Umfang und Grenzen des ärztlichen Berufsgeheimnisses in Bezug auf Straftaten: Unter besonderer Berücksichtigung der Situation der forensischen Ambulanzen [1 ed.] 9783428551392, 9783428151394

Die sich zwischen Straf-, Medizin- und Sozialrecht bewegende Arbeit befasst sich sowohl mit einer allgemeinen als auch e

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Umfang und Grenzen des ärztlichen Berufsgeheimnisses in Bezug auf Straftaten: Unter besonderer Berücksichtigung der Situation der forensischen Ambulanzen [1 ed.]
 9783428551392, 9783428151394

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Strafrechtliche Abhandlungen Neue Folge · Band 279

Umfang und Grenzen des ärztlichen Berufsgeheimnisses in Bezug auf Straftaten Unter besonderer Berücksichtigung der Situation der forensischen Ambulanzen

Von

Beryll Zander

Duncker & Humblot · Berlin

BERYLL ZANDER

Umfang und Grenzen des ärztlichen Berufsgeheimnisses in Bezug auf Straftaten

Strafrechtliche Abhandlungen · Neue Folge Begründet von Dr. Eberhard Schmidhäuser (†) em. ord. Prof. der Rechte an der Universität Hamburg

Herausgegeben von Dr. Dres. h. c. Friedrich-Christian Schroeder em. ord. Prof. der Rechte an der Universität Regensburg

und Dr. Andreas Hoyer ord. Prof. der Rechte an der Universität Kiel

in Zusammenarbeit mit den Strafrechtslehrern der deutschen Universitäten

Band 279

Umfang und Grenzen des ärztlichen Berufsgeheimnisses in Bezug auf Straftaten Unter besonderer Berücksichtigung der Situation der forensischen Ambulanzen

Von

Beryll Zander

Duncker & Humblot · Berlin

Zur Aufnahme in die Reihe empfohlen von Professor Dr. Volker Erb, Mainz Der Fachbereich für Rechts- und Wirtschaftswissenschaften der Johannes Gutenberg-Universität Mainz hat diese Arbeit im Jahre 2016 als Dissertation angenommen.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Alle Rechte vorbehalten

© 2017 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Satz: L101 Mediengestaltung, Fürstenwalde Druck: buchbücher.de gmbh, Birkach Printed in Germany ISSN 0720-7271 ISBN 978-3-428-15139-4 (Print) ISBN 978-3-428-55139-2 (E-Book) ISBN 978-3-428-85139-3 (Print & E-Book) Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706

Internet: http://www.duncker-humblot.de

Vorwort Die Anregung für dieses zwar schwerpunktmäßig im Strafrecht anzusiedelnde, aber auch auf andere Rechtsgebiete übergreifende Thema lieferte im Herbst 2013 der damals noch als Leiter der Rechtsmedizin in Mainz tätige Prof. Dr. Dr. Rainer Urban. Die von ihm geleitete und für den Opferschutz wichtige Einrichtung der Forensischen Ambulanz verdiente Antworten auf ihre Fragen sowie eine allgemeine rechtliche Würdigung, der die vorliegende Arbeit gerecht werden möchte. Angenommen wurde die Arbeit von dem Fachbereich Rechts- und Wirtschaftswissenschaften der Johannes Gutenberg-Universität im Sommersemester 2016. Besonderer Dank für das Gelingen dieser Arbeit gebührt meinem Doktorvater und akademischen Lehrer, Herrn Univ.-Prof. Dr. Volker Erb. Nicht nur durfte ich als Wissenschaftliche Mitarbeiterin an seinem Lehrstuhl tätig sein, er hat mich bei dem Promotionsvorhaben von Anfang an unterstützt und mir alle hierbei notwendigen Freiräume gewährt. Zu dem zeitnahen Abschluss des Promotionsvorhabens hat Herr Univ.Prof. Dr. Dr. Hauke Brettel beigetragen. Für die zügige Erstellung des Zweitgutachtens und für seine nicht nur aus der Perspektive eines Juristen, sondern zugleich aus der eines Mediziners erfolgte Begutachtung bin ich zu Dank verpflichtet. Weiterhin danke ich den Stiftern und Mitgliedern der Freunde der Universität Mainz e. V. für die Auszeichnung mit dem Dissertationspreis und der damit verbundenen großzügigen Förderung sowie der Johannes Gutenberg-Universität Mainz für den Druckkostenzuschuss aus der inneruniversitären Forschungsförderung. Mainz, im September 2017

Beryll Zander

Inhaltsverzeichnis Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21 Erstes Kapitel

Rechtsquellen des ärztlichen Berufsgeheimnisses 

27

A. Das Berufsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27 I. Berufsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27 II. Zulassungsrecht  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 29 III. Wechselwirkungen mit dem strafrechtlichen Berufsgeheimnis  . . . . . . . 30 B. Das Privatrecht  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 33 C. Datenschutzgesetze, Sozialgesetzbücher und weitere öffentlich-rechtliche Gesetze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 36 I. Datenschutzgesetze  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 36 II. Sozialgesetzbücher   . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 37 1. Verhältnis von Sozialgeheimnis und § 203 Abs. 1 Nr. 1 StGB  . . . . 38 2. Sozialgesetzliche Offenbarungsbefugnisse und -pflichten  . . . . . . . . 39 a) §§ 68 ff. SGB X . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 39 b) Bereichsspezifische Aufzeichnungs- und Übermittlungspflichten . 41 c) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 43 III. Weitere öffentlich-rechtliche Gesetze  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 44 D. Zwischenergebnis zu dem Verhältnis von außerstrafrechtlichen Vorschriften und dem strafrechtlichen Berufsgeheimnis des Arztes  . . . . . . . . . . . . . . . . . 46 E. Das strafrechtliche Berufsgeheimnis  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 47 I. Schutzzweck des § 203 Abs. 1 Nr. 1 StGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 49 1. Individualistische Theorien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 49 2. Soziale Theorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 51 3. Berufsbezogene Ansätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 52 4. Modifizierte pluralistische Theorien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 52 5. Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 54 a) Historie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 54 b) Gesetzessystematik  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 59 c) Sinn und Zweck der Norm . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 60 aa) Schweigepflichtentbindung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 61 bb) Antragsdelikt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 62 cc) Sonderdeliktscharakter der Norm . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 64

10 Inhaltsverzeichnis dd) Verfassungsrechtlicher Hintergrund . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 66 ee) Spezialgesetzliche Offenbarungspflichten  . . . . . . . . . . . . . . . 69 6. Zwischenergebnis  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 70 II. Das zu schützende individualistische Rechtsgut . . . . . . . . . . . . . . . . . . 71 F. Gesamtergebnis zu den Grundlagen des ärztlichen Berufsgeheimnisses . . . . 77 Zweites Kapitel

Umfang und Grenzen der ärztlichen Schweigepflicht in Bezug auf Straftaten 

78

A. Der strafrechtliche Geheimnisschutz von Straftaten  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 78 I. Der Arzt als Verschwiegenheitsverpflichteter  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 78 II. Straftaten als geschützte Geheimnisse  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 79 1. Geheimnisbegriff  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 79 a) Tatsachen  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 81 b) Geheimsein (sog. faktisches Begriffselement) . . . . . . . . . . . . . . . . 83 c) Normatives Begriffselement . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 85 aa) Geheimhaltungsinteressen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 85 bb) Geheimhaltungswille . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 88 cc) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 90 2. „Als“ Arzt anvertraut oder bekannt geworden  . . . . . . . . . . . . . . . . . 90 3. Zwischenergebnis  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 91 4. Drittgeheimnisproblematik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 92 a) Tatbestandliche Erfassung von Drittgeheimnissen  . . . . . . . . . . . . 92 aa) Echte Drittgeheimnisse  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 92 bb) Unechte Drittgeheimnisse  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 96 cc) Ergebnis zu dem gegenständlichen Schutz von Drittgeheimnissen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 98 b) Geheimnisherrschaft über Drittgeheimnisse  . . . . . . . . . . . . . . . . . 98 aa) Person der Sonderbeziehung  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 99 bb) Anvertrauende Person  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 101 cc) Betroffene Person  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 102 dd) Anvertrauender und Betroffener  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 103 ee) Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 104 c) Ergebnis zur Drittgeheimnisproblematik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 107 III. Umsetzung der Schweigepflicht: gebotene Geheimhaltung  . . . . . . . . . 107 IV. Gesamtergebnis zum gegenständlichen und personellen Geheimnisschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 110 B. Durchbrechungen der Schweigepflicht zu Gunsten der Aufklärung und Verhinderung von Straftaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 111 I. Bedeutung des Merkmales „unbefugt“  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 111 1. „Befugnisse“ für eine Geheimnisoffenbarung  . . . . . . . . . . . . . . . . . . 112

Inhaltsverzeichnis11 2. Einordnung in den dreigliedrigen Deliktsaufbau . . . . . . . . . . . . . . . . 116 a) Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 119 b) Ergebnis zur Einordnung  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 126 3. Verhältnis der „Befugnisse“ untereinander  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 126 II. Offenbarung im tatsächlichen und mutmaßlichen Willen des Patienten . 127 1. Schweigepflichtentbindung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 127 2. Mutmaßliche Einwilligung  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 129 3. Schweigepflichtentbindung durch minderjährige oder unter Betreuung stehende Patienten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 134 a) Bestimmung der Einwilligungsfähigkeit  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 135 b) Einwilligungsunfähiger Patient  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 138 aa) Stellvertretende Entscheidung  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 139 bb) Vertretung konträr zu dem Patientenwohl . . . . . . . . . . . . . . . 140 4. Fazit zur Geheimnisoffenbarung im Willen des Patienten  . . . . . . . . 142 III. Offenbarungspflichten  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 143 1. §§ 138, 139 Abs. 3 S. 2 StGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 146 a) Anzeigepflicht auslösende Notsituation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 147 b) Erforderlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 151 c) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 156 2. Handlungspflichten aufgrund unechter Unterlassungsdelikte . . . . . . . 157 a) §§ 258 Abs. 1, 13 Abs. 1 StGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 157 b) §§ 223, 13 Abs. 1 bzw. §§ 223, 27 Abs. 1, 13 Abs. 1 StGB . . . . . 158 aa) Garantenstellung und -pflicht des behandelnden Arztes  . . . 158 (1) Behandlungsverhältnis  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 158 (a) Extensive Ansicht des OLG Frankfurt a. M. . . . . . . . 159 (b) Restriktive Ansichten in der Literatur  . . . . . . . . . . . 160 (c) Stellungnahme  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 160 (2) § 4 Kinderschutz-Kooperationsgesetz (KKG)  . . . . . . . . 165 bb) Ergebnis zu Offenbarungspflichten aus unechten Unterlassensstrafbarkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 167 3. § 323c StGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 168 4. Fazit zu den Offenbarungspflichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 171 IV. Offenbarungsbefugnisse   . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 173 1. Die Kinderschutzgesetze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 173 a) Voraussetzungen des § 4 Abs. 3 S. 1 KKG . . . . . . . . . . . . . . . . . . 176 aa) Anwendungsbereich  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 176 bb) Ausgeschiedene oder erfolglose „erste Stufe“ nach §  4 Abs. 1 KKG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 176 (1) Gewichtige Anhaltspunkte für die Gefährdung des Wohls eines Kindes oder eines Jugendlichen . . . . . . . . . 177 (2) Bekanntgeworden in Ausübung der beruflichen Tätigkeit  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 178

12 Inhaltsverzeichnis (3) Ausscheiden oder Erfolglosigkeit der anderweitigen Abwendung der Gefährdung  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 179 cc) Kindeswohlgefährdung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 180 (1) Der drohende Schaden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 180 (2) Prognose des Arztes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 182 (a) Erforderlichkeit einer Prognose . . . . . . . . . . . . . . . . . 182 (b) Beurteilungsperspektive . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 184 (c) Einzelne Fallgruppen der Prognose einer Kindeswohlgefährdung  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 189 (aa) Misshandlung  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 190 (bb) Missbrauch  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 193 (cc) Vernachlässigung  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 195 (d) Beratung durch Fachkräfte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 196 dd) Erforderlichkeit der Informationsweitergabe  . . . . . . . . . . . . 196 b) Rechtsfolgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 197 c) Beschränkte Anwendung gegen den Willen des Kindes bzw. Jugendlichen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 198 aa) Wortlaut und Gesetzesmaterialien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 199 bb) Telos  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 201 d) Ergebnis  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 204 2. Der rechtfertigende Notstand, § 34 StGB  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 204 a) Anwendungsbereich  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 205 b) Voraussetzungen  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 206 aa) Gefahr für den Patienten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 207 (1) Problem der internen bzw. intrapersonalen Interessenskollision . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 209 (2) Besonderheiten bei einer Lebensgefahr . . . . . . . . . . . . . 212 (a) Ansicht der herrschenden Meinung . . . . . . . . . . . . . . 214 (b) Ansicht der in der Literatur vertretenen Gegenmeinung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 215 (c) Anwendung auf Geheimnisoffenbarungen . . . . . . . . . 217 (d) Fazit  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 223 (3) Zwischenergebnis  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 223 bb) Gefahr für Individualrechtsgüter Dritter . . . . . . . . . . . . . . . . 224 (1) Gefahr für weitere potentielle Opfer . . . . . . . . . . . . . . . 224 (2) Gefahr für den Arzt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 226 cc) Gefahr für kollektive Rechtsgüter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 229 (1) Durch bevorstehende Straftaten  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 230 (2) Durch begangene Straftaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 231 c) Ergebnis zu § 34 StGB  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 234 V. Zusammenfassung und Bewertung der Offenbarungsbefugnisse und -pflichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 235 VI. Irrtümer und Zweifel des Arztes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 239

Inhaltsverzeichnis13 Drittes Kapitel

Die besondere Situation der Forensischen Ambulanzen 

244

A. Begrifflichkeit, Tätigkeitsbereich und Abgrenzung von anderen Einrichtungen  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 244 B. Organisation der Forensischen Ambulanz am Beispiel Mainz  . . . . . . . . . . . 248 C. Recht der Tätigkeit der Forensischen Ambulanzen  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 249 I. Strafprozessrecht und Justizvergütungs- und -Entschädigungsgesetz . . . 250 II. Sozialrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 252 III. Recht der Sozialen Dienstleistungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 253 IV. Zivilrecht  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 255 V. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 260 D. Berufsgeheimnisrechtliche Sonderprobleme der Forensischen Ambulanzen . 261 I. Schweigepflicht der Rechtsmediziner und Mitarbeiter der Forensischen Ambulanzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 261 1. Kreis der Verpflichteten: Taugliche Täter des § 203 Abs. 1 Nr. 1 StGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 262 a) Materielle Arztbegriffe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 263 b) Berufsrechtsbezogene Arztbegriffe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 264 aa) Formaler berufsrechtsbezogener Arztbegriff  . . . . . . . . . . . . . 264 bb) Faktischer berufsrechtsbezogener Arztbegriff  . . . . . . . . . . . . 264 c) Arztbegriffe und der ärztliche Sachverständige . . . . . . . . . . . . . . . 265 d) Anwendung auf die Rechtsmediziner der Forensischen Ambulanzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 268 aa) Berufsrechtsbezogene Arztbegriffe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 268 bb) Materielle Arztbegriffe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 269 cc) Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 270 e) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 272 2. Besondere Aufklärungs- und Auskunftspflichten der Forensischen Ambulanzen  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 272 a) §§ 258 Abs. 1, 13 Abs. 1 StGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 272 b) Weisungen und Direktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 274 c) Aufgrund der Finanzierung der Sozialen Dienstleistungen . . . . . . 276 d) § 161 Abs. 1 S. 1 StPO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 277 3. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 279 II. Vereinbarkeit der Schweigepflicht mit Auskunftsansprüchen . . . . . . . . . 280 III. Das Konsiliarische Beratungsangebot der Forensischen Ambulanzen  . 284 1. Geheimnisoffenbarung zwischen Berufsgeheimnisträgern . . . . . . . . . 285 a) Restriktiver Ansatz zur Offenbarung zwischen Ärzten . . . . . . . . . 285 b) Differenzierender Ansatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 286 c) Extensiver Ansatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 287 d) Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 287

14 Inhaltsverzeichnis 2. Geheimnisoffenbarung bei Pseudonymisierung und Anonymisierung  291 3. Ergebnis  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 291 Zusammenfassung der Ergebnisse  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 293 Berufsgeheimnisrechtlicher Leitfaden  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 295 I. Selbstbestimmungsfähiger Patient . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 296 II. Selbstbestimmungsunfähiger Patient . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 298 Anlage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 300 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 301 Stichwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 331

Abkürzungsverzeichnis a. A.

andere Ansicht

ÄAppO

Approbationsordnung für Ärzte

Abs. Absatz Abschn. Abschnitt a. F.

alte Fassung

AK-StPO

Alternativ Kommentar zur Strafprozessordnung

allg.

allgemein / e / en

Alt. Alternative Anh. Anhang Anm. Anmerkung AnwK-StGB

AnwaltKommentar zum Strafgesetzbuch

AöR

Archiv des öffentlichen Rechts (Zeitschrift)

Art. Artikel ArztR

Arztrecht (Zeitschrift)

AT

Allgemeiner Teil

Aufl. Auflage AWMF

Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften

BÄB

Berliner Ärzteblatt (Zeitschrift)

BÄO Bundesärzteordnung BayObLG

Bayerisches Oberstes Landesgericht (zum 01.07.2006 aufgelöst)

BayObLGZ

Entscheidungen des Bayerischen Obersten Landesgerichts in Zivilsachen

Bd. Band BDSG Bundesdatenschutzgesetz bearb. v.

bearbeitet von

BeckOK-BGB

Beck’scher Online-Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch

BeckOK-GG

Beck’scher Online-Kommentar zum Grundgesetz

BeckOK-SozR

Beck’scher Online-Kommentar zum Sozialrecht

BeckOK-StGB

Beck’scher Online-Kommentar zum Strafgesetzbuch

BeckOK-StPO

Beck’scher Online-Kommentar zur Strafprozessordnung

BeckOK-VwGO

Beck’scher Online-Kommentar zur Verwaltungsgerichtsordnung

16 Abkürzungsverzeichnis BeckOK-ZPO Beck’scher Online-Kommentar zur Zivilprozessordnung begr. v. begründet von Beschl. Beschluss BGB Bürgerliches Gesetzbuch BGBl. Bundesgesetzblatt BGH Bundesgerichtshof BGHSt Entscheidungen des Bundesgerichtshofs in Strafsachen (hrsg. v. den Mitgliedern des Bundesgerichtshofes und der Bundesanwaltschaft) BGHZ Entscheidungen des Bundesgerichtshofs in Zivilsachen (hrsg. v. den Mitgliedern des Bundesgerichtshofes und der Bundesanwaltschaft) BK-GG Bonner Kommentar zum Grundgesetz BKiSchG Bundeskinderschutzgesetz BMFSFJ Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend BR-Drs. Bundesratsdrucksache BSG Bundessozialgericht Bsp. Beispiel / e bspw. beispielsweise BT Besonderer Teil BT-Drs. Bundestagsdrucksache BVerfG Bundesverfassungsgericht BVerfGE Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts (hrsg. v. den Mitgliedern des Bundesverfassungsgerichts) BVerwG Bundesverwaltungsgericht BW Baden-Württemberg bzgl. bezüglich bzw. beziehungsweise DA Der deutsche Arzt (Zeitschrift) DÄB Deutsches Ärzteblatt (Zeitschrift) ders. derselbe DGGG Deutsche Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe e. V. DGPFG Deutsche Gesellschaft für Psychosomatische Frauenheilkunde und Geburtshilfe e. V. d. h. das heißt dies. dieselbe oder dieselben DJT Deutscher Juristentag DMW Deutsche medizinische Wochenschrift (Zeitschrift) EGGVG Einführungsgesetz zum Gerichtsverfassungsgesetz EGStGB Einführungsgesetz zum Strafgesetzbuch

Abkürzungsverzeichnis17 Einl. Einleitung etc. et cetera e. V. eingetragener Verein f. folgende FAKomm-MedR Fachanwaltskommentar Medizinrecht FamRZ Zeitschrift für das gesamte Familienrecht mit Betreuungsrecht, Erbrecht, Verfahrensrecht, Öffentliches Recht ff. fortfolgende FK-SGB VIII Frankfurter Kommentar zum SGB VIII Fn. Fußnote fortgef. v. fortgeführt von FPR Familie Partnerschaft Recht (Zeitschrift) Frankfurt a. M. Frankfurt am Main FS Festschrift GA Goltdammer’s Archiv für Strafrecht (Zeitschrift) gem. gemäß GewSchG Gewaltschutzgesetz GG Grundgesetz ggf. gegebenenfalls GOÄ Gebührenordnung für Ärzte GVBl. Gesetz- und Verordnungsblatt GVG Gerichtsverfassungsgesetz GzVeN Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses h.A. herrschende Ansicht HÄB Hamburger Ärzteblatt (Zeitschrift) HdB Handbuch HeilBG Heilberufsgesetz Hrsg. Herausgeber hrsg. v. herausgegeben von Hs. Halbsatz HSRB Nomos Handbuch Sozialrechtsberatung ICD-10 International Statistical Classification of Diseases and Related Health Problems i. E. im Ergebnis insbes. insbesondere i. S. d. im Sinne des oder im Sinne der i. S. v. im Sinne von i. V. m. in Verbindung mit JA Juristische Arbeitsblätter (Zeitschrift)

18 Abkürzungsverzeichnis JR Juristische Rundschau (Zeitschrift) jur. juristisch / e JURA Juristische Ausbildung (Zeitschrift) JuS Juristische Schulung (Zeitschrift) JVEG Justizvergütungs- und -entschädigungsgesetz JW Juristische Wochenschrift (Zeitschrift) JZ Juristenzeitung (Zeitschrift) KassKomm Kasseler Kommentar zum Sozialversicherungsrecht KFN Kriminologische Forschungsinstitut Niedersachsen KG Kammergericht KK Karlsruher Kommentar zur Strafprozessordnung KKG Kinderschutz-Kooperations-Gesetz KMR Kleinknecht / Müller / Reitberger (Kommentar) Komm PrStGB Kommentar über das Strafgesetzbuch für die Preußischen Staaten Kp. Kapitel krit. kritisch LBO Landesberufsordnungen der Landesärztekammern LDSG Landesdatenschutzgesetz LG Landgericht LHO Landeshaushaltsordnung LK Leipziger Kommentar zum Strafgesetzbuch LKA Landeskriminalamt LPartG Lebenspartnerschaftsgesetz LR-StPO Löwe-Rosenberg (Kommentar) MAH Münchener Anwaltshandbuch MBO Musterberufsordnung der Bundesärztekammer MDR Monatsschrift für deutsches Recht (Zeitschrift) Med. Sachver- Der medizinische Sachverständige (Zeitschrift)  ständiger MedR Medizinrecht (Zeitschrift) MedSach Der medizinische Sachverständige (Zeitschrift) medstra Zeitschrift für Medizinstrafrecht MSchrKrim Monatsschrift für Kriminologie und Strafrechtsreform (Zeitschrift) MüKo-BGB Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch MüKo-StGB Münchener Kommentar zum Strafgesetzbuch MüKo-StPO Münchener Kommentar zur Strafprozessordnung MüKo-ZPO Münchener Kommentar zur Zivilprozessordnung

Abkürzungsverzeichnis19 m. w. N.

mit weiteren Nachweisen

Nachw.

Nachweis / e

n. F.

neue Fassung

NJW

Neue Juristische Wochenschrift

NJW-RR

NJW-Rechtsprechungs-Report Zivilrecht (Zeitschrift)

NK-MedR

Nomos-Kommentar zum Medizinrecht

NK-StGB

Nomos-Kommentar zum Strafgesetzbuch

Nr. Nummer NRW Nordrhein-Westfalen NStZ

Neue Zeitschrift für Strafrecht

NStZ-RR

NStZ-Rechtsprechungs-Report Strafrecht (Zeitschrift)

NVWBl.

Nordrhein-westfälisches Verwaltungsblatt (Zeitschrift)

NZS

Neue Zeitschrift für Sozialrecht

o. Ä.

oder Ähnliches

OEG Opferentschädigungsgesetz OLG Oberlandesgericht OVG Oberverwaltungsgericht PdW

Prüfe dein Wissen

PrStGB

Preußisches Strafgesetzbuch

R&P

Recht und Psychiatrie (Zeitschrift)

RDG

Rechtsdepesche für das Gesundheitswesen (Zeitschrift)

RGBl. Reichsgesetzblatt RGSt

Entscheidungssammlung der Entscheidungen des Reichsgerichts in Strafsachen

RISKID Risiko-Kinder-Informationssystem-Deutschland RiStBV

Richtlinien für das Strafverfahren und das Bußgeldverfahren

RLP MinBl.

Ministerialblatt Rheinland-Pfalz

Rspr. Rechtsprechung RStGB Reichsstrafgesetzbuch s. siehe S.

Seite / n oder Satz

SÄB

Saarländisches Ärzteblatt (Zeitschrift)

SGB VIII

Sozialgesetzbuch, Achtes Buch – Kinder- und Jugendhilfe

SGB I

Sozialgesetzbuch, Erstes Buch – Allgemeiner Teil

SGB V

Sozialgesetzbuch, Fünftes Buch – Gesetzliche Krankenversicherung

SGB VII

Sozialgesetzbuch, Siebtes Buch – Gesetzliche Unfallversicherung

20 Abkürzungsverzeichnis SGB X

Sozialgesetzbuch, Zehntes Buch – Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz SK-StGB Systematischer Kommentar zum Strafgesetzbuch SK-StPO Systematischer Kommentar zur Strafprozessordnung s. o. siehe oben sog. sogenannte / n / s soz. sozial / e / er / es SPD Sozialdemokratische Partei Deutschlands StGB Strafgesetzbuch StPO Strafprozessordnung StraFo Strafverteidiger Forum (Zeitschrift) StrÄndG Strafrechtsänderungsgesetz StRR StrafRechtsReport (Zeitschrift) StV Strafverteidiger (Zeitschrift) s. u. siehe unten u. und u. a. unter anderem oder und andere Urt. Urteil / e U.S.A. United States of America = Vereinigte Staaten von Amerika v. von oder vom Var. Variante v. Chr. vor Christus VersR Versicherungsrecht (Zeitschrift) VGH Verwaltungsgerichtshof vgl. vergleiche VwGO Verwaltungsgerichtsordnung wistra Zeitschrift für Wirtschafts- und Steuerstrafrecht ZfJ Zentralblatt für Jugendrecht (Zeitschrift) zit. zitiert ZJJ Zeitschrift für Jugendkriminalrecht und Jugendhilfe ZJS Zeitschrift für das Juristische Studium (Online-Zeitschrift) ZKJ Zeitschrift für Kindschaftsrecht und Jugendhilfe ZRP Zeitschrift für Rechtspolitik ZStW Zeitschrift für die gesamte Strafrechtswissenschaft zumind. zumindest zust. zustimmend zutr. zutreffend ZWH Zeitschrift für Wirtschaftsstrafrecht und Haftung im Unternehmen

Einleitung Die Schweigepflicht gilt als eine der höchsten und ältesten Standes- und Rechtspflichten eines Arztes. Bereits in der Antike schworen Ärzte mit dem berühmten Hippokratischen Eid auf ihre Verschwiegenheit.1 Und auch in der römischen Zeit galt die Heilkunst als „ars murta“.2 Ihrer hohen Bedeutung entsprechend erhielt die ärztliche Diskretion im Laufe der Zeit zahlreiche gesetzliche Verankerungen in der deutschen Rechtsordnung. Erste Ansätze der Strafbewehrung begannen im deutschen Raum im 18. Jahrhundert3 und noch heute verpflichtet der Straftatbestand des § 203 Abs. 1 Nr. 1 StGB4 einen Arzt, Geheimnisse, die ihm anvertraut oder bekannt geworden sind, nicht unbefugt zu offenbaren. Diesem traditionsreichen Hintergrund ist wohl ebenfalls das Paradoxon geschuldet, dass die ärztliche Schweigepflicht, trotz der Strafbewehrung des § 203 Abs. 1 Nr. 1 StGB, regelmäßig als „Privileg“ und nicht als belastende Pflicht aufgefasst wird.5 Der materiell-rechtlichen Schweigepflicht eines Arztes kommt jedoch keine apodiktische Gültigkeit zu. Die Geheimhaltungspflicht wird vielmehr durch zahlreiche Offenbarungsbefugnisse und -pflichten relativiert. Ferner benötigt die materiell-rechtliche Schweigepflicht prozessuale Stützen in Form von Zeugnisverweigerungsrechten und Beschlagnahmeverboten. Anderenfalls würde die Schweigepflicht infolge der allgemeinen Zeugnispflicht vor Gericht oder der Beschlagnahmefähigkeit von ärztlichen Unterlagen zu einer faktisch „leeren Hülle“ verkommen. Daher bildet die materiell-rechtliche Schweigepflicht erst zusammen mit ihren Relativierungen und ihren 1  Teil des hippokratischen Eides in Bezug auf die Schweigepflicht: „[…]Was immer ich sehe und höre, bei der Behandlung oder außerhalb der Behandlung, im Leben der Menschen, so werde ich von dem, was niemals nach draußen ausgeplaudert werden soll, schweigen, indem ich alles derartige als solches betrachte, das nicht ausgesprochen werden darf […]“ vgl. Adolf, in: Laufs / Katzenmeier / Lipp, Arztrecht, vor Kp. I; Schlund, in: Laufs / Kern, HdB Arztrecht, Kp.  12 § 65 Rn. 1; Lenckner, in: Arzt und Recht, S. 159, 160; Eb. Schmidt, Der Arzt im Strafrecht, S. 3; Ulsenheimer, Arztstrafrecht I § 8 Rn. 360; Kraatz, Arztstrafrecht Rn. 231; Eichelbrönner, Grenzen der Schweigepflicht, S. 9; Bartsch, Ärztliche Schweigepflicht, S. 13. 2  Vgl. Vergil, Aeneis Buch 12, Vers 395–397. 3  Vgl. Cierniak / Pohlit, in: MüKo-StGB, § 203 Rn. 8. 4  §§ ohne Angaben sind solche des StGB. 5  Rimpel, SÄB 1980, 353.

22 Einleitung

prozessualen Korrelaten das „Gesamtrechtsinstitut des ärztlichen Berufsge­ heimnisses.“6 Der strafrechtlichen Normierung der Schweigepflicht wird wegen des Seltenheitscharakters von Verurteilungen oft nur eine untergeordnete praktische Bedeutung zugesprochen.7 Die statistische Seltenheit ist jedoch nicht mit einer geringen Relevanz gleichzusetzten, wie der viel beachtete „HIVFall“ des OLG Frankfurt a. M. aus dem Jahr 1999 belegt. Das Gericht entschied, dass ein Arzt, der vermeintlich in Konformität mit der ärztlichen Schweigepflicht handelte und die HIV-Erkrankung seines Patienten dessen Lebensgefährtin verschwieg, grundsätzlich für den Schaden der infizierten Lebensgefährtin aufkommen müsse, da der Arzt nicht die Durchbrechungen seiner Schweigepflicht erkannt und diesen entsprechend gehandelt habe.8 Diese Entscheidung verdeutlicht nur zu gut, dass die Geheimhaltungspflicht ein Gewicht in der empfindlichen „Pflichtenwaage“ des Arztrechts bildet, nach der sowohl ein pflichtwidriges Schweigen als auch ein pflichtwidriges Offenbaren in eine Haftung oder sogar Strafbarkeit des Arztes umschlagen kann.9 Probleme des Schutzumfangs und der Grenzen der ärztlichen Schweigepflicht können daher – wie schon von Eberhard Schmidt – stets als „brennende Fragen“ bezeichnet werden.10 Ein besonderes Bedürfnis Umfang und Grenzen des ärztlichen Berufsgeheimnisses zu konstatieren besteht, wenn es um den ärztlichen Kontakt zu Opfern von Gewalt- und Sexualstraftaten geht. Diese spezielle Problematik bildet trotz ihrer stetigen Aktualität und Praxisrelevanz nur einen untergeordneten Gegenstand der aktuellen Diskussionen rund um das ärztliche Berufsgeheimnis,11 obgleich jeder Arzt, der erkennt, dass sein Patient Opfer 6  Lenckner, in: Arzt und Recht, S. 159, 163. Der Begriff Berufsgeheimnis soll fortan als Überbegriff für die materiell-rechtliche Schweigepflicht, das strafprozessuale Zeugnisverweigerungsrecht, das Beschlagnahmeverbot und auch die Offenbarungspflichten und -befugnisse verwendet werden, obgleich der Begriff des Berufsgeheimnisses teilweise in Kritik steht, da das Gesetz den Terminus der Verletzung von „Privatgeheimnissen“ verwendet, vgl. Hilgendorf, in: Arzt / Weber / Heinrich / Hilgendorf, BT, § 8 Rn. 29. 7  Braun, in: Roxin / Schroth, HdB Medizinstrafrecht, S. 226; Erlinger / Warntjen /  Bock, in: MAH Strafverteidigung, § 50 Rn. 129; Ulsenheimer, Arztstrafrecht, I § 8 Rn. 360. 8  Der Anspruch war in dem konkreten Fall jedoch mangels nachweisbarer haftungsbegründender Kausalität abgewiesen worden, vgl. OLG Frankfurt a. M. NJW 2000, 875 ff.; Spickhoff, NJW 2000, 848  ff.; Wolfslast, NStZ 2001, 151; Maurach / Schroeder / Maiwald, BT 1, § 29 III Rn. 47. 9  Kraatz, NStZ-RR 2014, 65, 66. 10  Eb. Schmidt, Brennende Fragen, 1951. 11  Monographisch haben sich mit diesem Thema bisweilen Eichelbrönner, Die Grenzen der Schweigepflicht des Arztes, u. Vitkas, Grenzen ärztlicher Schweige-

Einleitung23

einer Straftat wurde, mit der Frage konfrontiert wird, inwieweit diese Umstände der Geheimhaltung unterliegen und wann trotz seiner Schweigepflicht eine initiative Aufklärung der Straftat gegenüber den Strafverfolgungsbehörden, der Polizei oder anderen gefahrabwehrenden Behörden, wie etwa dem Jugendamt, gestattet oder sogar geboten ist.12 In diesem Zusammenhang ist ebenfalls auf die sogenannten „Forensischen Ambulanzen“ einzugehen, die bisher noch keine gesonderte rechtliche Würdigung erfahren haben. Während des letzten Jahrzehnts wurden solche Ambulanzen vorwiegend an rechtsmedizinischen Instituten gegründet, um Opfern von Gewalt- und Sexualstraftaten und kurativ tätigen Ärzten, die solche Personen behandeln, über das traditionelle Aufgabenfeld der Rechtsmedizin hinaus eine neuartige, interdisziplinäre Anlaufstelle zu bieten.13 An dem rechtsmedizinischen Institut des Universitätsklinikums Mainz erfolgte die Institutionalisierung einer solchen Einrichtung im Jahre 2007. Nahezu identische Angebotsstrukturen existieren in Hamburg, Hannover, Heidelberg, Düsseldorf, Fulda, Köln, Leipzig, München, Münster und an vielen anderen rechtsmedizinischen Instituten,14 wobei die jeweiligen Ambulanzen unter divergierenden Namen wie „Schutzambulanz“, „Gewaltopferambulanz“, „Rechtsmedizinische Untersuchungsstelle“ oder „Rechtsmedizinische Ambulanz für Gewaltopfer“ geführt werden.15 pflicht, auseinandergesetzt. Vitkas beschränkte seine Untersuchung der Schweigepflicht auf Fälle von Kindesmissbrauch und -misshandlung. Diese Thematik ist seit langem Gegenstand reger Diskussionen, vgl. exemplarisch Köttgen, BÄB 1968, 134 ff.; Kohlhaas, DA 1968, 12, gleichwohl ist diese Diskussion oft eher politisch und sozialwissenschaftlich und nicht rechtlich gehalten. Geppert, in: FS Gössel, S.  303 ff. u. Michalowski, ZStW 109 (1997), 520 ff. beleuchteten vorwiegend die Problematik des Patienten als potentiellen Straftäter. Die Rspr. befasste sich bisweilen ebenfalls mit Fällen, in denen der Patient selbst als Gefahrenquelle oder als potentieller Straftäter in Frage kam, vgl. LG Karlsruhe StV 1983, 144; OLG Frankfurt a. M. NStZ 2001, 150, 151; BGH NJW 1968, 2288, 2290. 12  OLG Frankfurt a. M. NJW 2000, 875 ff. 13  Vgl. Banaschak / Gerlach / Seifert / Bockholdt / Graß, Rechtmedizin 2014, 405; Wilsdorf, HÄB 2003, 560; Stoppt Gewalt gegen Kinder, Leitfaden, S. 28. 14  Vgl. Stanislawksi / Philipp / Bockholdt, Rechtsmedizin 2014, 258; Wilsdorf, HÄB 2003, 560. Die „Schutzambulanz“ Fulda ist nicht Teil eines rechtsmedizinischen Institutes, steht die jedoch in Kooperation mit einem rechtsmedizinischen Institut, vgl. Blättner / Krüger / Grewe, Schutzambulanz Fulda, S. 7 f.; Handout der Schutzambulanz Fulda http: / / schutzambulanz-fulda. de / wp-content / uploads / 140820_ Schutzambulanz. pdf (05.02.16). 15  München: „Gewaltopferambulanz“; Düsseldorf: „Rechtsmedizinische Ambulanz für Gewaltopfer“; Hamburg: „Rechtsmedizinische Untersuchungsstelle“; Köln: „Rechtsmedizinische Ambulanz“; Greifswald: „Gewaltopferambulanz“; Fulda: „Schutz­ambulanz“. Letztere ist nicht Teil eines rechtsmedizinischen Instituts, steht jedoch in Kooperation mit dem Institut für Rechtsmedizin der Universität Gießen.

24 Einleitung

Opfer von Sexual- und Gewalttaten können die Forensischen Ambulanzen aufsuchen, um im Rahmen einer (meist kostenlosen) rechtsmedizinischen Untersuchung eine forensische Erhebung, Dokumentation und Sicherung der Tatspuren erwirken zu lassen, wie dies Rechtsmediziner auch im Rahmen einer Sachverständigentätigkeit für die Justiz vornehmen würden.16 Die Opfer haben zudem meist die Möglichkeit, sich interdisziplinär im Hinblick auf weitere medizinische und psychosoziale Betreuung sowie rechtliche Schritte beraten zu lassen.17 An die Forensischen Ambulanzen können sich aber ebenso kurativ tätige Ärzte wenden, die (vermeintliche) Straftatopfer als Patienten behandeln. Die Rechtsmediziner stehen solchen Ärzten mit einer konsiliarischen Beratung zur korrekten Dokumentation, Befunderhebung oder Diagnose von deliktischen Fremdeinwirkungen zur Verfügung.18 Das „täglich Brot“ der Forensischen Ambulanzen besteht somit aus dem Umgang mit Folgen und Opfern von Straftaten. Für die Rechtsmediziner der Forensischen Ambulanzen stellen sich daher grundsätzlich die gleichen berufsgeheimnisrechtlichen Fragen, wie für einen kurativ tätigen Arzt, dessen Patient Opfer von Gewalt- oder Sexualstraftaten wurde. Aufgrund der Besonderheiten und organisatorischen Struktur dieser Ambulanzen gilt es aber umso mehr zu hinterfragen, ob die Rechtsmediziner einer umfassenden Schweigepflicht bezüglich der Straftaten unterliegen und ob sie nicht sogar besonders befugt oder verpflichtet sind, Straftaten aufzuklären und zu verhindern. Die stetig steigende Inanspruchnahme des Angebots der Forensischen Ambulanzen verdeutlicht, dass die besondere berufsgeheimnisrechtliche Situation dieser Einrichtungen nicht als Randproblem verstanden werden darf, sondern rechtliche Berücksichtigung verdient. Allein die Untersuchungszahlen der Forensischen Ambulanz in Mainz stiegen von 2002 bis 2009 um das Siebzehnfache.19 Allgemein ist davon auszugehen, dass diese Zahlen noch weiter steigen werden, umso bekannter diese Art der Einrichtung für Straftatopfer, kurativ tätige Ärzte oder andere auf Opferschutz ausgerichtete Einrichtungen, wie etwa Frauenhäuser, wird.20 Ein weiterer Grund, warum die besondere Situation der Forensischen Ambulanzen eine rechtliche Untersuchung verdient, ist ihr wichtiger Beitrag zum Opferschutz, 16  Banaschak / Gerlach / Seifert / Bockholdt / Graß, Rechtsmedizin 2014, 405; Graß / Rothschild, Rechtsmedizin 2004, 188; Stoppt Gewalt gegen Kinder, Leitfaden, S. 28. 17  Seifert / Andres / Schröer / Gehl / Heinemann / Püschel, Rechtsmedizin, 2004, 182, 183; Wilsdorf, HÄB 2003, 560. 18  Todt / Maciuga / Debertin, Rechtsmedizin 2014, 401 ff.; Püschel, HÄB 2014, 15. 19  Vgl. Anlage: Auszug aus der Präsentation der Behördenleitertagung zur Forensischen, Folie 19. 20  So in Hamburg geschehen, vgl. Seifert / Heinemann, in: Modellprojekt, S. 25.

Einleitung25

der bereits durch die Medien hervorgehoben wurde.21 Insbesondere Opfer von Sexualstraftaten und häuslicher Gewalt ringen sich aufgrund von Unsicherheit, Unkenntnis oder Schuldgefühlen häufig erst lange Zeit nach der Tat zu rechtlichen Schritten gegen den Täter durch.22 Unmittelbar nach der Straftat werden ärztliche Leistungen vorwiegend nur zur Heilbehandlung der körperlichen und psychischen Tatfolgen in Anspruch genommen. Das Augenmerk liegt hierbei jedoch meist nicht auf einer beweissicheren Be­ fund­erhebung und -dokumentation der deliktischen Folgen.23 Nicht selten fehlt den kurativ tätigen Ärzten für eine solche Tätigkeit auch das notwendige forensische Fachwissen.24 Eine sachgerechte und zeitnahe Dokumentation der Verletzungsfolgen hat jedoch für eine Beweisführung vor Gericht – gleich ob im Strafverfahren oder in einem zivilrechtlichen oder familienrechtlichen Verfahren – allergrößte Bedeutung. Sind die einstigen Tatspuren undokumentiert geblieben, erschwert sich die Beweisführung und somit der Prozess gegen den Täter erheblich. Die Forensischen Ambulanzen sichern diese Risiken durch ihre auf Opferschutz ausgerichteten Angebote ab.25 Ihre gerichtsverwertbare Dokumentation der Verletzungsfolgen sowie Erfassung und Asservierung von Beweisstücken und Tatspuren, ermöglicht es, dass ein rechtsmedizinisches Gutachten selbst dann noch angefertigt werden kann, wenn sich das Opfer erst Monate oder Jahre nach der Tat zu einem rechtlichen Vorgehen gegen den Täter entschließt.26 Auch zur Anzeige noch unentschlossene Opfer erhalten hierdurch die Möglichkeit in Ruhe recht­ 21  s. exemplarisch: Report Mainz, ARD-Politikmagazin, v. 02.04.2013, abrufbar: http: / / www.swr.de / report / unterfinanzierte-rechtsmedizin / - / id=233454 / did=112270 00 / nid=233454 / 1p8mjds / index.; focus online v. 02.04.2013, abrufbar: http: / / www. focus.de / politik / deutschland / der-staat-muss-sich-entscheiden-gewaltopfer-klagenan-medizinische-versorgung-fehlt_aid_951934.html (12.02.16); Laudon, Strafakte.de, Gewaltopferambulanzen, v. 19.08.2013; Blättner / Krüger / Grewe, Schutzambulanz Fulda, S. 7. 22  Ilg, Der strafrechtliche Schutz der sexuellen Selbstbestimmung, S. 165. 23  Seifert / Andres / Schröer / Gehl / Heinemann / Püschel, Rechtsmedizin, 2004, 182, 186; Eisenmenger, in: MAH Strafverteidigung, § 57 Rn. 293 ff. 24  Eisenmenger, in: MAH Strafverteidigung § 57 Rn. 293 ff. 25  Report Mainz, Unterfinanzierte Rechtsmedizin, 2013; Mützel / Helmreich /  Schick / Saß / Schöpfer, Rechtsmedizin 2014, 200, 206. 26  Vgl. Blättner / Krüger / Grewe, Schutzambulanz Fulda, S. 7 f.; Stoppt Gewalt gegen Kinder, Leitfaden, S. 28; Seifert / Heinemann, in: Modellprojekt, S. 23 ff.; Banaschak / Gerlach / Seifert / Bockholdt / Graß, Rechtsmedizin 2014, 405; Graß / Rothschild, Rechtsmedizin 2004, 188; Flyer der Gewaltopferambulanz Münster: http: / / klinikum. uni-muenster.de / fileadmin / ukminternet / daten / institute / rechtsmedizin / Gewaltopfer ambulanz_A5_K1.pdf (05.02.16); Handout der Schutzambulanz Fulda http: / / schutz ambulanz-fulda. de / wp-content / uploads / 140820_Schutzambulanz. pdf (05.02.16); Website der Gewaltopferambulanz in Leipzig: http: / / www. gegen-gewalt-leipzig. de /  ?Hilfsangebote:Opfer:Rechtsmedizin (05.02.16).

26 Einleitung

liche Schritte erwägen zu können, ohne die beschriebenen Einbußen hinnehmen zu müssen oder belastenden Mehrfachuntersuchungen ausgesetzt zu werden. Aus vorgenannten Gründen wird sich diese Arbeit nicht nur der praxisrelevanten Thematik des ärztlichen Berufsgeheimnisses eines kurativ tätigen Arztes in Bezug auf die Viktimisierung seiner Patienten widmen, sondern darüber hinaus das ärztliche Berufsgeheimnis der in den Forensischen Ambulanzen tätigen Rechtsmediziner einer besonderen rechtlichen Würdigung unterziehen.

Erstes Kapitel

Rechtsquellen des ärztlichen Berufsgeheimnisses Das Berufsgeheimnis eines Arztes ergibt sich nicht nur aus dem Strafund Strafprozessrecht. Es wird zugleich durch das ärztliche Berufs- und Vertragsrecht reglementiert. Darüber hinaus unterliegen Daten und Informationen, die dem Arzt im Rahmen seiner Berufsausübung anvertraut oder sonst bekannt werden, weiteren Schutzsystemen, wie dem des Sozialgeheimnisses und dem der allgemeinen Datenschutzgesetze. Problematisch ist, dass die Vorgaben dieser Regelwerke nicht zwingend kongruent sind.1 Weiterhin kommt dem strafrechtlichen Berufsgeheimnis keine autonome Stellung zu, da es sich in Verflechtungen mit außerstrafrechtlichen Normen befindet. Das in § 203 Abs. 1 StGB enthaltene Merkmal „unbefugt“ gewährt ein „Einfallstor“ für außerstrafrechtliche Offenbarungsbefugnisse und -pflichten des Arztes. Im Folgenden ist daher das Verhältnis dieser Normen zu klären. Es ist zu untersuchen, welche Vorgaben der verschiedenen Rechtsquellen über die hier aufgeworfene berufsgeheimnisrechtliche Frage – inwieweit ein Arzt über Straftaten schweigen muss und wann er Straftaten durch eine Anzeige oder sonstige Meldung verhindern oder aufklären muss – entscheiden.

