... das, was man die menschliche Personhaftigkeit nennt ... jenen inneren Persönlichkeitsbereich ... " Die Substanz der Person entzieht sich unvermittelter Beschreibung. Eine Definition würde sie vergewaltigen, denn sie käme dem Inneren, welches so ganz frei sein soll, als Festlegung von außen. Dennoch vollzieht dies die Rechtsprechung mit ihrer Ableitung des Persönlichkeitsrechts aus dem freien Inneren, welches eben dadurch zum Gegenstand rechtlicher, also verbindlicher sozialer Fixierung wird. Die Problematik wird nur zugespitzt, wenn ein Gericht die eigene Definitionsherrschaft verdeckt und das Innere als "natürlichen" Raum bezeichnet 3o • Tatsächlich wird nun von Richtern unterschieden, was zum werthaften Inneren gehört und was nicht. Die verbreitete pornographische Darstellung nackter Frauen tangiert die Intimsphäre von Frauen nach h. M. nicht 31 • Wohl aber kann die Werbung für eine Bürgerinitiative den Innenbereich nach Ansicht des BVerfG beeinträchtigen 32 • In der Betonung eines völlig freien von sozialen Zusammenhängen abgehobenen Innenbereichs der Person einerseits und seiner rechtlichen, sozialen Fixierung andererseits steckt ein Widerspruch 33. Die Konstruktion des allgemeinen Persönlichkeitsrechts unterscheidet sich von herkömmlichen Freiheitsrechten und dem herkömmlichen Verständnis von Selbstbestimmung, die das Verhältnis der Person zu ihrer Umwelt betreffen, etwa eine Handlung oder Äußerung. Wenn ein Freiheitsrecht bestimmt wird, muß die rechtliche Definition nicht "unmittelbar" auf die Person zugreifen, die als Subjekt des Freiheitsrechts eine rechtsfreie Sphäre bleibt. Die Bestimmung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts aber betrifft das Verhältnis der Person zu sich selber. Mit dieser Bestimmung greift das Recht auf die Person - ihr Sein, nicht ihre Handlung - zu. Die Person wird zum Gegenstand eines Rechts, zum quasi dinglichen Objekt wie das Eigentum. Weil aber auch ein Subjekt dieses Rechts bleiben soll, wird die Person verdoppelt: die Person soll der Person "unterstehen". Die eine ist Subjekt des hoheitlich bestimmten Rechts auf die 28 Vgl. BVerfGE 56,37 (41 ff.); OLG Celle NStZ 1982,393, wonach das allgemeine Persönlichkeitsrecht den Zwang zur Selbstbezichtigung ausschließt. 29 Vgl. auch Krauß, Festschrift für Gallas, S. 365 (368 f.). 30 BGHZ 26, 3~9 (356). 31 Vgl. Zeuner in Soergel / Siebert, BGB, § 823 Rn 85. 32 BVerfGE 44, 197 (203). 33 Ähnlich Krauß, a.a.O., S. 374.

B. Allgemeines Persönlichkeitsrecht und Deliktsprovokation

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andere, die sie doch selbst ist. Je mehr die Person als freie rechtlich geschützt wird, desto mehr löst sich ihre rechtliche Bestimmung ins Kasuistische auf und muß dem Richter im einzelnen Fall überlassen werden, was Freiheit zugleich gefährdet. Wegen seiner Unbestimmtheit wird denn auch das allgemeine Persönlichkeitsrecht zuweilen abgelehnt 34 und wurden von den Verfassern des BGB keine entsprechenden Schadensersatzpflichten kodifiziert 35. Savigny hatte die Herrschaft über die eigene Person noch als rechtsfreie Sphäre bezeichnet 36 • Der strafrechtliche Ehrenschutz wurde als Teil der öffentlichen Ordnung verstanden 37. Dies war, verglichen mit dem gegenwärtigen Persönlichkeitsschutz, nicht unbedingt eine geringere Einschätzung der Person, eher eine andere. Die Personen sollten bewahrt werden vor zu weit gehendem staatlichen Schutz, mit dem paternalistische Herrschaft verbunden sein kann und die Möglichkeit von richterlicher Willkür. Primär sollten die Personen für sich selber einstehen. Nur in besonderen Beziehungen - z. B. nemo tenetur se ipsum accusare - wurde Schutz gewährt. Im übrigen wurde der Person bezüglich ihrer Handlungen, die sich auf Umwelt beziehen, Freiheit garantiert. Im Vorangegangenen wurde rekonstruiert, wie die Rechtsprechung das allgemeine Persönlichkeitsrecht entwickelt aus einem idealen Innenbereich der Person. Das allgemeine Persönlichkeitsrecht läßt sich auch anders verstehen. Das Ansehen der Person betrifft deren soziale Verhältnisse, und die Privatsphäre ist nicht natürlich, sondern Produkt sozialer Verhältnisse. Mit diesen wechselt ihr Umfang, wie eine Besinnung auf andere Verhältnisse und Zeiten zeigt 38. Auf soziale Verhältnisse ist die Privatsphäre bezogen, weshalb autoritäre Regimes ihren rechtlichen Schutz aufzuheben pflegen. Sozial vermittelt ist ebenfalls das "natürliche Schamgefühl", die sexuelle Liebe, die als Elemente des Innenbereichs vorgestellt werden 39 • Die Gerichte betonen im Zusammenhang des allgemeinen Persönlichkeitsrechts denn auch immer wieder, daß die Person auf die Gemeinschaft bezogen ist, weshalb Beeinträchtigungen des Persönlichkeitsrechts in Grenzen hinzunehmen seien 40. Zivil- und Strafrechtsprechung berücksichtigen beim Schutz der Persönlichkeit auch die Methode ihrer Beeinträchtigung 41 , also das soziale Verhältnis der Beteiligten. Und im bekannten Herrenreiter-Urteil, das oben zitiert wurde, folgt aus der Orientierung am idealen Innenbereich der Person am Ende, daß der Betroffene Geld bekommt, und zwar um so mehr, je Hirsch, Ehre und Beleidigung, S. 61 Anm.39a. Schlechtriem, DRiZ 1975,65; Brehmer / Voegeli JA 1978, 374 (375). 36 Dazu Brehmer / Voegeli, a.a.O., S. 494. 37 Dazu Brehmer / Voegeli, a.a.O., S. 375, 492. 38 Dazu Elias, Der Prozeß der Zivilisation, 1. Bd., S. 65. 39 Benda, Privatsphäre, S. 29 f., 32. Zur sozialen Vermitteltheit von Schamschranken und Liebe vgl. Elias, a.a.O., sowie Luhmann, Liebe als Passion. 40 Z. B. BVerfGE 27, 1 (7); 56, 37 (49); BGHSt 14, 358 (361). 41 Zum Zivilrecht: Palandt / Thomas § 823 Anm. 15 D. Zum Strafrecht: BGHSt 14, 357 (358 f., 364 f.); 19, 325 (326 f.); 31, 296 (299 f.). 34

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1. Teil: Nonnative Schranken der Deliktsprovokation

exklusiver "die Gesellschaftsschicht" ist, "in der er sich bewegt". Ungeachtet solcher recht direkten Orientierung an materiellen Äußerlichkeiten der Person ist es folgenreich, daß auf seiten des Betroffenen ins theoretische Zentrum der Konzeption des allgemeinen Persönlichkeitsrechts die ideale, innere, d. h. aus sozialen Zusammenhängen isolierte Person gestellt wird. Aus diesem substantialischen Ansatz wird ein Intensitätsmaßstab entwickelt, der anzeigt, was als Eingriff in den Personbereich bewertet werden soll, und wie tief er reicht: die bekannte Sphärentheorie. Wird sie konsequent angewendet, so kommt es zunächst nicht auf die sozialen Verhältnisse und Bedingungen des einzelnen und die Methode des Eingriffs an, sondern auf die quantitative Intensität des Eingriffs in das isolierte Gut ,Person'. Die immer wieder betonte Gemeinschaftsbezogenheit der Person mindert in dieser Konzeption ihren Schutz: ein Mindestmaß an Eingriffen ist hinzunehmen. Idealiter ist die Person völlig frei von allen Bindungen und Beeinträchtigungen, d. h. aus der Gesellschaft isoliert - das ist der Ausgangswert dieser Konzeption. Die reale Bedingtheit der Person durch soziale Verhältnisse bedeutet nicht etwa, daß sie des Schutzes besonders bedürftig wäre, sondern daß vom enormen Ideal Abstriche gemacht werden; soziale Bedingtheit macht die Person weniger schutzwürdig nach der Sphärentheorie. Im übrigen können soziale Verhältnisse als zusätzlicher Gesichtspunkt in der Güterabwägung berücksichtigt werden, die der Feststellung des Eingriffs folgt. Im einzelnen 42: Im Zentrum steht bekanntlich ein letzter, innerster Bereich menschlicher Freiheit bzw. Personhaftigkeit, der der Einwirkung der gesamten öffentlichen Gewalt und nach dem Zivilrecht auch privaten Einwirkungen rechtlich entzogen ist 43 ; er wird auch als Intimsphäre bezeichnet, die die innere Gedanken- und Gefühlswelt und das Verhalten umfaßt, auf das sich das "natürliche" Schamgefühl bezieht. Um diese Sphäre herum erstreckt sich die Privatsphäre, das Leben im häuslichen Familienkreis. Sie schließlich ist umgeben von der Individualsphäre, die die öffentliche, berufliche und politische Betätigung der Bürger umfaßt. Zuweilen werden Teilaspekte der Person anders zugeordnet. Für den zivilrechtlichen Schutz des Ansehens hat die Sphärentheorie weniger Bedeutung als für den Schutz der Geheimsphäre. Auch im Zivilrecht wird sie jedoch der Bestimmung der Eingriffe in das allgemeine Persönlichkeitsrecht zugrunde gelegt 44 • Auch der Strafrechtsprechung dient sie als Orientierung. Die Verfassungsrechtsprechung folgte ihr seit dem Elfes-Urteil. Das Volkszählungsurteil brachte hier allerdings mit dem Recht auf informationelle Selbstbestimmung eine Wende; dazu später. Gemäß der Sphärentheorie soll die innerste Sphäre unantastbar sein. Die Zulässigkeit von Beeinträchtigungen der beiden anderen Sphären richtet sich 42 Zum folgenden: BVerfGE 27, 1 ff.; 32,373 (379); 34,238 (245 ff.); Palandt/ Thomas, BGB, § 823 Anm. 15 B, D a; Podlech in Alt. Komm, GG, Art. 2 Abs. 1 Rn 35 f. 43 So schon BVerfGE 6, 32 (41) Elfes-Urteil. 44 Palandt / Thomas, BGB, § 823 Anm. 15 B.

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nach Verhältnismäßigkeit. Sollen Beeinträchtigungen der Privatsphäre zulässig sein, so müssen dafür gewichtigere Gründe stehen, als wenn nur die Individualsphäre, das öffentliche Wirken der Bürger betroffen ist. Darin realisiert sich gemäß BVerfG die Gemeinschaftsbezogenheit der Person. Sie legitimiert Eingriffe, ist nicht etwa Grund des Grundrechtsschutzes 44a • Dieser ist vielmehr in der isolierten Person begründet. 2. Bewertung der Deliktsprovokation nach der Sphärentheorie Wird die Deliktsprovokation gemäß der Sphärentheorie beurteilt, so dürften ihre einzelnen Wirkungen meist nicht oder als so schwache Eingriffe zu werten sein, daß sie problemlos zu rechtfertigen sind. Die negative Wirkung einer erfolgreichen Provokation auf die soziale Integration und - worauf es für die Sphärentheorie ankommt - auf die persönliche Entfaltung des Provozierten ist u. U. gravierend. Ob dies gemäß der Sphärentheorie als Eingriff ins Persönlichkeitsrecht zu werten ist, ist aber nicht sicher. Die Sphärentheorie geht von der isolierten Person aus; deshalb muß für sie, so scheint es, relevant sein, daß die hier relevante negative Wirkung der erfolgreichen Provokation auf die persönliche Entfaltung des Täters diesem nicht unmittelbar vom Provokateur angetan wird, sondern zunächst durch den Täter selbst, den "innersten Bereich" seiner Person, vermittelt ist. Dieser bleibt "frei und selbstverantwortlich". Die desintegrierende Wirkung wäre für die Sphärentheorie demnach Objektivation der Person, nicht ihrer Beeinträchtigung. Diese Deutung geht von einer einheitlichen verantwortlichen Person aus. Die Sphärentheorie läßt aber auch eine andere Bewertung der bewirkten Einschränkung der Selbstentfaltung zu. Sie kennt, wie oben gezeigt, nicht nur die Person als freies Subjekt, sondern zugleich die dieser unterstellte Person als Objekt, die freilich dieselbe wie jene ist. Auf die Person als Objekt hat, könnte man annehmen, der Provokateur derart eingewirkt, daß sie in Widerspruch zum Recht geraten und in ihrer Entfaltung behindert ist. Demnach wäre die Provokation als Eingriff ins Persönlichkeitsrecht zu werten. Das BVerfG hat für den Regelfall die erste Verständnisversion der Sphärentheorie zugrundegelegt. Im Lebach-Urteil 45 bestimmte es das allgemeine Persönlichkeitsrecht ausgehend von der Sphärentheorie näher durch das Sozialstaatsprinzip und folgert daraus, daß besondere Gruppen der Bevölkerung, die durch Schwäche oder soziale Benachteiligung in der persönlichen Entfaltung hinsichtlich ihrer sozialen Integration behindert sind, des Schutzes bedürfen. Dies soll für die Gruppe der Straftäter gelten. Sie sollen vor sozialer Desintegration infolge der 44a Dazu Rüpke, Der verfassungsrechtliche Schutz der Privatheit, S. 83; Podlech, Das Recht auf Privatheit, in: Pereis, Hg., Grundrechte als Fundament der Demokratie, S. 50 (51). 45 BVerfGE 35, 202 (225 ff.).

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1. Teil: Normative Schranken der Deliktsprovokation

Straftat bewahrt werden. Wer noch keine Straftat begangen hat, sie aber begehen könnte - das sind grundsätzlich alle Bürger - bedarf des Schutzes vor der durch Straftaten entstehenden Desintegration demnach nicht. Anders könnte es sein, wenn der Provozierte aus anderen Gründen zu einer im Sinn des Sozialstaatsprinzips besonders schutzbedürftigen Gruppe gehört, z. B. entlassener Heimzögling ist. Da aber solche Leute der sie oft desintegrierenden Wirkung von Werbung und Unterhaltungsindustrie ohne gerichtliche Beanstandung unbegrenzt ausgesetzt werden, dürfte es im Sinne der Sphärentheorie auch nicht als unzulässig desintegrierender Eingriff bewertet werden, wenn sie einer Provokation ausgesetzt werden. Ein mit der Provokation verbundener Eingriff in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung kommt im Horizont der Sphärentheorie nicht vor. Das genannte Recht ist auf die Annahme gegründet, daß gerade die Umweltorientierung Beispiel des BVerfG: die Wahrnehmung der Versammlungsfreiheit - zur Person gehört und daß die Person in diesem Bezug geschützt werden müsse vor ihr nicht kontrollierbaren und unverhältnismäßigen Beobachtungen. Gemeinschaftsbezogenheit der Person begründet also den Schutz, sie mindert ihn nicht. Ausgangspunkt ist hier das Gegenteil der isolierten, internen Person, die im Zentrum des Schutzes nach der Sphärentheorie steht. In ihrem Horizont ist die Informationssammlung durch den Provokateur nach anderen Kriterien zu beurteilen: Die Straftat wird der Provozierte in der Regel nicht in seiner Intim- oder Privatsphäre begehen. Sie ist meist Teil seines öffentlichen Handeins. Informationen darüber, die der Provokateur sammelt und weitergibt, betreffen das allgemeine Persönlichkeitsrecht gemäß der Sphärentheorie also meist nur marginal 46 . Immerhin wurde das staatliche Beobachten von Bürgern auch vor Anerkennung des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung als Eingriff in das allgemeine Freiheitsrecht des Art. 2 Abs. I GG bewertet 47 . Auch dies wird vom BGH48 noch bestritten: Äußerungen über Straftaten seien nicht "Ausfluß der Persönlichkeit", sondern des "Verfalls" derselben, der nicht geschützt werde. Daraus könnte nun allerdings wieder eine Bestätigung der These von der sozialen Desintegration entnommen werden, die der Provokateur nicht bewirken dürfe. Denn nimmt man die Formulierung "Verfall der Persönlichkeit" ernst, so bezeichnet sie nicht ein Handeln eines Menschen - z. B. eine Straftat - , sondern ein Sein eines Menschen; dafür ist das Handeln nur Symptom, denn es geht der Sphärentheorie um die Persönlichkeit an sich. - Das mit 46

So die Argumentation Gepperts, DAR 1981, 301 (306).

47 Vgl. die ausführliche Darstellung der Rechtsprechung bei Schlink, Amtshilfe,

S. 172 ff., 188 ff., 198 ff.; ders., NJW 1980,552 (554). Die These Denckers, Verwertungsverbote im Strafprozeß, S. 107, Informationen über verbotene Handlungen lägen jenseits des geschützten Bereiches, dürfte dahin zu verstehen sein, daß das Erheben solcher Informationen ein - z. B. prozeßrechtlich - begründeter Eingriff sei. 48 BGHSt 19, 325 (331).

B. Allgemeines Persönlichkeitsrecht und Deliktsprovokation

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"Verfall" gemeinte Sein ist nach Ansicht des BGH würdelos. Er erkennt es nicht als Element der zu schützenden Persönlichkeit und ihrer Würde an. Dann aber fehlt auch der Adressat des Schuldurteils über die Straftat. Mit der Orientierung der Strafe an Schuld soll die Würde und Persönlichkeit des Täters geachtet werden. Wessen Persönlichkeit verfallen ist, dem kann kein Schuldvorwurf gemacht werden. In weiterer Konsequenz müßte das Fördern des Verfalls der Persönlichkeit durch den staatlichen Provokateur als Verstoß gegen Art. 1 Abs. 1, Art. 2 Abs. 1 GG bewertet und der Provozierte straffrei gestellt werden. - Die vom "Verfall der Persönlichkeit" ausgehende Argumentation ist jedoch nicht akzeptabel. Sie widerspricht dem Art. 1 Abs. 1 GG, der jedem Menschen, auch dem Straftäter, Würde unbedingt zugesteht 49 • Das hat auch der BGH u. a. im Zusammenhang des nemo tenetur-Grundsatzes betont 50. Bemerkenswert ist die Formulierung "Verfall der Persönlichkeit" gleichwohl, denn sie zeigt die Gefahr, die in einem allgemeinen Persönlichkeitsrecht steckt, das in der isolierten Person an sich begründet ist. Deren Verrechtlichung ermöglicht die Diskriminierung von Menschen; nicht ihre Taten werden dann rechtlich abgewertet, sondern sie werden unmittelbar wegen ihres personalen So-Seins außerhalb des Rechtsschutzes gestellt. Der Mißbrauch in Anspruch genommenen Vertrauens betrifft zunächst ein soziales Verhältnis der vertrauenden Person. Im Kontext der Sphärentheorie könnte dies als umso intensiverer Eingriff ins allgemeine Persönlichkeitsrecht des Vertrauenden bewertet werden, je mehr in das Vertrauensverhältnis die Privat- oder gar Intimsphäre des Vertrauenden involviert war, so daß mit dem Vertrauensmißbrauch die Person insgesamt mehr oder weniger intensiv betroffen ist. Wenn derart nach dem Grad der Privatheit bzw. Intimität des Vertrauensverhältnisses differenziert würde, so wäre etwa in dem von Dencker 51 behandelten Fall eines Liebesverhältnisses ein intensiverer Eingriff anzunehmen, bei mehr geschäftsmäßigen Komplizenverhältnissen, wie sie der organisierten Kriminalität meist zugrundeliegen, wäre der Eingriff als wenig intensiv zu bewerten. Zwar spielt auch dort Vertrauen eine Rolle, das der Provokateur u. U. mühsam aufgebaut hat; es betrifft aber i. d. R. die Verläßlichkeit des Provokateurs als Partner krimineller Geschäfte, eine Abart des öffentlichen wirtschaftlichen Handeins i. S. der Sphärentheorie. Dieser Eingriff wäre relativ problemlos zu rechtfertigen. Gemäß der Sphärentheorie würde Denckers Ansatz der staatlichen Deliktsprovokation also nur in Sonderfällen effektiv entgegenstehen; da der Ansatz indes die staatliche Deliktsprovokation allgemein erfassen soll, überschreitet er die Sphärentheorie, worauf auch die Bezeichnung ,Methodenverbot' 52 hindeutet. Ganz in der Tradition der Sphärentheorie aber versteht H. Schumann 53 das Kriterium 49 50

51 52

Ebenso Sax, JZ 1965, 1 (2). BGHSt 14, 358 (364 f.). Festschrift für Dünnebier, S. 447 (455 ff.). Dencker, a.a.O., S. 456.

1. Teil: Nonnative Schranken der Deliktsprovokation

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des Vertrauensmißbrauchs, wenn er meint, solcher Mißbrauch sei nur dann anzunehmen, wenn der Provokateur sich in die Privatsphäre des Provozierten eingeschlichen hat. Der nemo tenetur-Grundsatz schließlich steht der Deliktsprovokation ebenfalls nicht entgegen, wenn man ihn im Kontext der Sphärentheorie versteht. Diese bezieht sich zentral auf den Grundwert der isolierten Person. Nicht deren äußerer materieller Bereich, sondern ihr innerer, immaterieller, ideeller Bereich soll geschützt werden, u. a. also ihre moralische Identität. In diesem Kontext bedeutet der nemo tenetur-Grundsatz: Die Person darf nicht genötigt werden, sich moralisch zu entzweien. Ihre moralische Substanz wird geschützt. Müßte sie entweder sich moralisch selbst bezichtigen oder zur Vermeidung der Selbstbezichtigung lügen, so geriete sie allemal in einen moralischen Widerspruch 54. Deshalb darf sie gegenüber dem staatlichen Schuldvorwurf schweigen und ihre moralische Identität wahren. Der so verstandene nemo tenetur-Grundsatz ist in der Situation der Deliktsprovokation nicht tangiert, denn der Provozierte ist nicht dem staatlichen Schuldvorwurf derart konfrontiert, daß er nur lügen oder sich selbst bezichtigen könnte. Die Provokation nötigt ihren Adressaten nicht, sich moralisch zu entzweien. Fazit: Beurteilt man die Deliktsprovokation gemäß der Sphärentheorie, so greift sie meist in kein Recht ein, sofern sie von Privaten ausgeht. Die staatliche Deliktsprovokation greift ins allgemeine Freiheitsrecht ein, weil mit ihr über Bürger Informationen erhoben werden. Aber dies ist unter dem Aspekt der Sphärentheorie ein relativ geringfügiger Eingriff, weil er das öffentliche Handeln des Beobachteten betrifft. Der Eingriff kann deshalb im Rahmen einer Güterabwägung schon durch ein relativ geringfügiges öffentliches Interesse an der Information legitimiert werden. 3. Probleme der Sphärentheorie

Einige Einwände gegen die Sphärentheorie wurden in der vorangegangenen Darstellung schon angedeutet. Sie sollen nun ausgeführt werden im Zusammenhang der Kritik, die in der Literatur an der Sphärentheorie geübt wurde. a) Sie sei, heißt es, empirisch nicht haltbar, weil, was eine Person ist, weitgehend sozial konstituiert und nicht als ideales Gut vorgegeben sei 55. Letzteres trifft in der Tat zu, wie oben gezeigt wurde. Allerdings impliziert Recht allemal Wertung, die nicht aufgeht in dem, was empirisch der Fall ist. Sie bringt ein JZ 1986,66 (68 Anm. 26). Vgl. BVerfGE 56,37 (41 f.); Grünwald, JZ 1981,423 (428); J. Kühl, Zur "Rasterfahndung" und "Vorbeugenden Verbrechensbekämpfung". In: 10. Strafverteidigertag, Schriftenreihe der Strafverteidiger-Vereinigungen, S. 148 f. 55 Podlech, Alt. Komm. GG, Art. 2 Abs. 1 Rn 37; Mückenberger, KJ 1984, 1 (5 f.). 53 54

B. Allgemeines Persönlichkeitsrecht und Deliktsprovokation

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Sollen zur Geltung. Der Nachweis mangelnder empirischer Begründung widerlegt noch nicht die Wertung. Andererseits kann eine Wertung unsinnig werden, wenn sie die Empirie ausblendet. Die Sphärentheorie mit der freien isolierten Person als idealem Grundwert verabschiedet sich von der Realität recht kraß, wenn sie beiseiteläßt, was die Person ausmacht, die sozialen Verhältnisse. Folge davon könnte die oben belegte Willkürlichkeit sein, mit der die Privilegien der Personhaftigkeit und des inneren Bereichs verteilt werden. Podlech u. a. 56 weisen darauf hin, die Rechtsprechung habe nie angegeben, welches menschliche Verhalten zu dem "letzten unantastbaren Bereich" gehören und also sozialen Einwirkungen effektiv entzogen sein soll. Dieser Befund trifft nicht mehr zu, seit der BGH ein ,Raumgespräch' zwischen Eheleuten jeder staatlichen Kontrolle entzogen hat 57. Wenn solche Gespräche absolut unantastbar sind, ist allerdings fraglich, warum der "tägliche Blick ins Rectum von RAFHäftlingen" für rechtmäßig erklärt wurde 58. Daß hier der letzte unantastbare Bereich noch nicht für tangiert befunden wurde, dürfte aus der angenommenen Gefährlichkeit der Betroffenen zu erklären sein, womit belegt wäre, daß jener Bereich von sozialen Zusammenhängen abhängig und seine Unantastbarkeit ein Stück weit Funktion derselben ist. Schlink zeigt anhand einer Reihe von Gesetzen, daß es keinen herkömmlich als privat oder gar intim eingeschätzten Bereich gibt, hinsichtlich dessen nicht Situationen denkbar sind, in welchen in ihn einzugreifen legitim sein könnte 59. Viele Autoren 60 schließen daraus, gegenüber dem Staat sei eine Privatsphäre überhaupt nicht geschützt; nach solchem Schutz könnten Bürger auch kein Bedürfnis haben. Die Tatsache jedoch, daß die genannten Gesetze Behörden zu Eingriffen in die Intimsphäre befugen, läßt nicht den Schluß zu, der Eingriff könne nicht als Belastung der Privatsphäre bewertet und bei der Prüfung der Verhältnismäßigkeit des Eingriffs relativ berücksichtigt werden; im übrigen könnten die Gesetze, wo sie zu weit gehende Eingriffe zulassen, verfassungsrechtlich zu korrigieren sein. Die weitere Annahme, den Bürgern müsse es annähernd gleichgültig sein, ob ein Beamter in ihrem intimsten Bereich stöbert, wenn nur der Beamte einer Zweckbindung hinsichtlich des Ermittlungsergebnisses unterstehe, dürfte von manchen Bürgern als Zumutung empfunden werden. Ebenso könnte man das Bedürfnis nach Schutz der Privatsphäre bestreiten, wenn ein eingriffsbefugter Privater zum anschließenden Schweigen verpflichtet ist. Das BVerfG ist in seiner Entscheidung zum Recht auf informationelle Selbstbestimmung der Kritik an der Sphärentheorie zwar gefolgt, indem es sie überschritten Podlech, a.a.O.,; Krauß; Festschrift für Gallas, S. 365 (374). BGHSt 31, 296 (299 f.). Dazu Amelung, JR 1984,256 ff.; Gössel, JZ 1984,361 ff. 58 Dazu Podlech, Das Recht auf Privatheit, S. 65 Anm. 12. 59 Amtshilfe, S. 192; ebenso mit informationstheoretischen Belegen Podlech, AltKomm, GG, Art. 2 Abs. 1 Rn 37. 60 Schlink, a.a.O., S. 192 ff. mit weiteren Nachweisen; Krauß, a.a.O., S. 378 ff., 387 f. 56 57

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1. Teil: Nonnative Schranken der Deliktsprovokation

hat; es hat sie jedoch in dem hier relevanten Punkt nicht aufgegeben: Im Rahmen der informationellen Selbstbestimmung soll das Interesse an der Intimsphäre auch gegenüber dem Staat zu berücksichtigen sein 61. Auch wird der staatliche Eingriff nicht, wie Schlink u. a. fordern, nur als Eingriff in die allgemeine Handlungsfreiheit, sondern als davon unterschiedener Eingriff ins allgemeine Persönlichkeitsrecht bewertet 62 • Daß der Bürger gegenüber dem Staat keine Privatsphäre habe, wird begründet mit der Gesetzesbindung der Beamten, insbesondere ihrer Schweigepflicht. Die unpersönliche Gesetzesbindung der Beamten soll die Achtung der konkreten Persönlichkeit, ihrer Privatsphäre und Intimität ersetzen 63. Wäre diese Sicht richtig, so wäre nicht einzusehen, warum Strafprozesse grundsätzlich nur geführt werden dürfen, wenn der angeklagte Bürger persönlich anwesend ist, warum dem Angeklagten eine SubjektsteIlung zuerkannt wird, deretwegen er z. B. nicht zur Selbstbelastung im Prozeß genötigt werden darf. Letzteres dürfte nach der These vom ganz unpersönlichen Staat / Bürger-Verhältnis 64 zulässig sein, wenn nur die Öffentlichkeit ausgeschlossen würde und im übrigen die Gesetze beachtet würden. Es ist aber nicht zulässig. Der Angeklagte ist als konkretes Subjekt vom Staat zu achten. Demgemäß kann auch seine Privat sphäre nicht durch unpersönliche Gesetzlichkeit des Staates ersetzt werden. Das BVerfG hat für die informationelle Selbstbestimmung daher auch nicht nur effektive Schutzgesetze gefordert, sondern eine solche Ausgestaltung der Gesetze, daß die Bürger - persönlich - vertrauen können 65. Die Kritik der Literatur an der Privatsphärentheorie ist also etwas überzogen. Es trifft jedoch ihr Befund zu, daß die These vom absolut unantastbaren Privatbereich eine Leerformel ist. Die Rechtsprechung zu Tonbändern, Tagebüchern 66 und Krankenakten 67 hat denn auch Eingriffe zum Schutz von anderen sozialen Interessen nicht ganz ausgeschlossen, sofern sie der Persönlichkeit vorrangig seien, also deren enormen Wert sozial relativieren oder sofern die Persönlichkeit sozial als verfallen einzustufen sei. Der idealistische Ausgangspunkt der Sphärentheorie führt methodisch zu der oft kritisierten Abwägung von reinen Idealen mit sozialen Banalitäten, die nur schwer rational zu kontrollieren ist 68 • b) Problematisch kann die Sphärentheorie weiter werden, insofern sie die Person hoheitlicher Bestimmung unterstellt und damit auch ihre Verhältnisse 61 BVerfGE 65, 1 (46): "Intime Angaben" genießen nach wie vor höheren Schutz als "Daten mit Sozialbezug". 62 Das konstatiert - kritisch - Rogall, GA 1985, 1 (11). 63 Schlink, a.a.O., S. 196 ff. 64 Schlink, a.a.O., S. 197 f. 65 E 65, 1 (50). 66 BGHSt 14,358 (361); 19,325 (329, 331 ff.); BVerfGE 34, 238 (249 f.). 67 BVerfGE 44, 353 (373). 68 Vgl. z. B. die Kritik Luhmanns, Grundrechte als Institution, S. 59.

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verrechtlicht und der Selbstverantwortung der Personen entzieht. Darauf wurde schon hingewiesen. c) Wenn die Person als gleichsam ideale Substanz vorgestellt wird, so geraten ihre sozialen Bedingungen, ihre Bedürftigkeit tendenziell aus dem Blick. Die ideale Substanz kann immer als gegeben vorgestellt werden. Für den rechtlichen Schutz der Person gemäß der Sphärentheorie bedeutet dies, daß ihre Objektivationen um so weniger schutzbedürftig sind, je weiter sie sich vom Innenbereich, der Intimsphäre, entfernen. Soziale Gebundenheit, die die Sphärentheorie anerkennt, ist für sie Anlaß, den Persönlichkeitsschutz zurückzunehmen, nicht etwa ihn zu begründen oder zu verstärken 69. Damit kann solche Macht über die Person nicht erfaßt werden, die sich auf deren Handeln im für die Sphärentheorie neutralen Außenbereich der Person stützt. Dieser Mangel ist gravierend. Denn einerseits ist öffentliches Handeln für die ideelle und materielle Selbsterhaltung der Person notwendig; andererseits kann - wie im Hinblick auf die Informationstechnik vielfach gezeigt wurde - eine soziale Macht, die Informationen über das öffentliche Handeln sammelt, speichert und kombiniert, das Ideal von der freien Person endgültig zur Phrase verkommen lassen. Demgegenüber ist das gemäß der Sphärentheorie konzipierte allgemeine Persönlichkeitsrecht hilflos. Hier setzt die neue Konzeption des Persönlichkeitsschutzes durch das BVerfG70 an.

4. Erweiterung des Persönlichkeitsschutzes durch das Recht auf informationelle Selbstbestimmung Die neue Konzeption betrifft die Offenbarung von persönlichen Lebenssachverhalten und die Verwendung von Informationen darüber; von den diversen Wirkungen der Deliktsprovokation betrifft sie unmittelbar also nur diejenigen, die auf die Beschaffung von Informationen zielen. Es könnten sich jedoch aus der neuen Konzeption auch Folgerungen für die Beurteilung der anderen Wirkungen der Provokation, des Vertrauensmißbrauchs, der sozialen Desintegration und der Veranlassung zur Selbstbelastung ergeben. Bevor darauf eingegangen wird, ist genauer zu klären, wie weit die neue Konzeption reicht, und ob sie akzeptabel ist. a) Recht auf informationelle Selbstbestimmung und Deliktsprovokation Die neue Konzeption betrifft die Informationsbeschaffung und Verwendung "unter den modernen Bedingungen der Datenverarbeitung". Es wird vorgeschla69 Kritisch dazu Podlech, Das Recht auf Privatheit, in: Pereis (Hg.), Grundrechte als Fundament der Demokratie, S. 50 (51). 70 E 65, 1 (41 ff.).

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1. Teil: Nonnative Schranken der Deliktsprovokation

gen, sie bei der Strafverfolgung nur zu berücksichtigen, wenn im Einzelfall Datenverarbeitungsanlagen effektiv eingesetzt werden 71. Bei der Deliktsprovokation wäre sie demnach nur relevant, wenn etwa die Auswahl des zu Provozierenden mit Hilfe von Datenverarbeitungsanlagen erfolgte oder wenn die Informationen über die provozierte Tat und den Täter im Einzelfall in Datenverarbeitungsanlagen eingegeben werden (etwa zunächst mit anderen Datenbeständen abgeglichen werden, um die Entscheidung über die weitere Verfolgung vorzubereiten, oder zunächst gespeichert werden, um bei weiteren Erkenntnissen wieder abgerufen zu werden). So weit hat das BVerfG seine Aussagen jedoch nicht eingeengt. Sie wird vielmehr an die Möglichkeit des Einsatzes von Datenverarbeitungsanlagen geknüpft. Diese Möglichkeit ist zumindest bei der Polizei und den Geheimdiensten gegeben. Sollte hier der Schutz des Bürgers von der effektiven Datenverarbeitung abhängen, würde das Recht auf informationelle Selbstbestimmung praktisch leerlaufen, denn der betroffene Bürger kann die Verhältnisse nicht überschauen. Solche Ohnmacht soll ihm durch das neue Recht gerade erspart werden 72. Im übrigen kann die polizeiliche Deliktsprovokation gerade als Realisierung der mit der modemen Informationstechnik der Polizei gegebenen Möglichkeiten fungieren. Die Polizei kann, wie in der Einleitung dieser Untersuchung dargestellt wurde, z. B. hinsichtlich einer großen Masse von Personen, deren Gefährlichkeit sie mit herkömmlichen Mitteln nicht differenziert einschätzen könnte, informationstechnische Datenbestände heranziehen und anhand bestimmter Merkmalskombinationen derart rastern, daß am Ende ein einzelner oder eine überschaubare Zahl von Personen bleibt; diese können dann der Deliktsprovokation ausgesetzt werden, um die angebliche Gefahr endgültig zu beseitigen. Die Deliktsprovokation ist hier Ausübung der mit der Informationstechnik begründeten Macht der Polizei. Der mit der Deliktsprovokation verbundene Informationseingriff ist hier konstitutiver Teil des Einsatzes der Informationstechnik. Vermutlich werden beide sehen derart perfekt kombiniert werden können wie in dem angegebenen Fall. Teilweise und mittelbar aber wird die von der Polizei allenthalben eingesetzte Informationstechnik recht oft das Ausfiltern der Provokationsobjekte unterstützen. Die Deliktsprovokation soll auf eben den Bereich von Gefahren angewendet werden, für den auch die Anwendung der Informationstechnik besonders empfohlen wird: die organisierte Kriminalität 73. Ob und wie sehr beides im Einzelfall kombiniert wird, kann auch hier für den Schutz des Bürgers vor der Informationstechnik nicht entscheidend sein. Deren Gefährlichkeit ist u. a. gerade in der 71 Rogall, GA 1985, 1 (13); Rudolphi in SK StPO Rn 45 ff. vor § 94; ähnlich Rebmann, NJW 1985, 1 (4). 72 Vgl. BVerfGE 65, 1 (50). 73 Vgl. Bericht des vom Arbeitskreis II der Innenministerkonferenz eingesetzten ad hoc-Ausschusses über ,Neue Methoden der Verbrechensbekämpfung', in: Bürgerrechte und Polizei / Cilip Nr. 17, 1984, S. 77 f.; Stümper, Systematisierung der Verbrechensbekämpfung, S. 92.

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Unsichtbarkeit und äußerlichen Unkontrollierbarkeit ihres Einsatzes begründet. Wie erwähnt, würde der Sinn des Schutzes der informationellen Selbstbestimmung verfehlt, wenn dem Betroffenen angesonnen würde, den Einsatz im Einzelfall effektiv zu kontrollieren. Ob jede schlichte Ermiulungshandlung der Polizei bzgl. eines Verdächtigen als Eingriff in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung zu werten ist 74, muß hier nicht entschieden werden. Denn die bei der Deliktsprovokation stattfindende Informationserhebung enthält einen qualifizierten Eingriff. Sie bricht oft erworbenes Vertrauen. Außerdem wird durch die Provokation der Provozierte gezielt beeinflußt, so daß er selbst die gesamte Tatobjektivation, das corpus delicti, als Beweismittel gegen sich selbst liefert. Das nähert sich zumindest einem Verstoß gegen den Grundsatz nemo tenetur se ipsum prodere. Deshalb bewerten auch Autoren, die dem Recht auf informationelle Selbstbestimmung skeptisch gegenüberstehen, die Deliktsprovokation als Eingriff in dasselbe 75.

b) Begründung des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung Die Einführung des genannten Rechts durch das BVerfG ist freilich nicht unumstritten. Rogall z. B. sieht darin eine "bedauerliche Fehlleistung"76. Wenn sich demgegenüber herausstellte, daß der Ansatz des BVerfG akzeptabel ist, so könnte er wie erwähnt auch für die Beurteilung der anderen eventuellen Beeinträchtigungen des allgemeinen Persönlichkeitsrechts herangezogen werden. Eine genauere Analyse der Aussagen des BVerfG ist also angemessen. Bei der Beschaffung von Informationen ,,kann nicht allein auf die Art der Angaben abgestellt werden. Entscheidend sind ihre Nutzbarkeit und Verwendungsmöglichkeit. (... ) Dadurch kann ein für sich gesehen belangloses Datum einen neuen Stellenwert bekommen; insoweit gibt es unter den Bedingungen der automatischen Datenverarbeitung kein ,belangloses' Datum mehr. Wieweit Informationen sensibel sind, kann hiernach nicht allein davon abhängen, ob sie intime Vorgänge betreffen" 77. Die Sphärentheorie, die sich an der "Art der Daten" orientiert, wird vom BVerfG also nicht gänzlich aufgegeben, wohl aber ("nicht allein") ergänzt durch das Kriterium der Verwendungsmöglichkeit. Weil auch im Sinn der Sphärentheorie belanglose Daten durch Geschwindigkeit und Verknüpfungsmöglichkeit der Datenverarbeitung unbegrenzt gespeichert, beliebig abgerufen und zu Profilen der Persönlichkeit verknüpft werden können, sollen alle die Person betreffenden Daten geschützt sein vom Recht auf informa74

Dagegen Rudolphi in SK StPO Rn 47 vor § 94; Rebmann, NJW 1985, 1 (4).

77

BVerfGE 65, 1 (45).

75 Rogall, GA 1985, 1 (13 f., 26); Rudolphi, a.a.O., Rn 48. 76 A.a.O., S. 12; kritisch auch Rebmann a.a.O.

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tionelle Selbstbestimmung. Damit werden die sozialen Zusammenhänge, in denen die Person lebt, ins allgemeine Persönlichkeitsrecht einbezogen. Die Begründung dieser Erweiterung enthält präventive und sozial generalisierende Erwägungen. Dürften die Bürger ohne weiteres bei ihrem öffentlichen Handeln beobachtet werden, so würden sie mit dieser Möglichkeit präventiv rechnen und oft das gegenwärtige soziale Handeln unterlassen. Die vorausgesehene Möglichkeit entfaltet einen eigenen "psychischen Druck"77a gegen gegenwärtiges Handeln und soziale Beziehungen. Dies würde unbestimmt viele Menschen betreffen. Nicht erst das durch die gesammelten Informationen eventuell ausgelöste Vorgehen gegen einzelne Bürger, sondern die abstrakte Möglichkeit der staatlichen Verfügung über Daten beunruhigt die Betroffenen. Deshalb soll das Recht auf informationelle Selbstbestimmung schon tangiert sein, wenn Informationen erhoben werden. Die Informationsverarbeitung soll so ausgestaltet sein, daß sie bei den unbestimmt vielen Betroffenen "Vertrauen"77b, d. i. eine präventive Einstellung, ermöglicht. Das Recht auf informationelle Selbstbestimmung soll nach dem BVerfG nicht schrankenlos gewährleistet sein 78 • Das ist für sich genommen im Hinblick auf die bisherige Rechtsprechung des Gerichts zu den Grundrechten nicht erstaunlich. Oft betont das Gericht die Gemeinschaftsgebundenheit der Person und leitet daraus die Möglichkeit der Einschränkung von Grundrechten ab, wo sie mit anderen Grundrechten oder Interessen kollidieren. Das Recht auf informationelle Selbstbestimmung ist jedoch mehr und in besonderer Weise Beschränkungen ausgesetzt, denn sein Gegenstand, die Information über das soziale Handeln des Einzelnen, ist stets auch "ein Abbild sozialer Realität" und damit immer auch der Allgemeinheit zugeordnet. Solche Feststellung läßt sich z. B. vom Eigentum nicht treffen. Es dient i. d. R. mittelbar auch der Allgemeinheit, ist aber zunächst dem einzelnen sehr weitgehend zugeordnet. Verglichen damit erscheint das Recht auf informationelle Selbstbestimmung schon im Ansatz nur als quasi verdünntes subjektives Recht. Vorläufer hat das Volkszählungsurteil u. a. in den Entscheidungen zur Tonbandverwertung 79, die über den Einzeleingriffhinaus die Störung der sozialen Beziehungen berücksichtigten, wenn solche Verwertung zulässig wäre. Auch dort stützte sich die Argumentation auf die präventive Einstellung der Bürger, ihr Vertrauen in soziale Beziehungen. Dencker 80 hat dies herausgearbeitet und neuerdings auf die Deliktsprovokation bezogen: Problematisch sei weniger der in ihr enthaltene einzelne Eingriff als die Störung des sozialen Grundvertrauens 77. A.a.O., S. 42 f. 77b A.a.O., S. 50. 78 A.a.O., S. 45 f.

BGHSt 19,325 (327 ff.); BVerfGE 34, 238 (245 ff.). Verwertungsverbote im Strafprozeß, S. 193 ff.; ders., Festschrift für Dünnebier, S.447 (456). 79

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bei ihrer Generalisierung, weshalb das Verbot der Provokation als Methodenverbot zu charakterisieren sei. Kommunikationstheoretisch wurde das Urteil des BVerfG grundlegend vorbereitet von Luhmann, der das Freiheitsgrundrecht als Recht auf Selbstdarstellung in der Gesellschaft bestimmte und Würde als Konsistenz der Selbstdarstellung 80a • Freiheit des einzelnen fungiert als Voraussetzung der sozialen Zurechnung. Die Freiheit der Selbstdarstellung ist bezogen auf die Differenzierung der Gesellschaft in relativ selbständige Teilbereiche und entsprechende Rollen. Sie wird gefährdet, wenn die Teilbereiche dadurch entdifferenziert werden, daß ihre informationelle Abgrenzung aufgehoben und überlagert wird durch das staatliche Teilsystem und Informationen über Verhalten in einem Teilbereich - z. B. politische Betätigung - ohne weiteres staatlich vermittelt im anderen - z. B. im Betrieb verwendet werden dürfen. Gefahrdet wird nicht die Freiheit eines isolierten einzelnen, sondern die Freiheit von sozialen Beziehungen in der Gesellschaft, denn die Selbstdarstellung des einen ist auf andere bezogen. Nach dieser Konzeption ist Freiheit funktional bezogen auf eine differenziert geordnete Gesellschaft.

c) Privatisierung der Öffentlichkeit und Begrenzung der Verantwortung? Im Zentrum der neuen Konzeption des Persönlichkeitsschutzes wie im Zentrum der Sphärentheorie steht der einzelne mit einem subjektiven Recht. Zum Schutz des einzelnen wird nun das subjektive Recht ausgedehnt auf Beziehungen, die bisher öffentlich waren. In der Öffentlichkeit, wie sie in den klassischen Verfassungen vorgestellt wurde 81, mußte jeder damit rechnen, wahrgenommen, bemerkt und registriert zu werden, auch bei der Ausübung von Grundrechten. Es war die Kehrseite des freien HandeIns in dieser Öffentlichkeit, daß man etwa an der geäußerten oder demonstrierten Meinung festgehalten werden konnte. Meinungen, für die niemand einzustehen bereit ist, zählen nicht viel. Die Selbstverantwortung des Freien, die Möglichkeit, ihm sein Verhalten zuzurechnen, gibt dem Verhalten soziales Gewicht. Das ändert sich mit dem neuen Persönlichkeitsschutz insofern, als nun das Wahrnehmen und Registrieren, das Zurechnen der freien Handlungen durch den Staat (und z. T. auch durch Private) einer gesetzlichen 80a Grundrechte als Institution, S. 24. f., 62 ff., 67 ff.; ders., Politische Planung, S. 59 ff.; dazu Podlech, Der Staat, 1967, 341 ff.; ders., Das Recht auf Privatheit, S. 50 (51); Schlink, Amtshilfe, S. 194. Die polizeiliche Observation wurde schon vor dem Volkszählungsurteil als Eingriff bewertet u. a. von Arzt, Schutz der Intimsphäre, S. 69 ff.; Friedrichs, Der Einsatz von V-Leuten durch die Ämter für Verfassungsschutz, S. 22 f.; Vormbaum, JuS 1978,836 f.; Amelung / Schall, JuS 1975,565 (569 ff.); Simon / Taeger, Rasterfahndung, S. 52 ff.; Riegel, JZ 1980, 224. Der Arbeitskreis Polizeirecht schlug eine Rechtsgrundlage vor in: Alternativentwurf einheitlicher Polizeigesetze des Bundes und der Länder, § 11. 81 Dazu Habermas, Strukturwandel der Öffentlichkeit.

I. Teil: Nonnative Schranken der Deliktsprovokation

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Grundlage bedarf und verhältnismäßig sein muß. Nur dann ist es ein zulässiger Eingriff in das erweiterte Persönlichkeitsrecht. Ein Eingriff ist es allemal nach der neuen Konzeption. Die Öffentlichkeit wird Gegenstand der subjektiven Persönlichkeitsrechte der einzelnen. Das Persönlichkeitsrecht wird als dem Eigentumsrecht ähnliches, ausgrenzendes Recht qualifiziert. Es stellt Privatheit her. Die Öffentlichkeit erscheint nach der neuen Konzeption partiell privatisiert 82, das Gegenteil von Öffentlichkeit, zu der nicht Ausgrenzung, sondern freier Verkehr, Offenheit der Individuen gehörte. Der problematische Individualismus der Sphärentheorie scheint hier noch in den öffentlichen Bereich ausgedehnt zu werden. Solche Einschätzung ist jedoch unzulänglich, einmal weil das BVerfG den besonderen Gemeinschaftsbezug der persönlichen Daten betont hat. Zum anderen ist gegenwärtig die Öffentlichkeit, die vom neuen Persönlichkeitsschutz erfaßt wird, nicht identisch mit der klassischen Öffentlichkeit. Sie ist überlagert u. a. von der sozialen Macht der Inhaber privater Medien und nun der modernen Informationstechnik. Die Medien machen Öffentlichkeit zum Feld der ökonomischen Konkurrenz; das Bild des einzelnen in ihr wird hergestelltes Produkt und Gegenstand des profitablen Geschäfts. Durch Informationstechnik kann Öffentlichkeit, die eine Sphäre der Kontrolle von Macht durch die einzelnen war, zur Sphäre der Kontrolle der einzelnen durch die staatliche und private Macht werden. In dieser Hinsicht erscheint es angemessen, daß das Persönlichkeitsrecht gegen eben die genannten Bedrohungen gerichtet wurde, zunächst gegen die Medien durch den erweiterten Schutz des Ansehens und der sozialen Identität, neuerdings gegen die Informationstechnik durch den Schutz der informationellen Selbstbestimmung.

Fazit: Die Kritik der Privatisierung der Öffentlichkeit durch ein subjektives Recht übersieht, daß ohne solche Schutzrechte in der realen Öffentlichkeit die Gefahr besteht, daß nicht mehr Individuen sich frei entfalten, sondern fremdgesteuerte einzelne agieren. Durch die Erweiterung des Persönlichkeitsschutzes wird den einzelnen die Öffentlichkeit ein Stück weit zur freien Entfaltung erhalten. Auch die erwähnte Einschränkung der Zurechnung läßt sich in diesem Zusammenhang erklären. Die herkömmliche Regel, daß für öffentliches Handeln jeder selbst verantwortlich sei und sich dieses Handeln von anderen zurechnen lassen müsse, enthält eine Verteilung der Last der informationellen Handlungsfolgen: das Risiko, wahrgenommen und registriert zu werden infolge der Handlung, trägt der Handelnde voll. Der erweiterte Persönlichkeitsschutz verändert diese Verteilung, begrenzt die Folgenverantwortung. Dafür finden sich Parallelen in anderen Rechtsgebieten 83 • Im zivilrechtlichen Deliktsrecht wird zunehmend die 82

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Vgl. Rogall, GA 1985, 1 (11); ihm folgend Rudolphi in SK StPO Rn 45 vor § 94. Zum folgenden s. u. 1. Teil E IV.4.

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Verantwortung des Handelnden für kausale Folgen seiner Handlung nach Kriterien sozialer Zurechnung reguliert. Auch im Strafrecht wird die Folgenverantwortung mit diversen dogmatischen Konstruktionen (z. B. den Kriterien der objektiven Zurechnung, dem Regreßverbot) reguliert. Dahinter steht die Einsicht, daß das soziale Leben zunehmend dichter, das Leben und Handeln des einzelnen hinsichtlich seiner Bedingungen und Folgen zunehmend sozial vermittelt wird. Damit steigt die Möglichkeit schädlicher Fernwirkungen einer Handlung. Würde die Folgenverantwortung allein nach der Kausalität bestimmt, so müßten die einzelnen, um der Haftung zu entgehen, ihr freies Handeln in einem Maß einschränken, das für unangemessen gehalten wird. Zur Wahrung von Freiheit wird die kausal begründete Folgenverantwortung der einzelnen eingeschränkt. Das öffentliche Handeln der einzelnen nun ist hinsichtlich seiner informationellen Folgen zunehmend eingebunden in die Macht der die Öffentlichkeit beherrschenden Medien und informationstechnisch gerüsteten Bürokratien. Durch sie können die informationellen Handlungsfolgen zu einer solchen Bedrohung des Handelnden werden, daß die Handlungsfreiheit übermäßig risikobeladen wird. Indem der erweiterte Persönlichkeitsschutz das informationelle Folgenrisiko des einzelnen begrenzt, wahrt er Freiheit.

d) Unübersichtlichkeit der differenzierten Gesellschaft als Legitimation von Kontrolle? Die informationelle Selbstbestimmung wird vom BVerfG ausgeweitet, um zu verhindern, daß alle Sphären sozialen Lebens unter die mit moderner Datentechnik verstärkte staatliche Kontrolle geraten. Aber nicht nur die staatlichen Kontrollinstrumente werden durch Informationstechnik erweitert. Auch das Kontrollobjekt wird durch diese Technik schwerer faßbar; illegale Kommunikation und Kooperation werden erleichtert. Hinzu kommt 84 die wachsende räumliche und soziale Mobilität der Bürger, die es schwerer macht, ihr kriminelles Handeln zu kontrollieren. Weiter macht die Differenzierung der Gesellschaft in Teilbereichen diese für staatliche Kontrolle unübersichtlicher. In der modemen sozialen Vielfalt einer Großstadt kann sich jemand leichter verbergen als in einer homogenen Gemeinde. Zusätzlich können für die Polizei schwer zugängliche Subkulturen entstehen. Die nach außen abgeschottete Kriminalität von illegalen Organisationen, die sich oft moderner Technik bedienen, ist denn auch nach Angaben der Polizei der Anlaß, V -Leute und Provokateure einzusetzen. Dies läßt sich als Reflex der gesellschaftlichen Differenzierung verstehen. Der Staat gibt mit dem Übergang in die private Form und mit der Annäherung an die kriminelle Szene 84 Zum folgenden vgl. die "Ergebnisse der von dem Iustizministerium und dem Innenministerium des Landes Baden-Württemberg eingesetzten Arbeitsgruppe" , veröffentlicht in Bürgerrechte und Polizei / Cilip NT. 11, 1982, S. 63 ff.; Stümper, Organisierte Kriminalität, in: Lüderssen (Hg.), V-Leute. Die Falle im Rechtsstaat, S. 65 ff.

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I. Teil: Nonnative Schranken der Deliktsprovokation

seine Einheitlichkeit und die rechtsstaatliche Gesetzesbindung auf. Er differenziert sich auch normativ auf die differenzierte Gesellschaft hin. Schließlich wird darauf hingewiesen, daß mit der Differenzierung der Gesellschaft auch sozial übergreifende Werte an Orientierungskraft für die einzelnen verlieren. Bedeutsamer werden die partikularen Werte der sozialen Teilbereiche. Dadurch wird das Verhalten der einzelnen für die zentrale Kontrollinstanz weniger berechenbar und wiederum schwerer zu kontrollieren. Die Veränderungen des Kontrollobjekts bedeuten freilich nicht, daß die Erweiterung des staatlichen Kontrollapparates nicht so gefährlich wäre, wie bei der Begründung der informationellen Selbstbestimmung angenommen wurde. Die Unübersichtlichkeit des Kontrollobjekts kann im Zusammenhang des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung allerdings derart wirksam werden, daß Eingriffe als verhältnismäßig hinzunehmen sind, die bei übersichtlicheren Verhältnissen nicht notwendig gewesen wären. Aber sie müssen immerhin als verhältnismäßig legitimiert und gesetzlich begründet werden. Sieht man die Entwicklung, wie die Polizei sie beschreibt, so geht sie aus von zunehmender sozialer Differenzierung und deren Folgeproblemen. Darauf wird mit Ausweitung der staatlichen Kontrolle reagiert. Diese wiederum macht die Einführung eines umfassenden flexiblen neuen Rechts nötig, das die Kontrolle jederzeit unter Begründungszwang stellt und viele Gesetze verlangt. Die soziale Differenzierung führt zur Verrechtlichung.

e) Verrechtlichung von Freiheit-subjektives Recht und objektive Gerechtigkeit Das BVerfG85 begründet das Recht auf informationelle Selbstbestimmung mit einem Verweis auf die Voraussetzungen von freiem Handeln. Bürger, die nicht einigermaßen sicher einschätzen können, wer, was, wann und bei welcher Gelegenheit über sie weiß, können unter psychischen Druck geraten und können nicht mehr selbstbestimmt planen, entscheiden und handeln. Sie werden in der Ausübung ihrer Freiheitsrechte gehemmt, weil die Voraussetzungen dafür hinreichende Sicherheit über das Wissen der Umwelt und die Verwertung von Informationen über sie und die damit ermöglichte Unbefangenheit - gestört sind. Strukturell ähnlich ist schon das allgemeine Persönlichkeitsrecht nach der Sphärentheorie begründet; es schützt das Innere der Person, das Subjekt, und damit die Voraussetzung der Ausübung von subjektiven Handlungsrechten, die unter dem Aspekt des subjektiven Handlungsrechts als eine rechtsfreie Sphäre nicht geschützt ist. Indem es die Voraussetzungen von freiem Handeln schützt, ist das Recht auf informationelle Selbstbestimmung (und in geringerem Maße auch das allgemeine 85 E 65, I (42 f.).

B. Allgemeines Persönlichkeitsrecht und Deliktsprovokation

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Persönlichkeitsrecht i. S. der Sphärentheorie) Teil der Materialisierung des Rechts. Die herkömmlichen subjektiven Rechte sind formal, insofern nicht gefragt wird nach den materiellen Ausübungsmöglichkeiten ihrer Inhaber. Wer die Vertragsfreiheit ausübt, ist an den geschlossenen Vertrag in der Regel auch gebunden, wenn er die Verhältnisse weit weniger überschaute als sein Partner und zu einem seinen Interessen entsprechenden Vertragsschluß wegen seiner Unterlegenheit nur mangelhaft imstande war. Materialisierung bedeutet, daß neben der Garantie der formalen subjektiven Rechte zum Gegenstand des Rechts die Frage wird, ob der Inhaber des formalen Rechts die materielle Möglichkeit, die Voraussetzung hat, es angemessen auszuüben. So geschieht es hinsichtlich der auf Öffentlichkeit und Wahrnehmung angewiesenen subjektiven Rechte. Das Recht auf informationelle Selbstbestimmung ermöglicht hier, die informationellen Wirkungen der Ausübungen von Freiheit einigermaßer zu beherrschen; es wahrt damit eine materielle Voraussetzung der freien Betätigung. Insofern ähnelt das Recht auf informationelle Selbstbestimmung sozialstaatlichen Regelungen. Diese sollen die materiellen Bedingungen der Ausübung der formalen Freiheitsrechte sichern und dem formalen Rechtsstaat die materiale Legitimation geben 86. Die herkömmlichen formalen subjektiven Rechte sind für sich genommen asymmetrisch, ungerecht, unverhältnismäßig 87. Der Eigentümer kann andere von seiner Sache ausschließen, auch wenn sie mittellos sind. Er muß sein Recht i. d. R. nicht dem allgemeinen verhältnismäßigen Ausgleich opfern. Eingriffe, auch wenn sie verhältnismäßig sind, muß er nur ausnahmsweise hinnehmen. Zur Gerechtigkeit führen die formalen subjektiven Rechte möglicherweise im sozialen Verkehr ihrer Inhaber, auf dem Markt, in der Öffentlichkeit. Gerechtigkeit entsteht hier, wenn überhaupt, durch den freien Austausch der Subjekte 88 • Sie wird nicht staatlich definiert, sondern durch das freie Handeln der Subjekte. Materiale Rechte wie das Recht auf informationelle Selbstbestimmung sind vorab in die gegebenen Verhältnisse eingefügt. Sie bestehen überhaupt nur im Rahmen der Verhältnismäßigkeit. Sie sind Teil der staatlich definierten objektiven Gerechtigkeit 89. Die Informationen, auf die sich das Recht auf informationelle Selbstbestimmung bezieht, sind, gerade weil dieses Recht nicht nur intime Daten umfaßt, allemal zugleich "Abbild der sozialen Realität" und deshalb schon im Ansatz nicht, wie etwa das Sacheigentum, grundsätzlich allein dem Rechtsinhaber 86 Grundlegend Heller, Rechtsstaat oder Diktatur; ähnlich Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts der Bundesrepublik Deutschland, § 6 11 3 c. 87 Luhmann, Rechtssoziologie 2, S. 328; ders., Rechtssystem und Rechtsdogmatik, S. 56; Preuß, Internalisierung des Subjekts, S. 37. 88 Preuß, a.a.O., S. 36 f.; Teubner, Verrechtlichung Begriff, Merkmale, Grenzen, Auswege. In: Kübler u. a. (Hg.), Verrechtlichung von Wirtschaft, Arbeit und sozialer Sicherheit, S. 289 (311 f.). 89 Zu dem Verhältnis von formalem subjektivem Recht und materialer, objektiver, hoheitlich definierter Gerechtigkeit grundlegend M. Weber, Wirtschaft und Gesellschaft, S. 388 ff., 396 ff., 441 ff., 505 f. S. a. unten 2. Teil All Anm.20.

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1. Teil: Nonnative Schranken der Deliktsprovokation

zugeordnet, wie das BVerfG zu Recht betont. Der Gegenstand des materialen Rechts auf informationelle Selbstbestimmung ist stets mehr oder weniger auch der Allgemeinheit zugeordnet. Deshalb ist das Recht auf informationelle Selbstbestimmung von den herkömmlichen asymmetrischen, unverhältnismäßigen, formalen subjektiven Rechten schon im Ansatz unterschieden. Es ist selbst Element der allgemeinen gerechten staatlich definierten Verhältnismäßigkeit. Es ist, weil aus der objektiven staatlichen Gerechtigkeit abgeleitet, ein subjektives Recht zweiter Klasse, ebenso wie die sozialstaatlichen Ansprüche der bedürftigen Bürger aus der staatlich definierten Gerechtigkeit abgeleitete, mindere subjektive Rechte sind. Diese begrifflichen Differenzierungen sind sachlich begründet. Das klassische Modell von Öffentlichkeit ist das einer Sphäre des mehr oder weniger freien Verkehrs der Subjekte und des Austauschs von Wissen über sie. Dieser Verkehr ist wie jede Freiheitsbetätigung verbunden mit Folgenverantwortung. Andere können einen an der getanen Äußerung festhalten. Der Verkehr kann als frei bezeichnet werden, solange die Informationserhebung und Verarbeitung nicht verdeckt zentralisiert ist, so daß der Teilnehmer am informationellen Verkehr die Verhältnisse einigermaßen überschauen und kontrollieren kann. Auch die Ermittlungen staatlicher Instanzen schließen es nicht aus, die Öffentlichkeit als frei zu bestimmen, solange die für die staatlichen Instanzen interessanten Informationen zunächst dezentral anfallen und erst in einem zusätzlichen Arbeitsgang gefunden und zusammengetragen werden können 89•. Wenn nun die dezentrale Öffentlichkeit durch informationelle Machtzentren überlagert, verdeckt informationell zentralisiert wird, ist der einzelne, der sich in ihr objektiviert, nicht mehr frei. Er kann seine informationellen Verhältnisse nicht mehr überschauen und beherrschen. Diese Unfreiheit ist Prämisse des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung. Mit ihm wird dem Einzelnen eine verhältnismäßige Freiheit staatlich zugeteilt als Ersatz der herkömmlichen Sphäre freier Öffentlichkeit. Das ist eine verrechtlichte Freiheit. Ernst genommen, führt das Recht auf informationelle Selbstbestimmung zu einer Masse von gesetzlichen Eingriffsbegründungen für eine Sphäre, die nach herkömmlicher Vorstellung vom freien Informationsaustausch bestimmt war. Wird es nicht ernst genommen, so werden Eingriffe in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung geregelt durch wenige Generalklauseln, deren kasuistische Konkretisierung der Justiz überlassen ist. Jedenfalls ist diese Freiheit verrechtlicht 90 • Da das Recht auf informationelle Selbstbestimmung aus der staatlich definierten objektiven Gerechtigkeit abgeleitet ist und schon im Ansatz Teil der allgemeinen Verhältnismäßigkeit ist, steht es stets unter dem Vorbehalt des Vorrangs Einzelheiten dazu unten 1. Teil B V 5. Zum Zusammenhang von Materialisierung des Rechts und Verrechtlichung der sozialen Verhältnisse vgl. Teubner, Verrechtlichung. In: Kübler u. a. (Hg.), Verrechtlichung von Wirtschaft, Arbeit und sozialer Sicherheit, S. 289 (300 ff.). 89. 90

B. Allgemeines Persönlichkeitsrecht und Deliktsprovokation

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anderer materialer Interessen, sofern diese nur gesetzlich begründet sind. Eingriffe sind nicht die Ausnahme, sondern die Regel 91 • Dieses Recht muß (mehr noch als das allgemeine Persönlichkeitsrecht i. S. der Sphärentheorie) immer schon verhältnismäßig sein, denn seine Prämisse ist nicht der grundsätzlich freie selbstverantwortliche Bürger, der seine Verhältnisse beherrscht, sondern der unfreie, den Verhältnissen unterworfene Bürger. Ihm wird im Rahmen der objektiven Möglichkeiten - verhältnismäßig - ein "Freiraum" staatlich zugewiesen. Die herkömmlichen Freiheitsrechte des Tat- und des Schuldprinzips gehen davon aus, daß jenseits vergangener Taten den Staat das Leben des Bürgers nichts angeht, nicht zu bewerten, frei ist. Derartige Garantien müssen im Horizont des Schutzes der informationellen Selbstbestimmung nicht berücksichtigt werden. Vielmehr kann bei der Abwägung zwischen dem Interesse an Individualfreiheit und den Interessen der Allgemeinheit u. a. die Gefahrlichkeit und Verdächtigkeit des Bürgers und seines Milieus berücksichtigt werden. Die Deliktsprovokation, die das Tat- und das Schuldprinzip durchbricht, ist im Horizont des erweiterten Persönlichkeitsschutzes nicht prinzipiell ausgeschlossen. Sie muß nur verhältnismäßig und gesetzlich begründet sein. Das ist auch sachlich konsequent. Die Prämisse von Tat- und Schuldprinzip ist die Vorstellung des freien selbstverantwortlichen Bürgers, der mit gefahrlichen Neigungen und Milieus im allgemeinen vernünftig umgehen kann. Die Prämisse des erweiterten staatlichen Persönlichkeitsschutzes ist der durch die sozialen Verhältnisse beherrschte einzelne. Ihm wird durch das Recht, staatlich also, ein Raum in der Gesellschaft zur freien Entfaltung zugewiesen. Solche Freiheit kann, muß aber nicht dem einzelnen unhinterfragt belassen werden, wie auch in anderen Bereichen die Erfüllung sozialstaatlicher Ansprüche von personalen Merkmalen des einzelnen und im Interesse der Allgemeinheit von präventiver Kontrolle abhängig gemacht werden kann.

5. Erweiterung des allgemeinen Persönlichkeitsschutzes jenseits informationeller Selbstbestimmung? a) Die Deliktsprovokation betrifft die Person auch jenseits der informationellen Selbstbestimmung. Sie des integriert den einzelnen und mißbraucht sein Vertrauen. Eine dem Schutz der informationellen Selbstbestimmung entsprechende Ausweitung des Schutzes der sozialen Integration und des Vertrauens ist zu erwägen, wenn in den gesellschaftlichen Sphären die sozialen Bedingungen nicht gewahrt sind, unter denen der Bürger seine soziale Integration selbst zu verantworten und das Risiko des Vertrauensbruchs selbst zu tragen hat. Das ist ein noch zu präzisierendes Kriterium. Im Verhältnis Bürger / Staat aber ist es spätestens dann gegeben, wenn der Staat selber die rechtsstaatlichen Freiheitsgarantien legal oder 91

So zum allgemeinen Persönlichkeitsrecht Schwerdtner, JuS 1978,289 (292).

1. Teil: Nonnative Schranken der Deliktsprovokation

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illegal überschreitet und durch präventive Kontrolle und Einflußnahme die gesellschaftlichen Sphären steuert. Damit respektiert er die Bürger nicht mehr als selbstverantwortlich und vernünftig, behandelt sie vielmehr als den Verhältnissen unterworfene Unfreie. Dann muß er auch sozialstaatlich auf die Bedürftigkeit der einzelnen Rücksicht nehmen. Es gilt dann der erweiterte Persönlichkeitsschutz auch hinsichtlich der sozialen Integration und des Vertrauens. Es wäre widersprüchlich, wenn der Staat hinsichtlich seiner überwachenden und steuernden Prävention Bürger als unfrei, unverantwortlich und der Kontrolle bedürftig behandelte und hinsichtlich der sozialstaatlichen Fürsorge sie als frei und selbstverantwortlich behandelte und sich um ihre reale Bedürftigkeit nicht kümmerte. Das ergibt sich auch aus dem dargestellten Zusammenhang von Rechtsstaatlichkeit und Sozialstaatlichkeit. Diese, so wird seit langem von Kritikern des Sozialstaats argumentiert, kann nur aushilfsweise einsetzen; in der Regel habe der Bürger die sozialen Bedingungen seines Handeins selbst zu verantworten, weil andernfalls sozialstaatliche Fürsorge die rechtsstaatlichen Grenzen des Staates auflöse und damit die Freiheit der Bürger gefährde 92 • Diese Begründung für die Begrenzung sozial staatlicher Fürsorge ist aber entfallen, wenn der Staat rechts staatliche Grenzen nicht wahrt und die Bürger präventiv kontrolliert und beeinflußt. b) Ein weiteres Kriterium für die Ausweitung des Persönlichkeitsschutzes in Anknüpfung an den erweiterten Schutz der informationellen Selbstbestimmung kann den Ausführungen des BVerfG zum präventiven, sozial generalisierten Vertrauen der Bürger, das gewahrt werden soll, entnommen werden. Die Ausweitung wäre danach zu erwägen, wenn die Gefahr bestünde, daß die Bürger ihr freies soziales Handeln einschränken, weil sie generell damit rechnen müssen, durch Provokation der Strafverfolgung ausgeliefert zu werden. Auch dies ist freilich ein noch näher zu bestimmendes Kriterium, denn Vertrauen gehört generell zu jedem sozialen Verkehr, und mit der Enttäuschung ist generell zu rechnen. (Wäre man sicher, daß sie ausbleibt, müßte man nicht vertrauen 93 .) Es kann also nicht jedes Vertrauen rechtlich geschützt werden, wenn nicht der soziale Verkehr insgesamt verrechtlich werden soll. Im Volkszählungsurteil hat das BVerfG das Vertrauen der Bürger für schutzbedürftig erklärt, weil es einer spezifischen Gefahr der Enttäuschung ausgesetzt ist. Der Gefahr, durch Manipulation der Informationen zum Objekt fremder Verfügung gemacht zu werden, waren die Bürger schon immer ausgesetzt. Das wurde ihnen als allgemeines Risiko der Enttäuschung ihres Vertrauens zugemutet. Prämisse dieser Risikoverteilung war die erwähnte Vorstellung von freier Öffentlichkeit. Die Informationstechnik, weil sie den Umgang mit Informationen so sehr erleichtert, ermöglicht es, die informationelle Verfügung über Bürger 92

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Grundlegend Forsthoff, VVDStRL 12 (1954), 8 ff. Luhmann, Vertrauen, S. 1, 33 ff.; Einzelheiten dazu unten 1. Teil B IV.

B. Allgemeines Persönlichkeitsrecht und Deliktsprovokation

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und die darin enthaltene Enttäuschung ihres Vertrauens zu generalisieren, zum Programm von Bürokratien zu machen. Daß die Enttäuschung von Vertrauen zum generellen, zentral gesteuerten Programm werden kann, das die sozialen Verhältnisse umgestaltet, ist also Grund des Schutzes. Danach könnte angenommen werden, jemanden durch Provokation der Strafverfolgung auszusetzen, sei dann durch das Persönlichkeitsrecht verboten, wenn die Gefahr besteht, daß solche Art des Vertrauensmißbrauchs zum zentral gesteuerten Programm von den einzelnen übergreifenden Institutionen wird.

III. Schutz vor sozialer Desintegration Soziale Integration heißt: der einzelne wird durch seinen Verkehr mit anderen in die Gesellschaft einbezogen und von ihr bestimmt und gestützt. Desintegriert wird er, wenn sein Verkehr mit den anderen so eingeschränkt ist, daß er vereinzelt und den Halt durch die Strukturen des sozialen Austauschs verliert. In einem Mindestmaß ist Desintegration unproblematisch. Ein Minimum an Vereinzelung gehört zur Individualität. Die vollkommen Integrierten wären nicht voneinander zu unterscheiden. Aber Individualität entsteht durch soziale Verhältnisse, wird durch sie geprägt und bedarf ihrer dauerhaft, um sich ideell und materiell zu erhalten. Deshalb wird soziale Integration positiv bewertet. Die Desintegration wird problematisch, wenn die sozialen Strukturen den bedürftigen einzelnen nicht mehr stützen. Diese sehr vereinfachte Darstellung, die z. B. die Möglichkeit der Integration in desintegrierte soziale Subkulturen vernachlässigt, macht immerhin deutlich, daß Prämisse der positiven Bewertung der sozialen Integration die Vorstellung eines von den sozialen Verhältnissen mehr oder weniger beherrschten und gehaltenen Menschen ist. Deshalb fügt es sich nicht in das Konzept des reinen Rechtsstaats, wenn die soziale Integration zum Gegenstand eines subjektiven Rechts der einzelnen wird, das vom Staat durchzusetzen ist. Im reinen Rechtsstaat wird der einzelne vorgestellt als freier Mensch, um dessen soziale Bedürftigkeit sich das staatliche Recht nicht kümmern muß, so daß ihm seine Taten voll zugerechnet werden können, was impliziert, daß er sie und damit sich und die Wirkungen der sozialen Verhältnisse voll beherrscht. Die soziale Integration als Rechtsgut fügt sich in das Konzept des Sozialstaats, der die empirische soziale Bedingtheit der einzelnen reflektiert. Sie fügt sich damit auch in die Erweiterung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts, die die sozialen Bedingungen der Person in deren Schutz einbezieht. Die Aufforderung, eine bestimmte Straftat zu begehen, gefährdet die Integration des einzelnen in die Gesellschaft. Genauer: Gefährdet ist die Integration, wenn zu einer Tat aufgefordert wird, auf die staatliche Sanktionen im weiten Sinn - Strafen, Maßregeln, präventiv-polizeiliche Überwachungsmaßnahmen (z. B. § 8Ib StPO) - verhängt werden können, denn all diese Sanktionen sind

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1. Teil: Nonnative Schranken der Deliktsprovokation

geeignet, den Betroffenen in seiner Sozialisation zu behindern. Es gehören also auch die Taten von gemäß §§ 19, 20 StGB Schuldunfähigen in diesen Zusammenhang I. Der Hinweis, der einzelne (von Schuldunfähigen abgesehen) könne das Ansinnen jederzeit aus Freiheit zurückweisen, er sei für seine Integration selbst zuständig, ist in diesem Zusammenhang des erweiterten Persönlichkeitsschutzes nicht ohne weiteres erheblich. Denn dieser - überträgt man ihn auf das vorliegende Problem - thematisiert die Tatsache, daß die genannte Freiheit, das Ansinnen zurückzuweisen, wenn es sie denn gibt, relativ zu (unterschiedlich verteilten) sozialen Bedingungen ist. Und die Zuständigkeit des einzelnen für seine soziale Integration steht in der Sicht des Sozialstaatsprinzips zur Disposition. - Hinsichtlich der sozialen Beziehungen, in denen soziale Desintegration problematisch wird, sollen zunächst die zwischen Bürgern betrachtet werden.

1. Verhältnis zwischen Bürgern und Selbstverantwortung Soziale Integration und ihre Kehrseite, die Desintegration, sind ein Prozeß, der von jedem sozialen Verkehr des einzelnen mit bestimmt wird. Jeder einzelne bestimmt mit über die soziale Desintegration des anderen, mit dem er verkehrt. Weil die soziale Desintegration ein Ergebnis des Verkehrs zwischen den Menschen ist, würde ein Recht des einzelnen auf Wahrung der sozialen Integration in jedem Verkehr des einzelnen mit anderen diese mit der Pflicht zur Wahrung der Integration jenes belasten. Jeder würde zum integrativen Hüter anderer. Das mag moralisch sein. Wenn es zur rechtlichen Pflicht würde, müßte es der Staat durchsetzen. Damit erhielte er gegenüber den Bürgern eine Kompetenz, die den Grundrechten prinzipiell widerspricht. Nach den Grundrechten ist im Verhältnis zum Staat die Freiheit der Einzelnen der Grundsatz. Damit ist normativ unterstellt, daß die Bürger ohne staatliche Gebote vernünftig sind (bzw. werden) und daß Gefahren grundsätzlich in deren freiem Verkehr bewältigt werden, daß also Moral und Vernunft zwischen den Bürgern sich grundsätzlich in deren freiem Verkehr herstellen und nur ausnahmsweise rechtlich vorgegeben werden. Andernfalls hätten die - staatliche Lenkung ausgrenzenden - subjektiven Grundrechte keinen sozialen Sinn. Rechtlich gesichert wird das Gebot ,neminem laede', nicht aber eine allgemeine wechselseitige Vorsorge und Überwachung verantwortlicher Menschen 2 • Mit der grundsätzli1 Denn gegen gemäß § 20 StGB Schuldunfähige sind Maßregeln möglich. Nach überwiegender Meinung können sie auch gemäß § 81 b StPO erkennungsdienstlich behandelt und die Ergebnisse zwecks Observation aufbewahrt werden. Dies ist nach LRMeyer, § 81b Rn 6; Kleinknecht / Meyer, § 81b Rn 7, auch gegen gemäß § 19 StGB schuldunfähige Kinder möglich; ebenso VG Freiburg NJW 1980,901. Auf die desintegrierende Wirkung von entschuldigten, aber rechtswidrigen Tat hat v. a. Trechsel, Der Strafgrund der Teilnahme, S. 54 ff., hingewiesen; vgl. auch Less, ZStW 69 (1957), 43 (47, 53).

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chen rechtlichen Freiheit ist nur vereinbar, daß rechtlich jeder für eigenes Verhalten verantwortlich ist und i. d. R. nicht verantwortlich ist für das Verhalten anderer3, die als vernünftig gelten - auch dann nicht dafür verantwortlich ist, wenn er ihre Delikte und soziale Desintegration für möglich hält. Dies ist in einer Verfassung mit Grundrechten als notwendige Prämisse unterstellt. Diese Verteilung der Verantwortlichkeit kann angenommen werden, wenn ein Bürger nach rechtlichen Maßstäben zurechnungsfahig ist. Wer gemäß §§ 19 ff. StGB, § 3 JGG nicht oder vermindert fahig ist, sich von Rechtsnormen motivieren zu lassen, ist auch nicht oder vermindert fahig, die mit dem Normbruch verbundene soziale Desintegration vorab zu berücksichtigen. Wird er provokatorisch zu Straftaten aufgefordert, so wird seine soziale Integration gefahrdet, belastet und in sein allgemeines Persönlichkeitsrecht eingegriffen 4. Das ist keine Abweichung von der grundsätzlichen Selbstverantwortung, sondern ihre Konsequenz. Eine von der Selbstverantwortung für die eigene Integration abweichende Verteilung der Verantwortung kann sich ergeben aus besonderen sozialen Beziehungen der Bürger. Auch wenn jemand im Rechtssinn verantwortlich ist, kann zusätzlich ein anderer verpflichtet sein, die Integration des ersteren zu fördern oder nicht zu stören. Rechtliche Grundlage können einmal Beziehungen sein, deren Gegenstand es ist, die soziale Integration eines anderen zu fördern; Eltern verletzen ihre Erziehungspflicht, wenn sie ihre Kinder auffordern, z. B. Diebstähle zu begehen. Hier ist allerdings nicht nur die Provokation, sondern allgemein jede Stimulation zu Straftaten verboten. Daß und wie ein Provokationsverbot in einer Sonderbeziehung von Verantwortlichen möglich ist, läßt sich am Beispiel der Ehe zeigen. Nach der Rechtsprechung des BGH ist ein Ehegatte u. U. verpflichtet, den jeweils anderen von Straftaten abzuhalten 5; erst recht verletzt er dann ein subjektives Recht des anderen, wenn er ihn zu einer Straftat stimuliert. Wer hingegen bei der Beurteilung der Ehe mehr die Freiheit und Selbstverantwortlichkeit der Partner betont, wird solche Pflichten ablehnen oder sie nur annehmen, wenn der eine Ehepartner vom anderen besonders abhängig ist, und im allgemeinen es den Partnern überlassen, ihr gemeinsames Glück abweichend vom Strafrecht zu finden 6. Dann verletzt die Anstiftung zwischen Ehegatten im allgemeinen kein 2 Darauf hat Roxin, JuS 1964, 373 (377), hingewiesen im Zusammenhang des § 240 Abs.2 StGB: Wenn das ,,Autonomieprinzip" vernachlässigt wird, wird die Differenz von Sozialwidrigkeit und Moralwidrigkeit verwischt. Ähnlich Arzt, Festschrift für Welzel, S. 823 (836 f.). 3 Cramer, in Schönke / Schröder, Rn 146 vor § 15. 4 Nach BVerfGE 35, 202 (221 f., 235 f.) haben auch Personen, die erheblich daran gehindert sind, ihre soziale Integration selbst zu betreiben, einen (rechtlichen) Anspruch auf Rücksichtnahme auch gegen Private. S BGH NJW 1954, 1818 (1819); anders Geilen, FamRZ 1961, 147 (157 ff.). 6 BGH MDR 1964, 911 anerkennt eine Pflicht des einen Ehegatten, von Strafanzeigen gegen den anderen u. U. abzusehen.

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I. Teil: Nonnative Schranken der Deliktsprovokation

subjektives Recht. Dies gilt jedoch nicht für die Provokation, bei der der Provokateur dem Provozierten die nachteiligen Folgen der Tat verschleiert. Durch diese Täuschung verläßt der provozierende Ehepartner die Gemeinschaft, zu der er verpflichtet ist (§ 1353 BGB). Das bedeutet nicht, daß jeder Ehepartner einen Anspruch darauf hätte, daß der andere seine kriminellen Vorhaben mit trägt, wie I. Puppe zum Verbot der Provokation polemisch vermerkt 7 • Wohl aber hat jeder Ehepartner einen Anspruch darauf, daß der andere ihm erhebliche nachteilige Konsequenzen von Handlungen nicht verschleiert, insbesondere wenn der andere diese Handlungen stimuliert. Hier wird die Selbstverantwortung für die eigene Sozialisation durch die eheliche Pflicht zur Gemeinschaft relativiert. Aus der von Puppe betonten strafrechtlichen Sicht mag es befremden, daß jemand verpflichtet wird, einen anderen auf das Risiko, bei einer Straftat entdeckt zu werden, hinzuweisen; strafrechtlich angemessener, so scheint es, müßte er den anderen schon nicht zur Tat stimulieren oder gar ihn davon abhalten; die Entdeckung und Ahndung von Straftaten ist per se strafrechtlich positiv zu bewerten. Indessen geht es hier um eine Sonderbeziehung zwischen Bürgern. Sie darf, weil rechtlich anerkannt, nicht durch das allgemeine Strafrecht nivelliert werden. In ihr überschneiden sich die Selbstverantwortung jedes Beteiligten für die eigene Sozialisation und die Pflicht zur Solidarität. Erstere bewirkt, daß die Anstiftung im allgemeinen kein subjektives Recht verletzt, weil sie konsentiert ist. Die Solidaritätspflicht bewirkt, daß die Täuschung über nachteilige Folgen verboten ist. Daß diese eventuell strafrechtlich positiv zu bewerten sind, steht der Differenzierung nicht entgegen. Der BGH hat aus § 1353 Abs. 1 S. 2 BGB auch schon abgeleitet, der eine Ehegatte habe Strafanzeigen gegen den anderen zu unterlassen 8. - Die hier zugrundegelegte Selbstverantwortung der Ehepartner läßt sich bestreiten, wie das eingangs zitierte Urteil des BGH zeigt. Auf diese Einzelheiten kommt es hier nicht an, denn Deliktsprovokationen dürften selten zwischen Eheleuten stattfinden. Festzuhalten - auch im Hinblick auf andere Sonderbindungen - ist, daß grundsätzlich Sonderbindungen so gestaltet sein können, daß Deliktsprovokationen verboten sind, auch wenn die Anstiftung im allgemeinen noch kein subjektives Recht verletzt. Wenn Gegenstand eines Sonderverhältnisses nicht die soziale Integration des einen durch den anderen ist, kann doch eine Pflicht zur Rücksichtnahme auf die Integration und ein entsprechendes subjektives Recht bestehen, wenn der eine der Macht des anderen unterworfen ist. Arbeitnehmer sind nicht verpflichtet, einer etwaigen Aufforderung ihres Arbeitgebers, eine Straftat zu begehen, zu folgen; direktionsrechtlich tangiert sie die Aufforderung nicht. In vielen Arbeitsverhältnissen geht die informelle faktische Abhängigkeit der Arbeitnehmer vom Arbeitgeber jedoch über die Pflicht, dessen rechtmäßigen Anweisungen zu folgen, hinaus, z. B. weil rechtlich nicht voll kontrollierbare Benachteiligungen 7

8

NStZ 1986,404 (405).

Vgl. Anm. 6.

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möglich sind, weil Arbeitnehmer sich u. U. mehr am überlegenen Arbeitgeber orientieren als an Rechtsnormen. In solchen Fällen kann der Arbeitgeber verpflichtet sein, auf die Integration des Arbeitnehmers Rücksicht zu nehmen. Für die nähere Bestimmung der Pflicht ist auch relevant, ob die stimulierte Straftat mit dem Arbeitsverhältnis mehr oder weniger zusammenhängt. Relevant ist auch, ob und inwieweit, neben dem Austauschvertrag das Arbeitsverhältnis als Rechtsgrundlage anerkannt wird, aus dem sich Pflichten zur Rücksichtnahme und Treue ergeben. - Wenn der Arbeitgeber eine Straftat des Arbeitnehmers provoziert, weil er ihn einer anderen Tat verdächtigt und überführen will oder weil er einen Kündigungsgrund schaffen will, so ist dies, unabhängig von der Gefährdung der sozialen Integration des Arbeitnehmers, rechtlich fragwürdig vor allem unter dem Aspekt der Widersprüchlichkeit des Verhaltens und des Mißbrauchs von Vertrauen 9. Ein von den genannten Sonderbeziehungen unabhängiges Verbot der Provokation zwischen Bürgern ergibt sich nicht aus § 226 BGB, denn Schikane liegt nur vor, wenn eine Rechtsausübung objektiv "nur den Zweck haben kann, einem anderen Schaden zuzufügen". Durch das Erfordernis der äußeren Erkennbarkeit wird eine Subjektivierung und Auflösung rechtlicher Bestimmtheit verhindert und damit das allgemeine Vertrauen auf das Recht gewahrt. Die Provokation bezweckt ihre Wirkungen im allgemeinen gerade nicht erkennbar, kann also nicht nach § 226 BGB verboten sein. Im übrigen ist der soziale Kontakt, in welchem provoziert wird, - von den genannten Sonderbeziehungen abgesehen - auch nicht Ausübung eines spezifischen "Rechts", sondern der allgemeinen Handlungsfreiheit. Das Schikaneverbot des § 226 BGB ist aber allein auf ein spezifisches Recht bezogen 10; nur auf dessen Durchsetzbarkeit soll vertraut werden können bis zur Grenze der äußerlich erkennbaren Schädigungsabsicht. Jenseits derselben gelten die §§ 242, 826 BGB, die auf die Begrenzung verzichten 11 und statt dessen Treu und Glauben sowie die guten Sitten zum Kriterium machen. Gegen diese dürfte die Deliktsprovokation zwischen Bürgern aus den zur Selbstverantwortung dargestellten Gründen nicht verstoßen. Ein Bürger ist allerdings dann verpflichtet, auf die soziale Integration anderer Rücksicht zu nehmen, wenn er als Privater in staatlichem Auftrag handelt, denn im folgenden wird gezeigt, daß der Staat zu dieser Rücksichtnahme verpflichtet ist. Da er sich dem nicht durch Einschaltung Privater entziehen kann, ist, wie oben gezeigt 12, der beauftragte Private wie der Staat verpflichtet. Dazu unten 1. Teil B IV. Vgl. Hefermehl in Erman, BGB, 1. Bd., § 226 Rn 4; Mormann in Soergel / Siebert, BGB, Bd. 1 (10. Aufl.), Rn 5 vor § 226, § 226 Rn 3; v. Feldmann, Münchner Komm., § 226 Rn 2. 11 Str., vgl. Lehmann / Hübner, Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Gesetzbuches, § 15 I 2 b). 12 s. o. 1. Teil A I 5. 9

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1. Teil: Nonnative Schranken der Deliktsprovokation

Fazit: Im Verhältnis zwischen Bürgern ist für die durch die Provokation von Straftaten entstehende Gefahr der sozialen Desintegration grundsätzlich jeder verantwortlich Handelnde selbst verantwortlich. Ein subjektives Recht, nicht mit Gefahrdungen der eigenen Integration behelligt zu werden, haben Bürger, wenn sie nicht oder vermindert verantwortlich sind, u. U. wenn sie in ein rechtlich fixiertes Sonderverhältnis eingebunden sind sowie wenn sie von staatlich beauftragten Privaten provoziert werden. Die Kriterien des Eingriffs in das genannte subjektive Recht sind nicht identisch mit den Kriterien strafbarer Teilnahme, denn soweit das subjektive Recht, nicht in der eigenen sozialen Integration gestört zu werden, zwischen Bürgern gilt, ist es jenseits des Strafrechts begründet. Seine Beeinträchtigung richtet sich also nach dem Zweck des jeweiligen Sonderverhältnisses, in dem das subjektive Recht gilt. Hier kann auch eine Stimulation zu Straftaten, die noch nicht Anstiftung oder Beihilfe ist, unzulässig sein.

2. Das Verhältnis des Bürgers zum Staat Im Verhältnis zum Staat hat der Bürger ein subjektives Recht, in seiner Integration gefördert oder nicht gestört zu werden, jedenfalls in den Situationen, in denen er es auch gegenüber anderen Bürgern hat. Der nicht oder vermindert Verantwortliche darf nicht zu Delikten provoziert werden. Das Verhältnis des staatlichen Dienstherrn zu den Beamten hat zwar ebensowenig wie der zivile Arbeitsvertrag die Förderung der sozialen Integration zum Gegenstand. Dennoch ist hier in allen Fällen anzunehmen, daß es dem Dienstherrn verboten ist, die soziale Integration des Beamten durch Deliktsprovokationen zu stören, und daß der Beamte ein entsprechendes subjektives Recht hat. Denn das Beamtenverhältnis betrifft als Dienstverhältnis nach h. M. auch die Person. Auf ihre soziale Integration hat der Dienstherr also Rücksicht zu nehmen. Jenseits dieser Besonderheiten gilt, so könnte man annehmen, das Prinzip Selbstverantwortung hinsichtlich der eigenen sozialen Integration. Zur Selbstverantwortung gehört jedoch die Anerkennung rechtsstaatlicher Freiheit. Ihr Preis ist die Selbstverantwortung der Bürger. D. h. im Verhältnis zum Staat: dieser kümmert sich grundsätzlich nicht um die sozialen Bedingungen, die es den Bürgern in unterschiedlich verteiltem Maß ermöglichen oder erschweren, ihre Freiheit auszuüben und die Gesetze einzuhalten. Die Taten werden ihnen ungeachtet dieser Bedingungen zugerechnet. Mit den Bedingungen müssen sie selbst fertig werden. Diese Verteilung der Verantwortlichkeit ist legitimiert durch die Freiheit, die sie gewährt: Der Staat kümmert sich auch nicht um die vermeintliche Gefahrlichkeit von Bürgern und ihren Milieus, solange nicht die Gefahr konkret oder Straftaten begangen sind. Mit der an sich allenthalben möglichen sozialstaatlichen Fürsorge ist auch die polizeistaatliche Überwachung und Manipulation zurückgedrängt.

B. Allgemeines Persönlichkeitsrecht und Deliktsprovokation

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Dieser Zusammenhang ist historisch nicht neu 13. Der Polizeistaat des 18. Jahrhunderts war keineswegs nur repressiv, sondern meist auch auf hoheitliche Fürsorge und Erziehung der als beschränkt vorgestellten Untertanen zum Guten und Vernünftigen orientiert. Das erstarkte Bürgertum drängte ihn zurück, weil dem Anspruch nach die Bürger selbst vernünftig genug seien, mit Gefahren besser fertig zu werden als der bevormundende bürokratische Staat. Unter der geltenden Verfassung ist es nur zulässig, sozialstaatliche Rücksichtnahme auf die Bedürftigkeit der einzelnen zu unterlassen, wenn rechts staatliche Freiheit gewahrt wird. Dieses Kriterium läßt sich näher bestimmen. Es ist nicht identisch mit Legalität im Sinne von beliebigen gesetzlichen Begrenzungen. Auch der Polizeistaat mit annähernd totaler Überwachung ist legal möglich. Rechtsstaatliehe Freiheit ist gewahrt, wenn das Recht davon ausgeht, daß die Bürger Gefahren selbst bewältigen können, solange sie nicht konkret oder Straftaten begangen sind. Entscheidend ist also, ob die konkrete Gefahr die polizeiliche Staatstätigkeit sowie das Tat- und das Schuldprinzip die strafverfolgende Staatstätigkeit begrenzen. Werden sie mit oder ohne gesetzliche Begründung überschritten, so ist zugleich sozialstaatlich geboten, die individuelle Bedürftigkeit der Betroffenen zu berücksichtigen. Die staatliche Provokation von Straftaten überschreitet die genannten rechtsstaatlichen Prinzipien, wie gezeigt wurde. Sie enthält einen Ansatz von Polizeistaat. Auch wenn sie deshalb noch nicht unzulässig sein sollte, muß bei ihrer Bewertung doch immer das im Sinne des Sozialstaatsprinzips anzunehmende Bedürfnis des Betroffenen nach sozialer Integration berücksichtigt werden. Wenn er gefährlich, weil zu Straftaten geneigt ist, so ist, ihn von Straftaten abzubringen, zumindest aber ihn nicht dazu zu stimulieren, die sozial staatlich gebotene Reaktion. Auch wenn er nicht tatgeneigt ist, ist sozialstaatlich geboten, seine Desintegration nicht zu fördern. Freilich ist dies kein absolutes Gebot. Es ist als Sozialstaatliches Teil präventiver Staatstätigkeit, und in diesem Kontext gibt es keine absoluten Gebote, sondern nur relativ gewichtige, die mit anderen mehr oder weniger gewichtigen ins Verhältnis zu setzen sind. Die präventive Orientierung des Staates, wenn sie akzeptiert wird, ist immanent nicht auf sozialstaatliche Rücksichtnahme im Einzelfall zu begrenzen. Sie bezieht viele andere Staatsziele, u. a. Sicherheit der Bürger, mit ein, schließt die präventive Deliktsprovokation also nicht prinzipiell aus, auch wenn diese sich darauf richtet, Gefahren abzuwehren, die nicht vom Betroffenen ausgehen. Das ist die Logik der Prävention. Wohl aber ist es sozialstaatlieh geboten, bei der Bewertung der Deliktsprovokation - wenn sie nicht schon aus rechtsstaatlichen Gründen als unzulässig bewertet wird - im Rahmen 13 Für das Strafrecht wurde er nun wieder dargestellt von Jakobs, Schuld und Prävention, S. 8 ff.

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1. Teil: Normative Schranken der Deliktsprovokation

der notwendigen Interessenabwägung den Belangen der Sicherheit das Interesse des Provozierten an sozialer Integration entgegen zu stellen. Nur wenn erstere überwiegen, könnte die Deliktsprovokation im präventiv-staatlichen Kontext legitim sein. Es kommt dabei nicht darauf an, ob der betroffene einzelne ein aktuell bewußtes Interesse an sozialer Integration hatte. Prinzip der Sozialstaatlichkeit ist es gerade, den einzelnen zu schützen, weil er in seiner subjektiven Beschränktheit dazu nicht imstande ist, wie es auch zur überwachenden Staatstätigkeit jenseits der rechtsstaatlichen Grenzen gehört, die einzelnen für unfähig zum Umgang mit eigenen und fremden gefährlichen Tendenzen zu halten und sie zugunsten der übergreifenden Sicherheitsprävention provozierend ins Unglück zu manipulieren. Nach allem trifft die These, der vom Staat Provozierte sei nicht in einem subjektiven Recht verletzt, weil er frei die Tat begangen habe 14, nicht zu. Wieweit im Bereich staatlicher Prävention die Kriterien der Freiheit und Selbstverantwortung relativiert sind, zeigen Urteile zum präventiven Schutz der Volksgesundheit. Die durch Merkblätter empfohlene (nicht angeordnete) Impfung hat der BGH mehrfach als Eingriffbewertet, weil darin das "psychologische Abfordern eines Sonderopfers" stecke 15. Weniger als ein psychologisches Abfordern steckt auch in den meisten Provokationen von Delikten nicht. Gegenwärtig sollen sie auch oft die Volksgesundheit präventiv schützen (vor den Folgen des Drogenmißbrauchs). Sie richten sich gegen Personen, gegen die meist nicht einmal ein Strafverfahren eröffnet ist, von denen selten eine konkrete Gefahr ausgeht. Sie fordern ein Sonderopfer "psychologisch" ab, indem sie die soziale Integration belasten 16. Der Klarheit halber sei darauf hingewiesen, daß die hier zugrunde gelegte Argumentation - weil der Staat durch die Deliktsprovokation seine rechtsstaatlichen Grenzen präventiv überschreitet, kann den Bürgern nicht mehr die Selbstverantwortung für ihre soziale Integration voll auferlegt werden - nicht identisch ist mit dem zivilrechtlichen Einwand "tu quoque". Mit diesem "Einwand des unredlichen Rechtserwerbs" wird zuweilen in Rechtsprechung und Literatur die Straflosigkeit oder Nichtverfolgbarkeit des Provozierten begründet 17. Schumann meint, damit werde das objektive Strafrecht unzulässig Kriterien der subjektiven Rechte unterstellt 18. Ob dies zutrifft, kann hier offen bleiben 19. Die SelbstverantSchumann, JZ 1986,66 (68); Puppe, NStZ 1986,404 (405). BGHZ 31, 187 (191 f.); 24,45 (46 f.); 34, 23 (26). 16 Ähnlich BGH StrVert 1985,309 (310). 17 Dazu die Analyse Schumanns, JZ 1986,66 (68 f.). 18 A.a.O., S. 69 f. 19 Inkonsequent ist es jedenfalls, hinsichtlich des Problems des Eingriffs in die Freiheit des Provozierten, den Staat privaten Provokateuren gleichzustellen und andererseits hinsichtlich des Einwands des unredlichen Rechtserwerbs den Staat als rechtliches Konstrukt zu behandeln, das von den Verhältnissen der Privaten prinzipiell abgehoben ist. Davon abgesehen ist fragwürdig, ob der Einwand unredlichen Rechtserwerbs genetisch 14

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B. Allgemeines Persönlichkeitsrecht und Deliktsprovokation

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wortung für ihre soziale Integration wird den Bürgern im Verhältnis zum Staat vorliegend nicht deshalb teilweise erspart, weil der Staat sich durch die Deliktsprovokation unredlich verhalten hätte, sondern weil er mit der Provokation redlich oder nicht - ein verfassungsrechtliches Programm verfolgt, in welchem Selbstverantwortung und Freiheit der Bürger nicht der Grundsatz ist, sondern soziale Bedingtheit, Abhängigkeit der Bürger. Deshalb werden sie nach diesem Programm jenseits rechtsstaatlicher Grenzen präventiver Kontrolle u. a. durch Deliktsprovokation unterstellt. Es ist ein Gebot rechtlicher Konsistenz, den als abhängig behandelten Bürgern auch präventive sozialstaatliche Rücksichtnahme angedeihen zu lassen. Das allgemeine Persönlichkeitsrecht, zu dem der Schutz der sozialen Integration der Bürger gegenüber dem Staat gehört, steht nicht nur der auf Bestrafung gerichteten staatlichen Deliktsprovokation entgegen, sondern jeder Stimulation zu Straftaten durch staatliche Behörden. Bei allen Maßnahmen haben sie auf die soziale Integration der Bürger Rücksicht zu nehmen, soweit nicht überwiegende Zwecke eine Belastung der Integration legitimieren. Damit fügt sich das subjektive Recht auf ungestörte Sozialintegration in den Zusammenhang der vom BVerfG gegebenen Begründung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts aus Art. 2 Abs. 1 GG20. Danach steht jede Beeinträchtigung unter dem Vorbehalt der Verhältnismäßigkeit.

3. Stellungnahmen der Rechtsprechung und Alternativen der polizeilichen Deliktsprovokation Im Grundsatz hat nun, wie oben gezeigt 21 , der 2. Strafsenat des BGH22 anerkannt, daß die "Verstrickung in Schuld und Strafe" einen staatlichen Eingriff in ein subjektives Recht enthält, der nur durch ein überwiegendes öffentliches Interesse zu legitimieren ist. Implizit könnte das berechtigte Interesse des Provozierten an seiner sozialen Integration auch berücksichtigt sein in den von der primär der Sphäre der Ausübung subjektiver Rechte zugeordnet werden kann, wie Schumann (a.a.O., S. 69 f.) meint. Max Webers eingehende Untersuchungen des Verhältnisses von subjektiven Rechten und objektivem Recht sprechen dagegen; vgl. M. Weber, Wirtschaft und Gesellschaft, S. 388 ff., 396 ff., 441 ff., 505 f. Danach ist das subjektive Recht typischerweise formal bestimmt; materiale Gerechtigkeit entsteht in subjektivrechtlich bestimmten Verhältnissen, wenn überhaupt, aus dem freien Verkehr der Subjekte. Der Einwand unredlichen Rechtserwerbs bringt ein materiales Korrektiv der Formalität. Er bringt die die Subjekte übergreifende, aber objektive, staatlich definierte Gerechtigkeit zur Geltung. Von daher steht nichts entgegen, ihn auch auf das objektive Strafrecht anzuwenden. Im objektiven Verwaltungsrecht wird er denn auch berücksichtigt; vgl. BGHSt 32, 345 (353); Puppe, NStZ 1986,404 (406). 20 BVerfGE 6, 32 (41); 34, 238 (245 ff.); 35, 202 (225 f.). 21 s. O. 1. Teil B I. 22 BGH StrVen 1985, 309 (310).

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1. Teil: Nonnative Schranken der Deliktsprovokation

Rechtsprechung angegebenen Kriterien der Zulässigkeit der Provokation 23 u. a. Tatneigung des Betroffenen und Intensität der provozierenden Einwirkung. Diese Kriterien können einerseits als Referenz an das Prinzip rechtsstaatlicher Selbstverantwortung verstanden werden: Wer tatgeneigt ist und auf Provokationen leicht eingeht, hat wenig Interesse an seiner sozialen Integration, ist also selbst schuld. Die Kriterien der Tatneigung und der Intensität der Provokation können weiter verstanden werden als Indizien für das Maß der tatsächlich bewirkten Desintegration. Wer nur leicht provoziert werden mußte bis zum Tatentschluß und schon tatgeneigt war, der hat nichts oder nicht viel an Integration eingebüßt. So begründet der BGH24, daß der tatbereite Provozierte keine Strafmilderung erhalten soll. Bei solcher Bewertung des Eingriffs in die soziale Integration werden eventuell die ohnehin bezüglich sozialer Integration vorhandenen Benachteiligungen sozial schlecht gestellter Personen zur Begründung programmatischer staatlicher Verstärkung. Indessen ist die sozial bedingt vorhandene Neigung zur Desintegration gemäß dem Sozialstaatsgebot immer auch Anlaß zu vermehrter Rücksichtnahme auf den Benachteiligten. Die genannten Kriterien könnten schließlich verstanden werden als Indizien für das Maß der Gefährlichkeit des Provozierten; wenn diese graduiert wird, also nicht jede Gefahrlichkeit den Eingriff begründen soll, so könnte implizit anerkannt sein, daß der Betroffene ein relevantes Interesse hat, nicht desintegriert zu werden. Gleiches läßt sich aus dem graduierenden Kriterium ,Maß des Verdachts' entnehmen. Da die Rechtsprechung das eventuell mildere Mittel, den einzelnen von seiner gefahrlichen Tendenz ohne Eingriff abzubringen und damit zwar eventuell ein Minus an Gefahrenabwehr zu erreichen, aber die soziale Integration des einzelnen zu wahren, überhaupt nicht erwähnt, scheint sie die sozialstaatliche Bedeutung der sozialen Integration nur unzulänglich zu berücksichtigen. Allerdings dürfte es praktisch in vielen Fällen aussichtslos sein, einen Tatgeneigten von der Tat abzubringen. Die von staatlicher Deliktsprovokation Betroffenen sind oft durch ihre Sozialisation oder durch Suchtkrankheiten stark integriert in Subkulturen, die das Begehen von Straftaten so nahelegen, daß dagegen im Einzelfall nur mit großem Aufwand sozialstaatlicher Hilfe etwas auszurichten wäre. Dann wäre weiter zu erwägen, ob die Gefahr ohne weitere Beeinträchtigung der legalen sozialen Integration abzuwehren ist, indem das kriminogene Milieu durch sozialstaatliche Hilfen (Arbeits- und Wohnungsbeschaffung, Sozialarbeit etc.) verändert werden kann. Daß dies in allen Fällen so aussichtslos wäre, daß die Rechtsprechung es nicht zu erwägen brauchte, ist unwahrscheinlich. Allerdings sind die erwähnten alternativen milderen Mittel meist nicht in der konkreten Handlungssituation der Polizei gegeben. Das könnte ihrer Berücksich23 BGH NJW 1980, 1761; NJW 1981, 1626 f.; BGHSt 32, 345 (346 f.). 24

StrVert 1985,309 (310).

B. Allgemeines Persönlichkeitsrecht und Deliktsprovokation

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tigung entgegenstehen. Im allgemeinen werden nur diejenigen alternativen Mittel berücksichtigt, die in der konkreten Situation für den konkreten Gefahrenabwehrzweck konkret gegeben sind. Diese Beschränkung des Rahmens, in dem Alternativen berücksichtigt werden müssen, ist sachlich begründet in der Beschränkung des Rahmens, in dem das polizeiliche Handeln begründet ist und seine Zwecke hat: die konkrete, d. h. in der konkreten Situation bestehende Gefahr. Jenseits der konkreten Situation bestehende abstrakte Gefahren begründen den polizeilichen Zugriff nicht. Durch diese Beschränkung des Zugriffs ist legitimiert, daß auch eventuell jenseits der konkreten Situation gegebene Alternativen des polizeilichen Zugriffs nicht berücksichtigt werden müssen. Der bezweckte Erfolg, der die Provokation, wenn überhaupt, rechtfertigen kann, ist nicht ihr unmittelbarer Erfolg, die Straftat, denn sie ist ein negativ bewertetes Ereignis. Rechtfertigen kann nur der mittelbare Erfolg, die durch die Provokation bewirkte Gefahrenabwehr. Wenn nun zugelassen wird, daß die Gefahr, die durch die Provokation abgewehrt wird und sie normativ begründen soll, keine konkrete Gefahr ist, sondern etwa die abstrakte Gefahr, die von einer BtM-Szene ausgeht, so müssen auch eventuelle alternative mildere Mittel jenseits der konkret gegebenen Situation berücksichtigt werden. Andernfalls würde ein Übermaß an Eingriffsintensität zugelassen. Der Grund für die Beschränkung der zu berücksichtigenden Alternativen auf die konkrete Situation ist entfallen, wenn die Eingriffsgründe jenseits der konkreten Situation liegen dürfen. Auch muß die Rechtsprechung, wenn sie Provokationen jenseits der Abwehr konkreter Gefahren zuläßt, ihre Kontrollkompetenz gegenüber der Polizei ausweiten und nicht nur nach in der konkreten Situation gegebenen Alternativen fragen. Verzichtet sie darauf und läßt sie es dennoch zu, daß die Polizei ihr Handeln an abstrakten Fernzwecken orientiert, so reduziert die Justiz sich kompetenziell selbst zur bloßen Funktion exekutivischer Zwecksetzungen. Ansätze dazu enthält der Stiller-Beschluß des BVerfG25, der den Einsatz von V-Leuten global "zur Bekämpfung besonders gefährlicher Kriminalität" rechtfertigt 26 . Auch das zusätzliche Kriterium der "verübten oder in Gang befindlichen Straftaten", die bekämpft werden sollen 27, dürfte, wie gezeigt, die justizielle Kontrolle kaum fördern. Ansätze zu einer Ausweitung der justiziellen Kontrollkompetenz, die der Ausweitung exekutivischer Präventionskonzepte gerecht wird, bietet die Wesentlichkeitstheorie des BVerfG28. Sie betrifft den herkömmlich am Kriterium ,Eingriff' orientierten Gesetzesvorbehalt und die entsprechende Kontrollkompe tenz der Justiz und berücksichtigt - Einzelheiten werden später dargestellt - , daß exekutivische Maßnahmen, ohne in subjektive Rechte einzugreifen, derart weit wirken können, daß der Gesetzesvorbehalt obsolet und die kontrollierende NJW 1981, 1719 (1724). 26 Skeptisch zu dieser globalen Rechtfertigung auch Rogall, GA 1985, 1 (27). 27 BGH StrVert 1985,309 (310); BGH NJW 1986, 1764; BVerfG NStZ 1987,276. 28 E 49, 89 (126 f.); 58, 274. 25

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1. Teil: Nonnative Schranken der Deliktsprovokation

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Justiz zur bloßen Funktion exekutivischer Gestaltungsmacht wird, wenn sie sich am Eingriff orientieren. Deshalb wird nun darauf abgestellt, ob exekutiv ische Maßnahmen die "Lebensverhältnisse" "wesentlich" beeinflussen. Damit wird die justizielle Kontrollkompetenz der vorgreifenden exekutivischen Gestaltung angepaßt. Ungeachtet des Problems der Alternativen der Provokation rallt bei ihrer Bewertung ins Gewicht, daß auch der zur Desintegration Tendierende ein anzuerkennendes Interesse hat, nicht zusätzlich mit desintegrierenden Provokationen belastet zu werden. Überwiegen kann dieses Interesse in Fällen, die nach neueren Berichten die Mehrzahl der Provokationen ausmachen 29: Kleinkriminelle werden durch Festnahme infolge Provokation an weiteren Gelegenheitstaten gehindert; der Verdacht kleinkrimineller Taten wird durch Provokation aufgeklärt. Die Vertreter der Zulässigkeit der staatlichen Deliktsprovokation begründen diese mit der Notwendigkeit, die schwerkriminelIen Hintermänner zu erfassen. Demnach dürfte in den genannten Fällen der positive Erfolg gegenüber der Beeinträchtigung der Integration nicht überwiegen.

Fazit: Die die soziale Integration belastende Einwirkung der Deliktsprovokation von seiten des Staates ist ein Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht, speziell in das subjektive Recht der Bürger auf Wahrung ihrer sozialen Integration. Für diese Wahrung sind sie nicht selbst verantwortlich, weil der Staat selbst mit der präventiven Deliktsprovokation die Bürger nicht mehr als frei und selbstverantwortlich behandelt. Der Eingriff ist allerdings nicht regelmäßig verboten. Er ist zulässig, wenn er überwiegend wichtigen Zwecken dient (Verhältnismäßigkeit) und gesetzlich begründet ist. Wann ein derart begründungsbedürftiger Eingriff vorliegt, richtet sich im übrigen, wie schon zum Eingriff durch andere Bürger ausgeführt, nicht nach den Kriterien der §§ 26 f. StGB, weil das subjektive Recht auf Wahrung der sozialen Integration unabhängig vom StGB gilt. Daher können auch staatliche Stimulationen der Bürger zu Straftaten rechtswidrige Eingriffe sein, die noch nicht die Intensität und Form der Beihilfe oder Anstiftung erreichen. Das hat praktische Relevanz. Wenn beispielsweise die Polizei ihre Reaktionen auf eine Demonstration oder eine Hausbesetzung darauf ausrichtet, daß es zu Gewalttätigkeiten oder anderen Straftaten seitens der Demonstranten kommt, so ist dies - von anderen Einwänden gegen derartige Praxis abgesehen - ein Eingriff in deren Recht auf Wahrung ihrer sozialen Integration. Der eventuelle polizeiliche Zweck, die Demonstranten mit Mitteln körperlicher Gewalt zu disziplinieren oder die Demonstration aufzulösen, begründet den Eingriff ebensowenig wie der mögliche Plan, gewaltgeneigte Demonstranten via Freiheitsstrafe einsperren zu lassen 30. Puppe, NStZ 1986, 404. Solche polizeilichen Pläne sind nicht mehr auszuschließen seit bekannt ist, daß ein Verfassungsschutzamt 1983 bei einer Demonstration einen Provokateur einsetzte, der bei Gewalttätigkeiten als Rädelsführer aktiv wurde; vgl. Lüderssen, Zynismus, Bomiert29

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4. Rechtsstaatliche Normen als Verbot der Desintegration durch den Staat Das an den Staat gerichtete Verbot, die soziale Integration zu belasten, läßt sich noch aus anderen Gründen herleiten. Die in der Strafe und anderen Maßnahmen steckende Desintegration ist eine staatliche Intervention ins Leben der Bürger. Sie ist gesetzlich vorgesehen für den Fall, daß ein Bürger eine Straftat begangen hat. Ist diese verfassungsmäßig (Art. 103 Abs. 2 GG) fixierte Bedingung nicht erfüllt, darf die Desintegration nicht staatlich bewirkt werden. Das ist die rechtsstaatliehe Version des Desintegrationsverbots. Auch hier ist der Einwand zu gewärtigen, die letzte Bedingung in der zur Desintegration führenden Kausalkette, die Tat, habe der Bürger aus Freiheit selbst gesetzt. Der Einwand hängt ab von der Zurechnung der Tat zum Bürger. Diese setzt gemäß Art. 103 Abs. 2 GG eine eindeutige gesetzliche Norm voraus. Indem der Staat durch seinen Provokateur den Bürger zur Tat auffordert, konterkariert er die Eindeutigkeit der Norm, die die Zurechnung allein begründen könnte. Dem Bürger die Tat voll zuzurechnen, ist also ausgeschlossen. Es bleibt bei zumindest teilweiser Zurechnung zum Staat. Er muß die Desintegration unterlassen, indem er den Bürger entweder nicht provoziert oder nicht bestraft, was aber der Gesetzesbindung widerspräche. Diese Version des Desintegrationsverbots ist freilich nicht im allgemeinen Persönlichkeitsrecht begründet, sondern im Rechtsstaatsgebot. Sie ist die Kehrseite des oben dargestellten Prinzips des Tatstrafrechts und des Schuldprinzips.

IV. Schutz vor Vertrauensmißbrauch Von Vertrauensschutz war im Vorangegangenen schon die Rede. Die soziale Integration des einen wird u. U. geschützt, wenn sie einem anderen in besonderer Weise anvertraut war. Dabei wurde Vertrauen als Bedingung des Rechtsschutzes behandelt. Die These Denckers I, der Provokateur handle rechtswidrig, weil er ihm vom Provozierten gewährtes Vertrauen mißbrauche, erklärt das Vertrauen selbst zum Schutzobjekt des Rechts. Der Gegenstand des Vertrauens - z. B. die straffreie soziale Integration - der durch den Mißbrauch beeinträchtigt wurde, tritt bei dieser Bewertung zurück. Im Verhältnis zum Erfolg der Beeinträchtigung - z. B. Desintegration durch Straftat - betrifft das Verbot, Vertrauen zu mißbrauchen, die Art der Beeinträchtigung, statuiert ein "Methodenverbot". Es soll seinen Grund weniger im einzelnen Mißbrauch haben als in der Zerrüttung des für alle notwendigen Vertrauens, wenn solche Methode, weil zugelassen, sozial verbreitet und allgemein zu erwarten sei. heit oder Sachzwang? In: ders., V-Leute. Die Falle im Rechtsstaat, S. 15; Ostendorf / Meyer-Seitz, StrVert 1985,73 (76). I Festschrift für Dünnebier, S. 447 (455 ff.). 7*

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Vertrauen bezeichnet über sicheres Wissen hinausreichende Erwartungen. Es ist, weil unzulänglich abgestützt, immer riskant. Mißbrauchen heißt verkehrtes, weil vereinbarungs- oder zweckwidriges, Gebrauchen 2. Wer die Erwartung eines anderen enttäuscht, bricht dessen Vertrauen. Er mißbraucht es, wenn er es handelnd bestätigte, eventuell auch sich zunutze machte, aber in einer Weise, die der impliziten Erwartung des anderen (eventuell auch der sozialen Erwartung) widerspricht. Das gewährte Vertrauen wird beim Mißbrauch zweckwidrig instrumentalisiert. Das verletzt um so tiefer,je mehr der Mißbrauch zugleich konsentierter Gebrauch und Vertiefung des Vertrauens war. Dem Provokateur, der zunächst nicht als solcher erkannt wird, vertraut der zu Provozierende, daß jener ihn nicht unerwartet schädigen wird. Der Provokateur gebraucht das Vertrauen, indem er eine Straftat stimuliert, von der er weiß, daß sie zur Bestrafung des zu Provozierenden führen wird. Oft wird der Provokateur diese Folge beabsichtigen. Vertrauen gehört zum alltäglichen menschlichen Verhalten 3. Weil man über die objektive Wirklichkeit nie voll informiert sein kann, die disparaten Gewißheiten aber ein Verständnis von Wirklichkeit nicht zulassen, muß man vertrauen, um ein einigermaßen zusammenhängendes Bild von Wirklichkeit, die subjektive Wirklichkeit, zu erlangen. Vertrauensmißbrauch kann zu partiellem Wirklichkeitsverlust führen. Wer öfter davon betroffen ist, wird sich aus dem sozialen Verkehr zurückziehen, seine Persönlichkeit, die sozial bestimmt und bezogen ist, umstellen 4 • Deshalb gehört der Schutz von Vertrauen in den thematischen Zusammenhang des Persönlichkeitsrechts und seiner sozialen Bezüge. Allerdings wird in einem weiteren Sinn Vertrauen rechtlich auch geschützt, indem anerkannt und durchgesetzt wird, daß jemand auf den Gegenstand seines Vertrauens ein Recht hat. Von dieser herkömmlichen Art des Vertrauens schutzes ist der vorliegend relevante unterschieden. Er sieht von den Gegenständen, auf die das Vertrauen gerichtet ist, ab und bezieht sich auf das Subjekt des Vertrauens, die Persönlichkeit. Weil für sie Vertrauen existenziell wichtig ist, weil Vertrauensmißbrauch ihre soziale und psychische Stabilität beeinträchtigt, soll der Mißbrauch rechtswidrig sein. Solche existentielle Begründung ist für einen zivilrechtlichen Erfüllungsanspruch i. d. R. nicht nötig. Wenn Vertrauen als solches geschützt wird, so werden ebensowenig wie durch das allgemeine Persönlichkeitsrecht die herkömmlichen rechtsstaatlichen Handlungsfreiheiten geschützt. Geschützt wird deren Bedingung, die Person. Daher gehört der Vertrauens schutz systematisch zum sozialstaatlichen Schutz, der auf 2 In einem engeren Sinn wird unter Mißbrauch der schädliche Gebrauch verstanden (z. B. in § 266 StGB) oder noch enger der absichtlich schädliche Gebrauch (z. B. in § 226 BGB). 3 Zum folgenden vgl. Popitz, Die nonnative Konstruktion der Gesellschaft, S. 1 ff.; Luhmann, Vertrauen. Ein Mechanismus der Reduktion von sozialer Komplexität, S. 40. 4 Vgl. Luhmann, Rechtssoziologie I, S. 34.

B. Allgemeines Persönlichkeitsrecht und Deliktsprovokation

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die Bedingungen rechtsstaatlicher Freiheiten reflektiert. Konsequent führt denn auch der vorliegend relevante Vertrauensschutz weg von der rechtsstaatlichen Bestimmtheit, mit der etwa das Vertrauen auf die zivilrechtliche Vertragserfüllung geschützt und begrenzt wird. Es ist schon nicht gesetzlich bestimmt, ob Vertrauen als solches überhaupt ein Schutzgut des Rechts ist. Sollte es dies aber sein, so kann sein Schutz nie perfekt sein. Weil Vertrauen wie gezeigt in annähernd jeden sozialen Verkehr involviert ist, müßte sein rechtlicher Schutz allemal relativiert werden mit Freiheiten und Interessen des Vertrauensempfangers. Es wären meist abstrakt unbestimmte Güterabwägungen entscheidend für die Reichweite des Schutzes des Vertrauens an sich. Auch mit dieser Tendenz zur Auflösung bestimmten Rechts fügt sich der Vertrauensschutz zum allgemeinen Persönlichkeitsrecht. Um zu entscheiden, ob das vom Provokateur mißbrauchte Vertrauen des Provozierten rechtlich zu schützen ist, soll zunächst wieder gesondert das Verhältnis zwischen Bürgern untersucht (1.) und dieses weiter zerlegt werden: die vertrauenswidrige bloße Aufforderung, ein Delikt zu begehen (a); das vertrauenswidrige Bekanntwerdenlassen des Delikts bei der Strafverfolgungsbehörde (b); die provokatorische Aufforderung, ein Delikt zu begehen, das den Behörden bekannt werden wird, was der Provokateur, nicht aber der Provozierte voraussieht (c).

1. Vertrauensschutz und Selbstverantwortung im Verhältnis zwischen Bürgern a) Die Aufforderung, ein Delikt zu begehen Die genannte Aufforderung enthält für sich genommen im allgemeinen wenig Mißbräuchlichkeit. Es geht hier noch nicht um den listigen Provokateur, der den Provozierten der Strafverfolgung ausliefern will. Der "normale" Anstifter, der z. B. mit einem anderen eine Freundschaft anbahnte, aufgrund derer er ihn dann zu einer Straftat bestimmte in der Annahme, der andere werde erfolgreich sein und von Strafverfolgung verschont bleiben, handelte im Konsens mit dem anderen. Er wollte, was auch der andere wollte. Allerdings gebrauchte er beim Auffordern das ihm entgegengebrachte Vertrauen. Ein rechtswidriger Vertrauensmißbrauch könnte hier angenommen werden, wenn der Umschlag der vertrauensgemäßen rechtlich harmlosen Beziehung zu einer solchen, in der Delikte angestiftet werden, vom Aufgeforderten rechtlich nicht allein bewältigt werden müßte. Bestätigung für solche Risikoverteilung könnte aus dem Vertrauensgrundsatz entnommen werden, der vor allem in der Fahrlässigkeitsdogmatik entwickelt wurde. Er beschränkt bekanntlich die Haftung eines Beteiligten, der das Fehlverhalten eines anderen ermöglichte; der Beteiligte muß, sofern nicht eine spezielle Bindung besteht, das mögliche Fehlverhalten des anderen nicht in Rechnung

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1. Teil: Normative Schranken der Deliktsprovokation

stellen, sondern kann auf dessen pflichtgemäßes Verhalten vertrauen, weil auch der andere eine verantwortliche Person ist und "unter den Anforderungen der Rechtsordnung" steht 5• D. h.: Die Pflicht des Beteiligten in bezug auf das geschädigte Rechtsgut wird näher bestimmt im Hinblick auf die Pflicht des anderen. Die Pflicht eines Menschen ist rechtlich relevant nicht nur für diesen, sondern auch für andere, die mit ihm in sozialen Kontakt geraten. Damit wird die Bedeutung des Rechts nicht mehr erklärt nur mit den herkömmlichen zweiwertigen Beziehungen Norm / Adressat, Rechtsgut / Schädiger. Vielmehr wird Recht auch als vertrauenswürdige soziale Ordnung zwischen den Beteiligten anerkannt und derart (nicht erst durch Zurechnung erzeugt und bestätigt, sondern) der rechtlichen Zurechnung selber zugrunde gelegt. Wird im einfachen Syllogismus das Recht einerseits auf einen tatsächlichen Fall andererseits angewendet und dadurch Ordnung geschaffen, so wird die dabei implizierte Trennung von Recht und Tatsachen durch Konstruktionen wie den Vertrauensgrundsatz aufgelöst. Die Rechtsanwendung setzt ihre eigene Ordnungsleistung schon voraus und legt sie der Zurechnung als Begrenzung zugrunde. Recht wird auf sich selber angewandt; es wird i. S. Luhmanns reflexiv 6. Die Rechtsanwendung reflektiert die soziale Verflochtenheit des Rechts mit seiner tatsächlichen Umwelt, indem es die von ihm produzierte Vertrauensmöglichkeit berücksichtigt. Dies könnte nun auch im Verhältnis des Anstifters zum potentiellen Täter berücksichtigt werden. Wie im Fahrlässigkeitsfall die Pflicht des anderen, Rechtsgüter nicht zu verletzen, nicht nur die Rechtsgüter begünstigt, sondern auch den mit dem anderen kontaktierenden Beteiligten von rechtlichen Pflichten entlastet, könnte angenommen werden, daß die strafrechtliche Verpflichtung vorsätzliche Teilnahmehandlungen zu unterlassen, nicht nur Rechtsgüter schützen, sondern auch durch Teilnahme zu stimulierende potentielle Täter von derartigen kriminogenen Einwirkungen freihalten soll. Die Schuldteilnahmelehre mit ihrer These, jeder habe ein Recht darauf, nicht in Richtung Kriminalität sozial desintegriert zu werden, wäre bestätigt. Indessen würde durch diese Deutung der Vertrauensgrundsatz überzogen. Einmal wird er sich in der vorliegenden Konstellation umkehren und auch auf Leute anwenden lassen, die andere durch ihre Äußerungen zu Straftaten stimulieren; z. B. ein Journalist, der soziale Zustände scharf kritisiert, wissend, daß dies Extremisten zu entsprechenden Straftaten provozieren kann, darf i. d. R. darauf vertrauen, daß sie rechtstreu bleiben 7 • Wenn nun einerseits Bürger sollten vertrauen können, daß sie nicht von anderen zu Delikten stimuliert werden, andererseits die Stimulierenden sollten vertrauen können, daß 5 Stratenwerth, Festschrift für Eb. Schmidt, S.383 (392); ders., Strafrecht AT, Rn 1155; Cramer in Schönke / Schröder § 15 Rn 147 ff.; Welzel, Deutsches Strafrecht, S. 132 f.; Jakobs, Strafrecht AT, 7 / 51 ff. Zu dem vom Recht gewährleisteten Systemvertrauen vgl. Calliess, Theorie der Strafe, S. 143. 6 Luhmann, Reflexive Mechanismen, in: Soziale Welt, 1966, S. 1 ff.; ders., Politische Planung, S. 76 ff. 7 Dazu s. u. 1. Teil E IV 2, 3, 5.

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die Stimulierten rechtstreu bleiben, wäre der Vertrauensgrundsatz in diesem Zusammenhang beliebig. Angemessen läßt er sich nur verstehen als Haftungsbegrenzung, wie er auch in der Fahrlässigkeitsdogmatik fungiert. Der Vertrauen begründende Ordnungsanspruch des Rechts begrenzt Verantwortungsbereiche der Bürger. Er ist nicht selbst Gegenstand und Begründung des Schutzes. Andernfalls könnte das Recht grenzenlos ausgeweitet werden; weil der Ordnungsanspruch des Rechts rechtlich geschützt würde, müßte auch dieser Schutz wieder geschützt werden usw. Die Reflexivität hat immanent keine Grenzen, wie Luhmann am Beispiel des Erwartens zeigt 8 • Allerdings hat F.C. Schroeder in reflexiver Betrachtungsweise diverse Tatbestände des Strafrechts als Schutz des Strafrechts erklärt 9 • Dies ist jedoch noch immer auf begrenzte Tatbestände bezogen. Aus dem allgemeinen Vertrauensgrundsatz läßt sich nicht erschließen, daß allgemein Vertrauen rechtlich zu schützen sei. Auch aus anderen Erwägungen läßt sich das nicht entnehmen. Vielmehr ist Recht, wie Luhmann 10 gezeigt hat, von Vertrauen weitgehend abstrahiert. Das ermöglicht Freiheit im Verkehr der Bürger. Einem anderen vertrauen, enthält das Risiko, enttäuscht und durch Mißbrauch des Vertrauens instrumentalisiert zu werden. Es ist in einem Minimum jedem sozialen Verkehr immanent. Wenn es allgemein dem Vertrauenden durch Recht abgenommen und dem Empfänger des Vertrauens das Verbot zu enttäuschen und zu mißbrauchen auferlegt würde, so würde der Handlungsspielraum zwischen den einzelnen ähnlich eingeengt, wie wenn zwischen Bürgern den einzelnen das Risiko, desintegriert zu werden, abgenommen würde. Grundlage solcher Verrechtlichung wäre die Vorstellung, Menschen seien entweder normalerweise zum Ertragen von Widersprüchen, also zum Vertrauen unfähig, oder sie seien grundsätzlich nicht vertrauenswürdige, unberechenbare, charakterlose Wesen I'. Ihnen allgemein Freiheit rechtlich zu gewähren, wäre jedenfalls verfehlt. Man kann nicht Freiheit und Vertrauensmöglichkeit wollen und zugleich das Risiko der Enttäuschung verbieten. Im allgemeinen hat das Risiko, unter Mißbrauch von Vertrauen zu einem Delikt stimuliert zu werden, also jeder selbst zu verantworten, sofern er nach rechtlichen Maßstäben verantwortlich ist. Anders kann es in rechtlich fixierten Sonderbeziehungen wie dem Eltern / Kind-Verhältnis sein.

Rechtssoziologie 1, S. 32 ff. F. C. Scbroeder, Die Straftaten gegen das Strafrecht. 10 Vertrauen. Ein Mechanismus der Reduktion von sozialer Komplexität, S. 34 ff. 11 Dazu Luhmann, Vertrauen, S. 40,43.

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1. Teil: Nonnative Schranken der Deliktsprovokation b) Die vertrauenswidrige Anzeige

Wenn jemand nach einer Straftat, zu der er den Täter veranlaßt hatte, sich entschließt, diesen bei der Polizei anzuzeigen und dies auch tut, bricht er u. U. in krasser Weise Vertrauen. Die Anzeige widerspricht seinem vorangegangenen Verhalten gegenüber dem Täter. Zum rechtlichen Schutz des Vertrauens gehört das Verbot widersprüchlichen Verhaltens. Dieses Verbot kann jedoch nicht den Widerspruch zu rechtswidrigem Verhalten erfassen. Er ist rechtmäßig, denn er bestätigt die Norm. Das Recht der Anzeige könnte aber verwirkt sein, wenn es durch unredliches Verhalten erworben wurde. So wird angenommen, das Strafantragsrecht habe verwirkt, wer an der Tat beteiligt war l2 • Dies ist jedoch nicht auf die Strafanzeige übertragbar. Denn mit ihr macht der Anzeigende kein im Rechtssinn eigenes, subjektives Interesse geltend. Er unterstützt das Interesse der Allgemeinheit. Dieses wird durch eine eventuelle Unredlichkeit des privaten Anzeigenden nicht tangiert. (Anders kann es sich also verhalten, wenn ein staatlich angeleiteter Provokateur handelte.) Allerdings handelt der private Anzeigende faktisch auch selbst gegen das Interesse des Täters. Das ist ein materieller Gesichtspunkt, der die strafrechtliche Differenzierung zwischen Individual- und öffentlichem Interesse überspringt. Er kann nicht allgemein sondern nur berücksichtigt werden, wenn zwischen Anzeigendem und Täter ein rechtlich relevantes besonderes Verhältnis mit personalen o. ä. materialen Implikationen (Treuepflichten) besteht, das die strafrechtliche Differenzierung relativiert. So hat der BGH 13 angenommen, wegen der Pflicht von Eheleuten zur Solidarität (§ 1353 Abs. 1 S.2 BGB) könne es dem einen verboten sein, den anderen anzuzeigen. Fehlt eine derartige materiale Sonderbindung - im allgemeinen also - tangiert die Unredlichkeit des Anzeigenden die Anzeigemöglichkeit nicht. Fazit: Wer eine Straftat begeht im Vertrauen, daß er von anderen, insbesondere von seinen Komplizen, nicht verraten werde, kann in diesem Vertrauen in der Regel zulässigerweise enttäuscht werden. Dementsprechend können Komplizen im Strafverfahren gegen den Täter, von den Fällen der §§ 52,55 StPO abgesehen, verpflichtet sein, auszusagen. c) Die Provokation

Von der nicht provokatorischen "normalen" Aufforderung, ein Delikt zu begehen, unterscheidet sich die provokatorische Aufforderung einmal dadurch, daß dem Provozierten verschleiert wird, daß er angezeigt oder anderweitig der Straf12 Zielinski, Gedächtnisschrift für Hilde Kaufmann, S. 875 (888 f.) mit weiteren Nachweisen. 13 BGH MDR 1964,911.

B. Allgemeines Persönlichkeitsrecht und Deliktsprovokation

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verfolgungsbehörde bekannt werden soll. Daß dies nachträglich geschieht, ist freilich als Möglichkeit immer vorab gegeben. Jeder Täter kann entdeckt werden, und er darf in der Regel auch von Vertrauenspersonen angezeig~ werden. Diese Risiken und der Vertrauensbruch durch Anzeige von Seiten des Anstifters werden dem Täter nicht durch Recht erspart. Bei der Provokation könnte das Risiko allerdings vermieden werden. Der Grund, der nach der Tat die Anzeige rechtfertigt, auch wenn sie Vertrauen mißbraucht - die Strafverfolgung - , ist im Zeitpunkt der Provokation noch nicht gegeben. Deshalb ist denkbar, den Auffordernden im Interesse des Vertrauensschutzes zu verpflichten, den potentiellen Täter über die Risiken aufzuklären. Dabei ist zu berücksichtigen, daß es nicht immer der Provokateur ist, der durch Anzeige die Strafverfolgung in Gang bringt. Dies kann vielmehr auch ohne Zutun des Provokateurs geschehen, weil die Polizei, wie der Provokateur weiß, von sich aus am Tatort kontrolliert, weil das Tatopfer wachsam ist usw. Auch solche dem Provokateur bekannten Risiken zu offenbaren, könnte von der Aufklärungspflicht, sofern sie angenommen würde, im Interesse des Vertrauensschutzes umfaßt sein. Dies zu Ende gedacht, müßte auch der "normale" Anstifter im Interesse des Vertrauensschutzes verpflichtet sein, gegebenenfalls offenzulegen, ob er es für immerhin möglich hält, daß der Täter gefaßt wird. Ob solche Aufklärungspflicht allgemein bei jeder Aufforderung zu Straftaten angenommen werden kann, ist fraglich. Steht die Aufforderung nicht im Zusammenhang einer vorangegangenen Vertrauensbeziehung, so wäre allenfalls das Vertrauen zu schützen, das der Aufgeforderte dem Provokateur entgegenbringt, indem er ihm glaubt, daß er keine mit der Tat verbundenen Risiken verschweigt. Geschützt werden könnte dieses Vertrauen, wenn sein Schutz in einem rechtsgültigen Vertrag fixiert wäre. Man kann nun eventuell in der Aufforderung zum Delikt und deren Annahme eine Vereinbarung sehen, was insbesondere nahegelegt wird, wenn die Anstiftung als Unrechtspakt erklärt wird 14. Die Vereinbarung verstößt jedoch gegen die gesetzlichen Verbote der Teilnahmevorschriften des StGB und ist gemäß § 134 BGB rechtlich wirkungslos. Diese gesetzliche Entscheidung würde umgangen, wenn dennoch aus der De1iktsvereinbarung Rechtsfolgen abgeleitet würden. § 123 BGB führt zu keinem anderen Ergebnis. Danach ist zwar die arglistige Täuschung, die eine Willenserklärung veranIaßt, rechtswidrig 15. Damit wird das Vertrauen des Erklärenden geschützt, jedoch nur weil und soweit er an der Erklärung festgehalten werden kann, nicht wenn die Erklärung gemäß § 134 BGB keine Verbindlichkeit hat, weil sie ein Verhalten zusagt, das verboten ist. Daß G. Wallraff sich in die Redaktion der Bild-Zeitung einschlich, indem er über seine Identität und seine gegen die Zeitung gerichteten Absichten täuschte, 14 15

Vgl. Puppe, GA 1984, 101 ff. Bettermann, NJW 1981, 1065 f.

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1. Teil: Normative Schranken der Deliktsprovokation

haben BGH und BVerfG als rechtswidrig bewertet, weil W. beim Abschluß des Anstellungsvertrages nicht habe derart täuschen dürfen 16. Die gemäß Art. 5 Abs. 1 S. 2 GG zu schützende Vertraulichkeit der Redaktionsarbeit und die auf Benachteiligung gerichtete Absicht gäben dem Unrecht besonderes Gewicht. Hier wird also nicht Vertrauen als solches geschützt, sondern das Vertrauen beim Abschluß eines förmlichen Vertrages, wie das BVerfG betont, und dieser Schutz ist besonders wichtig, weil er Bedingung der Geheimhaltung der Redaktionsarbeit ist, die zu der in einem Spezialgrundrecht geschützten Pressefreiheit (nicht zum allgemeinen Persönlichkeitsrecht) gehört. Vertrauensschutz könnte demnach nur aus Beziehungen zwischen Provokateur und Provoziertem abgeleitet werden, die jenseits der Deliktsvereinbarung bestehen. Es kommt wieder auf die eventuell Vertrauen schützenden Sonderbeziehungen an, die das Gebot beinhalten können, den Vertrauenden nicht der Bestrafung auszusetzen. Die Relevanz von Sonderbeziehungen zeigt sich auch in der seit langem anerkannten Annahme, Rechte könnten verwirkt werden 17. Ihr ist das Problem der Provokation verwandt. Der Provokateur könnte, weil er Vertrauen erzeugt, zumindest gebraucht hat, das Recht, die Bestrafung des Vertrauenden zu fördern, verwirkt haben. Indessen wird auch die Verwirkung stets von spezifischen Vertrauenstatbeständen abhängig gemacht. Bevor sie näher bestimmt werden, ist noch zu berücksichtigen, daß nach dem Gesetz Vertrauen auch ohne Sonderbeziehung geschützt wird gegen besonders gefährliche Formen des Vertrauensbruchs. In §§ 201 f. StGB ist dieser Vertrauensschutz geknüpft an die objektive Seite, die Mittel des Vertrauensbruchs. Sie sollen hier außer acht bleiben, weil sie bei der Provokation nicht regelmäßig eingesetzt werden. Die Form des Vertrauensbruchs ist bei der Provokation aber in subjektiver Hinsicht qualifiziert.

d) Schädigungsabsicht und Zweckverfehlung als mögliche Gründe des Mißbrauchsverbots Das dem Provokateur bekannte Risiko, daß der Provozierte bestraft wird, verbirgt jener meist, weil es ihm auf die Bestrafung ankommt. Er beabsichtigt sie. Das ist ein Spezifikum der Provokation, das ihre Rechtswidrigkeit begründen könnte. Daß die Absicht für die Bewertung des Mißbrauchs relevant sein kann, zeigen u. a. die Art. 18 GG, §§ 241, 244 StPO (Verschleppungsabsicht), § 226 BGB. Für den Strafprozeß wird seit einiger Zeit gefordert, alle Beteiligtenrechte unter den Vorbehalt des Entzuges bei absichtsgeleitetem Mißbrauch zu stellen 18. Auch viele Tatbestände des StGB enthalten die Absicht als Kriterium. 16 BGH NJW 1981, 1089 (1091 ff.) = BGHZ 80, 25 ff.; dazu Bettermann, a.a.O.; BVerfG NJW 1984, 1741 (1743 f.). 17 Palandt / Heinrichs, § 242 Anm. 9. 18 Vgl. Rebmann, DRiZ 1979,363 (369); ders., NStZ 1984,241 (246).

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Dem Absichtskriterium wird einmal die Funktion zugeschrieben, den Unwert eines besonders gefährlichen Verhaltens zu erfassen 19. Die Gefahr von Schadenserfolgen erscheint besonders groß, wenn sie vom Täter nicht nur als Nebeneffekte hingenommen werden, sondern planmäßig um ihrer selbst willen angestrebt werden. So könnte das Absichtskriterium in der Auslegung des Art. 18 GG und in einem Teil der Absichtstatbestände des StGB verstanden werden, die ein nach äußeren Merkmalen bestimmtes rechtswidriges, schädliches Verhalten erfassen, das aber nur zum Teil oder in einem signifikanten Vorstadium objektiviert, im übrigen beabsichtigt sein muß (z. B. §§ 129 f., 242, 267). Die Absicht des privaten Provokateurs ist davon unterschieden. Was er anzielt, die Straftat des Provozierten und dessen Bestrafung, verletzt i. d. R. kein Recht des Provozierten. Dieser ist im Verhältnis zu Privaten für seine soziale Integration selbstverantwortlich. Zwar ist die Straftat rechtswidrig. Aber dieser Aspekt der Provokation wird schon durch die Bestrafung des Provozierten und eventuell des Provokateurs erledigt. Davon abgesehen haben die vom Provokateur beabsichtigten Erfolge keinen Unwert. Ihrer Gefährlichkeit wegen kann die absichtsgeleitete Provokation also nicht rechtswidrig sein. Der Provokateur instrumentalisiert das gewährte Vertrauen nicht nur zu nicht vom Provozierten konsentierten Zwecken mit negativen Nebenfolgen für diesen; vielmehr richtet sich der Zweck des Provokateurs unmittelbar gegen den Provozierten. Darin steckt eine besondere Feindseligkeit. Allerdings richtet sie sich wie erwähnt nicht gegen Rechte des Provozierten. Insofern ist sie im Nebeneinanderleben der Bürger grundSätzlich hinzunehmen. Die Auslegung des Art. 18 GG berücksichtigt zwar die feindliche Gesinnung der Handelnden, aber das Ziel der subjektiven Orientierung durchbricht das Recht. In einem Teil der Absichtstatbestände des StGB kann die Absicht als Gesinnungsmerkmal verstanden werden, das eine besondere Feindseligkeit berücksichtigt (z. B. §§ 211, 272). Dabei liegt jedoch allemal ein für sich schon rechtswidriges äußeres Verhalten zugrunde, das durch die feindliche Gesinnung nur näher bestimmt wird. Das Mittel der Feindlichkeit ist hier rechtswidrig. Daß Feindlichkeit per se Unrecht begründe, läßt sich aus den Regelungen des positiven Rechts nicht erschließen. Dementsprechend hat das BVerfG im Fall Wallraff die Absicht, erschlichene Informationen gegen die davon Betroffenen zu verwenden, nicht als Begründung des Unrechts des Erschleichens gewertet, sondern als Qualifikation dieses Unrechts 20 • Die gegen den Provozierten gerichtete Absicht des Provokateurs könnte schließlich deshalb Unrecht begründen, weil sie eine besonders krasse Zweckwidrigkeit enthält. Damit würde an die eingangs dargestellte Struktur des Mißbrauchs angeknüpft. Er ist anstößig, weil ein äußerlich konformes Verhalten einer implizi19 Jakobs, Strafrecht AT, 8/38 f.; anders Lencker, NJW 1967, 1890 (1893), wonach die Gefährlichkeit nicht geringer sei, wenn der Schaden als sichere Nebenfolge vorausgesehen wird. 20 BVerfG NJW 1984, 1741 (1742, 1744).

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1. Teil: Nonnative Schranken der Deliktsprovokation

ten Zwecksetzung widerspricht. Der Provokateur gebraucht das ihm gewährte Vertrauen anders als vom Provozierten bezweckt. Besonders kraß weicht er vom Zweck des Provozierten ab, weil er sich mit seinem eigenen Zweck ausschließlich und gezielt gegen den Provozierten richtet; er verfolgt nicht andere billigenswerte Zwecke, die die Beeinträchtigung des Provozierten noch legitimieren könnten. Der Mißbrauch enthielte demnach ein Mißverhältnis, einen krassen Verstoß gegen den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz 21. Solche Erwägungen dürften dem Mißbrauchsverbot des § 226 BGB zugrunde liegen, das auf die Schädigungsabsicht abstellt. Auch die Mißbrauchsverbote der StPO gehören in diesen Zusammenhang. Ein Teil derjenigen dogmatischen Konstruktionen, die bei absichtlicher Notwehrprovokation die Rechtfertigung ausschließen, beruht ebenfalls auf dem erwähnten Mißbrauchsverständnis: Zweck des Notwehrrechts ist u. a. die Verteidigung des Angegriffenen. Er wird kraß verfehlt, wenn der Angegriffene nur die Schädigung des Angreifers bezweckt 22. Allerdings wird diese Konstruktion zunehmend kritisch beurteilt, weil sie das Recht unter einen materialen Vorbehalt stellt 23 • Aber auch, wenn man diesen Schritt der Materialisierung mitmacht, ist noch keine Bestätigung derjenigen materialisierenden Konstruktion erreicht, die erforderlich wäre, um die Rechtswidrigkeit der mißbräuchlichen Deliktsprovokation zu begründen. Auch die zuvor erwähnten Mißbrauchsregelungen bestätigen genau genommmen die Rechtswidrigkeit der Deliktsprovokation nicht. Die herkömmlichen Mißbrauchsregelungen und ebenso die These vom Notwehrmißbrauch beziehen sich auf nach dem Gesetz inhaltlich spezifizierte Rechte (auf Verteidigung in Not, auf Beweiserhebung und Befragung im Prozeß). In Art. 18 GG sind die zu mißbrauchenden Rechte enumerativ zusammengestellt. Art. 2 Abs. 1 GG gehört nicht dazu. Auch § 226 BGB betrifft nur gesetzlich oder vertraglich spezifizierte Rechte 24. Deren Zweck kann einigermaßen stringent aus dem Gesetz erschlossen werden. Deshalb kann auch noch relativ deutlich bestimmt werden, ob der Zweck des das Recht Ausübenden davon abweicht. Der Provokateur nimmt gegenüber dem Provozierten nur das allgemeine Freiheitsrecht (Art. 2 Abs. 1 GG) wahr, wenn er provoziert. (Daß sein Verhalten u. U. gemäß §§.26 f. StGB rechtswidrig ist, kann hier wieder außer acht bleiben; es geht um das rechtliche Verhältnis zum Provozierten.) Das Freiheitsrecht ist nicht gesetzlich spezifiziert. Sein Zweck kann nicht verfehlt werden. Verfehlt wird der Zweck des vom Provozierten ohne vertragliche Festlegung gewährten Vertrauens. Sollte deshalb der Mißbrauch des Provokateurs rechtswidrig sein, so wäre eine doppelte Materialisierung und Subjektivierung des Rechts erforder21 Zu dieser Deutung des Mißbrauchsverbots bei der Notwehrprovokation vgl. Montenbruck, Thesen zur Notwehr, S. 48; allgemein zu dieser Deutung des Mißbrauchsverbots Preuß, Internalisierung des Subjekts, S. 221 f. 22 Vgl. Lenckner in Schönke / Schröder, § 32 Rn 55 ff.; Schröder, IR 1962, 187 (188). 23 Vgl. Baumann / Weber, Strafrecht AT, § 21 13 b); Hassemer, Festschrift für Bokkelmann, S. 225 ff. 24 s. o. 1. Teil BIllAnm. 10.

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lich. Nicht nur müßte der subjektive Zweck eines sein Recht Ausübenden geprüft werden auf seine Konformität mit dem (angeblichen) Zweck des Rechts. Vielmehr wäre der dem ausgeübten Recht vorzuordnende Zweck auch nicht dem Recht, sondern der informellen Erwartung eines Privaten zu entnehmen. Die Freiheit allgemein würde unter den Vorbehalt der Konformität zu impliziten privaten Erwartungen gestellt. Das ist nicht in Analogie zu den erwähnten Mißbrauchsregeln des positiven Rechts zu begründen. Auch eine Analogie zur Verwirkung kann nicht begründen, daß Freiheitsausübung allgemein unter Mißbrauchsvorbehalt steht. Bei der Verwirkung wird zwar das informell gebliebene Vertrauen eines Verpflichteten geschützt, aber nur in inhaltlich spezifizierten Rechtsverhältnissen. Nun mag es paradox erscheinen, der allgemeinen Handlungsfreiheit eine Restriktion zu ersparen, die gesetzlich oder vertraglich spezifizierten Rechten auferlegt wird; denn letztere haben für ihre Inhaber mehr Bedeutung; deshalb sind sie spezifizierend von der allgemeinen Handlungsfreiheit abgehoben. Folglich scheint die allgemeine Handlungsfreiheit Restriktionen wie dem Mißbrauchsvorbehalt eher zugänglich zu sein. Dem ist nicht so. Der Mißbrauchsvorbehalt setzt nur bei besonderen Rechten ein, weil diese mit einer besonderen Pflicht verknüpft werden. Im einzelnen: Prämisse der Feststellung, eine Freiheit sei mißbraucht worden, ist die Vorstellung, die Freiheitsausübung stehe unter einer vorgegebenen Bindung, sie sei ungeachtet ihrer rechtlichen Grenzen an die Erwartung eines anderen oder der Allgemeinheit gebunden, die durch den Mißbrauch gebrochen wird, auch wenn die Grenzen des positiven Rechts gewahrt werden. Das subjektive Recht wird in ein Rechtsverhältnis eingebunden. So wird in Art. 18 GG einzelnen Grundrechten der Verfassung die freiheitlich demokratische Grundordnung vorgeordnet. Die Relativierung der subjektiven Rechte des Strafverteidigers wurde abgeleitet aus der ihn übergreifenden Rechtspflege, deren Organ er seil5 • Im Verwaltungsund Sozialrecht wird, um die exzessive Ausübung subjektiver Rechte zu bändigen, ein Verwaltungs- und Sozialrechtsverhältnis über dieselben gestülpt 26 • Das subjektive Notwehrrecht wird dem Verteidiger beschnitten, weil er auch die Geltung des objektiven Rechts zu wahren habe, was er bei der absichtlichen Provokation verfehle 27 • Allemal wird das subjektive Recht institutionell verstanden als Element einer objektiven verpflichtenden Ordnung. Mit dem Recht entsteht Pflicht. Damit wird nicht nur der vom Inhaber des subjektiven Rechts in Anspruch genommene Anspruchsgegner vor Mißbrauch geschützt, sondern auch ein Teilbereich der Gesellschaft stabilisiert 28 • Denn wieweit jemand in seinem Vertrauen Vgl. Roxin, Strafverfahrensrecht, § 19 D I. Vgl. Bachof, VVDStRL 30 (1972), 193 (231 ff.); Sterzei, KJ 1986, 117 (121 ff.); zur Problematik des Verwaltungsrechtsverhältnisses s. a. Faber, Verwaltungsrecht, S. 43. 27 Lenckner, a.a.O., Rn 56; Stratenwerth, Strafrecht AT, Rn 436. 25

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1. Teil: Nonnative Schranken der Deliktsprovokation

vor Mißbrauch geschützt werden soll, muß in bezug auf bestimmte soziale Verhältnisse ermittelt werden. In diese werden der Inhaber des subjektiven Rechts und der davon Verpflichtete durch das Mißbrauchsverbot eingefügt. So sollen die subjektiven Rechte des Angeklagten, auch wo sie nicht begrenzt sind, sich der Ordnung der Funktionsfähigkeit der Strafrechtspflege fügen 29. Solange solche Institutionalisierung subjektiver Rechte ausgeht von inhaltlich spezifizierten subjektiven Rechten, erfaßt sie bestimmte Teilbereiche des sozialen Lebens der einzelnen - etwa den Strafprozeß, die Religionsausübung etc. - , nicht das Ganze.

Luhmann 30 hat gezeigt, daß im Kontext der Institutionalisierung subjektiver Rechte Freiheit der einzelnen gerade dadurch gesichert wird, daß Teilbereiche des sozialen Lebens gesondert institutionalisiert werden. Das religiöse Bekenntnis wird dann nicht im Strafverfahren, das Sexualverhalten nicht im Arbeitsbetrieb berücksichtigt. Freiheit wird durch Rollendifferenzierung gewahrt. Die einheitliche Institutionalisierung der ganzen Gesellschaft wäre nach diesem Konzept totalitär, würde Freiheit autbeben. Die Freiheitswahrung durch Differenzierung setzt freilich voraus, daß Teilbereiche als unterschiedene bestehen. Um den Bestand ihrer Unterschiedlichkeit zu wahren, werden die Pflichten der einzelnen in verschiedenen Teilbereichen je unterschiedlich bestimmt im Hinblick auf die Spezifik des jeweiligen Teilbereichs. Der institutionalisierte Vertrauensschutz muß demnach ebenfalls nach sozialen Teilbereichen differenziert bestimmt werden. Da die einzelnen inhaltlich spezifizierten subjektiven Rechte auf je spezifische soziale Teilbereiche bezogen sind, können sie unter institutionelle Mißbrauchsvorbehalte gestellt werden, in denen je unterschiedlich die Bedürfnisse des Teilbereichs nach Vertrauens schutz berücksichtigt werden (sofern überhaupt die Institutionalisierung subjektiver Rechte akzeptiert wird). - Kurz: Das inhaltlich bestimmte Recht läßt den Schluß auf eine bestimmte, d. h. begrenzte Verpflichtung zu. Die allgemeine Handlungsfreiheit ist in ihrer positivrechtlichen Fassung nicht auf spezifische Teilbereiche der Gesellschaft bezogen. Aus ihr kann nicht auf spezifische Pflichten geschlossen werden. Es könnte aus ihr nur auf eine allumfassende, nicht gesetzlich begründete Vertrauensbindung geschlossen werden, womit die Verhältnisse der Bürger komplett verrechtlicht wären und die gesetzlich garantierte Handlungsfreiheit selbst prinzipiell aufgehoben wäre. Deshalb wurde die allgemeine Handlungsfreiheit gedeutet als Gebot, die Verschiedenheit der Rollen des einzelnen zu achten, ihn nicht hoheitlich ohne weiteres zu identifizieren 31. Daraus wurde das erwähnte Recht auf informationelle Selbstbestimmung entwickelt. 28 Luhmann, Grundrechte als Institution, S. 79 f.; zu institutionellen Garantenpflichten im Strafrecht ebenso Jakobs, Strafrecht AT, 29/58. 29 BVerfG 57, 250 (285). 30 Grundrechte als Institution, S. 53 ff., 79 ff.; ders., Politische Planung, S. 59 ff.

B. Allgemeines Persönlichkeitsrecht und Deliktsprovokation

III

Unter Wahrung der sozialen Differenziertheit ist es freilich nicht ausgeschlossen, auch der herkömmlich verstandenen allgemeinen Handlungsfreiheit im Verhältnis zwischen Bürgern gemäß §§ 242, 826 BGB Treuebindungen aufzuerlegen. Diese ergeben sich aber nicht aus Vertrauen per se, das so diffus und allgemein ist wie die Handlungsfreiheit. Sie werden entwickelt aus der Spezifik einzelner Verhältnisse, sozialer Teilbereiche, in denen die Handlungsfreiheit ausgeübt wird und die ihr soziale Rollen vorgeben. Im materiellen Strafrecht ist dies in Gestalt der Garantenpflichten anerkannt. Rechtliche Vertrauensbindung setzt dann voraus, daß für den Bestand eines Teilbereichs das in Anspruch genommene Vertrauen besonders wichtig ist. - Nach allem kann das Kriterium des Vertrauensmißbrauchs in der Absicht, den Vertrauenden der Bestrafung auszusetzen, wiederum nur in Sonderbeziehungen relevant sein.

e) Mißbrauchsverbot in Sonderverhältnissen Beziehungen (Beispiel: Eltern / Kind), in denen aufgrund rechtlicher Fixierung der eine die allgemeine Sozialisation des anderen positiv fürsorglich fördern soll, beinhalten auch, daß der Verpflichtete die Interessen des zu Betreuenden verfolgt, also auch das Risiko des Vertrauens dem zu Betreuenden in bestimmtem Maß abnimmt. Dann dürfte es rechtlich aber im allgemeinen nicht auf die Schädigungsabsicht ankommen. Der Verpflichtete hat auch Schäden als Nebenfolge eigener Zwecke zu vermeiden 32. Hier darf also der Sorgepflichtige dem zu Betreuenden nicht das Risiko der Bestrafung verschleiern. Vorrangig ist allerdings das Gebot, die Abhängigkeit des zu Betreuenden schon nicht zur Stimulation zu Straftaten zu mißbrauchen. Bei Treueverhältnissen zwischen verantwortlich Handelnden ist es jedoch möglich, daß die Anstiftung per se noch kein subjektives Recht verletzt, weil der Adressat den damit evtl. verbundenen Vertrauensbruch selbst zu bewältigen hat. Ein subjektives Recht ist dann erst verletzt, wenn der Anstifter dem Adressaten die nachteiligen Konsequenzen der angestifteten Tat verschleiert. Daß diese Differenzierung rechtlich möglich und sinnvoll ist, wurde im Zusammenhang des Schutzes vor Desintegration gezeigt. In Treueverhältnissen kann also ein Täuschungsverbot hinsichtlich drohender Schäden gelten und der Deliktsprovokation entgegenstehen. In Sonderbeziehungen, deren Gegenstand nicht die umfassende Fürsorge oder Treue, sondern der Austausch von Geld, Waren oder Arbeitskraft ist, dürfte der absichtsgeleitete Vertrauensbruch nur ausnahmsweise rechtlich relevant sein, denn in solchen Beziehungen verfolgt legitimerweise jeder sein eigenes Interesse. Allerdings kann über den vereinbarten Austausch hinaus Vertrauen geschützt werden gemäß § 242 BGB. Wenn etwa der eine Vertragspartner dem anderen 31 32

Luhmann, Grundrechte, a.a.O. Palandt / Heinrichs, § 242 Anm. 4 Ca), e).

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1. Teil: Nonnative Schranken der Deliktsprovokation

die Leistung unmöglich macht, soll dies wegen widersprüchlichen oder mißbräuchlichen Verhaltens, d. h. wegen Vertrauensmißbrauchs rechtswidrig sein 33 • Demnach handelt wohl auch der Arbeitgeber rechtswidrig, der seinen Angestellten zum Betrugsversuch zu Lasten des Betriebes stimuliert, um einen Kündigungsgrund zu schaffen. Auch hier ist aber nach h. M. die Absicht, zu schädigen nicht entscheidend 34. Der rechtliche Vertrauens schutz in den vorangegangenen Beispielen war zwar nicht stets im Gesetz oder im Vertrag fixiert. Er konnte aber an solche Festlegungen durch deren erweiternde Auslegung geknüpft werden. Es fragt sich, ob Vertrauen rechtlich auch geschützt werden kann, wenn es sich in informellen Sonderverhältnissen bildete, wie in dem Liebesverhältnis des bekannten, vom Amtsgericht Heidenheim entschiedenen Provokationsfalles 35 • - Im Interesse des erweiterten Persönlichkeitsschutzes wird auch bei informellen Sonderbeziehungen der rechtliche Schutz von Vertrauen nicht auszuschließen sein, wie z. B. die zivilrechtliche culpa in contrahendo zeigt. Weil aber die Bürger das Risiko ihres Vertrauens grundsätzlich selbst zu tragen haben, kann nicht jede engere Beziehung rechtlichen Vertrauens schutz erhalten. Wenn Bürger ihrer Beziehung freiwillig nicht die Rechtsform geben, dürfen sie nicht ohne weiteres gemäß der Rechtsform geschützt und verpflichtet werden. Andernfalls würde auch auf eine sozial wichtige Wirkung des Rechts verzichtet; verbindliche Unterscheidungen und Selbstbestimmung zu ermöglichen. Ob ein reines Liebesverhältnis Vertrauen begründet, läßt sich bezweifeln, solange die Liebenden sich nicht auf die Rechtsform der Ehe eingelassen haben oder zumindest einlassen wollten. Hier könnte abgewandelt eine Formulierung Flumes 36 zutreffen: Wer sein Verhältnis nicht dem Recht unterstellt, sondern der Liebe, dem hilft das Recht auch nicht. Allerdings könnte der rechtliche Vertrauensschutz gemäß der Sphärentheorie gestützt werden auf die Intimität des Liebesverhältnisses. Zuvor ist zu bemerken, daß im Heidenheimer Fall die von dem verführerischen Provokateur vertrauensmißbräuchlich weitergegebenen Informationen nicht Gegenstände betrafen, die ihrer Art wegen nach der Sphärentheorie der zu schützenden Intimsphäre zugeordnet werden und insofern Vertrauensschutz begründen, denn das Begehen einer Straftat gehört meist nicht zur Intimsphäre. Relevant ist im Heidenheimer Fall vielmehr, daß die Frau auf die Provokation einging, weil sie den Provokateur liebte, und deshalb - vermutlich - vertraute, daß er keine böse Absicht habe. Dieses Verhältnis kann man als intim bezeichnen. Es wurde hier aber nicht von außen gestört wie etwa im Fall des Belauschens eines ehelichen Gesprächs, sondern durch einen Beteiligten des Verhältnisses. Die Liebe würde nun erheblich entwertet, wenn den Liebenden 33 34 35

36

Palandt / Heinrichs, a.a.O.; Lehmann / Hübner § 15 I 2 b), c). Palandt / Heinrichs, a.a.O. NJW 1981, 1628.

Allgemeiner Teil des bürgerlichen Rechts 11, Das Rechtsgeschäft, § 15 III 4 c) bb).

B. Allgemeines Persönlichkeitsrecht und Deliktsprovokation

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das Risiko der Enttäuschung rechtlich abgenommen würde. Würde dem Geliebten rechtlich verboten, die Liebende zu enttäuschen, so verhielte er sich erwartungsgemäß nicht aus Freiheit, sondern aus Rechtspflicht. Es gäbe wenig Grund, ihn dafür wieder zu lieben. Um den Grund zu erhalten, sollte das Risiko des Vertrauens nicht rechtlich beseitigt werden. Auch, daß der Geliebte das Verhältnis mit bösen Absichten eingeht, sollte zu dem zu tragenden Risiko gehören. Anders mag zu entscheiden sein, wenn zwischen den Beteiligten eine erhebliche Machtdifferenz besteht. f) Soziales Vertrauen und bürokratische Generalisierung

Für Dencker 37 ist das Verbot der Deliktsprovokation weniger begründet ifu Bruch des Vertrauens der einzelnen, als in sozialen und präventiven Zusammenhängen. Die "handlungsnotwendige Unbefangenheit" gehe verloren, wenn man ständig mit Methoden wie der durch erotische Verführung ermöglichten Deliktsprovokation rechnen müßte. Damit werde das allgemeine Grundvertrauen zerstört. Damit ist das zweite der oben (11.5.) dargestellten Kriterien für die Ausweitung des Persönlichkeitsschutzes thematisiert: die Gefahr der Generalisierung. - Abstrakt ist die Möglichkeit des Vertrauensmißbrauchs stets gegeben. Sie gehört, wie ausgeführt, zum Vertrauen. Dieses normale Maß an Generalisierungsmöglichkeit könnte Anlaß zum Verbot des Vertrauensmißbrauchs sein, wenn der Gegenstand des Vertrauens besonderen Schutzes bedürfte. Gegenstand ist im Zusammenhang der Provokation einmal die soziale Integration. Daß sie zwischen Bürgern im allgemeinen nicht rechtlich zu schützen ist, wurde gezeigt. Auch besonders intimen Verhältnissen, wie dem zuvor erörterten, ist es nicht angemessen, das Vertrauensrisiko rechtlich auszuschließen, soweit nicht die Beteiligten selbstverantwortlich sich die rechtlichen Schranken auferlegt haben. Es müßte also eine qualifizierte Gefahr der Generalisierung des in der Deliktsprovokation enthaltenen Vertrauensmißbrauchs bestehen, wenn der rechtliche Schutz des sozialen Vertrauens begründet werden soll. Das ist anzunehmen, wenn die Deliktsprovokation geeignetes Mittel ist für Zwecke, die zum festgelegten Programm eines Unternehmens oder einer Bürokratie gehören, welche bei ihrer Zweckverfolgung eine große Zahl von Menschen beeinflussen. Wenn ein Unternehmen oder eine Bürokratie nach ihrem Programm einen festgelegten Zweck haben, so ist wahrscheinlich, daß sie ihn regelmäßig (und nicht nur gelegentlich, wie es bei freien Individuen zu vermuten ist) verfolgen. Wenn die Deliktsprovokation für die Verwirklichung des Zweckes ein geeignetes Mittel ist, ist wahrscheinlich, daß (von rechtlichen Restriktionen abgesehen) die Provokation regelmäßig eingesetzt wird. Daß diese Kriterien erfüllt sind beim Handeln von privaten Sicherheitsdiensten, ist zu erwägen. Bevor das bejaht wird, müßte aber die tatsächliche soziale 37

Festschrift für Dünnebier, S. 447 (456 f.).

8 Keller

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1. Teil: Normative Schranken der Deliktsprovokation

Reichweite dieser Dienste genauer festgestellt werden. Immerhin ist ihr Kontrollinteresse meist strikt begrenzt durch ökonomische Rentabilität. Daran sind die staatlichen Bürokratien weniger gebunden. Durch ihr Handeln jedenfalls werden die genannten Kriterien erfüllt. Denn die staatlichen Bürokratien sind auf öffentliche, d. h. allgemeine Zwecke, insbesondere auf den Schutz von öffentlicher (allgemeiner) Sicherheit programmiert. Dafür ist, wie Polizei und Verfassungsschutzämter verlautbaren, die Deliktsprovokation ein (technisch) geeignetes Mittel. Diese Bürokratien sind weiter darauf programmiert, zweckrational und gleichmäßig zu handeln. Die Orientierung an allgemeinen Standards, die Generalisierung, ist ihre raison d'etre. Würde ihnen das Mittel der Deliktsprovokation rechtlich zur Verfügung gestellt, so würde es verallgemeinert. Dadurch könnte, wie Dencker ausführt, das soziale Handeln der Bürger in ähnlicher Weise unter psychischen Druck geraten, wie das BVerfG es hinsichtlich der Möglichkeiten der Informationstechnik in staatlicher Hand angenommen hat. Dementsprechend ist auch gegenüber der staatlichen Deliktsprovokation das allgemeine Persönlichkeitsrecht auszuweiten, so daß diese Provokation als Eingriff ins Persönlichkeitsrecht zu bewerten ist. Da dieser Bewertung zugrunde liegt die Eigenart jedes staatlichen Handeins, generalisierend das soziale Leben zu beeinflussen, kommt es für die Feststellung eines Eingriffs nicht darauf an, ob im Einzelfall eine Intimsphäre betroffen ist 38 • Dies kann nur zusätzlich ins Gewicht fallen. Erfüllt werden die genannten Kriterien des Schutzes sozialen Vertrauens gegen Deliktsprovokation auch von privaten Sicherheitsdiensten und Detektiven, die als Verlängerung staatlicher Instanzen, z. B. der Verfassungsschutzämter, arbeiten, denn die Privaten sind dann ebenso wie die Ämter auf den mit optimalen Mitteln zu realisierenden Zweck der allgemeinen öffentlichen Sicherheit programmiert. Im übrigen ergibt sich die staatsgleiche Bindung der staatlich beauftragten Sicherheitsdienste aus dem erwähnten Grundsatz, daß der Staat sich durch Einschaltung Privater nicht seinen Bindungen entziehen darf. Sieht man vom Verhältnis Bürger / Staat ab, so ergibt sich das Fazit: Im Verhältnis zwischen Bürgern ist das Vertrauen ebenso wie die soziale Integration gegen Deliktsprovokation nur geschützt, wenn ein Sonderverhältnis besteht oder sofern der Vertrauen Mißbrauchende in staatlichem Auftrag handelt.

2. Vertrauensschutz im Verhältnis zum Staat In diesem Verhältnis muß der Vertrauensschutz, der zum allgemeinen Persönlichkeitsrecht gehört, erweitert werden, so daß er der Deliktsprovokation entgegensteht. Das ergibt sich einmal aus den vorangegangenen Ausführungen zum Schutz des sozialen Vertrauens. Es ergibt sich weiter aus der Begründung, die 38

Anders Schumann, JZ 1966, 66 (68 Anm. 26).

B. Allgemeines Persönlichkeitsrecht und Deliktsprovokation

115

zum Schutz vor sozialer Desintegration durch staatliche Deliktsprovokation dargestellt wurde. Daß jeder die Enttäuschung seines aus Freiheit gewährten Vertrauens selbst zu verantworten habe, kann nicht mehr angenommen werden, wenn der Staat die Prämisse der Selbstverantwortung - seine herkömmlichen rechtsstaatlichen Grenzen - programmatisch präventiv überschreitet. Die Deliktsprovokation gehört zur präventiven Staatstätigkeit. Weil sie das rechtlich geschützte Vertrauen beeinträchtigt, ist sie unzulässig, sofern sie nicht gesetzlich begründet und verhältnismäßig ist. Im Rahmen der diesbezüglichen Abwägung dürfte es z. B. nicht zu legitimieren sein, daß die Liebe eines Menschen benutzt wird, um ihn zu Straftaten zu provozieren und dadurch die Gefahr minderer Drogendelikte abzuwenden. I. Puppe 39 meint, "daß das Vertrauen des Angestifteten darauf, daß der Anstifter selbst kriminelle Ziele verfolgt (... ), keinen Schutz der Rechtsordnung verdient". - Solches Vertrauen zu schützen, wäre so abwegig nicht. Rechtswidrige Positionen werden zuweilen sogar durch Strafrecht geschützt. Der Dieb kann bestohlen, betrogen, erpresst werden. Vor allem aber ist das von Puppe genannte Vertrauen beim Verbot der Deliktsprovokation gar nicht Gegenstand des Schutzes, sondern das Vertrauen des Provozierten, daß er vom Anstifter nicht der Strafverfolgung ausgesetzt wird. Auch dieses Vertrauen, meint jedoch Puppe, sei nicht schutzwürdig. Daß das im Zusammenhang präventiv-staatlicher Tätigkeit anders sein kann, wurde im Vorangegangenen zu begründen versucht. - Wieso die Rechtsordnung "sich mit sich selbst in Widerspruch setzen" würde, "wenn sie einen Schutz vor Täuschung demjenigen gewähren würde, der im Begriff ist, sich gegen sie zu entscheiden", ist nicht erkennbar, wenn man einmal das hier ventilierte Tabu (der Verbrecher steht jenseits des Rechts etc.) beiseite läßt. Man mag es anstößig finden, dem Anstifter unter bestimmten Bedingungen Aufklärungspflichten hinsichtlich des Risikos der Bestrafung aufzuerlegen. Vollends anstößig müßte dann aber sein, daß ein Rechtsstaat selbst Verbrechen anstiftet. Im übrigen geht es beim Verbot der vertrauensmißbräuchlichen Provokation nicht isoliert um die genannten Aufklärungspflichten, sondern um das allgemeine Verbot, das Vertrauen eines anderen, daß er nicht strafbar gemacht werde, zu mißbrauchen.

Der hier dargestellte Vertrauensschutz ist Teil des allgemeinen Persönlichkeitsrechts, das in Art. 1 Abs. 1 GG begründet ist. Deshalb trifft diesen Vertrauensschutz nicht der in der Diskussion um die Strafbarkeit oder Verfolgbarkeit des Provozierten verbreitete Einwand, zivilrechtlicher Vertrauensschutz - z. B.der Verwirkungsgrundsatz, das Verbot des venire contra factum proprium - dürfe nicht auf das strafrechtliche Verhältnis Bürger / Staat übertragen werden 40. NStZ 1986,404 (405); ähnlich Schumann, JZ 1986,66 (67). BGHSt 32, 345 (353. Daß dieser Einwand seinerseits problematisch ist, wurde oben, 1. Teil B III Anm. 19 gezeigt. Im übrigen ist es erstaunlich, daß dieser Einwand auch vom BGH geltend gemacht wird, der präventive staatliche Eingriffe in die bürgerliche Freiheit auf § 34 StGB stützt, vgl. BGHSt 27,260 (263 ff.); einschränkend BGHSt 31, 304 (307). Wenn schon die Differenz des Verhältnisses zwischen Bürgern zum 39

40

g.

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1. Teil: Nonnative Schranken der Deliktsprovokation

Der Vertrauens schutz bei präventiver Staatstätigkeit beinhaltet ein Täuschungsverbot. Demgegenüber meint I. Puppe 41 , Täuschung sei ein allgemein erlaubtes Verhalten. Wie Bürgern sei es auch dem Staat erlaubt. Bei § 136a StPO sei nur eine solche Täuschung verboten, die die Freiheit in dem Zwang vergleichbarer Weise einschränke. Dem Provozierten werden i. d. R. keine drohenden Nachteile für den Fall vorgespiegelt, daß er der Provokation nicht folgt. Wegen der allgemeinen Täuschungserlaubnis wäre also Vertrauen bei der Provokation nicht zu schützen. - Von der nicht unproblematischen Auslegung des § 136a StPO abgesehen, ist richtig, daß zwischen Bürgern die Täuschung, d. h. der Vertrauensbruch, nicht per se verboten ist. Hier hat im allgemeinen jeder sein Vertrauen selbst zu verantworten. Daraus folgt aber nichts für das Verhältnis Bürger / Staat. Anderenfalls wäre in entsprechender Weise aus der Freiheit des Bürgers, ein Verbrechen willkürlich nicht anzuzeigen, auch zu folgern, der Staatsanwalt könne das Verbrechen willkürlich unverfolgt lassen; auch habe der Staat, wie Bürger, die Bekenntnisfreiheit (Art. 4 GG) etc. Solche Parallelisierungen verfehlen die verfassungsrechtliche Besonderheit des Staates. Der Grund für das an den Staat gerichtete Verbot, bei Provokationen Vertrauen zu mißbrauchen, wurde oben dargestellt. Neuerdings nimmt denn auch Puppe ein Täuschungsverbot an, allerdings nur für den Fall, daß der Staat dem Bürger als Hoheitsträger entgegentritt 42 • Daß der Staat sich seinen Bindungen nicht dadurch entziehen kann, daß er als .privater auftritt, ist im öffentlichen Recht unstreitig. Es wird auch als Täuschung i. S. des § 136a StPO bewertet, wenn jemandem verschleiert wird, daß er behördlich vernommen wird 43 •

3. § 136a StPO Im Ergebnis enthält der aus dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht begründete Vertrauensschutz für die Situation der Deliktsprovokation seitens des Staates ein Täuschungsverbot. Bei strafprozessualen Vernehmungen gilt das Täuschungsverbot des § 136a StPO. Es läßt sich als spezielle Ausformung des allgemeinen Vertrauensschutzes gegenüber staatlichen Maßnahmen verstehen: Bei Vernehmungen im Strafprozeß kann sich der Bürger darauf verlassen, daß er vom vernehmenden Beamten nicht hinters Licht geführt wird. Da nun der Verhältnis Bürger / Staat relevant sein soll, dann müßte die Anwendung des § 34 StGB auf ersteres beschränkt werden. Und umgekehrt: Wenn hinsichtlich der Eingriffsbegründung der Staat den Bürgern gleichgestellt wird, dann sollte hinsichtlich des begrenzenden Vertrauensschutzes nicht die Besonderheit des Staates betont werden. 41 GA 1978,289 (300); ihr folgend Schumann, JZ 1986,66 (67). 42 NStZ 1986,404 (405). 43 Alsberg / Nüse / Meyer, Der Beweisantrag im Strafprozeß, S. 482. Nach Puppe, GA 1978, 289 (305 f.), wäre dies wohl gemäß § 136 StPO verboten und unverwertbar. In Puppes Ausführungen zur Provokation (NStZ 1986,404 ff.) taucht diese Konstruktion nicht auf.

B. Allgemeines Persänlichkeitsrecht und Deliktsprovokation

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allgemeine Vertrauensschutz wie gezeigt auch gegenüber staatlichen Deliktsprovokationen gilt, verliert die viel diskutierte Frage an Relevanz, ob § 136a StPO (unmittelbar oder analog) auf die mit der Provokation verbundene Täuschung anzuwenden ist 44 • Erheblich ist die Frage gleichwohl, denn in § 136a StPO ist explizit ein Verwertungsverbot angeordnet.

a) Beschuldigter, Zeuge und Vorstadium des Strafprozesses § 136a StPO schützt Beschuldigte und Zeugen (§ 69 StPO). Daß die Provokation einen Beschuldigten trifft, ist kaum zu bezweifeln im folgenden Fall: Jemand wird zu einer Straftat provoziert, um bei deren Beobachtung seine Tatwerkzeuge zu finden, die beweisen sollen, daß er die vergangene Tat, deren er unter den Voraussetzungen des § 152 Abs. 2 StPO verdächtigt wird, begangen hat 45 • Auch als Zeuge kann jemand betroffen sein, z. B. wenn er provoziert wird, um seine Glaubwürdigkeit zu erschüttern 46. Zumeist sind Provokationen jedoch präventiv orientiert. Dann ist zweifelhaft, ob sie Beschuldigte oder Zeugen treffen. Beispiel: Die Polizei vermutet, daß in einer Szene der organisierten Kriminalität Straftaten begangen werden (sich "in Gang" befinden); um die vermuteten Akteure bestrafen zu lassen, will sie eine gemeinschaftliche Tat unter Kontrolle bringen; deshalb provoziert sie einen der Akteure, so daß die gemeinschaftliche Tat begangen wird 47. Oder: Eine als gefährlich eingeschätzte Szene soll durch V-Leute kontrolliert werden, die Vertrauen erwerben, indem sie Straftaten provozieren. In beiden Fällen mag der Provozierte im Zeitpunkt der Provokation (auch) einer vergangenen Tat verdächtigt und insofern Beschuldigter sein. Das ist für die Frage der Anwendung des § 136a StPO auf die erwähnten Provokationen irrelevant, denn diese sollen nicht den Verdacht der vergangenen Tat klären, treffen den Provozierten also nicht in der Eigenschaft des wegen der vergangenen Tat Beschuldigten. Sie treffen ihn in der Eigenschaft des künftig zu Beschuldigenden.

Für die von Lüderssen u.a. 48 vertretene Anwendung des § 136a StPO auf derartige Fälle spricht die Funktion der Provokation; sie soll die Strafverfolgung 44 Bejahend Lüderssen, Festschrift für Peters, S. 349 (363); ders., Borniertheit, Zynismus oder Sachzwang? In: ders. (Hg.), V-Leute. Die Falle im Rechtsstaat, S. 16 f., 42 f.; Strafgericht Basel-Stadt, JZ 1986, 103 f.; Franzheim, NJW 1979, 2014 f.; Mache, Die Zulässigkeit des Einsatzes von agents provocateurs und die Verwertbarkeit der Ergebnisse im Strafprozeß, S. 48 ff.; Voller, Der Staat als Urheber von Straftaten, S. 73 ff.; Berz, JuS 1982,416 (419) will den Rechtsgedanken des § 136a StPO anwenden. Gegen die Anwendung des § 1236a StPO: KK- Boujong § 136a Rn 26; Kleinknecht / Meyer §136a Rn 8; Puppe, NStZ 1986, 404 f.; Schumann, JZ 1986, 66 (67); skeptisch: BGHSt 32, 345 (355). 45 Entsprechende Fälle behandeln BGH GA 1981, 89 f. (dazu unten bei Anm. 54); BVerfG StrVert 1985, 177 ff. m. Anm. Lüderssen. 46 Lüderssen, Festschrift für Peters, S. 349 (357). 47 Derart dürften die von BGH StrVert 1985,309 (310 f.) und BGH NJW 1986, 1764, zugelassenen Provokationen ausgestaltet sein.

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1. Teil: Nonnative Schranken der Deliktsprovokation

u. a. gegen den Provozierten vorbereiten. Wenn die provozierte Tat begangen ist, kann die Polizei (falls sie es für zweckmäßig hält) gegen die Täter Verfahren einleiten; dabei werden die Aussagen des Provokateurs oder der Polizisten, die die vom Provokateur angekündigte Tat beobachteten, zur Überführung beitragen. Damit ist allerdings nicht erklärt, ob die Kriterien ,Beschuldigter' oder ,Zeuge' bei der präventiven Provokation erfüllt sind. Das dürfte sich nicht aus einer wie auch immer ausgeweiteten Fassung des Beschuldigtenbegriffs begründen lassen, denn wer eine Tat noch nicht begangen hat, kann ihrer nach allen Verständnisversionen des Terminus noch nicht beschuldigt sein. Auch kann jemand nicht gegenwärtig Zeuge einer noch nicht begangenen Straftat sein. Eine direkte Anwendung des § 136a StPO auf die präventive Provokation scheidet daher aus. Das widerspricht auch nicht der oben vertretenen These, daß § 152 Abs.2 StPO die mit der präventiven Provokation verbundene Vorbereitung des Strafverfahrens verbietet, also auch das außerprozessuale Geschehen regelt. § 152 Abs. 2 StPO statuiert (u. a.) eine Begrenzung von Ermittlungen. Sie besagt nicht, daß die verbotenen Ermittlungen sich gegen einen Beschuldigten oder Zeugen richteten. Allerdings meint Fincke 49 , § 152 Abs. 2 StPO verbiete "personenbezogene Ermittlungen" und durch eben diese werde der Betroffene, wenn auch unzulässig, zum Beschuldigten. Diese Korrelation mag oft angemessen sein. Die personenbezogenen Ermittlungen, die die präventive Provokation enthält, dürfte Fincke mit seiner These jedoch nicht gemeint haben, denn Schuld bezieht sich auf Vergangenes. Wegen künftiger Taten kann jemand in der Gegenwart noch nicht Beschuldigter sein.

In Betracht kommt nur eine analoge Anwendung des § 136a StPO auf die präventive Provokation. Einer Analogie dürfte der in § 136a StPO enthaltene Terminus ,Beschuldigter' allerdings nicht entgegenstehen. Die h. M. rechtfertigt auch präventive Eingriffe außerhalb des Strafverfahrens - die erkennungsdienstliche Behandlung von Kindern, die nicht Beschuldigte sollen sein können 50 durch § 8lb 2. Alt. StP051, obwohl dieser dem Wortlaut nach ebenfalls nur Beschuldigte betrifft. Die analoge Anwendung des § 136a StPO auf präventive Provokationen, d. h. im Stadium vor der Tatbegehung, ist möglich, wenn das von § l36a StPO geregelte Problem für das genannte Stadium nicht geregelt ist. Eine solche Regelungslücke liegt jedoch nicht vor. Bevor die Tat begangen ist, gilt das an die staatlichen Instanzen gerichtete Verbot des Vertrauensmißbrauchs. Es kann zwar mit gesetzlicher Begründung im Rahmen der Verhältnismäßigkeit ein ges. o. Anm. 44. ZStW 95 (1983), 918 (919 f., 927, 943, 946). 50 Kleinknecht / Meyer, StPO, Einleitung Rn 76; anders Fincke, a.a.O., S. 943. 51 Kleinknecht / Meyer, StPO, § 81b Rn 7 mit weiteren Nachweisen; LR-Meyer § 81b Rn 6; anders Fincke, a.a.O.: Aus dem Beschuldigtenstatus sollen sich keine Eingriffsmöglichkeiten ergeben. 48

49

B. Allgemeines Persönlichkeitsrecht und Deliktsprovokation

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schränkt werden. Aber das Täuschungsverbot des § 136a StPO könnte ebenfalls gesetzlich beschränkt werden. Vom Verbot des Vertrauensmißbrauchs ist § l36a StPO insofern unterschieden, als er explizit ein Verwertungsverbot enthält. Daraus ist aber nicht zu schließen, daß mit § 136a StPO bei Täuschungen vor dem Begehen der Tat eine Lücke zu schließen wäre. Das Verwertungsverbot kann, wenn es sich als notwendig erweist, auch an den Verstoß gegen das Verbot des Vertrauensmißbrauchs geknüpft werden 52. Bisher nicht angesprochen wurden Provokationen, die darauf gerichtet sind, vergangene Taten aufzuklären, hinsichtlich deren die Polizei keinen dem § 152 Abs. 2 StPO entsprechenden Verdacht hat. Die Provokation ist hier "Ermittlung ins Blaue". Ob der § l36a StPO darauf angewendet werden kann, hängt vom Beginn des Strafverfahrens ab, in dem es Beschuldigte und Zeugen gibt. Die Bestimmung dieses Zeitpunkts wird in der vorliegenden Untersuchung nicht angestrebt. Wird der Beginn des Verfahrens "materiell" bestimmt und an einen objektivierten Anfangsverdacht gemäß § 152 Abs. 2 StPO geknüpft, so trifft die Provokation im gegebenen Fall keinen Beschuldigten oder Zeugen; § 136a StPO ist nicht anwendbar. Wird der Beschuldigtenbegriff und damit der Beginn des Strafverfahrens mit Fincke 53 an "personenbezogene Ermittlungshandlungen" geknüpft, so ist dieses Kriterium im gegebenen Fall wohl anzunehmen: Mit der Provokation richtet sich die Polizei aufgrund allgemeiner Vermutungen final auf die Verifizierung oder Falsifizierung der Hypothese einer allgemein vermuteten Täterschaft des Provozierten oder Dritter. Dadurch wird der Provozierte Beschuldigter oder Zeuge und erhält nach Fincke den entsprechenden Schutz u. a. gemäß § 136a StPO. Fazit: § 136a StPO kann der Deliktsprovokation nur entgegenstehen, wenn sie darauf gerichtet ist, jemanden einer im Zeitpunkt der Provokation vergangenen Tat zu überführen. In diesem Fall ist § 136a StPO die gegenüber dem allgemeinen Verbot des Vertrauensmißbrauchs speziellere Regelung. Diese Differenzierung ist allerdings nicht möglich, wenn - wie in einem vom BGH54 entschiedenen Fall- der Provokateur in die schon strafbare (§ 30 Abs.2 StGB) Vorbereitung einer Straftat eingreift und mit seiner Provokation zugleich erstens der Verfolgung der z. T. schon vergangenen Straftat, zweitens der Vorbereitung der Verfolgung der z. T. noch bevorstehenden Straftat und drittens der Abwehr des schädlichen Erfolges zuarbeitet. Derartige Überschneidungen dürften nicht ganz selten vorkommen, weil außer dem erwähnten § 30 52 Das ist anzunehmen nach Dencker, Verwertungsverbote im Strafprozeß, S. 85 ff., weil das Beweismittel unter Verletzung eines außerprozessual geschützten Rechtsgutes (Art. 2 Abs. 1 GG) erlangt wurde. 53 A.a.O., S. 919 f., 927 f., 943, 946. 54 GA 1981, 89 f.

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1. Teil: Nonnative Schranken der Deliktsprovokation

StGB vor allem die Tatbestände des StMG die Strafbarkeit weit vorverlagern 55 . Bei der Verfolgung des dritten Zieles kommt die Anwendung des § 136a StPO nicht in Betracht, auch nicht bei der Verfolgung des zweiten Zieles; wie sich aus dem zuvor Ausgeführten ergibt, ist insofern das Verbot des Vertrauensmißbrauchs einschlägig. Im Hinblick auf die gleichzeitige Verfolgung des ersten Zieles könnte § 136a StPO anwendbar sein. Welche Regelung eingreift, ist nach den Grundsätzen und Richtlinien zu entscheiden, die für vergleichbare Fälle entwickelt wurden. Es ist also "nach dem Grundsatz der Güter- und Pflichtenabwägung jeweils für die konkrete Lage zu entscheiden, ob die Strafverfolgung oder die Gefahrenabwehr das höherwertige Rechtsgut ist"56. Eine solche kasuistische Abwägung wird dem Legalitätsprinzip, welches allgemeine Durchsetzung des Strafrechts verlangt, nicht gerecht. Sie ist auch methodisch nicht rational durchführbar, weil im Strafverfahren divergente Interessen relevant sind. Die Abwägung ist aber nicht zu vermeiden, denn die Alternative, durchwegs das Strafverfahren (oder die Gefahrenabwehr) zu präferieren, ist sachlich noch weniger angemessen. - Daß das Mittel der Provokation eventuell in einer der beiden oder beiden Kompetenzen unzulässig ist, berührt die Frage der kompetenziellen Zuordnung der Provokation nicht. Die Verwendung der eventuell im Rahmen von Gefahrenabwehr gewonnenen Erkenntnisse für das Strafverfahren und umgekehrt richtet sich nach den Grundsätzen der Amtshilfe 57 . - Nun zu den Kriterien des § 136a StPO im einzelnen. b) Vernehmung § 136a StPO bezieht sich auf Vernehmungen (so die Abschnittsüberschrift), die Aussagen (vgl. Abs. 3 S. 2) herbeiführen. Daß mit der Provokation eine solche Vernehmung verbunden sei, wird nirgends explizit angenommen. Der BGH und die meisten Autoren meinen, die Provokation sei nicht darauf gerichtet, Aussagen herbeizuführen 58. Andere wollen zwar den § 136a StPO auf die Provokation anwenden, aber analog; das Kriterium ,Vernehmung' soll dabei übersprungen werden 59. Zur Begründung wird Eb. Schmidts These zitiert, § 136a StPO sei auch jenseits seiner systematischen Beschränkung auf Vernehmungen 55

Vgl. auch BVerfG StrVert 1985, 177 m. Anm. Lüderssen.

56 Richtlinien über die Anwendung unmittelbaren Zwanges durch Polizeibeamte auf

Anordnung des Staatsanwalts, B III; Martens in Drews / Wacke / Vogel / Martens, Gefahrenabwehr, 2. Bd., S.46. 57 Schlink, Amtshilfe, S. 264. 58 Berz, JuS 1982, 416 (417); Schumann, JZ 1986, 66 (67); Gössel, JZ 1984, 361 (364); Seelmann, Diskussionsbeitrag, ZStW 95 (1983), 1005; Röhrich, Rechtsprobleme bei der Verwendung von V-Leuten für den Strafprozeß, S. 240 ff. (der aber eine entsprechende Anwendung befürwortet). 59 Vgl. Lüderssen, Festschrift für Peters, S. 349 (361 ff.); ders., StrVert 1985, 178 (179); Franzheim, NJW 1979,2014 (2015); Mache, a.a.O. (Anm. 44), S. 52 ff.; Voller, a.a.O. (Anm.44); unentschieden: LR-Hanack (24. Aufl) § 136a Rn 4, 13.

B. Allgemeines Persönlichkeitsrecht und Deliktsprovokation

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bedeutsam 6O • Ob dies zutrifft, könnte offen bleiben, wenn die Provokation entgegen der allgemeinen Meinung eine auf Aussagen gerichtete Vernehmung enthielte. Ausgegangen sei von dem erwähnten Beispiel: Jemand ist einer Tat beschuldigt; um seine Tatwerkzeuge zu finden, mit denen seine Täterschaft bewiesen werden soll, läßt ihn die Polizei von einem Privaten zu einer (neuen) Tat provozieren in der Hoffnung, ihn dabei mit seinen Werkzeugen zu erwischen. Daß der Provokateur oft ein Privater ist, schließt nicht aus, eine Vernehmung anzunehmen. Bekanntlich wird dieses Kriterium auch bejaht, wenn ein Beschuldigter in VHaft von einem Privaten im Auftrag der Polizei ausgehorcht wird 61. Das Handeln des Privaten wird dem Staat zugerechnet 62. Der BGH63 hat das zwar bezweifelt, jedoch nur für den Fall, daß der Provokateur die rechtlichen Grenzen staatlicher Provokation überschreitet. Hier aber geht es um eine Vorfrage, nämlich die Bestimmung der rechtlichen Grenzen staatlicher Provokation. - Daß die Vernehmung von der zuständigen Behörde nicht formell als solche gekennzeichnet wurde, schließt ebenfalls nicht aus, im Zusammenhang des § 136a StPO den Vorgang als Vernehmung zu bewerten. Auch das ist im Hinblick auf den verdeckt vernommenen V-Häftling anerkannt 64 • Es wäre auch wenig plausibel, wenn die Kriterien einer Vorschrift, die Täuschungen, d. h. falsche Erklärungen von Behörden verbietet, an den Erklärungen der Behörde festgemacht würden. Es gilt also ein materieller Vernehmungsbegriff. Bezweifeln läßt sich hinsichtlich der Vernehmung durch Provokation, ob der Beschuldigte zu einer Aussage gebracht wird. Die Provokation beinhaltet vorrangig eine Aufforderung des Provokateurs an den Beschuldigten, die (neue) Tat zu begehen. Sie bewirkt zugleich, daß dieser die Tatwerkzeuge, die ihn der vorgeworfenen Tat überführen sollen, der Verfolgungsbehörde liefert. Das ähnelt einer Selbstbelastung durch Aussage, was Lüderssen 65 zur entsprechenden Anwendung des § 136a StPO veraniaßt. Herrschend ist jedoch die Meinung, auf solche Arten der Beweismittelbeschaffung sei § 136a StPO nicht entsprechend anzuwenden 66. Die Kontroverse mag zunächst offenbleiben. Praktisch wird die 60 Lehrkomm., Teil II, § 136a Rn 5; ähnlich LR-Sarstedt (22. Aufl.) § 136a Anm. 4 c, f. 61 Alsberg / Nüse / Meyer, Der Beweisantrag im Strafprozeß, S. 482 ff. mit weiteren Nachweisen; Fincke, ZStW 95 (1983),948 f.; Rüping, Das Strafverfahren, S. 40. Umstritten ist, ob das Vorschieben des Privaten oder des getarnten Beamten schon als Täuschung zu bewerten ist; darauf kommt es hier nicht an. 62 Rogall, GA 1985, 1 (26); Berz, JuS 1982, 416 (417); Fincke, ZStW 95 (1983), 918 (939); Friedrichs, Der Einsatz von V-Leuten, S. 17 ff.; Gusy, RiA 1982, 101 ff.; F. Herzog, NStZ 1985, 153 (157). Einzelheiten dazu unten 1. Teil C. 63 BGHSt 32, 345 (354); Foth, NJW 1984, 221 f.; dagegen Taschke, StrVert 1984, 178 (179 f.); Puppe, NStZ 1986,404 (405). 64 s. o. Anm. 61. 65 s. o. Anm. 59. 66 s. o. Anm. 58

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1. Teil: Normative Schranken der Deliktsprovokation

Provokation kaum je durch eine einseitige Kommunikation bewirkt. Provokateur und zu Provozierender werden - wie es im Drogenhandel häufig geschieht zunächst verhandeln 67. Nach Angaben der Polizei sollen durch Provokation primär Großdealer überführt werden. Dann geht es um große Mengen und Geldsummen und es muß ausführlich verhandelt werden, bis sich der Provozierte schließlich bereiterklärt, die (neue) Tat zu begehen. Eine zumeist konkludente Erklärung der Bereitschaft wird auch bei kleineren Provokationen selten fehlen, denn der Provokateur will meist wissen, was der andere vorhat. Im hier angenommenen Ausgangsfall können die Beweismittel für die vergangene Tat nur erlangt werden, wenn der Provozierte dem Provokateur sagt, wo und wann er die neue Tat begehen wird. All diese Erklärungen sind keine spontanen Äußerungen des Beschuldigten, die als solche noch jenseits planmäßiger Herbeiführung von Aussagen lägen 68 , sie sind vielmehr durch die Verhandlungen des Provokateurs planmäßig herbeigeführt. Die Bewertung solcher Erklärungen als Aussagen ist nicht dadurch ausgeschlossen, daß sie sich explizit auf künftige Ereignisse beziehen. Eine Aussage i. S. des § 136a StPO kann auch künftige beabsichtigte Handlungen und das Beschaffen von Beweismitteln betreffen; Beispiel: ein Zeuge erklärt der Polizei, daß der Beschuldigte vorhat, zu fliehen, und wo die beweiskräftige Tatbeute zu einem bestimmten Zeitpunkt zu erlangen ist; sind diese Erklärungen durch unzulässige Methoden abgenötigt worden, ist § 136a StPO anwendbar. Eine Einschränkung ist jedoch zu berücksichtigen. Wenn § 136a StPO dem Schutz der Freiheit des Aussagenden dient oder zumindest auch diesem Zweck dient, so ist zweifelhaft, ob Aussagen, die keine verbindlichen Konsequenzen für den Aussagenden haben, Absichtserklärungen also, von der Vorschrift erfaßt sind. Denn durch eine Absichtserklärung gibt der Aussagende anscheinend noch nichts aus der Hand. Er bleibt frei, die Absicht nicht zu verwirklichen; d. h. im oben gegebenen Fall des Provozierten: die Tat, die Beweismittel liefern soll, nicht zu begehen. Es ist ein Unterschied, ob jemand durch eine Aussage einem anderen informationelle Macht wirklich gibt oder ob er erst beabsichtigt und ankündigt, das zu tun. Die im zweiten Fall verbleibende Freiheit des Erklärenden könnte es ausschließen, eine Aussage i. S. des § 136a StPO anzunehmen. Dem steht jedoch entgegen, daß die Freiheit des Provozierten, seine erklärte Absicht nicht zu verwirklichen und damit ihre ihn belastende Wirkung zu verhindern, in ihrer Motivation eingeschränkt ist. Er weiß nicht, daß er mit der Verwirklichung der erklärten Absicht zur eigenen Überführung beiträgt. Einen für seine freie Entscheidung wichtigen Umstand, dessen Entscheidungsrelevanz auch rechtlich anerkannt ist (nemo tenetur se ipsum prodere), erkennt er nicht, weil er ihm verschleiert wird. Er ist i. S. des § 136a StPO getäuscht; das wird später genauer So auch in den Fällen BVerfG StrVert 1985, 177; BGHSt 32, 345. Vgl. Rüping, a.a.O.; Alsberg / Nüse / Meyer, Der Beweisantrag im Strafprozeß, S.483. 67

68

B. Allgemeines Persönlichkeitsrecht und Deliktsprovokation

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erklärt. Es würde dem Zweck des § 136a StPO widersprechen, wenn Absichtserklärungen nicht als Aussagen bewertet würden, weil der Aussagende aufgrund einer gezielten Täuschung deren belastende Folgen nicht erkennt. Davon abgesehen hat die Absichtserklärung noch eine verbindliche Seite. Sie enthält oft eine ausführliche Beschreibung der (neuen) Tat. Im Zusammenhang der organisierten Kriminalität, die durch Provokation vor allem bekämpft werden soll, erklärt der Provozierte häufig en detail die geplante Tat (z. B. Ort, Zeit, Art der Drogenbeschaffung)69. Ähnelt nun die erklärte (neue) Tat der dem Beschuldigten vorgeworfenen, so kann die Erklärung faktisch Beweismittel sein, wenn etwa der geplante routinierte modus operandi dem der vergangenen Tat entspricht. Wie erwähnt beinhaltet die Äußerung des Provozierten in aller Regel auch eine zumindest konkludente Erklärung der Bereitschaft und Fähigkeit, die (neue) Tat zu begehen. Das zeigt unter Umständen auch, daß der Beschuldigte zu der ihm vorgeworfenen Tat imstande gewesen ist. Die Erklärung indiziert dann seine Täterschaft 70 • Ob sie das effektiv tut, kann für die Qualifikation als Aussage nicht relevant sein; die Eignung als Beweismittel genügt. Es dürfte also die dargestellte Konstellation der Provokation ebenso als Vernehmung zu bewerten sein wie das erwähnte Aushorchen durch einen Privaten. c) Täuschung

Bei der Provokation wird dem zu Provozierenden verschleiert, daß es sich um eine Vernehmung handelt, die darauf gerichtet ist, ihn zu überführen. Ob die Provokation deshalb eine Täuschung enthält, kann wieder erläutert werden anband des erwähnten Falles des U-Häftlings, dem ein privater Polizeispitzel auf die Zelle gelegt wird, der ihn aushorcht. Nach Ansicht Meyers u. a. ist dies als (materielle) Vernehmung zu bewerten; getäuscht werde der Vernommene aber durch das bloße Aushorchen noch nicht. Eine Täuschung soll erst vorliegen, wenn der Spitzel neben seinem Auftreten als vorn Staat unabhängiger, vertrauenswürdiger Privater und Mithäftling zusätzliche falsche Angaben macht 71 • Auch die Provokation enthielte demnach oft keine Täuschung. Die Ablehnung der Täuschung ist jedoch zweifelhaft, da vorher die Vernehmung materiell bestimmt wurde. Dies ist nur so zu verstehen, daß über die gemäß § 136a StPO relevante Vernehmung nicht die Äußerungen der Behörde entscheiden sollen, weil § 136a StPO gerade falsche Äußerungen der Behörde verbietet. Warum die falsche Äußerung der Behörde über die Tatsache der Vernehmung nun nicht als Täuschung bewertet werden soll, ist schwer einzusehen. 69 Vgl. die in BGHSt 31, 304; BGH GA 1981, 89 f. dargestellten Fälle.

Lüderssen, StrVert 1985, 178 (179). Alsberg / Nüse / Meyer, Der Beweisantrag, S. 482,484; KK-Boujong § 136a Rn 26; Röhrich, Rechtsprobleme bei der Verwendung von V-Leuten für den Strafprozeß, S. 249 ff.; zweifelnd LK-Hanack (24. Aufl.) § 136a Rn 6. Gegen die genannte Einschränkung Dencker, Festschrift für Dünnebier, S. 447 (458). 70 71

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1. Teil: Nonnative Schranken der Deliktsprovokation

Denkbar ist die These, der Gegenstand der Täuschung, die Tatsache der staatlichen Vernehmung zwecks Überführung, sei rechtlich nicht zu schützen, weil der Beschuldigte, auch wenn er sich tatsächlich gegenüber einem staatsunabhängigen Privaten geäußert hätte, damit hätte rechnen müssen, von diesem angezeigt und überführt zu werden. Solche Parallelbewertung von staatlichem und privatem Handeln ist jedoch auch hier (wie schon beim Vertrauensschutz) verfehlt. Wegen der Besonderheit staatlichen Handeins, der Macht des bürokratischen Apparates über die einzelnen, ist diesem gegenüber der einzelne besonders geschützt, wie z.B. die staatsgerichteten Grundrechte zeigen. Auch wenn Private dem Beschuldigten durch Täuschung ein Geständnis entlocken dürfen, ist dies dem Staat verboten. Der Provokateur wird allerdings selten explizit behaupten, daß er den zu provozierenden Beschuldigten nicht der Strafverfolgung ausliefern will. Durch sein Auftreten erzeugt er aber die Vorstellung, daß dies so sei. Er gibt dem Beschuldigten averbale Zeichen, die bei diesem falsche Vorstellungen hervorrufen. Die Täuschung verstärkt der Provokateur oft verbal, indem er in Verhandlungen sich positiv für ein Delikt interessiert und dazu auffordert. Normale Vertreter des Staates verhalten sich im allgemeinen gegenteilig. I. Puppe 72 hat gezeigt, daß bei absichtlichen Täuschungen - darum geht es bei Provokationen - auch die Kommunikation mit averbalen Zeichen als Täuschung bewertet werden kann, wenn sie standardisierte Codes benutzt. Das ist bei der Provokation der Fall. Das Auftreten und die Äußerungen des Provokateurs sind sozial eingeführte Zeichen eines Handeins, das nicht im Auftrag der Strafverfolgung stattfindet. Oft wird der Täuschungsbegriff allerdings eingeschränkt 73 • Zweideutige Zeichen und Worte sollen nicht als Täuschung bewertet werden, wenn ihre Bedeutung - aus dem Verständniskontext des Beschuldigten gelöst - auch auf die Tatsachen verweist. So kann es bei der Provokation sein. Ihre Modalitäten verweisen nicht eindeutig auf vom Staat unabhängiges Handeln, obgleich sie im Kontext diese Deutung nahelegen. Würde wegen der Zweideutigkeit eine Täuschung verneint, so würde das Risiko, die unzutreffende Bedeutung aufzunehmen, dem Bürger auferlegt, auch wenn die falsche Deutung beabsichtigt war 74 • Da nun außer Zahlen alle Worte und Zeichen vieldeutig sind, kann diese Regel nicht unbegrenzt gelten, wenn überhaupt noch behördliche Äußerungen als Täuschung sollen bewertet werden können, wovon § 136a StPO ausgeht. Die von mehreren Autoren vorgeschlagene Verlagerung des Täuschungsrisikos auf den Bürger müßte normativ begründet und damit begrenzt werden. GA 1978,289 (290 ff.). LR-Meyer (23. Aufl.) § 136a Rn 28; Siegert, DRiZ 1953, 98 (100); BGH NJW 1960, 1212 (1213). Dagegen Grünwald, NJW 1960, 1942; Eb. Schmidt, JZ 1961, 71 (72); LR- Hanack (24. Aufl.) § 136a Rn 35. 74 Puppe, a.a.O. 72

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B. Allgemeines Persönlichkeitsrecht und Deliktsprovokation

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Sind für staatliches Handeln bestimmte Zeichen, Worte, äußere Umstände vorgeschrieben, so kann sich der Bürger darauf verlassen, daß nicht staatliches Handeln vorliegt, wenn die Zeichen etc. nicht gegeben werden. Bei Vernehmungen muß der Beschuldigte gemäß § 136 StPO belehrt werden. Daraus ist zu schließen, daß ihm auch die Tatsache der staatlichen Vernehmung offengelegt werden muß. Allgemein sind der Polizei nach der StPO nur offene Eingriffe gestattet. Festnahme, Durchsuchung, Beschlagnahme kann der Betroffene meist erkennen und nötigenfalls dagegen Rechtsmittel ergreifen. Zwar werden im Strafverfahren auch Zeugen vernommen über Beobachtungen, die sie eventuell heimlich machten, aber dieses Beobachten war nicht staatlich initiiert wie das Aushorchen durch den vorliegend relevanten polizeilichen Provokateur. Daß die Polizei i. d. R. offen handelt, ist normatives Programm 75. Dem Verfassungsschutz ist der Einsatz nachrichtendienstlicher Mittel und damit auch das verdeckte Aushorchen gestattet. Polizeitätigkeit und geheimdienstliche Tätigkeit wurden in der Bundesrepublik von den Alliierten nach dem Krieg aufgrund der Erfahrungen mit der nationalsozialistischen Gestapo getrennt 76 , was jetzt in § 3 Abs. 3 BVerfSchG festgelegt ist. Wenn die Polizei grundsätzlich offen arbeitet, kann sie vom Betroffenen und der Öffentlichkeit kontrolliert werden. Das Risiko der Täuschung über staatliches Handeln trägt der Bürger demnach nicht, wenn die Polizei nicht offen auftritt. Man kann auch nicht sagen, der von verdeckter staatlicher I;'rovokation Betroffene befinde sich in einem Irrtum, den die Behörde nur ausnutze 77 • Denn die Behörde entfaltet einige Aktivität, um bei Provokationen einen IrrtUlTI zu erzeugen; sie schickt einen getarnten Polizisten oder einen eigens angeworbenen Privaten vor, um den Anschein staatsunabhängigen Handeins zu erzeugen. Freilich müssen auch hinsichtlich der Frage, ob ein Irrtum vorgegeben oder erzeugt ist, wieder normative Erwägungen berücksichtigt werden. Die Polizei hätte bei Vernehmungen offen zu handeln, so daß ihr Handeln vom Bürger erkannt werden könnte. Das ist der Normalfall, auf den der Bürger vertrauen kann. Darin wird er getäuscht, wenn die Behörde ihr Handeln verschleiert. Fazit: Die Provokation der Strafverfolgungsbehörde gegen den Beschuldigten enthält eine Täuschung i. S. des § 136a StPO. Geht die Provokation zum Zweck der Strafverfolgung von Verfassungsschutzbeamten aus, so liegt, vom Problem der kompetenziellen Zulässigkeit zunächst abgesehen, eine Täuschung vor, wenn der Täuschungsbegriff, wie Puppe vorschlägt, weit gefaßt wird; es ist dann weiter die Rechtfertigung zu prüfen. Wird Amelung / Schall, JuS 1975, 565 (569 ff.); Schlink, Amtshilfe, S. 276 ff. Durch den sog. Polizeibrief der Militärgouvemeure vom 14.4. 1949 an den Präsidenten des Parlamentarischen Rates, abgedruckt in Bürgerrechte und Polizei, 1986, Nr. 1, S. 144; dazu Evers, Privatsphäre und Amter für Verfassungsschutz, S. 80 f. 77 Dazu LR-Hanack (24. Aufl.) § 136a Rn 6, 36 ff., der aber i. E. hier zur Anwendung des § 136a StPO tendiert. 75

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1. Teil: Nonnative Schranken der Deliktsprovokation

aber der Begriff anhand der normativen Verteilung des Täuschungsrisikos eingeschränkt, so liegt eine andere Lösung nahe. Die Zulassung der nachrichtendienstlichen Mittel gestattet es Verfassungsschutzbeamten, wie Bürger aufzutreten 78 , also das Vertrauen der Bürger auf offenes staatliches Handeln zu enttäuschen. Das Täuschungsrisiko tragen dann die Bürger. Der Täuschungsbegriff könnte entsprechend eingeschränkt werden. Aber dem Verfassungsschutz ist im allgemeinen nicht gestattet, seine nachrichtendienstlichen Mittel zum Zweck der Strafverfolgung einzusetzen. Verfassungsschutz und Polizei sind organisatorisch und kompetenziell getrennt19 • Amtshilfe für die Strafverfolgungsbehörden ist eine Ausnahme, die spezieller gesetzlicher Begründung bedarf. § 3 Abs. 4 BVerfSchG reicht dafür nicht hin 80 • Würde die Amtshilfe allein aufgrund dieser sehr weit gefaßten Vorschrift zugelassen, so würde § 3 Abs. 3 BVerfSchG obsolet. Fehlt der Amtshilfe die gesetzliche Grundlage, so wird das Täuschungsrisiko den Bürgern nicht auferlegt. Wenn aber der Verfassungsschutz den Strafverfolgungsbehörden zulässigerweise Amtshilfe mit geheimdienstlichen Mitteln leistet und dabei ein Delikt provoziert, so ist § 136a StPO nicht verletzt. Durch die Zulassung der nachrichtendienstlichen Mittel ist die Täuschung dann entweder gerechtfertigt oder schon tatbestandlich ausgeschlossen. Gleiches gilt, wenn Verfassungsschutzbeamte im Rahmen ihrer in § 3Abs. 1, 2 BVerfSchG definierten Kompetenz handeln und dabei Vertrauen mißbrauchen. Puppe 81 und Schumann 82 haben gegen die Anwendung des § 136a StPO auf De1iktsprovokationen eingewandt, die Freiheit des Betroffenen werde nicht in der für § 136a StPO relevanten Weise beeinträchtigt, einmal weil der Provozierte sich nicht in einer dem Beschuldigten gleichen Konfliktlage befinde, zum anderen, weil er "über denjenigen Gesichtspunkt, der von Rechts wegen für seine Entscheidung maßgeblich sein sollte (... ), nämlich darüber, daß sein Verhalten strafbar ist" nicht getäuscht werde. Ob diese Erwägungen zutreffen, muß hier nicht geklärt werden, denn jedenfalls betreffen sie nicht denjenigen hier allein relevanten Provozierten, der zugleich Beschuldigter ist und dazu gebracht werden soll, sich wegen einer ihm vorgeworfenen vergangenen Tat selbst zu belasten. Er befindet sich in der von § l36a StPO vorausgesetzten Konfliktlage. Für ihn ist von Rechts wegen nicht nur die Strafbarkeit der ihm nahe gelegten Tat maßgeblich, sondern auch die Tatsache, daß er sich hinsichtlich der schon geltend So Schlink, NJW 1980,552 ff.; ähnlich Gusy, RiA 1982, 101 (104). Zur spezifischen Aufgabe des Verfassungsschutzes vgl. Schlink, Amtshilfe, S. 272 ff. 80 Zu den Voraussetzungen der Amtshilfe vgl. Schlink, a.a.O., S. 31 ff., 78 ff., 85 ff., 145 ff., 278 ff.; Bull in Alt. Komm. zum GG, Art. 35 Rn 17 ff.; vgl. auch Welp, Die strafprozessuale Überwachung des Post- und Fernmeldeverkehrs, S. 121 f., 137; Rupp, Verh. des 46 DJT, 1. Bd., S. 183; Schneider, NJW 1978, 1601 (1602); Denninger, JA 1980, 281 ff. 81 NStZ 1986,404 (405). 82 JZ 1986,66 (67). 78

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B. Allgemeines Persönlichkeitsrecht und Deliktsprovokation

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gemachten Beschuldigung selbst belastet. Dies zu venneiden ist er berechtigt: nemo tenetur se ipsum prodere. Deshalb beeinträchtigt die Täuschung über die Selbstbelastung die gemäß § 136a StPO zu schützende Freiheit. In einer früheren Veröffentlichung hat Puppe 83 allerdings auch dies bezweifelt. Weil der Täuschungsbegriff weit zu fassen sei, müsse der Anwendungsbereich des § 136a StPO beschränkt werden, indem das Kriterium der Freiheitsbeeinträchtigung eingeengt wird. Das Täuschen der Bürger sei nämlich als solches dem Staat nicht verboten. Rechtswidrig i. S. des § 136a StPO werde es erst durch die spezifische Freiheitsbeeinträchtigung. Ähnliche Deutungen vertreten andere Autoren: Eine Täuschung i. S. des § 136a StPO liege nur vor, wenn sie eine dem Zwang ähnliche Freiheitsbeeinträchtigung bewirke 84. Auch eine Vorprüfungskammer des BVerfG scheint in diese Richtung zu tendieren 85 . Zunächst zur zuletzt referierten Argumentation: Sie kann nicht erklären, warum das Erschleichen eines Geständnisses (Schulbeispiel: dem Beschuldigten wird vorgelogen, der Komplize habe schon alles gestanden) als geradezu klassischer Fall der Täuschung i. S. des § 136a StPO angesehen wird. Allein Puppe lehnt hier konsequent § 136a StPO ab 86; inzwischen hat sie dies allerdings revidiert und befürwortet ebenfalls die Anwendung des § 136a StP087. Jedoch wird bei der Geständniserschleichung eine dem Zwang gleiche Freiheitsbeeinträchtigung nicht bewirkt. Dem Getäuschten werden keine drohenden Nachteile in Aussicht gestellt. Er wird nur getäuscht über die Bedingungen, unter denen er sein Geständnis abgibt 88 (im Beispiel: die Bedingung, daß der Komplize gestanden hat). Ist das aber gemäß § 136a StPO verboten, so kann § 136a StPO im Fall der Täuschung nicht auf zwangsgleiche Freiheitsbeeinträchtigungen beschränkt sein. Puppes Argumentation, die Täuschung der Bürger sei dem Staat im allgemeinen erlaubt, folglich müsse zusätzlich auf die Freiheitsbeeinträchtigung abgestellt werden, läßt sich entgegenhalten, was oben 89 ausgeführt wurde: Dem Staat ist das Täuschen der Bürger verboten. Daß die Täuschung zwischen Bürgern grundsätzlich erlaubt ist - darauf stellt Puppe ab - besagt nichts über das Verhältnis Bürger / Staat. Puppe hat auch ihre These zur Täuschung inzwischen relativiert 9O • 83 GA 1978,289 (297 ff., 305 f.).

84 LR-Meyer (23. Aufl.) § 136a Rn 27 ff.; KMR-Müller (6. Aufl.) § 136a Anm. 2 e); Rogall, MDR 1977,978 (979); Schumann, a.a.O. Abschwächend LR-Hanack (24. Aufl.) § 136a Rn 33. Anders Rogall, Der Beschuldigte als Beweismittel gegen sich selbst (1977), S. 212. 85 BVerfG StrVert 1985, 177 f.; die Argumentation ist jedoch nicht recht deutlich, wie Lüderssen in der Anmerkung ebd. zeigt. Zur Bedeutung der Entscheidung vgl. auch F. Herzog, NStZ 1985, 153. 86 GA 1978, 289 (305). 87 NStZ 1986, 404 (405). 88 Puppe, GA 1978, 289 (298).

89 s. o. 1. Teil A I 3, B IV 2. 90

NStZ 1986,404 (405).

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1. Teil: Nonnative Schranken der Deliktsprovokation

Im übrigen kann § 136a StPO als Methodenverbot verstanden werden 91, welches die Anwendung der in der Vorschrift genannten Mittel verbietet. Dafür spricht, daß das Täuschungsverbot auch dort gilt, wo die Aussage erzwungen werden darf. Dann kann die Freiheitsbeeinträchtigung nicht den ihr von Puppe gegebenen Stellenwert haben. Fazit: Die auf Aufklärung vergangener Straftaten gerichtete polizeiliche Deliktsprovokation verstößt gegen § 136a Abs. 1 StPO.

v. Nemo tenetur se ipsum prodere und das Recht auf informationelle Selbstbestimmung

Bei der vom Staat initiierten Provokation täuscht der Provokateur dem Provozierten eine Komplizenschaft vor. Das veranlaßt den Provozierten, auf die Provokation einzugehen und den Provokateur wissen zu lassen, daß er die Tat begehen wird. Der Provozierte gibt persönliche Daten preis, die zu Zwecken verwendet werden sollen, die dem Provozierten verschleiert werden. Die gegen die Interessen des Provozierten gerichtete Verwendung der Informationen ist für den Betroffenen und für die Polizei das Entscheidende an der mit der Provokation verbundenen Informationserhebung. Damit erfüllt diese Informationserhebung die Kriterien des Eingriffs in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung, dessen praktische Bedeutung im Verbot gesetzlich nicht begründeter, verdeckter Verwendung der Informationen durch den Staat liegt; ob die Verwendung im Einzelfall durch Datenverarbeitung erfolgt, ist, wie oben ausgeführt, nicht relevant; verboten ist freilich nicht erst die Verwendung, sondern schon die darauf gerichtete Erhebung der Informationen, die im Zusammenhang der Provokation stattfindet. Diese Bewertung ist für die strafprozeßrechtliche Lehre nicht selbstverständlich. 1. Schutz von Informationen über rechtswidriges Verhalten

Informationen über rechtswidriges Verhalten, "um dessen Beweis es im Strafprozeß unmittelbar geht", sollen nicht vom allgemeinen Persönlichkeitsrecht geschützt sein 1. Sollte damit gemeint sein, der Eingriff ins Persönlichkeitsrecht sei durch das strafprozessuale Beweiserhebungsrecht gerechtfertigt, so wäre dagegen nichts einzuwenden; die Rechtfertigung ist nur innerhalb des Strafverfahrens möglich. 91 Rogall, Der Beschuldigte als Beweismittel gegen sich selbst, S. 196; Roxin, Strafverfahrensrecht, § 24 D I 2 c); Dencker, Verwertungsverbote im Strafprozeß, S. 87 ff. 1 Dencker, Verwertungsverbote im Strafprozeß, S. 107; ähnlich BGHSt 14, 358 (361); Schumann, JZ 1986,66 (67).

B. Allgemeines Persönlichkeitsrecht und Deliktsprovokation

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Problematisch wäre die Annahme, vom Persönlichkeitsrecht selbst seien "geschützt nur" Informationen "über erlaubte (... ) Handlungen"2. Man könnte sie stützen auf die in Art. 2 Abs. 1 GG der Freiheit gesetzten Schranken (Rechte anderer und verfassungsmäßige Ordnung, wozu alle verfassungsmäßigen Verbote gehören sollen). Das Lebach-Urteil des BVerfG zeigt jedoch, daß auch Informationen über verbotene Handlungen schützens wert sein können 3. Das folgt einmal aus der Begründung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts. Es betrifft nicht nur die Freiheit des Handeins einer Person, sondern die Person selbst, ihr Sein, das als Personhaftigkeit gewürdigt wird. Dementsprechend wird das allgemeine Persönlichkeitsrecht auch aus Art. 1 Abs. 1 GG abgeleitet, so daß es nicht ohne weiteres den in Art. 2 Abs. 1 GG der Freiheit gesetzten Schranken unterliegt und auch wirken kann, wo eine Straftat begangen wird. Möglicherweise hat im Hinblick darauf der BGH in der Tagebuchentscheidung 4 die Beschränkung des Persönlichkeitsschutzes nicht an das der Person äußerliche, positive Recht ("verbotene Handlung") gekoppelt, sondern die Persönlichkeit selber in problematischer Weise 5 bewertet und begrenzt mit dem Hinweis auf ihren "Verfall". Aber auch Art. 2 Abs. 1 GG selber läßt es nicht zu, Informationen über nicht erlaubte Handlungen vom Persönlichkeitsschutz vorab auszunehmen. Die in Art. 2 Abs. 1 GG garantierte Freiheit wird von der Rechtsprechung 6 bekanntlich sehr weit gefaßt als allgemeine Handlungsfreiheit; da dies nicht zur Verfassungswidrigkeit der meisten beschränkenden Gesetze führen soll, wird entsprechend weit auch die Schranke der verfassungsmäßigen Ordnung gefaßt als Summe aller verfassungsmäßigen Gesetze. Daß infolgedessen die Gewährleistung der allgemeinen Handlungsfreiheit leerläuft, wird vermieden, indem die die Freiheit beschränkenden Gesetze dem Rechtsstaats- und damit dem Verhältnismäßigkeitsprinzip unterstellt werden. Folge ist bekanntlich eine recht weitreichende Kontrolle der parlamentarischen Gesetzgebung durch das BVerfG. Auch wenn die Entfaltung der Persönlichkeit ein Strafgesetz überschreitet, ist sie demnach noch nicht ohne weiteres schutzlos. Vielmehr kommt es darauf an, ob die strafrechtliche Einschränkung dem Verhältnismäßigkeitsprinzip entspricht. Das gilt auch hinsichtlich der Informationen über Straftaten und die Identität des Täters. Demnach sind die Beweiserhebungen im Rahmen des Strafverfahrens als Eingriffe ins Persönlichkeitsrecht - genauer: ins Recht auf informationelle Selbstbestimmung - zu verstehen, die durch das Beweiserhebungsrecht begründet sind. Jenseits dieser Eingriffsbegründung sind Informationen über rechtswidrige und strafbare Handlungen nicht vorab frei verfügbar. Das Gesetz selber berück2

Dencker, a.a.O.

E 35, 202 (219 f.,224, 231 ff.). 4 BGHSt 19,325 (331). 5 Dazu oben 1. Teil B II 2. 6 Zum folgenden BVerfGE 6,32 (36 ff.); kritisch u. a. Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts der Bundesrepublik Deutschland, § 12 I 10. 3

9 Keller

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1. Teil: Nonnative Schranken der Deliktsprovokation

sichtigt die Relevanz des Persönlichkeitsschutzes gegenüber der Durchsetzung des Strafrechts. Daß die Verfolgung einzelner Delikte vom Antrag des Verletzten abhängig gemacht wird, ist zu erklären aus der Intention, "höchstpersönliche Beziehungen" des Täters nicht zu stören 7. Darauf nehmen auch die §§ 52, 97 Abs. I Nr. I StPO Rücksicht. Gemäß § 203 StGB sind Informationen u. a. gegenüber dem Staat geheimzuhalten, auch wenn sie rechtswidrige und strafbare Handlungen betreffen 8 • Allerdings wird in den genannten Regelungen nicht die Geheimsphäre eines einzelnen, sondern einer sozialen Beziehung vor dem störenden staatlichen Eingriff geschützt. Diese Differenz begründet jedoch allenfalls ein quantitativ gewichtigeres Geheimhaltungsinteresse, z. B. wenn die grundrechtlich geschützte Ehebeziehung dadurch betroffen wäre, daß der eine Partner zur Überführung des anderen beitragen müßte. Daß neben dem Schutz von Beziehungen die Geheimsphäre des einzelnen völlig schutzlos sei, ist nicht anzunehmen. Allerdings ist der einzelne, wie oben gezeigt, durch soziale Beziehungen konstituiert. Deshalb sind die vor allem in den fünfziger Jahren verbreiteten Thesen vom natürlichen Innenraum des Menschen, vom isolierten Individuum als höchstem Wert verfehlt. Aber aus der sozialen Konstituiertheit des einzelnen folgt nicht, daß für den gegebenen einzelnen nur der informationelle Schutz sozialer Beziehungen und nicht der des Alleinseins und Unbeobachtetseins wichtig wäre. Dieses ist das notwendige Korrelat von sozialen Beziehungen. Die staatliche Kontrolle von Tagebüchern kann ebenso belasten wie das Belauschen einer ehelichen Plauderei, die laut BGH9 zum unantastbaren Intimbereich gehört. Das Interesse des einzelnen, bei öffentlichen Handlungen nicht staatlich registriert zu werden, mag im Einzelfall rechtlich relativ gering zu bewerten sein. Informationell ungeschützt sind auch solche Handlungen nicht.

Fazit: Wenn der Schutz von Beziehungen dem staatlichen Interesse an Informationen über rechtswidrige Handlungen entgegenstehen kann, so kann diesem Interesse auch die informationelle Freiheit des einzelnen entgegenstehen. Es ist nur eine quantitative Differenzierung des Schutzinteresses zulässig. Gegen dieses Ergebnis könnte eingewandt werden, Geheimnisse würden gegen den Staat nicht um ihrer selbst, sondern um der dahinterstehenden Interessen, z. B. 'Bestand der Ehebeziehung, willen geschützt 10; wo ein solches nicht betroffen sei, sei das bloße Interesse an der Geheimhaltung rechtswidriger Handlungen nicht schützenswert. Aber wenn Informationen über rechtswidrige Handlungen des einzelnen erhoben werden, so wird bei anderen ein bestimmtes Bild über diesen erzeugt. Das muß er sich nicht ohne weiteres gefallen lassen. Das zeigen Dazu Zielinski, Gedächtnisschrift für H. Kaufmann, S. 875 (883). Lenckner in Schönke / Schröder § 203 Rn 32 unter Hinweis auf die anerkannten Ausnahmen. 9 BGHSt 31, 296 (299 f.). Dazu Gössel, JZ 1984,361 ff.; Amelung, JR 1984, 256 ff. 10 Schlink, Amtshilfe, S. 192 ff.; Dencker, Verwertungsverbote im Strafprozeß, S, 115; Krauß, Festschrift für Gallas, S, 365 (3850, 7

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B. Allgemeines Persönlichkeitsrecht und Deliktsprovokation

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etwa die Vorschriften des BDSG und des BZRG, die das Speichern solcher Infonnationen nur innerhalb bestimmter Grenzen zulassen. Das Lebach-Urteil schützt, wie erwähnt, das Interesse an der Geheimhaltung strafbarer Handlungen. Gewiß wäre dieses Geheimhaltungsinteresse nicht zu schützen gewesen gegenüber Behörden, die die Straftaten zu ahnden hatten. Aber es war eben erst das gesetzlich begründete Strafverfolgungsinteresse, das die Erhebung von Infonnationen über die Straftat zuließ. In der Literatur wird die These vertreten, gegenüber dem Staat habe der einzelne keine schutzwürdige Privatsphäre 11. Was dagegen einzuwenden ist, wurde oben gezeigt l2 • Das BVerfG ist der These nicht gefolgt. Aber auch die Autoren, die sie vertreten, erkennen an, daß die staatliche Infonnationserhebung über Bürger jedenfalls das Freiheitsgrundrecht des Art. 2 Abs. 1 GG berührt 13. Hinsichtlich der gesetzlichen Begründung des mit der staatlichen Provokation verbundenen Eingriffs in das Recht auf infonnationelle Selbstbestimmung ist dessen Verhältnismäßigkeit zu prüfen. Dabei kommt es u. a. darauf an, wie gewichtig das berechtigte Interesse des Betroffenen an der Geheimhaltung der Infonnation ist. Hier könnte ins Gewicht fallen, daß der Provozierte zur eigenen Überführung beiträgt, wenn er den Provokateur infonniert. Deshalb könnte im Rahmen des Rechts auf infonnationelle Selbstbestimmung zugunsten des Provozierten der Grundsatz des nemo tenetur se ipsum prodere berücksichtigt werden.

2. Zusammenhang der informationellen Selbstbestimmung mit dem nemo tenetur-Grundsatz Das Recht auf infonnationelle Selbstbestimmung soll dem Bürger infonnationelle Eigenständigkeit gewährleisten. Es geht dabei nicht primär um das Maß der Intimität, die mit der Infonnationserhebung betroffen wird. Darauf ist die herkömmliche Sphärentheorie konzentriert. Das Recht auf infonnationelle Selbstbestimmung betrifft gleichennaßen Daten aus der Intim- wie aus der öffentlichen Sphäre. Seine praktische Bedeutung steckt in der Begrenzung der VelWendung der Infonnationen. Diese kann unter den Bedingungen der modemen Datenverarbeitung den einzelnen zum Objekt staatlicher Verfügung reduzieren, auch wenn die Infonnation sein öffentliches Handeln betrifft, und auch wenn die Infonnation ohne Wissen des Betroffenen erhoben und gegen ihn verwendet wird 14. Die Verwendung von erhobenen Infonnationen ist nun auch der für den nemo tenetur-Grundsatz entscheidende Punkt.

II

Schlink, a.a.O.; KrauB, a.a.O. 1. Teil B II 3. Schlink, a.a.O. und S. 198 f.; KrauB, a.a.O., S. 385, 387. BVerfGE 65, 1 (43,46); vgl. auch Schlink, a.a.O., S. 192 f.

12 S.o., 13

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1. Teil: Nonnative Schranken der Deliktsprovokation

Daß jemand zum Geständnis einer Straftat gezwungen wird, begründet für sich genommen noch nicht den vollen Unwert des Verstoßes gegen den nemo tenetur- Grundsatz. Die Verwendung der mit dem Geständnis verbundenen Informationen zwecks Strafverfolgung muß hinzukommen. Demgemäß hat das BVerfG im Gemeinschuldnerbeschluß 15 die Erhebung von Informationen über eine Straftat durch Verpflichtung des Beschuldigten zur Aussage außerhalb des Strafverfahrens nicht beanstandet, weil die Erhebung verhältnismäßig und gesichert war, daß die Informationen nicht im Strafverfahren gegen den Beschuldigten verwendet werden. Speziell durch die Verwendung der mit dem Willen des Beschuldigten erhobenen Informationen gegen diesen wird sein Selbsterhaltungsinteresse mißachtet und wird er zum Funktionselement staatlicher Zwecke. Eben dies soll auch das Recht auf informationelle Selbstbestimmung verhindern. Der nemo tenetur-Grundsatz ist also eine besondere Ausformung jenes Rechts für die den Rechtsinhaber besonders belastende Situation des Strafverfahrens. Er ist mit dem Recht auf informationelle Selbstbestimmung nicht identisch, denn er schützt eine Information nicht rundum gegen den Staat, sondern nur, soweit sie durch willentliches Handeln des Beschuldigten zu erheben ist. Der nemo tenetur-Grundsatz betrifft eine besonders zugespitzte Version der Funktionalisierung des einzelnen durch den Staat, die allgemein aber auch vom Recht auf informationelle Selbstbestimmung begrenzt wird. Dementsprechend hat das BVerfG die "Selbstbezichtigung" als besonders bedeutsamen Gegenstand dieses Rechts hervorgehoben 16. Im übrigen schützt auch dieses Recht Informationen nicht rundum (absolut), sondern nur gegenüber dem Staat und in spezifischen Verhältnissen zwischen Bürgern 17. Wenn nun das Recht auf informationelle Selbstbestimmung die Verwendung von Informationen ohne Wissen des Betroffenen verbietet, sofern sie nicht gesetzlich begründet ist, könnte dies ebenso für den nemo tenetur-Grundsatz gelten. Die Veranlassung einer Aussage durch die Strafverfolgungsbehörde ist Informationserhebung. Sie ohne Wissen des Beschuldigten, d. h. aufgrund einer Täuschung zum Zweck der Überführung des Beschuldigten zu verwenden, ist, soweit nicht gesetzlich begründet, verboten. Wenn zudem schon die Erhebung diesem verschleierten Zweck dient, ist auch sie ein verbotener, weil nicht durch einen legalen Zweck legitimierter Eingriff. In der Literatur wird jede staatliche Informationserhebung durch Täuschung als indirekter Informationseingriffbestimmt und der offen erzwungenen Informationserhebung gleichgestelltl 8 • Und da der nemo tenetur-Grundsatz zum Recht auf informationelle Selbstbestimmung gehört, könnte auch dieser Grundsatz der Provokation entgegenstehen. Diese Annahme

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E 56, 37 (51 f.); ähnlich OLG Celle NStZ 1982, 399 f. E 65, 1 (42, 46, 62 f.). Dazu unten 1. Teil B V 7. Schlink, Amtshilfe, S. 188 f.

B. Allgemeines Persönlichkeitsrecht und Deliktsprovokation

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impliziert freilich, daß der nemo tenetur-Grundsatz über seinen herkömmlichen Normbereich hinaus ausgeweitet wird. Gegen die staatliche Deliktsprovokation kann der nemo tenetur-Grundsatz geltend gemacht werden, wenn er neben Verpflichtung und Zwang auch verbietet, jemanden durch Täuschung zur Selbstbelastung zu veranlassen, und weiter, wenn er in dem Stadium gilt, in dem die staatliche Provokation meist eingesetzt wird: vor dem Strafverfahren, in dem die Überführung, zu der der Provozierte beigetragen hat, erfolgt.

3. Verstoß gegen den nemo tenetur-Grundsatz durch Täuschung? Nach allgemeiner Meinung ist der Grundsatz nicht tangiert, wenn einem Beschuldigten durch Täuschung ein Geständnis entlockt wird 19. Dies entspricht auch dem Wortlaut des Internationalen Paktes über bürgerliche und politische Rechte (Art. 14 Abs. 3 lit. g). Dort ist der nemo tenetur-Grundsatz positiviert, allerdings nicht abschließend. Der Zwang zur Selbstbelastung ohne Aussagen ist in dem Pakt nicht verboten. Dennoch ist anerkannt, daß auch solcher Zwang dem nemo tenetur-Grundsatz widerspricht 20 • Dann könnte der Pakt auch nicht der These entgegenstehen, der nemo tenetur-Grundsatz verbiete auch, die Selbstbelastung durch Täuschung zu veranlassen. Im übrigen wird der Grundsatz aus dem Gebot, die Menschenwürde zu achten (Art. 1 Abs. 1 GG), abgeleitet 21 • Sie könnte auch durch die genannte Täuschung betroffen sein. Ob dies anzunehmen ist, läßt sich anhand des Zweckes klären, der mit dem Grundsatz erreicht werden soll. Dem Beschuldigten soll, wird allgemein angenommen, die qualvolle Alternative, sich durch Selbstbelastung mit der gegen ihn gerichteten Beschuldigung identifizieren oder lügen zu müssen, das Gefühl unausweichlicher moralischer Erniedrigung erspart werden 22 • Wenn der Beschuldigte durch die Täuschung zu dem Geständnis veraniaßt wird, der Komplize habe schon alles gestanden, wird er nicht vor die erwähnte Alternative gestellt. Sie wird ihm erspart. § 136a StPO, nicht aber der nemo tenetur-Grundsatz, ist nach h. M. hier durchbrochen. Auch die mit der Provokation verbundene Täuschung verstößt dann nicht gegen den Grundsatz 23. 19 BVerfGE 56, 37 (41 f.); Grünwald, JZ 1981,423 (428); Rogall, Der Beschuldigte als Beweismittel gegen sich selbst, S. 208 f.; Puppe, GA 1978, 289 (299); Paeffgen, Vorüberlegungen zu einer Dogmatik des Untersuchungshaftrechts, S. 68 f. 20 Vgl. Eb. Schmidt, Lehrkomm. Teil II, § 95 Rn 1 mit weiteren Nachweisen; Rogall, a.a.O., S. 54 ff., 157 f. 21 BVerfGE 56, 37 (41 f.); Grünwald, a.a.O. 22 So die in Anm. 21 zitierten sowie J. Kühl, Zur ,,Rasterfahndung" und "vorbeugenden Verbrechensbekämpfung". In: 10. Strafverteidigertag. Schriftenreihe der Strafverteidiger-Vereinigungen, S. 145 (149). 23 Gegen die Vorstellung, es solle dem Beschuldigten das Erlebnis ,Lüge oder Selbstbelastung' erspart werden, spricht nicht die Verpflichtung der Vernehmungsbehörden

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1. Teil: Nonnative Schranken der Deliktsprovokation

Fraglich wird die Annahme, es sollten durch den Grundsatz dem Beschuldigten negative Erlebnisse erspart werden, wenn dem Beschuldigten ein subjektives öffentliches Recht darauf zugestanden wird, zur Sache zu schweigen. Auch dies ist h. M.24 und angesichts des § 115 Abs. 3 StPO kaum zu bezweifeln. Es handelt sich um ein Recht, über Informationen zu verfügen, Macht auszuüben. Es besteht nicht absolut; den Beschuldigten belastende Informationen ohne seine Aussagen oder sonstige willentliche Mitwirkung zu erheben, ist nach dem nemo teneturGrundsatz nicht verboten 25. Über die durch seine willentliche Mitwirkung zu erhebenden Informationen kann er aber frei verfügen. Ein solches Verfügungsrecht ist wie jedes subjektive Recht nicht nur auf subjektive Gefühle bezogen, sondern grenzt objektiv andere aus, gibt die Chance, objektive Wirkungen zu erzielen oder zu vermeiden. Versteht man den nemo tenetur-Grundsatz in diesem Zusammenhang, so kann sein Zweck nicht sein, dem Beschuldigten das Erniedrigungsgefühl zu ersparen. Auch um Scham 26 oder andere Effekte im Bewußtsein und Gefühlsleben des Beschuldigten kann es dann nicht gehen. Das Wesentliche eher zum Ausdruck bringt das Stichwort ,Distanz' 27: dem gewaltsamen oder manipulativen Zugriff der Strafverfolgung einen Abstand aufzwingen. Die informationelle Macht des Staates über den Beschuldigten wird begrenzt; die informationelle Macht des Beschuldigten über sich selbst wird verstärkt. Würde dem Beschuldigten nur das bewußte erniedrigende Erlebnis des Geständniszwangs erspart, so wäre der Grundsatz bloßes Sensibilitätsgebot. Objektiv dürfte das Aussageverhalten des Beschuldigten staatlich gesteuert werden; nur es ihn merken lassen, dürfte man nicht. Sein ,als ob'-Gefühl von Freiheit wäre zu wahren 28. - Die Geschichte der subjektiven Rechte spricht eher dafür, daß sie den einzelnen um ihrer selbst willen zustehen, sie also wirklich als Subjekte anerkennen und nicht nur, als ob zur Belehrung des Beschuldigten gemäß § 136 Abs. 1 S. 2, § 243 Abs. 4 S. 1 StPO. Die Belehrung soll den Beschuldigten darauf hinweisen, daß er nicht verpflichtet ist, sich selbst zu belasten (Rogall, Der Beschuldigte als Beweismittel gegen sich selbst, S. 104 f., 214 f.; ders., MDR 1977,978 (979). Er darf in diesem Zusammenhang nicht nur nicht durch Täuschung zur Aussage veranIaßt werden; er muß sogar aufgeklärt werden, wenn er sich selbst über seine vom nemo tenetur-Grundsatz geschützte Freiheit täuscht. Hier kann der nemo tenetur- Grundsatz also durch Täuschung tangiert werden. Es handelt sich jedoch um einen Sonderfall, denn die vorgetäuschte Aussagepflicht würde dem Beschuldigten ein ebensolches Erlebnis der Alternative ,Lüge oder Selbstbelastung' bescheren wie die wirkliche Verpflichtung zur Aussage. 24 Rogall, Der Beschuldigte als Beweismittel, S. 149 ff.; Rüping, JR 1974, 135 (137); Puppe, GA 1978,289 (303) m. w. N. 25 Rogall, a.a.O., S. 106. 26 Puppe, a.a.O. 27 Puppe, a.a.O.; J. Kühl, a.a.O. (Anm. 22). 28 Dementsprechend könnte das Demokratiegebot gedeutet werden, als Garantie des Gefühls für die Bürger, die politischen Geschäfte zu bestimmen, auch wenn objektiv längst diese über die Bürger bestimmen. Das Recht auf Leben könnte gedeutet werden als Garantie, die objektive Manipulation des eigenen Todes nicht unsanft wahrnehmen zu müssen.

B. Allgemeines Persönlichkeitsrecht und Deliktsprovokation

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sie solche wären. Dann ist nicht den Bürgern das Gefühl oder Bewußtsein der Erniedrigung zu ersparen, sondern die dieser zugrundeliegende wirkliche, objektive Instrumentalisierung gegen sich selbst. Dies auszugrenzen ist Zweck des subjektiven Rechts der Verfügung über eigene Informationen. Nun ist der Strafprozeß nicht zulänglich als ein Machtverhältnis von Inhabern subjektiver Rechte zu bestimmen. Er ist auch durch Interaktionen gekennzeichnet. Dazu gehört wechselseitige Anerkennung der Beteiligten, nicht nur Ausgrenzung. Dementsprechend kann man den nemo tenetur-Grundsatz verstehen als Verbot, dem Beschuldigten die Anerkennung als Subjekt zu versagen, indem ihm das Interesse an Selbsterhaltung bestritten wird. Der Verstoß gegen den Grundsatz läge demnach auf kommunikativer Ebene. Daraus folgt jedoch nicht, daß die Mißachtung des Beschuldigten von ihm wahrgenommen worden sein müßte. Die Achtung der Subjektivität wird rechtlich nicht im isolierten zweiseitigen Verhältnis des Beschuldigten zur Strafverfolgungsbehörde geschützt, sondern im sozialen Zusammenhang. Deshalb hängt die Bedeutung der Mißachtung nicht von der Wahrnehmung des einzelnen Beschuldigten ab. Auch die Bewertung der Beleidigung ist unabhängig von der Wahrnehmung des Beleidigten. Daß zu den prozessualen Interaktionen allemal Bewußtsein gehört, steht dieser Deutung nicht entgegen. Wenn der Beschuldigte sein Recht nicht kennt, ist dessen faktische Ausübung gehemmt, nicht das .Recht beschränkt. Legt man die dargestellte Zweckbestimmung zugrunde, so kann nicht relevant sein, ob der Beschuldigte bemerkt, daß er zur Selbstbelastung veraniaßt wird, oder ob ihm dies durch Täuschung verschleiert wird. Ihn zur Selbstbelastung zu veranlassen, ist dann in beiden Versionen verboten. Zulässig wäre nur, auf seine freie diesbezügliche Entscheidung hinzuwirken. Hier könnte eingewandt werden, der durch Täuschung zur Selbstbelastung veranlaßte Beschuldigte sei insofern frei, als er die Selbstbelastung unterlassen kann. Daß dies nicht relevant ist, läßt sich § 123 BGB entnehmen. Danach kann der Inhaber eines subjektiven Rechts auch dessen Entziehung durch Täuschung abwenden. Das subjektive Recht beinhaltet die Freiheit, darüber zu disponieren, unter welchen Bedingungen es aufgegeben wird. Das hat Puppe im einzelnen begründet 29 • Im Zivilrecht ist anerkannt, daß das Erschleichen einer Willenserklärung rechtswidrig ist 30• Wenn es Zweck des nemo tenetur-Grundsatzes ist, die Eigenständigkeit des Beschuldigten objektiv zu wahren, so fügt sich der Grundsatz zur Straffreiheit der Selbstbegünstigung. Grund dieser Straffreiheit kann ebenfalls nicht sein, dem Täter moralisch erniedrigende Erlebnisse oder Konflikte zu ersparen. Der Fliehende wäre oft auch bereit zu lügen, wenn es nötig wäre, und in einem moralischen Konflikt steht er möglicherweise nicht, ist vielmehr allein auf seinen egoistischen Vorteil fixiert. Dieses Interesse, die Eigenständigkeit des Täters 29 30

GA 1978, 289 (300).

Bettermann, NJW 1981, 1065 f. mit weiteren Nachweisen.

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1. Teil: Nonnative Schranken der Deliktsprovokation

gegenüber der Strafverfolgung, wird mit der Straffreiheit der Selbstbegünstigung als immerhin legitim anerkannt. Das hier vertretene Verständnis des nemo tenetur-Grundsatzes stellt diesen in den Zusammenhang des Bestrebens, den Bürger gegenüber dem Staat nicht zum fungiblen Objekt werden zu lassen 31 • Geppert 32 hat darauf hingewiesen, daß dem Bürger im Strafverfahren die Objektivierung ohnehin nicht ganz erspart wird. Er wird Objekt körperlicher Untersuchung und anderer Zwangsmaßnahmen, die auf seine Belastung gerichtet sind. Allerdings wird durch solche Objektivierungen der Wille des Betroffenen nur überwältigt. Er wird nicht positiv eingespannt für Zwecke gegen den Betroffenen 32a. Darum geht es im nemo tenetur-Grundsatz. Nun kann man auf den Sinn der unterschiedlichen Behandlung der beiden Arten der Objektivierung abstellen. Wenn der Körper des Beschuldigten zum Instrument gegen diesen gemacht (z. B. § 81a StPO), nicht aber sein willentliches Verhalten gegen ihn eingespannt werden darf (z. B. § 243 Abs. 4 S. 1 StPO), so realisiert sich darin ein idealistisches Menschenbild; der Körper ist minder wichtig als der Wille, der Geist. Möglicherweise wären Menschenwürde und Freiheit auch durch andere Verteilungen des Schutzes zu wahren. Die hier zugrunde gelegte Verteilung ist in der StPO festgelegt. Daraus läßt sich jedoch nicht ableiten, daß der Idealismus noch auf die Spitze getrieben werden müsse, indem der Schutz des Bürgers auf den Fall konzentriert wird, in dem er seine Objektivierung bewußt erlebt. Sollte also der Zweck des nemo tenetur-Grundsatzes konsequent verwirklicht werden, so müßte auch die Täuschung, die eine Selbstbelastung veranlassen soll, verboten sein. Dennoch ist die h. M., die dem nemo tenetur-Grundsatz im Strafverfahren kein Täuschungsverbot entnimmt, akzeptabel. Die vorangegangene Argumentation stützte sich nur auf das Interesse des Beschuldigten an seiner Subjektivität. Sie berücksichtigte nicht die dem entgegenstehenden Interessen. Diese sind normativ relevant. Käme es nur darauf an, die Subjektstellung des Beschuldigten zu achten, so dürfte er auch nicht in Untersuchungshaft genommen und auch andere Zwangsmittel dürften gegen ihn nicht eingesetzt werden. Letztlich dürfte ein Urteil auch nur mit seiner Zustimmung gefällt und vollstreckt werden. Nimmt man die Garantie der Subjektstellung ernst (d. h. ohne hoheitlich zu definieren, was ein Subjekt sei), so ist zuzugeben, daß sie im Gesetz vielfach relativiert wird zugunsten des Interesses an Strafverfolgung 33. Damit werden auch die Normen, die den nemo tenetur-Grundsatz begründen, das allgemeine Persönlichkeitsrecht und die Garantie der Menschenwürde, nicht rein durchgeDazu F. Herzog, NStZ 1985, 153 (156 ff.). DAR 1981, 301 (306 f.). 32a Rüping, JR 1974, 135 (139). 33 Geppert, DAR 1981,301 (306 f.). 31

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B. Allgemeines Persönlichkeitsrecht und Deliktsprovokation

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führt. Deshalb ist es auch möglich, daß nicht alle Arten der Beeinträchtigung des Schutzgutes des nemo tenetur-Grundsatzes verboten werden, sondern nur die besonders intensiven, sofern dadurch respektable Gegeninteressen gewahrt werden. Die Täuschung wirkt weniger intensiv als der kompulsive Zwang und die Drohung. Auf der Seite der Gegeninteressen ist zu berücksichtigen, daß das in der StPO anerkannte Interesse an der Aufklärung von Straftaten im Rahmen des Strafverfahrens erheblich eingeschränkt würde, wenn neben der Täuschung bei Vernehmungen (§ 136a StPO) allgemein jede Täuschung des Beschuldigten, die diesen zu ihn belastenden Handlungen veraniaßt, verboten würde 34. Möglicherweise hätte dies die nicht erwünschte Folge, daß sich die Strafverfolgungsbehörden noch weitergehend auf die Beobachtung des Lebens und des sozialen Umfeldes des Beschuldigten und auf die Maßnahmen der vorbeugenden Straftatenbekämpfung konzentrierten. Es ist deshalb nicht zu beanstanden, daß die am wenigsten intensive Form der Veranlassung zur Selbstbelastung, die Täuschung, im Strafverfahren nicht verboten wird. Findet die Provokation also im Zusammenhang eines Strafverfahrens statt mit dem Ziel, Beweismittel für die vorgeworfene vergangene Tat zu erlangen, so verstößt die mit der Provokation verbundene Täuschung nicht gegen den nemo tenetur-Grundsatz.

4. Differenzierung des Schutzes von Beschuldigten und Nichtbeschuldigten Die Reichweite des Grundsatzes wurde hier eingeschränkt im Hinblick auf Gegeninteressen, die im Strafverfahren anzuerkennen sind. Die Einschränkung des Interesses des einzelnen an der Respektierung seiner Subjektivität verliert ihren Grund, wenn anzuerkennende Gegeninteressen nicht vorhanden sind. Bevor jemand eine Straftat begangen hat, haben die Behörden kein legales Interesse, ihn der Tat zu überführen. Die Ermittlungen beginnen, wenn zureichende tatsächliche Anhaltspunkte für eine vergangene Tat vorliegen. Zwar werden im Rahmen der vorbeugenden Straftatbekämpfung einzelne präventive Maßnahmen zugelassen. Aber der rechtliche Status des Nichtbeschuldigten darf nicht dem des Beschuldigten gleichgestellt werden. Die Strafverfolgungsinteressen, die in die Definition des Status des Beschuldigten eingehen, müssen nicht auch bei der Bestimmung des Status des Nichtbeschuldigten berücksichtigt werden. Die Regelungen der vorbeugenden Kriminalitätsbekämpfung, die z. T. dazu tendieren, die Differenz zwischen Beschuldigten und Nichtbeschuldigten zu 34 Es geht hier nicht darum, ein gesetzlich anerkanntes subjektives prozessuales Recht zugunsten der "Funktionsfahigkeit der Strafrechtspflege" zu relativieren. Vielmehr ist die Vorfrage zu klären, wieweit das subjektive Recht reicht im Strafverfahren. Zu diesem gehören auch die dem Interesse am subjektiven Recht entgegenstehenden Interessen.

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1. Teil: Normative Schranken der Deliktsprovokation

nivellieren (vgl. § 103 Abs. 1 S.2, §§ 111, 163 Abs.2, §§ 163b, 163d StPO), sind in rechtsstaatlicher Hinsicht nicht Grund, diese Nivellierung zu verallgemeinern, sondern problematische Ausnahmen, weil sie die Tendenz enthalten, die Allgemeinheit in den Status des Verdächtigen zu versetzen. Das Freiheitsgrundrecht geht aber davon aus, daß im allgemeinen und im Alltag die Bürger ihre Probleme selbst bewältigen können, also unverdächtig sind, solange nicht der strafprozessuale Anfangsverdacht oder eine konkrete Gefahr vorliegen. Ist also der Status des Beschuldigten von dem des Nichtbeschuldigten zu unterscheiden, so kann auch die Wahrung von Individualinteressen insofern differenziert bestimmt werden. Solche Differenzierung liegt auch anderen Regelungen der StPO zugrunde. Zwangsweise körperliche Untersuchungen und Durchsuchungen sind gegen Nichtbeschuldigte weniger weitgehend zugelassen als gegen Beschuldigte (§§ 81a, 81c, 102 f. StPO). Das widerspricht nicht der Unschuldsvermutung. Diese verlangt nicht, Verdächtige als unverdächtig, sondern sie nicht als schuldig zu behandeln 35. Der Beschuldigte wird intensiveren Eingriffen ausgesetzt, nicht weil er schuldig ist, sondern weil er den Verdacht einer zu ahndenden Straftat veraniaßt hat. Erweist sich die Ahndung als unzulässig, so mag der Beschuldigte entschädigt werden wegen eines Sonderopfers zugunsten der Allgemeinheit. Aus den dargestellten verfassungsrechtlichen Gründen wäre es aber verfehlt, alle Bürger gleichmäßig als Veranlasser von staatlichen Aufklärungsmaßnahmen einzustufen. - Nach allem ist es denkbar, daß der nemo tenetur-Grundsatz, der aus dem jedermann zustehenden allgemeinen Persönlichkeitsrecht abgeleitet ist, das Interesse von Nichtbeschuldigten mehr wahrt als das von Beschuldigten. Dies wäre eine Konkretisierung der das Strafverfahrensrecht leitenden Verknüpfung von Eingriffsintensität und Tatverdacht, die Ausformung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes ist 36. Die StPO enthält allerdings auch Regelungen, die den Beschuldigten weitergehend freistellen als den Nichtbeschuldigten, der z. B. zur Aussage gezwungen werden darf. Diese Regelungen widersprechen jedoch nicht der hier erwogenen Differenzierung, denn sie erlegen dem Nichtbeschuldigten den Aussagezwang, dem der Beschuldigte nicht unterliegt, nur auf, weil und soweit der Nichtbeschuldigte sich nicht selbst belastet durch seine erzwungene Aussage (vgl. § 55 StPO). Bei der hier erwogenen Differenzierung geht es aber um Nichtbeschuldigte, die dazu veranlaßt werden, sich selbst zu belasten.

Fazit: Das Interesse an der Aufklärung einer Straftat im Strafverfahren, um des willen zugelassen wird, den Beschuldigten durch Täuschung zur Selbstbelastung zu veranlassen, besteht nicht außerhalb des Strafverfahrens. Um des im allgemeinen Persönlichkeitsrecht begründeten Schutzes vor Selbstbelastung wil35 36

Rudolphi in SK StPO Rn 10 vor § 94. Kleinknecht / Meyer, Einleitung Rn 20,22; F. Herzog, NStZ 1985, 153 (154).

B. Allgemeines Persönlichkeitsrecht und Deliktsprovokation

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len kann außerhalb des Strafverfahrens die Täuschung also verboten sein, sofern nicht die Täuschung als Maßnahme der vorbeugenden Kriminalitätsbekämpfung gesetzlich zugelassen ist. - Diese Auslegung des nemo tenetur-Grundsatzes unterstellt freilich, daß er außerhalb des Strafverfahrens gilt.

5. Geltung des nemo tenetur-Grundsatzes außerhalb des Strafverfahrens Im Gemeinschuldnerbeschluß37 nahm das BVerfG an, der Gemeinschuldner, ein Kaufmann, sei gegenüber dem Konkursgericht zu einer ihn belastenden Aussage verpflichtet, wenn die Verpflichtung verhältnismäßig und gesichert sei, daß die Aussage nicht im Strafverfahren gegen ihn verwertet wird. Demnach gilt der nemo tenetur-Grundsatz, wenn auch nicht absolut, außerhalb des Strafverfahrens. Schon die Aussageverpflichtung außerhalb des Verfahrens wäre nach Ansicht des BVerfG unzulässig, wenn sie nicht durch einen überwiegenden Zweck gedeckt wäre. In die gleiche Richtung weist eine Entscheidung des OLG Celle 38, die sich mit der strafprozessualen Verwertung der Schadensmeldung eines Versicherungsnehmers beschäftigt.

a) Alltäglicher Zwang zur Selbstbelastung und Verteilung des informationellen Risikos Legt man die genannten Entscheidungen zugrunde und nimmt hinzu, daß die Selbstbelastung außerhalb des Verfahrens auch nicht durch Täuschung veraniaßt werden darf, so liegt es nahe, auch in der Deliktsprovokation, die jemanden wegen der zu provozierenden Tat überführen soll, einen Verstoß gegen den nemo tenetur-Grundsatz zu sehen. Der Verstoß scheint sogar noch krasser zu sein als in den erwähnten Fällen, denn bei der Provokation nutzt die Verfolgungsbehörde nicht erst Informationen, die in legaler Weise zu anderen als Überführungszwecken erhoben werden; vielmehr dient schon die Informationserhebung allein der späteren Überführung des Betroffenen. Allerdings betrifft in den genannten Fällen die Veranlassung zur Selbstbelastung Bürger, die die Straftat, derer sie überführt werden könnten, schon begangen haben. Die Provokation betrifft einen Bürger, der noch nicht Täter ist und erzeugt erst die Straftat. Diese Differenz wäre erheblich, wenn es Zweck des nemo tenetur-Grundsatzes wäre, dem Bürger das Erleben der Alternative ,Selbstbelastung oder Lüge' zu ersparen; denn der noch Unschuldige steht nicht vor der genannten Alternative 39. Wie oben gezeigt, spricht jedoch einiges dafür, daß der nemo tenetur-Grundsatz den 37 BVerfGE 56, 37 (48 ff.). 38 NStZ 1982, 393 f. 39 Darauf stellt Kühl, a.a.O. (Anm. 22), ab.

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1. Teil: Nonnative Schranken der Deliktsprovokation

Zweck hat, den Willen des Bürgers objektiv nicht für die Strafverfolgung gegen diesen selbst zu instrumentalisieren. Dies aber geschieht bei der Provokation durch die Polizei. Sie will bewirken, daß der betroffene Bürger erklärt, daß, wo und wann er die Straftat begeht. Damit würde er Beweise gegen sich selbst willentlich der Strafverfolgungsbehörde zur Verfügung stellen. Die Subjektivität des Bürgers wird im Strafverfahren nicht perfekt geschützt. Er kann Zwangsmaßnahmen ausgesetzt werden, die seinen Willen überwältigen. Daraus läßt sich jedoch nicht schließen, daß der nemo tenetur-Grundsatz nicht schon vor der Tat gelten könne 40, denn er betrifft eine spezifische Art der Beeinträchtigung der SubjektsteIlung, das Eingespanntwerden des subjektiven Willens gegen das Subjekt. - Die gegen die Geltung des nemo tenetur-Grundsatzes vor der Tat geltend gemachten Argumente sind also nicht ohne weiteres plausibel. Die für die Ausweitung gegebenen Begründungen sind nun zu prüfen. Die zitierten Entscheidungen des BVerfG und des OLG Celle stellen auf den Zwang ab, unter dem der Bürger seine ihn belastenden Aussagen außerhalb des Strafverfahrens macht. Es ist nicht sicher, ob dies die Anwendung des nemo tenetur-Grundsatzes außerhalb des Strafverfahrens hinreichend begründet. Der Zwang, unter dem der Gemeinschuldner seine Aussage machte, war Konsequenz seiner kaufmännischen Tätigkeit. Der Zwang, unter dem der Versicherte seine Schadensmeldung abgab, war Konsequenz seiner Entscheidung, seinen Lebensspielraum durch Benutzung eines Kfz zu erweitern. Zudem konnte er dem Zwang ausweichen, indem er den Schaden selbst ausglich. Das hätte Geld gekostet. Aber daß Bürger für die wirtschaftlichen Folgen ihres Verhaltens einzustehen haben, ist normal. Und Zweck der Haftpflichtversicherung ist es nicht, den Versicherten wirtschaftlich zu entlasten, sondern von dessen Tätigkeit gefahrdeten Verkehrsteilnehmern Schadensersatz zu sichern. Denkt man die am Kriterium ,Zwang' orientierte Ausweitung des nemo tenetur-Grundsatzes durch die beiden Gerichte weiter, so würden die Ermittlungen der Strafverfolgungsbehörden erheblich eingeschränkt. Denn vor, während und nach der Tat ist jeder Täter gezwungen, Spuren zu hinterlassen, die oft seine Überführung ermöglichen 41 • Läßt sich z. B. durch Zeugenvernehmung ermitteln, daß jemand kurz nach der Tat in der Nähe des Tatorts sich etwas zu essen und warme Schuhe gegen die Kälte kaufte, so kann u. U. sein Alibi widerlegt werden. Die Beweismittel gegen sich selber lieferte der Täter unter einem Zwang, dessen Abwendung nicht weniger Respekt verdient als kaufmännische Betätigung und Autofahren. Dennoch hat noch niemand gefordert, die Selbstbelastung des hungrigen und frierenden Täters unter den Schutz des nemo tenetur-Grundsatzes zu stellen. Dahinter steht die Vorstellung, daß im allgemeinen jeder selbst das Risiko, daß die aus der eigenen Lebensführung resultierenden Informationen zur Strafverfolgung gegen ihn verwandt werden, zu tragen habe. Auch Kaufleute 40 41

So aber Geppert, DAR 1981, 301 (306 f.). Dazu J. Kühl, a.a.O. (Anm. 22).

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und Autofahrer könnten dieses Risiko tragen. Daß sie besser behandelt werden sollen, läßt sich wiederum nicht erklären mit der Alternative ,Lüge oder Selbstbelastung' , vor der sie stehen, wenn sie zur Aussage genötigt werden. Auch dem hungrigen und frierenden Täter war eventuell klar, daß er Beweismittel gegen sich selber schuf. Daß er seine Alternative - körperliche Beeinträchtigung vermeiden wollte, ist wohl nicht weniger zu respektieren als das Bedürfnis, die Lüge zu vermeiden. Auch das BVerfG42 berücksichtigt den Gesichtspunkt der Verteilung des informationellen Risikos, das aus der Lebensführung des einzelnen resultiert. Der kaufmännische Gemeinschuldner habe gegenüber den von ihm geschädigten Gläubigern aus eigenem Willensentschluß ein besonderes Pflichtverhältnis übernommen, aufgrund dessen er ihnen zur Auskunft verpflichtet sei, auch wenn er dabei Straftaten offenbaren müsse. Insofern soll der Kaufmann also das informationelle Risiko tragen, nicht jedoch gegenüber der Strafverfolgungsbehörde; diese soll die Informationen über die Straftaten nicht verwerten dürfen. Warum er hier besser gestellt werden soll als der erwähnte hungrige Täter bleibt offen. Denkbar ist nach den Ausführungen des Gerichts folgende Erklärung der Differenzierung: Die Pflicht, seine Straftat zu offenbaren, ist dem Gemeinschuldner im Interesse anderer, der Gläubiger, auferlegt; deshalb sollen ihm daraus keine weiteren Folgelasten entstehen 43 . Die Notwendigkeit, sich Essen und Kleidung zu verschaffen hingegen ergibt sich aus der Bedürftigkeit des einzelnen selber; deshalb soll er auch die informationellen Folgen tragen. - Solche Differenzierung wäre wenig überzeugend. Der Gemeinschuldner ist als Kaufmann kein isoliertes Wesen. Er konnte überhaupt nur wirtschaften aufgrund der geltenden Zivil-, Wirtschafts- und Vollstreckungsrechtsordnung. Sie gewährten ihm wie allen anderen Wirtschaftssubjekten die Chance, Profit zu erzielen. Ihre Einhaltung ist auch sein Interesse, wie umgekehrt die Befriedigung physischer Bedürfnisse auch dem allgemeinen Wirtschaftsverkehr dient. Deshalb wäre es auch verfehlt, in der Verpflichtung des Gemeinschuldners eine Art Sonderopfer zu sehen, das nicht mit unnötigen informationellen Folgelasten belegt werden dürfe. Daß er Gemeinschuldner wurde, ist über den Kaufmann nicht vom Himmel gekommen, sondern Konsequenz seiner wirtschaftlichen Tätigkeit und Risiko jeder solchen Tätigkeit. Wer diese Rolle übernimmt, hat auch die informationellen und strafrechtlichen Konsequenzen zu tragen, wie auch andere Rollenträger im Rahmen der Sorgfaltspflichten und GarantensteIlungen die strafrechtlichen Konsequenzen zu tragen haben. Es gibt keinen Grund, das Profitinteresse von strafrechtlichen Folgen zu entlasten, die dem Konsuminteresse auferlegt werden. Die Entlastung des Kaufmanns und des Autofahrers von drohender strafprozessualer Informationsverwertung läßt sich auch nicht erklären aus dem Interesse der Gläubiger bzw. der Versicherung und der anderen Versicherungsnehmer an 42 E 56, 37 (42, 45 f., 48). 43 Darauf stellt das BVerfG ab; E 56, 37 (48 ff.).

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1. Teil: Normative Schranken der Deliktsprovokation

wahrheitsgemäßen Auskünften und einem vertrauensvollen Verhältnis zu dem im Einzelfall auskunftspflichtigen Versicherungsnehmer. Denn diese Interessen haben mit dem Schutz des Kaufmanns bzw. Autofahrers vor Selbstbelastung nichts zu tun. Sie könnten nur von den genannten Interessenten geltend gemacht werden im Rahmen einer analogen Anwendung des § 53 Abs. 1 StPO. Was dagegen einzuwenden ist, hat Geppert dargestellt 44 • Das vorläufige Fazit lautet also: Sowohl die Argumente, die gegen eine Ausweitung des nemo tenetur-Grundsatzes auf das außerprozessuale Geschehen geltend gemacht werden, wie auch die Argumente der Gerichte für diese Ausweitung stehen auf tönernen Füßen. Deshalb liegt es nahe, hinsichtlich der außerprozessualen Deliktsprovokation gegen die Anwendung des nemo tenetur-Grundsatzes Schumanns Plausibilitätserwägung zu stellen: "Daß es zur rechtlich relevanten und gar durch die StPO geschützten Entscheidungsfreiheit eines Täters gehören sollte, seine Tat unbeobachtet von der Polizei oder sonstigen Anzeigewilligen begehen zu können, ist eine Annahme, die sich wohl von selbst verbietet"45. Solche Selbstverständlichkeit könnte jedoch irritiert werden von der Entwicklung der modemen staatlichen Sozialkontrolle. Diese könnte das außerprozessuale Leben mit einem solchen Netz von technischer Beobachtung und Informationssammlung überziehen, daß der Täter darin annähernd wie eine Maus in der Versuchsanordnung agiert. Deren Verhalten ist Teil des veranstalteten Experiments. Es ist also durchaus Anlaß gegeben, nach einer Erklärung für die herkömmliche Beschränkung des nemo tenetur-Grundsatzes auf das Strafverfahren zu fragen und danach, ob sie noch der Realität gerecht wird.

b) Bedeutung der sozial gesonderten Sphäre der Öffentlichkeit für Freiheit und Zurechnung Zunächst sollen die staatliche Deliktsprovokation, die modemen informationstechnischen Fahndungsmethoden und das Recht auf informationelle Selbstbestimmung beiseite gelassen und die schlichten Fälle betrachtet werden, in denen jemand "von sich aus" (um Essen, Kleidung, Wohnung zu beschaffen usw.) außerhalb des Strafverfahrens Beweise gegen sich selbst produziert, die dann mit den herkömmlichen Mitteln (Zeugenvernehmung, Spurensuche) von der Strafverfolgungsbehörde gesucht, aufgespürt und gesammelt werden. - Daß hier der nemo tenetur-Grundsatz nicht eingreift, läßt sich nicht erklären mit dem Kriterium ,Zwang', denn, wie gezeigt, hat der Verdächtige die Beweise gegen sich oft unter Zwang produziert. Daß der Verdächtige nicht vor der Alternative ,Selbstbelastung oder Lüge' stand, hilft ebenfalls nicht weiter, denn, wie ausgeDAR 1981, 301 (303 f.). 45 Schumann, JZ 1986,66 (67). 44

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führt, kommt es erstens auf diese Alternative auch im Strafverfahren nicht an und zweitens stehen außerhalb des Strafverfahrens Verdächtige oft vor einer gleichwertigen Alternative. Entscheidend dürfte sein, daß der Verdächtige Beweise produzierte in einer im Verhältnis zur Strafverfolgungsbehörde anderen sozialen Sphäre: in der Öffentlichkeit gesellschaftlichen Handeins (zuweilen auch in einer Privatsphäre; dieser Fall kann hier vernachlässigt werden; für ihn gilt, was zur Öffentlichkeit zu sagen ist, erst recht). Weil die Öffentlichkeit eine von der Strafverfolgungsbehörde unterschiedene Sphäre ist, muß die Strafverfolgungsbehörde die dort auf die einzelnen wirkenden Zwänge im allgemeinen nicht berücksichtigen. Was in dieser Sphäre geschieht, gilt ihr als frei, weil es von ihr unabhängig ist. So lautet zusammengefaßt die Erklärung 46 • Sie ähnelt der beim Schuldurteil implizierten Annahme, der Täter sei frei gewesen, die ebenfalls nicht ernsthaft eine ontologische Freiheit meinen kann, sondern eine Freiheit von außerordentlichen Zwängen; die sozial normalen Zwänge werden nicht zur Kenntnis genommen, gehören zur gesellschaftlichen Sphäre, in die die Justiz sich nicht präventiv einmischt. Herkömmlich gilt, was jemand in der Öffentlichkeit objektiviert, als allen informationeIl verfügbar. Das Risiko, durch Informationen über öffentliche Objektivationen in Verruf, gar in Verdacht zu geraten, trägt grundsätzlich jeder selbst ungeachtet der auf ihm lastenden Zwänge. Auch der Strafverfolgungsbehörde sind die öffentlichen Objektivationen herkömmlicherweise informationeIl verfügbar. Aber bisher mußte sie faktisch erheblichen Aufwand betreiben, um die rechtlich relevanten Daten zusammenzubringen. Zwar kam es vor, daß eine Straftat unter den Augen eines Streifenpolizisten begangen wurde und zudem die Täter gleich identifiziert werden konnten. Das war jedoch Zufall. Im allgemeinen waren die Informationen in der Öffentlichkeit zerstreut, dezentral und aus der Sicht der Strafverfolgungsbehörde selbständig. Sie mußte sie erst aus der freien, d. h. nicht informationeIl zentralisierten, unübersichtlichen Öffentlichkeit herausholen, sie suchen, aufspüren, zusammenfügen. Diese menschliche Ermittlungsarbeit enthielt wie jede Arbeit erhebliche Imponderabilien. Hinzu kommt, daß in der Öffentlichkeit die Ermittlungsarbeit der Strafverfolgungsbehörde kein einseitiger Vorgang war, sondern ihrerseits wieder kontrolliert werden konnte von Betroffenen, Publikum, Presse, durch Rechtsbehelfe. Darauf stellte sich die Verfolgungsbehörde ein. Die Ermittlungsarbeit in der Öffentlichkeit implizierte eine Gegenseitigkeit der Beobachtung und Kontrolle, die internen Vorgängen der Behörde nicht eignet. All dies läßt es zu, die informationeIl dezentrale Öffentlichkeit als gegenüber der Strafverfolgungsbehörde sozial eigenständige Sphäre zu bestimmen. Was 46 Sie nimmt den im Zusammenhang des Tat- und des Schuldprinzips, der Grenzen der Ermittlungen, des Koppelungsverbots sowie der Kritik des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung dargestellten Ansatz (s. o. 1. Teil A 11 2, III, IV, V; B 11 4) wieder auf.

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1. Teil: Nonnative Schranken der Deliktsprovokation

der Verdächtige in dieser Sphäre objektiviert hatte, hatte er als ein von der Behörde unabhängiger, und insofern frei objektiviert. Deshalb war der nemo tenetur-Grundsatz hier obsolet. Er mußte erst eingreifen, wo jemand in den Binnenraum der Strafverfolgung geriet: Im Strafverfahren und gegenüber der Strafverfolgungsbehörde 47 ist der Verdächtige den Verfügungen einer bürokratischen Kontrollinstanz ausgeliefert; deshalb wird hier die Unabhängigkeit seiner Objektivation von dieser Instanz durch den nemo tenetur-Grundsatz gesichert. Er ist das funktionale Äquivalent der von der Verfolgungs behörde unterschiedenen sozialen Sphäre der Öffentlichkeit. Die hier zugrunde gelegte Relevanz der Unterscheidung sozialer Sphären und die Möglichkeit, von ihr aus auf eine relative Freiheit zu schließen, wurde im Zusammenhang des Tat- und des Schuldprinzips gezeigt. Eine Parallele für die hier behauptete Sphärentrennung und ihre Konsequenzen enthält § 22 Nr. 5 StPO, wonach ein Richter, der Zeuge war, ausgeschlossen ist. D. h., die Sphäre der Öffentlichkeit, in der die dezentralen Tatobjektivationen sich befinden und zu der die Zeugenwahrnehmung gehört, bleibt gegenüber der Strafrechtspflege eigenständig; entweder wird der Richter ihr zugeordnet, wird Zeuge, scheidet als Richter aus, oder er wird von ihr gesondert, wird nicht Zeuge, bleibt Richter. - § 22 Nr. 5 StPO geht davon aus, daß der Richter möglicherweise sein eigenes Zeugenwissen nicht kritisch würdigen kann. Diese Forderung nach Distanz ist nicht selbstverständlich. Vielmehr scheint es für den Prozeß keine bessere Erkenntnisquelle zu geben als die Wahrnehmungen des Richters selber. So meinte denn auch der BGH: "Ein Wissen, das der Richter in genügend sicherem Maße besitzt, ... braucht ihm nicht mehr durch die Hauptverhandlung vermittelt zu werden"48. Es geht aber im Prozeß, wie er in der StPO geregelt ist, nicht ohne weiteres um subjektives Wissen des Richters, sondern darum, Wissen in einem für die anderen Prozeßbeteiligten nachvollziehbaren und kontrollierbaren Zusammenhang zu erarbeiten. Deshalb wird dieser Arbeitszusammenhang auch gemäß § 22 Nr. 5 StPO von dem unvermittelten Wissen der Öffentlichkeit distanziert.

c) Überlagerung der Öffentlichkeit und rechtliche Trennung Die modeme Informationstechnik macht bekanntlich menschliche Arbeit und ihre Imponderabilien z. T. überflüssig. Das Sammeln, Ordnen, Vergleichen, Abrufen von Informationen durch Menschen wird quasi übersprungen. Auch die mit dieser Technik gerüsteten Polizeibehörden sparen Arbeit. Das hat nicht nur 47 Zu diesen beiden Kriterien der herkömmlichen Begrenzung des nemo teneturGrundsatzes vgl. Geppert, DAR 1981,301 (305). 48 BGHSt 6, 292; ebenso Alsberg / Nüse / Meyer, Der Beweisantrag im Strafprozeß, S. 531. Zur derart begründeten Möglichkeit, Gerichtskundigkeit an die Stelle des ordentlichen Beweisverfahrens zu setzen, kritisch Arzt, der befangene Strafrichter, S. 30 f.; Keller, ZStW 101 (1989),381 (405 ff.).

B. Allgemeines Persönlichkeitsrecht und Deliktsprovokation

145

technische Bedeutung und Folgen für die Mitarbeiter deI: Behörden. Tendenziell übersprungen wird auch, was Arbeit machte, die unübersichtliche Öffentlichkeit mit ihren zerstreuten; eigenständigen Daten. Deutlich formulierte das Horst Herold 49 mit seiner bekannten Prophezeiung, der Zeugenbeweis, der auf selbständige Menschen, die in der Öffentlichkeit zerstreut wahrnehmen, gestützte Beweis also, könne durch den Sachbeweis ersetzt werden mittels Informationstechnik. Wenn die Daten Verdächtiger und Unverdächtiger vorab gespeichert sind, ohne Aufwand im Einzelfall massenhaft verfügbar sind, abgerufen, verglichen werden können, wenn die Datenbestände anderer Behörden, bei denen die Bürger Spuren hinterlassen haben, von der Polizei eingeschaltet werden können, so verlieren die Daten ihre Eigenständigkeit. Die öffentlichen Informationen werden zentralisiert. Die Öffentlichkeit als von der Verfolgungsbehörde getrennte eigenständige Sphäre verschwindet dann, wird zum Binnenraum der Strafverfolgung. Es erübrigt sich dann für die Strafverfolgungsbehörde auch, in der Öffentlichkeit offen zu ermitteln und dabei der menschlichen Gegenkontrolle der Subjekte der Öffentlichkeit ausgesetzt zu werden. Auch insofern verliert die Sphäre der Öffentlichkeit ihre Eigenständigkeit. Damit aber sind die Objektivationen des Verdächtigen für die Verfolgungs behörde nicht mehr äußere, freie Ereignisse. Die Anwendung des nemo tenetur-Grundsatzes ist nicht mehr obsolet. Ein extremes Beispiel mag den Zusammenhang verdeutlichen: Wer vom Tatimpuls über die Planung bis zum Erfolg unter der Kontrolle der Polizei agiert, erscheint nicht mehr als ein von der Polizei unterschiedenes Subjekt, sondern als Teil ihres Kontrollapparates. - Zu Subjektivität und Freiheit gehört die Möglichkeit von Zurechnung. Luhmann und Schild haben darauf hingewiesen, daß im sozialen Leben ein weitgehend normiertes (gemeint sind nicht nur Rechtsnormen, sondern auch informelle soziale Normen, Erwartungen, Konventionen) Handeln kaum dem Handelnden als eigenes zugerechnet wird 50. Es gilt als Nachvollzug des sozial Gegebenen. Es ist dessen Teil, nichts eigenes. Wer es vollzieht, hebt sich nicht ab, ist nicht anderer. Dementsprechend wird auch der weitgehend gemäß polizeilicher Stimulation und Kontrolle Handelnde sozial nicht mehr als Subjekt ernstgenommen. Er kann am Ende in der Hauptverhandlung die Tat ableugnen, aber diese ihm verbleibende Freiheit ist chancenlos, lächerlich. Sein Leugnen hat etwas monomanisches. Seine Freiheit kann sozial nicht mehr bedeutsam werden. Sie kann deshalb auch nicht gemeint sein, wenn durch prozessuale Garantien Freiheit geschützt werden sollS!. Durch die AnerkenKriminalistik, 1979, Nr. 1, S. 17; ders., transatlantik, 1980, Nr. 11, S. 29 (30). 50 Luhmann, Grundrechte als Institution, S. 63 ff.; Schild, JZ 1980, 597; vgl. auch Popitz, Die normative Konstruktion der Gesellschaft, S. 1 ff. 5! Das heißt nicht, der Angeklagte müsse mit seinem Leugnen den Prozeß stets noch wenden können. Wohl aber muß bei der Durchsetzung von Normen die Chance bleiben abzuweichen. Darauf hat J. Kühl, a.a.O. (Anm. 22), S. 150, hingewiesen. Kants Sentenz ,Du kannst, denn du sollst' geht ebenfalls davon aus, daß Normen Können begründen, nicht Notwendigkeit. Neuerdings bestätigt die Praxis der Sicherung von Atomkraftwerken 49

10 Keller

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1. Teil: Nonnative Schranken der Deliktsprovokation

nung des nemo tenetur-Grundsatzes im Strafverfahren ist Freiheit nicht mehr geschützt, wenn außerhalb des Strafverfahrens der einzelne nicht als zurechnungsHihiger anderer anerkannt worden ist, weil er nicht in einer von der Strafverfolgungsbehörde unterschiedenen sozialen Sphäre der Öffentlichkeit handelte, sondern in ihrem kontrollierten Binnenraum. Zur innerprozessualen Freiheit gehört eine außerprozessuale soziale Unabhängigkeit von der Strafverfolgung. Daß solche Bedingungen im Prozeß reflektiert werden, zeigen die Ausschlußgründe des § 22 StPO. Der naheliegende Einwand gegen die vorgetragene Argumentation lautet, sie gehe von einer Horrorvision aus. In der Tat ist die hier dargestellte Entwicklung der auf Informationstechnik gestützten Ermittlungen bisher nicht eingetreten. Führende Polizeibeamte meinen, die Möglichkeiten der modemen Ermittlungsmethoden seien weit überschätzt worden 52. Es ist auch zu berücksichtigen, daß die Objekte der modemen Kontrolltechniken sich ihrerseits dieser bedienen können, so daß die Möglichkeiten organisierter Kriminalität ebenfalls erweitert werden. Vorliegend ist aber nicht relevant, wieweit die oben dargestellte Entwick1ung der umfassenden staatlichen Kontrolle durch Informationstechnik tatsächlich gediehen ist. Diese Technik hat jedenfalls einen erheblichen Stellenwert für die staatliche Kontrolle, und deren rechtliche Beurteilung muß sich nach der neuen Qualität, die sie durch neue Technik erhält, richten. Dazu gehört, daß die bisherige relative Trennung und Eigenständigkeit sozialer Sphären systematisch informationell aufgelöst werden kann. Die Rasterfahndung, die Daten aus den verschiedensten sozialen Bereichen technisch zentral verfügbar macht, zeigt dies. Sie ist nicht Vision geblieben. Wie in der Einleitung gezeigt, kann die polizeiliche Deliktsprovokation so mit der Datenverarbeitung kombiniert werden, daß sie als Realisierung der informationellen Macht fungiert, indem gefährlich erscheinende Personen ausgefiltert werden, um sie dann der Provokation auszusetzen. Aus der Sicht der Kritik der modemen Ermittlungsmethoden ist nichts einzuwenden gegen gut recherchierte Ermittlungsergebnisse und "zwingende" Beweise in der Hauptverhandlung, denen gegenüber das Leugnen des Angeklagten aussichtslos ist. Problematisch ist die neue Art der Ermittlungen, weil ihnen eine technisch bestimmte, systematische Zentralisierung von Informationen zugrunde liegt. Ähnlich wird bekanntlieh bei § 136a StPO differenziert; die körperlichen Reaktionen des Angeklagten auf Fragen schlicht zu beobachten und daraus den Zusammenhang. Der Schaden, den sie bei nonnwidrigem Betrieb bewirken können, ist so groß, daß die Chance der Nonnabweichung, soweit irgend möglich, ausgeschlossen werden muß. Die Nonnen, die ihren sicheren Betrieb regeln, sind deshalb mit herkömmlichen rechtlichen Kategorien nicht mehr zu fassen. Sie müssen möglichst absolut durchgesetzt werden. Sie regredieren folglich zur bloß technischen Apparatur. Vgl. R. Wolf, KJ 1986, 241 ff. 52 Dazu Busch u. a., Die Polizei in der Bundesrepublik, S. 410 ff.; Busch / Werkentin. Linke Bilder vom Leviathan. In: Lange / Stuby (Hg.), ,,1984", S. 19 ff., s. a. Rüping. ZStW 95 (1983), 894 (902).

B. Allgemeines Persönlichkeitsrecht und Deliktsprovokation

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Schlüsse zu ziehen, ist nicht verboten; wohl aber wird die technisch vermittelte, Schematisierung nahelegende Beobachtung für unzulässig erachtet 53. Durch die den neuen Informationstechniken immanenten Möglichkeiten umfassender Datenverarbeitung werden die Prämissen der herkömmlichen verfahrensrechtlichen Kategorien - Orientierung auf ein bestimmtes Verfahren gegen bestimmte Verdächtige - in Frage gestellt. Dies wird forciert durch die Orientierung der Polizei auf (umfassende) ,innere Sicherheit' in Form der vorbeugenden Straftatbekämpfung. In diesem Zusammenhang steht die hier vorgeschlagene Anwendung des nemo tenetur-Grundsatzes auf Selbstbelastungen jenseits des Verfahrens. Daß jemand Tatspuren in der Öffentlichkeit hinterlassen hat, rechtfertigt angesichts der modemen Informationstechnik nicht mehr ohne weiteres, anzunehmen, sie seien informationeIl allen, auch der Strafverfolgungsbehörde frei zugänglich. Die Öffentlichkeit als eigenständige Sphäre ist nicht mehr quasi naturwüchsig gegeben. Sie muß im Hinblick auf die Möglichkeiten der Informationstechnik künstlich gehegt, d. h. rechtlich abgesichert werden. Das ist hinsichtlich des öffentlichen Ansehens der Bürger und seiner GeHihrdung durch die Medien versucht worden mit der einschlägigen Entwicklung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts. Hinsichtlich der informationellen Kontrolle enthält das allgemeine Recht auf informationelle Selbstbestimmung einen Versuch, freie Öffentlichkeit zu schützen 54. Die Reichweite dieses Rechts wird bestimmt u. a. im Hinblick auf die berechtigten Interessen der von der Kontrolle betroffenen an der Begrenzung der Verwendung von Informationen über sie. Der nemo tenetur-Grundsatz berechtigt das Interesse, nicht zur Selbstbelastung veraniaßt zu werden, und zwar auch außerhalb eines Strafverfahrens.

6. Zusammenfassung Nimmt man die Ergebnisse der beiden vorangegangenen Abschnitte zusammen, so verstößt es gegen den nemo tenetur-Grundsatz, wenn jemand von Behörden zu einer Straftat provoziert wird, um ihn wegen derselben zu überführen; denn die mit der Provokation verbundene Täuschung veraniaßt zur Selbstbelastung und diese Veranlassung ist außerhalb des Strafverfahrens verboten. Wenn der nemo tenetur-Grundsatz als Teil des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung verstanden wird, bedeutet dies auch, daß ihm jenseits des LR-Hanack (24. Aufl.) § 136a Rn 56; BGHSt 5, 333 (335 f.). Daß sie staatlich und rechtlich mit konstituiert wird, ist im übrigen keine Besonderheit der Sphäre der Öffentlichkeit. Wohl keine Sphäre menschlichen Lebens von der frühen Sozialisation an ist heute mehr autonom durch die Subjekte bestimmt. Vielmehr wird allenthalben die Trennung von Staat und Gesellschaft aufgehoben. Daß Grundrechte als Teilhaberrechte verstanden werden, ist Ausdruck dieser Entwicklung. Wenn angesichts der zunehmenden sozialen Dichte und der Vemetzung der einzelnen deren Freiheit gewahrt werden soll, so müssen die Bereiche, in denen der einzelne handelt, auf staatlicher Ebene voneinander informationeIl relativ getrennt werden. 53

54

10'

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1. Teil: Normative Schranken der Deliktsprovokation

Verfahrens nur relativer Stellenwert im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsabwägung zukommt, wie überhaupt der rechtliche Persönlichkeitsschutz die soziale Verflochtenheit der Person sowie das Nebeneinander mit anderen staatlichen Zwecken berücksichtigen muß. Wenn durch die modeme staatliche Kontrolle die Grenzen des bestimmten Verfahrens aufgelöst werden, so folgt daraus nicht, daß die ursprünglich verfahrensinternen Schutzrechte nun ungebrochen verallgemeinert werden müßten. Sie müssen ausgedehnt und zugleich relativiert werden. Daß sie damit ihre verfahrensinterne Bestimmtheit verlieren, ist Konsequenz der zugrundeliegenden Entwicklung. Das im nemo tenetur-Grundsatz geschützte Interesse ist außerhalb des Verfahrens um so intensiver betroffen und zu berücksichtigen, je intensiver der Binnenraum der Strafverfolgungsbehörde die Öffentlichkeit überlagert, d. h. je strikter der informationelle Zusammenhang zwischen der staatlichen Kontrolle über die Objektivationen der Bürger und der Verwendung der Informationen für deren Überführung ausgestaltet ist. Wo in herkömmlicher Weise nach der Tat ermittelt wird, ist der Zusammenhang sehr locker, so daß der nemo tenetur-Grundsatz hier keine Bedeutung hat. - Die staatliche Deliktsprovokation hingegen ist die vielleicht extremste Form der verdeckten Zentralisierung öffentlicher Informationen über Kriminalität und zur Kriminalisierung durch den Staat, weil schon die Entstehung der Tatsachen, über die zu informieren ist, vom Staat veraniaßt ist im Hinblick auf die Verwendung der Informationen gegen den Bürger. Die Beweise werden hier vom einzelnen weitgehend im Binnenraum der Strafverfolgungsbehörde produziert. Er ist dabei nicht im herkömmlichen Sinn freies Subjekt in der Öffentlichkeit. Dementsprechend großes Gewicht hat hier der nemo tenetur-Grundsatz gegen die Verwendung der Informationen zu Lasten des Betroffenen. Wenn die Verwendung unzulässig ist, ist auch die darauf gerichtete Erhebung der Informationen ein unzulässiger, weil nicht durch berechtigte Zwecke legitimierter Eingriff. Dann ist die mit der Deliktsprovokation beginnende Veranlassung zur Selbstbelastung unzulässig. 7. Zum Recht auf informationelle Selbstbestimmung gegenüber Privaten Gemeint sind hier Private, die nicht im staatlichen Auftrag handeln. Da sie keine Strafverfolgung betreiben, dem staatlichen Strafverfolgungsapparat auch nicht planmäßig zuarbeiten, gilt ihnen gegenüber der nemo tenetur-Grundsatz nicht. Sie gehören i. S. der oben dargestellten Unterscheidung zu der von der Strafverfolgung unabhängigen öffentlichen Sphäre. Das Recht auf informationelle Selbstbestimmung könnte ihnen gegenüber jedoch wirken. Es richtet sich nicht speziell gegen die staatliche Strafverfolgung. Es ist Teil des allgemeinen Persönlichkeitsrechts, das aufgrund mittelbarer oder unmittelbarer Drittwirkung auch zwischen Bürgern gilt. Entsprechend könnte es sich mit dem Recht auf

B. Allgemeines Persönlichkeitsrecht und Deliktsprovokation

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informationelle Selbstbestimmung verhalten. Allerdings hat im Verhältnis der Bürger grundsätzlich jeder die informationellen Folgen seines Verhaltens selbst zu verantworten. Zöllner 55 hat eine Drittwirkung des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung abgelehnt. Die Rechtsprechung 56 hat anders entschieden, zu Recht. Das Prinzip der Selbstverantwortung ist ebensowenig wie im ökonomischen Verkehr der freie Markt, die Privatautonomie und die wirtschaftliche Selbstverantwortung im informationellen Verkehr noch bruchlos aufrechtzuerhalten. Oben wurde gezeigt, daß die informationelle Abhängigkeit des einzelnen von anderen Privaten und von sozialen Verhältnissen sowie die sozial weitreichende informationelle Macht Privater im Rahmen des Sozialstaatsprinzips zu Modifikationen der Selbstverantwortung führen können. Deshalb kann das Recht auf informationelle Selbstbestimmung auch in spezifischen Verhältnissen zwischen Privaten gelten. Allerdings ist es zugeschnitten auf die "Bedingungen der modemen Datenverarbeitung" 57. Da nicht davon ausgegangen werden kann, daß im Verkehr der Privaten allenthalben wie in der staatlichen Eingriffsverwaltung die Datenverarbeitung eingesetzt werden kann, gilt das Recht auf informationelle Selbstbestimmung im Verkehr der Privaten wohl nur, wo Datenverarbeitung effektiv stattfindet. Es fungiert dann als eventuelle Ergänzung des mit dem BDSG statuierten Schutzes der informationellen Selbstbestimmung 58. Es kann für die Deliktsprovokation bedeutsam werden, wenn diese z. B. von einer privaten Detektei ausgeht, die Datenverarbeitungsanlagen einsetzt. Die Reichweite des BDSG in derartigen Fällen und seine eventuelle Ergänzung durch das Recht auf informationelle Selbstbestimmung im einzelnen zu bestimmen, würde den Rahmen dieser Untersuchung überschreiten.

VI. Allgemeines Persönlichkeitsrecht und Deliktsprovokation Zusammenfassung Zum allgemeinen Persönlichkeitsrecht gehören u. a. das Recht auf Wahrung der sozialen Integration, der Vertrauensschutz und das Recht auf informationelle Selbstbestimmung. Diese Rechte können der Provokation von Straftaten entgegenstehen. Sie werden allerdings im Hinblick auf die Differenz der sozialen Verhältnisse von Inhaber und Adressat des Rechts je unterschiedlich wirksam. Solche Differenzierung des Persönlichkeitsschutzes im Hinblick auf die sozialen Zöllner, DB 1984,241 (246); ebenso Rogall, GA 1985, 1 (13). LAG Baden-Württemberg BB 1986, 1713 ff.; zustimmend Linnenkohl / Rauschenberg, ebd., S. 1715 f.; ebenso Zeuner in Soergel/ Siebert, BGB, § 823 Rn 86. 57 BVerfGE 65, 1 (43). 58 Zeuner, a.a.O. 55

56

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1. Teil: Nonnative Schranken der Deliktsprovokation

Verhältnisse 59 ist Konsequenz der Ausweitung des Persönlichkeitsschutzes auf die - differenzierten - sozialen Bedingungen der Persönlichkeit, ist also Konsequenz der Überschreitung der Sphärentheorie durch das BVerfG. Im Verhältnis von privaten Bürgern stehen die genannten Elemente des allgemeinen Persönlichkeitsrechts der Deliktsprovokation nur entgegen, wenn besondere Umstände vorliegen, insbesondere wenn ein rechtlich relevantes Treueverhältnis besteht, das den Schutz der genannten Rechte zum Gegenstand hat. Im übrigen hat gegenüber Deliktsprovokationen, die von Privaten ausgehen, jeder seine soziale Integration, das Risiko seines Vertrauens und die informationellen Folgen seines Verhaltens selbst zu verantworten. Gegenüber staatlichen Deliktsprovokationen wird die Persönlichkeit weiterreichend geschützt, einmal weil staatliche Bürokratien darauf gerichtet sind, ihre Maßnahmen generell anzuwenden. In diesem Zusammenhang würde die Zulassung der Deliktsprovokation das für soziales Leben notwendige Vertrauen in Beziehungen zwischen Menschen erheblich beeinträchtigen. Im übrigen gibt der Staat mit der präventiven Deliktsprovokation die Prämissen bürgerlicher Selbstverantwortung - Gesetzesbindung, Tatstrafrecht, Schuldprinzip - auf. Deshalb kann der Persönlichkeitsschutz in diesem Zusammenhang nicht im Hinblick auf die Selbstverantwortung der Bürger eingeschränkt werden. Das Interesse an der durch die Deliktsprovokation betroffenen informationellen Selbstbestimmung erhält besonderes Gewicht durch den Grundsatz ,nemo tenetur se ipsum prodere'. Der mit der staatlichen Deliktsprovokation verbundene Eingriff in die Elemente des allgemeinen Persönlichkeitsrechts wäre zulässig, wenn er überwiegend wichtigen Zwecken diente und gesetzlich begründet wäre. Ist die Provokation in einern Strafverfahren darauf gerichtet, den Verdacht einer vergangenen Straftat aufzuklären, so verstößt die mit der Provokation verbundene Täuschung gegen § 136a StPO. Im staatlichen Auftrag handelnde Private sind rechtlich ebenso gebunden wie dienstlich handelnde Beamte. Das ist praktisch relevant für V -Leute und für die eingangs 60 erwähnten Sicherheitsdienste, die als verlängerter Arm der Polizei fungieren. Die nicht in staatlichem Auftrag arbeitenden privaten Sicherheitsdienste werden bei ihren Deliktsprovokationen durch das allgemeine Persönlichkeitsrecht nur ausnahmsweise beschränkt. Für deren Deliktsprovokationen bildet daher das Strafrecht in noch näher zu bestimmender Weise die praktisch relevante Grenze.

59 Sie wird u. a. von den Autoren (s. o. Anm. 55) anerkannt; die meinen, das Recht auf infonnationelle Selbstbestimmung gelte nur gegenüber dem Staat. 60 Einleitung, 2.

C. Zurechnung von Normverstößen zum Staat Die öffentlichrechtlichen Nonnen und das allgemeine Persönlichkeitsrecht setzen staatlichen Provokationen engere Grenzen als privaten. Die private Provokation ist allerdings ebenso eng begrenzt wie die staatliche, wenn sie im staatlichen Auftrag erfolgt. Das wurde im Vorangegangenen gezeigt. Von dieser Frage der Begrenzung des provokativen Handeins ist zu unterscheiden die Frage nach seiner öffentlich- oder privatrechtlichen Qualifikation und nach der Zurechnung der Provokation zum Staat. Wird das Handeln etwa des staatlich beauftragten privaten V-Mannes als hoheitliches Handeln qualifiziert, so kann der Betroffene sich dagegen (bei Provokationen ist das allerdings nur eine theoretische Möglichkeit) auf dem Verwaltungsrechtsweg wehren; auch kann er vom Staat Schadensersatz oder Entschädigung wegen der in Verbindung mit der Provokation erlittenen Schäden verlangen. Wird hingegen das Handeln des Provokateurs als privates qualifiziert, so muß der rechtswidrig betroffene Bürger, wenn er den Staat in Anspruch nehmen will, ein Auswahl- oder Überwachungs verschulden der Beamten der Behörde nachweisen und sich wegen § 839 Abs. I S. 2 BGB auf die Haftung des Provokateurs aus § 823 BGB verweisen lassen. Ersteres wird Beamten einer verdeckt operierenden Behörde schwer nachzuweisen sein. Der VMann und Provokateur wird oft nicht zu ennitteln und im übrigen illiquide sein, wenn er aus der kriminellen Szene kommt I. Von den Ersatzansprüchen, die nicht Gegenstand dieser Untersuchung sind, abgesehen, könnte die Qualifikation der Überwachungs- und Provokationstätigkeit als öffentlichrechtlich relevant sein für die strafrechtliche Haftung der Beteiligten sowie für die Frage, ob die Behörde überhaupt private Helfer einsetzen durfte. Für solche Übertragung hoheitlicher Gewalt könnte eine gesetzliche Begründung nötig sein. 1. Zunächst ist zu klären, wie die Provokation, die von einem verdeckt operierenden Bediensteten des Staates ausgeht, zu qualifizieren, und ob sie dem Staat zuzurechnen ist. - Pflichtsubjekt des öffentlichen Rechts ist unmittelbar der Staat, mittelbar sind es die natürlichen Personen, die Hoheitsträger, die für den Staat handeln 2 • Ihr Handeln wird dem Staat zugerechnet. Aber bei der Provokation von Straftaten nähert sich der Hoheitsträger dem Privaten als Privater; er gleicht sich ihm an, um ins soziale Leben einzudringen, es beobachten und

I

2

Medicus, JZ 1967,63 (64); Friedrichs, Der Einsatz von V-Leuten, S. 36 f. Rupp, Grundfragen der heutigen Verwaltungsrechtslehre, S. 54.

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1. Teil: Normative Schranken der Deliktsprovokation

verdeckt beeinflussen zu können. Nach Salzwedel 3 recherchieren Agenten des Verfassungsschutzes "höchst privat". Die Qualifikation solchen Verhaltens als privat liegt in der Tat nahe und wird im Strafrecht befürwortet 4 • Der Provokateur macht weder im Sinn der Subjektionstheorie ein Überordnungsverhältnis geltend, noch tut er etwas, was nicht jeder Bürger (sofern er sich in den hier zu bestimmenden Grenzen hält) tun dürfte, so daß auch nach der heute überwiegend vertretenen Subjektstheorie privates Handeln anzunehmen wäre 5. - Freilich ist solcher Umgang mit den Abgrenzungstheorien kurzschlüssig. Die Subjektstheorie betrifft die öffentlichrechtliche oder privatrechtliche Qualität von Normen, die staatliches Handeln begründen. Sie ist nicht unmittelbar anwendbar auf faktisches Verhalten (Realakte, z. B. Emissionen), solange nicht klar ist, durch welche Norm es begründet wird 6 • Um hier unterscheiden zu können, wird auf den Zweck des staatlichen Handeins abgestellt? Die Orientierung am Zweck und nicht an der Rechtsform des Handeins wird zunehmend im Amtshaftungsrecht vertreten 8. Der staatlich bedienstete Provokateur handelt in Ausübung eines öffentlichen Amtes, weil sein Handeln der Gefahrenabwehr, der Strafverfolgung, der vorbeugenden Bekämpfung von Straftaten oder dem Verfassungsschutz dient 9 • Daß der konkrete Eingriff eventuell nicht zulässig ist, der Beamte also seine Amtspflicht überschritten hat, schließt die Zuordnung seiner Tätigkeit zum hoheitlichen Handeln nicht aus (sondern begründet eventuell Schadensersatz-, Entschädigungs-, Folgenbeseitigungsansprüche). Der Bedienstete greift in das Recht des Provozierten auf Wahrung der sozialen Integration nicht mit Zwang ein; er fordert zum Delikt auf. Auch dies dürfte jedoch der Annahme eines hoheitlichen Eingriffs nicht entgegenstehen, da die Rechtsprechung dieses Kriterium auch bejaht hat, wo durch Merkblätter zur Schutzimpfung aufgefordert wurde 10. Bestätigung der hier vorgeschlagenen Zuordnung bietet BVerfGE 65, 1 ff. Danach liegt ein staatlicher Eingriff in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung vor, wenn Bürger durch Behörden verdeckt beobachtet und registriert werden. Das ist bei der staatlichen Deliktsprovokation der Fall. Entsprechendes dürfte hinsichtlich der gleichzeitigen Beeinträchtigung der sozialen Integration der Bürger und des Vertrauensmißbrauchs gelten. Diese Beeinträchtigungen sind der des informatioGedächtnisschrift für H. Peters, S. 756 (779) bzgl. privater V-Leute. Puppe, NStZ 1986,404 (405); vgl. auch BGHSt 32, 345 (354): keine Gleichsetzung des Staates mit dem pflichtwidrig handelnden Lockspitzel. 5 So argumentiert OLG Nümberg JZ 1967, 61 (62), zum Abschleppen eines PKW durch einen Privaten im Auftrag der Polizei; kritisch Medicus, ebd., S. 63 ff. 6 Schwabe, NJW 1977, 1902 f. Arnn. 2. ? Forsthoff, Lehrbuch des Verwaltungsrechts, S. 322 f.; Ossenbühl, JuS 1973, 421 (423); Wolff / Bachof, Verwaltungsrecht I, § 64 II c 2; Schatzschneider, Die Ermittlungstätigkeit der Ämter für Verfassungsschutz, S. 265 ff.; Gusy, RiA 1982, 102 (102). 80ssenbühl, a.a.O.; Wolff / Bachof, a.a.O. 9 Schatzschneider, a.a.O.; Gusy, a.a.O. 10 BGHZ 24, 45; 31, 187. 3 4

c. Zurechnung von Normverstößen zum Staat

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nellen Selbstbestimmungsrechts verwandt, weil auch sie das allgemeine Persönlichkeitsrecht betreffen. 2. Nun zur anderen Version der staatlichen Provokationspraxis, bei der ein d. h. ein Privater, von der Polizei beauftragt und geleitet, die Szene beobachtet, Delikte provoziert und der Polizei meldet. Wie dies zu qualifizieren ist, wurde vor allem hinsichtlich der V-Leute des Verfassungsschutzes diskutiert 11. - Nicht mehr bestritten wird allerdings, daß der eventuell privatrechtliche Charakter der internen Beziehung zwischen Behörde und V-Mann für die Qualifikation der externen Beziehung der Behörde zum Betroffenen irrelevant ist l2 • Daraus ergibt sich die Möglichkeit, den Rechtscharakter der Beziehung Behörde / Betroffener gesondert von der Beziehung Provokateur / Betroffener zu bestimmen 13.

v- Mann,

Die behördliche Entscheidung, einen V-Mann und Provokateur auf einen Bürger anzusetzen, ist jedenfalls eine hoheitliche Maßnahme; das wurde im Zusammenhang des staatlich bediensteten Provokateurs gezeigt. Am hoheitlichen Charakter der Entscheidung, die auf staatliche Zwecke zielt, ändert sich auch nichts dadurch, daß ein Privater eingesetzt werden soll. Die hoheitliche Entscheidung hat Außenwirkung und greift in die Rechte des Bürgers ein, wenn der VMann tätig wird. Dieser Eingriff hat - zumindest auch - hoheitlichen Charakter 14. Er mag im Verhältnis zum privaten Provokateur als nicht hoheitlich zu bestimmen sein. Das schließt jedoch nicht aus, auch den von der Behörde bestimmten hoheitlichen Zweck zu berücksichtigen und in dieser Hinsicht den Eingriff als hoheitlichen zu qualifizieren. Das ist im Datenschutzrecht anerkannt: Das Erheben von Informationen über einen Bürger bei privaten Dritten wird als hoheitlicher Eingriff ins informationelle Recht des Bürgers bewertet 15.

II Für privatrechtliche Qualifikation: Roewer, Nachrichtendienstrecht, § 3 BVerfSchG Rn 151; Salzwedel, Gedächtnisschrift für H. Peters, S. 756 (778 ff.); Amelung / Schall, JuS 1975,565 (568). Für öffentlichrechtliche Qualifikation: Friedrichs, Der Einsatz von V-Leuten, S. 28 ff.; Schatzschneider, Die Ermittlungstätigkeit der Ämter für Verfassungsschutz, S. 264 ff.; Schwagerl, Verfassungsschutz, S. 181 ff.; Evers, Privatsphäre und Ämter für Verfassungsschutz, S. 154 ff.; Gusy, a.a.O. 12 Ossenbühl, JuS 1973, 421 (423); Wolff/Bachof, Verwaltungsrecht I, § 64 11 c) 2; Medicus, JZ 1967, 63 (64); Schwagerl, Verfassungsschutz, S. 185 f.; Maunz in Maunz/ Dürig/Herzog, GG, Art. 34 Rn 16; Schatzschneider, a.a.O., S. 266, 268; anders noch BGH NJW 1971,2221 f. 13 Ossenbühl, a.a.O.; Friedrichs, a.a.O., S. 37 f.; vgl. auch Gallwas, VVDStRL 29, 211 (226). 14 Vgl. BGHZ 8, 83 ff.: Beamte, die Beihilfe zur Betrugstat eines Privaten leisten, verletzen ihre Amtspflicht gegenüber dem Betrogenen. Ebenso Gusy, RiA 1982, 101 (102); Friedrichs, a.a.O., S. 37 f. Im Ergebnis ebenso Amelung/Schall, JuS 1975, 565 (568 ff.)~ die trotz privaten Handeins des V-Mannes einen Verstoß der Polizei gegen StPO-Norrnen annehmen. 15 Schlink, Amtshilfe, S. 187 ff., 198,201.