A. Das Berufsrecht Jeder berufsausübende Arzt unterliegt dem ärztlichen Berufsrecht. Diesem Berufsrecht gehören – im weiteren Sinne – das ärztliche Zulassungsrecht sowie das Berufsrecht im engeren Sinne an.

I. Berufsrecht Das ärztliche Berufsrecht im engeren Sinne – auch Standesrecht genannt – setzt sich aus den Landesberufsordnungen der Landesärztekammern (LBO) und den Heilberufsgesetzen der Länder (HeilBG) zusammen. Regelungsgegenstand ist die Art und Weise der ärztlichen Berufsausübung, was 1  Popp, in: AnwK-StGB, § 203 Rn. 1; Eichelbrönner, Grenzen der Schweigepflicht, S. 41; vgl. Schünemann, in: LK-StGB, § 203 Rn. 10 ff.

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1. Kap.: Rechtsquellen des ärztlichen Berufsgeheimnisses

selbstverständlich auch „das Kernstück“2 der ärztlichen Berufspflichten miteinschließt: die Schweigepflicht. Als zentrale berufsrechtliche Vorgabe zur ärztlichen Schweigepflicht gilt § 93 der Musterberufsordnung der Bundesärztekammer (MBO),4 obgleich diese Vorschrift den einzelnen Arzt nicht unmittelbar binden kann. Die Bundesärztekammer stellt einen privatrechtlichen Zusammenschluss der Landesärztekammern in der Form eines nichtrechtsfähigen Vereins dar. Ihre MBO kann als Vereinsrecht nur im Innenverhältnis gegenüber ihren Mitgliedern – den Landesärztekammern – Rechtswirkung entfalten.5 Nichtsdestotrotz wird für die berufsrechtliche Schweigepflicht des Arztes meist auf § 9 MBO verwiesen, da die Landesärztekammern die Vorgaben der Musterberufsordnung der Bundesärztekammer – einschließlich § 9 MBO – in ihren Landesberufsordnungen weitestgehend wortwörtlich übernommen haben.6 Das Recht der Landesberufsordnungen bindet den einzelnen Arzt 2  Bundesärztekammer, DÄB, 2014, 963; Lenckner, in: Arzt und Recht, 159, 160; Eb. Schmidt, Der Arzt im Strafrecht, S. 3; Ulsenheimer, Arztstrafrecht, I § 8 Rn. 360; Kraatz, Arztstrafrecht, Rn. 231. 3  § 9 MBO in der Fassung des Beschlusses des 118. Deutschen Ärztetages 2015 in Frankfurt am Main (1) Ärztinnen und Ärzte haben über das, was ihnen in ihrer Eigenschaft als Ärztin oder Arzt anvertraut oder bekannt geworden ist – auch über den Tod der Patientin oder des Patienten hinaus – zu schweigen. Dazu gehören auch schriftliche Mitteilungen der Patientin oder des Patienten, Aufzeichnungen über Patientinnen und Patienten, Röntgenaufnahmen und sonstige Untersuchungsbefunde. (2) Ärztinnen und Ärzte sind zur Offenbarung befugt, soweit sie von der Schweigepflicht entbunden worden sind oder soweit die Offenbarung zum Schutze eines höherwertigen Rechtsgutes erforderlich ist. Gesetzliche Aussage- und Anzeigepflichten bleiben unberührt. Soweit gesetzliche Vorschriften die Schweigepflicht der Ärztin oder des Arztes einschränken, soll die Ärztin oder der Arzt die Patientin oder den Patienten darüber unterrichten. (3)  Ärztinnen und Ärzte haben ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und die Personen, die zur Vorbereitung auf den Beruf an der ärztlichen Tätigkeit teilnehmen, über die gesetzliche Pflicht zur Verschwiegenheit zu belehren und dies schriftlich festzuhalten. (4)  Wenn mehrere Ärztinnen und Ärzte gleichzeitig oder nacheinander dieselbe Patientin oder denselben Patienten untersuchen oder behandeln, so sind sie untereinander von der Schweigepflicht insoweit befreit, als das Einverständnis der Patientin oder des Patienten vorliegt oder anzunehmen ist. 4  Vgl. Heberer, Das ärztliche Berufs- und Standesrecht, S. 266; Kl. Schmidt, Ärztliche Schweigepflicht und Sozialdatenschutz, S. 12; Theuner, Die ärztliche Schweigepflicht, S. 33; Sobotta, in: NK-MedR, MBO § 9 Rn. 1 ff.; Lippert, in: Ratzel / Lippert, MBO, § 9 Rn. 1 ff. 5  Sickor, Normenhierarchie im Arztrecht, S. 275. 6  Vgl. Heberer, Das ärztliche Berufs- und Standesrecht, S. 266; Kl. Schmidt, Ärztliche Schweigepflicht und Sozialdatenschutz, S. 12; Theuner, Die ärztliche



A. Das Berufsrecht29

unmittelbar. Denn als Körperschaften des öffentlichen Rechts steht es den Landesärztekammern zu, ihre Kammermitglieder durch verbindliches Satzungsrecht zu bestimmten Verhaltensweisen zu verpflichten und deren Einhaltung mittels eines Ahndungssystems durchzusetzen.7 Inhaltlich ähneln diese berufsrechtlichen Vorgaben zur ärztlichen Verschwiegenheit zwar denen des Strafrechts, decken sich jedoch nicht gänzlich mit ihnen.8 So ist der gegenständliche Umfang der berufsrechtlichen Schweigepflicht durch die Formulierung, dass Ärzte „über das, was ihnen in ihrer Eigenschaft als Ärztin oder Arzt anvertraut oder bekannt geworden ist“ zu schweigen haben, extensiver, als der des § 203 Abs. 1 Nr. 1 StGB, dessen Pflicht sich nur auf „Geheimnisse“ erstreckt.9 Weiterhin gibt § 9 Abs. 1 MBO durch eine beispielhafte Aufzählung zu verstehen, welchen Schutzumfang die berufsrechtliche Schweigepflicht gewährt. Schriftliche Mitteilungen des Pa­ tienten, Aufzeichnungen über Patienten, Röntgenaufnahmen und sonstige Untersuchungsbefunde unterliegen demnach ausdrücklich der berufsrechtlichen Geheimhaltungspflicht. Dies kann sich für die strafrechtliche Schweigepflicht nicht direkt aus der Norm, sondern erst durch eine Subsumtion unter dem Tatbestandsmerkmal des „Geheimnisses“ ergeben. Weiterhin macht die berufsrechtliche Vorschrift im Gegensatz zu den strafrechtlichen Normen mit § 9 Abs. 2 und Abs. 4 MBO Vorgaben über Möglichkeiten der Durchbrechung der Schweigepflicht. Gemäß § 9 Abs. 2 S. 1 1. Alt. MBO wird der Arzt durch eine Schweigepflichtentbindung von seiner Verschwiegenheitspflicht befreit. Falls keine Schweigepflichtentbindung erteilt wurde, kann sich eine berufsrechtliche Offenbarungsbefugnis aus § 9 Abs. 2 S. 1 2. Alt. MBO zum Schutze eines höherwertigen Rechtsgutes ergeben.10 Weitere außerberufsrechtliche Offenbarungspflichten werden durch § 9 Abs. 2 S. 2 MBO ausdrücklich als Durchbrechungen der berufsrechtlichen Schweigepflicht anerkannt.

II. Zulassungsrecht Das ärztliche Zulassungsrecht reglementiert dagegen den Zugang zur ärztlichen Berufsausübung. Ein Arzt darf seine berufliche Tätigkeit nur nach verSchweigepflicht, S. 33; Sobotta, in: NK-MedR, MBO § 9 Rn. 1 ff.; Lippert, in: Ratzel / Lippert, MBO, § 9 Rn. 1 ff. 7  Vgl. BVerwG NJW 1972, 350, 351; Theuner, Die ärztliche Schweigepflicht, S. 33; Lippert, in: Ratzel / Lippert, MBO, § 9 Rn. 93. 8  Sobotta, in: NK-MedR, MBO § 9 Rn. 2. 9  Kl. Müller, MDR 1971, 965, 967; Kl. Schmidt, Ärztliche Schweigepflicht und Sozialdatenschutz, S. 12; Chen, Ärztliche Schweigepflicht, S. 32. 10  Vgl. Timm, Grenzen der ärztlichen Schweigepflicht, S. 155.

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1. Kap.: Rechtsquellen des ärztlichen Berufsgeheimnisses

waltungsrechtlicher Erteilung einer Approbation ausüben. Erlassen wird diese von der Genehmigungsbehörde auf Grundlage der Voraussetzungen der Bundesärzteordnung (BÄO), ergänzt durch die Approbationsordnung für Ärzte (ÄAppO).11 Erweist sich der Arzt als „unzuverlässig“ oder der Berufsausübung „unwürdig“ kann ihm seine Approbation wieder entzogen werden.12 Das Zulassungsrecht bestimmt somit maßgebend wer „als Arzt“ tätig sein darf. Dies macht das Zulassungsrecht für das strafrechtliche Berufsgeheimnis interessant, da die strafrechtlichen Vorschriften gerade nicht definieren, wer „als Arzt“ gelten soll.13 Es bietet sich folglich an, das strafrechtliche Arztmerkmal durch das Zulassungsrecht auszufüllen.14

III. Wechselwirkungen mit dem strafrechtlichen Berufsgeheimnis Gleichwohl stehen Berufs-, Zulassungs- und Strafrecht in Bezug auf die ärztliche Schweigepflicht in einer geringeren Wechselwirkung, als dies die vorangegangene Darstellung zunächst vermuten lässt. So besteht zwar eine gewisse inhaltliche Inkongruenz zwischen berufsrechtlicher und strafrechtlicher Schweigepflicht. Diese wirkt sich jedoch nicht auf das strafrechtliche Berufsgeheimnis aus, da das Berufsrecht der Landesärztekammern als Satzungsrecht normenhierarchisch unterhalb des bundesrechtlichen StGB anzusiedeln ist.15 Das Berufsrecht der Landesärztekammern ist somit nicht in der Lage, Inhalte des höherrangigen § 203 Abs. 1 Nr. 1 StGB außer Kraft zu setzen oder zu bedingen.16 Das ärztliche Zulassungsrecht kann sich dagegen insoweit auf das strafrechtliche Berufsgeheimnis des Arztes auswirken, als es im Falle eines 11  Frister / Lindemann / Peters, Arztstrafrecht, S. 397; Heberer, Das ärztliche Berufs- und Standesrecht, S. 90. 12  Die Rücknahme entzieht rückwirkend die Approbation und die mit ihr verbundene Rechtsposition, während der Widerruf zukünftig wirkt. Vgl. BVerwG NJW 1998, 2756, 2757; Ulsenheimer, Arztstrafrecht, II § 3 Rn. 516; Frister / Lindemann /  Peters, Arztstrafrecht, S. 397; Heberer, Das ärztliche Berufs- und Standesrecht, S.  97 ff. 13  Vgl. BGH NJW 1993, 803, 804; Kohlhaas, GA 1958, 66; Lenckner / Eisele, in: Schönke / Schröder, § 203 Rn. 35; Schünemann, in: LK-StGB, § 203 Rn. 61; Kraatz, Arztstrafrecht Rn. 233; Krauß, ZStW 97 (1985), 81, 88; Hilgers, Schweigepflicht, S.  1 f.; Sauter, Das Berufsgeheimnis, S. 77; Fischer, § 203 Rn. 12; Hoyer, in: SKStGB, § 203 Rn. 40; Schlund, JR 1977, 265, 266; Maurach / Schroeder / Maiwald, BT 1, § 29 III Rn. 30. 14  So die h.A., vgl. Fn. 40. 15  Röhl / Röhl, Allgemeine Rechtslehre, S. 156, 288. 16  Heberer, Das ärztliche Berufs- und Standesrecht, S. 312.



A. Das Berufsrecht31

normativen Begriffsverständnisses über die Tätereigenschaft von § 203 Abs. 1 Nr. 1 StGB darüber entscheiden würde, welche Personen einen strafbewehrten Geheimnisschutz gewähren müssen. Darüber hinaus vermag das ärztliche Zulassungsrecht aber nicht den gegenständlichen Umfang und die Grenzen des strafrechtlichen Berufsgeheimnisses zu beeinflussen. Denn das ärztliche Zulassungsrecht enthält keine konkreten Vorgaben bezüglich der Art und Weise der Berufsausübung und legt dem Arzt damit auch keine gesonderte zulassungsrechtliche Schweigepflicht auf. Zulassungsrechtliche Erteilung, Widerruf und Rücknahme der Approbation hängen neben formellen Voraussetzungen vielmehr von den unbestimmten Rechtsbegriffen der „Unwürdigkeit“ oder „Unzuverlässigkeit“ des Arztes ab, welche unter anderem durch Verstöße gegen Rechtsnormen, die außerhalb der BÄO liegen, erfüllt sein können.17 Eine Verletzung von § 203 Abs. 1 Nr. 1 StGB kann demnach die zulassungsrechtliche Unwürdigkeit oder Unzuverlässigkeit eines Arztes mitunter darlegen und somit Voraussetzungen für zulassungsrechtliche Maßnahmen erfüllen.18 Gleichwohl sei angemerkt, dass zwischen Berufs-, Zulassungs- und Strafrecht auf Ebene der Rechtsfolgen erhebliche Wechselwirkungen bestehen. Da im Einzelfall ein und dieselbe Verfehlung des Arztes negative strafrechtliche, berufsrechtliche und zulassungsrechtliche Konsequenzen (die allesamt der staatlichen Sphäre entwachsen) nach sich ziehen kann, wurde zuweilen sogar diskutiert, ob derartige Mehrfachahndungen mit dem in Art. 103 Abs. 3 GG verfassungsrechtlich verankerten Doppelbestrafungsverbot vereinbar seien.19 Nach der herrschenden Ansicht wird das Doppelbestrafungsverbot jedoch nicht durch das Nebeneinander von berufs-, zulassungs-, und strafrechtlichen Folgen verletzt. Dies ergebe sich schon daraus, dass sich der Wortlaut von Art. 103 Abs. 3 GG bereits nur auf Bestrafungen „aufgrund der allgemeinen Strafgesetze“ beziehe.20 Demzufolge verbiete Art. 103 Abs. 3 GG ausschließlich die Mehrfachahndung durch echte Kriminalstrafen.21 Dieses Ergebnis werde ebenso historisch durch die Entstehungsge17  Vgl. BVerwG NJW 1998, 2756, 2757; Ulsenheimer, Arztstrafrecht, II § 3 Rn. 516; Frister / Lindemann / Peters, Arztstrafrecht S. 397; Heberer, Das ärztliche Berufs- und Standesrecht, S. 97 ff. 18  Vgl. BVerwG NJW 1993, 806; NJW 1998, 2756, 2758; Reiermann, Der berufsrechtliche Überhang, S. 43; Decker, in: BeckOK-VwGO, § 114 Rn. 32 ff. 19  Hübner, Umfang und Grenzen, S. 79; Fliedner, AÖR 1974, 242, 255; Taupitz, NJW 1986, 2851, 2852; Kreuzer, NJW 1970, 511; Rüping, in: BK-GG, Art. 103 III Rn. 30 ff.; Ansicht des Landesberufsgericht für Ärzte dargelegt im Fall: BVerfG 2 BvR 545 / 68 = BVerfG NJW 1970, 507, 508. 20  BVerfG NJW 1967, 1654, 1655; NJW 1969, 2192, 2194; NJW 1978, 101; Radtke / Hagemeier, in: BeckOK-GG, Art. 103 Rn. 22. 21  BVerfG NJW 1978, 101; Weber, in: Baumann / Mitsch / Weber, AT, § 4 Rn. 29 f.

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1. Kap.: Rechtsquellen des ärztlichen Berufsgeheimnisses

schichte des Art. 103 GG gestützt. Die ursprüngliche Fassung von Art. 136 Abs. 2 des Herrenchiemseer Entwurfs, die besagte, niemand dürfe wegen derselben Tat zweimal gerichtlich bestraft werden, sei verworfen worden, da befürchtet wurde ein Nebeneinander von Kriminalstrafen und Disziplinarstrafen werde hierdurch unmöglich gemacht.22 Der Parlamentarische Rat habe demnach durch die Übernahme von „ne bis in idem“ keinesfalls die vorkonstitutionelle Rechtslage der bereits existierenden disziplinarischen Ahndungssysteme ändern oder abschaffen wollen.23 Ebenso sei der Telos des Art. 103 Abs. 3 GG durch ein Nebeneinander der verschiedenen Maßnahmen nicht tangiert, da die zulassungs- und berufsrechtlichen Maßnahmen keine strafrechtlichen Zwecke verfolgen.24 Gleichwohl gebietet das verfassungsrechtliche Übermaßverbot, dass berufs- und zulassungsrechtliche Maßnahmen neben einer Kriminalstrafe nur dann ergehen, wenn diese trotz der strafrechtlichen Sanktion notwendig bleiben und die Wirkungen der Maßnahmen gegenseitig angerechnet werden.25 Notwendig bleiben berufs- bzw. zulassungsrechtliche Maßnahmen gemäß der herrschenden „Überhangsthese“, wenn bei Verhängung der strafrechtlichen Sanktion berufs- bzw. zulassungsrechtliche Belange nicht abschließend gewürdigt wurden und folglich ein „Überhang“ der Tat verblieben ist.26 Zur Einhaltung des Übermaßverbots wird maßgebend auf die strafrechtliche Sanktion des Arztes abgestellt.27 Dies bedeutet etwa für den Approbationsentzug, dass dieser nur angeordnet werden kann, wenn ein präventiver Schutz der Allgemeinheit vor dem ungeeigneten bzw. unzuverlässigen Arzt nicht bereits durch ein strafrechtliches Berufsverbot gewährleistet wurde oder das Strafgericht nicht abschließend Belange der Gesund22  Fliedner, AÖR, 1974, 242, 247; Schulze-Fielitz, in: Dreier, GG, Art. 103 III Rn. 6. 23  BVerfG NJW 1970, 507, 508. 24  BVerfG NJW 1970, 507, 509; Schmidt-Aßmann, in: Maunz / Dürig, Art. 103 III Rn.  262 ff.; Reiermann, Der berufsrechtliche Überhang, S. 89; Nolte, in: Mangoldt, GG, Art. 103 Rn. 212. 25  OVG Münster NJW 1989, 2343, 2344; Reiermann, Der berufsrechtliche Überhang, S. 106, 150, 151; C. Becker, Berufsgerichtliche und kassenarztrechtliche Ahndung, S. 258; Schulze-Fielitz, in: Dreier, GG, Art. 103 III Rn. 23; Zielinska, MedR 1990, 316, 319; Ulsenheimer, Arztstrafrecht, II § 3 Rn. 518. 26  BVerfG NJW 1970, 507, 509; BVerwG NJW 1963, 875, 877; OVG NRW MedR 2004, 327, 329; C. Becker, Berufsgerichtliche und kassenarztrechtliche Ahndung, S. 274; Günther, in: Ehlers / Broglie, Arzthaftungsrecht, Rn. 956; Quaas / Zuck, Medizinrecht § 12 Rn. 97; Rüping, in: BK-GG, Art. 103 III Rn. 34 ff. 27  Vgl. BVerwG NJW 1998, 2756, 2758; VGH Mannheim NJW 2003, 3647, 3648; Reiermann, Der berufsrechtliche Überhang, S. 106, 150, 151; C. Becker, Berufsgerichtliche und kassenarztrechtliche Ahndung, S. 258; Schulze-Fielitz, in: Dreier GG, Art. 103 III Rn. 23; Ulsenheimer, Arztstrafrecht, II § 3 Rn. 518.



B. Das Privatrecht 33

heitsversorgung berücksichtigt hat.28 Berufsrechtliche Maßnahmen dürfen hingegen nur ergehen, wenn die strafrechtliche Verurteilung nicht ausreicht, um den Arzt als Kammermitglied zur Erfüllung seiner Pflichten anzuhalten oder um das Ansehen des ärztlichen Berufsstandes wiederherzustellen.29 Diese umfassenden Wechselwirkungen beziehen sich jedoch nur auf die Rechtsfolgen, die dem Arzt aufgrund eines Verstoßes gegen seine Schweigepflicht drohen. Die berufsgeheimnisrechtlichen Fragen, ob sich die ärztliche Pflicht zum Schweigen auch auf Straftaten bezieht und wann eine Anzeige oder sonstige Meldung einer Straftat erlaubt oder sogar geboten ist, entscheiden sich vielmehr anhand der inhaltlichen Vorgaben zur ärztlichen Verschwiegenheit. Und unter diesen Vorgaben nehmen nach den bisherigen Erkenntnissen über die Normenhierarchie im Arztrecht vorwiegend die strafrechtlichen Vorschriften, nicht aber die berufsrechtlichen, eine entscheidende Rolle ein.

B. Das Privatrecht Der Arzt ist weiterhin privatrechtlich zur Verschwiegenheit verpflichtet. Das privatrechtliche Verhältnis zwischen Arzt und Patient wird grundsätzlich durch die Einzelheiten des in §§ 630a ff. BGB normierten Behandlungsvertrags bestimmt.30 Hiernach gehört die ärztliche Verschwiegenheit zwar nicht zu den Hauptpflichten des Behandlungsvertrages, jedoch gilt sie als eine typische, nebenvertragliche Pflicht i. S. d. § 241 Abs. 2 BGB.31 Weiterhin steht es den Vertragsparteien frei, die ärztliche Schweigepflicht im Zuge der Vertragsfreiheit gesondert zu vereinbaren. Eine ärztliche Indiskretion bietet demnach Grundlage für eine vertragliche Schadensersatzpflicht des Arztes.32 Ersatzpflichtig ist der Arzt bei einer Verletzung der vertraglichen 28  BVerwG NJW 1998, 2756, 2758; OVG Münster NJW 1989, 2343, 2344; OVG NRW MedR 2004, 327, 328; VGH Mannheim NJW 2003, 3647, 3648; Ulsenheimer, Arztstrafrecht, II § 3 Rn. 518; Reiermann, Der berufsrechtliche Überhang, S. 46 f. 29  Konkretisierung dieses Erfordernisses ist beispielweise in § 46 des rheinlandpalzischen Landesgesetzes über die Kammern für die Heilberufe Heilberufsgesetz (HeilBG) zu erblicken. 30  Mansel, in: Jauering, BGB, vor § 630 Rn. 2; Katzenmeier, NJW 2013, 817, 818; Gaidzik / Weimer / Huster, in: Huster / Kaltenborn, Krankenhausrecht, § 13 Rn.  4 ff.; Jaeger, in: FAKomm-MedR, BGB § 630a Rn. 1. 31  Gaidzik / Weimer / Huster, in: Huster / Kaltenborn, Krankenhausrecht, § 13 Rn.  4 ff.; Heberer, Das ärztliche Berufs- und Standesrecht, S. 313; Kl. Schmidt, Ärztliche Schweigepflicht und Sozialdatenschutz, S. 15; Sobotta, in: NK-MedR, MBO § 9 Rn. 1; Chen, Ärztliche Schweigepflicht, S. 28 f. 32  Schlund, in: Laufs / Kern, HdB Arztrecht, Kp.  12 § 73 Rn. 2 f.; B. Lilie, Medizinische Datenverarbeitung, S. 116 ff.

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1. Kap.: Rechtsquellen des ärztlichen Berufsgeheimnisses

Schweigepflicht grundsätzlich allein gegenüber seinem Vertragspartner.33 Dritte, die nicht Vertragspartner des Arztes sind, können aus der Schweigepflichtverletzung entstandene Schäden vertragsrechtlich prinzipiell nur geltend machen, falls der konkrete Vertrag eine Schutzwirkung zu ihren Gunsten entfaltet.34 Darüber hinaus eröffnet das Deliktsrecht Dritten die Möglichkeit, Schadensersatzforderungen gegen einen schweigepflichtbrüchigen Arzt geltend zu machen. Die Verletzung des Allgemeinen Persönlichkeitsrechts des Geheimnisbetroffenen, die in der Offenbarung seiner Geheimnisse zu erblicken ist, begründet einen deliktischen Anspruch gemäß § 823 Abs. 1 BGB.35 Ferner gilt § 203 Abs. 1 Nr. 1 StGB als ein Schutzgesetz i. S. d. § 823 Abs. 2 BGB, weswegen ein Schweigepflichtbruch auch hierdurch deliktische Ansprüche begründen kann.36 Damit der Verschwiegenheitsverpflichtete seine Schweigepflicht auch vor Gericht einhalten kann, gewährt das Zivilrecht – gleich dem Strafrecht – ein Zeugnisverweigerungsrecht mit § 383 Abs. 1 Nr. 6 ZPO. Gleichwohl bestehen signifikante Unterschiede zwischen § 383 Abs. 1 Nr. 6 ZPO und seinem in § 53 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 StPO zu findendem, strafrechtlichen Pendant. Das zivilprozessuale Zeugnisverweigerungsrecht steht allen Zeugen zu, die aufgrund eines Amtes, Standes oder Gewerbes verschwiegenheitsverpflichtet sind. Dabei kommt es nicht darauf an, dass die Schweigepflicht des Zeugen auf einer gesetzlichen Pflicht beruht. Das zivilrechtliche Zeugnisverweigerungsrecht kann sich – im Gegensatz zu dem strafrechtlichen Zeugnisverweigerungsrecht – ebenso aus der Natur der Sache ergeben.37 Daher können Selbstverpflichtungen zur Geheimhaltung unter Umständen ein zivilrechtliches, nicht aber ein strafrechtliches Zeugnisverweigerungsrecht begründen. Ein weiterer Unterschied besteht darin, dass § 383 Abs. 3 ZPO ein zivilprozessuales Vernehmungsverbot für solche Fragen vorsieht, die der Zeuge nur unter Verletzung seiner Schweigepflicht beantworten kann.38 Von der zivilrechtlichen Ausgestaltung des ärztlichen Berufsgeheimnisses dürfen jedoch keine generellen Rückschlüsse auf das strafrechtliche Berufsgeheimnis gezogen werden. Denn Strafrecht und Zivilrecht liegen auf unterschiedlicher Wertungsebene.39 Das Zivilrecht bezweckt die Reparation 33  Kl.

Müller, in: jur. Problematik Medizin II, S. 100. in: Laufs / Kern, HdB Arztrecht, Kp.  12 § 73 Rn. 2 f. 35  OLG München, Urteil v. 4. 2. 2010 AZ 1 U 4650 / 08 = BeckRS 2010, 08711. 36  OLG Hamm MedR 1995, 328  ff.; Fleschutz, in: Heberer, Arzt und Recht, S. 249; Kraatz, NStZ-RR 2014, 66; Kl. Müller, in: jur. Problematik Medizin II, S. 88; Schröder, Ankunftsanspruch, S.  101 ff. 37  Damrau, in: MüKo-ZPO, § 383 Rn. 22 ff.; Eichele, in: NK-ZPO, § 383 Rn. 9; Huber, in: Musielak / Voit, ZPO, § 383 Rn. 6; Pauge, in: NK-MedR, ZPO § 383 Rn. 4. 38  Damrau, in: MüKo-ZPO, § 383 Rn. 42. 34  Schlund,



B. Das Privatrecht 35

zwischen privatrechtlichen Individuen, wohingegen das Strafrecht keine Reparation des begangenen Unrechts bewirken kann. Das Strafrecht spricht vielmehr ein staatliches, sozialethisches Unwerturteil bezüglich einer begangenen Rechtsgutsverletzung aus.40 Ebenso dürfen von der extensiven Ausgestaltung des zivilprozessualen Zeugnisverweigerungsrechts keine allgemeinen Rückschlüsse auf das strafprozessuale Pendant gezogen werden, da zwischen den beiden Prozessarten elementare und bewusste Unterschiede bestehen.41 Es ist sogar vielmehr so, dass das strafrechtliche Berufsgeheimnis das zivilrechtliche Verhältnis von Arzt und Patient beeinflusst. Der Straftatbestand des § 203 Abs. 1 Nr. 1 StGB stellt zivilrechtlich sowohl ein Schutzgesetz als auch ein Verbotsgesetz dar.42 Zivilrechtliche Ansprüche müssen somit im Einklang mit dem strafrechtlichen Berufsgeheimnis stehen, da dem Vertrag anderenfalls gemäß § 134 BGB i. V. m. § 203 Abs. 1 Nr. 1 StGB die Nichtigkeit droht.43 So ist beispielsweise für die Wirksamkeit eines zivilrechtlichen, gegen den Arzt gerichteten, Auskunftsanspruches von Eltern eines minderjährigen Patienten nicht entscheidend wer Vertragspartner des Arztes ist, sondern welche Person nach strafrechtlicher Wertung den Arzt von der Schweigepflicht entbinden darf.44 Zudem vermag eine Verletzung der strafrechtlichen Schweigepflicht deliktische Ansprüche des Zivilrechts zu begründen, da § 203 Abs. 1 Nr. 1 StGB als Schutzgesetz i. S. d. § 823 Abs. 2 BGB anzusehen ist.45 39  Binding, Die Normen und ihre Übertretung I, S. 284, 286, 287; B. Lilie, Medizinische Datenverarbeitung, S. 82; Hübner, Umfang und Grenzen, S. 80. Der Vollständigkeit halber sei erwähnt, dass es gewiss Auffassungen gibt, die von einem Zivilzwangs des Strafrechts ausgehen, die hier jedoch außenvorgelassen werden sollen. Darstellung und ablehnende Argumentation bei: Binding, Die Normen und ihre Übertretung I, S. 270–290 m. w. N. 40  BT-Drs. V / 4094, S. 3, 9 ff., 11; Binding, Die Normen und ihre Übertretung I, S. 290; Kühl, in: Lackner / Kühl, § 46 Rn. 1; ders., ZStW 116 (2004), 870, 876; Jescheck / Weigend, AT, S. 50. 41  So gelten im Strafprozess das Legalitätsprinzip und der Amtsermittlungsgrundsatz, welche sich von den Prinzipien des Zivilprozesses grundlegend unterscheiden. Vgl. Rauscher, in: MüKo-ZPO, Einleitung Rn. 306 ff., 320. 42  Kraatz, NStZ-RR 2014, 65, 66. 43  Vgl. BGH NJW 1991, 2955, 2956; NJW 1992, 737, 738; AG Hamburg, Urteil v. 09.07.2013 AZ 7CC1613 7 c C 16 / 13 = BeckRS 2013, 12943; Deutsch / Spickhoff, MedR, Rn. 937; Schröder, Ankunftsanspruch, S. 93, 140; Kraatz, NStZ-RR 2014, 65, 66; Armbrüster, in: MüKo-BGB, § 134 Rn. 55. Wobei bei Behandlungsverträgen nicht von einer Nichtigkeit des gesamten Vertrages auszugehen ist. Vielmehr ist die Auskunftsklausel ex tunc nichtig. Anders kann es sich bei Gutachterverträgen verhalten. 44  Schröder, Ankunftsanspruch, S.  101 ff. 45  Kraatz, NStZ-RR 2014, 65, 66.

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1. Kap.: Rechtsquellen des ärztlichen Berufsgeheimnisses

Gerade wenn es um die Thematik der Aufklärung und Verhinderung von (weiteren) Straftaten geht, sind für den Arzt nicht seine zivilrechtlichen, sondern vielmehr seine strafrechtlichen Rechte und Pflichten entscheidend. Eine rein vertragsrechtliche Geheimhaltungspflicht kann – wie schon das Beispiel des Bankgeheimnisses zeigt – einem staatlichen Auskunftsverlangen im Strafprozess nicht entgegengehalten werden.46 Ebenso wenig kann eine rein zivilrechtliche Geheimhaltungspflicht eine gesetzliche Offenbarungspflicht abbedingen.47 Für den Arzt sind somit seine strafrechtlichen Pflichten und Befugnisse entscheidend, wenn es um den Umfang und die Grenzen seines Berufsgeheimnisses in Bezug auf Straftaten geht.

C. Datenschutzgesetze, Sozialgesetzbücher und weitere öffentlich-rechtliche Gesetze Weiterhin obliegen dem Arzt nach den Vorgaben der Datenschutzgesetze, Sozialgesetzbücher, sowie anderer öffentlich-rechtlicher Gesetze zusätzliche besondere Pflichten im Umgang mit fremden Daten und Informationen.

I. Datenschutzgesetze Das Bundesdatenschutzgesetz (BDSG) und die Datenschutzgesetzte der Länder reglementieren den Schutz von sogenannten „personenbezogenen Daten“, sobald diese erhoben oder verarbeitet werden.48 Überschneiden können sich die Regelwerke von Datenschutz und strafrechtlichem Geheimnisschutz, weil personenbezogene Daten ebenso strafrechtlich geschützte „Geheimnisse“ darstellen können und eine Übermittlung bzw. Offenbarung von Daten per datenschutzrechtlicher Legaldefinition ebenfalls als Verarbeitung gilt.49 Von Interesse im Kontext von Aufklärung und Verhinderung von Straftaten ist insbesondere, ob datenschutzrechtliche Offenbarungsbefugnisse und -pflichten ebenfalls strafrechtliche Erlaubnistatbestände für eine Schweigepflichtverletzung nach § 203 Abs. 1 Nr. 1 StGB bilden können.50 Denn nach den Maßgaben des § 15 Abs. 1 Nr. 2 BDSG i. V. m. § 14 Abs. 2 Nr. 7 BDSG 46  Vgl. LG Frankfurt a. M. NJW 1954, 688, 690; Erb, in: LR-StPO, § 161 Rn. 27; Pelz, in: Wabnitz / Janovsky, HdB Wirtschafts- und Steuerstrafrecht, 9. Kap. Rn. 457. 47  Vgl. LG Frankfurt a. M. NJW 1954, 688, 690; Pelz, in: Wabnitz / Janovsky, HdB Wirtschafts- und Steuerstrafrecht, 9. Kap. Rn. 457. 48  Ambs, in: Erbs / Kohlhaas, BDSG vor § 1 Rn. 8 ff. 49  von Lewinski, MedR 2004, 95; Ambs, in: Erbs / Kohlhaas, BDSG § 3 Rn. 1 ff., 23 ff. 50  Vgl. Eichelbrönner, Grenzen der Schweigepflicht, S. 156.



C. Datenschutzgesetze, Sozialgesetzbücher, öffentlich-rechtliche Gesetze37

ist die Übermittlung personenbezogener Daten an öffentliche Stellen – wie etwa Polizei oder Staatsanwaltschaft – datenschutzrechtlich zulässig, wenn dies für die Verfolgung von Straftaten oder Ordnungswidrigkeiten erforderlich ist. Allerdings ist mittlerweile anerkannt, dass die Datenschutzgesetze einen bloßen Auffangcharakter haben.51 Das allgemeine Datenschutzrecht kann demnach nur zur Anwendung kommen, falls ein Sachverhalt nicht durch Spezialgesetze geregelt ist und diese Nichtregelung nicht als eine gesetzgeberisch gewollte Regelungslücke zu interpretieren ist. Für die ärztliche Offenbarung von Patientendaten, die Geheimnisse darstellen, existiert mit § 203 Abs. 1 Nr. 1 StGB bereits eine spezifische bundesrechtliche Regelung. Demzufolge sind die datenschutzrechtlichen Regelungen zur Übermittlung von solchen Daten, die unter den Schutz des § 203 Abs. 1 Nr. 1 StGB fallen, nicht anwendbar.52 Die Datenschutzgesetze des Bundes und der Länder sind für den Arzt vielmehr für die anderweitige Erhebung und Verarbeitung der Patientendaten zu beachten. Die Vorschriften der Datenschutzgesetze sind für die spezifischen Fragen nach Umfang und Grenzen des ärztlichen Berufsgeheimnisses in Bezug auf die Verhinderung und Aufklärung von gegen seinen Patienten gerichteten Straftaten nicht relevant.

II. Sozialgesetzbücher Ferner ergeben sich sozialgesetzliche Aspekte des Geheimnisschutzes für solche Ärzte, die nach § 95 Abs. 1 SGB V zu der vertragsärztlichen Versorgung zugelassen sind.53 Die Sozialgesetzbücher enthalten ein eigenes Regelsystem des „Sozialgeheimnisschutzes“54 bezüglich aller personenbezogenen Daten, die im Zusammenhang mit sozialgesetzlichen Aufgaben stehen.55 Diesem Regelsystem gehören neben dem eigentlichen Schutz des Sozialge51  Deutsch / Spickhoff, MedR, Rn.  906; Ambs, in: Erbs / Kohlhaas, BDSG § 1 Rn. 19; Langkeit, NStZ 1994, 6, 7; Eichelbrönner, Grenzen der Schweigepflicht, S. 163; Müller-Dietz, SÄB 1980, 356, 360; Hübner, Umfang und Grenzen, S. 44; Mörsberger, in: Wiesner, StGB § 203 Rn. 1; s. a. § 1 III BDSG u. § 2 VII LDSG Rheinland-Pfalz. 52  Langkeit, NStZ 1994, 6, 7; Eichelbrönner, Grenzen der Schweigepflicht, S. 163; Ambs, in: Erbs / Kohlhaas, BDSG § 1 Rn. 19; Hübner, Umfang und Grenzen, S. 44; Mörsberger, in: Wiesner, StGB § 203 Rn. 1. 53  Hübner, Umfang und Grenzen, S. 42. Die rechtliche Stellung als Vertragsarzt hängt von einer Zulassung nach der Zulassungsverordnung für Vertragsärzte (ÄrzteZV) ab. 54  Seewald, in: KassKomm, SGB I § 35 Rn. 3. 55  Wache, in: Erbs / Kohlhaas, SGB X § 67 Rn. 2.

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1. Kap.: Rechtsquellen des ärztlichen Berufsgeheimnisses

heimnisses, der in § 35 SGB I normiert ist, auch Vorgaben zur Datenverarbeitung und -übermittlung sowie eigene Straf- und Bußgeldvorschriften an.56 Zu Überschneidungen mit dem strafrechtlichen Berufsgeheimnis kann es kommen, da der Begriff der Sozialdaten weiter als der des „Geheimnisses“ i. S. d. § 203 StGB ist. Patientengeheimnisse, die für den Vertragsarzt bei der Behandlung des Krankenversicherten zum Vorschein kommen, werden daher regelmäßig als Sozialdaten ebenfalls dem Sozialdatenschutz unterfallen.57 Auch hier ist zu fragen, wie sich sozialrechtlicher und strafrechtlicher Geheimnisschutz zueinander verhalten. 1. Verhältnis von Sozialgeheimnis und § 203 Abs. 1 Nr. 1 StGB Im Gegensatz zu den Datenschutzgesetzen kommt dem Regelsystem des Sozialgeheimnisschutzes kein bloßer Auffangcharakter zu, sodass ein Vorgehen des strafrechtlichen Geheimnisschutzes allein aufgrund von Spezialitätsüberlegungen ausscheidet. Die Vorschriften des Sozialgeheimnisses stellen aber ebenso wenig lex specialis dar, das den strafrechtlichen Geheimnisschutz nach § 203 StGB im Falle einer Überschneidung abbedingen könnte.58 Dass die strafrechtliche Verschwiegenheitspflicht nach § 203 Abs. 1 StGB im vollen Umfang auch zwischen Beteiligten des SGB gelten muss, ergibt sich allein schon daraus, dass das Sozialgeheimnis keinen Schutz gewährt, der gleichwertig zu dem des § 203 Abs. 1 Nr. 1 StGB ist – einem gesetzlich versicherten Patienten aber aus Gründen der Gleichbehandlung derselbe Anspruch auf den Schutz seiner Geheimnisse zusteht wie einem privatversicherten Patienten.59 So ist nämlich bereits unklar, ob Vertragsärzte überhaupt Normadressaten der §§ 35 ff. SGB I sind und einen Sozialgeheimnisschutz gewähren müssen.60 Ausdrücklich richtet sich die Vorschrift des § 35 SGB I nämlich schon nur an die Träger der Sozialleistungen. Die Leistungserbringer, wie etwa die Vertragsärzte, werden von dem Wortlaut dieser Norm nicht unmittelbar erfasst. Weiterhin gehören dem Regelsystem des Sozialgeheimnisschutzes mit den Vorschriften der §§ 85, 85a SGB X zwar eigene Straf- und Bußgeldvorschriften an, welche die Einhaltung der datenschutzrechtlichen Vorgaben der Binne, NZS 1995, 97 ff.; Seewald, in: KassKomm, SGB I § 35 Rn. 3 f. Binne, NZS 1995, 97, 98; Riehle, ZfJ 1999, 463, 465. 58  Seewald, in: KassKomm, SGB I § 35 Rn. 3k; Greiner, in: Knickrehm / Kreikebohm / Waltermann, SGB I § 35 Rn. 1; Overmeyer, SÄB 1981, 249. 59  Hübner, Umfang und Grenzen, S. 151. 60  Bejahend Seewald, in: KassKomm, SGB I § 35 Rn. 17a; a. A. Mörsberger, in: Wiesner, SGB I § 35 SGB Rn. 5. 56  Vgl. 57  Vgl.



C. Datenschutzgesetze, Sozialgesetzbücher, öffentlich-rechtliche Gesetze39

SGB sicherstellen sollen und sich als „Jedermann-Delikte“ ebenfalls an Ärzte richten. Allerdings bieten diese Straf- und Bußgeldvorschriften nicht den gleichen Geheimhaltungsschutz wie der strafrechtliche Tatbestand des § 203 Abs. 1 Nr. 1 StGB. Der Straftatbestand des § 85a SGB X kann durch ein aktives Ausspähen, Erschleichen oder sonstiges unbefugtes Verarbeiten von Daten in Bereicherung,- oder Schädigungsabsicht verwirklicht werden.61 Nach § 85a SGB X ist somit der unbefugte Umgang mit Daten unter einer bestimmten Absicht zu pönalisieren. Der Straftatbestand des § 203 Abs. 1 Nr. 1 StGB sanktioniert dagegen bereits die unbefugte Offenbarung von Geheimnissen, unabhängig von einer besonderen Absicht. Das strafwürdige Unrecht des § 85a SGB X gleicht eher dem der Taten der §§ 242, 243 Abs. 1 Nr. 1, Nr. 2, 263a, 267, 270, 274 StGB, nicht aber dem des § 203 Abs. 1 Nr. 1 StGB.62 Das Regelwerk des Sozialgeheimnisschutzes bietet demnach keinen zu § 203 Abs. 1 Nr. 1 StGB gleichwertigen oder spezielleren Geheimnisschutz, weswegen § 203 Abs. 1 Nr. 1 StGB auch zwischen den Beteiligten des SGB vollumfänglich gelten muss. Der Sozialgeheimnisschutz tritt zu dem strafrechtlichen Geheimnisschutz hinzu.63 2. Sozialgesetzliche Offenbarungsbefugnisse und -pflichten Die strafrechtliche Schweigepflicht des Arztes gilt demnach ebenfalls in Bezug auf solche Geheimnisse, die zugleich Sozialdaten darstellen. Gleichwohl gilt diese Pflicht auch hier nicht apodiktisch. Fraglich ist insbesondere, ob und inwieweit sozialrechtliche Datenübermittlungsbefugnisse und -pflichten die strafrechtliche Schweigepflicht des Arztes durchbrechen können. a) §§ 68 ff. SGB X Von Interesse für die ärztlichen Befugnisse und Pflichten zur Aufklärung und Verhinderung von Straftaten sind insbesondere die Vorschriften der §§ 68 ff. SGB X. Diese verwaltungsrechtlichen „Austauschnormen“ gewähren Behörden zu Zwecken der Gefahrenabwehr und Strafverfolgung einen weitreichenden Zugriff auf Sozialdaten, die eigentlich dem Sozialgeheimnis unterliegen.64 61  Wache,

in: Erbs / Kohlhaas, SGB X § 85a Rn. 1. Bieresborn, in: von Wulffen / Schütze, SGB X § 85a Rn. 7. 63  Seewald, in: KassKomm, SGB I § 35 Rn. 3k.; Greiner, in: Knickrehm / Kreikebohm / Waltermann, SGB I § 35 Rn. 1; Overmeyer, SÄB 1981, 249. 64  Vgl. Gunder, Kinder im Strafverfahren, S. 115 ff. 62  Vgl.