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I. Teil: Normative Schranken der Deliktsprovokation

Daß der Eingriff ins Recht des Provozierten demnach Doppelcharakter haben kann, hat Ossenbühl1 6 für das Amtshaftungsrecht gezeigt. Auch der BGH hat es anerkannt 17. Es wird bestätigt durch neuere Untersuchungen, die die Möglichkeit einer Differenzierung des Rechtswidrigkeitsurteils belegen 18. Diese Differenzierung impliziert, daß verschiedene rechtliche Teilsysteme (z. B. öffentliches Recht und Privatrecht) zugleich auf einen Vorgang angewendet werden können, so daß differierende Rechtswidrigkeitsurteile entstehen. Auch das BVerfG hat in der Vormundschaftsentscheidung 19 einen Eingriff privat- und zugleich öffentlichrechtlich bestimmt. Dementsprechend ist der staatlich initiierte Eingriff ins allgemeine Persönlichkeitsrecht des Provozierten zumindest auch ein hoheitlicher. Diese Ansicht wird im Strafprozeßrecht geteilt; es wird als Verstoß der Strafverfolgungsbehörde gegen § 136a StPO bewertet, wenn sie einen Beschuldigten in U-Haft von einem privaten Spitzel aushorchen läßt 20. Es bleibt die Frage, ob der Eingriff im Verhältnis des staatlich beauftragten privaten Provokateurs zum Provozierten als privates Handeln zu bewerten ist. (Das zu bejahen, kann Konsequenzen haben für die zivil- und strafrechtliche Haftung und - nach Amelung und Schall - auch für die Grundrechtsbindung des privaten Provokateurs 21 .) Der Provokateur tritt äußerlich in der Form des Privaten auf. Deshalb will Salzwedel 22 sein Handeln als privatrechtlich bewerten. Daß die Form des Handeins nicht relevant ist, wurde oben hinsichtlich des Handeins staatlich Bediensteter gezeigt. Hinsichtlich Privater kann es nicht anders sein 23 . Entscheidend ist vielmehr auch hier der Zweck des Handelns 24 . Wie der verdeckt agierende staatliche Bedienstete verfolgt der private V -Mann hoheitliche Zwecke der Gefahrenabwehr, Gefahrenvorbeugung, Strafverfolgung oder des Verfassungsschutzes. Der öffentliche Zweck allein reicht aber nicht aus, um das Handeln Privater als nur hoheitliches zu qualifizieren. Andernfalls könnten die rechtlichen Konturen des organisierten Staatsapparates aufgelöst werden. Herkömmlich wird deshalb eine förmliche Übertragung von Hoheitsgewalt auf den Privaten gefordert. Sie soll z. B. in § 127 Abs. I StPO enthalten sein 25 . Auch bei der Notwehr wird nach verbreiteter Ansicht ein öffentliches Interesse durchgesetzt 26 . 16 A.a.O.; ders., Staatshaftungsrecht, § 3 I d. 17 BGHZ 8, 83 ff. 18 Kirchhof, Unterschiedliche Rechtswidrigkeiten in einer einheitlichen Rechtsordnung; ders., NJW 1978, 969 ff.; Günther, Strafrechtswidrigkeit und Strafunrechtsausschluß; Einzelheiten dazu unten 2. Teil E. 19 BVerfGE 10, 302 (323 ff.). 20 Dazu oben 1. Teil B IV 3 b), c). 21 Dazu oben 1. Teil A I 5. 22 Gedächtnisschrift für H. Peters, S. 756 (778 ff.). 23 Anders OLG Nürnberg JZ 1967,61 (62); dagegen Medicus, ebd., S. 63 ff. 24 s. o. Anm. 7. 25 Jeschek, Lehrbuch des Strafrechts, § 35 IV 2.

C. Zurechnung von Normverstößen zum Staat

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3. Klar ist, daß eine Übertragung der Befugnis zur Deliktsprovokation nur möglich ist, wenn die Behörde selber diese Befugnis hat. Ob das anzunehmen ist, ist Thema der vorliegenden Untersuchung. Um ihr Ergebnis nicht vorwegzunehmen, soll hier unterstellt werden, daß Polizei und Verfassungsschutz die Befugnis zur Deliktsprovokation haben. Dann kommt es weiter darauf an, welche Anforderungen an eine Übertragung zu stellen sind. - Die klassische Form der Übertragung von hoheitlicher Gewalt ist die Beleihung. Sie setzt eine Übertragung genereller Zuständigkeit voraus und muß gesetzlich begründet sein 27 • Da beides im Verhältnis Behörde / privater V-Mann nicht gegeben ist, lehnen Amelung und Schall die Qualifikation als hoheitliches Handeln ab 28 • Neuerdings wird jedoch in Rechtsprechung und Literatur die Alternative ,Beliehener oder Privater' aufgelockert. Als Zwischenstufe mit minder formalisierten Kriterien wird die Übertragung an einen Verwaltungshelfer anerkannt, der keine generelle Zuständigkeit erhalten müsse; ob eine gesetzliche Begründung erforderlich ist, ist umstritten 29 • Grundsätzlich dürfte diese erweiterte Möglichkeit der Übertragung von Staatsgewalt auf Private nicht abzulehnen sein. Sie entspricht der Zunahme staatlicher Aufgaben vor allem bei der sozialstaatlichen Daseinsvorsorge und der dabei unausweichlichen Verflechtung mit privatem Handeln 3o • Im Hinblick auf seine begrenzte Aufgabe könnte der V-Mann als Verwaltungshelfer eingestuft werden. Zu klären bleibt, ob eine gesetzliche Begründung der Übertragung nötig ist. Das Interesse des im Einzelfall betroffenen Bürgers läßt sich dafür kaum geltend machen, denn es ist schon dadurch gewahrt, daß der vom Staat beauftragte VMann, auch wenn er privat handelt, ebenso gebunden ist wie Hoheitsträger 3!; das ergibt sich, wie oben gezeigt, aus der rechtsstaatlichen Forderung, der Staat dürfe sich nicht durch Privatisierung seinen Bindungen entziehen 32. Für die Forderung nach gesetzlicher Begründung der Übertragung von hoheitlicher Gewalt spricht jedoch das demokratische Bedürfnis nach Kontrollierbarkeit der Exekutive. Durch Einschaltung Privater kann die Exekutive ihre faktische Macht ausweiten. Dabei geht es weniger um die Betroffenheit eines Bürgers im Einzelfall als um die generellen Möglichkeiten der Behörde, Einfluß auszuüben, um soziale Macht also. Darüber sollte das Parlament und damit die Öffentlichkeit 26

I 1.

Vgl. Lenckner in Schönke/Schröder § 32 Rn 1; Einzelheiten dazu unten 2. Teil A

Knack, VwVfG, § 1 Anm.7. JuS 1975, 565 (568). 29 Vgl. Wolff/Bachof, Verwaltungsrecht I, § 64 11 c 3; Ossenbühl, VVDStRL 29,137 (174,198); BGHZ 48, 98 (103); BGH DVBI 1974,285 (286). 30 Gallwas, VVDStRL 29, 211 (232 f.). 3! Gusy, RiA 1985, 101 (103). 32 Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts der Bundesrepublik Deutschland, § 11 11; Erichsen/Martens, Allgemeines Verwaltungsrecht, § 32; Forsthoff, Lehrbuch des Verwaltungsrechts, S. 99 f.; Fincke, ZStW 95 (1983),918 (939). 27

28

156

1. Teil: Normative Schranken der Deliktsprovokation

die Kontrolle behalten 33. Aus ähnlichen Erwägungen wird auch die Amtshilfe, die zu faktischer Erweiterung der Behördenmacht führt, nur zugelassen, wenn sie gesetzlich begründet ist. Wenn überhaupt, kann auf gesetzliche Begründung der Übertragung von Staatsgewalt also nur verzichtet werden "in Bagatellflillen" "unselbständiger Verwaltungshilfe" 34. - Zwei Kriterien sind demnach relevant: Geringe Eingriffsintensität der übertragenen Tätigkeit und Unselbständigkeit des Helfers. Nur wenn beide Kriterien erfüllt sind, erfordert das Interesse an demokratischer Kontrolle von Behördenmacht keine gesetzliche Begründung der Übertragung der hoheitlichen Gewalt. Ob nun die Tätigkeit von V-Leuten hinreichend organisationsrechtlich begründet ist, ist hinsichtlich der V -Leute der Verfassungsschutzämter umstritten. GUS y 35 meint, wegen ihrer Unselbständigkeit sei eine spezielle Organisationsnorm nicht erforderlich; die einzelne Übertragung müsse aber gemäß § 56 Abs. I S. I VwVfG spezifiziert und die Tätigkeit der V-Leute müsse effektiv kontrolliert werden. Schwagerl und Friedrichs 36 beurteilen die Tätigkeit der V-Leute nicht als unselbständig, weshalb eine gesetzliche Grundlage erforderlich sei; § 3 Abs. 3 S. 2 BVerfSchG bzw. die entsprechenden Landesgesetze böten aber eine hinreichende Begründung. Letzteres bestreitet Schatzschneider 37 • All diese Stellungnahmen betreffen jedoch den V-Mann, der nur beobachtet, also vergleichsweise wenig intensiv in Bürgerrechte eingreift. Davon erheblich unterschieden ist die V -Mann-Tätigkeit, mit der Provokationen von Straftaten verbunden sind. Damit wird intensiv in subjektive Rechte eingegriffen und das objektive Strafrecht gebrochen. Das sind wegen der Intensität keine Bagatellen, so daß eine präzise organisations rechtliche Übertragungsnorm erforderlich wäre, auch wenn der private V-Mann im übrigen unselbständig handelte. Die allgemeine Zulassung nachrichtendienstlicher Mittel in § 3 Abs. 3 S.2 BVerfSchG ist keine hinreichend präzise Begründung für die Übertragung einer derart gewichtigen Tätigkeit und der damit verbundenen Machtausweitung. Die Übertragung der Provokationsbefugnis - sofern sie dem Verfassungsschutz zusteht - auf private V-Leute ist daher organisationsrechtlich unzulässig 38. 33 Ähnlich die Forderung Ossenbühls, VVDStRL 29, 137 (171), nach Publizität. Die hauptamtlichen Mitarbeiter von Behörden werden in Stellenplänen ausgewiesen, die "Verwaltungshelfer" nicht. Es ist nicht offiziell bekannt, wieviele V-Leute die Verfassungsämter aussenden. Schatzschneider, Die Ermittlungstätigkeit, S.273 Anm.31, schätzt ihre Zahl auf 13.000 bis 14.000. Schwager!, Verfassungsschutz, S. 188, erklärt das für überzogen und beklagt die Spekulation. Sie dürfte nicht enden, solange die Ämter sich bedeckt halten. 34 Ossenbühl, a.a.O., S. 174, 198. 35 RiA 1982, 101 (103). 36 Schwager!, Verfassungsschutz, S. 185 f.; Friedrichs, Der Einsatz von V-Leuten, S. 35 f. 37 A.a.O., S. 266, 273. 38 Im Ergebnis ebenso Gusy, a.a.O., S. 103; Friedrichs, a.a.O., S. 153 ff.

C. Zurechnung von Norrnverstößen zum Staat

157

Daß es sich hinsichtlich der Polizei nicht anders verhält, dürfte kaum zu bezweifeln sein, denn die polizeiliche Generalklausel ist noch unbestimmter als § 3 Abs.3 S.2 BVerfSchG und kann die Übertragung von Befugnissen auf Private noch weniger legitimieren. Das deckt sich im Ergebnis mit der Meinung derer, die für die Übertragung von hoheitlichen Befugnissen auf unselbständige Verwaltungshelfer stets eine spezifische gesetzliche Begründung verlangen 39. Nicht verboten ist der Polizei damit das Befragen von Personen, die erfahrungsgemäß besonders ergiebige Kontakte in der zu kontrollierenden Szene haben. Durch das an Polizei und Verfassungsschutz gerichtete Verbot, die eventuelle Befugnis zur Deliktsprovokation auf private V-Leute zu übertragen, ist noch nicht entschieden, ob die verbotswidrig beauftragten V -Leute hoheitlich handeln. Schatzschneider 40 will das in Analogie zum Beamtenrecht bejahen. Dort (z. B. § 14 BBG) ist vorgesehen, daß auch ein rechtsunwirksamer Übertragungsakt Rechtswirkungen im Außenverhältnis erzeugt. Damit wird das Vertrauen der Bürger gewahrt. Nun ist die Begründung eines Beamtenverhältnisses, auch wenn sie im Einzelfall rechtsunwirksam ist, im allgemeinen ein erheblich mehr formalisierter Vertrauenstatbestand als die rechtswidrige Beauftragung eines V-Mannes. Dennoch wird auch hier die rechtliche Wirksamkeit der Übertragung im Außenverhältnis zu fingieren sein 41. Andernfalls würde der Sinn der Begrenzung der Übertragung - Bürgerschutz - verfehlt, weil eine Unwirksamkeit der Übertragung im Außenverhältnis zu Lasten der betroffenen Bürger ginge. Entsprechend ist auch hinsichtlich der strafrechtlichen Qualifikation eines Privaten als Amtsträger gemäß § 11 Abs. 1 Nr. 2c StGB anerkannt, daß sie von der Unwirksamkeit der Beauftragung nicht tangiert wird 42 •

4. Fazit: Jede staatlich initiierte Provokation ist als Eingriff des Staates in das Persönlichkeitsrecht des provozierten Bürgers zu werten 43 • Polizei und Verfassungsschutzämter verstoßen gegen das Verwaltungsorganisationsrecht, wenn sie private V-Leute beauftragen, Delikte zu provozieren.

39 BGHZ 48,98 (103); BGH DVB11974, 285 (286). Ebenso Schatzschneider, a.a.O., S. 266; Gallwas, VVDStRL 29, 211 (227). 40 A.a.O., S. 269. 41 Ebenso Gusy, RiA 1982, 101 (103). 42 Eser in SchönkejSchröder § 11 Rn 30. 43 Im Ergebnis ebenso Rogall, GA 1985, 1 (26).

D. Von der provozierten Tat betroffene Normen nichtstrafrechtlicher Art Neben dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht des Provozierten können der Provokation subjektive und objektive Rechte entgegenstehen, die durch die zu provozierende Tat beeinträchtigt werden. Das sind einmal die Normen des Strafrechts, die die Tat verbieten; inwieweit sie auch die Provokation der Tat verbieten, wird später in einem gesonderten Abschnitt behandelt. Zu nennen sind weiter die subjektiven und objektiven Rechte jenseits des Strafrechts, die durch provozierte vollendete (u. U. auch durch versuchte) Straftaten beeinträchtigt werden. Bei der gegenwärtigen staatlichen Provokationspraxis werden oft mehrere Rechte von der provozierten Tat betroffen sein. Wird jemand provoziert, einem Dritten Drogen zu verkaufen, der sie konsumiert und süchtig wird, so ist durch die provozierte Tat das BtMG verletzt, welches ungenehmigten Drogenhandel, d. h. die Gefahrdung der Gesundheit vieler, verbietet. Es kann aber zusätzlich ein subjektives Recht des Konsumenten verletzt sein. Die Sucht, in die der Konsument durch die Abgabe der Drogen eventuell gerät, beeinträchtigt die Gesundheit, auf die der einzelne ein Recht hat. - Ob die Mitwirkung des Konsumenten die Rechtswidrigkeit ausschließt, und inwieweit eventuell ein Hoheitsträger die Beeinträchtigung öffentlicher Güter genehmigen kann, wird später erörtert. Ob die durch die provozierte Tat beeinträchtigten Rechte auch die Provokation verbieten, so daß die Rechtsbeeinträchtigung auch dem Provokateur zuzurechnen ist, läßt sich - vom Strafrecht wiederum abgesehen - nicht einheitlich beantworten, richtet sich vielmehr nach den jeweils einschlägigen Normsystemen. Ist die Provokation nicht vom Staat initiiert und ist von der Tat ein Bürger betroffen, so ist in zivilrechtlicher Hinsicht § 830 Abs. 2 BGB einschlägig, wonach auch die Teilnahme an Verletzungen subjektiver Rechte verboten ist. Diese Teilnahme soll wie im Strafrecht bestimmt werden I. - In polizeirechtlicher Hinsicht handelt rechtswidrig, wer Störer der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung ist. Da zur öffentlichen Sicherheit nach h. M. nicht nur die Güter in ihrem dinglichen Bestand, sondern auch die Einhaltung der die Güter schützenden Normen gehört, ist polizeirechtswidrig auch die Teilnahme i. S. des Strafrechts. Auch in diesem Zusammenhang ist die Rechtswidrigkeit der Provokation also letztlich anhand des Strafrechts zu bestimmen.

1

Palandt / Thomas, BGB, § 830 Anm. 2.

D. Provozierte Tat und nichtstrafrechtliche Norm

159

Ist die Provokation vom Staat initiiert, so werden diesem die durch die provozierte Tat entstehenden Rechtsverletzungen zugerechnet. Hoheitsträgern ist nicht nur das unmittelbare Verletzen von Bürgerrechten verboten, sondern auch die Teilnahme an der Verletzung von Bürgerrechten. Daß zwischen der staatlichen Verursachungshandlung und dem Erfolg beim Tatbetroffenen ein privater Mittler, der provozierte Täter, eingeschaltet ist, schließt die Zurechnung ebensowenig aus wie die im Vorangegangenen erörterte Einschaltung eines privaten Provokateurs als Mittler der Verletzung der Rechte des Provozierten durch den Staat. Der Eingriff in die Rechte des Tatbetroffenen ist zugleich öffentlich- und zivilrechtlicher Art. Daß dies möglich ist, wurde ebenfalls oben gezeigt. Der BGH hat anerkannt, daß eine Amtspflicht auch durch Teilnahme von Beamten an unerlaubten Handlungen Privater verletzt werden kann mit der Folge der Zurechnung zum Staat 2.

2

BGHZ 8, 83 ff.; Palandt / Thomas, BGB, § 839 Anm. 4 d).

E. Strafrechtliche Grenzen der Deliktsprovokation Jemand kann einen anderen zu einer Straftat provozieren, indem er ihn zur Tat bestimmt oder ihm dazu Hilfe leistet oder mit ihm gemeinschaftlich die Tat begeht. Im folgenden werden die strafrechtlichen Probleme der Provokation primär anhand der ersten Version, der Anstiftung also, erörtert. Die Probleme der Beihilfe und der Mittäterschaft werden, wo es sich ergibt, nachgetragen. Nicht gesondert thematisiert werden die eventuellen Straftaten, die praktisch insbesondere professionell organisierte, staatliche oder private Provokationen oft begleiten, um sie durchführbar zu machen. Dazu gehören zum Beispiel Taten gemäß §§ 267 ff., 348 StGB, die begangen werden, wenn dem Provokateur eine Legende verschafft wird, daneben Mitgliedschaft in kriminellen oder terroristischen Vereinigungen oder verbotenen Parteien, Hausfriedensbruch, Verletzung der Vertraulichkeit des Wortes, Delikte gegen die Strafrechtspflege (§§ 145d, 164, 344 StGB). Solche sehr vielfältig möglichen Delikte werden punktuell im Zusammenhang des ihnen gemeinsamen Problems der Rechtfertigung erörtert (2. Teil). Die mit dem Provokationsakt selber zusammenhängenden Besonderheiten staatlichen Handeins (Pflichtdelikte) werden am Ende des vorliegenden Abschnitts behandelt (1. Teil E V). Nach allgemeiner Ansicht ist der Anstifter straflos, wenn er meinte, die angestiftete Tat könne nicht vollendet werden I. Die früher zuweilen vertretene Gegenansicht gilt heute als widerlegt. Wer nur einen Versuch anstiften will, soll straflos 1 OLG Hessen HESt 1, 233; BGHZ 8, 83; RGSt 15, 315 ff.; 16, 25 (29); 17, 377 (378); 32, 353; 37, 321; 44, 172 (174); 53, 336; 56, 168, 171 f.; 60,23 (24); 65, 145; RG JW 1933, 1727; BGH b. Dall. MDR 1954,335; BGHSt 4,199; BGH b. Dall. MDR 1973,554; BGH GA 1975,333; BGH StrVert 1981,549; Baumann /Weber, Strafrecht AT, § 33 III; Maurach / Gössel! Zipf, Strafrecht AT, Tb. 2, § 51 II B 3; Blei, Strafrecht I, § 88 I; Jakobs, Strafrecht AT 23 /16; Schmidhäuser, Strafrecht AT, 14/107; Jescheck, Lehrbuch, § 64 III 2b; Stratenwerth, Strafrecht AT, Rn 889 f.; WesseIs, Strafrecht AT, § 13 IV 2; Dreher / Tröndle § 26 Rn 8; eramer in Schönke / Schröder § 26 Rn 16; Roxin in LK § 26 Rn 17 f.; Otto, Grundkurs Strafrecht AT, § 22 II 4; Samson in SK StGB Rn 38 vor § 26; Lackner, § 26 Anm. 4; Rudolphi, Festschrift für Maurach S. 66 f.; Fincke, Das Verhältnis des Allgemeinen zum Besonderen Teil des StGB, S. 64 Anm. 256; Küper, GA 1974,321 (331 ff.); Bockelmann, Strafrecht AT, § 25 III 1 b aa; Eser, Strafrecht II, Fal143 Rn 14; Herzberg, GA 1971, 1 (11 f.); ders., JuS 1983,737 ff.; Karge, Der agent provocateur, Diss. Frankfurt 1969, S. 31; Trechsel, Der Strafgrund der Teilnahme; Friedrichs, Der Einsatz von V-Leuten durch die Ämter für Verfassungsschutz, S. 153 ff.; Maaß, Jura 1981, 514 ff.; Sieg, StrVert 1981, 636 ff.; Mache, Die Zulässigkeit des Einsatzes von agents provokateurs, Diss. Frankfurt 1983; Seelmann ZStW 85 (1983), 797 ff.; Ostendorf / Meyer-Seitz, StrVert 1985,73 ff.; Lüderssen, Zynismus, Borniertheit oder Sachzwang? In: ders., V-Leute. Die Falle im Rechtsstaat, S. 18 f.; Franzheim, NJW 1979, 2014ff. Zur älteren Literatur vgl. Stratenwerth, MDR 1953,717 Anm. 1.

E. Strafrechtliche Grenzen der Deliktsprovokation

161

sein, weil er keine Rechtsgutsverletzung wolle. Das vorsätzliche Fördern einer Rechtsgutsverletzung sei der Strafgrund der Teilnahme. Die Provokation eines vollendeten Delikts ist im allgemeinen unstreitig strafbar. Aus dem Strafgrund der Teilnahme wird aber eine praktisch bedeutsame Ausnahme erschiossen. Straflos sein soll, wer ein vollendetes Absichts- oder Unternehmensdelikt anstiftet, in der Annahme, es werde vollendet, aber seine Absicht könne der Täter nicht verwirklichen. In der Tat scheint auch hier der Strafgrund der Teilnahme nicht gegeben zu sein. Die heute fast unwidersprochene These vom Strafgrund der Teilnahme - Fördern einer Rechtsgutsverletzung führt also zu recht weitgehender Straflosigkeit der Provokation von Straftaten. Wer meint, die Anstiftung des Versuchs sei straflos, muß, so scheint es, auch annehmen, die Anstiftung eines vollendeten Absicht'Sdelikts sei straflos, wenn nur der Anstifter die Absicht für unrealisierbar hält. Das wirkt sich insbesondere bei der praktisch nicht irrelevanten staatlichen Provokation von politischen Delikten aus, denn dies sind meist Absichtsdelikte. Ihre Provokation durch V-Leute des Staates hätte nach h. M. also keine strafrechtlichen Folgen, auch wenn die Delikte vollendet werden. Da dies im politischen Strafrecht sehr früh der Fall ist, läge hier ein weites Feld, in dem ohne strafrechtliches Risiko für die Akteure Kriminalität gesteuert und als gefährlich eingeschätzte Personen aus dem Verkehr gezogen werden könnten. Gegenwärtig zeigt sich diese Tendenz in der Beurteilung der staatlichen Provokation von Drogendelikten. Sie sind meist abstrakte Gefährdungsdelikte. Der Provokateur will auch hier nicht die ,.materielle" Rechtsgutsverletzung, wenn er ein vollendetes Delikt anstiftet. Man möchte ihn also straffrei lassen. Im folgenden wird gezeigt, daß die verbreitete und naheliegende Schlußfolgerung - beiStraflosigkeit der Provokation des Versuchs muß auch die Provokation des Absichtsdelikts straflos sein - nicht zwingend ist. Denn der angebliche Strafgrund der Teilnahme schließt die Strafbarkeit der Provokation des Absichtsdelikts nicht aus. Die Provokation des Versuchs ist allerdings straffrei, aber nicht, weil der Strafgrund der Teilnahme hier nicht gegeben wäre. Soweit der Überblick. Zunächst soll die Provokation des Versuchs erörtert werden und dabei zuerst die Lehren, die die Provokation des Versuchs für strafbar halten. Die gegenwärtig verbreiteten Einwände gegen diese Lehren erweisen sich bei genauer Prüfung als problematisch.

I. Provokation des Versuchs durch Teilnahme 1. Teilnahme als Delikt gegen den Täter (Schuldteilnahmelehre und Modifikation) Die älteste und bekannteste Begründung für die Strafbarkeit des Provokateurs (bis auf weiteres ist damit gemeint, wer einen anderen zu einer rechtswidrigen 11 Keller

162

1. Teil: Nonnative Schranken der Deliktsprovokation

Tat bestimmt (§ 26 StGB) in der Annahme, die Tat könne nicht vollendet werden) lautet: Der Teilnehmer wird bestraft, wenn und weil er den Täter in Schuld und Strafe geführt, ihn korrumpiert hat (Schuldteilnahmelehre)2. Da der Provokateur dies bewirkt habe, sei er strafbar. Nun wurde oben bei der Untersuchung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts festgestellt, daß die Bürger im allgemeinen - Ausnahme: in Sonderverhältnissen und gegenüber dem Staat - kein subjektives Recht auf Wahrung ihrer sozialen Integration haben, also auch kein Recht darauf haben, nicht in Schuld und Strafe gelockt zu werden. Das spricht jedoch nicht zwingend gegen die Relevanz der Schuldteilnahmelehre im Strafrecht. Das Strafrecht ist nicht darauf beschränkt, subjektive Rechte zu schützen. Hans Schultz hält die Schuldteilnahmelehre und die Strafbarkeit des Provokateurs für im schweizerischen Recht "unbezweifelbar"3. Im Strafrecht der DDR (§ 22 Abs. 3 StGB) ist die Schuldteilnahme als ein Strafgrund der Teilnahme explizit anerkannt. § 257 Abs. 3 S. 2 des bundesdeutschen StGB ist nur aus der Schuldteilnahme zu erklären. Wenn man nicht Selbstbegünstigung für strafbares Unrecht hält, kann das Unrecht der dort pönalisierten Anstiftung nicht in der Vollendung stecken; Strafgrund scheint die Korruption des Angestifteten zu sein. Nach h. L. allerdings soll § 257 Abs. 3 S. 2 StGB eine Ausnahmeregelung sein, die die ansonsten angeblich geltende Regel - keine Schuldteilnahmehaftung - bestätige 4. Das kann erst angenommen werden, wenn die genannte Regel anderweitig begründet ist. Für sich genommen läßt sich § 257 Abs. 3 S. 2 StGB sowohl als Ausnahme einer allgemeinen Regel verstehen wie als analogiefähige Formulierung eines Regelfalles. Im letzteren Fall wäre dann § 258 Abs. 5 StGB, in dem die h. L. einen Regelfall sieht, als Ausnahme zu verstehen. - Die frühere Rechtsprechung zur Anstiftung zur strafvereitelnden Begünstigung gemäß § 257 a. F. StGB folgte ebenfalls der Schuldteilnahmelehre 5 • Für die Schuldteilnahmelehre (und damit für die Strafbarkeit des Provokateurs) scheint schließlich der Wortlaut der §§ 26, 27 StGB zu sprechen, wonach als strafbegründende Haupttat jede "rechtswidrige Tat", also auch der Versuch, ausreicht. Diese Interpretation ist aber nicht zwingend. In § 22 StGB ist ebenfalls uneingeschränkt von "Tat" und "Straftat" die Rede, zweifellos aber nicht der Versuch gemeint. Der Wortlaut der §§ 26, 27 StGB läßt demnach sowohl die Strafbarkeit als auch die Straflosigkeit der Teilnahme am Versuch zu. 2 H. Mayer, Strafrecht AT (1953) S. 301 f.; Beling, Die Rechtsprechung des Reichsgerichts vom 1. Oktober 1891 bis zum 31. März 1894, ZStW 18 (1898), 267 (272). Schuldteilnahme als Strafgrund neben anderen nehmen an: H. Mayer, Festschrift für Rittler (1957) S. 243 ff.; ders., Strafrecht AT (1967) S. 155 f.; Less, ZStW 69 (1957), 43 ff.; Kohlrausch, Festschrift für Burnke (1939) S.48. Zur früheren Literatur: Lange, Die notwendige Teilnahme, S. 36 ff. 3 Einführung in den Allgemeinen Teil des Strafrechts, 1. Bd., S. 246, 248 mit Nachw. zur Rechtspr. 4 Roxin in LK (10. Aufl.) Rn 35 vor § 26; Stree in Schönke / Schröder § 257 Rn. 33. 5 BGHSt 17,236; ablehnend Schröder JR 1962,427.

E. Strafrechtliche Grenzen der Deliktsprovokation

163

Die Kritik der Schuldteilnahmelehre weist darauf hin. daß die Teilnahme auch strafbar ist. wenn der Täter schuldlos handelt. Seine Verstrickung in Schuld und Strafe könne also nicht Strafgrund der Teilnahme sein 6 • Trechsel u. a. 7 weisen jedoch darauf hin. daß auch der schuldlos Handelnde durch die angestiftete Tat und die sozialen und staatlichen Reaktionen darauf sozial desintegriert wird. Das sei der Strafgrund der Teilnahme. Er liegt nach dieser Lehre also nicht mehr in der Schuldteilnahme. sondern in der Unrechtsteilnahme. Gleichwohl wird diese Lehre hier als modifizierte Schuldteilnahmelehre bezeichnet. um mit dem Terminus .Unrechtsteilnahme' die im folgenden Abschnitt erörterte Lehre zu bezeichnen 8. Gegen die modifizierte Schuldteilnahmelehre wird eingewandt. sie gehe an der Systematik der Teilnahmeregelung vorbei. Solle wirklich sozialer Desintegration entgegengewirkt werden. so dürfe nicht gemäß der Akzessorietät die Schwere der geförderten Tat für die Anstifterstrafe maßgebend sein, sondern nur der Grad der tatsächlich Desintegration. Diese könne bei Anstiftung zu leichten Delikten viel größer als bei der zu schweren sein 9 • - Der Einwand ist nicht zwingend. Es könnte sein. daß die Desintegration im Gesetz wertend und abstrakt generalisierend eingeschätzt wird: Der Widerspruch. in den der einzelne mit der Gesellschaft gerät. ist umso größer. je schwerer die von ihm begangene rechtswidrige Tat ist. Wer das für ..blassen" Begriffsrealismus hält 10. mag bedenken. daß die Generalprävention. die als Hauptlegitimation des Strafens vorgestellt wird. ebenso abstrakt bestimmt wird: Es kommt nicht an auf die konkreten Reaktionen der Bürger auf eine Straftat. sondern auf den abstrakt generell angenommenen Bedarf nach Wiederherstellung des Ordnungsglaubens der Bürger durch Bestrafung des Täters. Und wenn insofern der Täter für die Integration der anderen einstehen muß. so dürfte es auch nicht. wie die Kritiker der Schuldteilnahmelehre meinen 11. unzulässig sein. den Anstifter für die soziale Desintegration des Angestifteten verantwortlich zu machen. Beide Male reagiert die Strafe auf unterstellte Korrumpierung der Bürger 12. Die These schließlich. jedenfalls die Beihilfe trage zur Desintegration des Täters nicht bei. weil sie ihn nicht motiviere 13. widerspricht der Erfahrung: 6 Lüderssen. Zum Strafgrund der Teilnahme. S. 48; Roxin. a.a.O .• Rn 8; Welzel. Deutsches Strafrecht. S. 115; Maurach / Gössel/Zipf. Strafrecht AT. T. 2. § 50 III D 2; Samson in SK StGB Rn 5 vor § 26. 7 Trechsel. Der Strafgrund der Teilnahme. S. 54 ff.; Less. a.a.O .• S.47. 53. Beide halten den Provokateur nicht für strafbar. weil zur Anstiftung auch ein Angriff auf das Rechtsgut gehöre. 8 Die Terminologie folgt Stratenwerth. Strafrecht AT. Rn 858. 9 Esser. GA 1958.321 (322); Rudolphi. Festschrift für Maurach. S. 66; Stratenwerth. a.a.O .• Rn 854; Jakobs. Strafrecht AT. 22/2. 10 Jakobs. a.a.O.: ..blasser Nominalismus". Gemeint sein dürfte die Gegenposition: (Begriffs-)Realismus. II Lüderssen. a.a.O .• S. 55; Rudolphi. Festschrift für Maurach. S. 66. 12 Vgl. Zielinski. Handlungs- und Erfolgsunwert im Unrechtsbegriff. S. 209.

11*

164

1. Teil: Normative Schranken der Deliktsprovokation

Gelegenheit macht Diebe (womit nicht gesagt ist, jedes Schaffen von Gelegenheit sei Beihilfe). Wie man die Entwicklung eines Menschen negativ beeinflussen kann, indem man ihm jeden Wunsch erfüllt, so kann man auch eine kriminelle Karriere fördern, indem man zu Straftaten Hilfe leistet. Hilfsangebote können stimulierend wirken. Die Rechtsprechung hat sich oft mit Provokationen durch Beihilfe beschäftigt 14. Die modifizierte Schuldteilnahmelehre findet im übrigen Bestätigung in neueren Ansätzen, die die Mittel der Anstiftung zu spezifizieren und zu erklären suchen im sozialen Verhältnis der Beteiligten - Teilnehmer und Täter l5 • Die Anstiftung nur unter dem Aspekt des kausalen Rechtsgutsangriffs zu erklären, würde das Gesetz verfehlen. Dort sind spezifische Mittel der Förderung fremder Taten - das Bestimmen eines anderen - zur Begründung der Strafbarkeit erklärt. Das Bestimmen ist ein Verhältnis zwischen Menschen, nicht unmittelbar eines zum von der Tat verletzten Rechtsguts. Es liegt daher nahe, den spezifischen Unwert des Bestimmens auch im Verhältnis des Teilnehmers zum Täter zu erklären. Puppe 16 hat insofern die Schuldteilnahmelehre herangezogen. Zwingend ist der Zusammenhang jedoch nicht. Das negativ zu Bewertende an der Beziehung des Anstifters zum Angestifteten muß nicht gerade die Tendenz zur sozialen Desintegration sein. Die modifizierte Schuldteilnahmelehre ähnelt dem in der Fahrlässigkeitsdogmatik entwickelten Vertrauens grundsatz 17, der davon ausgeht, daß die Sorgfaltspflicht einer Person nicht nur Rechtsgüter bewahren, sondern auch andere mit ihr kontaktierende Personen von Pflichten entlasten soll. Der Bezug zur Schuldteilnahmehaftung wurde oben hinsichtlich des Verbots des Vertrauensmißbrauchs dargestellt l8 • Dort zeigte sich auch, daß eine Begründung der Haftung wegen Schuldteilnahme aus dem haftungsbegrenzenden Vertrauensgrundsatz nicht zu entnehmen ist.

Fazit: Die modifizierte Schuldteilnahmelehre läßt sich im Kontext des StGB weder bestätigen noch widerlegen. Deshalb ist es angemessen, nun doch die Erwägungen zu berücksichtigen, die zum allgemeinen Persönlichkeitsrecht dargestellt wurden: Im allgemeinen hat jeder seine soziale Integration selbst zu verantworten. Dies ist für die Freiheit im Verkehr der Individuen konstitutiv. Da das Strafrecht keine deutlichen Anhaltspunkte dafür enthält, daß durch Strafen 13 Stratenwerth, a.a.O." Rn 855; Trechsel, a.a.O., S. 107 ff.; Otto, JuS 1982, 557; Roxin in LK (10. Aufl.) Rn 9 vor § 26. 14 RGSt 15; 315 ff.; 16,25 (29); 17,377; 60, 23 (24); RG JW 1933, 1727; BGH b. Dall. MDR 1954,335; BGH StrVert 1981,549 (dazu unten 1. Teil E 11 1 a». 15 Puppe, GA 1984, 101 (111, 113, 121); weitere Nachweise unten 1. Teil E IV 1. 16 A.a.O., S. 111, 122. 17 Stratenwerth, Festschrift für Eb. Schmidt S. 392; ders., Strafrecht AT, Rn 1155; eramer in Schönke / Schröder § 15 Rn 147 ff.; Welzel, Deutsches Strafrecht, S. 132 f.; Jakobs, Strafrecht AT, 7/51 ff. 18 s. o. 1. Teil B IV 1 a).

E. Strafrechtliche Grenzen der Deliktsprovokation

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ein weiterreichender Schutz der sozialen Integration gewährleistet werden soll, dürfte auch die strafrechtliche Teilnehmerhaftung insofern gemäß der Selbstverantwortung zu bestimmen sein. Die Strafbarkeit des Provokateurs läßt sich also aus der modifizierten Schuldteilnahmelehre nicht begründen.

2. Unrechtsteilnahme oder eigener RechtsgutsangritT a) Ausgehend von Ausführungen Welzels zur notwendigen Teilnahme 19 hat Stratenwerth in einer älteren Veröffentlichung 20 die Strafbarkeit des Provokateurs begründet mit dem Hinweis auf den Handlungsunwert des Versuchs, den der Teilnehmer mit verursacht. Freilich kann der Strafgrund der Teilnahme nicht mit dem Handlungsunwert der Tat identisch sein, denn der Teilnehmer verwirklicht ihn nicht; er hat nicht den Vorsatz, den Erfolgsunwert der Tat zu erreichen: Stratenwerth betont deshalb im Anschluß an den restriktiven Täterbegriff, der Teilnehmer übertrete nicht das Verbot, gegen das der Täter verstößt, sondern ein anderes in den §§ 26, 27 StGB normiertes. Der Strafgrund der Teilnahme liegt demnach - Stratenwerth expliziert das nicht - darin, daß der Teilnehmer einen anderen veranlaßt, eine auf den Erfolgsunwert gerichtete Handlung zu begehen. Der Handlungsunwert der Tat ist der Erfolgsunwert der Teilnahme. Der Provokateur haftet, weil er "eine sozial unerträgliche Tat gefördert hat". Welzel stimmte im Ansatz mit Stratenwerth überein und legte sich hinsichtlich der Strafbarkeit des Provokateurs nicht fest 21 . In der älteren Literatur wurde die Strafbarkeit des Provokateurs oft ähnlich begründet 22. Zum Strafgrund der Teilnahme finden sich auch in der neueren Rechtsprechung und Literatur Stellungnahmen, die mit Stratenwerth und Welzel übereinstimmen. Teilnahme sei "Verursachung eines rechtswidrigen Verhaltens"23, "Veranlassung oder Unterstützung fremden Unrechts" 24. Danach müßte der Provokateur strafbar sein. Diese Konse19 ZStW 61 (1941), 209 ff. 20 MDR 1953,717 ff.; ansatzweise ebenso in Strafrecht AT, Rn 856, 858. 21 Deutsches Strafrecht, S. 112 ff., 117; im Grundsatz wie Stratenwerth wohl auch M. Walter, JuS 1973, 171 (175 f.). 22 v. Bar, Gesetz und Schuld im Strafrecht, Bd.lI, S.644; Binding, Grundriß des deutschen Strafrechts AT, 8. Aufl., S. 149 Anm. 2, S. 171; ders., Die Normen und ihre Übertretung, Bd. 11, S. 891,892 Anm. 5; Gerland, Deutsches Strafrecht, S. 150; Hafter, Lehrbuch des schweizerischen Strafrechts, S.221; Heilbom, Der agent provocateur, insbes. S. 91 ff.; Köhler, Deutsches Strafrecht AT, S. 500 f.; Löwenheim, Der Vorsatz des Anstifters nach geltendem Rechte (Str. Abh. H. 9), S. 49 ff.; P. Merkei, Grundriß des Strafrechts AT, S. 178; 01shausen / Niethammer, StGB, 12. Aufl., § 48 Anm. 13; Sauer, Allgemeine Strafrechtslehre, S. 186 f., 217. 23 BGHSt 4, 355 (358); ähnlich RGSt 5, 227; 15, 315 (316); dazu Lüderssen, Zum Strafgrund der Teilnahme, S. 69 ff. 24 Maurach / Gössel/Zipf, Strafrecht AT, Tb. 2, § 50 III D 2; ähnlich Samson in SK StGB Rn 14 ff. vor § 26; Jescheck, Lehrbuch § 64 I 2; Lackner, Anm. 4 vor § 25; Vogler, Festschrift Heinitz, S. 295 (299 ff.); Cramer in Schönke / Schröder Rn 22 vor § 25.

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1. Teil: Normative Schranken der Deliktsprovokation

quenz wird jedoch nicht gezogen. Dem Provokateur fehle der Erfolgsvorsatz hinsichtlich der Tat. Hier kann man eine "Antinomie" der Teilnahmelehre 25 sehen, die die z. T. merkwürdige gesetzliche Regelung reflektiert. Stratenwerths und Welzels Erklärung fügt sich präzis zur limitierten Akzessorietät, wonach die Strafbarkeit des Teilnehmers hinsichtlich des Ob und Wie geknüpft ist an die rechtswidrige vorsätzliche Tat, die er gefördert hat. Daß er eine solche Tat mit ihrem personalen Unwert (Vorsatz) mitverursacht hat, macht demnach den Unwert und Strafgrund der Teilnahme aus. Welzel und seine Schüler sahen denn auch in der Einführung der limitierten Akzessorietät, insbesondere in der Fassung der §§ 26, 27 StGB, eine Bestätigung der finalen Handlungslehre 26 • Diese trennt den Vorsatz von der Schuld und verbindet ihn mit der objektiven Seite der Handlung zu einer Einheit. In der strengen Akzessorietät waren Vorsatz und Schuld des Täters, den der Teilnehmer anstiftete, nicht unterschieden; dazu fügte sich die Schuldteilnahmelehre. In der neuen Fassung der §§ 26, 27 StGB wurde der Vorsatz, wie von der finalen Handlungslehre gefordert, von der Schuld gesondert und mit der objektiven Seite der Tat zum einheitlichen Gegenstand der Teilnahme erklärt. Konsequent erklärte Welzel die Förderung der Handlung als objektiv- subjektiver Einheit zum Strafgrund der Teilnahme 27. b) Lüderssen kritisiert die Unrechtsteilnahmelehre, weil sie die Teilnahme von einem Delikt gegen Rechtsgüter zu einem Delikt gegen den sozialen Frieden mache 28 • Das wirkt plausibel. Denn der Handlungsunwert des Versuchs, den der Provokateur fördert, ist personaler Unwert; er kommt der Handlung aus ihrer subjektiven Gerichtetheit auf die Rechtsgutsverletzung (Erfolgsunwert) zu. Derart ausgerichtet ist die Teilnahmehandlung des Provokateurs gerade nicht. Ihr Unwert realisiert sich nicht in der personalen Wendung des Provokateurs gegen ein Rechtsgut, sondern darin, daß er eine solche Wendung des Täters veranIaßt, und zwar eine aus der Sicht des Provokateurs vorab erfolglose, für das Rechtsgut bloß gefährlich erscheinende Geste. Diese Art der Störung des sozialen Friedens könnte allerdings die Bestrafung des Teilnehmers nicht begründen 29; der Scheinversuch wird auch beim Täter nicht geahndet. Hinzu kommt aber eine von Welzepo und neuerdings von Jakobs 31 betonte weitere soziale Bedeutung der vom Provokateur geförderten Tat. Daß jemand Unrecht tut, belastet die Allgemeinheit. Die Durchbrechung ihrer Normen ist Herzberg, GA 1971, 1 (12). Welzel, Deutsches Strafrecht, S. 112 ff.; Schlutter, Zur Dogmengeschichte der Akzessorietät der Teilnahme (Strafr. Abh. H. 420), S. 3. 27 Deutsches Strafrecht, S. 99, 112, 115; ders. ZStW 61 (1941),209 (212 f.). 28 Strafgrund, S. 51 f., 54 ff. 29 Das bleibt unklar in der Kritik Küpers, GA 1974, 321 (330). 30 Deutsches Strafrecht, S. 4 ff., 112, 115. 31 Strafrecht AT, 1/1-16; 2/1 ff. 25

26

E. Strafrechtliche Grenzen der Deliktsprovokation

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eine sozial bedeutsame Störung. Gestraft wird nicht, um das beeinträchtigte Rechtsgut wiederherzustellen, auch nicht unmittelbar, um einzelne Rechtsgüter zu schützen, sondern zunächst, um die Geltung der sozialen Norm zu wahren, die die Schonung der Rechtsgüter verlangen. Versteht man die Unrechtsteilnahmelehre in diesem Kontext, erscheint sie als Umkehrung der Schuldteilnahmelehre. Wirft diese dem Teilnehmer vor, daß er den Täter in Widerspruch zur sozialen Ordnung gebracht habe 32 , so wirft ihm jene vor, daß er der Allgemeinheit Ärger gemacht, indem er eine sozial unerträgliche Tat verursacht habe. Auch wenn man derart Strafen als Schutz der Geltung von Normen versteht, ist fraglich, ob in diesem Kontext die Bestrafung des Provokateurs akzeptabel wird. Denn damit würde hingenommen, daß Strafen allein damit begründet werden, daß die Taten sozial Ärger machen; nicht mehr käme es an auf den Grund des Ärgers, etwa eine Tötung. Es ist ein Unterschied, ob jemandem vorgeworfen wird, er habe der Allgemeinheit Ärger gemacht, weil er ein Rechtsgut angegriffen habe, oder ob ein Vorwurf schlicht damit begründet werden kann, daß er der Allgemeinheit Ärger gemacht habe. Darin steckte eine Wendung zum Autoritären, die hinausginge über die Bestrafung abstrakter Gefahrdungsdelikte. Diese setzen zwar auch keine Rechtsgutsverletzung oder konkrete Gefahrdung voraus; aber die Bestrafung bezieht sich noch immer auf die gesetzgeberisch angenommene generelle Gefährlichkeit des tatbestandlichen Verhaltens für Rechtsgüter. Auch darauf würde noch verzichtet, wenn allein das sozial Ärgerliche Strafe begründete. Das bedeutete, daß jemand bestraft werden darf, weil er gegen ein Gesetz verstoßen hat, das jenseits seiner selbst keinen positiven Sinn hat. Das Strafrecht verzichtete damit überhaupt auf Legitimation. Der hier herangezogene Begriff ,Rechtsgut' ist allerdings wenig bestimmt und gibt, wie später gezeigt wird, für die Konkretisierung der Tatbestände weniger her als oft angenommen wird 33. Nicht verzichtet werden sollte aber auf die Forderung, daß Strafdrohungen überhaupt auf den Schutz eines positiven Wertes bezogen sein müssen, auch wenn daraus die Einzelheiten der Reichweite des Schutzes nicht abgeleitet werden können. Straftatbestände, die von der Forderung nach einem Schutzzweck abgekoppelt wären, verstießen gegen den verfassungsrechtlichen Verhältnismäßigkeitsgrundsatz. Er setzt voraus, daß die Bürger belastende staatliche Maßnahmen einem Zweck jenseits ihrer selbst dienen müssen (dessen Verfolgung dann zu den Belastungen ins Verhältnis gesetzt werden kann). Allerdings ist auch der h. M. die Orientierung der Strafe an der Friedensstörung nicht fremd. Die Rechtfertigung gemäß § 34 StGB hängt von einer Interessenabwägung ab. Bei ihr soll auf der Seite der beeinträchtigten Interessen berücksichtigt werden, daß, einen Schaden auf Dritte abzuwälzen, stets den allgemeinen Rechtsfrieden störe, so daß z. B. Eingriffe zur Abwendung drohender Bagatellschäden 32 33

Less, ZStW 69 (1957), 43 (47, 53). s. u. 1. Teil E 11 2.

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1. Teil: Normative Schranken der Deliktsprovokation

nie durch Notstand gerechtfertigt sein könnten 34. Demnach wäre, wer einen solchen Eingriff unternimmt, stratbar u. a. wegen der Friedensstörung, und entsprechend könnte es bei der Teilnahme sein. Die Beschränkung der Notstandsrechtfertigung ist jedoch anders zu deuten. Die in § 34 StGB zugelassenen Eingriffe durchbrechen das Prinzip der Selbstverantwortung, wonach mit den Beeinträchtigungen eigener Güter grundsätzlich jeder selbst fertigwerden muß. Dieses gilt allgemein. Verfassungen, die von individueller Freiheit ausgehen, lassen es nicht zu, daß jeder alle seine Nöte mit Gewalt gegen andere sozialisiert 35. § 34 StGB macht davon eine eng begrenzte Ausnahme (die Gefahr muß gegenwärtig sein, das gerettete Gut muß wesentlich überwiegen). Der Ausschluß von Notstandseingriffen bei drohenden Bagatellschäden bringt hinsichtlich geringer Risiken wieder die Selbstverantwortung zur Geltung. Diese Selbstverantwortung hat allerdings wenig zu tun mit dem abstrakten Rechtsfrieden, den der Staat zu wahren hat. Die Selbstverantwortung ist Konstituens der Freiheit der Bürger, wie im Zusammenhang des begrenzten Schutzes des allgemeinen Persönlichkeitsrechts zwischen Bürgern gezeigt wurde. Die Unrechtsteilnahmelehre, sofern sie die Friedensstörung zum Haftungsgrund erhebt, findet also in der erwähnten Beschränkung von Notstandseingriffen keine Bestätigung. Genau genommen, steht sie der im Prinzip der Selbstverantwortung und Freiheit angelegten Konzeption des Verhältnisses von Bürger und Staat entgegen. Den Rechtsfrieden im Sinne allgemeiner Einhaltung der Gesetze zu wahren, ist Aufgabe der Staatsorgane. Sie haben das öffentliche Interesse zu wahren. Die Bürger sind nicht derart dem Allgemeinen rechtlich verpflichtet. Sie haben Grundrechte gegen die Instanzen des öffentlichen Interesses. Rechtlich dürfen sie ihr partikulares Einzelinteresse verfolgen. Das Recht begrenzt sie darin. Die Unrechtsteilnahmelehre, sofern sie die Friedensstörung zum Haftungsgrund erklärt, ginge hingegen davon aus, daß jeder wie ein Beamter das öffentliche Interesse an allgemeiner Gesetzmäßigkeit zu wahren habe. Weil dies mit der Verfassungsordnung schwer zu vereinbaren ist, ist die auf Friedensstörung orientierte Version der Unrechtsteilnahmelehre ähnlich problematisch wie die Schuldteilnahmelehre, die unterstellt, jeder habe für die soziale Integration anderer zu sorgen. Die erwähnte Version der Unrechtsteilnahmelehre findet auch keine Bestätigung in dem von Lenckner u. a. 36 im Zusammenhang des § 34 StGB vertretenen Verbot, "sich auf die Seite des Unrechts" zu stellen. Danach sollen Eingriffe unzulässig sein, wenn sie dem Eingreifenden von einem Dritten aufgenötigt werden. Diese Nötigung soll der Genötigte nicht weitergeben, sich nicht auf ihre Seite stellen dürfen. Er soll das Recht wahren, was auch die erwähnte Version

34 35 36

Lenckner in Schönke / Schröder § 34 Rn 40; Jakobs, Strafrecht AT, 13 / 31. Einzelheiten vgl. 1. Teil B III 1; 2. Teil AlL Lenckner, a.a.O. Rn. 41; ders. Notstand, S. 117; R. Lange, NJW 1978, 784 (785).

E. Strafrechtliche Grenzen der Deliktsprovokation

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der Unrechtsteilnahmelehre fordert. Aber das genannte Verbot ist, wie später noch genauer gezeigt wird 37, nicht akzeptabel, weil auch damit den Bürgern Gefahrtragungs- und Rechtsdurchsetzungspflichten von Polizei beamten auferlegt würden. c) Es ist nicht sicher, ob Welzel seine Konzeption der Teilnehmerhaftung in der soeben kritisierten Weise verstand, als er sie 1941 entwickelte. Die Unrechtsteilnahmelehre läßt sich auch anders als bisher diskutiert erklären. Lüderssens Kritik, mit ihr werde die Teilnahme zum Delikt gegen den Rechtsfrieden, geht aus von der Prämisse, die Teilnahme müsse einen eigenen Unwert haben. Auf der Suche nach diesem findet Lüderssen bei der Unrechtsteilnahme eine bloße Störung des Rechtsfriedens. Die Annahme, die Teilnahme müsse einen eigenen Unwert haben, ist zwar verbreitet und in Lüderssens Teilnahmelehre besonders konsequent durchgeführt 38. Sie ist aber nicht selbstverständlich. Die Strafbarkeit der Teilnahme ist akzessorisch, d. h. hinsichtlich des Ob und Wie geknüpft an die rechtswidrige Tat, die sie förderte. Die Tat, ihre objektive Seite, der Vorsatz, ihre willentliche Steuerung durch den Täter, begründen und bestimmen das Unrecht der Teilnahme. Der Teilnehmer haftet nicht, weil er selbst irgendein Rechtsgut - das von der Tat angegriffene oder die soziale Integration des Täters oder den sozialen Frieden - angreift, sondern weil die Tat, die er förderte, ein Rechtsgut angreift. Es gibt keine Teilnahme "an sich", sondern nur Teilnahme an einer gesetzlich bestimmten Tat 39 • Der Teilnehmer ist nicht quasi Mini-Täter, nicht, wie die frühere Lehre 40 annahm, Urheber einer Rechtsgutsverletzung. Der Unwert der Teilnahme kommt ihr von der geförderten Tat des Täters zu. Der Teilnehmer hat daran unselbständig teil. Der Provokateur, der den Versuch des Täters förderte, könnte demnach aus demselben Grund haften, aus dem der Täter haftet. Daß der Versuch nach Welzel einen personalen Unwert hat, bedeutet nicht, daß der Teilnehmer daran nicht teilhaben könnte 41 • Personaler Unwert ist im Vorsatz begründet, den der Teilnehmer nicht hat. Aber personaler Unwert bedeutet nicht, daß die Person, die den Unwertsachverhalt vorsätzlich produziert, negativ bewertet würde. Vielmehr ist das Verhalten, weil vorsätzlich, personal unwertig. Es wird als objektiv-subjektive Einheit negativ bewertet. Und es kann zugerechnet werden sowohl dem, der es selbst produzierte, dem Täter, als auch dem, der förderte, daß ein anderer es produzierte. Auch er kann am personalen Unwert teilhaben. s. u. 2. Teil A VI 1. Strafgrund, S. 78 ff., 161 ff. 39 Welzel, Der Allgemeine Teil des Deutschen Strafrechts in seinen Grundzügen, 1. Aufl., S. 75; Maurach / Gössel/Zipf, § 50 III A 2; Binding, Grundriß des Deutschen Strafrechts AT, 8. Aufl., S. 170. 40 Vgl. Binding, Grundriß, S. 161; kritisch u. a. Roxin, Täterschaft und Tatherrschaft, S. 366 f.; 420 ff. 41 Welzel, ZStW 61 (1941), 209 (212). 37

38

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1. Teil: Nonnative Schranken der Deliktsprovokation

d) Gegen diese Betonung der Unselbständigkeit der Teilnahme, ihrer Abhängigkeit von der Tat, wird oft die These gestellt, auch die Teilnahme müsse als ein eigener Angriff des Teilnehmers auf das Rechtsgut verstanden werden, das die Tat angreift. Weil er dieses Rechtsgut nicht angreife, sei der Provokateur straffrei 42. Aus dem Gesetz ist die These vom eigenen Angriff des Teilnehmers kaum zu begründen. § 30 StGB scheint dafür zu sprechen 43 • Dort ist ein Angriff des Teilnehmers pönalisiert, der nicht zu einer Haupttat führt. - Die Wissenschaft allerdings hat § 30 StGB zuweilen als problematische Vorverlagerung der Strafbarkeit kritisiert 44 • Demnach wären aus ihm keine verallgemeinernden Schlüsse zu ziehen. Wer indes in § 30 StGB den Typ des eigenen Rechtsgutsangriffs bestätigt sieht, muß annehmen, hier werde die allgemeine Grundform der Teilnahme erfaßt. Das widerspricht der Systematik des Gesetzes, die die Grundformen der Teilnahme in den §§ 26, 27 StGB bestimmt und § 30 StGB als einen vergleichsweise begrenzten, abgeleiteten Tatbestand faßt 45. § 30 StGB verhält sich systematisch zu den §§ 26, 27 StGB wie der Versuch und die zuweilen strafbare Vorbereitung zu den Deliktstatbeständen des Besonderen Teils 46 • Der unselbständige Beitrag zur Tat, den der Teilnehmer leistet, ist im Fall des § 30 StGB nur ansatzweise objektiviert, nicht soweit, wie es der in den §§ 26,27 StGB definierten Normalform der Teilnahme entspricht. Wenn, was im Gesetz ausnahmsweise noch pönalisiert wird, als Normalform des Strafbaren und die gesetzliche Normalform als bloße Modifikation davon verstanden wird, wird die gesetzliche Bewertung verfehlt. Das hier zugrundegelegte systematische Verhältnis von Grund- und Ergänzungstatbeständen wird in den folgenden Abschnitten erläutert, ebenso die Frage, ob die Akzessorietät der Teilnahme dem Schuldprinzip widerspricht 47 • Nach allem ist § 30 StGB zu entnehmen, daß auch die Teilnahme eigene Schuld enthält (was niemand bestreitet), nicht aber, daß sie als systematisch eigenständiger Rechtsgutsangriff neben dem des Täters zu bestimmen wäre. Eine Bestätigung der These vom eigenen Rechtsgutsangriff des Teilnehmers sieht M.K. Meyer 48 in § 28 Abs. 2 StGB, wonach der Teilnehmer u. U. aufgrund eines anderen Tatbestandes bestraft wird als der Täter. Roxin 49 hat hingegen mit 42 Roxin in LK (10. Aufl.) Rn 3, 17 vor §26; Jakobs, Strafrecht AT 22/6ff., 23/ 16; Herzberg, JuS 1983,737 f., 745; Otto, JuS 1983,557 (558); Lüderssen, Strafgrund, S. 119; Plate, ZStW 84 (1972), 294 (301, 306 f.); Schmidhäuser, Strafrecht AT, 14/57; 10 /15; Rudolphi, Festschrift für Maurach, S. 51 (66 ff.). Vgl. auch M.K. Meyer, GA 1979, 252 ff. - Kritisch zu den Begründungen dieser Ansätze Küper, GA 1974, 321 (328 ff.). Differenzierend: Stratenwerth, Strafrecht AT Rn 856,858; Samson in SK StGB, Rn 14, 27 vor § 26; Welzel, Deutsches Strafrecht, S. 112 ff. 43 M.K. Meyer, GA 1979,252 (255). 44 Vgl. Kohlrausch / Lange, § 49a Anm. II, III; Busch, Festschrift für Maurach, S. 245 (256); Stratenwerth, Strafrecht AT, Rn 868. 45 Küper, GA 1974,321 (327). 46 Ähnlich Stratenwerth, a.a.O. 47 s. u. 1. Teil E I 3 a), II 2 c), 3 h). 48 A.a.O., S. 261,268 f.

E. Strafrechtliche Grenzen der Deliktsprovokation

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beachtlichen Erwägungen gezeigt, daß § 28 Abs. 2 StGB als Strafzumessungsregel verstanden werden, die Verurteilung also aus dem vom Täter verwirklichten Tatbestand erfolgen und nur hinsichtlich des Strafrahmens der Grundtatbestand herangezogen werden sollte. Damit würde in § 28 StGB der Abs. 2 auch dem Abs. I kommensurabel, der im übrigen gegen die These vom eigenen Rechtsgutsangriff und für die Akzessorietät der Teilnahme spricht 50. Vor allem aber läßt sich bezweifeln, ob § 28 StGB zum Problem des eigenen Rechtsgutsangriffs etwas aussagt. Nach der Rechtsprechung 51 berührt er nicht die Tatbezogenheit der Teilnahme 52. Hinsichtlich der tatbezogenen Haftungskriterien lockert er demnach die akzessorische Haftung des Teilnehmers nicht auf. Es ist also die Tat, d. h. der Rechtsgutsangriff des Täters, nicht ein eigener des Teilnehmers, der Grund für dessen Haftung. Die Unterscheidung tat- / täterbezogen wird allerdings in der Lehre zunehmend kritisiert 53. Daß sie gleichwohl akzeptabel ist, muß an dieser Stelle nicht erläutert werden 54. Denn die Kritiker wollen den Anwendungsbereich des § 28 StGB im Vergleich mit der Ansicht der Rechtsprechung noch einengen; die Bedeutung der besonderen persönlichen Merkmale soll enger gefaßt werden. Aus den §§ 26, 27 StGB ist die Akzessorietät der Teilnahme zu entnehmen. Allerdings ist die Meinung verbreitet, die Akzessorietätsregelung diene nur der rechtsstaatlichen Begrenzung der Haftung des Teilnehmers 55. Infolgedessen wird die Akzessorietät quasi zu einem Tatbestandsmerkmal zweiter Klasse, das vernachlässigt werden kann. Das hat praktische Folgen auch für die Provokation des vollendeten Delikts: Der Provokateur soll auch straffrei sein, wenn er die bloß formelle Vollendung der Tat wollte. Der Akzessorietät wird dabei nur eine negative Bedeutung zugestanden, eine positive, die Haftung begründende Bedeutung versagt. Die Haftungsbegrundung sieht man in der nicht weiter abgeleiteten These vom eigenen Rechtsgutsangriff. In methodisch ebenso fragwürdiger Weise könnte man behaupten, das ganze Strafrecht diene ausschließlich dem Schutz des Rechtsfriedens und die spezifischen Tatbestände des Gesetzes hätten demgegenüber nur begrenzende Bedeutung, seien also je nach dem Interesse des Friedensschutzes restriktiv oder extensiv auszulegen. Methodisch und verfassungsrechtlich korrekt ist aber davon auszugehen, daß das Gesetz das Unrecht begründet und bestimmt. Deshalb ist anzunehmen, daß grundsätzlich alle Tatbestandsmerkmale einen spezifischen, die Haftung begründenden Unwert erfassen, LK § 28 Rn 3 ff. Roxin in LK Rn 11 vor § 26; M.K. Meyer, a.a.O., S. 269; Jakobs, Strafrecht AT, 22/7. 51 Z. B. BGHSt 22, 376 (380). 52 So Maurach / Gössel/Zipf, Strafrecht AT, § 53 III B 2 a). 53 Nachweise unten 1. Teil E 11 3 d, g. 54 Dazu unten 1. Teil E 11 3 d, e, f. 55 Roxin, a.a.O., Rn 5; M.K. Meyer, a.a.O., S. 254 f., 257 f.; Herzberg, a.a.O., S. 739; differenzierend: Jakobs, Strafrecht AT, 22/6 f.; Sarnson in SK StGB Rn 14,27 vor § 26. 49

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1. Teil: Nonnative Schranken der Deliktsprovokation

also nicht ohne weiteres zu Kriterien zweiter Klasse herabgestuft werden können, aus denen über das Unrecht nichts zu entnehmen ist 56 • Demnach ist der Akzessorietätsregelung zu entnehmen, daß der Rechtsgutsangriff der Tat das Unrecht der Teilnahme begründet, diese also nicht voraussetzt, daß der Teilnehmer einen eigenen Rechtsgutsangriff unternimmt. Im übrigen ist die Forderung nach einem eigenen Rechtsgutsangriff des Teilnehmers unspezifisch. Auch im Handeln des Provokateurs läßt sich ein solcher finden. Folgt man der verbreiteten Eindruckstheorie, so wird der Versuch bestraft, u. a. weil er das Vertrauen der Allgemeinheit in die Geltung des Rechts erschüttert 57. Gemeint ist die Geltung derjenigen Norm, die der Täter zu übertreten angesetzt hat. Diese Norm dient dem Schutz eines Rechtsguts. Ist ihre Geltung erschüttert, so ist die soziale Anerkennung des Rechtsguts gefährdet. Insofern bewirkt der Provokateur, der einen Versuch vorsätzlich fördert, eine Rechtsgutsgefährdung. Betrachtet man dieses Bewirken für sich, kann man es als eigenen Rechtsgutsangriff des Teilnehmers bezeichnen. Dieser Angriff ist schwächer als der des Haupttäters, weil der Teilnehmer keine Tatherrschaft und nicht den Vorsatz hat, die Vollendung zu fördern. Es ist aber ein eigener Beitrag des Teilnehmers, für den er, wäre er strafbar, persönlich haftete. Deshalb kann die von Stratenwerth angenommene Strafbarkeit des Provokateurs nicht abgelehnt werden mit dem Hinweis, der Provokateur greife das Rechtsgut nicht an 58 • Daß die subjektive Angriffsintensität des Provokateurs geringer ist als die des Täters, ist für alle Fälle der Teilnahme schon im allgemeinen Verhältnis von Täterschaft und Teilnahme angelegt: Der Teilnehmer hat keinen Tatherrschaftswillen, er steuert das Geschehen nicht willentlich, er wäre dazu oft psychisch gar nicht imstande. Allerdings greift der Teilnehmer im Unterschied zum Täter das Rechtsgutsobjekt nicht an. Aber das tut ohnehin kein Teilnehmer. Die Forderung nach einem eigenen Rechtsgutsangriff des Teilnehmers ist auch unschlüssig. Sie wird meist relativiert: Teilnahme sei ein akzessorischer Rechtsgutsangriff 59 • Es wird anerkannt, daß die Teilnehmerhaftung neben dem eigenen Rechtsgutsangriff auch von der Akzessorietät zur Tat bestimmt wird. Nur so läßt sich erklären, daß z. B. bei Sonderdelikten der nicht sonderpflichtige Anstifter eines sonderpflichtigen Täters nach § 26 StGB haftet. Hier anders zu 56 In anderem Zusammenhang wird das auch von der herrschenden Lehre betont, vgl. Roxin in LK § 28 Rn 28 m. w. N.; Samson in SK StGB § 28 Rn 18b; Jakobs, Strafrecht AT, 23/ 11; Stratenwerth, Strafrecht AT, Rn 932; jeweils gegen Herzbergs (Täterschaft und Teilnahme, § 12) Annahme von "wertneutralen" Merkmalen bei § 28 StGB. 57 Statt vieler: Grünwald, Festschrift für Welzel, S. 701 (712). Allerdings wird oft der erzeugte Eindruck nur als Strafwürdigkeitskriterium eingestuft; Strafgrund sei der Wille (vgl. Jescheck, Lehrbuch, § 49 11 3; Rudolphi in SK StGB Rn 13 vor § 22). Diese Differenzierung ist problematisch u. a. aus den oben zur materialen Bedeutung der Akzessorietät vorgetragenen Gründen. Ihr steht entgegen, was auch gegen die "wertneutralen" Merkmale bei § 28 StGB (s. 1. Teil E I 2, 11 2 c) geltend gemacht wird. 58 So auch Küper, GA 1974,321 (330 Anm. 65). 59 Roxin in LK Rn 7, 17 vor § 26.

E. Strafrechtliche Grenzen der Deliktsprovokation

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entscheiden, verfehlte den § 28 StGB, der hier das Strafmaß senkt, das Unrecht der Teilnahme aber bestätigt 60 • Wenn nun in diesem Fall die Haftungsbegründung durch Akzessorietät anerkannt wird, warum dann nicht auch beim Provokateur? Der relative Stellenwert des Kriteriums ,eigener Rechtsgutsangriff' gegenüber der Akzessorietät ist unklar. e) Fazit: Die Unrechtsteilnahmelehre könnte die Strafbarkeit der Provokation des Versuchs begründen. Die demgegenüber von der herrschenden Lehre vorgetragene Begründung der Straflosigkeit der Versuchsprovokation ist problematisch, vor allem, weil sie sich am materiellen Begriff ,Rechtsgut' orientiert. Aber wieweit ein Rechtsgut reicht und wieweit und gegen welche spezifische Art von Angriffen es geschützt ist, ist zunächst den formalen Tatbeständen des Gesetzes zu entnehmen.

3. Das Verhältnis von Delikts- und Ergänzungstatbeständen Wenn der Provokateur strafbar sein soll, müssen drei Tatbestände zusammengefügt werden: Der jeweilige Deliktstatbestand aus dem Besonderen Teil des StGB muß erweitert werden durch den Versuchstatbestand aus dem Allgemeinen Teil, und dieser erweiterte Tatbestand muß nochmals erweitert werden durch den Teilnahmetatbestand aus dem Allgemeinen Teil. W. Küper 61 meint, die zweifache Anwendung der Erweiterungstatbestände dürfe nicht dazu führen, daß auf das Erfordernis der "Erfolgsintention" beim Teilnehmer verzichtet wird. Der Vorsatz des Teilnehmers müsse sich stets auf die Vollendung des im Deliktstatbestand bestimmten Unrechts richten. Denn je für sich erweiterten die Versuchsund die Anstiftungsnorm den Deliktstatbestand nur hinsichtlich des ..Verhaltens oder Geschehens". Die im jeweiligen Deliktstatbestand vorausgesetzte Erfolgsintention werde davon nicht berührt. - Warum das so sein soll, erklärt Küper nicht. Seine These ist plausibel im Horizont der h. M., wonach die Teilnahme ebenso wie die Tat auf die Rechtsgutsbeeinträchtigung gerichtet sein soll. Eben dies bestreiten aber - wie gezeigt mit guten Gründen - die Vertreter der Schuld- und Unrechtsteilnahmelehre. Küpers Argumentation setzt voraus, was zu begründen wäre. Im übrigen ist seine These, die Teilnahmenorm betreffe nur das Geschehen und Verhalten, nicht das Erfordernis der Erfolgsintention, ungenau. Denn wenn ein Vorsatztatbestand hinsichtlich des Verhaltens geändert wird, wird er auch hinsichtlich der Intention geändert. Wenn der Teilnehmer die Tat nicht begehen muß, wird auch auf die willentliche Tatsteuerung verzichtet; er haftet, obwohl seine Erfolgsintention weniger aufs Geschehen bezogen, weniger intensiv ist. Auch daß hinsichtlich des Erfolges selbst die Intention des Teilnehmers u. U. zurückbleiben kann hinter der des Täters, wird kaum bestritten. Bei Betrug und Diebstahl etwa muß der Teilnehmer nicht die Bereicherung bzw. 60 61

Roxin, a.a.O., Rn 11. GA 1974, 321 (331 f.).

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1. Teil: Normative Schranken der Deliktsprovokation

Aneignung beabsichtigen 62 • Er ist strafbar, auch wenn er nur die diesbezügliche Absicht des Täters zwar kennt, aber für unrealisierbar hält. Hier wird die im Deliktstatbestand vorausgesetzte "Erfolgsintention" durch die Teilnahmenorm also "berührt". Nun kann man bezweifeln, ob Bereicherung und Aneignung i. S. der §§ 263, 242 StGB zum Erfolg gehören, der nach Küper intendiert sein muß. Nicht bezweifeln läßt sich dies allerdings hinsichtlich des Täuschens i. S. des § 267 StGB. Küper meint, die auf Bereicherung und Aneignung gerichteten Absichten müßten deshalb beim Teilnehmer nicht gegeben sein, weil sie nur die Täterrolle charakterisierten 63. Gegeben sein müsse beim Teilnehmer die im Deliktstatbestand vorausgesetzte Erfolgsintention, soweit sie auf eine Rechtsgutsbeeinträchtigung zielt. Diese Differenzierung ist fraglich. Bereicherungs- und Zueignungsabsicht werden meist als tatbezogene Merkmale klassifiziert. Sie bestimmen die Art der Rechtsgutsverletzung näher. Durch sie werden Betrug und Diebstahl zu Vermögens- bzw. Eigentumsverschiebungsdelikten. Das ist im einzelnen umstritten 64. Jedenfalls zeigt sich in der von Küper vorgeschlagenen Differenzierung, daß seine nicht begründete These, das Erfordernis der Erfolgsintention werde von der Teilnahmenorm nicht berührt, zusammenhängt mit jener oben kritisierten Orientierung an Rechtsgütern jenseits der gesetzlichen Tatbestände. Auch Küpers Argumentation aus den Rechtsfolgen 65 überzeugt nicht ohne weiteres. Er weist darauf hin, daß der Anstifter gleich dem Täter bestraft wird. Sollte der Provokateur, der die Vollendung nicht wollte, bestraft werden, so würde er behandelt wie ein Täter, dem die gewollte Vollendung mißlang. Das sei befremdlich und könne nicht Absicht des Gesetzgebers gewesen sein. Derartige Annahmen stützen sich, wie allemal die Argumentation aus den Rechtsfolgen, auf unvermittelte Bewertung von Verhalten. Das Befremdliche in der Strafbarkeit des Provokateurs könnte man weniger darin sehen, daß er ungeachtet des fehlenden Vollendungsvorsatzes bestraft wird, als darin, daß der Anstifter stets ungemildert wie der Täter bestraft wird. Das aber ist gesetzlich bestimmt. Im übrigen könnte Küpers Bewertung eine andere entgegengehalten werden: Die Provokation etwa eines Mordversuchs sollte nicht straflos bleiben, wenn der provozierte Täter den Mord vollendete. Hier den Provokateur wegen Anstiftung zum Mordversuch haften zu lassen, dürfte von der Allgemeinheit nicht als abwegig empfunden werden. Solche Risikohaftung ließe sich auf § 24 Abs. 2 StGB stützen; der zurückgetretene Teilnehmer ist nicht straffrei, wenn die Tat 62 Samson in SK StGB § 28 Rn 20; Stratenwerth, Straftrecht AT, Rn 930, 933; Roxin in LK § 28 Rn 42; Herzberg, ZStW 88 (1976), 68 (98); anders Jakobs, Strafrecht AT, 23/20. 63 A.a.O. Anrn. 70; ebenso Samson, a.a.O. 64 BGHSt 22, 375 (378 ff.); 23, 103 (105); Jeschek, Lehrbuch, § 61 VII 4a; Cramer in Schönke / Schröder § 28 Rn 15; z. T. anders Samson, a.a.O.; Stratenwerth, a.a.O., Rn 932 f. 65 GA 1974,321 (332 f.) im Anschluß an RGSt 15,315 (318).

E. Strafrechtliche Grenzen der Deliktsprovokation

175

vollendet wird. Allerdings setzt die Anwendung des § 24 StGB voraus, daß zunächst ein nach allgemeinen Zurechnungsgrundsätzen strafbares Unrecht vorliegt. Das eben wird vorliegend in Frage gestellt 65a• - Ungeachtet der Einwände weist Küpers Ansatz auf ein wichtiges Problem hin: Die Strafbarkeit des Provokateurs setzt die zweifache Anwendung von Ergänzungstatbeständen auf einen Deliktstatbestand voraus.

a) Grenzen der Modifikation des Deliktstatbestandes bei Versuch und Teilnahme Die Tatbestände des Versuchs, der Teilnahme und des (unechten) Unterlassens werden als Ergänzungstatbestände bezeichnet, weil sie für sich genommen verbotenes Verhalten nicht vollständig bestimmen. Sie bestimmen es nur in Kombination mit anderen Tatbeständen. Dies müssen solche sein, die schon für sich genommen verbotenes Verhalten vollständig bestimmen. Sachlich bedeutet dies: die Teilnahme ist nicht als solche strafbar, sondern nur in bezug z. B. auf einen Diebstahl. Der Bezug z. B. auf eine andere Teilnahme als solche genügt nicht. Vollständige Bestimmungen verbotenen Verhaltens enthalten u. a. die Deliktstatbestände des BT des StGB. Durch die Kombination eines Ergänzungstatbestandes mit einem Deliktstatbestand, der vorsätzliches Handeln erfaßt, wird dieser abgewandelt; es entsteht eine zusätzliche vollständige Bestimmung verbotenen Verhaltens, etwa das Verbot, einen Diebstahl zu versuchen, oder das Verbot, zu ihm anzustiften. Wendet man nun die dargestellte Kombinationsregel weiter an, so kann die zusätzliche vollständige Bestimmung verbotenen Verhaltens wieder mit einem Ergänzungstatbestand kombiniert werden (Beispiel: Kettenteilnahme), wodurch wiederum eine zusätzliche vollständige Bestimmung verbotenen Verhaltens entsteht, die dann wieder mit einem Ergänzungstatbestand kombiniert werden kann in infinitum. Die bisher dargestellte Kombinationsregel kann eine unendliche Menge von vollständigen Verbotsnormen erzeugen. Diese Perspektive mag theoretisch erscheinen. Sie soll hier gleichwohl diskutiert werden, denn die ihr zugrunde liegende Kombinationsregel ist es, die auch zugrunde gelegt würde, wenn die Provokation strafbar wäre: Ein Deliktstatbestand würde mit dem Ergänzungstatbestand des Versuchs kombiniert, wodurch eine vollständige Bestimmung verbotenen Verhaltens entsteht; diese würde wieder mit dem Ergänzungstatbestand der Teilnahme kombiniert. - Die Kombinationsregel enthält ein Problem: Die unendliche Menge von Verbotsnormen, die sie erzeugt, ist unbestimmt. Die je erzeugte einzelne Norm ist zwar nicht unbestimmt. Daß die Erzeugung der Normen aber unbegrenzt ist, könnte gegen Art. 103 Abs. 2 GG verstoßen. 65a

Einzelheiten zur Anwendbarkeit des § 24 StGB auf Deliktsprovokationen s. u.

1. Teil E II 5.

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1. Teil: Normative Schranken der Deliktsprovokation

Die Deliktstatbestände, die das Unrecht begründen, geben nach der dargestellten Kombinationsregel nicht mehr die Grenzen der Strafbarkeit an. Sie sind nur noch Axiome, von denen aus durch vielfache Ergänzung die Strafbarkeit von Verhalten unendlich abgeleitet werden kann. Wenn unbegrenzt die Modifikation eines Deliktstatbestandes modifiziert und diese Modifikation wieder modifiziert werden könnte, würde die Funktion des Deliktstatbestandes, das Unrecht zu bestimmen, aufgelöst; das Unrecht des Deliktstatbestandes tendierte gegen Null. Prämisse der unbegrenzten Ableitungsmöglichkeit ist, daß die ergänzten, abgeleiteten Tatbestände den Deliktstatbeständen gleichgestellt werden, so daß sie immer wieder - jeweils wie ein Deliktstatbestand - Grundlage weiterer Ableitung sind. Allerdings wird nach h. M. die Kombinationsregel nicht bei allen Ergänzungstatbeständen angewandt. Der Versuch des Versuchs wird nicht pönalisiert. Bei der Teilnahme scheint die Kombinationsregel aber anwendbar zu sein; die Teilnahmetatbestände, wird oft gesagt, könnten auf ebensolche angewendet werden 66. Wäre dies zu verneinen, so könnte sich ergeben, daß der Teilnahmetatbestand auch nicht auf den Versuchstatbestand angewendet werden kann. Am einfachsten wäre die Lösung freilich, wenn allgemein angenommen werden könnte, daß Deliktstatbestände überhaupt nicht mehrfach durch Ergänzungstatbestände angewendet werden dürfen. Das hat der BGH anläßlich des § 30 StGB angenommen 67. Dieser sei kein selbständiger Tatbestand - was wohl heißt: kein Deliktstatbestand; deshalb könne an seiner Verwirklichung nicht nach allgemeinen Regeln - d. h. gemäß den Ergänzungstatbeständen der §§ 26,27 StGB. - teilgenommen werden. Fincke hat dem zugestimmt. Weil die Verbrechensverabredung nicht in einem Tatbestand des BT, sondern im AT eingeordnet sei, sei Teilnahme daran nicht möglich 68. Daraus könnte man schließen, da der Versuch, den der Provokateur fördert, kein "selbständiger Tatbestand" des BT ist, sondern ein unselbständiger Tatbestand des AT, ist die Förderung nicht strafbare Teilnahme. Die zugrundeliegende These, Deliktstatbestände dürften nicht mehrfach abgewandelt werden, trifft jedoch in praktisch wichtigen Fällen nicht zu. Wer zu einem vollendeten Delikt anstiften wollte, haftet, wenn der Angestiftete nur das Versuchs stadium erreicht, wegen Anstiftung zum Versuch (sofern dieser strafbar ist), was einen zweifach modifizierten Deliktstatbestand erfüllt. Das ist vom Wortlaut gedeckt und entspricht der Systematik der Akzessorietät. - Das Unterlassen, das einen gemäß § 13 StGB abgewandelten Deliktstatbestand erfüllt, ist strafbar, auch wenn es nur versucht wird und damit einen zweifach modifizierten Deliktstatbestand erfüllt; die auf Vollendung gerichtete Teilnahme daran ist aufgrund eines dreifach modifizierten Deliktstatbestandes strafbar 69. Die der 66 Statt vieler: Fincke, Das Verhältnis des Allgemeinen zum Besonderen Teil des StGB, S. 31. 67 BGHSt 14, 156 (157). 68 Fincke, a.a.O., S. 88; ebenso Baumann / Weber, Strafrecht § 37 IV 4 b .

E. Strafrechtliche Grenzen der Deliktsprovokation

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Strafbarkeit des Provokateurs zugrunde liegende zweifache Anwendung von Ergänzungstatbeständen auf einen Deliktstatbestand und allgemein die mehrfache Modifikation eines Deliktstatbestandes durch Ergänzungstatbestände sind also nicht unzulässig. Die problematischen Folgen der vielfachen Kombination von Delikts- und Ergänzungstatbeständen könnten gleichwohl abgewendet werden, wenn gefordert würde, daß das in einem kombinierten Tatbestand erfaßte tatsächliche Verhalten sich in noch näher zu bestimmender Weise auf das im Deliktstatbestand erfaßte Verhalten bezieht. b) Tatsächlicher Bezug des Teilnehmerverhaltens zum deliktstatbestandlichen Verhalten Für die Forderung nach einem solchen Bezug gibt es teleologische und normative Gründe. Wird ein Ergänzungstatbestand auf einen Deliktstatbestand angewandt, so wird die Strafbarkeit im Verhältnis zu diesem erweitert. Es wird ein anderes Verhalten pönalisiert, das als solches im Deliktstatbestand noch nicht pönalisiert ist. Daß auch dieses andere Verhalten bestraft wird, hängt teleologisch und normativ zusammen mit dem Unwert des im Deliktstatbestand pönalisierten Verhaltens. Um die vollendete Haupttat zu verhindern, um ihres Unwerts willen, werden die auf sie gerichtete Teilnahme und der Versuch pönalisiert. Dievorsätzliche Tötung wird als so schlimm eingeschätzt, daß auch noch die Teilnahme daran und der Versuch strafwürdig erscheinen. Diesem normativen Zusammenhang liegen nach dem Gesetz bestimmte tatsächliche Zusammenhänge zugrunde. Als Versuch wird nur ein Verhalten bestraft, das mit Vorsatz auf vollendete Verwirklichung des Deliktstatbestandes gerichtet ist und objektiv zur Verwirklichung unmittelbar ansetzt. Teilnahme muß ebenfalls nach dem Gesetz mit Vorsatz darauf gerichtet sein, daß der Deliktstatbestand verwirklicht werde, allerdings nicht durch den Teilnehmer, sondern durch den Täter; objektiv muß mit diesem Vorsatz das Verhalten des Täters unterstützt oder angestiftet worden sein und gemäß der Akzessorietät mindestens bis zum unmittelbaren Ansetzen zur Verwirklichung des Deliktstatbestandes gelangt sein. Diese tatsächlichen Bezüge im Ergänzungstatbestand erfaßten Verhaltens auf den Deliktstatbestand begründen den materiellen Unwert des Verhaltens. Nach der oben dargestellten Kombinationsregel würde der Unwert des im Ergänzungstatbestand erfaßten Verhaltens auch durch den Bezug auf einen schon ergänzten, abgeleiteten Tatbestand begründet. Soll nun die darin enthaltene Möglichkeit unendlicher Kombination, die zur Auflösung des Unwerts des Deliktstatbestandes führen kann, begrenzt werden, so kann zwar, wie oben gezeigt, nicht gefordert werden, daß ein Ergänzungstatbestand nur auf einen Deliktstatbestand 69

Statt vieler: Baumann / Weber, Strafrecht, § 33 I 3; Jescheck, Lehrbuch, § 60 III.

12 Keller

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1. Teil: Nonnative Schranken der Deliktsprovokation

angewendet werden dürfe, wohl aber kann gefordert werden, daß der Deliktstatbestand und der ergänzte, abgeleitete Tatbestand nicht gleichgeordnet werden, und daß das im ergänzten, abgeleiteten Tatbestand erfaßte Verhalten sich auf das deliktstatbestandliche Verhalten bezieht, weil nur dann sein Unwert begründet ist, nicht wenn es sich auf die Verwirklichung eines schon ergänzten, abgeleiteten Tatbestandes bezieht. Was als Bezug zur Verwirklichung des Deliktstatbestandes jeweils zu fordern ist, bedarf noch näherer Bestimmung. Immerhin deutet sich schon eine mögliche Differenzierung an: Im Fall der Provokation des Versuchs könnte zwar ein objektiver Bezug zum Deliktstatbestand angenommen werden, weil das geförderte Verhalten unmittelbar zur Verwirklichung des Deliktstatbestandes ansetzt; es fehlt aber der subjektive Bezug des Teilnehmers zur Verwirklichung des Deliktstatbestandes. Der Vorsatz des Provokateurs ist nur auf den Versuch, die Verwirklichung eines schon abgeleiteten Tatbestandes bezogen. Würde der Provokateur bestraft, so würde der abgeleitete dem Deliktstatbestand gleichgeordnet, was dem obigen Kriterium widerspräche. Im Fall der mit Vorsatz auf Deliktsvollendung gerichteten Teilnahme ist der subjektive Bezug zum Deliktstatbestand gegeben, auch wenn die geförderte Tat nur zum Versuch gelangt. Bevor der notwendige Bezug genauer untersucht wird, soll geprüft werden, ob in den Regelungen der einzelnen Ergänzungstatbestände Bestätigung zu finden ist für die These, das in einem Ergänzungstatbestand erfaßte Verhalten müsse sich immer auf einen Deliktstatbestand, nicht nur auf einen abgeleiteten Tatbestand beziehen. c)

Versuch des Versuchs

Der Versuch des gemäß § 22 StGB strafbaren Versuchs ist nicht strafbar. Das ist trivial, lohnt aber eine genauere Überlegung, denn beim Versuch des Versuchs fehlt einer der Bezüge zum Deliktstatbestand, um die es hier geht; das objektive unmittelbare Ansetzen bezieht sich nicht auf den Deliktstatbestand. Der Gesetzeswortlaut schlösse nicht aus, auf den Ergänzungstatbestand des Versuchs denselben nochmals anzuwenden 70. Dies wäre im Ansatz auch praktikabePI. Die Vorbereitung, die den Versuch des Versuchs umfaßt, könnte mit Strafe bedroht werden, wie § 83 StGB zeigt. Die Geldfalschung ist ,materiell' Vorbereitung des Inverkehrbringens; auch der Versuch und die Vorbereitung dieser Vorbereitung sind noch strafbar (§ 149 StGB). Dennoch wäre es bei § 22 StGB verfehlt, den Versuch des Versuchs für strafbar zu halten. Die Begründung 70 Der Versuch setzt an "zur Verwirklichung des Tatbestandes". Darunter könnte auch der Versuchstatbestand verstanden werden. Bei §§ 26 f. StGB wird der Versuch unter ,rechtswidrige Tat' gefaßt. Diese ist nach § 11 Abs. 1 Nr. 5 StGB "eine solche, die den Tatbestand eines Strafgesetzes verwirklicht". 71 Dazu Burkhardt, JZ 1971, 352 (357).

E. Strafrechtliche Grenzen der Deliktsprovokation

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dafür scheint auf der Hand zu liegen. Die Strafbarkeit würde unendlich ausgedehnt und die Bedeutung des Kriteriums ,unmittelbares Ansetzen zur Verwirklichung des Tatbestandes' würde anscheinend obsolet, wenn der Versuch des Versuchs strafbar wäre. Diese Begründungen sind jedoch nicht zureichend. Das unmittelbare Ansetzen ist theoretisch auch möglich zu einem anderen unmittelbar ansetzenden Verhalten, welches den Tatbestand des § 22 StGB erfüllt. Die unendliche Ausdehnung der Strafbarkeit muß nicht notwendig dadurch ausgeschlossen werden, daß schon der Versuch des Versuchs straffrei ist. Theoretisch könnte sie z. B. erst beim dreimal erweiterten Versuchstatbestand ausgeschlossen sein. Daß der Versuch des § 22 StGB überhaupt nicht Bezugsverhalten des Versuchs sein kann, setzt noch eine andere Annahme voraus: Der Versuch kann sich nur auf einen Deliktstatbestand beziehen, und zwischen Delikts- und Ergänzungstatbestand besteht ein kategorialer Unterschied. Der De1iktstatbestand begründet und bestimmt das Unrecht. Nur in ihm ist das Verhalten erfaßt, auf das sich die Erweiterung durch § 22 StGB beziehen muß. Der Ergänzungstatbestand hat nicht diese grundlegende Bedeutung; selbst abgeleitet, ist er nicht Grundlage weiterer Ableitung. Der hier relevante Unterschied zwischen dem im Deliktstatbestand pönalisierten Verhalten und dem im Ergänzungstatbestand pönalisierten Verhalten ist nicht darin begründet, daß der Unwert des letzteren quantitativ geringer wäre als der des ersteren. Der Unwert eines Mordversuchs ist quantitativ größer als der eines vollendeten Diebstahls. Dennoch ist der Versuch des Mordversuchs nicht, wohl aber der Versuch des Diebstahls strafbar. Daß der Versuch des Versuchs nicht strafbar ist, muß darin begründet sein, daß das im Ergänzungstatbestand pönalisierte Verhalten qualitativ unterschieden ist vom Deliktstatbestand. Das im Ergänzungstatbestand pönalisierte Verhalten hat seinen Unwert nur aus seinem Bezug auf den Deliktstatbestand. Der Deliktstatbestand erfaßt das Verhalten, das ohne Bezug auf anderes Verhalten - als solches - verhindert werden soll. Der Ergänzungstatbestand pönalisiert dazu das Vorstadium und zwar hinreichend. Er ist also nicht nur technisch aus dem Deliktstatbestand abgeleitet, sondern auch inhaltlich diesem zugeordnet als nur zusätzliche Sicherung. Darin steckt eine partielle Bestätigung der oben vorgestellten These. Die Unterscheidung von Delikts- und Ergänzungstatbestand ist im übrigen nicht nur eine Abstraktion vom vorliegenden Sachproblem. Sie ist bedeutsam für diverse andere Probleme, z. B. für die Auslegung des § 30 StGB, wie oben gezeigt wurde, für die Frage, ob Beihilfe an dem in § 30 StGB pönalisierten Verhalten strafbar ist, für die später zu erörternde Frage, ob Absichts- und Unternehmensdelikte wie Versuchsdelikte zu behandeln sind 72 , für die Konsequenzen aus Sonderregelungen der Teilnahme in Deliktstatbeständen (z. B. §§ 125 73 , 129 74, 267 75 StGB). 72

73

12"

Dazu unten 1. Teil E 11 4. Vgl. BGHSt 32, 165 ff.; Arzt, JZ 1984,428 (430); Leb, KJ 1984,202 (210 f.).

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1. Teil: Nonnative Schranken der Deliktsprovokation

Wenn, wie hinsichtlich des Versuchs des Versuchs festgestellt, der Ergänzungstatbestand nicht Grundlage weiterer Ableitung ist, so könnte man für die Frage der Strafbarkeit des Provokateurs schließen, das Versuchsdelikt des Angestifteten, d. h. der vom Angestifteten verwirklichte Ergänzungstatbestand, könne die Strafbarkeit des Provokateurs, der wiederum allenfalls den Ergänzungstatbestand der Teilnahme verwirklichte, nicht begründen 76. Diese Argumentation berücksichtigt allerdings nicht, daß für die Strafbarkeit des Provokateurs auf den Ergänzungstatbestand des Versuchs nicht wiederum dieser, sondern ein anderer, der Ergänzungstatbestand der Teilnahme, angewendet würde. Die Teilnahme kann sich möglicherweise nicht nur auf ein deliktstatbestandliches Verhalten beziehen, sondern auch auf ein Verhalten, das einen ergänzten Tatbestand erfüllt. Für diese Frage ist aufschlußreich, ob die Teilnahme strafbar ist, wenn sie sich auf eine andere Teilnahmehandlung bezieht.

d) Bezug der Teilnahme auf das deliktstatbestandliehe Verhalten bei der Kettenteilnahme In Deliktstatbeständen erfaßtes vorsätzliches Verhalten, z. B. der Totschlag, wird gesetzlich als so schlimm eingeschätzt, daß auch die Teilnahme daran strafwürdig ist. Es ist nicht selbstverständlich, daß die Teilnahme nun ihrerseits wieder als so schlimm eingeschätzt werden kann, daß die Teilnahme an ihr und weiter die Teilnahme an dieser Teilnahme etc. strafwürdig erscheint. Denn der über mehrere andere Teilnehmer vermittelte Teilnehmer hat hinsichtlich der von ihm geförderten Teilnahmehandlungen keine Tatherrschaft. (Hätte er sie, so handelte es sich nicht um Teilnahme an der Teilnahme, sondern um Teilnahme an der Tat 77 .) Je mehr nun die Teilnahme derart vermittelt ist, desto ferner ist sie der Tat, desto geringer ist nach Meinung von Gallas 78 und Stratenwerth 79 ihr Unwert. Hinzu kommt, daß zugleich der Deliktstatbestand zunehmend abgewandelt wird, sein Unwert sich also immer mehr aufzulösen scheint. Das legt die Frage nahe, ob die Teilnahme an der Teilnahme strafbar ist. Früher wurde dies zuweilen ganz abgelehnt; weil die §§ 26, 27 StGB nicht den Kreis der Straftaten erweiterten, sondern den der Verantwortlichen für die im BT definierte Straftat, sei die Teilnahme an dieser Straftat nicht selbst Straftat, 74 Sommer, JZ 1981,490 ff.; Sch10thauer / Tscherch, StrVert 1981,22; BGH StrVert 1981,8. 75 Dazu unten 1. Teil E 11 3 b. 76 Ähnlich Fincke, Das Verhältnis des Allgemeinen zum Besonderen Teil des StGB, S. 64 Anm. 256, der allerdings hinsichtlich der Teilnahme anders argumentiert. Dazu sogleich. 77 Das hat Gallas, JZ 1956, 226 f., gezeigt gegen BGHSt 8, 137 (139). 78 A.a.O. 79 Strafrecht AT, Rn 971 f.

E. Strafrechtliche Grenzen der Deliktsprovokation

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an welcher in strafbarer Weise teilgenommen werden könne 80. Ähnlich meinte Binding, es gebe ,,kein Verbrechen der Anstiftung oder Beihilfe"81, deshalb keine Teilnahme an der Teilnahme. Allerdings hielt Binding die "indirekte" Teilnahme (arn "Täterverbrechen") für strafbar. Heute sind die Äußerungen dazu nicht klar 82. So heißt es bei Fincke, die Kettenteilnahme sei strafbar, weil die Vorschriften des Allgemeinen Teils auf eben solche angewandt werden könnten 83 . Die Beihilfe zur Verbrechensverabredung aber soll straflos sein, weil § 30 StGB eine Strafausdehnungsregel des Allgemeinen Teils sei, die nicht nochmals ausgedehnt werden könne 84 • Roxin bestreitet dies unter Hinweis auf die Strafbarkeit der Kettenteilnahme 85 . Andererseits betont er, die Teilnahme sei ein "sekundärer Begriff' und erfasse keine eigene Deliktsqualität, weshalb Beihilfe zur Beihilfe nicht doppelt gemildert, sondern als Beihilfe zur Tat bestraft werde 86 . Maurach und Gössel gehen davon aus, die Teilnahme sei im Interesse der Rechtsstaatlichkeit an die Haupttat geknüpft; die durch unbegrenzt viele Glieder vermittelte Kettenteilnahme halten sie jedoch für strafbar 8? Die Rechtsprechung hat sich mehrfach mit über mehrere (in einem Fall sieben) andere Teilnehmer vermittelter Teilnahme befaßt 88. In der arn ausführlichsten begründeten Entscheidung nahm der Bundesgerichtshof 89 an, auch die Anstiftung zur Anstiftung sei gemäß § 48 StGB Getzt § 26 StGB) strafbar, denn zu den nach § 48 a. F. StGB mit Strafe bedrohten Handlungen gehöre auch die Anstiftung selbst. Demnach wäre das Bezugsverhalten der Anstiftung, das ihren Unwert begründet, bei der Kettenteilnahme eine andere Teilnahmehandlung, nicht die Tat. Zugleich meint jedoch der Bundesgerichtshof, die Anstiftung zur Anstiftung könne "auch als mittelbare Anstiftung zur Haupttat" aufgefaßt werden. Ob die beiden Betrachtungsweisen tatsächlich dasselbe erfassen und zu identischen Ergebnissen führen, wie der BGH meint 90, läßt sich insbesondere hinsichtlich des 80 Finger, Österreichisches Strafrecht, Bd. I, S. 532; ders. Lehrbuch des Deutschen Strafrechts, Bd. I, S. 349; ähnlich Hilgemann, Die Teilnahme an der Teilnahme. 81 Grundriß des Deutschen Strafrechts, S. 173; ähnlich v. Liszt, Lehrbuch des Deutschen Strafrechts, § 53 III 1. 82 Zur Kettenteilnahme im allgemeinen: RGSt 14, 318 ff.; 23, 305 ff.; 59, 396 f.; Frank, Kommentar § 48 n 2; OLG Hamburg JR 1953,27; BGHSt 6,359 (360 f.); 7, 234; 8, 137 ff.; 14, 157; Jescheck, Lehrbuch, § 64 III 2, V; Roxin in LK § 26 Rn 36, § 27 Rn 43; Maurach / Gössel/Zipf, Strafrecht AT, Tb. 2, § 50 III G; Samson in SK StOB Rn 50 vor § 26; Cramer in Schönke / Schröder, § 26 Rn 9, § 27 Rn 18. 83 Fincke, a.a.O., S. 31. 84 A.a.O., S. 88; ebenso Baumann / Weber, Strafrecht, § 37 IV 4 b. 85 LK (10. Aufl.) § 30 Rn 49; aus anderen Gründen kommt Roxin zum gleichen Ergebnis wie Fincke. 86 A.a.O. § 27 Rn 43; Rn 7 vor § 26; Täterschaft und Tatherrschaft, S. 268. 8? Strafrecht AT, § 50 III A 2, G; § 53 I; ebenso Otto, JuS 1982,557 (561). 88 BGHSt 6,359; 7,234; 8, 137. 89 BGHSt 6, 359 (360 f.). 90 Dagegen Gallas, JR 1956, 226 f.

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1. Teil: Nonnative Schranken der Deliktsprovokation

Vorsatzes des vermittelten Teilnehmers bezweifeln, wie sich im folgenden zeigen wird. Der BGH äußert sich insofern unklar; der Anstifter des Anstifters (es folgen sechs weitere) müsse voraussehen und wollen, "daß der jeweils von dem Angestifteten anzustiftende Nachmann als bestimmter Einzelner zu einer hinreichend klar vorgestellten Tat veranlaßt werden soll." Ob unter "Tat" hier die jeweils folgende Anstiftung oder die letztliche Haupttat zu verstehen ist, ist unsicher, nachdem zuvor der BGH auch die Anstiftung als Tat bezeichnet hat, im darauf folgenden Text sich aber mit dem Vorsatz hinsichtlich der letztlichen Haupttat befaßt. Schon die Sprachverwirrung könnte ein Grund sein, wenn § 26 StGB im Wortlaut "Täter" und "Anstifter" unterscheidet, beides nicht in eines zu setzen, also, wo mehrere eingeschaltet sind, nur eine mittelbare Teilnahme an der Tat für strafbar zu halten 91. aa) Zunächst zur Beihilfe: Hier ist die genannte mehrfache Anwendung von Teilnahmetatbeständen ausgeschlossen. Wenn C den B beim Hilfeleisten zur Tat des A unterstützte, leistete er Beihilfe zu dieser Tat, nicht zur Beihilfe 92. Daß die Wirkung von C's Hilfe durch das vorsätzliche Handeln B's vermittelt war, steht dem nicht entgegen. Als Beihilfe gilt (von noch zu erörternden Ausnahmen abgesehen) jedes Fördern der Tat 93. - Abweichend von dieser h. M. nehmen Herzberg 94 und Stratenwerth 95 an, C hafte wegen Beihilfe zur Beihilfe, denn auch Beihilfe - hier die des B - enthalte "als solche" Unrecht; § 27 StGB sei ein "vollwertiger Tatbestand". Im Argumentationszusammenhang der Autoren bedeutet dies, der Beihilfetatbestand soll Deliktstatbestand sein und insofern "vollwertig" und "an sich" bestehen, weil nicht akzessorisch zu einem Deliktstatbestand. Die Folgen wären: Einerseits würde die Strafe bei Beihilfe zur Beihilfe zweimal und bei weiteren Vermittlungen entsprechend mehrfach gemäß § 27 StGB reduziert. Andererseits müßte sich der Vorsatz des "mittelbaren" Gehilfen C nur auf die von ihm unterstützte Beihilfe des B beziehen 96. Zwar muß der jeweils tatnähere Gehilfe seinerseits wieder einen auf die von ihm unterstützte Beihilfe oder Tat bezogenen Vorsatz haben und der jeweils tatfernere Gehilfe muß davon wissen. Aber hier wird relevant, daß generell ein Teilnehmer die von ihm geförderte Tat nicht in allen Einzelheiten kennen muß97. Deshalb steckt 91 So bzgl. Beihilfe RGSt 23, 300 (306); 69, 396 f. 92

H. M., vgl. RGSt 23, 300 (306); Roxin in LK § 27 Rn 43.

93 Gallas, JR 1956, 226 (227); Roxin, a.a.O.; Jescheck, a.a.O., § 64 IV 2 a. Die

Ausnahmen (s. u. 1. Teil E IV) erweitern nicht die Möglichkeit der Kettenteilnahme, sondern binden die Teilnahme enger an die Tat. 94 GA 1971, 1 ff. 95 Strafrecht AT, Rn 971 f. allerdings nur für Fälle begrenzter Kausalität. 96 Stratenwerth, a.a.O., Rn 970. 97 Wie weit die Lockerung reicht, ist im einzelnen umstritten; vgl. Roxin in LK § 26 Rn 9, 16,22 ff.; § 27 Rn 30; Jescheck, Lehrbuch, § 64 III 2 b, IV 2 d; Baumann / Weber, Strafrecht, § 37 I 2 b. Enger: Schmidhäuser, Strafrecht AT 14/ 102; Stratenwerth, Strafrecht AT Rn 741, 888, 901; Maurach / Gössel! Zipf, a.a.O., § 51 II B 2, § 52 II B; Jakobs, Strafrecht AT, 22/27,29,43.

E. Strafrechtliche Grenzen der Deliktsprovokation

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in der Annahme, Beihilfe könne zu Beihilfe in strafbarer Weise geleistet werden, die theoretisch unbegrenzte Tendenz zur Auflösung der gesetzlichen Tatbestandsbestimmtheit, zur Verdünnung des Unrechts (und bei Beihilfe auch der Strafe). Im Ergebnis folgen weder die Rechtsprechung noch die Literatur dieser Tendenz. Das ist jedoch inkonsequent, denn gemäß der verbreiteten These, Teilnahme könne auch zur Teilnahme geleistet werden, ist auch Beihilfe zur Beihilfe möglich. Stratenwerth hat denn auch die mehrfache Lockerung der Tatbezogenheit des Vorsatzes für möglich gehalten 98 , und das Reichsgericht verzichtete in einer frühen Entscheidung betreffend Beihilfe zur Anstiftung gänzlich auf den Tatbezug des Gehilfenvorsatzes 99 • Das ist Konsequenz der These von der Teilnahme an der Teilnahme. Sie soll hier überprüft werden. Zu problematischen Ergebnissen kann sie, wie angedeutet, führen, weil der Teilnehmer nach h. M. nicht ebenso wie der Täter (bzw. der geförderte weitere Teilnehmer) die Einzelheiten der Tat überschauen muß. Daß überhaupt die Anforderungen an die Bestimmtheit des Vorsatzes beim Teilnehmer gelockert werden, dürfte kaum zu bestreiten sein. Die Lockerung ist praktisch relevant, insbesondere wenn die Beihilfe geleistet wurde, lange bevor die Tat begangen wurde. Die Lockerung ist angelegt in der Akzessorietät der Teilnahme, wie sie im Gesetz geregelt ist. Danach ist das Unrecht der Teilnahme nicht begründet in der Rechtsgutsverletzung, die der Teilnehmer mittelbar verursacht, sondern in der vorsätzlichen vom Täter beherrschten Tat. Davon ist nach den §§ 26, 27 StGB die Haftung des Teilnehmers abhängig. Hatte der "Täter" bei der Rechtsgutsverletzung entgegen der Annahme des "Gehilfen" keine Tatherrschaft, so haftet dieser nicht wegen Beihilfe 100. Auch mittelbare Täterschaft liegt nicht immer vor; das wird später genauer begründet. Die Tatherrschaft des Täters begründet mit das Unrecht der Beihilfe. Dementsprechend bezieht sich der Vorsatz des Teilnehmers nicht in gleicher Weise wie der des Täters direkt auf das objektive, den Tatbestand erfüllende Geschehen. Der Vorsatz des Teilnehmers bezieht sich darauf, daß ein anderer vorsätzlich die objektive Seite der Tat vollziehe. Der Teilnehmer beherrscht sie nicht, leistet nur einen Beitrag dazu, steht zum Tatgeschehen in Distanz. Wenn die Stellung des Teilnehmers im Gesetz derart sekundär bestimmt ist, ist es konsequent, an den Tatbezug seines Vorsatzes nicht die gleichen Anforderungen zu stellen wie beim Täter, zu dessen Tat der Teilnehmer nur einen Beitrag leistet. Die Entscheidung über die konkreten Modalitäten der Tat und ihre Kenntnis sind daher dem die Tat beherrschenden Täter überlassen. Wieviel konkrete Kenntnis des Teilnehmers erforderlich ist, ist umstritten 101. Er müsse, heißt es, den Rahmen der Tat, die wesentlichen A.a.O., Rn 569. RGSt 14, 318 (320 am Ende). 100 Stratenwerth, Strafrecht AT, Rn 793 ff.; Samson in SK StGB Rn 27 vor § 25; Bockelmann, Festschrift für Gallas, S.261 (269 ff.); Cramer in Schönke / Schröder Rn 32 f. vor § 25; weitere Nachweise unten 1. Teil E II 3 d Anm. 24. 101 Nachweise oben Anm. 97. 98 99

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1. Teil: Normative Schranken der Deliktsprovokation

Merkmale, die Dimensionen des Unrechts kennen. U. U. soll es genügen, daß der Teilnehmer nur die abstrakten Tatmerkmale (Waffe ausleihen für "einen Diebstahl") kennt \02. Bei Anstiftung werden z. T. strengere Anforderungen gestellt 103. Weicht innerhalb eines solchen Rahmens die Tat von der Vorstellung des Teilnehmers ab, so haftet dieser dafür wie für die Tatherrschaft, die er dem Täter überlassen hat. Wenn nun im dargestellten Fall der Kettenteilnahme als Tat, zu der C Hilfe leistete, nicht die letztliche Verwirklichung des Deliktstatbestandes durch A, sondern die geförderte Beihilfehandlung des B gilt, so ist der Rahmen der Unbestimmtheit des Vorsatzes und der möglichen Abweichung der Tat nicht im Verhältnis des C zur Tat des A, sondern zur Beihilfetat des B zu akzeptieren. Diese aber kann schon unbestimmt sein im Verhältnis zur Tat des A. Die mögliche Unbestimmtheit wird also potenziert, wenn die Teilnahme auf eine Teilnahmehandlung bezogen wird. Zu B's Beihilfetat gehört bei dieser Konstruktion eine rahmenmäßige Vorstellung von A's Tat. Diese Vorstellung gehört aber nicht zu C's Beihilfe, denn bei dieser Konstruktion ist A's Tat nicht ~ezugsgegenstand von C's Beihilfe. C muß nicht die rahmenmäßigen Tatvorstellungen des B reproduziert haben, weil allgemein der Teilnehmer nicht einen ebenso bestimmten Vorsatz wie der Täter (hier B) haben muß. Bei einer längeren Kette von Teilnahmehandlungen werden die Anforderungen an die Bestimmtheit des Vorsatzes des tatfernsten Teilnehmers und die Abweichungsmöglichkeiten der Tat immer weiter, theoretisch unbegrenzt, aufgelöst. Gewiß kommt die vielgliedrige Kettenteilnahme relativ selten vor. Immerhin war in zwei vom BGH entschiedenen Fällen das Verhältnis von Teilnehmer und Täter über sieben andere Teilnehmer vermittelt 104. Bei der organisierten Kriminalität dürfte derart vermittelte Teilnahme öfter vorkommen. Dabei können auch die hier erörterten Vorsatzprobleme relevant werden, wenn einerseits die Täter Anonymität wahren und Denunziation erschweren und andererseits die Förderer nicht involviert werden wollen. Man könnte einwenden, auch bei mehrfach vermittelter Teilnahme müsse der tatfernste Teilnehmer doch immer noch die Merkmale des letztlich zu verwirklichenden Deliktstatbestandes, wenn auch abstrakt, kennen \05. Dem ist nicht so, wenn konsequent die Teilnahme auf die Teilnahme bezogen wird. Dann gilt für den tatfernsten Gehilfen C als Tat die des darauf folgenden Gehilfen B. Deren Merkmale sind die des § 27 StGB, nicht die des Deliktstatbestandes. Die Verwirklichung des Deliktstatbestandes ist dann nicht die rechtswidrige Tat, die der Gehilfe C rahmenmäßig kennen muß, sondern ein Merkmal des dann als selbstän\02 \03 104

\05

Roxin in LK § 27 Rn 30. Vgl. Schmidhäuser, Strafrecht AT, 14 / 102. BGHSt 6, 359; 8, 137. So RGSt 23, 300 (306).

E. Strafrechtliche Grenzen der Deliktsprovokation

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dig geltenden Tatbestandes des § 27 StGB, dessen Verwirklichung C rahmenmäßig kennen muß, wenn er bestraft werden soll. Insofern gehört zu § 27 StGB als Minimum nur, daß der Gehilfe B eine rechtswidrige Tat, die er rilhmenmäßig genauer kennt, fördert. Dies wiederum muß der fernere Gehilfe C rahmenmäßig wissen. Er muß nicht wissen, was B kennt. Deshalb muß er auch nicht notwendig wissen, eine Straftat welcher rechtlichen Art B mit rahmenmäßiger Kenntnis fördert. Solche Ablösung der vermittelten Teilnahme von der Tat i. S. des Deliktstatbestandes ist im übrigen gerade der Angelpunkt der These, Teilnahme könne auf Teilnahme bezogen sein. Das zeigt die Auseinandersetzung um die Frage, ob Beihilfe zu der nach § 30 StGB strafbaren versuchten Anstiftung strafbar sei. Wird solche Beihilfe im Bezug auf die Erfüllung des Deliktstatbestandes bewertet, so ist sie straflos, weil es nicht zu dieser Erfüllung, auch nicht zu deren Versuch, kam 106. Diese Strafbarkeit solcher Beihilfe hingegen wird auf die These gestützt, die versuchte Anstiftung sei selbst Straftat 107. Diese wird dann zum selbständigen Grund der Beihilfestrafbarkeit, der die Begründung im Bezug auf die Erfüllung des Deliktstatbestandes, die hier fehlt, überflüssig macht. Die obige Darstellung der zunehmenden Unbestimmtheit des Vorsatzes zeigt nur die Konsequenzen der Verselbständigung der Teilnahme auf der subjektiven Ebene. Wie gesagt, werden diese Konsequenzen aus der These, Teilnahme könne auf Teilnahme bezogen sein, nur selten gezogen. Dennoch ist es wichtig, sie zu erkennen; sie zeigen, daß die These inakzeptabel ist, und zwar in mehreren Hinsichten: (1) Durch sie entstünde eine gleitende Skala des mit zunehmender Tatferne immer mehr reduzierten, aber nie ausgeschlossenen Unrechts der Kettenteilnahme. Das Strafrecht richtete sich bei dieser Teilnahmekonstellation nicht gegen qualitativ bestimmte Taten, sondern gegen jeweils abgestufte, theoretisch unendlich geringe Unrechtsquantitäten. Es würde nicht zwischen Unrecht und Recht unterschieden. Damit würde gegen das verfassungsrechtliche Bestimmtheitsgebot verstoßen, welches, wo Unrecht begründet wird, dessen Unterscheidung vom Recht verlangt. Aus der Bewertung des Diebstahls als strafwürdiges Unrecht darf nicht geschlossen werden, ein "halber Diebstahl" - z. B. Wegnahme ohne Zueignungsabsicht - sei auch, wenn auch geringeres, Unrecht mit halbiertem Strafmaß etc .. (2) Durch die unbegrenzte Kombinationsmöglichkeit kann von der Rechtsanwendung eine unendliche Menge von Verbotsnormen gebildet werden. Es wird dann nicht nur, mehr oder weniger weit, die Teilnahme an Taten verboten, sondern auch die Teilnahme an der Teilnahme an Taten etc. Dies sind je einzelne verschiedene Verbotsnormen. Ihre Bildung ist unbegrenzt. Auch dies verstößt 106 107

Roxin in LK § 30 Rn 49. Dreher, NJW 1960, 1163 (1164).

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1. Teil: Normative Schranken der Deliktsprovokation

gegen Art. 103 Abs. 2 GG. Man könnte einwenden, die Bildung der Nonnen durch den Richter sei im Gesetz schon vorgegeben. Auch ist die je einzelne Nonn nicht unbestimmt. Aber die Menge der Nonnen ist unendlich, so daß insgesamt das verbotene Verhalten nicht gesetzlich abstrakt bestimmt ist. Die hier kritisierte Möglichkeit der Kombination von Nonnen geht auch hinaus über die bei Blankettatbeständen zugelassene Kombinationsmöglichkeit\08. Werden Blankettnonnen durch andere gesetzliche Nonnen ausgefüllt, so ist mit deren begrenzter Zahl die Kombinationsmöglichkeit begrenzt, denn die ausfüllenden Nonnen können immer nur den Blankettnonnen beigefügt werden. Werden die Blankettatbestände etwa durch Verwaltungsakte im Einzelfall ausgefüllt, so muß deren möglicher Inhalt gesetzlich bestimmt sein. Entsprechendes gilt für ausfüllende Rechtsverordnungen. (3) Die Gleichordnung von Delikts- und Ergänzungstatbeständen ist schließlich mit Wortlaut und Systematik der §§ 25 ff. StGB nur schwer zu vereinbaren. In § 26 StGB wird zwischen "Anstifter" und "Täter" unterschieden. Es ist logisch nicht ausgeschlossen, führt aber zu einer Entqualifizierung der Sprache, anzunehmen, daß beide Tennini u. U. dasselbe meinen, der Anstifter also auch Täter sei. Das wird behauptet mit der These, die Teilnahme sei selbst Tat i. S. des § 26 StGB 109. Das Problem entsteht nochmals bei der in § 25 StGB gegebenen Definition des Täters; durch sie sollte aufgrund einer langen wissenschaftlichen Diskussion der Täter qualitativ von dem in §§ 26, 27 StGB definierten Teilnehmer unterschieden werden. Gleichwohl wird der Teilnehmer zum Täter erklärt, wenn Teilnahme an der Teilnahme strafbar ist. Solche Reduktion der Sprache auf fonnale Technik sollte nur angenommen werden, wenn ihr Zweck anderweitig akzeptabel begründet ist. Der Zweck der Akzessorietät spricht jedoch dagegen. Die Akzessorietät soll - zumindest - die Teilnehmerstrafen rechtsstaatlich binden. Mit Maurach u. a. lassen sich zwei Aspekte der Bindung unterscheiden 1 \0: Einmal muß die Teilnahme sich auf ein Delikt gerichtet haben, das vom Täter objektiviert worden ist, also zumindest ins Stadium des strafbaren Versuchs gelangt ist; das ist die sogenannte quantitative Akzessorietät mit der Ausnahme in § 30 StGB. Zum anderen ist die Teilnehmerhaftung weitgehend geknüpft an die gesetzlichen Merkmale der Tat - sogenannte qualitative Akzessorietät, gelockert in § 28 StGB. Der Teilnehmer soll nicht aufgrund anderer Kriterien haften als denen der Tat. Sie belasten ihn, soweit er sie kennt. - Könnte nun bei der Kettenteilnahme nicht nur die Tat, sondern auch eine Teilnahmehandlung hinreichender Bezugsgegenstand der Teilnahme sein und derart das Verhältnis der Teilnahme zur Tat vielfach vennittelt sein, so könnte sich, wie gezeigt, der Vorsatz des Teilnehmers und - wie noch zu zeigen ist - bei der Anstiftung \08 Vgl. Jescheck, Lehrbuch, § 12 III 2; Baumann / Weber, Strafrecht, § 12 I 2 a, 11 2 d ß; Tiedemann, Tatbestandsfunktionen im Nebenstrafrecht, S. 239 ff. 109 Z. B. BGHSt 6,359 (361); anders zur Beihilfe Roxin in LK § 27 Rn 43. 110 Maurach / Gössel/Zipf, Strafrecht AT, § 53 I, 11 A, III B 2 a).

E. Strafrechtliche Grenzen der Deliktsprovokation

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das Bestimmen zunehmend auflösen und von der Tat ablösen. Die Bindung der Haftungsvoraussetzungen der Teilnahme an die Tat würde aufgegeben. Das widerspricht nicht dem Wortlaut der in §§ 26,27 StGB vorgesehenen Akzessorietät; die Teilnahme des vermittelten Teilnehmers wäre jeweils an die folgende Teilnahmehandlung geknüpft. Diese müßte aber nicht wie die Tat bestimmt sein. Der rechtsstaatliche Zweck der (qualitativen) Akzessorietät würde verfehlt, wenn sie nicht auf die Verwirklichung des Deliktstatbestandes bezogen würde. - Die Forderung nach Bezug der Teilnahmehandlung auf die Verwirklichung des Deliktstatbestandes kompensiert die Tatsache, daß der Teilnehmervorsatz nicht in ebenso bestimmter Weise wie der Tätervorsatz auf die Tat bezogen sein muß, wie oben dargestellt wurde. Beides ist Folge der Akzessorietät. Nach allem müssen hinsichtlich der Beihilfe ähnlich wie beim Versuch Deliktstatbestände und ergänzte, abgeleitete Tatbestände systematisch unterschieden werden. Das in diesen erfaßte Verhalten kann sich nur auf jene beziehen. Im übrigen ist damit die Unselbständigkeit der Teilnahme bestätigt und die These vom eigenen Rechtsgutsangriff des Teilnehmers nochmals in Frage gestellt. Schließlich läßt sich dem Ausgeführten auch entnehmen, daß die Beihilfe zu gemäß § 30 StGB versuchter Anstiftung versuchte Beihilfe zur Tat und damit straflos ist. Auch Stratenwerth 111 will die hier abgelehnte unbegrenzte Ausdehnung des Tatunrechts nicht zulassen. Die Beihilfe zur Beihilfe liege "an der Grenze der Strafwürdigkeit" . Aber das ist eine von der gesetzlichen Systematik gelöste, recht vage Begrenzung; warum sie gerade beim zweiten Glied der Kettenbeihilfe liegen soll und nicht etwa beim fünften oder ersten, ist nicht nachvollziehbar. Die systematische Unterscheidung von Delikts- und Ergänzungstatbestand ergibt eine konsistente Begrenzung. bb) Zur Kettenanstiftung: Die von A begangene Tat (i. S. des BT des StGB) war von B angestiftet, der dazu von C angestiftet worden war. Auf den ergänzten Deliktstatbestand der Teilnahme kann nicht nochmals ein Ergänzungstatbestand der Teilnahme angewendet werden. Diese oben begründete Regel gilt auch hier. Hinsichtlich des § 30 StGB hat sie auch der BGH anerkannt l12 • Deshalb haftet C wegen Anstiftung zur Tat des A, wenn - und hier werden die rechtsstaatlich restriktiven Implikationen dieser Lösung relevant - C's Bestimmungshandlung und Vorsatz bezüglich der Tat des A hinreichend konkretisiert waren; d. h., wenn sie ebenso konkretisiert waren, wie es in unmittelbaren Beziehungen von Anstiftern zur Tat gefordert wird. Diese Lösung bestreitet u. a. Gallas 113. Er meint, zur Anstiftung gehöre Tatherrschaft, die fehlt, wenn der Erfolg der Anstiftung durch einen zurechenbar handeln111 112 113

A.a.O., Rn 972. BGHSt 14, 156 (157); zur Gegenmeinung s. u Anm. 114. JR 1956, 226 f.; im Ergebnis ähnlich Herzberg, GA 1971, 1 ff.

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1. Teil: Nonnative Schranken der Deliktsprovokation

den Dritten - hier B - vermittelt wird. C soll jedoch nicht straffrei sein, sondern wegen Anstiftung zur Anstiftung haften. Zwar muß auch dann noch die Bestimmungshandlung des C gegenüber B sich objektiv und subjektiv darauf richten, daß durch B letztlich der A zu einer Tat angestiftet werde. Aber generell gilt auch hier: der Anstifter muß die Tat, zu der er anstiftet, nicht in allen Einzelheiten (objektiv) bestimmen und (subjektiv) kennen. Die Tat des A muß also der B nicht in allen Einzelheiten bestimmen und kennen, und nach Gallas' Lösung muß C sie noch weniger genau bestimmen und kennen, denn er haftet wegen Anstiftung nicht zu dieser Tat des A, sondern nur wegen Anstiftung gegenüber B. Die zulässige objektive und subjektive Ungenauigkeit ist umso größer, je länger die Kette ist. Aber noch der Tatfernste muß gemäß § 26 StGB gleich dem Täter bestraft werden. Schon das macht Gallas' Lösung fragwürdig 114. Im übrigen widerspricht diese Lösung zur Kettenanstiftung den oben dargestellten verfassungsrechtlichen Bestimmungen des Strafrechts noch krasser als die mehrfache Anwendung des Beihilfetatbestandes. Denn für die Anstiftung genügt nicht jede die Tat fördernde Kausalität; sie ist ein hinsichtlich Handlung (Bestimmen) und Erfolg (Tatentschluß des Täters) qualifiziertes Verhalten 115. Diese besonderen Voraussetzungen der Haftung, die die tätergleiche Strafe begründen, werden unterlaufen, wenn bei der Kettenteilnahme die gezeigten zunehmenden Ungenauigkeiten, d. h. Lockerungen der Beziehung des Anstifters zur Tat akzeptiert werden. Tendenziell entsteht dann ein Delikt der Aufforderung zum Ungehorsam. Derartige weite Vorverlagerungen des Strafrechts in den Bereich der Kommunikation sind aber nur in spezifischen Sondertatbeständen (z. B. §§ 111, 126 StGB) vorgesehen. Im Kontext der unbegrenzten Modifikation von Deliktstatbeständen sind derartige Ausweitungen in den Bereich des Redens über Kriminalität freilich normal, denn mit der zunehmenden Modifikation verflüchtigt sich ohnehin der je spezifische materiale Gehalt eines Deliktstatbestandes. Gallas schließt aus den erwähnten Qualifikationen der Anstiftung, der Anstifter müsse hinsichtlich seines Handlungserfolges (Wecken des Tatentschlusses) quasi Tatherrschaft haben; da im Ausgangsbeispiel C das Wecken des Tatentschlusses bei A nicht beherrscht - der vorsätzlich handelnde B beherrscht es - haftet C nicht wegen Anstiftung zu A's Tat. Diese Argumentation ist schlüssig, insofern die These, Teilnahme könne auf Teilnahme bezogen sein, tatsächlich voraussetzt, 114 Möglicherweise wollte Gallas die hier gezeigte zunehmende Auflösung der Tatbestimmtheit, die aus seiner Lösung folgt (vgl. Stratenwerth, Strafrecht AT Rn 969), nicht akzeptieren. Aber dann ist nicht nachvollziehbar, warum Anstiftung sich auch auf Anstiftung beziehen können soll. - Die hier vorgeschlagene Lösung hat Konsequenzen auch für § 30: Die Teilnahme an den dort pönalisierten Handlungen ist nicht strafbar; so auch BGHSt 14, 156 (157); Maurach JZ 1961, 137 (143); Fincke, Das Verhältnis, S.88 (anders S. 31). Anders Dreher NJW 1960, 1163 f.; Busch, Festschrift für Maurach, S. 245 (252); Dreher / Tröndle § 30 Rn 14. 115 Einzelheiten s. u. 1. Teil E IV 1.

E. Strafrechtliche Grenzen der Deliktsprovokation

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daß der Anstifter B Tatherrschaft hatte, denn das Unrecht der Teilnahme (hier des C) müßte begründet werden durch die Tatherrschaft des "Täters" (hier des Anstifters B). Aber das berührt nicht die hier entwickelte These, das einen Ergänzungstatbestand der Teilnahme verwirklichende Verhalten müsse sich subjektiv immer auf die Verwirklichung eines Deliktstatbestandes beziehen. Gallas' These vom Erfordernis der Tatherrschaft könnte dann allenfalls zu zusätzlichen Einschränkungen der Haftung des C führen: Straffreiheit oder Haftung wegen psychischer Beihilfe. Jedenfalls wäre es widersinnig, aus der These, die Haftung des Anstifters C setze eine besondere Beziehung (Tatherrschaft) des Anstifters zum Handlungserfolg voraus, zu schließen, wenn er diese Beziehung nicht habe, müsse ihm der Erfolg (Tat des A) erst recht zugerechnet werden - nämlich, indem C haftbar gemacht würde wegen Anstiftung gegenüber B, mit der Folge, daß die Zurechnungsvoraussetzungen bezüglich der Anstiftung gegenüber A in problematischer Weise gelockert würden. Bei solcher Argumentation würden zwei Fragen grundlos verkoppelt: die Frage, ob die Anstiftung des C auf B oder A zu beziehen ist, und die Frage, ob die Haftung des Anstifters eTatherrschaft voraussetzt. Beides hat aber nichts miteinander zu tun. Aus der Feststellung, daß e über das Wecken des Tatentschlusses des A keine Tatherrschaft hat, folgt nicht, daß er wegen des Weckens des Anstiftungsentschlusses des B haftet. Im übrigen dürfte Gallas' Forderung nach Quasi-Tatherrschaft des e nicht haltbar sein. Aus ihr müßte folgen, daß e wegen Beihilfe haftet oder straffrei ist. Beides widerspräche § 30 StGB. Danach ist, wer versucht, einen anderen zu bestimmen, einen Dritten anzustiften, wegen versuchter Anstiftung strafbar. Folglich kann die erfolgreiche Kettenanstiftung nicht straffrei sein und nicht wegen Beihilfe zu bestrafen sein; die versuchte Beihilfe ist straffrei 116. Das Erfordernis der Quasi-Tatherrschaft des Anstifters bezüglich des Anstiftungserfolges entspricht also nicht dem Gesetz. Auch die verbreitete Annahme, der Kettenanstifter müsse die vermittelnden Anstifter hinsichtlich Individualität und Zahl nicht kennen 117, schließt das Erfordernis der Tatherrschaft aus. ce) Fazit: Nach allem ist die Strafbarkeit der Teilnahme nicht dadurch ausgeschlossen, daß sie die den Deliktstatbestand verwirklichende Tat über andere vermittelt bewirkt oder fördert. Sie muß sich aber objektiv und subjektiv wie die unvermittelte Teilnahme auf die Tat beziehen, nicht auf eine Teilnahmehandlung. D. h.: ihre Strafbarkeit richtet sich nach den Kriterien der Teilnahme an der Tat. Sachlich geht es dabei um die Bindung der Teilnahme an die Tat. Insofern hängt diese Beschränkung der Kettenteilnahme zusammen mit neueren Vorschlä116 ll7

Gallas, a.a.O., S. 227. H. M.; vgl. Jescheck, Lehrbuch, § 64 III 2 a.

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I. Teil: Nonnative Schranken der Deliktsprovokation

gen, die Mittel der Teilnahme näher zu bestimmen im Hinblick auf die geförderte Tat 118. Wenn das Schaffen einer allgemein als neutral angesehenen Situation, in der nur ein speziell disponierter anderer voraussehbar sich zum Delikt entschließt, noch nicht als Teilnahme strafbar sein solll19, so wird für die Teilnahme eine erkennbare Präferenz für die Tat verlangt. - Zur Anstiftung soll ein "Unrechtspakt" 120 oder kommunikative Beeinflussung zwischen Teilnehmer und Täter gehören 121. Auch damit wird die Teilnahme an die Tat gebunden. Wenn allerdings nach h. M. die Teilnahme auch vermittelt über andere sich auf die Tat beziehen kann - das wird durch die hier vertretene Beschränkung nicht ausgeschlossen - -, so müssen auch die erwähnten Beziehungen zwischen Teilnehmer und Täter nicht unvermittelt realisiert werden.

e) Bezug des strafbaren Unterlassens auf den Deliktstatbestand Die Forderung, das den Ergänzungstatbestand verwirklichende Verhalten müsse sich auf die Verwirklichung des Deliktstatbestands beziehen, nicht auf die Verwirklichung eines weiteren Ergänzungstatbestandes, läßt sich auf § 13 StOB nicht ohne weiteres übertragen. Aus der Sicht der früher h. M. ist § 13 StOB kein Ergänzungstatbestand, sondern eine deklaratorische Erläuterung dessen, was die Deliktstatbestände ohnehin erfassen 122. Systematisch hat § 13 StOB insofern den gleichen Rang wie § 11 StOB mit seinen Erläuterungen. Nimmt man hingegen an, daß die Deliktstatbestände per se nicht die unechten Unterlassungsdelikte erfassen, so fungiert § 13 StOB als Ergänzungstatbestand. Dann ist es aber sinnlos zu fordern, das dort beschriebene Unterlassen müsse sich auf die Verwirklichung eines Deliktstatbestandes beziehen. Das Unterlassen wird nicht wie Teilnahme und Versuch bestraft, weil es die Verwirklichung des Deliktstatbestandes zur Folge hat oder haben soll, sondern weil es dem Deliktstatbestand "entspricht". Das in § 13 StOB pönalisierte Verhalten tritt als Haftungsgrundlage an die Stelle des in den Deliktstatbeständen pönalisierten Verhaltens. Aber das in § 13 StOB pönalisierte Verhalten muß zum Erfolg des Deliktstatbestandes führen. Hinsichtlich des Erfolges also muß das strafbare Unterlassen auf den Deliktstatbestand objektiv und subjektiv bezogen sein. Insofern gilt die Forderung nach Bezug des den Ergänzungstatbestand verwirklichenden Verhaltens auf den Deliktstatbestand auch für § 13 StOB. Auch ein Verhalten, das andere Ergänzungstatbestände, die an § 13 StOB geknüpft werden, verwirklicht (z. B. Teilnahme am Unterlassen), muß sich auf den Erfolg des Deliktstatbestandes beziehen. 118 119 120 121 122

Zum folgenden s. u. I. Teil E IV. Stratenwerth, Strafrecht AT, Rn 881 f. Puppe, GA 1984, 101 ff. Stratenwerth, a.a.O. Vgl. Baumann / Weber, Strafrecht, § 18 III 2 b.

E. Strafrechtliche Grenzen der Deliktsprovokation

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f) Selbständiger Unwert des Versuchs?

Hinsichtlich der Frage, was ein Deliktstatbestand ist, ist noch wichtig Stratenwerths These, der Versuch trage "anders als nach der kausalen Handlungslehre, seinen Unwert, den Handlungsunwert, durchaus in sich selbst"; deshalb soll er im Verhältnis zur Teilnahme als eigenständiger Deliktstatbestand behandelt werden 123. - Gewiß kann man sagen, der Versuch trage - wie jede Straftat - seinen Unwert in sich selbst. Fraglich ist, ob dies auch in dem Sinn richtig ist, daß er als (nicht abgeleiteter) Deliktstatbestand anerkannt werden kann. Das läßt sich aus der Lehre vom personalen Unrecht, die die Bedeutung des Handlungsunwerts betont, kaum entnehmen. Einmal weil der nicht modifizierte, volle Handlungsunwert des Delikts nur im beendeten Versuch steckt. Als Deliktstatbestand müßte dann jeweils der beendete untaugliche Versuch gelten. Der ganze Aufbau des StGB wäre eine Fehlkonstruktion. Vor allem aber ist die Bildung von Deliktstatbeständen nicht nur an das Kriterium gebunden, dem die Lehre, die den Handlungsunwert ins Zentrum der Zurechnung stellt, folgt: die Schuld in einer bestimmten individuellen Version. Deliktstatbestände grenzen das typische strafbegründende Verhalten ein. Sie können dabei wie die meisten Tatbestände des BT neben der Schuld u. a. den Erfolg zum restriktiven Kriterium machen, unabhängig davon, ob es dabei um Unrecht geht oder bloß um Strafbedürfnis, wie die Lehre vom Handlungsunwert annimmt 124.

g) Teilnahme am Versuch und Akzessorietät - Ergebnis Aus der bisherigen Untersuchung folgt: 1. Ob die Teilnahme am Versuch des Delikts strafbar ist, ist nicht danach zu entscheiden, ob sie sich auf eine Rechtsgutsverletzung richtet. Zwar sind Teilnahme und Versuch unselbständige Bezugsdelikte und bedürfen einer causa außerhalb ihrer, aber nicht irgendeiner Rechtsgutsverletzung, sondern einer Straftat. Das ist mit der Akzessorietät festgelegt. Weil das, worauf Versuch und Teilnahme zielen, einen Straftatbestand erfüllt, werden sie bestraft. Nicht etwa nur die Rechtsgutsverletzung einer angezielten Straftat begründet die Strafbarkeit von Versuch und Teilnahme, sondern alle Merkmale der rechtswidrigen Tat zusammen - bei der Teilnahme z. B. auch die Tatherrschaft des Täters 125. 2. Der Unwert der Tat, auf den sich Versuch und Teilnahme beziehen müssen, ist bestimmt in den gesetzlichen Merkmalen der Tat. Ein der Tat ähnlicher, aus ihr abgeleiteter Unwert kann nicht Bezugsgegenstand von Versuch und Teilnah123 MDR 1953, 717 (729); entsprechend zur Teilnahme ders., Strafrecht, AT Rn 971; ähnlich Herzberg, GA 1971, 1 ff. 124 Zielinski, Handlungs- und Erfolgsunwert im Unrechts begriff, S. 205 ff. 125 Näher dazu unten 1. Teil E 11 3 d.

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1. Teil: Nonnative Schranken der Deliktsprovokation

me sein. Der gesetzliche Tatbestand ist nicht axiomatischer Richtpunkt, von dem aus die Pönalisierung ähnlicher, mehr oder minder unwertiger Verhaltensweisen abgeleitet werden könnte. Die Deliktstatbestände des BT können nicht unbegrenzt durch Ergänzungstatbestände modifiziert und damit ausgeweitet werden. Gemäß der verfassungsrechtlichen Bindung der Strafe an einzelne Tatbestände ist zwischen Deliktstatbestand und Ergänzungstatbestand prinzipiell zu unterscheiden. Zwar können jene durch diese mehrfach modifiziert werden. Aber nur Deliktstatbestände enthalten den Unwert, der die Strafbarkeit von Versuch und Teilnahme begründet. Deshalb genügt es nicht, wenn das einen modifizierten Tatbestand erfüllende Verhalten sich auf ein Verhalten bezieht, das einen anderen modifizierten Tatbestand erfüllt. Es muß sich auf die Verwirklichung eines Deliktstatbestandes beziehen. Diese Eingrenzung mag formal erscheinen; sie ist nicht formaler als jede andere Tatbestandsbindung. 3. Daraus könnte nun geschlossen werden, die Strafbarkeit des Provokateurs sei ausgeschlossen, denn sein Verhalten bezieht sich mit Vorsatz nur auf den Versuch des Täters. Sollte er bestraft werden, müßte der ergänzte, abgeleitete Tatbestand des Versuchs einem Deliktstatbestand gleichgeordnet werden, was, wie gezeigt, unzulässig ist. - Diese Argumentation läßt sich jedoch in Frage stellen; Beispiel: Jemand stiftet einen anderen an mit dem Vorsatz, daß das angestiftete Delikt vollendet werde; der Täter gelangt nur zum Versuch. Hier könnte man annehmen, es fehle der objektive Bezug zum Deliktstatbestand. Dennoch läßt sich im Hinblick auf die in §§ 26,27 StGB vorgeschriebene Akzessorietät kaum bezweifeln, daß der Anstifter strafbar ist, und zwar wegen Anstiftung zum Versuch, der Verwirklichung eines Ergänzungstatbestandes. Das scheint der beim Versuch des Versuchs und bei der Kettenteilnahme gefundenen Regel zu widersprechen, denn danach wäre der Bezug der Teilnahme auf einen schon ergänzten, abgeleiteten Tatbestand nicht hinreichend. Daher könnte man weiter schließen, wenn im obigen Beispielsfall der Teilnehmer strafbar ist, so setzt sich die Akzessorietät gegen die Regel vom Bezug auf den Deliktstatbestand durch; mithin kann sie auch im Fall der Provokation die Strafbarkeit des Teilnehmers begründen. Allerdings war im obigen Beispiel die Teilnahme im Vorsatz auf die Verwirklichung des Deliktstatbestandes durch den Täter gerichtet. Bei der Provokation fehlt auch dieser subjektive Bezug zum Deliktstatbestand. Insofern sind die Fälle unterschieden. Genauere Betrachtung zeigt auch, daß im Fall der subjektiv auf Deliktsvollendung gerichteten Teilnahme ein hinreichender objektiver Bezug zur Verwirklichung des Deliktstatbestandes gegeben ist. - Wie das in den Ergänzungstatbeständen des Versuchs und der Teilnahme pönalisierte Verhalten auf deliktstatbestandliches Verhalten objektiv bezogen sein muß, ist in den einzelnen Ergänzungstatbeständen verschieden geregelt.

E. Strafrechtliche Grenzen der Deliktsprovokation

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Der Versuchstäter setzt unmittelbar an, um selbst das Delikt zu vollenden. Beim Versuch ist das unmittelbare Ansetzen zur Verwirklichung des Deliktstatbestandes also hinreichender objektiver Bezug zu diesem. Der Anstifter bestimmt den Entschluß eines anderen zur Deliktsvollendung; der Gehilfe unterstützt dessen Handeln. Nach dem Gesetz reicht dies als objektiver Bezug noch nicht aus. Die geförderte Tat muß "begangen" sein. Auch im unmittelbaren Ansetzen steckt gemäß § 22 StGB ein Begehen. Es ist unmittelbar, expressiv auf die Deliktsnorm gerichtet. Daher u. a. hat es seinen Unwert 126. Da es beim Versuch als objektiver Bezug auf die Verwirklichung des Deliktstatbestandes hinreicht, dürfte es auch bei der Teilnahme hinreichen. Das ist auch sachgemäß. Bei der hier vertretenen Forderung nach Bezug des in ergänzten Tatbeständen erfaßten Verhaltens auf deliktstatbestandliches Verhalten geht es um rechtsstaatliche Bindungen an die Deliktstatbestände. Ist ein Ergänzungstatbestand über einen anderen Ergänzungstatbestand an den Deliktstatbestand geknüpft, so muß das Verhalten, das jenen erfüllt, auf den Deliktstatbestand bezogen sein; es muß aber nicht enger darauf bezogen sein als das Verhalten, welches den unmittelbar daran geknüpften Tatbestand erfüllt; d. h., wenn beim Versuch das unmittelbare Ansetzen hinreichend objektiver Bezug zum Deliktstatbestand ist, gilt dies auch für die Teilnahme am Versuch. Daß der Teilnehmer nicht selbst diesen objektiven Bezug verwirklicht, gehört allgemein zur Teilnahme; auch die objektive Deliktsvollendung vollzieht der Teilnehmer nicht selbst. Diese Lösung widerspricht nicht der zur Kettenteilnahme vertretenen. Im Fall der Kettenteilnahme würde die Anwendung mehrerer Ergänzungstatbestände dazu führen, daß der Bezug des vermittelten Teilnehmers zur Tat, wie gezeigt, gelockert wird im Vergleich zum Bezug des unmittelbaren Teilnehmers an der Tat. Deshalb ist bei der Kettenteilnahme und ebenso beim Versuch des Versuchs schon die Anwendung mehrerer gleichartiger Ergänzungstatbestände unzulässig.

Fazit: Bei der subjektiv auf Deliktsvollendung gerichteten Teilnahme ist, wenn die Tat ins Versuchsstadium gelangt, ein hinreichender objektiver Bezug der Teilnahme zum Deliktstatbestand gegeben. Dieser objektive Bezug ist auch bei der Provokation gegeben. Dem Provokateur fehlt aber der ebenso notwendige subjektive Bezug zum Deliktstatbestand. Im objektiven und subjektiven Bezug auf vollständige Tatbestände steckt nach dem Gesetz der Unwert der ergänzten" abgeleiteten Tatbestände. Die vorangegangene Untersuchung versuchte zu zeigen, daß Gegenstand des Bezuges nur Deliktstatbestände sein können. Deshalb ist die Provokation straffrei. 4. Zuweilen wird gesagt, die Straffreiheit des Provokateurs widerspreche der Akzessorietät, derzufolge das Unrecht der Haupttat das der Teilnahme begründet. Das ist fraglich. Liest man den Wortlaut der §§ 26 f. StGB, die die Akzessorietät anordnen, im Zusammenhang des § 22 StGB, so ist offen, ob als Haupttat auch 126

Jakobs, Strafrecht AT, 25/21, vgl. auch 1/9.

13 Keller

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1. Teil: Nonnative Schranken der Deliktsprovokation

der Versuch die Strafe begründet. Dies zu verneinen, ist nichts Außergewöhnliches. Ohnehin begründen nicht alle rechtswidrigen Taten als Haupttaten die Teilnehmerstrafe. Oben wurde gezeigt, daß nur bei recht zweifelhaftem Umgang mit dem Wortlaut der §§ 25 ff. StGB die Teilnahme als Haupttat akzeptiert werden könnte. Im Ergebnis wird dies auch von der h. M. nicht angenommen. Gezeigt wurde auch, daß der Zweck der Akzessorietät der Annahme widerspricht, die Teilnahme sei selbst rechtswidrige Haupttat i. S. der §§ 26, 27 StGB. Und hinsichtlich des Zweckes stimmt die Regel, die hier zur Begründung der Straflosigkeit des Provokateurs dargestellt wurde - Notwendigkeit des Bezuges auf das den Deliktstatbestand erfüllende Verhalten - , mit der Akzessorietät überein. Beide sind darauf gerichtet, die Teilnahme rechtsstaatlich zu binden an die Tat 127. Ohne die genannte Regel würde der Zweck der Akzessorietät bei der Kettenteilnahme nicht erreicht. 4. Provokation durch Beihilfe Auch durch Hilfeleistung kann ein Versuch provoziert werden, wie die Rechtsprechung zeigt. Beispiel: Der Provokateur fördert die Drogenverkaufshandlungen eines Dealers, um ihn dann festnehmen zu lassen 128. - Küper 129 meint, es sei schon fraglich, ob von Hilfe i. S. des § 27 StGB gesprochen werden kann, wenn der sie Leistende wußte, daß sie nicht zum Deliktserfolg führen konnte, etwa weil er ein untaugliches Werkzeug lieferte. Es soll dann das Problem der Kausalität der Beihilfe relevant werden. - Das trifft zu, führt aber nicht an den Problemen vorbei, die sich bei der Provokation durch Anstiftung stellten. Zunächst sei die in der Literatur verbreitete Meinung angenommen, die Beihilfe müsse kausal für den tatbestandlichen Erfolg sein 130. Dann scheint es nicht Hilfe i. S. des § 27 StGB zu sein, wenn etwa dem Täter ein Tatwerkzeug geliefert wird, an dessen Untauglichkeit die Erreichung des Erfolges scheitert. Allerdings ist nach Text und Systematik des Gesetzes kaum zu bezweifeln, daß strafbare Beihilfe zum Versuch vorliegt, wenn der Werkzeuglieferant gemeint hatte, das Delikt werde mit dem Werkzeug vollendet werden und der Täter dies versucht hatte 131. Andernfalls könnte Beihilfe zum Versuch nie strafbar sein, denn dabei ist die Beihilfe nie für den Taterfolg kausal. In diesen Fällen kann es hinsichtlich der Kausalität für den Taterfolg nicht auf wirkliche Kausalität zum Erfolg ankommen, sondern auf geplante Kausalität Zur Akzessorietät Maurach / Gössel/Zipf, Strafrecht AT, Tb. 2, § 53 I. BGH b. Dall. MDR 1973,554; weitere Nachweise der Rechtsprechung oben 1. Teil EIl Anm. 14. 129 GA 1974,321 (335 Anm. 95). 130 Z. B. Samson in SK StGB § 27 Rn 8 ff.; Roxin in LK § 27 Rn 2 ff.; Cramer in Schönke / Schröder, § 27 Rn 10; Grünwald, Festschrift für Welzel, S. 701 (707). 131 Samson, a.a.O., Rn 8. 127

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E. Strafrechtliche Grenzen der Deliktsprovokation

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zum Erfolg, - geplant vom Täter und - evtl. - vom Gehilfen. Kausalität zum Erfolg nach dem Plan des Täters ist, wenn durch Beihilfe ein Versuch provoziert wurde, allemal gegeben. Ob auch der Erfolgsplan des Gehilfen notwendig ist, der beim Provokateur fehlt, hängt von den gleichen Erwägungen ab, die zur Provokation durch Anstiftung dargestellt wurden 132. Wenn die Erfolgskausalität der Beihilfe nicht erforderlich sein soll 133, so ist nicht zweifelhaft, daß auch der erfolgsuntaugliche Beitrag Hilfe i. S. des § 27 StGB sein kann. Allerdings könnte sich hier die Beurteilung der Provokation ändern, wenn mit der Erfolgskausalität auch auf den entsprechenden Vorsatz des Gehilfen, daß der Taterfolg eintrete, verzichtet würde. Aber die Rechtsprechung und auch die Autoren, die am wenigsten objektive Wirkung des Gehilfenbeitrags verlangen, verzichten nicht auf den Erfolgsvorsatz des Gehilfen und halten den Provokateur für straflos 134. Ob dies richtig ist, hängt wiederum von den zur Provokation durch Anstiftung dargestellten Erwägungen ab. Beide Provokationsformen werden im folgenden zusammen behandelt.

5. Resümee Die Provokation des Versuchs durch Teilnahme ist straffrei. Das folgt nicht aus dem Strafgrund der Teilnahme. Die Unrechtsteilnahmelehre in der oben zu 2 c) dargestellten Version ist akzeptabel und könnte die Strafbarkeit der Provokation des Versuchs durch Teilnahme begründen. Deren Straffreiheit folgt aus der rechtsstaatlichen Bindung der Teilnahme an Deliktstatbestände.

11. Provokation des vollendeten Delikts durch Teilnahme Wollte der Provokateur, daß die von ihm geförderte Tat vollendet wird und ist das geschehen, so ist er nach §§ 26 f. StGB strafbar. Auch das wird jedoch hinsichtlich einzelner Deliktsarten bestritten. Beispiel: Der Provokateur stiftet zum Diebstahl an, um den Täter nach der Wegnahme (Vollendung) vor der Zueignung (Beendigung) festnehmen zu lassen I. Oder: Der Provokateur vermittelt die Abgabe eines Verkaufs angebots über Betäubungsmittel (d. i. gemäß § 29 I Nr. 1 BtMG strafbares Handeltreiben) in der Annahme, die Polizei werde die Lieferung der Ware verhindern 2. Viele Autoren meinen, der Provokateur sei hier H. M.; vgl. Roxin, a.a.O., Rn 31. Schaffstein, Festschrift für Honig, S. 173 ff.; Vogler, Festschrift für Heinitz, S. 309 ff.; Herzberg, GA 1971, 1 ff. 134 RGSt 15,315; 16,25; 17,377; 56, 168, 170; 60, 23 (24); Vogler, a.a.O., S. 301, 314; Herzberg, a.a.O., S. 12. I Es wird unterstellt, daß Wegnahme noch nicht Zueignung ist. 132

133

13*

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I. Teil: Nonnative Schranken der Deliktsprovokation

straflos, weil sein Vorsatz zwar die (formelle) Vollendung, nicht aber die (materielle) Beendigung umfaßte\ weil er keine ,tatsächliche Verletzung des Rechtsguts '4 in Kauf nahm, weil er die Tat nicht ,bis zur Irreparabilität gedeihen' lieB5, weil die geförderte Tat ,Versuchscharakter' habe 6 und die Provokation des Versuchs straffrei ist. Derartige zusätzliche Einschränkungen der Strafbarkeit des Provokateurs sind, wie der genannte BtM-Fall zeigt, praktisch relevant, denn der Provokateur ist im allgemeinen daran interessiert, daß der Täter bestraft wird; das wird er umso sicherer, je weiter die Ausführung der Tat gediehen ist. Gestützt werden die zusätzlichen Einschränkungen der Strafbarkeit meist auf den herkömmlich angenommenen Strafgrund der Teilnahme: ein (akzessorischer) Rechtsgutsangriff liege beim Provokateur nicht vor, weil er die Rechtsgutsverletzung nicht gewollt habe. Es könne im genannten Diebstahlsfall nicht darauf ankommen, ob der Täter kurz vor oder kurz nach der Wegnahme festgenommen wird 7. Dieser Ansatz wird als "eindeutig herrschend" bezeichnet 8. Der BGH9 hat seine Zustimmung angedeutet. - Das Reichsgericht und einige Autoren haben ihn bestritten, jedoch meist ohne nähere Begründung 10. Zunächst sollen die anstelle der formellen vorgeschlagenen materiellen Kriterien genauer bestimmt werden 11. Unter ,Rechtsgut' dürfte, da es ,tatsächlich' verletzt werden soll, nicht der im allgemeinen damit angesprochene ,ideale Wert' zu verstehen sein, sondern i. d. R. das vom Rechtsgut meist unterschiedene Handlungsobjekt 12. Da die Differenz hier nicht relevant ist, soll die von Schröder und eramer in den vorliegenden Zusammenhang eingeführte Bezeichnung 2 BGH StrVert 1981, 549 (ähnlich BGH b. Dall. MDR 1973, 554) verneinte hier allerdings das Handeltreiben; dazu unten I. Teil E II I a. 3 Roxin in LK (10. Aufl.) § 26 Rn 19 f.; Dreher / Tröndle § 26 Rn 8; Stratenwerth, Strafrecht AT, Rn 889; Maaß, Jura 1981, 514 ff.; Herzberg, JuS 1983,737 (745); Franzheim, NJW 1979,2015 f.; Suhr, JA 1985,629 f. 4 Cramer in Schönke / Schröder § 26 Rn 16; ähnlich Plate, ZStW 84 (1972), 294 ff. 5 Maurach / Gössel/Zipf, Strafrecht AT, § 51 II B 3; Schmidhäuser, Strafrecht AT, 14/107 Anm. 7. 6 Jakobs, Strafrecht, AT 23/17; ähnlich Herzberg, JuS 1983,737 (745). 7 Maaß, a.a.O., S. 518. 8 Herzberg, a.a.O. 9 BGH b. Dall. MDR 1973, 554. 10 RGSt 56, 171 (172 f.); Welp, JuS 1967,507 (508 f.); Lüderssen in: Polizei und Strafprozeß im demokratischen Rechtsstaat (hg. v. Denninger / Lüderssen), S. 276; ders., in: V-Leute, Die Falle im Rechtsstaat, S. 18 f., 44 Anm. 56; Seier / Schlehofer, JuS 1983, 50 (53); Ostendorf / Meyer-Seitz, StrVert 1985, 73 (78); Seelmann, ZStW 95 (1983), 797 (806); Baumann / Weber, Strafrecht AT § 37 I 2 b Anm. 20; Samson in SK StGB Rn 38 vor § 26, anders aber § 28 Rn 20; Karge, Der agent provocateur, Dissertation Frankfurt 1969, S. 36 ff. II Zur Analogie Absichtsdelikt / Versuch (Jakobs, Herzberg, a.a.O.), s. u. 1. Teil E

11 3.

12 Kühl, Die Beendigung des vorsätzlichen Begehungsdelikts, S. 28 f. Bei den Urkundsdelikten dürfte allerdings die Verletzung des Rechtsguts - Sicherheit des Rechtsverkehrs - und nicht das Handlungsobjekt (Urkunde) gemeint sein.

E. Strafrechtliche Grenzen der Deliktsprovokation

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,Rechtsgutsverletzung' beibehalten werden. - Die ,Irreparabilität der Tat' dürfte nicht wörtlich zu verstehen sein, denn Taten sind nie reparabel und kriminelle Taterfolge (Vermögensschäden, Körperverletzungen) sehr oft; es geht wohl um dasselbe wie bei der ,tatsächlichen Rechtsgutsverletzung' . Diese liegt in vielen Fällen jenseits der formellen Vollendung. Die tatsächliche Rechtsgutsverletzung fällt zuweilen zusammen mit dem Stadium der materiellen Beendigung, z. B. wenn die Gefährdung zur Verletzung umschlägt 13. Identisch sind die beiden vorgeschlagenen Kriterien - tatsächliche Rechtsgutsverletzung und (materielle) Beendigung - aber nicht; das Inbrandsetzen (§ 306 StGB) z. B. ist meist schon eine tatsächliche Rechtsgutsverletzung, beendet ist es nach h. M. erst, wenn das Haus abgebrannt ist. Die Beendigung ist der u. U. nach der Erfüllung des formellen Tatbestandes liegende "tatsächliche Abschluß" des Tatgeschehens. Er tritt erst ein, wenn der Täter den in der Schutzrichtung des jeweiligen Tatbestandes liegenden Erfolg gemäß seinem Plan erreicht 14, z. B. Abbrennen des Hauses, Aneignung, Bereicherung, Bergen der Beute. Die materielle Beendigung wird dann von der formellen Vollendung unterschieden, wenn angenommen wird, ,der' Gesetzgeber habe aus kriminalpolitischen Gründen die Strafbarkeit wegen Vollendung vor den materiell relevanten Abschluß des Tatgeschehens verlegt, "vordatiert" 15. Die genauen materiellen Kriterien der Beendigung sind umstritten. Nach Kühl 16 soll es stets die "endgültige Rechtsgutsverletzung" sein, nicht erst die Verwirklichung einer evtl. nach dem Tatbestand darüber hinausreichenden Absicht, bei § 263 StGB also nicht erst die Bereicherung, sondern schon der Vermögensschaden. Welzel 17 und Stratenwerth 18 bestimmen die Beendigung davon abweichend anhand der Verwirklichung der Absicht, soweit diese im Tatbestand hervorgehoben ist. Davon wird auch hier ausgegangen. Später wird sich zeigen, daß diese Bestimmung angemessener ist 19, wenn überhaupt die materielle Beendigung als Kriterium anerkannt wird. Im folgenden wird anstelle der Bezeichnung ,Beendigung' die treffendere ,materielle Vollendung' verwendet, denn beendet ist eine deliktische Handlung auch, wenn sie vor Erreichen des Handlungsziels abgebrochen wird 20 • Das ist aber hier gerade nicht gemeint.

13 14

15 16 17

18

19 20

Jescheck, Festschrift für Welzel, S. 683 (686). Stratenwerth, JZ 1961, 95 (96). Welzel, Deutsches Strafrecht, S. 188. Beendigung, S. 27 ff, 32 ff. A.a.O. A.a.O., S. 97. s. U. 1. Teil E II 2 b.

Jescheck, Festschrift für Welzel, S. 683 (686).

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1. Teil: Nonnative Schranken der Deliktsprovokation

1. Anwendbarkeit der materiellen Kriterien a) Abstrakte Gefährdungsdelikte

Nicht anwendbar sind diese Kriterien bei der Anstiftung zu abstrakten Gefährdungsdelikten. Diese sind materiell erst vollendet, bzw. erreichen eine ,tatsächliche Rechtsgutsverletzung' erst, wenn die Gefahr umschlägt zur Körperverletzung oder ähnlichen Erfolgen, die durch die Pönalisierung der Geflihrdung verhindert werden sollen 21. Würde hinsichtlich der Strafbarkeit des Provokateurs darauf abgestellt, ob er den Eintritt dieser Erfolge in seinen Vorsatz aufgenommen hatte, so würden die abstrakten Gefahrdungstatbestände unterlaufen. Sie pönalisieren Handlungen, die unabhängig vom Willen des Handelnden leicht zu Verletzungen führen können. Deshalb kommt es weder beim Täter dieser Delikte noch beim Teilnehmer darauf an, ob sie den schädlichen Erfolg vermeiden wollten 22 • Daran könnte auch der angebliche Strafgrund der Teilnahme - Rechtsgutsbeeinträchtigung - nichts ändern, denn was als Rechtsgutsbeeinträchtigung relevant ist, bestimmt das Gesetz. Dies wird durch zwei Entscheidungen des Bundesgerichtshofs in Frage gestellt 23 • Sie betreffen das in § 29 Abs. 1 Nr. 1 BtMG pönalisierte Handeltreiben mit Betäubungsmitteln. Es ist abstrakt gefahrlich für die Gesundheit von potentiellen Drogenkonsumenten. Der BGH meint, zum Handeltreiben gehöre, daß der Täter das Betäubungsmittel objektiv "auf dem Weg zum Konsumenten weiter bringt"; nicht genüge, "ein Umsatz, durch den es der Polizei in die Hände gespielt und damit aus dem Verkehr gezogen wird". Deshalb hält der BGH den Provokateur für straffrei, der dem Verkäufer bei der Weitergabe geholfen hatte in der Vermutung, das Betäubungsmittel werde von getarnten Polizisten erworben, was auch der Fall war. Der BGH meint also: Der Täter hat nach der Vermutung des Provokateurs nur einen strafbaren Versuch begehen können, den zu provozieren nach allgemeiner Meinung nicht strafbar ist, wie im vorangegangenen Abschnitt gezeigt wurde. In der bisherigen Rechtsprechung und Lehre 24 wird Handeltreiben angenommen, wenn der Dealer einem Kaufinteressenten ein ernsthaftes Verkaufsangebot zugehen läßt. Handeltreiben wird als Tendenz- oder Absichtsdelikt verstanden: Ein objektives Verhalten, geleitet von der darüber hinausreichenden Absicht, den Warenumsatz entgeltlich zu realisieren 25. Darin sind zwei Stufen von Gefahr 21 Jescheck, a.a.O.; ders., Lehrbuch, § 49 IV 3; Crarner in Schönke / Schröder Rn 7 vor § 22. 22 Ostendorf / Meyer-Seitz, StrVert 1985, 73, (78); Franzheim, NJW 1979, 2014 (2016 f.); Jakobs, Strafrecht AT, 23/17; Seelmann, ZStW 95 (1983),797 (804). 23 StrVert 1981,549; b. Dall. MDR 1973,554. 24 BGHSt 6, 246 ff.; 25, 290 ff.; 29, 239 ff.; 28, 308; Körner BtMG § 29 Rn 40, 44, 48,67 m. w. N.; BGH NStZ 1986,557. Ebenso zum ,einführen' BGHSt 25, 137 (140). 25 Das verkennt Suhr, JA 1985,629 (630).

E. Strafrechtliche Grenzen der Deliktsprovokation

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enthalten. Das absichtsgeleitete Verhalten birgt die Gefahr, daß der Warenumsatz realisiert wird, und die Realisierung würde die Gefahr erhöhen, daß Drogen konsumiert werden und infolgedessen Gesundheit beeinträchtigt wird. Die zweite Stufe enthält, was herkömmlich als abstraktes Gefährdungsdelikt bestimmt wird. Nach der bisher h. M. hätte im vorliegenden Fall der Dealer den Tatbestand erfüllt. Die Haftung des Provokateurs hinge davon ab, ob bei Absichtsdelikten der Teilnehmer die (hier gescheiterte) Verwirklichung der Absicht - Realisierung des entgeltlichen Warenumsatzes - für möglich gehalten haben muß. Diese umstrittene Frage wird später erörtert werden. Der BGH wollte ihr vielleicht zugunsten der Provokateure ausweichen, indem er für die Vollendung des Delikts die Realisierung des (beabsichtigten) Warenumsatzes voraussetzte. Dadurch verengte der BGH das Absichtsdelikt zu einem abstrakten Gefährdungsdelikt im engeren Sinn, wie es am Beginn dieses Abschnitts entsprechend der herkömmlichen Einteilung bestimmt wurde 26 • Die neue Interpretation des Handeltreibens weicht auch ab von der bisher unbestrittenen Auslegung entsprechender Formulierungen im StGB: Nach § 6 Nr. 5 StGB ist nicht erforderlich, daß das Betäubungsmittel effektiv in Besitz eines anderen gelangt; nach § 147 StGB nicht, daß die Falsifikate effektiv an einen Gutgläubigen gelangen; nach § 267 Abs. 1 3. Alt. StGB nicht, daß der zu Täuschende die Urkunde tatsächlich wahrnimmt 27 • Warum der BGH nun davon abweicht, ist nicht erkennbar. Allerdings bestrafen die bisherigen weiteren Auslegungen gewöhnliche Täter und Teilnehmer, nicht Provokateure. Der BGH schränkt den Tatbestand noch weiter ein. Jeder Umsatz, der das Betäubungsmittel u. U. über mehrere Dealer vermittelt letztlich "der Polizei in die Hände spielt", wäre nach seiner Auslegung nur versuchtes Handeltreiben, die Provokation entsprechend straflos. Das ist mit der Bedeutung des Wortes ,Handeltreiben' kaum vereinbar. Es ist nicht üblich, die Bezeichnung eines Austauschgeschäfts als Handel davon abhängig zu machen, an wen die Ware letztlich gelangt. Unter Handeltreiben versteht man das entgeltliche Umsetzen von Waren ungeachtet der weiteren Folgen - Konsum, Weiterverkauf, Vernichtung. Und mit dieser weiten Bedeutung entspricht der Terminus ,Handeltreiben' dem anerkannten Zweck des § 29 Abs. 1 Nr. 1 BtMG, umfassend das anders kaum kontrollierbare, profitträchtige Vorfeld des Drogenkonsums zu pönalisieren. Zu begründen sein könnte die vom BGH intendierte Einschränkung, wie Suhr 28 vorgeschlagen hat, im Zusammenhang der allgemein für die abstrakten Gefährdungsdelikte vorgeschlagenen Einschränkung der Haftung. Nach Cramer 29 z. B. Zustimmend Lenckner in Schönke / Schröder § 34 Rn 41. Eser in Schönke / Schröder § 6 Rn 6; Stree in Schönke / Schröder § 147 Rn 5; eramer in Schönke / Schröder § 267 Rn 76. 26 27

28 29

A.a.O., S. 830 ff.

In: Schönke / Schröder Rn 3a vor § 306.

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1. Teil: Nonnative Schranken der Deliktsprovokation

soll die Haftung ausgeschlossen sein, wenn das tatbestandliche Verhalten nach menschlichem Erfahrungswissen nicht zur Rechtsgutsbeeinträchtigung führen kann. Solche Haftungseinschränkungen bringen gegen das demokratisch legitimierte Gesetz ein nicht verfassungsmäßig legitimiertes Strafsystem zur Geltung. Sie beruhen auf einer von der gesetzlichen abweichenden Einschätzung der Rechtsgüter und ihres Schutzbedürfnisses und sind, wie später ausführlich gezeigt wird, nicht akzeptabepo. Aber auch, wenn man die zu den abstrakten Geflihrdungsdelikten allgemein vorgeschlagenen Einschränkungen akzeptiert, dürften sie in den vom BGH entschiedenen Fällen kaum zugunsten der Provokateure eingreifen. Denn von ihnen bestellte Betäubungsmittel müssen produziert und herbeigeschafft werden. Durch die Nutzung und Finanzierung dieser Aktivitäten wird die Grundlage weiterer Betäubungsmittelverbreitung verstärkt. Diese Geflihrdung verbietet § 29 Abs. 1 Nr.4 BtMG31. Sieht man auch davon ab und nimmt an, der Verkauf an Polizisten sei in jeder Hinsicht nach der Erfahrung ganz ungefährlich, so bleibt fraglich, ob der Provokateur schon dann straffrei ist, wenn er nur meint, das Betäubungsmittel werde an getarnte Polizisten verkauft. Diese vom BGH hier eingeführte Haftungseinschränkung geht weit hinaus über die zu den abstrakten Geflihrdungsdelikten bisher vorgeschlagenen Einschränkungen 32. Sie findet in den dort vorgetragenen Argumenten - Wahrung des Schuldprinzips und der Verhältnismäßigkeit von Unrecht und Strafe - auch keine Stütze. Danach könnte die Haftung bei Geflihrdungsdelikten nicht schon entfallen, wenn der Täter (hier der Provokateur) keinen Vorsatz hat, sondern erst, wenn er sich nicht - subjektiv oder objektiv sorgfaltswidrig bezüglich des Erfolgs verhalten hat 33 . Eine weitere Begründung der Straflosigkeit der Provokation abstrakter Gefährdungsdelikte ist angedeutet bei Suhr und in einer der beiden BGH- Entscheidungen und wird deutlich von Vertretern der Polizei formuliert 34: Auch wenn der Provokateur die Vollendung des abstrakten Geflihrdungsdelikts - Warenumsatz - gefördert hat, so hat er doch ,letztlich' das Rechtsgut ,Volksgesundheit' gerade schützen wollen, indem er die Drogen aus dem Verkehr zog; deshalb soll er straffrei sein 35. Damit ist die Einschränkung der abstrakten Geflihrdungsdelikte bei der Unterscheidung von formeller und materieller Vollendung angekommen, 30

s. u. 1. Teil E 11 3 h.

31 Seelmann, ZStW 95 (1983),797 (808). 32 Das übersieht Suhr, a.a.O., insbes. Anm. 33. Ähnlich wie hier Ostendorf / Meyer-

Seitz, StrVert 1985,73 (78). 33 eramer, a.a.O., Rn 4; Horn, Konkrete Gefahrdungsdelikte, S. 28, 94 ff. 34 Suhr, a.a.O., S. 632; BGH b. Dall. MDR 1973, 554; Bericht des vom Arbeitskreis II der Innenministerkonferenz eingesetzten ad hoc-Ausschusses, in Bürgerrechte und Polizei/CILIP, Nr. 17,1984, S. 77 (81 f.). 35 Nach Suhr, a.a.O., S. 634, ist bei der Abwägung des § 34 StGB die Verwirklichung eines abstrakten Gefährdungsdelikts nicht zu berücksichtigen, weil kein Rechtsgut beeinträchtigt ist.

E. Strafrechtliche Grenzen der Deliktsprovokation

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hinsichtlich deren oben gezeigt wurde, daß sie für die abstrakten Gefährdungsdelikte unerheblich ist. Sie würde die Verursachung von abstrakten Gefahren und Rechtsgutsverletzungen der u. U. leichtsinnigen Willkür privater oder staatlicher Rechtsgutsschützer überlassen und zugleich das abstrakt allgemeine Recht auflösen. Der vom Provokateur "letztlich" erstrebte Erfolg liegt jenseits des von der Norm geregelten Sachverhalts. Er kann - wie jeder andere vom Täter oder Teilnehmer verfolgte positive Wert - allenfalls im Rahmen einer Gegennorm, eines Rechtfertigungsgrundes, berücksichtigt werden. - Allerdings ist denkbar, daß eine positive Tendenz der Handlung im Rahmen der Auslegung eines Tatbestandsmerkmals berücksichtigt wird, wie es bei § 223 StGB hinsichtlich der Heilungstendenz des Arztes diskutiert wird. Aber die Bezeichnung ,Handeltreiben' ist, wie erwähnt, unabhängig von beabsichtigten letztlichen Erfolgen der Drogenfahnder. Lüderssen meint, in der Rechtsprechung zur Provokation würden Tatbestände jeweils eng ausgelegt, wo es darum geht, den Provokateur vor Strafe zu bewahren, und weit, wo das Verhalten des Provozierten zu subsumieren ist 36 . Die hier erörterten Entscheidungen bestätigen den Befund, insbesondere ein Vergleich der sehr weiten Fassung des Handeltreibens in einer Entscheidung von 1986 gegen einen Provozierten 37 mit der restriktiven Auslegung desselben Terminus in der Entscheidung von 1981 zugunsten eines Provokateurs 38 . Es gibt jedoch auch Abweichungen von dieser Differenzierung. 1985 hatte der BGH39 zu entscheiden, ob ein Provozierter, der fremde Sachen unter verdeckter Beobachtung der Polizei an sich genommen hatte, wegen vollendeten Diebstahls hafte; der BGH faßte das Merkmal ,Wegnahme' - verglichen mit seiner sonstigen Rechtsprechung zum beobachteten Ansichnehmen - eng 40, nahm nur versuchten Diebstahl an und forderte eine entsprechende Milderung des Strafmaßes zugunsten des Provozierten.

b) Konkrete Gefährdungsdelikte und Dauerdelikte Bei den konkreten Gefährdungsdelikten fallen nach Jescheck formelle Vollendung - Gefahr- und materielle Vollendung - Rechtsgutsverletzung 36 StrVert 1985, 178. Die dort besprochene Entscheidung des BVerfG hatte allerdings, worauf Lüderssen hinweist, insofern eine Besonderheit, als der Provokateur sehr spät eingegriffen hatte, so daß das Gericht eine frühe Vollendung der Tat annahm und dadurch den Provokateur freistellen konnte. 37 BGH NStZ 1986,557. 38 BGH StrVert 1981,549. 39 BGH StrVert 1985, 323. 40 So auch schon BGHSt 4, 199 f. Aber seit BGHSt 16, 271 und 17, 206 wird die Wegnahme weiter gefaßt. Krit. zu BGH StrVert 1985, 323 auch Hillenkamp, IR 1987, 254. Ob in derartigen Fällen eine vollendete Unterschlagung vorliegt, ist str.; vgl. einerseits OLG Celle IR 1987,253 f.; Paeffgen, JR 1979,298 f.; andererseits Hillenkamp, a. a. O.

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1. Teil: Nonnative Schranken der Deliktsprovokation

auseinander 41 • Deshalb könnten die besonderen Kriterien der strafbaren Provokation anwendbar sein. In der Konstruktion der Tatbestände ist jedoch die konkrete Gefahr nicht (formelles) Vorstadium eines Erfolges, sondern selbst materieller Erfolg. Stellte man darauf ab, ob der Provokateur die ,tatsächliche Rechtsgutsverletzung' in seinen Vorsatz aufgenommen hatte, so wäre bei konkreten Gefährdungsdelikten der Provokateur noch straffrei, wenn er hinsichtlich der provozierten Tat die konkrete Gefahr, nicht aber die Schädigung in Kauf nahm. Es wird allerdings behauptet, wer eine konkrete Gefahr in Kauf nehme, habe damit stets auch die Schädigung in Kauf genommen; Gefährdungs- und Verletzungsvorsatz seien nicht zu trennen 42 • Das Problem kann hier offen bleiben, denn, auch wenn der Provokateur nur Gefährdungsvorsatz gehabt hätte, wäre er wegen eines provozierten konkreten Gefährdungsdelikts strafbar. Dafür spricht, was schon für seine Strafbarkeit wegen eines abstrakten Gefährdungsdelikts ausgeführt wurde. Formelle und materielle Vollendung fallen nach h. M. auch auseinander bei den Dauerdelikten. Beispiel: Der Provokateur stiftet einen an Erpressung Interessierten an, ein bestimmtes Opfer zwei Tage einzusperren. Der Provokateur will den Erpresser eine Stunde nach Beginn der Einsperrung festnehmen und das Opfer befreien lassen. Wer auf die materielle Vollendung abstellt, müßte den Provokateur hier für straffrei halten. Das verfehlte aber das Verbot der Freiheitsberaubung. Auch bei Dauerdelikten ist das Kriterium der materiellen Vollendung nicht anwendbar. c) Absichts- und Unternehmensdelikte

Es bleiben die Absichtsdelikte, bei denen die erweiterte Straflosigkeit des Provokateurs meist erörtert wird. Unterschieden werden zwei Arten 43; einmal diejenigen Absichtsdelikte, bei denen die Rechtsgutsverletzung nicht oder nicht vollständig objektiv eingetreten sein muß. Die Strafbarkeit sei hier, wird gesagt, vorverlegt. Beispiele: §§ 242, 267 StGB. Vollständige Rechtsgutsverletzung soll hier die Enteignung bzw. Täuschung sein, die aber nur im subjektiven Tatbestand gegeben sein muß ("verkümmert zweiaktige Delikte"). Daneben stehen Absichtsdelikte wie § 263 StGB, bei denen die Rechtsgutsverletzung angeblich vollständig objektiviert sein muß (Schaden) und als zusätzliches subjektives Merkmal eine Absicht erforderlich ist (Bereicherung), die mit der Rechtsgutsverletzung nichts zu tun haben soll (,,kupierte Erfolgsdelikte")44. Auch die über die Enteignung Festschrift für Welzel, S. 683 (686). Horn, Konkrete Gefährdungsdelikte, S. 204 ff. 43 Welzel, Deutsches Strafrecht, S. 188; K. Kühl, Die Beendigung des vorsätzlichen Begehungsdeliktes, S. 33 f.; Schroeder, Der Schutz von Staat und Verfassung, S. 300. 44 K. Kühl, a.a.O.; Maaß, Jura 1981,514 (519 f.). 41

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E. Strafrechtliche Grenzen der Deliktsprovokation

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hinausgehende Aneignung beim Diebstahl gehört systematisch hierher. Als dritte Art der Absichtsdelikte kann man die Unternehmensdelikte ansehen. Zunächst zur ersten Art der Absichtsdelikte. VeranIaßt der Provokateur einen Diebstahl, um den Täter nach der Wegnahme, vor der Aneignung festnehmen zu lassen, so soll er nach den beiden vorgeschlagenen materiellen Kriterien straffrei sein, obwohl die veranlaßte Tat formell vollendet ist. Denn das Rechtsgut des § 242 StGB ist, wenn auch evtl. nicht allein, das Eigentum. Dieses ist, solange nicht angeeignet wurde, nicht bzw. nicht vollständig, tatsächlich verletzt. Auch die materielle Vollendung ist noch nicht eingetreten. Freilich ist zu beachten, daß dabei unterstellt wird, die Rechtsgutsverletzung begründe die Strafbarkeit der Teilnahme nur, wenn das Rechtsgut vollständig beeinträchtigt wurde vollständig im Sinn des Gesamtschadens, den die materiell vollendete Handlung verursacht. Wurde der Täter zwar vor der beabsichtigten Enteignung, aber nach der Wegnahme festgenommen, so war seine Handlung nicht unschädlich. Sie entzog den Gewahrsam. Bemerkenswert ist hier freilich eine Differenzierung der Rechtsprechung. Im allgemeinen folgt sie der hier dargestellten Unterscheidung von formeller Vollendung und materieller Beendigung und hält deshalb auch die nach Vollendung, vor Beendigung geleistete Hilfe noch für strafbare Teilnahme 45 • Anders, wenn der Teilnehmer ein provozierender Polizist war. Ein solcher hatte eine Prostituierte veranIaßt, ihm den entgeltlichen Geschlechtsverkehr anzubieten. Hier meint das BVerfG (unter Zustimmung des Präsidenten des BGH)46, der Polizist habe die Prostituierte nicht "zur Tatbegehung" i. S. des § 184 a StGB "bestimmt", weil die Tat durch das "typische Anbahnungsverhalten" der Prostituierten (Herumstehen, Aufundabgehen) schon zuvor "vollendet" gewesen sei. Das trifft zu, und wenn man die Strafbarkeit konsequent am formalen Tatbestand orientiert, hat der Polizist keine Anstiftung begangen. Die Rechtsprechung aber, die sonst die Teilnahme auch nach formeller Vollendung noch für möglich und strafbar hält, hätte hier wohl annehmen müssen, daß der Polizist die vollendete Tat der materiellen Beendigung näher gebracht hat 47 • Bei der zweiten Art der Absichtsdelikte kommen die beiden vorgeschlagenen Kriterien zu unterschiedlichen Ergebnissen. Angenommen, der Provokateur veranlaßt einen Betrug, läßt auch die Schädigung geschehen, verhindert aber, daß der Täter sich bereichert. Die tatsächliche Rechtsgutsverletzung ist hier gegeben; der Provokateur wäre nach diesem Kriterium strafbar 48 • Stellt man auf die materielle Vollendung ab, so ist die Strafbarkeit zu verneinen, denn seinen beabsichtig45 BGHSt 19, 325; BGH StrVert 1981, 127; Cramerin Schönke / Schröder § 27 Rn 17; Dreher I Tröndle § 27 Rn 4. 46 BVerfG StrVert 1985, 177 m. Anm. Lüderssen. 47 Lüderssen, a.a.O., S. 178 f. 48 Maaß, a.a.O., S. 517 ff.

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1. Teil: Normative Schranken der Deliktsprovokation

ten Erfolg konnte der Täter nicht verwirklichen. Im Hinblick auf den zugrunde gelegten Strafgrund der Teilnahme - Mitwirkung an einer Rechtsgutsverletzung - erscheint allein die erste Lösung angemessen. Ganz sicher ist das jedoch nicht. Aus der Formulierung der Absichtsdeliktstatbestände könnte man schließen, daß nicht jede beliebige Rechtsgutsverletzung die Strafe begründet, sondern nur eine der Art nach bestimmte. Die Bereicherungsabsicht qualifiziert den Betrug als Vermögensverschiebungsdelikt. Wenn dies zum materiellen Unrecht gehört, so ist die bloß auf Schädigung gerichtete Teilnahme nicht auf die vollständige Rechtsgutsverletzung gerichtet. Bei der ersten Art der Absichtsdelikte zeigte sich, daß die These, der Provokateur sei trotz vorausgesehener formeller Vollendung straflos, unterstellt, nur die vollständige materielle Rechtsgutsverletzung begründe seine Strafe. Das müßte dann auch bei den hier diskutierten Absichtsdelikten geiten. Der Strafgrund der Teilnahme dürfte auch hier mit der Formulierung ,Rechtsguts verletzung , nicht nur einzelne Aspekte des materiellen Unrechts hervorheben. Der Provokateur könnte also im Beispielsfall des Betruges nicht bestraft werden, weil er die Bereicherung verhinderte. Diese Lösung vertritt Jakobs 49 • Bei den Unternehmensdelikten schließlich lassen sich die beiden materiellen Kriterien ohne immanente Widersprüche anwenden.

d) Rechtspolitische Erwägungen W. Maaß50 meint, daß "es zur leichteren Überführung von Tätern möglich sein muß, diese zur Vollendung kommen zu lassen, falls nicht dadurch ein irreparabler Schaden eintritt". Er bezeichnet dies als ,,rechtspolitische" Begründung - zutreffenderweise, denn rechtlich "muß" die genannte Möglichkeit nicht gegeben sein, wenn sie verboten ist. Die Formulierung "Überführung von Tätern" verdeckt das Wichtigste. Wer den Versuch, der zur Vollendung kommen soll, begangen hat, ist allerdings Täter. Aber die Provokation, die nach Maaß auch zulässig sein soll, wenn sie vollendete Delikte verursacht, richtet sich nicht gegen einen Täter, sondern gegen eine vielleicht als verdächtig oder gefahrlich eingeschätzte Person. Eine solche wegen der provozierten Tat bestrafen zu lassen, wird leichter, wenn der Provokateur es zur Vollendung kommen lassen darf. Denn er muß dann die provozierte Tathandlung nicht just zwischen unmittelbarem Ansetzen und Vollendung stoppen, um selbst straffrei zu bleiben. Auch ist die vollendete Tat, weil weitergehend objektiviert, prozessual meist leichter nachzuweisen. Das erleichtert es, Täter zu machen. Maaß fordert diese erweiterte Möglichkeit der Provokation nicht nur für Strafverfolgungsbehörden, sondern ohne Einschränkung für jedermann zu Lasten 49

Strafrecht AT, 23 /20.

50 A.a.O., S. 518 f.

E. Strafrechtliche Grenzen der Deliktsprovokation

205

jedes anderen ohne Anlaß. - Rechtspolitische Erwägungen sind akzeptabel, wenn sie sozialethisch positiv, d. h. auf das nach vernünftiger allgemeiner Einsicht Gute bezogen sind. Insofern mag es akzeptabel sein, daß Bürger an der Überführung von Straftätern mitwirken, aber nicht unbegrenzt. Die Provokation von Straftaten zuzulassen wird erwogen, zur Bekämpfung bestimmter, anders angeblich nicht zu bekämpfender Arten von Kriminalität unter bestimmten Bedingungen gegen als besonders gefahrlich eingeschätzte Personen unter Kontrolle dazu qualifizierter Personen. Aber ohne derart legitimierendes Ziel und Begrenzung der Mittel ist nicht evident, ob es ethisch positiv zu bewerten ist, daß ein Bürger einen anderen zum Verbrechen stimuliert, erstens weil es nicht gut ist, wenn einer den anderen zu Schlechtem veraniaßt, zweitens weil in der Gesellschaft Straftaten unerwünscht sind; davon sollte jedenfalls bei der Gesetzesinterpretation ausgegangen werden. Ist die positive rechtspolitische Begründung für die materiellen Kriterien zweifelhaft, so bleibt zu prüfen, ob sie geeignet sind, überflüssige Strafbarkeit auszuschließen. Wenn der Provokateur ethisch schlecht handelt, so begründet dies selbstverständlich noch nicht, daß er bestraft werden müßte.

2. Kritik der materiellen Kriterien Das Kriterium der tatsächlichen Rechtsgutsverletzung wirkt am ehesten plausibel. Es scheint Strafbarkeit, die bloß im formalen Gesetzeswortlaut begründet ist, zu vermeiden und statt dessen Strafe dort einzusetzen, wo dies für die Interessen der von Taten betroffenen Bürger, für deren Rechtsgüter, erforderlich ist. Das entspricht der Intention derer, die im 19. Jahrhundert den Rechtsgüterschutz als Orientierung des Strafrechts einführten.

a) Materielle oder gesetzliche Bestimmung von Rechtsgütern Bei der Anwendung des Kriteriums ,tatsächliche Rechtsgutsverletzung' können materielle Schädigungen gefördert werden. Bei der Provokation eines nur formal vollendeten Diebstahls wird der Gewahrsam entzogen. Zwar wird das Rechtsgut Eigentum durch die bloße Wegnahme meist nicht dauerhaft beeinträchtigt 51. Bei anderen Delikten (z. B. § 263 StGB) ist abernicht zu bestreiten, daß auch eine nur kurze Beeinträchtigung als ,tatsächliche Rechtsgutsverletzung' gelten muß. Herzberg meint, der Provokateur, der nur die Wegnahme, nicht die Zueignung durch den Täter will, habe nur den Vorsatz eine "unterhalb der Strafrechtsschwelle verbleibende Rechtsgutsverletzung" zu bewirken 52. Aber 51 Es kommt hier nicht darauf an, ob Gewahrsam als besonderes Rechtsgut des § 242 StGB anzuerkennen ist. Jedenfalls ist er Gegenstand der Eigentümerinteressen, die § 242 StGB schützen soll.

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1. Teil: Nonnative Schranken der Deliktsprovokation

nach dem Gesetz wird die Strafe begründet durch die auf Enteignung gerichtete Wegnahme. Das ist die strafrechtlich relevante vollendete Rechtsgutsbeeinträchtigung. Der Provokateur hat sie vorsätzlich veranIaßt. Wenn er dennoch straffrei sein soll, läßt sich das nicht mit dem Fehlen der strafrechtlich relevanten Rechtsgutsschädigung begründen, sondern allenfalls mit dem Fehlen der auf Enteignung gerichteten Absicht beim Provokateur. Dazu später. Weniger gravierend erscheint die hier erörterte Problematik bei den Absichtsdelikten §§ 147,267 StGB, denn das bloße Fälschen, das mit der weitergehenden Absicht den Tatbestand schon erfüllt, schädigt noch niemanden. Es besteht zunächst nur die Gefahr, daß die Rechtsgüter der §§ 147,267 StGB - Sicherheit des Geld- bzw. Beweisverkehrs 53 - beeinträchtigt werden, wenn die tatbestandliehe Absicht verwirklicht und das Geld oder die Urkunde "in Verkehr" gebracht wird. Wäre dies Letztere dann die strafrechtlich relevante ,tatsächliche Rechtsgutsverletzung'? - Angenommen der Fälscher übergibt die Urkunde dem zu Täuschenden, d. h. bringt sie in Verkehr, wissend, daß dieser die Urkunde zunächst beiseite legt, einen Tag später ihren gefälschten Inhalt zur Kenntnis nimmt und einen weiteren Tag darauf vermögensschädigende Dispositionen trifft. Beim Inverkehrbringen ist hier "noch nichts passiert" 54. Nur die Gefahr der Täuschung, die schon durch das Fälschen entstand, ist gesteigert. Der Fälscher hätte sie aber in vielen Fällen noch nach dem Inverkehrbringen abwenden können 55. Soll dennoch beim Inverkehrbringen eine tatsächliche Rechtsgutsverletzung bejaht werden? - Sicherheit, das Rechtsgut der §§ 146, 267 StGB, ist Abwesenheit von Gefahr. Schon die Formulierung des Rechtsguts zeigt, daß seine Beeinträchtigung ebenso als Verletzung wie als Gefährdung verstanden werden kann 56, denn Sicherheit ist kein natürliches Ding, sondern eine verallgemeinernde Abstraktion. Als Definition eines eigenständigen Rechtsguts wird sie nicht um ihrer selbst willen anerkannt; nicht in allen sozialen Bereichen wird die Sicherheit der Bürger rechtlich oder gar strafrechtlich geschützt. Die Sicherheit des Geldverkehrs wird geschützt, um Vermögensschäden zu vermeiden - allgemeiner: um Vermögensverkehr, Vermögensbildung und Vermögensbestände in ihrer gegenwärtigen, primär durch Geld vermittelten, d. h. abstrakten, daher beweglichen und offenen Form zu ermöglichen. Das in § 146 StGB pönalisierte ,in Verkehr bringen' kann verstanden werden als kriminalpolitisch begründete Vorverlagerung des Vermögensschutzes in einem Bereich, auf den Vermögensverkehrund Vermögensbestand besonders angewiesen sind. Nicht nur das Fälschen kann man als Vorverlagerung der Vollendung, als bloß formelle Vollendung relativieren im Hinblick auf das spätere In-Verkehr-bringen. Auch dieses kann wieder prinzipiell ebenso JuS 1983, 737 (745). Stree in Schönke / Schröder § 146 Rn 1; Lenckner, NJW 1967, 1890 (1892). 54 Fincke, Das Verhältnis des Allgemeinen zum Besonderen Teil des StGB, S. 48. 55 Zur Möglichkeit, die Grenze der Strafbarkeit des Provokateurs am Rücktritt zu orientieren s. u. 1. Teil E II 5. 56 Zielinski, JZ 1973, 193. 52

53

E. Strafrechtliche Grenzen der Deliktsprovokation

207

als bloß fonnell relativiert werden im Hinblick auf den Täuschungserfolg, dieser wieder im Hinblick auf die Vennögensverfügung etc. Die materielle Betrachtungsweise läßt sich theoretisch endlos verlängern. Sie bringt keine begrenzenden Kriterien. Sie läßt die vollständige Auflösung des Gesetzes zu, weil, wie Fincke 57 ausführt, "sich hinter jedem Tatbestand ein engeres eigentliches Unrecht ausmachen läßt . . . Auch jenseits tatbestandlicher Erfolge lassen sich immer noch weitere, je nach Auffassung im Zentrum des Unrechts liegende Erfolge ausfindig machen, die der Gesetzgeber aber gerade nicht zur Voraussetzung der Vollendung gemacht hat. Eine ,natürliche' Vollendung gibt es daher in keinem Deliktskreis; stets ist die Vollendung ... Gegenstand der Entscheidung des BT- Gesetzgebers." Die Vorstellung von Rechtsgütern als quasi natürlichen Dingen ist Relikt des im 19. Jahrhundert verbreiteten Naturalismus 58 • Was ein Rechtsgut und seine Verletzung sind, kann heute nicht mehr angemessen ohne Berücksichtigung sozialer Zusammenhänge und Entwicklungsmöglichkeiten bestimmt werden 59; diese sind oft auch gesetzlich reflektiert, wie etwa in den Handlungsbeschreibungen der Tatbestände. Die Annahme dinglicher Rechtsgüter vernachlässigt diese gesetzlichen Kriterien und kann, wie beim Rechtsgut Freiheit, zu uferloser Ausweitung der Strafbarkeit führen 60 oder, so bei Teilnahme an Absichtsdelikten, zu unkontrollierbaren Einschränkungen 61 . Am weitesten ins Unbestimmte führt die materielle Betrachtungsweise bei den Tatbeständen des politischen Strafrechts, wo zuweilen erst viele hinter- und nebeneinander geschachtelte Absichten die Strafe begründen. Darauf wird später eingegangen. Mehrere Autoren haben im Zusammenhang der Diskussion um abstrakte Gefahrdungsdelikte vorgeschlagen, ein selbständig verletzbares Rechtsgut dort anzunehmen, wo in der durch eine Handlung ausgelösten Wirkungskeue ein "vergeistigtes Zwischenrechtsgut" oder ein Objekt, "welches das Gut auf einer weniger abstrakten Ebene repräsentiert" ausgemacht werden könne, wie Eigentum, Vennögen, Wahrheit im Verfahren (§§ 153 ff. StGB)62. Die Auslegung der einschlägigen Tatbestände im Besonderen Teil des StGB hat jedoch auch hinsichtlich der genannten Objekte die Grenzen zwischen Verletzung und Gefahrdung aufgelöst. Wegen Sachbeschädigung wird bestraft, wer die Brauchbarkeit der Sache, etwas künftiges also, beeinträchtigt 63 . Bei § 263 StGB wird ein vollendeter Vennögensschaden u. U. schon angenommen, wenn der rechnerische Ver-

59

A.a.O., S. 38. Amelung, Rechtsgüterschutz und Schutz der Gesellschaft, S. 53 ff., 61 ff. Calliess, Theorie der Strafe im demokratischen und sozialen Rechtsstaat, S. 15 ff.,

60

Keller, Gewaltbegriff, S. 34 ff., 155 ff.

57 58

97 ff.

61 Jakobs, Strafrecht AT, 23/ 17; vgl. auch 6/88. 62 Schünemann, JA 1975,787 (798); Jakobs, Strafrecht AT, 6/88; vgl. auch Loos,

Festschrift für Welzel, S. 879 (887 ff.). Zur Differenzierung von Mittelrechtsgut und Zweckrechtsgut bei Absichtsdelikten vgl. Maurach / Gössel/Zipf, Strafrecht AT, § 19 II A 3 b; Schroeder, Der Schutz von Staat und Verfassung, S. 296 f. 63 Stree in Schönke / Schröder § 303 Rn 8.

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1. Teil: Nonnative Schranken der Deliktsprovokation

mögensbestand nur gefährdet ist 64. Körperverletzung soll anzunehmen sein, wenn ein ärztlicher Eingriff zu wesentlichen Substanz- und Funktionsverlusten führen kann 65 , d. h. gefährlich ist. Allemal kann die tatbestandliche Rechtsgutsverletzung als Vorstadium einer späteren verstanden werden. Daß die Wahrheit im Verfahren das eigenständige Zwischenrechtsgut der Eidesdelikte ist, läßt sich bezweifeln; nach § 158 Abs. 2 StGB könnte es auch um konkrete Nachteile für Verfahrensbeteiligte gehen. Fazit: Die erweiterte Straffreiheit des Provokateurs wird begründet mit materiellen Argumenten, die ebenso eine über das geforderte Maß noch weit hinausgehende Straffreiheit begründen könnten, bei § 146 StGB etwa bis zum Täuschungserfolg statt bis zum Inverkehrbringen, bei § 263 StGB bis zur effektiven rechnerischen Vermögensminderung statt bis zur konkreten Gefährdung, die schon als Schaden gilt. Tatsächlich wird diese Konsequenz nicht gezogen. Die materiellen Argumente sind also unspezifisch. Nicht gezogen werden die erwähnten Konsequenzen bei den Absichtsdelikten, weil man die Straffreiheit des Provokateurs nicht über die materielle Verwirklichung der gesetzlich bestimmten Absicht hinaus erweitern will. Aber auch dies ist eine bloß formelle Grenze. Was dafür spricht, sie zu wahren, verbietet es, schon die tatbestandliche Vollendung als Grenze aufzugeben: das Gesetz. Das wird hinsichtlich des Zeitpunkts der Beihilfe auch zunehmend erkannt: Sie ist nach (formeller) Vollendung nicht mehr möglich, weil sie danach nicht Beihilfe zur "Tat" i. S. des § 27 StGB ist 66 • b) Rechtsgüter und Verkehrsformen

Als problematisch erweist sich das Kriterium der materiellen, tatsächlichen Rechtsgutsverletzung auch bei der zweiten Art der Absichtsdelikte, den kupierten Erfolgsdelikten, wie §§ 253, 263 StQB. Hier soll der Provokateur strafbar sein, wenn er den Schadenseintritt wollte. Wollte er nur die vom Täter beabsichtigte Bereicherung verhindern, soll dies seiner Bestrafung nicht entgegenstehen. Die Grenzziehung erscheint plausibel, weil für den Betroffenen allein der Schaden relevant ist, nicht das Scheitern der Bereicherung auf seiten des Täters 67. In Z. B. KG JR 1966,391 ff. m. Anm. Schröder. Eser in Schönke / Schröder § 223 Rn 31. 66 Roxin in LK § 27 Rn 22; Fincke, Das Verhältnis des Allgemeinen zum Besonderen Teil des StGB, S. 59 f.; Herzberg, Täterschaft und Teilnahme, § 5 III 2; Isenbeck, NJW 1965, 2328; ausführlich: K. Kühl, Beendigung, S. 80 ff., der auf die Möglichkeit der Teilnahme am Unterlassungsdelikt hinweist; ebenso Jakobs, Strafrecht AT, 22/40. Anders die Rechtsprechung: BGHSt 19, 325; BGH StrVert 1981,127; Cramer in Schönke / Schröder § 27 Rn 17; Lackner § 27 Anm. 2 b; Baumann / Weber, Strafrecht, § 37 II 2 b; Dreher / Tröndle § 27 Rn 4; Otto, JuS 1982557 (565); Jescheck, Lehrbuch, § 64 IV 2 b. 67 Maaß, Jura 1981, 514 (519 f.); Lenckner NJW 1967, 1890 (1894); Herzberg, JuS 1983, 737 (738); Samson in SK StGB § 28 Rn 20; K. Kühl, Beendigung, S. 28 f. 64 65

E. Strafrechtliche Grenzen der Deliktsprovokation

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diesem Zusammenhang hat Herzberg 68 seine These wiederholt, Bereicherungsund Aneignungsabsicht (und andere Merkmale) seien wertneutral und daher akzessorisch; wertbezogen und nicht akzessorisch seien z. B. die Enteignungsabsicht und die Absicht, Falsifikate in Verkehr zu bringen. Diese im Hinblick auf §§ 28 f. StGB entwickelte Unterscheidung wurde in der Literatur ausführlich diskutiert 69. Für die vorliegende Problematik ist es daher nicht nötig, die Argumente umfassend zu würdigen. Kaum problematisiert wurde bisher, daß Herzberg die Bereicherungsabsicht bei §§ 253, 263 StGB für wertneutral nur erklären kann, weil er den Unwert allein in der Schädigung des einzelnen Vermögens sieht, für welches die Bereicherungsabsicht des Täters in der Tat gleichgültig ist 70. Dies ist auch Ausgangspunkt der anderen Autoren, die allein auf den Schaden abstellen. Das isolierte Rechtsgut des Einzelnen (Vermögen, Eigentum) kann jedoch nicht alleiniges Kriterium sein. Andernfalls wäre für das Teilnahmeunrecht bei §§ 263, 243 StGB auch irrelevant, ob das Vermögen durch Täuschung oder in anderer Weise, das Eigentum durch Wegnahme oder in anderer Weise beschädigt wird. Ebenso irrelevant wäre bei § 249 StGB, ob die Gewalt zum Zweck der Wegnahme eingesetzt wird oder bei Gelegenheit derselben. Bei den Nötigungsdelikten hat die Rechtsprechung tatsächlich die Angriffsform derart vernachlässigt: weil es allein auf die Freiheitsbeeinträchtigung ankomme, wurde die Handlungsbestimmung der Gewalt aufgelöst. Aber Rechtsgüter werden nicht rundum gegen Beeinträchtigungen beliebiger Art, sondern nur gegen meist tatbestandlich der Art nach näher bestimmte Angriffe geschützt, die im sozialen Zusammenhang besonders gefährlich sind. Die Art der Angriffe ist nun nicht immer objektiv, z. B. als Wegnahme oder Täuschung bestimmt. In manchen Tatbeständen ist sie durch die die Tathandlung leitende Absicht des Täters bestimmt, so bei Betrug und Erpressung durch die Bereicherungsabsicht. Daß diese ,,keinen Bezug zu dem im Tatbestand geschützten Rechtsgut" hätten 71 , trifft nicht zu. Die genannten Absichten sind nicht nur Typisierungen des Täters 72. Sie bestimmen mit die Art des Angriffs auf das Rechtsgut, der nach dem Gesetz allein pönalisiert ist. Sie "charakterisieren" die 68 JuS 1983,737 (738 ff.); ebenso ders., ZStW 88 (1976),68 (98 ff.), Täterschaft und Teilnahme, § 12. 69 Roxin in LK § 28 Rn 28; Samson in SK StGB § 28 Rn 18a ff., jeweils mit weiteren Nachweisen. Siehe auch 1. Teil E I 2, 11 3 d. 70 Allerdings kann man annehmen, die Verwirklichung der Bereicherungsabsicht gemäß §§ 253, 263 sei für das einzelne Vermögen insofern relevant, als sie zu einer Vertiefung des Schadens führe (dagegen Lenckner, NJW 1967, 1894 f.), weil der Bereicherte seinem Vermögen das einverleibt, was - "stoffgleich" - dem Vermögen des Geschädigten entzogen wird. Auch bei dieser Deutung wäre aber die von Herzberg geforderte Qualifikation der genannten Absichten als, wertneutral' verfehlt. Im Ergebnis entspricht dies der hier im folgenden Text vertretenen Ansicht. 71 K. Kühl, a.a.O.,; Lenckner, a.a.O. 72 So aber Samson, a.a.O., Rn 20.

14 Keller

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1. Teil: Nonnative Schranken der Deliktsprovokation

§§ 253, 263 StGB als Vennögensverschiebungsdelikte 73, den Diebstahl als Eigentumsverschiebungsdelikt. Sie werden daher zu Recht von der Rechtsprechung als tatbezogen qualifiziert und nicht als besondere persönliche Merkmale i. S. des § 28 StGB 74.

Der Zusammenhang der genannten Absichten mit den Rechtsgütern läßt sich verdeutlichen. Es entspricht nicht der sozialen Realität (und nicht dem gesetzlichen Tatbestand), die Rechtsgutsobjekte des § 263 StGB quasi als vorgegebene vereinzelte Inseln zu bestimmen. Sie sind Teil des Wirtschaftssystems. Ohne dessen Regeln gäbe es das Rechtsgut ,Vennögen' in seiner konkreten Gestalt nicht, könnte Vennögen nicht, wie es geschieht, gebildet und vennehrt werden. Das Wirtschaftssystem funktioniert, weil es Vennögensverkehr ennöglicht und organisiert. In diesem Verkehr sind die Vennögensdelikte zu begreifen als nicht nur individuell schädliche, sondern zugleich auch sozial schädliche, daher unzulässige Fonnen des Vennögensverkehrs. Deshalb ist nicht nur der Individualschaden konstitutiv für das Unrecht dieser Delikte, sondern zusätzlich die Form des Verkehrs zwischen Täter und Opfer. Daß dies auch für andere Delikte gilt, wurde in der Literatur gezeigt15 • Die Verkehrsfonn ist im Tatbestand der §§ 253, 263 StGB, wenn auch explizit nur in Fonn der subjektiven Tendenz, bestimmt als Vennögensverschiebung. Herzberg wendet ein, wenn man die Bereicherungsabsicht als Kennzeichnung eines größeren materiellen Unwerts verstünde, so "würde dem Gesetzgeber die perverse Wertung unterstellt, daß derjenige, der das zur Täuschung erlangte Geld den Annen geben will, eine schlimmere Tat verübe als ein anderer, der es in reiner Schädigungsabsicht sogleich zu vernichten gedenkt."76 Das hat moralische Plausibilität. In einer Gesellschaft aber, die auf dem Funktionieren des Wirtschaftssystems beruht und deren Wirtschaftssystem weniger statisch bestimmt ist durch Sacheigentum und Vennögensbestände als beweglich durch pennanenten Eigentums- und Vennögensverkehr, ist es möglich, daß Störungen erst dann als gravierend erscheinen, wenn sie außer den Eigentums- und Vennögensbeständen auch den Vennögensverkehr betreffen. Wer solche Bewertungen pervers findet, stellt das System in Frage, dem sie funktional sind. - Es müßte dann auch das objektive Kriterium der sog. Stoffgleichheit zwischen Schaden und Bereicherung beim Betrug und evtl. beim Diebstahl aufgegeben werden, denn dieses Kriterium bringt die Spezifikation 73 Stratenwerth, Strafrecht AT, Rn 932; Roxin, a.a.O., § 28 Rn 47; Herzberg, Täterschaft und Teilnahme, S. 128 f. 74 BGHSt 22, 376 (379 f.). Im Ergebnis ebenso die h. L.; vgl. Maurach, JuS 1969, 254; Roxin, a.a.O., Rn 33,42,47; Stratenwerth, a.a.O., Rn 933; Jakobs, Strafrecht AT, 23/20; Jescheck, Lehrbuch, § 61 VII 4a; Cramer in Schönke / Schröder § 28 Rn 16. 75 Zur Bedeutung von Verkehrsfonnen für strafrechtliche Zurechnung vgl. Keller, a.a.O. (Anm. 60). Calliess, a.a.O. (Anm. 59), bestimmt die Rechtsgüter selber als gesellschaftlich zentrale Interaktionsmechanismen. S. a. Lampe, Das personale Unrecht, S. 257 ff.; Jakobs, Strafrecht AT, 8/92,23/20; ders., ZStW 89 (1977), 1 (12 f.). 76 JuS 1983, 737 (739).

E. Strafrechtliche Grenzen der Deliktsprovokation

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als Verschiebungsdelikt zur Geltung 77 , die in der Bereicherungs- bzw. Aneignungsabsicht begründet ist. Wären diese Absichten wertneutral, so dürfte keine wertende Einschränkung der Tatbestände daraus abgeleitet werden. Es mag sein, daß manche Tatbestandsmerkmale zu gegenwärtigen sozialen Bewertungen nicht mehr passen, wie etwa das Tatbestandsmerkmal ,Mann' in § 175 StGB; deshalb fehlt ihnen aber in der Konzeption des Gesetzes nicht der Wertbezug, wie Herzberg meint1 8• c) Grenzen der Wertung und des Schuldprinzips Fraglich ist auch Herzbergs methodische Prämisse, Tatbestandsmerkmale könnten als wertneutral behandelt werden. Da sie Strafe begründen, dürften sie nach dem Gesetz kaum wertneutral sein 79. Deshalb bestimmt Herzberg die Wertneutralität bzw. Wertbezogenheit anhand außergesetzlicher, sozialer Bewertungen - hier anhand des angeblich vorrangigen Unwerts der isolierten Rechtsgutsverletzung. Das führt zur wertmäßigen Neutralisierung anderer gesetzlicher Kriterien der Strafe. Gewiß bedarf das Verständnis dessen, was das Gesetz an Wertung setzt, der Interpretation. Dafür müssen soziale Bewertungen herangezogen werden. Sie sollten aber nur dazu dienen, die gesetzliche Bewertung mit all ihren Kriterien zu erklären. Sie sollten nicht diese neutralisieren und ein Altemativstrafrecht begründen. Das scheint Herzberg jedoch für möglich zu halten: "Erweist sich ein persönliches Merkmal als ,wertbezogen' , dann setzt sich der Sachzwang zur Aufhebung oder wenigstens Abschwächung der Akzessorietät irgendwie durch, mag auch die positiv-gesetzliche Begründung umstritten oder unmöglich sein. "80 Das positive Gesetz sollte jedoch nicht von "Sachzwängen" durchbrochen werden. Sie sind nicht demokratisch begründet. Die Auflösung der gesetzlich angeordneten Akzessorietät, wann immer sich ein Merkmal als nicht wertneutral erweist, widerspricht der verfassungsmäßigen Gesetzesbindung (Art. 20 Abs. 3 GG). Die Durchbrechung der Akzessorietät contra legern kann auch nicht mit Gerechtigkeitserwägungen 81 begründet werden, die gesetzlich nicht anerkannt sind. Auch der Schuldgrundsatz 82 verbietet es nicht, den Teilnehmer haften zu lassen, weil er das Unrecht einer abstrakt gefahrlichen Tat Anders wenn man den in Anm. 70 angedeuteten Ansatz zugrundelegt. A.a.O., S. 740. Zur (wertbezogenen) historischen Konzeption des § 175 StGB vgl. Calliess, Theorie der Strafe, S. 131. 79 s. 1. Teil E I 2, 11 2 c. 80 A.a.O., S. 739 (Hervorhebungen von mir, R. K.). 81 Darauf stellt Herzberg ab, a.a.O., S. 745. 82 Dazu Herzberg, a.a.O., S. 739. Schmidhäuser, Strafrecht AT, 14/65 ff. zeigt, wie die Akzessorietät die Berücksichtigung individueller Schuld beschränkt und in der Limitierung der Akzessorietät der Schuldgrundsatz zur Geltung kommt. Vgl. auch M. K. Meyer, GA 1979,252 (254 ff.). 77 78

14*

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1. Teil: Nonnative Schranken der Deliktsprovokation

veranlaßte 83 • Welches der Unwert ist, auf den sich Schuld jeweils bezieht, bestimmt das Gesetz. Außerdem sollte das Strafrecht nicht nur bestimmt werden vom Schuldprinzip oder Rechtsgüterschutz aus. Es soll z. B. auch Sicherheit bewirken im Verhältnis der Bürger zur Staatsgewalt und im Verhältnis der Bürger untereinander. Beides würde unsicher, wenn die Deliktsprovokation weitgehend zugelassen würde. Strafrecht muß auch die Entscheidungskompetenz der Justiz begrenzen und die demokratische Kompetenz des Parlaments wahren. Abstraktes Recht führt schließlich notwendig zu generalisierter Bewertung; es begrenzt also die Orientierung der Zurechnung am konkreten vorausgesehenen Schaden, die mit dem Schuldprinzip prätendiert wird. Die Akzessorietät ermöglicht Generalisierung. Fazit: Die Unterscheidung wertbezogen / wertneutral ist kaum haltbar. Wenn schon die Strafbarkeit des Provokateurs an materiellen Kriterien orientiert wird, kann nicht ein freihändig bestimmter tatsächlicher Schaden relevant sein. Vielmehr müßte materielles Kriterium die schädliche Verwirklichung der Absicht sein; diese materielle Schädigung ist im Gesetz, wenn auch nur im subjektiven Tatbestand, für relevant erklärt. Im Horizont der materiellen Betrachtungsweise darf die Absicht, ein FalsifIkat in Verkehr zu bringen, nicht anders behandelt werden als die Bereicherungsabsicht "das Erreichen der verbrecherischen Absicht" wie Welzel und Stratenwerth erklären 84 • Die daraus folgende recht weitgehende Straffreiheit des Provokateurs hat bisher wohl nur Jakobs befürwortet 85. Da an Deliktsprovokation z. Z. Interesse besteht, hätte diese Straffreiheit nicht nur theoretische Bedeutung.

3. Analogie von Absichtsdelikt und Versuch Um zu begründen, daß der Provokateur eines Absichtsdelikts straffrei sein müsse, wird anstelle des materiellen Rechtsguts eine Analogie zum Versuchsdelikt vorgeschlagen. Nach Jakobs haben die Absichtsdelikte "Versuchscharakter" I. Herzberg meint, es sei ein "Gebot widerspruchsfreier Systematik", den Provokateur, der die Vollendung, nicht aber die Verwirklichung der darüber hinausreichenden Absicht fördern will, ebensowenig zu bestrafen wie den, der nur einen Versuch fördern wilF. Die Analogie Absichtsdelikt I Versuch überzeugt nicht ohne weiteres. Manchen Absichtsdelikten könnte man statt dessen ,Teilnahmecharakter' zusprechen: Der Urkundenfälscher hilft dem, der die falsche Urkunde im Verkehr gebrauchen will. Daraus ergeben sich evtl. andere Konsequenzen. Vgl. Dencker, JZ 1984,453 (455,460); Bohnert, JuS 1984, 182 ff. Welzel, Deutsches Strafrecht, S. 188; Stratenwerth, JZ 1961,95 (97). 85 Strafrecht AT, 23 / 20. I Strafrecht AT 23/17,25/2. 2 JuS 1983, 737 (745). 83

84

E. Strafrechtliche Grenzen der Deliktsprovokation

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Bevor darauf eingegangen wird, lohnt es sich zu untersuchen, ob die Analogisierung des Absichtsdelikts zum Versuch ihr Ziel erreicht. Sie soll die Willkürlichkeit der Orientierung am materiellen Rechtsgut vermeiden. Das erscheint plausibel bei den gebräuchlichen Tatbeständen wie § 267 StGB, nicht ohne weiteres aber bei den komplexeren Tatbeständen des politischen Strafrechts.

a) Politische Absichtsdelikte als Beispiel Man mag einwenden, diese Tatbestände seien praktisch wenig bedeutend. Hinsichtlich der Deliktsprovokation trifft das nicht zu. Einer ihrer klassischen Einsatzbereiche ist seit jeher der vorverlagerte Staatsschutz 3 • Hier hätte sich die Rechtsstaatlichkeit von Dogmatik zu erweisen. § 87 StGB z. B. pönalisiert ein Verhalten, welches auf der objektiven Seite ,sich bereit hält' und ,sich einsetzt' und dabei subjektiv von zwei Absichten nebeneinander geleitet ist: Sabotage (u. U. anderer) vorzubereiten und zugleich "Bestrebungen anderer" zu fördern (,sich einsetzen' muß nicht objektiv fördern 4); die Bestrebungen anderer wiederum müssen mit Absicht darauf hinarbeiten z. B. "zu untergraben" (§ 93 Abs. 3 Nr.3 StGB); Untergraben endlich ist die auf Erschütterung z. B. eines Verfassungsgrundsatzes mit Absicht gerichtete Tätigkeits. - Absichten sind auf Absichten anderer gerichtet; diese wieder auf Absichten anderer etc. Entsprechende Konstruktionen finden sich z. B. in §§ 88, 89, 94, 98, 99 StGB6. Geschützt werden sollen letztlich Bestand und Verfassung der Bundesrepublik. Ihre Beeinträchtigung liegt bei den weit vorverlagerten Tatbeständen "in nebliger Ferne" (Schroeder), denn die Verwirklichung auch nur einer der im Gesetz genannten Absichten setzt praktisch oft eine Vielzahl von Aktivitäten vieler Beteiligter voraus. Deshalb steht z. B. auch die Verwirklichung der einen in § 83 StGB relevanten Absicht typischerweise unter viel komplexeren Voraussetzungen, als etwa die Absichtsverwirklichung in § 242 StGB. Allemal fragt sich bei den politischen Delikten, wieviele Absichten oder Absichtsteile verwirklicht sein müssen, bis nicht mehr ein Delikt mit "Versuchscharakter" vorliegt. Oder darf der Provokateur es straflos bis vor die effektive Beeinträchtigung des Bestandes der Bundesrepublik oder eines ihrer Verfassungs grundsätze, wie des Demokratieprinzips, des Ausschlusses von Gewaltherrschaft (§§ 87, 92 StGB) kommen lassen und alle vorangehenden Gefahren in Kauf nehmen? Hinzu kommt, daß 3 Evers, Privatsphäre und Ämter für Verfassungsschutz, S. 155 f.; Hannah Arendt, Elemente und Ursprünge totalitärer Herrschaft; Marx, Enthüllungen über den Kommunisten-Prozeß zu Köln, Marx-Engels-Werke, Bd. 8, S. 409 ff.; Enzensberger, Die Träumer des Absoluten, in: ders., Politik und Verbrechen, S. 283 ff.; Stratenwerth MDR 1953, 717; Lüderssen, Festschrift für Peters, S. 349 Anm. 5. 4 Schroeder, Der Schutz von Staat und Verfassung, S. 304,306. S BGHSt 4,291; zustimmend Stree in Schönke / Schröder § 89 Rn 11; anders Schroeder, a.a.O., S. 30l. 6 Dazu ausführlich Schroeder, a.a.O., S. 304.

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1. Teil: Nonnative Schranken der Deliktsprovokation

selbst die genannten Rechtsgutsverletzungen nicht einfach zu fixieren sind und keine präzise Grenze bilden 7. Vor allem aber würde eine so weitreichende Straffreiheit des Provokateurs die Staatssicherheit individuellem Belieben und u. U. leichtfertigen Fehleinschätzungen der Provokateure gerade in einem Bereich ausliefern, wo sie zugleich mit weit vorverlagerten schweren Strafdrohungen bewahrt werden soll. - Man kann diesen vorverlagerten Schutz der Staatssicherheit und die entsprechenden Straftatbestände für überzogen halten. Darum geht es hier nicht. Die Täter werden nach den vorverlagerten Tatbeständen bestraft. Fraglich ist, ob dann die diesbezügliche Provokation privilegiert werden soll. Das politische Strafrecht dementierte damit selbst seine ohnehin heikle Legitimität: Gefährdungen, die angeblich im sozialen Austausch der Bürger nicht bewältigt werden können, ihm entzogen und der Strafjustiz übergeben werden, dürften gleichwohl willkürlich von Einzelnen herbeigeführt werden, sofern diese nicht feindlich gesonnen sind 8 • Wenn dies nicht sein und die Provokation nicht erst knapp vor dem Umsturz unzulässig sein soll, ist schwer zu bestimmen, wo der Versuchscharakter der provozierten Tat endet. Denkbar ist, Zwischenrechtsgüter in den Tatbeständen zu bestimmen, an deren Beeinträchtigung die Straffreiheit des Provokateurs begrenzt werden könnte. Bei §§ 87 f. StGB könnten Zwischenrechtsgüter die von Sabotageakten betroffenen Objekte sein. Aber für sich sind diese Objekte z. T. schon in allgemeinen Tatbeständen geschützt (§§ 306 ff. StGB). Der Angriff auf sie macht nicht das Spezifische der §§ 87 f. StGB aus. Das ist bei § 87 StGB unübersehbar. Die Förderung gefährlicher Bestrebungen muß, so wie der Täter sie beabsichtigt, nicht erst Folge der Verletzung der genannten Zwischenrechtsgüter sein, sondern Folge des Sich-Einsetzens für diese Bestrebungen. § 87 StGB geht davon aus, daß die Bestrebungen schon vor der effektiven Sabotage zum Umsturz führen können, wobei die vorbereiteten Sabotagemöglichkeiten in Reserve stehen. Hinzu kommt eine weitere Schwierigkeit. Auch wenn man, wie auch immer, Zwischenrechtsgüter bestimmt, kann gerade an ihnen die Grenze der Strafbarkeit des Provokateurs nicht orientiert werden. Wenn es schon Voraussetzung seiner Strafbarkeit sein soll, daß der Provokateur eine Rechtsgutsverletzung in Kauf genommen hat, so muß er auch die Verwirklichung der darüber hinausreichenden Absicht für möglich gehalten haben, wie oben gezeigt wurde 9 • Die Bestimmung von Zwischenrechtsgütern führt also nicht weiter. Wenn die Absichtsdelikte analog dem Versuch behandelt werden, so kann der Provokateur nur bestraft werden, wenn er die Verwirklichung sämtlicher über die Verletzung des ZwiSchroeder, a.a.O., S. 296, 308, 312. Zur Tendenz der Rechtsprechung, die Absichten im politischen Strafrecht ausßlgemeinen politischen Einstellungen zu erschließen, vgl. BGH MDR 1977, 281 f.; Copic, Grundgesetz und politisches Strafrecht neuer Art, S. 217; Schroeder, a.a.O., S. 299. 9 s. o. 1. Teil E 11 2 b. Darauf hat gerade Jakobs, Strafrecht AT, 23 / 20, der auf die Analogie Absichtsdelikt / Versuch abstellt, hingewiesen. 7

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E. Strafrechtliche Grenzen der Deliktsprovokation

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schenrechtsguts hinausreichenden Absichten für möglich gehalten hat. Das sind bei § 87 StGB sehr viele, nach der Konzeption des Gesetzes gefahrliche Verwirklichungen. Die Problematik der Provokation wird allerdings bei § 87 StGB partiell entschärft, weil die Sabotage für sich in allgemeinen Tatbeständen pönalisiert wird. Aber das ersetzt nicht, worauf es in der Konzeption des § 87 StGB, wie gezeigt, ankommt: Die Gefährlichkeit der Sabotagevorbereitung. Außerdem ist bei den meisten politischen Absichtsdelikten die objektive Handlung nicht derart in allgemeinen Tatbeständen zusätzlich pönalisiert. All dies zeigt, daß die Analogie Absichtsdelikt I Versuch in praktisch relevanten Fällen zu einigen Unsicherheiten führt. Im folgenden wird sich zeigen, daß Unsicherheiten auch bei gebräuchlicheren Tatbeständen entstehen.

b) Begründung der Analogie Systematisch ist der Versuch in einem Ergänzungstatbestand erfaßt, das Absichtsdelikt in einem Deliktstatbestand. Sie werden im Gesetz also verschieden bewertet. Das den Deliktstatbestand verwirklichende Verhalten ist ein Typ, ein Grundfall kriminellen Verhaltens, das bestraft wird, weil es so, wie es im Tatbestand bestimmt ist, als schädlich bewertet wird. Sein Unwert wird nicht wie der des Versuchs aus anderen Tatbeständen abgeleitet. Es ist Ausgangspunkt von Ableitungen. Das ist eine gesetzgeberische Bewertung. Wer sie im Hinblick auf Rechtsgüter übergeht und das Absichtsdelikt als Versuch behandelt, müßte "ein Gebot widerspruchsfreier Systematik" - auch den Versuch des Absichtsdelikts für straflos halten. Er ist aber im Gesetz mehrfach ausdrücklich für strafbar erklärt. Das läßt den der Analogie entgegengerichteten Schluß zu, daß der Tatbestand des Absichtsdelikts vom Versuchstatbestand zu unterscheiden und wie andere Deliktstatbestände zu behandeln ist. Allerdings geht es im Fall des Provokateurs um die Erweiterung des Absichtsdelikts auf die Teilnahme. Auch in diesem Verhältnis ist eine Unterscheidung von anderen Deliktstatbeständen nicht geboten. Wer das Absichtsdelikt im Hinblick auf das von der Absichtsverwirklichung betroffene Rechtsgut relativiert - dies ist der Ausgangspunkt der von Herzberg und Jakobs angenommenen Systematik - muß in manchen Absichtsdelikten auch Fälle von (verselbständigter) Teilnahme sehen: Der Urkundenfälscher hilft u. U. einem anderen, eine falsche Urkunde in Verkehr zu bringen. (Die Fälschung ist auch strafbar, wenn der Fälscher die Urkunde nicht selbst gebrauchen will.) Wenn dies die systematisch relevante Rechtsgutsverletzung wäre, müßte die Strafbarkeit des Fälschers analog § 27 Abs. 2 StGB gemildert werden, was dem Gesetz widerspräche. Und es müßte differenziert werden, je nachdem, ob der andere das Falsifikat in Verkehr bringt, ob er nur zum Versuch kommt oder es nicht schafft, das Inverkehrbringen zu versuchen. Im letzteren Fall wäre das Fälschen als versuchte Beihilfe straflos. Auch das widerspräche dem Gesetz. Die fehlende Akzessorietät

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1. Teil: Nonnative Schranken der Deliktsprovokation

wird durch die gesetzliche Einstufung der Beihilfe als Deliktstatbestand irrelevant. Fazit: Bei den Absichtsdelikten dominiert ihre im Deliktstatbestand begründete eigenständige systematische Bedeutung gegenüber der Systematik der Ergänzungstatbestände Versuch und Teilnahme, sofern man dem Gesetz folgt. Auch wenn man gemäß dem Vorschlag Herzbergs und Jakobs' Absichtsdelikt und Versuch vergleicht im Hinblick auf das Rechtsgut, das verletzt würde, wenn die Absicht bzw. der Vorsatz verwirklicht würde, zeigen sich erhebliche Unterschiede. Indem das Absichtsdelikt in einem Deliktstatbestand erfaßt wird, wird das tatbestandliehe Verhalten (etwa das Fälschen) unabhängig gemacht von seinen tatsächlichen Wirkungen auf das Rechtsgut. Sie müßten berücksichtigt werden, wenn das Verhalten unter einen Ergänzungstatbestand gefaßt würde. Das ist offensichtlich, wenn es, wie gezeigt, als Beihilfe bewertet würde, denn diese bliebe je nach der Wirksamkeit des Verhaltens straflos. Die Wirkungen wären auch relevant, wenn das Verhalten als· Versuch bewertet würde, denn dieser kann gemäß § 23 Abs. 2 StGB milder bestraft werden als die Vollendung. Wenn das Verhalten zu Wirkungen ganz untauglich ist, kann die Strafe auch entfallen; ebenso wenn der Täter zurücktritt, bevor der Erfolg bewirkt wurde. Auf all dies kommt es beim Deliktstatbestand nicht an 10. Daß er systematisch eigenständig, nicht abgeleitet ist, bedeutet also praktisch, daß beim Deliktstatbestand die Bewertung des strafbaren Verhaltens nicht relativiert wird durch Folgenreflexionen, daß das Verhalten in diesem Sinn um seiner selbst willen bestraft wird. Daß bei der Strafbarkeit des Absichtsdelikts von seinen tatsächlichen Wirkungen auf das genannte Rechtsgut abstrahiert wird, läßt sich im Hinblick auf dieses Rechtsgut erklären: Das tatbestandliehe Verhalten, d.h. das von der tatbestandlichen Absicht geleitete tatbestandliehe vorsätzliche Handeln wird vom Gesetz als generell gefährlich eingeschätztl!. Es wird angenommen, daß solches Verhalten erfahrungsgemäß oft - nicht tatsächlich im Einzelfall - Schädigungen des Rechtsguts bewirkt. Diese gesetzlich fixierte Gefahreinschätzung ist impliziert, wenn das Verhalten unter einen Deliktstatbestand gefaßt wird. Diese gesetzliche Gefahreinschätzung wird grundlos beiseite geschoben, wenn das Verhalten als Versuch behandelt wird. Dem Provokateur wird dann gestattet zu veranlassen, was das Gesetz der Gefährlichkeit wegen mit Strafdrohung zu verhindern sucht. Daß die Einordnung als Deliktstatbestand gegenüber der Versuchsähnlichkeit dominiert, wird bestätigt bei den Unternehmensdelikten, die in dem in § 11 Abs. 1 Nr.6 StGB als Versuch bezeichneten Stadium steckenbleiben. Sie sind 10 Allerdings enthalten einige Absichtstatbestände Rücktrittsregeln (z. B. § 149 Abs. 2,3 StOB). Aus ihnen lassen sich jedoch keine Schlüsse hinsichtlich der Strafbarkeit des Provokateurs ziehen; dazu unten 1. Teil E 11 5. I! Lüderssen, Zynismus, Borniertheit oder Sachzwang? In: ders., V-Leute. Die Falle im Rechtsstaat, S. 18 f.; ähnlich Schroeder, Schutz von Staat und Verfassung, S. 296 ff.: Absichtsdelikte sind abstrakte Oefahrdungsdelikte.

E. Strafrechtliche Grenzen der Deliktsprovokation

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dem Versuch des § 22 StGB zweifellos ähnlicher als die Absichtsdelikte. Nach überwiegender Meinung ist das Unternehmen hinsichtlich seiner Grenzen mit dem Versuch sogar identisch, weil § 11 Abs. 1 Nr. 6 StGB den Versuchsbegriff des § 22 StGB auf die Unternehmensdelikte übertrage 12. Aufschlußreich ist nun, ob auch im übrigen das Unternehmen als Versuch zu behandeln ist, ob auch die Strafmilderung für Versuch, die weitere Milderung bei grob unverständigem Versuch (§ 23 StGB) und die Rücktrittsregelung des § 24 StGB auf die Unternehmensdelikte zu übertragen sind. Diese Konsequenzen werden von der h. M. aber gerade nicht gezogen. Die Strafmilderung soll ausgeschlossen sein, weil durch die Vorschriften des Besonderen Teils das Unternehmen der Vollendung gleichgestellt sei. Die Rücktrittsregel des § 24 StGB sei unanwendbar, weil das Unternehmen ein "formell" vollendetes Delikt sei, d. h. einen Deliktstatbestand erfüllt 13. Burkhardt und Fincke kritisieren das zwar als inkonsequent, jedoch nicht, um die Versuchsregel analog anzuwenden, sondern um auch den Versuchsbegriff der Unternehmensdelikte (§ 11 Abs. 1 Nr.6 StGB) noch von § 22 StGB zu unterscheiden 14. - Allemal wird berücksichtigt, daß die Unternehmensdelikte Deliktstatbestände des BT erfüllen und dies durch ihre Nähe zum Versuch i. S. des AT nicht relativiert werden darf. Dagegen spricht nicht, daß § 11 Abs. 1 Nr. 6 StGB, der das Unternehmen umschreibt, selbst in den Allgemeinen Teil eingeordnet ist; denn § 11 Abs.1 Nr. 6 StGB enthält ebensowenig wie der oben erörterte § 13 StGB 15 einen Tatbestand, sondern nur eine Definition dessen, was in den Deliktstatbeständen mit dem Terminus ,Unternehmen' geregelt ist und geregelt war, schon bevor die Legaldefinition des § 11 StGB eingefügt wurde 16. Nach allgemeiner Ansicht ist der Versuch des Unternehmens nicht strafbar. Auch das ergibt sich jedoch nicht aus einer Analogie des Unternehmens zu § 22 StGB, sondern weil gesetzgebungshistorisch mit der Definition des Unternehmens klargestellt werden sollte, daß eine Vorverlagerung der Strafbarkeit auf die Vorbereitung ausgeschlossen ist l7 • Das bestätigt der § 83 StGB, wo dieser Bereich speziell pönalisiert und als Vorbereitung, nicht als Versuch, bezeichnet ist. Wenn nach allem bei den Unternehmensdelikten die Versuchsähnlichkeit gegenüber ihrer Einordnung als Deliktstatbestände nicht berücksichtigt wird, so muß es bei den Absichtsdelikten, die dem Versuch ferner stehen, ebenso sein.

12 Statt vieler: Eser in Schönke / Schroeder § 11 Rn 60. Anders Burkhardt, JZ 1971, 352 (353 ff.); Fincke, Das Verhältnis des Allgemeinen zum Besonderen Teil des StGB, S. 53 ff. 13 Eser, a.a.O., Rn 62 f. 14 S. o. Anm. 12. 15 s. O. 1. Teil E I 3 e. 16 Fincke, a.a.O., S. 53. 17 Burkhardt, a.a.O., LS. 357.

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1. Teil: Nonnative Schranken der Deliktsprovokation c) Verhältnis von Vorsatz und Absicht

Einige Autoren 18 meinen, bei der Teilnahme an Absichtsdelikten sei die über die Verwirklichung des objektiven Tatbestandes hinausreichende Absicht ebenso zu behandeln wie der Vorsatz zur Verwirklichung des objektiven Tatbestandes. Der Vorsatz sei "nicht akzessorisch". Gemeint ist: Es genügt nicht, daß der Täter ihn hat; der Teilnehmer wird nur bestraft, wenn er auch selber die Verwirklichung des objektiven Tatbestandes für möglich hält. Hinsichtlich der Absicht soll es ebenso sein, denn sie sei systematisch vom Vorsatz nicht unterschieden. Nur ihre Verwirklichung ist nach dem Gesetz nicht erforderlich. - Bezweifeln läßt sich hier einmal die Gleichstellung von Vorsatz und Absicht. Oben wurde gezeigt, daß Versuch und Absichtsdelikt nicht analog behandelt werden können. Das hat Konsequenzen für das Verhältnis von Vorsatz und Absicht. Wenn der Vorsatz nicht verwirklicht ist, ist nur ein modifizierter Tatbestand (Versuch) erfüllt. Wenn die Absicht nicht verwirklicht ist, ist gleichwohl schon ein Deliktstatbestand erfüllt. Da beide Tatbestandsarten nicht nivelliert werden dürfen, müssen auch Vorsatz und Absicht unterschieden werden. Zum selben Ergebnis führt ein Vergleich von Vorsatz und Absicht im Hinblick auf die Regeln von Täterschaft und Teilnahme. Die Gleichstellung von Vorsatz und Absicht sieht davon ab, daß die Verwirklichung des ersteren zum objektiven Tatbestand gehört, die Verwirklichung der letzteren außerhalb des Tatbestandes liegt; d. h. ob der Täter hinsichtlich der Verwirklichung des Vorsatzes Tatherrschaft hat oder nicht, ist nach dem Gesetz für seine Haftung relevant. Im letzteren Falle haftet er nur wegen Versuchs. Ob hinsichtlich der Verwirklichung der Absicht der Täter "Tatherrschaft" hat oder nicht, ist für seine Haftung irrelevant. Daß die Verwirklichung unmöglich ist, entlastet ihn nicht. Kann nun den Teilnehmer entlasten, daß er dem Täter hinsichtlich der Absichtsverwirklichung die "Tatherrschaft", d. h. die Verwirklichungsmöglichkeit, nicht überlassen hat, bzw. nicht überlassen wollte? Das bejaht, wer Vorsatz und Absicht gleichstellt hinsichtlich der Teilnehmerhaftung. Was bedeutet es, daß jemand Geschehnisse beherrscht, die außerhalb der von einem anderen beherrschten Verwirklichung des objektiven Tatbestandes liegen? Aufschlußreich ist hier der bekannte Fall des sogenannten absichtslos dolosen Werkzeugs beim Diebstahl: Der Vordermann nimmt eine Sache vorsätzlich weg; die Zueignung aber beabsichtigt und vollzieht nicht er, sondern, wie er von Anfang an weiß, der Hintermann, der ihn zur Wegnahme veranlaßte. Überwiegend wird heute angenommen, der Hintermann sei nicht mittelbarer Täter eines Diebstahls 19 - zu Recht: Die Veranlassung zur Wegnahme seitens des HinterHerzberg, JuS 1983,737 (745 ff.); Jakobs, Strafrecht AT, 23/1 ff., 17,20. Stratenwerth, Strafrecht AT, Rn 755, 799 ff.; Samson in SK StGB § 25 Rn 34; Schroeder, Der Täter hinter dem Täter, S. 88; Schmidhäuser, Strafrecht AT, 14/52; Roxin in LK Rn 10 vor § 25, § 25 Rn 94 f. m. w. N.; ders. Täterschaft und Tatherrschaft, 18 19

E. Strafrechtliche Grenzen der Deliktsprovokation

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manns und dessen Zueignungsabsicht begründen nicht die Tatherrschaft des Hintermanns. Auch, daß er die Zueignung absichtsgemäß verwirklicht, begründet seine Tatherrschaft bezüglich des Diebstahls nicht, denn die Zueignung liegt außerhalb des Tatbestandes. (In Frage kommt nur Haftung wegen Unterschlagung.) Ist dem so, so kann auch die Herrschaftsmacht des Provokateurs, die die Verwirklichung der Absicht ausschließt, nicht seine Haftung wegen Teilnahme an der TatbestandsveIWirklichung berühren; denn die Verwirklichung der Absicht liegt jenseits der nach dem Gesetz haftungs begründenden Tatbestandsverwirklichung. Wer hier anders entscheidet und Umstände außerhalb des gesetzlichen Tatbestandes berücksichtigt, müßte konsequent auch den vom Provokateur angestifteten Täter, sofern die Absichtsverwirklichung scheitert, nur wegen Versuchs haftbar machen. Und wenn der Täter die Absicht nicht selbst verwirklichen wollte, müßte er straflos sein, weil der Beihilfeversuch straflos ist. Die Umstände außerhalb der Tatbestandsverwirklichung, die den Teilnehmer entlasten, müßten auch den Täter entlasten. All dies verstößt gegen das Gesetz und wird nicht gefordert. Die Entlastung des Provokateurs verstößt dann aber auch gegen das Gesetz. Fazit: Vorsatz und Absicht dürfen nicht gleichgestellt werden. Wenn nach dem Gesetz die Absicht, nicht aber der Vorsatz, ohne volle Verwirklichung schon die Haftung begründet, so wird jene - in Verbindung mit der tatbestandlichen Handlung - als besonders gefährlich eingeschätzt. Durch die Gleichstellung würde diese Gefahr vernachlässigt und ihre Förderung durch den Provokateur grundlos zugelassen.

d) Verhältnis von Tätervorsatz und Teilnehmervorsatz Die hier abgelehnte Gleichbehandlung von Vorsatz und Absicht hat eine Prämisse, die nicht weniger problematisch ist. Sie geht davon aus, der nach dem Deliktstatbestand notwendige Tätervorsatz und der gemäß §§ 26, 27 StGB notwendige Teilnehmervorsatz seien inhaltlich gleich, seien gleichartig nebeneinander auf die Deliktsvollendung gerichtet. Nur wenn das zugrunde gelegt wird, kann man schließen, bei Absichtsdelikten müsse es ebenso sein, d. h. die Absicht als Verlängerung des Tätervorsatzes müsse im Sinne der Gleichheit auch beim Teilnehmer als Verlängerung des Vorsatzes gegeben sein. Wenn der Vorsatz des Teilnehmers nach dem Gesetz einen ganz anderen Inhalt hätte als der Vorsatz des Täters, fehlte der These, die Absicht als Verlängerung des Tätervorsatzes müsse auch beim Teilnehmer gegeben sein, der Grund. Gleich sein sollen der Vorsatz des Täters, der Vorsatz des Teilnehmers sowie die genannten Absichten, weil sie auf die Verletzung desselben gesetzlich geS. 339, 596 f.; Jakobs, Strafrecht AT, 21/104; Maurach / Gössel/Zipf, Strafrecht AT, § 48 II A 2 a; Herzberg, Täterschaft und Teilnahme, § 3 III 6. Anders: Baumann /Weber, Strafrecht AT, § 36 I 4 b; Dreher / Trönd1e § 25 Rn 3; Lackner § 25 Anm. 1 b bb; Jescheck, Lehrbuch, § 62 II 7; Welzel, Deutsches Strafrecht, S. 104; eramer in Schönke / Schröder Rn 78 f. vor § 25, § 25 Rn 18 f.; RGSt 39, 37 (39).

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1. Teil: Nonnative Schranken der Deliktsprovokation

schützten Rechtsguts gerichtet seien. Das letztere mag zutreffen, begründet aber nicht die daraus gezogenen Folgerungen. Der Bezug von Handlungen auf dasselbe Rechtsgut begründet nicht ihre Gleichbehandlung. Auch wenn Betrug, die verschiedenen Versionen der Untreue, Erpressung, Leistungserschleichung, Wucher, Bankrott auf die Verletzung des gleichen Rechtsguts ,Vermögen' bezogen sind, folgt daraus nicht, daß die diesbezüglichen Handlungen gleich zu behandeln seien. Sie sind zu differenzieren. Die Spezifik der jeweiligen tatbestandlichen Handlung ist ein notweniges Konstituens der jeweiligen Tat. Die je besondere Weise der Rechtsgutsverletzung, nicht nur die Rechtsgutsverletzung selber bestimmt das Unrecht der Tat. Deshalb muß auch von der Tat, die den Deliktstatbestand erfüllt, die Teilnahme hinsichtlich Handlung und Vorsatz unterschieden und in ihrer Besonderheit berücksichtigt werden. Insofern ist vorab deutlich: Die Teilnahme ist distanzierter als die Tat auf die Rechtsgutsverletzung bezogen. Sie bezieht sich zunächst auf eine fremde Vorsatztat. Der Teilnehmervorsatz ist - quasi auf zweiter Ebene - Vorsatz zum Vorsatz. Herzberg geht auf diese Differenzierung nicht ein. Er unterstellt die Gleichheit von Tätervorsatz und Teilnehmervorsatz. Seine These, der Vorsatz sei ,,nicht akzessorisch"20, impliziert, den Vorsatz, den der Täter haben muß, müsse ebenso - gleich - auch der Teilnehmer haben, wenn er haften soll. Daraus ziehen Herzberg und Jakobs weitreichende Folgerungen hinsichtlich der tatbezogenen Merkmale bei § 28 StGB 21. Die h. M.22 dazu sei inkonsequent, denn sie behandele die vom Täter verwirklichten tatbezogenen Merkmale (z. B. die Bereicherungsabsicht bei § 263 StGB) akzessorisch, d. h. rechne sie dem Teilnehmer schon zu, wenn er sie bloß kenne, nicht selbst habe (nicht die Bereicherungsabsicht habe); andererseits behandele sie den ebenfalls tatbezogenen Vorsatz nicht akzessorisch, d. h. der Teilnehmer müsse den Vorsatz auch selber haben, nicht nur den des Täters kennen. Herzbergs und Jakobs' Argumentation erscheint freilich nicht weniger widersprüchlich: Wenn der Vorsatz als "nicht akzessorisch" und folglich "höchstpersönlich" bewertet wird 23, dürfte es für die Haftung des Teilnehmers nicht darauf ankommen, ob der Täter ihn hat. Nach dem Gesetz kommt es aber darauf an. Wer einen anderen anstiftet in der Annahme, dieser handle vorsätzlich und mit Tatherrschaft, haftet, wenn der Angestiftete tatsächlich unvorsätzlich und ohne Tatherrschaft handelt, allenfalls wegen versuchter Anstiftung. Der Anstifter haftet wegen vollendeter Anstiftung nur, wenn der Täter mit Vorsatz und Tatherrschaft handelte und der Teilnehmer dies wußte 24. "Da Tatherrschaft - hier in Form 20 ZStW 88 (1976),68 (89 ff.); ebenso Jakobs, Strafrecht AT, 23/9 f., 12. 21 Herzberg, a.a.O., S. 89 ff., 93 ff.; ders., JuS 1983, 737 (746); Jakobs, Strafrecht

AT, 23/9f. 22 Mit z. T. unterschiedlicher Begründung: BGHSt 22, 379 f.; eramer in Schönke / Schröder § 28 Rn 16; Jescheck, Lehrbuch, § 61 VII 4 a; Samson in SK StGB § 28 Rn 16 f.; Roxin in LK § 28 Rn 33; Stratenwerth, Strafrecht AT, Rn 933. 23 Jakobs, Strafrecht AT, 23/12.

E. Strafrechtliche Grenzen der Deliktsprovokation

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der Wissensherrschaft - überlegenes Wissen des Hintermannes voraussetzt, läßt sich nicht sagen, der fehlende Vorsatz des Vordermannes begründe objektiv Tatherrschaft. Da der Hintermann keine Überlegenheit besitzt, begründet die Unkenntnis des Vordermannes nichts, auch keine objektive Tatherrschaft, die es so überhaupt nicht geben kann"25. D. h.: Die Haftung des Teilnehmers wird begründet und damit auch bestimmt u.a. durch den Vorsatz des Täters. Das ergibt sich aus den §§ 26, 27 StGB. Deshalb ist auch die h. M. zur Akzessorietät nicht ohne weiteres als widersprüchlich abzulehnen. Sie geht davon aus, daß dem Teilnehmer der Vorsatz des Täters ebenso zugerechnet wird wie die anderen tatbezogenen Merkmale, wenn er sie kannte. Der Teilnehmer haftet dafür, daß er eine vorsätzliche Tat, so wie sie im Gesetz bestimmt ist, gefördert hat. Der Vorsatz des Täters und die vom Täter erfüllten tatbezogenen Merkmale werden nicht unterschieden, nicht inkonsequent behandelt. Daß der Teilnehmer auch selber einen Vorsatz haben muß, hat damit nichts zu tun. Der Vorsatz des Teilnehmers hat einen anderen Inhalt als der des Täters 26. Welchen Inhalt ein Vorsatz nach dem Gesetz haben muß, ist zu entnehmen u. a. aus den gesetzlichen Bestimmungen des objektiven Tatbestandes, dessen Verwirklichung vom Vorsatz umfaßt sein muß. Der Teilnehmer hat objektiv mehr als der Täter Distanz zum tatsächlichen Geschehen, weil er die Tatherrschaft nicht übernommen hat 27 . Er richtet sich darauf, zu fördern, was ein anderer mit Tatherrschaft steuert, nicht darauf, selbst mit Tatherrschaft zu steuern. Der Teilnehmer muß nicht die Energie einsetzen, das deliktische Geschehen zum Erfolg zu treiben. Er steht den Einzelheiten der Handlung fern, weil ein anderer sie in der Hand hat. Auf dessen Energie und Tateinsicht verläßt er sich. Gleichwohl anzunehmen, der Teilnehmer habe den gleichen Vorsatz wie der Täter, wäre eine willkürliche Nivellierung der realen und gesetzlich reflektierten Differenzen. Der Inhalt eines Vorsatzes ist nicht nur bestimmt vom Erfolg des Handeins, der vom Vorsatz umfaßt sein muß, sondern auch von der gegebenenfalls gesetzlich spezifizierten Form des Handeins, die vom Vorsatz umfaßt sein muß. Deshalb ist ein Vorsatz, der sich auf ein vom Subjekt beherrschtes Geschehen bezieht, unterschieden von dem Vorsatz, der sich auf ein von Dritten beherrschtes Geschehen bezieht 28. Daß Strafrecht Rechtsgutsverletzungen verhindern soll, ändert daran nichts. 24 Stratenwerth, Strafrecht AT, Rn 793 ff.; Samson in SK StGB Rn 27 vor § 25; Roxin in LK § 25 Rn 97; ders., Täterschaft und Tatherrschaft, S. 555 ff.; Bockelmann, Festschrift für Gallas, S. 261 (269 ff.); Maurach / Gössel/Zipf, Strafrecht AT Th. 2, § 50 11 3 a; Otto, JuS 1982, 557 (560 f.); Cramer in Schönke / Schröder Rn 32 f. vor § 25; Jakobs, Strafrecht AT, 22/12 ff.; Herzberg, Täterschaft und Teilnahme, § 3 IV 2; Jescheck, Lehrbuch, § 61 VII 3. 25 Samson, a.a.O.; ebenso Bockelmann, a.a.O. 26 RGSt 56, 170 (171): "Dagegen gehört zum Vorsatz des Anstifters nicht der Vorsatz der Tat, zu der angestiftet wird, insbesondere ... nicht die zum Tatbestand dieser Handlung gehörige Absicht ..." (Hervorhebung von mir, R.K.). 27 Bockelmann, a.a.O., S. 270.

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I. Teil: Nonnative Schranken der Deliktsprovokation

Es ist im übrigen unbestritten, daß der Teilnehmer nicht alle Einzelheiten der Tat wie der Täter erfassen muß 29. Das ist konsequent. Von seiner gesetzlich definierten distanzierten Stellung aus kann er sie weniger überschauen. Was erreicht und vermieden werden soll, kann er weniger bestimmen. Es ist auch weitgehend anerkannt, daß, wo nach dem Tatbestand der Täter von einer Absicht geleitet handeln muß, dies beim Teilnehmer nicht nötig ist; er haftet schon, wenn er das von der Absicht geleitete Handeln des Täters kennt 30. So nah wie dem Täter die Einzelheiten des objektiven Tatgeschehens sind, die er selbst steuert, so nah ist dem Teilnehmer nur die Tat als ganze, als objektiv-subjektive Einheit: das objektive Geschehen, so wie der Täter es willentlich beherrscht 3!. Wenn entgegen der Annahme des Teilnehmers der "Täter" es nicht beherrscht, haftet der Teilnehmer, wie gezeigt, allenfalls wegen versuchter Teilnahme. Die Unkenntnis des "Täters" begründet nichts zu Lasten des Teilnehmers. Daß der Teilnehmer die Zusammenhänge kennt, bedeutet noch nicht, daß er sie beherrschp2. Es ist also die willentliche Tatherrschaft des Täters, die die Haftung des Teilnehmers begründet. Er haftet für das objektive Geschehen, wenn und wie der Täter es willentlich ausgestaltet, weil er diesem die Herrschaft überlassen hat. Die dem Teilnehmer äußerliche, objektive Einheit der Haupttat ist nur Objekt seiner Förderung. Deshalb ist es nicht ausgeschlossen, daß, verglichen mit dem Täter, die Haftung des Teilnehmers für die Tat objektiviert wird, daß ihm die Tat als ganze so zugerechnet wird, wie der Täter, dem der Teilnehmer sie zu beherrschen überlassen hat, sie bestimmt, wenn der Teilnehmer dies nur weiß. Zunächst aber zeigt die Darstellung des Teilnehmervorsatzes, daß die Prämisse der These, der Teilnehmer müsse bei Absichtsdelikten wie der Täter die den Vorsatz verlängernde Absicht haben, nicht richtig ist. Denn schon der Vorsatz des Teilnehmers ist nach dem Gesetz vom Vorsatz des Täters inhaltlich unterschieden. Gewiß trifft es zu, daß der Teilnehmer wie der Täter die Vollendung für möglich halten muß. Aber diese Gleichheit ist nach dem Gesetz nicht das für die Haftung Entscheidende. Andernfalls müßte der Teilnehmer auch haften, wenn nur er, nicht der Täter Vorsatz hat. Das entspricht aber, wie gezeigt, nicht dem Gesetz. Entscheidend ist vielmehr der Vorsatz des Teilnehmers, global die vorsätzliche Vollendung durch einen anderen zu veranlassen. Der Vorsatz des Teilnehmers, daß das Delikt vollendet werde, ist nur unselbständiger Teil seines 28 Ob ich mich mit dem Flugzeug oder zu Fuß von München nach Hamburg begebe, ist nicht gleich. Auch die Vorsätze, die mich dabei jeweils leiten, sind nicht gleich. Allerdings werden viele tatsächliche Differenzen im Gesetz nivelliert. Aber die Handlungen von Täter und Teilnehmer sind nicht nur tatsächlich, sondern auch in ihrer gesetzlichen Fassung unterschieden; dementsprechend sind auch ihre Vorsätze zu unterscheiden. 29 Nachweise oben Anm. 97 zu 1. Teil E I 3 d aa. 30 H. M., vgl. Roxin in LK § 28 Rn 42; Schmidhäuser, Strafrecht AT, 14/81. Umstritten ist nur, ob der Teilnehmer die Absicht für realisierbar halten muß. 3! Vgl. Bockelmann, a.a.O. 32 Bockelmann, a.a.O.

E. Strafrechtliche Grenzen der Deliktsprovokation

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Vorsatzes zu fördern, daß ein anderer vorsätzlich, d. h. willentlich steuernd die Tat verwirkliche. Das willentliche Steuern der Tat durch den Täter wird dem Teilnehmer, der es nicht verwirklichte, zugerechnet, sofern eres in seinen Vorsatz aufgenommen hatte. Gleich sind also nicht die Vorsätze von Täter und Teilnehmer, sondern das Bezugsobjekt ihrer Haftung ist dasselbe: die vorsätzliche Tat 33 • Dem Täter wird sie zugerechnet, weil er sie selbst verwirklichte, dem Teilnehmer, weil er sie vorsätzlich förderte. Das bedeutet: Weil seine Haftung sich wie die des Täters auf die vom Vorsatz beherrschte Tat bezieht, kann ihm auch die die Tat leitende Absicht zugerechnet werden, auch wenn er sie nur kennt, nicht selbst hat. Diese Zurechnung ist ebenso begründet wie die Zurechnung des Vorsatzes, der die Tat beherrscht und den der Teilnehmer ebenfalls nur kennt und nicht selbst hat. Der Vorsatz, den der Teilnehmer selbst hat, ist, wie gesagt, ein anderer als der des Täters 34 • Fazit: Tätervorsatz und Teilnehmervorsatz sind nicht gleich, sind nicht quasi nebeneinander auf die Vollendung gerichtet. Der Teilnehmervorsatz will nicht ein Geschehen beherrschen. Er ist quasi als Vorsatz auf zweiter Ebene darauf gerichtet, daß eine andere Vorsatztat geschehe. Die Formulierung, der Vorsatz sei nicht akzessorisch, verdeckt dies. Dem Teilnehmer wird der Vorsatz des Täters zugerechnet. Und selbst wenn Vorsatz und Absicht systematisch den gleichen Stellenwert haben, wird dem Teilnehmer auch die Absicht des Täters zugerechnet, sofern der Teilnehmer - dies ist sein Vorsatz - Vorsatz und Absicht des Täters kennt. An diesem Fazit ändert sich nichts, wenn man die Absichtsdelikte - wegen ihrer Versuchsähnlichkeit - im Kontext der subjektiven Versuchslehre 35 erklärt. Nach ihr wäre die Strafbarkeit des Absichtsdelikts begründet in der Absicht (d. h. dem Willen), die sich in der tatbestandlichen Handlung manifestiert hat. Ob aber der Teilnehmer eines Absichtsdelikts einen ebensolchen Willen haben muß, ist der subjektiven Versuchslehre nicht zu entnehmen. Denn sie sagt nichts über das Verhältnis des Teilnehmers zur Tat und die daraus sich ergebenden Konsequenzen für den Inhalt des Teilnehmervorsatzes. Wenn die im Vorangegangenen festgestellte Unterscheidung des Teilnehmervorsatzes vom Tätervorsatz und der Absicht zutrifft, so müßte sie auch für die subjektive Versuchslehre 33 Jescheck, Lehrbuch, § 64 I 2; Otto, JuS 1982, 557 (558); ders., Festschrift für Lange, S. 197 (207); Jakobs, Strafrecht AT, 21/3, 22/19; Maurach / Gössel/Zipf, Strafrecht AT, § 50 III A, § 53 I. 34 RGSt 56, 170 (171). Daß der Teilnehmer nicht den gleichen Vorsatz wie der Täter haben muß, bedeutet z. B. bei einem Delikt gemäß § 164, daß der Gehilfe nicht wider besseres Wissen handeln muß; es genügt dolus eventualis hinsichtlich der Unwahrheit und der Tatsache, daß der Täter wider besseres Wissen handelte; bzgl. der Absicht ebenso Roxin in LK § 28 Rn 42. 35 Vgl. Baumann / Weber, Strafrecht AT, § 32 I 2., II; Welzel, Deutsches Strafrecht, § 24 IV 1 b).

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1. Teil: Nonnative Schranken der Deliktsprovokation

relevant sein. Allerdings legen manche Formulierungen der subjektiven Versuchsiehre nahe, die genannte Unterscheidung zurückzustellen. Wenn Grund der Strafe nach dieser Lehre "der böse Wille" sein soll 36 , erscheint es inkonsequent, nicht zu berücksichtigen, daß der Provokateur des Absichtsdelikts den bösen Willen nicht hat, also deutlich weniger böse ist. Damit würde indessen die subjektive Versuchslehre mißverstanden. Sie fordert nicht, einen Menschen zu bestrafen im Hinblick auf sein böses Sein - das verstieße gegen das Prinzip des Tatstrafrechts. Strafgrund soll nach der subjektiven Lehre der Wille sein, weil er "für die Rechtsordnung gefährlich" ist 37 , d. h. weil er darauf gerichtet ist, eine positive Norm in Frage zu stellen. Das Reichsgericht 38 betonte, daß der Wille hinsichtlich der Zurechnung an die Stelle der Tat tritt. Deshalb ist nicht entscheidend, ob der Teilnehmer den Willen hat, sondern ob er ihn als einen fremden Willen gefördert hat (analog der Tatzurechnung zum Teilnehmer, der die fremde Tat förderte). Daß der Teilnehmer den bösen Willen nicht haben muß, ist auch für die subjektive Versuchslehre mit der vom Täter unterschiedenen Stellung des Teilnehmers festgelegt. Das Reichsgericht sowie Baumann und Weber, die die subjektive Versuchslehre vertreten, haben sich daher auch gegen die Straffreiheit dessen ausgesprochen, der ein vollendetes Absichtsdelikt provoziert und die Absicht für unrealisierbar hält 39 • Welzel, ebenfalls Vertreter der subjektiven Versuchslehre, hält, wie erwähnt, auch die Strafbarkeit der Versuchsprovokation für möglich 40; die Strafbarkeit der Provokation eines vollendeten Absichtsdeliktes dürfte von seiner Lehre aus nicht zu bezweifeln sein.

e) Formale Bedeutung der Akzessorietät Das objektive Tatgeschehen, der es beherrschende Vorsatz und die beide "beseelende" (Welzel) Absicht werden in dem hier vorgetragenen Ansatz als objektiv-subjektive Einheit angenommen, als eine Tendenztat 41 • Diese Einheit ist Objekt der vorsätzlichen Förderung durch den Teilnehmer. Der Ansatz entspricht der in §§ 26, 27 StGB vorgesehenen Akzessorietät. Danach sind die Haftung des Täters und die des Teilnehmers auf ein und dieselbe Tat zu beziehen 42 • Die identische Tat als objektiv-subjektive Einheit begründet die Haftung beider. Die These, der Teilnehmer müsse selbst die im Tatbestand vorausgesetzte Absicht haben, weicht davon grundsätzlich ab. Sie verselbständigt die Bewertung der Teilnahme tendenziell. Sie impliziert, daß das Unrecht der Teilnahme nicht 36

37 38 39

40 41 42

Baumann / Weber, a.a.O. Welzel, a.a.O. RGSt 1, 439 (491). RGSt 56, 170 (172 f.); Baumann / Weber, Strafrecht AT, § 37 I 2 b). A.a.O., § 16 II 3. Welzel, Deutsches Strafrecht, S.79. Nachweis oben Anm. 33.

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akzessorisch aus der Tat abgeleitet wird. Es muß danach selbständig in der Absicht des Teilnehmers begründet sein. Zu Ende gedacht, würde diese Tendenz zu einem völlig eigenständigen Teilnahmedelikt unabhängig von der Tat führen. In diese Richtung gehen die Ansätze von Lüderssen 43, Schmidhäuser 44 und M. K. Meyer 45 • Die überwiegende Meinung 46 hrut ihnen entgegen, damit werde die Bedeutung der im Gesetz geforderten Tat als Haftungsgrundlage vernachlässigt. Die Diskussion muß in dieser Allgemeinheit hier nicht weitergeführt werden. Es geht nur um die partielle Verselbständigung der Teilnahme hinsichtlich der Absicht. Eine Begründung für die Verselbständigung der Teilnahme und damit die Durchbrechung ihrer Akzessorietät lautet: Die Akzessorietät hat nur die Funktion, die Haftung des Teilnehmers rechts staatlich einzugrenzen auf die tatbestandliche Handlung des Täters 47 • Die Akzessorietät hat demnach eine bloß formale, negative, Haftungserweiterungen ausschließende Bedeutung. In ihr steckt keine materiale, positive Haftungsbegründung. Begründet wird demnach die Haftung des Teilnehmers durch seinen eigenen Rechtsgutsangriff, nicht durch den des Täters; von diesem hängt die Haftung des Teilnehmers nur formal ab. Was dagegen einzuwenden ist, insbesondere Bindung an das demokratisch legitimierte Gesetz, wurde oben dargestellt 48 • Zugleich wird damit jedoch notwendig zu klären, was die materiale, haftungs begründende Bedeutung der Akzessorietät ist. f) Materiale Bedeutung der Akzessorietät

aa) Im Verhältnis zum eigenen Rechtsgutsangriff des Teilnehmers enthält die Akzessorietätsregelung eine Modifikation. Die Haftung richtet sich nicht danach, wie die Teilnehmerhandlung sich auf das Rechtsgut bezieht, sondern danach, wie sie sich auf die Tathandlung bezieht, die sich aufs Rechtsgut bezieht. Zwar wird auch, wer die Teilnahme als eigenen Rechtsgutsangriff versteht, anerkennen, daß ihre Wirkung auf das Rechtsgut durch die Tat kausal vermittelt ist, aber das hat für ihn nur "faktische" Relevanz (Lüderssen). Wenn aber die vorsätzliche rechtswidrige Tat die Teilnehmerhaftung, wie gezeigt, normativ begründet, so muß diese Tat auch normative Bedeutung haben. Sie ist in der Beziehung des Teilnehmers zur Rechtsgutsverletzung eine verselbständigte Zwischenstufe. Normlogisch: Verboten ist die Teilnahmehandlung, weil sie die Tathandlung Zum Strafgrund der Teilnahme, S. 119 ff. Strafrecht AT, 14/57 ff. 45 GA 1979,252 ff. 46 Z. B. Roxin in LK Rn 10 f. vor § 26; Samson in SK StGB Rn 7 ff. vor § 26; Stratenwerth, Strafrecht AT, Rn 856 f.; Welzel, Deutsches Strafrecht, S. 116. 47 Herzberg, JuS 1981, 737 (739); Roxin in LK Rn 5 vor § 26; M.K. Meyer, a.a.O., S. 254 f., 275 f.; differenzierend: Jakobs, Strafrecht AT, 22/6 f. 48 s. o. 1. Teil E I 2 d. 43

44

15 Keller

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1. Teil: Nonnative Schranken der Deliktsprovokation

fördert, die verboten ist, weil sie das Rechtsgut beeinträchtigt. Die gesetzlich zweistufig konstruierte Haftungsbegründung ähnelt den abstrakten Gefährdungsdelikten: Verboten ist nicht erst die Rechtsgutsverletzung oder konkrete Gefährdung, sondern generell eine bestimmte Handlung (z. B. trunkenes Autofahren) oder das Verursachen eines ,,zwischenerfolges" (z. B. § 306 StGB), die erfahrungsgemäß oft Rechtsgutsverletzungen zur Folge haben. Die Haftung des Teilnehmers wird, verglichen mit der des Täters, auch generalisiert: Die vom Täter verwirklichten tatbezogenen Merkmale werden ihm (nach h. Rechtspr.) zugerechnet, auch wenn er sie selber nicht verwirklichte. Zu dieser Generalisierung fügt sich, was hier angenommen wird: daß dem Teilnehmer die die Tat leitende Absicht auch zugerechnet wird, wenn er sie nicht für realisierbar hielt. Die Generalisierung entsteht, weil vor die Beziehung des Teilnehmers zur Rechtsgutsbeeinträchtigung durch die Akzessorietätsregelung die verbotene Tat als Haftungsgegenstand eingeschoben wird. Die verbotene Tat, die der Teilnehmer förderte, wird zum eigenständigen Unwert, und zwar so, wie das Gesetz ihn bestimmt: Die von der Absicht geleitete Tat des Täters ist nach Einschätzung des Gesetzes generell gefährlich, deshalb verboten und strafbar. Daß der Teilnehmer sie für im Einzelfall ungefährlich hielt, wird nicht beachtet; ebensowenig die Frage, ob er damit Recht hatte oder - schuldhaft oder schuldlos - irrte und unvorsätzlich eine Rechtsgutsverletzung durch seine Teilnahmehandlung bewirkte. Die gesetzgeberische Gefahreinschätzung hat Vorrang. Sie wird zur Geltung gebracht, indem die Tat zum eigenständigen Gegenstand der Haftung des Teilnehmers erklärt wird. bb) Diese Regelung der Akzessorietät ist Korrelat des Prinzips der Selbstverantwortung und des restriktiven Täterbegriffs, die mit der Akzessorietät gesetzlich anerkannt sind 49 und - verglichen mit der Konzeption des eigenen Rechtsgutsangriffs - die Strafbarkeit einschränken. - Was als Tat objektiviert ist, ist zunächst allein zu verantworten von dem, der es beherrschte, dem Täter 50. Die Strafbarkeit jeder sonstigen Verursachung "hat, wie sich an der Akzessorietät der Teilnahme zeigt, lediglich ein abgeleitetes Recht"51. Sollten alle Verursacher der Rechtsgutsverletzung gleichrangig verantwortlich sein, so wäre grundsätzlich jeder für das Verhalten aller anderen verantwortlich, die irgendwie von seinem Verhalten kausal beeinflußt werden 52. Dann wäre nicht erklärbar, warum nach 49 Stratenwerth, Festschrift für Eb. Schmidt, S. 383 (390). Der extensive Täterbegriff ist mit der gesetzlichen Akzessorietätsregelung nur schwer zu vereinbaren. Deshalb wird er hier nicht berücksichtigt. 50 Cramer in Schönke / Schröder Rn 146 vor § 15. 51 Stratenwerth, a.a.O. 52 Vgl. Jakobs, ZStW 89 (1977), I (12 f., 20), der zeigt, daß bei der Zurechnung die von der äquivalenten Kausalität angenommene Gleichrangigkeit aller Verursacher relativiert wird, so daß es "nicht jedennanns Pflicht" ist, "die Deliktsneigung seines Nächsten durch aktives Eingreifen zu paralysieren". Bei Gleichrangigkeit aller Verursacher müßte das Ausbleiben jedes Verhaltens erwartet werden, "denn nahezu alles kann zweckvoller Baustein irgendeines Deliktsplanes" Dritter werden.

E. Strafrechtliche Grenzen der Deliktsprovokation

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dem Gesetz VenlfSacher nur haften, wenn und soweit ihre Verursachung sich über eine von einem Täter beherrschte Tat auswirkte und warum das Gesetz systematisch in unrechtsbegründenden Deliktstatbeständen allein Täter verantwortlich macht und erst abgeleitet davon in Ergänzungstatbeständen Teilnehmer. Der restriktive Täterbegriff als Grund- und Normalform der Verantwortlichkeit beim Vorsatzdelikt begrenzt die Strafbarkeit. Die Teilnehmerhaftung als Ergänzung der Haftung des Täters ändert nichts an dessen Beherrschung der Tat und entsprechender Verantwortlichkeit, sondern stützt sich darauf. Der Teilnehmer haftet, weil er dem Täter einen Betrag zur Beherrschung der Tat zur Verfügung stellte. Darin ist eine Gefährdungshaftung des Teilnehmers angelegt für ein Geschehen, das er förderte, aber nicht beherrschte. Die Gefährdungshaftung reicht so weit, wie nach dem Wissen des Teilnehmers Vorsatz und Absicht des Täters reichen und, falls nach dem Gesetz erforderlich, realisiert werden. Auch ist die Haftung des Teilnehmers begründet nur durch hinreichend gewichtige Delikte: die im Besonderen Teil definierten Taten, die das Unrecht begründen, nicht Versuch oder eine andere Teilnahmehandlung. Unabhängig vom hier erörterten Problem ist die Frage, ob die Beihilfe für den Taterfolg kausal sein muß 53. cc) Die hier dargestellte Regelung der Teilnehmerhaftung ist selbstverständlich nicht die einzig denkbare. Sie ergibt sich aber, wenn man die Akzessorietätskriterien des Gesetzes (und nicht eine andere kriminalpolitische Konzeption) als Unrechtsbegründung deutet. Ihre Vorteile gegenüber der Haftung für eigenen Rechtsgutsangriff sind: Die im Besonderen Teil statuierten Verbote von Taten werden verstärkt. Damit wird die empirische Geltung dieser Verbote, die Verhaltenssicherheit der Bürger, die auf ihre Geltung angewiesen ist, verstärkt: man weiß, worauf man sich einstellen kann im Umgang mit anderen. Wenn Absichtsdelikte gefördert werden dürften, würden sie mehr begangen werden, könnte man weniger auf ihr Ausbleiben vertrauen. Hinsichtlich der Rechtsgüter schließlich, auf die es der h. M. ankommt, wird der Schutz verstärkt, weil die in der Definition verbotener Taten enthaltene generelle Gefahreinschätzung des Gesetzes durchgesetzt und nicht eingegrenzt wird durch die individuelle Gefahreinschätzung des Teilnehmers, die falsch gewesen sein und zur Rechtsgutsverletzung geführt haben kann. Allerdings könnte der Rechtsgüterschutz in der geltenden Regelung adäquater Weise auch gewahrt werden, indem die Haftung des Teilnehmers ausschließlich an dessen Gefahreinschätzung orientiert würde. Das ist aber nach geltendem Recht unstreitig ausgeschlossen. Dieses knüpft die Teilnehmerhaftung zunächst an die Tat und damit die Gefahreinschätzung des Täters. Die des Teilnehmers könnte dazu allenfalls als zusätzliche Haftungseinschränkung fungieren. Wenn der "Täter", an dessen Gefahreinschätzung das geltende Recht sich orientiert, keine Gefahr annimmt, der "Teilnehmer" aber sie annimmt (Beispiel: AsteIlt 53

15"

Nachweise oben Anm. 130, 133 zu 1. Teil E I 4.

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1. Teil: Nonnative Schranken der Deliktsprovokation

auf Veranlassung von B eine Urkunde her; B will sie später in Verkehr bringen; A weiß das, hält es aber für undurchführbar), fehlt es an der Haupttat und die Bestrafung wegen Teilnahme am Absichtsdelikt ist ausgeschlossen wie oben gezeigt. (Mittelbare Täterschaft ist nicht ohne weiteres anzunehmen 54.) Der Fall zeigt zunächst nochmals: Der eigene Rechtsgutsangriff des Teilnehmers, der, so wie er allgemein verstanden wird, hier vorliegt, kann nicht der nach dem Gesetz die Teilnehmerhaftung begründende Unwert sein. Andernfalls müßte der "Teilnehmer" im Beispielsfall strafbar sein. Hinsichtlich des Schutzes der Rechtsgüter vor Gefährdung zeigt sich: Die Teilnehmerhaftung kann theoretisch konsistent entweder an die Gefahreinschätzung des Täters oder des Teilnehmers geknüpft werden. Beide Einschätzungen aber als kumulative Kriterien zu berücksichtigen, läßt Gefährdungen in einem Maße zu, das den gesetzlich angeordneten Rechtsgüterschutz vernachlässigt. Wenn aber nur eines der beiden Kriterien relevant sein kann, dann das gesetzliche, die Gefahreinschätzung des Täters. Nach allem ist die Annahme, die Akzessorietätsregelung könne deshalb als bloß formale Regelung verstanden und außer acht gelassen werden, weil ihr keine nachvollziehbare materiale Konzeption zugrundeliegt, nicht richtig. Zu prüfen ist nun, ob die akzessorische Haftung des Provokateurs gelockert ist. g) Anwendbarkeit der § 28, 29 StGB

Die akzessorische Haftung des Provokateurs könnte gern. § 28 Abs. 1 StGB gemildert werden, wenn die Absicht, die er für umealisierbar hält, ein besonderes persönliches Merkmal wäre 55. Es müßte dann allerdings auch die Haftung all derjenigen Teilnehmer gemildert werden, die die Absicht nicht selbst haben, aber für realisierbar halten. Vor allem die Rechtsprechung bestimmt die besonderen persönlichen Merkmale bekanntlich als täterbezogen und stellt ihnen die tatbezogenen gegenüber. Die Absichten, um die es hier geht, werden meist als tatbezogen behandelt 56 • Samson 57 meint, die Bereicherungsabsicht bei §§ 253,263 StGB sei täterbezogen, weil sie sich nicht auf eine weitere Rechtsgutsverletzung, sondern auf einen Tätertyp beziehe. Daß dies nicht angemessen ist, wurde oben gezeigt. Roxin 58 u. a. wollen als besondere persönliche Merkmale nur spezielle Schuldmerkmale und Sonderpflichten erfassen; hinsichtlich der Umechtsmerkmale der Tat soll der Teilnehmer akzessorisch haften. Die Absichten, so wie sie hier Zu den Einzelheiten vgl. Samson in SK StGB Rn 27. So Herzberg, GA 1971, 1 (11 f.); z. T. auch Sarnson in SK StGB § 28 Rn 20. 56 Z. B. BGHSt 22, 376 (380). 57 s. o. Anm. 55. 58 LK § 28 Rn 30 ff.; ähnlich Gallas, Beiheft ZStW 69 (1957), 3 (31 ff.); Stratenwerth, Strafrecht AT Rn 928 ff. 54 55

E. Strafrechtliche Grenzen der Deliktsprovokation

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bestimmt wurden, gehören danach zum Tatunrecht. Die Norm verbietet vorsätzliches Verhalten mit darüber hinausreichender subjektiver Tendenz. Diese charakterisiert das Tatunrecht z. B. als Vermögensverschiebung. Zwar ist, wenn der Teilnehmer die Absicht nicht selbst hat oder gar für unrealisierbar hält, auch seine Schuld geringer. Das ist aber nur ein Reflex des quantitativ geringen Unrechts der Teilnahmehandlung in diesem Fall. (Wie z. B. der Umstand, daß ein Teilnehmer im Einzelfall auf die Tat objektiv nur sehr wenig Einfluß hat, das Unrecht seiner Teilnahmehandlung mindert, so mindert auch der Umstand, daß er die die Tat leitende Absicht nicht selbst hat, das Unrecht seiner Teilnahmehandlung.) Wenn das Unrecht einer Tat geringer ist, ist allemal auch die Schuld geringer. Ein spezielles Schuldmerkmal fehlt deshalb nicht. - Jakobs beschränkt die besonderen persönlichen Merkmale auf Sonderpflichten und Eigenhändigkeit. Die Absichten sollen nicht dazu gehören 59. Es ist nicht sicher, ob die referierten Auslegungen des § 28 Abs. 1 StGB in den hier entwickelten Ansatz übernommen werden können, denn sie stehen in einem anderen Bezugsrahmen. Nach dem hier zur Akzessorietät entwickelten Ansatz folgt, wenn die Absichten nicht besondere persönliche Merkmale sind, daß der Teilnehmer ungemildert haftet, auch wenn er die jeweilige Absicht für unrealisierbar hält. Alle erwähnten Autoren hingegen schließen in diesem Fall die Haftung des Teilnehmers vollständig aus 60 • Trotz derart abweichender Ergebnisse sind auch im hier vertretenen Ansatz die Absichten nicht dem § 28 Abs. 1 StGB zu subsumieren. Als besondere persönliche Merkmale könnten die Absichten behandelt werden, weil sie in der Person des Handelnden gegeben sind. Dann müßten konsequent alle subjektiven Unrechtsmerkmale, auch der Vorsatz, weil sie nicht weniger persönlich sind als die Absichten, besondere persönliche Merkmale sein. Das wäre nicht angemessen, denn es beträfe die Merkmale aller teilnahmefähigen Delikte und nicht ein besonderes in deren Rahmen. § 28 Abs. 1 StGB wäre nicht Ausnahme, sondern Regel, denn er modifizierte in allen Fällen den Akzessorietätsgrundsatz, wonach das Tatunrecht mit seinen u. a. subjektiven Elementen die Teilnehmerhaftung hinreichend begründet. Das widerspräche dem Verhältnis des § 28 StGB zu den §§ 26, 27 StGB. § 29 StGB ist auf die Provokation anwendbar. Dadurch wird aber weder die Haftung des Provokateurs ausgeschlossen noch der durch die §§ 26, 27 StGB bestimmte Strafrahmen verändert. Die Schuld des Provokateurs ist geringer als 59 Strafrecht AT 23/12 ff. Zu Herzbergs Kriterium ,wertbezogen / wertneutral' s. o. I. Teil E II 2 b. 60 Begründet wird das mit dem im vorangegangenen Text diskutierten Strafgrund der Teilnahme; vgl. Roxin in LK § 28 Rn 42. Diese Stellungnahme Roxins ist allerdings nur schwer zu vereinbaren mit seinen oben referierten Ausführungen zur haftungsbegTÜndenden Funktion der Absichtsmerkmale im Zusammenhang des § 28 StGB. Darauf hat Herzberg hingewiesen in ZStW 88 (1976), 68 (89 ff.) und JuS 1983,737 (746 f.).

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1. Teil: Nonnative Schranken der Deliktsprovokation

die des Teilnehmers, der die Absicht für realisierbar hielt. Diese Differenz auf der Schuldebene ist Reflex der Tatsache, daß das Unrecht der Teilnahme relativ gering ist, wenn der Teilnehmer die Täterabsicht für unrealisierbar hielt. Da diese Unrechtsminderung nicht unterhalb der Schwelle des für die Teilnehmerhaftung Erforderlichen liegt, kann durch sie auch die strafbegründende Schuld nicht ausgeschlossen sein 61.

h) Schuldprinzip und Forderung nach Individualisierung Gegen die Akzessorietätsregelung, so wie sie hier zugrundegelegt wird, wird eingewandt, sie verfehle das Schuldprinzip, führe zur Erfolgshaftung 62 • Verstößt es gegen das Schuldprinzip, wenn jemand bestraft wird, weil er vorsätzlich einen Erfolg - hier: die Tat - bewirkte, der im Gesetz als gefahrlich eingeschätzt wird, den der Bewirker aber für ungefährlich hielt? Die Frage wird im Zusammenhang der abstrakten Gefährdungsdelikte seit langem diskutiert. Hier sollen nicht alle möglichen Argumente erneut dargestellt werden. Daß das Schuldprinzip die gesetzlich bestimmte Haftung korrigieren könne, wird neuerdings zunehmend bezweifelt 63 - zu Recht. Zwar gehört das Schuldprinzip zur Verfassung, weil es als Grundsatz die Freiheit der Bürger zur Geltung bringt, von der die Grundrechte ausgehen, indem sie staatliche Direktiven ausgrenzen 64 • Als Verfassungsgrundsatz kann das Schuldprinzip Strafgesetze einschränken. Damit ist festgelegt, daß die Strafe Vorwerfbarkeit voraussetzt, und diese setzt voraus, daß jemand wertwidrig gehandelt hat. Was jedoch wertwidrig ist, bestimmt nicht die Verfassung, sondern die Gesetze. Zwar müssen auch diese wieder der Verfassung entsprechen; Verbote dürfen z.B. die Grundrechtsbetätigung nicht unbegrenzt einschränken. Wenn aber ein Gesetz das vorsätzliche Bewirken eines bestimmten Erfolges pönalisiert, weil er Rechtsgüter schädigt oder gefährdet, so stuft es das vorsätzliche Bewirken zulässigerweise als wertwidrig ein. Wird dagegen das Schuldprinzip geltend gemacht, so wird auf eine Wertordnung jenseits des Gesetzes rekurriert, die auch nicht in der Verfassung vorgegeben ist. Gewiß gehören Wertungen, die nicht im Gesetz vorgegeben sind, zum täglichen Brot von Juristen, die das Gesetz konkretisieren. Aber die Berufung auf Werte gegen die im Gesetzeswortlaut vorgegebenen Wertungen durchbricht die Gesetzesbindung (Art. 20 GG). Sie ist ebenso unbeachtlich wie die oben kritisierte Argumentation mit Rechtsgütern gegen das Gesetz. Durchbrochen werden dürfte die gesetzliche Bewertung nur, wenn sie verfassungswidrig wäre (weil sie z. B. Grundrechte unzulässig einschränkte). Das ist die Akzessorietätsregelung weder im allgemeiStratenwerth, Strafrecht AT, Rn 927. Herzberg, JuS 1973, 737 (739); tendenziell auch Schmidhäuser, Strafrecht, AT, 14/65 ff.; M. K. Meyer, GA 1979, 252 (254). 63 Vgl. Bohnert, JuS 1984, 182 ff.; Dencker, JZ 1984,354 (455, 460). 64 Den Grundrechten werden seit einiger Zeit auch andere Aufgaben zugewiesen. Die Ausgrenzende ist aber ein wohl kaum bestrittenes Minimum. 61

62

E. Strafrechtliche Grenzen der Deliktsprovokation

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nen noch im Fall des Provokateurs. Erkannte er das Verbotensein seines Tuns, so handelte er schuldhaft. Im Schuldprinzip steckt die Forderung nach individueller Haftung. Gegen die Akzessorietätsregelung könnte eingewandt werden, sie individualisiere die Teilnehmerhaftung zu wenig, weil sie davon absieht, ob der Teilnehmer für möglich hielt, daß der Täter seine Absicht verwirklicht. Unter dem Aspekt des Tatstrafrechts ist der Unterschied zwischen dem, der ein Absichtsdelikt produziert, und dem, der ohne eigene Absicht bewirkt, daß ein anderer es produziert, nicht groß. Daß der eine die Tat nur bewirkt, der andere sie selbst steuert, ist schon in der allgemeinen Differenz von Teilnahme und Täterschaft reflektiert. Sieht man davon ab, bleibt eine weitere Differenz. Das Maß des Unrechts dessen, der die Absicht für unrealisierbar hält, ist geringer als das Unrecht dessen, der mit Absicht handelt. Aber das Minimum dessen, was nach der Akzessorietät zur Teilnahme gehört, ist auch ohne die Absicht des Teilnehmers erfüllt. Es ist dann nur der Gefahrdungstatbestand weniger intensiv erfüllt. Für diese in der Akzessorietät angelegte Generalisierung gibt es Gründe, die oben gezeigt wurden 65 • Der Provokateur beherrscht die Verwirklichung des Tatbestandes nicht wie der Täter. Er beherrscht auch nicht immer die Absichtsvereitelung. Deshalb ist es nicht willkürlich, ihm die Tat so zuzurechnen, wie der Täter sie objektiv und subjektiv ausgestaltet. Hinsichtlich der geringen Individualisierung ist weiter zu bemerken, daß jede rechtliche Regelung mehr oder weniger Verschiedenes über einen Kamm schert. Die Forderung nach Individualisierung ist als solche unspezifisch. Zu Ende gedacht, löst sie jede soziale Norm auf. Denn diese kommt dem Einzelnen allemal von außen und übergeht viele seiner Besonderheiten. Daß eine mehr individualisierende Regelung denkbar ist, begründet noch nicht, von der gesetzlichen abzugehen. Mit der Akzessorietät wird die allgemeine Diskriminierung von bestimmten Taten durchgesetzt. Es wird klargestellt, was verboten ist und worauf man sich im Umgang mit anderen verlassen kann. Wenn Absichtsdelikte jederzeit provoziert werden dürfen - und es gegenwärtig zunehmend werden - von professionellen Provokateuren, die sich u. U. leichtsinnig einbilden, die Rechtsgutsverletzung sei ausgeschlossen, wird die allgemeine Verhaltenssicherheit beeinträchtigt. Es wird unklar, was verboten ist, wenn es erlaubt ist und u. U. staatlich gefördert werden kann, professionell Taten zu veranlassen, die dann als vollendete Straftaten verurteilt werden. Es mag sein, daß die Abschreckung dadurch erhöht wird. Das ist aber eine andere Generalprävention als die im Strafrecht herkömmlich erstrebte. Bei der Bestrafung planmäßig offiziell provozierter Taten werden nicht Taten diskriminiert, sondern Gesinnungen, Neigungen, die Nähe zu als gefahrlieh eingeschätzten Szenen - eben diejenigen Dispositionen und Zugehörigkeiten, 65

s. o. 1. Teil E 11 3 d.

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1. Teil: Nonnative Schranken der Deliktsprovokation

auf die Provokateure programmatisch angesetzt werden. Die Normgeltung, die rechts staatlich allein zu wahren wäre, wird geschwächt; die Norm verbietet Taten. Allerdings muß die Wahrung der Normgeltung nicht immer durch Pönalisierung der Teilnahme verstärkt werden, wie u. a. die Straffreiheit der Versuchsprovokation zeigt. Aber nach der gesetzlichen Akzessorietätsregelung soll sie bei vollendeten Taten derart verstärkt werden. Hier ist nach dem Gesetz die Normgeltung besonders wichtig. Warum sie über die §§ 28,29 StGB hinaus eingeschränkt werden soll zugunsten einer gesetzlich nicht begründeten individualisierten Zurechnung, ist nicht erkennbar. i) Vergleich mit notwendiger Teilnahme

Ein Argument gegen die hier vertretene Version der Akzessorietät und für die Orientierung der Teilnehmerhaftung an einem eigenen Rechtsgutsangriff des Teilnehmers bezieht sich auf die Straflosigkeit der sogenannten notwendigen Teilnahme 66 • Mißlingt eine Tötung auf Verlangen, so ist, der sie verlangte, nicht gemäß §§ 216, 22, 26 StGB strafbar, obwohl er eine rechtswidrige Tat anstiftete. Auch der Bewucherte ist nicht wegen Teilnahme am Wucher strafbar, obwohl er daran mitwirkte. Die Teilnehmerhaftung soll hier eingeschränkt werden, weil das jeweils "betroffene Rechtsgut im Verhältnis zum ... Beteiligten nicht geschützt ist."67 Diese Erklärung der Straffreiheit des notwendigen Teilnehmers ist weitgehend akzeptiert (wenn auch viele Einzelfälle umstritten sind) und soll hier zugrunde gelegt werden. Sie impliziert anscheinend, daß im Fall der notwendigen Teilnahme die Haftung des Teilnehmers nicht dadurch begründet wird, daß er die Haupttat förderte. Dann, so wird gefolgert, könne es auch beim Provokateur, der die Absichtsverwirklichung und damit die Schädigung des Rechtsguts für ausgeschlossen gehalten habe, nicht anders sein. Für die Teilnehmerhaftung sei, wie die Straffreiheit des notwendigen Teilnehmers zeige, stets die eigene Beziehung des Teilnehmers zu dem von der Tat betroffenen Rechtsgut relevant. Die Akzessorietät werde durchbrochen, wenn die notwendige Teilnahme straffrei sei 68. Im Fall der Provokation wie im Fall der notwendigen Teilnahme fehle es am "eigenen Rechtsgutsangriff' des Teilnehmers 69 . Diese Parallelisierung der Fälle, gegen die, soweit ersichtlich, bisher nichts eingewendet wurde, ist fragwürdig. 66 Vgl. Herzberg, JuS 1983,737 (745). M. K. Meyer, GA 1979, 252 (262), sieht in der Straflosigkeit der notwendigen Teilnahme eine Anerkennung des eigenständigen rechtsgutsverletzenden Teilnehmerdelikts. Vgl. auch Lüderssen, Zum Strafgrund der Teilnahme, S. 65 ff. Zur notwendigen Teilnahme allgemein: Stratenwerth, Strafrecht AT, Rn 944 ff.; Roxin in LK Rn 27 ff. vor § 26; Otto, Festschrift für Lange, S. 197 ff.; Lange, Die notwendige Teilnahme. Zur Kritik Welzels (ZStW 61 (1941),209 ff.; ders., Deutsches Strafrecht, § 16 VI) sogleich im Text. 67 Stratenwerth, a.a.O., R. 946; ähnlich Roxin in LK Rn 2 f., 33 vor § 26. 68 Herzberg, a.a.O. 69 M. K. Meyer, a.a.O.; Roxin, a.a.O.

E. Strafrechtliche Grenzen der Deliktsprovokation

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Die Fonnulierung ,eigene Beziehung zum betroffenen Rechtsgut' und ,eigener Rechtsgutsangriff' sind unscharf. In einem weiteren Sinn kann man jedes Fördern fremder Straftaten, die Rechtsgüter angreifen, als eigenen Rechtsgutsangriff des Fördernden bezeichnen. Jeder Teilnehmer wird. wegen persönlicher - eigener - Schuld bestraft. Daher kann die Teilnahme auch unabhängig von der Tat gerechtfertigt gewesen sein 70 • Die Feststellung des rechtfertigenden Notstandes impliziert in diesem Fall, daß das durch die angestiftete Tat betroffene Rechtsgut, der Grad seiner jeweiligen Gefahrdung, mit dem etwa durch Drohung gefahrdeten Rechtsgut des Anstifters ins Verhältnis gesetzt wird, also eine "eigene" Beziehung des Anstifters zu dem von der Tat betroffenen oder gefahrdeten Rechtsgut berücksichtigt wird. Gleichwohl ist daraus nichts gegen die grundsätzliche Akzessorietät der Anstiftung zu entnehmen. Daß der Teilnehmer eine rechtswidrige Tat förderte, ist nicht die einzige Bedingung seiner Strafbarkeit. Das Fehlen von Rechtfertigungsgründen ist eine weitere. Beides ist zu unterscheiden. Im Fall der durch Notstand gerechtfertigten Anstiftung wird die Haftung des Teilnehmers ausgeschlossen. Man wird jedoch nicht sagen können, der Anstifter habe keinen eigenen Rechtsgutsangriff durchgeführt. (Allenfalls könnte im Fall des Nötigungsnotstands der Angriff des Teilnehmers dem Nötiger zugeordnet werden; aber auch damit würde die Anstiftung als eigenständiger Rechtsgutsangriff neben der Tat bewertet.) Deshalb liegt in diesem Fall auch keine Durchbrechung der Akzessorietät vor. Vielmehr wird unter dem Aspekt der Akzessorietät die rechtswidrige Tat auch dem Teilnehmer zugerechnet. Die davon zu unterscheidenden Gründe der Rechtfertigung schließen die Zurechnung aus. Nicht wesentlich anders verhält es sich im Fall der notwendigen Teilnahme. Deren Straflosigkeit beruht in den erwähnten Fällen (§§ 216, 302a StGB) auf der Einwilligung des Teilnehmers und ähnlichen Erwägungen 71 • Die Einwilligung wirkt aus hier nicht näher zu untersuchenden Gründen nicht zugunsten des Täters, so daß seine Tat rechtswidrig ist. Daß hinsichtlich der Rechtfertigung zwischen Täter und Teilnehmer unterschieden wird, schließt aber nicht aus, daß zunächst und grundsätzlich die rechtswidrige Tat des Täters gemäß der Akzessorietät auch dem Teilnehmer, der sie förderte, zugerechnet wird. Das Problem der notwendigen Teilnahme und das der Akzessorietät sind also zu trennen, wie Welzel betont hat 72 • Aus der Straflosigkeit der notwendigen Teilnahme lassen sich keine Schlüsse gegen die Akzessorietät ziehen, die die Haftung des Provokateurs begründet. 70 Vgl. Samson in SK StGB § 34 Rn 8; Krey, Jura 1979, 321; Schmidhäuser, Strafrecht AT, 9 / 69,11 / 15; Jakobs, Strafrecht AT, 13/14. Die für den Fall des Nötigungsnotstandes abweichende Ansicht von Lenckner (Schönke / Schröder § 34 Rn 41; Notstand S. 117) und R. Lange (NJW 1978,784 f.) ist für die vorliegende Problematik nicht relevant. 71 Roxin in LK Rn 2 f., 33 vor § 26. 72 A.a.O. (Anm. 66): Die Straflosigkeit der notwendigen Teilnahme ergibt sich nicht aus "allgemeinen Erwägungen über das Wesen der Teilnahme".

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1. Teil: Nonnative Schranken der Deliktsprovokation

Das ist auch sachlich begründet. Die notwendige Teilnahme ist straflos, weil - so die h. M. - ein Rechtsgut, dessen Schädigung die Strafe begründet, gegenüber dem Teilnehmer nicht geschützt ist. Was den Teilnehmer entlastet, kann man erklären als besondere Beziehung zu einem ansonsten strafbegründenden Schaden. Wenn ein Provokateur ein Absichtsdelikt provoziert, ohne die Verwirklichung der Absicht für möglich zu halten, kann man zwar auch bei ihm eine besondere Beziehung zum Schaden am Rechtsgut des Tatbestandes sehen. Die Schädigung und damit der Gegenstand der besonderen Beziehung des Provokateurs ist aber gesetzlich gerade aus dem objektiven Tatbestand herausgenommen und ist nicht Voraussetzung der Strafbarkeit. Damit ist das Rechtsgut nicht irrelevant. Es genügt aber seine abstrakte Gefährdung durch die Tendenztat des Täters. Diese Gefährdung hat der Provokateur vorsätzlich bewirkt. Würde seine Provokation wie die notwendige Teilnahme für straflos erklärt, so würde die bei den Absichtsdelikten gesetzlich angeordnete Gefährdungshaftung übergangen. k) Wertungswidersprüche Durch die geforderte Einschränkung der Teilnehmerhaftung bei den Absichtsdelikten würde das in der Deliktsnorm enthaltene Unwerturteil zweideutig. Nach der Akzessorietät begründet der Unwert der Tat die Pönalisierung der Teilnahme. Wenn die Pönalisierung der Teilnahme zurückgenommen wird, wird implizit das Unwerturteil über die Tat partiell zurückgenommen. (Explizit wird es nicht zurückgenommen, denn die Norm, die die Teilnahme verbietet, ist eine andere als die vom Täter übertretene. Jene ist aber aus dieser konstruktiv abgeleitet und verstärkt sie sachlich.) Die Tat wird als nicht so gewichtig eingeschätzt, daß sie die Pönalisierung des Teilnehmers begründete . . Wird das Unwerturteil über die Tat gegenüber dem Provokateur zurückgenommen, so soll es gegenüber dem Täter voll aufrechterhalten werden. Das ist widersprüchlich. Auch ihm gegenüber müßte die Tat als eine bewertet werden, die Teilnehmerhaftung nicht begründet. Er dürfte allenfalls wegen Versuchs strafbar sein, in den meisten Fällen wäre er straflos, denn das Verwirklichen der tatbestandlichen Handlung des Absichtsdelikts müßte für die Strafbarkeit irrelevant sein. Versuch wäre erst das unmittelbare Ansetzen zur Rechtsgutsverletzung 73. Diese Konsequenz wird jedoch nirgends gezogen. Wenn zur Absicht 73 Beispiel: Vom Provokateur veraniaßt macht jemand Geld nach, um es, falls sich vielleicht Monate später Gelegenheit bietet, in Verkehr zu bringen; bis dahin will er es bei sich aufbewahren. Aber schon gleich nach der Geldherstellung deckt der Provokateur, wie er es von Anfang an vorhatte, alles auf. - Der Provokateur soll hier straflos sein, weil er die Rechtsgutsverletzung, das Inverkehrbringen, nicht für möglich hielt; nicht belasten soll ihn, daß er vorsätzlich die absichtlich auf die Rechtsgutsverletzung gerichtete tatbestandliche Handlung des Täters veranlaßte, obwohl Handlung mit Absicht vom Gesetz als abstrakt gefährlich eingeschätzt wird. Warum soll diese Einschätzung dann den Täter belasten? - Die Haftung des Provokateurs wird eingeschränkt, weil sie allein

E. Strafrechtliche Grenzen der Deliktsprovokation

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des Täters die tatbestandliche Handlung kommt, wird diese Konstellation vom Gesetz ungeachtet der Frage des Versuchs als gefährlich eingeschätzt 74 und selbständig als vollendetes Delikt bestraft. Als Versuch wird vielmehr das unmittelbare Ansetzen zu dieser Gefährdung bestraft. Die Einschätzung und Bewertung als strafbare Gefährdung wird dem Täter quasi aufgedrückt. Daß seine Schuld im Hinblick auf die Rechtsgutsverletzung äußerst gering ist, weil er noch sehr weit davon entfernt ist, bleibt außer acht. Seine Schuld wird also nicht nur im Hinblick auf diese, sondern auch auf die gesetzliche Handlungsbewertung bestimmt. Nur so ist zu erklären, daß er haftet, ohne zur Rechtsgutsverletzung unmittelbar angesetzt zu haben. Die Handlungsbewertung, die Schuld begründet, ist eine gesetzliche Entscheidung. Sie ist prinzipiell nicht mehr oder weniger willkürlich als die Entscheidung, die Schuld des Teilnehmers anband der veranlaßten absichtsgeleiteten Handlung des Täters zu bestimmen. Wer sie statt dessen an der individuellen Beziehung des Teilnehmers zum Rechtsgut außerhalb des gesetzlichen Tatbestandes bestimmen will, der müßte auch beim Täter auf dessen individuelle Beziehung zu diesem Rechtsgut abstellen und ihm das vom Gesetz vorgegebene abstrakte Gefährlichkeitsurteil über die absichtsgeleitete Handlung ersparen.

I) Vernachlässigung des Rechtsgüterschutzes oder Gesinnungshaftung Nimmt man an, die Haftung des Täters sei begründet im Schutz des angegriffenen Rechtsguts, so wird dieser Schutz unzulässig eingeschränkt, wenn straffrei bleibt, wer das vollendete Absichtsdelikt förderte. Allerdings kann aus Rechtsgutsverletzungen nicht unmittelbar die Notwendigkeit von Bestrafung abgeleitet werden. Es kommt auf den Normbruch durch Vorsatz oder Fahrlässigkeit an. Vorsatz ist aber, wo der Provokateur die Verwirklichung der tatbestandlichen Handlung voraussah, gegeben. Daß er eine konkrete Gefahr oder Rechtsgutsverletzung für möglich gehalten haben muß, ist, wie gezeigt, nicht erforderlich. Daß durch Provokation Rechtsgutsgefährdungen und, weil Provokateure zuweilen irren, Schädigungen zunehmen, dürfte aber nicht hingenommen werden. Die h. M. anerkennt dies im Grund. Wer einen vollendeten Betrug provoziert, haftet wegen Teilnahme auch, wenn er meinte, der Täter werde die Bereicherungsabam Rechtsgut und seiner Verletzung orientiert wird, nicht an der abstrakten Rechtsgutsgefährdung. Dann müßte die Haftung des Täters ebenso eingeschränkt werden und wegen Versuchs könnte er nur haften, wenn er gemäß § 22 zum Inverkehrbringen unmittelbar angesetzt hat. Davon kann im obigen Beispielsfall keine Rede sein. Er müßte straflos sein. 74 So Zielinski, JZ 1973, 193 (s. a. S. 194 f.) zu den Absichtsdelikten der Geldfälschung. Er betont allerdings, daß sich der Unwert der Absichtsdelikte "einzig aus ihrer Zielrichtung" auf die Absichtsverwirklichung ergebe. Das entspricht der Lehre vom personalen Unrecht (dazu Zielinski, Handlungs- und Erfolgsunwert im Unrechtsbegrift). Sie dürfte der hier vertretenen Annahme, der Teilnehmer müsse die genannte Absicht nicht für realisierbar halten, nicht entgegenstehen, denn sie betrifft nicht das Verhältnis des Teilnehmers zur Tat, aus dem die genannte Annahme begründet wurde.

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1. Teil: Nonnative Schranken der Deliktsprovokation

sicht nicht verwirklichen können 75. Begründet wird dies mit der Akzessorietät im hier vorgestellten Sinn. Daß sie gerade in diesem Fall und nicht etwa bei einer analogen Provokation von Urkundenfälschung eingreifen soll, ist von der Annahme geleitet, die Teilnahme dürfe nicht zugelassen werden, wenn sie mit Vorsatz zu Schädigungen führt 76. Wieweit Rechtsgüter geschützt werden, bestimmt jedoch das Gesetz. Wenn das Gesetz nicht erst die Schädigung, sondern schon die abstrakte Gefährdung für strafwürdig erklärt, müßte die Bestimmung der Teilnehmerhaftung dem folgen. Daß die subjektive Disposition des Teilnehmers, wenn er die Absicht des Täters für unrealisierbar hält, hinter dem Tätervorsatz zurückbleibt, dürfte dem ebensowenig entgegenstehen wie im Fall der Betrugsprovokation. Hält man hingegen die Einschränkung der Teilnehmerhaftung für angemessen, so enthält die Haftung des Täters eine Tendenz zur Gesinnungshaftung. Wenn der Täter wegen eines vollendeten Absichtsdelikts bestraft wird und zugleich der Provokateur, der die Tat anstiftete, straffrei bleibt, so wird dementiert, daß der Täter aus Gründen des Rechtsgüterschutzes haftete, denn die Straffreiheit des Teilnehmers zeigt, daß der Rechtsgüterschutz das grundsätzliche Verbot der absichtsgeleiteten Handlung nicht fordert 77.

4. Provokation von Tendenz- und Unternehmensdelikten Die hier vorgestellten Erwägungen treffen auch auf die Tendenzdelikte zu, die z. B. im BtMG praktisch wichtig sind: Handeltreiben, Inverkehrbringen, Werben bezüglich Betäubungsmitteln. Die vorgestellten Erwägungen gelten auch für die Unternehmensdelikte. Als solche werden im folgenden Taten behandelt, die in dem in § 11 Abs. 1 Nr.6 StGB als Versuch bezeichneten Stadium stekkenbleiben. Diese Delikte ähneln einerseits dem in § 22 StGB geregelten Ver75 H. M., vgl. Stratenwerth, Strafrecht AT, Rn 931 ff.; Roxin § 28 Rn 26, 33, 42; Maaß, Jura 1981, 514 ff.; anders wohl nur Jakobs, Strafrecht AT, 23/20; Samson in SK StGB § 29 Rn 20 will die Haftung gem. § 28 StGB mildem. 76 Maaß, a.a.O., S. 519 f. Zu Herzbergs Annahme von wertneutralen Merkmalen s. o. 1. Teil E 11 2 b. 77 Forderte er es, könnte der, der die objektiv-subjektive Einheit der absichtsgeleiteten Handlung vorsätzlich anstiftete, nicht straffrei sein. Man könnte einwenden, der Rechtsgüterschutz werde bei der Konstruktion der Teilnehmerhaftung eben anders verwirklicht. Es komme auf den eigenen Rechtsgutsangriff des Teilnehmers an, der beim Provokateur fehle. Dann müßte der Teilnehmer aber, um das jeweilige Rechtsgut konsistent zu schützen, haften, wenn zwar er, nicht aber der Täter einen eigenen Rechtsgutsangriff unternimmt. Das ist jedoch, wie gezeigt, im Gesetz gerade nicht vorgesehen. Der Rechtsgüterschutz fordert also nicht die Haftung wegen eines eigenen Angriffs. Dann kann auch die Haftung des Täters, der die absichtsgeleitete Handlung produziert, nicht aus Gründen des Rechtsgüterschutzes notwendig sein. Wenn der Täter wegen eines vollendeten Absichtsdelikts bestraft wird, der Provokateur aber zugleich straffrei ist, so wird der Täter wegen seiner Tätergesinnung haftbar gemacht.

E. Strafrechtliche Grenzen der Deliktsprovokation

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such, dessen Provokation straffrei ist, anderersits den Absichtsdelikten, deren Provokation strafbar ist. Soll die Provokation eines Unternehmensdelikts analog der eines Versuchs (i. S. des § 22 StGB) behandelt werden? Die Ähnlichkeit zum Versuch zeigt sich in der Legaldefinition des § 11 Abs. 1 Nr. 6 StGB. Die überwiegende Meinung sieht hier nicht nur Ähnlichkeit, sondern Gleichheit hinsichtlich der Reichweite der Pönalisierung, weil der Versuchsbegriff des § 22 StGB voll auf den des Unternehmens übertragen werde 78. Burkhardt und Fincke haben das bestritten 79; das Unternehmen umfasse nicht den Versuch am untauglichen Objekt und nicht den des untauglichen Subjekts. Dies begründen sie mit einer Analogie zu den Tendenztatbeständen, die die genannten Arten des untauglichen Versuchs nicht pönalisieren 80. Von den Tendenzdelikten aber sind manche Unternehmensdelikte nur durch geringfügig abweichende Formulierungen unterschieden: ,angreifen' gemäß § 113 StGB bedeutet unstreitig das Gleiche wie ,einen Angriff unternehmen' gemäß § 316a StGB. Der Versuchsbegriff des § 11 Abs. 1 Nr. 6 StGB wäre demnach anders zu fassen als der des § 22 StGB. Das würde auch gegen die hier in Frage stehende Analogie der Provokation sprechen. Aber auch wenn man hinsichtlich des Versuchsbegriffs der h. M. folgt, ist noch nicht entschieden, ob, was danach als Unternehmen pönalisiert wird, auch im übrigen nach den Versuchsrege1n zu behandeln ist. Die h. M. hat dies abgelehnt. Wie oben gezeigt 81 , werden die Strafmilderung des § 23 Abs. 2 StGB und die Rücktrittsregelung des § 24 StGB nicht auf die Unternehmensdelikte angewendet, weil dies durch deren Einordnung in Deliktstatbestände des Besonderen Teils ausgeschlossen ist. Daß die Unternehmensdelikte vollendete Delikte sind, hat also Vorrang vor ihrer Versuchsähnlichkeit. Das entspricht auch der Gesetzesbindung. Wenn ein versuchsähnliches Verhalten explizit als vollendetes Delikt eingestuft wird und nicht als Versuch i. S. des § 22 StGB, so ist das eine gesetzliche Bewertung. Wer dennoch die Versuchsregeln anwendet, behandelt die gesetzliche Bewertung als inexistent. Ist also das Unternehmensdelikt als vollendetes zu behandeln, so ist seine Provokation nicht nach den Versuchsregeln straffrei, sondern strafbar. Dafür sprechen im übrigen alle in den vorangegangenen Abschnitten vorgetragenen Argumente.

78 H. M., vgl. Eser in Schönke / Schröder § 11 Rn 60; Rudolphi in SK StGB § 11 Rn 24. 79 Burkhardt, JZ 1971, 352 (355 ff.); Fincke, Das Verhältnis des Allgemeinen flum Besonderen Teil des StGB, S. 39 ff., 52-58. 80 Zu den Einzelheiten: Burkhardt, a.a.O., S. 354 ff.; Rudolphi, a.a.O., Rn 29. Die Auslegung der einzelnen Tatbestände ist umstritten; zum ,Hilfeleisten' gern. § 257 StGB vgl. einerseits Stree in Schönke / Schröder § 257 Rn 15, andererseits Welzel, Deutsches Strafrecht, S. 314, 519. 81 s. O. 1. Teil E II 1 c.

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1. Teil: Nonnative Schranken der Deliktsprovokation

5. Analogie zum Rücktritt und polizeiliche Interessen an Straffreiheit In der Diskussion um die Provokation des Versuchs wird erwogen, deren Straffreiheit durch eine Analogie zum Rücktritt zu begründen 82. Die Frage mußte hier nicht erörtert werden, weil das Ergebnis, Straffreiheit der Provokation des Versuchs, durch systematische Erwägungen begründet wurde. Die erwähnte Analogie Provokation I Rücktritt kommt jedoch auch bei den Absichts- und Unternehmensdelikten in Frage, denn auch einige von diesen enthalten Rücktrittsregelungen. Die Grundlage solcher Analogie scheint begrenzt, denn, wie gesagt, ist nur einem Teil der Absichts- und Unternehmensdelikte eine Rücktrittsregelung beigefügt. Manche Autoren möchten jedoch allgemein bei Absichts- und Unternehmensdelikten den Rücktritt strafbefreiend wirken lassen 83 • Bemerkenswert ist zunächst, daß dies, wenn überhaupt, nur durch analoge Anwendung der Regeln begründet werden soll, die im Besonderen Teil ähnlichen Deliktstatbeständen beigefügt sind (z. B. § 149 Abs. 2 StGB), nicht durch analo~e Anwendung der im AT zum Versuch gegebenen Rücktrittsregelung (§ 24 StGB) 84. Damit ist auch in diesem Zusammenhang bestätigt, daß Relativierungen und Folgenreflexionen der Ergänzungstatbestände nicht auf Deliktstatbestände übertragen werden können. Im übrigen ist recht zweifelhaft, ob und inwieweit die erwogene Analogie im Besonderen Teil möglich ist, denn erstens kann man die dort gegebenen Rücktrittsregeln für Ausnahmen halten; zweitens sind diese expliziten Rücktrittsregeln untereinander uneinheitlich, so daß von einer allgemeinen Regelung keine Rede sein kann und unklar ist, welche Regelung qua Analogie übertragen werden S011 85 • Und wenn schon übertragen wird, warum sollten dann § 31 BtMG nur den Drogendelinquenten, § 153e StPo nur den politischen Delinquenten zugute kommen und nicht etwa dem Dieb oder Körperverletzer, der im Verfahren sein Wissen über organisierte Kriminalität preisgibt? Auch sie werden u. U. "infolge Verkettung tragischer Umstände die Nachsicht des Staates verdienen", wenn sie "sich - wenn auch später - ihrer Pflicht ... erinnern" 86. Auch wenn man die Übertragbarkeit verneint, bleibt zu erwägen, ob für die Tatbestände, die explizit eine Rücktrittsregelung enthalten, aus derselben SchlüsVgl. Stratenwerth, MDR 1953,717 (718). Eser in Schönke / Schröder § 24 Rn 116 ff.; Jescheck, Lehrbuch, § 49 VIII 2; Stratenwerth, Strafrecht AT, Rn 733; Schröder, Festschrift für Kern, S. 457 (462 f.). Anders Rudolphi in SK StGB § 11 Rn 26; Burkhardt, JZ 1971, 352 (357 f.); Jakobs, Strafrecht AT, 25/3; Fincke, Das Verhältnis des Allgemeinen zum Besonderen Teil des StGB, S. 39,54 ff. 84 Eser, Jescheck, Stratenwerth, Schröder, jeweils a.a.O. 85 Vgl. Zielinski, JZ 1973, 193 (197 f.) mit weiteren Nachweisen. 86 Begründung zu § 153e StPO nach Meyer-Goßner in LR (9. Aufl.) § 153e Rn 1. 82 83

E. Strafrechtliche Grenzen der Deliktsprovokation

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se zu ziehen sind, für die Straflosigkeit des Provokateurs. Da die Rücktrittsregeln auch für Teilnehmer gelten, könnte man schließen: Wenn der Teilnehmer straflos bleibt, der nach Vollendung sich eines Besseren besinnt und die Absichtsverwirklichung abwendet, muß erst recht straflos sein, wer von Anfang an die Absichtsverwirklichung für ausgeschlossen hielt und nur die Vollendung wollte 87 • Meyer-Goßner 88 will dieses Argument auch bei § 153e StPO zugunsten provokatorischer politischer Täter anwenden. Dadurch würde der in §§ 81- l09g StGB umständlich geregelte vorverlagerte Staatsschutz dem Belieben von Provokateuren oder - praktisch - politischen Zweckmäßigkeitserwägungen der Exekutive ausgeliefert. Auch terroristische Vereinigungen (§ 129a StGB) könnten dann zwecks Provokation beliebig gegründet werden. Das argumentum a maiore ad minus kann von vornherein nur für einen Teil der hier diskutierten Provokationsfälle gelten. Denn bei den meisten Absichtsdelikten ist die Straffreiheit bei Rücktritt an dessen Erfolg orientiert; die Absichtsverwirklichung muß effektiv ausbleiben. Die Straffreiheit des Provokateurs soll aber, so wie sie allgemein gefordert wird, orientiert werden am Vorsatz, es nicht zur Absichtsverwirklichung kommen zu lassen. Das läßt sich nicht durch eine Analogie zum erfolgsorientierten Rücktritt begründen. Wer gleichwohl diese Analogie befürwortet, müßte zunächst fordern, daß schon der Vorsatz zurückzutreten den Versuch straffrei macht. Bis. auf wenige sehen die Rücktrittsregeln das aber nur vor, wenn die Absichtsverwirklichung aus anderen Gründen tatsächlich ausgeblieben ist und der Teilnehmer sich um die Abwendung bemüht hat 89 • Zu erwägen ist also eine begrenzte Analogie zum strafbefreienden Rücktritt, die dessen Erfolgsorientierung berücksichtigt: die Straffreiheit des Provokateurs könnte davon abhängig gemacht werden, ob die Absichtsverwirklichung tatsächlich ausbleibt, entweder weil der Provokateur sie verhindert oder unabhängig davon, wobei sich der Provokateur um das Ausbleiben bemüht haben müßte. Es würde eine Risikohaftung statuiert. Eine solche Analogie könnte freilich nicht wie § 24 StGB zwingend zum Strafausschluß führen; denn bei den Absichtsund Unternehmensdelikten führt der Rücktritt meist nur zu einer Kann-Entscheidung über die Rechtsfolgen: Absehen von Strafe, Strafminderung (§ 49 Abs. 2 StGB) oder ungemilderte Bestrafung. Ich untersuche die Analogie zunächst im Hinblick auf das Absehen von Strafe. 87 Ibach, Die Anstiftung (Strafr. Abh. H. 148), S. 76; Katzenstein ZStW 21 (1901), 374 (407 ff.); Olshausen / Niethammer, StGB (12. Aufl.) § 48 Anm. 13; Glaser, Zur Lehre vom dolus des Anstifters, S. 122; Meves, Die Stellung des Anstifters zu § 46 Str.G.B., GA 1890, 397 ff. Erwogen wird das Argument auch bei Seier / Schlehofer, JuS 1983,50 (53); Jakobs, Strafrecht AT, 6/86 Anm. 175,23/17 (am Ende), anders: 25/3,26/4; Seelmann, ZStW 95 (1983),797 (827). 88 LR § 153e Rn 13. 89 Nach §§ 98 Abs. 2,99 Abs. 3, 129 Abs. 6, 129aAbs. 5 StGB genügt die Kooperation mit der Polizei o. a. Behörden.