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1. Kap.: Rechtsquellen des ärztlichen Berufsgeheimnisses

Vereinzelt wird angenommen, die sozialgesetzlichen Vorschriften der §§ 68 ff. SGB X seien innerhalb des Geltungsbereichs von § 35 SGB I als Rechtfertigungsregeln mit einem umfassenden lex specialis Charakter anzuerkennen.65 Sie hätten daher zugleich als Erlaubnistatbestände für Sozialdaten, die dem strafrechtlichen Geheimnisschutz des § 203 StGB unterfallen, zu gelten, weswegen die Staatsanwaltschaft zu Zwecken der Strafverfolgung Zugriff auf Daten eines Vertragsarztes haben müsste, der Straftatopfer behandelt. Die herrschende Meinung teilt diese Auffassung nicht.66 Die „Austauschnormen“ der §§ 68 ff. SGB X könnten nicht als strafrechtliche Erlaubnistatbestände für die Geheimnisoffenbarung des Arztes gelten.67 Der Ansicht der herrschenden Meinung muss allein schon deswegen zugestimmt werden, weil eine Übertragung von verwaltungsrechtlichen Austauschvorschriften auf den strafrechtlichen Geheimnisschutz in Anbetracht des unterschiedlichen Adressatenkreises der Regelungen äußerst bedenklich erscheint.68 Die Übermittlungspflichten und -befugnisse der §§ 68 ff. SGB X sollen einen verwaltungsrechtlichen Datenaustausch der durch § 35 SGB I Verpflichteten mit anderen Behörden ermöglichen. Die Vorschrift des § 35 SGB I richtet sich nach ihrem Wortlaut allein an die Sozialleistungsträger.69 Dies sind die in §§ 18–29 SGB I benannten Behörden, Körperschaften und Anstalten. Der einzelne Arzt gehört diesem Kreis nicht an.70 Das Sozialgeheimnis und seine verwaltungsrechtlichen Austauschnormen richten sich – im Gegensatz zur strafrechtlichen Schweigepflicht – nicht an Individuen, sondern an Institutionen.71 Es überzeugt daher nicht, dass die Vorschriften der §§ 68 ff. SGB X eine Schranke für den strafrechtlichen Geheimnisschutz, den der einzelne Arzt gewähren muss, bilden sollen.72 Ein solches Verständnis wird zudem durch die Vorschrift des § 76 I SGB X gestützt. Gemäß § 76 I SGB X hängt die Zulässigkeit des Austauschs von Sozialdaten, soweit diese ebenfalls dem Schutz des § 203 StGB 65  Rauschert,

ZfJ 1996, 414 ff. NStZ 1983, 1, 7; Eichelbrönner, Grenzen der Schweigepflicht, S.  145 ff.; Riehle, ZfJ 1999, 463, 465; ebenso verneinend im Bereich der Jugendhilfe Gunder, Kinder im Strafverfahren, S. 116. 67  Vgl. Rogall, NStZ 1983, 1, 7; Eichelbrönner, Grenzen der Schweigepflicht, S.  145 ff.; Riehle, ZfJ 1999, 463, 465; Gunder, Kinder im Strafverfahren, S. 116. 68  Eichelbrönner, Grenzen der Schweigepflicht, S. 148. 69  Riehle, ZfJ 1999, 463, 465, Eichelbrönner, Grenzen der Schweigepflicht, S. 149. 70  Vgl. Gutzler, in: BeckOK-SozR, SGB I § 35 Rn. 8 ff.; Mörsberger, in: Wiesner, SGB I § 35 Rn. 5. 71  Vgl. Mrozynski, SGB I § 35 Rn. 22 ff.; Gutzler, in: BeckOK-SozR, SGB I § 35 Rn.  8 ff. 72  Riehle, ZfJ 1999, 463, 465, Eichelbrönner, Grenzen der Schweigepflicht, S. 149. 66  Rogall,



C. Datenschutzgesetze, Sozialgesetzbücher, öffentlich-rechtliche Gesetze41

unterliegen und durch einen Berufsgeheimnisträger des § 203 StGB – wie etwa einen Arzt – in das System der der Sozialgeheimnisträger gelangten, davon ab, ob die in Rede stehende Übermittlung strafrechtlich zulässig wäre.73 Die Weitergabe von Sozialdaten, die dem strafrechtlichen Schutz des § 203 Abs. 1 Nr. 1 StGB unterliegen, steht demnach in Abhängigkeit der strafrechtlichen Zulässigkeit, auch wenn die Weitergabe nach §§ 68  ff. SGB X eigentlich erlaubt wäre. Der Vorschrift des § 76 Abs. 1 SGB X lässt sich somit die gesetzgeberische Wertung entnehmen, dass der strafrechtliche Schutz von Geheimnissen eine Schranke für den verwaltungsrechtlichen Austausch von Sozialdaten darstellt und nicht umgekehrt.74 Weder die Schweigepflicht eines Vertragsarztes, noch die eines Arzt, der beispielsweise im Auftrag eines Versicherungsträgers eine Person untersucht, ist durch die §§ 68 ff. SGB X durchbrochen.75 b) Bereichsspezifische Aufzeichnungs- und Übermittlungspflichten Unumstritten ist allerdings, dass Vertragsärzten nach §§ 294 ff. SGB V, 201 ff. SGB VII bereichsspezifische Aufzeichnungs- und Übermittlungspflichten gegenüber anderen Beteiligten des SGB, wie etwa den gesetzlichen Versicherungsträgern, obliegen.76 Da sich diese Pflichten auch auf die Weitergabe von solchen Daten beziehen, welche „Geheimnisse“ i. S. d. § 203 StGB darstellen, sind diese Vorschriften als spezialgesetzliche Durchbrechungen der strafrechtlichen Schweigepflicht anzusehen, die über das in § 203 StGB enthaltene Merkmal „unbefugt“ eine unrechtsausschließende Wirkung entfalten.77 Besonders relevant unter diesen Pflichten ist im Zusammenhang mit begangenen Straftaten die Vorschrift des § 294a Abs. 1 SGB V.78 Hiernach sollen Leistungserbringer – wie etwa Ärzte oder Krankenhäuser – den Krankenkassen Einzelheiten zu drittverursachten Gesundheitsschäden mitteilen. Bezweckt wird damit, dass die Krankenkassen, die die Kosten der 73  Wache, in: Erbs / Kohlhaas, SGB X § 76 Rn. 1; Mörsberger, in: Wiesner, SGB X § 76 Rn. 1; Bieresborn, in: von Wulffen / Schütze, SGB X § 76 Rn. 4 ff. 74  Riehle, ZfJ 1999, 463, 466, Eichelbrönner, Grenzen der Schweigepflicht, S. 149. 75  Vgl. Eichelbrönner, Grenzen der Schweigepflicht, S. 143 ff.; Mörsberger, in: Wiesner, SGB X § 76 Rn. 3; Vitkas, Grenzen ärztlicher Schweigepflicht, S. 115 ff. 76  BSG NZS 2011, 582, 583; Fischinger, in: Spickhoff, Medizinrecht, SGB V § 294 Rn. 1. 77  Scholz, in: BeckOK-SozR, SGB V § 294 Rn. 2; Scholz, in: KassKomm, SGB X § 100 Rn. 5; Fischinger, in: Spickhoff, Medizinrecht, SGB V § 294 Rn. 1; Schneider, in: Krauskopf, SGB V § 294 Rn. 3; Beck / Hausch, VersR 2008, 1321, 1325. 78  Vgl. Vitkas, Grenzen ärztlicher Schweigepflicht, S. 115 ff.

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1. Kap.: Rechtsquellen des ärztlichen Berufsgeheimnisses

Behandlung übernehmen, den Kostenverursacher gemäß § 116 SGB X in Regress nehmen können.79 Gewalt- und Sexualstraftaten stellen naturgemäß Fälle von drittverursachten Gesundheitsschäden dar, weswegen Vertragsärzten es grundsätzlich nach § 294a SGB V obliegt, Einzelheiten hierzu mit den Krankenkassen zu teilen. Allerdings ist diese Vorschrift angesichts ihrer weitreichenden Folgen für den Schutz des Patientengeheimnisses nicht ohne Kritik geblieben.80 Gegner dieser Norm gaben zu bedenken, dass der Patient hierdurch faktisch die Verfügungsgewalt über seine Daten und Geheimnisse verliere, sobald solche Informationen erst einmal an die Krankenkassen übermittelt wurden. Sollte der Schadensverursacher – der Täter – nicht bereit sein, den Anspruch der Krankenkasse zu befriedigen, werde die Krankenkasse klagen; d. h. die Einzelheiten des Anspruches und damit die Krankengeschichte und die Viktimisierung des Patienten würden Gegenstand eines grundsätzlich öffentlichen Gerichtsverfahrens werden. Das Gericht könne diese Informationen wiederum nach §§ 13 Abs. 2, 17 Nr. 1 EGGVG den Strafverfolgungsbehörden zu repressiven Strafverfolgungszwecken weiterreichen, obwohl der Patient womöglich gar keine Strafverfolgung des Täters wünscht.81 Dieser gravierende Eingriff in das Persönlichkeitsrecht des Patienten wird in der Literatur von nicht wenigen als unverhältnismäßig bewertet, gerade weil es bei dem Regress der Krankenkasse lediglich um finanzielle Interessen gehe.82 Insbesondere in Fällen familiärer Gewalt stehe einer uneingeschränkten Mitteilung zusätzlich Art. 6 GG entgegen.83 Letzterer Kritik nahm sich jüngst der Gesetzgeber an. Die Vorschrift des § 294a SGB V wurde dahingehend reformiert, dass drittverursachte Gesundheitsschäden, die Folge einer strafbaren Handlung von Eltern gegenüber ihren Kindern sein können, nicht mehr der Mitteilungspflicht unterliegen.84 Eine nicht unerhebliche Meinung im Schrifttum möchte § 294a SGB V aber aufgrund der beschriebenen Bedenken insgesamt so verstehen, dass der Leistungserbringer ausschließlich dann zur Mitteilung von vermuteten Straftaten als Gesundheitsursache ver79  Scholz, in: BeckOK-SozR, SGB V § 294a Rn. 1; Heldt-Andreas, in: NK-MedR, SGB V § 294 Rn. 5; von Koppenfels-Spies, in: NK-MedR, SGB X § 116 Rn. 3. 80  B. Müller, Schweigepflicht, S. 60  ff.; Vitkas, Grenzen ärztlicher Schweigepflicht, S. 116; Beck / Hausch, VersR 2008, 1321, 1324 ff.; Smentkowski, VersR 2008, 465 ff.; Landesärztekammer BW, Merkblatt zur ärztlichen Schweigepflicht, S. 3; a. A. Scholz, in: BeckOK-SozR, SGB V § 294a Rn. 1; Schneider, in: Krauskopf, SGB V § 294a Rn. 3 u. 12. 81  Vgl. Vitkas, Grenzen ärztlicher Schweigepflicht, S. 116; Pabst, in: MüKoZPO, EGGVG § 17 Rn. 1 ff. 82  Smentkowski, VersR 2008, 465, 467; Beck / Hausch, VersR 2008, 1321, 1324. 83  Landesärztekammer BW, Merkblatt zur ärztlichen Schweigepflicht, S.  3; Beck / Hausch, VersR 2008, 1321, 1324. 84  BT-Drs. 17 / 13770 S. 18; Hess, in: KassKomm, SGB V § 294a Rn. 4.



C. Datenschutzgesetze, Sozialgesetzbücher, öffentlich-rechtliche Gesetze43

pflichtet oder befugt ist, wenn diese Geheimnisoffenbarung auch strafrechtlich zulässig ist; sprich der Patient den Arzt von der Schweigepflicht entbunden hat oder eine sonstige Durchbrechung der strafrechtlichen Schweigepflicht vorliegt.85 Gleich wie man § 294a SGB V verstehen möchte, bleibt an dieser Stelle für die hier aufgeworfene, spezifische berufsgeheimnisrechtliche Frage festzuhalten, dass § 294a SGB V in keinem Fall den Leistungserbringer berechtigt oder verpflichtet, Straftaten gegenüber der Polizei oder den Strafverfolgungsbehörden zu offenbaren, da die Pflicht, wenn man sie anerkennen möchte, nur gegenüber der Krankenkasse besteht. c) Zwischenergebnis Demnach vermögen die sozialgesetzlichen Vorschriften nicht das strafrechtliche Berufsgeheimnis des Arztes in Bezug auf die Aufklärung oder Verhinderung von Straftaten durch eine initiative Einschaltung von Strafverfolgungsbehörden und gefahrabwehrenden Behörden zu beeinflussen. Es ist vielmehr so, dass die strafrechtlichen Pflichten und Rechte des Arztes hierbei eine entscheidende Rolle einnehmen. Der Austausch und die Übermittlung von Sozialdaten, die ebenfalls dem Schutz des § 203 Abs. 1 Nr. 1 StGB unterliegen, sind grundsätzlich von der strafrechtlichen Zulässigkeit dieser Offenbarung abhängig zu machen. Darüber hinaus spielt die strafrechtliche Verschwiegenheitspflicht für den Vertragsarzt deswegen eine entscheidende Rolle, weil diese Pflicht Einfluss auf das vertragsärztliche Disziplinar- und Zulassungsrecht hat. Dem Vertragsarzt obliegt gegenüber der Kassenärztlichen Vereinigung die allgemeine Pflicht, keinerlei Gesetzesverstoß in seiner Tätigkeit als Vertragsarzt zu begehen.86 Durch diese Pflicht zur allgemeinen Gesetzestreue wird der Straftatbestand des § 203 Abs. 1 Nr. 1 StGB in den vertragsärztlichen Pflichtenkatalog „hineingetragen“. Verstößt der Vertragsarzt gegen seine strafrechtliche Schweigepflicht, können ihm somit Disziplinar- und Zulassungsmaßnahmen der Kassenärztlichen Vereinigungen drohen.87 Gleichwohl sei angemerkt, dass diese infolge des 85  B. Müller, Schweigepflicht, S. 60  ff.; Vitkas, Grenzen ärztlicher Schweigepflicht, S. 116; Beck / Hausch, VersR 2008, 1321, 1324 ff.; Smentkowski, VersR 2008, 465 ff.; Landesärztekammer BW, Merkblatt zur ärztlichen Schweigepflicht, S. 3; a. A. Scholz, in: BeckOK-SozR, SGB V § 294a Rn. 1; Schneider, in: Krauskopf, SGB V § 294 Rn. 3 u. 12. 86  BSG, Beschl. v. 25.09.1997  – 6 BKa 54 / 96 = BeckRS 1997, 31037239; Reiermann, Der berufsrechtliche Überhang, S. 31. 87  Frister / Lindemann / Peters, Arztstrafrecht, S.  401 f.; Hess, in: KassKom, SGB V § 81 Rn. 22; Kols, in: BeckOK-SozR, SGB V § 81 Rn. 5 ff.; C. Becker, Berufsgerichtliche und kassenarztrechtliche Ahndung, S. 38 ff.

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1. Kap.: Rechtsquellen des ärztlichen Berufsgeheimnisses

Übermaßverbots neben einer strafrechtlichen Sanktion der Schweigepflichtverletzung nur ergehen dürfen, wenn ein disziplinar- bzw. zulassungsrechtlicher „Überhang“ verblieben ist.88 Für den Arzt, der Straftatopfer behandelt und sich fragt, ob er zur Aufklärung und Verhinderung von (weiteren) Straftaten befugt oder verpflichtet ist, ist demnach nicht entscheidend was die sozialgesetzlichen Vorgaben ihm gestatten oder von ihm verlangen, sondern, ob eine solche Geheimnisoffenbarung nicht gegen seine strafrechtliche Schweigepflicht verstößt.

III. Weitere öffentlich-rechtliche Gesetze Weiterhin existieren zahlreiche außerstrafrechtliche Spezialgesetze, die einen Arzt zu speziellen Meldungen, Auskünften oder sonstigen Offenbarungen befugen oder verpflichten und sich über das in § 203 StGB enthaltende Merkmal „unbefugt“ auch auf seine strafrechtliche Verschwiegenheitspflicht auswirken können. Solche Vorschriften finden sich unter anderem zur Meldung gewisser Krankheiten in dem Infektionsschutzgesetz89, zur Auskunft aus Verzeichnissen über aufgenommene Personen in den Meldegesetzen,90 zur Datenübermittlung zum Zwecke der statistischen Erfassung in dem Schwangerschafts­ konfliktgesetz,91 zur Anzeige von Geburts- und Sterbefällen in dem Personenstandgesetz,92 zur Meldung von Verdachtsfällen eines unnatürlichen Todes in den Friedhofs- und Bestattungsgesetzen93 und zur Meldung von Kindeswohlgefährdung in den Kinderschutzgesetzen94. Die Mehrheit dieser Offenbarungsbefugnisse und -pflichten erweist sich für die Problematik der ärztlichen Aufdeckung und Prävention von Straftaten jedoch als irrelevant. Ein Geheimnis, welches eine Straftat gegen ein noch lebendes Opfer zum Inhalt hat, stellt in der Regel schon nicht diejenige In88  Hesral,

in: Ehlers, Disziplinarrecht, Rn. 231 ff. 11, 12, 49 Infektionsschutzgesetz (IfSG); Sauer, in: Fasselt / Schellhorn, HSRB, Teil III Rn. 54; Hübner, Umfang und Grenzen, S. 85; Heberer, Das ärztliche Berufs- und Standesrecht, S. 321 ff. 90  s. § 28 Meldegesetz Rheinland-Pfalz (MG) und § 16 Melderechtsrahmengesetz (MRRG). 91  §§ 15–18 Gesetz zur Vermeidung und Bewältigung von Schwangerschaftskonflikten (Schwangerschaftskonfliktgesetz – SchKG); Heberer, Das ärztliche Berufsund Standesrecht, S. 330. 92  §§ 18–20, §§ 28–30 Personenstandsgesetz (PstG). 93  s. §  10 VI des hessischen Friedhofs-und Bestattungsgesetzes (FBG), § 11 Abs. 3 und § 12 des rheinland-pfälzischen Bestattungsgesetzes (BestG). 94  s. § 4 des Kinderschutz-Kooperations-Gesetzes des Bundes (KKG). 89  §§ 7  ff.,



C. Datenschutzgesetze, Sozialgesetzbücher, öffentlich-rechtliche Gesetze45

formation dar, die nach den Tatbestandsvoraussetzungen dieser Vorschriften gemeldet, übermittelt oder angezeigt werden soll. So muss der leichenschauausführende Arzt nach den Friedhofs- und Bestattungsgesetzen zwar seinen Verdacht auf einen unnatürlichen – und somit möglicherweise fremdverursachten – Todesfall der Polizei melden,95 jedoch umfasst diese Pflicht eben nicht die Meldung solcher Straftaten, deren Opfer noch leben. Andere Vorschriften sind dagegen meist nach ihren Rechtsfolgen nicht darauf ausgerichtet, dass der Arzt Straftaten gegenüber den Strafverfolgungsbehörden, der Polizei, den Jugendämtern oder anderen Stellen initiativ meldet oder aufdeckt. So ist der Leiter eines Krankenhauses zwar durch § 28 Abs. 3 des rheinland-pfälzischen Meldegesetzes verpflichtet, ein Verzeichnis über die Identität der aufgenommen Personen zu erstellen und aus diesem auf Verlangen der Polizei- und Ordnungsbehörden sowie der Staatsanwaltschaft zu Zwecken der Strafverfolgung Auskunft zu geben.96 Jedoch bezieht sich diese Pflicht allein auf solche Angaben, die der Identifikation der aufgenommenen Personen dienen. Die medizinischen Gründe der Krankenhausaufnahme sowie Angaben über die Behandlung unterliegen nicht der Auskunftspflicht. Folglich können nach den Meldegesetzen keine Auskünfte über Straftaten gegeben werden, die der aufgenommen Person widerfahren sind. Darüber hinaus beschränkt sich Pflicht aus den Meldegesetzen zunächst allein auf die Erstellung eines Verzeichnisses über die aufgenommenen Personen. Eine konkrete Auskunftspflicht entsteht erst, wenn die Polizei- und Ordnungsbehörden oder die Staatsanwaltschaft eine spezifische Anfrage gestellt haben.97 Der Krankenhausleiter ist durch das Meldegesetz weder verpflichtet oder gar berechtigt, eigenständige Meldungen zu Zwecken der Strafverfolgung zu machen.98 Den Meldegesetzen kommt daher keine Bedeutung für die Frage der initiativen Aufklärung und Verhinderung von Straftaten durch den Arzt zu. Als relevant erweisen sich hierfür einzig die in den Kinderschutzgesetzen des Bundes und der Länder enthaltenden Vorschriften zur Meldung von Kindeswohlgefährdungen. Die Vorschrift § 4 Abs. 3 S. 1 des KinderschutzKooperations-Gesetzes des Bundes (KKG) befugt Ärzte unter bestimmten Voraussetzungen Kindeswohlgefährdungen dem Träger der öffentlichen Jugendhilfe mitzuteilen. Die Landesgesetze enthalten weitestgehend entsprechende Regelungen. So sind Ärzte durch § 12 des rheinland-pfälzischen Landesgesetzes zum Schutz von Kindeswohl und Kindergesundheit zur 95  s.

§ 11 Gesetz über das Friedhofs- und Bestattungswesen Rheinland-Pfalz. § 28 Abs. 3 Meldegesetz Rheinland-Pfalz; Braun, in: Roxin / Schroth, HdB Medizinstrafrecht, S. 251. 97  Braun, in: Roxin / Schroth, HdB Medizinstrafrecht, S. 251. 98  Eichelbrönner, Grenzen der Schweigepflicht, S. 97. 96  s.

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1. Kap.: Rechtsquellen des ärztlichen Berufsgeheimnisses

Meldung von Kindeswohlgefährdungen befugt.99 Das bayrische Gesundheitsdienst und Verbraucherschutzgesetz (GVDG) ordnet in solchen Fällen sogar eine obligatorische Meldung an.100 Diese Vorschriften sind für einen Arzt, der minderjährige Straftatopfer behandelt, äußerst relevant, da Gewaltund Sexualdelikte zu Lasten des Kindes eine Kindeswohlgefährdung begründen können.101 Nach ihren Rechtsfolgen sind diese Vorschriften darauf ausgerichtet, dass der Arzt den Träger der öffentlichen Jugendhilfe in Kenntnis setzt, welcher wiederum Maßnahmen zum Schutz des Kindes einleiten und somit weitere Straftaten verhindern kann. Demzufolge werden die außerstrafrechtlichen Vorschriften der Kinderschutzgesetze in der weiteren Untersuchung der zulässigen Verhinderung und Aufklärung von Straftaten durch den Arzt Berücksichtigung finden müssen.102

D. Zwischenergebnis zu dem Verhältnis von außerstrafrechtlichen Vorschriften und dem strafrechtlichen Berufsgeheimnis des Arztes Die Durchsicht der unterschiedlichen Rechtsgebiete und Regelwerke hat gezeigt, dass – obgleich die Schweigepflicht des Arztes durch viele außerstrafrechtliche Normen beeinflusst wird – die strafrechtliche Normierung des ärztlichen Berufsgeheimnis maßgebend dafür ist, ob ein Arzt zur initiativen Aufklärung und Verhinderung von Straftaten befugt oder verpflichtet ist. Der Inhalt des strafrechtlichen Berufsgeheimnisses wird durch keine außerstrafrechtliche Vorschrift in einer generellen Weise bedingt. Zwar bietet sich das ärztliche Zulassungsrecht zur Ausfüllung des Merkmal des „Arztes“ in § 203 Abs. 1 Nr. 1 StGB und § 53 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 StPO an.103 Des Weiteren eröffnet das in § 203 StGB enthaltene Merkmal „unbefugt“ einen möglichen „Einfall“ von außerstrafrechtlichen Offenbarungsbefugnissen und 99  s. § 12 des rheinland-pfälzischen Landesgesetzes zum Schutz von Kindeswohl und Kindergesundheit. 100  s. Art. 14 Abs. 6 des bayrischen Gesundheitsdienst und Verbraucherschutzgesetzes (GVDG). 101  s. zweites Kapitel B. IV. 1. Die Kinderschutzgesetze. 102  s. zweites Kapitel B. IV. 1. 103  So die h.A.: BGH NJW 1993, 803, 804; Kohlhaas, GA 1958, 65, 66; Lenckner / Eisele, in: Schönke / Schröder, § 203 Rn. 35; Schünemann, in: LK-StGB, § 203 Rn. 61; Kraatz, Arztstrafrecht, Rn. 233; Krauß, ZStW 97 (1985), 81, 88; Hilgers, Schweigepflicht und Zeugnisverweigerungsrecht des Arztes, S. 1 f.; Sauter, Das Berufsgeheimnis, S. 77; Fischer, § 203 Rn. 12; Hoyer, in: SK-StGB, § 203 Rn. 40; Schlund, JR 1977, 265, 266; Maurach / Schroeder / Maiwald, BT 1, § 29 III Rn. 30.



E. Das strafrechtliche Berufsgeheimnis47

-pflichten.104 Allerdings sind unter den zahlreichen außerstrafrechtlichen Offenbarungsbefugnissen und -pflichten allein die Vorgaben der Kinderschutzgesetze relevant, wenn der Arzt Straftaten initiativ aufklären oder verhindern möchte. Anderweitige, außerstrafrechtliche Vorschriften dienen entweder schon gar nicht der Aufklärung oder Verhinderung von Straftaten, oder aber können, wenn sie diesem Zweck dienen, nicht das strafrechtliche Berufsgeheimnis des Arztes durchbrechen. So sind die datenschutzrechtlichen Übermittlungsvorschriften zur Aufklärung von Straftaten wegen ihres subsidiären Auffangcharakters nicht auf Geheimnisse i. S. d. § 203 Abs. 1 Nr. 1 StGB anwendbar. Sozialgesetzliche Vorschriften muss ein Vertragsarzt im Gegensatz dazu zwar grundsätzlich beachten. Geht es aber um die Weitergabe von Geheimnissen an Strafverfolgungsbehörden oder die Polizei bestimmt sich die Zulässigkeit der Datenweitergabe nicht primär nach den sozialgesetzlichen Vorschriften, sondern nach dem, was strafrechtlich zulässig ist.105 Für den Vertragsarzt ist somit entscheidend, was in diesen Fällen seine strafrechtlichen Pflichten und Befugnisse sind. Ferner beeinflusst das strafrechtliche Berufsgeheimnis, wie zuvor ausgeführt, auf vielseitige Weise außerstrafrechtliche Rechtsgebiete – indem es etwa unbestimmte Rechtsbegriffe ausfüllt und somit als tatbestandliche Voraussetzung fungiert oder als Verbotsnorm zivilrechtliche Verträge, die der strafrechtlichen Schweigepflicht zuwiderlaufen, nichtig macht.106 Für den Arzt, der Straftatopfer behandelt, entscheiden sich Umfang und Grenzen seines ärztlichen Berufsgeheimnisses für eine initiative Aufklärung und Verhinderung von Straftaten daher insgesamt nicht anhand außerstrafrechtlicher Vorschriften, sondern maßgebend anhand seines strafrechtlichen Berufsgeheimnisses.

E. Das strafrechtliche Berufsgeheimnis Lenkt man den Blick auf das strafrechtliche Berufsgeheimnis des Arztes, gilt es zunächst zu verstehen, aus welchen Elementen sich dieses Rechtsinstitut zusammensetzt und welche Elemente für die aufgeworfene Fragestellung von Bedeutung sind. Das strafrechtliche Berufsgeheimnis besteht aus den materiell-rechtlichen Schweigeverpflichtungen der §§ 203, 204, 205 StGB, ihren prozessualen Stützen der §§ 53 Abs. 1 S. 1 Nr. 3, 97 StPO, aber auch aus den Offenbarungsbefugnissen und -pflichten, die sich aus § 34; 104  Als „Blankett“ bezeichnen dies Cierniak / Pohlit, in: MüKo-StGB, §  203 Rn. 54. 105  s. erstes Kapitel C. 2. c). 106  s. erstes Kapitel A. II.; erstes Kapitel B.

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1. Kap.: Rechtsquellen des ärztlichen Berufsgeheimnisses

§§ 138 Abs. 1,  139 Abs. 3 S. 2,  §§ 223 Abs. 1,  13 Abs. 1 und § 323c StGB ergeben können. Erst durch die Kombination aller drei „Säulen“ entsteht das „Gesamtrechtsinstitut des ärztlichen Berufsgeheimnisses“.107 Gleichwohl kommt den einzelnen „Säulen“ für die Lösung der hier aufgeworfenen Problematik der initiativen Straftataufklärung und -verhinderung keine gleichwertige Relevanz zu. Die Vorschrift des § 53 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 StPO bildet mit dem ärztlichen Zeugnisverweigerungsrecht das – wenn auch inhaltlich nicht komplett deckungsgleiche –108 prozessuale Korrelat zu der materiell-rechtlichen Schweigepflicht. Dieses Zeugnisverweigerungsrecht ist notwendig, da dem Arzt andernfalls vor Gericht eine allgemeine Zeugnispflicht obliegen würde, welche jeglichem Geheimnisschutz vorginge.109 Die Absicherung der materiell-rechtlichen Schweigepflicht erfolgt jedoch nicht absolut, da § 53 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 StPO nicht als Zeugnisverweigerungspflicht, sondern als Recht ausgestaltet ist. Der Arzt darf sich somit auf sein Zeugnisverweigerungsrecht berufen, muss es aber nicht.110 Nur wenn der Patient den Arzt von der Schweigepflicht entbindet, lebt die allgemeine Zeugnispflicht wieder auf und der Arzt ist nach § 53 Abs. 2 StPO zur Aussage verpflichtet. Ansonsten liegt es allein im Ermessen des zeugnisverweigerungsberechtigten Arztes, sich trotz Schweigepflicht zu einer Aussage zu entschließen.111 Für den Arzt besteht somit prozessual die Möglichkeit durch eine Aussage an der Überführung des Täters mitzuwirken. Allerdings vermag diese prozessuale Wahlfreiheit nicht die Problematik der rechtlich zulässigen, initiativen Aufdeckung von Straftaten zu lösen. Die materiell-rechtliche Schweigepflicht des Arztes geht nämlich über das prozessuale Zeugnisverweigerungsrecht in rechtlicher und zeitlicher Hinsicht hinaus. Die strafbewehrte Schweigepflicht des § 203 Abs. 1 Nr. 1 StGB gilt auch für den zeugnisverweigerungsberechtigten Arzt zu jedem Zeitpunkt eines Prozesses, womit dem Arzt trotz seines prozessualen Wahlrechts im Falle einer unbefugten Geheimnisoffenbarung eine Strafbarkeit droht.112 Zudem 107  Lenckner,

in: Arzt und Recht, S. 159, 163. 57, 63, 66; BGHSt 9, 60, 61; Senge, in: KK, § 53 Rn. 3; krit.: Muschallik, Die Befreiung, S. 100 ff.; Steinberg-Copek, Berufsgeheimnis, S. 50 ff.; Rogall, JZ 1996, 944, 952; ders., in: SK-StPO, § 53 Rn. 2; Theuner, Die ärztliche Schweigepflicht, S. 296; Michalowski, ZStW 109, (1997), 519, 529. 109  BVerfG NJW 1975, 103; Sauer, in: Fasselt / Schellhorn, HSRB, Teil  III Rn. 5. 110  Ulsenheimer, in: Laufs / Kern, HdB Arztrecht, Kp.  12 § 67 Rn. 4. 111  BGH NJW 1996, 2435, 2436; Hübner, Umfang und Grenzen, S. 55; D. Bender / Schreiber, in: Ethische Grundlagen der Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie, S. 157. 112  Rogall, JZ 1996, 944, 952; ders., in: SK-StPO, § 53 Rn. 17; Timm, Grenzen der ärztlichen Schweigepflicht, S. 155; Lenckner, in: Arzt und Recht, S. 159, 190. 108  RGSt



E. Das strafrechtliche Berufsgeheimnis49

beantwortet die freie Disposition über eine Zeugenaussage nicht die Frage nach der rechtlich zulässigen oder gebotenen (zeitlich vorgelagerten) initiativen Aufdeckung der Tat. Das Wahlrecht des § 53 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 StPO kommt für den Arzt erst zum Tragen, wenn bereits ein strafrechtlicher Prozess gegen den Beschuldigten im Gange ist. Die Möglichkeit einer initiativen Straftataufdeckung und -verhinderung ist demnach nicht in § 53 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 StPO, sondern in § 203 Abs. 1 Nr. 1 StGB und in jenen Offenbarungsbefugnissen und -pflichten zu suchen, welche die materielle Schweigepflicht durchbrechen. Umfang und Grenzen der materiell-rechtlichen Schweigepflicht bilden somit den „Dreh- und Angelpunkt“ für die aufgeworfene Problematik der initiativen Straftataufklärung und -verhinderung.

I. Schutzzweck des § 203 Abs. 1 Nr. 1 StGB Jedoch ist bereits grundlegend umstritten, welchem Schutzzweck die materiell-rechtliche Schweigepflicht dient.113 1. Individualistische Theorien Die „individualistischen Theorien“, zu deren namenhaften Vertretern insbesondere Rogall und Schünemann zählen, stimmen in der Grundannahme überein, dass § 203 StGB einen Individualschutz vermitteln soll.114 Ausgehend von diesem Konsens unterscheiden sich die verschiedenen Strömungen dieser Theorie jedoch in ihren Details. Vertreter der individualistischen „Vertrauenstheorie“ meinen, die Vorschrift des § 203 Abs. 1 Nr. 1 StGB bezwecke die auf Vertrauen beruhende Sonderbeziehung zwischen Berufsgeheimnisträger und Patienten zu schützen.115 Das Vertrauen in die diskrete Arzt-Patienten-Beziehung sei demnach das Schutzgut des § 203 Abs. 1 Nr. 1 StGB.116 allein Cierniak / Pohlit, in: MüKo-StGB, § 203 Rn. 2 f. Nürnberg NJW 1958, 273; OVG Lüneburg NJW 1997, 2468, 2469; Rogall, NStZ 1983, 1, 4; Schünemann, in: LK-StGB, § 203 Rn. 14; Kargl, in: NKStGB, § 203 Rn. 4; Weidemann, in: BeckOK-StGB, § 203 Rn. 2; Knauer / Brose, in: Spickhoff, Medizinrecht, § 203 Rn. 1; Hoyer, in: SK-StGB, § 203 Rn. 1; Kraatz, Arztstrafrecht, Rn.  231 f.; Muschallik, Die Befreiung, S. 28; Fischer, § 203 Rn. 2; Hackel, NJW 1969, 2257, 2259; Ostendorf, JR 1981, 444, 447; Woesner, NJW 1957, 692; R. Schmitz, JA 1996, 772, 773; Kühne, NJW 1977, 1480, 1481; Klesczewski, BT, S. 303. 115  RGSt 13, 60, 62 f.; Kohlhaas, GA 1958, 66; Poiger, NJW 1954, 1107; Kierski, DÄB 1956, 621, 622; Hackel, Schweigepflicht bei Gerichtsmedizinern, S. 39 f.; Stucke, Schweigepflicht bei Drittgeheimnissen, S. 33 ff., 47 ff., 117 f.; Tendenz zum 113  s.

114  OLG

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1. Kap.: Rechtsquellen des ärztlichen Berufsgeheimnisses

Nach der individualistischen „Interessentheorie“117 soll das von § 203 Abs. 1 Nr. 1 StGB zu schützende Rechtsgut hingegen in dem funktionalen Interesse des Geheimnisbetroffenen an der Darstellung, Wahrung und Entwicklung seiner Persönlichkeit zu suchen sein. Das in Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG verankerte allgemeine Persönlichkeitsrecht gewähre einen Schutz vor Eingriffen in das Darstellungsrecht und den daraus resultierenden Minderungen der sozialen Geltung. Der Straftatbestand des § 203 Abs. 1 Nr. 1 StGB sei eine verfassungsrechtliche Konkretisierung dieses Schutzauftrages und bezwecke folglich eine Minderung der sozialen Geltung zu verhindern, die durch die Verbreitung von Geheimnissen eintreten würde. Nach dieser Doktrin kann sich die Schweigepflicht gegenständlich nur auf solche Geheimnisse erstrecken, die überhaupt geeignet sind, die soziale Geltung des Geheimnisbetroffenen zu schädigen und an deren Geheimhaltung daher verständliche und schützenswerte Interessen bestehen.118 Zusammenfassend kann der Geheimnisschutz, den die individualistische Interessentheorie vermitteln will, als Protektion der „materiellen Privatheit“ bezeichnet werden.119 Vertreter der individualistischen „Willenstheorie“120 erblicken in § 203 Abs. 1 Nr. 1 StGB ebenfalls eine verfassungsrechtliche Konkretisierung von Vertrauensansatz Vitkas, Grenzen ärztlicher Schweigepflicht, S. 29 ff.; i. E. pluralistisch Kawelovski, Kriminalistik 2015, 388, 390. 116  RGSt 13, 60, 62, 63; Kohlhaas, GA 1958, 66; Poiger, NJW 1954, 1107; Kierski, DÄB 1956, 621, 622; Hackel, Schweigepflicht bei Gerichtsmedizinern, S.  39 f.; Stucke, Schweigepflicht bei Drittgeheimnissen, S. 33 ff., 47 ff., 117 f. 117  Kargl, in: NK-StGB, § 203 Rn. 4; Eb. Schmidt, Der Arzt im Strafrecht, S. 23; Liszt, Lehrbuch des Deutschen Strafrechts, S. 400 ff.; Mittermaier, ZStW 21 (1921), 197, 205; Maurach / Schroeder / Maiwald, BT 1, § 29 III Rn. 24; Eisele, BT I, Rn. 769; Hilgendorf, in: Arzt / Weber / Heinrich / Hilgendorf, BT, § 8 Rn. 29; im Ergebnis modifizierte individualistische Interessentheorie: Timm, Grenzen der ärztlichen Schweigepflicht, S. 143; Hoyer, in: SK-StGB, § 203 Rn. 8, 10; wohl auch Eichelbrönner, Grenzen der Schweigepflicht, S. 59, 62; Krauß, ZStW 97 (1985), 81, 95; offengelassen v.: Rogall, NStZ 1983, 1, 4; Schünemann, ZStW 90 (1978), 11, 13; Höflich, Die ärztliche Schweigepflicht, S. 33. 118  Prägnant kommt diese Ansicht bei Hoyer, in: SK-StGB, § 203 Rn. 8, 10 zum Ausdruck. Hoyer versteht § 203 StGB als einen spiegelverkehrten Beleidigungstatbestand, der sich auf wahre ehrverletzende Informationen bezieht. 119  Unterscheidung von formeller und materieller Privatheit nach Gallas, ZStW 75 (1963), 16 ff.; Rogall, NStZ 1983, 1, 4. 120  Bevor das informationelle Selbstbestimmungsrecht durch das Verfassungsgericht als Ausprägung des Allgemeinen Persönlichkeitsrecht beschrieben wurde, stellten Vertreter der Willenstheorie freilich nur auf den Willen ab, vgl. Hilgers, Schweigepflicht, S. 6; Sauter, Das Berufsgeheimnis, S. 38; Binding, BT I, S. 127; Weizmann, Das Berufsgeheimnis, S. 11 f.; Ostendorf, JR 1981, 444, 447 f.; Stut, Das ärztliche Geheimnis, S. 12; i. E. wohl dennoch modifizieret Theuner, Die ärztliche Schweigepflicht, S. 101; offengelassen, ob der Interessen- oder Willenstheorie zu



E. Das strafrechtliche Berufsgeheimnis51

Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG. Allerdings wollen sie ausgehend von dem informationellen Selbstbestimmungsrecht auf den Willen des Patienten und nicht sein Interesse an der Geheimhaltung als zu schützendes Individualrechtsgut abstellen.121 Da der Inhalt des jeweiligen Geheimnisses hierdurch irrelevant wird und es nur auf den Entscheidungsakt des Patienten ankommt, lässt sich der von der Willenstheorie angestrebte Geheimnisschutz als Protektion der „formellen Privatheit“ beschreiben.122 2. Soziale Theorie Die maßgeblich von Lenckner, Eberhardt Schmidt und Bockelmann vertretene „soziale Theorie“, die ebenfalls als „Gemeinschaftsschutzlehre“ bekannt ist, misst § 203 Abs. 1 Nr. 1 StGB dagegen einen allgemeinschützenden Charakter bei.123 Der Straftatbestand der ärztlichen Schweigepflicht bezwecke das Vertrauen der Allgemeinheit in die Diskretion des Arztes abzusichern und schütze somit insgesamt das Recht der Allgemeinheit auf eine funktionsfähige Gesundheitsversorgung.124 Vertreter dieses Ansatzes argumentieren, dass dem verfassungsrechtlich in den Art. 20 Abs. 1 und 28 Abs. 1 S. 1 GG verankerten Sozialstaatsprinzip die Garantie einer funktionsfähigen Gesundheitsversorgung zu entnehmen sei.125 Die Funktionsfähigkeit des Gesundheitswesens beeinflusse ebenfalls weitere wichtige Interessen der Allgemeinheit. So folgen sei: Rogall, NStZ 1983, 1, 4; Schünemann, ZStW 90 (1978), 11, 13; Höflich, Die ärztliche Schweigepflicht, S. 33. 121  Hilgers, Schweigepflicht, S. 6; Sauter, Das Berufsgeheimnis, S. 38  ff., i. E. jedoch modifiziert: Stut, Das ärztliche Geheimnis, S. 12; Binding, BT I, S. 127; Weizmann, Das Berufsgeheimnis, S. 11 f.; Zuck, in: Quaas / Zuck, Medizinrecht, § 72 Rn. 12; wohl auch E. Müller, SÄB 1980, 255; ebenso Theuner, Die ärztliche Schweigepflicht, S. 101. 122  Rogall, NStZ 1983, 1, 4. 123  Lenckner, in: Arzt und Recht, S. 159, 161, 191; ders., NJW 1965, 321, 322; ders., in der 27. Aufl. v. Schönke / Schröder, § 203 Rn. 3; Eb. Schmidt, JZ 1951, 211, 213; Bockelmann, in: Ponsold, Lehrbuch der gerichtlichen Medizin, S. 15; ders., Strafrecht des Arztes, S. 34; Gönner, Die Schweigepflicht des Arztes, S. 15; KG Berlin NJW 1992, 2771; Kierski, MedSach 1963, 205; wohl auch OVG Lüneburg NJW 1997, 2468, 2469. 124  Lenckner, in: Arzt und Recht, S. 159, 161, 191; ders., NJW 1965, 321, 322; ders., in der 27. Aufl. v. Schönke / Schröder, § 203 Rn. 3; Bockelmann, in: Ponsold, Lehrbuch der gerichtlichen Medizin, S. 15; ders., Strafrecht des Arztes, S. 34; Eb. Schmidt, JZ 1951, 211, 213; Gönner, Die Schweigepflicht des Arztes, S. 15; KG Berlin NJW 1992, 2771; Kierski, MedSach 1963, 205; wohl auch OVG Lüneburg NJW 1997, 2468, 2469. 125  Lamprecht, ZRP 1989, 290, obgleich Lamprecht i. E. wohl einen individualistischen Ansatz zu verfolgen scheint.

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1. Kap.: Rechtsquellen des ärztlichen Berufsgeheimnisses

würden effektive Krankenbehandlungen Kosten für den Sozialstaat einsparen126 und infolge von Verkürzungen von Arbeitsausfällen die Kosten für die gesamte Volkswirtschaft mindern.127 Funktionieren könne die Gesundheitsversorgung aber insgesamt nur, wenn die Allgemeinheit Vertrauen in die Verschwiegenheit von Ärzten fasst. Denn nur so könne jener Informationsfluss zwischen Arzt und Patient gewährleistet werden, der zu korrekten Diagnosen und Behandlungen führe.128 3. Berufsbezogene Ansätze Vereinzelt wurde der Schutzzweck der strafrechtlichen Schweigepflicht auch in den Belangen des verschwiegenheitsverpflichteten Arztes bzw. denen seiner Berufsgruppe gesucht.129 So soll die Verschwiegenheitspflicht einerseits die durch Art. 12 Abs. 1 GG verfassungsrechtlich geschützte Berufsausübung des einzelnen Arztes absichern.130 Korrekte Diagnosen und Behandlungen setzten voraus, dass der Patient aufgrund eines strafrechtlich abgesicherten Geheimnisschutzes gewillt ist, dem Arzt uneingeschränkte Auskünfte aus seinen privaten und intimen Bereichen zu geben. Andererseits soll die strafrechtliche Schweigepflicht auch der Standesethik und dem Ansehen der ärztlichen Berufsgruppe zugutekommen. Die Strafnorm des § 203 Abs. 1 Nr. 1 StGB gewährleiste, dass einzelne „schwarze Schafe“ durch die Verletzung des Berufsgeheimnisses nicht ungeahndet das Ansehen der gesamten Ärzteschaft schädigen können. 4. Modifizierte pluralistische Theorien Die aufgezeigten verschiedenen monistischen Ansichten werden – bis auf die Individualschutzlehren – in ihren Reinformen heutzutage nicht mehr 126  Grömig, NJW 1970, 1209, 1210, obgleich i. E. eine modifizierte Theorie vertreten wird. 127  Grömig, NJW 1970, 1209, 1210. 128  Eb. Schmidt, Brennende Fragen, S. 17. 129  Wobei sich kein Vertreter ausschließlich auf ein berufsbezogenes Schutzgut des § 203 StGB beruft. Die Berufsbezogenheit dient in der Regel als ein weiteres Argument zur Untermauerung der sozialen Theorie. Vgl. Arloth, MedR 1986, 295, 296; Kohlhaas, JR 1958, 328, 329; E. Schumann, in: FS Henckel, S. 773, 782; Grömig, NJW 1970, 1209, 1210; Rimpel, SÄB 1980, 353; Henssler, NJW 1994, 1817, 1819. Die berufsbezogenen Ansätze werden jedoch üblicherweise als eigenständige Theorien zur Schutzgutbestimmung dargestellt. Vgl. Darstellungen bei: Theuner, Die ärztliche Schweigepflicht, S. 64 ff.; Kargl, in: NK-StGB, § 203 Rn. 2; Schünemann, in: LK-StGB, § 203 Rn. 14; Müller-Dietz, SÄB 1980, 356, 357; Bosch, JURA 2013,780. 130  Vgl. Arloth, MedR 1986, 295, 296; E. Schumann, in: FS Henckel, S. 773, 782.



E. Das strafrechtliche Berufsgeheimnis53

vertreten. Aus ihnen haben sich im Laufe der Zeit modifizierte Theorien entwickelt, welche mehrere Rechtsgüter unter den Schutz des § 203 Abs. 1 Nr. 1 StGB stellen wollen. So finden sich mittlerweile Ansätze, die den Schutzzweck des § 203 StGB gleichwertig durch Individual,- Sozial- und Berufsinteressen bestimmen wollen.131 Andere sehen die verschiedenen Rechtsgüter in einem Rangverhältnis und vertreten unterschiedliche Ansichten dazu, welches Rechtsgut einen vorrangigen Schutz genießen soll. In den Augen der Anhänger der sogenannten „modifizierten sozialen Theorie“ genießt das Vertrauen der Allgemeinheit in die ärztliche Verschwiegenheit den primären Schutz des § 203 Abs. 1 Nr. 1 StGB.132 Individualrechtsgüter seien nachrangig geschützt. Als herrschende Meinung ist mittlerweile die sogenannte „modifizierte individualistische Theorie“133 anzusehen. Nach ihr soll § 203 Abs. 1 Nr. 1 StGB primär durch einen individualistischen Schutzcharakter ausgezeichnet sein. Die Vorschrift bezwecke darüber hinaus aber ebenfalls das Vertrauen der Allgemeinheit in die Verschwiegenheit der Ärzte und somit die Funktionsfähigkeit der Gesundheitsversorgung aufrecht zu erhalten. Jedoch endet an diesem Punkt der Konsens. Zwischen den Anhängern der herrschenden Meinung besteht im Weiteren Uneinigkeit darüber, ob der individualistische Schutzzweck in dem „Vertrauen“, dem „Interesse“ oder dem „Willen“ des Einzelnen zu erblicken ist. Die Mehrheit scheint zu einem 131  Zakrzewski, Abgrenzung der ärztlichen Schweigepflicht, S. 53; Müller-Dietz, SÄB 1980, 356, 357; wohl auch Ulsenheimer, Arztstrafrecht, I § 8 Rn. 361 u. W. Kraft, Ermittlungstätigkeit des Sachverständigen, S. 24. 132  OLG Karlsruhe NJW 1984, 676; OLG Köln NStZ 1983, 412, 413; B. Müller, Schweigepflicht S. 12; Eser, Strafrecht III, S. 174; Eb. Schmidt, NJW 1962, 1745, 1747; Haffke, GA 1973, 65, 67; Mörsberger, in: Wiesner, StGB § 203 Rn. 1; Gunder, Kinder im Strafverfahren, S. 117; Schlund, JR 1977, 269; B. Lilie, Medizinische Datenverarbeitung, S. 78; Deschl, Berufsgeheimnis, S. 15; Kaufmann, NJW 1958, 272, 274. 133  BGH NJW 1968, 2288, 2290; NJW 1991, 2955, 2956; Tsambikakis, in: FAKomm-MedR, § 203 StGB Rn. 2; Bosch, JURA 2013,780, 781; D. Bender / Schreiber, in: Ethische Grundlagen der Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie, S. 158; Heger, in: Lackner / Kühl, § 203 Rn. 1; Cierniak / Pohlit, in: MüKo-StGB, § 203 Rn. 5; Michalowski, ZStW 109 (1997), 519, 522; Kawelovski, Kriminalistik 2015, 388, 390; Goedel, Pflichten und Berechtigungen, S. 28; Grömig, NJW 1970, 1209, 1210; Wichmann, Das Berufsgeheimnis, S. 165, 181; Krey / Hellmann / Heinrich, BT I, Rn. 552; Hilgendorf, in: Arzt / Weber / Heinrich / Hilgendorf, BT, § 8 Rn. 29; Erlinger / Warntjen / Bock, in: MAH Strafverteidigung, § 50 Rn. 129; Hübner, Umfang und Grenzen, S. 64 f.; Eichelbrönner, Grenzen der Schweigepflicht, S. 62; Hasenburg, in: Ärztliche Schweigepflicht, S. 19; Kierski, Rechtskunde für medizinische und pharmazeutische Assistenzberufe, S. 104; Braun, in: Roxin / Schroth, HdB Medizinstrafrecht, S. 225; Samson, in: SK-StGB, 4. Aufl., § 203 Rn. 4; Gaidzik, in: NK-MedR, § 203 StGB Rn. 1; Kl. Schmidt, Ärztliche Schweigepflicht und Sozialdatenschutz, S. 24.