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1. Teil: Normative Schranken der Deliktsprovokation

Hinsichtlich der Begründung der Analogie ist die Kritik Stratenwerths 90 zu berücksichtigen. Daß nach der allgemeinen Systematik strafbares Unrecht vorliegt, werde durch den Rücktritt nicht ausgeschlossen, sondern vorausgesetzt. Denn die Möglichkeit strafbefreienden Rücktritts sei eine Ausnahme, die einsetze, wenn nach allgemeinen Zurechnungsgrundsätzen strafbares Unrecht vorliegt. I}ie Strafbefreiung beseitige nicht die Tatsache, daß strafbares Verhalten vorliegt; sie könne nur Anreiz zur, bzw. Prämie für Umkehr sein. Möglich sei nur eine analoge Anwendung der Rücktrittsregeln auf die Situation des Provokateurs. Das sei jedoch ausgeschlossen, weil die Ähnlichkeit fehle. Da der Provokateur die Verwirklichung der Absicht von vornherein nicht will, könne er nicht umkehren. "Es wäre sinnlos, für ihn die Prämie des Strafverzichts auszusetzen, um ihn zu einer Umkehr zu bewegen, die er nicht vollziehen kann, und ihn zu einer Erfolgsvereitelung zu ermutigen, zu der er ohnehin entschlossen war." Die hier zugrunde gelegte Erklärung der Strafbefreiung bei Rücktritt ist umstritten 91. Kaum zu bezweifeln aber ist, daß die Strafbefreiung nicht allein aus den Kriterien des allgemeinen strafrechtlichen Zurechnungssystems (etwa Schuldaufhebung) zu erklären ist 92 • Denn der Rücktritt beseitigt nicht die Tatsache, daß ein Delikt begangen wurde. Stratenwerth unterstellt nun, die Interessen, die die Strafbefreiung bei Rücktritt begründen, könnten die Straffreiheit des Provokateurs nicht begründen, d. h. hier lägen wesentlich andere Erwägungen zugrunde. Das ist nicht ohne weiteres überzeugend. Es könnte sein, daß die Interessen an der Straffreiheit des Provokateurs den Interessen an der Strafbefreiung bei Rücktritt ähneln, daß jene nur die Fortsetzung von diesen sind. Wenn dem Täter Straffreiheit für Rücktritt versprochen wird, kann er motiviert werden zu verhindern, daß die Gefahrensituation, die er geschaffen hat, zu materiellem Schaden umschlägt. Daran besteht ein polizeiliches Interesse: Gefahrenabwehr 93 • Es kann durch die Straffreiheit auch prämiert werden, daß der Täter Schaden verhindert hat. Darin realisieren sich ein allgemeines Befriedungsinteresse und ein polizeiliches Interesse an künftiger Kooperationsbereitschaft kriminell handelnder Bürger. Es wird signalisiert, daß Kooperieren sich lohnt. Das polizeiliche Interesse an Kooperation mit Kriminellen zwecks Gefahrenabwehr wird in §§ 129 Abs. 6. 129a Abs.5 StGB, § 31 Nr.2 BtMG besonders deutlich. In dem neuen § 31 Nr. 1 BtMG wird zusätzlich zur Gefahrenabwehr die Bereitschaft zur Kooperation bei der Verfolgung anderer Straftaten stimuliert. Im politischen Strafrecht werden die Kooperationsinteressen der Polizei und allgemein politische Interes90 MDR 1953,717 (718); ebenso Karge, Der agent provocateur. Diss. Frankfurt 1969, S.29f. 91 Vgl. Jescheck, Lehrbuch, § 51 I. 92 Stratenwerth, Strafrecht AT, Rn 706; Jakobs, Strafrecht AT, 26/2,4; Rudolphi in SK StGB, § 24 Rn 4; Grünwald, Festschrift für Welzel, S. 701 (709 ff.). 93 Zu dem verbreiteten Einwand, dieses Interesse sei unrealistisch, vgl. Grünwald, a.a.O.

E. Strafrechtliche Grenzen der Deliktsprovokation

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sen im Rahmen der §§ 153 eid StPO abgewickelt. Auch die weiten Strafrahmen in diesem Bereich ermöglichen das Stimulieren der Kooperation. Bemerkenswert sind hier wiederum die Rücktrittsregeln. § 83a StGB etwa ermöglicht lebenslange Freiheitsstrafe ebenso wie völligen Strafverzicht. Dieser wird naheliegen, wenn der Täter sich besonders kooperationsbereit gezeigt hat, denn das ist ein gemäß § 46 Abs. 2 StGB zu berücksichtigendes Nachtatverhalten. Bei landesverräterischer und geheimdienstlicher Agententätigkeit kann die Kooperation mit dem Verfassungsschutz mit Straffreiheit belohnt werden (§§ 98 Abs.2 99 Abs.3 StGB). Die detaillierten Rücktrittsregeln des materiellen politischen Strafrechts werden ergänzt und überlagert von § 153e StPO; danach kann allgemein bei politischen Delikten ein kooperativer Beitrag zur Gefahrenabwehr mit Straflosigkeit belohnt werden, auch wenn er nach der Entdeckung der Tat geleistet wird. Diese Zusammenhänge der Strafbefreiung bei Rücktritt zeigen einmal, daß die verbreitete These, es sei unrealistisch, die Strafbefreiung als Anreiz und Prämie für den Täter zu verstehen, ihrerseits als generelle unrealistisch ist. Als Anreiz und Prämie wird die Strafbefreiung bei der Bekämpfung organisierter Kriminalität oft eingesetzt 94. Zweitens zeigt sich, daß das Interesse, das durch die Straffreiheit für Provokateure befriedigt würde, nicht so deutlich, wie Stratenwerth meint, unterschieden ist von den gesetzlich anerkannten Interessen, die hinter der Strafbefreiung bei Rücktritt stehen. Eine Analogie ist insofern diskutabel. Provokateure arbeiten praktisch meist den Interessen der Polizei oder des Verfassungsschutzes zu. (Wo einer dies nicht tut, könnte die Strafbefreiung versagt werden.) Sie liefern Informationen, ermöglichen, gefährliche Personen und soziale Bereiche zu kontrollieren und durch Bestrafung provozierter Delikte, Gefahren zu bekämpfen. Der Provokateur kooperiert mit der Polizei, ähnlich wie es in §§ 129 Abs. 6, 129a Abs.5 StGB, § 31 BtMG, § 153e StPO vorgesehen ist. Seine Strafbefreiung hätte ähnliche Bedeutung wie die oben dargestellten Strafbefreiungsmöglichkeiten: Sie griffe im polizeilichen Interesse ein in die Systematik strafrechtlicher Tatzurechnung und in die strikte Durchsetzung des objektiven Strafrechts. welche gleiche Sanktio!lenfür gleiche Tatenfordert. ungeachtet präventiver okkasioneller Kalkulationen. Es gibt aber auch erhebliche Unterschiede zwischen den oben dargestellten Kooperationsformen (verschiedene Rücktrittsversionen, Kronzeugentätigkeit, Gefahrenabwendung) und der kooperativen Deliktsprovokation. Zunächst ist fraglich, ob in polizeirechtlicher Hinsicht polizeiliche Interessen verfolgt werden dürfen, indem - polizeiwidrige - Straftaten von Bürgern gefördert werden. Das soll hier offenbleiben. In strafrechtlicher Hinsicht griffe die Zulassung der Provokation weiter in das System des allgemein gültigen Rechts ein als die erwähnten schon zugelassenen Formen der Kooperation mit kriminell handelnden Bürgern. Wie auch immer man die Straffreiheit bei Rücktritt erklärt, sie betrifft 94

Zum Erfolg der Kronzeugenregelung des § 31 BtMG vgl. Körner, BtMG, § 31 Rn 4.

16 Keller

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1. Teil: Nonnative Schranken der Deliktsprovokation

nie das Verbot der deliktischen Handlung, von der zurückgetreten wird, sondern ein Verhalten nach der Verbots übertretung 95; dieses nachträgliche Verhalten setzt das Verbot logisch und sachlich voraus. Es wird durch die Strafbefreiung beim Rücktritt nicht erheblich geschwächt. Der Täter erhält Straffreiheit dafür, daß er demonstriert hat, daß sein Verhalten falsch war. Er hat es mit dem Rücktritt negiert und damit als verfehlt anerkannt 96 • (Das erklärt nicht hinreichend, warum auf die Strafe ganz verzichtet wird - dafür sind auch die erwähnten Interessen relevant -; wohl aber wird das Verhältnis des Rücktritts zum Verbot der Tat erklärt.) Von dieser Konzeption würde die bedingte Straffreiheit der Provokation wesentlich abweichen. Die Rücknahme der Sanktionsdrohung ermöglichte den an Provokation Interessierten eine erweiterte Kalkulation: Sie können die Tat ohne das ansonsten hinzunehmende Bestrafungsrisiko veranlassen, wenn sie die Verwirklichung der Absicht verhindern. Bis dahin besteht zwar (theoretisch) noch ein Bestrafungsrisiko (praktisch dürfte es in Kooperation mit der Polizei oft ausgeschlossen werden), das aber durch die Verhinderung der Absichtsverwirklichung vom zu Bestrafenden verbindlich beendet werden kann. Die Veranlassung der Tat würde bei dieser Konzeption zwar (theoretisch) nicht gebilligt, aber in erweitertem Maß ermöglicht. Das Einhalten des Verbots würde bei dieser Konzeption in erweitertem Maß zur Disposition der Adressaten gestellt. Insofern griffe die bedingte Straffreiheit der Provokation ins materielle Strafrecht weiter ein als die Straffreiheit bei Rücktritt. Man könnte das Verhindern der Beendigung der provozierten Tat auch nicht ebenso wie den Rücktritt als Negation der Provokation der Tat deuten. Denn wenn vorab eine Kalkulation mit dem strafbefreienden Verhindern der Beendigung möglich ist, so wird dieses zur Bedingung der Provokation der Tat. Es ermöglicht dem Provokateur die Provokation der Tat, die er durch Rücktritt zu negieren hätte. Die Provokation der Tat wird dann nie dementiert; sie bleibt zusammen mit der Verhinderung der Absichtsverwirklichung positiv bewertet; ihre Wirkung soll die Bestrafung des Provozierten begründen. Das Verhindern der Absichtsverwirklichung könnte man dem Rücktritt nur dann gleichstellen, wenn man die Provokation der Tat, weil der Provokateur meinte, die Absichtsverwirklichung könne er verhindern, für strafrechtlich irrelevant hielte. Aber wenn ein rücktrittsähnliches Verhalten strafbefreiend wirken soll, so wird anerkannt, daß ein strafbares Verhalten vorausgegangen ist. Gegenüber dieser Argumentation liegt der Einwand nahe, auch bei bedingter Straffreiheit der Provokation sei der Täter von Strafe nur dann frei, wenn er die Absichtsverwirklichung verhindert, und dies sei ebenso eine demonstrative "AufDazu Stratenwerth, MDR 1953,717 (718); Grünwald, a.a.O., S. 706; Jakobs, a.a.O. Schmidhäuser, Strafrecht AT, 15/69; Jakobs, Strafrecht AT, 26/1 ff.; GTÜnwald, Festschrift für Welzel, S. 711 f.; Jescheck, Lehrbuch, § 51 13. 95

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E. Strafrechtliche Grenzen der Deliktsprovokation

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hebung" der Tat wie der Rücktritt. In der Tat gleichen sich äußerlich beide Verhaltensweisen. Aber das reicht für ihre rechtlich gleiche Bewertung ebensowenig hin, wie das äußerliche Erheben eines Messers hinreicht, um das Verhalten als versuchte Körperverletzung zu bewerten. Es kommt auch auf die subjektive Seite des Verhaltens an, wenn sein normativer Gehalt berücksichtigt werden soll. Daher wird im Zusammenhang des Rücktritts nur dann eine relevante Aufhebung der Tat angenommen, wenn das Verhalten freiwillig war 97 , dem Täter (hier dem Provokateur) also zuzurechnen ist. Die Freiwilligkeit müßte bei der Provokation eine Entsprechung haben, wenn Strafbefreiung eintreten soll. Angenommen es gilt die Regel, daß die Provokation nicht bestraft wird, wenn der Provokateur die Absichtsverwirklichung verhindert oder ein Absichtsd~likt derart provoziert, daß die Absicht nicht verwirklicht werden kann. Wenn nun jemand einen anderen, weil er ihn bestraft sehen will, zu einem Absichtsdelikt provoziert und die Verwirklichung der Absicht, wie er von Anfang an vorhat, verhindert, weil er selbst nicht als Anstifter des Delikts bestraft werden will, so hat er letzteres wohl nicht freiwillig getan. Die Verhinderung war Reaktion auf das Bestrafungsrisiko. Gewiß schließt Angst vor Strafe nicht immer die Freiwilligkeit eines Rücktritts aus. Wenn aber jemand wegen eines wirklich oder vermeintlich entstehenden oder sich steigernden erheblichen Bestrafungsrisikos sich zur Umkehr entschließt, so ist das nicht als freiwillig zu bewerten. Der Provokateur entschließt sich zum Verhindern der Absichtsverwirklichung in dem Moment, in dem das Bestrafungsrisiko entsteht und allein deswegen. Das unterscheidet ihn übrigens von dem Täter oder Teilnehmer, der bei seinem (unbedingten) Entschluß zu handeln sich als Möglichkeit vorbehält, im Laufe der Deliktsausführung zurückzutreten und dies dann, eventuell weil er die von Anfang an als möglich erkannte Strafe nun doch mehr fürchtet, als der Taterfolg ihn lockt, auch tut. Hier hat der Handelnde das Setzen des Bestrafungsrisikos durch die Tat nicht in einen Bedingungszusammenhang mit dem Rücktritt gebracht. Das Rücktrittsmotiv ist mit dem Tatmotiv "unverträglich" und deshalb frei 98. Diese Motivkonstellation weicht aber rechtlich und praktisch wesentlich ab von der typischen Motivation der Provokation. Der Provokateur provoziert allerdings freiwillig - das sei hier unterstellt das Absichtsdelikt so, daß er es noch verhindern kann oder daß es gar nicht vollendet werden kann. Aber wenn die Absichtsverhinderung die Provokationstat normativ negieren soll, so muß sie ihrerseits frei, unabhängig von dem mit der Provokationstat verbundenen bewußten Setzen des Bestrafungsrisikos, produziert sein. Nicht anders verhält es sich, wenn der Provokateur die Absichtsverwirklichung verhindert, um das von der provozierten Tat gefährdete Rechtsgut nicht verletzen zu lassen. Wenn der Ausfall einer Bedingung, von der die weitere Ausführung einer Tat abhängig gemacht worden war, die Freiwilligkeit des 97 98

16*

Jescheck, a.a.O. Vgl. Jakobs, Strafrecht AT, 26/30.

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1. Teil: Normative Schranken der Deliktsprovokation

Rücktritts ausschließt 99 , so kann nicht das Einlösen einer Bedingung (Verhindern der Absichtsverwirklichung), von der die Tat abhängig gemacht worden war, frei willig sein 100. Die Freiwilligkeit des Provokateurs kann auch nicht damit begründet werden, daß er nach der Tat theoretisch sich auch hätte umentschließen, das Einlösen der Bedingung der Provokation unterlassen und die Verwirklichung der Absicht geschehen lassen können. Danach dürfte die Angst vor Strafe nie die Freiwilligkeit eines Rücktritts ausschließen. Im übrigen ist für die Bewertung eines Rücktritts als freiwillig dessen Motiv im Verhältnis zur Tat entscheidend. Wer die Bedingung einer unrechten Tat einlöst, "distanziert" sich damit nicht von ihrem Unrecht; das aber gehört zum Rücktritt 101. Außerdem könnte bei der zuletzt erwogenen Lösung derjenige Provokateur nicht straffrei sein, der die Tat selber so provozierte, daß faktisch die Verwirklichung der Absicht ausgeschlossen war, der damit also das Ausbleiben des schädlichen Erfolges noch gewisser machte als der, der erst nach der Provokation die Absichtsverwirklichung verhinderte. Sollte die Freiwilligkeit situiert werden vor der Provokation, weil in diesem Stadium der Provokateur sich unbehindert entschloß, später die Absichtsverwirklichung zu verhindern und diese Verwirklichung eventuell auch schon faktisch unmöglich machte, so wäre zu berücksichtigen, daß er mit diesen Verhaltensweisen vor der Provokation zugleich eine Bedingung für die rechtswidrige Provokationstat setzte, die durch den Rücktritt zu negieren wäre. Würde also hier ein freiwilliges rücktrittsähnliches Verhalten angenommen, so würde der Unwert der Provokationstat übergangen, der aber mit der Frage nach einem rücktrittsähnlichen Verhalten anerkannt wird. Das Verhalten des Provokateurs kann auch nicht als "antizipierter Rücktritt" gewertet werden, den Küper 102 in folgendem Fall annimmt: Von mehreren Komplizen hatte einer die gemeinsam geplante und durchzuführende "Gesamttat" begonnen und damit ins Versuchsstadium gebracht; seine Komplizen hatten sich aber schon zuvor entschlossen, die Sache aufzugeben, und waren nicht am Tatort erschienen, so daß der aktive Komplize im Versuch steckenblieb. Die "Gesamttat" ist hier den zuhause Gebliebenen schon nicht als eigene zuzurechnen, was später genauer begründet werden wird. Davon abgesehen sind sie wegen Rücktritts straffrei, auch wenn sie sich schon vor Versuchsbeginn zurückzogen. Insofern entspricht ihrem Verhalten das des Provokateurs, der sich vor Tatbeginn entschließt, die Absichtsverwirklichung zu verhindern, und u. U. schon vor der Tat die Bedingungen für ihr Scheitern setzt. Aber anders als die vorzeitig zurückgetretenen Komplizen gründet der Provokateur vor der Tat auf die Möglichkeit Eser in Schönke / Schröder § 24 Rn 48. ,,Freiwillig ist demnach eine Motivation zum Rücktritt, die mit der Motivation zur konkreten Tat unverträglich ist." (Jakobs, Strafrecht AT, 26/30). 101 Schmidhäuser, Strafrecht AT, 13 /9, 15/69. 102 JZ 1979, 776 (781). 99

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E. Strafrechtliche Grenzen der Deliktsprovokation

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und den Entschluß zurückzutreten das Begehen der rechtswidrigen Tat. Das entwertet seinen "Rücktritt". Nach dem Gesetz sollte umgekehrt der Rücktritt die rechtswidrige Tat entwerten.

Fazit: Wenn die bedingte Straffreiheit der Provokation analog dem Rücktritt von der Freiwilligkeit der Verhinderung der Absichtsverwirklichung abhängig gemacht wird, so dürfte diese Bedingung kaum je erfüllt sein. Verzichtet man aber bei der bedingten Straffreiheit der Provokation auf das Kriterium Freiwilligkeit, so wird das Verbot der deliktischen Handlung mehr geschwächt als durch die Strafbefreiung bei Rücktritt. Die bedingte Straffreiheit der Provokation wäre demnach nicht in Analogie zum Rücktritt zu begründen. Wenn eine bestimmte Einschränkung des strafrechtlichen Zurechnungssystems geregelt ist, so folgt daraus nicht, daß eine weiterreichende Einschränkung desselben zulässig sein müßte. Im Vergleich mit den anderen oben dargestellten gesetzlich zugelassenen Formen intensiver Kooperation mit der Polizei scheint die bedingte Straffreiheit für Provokateure allerdings wenig bedeutsam zu sein. Denn nach ihrem gesetzlichen Programm würden Staatsanwaltschaft und Polizei von der Provokationstat an zur Strafverfolgung verpflichtet bleiben. Bis zur effektiven Verhinderung der Absichtsverwirklichung trüge der Provokateur also ein Bestrafungsrisiko. Unsicher wäre auch, ob die Absichtsverwirklichung tatsächlich ausbleibt. Das bloße Bemühen darum machte den Provokateur nicht straffrei. Das wäre, wenn die bedingte Straffreiheit bei Provokation zugelassen würde, das gesetzliche Programm. Dieses allein zu berücksichtigen, genügt aber nicht. Wenn ein Fall qua Analogie geregelt werden soll, so muß auch der entstehende Zusammenhang, die Konkretisierung der Regelung, berücksichtigt werden. Insofern ist einmal bemerkenswert, daß die bedingte Straffreiheit bei Provokation als Regelung eine Tendenz zur normativen Zweideutigkeit enthielte. Es würde einerseits dem Provokateur angeboten, eine Straftat ohne Straffolge zu begehen, wenn er eine Leistung erbringt; andererseits würde die Straftat aber - nach dem gesetzlichen Programm - verfolgt und dadurch u. U. die Leistung durch den Provokateur gestört (er muß sich u. U. verbergen, wird vor Verhinderung der Absichtsverwirklichung festgenommen etc.) oder durch eigene Gefahrenabwehrrnaßnahrnen der Polizei überholt. In dieser Lage würde die an der Normkonkretisierung erheblich beteiligte Polizei sich vermutlich auf die Seite des Provokateurs und seiner Provokation stellen, sofern er mit ihr kooperiert, denn dies entspricht erklärtermaßen ihrem Interesse an Gefahrenkontrolle. Sie könnte deshalb das Angebot der Straffreiheit erhöhen, z. B. um Geldangebote oder um das Angebot, frühere Straftaten zu vergessen. Sie könnte auch das Risiko des Provokateurs, nach der Tat vor der Verhinderung der Absichtsverwirklichung oder nach dem Scheitern des Verhinderns offiziell entdeckt zu werden, minimieren; insgesamt könnte sie eine breite staatliche Provokationstätigkeit entfalten. Das entspräche zwar nicht dem gesetzlichen Programm. Es

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1. Teil: Nonnative Schranken der Deliktsprovokation

würde der Polizei von diesem aber ziemlich nahegelegt, die Grenzen des Programms zu überschreiten. Im Hinblick auf diese Probleme der Normkonkretisierung ist die bedingte Straffreiheit bei Provokation nun doch als ein erheblicher Eingriff in die strafrechtlichen Verbote und ins allgemeine strafrechtliche Zurechnungssystem zu bewerten, der nicht durch eine Analogie zur Strafbefreiung bei Rücktritt und ähnlichen Formen der Kooperation mit der Polizei zu begründen ist. Damit ist zugleich entschieden, daß auch die für den Rücktritt von Absichtsdelikten z. T. fakultativ vorgesehene Strafmilderung (§ 49 Abs. 2 StGB) nicht auf die Provokation von Absichts- und Untemehmensdelikten übertragen werden kann. Auch dadurch würde ins Zurechnungssystem und in die Bestimmungswirkung des Verbots - zwar weniger als durch Straffreiheit, aber mehr als durch die Rücktrittsregelung, also unzulässig - eingegriffen.

Fazit: Die für Rücktritt vorgesehene Strafbefreiung oder Milderung ist auch analog nur auf den anwendbar, der zunächst den Vorsatz hatte, die Absicht verwirklichen zu lassen. Das kann man für ungerecht halten, weil der Provokateur von Anfang an nicht gewollt hat, wovon der Zurücktretende sich erst später abgewendet hat. Indes steckt derartige Ungerechtigkeit grundsätzlich in der Rücktrittsregelung. Weil sie Interessen zur Geltung bringt, die jenseits der allgemeinen Tatzurechnung liegen, stört sie deren Version von Gerechtigkeit. Die Orientierung an der Umkehr ist immer problematisch: Wenn jemand seine Versuchshandlung schon fast zur Tatvollendung getrieben hat und dann umkehrt, ist er straffrei. Ein anderer, der in einer frühen Versuchsphase von der Polizei gefaßt wird, wird wegen Versuchs bestraft, obgleich auch er vielleicht später strafbefreiend umgekehrt wäre; eine Analogie zum Rücktritt hilft ihm nicht. Die Diskrepanz der beiden Entscheidungen zeigt, daß die Orientierung des Gesetzes an der Umkehr unabhängig ist von der allgemeinen Bewertung der Entwicklung der deliktischen Handlung. Erstere läßt keine Schlüsse hinsichtlich letzterer zu.

III. Provokation durch Mittäterschaft Daß der Provokateur als Mittäter haftet, kommt in Frage, wenn er über die bisher erörterten Aktivitäten, Anstiftung und Beihilfe, hinausging und mit dem Provozierten zusammen das Tatgeschehen beherrschte. 1. Zunächst sei vom vollendeten, insbesondere vom Absichtsdelikt, abgesehen und angenommen, daß der Provokateur nur einen Versuch hervorrufen wollte und die Vollendung für ausgeschlossen hielt. Dann fehlte ihm der für die Versuchshaftung erforderliche Vorsatz, den Deliktstatbestand zu verwirklichen. Allerdings hatte er vorsätzlich und mit "Tatherrschaft" einen Versuch produziert, also eine Straftat, was nach § 25 Abs. 2 StGB, nimmt man dessen Wortlaut für sich, die Haftung begründet. § 25 Abs. 2 StGB regelt jedoch nicht wie die §§ 26,

E. Strafrechtliche Grenzen der Deliktsprovokation

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27 StGB die Haftung für eine fremde Tat, die der Teilnehmer mitproduziert hat und für die er so einzustehen hat, wie der beherrschende Täter sie mit Wissen des Teilnehmers ausführt und steuert. § 25 Abs. 2 StGB regelt die Haftung für eine eigene Tat, für "die Straftat", die auch in § 25 Abs. 1 StGB geregelt ist. Wenn der Mittäter die Stellung des Täters erhält, muß auch er bei der Tat den Tätervorsatz haben. 1. Denn die mittäterschaftliehe Haftung ist begründet in dem den je einzelnen objektiven Tatbeitrag übergreifenden gemeinsamen Vorsatz bezüglich der ganzen Tat. 2. Wenn also der Provokateur die Vollendung für ausgeschlossen hielt, haftet er nicht als Mittäter und auch nicht als Teilnehmer, denn die subjektiv nur auf einen Versuch gerichtete Teilnahme ist straflos. Der Provokateur haftet allerdings schon dann als Mittäter, wenn er die Vollendung nur i. S. des bedingten Vorsatzes für möglich hielt. 3 2. Wenn der Provokateur als Mittäter an einem vollendeten Delikt beteiligt war, haftet er nach den allgemeinen Regeln. Anders ist es, wenn das vollendete Delikt ein Absichtsdelikt war und der Provokateur die Absicht, die der Provozierte hatte, für unrealisierbar hielt. Die Absicht konstituiert mit die Tat als Tendenztat 4 • Sie bildet mit Vorsatz und Handlung eine Einheit 5 • Als Täter haftet dafür nur, wer auch die Absicht hat. Dann gilt gleiches aus den zum Versuchsfall dargestellten Gründen für die Mittäterhaftung. Wenn der Provokateur die Absicht für unrealisierbar hielt, war die Tat nicht seine. Diese Lösung läßt freilich offen, was unter Absicht zu verstehen ist. Wenn sie z. B. auch den dolus eventualis umfaßt, so hat der provokatorische "Mittäter" die Absicht nur dann nicht (mit der Folge, daß er nicht als Mittäter haftet), wenn er die Absicht der anderen für unrealisierbar hielt. Zu bestimmen, was die Absicht umfaßt, gehört in den Zusammenhang der Bestimmung der Vorsatzstufen im allgemeinen und bei den einzelnen Tatbeständen des Besonderen Teils. Da diese Probleme nicht spezifisch für die Provokation sind, sollen sie hier nur kurz vorgestellt werden. Wenn für die Absicht z. B. bei § 267 Abs. 1, 1. u. 2. Fallgruppe StGB auch dolus eventualis genügt 6, so gilt hinsichtlich der Haftung des Provokateurs das oben Gesagte. Ob § 267 StGB nur derart geringe Anforderungen an die Absicht stellt, ist allerdings nicht sicher. Begründet wird es mit der These, § 267 StGB erfasse in der 1. und 2. Fallgruppe der Sache nach Vorbereitungshandlungen. Die Kriterien des subjektiven Tatbestandes seien deshalb so zu bestimmen, wie 1 Cramer in Schönke / Schröder, § 25 Rn 95; BGH JZ 1979,483; Küper, JZ 1979, 776 (781); GTÜnwald, Festschrift für Welzel, S. 701 (706); Samson in SK StGB, § 24 Rn 34. 2 Vgl. Küper, a.a.O., S. 777. 3 Vgl. Küper, a.a.O., S. 782 Anm. 68. 4 Welzel, Deutsches Strafrecht, S. 79. 5 s. o. I. Teil E II 3 d. 6 So Stratenwerth. Strafrecht AT, Rn 318.

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1. Teil: Nonnative Schranken der Deliktsprovokation

sie sinnvollerweise zu bestimmen wären, wenn der Tatbestand das sachlich vollendete Delikt erfaßte. In dieser Sicht aber sei nicht plausibel, warum hinsichtlich des Erfolges nicht dolus eventualis hinreichen sollte 7. Letzteres mag zutreffen. Aber möglicherweise gehört zu der Gefährlichkeit der (vorbereitenden) Handlung, deretwegen das Strafrecht sie schon als Vollendung pönalisiert, auch eine besondere subjektive Intensität des Täters, mit der er einen Plan verfolgt. Dies könnte mit dem Kriterium Absicht erfaßt sein, so daß es als Absicht im engeren Sinn zu bestimmen wäre 8, d. h. als auf die Absichtsverwirklichung zielendes Handeln 9 • Dieses ist gefährlich, weil der Täter um des Zieles willen Energie investiert, die den Erfolg und damit den Schaden wahrscheinlich macht. Wenn man annimmt, zur Absicht gehöre zielgerichtetes Handeln aller MittäterIO, so ist der Provokateur schon dann nicht Mittäter, wenn es ihm nicht auf die Absichtsverwirklichung ankommt. Arbeitete er z. B. mit auf die Verwirklichung hin, weil er meinte, anhand Objektivation der Absicht würden die Mittäter sicherer überführt werden können, so kam es ihm auf die Verwirklichung an. Arbeitete er bei der Tat mit in der Annahme, die Mittäter würden auch ohne Verwirklichung der Absicht überführt werden können und sah er dabei in der Verwirklichung der Absicht eine mögliche oder sichere Folge, so kam es ihm nicht darauf an. Jakobs hat allerdings plausibel gemacht, daß es nicht sinnvoll ist, bei Arbeitsteilung mehrerer hinsichtlich aller Absicht i. e. S. zu fordern. Wichtig sei nur, daß hinsichtlich der noch ausstehenden Handlungen einer arbeitsteilig die Fortführung i. e. S. beabsichtigt und die anderen dies wissen 11. Die Absicht i. e. S. stelle einen Planungszusammenhang her, der die u. U. nur mit bedingtem Vorsatz bezüglich der Folgen geleisteten Handlungen der anderen Mittäter gefährlich mache. Die Anforderungen an den Vorsatz des Provokateurs richten sich bei dieser Konzeption nach seiner Stellung in der Arbeitsteilung. Ist der Provokateur in der Stellung dessen, der die Fortführung zu beabsichtigen hätte, die er in Wahrheit aber nur für möglich hält, so fehlt der von ihm herzustellende Planungszusammenhang, der nach Jakobs die Handlungen der anderen gefährlich machen würde. Der Provokateur haftet nicht als Mittäter 12. Die anderen Beteiligten haften 7 So auch Lenckner, NJW 1967, 1890 (1892), der aber aus anderen Gründen direkten Vorsatz fordert. 8 So Jakobs, Strafrecht AT, 8/39. 9 Lenckner, a.a.O., S. 1892, meint diese Absicht i. e. S. sei nicht gefährlicher als der direkte Vorsatz. Das Verhältnis der beiden Vorsatzfonnen kann vorliegend nicht geklärt werden. 10 Das wird gefordert, wenn z. B. die Bereicherungsabsicht (§ 263) als Charakterisierung des Täters verstanden wird (so z. B. Samson in SK StGB, § 28 Rn 20); die Charakterisierung müßte dann bei jedem Mittäter gegeben sein. II Strafrecht AT, 8/39; gegen solche Differenzierung Lenckner, NJW 1967, 1890 (1891 f.). 12 Hinsichtlich der provokatorischen Teilnahme am Absichtsdelikt erwies sich vorliegend als gleichgültig, ob der Teilnehmer die Absicht für realisierbar hielt. Das ist anders,

E. Strafrechtliche Grenzen der Deliktsprovokation

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nicht als Mittäter des vollendeten Absichtsdelikts, eventuell aber wegen diesbezüglichen Versuchs oder wegen Verbrechensverabredung (§ 30 Abs. 2 StGB) 13. Daß der Provokateur nicht als Mittäter solchen Versuchs haftet, weil zur Mittäterschaft Vollendungsvorsatz des Mittäters gehört, wurde oben (1.) dargestellt. Da die gleichen Haftungskriterien hinsichtlich der Verabredung als Vorstufe der Mittäterschaft gelten müssen, haftet der Provokateur auch nicht nach § 30 Abs. 2 StGB; er hatte auch bei der Verabredung keinen Vollendungsvorsatz l4 • (Sofern die geleisteten Beiträge der Beteiligten auch ohne die Absicht selbständig strafbar sind, bleibt die diesbezÜgliche Haftung unberührt.) In den Fällen, in denen der Provokateur mangels Absicht nicht als Mittäter haftet, bleibt seine Haftung wegen Beihilfe oder Anstiftung hinsichtlich der Taten der anderen Beteiligten zu erwägen. Wenn allerdings die anderen nur Versuch begingen und der Provokateur wußte, daß dieser nicht würde vollendet werden können, scheidet seine Haftung aus, weil die subjektiv nur auf einen Versuch gerichtete Teilnahme straflos ist. Wenn die anderen Beteiligten ein Verbrechen verabredeten, so ist die Haftung des Provokateurs wegen Teilnahme schon deshalb ausgeschlossen, weil Anstiftung und Beihilfe zu einer Verabredung (Problem der mehrfachen Modiftkation des Deliktstatbestandes) nicht strafbar sind, wie oben gezeigt wurde 15. Anders verhält es sich, wenn die anderen Beteiligten vollendete Absichtsdelikte begingen und der Provokateur nicht Mittäter ist, weil er die Absicht für unrealisierbar hielt (oder weil er nur dolus eventualis hatte, für das Absichtsdelikt aber Absicht i. e. S. erforderlich gewesen wäre). Beispiel: Der Provokateur und zwei andere Personen falschen gemeinschaftlich eine Urkunde; die beiden anderen beabsichtigen, gemeinschaftlich die Urkunde zur Täuschung im Rechtsverkehr zu verwenden; der Provokateur hat insgeheim vor, dies zu verhindern. In diesem Fall schließt die Tatsache, daß der Provokateur keine Absicht hatte, nur seine eigene Haftung wegen (mittäterschaftlicher) Urkundenfälschung aus, nicht die der anderen, da sie selbst die strafbegründende Absicht zum Weiterhandeln hatten. Daß der Provokateur die Macht hatte, die Absichtsverwirklichung zu verhindern, schließt ebenfalls nicht aus, daß die anderen Beteiligten haften, weil sie die Urkunde fälschten in der Absicht - Verwirklichung ist nicht erforderlich -, sie zur Täuschung zu verwenden. Zu den Taten der anderen Beteiligten trug der Provokateur durch seine Mitwirkung bei der Fälschungshandlung bei. Dafür haftet er wegen Beihilfe oder Anstiftung. Daß er die Verwirklichung der Absicht wenn es um Täterschaft geht. Weil der Täter für ein eigenes Delikt haftet, muß er die Absicht selbst haben, bzw. - nach Jakobs Ansatz - ein arbeitsteilig zuständiger Mittäter muß die Absicht i. e. S. haben. 13 Vgl. Küper, JZ 1979, 776 (782). 14 In der von Küper, a.a.O., erörterten Fallkonstellation kam es auf § 31 Abs. 1 Nr. 3 StGB an, weil die Mittäter, die die Vollendung verhinderten, bei der Verabredung Verwirklichungs willen hatten. 15 BGHSt 14, 156 (157); s. o. 1. Teil E I 3.

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1. Teil: Nonnative Schranken der Deliktsprovokation

der Täter verhindern wollte, steht dem nicht entgegen, wie zur provokatorischen Teilnahme am Absichtsdelikt gezeigt wurde.

IV. Straffreie Mittel der Provokation Bisher wurden die Mittel der Provokation nicht problematisiert. Zu erörtern bleibt, wann sie die Grenze des Strafbaren erreichen. Will der Provokateur Erfolg haben, muß er seinen oft verfolgten Zweck - Bestrafung des zu Provozierenden - diesem verheimlichen. Womöglich wird er überhaupt den Vorgang der Förderung der Straftat verdecken, wird also eine Situation schaffen, die im allgemeinen neutral erscheint, zugleich aber den zu Provozierenden zur Tat stimuliert. Dadurch wird die Gefahr, daß der Provokateur im Strafverfahren als solcher erscheint, geringer, und die Frage der Straffreiheit oder Milderung für den Provozierten stellt sich nicht erst. Das Schaffen einer verdeckt stimulierenden Situation dürfte also praktisch nicht selten vorkommen, freilich selten aufgeklärt werden. Es ist auch nicht sicher, ob es strafbar ist. Beispiel: Der Provokateur lockt unter neutralem Vorwand - "zu einem Bier" - den zu Provozierenden in eine Gaststätte, in der u. a. mit Drogen gehandelt wird, was den zu Provozierenden erwartungsgemäß veraniaßt, sich am Handel zu beteiligen 1. Ob derartiges als Anstiftung 2 oder als Beihilfe 3 oder überhaupt nicht als Teilnahme 4 zu bewerten ist, ist umstritten.

1. Besondere Mittel der Anstiftung Nach dem Gesetz sind die Mittel, durch die einer den anderen zur Straftat bestimmt, nicht eingegrenzt; folglich, so meinen die Vertreter der weiten Auslegung des § 26 StGB, seien sie beliebig; auch das Schaffen einer stimulierenden Situation gehöre dazu S. Viele Autoren jedoch fordern einengende Kriterien: geistige, kommunikative, psychische Beeinflussung 6, Verhaltens vorschlag 7, 1 Entsprechende Fälle behandeln, ohne auf das vorliegende Problem einzugehen: RGSt 45, 145; BGHSt 4, 199; OLG Köln, NJW 1961,2360. 2 So Dreher / Tröndle, § 26 Rn 3; Herzberg, JuS 1976,41; Widmaier, JuS 1970,241 (242 f.); Lackner, § 26 Anm. 2; Samson in SK StGB, § 26 Rn 5, der allerdings erlaubtes Risiko annimmt,; Karge, Der agent provocateur, Diss. Frankfurt 1969, S. 27 ff.; vgl. auch BGHSt 2, 279. 3 So v. Bar, Gesetz und Schuld im Strafrecht, Bd.lI, S.646; Heilbom, Der agent provocateur, S. 73; Gerland, Deutsches Reichsstrafrecht, Bd. 1,2. Aufl., S. 199; Singewald, Der agent provocateur, S.60; Mayer, Strafrecht AT (1953), S. 321 f.; Welzel, Deutsches Strafrecht, S. 116; Schmidhäuser, Strafrecht AT 14/104; Otto, JuS 1982, 557 (564); Jescheck, Lehrbuch, § 64 III 1. 4 So Stratenwerth, Strafrecht AT Rn 881 f., 1163; Samson, a.a.O.; wohl auch Roxin in LK § 26 Rn 12; § 27 Rn 9; differenzierend Jakobs, Strafrecht AT 24/16 ff.; ders., ZStW 89 (1977), 1 (23 ff.); Maurach / Gössel! Zipf, Strafrecht AT, Tb. 2, § 51 III B 3. 5 s. o. Anm. 2.

E. Strafrechtliche Grenzen der Deliktsprovokation

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Kollusion 8, Planherrschaft 9 , Tatplangemeinschaft bei Unterordnung des Täters 10. Diesen Kriterien entspreche das Schaffen einer zur Tat stimulierenden Situation nicht. Das überzeugt nicht hinsichtlich der Formulierung ,psychische Beeinflussung' , denn wenn nicht mit vis absoluta, so bewirkt eine Situation einen Entschluß psychisch 11. Gemeint ist wohl kommunikative Beeinflussung. Eine Begründung der restriktiven Auslegung des § 26 StGB stützt sich auf den restriktiven Täterbegriff und den daraus folgenden numerus clausus der Beteiligungsformen 12, die mithin zu unterscheiden sind. Daraus könnte man schließen, von der Beihilfe, deren Mittel unbestimmt sind, müsse die Anstiftung unterschieden werden, indem ihre Mittel näher bestimmt werden. Die Anstiftung ist jedoch, schon hinsichtlich des Erfolges - Hervorrufen des Tatentschlusses - von Beihilfe unterschieden. Eine weitere Differenzierung, und welcher Art sie sein muß, ist aus dem numerus clausus nicht zu erschließen. Ein anderes Argument lautet: Da der Anstifter schwerer als der Gehilfe und ebenso wie der Täter bestraft wird, muß die Bestimmung der Anstiftung von der Beihilfe deutlich abgesetzt und der Tat angenähert werden 13. Auch daraus ist nicht zu erschließen, welche Art von mehr oder weniger restriktiven objektiven Kriterien entscheidend sein soll. Außerdem ist aus der Tatsache, daß für verschiedene Verhaltensweisen (Anstiftung und Tat) der gleiche Strafrahmen festgesetzt ist, nicht unbedingt zu schließen, sie müßten gleich unwertig sein und entsprechend bestimmt werden. § 316 StGB etwa gibt für vorsätzliches und fahrlässiges Verhalten einen Strafrahmen an, ebenso § 125 StGB für Täterschaft und Beihilfe. Auch ist grundsätzlich der Schluß von den Rechtsfolgen auf die Voraussetzungen problematisch im Hinblick auf Art. 20 Abs. 2 GG, denn er tendiert bekanntlich zur Entmachtung der Gesetzgebung zugunsten der Rechtsprechung. Das hat bei § 26 StGB nicht nur theoretische Bedeutung. Es spricht einiges dafür, daß die Gesetzgebung die von den restriktiven Kriterien aus der Anstiftung ausgegrenzten Verhaltensweisen als gewichtiger eingeschätzt hat als die Vertreter der restriktiven Auslegung und deshalb diese Verhaltensweisen noch in den Strafrahmen für Täter einbezogen hat 14. Deshalb wurde der § 28 Abs. 2 AE StGB nicht ins Gesetz übernommen 15. Allerdings ist auch solche subjektiv historische Interpreta6 Roxin, a.a.O., § 26 Rn 12; Jescheck, Schmidhäuser, Welzel, Singewald, Stratenwerth, jeweils a.a.O. 7 Schmidhäuser, a.a.O. 14/ 101. 8 D. Meyer, Das Erfordernis der Kollusion bei der Anstiftung (Diss. Hamburg 1973). 9 Schulz, Die Bestrafung des Ratgebers (1980), S. 137 ff. 10 Puppe, GA 1984, 101 ff.; ähnlich Jakobs, Strafrecht AT 22/22. 11 Samson, a.a.O. 12 Stratenwerth, Strafrecht, AT Rn 882. 13 Roxin, Jakobs, Puppe, jeweils a.a.O. 14 Vgl. 2. Schriftl. Bericht, BT Dr. V /4095, S. 13. 15 Dazu F.C. Schroeder, Der Täter hinter dem Täter, S. 215; Roxin ZStW 78 (1966), 233.

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I. Teil: Normative Schranken der Deliktsprovokation

tion problematisch, denn es ist nicht sicher, ob dies die Motive der Gesetzgebung, d. h. der Parlamentarier waren. Für eine objektiv-systematische Interpretation ist die Annäherung der Bestimmung der Anstiftung an die Täterschaft und ihre deutliche Absetzung von der Beihilfe plausibel. Dafür spricht auch I. Puppes 16 Argumentation: Die Kausalität vom Handeln des Anstifters zum Tatentschluß ist u. U. schwer nachzuweisen. Wenn nämlich ohne nähere Bestimmung jedes Hervorrufen des Entschlusses ausreicht, so genügt auch eine psychische Kausalität, die als Zusammenhang von Ursache und Wirkung kaum materialisiert ist. Konkret: Ob eine allgemein als neutral angesehene Situation den Täter zum Entschluß stimuliert hat oder nicht oder ein wenig zum Teil, ist u. U. schwer nachzuweisen. Deshalb soll es nach Puppe auf einen objektivierten Wirkungszusammenhang ankommen 17, auf den Unrechtspakt zwischen Anstifter und Täter. - Die Objektivierung ist rechtsstaatlieh angemessen. Der mögliche Einwand, das materielle Recht dürfe nicht im Hinblick auf seine Beweisbarkeit manipuliert werden, trifft hier nicht. Denn zugleich mit der Beweisbarkeit wird das Recht durch die objektiven Kriterien an den Wahrnehmungsund Verständigungshorizont der Menschen geknüpft, für die es bedeutsam und kontrollierbar sein soll. Zwar ist auch mit dieser Argumentation nicht zu begründen, welche Objektivation der Anstiftungswirkung entscheidend sein soll - es werden auch andere als die von Puppe vorgeschlagenen Kriterien diskutiert. Aber daß mit dem Schaffen einer allgemein als neutral angesehenen Situation und der anschließenden Straftat noch kein hinreichend faßbarer Wirkungszusammenhang gegeben ist, kann angenommen werden. Das entspricht auch der Wortlautinterpretation. Im allgemeinen Sprachgebrauch versteht man unter "bestimmen" nicht nur einen durch beliebige Kausalität bewirkten Erfolg, sondern auch eine qualifizierte Handlung: das kommunikative Vermitteln einer Intention und die Übernahme durch den Adressaten. An der Kommunikation fehlt es im vorliegenden Fall. Allerdings ist der hier zugrundegelegte allgemeine Sprachgebrauch keine sichere Grenze der Strafgesetzesauslegung. In einem weiteren Sinn kann man den Terminus ,bestimmen' auch auf den bloßen Erfolg beziehen 18: Jemand ist durch eine Situation bestimmt worden. Weitere Gründe für die Relevanz auch der qualifizierten Handlung werden die folgenden Ausführungen zeigen.

2. Sozialadäquanz als Grenze der Teilnehmerhaftung Wird die Haftung wegen Anstiftung abgelehnt, bleibt die wegen Beihilfe möglich. Gegen jegliche Teilnehmerhaftung in den genannten Fällen wird geltend gemacht: Wer nur eine Deliktsgelegenheit schafft, bleibe innerhalb des erlaubten 16 17

18

A.a.O., Anm. 10. Ähnlich Roxin in LK § 27 Rn 9 zur Beihilfe. Puppe, a.a.O., S. 102.

E. Strafrechtliche Grenzen der Deliktsprovokation

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Risikos 19, könne auf korrektes Verhalten anderer vertrauen 20; seiner Haftung stehe ein Regreßverbot entgegen 21 ; die Tat gehöre in den Bereich der Selbstverantwortung des Täters 22. Ausführlichere Erklärungen für diese Thesen haben Stratenwerth 23 und Jakobs 24 gegeben. Sie stützen sich auf Haftungsbegrenzungen, die für Fahrlässigkeits- und unechte Unterlassungs delikte entwickelt wurden 25 • Da ihre Erwägungen auch für andere Probleme der staatlichen Deliktsprovokation wichtig sind, sollen sie genauer betrachtet werden. Nach Jakobs soll bei den Begehungsdelikten die Kausalität allein nicht zureichend die Haftung begründen; hinzukommen müsse wie bei den unechten Unterlassungsdelikten eine Zuständigkeit für die bewirkten Folgen. Sie sei gegeben, wenn "der Urheber ... von den Folgen nicht distanziert werden" könne, wenn er außerhalb des erlaubten Risikos handelte 26 • Bei den Begehungsdelikten, deren Erfolg durch andere zurechenbar Handelnde vermittelt ist (Beteiligung), komme es darauf an, ob der Kontakt des Verursachers mit den anderen den Bereich des sozial Üblichen überschreitet (was in genauere Kriterien gefaßt wird) 27. Die Haftungsbegrenzung wird als Explikation der Sozialadäquanz vorgestellt 28 • - Da, was ist, nicht ohne weiteres geltend gemacht werden kann gegen das, was sein soll, kann das sozial Übliche nicht ohne weiteres eine Einschränkung des strafrechtlichen Sollens begründen. Jakobs meint, das Strafrecht könne nicht verlangen, daß jeder alles Tun vermeidet, das anderen kausal die Möglichkeit zu Straftaten gibt; andernfalls müsse jeder annähernd alles unterlassen 29 • Allerdings verliert bei der Teilnahme der Hinweis auf die enorme Haftungsausdehnung an Gewicht, weil als Teilnehmer nur haftet, wer Vorsatz bezüglich der Folgen hat. Stratenwerth 30 hat eine normative Erklärung gegeben: Im sozialen Kontakt müsse grundsätzlich jeder darauf vertrauen können, daß die anderen sich legal verhalten. Es sei "der Charakter des anderen als einer verantwortlichen Person", der zu dieser Erwartung berechtigt, weil die anderen "unter den Anforderungen der Rechtsordnung stehen". Hier wird die Sozialadäquanz ersetzt durch den allgemeinen Ordnungsanspruch des Rechts. Samson in SK § 26 Rn 5. Stratenwerth, Strafrecht AT, Rn 881 f., 1162. 21 Jakobs, Strafrecht AT 7/59,24/13 ff.; vgl. auch ders., ZStW 89 (1977),1 (13 ff.). 22 Stratenwerth, a.a.O. 23 A.a.O. und Festschrift für Eb. Schmidt, S. 383 (390 ff.). 24 A.a.O. 2S Frank, StGB-Kommentar, § 1 Anm. II12 a; Naucke, ZStW 76 (1964), 409 (425 ff.); Welp, Vorgegangenes Tun als Grundlage einer Handlungsäquivalenz der Unterlassung, S. 307 ff.; We1zel, Deutsches Strafrecht, S. 55 ff.; 216 f.; Otto, Grundkurs Strafrecht AT, S. 54; Lenckner in Schönke / Schröder Rn 38 ff. vor § 153; Cramer in Schönke / Schröder Rn 146 vor § 16; Rudolphi in SK Rn 72 vor § 1; Samson in SK Anh. zu § 16 Rn 21. 26 Jakobs, Strafrecht AT 7/30,35 ff., 51 ff. 27 Ders., a.a.O., 24/ 16 ff. 28 Ders., a.a.O., 7 / 30. 29 Ders., ZStW 89 (1977), 1 (20). 30 Festschrift für Eb. Schmidt, S. 383 (392). 19

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1. Teil: Nonnative Schranken der Deliktsprovokation

Hinsichtlich der Fahrlässigkeit ist der von Stratenwerth dargestellte Vertrauensgrundsatz anerkannt. Auf vorsätzliche Teilnahme ist er nicht ohne weiteres zu übertragen. Jedenfalls wer es auf Straftaten anderer abgesehen hat (Absicht) oder sie als gewiß voraussieht (direkter Vorsatz), vertraut nicht auf ihr Ausbleiben. Der Provokateur, der eine sozial übliche, nur einen bestimmten Dritten zu Straftaten stimulierende Situation schafft, wäre danach strafbar, denn er vertraut nicht auf legales Verhalten des Dritten. Stratenwerth stellt in diesem Fall denn auch nicht auf das Vertrauen ab, sondern auf die Abgrenzung von Verantwortungsbereichen und das Prinzip der Selbstverantwortung 31 • Wie diese Ansätze im Bereich der prinzipiell strafbaren Teilnahme umgesetzt werden sollen, bleibt offen.

3. Subjektive Freiheitsrechte als Grenze der Teilnehmerhaftung Eine Begründung der Straffreiheit der erwähnten Art von Provokation müßte zeigen, warum die Farm des Verhaltens des Provokateurs nicht nur sozial üblich, sondern auch legal ist ungeachtet der subjektiven Disposition des Provokateurs. Ausgangspunkt dafür könnten die Grundrechte sein, die bestimmte Verhaltensformen freistellen. Die Einzelnen haben ein subjektives Freiheitsrecht auf das in den Grundrechten bezeichnete äußere Verhalten ungeachtet ihrer Absichten. Die hier in Frage stehende Haftung wäre zu untersuchen im Hinblick auf die Wahrung subjektiver Freiheitsrechte gegen den Staat. Beispiel: Ein Journalist rechnet bei Veröffentlichung seiner Kritik damit, daß sie andere zu einer Straftat stimuliert, was auch geschieht. Die Pressefreiheit würde weitgehend lahmgelegt, wenn der Journalist seine Veröffentlichung in jedem Fall hätte unterlassen müssen. Auch ohne eingehende verfassungsrechtliche Begründung 32 dürfte einleuchten, daß die Haftung wegen Teilnahme hier i. d. R. ausscheidet. Parallele Fälle lassen sich bilden hinsichtlich der Grundrechte auf freie Religions- und Berufsausübung, der Lehrfreiheit, der Freiheit familiärer Beziehungen 33, der Eigentums-, Demonstrations- 34 und Streikfreiheit 35, der Strafverteidigung 36• Gewiß muß nicht immer, wenn der Teilnehmer ein Grundrecht ausübt, das Strafrecht zurücktreten. Aber andererseits ist unstreitig auch nicht jede Grundrechtsausübung verboten, die anderen kausaler Anknüpfungspunkt von Straftaten sein kann. Herkömmlich wird dies kasuistisch berücksichtigt, indem die jeweilige Grund31 Strafrecht AT Rn 1162 ff.; ein ähnlicher Ansatz zur Begrenzung der Teilnehmerhaftung findet sich bei Samson, Hypothetische Kausalverläufe im Strafrecht, S. 170 f. 32 Beispielhaft Hanack in LK § 140 Rn 36. 33 Vgl. Arzt, Festschrift für Welzel, S.823 (837) zum Parallelproblem bei § 240 AbS.2. 34 Dazu BGHZ 89, 383 = NJW 1984, 1226 (1228 f.); Steffen in RGRK § 830 BGB Rn 11. 35 Dazu Steffen, a.a.O. Rn 12; BGHZ 70, 277 (280). 36 Dazu RGSt 37, 321; BGH JZ 1982, 430ff.

E. Strafrechtliche Grenzen der Deliktsprovokation

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rechtsfreiheit mit dem Schutz des jeweiligen Strafrechtsgutes abgewogen wird. Das führt zu vielen unübersichtlichen, wenig berechenbaren Einzelfallentscheidungen. Die Notwendigkeit derartiger kasuistischer Restriktionen des Strafrechts legt die Vermutung nahe, daß gegenüber der allgemeinen Freiheit der Bürger die Teilnehmerhaftung prinzipiell überzogen ist, wenn sie allein an Kausalität orientiert wird. Damit wird dem Handelnden die Verantwortung für Folgen, die über das Handeln anderer Menschen vermittelt eintreten, ebenso aufgebürdet wie für dinglich vermittelte Folgen. Diese Gleichbehandlung ist nicht selbstverständlich 37; erst im Zusammenhang der Äquivalenztheorie setzte sie sich durch. Plausibel ist die Gleichbehandlung unter dem Aspekt des Rechtsgüterschutzes 38 • Aber wie erwähnt, kann strafrechtliche Haftung nicht allein im Hinblick auf isolierte Rechtsgüter und ihre äquivalent kausale Beeinträchtigung bestimmt werden. Rechtsgüter bestehen und sind als solche zu erkennen nur in sozialen Zusammenhängen. Der Rechtsgüterschutz ist ein Leitprinzip ohne immanente Grenzen. Die Wahrung von bürgerlicher Freiheit gegenüber dem Strafrecht kann vom Rechtsgüterschutz aus nicht reflektiert werden. Er würde das Verbot aller Handlungen und damit den Zerfall der Rechtsgüter selber legitimieren. Daher ist für die Bestimmung der Haftung u. U. die Modalität der Rechtsgutsbeeinträchtigung, das jeweilige soziale Verhältnis des Handelnden zum Rechtsgut zu berücksichtigen und wird z. B. in den Handlungskriterien vieler Tatbestände berücksichtigt. Allerdings ergibt sich daraus nicht, daß bei der Teilnahme eine sozialinadäquate Handlung Kriterium sein müßte. Denn unbegrenzt sind die Modalitäten der Rechtsgutsbeeinträchtigung nicht zu berücksichtigen. Außerdem ist u. a. mit der Differenzierung von Täterschaft, Anstiftung und Beihilfe innerhalb der äquivalenten Kausalität schon eine Berücksichtigung der Modalitäten vorgegeben. Daß im Rahmen der fördernden Kausalität außer dem Vorsatz noch weitere Modalitäten erforderlich sind, um die Strafbarkeit der Beihilfe zu begründen, bedarf zusätzlicher Begründung. Wenn dem Handelnden die Verantwortung für durch andere Menschen vermittelte Folgen ebenso auferlegt wird wie für dinglich vermittelte Folgen (von der Unterscheidung Teilnahme I Täterschaft abgesehen), so wird gefordert, daß er Schädigungen durch von ihm beeinflußte andere Menschen umfassend vermeide. Jeder kann dann zum Hüter der anderen werden, die mit seiner Objektivation in Berührung gekommen sind. Das wird bei der Teilnahme gemildert durch das Vorsatzerfordernis. Ob das Problem damit zureichend geregelt ist, läßt sich bezweifeln. Es ist z. B. Zufall, ob der Verursacher erfährt, was andere mit seinem Kausalbeitrag anfangen wollen. Wenn die Freiheit von Handlungen gewahrt 37 Vgl. die Differenzierung von physischer und psychischer Kausalität bei Frank, StGB-Kommentar § I Anm. III 2a. 38 Herzberg, Die Unterlassung im Strafrecht und das Garantenprinzip, S. 305 gegen Welp a.a.O. (Anm. 25).

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1. Teil: Nonnative Schranken der Deliktsprovokation

werden soll, so darf es möglicherweise auf die zufällige Erkenntnis der Absichten anderer nicht ankommen, worauf das obige Journalistenbeispiel hindeutet. Das Problem der Wahrung von Handlungsfreiheit muß zunächst entfaltet werden, bevor das Vorsatzkriterium als seine Lösung akzeptiert wird. Im Zusammenhang des Schutzes der Bürger vor sozialer Desintegration 39 wurde gezeigt, daß eine rechtliche, also staatlich zu sanktionierende, Pflicht der Bürger, gegenseitig für ihr konformes Verhalten zu sorgen, den Grundrechten widerspräche. Diese gehen davon aus, daß solche Sozialisation grundSätzlich im freien Verkehr der Bürger stattfindet und daß dort die von latenter Dissozialität Einzelner ausgehenden Gefahren im allgemeinen zu bewältigen sind. Rechtlich kann das Gebot neminem laede gesichert werden, nicht aber eine allgemeine wechselseitige Überwachung der Bürger 40 • Weil sie rechtlich als frei anerkannt werden, gelten sie als rechtlich verantwortlich für ihr je eigenes Handeln. Das bedeutet auch, daß sie rechtlich grundsätzlich nicht verantwortlich sind für das Verhalten anderer, die selbst verantwortliche Bürger sind. Man könnte einwenden, das Verbot, kausale Beiträge zu Straftaten anderer zu leisten, gehöre zum Gebot ,neminem laede', denn es verbietet das Beitragen zu Rechtsgutsverletzungen (durch andere). Im Hinblick auf Freiheit als subjektives Recht sind jedoch Rechtsgutsverletzungen durch Dritte zu unterscheiden von selbst begangenen Rechtsgutsverletzugen. Freiheit ist als subjektives Recht nur denkbar, wenn ihre Ausübung in bezug auf die Beeinflussung anderer grundsätzlich verantwortungslos ist; damit wird unterstellt, daß die evtl. gefahrlichen Wirkungen ihrer Betätigung, sofern sie durch sozialen Verkehr vermittelt sind, im allgemeinen dort aufgefangen werden 41 • Das subjektive Freiheitsrecht, isoliert genommen, ist immer ungerecht, d.h.: widerspricht objektiver Gerechtigkeit. Es hat in sich selbst keinen Ausgleich 42 • Wie seine Ungerechtigkeit und Gefahrlichkeit ausgeglichen werden, zeigen Gesellschaftsverfassungen, die nicht von einer bestimmten objektiven Gerechtigkeit ausgehen, sondern von subjektiven Freiheitsrechten: Der Markt hält nach liberaler Theorie die subjektiven Freiheiten der einzelnen konkurrierenden Eigentümer zu auch ungerechter Eigentumsnutzung in Grenzen und führt sie zu sozial nützlichen Ergebnissen. In der bürgerlichen Öffentlichkeit wird die subjektive Freiheit, auch unvernünftige Meinungen zu äußern, zum movens von diskursiv vermittelter sozialer Einsicht. Daß Menschen, deren Verhalten kausal verknüpft ist, ohne rechtliche Verantwortung füreinander nebeneinander handeln, ist der rechtliche Normalfa1l 43 , nicht s. o. 1. Teil B III 1. Vgl. Roxin, JuS 1964, 373 (377): Wenn das ,,Autonomieprinzip" vernachlässigt wird, wird die Differenz von Sozialwidrigkeit und Moralwidrigkeit verwischt. S. a. Arzt, Festschrift für Welzel, S. 823 (836 f.); eramer in Schönke / Schröder, Rn 146 vor § 15. 41 Preuß, Internalisierung des Subjekts, S. 36 f. 42 Luhmann, Rechtssoziologie, Bd. 2, S. 328; ders., Rechtssystem und Rechtsdogmatik, S. 56; grundlegend M. Weber, Wirtschaft und Gesellschaft, S. 388 ff., 396 ff., 441 ff., 505 f. 39

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E. Strafrechtliche Grenzen der Deliktsprovokation

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weil das für die anderen kausale Verhalten des einen sozial üblich ist, sondern weil die rechtliche Nichtverantwortlichkeit für das Handeln der anderen Bedingung der Freiheit des Einzelnen ist. Das schließt nicht aus, daß im Interesse des Rechtsgüterschutzes Teilnehmer an fremdem Handeln haften. Aber dafür ist mehr erforderlich als Kausalität. Das Bestimmen (§ 26 StGB) und das Helfen (§ 27 StGB) müssen sich vom verantwortungslosen Nebeneinander abheben und eine wirksame Präferenz für die Tat des anderen enthalten. Bevor dies näher bestimmt wird, sollen ähnliche Ansätze in anderen Rechtsgebieten vorgestellt werden.

4. Parallelen in anderen Rechtsgebieten Die hier normativ unterstellte Prämisse der Grundrechte - der Verke4~ der selbstverantwortlichen Einzelnen ist grundsätzlich frei, auch wenn er Gefahren impliziert - ist im Polizeirecht anerkannt. Im sozialen Leben entstehen dauernd Gefahren für die öffentliche Sicherheit. Sollte die Polizei sie bewältigen, müßte sie umfassend die Gesellschaft überwachen. Sie darf aber grundsätzlich nur eingreifen, wenn die Gefahr konkret, ein Schaden absehbar ist, weil unterstellt wird, daß die Bürger im allgemeinen selbst mit Gefahren fertig werden. Auch das Prinzip der Selbstverantwortung im Verhältnis der Bürger zueinander wird im Polizeirecht seit langem berücksichtigt bei der Bestimmung des Störers. Wenn Bürger das Grundrecht der Demonstrationsfreiheit wahrnehmen und dadurch andere zu einer unfriedlichen Gegendemonstration voraussehbar veranlassen, so sind allein die Gegendemonstranten Störer 44 • Die Demonstranten haben die Störung verursacht; aber im Rahmen ihrer grundrechtlichen Freiheit handelnd, sind sie für das rechtswidrige Verhalten der anderen nicht verantwortlich, unabhängig davon, ob sie es vorausgesehen haben. Zwar wird diese Differenzierung im Polizeirecht gelockert im Fall der "unmittelbaren Verursachung" 45. (Diese hat eine Parallele in der strafrechtlichen Teilnehmerhaftung.) Die bloße vorsätzliche Verursachung begründet aber die polizeiliche Störerhaftung nicht. Die soziale Bedeutung der hier in Frage stehenden Haftungsbegrenzung steckt in der Begrenzung der Folgenverantwortung. Je mehr das Leben jedes Einzelnen durch gesellschaftliche Vorkehrungen physisch und psychisch vermittelt ist, je mehr die sozialen Kontakte der Einzelnen zunehmen und dichter werden, desto mehr hat jedes Handeln des einen Folgen im Handeln des anderen. Entsprechend dringend wird es, die Folgenverantwortung zu begrenzen, Verantwortungslosigkeit herzustellen, wenn Handlungsfreiheit gewahrt werden soll. Darauf verweisen 43 eramer, a.a.O.: Grundsätzlich gilt Selbstverantwortung; Teilnehmerhaftung ist die Ausnahme. 44 PrOVG 78, 261; OVG Bremen, DÖV 1972, 101. 45 Wagner, Polizeirecht (1. Aufl.), S. 70 f.; Rasch, Allgemeines Polizei- und Ordnungsrecht (2. Aufl.), S. 52 f.; Martens, in Drews / Wacke / Vogel / Martens, Gefahrenabwehr (8. Aufl.), 2. Bd., S. 194 f.

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1. Teil: Nonnative Schranken der Deliktsprovokation

Untersuchungen der zivilrechtlichen Deliktshaftung 46 . Dort setzte die Begrenzung der Haftung für äquivalent kausale Folgen ein - von der restriktiven Adäquanztheorie abgesehen 47 - mit der Berücksichtigung verkehrsrichtigen Verhaltens 48. In einem weiteren Schritt wurde das Prinzip der Selbstverantwortung für Folgen, die durch das verantwortliche Handeln Dritter vermittelt sind, anerkannt 49. Beide Entscheidungen betrafen die Haftung für Fahrlässigkeit. Die Begrenzung der Haftung für vorsätzliche Teilnahme (§ 830 BGB) wurde zunächst in der Literatur im Hinblick auf Demonstrationsschäden vorgeschlagen: Haftung nur, wenn aufgrund eines "gezielten Planes" mitgewirkt wurde; andernfalls Selbstverantwortung der "mündigen Rechtsgenossen"50. Der BGH hatte die Haftung in derartigen Fällen zunächst weiter gefaßt 51 . Im Grohnde-Urteil hat er nun aber darauf abgestellt, ob der Teilnehmer über seinen kausalen Beitrag hinaus "an der konkreten Planung mitgewirkt" hat, ob sein Beitrag "gezielt" auf den Schaden hin geleistet wurde, auf Förderung der unmittelbaren Schädiger "ausgerichtet" war 52 . Es wurde also für die Teilnahme eine über Kausalität und Vorsatz hinausgehende Präferenz für die Schädigungshandlung Dritter verlangt. Strafrechtlich umgesetzt ist die primäre Selbstverantwortung jenseits der Teilnahmeregelung im restriktiven Täterbegriff. Danach sind verantwortlich für die im Besonderen Teil definierten Taten primär nur die, die sie begangen haben, nicht auch die, die sie über andere vermittelt verursacht haben 53 . Ihre Haftung ist sekundär. Das ist gesetzlich fixiert, indem die Teilnehmerhaftung akzessorisch von Taten abhängig ist und nicht alle über andere irgend wie vermittelten Verursachungen von Rechtsgutsverletzungen erfaßt 54 . Der restriktive Täterbegriff steht selbstverständlich nicht der Teilnehmerhaftung entgegen, wohl aber deren Ausweitung auf jede Kausalität. Denn damit würde die Orientierung an menschlichem Handeln, die mit dem restriktiven Täterbegriff erreicht ist, auf der Ebene der 46 Preuß, Internalisierung des Subjekts, S. 211 ff. Ähnlich Jakobs, ZStW 89 (1977), 1 (20 f.); ders., Strafrecht AT 24/ 17; Fraenkel, Tatbestand und Zurechnung bei § 823 Abs. 1 BGB, S. 241 ff. 47 Sie ist noch zu erklären aus zivilrechtlichen Besonderheiten - Gefährdungshaftung und Fehlen des Kriteriums subjektiver Sorgfaltspflichtverletzung - , die im Strafrecht keine Parallele haben. 48 BGHZ 24, 21. 49 BGHZ 58, 162. 50 Esser / Schmidt, Schuldrecht AT, Tb. 2, § 2011 1.4; ähnlich Ballerstedt JZ 1973, 105; Steffen in RGRK § 830 BGB Rn 11-13; Deutsch, Haftungsrecht I, S. 346 f. 51 BGHZ 63, 124 = VersR 1975,49; ähnlich OLG Celle NdsRpfl 1973, 184 f. 52 BGHZ 89, 383 = NJW 1984, 1226 (1228 f.) = JZ 1984,521 ff. Zustimmend Brox, Besonderes Schuldrecht Rn 500; differenzierend Stümer JZ 1984,525 (528 f.); Emmerich, Schuldrecht BT, § 21 I 1 b, unterstellt dem BGH unsachliche Motive. 53 Der Zusammenhang von restriktivem Täterbegriff und Regreßverbot zeigt sich schon bei Frank, StGB-Kommentar § 1 Anm. III 2a, Anm. 11 vor § 47. Allerdings beschränkt Frank die Täterschaft (anders als gegenwärtig) auf physisch vennittelte Kausalität. 54 Stratenwerth, Festschrift f. Eb. Schmidt, S. 390.

E. Strafrechtliche Grenzen der Deliktsprovokation

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rein kausalen Beihilfe wieder aufgegeben. Die Beispiele, mit denen die Künstlichkeit des extensiven Täterbegriffs demonstriert wurde 55, lassen sich denn auch abgewandelt gegen die als bloße Kausalität verstandene Beihilfe anführen: Die Eltern des Täters wären Gehilfen seiner Tat, sofern sie sie bei seiner Aufzucht für möglich hielten. Im übrigen wird das Prinzip der Selbstverantwortung anerkannt bei der Auslegung des § 240 Abs. 2 StGB: Nach Roxin 56 ist die Nötigung nicht rechtswidrig, wenn mit der Unterlassung von Handlungen gedroht wird, auf die der Bedrohte keinen Rechtsanspruch hat. Der Drohende ist für ihn nicht verantwortlich. Auch soll bei Nötigungen die Selbstverantwortung des Betroffenen für seine Rechtsgüter berücksichtigt werden. Relativ leichter Druck soll noch nicht strafbar sein, wenn ihm gegenüber dem Rechtsgutsinhaber Widerständigkeit zugemutet werden kann 57. Letzteres hat auch der BGH anerkannt 58. Fazit: Um die generelle Verantwortlichkeitjedermanns für das Handeln anderer zu vermeiden, muß das Mitverursachen von Straftaten unterschieden werden vom Teilnehmen. Die Unterscheidung sollte allgemein getroffen werden, so daß kasuistische Abwägungen von Freiheiten und Rechtsgütern obsolet werden.

5. Objektive oder subjektive Kriterien der subjektiven Rechte Kein Täter bringt quasi in Urproduktion eine Tat hervor. Er setzt sie zusammen aus Ursachen - Gelegenheiten, Werkzeugen, Anregungen, Wegen - die die soziale Umwelt bietet. Für das Produkt seines willkürlichen Zusammensetzens ist der Täter, wie gezeigt, grundsätzlich allein verantwortlich. Wenn auch ein Verursacher verantwortlich sein soll, so muß sein kausaler Beitrag über die Willkür des Täters hinausreichen und auf das Produkt der Willkür des Täters, die Straftat bezogen sein. Nur dann nimmt er an der Tat teil. Nun gehört zur Teilnahme allemal der Vorsatz des Teilnehmers, daß die Tat verwirklicht werde. Damit könnte der geforderte Bezug auf die Tat im anerkannten Rahmen der Teilnahme jeweils schon gegeben sein. Deshalb wird gegen den Vergleich des Strafrechts mit dem Polizeirecht eingewandt, die Einschränkung Vgl. Roxin, Täterschaft und Tatherrschaft, S. 29. JuS 1964, 373 (377). 57 Arzt, Festschrift für Welzel, S. 823 (836 f.). 58 BGHSt 32, 154 ff. = JZ 1984,425 ff.; zustimmend Arzt ebd., S. 428. Ansatzweise schon BGHSt 23, 46 (49); 31, 195 (205). Allerdings stimmt die vom BGH dem Opfer zugemutete Widerständigkeit nicht mit Roxins Autonomieprinzip überein. Dieses würde im Fall BGHSt 31, 195 (205) zum Freispruch führen. Das Autonomieprinzip bestimmt formell-rechtlich, was der Genötigte hinnehmen muß; der BGH bestimmt es freihändig. Im übrigen kann das Autonomie- oder Selbstverantwortungsprinzip bei Gewaltnötigung nicht als Korrektur fungieren, wenn der Gewaltbegriff eng, z. B. als Körperbeeinträchtigung, gefaßt wird. 55

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1. Teil: Normative Schranken der Deliktsprovokation

der Störerhaftung müsse im Strafrecht keine Parallele haben, weil hier schon der Vorsatz restriktiv wirke 59 . Behauptet wird auch, das Prinzip der Selbstverantwortung gelte nur bei Fahrlässigkeit 60 • Dagegen spricht, daß es seit langem auch bei vorsätzlicher Teilnahme durch Unterlassen berücksichtigt wird 61. Im übrigen erfaßt das Vorsatzkriterium nicht das hier in Frage stehende Problem. - Der Vorsatz ist schon gegeben, wenn der Teilnehmer die Tat für möglich hält, also diese oder jene Entscheidung des unmittelbar Handelnden hinnimmt. Damit bezieht der Teilnehmer sich auf das freie willkürliche Handeln des Täters, welches zu einer Straftat führen kann und ebenso zu einem anderen Verhalten. Diese Orientierung auf die Freiheit des unmittelbar Handelnden aber begründet, wie gezeigt, gerade noch keine Mitverantwortlichkeit für die Tat. Der kausale Beitrag des Teilnehmers muß über die Willkür des Täters hinausreichen und eine Präferenz für die Tat enthalten. Sie könnte auf der subjektiven Ebene näher bestimmt werden. Das würde dem Schuldprinzip am besten entsprechen. Teilnahme könnte der Beitrag sein, der geleistet wird um der Tat willen (Absicht)62 oder in der Gewißheit (direkter Vorsatz), daß die Tat begangen wird, wenn der Beitrag wirkt. Nach dem ersten Kriterium wäre der Provokateur, der eine Situation schuf, die einen anderen zu einer Straftat stimulierte, strafbar, denn auf die Tat kam es ihm an. Die subjektive Bestimmung ist jedoch der Wahrung subjektiver Freiheit, um die es geht, nicht angemessen. Die Reichweite der subjektiven Grundrechte wird nicht bestimmt anhand der guten oder bösen Absichten, die der Handelnde verfolgt, sondern anhand des äußeren Verhaltens. Gerade dadurch gewähren sie Freiheit. Die Orientierung am äußeren Verhalten begrenzt die staatliche Kontrolle der Gedanken und Strebungen. Subjektive Rechte, die den Einzelnen Freiheit sichern, werden, wie M. Weber gezeigt hat 63, allemal anhand der äußeren (objektiven) Seite ihrer Ausübung bestimmt. (Die Orientierung an der subjektiven Seite Absichten, Gesinnungen - gehört nach M. Weber zum soziologischen Typus des objektiven staatlichen Rechts, welches derart die objektive Gerechtigkeit zu realisieren prätendiert. 64) Die unfriedliche Demonstration wird nicht legal durch gute, die friedliche nicht illegal durch böse Absichten 65. Ob der erwähnte Journa59 Wagner, Martens, jeweils a.a.O. (Anm.45).

Samson in SK StGB, Anh. zu § 16 Rn 21. Zur Einschränkung der Sorgfaltspflicht durch Selbstverantwortung beispielsweise OLG Stuttgart, NStZ 1981, 182: Nach gemeinsamem Drogenkonsum gerät einer der Beteiligten in Not. Sein selbstverantwortliches Mitkonsumieren begrenzt die Pflicht der anderen, die Folgen abzuwenden. 61 BGHSt 17, 321; BGH NJW 1962, 1307; BGHSt 19, 152; Welzel, Deutsches Strafrecht, S. 216 f.; Lenckner in Schönke / Schröder, Rn 39 f. vor § 153. 62 Stratenwerth, Strafrecht AT, Rn 1164 (ähnlich BGH NJW 1984, 1229) stellt auf den Zweck ab, allerdings objektivierend: " ... wenn der Deliktsbeitrag ... als ... Zweck erscheint." 63 Wirtschaft und Gesellschaft, S. 505 f., s. a. S. 388 f., 396 f., 448, 487. 64 Dazu auch unten 2. Teil A I Anm. 20. 60

E. Strafrechtliche Grenzen der Deliktsprovokation

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list bei seiner kritischen Veröffentlichung mit der Straftat nur rechnete, sie als gewiß voraussah oder es auf sie abgesehen hatte, ist moralisch relevant. Rechtlich daran je unterschiedliche Konsequenzen zu knüpfen, wäre Gesinnungsjustiz und würde die Pressefreiheit gefahrden. Entscheidend kann neben dem Vorsatz nur sein, wo zwischen kritischem Räsonnement und expliziter Aufforderung zum Delikt der Text einzuordnen ist. Das ist - ungeachtet der "Schuld" hinsichtlich der Rechtsgutsverletzung - zu beurteilen aus der Perspektive des Publikums. Das äußere Verhalten ist Orientierung auch für die gesetzliche Bewertung der sozialen Adäquanz bzw. Inadäquanz. Die fahrlässige Lebens-, Körper- und Sachgeflihrdung ist im Zusammenhang bestimmter Verhältnisse (Straßenverkehr etc.) oft strafbar, jenseits ihrer meist nicht, auch wenn die individuelle Schuld im Hinblick auf die genannten Rechtsgüter gleich sein sollte. Bezeichnend ist schließlich die Regelung des Versuchs, neben der Teilnahme der zweiten Ausweitung der Haftung über die Tat i. S. des BT hinaus. Seine Strafbarkeit ist orientiert nicht allein an der Absicht oder dem Vorsatz, auch wenn für deren spätere Verwirklichung alles vorbereitet ist, sondern zusätzlich am äußerlichen unmittelbaren Ansetzen. Auch die hier in Frage stehende Abgrenzung sollte im Interesse der Freiheitswahrung objektiv getroffen werden. Die äußere Seite des notwendigen Bezugs der Anstiftung spezifisch auf die Tat wurde im Vorangegangenen schon bestimmt. Sie fügt sich in den hier entwickelten Ansatz und wird von ihm bestätigt. Die Beihilfe kann äußerlich einmal dadurch hinreichend auf die Tat bezogen sein, daß die Förderung des Delikts aus der Art des Beitrags für einen Durchschnittsbeobachter erkennbar ist. Der Beitrag muß sich abheben von solchen, die erkennbar auch zu anderen legalen Zwecken benutzt werden können und deren willkürliche Benutzung allein vom Täter zu verantworten ist. Der erkennbar fördernde Bezug auf die Tat entspricht als Kriterium dem des Versuchs: Unmittelbares (erkennbares) Ansetzen zur Tat. Ist der Beitrag nicht aus seiner Art als spezifisch tatbezogene Förderung erkennbar, so ist die Beihilfe dennoch hinreichend objektiviert, wenn zwischen Teilnehmer und Täter ausdrücklich oder konkludent vereinbart ist, daß der Beitrag der Tat zugute kommt. Der Konsens bezieht den Teilnehmer in den zu verantwortenden Zusammenhang der Tat ein, ähnlich dem gemeinsamen Entschluß bei der Mittäterschaft. Das Schaffen einer allgemein als neutral angesehenen Situation, die nur einen besonders disponierten Einzelnen zur Tat provoziert, ist nach den genannten Kriterien nicht Teilnahme. Die von Jakobs, Stratenwerth und Roxin entwickelten Kriterien ähneln den hier vertretenen und führen hinsichtlich der Provokation zum sei ben Ergebnis. 65 Maunz / Dürig / Herzog, GG, Art. 8 Anm. 4,44; Tiedemann, JZ 1969,717 (723). Die bekannte Relativierung der Trennung im Fall der ,,zweckveranlassung" hinsichtlich der Störung durch Dritte bringt nicht (subjektive) Absichten zur Geltung, sondern objektiviert - "unmittelbare Verursachung" und ,,natürliche Einheit" von Ursache und Wirkung; Martens, a.a.O. (Anm. 45) S. 195; Rasch, a.a.O. (Anm. 45), S. 53.

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1. Teil: Nonnative Schranken der Deliktsprovokation

Das Kriterium der aus der Art des Beitrags erkennbaren Tatförderung ist nicht präzis. Das ist ein Nachteil der hier vertretenen Begrenzung der Teilnehmerhaftung. Er begründet jedoch nicht, diese Begrenzung aufzugeben. Daß eine Unterscheidung nicht in allen Fällen konsistent durchführbar ist, schließt nicht aus, an der Entscheidung festzuhalten, wenn sie notwendig ist 66 • Letzteres zu erklären, wurde hier versucht. Im übrigen ersetzt die hier vorgeschlagene Unterscheidung die ansonsten notwendige, noch weniger bestimmbare kasuistische Abwägung von grundrechtlichen Freiheiten und Strafrechtsgütern.

6. Zusammenfassung Die Straflosigkeit des Schaffens einer äußerlich neutralen provozierenden Situation widerspricht nicht der zur Strafbarkeit der Provokation des Absichtsdelikts gegebenen Begründung. Dort wurde auf tätergleiche subjektive Disposition des Teilnehmers verzichtet. Hinsichtlich des Schaffens einer provozierenden Situation wurde ein enger objektiver Bezug der Teilnahme zur Tat verlangt. Beide Bestimmungen wurden aus demselben Prinzip der Selbstverantwortung entwickelt. Danach ist entscheidendes Zurechnungskriterium nicht die Verursachung der (vom Täter beabsichtigten) Rechtsgutsverletzung, sondern ein Beitrag zur (abstrakt gefährlichen) Tat. Dafür haftet der Provokateur auch, wenn er die gefährliche Absicht für unrealisierbar hält, denn nicht er, sondern der Täter beherrscht die Tat. Nach dem Prinzip der Selbstverantwortung kann andererseits nicht jeder kausale Beitrag zum Handeln Dritter Teilnahme sein, sondern nur der objektiv spezifisch auf die Tat bezogene Beitrag. Daß der objektive Bezug der Teilnahme zur Tat relativ eng, der subjektive lockerer bestimmt wird, ergibt sich aus der erwähnten Bedeutung der äußeren Seite des Handelns der Bürger für ihre rechtliche Verantwortung und ihr subjektives Freiheitsrecht. Dementsprechend ist bei der Provokation des Absichtsdelikts eine gesinnungsmäßige Identifikation des Teilnehmers mit der Tat nicht erforderlich, wenn er sie objektiv wissentlich förderte.

v. Besonderheiten der staatlichen Provokation (Pflichtdelikte) Personen, die für den Staat handeln, tragen oft auch die Pflichten des Staates. Im folgenden wird zunächst das Verhalten von Beamten im Dienst erörtert. Deren besondere Pflicht kann sich auf die strafrechtliche Haftung auswirken. U. a. wird ihre Pflicht, strafrechtlich relevante Erfolge abzuwenden (Garantenpflicht), anhand ihrer Amtspflicht bestimmt (1.). Auch kann ihr Handeln die Tatbestände der Amtsdelikte erfüllen (2.). 66 Am Unterschied von Leben und Tod kann man festhalten, auch wenn Übergangsstadien entwickelt werden.

E. Strafrechtliche Grenzen der Deliktsprovokation

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1. Allgemeine Delikte und staatliche Sonderpflichten Wer einen anderen zu einer Straftat provoziert, unterläßt es im allgemeinen auch, die provozierte Tat abzuwenden, denn der Provozierte soll bestraft werden. Läßt der Provokateur ein vollendetes Verletzungsdelikt geschehen, so hat er in der Phase zwischen Provokation und Verletzung unterlassen, den Verletzungserfolg abzuwenden. Dazu war er als Garant verpflichtet, weil er mit der Provokation eine Gefahr für das dann verletzte Rechtsgut geschaffen hatte (lngerenz). Das Nichtabwenden des Verletzungserfolges kann man als Unterlassungsdelikt bewerten. Folgt man nicht der Ansicht, der Unterlassende hafte als Täter l , so erscheint die Annahme des Unterlassungsdelikts im Ergebnis bedeutungslos, denn entweder wird das Unterlassungsdelikt der Teilnahme tatbestandlieh vom Tätigkeitsdelikt der Provokation ausgeschlossen, weil nach der Handlung, die ihrer Gefährdungstendenz wegen strafbar ist, die Pflicht, den Erfolg abzuwenden, keine Strafe mehr begründet, oder das Unterlassungsdelikt wird vom Tätigkeitsdelikt konsumiert. Hat nun ein Polizeibeamter die auf ein Verletzungsdelikt gerichtete Provokation begangen, so ist denkbar, daß er nicht nur aus Ingerenz, sondern auch aufgrund seiner Amtspflicht, die Rechtsgüter der öffentlichen Sicherheit zu schützen, eine Garantenpflicht hatte, nach der Provokation deren schädlichen Erfolg abzuwenden. Solche Garantenpflicht könnte auch begründen, daß ein Polizist, der ein Verletzungsdelikt zwar nicht provoziert hat, wohl aber beobachtet und geschehen läßt, um den Täter bestrafen zu lassen, wegen strafbaren Unterlassens haftet. Weiter ist zu erwägen, ob die Amtspflicht eine Pflicht zur umfassenden Sorge für das bedrohte Rechtsgut beinhaltet. Dann könnte ihre Verletzung strafrechtlich als Pflichtdelikt 2 bewertet werden, so daß der unterlassende Beamte als Täter haftete, auch wenn die Art seiner Provokation nur als Anstiftung oder Beihilfe zu werten wäre. Dies wurde diskutiert im Hinblick auf die Verletzung der Rechtsgüter des Umweltschutzes, für die die zuständigen Behörden umfassend verantwortlich seien 3. Es könnte im Bereich der derzeitigen Provokationspraxis relevant werden hinsichtlich der Beeinträchtigung von staatlichen Rechtsgütern und des Rechtsguts der Volksgesundheit i. S. des BtMG. Insofern könnten die zuständigen Beamten zur umfassenden Sorge verpflichtet sein, deren Vernachlässigung täterschaftliehe Haftung begründet.

Vgl. Stratenwerth, Strafrecht AT, Rn 1079. Dazu Roxin, Täterschaft und Tatherrschaft, S. 352 ff.; ders., Kriminalpolitik und Strafrechtssystem, S. 17. 3 Vgl. Winkelbauer, NStZ 1985, 149 (151 f.). I

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264

1. Teil: Normative Schranken der Deliktsprovokation

a) Öffentliche Sicherheit und Garantenpflicht Zunächst ist die Amtspflicht von Polizisten im Verhältnis zu Straftaten und ihre Transformation zu einer strafrechtlichen Garantenpflicht näher zu bestimmen. Der BGH und ein Teil der Literatur nehmen an, der Polizist habe mit der öffentlichen Sicherheit ein Interesse der Allgemeinheit zu schützen und folglich gegen alle Straftaten einzuschreiten; deshalb hafte er bei Verletzung dieser Pflicht strafrechtlich als Unterlassungstäter oder wegen Beihilfe durch Unterlassen zu der nicht verhinderten Straftat 4 • U. a. in der neueren Literatur zum Umweltstrafrecht wurde das kritisiert 5; dem Polizisten sei nicht jeder potentielle Delinquent zur Obhut anvertraut; er sei nicht zum Schutz aller Rechtsgüter verpflichtet, die durch Straftaten beeinträchtigt zu werden drohen. Er habe hinsichtlich des Einschreitens Ermessen. - Letzteres ist zweifellos richtig und dürfte wohl auch von der Position des BGH aus nicht bestritten werden. Nur ist damit weder geklärt, welche Pflicht besteht, wenn kein vernünftiger Zweck erkennbar ist, der das Nichteinschreiten begründen könne, noch ist klar, was die eventuelle Pflicht, eine Straftat, d. h. einen Normbruch, zu verhindern, zu tun haben soll mit der strafrechtlich relevanten Pflicht, das von einem Normbruch eventuell betroffene Rechtsgut zu schützen. Auch ist das vom BGH zitierte Interesse der Allgemeinheit am Unterbleiben von Straftaten wohl nicht deckungsgleich mit den Interessen an einzelnen Individual- und Kollektivrechtsgütern, die - nicht einmal von allen - Straftaten verletzt werden. Klarheit kann die Unterscheidung der beiden anerkannten Definitionen der von der Polizei zu schützenden öffentlichen Sicherheit geben 6 • Beide Definitionen sind weitgehend, aber nicht völlig deckungsgleich und umschreiben zusammen den derzeit anerkannten Umfang der öffentlichen Sicherheit. Sie werden meist vermengt dargestellt 7 • Die erste Definition ist formal: Öffentliche Sicherheit umfaßt den Schutz der gesamten Rechtsordnung 8 • Die zweite Definition bezieht sich aufs Materielle: Zur öffentlichen Sicherheit gehört der Bestand der wichtigsten Rechtsgüter (verfassungsmäßige Ordnung, Bestand des Staates, seiner Einrichtungen und sein Funktionieren, die Güter des § 823 Abs. 1 BGB, das Vermögen). Ein Beispiel für die Differenz der Definitionen: Verbietet eine Norm, 4 BGHSt 8, 189; ebenso RG JW 1932,2087; KG VRS 10, 138; Lüderssen, V-Leute, S. 23; Stree in Schönke / Schröder, § 13 Rn 52; differenzierend Schmidhäuser, Strafrecht AT, 16/61. 5 Schünemann, Grund und Grenzen der unechten Unterlassungsdelikte, S. 329,363; Herzberg, Die Unterlassung im Strafrecht und das Garantenprinzip, S. 356; Horn, NJW 1981, I (9); Rudolphi in SK StGB, § 13 Rn 36; ders., NStZ 1984, 1983 (199); Winkelbauer, NStZ 1986, 149 (151). 6 Vgl. Wagner, Polizeirecht, S. 71 ff. 7 Vgl. z. B. Martens in Drews / Wacke / Vogel / Martens, Gefahrenabwehr, Bd.2, S.1l7ff. 8 Vgl. Vogel in Drews / Wacke / Vogel / Martens, Gefahrenabwehr, 1. Bd., S. 158, 166.

E. Strafrechtliche Grenzen der Deliktsprovokation

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im Walde offenes Feuer zu machen, so stört, wer dies tut, die öffentliche Sicherheit in Gestalt der Rechtsordnung, auch wenn es andauernd regnet und das von der Norm geschützte Rechtsgut eventuell noch nicht konkret i. S. des Polizeirechts gefährdet ist 9 • Nach der formalen Definition hat die Polizei im Rahmen ihres Ermessens gegen alle Straftaten einzuschreiten. Insofern trifft die Ansicht des BGH 10 zu. Man kann auch sagen, daß an der Wahrung der Rechtsordnung ein Interesse der Allgemeinheit besteht. Aber aus der diesbezüglichen Pflicht ergibt sich keine Garantenpflicht i. S. des Strafrechts hinsichtlich der zu verhindernden Straftaten. Denn die Pflicht, die Rechtsordnung zu wahren, besagt, daß Normbrüche zu verhindern seien. Die strafrechtliche Garantenpflicht hingegen verlangt, den materiellen Erfolg von NormbfÜchen zu verhindern. Die Pflicht, die Rechtsordnung zu schützen, ist eine Sekundärnorm i. S. der am Beginn dieser Untersuchung getroffenen Differenzierung. Die Garantenpflicht konkretisiert eine Primärnorm. Die Pflicht, gegen einen Normbruch einzuschreiten, ist unterschieden von der Norm. Gewiß besteht auch an einigen Rechtsgütern, nämlich den Kollektivrechtsgütern, die aufgrund der Garantenpflicht zu schützen sind, ein Interesse der Allgemeinheit. Aber das ist ein Interesse an bestimmten Werten jenseits des Rechts, die Objekte des rechtlichen Schutzes sind. Die Rechtsordnung ist nicht ihr eigenes Schutzobjekt. Deshalb ist es in der Begründung tautologisch und im Ergebnis falsch, wenn aus der Pflicht, die Rechtsordnung zu schützen, eine Garantenpflicht hinsichtlich der Schutzobjekte des Rechts abgeleitet wird. Allerdings kann auch die Gesetzesbindung der Verwaltung wiederum Schutzobjekt des Rechts sein. Aber das ist in den Spezialtatbeständen der Amtsdelikte geregelt. Aus der Pflicht der Polizei, gegen Straftaten einzuschreiten, ergibt sich also keine Pflicht, den Erfolg von Straftaten zu verhindern. Solche Pflicht kann aber aus der materiellen Definition der öffentlichen Sicherheit entnommen werden, wonach die Polizei Rechtsgüter zu schützen hat, die u. a. von Straftaten betroffen sein können. Nach dieser Definition ist die Aufgabe, die öffentliche Sicherheit zu schützen, keine Sekundärnorm. Es soll in dieser Sicht nicht speziell auf NormbfÜche reagiert werden, sondern auf deren materielle Folgen, die Beeinträchtigung von Rechtsgütern. Und diese sollen geschützt werden nicht nur gegen Beeinträchtigungen, die normwidrig sind, sondern gegen alle Beeinträchtigungen, z. B. auch solche, die durch Naturereignisse bedingt sind, die von Normen nicht tangiert werden. Die materielle Definition der öffentlichen Sicherheit reflektiert besonders gut das Verhältnis von Bürgern und Polizei unter modernen sozialstaatlichen Bedingungen. Hier ist die Freiheit der einzelnen nicht mehr ohne weiteres als Autonomie zu verstehen. Sie ist vielfach u. a. staatlich vermittelt. Angesichts der komplexen und intensiven gesellschaftlichen Beziehungen und der eingreifenden Funktion der Polizei kann der einzelne seine 9 10

Wagner, a.a.O., S. 73. s. o. Anm. 4.

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1. Teil: Nonnative Schranken der Deliktsprovokation

Freiheits- und Entfaltungschancen vielfach nur mit behördlicher Hilfe wahrnehmen 11. Deshalb wird mit der materiellen Definition der öffentlichen Sicherheit die abstrakte Ebene des Interesses an staatlicher Gesetzmäßigkeit verlassen und das konkrete Interesse der Inhaber von Rechtsgütem berücksichtigt, und zwar so weit, daß sie nach neuerer Rechtsprechung u. U. ein subjektives Recht auf Einschreiten der Polizei erhalten und durchwegs ein subjektives Recht auf fehlerfreie Ermessensausübung bei der polizeilichen Entscheidung über das Einschreiten. Im Hinblick auf die anerkannte materielle und auf Rechtsgüter hin konkretisierte Pflicht der Polizei ist es angemessen, die u. U. bestehende Pflicht, gegen Gefahren einzuschreiten, als Garantenpflicht i. S. des § 13 StGB zu verstehen, die freilich strafrechtlich nur relevant werden kann, wenn das Ermessen auf Null reduziert ist. Dieser Transformation der polizeilichen Pflicht in eine strafbegründende Garantenpflicht steht nicht entgegen, daß das Interesse, das die Polizei zu schützen hat, das öffentliche ist. Auch Straftaten werden nicht nur bestraft, weil sie ein einzelnes Rechtsgut beeinträchtigen. Hinzu kommt das öffentliche Interesse am Schutz des Rechtsguts als Begründung der öffentlichen Strafgewalt. Auch Herzbergs 12 These, die Pflicht der Polizei, gegebenenfalls Private zu schützen, sei nur Nebeneffekt einer Berufspflicht anderen Inhalts, steht der hier vertretenen Transformation nicht entgegen. Denn das Strafrecht ist nicht darauf beschränkt, subjektive Rechte zu schützen. Im übrigen wird im Polizeirecht, wie gesagt, ein subjektives Recht des Bürgers auf Einschreiten der Polizei bejaht, wenn deren Ermessen auf Null reduziert ist. Deshalb kann auch keine Rede davon sein, der Polizist erhalte mit solcher Transformation über jeden potentiellen Straftäter eine mit Strafdrohung verstärkte Obhutspflicht. Solche Befürchtungen übersehen das polizeiliche Ermessen. - Schünemann I3 meint, die mit der Selbstverantwortung unterstellte Mündigkeit der Bürger schließe es aus, eine Obhutspflicht der Polizei anzunehmen. Aber wie gesagt steht solche Obhutspflicht als generelle gar nicht an. Und dort, wo sie möglich ist, bei konkreter Gefahrdung eines bestimmten Rechtsguts durch einen Störer, ist der staatliche Schutz gerade nicht durch die sonst zu unterstellende Vernünftigkeit des Bürgers ausgeschlossen. Vielmehr ist die Situation der konkreten Gefahr das klassische Eingriffsfeld des staatlichen Gewaltmonopols. Das ist ein Konstituens von Staatlichkeit überhaupt, das die Vernünftigkeitsvermutung bezüglich der freien Bürger begrenzt. Allerdings muß nach der Verwaltungsrechtsprechung auch in der Situation der konkreten Gefahr noch die Selbstverantwortlichkeit und Mündigkeit der Bürger berücksichtigt werden, und zwar auf seiten des von der Gefahr Betroffenen. Wenn ihm zugemutet werden kann, sich selbst zu schützen, hat er keinen Anspruch auf Einschreiten der Polizei und diese entscheidet nach Ermessen 14. Die Garantenpflicht entfällt dann. II

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I3

Wagner, a.a.O., S. 100. Die Unterlassung, S. 356. Grund und Grenzen, S. 229, 363.

E. Strafrechtliche Grenzen der Deliktsprovokation

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Ein Polizist hat also, wenn ein polizeiliches Rechtsgut konkret gefährdet ist und das Ermessen auf Null reduziert ist, eine Garantenpflicht. Erfüllt er sie nicht, so haftet er wegen unterlassener Abwendung des Verletzungserfolges. (Ob er wegen Täterschaft oder Teilnahme haftet, mag zunächst offen bleiben.) Nicht begründet wird solche Haftung durch Gefährdungs- und Versuchsdelikte, sofern der Provokateur dafür sorgt, daß eine polizeiwidrige Rechtsgutsbeeinträchtigung oder konkrete Gefährdung nicht eintritt. (Allerdings ist auch das Begehen von Gefährdungs- und Versuchsdelikten polizeiwidrig, weil eine Störung der öffentlichen Sicherheit, aber eben der formalen Version derselben, aus der sich keine Erfolgsabwendungspflichten ableiten lassen.) Ob die dargestellte Haftung auch begründet ist, wenn ein Rechtsgut konkret gefährdet ist, das nicht zu den herkömmlichen Gütern der öffentlichen Sicherheit gehört - z.B. die Volksgesundheit i. S. des BtMG - soll hier ebenfalls zunächst offen bleiben. Nicht begründet ist die dargestellte Haftung auch, wenn Beamte von Behörden handeln, zu deren Zuständigkeit der Schutz der von der Straftat betroffenen Rechtsgüter nicht gehört. Die Verfassungsschutzämter z. B. haben nicht diese Aufgabe (v gl. § 3 BVerfSchG). Im folgenden wird deshalb das polizeiliche Handeln erörtert. Das Ermessen, das die Polizei hinsichtlich ihres Einschreitens gegen Straftaten hat, ist noch nicht immer dann auf Null reduziert, wenn der Zweck, den die Polizei mit dem Nichteinschreiten verfolgt, rechtswidrig ist. Auf Null reduziert ist das Ermessen nur, wenn keine vernünftigen Gründe ersichtlich sind, die das Nichteinschreiten legitimieren könnten 15. Deshalb verhält sich ein Polizist, der eine Straftat, die verhindert werden könnte, bewußt geschehen läßt, um den Täter bestrafen zu lassen, zwar rechtswidrig, weil der Zweck, den er verfolgt, rechtswidrig ist Es wurde oben gezeigt, daß die Polizei nicht bezwecken darf, einen Bürger bestrafen zu lassen und es wird später gezeigt, daß sie das auch nicht darf, um konkrete Gefahren abzuwehren. Aber zum Einschreiten gegen die Straftat ist der Polizist nicht verpflichtet, sofern nicht ausnahmsweise keinerlei andere für die Polizei relevanten Gründe (z. B. Vermeiden der Beeinträchtigung der Rechtsgüter des Störers oder Dritter, Vermeiden der Behinderung anderer polizeilicher Unternehmungen) ersichtlich sind, die das Nichteinschreiten legitimieren könnten. In der Regel hat also der Polizist keine Garantenpflicht und haftet nicht wegen Täterschaft oder Teilnahme durch Unterlassen 16. Die dargestellte eventuelle Amtspflicht und Garantenpflicht obliegt auch dem beamteten Provokateur einer Straftat. Es liegt nahe, anzunehmen, daß auch seine Garantenpflicht beschränkt sei auf den Fall der konkreten Gefährdung eines Rechtsguts durch die Straftat und durch den Ermessensspielraum, den der Beamte meist hinsichtlich des Einschreitens hat. Dem ist nicht so. Weil der Beamte die Wagner, a.a.O., S. 100 f. mit weiteren Nachweisen. Vogel in Drews / Wacke / Vogel / Martens, Gefahrenabwehr, Bd. I, S. 144 ff. 16 Anders Lüderssen, Zynismus, Borniertheit oder Sachzwang? In: ders., V-Leute. Die Falle im Rechtsstaat, S. 23. 14

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1. Teil: Normative Schranken der Deliktsprovokation

Gefährdung des Rechtsguts selbst rechtswidrig bewirkt hat durch die Provokation, hat er kein Ermessen hinsichtlich der Abwendung des Schadens, denn dieser wäre ein rechtswidriger staatlicher Eingriff. Er muß unterbleiben. Ermessen hat der beamtete Provokateur hinsichtlich des Nichteinschreitens ebensowenig, wie er es hinsichtlich der Rechtmäßigkeit des Bewirkens des Eingriffs hat. - Dennoch ist er nicht immer zum Einschreiten verpflichtet. Es kann sein, daß durch das Einschreiten gegen die Straftat Rechtsgüter Dritter, z. B. des Störers, so schwer beeinträchtigt würden, daß das Mittel außer Verhältnis zum Erfolg stünde. Dann muß das Einschreiten unterbleiben. Das Zwischenergebnis lautet also: Der Provokateur verletzt nicht immer seine amtlich begründete Garantenpflicht, wenn er den Verletzungserfolg der von ihm provozierten Straftat nicht verhindert. Für die im folgenden zu klärenden Probleme ist weiter festzuhalten, daß der Provokateur mit der Provokation seine Amtspflicht verletzt, weil er damit einen rechtswidrigen Eingriff in ein Rechtsgut der von ihm zu schützenden öffentlichen Sicherheit bewirkt. Zwar setzt die Schutzpflicht der Polizei gegenüber Rechtsgütern im allgemeinen erst ein, wenn diese konkret gefährdet sind, was bei der Provokation noch nicht stets der Fall sein wird. Aber die Beschränkung der Pflicht auf konkrete Gefahren betrifft nur Schutzmaßnahmen der Polizei gegen aus der Umwelt der Polizei kommende Gefährdungen der Rechtsgüter. Die Umwelt soll nicht durch weitreichende polizeiliche Prävention belastet werden. Von der Polizei selber ausgehende, bezweckte Gefährdungen - wie oben 17 gezeigt ist der Zweck für die Beurteilung staatlichen Handeins stets relevant der ihr anvertrauten Güter sind schon im Ansatz des Bewirkens, also vor konkreter Gefährdung, amtspflichtwidrig, sofern sie nicht gesetzlich begründet sind. Die auf Überführung des Täters gerichtete Provokation ist nicht gesetzlich begründet, also amtspflichtwidrig.

b) Der polizeiliche Provokateur als Täter Die Frage, ob der beamtete Provokateur wegen Täterschaft oder wegen Teilnahme haftet, wenn er seine Garantenpflicht durch Unterlassen verletzt, führt zu viel diskutierten und umstrittenen Problemen; sie werden vorliegend nur kursorisch behandelt, denn eine Kritik der Dogmatik der Unterlassungsdelikte ist nicht Ziel der Untersuchung. Manche Autoren 18 meinen, beim strafbaren Unterlassen gebe es nur Täterschaft. Die Eingriffsmöglichkeit mache den Handlungspflichtigen stets zum Unterlassungstäter. Nötigenfalls sei die Strafe gemäß § 13 Abs. 2 StGB zu mildem. Durch diese Lösung könnte auch die Haftung, z. B. eines privaten Provokateurs, wegen aktiver Teilnahmehandlungen weitges. o. 1. Teil 1I. Mit Unterschieden im Detail z. B.: Stratenwerth, Strafrecht AT, Rn 1076 ff.; Welzel, Deutsches Strafrecht, S. 221 f.; Roxin in LK § 25 Rn 147; Grünwald, GA 1959, 110 ff. 17

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E. Strafrechtliche Grenzen der Deliktsprovokation

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hend durch täterschaftliche Haftung verdrängt werden, nämlich immer dann, wenn der Provokateur die geförderte Tat nicht verhindert, obwohl er dies konnte. - Das wird der gesetzlich vorgesehenen besonderen Bewertung der Teilnahme wohl kaum gerecht. Verzichtet man bei dieser Lösung auf die Täterhaftung des Unterlassenden, wenn ein aktiver Teilnahmebeitrag vorausging, so ist in manchen Fällen schwer einzusehen, warum Täterhaftung eines ebenso verpflichteten Unterlassenden dann eintreten soll, wenn er nicht zuvor aktiv wurde. Es wäre z. B. wenig einleuchtend, wenn der beamtete Provokateur wegen Teilnahme (durch die Provokation) haftete, der Polizist hingegen, der ein Delikt beobachtet und pflichtwidrig nicht hindert, als Täter haften sollte. In der neueren Literatur 19 wurde gezeigt, daß auch beim Unterlassen die Unterscheidung von Täterschaft und Teilnahme sinnvoll getroffen werden kann, wenn auf den Haftungsgrund abgestellt wird. Die dabei entwickelten Kriterien müssen hier nicht umfassend erörtert werden. Täterschaft soll jedenfalls anzunehmen sein, wenn jemand für den Bestand eines Gutes zu sorgen hat, "Beschützergarant" ist, "institutionell zuständig" ist. Das ist angemessen, denn hinter der allgemeinen Pflicht, einen Gutsbestand zu sichern, treten die Unterscheidungen von Tun und Unterlassen sowie von Täterschaft und Teilnahme zurück (wie das viel zitierte Beispiel des Vaters zeigt, für dessen Haftung es keinen Unterschied machen sollte, ob er sein Kind verletzt oder die Verletzung durch Dritte nicht hindert). Teilnahme soll hingegen vorliegen, wenn die Garantenpflicht durch Ingerenz begründet ist, weil dabei der Geschehensteil, der zur Verantwortlichkeit des Unterlassenden gehört, dem Beitrag des Haupttäters nicht gleichwertig sei. Diese Differenzierung wird zunehmend im Umweltstrafrecht anerkannt 20. Folgt man ihr, so begründet die durch Ingerenz begründete Garantenpflicht des Provokateurs keine Täterhaftung. Die Amtspflicht der Polizei jedoch, die Rechtsgüter der (materiellen) öffentlichen Sicherheit vor Beeinträchtigung zu schützen, wenn sie konkret gefahrdet und die Schutzmaßnahmen nicht dem polizeilichen Ermessen überlassen sind, läßt sich als begrenzte, institutionell begründete Pflicht, für den Bestand von Gütern zu sorgen 21, als begrenzte "Beschützergarantie" 22 verstehen. In ihrem Rahmen haftet der verpflichtete Beamte als Täter, wenn er die Pflicht verletzt. Dies gilt hinsichtlich des Polizisten, der ein konkret gefährliches Delikt geschehen läßt, sofern sein Ermessen auf Null reduziert ist. Die Garantenpflicht des beamteten Provokateurs, das provozierte Delikt zu verhindern, ist zwar, wie gesagt, nicht durch ein Ermessen relativiert, sie steht aber unter dem Vorbehalt der Verhältnismäßigkeit des Einschreitens gegen die Straftat. Die täterschaftliche Haftung des Provokateurs wird jedoch nicht durch 19 Vgl. Cramer in Schönke / Schröder, Rn 87 ff. vor § 25; Jakobs, Strafrecht AT, 29/ 101 ff.; ähnlich Schünemann, a.a.O., S. 377 f.; Herzberg, a.a.O., S. 257 ff. 20 Horn, NJW 1981, 1 (10 f.); Winkelbauer, NStZ 1986, 149 (152). 21 Jakobs, a.a.O., 29/ 106. 22 Cramer, a.a.O.

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1. Teil: Nonnative Schranken der Deliktsprovokation

diesen Vorbehalt begrenzt. Er hat schon durch die Provokationshandlung, weil sie rechtswidrig eine Rechtsgutsverletzung bewirkte, seine polizeiliche Amtspflicht, die Rechtsgüter der öffentlichen Sicherheit zu schützen, verletzt. Die amtliche Beschützergarantenpflicht soll das Rechtsgut rundum schützen. Sie überlagert die verhaltensorientierte Unterscheidung von Täterschaft und Teilnahme 23, die angebracht ist, wo kein Sonderverhältnis zwischen Handelndem und Rechtsgut besteht. Deshalb ist die Provokationshandlung als täterschaftliches Delikt zu bewerten. c) Garantenpflichten für Kollektivrechtsgüter

Die bisherige Untersuchung ging davon aus, daß ein Delikt provoziert wurde, das ein Rechtsgut des herkömmlichen Katalogs der Rechtsgüter der öffentlichen Sicherheit konkret gefährdet. Zu klären ist nun, ob auch die Beeinträchtigung anderer Rechtsgüter, z. B. der Volksgesundheit, die polizeiliche Schutzpflicht auslöst, ob überhaupt Universalien, wie die Volksgesundheit, als Rechtsgüter anzuerkennen sind. Es geht hierbei nicht um den strafrechtlichen Begriff des Rechtsguts, denn die hier zu bestimmende GarantensteIlung ist auf verwaltungsrechtliche Amtspflichten gestützt. Es geht um die Rechtsgüter der von der Polizei zu schützenden öffentlichen Sicherheit. Die Reichweite der Straftatbestände kann dafür jedoch Indiz sein. Das Handeltreiben mit Betäubungsmitteln, das ein Provokateur forciert oder ein V-Mann geschehen läßt, beeinträchtigt noch nicht die Gesundheit eines einzelnen, schon gar nicht die Gesundheit vieler oder des Volkes. Es kann aber leicht zur Beeinträchtigung der Gesundheit einzelner führen. Die Volksgesundheit aber ist durch ein einzelnes Delikt überhaupt nicht zu beeinträchtigen 24. Gleichwohl kann man das Handeltreiben mit Drogen als Verletzungsdelikt bewerten, wenn man den mit den zahlreichen Verbots- und Straftatbeständen des BtMG erstrebten Erfolg selbständig bestimmt als Sicherheit der Gesundheit vieler, und in diesem Sinn des Volkes 25. Dies wäre ein Kollektivrechtsgut wie etwa das Rechtsgut der Gewässerreinheit (§ 324 StGB). Ob es anzuerkennen ist, kann nicht entschieden werden ohne Rücksicht auf die Sachfrage, ob der klassische Katalog materieller Rechtsgüter der öffentlichen Sicherheit, der oben dargestellt wurde, um dieses und ähnliche Kollektivrechtsgüter erweitert werden soll. Für die polizeilichen Befugnisse ist dies freilich wenig relevant, denn auch wenn das Kollektivrechtsgut der Volksgesundheit nicht oder nicht als polizeiliches Rechtsgut anerkannt wird oder angenommen wird, es sei Roxin in LK § 25 Rn 142 ff.; Jakobs, Strafrecht AT, 21 / 116, vgl. auch 7/70 f. Vgl. Zielinski, JZ 1973, 193. 25 Es geht hier also nicht um Biologismen von der Art, Kriminalität sei eine Volkskrankheit. 23

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E. Strafrechtliche Grenzen der Deliktsprovokation

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durch den Drogenhandel noch nicht verletzt, kann die Polizei gegen bevorstehenden Drogenhandel einschreiten, weil er allemal die Rechtsordnung, die öffentliche Sicherheit in ihrer formalen Version also, verletzt. Daraus ergibt sich jedoch, wie gesagt, keine strafbegründende Garantenpflicht. Praktische Folgen hat die Anerkennung eines Kollektivrechtsguts als Teil der öffentlichen Sicherheit vor allem für die strafrechtliche Haftung von Beamten. Die Frage wird denn auch meist im Strafrecht diskutiert. Horn meint zu den Kollektivrechtsgütern des Umweltrechts, sie seien "bereits konstitutionell unfähig, sich vor den sie bedrohenden Gefahren zu schützen, das Rechtsgut ,reines Gewässer' z. B. ,gehört' der Allgemeinheit, es hat keine ,Träger'; es braucht daher einen ,Beschützer'. Diese Funktion üben Behörden aus. Sie nämlich allein sind befugt und aufgerufen, durch Auflagen und Erlaubnisse diese Güter zu ,verwalten"'. 26 Möglicherweise ließe sich mit solcher Argumentation auch eine Schutzpflicht und strafbegründende Garantenpflicht der Behörden hinsichtlich der Volksgesundheit begründen. Zu den Kollektivrechtsgütern des Umweltrechts argumentiert allerdings Rudolphi, diese seien nicht schutzlos, weil die Bürger verpflichtet seien, Schädigungen zu unterlassen 27. Auch dies läßt sich auf Kollektivrechtsgüter wie die Volks gesundheit übertragen. Das Argument ist jedoch unspezifisch. Es stellt jegliche staatliche Prävention in Frage, wo auch Bürger präventiv verpflichtet sind. Es kann also nicht erklären, warum gerade die Garantenpflicht der zuständigen Beamten entfallen soll. Diese zum Schutz von Kollektivrechtsgütern anzunehmen, ist angemessen, wo die Kollektivgüter aufgrund von Gesetzen besonderen staatlichen Behörden anvertraut sind. Man kann solchen Schutz für überzogen halten. Wenn er gesetzlich vorgeschrieben ist, ist nicht ersichtlich, warum zuständige Beamte dafür nicht ebenso einstehen sollten wie z. B. für staatlich verwaltete Individualrechtsgüter. Das gilt auch hinsichtlich des präventiven Schutzes der Gesundheit der Einzelnen, der mit dem Rechtsgut der Volksgesundheit statuiert ist. Zwar sind die einzelnen für ihre Gesundheit grundsätzlich selbst verantwortlich. Die Gesetzgeber haben aber angenommen, daß die selbstverantwortliche Vernunft vieler hinsichtlich des Umgangs mit Drogen überfordert ist. Darin steckt eine gesetzliche Vermutung partieller Unvernunft der einzelnen. Solange nicht die Verfassungswidrigkeit dieser Regelung dargetan ist, sollten daraus die strafrechtlichen Konsequenzen nicht nur hinsichtlich der Dealer, sondern auch hinsichtlich der zuständigen Beamten gezogen werden. Es wäre auch schwer einzusehen, warum etwa hinsichtlich der Volks gesundheit keine Garantenpflicht bestehen sollte, wenn sie hinsichtlich des Staates, seiner Einrichtungen und seines Funktionierens anerkanntermaßen besteht. Die Kollketivrechtsgüter haben oft kein umgrenztes dingliches Substrat; deshalb ist eine umfassende Schutzpflicht der Behörden nur anzunehmen, wenn 26

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Horn, NJW 1981, 1 (6); zustimmend Winkelbauer, NStZ 1986, 149 (151). Rudolphi, Festschrift für Dünnebier, S. 562 (578).

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1. Teil: Nonnative Schranken der Deliktsprovokation

den Behörden hinsichtlich eines Kollektivrechtsguts die Ausübung der umfassenden Sorge auch rechtlich möglich ist, d. h. wo ihnen entsprechend umfassende Verwaltungsbefugnisse gesetzlich eingeräumt sind, z. B. Verbote des Verkehrs mit gefährlichen Stoffen unter Erlaubnisvorbehalt und Auflagen, Herstellungskontrolle, Verkehrskontrollen und Regelungen, Erfordernisse von Befähigungsnachweisen. Das ist anzunehmen hinsichtlich der Güter des Umweltrechts, der Sicherheit des Straßenverkehrs, der Volksgesundheit im Verhältnis zu Betäubungsmitteln, des Geldverkehrs, nicht hinsichtlich des allgemeinen Beweismittelverkehrs: allgemeine Urkunden kann jeder nach 'Belieben herstellen und in Verkehr bringen. Gegeben ist die umfassende Sorgepflicht hinsichtlich des Staates und seiner Einrichtungen. Ausgeschlossen ist die Garantenpflicht, soweit die Behörden hinsichtlich des Einschreitens Ermessen haben 28. Besteht sie, so trifft die Garantenpflicht nur die jeweils zuständigen Behörden und ihre Beamten. Das sind oft spezialisierte Fachbehörden. Auch in ihrem Aufgabenbereich wird jedoch die Polizei tätig, soweit die Abwehr der Gefahr durch "die andere Behörde nicht oder nicht rechtzeitig möglich erscheint" 29. Daher haben Polizeibeamte nicht jederzeit eine Garantenpflicht für alle von Verwaltungsbehörden verwalteten Kollektivrechtsgüter, wohl aber dann, wenn sie mit deren Gefährdung in Berührung kommen 30. Das ist der Fall, wenn ein Polizist ein Drogendelikt provoziert oder es beobachtet und geschehen läßt, um den Täter zu überführen. Er verletzt dann eine Garantenpflicht ebenso wie bei Provokation und Geschehenlassen eines Delikts, das Individualrechtsgüter verletzt. Er haftet als Täter. Hat die Behörde den Eingriff in das Kollektivrechtsgut wirksam und rechtmäßig genehmigt, so haftet der Provozierte, der von der Genehmigung nichts wußte, wegen Versuchs, sofern dieser strafbar ist. Der behördliche Provokateur ist straffrei; die Provokation ist aber ein rechtswidriger Eingriff ins Persönlichkeitsrecht des Provozierten. Eine wirksame Genehmigung zu den nach dem BtMG verbotenen Verhaltensweisen kann ein Polizeibeamter mangels Zuständigkeit nicht erteilen (vgl. §§ 3 ff. BtMG). Hat die Behörde den Eingriff in das Kollektivrechtsgut rechtswidrig, aber wirksam genehmigt 31 , so haftet der Provozierte wie im vorangegangenen Fall wegen Versuchs. Die wirksame Genehmigung schließt die Rechtswidrigkeit seines Verhaltens aus. Die Beamten, die die rechtswidrige Genehmigung erteilten, wären als Verwalter und Garanten des Rechtsguts verpflichtet gewesen, die Genehmigung aufzuheben und gegen das Handeln des Provozierten einzuschreiten. Die Aufhebung der Genehmigung wäre zwar ebenVgl. Rudolphi, NStZ 1984, 193 (198); Horn, a.a.O., S. 6 f. § la Musterentwurf eines einheitlichen Polizeigesetzes; ebenso § 1 Abs. 2 S. 1 Nds. SOG. 30 Horn, a.a.O., S. 10 f. 31 Zum folgenden Horn, a.a.O., S. 3 f.; Rudolphi, Festschrift für Dünnebier, S. 562 (566). 28

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E. Strafrechtliche Grenzen der Deliktsprovokation

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sowenig wie die Erteilung wirksam geworden gegen das Handeln des Provozierten. Aber das Einschreiten hätte ihn am Eingriff in das Rechtsgut hindern können. In diesem Fall hatten also die Beamten, soweit sie nicht ermessen hatten, eine Garantenpflicht. Sofern sie nicht einschritten, haften sie als mittelbare Täter. Dies ist allerdings ausgeschlossen, wenn nach dem Tatbestand, wie zuweilen im Umweltstrafrecht, die Täterschaft von Behördenvertretern nicht möglich ist. 2. Besondere Pflichtdelikte

a) Ostendorf und Meyer-Seitz 32 meinen, die Deliktsprovokation durch Polizeibeamte erfülle (zumindest) den objektiven Tatbestand der Verfolgung Unschuldiger (§ 344 StGB). Dafür scheint auch die hier vertretene These zu sprechen, daß die Provokation, die darauf gerichtet ist, jemanden wegen künftiger Taten bestrafen zu lassen, das Tat- und das Schuldprinzip überschreitet. Aber eine Verfolgung i. S. des § 344 StGB liegt nur vor, wenn jemand mit einem Straf- oder ähnlichen Verfahren überzogen wird, das sich der Form nach auf die Ahndung von Schuld, d. h. von vergangenen Taten richtet, deren der Betroffene nicht schuldig ist. Das muß mindestens, wie weit auch immer man den Begriff ,Strafverfahren' materiell ausdehnt, gegeben sein. Die präventive Deliktsprovokation bezieht sich gerade nicht auf behauptete vergangene Taten, deretwegen ein Unschuldiger bestraft werden soll, sondern auf künftige Taten. Deren Verfolgung findet bei der Provokation nicht statt, weil sie nicht begangen sind, sondern wird vorbereitet, so daß die Verfolgung später gegen einen Schuldigen stattfinden kann. Zwar darfmöglicherweise der von der Provokation zur Tat Veranlaßte nicht verfolgt werden. Aber das ist Folge der Provokation und bedeutet nicht, daß sie selbst eine unzulässige - Verfolgung wäre. Sofern die Deliktsprovokation im Zusammenhang eines Strafverfahrens darauf gerichtet ist, Beweismittel für vergangene Taten zu beschaffen, ist sie unzulässig, aber nicht speziell, weil sie sich gegen einen Unschuldigen richtete. b) Oft wird der Polizeibeamte, der eine Straftat provozierte, nach der Tat keine Strafverfolgungsmaßnahmen aufnehmen, etwa um die Szene weiter beobachten zu können oder um den provozierten Täter unter dem Druck möglicher Strafe zur Mitarbeit zu veranlassen. Das Unterlassen von Strafverfolgungsmaßnahmen verstößt dann gegen die in § 163 StPO begründete Verfolgungspflicht der Polizei und ist als Strafvereitelung im Amt (§ 258a StGB) zu werten. Allerdings wird der beamtete Provokateur es auch darauf abgesehen haben, selbst nicht wegen Provokation bestraft zu werden 33; dann ist er gemäß § 258 Abs. 5 StGB straffrei. Strafbar gemäß § 258a StGB ist aber ein Mitarbeiter des beamteten

32 33

StrVert 1985,73 (79 f.). Darauf weisen Ostendorf / Meyer-Seitz, a.a.O., S. 80, hin.

18 Keller

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1. Teil: Nonnative Schranken der Deliktsprovokation

Provokateurs, der nicht an der Provokation und der provozierten Tat beteiligt war, aber als Polizist zur Mitarbeit am Strafverfahren gemäß § 163StPO berufen ist und von der provozierten Tat eine Ahnung hat (sichere Kenntnis ist nicht nötig). Er muß hinsichtlich des Unterbleibens der Verfolgung nicht Tatherrschaft im herkömmlichen Sinne haben 34, denn § 258a StGB ist ein Pflichtdelikt. Es genügt die amtliche Pflicht und Möglichkeit zu handeln. Rebmann und Vertreter der Polizei 35 weisen darauf hin, daß der Strafverfolgungsbeamte hinsichtlich der Ausgestaltung des Ermittlungsverfahrens Ermessen hat, eine Verfolgungsmaßnahme also u. U. auch zurückstellen darf. Aber sein Ermessen darf nur vom Zweck der Strafverfolgung geleitet werden, die seine Aufgabe ist. Ermessen bedeutet nicht Beliebigkeit. Ermessen überläßt dem Beamten die Konkretisierung des gesetzlich fixierten Zweckes, hier also die Strafverfolgung. Wenn der Beamte weiter die Szene beobachten oder einen V-Mann anwerben will, jeweils ohne einen bestimmten Tatverdacht aufzuklären, so betreibt er nicht Strafverfolgung, sondern wie erwähnt vorbeugende Straftatbekämpfung. Diese ist nicht zu berücksichtigen im Rahmen des Ermessens hinsichtlich der Ausgestaltung des Ermittlungsverfahrens. Denkbar ist nur, daß das Legalitätsprinzip, das den Beamten zur Strafverfolgung verpflichtet, zurückgedrängt wird durch das Interesse an vorbeugender Verbrechensbekämpfung, die gestört würde, wenn jederzeit strikt Strafverfolgung betrieben würde. Solche Kollision und Relativierung der Verfolgungspflicht hätte eine Parallele in der bekannten Kollision von Strafverfolgung und Gefahrenabwehr 36• Allerdings geht es dort um konkrete Gefahren, zu deren Abwehr die Polizei durch die Generalklausei umfassend befugt ist. Es gibt aber keine umfassende Befugnis zu Maßnahmen vorbeugender Verbrechensbekämpfung. Sie bedürfen spezieller Begründung, die hinsichtlich der Beobachtung verdächtiger Milieus und der Anwerbung von V-Leuten fehlt. Deshalb kann das diesbezügliche Interesse die Strafverfolgungspflicht nicht relativieren. c) Wenn zu der bisher erörterten Strafvereitelung im Amt der Täter von einem Vorgesetzten, der selbst nicht Mittäter ist (z. B. weil er nicht zur Mitwirkung an dem konkreten Strafverfahren berufen ist), verleitet wird sowie wenn der Vorgesetzte die Strafvereitelung seines Untergebenen geschehen läßt, haftet jener nach § 357 StGB. Dieser Tatbestand ist auch erfüllt, wenn der Täter der Strafvereitelung selbst gemäß § 258 Abs. 5 StGB straffrei ist, weil er zugleich seine eigene Bestrafung verhindern will. § 357 StGB greift auch ein, wenn der Untergebene zur strafbaren Provokation verleitet wird oder der Vorgesetzte die Provokation bewußt geschehen läßt. Auch die in rechtswidriger Ausübung eines Amtes So aber Ostendorf / Meyer-Seitz, a.a.O. Rebmann, NJW 1985, 1 (4); Bericht des vom Arbeitskreis 11 der Innenministerkonferenz eingesetzten ad hoc-Ausschusses, in: Bürgerrechte und Polizei / Cilip Nr. 17, 1984, S. 77 (85 f.). 36 Dazu Krey, ZRP 1971, 224 ff.; Martens, in Drews / Wacke / Vogel / Martens, Gefahrenabwehr, 2. Bd., S. 46. 34

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E. Strafrechtliche Grenzen der Deliktsprovokation

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begangene Provokationstat ist "eine rechtswidrige Tat im Amte". § 257 StGB ist nicht auf die Amtsdelikte der §§ 331 ff. StGB beschränkt 37.

3. Haftung Privater als Amtsträger In der Literatur ist weitgehend anerkannt, daß private V-Leute der Verfassungsschutzämter Amtsträger gemäß § 11 Abs. 1 Nr. 2 c) StGB sind 38 • Entsprechendes muß auch für Private gelten, die - eventuell von der Polizei - mit Deliktsprovokationen beauftragt sind. Daß dieser Auftrag wegen seines Gegenstandes, und weil die Polizei verdeckt tätige V-Leute nicht beschäftigen darf, rechtswidrig ist, ändert nichts an der Qualifikation des Status als Amtsträger 39 • Hinsichtlich der Begründung im einzelnen kann auf die Ausführungen zur Zurechnung des HandeIns der beaufragten Privaten zum Staat und zur Übertragung der Pflicht des Staates auf beauftragte private Provokateure verwiesen werden 40. Als "für den öffentlichen Dienst besonders Verpflichtete" gemäß § 11 Abs. 1 Nr.4 a) StGB sind die Provokateure nicht zu qualifizieren, weil sie selbst - rechtswidrige - öffentliche Funktionen wahrnehmen. Weitreichende Konsequenzen dürften sich für die hier thematische Haftung aus der Qualifikation Privater als Amtsträger nicht ergeben. Denn diese Qualifikation bedeutet nicht, daß die beauftragten Privaten ebenso strikt wie etwa Polizeibeamte verpflichtet wären. Sie sollen z. B. eine kriminelle Scene beobachten und ggf. einzelne Personen zu Delikten provozieren, um sie zu überführen; oder sie sollen sich nötigenfalls an Delikten beteiligen, um Vertrauen zu erwerben. Auch wenn sie jeweils strikt beauftragt sein sollten, ihre Erkenntnisse der Polizei zu melden, wäre es unangemessen, diesen Auftrag der Bindung von Polizeibeamten an das Legalitätsprinzip gleichzustellen. Der beauftragte Private steht dem Strafverfolgungsapparat fern, so daß er nicht selbst am Strafverfahren mitwirkt oder die Mitwirkung der Beamten vorbereitet. Wenn er also seine Erkenntnisse nicht weitergibt, haftet er nicht wegen Strafvereitelung im Amt, sofern seine Haftung nicht ohnehin gemäß § 258 Abs.5 StGB ausgeschlossen ist. Wegen Abs. 5 dürfte i. d. R. auch eine Haftung nach § 258 StGB ausgeschlossen sein. In den übrigen Fällen käme nur Strafvereitelung durch Unterlassen in Frage, was eine Garantenpflicht voraussetzt. Diese ist mit dem bloßen Beobachten eines Delikts nicht begründet. Auch im Hinblick auf die unter 1. erörterten allgemeinen Pflichtdelikte haftet der beauftragte Private nicht ebenso wie Polizeibeamte, denn sein Auftrag beinhaltet im allgemeinen nicht, polizeimäßig konkrete Gefahren abzuwehren oder 37 38 39

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Cramer in Schönke / Schröder § 257 Rn 9. Evers, Privatsphäre, S. 157 f.; Friedrichs, V-Leute, S. 39 mit weiteren Nachweisen. Eser in Schönke / Schröder, § 11 Rn 30. s. o. 1. Teil C.

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1. Teil: Nonnative Schranken der Deliktsprovokation

an dieser Abwehr mitzuwirken. Wenn der beauftragte Private also ein Delikt beobachtet und geschehen läßt, um den Täter der Polizei zu melden, verletzt er keine Garantenpflicht und haftet weder als Täter noch als Teilnehmer 41 • Die gegenteilige Annahme unterstellt, der V-Mann habe mit dem Auftrag annähernd den umfassenden Status eines Polizei beamten mit der bekannten Doppelzuständigkeit, der differenzierten Pflicht zu korrekter Ermessensausübung bei Gefahrenabwehr etc. erhalten. Angesichts der Begrenztheit des Auftrages ist das schwer zu begründen. Hat der beauftragte Private das Delikt zuvor gefördert, so haftet er je nach der Art der Förderungshandlung als Täter oder Teilnehmer wie nicht staatlich beauftragte Private.

VI. Zusammenfassung der strafrechtlichen Grenzen der Deliktsprovokation Die nur auf einen Versuch gerichtete Provokation (in allen möglichen Formen: Anstiftung, Beihilfe, Mittäterschaft) ist straflos. Die vorsätzliche Provokation eines vollendeten Delikts ist strafbar, auch wenn der Provokateur eine nach dem Gesetz relevante Absicht des Täters für unrealisierbar hielt. Modifikationen ergeben sich nur im Verhältnis Mittäterschaft / Teilnahme. Die beiden Bewertungen - der Provokation des Versuchs als straflos einerseits und der Provokation des Absichtsdelikts als strafbar andererseits - widersprechen sich entgegen verbreiteter Lehre nicht. Beide Bewertungen sind aus der rechtsstaatlichen Bindung der Teilnahme an die Deliktstatbestände abgeleitet. Hinsichtlich der Mittel der strafbaren Provokation genügt nicht ihre bloße Kausalität für die Tat. Die Provokation muß in ihrer äußeren Form auf die Tat gerichtet sein, wenn sie strafbar sein soll. Geht die Provokation von staatlichen Stellen aus, so wird die Haftung, verglichen mit der Haftung privater Provokateure, erweitert wegen der besonderen Pflichten von Amtsträgern. Die Straftatbestände, die im Zusammenhang der Provokation erfüllt werden, sind damit nicht vollständig dargestellt. Erörtert wurden nur die vom Provokationsakt selbst erfüllten Tatbestände, nicht die den Provokationsakt praktisch oft begleitenden Taten. Wie eingangs (zu 1. Teil E) dargestellt, werden insbesondere staatliche Stellen, die die Deliktsprovokation als effizientes Mittel der vorbeugenden Straftatbekämpfung und Gefahrenvorsorge einsetzen wollen, die Provokation durch Handlungen absichern, die über die hier erörterten hinaus noch viele weitere Tatbestände erfüllen können. Diese sind sehr vielgestaltig und werden hier nicht im einzelnen behandelt. Punktuell werden sie im folgenden Zusammenhang der Rechtfertigung und Begründung der Deliktsprovokation angesprochen. 41 Nach Lüderssen, Zynismus, Borniertheit oder Sachzwang? In: ders., V -Leute, S. 23, soll Beihilfe vorliegen.

2. Teil

Möglichkeiten der Rechtfertigung und Begründung von Deliktsprovokationen A. Rechtfertigung privater Provokationen gemäß § 34 StGB Rechtsprechung und Literatur beschäftigen sich meist mit staatlichen Deliktsprovokationen. Dabei wird zuweilen bezweifelt, ob § 34 StGB staatliches Handeln begründen kann 1. Davon abgesehen aber wird eine Rechtfertigung der Provokation gemäß § 34 StGB durchaus für möglich gehalten 2. Das müßte dann auch für die Provokation von seiten Privater gelten, die hier zunächst untersucht werden soll. Neuerdings wird allerdings eingewandt, die durch eine Provokation zu bekämpfende Gefahr sei meist nicht gegenwärtig 3; sie sei abstrakt und deshalb vorrangig von der Polizei abzuwenden 4; sie könne auch anders als durch Provokation abgewendet werden 5; die Interessenabwägung lasse die Provokation oft nicht zu 6 • Nicht diskutiert wird in der Literatur die Rechtfertigung der Provokation durch Notwehr.Sie kommt in Betracht, wenn die Provokation einen vom Provozierten ausgehenden gegenwärtigen rechtswidrigen Angriff abwehrt und dabei rechtlich geschützte Interessen des Provokateurs beeinträchtigt. Allerdings werden bei der Notwehr an die Gegenwärtigkeit des Angriffs besonders hohe Anforderungen gestellt 7 , so daß eine Notwehrlage selten gegeben sein wird. Denkbar ist sie Nachweise unten 2. Teil D Anm. 1, 3. OLG München NJW 1973,2275; Bericht des Arbeitskreises II der Innenministerkonferenz, in: StrVert 1984, 352 ff.; Nds. MBl. 1986,716 (717); Dencker, Festschrift für Dünnebier, S.447 (457 f., 461 ff.); Schumann, JZ 1986, 66 (71); Suhr, JA 1985, 629 (632); Stratenwerth, MDR 1953,717 (720 f.); Welp, JuS 1967,507 (509); Samson in SK StGB Rn 38 vor § 26; Lüderssen, Zum Strafgrund der Teilnahme, S. 212; mit Einschränkungen auch Rebmann, NJW 1985, (5); Lenckner in Schönke / Schröder, § 34 Rn 41; Plate, ZStW 84 (1972), 294 (311 f.). 3 Seelmann, ZStW 95 (1983), 707 (812); Lüderssen, Zynismus, Borniertheit oder Sachzwang? In: ders. (Hg.); V-Leute. Die Falle im Rechtsstaat, S. 20; Rebmann, a.a.O., S.3; Ostendorf / Meyer-Seitz, StrVert 1985, 73(78); Amelung, JuS 1986, 329 (332); Plate, a.a.O., S. 312; Körner, BtMG, § 31 Rn 49. 4 Seelmann, a.a.O., S. 809. 5 Lüderssen, a.a.O. 6 Seelmann, a.a.O., S. 813; Lüderssen, a.a.O., S. 21; Franzheim, NJW 1979, 2014 (2017 f.); Plate, a.a.O., S. 312. 7 Vgl. Lenckner in Schönke / Schröder, § 32 Rn 13 ff.; Jescheck, Lehrbuch des Strafrechts, § 32 II Id, § 33 IV 3a. 1

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2. Teil: Rechtfertigung und Begründung der Deliktsprovokation

immerhin. Beispiel: Erpresser haben einen Menschen gefangen. Ein beauftragter Detektiv ermöglicht ihnen eine andere Straftat, z. B. Waffendiebstahl, erwirbt dadurch ihr Vertrauen, ermittelt das Versteck des Gefangenen und ermöglicht infolgedessen die Befreiung. Wer meint, die Provokation beeinträchtige die soziale Integration des Provozierten, müßte diese Wirkung hier für gemäß § 32 StGB gerechtfertigt halten. Allerdings würde damit nur ein Teilaspekt der Provokation erfaßt. Die Beeinträchtigung der Güter Dritter, die von der provozierten Tat betroffen sind, und von dieser ausgehende Gefahren können durch Notwehr nicht gerechtfertigt werden. Zudem finden Provokationen meist zum Schutz von Kollektivrechtsgütern statt. Es ist fraglich, ob diese gemäß § 32 StGB verteidigt werden dürfen. Da die Probleme in ähnlicher Weise bei dem für Provokationen praktisch bedeutsameren § 34 StGB auftreten, sollen sie im Zusammenhang des Notstands behandelt werden. Entscheidend für die Anwendung des § 34 StGB ist zunächst, welche Ziele der Provokateur verfolgt. Einen gefährlichen sozialen Bereich, etwa eine Drogenszene, generell unter Kontrolle zu bekommen, dürften private Provokateure nur selten vorhaben. Der Provokateur aus den Lehrbüchern, der aus bloßer Feindseligkeit einen anderen wegen der provozierten Tat bestrafen lassen will, ist nicht gemäß § 34 StGB gerechtfertigt. Auszugehen ist von folgenden möglichen Zielen: im Zusammenhang mit der Aufklärung der zu provozierenden Tat vergangene Taten des zu Provozierenden aufzuklären und bestrafen zu lassen; den als gefährlich eingeschätzten zu Provozierenden durch Freiheitsstrafe oder Untersuchungshaft ungefährlich zu machen; im Zusammenhang der Provokation oder der Verfolgung der provozierten Tat ein gefährliches Geschehen abzubrechen, einen gefährlichen Gegenstand aus dem Verkehr zu ziehen oder eine entwendete Sache zurückzuerlangen.

I. Provokation zwecks Ahndung vergangener Straftaten Bevor hinsichtlich dieser Art von Provokation die in der Literatur problematisierten Kriterien des § 34 StGB geprüft werden, lohnt es sich zu bedenken, ob die Aufklärung und Ahndung von Straftaten ein Rechtsgut i. S. des § 34 StGB ist. Darunter wird verstanden ein rechtlich geschütztes Interesse des einzelnen (Individualrechtsgut) oder der Allgemeinheit. In der Ahndung von Straftaten und entsprechend auch in der vorhergehenden Aufklärung derselben realisiert sich einmal das Interesse der Allgemeinheit an - je nach Straftheorie - Gerechtigkeit, Resozialisierung des Täters und / oder Generalprävention. Daneben realisiert sich in der Ahndung von Straftaten u. U. auch das Interesse von Einzelnen, die anzeigen oder beantragen, Privat- und Nebenklage erheben können. Dieses Individualinteresse soll hier zunächst außer acht gelassen werden. (Zum Sprachgebrauch: Güter, die sich im Eigentum des Staates als Subjekt des Privatrechts befinden, werden hier als Individualrechtsgüter bezeichnet.)

A. Rechtfertigung privater Provokationen gemäß § 34 StGB

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1. Schutz von Kollektivrechtsgütern - subjektives Recht und objektive Gerechtigkeit Es ist nicht sicher, ob die in § 34 StGB gegebene Berechtigung den Schutz von Rechtsgütern der Allgemeinheit umfaßt. Der Wortlaut erweckt Zweifel. Wenn das Rechtsgut des Handelnden oder "eines anderen" geschützt werden darf, so scheint ein Gut gemeint zu sein, das einem anderen Subjekt zusteht. Die Bestrafung aber erfolgt, wie gesagt, primär im die einzelnen Subjekte übergreifenden öffentlichen Interesse. Das sie begründende Strafrecht ist objektives Recht, das i. d. R. unabhängig von subjektiven Interessen durchgesetzt wird. Zwingend ist dieser Schluß freilich nicht. Mit dem Hinweis auf den "anderen" kann auch nur eine Erweiterung der Notstandsbefugnisse über den Selbstschutz hinaus gemeint sein 8• In der Literatur wird der § 34 StGB meist auch auf Rechtsgüter der Allgemeinheit erstreckt 9• Allerdings soll die öffentliche Ordnung als solche nicht schutzfahig sein 10. Auch soll bei abstrakten Gefährdungsdelikten das Schutzgut konkretisiert werden 11. Im übrigen sei der kompetenzielle Vorrang hoheitlichen Handeins soweit möglich zu achten 12. Grundsätzlich ausgeschlossen ist gemäß § 34 StGB der Schutz von Rechtsgütern der Allgemeinheit danach nicht. Bemerkenswert ist, daß bei dem anderen Notrecht des § 32 StGB vorab wesentlich restriktiver formuliert wird. Notwehraktionen Privater sollen, wenn sie überhaupt zugunsten der Allgemeinheit zugelassen werden, nur ganz ausnahmsweise zum Schutz "höchster Güter" des Staates 13 zulässig sein. Diese Differenzierung zwischen Notstand und Notwehr ist geleitet von den unterschiedlichen Rechtsfolgen. Die relativ krassen Notwehrmaßnahmen hält man für im allgemeinen dem Staatsschutz unangemessen 14. Die Notstandsmaßnahmen sind ihm eher kommensurabel, weil sie dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz folgen wie Verwaltungsakte. Nun bedeutet die Akzeptanz von Rechts/olgen noch nicht, daß sie begründet sind. Das zwischen Notstand und Notwehr hinsichtlich der zu schützenden Güter zu unterscheiden sei, ist nicht selbstverständlich. Es soll also versucht werden, aus dem systematischen Zusammenhang des § 34 StGB zu erklären, ob Rechtsgüter der Allgemeinheit im Notstand durch Private geschützt werden dürfen. Dafür kann die schon erwähnte Unterscheidung von subjektivem Recht und objektiver So Lenckner in Schönke / Schröder, § 34 Rn 10. Vgl. Lenckner, a.a.O. mit weiteren Nachweisen. 10 Lenckner, a.a.O.; Jakobs, Strafrecht AT, 13/ 11, 12/9; Jescheck, Lehrbuch des Strafrechts, § 32 11 1 b). 11 Seelmann, ZStW 95 (1983),797 (812). 12 Lenckner, a.a.O.; Jescheck, a.a.O., Jakobs, a.a.O. 13 Stratenwerth, Strafrecht AT, Rn 419; Lenckner, a.a.O., § 32 Rn 6 f.; BGHSt 5, 245 (247); Jescheck, a.a.O., mit weiteren Nachweisen; anders Schmidhäuser, Strafrecht AT, 9/108. 14 Lenckner, a.a.O., Rn 7. B

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2. Teil: Rechtfertigung und Begründung der Deliktsprovokation

Gerechtigkeit sowie ein Vergleich des § 34 StGB mit § 32 StGB aufschlußreich sein. Wenn das jeweils gewährte Eingriffsrecht ein originär subjektives Recht wäre, könnte ausgeschlossen sein, damit Schutzgüter des objektiven Rechts zu verteidigen. Da das Problem die Grundkonzeption des § 34 StGB berührt, die für fast alle hier relevanten Kriterien des Notstands bedeutsam ist, soll es vergleichsweise ausführlich erörtert werden. Zunächst zur Notwehr. Sie ist nach h. M. 15 kein rein subjektives Recht. Daß der Verteidiger bei der Notwehr mehr Schaden verursachen darf, als ihm subjektiv - Schaden droht, erscheint für die h. M. nur legitimierbar durch den zusätzlichen Bezug auf die Geltung der objektiven Rechtsordnung, die zugleich verteidigt werde. Daraus dürfte jedoch kaum erklärbar sein, daß bei der Notwehr die Reaktion i. d. R. nicht ins Verhältnis gesetzt werden muß zum Unwert des Angriffs. Die Geltung der Rechtsordnung wird z. B. auch durch Strafen verteidigt, und zwar gerade dadurch, daß diese Reaktionen gemäß § 46 Abs. 1 S. 1 StGB zum Unwert des Angriffs auf die Geltung der Rechtsordnung ins Verhältnis gesetzt werden 16. Ebenso verhält es sich mit polizeilichen Maßnahmen, die die Geltung der Rechtsordnung verteidigen. Wieso es bei der Notwehr anders sein soll, ist schwer zu verstehen. Der Bezug aufs objektive Recht dürfte die Schärfe der zugelassenen Verteidigung nicht begründen 17. Die Schärfe der zugelassenen Verteidigung ist vielmehr eine Bestätigung des subjektiv-rechtlichen Charakters der Notwehr. Die durch § 32 StGB zugelassene intensive Verteidigung macht konsequent das angegriffene subjektive Recht und dessen Gut geltend und nur dieses. Der Verteidiger insistiert rücksichtslos auf dem Eigenen, denn dafür ist er verantwortlich, nicht für den anderen. Dem Angreifer wird die Härte der Verteidigung zugemutet. Er will einem anderen dessen Recht nicht lassen und muß seinerseits die Folgen seines Tuns verantworten. Die Notwehrregelung folgt dem alten subjektivrechtlich bestimmten Sozialmodell, in welchem der einzelne frei ist und deshalb für seine Sache, sein Tun und die Folgen selber einzustehen hat, also das dem subjektiven Recht korrespondierende Prinzip der Selbstverantwortung gilt 18. Die Kriterien des Notwehrrechts sind denn auch formal am Äußerlichen orientiert: Der Angriff muß gegenwärtig, d. h. (anders als beim Notstand) in der Situation unvermittelt drastisch präsent sein 19. Die Orientierung am Äußerlichen, Formalen ist typisch für subjektive Rechte 20 • 15 Stratenwerth, Strafrecht AT, Rn 413; Jescheck, a.a.O., § 32 I; Lenckner, a.a.O., Rn 1; Schmidhäuser, a.a.O., 9/84, 86 f.;Roxin, Kriminalpolitik und Strafrechtssystem, S. 26 f.; Merten, Rechtsstaat und Gewaltmonopol, S. 56; kritisch Jakobs, Strafrecht AT, 12/45 Anm.96. 16 Calliess, Theorie der Strafe, S. 186 f.; Jakobs, a.a.O., 17/299, 1/10. 17 In neuerer Literatur wird auf den Bezug aufs objektive Recht verzichtet, Notwehr also primär subjektivrechtlich erklärt; vgl. Jakobs, a.a.O., 12/28 ff.; Wagner, Individualistische oder überindividualistische Notwehrbegründung, S. 13 ff., 29 ff., 88. 18 s. o. 1. Teil B III 1, E IV 3.

A. Rechtfertigung privater Provokationen gemäß § 34 StGB

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Wenn die h. M. das weite Notwehrrecht nicht als rein subjektives Recht meint erklären zu können, so wird das Wesen des subjektiven Rechts im Ansatz verkannt, weil vorab einer objektivrechtlichen Sichtweise unterstellt. In dieser Perspektive erweist sich jedes subjektive Recht notwendigerweise als disproportional, ungerecht, "asymmetrisch"21. Darin eben realisiert sich aber das Subjektive, die Freiheit. Wenn sie einer objektivrechtlichen Begründung bedürfen soll, wird sie negiert, ebenso wie das Subjekt negiert wird, wenn es sich begründen soll. Im sozialen Zusammenhang bedeutet das Ausgehen von subjektiven Rechten, daß die soziale Entwicklung nicht durch hoheitlich fixierte, objektive Gerechtigkeit determiniert wird, sondern offen bleibt, vom freien Verkehr der einzelnen, ihrer moralischen Verantwortlichkeit für andere bestimmt wird. Die hoheitlich fixierte, objektive Gerechtigkeit hingegen übergreift die einzelnen, gleicht aus, ordnet sie unter. Auch insofern ist es verfehlt, die Disproportionalität der zugelassenen Notwehr im Verhältnis zum Angriff mit dem Bezug auf die objektive Rechtsordnung zu legitimieren. Diese ist vielmehr ausgleichend, gerecht, drängt zur Verhältnismä19 Lenckner in Schönke / Schröder, § 32 Rn 13 ff.; Jakobs, Strafrecht AT, 12/22 f. 20 Das bedeutet nicht, daß nicht auch das objektive Recht, z. B. die Straftatbestände, am Äußerlichen, Formalen des Handeins orientiert sein könnte. Der formale Rechtsstaat kann als objektivrechtliche Umsetzung der formalen subjektivrechtlichen Ordnung der Gesellschaft verstanden werden, insofern er Freiheit garantiert; dazu Max Weber, Wirtschaft und Gesellschaft, S. 28, 38, 93. Max Weber, an dessen Analyse die vorliegende Untersuchung angelehnt ist, unterscheidet zwei Idealtypen des Rechts (die real stets vermischt sind, a.a.O., S. 420) und legt sie seiner gesamten Rechtssoziologie zugrunde (a.a.O., S. 387 ff.): Einerseits ein von subjektiven Rechten der einzelnen bestimmter sozialer Zustand, den - idealtypisch - keine objektive Ordnung übergreift; Gerechtigkeit ist hier kein Thema des Rechts, sondern des freien sozialen Verkehrs der Einzelnen. Relativiert wird dieser Idealtyp schon, indem die subjektiven Rechte als Rechte bestimmt werden, was ein Minimum an objektiver Definition voraussetzt. Die subjektiven Rechte sind an formalen Kriterien orientiert (a.a.O., S. 388 f., 396 ff., 441 ff., 445 ff., 469, 485 ff., 505 f.). Gegenwärtig sind sie nach Weber noch relativ rein im prozessualen Beweisrecht ausgeformt. Der Gegentyp ist die objektive materiale hoheitliche Ordnung, meist als Gerechtigkeit vorgestellt, die - idealtypisch - den Einzelnen keine subjektiven Freiheitsrechte läßt. Sie begnügt sich nicht mit der äußeren Legalität des Handeins. Da sie Moral, Sicherheit, Gerechtigkeit herstellen will, bewertet sie Personen hoheitlich, zielt auf Normverinnerlichung, orientiert sich an guten oder bösen, gefährlichen oder harmlosen Absichten, Gesinnungen; Haltungen der Personen (a.a.O., S. 505 f.). Die materiale objektive Ordnung folgt also subjektivierten Kriterien. Der formale Rechtsstaat ist in dieser Sicht ambivalent. Insofern er an formalen Kriterien orientiert ist und Freiheit gewährleistet, nähert er sich, wie gesagt, dem subjektivrechtlichen Rechtstyp. Auch in der Trennung von staatlichen Zuständigkeiten und der Gewaltenteilung sieht Weber Weiterentwicklungen der subjektivrechtlichen Ordnung (a.a.O., S. 393 f.). Insofern der Rechtsstaat aber eine umfassende hoheitliche Bürokratie zu schematisch rationaler Verwaltung der Einzelnen anleitet und organisiert, fördert er die Entpersönlichung, Vereinzelung, den Verwaltungs staat und nähert sich dem objektivrechtlichen Rechtstyp (a.a.O., S. 825 ff., 835 f., 361 f.). Zu dieser Ambivalenz vgl. auch Preuß, Legalität und Pluralismus, S. 64 ff. 21 Luhmann, Rechtssoziologie 2, S. 328; ders., Rechtssystem und Rechtsdogmatik, S.56.

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2. Teil: Rechtfertigung und Begründung der Deliktsprovokation

ßigkeit von schädlichem Mittel und nützlichem Zweck und ist am wenigsten geeignet, unverhältnismäßige Reaktionen wie die Notwehr zu legitimieren. Das objektive Recht kann mit seiner Tendenz zum Ausgleich von oben die Schärfe der Notwehr nicht stützen, sondern nur mildem. Das wird bestätigt von der neuerdings vorgetragenen Forderung, die Schärfe der Notwehr durch eine Analogie zu § 323c StGB zu mildern 22 • § 323c StGB ist eine Ausformung der objektiven, ausgleichenden, alle übergreifenden Gerechtigkeit. Sie kann in der Tat die subjektivrechtliche Schärfe der Notwehr mildem, begründen kann sie sie nicht. Der subjektivrechtliche Charakter der Notwehrregelung schließt es aus, daß mit ihr Güter des objektiven Rechts geschützt werden. Zwar muß der Verteidiger nicht ein eigenes Gut verteidigen. Der Nothelfer macht fremdes Recht geltend, gleichwohl aber subjektives. Das subjektive Recht ist sinnvoll im gesellschaftlichen Verkehr von freien Bürgern, die alle subjektive Rechte und entsprechende Güter haben. Das objektive Recht ist die Alternative dazu, indem es dem Nebeneinander der Gleichen, subjektiv Berechtigten übergeordnet ist. Die Güter des objektiven Rechts haben ihren Wert u. a. aus dieser Überordnung. Daran mögen die Subjekte wiederum Interesse haben. Aber dessen Realisierung ist nicht wie die Ausübung subjektiver Rechte frei, sondern hoheitliche Ordnung und Ausgleich. Die subjektiven Rechte können, weil sie Willkür im Nebeneinander zulassen, nicht Interessen schützen, die in hoheitlicher Ordnung des Nebeneinanders sich realisieren. Im Ergebnis ist also richtig, wozu die h. M. tendiert: Die weite Notwehrbefugnis paßt nicht zur Funktion von Rechtsgütern der Allgemeinheit 23 • Sie dürfen durch Provokation in Form der Notwehr nicht verteidigt werden. Nur Individualrechtsgüter dürfen derart verteidigt werden, wenn sie in der dargestellten Weise gegenwärtig gefährdet sind 24. Anders die Befugnisse aus § 34 StGB. Schon bevor er in Kraft trat, wurde bekanntlich der gegenwärtig in ihm geregelte Notstand als ungeschriebener Rechtfertigungsgrund anerkannt. Daß strafbares Verhalten ohne gesetzliche Anerkennung gerechtfertigt sein könne, wurde begründet durch die Materialisierung des Rechtswidrigkeitsurteils, seine Orientierung auf Gerechtigkeit 25. Inhaltlich entspricht denn auch die Regelung des Notstands dem Konzept derjenigen materialen Gerechtigkeit, die die getrennten, freien, selbstverantwortlichen einzelnen mit ihren formal und abstrakt definierten subjektiven Rechten übergreift und Jakobs, Strafrecht AT, 12/46. Im Ergebnis ebenso R. Haas, Notwehr und Nothilfe, S. 312 f.; BGHSt 5,245 (247). 24 Anders, wenn Präventiv-Notwehr zugelassen wird; dazu einerseits Suppert, Notwehr und notwehrähnliche Lagen, S. 356 ff.; 382 ff., andererseits Jescheck, Lehrbuch, § 32 II 1 d; Lenckner in Schönke / Schröder, § 32 Rn 17; Stratenwerth, Strafrecht AT, Rn 421. 25 V gl. zu Dohna, Die Rechtswidrigkeit als allgemeingültiges Merkmal im Tatbestand strafbarer Handlungen, S.50; v. Liszt, der ebenfalls die Bedeutung der materiellen Rechtswidrigkeit betonte, hielt an der Bindung an das formale Gesetz fest, vgl. Lehrbuch des Deutschen Strafrechts, § 32 1. 22 23

A. Rechtfertigung privater Provokationen gemäß § 34 StGB

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relativiert. Im Notstand werden sie zwangsweise solidarisiert zu gesetzlich nicht bestimmten Zwecken. Dem gefahrdeten wertvolleren Gut wird das weniger wertvolle geopfert, auch wenn sein Inhaber mit der Gefährdung des wertvolleren Gutes nichts zu tun hat. Anstelle des Prinzips der Selbstverantwortung, wonach jeder selbst einzustehen hat für die eigenen Güter und für eigenes Tun, wird beim Notstand das Einstehen potentiell jedes für jeden ungeachtet von Konfliktbeteiligungen angeordnet. Das Sozialmodell des subjektiv berechtigten Freien tritt zurück. Im Notstand werden die einzelnen mit ihren Gütern hoheitlich verglichen, kommensurabel gemacht für die Abwägung. Schon darin steckt die Einordnung. Die Notwehr hingegen geht von der Inkommensurabilität der einzelnen aus und erkennt damit ihre Freiheit an 26. Wegen der Inkommensurabilität der Freien erscheint ihre Notwehr maßlos. Bezeichnenderweise sind auch die Kriterien des Notstandseingriffs weniger am Äußerlichen, Formalen orientiert als die der Notwehr. Auslösend ist nicht ein in der Situation präsenter Angriff eines Menschen, sondern eine Gefahr, deren Gegenwart ausgeweitet wird bis zum letzten Zeitpunkt effektiver Rettung 27. Die zulässige Rettungsmaßnahme wird durch eine Kalkulation (Interessenabwägung) bestimmt. Die Ablösung vom Äußerlichen der Situation ist Kennzeichen der übergreifenden objektiven Gerechtigkeit 28 • Freilich läßt sich die Notstandsbefugnis in der Unterscheidung von subjektivem Recht und objektiver Gerechtigkeit nicht vollständig der letzteren zuordnen. Die Notstandsmaßnahmen des § 34 StGB werden nicht von Amts wegen hoheitlich durchgesetzt. § 34 StGB befugt einzelne Bürger; sie können den Notstandseingriff nach subjektivem Belieben unterlassen bis zur Grenze des § 323c StGB. Der vom Eingriff Betroffene kann zivilrechtlich Schadensersatz verlangen vom privaten Inhaber der durch den Eingriff geretteten Güter (§ 904 S. 2 BGB). Es können also - müssen nicht, wie sich zeigen wird - subjektive Interessen sein, die geschützt werden im Notstand. Deshalb kann man die Eingriffsbefugnis als Teil des geschützten subjektiven Rechts bezeichnen. Die gleichwohl angemessene Zuordnung zur objektiven Gerechtigkeit bedeutet, daß die subjektiven Interessen und ihre rechtliche Durchsetzung in eine hoheitlich zu fixierende objektive Gerechtigkeit eingeordnet sind. Sie bestimmt die Reichweite der subjektiven 26 Die Inkommensurabilität der involvierten Rechtsgüter wird beim Notstand nur ausnahmsweise berücksichtigt (vgl. unten 2. Teil A VI), bei der Notwehr ist sie die Regel. Das Urteil, zwei Güter seien inkommensurabel, ist nicht ontologisch begründet. Man kann alles, auch Menschen, miteinander auf einer quantitativen Skala der Werthöhe vergleichen, indem man von qualitativen Differenzen abstrahiert. In dieser Abstraktion, in der Reduktion des qualitativ Besonderen auf ein vergleichbares Quantum, steckt eine Einordnung. Wird sie abgelehnt mit dem Hinweis auf die angebliche Inkommensurabilität, so steckt darin wiederum eine Bewertung, die die qualitativen Differenzen anerkennt, die Einordnung des Besonderen verweigert, seine Freiheit respektiert. 27 Jescheck, Lehrbuch des Strafrechts, § 33 IV 3a; Lenckner in Schönke / Schröder, § 34 Rn 17; Jakobs, Strafrecht AT, 13 /15. 28 Dazu oben Anm. 20.

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2. Teil: Rechtfertigung und Begründung der Deliktsprovokation

Berechtigung zu Lasten Dritter. Diese ist nicht zu erklären aus dem Prinzip der subjektiven Selbstverantwortung, sondern aus dem der übergreifenden Solidarität. Andererseits ist auch die Notwehr nicht gänzlich frei von objektivrechtlichen Elementen. Schon indem subjektive Herrschaft als Recht definiert wird, wird eine übergreifende Ordnung anerkannt. Und wenn das subjektive Recht zur Gewaltanwendung auf Notlagen beschränkt wird, wird bestätigt, daß im übrigen das objektive Recht hinsichtlich Gewaltanwendung gilt. Gleichwohl ist die Notwehr, wie im Vorangegangenen gezeigt wurde, primär durch das subjektivrechtliche Konzept geprägt. Die Notstandsbefugnisse hingegen sind mehr durch das objektivrechtliche Konzept der übergreifenden Solidarität bestimmt. Demgemäß läßt sich die Frage des Schutzes von Kollektivgütern beantworten. Da der Notstandseingriff die objektive Solidarität durchsetzt, ist nicht auszuschließen, daß er auch Kollektivgüter wie Strafverfolgung, Umweltschutz, Staatsgeheimnisse schützt. Der zwangsweisen Solidarisierung eines einzelnen entspricht seine Aufopferung zugunsten eines Gutes, an dem alle Interesse haben, ebenso wie seine Aufopferung zugunsten des Gutes eines anderen einzelnen. Davon abgesehen impliziert auch die Aufopferung des einen zugunsten eines anderen, wenn sie erzwungen wird, immer schon ein Allgemeininteresse an Solidarität jedes mit jedem. Im übrigen entspricht das für den Notstandseingriff entscheidende Kriterium der Interessenabwägung dem staatliche Eingriffe leitenden Verhältnismäßigkeitsgrundsatz. Grundsätzlich ist also nicht auszuschließen, daß Rechtsgüter der Allgemeinheit von einzelnen gemäß § 34 StGB geschützt werden. Probleme entstehen in anderer Hinsicht.

2. Konkretisierung und Gesetzesbindung des Rechtsguts Strafverfahren und Bestrafung haben für die modeme Straftheorie keinen absoluten Wert. Sie finden statt um des Schutzes von Rechtsgütern willen. Es mag als problematische Verdoppelung der positiven Bewertung erscheinen, wenn, was nur Mittel des Rechtsgüterschutzes ist, selbst als Rechtsgut bewertet wird. Wenn der Wert eines durch eine Straftat verletzten Rechtsgutes es rechtfertigt, zu seinem Schutz mit Strafgewalt in die Rechte des Täters einzugreifen, so muß der Wert des Rechtsguts es nicht auch rechtfertigen, daß zum Schutz des Mittels der Strafe nun wiederum gewaltsam in die Rechte Dritter eingegriffen wird. Die Frage, ob das durch die Straftat verletzte Rechtsgut auch den zweiten vorverlagerten Eingriff rechtfertigt, die Frage nach dessen Legitimation also und die eventuelle teleologische Begrenzung der Eingriffe werden abgeschnitten, wenn das Mittel der Strafverfolgung ungeachtet seines Zweckes zum eigenständigen Rechtsgut wird. Demgemäß hat das Bundesverfassungsgericht anerkannt, daß staatliche Beschränkungen der Individualfreiheit dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz entspre-

A. Rechtfertigung privater Provokationen gemäß § 34 StGB

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chen, d. h. aus Zwecken abgeleitet und im Hinblick auf diese kontrollierbar sein müssen 29 • Allerdings ist die staatliche Strafverfolgung z. B. in § 258 StGB und in der StPO als zweckhaftes Rechtsgut durch Gesetz anerkannt. Diese in den verfassungsgemäßen Formen demokratisch begründete Entscheidung darf nicht durch die justizielle Setzung von materialen Zwecken aufgelöst werden. Die Problematik wurde im Zusammenhang der Kritik der Reduktion der Gefährdungs- und Absichtstatbestände anhand materieller Kriterien gezeigt 30. Bedenken gegen die Anerkennung der Strafverfolgung als Rechtsgut i. S. des § 34 StGB ergeben sich aber noch aus der Spezifik des § 34 StGB selbst. Er

verfolgt wie ausgeführt das Programm der materialen Gerechtigkeit. Darin steckt die Tendenz zur Abwendung von formalen, d. h. abstrakten, allgemeinen Kriterien. Statt dessen sollen die konkreten Interessen des Einzelfalles berücksichtigt werden, um eine gerechte Entscheidung zu erzielen. Lenckner 31 hat zu § 34 StGB den Grundsatz statuiert, die im Rahmen dieser Regelung zu berücksichtigenden Rechtsgüter müßten konkretisiert und individualisiert bestimmt werden. Dementsprechend will Seelmann 32, wenn Drogendelikte durch Provokation abgewendet werden, hinsichtlich der Rechtfertigung der Provokation gemäß § 34 StGB nicht auf die Gefährdung der abstrakten Volksgesundheit abstellen, sondern auf die Gefährdung eines konkreten "Angriffsobjekts". Ob das angemessen ist, wird später erörtert. Hinsichtlich des Rechtsguts ,Strafverfolgung' könnte aus dem Gebot der Konkretisierung und Individualisierung gefolgert werden, es sei nicht auf den Schutz der Strafverfolgung selber abzustellen, sondern auf den präventiven Schutz des von der zu ahndenden Straftat beeinträchtigten konkreten Rechtsgutes. Dieses müßte (weiterhin) gegenwärtig gefährdet sein, wenn eine Notstandslage gegeben sein soll. Die Problematik solcher Konkretisierung zeigt sich, wenn man sie zu Ende zu denken versucht. Es ist nicht sicher, ob das von der vergangenen Tat betroffene konkrete Objekt entscheidend sein soll oder dessen genereller Wert und seine soziale Anerkennung. Zudem dient die Strafverfolgung nicht nur dem Schutz von einzelnen Rechtsgütern, sondern auch der Stabilisierung sozialer Verhältnisse. Sie soll außerdem Berechenbarkeit der Sanktionierung gewährleisten, soll eine Antwort auf den Rechtsbruch manifestieren, soll im Verfahren die Subjektivität des Beschuldigten wahren etc. Diese Zwecke müßten konkret bestimmt und berücksichtigt werden, wenn das Rechtsgut der Strafverfolgung konsequent konkretisiert werden sollte. Da die genannten Zwecke jedoch kaum in nachvollziehbarer Weise zu konkretisieren sind, würde die Anwendung des § 34 StGB mit erheblichen Imponderabilien belastet. Sowohl ein weitgehender Ausschluß von Notstandsbefugnissen ließe sich begründen als auch eine enorme Ausweitung 29 30 31

32

Ständige Rechtsprechung, vgl. BVerfGE 6, 32 (36 ff.); 34, 238 (246). s. o. 1. Teil E II 2. Der rechtfertigende Notstand, S. 90 ff., 97 f. ZStW 95 (1983), 797 (812).

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2. Teil: Rechtfertigung und Begründung der Deliktsprovokation

derselben, so daß zugunsten der Verfolgung eines Beschuldigten weit mehr Zwangsmittel angewendet werden dürften als in der StPO vorgesehen sind. Das spricht gegen eine grenzenlose Konkretisierung und Individualisierung der Rechtsgüter. Daß es hier Grenzen der Auflösung des Formalrechts gibt, zeigt auch der Text des § 34 StGB selbst. Er unterscheidet zwischen ,Rechtsgütern' und ,Interessen'. Im Vergleich dieser Termini verweist der letztere auf die materialen konkreten Interessen. Der Terminus ,Rechtsgüter' läßt sich davon sachlich unterscheiden, wenn ihm ein Bezug aufs gesetzte Recht beigelegt wird. Was dort an Rechtsgüterschutz fixiert ist, ist also auch Rechtsgut in der Notstandslage. Diese formale Bestimmung ist leitend für die Bestimmung des Schutzgegenstandes, denn "für ein .. . Rechtsgut" , nicht unmittelbar für Interessen muß die abzuwendende Gefahr bestehen. Die "Interessen" sind die sekundär aufs Rechtsgut gerichteten konkreten Interessen der Beteiligten. Sie sind zusätzlich bei der Abwägung der Rechtsgüter zu berücksichtigen. Diese Gesetzesbindung der Interessen entspricht auch dem systematischen Status des § 34 StGB. Er ist Ergänzungstatbestand, ist also hinsichtlich der Rechtsgüter bezogen auf Grundtatbestände jenseits seiner selbst. Für sich genommen statuiert er keine zusätzlich zu schützenden Rechtsgüter 33 •

3. Formales Recht und materiales Rechtsgut Die vorangegangenen Erwägungen legen es nahe, die Strafverfolgung als Rechtsgut i. S. des § 34 StGB anzuerkennen, denn das Interesse an ihr ist gesetzlich anerkannt. Das Gebot der Konkretisierung und Individualisierung wäre insoweit nicht zu berücksichtigen. Dem sachlichen Anliegen dieses Gebots wird jedoch eine bisher vernachlässigte Differenzierung gerecht, die zudem präziser ist als das Gebot der Konkretisierung: die Unterscheidung von Recht und Rechtsgut, das jenseits des Rechts liegt. Die Strafverfolgung gehört zur formalen Kategorie des Rechts; der § 34 StGB läßt aber nur den Schutz von materialen Rechtsgütern zu. Was damit gemeint ist, läßt sich zeigen zunächst anhand der Frage, ob die öffentliche Sicherheit ein gemäß § 34 StGB zu schützendes Rechtsgut ist. Die strafrechtliche Literatur verneint dies zu Recht 34. § 34 StGB begründe keine allgemeine Unrechtsverhinderungsbefugnis. Damit ist die oben zur Frage der Garantenpflicht der Polizei entwickelte Unterscheidung zwischen der formalen 33

Vgl. Fincke, Das Verhältnis des Allgemeinen zum Besonderen Teil des StGB,

S. 16 f.

34 Lenckner in Schönke / Schröder, § 34 Rn 10; zur Notwehr ebenso Jescheck, Lehrbuch, § 32 II 1, Baumann / Weber, Strafrecht AT, § 21 II I a; F.-C. Schroeder, Festschrift für Maurach, IS. 127 (141).

A. Rechtfertigung privater Provokationen gemäß § 34 StGB

287

Version der öffentlichen Sicherheit und den materialen Gütern der öffentlichen Sicherheit angesprochen 35. Die formal bestimmte öffentliche Sicherheit ist der Bestand der Normen. Ihre Einhaltung wird gemäß den einschlägigen Sekundärnormen gewahrt von den zuständigen Behörden. Die Normen sind unterschieden von den durch sie geschützten Rechtsgütern; allein diese dürfen nach dem Wortlaut des § 34 StGB von Bürgern im Notstand geschützt werden. Das entspricht auch dem Grundkonzept des § 34 StGB: Relativierung des formalen Rechts zugunsten materialer Gerechtigkeit. Diese wird anhand der Rechtsgüter, nicht der Normen bestimmt. Das schließt nicht aus, daß Kollektivrechtsgüter im Notstand geschützt werden. Sie müssen aber Güter jenseits des Rechts, also vom Rechtsbruch (bzw. Normbruch) betroffene (materielle oder ideelle) Objekte sein. Die Strafverfolgung sanktioniert den Normbruch. Sie manifestiert auf den Normbruch die Antwort, daß an der Norm festgehalten wird 36. Sie ist neben eventuellen zivilrechtlichen und polizeilichen Reaktionen eine Form der Durchsetzung der Norm. Die Strafverfolgung als solche ist also nicht Rechtsgut. (Davon zu unterscheiden ist die Frage, ob die durch die Strafverfolgung zu schützenden Rechtsgüter notstandsfahig sind; dazu später.) Wie § 34 StGB keine Unrechtsverhinderungsbefugnis statuiert, so statuiert er - auch wenn dieser Schluß allgemein nicht gezogen wird - auch keine Rechtsdurchsetzungsbefugnis. Daß die Strafverfolgung nicht notstandsfahig ist, muß also nicht anhand der Angemessenheit der Mittel oder der Zuständigkeit oder der Subsidiarität bürgerlicher Notbefugnisse 3? begründet werden. Es ergibt sich schon aus dem Wortlaut (,Rechtsgut') und der Orientierung des § 34 StGB auf materiale Güter, die von Normen unterschieden sind. Freilich kann das Recht auch, soweit gesetzlich begründet, reflexiv werden und seine eigene Durchsetzung wiederum zum materialen Gut erklären. Das geschieht in § 258 StGB hinsichtlich der Strafverfolgung. Damit werden jedoch nur Eingriffe in die staatliche Normdurchsetzung sanktioniert, soweit diese gesetzlich reicht. Daß darüber hinaus die Normdurchsetzung notstandsfähiges Rechtsgut sei, läßt sich §258 StGB nicht entnehmen. - Zum gleichen Ergebnis führt eine andere Überlegung.

4. Rechtsgut und Prozeß Strafverfolgung ist vor ihrem Ende kein feststehender Gegenstand, sondern ein aus gesetzlich geregelten Handlungen zusammengesetzter offener Prozeß. Daraus und aus dem Gebot der Gesetzesbindung des Rechtsguts ergibt sich: Ein s. o. 1. Teil E VIa. Calliess, Theorie der Strafe, S. 26,80 ff.; Jakobs, Strafrecht AT, 1/9. 3? Dazu Jakobs, a.a.O., 13 /10 f., 36 ff.; Lenckner, a.a.O., Rn 10, 40 f., Jescheck, Lehrbuch, § 33 IV 3 d. 35

36

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2. Teil: Rechtfertigung und Begründung der Deliktsprovokation

rechtlich anerkanntes Interesse kann nur an einer bestimmten Verfolgungshandlung bestehen, wenn ihre gesetzlichen Voraussetzungen gegeben sind. Das rechtlich anerkannte Interesse an der abschließenden Verurteilung besteht erst, wenn gegen Ende der Hauptverhandlung nach der Beratung die Voraussetzungen dafür gegeben sind. Entsprechend verhält es sich mit dem Interesse an einer Durchsuchung, Verhaftung USW. 38 • Vorher können demnach die genannten Verfolgungshandlungen nicht als zu schützende Rechtsgüter i. S. des § 34 StGB irgendwelche Notstandseingriffe begründen. Diese Begrenzung der Anwendung des § 34 StGB ist Konsequenz der Gesetzesbindung und der Konkretisierung des Rechtsguts. Allerdings ist ein Interesse etwa an Verurteilung auch schon vor dem Zeitpunkt des § 260 Abs. 1 StPO gegeben und gesetzlich anerkannt. Der Prozeß ist u. a. davon geleitet. Die Einrichtungen der Strafverfolgung und Vollstreckung werden dafür bereitgehalten. Aber bis zum Zeitpunkt des § 260 Abs. 1 StPO ist das Interesse an Verurteilung ein bedingtes, dem je nach Verfahrensstand noch mehr oder weniger gewichtige, rechtlich anerkannte Interessen entgegenstehen und die Erfüllung des Interesses an Verurteilung zunächst verbindlich ausschließen, so daß im Gang des Prozesses nur der jeweils nächste Schritt durch das bedingte Interesse an Verurteilung gesetzlich begründet ist. Demnach erscheint die Anwendbarkeit des § 34 StGB eingeschränkt, aber immerhin möglich, wenn vorschriftsmäßige Maßnahmen der Strafverfolgung tatsächlich nicht zum Erfolg führen. Beispiel: Der aufgrund eines Haftbefehls Gesuchte kann nicht ergriffen werden; das Interesse am Verhaftungserfolg könnte hier ein Rechtsgut sein, das zu schützen wäre u. U. durch eine mittelbare Deliktsprovokation, die den Verborgenen veraniaßt, beim Delikt mitzumachen und sich zu zeigen. Genau genommen aber ist auch hier im Zeitpunkt der möglichen Provokation eine Voraussetzung des Verhaftungserfolges, der als Rechtsgut die Provokation begründen sollte, nicht gegeben: die Anwesenheit des zu Verhaftenden. In diesem Zeitpunkt besteht ein rechtlich anerkanntes Interesse an der Prozeßhandlung der Fahndung. Sie ist ohne Provokation möglich. Diese Art der Bestimmung des Rechtsguts mag formalistisch erscheinen. Aber die Orientierung an den Voraussetzungen der jeweiligen Prozeßhandlung wird der Offenheit des kontradiktorischen Verfahrens gerecht. Sie vermeidet, daß die gesetzliche Balancierung von Interessen und Gegeninteressen unter einem übergreifenden Rechtsgut zu vagen Interessenabwägungen aufgelöst wird. Im Ergebnis sind danach Notstandshandlungen zur Förderung einer Strafverfolgung praktisch ausgeschlossen 39. Notstandsmaßnahmen sollen nicht die Erfüllung von Ansprüchen oder Entwicklungen fördern, wie hinsichtlich des § 193 StGB angenommen wurde 40, Seelmann, ZStW 95 (1983),797 (812). Mit z. T. anderer Begründung ebenso Seelmann, a.a.O.; Haas, Notwehr und Nothilfe, S. 313 f.; Jakobs, Strafrecht AT, 13 /11; Samson in SK StGB, § 34 Rn 3 b, 22. 38

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sondern Bestehendes schützen 41 • Deshalb kann Rechtsgut i. S. des § 34 StGB sein, was die Behörde durch Strafverfolgung erlangt hat, ebenso der Bestand der Institution. Die Erfüllung des Interesses an diesen Gegenständen setzt keinen Prozeß mehr voraus. Rechtsgut könnte auch der Bestand der Chance des Erfolges einer vorschriftsmäßigen Prozeßhandlung sein (analog der zivilrechtlichen Forderung, die u. U. als Anwartschaft gemäß § 823 BGB geschützt wird). Deshalb widerspricht die hier vorgeschlagene Konzeption auch nicht dem § 258 StGB. Er pönalisiert den Eingriff in die staatliche Strafverfolgung, schützt also die Chance der strafrechtlichen Ahndung, deren Realisierung zu fördern Sache der Behörde ist. Daß zur Förderung des Strafprozesses Notstandsmaßnahmen mangels Rechtsgut unzulässig sind, entspricht nicht der allgemeinen Meinung. Meist wird die Anwendung des § 34 StGB erst durch systematisch folgende Kriterien und dann auch nur "regelmäßig" ausgeschlossen 42 • - Gegen die hier vorgeschlagene Bestimmung des Rechtsguts könnte eingewandt werden, sie verfehle den Zweck des § 34 StGB. Sie impliziert, daß im Prozeß unter das Rechtsgut nicht nur der jeweilige positive Erfolg der Strafverfolgung - etwa Ergreifung des Beschuldigten - gefaßt wird, sondern auch das gesetzmäßige Verfahren, die zugelassenen Mittel, mit denen der Erfolg zu erreichen ist. Damit wird ausgeschlossen, daß neben den gesetzlich zugelassenen Mitteln weitere Mittel gemäß § 34 StGB zugelassen werden; sie lägen jenseits des zu schützenden Rechtsguts. Die Identifikation von zugelassenem Mittel und positivem Erfolg im Begriff des Rechtsguts wird dem Rechtsgutsbegriff des § 34 StGB möglicherweise nicht gerecht. Er geht von einer Unterscheidung von Mittel und Erfolg aus und trifft für die Mittel eine Sonderregelung. Es wird anerkannt, daß der positive Erfolg des Rechtsgutsschutzes grundsätzlich nicht mit beliebigen Mitteln bewirkt werden darf; aber für den Schutz des Rechtsguts im Notfall soll gemäß § 34 StGB dieser Grundsatz relativiert werden. Dann sollen mehr Mittel zugelassen werden. - Die Anwendung dieser Regelung des § 34 StGB kann nicht mit der Begründung abgelehnt werden, die in § 34 StGB zugelassenen Mittel seien nach der Regelung jenseits des § 34 StGB unzulässig. Gegen die Zulassung von Ausnahmen ist der Hinweis auf die Regel nicht triftig, denn sie wird mit der Zulassung von Ausnahmen anerkannt. Die Bedeutung der Regel wird respektiert; ihre Durchbrechung ist durch den Notfall legitimiert. § 34 StGB geht davon aus, daß die in allgemeinen Regelungen vorgesehene Begrenzung der Mittel überschritten werden kann nach Maßgabe des Schutzes eines Rechtsguts, welches mithin von den allgemein zugelassenen Mitteln unterschieden werden müßte. Das Rechtsgut 40 Nach Eser, Wahrnehmung berechtigter Interessen, S.30, 46, 51 ff., 60, hat die Wahrnehmung berechtigter Interessen evolutive Funktion in der Gesellschaft. 41 Ähnlich Jakobs, a.a.O., 12/3,5: Schutz von absolut, nicht von relativ geschützten Interessen. 42 Lenckner in Schönke / Schröder § 34 Rn 41.

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2. Teil: Rechtfertigung und Begründung der Deliktsprovokation

wäre bei einer Strafverfolgung demnach allgemeiner zu bestimmen als hier vorgeschlagen. Es müßte ein im Prozeß weiter vorgreifendes Interesse am Erfolg der Strafverfolgung berücksichtigen. Von dem vorgreifenden Interesse aus könnte die Zulassung weiterer Mittel im Notfall gerechtfertigt werden. Zwingend ist dies nicht. § 34 StGB muß nicht allenthalben anwendbar sein. Es muß nicht im Strafprozeß ein Rechtsgut der Art gegeben sein, die Notstandseingriffe begründet. § 34 StGB ist, wie gesagt, ein Ergänzungstatbestand, der nicht selbst schutzwürdige Rechtsgüter begründet. Sie werden durch Grundtatbestände vorgegeben. Andererseits jedoch ist nicht explizit fixiert, was nach den Tatbeständen jenseits des § 34 StGB jeweils Rechtsgut ist. Dessen Bestimmung muß auch den Zweck des § 34 StGB wahren. Entscheidend dürfte folgendes sein: Die in § 34 StGB vorgesehene ausnahmsweise Zulassung von im allgemeinen verbotenen Mitteln der Erfolgsherbeiführung bei der Strafverfolgung ist dann abzulehnen, wenn die Effekte der allgemeinen Begrenzung der Mittel nach der StPO selbst zu schützende Rechtsgüter und mit dem Erfolg der Strafverfolgung normativ verbunden sind. Das ist der Fall. Daß Strafverfolgung, die ja selbst Mittel zum Zweck des Schutzes einzelner Rechtsgüter ist, überhaupt als ein selbständiges Rechtsgut anzuerkennen ist, ist, wie erwähnt, sachlich u. a. darin begründet, daß sie verfahrensmäßig geregelt ist und dadurch Neutralität, Gleichmäßigkeit und den Schutz der anderen Verfahrensbeteiligten sichert. Sähe man hinsichtlich des Rechtsguts von diesen Verfahrensregelungen ab, so wäre auch die Strafverfolgung nicht als selbständiges Rechtsgut anzuerkennen, sondern gemäß dem Konkretisierungsgebot der Schutz des von der vergangenen Straftat beeinträchtigten oder gefährdeten Einzelrechtsgutes. Es dürfte selten weiterhin konkret gefährdet sein. Der Wert dieses Gutes würde grundlos doppelt angesetzt oder der Erfolg der Strafverfolgung würde zum Selbstzweck, wenn nicht auch der soziale Wert ihrer verfahrensmäßigen Bindung berücksichtigt würde. Gegen den hier behaupteten Zusammenhang von rechtsstaatlichem Verfahren und Erfolg spricht nicht, daß nach dem Prozeßrecht nicht alle faktischen Verfahrensfehler die normative Anerkennung des Erfolges ausschließen. Wenn aus einer vergangenen verfahrensfehlerhaften Handlung keine verfahrensmäßigen Konsequenzen gezogen werden, muß die entsprechende Handlungsweise nicht auch normativ zugelassen werden. Ein weiterer Einwand gegen die These von der Nichtanwendbarkeit des § 34 StGB könnte sich stützen auf die Besonderheit des HandeIns von Privaten. Die hier zu diskutierende Provokation soll zwar die staatliche Strafverfolgung fördern, geht aber von Privaten aus, u. U. auch zeitlich vor dem staatlichen Verfahren. Das Handeln Privater, sofern sie nicht am Verfahren beteiligt sind, ist nicht verfahrensmäßig geregelt. Ihnen sind Verhaltensweisen gestattet, z. B. Täuschung, die Strafverfolgungsbehörden verboten sind. Aber die Provokation ist auch Privaten (in den oben gezeigten Grenzen) verboten. Wenn sie gerechtfertigt

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werden soll gemäß § 34 StGB, so kommt es auf das zu schützende Rechtsgut an. Gegenüber nicht am Prozeß beteiligten Dritten ist das Interesse an Strafverfolgung nicht höher zu bewerten als es dem jeweiligen Stand des Verfahrens entspricht. Auch ein Interesse des privaten Provokateurs an Verurteilung des zu Provozierenden ist rechtlich nur soweit anerkannt, wie es sich auf ein rechtsstaatliches Verfahren richtet. Privates Interesse an Bestrafung ohne Verfahren zählt rechtlich nicht. Notstandsmaßnahmen zwischen privatem Quasi-Strafverfolger und Verdächtigem oder Unverdächtigem mit der staatlichen Strafverfolgung zu rechtfertigen, würde im übrigen dem Zweck dieses Prozesses widersprechen. Er ist Teil der staatlichen Monopolisierung und rechtlichen Ordnung der den einzelnen von Natur aus möglichen Gewalt. Er soll den Verkehr der einzelnen entlasten von willkürlichen gewaltsamen Sanktionen. Es wäre merkwürdig, wenn gerade dieser Prozeß die Befugnis zu privater Gewalt vermehrte gemäß § 34 StGB 43. Es ist also nicht erst eine Frage der Angemessenheit des Mittels, sondern ergibt sich schon aus dem Zweck der Strafverfolgungstätigkeit selbst, daß sie nicht gemäß § 34 StGB durch private Gewalt gefördert werden darf.

11. Provokation zwecks Gefahrenabwehr durch Strafe Die Provokation eines Delikts kann darauf gerichtet sein, mittels der auf das künftige Delikt zu verhängenden Strafe als gefährlich eingeschätzte Bürger einsperren zu lassen und dadurch die von ihnen mutmaßlich ausgehende Gefahr für einzelne oder die Allgemeinheit zu beseitigen. Beispiel: P vermutet, daß in der Stadt ein unbekannter Dealer andauernd großhandelsmäßig Rauschgift an kleinere Dealer absetzt. P will diese Gefahr für die Gesundheit insbesondere der jungen Leute in der Stadt beseitigen. Deshalb wendet er sich an Personen, in denen er Mittelsleute des Großhändlers vermutet und interessiert sich für den Kauf einer großen Menge Rauschgifts. Wie erwartet erscheint zur Abwicklung des Geschäfts der Großdealer selbst. Er wird festgenommen und bleibt in Untersuchungshaft bis zum Antritt einer wegen der provozierten Tat verhängten Freiheitsstrafe. Die Beseitigung der von dem Großdealer ausgehenden Gefahr für die allgemeine Gesundheit ist hier nicht der unmittelbare Zweck der Provokation zum Rauschgifthandel. Erster Zweck ist die Tatbegehung des Großhändlers. Diese ist Mittel des weiteren Zwecks, den Großhändler einsperren zu lassen, was wiederum Mittel ist für den weiteren Zweck, die Gesundheit zu schützen. Lüderssen I Vgl. Baumann/Weber, Strafrecht AT, § 21 II 1 a. Zynismus, Borniertheit oder Sachzwang? In: ders. (Hg.), V-Leute. Die Falle im Rechtsstaat, S. 21; ders., Verbrechensprophylaxe durch Verbrechensprovokation. Dokumentation eines konkreten Falles. In: Denninger / Lüderssen (Hg.), Polizei und Strafprozeß, S. 255 (270). 43 I

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2. Teil: Rechtfertigung und Begründung der Deliktsprovokation

bezweifelt, ob Fernzwecke, zu denen das Mittel der Provokation eingesetzt wird, im Rahmen des § 34 StGB berücksichtigt werden können. Die Zweifel stützen sich einmal auf die praktisch häufige Ungewißheit der Fernzwecke; die Gefahr für die allgemeine Gesundheit und die Möglichkeit ihrer Beseitigung werden in vielen Fällen nur vage vermutet. Diese Probleme können hier bis zur Behandlung der Tatbestandsmerkmale ,Gefahr' und ,Erforderlichkeit' zurückgestellt werden. Aus Lüderssens Stellungnahme läßt sich aber auch die Frage entnehmen, ob im Rahmen des Tatbestandes des § 34 StGB überhaupt ein anderer als der erste Zweck des Eingreifenden berücksichtigt werden darf. Das ist zu bejahen. Der gemäß § 34 StGB relevante Zweck ist der Schutz eines Rechtsguts, hier der Gesundheitsschutz. Daß bis zu dessen Verwirklichung u. U. nochZwischenzwekke - hier Tatbegehung und Einsperrung - angestrebt werden müssen, schließt nicht aus, den Fernzweck des Rechtsgutsschutzes im Rahmen des § 34 StGB zu akzeptieren. Anders ist es, wenn die Zwischenzwecke ihrerseits Rechtsgüterschutz sind, d. h. wenn der bezweckte Rechtsgüterschutz nur Mittel zum Schutz eines weiteren Rechtsguts ist - z. B. Drogenbekämpfung und Gesundheitsschutz speziell in der Bundeswehr zum Zweck der Sicherung der militärischen Verteidigungsfähigkeit (§ 109 StGB). Ob hier auch oder allein das weitere Rechtsgut, auf dessen Schutz der Fernzweck sich bezieht, als gemäß § 34 StGB zu schützendes Rechtsgut akzeptiert wird, ist gleichgültig. Denn jedenfalls müssen die auf das jeweils zu schützende Rechtsgut bezogenen Interessen berücksichtigt werden. Dazu gehört auch der eventuell nötige Schutz eines ferneren und der mitbewirkte Schutz eines näheren Rechtsguts. Weil Interessen zu berücksichtigen sind, wird der Referenzrahmen des § 34 StGB also weit ausgedehnt. Das kann man für rechts staatlich unerwünscht halten. Es ist jedoch in § 34 vorgesehen, und dessen Verfassungswidrigkeit wurde bisher nicht belegt. Gegen die Berücksichtigung von Fernzwecken spricht nach Ansicht von Lüderssen das Demonstrationsrecht. In der Tat ist die Meinung verbreitet, für die Rechtfertigung durch das Demonstrationsgrundrecht seien die Zwecke der Demonstration nicht zu berücksichtigen 2. Das hängt jedoch mit der spezifischen Funktion des Demonstrationsgrundrechts zusammen. Es ist subjektives Freiheitsrecht und deshalb, wie oben gezeigt, primär formal bestimmt. Nicht ihre Zwecke, sondern die Demonstration selbst als äußerliches Verhalten begründet die Rechtfertigung. Hier justiziell nach Zwecken zu fragen, würde die Demonstrationsfreiheit hoheitlicher Definition unterwerfen. Daraus lassen sich jedoch keine Analogieschlüsse hinsichtlich des § 34 StGB ableiten, denn dieser ist nicht Freiheitsrecht, sondern, wie gesagt, eine Regelung der objektiven, materialen, durch staatliche Justiz im Einzelfall zu konkretisierenden Gerechtigkeit. Dem 2 Vgl. R. Herzog in Maunz / Dürig / Herzog, GG, Art. 8 Anm. 4, 44; Arzt, Strafrecht BT, LH 1, S. 195; Tiedemann, JZ 1969,717 (723); anders Eser in Schönke / Schröder § 240 Rn 17, 21, 28 f. Zur engen und weiten Mittel / Zweck- Relation vgl. Arzt, Festschrift für Welzel, S. 823 ff.

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entspricht, daß die Interessen, also auch Fernzwecke, der Beteiligten berücksichtigt werden, auch wenn durch diese Gerechtigkeit die Freiheit beeinträchtigt wird. Können demnach Fernzwecke im Notstand grundsätzlich als Elemente der Rechtfertigung berücksichtigt werden, so ist noch nicht entschieden, ob der im obigen Fallbeispiel verfolgte Fernzweck sich auf den Schutz eines gemäß § 34 StGB anzuerkennenden Rechtsguts richtet. Die Provokationshandlung zielt darauf, die allgemeine Gesundheit vor Betäubungsmitteln zu schützen durch Einsperrung des gefährlichen Dealers. Die Sicherheit der Volksgesundheit ist, wie im folgenden Abschnitt gezeigt werden wird, ein vom BtMG anerkanntes und grundsätzlich notstandsfähiges Kollektivrechtsgut. Die von der Provokation im Beispielsfall bewirkte Sicherheit ist allerdings eine spezifische, insofern sie durch Untersuchungshaft und Freiheitsstrafe erreicht wird. Zwar darf Untersuchungshaft u. U. auch zur präventiven Sicherung der Allgemeinheit eingesetzt werden (§ 112a StPO). Es wird auch vertreten, daß die Freiheitsstrafe u. U. zur Sicherung der Allgemeinheit vor dem Täter verhängt werden dürfe 3. An diesen Sicherheiten besteht jedoch nur unter bestimmten gesetzlichen Bedingungen ein berechtigtes Interesse. Besteht hinsichtlich der Tat, an die Untersuchungshaft und Strafe geknüpft werden sollen, der Verdacht, daß sie in der Vergangenheit begangen wurde, so ist das berechtigte Interesse an den Wirkungen von Strafe und Haft begrenzt durch die prozessualen Regeln, wie im vorangegangenen Abschnitt dargestellt wurde. Besteht hinsichtlich der Anknüpfungstat, wie im obigen Beispielsfall, nicht der Verdacht, daß sie begangen wurde, so ist das Interesse an Sicherheit durch Untersuchungshaft und Strafe ausgeschlossen durch das Tat- und das Schuldprinzip 4. Bevor eine Tat begangen ist, besteht kein berechtigtes Interesse daran, durch auf die Tat bezogene Untersuchungshaft oder Strafe die Allgemeinheit zu sichern. Die durch Strafe zu bewirkende Sicherheit vor dem Täter ist im Rechtsstaat zu unterscheiden von der durch Gefahrenabwehrmaßnahmen zu bewirkenden Sicherheit. Auch dies wurde im Zusammenhang des Tat- und des Schuldprinzips dargestellt. Allerdings binden diese Prinzipien Private im allgemeinen nicht. Es ist Privaten nicht verboten, ihr erlaubtes Verhalten davon abhängig zu machen, ob sie andere für gefährlich halten. Die Privaten im allgemeinen erlaubte Provokation des Versuchs wird nicht dadurch rechtswidrig, daß der Provokateur sie durchführt aus Böswilligkeit oder, um einen gefährlichen Menschen einsperren zu lassen. Diese Motive gehen das staatliche Rechts nichts an, weil das von ihnen geleitete Handeln legal und frei ist. Vorliegend geht es jedoch um verbotenes Verhalten, das gerechtfertigt werden soll. Das ist nur möglich durch einen wertvollen, d. h. gesetzlich positiv bewerteten Zweck. Deshalb muß die Notstandsmaßnahme sich auf den Schutz eines gesetzlich anerkannten Rechtsguts 3 4

s. o. 1. Teil A III. s. o. 1. Teil A 11 1, 2, III.

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richten. Nicht alles, was jemand bewirken darf, ist ein positiv bewertetes Rechtsgut. (Man darf einen anderen ärgern, indem man sich mit ihm verabredet, um ihn dann sitzen zu lassen. Gleichwohl ist die Verärgerung des anderen kein Rechtsgut.) Das von dem Provokateur im Beispielsfall geschützte Gut der Sicherheit liegt, wie im vorangegangenen gezeigt, jenseits der gesetzlich als schützenswert anerkannten Sicherheit, weil es Sicherheit durch Strafe erstrebt, für die die begründende Tat fehlt. Es ist kein Rechtsgut.

III. Sicherheit der Volksgesundheit als Beispiel eines Kollektivrechtsgutes Die im vorangegangenen Abschnitt vorgeschlagene Einschränkung der im Notstand zu schützenden Rechtsgüter entspricht nicht allgemeiner Meinung l . Folgt man dieser, so sind die weiteren Voraussetzungen des Notstands zu prüfen. Das soll auch hier geschehen. Es wird deshalb von der erwähnten Einschränkung der Notstandsbefugnisse abgesehen. Im übrigen sind Provokationen möglich, die von der Einschränkung nicht betroffen sind. Wenn der Provokateur des obigen Beispielfalles vorhat, das Rauschgift des Großdealers aus dem Verkehr ziehen zu lassen, so beseitigt er eine Gefahr nicht durch die Bestrafung des Dealers. Diese ist nur eventueller Nebeneffekt. Die Beschlagnahme des Rauschgifts ist als polizeirechtliche Maßnahme zum Schutz der Volksgesundheit möglich. Dann fragt es sich, ob die Volksgesundheit als solche ein gemäß § 34 StGB zu schützendes Rechtsgut ist. Seelmann 2 meint, die Volks gesundheit, die nach allgemeiner Ansicht von Drogendelikten beeinträchtigt wird, sei i. S. des § 34 StGB erst gefährdet, wenn ein konkretes Angriffsobjekt bedroht, konkret gefährdet sei. Das könnte bedeuten, das Rechtsgut der Drogentatbestände sei identisch mit der Gesundheit einzelner. Um dies zu klären, müssen zwei Fragen unterschieden werden: Wie ist das Rechtsgut der Drogentatbestände zu bestimmen? Wie ist das in diesem Bereich gemäß § 34 StGB durch Private zu schützende Rechtsgut zu bestimmen? Die Drogendelikte und allgemein der unerlaubte Umgang mit Drogen beeinträchtigen nach allgemeiner Ansicht das Rechtsgut der Volksgesundheit, womit gemeint ist die Gesundheit unbestimmt vieler Bürger. Sollte dieses Rechtsgut erst verletzt sein, wenn die Gesundheit eines bestimmten Bürgers verletzt oder konkret gefährdet ist, so wäre es sinnlos, überhaupt das Rechtsgut ,Volksgesundheit' einzuführen. Sinngemäß verstanden muß dieses Rechtsgut schon in einem Stadium verletzt sein können, wo noch keine Gefahr für die Gesundheit bestimmter einzelner besteht. Dann liegt es mangels anderer Anhaltspunkte nahe, anzunehmen, daß das Rechtsgut der Volksgesundheit jeweils dann verletzt ist, wenn 1

2

Nachweise oben 2. Teil A I Anm. 2. ZStW 95 (1983),797 (812).

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der Tatbestand eines Drogendelikts erfüllt ist, etwa wenn mit Drogen gehandelt wurde. Freilich ist dies ein befremdlicher Sprachgebrauch, denn unter Gesundheit versteht man die Gesundheit konkreter Menschen. Volksgesundheit ist dann die Gesundheit vieler, die durch einen Drogenhandel nicht stets verletzt ist. Deshalb soll, was durch ein Drogendelikt verletzt - besser: beeinträchtigt - ist, genauer bezeichnet werden als Sicherheit der Volksgesundheit (auch wenn früher oft die interne Sicherheit des Volkes mit dessen Gesundheit identifiziert wurde). Ein Drogenhandel beinhaltet die abstrakte Gefahr, daß unbestimmte einzelne künftig gesundheitlich geschädigt werden. Gegenwärtig beeinträchtigt die abstrakte Gefahr die Sicherheit der allgemeinen Gesundheit. Das Interesse an ihr ist rechtlich geschützt im BtMG. Die Sicherheit der Volksgesundheit wäre als Rechtsgut gefährdet, wenn etwa ein Drogenhandel bevorstünde 3. Man könnte einwenden, da Sicherheit selbst Abwesenheit von Gefahr ist, sei es eine unsinnige Verdoppelung, wenn die Gefährdung der Abwesenheit von Gefahr zum Eingriffskriterium werde. Da nun § 34 StGB den Eingriff von Gefahr für ein Rechtsgut abhängig macht, könne Rechtsgut nicht Sicherheit, d. h. Abwesenheit von Gefahr sein, weil diese eben nicht selbst geflihrdet sein können. Das trifft jedoch nicht zu. Dem Gesetz ist die Gefährdung von Sicherheit durchaus geläufig wie zahlreiche Tatbestände des politischen Strafrechts (z. B. § 94 StGB) zeigen. Bevor nun akzeptiert wird, die Sicherheit der Volks gesundheit sei auch ein gemäß § 34 StGB bei Gefahr zu schützendes Rechtsgut, ist Seelmanns Vorschlag zu berücksichtigen, im Kontext des § 34 StGB das Rechtsgut enger zu fassen. Das scheint dem oben 4 dargestellten Gebot der Konkretisierung der Rechtsgüter im Zusammenhang des § 34 StGB zu entsprechen. Der von Seelmann vorgeschlagenen Konkretisierung stehen jedoch Einwände entgegen. Einmal ist das restriktive Kriterium - die Gefährdung eines konkreten Angriffsobjekts - schwer näher zu bestimmen. Ist es erst erfüllt, wenn jemand aufgrund des Drogenkonsums physisch krank wird? Dann wäre der Verkauf an seit Jahren Süchtige noch nicht stets geflihrlich. Ist es erfüllt, wenn ein Süchtiger die Droge erhält? Oder auch, wenn ein bisher nicht süchtiger Dealer die Droge erhält mit der Möglichkeit, selbst davon zu konsumieren und süchtig zu werden? Wann wäre er ,bedroht', ,konkret geflihrdet'? Nach der im BtMG geäußerten Einschätzung der Gesetzgeber ist der Umgang mit Drogen i. d. R. abstrakt geflihrlieh. Deshalb wird hier das Rechtsgut der Sicherheit eingeführt. Im Zusammenhang des § 34 StGB könnte das Rechtsgut enger gefaßt werden, wenn die Sicherheit als eigenständiger sozialer Wert die Pönalisierung nicht begründete. Das ist indessen nicht anzunehmen. Es gibt suchtgeneigte und im Umgang mit Drogen unerfahrene Personen, z. B. Kinder, deren sozialer Verkehr 3 Im Ergebnis ebenso OLG München NJW 1972,2275; Amelung / Schall, JuS 1975, 565 (569); Grebing, GA 1979, 81 (104). 4 2. Teil A I 2.

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2. Teil: Rechtfertigung und Begründung der Deliktsprovokation

belastet wird, wenn Drogen frei gehandelt und angeboten werden können. Wegen dieser Interessen an sozialem Verkehr würde die gesetzgeberische Bewertung vernachlässigt, wenn das Rechtsgut der Drogendelikte im Zusammenhang des § 34 StGB etwa auf die körperliche Gesundheit reduziert würde. Es mag sein, daß die weitgefaßten BtM-Tatbestände sozialpolitisch verfehlt sind. Hier geht es aber nicht um die sozialpolitisch richtige Lösung des Drogenproblems, sondern um eine konsistente Erklärung der gesetzgeberischen Entscheidung. Der Anerkennung der Sicherheit der Volksgesundheit als Rechtsgut stehen auch nicht die Erwägungen entgegen, die oben 5 hinsichtlich der Strafverfolgung vorgebracht wurden, denn durch den Drogenhandel ist der Bestand der Sicherheit der Volksgesundheit beeinträchtigt. Diese Sicherheit ist ein Gut jenseits der Normen, die es schützen. Auch ist die Sicherheit der Volksgesundheit nicht wie die Institution der Strafverfolgung gerade deshalb als eigenständiger Wert anzuerkennen, weil d~durch die rechtsstaatliche Beteiligung der von gesundheitsschützerischen staatlichen Maßnahmen Betroffenen gewährleistet werden kann, sondern weil die sozialen Gefahren im Drogenbereich besonders groß sind. An der rechts staatlichen Beteiligung der Betroffenen besteht auch hier ein anerkanntes Interesse. Es ist aber nicht Begründung des Interesses an der allgemeinen Sicherheit der Volksgesundheit. Es ist deshalb nicht bei der Bestimmung des Rechtsguts, sondern ~i der Bestimmung des i. S. des § 34 StGB angemessenen Mittels zum Schutz des Rechtsguts zu berücksichtigen. Schließlich ist es auch nicht Zweck gerade der Sicherung der Volksgesundheit, die von § 34 StGB freigesetzte private Gewalt zu vermeiden und Gewalt beim Staat zu monopolisieren und zu ordnen. - Fazit: Das Rechtsgut ,Sicherheit der Volksgesundheit' für die Anwendung des § 34 StGB aufzulösen zugunsten von Individualrechtsgütern ist nicht angebracht.

IV. Gefährdung von Rechtsgütern und Erforderlichkeit von Schutzmaßnahmen Wenn ein BtM-Delikt bevorsteht, ist das erwähnte Rechtsgut gefährdet. Seelmann meint, gegenwärtig i. S. des § 34 StGB sei die Gefahr, wenn sie konkret sei I. Sollte damit eine konkrete Gefahr i. S. der Deliktstatbestände des Strafrechts (z. B. § 315c StGB) gemeint sein 2 , so wäre dieses Kriterium kaum geeignet, die Notstandslage näher zu bestimmen, denn der Bezugsrahmen ist verschieden. In den Deliktstatbeständen bezeichnet die Konkretheit der Gefahr einen durch menschliches Verhalten bewirkten, strafbegründenden Erfolg 3 • Im Zusammen2. Teil A I 3,4. ZStW 95 (1983),797 (812). 2 Auch Maurach / Zipf, Strafrecht AT, 1. Tb., § 27 III 3 meinen, die Gefahrbegriffe des § 34 StGB und der konkreten Gefährdungsdelikte ließen sich auf einen "allgemeinen Nenner bringen". 5

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A. Rechtfertigung privater Provokationen gemäß § 34 StGB

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hang des § 34 StGB bezeichnet sie ein durch menschliches Verhalten abzuänderndes Geschehen. Der Bezugsrahmen ähnelt dem Gefahrbegriff des Polizeirechts. Dort aber wird die konkrete Gefahr weiter gefaßt als die gegenwärtige 4. Im Polizeirecht wird mit dem Kriterium der Konkretheit auch nicht verlangt, es müsse ein Individualrechtsgut gefährdet sein. Gegenwärtigkeit der Gefahr ist mit der allgemeinen Meinung anzunehmen, wenn entweder die Schädigung des Rechtsguts unmittelbar bevorsteht oder nur durch sofortiges Handeln abgewendet werden kann 5. Lüderssen und Seelmann 6 weisen darauf hin, daß der Verdacht, jemand könnte eine Neigung zu Drogendelikten haben, und die Existenz eines kriminogenen Milieus noch keine gegenwärtige Gefahr begründen. Eine solche wird aber häufig gegeben sein, wenn etwa jemand gewerbsmäßig unerlaubt mit Drogen handelt? Zur Erforderlichkeit der Provokation: Beim Handeln kleiner Dealer und Konsumenten wird es oft möglich sein, die Gefahr bevorstehender Delikte mit schonenderen Mitteln als der Provokation abzuwenden. Wenn jemand davon erfährt, daß und wo ein Drogenhandel bevorsteht, kann er die Polizei verständigen, die das Delikt verhindert und die Strafverfolgung einleitet, sofern es zum Versuch gekommen ist. Die Provokation eines zusätzlichen Delikts ist dafür nicht nötig. Es mag sein, daß dann das der Polizei angezeigte einzelne Delikt nicht zur Einsperrung führt, also die Gefahr weiterer Delikte nicht abwendet. Aber diese weiteren Delikte stehen auch nicht unmittelbar bevor. Daß sie nur dadurch zu verhindern seien, daß sofort ein schwereres Delikt provoziert wird, das eine zu vollstreckende Freiheitsstrafe zur Folge hat, dürfte kaum zu prognostizieren sein. Die Kriterien ,gegenwärtige Gefahr' und ,nicht anders abwendbar' machen die Provokation in der Drogenszene aber nicht praktisch unzulässig 8 • Die gegenwärtige Gefahr von Drogendelikten ist z. B. dann nicht anders als durch Provokation abwendbar, wenn das Bevorstehen des Delikts, nicht aber dessen Akteur und Ort bekannt sind. pas betrifft die Hintermänner des Drogenhandels. Beispiel: Jemand vermutet zu Recht, daß in der Stadt ein Dealer großhandelsmäßig Drogen aus dem Ausland einführt und beständig an örtliche Kleindealer über Mittelsleute Vgl. Horn in SK StGB, Rn 5 ff. vor § 306. Vgl. z. B. § 2 Nr. la / b Nds. SOG; Ule / Rasch, Allgemeines Polizei- und Ordnungsrecht, § 1 ME, Rn 14; Einzelheiten dazu unten 2. Teil C II 1. 5 Jescheck, Lehrbuch des Strafrechts, § 33 IV 3a; Lenckner in Schönke / Schröder § 34 Rn 17 mit weiteren Nachweisen. 6 Seelmann, a.a.O.; Lüderssen, Zynismus, Borniertheit oder Sachzwang? In: ders. (Hg.), V-Leute. Die Falle im Rechtsstaat, S. 20. 7 Im Fall OLG München NJW 1972,2275, lag z. B. eine gegenwärtige Gefahr vor; vgl. Amelung / Schall, JuS 1975,565 (569); Friedrichs, Der Einsatz von V-Leuten, S. 28 Anm.159. 8 Daß in praktischen Fällen die Erforderlichkeit gegeben sein kann, zeigt wiederum der Fall OLG München und die diesbezüglichen Ausführungen Amelungs und Schalls, a.a.O. 3

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2. Teil: Rechtfertigung und Begründung der Deliktsprovokation

verkauft. Das Geschäft des Großdealers ist eine dauernde gegenwärtige Gefahr weiterer Delikte. Wenn er nicht bekannt und auch von der Polizei nicht zu ennitteln ist, ist die Gefahr möglicherweise nur dadurch abzuwenden, daß über die Mittelsleute eine so große Menge bestellt wird, daß bei Abwicklung des Geschäfts der Großdealer selbst in Erscheinung tritt, gefaßt und bestraft werden kann. Die Provokation der Polizei bzw. ihren Spitzeln zu überlassen, ist hier keine Alternative, weil polizeiliches Handeln nicht durch § 34 StGB zu rechtfertigen ist, wie noch gezeigt wird. Abzuwarten, bis die Polizei mit ihren zulässigen Mitteln eventuell doch erfolgreich ist, würde nicht bewirken, worauf es nach § 34 StGB ankommt; nur die Chance einer im Verhältnis zur Aktion des Provokateurs annähernd gleichzeitigen Beseitigung der Gefahr wäre eine den Eingriff des Provokateurs ausschließende andere Möglichkeit, die Gefahr abzuwenden. Die weitere Möglichkeit, der Polizei etwa die Mittelsleute bekanntzugeben, so daß sie diese vorladen und zur Auskunft zwingen kann 9, wäre nur dann eine gemäß § 34 StGB relevante andere Möglichkeit, wenn sie annähernd ebenso große Erfolgschancen enthielte wie das Vorgehen des Provokateurs. Allerdings mindert die Chance der Polizei, mit milderen Mitteln später auch zum Ziel zu kommen, im Rahmen der Interessenabwägung mehr oder weniger das Interesse an der Gefahrabwendung durch den Provokateur. Zuweilen wird nun weiter erwogen, ob die Tatsache, daß die Polizei ennittelt, das Handeln Privater ausschließt und ob die Beschränkung polizeilicher Ennittlungsmethoden auch die Privaten bindet. Diese Probleme gehören systematisch in den Zusammenhang des Vorrangs rechtlich geordneter Verfahren (dazu später). Beim Kriterium ,nicht anders abwendbar', das hier thematisch ist, geht es nur um das elj'olgsbezogen aktuell mildeste Mittel. Es wurde im geschilderten Fall angewendet. Praktisch dürften in solchem Fall oft noch tatsächliche Unsicherheiten im Spiel sein. Der Provokateur wird ex ante oft unsicher sein, ob tatsächlich gerade ein unerlaubtes BtM-Geschäft bevorsteht. Das schließt jedoch nicht aus, eine Gefahr anzunehmen. Das Gefahrurteil beruht allemal darauf, daß nicht alle Faktoren, die die weitere Entwicklung bestimmen, bekannt sind. Wären sie es, so wäre die weitere Entwicklung mit Gewißheit prognostizierbar, und von Gefahr könnte keine Rede sein 10. Zur Gefahr gehört also die ex ante-Perspektive. Ist 9 Im polizeilichen Notstand (§ 6 ME) können Nichtstörer in Anspruch genommen, vorgeladen (§ 11 ME), gemäß der Generalklausel (§ 8 ME) zur Auskunft verpflichtet werden; Vorladung und Auskunft können erzwungen werden. Zur Möglichkeit, die Ergebnisse einer zwecks Strafverfolgung durchgeführten staatsanwaItschaftIichen oder richterlichen Vernehmung, bei der intensiverer Zw~g möglich ist (§ 70 Abs. 2 StPO), für die Gefahrenabwehr zu verwenden vgl. Riegel, DOV 1978, 502; Schlink, Amtshilfe, S. 263 f. 10 Schmidhäuser, Strafrecht AT, 8 / 33, 42; ähnlich Darnstädt, Gefahrenvorsorge, S. 94 ff.

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demnach unsicher, ob in Kürze weitere BtM-Geschäfte stattfinden, so mag die Gefahr relativ gering sein. Das ist bei der Interessenabwägung zu berücksichtigen 11. Dabei kann das Interesse an einer Provokation überwiegen, wenn das relativ geringe Maß der Gefahr kompensiert wird durch einen mutmaßlich besonders großen Schaden, der durch die Geschäfte des Großhändlers verursacht und durch Provokation abgewendet werden könnte. Umstritten ist bekanntlich, ob die Gefahr aus der Sicht des Eingreifenden, hier des Provokateurs, bestimmt werden soll oder aus der Sicht eines verständigen Beobachters 12. Das Problem soll hier nicht erschöpfend behandelt werden. Einiges läßt sich immerhin aus der vorangegangenen Untersuchung ableiten. Auf die Perspektive des Eingreifenden abzustellen, wäre angemessen, wenn § 34 StGB nur isoliert dessen Handlung im Hinblick auf die Strafwürdigkeit bewertete. Oben wurde aber gezeigt, daß der Notstand ein Eingriffsrecht begründet, das am Konflikt Unbeteiligten etwas nimmt und zu einem sozialen Interessenausgleich zwischen den Bürgern führen soll. Dabei die subjektiv beschränkte Erkenntnis des Eingreifenden zugrundezulegen, erscheint wenig angemessen 13. Ist vorab klar, daß die Provokationshandlung nicht "anschlägt", also kein Delikt oder ein solches hervorbringt, das nicht zur Einsperrung und damit Beseitigung der Gefahr führt, so ist die Provokation als Mittel ungeeignet, nicht erforderlich, falls nicht schon polizeiliche Ermittlungen oder die Bestrafung an sich die Gefahr abwenden. Daß alle beabsichtigten Folgen der Provokation bis zur Beseitigung der Gefahr gewiß eintreten, wird der Provokateur sich nur selten vorab einbilden. Allgemein ist ohne Spekulation über den Erfolg einer Handlung nie ex ante Gewißheit zu erlangen. Sie kann nicht Kriterium des Notstandseingriffs sein. Im allgemeinen wird das Risiko des Mißlingens zugelassen und die Größe des zugelassenen Risikos in Relation zur Größe der Gefahr bestimmt 14. Diese Lösung folgt 15 nicht schon daraus, daß die Prognosen bei den Rechtfertigungsgründen ex ante zu stellen sind. Sie ist auch unabhängig von der Frage, ob die subjektive Prognose des Täters oder eine objektivierte entscheidend ist. Denn statt ein u. U. hohes Risiko des Scheiterns zuzulassen, könnte eine ex ante subjektiv oder objektiv bestimmte hohe Wahrscheinlichkeit des Erfolges des eingesetzten Mittels verlangt werden. Für die Lösung der h. M. spricht aber die Gesetzgebungsgeschichte. Danach erfaßt die Formulierung ,nicht anders abwend11 Schaffstein, Festschrift für Bruns, S. 89 (104 f.); Jakobs, Strafrecht AT, 13 /12; Lenclmer in Schönke / Schröder § 34 Rn 15. 12 Lenckner, a.a.O., Rn 13 f.; Zielinski, Handlungs- und Erfolgsunwert im Unrechtsbegriff, S. 224 ff.; 246 ff., 267 ff.; Blei, Strafrecht I, § 45 I c. 13 Die Sicht des Handelnden könnte berücksichtigt werden, wenn zwischen allgemeiner Rechtswidrigkeit und Strafunrecht differenziert und ein dem § 34 StGB analoger Strafunrechtsausschlußgrund angenommen würde; vgl. H.L. Günther, Strafrechtswidrigkeit und Strafunrechtsausschluß, S. 251 ff. und passim; dazu unten 2. Teil E. 14 Lenckner in Schönke / Schröder § 34 Rn 19. 15 Entgegen Jakobs, Strafrecht AT, 12/34, 13/16.

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2. Teil: Rechtfertigung und Begründung der Deliktsprovokation

bar' das gleiche wie ,erforderlich' in § 32 StGB 16. Darunter aber wurden seit langem auch Verteidigungsmittel erfaßt, die nur eine Chance des Erfolges bieten. Die Bestimmung des gemäß § 34 StGB geeigneten Mittels korrespondiert also der Bestimmung der Gefahr in § 34 StGB. Die Möglichkeit des im Ergebnis unnötigen Eingriffs wird jeweils in Kauf genommen, wenn die mutmaßliche Gefahr überwiegend groß ist. Das jeweils zugelassene Risiko der Erfolglosigkeit des Mittels ist aus den zur Gefahr dargestellten Gründen auch bei der Geeignetheit objektiv zu bestimmen. Die Provokation ist also, falls die sonstigen Voraussetzungen gegeben sind, zulässig, wenn sie aus der Sicht des verständigen Beobachters die Chance bietet, die Gefahr bevorstehender Schäden abzuwenden. Die Chance muß umso größer sein, je geringer die Gefahr und der drohende Schaden und je größer der durch den Eingriff verursachte Schaden sein werden.

V. Beeinträchtigte Rechtsgüter und Abwägung Die Abwägung richtet sich nach den allgemeinen Regeln. Neben dem Wert der Güter ist der Grad ihrer Geflihrdung zu berücksichtigen. Auch bei der Bestimmung des konkreten Wertes von Kollektivrechtsgütern ist u. a. die Gefährdung von einzelnen zu berücksichtigen, die durch das Kollektivrechtsgut geschützt werden sollen. Relevant ist weiter der Grad der Wahrscheinlichkeit, daß die Provokation das bedrohte Gut erhalten werde. Provokateure in der Drogenszene provozieren oft BtM-Delikte. Zwar sind dies meist beamtete oder staatlich beauftragte Personen; infolgedessen können sie sich, wie noch zu zeigen ist, nicht auf § 34 StGB berufen. Private andererseits, auch dies ist noch zu zeigen, dürfen das vom Drogenhandel beeinträchtigte Rechtsgut der Volksgesundheit nicht gemäß § 34 StGB schützen. Sieht man davon ab, so fragt es sich, wie auf der Seite der durch die Provokation eines Drogenhandels beeinträchtigten Güter z. B. die Gefahr einer Drogensucht und die damit verbundene Gefahr körperlicher Schäden ins Gewicht fallen soll. Beispiel: Ein Provokateur veraniaßt einen nicht süchtigen Gelegenheitsdealer, Drogen zu beschaffen, von denen dieser einen Teil für sich behält, konsumiert, süchtig und dadurch körperlich geschädigt wird. Es ist umstritten, ob im Zusammenhang der Erfolgsdelikte - hier § 223 StGB - die Freiwilligkeit, mit der der Dealer die Drogen konsumiert hat, es ausschließt, die schädlichen Folgen des Konsums dem Provokateur zuzurechnen; der Dealer, so kann man annehmen, hat die Gefahr, daß die Schäden infolge seines Verhaltens eintreten, selbst zu verantworten 1. Die Frage der Rechtfertigung durch § 34 StGB stellt sich dann nicht. Anders ist das Geschehen im Horizont Stree, in: Roxin / Stree / Zipf / Jung, Einführung in das neue Strafrecht, S. 40.f. Vgl. OLG Stuttgart NJW 1981, 182; Stree, JuS 1985, 179; ders. in Schönke/ Schröder § 13 Rn 40 f.; anders BGH NStZ 1984, 452. 16

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des BtMG zu bewerten. Die Gesetzgeber wollten mit dem BtMG verhindern, daß jemand Drogen in die Hände bekommt, weil sie annahmen, daß viele das Risiko insbesondere der Sucht nicht richtig würden einschätzen können. Deshalb wurde gemäß § 3 BtMG (unter Erlaubnisvorbehalt) verboten, Drogen an Konsumenten abzugeben, auch wenn diese nach allgemeinen Maßstäben verantwortlich handeln. In der Perspektive des BtMG wird die Freiheit der einzelnen als relativ eingeschätzt. Daher ist die mit der Provokation des Drogendelikts im Beispielfall verbundene Gefahr als Beeinträchtigung eines berechtigten Interesses auch dann zu berücksichtigen, wenn der Provokateur hinsichtlich der Abwendung des schädlichen Erfolges keine Garantenpflicht hat. Die Gefahr und die relative Freiheit des Konsumenten sind für die Abwägung konkretisiert bezüglich des jeweiligen Einzelfalles zu bestimmen. Die Gefahr fällt mehr oder weniger ins Gewicht je nach dem Maß einerseits der ex ante erkennbaren Neigung des Dealers, die Drogen zu behalten, zu konsumieren, süchtig zu werden etc., andererseits der erkennbaren, relativen Freiheit, d. h. der Befähigung zu Überblick und entsprechender Selbststeuerung, die es zulassen, die Gefahren des Konsums noch partiell dem einzelnen zuzurechnen. Solche Relativierung der Selbstverantwortung entspricht im übrigen auch der Konzeption des § 34 StGB, die, wie ausgeführt, von einer relativierten Selbstverantwortung ausgeht. Die relative Befähigung zu Überblick und Selbststeuerung können, wie im Zusammenhang des Prinzips der Selbstverantwortung gezeigt wurde 2 , nicht unterstellt werden, wenn der DrogenempHinger nach allgemeinen Maßstäben nicht verantwortlich ist, wenn also etwa ein Kind provoziert wird. Dann sind die schädlichen Folgen der Drogenabgabe und der Stimulation des Drogenkonsums voll dem Provokateur zuzurechnen 3 • Sie können im Rahmen der Güterabwägung nicht gerechtfertigt werden 4. Davon abgesehen fällt eine von der Provokation verursachte Beeinträchtigung umso weniger ins Gewicht, je mehr der Inhaber des beeinträchtigten Gutes die abzuwendende Gefahr verschuldet hat s. Damit wird ansatzweise das Prinzip der Selbstverantwortung in den § 34 StGB eingeführt, der aber im Grundsatz dem Prinzip der Selbstverantwortung, wie oben ausgeführt, widerspricht. Die Selbstverantwortung fungiert hier nur als partielles Korrektiv. Akzeptiert man das Verschuldenskriterium, so dürfte es in vielen Provokationsfällen relevant werden, denn oft kann man dem Provozierten eine Mitverantwortung für die Gefahr zusprechen. 2

s. o. 1. Teil B III 1.

Vgl. OLG Stuttgart NJW 1981, 182 (183) mit weiteren Nachweisen. 4 Dencker, Festschrift für Dünnebier, S. 447 (463). S Ders., JuS 1979,779 (780 f.); zur Differenz von Aggressiv- und Defensivnotstand vgl. Lenckner in Schönke / Schröder § 34 Rn 30. 3

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2. Teil: Rechtfertigung und Begründung der Deliktsprovokation

Franzheim 6 meint, auf der Seite der durch die Provokation beeinträchtigten Güter sei auch zu berücksichtigen, daß der Provozierte mit einer Strafe belastet wird; sei dies eine Freiheitsstrafe, so sei die Provokation kaum je zu rechtfertigen, weil es nur selten gegenüber der Freiheit wesentlich überwiegende, zu rettende Güter gebe. Dagegen läßt sich nicht einwenden, die Strafe falle nicht ins Gewicht, weil sie zu Recht verhängt werde. Im Zusammenhang der mittelbaren Täterschaft ist anerkannt, daß das Bewirken eines rechtmäßigen Erfolges rechtswidrig sein kann. Allerdings gilt die Strafe als jeweils verhältnismäßige Kompensation der Tat, so daß die Strafe per se nicht mehr anderweitig negativ ins Gewicht fallen kann. Aber die provozierte Tat mit ihren für den Täter desintegrierenden Folgen ist eine Belastung des Provozierten. Sollte demnach auf seiten des Provozierten die soziale Desintegration als Eingriff ins allgemeine Persönlichkeitsrecht berücksichtigt werden, so wären auch die weiteren mit der Provokation verbundenen Beeinträchtigungen dieses Rechts zu beachten, der Vertrauensmißbrauch und der Eingriff in die informationelle Selbstbestimmung. Oben 6. wurde gezeigt, daß ein Privater gegen die genannten Beeinträchtigungen im Verhältnis zu anderen Privaten, von Sonderverhältnissen abgesehen, nicht rechtlich geschützt ist. Da es an dieser Stelle nur um die Provokation zwischen Privaten geht, scheinen also die genannten Beeinträchtigungen irrelevant zu sein. Allerdings wurden als rechtlich geschützte Interessen im Rahmen des § 34 StGB auch schon Positionen berücksichtigt, denen der Eingreifende außerhalb des § 34 StGB nicht verpflichtet war, die aber in anderen Relationen rechtlich gesichert waren 7. Das Interesse an sozialer Integration, Vertrauen und informationeller Selbstbestimmung ist im Verhältnis zum Staat rechtlich geschützt. Nach dem Sinn des § 34 StGB müssen die genannten Interessen im Rahmen des § 34 StGB auch im Verhältnis zwischen Privaten als rechtlich geschützte Interessen berücksichtigt werden, denn der Grund, der verlangt, im allgemeinen die genannten Interessen zwischen Privaten nicht rechtlich zu schützen, die Selbstverantwortung, ist im Rahmen des § 34 StGB relativiert. § 34 StGB läßt es zu, daß einer die Schwierigkeiten, in die er mit seinen Rechtsgütern gelangt ist, nicht selbst verantwortet, sondern einem anderen, der mit den Schwierigkeiten nichts zu tun hat, sie nicht verursacht hat, aufbürdet. Die Nöte einzelner werden sozialisiert. § 34 StGB wendet sich, wie oben ausgeführt, von der Selbstverantwortung ein Stück weit ab. Dann ist nicht einzusehen, warum der von der Zwangssolidarisierung Betroffene seinerseits auf Selbstverantwortung verwiesen werden soll. Allein das Prinzip Selbstverantwortung begründet, daß jeder im Verhältnis zu anderen Privaten mit seiner sozialen Integration, seinem Vertrauensrisiko, den Folgen seiner informationellen Entäußerungen selbst fertigwerden 6

6. 7

NJW 1979,2014 (2017). 1. Teil B III, IV, V.

Vgl. Lenckner, Der rechtfertigende Notstand, S. 74 ff.

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müsse. Zu solcher Selbstverantwortung kann er nicht mehr verpflichtet werden, wenn andere zu seinen Lasten von Selbstverantwortung befreit werden. Der Annahme, die soziale Integration, das Vertrauen und die informationelle Selbstbestimmung seien als rechtlich geschützte Interessen gegenüber der Deliktsprovokation seitens Privater zu berücksichtigen, scheint allerdings zu widersprechen, daß es nicht Zweck der Normen ist, nach denen der Provokateur eventuell bestraft wird, die genannten Interessen zu schützen. Das Unrecht der Teilnahme und der Mittäterschaft ist, wie ausgefÜhrt, nicht darin begründet, daß der eine Beteiligte den anderen sozial desintegrierte, schon gar nicht darin, daß er sein Vertrauen mißbrauchte und seine informationelle Selbstbestimmung störte. Auch die Deliktsnormen, an deren Übertretung sich Teilnehmer und Mittäter beteiligen, schützen nicht das Interesse des Mitbeteiligten an sozialer Integration, Vertrauen etc. Dencker 8 ist der Ansicht, bei der Interessenabwägung gemäß § 34 StGB dürften nur solche Interessen als "Eingriffsgut" ins Gewicht fallen und die Rechtfertigung gegebenenfalls ausschließen, die zu schützen Zweck der Norm sei, die bei Nichtrechtfertigung die Strafe begründet. Diese Beschränkung der gemäß § 34 StGB zu berücksichtigenden Umstände ist rechtsstaatlich plausibel, insofern damit die Unbestimmtheit des § 34 StGB eingegrenzt wird. Sie wird gestützt mit dem Hinweis, daß die beeinträchtigten Interessen, die im Hinblick auf den zu rechtfertigenden Normbruch außer acht bleiben sollen, berücksichtigt werden können im Zusammenhang einer eventuell vorhandenen anderen Norm, deren Zweck es entspricht, die genannten Interessen zu berücksichtigen. Konkret: Die Störung der sozialen Integration, der Vertrauensbruch etc. könnten berücksichtigt werden bei der Frage der Rechtfertigung des Bruchs einer Norm, die diese Interessen zu schützen bezweckt. Es ist jedoch nicht sicher, ob § 34 StGB eine solche Beschränkung der zu berücksichtigenden Interessen auf den Zweck der Deliktsnorm zuläßt. Dieser Zweck kann jedenfalls nicht alleiniger Maßstab dessen sein, was für die rechtferti gende Gegennorm relevant ist. Die Gegennorm bringt allemal Gesichtspunkte zur Geltung, die nicht in der Deliktsnorm reflektiert sind, modifiziert also stets deren Zweck. Es ist noch nicht im Zweck des Verbots der Körperverletzung impliziert, daß die Körperintegrität beeinträchtigt werden darf zum Schutz von Eigentum; erst u. a. § 32 StGB als Gegennorm läßt das zu. Er beschränkt die Verwirklichung des Zweckes der Deliktsnorm des § 223 StGB, und we~n man den Zweck der Gegennorm mit dem der Oeliktsnorm zusammen sieht, so erscheint der Zweck der Deliktsnorm notwendig verändert. Beispiel: A will Beine wertvolle Sache wegnehmen, was B verhindert, indem er A schlägt; im allgemeinen ist solche Körperverletzung gemäß § 32 StGB gerechtfertigt. Hatte aber A ein Recht auf die Sache, das die Wegnahme gemäß § 229 BGB berechtigte, so 8 JuS 1979, 779 f.; zustimmend H.L. Günther, Strafrechtswidrigkeit und Strafunrechtsausschluß, S. 104; anders Jakobs, Strafrecht AT, 13 /32; differenzierend Lenckner in Schönke / Schröder § 34 Rn 23.

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2. Teil: Rechtfertigung und Begründung der Deliktsprovokation

entHillt die Rechtfertigung des B; er wird wegen Körperverletzung bestraft, obgleich man sagen könnte, damit werde Grund der Strafe, daß B kein Recht auf die Sache zusteht und, dies zu berücksichtigen, widerspreche dem Zweck des § 223 StGB. Bejaht man gleichwohl die Strafbarkeit gemäß § 223 StGB, so ist nicht einzusehen, warum nicht auch der § 34 StGB durch Zwecke begrenzt werden können soll, die mit der jeweiligen Deliktsnorm nichts zu tun haben 9• Wenn Rechtfertigungsgründe mehr Umstände aus der sozialen Welt zur Geltung bringen, als die Tatbestände erfassen 10, so kommen solche zusätzlichen Umstände mittelbar - als Negationen - auch zur Geltung in der Versagung eines Rechtfertigungsgrundes, die das tatbestandliche Unwerturteil wieder in Kraft setzt. Welche zusätzlichen Umstände (als Begründung oder Begrenzung, sofern man das unterscheiden will), der Rechtfertigung relevant sind, ist dem Zweck der Gegennorm zu entnehmen. Im Zusammenhang der Konzeption des § 34 StGB bedeutet dies: Wenn jemandem gestattet ist, mit der Behebung der Not seines Rechtsguts einen unbeteiligten Dritten zu belasten, so muß auch diesem gestattet werden, seine Interessen an seinen Rechtsgütern dem in Not Befindlichen aufzudrängen und damit dessen Eingriffslegitimation zu relativieren. Daß dies nicht dem Zweck der Norm entspricht, aufgrund deren der in Not Befindliche dann u. U. bestraft wird, ist irrelevant. Der in Not Befindliche hat selbst ein Interesse geltend gemacht, das mit dem Zweck der Deliktsnorm nichts zu tun hat. Wenn jemand, um sich aus der Gefahr einer Körperverletzung zu befreien, die Sache eines unbeteiligten Dritten zerstört, so wird der Schutz des Eigentums des Dritten, der Normzweck des § 303 StGB also, aus Gründen eingeschränkt, die damit nichts zu tun haben. Der vom Zweck Geschützte hat nicht etwa durch einen Angriff gegen den in Not Befindlichen sein Eigentum aufs Spiel gesetzt. Im Rahmen der Abwägung sind also als berechtigte Interessen des von der Provokation Betroffenen die Interessen an Wahrung der sozialen Integration, an Vertrauen und an informationeller Selbstbestimmung zu berücksichtigen. Auch ihr Gewicht ist im Einzelfall konkret zu bestimmen. Welches Gewicht der Wahrung der sozialen Integration zukommt, kann rahmenmäßig der Strafzumessung entnommen werden. Diese zeigt, welches Maß an Normwidrigkeit mit Sicherheit geschehen sein muß, wenn jemandem die soziale Desintegration einer Verurtei9 Dencker nimmt mit der h. M. an (a.a.O., S. 780 f.), das Verschulden des Inhabers des Erhaltungsgutes am Zustandekommen der Kollisionslage mindere dessen berechtigtes Interesse, so daß ihm u. U. im Hinblick auf das Verschulden die Rechtfertigung versagt wird. Beispiel: Jemand hat sich verletzt; um eine Blutvergiftung zu verhindern, nimmt er eine wertvolle Sache eines Dritten in Anspruch und zerstört sie. Die Rechtfertigung dieses Eingriffs gemäß § 34 StGB ist u. U. dann ausgeschlossen, wenn der Eingreifende sich aus horrendem Leichtsinn selbst in die Gefahr der Körperverletzung gebracht hat. Dann wird er gemäß § 303 StGB bestraft, weil er mit seiner Gesundheit leichtsinnig umgegangen ist. 10 Vgl. Roxin, Kriminalpolitik und Strafrechtsreform, S. 24.

A. Rechtfertigung privater Provokationen gemäß § 34 StGB

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lung und einer Freiheitsstrafe zugemutet werden soll. Soll die entsprechende Desintegration qua Provokation im Hinblick auf künftige schädliche Ereignisse zugemutet werden, so muß deren Gewicht sehr viel größer sein als das der entsprechenden Tat bei der Strafzumessung, denn das künftige schädliche Ereignis ist mehr oder weniger ungewiß. Die Ungewißheit mindert im Rahmen der Abwägung gemäß § 34 StGB das negative Gewicht des drohenden schädlichen Ereignisses. Sie muß also durch die Schwere des drohenden Schadens "wesentlich" überkompensiert werden. Andererseits ist das ins Gewicht fallende Maß der von der Provokation ausgehenden desintegrierenden Wirkung umso geringer, je mehr der Provozierte zu der Entwicklung beigetragen hat. Bei der staatlichen Deliktsprovokation scheint der BGH 11 diesen Gesichtspunkt anzuerkennen, wenn er u. a. verlangt, einerseits das Maß der Tatneigung des Provozierten und die Intensität der Beeinflussung zu berücksichtigen, andererseits die Provokation nur beim Bevorstehen schwerer Kriminalität zulassen will. Das Maß des Vertrauensmißbrauchs richtet sich nach dem vom Provokateur in Anspruch genommenen Vertrauen auf das Ausbleiben von heimtückischer Schädigung. Der Eingriff in die infonnationelle Selbstbestimmung ist umso gewichtiger, je mehr der Provokateur seine Ausforschung verschleiert hat und dem Provozierten die Kontrolle über die infonnationellen Folgen seines Verhaltens entzogen hat. Insgesamt ist auf der Eingriffsseite der Provokation stets mindestens eine abstrakte Gefahr als Folge der provozierten Tat zu berücksichtigen sowie ein Mindestmaß an Beeinträchtigung in die genannten Interessen des Provozierten. Da gemäß § 34 StGB die geschützten Interessen die beeinträchtigten wesentlich überwiegen müssen, dürfte die Deliktsprovokation seitens Privater kaum je zu rechtfertigen sein zur Abwendung der Gefahren, die aus einfacher und mittlerer Kriminalität entstehen. Nachzutragen bleibt, daß durch die eventuelle Rechtfertigung einer Deliktsprovokation die provozierte Tat nicht gerechtfertigt wird. Daß die Rechtfertigung der Teilnahme von der der Tat getrennt werden kann, wurde oben im Zusammenhang der notwendigen Teilnahme gezeigt. Wenn es für den Provokateur keine andere Möglichkeit zur Rettung eines Rechtsguts gab als die Provokation, so war doch für den Provozierten die Tat nicht notwendiges Mittel zur Rettung eines Rechtsguts. Der von der provozierten Tat Betroffene darf sich also gegen diese wehren.

11 Vgl. BGH NJW 1980, 1761 f.; NJW 1981, 1626 f.; BGHSt 32, 345 (346 f.); deutlicher der 2. Senat: BGH StrVert 1985,309 (310 f.); NJW 1986, 1764.

20 Keller

306

2. Teil: Rechtfertigung und Begründung der Deliktsprovokation

VI. Probleme der Angemessenheit und Kommensurabilität des Mittels der Provokation Wenn ein belastendes Mittel als unangemessen bewertet wird, wird es der in

§ 34 StGB vorgesehenen Kompensation von Lasten durch Nutzen entzogen. Es

gilt als inkommensurabel l , nicht verrechenbar. Auch die von mehreren Autoren vertretene These, die in § 34 StGB vorgesehene Verrechnung setze voraus, daß die Güter einander zugeordnet sind 2, negiert implizit, daß alles als Mittel mit allem verrechnet werden kann. Die Nichtverrechenbarkeit der involvierten Interessen ist, wie erwähnt, Normalfall der Notwehrregelung: Der Träger des subjektiven Rechts mit seinen Interessen ist frei, selbstverantwortlich, inkommensurabel. Er kann sein im subjektiven Recht geschütztes Interesse prinzipiell ohne kommensurable Abstriche verteidigen. Der Angreifer, ebenso frei und selbstverantwortlich, hat die veranlaßten Folgen zu tragen. Zu der im subjektiven Recht enthaltenen Freiheit gehört Inkommensurabilität der Subjekte. Ein wichtiges Beispiel von Inkommensurabilität der Subjekte und ihrer Interessen ist der formale Rechtsstaat 3. Er wahrt Freiheit, subjektives Recht, Inkommensurabilität, indem die Legalität am äußeren Verhalten der einzelnen orientiert wird und subjektive Zwecke, Absichten, Interessen grundsätzlich außer Acht, inkommensurabel, frei bleiben. Max Weber 4 sah deshalb vor allem im formalen Beweisrecht, in der Trennung von staatlichen Zuständigkeiten und Gewaltenteilung eine Umsetzung des subjektivrechtlichen Ansatzes ins objektive Recht. Das subjektive Recht, der formale Rechtsstaat sind in der Tat vor allem gewahrt in den Formen des Verfahrensrechts, die das Verhältnis der Beteiligten unabhängig von ihren Absichten regeln, die frei sind. Dementsprechend wird neuerdings das Verfahrensrecht der in § 34 StGB vorgesehenen Verrechnung entzogen; seine Überschreitung sei ,unangemessen'5. Ob dies durchführbar ist, wird im folgenden (s. u. 4.) zu prüfen sein. Lenckner 6 meint, die Angemessenheitsklausel, in der die Inkommensurabilität thematisiert wird, habe keine eigenständige Bedeutung. Ihr möglicher Inhalt sei schon bei der Interessenabwägung zu berücksichtigen. In der Tat kann man auch als Prämisse der Abwägung der involvierten Interessen prüfen, ob sie einander kompensieren können. Mit der Angemessenheitsklausel weist das Gesetz auf diese Frage hin 7. 1 Stratenwerth, Strafrecht AT, Rn 454,464; Lüderssen, Zynismus, Borniertheit oder Sachzwang? In: V -Leute. Die Falle im Rechtsstaat, S. 21; Nachweise zur älteren Literatur bei Lenckner, Der rechtfertigende Notstand, S. 91. 2 Jescheck, Lehrbuch des Strafrechts, § 33 IV 3 b; Eser, Studienkurs Strafrecht I, Nr. 12 A 21; Bockelmann, JZ 1959,495 (498); anders Lenckner in Schönke / Schröder § 34 Rn 21. 3 Jakobs, Strafrecht AT, 13 /4,36. 4 Dazu oben 2. Teil A I Anm. 20. 5 Jakobs, a.a.O., 4/36 ff. 6 Lenckner in Schönke / Schröder § 34 Rn 46.

A. Rechtfertigung privater Provokationen gemäß § 34 StGB

307

Welcher Wert inkommensurabel sein soll, ist wenig geklärt s. Jedenfalls geht es nicht um ontologische Unmöglichkeiten von Wertungen, sondern darum, normativ der Verrechnung von Interessen einzelne zu entziehen. Deshalb ist auch die These fraglich, die Ziele der polizeilichen Deliktsprovokation seien derart weitläufig und unabsehbar, daß sie nicht überprüfbar, also nicht kommensurabel seien 9 • Die Vagheit kann jedoch bei der Bewertung berücksichtigt werden. - Behauptet wird auch, das Interesse an der Verhinderung von Straftaten und der Wert rechtsstaatlicher Sicherungen von Bürgerrechten - beide sind auch für die Bewertung der Provokation relevant - seien derart verschieden, daß das tertium comparationis fehle 10. Indessen muß jede vergleichende Bewertung verschiedener Gegenstände von deren qualitativen Differenzen abstrahieren. Solche Abstraktion ist für wertendes Denken theoretisch unbegrenzt möglich 11. Im Prozeßrecht werden Präventionsinteressen und der Wert von Verfahrenssicherungen kommensurabel gemacht und miteinander abgewogen. Daß dies zuweilen schwer nachvollziehbar ist und als Vergewaltigung der Qualitäten erscheint, wird wohl zumindest teilweise vom Gesetz in Kauf genommen. Als nicht kompensierbar wird z. B. die Überschreitung solcher Normen angesehen, denen eine besonders fundamentale Bedeutung zugemessen wird 12. Dieses Kriterium näher zu bestimmen, scheint allerdings wiederum nur durch eine vergleichende Bewertung möglich zu sein; die Feststellung der Inkommensurabilität implizierte also wiederum eine Abwägung, was die erwähnte Forderung Lenckners bestätigte, die Angemessenheit des Mittels sei methodisch korrekt im Rahmen der Abwägung zu prüfen. Andererseits ist bei aller Offenheit für Abwägungen, und auch wenn die Angemessenheitsklausel keinen eigenständigen Stellenwert haben sollte, nicht zu bezweifeln, daß es der Abwägung des § 34 StGB entzogene Regelungen geben muß. Dies sind einmal die rechtlichen Prämissen der Abwägung: Die Merkmale des § 34 StGB selbst. Daß etwa die Gegenwärtigkeit einer Gefahr fehlt oder das gefährdete Objekt kein Rechtsgut ist, kann nicht kompensiert werden durch ein wie auch immer überwiegendes Interesse am gefährdeten Objekt. Die Abwägung hat logische und rechtliche Voraussetzungen, die nicht ihrerseits durch Abwägung kompensiert werden können. Dementsprechend kann Grebing, GA 1979, 81 (93 ff.). Lenckner, Der rechtfertigende Notstand, S. 91, lehnt das Kriterium der Inkommensurabilität ab. Indessen erklärt er, a.a.O., S. 116, die Grundprinzipien der Rechtsordnung für nicht kompensierbar. 9 Lüderssen, a.a.O.; ders., Verbrechensprophylaxe durch Verbrechensprovokation. Dokumentation eines konkreten Falles, in: Denninger / Lüderssen (Hg.), Polizei und Strafprozeß, S. 255 (273). 10 Welp, Die strafprozessuale Überwachung des Post- und Femmeldeverkehrs, S. 169; zustimmend Lüderssen, Verbrechensprophylaxe, a.a.O. II Ebenso Lenckner, a.a.O., S. 91 f. 12 Vgl. Lenckner, a.a.O., S. 116 ff.; ders. in Schönke/ Schröder § 34 Rn 41,46. 7

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20'

308

2. Teil: Rechtfertigung und Begründung der Deliktsprovokation

auch das auf § 34 StGB bezogene, verfassungsmäßig geregelte Gesetzgebungsverfahren nicht Gegenstand der Abwägung sein. Wenn etwa das Parlament den § 34 StGB streicht, um die dort vorgesehene Abwägung zu beenden, so kann nicht um des Schutzes überwiegender Interessen willen die im Strafrecht "h. M." an ihr festhalten. In der Konsequenz dieses Ansatzes könnten die fundamentalen Regelungen, die nicht verrechenbar sein sollen, näher bestimmt werden als Regelungen, die den normativen Rahmen bilden, innerhalb dessen die in § 34 StGB vorgesehene Verrechnung des Verschiedenen überhaupt akzeptabel ist. Indessen kommt es vorliegend nicht auf eine allgemeine Interpretation des § 34 StGB an. Es genügt zu prüfen, ob einzelne von der Deliktsprovokation tangierte Regelungen kommensurabel sind.

1. Verbot, auf die Seite des Unrechts zu treten? Die Beeinträchtigung der Voraussetzungen der Rechtsgeltung und der Bewährung der Rechtsordnung soll nach Lenckner u. a. nicht gemäß § 34 StGB kompensiert und gerechtfertigt werden können. 13 Beispiel: Wenn B von A mit vorgehaltener Pistole gezwungen wurde, ein Fenster von C's Haus einzuschlagen, befand B sich im Notstand. Das von ihm beeinträchtigte Sachinteresse ist weniger wert als das gerettete Leben. Dennoch soll hier B's Eingriff nicht gemäß § 34 StGB gerechtfertigt werden, weil er sich "auf die Seite des Unrechts" gestellt, und damit die Rechtsordnung nicht bewährt, sondern preisgegeben habe. Damit wird ein von der quantitativen Werthöhe unterschiedener Umstand geltend gemacht. Daß die Voraussetzungen der Rechtsgeltung zu wahren sind, leitet Lenckner l4 denn auch explizit nicht aus deren quantitativer Werthöhe ab, sondern daraus, daß sie ein "Grundprinzip" seien, auf dem "unsere Rechtsordnung beruht" 15, d. h., daß sie eine Prämisse der in § 34 StGB vorgesehenen Kompensation seien, die nicht selbst der Kompensation zugänglich sein soll. Ob diese Argumentation stichhaltig ist, wird zu prüfen sein, denn danach könnte auch die Rechtfertigung der Provokation eines vollendeten Delikts ausgeschlossen werden. Indem der Provokateur einen anderen anstiftet oder ihm Hilfe leistet, stellt er sich auf die Seite des Unrechts der angestifteten oder unterstützten Tat. Zwar tut er dies nicht so intensiv wie im obigen Beispiel B, der die mittelbare Sachbeschädigung des A dadurch unterstützte, daß er selbst - nach h. M. als Täter 16 - das Fenster zerschlug. Aber diese Differenz dürfte nicht entscheidend sein. Der Provokateur bewirkt die Rechtsgutsverletzung zwar nicht selbst; er 13 Zum folgenden Lenckner, Der rechtfertigende Notstand, S. 117; ders. in Schönke / Schröder § 34 Rn 41; R. Lange, NJW 1978,784 (785). 14 In Schönke / Schröder § 34 Rn 40. 15 Der rechtfertigende Notstand, S. 116. 16 Vgl. Roxin in LK § 25 Rn 49.

A. Rechtfertigung privater Provokationen gemäß § 34 StGB

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folgt auch nicht wie B, der dem A nachgibt, der Intention des Täters. Der Provokateur trägt aber zu dessen Rechtsgutsverletzung bei. Für die h. M., die den Strafgrund der Teilnahme in der Rechtsgutsverletzung sieht, ist die Differenz also nur eine quantitative. Da auch der Teilnehmer sich gegen das Rechtsgut wendet, tritt er "auf die Seite des Unrechts". Die Unrechtsteilnahmelehre sieht gerade darin den Strafgrund der Teilnahme. Die Identifikation des Provokateurs mit dem Tatunrecht ist zudem besonders stark, weil er dazu nicht wie B gezwungen ist. Die Rechtfertigung der Provokation wäre nach Lenckner also ausgeschlossen. Der verbreitete Hinweis, das Ziel des Provokateurs sei es gerade, die Rechtsordnung zu schützen, indem er zur Einsperrung des verdächtigen Provozierten beiträgt, ist hier unerheblich, denn er betrifft das Ziel des Handeins. Hier aber geht es um die Frage, ob das Mittel für sich genommen eine nicht kompensierbare Beeinträchtigung enthält. Zudem ist die Version der Rechtsordnung, die der Provokateur schützen will, eine andere - sie nimmt auch unreine Mittel in Kauf - als die, die gewahrt würde mit dem nicht aufhebbaren Verbot, auf die Seite des Unrechts zu treten. Diese Rechtsordnung insistiert gerade auf der Reinheit der Mittel. -Fazit: Wenn auch die These vom Verbot, auf die Seite des Unrechts zu treten, nur für den Fall des Nötigungsnotstands vorgetragen wird, müßte sie doch auch für die Deliktsprovokation gelten und ausschließen, daß diese gemäß § 34 StGB gerechtfertigt wird. Die These läßt sich jedoch bestreiten. Sie intendiert, die Rechtsgeltung zu wahren, indem im Fall des genötigten B diesem verboten wird, der Nötigung zur Sachbeschädigung nachzugeben. Hätte die Nötigung Erfolg, so setzte sich der deliktische Wille des A in der Handlung des B durch und die Geltung des objektiven Rechts wäre angegriffen. Das soll nicht gebilligt, das Nachgeben des B also nicht gerechtfertigt werden. Aus der Wahrung der Rechtsgeltung läßt sich der Ausschluß der Rechtfertigung gemäß § 34 StGB jedoch nicht ableiten. Im Nötigungsnotstand des B ist die Rechtsgeltung nämlich auch dann beeinträchtigt, wenn B der Nötigung nicht nachgibt. Folgende Reaktionsweisen des B sind denkbar: (1.) Abwehr der Nötigung; ist dies möglich, so ist das Nachgeben gegenüber der Nötigung nicht erforderlich und die Rechtfertigung des Nachgebens gemäß § 34 StGB in der Tat ausgeschlossen. Davon kann jedoch abgesehen werden, denn der von Lenckner u. a. geforderte Ausschluß der Rechtswidrigkeit soll nicht auf den Fall möglicher Abwehr beschränkt werden. Ist die Abwehr unmöglich, so kann B entweder (2.) die Nötigung im Versuchsstadium blockieren und in Kauf nehmen, von A erschossen zu werden, oder (3.) selbst die Sachbeschädigung begehen. Tut er letzteres nicht und wird erschossen, so ist die Rechtsgeltung wesentlich mehr beeinträchtigt, als wenn die Nötigung vollendet und die Sachbeschädigung begangen worden wäre. Die Alternative ,Erschossenwerden oder Sachbeschädigungsbegehen' ist dem B zur freien Wahl gestellt. Aber beide Möglichkeiten entsprechen dem deliktischen Willen des A. Welche Alter-

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2. Teil: Rechtfertigung und Begründung der Deliktsprovokation

native B auch wählt, er stellt sich allemal auf die Seite des Unrechts - auch wenn er sich erschießen läßt. Allerdings läßt B dies nicht (in einem weiten Sinn) freiwillig zu; aber auch die Sachbeschädigung beginge er nicht in diesem Sinne freiwillig. Fazit: B steht ex ante unausweichlich auf der Seite des Unrechts. Auch ist die Rechtsgeltung ex ante unausweichlich beeinträchtigt. Das Verbot, der Nötigung nachzugehen, wahrte die Rechtsgeltung nicht, sondern führte, würde es von B befolgt, ex ante zu stärkerer Rechtsgeltungsbeeinträchtigung. Tatsächlich geht es bei dem, was als Verbot, auf die Seite des Unrechts zu treten, vorgestellt wird, nicht um die Wahrung der Rechtsgeltung, sondern darum, die materiellen Kosten der Beeinträchtigung der Rechtsgeltung nicht auf Dritte, hier den Eigentümer der zu beschädigenden Sache, zu verlagern. Die Frage der Verteilung der Lasten ist aber gerade in § 34 StGB geregelt, und die Verlagerung der Lasten auf Dritte ist zugelassen, wenn sie dort wesentlich geringer anfallen, Nur wenn der von der Notlage Betroffene in einem Verhältnis steht, kraft dessen er verpflichtet ist, besondere Lasten, d. h. Risiken für eigene Rechtsgüter auf sich zu nehmen, ist ihm die Verlagerung der Lasten auf Dritte verboten. Die Lasten der Beeinträchtigung speziell durch deliktisches Handeln auf Dritte zu verlagern, ist u. U. Polizei beamten verboten. Die Verallgemeinerung des Verbots, deliktischen Nötigungen zulasten Dritter nachzugehen, liefe auf eine Art Verpolizeilichung aller Bürger hinaus. Allerdings entspricht es auch dem erwähnten Prinzip der Selbstverantwortung und Freiheit, daß jeder die Risiken seiner Rechtsgüter selbst trägt. Aber dieses Prinzip ist durch § 34 StGB ohnehin zurückgedrängt, und mit der These vom Verbot, auf die Seite des Unrechts zu treten, soll es auch nicht allgemein gegen § 34 StGB restituiert werden. Warum gerade bei kriminellen Belastungen der Rechtsgüter des einzelnen die Solidarisierung der anderen nicht zulässig sein soll, ist vom Handeln besonders Verpflichteter abgesehen nicht einzusehen 17. Die Beeinträchtigung der Rechtsgeltung würde dadurch im Einzelfall nicht beseitigt. Das an alle gerichtete Verbot, auf die Seite des Unrechts zu treten, verwischt die Differenz von privatem und staatlichem Handeln noch in anderer Hinsicht. Rechtsstaatliches Handeln der Staatsorgane ist Vollzug des Rechts (Art. 20 Abs. 3 17 Angesichts der Strenge, mit der im Nötigungsnotstand den Bürgern die materiale Gerechtigkeit des § 34 StGB versagt wird, erscheint es merkwürdig, daß z. T. von denselben Autoren dem Staat, der prinzipiell nur mit formalrechtlicher Begründung der Verfassung entspricht, die informale, materiale Gerechtigkeit des § 34 StGB im Nötigungsnotstand zugestanden wird (krit. dazu Günther, Strafrechtswidrigkeit und Strafunrechtsausschluß, S. 335 Anm. 51; Jakobs, Strafrecht AT, 13 /14 Anm. 31) und darüber hinaus das Erfordernis spezialgesetzlicher Begründung staatlicher Eingriffe durch den materialen § 34 StGB suspendiert wird (Lenckner in Schönke / Schröder § 34 Rn 7, 41; R. Lange, NJW 1978, 784). Eine Konzeption dafür ist immerhin denkbar: Auflösung der rechtsstaatlichen Trennung von Gesellschaft und Staat. Deshalb werden die Bürger sonderpflichtigen Beamten angenähert, die dem Unrecht entgegenzutreten haben, und der Staat erhält bürgerliche Befugnisse.

A. Rechtfertigung privater Provokationen gemäß § 34 StGB

311

GG). Es wird vom Recht nicht nur äußerlich begrenzt, sondern ist davon motiviert, realisiert das Recht, ist dessen praktische Seite. Deshalb ist rechtsstaatliches Handeln normativ, erklärt stets auch, was allgemein sein soll. Das Verbot, an die Seite des Unrechts zu treten, ist schon in der Logik des rechtsstaatlichen Handeins selber impliziert. Durch normative Identifikation mit dem Tatunrecht geriete das rechtsstaatliehe Handeln in Widerspruch zu sich selbst. Ob dies gemäß § 34 StGB kompensiert werden kann, wird später geprüft. Das Handeln von Bürgern hingegen ist frei, wird vom Recht im allgemeinen (von Sonderpflichtverhältnissen abgesehen) nur äußerlich begrenzt, bedarf keiner Begründung 17a. Wegen dieser Freiheit stellt sich die Frage, an wessen Seite Bürger normativ treten, nur, soweit dies in gesetzlichen Tatbeständen für erheblich erklärt ist. Dann aber kann eine negative normative Wirkung u. U. gemäß § 34 StGB kompensiert werden, und die Freiheit als Grundlage bürgerlichen Handeins kommt wieder zum Tragen. Ist das Verbot, an die Seite des Unrechts zu treten, aus der Systematik des § 34 StGB nicht zu erklären 18, so könnte es doch aus dem Strafgrund der Teilnahme zu begründen sein. Es könnte der Version der Unrechtsteilnahmelehre entsprechen, die das Unrecht der Teilnahme erklärt mit der Annahme, der Teilnehmer habe sozial Ärger gemacht 19. Damit wird auf die normative Seite der Teilnahmehandlung abgestellt. Das läßt sich näher dahin bestimmen, daß der Teilnehmer sich normativ auf die Seite des Täters gestellt hat. Was gegen diese Version der Unrechtsteilnahmelehre einzuwenden ist, wurde oben dargestellt. Aber auch wenn man sie akzeptiert, wird die Teilnahme nicht zu einem generell unangemessenen Mittel i. S. des § 34 StGB. Vielmehr kann dann der Unwert der Unrechtsteilnahme wie grundsätzlich jeder andere deliktische Unwert durch positive überwiegende Ziele gemäß § 34 StGB kompensiert werden. - Nach allem ist aus einem Verbot, auf die Seite des Unrechts zu treten, nicht abzuleiten, daß die Provokation von vollendeten Delikten unangemessen i. S. des § 34 StGB sei.

2. Unzuständigkeit Privater beim Schutz von Kollektivrechtsgütern? Da die Sicherheit der Volksgesundheit ein Kollektivrechtsgut ist, steht sie dem Provokateur nicht wie sein Eigentum zu, über das er verfügen, und das er in Notsituationen auch mit Gewalt schützen dürfte. Es läßt sich bezweifeln, ob der Provokateur als Privater zuständig ist, das Kollektivrechtsgut gemäß § 34 StGB zu schützen. Die Unzuständigkeit des Privaten könnte sein Eingreifen 17a Zur Differenz von rechtsstaatlichem Handeln der Staatsorgane i. S. des Art. 20 Abs. 3 GG und privatem Handeln s. o. 1. Teil A vor und zu I sowie unten 2. Teil D 11

2.

18 Im Ergebnis ebenso Schmidhäuser, Strafrecht AT, 9 /69; Samson in SK StGB 3 34 Rn 8; Jakobs, Strafrecht AT, 13 /14; Krey, Jura 1979,316 (321). 19 s. o. 1. Teil E I 2 b.

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2. Teil: Rechtfertigung und Begründung der Deliktsprovokation

zugunsten des Kollektivrechtsguts unangemessen machen 20, denn die Zuständigkeit gehört zum rechtlich geordneten Verfahren, dessen Umgehung im Notstand nach verbreiteter Meinung unangemessen ist 21 • Dieses Problem ist zu unterscheiden von der weitgehend anerkannten Pflicht der Privaten, in Notlagen Eingriffe zu unterlassen, wenn hoheitliche Hilfe bereitsteht 22. Das betrifft den Schutz von allen, nicht nur Kollektivrechtsgütern und dient dazu, allgemein die ungeordnete private Gewaltanwendung auf das erforderliche Maß zu begrenzen. Die Unzuständigkeit könnte dazu führen, daß private Eingriffe zugunsten eines Kollektivrechtsguts ganz ausgeschlossen sind, weil Private sich in die Verfügung über dieses Rechtsgut nicht einmischen sollen. Dem stünde nicht entgegen, daß nach § 34 StGB im Notstand auch die Rechtsgüter Dritter geschützt werden dürfen. Denn diese Nothilfe ist nach allgemeiner Ansicht nur zulässig, wenn sie dem wirklichen oder mutmaßlichen Willen des Rechtsgutinhabers entspricht. Eine Begrenzung der Zuständigkeit hinsichtlich des Schutzes von Kollektivrechtsgütern könnte verstanden werden als allgemein formuliertes Verbot an Dritte, zugunsten des Rechtsguts einzugreifen, etwa weil es allein von den kompetenten Behörden geschützt werden soll. Die Frage, ob Private zum Schutz von Kollektivrechtsgütern zuständig sind, ist auch noch nicht dadurch beantwortet, daß oben dargetan wurde, zu den Rechtsgütern des § 34 StGB gehörten auch die Kollektivrechtsgüter. Denn das betraf nur die Konzeption des § 34 StGB, die zwischen Individual- und Kollektivrechtsgütern nicht unterscheidet. Hier ist nun zu klären, ob der öffentlichrechtliche Regelungszusammenhang aller oder einzelner Kollektivrechtsgüter deren Schutz durch Private zuläßt 23. Jakobs 24 bringt insofern eine genaue Festlegung: Zum Schutz von Kollektivrechtsgütern seien Behörden, nicht Private, zuständig, aber wenn im Notfall Private in die behördliche Schutzzuständigkeit übergriffen, könne dies im Rahmen der Abwägung des § 34 StGB durch den Schutz überwiegender Interessen kompensiert werden. Die Abwehr abstrakter Gefahren rechtfertige den Zuständigkeitsverstoß aber nicht. - Offen bleibt einmal, warum die Durchbrechung der Zuständigkeit nicht strikt zur Unangemessenheit führt, wenn zugleich die Vernachlässigung vorrangiger geordneter Verfahren des Rechtsgüterschutzes den 20 So Seelmann, ZStW 95 (1983), 797 (809); Haas, Notwehr und Nothilfe, S. 313 f.; offengelassen bei Samson in SK StGB § 34 Rn 3b, 22; Jakobs, Strafrecht AT, 13 /11, 12/7 ff., hält Private für generell unzuständig; die Durchbrechung der Zuständigkeitsgrenze könne aber durch überwiegende Interessen kompensiert werden und sei also nicht unangemessen. 21 Jakobs, a.a.O., 13 / 36; Samson, a.a.O.; differenzierend Lenckner in Schönke / Schröder § 34 Rn 10, 41. 22 Lenckner, a.a.O., § 32 Rn 41; Jescheck, Lehrbuch des Strafrechts, § 33 IV 3 d. 23 Parallele: Die Feststellung, daß jedes Eigentum in Notwehr verteidigt werden darf, besagt noch nicht, daß dies auch Dritte gegen den Willen des Eigentümers dürfen. 24 Strafrecht AT, 13/11, 12/7 ff.

A. Rechtfertigung privater Provokationen gemäß § 34 StGB

313

Eingriff unangemessen i. S. des § 34 StGB machen, also nicht kompensierbar sein so1l25. Offen ist weiter, warum die Einmischung des Privaten in die angebliche behördliche Zuständigkeit nicht wie bei aufgedrängter Nothilfe stets zur Rechtswidrigkeit des Eingriffs führt. Schließlich läßt sich vertreten, daß das Maß des Schutzes, das der Private als Nothelfer leisten darf, ebenso beschränkt sein müsse wie das Maß des Schutzes, das die angeblich allein zuständige Behörde leisten darf, denn allgemein dürfen Nothelfer nicht intensiver eingreifen, als es den Inhabern des geschützten Rechtsguts gestattet ist 26 . Zuständig zum Schutz eines Gutes ist zunächst dessen Inhaber, der darüber wie über sein Eigentum verfügen kann. Private Bürger sind als einzelne nicht Inhaber von Kollektivrechtsgütern wie der Sicherheit der Volksgesundheit. Denn diese Sicherheit realisiert sich im sozialen Verkehr. An ihr sind potentiell alle interessiert. Sie ist ein öffentliches Gut. Ihr Inhaber ist die Gesamtheit, die dementsprechend durch parlamentarische Gesetze öffentliche Einrichtungen und Maßnahmen zum Schutz dieser Sicherheit angeordnet hat. Die aufgrund des BtMG eingerichteten und handelnden Behörden, vor allem das Bundesgesundheitsamt (§ 19 BtMG), sind deshalb zuständig für den Schutz des öffentlichen Gutes der Sicherheit der Volksgesundheit. Allerdings sind die Behörden nicht verfügungsbefugt wie Eigentümer. Ihre Zuständigkeit hat nicht die gleiche Bedeutung wie die von Eigentümern. Ob auch die einzelnen Bürger gemäß § 34 StGB das Rechtsgut ,Volksgesundheit' - als das eines anderen i. S. des § 34 StGB - schützen können, hängt davon ab, ob die den öffentlichen Behörden zugewiesene Zuständigkeit eine im Verhältnis zu privaten Bürgern ausschließliche ist. Dabei geht es nicht um den Fall, daß ein Bürger in den Bestand oder die Tätigkeit einer Behörde eingreift, was zweifellos unzulässig ist, sondern um eine Tätigkeit, die (auch) eine Behörde ausführen könnte, weil sie dafür zuständig ist. Im Verhältnis der Behörden untereinander schließt eine Kompetenzzuweisung an die eine Behörde die andere aus, denn jede Behörde darf nur die Kompetenz wahrnehmen, die ihr zugewiesen ist. Durch die Kompetenztrennung wird einerseits die Macht der einzelnen Behörde begrenzt, andererseits verhindert, daß die Arbeit der zuständigen Behörde durch inkompetente Einmischungen einer anderen gestört und so das rechtlich geordnete Verfahren mehr oder weniger umgangen wird. Der zweite Gesichtspunkt könnte auch das Handeln von Bürgern in einem behördlichen Kompetenzbereich ausschließen. Der erste, die Machtbegrenzung, trifft hinsichtlich des Handeins von Bürgern nicht zu, denn, daß sie sich um alle öffentlichen Angelegenheiten aktiv kümmern, ist in einer Demokratie erwünscht. Ihre Macht bedarf nach der Verfassung auch nicht derselben Begrenzung wie 25 A.a.O., 13 /36 ff. 26 Dazu unten 2. Teil A VI 3.

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2. Teil: Rechtfertigung und Begründung der Deliktsprovokation

die des Staatsapparates, der mit seiner umfassenden bürokratischen Organisation nach Einschätzung der Verfassung gefährlich ist; nur gemäß spezifizierter Gesetze wird er als handlungsfähig anerkannt. Die Bürger hingegen werden als Individuen bestimmt, die frei sind, im Rahmen der Gesetze allkompetent und damit auch zu öffentlichem Handeln berufen. Diese Erwägung ist für die Frage, ob eine staatliche Kompetenz bürgerliches Handeln ausschließt, nach der im öffentlichen Recht herrs~henden Meinung entscheidend: Wenn der Polizei die Zuständigkeit der Gefahrenabwehr zugewiesen ist, so ist sie dafür verantwortlich; die Gefahrenabwehr ist ihr aber nicht vorbehalten 27 • Daß infolgedessen die öffentlichen Rechtsgüter u. U. ungleichmäßig geschützt werden, wird in Kauf genommen. Diese Lösung ist auch angemessen. Gegenwärtig sind annähernd alle Bereiche sozialen Lebens zugleich Gegenstand von Verwaltung. Dennoch ist damit bürgerliches Handeln nicht ausgeschlossen und darf im Hinblick auf die Grundrechte der Bürger nicht ausgeschlossen werden. Dies gilt auch hinsichtlich der Sicherheit der Volksgesundheit. Zwischenergebnis ist also: Wenn ein Rechtsgut der Allgemeinheit zusteht, so mag, was zu seinem Schutz unternommen wird, als "genuin öffentliches Handeln" klassifiziert werden 28; das Handeln von privaten Bürgern ist mit dieser Einstufung jedenfalls nicht ausgeschlossen. Anders könnte es sich mit den Handlungen verhalten, die öffentliche Rechtsgüter mit Zwang schützen. Zwang ist eine Hoheitsbefugnis, die in der Tat der Verwaltung vorbehalten ist. Deshalb meinen Jakobs u. a. 29, für den zwangsweisen Schutz von öffentlichen Rechtsgütern sei in der Regel allein die Verwaltung zuständig. Das trifft zu, aber nicht nur hinsichtlich des zwangsweisen Schutzes von öffentlichen Rechtsgütern. Der Schutz aller, auch privater Rechtsgüter gehört zur öffentlichen Ordnung, für deren zwangsweisen Schutz die Polizei in der Regel allein zuständig ist. Wenn nun hinsichtlich des zwangsweisen Schutzes privater Rechtsgüter die Ausschließlichkeit polizeilicher Zuständigkeit in Notfällen aufgehoben wird und Bürger gemäß § 34 StGB Zwang anwenden dürfen, so ist nicht ohne weiteres erkennbar, warum dies hinsichtlich öffentlicher Güter anders sein sollte. Daß das bürgerliche Handeln hier in direkte Konkurrenz zu polizeilichem Handeln tritt 30 , ist keine Besonderheit des Schutzes öffentlicher Güter und begründet die Differenzierung nicht 31 • - Fazit: Das Kriterium der Unzuständigkeit erklärt nicht, was es erklären soll: daß beim Schutz öffentlicher Güter die Privaten weniger sollen eingreifen dürfen als beim Schutz von Individualrechtsgütern. Vogel in Drews I Wacke I Vogel! Martens, Gefahrenabwehr, 1. Bd. S. 23. Jakobs, Strafrecht AT, 12!7. 29 A.a.O.; ebenso Lenckner in Schönke I Schröder § 34 Rn 10. 30 Jakobs, a.a.O. 31 Auch Hoffmann-Riem, ZRP 1977,277 (282 f.), auf den Jakobs sich bezieht, fordert eine Restriktion organisierter Notwehr nicht spezifisch beim Schutz öffentlicher, sondern aller Rechtsgüter. 27

28

A. Rechtfertigung privater Provokationen gemäß § 34 StGB

315

In der Literatur wird die These vertreten, die Befugnis der Bürger zur Gewaltanwendung in Notwehr sei aus dem objektiven staatlichen Recht, welches die Gewalt beim Staat monopolisiert habe, abgeleiteP2. Die Notwehr wird damit objektivrechtlich gedeutet. Was dagegen einzuwenden ist, wurde oben gezeigt. Die These von der aus dem objektiven Recht abgeleiteten Gewaltbefugnis könnte aber hinsichtlich der Notstandsbefugnis der Bürger angemessen sein, weil, wie gezeigt, die Notstandsregelung die objektive staatliche Gerechtigkeit realisiert. Der im Notstand eingreifende Private wäre dann Beliehener oder Verwaltungshelfer. Akzeptiert man diese Konzeption, so folgt daraus jedoch wiederum nicht, daß Private für den gewaltsamen Schutz von Kollektivrechtsgütern weniger Zuständigkeit hätten als für den Schutz von Individualrechtsgütern, denn die Befugnis der Privaten zur Notstandsgewalt wäre in beiden Fällen eine abgeleitete. Nicht zu bestreiten ist, daß die Möglichkeiten zur Zwangsanwendung, die die Behörden beim Schutz öffentlicher Güter haben, gesetzlich detailliert geordnet sind und den Schutzgütern und den vom Zwangseingriff Betroffenen mehr Gleichbehandlung und Beteiligung gewähren als das freie und unprofessionelle Handeln der Bürger. Deshalb spricht einiges dafür, daß das rechtlich geordnete Verfahren der Behörden gegenüber dem Notstandseingriffvon Bürgern vorrangig ist. Das ist aber kein Problem speziell der Unzuständigkeit der Bürger. Die Zuständigkeit gehört zur rechtlichen Ordnung von Verfahren, aber nicht nur sie. Der hier relevante Aspekt des eventuellen Vorrangs geordneter Verfahren wird beim Schutz von Individualrechtsgütern prinzipiell in gleicher Weise relevant wie beim Schutz öffentlicher Güter. Fazit: Der Notstandseingriff von Bürgern ist beim Schutz öffentlicher Güter nicht mangels Zuständigkeit unangemessen. Die Vorstellung, die Privaten hätten im Notstand gerade für den Schutz öffentlicher Güter keine Zuständigkeit, vermischt die Bedeutungen der Zuständigkeiten für öffentliche Güter. Die Zuständigkeit einer bestimmten Behörde, z. B. des Bundesgesundheitsamts, für das öffentliche Gut gewaltlos zu sorgen, verdrängt das Engagement von Privaten nicht. Die Zuständigkeit der Polizei zum gewaltsamen Schutz bezieht sich sowohl auf öffentliche wie auf private Güter. Diese Zuständigkeit verdrängt allerdings in der Regel die Zuständigkeit der Bürger zu gewaltsamem Schutz. Aber das gilt hinsichtlich öffentlicher wie privater Güter, und wenn § 34 StGB den Bürgern ausnahmsweise doch den gewaltsamen Schutz von Gütern gestattet, so dürfte dies ebenfalls für öffentliche wie für private Güter gelten.

3. Begrenzung privater Nothilfe gemäß den staatlichen Befugnissen Denkbar ist, daß Notstandsmaßnahmen Privater, wenn sie zum Schutz von Rechtsgütern der Allgemeinheit geleistet werden, begrenzt sind entsprechend 32 Merten, Rechtsstaat und Gewaltmonopol, S. 56 f.; ähnlich Schmidhäuser. Strafrecht

AT. 9/86.

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2. Teil: Rechtfertigung und Begründung der Deliktsprovokation

der Begrenzung von staatlichen Befugnissen. Zu diesen aber gehört, wie später zu zeigen ist, die Deliktsprovokation nicht. Der einzelne Bürger, der das Rechtsgut der Sicherheit der Volksgesundheit schützt, ist nicht Inhaber dieses Rechtsguts. Er leistet Nothilfe. Die Befugnisse des Nothelfers können nicht unabhängig von denen des Inhabers des Rechtsguts bestimmt werden. Nimmt man beispielsweise mit der Rechtsprechung 33 an, daß gegenüber Angriffen von Familienangehörigen der Betroffene weniger Verteidigungsbefugnisse hat als gegenüber Angriffen sonstiger Menschen, so liegt es nahe, daß bei innerfamiliären Konflikten ein Außenstehender den Betroffenen gegen dessen Angehörige nicht intensiver verteidigen darf, als der Betroffene es selber dürfte. Die mit dem Rechtsgut verbundene Verteidigungsbefugnis ist begrenzt. Wenn der Verteidiger nicht Inhaber des Rechtsguts ist, ändert sich daran nichts, denn der sachliche Grund der innerfamiliären Notwehrbeschränkungen (so sie gelten) - besondere Gegenseitigkeit und Rücksichtnahme - relativiert die Rechtsgüter der Familienmitglieder. Das wirkt sich auch dann aus, wenn das Rechtsgut von einern Außenstehenden in Nothilfe verteidigt wird. Analog könnte man hinsichtlich der Nothilfe Privater für öffentliche Güter argumentieren: Das Maß an Schutz, das der private Nothelfer für sie leisten darf, darf nicht hinausgehen über das Maß an Schutz, das die zuständigen Behörden für das Gut leisten dürfen. Allerdings ist die für das öffentliche Gut zuständige Behörde (z. B. das Bundesgesundheitsamt) wie gezeigt nicht derart Inhaber des Gutes wie ein Privater rechtlich als "Inhaber" seines Rechtsguts der Körperintegrität gilt. Das unterscheidet die zuständige Behörde von dem Betroffenen im Fall des Familienstreites. Aus den Befugnissen der zuständigen Behörde sind die Befugnisse des Privaten nicht abgeleitet. Daher müssen sie auch nicht wie die Befugnisse der zuständigen Behörde begrenzt sein. Zu erwägen bleibt, daß die Befugnisse des Privaten zum Notstandseingriff beschränkt sind wie die der Polizei, sofern angenommen wird, die Notstandsbefugnisse seien aus dem staatlichen Gewaltmonopol abgeleitet. Dann müßte jedoch jeder Notstandseingriff von Privaten, auch der zum Schutz von Individualrechtsgütern durchgeführte, auf das Maß dessen beschränkt sein, was der Polizei an Eingriffsbefugnis zugewiesen ist. Das wird, soweit ersichtlich, nirgends angenommen. Also kann es auch beim Schutz öffentlicher Güter nicht gelten. Daß die Notstandsbefugnisse der Privaten nicht entsprechend den polizeilichen Befugnissen bestimmt werden, ist auch sachlich begründet. Die polizeilichen Befugnisse sind nicht speziell wegen der Eigenart des von ihnen geschützten Rechtsguts (z. B. der Volksgesundheit) begrenzt. Die Deliktsprovokation z. B. ist dem Staat aus Gründen verboten, die jedes staatliche Handeln, nicht nur den staatlichen Schutz öffentlicher Güter binden. Sie betreffen die Besonderheit jedes 33

Nachweise bei Lenckner in Schönke / Schröder § 32 Rn 53.

A. Rechtfertigung privater Provokationen gemäß § 34 StGB

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staatlichen HandeIns, die Gesetzes-, insbesondere Grundrechtsbindung. Deshalb lassen sich die Grenzen polizeilicher Eingriffe nicht wie im Fall des Familienkonflikts auf den privaten Nothelfer übertragen. Grund dieser Übertragung ist wie gezeigt, daß die Grenzen der Schutzbefugnis sich aus der Spezifik des zu schützenden Rechtsguts ergeben. Das ist hinsichtlich der Grenzen polizeilichen Handelns nicht der Fall.

4. Vorrang rechtlich geordneter Verfahren In Konstellationen wie dem in Abschnitt ,Erforderlichkeit' dargestellten Fall 34 - gegenwärtige Gefahr für die Volksgesundheit, polizeiliche Ermittlungen finden erfolglos statt, ein Privater greift mittels Deliktsprovokation auf eigene Faust erfolgreich ein - wird der von einer verbreiteten Ansicht vertretene Vorrang rechtlich geordneter Verfahren 35 nur selten erörtert. Das polizeiliche Verfahren erscheint nicht als rechtlich geordnete Alternative unvermittelten bürgerlichen Eingreifens. Im Grenzbereich zwischen bürgerlichem und polizeilichem Handeln orientiert man sich am Kriterium ,nicht anders abwendbar', welches aber nicht notwendig die rechtsstaatlichen Vorzüge geordneter Verfahren reflektiert. Das hat Folgen. Wenn die Polizei nicht effektiv, weil abwesend und nicht erreichbar ist, darf der Bürger handeln. Nach dem Kriterium ,Vorrang rechtlich geordneter Verfahren' müßte er sich eventuell zurückhalten. Die konkrete polizeiliche Gefahrenabwehr ist ein rechtlich geordnetes Verfahren, das im jeweiligen Fall auf denselben Zweck gerichtet wäre wie der Notstandseingriff des Bürgers. Zwar werden im Ausgangsfall die Polizei und die Staatsanwaltschaft auch zu einem anderen Zweck, dem der Strafverfolgung, ermitteln. Das polizeiliche Handeln ist aber auch auf Gefahrenabwehr gerichtet. Allerdings wird das polizeiliche Verfahren nicht mit der gleichen Beteiligung von interessierten Bürgern betrieben wie etwa der Zivilprozeß. Das schließt jedoch nicht aus, den Vorrang polizeilichen Verfahrens anzunehmen. Der Vorrang rechtlich geordneter Verfahren soll die im Vergleich zum unvermittelten Eingriff von Bürgern größere Rationalität solcher Verfahren zur Wirkung bringen. Dieses Ziel wird auch erreicht, wenn der Interessent nicht als Kläger, Antragsteller o. ä. beteiligt ist. Auch eventuelles Ermessen der Polizei steht nicht entgegen, denn es muß pflichtgemäß ausgeübt werden. Daß das Verfahren zuweilen, wie im Ausgangsfall, nur mit Verzögerung oder gar nicht zum positiven Erfolg führt, dürfte dessen Vorrang, wenn er denn gelten soll, ebenfalls nicht unbedingt entgegenstehen. Denn faktische Hemmnisse, Umständlichkeiten, Verzögerungen, falsche Ergebnisse sind latent jedem geordneten Verfahren immanent. Im Strafprozeßrecht wird denn auch dem von falscher Verurteilung Bedroho. 2. Teil A IV. Jescheck, Lehrbuch des Strafrechts, § 33 IV 3 d; Jakobs, Strafrecht AT, 11 /7, 13 /4,36 ff.; Samson in SK StGB § 34 Rn 41; vgl. auch Grebing, GA 1979, 81 (95 ff.). 34 S. 35

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2. Teil: Rechtfertigung und Begründung der Deliktsprovokation

ten versagt, sich mit Notstandseingriffen im Verfahren zu schützen 36. Warum sollte dann nicht auch der an Gefahrenabwehr im Drogenbereich engagierte Bürger des Ausgangsfalles auf das polizeiliche Verfahren verwiesen werden, auch wenn es erfolglos ist? Und wenn Erpresser einen Bürger an unbekanntem Ort gefangenhalten, die Ermittlungen der Polizei laufen, aber erfolglos bleiben, so dürfte eventuell der Freund des Gefangenen, der diesen aufgespürt hat, ihn nicht bei einmalig günstiger Gelegenheit mit Notstandseingriffen befreien. Kriterium des Vorrangs von geordneten Verfahren soll sein, daß der jeweilige Fall geregelt ist. Die dargestellten Fälle von Gefahrenabwehr sind in den Polizeigesetzen geregelt. Folge des Vorrangs soll sein, daß der Notstandseingriff unangemessen ist. Die Durchbrechung vorrangiger Verfahren soll durch keinerlei überwiegende Interessen kompensiert werden können. Das Problem ist für die Deliktsprovokation wichtig, weil auch Fälle, die nicht im Grenzbereich zum polizeilichen Handeln liegen, vom Vorrang erfaßt sein könnten. Beispiel: In einem Zivilprozeß beschafft sich der Kläger Beweise mittels Deliktsprovokation, um den Verlust seines Herausgabeanspruchs abzuwenden.

a) Strikter oder relativer Vorrang von Verfahren In der Literatur wird z. T. ein strikter Vorrang von rechtlich geordneten Verfahren gefordert 37 . Die Rechtsprechung erkennt die besondere Bedeutung von Verfahren an, handhabt deren Vorrang aber nicht strikt. "In besonderen Fällen" wird zugelassen, daß durch Notstandseingriff Zwecke verfolgt werden, die auch, wenn auch vielleicht erfolglos, im Verfahren zu verfolgen wären 38 . Im Ergebnis läuft das wohl darauf hinaus, daß der Vorrang mit gegenläufigen Interessen abgewogen, seine Durchbrechung also u. U. kompensierbar wird. Daß in Notlagen gegenüber dem unvermittelten, wenig gebundenen Eingriff von Bürgern das rechtlich geordnete Verfahren von Staatsorganen diverse Vorteile hat - Gleichmäßigkeit, Professionalität, Mäßigung, zuverlässigere Rechtsbindung - muß nicht weiter begründet werden. Deshalb hat das rechtlich geordnete Verfahren zumindest relativen Vorrang. Das bestreitet soweit ersichtlich niemand. Fraglich ist, ob der Vorrang so strikt gilt, wie in der Literatur zuweilen gefordert wird. Es liegt nahe, dies zu begründen aus dem staatlichen Gewaltmonopol39, das gesetzlich festgelegt ist, indem den Privaten Tötung, Körperverletzung u. a. schädliche Verhaltenweisen verboten und den staatlichen Behörden in den Gesetzen über den unmittelbaren Zwang erlaubt und detailliert rechtlich geordnet sind. 36 37 38 39

H. M., vgl. Lenckner in Schönke / Schröder § 34 Rn 41. Lenckner, a.a.O.; Samson in SK StGB § 34 Rn 3b, 22. OLG Frankfurt NIW 1979, 1172. So Lenckner in Schönke / Schröder § 32 Rn 7 zur Beschränkung der Notwehr.

A. Rechtfertigung privater Provokationen gemäß § 34 StGB

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Der Vorrang rechtlich geordneter staatlicher Verfahren gegenüber privaten Notrechten könnte verstanden und begründet werden als Konkretisierung des Gewaltmonopols. Eine solche Argumentation wäre indes tautologisch, denn die Notrechte der §§ 32, 34 StGB sind gerade eine Durchbrechung des ansonsten unbegrenzt geltenden staatlichen Gewaltmonopols. Sie können also nicht ohne weiteres unter Berufung auf das Gewaltmonopol zurückgedrängt werden. Sie haben diesem gegenüber einen eigenen Stellenwert und bringen in Notsituationen den unvermittelten Schutz der Rechtsgüter jenseits der geordneten Verfahren zur Geltung. Es geht darum, sie mit der verfahrensmäßigen Ordnung und Monopolisierung der Gewalt beim Staat zu einem Ausgleich zu bringen. Das läuft auf eine Abwägung von rechtlich geordneten Verfahren und Notrechten hinaus. Der strikte Vorrang von geordneten Verfahren läßt sich auch nicht aus den oben zur Situation des Strafverfahrens dargestellten Gründen ableiten, denn, was in den vorliegend relevanten Verfahren geschützt wird, sind Güter jenseits der in Verfahren durchzusetzenden Norm. Davon abgesehen besteht im Strafprozeß am Rechtsgut staatlicher Strafverfolgung nur Interesse, soweit die prozessualen Voraussetzungen gegeben sind, weil zum Rechtsgut staatlicher Strafverfolgung selbst - wie ausgeführt - die Wahrung von Verfahren und entsprechender Beteiligung gehört 40 • Verglichen damit ist etwa mit dem Interesse an Sicherheit der Volksgesundheit nicht unmittelbar das Interesse an Wahrung behördlicher Verfahren verknüpft. Gewiß sind für das Eigentum, die Volksgesundheit u. a. Rechtsgüter Verfahren wichtig, in denen sie sozial gebildet, erhalten, riskiert werden. Deshalb müssen die Bürger behördliche Verfahren grundsätzlich wahren. Durch § 34 StGB ist die Bedeutung von Verfahren aber von Gesetzes wegen grundsätzlich relativiert, denn, wie noch zu zeigen ist, durchbricht jeder Notstandseingriff ein mögliches geordnetes Verfahren. Es sind also hinsichtlich der Bedeutung von Verfahren im Rahmen des § 34 StGB Abstufungen unausweichlich. Genau genommen bestätigen das auch die Stellungnahmen, die den strikten Vorrang rechtlich geordneter Verfahren behaupten.

b) Stellungnahmen von Rechtsprechung und Literatur Notstand liegt vor, wenn ein Rechtsgut in der Gefahr ist, geschädigt zu werden. Für die Abwendung des Schadens steht theoretisch immer ein rechtlich geordnetes Verfahren zur Verfügung: Behördliches Eingreifen gemäß der polizeilichen Generalklausel oder gerichtliche Klage; der Betroffene hat einen Rechtsgewäh40 Wo selbst das ordnungsgemäße Verfahren und eine entsprechende Beteiligung des einzelnen gefährdet sind, kann dieser nicht auf die Wahrung des Verfahrens verwiesen werden. Dementsprechend hat OLG Frankfurt NJW 1979, 1172, zugelassen, daß der Beschuldigte seine Rechte in derartiger Situation gemäß § 34 StGB und nicht nur in den prozessualen Formen verteidigt.

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2. Teil: Rechtfertigung und Begründung der Deliktsprovokation

rungsanspruch. Würde dies der Bestimmung des Vorrangs geordneter Verfahren zugrunde gelegt, so wäre § 34 StGB unanwendbar. Wenn das Gesetz gelten soll, muß er einen Anwendungsbereich haben. Deshalb kann der Vorrang nicht immer von der theoretischen Möglichkeit von Verfahren aus bestimmt werden. Der Vorrang wird von manchen Autoren für manche Fälle denn auch nur vertreten, soweit das Verfahren konkret "zur Verfügung" steht 41 , tatsächlich durchführbar ist 42 • Diese Einschränkung versteht sich nicht von selbst. Sie ergibt sich nicht aus der Logik der Verfahren, die vorrangig sein sollen. Äußere Hindernisse, ein Recht verfahrensmäßig wahrzunehmen werden z. B. im Zivilprozeß und im Verwaltungsverfahren nur begrenzt durch Wiedereinsetzung berücksichtigt (§ 234 Abs. 3 ZPO, § 32 Abs. 3 VwVfG). Nach der Logik des Vorrangs rechtlich geordneter Verfahren (d. h. von den aus § 34 StGB zu ziehenden Schlüssen abgesehen) müßte der Vorrang auch gelten, wenn das Verfahren im Einzelfall nicht durchführbar ist. Denn die Rationalität von Verfahren soll als Norm, d. h. allgemein gesichert werden. Mangelnde tatsächliche Durchführbarkeit in einzelnen Fällen kann per se nicht zur Einschränkung der Norm führen. Und wenn die Norm schon eingeschränkt werden sollte, so müßte dies nicht notwendig bei jeder Undurchführbarkeit von Verfahren gelten. Wenn das Verfahren nach § 218a StGB nicht durchführbar ist, weil ein Arzt nicht erreichbar ist, so soll nach einer freilich bestrittenen Ansicht ein Nichtarzt den Schwangerschaftsabbruch nur bei Lebensgefahr durchführen dürfen 43. Wenn die mangelnde Durchführbarkeit stets zum Verzicht auf den Vorrang des Verfahrens führen sollte, so müßte der Vorrang auch aufgegeben werden, wenn ein einzelnes Verfahren zu falschen Ergebnissen führt, die durch Notstandseingriff zu korrigieren wären. Denn in diesem Einzelfall ist die Rationalität des Verfahrens dem Notstandseingriff nicht überlegen. Dennoch sollen falsche Ergebnisse den Vorrang nicht tangieren. Der Vorrang des Verfahrens wird von der h. L. auch nicht aufgegeben in dem bekannten Fall des Hausfriedensbruchs, den ein Privater begeht, um für ein Strafverfahren Beweismittel zu erlangen, auch wenn die Beweismittel verloren gewesen wären, wenn auf polizeiliches Eingreifen gewartet worden wäre 44. Aufschlußreich ist auch die Konkurrenz des § 34 StGB mit § 127 StPO, der die Festnahme präziser - verfahrensmäßiger - als § 34 StGB regelt. Wer unter Samson in SK StGB § 34 Rn 22. Vgl.Jakobs, Strafrecht AT, 11 / 17; 13 /37 f.; 41; Eser in Schönke / Schröder § 218 Rn 22. Uneingeschränkten Vorrang fordert Lenckner in Schönke / Schröder § 34 Rn 41. 43 Eser, a.a.O.; Dreher / Tröndle § 218a Rn 4. 44 Lenckner, a.a.O.; Otto, NJW 1973,668 ff.; Amelung / Schall, JuS 1975,565 (571); Grebing, GA 1979,81 (99 ff.). Anders OLG München NJW 1972,2275 f. Im gegebenen Fall stand allerdings die Polizei vor dem Haus, so daß die Erforderlichkeit zweifelhaft ist. 41

42

A. Rechtfertigung privater Provokationen gemäß § 34 StGB

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den Voraussetzungen des § 127 StPO einen anderen nicht festnehmen kann, weil er zum Festhalten zu schwach ist, soll nicht etwa den Ertappten fluchtunfähig schießen dürfen 45, auch wenn dafür wegen der Schwere der Tat die Voraussetzungen des § 34 StGB (Defensivnotstand) gegeben gewesen wären 46 und der Ertappte andernfalls verschwände. Die Unmöglichkeit, das Verfahren des § 127 StPO durchzuführen, bringt den § 34 StGB nicht zur Anwendung. Die Berücksichtigung der faktischen Unmöglichkeit des konkreten Verfahrens ist also nicht schon im Prinzip des Vorrangs des Verfahrens angelegt, sondern ist fallspezifische Beschränkung des strikten Vorrangs von rechtlich geordneten Verfahren zugunsten des Erfolges, dem Schutz des Rechtsgutes, der Zweck des § 34 StGB ist. Andererseits wird der Schutz des Rechtsguts gemäß § 34 StGB bei äußeren Behinderungen des verfahrensml$igen Schutzes auch nicht strikt durchgeführt. Das zeigt der erwähnte Fall des Hausfriedensbruchs. Auch ein aufgrund verfahrensexterner Ereignisse - z. B. Untergang von Beweismitteln - falsches rechtskräftiges Urteil muß der Verurteilte hinnehmen; Notstandseingriffe sollen ausgeschlossen sein 47 • Er darf auch nicht zur Abwendung einer falschen Verurteilung verfälschte Urkunden vorlegen 48 • Die Integrität des konkreten laufenden und des durchgeführten Verfahrens soll geschützt werden. Sie werden - angemessenhöher eingeschätzt als die abstrakte Möglichkeit eines Verfahrens. Anders bei § 218 StGB: Hat ein Arzt verfahrensgemäß (§ 218a) eine Indikation verneint, so soll dennoch ein Nichtarzt per Notstandseingriff die Schwangerschaft abbrechen dürfen zum Schutz des Lebens und - was streitig ist - der Gesundheit der Schwangeren vor akuter Gefahr, wenn ein Arzt nicht erreichbar ist 49 • Der zu Unrecht Verurteilte hingegen soll sich nicht mit Notstandseingriff befreien dürfen. - All diese Lösungen beruhen auf Abwägungen 5o • Weder der Vorrang des geordneten Verfahrens noch der Schutz des bedrohten Rechtsguts werden strikt durchgeführt. Bei der Abwägung werden auch nicht alle Verfahrensarten gleich gewichtig eingestuft. Die Regeln über die Beweisbeschaffung per Durchsuchung für das Strafverfahren sollen private Notstandseingriffe ausschließen, auch wenn die Beweise dadurch verlorengehen 51. § 127 StPO soll § 34 StGB ausschließen, auch wenn dadurch der Verdächtige sich entziehen kann. In zivilrechtlichen Streitigkeiten hingegen soll es möglich sein, Beweise bei drohender Zerstörung durch 45 Lenckner in Schönke / Schröder Rn 82 vor § 32; RGSt 69, 308 (312); 71, 49 (52); 72, 305 (306). Anders LR-Wendisch (10. Aufl.) § 127 Rn 40; BGH bei Holtz MDR 1979,985; KMR-Müller § 127 Rn 16; unentschieden Kleinknecht / Meyer § 127 Rn 16. 46 Wendisch, a.a.O. (ebenso schon Dünnebier in der Voraufl. Rn 40 f.), meint, Schußwaffengebrauch Privater könne hinsichtlich des Festnahmezweckes verhältnismäßig sein. 47 Lenckner in Schönke / Schröder § 34 Rn 41. 48 Jakobs, Strafrecht AT, 13 /41. 49 Eser in Schönke / Schröder § 218 Rn 22. 50 Besonders deutlich wird dies in den Ausführungen Grebings, GA 1979,81 (95 ff.). 51 Lenckner, a.a.O.; Jakobs, a.a.O., 13 /40.

21 Keller

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2. Teil: Rechtfertigung und Begründung der Deliktsprovokation

Notstandseingriffe zu beschaffen, wenn das einstweilige Rechtsschutzverfahren nicht mehr durchgeführt werden kann 52, obwohl hier gerade die Vorschriften des einstweiligen Rechtsschutzes als abschließende Regelung von Eilfällen gewertet werden könnten. Die Wahrung der rechtlichen Form des Strafverfahrens wird demnach als gewichtiger eingeschätzt als die Wahrung der Form des Zivilverfahrens oder des erwähnten Verfahrens nach § 218a StGB5J. Im letzten Fall wird auch die spezifische Funktion des Verfahrens (kein Medizinerprivileg) geltend gemacht 54. Außerdem dürfte der hohe Wert des geschützten Rechtsguts relevant sein. Allgemein wird das je zu schützende Rechtsgut gegenüber dem Verfahren unterschiedlich zur Geltung gebracht. Das zeigen die vorangegangenen Fälle und explizit die Behandlung der behördlichen Zuständigkeit - eine Verfahrensfrage - durch lakobs 55 : Bei der Abwehr abstrakter Gefahren soll die Zuständigkeit gewahrt werden, bei der Abwehr von Gefahren für Bürger nicht. Es geht hier nicht darum, ob die einzelnen Lösungen und Kriterien angemessen sind. Wichtig ist, daß der Vorrang der rechtlich geordneten Verfahren auch in der diesbezüglichen Literatur nicht strikt durchgehalten wird, sondern einer Abwägung mit dem zu schützenden Rechtsgut folgt und weiter, daß die verschiedenen Verfahrensarten nach Funktion und Gewicht unterschiedlich behandelt werden. Ersteres ist im Ansatz notwendig, denn, wie gezeigt, ist der strikte Vorrang der geordneten Verfahren schon durch § 34 StGB selber ausgeschlossen. Da die Verfahren nun in der Tat im Verhältnis zu den in ihnen thematisierten Rechtsgütern sehr unterschiedliche Bedeutung haben, ist es auch angemessen, bei der Einschränkung des Vorrangs der geordneten Verfahren zu differenzieren. Die Rechtsprechung, die den Vorrang nicht strikt handhabt, und z. B. dem Beschuldigten zum Schutz vor befangenen Richtern über die verfahrensrechtlichen Möglichkeiten hinaus die Übertretung des § 201 Abs. I Nr. 2 StGB gemäß § 34 StGB gestattet 56, ist also nicht grundsätzlich verfehlt. Allenfalls sind die einzelnen Abwägungen zu kritisieren. Zwischenergebnis ist: Das polizeiliche Handeln ist ein rechtlich geordnetes Verfahren. Inwieweit es gegenüber dem privaten Notstandseingriff vorrangig ist, hängt ab von einer Abwägung des je zu schützenden Rechtsguts einerseits und der Bedeutung des Verfahrens andererseits, wobei die beiden Abwägungsfaktoren differenziert zu bewerten sind. Unter diesen 'Voraussetzungen kann das polizeiliche Verfahren wie grundsätzlich alle rechtlichen geordneten Verfahren auch dann vorrangig sein und den Notstandseingriff unangemessen machen, wenn das Verfahren im Einzelfall nicht durchführbar ist 57 , die Gefahr also nicht anders als durch Notstandseingriff abwendbar ist. 52 53 54 55 56

Jakobs, a.a.O., 13 /41. Für Sonderstatus des Strafverfahrens explizit Jakobs, a.a.O., 12/8. Eser, a.a.O. A.a.O., 13 / 11. OLG Frankfurt NJW 1979, 1172.

A. Rechtfertigung privater Provokationen gemäß § 34 StGB

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c) Verhältnis von polizeilichen Verfahren und privatem Eingriff Zunächst ist also die Bedeutung des polizeilichen Verfahrens näher zu bestimmen. Verglichen mit dem gerichtlichen Verfahren ist es weniger formalisiert. Denn es ist auf einen künftigen Sachverhalt bezogen, nicht etwa auf vergangene Schuld. Es steht oft unter Zeitdruck; eine konkrete Gefahr soll abgewehrt werden. Die Ermittlungsformen sind nicht bestimmt. Es gibt vergleichsweise wenig Beteiligungsrechte des Betroffenen. Die Akteneinsicht ist begrenzt. Die Behörde hat weitreichende Ermessensspielräume. Die Zuständigkeit einzelner Dezernenten ist weniger fixiert, ihre Überschreitung wird weniger sanktioniert als etwa die von Richtern. Es gibt weniger Neutralitätsgarantien. Das polizeiliche Verfahren ist mehr strategisch auf einen bestimmten Erfolg, die Gefahrenabwehr, orientiert. Mehr von diesem als von einem formalisierten Verfahren wird das polizeiliche Vorgehen sozial legitimiert. Wegen der geringeren Formalität werden informelle Qualitäten bedeutsamer, Professionalität, Erfahrungen, Überblick, Zuverlässigkeit der handelnden Beamten. All dies bedeutet nicht, daß das polizeiliche Verfahren gänzlich entformalisiert wäre und die Formalität nicht mehr ins Gewicht fiele. Gleichbehandlung und Rechtsbindung sind bei polizeilichem Handeln besser gewährleistet. Wohl aber bedarf die formale Integrität des polizeilichen Verfahrens weniger des Schutzes als die Integrität des gerichtlichen Verfahrens. Es ist eher möglich, auf das Verfahren zu verzichten, um den Erfolg anderweitig zu erreichen, wenn er besonders wichtig ist. Ein Vorrang der Polizei liegt andererseits besonders nahe, wo sie kraft ihrer informellen Qualitäten und ihres ausgedehnten Kontrollapparates eine Gefahr besser beherrschen kann als private Bürger, deren mangelnder Überblick etwa zu unnötigen Schäden und Eskalation führen kann. Werden diese Einschätzungen des polizeilichen Verfahrens auf die verschiedenen Sorten zu schützender Rechtsgüter bezogen, so läßt sich die Reichweite des Vorrangs des Verfahrens bestimmen. aa) Rechtsgüter, die ihren Wert primär in sozialer Sicherheit, weniger in der unmittelbaren Existenz einzelner haben, sind in polizeilichen Verfahren zu schützen. Bei Beeinträchtigungen sozialer Sicherheit ermöglichen Überblick und Erfahrung der Polizei im allgemeinen besser als Privaten einzuschätzen, wie groß die Gefahr oder der Schaden für die soziale Sicherheit im Einzelfall tatsächlich ist, und welche Gegenmaßnahmen dementsprechend verhältnismäßig sind. Gleiches gilt hinsichtlich zugleich bestehender abstrakter Gefahren für einzelne Bürger. Auch fällt eine einzelne Beeinträchtigung der sozialen Sicherheit relativ wenig ins Gewicht und kann um der Vorteile polizeilicher Verfahren willen hingenommen werden. Im Ausgangsfall des Drogenhandels geht es um die soziale Sicherheit der Volksgesundheit. Der Notstandseingriff des privaten Detektivs ist daher unangemessen. Er wäre es selbst dann, wenn das polizeiliche 57

21*

Anders Jakobs, a.a.O., 13 / 37 f., 41, vgl. aber 13 / 1l.

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2. Teil: Rechtfertigung und Begründung der Deliktsprovokation

Verfahren im Einzelfall nicht durchführbar wäre. Wenn allerdings das gefahrdete Rechtsgut der Allgemeinheit in einem bestimmten umgrenzten Objekt konkretisiert ist in Gestalt einer Institution oder Sache, so ist die Gefahr mangelnden Überblicks der Privaten geringer. Deshalb dürfte ihr Eingriff hier, solange die Polizei noch nicht die Gefahrenabwehr aufgenommen hat, nicht unangemessen sein. bb) Wenn Individualrechtsgüter betroffen sind, kommt der Notstandseingriff Privater eher in Betracht. Beispiel: Erpresser halten an unbekanntem Ort einen prominenten Bürger gefangen. Freunde des Gefangenen wollen dessen Befreiung betreiben. Sie beauftragen einen Detektiv, der über Mittelsleute - zunächst vergeblich - versucht, Kontakt mit den Erpressern zu erlangen. Als er erfährt, daß die Erpresser Waffen benötigen, weist er die Mittelsleute darauf hin, wann ein ihm bekanntes Waffengeschäft ungesichert ist. Er hilft, als einer der Erpresser in das Geschäft einbricht und Waffen entwendet. Danach verfolgt er diesen heimlich und ermittelt so, wo der Gefangene festgehalten wird, von der Polizei alsbald befreit und die Waffen sichergestellt werden können. Die Polizei war zunächst nicht eingeschaltet worden, weil die Erpresser Repressalien gegen den Gefangenen angedroht hatten, falls die Polizei verständigt würde. - Die Verständigung der Polizei wäre hier nur dann eine andere Abwendungsmöglichkeit i. S. des § 34 StGB gewesen, wenn die Repressalien weniger schwer als die Schädigung des Waffengeschäfts und die durch den Waffenbesitz der Erpresser entstehende Gefahr zu bewerten gewesen wäre 58. In diesem Falle am Vorrang des polizeilichen Verfahrens festzuhalten, würde die Anwendbarkeit des § 34 StGB generell in Frage stellen. Würde er auch in diesem Fall zurückgestellt, so bliebe für ihn kein Anwendungsbereich. Für seine Anwendung im vorliegenen Fall spricht: Beim Schutz von Individualrechtsgütern haben die Privaten im allgemeinen Überblick, können Kosten und Nutzen einschätzen und im Hinblick auf den absehbaren Erfolg unverhältnismäßigen Schaden vermeiden. Da das polizeiliche Verfahren relativ wenig formal ausgestaltet ist, geht mit dem Verzicht auf die abstrakte Möglichkeit formalen Verfahrens zugunsten erfolgsbezogenen bürgerlichen Handeins wenig verloren. Die Norm, den Erfolg in geordneten Verfahren zu erstreben, kann daher in diesem Fall zurückgenommen werden zugunsten der Gefahrenabwehr durch Bürger. cc) Abwandlung: Die Polizei war eingeschaltet, ermittelt aber erfolglos. Die Ermittlungsform des Detektivs - Deliktsprovokation - wählte die Polizei nicht, weil sie ihr - wie noch zu zeigen ist - verboten ist. Abzuwarten, bis die Polizei mit ihren zulässigen Mitteln eventuell doch erfolgreich ist, oder ihr die Mittelsleute oder den bevorstehenden Einbruchsdiebstahl anzuzeigen, wäre wie 58 Auf eventuelle Forderungen der Erpresser einzugehen, war, selbst wenn sie den Privaten erfüllbar waren (politische Forderungen z. B. konnten sie nicht erfüllen), ebenfalls keine Möglichkeit anderer Abwendung, wenn die Erfüllung mehr Schaden verursacht hätte als die Provokation.