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1. Kap.: Rechtsquellen des ärztlichen Berufsgeheimnisses

individualistischen Schutzzweck gemäß der Interessentheorie zu tendieren.134 Bei einigen Anhängern der herrschenden Meinung fehlt diesbezüglich aber auch jegliche Differenzierung oder genaue Aussage.135 5. Stellungnahme a) Historie Die historischen Wurzeln der ärztlichen Schweigepflicht liegen in der Standesethik und dem Standesrecht der Ärzteschaft.136 So finden sich als Standesregeln formulierte Hinweise auf die ärztliche Schweigepflicht bereits in der brahmanischen Periode Indiens, die um das Jahr 800 v. Chr. datiert wird.137 Jene Verschwiegenheitsverpflichtungen galten nicht vorrangig dem Schutz des Patienten. Die Ärzte unterwarfen sich der Schweigepflicht vielmehr aus mystisch-religiöser Ehrfurcht vor ihrem privilegierten Ärztestatus in einer Form der „innerweltlichen Askese“.138 Als das bekannteste Werk unter den verschiedenen historischen Quellen der ärztlichen Standesethik gilt wohl der Eid des Hippokrates aus der pythagoreischen Schule um 460 bis 375 v. Chr.139 Die in ihm enthaltende Schweigepflicht sollte nicht nur den Patienten schützen sondern auch absichern, dass das geheime Wissen der Medizinkünste nur an Angehörige der Heilberufe weitergegeben wird und der Beruf des Arztes seinen privilegierten Status beibehält.140 Die ärztliche Verschwiegenheitsverpflichtung tauch134  Vgl. OLG Hamm NJW 2001, 1957, 1958; OLG Köln NJW 2000, 3656; Hoy­ er, in: SK-StGB, § 203 Rn. 7; Lenckner / Eisele, in: Schönke / Schröder, § 203 Rn. 5, 7; Rogall, NStZ 1983, 1, 6; Cierniak / Pohlit, in: MüKo-StGB, § 203 Rn. 20; Knauer / Brose, in: Spickhoff, Medizinrecht, § 205 Rn. 2; Heger, in: Lackner / Kühl, § 203 Rn. 14; Langkeit, NStZ 1994, 6; Kierski, Rechtskunde für medizinische und pharmazeutische Assistenzberufe, S. 106; Bartsch, Ärztliche Schweigepflicht, S. 36 ff.; Krey / Hellmann / Heinrich, BT I, Rn. 555; Schreiner, Drittgeheimnisse, S. 38 ff., 46; Hilgendorf, in: Arzt / Weber / Heinrich / Hilgendorf, BT, § 8 Rn. 32 jeweils m. w. N. 135  Unklar bleibt, ob die Interessens-, Vertrauens-, oder Willenstheorie den individualistischen Aspekt des pluralistischen Ansatzes bestimmen soll, bspw. bei: Hübner, Umfang und Grenzen, S. 64  f.; Vitkas, Grenzen ärztlicher Schweigepflicht, S. 29, 31; Kl. Schmidt, Ärztliche Schweigepflicht und Sozialdatenschutz, S. 23. Anders hingegen Theuner, Die ärztliche Schweigepflicht, S. 101; Schumacher, Das ärztliche Berufsgeheimnis, S. 18. 136  Muschallik, Die Befreiung, S. 24 f. 137  Stut, Das ärztliche Geheimnis, S. 1; Theuner, Die ärztliche Schweigepflicht, S. 16; Muschallik, Die Befreiung, S. 12; Kl. Schmidt, Ärztliche Schweigepflicht und Sozialdatenschutz, S. 10; Wiebel, Das Berufsgeheimnis, S. 53. 138  Wiebel, Das Berufsgeheimnis, S. 55 f. 139  Schlund, in: Laufs / Kern, HdB Arztrecht, Kp. 12 § 65 Rn. 1; Goedel, Pflichten und Berechtigungen, S. 7 f.



E. Das strafrechtliche Berufsgeheimnis55

te später im europäischen Mittelalter ebenso als Teil von Promotionseiden einzelner medizinischer Fakultäten auf; wobei manche den Hippokratischen Eid wortwörtlich übernahmen.141 In Anbetracht dieser historischen Wurzeln der ärztlichen Schweigepflicht ist anzuerkennen, dass das Berufsgeheimnis zunächst berufsständischen Interessen entsprang. Gleichwohl zeigt die weitere historische Entwicklung des ärztlichen Standesrechts, dass der Grund für die in § 203 Abs. 1 Nr. 1 StGB normierte Schweigepflicht weitestgehend außerhalb von diesen ursprünglichen Zwecken anzusiedeln ist.142 Seit dem 14. Jahrhundert bemühte sich die deutsche Ärzteschaft durch die Bildung ärztlicher Standesvereinigungen zunehmend um ein vereinheitlichtes Standesrecht.143 Die Selbstorganisation der Ärzte resultierte zunächst – abgesehen von einigen städtischen Ärzteverbänden, deren Bildung die städtischen Medizinalordnungen vorgaben144 – in freiwilligen Zusammenschlüssen, wie Ärztevereinen, oder -gesellschaften.145 Im Verlauf des 19. Jahrhunderts entstanden aus diesen Zusammenschlüssen ärztliche Bezirksvereine und Ärztekammern mit eigenen Ehrengerichtsbarkeiten und Satzungen.146 Heutzutage ist jeder zugelassene bzw. berufsausübende Arzt als Pflichtmitglied zwangsweise der Satzungshoheit einer Landesärztekammer und einer Berufsgerichtsbarkeit unterworfen.147 Die Ärzteschaft hat damit ein vom Strafrecht weitestgehend unabhängiges System zur Durchsetzung ihrer berufsständischen Interessen entwickelt.148 Zu diesem System gehört ebenfalls eine berufsrechtliche Verschwiegenheitspflicht, deren Verstoß der Ahndung unterliegt.149 Das Interesse der Ärzteschaft an der Einhaltung der ärztlichen Verschwiegenheit ist demnach bereits durch ihr eigenes Berufsrecht abgesichert.150 Es hätte sogar negative Auswirkungen auf die 140  Theuner,

Die ärztliche Schweigepflicht, S. 17 f. Das Berufsgeheimnis, S. 17 f.; Theuner, Die ärztliche Schweigepflicht, S. 24; Wiebel, Das Berufsgeheimnis, S. 57. 142  Vgl. K. Schumann, Prozessuale Verteidigung, S. 159 ff. 143  Mühlsteff, Medizinalgesetzgebung, S. 147, 161; Taupitz, Standesordnungen, S. 130. 144  Mühlsteff, Medizinalgesetzgebung, S. 139ff.; A. Fischer, Geschichte des deutschen Gesundheitswesens I, S. 187. 145  Taupitz, Standesordnungen, S. 130. 146  Taupitz, Standesordnungen, S. 130, vgl. zur genauen Entwicklung Muschallik, Die Befreiung, S. 16. 147  s. erstes Kapitel A. I. 148  Quaas, in: Quaas / Zuck, Medizinrecht, § 13 Rn. 49; Muschallik, Die Befreiung, S. 16. 149  s. erstes Kapitel A. III. 150  Muschallik, Die Befreiung, S. 37. 141  Sauter,

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1. Kap.: Rechtsquellen des ärztlichen Berufsgeheimnisses

Ahndungsgewalt der Ärzteschaft, wenn dem Straftatbestand des § 203 Abs. 1 Nr. 1 StGB ebenfalls ein berufsständischer Schutzzweck zu Grunde liegen würde. In diesem Fall könnte eine Schweigepflichtverletzung nach erfolgter strafrechtlicher Ahndung nur noch schwer berufsrechtlich geahndet werden, ohne gegen das zuvor beschriebene Übermaßverbot zu verstoßen, da ein berufsrechtlicher „Überhang“ kaum mehr verbleiben könnte.151 Eine Entziehung der Ahndungsgewalt über ein (wenn nicht sogar über das) „Kernstück“152 der ärztlichen Berufspflichten kann aber nicht den Interessen des Berufsstandes entsprechen. Demzufolge spricht die Historie nicht für einen berufsbezogenen Schutzcharakter des § 203 Abs. 1 Nr. 1 StGB, obgleich der historische Ursprung der ärztlichen Schweigepflicht in dem Standesrecht und der Standesethik der Ärzteschaft liegt. Erste gesetzliche Kodifizierungen der ärztlichen Schweigepflicht, die nicht der ärztlichen Standesethik entstammen, begannen im deutschen Raum im 17. Jahrhundert.153 Zuvor wurde die Heilkunst meist als reine Privattätigkeit angesehen, weswegen es nicht für erforderlich erachtet wurde, Ärzte im Interesse der Kranken oder im Interesse der Gesellschaft gesetzlich zur Verschwiegenheit zu verpflichten.154 Ab dem 17. Jahrhundert erkannten die aufkommenden staatlichen Strukturen jedoch zunehmend, welch hohe Bedeutung der Volksgesundheit für ihre wirtschaftliche und militärische ­Zwecke zukam.155 Eine Normierung der Schweigepflicht in medizinischen ­Bereichen wurde unerlässlich. So legte etwa die Württembergische Landesordnung im Jahr 1621 Hebammen eine Schweigepflicht auf.156 Das preußische Medizinaledikt aus dem Jahr 1725 verpflichtete – wenn auch noch 151  s. erstes Kapitel A. III. u. vgl. BVerfG NJW 1970, 507, 509; OVG Münster NJW 1989, 2343, 2344; Reiermann, Der berufsrechtliche Überhang, S. 106, 150 f.; C. Becker, Berufsgerichtliche und kassenarztrechtliche Ahndung, S. 258; SchulzeFielitz, in: Dreier, GG, Art. 103 III Rn. 23; Zielinska, MedR 1990, 316, 319; Ulsenheimer, Arztstrafrecht, II § 3 Rn. 518. 152  Bundesärztekammer, DÄB, 2014, 963; Lenckner, in: Arzt und Recht, 159, 160; Eb. Schmidt, Der Arzt im Strafrecht, S. 3; Ulsenheimer, Arztstrafrecht, I § 8 Rn. 360; Kraatz, Arztstrafrecht, Rn. 231. 153  Vgl. Mühlsteff, Medizinalgesetzgebung, S. 213 ff.; Sauter, Das Berufsgeheimnis, S. 3; Theuner, Die ärztliche Schweigepflicht, S. 43 ff.; A. Fischer, Geschichte des deutschen Gesundheitswesens, Bd. I, S. 161, 187; Bartsch, Ärztliche Schweigepflicht, S. 13. 154  Sauter, Das Berufsgeheimnis, S. 11; Theuner, Die ärztliche Schweigepflicht, S. 46 f. Zuvor existierten im europäischen Mittelalter ärztliche Offenbarungspflichten. So verpflichteten Städte die Angehörigen der Heilkünste zur Meldung von Lepra, Pest oder Syphilis; vgl. Wiebel, Das Berufsgeheimnis, S. 59. 155  A. Fischer, Geschichte des deutschen Gesundheitswesens, Bd. II, S. 308 ff.; Sauter, Das Berufsgeheimnis, S. 20. 156  Sauter, Berufsgeheimnis, S.  17; K. Schumann, Prozessuale Verteidigung, S.  62 f.



E. Das strafrechtliche Berufsgeheimnis57

nicht strafbewehrt – Ärzte in dem Absatz „von den Medicis“ zur Diskre­ tion.157 Eine Strafbewehrung der ärztlichen Schweigepflicht führte erstmals das Allgemeine Preußische Landrecht im Jahr 1794 mit der Vorschrift § 505 ein.158 Das Offenbaren von Gebrechen und Familiengeheimnissen sollte demnach mit Geldbuße geahndet werden.159 Da man die ärztliche Berufsausübung zu dieser Zeit insgesamt als eine „öffentliche Pflicht“ gegenüber der Allgemeinheit verstand, wurde die Verletzung der ärztlichen Schweigepflicht konsequenterweise als eine Straftat gegen die Allgemeinheit aufgefasst.160 Die erste strafbewehrte Kodifizierung der ärztlichen Schweigepflicht wies somit einen allgemeinschützenden Charakter auf.161 Dieses Verständnis änderte sich jedoch im Verlauf der Verhandlungen über die Kodifizierung des Preußischen Strafgesetzbuches. Bei dem Erlass des Preußischen Strafgesetzbuchs orientierte man sich an dem individualistisch geprägten Code Pénal von 1813, welcher in weiten Teilen von Deutschland durch das Rheinische Strafgesetzbuch geltendes Recht war.162 In der Indiskretion eines Berufs- oder Standesangehörigen erblickte man nun eine Ehrverletzung, weswegen § 155 PrStGB als individualschützender Straftatbestand dem Abschnitt über die „Verletzung der Ehre“ zugeordnet wurde.163 Der Straftatbestand des § 155 PrStGB benannte als taugliche Täter ausdrücklich „Medizinalpersonen und deren Gehülfen“; er galt aber darüber hinaus für alle Personen, denen kraft ihres Amtes, Standes oder Gewerbes Geheimnisse anvertraut wurden.164 Für das Strafgesetzbuch für den Norddeutschen Bund hielt man an dem individualschützenden Charakter der Schweigepflicht fest, ordnete den Tatbestand des § 300 jedoch dem Ab157  Bartsch, Ärztliche Schweigepflicht, S. 15; Weizmann, Das Berufsgeheimnis, S. 4; Muschallik, Die Befreiung, S. 12; Schlund, in: Laufs / Kern, HdB Arztrecht, Kp. 12 § 65 Rn. 3. 158  Sauter, Das Berufsgeheimnis, S. 22; Goedel, Pflichten und Berechtigungen, S. 9. 159  Sauter, Das Berufsgeheimnis, S. 22. 160  Theuner, Die ärztliche Schweigepflicht, S. 50. 161  Theuner, Die ärztliche Schweigepflicht, S. 50; Chen, Ärztliche Schweigepflicht, S. 25. 162  Vgl. Beseler, Komm PrStGB, S. 328; Eb. Schmidt, Geschichte der deutschen Strafrechtspflege, S. 250; Weber, in: Baumann / Mitsch / Weber, AT, § 6 Rn. 4; Muschallik, Die Befreiung, S. 13. 163  Vgl. Beseler, Komm PrStGB, S. 321; Theuner, Die ärztliche Schweigepflicht, S. 53. 164  Vgl. Beseler, Komm PrStGB, S. 328 „Medizinalpersonen und deren Gehülfen, sowie alle Personen, welche unbefugterweise Privatgeheimnisse offenbaren, die ihnen kraft ihres Amtes, Standes oder Gewerbes anvertraut sind, werden mit Geldbuße bis zu fünfhundert Thalern oder mit Gefängniß bis zu drei Monaten bestraft.“

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1. Kap.: Rechtsquellen des ärztlichen Berufsgeheimnisses

schnitt „Strafbarer Eigennutz und Verletzung fremder Geheimnisse“ zu.165 Zudem verabschiedete man sich von dem allgemeinen Berufsgeheimnis und machte die Schweigepflicht zu einem Sonderdelikt mit abschließendem Täterkreis.166 Das Strafgesetzbuch für den Norddeutschen Bund wurde im Jahr 1871 unverändert als Strafgesetzbuch für das Deutsche Reich übernommen. Das Delikt der Schweigepflichtverletzung wurde fortan als Bruch eines „Privatgeheimnisses“ bezeichnet, was den verbliebenen individualschützenden Charakter des § 300 RStGB demonstriert.167 In der nationalsozialistischen Zeit wurde der Beruf des Arztes in eine öffentliche Pflicht zur nationalsozialistischen „Rassenkontrolle“ pervertiert, was radikale Änderungen des Berufsgeheimnisses mit sich brachte.168 Dem nationalsozialistischen Gedankengut entsprechend hatte der Schutz des Einzelnen hinter den „höherwertigen Interessen des Volkes“ zurückzutreten.169 Ärzte duften von nun an Geheimnisse ihrer Patienten gemäß § 13 Abs. 3 der Reichsärzteordnung unter anderem dann straffrei offenbaren, wenn die Offenbarung dem „gesunden Volksempfinden“ entsprach.170 Weiterhin legten zahlreiche Gesetze Ärzten nationalsozialistisch geprägte Meldepflichten auf, wie etwa das „Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses“ anordnete, „erbkranke“ Patienten zu melden.171 In der Nachkriegszeit wurde die Strafnorm zum Schutz von Privatgeheimnissen und somit auch die materiell-rechtliche ärztliche Schweigepflicht durch das Dritte Strafrechtsänderungsgesetz 1953 in bewusster Abkehr von den nationalsozialistischen Vorstellungen derart geändert, dass der individualistische Schutzcharakter wieder Vorrang genießen sollte.172 Das Gesetz reformierte ebenfalls den Wortlaut der Vorschrift dahingehend, dass fortan nicht nur „anvertraute“ sondern ebenso „sonst bekanntgewordene“ Geheim165  Vgl. Theuner, Die ärztliche Schweigepflicht, S. 55; Blum, Strafgesetzbuch für den Norddeutschen Bund, S. 427. 166  Vgl. Blum, Strafgesetzbuch für den Norddeutschen Bund, S. 427. Mögliche Täter waren nur noch Rechtsanwälte, Advokaten, Notare, Verteidiger in Strafsachen, Ärzte, Wundärzte, Hebammen, Apotheker, sowie Gehilfen dieser Personen. 167  Vgl. Frank, Strafgesetzbuch für das Deutsche Reich, § 300 I.; Losert, Bruch der Schweigepflicht, S. 9. 168  Thor. Fischer, Der nationalsozialistische Arzt, S. 13; Theuner, Die ärztliche Schweigepflicht, S.  59 ff.; Rüther, DÄB, 1997, 434 ff. 169  Rüther, DÄB, 1997, 434  ff.; Thor. Fischer, Der nationalsozialistische Arzt, S.  12, 17 ff. 170  Vgl. § 13 RÄO vom 13. 12. 1935; Thor. Fischer, Der nationalsozialistische Arzt, S. 13; Theuner, Die ärztliche Schweigepflicht, S. 59 ff.; Goedel, Pflichten und Berechtigungen, S. 12. 171  Vgl. GzVeN vom 14. Juli 1933, RGBl. I, S. 529, u. § 2 des Ehegesundheitsgesetzes, RGBl. I S. 807. 172  BT-Drs. 1 / 3713, S. 18, 19, 42; BGBl. I Nr. 44 1953, S. 735, 743.



E. Das strafrechtliche Berufsgeheimnis59

nisse von dem Tatbestand des § 300 a. F. erfasst wurden.173 Im Jahr 1974 führte das EGStGB diese Strafnorm mit den – bis dahin getrennt normierten – nebenstrafrechtlichen Bestimmungen zum Schutz von Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen und Amtsträgereinzelangaben in den heutigen § 203 StGB zusammen.174 Seitdem besteht der durch § 203 Abs. 1 Nr. 1 StGB vermittelte Schutz vor einem Bruch der ärztlichen Schweigepflicht mit grundsätzlich gleichem Inhalt fort.175 Zusammenfassend ist festzuhalten, dass der Normierung der ärztlichen Schweigepflicht retrospektiv betrachtet kein konstantes Schutzgut zu Grunde gelegen hat. Die jeweilige Ausgestaltung des ärztlichen Berufsgeheimnisses spiegelte vielmehr das herrschende Gesellschaftsbild von dem Verhältnis des Individuums zu dem Staat und Verständnis über die Aufgaben des Arztes wieder.176 Seit der Epoche der Aufklärung – mit Ausnahme der nationalsozialistischen Zeit – war die ärztliche Schweigepflicht allerdings von einem individualistischen Schutzcharakter geprägt. Diesen betonte der Gesetzgeber bei Verfassung des EGStGB eindeutig, indem er die Strafnormen rund um den § 203 StGB mit der „Unverletzlichkeit des persönlichen Lebens- und Geheimbereichs“ rechtfertigte.177 Die jüngste Entstehungsgeschichte des § 203 Abs. 1 Nr. 1 StGB weist somit auf einen individualistischen Schutzcharakter der ärztlichen Schweigepflicht hin.178 b) Gesetzessystematik Für einen solchen individualistischen Schutzcharakter spricht ferner der systematische Standort des Straftatbestandes des § 203 StGB. Dieser gehört als eine Tat gegen den „persönlichen Lebens- und Geheimbereich“ dem 15. Abschnitt des StGB an. Dieser Abschnitt schließt sich unmittelbar den Beleidigungsdelikten des 14. Abschnitts des StGB an, welche zweifelsfrei Individualrechtsgüter schützen.179 173  BT-Drs.

1 / 3713, S. 18, 19, 42 f.; BGBl. I Nr. 44, 1953, S. 735, 743. 7 / 550, S. 235, 237 ff.; BT-Drs. 7 / 1261, S.15; Art. 19 Nr. 85 EGStGB; Cierniak / Pohlit, in: MüKo-StGB, § 203 Rn. 8. 175  Die zahlreichen Änderungen des § 203 StGB (vgl. Kargl, in: NK-StGB, § 203 Rn. 1; jüngst durch Art. 3 des StrÄndG vom 02.08.2000, BGBl. 2000 I Nr. 38, S. 1250, 1261; Art. 2 des Ersten Gesetz zum Abbau bürokratischer Hemmnisse vom 22.08.2006, BGBl. 2006 I Nr. 14, S. 1970, 1971; Art. 17 des Gesetzes zur Neuordnung des Rechtsberatungsrechts, BGBl. 2007 I Nr. 63, S. 2840, 2858) betrafen nicht die ärztliche Schweigepflicht. 176  Bartsch, Ärztliche Schweigepflicht, S. 15. 177  BT-Drs. 7 / 550, S. 235. 178  Rogall, NStZ 1983, 1, 4; Chen, Ärztliche Schweigepflicht, S. 160. 179  Vgl. Zaczyk, in: NK-StGB, vor § 185 Rn. 1 ff. 174  BT-Drs.

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1. Kap.: Rechtsquellen des ärztlichen Berufsgeheimnisses

Vertreter der individualistischen Theorie führen teilweise den Straftatbestand § 353b StGB als ein weiteres systematisches Argument für den individualistischen Schutzcharakter des § 203 StGB an.180 Die Vorschrift des § 353b StGB sanktioniert die Verletzungen von Dienstgeheimnissen oder anderer besonderer Geheimhaltungspflichten und soll zweifelsfrei Interessen der Allgemeinheit schützen.181 Der allgemeinschützende Charakter des § 353b StGB belege angeblich, dass § 203 StGB ausschließlich den Schutz von Individualrechtsgütern bezwecken könne, da ein Geheimnisschutz zu Gunsten der Allgemeinheit aufgrund von § 353b StGB redundant sei.182 Diese Argumentation überzeugt jedoch nur bedingt, da § 353b StGB als echtes Sonderdelikt nur einen Geheimnisschutz durch einen beschränkten Kreis von Verschwiegenheitsverpflichteten gewährt.183 Zwar fallen Täter des § 203 Abs. 2 StGB regelmäßig unter § 353b StGB, wohl aber nicht solche des § 203 Abs. 1 StGB. Das Vertrauen der Allgemeinheit in die ärztliche Diskretion kann demzufolge nicht bereits durch § 353b StGB umfassend geschützt sein. Die Argumentation vermag nur zu überzeugen, falls man allen in § 203 StGB normierten Schweigepflichten einen einheitlichen Schutzzweck zu Grunde legen möchte. Jedoch vermag der Straftatbestand des § 353b StGB auf andere Weise systematisch zu belegen, dass § 203 Abs. 1 Nr. 1 StGB ein individualistisches Schutzgut zu Grunde liegt: Die Verortung von § 353b StGB als eine „Straftat im Amt“ in dem 30. Abschnitt des StGB demonstriert, dass der Gesetzgeber geheimnisschützende Strafnormen differenziert in dem Strafgesetzbuch verortet. Somit kann nicht davon ausgegangen werden, dass § 203 StGB „zufälligerweise“ dem 15. Gesetzesabschnitt angehört. Die systematische Verortung des § 203 StGB spricht folglich stark für einen individualschützenden Charakter der Norm. c) Sinn und Zweck der Norm Eine telelogische Untersuchung des Schutzguts der ärztlichen Schweigepflicht birgt die Gefahr eines Zirkelschlusses. So könnte beispielsweise die Rechtsprechung zur Schweigepflichtentbindung184 als teleologisches Argument für die individualistischen Theorien angeführt werden. Eine solche Argumentation verliefe jedoch im Kreis, da die Vorgaben zur Schweige180  R.

Schmitz, JA 1996, 772, 773; Theuner, Die ärztliche Schweigepflicht, S. 77. in: NK-StGB, § 353b Rn. 6; Heger, in: Lackner / Kühl, § 353b Rn. 1; Graf, in: MüKo-StGB, § 353b Rn. 2 m. w. N. 182  Theuner, Die ärztliche Schweigepflicht, S. 76; R. Schmitz, JA 1996, 772, 773. 183  Kuhlen, in: NK-StGB, § 353b Rn. 8 f. 184  BGH NJW 1992, 2348, 2349; NJW 1970, 1380. 181  Kuhlen,



E. Das strafrechtliche Berufsgeheimnis61

pflichtentbindung nur die Konsequenz derjenigen Ansicht ist, die die Rechtsprechung zu dem Schutzgut der Schweigepflicht vertritt.185 Es ist daher vielmehr zu untersuchen, welche der verschiedenen Theorien mit dem gesetzgeberischen Willen und dem objektiven Sinn und Zweck einer geheimnisschützenden Norm vereinbar ist.186 aa) Schweigepflichtentbindung Der Gesetzgeber geht laut den Gesetzesmaterialien davon aus, dass der Arzt von seiner Schweigepflicht – sei es durch ein tatbestandsausschließendes Einverständnis oder eine rechtfertigende Einwilligung – entbunden werden kann.187 Dieser Aspekt scheint zunächst stark für einen individualistischen Schutzcharakter des § 203 Abs. 1 Nr. 1 StGB zu sprechen. Denn nur der Inhaber eines Individualrechtsgutes vermag über dieses zu verfügen.188 Für Rechtsgüter der Allgemeinheit besitzt ein Individuum dagegen grundsätzlich keine Dispositionsbefugnis.189 Vertreter der sozialen und modifizierten Theorien führen jedoch aus, dass der einzelne Patient als eine Art „Stellvertreter“ der Allgemeinheit fungiere.190 Verzichte der Patient auf den Schutz seiner Geheimnisse, könnten auch nicht die Interessen der Allgemeinheit durch eine Geheimnisoffenbarung tangiert werden. Dies ermöglicht in den Augen der Vertreter der modifizierten und sozialen Schutzgutauffassungen, dass der Arzt von seiner Schweigepflicht – trotz des allgemeinschützenden Charakters – entbunden werden kann.191 Obgleich die Disponibilität des Geheimnisschutzes auf einen individualistischen Schutzcharakter des § 203 Abs. 1 Nr. 1 StGB hindeutet, spricht diese somit nicht zwangsläufig gegen die sozialen und modifizierten Schutzguttheorien. 185  Vgl. Jescheck / Weigend, AT, S. 257; Weber, in: Baumann / Mitsch / Weber, AT, § 9 Rn. 68; Wessels / Beulke / Satzger, AT, Rn. 552; Lenckner / Sternberg-Lieben, in: Schönke / Schröder, vor § 32 Rn. 33; Schlehofer, in: MüKo-StGB, vor § 32 Rn. 135. 186  Pawlowski, Methodenlehre, Rn. 399; zur Synthese von subjektiv-historischer und objektiv-teleologischer Methode: Jescheck / Weigend, AT, S.  156 ff.; Tobinsky, Strafbarkeit des Arztes, S. 89. 187  Vgl. BT-Drs. 7 / 550, S. 236. 188  Wessels / Beulke / Satzger, AT, Rn. 370; Klesczewski, BT, S. 304. 189  Jescheck / Weigend, AT, S. 373. 190  Lenckner, in: Arzt und Recht, S. 159, 177, 178; ders., in der 27. Aufl. v. Schönke / Schröder, § 203 Rn. 22; Eb. Schmidt, NJW 1962, 1745, 1747; Vitkas, Grenzen ärztlicher Schweigepflicht, S. 30, 65. 191  Eb. Schmidt, NJW 1962, 1745, 1747; Lenckner, in: Arzt und Recht, S. 159, 177, 178; Vitkas, Grenzen ärztlicher Schweigepflicht, S. 30, 65; Goedel, Pflichten und Berechtigungen, S. 81.

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1. Kap.: Rechtsquellen des ärztlichen Berufsgeheimnisses

bb) Antragsdelikt Der Gesetzgeber hat die Verletzung der ärztlichen Schweigepflicht mit § 205 Abs. 1 S. 1 StGB als ein absolutes Antragsdelikt ausgestaltet. Dass der Bruch einer Geheimhaltungspflicht nur auf Antrag bzw. auf Grundlage einer besonderen Ermächtigung verfolgt werden darf, entspricht ebenfalls dem objektiven Sinn und Zweck einer jeden geheimnisschützenden Norm. Eine Verfolgung ex officio hätte zur Folge, dass jeder Bruch einer Geheimhaltungspflicht – trotz der Einschränkungen der §§ 171 ff. GVG – grundsätzlich Gegenstand eines zunächst öffentlichen Gerichtsverfahrens werden kann.192 Das Geheimnis wäre somit der (Gerichts)Öffentlichkeit preisgegeben, was die Verletzung perpetuieren würde.193 Die Ausgestaltung als Antragsdelikt deutet zunächst auf einen rein individualschützenden Charakter des § 203 Abs. 1 Nr. 1 StGB hin,194 da es widersprüchlich erscheint, ein Individuum über die strafprozessuale Verfolgung einer gegen Rechtsgüter der Allgemeinheit gerichteten Tat entscheiden zu lassen.195 Jedoch argumentieren die Anhänger der modifizierten und sozialen Theorien, ähnlich wie bei der Schweigepflichtentbindung, dass die Allgemeinheit kein Interesse an einer Strafverfolgung haben könne, wenn der einzelne Geheimnisinhaber keinen Strafantrag gestellt habe.196 Die Strafverfolgung der Schweigepflichtverletzung könne daher – trotz des allgemeinschützenden Charakters des § 203 Abs. 1 Nr. 1 StGB – von der Antragsstellung des einzelnen Geheimnisinhabers abhängig gemacht werden. Theuner wirft – als Vertreterin einer individualistisch geprägten Theorie – dieser „Stellvertretungslösung“ der sozialen und modifizierten Theorien vor, sie sei systemwidrig.197 In ihren Augen könne diese „Stellvertretungslösung“ nur so verstanden werden, dass die Entscheidung des Geheimnisinhabers, keinen Strafantrag zu stellen, eine „stellvertretende“ nachträgliche Genehmigung der Tat darstellt, welche eine Heilung der be192  § 172 I Nr. 3 GVG gibt dem Gericht zwar die Möglichkeit im Ermessen die Öffentlichkeit auszuschließen, falls ein privates Geheimnis erörtert wird, dessen unbefugte Offenbarung durch den Zeugen oder Sachverständigen mit Strafe bedroht ist. Jedoch ist dieser Ausschlussgrund nicht zwingend. Vgl. Diemer, in: KK, GVG § 172 Rn. 1, 9; Theuner, Die ärztliche Schweigepflicht, S. 80. 193  Theuner, Die ärztliche Schweigepflicht, S. 80. 194  Theuner, Die ärztliche Schweigepflicht, S.  80; Michalowski, ZStW 109, (1997), 519, 520; Muschallik, Die Befreiung, S. 26. 195  Theuner, Die ärztliche Schweigepflicht, S. 80. 196  Vitkas, Grenzen ärztlicher Schweigepflicht, S. 30; Eb. Schmidt, NJW 1962, 1745, 1747; Lenckner, in der 27. Aufl. v. Schönke / Schröder, § 203 Rn. 3. 197  Theuner, Die ärztliche Schweigepflicht, S. 81.



E. Das strafrechtliche Berufsgeheimnis63

reits eingetretenen Verletzung der Rechtsgüter der Allgemeinheit herbeiführe.198 Theuner merkt zutreffend an, dass eine nachträgliche Genehmigung und Heilung einer Rechtsgutsverletzung nicht mit dem System des Strafrechts zu vereinbaren sei und kommt daher zu dem Schluss, dass die Lösung der modifizierten und sozialen Theorien systemwidrig sei.199 Diese Kritik vermag jedoch – obgleich sie vom Ergebnis her zu teilen ist – nicht zu überzeugen. Die vorgebrachte Argumentation geht insoweit fehl, als sich die Stellung oder Nicht-Stellung eines Strafantrages ausschließlich als eine prozessuale Voraussetzung darstellt. Eine solche Prozessvoraussetzung liegt stets außerhalb des Unrechts der Tat und hat somit auch keinen Einfluss auf die Verletzung des Rechtsguts.200 Der nach § 77 StGB Antragsberechtigte bleibt unabhängig davon, ob er sich für oder gegen einen Strafantrag entscheidet, in seinen Rechtsgütern verletzt. Der Verzicht auf die Stellung eines Strafantrags kann daher keine nachträgliche Genehmigung der Tat darstellen; er ist vielmehr der Ausdruck von fehlenden Strafverfolgungsinteressen einer bereits verletzten Person.201 Daher kann den modifizierten und sozialen Theorien nicht vorgeworfen werden, dass sie im Falle einer fehlenden Strafantragsstellung zu einer systemwidrigen Heilung von Rechtsgutsverletzungen führen würden. Jedoch können die modifizierten und sozialen Theorien anderweitig kritisch hinterfragt werden. Da die modifizierten und sozialen Theorien den einzelnen Patienten sowohl für die Schweigepflichtentbindung als auch für die Strafantragsstellung als eine Art „Sachwalter“ für die Interessen der Allgemeinheit fungieren lassen wollen, machen sie den allgemeinschützenden Charakter des § 203 Abs. 1 Nr. 1 StGB selbst nur zu einer mittelbaren „Zweitfolge“ und nicht zum eigentlichen Schutzzweck der ärztlichen Schweigepflicht. Erst durch den individualistischen Geheimnisschutz wird das Vertrauen der Allgemeinheit in die Diskretion des Arztes generiert und somit die Funktionsfähigkeit des Gesundheitswesens erhalten. Der allgemeinschützende Charakter des § 203 Abs. 1 Nr. 1 StGB kann somit nach beiden Theorien erst die mittelbare Folge eines individualistischen Geheimnisschutzes sein.202 Da die Entstehungsgeschichte und die Systematik der Norm jedoch stark für einen rein individualistischen Schutzcharakter der ärztlichen Schweigepflicht sprechen, ist es sachgerechter, die positiven Zweitfolgen des individuellen Geheimnisschutzes als bloße Schutzreflexe 198  Theuner,

Die ärztliche Schweigepflicht, S. 81. Die ärztliche Schweigepflicht, S. 81. 200  Kühl, in: Lackner / Kühl, § 77 Rn. 2; Sternberg-Lieben / Bosch, in: Schönke / Schröder, § 77 Rn. 50. 201  Sternberg-Lieben / Bosch, in: Schönke / Schröder, § 77 Rn. 6 ff. 202  Ähnlich Muschallik, Die Befreiung, S. 28. 199  Theuner,

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1. Kap.: Rechtsquellen des ärztlichen Berufsgeheimnisses

und nicht als eigentliches Schutzgut des § 203 Abs. 1 Nr. 1 StGB zu qualifizieren.203 cc) Sonderdeliktscharakter der Norm Die sozialen und modifizierten Theorien sehen sich jedoch durch den Sonderdeliktscharakter des § 203 StGB bestätigt.204 In ihren Augen lasse sich der Sonderdeliktscharakter der Norm nämlich nur damit erklären, dass die Allgemeinheit bestimmten Berufsgruppen – insbesondere solchen, deren Zulassung staatlich reguliert ist – ein besonderes Vertrauen entgegenbringe.205 Mit einem individualistischen Geheimnisschutz könne der Sonderdeliktscharakter hingegen nicht vereinbart werden. Denn nicht nur ein Angehöriger bestimmter Berufsgruppen, sondern jeder mögliche Täter, könne durch einen Geheimnisbruch das Vertrauen, den Willen oder die Interessen einer andern Person verletzten. Ein rein individualistischer Geheimnisschutz müsse folglich zu einem allgemeinen Indiskretionsdelikt führen.206 Allerdings überzeugt diese Argumentation aus mehreren Gründen nicht. Zunächst setzt ein Individuum, genau wie die Allgemeinheit, ein erhöhtes Vertrauen in die Diskretion bestimmter Berufsgruppen. Das Vertrauen der Allgemeinheit ist auch nicht mehr als der Konsens mehrerer Individuen. Insoweit kann man sich schon nur schwer vorstellen, wie die Allgemeinheit gewissen Berufsgruppen ein von den Interessen des Individuums losgelöstes Vertrauen entgegenbringen kann.207 Weiterhin ist der Vorwurf, die individualistischen Theorien würden für ihren Geheimhaltungsschutz ein allgemeines Indiskretionsdelikt erfordern, nicht haltbar. Der Sonderdeliktscharakter des § 203 StGB lässt sich mit der Viktimodogmatik des Delikts im Zusammenspiel mit dem Ultima-ratioPrinzip auch auf Grundlage eines individualistischen Schutzzweckes erklären.208 Eine Strafnorm verdient nach dem Ultima-ratio-Prinzip ihre Legitimationen dadurch, dass sie erforderlich und geeignet ist, ein schutzwürdiges 203  Lenckner / Eisele, in: Schönke / Schröder, § 203 Rn. 3; Fischer, § 203 Rn. 2; Krenkel, ZJS 2015, 271, 272; als „Scheinrechtsgut“ bezeichnet dies Chen, Ärztliche Schweigepflicht, S. 157. 204  OLG Köln NStZ 1983, 412, 413; Arloth, MedR 1986, 295, 296; Eser, Strafrecht III, S. 174; Schlund, JR 1977, 269; Cierniak / Pohlit, in: MüKo-StGB, § 203 Rn. 4. 205  OLG Köln, NStZ 1983, 412, 413; Schlund, JR 1977, 256, 269; Kreuzer, NJW 1975, 2232, 2333. 206  Cierniak / Pohlit, in: MüKo-StGB, § 203 Rn. 4. 207  Ebenso Eisele, BT I, Rn. 769. 208  Schünemann, ZStW 90 (1978), 11, 54 f.; ders., in: LK-StGB, § 203 Rn. 16; Amelung, GA 1977, 1, 17, 22.



E. Das strafrechtliche Berufsgeheimnis65

Rechtsgut zu bewahren.209 Wird nun angenommen, die ärztliche Schweigepflicht schützt ein Individualrechtsgut, ist mit dieser Aussage noch keine Entscheidung über die erforderliche Reichweite einer Pönalisierung getroffen. Dem „fragmentarischen“ Schutzcharakter des Strafrechts ist vielmehr immanent, dass das Strafrecht keinen absoluten Schutz vor allen möglichen Rechtsgutsverletzungen, sondern nur vor bestimmten, besonders gravierenden Rechtsgutsverletzungen gewährt.210 Ein individualistischer, strafrechtlicher Geheimhaltungsschutz erfordert somit nicht zwangsläufig, dass ein Individuum vor einem Geheimnisverrat durch alle möglichen Täter bewahrt werden muss. Die Viktimodogmatik des § 203 Abs. 1 StGB – die insbesondere von Schünemann seit den 70er Jahren ergründet wurde – macht vielmehr begreiflich, warum sich die Erforderlichkeit des strafrechtlichen Schutzes vor einem Geheimnisverrat auf die in § 203 Abs. 1 StGB benannten besonderen Verhältnisse beschränkt.211 Als Viktimodogmatik wird im Allgemeinen Teil des Strafrechts vorwiegend ein nicht unumstrittenes Prinzip beschrieben, nach dem die tatbestandliche Reichweite einzelner Normen danach beschränkt werden soll, wie schutzwürdig die Opfer des jeweiligen Deliktes erscheinen.212 Im Rahmen von § 203 Abs. 1 Nr. 1 StGB hat sich die Viktimodogmatik aber ebenso zur Erklärung des Schutzzwecks und der damit einhergehenden tatbestandlichen Ausgestaltung der ärztlichen Schweigepflicht bewährt213: So steht es jedem Einzelnen grundsätzlich frei, Geheimnisse anderen Personen nicht anzuvertrauen und sich somit selbstverantwortlich vor einer Verbreitung seiner Geheimnisse zu schützen. Diese Möglichkeit des Selbstschutzes besteht jedoch innerhalb bestimmter Beziehungen, wie etwa in der Beziehung von Arzt und Patient, gerade nicht. Sachgerechte Diagnose, Behandlung oder Gutachtenerstattung erfordern „zwangsweise“ eine Eröffnung des Privat- und Intimbereichs. Dem Einzelnen wird durch diese „Zwangsbeziehung“ – die gerade typischerweise zu den Berufsgruppen des § 203 Abs. 1 StGB besteht – ein Teil seines informationellen Selbstbestimmungsrechts genommen, welches durch den straf209  Kindhäuser, in: Modernes Strafrecht und Ultima-ratio-Prinzip, S. 29; Weber, in: Baumann / Weber / Mitsch, AT, § 3 Rn. 19; Wessels / Beulke / Satzger, AT, Rn. 9; Schünemann, ZStW 90 (1978), 11, 40. 210  Binding, BT I, S. 20 ff.; Jescheck / Weigend, AT, S.  52 ff. 211  Schünemann, ZStW 90 (1978), 11, 54; ders., in: LK-StGB, § 203 Rn. 16; zust. Lenckner / Eisele, in: Schönke / Schröder, § 203 Rn. 3 u. K. Schumann, Prozessuale Verteidigung, S.  204 ff. 212  Vgl. Eisele, in: Schönke / Schröder, vor §§ 13 ff. Rn. 70b. 213  Schünemann, ZStW 90 (1978), 11, 54; ders., in: LK-StGB, § 203 Rn. 16; zust. Lenckner / Eisele, in: Schönke / Schröder, § 203 Rn. 3 u. K. Schumann, Prozessuale Verteidigung, S.  204 ff.

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1. Kap.: Rechtsquellen des ärztlichen Berufsgeheimnisses

rechtlichen Geheimhaltungsschutz des § 203 Abs. 1 StGB kompensiert wird.214 Erforderlich ist ein strafrechtlicher, individualistischer Geheimnisschutz nach Ultima-Ratio-Gesichtspunkten daher nur für solche Personen, die in einem Verhältnis zu den Angehörigen dieser besonderen Berufsgruppen stehen. Dieser Erforderlichkeit des strafrechtlichen Geheimnisschutzes steht auch nicht entgegen, dass der Patient regelmäßig bereits durch das zivilrechtliche Vertrags- und Deliktsrecht vor einer Indiskretion des Berufsgeheimnisträgers geschützt ist.215 Eine zivilrechtliche Absicherung vermag nicht per se das Erfordernis eines zusätzlichen strafrechtlichen Rechtsgüterschutzes auszuschließen.216 Dies zeigt schon ein Vergleich mit den Strafnormen der §§ 266, 263, 291 StGB, die einen strafrechtlichen Individualrechtsgüterschutz gewähren,217 obwohl dem Opfer typischerweise aus den wirtschaftlichen Beziehungen zugleich zivilrechtliche Ansprüche gegen den Täter zustehen. Weiterhin drücken Strafen sozial-ethische Unwerturteile und damit besondere Missbilligungen aus, was zivilrechtliche Urteile nicht leisten können.218 Das von Anhägern der sozialen und modifizierten Theorien vorgebrachte Argument, dass sich der Sonderdeliktscharakter nur mit Hilfe ihrer Schutzgutauffassung erklären lasse, überzeugt demnach nicht. Es entspricht vielmehr der Viktimodogmatik des Delikts, dass nur Angehörige besonderer Berufsgruppen taugliche Täter des § 203 Abs. 1 StGB sind. Aus dem Sonderdeliktscharakter des § 203 Abs. 1 StGB muss folglich nicht zwingenderweise auf einen allgemeinschützenden Charakter der Norm geschlossen werden. dd) Verfassungsrechtlicher Hintergrund Für einen individualistischen Schutzcharakter des § 203 Abs. 1 Nr. 1 StGB spricht zudem die Bedeutung des Allgemeinen Persönlichkeitsrechts, welches als Teil der „Werteordnung des Grundgesetzes“ auch auf das Strafrecht ausstrahlt.219 Seit dem „Volkzählungsurteil“ des BVerfG gehört zu den 214  Ostendorf,

JR 1981, 444, 447. erstes Kapitel B. 216  Wessels / Beulke / Satzger, AT, Rn. 4; Theuner, Die ärztliche Schweigepflicht, S.  89 ff.; Schünemann, ZStW 90 (1978), 11, 40 ff. 217  So ist bei §§ 263, 266, 291 StGB nach h.A. das Individualrechtsgut des Vermögens Schutzgut, vgl. Kühl, in: Lackner / Kühl, § 263 Rn. 2; Heger, in: Lackner / Kühl, § 266 Rn. 1, § 291 Rn. 1 jeweils m. w. N. 218  B. Lilie, Medizinische Datenverarbeitung, S. 82. 219  Vgl. BVerfG NJW 1958, 257  ff.; BGHSt 13, 117; Weber, in: Baumann / Mitsch / Weber, AT, § 9 Rn. 70; Grabenwarter, in: Maunz / Dürig, Art. 5 Rn. 106; Höflich, Die ärztliche Schweigepflicht, S. 23; Goedel, Pflichten und Berechtigungen, S. 25. 215  s.