A. Rechtfertigung privater Provokationen gemäß § 34 StGB

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im Ausgangsfall (Drogenbekämpfung) für den Detektiv keine gemäß § 34 StGB relevante andere Möglichkeit, die Gefahr abzuwenden. Erforderlich also ist das Eingreifen des Detektivs. Die späteren Chancen der Polizei würden aber das Interesse am sofortigen Eingreifen des Detektivs mehr oder weniger mindern. - Zum Vorrang des rechtlich geordneten Verfahrens: In dieser Fallvariante kollidiert das Vorgehen des Privaten mit einem laufenden Verfahren. Die Wahrung der Vorteile des Verfahrens ist daher wichtiger als im vorangegangenen Fall. Einige Autoren empfehlen hier eine eindeutige Lösung: Mit dem laufenden Verfahren beginne die Phase staatlich organisierter Angriffsabwehr; private Gefahrenabwehr stelle nun "die staatliche Zuständigkeit für die organisierte Abwehr in Frage", sei deshalb unzulässig 59. Im vorliegenden Fall einer andauernden Beeinträchtigung des Rechtsguts der Freiheit (das Opfer der Erpresser ist gefangen) dürfte diese Regel kaum akzeptabel sein. Wenn das polizeiliche Verfahren gegenüber privaten Notstandseingriffen nicht vorrangig ist, wo es im Einzelfall zum Schutz eines Individualrechtsguts nicht durchgeführt werden kann, so kann es auch dort nicht vorrangig sein, wo es zwar ansatzweise durchgeführt, aber bis zum letzten Zeitpunkt einer möglichen Rettung des Rechtsguts wegen seiner Umständlichkeit nicht zum Rettungserfolg gebracht werden kann. Das läßt sich an einem von Jakobs 60 gebildeten Beispiel zeigen: Ein Gläubiger, der von der drohenden Zerstörung einer Urkunde durch seinen Prozeßgegner erfahren hat, soll dies dann durch Notstandseingriffe verhindern dürfen, wenn er seine Rechte an der Urkunde zeitlich nicht mehr verfahrensgemäß durch einstweilige Verfügung durchsetzen kann. Akzeptiert man diese Lösung für den Fall, daß die Zeit, innerhalb deren die Urkunde gerettet werden kann, nicht reicht, das Verfahren in Gang zu bringen, so muß sie auch gelten, wenn die Zeit dafür zwar reicht, aber absehbar ist, daß die Urkunde zerstört sein wird, wenn die Verfügung wirksam wird, d. h. beim Abschluß des Verfahrens. Es ist kein Grund ersichtlich, zwischen den beiden Fällen hinsichtlich der Notstandsbefugnis zu unterscheiden. Das absehbar erfolglose polizeiliche Verfahren hat also beim Schutz von Individualrechtsgütern keinen Vorrang gegenüber privaten Notstandseingriffen. In der Situation des Gefangenen, dessen Befreiung von dem Detektiv mittels Deliktsprovokation ermöglicht werden könnte, während die Polizei erfolglos ermittelt, ist jedes Andauern der Gefangenschaft eine Rechtsgutsverletzung. Wenn der Detektiv nicht eingreift, obwohl er könnte, und die Gefangenschaft andauert, bis später die Polizei den Gefangenen aufspürt, so würde in dieser Zeit das Rechtsgut nicht nur gefährdet, sondern auch geschädigt. Dieser Schaden würde durch den späteren Erfolg des geordneten Verfahrens nicht beseitigt. 59 Jakobs, Strafrecht AT, 12/45 zur Notwehr; gleiches soll wohl für den Notstand gelten, vgl. 13 /16 ff. Zur Notwehr ebenso Haas, Notwehr und Nothilfe, S.297, der aber beim Notstand anders entscheidet, vgl. S. 298. 60 A.a.O., 13 /41.

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2. Teil: Rechtfertigung und Begründung der Deliktsprovokation

Hinsichtlich dieses Schadens wäre das Verfahren erfolglos. Ist nun vorab absehbar, daß der Eingriff des Detektivs schneller zur Befreiung führt als das polizeiliche Verfahren, so wendet der Eingriff einen Schaden ab, den das rechtlich geordnete Verfahren nicht abwenden kann. Hinsichtlich dieses Schadens ist das Verfahren sinnlos, also gegenüber dem Eingriff nicht vorrangig. - Wie groß die Chance, früher als die Polizei zum Erfolg zu gelangen, sein muß, wenn der Eingriff des Detektivs zulässig sein soll, ist eine Frage der schon erörterten Erforderlichkeit des Eingriffs. Das Interesse am Eingriff des Provokateurs ist umso größer, je größer und wahrscheinlicher der Zeitabstand zwischen dem von ihm bewirkten Erfolg und dem später von der Polizei zu bewirkenden Erfolg ist. Diese Argumentation ist nur bei andauernden Rechtsgutsbeeinträchtigungen erheblich. Eine solche kann allerdings auch schon darin begründet sein, daß ein Schadensereignis droht. Beispielsweise die andauernde Gefahr, auf der Stelle umgebracht zu werden, kann Nerven und Freiheit von Menschen beeinträchtigen. Derartige Gefahren können wegen ihrer Wirkung ebenso schon als Schaden bewertet werden, wie drohende Vermögensverluste. Dann gilt das zur andauernden Rechtsgutsbeeinträchtigung Gesagte. Anders verhält es sich mit dem Entzug des Besitzes an einer Sache. Der Entzug ist zwar auch eine andauernde Rechtsgutsbeeinträchtigung. Sie darf jedoch nicht gemäß § 34 StGB abgewendet werden, sondern allenfalls gemäß § 229 BGB. Zu den danach zulässigen Mitteln der Selbsthilfe gehört die Deliktsprovokation nicht. Bisher wurden andauernde Beeinträchtigungen von Individualrechtsgütern behandelt. Anders könnte es sich verhalten in der Phase der Gefährdung. Dies mag zunächst anhand eines Notwehrproblems geprüft werden, für welches die These von der polizeilich organisierten Gefahrenabwehr, die nicht in Frage gestellt werden dürfe, entwickelt wurde.

d) Die Phase staatlich organisierter Gefahrenabwehr In der Diskussion um die Frage, ob Staatsorganen die Notrechte zustehen, wird oft geltend gemacht, es sei untragbar, daß in Notsituationen ein anwesender Polizist zur Untätigkeit verpflichtet ist, während ein Privater im Rahmen der Notrechte helfen darf. Deshalb müßten dem Polizisten auch die Notbefugnisse der Privaten zustehen 61. Anstelle dieser Folgerung wird mit der These vom Vorrang polizeilich organisierter Gefahrenabwehr empfohlen, die Diskrepanz zwischen privaten und staatlichen Befugnissen dadurch zu vermeiden, daß nun beide, der Private wie der Polizist, zur Untätigkeit verpflichtet werden. Damit werden indes noch heiklere Konstellationen als die des gegenüber dem privaten 61

Dazu unten 2. Teil D I 6.

A. Rechtfertigung privater Provokationen gemäß § 34 StGB

327

Helfer minder befugten Polizisten denkbar: Ein Bürger wird mit einer Schußwaffe angegriffen. Er hat selbst eine Pistole und könnte sich mit Erfolg wehren. Es ist aber ein Polizist da, der helfend seine Schußwaffe einsetzen will - sie ist defekt. Der Polizist organisiert nun weitere Hilfe. Ist derweil der angegriffene Bürger verpflichtet, sich erschießen zu lassen, um die staatliche Zuständigkeit nicht in Frage zu stellen? Oder ist das polizeiliche Verfahren hier vorübergehend nicht durchführbar? Nähme man letzteres an, so könnte am Ende jede normale Stockung im tatsächlichen Ablauf eines rechtlich geordneten Verfahrens dessen Vorrang beseitigen. Damit bliebe für den Vorrang der polizeilich organisierten Gefahrenabwehr kaum noch ein Anwendungsbereich - keine sinnvolle Konkretisierung dieser Konzeption. Ist also anzunehmen, daß im Notwehrfall das polizeiliche Verfahren läuft, so fragt es sich, wie begründet werden soll, daß der angegriffene Bürger untätig bleiben und sein Leben aufs Spiel setzen soll zugunsten der angeblich ausschließlichen staatlichen Gefahrenabwehrzuständigkeit. Zwar kommt, wenn der Bürger sich wehrt, Schuldausschluß (§ 35 StGB) in Betracht 62 • Aber im Hinblick auf Art. 2 Abs. 2 GG bedürfte schon die Verpflichtung eines nicht sonderpflichtigen Bürgers, in Friedenszeiten das Leben aufzuopfern, um Infragestellungen der staatlichen Organisation zu vermeiden, einer spezifischen Begründung. Die Verpflichtung des Privaten ist nicht verfassungsrechtlich begründet wie das Verbot hoheitlicher Eingriffe ohne spezifi~.:he gesetzliche Grundlage, das im Fall des zur Untätigkeit verpflichteten Polizisten relevant ist. Im übrigen wäre die Verpflichtung des Privaten, einen Angriff selbst zu erdulden, ein schwererer Eingriff als etwa die Verpflichtung, bei einem Angriff auf Dritte nicht zu helfen. Die Einschränkung der Selbstverteidigung, sobald der Staat die Gefahrenabwendung übernommen hat, ist auch nicht zu erklären als Fortsetzung des allgemeinen staatlichen Gewaltmonopols. Denn wie erwähnt bringen die Notrechte gerade eine Durchbrechung des ansonsten geltenden Gewaltmonopols. Diese Durchbrechung kann nicht ohne weiteres unter Hinweis auf das staatliche Gewaltmonopol zurückgedrängt werden. Vielmehr ist eine Abwägung zwischen den Interessen an rechtlicher Ordnung der Gewalt beim Staat einerseits und an effektivem Rechtsgüterschutz andererseits nötig, und zwar nicht nur bei der Gefährdung des Lebens im Notwehrfall, sondern auch bei der Gefährdung anderer Individualrechtsgüter wie der Freiheit des Gefangenen, die von einem Privaten durch Deliktsprovokation gerettet werden könnte. Die Interessen, die gewahrt werden sollen, wenn in den genannten Fällen private Nothandlungen verboten werden, hat Haas 63 erläutert. In der Öffentlichkeit entstünden Zweifel an der staatlichen Macht, wenn mit ihr private Hilfsrnaßnahmen konkurrierten. Im hier angenommenen Fall der Provokation stiehlt der 62 63

Vgl. aber Jakobs, Strafrecht AT, 20/14. Notwehr und Nothilfe, S. 289 ff.

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2. Teil: Rechtfertigung und Begründung der Deliktsprovokation

private Detektiv der Polizei die Schau, indem er ihrem Verfahren den Erfolg vorwegnimmt. Das fällt nicht ins Gewicht. Auch ohne Zwangsmittel dürfen Private findiger und erfolgreicher sein als die Polizei. Irritation mag auch entstehen, wenn sich zeigt, daß der Staat in der Krise nicht die stärksten Zwangsmittel hat, um die Rechtsgüter der Bürger zu schützen. Deshalb eben diese Rechtsgüter preiszugeben, wäre aber eine unverhältnismäßige Folgerung aus der Irritation. Punktuelle Beeinträchtigungen des allgemeinen Glaubens an das staatliche Gewaltmonopol dürften gegenüber der effektiven Bewahrung eines Rechtsguts wenig ins Gewicht fallen. Der in diesem Zusammenhang angenommenen Gefahr von Bürgerwehren 64 würde nicht sachgemäß begegnet mit einer Einschränkung der Notrechte der Bürger oder deren Übertragung auf den Staat. Problematisch können Bürgerwehren werden, weil sie präventiv organisiert das soziale Leben überwachen könnten, es durch Bewaffnung bedrohen und durch organisierte Ausnutzung der Notrechte deren Zweck, das ungeplante Handeln einzelner in der Not zu regeln, überschreiten können. Würden nun die Notrechte eingeschränkt, so würde zugleich der legitime Selbstschutz einzelner verkürzt. Angemessener dürfte es sein, die präventive Organisation der privaten Gewaltanwendung und die Bewaffnung gesetzlich zu begrenzen 65, falls überhaupt Bürgerwehren zum Problem werden. Die staatliche Gefahrenabwehr könnte weiter in ihrem organisierten Ablauf gestört werden, wenn zugleich private Zwangsmaßnahmen zugelassen sind. Dieser abstrakten Gefahr kann jedoch mit weniger einschneidenden Mitteln als dem Verbot aller privaten Nothilfemaßnahmen begegnet werden, indem die Polizei, sofern bei bestimmten staatlichen Verfahren private Maßnahmen störend wirken können, diese verbietet. Das ist im polizeilichen Notstand ebenso möglich wie z. B. ein Platzverweis oder die Maßnahmen nach § 164 StPO. Es wäre unverhältnismäßig, abstrakte Gefahren für unbestimmte staatliche Ermittlungschancen zu verhindern, indem konkret erfolgreicher Schutz von Individualrechtsgütern den Bürgern verboten wird. Im übrigen sind bei der hier diskutierten Fallversion die gleichen Faktoren zu berücksichtigen wie bei der vorangegangenen: Die abstrakte Möglichkeit geordneten Verfahrens mit dessen Vorteilen ist zu wahren, wo es um die Abwehr abstrakter Schäden, Unordnung, geht. Sie kann zurücktreten, wo konkrete Schäden nur ungeordnet abgewehrt werden können. Anders wird zu entscheiden sein, wenn die Zulassung der Notmaßnahmen die Macht eines zentral gelenkten bürokratischen Apparates, des Staates, erweitern würde 66 • Die Deliktsprovokation als private Notstandsmaßnahme ist also nicht unangemes64 Vgl. Arzt, Festschrift für Schaffstein, S. 77 ff. Dazu relativierend Busch u. a., Die Polizei in der Bundesrepublik, S. 44. f. 65 Hoffmann-Riem, ZRP 1977,277 (283 f.), meint, solche Begrenzung sei schon der Notwehrregelung selbst durch teleologische Auslegung zu entnehmen. 66 Dazu unten 2. Teil D.

A. Rechtfertigung privater Provokationen gemäß § 34 StGB

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sen, wenn die Gefahr besteht, daß ein Individualschaden eintritt, bevor er in einem laufenden polizeilichen Verfahren abgewehrt werden kann. e) Fazit

Die Deliktsprovokation durch Private ist zum Schutz des Rechtsguts der sozialen Sicherheit der Volksgesundheit oder anderer sozialer Sicherheiten stets gemäß § 34 StGB unangemessen. Zum Schutz eines institutionell oder sachlich konkretisierten Rechtsguts der Allgemeinheit ist die private Deliktsprovokation unangemessen, wenn die polizeiliche Gefahrenabwehr begonnen hat. Diese herbeizuführen, muß der Private versuchen, bevor er eingreift, weil das geregelte polizeiliche Handeln das mildere Mittel ist. Im Ergebnis ist die private Provokation hier also nur selten zulässig. Zum Schutz von Individualrechtsgütern ist die Deliktsprovokation durch Private nicht unangemessen, wenn die Durchführung der polizeilichen Gefahrenabwehr faktisch unmöglich ist. Findet die polizeiliche Gefahrenabwehr (wenn auch faktisch stockend) statt, so ist die private Deliktsprovokation nicht unangemessen, wenn die Gefahr besteht, daß der Individualschaden eintritt, bevor er im laufenden polizeilichen Verfahren abgewehrt werden kann. Das Interesse am privaten Eingriff ist umso größer, je größer die Gefahr ist, daß der Schaden trotz des Verfahrens eintritt. Die Deliktsprovokation ist als Notstandsmaßnahme schließlich auch dann unangemessen, wenn sie von einem Privaten im Auftrag des Staates durchgeführt wird. Im ersten Teil der Untersuchung wurde gezeigt, daß Private, die im staatlichen Auftrag polizeiliche Zwecke verfolgen, den gleichen Bedingungen unterstehen wie der Staat selber. Diesem aber kommen die Eingriffsbefugnisse des § 34 StGB, wie sich im folgenden zeigen wird, nicht zu. Sie sind unangemessen für staatliches Handeln.

B. Einverständnis und Einwilligung Praktisch kommt es zuweilen vor, daß der von einer provozierten Tat Betroffene dem Provokateur vor der Tat sein Einverständnis oder seine Einwilligung erklärt hat. Beispiel: Die Polizei vermutet, daß eine bestimmte Person gewerbsmäßig wertvolle Teppiche entwendet; um den Verdächtigen zu überführen, beabsichtigt sie, ihn durch einen beamteten Provokateur zum Diebstahl in einem bestimmten Teppichgeschäft zu veranlassen; die Beute soll später sichergestellt werden; der von der Polizei angesprochene Geschäftsinhaber ist einverstanden; die Aktion läuft planmäßig abI. Wegen des Einverständnisses wurden Diebstahl und Hausfriedensbruch hier nicht vollendet. Die Provokation richtete sich auf einen Versuch und ist straffrei2. Rechtswidrig ist sie gleichwohl, weil sie gegen die öffentlichrechtlichen Bindungen staatlichen Handeins verstoßen und ins Persönlichkeitsrecht des Provozierten eingegriffen hat. Diese Normbrüche liegen allerdings nicht vor, wenn der Versuch nicht strafbar ist oder wenn der Provokateur ein vom Staat unabhängiger Privater ist. Wird jemand zu einem Drogendelikt provoziert, in dessen Folge der Provozierte oder Dritte die Drogen konsumieren und körperlich geschädigt werden, so ist die Bewertung wie im Zusammenhang des § 34 StGB gezeigt zu differenzieren. Unter dem Aspekt des Erfolgsdelikts des § 223 StGB kann das Verhalten des Konsumenten, sofern er verantwortlich handelte, als Selbstverletzung gewertet werden, die dem beteiligten Provokateur nach allgemeiner Ansicht nicht zuzurechnen ist 3• Die Strafbarkeit des Provokateurs wegen des Drogendelikts wird davon nicht tangiert, weil die abstrakte Gefahrlichkeit des Drogendelikts durch Einwilligung eines einzelnen nicht ausgeschlossen wird.

I

Vgl. Hannoversche Allgemeine Zeitung v. 2. 11. 1983.

In Frage kommt allerdings u. U. vollendete Unterschlagung; vgl. einerseits Hillenkamp, JR 1987,254 ff.; andererseits Paeffgen, JR 1979,298 f. 3 Cramer in Schönke / Schröder § 15 Rn 155. 2

C. ÖfTentlichrechtliche Begründungen der staatlichen Deliktsprovokation I. Strafprozeßrecht Mehrere Autoren I meinen, im Strafprozeß seien Eingriffe, deren Intensität unterhalb der Schwelle der in der StPO geregelten Eingriffe liege, zulässig. Zuweilen wird dafür § 163 StPO als Rechtsgrundlage angegeben. Gegen diese Annahmen läßt sich Verschiedenes einwenden 2 • Darauf kommt es hier nicht an. Die sogenannte Schwellentheorie könnte nur die Arbeit von V-Leuten, die sich aufs Beobachten, Befragen etc. beschränken, rechtfertigen - dafür ist sie auch formuliert worden - , nicht die staatliche Deliktsprovokation. Diese findet meist außerhalb des Strafprozesses statt. Sie soll oft die Tat erst erzeugen, die dann Gegenstand eines Strafprozesses wird. Dafür lassen sich der Ordnung des Strafprozesses keine Regelungen entnehmen. Vor der Straftat setzt die Strafprozeßordnung keine Schwellen, an denen sich die Auslegung orientieren könnte. Findet die Provokation aber im Strafprozeß statt, so geht die Intensität der in der Provokation enthaltenen Eingriffe - ins Persönlichkeitsrecht, ins Tat- und Schuldprinzip - und Straftaten oft hinaus über die Bedeutung etwa der speziell geregelten vorübergehenden Störerfestnahme (§ 164 StPO). Daß die Schwellentheorie die Deliktsprovokation zulassen könnte, wird denn auch, soweit ersichtlich, nirgends behauptet.

11. Polizeirecht, Gefahrenabwehr und Gefahrenvorsorge 1. Konkrete Gefahr, Gefahrverdacht, Gefahrenvorsorge Soll die von der Polizei ausgehende Deliktsprovokation als Maßnahme der Gefahrenabwehr durch die polizeiliche Generalklausei begründet werden, so ist erste Voraussetzung das Bestehen einer konkreten Gefahr. Der Begriff der konkreten Gefahr umfaßt graduell mehr als der der gegenwärtigen Gefahr gemäß § 34 StGB 3; die Differenz ist aber kaum abstrakt zu bestimmen. Die konkrete Schwan, VerwArch 79, 109 (118); Rebmann, NJW 1985, 1 (3). Vgl. Simon / Taeger, Rasterverfahndung, S.56; GTÜnwald, JZ 1981, 423 (425); Schoreit, DRiZ 1987, 82; Schlink, Amtshilfe, S. 276 Anm. 55; F. Herzog, NStZ 1985, 153 (155); Keller, StrVert 1984,521 (523); BGHSt 8, 144 (146). 3 Rasch, Allgemeines Polizei- und Ordnungsrecht, § 1 ME Rn 14. I

2

332

2. Teil: Rechtfertigung und Begründung der Deliktsprovokation

Gefahr liegt bekanntlich vor, wenn in dem zu beurteilenden Einzelfall in überschaubarer Zukunft bei ungestörtem Ablauf mit einem Schadenseintritt gerechnet werden muß. In den zur gegenwärtigen Gefahr dargestellten Fallkonstellationen sind polizeiliche Maßnahmen also graduell früher möglich. Die Eingriffsbefugnis der Polizei ist praktisch öfter gegeben als die der Privaten gemäß § 34 StGB. Gleichwohl dürfte sie in den Fallkonstellationen, in denen gegenwärtig Provokationen stattfinden, nur relativ selten gegeben sein. Eine als gefährlich eingeschätzte soziale Szene z. B. ist kein Einzelfall, der eine konkrete Gefahrprognose zuließe. Das Gefahrkriterium, das der BGH 4 bei der Beurteilung von staatlichen Deliktsprovokationen anwendet - die Tatneigung des Provozierten - , entspricht nicht annähernd dem anerkannten Verständnis von konkreter Gefahr. Denn erstens verlangt der BGH keinerlei Qualifikationen der Tatneigung 5 , so daß sie per se wohl sehr vielen Leuten nicht abzusprechen sein dürfte. Zweitens soll ein Defizit an wie auch immer relevanter Tatneigung durch andere Faktoren (Verdacht, geringe staatliche Einwirkung) kompensiert werden können. Das vom 2. Strafsenat des BGH und vom BVerfG neuerdings eingeführte zusätzliche Kriterium der "in Gang befindlichen" Straftaten, die durch Provokationen bekämpft werden sollen 6, entspricht ebenfalls nicht der konkreten Gefahr, denn wie sich aus dem Zusammenhang der Äußerungen des BGH ergibt, ist damit keine Begrenzung auf bestimmte einzelne Straftaten gemeint? Auch wenn man hinzunimmt, daß der Begriff der konkreten Gefahr relativiert wird im Hinblick auf den Wert der bedrohten Rechtsgüter, so daß das Maß der für den polizeilichen Eingriff vorausgesetzten Wahrscheinlichkeit beim Drohen schwerer Schäden vergleichsweise gering ist 8, oder wenn man mit Vogel annimmt, daß die konkrete von der abstrakten Gefahr überhaupt nicht durch den Grad der Wahrscheinlichkeit unterschieden sei 9, ist doch noch immer ein bestimmter - konkreter - Einzelfall mit überschaubaren möglichen Auswirkungen relevant. Die unqualifizierte Tatneigung des einzelnen sowie die gefährliche Szene reichen dafür nicht hin. Andererseits ist nicht zu übersehen, daß mit dem Verzicht auf die Gegenwärtigkeit der Gefahr eine Ausweitung der Eingriffsbefugnis gegenüber § 34 StGB erreicht wird, so daß etwa die Planung eines Delikts schon als konkrete Gefahr zu bestimmen sein kann. Im übrigen ist jeder Verstoß gegen das öffentliche Recht schon eine die Polizei zum Handeln befugende Störung der (formalen) öffentlichen Sicherheit. Darunter fällt der unerlaubte Besitz von Waffen und Rauschgift. Z. B. BGH NJW 1981, 1626 f. Ebenso zum Verdacht BGH StrVert 1985, 309 (310). 6 BGH StrVert 1985,309 (3IOf.); NJW 1986, 1764; BVerfG v. 10.3.1987 BvR 186/87. 7 Dazu oben 1. Teil A I 6, VI. 8 Martens in Drews / Wacke / Vogel / Martens, Gefahrenabwehr, Bd. 2, S. 109. 9 Vogel in Drews / Wacke / Vogel / Martens, Gefahrenabwehr, Bd. I, S. 178. 4

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C. Öffentlichrechtliche Begründungen der Provokation

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Im Hinblick auf die dargestellte Beschränkung polizeilichen Handeins wird der Begriff des Gefahrverdachts eingeführt. Er soll mehr als die konkrete Gefahr umfassen, den Verdacht der konkreten Gefahr, und soll "vorläufige", wenn besonders wichtige Rechtsgüter auf dem Spiel stehen, auch "endgültige" Maßnahmen rechtfertigen. Insbesondere sollen "Gefahrerforschungseingriffe" zulässig sein 10. Darunter könnten auch manche Provokationen gefaßt werden. Alle genannten Termini sind jedoch problematisch. Die Unterscheidung zwischen ,vorläufig' und ,endgültig' ist nur tendenziell möglich. Auch eine sehr schwere Körperverletzung ist vorläufig, insofern sie wieder geheilt werden kann; ein gesprengtes Haus kann wieder aufgebaut werden. Fast alles ist gegenwärtig rekonstruierbar. Endgültig sind die genannten Ereignisse aber auch, insofern sie Tatsachen sind und wie alle Tatsachen, wie auch das harmlose Befragen von Bürgern zwecks Gefahrerforschung, nicht reversibel sind. Immerhin könnten als Orientierungshilfe für die Unterscheidung die Gesichtspunkte herangezogen werden, die entwickelt wurden, um die "Regelung eines vorläufigen Zustandes" gemäß § 123 Abs. 1 S. 2 VwGO näher zu bestimmen 11. Auch dies führt jedoch nicht an der Feststellung vorbei, daß auch vorläufige Maßnahmen der Polizei Eingriffe sind, sofern sie Rechte der Bürger beeinträchtigen, und als solche der gesetzlichen Begründung bedürfen. Der Gefahrenverdacht nun, der vorläufige, u. U. aber auch endgültige, Maßnahmen der Polizei auslösen soll, ist nicht zu unterscheiden von der Gefahr. Deren Annahme beruht stets auf einem subjektiven Wahrscheinlichkeitsurteil, und es sind keine nachvollziehbaren Kriterien erkennbar, wie die "objektiv bestehende" Gefahr von der subjektiv vorgestellten und der Anscheinsgefahr ex ante unterschieden werden sollte 12. Allerdings kann man das subjektive Wahrscheinlichkeitsurteil aus dem Horizont des verständigen Beobachters ex ante bestimmen, wie es hier zur gegenwärtigen Gefahr i. S. des § 34 StGB vorgeschlagen wurde. Davon läßt sich dann das subjektive Wahrscheinlichkeitsurteil des einzelnen Polizisten in der jeweiligen Situation unterscheiden. Aber dieses wird herkömmlich als Putativgefahrurteil klassifiziert und ist mit ,Gefahrverdacht' gerade nicht gemeint. Der Begriff bezeichnet also entweder dasselbe wie der der konkreten Gefahr - dann ist er überflüssig - oder er ist Ausdruck des Bestrebens, Eingriffe eben doch ohne konkrete Gefahr zuzulassen. Dafür aber fehlt im allgemeinen (von Standardmaßnahmen abgesehen) die gesetzliche Grundlage. Gefahrerforschungseingriffe sind demnach unzulässig, soweit sie nicht speziell gesetzlich begründet sind. Denkbar ist freilich, unter dem Begriff der Gefahrerforschung - in Analogie zur informatorischen Befragung vor dem strafprozessualen Ermittlungsverfahren Martens, a.a.O., S. 110 f.; Rasch, a.a.O., § 1 ME Rn 27 f. Vgl. Eyermann / Fröhler, VwGO, § 123 Rn 8, 10, 11, 13a. 12 Darnstädt, Gefahrenabwehr und Gefahrenvorsorge, S. 94 ff.; ähnlich Schmidhäuser, Strafrecht AT, 8/33,42. 10 11

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2. Teil: Rechtfertigung und Begründung der Deliktsprovokation

- der Polizei Infonnationserhebungen auch im Umfeld der konkreten Gefahr zu gestatten. Aber die Deliktsprovokation könnte derart nicht gerechtfertigt werden, denn sie beschränkt sich nicht auf Infonnationserhebung, weil sie eine Straftat und damit eine Störung der öffentlichen Sicherheit herbeiführen soll. Das ist nicht als Gefahrerforschung zu begründen. Ein modernerer Begriff, der die Überschreitung des Bereichs konkreter Gefahr kennzeichnet, ist der der Gefahrenvorsorge l3 • Er wurde zunächst im Umweltschutz- und Atomrecht entwickelt, wo in der Tat schwere Gefahren kontrolliert werden müssen und nicht darauf vertraut werden kann, daß die Individuen solche Gefahren autonom bewältigen könnten, solange nicht im Einzelfall eine konkrete Gefahrprognose möglich ist. Der Begriff der Gefahrenvorsorge klassifiziert einmal die im positiven Recht speziell geregelten einzelnen vorbeugenden Maßnahmen der Gefahrenkontrolle, insbesondere die Verbote mit Erlaubnisvorbehalt, z. B. nach dem BImSchG, die Maßnahmen der Verfassungsschutzämter, die Standardmaßnahmen nach den neuen Polizeigesetzen, z. B. § 9 ME. Auch die hier mehrfach erwähnten gesetzlich begründeten Maßnahmen vorbeugender Straftatenbekämpfung gehören zur Gefahrenvorsorge. Die Deliktsprovokation läßt sich ebenfalls derart klassifizieren, insofern sie darauf zielt, zu verhindern, daß eine konkrete Gefahr eintritt. Aber aus der Anerkennung der Klassifikation der Gefahrenvorsorge ist nicht abzuleiten, daß allgemein Maßnahmen der Gefahrenvorsorge zulässig seien. Denn dafür fehlt wiederum die gesetzliche Grundlage. Auch durch Analogie zu den gesetzlich vorgesehenen Gefahrenvorsorgemaßnahmen lassen sich nicht gesetzlich geregelte Maßnahmen, wie die Deliktsprovokation, nicht begründen. Denn Gefahrenvorsorgemaßnahmen stellen oft rechtsstaatliche Garantien in Frage 14. Wenn polizeiliche Maßnahmen nicht mehr konditional an individualisierbare Tatbestände gebunden sind, sind auch nicht mehr einzelne Störer Bezugsobjekte polizeilichen Handeins, sondern antizipierte Gefahren, die "Problemgruppen" zugeschrieben werden. Sind aber das Verhalten des einzelnen und die polizeiliche Reaktion nicht mehr situativ bestimmbar, dann sind richterlich beide Verhaltensweisen auch nicht mehr rechtlich qualifizierbar, sofern nicht gesetzlich abstrakt bestimmte Verhaltensweisen rechtlich qualifiziert werden. Denn ohne solche gesetzliche Bestimmung läßt sich nur situativ "qualifizieren, ob sich der einzelne rechtmäßig oder als Störer verhalten hat, und nur aus dieser Situation läßt sich wiederum das polizeiliche Handeln als rechtmäßig oder rechtswidrig bestimmen"15. Die Verhältnismäßigkeit von staatlichen Maßnahmen läßt sich rational nur bestimmen im Hinblick auf konkrete Gefahren 16. Die vom BGH angegebene Kumulation von vagen Zulässigkeitskrite13

Martens, a.a.O., S. 59, 187; Rasch, a.a.O., Rn 24.

14 Zum folgenden Wagner, Polizeirecht, S. 81 f. 15 Wagner, Polizeirecht, a.a.O. 16 So werden die im Atomrecht gesetzlich geforderten umfangreichen Vorsorgemaß-

nahmen, die die wirtschaftliche Nutzung der Atomkraft erheblich einschränken, im

c. Öffentlichrechtliche Begründungen der Provokation

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rien für die Deliktsprovokation, die zudem wechselseitig ihr Fehlen sollen kompensieren können, ist Symptom der sachlichen Unmöglichkeit, jenseits konkreter Gefahren und darauf bezogener Maßnahmen die Verhältnismäßigkeit rational zu bestimmen. Im Hinblick auf diese rechtsstaatlichen Probleme ist es nicht angemessen, Gefahrvorsorgemaßnahmen wie die polizeiliche Deliktsprovokation generell im Wege der Analogie zu begründen. Ob die Deliktsprovokation im Zusammenhang eines gesetzlich geregelten vorbeugenden Verbots mit Erlaubnisvorbehalt oder als vorbeugende Maßnahme des Verfassungsschutzes zu begründen ist, wird später geprüft. 2. Polizeipflichtigkeit Im Horizont des allgemeinen Polizeirechts ergibt sich als Fazit, daß eine Deliktsprovokation durch die Polizei als zulässige Maßnahme in Betracht kommt, wenn sie dazu dient, eine Störung oder konkrete Gefahr abzuwenden. Sie muß dann gegen einen polizeipflichtigen Adressaten gerichtet werden. Adressat ist einmal der von einer formellen Polizeiverfügung mit deren verbietender oder gebietender Regelung Betroffene. Eine solche Regelung wird im Fall der Provokation gegenüber dem Provozierten nicht getroffen. Es ist aber nirgends festgelegt, daß die Polizei nur regelnde Maßnahmen zur Gefahrenabwehr ergreifen dürfe. Sie kann auch mit Realakten vorgehen 17. Ein solcher ist die Deliktsprovokation. Ihr Adressat ist zunächst der Provozierte, in dessen allgemeines Persönlichkeitsrecht eingegriffen wird. Er ist polizeipflichtig, wenn er Störer ist, z. B. weil er unerlaubt W·affen besitzt oder weil er die öffentliche Sicherheit konkret gefährdet, z. B. gewerbsmäßig falsche Ausweise herstellt. Ist er nicht selbst Störer, so kann er nur unter den Voraussetzungen des polizeilichen Notstands in Anspruch genommen werden: Gegenwärtige Gefahr, Unmöglichkeit, den Störer heranzuziehen, Vorrang eigener polizeilicher Gefahrabwendung, Zumutbarkeit für den Nichtstörer. Nun wird in der gegenwärtigen polizeilichen Provokationspraxis der in Anspn.L·h genommene Provozierte oft jemand sein, der selbst die öffentliche Sicherheit stört, z. B. weil er Betäubungsmittel unerlaubt besitzt. Auch dann wird er aber noch als Nichtstörer in Anspruch genommen, wenn die polizeiliche Deliktsprovokation nicht gerade darauf zielt, die von ihm ausgehende Gefahr abzuwenden, vielmehr eine andere Gefahr abwenden soll, die er nicht verursacht hat. Beispiel: Die Polizei provoziert einen Kleindealer, aber nicht um die von ihm Hinblick auf das erkennbare Restrisiko nicht unplausibel als unverhältnismäßig kritisiert. Man kann aber ebenso plausibel im Hinblick auf die möglichen enormen Schäden die Zulassung der Atomkraftnutzung für unverhältnismäßig halten. Rationale rechtliche Bewertung ist hier am Ende; vgl. R. Wolf, KJ 1986,214 ff. 17 Vogel in Drews / Wacke / Vogel / Martens, Gefahrenabwehr , Bd. 1, IS. 102.

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2. Teil: Rechtfertigung und Begründung der Deliktsprovokation

eventuell ausgehende Störung oder Gefahr zu beseitigen, sondern um über die Beobachtung seines Verhaltens an ein größeres illegales BtM-Lager heranzukommen, das Dritte unterhalten. Diese sind Störer. Der Kleindealer wird hier als Nichtstörer in Anspruch genommen. Wegen der gesteigerten Voraussetzungen polizeilichen Notstands, insbesondere Gegenwärtigkeit der Gefahr, werden damit die rechtlichen Möglichkeiten der Provokation noch weiter eingeengt. Wenn ein Delikt provoziert wird, das wiederum subjektive Rechte einzelner beeinträchtigt, sind auch diese Adressaten des polizeilichen HandeIns; sind sie nicht Störer, dürfen auch sie nur unter den Voraussetzungen des polizeilichen Notstandes in Anspruch genommen werden. Wird bei der Provokation eines BtM-Delikts ein Nichtstörer in Anspruch genommen, so kann das Kriterium der Zumutbarkeit bedeutsam werden. Es wird dahin konkretisiert, daß u. a. für den Nichtstörer keine "erhebliche eigene Gefährdung" verursacht werden darf l8 • Insofern dürfte es unzulässig sein, jemanden in die Gefahr einer Suchtkrankheit oder gar körperlichen Schädigung zu bringen.

3. Geeignetheit und rechtliche Unmöglichkeit Polizeiliche Maßnahmen müssen zur Abwehr der Gefahr geeignet sein. Fälle, in denen die empirische Eignung der Provokation zu bejahen ist, wurden bei der Erörterung der privaten Notstandsmaßnahmen, unter dem Stichwort ,erforderlich' dargestellt. Die rechtliche Eignung polizeilicher Maßnahmen folgt jedoch anderen Kriterien als private Notstandsmaßnahmen. Im allgemeinen darf polizeiliche Gefahrenabwehr nur in die subjektiven Rechte des Störers, im polizeilichen Notstand auch in die subjektiven Rechte des Nichtstörers eingreifen. Mit solcher Begründetheit des Eingriffs wird dann zugleich das Strafunrecht ausgeschlossen, das mit dem Eingriff in die Rechtsgüter verbunden ist, die durch Straftatbestände geschützt sind. Im übrigen aber müssen sich polizeiliche Maßnahmen im Rahmen der Gesetze halten, u. a. im Rahmen der Zuständigkeitsverteilung. Die Zuständigkeit gehört zu den Voraussetzungen des polizeilichen HandeIns; sie ist diesem nicht verfügbar. Zu Beginn dieser Untersuchung wurde nun gezeigt, daß die Deliktsprovokation, die darauf gerichtet ist, jemanden dadurch ungefährlich zu machen, daß er qua Provokation zu einer Tat veranIaßt und mit einer Freiheitsstrafe belegt wird, gegen das verwaltungsrechtliche Verbot der Koppelung von Zuständigkeiten verstößt, weil sie die strafrechtlichen Pflichten des Bürgers zu dessen Lasten instrumentalisiert für Zwecke der Gefahrenabwehr. Das Koppelungsverbot bindet auch das polizeiliche Handeln. Deshalb ist die Deliktsprovokation mit der dargestellten Zweckbestimmung auch zur Abwendung konkreter Gefahren nicht zulässig. Allerdings sind fremde Zuständigkeiten für die Polizei nicht gänzlich tabu. 18

§ 6 Abs. 1 Nr. 4 ME; § 8 Abs. 1 Nr. 4 NdsSOG.

C. Öffentlichrechtliche Begründungen der Provokation

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Aber sie darf in diese allenfalls eingreifen, um eine von einer fremden Behörde ausgehende Gefahr oder Störung zu beseitigen; zudem darf die betroffene Behörde nicht in ihrer Aufgabenerfüllung gestört werden 19. Im Fall der Deliktsprovokation geht von der Strafjustiz keine Störung aus. Außerdem wird durch die Provokation die justizielle Wahrung des Tat- und des Schuldprinzips gestört. Auch diese Prinzipien stehen der polizeilichen Deliktsprovokation entgegen, allerdings nur derjenigen Provokation, die darauf zielt, den Provozierten bestrafen zu lassen, nicht also derjenigen Provokation, mittels derer die Polizei andere Gefahrabwehrerfolge erzielen, z. B. eine Geiselnahme beenden, gefährliche Gegenstände, wie Waffen oder Rauschgift, finden und beschlagnahmen will. Praktisch dürfte die hier vorgeschlagene Begrenzung der polizeilichen Deliktsprovokation nach ihren Zwecken keine große Bedeutung erlangen, denn es dürfte im Prozeß der Polizei oft schwer zu widerlegen sein, daß sie einen der genannten zulässigen Zwecke verfolgt hat. 4. Gesetzesbindung Alle polizeilichen Deliktsprovokationen müssen weiter der Gesetzesbindung in der am Beginn dieser Untersuchung dargestellten Weise 20 entsprechen. In der einschlägigen Literatur wird dies oft dahin formuliert, daß die Polizei nichts rechtlich Unmögliches von dem Inanspruchgenommenen verlangen dürfe 21 ; damit sind unmittelbar nur Verfügungen angesprochen. Aber Realakte der Polizei wie die Provokation unterstehen ebenso der Gesetzesbindung; auch sie dürfen die Gesetzesdurchbrechung nicht fördern, andernfalls "würde die Polizei ihrer eigenen Aufgabe zuwiderhandeln"22. Allerdings werden damit polizeiliche Provokationen nicht stets rechtswidrig. Das soll zunächst anhand derjenigen Provokation gezeigt werden, die Verletzungen von Individualrechtsgütern hervorrufen. Wenn und soweit der Inhaber des Rechtsguts, das von der provozierten Tat betroffen ist, als Polizeipflichtiger in Anspruch genommen werden darf, darf die Polizei den Eingriff in dieses Rechtsgut fördern, also auch provozieren. Der Inhaber ist dann ebenso zur Duldung verpflichtet, wie wenn gegen ihn eine wirksame Duldungsverfügung ergangen wäre 23 . Realakt und Verfügung stehen auch insofern gleich. Die Provokation einer Tat, die in Individualrechtsgüter eingreift, wäre demnach, sofern die sonstigen Voraussetzungen des polizeilichen 19 Martens in Drews I Wacke I Vogel I Martens, Gefahrenabwehr, Bd.2, S. 125 ff., 174; Wagner, Polizeirecht, S. 88. 20 s. o. 1. Teil A I. 21 Vogel in Drews I Wacke I Vogel! Martens, Gefahrenabwehr, 1. Bd., S. 188 f.; Wagner, Polizeirecht, S. 93 f.; Martens in Drews I Wacke I Vogel I Martens, Gefahrenabwehr, Bd. 2, S. 182 f., 205 f. 22 Vogel, a.a.O., S. 190. 23 Vgl. Wagner, Polizeirecht, S. 94. 22 Keller

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2. Teil: Rechtfertigung und Begründung der Deliktsprovokation

Eingriffs gegeben sind, rechtlich möglich. Diesem Ergebnis stehen zwar noch einige Einwände entgegen. Es soll aber, weil es der Rechtsprechung entspricht, zunächst einmal als richtig akzeptiert werden, um zu sehen, welche Konsequenzen sich daraus ergeben. Wenn in die Rechtsgüter des von der provozierten Tat Betroffenen polizeirechtlich zu Recht eingegriffen wird, ist der Erfolg der provozierten Tat gerechtfertigt, die Tat des Provozierten also als Versuch zu bewerten (der Provozierte wird im allgemeinen nicht gewußt haben, daß der Eingriff gerechtfertigt war). Zwar hat der Provozierte den Tatbestand voll erfüllt, so daß § 22 StGB nicht unmittelbar anwendbar ist; wegen der immerhin objektiv gegebenen Rechtfertigung ist nach h. M. aber eine analoge Anwendung der Versuchsrege1n angemessen, sofern der Versuch strafbar ist 24 . Foth und der BGH25 haben gegen die Forderung, den von der Polizei rechtswidrig provozierten Täter straffrei zu lassen oder seine Strafverfolgung zu verbieten, eingewandt, damit werde gegen die Gewaltenteilung verstoßen, weil die Polizei willkürlich jemanden der justiziellen Verfolgung entziehen könne. Dies mag zutreffen. Es steht aber der hier vorgeschlagenen Bewertung der rechtmäßig provozierten Tat als Versuch nicht entgegen. Daß der Provozierte nicht wegen eines vollendeten Delikts bestraft wird, ist begründet in der Rechtfertigung des Erfolgsunwerts. Diese ist Teil der Rechtfertigung des gesamten polizeilichen Eingriffs aufgrund des Polizeirechts. Daß solche Rechtfertigung (z. B. einer Körperverletzung als zulässiges polizeiliches Zwangsmittel) möglich ist, dürfte kaum zu bestreiten sein. Daran hat der Bürger teil, den die Polizei zum Mittel ihres Eingriffs macht. - Die hier vertretene Bewertung der provozierten Tat als Versuch schließt im übrigen nicht aus, aus anderen als den hier behandelten Gründen - z. B. Folgenbeseitigung, fehlendes Strafbedürfnis, Strafzweckstörung, Verwirkung, Strafklageverbrauch - die provozierte Tat für straffrei, nicht verfolgbar, nicht beweisbar zu halten. Das ist nicht Gegenstand der vorliegenden Untersuchung. Daß die provozierte Tat als Versuch bewertet werden soll, scheint allerdings der zur Rechtfertigung der Deliktsprovokation von seiten Privater gemäß § 34 StGB vertretenen Lösung zu widersprechen. Dort sollte der Provozierte wegen 24 Es entspricht der gegenwärtig überwiegenden Meinung, daß zur vollständigen Rechtfertigung eines Verhaltens auch die Kenntnis der rechtfertigenden Sachlage gehört, andererseits bei Fehlen des Erfolgsunwerts die Haftung wegen des vollendeten Delikts nicht sachgemäß wäre; vgl. Samson in SK StGB Rn 24 vor § 32; Stratenwerth, Strafrecht AT, Rn 493; lescheck, Lehrbuch, § 31 IV. Vertreten wird auch, daß die Tat als vollendetes Delikt zu bewerten sei; vgl. Zielinski, Handlungs- und Erfolgsunwert, S. 259 f. Dies führt im vorliegenden Problem letztlich zu keinem wesentlich anderen Ergebnis als dem hier vertretenen, s. u. Anm. 33. - Die Bewertung speziell der polizeilich provozierten Haupttat als Versuch wird erwogen von Puppe, NStZ 1986,404 (405); Seelmann, ZStW 95 (1983), 797 (826 f.); Schünemann, StrVert 1985, 424 (429 f.). 25 Foth, NJW 1984,221 (222); BGHSt 32, 345 (353).

C. Öffentlichrechtliche Begründungen der Provokation

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eines vollendeten Delikts haften, weil er nicht wie der Provokateur im Notstand handelte. Daß demgegenüber die Haftung des Provozierten eingeschränkt wird, wenn er im Rahmen polizeilicher Gefahrenabwehr zulässigerweise provoziert wurde, hängt zusammen mit der Differenz von staatlichem Handeln und privatem sowie mit den kategorialen Unterschieden zwischen den Normen, die staatliches, und denen, die jedermanns Handeln leiten sollen. Die Rechtfertigung gemäß § 34 StGB betrifft nur die Primärnorm des Anstiftungsverbots 26 , das jedermann bindet, und die diesbezügliche Sekundärnorm. Das Anstiftungsverbot wird durch die Gegennorm des § 34 StGB aufgehoben. Wenn hingegen die Polizei aufgrund ihrer Eingriffsbefugnisse eine Tat fördern darf, so wird damit auch diejenige Norm aufgehoben, die der Polizei unabhängig vom Anstiftungsverbot gebietet, rechtswidrige Haupttaten von Bürgern nicht zu fördern. Das ist, wie oben gezeigt wurde 27 , eine vom Anstiftungsverbot kategorial unterschiedene Norm; es ist die speziell die Polizei bindende Sekundärnorm, die an diejenige Primärnorm gebunden ist, die die Haupttat verbietet. Die Aufhebung der die Polizei bindenden Sekundärnorm durch die polizeirechtliche Gegennorm - die Befugnis den Tatbetroffenen in Anspruch zu nehmen - beeinflußt auch die ihr zugrunde liegende Primärnorm, die die Haupttat verbietet. An sich ist eine Primärnorm ohne eine Sekundärnorm, die staatlichen Instanzen gebietet, für die Einhaltung der Primärnorm zu sorgen, denkbar. Deshalb könnte man annehmen, die Aufhebung der Sekundärnorm, die der Polizei gebietet, für die Einhaltung der die Haupttat verbietenden Primärnorm zu sorgen, und ihr verbietet, Durchbrechungen der Primärnorm zu fördern, berühre das primäre Verbot der Haupttat nicht. Es wird jedoch durch die polizeirechtliche Gegennorm nicht nur das in der Sekundärnorm enthaltene Verbot, Durchbrechungen der Primärnorm zu fördern, aufgehoben, so daß die Polizei rechtlich frei wäre. Die Polizei verliert hinsichtlich der Haupttat nicht ihre Zuständigkeit. Vielmehr wird eine durch das Ermessen modifizierte Förderungspflicht anstelle des Förderungsverbots hinsichtlich der Haupttat statuiert; das Fördern der Haupttat durch die Polizei ist, wenn es zugelassen wird, Ausführung einer Norm: der polizeilichen Aufgabe der Gefahrenabwehr. Und die Realisierung der Haupttat ist der normgemäße Zustand im Sinne der Sekundärnorm. Er kann nicht von der Primärnorm verboten werden, denn dann müßte der Polizei das Fördern der Primärnormdurchbrechung verboten sein. Widersprächen sich Sekundär- und Primärnorm, so widerspräche die Rechtsordnung sich selbst und die Polizei würde mit dem Fördern der Haupttat "ihrer eigenen Aufgabe zuwiderhandeln" (Vogel). Das ist anders im Verhältnis von Anstiftungsverbot und Verbot der Haupttat. Diese Normen sind nicht als Sekundär- und Primärnorm aufeinander bezogen. Der jedermann, an den sich das Anstiftungsverbot wendet, hat als solcher keine 26

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Ebenso verhält es sich mit den Verboten der Beihilfe und Mittäterschaft. s. o. 1. Teil A I 1.

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2. Teil: Rechtfertigung und Begründung der Deliktsprovokation

Zuständigkeit, keine Aufgabe hinsichtlich der Einhaltung der Primärnorm. Deshalb kann die Anstiftung unabhängig von der Haupttat gerechtfertigt werden. Aus dem Verbot der Haupttat folgt nicht, daß jedermann zu verhindern hätte, daß sie stattfindet, und jedermann verboten sei, sie zu fördern. Wohl aber folgt aus dem Verbot der Haupttat, daß die Polizei im Rahmen ihres Ermessens sie zu verhindern hat und daß sie sie keinesfalls fördern darf. Wenn dies, die Sekundärnorm also, aufgehoben wird, kann das Verbot der Haupttat, die Primärnorm also, davon nicht unberührt bleiben. Nachzutragen bleibt, daß die Annahme, jedermann habe keine Zuständigkeit und Aufgabe hinsichtlich der Einhaltung der Primärnormen, in Frage gestellt wird von jener Version der Unrechtsteilnahmelehre, die meint, das Unrecht der Teilnahme sei darin begründet, daß der Teilnehmer einen Rechtsbruch gefördert hat. Damit wird, wie oben ausgeführt 28 , jedermann in den Status des zuständigen Polizisten versetzt. Deshalb ist diese Version der Unrechtsteilnahmelehre problematisch. Sie verwischt die verfassungsrechtlich grundlegende Differenz des Handelns der "vollziehenden" (zuständigen, beauftragten) "Gewalt" (Art. 20 Abs. 2, 3 GG) einerseits und des Handeins der Bürger (d. h. jedermanns), die gegen die vollziehende Gewalt Freiheitsgrundrechte haben, andererseits. Bisher wurden polizeiliche Provokationen betrachtet, die vermittelt durch die provozierte Tat in Individualrechtsgüter eingreifen. Praktisch dürften Eingriffe in Kollektivrechtsgüter oder in Tatbeständen verbotene abstrakte Gefährdungen häufiger vorkommen, z. B. Provokation von Agententätigkeit gemäß §§ 98, 99 StGB, Provokation von Waffen- oder BtM-Delikten. Ob die Gesetzesbindung solche Provokationen ebenso zuläßt wie die Provokation von Eingriffen in Individualrechtsgüter ist nicht sicher. VogeP9 scheint dies anzunehmen, wenn er es für zulässig hält, daß die Polizei einzelne in Notstand zur Durchbrechung objektiver Normen veraniaßt, die abstrakte Gefährdungen verbieten. Auf diesem Weg könnten auch diverse typische Begleittaten polizeilicher Provokation gerechtfertigt werden, z. B. das Herstellen falscher Ausweise für den Provokateur, Strafvereitelung, Vortäuschen von Straftaten, Rechtsstaatsgefährdungsdelikte. Das Polizeirecht regelt Eingriffe in subjektive Rechte, weil es die Behörden mit der Abwendung konkreter Gefahren beauftragt, die meist von natürlichen oder juristischen Subjekten, den Polizeipflichtigen, zu verantworten sind. Zur Abwendung der konkreten Gefahr darf in die Rechte dieser für die Verantwortlichen eingegriffen werden. Ausnahmsweise darf im Notstand auch in die subjektiven Rechte Dritter eingegriffen werden. Im übrigen steht das polizeiliche Handeln unter dem verfassungsrechtlichen Vorrang des Gesetzes (Art. 20 Abs.3 GG). Das Polizeirecht befugt nicht zur Durchbrechung beliebiger objektiver Normen, um konkrete Gefahren abzuwenden. Die Erfüllung objektiver Straftatbestände wird nur gerechtfertigt, wenn der Eingriff in das von ihnen geschützte Individual28 s. o. I. Teil A I 2, E I 2 b, 2. Teil A VI I. 29 In Drews/Wacke/Vogel/Martens, Gefahrenabwehr, 1. Bd., S. 190.

C. Öffentlichrechtliche Begründungen der Provokation

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rechtsgut polizeirechtlich begründet ist, weil der Rechtsgutsinhaber wie oben beschrieben polizeipflichtig ist. Die Durchbrechung anderer objektiver Nonnen zwecks Gefahrenabwehr ist damit nicht ausgeschlossen; sie ist zulässig, wenn sie durch ein Spezialgesetz begründet ist (z. B. § 35 StVO, § 4 Abs. 2 BtMG) oder durch eine zuständige Behörde wirksam genehmigt wird. Sachlich sind die objektiven Verbotsnonnen z. B. der StVO und des BtMG präventive Ordnungen eines sozialen Bereiches. Damit wird einmal Berechenbarkeit des sozialen Verkehrs, zum anderen Gefahrenvorsorge für die beteiligten Rechtsgüter bewirkt. Oft ist eine Behörde damit beauftragt, die Ordnung zu konkretisieren und die Gefahrenvorsorge durchzuführen, u. a. indem sie ansonsten verbotene Handlungen ausnahmsweise erlaubt. Auf solche gesetzliche oder behördliche Ausnahmeerlaubnisse ist die Polizei angewiesen, wenn sie zur Abwendung konkreter Gefahren objektive Nonnen durchbrechen und Kollektivrechtsgüter beeinträchtigen will. Wenn bei konkreter Gefahr alle Nonnen der Polizei zur Disposition stünden, würde die konkrete Gefahr ausgedehnt zu einer Gefährdung der sozialen Ordnung, die die objektiven Nonnen gewährleisten sollen. Der im Polizeirecht zugrundegelegte Zusammenhang von konkreter, d. h. bestimmter Gefahr des Einzelfalles und Abwehr durch Eingriff in einzelne subjektive Rechte begrenzt den Konflikt. Nun könnte man die Behörde, die den von den objektiven Nonnen geordneten Bereich verwaltet, als Nichtstörer bestimmen, dessen Rechtsgut, d. h. der verwaltete Bereich, im Notstand polizeilich in Anspruch genommen werden darf. Indessen steht dem entgegen, daß Behörden und ihre Verwaltungstätigkeit zwar materiell polizeipflichtig sind, die Polizei aber nicht ohne Genehmigung der betroffenen oder einer übergeordneten Behörde in den Bereich faktisch eingreifen darf. Das ist die Umsetzung der soeben erläuterten Bindung ans objektive Recht. Daran ändert auch der von Vogel 30 betonte "allgemeine Grundsatz der Güterabwägung" nichts. Er ist relevant als Korrektiv im Rahmen einer gesetzlichen Eingriffsbegründung. Er ersetzt nicht gesetzliche Begründungen. Nimmt man gleichwohl an, die objektivrechtlich geregelten Ordnungen stünden einer allgemeinen Güterabwägung der Polizei zur Disposition, so impliziert dies, daß bei konkreter Gefahr Recht allgemein durch materialisierende Erwägungen relativiert wird. Dann müßte auch die öffentliche Sicherheit selbst konsequent materiell bestimmt werden. Ein (abstrakt gefährlicher) Rechtsbruch dürfte noch nicht als Störung oder Gefahr bestimmt werden. Die polizeiliche Eingriffsbefugnis wäre erst gegeben, wenn ein, wie auch immer zu fassendes, materielles Rechtsgut konkret gefährdet ist 31 . Das widerspricht der allgemeinen Meinung. Daß die Polizei nicht rechtlich über die Einhaltung von objektiven Nonnen disponieren kann, entspricht auch der Ansicht Foths und des BGH32. Foth sieht 30 In Drews / Wacke / Vogel! Martens, Gefahrenabwehr, l. Bd., S. 190. 31 Dezidiert gegen solche Restriktion Vogel, a.a.O., S. 158, 166. 32 Foth, NJW 1984, 221 (222); BGHSt 32, 345 (353).

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2. Teil: Rechtfertigung und Begründung der Deliktsprovokation

einen Verstoß gegen die Gewaltenteilung in der Annahme, die Polizei könne mit ihren Deliktsprovokationen die Anwendung der Strafgesetze außer Kraft setzen. Er wendet dies zwar nur gegen die Straffreiheit des Provozierten ein. Es muß aber ebenso hinsichtlich der polizeilichen Provokationshandlung gelten. Ausgehend von der Feststellung, daß die Einhaltung objektiver Normen der Polizei nicht zur Disposition steht, soll nun nochmals die Frage aufgenommen werden, ob die polizeiliche Provokation einer Tat, die in Individualrechtsgüter, d. h. subjektive Rechte, eingreift, zulässig ist. Polizeirechtlich begründet sein kann, wie ausgeführt, der Eingriff in das Recht des von der Tat Betroffenen. Solche Eingriffsbefugnis kann sich strafrechtlich derart auswirken, daß z. B. die von einem Polizisten begangene vorsätzliche Körperverletzung gerechtfertigt, weil als polizeiliches Zwangsmittel begründet ist. Insoweit wird das objektive Strafrecht von der polizeirechtlichen Eingriffsbefugnis aufgehoben. Mit der polizeilichen Provokation einer Straftat gegen einzelne ist aber mehr verbunden als der gerechtfertigte Eingriff ins subjektive Recht des von der Tat Betroffenen. Es wird zugleich das als Versuch zu bewertende Handlungsunrecht, das der Provozierte setzt, gefördert. Dieser Effekt geht hinaus über den vorsätzlichen Eingriff in das subjektive Recht des von der Tat Betroffenen. Er ist nicht zusammen mit diesem Eingriff gerechtfertigt, denn der Handlungsunwert kommt dem Verhalten des Provozierten gerade von seiner subjektiven Ausrichtung auf einen nicht gerechtfertigten Erfolg zu. Das Verhalten des Provozierten verstößt gegen die Norm, die den Versuch verbietet. Der von der Polizei geförderte Verstoß ist ebenso zu bewerten wie etwa ein provoziertes Gefährdungsdelikt oder die provozierte Verletzung eines Kollektivrechtsguts. Wie diese kann auch der provozierte Versuch, sofern er strafbar ist, nicht polizeirechtlich gerechtfertigt werden. Auch dies dürfte (wohl ungewollt) der Meinung Forths und des BGH entsprechen, wonach das objektive Strafrecht der Polizei nicht zur Disposition steht. Fazit: Die polizeiliche Deliktsprovokation zwecks Gefahrenabwehr verstößt nur dann nicht gegen die Gesetzesbindung, wenn die provozierte Tat nur in subjektive Rechte eingreift und der Versuch der Tat straffrei ist 33 • In diesem Fall ist die provozierte Tat als straffreier Versuch zu bewerten. Kurz: Der Zulässigkeit der Deliktsprovokation korreliert die Straffreiheit des Provozierten. Diese Bewertung mag strafrechtlichem Denken widersprechen; sie wird aber plausibel, wenn man sie mit der Regelung des polizeirechtlichen Notstands vergleicht; diese besagt sinngemäß, daß der in Anspruch genommene Unbeteiligte aus seiner polizeilichen Inanspruchnahme letztlich keinen Schaden erleiden soll 34. Auch der 2. Strafsenat des BGH tendiert in diese Richtung. Auch wenn die Provokation zulässig war, soll der Provozierte eine erhebliche Strafmilderung oder eine Ver33 Wenn bei nur objektiv gegebener Rechtfertigungslage die Tat als vollendet bewertet wird (so Zielinski, Handlungs- und Erfolgsunwert im Unrechtsbegriff, S. 259 ff.), so fördert die Provokation immer rechtswidriges Verhalten und ist immer verboten. 34 Vgl. § 45 ME; § 58 NdsSOG.

C. Öffentlichrechtliche Begründungen der Provokation

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fahrenseinstellung erhalten, wenn er im öffentlichen Interesse in Schuld und Strafe verstrickt wurde 35 •

5. Geringstmöglicher Eingriff und Verhältnismäßigkeit Folgt man der hier vorgeschlagenen Lösung, so folgt aus einer zulässigen Provokation für den Provozierten keine Strafbarkeit. Es wird dann mit der zulässigen Provokation nicht in sein Recht auf Rücksichtnahme auf seine soziale Integration eingegriffen. Auch die vertrauensmißbräuchliche Wirkung der Provokation ist dann gering; zwar wird der Provozierte ungewollt für staatliche Zwecke instrumentalisiert; ein nachteiliger Erfolg entsteht ihm daraus jedoch nicht. Ins Recht auf informationelle Selbstbestimmung wird zwar eingegriffen; an den gewonnenen Informationen hat der Provozierte jedoch nur dann erhebliches Interesse, wenn sie etwa gespeichert werden, um ihn künftig als tatgeneigte Person zu überwachen. Bei der hier vorgeschlagenen Lösung fällt im Rahmen der Verhältnismäßigkeit gegenüber dem Zweck der Provokation also im wesentlichen nur der Schaden ins Gewicht, der an dem von der provozierten Tat betroffenen Individualrechtsgut entsteht. Die Abwägung ähnelt der zu § 34 StGB dargestellten Interessenabwägung. Allerdings muß bei polizeilichen Eingriffen das Interesse an der konkreten Gefahrenabwehr gegenüber dem beeinträchtigten Interesse nicht "wesentlich" überwiegen. Die Maßnahme darf nur nicht zu Nachteilen führen, die zu "dem erstrebten Erfolg erkennbar außer Verhältnis" stehen (§ 2 Abs. 2 ME). Die bei § 34 StGB notwendige Unterscheidung zwischen solchen Rechtsgutsinhabern, die die abzuwendende Gefahr verschuldet haben, und solchen, die unbeteiligt sind, wird im Polizeirecht ersetzt durch die Differenzierung zwischen Störern und Nichtstörern, die nur unter den besonderen Voraussetzungen des polizeilichen Notstands in Anspruch genommen werden dürfen. Wenn allerdings angenommen wird, die polizeiliche Deliktsprovokation könne zulässig sein und zugleich sei die provozierte Tat strafbar, so beeinträchtigt die Provokation das subjektive Recht des Provozierten auf Rücksichtnahme auf seine soziale Integration. Wer weiter annimmt, die polizeiliche Deliktsprovokation könne auch zulässig sein, wenn sie darauf zielt, den Provozierten mittels Freiheitsstrafe unschädlich zu machen, müßte im Hinblick auf das Gebot des geringstmöglichen Eingriffs die Alternativen zu der erwähnten Art der Unschädlichmachung prüfen, d. h. sozialstaatliche Hilfsmaßnahmen, die den gefährlichen Menschen von seiner Neigung abbringen. Das ist zwar z. B. bei der BtM-Kriminalität oft nicht aussichtsvoll, aber nicht stets als ineffektiv außer acht zu lassen. Die die Polizei kontrollierende Rechtsprechung müßte auch sozialstaatliche Maßnahmen mit einbeziehen, die nicht unmittelbar von der Exekutive zur Verfügung gestellt 35

BOR StrVert 1985,309 (310); NJW 1976, 1764.

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2. Teil: Rechtfertigung und Begründung der Deliktsprovokation

werden. Damit überschreitet sie nicht ihre Kompetenz, wenn sie sich andererseits, wie die Rechtsprechung es tut, von der Polizei die Femzwecke vorgeben läßt, die deren Handeln legitimieren sollen. Dies wurde oben im Zusammenhang des Rechts auf Wahrung der sozialen Integration dargestellt. Dort wurde auch gezeigt, daß die Beeinträchtigung des genannten Rechts nicht kompensiert werden kann, wenn etwa Personen, die kleinere oder gelegentlich mittlere Straftaten begehen, provoziert werden, um sie an weiteren Straftaten zu hindern. Auch gegenüber den anderen Zwecken der polizeilichen Provokation, die nach der hier vertretenen Ansicht nicht zulässig sind, fallt ins Gewicht, daß die Provokation stets ins allgemeine Persönlichkeitsrecht des Provozierten (sofern nicht die provozierte Tat straffrei ist, wie hier angenommen wurde) eingreift. Der Eingriff ist auch nicht deshalb irrelevant, weil der Provozierte nicht in seiner Intimsphäre getroffen wurde. Seine soziale Angewiesenheit mindert nicht, sondern begründet seinen Anspruch auf Rücksichtnahme auf seine Integration, sein Vertrauen, seine informationelle Selbstbestimmung. Das wurde bei der Darstellung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts gezeigt. Im Zusammenhang der informationellen Selbstbestimmung ist, da es sich um staatliche Eingriffe handelt, zusätzlich das Interesse zu berücksichtigen, nicht durch Täuschung dazu veraniaßt zu werden, sich selbst der Straftat zu überführen. Dieses Interesse fallt umso mehr ins Gewicht, je mehr die Behörde das Geschehen stimuliert und zugleich informationeIl unter Kontrolle hat, so daß der Provozierte nicht mehr in einer von der Behörde gesonderten sozialen Sphäre die Tat objektiviert.

6. Fazit Die polizeiliche Deliktsprovokation kann nur zur Abwehr einer konkreten Gefahr zulässig sein. Es verstößt gegen das Koppelungsverbot, die Gewaltenteilung, das Tat- und das Schuldprinzip, wenn die Polizei ein Delikt provoziert, um den Provozierten bestrafen und eventuell mittels Freiheitsstrafe justizieIl ungefabrlich machen zu lassen. Gegen die Gesetzesbindung verstößt die polizeiliche Deliktsprovokation nur dann nicht, wenn die provozierte Tat allein in subjektive Rechte eingreift und zusätzlich der Versuch nicht strafbar ist. In diesem Fall ist die provozierte Tat, auch wenn sie den tatbestandlichen Erfolg bewirkte, als straffreier Versuch zu bewerten. Der infolge der Provokation in Anspruch genommene Nichtstörer darf nicht erheblicher eigener Gefabrdung ausgesetzt werden. Nichtstörer ist jeder, der die im Einzelfall abzuwendende Gefahr nicht verursacht hat. Die Polizei darf durch die Provokation nicht gegen objektive Normen verstoßen und solchen Verstoß nicht fördern; Ausnahme: der Verstoß gegen diejenigen

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Strafnormen, die Individualrechtsgüter schützen, die polizeirechtlich in Anspruch genommen werden dürfen. Inwieweit die Überschreitung einzelner objektiver Normen ausnahmsweise behördlich erlaubt werden kann, wird später geprüft. Die Verhältnismäßigkeit der mit der Deliktsprovokation verbundenen staatlichen Eingriffe richtet sich nach ähnlichen Gesichtspunkten wie die Interessenabwägung nach § 34 StGB. Sollte die provozierte Tat strafbar sein, so ist der Eingriff ins allgemeine Persönlichkeitsrecht zu berücksichtigen und dabei auch das Interesse des Provozierten, nicht durch Täuschung dazu veraniaßt zu werden, sich selbst einer Straftat zu überführen.

III. Verfassungsschutzrechtliche Gefahrenvorsorge als Begründung der Deliktsprovokation Politiker erklären zuweilen, die von Verfassungsschutzämtern initiierten Deliktsprovokationen seien nachrichtendienstliche Mittel und somit den Verfassungsschutzämtern gestattet. In der einschlägigen Literatur 1 ist zwar umstritten, was unter nachrichtendienstlichen Mitteln zu verstehen sei, daß die Provokation von Straftaten dazu gehöre, wird von der überwiegenden Meinung allenfalls in Randbereichen des hier als Provokation behandelten Feldes für möglich gehalten. Neuerdings wird allerdings z. T. der "behördlichen Erlaubnis" bei Delikten gegen die Allgemeinheit rechtfertigende Wirkung zuerkannt. Zunächst aber ist die Zuständigkeit der Verfassungsschutzämter zu berücksichtigen, wobei vom Bundesamt ausgegangen werden soll. Es hat Gefahrenvorsorge zu betreiben 2. Ihr lassen sich in der Tat die vom Verfassungsschutz ausgehenden Provokationen zuordnen, soweit sie nicht vergangene Taten aufklären sollen. Aber die Verfassungsschutzämter sollen Gefahrenvorsorge nicht dadurch betreiben, daß sie abstrakte Gefahren beseitigen 3• Sie sind von der Polizei, die meist konkrete - Gefahren effektiv abwehrt, nach dem Gesetz getrennt. Die Verfassungsschutzämter sollen zur Gefahrenvorsorge nur Nachrichten, Auskünfte und sonstige Unterlagen sammeln und auswerten (§ 3 Abs. I BVerfSchG), die u. a. bestimmte politisch relevante, gefährliche Bestrebungen betreffen. Die gesammelten Nachrichten etc. sollen die vorsorgerische Kontrolle dieser Bestrebungen ermöglichen. Damit scheiden all die Provokationen aus dem Zuständigkeitsbereich der Verfassungsschutzämter aus, die darauf gerichtet sind, den Provozierten wegen der provozierten Tat bestrafen zu lassen. Dabei werden zwar auch Nachrichten gesammelt, um sie dann als Beweis der Tat eventuell der Strafverfolgungsbehörde zuzuleiten - ob diese Kooperation die Grenzen der 1 Evers, Privatspähre und Ämter für Verfassungsschutz, S. 161 ff.; Friedrichs, Der Einsatz von V-Leuten, S. 159 f.; Gusy, RiA 1982, 101 (102); Schlink, NJW 1980,552 ff.; Schwagerl, Verfassungsschutz, S. 187; Roewer, Nachrichtendienstrecht, S. 132. 2 Schlink, Amtshilfe, S. 272. 3 Schlink, a.a.O.

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2. Teil: Rechtfertigung und Begründung der Deliktsprovokation

Amtshilfe überschreitet, mag hier offen bleiben 4 - , aber die Nachrichten betreffen Ereignisse, die der Verfassungsschutz selbst erzeugt hat, indem er die Tat, über die er Nachricht gibt, provozierte. Er hätte nur zu berichten über die Lage, wie sie ohne sein Zutun ist. Durch die Provokation hat er "die Lage verfälscht"5 und kann nach der Provokation über eine Lage berichten, die im Horizont der Verfassungsschutzaufgabe nicht interessiert. Auch Aktionen wie der u. a. von Beamten des niedersächsischen Verfassungsschutzamtes inszenierte Bombenanschlag auf die Justizvollzugsanstalt Celle 6 verändern die gegebene Lage, über die zu berichten wäre, und sind insofern nicht von der Zuständigkeit des Verfassungsschutzes gedeckt. Allerdings wurde hinsichtlich dieser Aktion auch erklärt, sie habe V-Leute in der zu beobachtenden gefährlichen Szene glaubhaft machen sollen. Mit dem Beobachtungszweck wäre die Zuständigkeit gewahrt, soweit die Aktion von Verfassungsschutzbeamten betrieben wurde und die Art der zu beobachtenden Gefahren vom entsprechenden Landesverfassungsschutzgesetz gedeckt war? (Hinsichtlich der Mithilfe anderer Behörden sind die Grundsätze der Amtshilfe relevant.) Dann kommt es weiter darauf an, ob der Bombenanschlag ein nachrichtendienstliches Mittel war. Die gleiche Frage stellt sich bei Deliktsprovokationen, die Verfassungsschutzbeamte vornehmen, um Vertrauen in der Szene zu erwerben; sie mögen dafür etwa bei einem Delikt mitwirken oder Mitglied einer terroristischen Vereinigung werden. Schlink u. a. 8 meinen, mit nachrichtendienstlichen Mitteln sei den Verfassungsschutzbeamten gestattet, auf die im allgemeinen gebotene Offenheit hoheitlichen Handeins zu verzichten, als Bürger aufzutreten, und derart alles zu tun, was Bürgern in ihrem Interesse gestattet ist, also als privater Freund, Thekennachbar etc. aufzutreten und aufgrund solcher Täuschung Nachrichten zu sammeln. Danach wäre es Verfassungsschutzbeamten ebensowenig wie Bürgern gestattet, in strafbarer Weise Straftaten zu provozieren. Allerdings dürfen Bürger dies tun, wenn sie gemäß § 34 StGB, wie oben gezeigt, gerechtfertigt sind. Nach Schlink sollen aber Verfassungsschutzbeamte sich nur zum Selbstschutz auf § 34 StGB berufen können. Es würde auch seinem Ansatz und auch der Unterscheidung von nachrichtendienstlichem Handeln des Verfassungsschutzes und polizeilichen Zwangsmitteln zuwiderlaufen, wenn die Zwecke des Verfassungsschutzes mit den den Bürgern zustehenden Zwangsmitteln verfolgt werden können sollten, denn damit erhielte der Verfassungsschutz gemäß § 34 StGB eine Eingriffsbefugnis, die die Zwangsbefugnisse der Polizei überträfe. Nach Schlink darf der 4 Vgl. einerseits RiStBV Nr. 205 f., andererseits die Nachweise bei Keller, StrVert 1984,521 (523). 5 Schwagerl, a.a.O., S. 187; Roewer, Nachrichtendienstrecht, S. 132. 6 Vgl. Der Spiegel Nr. 19 v. 5.5. 1986. ? Vgl. § 3 Abs. 1 NdsVerfSchG. 8 Schlink, NJW 1980, 552ff.; ähnlich Gusy, RiA 1982, 101 (104f.).

C. Öffentlichrechtliche Begründungen der Provokation

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Verfassungsschutzbeamte zu dienstlichen Zwecken also weder Mitglied in einer terroristischen Vereinigung werden, noch zwecks Tarnung eine Bombe zünden, noch eine vollendete Straftat provozieren. Wohl aber darf er danach - wie Bürger - den Versuch einer Straftat provozieren; die damit verbundene Beeinträchtigung der sozialen Integration, der informationellen Selbstbestimmung des Provozierten und der Vertrauensbruch wäre den Verfassungsschutzbeamten wie Bürgern gestattet. Freilich wäre auch die so begrenzte Provokation nur zulässig, wenn sie, wie oben gezeigt, die Nachrichtenbeschaffung absichert. Friedrichs 9 bestimmt die nachrichtendienstlichen Mittel nicht abstrakt. Der Verfassungsschutzbeamte soll aber Nachrichten beschaffen dürfen mittels Täuschung und List; er soll auch zum Abhören technische Mittel einsetzen, fremde Wohnungen betreten und damit u. U. die Tatbestände der §§ 123, 201 StGB verwirklichen dürfen. Die Befugnis, nachrichtendienstliche Mittel einzusetzen, befugt demnach auch zu Straftaten, d. h. ist Rechtfertigungsgrund 10. Über die genannten Eingriffe hinaus sollen Individualrechtsgüter keinesfalls beeinträchtigt werden dürfen. Demnach wären der mit einer Provokation verbundene Vertrauensbruch und der Eingriff in die informationelle Selbstbestimmung wohl als Folge von Täuschung und List gestattet; nicht wäre gestattet, Bürger in die Kriminalität zu locken und damit ihre soziale Integration staatlich zu beeinträchtigen. Friedrichs hält die Deliktsprovokation denn auch für ein dem Verfassungsschutz gänzlich verbotenes MittellI. - Legt man die hier referierte Literatur zugrunde, so dürften sich wenig Fälle finden, in denen die Deliktsprovokation als nachrichtendienstliches Mittel diskutabel ist, nämlich nur, wenn allein ein Versuch provoziert werden sollte~ Ob dies vom Begriff des nachrichtendienstlichen Mittels umfaßt ist, soll hier offen bleiben. Die Bestimmung des Begriffs erforderte eine gesonderte Untersuchung. Vertreter der Polizei und andere Autoren 12 halten es für möglich, daß die mit Aktivitäten des Verfassungsschutzes verbundene Beeinträchtigung von Kollektivrechtsgütern durch eine "Erlaubnis der zuständigen Behörde" gerechtfertigt wird. Das könnte auch für Deliktsprovokationen gelten, wodurch aber das provozierte Delikt allenfalls als Versuch strafbar würde. Die mit der Provokation 9 Der Einsatz von V-Leuten, S. 153 ff.; ähnlich Evers, Privatsphäre, S. 161 ff.; BorgsMaciejewski / Ebert, Das Recht der Geheimdienste, § 3 BVerfSchG Rn 145; Roewer, Nachrichtendienstrecht, S. 113 ff. 10 Enger Borgs-Maciejewski / Ebert, a.a.O., Rn 152, 162. 11 A.a.O., S. 159 f.; ebenso Gusy, a.a.O., S. 103; Borgs-Maciejewski / Ebert, a.a.O., Roewer, a.a.O. 12 Borgs-Maciejewski / Ebert, a.a.O., Rn 148, 152; Bericht des vom Arbeitskreis II der Innenministerkonferenz eingesetzten ad hoc-Ausschusses, in Bürgerrechte und Polizei / CILIP Nr. 17, 1984, S. 77 (83 f.); Friedrichs, a.a.O., S. 156 f.; Rebmann, NJW 1985, 1 (5, Anm. 50); Jescheck, Lehrbuch, § 34 III 4; Dreher / Tröndle Rn 5 vor § 32, § 98 Rn 7; Sonnen in Alt. Komm. StGB, § 98 Rn 10; 01shausen / Niethammer, StGB, Anm. 13 zu § 48; für diskutabel hält Jakobs, Strafrecht AT, 16/28, die behördliche Erlaubnis bei § 98 StGB. Anders Stratenwerth, MDR 1953,717 (721 Anm.28).

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2. Teil: Rechtfertigung und Begründung der Deliktsprovokation

zusätzlich verbundene Beeinträchtigung des Persönlichkeitsrechts des Provozierten könnte eventuell, wie gezeigt, als nachrichtendienstliches Mittel legitimiert werden. Die Straftaten, die möglicherweise mit dem vom niedersächsischen Verfassungsschutzamt inszenierten Bombenanschlag auf eine Justizvollzugsanstalt verbunden waren, könnten ebenfalls durch eine behördliche Erlaubnis gerechtfertigt sein, wenn die Taten allein öffentliche Güter betrafen. (Tatsächlich hatte der Anschlag auch Folgen für einzelne; der Gefangene Debus, dessen Befreiung scheinbares Ziel des Anschlags sein sollte, wurde wegen der scheinbaren terroristischen Aktivitäten verschärften Haftbedingungen unterworfen; einige Monate später starb er an den Folgen eines Hungerstreiks, mit dem er gegen die willkürlichen Hafterschwerungen protestieren wollte 13. Zu erwähnen sind hier auch die V-Leute, die in den fünfziger und sechziger Jahren im Auftrag des Verfassungsschutzes Beziehungen zum Nachrichtendienst einer "fremden Macht" aufnahmen und dabei den Tatbestand des § lOOe a. F. StGB (landesverräterischer Nachrichtendienst; ähnlich jetzt § 98 StGB) verwirklichten; der BGH meinte, ihr Handeln sei gerechtfertigt, weil es erfolgte "im Auftrage und mit ausdrücklicher Genehmigung einer Stelle, zu deren Aufgaben es gehört, unter bestimmten Bedingungen und Voraussetzungen solche Aufträge zu erteilen" 14. Gegenwärtig wird die behördliche Erlaubnis vor allem im Zusammenhang des § 98 StGB für relevant gehalten 15. Schließlich käme in Frage, auch andere Begleitdelikte von staatlichen Provokationen behördlich zu erlauben, z. B. die Fälschung von Ausweispapieren, die Mitgliedschaft in kriminellen oder terroristischen Vereinigungen, die Arbeit für eine verfassungswidrige Partei (§ 84 StGB) und andere Rechtsstaatgefährdungsdelikte. Die Probleme führen zum allgemeinen Thema behördlicher Erlaubnisse.

IV. Präventive Verbote, gesetzliche Befreiungen und behördliche Erlaubnisse Im Rahmen der Gefahrenvorsorge werden u.a. bestimmte Verhaltensweisen, die Rechtsgüter gefährden, gesetzlich verboten. Bestimmt man die damit angestrebte Sicherheit als eigenständiges Rechtsgut, so stellen sich die verbotenen Verhaltensweisen als Beeinträchtigungen dieses Rechtsguts dar. Die Differenz ist hier nicht relevant. Das verbotene Verhalten kann u. a. Behörden ausnahmsweise gesetzlich erlaubt sein (z. B. § 4 Abs. 2 BtMG, § 34 StVO). Das Verhalten 13 Zeugenaussage des Anstaltsleiters vor dem Parlamentarischen Untersuchungsausschuß zur Aufklärung der Hintergründe des Anschlags. 14 BGH 2 StE 6 / 57, Urt. v. 25.4. 1957, unveröffentlicht, zit. nach Evers, Privatsphäre, S. 155 f. Dort finden sich weitere Nachweise der unveröffentlichten Rechtsprechung. Nachweise zu neueren Fällen bei Röhrich, Rechtsprobleme bei der Verwendung von VLeuten für den Strafprozeß, S. 199, 201 f. 15 Borgs-Maciejewski / Ebert, Dreher / Tröndle, Friedrichs, Sonnen, Jakobs jeweils a.a.O. (Anm. 12).

C. ÖffentlichrechtIiche Begründungen der Provokation

349

kann weiter von einer Behörde erlaubt werden, wenn das Gesetz einen Erlaubnisvorbehalt enthält. In den Zusammenhang behördlicher Erlaubnisse gehört auch z. B. die Erlaubnis, das Eigentum der öffentlichen Hand zu beeinträchtigen. Die Erlaubnisse ähneln privaten Einverständnissen und Einwilligungen. Sie können, wie im vorangegangenen Abschnitt gezeigt, die Bewertung der Deliktsprovokation und der sie begleitenden Straftaten beeinflussen. Die rechtlichen Voraussetzungen der gesetzlichen Befreiungen und behördlichen Erlaubnisse gehören zum Staats- und Verwaltungsrecht und sollen hier nur exemplarisch und kursorisch dargestellt werden. Nicht zulässig ist eine behördliche Erlaubnis zum Überschreiten eines gesetzlichen Verbots, die nicht selbst gesetzlich begründet ist. Die für das Rechtsgut der gesetzlich definierten Sicherheit in einem bestimmten sozialen Bereich (z. B. Straßenverkehr) zuständige Behörde hat vielmehr die einschlägigen Gesetze durchzusetzen. Sie steht nicht über ihnen. Wenn gesagt wird, sie habe ein Rechtsgut zu verwalten, so ist ihr dieses nicht wie Eigentum zur freien Verfügung zugewiesen. Das Rechtsgut, die Zuständigkeit und die Befugnis der Behörde sind erst durch das Gesetz begründet. Wäre es anders, so könnte z. B. die für die Beaufsichtigung der Atomkraftwerke zuständige Behörde erlauben, die gesetzlich definierten Sicherheitsrnaßnahmen zu unterlassen, wenn dies einem überwiegend wichtigen Zweck dient. Die Verfassungsrechtsprechung, die (nicht nur im Bereich der Kernkraftnutzung) eine gesetzliche Entscheidung der die "Lebensverhältnisse" der Bürger wesentlich tangierenden staatlichen Maßnahmen nicht nur der Eingriffe in subjektive Rechte - verlangt (Wesentlichkeitstheorie) 1, wäre obsolet. Es gälte an ihrer Stelle die Verhältnismäßigkeit. a) Wenn hinsichtlich einer von Verfassungsschutzämtem zu erteilenden Erlaubnis angenommen wird, sie sei auch ohne gesetzliche Begründung möglich, "wenn das von einer Norm geschützte Rechtsgut der Behörde zugeordnet ist und die staatliche Stelle von der Rechtsordnung gebilligte Zwecke verfolgt"2, so wird in der zuvor beschriebenen Weise die Verhältnismäßigkeit an die Stelle gesetzlicher Entscheidung gestellt. Die Verfassungsschutzämter definieren dann contra legern das Rechtsgut. Allenfalls könnte dieses Bedenken entkräftet werden, wenn aus der gesetzlichen Zuweisung nachrichtendienstlicher Mittel an die Verfassungsschutzbehörden eine Erlaubniskompetenz entnommen werden könnte. Das liegt nahe hinsichtlich der Normen, die den Nachrichtenaustausch regeln, also der Geheimnisschutzvorschriften. Zusätzliches Kriterium muß sein, daß die Normen dem Staats- oder Verfassungsschutz dienen, für den die Verfassungsschutzämter zuständig sind. Die Erlaubniskompetenz der Ämter könnte demnach bestehen hinsichtlich der Übertretung der Strafnormen der §§ 93 ff. StGB, vor 1

II 1.

BVerfGE 47, 46 (78 f.); 49, 89 (126 f.); 53, 30 (57 f., 65 f.); dazu unten 2. Teil D

2 Borgs-Maciejewski / Ebert, Das Recht der Geheimdienste, § 3 BVerfSchG Rn 148; Rebmann, NJW 1985, 1 (5 Anm. 50).

350

2. Teil: Rechtfertigung und Begründung der Deliktsprovokation

allem des § 98 StGB. Diese Vorschriften werden auch in der einschlägigen Diskussion zumeist genannt. Nicht beachtet wurde in der bisherigen Diskussion, daß im Bereich der §§ 93 ff. StGB gegen die Erlaubniskompetenz der Ämter aber noch der 1968 in § 93 StGB eingeführte materielle Geheimnisbegriff spricht. Er enthält nicht nur eine Bestimmung der Strafbarkeit des Bürgers anhand materieller Kriterien, sondern auch eine Kompetenzbegrenzung 3• Er läßt den exekutivischen Behörden keinen Entscheidungsspielraum hinsichtlich der Bestimmung strafbaren Verhaltens beim Geheimnisschutz, indem er den Geheimnisbegriff gezielt von der behördlichen Entscheidung abkoppelt. Dann ist es wenig plausibel, daß die Behörden durch Erlaubnisse nach Ermessen den strafbaren Bereich sollen bestimmen und Staatsgeheimnisse sollen preisgeben dürfen. Denkbar ist aber, daß mit der Zuweisung nachrichtendienstlicher Mittel die zuständigen Behörden befugt sind, die für verdecktes Handeln der Verfassungsschutzbeamten und V-Leute nötigen Mittel zur Verfügung zu stellen, denn zu den nachrichtendienstlichen Mitteln gehört das Auftreten als Bürger, also die Täuschung über die Identität. Sie ist ohne Legende kaum durchzuführen. Es mögen also das Einwohnermeldeamt und die Straßenverkehrsbehörde befugt sein, für die Legende der genannten Personen die nötigen falschen Ausweise herzustellen oder herzustellen zu erlauben. Wie auch immer hier im Einzelfall entschieden wird, die Erlaubniskompetenz der Verfassungsschutzämter und - für deren Tätigkeit - der anderen zuständigen Behörden läßt sich allenfalls der gesetzlichen Zuweisung nachrichtendienstlicher Mittel entnehmen. Jenseits dieser Befugnis haben die Beamten und V-Leute des Verfassungschutzes die gesetzlichen Verbote einzuhalten. Daß alle Behörden der Polizei die Übertretung von Strafnormen erlauben könnten, wenn das Rechtsgut der jeweiligen Norm der Verwaltung der jeweiligen Behörde untersteht, ist kaum akzeptabel, denn der Polizei sind nachrichtendienstliehe Mittel gerade nicht zugewiesen. Diese Beschränkung ihrer Befugnisse wird noch verstärkt durch die gezielte gesetzliche Anordnung der Trennung von nachrichtendienstlich arbeitendem Verfassungsschutz und Polizei (§ 3 Abs.3 S. 3 BVerfSchG). Dennoch eine Erlaubniskompetenz aller Behörden zugunsten anderer Behörden anzunehmen 4, würde bedeuten, daß der Vorrang des Gesetzes programmatisch aufgegeben wird. -'Insgesamt ergibt sieh: In einer kriminellen oder terroristischen Vereinigung oder verbotenen Partei Mitglied zu sein, ist gemäß §§ 84, 85, 129, 129a StGB verboten. Ausnahmen 3 Zur kompetenziellen Bedeutung der Gesetzesbindung im Strafrecht vgl. Calliess, Theorie der Strafe, S. 126 ff. 4 So der Bericht des vom Arbeitskreis II der Innenministerkonferenz eingesetzten ad hoc-Ausschusses, in Bürgerrechte und Polizei / CILIP Nr. 17, 1984, S. 77 (83 f.). Auch die Formulierung Rebmanns, NJW 1985, 1 (5 Anm. 50), läßt sich in dem erwähnten Sinn verstehen.

C. Öffentlichrechtliche Begründungen der Provokation

351

oder behördliche Erlaubnisse sind nicht gesetzlich vorgesehen. Selbst wenn den Verfassungsschutzämtern im Rahmen der nachrichtendienstlichen Mittel eine Erlaubniskompetenz zustehen sollte, steht sie jedenfalls der Polizei nicht zu. Sie kann über die genannten Verbote nicht verfügen 5 • Allerdings werden die in den genannten Vereinigungen tätigen V-Leute oft nicht den Vorsatz haben, daß die geplanten Straftaten realisierbar seien 6 • Dann haften sie als Teilnehmer, wofür aus den zu den Absichtsdelikten dargestellten Gründen der genannte Vorsatz nicht Voraussetzung ist. Das im Eigentum der öffentlichen Hand stehende Gebäude einer Justizvollzugsanstalt zu beschädigen - so geschehen durch den erwähnten Bombenanschlag - ist u. a. zivilrechtlich verboten. Die Beschädigung kann vom Eigentümer aber im Rahmen der einschlägigen öffentlichtrechtlichen Vorschriften über die Verwaltung dieses Eigentums erlaubt werden. Von den genannten Vorschriften hängt ab, ob die Beschädigung zum Zweck des Verfassungsschutzes gestattet werden darf. Jedenfalls darf sie nicht zu rechtswidrigen Zwecken gestattet werden. War die Erlaubnis rechtswidrig und unwirksam, so war die Beschädigung - vom Problem des Vorsatzes und des Unrechtsbewußtseins abgesehen gemäß § 303 strafbar? An der "Grenze einer verbotenen Analogie zuungunsten des Täters"Sliegt dies nicht: Auch im Staatseigentum befindliche Gelder können von Beamten in strafbarer Weise unterschlagen werden. Die für die Verwaltung des beschädigten Gebäudes zuständigen Beamten, die die Beschädigung durch die unwirksame Erlaubnis förderten, haften als Täter wie oben zur Besonderheit der staatlichen Deliktsprovokation dargestellt wurde. b) Das BtMG statuiert in § 3 i. V. m. § 29 BtMG ein Verbot mit Erlaubnisvorbehalt hinsichtlich des "Verkehrs mit Betäubungsmitteln". Davon sind gemäß § 4 Abs. 2 BtMG "Bundes- und Landesbehörden" befreit; "für den Bereich ihrer dienstlichen Tätigkeit" bedürfen sie keiner Verkehrserlaubnis. Es handelt sich um eine gesetzliche Befreiung von Verbot. Körner und Vertreter der Polizei 9 meinen, damit seien auch V-Leute der Polizei, die als "Scheinkäufer" tätig werden, vom Verbot befreit. Hier scheint also ein Ansatz gegeben zu sein, über 5 Im übrigen entstünden durch die erlaubten Überschreitungen von die Allgemeinheit sichernden Normen in den betroffenen sozialen Bereichen nicht nur mehr abstrakte, konkret aber vom Verfassungsschutz bzw. der Polizei beherrschte Gefahren, sondern auch Schäden, denn tatsächlich ist eine perfekte Kontrolle bekanntlich nicht möglich, wie der Fall des niedersächsischen Verfassungsschutzagenten Lepzien zeigt, der damit beauftragt war, neo-nazistische Aktivitäten zu erkunden, und sich schließlich an Sprengstoff- und Waffendelikten beteiligte; vgl. Scheub / Becker, Bürgerrechte und Polizei / CILIP Nr. 17, 1984, S. 57 (61 ff.); Ostendorf / Meyer-Seitz, StrVert 1985,73 (76). 6 Dazu Lenckner in Schönke / Schröder § 129 Rn 16. ? In Frage kommen auch §§ 145d, 304, 311 StGB. S So Seelmann in Der Spiegel, Nr. 19 v. 5.5.1986, S. 22. 9 Körner, KBtMG, § 4 Rn 7; § 29 Rn 234; Bericht des vom Arbeitskreis 11 der Innenministerkonferenz eingesetzten ad hoc-Ausschusses in Bürgerrechte und Polizei / CILIP Nr. 17, 1984, S. 77 (82); Joachimski, BtM-Recht, § 4 BtMG Anm. 9.

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2. Teil: Rechtfertigung und Begründung der Deliktsprovokation

die Abwehr konkreter Gefahren hinaus zur verdeckten polizeilichen Bekämpfung der gefahrlichen BtM-Kriminalität einen effektiven rechtlichen Beitrag zu leisten. Mit § 4 Abs. 2 BtMG wird jedoch die Behörde vom Verbot mit Erlaubnisvorbehalt nur befreit "für den Bereich ihrer dienstlichen Tätigkeit". Die Regelung nimmt damit Bezug auf die anderweitige rechtliche Definition dessen, was die Tätigkeit der Behörde umfaßt. Sie ändert nichts an der anderweitigen Bestimmung des Tätigkeitsbereichs der Behörde; sie stellt ihn nur von der ansonsten (gemäß § 3 BtMG) geltenden Pflicht, jeweils eine Erlaubnis einzuholen frei, um die behördliche Tätigkeit zu vereinfachen 10. Die Eingriffsbefugnisse der Polizei hinsichtlich des Persönlichkeitsrechts der Provozierten werden also nicht erweitert. Auch das im Koppelungsverbot begründete, an die Polizei gerichtete Verbot, jemanden qua Provokation bestrafen zu lassen, um ihn ungefährlich zu machen, wird durch § 4 Abs. 2 BtMG nicht tangiert. Auch das Verbot, private V-Leute einzusetzen, wird nicht berührt. Zu der im Polizeirecht definierten Tätigkeit der Polizei gehört es, Betäubungsmittel, die jemand unerlaubt besitzt, aus dem Verkehr zu ziehen. Das darf die Polizei mit den ihr zugewiesenen Zwangsmitteln durchführen (und gemäß § 4 Abs.2 BtMG bedarf sie dafür keiner Erlaubnis). Körner und die Vertreter der Polizei meinen nun, auch die Tätigkeit von Scheinkäufern sei gemäß § 4 Abs. 2 BtMG gerechtfertigt. Gewiß kann die Polizei die mit dem Betäubungsmittel verbundene Gefahr auch anders als mit Zwangsmitteln beseitigen. Entscheidend ist, daß sie die Betäubungsmittel sicherstellt. Die damit verbundene Begründung behördlichen Gewahrsams ist gemäß § 4 Abs. 2 BtMG erlaubnisfrei. Ob auch das Bestellen des Betäubungsmittels beim Dealer, d. h. die Anstiftung des vom Dealer zu begehenden BtM-Delikts erlaubnisfrei und damit straffrei ist, läßt sich bezweifeln. Praktisch wird oft, weil der Provokateur eine große Menge bestellt (und sicherstellen will), mit dem Bestellen von Betäubungsmitteln eine lange Handelskette mit vielen Beteiligten in Funktion gesetzt. Das Betäubungsmittel ist auf diesem Weg nicht ungefährlich. Auch werden die Beteiligten oft finanziert. Schließlich ist das Bestellen des Betäubungsmittels durch den Provokateur ein Teil all der Bestellungen, die die gefährliche BtM-Produktion und Distribution wirtschaftlich begründen. Diese gefährlichen Vorgänge in Gang zu setzen, dürfte nicht erlaubnisfrei sein. Dafür sprechen Wortlaut und Sinn des § 4 Abs. 2 BtMG. Befreit ist die Behörde "für den Bereich ihrer dienstlichen Tätigkeit". Es muß sich also um eine umgrenzte Sphäre handeln, andernfalls wäre die Einfügung des ,Bereichs' ein bloßer Pleonasmus, und in der umgrenzten Sphäre muß ,ihre', d. h. die eigene Tätigkeit der Behörde stattfinden, so daß der Verkehr mit den Betäubungsmitteln im begrenzten Bereich behördlich beherrscht und, worauf es für das auf präventive Sicherheit orientierte BtMG ankommt, gesichert ist. Das 10

Kömer, a.a.O.

C. Öffentlichrechtliche Begründungen der Provokation

353

spricht dafür, gemäß § 4 Abs. 2 BtMG nur solche Vorgänge zuzulassen, über die die Behörde vollständige, d. h. alleinige faktische Tatherrschaft hat (nicht also die Fälle der Mittäterschaft und der normativ bestimmten, d. h. ge sollten, Tatherrschaft. ll ) Demnach wäre zugelassen jeweils das Begründen von behördlichem Gewahrsam an Betäubungsmitteln, wenn sie beschlagnahmt, sichergestellt oder gekauft werden. Nicht wäre zugelassen etwa das Anstiften eines Dritten zur Lieferung von Betäubungsmitteln, sofern dieser nicht seinerseits eine Erlaubnis hat. Vom Verbot mit Erlaubnisvorbehalt befreit ist nur der "Bereich", den die Behörde faktisch beherrscht. Die Provokation von BtM-Delikten durch die Polizei ist danach gemäß § 4 Abs. 2 BtMG nur dann gestattet, wenn das provozierte Delikt unter vollständiger, alleiniger, faktischer Herrschaft von Polizeibeamten stattfindet. Dann kann das provozierte Delikt allerdings auch nur als Versuch bewertet werden, wenn der Provozierte täterschaftlieh handeln wollte. Wollte der Provozierte dem nicht als beamteter Provokateur erkannten scheinbaren Täter nur Hilfe leisten, so ist dieses Verhalten als versuchte Beihilfe straffrei. Im übrigen ist die Provokation von BtM-Delikten ebenso wie sonstige polizeiliche Deliktsprovokationen rechtlich begrenzt. Vom Bundesgesundheitsamt für den V-Mann eine behördliche Erlaubnis einzuholen, ist unpraktikabel 12 •

11 12

Dazu oben 1. Teil E V 1 b, c. Eberth / Müller, BtM-Recht, § 29 Rn 8.

23 Keller

D. Begründung staatlicher Deliktsprovokationen durch § 34 StGB Kann die staatliche Deliktsprovokation nur in recht engen Grenzen durch spezifisch öffentlichrechtliche Regelungen, insbesondere die polizeiliche Generalklausel, begründet werden, so kommt zuletzt ihre Begründung gemäß § 34 StGB in Betracht. Dafür hat sich der Arbeitskreis 11 der Innenministerkonferenz ausgesprochen, zuweilen auch, mehr oder weniger eingeschränkt, die Rechtsprechung und Literatur 1. Vorliegend wurde allerdings im Zusammenhang der Rechtfertigung privater Deliktsprovokationen gemäß § 34 StGB gezeigt, daß Strafverfolgung und Bestrafung keine gemäß § 34 StGB zu schützenden Rechtsgüter sind. Im Verhältnis zur staatlichen Deliktsprovokation gilt dies erst recht, denn das Verfahrensrecht bindet den Staat unmittelbar. Auch stünden der auf Bestrafung wegen der zu provozierenden Tat gerichteten staatlichen Deliktsprovokation unmittelbar das Tat- und das Schuldprinzip sowie die Begrenzung der Ermittlungen gemäß § 152 Abs. 2 StPO, u. U. auch das Koppelungsverbot und die Gewaltenteilung entgegen. Möglich ist die Rechtfertigung gemäß § 34 StGB also allenfalls für diejenigen Deliktsprovokationen, für die Strafverfolgung und Bestrafung Nebenwirkungen sind, weil sie auf andere Zwecke gerichtet sind. In solchen Fällen greift die Deliktsprovokation in das subjektive allgemeine Persönlichkeitsrecht des Provozierten ein, oft auch in das subjektive Recht des von der provozierten Tat Betroffenen oder in ein Rechtsgut der Allgemeinheit. Damit entsteht das Problem, ob § 34 StGB solche staatlichen Eingriffe rechtfertigen kann 2. Es wurde in letzter Zeit ausführlich diskutiert 3• Die folgende Untersuchung ist entsprechend kurz gefaßt. 1 Bericht des vom Arbeitskreis II der Innenministerkonferenz eingesetzten ad hocAusschusses, in: Bürgerrechte und Polizei / CILIP Nr. 17, 1984, S. 77 ff.; OLG München NJW 1972, 2275; Dreher / Tröndle, § 34 Rn 24, 24a; Lenckner in Schönke / Schröder § 34 Rn 7, 41; Franzheim, NJW 1979,2014 (2017); Suhr, JA 1985,629 (632); Rebmann, NJW 1985, 1 (5); Eberth / Müller, BtM-Recht, § 29 BtMG Rn 8. Anders der Gemeinsame Runderlaß des Nds. Innenministeriums u. des Justizministeriums, in: Nds. MBI. 1986, 716 (717). 2 Wird die Rechtfertigung staatlicher Eingriffe in Individual- und Kollektivrechtsgüter bejaht, so begründet § 34 StGB die staatliche Deliktsprovokation in weiterem Umfang als die polizeiliche Generalklausel. Ob er staatliche Eingriffe begründet, ist also praktisch relevant. 3 Vgl. einerseits die in Anm. 1 Genannten sowie BGRSt 27, 260 (262 f.); 31, 304 (307, einschränkend); OLG Frankfurt NJW 1975,271; OLG München NJW 1973, 668; Schwabe, NJW 1977, 1902 ff.; Gössel, JuS 1979, 162 ff.; R. Lange, NJW 1978,784 ff.; Schaffstein, Gedächtnisschrift für Schröder, S. 97 ff.; Roxin, JuS 1976,505 (510); Klose, ZStW 89 (1977), 61 (75 f.); Bockelmann, Festschrift für Dreher, S. 235 ff.; Ostendorf,

D. Begründung staatlicher Provokationen gemäß § 34 StGB

355

I. Eingriffe in Individualrechtsgüter 1. Argumente für die Anwendung des § 34 StGB auf hoheitliche Eingriffe Eine Erklärung für die Annahme, staatliche Eingriffe in Individualrechtsgüter könnten gemäß § 34 StGB gerechtfertigt werden, lautet: Weil § 34 StGB Bürger berechtigt, berechtigt er auch Beamte; sie verlieren im Dienst kein Recht, und ihr derart berechtigtes Handeln kann nicht dem Staat als rechtswidrig zugerechnet werden 4 • Demnach wäre es in Ordnung, wenn der Richter die Hauptverhandlung damit eröffnete, daß er dem Angeklagten seine Meinung (Art. 5 GG) sagt. Es ist jedoch bekannt, daß und warum die Bürgerrechte der Beamten im Dienst eingeschränkt werden. Soweit sie nicht eingeschränkt sind, ist ihre Ausübung Privatsache des Beamten und wird in der Tat dem Staat nicht zugerechnet. Er darf aber auch nicht den Beamten mit seinen Bürgerrechten oder sonstige Private für sich einsetzen und dadurch die Grenzen seiner staatlichen Befugnisse umgehen. Auch dies wird im öffentlichen Recht kaum bestritten 5. Verbreitet ist der Hinweis auf die sogenannten Notrechtsvorbehalte in den Polizeigesetzen 6 • Sie setzen fest, daß durch die polizeirechtliche Regelung die JZ 1981,165 (169). Andererseits Amelung, NJW 1977, 833 ff.; ders., NJW 1978,623 ff.; ders., JuS 1986,329 (331 f.); Kirchhoff, NJW 1978,969 ff.; ders., Notwehr und Nothilfe des Polizeibeamten aus öffentlichrechtlicher Sicht, in: Merten (Hg.), Aktuelle Probleme des Polizeirechts, S. 67 (72 ff.); Merlen, Zum polizeilichen Schußwaffengebrauch, ebd., S. 85 ff.; Schmidhäuser, Notwehr und Nothilfe des Polizeibeamten aus strafrechtlicher Sicht, ebd., S. 53 ff.; Kinnen, MDR 1974,631 (633); Körner, BtMG § 31 Rn 49; Klinkhardt, VerwArch 55 (1964),264 ff., 297 ff. und VerwArch 56 (1965), 60 ff.; Grebing, GA 1979, 81 (82 Anm. 14, 101 Anm. 119); de Lazzer / Rohlf, JZ 1977, 207 (211 f.); Blei, JZ 1955, 625 (629 f.); Sydow, JuS 1978, 222 (225); Ebert, JR 1978, 136 (140); Böckenförde, NJW 1978, 1881 (1883 f.); Jakobs, Strafrecht AT, 13 /42; Lüderssen, VLeute, die Falle im Rechtsstaat, S. 19 f.; Jescheck, Lehrbuch des Strafrechts, § 33 IV 3 Anm. 37; Lackner § 32 Anm. 3b am Ende; Lerche, Festschrift für von der Heydte, S. 1033 (1036 ff.); Wilhelm, Eingriffsbefugnisse des Staates aufgrund rechtfertigenden Notstands aus strafrechtlicher Sicht, Diss. Köln, S. 84; Ruppelt, Maßnahmen ohne Rechtsgrundlage, S. 90 ff.; Samson in SK StGB § 34 Rn 3a, 5a, 22; Begründung zum Musterentwurf für ein einheitliches Polizeigesetz, in: Heise / Riegel, Musterentwurf, S. 22; Dencker, Festschrift für Dünnebier, S. 447 (457); Erichsen / Martens, Allgemeines Verwaltungsrecht, § 15 I 2a; Vogel in Drews / Wacke / Vogel / Martens, Gefahrenabwehr, 1. Bd., S.332; Wagner, Polizeirecht, S. 148; Götz, Allgemeines Polizei- und Ordnungsrecht, S. 171. Zur Ausbreitung der Interessenabwägung skeptisch Naucke, KritV 1986, 189 (204 f.). Die hier zugrunde gelegte Gegenüberstellung ist vergröbert, insofern sie viele Differenzierungen der einzelnen Stellungnahmen übergeht. Die Literatur ist inzwischen sehr umfangreich. Die vorliegende Zusammenstellung beansprucht keine Vollständigkeit. Daß § 34 StGB auf staatliches Handeln anwendbar sei, kann man mit Lenckner, a.a.O., § 34, Rn 7, als "h. M." wohl nur bezeichnen, wenn man die öffentlichrechtlichen Stellungnahmen beiseite läßt. Götz, a.a.O., meint, die Gegenansicht sei "gesichert". 4 Gössel, JuS 1979, 162 (164 f.); Bockelmann, a.a.O., S. 242. 5 s. o. 1. Teil A I 5 mit Nachweisen; s. a. 1. Teil C. 23*

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2. Teil: Rechtfertigung und Begründung der Deliktsprovokation

Notrechte nicht "berührt" werden. Das kann bedeuten, daß die Notrechte durch die Polizeigesetze nicht insgesamt ausgeschlossen werden, soweit sie im polizeilichen Bereich gelten. Es kann weiter bedeuten, daß die Notrechte, soweit sie gelten, auch nicht qua Spezialität durch polizeiliche Regelungen partiell überlagert werden. Es kann darin auch, wie die Verfasser des Musterentwurfs wollten, ein Vorbehalt nur für den Strafunrechtsausschluß stecken? Nicht kann aus den Vorbehalten entnommen werden, daß und wieweit die Notrechte selbst hoheitliches Handeln begründen. Wenn etwa Notrechte den Erfordernissen für die Begründung hoheitlicher Eingriffe nicht genügen, so kann aus den Vorbehaltsklauseln nicht geschlossen werden, daß sie hoheitliche Eingriffe begründen. Andernfalls würde der Vorbehalt selbst zur Begründung, das Nichtberühren zur Eingriffsgrundlage, was die Bedeutung der Klauseln verfehlte und die Kompetenz der Landesgesetzgeber überschritte, weil Strafrecht geregelt würde (Art. 74 Nr. I GG). Die Klauseln sind Kollisionsnormen des Polizeirechts und regeln den Eventualfall, daß das andere Rechtsgebiet des Strafrechts sich mit dem Polizeirecht überschneidet 8 • Daß § 34 StGB auch zu staatlichen Eingriffen berechtigt, wird weiter begründet mit dem Wortlaut der Vorschrift, der jedermann berechtigt; folglich sei auch der Staat berechtigt 9 • Das ist nicht zwingend. Viele Vorschriften, die hinsichtlich des Berechtigten nicht explizit beschränkt sind, berechtigen nicht den hoheitlich handelnden Staat zu Eingriffen in Bürgerrechte. Das ist evident z. B. bei den Grundrechten. Auch die Eigentümerrechte des BGB berechtigen nicht zu Maßnahmen der Eingriffsverwaltung, obwohl sie dem Wortlaut nach jeden befugen. Der Staat ist von den Bürgern unterschieden. Welche Zwecke er mit welchen Mitteln verfolgen darf, bedarf rechtlicher Bestimmung. Die These, der § 34 StGB berechtige auch hoheitlich handelnde Beamte, wird allerdings plausibel im Hinblick auf die in den Straftatbeständen enthaltenen Verbote. Sie gelten auch für Hoheitsträger. Die Tatbestände der Amtsdelikte richten sich sogar speziell an sie. Dann, meint Schwabe, "kann für die verbotsdurchbrechenden Rechtfertigungsgründe nichts anderes gelten" 10. Diese Argumentation ist verbreitet 11. Die Kritiker der Ausweitung des § 34 StGB sind bisher nicht darauf eingegangen. Der Schluß von der Bindung an die tatbestandlichen Verbote auf die Geltung der verbotsdurchbrechenden Rechtfertigungsgründe ist nicht zwingend. Rechtfertigungsgründe müssen nicht für alle diejenigen gelten, die an die Verbote gebunZ. B. Lenckner in Schönke / Schröder § 32 Rn 42 a. A.a.O. (Anm. 3). 8 Dazu unten 2. Teil E. 9 Z. B. Schwabe, NJW 1977, 1902 (1903 f.); Lenckner, a.a.O. 10 A.a.O. 11 Günther, Strafrechtswidrigkeit und Strafunrechtsausschluß, S. 368 Anm. 27; Lenckner, a.a.O., Klose, ZStW 89 (1977), 61 (76). 6 ?

D. Begründung staatlicher Provokationen gemäß § 34 StGB

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den sind, die von den Rechtfertigungsgründen im Einzelfall aufgehoben werden können. Auch wenn allen Bürgern das Schlagen Dritter verboten ist, muß nicht allen erlaubt sein, ein bestimmtes Kind durch Schläge zu züchtigen. Auch wenn allen das Betreten fremder Wohnungen verboten ist, muß nicht allen erlaubt sein, dies zwecks Ergreifung eines Beschuldigten zu tun. Das Strafrecht ist kein geschlossenes System der Art, daß Tatbestand und Rechtfertigung hinsichtlich der Adressaten miteinander korrelieren müßten, daß also Tatbestandlichkeit zu Lasten aller nur angenommen werden könnte, wenn auch die Rechtfertigungsgründe zugunsten aller wirken. Die Differenz zwischen Bürgern und Hoheitsträgern bei der Rechtfertigung zeigt sich auch in der Subsidiarität der Notrechte: Notwehr ist den Bürgern erlaubt, auch wenn andere Bürger zu Hilfe geholt werden könnten, verboten, wenn hoheitliche Hilfe möglich ist. Auch wenn man hinsichtlich des § 34 StGB annimmt, es komme auf die Besonderheit von Hoheitsträgern nicht an, folgte daraus noch nicht, daß der Eingriff in subjektive Rechte, den ein Hoheitsträger gemäß § 34 StGB vollzieht, polizeirechtlich gerechtfertigt wäre. Denn die Rechtfertigung des § 34 ~tGB könnte dann nur in dem als geschlossen unterstellten System des Strafrechts gelten 12. Der verbreitete Einwand, die polizei- und strafrechtlich je unterschiedliche Bewertung der Handlung des Hoheitsträgers widerspreche der Einheit der Rechtsordnung 13, ist selbst widersprüchlich. Denn zu der strafrechtlichen Rechtfertigung kann es nur kommen, wenn - wie gezeigt - Strafrecht als ein geschlossenes, also vom Polizeirecht abgetrenntes System vorgestellt wird. Dies führt notwendig zu differierenden Bewertungen (wenn nicht Strafrecht als alle anderen Rechtsgebiete überlagerndes Super-Bewertungssystem vorgestellt wird). Der Schluß von der Bindung der Hoheitsträger an die tatbestandlichen Verbote auf die Geltung der verbotsdurchbrechenden Rechtfertigungsgründe für Hoheitsträger hat aber immerhin die auf den Wortlaut gestützte Vermutung für sich: Wenn die tatbestandlichen Verbote dem Wortlaut nach Hoheitsträger ebenso binden wie Bürger, liegt es nahe, daß auch der Wortlaut der Rechtfertigungsgründe Hoheitsträger ebenso wie Bürger freistellt. Diese Argumentation wäre in Frage gestellt, wenn die Bindung der Hoheitsträger an die tatbestandlichen Verbote anderer Art wäre als die Bindung der Bürger. Dann könnte die Gleichstellung Hoheitsträger / Bürger nicht ohne weiteres auch bei den Rechtfertigungsgründen vermutet werden. Zwar richten sich etwa die Tatbestände der Amtsdelikte an Hoheitsträger, aber ihre Verbindlichkeit für diese ergibt sich nicht, wie für Bürger, ohne weiteres aus den Gesetzen selbst, sondern erst in Verbindung mit dem verfassungsrechtlichen Grundsatz des Vorrangs der Gesetze (Art. 20 Abs. 3 GG) 14, der sich nicht 12

13 14

Dazu unten 2. Teil E. Dazu unten 2. Teil E I. So R. Herzog in Maunz / Dürig / Herzog, GG, Abschnitt VI Rn 36 zu Art. 20.

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2. Teil: Rechtfertigung und Begründung der Deliktsprovokation

an Bürger wendet, sondern speziell an Exekutive und Judikative und sie an die parlamentarischen Gesetze bindet. Diese Bindung mag heute als konstitutionelle Selbstverständlichkeit erscheinen. Historisch ist sie als Ergebnis des langen Kampfes um die Bindung des Souveräns an die allgemeinen Gesetze, insbesondere die subjektiven Rechte der Bürger. Noch im Preußen des 19. Jahrhunderts galt bekanntlich, wenn hoheitlich in subjektive Bürgerrechte eingegriffen wurde, der Grundsatz ,Dulde und liquidiere'. Gegenwärtig ist die Abwehr rechtswidriger hoheitlicher Eingriffe z. B. in der VwGO anders geregelt, als in der ZPO die privater Eingriffe. Es kann also keine Rede davon sein, daß die Bindung von Hoheitsträgern an die subjektiven Rechte gleicher Art sei wie die von Privaten. Dann gilt entsprechendes für die straftatbestandlichen Verbote, die die subjektiven Rechte schützen. Denn wenn ein Hoheitsträger kraft Amtsrechts in ein subjektives Recht eingreifen darf, ist auch die Übertretung des straftatbestandlichen Verbots gerechtfertigt. Die von der Bindung Privater an subjektive Rechte unterschiedene Bindung des Staates an subjektive Rechte ist nicht schwächer als jene. Den Amtsträgern des Staates obliegt die Achtung der subjektiven Rechte nicht nur aufgrund der jeweiligen Primämorrn, sondern auch - mittelbar oder unmittelbar - aufgrund der Sekundämorrn, wie oben gezeigt wurde 15. Außerdem gehört die Einhaltung der subjektiven Rechte, soweit der Eingriff nicht begründet ist, zu dem öffentlichen Interesse, das spezifisch die staatlichen Amtsträger und nicht Private zu wahren haben. Die verstärkte Bindung zeigt sich u. a. in der intensiveren Pönalisierung von Straftaten im Amt. - Da also die Bindung der Hoheitsträger an die tatbestandlichen Verbote unterschieden ist von der Bindung der Bürger, kann auch die Frage der Geltung der allgemeinen Rechtfertigungsgründe hinsichtlich der Bürger und der Hoheitsträger je unterschiedlich zu beantworten sein.

2. Kritik der Ausweitung des § 34 StGB Ob § 34 StGB für Hoheitsträger gilt, hängt ab von der Besonderheit hoheitlichen Handeins. Hoheitliche Eingriffe müssen nach der Verfassung gesetzlich begründet sein. Geltend gemacht wird, § 34 StGB sei insofern zu I,lnbestimmt 16. In der Tat sind die Voraussetzungen des Eingriffs mit der Abwägungsklausel in § 34 StGB nur recht vage bestimmt. Demgegenüber wird zu Recht darauf hingewiesen, daß derart vage Befugnisbestimmungen im Verwaltungsrecht anerkannt sind, wie die polizeiliche Generalklausei zeigt 17. Gewiß kann man auch deren Verfassungsmäßigkeit bezweifeln. Damit würde sich die Kritik jedoch o. 1. Teil A I. Z. B. Amelung, NJW 1977, 833 (838). 17 Schaffstein, Gedächtnisschrift für Schröder, S.97 (116); Lenckner in Schönke / Schröder § 34 Rn 7; Schwabe, NJW 1977,1902 (1906). 15 S.

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nicht mehr speziell auf die Anwendbarkeit des § 34 StGB, sondern auf Probleme des allgemeinen Verwaltungsrechts beziehen. Angenommen wird weiter 18, wenn hoheitliche Eingriffe auf § 34 StGB gestützt werden könnten, so würden die spezifischen Regeln des Verwaltungs- und des Prozeßrechts nivelliert. Freilich wird die uneingeschränkte Anwendung des § 34 StGB zugunsten von Hoheitsträgern auch nicht gefordert, sondern eine mehr oder weniger weitreichende Spezialität der genannten Regelungen respektiert, zumindest der Formulierung nach. Zwei Versionen der Spezialität werden vertreten: a) § 34 StGB (wie die anderen strafrechtlichen Rechtfertigungsgründe) soll gelten, wenn die verwaltungs- und prozeßrechtlichen Regeln den Eingriff nicht begründen 19. Verwaltungsrecht ist danach nur positiv spezial, nur soweit es etwas begründet. Damit wird das Verwaltungsrecht in seiner staatliches Handeln begrenzenden Funktion nivelliert. Und da die Begründung staatlichen Handeins oft auch der § 34 StGB bieten könnte, wäre Verwaltungsrecht weitgehend obsolet. Für jede Behörde wäre über § 34 StGB mit dem Zweck (Aufgabe) das Mittel (Befugnis) gegeben. Konsequent bleibt dieses Verständnis bei § 34 StGB nicht stehen. Jede Behörde soll sich auf jeden einen Eingriff erlaubenden Rechtssatz stützen dürfen - Drogenfahndung also aufgrund der Bauordnung 20 • - Diese Art der Spezialität ist kaum akzeptabel. Hinsichtlich des § 34 StGB überspringt dieser Ansatz auch strafrechtliche Spezialitätsregeln. § 34 StGB als allgemeinster Rechtfertigungsgrund ist unanwendbar nicht nur, wenn ein speziellerer strafrechtlicher Rechtfertigungsgrund eingreift, sondern auch, wenn er nicht eingreift, aber eine abschließende Regelung des jeweiligen Konflikts enthält: negative Spezialität 21. Warum dies für Hoheitsträger nicht gelten soll, ist schwer einzusehen. b) Oft wird dem Verwaltungs- und Prozeßrecht auch negative Spezialität gegenüber § 34 StGB zuerkannt 22 • Dieser soll nicht eingreifen, wenn ein Sachverhalt vom Verwaltungs- oder Prozeßrecht abschließend, eventuell durch Ausschluß hoheitlicher Eingriffe geregelt ist. Die Annahme allerdings, Verwaltungsund Prozeßrecht insgesamt seien die für Hoheitsträger einschlägige SonderregeZ. B. Böckenförde, NJW 1978, 1881(1883); Amelung, a.a.O., S. 837. Gössel, JuS 1979, 162 (164 f.); zwar soll § 34 StGB nur "ausnahmsweise" eingreifen. Der Kontext deutet jedoch darauf hin, daß die Ausnahme jeweils gegeben sein soll, wenn eine verwaltungsrechtliche Eingriffsgrundlage fehlt. 20 Konsequent werden weiter (Gössel, a.a.O., S. 165) nicht nur die Befugnisgrenzen aufgelöst, sondern auch die Kompetenzen: Die Staatsanwaltschaft erhält gemäß § 32 StGB die Aufgabe der Gefahrenabwehr. 21 Das ist ungeachtet umstrittener Einzelheiten anerkannt; vgl. Seelmann, Das Verhältnis des § 34 StGB zu anderen Rechtfertigungsgründen, S. 46 ff., 74 ff.; Lenckner in Schönke / Schröder § 34 Rn 6. 22 Schwabe, NJW 1977, 1902 (1907); Roxin, JuS 1976, 505 (509); Lenckner in Schönke / Schröder § 34 Rn 7,41; Stratenwerth, Strafrecht AT, Rn 450. 18

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lung - so immerhin eine im Verwaltungsrecht verbreitete Meinung - hat R. Lange als Formalismus abgetan 23. Entscheidend ist für diesen Ansatz, was als abschließende Sonderregelung anerkannt wird. Lenckner hat dies hinsichtlich der Regelung von Strafverfolgungsmaßnahmen in der StPO angenommen 24. Der BGH25 sieht das anders, denn er stellt auf die negative Spezialität von Einzelregelungen der StPO (hier: § lOOa) ab. - Jedenfalls trifft, wenn verwaltungs- und prozeßrechtliche Regelungen negative Spezialität erlangen, der Einwand, § 34 StGB nivelliere diese Regelungen, nicht ohne weiteres zu. Beiden referierten Konzeptionen ist die Prämisse gemeinsam, im allgemeinen begründe § 34 StGB hoheitliche Eingriffe; erst die Spezialität einzelner öffentlichrechtlicher Regeln stehe u. U. seiner Anwendung entgegen. Dagegen wird eingewandt, hoheitliche Eingriffe bedürften einer öffentlichrechtlichen Begründung; § 34 StGB sei keine spezifisch Hoheitsträger befugende, also im Sinne der Subjektstheorie eine nicht öffentlichrechtliche Norm 26. Es ist aber nirgends im positiven Recht festgelegt und auch nicht aus ihm zu erschließen, daß hoheitliche Eingriffe gerade einer öffentlichrechtlichen Begründung bedürften. Umgekehrt kann man annehmen, wenn eine Norm Hoheitsträger befugt, sei sie öffentlichrechtlicher Art. Nach dem Gesetz ist die Unterscheidung öffentliches! Zivilrecht für die Rechtswege erheblich (§ 40 VwGO, § 13 GVG). Ob eine Norm Hoheitsträger befugt (und deshalb öffentlichrechtlicher Art ist), ist durch Auslegung des Tatbestandes zu ermitteln 27; insbesondere kommt es darauf an, ob er den spezifischen Erfordernissen der Befugnis von Hoheitsträgern genügt. An dieser Auslegung des Tatbestandes führt auch die Subjektstheorie nicht vorbei. Sie setzt die Feststellung, ob ein Hoheitsträger befugt ist, voraus. Im übrigen kann sich aus reiner Rechtstechnik ergeben, daß eine Vorschrift sowohl Bürger wie - in hinreichend spezifizierter Weise - Hoheitsträger befugt. Der dafür beispielhaft angeführte § 127 Abs. 1 S. 1 StP028 ist allerdings ein unsicherer Beleg, denn es läßt sich vertreten, daß die festnehmenden Bürger hier als Beliehene o. ä., also gerade hoheitlich handeln 29. § 193 StGB aber zeigt die Möglichkeit der rechtstechnischen Zusammenfassung privater und hoheitlicher Befugnisse 30 .

NJW 1978, 784 (785). A.a.O. 25 BGHSt 31, 304 (307). 26 Amelung, NJW 1977, 833 (834); Wilhelm, Eingriffsbefugnisse des Staates aufgrund rechtfertigenden Notstands aus strafrechtlicher Sicht, S. 20 ff. 27 Ruppelt, Maßnahmen ohne Rechtsgrundlage, S. 93 f., unter Bezugnahme auf Kelsen. 28 Schwabe, NJW 1977, 1902 (1903); Ruppelt, a.a.O., S. 96; Lenckner in Schönke / Schröder § 32 Rn 42a. 29 Vgl. Jescheck, Lehrbuch des Strafrechts, § 35 IV 2. 30 Lenckner, a.a.O. 23

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3. Grenzen der Legitimation von Mitteln durch Zwecke § 34 StGB besagt, allgemein fonnuliert, daß der (unbestimmte) Zweck das (unbestimmte) Mittel rechtfertigt, wenn er wertmäßig wesentlich gewichtiger ist als die Venneidung des vom Mittel verursachten Schadens; noch allgemeiner: Der positive Zweck rechtfertigt das angemessene Mittel. Mit dieser Fonnulierung soll nicht in dem alten Streit um die Prinzipien des Notstands gegen die Güterabwägungs- und für die Zwecktheorie Stellung genommen werden. Diese ist abstrakter und umfaßt jene 31 • Das bestätigen auch die Deutungen des § 34 StGB, die der Angemessenheitsklausel des S. 2 keine eigenständige Bedeutung zuerkennen, denn sie nehmen an, die Angemessenheit sei in der umfassenden Güterabwägung berücksichtigt 32 . Wenn nun § 34 StGB als lex generalis für alle hoheitlichen Eingriffe gelten so1l33 - wie gezeigt ist das die Ausgangsannahme der oben referierten Ansätze - so folgt die gesamte Eingriffsverwaltung dem Grundsatz ,Der Zweck rechtfertigt das angemessene Mittel'. In diesem Grundsatz ist das Mittel allein durch den Zweck begründet. Die Forderung nach wesentlichem Überwiegen des gegenwärtig zu rettenden Gutes und sonstiger Angemessenheit schränkt die Begründungswirkung des Zweckes ein. Sie ändert nichts daran, daß innerhalb dieser Grenze mit dem Zweck immer schon beliebige Mittel zugelassen sind. Das ist die "Folgerungsweise des Polizeistaates" 34; sie widerspricht dem Rechtsstaat und der Demokratie 35.

,Polizeistaat' meint hier nicht ein bösartiges Überwachungssystem, sondern den vom 16. bis ins 19. Jahrhundert in Europa dominierenden Staatstyp. In ihm war die Gesellschaft durch das politische System weitgehend überlagert und sollte von oben integriert und gestaltet werden. Die einzelnen sollten hoheitlich bevonnundet, erzogen werden zu disziplinierten, arbeitsamen Untertanen. Die Verwaltung war dabei auf umfassende Zwecke - Polizey: öffentlicher Friede und gemeinsames Wohl- orientiert, die die angemessenen Mittel legitimierten. Der die gesamte Verwaltung umfassende materielle Polizeibegriff hat hier seinen Ursprung. Die Anerkennung von Bürgern als grundsätzlich freie Subjekte mit subjektiven Rechten und das Erfordernis der Begründung der Eingriffe in diese Freiheit durch allgemeine demokratische Gesetze sind dem Polizeistaat fremd. Sein Handeln bedarf nicht gesetzlicher Begründung. Er erscheint selbst als freies Subjekt und war es historisch, verkörpert im absolutistischen Fürsten. Die Zweckrationalität der Verwaltung, ihre Effizienz, dominiert. Verboten ist ihr, die umfassend zugelassenen Mittel zu illegitimen Zwecken - mißbräuchlich - einzusetzen. Das Mißbrauchsverbot ist eine typische Schranke zweckorientierter 31 Welzel, Deutsches Strafrecht, S. 87; Maurach / Gössel/Zipf, Strafrecht AT, I. Tb., § 27 III 6. 32 Lenckner, Der rechtfertigende Notstand, S. 147. 33 Dagegen Amelung, NJW 1977, 833 (837 f.). 34 Otto Mayer, Deutsches Verwaltungsrecht, Bd. I, 1. Aufl. (1895), S. 284 Anm. 20. 35 Böckenförde, NJW 1978, 1881 (1885); Amelung, NJW 1978,623 ff.

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Verwaltung. Die idealtypische polizeistaatliche Verwaltung funktioniert nach soziologisch sogenannten Zweckprogrammen 36 : Der Zweck ist mehr oder weniger bestimmt vorgegeben, wie er realisiert wird, ist Sache der Amtsklugheit. Im idealtypischen Rechtsstaat hingegen folgt die Verwaltung Konditionalprogrammen. Ihr Handeln wird durch gesetzlich detailliert bestimmte Tatbestände ausgelöst und komplett determiniert. Dem liegt die Anerkennung von gleichen Subjekten und ihren Rechten zugrunde. In sie darf nur aufgrund allgemeiner Gesetze eingegriffen werden. Zugleich wird damit Demokratie gewahrt. Daß der Zweck das angemessene Mittel begründe, wird durch die Rechtsstaatlichkeit negiert. Das Mittel der Verwaltung muß gesetzlich begründet sein. Im Grundgesetz ist die rechts staatliche Verwaltung durch Art. 20 Abs. 1-3 sowie Art. 2 Abs. 1 GG vorgeschrieben. Daß vom Zweck der Verwaltung (Aufgabe, Kompetenz) ihre Mittel (Befugnis) zu unterscheiden und letztere nicht durch den Zweck gerechtfertigt sind, zeigt sich beim Problem der Amtshilfe. Wären mit dem Zweck auch die Mittel zugelassen, so dürfte eine Behörde rechtlich unbegrenzt sich zur Durchsetzung ihrer Zwecke der Eingriffsbefugnis anderer Behörden bedienen. Die Amtshilfe wäre nur ein technisches Problem. Der Staat würde enorm verstärkt, weil für jeden Zweck alle Mittel zur Verfügung stünden. Das wäre eine unzulässige Vereinheitlichung, Entdifferenzierung des Staates 37. - Rechtlich hat jede Behörde im allgemeinen nur die Befugnisse, die ihr für ihren Zweck zugewiesen sind. § 34 StGB nun würde jeder Behörde für ihre Aufgabe (wenn er sie nicht auch von dieser Grenze noch entbindet 38) beliebige Mittel zuweisen, die eingesetzt werden können, wenn sie dem jeweils konkret verfolgten Zweck angemessen sind. Die Behörde müßte sich präventiv entsprechend umfassend ausrüsten. Die in der Trennung der Behörden und Kompetenzen reflektierte Begrenzung der Behördenmacht auf das speziellgesetzlich zugewiesene Mittel würde durch § 34 StGB obsolet. - Im Horizont der Gegenüberstellung von Polizei- und Rechtsstaat wäre § 34 StGB, verstünde man ihn als generelle Begründung jeder Eingriffsverwaltung, die typisch polizeistaatliche Regelung, gemildert durch negativ speziale Regelungen (wobei unsicher ist, wieweit deren Spezialität reicht) und die restriktiven Kriterien des Tatbestandes (Gegenwärtigkeit, wesentliches Überwiegen etc.). Allerdings sind im Rechtsstaat Abstriche vom dargestellten Idealtyp zulässig in Gestalt des Ermessens 39. Dabei müssen die gesetzlich unbestimmten Mittel von der Verwaltung im Hinblick auf den Zweck ausgewählt werden 40. Es ist 36 Zum folgenden Luhmann, Zweckbegriff und Systemrationalität, S. 68 ff., 99 ff.; ders., Recht und Automation in der öffentlichen Verwaltung, S. 35 ff. 37 Zur Gewaltenteilung innerhalb der Exekutive s. o. 1. Teil A V mit Nachweisen. 38 s. o. Anm. 20. 39 Vgl. Luhmann, Recht und Automation in der öffentlichen Verwaltung, S. 35 ff., 39.

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jedoch unbestritten, daß ein Verwaltungsennessen verfassungsrechtlich nur zulässig ist, wenn es durch spezifisches Gesetz einer bestimmten Behörde für die besonderen Erfordernisse ihrer spezifischen Kompetenz aufgegeben ist 41 • Mit dem Grundsatz, daß im allgemeinen jeder Behördenzweck die angemessenen Mittel seiner Durchsetzung rechtfertigt, würden diese rechtsstaatlichen Bestimmungen paralysiert. Die Abwendung vom Rechtsstaat würde auch nicht dadurch akzeptabel, daß § 34 StGB nicht angewendet würde, wenn (negativ) spezielle Eingriffsregelungen vorhanden sind. Denn das Verhältnis von Regel und Ausnahme wäre verkehrt. Es würde vom polizeistaatlichen Grundsatz ausgegangen, und in Sonderbereichen würden rechts staatliche Restriktionen respektiert. Es ist aber vom Grundsatz rechts staatlicher Bindung der Verwaltung auszugehen; in gesetzlich bestimmten Fällen kann die Lockerung in Gestalt von Ennessen akzeptiert werden. - Fazit: § 34 StGB berechtigt Handelnde, die keiner spezifischen gesetzlichen Grundlage ihrer Mittel bedürfen. Hoheitliche Eingriffe bedürfen im Rechtsstaat solcher Begründung.

4. Begründung staatlicher Eingriffe durch rechtlich geordnete Verfahren Nach h. M. ist die Ausübung der Notrechte subsidiär, d. h.: unzulässig, wenn obrigkeitliche Hilfe in einem rechtlich geordneten Verfahren zur Verfügung steht, um das in der Notlage befindliche Interesse zu schützen 42 • Das Vorgehen von Hoheitsträgern gemäß den für sie sachlich einschlägigen Vorschriften (z.B. Polizeigesetz, UZwG, LStPO) ist ein rechtlich geordnetes Verfahren. Dessen Möglichkeit macht die Ausübung von Notrechten weitgehend unzulässig. Der Vorrang rechtlich geordneter Verfahren staatlicher Instanzen gegenüber Notrechten hängt zusammen mit der Monopolisierung von Gewalt beim Staat. Einerseits ist den Bürgern verboten, Gewalt auszuüben, was u. a. in den Verboten von Tötung, Körperverletzung, Freiheitsberaubung, Diebstahl etc. konkretisiert ist; andererseits ist der Staat in den hoheitliche Eingriffe begründenden und regelnden Gesetzen befugt, Gewalt anzuwenden. Die Notrechte heben die Monopolisierung partiell auf. Den Bürgern ist in den dort bestimmten Notlagen ausnahmsweise gestattet, etwas unvennittelt selbst durchzusetzen, was ihnen in der Nonnallage verboten und über staatliche Instanzen in rechtlich geordneten Ver40 Entsprechend dem Kontext des Zweckprogramms wird hier zweckwidriges Verhalten als Mißbrauch bezeichnet. 41 Ansonsten wird jeder Behörde nur für die Sicherung ihres eigenen Dienstbetriebs in ihren Räumen eine Gefahrenabwehrkompetenz mit entsprechendem Ermessen zuerkannt; vgl. Martens in Drews / Wacke / Vogel / Martens, Gefahrenabwehr, 2. Bd., S. 32 f., 122 ff. Die Einzelheiten insbes. hinsichtlich der sog. Anstaltspolizei sind umstritten, vgl. Forsthoff, Lehrbuch des Verwaltungsrechts, S. 453 ff., 503 ff. 42 Lenckner in Schönke / Schröder § 32 Rn 41; Jakobs, Strafrecht AT, 12/45,13 / 18.

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fahren abzuwickeln ist. Das staatliche Handeln in diesen rechtlich geordneten Verfahren ist nicht, wie die Ausübung der Notrechte, ausnahmsweise Durchbrechung des staatlichen Gewaltmonopols, sondern dessen normale Manifestation. Es ist deshalb nicht richtig, die Notrechte und die rechtliche Ordnung staatlicher Verfahren in ein System von generellen und speziellen Eingriffsgrundlagen zusammenzufügen. Wenn die Notrechtsausübung das Gewaltmonopol ausnahmsweise durchbricht, staatliches Handeln in rechtlich geordneten Verfahren es manifestiert, so besteht zwischen beiden ein Verhältnis von Alternativität, nicht von Spezialität. Wären die Notrechte lex generalis aller staatlichen Eingriffsbefugnisse, so wäre der Notstand als subsidiärer Grundtyp des Staates akzeptiert, der Rechtsstaat als Grundprinzip negiert 43 • Für das rechtsstaatliche Verhältnis von bürgerlichem und staatlichem Handeln ist die Bezeichnung ,Gewaltmonopol des Staates' unspezifisch. Die Befugnis, Gewalt auszuüben, wird nicht nur beim Staat monopolisiert, sondern zugleich umgeformt: in rechtlich geordneten Verfahren verfaßt. Dies ist normative Bedingung der Monopolisierung von Gewalt beim Staat 44. Wenn die Notrechte als generelle Begründung staatlicher Eingriffe anerkannt würden, müßte auch den Bürgern generell das Widerstandsrecht zugestanden werden 4 5, das ausgeübt werden könnte, soweit rechtlich geordnete Verfahren nicht zum gerechten Ziel führen. Der Zusammenhang von staatlichem Notstand und bürgerlichem Widerstand ist ansatzweise noch in Art. 20 Abs.4 GG, einem sehr eingeschränkten Widerstandsrecht, erkennbar; es wurde eingeführt in Verbindung mit der Verabschiedung der staatsrechtlichen Notstandsgesetze. Aber der staatsrechtliche Notstand wie das Widerstandsrecht des Art. 20 Abs. 4 GG sind Ausnahmen. "Die Rechtsdogmatik muß hier vom Normalfall ausgehen, der Bindung des Staates an das Recht" 46. Allein rechtlich geordnete Verfahren legitimieren daher hoheitliche Eingriffe.

5. Empirische Differenzen von privatem und staatlichem Handeln Wenn die Notrechtsbefugnisse aus dem Zusammenhang individuellen Handelns übertragen würden in den Zusammenhang staatlichen Handeins, so würden sie ihren Stellenwert verändern. Als von Bürgern ausgeübte Rechte sind die Notrechte Element des Verkehrs der Gleichen, in welchem Freiheit und Zufall herrscht. Als staatliche Eingriffsbefugnisse würden sie Teil eines bürokratisch zu verwirklichenden Programms 47. Das führt zu Friktionen. Dagegen Forsthoff, Lehrbuch des Verwaltungsrechts, S. 184 f. In der französischen Revolution wollte das aufgeklärte Bürgertum staatliche Herrschaft nur unter der Bedingung von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit anerkennen. 45 Dagegen Lenckner in Schönke / Schröder § 34 Rn 41. 46 Forsthoff, a.a.O. 47 Dazu Amelung, NJW 1977, 833 (837). 43

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Für die Bürger ist es angemessen, daß die Mittel der Notrechte wenig bestimmt sind und z. B. die Notwehr ihnen schärfere Eingriffe erlaubt als der Polizei. Denn für Bürger ist die Gewaltanwendung eine Ausnahmesituation, in der ihr Handeln weniger gemäßigt sein kann als das von Hoheitsträgern. Diese sind darauf eingestellt, ihr gesetzliches Programm, zu dem u. U. auch Gewaltanwendung gehört, zu verwirklichen. Das ist ihr Amt, weil die Gewaltanwendung in rechtlich geordneten Verfahren Manifestation des rechtsstaatlichen Gewaltmonopols ist. Daher kann die Gewaltanwendung hier detailliert abgestuft werden im Hinblick auf ihren Anlaß 48. Wenn nun die Notrechte der Verwaltung zustünden, so würden auch sie Handlungsprogramm. Sie würden von der Ausnahmebefugnis, die sie im Kontext bürgerlichen Handeins sind, zum Element des normalen Vollzugsprogramms der Verwaltung 49 • Das hätte nicht nur theoretische Bedeutung. Die rechtsstaatliehe Verwaltung ist darauf eingestellt, alle Gesetze, die ihr Handeln begründen, anzuwenden, d. h. einzuüben und zum Element ihrer Routine zu machen. Bürger werden in Notsituationen durch die Notrechte, wenn sie sie im Detail überhaupt kennen, oft nicht motiviert 50. Die Rechtfertigung fungiert für die Bürger oft mehr als nachträgliche Bewertung. Polizeibeamte hingegen werden nicht zufällig hin und wieder mit Notsituationen konfrontiert. Sie suchen sie programmatisch auf und setzen gemäß der vielfach eingeübten "Lage" die zuweilen schematisierten "Maßnahmen" ein. Diese Routinisierung wird normativ verstärkt durch die Pflicht Gleiches gleich zu behandeln. Ohne vernünftige Gründe darf davon nicht abgewichen werden. Dabei mag die programmatische Anwendung der Notrechte im Rahmen der Opportunität gemildert werden, aber ohne rechtliche Verbindlichkeit. Es würde also, wenn die Notrechte der Verwaltung zustünden, nicht nur (quantitativ) die Zahl der Eingriffsbefugten vermehrt, sondern das Programm der Verwaltung würde prinzipiell erweitert.

6. Allgemeine Rechtsgedanken und Analogie Zur Vervollständigung des Verwaltungsrechts werden häufig Rechtssätze aus anderen Rechtsgebieten herangezogen, einmal als allgemeine Rechtsgedanken, zum anderen im Wege der Analogie. Im Vorangegangenen wurden Gründe dafür vorgestellt, daß § 34 StGB nur bürgerliches Handeln, nicht hoheitliche Eingriffe rechtfertigt. Treffen die Gründe zu, so schließen sie auch aus, § 34 StGB einen allgemeinen Rechtsgedanken zu entnehmen 51 , wonach hoheitliche Eingriffe be48 Dazu Kirchhoff, NJW 1978,969 (970 f.); ders., Unterschiedliche Rechtswidrigkeiten in einer einheitlichen Rechtsordnung, S. 28. 49 Ähnlich Böckenförde, NJW 1978, 1881 (1888). 50 Amelung, a.a.O. 51 So aber BGHSt 27, 260 (262); R. Lange, NJW 1978, 784 (785 f.).

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2. Teil: Rechtfertigung und Begründung der Deliktsprovokation

rechtigt seien. Dann ist auch die These H.H. Kleins 52 , § 34 StGB gehöre zum ..Allgemeinen Teil des Rechts", kaum akzeptabeP3. Die Übertragung von Rechtssätzen im Wege der Analogie ähnelt der Argumentation mit allgemeinen Rechtsgedanken. Das Gemeinsame, welches die Übertragung legitimiert, wird bei der Analogie nicht im Rechtssatz selber gesucht, sondern jenseits seiner konstruiert. Für die Analogie im vorliegenden Fall kommt es darauf an, ob im Verwaltungsrecht eine Lücke besteht, und ob der nicht geregelte Fall dem im Strafrecht durch § 34 StGB geregelten Fall ähnlich ist. Bei der Feststellung der Lücke und der Ähnlichkeit werden Wertungen unkontrollierbarer berücksichtigt als bei der Auslegung des Wortlauts einer Norm. Wenn man gleichwohl die Analogie für grundsätzlich zulässig hält, ist die These beachtlich, im Verwaltungsrecht bestehe eine durch die Notrechte zu füllende Lücke im Fall des Polizisten, der zur Untätigkeit verpflichtet ist, während ein Bürger gemäß § 32 StGB mit Waffengewalt helfen darf 54 • Diese häufig beschworene Konstellation kommt tatsächlich wohl eher selten vor 55. Der Vergleich zwischen Polizist und Bürger im genannten Fall stellt im übrigen Einzelheiten zusammen, die aus systematischen Zusammenhängen gerissen sind. Wenn das Handeln des Polizisten und das des Bürgers ins Verhältnis gesetzt werden sollten, so wären zu vergleichen das Konzept der Notrechtsbefugnisse mit den darin enthaltenen Freiheiten, Zufälligkeiten und Ungerechtigkeiten der freiwilligen privaten Hilfe einerseits mit dem bürokratischen Konzept der pflichtgemäßen, d. h. gleichmäßigen, zuverlässigen, gemäßigten Gefahrenabwehr, die allen gerecht zu werden strebt, andererseits. Daß das zweite Konzept in seiner Effizienz punktuell hinter dem ersten zurückbleibt, ist normal. Einzelne Defizite des bürokratischen Konzepts können durch seine sonstigen Vorteile ausgeglichen werden. Solange das Gegenteil nicht belegt ist, ist aus dem Vergleich mit den privaten Notrechten nicht auf eine Lücke des Verwaltungsrechts zu schließen.

VVDStRL 37 (1979), 53 (94 f.). Im übrigen ist ein solcher Allgemeiner Teil nirgends gesetzlich begründet. Er mag in Gestalt einer Methodik sinnvoll sein. Unmittelbar inhaltliche Entscheidungen aber, soweit sie die einzelnen Rechtsgebiete übergreifen, sind in der Verfassung fixiert. Historisch sollte mit der Erfindung des Allgemeinen Teils des Rechts in den zwanziger Jahren die Unvollständigkeit neuer Rechtsgebiete (Arbeits- und Verwaltungsrecht) bewältigt werden. Gegenwärtig dürfte zumindest das Verwaltungsrecht über jenes Stadium hinaus sein. H.H. Klein beruft sich für seine These auf Forsthoff, der lange an der Kategorie des Allgemeinen Teils des Rechts festhielt. Ein allgemeines staatliches Notrecht lehnte Forsthoff jedoch ab, weil dadurch ..das Gefüge des Rechtsstaats aus den Angeln" gehoben werde (Lehrbuch, S. 296 ff.). Dabei erkannte er durchaus das Problem der Gefahrenabwehrbedürfnisse aller Behörden. Er verwies insofern auf die polizeiliche Generalklausel (S. 453 ff.) und die Anstaltsgewalt (S. 503 ff.) als hinreichende Regelungen (S. 184 f., 296 ff.). Die strafrechtlichen Notrechte aber seien für die Verwaltung "paralegalitär". 54 Haas, Notwehr und Nothilfe, S. 318 f.; Lenckner in Schönke / Schröder § 32 Rn 42a; Bockelmann, Festschrift für Dreher, S. 235 ff. 55 Dazu Wagner, Polizeirecht, S. 148. 52

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D. Begründung staatlicher Provokationen gemäß § 34 StGB

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Das schließt nicht aus, unabhängig von dem erwähnten Vergleich Lücken festzustellen. Nach Lenckner 56 besteht ein Bedürfnis, die Polizisten zum Schußwaffeneinsatz zu befugen, wenn etwa eine Rockerbande Passanten in brutaler Weise zusammenschlägt, wenn Versorgungseinrichtungen zerstört oder wertvolle Kunstgegenstände entwendet werden. Genannt werden weiter Beispiele aus dem Bereich des Strafvollzuges 57. Auch müsse ein Terrorist abgehört werden können zur Abwehr einer Lebensgefahr für das Opfer 58. - In einigen der in Frage kommenden Fälle dürfte die analoge Anwendung des § 34 StGB inzwischen durch die neuen Sicherheitsgesetze obsolet geworden sein. Das bedeutet zugleich, daß sich die Gesetzgebung des nun schon lange bekannten Problems angenommen hat. Dann aber sind Lücken, so sie bestehen, nicht mehr planwidrig, sondern gesetzgeberisch hingenommen. Die Planwidrigkeit der Lücke ist Voraussetzung der Analogie, um die Bindung ans Gesetz zu wahren 59. Das ist auch für eventuelle Lücken hinsichtlich der Befugnis zur Deliktsprovokation relevant. Sie ist eine seit Jahrhunderten bekannte Erscheinung und wird gegenwärtig breit diskutiert. Da sie im Rahmen der Sicherheitsgesetze nicht legalisiert wurde, wäre eine diesbezügliche Lücke nicht plan widrig. Voraussetzung der Analogie wäre weiter die Ähnlichkeit zwischen dem geregelten Fall und dem durch Analogie zu regelnden Fall. Der in der Notlage helfende Bürger wie der eingreifende Hoheitsträger handeln, um Rechtsgüter zu schützen. Im Rechtsgüterschutz steckt eine Gemeinsamkeit der Fälle. Zur Analogie gehört aber auch, daß die Übertragung des § 34 StGB auf hoheitliche Eingriffe in deren Zusammenhang eine ähnliche Wirkung hätte wie im Zusammenhang bürgerlichen Handeins. Das trifft nicht zu. Wie gezeigt würden die Notrechte im Zusammenhang hoheitlichen Handeins von subjektiven Rechten zu objektivem Recht; ihre Ausübung würde von der Ausnahme zur Regel des Handlungsprogramms. Auch entspricht § 34 StGB nicht den rechtsstaatlichen Anforderungen an hoheitliches Handeln. Dieses folgt Konditionalprogrammen, nur in gesetzlich bestimmten Fällen auch Zweckprogrammen.

7. Ausnahmezustand und Funktionstüchtigkeit der Strafrechtspflege Zu erwägen bleibt schließlich, ob § 34 StGB in noch näher zu bestimmenden Ausnahmefällen anwendbar sein und dann auch die staatliche Deliktsprovokation rechtfertigen kann. Zu denken wäre etwa an eine viele Menschen oder den A.a.O. Schwabe, NJW 1977, 1902 (1907 Anm. 55). 58 de Lazzer / Rohlf, JZ 1977, 207 (209 Anm. 37). 59 Daß das Parlament der Polizei im Gesetz Befugnisse der "politischen Optik" wegen versagt, wie Lenckner, a.a.O., vermutet, ist ein normaler demokratischer Zusammenhang und erleichtert nicht das Abgehen vom Gesetz. 56 57

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2. Teil: Rechtfertigung und Begründung der Deliktsprovokation

Bestand der Verfassung oder des Staates unmittelbar bedrohende Konspiration, die durch Lockspitzel aufgeklärt werden könnte. Derartige Möglichkeiten werden erörtert in der Diskussion um den Ausnahmezustand des Staates, wobei zwischen "großem" und "kleinem" Ausnahmezustand unterschieden wird 60. Die Anwendung des § 34 StGB wäre in diesem Zusammenhang, wie auch immer die Voraussetzungen des Ausnahmezustands bestimmt werden, dem Grund und den Kriterien nach unterschieden von der oben abgelehnten These, § 34 StGB enthalte eine generelle Befugnis des Staates, die nur durch (negativ) spezielle Befugnisregelungen ausgeschlossen sei. Der Ausnahmezustand betrifft nicht eine normale (generelle) Situation, sondern eine außergewöhnliche, unvorhergesehene 61 . Im Ausnahmezustand könnte § 34 StGB auch dort angewendet werden, wo spezielle Befugnisse gegeben sind, aber aus "übergeordneten Gründen" ein über sie hinausgehender Eingriff nötig erscheint 62 . Andererseits könnte § 34 StGB, weil Ausnahmebefugnis, nicht immer eingreifen, wo Spezialregelungen fehlen. Als Bestimmung eines kleinen Ausnahmezustandes ließe sich z. B. die These des BGH63 verstehen, im Bereich der Strafverfolgung - und das könnte auch für die Gefahrenabwehr gelten - sei § 34 StGB nur "ganz ausnahmsweise" anwendbar. Die Annahme, § 34 StGB befuge den Staat nur im (großen oder kleinen) Ausnahmezustand, impliziert zu Recht, daß § 34 StGB nicht generell staatliche Befugnisse begründen kann. Die auf den Ausnahmezustand beschränkte Anwendung bedarf also einer anderen, spezifischen Begründung. Die Notstandsgesetze von 1968 begründen die Anwendung des § 34 StGB nicht. Auch aus anderen Gesetzen ist nicht zu entnehmen, daß § 34 StGB zwar grundsätzlich nicht, wohl aber im Ausnahmefall für staatliche Eingriffe anwendbar sei. Dies behauptet, soweit ersichtlich, gegenwärtig auch niemand. Die Anwendung des § 34 StGB zugunsten staatlicher Eingriffe im Ausnahmefall ist nur erklärbar als Ausnahme von der Gesetzesbindung, als Verfassungsbruch 64 • Es mag zugespitzte Situationen geben, in denen die ausnahmsweise Anwendung des § 34 StGB sinnvoll wäre. Deshalb muß aber nicht davon abgegangen werden, daß dies de lege lata verfassungswidrig wäre. Die Verantwortlichen können für das, was sie in wirklich krisenhaften Situationen ohne rechtliche Grundlage tun, nachträgliche Indemnität erhalten. Den Verfassungsbruch schon vorsorglich zu legitimieren, erhöht seine Attraktivität. Die Normierung schafft bürokratische Normalität. Normiert man extreme Ausnahmesituationen der Exe-

60

Dazu Böckenförde, NJW 1978, 1881 ff.

61 Ders., a.a.O., S. 1888. 62 So hat RGZ 117, 142 die Überschreitung des Pressegesetzes mit Staatsnotwehr ge-

rechtfertigt. 63 BGRSt 31, 304 (307). 64 Forsthoff, Lehrbuch des Verwaltungsrechts, S. 184 f., 296 ff., der staatliche Eingriffe im Ausnahmezustand ohne gesetzliche Grundlage für zulässig hielt, wies darauf hin, daß damit die Gesetzesbindung, die die Verfassung ausmacht, ausgegeben wird.

D. Begründung staatlicher Provokationen gemäß § 34 StGB

369

kutive, "so schlägt die Nonnierung auf die Nonnalität zuiück, wird infolge der Nonnierung zum Nonnalen"65. Sollte gleichwohl § 34 StGB staatliche Befugnisse im Ausnahmefall begründen, so wäre dennoch der Vorrang der verfassungsmäßigen Rechtssetzung zu beachten; die ausnahmsweise Befugnis könnte nur solange bestehen, wie eine sachbezogene Gesetzgebung in den verfassungsmäßigen Fonnen nicht möglich ist 66 • Die gegenwärtigen Lockspitzeleinsätze z. B. gegen Drogenkriminalität könnten derart nicht gerechtfertigt werden. Die zuletzt genannte Erwägung dürfte es auch ausschließen, die staatliche Deliktsprovokation mit der eingangs referierten Rechtsprechung des BVerfG und des BGH aus den Erfordernissen der Funktionstüchtigkeit der Strafrechtspflege, die zur materiellen Rechtsstaatlichkeit gehören soll, zu begründen 67 . Es ist im Zusammenhang einer parlamentarischen Verfassung mit Vorrang und Vorbehalt des Gesetzes nicht einzusehen, warum eine angebliche Ineffizienz von rechtlichen Verfahren durch die Gerichte behoben werden soll, wenn damit Einschränkungen subjektiver Rechte verbunden sind. Im übrigen wurde die Problematik der Argumentation aus der Funktionstüchtigkeit der Strafrechtspflege in der Literatur ausführlich dargestellt 68 und neuerdings auch im Hinblick auf die staatliche Deliktsprovokation gezeigt 69. Im Grunde unterscheidet sich die Annahme, subjektive Rechte seien in den Bedingungszusammenhang d.er Funktionstüchtigkeit der Strafrechtspflege eingefügt und damit relativiert, nicht erheblich von der Annahme, § 34 StGB sei lex generalis jeder staatlichen Eingriffstätigkeit. Beide Argumentationen basieren auf der Prämisse des Vorrangs der Effizienz des Staates vor rechtsstaatlichen Garantien und subjektiven Rechten. Was dagegen spricht, wurde im Vorangegangenen gezeigt.

11. Eingriffe in Rechtsgüter der Allgemeinheit Wie erwähnt greifen die im Zusammenhang der staatlichen Deliktsprovokation vorkommenden Nonnbrüche oft auch in Kollektivrechtsgüter ein. Beispiele: der provozierte Versuch, Agententätigkeit, Urkundenfälschung, Vortäuschung von Straftaten, Drogenhandel. - Die Diskussion in Rechtsprechung und Wissenschaft konzentriert sich bisher auf die Frage, ob die strafrechtlichen Notrechte Eingriffe in die Rechte einzelner rechtfertigen können. Auch wenn dies abgelehnt wird, bleibt die Frage, ob Handlungen der in den Beispielen dargestellten Art 65 Wagner, Polizeirecht, S. 148. 66 Böckenförde, a.a.O., S. 1886 ff. 67 Dazu oben 1. Teil A vor I mit Nachweisen. 68 Grünwald, JZ 1976, 767 (772 f.); Hassemer, StrVert 1982, 275 ff. mit weiteren Nachweisen. 69 F. Herzog, NStZ 1985, 153. 24 Keller

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2. Teil: Rechtfertigung und Begründung der Deliktsprovokation

gerechtfertigt werden können durch Notrechte. Die Befürworter der Anwendung der Notrechte auf hoheitliches Handeln haben hier kein spezifisches Problem. Im übrigen gibt es wenig Stellungnahmen. Im Fall Peter Lorenz erfüllt die Freilassung von Strafgefangenen durch staatliche Stellen zwar § 120 StGB, war nach Krey 70 aber gemäß § 34 StGB gerechtfertigt. Amelung 71 hält die Anwendung des § 34 StGB in derartigen Fällen für erwägenswert. Speziell für die staatliche Deliktsprovokation bejahen sie der erwähnte Arbeitskreis 11 der Innenministerkonferenz sowie Suhr 72 , denn es werde in niemandes Recht hoheitlich eingegriffen. Solche Ausweitung des § 34 StGB zu Ende gedacht, müßte es staatlichen Stellen u. U. auch gestattet sein, die gesetzlich fixierten Sicherheitseinrichtungen eines Atomkraftwerkes außer Kraft zu setzen, weil dies noch nicht in Individualrechtsgüter eingreift. Geht man von der im vorangegangenen Abschnitt vertretenen Ansicht aus, so ist § 34 StGB in den dargestellten Fällen nicht direkt anwendbar, denn er berechtigt Bürger, nicht hoheitliches Handeln. In Frage kommt die analoge Anwendung des § 34 StGB. Sie liegt hier näher als in den Fällen hoheitlichen Eingriffs, denn die besonderen Anforderungen an hoheitliches Handeln, die im öffentlichen Recht entwickelt und im Vorangegangenen zugrunde gelegt wurden, betreffen herkömmlicherweise Eingriffe in die Rechte einzelner. Die Eingriffe stehen unter dem Vorbehalt des Gesetzes, welches, wie gezeigt, in den strafrechtlichen Notrechten nicht gegeben ist. Wird aber in den dargestellten Fällen nicht in die Rechte einzelner eingegriffen, so gilt für das hoheitliche Handeln nur der Vorrang des Gesetzes, d. h. des jeweiligen gesetzlichen Verbots (mit Drogen zu handeln, Agententätigkeit zu entfalten, Urkunden zu fälschen etc.). Hier könnte die Analogie ansetzen. Das Verhältnis der Verwaltung zum vorrangigen Gesetz scheint ähnlich zu sein dem Verhältnis der Bürger zum Gesetz. Das Handeln von Hoheitsträgern wird anscheinend wie das der Bürger in diesen Fällen vom Gesetz nur begrenzt n •. Folglich könnte es auch wie bürgerliches Handeln durch Notrechte gerechtfertigt sein. Dazu fügt sich der in der öffentlichrechtlichen Literatur häufige Hinweis, die Verwaltung sei durch die Gesetze keineswegs völlig determiniert; innerhalb ihrer Grenzen habe sie "weite Spielräume", sei "frei"73. Eben dies ist auch wesentlich im Verhältnis der Bürger zueinander und zu den Gesetzen. Soll die analoge Anwendung des § 34 StGB in den genannten Fällen möglich sein, so beruht sie also auf der Annahme, (l.) das Verwaltungshandeln stehe in den dargestellten Fällen nicht unter dem Vorbehalt des Gesetzes, sondern nur 70 ZRP 1975, 97 f. 71 NJW 1977, 833 (839); bejahend wohl auch Samson in SK StGB, § 34 Rn 5. n JA 1985, 629 (632).

72a Vgl. Faber, Verwaltungsrecht, S. 87. 73 Forsthoff, Lehrbuch des Verwaltungsrechts, S. 82 ff.; Ossenbühl in Erichsen / Martens, Allgemeines Verwaltungsrecht, § 5 I.

D. Begründung staatlicher Provokationen gemäß § 34 StGB

371

unter dem Vorrang des Gesetzes und (2.) dieser habe für die Verwaltung die gleiche Bedeutung wie für Bürger die Pflicht, das Gesetz zu achten, die ggf. durch Notrechte aufgehoben sein kann. 1. Erweiterter Vorbehalt des Gesetzes und Primat

parlamentarischer Entscheidung

Der Vorbehalt des Gesetzes ist in den genannten Fällen dann nicht relevant, wenn ein das Verwaltungshandeln begründendes Gesetz nur dort verlangt wird, wo hoheitlich in subjektive Rechte eingegriffen wird. Historisch waren in der Tat solche Eingriffe der Anlaß, im 19. Jahrhundert begründende parlamentarische Gesetze zu fordern 73 •• Es ging dabei nicht um Demokratie und Rechtsstaat als gesamtgesellschaftliche Verfassung für alle, sondern um spezielle Interessen des Bürgertums an Freiheit und Eigentum, seinen zentralen subjektiven Rechten. Als willkürlich angesehene Eingriffe der fürstlichen Exekutive in Freiheit und Eigentum sollten unter Kontrolle gebracht werden. Mit dem auf Eingriffe in subjektive Rechte bezogenen Vorbehalt des Gesetzes wurde die Kontrolle durch das zunächst bürgerlich dominierte Parlament erreicht. Von diesem Vorbehalt des Gesetzes hatten diejenigen "Volksklassen", deren Leben sich weniger auf Freiheit und Eigentum als etwa auf die soziale Organisation der Arbeit, der Versicherung, des öffentlichen Verkehrs stützte, wenig Vorteil. Ihnen war u .. U. mehr durch hoheitliche Eingriffe in Freiheit und Eigentum gedient74 • Seit längerer Zeit wird nun in der Verwaltungsrechtswissenschaft 75 darauf hingewiesen, daß einerseits in der Demokratie das Parlament nicht mehr nur als die die (monarchische) Exekutive beschränkende und kontrollierende Instanz verstanden werden könne. Es müsse vielmehr zumindest die wesentlichen exekutivischen Entscheidungen selber treffen. Andererseits sei subjektive Freiheit auch nicht mehr hinreichend geschützt, wenn ein Raum für das autonome Leben der einzelnen von Eingriffen freigehalten wird. Das Leben der einzelnen ist in der Tat zunehmend materiell und ideell durch die sozialen und staatlichen Verhältnisse bestimmt. Von ihnen hängt die Möglichkeit ab, die für sich genommen abstrakten subjektiven Rechte zu realisieren. Daraus wird gefolgert, der Vorbehalt des Gesetzes müsse ausgeweitet werden auf Verwaltungstätigkeit, die - ohne Eingriffe in subjektive Rechte - die Möglichkeit, diese auszuüben, gestaltet. Zunächst wurde dabei vor allem an die Leistungsverwaltung gedacht. Gestützt werden diese Forderungen auch auf das Sozialstaatsprinzip 76. Dazu Faber, Verwaltungsrecht, S. 88. Die Bismarcksche Sozialgesetzgebung wurde von den bürgerlichen Parteien abgelehnt. 75 Zum folgenden Rupp, Grundfragen der heutigen VerwaItungsrechtslehre, S. 104 ff., 73. 74

113 ff., 135. 76

24*

Ossenbühl in Erichsen / Martens, Allgemeines Verwaltungsrecht, § 5 II.

372

2. Teil: Rechtfertigung und Begründung der Deliktsprovokation

Das BVerfG hat diese Ansätze in mehreren Entscheidungen aufgenommen 77 • Der herkömmliche, auf Freiheit und Eigentum bezogene Gesetzesvorbehalt müsse auf ein neues "demokratisch-rechtsstaatliches Fundament" gestellt werden 78. Staatliche "Entscheidungen" - auf den Eingriff soll es nicht mehr ankommen - , die den "Grundrechtsbereich" der Bürger "wesentlich betreffen", die "weitreichende Auswirkungen . . . auf die allgemeinen Lebensverhältnisse" haben, zu treffen, sei "allein der Gesetzgeber berufen" 79. Die Ausweitung des Gesetzesvorbehalts erscheint hier als eine plausible Verwirklichung von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit. Bemerkenswert ist jedoch, daß sie angeordnet und kontrolliert wird von der Judikative. Es findet nicht nur eine Kompetenzverschiebung von der Exekutive zum demokratischen Parlament statt, sondern auch zum Verfassungs gericht, welches nur vennittelt demokratisch legitimiert ist. Das Gericht erweitert seine Kompetenz gegenüber dem Parlament, indem es die präzise Grenze ,Eingriff in subjektive Rechte' aufgibt zugunsten des "heuristischen" Begriffs "wesentlich für die Grundrechtsverwirklichung". Darin steckt die Gefahr, daß - im Interesse der zu schützenden Bürger - diesen die demokratische Auseinandersetzung abgenommen wird 80 • Zusätzliche Probleme bringt eine Entscheidung 81 , die den subjektiven Grundrechten der Bürger einen "objektiv-rechtlichen Gehalt" beilegt mit der Folge, daß die "staatlichen Organe" verpflichtet werden, "sich schützend und fördernd" vor die Grundrechte zu stellen und sie vor Gefährdungen durch andere Bürger zu bewahren. Ursprünglich sollten die Grundrechte den Bürgern Freiheit vom Staat sichern, so daß dieser demokratisch auf ihre freie Zustimmung angewiesen war. Nun wird tendenziell den Bürgern das Grundrecht abgenommen und verstaatlicht und kehrt sich u. U. mit Strafdrohung gegen die Bürger selber 82 • Im Hinblick auf die im Ansatz prätendierte Demokratie ist das Ergebnis dieser Rechtsprechung also ambivalent 82a• Sieht man von den bedenklichen Kompetenzverschiebungen vom Parlament zur Judikative und von den einzelnen zum Staat ab, so bleiben akzeptable und für die vorliegend zu erörternde Frage wichtige Erkenntnisse zur Kompetenz des Parlaments. Bei der staatlichen Deliktsprovokation geht es um schon gesetzte Verbotsnonnen. Das Parlament hat insofern entschieden. Also ist die Kompetenz des Parlaments gegenüber der Exekutive, wie nun das Bundesverfassungsgericht mit der Betonung des demokratischen Fundaments des Gesetzesvorbehalts aner77 BVerfGE 47, 46 (78 f.) Sexualkunde; 49, 89 (126 f.); 53, 30 (57 f., 65 f.) AKW Mühlheim. 78 BVerfGE 47, 46 (78 f.). 79 BVerfGE 49, 89 (126 f.). 80 Das BVerfG selbst (E 47, 79) sieht die Gefahr der Vergesetzlichung. 81 BVerfGE 53, 30 (57 f.). 82 BVerfGE 39, 1 (41). 82a Kritisch zur Wesentlichkeitstheorie auch Faber, Verwaltungsrecht, S. 41 f., 91.

D. Begründung staatlicher Provokationen gemäß § 34 StGB

373

kennt, uneingeschränkt zu wahren. Die Übertretung der vorliegend relevanten Nonnen gefahrdet Individualrechtsgüter und beeinträchtigt Rechtsgüter der Allgemeinheit. Nach der parlamentarischen Entscheidung sind diese Gefahrdungen und Beeinträchtigungen prinzipiell ebenso wichtig wie strafbare Eingriffe in subjektive Rechte. Beide Arten von Übergriffen werden gesetzlich verboten und sind mit Strafe bedroht. Auch Art. 20 Abs. 3 GG unterscheidet hinsichtlich der Bindung der Verwaltung an parlamentarische Gesetze die beiden Arten von Schutznonnen nicht. Die Verwaltung ist also an beide Arten von Nonnen in gleicher Weise "gebunden". Wenn für Eingriffe in subjektive Rechte der Gesetzesvorbehalt gilt, so gilt er auch für die Übertretung der Nonnen, mit denen das Parlament die den subjektiven Rechten, insbesondere den Grundrechten, vorgelagerten "Lebensverhältnisse" der subjektiv berechtigten Bürger ordnet. Die Anerkennung dieses Gleichrangs der subjektiven Rechte und der gesetzlichen Regelung der Lebensverhältnisse ist der unproblematische Kern der neuen Rechtsprechung zum Gesetzesvorbehalt. Allerdings hat das BVerfG sich nur zu den "wesentlichen" Bereichen der schulischen Sexualkunde, der Atomenenergienutzung und des ungeborenen Lebens geäußert. Ob der Drogenhandel, die Arbeit staatlicher Institutionen und der Beweisverkehr als ebenso "wesentlich" einzuschätzen sind, muß hier nicht geklärt werden. Das Kriterium "wesentlich" ist nur bedeutsam im Verhältnis der Kompetenzen von Judikative und Legislative, wenn eine parlamentarische Entscheidung als unzulänglich gerügt wird. So ist es hier nicht. Die parlamentarische Entscheidung ist u. a. in den strafrechtlichen Verbotsnonnen gegeben. Deshalb ist allein relevant die Leitkompetenz der Legislative gegenüber der Exekutive. Durch die parlamentarischen Strafgesetze werden die genannten Bereiche (Drogenhandel etc.) geordnet, was den gleichen Rang hat wie subjektive Rechte. Deshalb steht die Übertretung der strafgesetzlichen Ordnung der genannten Bereiche durch die Exekutive dem exekutivischen Eingriff in subjektive Rechte prinzipiell gleich und untersteht dem Vorbehalt des Gesetzes. Hier zu differenzieren, nur Eingriffe in subjektive Rechte dem Gesetzesvorbehalt zu unterstellen, wäre eine Verletzung der demokratischen Entscheidungskompetenz des Parlaments. Demnach bedarf die Exekutive für die Überschreitung von Gesetzen, die nicht unmittelbar subjektive Rechte schützen, einer ebensolchen gesetzlichen Grundlage wie für den Eingriff in subjektive Rechte. Zu jenen Gesetzen steht sie im gleichen Verhältnis wie zu subjektiven Rechten. Damit entfällt die Voraussetzung der eingangs erwogenen Analogie zum Verhältnis der Bürger zu den sie begrenzenden Gesetzen. Die Notrechte sind nicht qua Analogie auf das nicht eingreifende, gesetzesübertretende Verwaltungshandeln übertragbar.

374

2. Teil: Rechtfertigung und Begründung der Deliktsprovokation

2. Vorrang des Gesetzes, öffentliches und Privatinteresse Die vorangegangene Argumentation beruht auf neuen, nicht unumstrittenen Entwicklungen des Verfassungsrechts. Wer sie ablehnt, wird annehmen, die staatliche Behörde steht, wo sie nicht in subjektive Rechte eingreift, nur unter dem Vorrang des Gesetzes. Damit kann sich die weitere Untersuchung auf einen alten, im wesentlichen unumstrittenen Grundsatz "rechtsstaatliches Urgestein"83 - stützen. Hinsichtlich des Vorrangs des Gesetzes scheint das Verhältnis der Behörde zu den ihr vorrangigen Gesetzen ähnlich zu sein dem Verhältnis der Bürger zu den ihre Freiheit begrenzenden Gesetzen, die sie einzuhalten verpflichtet sind. Notrechte, die diese Pflicht der Bürger aufheben, könnten deshalb qua Analogie auch der Behörde gegenüber dem ihr vorrangigen Gesetz zugute kommen. Der Analogie stehen jedoch wesentliche Unterschiede entgegen. Dies läßt sich wieder der vorliegend schon mehrfach zugrunde gelegten Differenz von Primär- und Sekundärnormen entnehmen 84. Die Strafgesetze, die die Rechtsgüter der Allgemeinheit schützen, enthalten einmal Primärnormen. Die Bindung der Privaten an diese wird durch § 34 StGB aufgehoben. Die Polizei ist jedoch, wie eingangs gezeigt, nicht nur an die Primärnormen gebunden. Die Wahrung der Strafgesetze gehört zur öffentlichen Sicherheit, die die Polizei zu schützen hat. Diese Schutzpflicht ist die in jedem Strafgesetz enthaltene Sekundärnorm, die speziell die Polizei bindet. Insofern steht die Polizei in einem anderen, engeren Verhältnis zu den Strafgesetzen als die Privaten. Als vollziehende Gewalt i. S. des Art. 20 GG hat sie die Gesetze selbst zu vollziehen 848. Diese Aufgabe obliegt den Privaten nicht. Gewiß kann auch die Bindung der Polizei an die Sekundärnormen durch Gesetze, welche Eingriffe begründen, aufgehoben werden. Vorliegend geht es aber um die Vorfrage, ob § 34 StGB der unmittelbar nur für Private gilt, analog als Begründung polizeilichen HandeIns angewendet werden kann. Dafür ist Voraussetzung, daß die Polizei zu der Norm, die zu überschreiten § 34 StGB Privaten gestattet, in einem ähnlichen Verhältnis steht wie Private. Dagegen spricht der Status der Polizei als Vollzugsorgan der Norm; Bürger sind nur zur Befolgung der Norm verpflichtet, die die Polizei zu vollziehen hat. Der formalen Differenz im Verhältnis zur Norm liegen unterschiedliche Interessen zugrunde. Für die Bürger sind die Normen Grenzen ihres HandeIns; für die Polizei sind sie Bestimmungsgrund. Diese Differenz wird reflektiert in der alten Unterscheidung von subjektiven, privaten, partikularen Interessen der einzelnen und öffentlichem Interesse, das die Verwaltung zu verfolgen hat 8s . Recht83 R. Herzog in Maunz / Dürig / Herzog, GG, Abschnitt VI Rn 35 zu Art. 20. 84 s. o. 1. Teil A 1. 848 Vgl. Faber, Verwaltungsrecht, S. 45. 8S Zum Verhältnis von Privatinteresse und öffentlichem Interesse vgl. Martens in Drews / Wacke / Vogel / Martens, Gefahrenabwehr, 2. Bd., S. 113.

D. Begründung staatlicher Provokationen gemäß § 34 StGB

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lieh ist davon auszugehen, daß der einzelne sich grundsätzlich selbst der Nächste ist. Das Interesse des anderen und das öffentliche Interesse muß er dem eigenen im allgemeinen nicht gleichachten. Solidarität mit anderen ist seiner Freiheit und damit seiner Moral überlassen. Die zivilrechtliche Vertragsfreiheit zeigt, daß rechtlich jeder für sein Interesse selber einzustehen hat. Im Strafrecht ist anerkannt, daß der einzelne, auch wenn er eine Straftat begangen hat, sich der Strafverfolgung und Vollstreckung, die im öffentlichen Interesse erfolgen, sanktionslos entziehen kann. Das öffentliche Interesse muß er nicht zu seinem eigenen machen. In diesem Sinne sind die Verbotsnormen, die das öffentliche oder das Interesse eines anderen wahren, dem einzelnen äußerliche Grenze. Die Verwaltung hat das öffentliche Interesse selbst zu wahren, d. h. hinsichtlich der Polizei: Gefahren abzuwehren, die der Allgemeinheit drohen oder dem einzelnen "als Teil des Publikums"86. Wenn nun eine einzelne Behörde aufgrund der Kompetenzabgrenzung davon befreit ist, den Teil des öffentlichen Interesses durchzusetzen, den eine andere Behörde zu verwalten hat, so ist diese Aufteilung nicht im subjektiven Interesse der entlasteten einzelnen Behörde angeordnet, sondern im übergreifenden öffentlichen Interesse an Effizienz durch Spezialisierung. Und wenn einer Behörde verboten ist, in den Kompetenzbereich einer anderen Behörde überzugreifen, so ist dies nicht im subjektiven Interesse der anderen Behörde angeordnet, sondern im übergreifenden öffentlichen Interesse an professioneller Arbeit der Behörden und an rechtsstaatlicher Machtbegrenzung innerhalb der Verwaltung. Wenn schließlich der einzelnen Behörde durch Gesetze verboten ist, die subjektiven Interessen eines Bürgers oder einer unbestimmten Vielzahl von Bürgern zu beeinträchtigen oder zu gefährden, so ist die Wahrung dieser Interessen einzelner Teil des öffentlichen Interesses, das die Behörde selbst zu wahren hat 87 . Dem Vorrang des Gesetzes, den die Verwaltung zu beachten hat, liegt also normativ nicht der Interessengegensatz zwischen einzelnem und einzelnem bzw. einzelnem und Allgemeinheit zugrunde, der dazu führt, daß dem einzelnen die Verbotsnormen nur äußere Grenze sind. Die Behörde hat vorrangige gesetzliche Verbote in demselben öffentlichen Interesse zu achten, das auch ihre Tätigkeit begründet. Gegen diese Sichtweise spricht auch nicht, daß in vielen öffentlichrechtlichen Regelungen Divergenzen innerhalb des öffentlichen Interesses normativ anerkannt sind, z. B. in den §§ 54, 96 StPO die Divergenz zwischen den Interessen an rechtsstaatlicher Strafverfolgung und exekutivischen Geheimhaltungsinteressen. Der Große Senat des BGR 88 hat beiden beteiligten Instanzen aufgegeben, den übergreifenden Ausgleich der divergenten Interessen, das öffentliche Interesse, also jeweils selbst zu berücksichtigen und zu vollziehen. Ein weiteres Beispiel 86 Wagner, Polizeirecht, S. 73; Martens, a.a.O., S. 113 ff.; Rasch in Ule / Rasch, Allgemeines Polizei- und Ordnungsrecht, Rn 50 ff. zu § 1 ME. 87 So ausdrücklich z. B. § 1 Abs. 1 S.2 PolG Baden-Württemberg. 88 BGHSt 32, 125 ff.

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2. Teil: Rechtfertigung und Begründung der Deliktsprovokation

bieten die Amtsdeliktstatbestände, die die Pönalisierung von Amtsträgern verschärfen, u. a. weil ihnen nicht zugestanden wird, daß sie grundsätzlich ein partikulares Privatinteresse verfolgen, das dem in den Gesetzen geschützten Interesse entgegensteht 89.

Fazit: Das Verhältnis der staatlichen Behörden zu den ihnen vorrangigen Gesetzen ist anders und enger (sie sind vollziehende Organe des Gesetzes; es besteht Interesseneinheit) als das der Bürger, die durch die Gesetze begrenzt werden (Interessengegensatz), so daß die Notrechte, die die Gesetzesbindung der Bürger aufheben, nicht auf das engere Verhältnis der Behörden zu den Gesetzen übertragen werden können. - Gegen eine solche Übertragung spricht im übrigen, was schon gegen die Analogie bei hoheitlichen Eingriffen eingewandt wurde: Die Notrechte könnten im Zusammenhang rechtsstaatlich bürokratischen Verwaltungshandelns von der Ausnahme, die sie für Bürger sind, zur Regel des zu vollziehenden Handlungsprogramms werden.

89

Dazu auch Luhmann, Recht und Automation in der öffentlichen Verwaltung,

S. 15 ff.

E. Rechtswidrige staatliche Deliktsprovokation und Ausschluß des Strafunrechts gemäß § 34 StGB Kann der in der staatlichen Deliktsprovokation enthaltene hoheitliche Eingriff nicht gemäß § 34 StGB begründet werden, so bleibt zu erwägen, ob § 34 StGB immerhin das von dem handelnden Amtsträger verwirklichte spezifische Strafunrecht ausschließt, wobei die Rechtswidrigkeit wegen Verstoßes gegen das öffentliche Recht bestehen bliebe. Daß § 34 StGB nur Bürger, nicht den Staat befugt, scheint dem nicht entgegenzustehen, denn die auszuschließende Strafe bezieht sich ebenfalls nur auf die einzelnen Beamten. Diese Lösung wird von vielen Autoren vertreten 1. Auch die Verfasser des Musterentwurfs eines einheitlichen Polizeigesetzes haben sie für möglich gehalten: "Die Notwehrvorschriften des Strafrechts und des Zivilrechts vermögen ( ... ) ein Verhalten nur strafrechtlich oder zivilrechtlich zu rechtfertigen; sie sind nicht Ermächtigungsgrundlage für ein hoheitliches Handeln. Eine solche Ermächtigungsgrundlage sind allein die Vorschriften über den unmittelbaren Zwang. ( ... ) Bei Nichtbeachtung ( ... ) (der Grenzen der Ermächtigungsgrundlage) kann das Verhalten eines Beamten trotzdem straf- und zivilrechtlich gerechtfertigt sein; er muß jedoch damit rechnen, disziplinarrechtlich zur Verantwortung gezogen zu werden, soweit er in Ausübung des Dienstes gehandelt hat"2.

1 Schmidhäuser, Notwehr und Nothilfe aus strafrechtlicher Sicht. In: Merten (Hg.), Aktuelle Probleme des Polizeirechts, S. 53 (59 ff.); Merten, Zum polizeilichen Schußwaffengebrauch, ebd., S. 85 ff.; Kirchhof, Notwehr und Nothilfe aus öffentlichrechtlicher Sicht, ebd., S. 67 (69 ff.); ders., NJW 1978,969 (972); ders., Unterschiedliche Rechtswidrigkeiten in einer einheitlichen Rechtsordnung, S. 28; Vogel in Drews / Wacke / Vogel / Martens, Gefahrenabwehr, 1. Bd., S. 332; Lackner, § 32 Anm. 3b; Klose, ZStW 89 (1977),61 (79); Ostendorf, JZ 1981, 165 (166,169 f., 171 f.); GÜnther, Strafrechtswidrigkeit und Strafunrechtsausschluß, S. 367 f.; Böckenförde, NJW 1978, 1881 (1883); Wagner, Polizeirecht, S. 148; Götz, Allgemeines Polizei- und Ordnungsrecht, S. 171; Grebing, GA 1979, 81 (83 Anm. 14, 105 Anm. 137); Haas, Notwehr und Nothilfe, S. 327 f.; Sydow, JuS 1978,784 ff.; Wilhelm, Eingriffsbefugnisse des Staates aufgrund rechtfertigenden Notstands, Diss. Köln, S. 85 ff. Daß § 34 StGB (auch) die Strafrechts widrigkeit nicht ausschließen könne, nehmen an: Amelung, NJW 1977,833 ff.; ders., NJW 1978, 623 f.; Jakobs, Strafrecht AT, 12/44, 13 /42; Lerche, Festschrift für v. d. Heydte, S. 1033 (1037, 1045 f.). Für Stellungnahmen, die in § 34 StGB eine Begründung des hoheitlichen Handeins sehen, stellt sich das Problem des Ausschlusses des spezifischen Strafunrechts nicht. Explizit dagegen aber: Schwabe, NJW 1977, 1902 (1904 ff.); Lenckner in Schönke / Schröder § 32 Rn 42a, § 34 Rn 7; Schaffstein, Gedächtnisschrift für Schröder, S. 97 (108 f.). 2 Abgedruckt in Heise / Riegel, Musterentwurf eines einheitlichen Polizeigesetzes,

S.22.

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2. Teil: Rechtfertigung und Begründung der Deliktsprovokation

Die Frage, ob die staatliche Deliktsprovokation eines Beamten nur gegen öffentliches Recht verstößt oder auch strafbar ist, hat praktische Relevanz. Es wird noch zu zeigen sein, daß die Strafbarkeit und die Strafdrohung das Verhalten von Beamten erheblich und mehr als das privater Bürger beeinflussen. Verwaltungsrechtswidrigkeiten können relativ leicht innerhalb der Behörde verarbeitet werden, ohne daß ein Beteiligter effektive Nachteile in Kauf nehmen muß. Strafrechtswidrigkeiten erregen eher öffentliches Aufsehen. Sie werden von einer externen Instanz geahndet. Eine genauere Prüfung des Ausschlusses des Strafunrechts ist also angebracht.

I. Allgemeine Erwägungen Gegen die Divergenz von Rechtswidrigkeiten wird grundsätzlich eingewandt, sie löse die Einheit des Rechtswidrigkeitsurteils auf3. Diese Einheit wird also als Gebot verstanden. Dessen Begründung und Bedeutung im einzelnen ist freilich umstritten 4 • Plausibel dürfte jedoch sein, daß sich aus den anerkannten Geboten der Gleichbehandlung und der Rechtssicherheit ergibt, daß ein Verhalten nicht zugleich verboten und erlaubt sein kann 5. Die meisten Regelungen aber erlauben ein Verhalten nicht, sondern verbieten es nur nicht. Anders formuliert: Die Erlaubnis beschränkt sich auf den Regelungsbereich der Norm und läßt andererweitige Verbote unberührt. Ein Verhalten, das strafrechtlich nicht verboten ist, muß nicht zivilrechtlich erlaubt sein. Deshalb kann auch eine Rechtfertigung auf das Strafrecht beschränkt sein. Daß speziell zum Ausschluß des Strafunrechts § 34 StGB herangezogen wird, widerspricht also nicht der Einheit der Rechtsordnung. Das ist eine Möglichkeit, die Rechtswidrigkeit differenziert zu bestimmen. Begründet ist damit die Anwendung des § 34 StGB noch nicht 6. Dafür sind weitere Gesichtspunkte bedeutsam. Kirchhof? meint, die "innere Einheit" der Verfassung bewähre sich dadurch, daß sie einen Vorgang aus der Perspektive des jeweils "sachnächsten Teilbereichs" beurteilt, wodurch es zu sachgemäßen Divergenzen der Beurteilung kommen könne. Das Polizeirecht frage nach der Gefährlichkeit eines Vorganges. 3 4

sen.

Schwabe, Lenckner, Schaffstein, jeweils a.a.O. Vgl. Engisch, Einführung in das juristische Denken, S. 156 ff. mit weiteren Nachwei-

5 Zu derartigen Nonnwidersprüchen vgl. Engisch, a.a.O., S. 158 ff.; ders., Die Einheit der Rechtsordnung, S. 42; Wilhelm, Eingriffsbefugnisse des Staates aufgrund rechtfertigenden Notstands, S. 108 ff.; Günther, Strafrechtswidrigkeit und Strafunrechtsausschluß, S. 99 ff. 6 Das scheint indessen Wilhelm, a.a.O., S. 85 ff., anzunehmen, der zutreffend begründet, daß die Einheit der Rechtsordnung der Anwendung des § 34 StGB nicht entgegensteht, und daraus ohne weiteres schließt, § 34 StGB sei anzuwenden. 7 NJW 1978,969 (972); ders., Unterschiedliche Rechtswidrigkeiten in einer einheitlichen Rechtsordnung, S. 8 ff., 25 ff., 30 ff.; ders., Notwehr und Nothilfe aus öffentlichrechtlicher Sicht. In: Merten (Hg.), Aktuelle Probleme des Polizeirechts, S. 67 (69 ff.).

E. Ausschluß des Strafunrechts bei staatlicher Provokation

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Das Strafrecht bewerte bei der Notwehr primär die (Verteidigungs-) Handlung, deren Rechtmäßigkeit die Frage nach der rechtlichen Billigung des Erfolges für das Strafrecht erübrige. Das Polizeirecht hingegen berücksichtige neben den Rechtsgütern des Angegriffenen auch die des Angreifers und lasse Wirkungen nur im Rahmen der Verhältnismäßigkeit zu. - Auch wenn dieser Befund über die verschiedenen Bewertungskriterien von Strafrecht und Polizeirecht zuträfe, ergäbe sich daraus noch nicht, daß dem handelnden Beamten, der seine Befugnisse überschreitet und einen Straftatbestand erfüllt, die Bewertungskriterien der Notrechte zugute kommen müßten. Kirchhof belegt vielmehr ausführlich, daß die erwähnte Besonderheit der Kriterien der strafrechtlichen Notrechte zur Leitung des Handeins des Beamten sachwidrig wäre und mit seiner Täterorientierung auf das Handeln von Privaten zugeschnitten ist 8 . Freilich beansprucht diese Lösung auch nicht, daß die Notrechte das Handeln des Amtsträgers leiten sollen. Er bleibt ans Polizeirecht gebunden; wenn er es überschreitet, handelt er rechtswidrig und kann disziplinarisch belangt werden. Die Notrechte schließen nach dieser Lösung nur das Strafunrecht und die besondere "Mißbilligung" durch Strafe aus. Das ist für Günthers Ansatz eine grundlegende Annahme 9 • Und Kirchhof IO stellt diese Differenzierung in den Mittelpunkt seiner Konzeption: Das Strafrecht könne zurücktreten, weil es "im Grundsatz" nur vergangene Rechtsgutsverletzungen mißbillige, nicht wie das Polizeirecht Gefahrenabwehr betreffe. Daher sei Strafrecht nicht sachgemäß für die Leitung des hoheitlichen Handeins. Nun ist nicht zu übersehen, daß auf Übertretungen von Amtsrechten durch Amsträger, wenn gesetzliche Straftatbestände erfüllt sind, Sanktionen verhängt werden. Wenn über diese Sanktionen nach Kriterien (der Notrechte) entschieden werden soll, die zur Leitung des amtlichen Handeins sachwidrig sind, so kann das einmal darin begründet sein, daß die strafrechtlichen Sanktionen präventiv wirkungslos sind, sich also bei der Steuerung des hoheitlichen Handeins nicht auswirken. Dies könnte gemeint sein, wenn Kirchhof dem Polizeirecht, das präventiv auf Gefahrenabwehr zielt, das Strafrecht gegenüberstellt, welches sich reaktiv mit vergangenen Rechtsgutsverletzungen befasse. Auch Günthers Gegenüberstellung von öffentlichrechtlichen Eingriffsrechten (der Polizei) und strafrechtlicher Mißbilligung scheint der Strafe nur nachträgliche Bedeutung zuzugestehen. - Die zweite Begründung könnte lauten: Auf die das hoheitliche Handeln steuernde Wirkung der strafrechtlichen Sanktionen, wenn sie funktioniert, kommt es nicht an; das Strafrecht bezieht sich nicht auf die Amtspflichtverletzungen, sondern auf andere Unrechtsqualitäten. 8 Kirchhof, NJW 1978, 969 (970 f.); ders., Unterschiedliche Rechtswidrigkeiten in einer einheitlichen Rechtsordnung, S. 36. 9 Strafrechtswidrigkeit und Strafunrechtsausschluß, S. 129, 133,256,259,365 ff. und passim. IO NJW 1978, 969 (972).

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2. Teil: Rechtfertigung und Begründung der Deliktsprovokation

Zunächst zur ersten Annahme, das Strafrecht sei als präventive Steuerung wirkungslos. Die meisten neueren Straftheorien stehen mit je unterschiedlicher Akzentuierung dagegen. Sie müssen hier nicht im allgemeinen diskutiert werden. Speziell hinsichtlich der Wirkung von Strafen auf Beamte spricht einiges dafür, daß sie deren Bereitschaft, die Vorschriften einzuhalten, erheblich fördern. Beamte sind überdurchschnittlich intensiv mit Gesetzen befaßt. Sie setzen sie rational um; sie dürften Straffolgen daher mehr als andere Bürger einkalkulieren, insbesondere da Strafen ihrerseits wieder die Dienstverhältnisse der Beamten beeinflussen, und zwar mehr als bloße Disziplinarmaßnahmen. Hinzu kommt, daß Strafen durch von den Exekutivbehörden unabhängige Instanzen der Judikative verhängt werden, wobei meist das Legalitätsprinzip gilt. Über Disziplinarmaßnahmen hingegen wird weitgehend behördenintern entschieden und stets nach Opportunität. Die Chance, daß Fehlverhalten durch die Behörde gedeckt und in Zukunft durch die Behördenstruktur selber immer wieder reproduziert wird, die Chance des korrupten Verhaltens zum Gesetz also, ist, wo nur interne Disziplinarmaßnahmen drohen, größer als im Bereich des Strafbaren, das zu externer Kontrolle und Skandalen führt. - Explizit wird die Steuerung der Amtsträger durch das Strafunrecht bei der Verbindlichkeit von Anordnungen und Befehlen. Sie endet, wenn das angeordnete Verhalten strafbar ist. Nach allem ist nicht davon auszugehen, das Strafrecht sei hinsichtlich der Leitung hoheitlichen Verhaltens wirkungslos. Wenn sein Einsatz und sein Ausschluß dennoch nach Kriterien (der Notrechte) bestimmt werden sollen, die für hoheitliches Handeln nicht passen, so könnte dem die These zugrunde liegen, es solle auf die Wirkung von Strafen für hoheitliches Handeln nicht ankommen, weil der Grund der Strafen nicht die Verletzung von Amtspflichten, sondern ein qualitativ anderes Unrecht sei.

11. Die Bedeutung des Handlungsunwerts für das Strafrecht Wenn hoheitliches Handeln die Amtsbefugnisse überschreitet und einen Straftatbestand erfüllt, so ist es nicht nur amts-, sondern auch strafrechtswidrig. Wenn nun das Strafunrecht nicht durch die Notrechte ausgeschlossen würde, so würde zu einem der Gründe der dann gegen den Amtsträger zu verhängenden Strafe die Überschreitung der Amtsbefugnisse. Demgegenüber meint KirchhofI 1, das Strafrecht betreffe nicht die Gefahrenabwehr, d. h. allgemein: nicht die Amtsbefugnisse, sondern die "Strafwürdigkeit des Täters"; diese soll demnach durch ein anderes Unrecht als die Amtspflichtverletzung begründet sein. Welches dieses andere Unrecht sei, wird nicht recht deutlich. Kirchhof verweist auf die besondere Bedeutung des Handlungsunwerts für das Strafunrecht, wohingegen das Polizeirecht sich auf die Erfolge orientiere 12. 11 NJW 1978,969 (972); ders., Unterschiedliche Rechtswidrigkeiten in einer einheitlichen Rechtsordnung, S. 32.

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Der Handlungsunwert, wie insbesondere die Lehre vom personalen Unrecht ihn versteht 13, kommt einer Handlung zu von ihrer Gerichtetheit auf den tatbestandlichen Erfolg, der als Beeinträchtigung oder Gefährdung eines Rechtsguts verstanden wird. Die Gerichtetheit steckt im Vorsatz. Indem das Strafrecht sich daran orientiert, modifiziert es die Erfolgsorientierung der Haftung. Davon ist das Polizeirecht in der Tat unterschieden, weil es sich beim Schutz der (materiellen) öffentlichen Sicherheit an der objektiven Gefährdung von Rechtsgütern orientiert und Vorsatz und Schuld außer acht läßt. Dieses Verhältnis von Polizeirecht und Strafrecht hat aber nichts zu tun mit der Frage der strafrechtlichen Haftung von Amtsträgern für Amtspflichtverletzungen. Amtsrechte befugen Hoheitsträger u. U. dazu, Rechtsgüter zu beeinträchtigen oder zu gefährden. Sind die Amtsrechte überschritten, so ist die Rechtsgutsbeeinträchtigung rechtswidrig. Der strafrechtliche Handlungsunwert stellt zusätzlich darauf ab, ob die amtspflichtwidrige Handlung subjektiv auf die Rechtsgutsbeeinträchtigung gerichtet war. Die Anerkennung des Handlungsunwerts im Strafrecht schließt nicht aus, daß der Amtsträger bestraft wird, wenn er vorsätzlich oder fahrlässig einen Straftatbestand erfüllt und dabei seine Amtsbefugnisse überschritten hat. Diese Überschreitung ist sein Unrecht, das auch als "personales Unrecht" bestimmt werden kann und sich systematisch nicht von der Verletzung etwa einer Garantenpflicht unterscheidet, die wie die Amtspflicht aus einer sozialen Rolle entsteht l4 • Diese Verhältnisse werden verwischt, wenn Kirchhof dem Strafrecht personalisierend einen "Täter" zuweist und dem Amtsrecht objektivierend einen "Vorgang".

III. Die Bedeutung von Rollenpflichten für das Strafrecht Kirchhof meint, die Tatsache, daß die Befugnis zur Notwehr weniger als die Amtsbefugnisse vom Erfolg abhängt, sei Ausdruck der Berücksichtigung des Handlungsunwerts im Strafrecht und müsse deshalb wie der Handlungsunwert bei jeder strafrechtlichen Haftung als Kriterium berücksichtigt werden. Dem ist nicht so. Die strafrechtlichen Notstandsbefugnisse etwa berücksichtigen mehr als die Notwehr den Erfolg. Davon abgesehen ist die Notwehrbefugnis, die mit einer bestimmten Rolle - der des privaten Bürgers - verbundene Befugnis, Rechtsgüter Dritter zu beeinträchtigen. Amtsträger haben diese Befugnis nicht. Sie haben die Amtsbefugnisse. Daß sie infolgedessen u. U. weitgehend verpflichtet sind, ist keine Besonderheit der Überschneidung des Strafrechts mit den Amtsrechten, sondern alltägliche Folge der Unvollständigkeit des Strafrechts. 12 Dazu auch Kirchhof, Notwehr und Nothilfe aus öffentlichrechtlicher Sicht. In: Merten (Hg.), Aktuelle Probleme des Polizeirechts, S. 67 (69 ff.). 13 Vgl. Zielinski, Handlungs- und Erfolgsunwert im Unrechtsbegriff, S. 128 ff. 14 Jakobs, Strafrecht AT, 29/73 f. Anm. 148 f.

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Ärzte sind in ihrer Rolle, u. U. auch mit Straffolgen, weitergehend verpflichtet als Durchschnittsbürger. Günther 15 unterscheidet die Frage der "Zulässigkeit hoheitlichen Handeins" von der der Strafbarkeit, die den Amtsträger wie "jeden anderen Bürger" betreffe. Demnach könnte angenommen werden, das Amtsrecht betreffe nur eine besondere soziale Rolle. Das Strafrecht, davon abgehoben, betreffe eine allgemein menschliche Sphäre: die Person an sich "wie jeden Bürger", den "Täter" 16, weil es ja auch die Person insgesamt haftbar macht. Dementsprechend müßten auch hinsichtlich des Strafunrechts die Notrechte der hinter der bloßen Rolle des Amtsträgers existierenden Person an sich zustehen. - Aus dem positiven Strafrecht ist diese Relevanz der Person an sich gegenüber der sozialen Rolle nicht zu erschließen. Im Strafrecht werden die Bürger auf Schritt und Tritt verantwortlich gemacht für die Verletzung der aufgrund spezifischer sozialer Rollen ihnen auferlegten Pflichten. Die Pflichten des Straßenverkehrsteilnehmers, des Betreibers einer geflihrlichen Anlage usw. begründen Strafe im Rahmen der Garantenund Sorgfaltspflichten. 'Wenn die besondere Rollenpflicht von Hoheitsträgern bei Eingriffen strafrechtlich außer acht bleiben soll, weil sie öffentlichrechtlicher Art ist, dienstintern sanktioniert werden kann und nicht auf die strafrechtlich relevante allgemeine Person "durchschlagen" könne, so müßten übrigens auch alle besonderen Gefahrtragungspflichten, die speziell Hoheitsträgern auferlegt werden, bei der Interessensabwägung bzw. bei der Bestimmung der Angemessenheit des Mittels i. S. des § 34 StGB außer acht bleiben. Gerade sie sollen nach Günter 17 aber berücksichtigt werden - eine schwer nachvollziehbare Differenzierung. Rollen sollen hier mit Luhmann 18 verstanden werden als "Bündel sozialer Erwartungen". Die Erwartungen richten sich vorab nicht an bestimmte Menschen. Rollen können von wechselnden Trägem übernommen werden. Die Erwartungen sind zuweilen in gesetzlichen Normen formalisiert. Die Vertreter des Strafunrechtsausschlusses für Hoheitsträger wollen strafrechtliche von disziplinarischer, d.h. rolleninterner Haftung unterscheiden anhand einer Differenzierung zwischen Pflichten der allgemeinen Person und besonderen Rollenpflichten. Die Differenzierung ist kaum durchzuführen. Jedes Handeln einer Person in der Gesellschaft läßt sich als Erfüllung oder Übertretung von Rollenerwartungen verstehen 19. Wer sich das Geld zum Leben durch Diebstahl beschafft statt durch Erwerbstätigkeit oder Sozialhilfe, fällt aus den diesbezüglichen Rollen. Wer sein Kind vernachlässigt oder schlägt, bis es krank wird, verstößt gegen Eltemrollenpflichten. Die Verbote von Tötung und Körperverletzung sind für Soldaten im Krieg 15

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Strafrechts widrigkeit und Strafunrechtsausschluß, S. 368 Anm. 27. Kirchhof, NJW 1978, 969 (972). Strafrechtswidrigkeit und Strafunrechtsausschluß, S. 368 Anm. 27 am Ende. Rechtssoziologie 1, S. 86 f.; ders., Grundrechte als Institution, S. 62 f. Dazu auch Popitz, Die normative Konstruktion der Gesellschaft.

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erheblich suspendiert; sie sind auch hinsichtlich der Rolle des zivilen Bürgers noch rollenmäßig differenziert; Kraftfahrzeugfahrern u. a. ist ein mehr an Gefährdung gestattet; sie dürfen auch die Integrität von Menschen und Sachen durch Abgase beeinträchtigen. Es lassen sich nicht Pflichten der allgemeinen Person und rollenspezifische Pflichten unterscheiden, sondern nur Pflichten mit mehr oder weniger großem Adressatenkreis. Das führt zu einer quantitativen Abschichtung, nicht zur Trennung von qualitativen Alternativen, ist also als Begründung der prätendierten Unterscheidung unergiebig. Im übrigen sind die Annahmen, Strafrecht könne Jedermannspflichten sanktionieren, und Rollenpflichten könnten nicht strafrechtlich sanktioniert werden, auch je für sich zwar theoretisch durchführbar, aber nicht auf gegebene Verhältnisse bezogen. Würden Jedermannspflichten konsequent statuiert und ausschließlich sie strafbewehrt, so regredierte das Strafrecht zum Recht einer primitiven, weil sozial nicht differenzierten Gesellschaft; Arbeitsteilung zum Beispiel könnte strafrechtlich nicht reflektiert werden. Die Forderung andererseits, Übertretungen von "bloßen" Rollenpflichten nicht zu bestrafen, sondern nur rollenintern zu sanktionieren, beinhaltet eine radikale Kritik des Strafrechts; denn danach dürfte nichts bestraft werden, weil, wie erwähnt, alle Delikte Rollenverstöße sind; auf alle Delikte müßte mit einer Art rolleninterner, spiegelnder Sanktionen reagiert werden. Wie der Verstoß des Hoheitsträgers behördenintern disziplinarisch geahndet werden soll, wären die ihr Kind schädigenden Eltern von der örtlichen FamilienSchiedskommission hinsichtlich ihrer Freude am Kind zu beschränken; dem diebischen Arbeiter wäre von der Betriebsjustiz eine Buße aufzuerlegen; dem rücksichtslosen Autofahrer wäre von einer entsprechenden gesellschaftlichen Kommission das Fahren einzuschränken. Ähnliche Ansätze werden praktiziert; auf milieu-, d. h. rollenbedingte Delikte kann per Weisung eine Art Rollenwechsel verlangt werden. Würde indes allenthalben auf Delikte hinsichtlich der Instanzen und der Sanktionen nur rollenintern reagiert, so würde akzeptiert, daß es jenseits der partikularen Rollenausübungen eine identische allgemeine Person, die als solche verantwortlich gemacht werden kann, nicht gibt. Es würde angenommen, daß der einzelne Mensch aufgeht und aufgelöst ist in seinen verschiedenen Rollen und deshalb nur in deren jeweiligem Teilbereich haftbar gemacht werden kann. Wieweit tatsächlich die Rollen Menschen erfassen und bestimmen, ist soziologisch umstritten. Das geltende Strafrecht macht über die rolleninterne Haftung hinaus die allgemeine Person verantwortlich. Die Strafe richtet sich dem Anspruch nach und effektiv gegen den Menschen insgesamt. Er wird zur freien, d. h. über den Rollen stehenden Person "hochstilisiert" 20. Nimmt man hinzu, daß die Strafe verhängt wird für das, was der Mensch in seinem fehlerhaften 20

Krauß, Festschrift für Schaffstein, S. 411 (423).

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2. Teil: Rechtfertigung und Begründung der Deliktsprovokation

Rollenverhalten verbrochen hat, so ergibt sich: Die allgemeine Person wird im Strafrecht nicht dadurch berücksichtigt, daß von ihren Rollenpflichten abgesehen wird, wie die Vertreter des Strafunrechtsausschlusses für Hoheitsträger meinen. Vielmehr wird, gerade indem für Fehler des Rollenverhaltens über die rolleninterne Haftung hinaus ein Mensch insgesamt haftbar wird, die allf:emeine Person strafrechtlich postuliert. Der Angeklagte mag darauf verweisen, die Tat sei nicht seine, sei bedingt durch eine besondere Situation und Rolle (als Konkurrent, Vater etc.), die er längst verlassen habe. Es hilft ihm nichts; die rollenbedingte Tat wird ihm als seine zugerechnet durch die Strafe. Durch die Strafe gegen die allgemeine Person, nicht durch das Ausschließen der Strafe wegen bloßen Rollenpflichtverstöße, wird die Person als identisches Subjekt jenseits der Rollen nach der Konzeption des Strafrechts postuliert. Das hier dargestellte Verhältnis von Rollenpflichten und allgemeiner Person im Strafrecht impliziert nicht, daß alle Verstöße gegen Rollenpflichten bestraft werden müßten. Es kann differenziert werden nach dem Gewicht der Pflichten und der Verstöße im Hinblick auf die besonders einschneidende Rechtsfolge der Strafe. Dabei kann auch berücksichtigt werden, daß diverse Verstöße kaum über den Rollenbereich hinaus bedeutsam sind und deshalb intern sanktioniert werden können. Ob dazu Handlungen von Hoheitsträgern gehören, die ihre Amtspflichten überschreiten, aber noch im Rahmen dessen bleiben, was in der Rolle des zivilen Bürgers möglich wäre - Notrechte - , wird später erörtert. Jedenfalls kann dies nicht begründet werden mit der These, das Strafrecht sanktioniere nur die Pflichten der allgemeinen Person, nicht Rollenpflichten wie die von Hoheitsträgern. - Die These, strafrechtlich hafte der Hoheitsträger wie jeder Bürger 21 , trifft zu. Aber sie trägt nicht die daraus gezogenen Folgerungen. Jeder Bürger haftet strafrechtlich für das Unrecht seiner Handlung, das gemäß deren jeweiligen spezifischem sozialen Zusammenhang (der Rolle) bestimmt wird.

IV. Sozialethik als Kriterium Daß die Notrechte die strafrechtliche Haftung von Amtsträgern ausschlössen, hat Schmidhäuser teleologisch und sozialethisch erklärt 22. Was das Strafrecht erlaubt und verbietet, sei im Hinblick auf die Rechtsfolge der Strafe zu bestimmen. Strafe dürfe nur verhängt werden gegen sozialethisch verbotenes Verhalten. Durch Notwehr gebotenes Verhalten aber sei sozialethisch erlaubt, auch wenn es polizeirechtlich verboten sei. Notwehr sei ein Jedermannsrecht. - Korrespondierend zu der von Kirchhof und Günther angenommenen Sphäre der von Rollen abgehobenen Person an sich führt Schmidhäuser hier die Sphäre der von den Günther, a.a.O. Notwehr und Nothilfe aus strafrechtlicher Sicht. In: Merten (Hg.), Aktuelle Probleme des Polizeirechts, S. 53 ff. 21

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E. Ausschluß des Strafunrechts bei staatlicher Provokation

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Regelungen sozialer Teilbereiche wie des Verhältnisses Bürger / Staat abgehobenen Sozialethik ein, der das Strafrecht folgen soll. Es ist nicht zu bestreiten, daß die Sozialethik für die Begründung und Auslegung des Strafrechts bedeutsam ist. Dann aber fragt sich, ob sie nicht auch für andere rechtliche Regelungen bedeutsam ist. Wenn die Strafen sozialethisch begründet werden, dürfte der zivilrechtliche Schadensersatz nicht sozialethisch neutral sein. Wenn die Pönalisierung des Diebstahls sozialethisch begründet ist, so dürfte das zivilrechtliche Eigentum an der Begründung teilhaben, denn an dieses ist über das Merkmal ,fremde Sache' der Diebstahlstatbestand geknüpft. Entsprechend dürfte es sich mit öffentlichrechtlichen Regelungen verhalten, die etwa über § 113 StGB sich strafrechtlich auswirken. Das Problem berührt die in der Literatur erörterte bekannte Frage, ob zwischen Straf- und Ordnungswidrigkeitenrecht ein qualitativer oder nur ein quantitativer Unterschied im Unrecht bestehe 23. Das Strafrecht, so wurde früher angenommen, sanktioniere natürliches, sozialethisch begründetes Unrecht oder Naturrechtswidrigkeiten, während das Ordnungswidrigkeitenrecht vom Gesetzgeber erzeugtes Unrecht sanktioniere 24. Auch wenn derartige Thesen zuträfen, könnten sie für die Auslegung keine Konsequenzen haben, denn was Unrecht nach positivem Recht ist und wie darauf zu reagieren ist, entscheidet das Parlament im Rahmen der Verfassung. Die Rechtsanwendung hat diese Entscheidung, nicht eine davon abweichende naturrechtliche, zu konkretisieren. Dementsprechend können auch sozialethische Bewertungen nur sekundär, zur Konkretisierung, herangezogen werden, soweit nicht aus dem systematischen Zusammenhang des positiven Rechts sich vorrangige Entscheidungen ergeben. Die Amtsbefugnis eines Hoheitsträgers, der einen Straftatbestand erfüllt, schließt das Strafunrecht aus - wohl weil die Amtsbefugnis zu sozialethisch positivem Handeln befugt. Dennoch befugt sie nicht jedermann. Der Private, der eine nächtliche Haussuchung bei seinem Nachbarn durchführt, die den Strafverfolgungsbehörden gestattet gewesen wäre, handelt sozialethisch negativ, ist strafbar, nicht nur wegen Amtsanmaßung, sondern auch wegen Hausfriedensbruchs. All dies wäre falsch, wenn das Amtsrecht mit seiner Sozialethik nicht ins Strafrecht hineinwirken könnte. Nicht anders verhält es sich bei der Beschränkung der Notrechte auf private Bürger. Allerdings soll die Sozialethik nach Schmidhäuser 25 nur als Grenze der Strafbarkeit fungieren, so daß die sozialethisch begründete Notwehr allgemein die Strafbarkeit begrenze. Aber auch wenn die Notwehr sozialethisch begründet ist, könnte sie wohl ihrerseits begrenzt sein. Soziale Ethik geht auf die konkreten 23 Dazu Tiedemann, Tatbestandsfunktionen im Nebenstrafrecht, S. 50 f. mit weiteren Nachweisen. 24 Dagegen u. a. Schmidhäuser, Strafrecht AT, 8/107. 25 A.a.O. (Anm. 22), S. 55.

25 Keller

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2. Teil: Rechtfertigung und Begründung der Deliktsprovokation

Besonderheiten sozialer Teilbereiche, hier des Verhältnisses Staat / Bürger, differenzierend ein. Auch die besonderen Verpflichtungen der Verkehrsteilnehmer, der Betreiber gefährlicher Anlagen usw. werden im Rahmen der Garanten- und Sorgfaltspflichten vom Strafrecht rezipiert und von der Sozialethik nicht ausgeschlossen. Allerdings kommt den Straftaten im Vergleich zu durchschnittlichen Amtspflichtverletzungen ein besonders schwerer sozialethischer Unwert zu. Aber das wird gesetzlich schon dadurch berücksichtigt, daß die Straftatbestände nur einen relativ geringen Teil der Amtspflichtverletzungen erfassen.

V. Die Bedeutung des Rechtsgüterschutzes für das Strafrecht Eine weitere Begründung für den Ausschluß des Strafunrechts könnte sich auf die These stützen, Strafrecht habe Rechtsgüter zu schützen. Ein Vergleich legt das nahe: Wenn in einer Notstandslage ein privater Detektiv ein Delikt provoziert zur Rettung des bedrohten Gutes und sich dabei im Rahmen des Erforderlichen hält, kann dies durch § 34 StGB gerechtfertigt sein. Handelt statt des Privaten ein Polizist, so überschreitet er, wie im vorangegangenen gezeigt, seine Amtsbefugnisse. Von der Deliktsprovokation beeinträchtigt sind Rechtsgüter aber in beiden Fällen in gleicher Weise. Wenn der Polizist, nicht aber der Private haften soll, so scheint Grund der Haftung nicht die Rechtsgutsverletzung zu sein, sondern nur die Überschreitung einer Verfahrensnorm, die die Zuständigkeit, Notrechte auszuüben, beschränkt. Das könnte der bekannten Forderung, Strafrecht habe sich auf Rechtsgüterschutz zu beschränken, widersprechen. Auf diese Forderung hat Günther 26 denn auch die Forderung nach besonderer Berücksichtigung eines Strafunrechts gestützt. Strafunrecht sei von den anderen Rechtsgebieten dadurch unterschieden, daß es "nur Rechtsgüter" schütze und nicht, wie Zivil- und öffentliches Recht, auch die "Beziehungen" zwischen Bürgern sowie zwischen Bürgern und Staat regle. Das Strafrecht diene "ausschließlich" der Gefahrenabwehr (wobei die Gefahr offenbar für das Rechtsgut bestehen muß, nicht für Beziehungen). Dementsprechend müsse das Strafunrecht vom Unrecht der beiden anderen Rechtsgebiete abgehoben werden. Da im obigen Beispiel das Unrecht des polizeilichen Handelns sich nur aus der Regelung der besonderen Beziehung Bürger / Staat der Regelung des Verfahrens des unmittelbaren Zwanges - ergibt, könnte geschlossen werden, daß dieses Unrecht nicht zum Strafunrecht gehört, weil es eine Beziehung und kein Rechtsgut betrifft. Dementsprechend fordert Günther 27 , die öffentlichrechtliche Regelung hoheitlichen Handeins (die die Besonderheit der Beziehung Bürger / Staat reflektiert) bei der Bestimmung des Strafunrechts beiseite zu lassen. 26

27

Strafrechtswidrigkeit und Strafunrechtsausschluß, S. 154 ff. A.a.O., S. 368 Anm. 27.

E. Ausschluß des Strafunrechts bei staatlicher Provokation

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Die These vom Nur-Rechtsgüterschutz des Strafrechts ist problematisch, zunächst weil fraglich ist, ob der Begriff Rechtsgut, wie von Günther unterstellt, zu fassen ist. Zuweilen wird der Rechtsgutsbegriff als Beziehungsbegriffbezeichnet, der vom Strafrecht zu schützende Interaktionsformen, Beziehungen also, erfasse 28 • Damit wird berücksichtigt, daß sozial und individuell wichtig nicht allein dingliche Substrate sind, sondern auch der soziale Umgang, Verkehr mit ihnen und die Sicherung bestimmter Formen des Verkehrs. Das wurde oben gezeigt 29. Freilich regelt das Strafrecht den Verkehr, z. B. mit Gütern, meist nicht selbständig; es nimmt aber an der zivilrechtlichen Regelung teil, indem es die krassesten Überschreitungen derselben als inakzeptable Verkehrsformen (z. B. Wegnahme als Alternative der zivilrechtlich geregelten Sachübertragung) pönalisiert 30. Läßt man die auf sozialen Verkehr bezogenen Begriffe des Rechtsguts beiseite und faßt darunter nur Substanzen bzw. deren idealen Wert, so wird die von Günther prätendierte Unterscheidung des Strafrechts von anderen Rechtsgebieten fraglich. Denn das Strafrecht schützt Rechtsgüter nur gegen schuldhafte (vorsätzliche oder fahrlässige) Angriffe. Mehr auf Rechtsgüterschutz ist, worauf Kirchhof hingewiesen hat, das Polizeirecht orientiert; es verzichtet auf das Schuldkriterium und beauftragt die Polizei zur Abwehr von Gefahren beliebiger Art, auch wenn sie durch Unfälle und Naturereignisse entstehen. Das Strafrecht demgegenüber schützt diejenigen Normen gegen s.chuldhafte Auflehnung, die Rechtsgüter zu achten gebieten 31. "Ausschließlich der Gefahrenabwehr" zu dienen 32, unterscheidet Strafrecht also nicht von den anderen Rechtsgebieten 33. Die Beziehung zwischen Bürger und Staat ist tatsächlich unterschieden von der zwischen Bürgern - der Staat ist ein bürokratischer Apparat, der die Verhältnisse der einzelnen sich zu subsumieren tendiert. Deshalb ist die Beziehung Bürger / Staat auch normativ zu unterscheiden, wie die Garantie von GrundrechCalliess, Theorie der Strafe, S. 130 ff., ders., NJW 1985, 1506 (1513). s. o. 1. Teil E II 2 b. 30 Demnach gehörte zum Rechtsgüterschutz also gerade das, was Günther davon ausschließen will. Allerdings ist nicht ganz klar, ob dies seine Intention ist. Sollte sie (S. 154 ff.) dahin zu verstehen sein, daß Strafrecht auch Beziehungen schützt, diese aber nicht selbständig durch Ge- und Verbote regelt, sondern nur außerstrafrechtliche Regelungen zusätzlich verstärkt - darauf deutet sein Bezug auf Binding (S. 158) - so wäre die Unterscheidung von Rechtsgütern und Regelungen von Beziehungen für die prätendierte SpezifIkation des Strafrechts gegenüber anderen Rechtsgebieten irrelevant. Aber die Forderung (S. 368 Anm. 27), das Strafunrecht akzukoppeln von der öffentlichrechtlichen Regelung des hoheitlichen Handeins, die besondere Beziehungen zwischen Bürger und Staat berücksichtigt, zeigt, daß die These von der Befreiung des Strafrechts von der Regelung von Beziehungen durchaus praktisch werden soll. 31 Jakobs, Strafrecht AT, 1/4 ff., 9 ff.; 2/7. 32 Günther, a.a.O., S. 154. 33 Günther, a.a.O., S. 172, hält besondere Formen des Angriffs auf Rechtsgüter für strafrechtlich relevant. Warum gleichwohl (S. 154) Strafrecht nichts mit der Regelung von Beziehungen zu tun haben soll, ist schwer nachzuvollziehen. 28

29

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2. Teil: Rechtfertigung und Begründung der Deliktsprovokation

ten in diesem Verhältnis zeigt; der Staat hat das objektive Recht zu vertreten, die Bürger dürfen ihre subjektiven Interessen verfolgen. In der Konsequenz dieser Unterschiede kann der Rechtsgüterschutz in der Beziehung Bürger / Staat anders ausgestaltet sein als in der Beziehung Bürger / Bürger.

VI. Konkurrenz der Rechtfertigungsgründe Sieht man davon ab, daß die Notrechte nach der hier vertretenen Ansicht schon tatbestandlieh hoheitliches Handeln nicht erfassen, so läßt sich das vorliegende Problem unter dem Aspekt der Konkurrenz mehrerer Rechtfertigungsgründe - der Amtsrechte und der Notrechte - diskutieren. Wie oben gezeigt wurde, kommen dabei die Rechtsprechung und die Autoren, die meinen, die Notrechte befugten grundsätzlich auch Hoheitsträger, zu dem Ergebnis, daß die Amtsrechte gegenüber den allgemeinen Notrechten mehr oder weniger weitgehend negativ spezial wirkten 34. Neuerdings hat Günther 35 die Gegenansicht - Spezialität der allgemeinen Notrechte - vertreten hinsichtlich des Strafunrechts. Er folgert dies aus einer breit angelegten Untersuchung des Verhältnisses von allgemeiner Rechtswidrigkeit und Strafunrecht. Die Bestimmung des Strafunrechts sei stets teleologisch bezogen auf seine spezifische, besonders schwere Rechtsfolge, die Strafe, die von zivil- und öffentlichrechtlichen Rechtsfolgen unterschieden ist. In der Konsequenz der teleologischen Bedeutung des Strafunrechts müßten auch die Gründe, die das Strafunrecht ausschließen, bestimmt werden. Daraus wird eine Unterscheidung verschiedener Unrechtsausschlußgründe abgeleitet 36 : (a) Gründe, die speziell im Zivilrecht oder (b) speziell im öffentlichen Recht das Unrecht ausschließen; (c) Gründe, die "auf der Ebene der allgemeinen Rechtslehre für die Gesamtrechtsordnung" als "allgemeiner Rechtfertigungsgrund" das Unrecht ausschließen und im Strafrecht rezipiert sind: "unechte Strafunrechtsausschließungsgründe" - Beispiele sollen die §§ 32, 34 StGB sein; (d) Gründe, die speziell nur das Strafunrecht ausschließen und die "allgemeine Rechtswidrigkeit" unberührt lassen sollen: "echte Strafunrechtsausschließungsgründe" - Beispiele sollen die §§ 193, 218a, 240 Abs. 2 StGB sein. Wenn ein Grund der Klassen a) - c) vorliegt, soll stets auch das Strafunrecht ausgeschlossen sein, weil Strafe nur bei rechtswidrigem Handeln einsetzen könne. Aber diese Gründe sollen, weil nicht speziell auf den Ausschluß des Strafunrechts bezogen, dafür i. d. R. nicht ,,kriminalpolitisch sachgerecht" sein 37. o. 2. Teil D I 2. Strafrechtswidrigkeit und Strafunrechtsausschluß, S. 253 ff., 324 ff., 362 ff. Zum folgenden: Günther, a.a.O., S. 258 f. A.a.O., S. 259.

34 S. 35 36

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E. Ausschluß des Strafunrechts bei staatlicher Provokation

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Die Zuordnung der §§ 32, 34 StGB zur Klasse c) läßt sich bestreiten, denn die §§ 32, 34 StGB schließen, wenn man der im öffentlichen Recht, z. T. im Strafrecht 38 und vorliegend vertretenen Ansicht folgt, nicht das Unrecht hoheitlichen HandeIns aus, gelten insofern nicht für die "Gesamtrechtsordnung" . Auch Günther hält diese Beschränkung der §§ 32, 34 StGB für möglich, weil diese Vorschriften eventuell nicht qua "Analogie" ins öffentliche Recht zu übernehmen seien 39. In welcher Weise sie dann zugleich zur "Billigung durch die Gesamtrechtsordnung führen"40 und ein von ihnen wiedergegebener "allgemeiner Rechtsgedanken" im öffentlichen Recht "gelten" soll 41 , ist nicht recht klar. Darauf kommt es hier jedoch nicht an. - Weiter ist bestritten, ob die Klasse d) der "echten Strafunrechtsausschließungsgründe" anzuerkennen ist 42 • Auch darauf kommt es hier vorläufig aber nicht an. Denn die hier relevanten §§32, 34 StGB gehören jedenfalls nicht dazu. Sie schließen nicht nur speziell das Strafunrecht aus, sondern auch die allgemeine Rechtswidrigkeit. Sie enthalten Eingriffsrechte, sind in Günthers Klassifikation also "unechte Strafunrechtsausschließungsgründe" 43 • Geht man von Günthers Klassifikation aus, so kann bei hoheitlichen Eingriffen, die einen Straftatbestand erfüllen und die Amtsrechte (Klasse b» überschreiten, sich aber im Rahmen der Notrechte (Klasse c» halten, nur das Verhältnis der öffentlichrechtlichen Rechtfertigungsgründe zu den Notrechten (Klasse b) zu Klasse c» relevant werden, nicht die Klasse d), die speziell das Strafunrecht ausschließt. Dann aber ist schwer einzusehen, wie es zum Ausschluß speziell des Strafunrechts kommen soll, ohne daß die allgemeine Rechtswidrigkeit berührt wird. Eben dies aber schließt Günther 44 aus dem Konkurrenzverhältnis. - Die Notrechte sind, wie er ausführlich belegt 45 , nicht Regelungen, die speziell das Strafunrecht ausschließen. Sie sind, wie auch vorliegend angenommen wurde, Eingriffsrechte. Zum spezifischen Strafunrecht stehen sie im gleichen - nach Günther 46 kriminalpolitisch nicht sachgerechten - Verhältnis wie die amtlichen Befugnisse der Hoheitsträger, die auch Eingriffsrechte sind und neben dem spezifischen Strafunrecht das Verwaltungsunrecht ausschließen. - Auf der gleichen systematischen Stufe stehen die Notrechte und die Amtsbefugnis auch, insofern sie (nach verbreiteter, auch von Günther 47 für möglich gehaltener AnS. o. 2. Teil D Anm. 3. A.a.O., S. 368 f., 372. 40 A.a.O., S. 257. 41 A.a.O., S. 258 f. 42 Kritisch Lenckner in Schönke / Schröder Rn 8 vor § 32; U. Weber, JZ 1984, 276. 43 Günther, a.a.O., S. 303 ff. 44 A.a.O., S. 365 ff. 45 A.a.O., S. 303 ff. 46 A.a.O., S. 259. 47 A.a.O., S. 368 f., 372. 38

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sicht) Eingriffshandlungen nur eines beschränkten Personenkreises zulassen. Amtsbefugnisse berechtigen nur Hoheitsträger, Notrechte befugen nur Private. Wenn die Notrechte also im Verhältnis zum spezifischen Strafunrecht im gleichen Verhältnis stehen wie die Amtsbefugnisse, so ist nicht einzusehen, daß die Notrechte dort, wo der Handelnde, weil Hoheitsträger, seinen Eingriff nicht auf sie stützen kann, gleichwohl das Strafunrecht des Eingriffs ausschließen sollen, nur weil im Übrigen der Eingriff sich im Rahmen der Notrechte hält. Wäre es so, so müßte auch umgekehrt der Eingriff des Privaten, der sich nicht auf Amtsbefugnisse stützen kann, gleichwohl (zwar rechtswidrig, aber) straffrei sein, wenn der Eingriff sich im übrigen im Rahmen einer Amtsbefugnis hält. Der erwähnte Bürger, der bei seinem Nachbarn unter den Voraussetzungen des § 104 StPO eine nächtliche Haussuchung veranstaltet, wäre demnach nicht nach § 123 StGB strafbar; das Strafunrecht wäre ausgeschlossen. Derartiges hat bisher noch niemand angenommen. Aus dem Verhältnis von "echten und unechten Strafunrechtsausschließungsgründen" und von allgemeinem Unrecht und spezifischem Strafunrecht 48 ergibt es sich ebenso wenig, wie andererseits die Annahme, daß die Amtsbefugnisse keinen solchen allgemeinen Strafausschluß für Nichtarntsträger bewirken. Dementsprechend ergibt sich aus dieser Systematik auch nicht, daß im Regelungsbereich der §§ 228, 859 Abs. 1, § 904 BGB stets noch § 34 StGB das Strafunrecht ausschließe. Denn auch im Verhältnis zu den genannten Eingriffsrechten des BGB statuiert § 34 StGB keinen spezieller aufs Strafunrecht bezogenen Ausschlußgrund, sondern ein allgemeines Eingriffsrecht. Deshalb kommt es im Verhältnis der BGB-Eingriffsrechte zum Eingriffsrecht des § 34 StGB auf die Spezialitätserwägungen an, die die herkömmliche Lehre diesbezüglich entwickelt hat 49. Danach tritt § 34 StGB, wo er lex generalis ist, hinter BGBEingriffsrechte zurück. Und ob die Notrechte bei hoheitlichem Handeln, das durch Amtsbefugnisse nicht mehr gestützt ist, das Strafunrecht ausschließen, hängt von Erwägungen ab, die inhaltlich das Verhältnis von hoheitlichem Handeln zu Notrechten betreffen. Diese Erwägungen wurden in den vorangegangenen Abschnitten dargestellt. Die herkömmliche Lehre zur Konkurrenz der Rechtfertigungsgründe geht davon aus, daß sie alle - die §§ 32,34 StGB ebenso wie die BGB-Eingriffsrechte - zum Strafunrecht im gleichen Verhältnis stehen. Welcher von ihnen jeweils als lex specialis Anwendung findet, ist im einzelnen umstritten. Unstreitig aber ist entscheidend der Tatbestand der Rechtfertigungsgründe, der mehr oder weniger spezifisch auf die Situation bezogen ist 50. § 34 StGB ist im Tatbestand relativ A.a.O., S. 365. Mit Differenzen im einzelnen vgl. Seelmann, Das Verhältnis von § 34 StOB zu anderen Rechtfertigungsgründen, S. 36 ff.; Warda, Festschrift für Maurach, S. 143 (166); Lenckner in Schönke / Schröder Rn 28 vor § 32, § 34 Rn 6. 50 Z. B. Jakobs, Strafrecht AT, 11 / 16 f. 48

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weit gefaßt und tritt dementsprechend, wie erwähnt, u. U. hinter BGB- Eingriffsrechte zurück. (Ebenso träte er hinter öffentlichrechtliche Eingriffsrechte zurück, wenn er hier nicht schon tatbestandiich ausgeschlossen wäre.) - Günther nimmt das Gegenteil an, weil § 34 StGB spezifischer auf das Strafunrecht bezogen sei. Das trifft aber nicht zu. § 34 StGB schließt ebensowenig wie die BGB-Eingriffsrechte speziell und nur das Strafunrecht aus. Das gilt nur für die von Günther angenommenen "echten Strafunrechtsausschließungsgründe". Mit ihnen vermischt er die §§ 32, 34 StGB. In der näheren Begründung seiner These heißt es, der spezifische Strafunrechtsausschluß bedeute "nicht, daß die zu beurteilende Handlung rechtlich gebilligt sein muß"51. Eben diese Billigung ist aber notwendig mit den §§ 32, 34 StGB verbunden, wo sie anwendbar sind. Wenn aber § 34 StGB nicht spezifischer aufs Strafunrecht bezogen ist als die öffentlichrechtlichen Eingriffsrechte, so ist Günthers Konzeption vom Ausschluß des spezifischen Strafunrechts hier nicht anwendbar, und § 34 StGB führt zu nichts, wo ein Eingriff öffentlichrechtlich verboten ist. Daß § 34 StGB ungeachtet seines weiten Tatbestandes hinsichtlich des Strafunrechtsausschlusses sich immer gegen speziellere außerstrafrechtliche Regelungen durchsetze, ist auch nicht zu begründen, indem § 34 StGB "auf der Ebene der Allgemeinen Rechtslehre" 52 angesiedelt wird als gesetzliche Deklaration der "allgemeinen, naturrechtlichen, metajuristischen oder übergesetzlichen ,Rechtfertigungsgründe'" , die "schlechterdings jede denkbare Interessenkollision erfassen"53. - Nach geltendem Verfassungsrecht ist § 34 StGB in der Normenhierarchie ein einfaches Gesetz, wie verwaltungs- und prozeßrechtliche Gesetze, mit diesen konkurrierend und nachrangig gegenüber dem Verfassungsrecht. Wenn hoheitliches Handeln unzulässig in Grundrechte eingreift, ist es rechtswidrig. Daran ändert § 34 StGB nichts, weil er den Grundrechten nachrangig ist und folglich nicht ,jede denkbare Interessenkollision" regelt. Wieso § 34 StGB dann aber auf der Ebene des Strafunrechts wieder auftaucht und eine kaum begrenzte Regelungswirkung entfalten soll, ist schwer nachzuvollziehen. Denn § 34 StGB ist keine Regelung des Strafunrechts, sondern eben der Rechtswidrigkeit, die vorliegend vom höherrangigen Grundgesetz verdrängt wird. Wenn das Strafunrecht nach Maßstäben bestimmt wird, die auf der Ebene der Rechtswidrigkeit gerade ausgeschlossen wurden, so wird das Strafunrecht sehr weitgehend verselbständigt. Es wird dann nicht quantitativ zurückgenommen gegenüber der Rechtswidrigkeit. Es bringt vielmehr eine qualitativ alternative Bewertung des Unrechts zur Geltung. Die quantitative Rücknahme des Strafunrechts würde leichtere Fehler der Amtsrechtsausübung des Hoheitsträgers 51 A.a.O., S. 366. 52 Günther, a.a.O., S. 258. 53 A.a.O., S. 257.

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amtsrechtsähnliche Lagen - von Strafe freistellen. Die qualitative Alternative bringt einen Maßstab zur Geltung, der für andere als Amtstätigkeiten gebildet ist. Zur Begründung meint Günther, die strafrechtliche Haftung des Hoheitsträgers sei wie die "jedes Bürgers" zu bestimmen 54. Das trifft zu. Bürger haften für das Unrecht ihrer Handlung, die entsprechend ihrem jeweiligen sozialen Zusammenhang bewertet wird. Die Tätigkeit des Bürgers als Hoheitsträger ist ein solcher Zusammenhang, die Tätigkeit des privaten Bürgers ein anderer. Die Notrechte betreffen eine Tätigkeit, die der Hoheitsträger nicht ausübt, die des Privaten, was Günther in anderem Zusammenhang betont: Der im Dienst abgegebene tödliche Schuß "ist die hoheitliche Tätigkeit par excellence" 55. Entsprechendes gilt auch für andere Eingriffshandlungen von Hoheitsträgern 56 .

VII. Ungleichheit und Rollenverteilung Daß den Amtsträgern die Rechtfertigungsgründe der Privaten versagt werden, ist nach Ostendorf eine "Ungleichbehandlung der Bürger"57. Demnach wäre es wohl auch eine Ungleichbehandlung, daß nicht alle Leute Amtsträger mit Pensionsansprüchen sein dürfen, nicht alle alle Kinder erziehen und züchtigen, nicht alle alle Betriebe leiten dürfen und verantworten müssen etc. Das alles sind sozial definierte Rollen, deren gerechte Verteilung hier nicht zur Debatte steht. Über die Gerechtigkeit einzelner Rollenpflichten kann nur entschieden werden, wenn der Zusammenhang berücksichtigt wird. Der Amtsträger handelt in einem bürokratischen Apparat. Dieser wird wegen seiner positiven Effekte von der Verfassung begründet, wegen seiner Gefährlichkeit aber auch begrenzt. Wer mit diesem nützlichen und geflihrlichen Instrument umgeht, dem werden besondere Pflichten, u. a. Zuständigkeitsbeschränkungen, auferlegt und mit Strafe bewehrt.

VIII. Normzweckerwägungen Die Lehre vom Rechtswidrigkeits- oder Normzweckzusammenhang fragt danach, ob das Risiko, das sich im bewirkten Erfolg verwirklicht hat, identisch ist mit dem Risiko, das der Täter verbotenermaßen eingegangen ist 58. Demgemäß wäre hinsichtlich der vorliegenden Fallkonstellation zu fragen, ob das an Hoheitsträger gerichtete öffentlichrechtliche Verbot, ohne hinreichende gesetzliche 54 A.a.O., S. 368 Anm. 27. 55 A.a.O., S. 5. 56 Sie sind meist nur aufgrund der DienststeIlung des Beamten möglich. Die Vorstel-

lung, der Beamte handle zugleich mit der Rechtsstellung eines Bürgers (Günther, a.a.O., S. 368 Anm. 27), ist ebenso fragwürdig wie die von Günther (S. 5) abgelehnte Annahme, der Beamte wechsle von Fall zu Fall in die Rolle des Privaten hinüber. 57 JZ 1981, 165 (169). 58 Jakobs, Strafrecht AT, 7/72.

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Grundlage einzugreifen, bezweckt, diejenigen Erfolge zu verhindern, deretwegen der Hoheitsträger strafrechtlich gegebenenfalls haftbar gemacht würde. Wäre dies zu verneinen, so wäre das öffentlichrechtliche Verbot teleologisch auf einen anderen Gegenstand bezogen. Seine Überschreitung könnte nicht das strafrechtliche Unwerturteil begründen. - Gegen die dabei zugrunde gelegte Annahme, die bei der Rechtfertigung zu berücksichtigenden Umstände müßten sich im Rahmen des Zweckes der Deliktsnorm halten, wurden allerdings im Vorangegangenen 59 Einwände geltend gemacht. Sie sollen jedoch, um die Problembehandlung nicht zu verkürzen, hier zunächst zurückgestellt werden. 1. Schutz der Rechtsstaatlichkeit Jakobs meint, "Zweck des Vorrangs der Sondernormen für hoheitliches Handeln", d. h. des Verbots, ohne gesetzliche Grundlage einzugreifen, sei "nicht in erster Linie der Schutz des Angreifers", d. h. des vom Eingriff Betroffenen, "sondern der Schutz des Rechtsstaats und allenfalls dadurch vermittelt auch des" vom Eingriff Betroffenen 60 • Daraus dürfte jedoch nicht zu schließen sein (und wird von Jakobs auch nicht geschlossen), daß der Zweck der öffentlichrechtlichen Regelung derart vom Schutzzweck des strafrechtlichen Verbots abwiche, daß letzteres unabhängig von ersterer bestimmt werden könne, denn die These vom Schutz des Rechtsstaats ist unspezifisch. Sie müßte auch beim Problem staatlicher Garantenpflichten berücksichtigt werden und ausschließen, daß staatliche Handlungspflichten primär dem Schutz des verletzten Individualrechtsguts dienen, was Jakobs indessen für möglich hält 61 • Wo Amtsrechte durch aktives Handeln überschritten werden, müßte stets - nicht nur wo zugleich der Rahmen der Notrechte gewahrt ist - jeweils die strafrechtliche Haftung bezweifelt werden im Hinblick auf den Normzweckzusammenhang 62 • Für die Bestimmung des Zweckes des öffentlichrechtlichen Verbots ist anzunehmen, daß es einerseits dem öffentlichen Interesse dient, indem es die Institution des Rechtsstaats sichert. Indem die Organe des Staates die Gesetze vollziehen gemäß Art. 20 Abs. 3 GG manifestieren sie den Bestand des Rechtsstaates. Die Identität des Rechtsstaates wird im Unterschied zur Identität von Individuen primär durch den Vollzug von Gesetzen konstituiert. Deshalb bringen Hoheitsträger, wenn sie die Gesetze überschreiten, den Rechtsstaat ein Stück weit in 2. Teil A V. Strafrecht AT, 12/44. Nur aushilfsweise, weil keine sachgemäßere Sondervorschrift für die Zuständigkeitsanmaßung gegeben sei, müsse die strafrechtliche Haftung auf die Tatbestände gestützt werden, die die Verletzung der vom Eingriff Betroffenen pönalisieren. Ausführlich dazu Haas, Notwehr und Nothilfe, S. 329 ff. 61 Strafrecht AT, 29 / 77. In diesem Zusammenhang heißt es nur, institutionelle Garantenpflichten dienten "stets auch der Festigung der Institution" (a.a.O., 29/58). 62 Anders Jakobs, a.a.O., 16/5. 59

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Widerspruch zu sich selbst. Deshalb kann man in der Tat annehmen, daß durch die Einhaltung der Amtsrechte der Rechtsstaat gewahrt werden soll. Andererseits ist der Rechtsstaat als rein selbstbezügliche Einheit unter gegenwärtigen, auch verfassungsrechtlichen Bedingungen nicht mehr hinreichend zu erklären. Das zeigt sich u. a. in der erwähnten doppelten, formalen und materialen Bestimmung der öffentlichen Sicherheit 63. Der Staat hat konkrete Aufgaben in bezug auf die Individuen und die Gesellschaft. Die Annahme, eine dem einzelnen durch rechtsstaatliche Regelungen eingeräumte Position sei nur Reflex des objektiven Rechts, wird nur noch selten vertreten 64 • Das BVerfG tendiert vielmehr in die Gegenrichtung, wenn es Art. 2 Abs. 1 GG als Garantie der allgemeinen Handlungsfreiheit versteht und damit jede diese umfassende Freiheit tangierende Überschreitung des Rechts durch Staatsorgane über Art. 19 Abs. 4 GG justiziabel macht 65. Dabei wird impliziert, daß das jeweils überschrittene Recht auch dem Schutz der Freiheit des einzelnen dient. Deshalb können die Amtsrechte auch bezogen werden auf einzelne Zwecke jenseits des Rechtsstaats selber. Im Ergebnis trifft also generell hinsichtlich staatlicher Pflichten zu, was Jakobs hinsichtlich staatlicher Handlungspflichten annimmt: Sie können der Festigung der Institution und zugleich dem Schutz des einzelnen dienen 66. 2. Zwecke von Kompetenzregelungen Eine andere Einschätzung des Zweckes des öffentlichrechtlichen Verbots könnte sich aus dem Umstand ergeben, daß die in der Deliktsprovokation enthaltene, durch das öffentliche Recht verbotene Rechtsgutsbeeinträchtigung nicht absolut verboten ist. Der Inhaber des betroffenen Rechtsguts hat kein Recht, von der Beeinträchtigung verschont zu bleiben, sofern die Provokation von Privaten kommt und gemäß § 34 StGB gerechtfertigt ist. Daraus könnte man schließen: Wenn auch das Verbot hoheitlichen Eingriffs den vom Eingriff betroffenen Bürger dient, so hat sich möglicherweise doch im Erfolg des Eingriffs nicht der Unwert realisiert, um deswillen der Eingriff verboten ist. Bei dieser Annahme wird unterstellt, das öffentlichrechtliche Verbot habe nur die Bedeutung einer Kompetenzvorschrift. Außerdem wird der Unwert ihrer Überschreitung vom Unwert des Erfolgs getrennt. Das öffentlichrechtliche Verbot als Kompetenzregelung zu verstehen, liegt besonders nahe, wenn die Notrechte des Privaten verstanden werden als abgeleitete staatliche Befugnisse 67 • Dann greift der Hoheitsträger, wenn er mit der Des. o. 1. Teil E V I a. Zum Problem vgl. Wolff / Bachof, Verwaltungsrecht I, § 43 I b. 65 BVerfGE 6, 32 (36 f.); 35, 35 (39); s. a. Wolff / Bachof, Verwaltungsrecht I, § 33 Va 2. 66 Jakobs, a.a.O., 29/58, 77. 63

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liktsprovokation seine staatlichen Amtsbefugnisse überschreitet, sich aber im Rahmen dessen hält, was Bürger aufgrund der Notrechte dürfen, in eine andere, ihm nicht zustehende, aber originär staatliche Kompetenz über. In der kompetenzrechtlichen Sichtweise sind seit langem die Zweifel an den strafrechtlichen Konsequenzen des Verstoßes gegen öffentlichrechtliche Verbote angelegt 68 . Auch jenseits des vorliegenden Problems entstehen zuweilen Zweifel an den Konsequenzen von Kompetenzaufteilungen oder anderen Verfahrensvorschriften, die die Gefahrenabwehr, wie vorliegend, behindern. So hat Klose 69 eine Verbindung der in herkömmlichem Verfassungsverständnis getrennten staatlichen und ausnahmsweisen bürgerlichen Gewaltzuständigkeiten gefordert, weil in Notsituationen Bürger wie Polizisten auf die Rettung von Rechtsgütern orientiert seien. U. a. mit dem Argument ,Gefahrenabwehr' hat der BGH70 es abgelehnt, aus einem behördlichen Zuständigkeitsfehler die Konsequenz eines Beweisverwertungsverbots zu ziehen. Im Kontaktsperrebeschluß71 hat er gegenüber dem Schutz wichtiger Rechtsgüter die Verletzung einer Verfahrensnorm zurücktreten lassen. Bemerkenswert sind in diesem Zusammenhang auch die §§ 218 ff. StGB, wonach die Überschreitung von Verfahrensvorschriften - z.B. Konsultation eines Arztes - die Rechtfertigung des Schwangerschaftsabbruchs nicht ausschließt 72 • Schließlich dürfte für die Allgemeinheit nicht ohne weiteres plausibel sein, daß ein Polizist strafbar sein soll, weil er bei der Festnahme seine örtliche Zuständigkeit um einige Meter überschritt 73 . Bestimmt man für das Strafrecht den Zweck von Kompetenzregeln im Zusammenhang des öffentlichen Rechts, zu dem sie gehören, so läßt sich kaum bezweifeln, daß sie auch dem Schutz des von der kompetenzwidrigen Maßnahme Betroffenen dienen, denn regelmäßig begründen Zuständigkeitsmängel ebenso wie materielle Fehler die Anfechtungsmöglichkeit des Betroffenen. Anders ist es nur bei den in § 36 VwVfG genannten Mängeln örtlicher Zuständigkeit. In Analogie dazu könnten andere geringfügigere Verfahrensmängel der Strafrechtswidrigkeit entzogen werden. Der vorliegend relevante Kompetenzmangel ist aber weit gewichtiger als die in § 46 VwVfG genannten. Er ist auch gewichtiger als die sonstigen Durchbrechungen innerstaatlicher Kompetenzaufteilung, denn wenn die Behörde, die Kompetenzen von Bürgern wahrnimmt, eignet sie sich Befugnisse an, die auf freies spontanes Handeln einzelner zugeschnitten sind. 67 So zur Notwehr Merten, Rechtsstaat und Gewaltmonopol, S. 56 f.; ähnlich Schmidhäuser, Strafrecht AT, 9/86; anders oben 2. Teil All. 68 Vgl. Haas, Notwehr und Nothilfe, S. 84 Anm. 61, S. 332 unter Hinweis auf Pufendorf. 69 ZStW 89 (1977), 61 (66 f., 71 ff., 87). 70 BGHSt 24, 125 (131); kritisch Dencker, Verwertungsverbote, S. 3, 27 f. 71 BGHSt 27, 260 (263). 72 Darauf weist Jakobs, Strafrecht AT, 12/44 Anm. 93, hin. 73 Vgl. Amelung, JuS 1986,329 (335 f.); Ostendorf, JZ 1981, 165 (169).

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Würden sie vom bürokratischen Apparat des Staates ausgeübt, so würde dessen rechtsstaatliche Begrenzung grundsätzlich negiert, weil die Behörde sich Freiheit anmaßte. Das geht hinaus über die Anmaßung einer fremden staatlichen Kompetenz. Das Strafunrecht muß allerdings nicht strikt akzessorisch zum öffentlichen Recht bestimmt werden 74 • Die Kompetenzanmaßung könnte im Strafrecht spezifisch bewertet werden, einmal indem im Rahmen der objektiven Zurechnung das rechtmäßige Alternativverhalten berücksichtigt wird, zum anderen indem die Kompetenzanmaßung tatbestandiich von der Erfolgsverursachung gesondert wird. 3. Hypothetischer Kausalverlauf, rechtmäßiges Alternativverhalten Das von dem in der Deliktsprovokation enthaltenen unzulässigen Eingriff des Hoheitsträgers beeinträchtigte Rechtsgut stand u. U. auch ohne diesen Eingriff in der Gefahr, durch die rechtmäßige Notrechtsausübung eines Bürgers, z. B. eines Privatdetektivs, beeinträchtigt zu werden. Das rechtmäßige Verhalten des Hoheitsträgers hätte den Eingriff möglicherweise oder sicher nicht ausgeschlossen. Samson u. a. 75 wollen deshalb in derartigen Fällen die Erfolgszurechnung verneinen, allerdings nur, sofern der hypothetische Verlauf mit Sicherheit alsbald zum gleichen Ergebnis geführt hätte wie der reale Verlauf. In der Literatur wird die Berücksichtigung der hypothetischen Eingriffe durch rechtlich kompetente Helfer überwiegend abgelehnt 76. Die dabei vorgebrachten Erwägungen sind in der allgemeinen Lehre der objektiven Zurechnung begründet. Sie sollen hier nicht überprüft werden. Auch im hier entwickelten sachlichen Kontext erweist sich Samsons Konzeption als fragwürdig. Nach ihr müßte in den vorliegend relevanten Konstellationen der Deliktsprovokation der unzulässig eingreifende Hoheitsträger dann voll haften, wenn ein Bürger in der Situation nicht anwesend oder nicht zur Notrechtsausübung entschlossen war, denn dann war der hypothetische Verlauf zum Erfolg nicht sicher. Hingegen wäre die Haftung des Hoheitsträgers ausgeschlossen oder gemildert, wenn mit Sicherheit ohnehin alsbald ein Bürger eingegriffen hätte. - Diese Bewertungen überzeugen wenig im Hinblick auf den Schutz des in Not befindlichen Rechtsguts, der ansonsten für den Ausschluß des Strafunrechts geltend gemacht wird. Denn dort, wo der Hoheitsträger für das in Not geratene Gut einen mangels anderer Hilfe wirklich hilfreichen, aber unzulässigen Eingriff Günther, Strafrechtswidrigkeit und Strafunrechtsauschluß, S. 156, 158 f. Samson, Hypothetische Kausalverläufe im Strafrecht, S. 142 f. Bzgl. der (hier irrelevanten) situationsgebundenen Rechtfertigungsgrunde ebenso Rudolphi in SK StGB Rn 61 vor § 1; bzgl. Fahrlässigkeit ebenso Jescheck, Lehrbuch, S. 231 f.; BGHSt 11, 1 ff. 76 Schmidhäuser, Strafrecht AT, 8 / 75; Jakobs, Strafrecht AT, 7/72,87,94; Lenckner in Schönke / Schröder Rn 98 vor § 13. 74 75

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durchführte, würde er mehr bestraft als dort, wo sein unzulässiger Eingriff zur Rettung per saldo überflüssig war. (Der gemildert oder nicht strafbare Bereich wird eingeengt, wenn man der umstrittenen Risikoerhöhungslehre folgt.) Erklärbar wäre diese Differenzierung im Hinblick auf die Anmaßung der im Einzelfall auszuübenden Kompetenz eines anwesenden, zum Eingriff entschlossenen Privaten 77. Aber um dessen individueller Handlungsmöglichkeit willen ist Amtsträgern die Notrechtsbefugnis nicht entzogen. Vielmehr soll generell, im Interesse der Allgemeinheit und des vom staatlichen Eingriff Betroffenen, die staatliche Gewaltausübung rechtlich geordnet werden 78.

4. Gesonderte Bewertung von Kompetenzanmaßungen? § 132 StGB pönalisiert die Anmaßung einer Kompetenz in einem gesonderten Tatbestand. Daraus könnte geschlossen werden, Kompetenzanml.lßungen seien als solche nur in speziellen Anmaßungstatbeständen zu erfassen. Gegenüber solcher Argumentation wird in der Literatur auf unbestrittene Entscheidungen verwiesen 79. Wer als Privater einen anderen unter den Voraussetzungen des § 66 StGB zur Sicherheit verwahrt, haftet nicht nur nach § 132 StGB, sondern auch nach § 239 StGB, denn die Voraussetzungen der Rechtfertigung der Freiheitsberaubung sind nicht erfüllt. § 132 StGB bringt daneben nur die besondere Gefahrlichkeit der unbefugten Ausübung von Staatsgewalt zum Ausdruck.

Der umgekehrte Eingriff von seiten staatlicher Hoheitsträger in die Kompetenz von Bürgern kann ebenso das Unrecht des Verletzungsdelikts begründen. Die Relevanz der Kompetenz von Bürgern zeigt sich in der erzieherischen Züchtigung durch Unbefugte, ebenso bei der Nothilfe gegen den Willen des Angegriffenen. Der Unbefugte und der sich aufdrängende Helfer werden wegen des jeweiligen Verletzungsdelikts bestraft. Wieso es anders sein sollte, wenn Hoheitsträger unbefugt eingreifen, ist nicht ersichtlich. Derartige Übergriffe sind nicht weniger gefahrlich. Im übrigen würde, wenn das Verletzungsdelikt gerechtfertigt würde, unterstellt, der von dem Eingriff Verletzte sei bis zu den Grenzen der Notrechte jedem Eingriff preisgegeben, quasi vogelfrei 80. Es müßte dann auch den Bürgern gestattet werden, ungeachtet präsenter polizeilicher Hilfe Konflikte gewaltsam selbst zu regeln. Aber mit dem vorrangigen staatlichen Gewaltmonopol und dessen rechtlicher Ordnung soll Gewalt gebändigt und gemäßigt werden. Deshalb ist die Kompetenz der Notrechte den Hoheitsträgern entzogen. 77 Samson, a.a.O., S. 143, stellt auf die Dispositionsmöglichkeit des zum Eingriff Kompetenten ab. 78 Ähnlich Rudolphi, a.a.O. 79 Haas, Notwehr und Nothilfe, S. 333; Jakobs, Strafrecht AT, 12/44. 80 Jakobs, a.a.O., 7 /72, 90.

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Jakobs meint, die Anwendung der Tatbestände der Verletzungsdelikte sei eine Aushilfelösung mangels Sondervorschriften "für polizeilich nicht mehr erlaubtes Handeln" 81. Nach Haas haftet der Täter primär wegen der Gehorsamsanforderungen des Staates, weniger wegen einer Rechtsgutsverletzung; deshalb soll die Strafe nach Versuchsgrundsätzen gemildert werden 82 . In der Tat geht es, wenn in den vorliegend relevanten Fällen gestraft wird, auch um die Wahrung des in Prozeß- und Vollstreckungsgesetzen rechtlich geordneten Verfahrens. Aber dies dürfte eine der sozialen Funktionen vieler Strafgesetze sein. Gewalt in diversen Formen soll aus dem sozialen Verkehr gezogen und beim Staat konzentriert und rechtlich geordnet werden. An die Stelle der pönalisierten Form individueller Zweckverfolgung tritt die Möglichkeit rechtlich geordneten Verfahrens. Diese kompetenzielle Bedeutung vieler Straftatbestände begründet aber nicht, von der auch in ihnen reflektierten Rechtsgutsverletzung abzusehen und sie durch Tatbestände zu ersetzen, die nur die Kompetenzanmaßung erfassen wie § 132 StGB. Dann kann es in den vorliegend relevanten Fällen nicht anders sein.

5. Die Rettungstendenz der Amtshandlung Für das Strafunrecht der vorliegend relevanten Überschreitungen der Amtsrechte kann nicht nur ihre objektive Seite relevant sein, sondern auch die typische subjektive Disposition des Amtsträgers, d. h. neben dem Vorsatz, der hier unterstellt wird, eine eventuell positiv zu wertende Tendenz. Anhaltspunkte dafür lassen sich aus Günthers 83 Untersuchung zum Strafunrecht erschließen. Den allgemeinen (nicht strafrechtsspezifischen) Rechtfertigungsgründen liege die rechtliche Billigung eines Verhaltens zugrunde. Für den Ausschluß des Strafunrechts aber sei eine Verhaltensbilligung nicht notwendige Voraussetzung; das Strafunrecht könne über den Bereich der gebilligten Verhaltensweisen hinaus schon ausgeschlossen sein, wo die scharfe Mißbilligung durch Strafrecht nicht erforderlich sei. Der Bereich ausgeschlossenen Strafunrechts solle deshalb "kriminalpolitisch sachgerecht"84 möglichst vor den Bereich rechtlich gebilligten Verhaltens ausgedehnt werden. - Die amtliche Tätigkeit nun ist rechtlich nicht nur - wie etwa eine Notstandshandlung - gebilligt, sondern sogar geboten, ist Pflicht des Beamten. Umso dringender scheint im Umfeld der rechtmäßigen Amtstätigkeit der Ausschluß des Strafunrechts geboten zu sein. In dieses Umfeld könnten Eingriffe gemäß § § 32, 34 StGB gehören, für die die Hoheitsträger keine Zuständigkeit haben. Aber nicht nur diese. Wenn Günther im Umfeld des Notstan81 Jakobs, a.a.O.; anders (a.a.O., 7/94), wenn Bürger in staatliche Kompetenzen übergreifen. 82 Haas, a.a.O., S. 338 f. 83 Strafrechtswidrigkeit und Strafunrechtsausschluß, S. 129, 133, 256, 259. 84 A.a.O., S. 259.

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des, bei notstandsähnlichen Lagen, das Strafunrecht entfallen lassen will 85 , so müßte es wohl auch im Umfeld aller Amtsrechte, bei amtsrechtsähnlichen Lagen entfallen - ein beachtlicher Bereich der Rücknahme des Strafunrechts. Er kann hier außer acht bleiben. Verglichen mit der allgemeinen Rechtswidrigkeit wird das Strafunrecht zurückgenommen, wo das materielle Unrecht gemindert ist. Bei dem vorliegend relevanten hoheitlichen Eingriff der Deliktsprovokation, die die Zuständigkeit der Hoheitsträger überschreitet, müßte das Unrecht also, weil sie sich - verfahrenswidrig - auf die Abwehr von Gefahren richtet, in relevanter Weise gemindert sein, wenn das Strafunrecht ausgeschlossen sein soll. Die Provokation müßte zwar rechtswidrig, aber ansatzweise noch respektabel, dem rechtmäßigen Eingriff ähnlich sein. Dem steht jedoch eine im Vorangegangenen dargestellte Besonderheit hoheitlichen Handeins entgegen 86. Dieses ist darauf gerichtet, das objektive Recht zu verwirklichen. Zum objektiven Recht gehört nicht nur das Wahrnehmen der amtlichen Befugnis, sondern auch die Wahrung von deren Grenzen, die in den Verbotsnormen gegeben sind. Beides gehört zum öffentlichen Interesse, das der Hoheitsträger ausschließlich zu wahren hat. Die rechtlich geschützten Interessen - etwa der Bürger am Hausfrieden und am Sacheigentum - , die das Vorgehen der Strafverfolgungsbehörde und der Baubehörde begrenzen, sind Teil des von diesen Behörden zu verwirklichenden öffentlichen Interesses. Das Einhalten der Grenzen einer amtlichen Befugnis ist für das öffentliche Interesse grundsätzlich ebenso wichtig wie die in der Befugnis vorgeschriebene oder zugelassene amtliche Handlung. Dann aber kann die Überschreitung der Befugnisgrenzen kein der Befugniswahrnehmung ähnlicher Fall geminderten Unrechts sein; er ist vielmehr schlicht die Alternative rechtmäßiger Befugniswahrnehmung. Als gemindert unwertig könnte der Eingriff bewertet werden, wenn der Handelnde damit legitimerweise ein subjektives Interesse verfolgte. Dann würde er durch die Verbotsnormen, wie im Vorangegangenen gezeigt, nur äußerlich begrenzt. Die Verbotsnormen setzten seinem Handeln dann Grenzen in einem seinem subjektiven Interesse fremden, seiner Freiheit entgegenstehenden Interesse. Da die Freiheit des einzelnen und die Tatsache, daß er partikulare Interessen verfolgt, grundsätzlich anzuerkennen sind, könnte das Recht ihm, auch wo es seiner Freiheit Grenzen setzt, gleichwohl noch dadurch entgegenkommen, daß es leichtere Grenzüberschreitungen als ähnliche der legalen Freiheitsbetätigung behandelt und auf Strafe verzichtet. Das grundsätzlich anzuerkennende subjektive Freiheitsinteresse wäre tertium comparationis solcher Analogie. Deshalb können Überschreitungen eines subjektiven Rechts dessen Ausübung ähnlich sein, so daß das Unrecht gemindert ist. Das ist auch andernorts im Strafrecht anerkannt. Im Vergleich mit Eingriffen in den Straßenverkehr durch Nichtbeteiligte (§ 315b 85 86

A.a.O., S. 306 ff., 326 ff. Zum folgenden s. o. 2. Teil D II 2.

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2. Teil: Rechtfertigung und Begründung der Deliktsprovokation

StGB) werden verkehrsinterne Fehler (§ 315c StGB) weniger umfangreich pönalisiert, weil den Verkehrsteilnehmern, auch wenn sie fehlerhaft handeln, noch ihr respektables subjektives Fortbewegungsinteresse zugute gehalten wird 87. Hoheitsträger hingegen haben kein solches partikulares subjektives Freiheitsinteresse zu verfolgen, sondern das davon abgehobene übergreifende öffentliche Interesse, wie es gesetzlich geordnet ist. Zwar gehört zur staatlichen Gefahrenabwehr, zur Strafverfolgung etc., engagiertes Vorgehen der Beamten. Aber zu den hoheitlichen Kompetenzen - allgemein: zum öffentlichen Interesse - gehört wie gesagt ebenso die Wahrung der Rechte anderer, in die durch eine Rettungsaktion eingegriffen wird. Ein Haftungsrabatt im Hinblick auf respektable Interessen der Handelnden an Freiheit und spontaner Hilfe u. ä. sind hier nicht zu berücksichtigen. Der Hoheitsträgerpat als solcher kein respektables Interesse, jenseits seiner Zuständigkeit einzugreifen. Solches Interesse wäre ebenso inakzeptabel wie etwa das Interesse an Vorteilen für sich oder Angehörige, das seinerseits wieder Strafe begründen kann (§§ 331 f. StGB). Diese Argumentation bedeutet nicht, daß alle Überschreitungen von Amtsrechten pönalisiert werden müßten, weil sie alle gleich schwer wären. Das Strafrecht bestimmt mit seinen Tatbeständen einzelne besonders schwere Überschreitungen als strafwürdig. Die hier vorgetragene Argumentation bedeutet nur, däß eine subjektive Rettungstendenz des Amtsträgers das Unrecht nicht beeinflußt, weil er das objektive Recht im öffentlichen Interesse zu vertreten hat, welches auf die gleichmäßige Wahrung der Rechte aller gerichtet ist. Bestätigung dafür läßt sich aus Günthers Ausführungen zur Notwehr 88 erschließen. Er lehnt es ab, analog zur Rechtfertigung durch Notwehr das Strafunrecht auch bei einer notwehrähnlichen Lage auszuschließen. Zur Notwehr gehöre, daß der Täter nicht nur seine subjektiven Rechte verteidige, sondern zugleich "auf die Seite des Rechts' tritt und die Rechtsordnung ,bewährt"', wobei ersichtlich das objektive Recht gemeint ist. Diese Ansicht ist zwar problematisch 89 , soll hier aber zugrunde gelegt werden, weil Günthers Folgerungen aufschlußreich sind. Er meint, wer sich nur in einer notwehrähnlichen Lage befinde, trete nicht "auf die Seite des Rechts", handle mit seiner Verteidigung schon rechtswidrig 90. Sein Verhalten soll nicht analog der Notwehr als straflos zu bewerten sein 91 • 87 Auch die restriktiven Kriterien ,grob verkehrswidrig und rücksichtslos' gehören in diesen Zusammenhang. Weiteres Beispiel: Die Flucht von Gefangenen wird weniger umfangreich pönalisiert als die Gefangenenbefreiung (§§ 120 f. StGB). 88 Strafrechts widrigkeit und Strafunrechtsausschluß, S. 325 f.; ähnlich Haas, Notwehr und Nothilfe, S. 336. 89 Dazu oben 2. Teil A I 1. 90 Im Kontext von Günthers sonstigen Ausführungen setzt diese Argumentation voraus, daß geklärt wird, auf die Seite welchen Rechts der Verteidiger treten muß, wenn das Strafunrecht ausgeschlossen werden soll. Recht und Rechtswidrigkeit sollen nach Günther jeweils nichts Identisches sein, sondern für das Strafrecht formbares "Rohmaterial" (a.a.O., S. 156, 158 f.).

E. Ausschluß des Strafunrechts bei staatlicher Provokation

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Kurz: Wer das objektive Recht zu vertreten hat, handelt, wenn er es übertritt, nicht ähnlich dem objektiven Recht, weil im Widerspruch dazu. Eben dies wurde hier hinsichtlich der hoheitlichen Tätigkeit aufgrund von Amtsrechten angenommen, die ebenfalls objektives Recht zur Geltung zu bringen, sich "auf die Seite des Rechts" zu stellen hat. Tut sie es nicht, so ist das Unrecht nicht gemindert. Der Hoheitsträger hat als solcher kein respektables Interesse, jenseits seiner Zuständigkeit einzugreifen.

6. Vergleich mit anderen Regelungen In den hier entwickelten Erklärungsansatz zur Bedeutung von Verfahrensverstößen für das Strafrecht fügt sich nun auch eine Regelung, die a prima vista die strafrechtliche Irrelevanz hoheitlicher Verfahrensverstöße zu bestätigen scheint. Vor einem Schwangerschaftsabbruch gemäß §§ 218, 218a StGB soll die Frau einen Berater konsultieren (§ 218 Abs. 3 S.2, § 218b Abs. 1 StGB). Dennoch ist der Abbruch, wenn diese Verfahrensvorschrift nicht eingehalten wurde, nicht nach § 218 StGB strafbar, sofern die sonstigen Voraussetzungen des Abbruchs gegeben sind. Hier wird die Verfahrensvorschrift und ihre Unterschreitung nicht in die Norm aufgenommen, die die Rechtsgutsverletzung erfaßt 92. Der Verstoß gegen Verfahrensvorschriften ist vielmehr in Sondertatbeständen spezifisch erfaßt und mit geringerer Strafe bedroht (§§ 218b, 219 StGB). Daraus könnte man schließen, wenn Hoheitsträger die Verfahrensvorschriften der Zuständigkeit nicht wahren, könne dies ebenfalls nicht in der Bewertung des Verletzungsdelikts berücksichtigt werden, sondern nur gesondert als Verfahrensverstoß, der in diesem Fall jedoch nicht im Gesetz pönalisiert ist. Die Übertragung der Regelung der §§ 218 ff. StGB auf hoheitliche Eingriffe ist jedoch nicht möglich,. denn, von diesen unterschieden, handelt die Frau in ihrem subjektiven Interesse. Sie hat außerdem zu dem Kind ein besonders enges personales Verhältnis. Deshalb wird ihr subjektiv bestimmtes Handeln unter den Voraussetzungen des § 218a STGB, auch wenn sie die staatlichen Verfahrensvorschriften mißachtet, noch insoweit rechtlich respektiert, daß der Verfahrensverstoß den Schwangerschaftsabbruch noch nicht rechtswidrig macht. Anderenfalls würde bei der strafrechtlichen Bewertung unterstellt, daß die Frau in der Notsituation des § 218a StGB zu ihrem Interesse und dem Kind ebenso distanziert und neutral - objektiv - eingestellt sein müsse, wie staatliche Behörden zu ihren objektivrechtlichen Pflichten gegenüber dem Publikum. In der Regelung der Ebenso Haas, a.a.O. n Vgl. Haas, Notwehr und Nothilfe, S.333, 337 f. Nach Lackner, § 219 Anm. 1; Jähnike in LK (10. Aufl.) Rn 1, 18 vor § 218; Jakobs, Strafrecht AT, 12/44, Anm. 93, pönalisieren die §§ 218b, 219 StGB Ungehorsamsdelikte ähnlich den Disziplinarverstößen. Günther, Strafrechtswidrigkeit und Strafunrechtsausschluß, S. 314 ff., meint, § 2I8a StGB führe nicht zur Rechtfertigung, sondern nur zum Ausschluß des Strafunrechts. 91

26 Keller

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2. Teil: Rechtfertigung und Begründung der Deliktsprovokation

§§ 218 ff. StGB wird respektiert, daß der Abbruch ihrer Schwangerschaft für die Frau in den Grenzen des § 218a StGB ihre Sache ist, auch wenn er staatliche Verfahren tangiert, so daß der Verfahrensverstoß in einem Sondertatbestand mit geringerer Strafe sanktioniert wird.

Daß in §§ 218 ff. StGB Verfahrensverstöße von materiellen Verstößen gesondert und milder bewertet werden, um das subjektive Interesse zu respektieren, ist keine Entscheidung, die dogmatisch allgemein gelten müßte, sondern bezieht sich nur auf die besondere Situation der Frau. In anderen Konstellationen bleibt es bei der Identität von materiellen und Verfahrensverstößen, auch wenn subjektiv interessierte einzelne handeln. Das zeigt sich im Umweltstrafrecht. Wer eine der in § 327 StGB genannten gefährlichen Anlagen betreibt, ohne die vorgeschriebene Genehmigung einzuholen, ist unstreitig strafbar, nicht nur wenn eine Ermessensentscheidung der Verwaltung überspielt wurde, sondern auch wenn die Anlage materiell hätte genehmigt werden müssen, also nur ein Verfahrensverstoß vorliegt 93 • Der abstrakten Geflihrlichkeit einer materiell unzulässigen Anlage wird die abstrakte Gefährlichkeit der Umgehung von Kontrollverfahren bei feststehender materieller Ungefährlichkeit gleichgestellt. Entsprechendes gilt bei der Verunreinigung von Gewässern (§ 324 StGB), der Luft und bei Lärmverursachung (§ 325 StGB) 94. Selbst wenn der Bürger eine Genehmigung beantragt hatte, die ihm materiell rechtswidrig versagt würde, ist er strafbar, wenn er die Anlage (§ 327 StGB) nun ohne Genehmigung betreibt 95. Allenfalls kommt in Notfällen eine Rechtfertigung gemäß § 34 StGB 96 oder bei späterer Aufhebung der Untersagungsverfügung ein objektiver Strafaufhebungsgrund 97 in Betracht. Die genannten Umweltdelikte sind allerdings abstrakte Gefährdungsdelikte; die hier diskutierten hoheitlichen Eingriffe dagegen sollen u. U. Verletzungstatbeständen subsumiert werden. Diese Differenz spricht jedoch nicht gegen den Vergleich. Daß der Hoheitsträger einen Verletzungserfolg bewirkte, ist unstreitig. Bestritten ist, ob er ihn in pflichtwidriger Weise bewirkte. Pflichtwidrig ist das sozial inadäquate, abstrakt gefährliche Verhalten. Daß auch das verfahrensfehlerhafte, weil inkompetente Verhalten derart abstrakt gefährlich und im Sinn des Strafrechts pflichtwidrig sein kann, wurde hier erklärt und wird bestätigt durch die Bewertung von Verfahrensfehlern bei den Umweltdelikten. 93 Horn in SK StGB § 327 Rn 4; ders., NJW 1981, 1 (8 f.); Dölling, JZ 1985,461 (462 f.); Dreher / Tröndle § 327 Rn 3; Crarner in Schönke / Schröder § 327 Rn 11. 94 Horn, a.a.O., § 325 Rn 16; Crarner, a.a.O., Rn 19 vor § 324, Rudolphi, NStZ 1984, 193 (196). Im übrigen ist die Verwaltungsakzessorietät bei den §§ 324 f., 327 StGB je unterschiedlich ausgestaltet; vgl. Rudolphi, a.a.O.; Dölling, a.a.O.; Horn, a.a.O., Rn 6 vor § 324. 95 s. o. Anm. 93 sowie Ostendorf, JZ 1981, 165 (174). 96 Mit Unterschieden im einzelnen: Horn in SK StGB § 324 Rn 9; Rudolphi, a.a.O., S. 196; Crarner, a.a.O., § 324 Rn 13; Dölling, a.a.O., S. 463. 97 Crarner, a.a.O., Rn 21 vor § 324; anders Horn, a.a.O., Rn 7 vor § 324; Dölling, a.a.O., S. 466.

E. Ausschluß des Strafunrechts bei staatlicher Provokation

403

Für das Problem des Strafunrechts von Verfahrensfehlern ist schließlich aufschlußreich die Auslegung des § 113 StGB durch die Rechtsprechung, denn sie bestimmt die Rechtswidrigkeit hoheitlichen Handeins bei § 113 StGB enger als im Verwaltungs- und Prozeßrecht. Zwar ist der Bezugsrahmen bei § 113 StGB ein anderer als in der vorliegend relevanten Frage, weil es bei der Bestimmung der Rechtswidrigkeit in § 113 StGB nicht um die Strafbarkeit hoheitlichen Handelns geht, sondern um die Befugnis von Bürgern zum gewaltsamen Widerstand gegen die handelnden Beamten. In deren Interesse wird bei § 113 StGB die Rechtswidrigkeit eng gefaßt 98 • Aber das bedeutet auch, daß dieser Rechtswidrigkeitsbegriff jedenfalls nicht weiter ist als der für die Strafbarkeit der Beamten relevante 99. Aus ihm kann daher geschlossen werden, wieweit der Ausschluß des Strafunrechts allenfalls gehen kann. - Es ist nun kaum bestritten, daß die Unzuständigkeit des handelnden Amtsträgers bei § 113 StGB zur Rechtswidrigkeit hoheitlichen Handeins führt )()(). Daß einem anderen Amtsträger gestattet gewesen wäre, was dem handelnden untersagt war, schließt die Rechtswidrigkeit nicht aus. Zwar wird gefordert, Überschreitungen von Zuständigkeitsregeln, die nicht dem Schutz des Bürgers dienen, außer acht zu lassen 101. Kriterien dafür können, wie erwähnt, in Anlehnung an § 36 VwVfG gebildet werden. Die vorliegend diskutierte Kompetenzaufteilung dient dem Schutz des einzelnen. Die Differenz zwischen Bürger- und Staatskompetenz ist auch gewichtiger als die herkömmlich bei § 113 StGB relevanten Kompetenzteilungen. Die Überschreitung jener muß erst recht das Strafunrecht begründen. Wie bei § 113 StGB werden Kompetenzüberschreitungen auch bei den Amtsrechten strafrechtlich eingeschätzt. Obwohl auch hier meist ein besonderer strafrechtlicher Rechtswidrigkeitsbegriff gebildet wird, schließen die Amtsrechte das Strafunrecht nicht aus, wenn der Amtsträger tat, was nicht er, wohl aber ein anderer durfte 102. Insgesamt ergibt sich, daß das an Amtsträger gerichtete öffentlichrechtliche Verbot, ohne gesetzliche Grundlage einzugreifen, auch dem Zweck der Verrnei98 Dshalb soll nach Amelung, JuS 1986, 329 (335), der Rechtswidrigkeitsbegriff des § 113 StGB nicht auf die Amtsrechte übertragen werden. 99 Wo dem Beamten wegen der Rechtswidrigkeit seiner Handlung die Gefahr unmittelbaren gewaltsamen Widerstands zugemutet wird, kann er auch eine justizförrnig verhängte Strafe hinnehmen, wenn sein Handeln einen Straftatbestand erfüllt. - Die Kritik, die gegen den engen Rechtswidrigkeitsbegriff der Rechtsprechung vorgebracht wird (vgl. Lenckner in Schönke / Schröder § 113 Rn 21 ff.; v. Bubnoff in LK (10. Aufl.) § 113 Rn 21 jeweils m. w. N.), kann hier vernachlässigt werden, denn die Kritiker wollen den Rechtswidrigkeitsbegriff meist weiter fassen und mehr ans Verwaltungs- und Prozeßrecht binden. Auch Autoren, die den Begriff noch mehr als die Rechtsprechung einengen wollen (v. Bubnoff, a.a.O., Rn 34) bestreiten nicht, daß Zuständigkeitsfehler zur Rechtswidrigkeit führen; vgl. v. Bubnoff, a.a.O., Rn 28 f. 100 v. Bubnoff, a.a.O., Rn 28 f.; Lenckner, a.a.O., Rn 24 f. 101 Amelung, a.a.O., S. 335 f. 102 Lenckner, a.a.O., Rn 84 vor § 32; Maurach/Zipf, Strafrecht AT, 1. Tb., § 29 11.

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2. Teil: Rechtfertigung und Begründung der Deliktsprovokation

dung der einzelnen Schadenserfolge dient, die in strafrechtlichen Tatbeständen Strafe begründen. Das öffentlichrechtliche Verbot kann also bei Verletzungsdelikten - dazu gehört auch die Provokation derselben - in die strafrechtliche Bewertung aufgenommen werden. Daneben dient das öffentlichrechtliche Verbot der Allgemeinheit, indem es die Macht des Staatsapparates begrenzt, ihn als Institution ordnet und berechenbar macht. Wenn also der Eingriff eines Beamten bestraft wird, weil er das spezifisch an die Angehörigen der Institution gerichtete Verbot überschritten hat, so wird mit der Strafe nicht nur dem Schutz eines Individualrechtsguts gedient, sondern auch der rechts staatlichen Ordnung der Institution zugunsten der Allgemeinheit. Diese soziale Modifikation des Schutzes von Individualrechtsgütern ist keine Besonderheit der hier diskutierten Fälle. Viele Tatbestände, die neben dem individualschädlichen Erfolg eine qualitativ besondere Art der Erfolgsverursachung zum Kriterium der Strafe machen, beziehen sich damit auch auf Bedingungen des sozialen Zusammenhangs. Wenn die objektive Zurechnung anhand sozialer Standards bestimmt wird. wenn aufgrund spezifischer sozialer Situationen Garanten- und Sorgfaltspflichten auferlegt werden, so werden mit der darauf bezogenen Strafe nicht nur die je beeinträchtigten Individualrechtsgüter geschützt, sondern auch die rechtliche Ordnung der jeweils in Bezug genommenen sozialen Situation. Der institutionelle Zweckbezug der Strafe bei den hier diskutierten hoheitlichen Eingriffen hat Bedeutung für das Verhältnis der Strafe zu Disziplinarmaßnahmen. Wenn der Täter strafrechtlich verantwortlich gemacht wird für den Verstoß gegen die Pflichten, die ihm in seiner institutionellen Rolle· obliegen, und wenn die Strafe auch der Stabilisierung der Ordnung der Institution dient, so darf eine Disziplinarstrafe, die demselben Zweck dient, daneben nur verhängt werden, wenn die Störung der institutionellen Ordnung durch die Strafe nicht voll erfaßt wird. Andernfalls würde gegen das Prinzip der Verhältnismäßigkeit verstoßen 103, eventuell auch gegen das Verbot der Doppelbestrafung 104. Ein "disziplinarer Überhang" dürfte selten bleiben, wenn, wie vorliegend, die strafrechtliche Bewertung gerade auf den Verstoß gegen eine Dienstpflicht gestützt wird. Bei der Zumessung der Kriminalstrafe sind vorangegangene Disziplinarstrafen zu berücksichtigen 105.

IX. Teilweise Rechtfertigung, Analogie und Verhältnismäßigkeitserwägungen Die staatlichen Deliktsprovokationen erfüllen Straftatbestände. Den Rechtfertigungstatbestand des § 34 StGB erfüllen sie nicht, weil staatliches Handeln mit 103 104

105

BVerfGE 21,378 (388); Baumann/Weber, Strafrecht AT, § 4 I 4. Jakobs, Strafrecht AT, 3/19. Stree in Schönke / Schröder § 46 Rn 55.

E. Ausschluß des Strafunrechts bei staatlicher Provokation

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diesem Tatbestand nicht begründet werden kann, i. S. des § 34 StGB ein unangemessenes Mittel ist. Die anderen Merkmale des § 34 StGB aber können bei staatlichen Deliktsprovokationen ebenso erfüllt sein wie bei privaten. Ist das der Fall, so erfüllt das Handeln des staatlichen Provokateurs den Rechtfertigungstatbestand des § 34 StGB teilweise. Nach allgemeiner Ansicht setzt die Rechtfertigungswirkung des Tatbestandes nicht ein, wenn er nur teilweise erfüllt ist 106. Die Gegenansicht würde zu einer unkontrollierbaren Ausweitung des Unrechtsausschlusses führen. Sie legte es im übrigen nahe, auch die Unrechtsbegründung durch den Deliktstatbestand auszuweiten und - abgestuftes - Unrecht schon zu bejahen, wenn der Deliktstatbestand teilweise erfüllt ist. Im Strafrecht würde damit die Unterscheidung von Recht und Unrecht aufgegeben. Die staatliche Sozialkontrolle könnte hier nicht mehr rechtlich begrenzt werden. Wenn das nicht sein soll, ist davon auszugehen, daß der Tatbestand eines Rechtfertigungsgrundes jeweils einen geschlossenen Handlungstyp beschreibt, dessen Rechtswidrigkeit nur ausgeschlossen ist, wenn alle Tatbestandsmerkmale zusammen gegeben sind - korrespondierend zu dem von einem Deliktstatbestand beschriebenen geschlossenen Handlungstyp, dessen Rechtswidrigkeit nur begründet ist, wenn alle Tatbestandsmerkmale zusammen gegeben sind. Vom Fall des teilweise erfüllten Rechtfertigungstatbestandes ist zu unterscheiden die Möglichkeit, durch einen vollständig erfüllten Rechtfertigungstatbestand den Teil eines Geschehens, das einen oder mehrere Deliktstatbestände erfüllt, zu rechtfertigen. Das ist grundsätzlich möglich 107, nicht aber in den vorliegend relevanten Fallkonstellationen. Im Vorangegangenen wurde gezeigt, daß die Rechtsgutsverletzung - sie allenfalls käme als gerechtfertigter Teilaspekt in Betracht - nicht getrennt bewertet werden kann von der Beziehung, in der sie bewirkt wurde. Es gibt keine Rechtsgutsverletzungen an sich. Daß ein Rechtfertigungstatbestand teilweise erfüllt ist, legt aber die Frage nahe, ob er analog angewendet werden kann, auf den Fall, den er zwar nicht erfaßt, der aber den vom Tatbestand erfaßten Fällen ähnlich ist. Aufgenommen wird diese Erwägung in der von Günther 108 gebildeten Kategorie der echten Strafunrechtsausschließungsgründe. - Wie die Straftatbestände teleologisch im Hinblick auf die von den anderen Rechtsgebieten unterschiedene Straffolge ausgelegt werden, so sollen auch die Gründe, die das Strafunrecht ausschließen, in dieser Weise teleologisch bestimmt werden. Wenn also Rechtfertigungsgründe die allgemeine Rechtswidrigkeit und nicht nur das gesteigerte Strafunrecht ausschließen - dazu gehören die Notrechte ebenso wie die Amtsrechte - , so sei deren Tatbestand für den Ausschluß des spezifischen und besonders schweren Strafunrechts i. d. R. "nicht sachgerecht" 109. Nicht jedes Verhalten, das außerhalb 106 107 108

109

Lenckner in Schönke / Schröder Rn 8, 22 vor § 32. Dazu Dencker, JuS 1979,779 f. Strafrechtswidrigkeit und Strafunrechtsausschluß, S. 257, 259 f. A.a.O., S. 259.

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2. Teil: Rechtfertigung und Begründung der Deliktsprovokation

dieser Tatbestände liegt, also nicht allgemein gerechtfertigt ist, müsse auch strafrechtlich mißbilligt werden. Deshalb könnten neben den Rechtfertigungsgründen qua Analogie zusätzlich besondere Gründe anerkannt werden, die allein das Strafunrecht ausschließen, echte Strafunrechtsausschließungsgründe. Dementsprechend faßt Günther u. a. die Einwilligung für den Ausschluß des Strafunrechts weiter als für das Zivilunrecht. Die Züchtigung durch Lehrer soll u. U. strafrechtmäßig sein, auch wenn sie öffentlichrechtlich verboten ist. Neben dem Notstand i. S. des § 34 StGB soll die notstandsähnliche Lage rechtfertigend wirken. Im Gesetz seien die echten Strafunrechtsausschließungsgründe anerkannt in §§ 193, 218a, 240 Abs. 2, 253 Abs. 2 StGB, weil das dort straffrei gestellte Verhalten nicht stets auch gerechtfertigt sei. Im Anschluß an diese Konzeption könnte auch für die vorliegend relevanten rechtswidrigen hoheitlichen Deliktsprovokationen der Ausschluß des Strafunrechts begründet werden, und zwar in Analogie zu § 34 StGB 110 oder, was Günther nicht anspricht, zu den Amtsrechten wegen ,amtsrechtsähnlicher Lage', die stets bei leichteren Überschreitungen von Amtsdelikten in Frage käme. So wäre z. B., wenn Verfassungsschutzbeamte ein vollendetes Delikt provozieren und dies weder zu den nachrichtendienstlichen Mitteln gehört, noch behördlich genehmigt ist, stets zu erwägen, ob die Provokation als nachrichtendienstähnliches Mittel bewertet werden kann, was schwer zu bestimmen sein dürfte. Wenn die Polizei Delikte provoziert, wäre zu fragen, ob ein den zulässigen Ermittlungsmethoden ähnliches Mittel vorliegt. Zur Kritik des Ansatzes: Zwar ist die strafrechtseinschränkende Analogie zulässig. Dennoch kann die verfassungsmäßige Bindung der Justiz an parlamentarische Gesetze tangiert werden, wenn jenseits gesetzlich oder gewohnheitsrechtlich anerkannter und jenseits der mit den §§ 153 ff. StPO schon gegebenen weiten Spielräume die Justiz jeweils selbst noch die Strafwürdigkeit bestimmt. Parlamentarische Entscheidungen über die Strafwürdigkeit haben im Rahmen der Verfassung Vorrang vor justiziellen Einschätzungen. Daran ändert auch der von Günther betonte Verhältnismäßigkeitsgrundsatz nichts, soweit er schon gesetzlich in vertretbarer Weise berücksichtigt ist. Der verfassungsmäßige Verhältnismäßigkeitsgrundsatz läßt der Gesetzgebung weite Spielräume. Andernfalls würde mit ihm demokratische Gesetzgebung durch Justiz ersetzt. Deshalb kann mit dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz nicht jede justiziell als problematisch eingeschätzte Entscheidung der Volksvertretung korrigiert werden. Es ist das Programm von Gewaltenteilung und Gesetzesbindung, daß sie den Richter an Gesetze binden, die ihm nicht passen. Gesetze, die er ohnehin für gerecht hält, müßten nicht für verbindlich erklärt werden. Nur bei eindeutigen, "groben" Unverhältnismäßigkeiten ist eine justizielle Korrektur der demokratischen Entscheidung möglich 111. 110

A.a.O., S. 326 ff.

E. Ausschluß des Strafunrechts bei staatlicher Provokation

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Auf ein weiteres Problem von Günthers Konzeption hat U. Weber 112 hingewiesen: Sie führt zu erheblicher Rechtsunsicherheit. Wie gezeigt sind bei Deliktsprovokationen amtsrechtsähnliche Konstellationen kaum in nachvollziehbarer Weise zu begrenzen. Andererseits sind diese Einwände ihrerseits unspezifisch, denn Gesetzesbindung und Rechtssicherheit sind, wo es um die Einschränkung des Strafrechts geht, ihrerseits nicht perfekt durchzuführen, sofern man der herkömmlichen Meinung folgt. Hinsichtlich der allgemeinen Rechtswidrigkeit ist anerkannt, daß sie u. U. durch Tatbestände ausgeschlossen sein kann, die nicht im positiven Recht vorgesehen sind (Beispiel: Pflichtenkollision). Eine weitere Frage ist, ob Günthers Vorschlag, in Analogie zu Rechtfertigungsgründen Tatbestände zu bilden, die nur das Strafunrecht ausschließen, die angemessene Lösung ist für das von ihm gestellte Problem. Das ist die behauptete quantitative Minderung des materiellen Unrechts unter die Schwelle der Strafwürdigkeit. Es geht um eine quantitative Abweichung vom strafwürdigen Quantum des Unrechts. Im allgemeinen werden im Strafrecht quantitative Minderungen des Unrechts, die nicht schon in den herkömmlichen Zurechnungskriterien und in §§ 153 f. StPO reflektiert sind, berücksichtigt durch die Strafzumessung. Allerdings ist diese oft durch erhöhte Mindestmaße begrenzt, und die §§ 153 f. StPO sind nicht immer anwendbar. Daß das verwirklichte materielle Unrecht unterhalb der damit angenommenen erhöhten Mindestunrechtsmarge liegt, bedeutet aber noch nicht, daß der gänzliche Ausschluß strafrechtlicher Folgen materiell stets angemessen wäre. Der gänzliche Ausschluß des Strafunrechts und aller strafrechtlichen Folgen könnte nur als Notlösung zugunsten des Täters akzeptiert werden, falls keine andere, materiell angemessene Klassifikation und Reaktion zur Verfügung steht. Im Bereich der Analogien, die ja ohnehin zulässig sein sollen, dürfte solche angemessenere Klassifikation und Reaktion meist zu finden sein. Die Tat kann 111 Das entspricht der Rechtsprechung des BVerfG zur Kontrolle der Strafgesetzgebung; vgl. E 50, 125 (14): Der Gesetzgeber hat einen weiten Gestaltungsspielraum; nur bei "schlechthin untragbaren Ergebnissen" kann die Justiz ihn korrigieren (betr. § 48 StGB). Ebenso BVerfGE 10, 234 (246) zur Amnestie; BVerfGE 34, 261 (266) zum Ersatzdienst. Diese Entscheidungen betreffen Freiheitsbeschränkungen, also dem vorliegenden ähnliche Fälle. Für richterliche Zurückhaltung bei der Verhältnismäßigkeitskontrolle der Gesetzgebung Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts der Bundesrepublik Deutschland, § 10 11 2 b, § 14 III 3 e, § 12 I 10. Zur Kontrolle strafprozessualer Zwangsmaßnahmen ebenso Degener, Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, S. 181 ff., 202 f. Anders wird zu entscheiden sein, wo das Parlament seine Entscheidungskompetenz offen auf die Justiz übertragen hat; dazu Dencker, StrVert 1987, 117 (120). Auch dann könnte es aber im Interesse der demokratischen Kompetenz angemessen sein, daß die Justiz nicht selbst das Gesetz verfassungskonform konkretisiert, sondern für verfassungswidrig erklärt und das Parlament zur Konkretisierung zwingt; zur Ambivalenz der verfassungskonformen Auslegung vgl. Hesse, a.a.O., § 2 IV 2 a; Naucke, Krit. Vierteljahresschrift 1986, 189 (204 ff.). 112 JZ 1984, 276 (277); ebenso Lenckner in Schönke / Schröder Rn 8 vor § 32.

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2. Teil: Rechtfertigung und Begründung der Deliktsprovokation

etwa als versuchsähnlich oder abstrakt gefahrlich zu klassifizieren sein, was zur Senkung der Mindeststrafe führen kann, ohne die Strafbarkeit ganz auszuschließen \\3. Solche Lösung ist dann nicht nur materiell angemessener, sondern auch verfassungsrechtlich allein zulässig, weil sie weniger von der gesetzlichen Wertung abweicht als der gänzliche Strafumechtsausschluß. Prüft man nun für die vorliegend relevanten Provokationsfälle - ein Beamter provoziert ein vollendetes Delikt in einer Weise, in der ein Privater gemäß § 34 StGB gerechtfertigt gewesen wäre - die Möglichkeit des Strafumechtsausschlusses oder der Strafmilderung aufgrund von Analogie, so ergibt sich aus den Erwägungen der vorangegangenen Abschnitte, daß eine Regelung, die die genannten Rechtsfolgen begründen könnte, nicht zu vermissen, eine Lücke also nicht festzustellen ist. Die Strafbarkeit des Beamten fügt sich vielmehr in den Zusammenhang des allgemeinen Strafrechts. Sie mag wegen der Rettungstendenz an der unteren Grenze des jeweils Strafwürdigen liegen. Kraß unverhältnismäßig ist sie nicht. Sieht man das anders, so ist vor dem vollständigen Ausschluß des Strafumechts eine relativ gesetzeskonformere Lösung zu erwägen. Zweifel an der vollen Strafbarkeit des staatlichen Provokateurs, so sie bestehen, können sich an die Tatsache knüpfen, daß der Erfolg von einem Privaten hätte rechtmäßig herbeigeführt werden dürfen. Haas 114 hat vorgeschlagen, wegen der Versuchs ähnlichkeit dieses Falles die Strafmilderung nach §§ 23, 49 Abs. 1 StGB zuzulassen. Jakobs \15 will in ähnlichen Fällen (ausdrücklich nicht im vorliegenden) wegen der Nähe zur abstrakten Gefährlichkeit die Strafe nach § 49 Abs. 2 StGB mildem. Die erste Lösung wäre angemessen, wenn der Hoheitsträger über seine unerlaubte Handlung hinaus sich subjektiv auf einen schädlichen Erfolg richtete. Das ist hier der Fall. Nimmt man jedoch an, dieser Erfolg könne ihm wegen der möglichen rechtmäßigen Alternativverursachung nicht voll zugerechnet werden, so kann auch die diesbezügliche subjektive Ausrichtung nicht begründen, daß der Fall als versuchsähnlich bewertet wird. Auszugehen ist vielmehr, wenn überhaupt eine Analogie erwogen wird, von der Ähnlichkeit mit abstrakter Gefährlichkeit. Wenn die Bewertung von Kompetenzanmaßungen bei Verletzungsdelikten entgegen der hier vorgestellten Konzeption vom Erfolg gesondert wird, weil dieser auch rechtmäßig hätte herbeigeführt werden können, so läßt sich als Unwert der Kompetenzanmaßung die abstrakte Gefährlichkeit der anmaßenden Handlung bestimmen. Durch Hoheitsträger ausgeübt führen die relativ weiten Befugnisse der Notrechte zu Eingriffspotentialen des Staates, die diesem nicht angemessen und im Zusammenhang der rechtsstaatlich bürokratischen Organisation staatlichen Handeins generell gefährlich sind. - Warum es eindeutig unver113

\14 \15

Dazu Haas, Notwehr und Nothilfe, S. 338 f. Notwehr und Nothilfe, S. 338 f. Strafrecht AT, 7/92,94,97.

E. Ausschluß des Strafunrechts bei staatlicher Provokation

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hältnismäßig sein sollte, eine derart abstrakt geHihrliche Handlung noch mit dem gesetzlichen Mindestmaß der Strafe (§ 49 Abs. 2 StGB) zu bedrohen, ist nicht erkennbar. x~

Fazit zum Strafunrechtsausschluß

Wenn ein Amtsträger ein Delikt provoziert in einer Weise, in der ein privater Provokateur gemäß § 34 StGB gerechtfertigt wäre, so verstößt das Handeln des Amtsträgers nicht nur gegen allgemeines öffentliches Recht. Auch das spezifische Strafunrecht ist nicht gemäß § 34 StGB ausgeschlossen. Die öffentlichrechtlichen Normen, die es ausschließen, staatliches Handeln gemäß § 34 StGB zu begründen, sind auch im Rahmen der Strafrechtswidrigkeit zu berücksichtigen. Das gebietet nicht die sogenannte Einheit der Rechtsordnung, wohl aber die Bindung des Amtsträgers an die Normen seiner öffentlichrechtlich geregelten sozialen Rolle. Diese Bindung ist nicht prinzipiell unterschieden von anderen Rollenpflichten, die im Strafrecht berücksichtigt werden. Auch die Sozialethik, das Prinzip des Rechtsgüterschutzes, die Konkurrenz der Rechtfertigungsgründe und Normzweckunterscheidungen gebieten nicht, bei der Bestimmung der Strafrechtswidrigkeit von den öffentlichrechtlichen Bindungen des staatlichen Provokateurs abzusehen und sein Verhalten strafrechtlich gemäß § 34 StGB zu beurteilen, der nur für privates Handeln gilt.

Ergebnis der gesamten Untersuchung 1. Zur tatsächlichen Seite von Deliktsprovokationen: Sie gehen von Privaten wie vom Staat aus. Als private Urheber fallen die wachsenden privaten Sicherheitsdienste ins Gewicht. Für ihre Zwecke ist die Deliktsprovokation oft ein geeignetes Mittel. Die privaten Sicherheitsdienste fungieren weniger als Konkurrenz, denn als Ergänzung oder verlängerter Arm der staatlichen Polizei. Die vom Staat ausgehende Deliktsprovokation kommt historisch seit langem in Ländern mit verschiedenen politischen Regimes vor. Einer ihrer Schwerpunkte ist seit jeher der vorverlagerte Staatsschutz. Gegenwärtig soll sie in der Bundesrepublik gegen die organisierte Kriminalität eingesetzt werden. Deren Eigenheit macht es der Polizei in der Tat sehr schwer, Strafverfolgung und Gefahrenabwehr mit herkömmlichen rechtsstaatlichen Mitteln zu betreiben. Die Polizei versucht daher, die kriminellen Szenen von innen zu kontrollieren durch verdeckte Kooperation mit den Akteuren, wozu auch provokatorisches Handeln gehört. Dabei werden die herkömmlichen Grenzen - konkrete Gefahr, konkreter Verdachtzugunsten einer ausgedehnten flexiblen Prävention - Schutz der inneren Sicherheit - überschritten. Im übrigen wird die Provokation tatsächlich auch gegen Bagatellkriminalität eingesetzt. 2. Zu den rechtlichen Grenzen der Deliktsprovokation, die zwischen Privaten stattfindet: a) Sie verletzt im allgemeinen kein subjektives Recht des Provozierten. Zwar beeinträchtigt die erfolgreiche Provokation die soziale Integration des Provozierten; sie mißbraucht auch sein Vertrauen und greift in die informationelle Selbstbestimmung ein. Auch kann das Interesse an diesen Gütern vom allgemeinen Persönlichkeitsrecht umfaßt werden. Jedoch hat im Verhältnis zu anderen Bürgern im allgemeinen jeder eine Störung seiner sozialen Integration, den Mißbrauch seines Vertrauens und die Beeinträchtigung seiner informationellen Selbstbestimmung selbst zu verantworten. Nur in Sonderbeziehungen und, wenn der Provozierte nicht zurechnungsfahig ist, kann dessen allgemeines Persönlichkeitsrecht durch die Provokation betroffen sein. b) Zur strafrechtlichen Bewertung der von Privaten ausgehenden Provokation: Sie ist straflos, wenn sie nur auf den Versuch einer Tat gerichtet war. Das ergibt sich nicht aus dem Strafgrund der Teilnahme, sondern aus den Grenzen der Modifikation von Deliktstatbeständen. - Die Provokation ist jedoch strafbar, sobald die provozierte Tat mindestens versucht wurde, und der Provokateur mit

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ihrer Vollendung rechnete. Als Vollendung gilt dabei schon die sogenannte fonnelle Vollendung, so daß auch strafbar ist, wer ein Absichtsdelikt provozierte, aber die Absicht des Täters für unrealisierbar hielt. Die beiden Bewertungen - der Provokation des Versuchs als straflos einerseits und der Provokation des nur fonnell vollendeten Absichtsdelikts als strafbar andererseits - widersprechen sich entgegen verbreiteter Lehre nicht. Denn die Straflosigkeit der Provokation des Versuchs ist nicht aus dem Strafgrund der Teilnahme abzuleiten, sondern aus der rechts staatlichen Bindung der Teilnahme an die Deliktstatbestände. Daraus aber ergibt sich auch die Strafbarkeit der Provokation, eines nur fonnell vollendeten Absichtsdelikts. Der materielle Strafgrund der Teilnahme ist zu unspezifisch, um eine andere Bewertung zu begründen. Für eine Analogie zwischen Versuch und Absichtsdelikt fehlt die Basis. 3. Die vom Staat oder staatlich beauftragten Privaten ausgehende Provokation von Straftaten ist grundsätzlich anders zu bewerten als die private Provokation. a) Die staatliche Provokation verstößt (auch wenn sie straflos ist) gegen die verfassungsrechtliche Gesetzesbindung(Art. 20 Abs. 3 GG). Ist die staatliche Provokation darauf gerichtet, jemanden bestrafen zu lassen, so verstößt sie auch gegen das Prinzip des Tatstrafrechts, weil durch sie das Strafrecht nicht mehr auf Taten, sondern auf als gefährlich eingeschätzte Personen bezogen wird. Tangiert ist dann auch das Schuldprinzip, die richterliche Unabhängigkeit, das öffentlich-rechtliche Koppelungsverbot sowie meist auch die durch § 152 Abs. 2 StPO gesetzte Grenze von Enniulungen. b) Ferner wird von der staatlichen Deliktsprovokation das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Provozierten verletzt, das die Wahrung der sozialen Integration, den Vertrauens schutz und die infonnationelle Selbstbestimmung umfaßt, die durch die Provokation beeinträchtigt werden. Das Interesse an den genannten Gütern wird gegenüber staatlichen Deliktsprovokationen weiterreichend als gegenüber Privaten geschützt. Einmal weil staatliche Bürokratien darauf gerichtet sind, ihre Maßnahmen generell anzuwenden. Die generelle Zulassung der staatlichen Provokation würde also das für soziales Leben notwendige Vertrauen in Beziehungen zwischen Bürgern grundsätzlich stören. Auch kann der Persönlichkeitsschutz gegenüber präventiven staatlichen Provokationen nicht mit dem Hinweis auf die Selbstverantwortlichkleit der Bürger eingeschränkt werden, denn der Staat gibt mit der präventiven Deliktsprovokation die Prämissen bürgerlicher Selbstverantwortung - Gesetzesbindung, Tatstrafrecht, Schuldprinzip - selbst auf; er behandelt die Betroffenen als gefährliche Personen. Das Interesse an der durch die Deliktsprovokation betroffenen infonnationellen Selbstbestimmung erhält besonderes Gewicht durch den Grundsatz ,nemo tenetur se ipsum prodere'.

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Der mit der staatlichen Deliktsprovokation verbundene Eingriff in die Elemente des allgemeinen Persönlichkeitsrechts wäre zulässig, wenn er überwiegend wichtigen Zwecken diente und gesetzlich begründet wäre. Ist die Provokation in einem Strafverfahren darauf gerichtet, den Verdacht einer vergangenen Straftat aufzuklären, so verstößt die mit der Provokation verbundene Täuschung gegen § l36a StPO. c) Im staatlichen Auftrag handelnde Private sind rechtlich ebenso gebunden wie dienstlich handelnde Beamte. d) Die strafrechtliche Haftung von Amtsträgem für staatliche Provokationen ist, verglichen mit der Haftung privater Provokateure, verschärft wegen der besonderen Pflichten von Amtsträgem. 4. Bei der Rechtfertigung und Begründung von Deliktsprovokationen, die in ein subjektives Recht eingreifen oder objektives Recht überschreiten, ist wiederum zwischen privatem und staatlichem Handeln zu unterscheiden. a) Private Provokationen sind der Rechtfertigung gemäß § 34 StGB zugänglich, nicht allerdings wenn die Provokation die Ahndung vergangener Straftaten ermöglichen soll, denn diese Ahndung ist nicht materiales Rechtsgut, sondern Durchsetzung des formalen Rechts. Im übrigen kann der privaten Provokation u. a. der Vorrang rechtlich geordneter Verfahren entgegenstehen, und zwar umso mehr, je mehr das zu schützende Gut kollektiven Charakter hat; das Gewicht des Vorrangs hängt auch von der Formalisierung und den Effizienzchancen des rechtlich geordneten Verfahrens ab. b) Staatliche Provokationen können nicht gemäß § 34 StGB gerechtfertigt werden, denn das dieser Norm zugrundeliegende Prinzip - der überwiegend wichtige Zweck legitimiert die Mittel - widerspricht dem Prinzip des Rechtsstaats. Auch die Überschreitung objektivrechtlicher Normen durch den Provokateur kann nicht gemäß § 34 StGB gerechtfertigt werden. Eine Begründung der Provokation durch die polizeiliche Generalklausel kommt nur in seltenen Ausnahmefällen in Betracht: Eine konkrete Gefahr muß gegeben sein; die Provokation darf nicht darauf zielen, jemanden bestrafen zu lassen; objektivrechtliche Normen dürfen nicht überschritten werden. Ist eine Provokation danach ausnahmsweise zulässig, so wird dadurch auch der Provozierte straffrei. Durch eine behördliche Erlaubnis könnte die Provokation allenfalls partiell begründet werden, wenn die Erlaubnis. von einer zuständigen Behörde erteilt wird und rechtlich vorgesehen ist. Infrage kommt insofern die Befugnis zum Einsatz nachrichtendienstlicher Mittel durch Verfassungsschutzämter. Die Polizei hat keine allgemeine Befugnis, Rechtsbrüche zu erlauben. Auch läßt § 4 Abs. 2 BtMG nicht die mit Provokationen oft verbundenen Scheinkäufe u. ä.

Ergebnis der gesamten Untersuchung

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zu, denn er betrifft nur den behördeninternen Umgang mit Betäubungsmitteln. Vor allem aber könnte durch derartige Erlaubnisse und Befreiungen nie der Eingriff ins allgemeine Persönlichkeitsrecht des Provozierten begründet werden. 5. Ist daher die staatliche Deliktsprovokation in aller Regel rechtswidrig, so kann auch nicht speziell die Strafbarkeit eines Amtsträgers, der provozierte, gemäß § 34 StGB ausgeschlossen werden. Die öffentlichrechtlichen Normen, die es ausschließen, staatliches Handeln gemäß § 34 StGB zu begründen, sind auch im Rahmen der Strafrechtswidrigkeit zu berücksichtigen. Das gebietet nicht die sogenannte Einheit der Rechtsordnung, wohl aber die Bindung des Amtsträgers an die Normen seiner öffentlichrechtlich geregelten sozialen Rolle. Diese Bindung ist nicht prinzipiell unterschieden von anderen Rollenpflichten (z. B. von Straßenverkehrsteilnehmern, Eltern, Betreibern gefährlicher Anlagen), die im Strafrecht berücksichtigt werden. 6. Die Provokation von Straftaten durch den Staat oder staatlich beauftragte Private ist nach allem weitgehend unzulässig und oft auch strafbar. Dieser Befund wird modemen kriminalpolitischen Bedürfnissen nach Bekämpfung organisierter Kriminalität nicht gerecht. Andererseits könnte die Zulassung der Provokation, wenn sie im Zusammenhang etwa des eingangs dargestellten Programms der inneren Sicherheit eingesetzt würde, die Gefahr einer problematischen Ausweitung der staatlichen Kontrolle sozialen Lebens implizieren. Polizei und Geheimdienste könnten durch Deliktsprovokationen die Legitimation ihres Tuns selbst herbeiführen. Ob gleichwohl die staatliche Deliktsprovokation mehr oder weniger weitgehend zugelassen werden sollte, ist eine rechtspolitische Frage und nicht Thema der vorliegenden Untersuchung. Es sollte aber klar sein, daß in der Zulassung der Provokation von Straftaten durch den Staat eine partielle Abwendung vom herkömmlichen Modell des Rechtsstaats steckt, der verpflichtet ist, das Recht zu verwirklichen, den Rechtsbruch also nicht zum Mittel seiner Zwecke machen darf.

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