E. Das strafrechtliche Berufsgeheimnis67

Ausprägungen des verfassungsrechtlichen Persönlichkeitsschutzes explizit auch ein Recht auf informationelle Selbstbestimmung.220 Demnach steht es jedem Einzelnen frei, über die „Preisgabe und Verwendung seiner persönlichen Daten zu bestimmen.“221 Im Zusammenhang mit medizinischen Daten bedeutet dies, dass alle Informationen über Anamnese, Diagnose oder sonstige ärztliche Maßnahmen der „Privatsphäre des Einzelnen“ angehören und der Wille des Einzelnen, solche Daten vor fremden Einblicken zu bewahren, Achtung verdient.222 Dabei muss der Staat nicht nur seinerseits dieses Grundrecht achten, sondern ist über seinen Schutzauftrag angehalten, ebenfalls Verletzungen durch Private zu verhindern.223 Der Geheimnisschutz, der durch § 203 Abs. 1 Nr. 1 StGB gewährt wird, setzt diesen Schutzauftrag um und muss als verfassungsrechtliche Konkretisierung des Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG verstanden werden.224 Gleichwohl muss das Strafrecht aufgrund seines „fragmentarischen Charakters“ keinesfalls einen der grundrechtlichen Gewährleistung deckungsgleichen Rechtsgüterschutz gewähren, weswegen der verfassungsrechtliche Hintergrund den individualistischen Schutzcharakter des § 203 Abs. 1 Nr. 1 StGB nur indizieren kann.225 Teilweise wird in der vielzitierten „ArztkarteiEntscheidung“ des BVerfG226 sogar eine Bestätigung der modifizierten Theorien zu dem Schutzgut des § 203 Abs. 1 Nr. 1 StGB erblickt.227 Das BVerfG führte folgendes zu der Bedeutung des ärztlichen Berufsgeheimnisses aus: „Wer sich in ärztliche Behandlung begibt, muß und darf erwarten, daß alles, was der Arzt im Rahmen seiner Berufsausübung über seine gesundheitliche Verfassung erfährt, geheim bleibt und nicht zur Kenntnis Unberufener gelangt. Nur so kann zwischen Patient und Arzt jenes Vertrauen entstehen, das zu den Grundvoraussetzungen ärztlichen Wirkens zählt, weil es die Chancen der Heilung vergrößert und 220  BVerfG NJW 1984, 419, 422; Cierniak / Pohlit, in: MüKo-StGB, § 203 Rn. 3; Chen, Ärztliche Schweigepflicht, S. 27. 221  BVerfG NJW 1984, 419, 422. 222  BVerfG NJW 1972, 1123, 1124. 223  BVerfG NJW 1972, 1123, 1124; BVerfG NJW 1958, 257 ff.; BGHSt 13, 117; Weber, in: Baumann / Mitsch / Weber, AT, § 9 Rn. 70; Di Fabio, in: Maunz / Dürig, Art. 2 Rn. 135 f.; Höflich, Die ärztliche Schweigepflicht, S. 23; Husmann, in: jur. Probl. Medizin, S. 186. 224  BT-Drs. 7 / 550, S. 235; Schünemann, ZStW 90 (1978), 11, 19, 22, 27; ders., in: LK-StGB, § 203 Rn. 4; Brettel / Vogt, Ärztliche Begutachtung, S. 75; Klesczewski, BT, S. 303; krit. Popp, in: AnwK-StGB, § 203 Rn. 1; zum staatlichen Schutzauftrag: Di Fabio, in: Maunz / Dürig, Art. 2 Rn. 135, 189; Wessels / Beulke / Satzger, AT, Rn.  6 f. 225  Vgl. Binding, BT I, S.  20 ff.; Jescheck / Weigend, AT, S.  52 f.; K. Schumann, Prozessuale Verteidigung, S. 151. 226  BVerfG NJW 1972, 1123, 1124. 227  Vgl. Eichelbrönner, Grenzen der Schweigepflicht, S. 62.

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1. Kap.: Rechtsquellen des ärztlichen Berufsgeheimnisses

damit – im ganzen gesehen – der Aufrechterhaltung einer leistungsfähigen Gesundheitsfürsorge dient.“228

Obgleich sich dies zunächst wie eine Bestätigung der modifizierten Theorien liest, ist diese Schlussfolgerung nicht zwingend. Soweit das BVerfG ausführt, dass die Schweigepflicht der „Aufrechterhaltung einer leistungsfähigen Gesundheitsfürsorge“ diene, kann dies verfassungsrechtlich sowieso ausschließlich als eine Anerkennung der faktischen, positiven Schutzreflexe eines individualistischen Grundrechtschutzes verstanden werden. Denn das Allgemeine Persönlichkeitsrecht gewährt ausschließlich einen individualistischen Schutz. Die „Aufrechterhaltung einer leistungsfähigen Gesundheitsfürsorge“ ist demnach verfassungsrechtlich nur die mittelbare Folge des individualistischen Grundrechtsschutzes. Das BVerfG führte in der „Arztkartei-Entscheidung“ weiterhin aus, „daß selbst insoweit schutzwürdige Geheimhaltungsinteressen des Einzelnen zurücktreten müssen, wo überwiegende Belange des Gemeinwohls dies zwingend gebieten.“229 Doch auch die von dem BVerfG erwähnten Belange des Gemeinwohls können verfassungsrechtlich nicht als integraler Teil des Schutzbereichs von Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG verstanden werden, sondern sind vielmehr als Schranken des Grundrechtsschutzes anzusehen. Würden die Belange des Gemeinwohls bereits zu dem sachlichen Schutzbereich des Allgemeinen Persönlichkeitsrechtes gehören, wären Einschränkungen zu Gunsten dieser Belange nicht notwendig. In diesem Fall würde ein staatliches Handeln entgegen dem Allgemeinen Persönlichkeitsrecht, aber zu Gunsten der sozialen Belange, keinen Grundrechtseingriff, sondern vielmehr verfassungskonformes Verhalten darstellen. Wenn das BVerfG von überwiegenden Belangen des Gemeinwohls spricht, gibt es folglich allein zu verstehen, dass solche Belange einen Eingriff in das Allgemeine Persönlichkeitsrecht verfassungsrechtlich rechtfertigen können.230 Auf einfach-gesetzlicher Ebene bedeutet dies, dass der Gesetzgeber – falls der Schutz des Allgemeinen Persönlichkeitsrechts mit anderen Gütern von Verfassungsrang kollidiert – diese Rechtsgüter mittels einer praktischen Konkordanz abwägen und gegebenenfalls gesetzliche Einschränkungen für den Geheimhaltungsschutz schaffen muss.231 Spezialgesetzliche Auskunfts- und Meldepflichten, 228  BVerfG

NJW 1972, 1123, 1124. NJW 1972, 1123, 1124. 230  BVerfG NJW 1972, 1123, 1124: „[…] Hier – wie sonst – wird es allerdings entscheidend darauf ankommen, ob der Eingriff in die Privatsphäre des Bürgers bei einer Abwägung, die alle Umstände des Einzelfalles in Betracht zieht, dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz entspricht[…]“. 231  BVerfG NJW 1972, 1123, 1124. 229  BVerfG



E. Das strafrechtliche Berufsgeheimnis69

welche die ärztliche Schweigepflicht zu Gunsten von Belangen des Gemeinwohls durchbrechen, sind das Ergebnis einer solchen praktischen Konkordanz. Insbesondere in den Sozialgesetzbüchern finden sich Offenbarungspflichten, die zur Aufrechterhaltung der Leistungsfähigkeit der sozialgesetzlichen Gesundheitsversorgung und damit zum Wohle der Allgemeinheit die ärztliche Schweigepflicht durchbrechen.232 Ebenso dienen die in dem Infektionsschutzgesetz enthaltenden Meldepflichten gesundheitspolitischen Zwecken und Belangen des Gemeinwohls.233 All diese Belange stehen verfassungsrechtlich jedoch außerhalb des Schutzbereichs von Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG. Diese Ausführungen, die das BVerfG in der „Arztkartei-Entscheidung“ machte, können demzufolge nicht als Bestätigung der sozialen oder modifizierten Schutzgutansichten verstanden werden. Der verfassungsrechtliche Hintergrund spricht vielmehr stark für einen rein individualistischen Schutzcharakter des § 203 Abs. 1 Nr. 1 StGB.234 ee) Spezialgesetzliche Offenbarungspflichten Wie bereits im ersten Kapitel und nun auch bei der Beleuchtung des verfassungsrechtlichen Hintergrunds des Geheimnisschutzes deutlich wurde, existiert eine Reihe von spezialgesetzlichen Vorschriften, welche die ärztliche Schweigepflicht zu Gunsten von Belangen des Gemeinwohls durchbrechen.235 Die Meldepflichten der Infektionsschutzgesetze etwa suspendieren die ärztliche Schweigepflicht genau zu dem Zweck, den die sozialen und modifizierten Theorien unter anderem für die von § 203 Abs. 1 Nr. 1 StGB mittelbar geschützten Interessen halten: gesundheitliche Belange der Allgemeinheit.236 In den Augen vereinzelter Anhänger der individualistischen Theorien soll in solchen kodifizierten Offenbarungspflichten ein Beleg für den rein individualistischen Schutzcharakter des § 203 StGB zu erblicken sein.237 Eine Notwendigkeit solche Offenbarungspflichten zu schaffen könne nur dann bestehen, wenn der Schutzzweck des § 203 Abs. 1 Nr. 1 StGB nicht bereits Belange des Gemeinwohls und Rechtsgüter der Allgemeinheit erfasse. An232  s.

erstes Kapitel C. III. erstes Kapitel C. III. 234  Schünemann, ZStW 90 (1978), 11, 19 f., 27; ders., in: LK-StGB, § 203 Rn. 4. 235  s. erstes Kapitel C. III. 236  Vgl. §§ 7  ff., 11, 12, 49 Infektionsschutzgesetz (IfSG); Sauer, in: Fasselt /  Schellhorn, HSRB, Teil III Rn. 54; Hübner, Umfang und Grenzen, S. 85; Heberer, Das ärztliche Berufs- und Standesrecht, S. 321, 323. 237  In diese Richtung Timm, Grenzen der ärztlichen Schweigepflicht, S. 154. 233  s.

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1. Kap.: Rechtsquellen des ärztlichen Berufsgeheimnisses

derenfalls könne der Tatbestand des § 203 StGB teleologisch zu Gunsten dieser Belange restriktiv ausgelegt werden.238 Diese Argumentation überzeugt jedoch kaum. So könnte man ebenso argumentieren, eine positivrechtliche Normierung von solchen Offenbarungspflichten gebiete sich – auch im Falle eines allgemeinschützenden Charakters – allein schon aus Gründen der Rechtssicherheit. Darüber hinaus lässt eine derartige Sichtweise den verfassungsrechtlichen Hintergrund der Schweigepflicht außer Acht. Da die Strafnorm des § 203 Abs. 1 Nr. 1 StGB als Verfassungskonkretisierung von Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG zu verstehen ist, erfordert ein Eingriff mittels einer Offenbarungspflicht eine gesetzliche Grundlage.239 Teilweise wird aus derartigen spezialgesetzlichen Offenbarungspflichten aber auch gerade ein gegenteiliger Schluss gezogen. Vertreter der modifizierten sozialen Theorie meinen vereinzelt, die Existenz allgemeinschützender Offenbarungspflichten belege, dass § 203 StGB nicht nur Individualrechtsgüter, sondern kollektive Rechtsgüter schütze.240 Doch auch diese Argumentation geht insoweit fehl, als kein strafrechtlicher Schutz eines Rechtsguts schrankenlos gewährt wird.241 Der strafrechtliche Schutz der meisten Individualrechtsgüter gerät spätestens dann an seine Grenzen, wenn ihm anderweitige, wesentlich überwiegende Interessen (der Allgemeinheit) entgegenstehen.242 In einem solchen Falle werden die entgegenstehenden Interessen (der Allgemeinheit) aber nicht per se selbst zum geschützten Rechtsgut der Strafnorm. Insoweit können aus spezialgesetzlichen Vorschriften, die dem Arzt eine Geheimnisoffenbarung zu Gunsten von Belangen des Gemeinwohls auferlegen, keine Rückschlüsse auf das von § 203 Abs. 1 Nr. 1 StGB zu schützende Rechtsgut gezogen werden. 6. Zwischenergebnis Im Zuge einer Gesamtbetrachtung der bereits gewonnenen Erkenntnisse ist festzuhalten, dass die Entstehungsgeschichte, die Gesetzessystematik und 238  Timm,

Grenzen der ärztlichen Schweigepflicht, S. 154. 7 / 550, S. 235; Schünemann, ZStW 90 (1978), 11, 19, 22, 27; ders., in: LK-StGB, § 203 Rn. 4; Brettel / Vogt, Ärztliche Begutachtung, S. 75; Kühl, ZStW 116 (2004), 870, 884 f.; Jescheck / Weigend, AT, S. 7, 50 f.; Zippelius, Rechtsphilosophie, S.  20 f. 240  Arloth, MedR 1986, 295, 296. 241  Selbst der Schutz des Rechtsguts Lebens finden im Falle der Verteidigung gegen einen rechtswidrigen Angriff nach § 32 StGB seine Grenzen. 242  Vgl. RGSt 62, 35, 46 ff.; BGH NStZ 1988, 558, 559; Erb, in: MüKo-StGB, § 34 Rn. 59; Zieschang, in: LK-StGB, § 34 Rn. 23; Fischer, § 34 Rn. 5; Roxin, AT I, § 16 Rn. 13. 239  BT-Drs.



E. Das strafrechtliche Berufsgeheimnis71

der Telos der Norm für ein rein individualistisches Schutzgut des § 203 Abs. 1 Nr. 1 StGB sprechen. Die Disponibilität des Geheimnisschutzes sowie die Ausgestaltung als absolutes Antragsdelikt vermögen einen individualistischen Schutzcharakter zwar nur zu indizieren – da die modifizierten und sozialen Theorien ebenfalls zu diesen Ergebnissen gelangen. Jedoch kommt diesem Indiz vor dem historischen und verfassungsrechtlichen Hintergrund eine durchschlagende Überzeugungskraft zu. Entgegen der Ansicht der herrschenden Meinung befähigen sich somit allein die individualistischen Ansichten zur Schutzgutbestimmung des § 203 Abs. 1 Nr. 1 StGB. Die positiven Auswirkungen, die die strafrechtliche Schweigepflicht auf Belange der Allgemeinheit und Belange des ärztlichen Berufsstandes hat, sind bloße Schutzreflexe der Protektion des Individualrechtsguts.243 Sie haben jedoch keinen Anspruch auf den Status eines geschützten Rechtsguts.244

II. Das zu schützende individualistische Rechtsgut Mit der Erkenntnis, dass § 203 Abs. 1 Nr. 1 StGB einen rein individualistischen Schutz vermittelt, ist jedoch noch keine Aussage über den genauen individualistischen Schutzzweck getroffen. Individualistische Willens-, Interessen- und Vertrauenstheorie unterscheiden sich diesbezüglich und können angesichts ihrer divergierenden Inhalte nur schwer zu einer einheitlichen Schweigepflicht gelangen. Vertreter der Willenstheorie möchten den Willen durch § 203 Abs. 1 Nr. 1 StGB geschützt wissen.245 Nach der Interessentheorie soll hingegen auf das Interesse und das Darstellungsrecht des Geheimnisbetroffenen abzustellen sein.246 Die Anhänger der Vertrauenstheorie erblicken dagegen in dem Vertrauen zwischen Berufsgeheimnisträger und Patient das Schutzgut von § 203 Abs. 1 Nr. 1 StGB.247 Lenkt man den Blick zunächst auf die, früher noch stark vertretene Vertrauenstheorie,248 zeigt sich, dass sie einiger, nicht unberechtigter Kritik ausgesetzt ist, was sich unter anderem auch an der schwindenden Anzahl 243  Fischer, § 203 Rn. 2; Muschallik, Die Befreiung, S. 28; Popp, in: AnwKStGB, § 203 Rn. 1; Krenkel, ZJS 2015, 271, 272; ähnlich Lenckner / Eisele, in: Schönke / Schröder, § 203 Rn. 3. 244  Michalowski, ZStW 109, (1997), 519, 520  ff., 522; Fischer, § 203 Rn. 2; Krenkel, ZJS 2015, 271, 272. 245  s. erstes Kapitel E. I. 1. 246  s. erstes Kapitel E. I. 1. 247  s. erstes Kapitel E. I. 1. 248  RGSt 13, 60, 62 f.; Kohlhaas, GA 1958, 66; Poiger, NJW 1954, 1107; Kierski, DÄB 1956, 621, 622; Hackel, Schweigepflicht bei Gerichtsmedizinern, S. 39 f.; Stucke, Schweigepflicht bei Drittgeheimnissen, S. 33 ff., 47 ff.

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1. Kap.: Rechtsquellen des ärztlichen Berufsgeheimnisses

ihrer Anhänger zeigt.249 Die Vertrauenstheorie führt in ihrer Reinform zu erheblichen Restriktionen des Geheimhaltungsschutzes, da nach ihr die ärztliche Schweigepflicht in Bezug auf solche Geheimnisse zu verneinen ist, die dem Arzt nicht innerhalb eines freiwilligen Vertrauensverhältnisses bekannt werden.250 Kritiker werfen der Vertrauenstheorie oft vor, sie stehe mit dem aktuellen Wortlaut des § 203 Abs. 1 Nr. 1 StGB in Widerspruch.251 Seit dem dritten Strafrechtsänderungsgesetz seien nicht nur „anvertraute“, sondern ebenso „sonst bekanntgewordene“ Geheimnisse von dem Tatbestand der ärztlichen Schweigepflicht erfasst.252 Dem Merkmal der „sonst bekannt geworden“ Geheimnisse komme ein Auffangcharakter zu,253 welcher nicht mit der beschränkenden Bedingung einer Vertrauensbeziehung vereinbar sei.254 Anhänger der Vertrauenstheorie argumentieren indes, die eingeführte Variante der „sonst bekanntgewordenen“ Geheimnisse stelle lediglich klar, dass auch solche Geheimnisse, die dem Arzt nicht ausdrücklich „anvertraut“ wurden, dem strafrechtlichen Schutz unterliegen.255 Beide Varianten der ärztlichen Wahrnehmung müssten jedoch auf der Basis eines Vertrauensverhältnisses geschehen.256 Der Vertrauenstheorie muss demnach nicht zwingenderweise ein Widerspruch zu dem Wortlaut des § 203 Abs. 1 Nr. 1 StGB angelastet werden. Jedoch ist die Vertrauenstheorie, in der Form wie sie früher vertreten wurde, aus anderen Gründen nicht mehr haltbar. Ihre Folgen lassen sich weder mit dem Willen des Gesetzgebers noch mit dem verfassungsrechtlichen Verständnis von dem strafrechtlichen Geheimnisschutz vereinbaren.257 Patienten, die nicht in einem freiwillig gewählten Verhältnis zu ihrem Arzt stehen – wie etwa Strafvollzugsinsassen – dürften nach der Vertrauenstheorie keinen strafbewehrten Geheimnisschutz gewährt 249  Heutzutage finden sich Vertreter der Vertrauenstheorie vorwiegend in den Kommentierungen zu § 53 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 StPO. Vgl. Pfeiffer, StPO, § 53 Rn. 3; Senge, in: KK, § 53 Rn. 19, Krause, in: LR-StPO, § 76 Rn. 2; Ignor / Bertheau, in: LR-StPO, § 53 Rn. 37. 250  Vgl. LG Berlin NStZ 1999, 86; OLG Karlsruhe NJW 1984, 676; Deschl, Berufsgeheimnis, S. 27. 251  OLG Köln NJW 2000, 3656, 3657; Theuner, Die ärztliche Schweigepflicht, S. 98. 252  Vgl. BGBl. I Nr. 44, 1953, 735, 743. 253  OLG Köln NJW 2000, 3656, 3657; Braun, in: Roxin / Schroth, HdB Medizinstrafrecht, S. 238; Bosch, JURA 2013,780, 783; Kraatz, Arztstrafrecht Rn. 238; Tsambikakis, in: FAKomm-MedR, § 203 StGB Rn. 36. 254  Rogall, NStZ 1983, 1, 4. 255  Hackel, Schweigepflicht bei Gerichtsmedizinern, S. 40 f. 256  Hackel, Schweigepflicht bei Gerichtsmedizinern, S. 40 f.; Kreuzer, StV 1983, 144 f. 257  Braun, in: Roxin / Schroth, HdB Medizinstrafrecht, S. 238; Eichelbrönner, Grenzen der Schweigepflicht, S. 60; Sauter, Das Berufsgeheimnis, S. 36 f.



E. Das strafrechtliche Berufsgeheimnis73

bekommen. Ebenso wären Geheimnisse von Patienten, die naturgemäß kein Vertrauen bilden können – wie etwa Säuglinge oder Bewusstlose – strafrechtlich schutzlos gestellt.258 Derartige Restriktionen lassen sich jedoch in Anbetracht der Tatsache, dass sowohl der Gesetzgeber als auch das Bundesverfassungsgericht in dem strafrechtlichen Geheimhaltungsschutz eine verfassungsrechtliche Konkretisierung von Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG erblickt,259 nicht halten. Denn alle natürliche Personen – und somit auch Strafvollzugsinsassen, Säuglinge und Bewusstlose – sind Träger dieses Grundrechts.260 Es ist kein sachlicher Grund ersichtlich, der es gebieten würde, diesen Patienten einen strafrechtlichen Schutz all ihrer Geheimnisse in einer generellen Weise zu entziehen. Ebenso sieht sich die Willenstheorie einiger Kritik ausgesetzt. Teilweise wird auch ihr vorgeworfen, der aus ihr folgende gegenständliche Geheimnisschutz sei zu restriktiv. Der Geheimnisschutz scheitere sowohl in Fällen, in denen der Patient aufgrund von Alter oder Krankheit keinen Geheimhaltungswillen bilden kann, als auch in solchen Fällen, in denen der Patient aufgrund von mangelnder Kenntnis keinen konkreten Geheimhaltungswillen hegen kann.261 Diese Kritik vermag jedoch nicht zu überzeugen. Zwar ist gemäß der Willenstheorie das informationelle Selbstbestimmungsrecht und damit der individuelle Wille über Geheimnisse zu verfügen das zu schützende Rechtsgut des § 203 Abs. 1 Nr. 1 StGB. Gleichwohl macht dies einen konkreten und aktualisierten Willen über die Geheimhaltung eines jeden einzelnen Geheimnisses nicht zwingenderweise zu einem konstitutiven Merkmal des Tatbestandes.262 Da es nach der Doktrin der Willenstheorie vielmehr darauf ankommt, dem Patienten eine möglichst umfassende Entscheidungsgewalt zukommen zu lassen, erscheint es vielmehr sachgerecht, den gegenständlichen Geheimhaltungsschutz nach dieser Ansicht extensiv zu verstehen. Dieses weitreichende Verständnis von dem Umfang des Geheimnisschutzes gibt anderen wiederum Anlass, um Kritik an der Willenstheorie zu üben. Anhänger der Interessentheorie meinen, nicht alle Tatsachen, sondern nur solche, an deren Geheimhaltung verständliche und schützenswerte Interessen bestehen, dürften unter den Tatbestand des § 203 Abs. 1 Nr. 1 StGB fallen.263 Anderenfalls wäre der Arzt mit seiner Schweigepflicht der Willkür 258  Eichelbrönner,

Grenzen der Schweigepflicht, S. 60. 7 / 550, S. 235; BVerfG NJW 1972, 1123, 1124; vgl. Schünemann, ZStW 90 (1978), 11, 19, 22, 27; ders., in: LK-StGB, § 203 Rn. 4. 260  Di Fabio, in: Maunz / Dürig, Art. 2 Rn. 223. 261  Schreiner, Drittgeheimnisse, S. 40. 262  s. zweites Kapitel A. II. 1. c) bb). 263  Ulsenheimer, Arztstrafrecht, I § 8 Rn. 363; Cierniak / Pohlit, in: MüKo-StGB, § 203 Rn. 21; Hoyer, in: SK-StGB, § 203 Rn. 7, letzterer will unter einem Geheim259  BT-Drs.

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1. Kap.: Rechtsquellen des ärztlichen Berufsgeheimnisses

und den „Flausen“ des Patienten und somit überhöhten Strafbarkeitsrisiken ausgesetzt.264 Die Interessentheorie führe daher im Gegensatz zu der Willenstheorie zu einer Einhaltung des Ultima-Ratio-Prinzips.265 Andere sehen hingegen gar keine Notwendigkeit sich zwischen der Willens- und Interessentheorie zu entscheiden,266 da sich die Theorien in ihren Ergebnissen für den Geheimhaltungsschutz kaum unterscheiden würden. Dies mag sogar stimmen, wenn an die geforderten Geheimhaltungsinteressen im Einzelfall keine allzu hohen Ansprüche gestellt werden.267 Gleichwohl stellt sich die Willenstheorie im Zuge einer Gesamtbetrachtung als vorzugswürdig dar. Zunächst erscheint es fragwürdig, den gegenständlichen Geheimnisschutz von verständlichen und schützenswerten Geheimhaltungsinteressen abhängig zu machen, obwohl sich diese restriktive Handhabung nicht dem Wortlaut des § 203 StGB entnehmen lässt.268 Der Tatbestand des § 203 StGB enthält im Gegensatz zu § 201 StGB keinerlei „Bagatellklausel“269, die es erfordern würde, dass die jeweilige Schweigepflichtverletzung geeignet sein muss, berechtigte Interessen zu verletzen.270 Zudem überzeugt das Argument, die Interessentheorie minimiere überzogene Strafbarkeitsrisiken des Arztes,271 nur schwer. Denn auch der aus der Willenstheorie folgende, vergleichsweise extensive Schutz von Geheimnissen führt zu keinem überspannten Strafbarkeitsrisiko des Arztes. Zunächst sollte nicht unterschätzt werden, dass der Bruch der Schweigepflicht als ein reines Vorsatzdelikt ausgestaltet ist. Dies führt in Kombination mit dem Tatbestandsmerkmal des „Geheimnisses“ zu einer weitreichenden Beschränkung des Strafbarkeitsrisikos. Um sich einer Schweigepflichtverletzung strafbar zu machen, muss der Arzt wissen, dass es sich bei der in Rede stehenden Information um ein Geheimnis, d. h. um eine Tatsache handelt, nis sogar nur eine Information verstehen, deren Mitteilung bei Unwahrheit einen Tatbestand der §§ 186 ff. StGB verwirklichen würde. 264  Cierniak / Pohlit, in: MüKo-StGB, § 203 Rn. 20. 265  Cierniak / Pohlit, in: MüKo-StGB, § 203 Rn. 20. 266  Offengelassen v.: Rogall, NStZ 1983, 1, 4; Schünemann, ZStW 90 (1978), 11, 13; Höflich, Die ärztliche Schweigepflicht, S. 33. 267  s. zweites Kapitel A. II. 1. c). 268  Popp, in: AnwK-StGB, § 203 Rn. 6; Theuner, Die ärztliche Schweigepflicht, S. 99. 269  Vgl. Graf, in: MüKo-StGB, § 201 Rn. 38; Heuchemer, in: BeckOK-StGB, § 201 Rn. 26 f.; Kühl, in: Lackner / Kühl, § 201 Rn. 8. 270  Ulsenheimer, Arztstrafrecht, I § 8 Rn. 363; Cierniak / Pohlit, in: MüKo-StGB, § 203 Rn. 21; Hoyer, in: SK-StGB, § 203 Rn. 7. 271  OLG Schleswig NJW 1985, 1090, 1092; Lenckner / Eisele, in: Schönke / Schröder, § 203 Rn. 7; Schünemann, in: LK-StGB, § 203 Rn. 27; Fischer, StGB § 203 Rn. 6.



E. Das strafrechtliche Berufsgeheimnis75

von der bisher keine weiteren oder nur wenige bzw. ausgewählte Personen Kenntnis haben.272 Weiß der Arzt, dass eine Information solche Voraussetzungen erfüllt, kann ihm zugemutet werden, über dieses Geheimnis zu schweigen, auch wenn eine Offenbarung als „Bagatelle“ erscheinen mag. Weiterhin kann der Willenstheorie mit ihrem vergleichsweise extensiven, gegenständlichen Geheimnisschutz nur dann vorgeworfen werden gegen das Ultima-Ratio-Prinzip zu verstoßen, wenn ein solcher Geheimnisschutz für einen effektiven Rechtsgüterschutz nicht erforderlich wäre. Der verfassungsrechtliche Hintergrund von § 203 Abs. 1 Nr. 1 StGB spricht jedoch gerade dafür den Geheimnisschutz extensiv zu verstehen. Das allgemeine Persönlichkeitsrecht gewährt dem Grundrechtsträger eine autonome Bestimmung seiner Lebensgestaltung sowie die Auslebung seiner Individualität und dient in seiner Abwehrfunktion dazu äußere Beeinträchtigungen in diesem Bereich zu verhindern.273 Der verfassungsrechtliche Schutz des Persönlichkeitsrechts richtet sich nicht nach objektiven oder verständlichen, sondern nach subjektiven Maßstäben.274 Dies bestätigt das „Krankenakten-Urteil“ des BVerfG aus dem Jahr 2006. Das BVerfG gab zu verstehen, dass alle Daten des Patienten seinem verfassungsrechtlich geschützten privaten Bereich angehören, ohne dass hierfür weitere Kriterien erfüllt sein müssten.275 Für den verfassungsrechtlichen Schutz kommt es gerade nicht darauf an, dass die Einzelheiten für den Patienten „sozialschädlich, peinlich oder belastend“ sind.276 Es ist vielmehr auf den subjektiven Willen des Geheimnisbetroffenen ist für seinen Geheimnisschutz abzustellen. Der beschriebene verfassungsrechtliche Hintergrund scheint aber auch gerade dafür verantwortlich zu sein, dass bei der Bestimmung des Schutzzwecks von § 203 Abs. 1 StGB allein auf das allgemeine Persönlichkeitsrecht und das informationelle Selbstbestimmungsrecht des Geheimnisbetroffenen abgestellt wird.277 Eine solche Betrachtung lässt jedoch die Sonderbeziehung zwischen Patient und Arzt außen vor, was sich insbesondere an der, an späterer Stelle zu diskutierenden, Drittgeheimnisproblematik zeigen wird.278 Wird allein auf das allgemeine Persönlichkeitsrecht und das infor272  Vgl. Lenckner / Eisele, in: Schönke / Schröder, § 203 Rn. 5, 7; Kargl, in: NKStGB, § 203 Rn. 6; Heger, in: Lackner / Kühl, § 203 Rn. 16; Krey / Hellmann / Heinrich, BT I, Rn. 557. 273  Di Fabio, in: Maunz / Dürig, GG Art. 2 Rn. 147. 274  BVerfG MedR 2006, 586, 587. 275  BVerfG MedR 2006, 586, 587. 276  BVerfG MedR 2006, 586, 587. 277  Vgl. Cierniak / Pohlit, in: MüKo-StGB, § 203 Rn. 79; Muschallik, Die Befreiung, S.  28 ff.; Hübner, Umfang und Grenzen, S. 90. 278  Zweites Kapitel A. II. 4.

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1. Kap.: Rechtsquellen des ärztlichen Berufsgeheimnisses

mationelle Selbstbestimmungsrecht des Geheimnisbetroffenen abgestellt, droht § 203 Abs. 1 Nr. 1 StGB zu einem einfachen datenschutzrechtlichen Straftatbestand zu verkommen.279 Dies würde den Besonderheiten der ärztlichen Schweigepflicht nicht gerecht werden. Die einstig herrschende Vertrauenstheorie wird in ihrer Reinform, wegen ihrer – bereits beschriebenen – restriktiven Auswirkungen auf den Geheimnisschutz kaum noch vertreten. Was an ihr jedoch richtig ist und mittlerweile gemeint ist, wenn von „typischerweise auf Vertrauen basierenden Beziehungen“ gesprochen wird,280 ist die Einbeziehung der Sonderbeziehung in den Schutzzweck des § 203 Abs. 1 StGB. Dass diese für den Schutzweck des § 203 Abs. 1 StGB nicht außer Acht gelassen werden darf, ergibt sich aus der historischen Entwicklung, dem Sonderdeliktscharakter und – trotz allen Streites um ihre Anerkennung281 – aus der Viktimodogmatik des § 203 Abs. 1 StGB.282 Bereits bei dem Entwurf des Strafgesetzbuches für den Norddeutschen Bund wendete man sich von dem allgemeinen Berufsgeheimnis des § 155 PrStGB ab und machte die strafbewehrte Schweigepflicht zu einem Sonderdelikt.283 Ebenso richteten Juristen wie Sauter und Binding ihr Augenmerk bereits lange Zeit vor Ergründung der Viktimodogmatik auf die besonderen Beziehung zwischen Patient und Arzt zur Erklärung des damaligen § 300 RStGB.284 Betrachtet man die mittlerweile in § 203 Abs. 1 abschließend aufgeführten Kreis von Verschwiegenheitsverpflichteten wird deutlich, dass alle eine Gemeinsamkeit haben: Die sie aufsuchenden Personen bringen den Berufsgeheimnisträgern zwar regelmäßig Vertrauen entgegen, aber vor allem sind sie einem gewissen „Zwang“ ausgesetzt, ihre Leistungen in Anspruch zu nehmen. So hat eine Person, die auf medizinischen Sachverstand angewiesen ist, keine andere Wahl, als sich in die Hände eines Arztes zu 279  Vgl. Rüpke, NJW 2002, 2835 ff.; Dies wird sich bei den sog. „Drittgeheimnisse“ zeigen, s. zweites Kapitel A. II. 4. 280  Vgl. Lenckner / Eisele, in: Schönke / Schröder, § 203 Rn. 3; Sommer / Tsambikakis, in: MAH MedR, § 3 Rn. 112; R. Schmitz, JA 1996, 949, 952. 281  Vgl. Roxin, AT I, § 14 Rn. 19 ff. 282  vgl. Schünemann, ZStW 90 (1978), 11, 54; ders., in: LK-StGB, § 203 Rn. 16; Sauter, Das Berufsgeheimnis, S. 38 ff.; Michalowski, ZStW 109 (1997), 519, 521; Theuner, Die ärztliche Schweigepflicht, S. 89 ff.; ähnlich Klesczewski, BT, S. 303; grds. zust. K. Schumann, Prozessuale Verteidigung, S. 202 ff. der jedoch das Erklärungsmodell der Viktimodogmatik durch die staatlich überprüfbare Qualifikation ergänzen will. 283  s. erstes Kapitel E. I. 5. a); vgl. Blum, Strafgesetzbuch für den Norddeutschen Bund, S. 427. Mögliche Täter waren nur noch Rechtsanwälte, Advokaten, Notare, Verteidiger in Strafsachen, Ärzte, Wundärzte, Hebammen, Apotheker, sowie Gehilfen dieser Personen; Schünemann, in: LK-StGB, § 203 Rn. 16. 284  Vgl. Sauter, Berufsgeheimnis, S. 38 ff.; Binding, BT I, S. 126; vgl. K. Schumann, Prozessuale Verteidigung, S. 206 f.; Michalowski, ZStW 109 (1997), 519, 521; Goedel, Pflichten und Berechtigungen, S. 19 ff.; Kühne, NJW 1977, 1478, 1481.



F. Gesamtergebnis zu den Grundlagen des ärztlichen Berufsgeheimnisses77

begeben. Gleiches gilt für den Rechtsbeistand suchenden Mandanten des Anwalts. Den durch § 203 Abs. 1 StGB Verschwiegenheitsverpflichteten ist weiterhin gemein, dass sie besondere, elementare Bedürfnisse befriedigen, hierfür aber einen nahezu uneingeschränkten Einblick in den Privat- und Intimbereich der sie aussuchenden Personen benötigen. Würde der Gesetzgeber in diesen Sonderbeziehungen keinen strafrechtlichen Geheimnisschutz durch § 203 Abs. 1 Nr. 1 StGB gewähren, wäre die effektive Inanspruchnahme dieser wichtigen Leistungen gefährdet. Mit der strafrechtlichen Schweigepflicht schützt der Gesetzgeber diese Sonderbeziehungen. Folglich darf nicht allein auf das in Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG verankerte informationelle Selbstbestimmungsrecht für den Schutzweck der ärztlichen Schweigepflicht abstellt werden. Die Sonderbeziehung zwischen Arzt und Patient ist in den Schutzzweck der Norm miteinzubeziehen. Die ärztliche Schweigepflicht sollte, wie jedes von § 203 Abs. 1 StGB erfasstes Berufsgeheimnis, nicht als bloßer datenschutzrechtlicher Straftatbestand missverstanden werden.

F. Gesamtergebnis zu den Grundlagen des ärztlichen Berufsgeheimnisses Die Durchsicht der verschiedenen Rechtsquellen des ärztlichen Berufsgeheimnisses hat ergeben, dass die strafrechtlichen Normierungen die entscheidende Rolle für die Beleuchtung der aufgeworfenen Problematik der initiativen Straftataufklärung und -verhinderung einnehmen. Die Frage, ob ein Arzt, der ein Straftatopfer behandelt, die Straftat bei den Strafverfolgungsbehörden oder anderen Stellen anzeigen darf oder sogar muss, ist nahezu ausschließlich anhand seiner strafrechtlichen Pflichten und Befugnisse zu beantworten. Gemäß den Erkenntnissen des ersten Kapitels ist weiterhin festzuhalten, dass aus rechtlichen und zeitlichen Gründen die materiell-rechtliche Schweigepflicht und ihre Durchbrechungen maßgeblich für die Problematik der initiativen Straftataufklärung und -verhinderung sind. Der Zweck der materiell-rechtlichen Schweigepflicht des Arztes liegt im Schutz der Sonderbeziehung zwischen Arzt und Patient und des informationellen Selbstbestimmungsrechts des Patienten. Dieser Schutzzweck bleibt zu berücksichtigen, wenn im Folgenden untersucht wird, ob und wie weit sich die Schweigepflicht eines Arztes auch auf Straftaten bezieht und ob der Arzt zur Aufklärung und Verhinderung (weiterer) Taten befugt oder sogar verpflichtet ist.

Zweites Kapitel

Umfang und Grenzen der ärztlichen Schweigepflicht in Bezug auf Straftaten Zur Klärung der berufsgeheimnisrechtlichen Problematik der initiativen Straftataufklärung und -verhinderung gilt es zunächst den gegenständlichen und personellen Umfang der ärztlichen Schweigepflicht zu konstatieren. Denn nur soweit sich der strafrechtlich gewährte Geheimhaltungsschutz auf Straftaten erstreckt, kann eine Straftataufklärung des Arztes in Konflikt mit seiner Schweigepflicht nach § 203 Abs. 1 Nr. 1 StGB geraten.

A. Der strafrechtliche Geheimnisschutz von Straftaten I. Der Arzt als Verschwiegenheitsverpflichteter Die Schweigepflicht des § 203 Abs. 1 Nr. 1 StGB obliegt ausschließlich einem „Arzt, Zahnarzt, Tierarzt, Apotheker oder Angehörigen eines anderen Heilberufs, der für die Berufsausübung oder die Führung der Berufsbezeichnung eine staatlich geregelte Ausbildung erfordert“. Die „Gleichstellungsklausel“ des § 203 Abs. 3 S. 2 StGB erweitert die Schweigepflicht ebenso auf das Hilfs- und Lehrpersonal eines Verschwiegenheitsverpflichteten aus § 203 Abs. 1 Nr. 1 StGB.1 Das Tätermerkmal des „Arztes“ wird durch die Vorschrift des § 203 StGB nicht näher bestimmt. Die herrschende Meinung zieht daher das ärztliche Zulassungsrecht – wie bereits im ersten Kapitel dargestellt – zur akzessorischen Ausfüllung dieses strafrechtlichen Tätermerkmales heran.2 Nach dem sogenannten „formal berufsrechtsbezogenen Arztbegriff“ der herrschenden Meinung soll jeder als „Arzt“ gelten, der nach §§ 2 V, 3 BÄO i. V. m. § 35 ÄAppO eine staatliche Zulassung zur Ausübung eines 1  Theuner,

Die ärztliche Schweigepflicht, S. 104. NJW 1993, 803, 804; Kohlhaas, GA 1958, 65, 66; Lenckner / Eisele, in: Schönke / Schröder, § 203 Rn. 35; Schünemann, in: LK-StGB, § 203 Rn. 61; Kraatz, Arztstrafrecht, Rn. 233; Krauß, ZStW 97 (1985), 81, 88; Hilgers, Schweigepflicht und Zeugnisverweigerungsrecht des Arztes, S. 1 f.; Sauter, Das Berufsgeheimnis, S. 77; Fischer, § 203 Rn. 12; Hoyer, in: SK-StGB, § 203 Rn. 40; Schlund, JR 1977, 265, 266; Maurach / Schroeder / Maiwald, BT 1, § 29 III Rn. 30. 2  BGH



A. Der strafrechtliche Geheimnisschutz von Straftaten79

ärztlichen Berufes innehält oder nach § 10 BÄÖ eine vorübergehende Zulassung erhalten hat. In eine ganz andere Richtung geht eine im Schrifttum immer stärker werdende Meinung.3 Nach dieser sei ein sogenannter „faktischer Arztbegriff“ vorzugswürdig, der frei von der formellen Zulassung des Arztes ist. Für eine Tätereigenschaft i. S. d. § 203 I Nr. 1 1. Alt. StGB soll bereits die deskriptive Tatsachenfeststellung genügen, dass der Täter die ärztliche Berufsbezeichnung faktisch in Anspruch nimmt. Für approbierte, kurativ tätige Ärzte, wie beispielsweise Kinderärzte oder Hausärzte, die im Rahmen von Heilbehandlungen mit Straftatopfern in Kontakt kommen, ergeben sich nach diesen verschiedenen Arztbegriffen keine Unterschiede. Als zugelassene Ärzte, die diese Berufsbezeichnung faktisch in Anspruch nehmen und Straftatopfer medizinisch versorgen, erfüllen sie alle Voraussetzungen der verschiedenen Arztbegriffe. Ihr Hilfs- und Lehrpersonal gilt durch die „Gleichstellungsklausel“ des § 203 Abs. 3 S. 2 StGB ebenfalls als taugliche Verschwiegenheitsverpflichtete.

II. Straftaten als geschützte Geheimnisse Weiterhin bleibt herauszuarbeiten, auf welchen konkreten gegenständlichen Bereich sich die Schweigepflicht bezieht – sprich, über was genau der Arzt Diskretion halten muss. 1. Geheimnisbegriff Die Schweigepflicht des § 203 StGB bezieht sich nach dem Wortlaut der Vorschrift ausschließlich auf Geheimnisse. Die durch § 203 StGB Verpflichteten haben demnach nicht über alle möglichen Informationen und Daten, sondern nur über Geheimnisse zu schweigen. Als Geheimnisse gelten nach der herrschenden Meinung solche Tatsachen, die eine (andere) Person betreffen und einen geheimen Charakter besitzen.4 Ohne Bedeutung ist, welchem Lebensbereich das Geheimnis zuzuordnen ist.5 Der in § 203 StGB enthaltene Passus „namentlich“ verdeut3  Tsambikakis, in: FAKomm-MedR, §  203 StGB Rn. 9; Cierniak / Pohlit, in: MüKo-StGB, § 203 Rn. 28; Eichelbrönner, Grenzen der Schweigepflicht, S. 44; Theuner, Die ärztliche Schweigepflicht, S. 106; Muschallik, Die Befreiung, S. 42 ff.; Bockelmann, in: Ponsold, Lehrbuch der Gerichtlichen Medizin, S. 12; Braun, in: Roxin / Schroth, HdB Medizinstrafrecht, S. 227; Kühne, JZ 1981, 647. 4  Lenckner / Eisele, in: Schönke / Schröder, § 203 Rn. 5, 7; Kargl, in: NK-StGB, § 203 Rn. 6. 5  BGHZ 38, 395; Braun, in: Roxin / Schroth, HdB Medizinstrafrecht, S. 231; Kargl, in: NK-StGB, § 203 Rn. 53; Theuner, Die ärztliche Schweigepflicht, S. 165;

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2. Kap.: Umfang und Grenzen der ärztlichen Schweigepflicht

licht, dass die Kategorien des Privatgeheimnisses und des Betriebs- oder Geschäftsgeheimnisses lediglich als beispielhafte Aufzählung von geschützten Geheimnissen zu verstehen sind.6 Das Merkmal des Geheimnisses erfüllen zweifelsfrei alle behandlungsbezogenen Tatsachen, die erst im Verhältnis zwischen Arzt und Patient bekannt werden – wie etwa die Diagnose einer Krankheit.7 Ist ein Patient jedoch wegen den Folgen einer Straftat in Behandlung, können auch Informationen zu Tage treten, die in keinem unmittelbaren Zusammenhang mit der Anamnese, Diagnose und Behandlung stehen. Kommt eine Straftat als Ursache eines Krankheitsbildes in Betracht, wird das Gespräch zwischen Arzt und Patient nahezu zwangsläufig auf Zusatzinformationen – wie etwa Zeit und Ort des Geschehens, Identität und Tatmotiv des Täters sowie Täter-OpferBeziehung gerichtet.8 Die Rechtsmediziner der Forensischen Ambulanzen fragen die sie aufsuchenden Straftatopfer sogar gezielt nach solchen Informationen.9 Aber selbst wenn ein Patient keinerlei Auskunft zu solchen Umständen machen sollte, können allein schon sein Verhalten und die Begleitumstände des Arztbesuches Rückschlüsse auf die Tat ermöglichen. Insbesondere im Bereich der häuslichen Gewalt, kann von Bedeutung sein, wer den Patienten zum Arzt begleitet und wie sich die Begleitperson verhält.10 Gleichermaßen können Zweifel an der Geheimniseigenschaft von Umständen und Vermutungen aufkommen, wenn diese in keinem Zusammenhang mit dem eigentlichen Vorstellungsgrund des Patienten stehen. Der Arzt kann in der Praxis nämlich nicht nur mit solchen Straftatopfern konfrontiert werden, die ihn gerade wegen den Folgen der Straftat aufsuchen. Es ist ebenso möglich, dass dem Arzt am Körper oder an dem Verhalten des Patienten während einer Routineuntersuchung oder -behandlung Umstände auffallen, die darauf hindeuten, dass der Patient Gewalt erfahren hat. Die Geheimniseigenschaft all dieser Umstände erweist sich für die rechtliche Möglichkeit einer initiativen Straftataufklärung durch den schweigepflichtigen Arzt als besonders relevant. Sollten solche Informationen bereits keine Geheimnisse i. S. d. § 203 StGB darstellen, könnte der Arzt StrafverLenckner / Eisele, in: Schönke / Schröder, § 203 Rn. 24; a. A. Mittenzwei, MedR 1988, 43; Kl. Müller, in: jur. Problematik Medizin, Bd. II, S. 75. 6  Braun, in: Roxin / Schroth, HdB Medizinstrafrecht, S. 231. 7  Vgl. Sommer / Tsambikakis, in: MAH MedR, § 3 Rn. 112. 8  Vgl. Kernbach-Wighton, in: Madea, Rechtsmedizin, S. 481; DGGG / DGPFG, in: Ärztliches Praxishandbuch Gewalt, S. 67 f.; Steffens / Janz, in: Ärztliches Praxishandbuch Gewalt, S. 90 ff. 9  Vgl. Seifert / Heinemann, in: Modellprojekt, S. 32 ff. 10  Stoppt Gewalt gegen Kinder, Leitfaden, S. 29 ff.



A. Der strafrechtliche Geheimnisschutz von Straftaten81

folgungsbehörden oder andere Stellen, wie Jugendämter, informieren, ohne überhaupt tatbestandsmäßig zu handeln. Im Folgenden bleibt daher herauszuarbeiten, ob und inwieweit die einzelnen die Straftat betreffenden Informationen – namentlich die Zustände und Spuren an dem Körper des Patienten, die ärztliche Bewertungen dieser Zustände und Spuren, die Aussagen und das Verhalten des Opfers sowie die Begleitumstände des Arztbesuches – Geheimnisse i. S. d. § 203 StGB darstellen und sie dadurch dem gegenständlichen Geheimhaltungsschutz unterfallen. a) Tatsachen Gemäß der herrschenden Definition eines Geheimnisses muss es sich bei allen Informationen, die die Straftat betreffen, um Tatsachen handeln. Als Tatsachen gelten äußere Vorgänge und Zustände der Vergangenheit oder Gegenwart, die dem Beweis zugänglich sind.11 Dieses Merkmal erfüllen zweifelsfrei alle während der Untersuchung und Behandlung des Straftatopfers ärztlich getroffene Feststellungen und Befunde. Es handelt sich bei ihnen um Zustände und Vorgänge, die dem Beweis zugänglich sind. Auch der Umstand, dass eine bestimmte Person überhaupt Patient des Arztes ist, stellt eine Tatsache dar. Ebenso verhält es sich mit Begleitumständen des Arztbesuches. Welche Person den Patienten zu dem Arzt begleitet hat und wie sich diese Person verhalten hat, ist ebenfalls ein Vorgang, der dem Beweis zugänglich ist. Zweifel können allenfalls an der Tatsacheneigenschaft von Schlussfolgerungen, Prognosen und Vermutungen auftreten, die Patient oder der Arzt in Bezug auf Tatumstände und -hergang zieht und stellt. Sollten derartige Schlussfolgerungen, Prognosen und Vermutungen als bloße Werturteile zu inneren Vorgängen und Zuständen zu werten sein, wären sie mangels Tatsacheneigenschaft von dem gegenständlichen Geheimnisschutz des § 203 Abs. 1 Nr. 1 StGB ausgeschlossen.12 Gerade aus solchen Gründen wird in der berufsgeheimnisrechtlichen Literatur sogar teilweise die These vertreten, der Geheimnisbegriff der herrschenden Meinung sei in Anbetracht des Schutzguts von § 203 Abs. 1 Nr. 1 StGB unvollständig.13 Für einen umfas11  BGHSt 12, 287, 291; OLG Köln, NJW 1993, 1486, 1487; Cierniak / Pohlit, in: MüKo-StGB, § 203 Rn. 12 f.; Stucke, Berufliche Schweigepflicht bei Drittgeheimnissen, S. 18; Valerius, in: BeckOK-StGB, § 186 Rn. 2. Teilweise wird auch versucht anstatt des Tatsachenbegriffes auf „Informationen“ abzustellen, vgl. Chen, Ärztliche Schweigepflicht, S.  166 ff.; Rogall, NStZ 1993, 1, 5. 12  Braun, in: Roxin / Schroth, HdB Medizinstrafrecht, S. 230; Kraatz, Arztstrafrecht, Rn. 235. 13  Chen, Ärztliche Schweigepflicht, S. 166 ff.; Rogall, NStZ 1993, 1, 5.

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2. Kap.: Umfang und Grenzen der ärztlichen Schweigepflicht

senden Geheimnisschutz sei vorzugswürdig ganz allgemein auf „Informationen“ oder „Daten“ abzustellen.14 Gleichwohl führt auch der Geheimnisbegriff der herrschenden Meinung in den vorgetragenen Beispielen nicht zu einem Ausschluss des gegenständlichen Geheimnisschutzes, weswegen im Ergebnis kein Anlass besteht, die Befürchtungen der Gegenansicht zu teilen. Zunächst darf nicht außer Acht gelassen werden, dass auch die herrschende Meinung eine insgesamt möglichst extensive Auslegung des Geheimnisbegriffes befürwortet, um der hohen Bedeutung der Schweigepflicht und des informationellen Selbstbestimmungsrechts des Patienten gerecht zu werden.15 Weiterhin muss die Tatsacheneigenschaft von Vermutungen, Schlussfolgerungen und Prognosen keineswegs zwangsläufig verneint werden. Meinungsäußerungen, Schlussfolgerungen und Prognosen gelten nur dann nicht als Tatsachen, wenn sie gemessen an äußeren Zuständen weder wahr noch unwahr, sondern nur nach der inneren persönlichen Überzeugung falsch oder richtig sein können. Entscheidend ist der Bezug zu äußeren Gegebenheiten.16 Deswegen können selbst innere Vorgänge Tatsachen darstellen, wenn sie mit einem äußeren Tatsachengeschehen in Realitätsbezug stehen.17 Schlussfolgerungen, Prognosen und Vermutungen, die in Bezug auf die Umstände und den Hergang der Straftat getätigt werden, sind nicht ausschließlich Ausdrücke von inneren Überzeugung, sondern können sich auf die äußeren Umstände und Vorgänge der Straftat beziehen. Infolge dieses Realitätsbezuges wird derartigen Informationen eine Tatsacheneigenschaft meist schon zuzugestehen sein. Weiterhin soll nach verbreiteter Auffassung auch der Umstand, dass eine Person eine bestimmte „Meinung vertritt“ als eine eigenständige Tatsache zu werten sein.18 Demzufolge sind auch zu den Tatumständen angestellte Vermutungen, Schlussfolgerungen, Prognosen als Tatsachen i. S. eines Geheimnisses zu verstehen.

14  Chen,

Ärztliche Schweigepflicht, S. 166 ff.; Rogall, NStZ 1993, 1, 5. Memmingen NJW 1996, 793, 794; Langkeit, NStZ 1944, 6; Ulsenheimer, Arztstrafrecht, I § 8 Rn. 362. 16  RGSt 55, 129, 131; Lenckner / Eisele, in: Schönke / Schröder, § 186 Rn. 4; Regge / Pegel, in: MüKo-StGB, § 186 Rn. 5; Zaczyk, in: NK-StGB, § 186 Rn. 2; Valerius, in: BeckOK-StGB, § 186 Rn. 2 f. 17  RGSt 55, 129, 131; Lenckner / Eisele, in: Schönke / Schröder, § 186 Rn. 4; Regge / Pegel, in: MüKo-StGB, § 186 Rn. 5; Zaczyk, in: NK-StGB, § 186 Rn. 2; Valerius, in: BeckOK-StGB, § 186 Rn. 2 f. 18  Bosch, JURA 2013,780, 781; Braun, in: Roxin / Schroth, HdB Medizinstrafrecht, S. 230. 15  LG



A. Der strafrechtliche Geheimnisschutz von Straftaten83

b) Geheimsein (sog. faktisches Begriffselement) Begriffliches Kernelement eines jeden Geheimnisses ist ferner, dass die in Rede stehende Tatsache im wortwörtlichen Sinne geheim ist.19 Zum Zeitpunkt der Offenbarung dürfen die Tatsachen demnach nur möglichst wenigen Personen bekannt sein. Bei Gewalt- und Sexualstraftaten handelt es sich jedoch naturgemäß um Tatsachen, die zumindest zwei Personen – dem Opfer und dem Täter – bekannt sind. In der Regel haben sogar weitere Personen Kenntnis von der Tat. In Betracht kommen Zeugen, weitere Tatbeteiligte, Angehörige des Opfers aber auch Mitarbeiter von bestimmten Einrichtungen, wie beispielsweise von Frauenhäusern, dem Weißen Ring e. V., Schulen o. Ä. Zur genauen Differenzierung zwischen geheimen und nicht-geheimen Tatsachen kann einerseits auf die Quantität der Mitwissenden abgestellt werden.20 Demnach hat eine Tatsache als geheim zu gelten, solange eine „überschaubare Anzahl“ von Mitwissenden existiert.21 Andererseits lässt sich der geheime Charakter einer Tatsache auch danach beurteilen, welche „Qualität“ die Mitwissenden aufweisen. Handelt es sich bei den Mitwissenden um einen „geschlossenen Kreis“, von dem keine Gefahr der unbegrenzten Geheimnisweitergabe ausgeht, kann dem geheimen Charakter der Tatsache auch eine größere Anzahl von Eingeweihten nicht schaden.22 Welcher dieser Ansätze vorzugswürdig ist, bedarf indes keiner weiteren Auseinandersetzung. Die Beurteilung des geheimen Charakters einer Tatsache ist nicht alternativ, sondern kumulativ anhand beider Kriterien vorzunehmen23 und stets von den Umständen des Einzelfalls abhängig.24 Die 19  Heger, in: Lackner / Kühl, § 203 Rn. 14; Weidemann, in: BeckOK-StGB, § 203 Rn. 4; Gössel / Dölling, BT 1, § 37 Rn. 133. 20  Knauer / Brose, in: Spickhoff, Medizinrecht, § 205 Rn. 3; Kargl, in: NK-StGB, § 203 Rn. 6; Rogall, NStZ 1983, 1, 6; Stucke, Schweigepflicht bei Drittgeheimnissen, S. 21; wobei unklar bleibt, was konkret als „überschaubar“ gelten soll. 21  Knauer / Brose, Spickhoff, Medizinrecht, § 205 Rn. 3; Kargl, in: NK-StGB, § 203 Rn. 6; Rogall, NStZ 1983, 1, 6; Stucke, Schweigepflicht bei Drittgeheimnissen, S. 21. 22  Lenckner / Eisele, in: Schönke / Schröder, § 203 Rn. 6; Cierniak / Pohlit, in: MüKo-StGB, § 203 Rn. 15; Kohlhaas, Medizin und Recht, S. 10; Eb. Schmidt, Der Arzt im Strafrecht, S. 26. 23  Schünemann, in: LK-StGB, § 203 Rn. 22; So gehen Weidemann, in: BeckOKStGB, § 203 Rn. 4 und Heger, in: Lackner / Kühl, § 203 Rn. 14 nicht einmal auf die unterschiedlichen Kriterien zur Bestimmung des Geheimnischarakters ein, sondern verweisen auf den Einzelfall. 24  RGSt 42, 394, 396; Cierniak / Pohlit, in: MüKo-StGB, § 203 Rn. 15; Sauter, Das Berufsgeheimnis, S. 116; Braun, in: Roxin / Schroth, HdB Medizinstrafrecht, S. 231.

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2. Kap.: Umfang und Grenzen der ärztlichen Schweigepflicht

Tatsache verliert ihren geheimen Charakter jedoch spätestens, wenn sie offenkundig, d. h. allgemein bekannt oder jedermann ohne weiteres zugänglich ist.25 Folglich ist auch für die Beurteilung des geheimen Charakters der Tatsachen, die während der ärztlichen Untersuchung und Behandlung eines Straftatopfers zu Tage treten, auf die Umstände des Einzelfalls abzustellen. Solange man sich zeitlich vor einer Aufdeckung der Tat oder Strafanzeige befindet, ist der geheime Charakter dieser Tatsachen zumindest noch nicht durch eine öffentliche Gerichtsverhandlung verloren gegangen.26 Weiterhin werden vor Einleitung eines Strafprozesses oder sonstigen Verfahrens regelmäßig nur ausgewählte Personen – wie etwa Angehörige, Mitarbeiter beratender Einrichtungen oder weitere behandelnde Ärzte – in das sensible Thema der Straftat eingeweiht sein. Mitwissende, die mit dem Opfer persönlich verbunden sind, selbst der Schweigepflicht nach § 203 StGB unterliegen oder sich selbstverpflichtend einer (wenn auch strafrechtlich unbedeutenden) zivilrechtlichen oder rein ideellen Schweigepflicht unterwerfen, werden die Informationen als vertraulich und sensibel behandeln. Sie sind daher als „geschlossener Kreis“ anzusehen, von dem keine Gefahr einer unbegrenzten Weitergabe ausgeht. Anders verhält es sich jedoch, wenn eine Vielzahl von Zeugen bei der Straftat zugegen war oder die Informationen den zuvor beschriebenen, besonderen Kreis von Mitwissenden verlassen haben. Sollte im Einzelfall ein unkontrollierbarer oder unüberschaubarer Kreis an Mitwissenden entstanden sein, verliert diese Tatsache ihren geheimen Charakter und der Arzt kann sie mit den Strafverfolgungsbehörden oder sonstigen Stellen teilen, ohne tatbestandsmäßig i. S. d. § 203 Abs. 1 Nr. 1 StGB zu handeln. Jedoch bleibt auch in solchen Fällen genau zu differenzieren, welche der Tatsachen – die Tat als solche, die Tatspuren, die ärztlichen Befunde, die Vermutungen und Aussagen des Opfers oder die Begleitumstände der ärztlichen Untersuchung – ihren geheimen Charakter verloren haben. So kann beispielswiese die Tatsache, dass der Patient Opfer einer Straftat wurde, ihren geheimen Charakter verloren haben; eine andere Tatsache – wie etwa die Identität des Täters – kann aber sehr wohl noch geheim sein. Zudem sollte der Arzt bedenken, dass eine strafrechtlich tatbestandslose Offenbarung von nicht geheimen Tatsachen nicht zwingenderweise vor außerstrafrechtlichen, negativen Konsequenzen schützt. Infolge der inhaltlichen Inkongruenz zu den außerstrafrechtlichen Regelungen des Berufsgeheimnisses kann eine strafrechtlich tatbestandslose Offenbarung dennoch eine zivilrechtliche und / oder berufs25  BGH NJW 1993, 1638, 1639; OLG Frankfurt a. M. NStZ-RR 2005, 235  f.; OLG Köln NJW 2000, 3656; Sauter, Das Berufsgeheimnis, S. 109. 26  Vgl. BGH NJW 1993, 1638, 1639.



A. Der strafrechtliche Geheimnisschutz von Straftaten85

rechtliche Schweigepflichtverletzung darstellen und somit außerstrafrechtliche Konsequenzen nach sich ziehen.27 c) Normatives Begriffselement Nicht unumstritten ist die Frage, ob das Tatbestandsmerkmal des Geheimnisses des Weiteren ein normatives Begriffselement beinhaltet. aa) Geheimhaltungsinteressen Die herrschende Meinung bejaht, trotz aller Kritik,28 die Erforderlichkeit eines solchen Elements.29 In ihren Augen kann ein Geheimnis i. S. d. § 203 StGB nur vorliegen, wenn an der in Rede stehenden Tatsache schützenswerte und verständliche Geheimhaltungsinteressen bestehen.30 Je nach dem was man als schützenswert und verständlich erachten will, kann die Forderung eines solches Merkmals angesichts entgegenstehender Aufklärungsinteressen der Allgemeinheit – oder auch solcher des Opfers – Zweifel an dem Geheimhaltungsschutz von Straftaten aufkommen lassen. Führt man sich die genauen Aussagen der einzelnen Vertreter der herrschenden Meinung vor Augen, wird jedoch klar, dass mehrheitlich keine besonders hohen Anforderungen an die geforderten Geheimhaltungsinteres27  s.

erstes Kapitel A. I. u. B. zur Kritik: erstes Kapitel E. II.; Popp, in: AnwK-StGB, § 203 Rn. 6; Theuner, Die ärztliche Schweigepflicht, S. 99; Chen, Ärztliche Schweigepflicht, S.  172 f. 29  OLG Hamm NJW 2001, 1957, 1958; Hoyer, in: SK-StGB, § 203 Rn. 7; Lenckner / Eisele, in: Schönke / Schröder, § 203 Rn. 5, 7; Rogall, NStZ 1983, 1, 6; Hübner, Umfang und Grenzen, S. 66 f.; Cierniak / Pohlit, in: MüKo-StGB, § 203 Rn. 20; Knauer / Brose, in: Spickhoff, Medizinrecht, § 205 Rn. 2; Heger, in: Lackner / Kühl, § 203 Rn. 14; Langkeit, NStZ 1994, 6; Kierski, Rechtskunde für medizinische und pharmazeutische Assistenzberufe, S. 106; Bartsch, Ärztliche Schweigepflicht, S.  36 ff.; Gössel / Dölling, BT 1, § 37 Rn. 133; Krey / Hellmann / Heinrich, BT I, Rn. 555; Schreiner, Drittgeheimnisse, S. 38 ff., 46; Hilgendorf, in: Arzt / Weber / Heinrich / Hilgendorf, BT, § 8 Rn. 32; Küper / Zopfs, BT, Rn. 255; offengelassen v. Höflich, Die ärztliche Schweigepflicht, S. 33 f. 30  OLG Köln NJW 2000, 3656; OLG Hamm NJW 2001, 1957, 1958; Tsambikakis, in: FAKomm-MedR, § 203 StGB Rn. 28; Kraatz, Arztstrafrecht, Rn. 235; Hübner, Umfang und Grenzen, S. 66 f.; Cierniak / Pohlit, in: MüKo-StGB, § 203 Rn. 20; Knauer / Brose, in: Spickhoff, Medizinrecht, § 205 Rn. 2; Heger, in: Lackner / Kühl, § 203 Rn. 14; Stucke, Berufliche Schweigepflicht bei Drittgeheimnissen, S. 19; Goedel, Pflichten und Berechtigungen, S. 40; Bosch, JURA 2013, 780, 781; Eb. Schmidt, Der Arzt im Strafrecht, S. 31. 28  s.

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2. Kap.: Umfang und Grenzen der ärztlichen Schweigepflicht

sen gestellt werden. Selbst Lenckner31 – der zuweilen ein starker Befürworter der sozialen Schutzgutauffassung war und meinte, die ärztliche Schweigepflicht diene Belangen der Allgemeinheit – verneinte, dass das normative Begriffselement des Geheimhaltungsinteresses den Geheimhaltungsschutz von Straftaten ausschließen könne, obgleich die Allgemeinheit ein Interesse an der Aufklärung haben mag.32 Die Mehrheit derjenigen, die ein Geheimhaltungsinteresse für das Vorliegen eines Geheimnisses verlangt, möchte dieses normative Merkmal aber sowieso nur als Korrektiv verstehen.33 In ihren Augen sollen lediglich überzogene Geheimhaltungspflichten verhindert werden, die anderenfalls aufgrund des Geheimhaltungswillens eines überempfindlichen Patienten oder infolge der Willkür und Launenhaftigkeit eines Patienten entstehen könnten.34 Da das Interesse eines Straftatopfers seine Viktimisierung geheim zu halten, kaum als „Flause“ oder „Willkür“ abgetan werden kann,35 wird ein solcher Maßstab nicht dazu führen, dass Geheimnisse rund um die Viktimisierung des Patienten dem gegenständlichen Geheimhaltungsschutz des § 203 Abs. 1 Nr. 1 StGB entfallen. So kann ein Straftatopfer allein aus Scham, aber auch aus Angst vor persönlichen und finanziellen Einbußen, die etwa mit der Strafverfolgung gegen einen familiär oder persönlich verbunden Täter einhergehen, eine Offenlegung der Tat vermeiden wollen.36 Je mehr die Beurteilung des Geheimhaltungsinteresses jedoch als Frage einer objektiven Interessensabwägung verstanden wird, wie dies etwa das OLG Karlsruhe in einer Entscheidung aus dem Jahr 1983 zum Ausdruck 31  Lenckner, in: Arzt und Recht, S. 159, 161, 191; ders., NJW 1965, 321, 322; ders., in der 27. Aufl. v. Schönke / Schröder, § 203 Rn. 3; anders nun Lenckner / Eisele, in der aktuellen Aufl. v. Schönke / Schröder, § 203 Rn. 5, 7. 32  Lenckner, in: Arzt und Recht, S. 159, 172. 33  OLG Schleswig, NJW 1985, 1090, 1092; Lenckner / Eisele, in: Schönke / Schröder, § 203 Rn. 7; Schünemann, in: LK-StGB, § 203 Rn. 27; Klein, RDG 2010, 172, 173; Muschallik, Die Befreiung, S. 40 f.; Fischer, § 203 Rn. 6; Fleschutz, in: Heberer, Arzt und Recht, S. 250; Hübner, Umfang und Grenzen, S. 67; Braun, in: Roxin / Schroth, HdB Medizinstrafrecht, S. 233. 34  Lenckner / Eisele, in: Schönke / Schröder, § 203 Rn. 7; OLG Schleswig, NJW 1985, 1090, 1092; Schünemann, in: LK-StGB, § 203 Rn. 27; Fischer, § 203 Rn. 6; Fleschutz, in: Heberer, Arzt und Recht, S. 250; Hübner, Umfang und Grenzen, S. 67; Braun, in: Roxin / Schroth, HdB Medizinstrafrecht, S. 233. 35  Lenckner / Eisele, in: Schönke / Schröder, § 203 Rn. 7; OLG Schleswig, NJW 1985, 1090, 1092; Schünemann, in: LK-StGB, § 203 Rn. 27; Fischer, § 203 Rn. 6; Fleschutz, in: Heberer, Arzt und Recht, S. 250; Hübner, Umfang und Grenzen, S. 67; Braun, in: Roxin / Schroth, HdB Medizinstrafrecht, S. 233. 36  Vgl. Kriminalistisch-Kriminologische Forschungsstelle LKA NRW, 2 / 2006, 2.2.3 S. 8 ff.; bei sexueller Gewalt vgl. Wetzels / Pfeiffer, Sexuelle Gewalt, S. 5 ff.; Schwind, Kriminologie, § 20 Rn. 9 f.



A. Der strafrechtliche Geheimnisschutz von Straftaten87

brachte,37 desto eher steht der gegenständliche Geheimhaltungsschutz von Straftaten in Frage. Das OLG Karlsruhe entschied, dass der Verursacher eines Verkehrsunfalls kein schutzwürdiges Interesse an der Geheimhaltung seiner Einlieferung in ein Krankenhaus haben könne, da ein überwiegendes Interesse der Öffentlichkeit an der Aufdeckung von Unfällen im Straßenverkehr bestehe und (unter anderem) deswegen schon kein Geheimnisschutz zu gewähren sei.38 Dem Straftäter wurde im vorliegenden Fall ein schützenswertes Geheimhaltungsinteresse mittels einer objektiven Abwägung abgesprochen, obgleich wohl ein jeder Straftäter ein Interesse an der Verheimlichung seiner Tat aufweist. Überträgt man dieses Verständnis von der Beurteilung eines Geheimhaltungsinteresses auf die Situation eines Straftatopfers, müsste man auch hier zu einer Versagung des gegenständlichen Geheimnisschutzes kommen, da auch den Geheimhaltungsinteressen eines Straftatopfers Interessen der Allgemeinheit an der Aufklärung der Straftat entgegenstehen. Man könnte sogar argumentieren, die Geheimhaltungsinteressen des Straftatopfers wiegen im Verhältnis zu den Aufklärungsinteressen der Allgemeinheit weniger schwer, da dem Opfer – im Gegensatz zu dem Täter – keine Sanktionen infolge der Straftataufklärung drohen. Es muss jedoch stark angezweifelt werden, dass das Erfordernis des Geheimhaltungsinteresses als eine objektive Abwägungsfrage verstanden werden darf.39 Eine derartig objektivierte Restriktion des Geheimnisbegriffes verträgt sich nicht mit dem Schutzzweck der ärztlichen Schweigepflicht. Nach den bisherigen Erkenntnissen bezweckt § 203 Abs. 1 Nr. 1 StGB den Schutz der „formellen Privatheit“.40 Zu wahren ist der subjektive Wille des Patienten und nicht sein objektives Interesse oder gar das der Allgemeinheit.41 Daher verbietet sich eine tatbestandliche Restriktion des Geheimnisschutzes aufgrund einer objektiven Interessenabwägung. Darüber hinaus ist es, wie bereits Samson anmerkte,42 dogmatisch nur schwer haltbar, das Vorliegen eines Tatbestandsmerkmals von einer Interessenabwägung abhängig zu machen.43 Dies würde nicht nur die generelle Bestimmbarkeit des 37  OLG Karlsruhe NJW 1984, 676; rein objektiv bestimmend Goedel, Pflichten und Berechtigungen, S. 41 f. 38  OLG Karlsruhe NJW 1984, 676; zust. Schlund, in: Laufs / Kern, HdB Arztrecht, Kp. 12 § 71 Rn. 39 ff.; krit. Muschallik, ArztR 1984, 235 ff. 39  Sauter, Das Berufsgeheimnis, S. 117 f.; Kargl, in: NK-StGB, § 203 Rn. 4, 7; Kl. Müller, in: jur. Problematik Medizin, Bd. II, S. 90; offengelassen v. Höflich, Die ärztliche Schweigepflicht, S. 33 f. 40  s. erstes Kapitel E. I. 7. 41  s. erstes Kapitel E. I. 7. 42  Samson, in: SK-StGB, 4. Aufl., § 203 Rn. 26. 43  Kargl, in: NK-StGB, § 203 Rn. 7.

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2. Kap.: Umfang und Grenzen der ärztlichen Schweigepflicht

Unrechts einer Schweigepflichtverletzung gefährden;44 Fragen der Rechtswidrigkeit würden zudem fälschlicherweise auf die Tatbestandsebene verlagert werden.45 Folglich kann das Tatbestandsmerkmal des Geheimnisses nicht als eine Frage der Abwägung verstanden werden. Einem Straftatopfer darf daher nicht aufgrund entgegenstehender Aufklärungsinteressen der gegenständliche Geheimhaltungsschutz versagt werden. bb) Geheimhaltungswille Umstritten ist weiterhin Frage, ob der Geheimhaltungswille ein konstitutives, normatives Element eines Geheimnisses darstellt.46 Wenn dem so wäre, entfiele womöglich der tatbestandliche Geheimnisschutz für solche Straftatopfer, die keinen oder keinen konkreten Geheimhaltungswillen bilden können, wie etwa Säuglinge oder Bewusstlose.47 Allerdings muss ein konkreter Geheimhaltungswille – auch im Sinne der Willenstheorie – nicht notwendigerweise als ein konstitutives Merkmal eines Geheimnisses verstanden werden. Zwar ist gemäß der Willenstheorie der individuelle Wille das Rechtsgut, das durch die ärztliche Schweigepflicht nach § 203 Abs. 1 Nr. 1 StGB geschützt werden soll; Angriffsobjekt und Rechtsgut einer Strafnorm müssen sich aber keinesfalls decken.48 Der Geheimhaltungswille muss daher nicht obligatorisch dem Tatbestandsmerkmal des Geheimnisses zugeordnet werden.49 Der Schutzzweck der ärztlichen Schweigepflicht spricht sogar für ein gegenteiliges Verständnis: Ein Bruch der Schweigepflicht führt gemäß der vorzugswürdigen Doktrin der Willenstheorie nur dann zu einer Rechtsgutsverletzung, wenn hierdurch der Wille des Patienten missachtet wurde.50 Der konkrete Geheimhaltungswille des Patienten scheint folglich vielmehr für das Merkmal der „unbefugten Offen44  Samson, in: SK-StGB, 4. Aufl., § 203 Rn. 26; Theuner, Die ärztliche Schweige­ pflicht, S. 99. 45  Samson, in: SK-StGB, 4. Aufl., § 203 Rn. 26. 46  Verneinend etwa Rogall, NStZ 1983, 1, 6; Hoyer, in: SK-StGB, § 203 Rn. 11. Bejahend dagegen: Theuner, Die ärztliche Schweigepflicht, S. 163 ff.; Bartsch, Ärztliche Schweigepflicht, S. 35; Kl. Müller, in: jur. Problematik Medizin, Bd. II, S. 90; Braun, in: Roxin Schroth, HdB Medizinstrafrecht, S. 233; Hübner, Umfang und Grenzen, S. 89, Chen, Ärztliche Schweigepflicht, S. 172 f. 47  Vgl. Muschallik, Die Befreiung, S. 39; Hoyer, in: SK-StGB, § 203 Rn. 11. 48  Jescheck / Weigend, AT, S.  259 f. 49  Tobinsky, Strafbarkeit des Arztes, S. 51; a. A. Theuner, Die ärztliche Schweige­ pflicht, S. 164. 50  s. zweites Kapitel B. I. 2.



A. Der strafrechtliche Geheimnisschutz von Straftaten89

barung“ und nicht für das Merkmal des „Geheimnisses“ relevant zu werden, worauf aber noch an späterer Stelle im Detail einzugehen sein wird.51 Folgendes Verständnis von dem Tatbestand wird dem Schutzzweck des § 203 Abs. 1 StGB gerecht: Als Angriffsobjekt der Schweigepflichtverletzung versteht sich jede geheime Tatsache, die eine Person innerhalb einer Sonderbeziehung (auch unwissentlich) eröffnet oder freigegeben hat, in der sie typischerweise abhängig von ihrem Gegenüber ist – wie etwa der Patient von seinem Arzt oder der Mandant von seinem Anwalt. Sobald eine Tatsache dieser Sphäre angehört, kann sie ein Geheimnis darstellen, über das zu schweigen ist. Für das Vorliegen eines Geheimnisses kommt es gerade nicht darauf an, dass der Patient von dieser Tatsache bereits Kenntnis hat oder einen konkreten Geheimhaltungswillen hegt. Nach der Verkehrsanschauung ist davon auszugehen, dass ein genereller Geheimhaltungswille bezüglich aller solchen Sphären angehörenden Geheimnissen besteht – wie etwa auch einem Hausbesitzer ein genereller Herrschaftswille zum Gewahrsam über in seinem Haus befindlichen Gegenständen unterstellt wird, obgleich er womöglich gar keine konkrete Kenntnis darüber hat, welche Gegenstände sich im Einzelnen in seinem Haus befinden.52 Der konkrete Geheimhaltungswille des Patienten wird erst relevant, wenn es um die unbefugte Offenbarung des Geheimnisses durch den Verschwiegenheitsverpflichteten geht.53 Dass die Mehrheit dieses Verständnis – trotz gegenteiliger Behauptung – im Kern zu teilen scheint, lässt sich daran erkennen, dass nach der überwiegenden Meinung, der Tatbestand des § 203 Abs. 1 Nr. 1 StGB nicht schon durch einen faktisch fehlenden Geheimhaltungswillen des Patienten ausgeschlossen sein soll.54 Der Patient müsse seinen Verzicht auf den Geheimhaltungsschutz vielmehr grundsätzlich gegenüber dem Arzt erklären.55 Und dies soll selbst nach den Ansichten gelten, die den Geheimhaltungswillen als konstitutiven Teil des tatbestandlichen Geheimnismerkmals verstehen.56 51  s.

zweites Kapitel B. I. 2. BGHSt 16, 271, 273; Küper / Zopfs, BT, Rn. 751. 53  s. zweites Kapitel B. I. 2. 54  Vgl. Theuner, Die ärztliche Schweigepflicht, S. 164  ff.; Lenckner / Eisele, in: Schönke / Schröder, § 203 Rn. 24; Weidemann, in: BeckOK-StGB, § 203 Rn. 33 f.; Spickhoff, in: Spickhoff, Medizinrecht, § 203 Rn. 34; Cierniak / Pohlit, in: MüKoStGB, § 203 Rn. 58; Sauter, Das Berufsgeheimnis, S. 138 ff. Braun, in: Roxin / Schroth, HdB Medizinstrafrecht, S. 242 ff. 55  Theuner, Die ärztliche Schweigepflicht, S. 164 ff.; Lenckner / Eisele, in: Schönke / Schröder, § 203 Rn. 24; Weidemann, in: BeckOK-StGB, § 203 Rn. 33 f.; Spickhoff, in: Spickhoff, Medizinrecht, § 203 Rn. 34; Cierniak / Pohlit, in: MüKo-StGB, § 203 Rn. 58. 56  Vgl. Sauter, Das Berufsgeheimnis, S. 138 ff.; Theuner, Die ärztliche Schweige­ pflicht, S. 163; Braun, in: Roxin / Schroth, HdB Medizinstrafrecht, S. 233. 52  Vgl.

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2. Kap.: Umfang und Grenzen der ärztlichen Schweigepflicht

cc) Zwischenergebnis Als Zwischenergebnis ist demnach festzuhalten, dass alle Tatsachen, die eine Straftat betreffen – trotz entgegenstehender Aufklärungsinteressen – grundsätzlich taugliche Geheimnisse i. S. d. § 203 Abs. 1 StGB darstellen. Der Geheimniseigenschaft schadet es nicht, dass das Straftatopfer womöglich aus Alters- oder Gesundheitsgründen keinen konkreten Geheimhaltungswillen bilden kann. 2. „Als“ Arzt anvertraut oder bekannt geworden Weitere Voraussetzung für den gegenständlichen Geheimhaltungsschutz eines Geheimnisses ist laut des Tatbestands des § 203 Abs. 1 Nr. 1 1. Alt StGB, dass der Arzt von dem Geheimnis „als Arzt“ Kenntnis erlangt hat. Art und Weise der Kenntniserlangung sind infolge des Dritten Strafrechtsänderungsgesetzes von 1953 irrelevant,57 da seitdem nicht nur „anvertraute“, sondern auch „sonst bekanntgewordene Tatsachen“ von dem strafrechtlichen Geheimnisschutz mitumfasst sind.58 Entscheidend ist somit allein, ob ein innerer Zusammenhang zwischen Kenntniserlangung und der Arzteigenschaft besteht – obgleich strittig ist, was dieser Anforderung genügen soll.59 Die herrschende Meinung will diesen inneren Zusammenhang bejahen, sobald der Arzt in seiner berufstypischen Funktion von dem Geheimnis Kenntnis erlangt.60 Vertreten werden aber auch sogenannte „materielle Arztbegriffe“, nach denen der innere Zusammenhang von weiteren materiellen Voraussetzungen der ärztlichen Tätigkeit abhängen soll. Teilweise wird gefordert, die ärztliche Tätigkeit müsse auf eine kurative Heilbehandlung abzielen;61 andere machen eine Vertrauensbeziehung zwischen Arzt und 57  BGBl. I

Nr. 44, 1953, 735, 743. in: Lackner / Kühl, § 203 Rn. 16; Krey / Hellmann / Heinrich, BT I, Rn. 557; Muschallik, Die Befreiung, S. 44 ff. 59  Offengelassen v. BGH NJW 1985, 2203, 2204; vgl. Darstellungen: Hanack, JR 1986, 35 ff. Als Grenze der gegenständlichen Erfassung gilt der Missbrauch, vgl. LG Köln NJW 1959, 1598 ff. 60  BGH NStZ 1993, 142; OLG Köln NJW 2000, 3656, 3657; OLG Hamburg NJW 1962, 689, 691; Cierniak / Pohlit, in: MüKo-StGB, § 203 Rn. 40; Sauter, Das Berufsgeheimnis, S. 77; Losert, Bruch der Schweigepflicht, S. 40; Höflich, Die ärztliche Schweigepflicht, S. 41; Sommer / Tsambikakis, in: MAH MedR, § 3 Rn. 112; Wessels / Hettinger, BT 1, Rn. 565. 61  Arloth, MedR 1986, 295, 296; Stut, Das ärztliche Geheimnis, S. 4; Hackel, Schweigepflicht bei Gerichtsmedizinern, S. 45; Hübner, Umfang und Grenzen, S. 74. 58  Heger,



A. Der strafrechtliche Geheimnisschutz von Straftaten91

Patient zur Voraussetzung des Geheimnisschutzes.62 Teilweise wird aber auch angenommen, beide materiellen Voraussetzungen müssten in kumulativer Weise vorliegen.63 Ein kurativ tätiger Arzt, wie etwa ein Kinderarzt oder ein Hausarzt, bei dem ein Straftatopfer in Behandlung ist, nimmt Geheimnisse regelmäßig nach allen Ansichten „als Arzt“ wahr – und zwar Unabhängig davon ob die Straftat mit dem eigentlichen Vorstellungsgrund des Patienten zusammenhängt oder nicht. Zu unterschiedlichen Ergebnissen können die verschiedenen Ansätze jedoch gelangen, wenn etwa ein bewusstloses Straftatopfer in das nächstgelegene Krankenhaus eingeliefert wird und der behandelnde Arzt die Patientengeheimnisse somit nicht aufgrund eines freiwillig gewählten Vertrauensverhältnisses wahrnimmt.64 Jedoch sind solche, auf der Vertrauenstheorie basierende, Restriktionen des gegenständlichen Geheimnisschutzes, wie bereits ausgeführt, nicht mit dem Schutzzweck des § 203 Abs. 1 Nr. 1 StGB vereinbar.65 Der Geheimhaltungsschutz, den der Straftatbestand des § 203 StGB generiert, wird als eine verfassungsrechtliche Konkretisierung von Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG verstanden,66 weswegen allen natürlichen Personen – und somit ebenfalls Bewusstlosen – ein strafrechtlicher Geheimnisschutz zukommen muss. Daher nimmt auch ein Arzt, der bewusstlose Straftatopfer behandelt, Geheimnisse „als Arzt“ wahr. 3. Zwischenergebnis Gemäß den bisherigen Erkenntnissen sind grundsätzlich alle Tatsachen, die mit der Straftat in Zusammenhang stehen – namentlich die körperlichen Zustände und Tatspuren, die ärztliche Bewertungen dieser Befunde, die Diagnose und Behandlung sowie alle anamnestischen Zusatzinformationen und Begleitumstände – als Geheimnisse i. S. d. § 203 StGB anzuerkennen. Einzige Ausnahme bilden solche Tatsachen, die nicht mehr geheim im wortwörtlichen Sinne sind.

62  Kierski, DÄB 1956, 621, 622; Deschl, Berufsgeheimnis, S.  27; Hackel, Schweigepflicht bei Gerichtsmedizinern, S. 33 ff.; LG Berlin NStZ 1999, 86; OLG Karlsruhe NJW 1984, 676; Hübner, Umfang und Grenzen, S. 74; Fleschutz, in: Heberer, Arzt und Recht, S. 251. 63  LG Köln NJW 1959, 1599; für Sachverständige: Ignor / Bertheau, in: LRStPO, § 53 Rn. 38 f. 64  Vgl. OLG Karlsruhe NJW 1984, 676. 65  Braun, in: Roxin / Schroth, HdB Medizinstrafrecht, S. 238; Theuner, Die ärztliche Schweigepflicht, S. 98; Eichelbrönner, Grenzen der Schweigepflicht, S. 60, Sauter, Das Berufsgeheimnis, S. 36 f.; s. erstes Kapitel E. II. 66  Schünemann, ZStW 90 (1978), 11, 19 ff., 27; ders., in: LK-StGB, § 203 Rn. 4.

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2. Kap.: Umfang und Grenzen der ärztlichen Schweigepflicht

4. Drittgeheimnisproblematik Allerdings bereitet der, Straftaten zwangsläufig anhaftende Drittbezug weitere Probleme für den Geheimnisschutz. Eine Straftat betrifft nicht nur das Opfer, sondern auch den Täter. Es stellt sich folglich die Frage, ob solche Geheimnisse ebenfalls als Drittgeheimnisse des Täters dem gegenständlichen Schutz des § 203 Abs. 1 Nr. 1 StGB unterfallen und der Patient infolgedessen über den Geheimhaltungsschutz nicht mehr allein verfügen kann. a) Tatbestandliche Erfassung von Drittgeheimnissen Bereits die tatbestandliche Erfassung von Drittgeheimnissen wird wegen des tatbestandlich notwendigen inneren Zusammenhangs zwischen ärztlicher Berufsausübung und Kenntniserlangung des Geheimnisses in Frage gestellt.67 So ist umstritten, ob der Arzt Drittgeheimnisse überhaupt „als Arzt“ wahrnehmen kann, wenn sich der Dritte nicht in Behandlung bei ihm befindet oder in sonstiger Weise mit ihm Verbindung steht.68 aa) Echte Drittgeheimnisse Zunächst ist auf den gegenständlichen Schutz sogenannter „echter Drittgeheimnisse“ einzugehen. Ein „echtes Drittgeheimnis“ liegt vor, wenn sich der Geheimnisbetroffene – d. h. die Person, die durch den Inhalt des Geheimnisses in seinem Persönlichkeitsrecht betroffen ist – von der Person des Patienten unterscheidet.69 Viel diskutierte Konstellationen im Zusammenhang mit dem Schutz von solchen echten Drittgeheimnissen sind der Fall des „geheimnisbrechenden bzw. illoyalen Patienten“70, der „Hausbesucher­ fall“71 sowie der „Komplizenfall“72. 67  Vgl. etwa Ostendorf, JR 1981, 444, 448, Theuner, Die ärztliche Schweigepflicht, S.  161 f.; Deschl, Berufsgeheimnis, S. 42; Steinberg-Copek, Berufsgeheimnis, S. 47; weitestgehend offengelassen v. OLG Köln, NStZ 1983, 412 ff. 68  Losert, Bruch der Schweigepflicht, S. 41 ff. Teilweise wird das Problem auch an dem Tatbestandsmerkmal „fremdes Geheimnis“ festgemacht, vgl. Hackel, NJW 1969, 2257, 2258. 69  Vgl. Cierniak / Pohlit, in: MüKo-StGB, § 203 Rn. 71; krit. bzgl. der Unterscheidung von echten und unechten Drittgeheimnissen D. Bender / Schreiber, in: Ethische Grundlagen der Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie, S. 161. 70  Vgl. Stucke, Schweigepflicht bei Drittgeheimnissen, S.  100; Hackel, NJW 1969, 2257, 2258; Schreiner, Drittgeheimnisse, S. 74. 71  Vgl. Hausbesucherfall bei: Theuner, Die ärztliche Schweigepflicht, S. 157; Hackel, NJW 1969, 2257, 2258; Eichelbrönner, Grenzen der Schweigepflicht, S. 74 f.



A. Der strafrechtliche Geheimnisschutz von Straftaten93

Der „geheimnisbrechende bzw. illoyale Patient“ trägt seinem Arzt ein Drittgeheimnis zu, welches in keinem Zusammenhang mit ihm oder der ärztlichen Leistung steht, wie beispielweise, dass ein Nachbar Straftaten begehe.73 Das Eigengeheimnis des Patienten ist freilich die Tatsache, dass er dem Arzt von dem Drittgeheimnis berichtet hat. In Frage steht aber der Geheimhaltungsschutz für die Straftaten des Nachbarn. Der innere Zusammenhang zwischen ärztlicher Berufsausübung und Erkenntnis wird für solche Drittgeheimnisse deswegen angezweifelt, weil diese dem Arzt ebenso gut „auf der Straße“ hätten zugetragen werden können.74 Der „Hausbesucherfall“ handelt hingegen von der zufälligen Drittgeheimniswahrnehmung des Arztes während eines Hausbesuches.75 So ist etwa denkbar, dass ein Arzt, während eines Hausbesuches bei einem fiebrigen Kind, Zeuge von gewalttätigen Handlungen des Kindesvaters gegen die Mutter wird. Der Zusammenhang zwischen der ärztlichen Berufsausübung und der Drittgeheimniswahrnehmung scheint in diesem Fall nur mittelbar gegeben zu sein. Gleiches gilt für den „Komplizenfall“, in welchem der Arzt einen Komplizen dabei beobachtet, wie er seinen schussverletzten Mittäter zur ärztlichen Behandlung in ein Krankenhaus bringt.76 In der Literatur finden sich verschiedene Ansätze, die die tatbestandliche Erfassung von Drittgeheimnissen in solchen Fallkonstellationen von besonderen Voraussetzungen abhängig machen wollen. Einige, die das Schutzgut des § 203 Abs. 1 Nr. 1 StGB mittels der sozialen Theorie oder der Vertrauenstheorie bestimmen wollen, setzen für den Geheimhaltungsschutz eines Drittgeheimnis voraus, dass entweder der Dritte und der Patient ein Vertrauensverhältnis haben, welches der Patient auf die Arzt-Patienten-Beziehung überträgt (Theorie des eingebrachten Vertrauens)77 oder der Dritte selbst in einer persönlichen Vertrauensbeziehung zu dem Arzt steht (Vertrauens­ 72  BGH NJW 1985, 2203, 2204; Eichelbrönner, Grenzen der Schweigepflicht, S. 75. 73  Ferner ist denkbar, dass ein Patient seinem Arzt berichtet, dass ein Familienmitglied missbraucht werde, der Patient selbst jedoch nicht Opfer sei. 74  Hackel, NJW 1969, 2257. 75  Vgl. Schreiner, Drittgeheimnisse, S. 48 ff.; Theuner, Die ärztliche Schweigepflicht, S. 157; Hackel, NJW 1969, 2257, 2258; Eichelbrönner, Grenzen der Schweigepflicht, S.  74 f. 76  BGH NJW 1985, 2203 ff.; krit. ob überhaupt ein Drittgeheimnis gegeben sei Cierniak / Pohlit, in: MüKo-StGB, § 203 Rn. 80. 77  So die Entscheidung des LG Wiesbaden, 9.  März 1984, Az: 3 Js 13750 / 82  – 14 KLs, die dem BGH zur Revision vorlag (BGH, NJW 1985, 2203, NStZ 1985, 372, 373); Schreiner, Drittgeheimnisse, S. 47 ff., 59, 99, 145; wohl auch Bosch, JURA 2013,780, 782 u. Tsambikakis, in: FAKomm-MedR, § 203 StGB Rn. 32.

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2. Kap.: Umfang und Grenzen der ärztlichen Schweigepflicht

beziehungstheorie)78. Andere fordern dagegen, dass die drittbetreffende Information für die ärztliche Leistung sachlich benötigt werde.79 In ihren Augen besteht ausschließlich bezüglich solcher Drittgeheimnisse, derjenige „Zwang“ zur Mitteilung, der durch den Geheimnisschutz des § 203 StGB kompensiert werden muss.80 Teilweise wird für den tatbestandlichen Schutz von Drittgeheimnissen aber auch darauf abgestellt, ob der Rechtskreis des Patienten durch das Drittgeheimnis zumindest mittelbar tangiert wird.81 Der Patient – und nicht nur der Dritte – muss dieser Ansicht nach ein verständliches Interesse an der Geheimhaltung des Drittgeheimnisses haben.82 Gleichwohl wollen Rechtsprechung und herrschende Literatur den Schutz von Drittgeheimnissen von keinen besonderen Voraussetzungen abhängig machen und befürworten eine weite Auslegung des inneren Zusammenhangs zwischen der ärztlichen Berufsausübung und der Wahrnehmung eines Drittgeheimnisses.83 Die unnatürliche Aufspaltung eines grundsätzlich einheitlich zu betrachtenden Lebenssachverhalts sei nicht sachdienlich,84 weswegen alle Drittgeheimnisse uneingeschränkt von dem Tatbestand des § 203 Abs. 1 Nr. 1 StGB erfasst sein sollen.85 78  Stucke, Schweigepflicht bei Drittgeheimnissen, S. 33  ff., 47 ff., 53 ff., 117 f.; Hanack, JR 1986, 33, 37; wohl auch noch Lenckner, in der 27. Aufl. v. Schönke / Schröder, § 203 Rn. 15; wohl ebenso, aber weitestgehend offengelassen OLG Köln, NStZ 1983, 412 ff. 79  Ostendorf, JR 1981, 444, 448; Theuner, Die ärztliche Schweigepflicht, S.  161 f.; Deschl, Berufsgeheimnis, S. 42; Steinberg-Copek, Berufsgeheimnis, S. 47. 80  Theuner, Die ärztliche Schweigepflicht, S. 161 f.; Steinberg-Copek, Berufsgeheimnis, S. 47. 81  Hackel, NJW 1969, 2257, 2258, Kierski, MedSach 1963, 205, 206; Schünemann, ZStW 90 (1978), 11, 58; Kl. Schmidt, Ärztliche Schweigepflicht und Sozialdatenschutz, S. 21. 82  Lenckner / Eisele, in: Schönke / Schröder StGB § 203 Rn. 8; Hackel, NJW 1969, 2257, 2258; Kierski, MedSach 1963, 205, 206; Schünemann, ZStW 90 (1978), 11, 58; Kl. Schmidt, Ärztliche Schweigepflicht und Sozialdatenschutz, S. 21; auf den fehlenden Interessenkonflikt abstellend Rüpke, NJW 2002, 2835, 2838. 83  BGH NJW 1985, 2203, 2204; Jung, SÄB 1981, 244, 245; Hübner, Umfang und Grenzen, S. 69; Eichelbrönner, Grenzen der Schweigepflicht, S. 82; Goedel, Pflichten und Berechtigungen, S. 38 ff.; Bartsch, Ärztliche Schweigepflicht, S. 46; Höflich, Die ärztliche Schweigepflicht, S. 36; Cierniak / Pohlit, in: MüKo-StGB, § 203 Rn. 77; Rogall, NStZ 1985, 374, Muschallik, ArztR 1984, 235, 237; Vitkas, Grenzen ärztlicher Schweigepflicht, S. 42, 43. 84  BGH NJW 1985, 2203, 2204. 85  Hübner, Umfang und Grenzen, S. 69; Höflich, Die ärztliche Schweigepflicht, S. 36; Rogall, NStZ 1985, 374; Müller-Dietz, SÄB 1980, 356, 358; Cierniak / Pohlit, in: MüKo-StGB, § 203 Rn. 79 f.; D. Bender / Schreiber, in: Ethische Grundlagen der Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie, S. 161; Jung, SÄB 1981, 244, 245; Bartsch, Ärztliche Schweigepflicht, S. 46; ähnlich auch Vitkas, Grenzen ärztlicher Schweigepflicht, S. 43.



A. Der strafrechtliche Geheimnisschutz von Straftaten95

Die Ansicht der herrschenden Meinung verdient aufgrund mehrerer Aspekte Zustimmung. Zunächst ist der Ansicht zu widersprechen, die allein solche Drittgeheimnisse unter den Schutz der ärztlichen Schweigepflicht stellen will, die zur ordentlichen Erbringung der ärztlichen Leistung benötigt und daher „zwangsweise“ mitgeteilt werden müssen. Diese Ansicht ist schon dafür zu kritisieren, dass sich die Erforderlichkeit einer Information im Einzelfall nur schwer determinieren lässt. Die Ergebnisse dieser Ansicht können daher zufällig erscheinen und Rechtsunsicherheit erzeugen.86 So ist beispielsweise im „Hausbesucherfall“ nicht eindeutig auszumachen, ob es „erforderlich“ war, dass der Arzt von den strafbaren Handlungen des Kindesvaters Kenntnis erlangt. Einerseits war es wohl unumgänglich, dass der Arzt während des zur Diagnose und Behandlung erforderlichen Hausbesuches dieses Drittgeheimnis wahrnimmt; anderseits musste der Arzt keinesfalls erfahren, dass der Vater gewalttätig ist, um den Grund für das Fieber des Kindes sachgerecht ausmachen und behandeln zu können. Zudem lässt sich nicht selten erst im Nachhinein – sprich nachdem der Arzt von der Information erfahren hat – mit Sicherheit sagen, ob das in Rede stehende Drittgeheimnis für die ärztliche Leistung erforderlich war. Zu diesem Zeitpunkt hat der Arzt jedoch bereits Kenntnis von dem Drittgeheimnis; und das Geheimnis wäre schutzlos gestellt. Es entspricht viel eher dem Schutzzweck des § 203 Abs. 1 Nr. 1 StGB allen Drittgeheimnissen einen umfassenden, gegenständlichen Geheimnisschutz zu bieten. Der Patient muss sich innerhalb der Arzt-Patienten-Beziehung frei offenbaren können – was ebenfalls sein Wissen über Dritte mitumfasst. Hat sich ein Patient erst einmal „zwangsweise“ in eine Beziehung zu einem Arzt begeben und seine Privatheit eröffnet, sinkt zugleich die Hemmschwelle, dem Arzt andere Geheimnisse anzuvertrauen, die keine Relevanz für die ärztliche Leistung haben und Dritte betreffen können.87 Der Patient ist es gewohnt dem Arzt sein gesundheitliches Leid und die Beweggründe seines Besuches beschreiben zu müssen, wobei ein Verschwimmen von Grenzen zu anderen Themen keinen untypischen Vorgang darstellt.88 Der Arzt wird nicht ohne Grund mit einem „Beichtvater“ verglichen.89 Diese offene Kommunikationssituation wird nicht einseitig von dem Patienten „ausgenutzt“, sondern von Ärzten kommunikativ kultiviert,90 da sich die Arzt-Patienten-Beziehung 86  Hübner, Umfang und Grenzen, S. 69; Höflich, Die ärztliche Schweigepflicht, S. 36. 87  Kohlhaas, JR 1958, 328, 329; Grömig, NJW 1970, 1209, 1211. 88  Kohlhaas, JR 1958, 328, 329; Grömig, NJW 1970, 1209, 1211; Wiebel, Das Berufsgeheimnis, S.  16 f. 89  Kohlhaas, JR 1958, 328, 329; Grömig, NJW 1970, 1209, 1211; Wiebel, Das Berufsgeheimnis, S. 16. 90  Vgl. Kutscher / Seßler, Kommunikation in der Medizin, S. 93.

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2. Kap.: Umfang und Grenzen der ärztlichen Schweigepflicht

nicht nur auf Diagnose und Behandlung beschränkt. In einem Patientengespräch erfragt der Arzt nicht nur aus medizinischen Gründen gezielt Hintergrundinformationen zu der Situation des Patienten, sondern bildet über einen alltäglichen nicht-medizinischen Austausch eine Kooperationsgrundlage für die gesamte Arzt-Patienten-Beziehung.91 Dieser Austausch beschränkt sich dabei nicht zwangsläufig auf die Person des Patienten, sondern kann ebenfalls dritte Personen zum Thema haben. Weiterhin kann der tatbestandlich notwendige innere Zusammenhang von Drittgeheimniswahrnehmung und ärztlicher Berufsausübung nur dann verneint werden, wenn man annimmt, der Arzt könne in Anbahnung oder während des Behandlungsverhältnisses zwischen den Rolle der „Privatperson“ und der des „Arztes“ hin und her springen. Der Arzt müsste Patientengeheimnisse und Drittgeheimnisse, die die benannten Voraussetzungen erfüllen, „als Arzt“ wahrnehmen können; andere Drittgeheimnisse in derselben zeitlichen und räumlichen Lage hingegen „als Privatperson“. Eine solche Zersplitterung der ärztlichen Tätigkeit führt jedoch, wie der BGH bereits pointierte, zu einer „unnatürlichen Aufspaltung eines einheitlichen Lebenssachverhaltes“.92 Daher ist der herrschenden Ansicht zu folgen. Der Arzt nimmt Patientengeheimnisse sowie echte Drittgeheimnisse „als Arzt“ wahr, sobald er in seiner beruflichen Funktion auftritt. Demzufolge unterliegen echte Drittgeheimnisse dem gegenständlichen Schutz des § 203 Abs. 1 Nr. 1 StGB. Der Arzt, dem während einer Behandlung von dem strafbaren Verhalten eines Dritten berichtet wird, unterliegt der Schweigepflicht, ebenso wie der Arzt in dem „Hausbesucher“- und dem „Komplizenfall“. bb) Unechte Drittgeheimnisse Für Geheimnisse, die während der medizinischen Untersuchung und Behandlung eines Straftatopfers zu der Straftat zu Tage treten, bleibt aber zu hinterfragen, ob diese als „echte Drittgeheimnisse“ des Täters zu werten sind. Ein Drittgeheimnis kann begriffsmäßig nämlich nur eine solche Tatsache zum Inhalt haben, die einer dritten Person – d. h. nicht dem Patienten – zugeordnet werden kann.93 91  Vgl. Kutscher / Seßler, Kommunikation in der Medizin, S. 93; Füeßl / Middeke, Anamnese und Klinische Untersuchung, S. 17 ff. 92  BGH NJW 1985, 2203, 2204. 93  Cierniak / Pohlit, in: MüKo-StGB, § 203 Rn. 47; Langkeit, NStZ 1994, 6; Hoyer, in: SK-StGB, § 203 Rn. 31; Krey / Hellmann / Heinrich, BT I, Rn. 558; Wessels / Hettinger, BT 1, Rn. 566; Kargl, in: NK-StGB, § 203 Rn. 19a; Lenckner / Eisele, in: Schönke / Schröder, § 203 Rn. 19; Weidemann, in: BeckOK-StGB, § 203 Rn. 31; Kraatz, Arztstrafrecht, Rn. 236.



A. Der strafrechtliche Geheimnisschutz von Straftaten97

Feststellungen zu dem Krankheitsbild eines Straftatopfers, wie etwa das Vorliegen von Hämatomen und Schürfwunden, weisen jedoch zunächst nur einen Personenbezug auf. Das Krankheitsbild kann allein dem Patienten zugeordnet werden und ist damit dessen Eigengeheimnis. Ähnlich verhält es sich mit der Diagnose, dass ein Krankheitsbild durch ein deliktisches Verhalten verursacht worden sein muss. Zwar steht bei einer solchen Diagnose die Erkenntnis im Raum, dass ein Täter existieren muss. Ist die Identität dieses Täters aber noch unbekannt, können derartige Tatsachen allein der Person des Patienten zugeordnet werden. Ein Drittgeheimnis liegt jedoch vor, sobald die Identität des Täters bekannt ist. Ab diesem Zeitpunkt werden – gemäß dem Grundsatz, dass ein Geheimnis einer Person vorliegt, sobald diese mit der betreffenden Tatsache in Verbindung gebracht wird oder werden kann – alle Eigengeheimnisse des Opfers, die unmittelbar die Straftat betreffen, zugleich zu Drittgeheimnissen des Täters. Denn die Geheimnisse des Opfers und des Täters in Bezug auf die Straftat stellen zwei Seiten ein und derselben Medaille dar. So wären beispielsweise die Hämatome an dem Körper des Opfers gleichermaßen der Person des Täters zuordnen, da er diese verursacht hat. Diese Tatsachen beziehen sich gleichermaßen und untrennbar sowohl auf die Person des Straftatopfers als auch auf die des Täters. Derartige Drittgeheimnisse, die untrennbar mit den Eigengeheimnissen des Patienten verbunden sind, werden als „unechte Drittgeheimnisse“ bezeichnet.94 Das Besondere dieser Drittgeheimnisse liegt darin, dass – selbst wenn man den restriktiven Meinungen zum gegenständlichen Schutz von Drittgeheimnissen zustimmen sollte – unechte Drittgeheimnisse keiner tatbestandlichen Restriktion unterworfen werden können. Der Arzt erfährt Drittgeheimnisse, die mit den Geheimnissen des Patienten verbunden sind, zweifelsfrei im funktionalen Zusammenhang mit der Ausübung seiner ärztlichen Tätigkeit und somit „als Arzt“. Weiterhin würde eine Versagung des Geheimhaltungsschutzes für Drittgeheimnisse, die untrennbar mit Eigengeheimnissen des Patienten verbundenen sind, zugleich die Eigengeheimnisse des Patienten schutzlos stellen. Für eine Restriktion des gegenständlichen Schutzes des § 203 Abs. 1 Nr. 1 StGB bestehen demnach keine Anhaltspunkte.95 94  Eichelbrönner, Grenzen der Schweigepflicht, S. 101 ff.; Kargl, in: NK-StGB, § 203 Rn. 17; Bosch, JURA 2013,780, 782; auch „verknüpfte“ Drittgeheimnisse genannt vgl. Schünemann, in: LK-StGB, § 203 Rn. 39; krit. bzgl. der Unterscheidung von echten und unechten Drittgeheimnissen: D. Bender / Schreiber, in: Ethische Grundlagen der Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie, S. 161. 95  OLG Hamburg NJW 1962, 689, 691; Kargl, in: NK-StGB, § 203 Rn. 17; Theuner, Die ärztliche Schweigepflicht, S. 158; Fischer, § 203 Rn. 9a; Bosch, JURA 2013,780, 782.

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2. Kap.: Umfang und Grenzen der ärztlichen Schweigepflicht

cc) Ergebnis zu dem gegenständlichen Schutz von Drittgeheimnissen Damit bleibt zu konstatieren, dass Geheimnisse, welche Straftaten betreffen, trotz eines eventuellen Drittbezuges unter den gegenständlichen Schutzbereich der Schweigepflicht fallen. Bei Geheimnissen, die bei der Untersuchung von Straftatopfern zu Tage treten, handelt es sich meist um „unechte Drittgeheimnisse“, sobald die Identität des Täters bekannt ist.96 Diese Geheimnisse müssen dem Schutz des § 203 Abs. 1 Nr. 1 StGB unterliegen, da sie mit den Eigengeheimnissen des Patienten untrennbar verknüpft sind. Eine Restriktion des gegenständlichen Geheimnisschutzes verbietet sich aber ebenfalls für „echte Drittgeheimnisse“, die beispielweise vorliegen, falls ein Patient seinem Arzt von den Straftaten eines Nachbarn berichtet oder der Arzt Zeuge von kriminellen Handlungen anderer Familienmitglieder während eines Hausbesuches wird. b) Geheimnisherrschaft über Drittgeheimnisse Mit der tatbestandlichen Erfassung von Drittgeheimnissen ist jedoch noch keine Entscheidung darüber getroffen, welche Person über diesen Geheimhaltungsschutz verfügen darf. Der Inhaber der Geheimnisherrschaft – d. h. die Person, die den Arzt von seiner Verschwiegenheitspflicht über ein Geheimnis entbinden darf – kann sich nämlich von dem Geheimnisbetroffenen – der Person, die durch die Zustände und Ereignisse, die das Geheimnis zum Inhalt hat, tangiert wird – unterscheiden.97 Als Inhaber der Geheimnisherrschaft kommen in kumulativer oder alternativer Weise drei mögliche Personen in Betracht. Die Geheimnisherrschaft kann dem Geheimnisbetroffenen98, dem Sonderbeziehungspartner99 des Arztes oder dem Anvertrauenden bzw. Informanten100 zugesprochen werden. 96  s.

zweites Kapitel A. II. 4. a) bb). Das Berufsgeheimnis, S. 133. 98  OLG Hamburg NJW 1962, 689, 691; Tsambikakis, in: FAKomm-MedR, § 203 StGB Rn. 44; Eb. Schmidt, Arzt im Strafrecht S. 67; Hackel, NJW, 1969, 2257, 2259; Kl. Müller, MDR 1971, 965, 968; B. Lilie, Medizinische Datenverarbeitung, S. 81; Müller-Dietz, SÄB 1980, 356, 361; Kraatz, Arztstrafrecht, Rn. 247; Eichelbrönner, Grenzen der Schweigepflicht, S. 102 ff. 99  OLG Köln NStZ 1983, 412, 413; Jung, in: NK-StGB, 1. Aufl., § 203 Rn. 21; Hoyer, in: SK-StGB, § 203 Rn. 68, 70; Samson, in: SK-StGB, 4. Aufl., § 203 Rn. 38, 39; Sauter, Das Berufsgeheimnis, S. 126 ff.; Ostendorf, JR 1981, 444, 446, 448; wohl auch Kierski, MedSach 1963, 205, 206 u. Steinberg-Copek, Berufsgeheimnis, S. 47; unklar Höflich, Die ärztliche Schweigepflicht, S. 45. 100  R. Schmitz, JA 1996, 775, 776; RGSt 13, 60; Schreiner, Drittgeheimnisse, S. 99; Binding, BT I, S. 128; Kl. Müller, in: jur. Problematik Medizin, Bd. II, S. 74; 97  Sauter,



A. Der strafrechtliche Geheimnisschutz von Straftaten99

Obgleich diese möglichen Anknüpfungspunkte divergieren, müssen diese Ansätze nicht stets zu unterschiedlichen Ergebnissen gelangen, wie sich im Folgenden an zwei Beispielsfällen zeigen wird. Der erste Beispielsfall soll ein typisches „echtes Drittgeheimnis“ zum Inhalt haben und davon handeln, dass ein Patient seinem Arzt während der Behandlung von seinem kriminellen Nachbarn berichtet. Der zweite Beispielsfall soll sich hingegen um ein „unechtes Drittgeheimnis“ drehen und von einem jugendlichen Straftatopfer handeln, das sich wegen der Verletzungsfolgen in Begleitung der Mutter in ärztliche Behandlung begibt und während der Behandlung den Namen des Täters preisgibt. aa) Person der Sonderbeziehung Zunächst ist die Möglichkeit zu erwägen, die Geheimnisherrschaft dem Sonderbeziehungspartner des Arztes zuzugestehen.101 Als Sonderbeziehungspartner könnte nach einem zivilrechtsakzessorischen Verständnis zunächst der Vertragspartner des Arztes gelten.102 Dies ist bei einem medizinischen Behandlungs- oder Werkvertrags in der Regel der Patient selbst,103 womit diesem die Herrschaft über alle Drittgeheimnisse zustehen würde. In dem ersten Beispielsfall stünde es demnach allein dem Patienten zu, den Arzt von der Schweigepflicht über die Straftaten des Nachbarn zu befreien. Gleichwohl gerät diese zivilrechtsakzessorische Bestimmung der Geheimnisherrschaft an ihre Grenzen, wenn kein Vertrag geschlossen wurde oder der Patient nicht (voll)geschäftsfähig ist, wie in dem zweiten Beispielsfall. Die strafrechtliche Drittgeheimnisherrschaft hinge infolge einer zivilrechtsakzessorischen Beurteilung davon ab, ob der Vertrag durch die gesetzlichen Vertreter in Stellvertretung für diesen Patienten geschlossen wurde oder ob die gesetzlichen Vertreter den Vertrag in eigenem Namen mit Schutzwirkung zu Gunsten des Patienten abgeschlossen haben.104 Für sozialgesetzlich versicherte minderjährige Patienten würden sich weitere Besonderheiten Kohlhaas, Medizin und Recht S. 41; auf alle drei mögliche Bezugspunkte abstellend Vitkas, Grenzen ärztlicher Schweigepflicht, S. 66 ff. 101  So Husmann, in: jur. Problematik Medizin, Bd. II, S. 186 ff. u. Hoyer, in: SKStGB, § 203 Rn. 68, 70; letzterer will im Ergebnis die Dispositionsbefugnis sowohl dem Vertragspartner als auch dem Betroffenen zugestehen. 102  Vgl. Husmann, in: jur. Problematik Medizin, Bd. II, S. 186 ff.; Hoyer, in: SKStGB, § 203 Rn. 68, 70. 103  Spickhoff, in: Spickhoff, Medizinrecht, § 630a BGB Rn. 19 ff. 104  Müller-Glöge, in: MüKo-BGB, § 611 Rn. 88; Lipp, in: Laufs / Katzenmeier /  Lipp, Arztrecht, III. Rn. 15; Kraatz, Arztstrafrecht, Rn. 12; D. Bender / Schreiber, in: Ethische Grundlagen der Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie, S. 157.

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2. Kap.: Umfang und Grenzen der ärztlichen Schweigepflicht

ergeben, da diese gemäß § 36 Abs. 1 SGB I ab dem 15. Lebensjahr selbstständig Behandlungsverträge abschließen können.105 Die Bestimmung des Vertragspartners bei nicht (voll)geschäftsfähigen Patienten ist insgesamt sehr komplex und undurchsichtig.106 Eine Zivilrechtsakzessorietät würde zu erheblichen Rechtsunsicherheiten führen, obwohl es für den Arzt unerlässlich ist zu wissen, welche Person ihn von seiner strafbewehrten Schweigepflicht entbinden kann. Darüber hinaus gefährdet eine zivilrechtsakzessorische Betrachtungsweise die effektive Umsetzung des in Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG enthaltenden Schutzauftrags gegenüber nicht vollgeschäftsfähigen Patienten. Sollten die Eltern oder sonstige gesetzliche Vertreter im Einzelfall Vertragspartner des Arztes geworden sein, stünde ihnen aufgrund eines zivilrechtsakzessorischen Verständnisses per se die Geheimnisherrschaft über Drittgeheimnisse zu. Jedoch ist die Fähigkeit eines minderjährigen oder unter Betreuung stehenden Patienten, den Arzt von seiner Schweigepflicht zu entbinden, richtigerweise nicht mit den zivilrechtlichen Vorgaben zur Geschäftsfähigkeit gleichzusetzen.107 Es kommt vielmehr auf die Feststellung der individuellen Reife des in Rede stehenden Patienten für den konkreten Einzelfall an,108 was jedoch eine zivilrechtsakzessorischen Bestimmung der Geheimnisherrschaft zunichtemachen würde. Dies käme faktisch einem Entzug jeder Möglichkeit einer patienteneigenen Ausübung von Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG gleich. Ein zivilrechtsakzessorisches Verständnis für die Bestimmung des Inhabers der Geheimnisherrschaft ist daher nicht haltbar. Versteht man den Anknüpfungspunkt der Sonderbeziehung dagegen auf materielle Weise, so muss die Geheimnisherrschaft derjenigen Person zukommen, die die ärztlichen Leistungen tatsächlich in Anspruch nimmt.109 Demnach stünde es in beiden Beispielsfällen allein dem Patient zu, den Arzt von der Schweigepflicht zu entbinden. In dem zweiten Beispielfall ist hiervon auch nicht etwa deswegen abzurücken, weil sich die Mutter als Personensorgeberechtigte durch die gesetzliche Verpflichtung des § 1626 BGB ebenfalls in einer gewissen „Zwangslage“ befindet, die ärztliche 105  Spickhoff,

in: Spickhoff, Medizinrecht, BGB § 630a Rn. 33. Spickhoff, in: Spickhoff, Medizinrecht, BGB § 630a Rn. 19 ff. 107  BayObLGZ 1985, 53, 56; Zipfs, Einwilligung, S. 40; a. A. Kl. Müller, in: jur. Problematik Medizin, Bd. II, S. 75. 108  Schünemann, in: LK-StGB, § 203 Rn. 94; Theuner, Die ärztliche Schweigepflicht, S. 165. 109  So Popp, in: AnwK-StGB, § 203 Rn. 46; ebenso wohl Jung, in: NK-StGB, 1. Aufl., § 203 Rn. 21; i. E. ebenso Schünemann in: LK-StGB, § 203 Rn. 99; ders., ZStW 90 (1978), 11, 58; auf die Person den Anvertrauenden und des Patienten / Verfahrensbeteiligten abstellend OLG Köln NStZ 1983, 412, 413; gewisse Modifikation bei Steinberg-Copek, Berufsgeheimnis, S. 48 f. 106  Vgl.



A. Der strafrechtliche Geheimnisschutz von Straftaten101

Leistung für ihr Kind in Anspruch zu nehmen.110 Der materielle Grund, der hinter dem rechtlichen Zwang dieser gesetzlichen Personensorgepflicht steht, ist ein „dem Interesse des Kindes dienendes Schutzinstitut“111 zu gewährleisten. Die sorgeberechtigten Eltern nehmen die ärztliche Leistung demnach zwar rechtlich verpflichtet und somit „zwangsweise“, aber treuhänderisch112 zu Gunsten des Kindes wahr. Gleiches gilt für den Betreuer, der ärztliche Leistungen gemäß § 1901 Abs. 2 BGB treuhänderisch zu Gunsten des Betreuten veranlasst.113 In materieller Hinsicht ist somit grundsätzlich in dem nicht (vollgeschäftsfähigen) Patienten die Person zu erblicken, welche sich in der Sonderbeziehung mit dem Arzt befindet – auch wenn er von seinem gesetzlichen Vertreter zu dem Arzt gebracht wurde. Diesem Grundsatz schadet auch nicht, dass der minderjährige oder unter Betreuung stehende Patient im Einzelfall aufgrund von fehlender Reife oder Krankheit nicht fähig ist, seine Geheimnisherrschaft auszuüben. Denn solche Fälle können – wie sich an späterer Stelle zeigen wird – über die mutmaßliche Einwilligung oder die Stellvertretung gelöst werden.114 Daher bleibt es dabei, dass nach diesem Ansatz grundsätzlich allein dem Patienten – sei er voll geschäftsfähig oder nicht – die Geheimnisherrschaft über alle Drittgeheimnisse zusteht. bb) Anvertrauende Person Eine andere Meinung will die Geheimnisherrschaft hingegen dem Anvertrauenden im weiteren Sinne zugestehen.115 In den Augen der Anhänger dieser Meinung ist darauf abzustellen, woher der Arzt von dem Drittgeheimnis erfahren hat bzw. wer ihm das Drittgeheimnis anvertraut hat.116 110  Vgl. Veit, in: BeckOK-BGB, § 1626 Rn. 23 ff.; Huber, in: MüKo-BGB, § 1626 Rn. 34. 111  BGH NJW 1976, 1540; Veit, in: BeckOK-BGB § 1626 Rn. 2; Reipschläger, Die Einwilligung Minderjähriger, S. 93. 112  Vgl. Reipschläger, Die Einwilligung Minderjähriger, S. 112. 113  Vgl. Schwab, in: MüKo-BGB, §  1901 Rn. 9; Müller, in: BeckOK-BGB, § 1901 Rn. 1 ff. 114  s. zweites Kapitel B. II. 3. 115  RGSt 13, 60, 62 f.; Kohlhaas, Medizin und Recht, 40 f.; so auch Vitkas, Grenzen ärztlicher Schweigepflicht, S. 68 f. Diese Ansätze sind naturgemäß Ausflüsse der Vertrauenstheorie; vgl. Sauter, Das Berufsgeheimnis, S. 120. 116  RGSt 13, 60, 62, 63; Maurach / Schroeder / Maiwald, BT 1, § 29 III Rn. 25; Kohlhaas, Medizin und Recht, S. 40 f.; Stucke, Schweigepflicht bei Drittgeheimnissen, S. 140 f.; modifiziert Schünemann, in: LK-StGB, § 203 Rn. 99, der nur bei „anvertrauten“ Geheimnissen die Einwilligung des Anvertrauenden ausreichen lassen will.

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2. Kap.: Umfang und Grenzen der ärztlichen Schweigepflicht

Nicht selten basiert diese Meinung jedoch auf dem Ansatz, der die der Geheimnisherrschaft vorgelagerte Frage der tatbestandlichen Erfassung von Drittgeheimnissen unter Voraussetzungen stellt, die sich um die Vertrauensbeziehung von Arzt und Patient drehen.117 Ein Dritter kommt nach einem solchen Verständnis nur äußerst selten als Inhaber der Geheimnisherrschaft in Betracht. Nicht nur müsste der Dritte selbst das Geheimnis dem Arzt anvertraut bzw. kenntlich gemacht haben, er müsste darüber hinaus entweder ein Vertrauensverhältnis zu dem Patienten unterhalten, welches der Patient auf die Arzt-Patienten-Beziehung überträgt (Theorie des eingebrachten Vertrauens)118, oder er selbst zu dem Arzt ein eigenes Vertrauensverhältnis unterhalten (Vertrauensbeziehungstheorie)119. Auf die konkreten Beispielsfälle übertragen bedeutet dies, dass in dem ersten Beispielsfall allein der Patient als Inhaber der Geheimnisherrschaft in Betracht kommt, da er der Anvertrauende ist. Je nachdem, ob man die tatbestandliche Erfassung des Drittgeheimnisses von weiteren Voraussetzungen abhängig macht, kann das Geheimnis des Nachbarn jedoch überhaupt nur dann dem Tatbestand des § 203 StGB unterfallen, wenn der Nachbar entweder selbst zu dem Arzt ein Vertrauensverhältnis unterhält oder ein Vertrauensverhältnis zwischen ihm und dem Patienten in die Arzt-Patienten-Beziehung miteingebracht wurde.120 In dem zweiten Beispielfall stünde es allein der Patientin zu, den Arzt von der Schweigepflicht zu entbinden. cc) Betroffene Person In der Literatur stark vertreten ist ein Ansatz, nach dem die Geheimnis­ herrschaft ausschließlich anhand der privatsphärenrechtlichen Betroffenheit zu bestimmen sein soll.121 Für die Geheimnisherrschaft sei darauf abzustellen, wessen Darstellungs- und Persönlichkeitsrecht durch das Drittgeheimnis 117  Sauter, Das Berufsgeheimnis, S. 120; s. zweites Kapitel A. II. 4. a. aa.; anders Schünemann in: LK-StGB, § 203 Rn. 99; ders., ZStW 90 (1978), 11, 58. 118  Schreiner, Drittgeheimnisse, S. 47 ff., 59, 99, 145. 119  RGSt 13, 60, 62 f.; Poigner, NJW 1954, 1107, 1108; Vitkas, Grenzen ärztlicher Schweigepflicht, S.  68  f.; Stucke, Schweigepflicht bei Drittgeheimnissen, S.  33 ff., 47 ff., 53 ff., 117 f.; Gunder, Kinder im Strafverfahren, S. 118; wohl auch noch: Lenckner, in der 27. Aufl. v. Schönke-Schröder, § 203 Rn. 15 ff.; anders Schünemann in: LK-StGB, § 203 Rn. 99; gewisse Modifikation bei Steinberg-Copek, Berufsgeheimnis, S.  48 f. 120  s. zweites Kapitel A. II. 4. a) aa); anders Schünemann, in: LK-StGB, § 203 Rn. 99. 121  Cierniak / Pohlit, in: MüKo-StGB, § 203 Rn. 79; Kargl, in: NK-StGB, § 203 Rn. 55; Muschallik, Die Befreiung, S. 28 ff.; Hübner, Umfang und Grenzen, S. 90; Rogall, NStZ 1983, 413, 414; für die Geheimnisherrschaft i. E. ähnlich: Schreiner, Drittgeheimnisse, S. 99, 145, 146 obgleich er für das vorverlagerte tatbestandliche



A. Der strafrechtliche Geheimnisschutz von Straftaten103

betroffen ist und wem folglich ein Interesse an der Geheimhaltung zusteht.122 Die Folge dieses Ansatzes ist ein Gleichlauf von Geheimnisbetroffenheit und -herrschaft.123 Erzählt ein Patient, wie im ersten Beispielsfall, seinem Arzt von Straftaten eines Nachbarn, stünde dem Nachbarn die alleinige Geheimnisherrschaft zu. Geht es jedoch um Fälle, in denen Patienten- und Drittgeheimnis untrennbar miteinander verknüpft sind, sprich ein unechtes Drittgeheimnis, wie im zweiten Beispielsfall, vorliegt, könnten beide Geheimnisbetroffenen nur kumulativ über die Geheimhaltung verfügen.124 Demnach müsste in dem zweiten Beispielsfall nicht nur der Patient, sondern auch der Täter einer Schweigepflichtentbindung des Arztes zustimmen. dd) Anvertrauender und Betroffener Herrschend ist jedoch eine Meinung, die die Ansätze der zuvor beschriebenen zweiten und dritten Ansicht verbindet.125 Demnach soll sowohl dem Anvertrauenden als auch dem Betroffenen eine alternative Geheimnisherrschaft zustehen, falls diese Personen auseinanderfallen.126 Der Anvertrauende sowie der Geheimnisbetroffene könnten in solchen Fällen jeweils eigenständig, ohne Zustimmung des anderen, den Arzt von der Schweigepflicht entbinden. Diese Ansicht findet insbesondere bei Vertretern der herrschenden modifizierten Theorie zu § 203 Abs. 1 StGB Anklang, die meinen, die strafrechtliche Schweigepflicht schütze sowohl Individualinteressen des Geheimnisbetroffenen als auch das Vertrauen der Allgemeinheit in die Verschwiegenheit bestimmter Berufsgruppen.127 Dem Drittgeheimnisbetroffenen – Erfassen von Drittgeheimnissen auf die Vertrauenstheorie abstellt; im Grundsatz zustimmend Eichelbrönner, Grenzen der Schweigepflicht, S. 102 ff. 122  B. Lilie, Medizinische Datenverarbeitung, S. 82; Losert, Bruch der Schweigepflicht, S. 61; Cierniak / Pohlit, in: MüKo-StGB, § 203 Rn. 79; Hackel, NJW 1969, 2257, 2259; Goedel, Pflichten und Berechtigungen, S. 89; a.  A. Hilgendorf, in: Arzt / Weber / Heinrich / Hilgendorf, BT, § 8 Rn. 33. 123  Cierniak / Pohlit, in: MüKo-StGB, § 203 Rn. 79; Kargl, in: NK-StGB, § 203 Rn. 55; Müller-Dietz, SÄB 1980, 356, 361; Lenckner / Eisele, in: Schönke / Schröder, § 203 Rn. 23; Vitkas, Grenzen ärztlicher Schweigepflicht, S. 69. 124  Cierniak / Pohlit, in: MüKo-StGB, § 203 Rn. 80. 125  Schünemann, in: LK-StGB, § 203 Rn. 99 will sogar alle drei Ansätze verbinden. Der Betroffene könne einwilligen, bei anvertrauten Geheimnissen ebenfalls der Anvertrauende, bei „sonst bekanntgewordenen“ ebenfalls der Patient bzw. Mandant. 126  OLG Köln NStZ 1983, 412 f.; R. Schmitz, JA 1996, 949, 952; Lenckner / Eisele, in: Schönke / Schröder, § 203 Rn. 23; Vitkas, Grenzen ärztlicher Schweigepflicht, S. 69; Steinberg-Copek, Berufsgeheimnis, S. 48 f.; Kuhns, Das gesamte Recht der Heilberufe, S. 784; Bockelmann, in: Ponsold, Lehrbuch der gerichtlichen Medizin, S. 16; Gössel / Dölling, BT 1, § 37 Rn. 155; wohl auch Schünemann, in: LK-StGB, § 203 Rn. 99. 127  s. erstes Kapitel E. I. 4.

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2. Kap.: Umfang und Grenzen der ärztlichen Schweigepflicht

sprich der Person, die in ihrem Individualinteresse durch den Inhalt des Geheimnisses tangiert ist – müsse eine Geheimnisherrschaft eingeräumt werden. Allerdings besteht nach einem solchen Schutzgutverständnis kein Anlass den Drittgeheimnisbetroffenen durch eine ausschließliche Geheimnisherrschaft besonders zu schützen, da er nicht als „Vertreter der Allgemeinheit“ das Vertrauen eines Angehörigen der in § 203 StGB aufgeführten Berufsgruppen in Anspruch genommen habe, wenn der Geheimnisbetroffenen nicht selbst der Anvertrauende war.128 In solchen Fällen sei daher dem Anvertrauenden als dem „Vertreter der Allgemeinheit“ ebenfalls eine Geheimnisherrschaft über das Drittgeheimnis einzuräumen.129 Nach einem solchen Verständnis müsste in beiden Beispielsfällen dem Täter und dem Patienten eine alternative Geheimnisherrschaft zukommen. ee) Stellungnahme Für den Arzt bedeutet dies, dass sein Patient ihn nach den meisten Meinungen von der Schweigepflicht entbinden kann und er sich keine Mühe machen muss vor einer Partizipation an der Straftataufklärung die Zustimmung des Täters einzuholen. Anderes könnte nur nach derjenigen Meinung gelten, die für die Bestimmung der Geheimnisherrschaft ausschließlich auf die privatsphärenrechtliche Betroffenheit abstellen will. Gerade der zweite Beispielsfall zeigt, dass die ausschließlich anhand der privatsphärenrechtlichen Betroffenheit vorzunehmende Bestimmung der Geheimnisherrschaft bei unechten Drittgeheimnissen – insbesondere im Zusammenhang mit Straftaten – zu Ergebnissen ad absurdum führen dürfte. Ein Arzt, dem die Identität des Täters bei der Behandlung eines Straftatopfers anvertraut wird, müsste folglich vor einer Offenbarung dieser Informationen nicht nur die Zustimmung seines Patienten, sondern auch die des Straftäters einholen. Denn sowohl das Straftat­ opfer als auch der Täter sind durch Geheimnisse, die bei der medizinischen Untersuchung des Straftatopfers zu Tage treten, betroffen, sobald die Identität des Täters bekannt ist.130 Ein Straftatopfer wäre stets von der Erlaubnis seines Peinigers abhängig, um den eigenen Arzt von der Schweigepflicht zu befreien. Dass ein ausschließliches Abstellen auf die privatsphärenrechtliche Betroffenheit, insbesondere im Zusammenhang mit Straftaten zu Lasten eines Patienten, inadäquate Ergebnisse hervorbringen kann, erkannten vereinzelt 128  OLG

Köln NStZ 1983, 412, 413. Köln NStZ 1983, 412, 413. 130  s. zweites Kapitel A. II. 4. a) bb). 129  OLG



A. Der strafrechtliche Geheimnisschutz von Straftaten105

auch die Anhänger dieses Ansatzes.131 So plädiert Eichelbrönner für eine viktimiologische Korrektur der Bestimmung der Drittgeheimnisherrschaft. Seiner Meinung nach soll ausschließlich das Straftatopfer seinen Arzt von der Schweigepflicht entbinden dürfen.132 Des Weiteren findet sich bei anderen Anhängern dieses Ansatzes – zumindest im Rahmen der anwaltlichen Schweigepflicht – die Meinung, dass eine Straftat stets das „Eigengeheimnis“ des Mandanten sei.133 Somit ist anzunehmen, dass die Viktimisierung eines bei einem Berufsgeheimnisträger hilfesuchenden Opfers in ihren Augen ebenfalls ein „Eigengeheimnis“ des Opfers darstellt und sie hierdurch die Drittgeheimnisproblematik umgehen würden. Ein anderweitiges Ergebnis wäre darüber hinaus auch gar nicht mit dem Schutzzweck des § 203 Abs. 1 Nr. 1 StGB vereinbar. Die Ursache dafür, dass die Anhänger des Ansatzes, der ausschließlich auf die privatsphärenrechtliche Betroffenheit abstellt, überhaupt eine viktimiologische Korrektur vornehmen müssen, liegt darin, dass sie die von § 203 Abs. 1 Nr. 1 StGB zu schützende Sonderbeziehung bei der Bestimmung der Geheimnisherrschaft außer Acht lassen.134 Die ärztliche Schweigepflicht schützt zwar das informationelle Selbstbestimmungsrecht und das Persönlichkeitsrecht des Geheimnisbetroffenen, gleichwohl ist eine Person nicht aufgrund der bloßen Betroffenheit in ihrer Privatsphäre schutzbedürftig im Sinne einer alleinigen Dispositionsbefugnis.135 Der Geheimnisschutz, den der Arzt durch seine strafrechtliche Schweigepflicht gewähren muss, ergeht nämlich nicht nur zu Gunsten des informationellen Selbstbestimmungsrechts des Geheimnisbetroffenen, sondern auch zugunsten der in § 203 Abs. 1 StGB aufgezählten Sonderbeziehungen.136 Folglich muss dem Patienten des Arztes ebenfalls eine Geheimnisherrschaft zukommen. Dies hat selbst bei echten Drittgeheimnissen, d. h. in Fällen, in denen der Patient dem Arzt während der Behandlung etwa von den Straftaten eines Nachbarn erzählt, zu gelten. Dem Drittgeheimnisbetroffenen verbleibt 131  Gunder, Kinder im Strafverfahren, S.  119; Eichelbrönner, Grenzen der Schweigepflicht, S. 104. 132  Eichelbrönner, Grenzen der Schweigepflicht, S. 104; ähnlich Gunder, Kinder im Strafverfahren, S. 119. 133  Vgl. Cierniak / Pohlit, in: MüKo-StGB, § 203 Rn. 80. 134  s. erstes Kapitel E. II. 135  s. erstes Kapitel E. II.; vgl. Schünemann, in: LK-StGB, § 203 Rn. 99; Theuner, Die ärztliche Schweigepflicht, S. 181.; i. E. ebenso: OLG Köln NStZ 1983, 412 f.; Lenckner / Eisele, in: Schönke / Schröder, § 203 Rn. 23; Vitkas, Grenzen ärzt­ licher Schweigepflicht, S. 69; Steinberg-Copek, Berufsgeheimnis, S. 48. 136  s. erstes Kapitel E. II.; Theuner, Die ärztliche Schweigepflicht, S.  181; R. Schmitz, JA 1996, 949, 952.

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2. Kap.: Umfang und Grenzen der ärztlichen Schweigepflicht

nämlich – im Gegensatz zu diesen Personen – die Freiheit, eigenständig zu entscheiden, mit welchen Personen er in welchem Umfang welchen Inhalt seines Privatlebens teilt. Offenbart ein Dritter in einer nicht durch § 203 StGB geschützten Sphäre seine Geheimnisse – wie etwa der Nachbar, der anderen von seinen Straftaten berichtet oder seine Straftaten offenkundig zur allgemeinen Kenntnisnahme zur Schau trägt – so ist er nicht schutzbedürftig im Sinne einer alleinigen Dispositionsbefugnis.137 Gewiss wird der Dritte, dessen Geheimnisse an einen Berufsgeheimnisträger ausgeplaudert werden, Opfer eines verwerflichen Verhaltens des geheimnisbrechenden bzw. illoyalen Patienten. Denn jeder Mensch hat eine ethische Pflicht, Geheimnisse von Dritten nicht in illoyaler Weise mit weiteren Personen zu teilen.138 Jedoch ist der daraus resultierende Vorwurf eben rein ethischer Natur.139 Sollten die Aussagen des Patienten unwahr sein, erfassen die Beleidigungstatbestände der §§ 185 ff. StGB die Ehrverletzung des Geheimnisbetroffenen. Sollte der plaudernde Patient die Geheimnisse des Dritten „ausspionieret“ haben, decken die Straftatbestände der §§ 201 bis 202a StGB diese Verletzung seiner Privatsphäre ab.140 Der Geheimnisschutz, den der Arzt durch seine strafrechtliche Schweigepflicht gewähren muss, ergeht jedoch nicht in erster Linie zu Gunsten des Drittgeheimnisbetroffenen, sondern bezieht sich vielmehr auch auf jedes einzelne besondere Verhältnis des § 203 Abs. 1 StGB.141 Jeder Verschwiegenheitsverpflichtete kann daher von derjenigen Person von seiner Schweigepflicht entbunden werden, die zu ihm in einer typischerweise von Abhängigkeit geprägten Sonderbeziehung steht.142 Selbst wenn sich der Nachbar aus dem Beispielsfall in einem strafrechtlich geschützten Verhältnis offenbart hätte, er etwa seinem Rechtsanwalt von seinen Verbrechen berichtet, und der eigentlich verschwiegenheitsverpflichtete Rechtsanwalt nun seinerseits das Geheimnis einem weiteren Schweigepflichtigen anvertraut, wie etwa einem Arzt, kann der Arzt von seinem Sonderbeziehungspartner (dem Rechtsanwalt) von der Verschwiegenheit über die Verbrechen des Nachbarn entbunden werden. Die Folge, dass nicht jedem Geheimnisbetroffenen eine absolute Geheimnisherrschaft zuteilwird, stellt kein inadäquates Ergebnis dar, sondern entspricht dem „fragmentarischen“ Schutzcharakter des Strafrechts.143 auch Theuner, Die ärztliche Schweigepflicht, S. 181. MedSach 1963, 205. 139  Kierski, MedSach 1963, 205. 140  Vgl. Schünemann, in: LK-StGB, § 203 Rn. 2. 141  s. erstes Kapitel E. II.; Theuner, Die ärztliche Schweigepflicht, S. 181; Schünemann, in: LK-StGB, § 203 Rn. 99. 142  I. E. sogar alleinige Geheimnisherrschaft nach Theuner, Die ärztliche Schweigepflicht, S. 181. 137  So

138  Kierski,



A. Der strafrechtliche Geheimnisschutz von Straftaten107

Dem Patienten kommt folglich stets eine eigenständige Geheimnisherrschaft zu, da er in der von § 203 Abs. 1 StGB geschützten Sonderbeziehung zu dem Arzt steht. c) Ergebnis zur Drittgeheimnisproblematik Die Untersuchung der Drittgeheimnisproblematik hat gezeigt, dass alle Drittgeheimnisse – seien es echte oder unechte – von dem Tatbestand des § 203 Abs. 1 Nr. 1 StGB erfasst werden und sich damit der gegenständliche Geheimnisschutz auf sie bezieht. Die Geheimnisherrschaft gebührt – unabhängig von der Geheimnisbetroffenheit – dem Patienten des Arztes.

III. Umsetzung der Schweigepflicht: gebotene Geheimhaltung Gemäß den bisherigen Erkenntnissen unterliegen kurativ tätige Ärzte sowie ihre Mitarbeiter grundsätzlich bezüglich aller Geheimnisse, welche Straftaten betreffen, der strafbewehrten Schweigepflicht. Entgegen der Schweigepflicht – sprich tatbestandlich i. S. d. § 203 Abs. 1 StGB – handeln sie, wenn sie eines dieser Geheimnisse offenbaren. Eine Geheimnisoffenbarung muss nicht immer ein aktives „Ausplaudern“ bedeuten, sie kann vielmehr auf vielseitige Weise – vorwiegend durch Tun aber auch in Ausnahmefällen durch Unterlassen, indem etwa eine Krankenakte nicht vor fremden Blicken geschützt wird – verwirklicht werden.144 Wie weit der durch § 203 generierte Geheimnisschutz reicht, macht die Definition der Geheimnisoffenbarung deutlich. Als eine Geheimnisoffenbarung gilt jegliche Form der Eröffnung eines Geheimnisses gegenüber einer dritten Person, die noch keine Kenntnis von dem Geheimnis hat.145 Als dritte Personen, gegenüber denen eine Geheimnisoffenbarung tatbestandlich möglich ist, kommen demnach selbst Angehörige des Patienten in Betracht. Erst recht besteht das Verbot der Geheimnisoffenbarung damit gegenüber Mitarbeitern der Strafverfolgungsbehörden, der Polizei, der Jugendämter oder anderen Behörden. Allerdings kann ein Geheimnis aus dem Lebensbereich einer Person naturgemäß nur dann als offenbart gelten, wenn nicht nur das Geheimnis an sich, sondern ebenfalls die Identität des Geheimnisbetroffenen weitergege143  Vgl. Binding, BT I, S. 20 ff.; Jescheck / Weigend, AT, S.  52 f.; Theuner, Die ärztliche Schweigepflicht, S. 181. 144  Braun, in: Roxin / Schroth, HdB Medizinstrafrecht, S. 239. 145  Krey / Hellmann / Heinrich, BT I, Rn. 558; Kraatz, Arztstrafrecht, Rn. 241.

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2. Kap.: Umfang und Grenzen der ärztlichen Schweigepflicht

ben wurde.146 Dieser Grundsatz wirft die Frage auf, ob für den Arzt und seine Mitarbeiter nicht doch die Möglichkeit besteht, mittels anonymisierter oder pseudonymisierter Auskünfte an der Aufklärung und Verhinderung von (weiteren) Straftaten mitzuwirken, ohne überhaupt tatbestandlich gegen ihre Schweigepflicht zu verstoßen. Mangels Geheimnisoffenbarung käme es in solchen Fällen noch nicht einmal darauf an, ob der Patient mit der Weitergabe der Information einverstanden oder ob der Arzt anderweitig hierzu gesetzlich befugt oder verpflichtet ist. So könnte etwa ein Kinderarzt dem Jugendamt einen anonymisierten Fall einer Misshandlung schildern, dabei aber andere Hinweise geben, damit die Behörde das betroffene Kind ausfindig machen und Schlimmeres verhindern kann. Ob ein solches Verhalten unterhalb der Grenze der tatbestandlichen Geheimnisoffenbarung liegt, entscheidet sich an den Anforderungen, die eine Anonymisierung oder Pseudonymisierung erfüllen muss. Hierbei ist erneut auf den Fall des OLG Karlsruhe aus dem Jahr 1983 einzugehen, der von Auskünften des Krankenhauspersonals gegenüber der Polizei handelte.147 Die Polizei suchte in diesem Fall einen verletzt geglaubten Verursacher eines Verkehrsunfalls und rief in verschiedenen Krankenhäusern der Umgebung an. Das Pflegepersonal des betreffenden Krankenhauses gab auf Anfrage der Ermittlungsbehörde Auskunft, ein Patient könnte mit dem gesuchten Täter identisch sein; machte dabei jedoch keine weiteren Angaben über den Namen oder die Art der Verletzung des Patienten. Die Auskunft erfolgte somit auf den ersten Blick anonymisiert; obgleich die Ermittlungsbehörde den Beschuldigten aufgrund dieser Information letztendlich ausfindig machen konnte. Das OLG Karlsruhe wertete das Verhalten des Pflegepersonals nicht als Geheimnisoffenbarung, da die Information der Person des Patienten nicht unmittelbar zurechenbar gemacht worden sei.148 Dem Gericht reichte folglich bereits eine „formale“ Anonymisierung, um das Verhalten des Krankenhauspersonals unterhalb der Schwelle der Geheimnisoffenbarung anzusiedeln. 146  Küper / Zopfs, BT, Rn. 256; Cierniak / Pohlit, in: MüKo-StGB, § 203 Rn. 47; Langkeit, NStZ 1994, 6; Hoyer, in: SK-StGB, § 203 Rn. 31; Krey / Hellmann / Heinrich, BT I, Rn. 558; Wessels / Hettinger, BT 1, Rn. 566; Kargl, in: NK-StGB, § 203 Rn. 19a; Goedel, Pflichten und Berechtigungen, S. 71; Lenckner / Eisele, in: Schönke / Schröder, § 203 Rn. 19; Weidemann, in: BeckOK-StGB, § 203 Rn. 31; Bosch, JURA 2013,780, 786; Maurach / Schroeder / Maiwald, BT 1, § 29 III Rn. 26; D. Bender / Schreiber, in: Ethische Grundlagen der Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie, S. 159. 147  OLG Karlsruhe NJW 1984, 676. 148  Zust. Schlund, in: Laufs / Kern, HdB Arztrecht, Kp.  12 § 71 Rn. 39 ff.; a. A. wohl: OLG Bamberg NJW-RR 2014, 158, 159; LG Schweinfurt, Urteil v. 04.12.2012  – 11 O 162 / 11 = BeckRS 2013, 07714.



A. Der strafrechtliche Geheimnisschutz von Straftaten109

Dieser Ansicht ist bei näherer Betrachtung allerdings aus mehreren Gründen zu widersprechen. Zwar wurden in dem betreffenden Fall weder der Name noch andere Identitätsmerkmale des Patienten aufgedeckt, jedoch kann in dem Verhalten des Pflegepersonals nach materiellen Gesichtspunkten nur eine „Schein-Anonymisierung“ erblickt werden.149 Obwohl die Identität des Patienten für die Ermittlungsbehörde durch die erlangten Informationen nicht unmittelbar feststand, musste sie durch diese Auskunft doch tatsächlich bestimmbar gemacht geworden sein. Dies zeigt sich schon daran, dass sich die anfragende Stelle mit dieser Art der Information zufrieden gegeben hat.150 Denn eine wirklich anonyme Auskunft, die keiner Person zugeordnet werden kann, wäre für die Ermittlungsarbeit „unnötig und unverständlich“151 gewesen. Eine Anonymisierung oder Pseudonymisierung, die geradezu gezielt den mittelbaren Rückschluss auf die Identität des Patienten zulässt, ist angesichts des Schutzzwecks von § 203 StGB als eine Geheimnisoffenbarung zu werten.152 Dem Patienten muss zur Wahrung seines informationellen Selbstbestimmungsrechts die Verfügungsgewalt über seine Geheimnisse verbleiben. Verfügen kann der Patient aber nur, wenn seine Geheimnisse nicht bereits mit ihm Verbindung gebracht werden können. Eine anonymisierte oder pseudonymisierte Geheimnisweitergabe muss somit strenge Anforderungen erfüllen, um nicht als tatbestandliche Geheimnisweitergabe zu gelten. Dies bestätigt auch ein Vergleich mit den datenschutzrechtlichen Vorschriften zur Anonymisierung und Pseudonymisierung. Die Datenschutzgesetze sollen – wie in Teilen auch § 203 Abs. 1 StGB – den staatlichen Schutzauftrages aus Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG umsetzen und nicht nur die unberechtigte unmittelbare Bestimmung, sondern auch die mittelbare Bestimmbarkeit einer Person durch Daten verhindern.153 Der Datenbesitzer trägt die datenschutzrechtliche Verantwortung dafür, dass seine Anonymisierung erfolgreich sowohl eine Bestimmung als auch eine Bestimmbarkeit der betroffenen Personen verhindert.154 Dem durch § 203 StGB strafrechtlich Verschwiegenheitsverpflichteten ist ebenfalls zuzumu149  Muschallik,

ArztR 1984, 235. ArztR 1984, 235. 151  Muschallik, ArztR 1984, 235. 152  Ebenso: OLG Bamberg NJW-RR 2014, 158, 159; LG Schweinfurt, Urteil vom 04.12.2012  – 11 O 162 / 11 = BeckRS 2013, 07714; Eichelbrönner, Grenzen der Schweigepflicht, S.  68 f.; Muschallik, ArztR 1984, 235, 236. 153  Ambs, in: Erbs / Kohlhaas, BDSG § 3 Rn. 3 ff.; Eichelbrönner, Grenzen der Schweigepflicht, S. 68. 154  BGH NJW 1991, 568; Ambs, in: Erbs / Kohlhaas, BDSG § 3 Rn. 3, 29 ff. 150  Muschallik,

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2. Kap.: Umfang und Grenzen der ärztlichen Schweigepflicht

ten, solch strengen Anforderungen gerecht zu werden. Denn vor einer Geheimnisweitergabe hat der Arzt grundsätzlich stets die Möglichkeit, sich von der Schweigepflicht entbinden zu lassen. Ein Hinwegsetzen über das zu wahrende informationelle Selbstbestimmungsrecht des Patienten mittels einer rein formalen „Schein-Anonymisierung“ „verdient“ dagegen keine Tatbestandslosigkeit. Demnach darf der Arzt Strafverfolgungsbehörden oder anderen Stellen keinerlei Auskunft geben, durch die die Identität des Patienten unmittelbar oder mittelbar offengelegt wird. Auch die Identität des Täters darf nicht preisgegeben werden, da dies die Person des Patienten mittelbar bestimmbar machen könnte. Nur wenn diese Voraussetzungen eingehalten sind, bleibt die Auskunft über Straftaten unterhalb der Grenze einer tatbestandlichen Geheimnisoffenbarung. Aus dieser Erkenntnis folgt jedoch, dass der Arzt gegen seinen Patienten gerichtete Straftaten durch Einschaltung der Obrigkeiten initiativ weder verhindern noch aufdecken kann, ohne dass dies keine tatbestandliche Geheimnisoffenbarung darstellen würde. Denn eine Auskunft gegenüber den Behörden, die aufgrund ihrer Anonymisierung oder Pseudonymisierung unterhalb der zuvor beschriebenen Grenze der Offenbarung liegt, würde der Strafverfolgungsbehörde, der Polizei oder dem Jugendamt keine zielführende Handlungsgrundlage bieten. So ist die Staatsanwaltschaft zwar gemäß dem Legalitätsprinzip ab einem Anfangsverdacht verpflichtet, ein Verfahren auch gegen Unbekannt einzuleiten;155 jedoch existiert kein brauchbarer Ansatzpunkt für Ermittlungen, wenn sowohl Opfer als auch Täter unbestimmbar bleiben. Eine initiative Aufklärung oder Verhinderung von Straftaten ist somit grundsätzlich stets mit einer Geheimnisoffenbarung des Arztes verbunden.

IV. Gesamtergebnis zum gegenständlichen und personellen Geheimnisschutz Zusammenfassend lässt sich der gegenständliche und personelle Geheimhaltungsschutz von Geheimnissen, die Straftaten zum Inhalt haben, wie folgt konstatieren: Alle Ärzte unterliegen der strafbewehrten Schweigepflicht über Geheimnisse, die ihnen im Zusammenhang mit ihrer beruflichen Tätigkeit anvertraut oder sonst bekannt werden. Gemäß der Gleichstellungsklausel § 203 Abs. 3 S. 2 StGB gilt dies ebenfalls für ihre berufsmäßig tätigen Gehilfen und die Personen, die bei ihnen zur Vorbereitung auf den Beruf tätig sind. Die Tatsache, dass ein Patient Opfer einer Straftat wurde, sowie 155  Gertler, in: BeckOK-StPO, RiStBV 1 Der Staatsanwalt Rn. 4–9; May, in: FS Paarhammer, S. 951, 954; Gössel, Strafverfahrensrecht, S. 30 ff.; Krekeler / Löffelmann, in: AnwK-StPO, Einl. Rn. 89.



B. Durchbrechungen der Schweigepflicht111

alle damit zusammenhängenden Aussagen, Befunde und Begleitumstände stellen grundsätzlich Geheimnisse dar und unterfallen demzufolge dem Tatbestand des § 203 Abs. 1 Nr. 1 StGB. Eine gegenständliche Restriktion des Geheimnisschutzes ist – trotz entgegenstehender Strafverfolgungsinteressen – nicht möglich. Der gegenständliche Schutz des § 203 Abs. 1 Nr. 1 StGB ist nur dann zu versagen, wenn im Einzelfall bereits zu viele oder die „falschen“ Personen von einer bestimmten Tatsache wissen. Der personelle Geheimnisschutz und die darin enthaltene Geheimnisherrschaft gebühren dem Patienten – auch wenn es sich um echte oder unechte Drittgeheimnisse handelt. Der Normappell des Straftatbestandes des § 203 Abs. 1 Nr. 1 StGB verbietet den Verschwiegenheitsverpflichteten weitere Personen von den Geheimnissen derart in Kenntnis zu setzen, dass sie die Geheimnisse dem Patienten oder dem Täter zuordnen können. Straftaten durch ein Einschalten von Strafverfolgungsbehörden oder anderen Stellen initiativ aufzudecken oder zu verhindern, ist grundsätzlich mit einer tatbestandlichen Geheimnisoffenbarung verbunden. Zu einer Straffreiheit des Arztes ist in solchen Fällen nur zu gelangen, wenn die Geheimnisoffenbarung ausnahmsweise in Folge einer Durchbrechung seiner Schweigepflicht nicht „unbefugt“ ist.

B. Durchbrechungen der Schweigepflicht zu Gunsten der Aufklärung und Verhinderung von Straftaten Der behandelnde Arzt ist gemäß den bisherigen Erkenntnissen zur Diskretion über Straftaten verpflichtet. Absolut ist diese Verschwiegenheitspflicht jedoch nicht. Es bedarf daher der Klärung, wann der Arzt solche Geheimnisse infolge von Durchbrechungen seiner Schweigepflicht offenbaren muss oder darf.

I. Bedeutung des Merkmales „unbefugt“ Ausgangspunkt für die Durchbrechung der ärztlichen Schweigepflicht bildet das in § 203 StGB enthaltene Wort „unbefugt.“ Dem Antonym dieses Begriffes lässt sich entnehmen, dass zahlreiche „Befugnisse“ für die Offenbarung von Geheimnissen existieren müssen. Einigkeit besteht seit je her, dass der Verzicht des Patienten auf die Geheimhaltung – sprich die Schweigepflichtentbindung – den Arzt zur Offenbarung befugt.156 Umstritten ist aber gleichwohl, welche anderen „Befugnisse“ als Durchbrechungen der 156  Vgl. BT-Drs. 7 / 550, S. 236; Frank, Strafgesetzbuch für das Deutsche Reich § 300 III. 1.

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2. Kap.: Umfang und Grenzen der ärztlichen Schweigepflicht

Schweigepflicht anzuerkennen sind und ob eine „Befugnis“ zu einem Ausschluss der Tatbestandsmäßigkeit oder der Widerrechtlichkeit der Geheimnis­ offenbarung führt. 1. „Befugnisse“ für eine Geheimnisoffenbarung Zuweilen bestand ein sehr extensives Verständnis, welche Gründe den Arzt zu einer Geheimnisoffenbarung befugen sollen. Dem Wort „unbefugt“ wurde ein weit über den rechtlichen Sinn hinausgehender Inhalt zugesprochen.157 Demnach sollten nicht nur die Schweigepflichtentbindung und gesetzlich normierte Offenbarungsbefugnisse und -pflichten, sondern auch ethische Pflichten sowie gesellschaftliche Verhaltens-Kodexe zu einer Durchbrechung der Schweigepflicht führen.158 Die „sittliche“ Durchbrechung der Schweigepflicht war etwa zu Zeiten der Rechtsprechung des Reichsgerichts anerkannt.159 Hinweise auf eine weite Auslegung des Merkmals „unbefugt“ sind auch in den Gesetzesbegründungen zu finden. So ist den Unterlagen zu dem EGStGB zu entnehmen, dass für eine Geheimnisoffenbarung auch „unter dem Gesichtspunkt des sozialadäquaten Handelns Straflosigkeit gegeben sein“ kann.160 Ein solches Verständnis würde gewiss demjenigen Arzt entgegenkommen, der sich moralisch dazu verpflichtet fühlt, Straftaten bei den Strafverfolgungsbehörden oder anderen Behörden zu melden.161 Diese moralische Pflicht kann sich insbesondere im Bereich der häuslichen Gewalt wegen der besonderen Lage der betroffenen Opfer aufdrängen. Opfer häuslicher Gewalt sind aufgrund von Abhängigkeitsverhältnissen nur erschwert in der Lage, sich dem Einfluss des Täters zu entziehen, wobei eine Tatwiederholung nicht unwahrscheinlich ist.162 Der Arzt ist typischerweise eine der 157  „Berufliches Gewissen“ laut Flor, JR 1953, 368, 369; „sittliche Pflicht“ laut Eb. Schmidt, Brennende Fragen, S. 16; Rechtfertigungsgründe gemäß dem „täglich gesellschaftlichen Leben“ laut Mittermaier, ZStW 21, (1901), 197, 220 f.; „sittliche Pflichten“ laut Ebermayer, JZ 1910, 1219. 158  Ebermayer, JZ 1910, 1219; Flor, JR 1953, 368, 369; Eb. Schmidt, Brennende Fragen, S. 16; Kuhns, Das gesamte Recht der Heilberufe, I, S. 778; Mittermaier, ZStW 21 (1901), 197, 220 f. 159  RGSt 38, 62; Deschl, Berufsgeheimnis, S. 54 f.; Gönner, Die Schweigepflicht des Arztes, S. 64. 160  BT-Drs. 7 / 550, S. 236. 161  Ebermayer, JZ 1910, 1219. 162  Vgl. Lamnek / Luedtke / Ottermann / Vogl, Tatort Familie, S. 120, 147; H. Meyer, Klinisch-forensische Untersuchungen Hannover, S. 91; Kölmel, Kindesmisshandlung aus gerichtsmedizinischer Sicht, S. 7 f., 54; Wurdak / Rahn, FPR 2001, 275; BMFSFJ, Gewalt gegen Mädchen und Jungen S. 1 ff.; Ilg, Der strafrechtliche Schutz der sexu-



B. Durchbrechungen der Schweigepflicht113

wenigen Kontaktpersonen von diesen meist schweigenden Opfern, die die Anzeichen solcher Taten erkennen können.163 Der einzelne Arzt kann es daher als seine persönliche Pflicht empfinden, dem sich wiederholenden Leiden eines Opfers häuslicher Gewalt durch das Einschalten von Strafverfolgungsbehörden, Polizei oder Jugendamt präventiv entgegenzuwirken. Ebenso gut kann es der Arzt aber auch für seine moralische Pflicht halten, jegliche Straftat anzuzeigen, um den Täter der repressiven Strafverfolgung zuzuführen. Dass solche Anliegen Ärzte in der Praxis tatsächlich zur Offenbarung von Geheimnissen motivieren, demonstriert exemplarisch das sogenannte „RISKID“-Projekt. Duisburger Kinderärzten starteten im Jahr 2007 in Kooperation mit den Polizeibehörden dieses Pilotprojekt zur Einrichtung einer gemeinsamen Risikodatei, um Kindesmisshandlung, -missbrauch und Vernachlässigung aufdecken zu können.164 Alle Kinderärzte bekamen – ohne Zustimmung der betroffenen Patienten oder ihrer Sorgeberechtigten – Zugang zu dieser Risikodatei und konnten Daten, wie Namen und Geburtstag des Patienten, Termin des Arztbesuches, Diagnose und Bemerkungen zu der Art der Verletzung sowie Anmerkungen zu der familiären Situation, in die Datei einspeisen als auch die Einträge der Kollegen einsehen. Mittlerweile betreibt und verwaltet ein bundesweit agierender Verein das Informationssystem RISKID für Kinder- und ­Jugendärzte.165 Obgleich die Intentionen, die hinter solchen Geheimnisoffenbarungen stehen, nachvollziehbar sind, ist stark anzuzweifeln, ob sich hierfür nach heutigen Maßstäben allein aus moralischen Pflichten oder aus der Lehre der Sozialadäquanz eine strafrechtlich wirkende Offenbarungsbefugnis herleiten lässt.166 Nach der Lehre der Sozialadäquanz, die auf Welzel zurückgeht, sollen Handlungen die sich „im Rahmen der normalen geschichtlich gewordenen sozialen Ordnung des Lebens“ bewegen, kein Unrecht darstellen.167 Obgleich man bereits anzweifeln muss, ob eine Offenlegung bzw. Meldung von Straftaten trotz Verschwiegenheitspflicht in dem „Rahmen der normalen geschichtlich gewordenen sozialen Ordnung des Lebens“ anzusiedeln ist, stehen dieser Lehre grundlegende dogmatische Bedenken entgegen. So ist ellen Selbstbestimmung, S. 165; Egle / Hoffman / Joraschky, Sexueller Missbrauch, Misshandlung, Vernachlässigung, S. 146. 163  Herrmann / Dettmeyer / Banaschak / Thyen, Kindesmisshandlung, S.  2; Albert, Innerfamiliäre Gewalt, S. 248. 164  Huster / Rux, NVWBl. 2008, 455; Vitkas, Grenzen ärztlicher Schweigepflicht, S. 121. 165  Vgl. Website https: / / www.riskid.de /  (03.02.16). 166  Daher sind der „RISKID“ erhebliche strafrechtliche Bedenken entgegenzusetzen, vgl. Huster / Rux, NVWBl. 2008, 455, 456; Vitkas, Grenzen ärztlicher Schweigepflicht, S.  121 ff. 167  Welzel, ZStW 58 (1939), 491, 514 ff.

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2. Kap.: Umfang und Grenzen der ärztlichen Schweigepflicht

bereits anzuzweifeln, ob die Lehre der Sozialadäquanz notwendig ist, da sich nahezu alle von ihr erfassten Probleme, wie bereits von Hirsch und Roxin angemerkt wurde, durch teleologische Auslegungen der Norm oder andere Korrektive exakter sowie einzelfallbezogener lösen lassen.168 Dies muss auch für die Schweigepflicht gelten. Sollte eine Geheimnisoffenbarung im Einzelfall einen normalen und gewöhnlichen Vorgang darstellen, mit dem der Patient rechnet und ihn billigt, wird diese Offenbarung durch eine stillschweigende Schweigepflichtentbindung abgedeckt sein. Es bedarf keines Rückgriffs auf die Lehre der Sozialadäquanz.169 Weiterhin ist der Inhalt der Lehre der Sozialadäquanz kaum fassbar und führt zu Rechtsunsicherheiten. Welche Geheimnisoffenbarung sich im Einzelfall „im Rahmen der normalen geschichtlich gewordenen sozialen Ordnung des Lebens“ bewegt, ist kaum auszumachen und Gegenstand einer individuellen Interpretation. Diese Unsicherheit ist mit dem aus Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG abgeleiteten Schutz des informationellen Selbstbestimmungsrechts des Patienten nicht vereinbar. Somit kann dieser Lehre insbesondere für § 203 Abs. 1 Nr. 1 StGB – trotz ihrer Erwähnung in den Gesetzesmaterialien – kein eigener Stellenwert zukommen.170 Ebenso ist die Annahme, dass die Schweigepflicht aufgrund moralischer und sittlicher Pflichten durchbrochen werden kann, überholt.171 Solchen Pflichten mangelt es an einem positiv-rechtlichen Normcharakter.172 Sie sind daher bereits aus rechtspositivistischen Gründen nicht als Durchbrechungen der gesetzlich normierten Schweigepflicht anzuerkennen.173 Weiterhin würde sich ihre Anerkennung nicht mit der Werteordnung des Grundgesetztes vereinbaren lassen. Die Strafnorm des § 203 Abs. 1 Nr. 1 StGB enthält ein sozialethisches Werturteil zum Schutze des Patienten, welches als Verfassungskonkretisierung von Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG zu verstehen ist.174 Da ein Eingriff in Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG eine gesetzliche Grundlage erfordert, können Regeln der individuellen Moral sowie die Ethik oder Sitte mangels formeller Geset168  Roxin, in: FS Klug, S. 310, 313; Hirsch, ZStW 74 (1962), 87, 134, 135; vgl. Tobinsky, Strafbarkeit des Arztes, S. 97; als eine (hilfsweise) Auslegungsmethode anerkannt v. Jescheck / Weigend, AT, S. 253 u. Wessels / Beulke / Satzger, AT, Rn. 79. 169  A. A. Franck, NStZ 2015, 323, 324. 170  Rogall, NStZ 1983, 1, 6; Tobinsky, Strafbarkeit des Arztes, S.  97; a.  A. Deutsch / Spickhoff, MedR, Rn. 944; Franck, NStZ 2015, 322 ff. 171  Höflich, Die ärztliche Schweigepflicht, S. 43. 172  Vgl. Sickor, Normenhierarchie im Arztrecht, S. 271. 173  Vgl. Kühl, ZStW 116 (2004), 870, 884 f.; Jescheck / Weigend, AT, S. 7, 50, 51; Sickor, Normenhierarchie im Arztrecht, S. 271. 174  BT-Drs. 7 / 550, S. 235; Schünemann, ZStW 90 (1978), 11, 19, 22, 27; ders., in: LK-StGB, § 203 Rn. 4; Brettel / Vogt, Ärztliche Begutachtung, S. 75.



B. Durchbrechungen der Schweigepflicht115

zeseigenschaft nicht die verfassungsrechtskonkretisierende strafrechtliche Schweigepflicht durchbrechen.175 Nach der heutigen herrschenden Meinung sollen daher – neben den allgemeinen strafrechtlichen Rechtfertigungsgründen – nur gesetzlich normierte „Befugnisse“ von formeller Gesetzesqualität die Schweigepflicht des § 203 Abs. 1 Nr. 1 StGB durchbrechen können.176 Diese Meinung verdient wegen des verfassungskonkretisierenden Charakters des § 203 Abs. 1 Nr. 1 StGB Zustimmung, da Eingriffe in Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG einer Gesetzesgrundlage bedürfen.177 Der Konflikt von ärztlicher Schweigepflicht und Strafverfolgung bzw. -verhinderung ist folglich ausschließlich mittels rechtlichen Durchbrechungen der strafrechtlichen Schweigepflicht aufzulösen. Im Folgenden bedarf es daher einer genauen Untersuchung, wann das Recht den Arzt zu einer Offenbarung von Geheimnissen aus präventiven oder sogar repressiven Gründen befugt oder verpflichtet. Zunächst bietet das Wort „unbefugt“ einen direkten Einfall von solchen Offenbarungsbefugnissen und -pflichten, die von ihrem Inhalt her spezifisch darauf ausgerichtet sind, die ärztliche Schweigepflicht zu durchbrechen und deren Vorrang im Falle einer Kollision somit von dem Gesetzgeber statuiert wurde.178 Im Strafrecht findet man eine solche Offenbarungspflicht allein in §§ 138, 139 Abs. 3 S. 2 StGB.179 Die verschiedenen außerstrafrechtlichen Vorschriften, die auf eine Geheimnisweitergabe ausgerichtet sind und für die initiative Aufklärung und Verhinderung von Straftaten relevant sind, wurden bereits im ersten Kapitel beleuchtet.180 Unter diesen zahlreichen außerstrafrechtlichen Normen sind allein die Vorgaben der Kinderschutzgesetze für die initiative Straftataufdeckung und 175  Vgl. Kühl, ZStW 116 (2004), 870, 884 f.; Jescheck / Weigend, AT, S. 7, 50 f.; Zippelius, Rechtsphilosophie, S. 20 f. 176  Rogall, NStZ 1983, 1, 3, 6; Höflich, Die ärztliche Schweigepflicht, S. 43; Weidemann, in: BeckOK-StGB, § 203 Rn. 38 ff.; Spickhoff, in: Spickhoff, Medizinrecht, § 205 Rn. 32 ff.; Heger, in: Lackner / Kühl, § 203 Rn. 18 ff.; Cierniak / Pohlit, in: MüKo-StGB, § 203 Rn. 83 ff.; Lenckner / Eisele, in: Schönke / Schröder, § 203 Rn.  26 ff.; Kargl, in: NK-StGB, § 203 Rn. 51; Braun, in: Roxin / Schroth, HdB Medizinstrafrecht, S.  241 ff.; Ulsenheimer, Arztstrafrecht, I § 8 Rn. 372 ff.; Katzenmeier, in: Laufs / Katzenmeier / Lipp, Arztrecht, IX. Rn. 26 ff.; Gaidzik, in: NK-MedR, StGB § 203 Rn. 6 ff.; K. Schumann, Prozessuale Verteidigung, S. 358; ebenso möglich durch Verordnung, die aufgrund einer Ermächtigungsgrundlage eines Gesetztes erlassen wurde, wie etwa Normen der Röntgenverordnungen, vgl. hierzu VG Frankfurt a. M. MedR 2009, 237 ff. 177  Vgl. Kl. Schmidt, Ärztliche Schweigepflicht und Sozialdatenschutz, S. 131 ff. 178  Goedel, Pflichten und Berechtigungen, S. 135 f. 179  s. hierzu im Detail zweites Kapitel B. III. 1. 180  s. erstes Kapitel A. ff.

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2. Kap.: Umfang und Grenzen der ärztlichen Schweigepflicht

-verhinderung einschlägig und daher bei der weiteren Untersuchung zu berücksichtigen.181 Als weitere strafrechtliche Durchbrechung der Schweigepflicht kommen – neben dem Verzicht des Rechtsgutsinhabers auf die Geheimhaltung und den allgemeinen strafrechtlichen Rechtfertigungsgründen – strafrechtliche Handlungspflichten, wie etwa die der §§ 223, 13 Abs. 1, 258 Abs. 1, 13 Abs. 1 323c, StGB in Betracht. Stark umstritten war zeitweise, ob auch der Rechtfertigungsgrund des § 193 StGB dem schweigepflichtigen Arzt eine Offenbarungsbefugnis gewährt. Der BGH entwickelte einst anhand von § 193 StGB eine solche Befugnis, damit der Arzt eigene aber auch fremde Interessen wirksam durchsetzen konnte, ohne dabei einen strafbaren Bruch seiner Schweigepflicht zu begehen.182 Im Wesentlichen entsprachen die Voraussetzungen dieser Offenbarungsbefugnis der Interessenabwägung von § 34 StGB, ohne jedoch das Vorliegen einer gegenwärtigen Gefahr zu fordern.183 Allerdings ist nach dem heutigen herrschenden Verständnis für eine derartig weite Anwendung dieser Vorschrift kein Raum mehr.184 Die Vorschrift des § 193 StGB ist speziell auf die Rechtfertigungen von ehrverletzenden Taten und nicht auf die Rechtfertigung von Geheimnisoffenbarungen ausgerichtet.185 2. Einordnung in den dreigliedrigen Deliktsaufbau Weiterhin bleibt herauszuarbeiten, ob eine „befugte“ Geheimnisoffenbarung bereits die Tatbestandsmäßigkeit oder erst die Widerrechtlichkeit eines Schweigepflichtbruches ausschließt. Vereinzelt wird das Merkmal „unbefugt“ als Tatbestandsmerkmal verstanden, wodurch § 203 Abs. 1 StGB zu einem indifferenten Tatbestand werden 181  s.

erstes Kapitel C. III. NJW 1952, 151; NJW 1957, 1146, 1147 ff.; vgl. D. Bender, MedR 2002, 626, 629; zust. wohl Weidemann, in: BeckOK-StGB, § 203 Rn. 45; Klein, RDG 2010, 172, 176. 183  Vgl. D. Bender, MedR 2002, 626, 629; Weidemann, in: BeckOK-StGB, § 203 Rn. 45. 184  Kargl, in: NK-StGB, § 203 Rn. 70; Hoyer, in: SK‑StGB, vor § 201 Rn. 16 u. § 203 Rn. 89; Schünemann, in: LK-StGB, § 203 Rn. 131 ff.; Lenckner / Eisele, in: Schönke / Schröder, § 203 Rn. 30; D. Bender / Schreiber, in: ethische Grundlagen in der Kinder- und Jugendpsychatrie, S. 164; Vitkas, Grenzen ärztlicher Schweigepflicht, S. 105; Eichelbrönner, Grenzen der Schweigepflicht, S. 168; D. Bender, MedR 2002, 626, 629; Rüpke, NJW 2002, 2835, 2836; wohl auch Theuner, Die ärztliche Schweigepflicht, S. 272 ff.; Gössel / Dölling, BT 1, § 37 Rn. 162. 185  Rogall, NStZ 1983, 1, 3, 6; Eichelbrönner, Grenzen der Schweigepflicht, S.  168 ff.; D. Bender, MedR 2002, 626, 629; Lenckner / Eisele, in: Schönke / Schröder, § 203 Rn. 33; Hoyer, in: SK-StGB, § 203 Rn. 87. 182  BGH



B. Durchbrechungen der Schweigepflicht117

würde, der nur erfüllt wäre, wenn der Arzt ein Geheimnis ohne Offenbarungsbefugnis oder -pflicht offenbart.186 Eine andere – vor allem in der Literatur wachsende – Ansicht räumt dem Merkmal „unbefugt“ eine Doppelfunktion ein.187 Entbindet der Patient den Arzt von der Schweigepflicht soll dies bereits die Tatbestandsmäßigkeit der Geheimnisoffenbarung ausschließen.188 Alle anderen Offenbarungspflichten und -befugnisse sollen hingegen zu einem Ausschluss der Widerrechtlichkeit des Schweigepflichtbruches führen. Teilweise wird für die Wirkung der Schweigepflichtentbindung sogar noch weiter differenziert.189 Hat der Pa­ tient insgesamt auf die Geheimhaltung einer bestimmten Tatsache verzichtet, liege ein tatbestandausschließendes Einverständnis vor.190 Ist der Verzicht jedoch personell und sachlich beschränkt, soll eine rechtfertigende Einwilligung gegeben sein, die die Widerrechtlichkeit der Geheimnisoffenbarung ausschließt.191 Die herrschende Meinung will das Merkmal „unbefugt“ dagegen als bloßen Hinweis dahingehend verstehen, dass sowohl strafrechtliche als auch außerstrafrechtliche Offenbarungsbefugnisse und -pflichten als Rechtfertigungsgründe die Widerrechtlichkeit der Tat ausschließen können.192 Die Entbindung von der ärztlichen Schweigepflicht sowie alle anderen Offenbarungsbefugnisse und -pflichten kämen demnach auf Ebene der Rechtswidrigkeit zum Tragen.

186  OLG Köln NJW 1962, 686, zust. Bindokat in der Anmerkung, 688; OLG Schleswig-Holstein WM 2007, 2103 ff.; offengelassen v. BGH NJW 2010, 361. 187  OLG Köln NJW 1962, 686, 687 f.; Lenckner / Eisele, in: Schönke / Schröder, § 203 Rn. 21, 72; Tsambikakis, in: FAKomm-MedR, § 203 StGB Rn. 43; Weidemann, in: BeckOK-StGB, § 203 Rn. 33 ff.; Cierniak / Pohlit, in: MüKo-StGB, § 203 Rn. 54; M. Jakobs, JR 1982, 359; Muschallik, Die Befreiung, S. 49, 90; Maurach /  Schroeder / Maiwald, BT 1, § 29 III Rn. 45; Gössel / Dölling, BT 1, § 37 Rn. 152. 188  OLG Köln NJW 1962, 686, zust. Bindokat in der Anmerkung, 688; Sieber, in: FS Eser, S. 1155, 1162. 189  Schünemann, in: LK-StGB, § 203 Rn. 93; Fischer, § 203 Rn. 31. 190  Schünemann, in: LK-StGB, § 203 Rn. 93; Fischer, § 203 Rn. 31. 191  Schünemann, in: LK-StGB, § 203 Rn. 93; Fischer, § 203 Rn. 31. 192  OLG Köln NJW 2000, 3656, 3657; OLG Bremen MedR 1984, 112; OLG Schleswig NJW 1985, 1090, 1092; Vitkas, Grenzen ärztlicher Schweigepflicht, S.  45 ff.; Eichelbrönner, Grenzen der Schweigepflicht, S. 95 ff.; Goedel, Pflichten und Berechtigungen, S. 79; Deschl, Berufsgeheimnis, S. 46; Höflich, Die ärztliche Schweigepflicht, S.  92 ff.; Rogall, NStZ 1983, 1, 6; Langkeit, NStZ 1994, 6, 7; Bosch, JURA 2013,780, 789; Kawelovski, Kriminalistik 2015 388, 389, Ulsenheimer, Arztstrafrecht, I § 8 Rn.  373 ff.; Kraatz, Arztstrafrecht, Rn. 245; Kargl, in: NKStGB, § 203 Rn. 50; Popp, in: AnwK-StGB, § 203 Rn. 42; Heger, in: Lackner / Kühl, § 203 Rn. 18 ff.

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2. Kap.: Umfang und Grenzen der ärztlichen Schweigepflicht

Die verschiedenen Auffassungen divergieren in ihren Folgen insbesondere, wenn Irrtümer des Arztes vorliegen.193 Würde das Merkmal „unbefugt“ zum Teil des Tatbestands gehören, müsste jede irrige Annahme einer befugten Offenbarung grundsätzlich zu einem Tatbestandsirrtum nach § 16 Abs. 1 StGB führen. Da § 203 StGB ein reines Vorsatzdelikt darstellt, könnte dem Arzt auch nicht der Vorwurf gemacht werden, er habe sorgfaltswidrig verkannt, dass die in Rede stehende Befugnis nicht zu seinen Gunsten eingreift.194 Ordnet man dagegen alle Offenbarungsbefugnisse und -pflichten auf der Ebene der Rechtswidrigkeit ein, so sind alle Fehlvorstellungen des Arztes hierüber als Irrtümer über Rechtfertigungsgründe zu behandeln.195 Irrt der Arzt über die Existenz und die Reichweite von Durchbrechungen seiner Schweigepflicht müssten diese Irrtümer gemäß § 17 StGB unvermeidbar sein. Nimmt der Arzt dagegen fälschlich an, dass die Voraussetzungen für eine befugte Geheimnisoffenbarung vorliegen, wäre dies als Erlaubnistatbestandsirrtum zu behandeln.196 Unterschiede zwischen den verschiedenen Auffassungen müssten sich prinzipiell ebenso bezüglich der Anforderungen ergeben, die an eine wirksame Schweigepflichtentbindung zu stellen sind. Dass sich der von der Schweigepflicht entbundene Arzt bei einer Geheimnisoffenbarung nicht strafbar macht, ist seit je her anerkannt.197 Die strafbefreiende Wirkung einer solchen Zustimmung wird im Strafrecht allgemein aus dem Selbstbestimmungsrecht eines Rechtsgutsträgers, aber auch aus dem Gewohnheitsrecht, sowie aus § 228 StGB hergeleitet.198 Nach der auf Geerds zurückgehenden herrschenden Auffassung ist bezüglich der Voraussetzungen und der Wirkung dieser Zustimmung aber weiterhin zwischen dem tatbestandsausschließenden Einverständnis und der rechtfertigenden Einwilligung zu unterscheiden.199 Erblickt man, wie die herrschende Meinung, in allen Durchbrechungen der ärztlichen Schweigepflicht Rechtfertigungsgründe, so ist die Entbindung von der Schweigepflicht als rechtfertigende Einwilligung zu verstehen. Sollte die Entbindung von der Schweigepflicht dagegen gemäß 193  Krey / Hellmann / Heinrich,

BT I, Rn. 561 ff. in: BeckOK-StGB, § 16 Rn. 15. 195  OLG Köln, MDR 1962, 591; a. A. BayOLG NStZ 1995, 187, 188. 196  So: Kargl, in: NK-StGB, § 203 Rn. 49. 197  Vgl. BT-Drs. 7 / 550, S. 236. 198  Vgl. Hardtung, in: MüKo-StGB, § 228 Rn. 1; Stief, Einwilligungsfähigkeit, S.  6 ff.; Engländer, in: Matt / Renzikowski, vor § 32 Rn. 14; Roxin, AT I, § 13 Rn. 14; Rönnau, in: LK-StGB, vor § 32 Rn. 146. 199  Geerds, ZStW 72 (1960), 42 ff.; Wessels / Beulke / Satzger, AT, Rn. 361; vgl. BGHSt 16, 309 ff.; J. Schmitz, Rechtfertigender Notstand, S. 71; Tachezy, Mutmaßliche Einwilligung und Notkompetenz, S. 30 f.; krit. Schlehofer, in: MüKo-StGB vor § 32 Rn. 126. 194  Kudlich,



B. Durchbrechungen der Schweigepflicht119

der ersten oder zweiten Ansicht zu einem Ausschluss der Tatbestandsmäßigkeit führen, müsste diese grundsätzlich als tatbestandsausschließendes Einverständnis behandelt werden. Die Zustimmung des Patienten wäre demnach – im Vergleich zu der rechtfertigenden Einwilligung – mit erheblich geringeren Wirksamkeitshürden versehen.200 a) Stellungnahme Der Wortlaut des § 203 StGB vermag weder eine Ansicht zu bestätigen noch eine andere auszuschließen, da der Begriff „unbefugt“ keine eindeutige semantische Bedeutung in sich trägt. Zweifelfrei gehört der Begriff „unbefugt“ dem Wortstamm des Antonyms „Befugnis“ an, wonach derjenige „unbefugt“ handelt, der keine ausreichende „Befugnis“ aufweist.201 Jedoch ist damit noch keine Aussage darüber getroffen, ob Offenbarungsbefugnisse und -pflichten im Rahmen des § 203 auf Tatbestandsebene oder erst auf Rechtfertigungsebene wirken. Denn im Gegensatz zu Begriffen wie „berechtigt“ oder „entschuldigt“,202 unterliegt das Wort „unbefugt“ weder im allgemeinen noch im juristischen Sprachgebrauch einer eindeutigen Verwendung.203 Ebenso wenig lässt die Entstehungsgeschichte der strafrechtlichen Schweigepflicht eine eindeutige historische Auslegung zu.204 Der Gesetzgeber verzichtete sogar bewusst auf die Frage einzugehen, ob im Falle einer Entbindung „bereits die Tatbestandsmäßigkeit ausgeschlossen ist oder ob der Täter gerechtfertigt gehandelt hat“.205 Weiterhin muss das Merkmal „unbefugt“ nicht deswegen als Tatbestandsmerkmal verstanden werden, weil es anderenfalls redundant wäre. Dem Merkmal „unbefugt“ käme auch auf Rechtfertigungsebene eine eigenständige Bedeutung zu, da es an dieser Stelle außerstrafrechtlichen Rechtfertigungsgründen einen weitreichenden Einfall bietet.206 Ein Vergleich mit anderen das Merkmal „unbefugt“ enthaltenden Straftatbeständen zeigt, dass insgesamt kein einheitliches Verständnis über die 200  Geerds, ZStW 72 (1960), 42 ff.; krit. Schlehofer, in: MüKo-StGB, vor § 32 Rn. 126. 201  Vgl. Duden, Bedeutungswörterbuch, „unbefugt“; Kunze, Das Merkmal „unbefugt“, S. 33; Köbler, Juristisches Wörterbuch, S. 424 „unbefugt“. 202  BVerfG NJW 2007, 1666, 1667; Kunze, Das Merkmal „unbefugt“, S. 79. 203  Vgl. zu der detaillierten Untersuchung des Wortsinns Kunze, Das Merkmal „unbefugt“, S.  29 ff. 204  BT-Drs. 7 / 550, S. 236. 205  BT-Drs. 7 / 550, S. 236. 206  BVerfGE 55, 274, 324 ff.; BT-Drs. 7 / 550, S. 236.

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2. Kap.: Umfang und Grenzen der ärztlichen Schweigepflicht

Bedeutung dieses Begriffes herrscht. Außerhalb der geheimnisschützenden Straftatbestände findet man das Merkmal „unbefugt“ unter anderem in den umweltschützenden Straftatbeständen der §§  324, 326 StGB, in dem Straftatbestand der Nachstellung in § 238 StGB, in dem Straftatbestand des Computerbetruges in § 263a StGB sowie in dem Straftatbestand der Sachbeschädigung in § 303 StGB. Innerhalb des umweltschützenden Delikts des § 324 I StGB soll das Merkmal „unbefugt“ etwa eine Frage der Rechtswidrigkeit sein.207 Im Rahmen von § 238 StGB soll es dagegen eine Tatbestandsvoraussetzung von bestimmten Nachstellungshandlungen bilden.208 Entscheidend für die Einordnung des Merkmals „unbefugt“ ist hierbei stets der konkrete Telos des jeweiligen Straftatbestandes.209 Die Bedeutung des Merkmals „unbefugt“ im Rahmen des § 203 Abs. 1 Nr. 1 StGB kann demnach ebenfalls nur anhand des deliktspezifischen Charakters der ärztlichen Schweigepflicht bestimmt werden.210 Hierbei nimmt die herrschende auf Beling und Liszt zurückgehende dreiteilige Verbrechenslehre211 eine maßgebende Rolle ein. Der Tatbestand eines Straftatbestandes soll demnach den allgemeinen Unwert der Rechtsgutsverletzung erfassen; die Rechtswidrigkeit hingegen eine bereits geschehene konkrete Rechtsgutsverletzung im Einzelfall bewerten.212 Die Einordnung des in § 203 StGB enthaltenen Merkmals „unbefugt“ entscheidet sich vor diesem Hintergrund folglich danach, ob das deliktspezifische Unrecht des § 203 Abs. 1 Nr. 1 StGB allein durch ein „unbefugtes“ Handeln des Täters verwirklicht werden kann, oder ob eine Offenbarungsbefugnis oder -pflicht nicht vielmehr nur das Unrecht einer bereits eingetretenen Rechtsgutsverletzung wettmachen kann.213 Ausgangspunkt zur Einordnung des Merkmals „unbefugt“ bildet demnach wieder das von § 203 Abs. 1 Nr. 1 StGB zu 207  Witteck, in: BeckOK-StGB, § 324 Rn. 27 f.; Heine / Hecker, in: Schönke / Schröder, § 324 Rn. 11 ff. 208  Vgl. Kühl, in: Lackner / Kühl, § 238 Rn. 6; Valerius, in: BeckOK-StGB § 238 Rn.  13 ff.; a. A. Gericke, in: MüKo-StGB, § 238 Rn. 41; Sonnen, in: NK-StGB, § 238 Rn. 50; Eisele, in: Schönke / Schröder, § 238 Rn. 26; Wieck-Noodt, in: MüKo-StGB, § 303 Rn. 60. 209  Kunze, Das Merkmal „unbefugt“, S. 79; vgl. Kühl, in: Lackner / Kühl, § 238 Rn. 6; Valerius, in: BeckOK-StGB § 238 Rn. 13 ff.; Witteck, in: BeckOK-StGB, § 324 Rn. 27 f.; Heine / Hecker, in: Schönke / Schröder, § 324 Rn. 11 ff. 210  Kunze, Das Merkmal „unbefugt“, S. 79; allg. zur Auslegung von Merkmalen nach dem Sinn und Zweck: BGHSt 4, 144, 148; Heinrich, AT, Rn. 147. 211  Liszt, Lehrbuch des deutschen Strafrechts, S. 115, 120 ff.; Beling, Lehre vom Verbrechen, S. 144 ff.; a. A. Lehre der negativen Tatbestandsmerkmale: Schlehofer, in: MüKo-StGB, vor §§ 32 ff. Rn. 37, 49; Puppe, in: NK-StGB, vor § 13 Rn. 11 ff.; jeweils m. w. N. 212  Schmidthäuser AT, 131, 132. 213  Kunze, Das Merkmal „unbefugt“, S. 154 ff.



B. Durchbrechungen der Schweigepflicht121

schützende Rechtsgut.214 Dieses ist gemäß der Willenstheorie ausgehend von dem informationellen Selbstbestimmungsrecht in der individuellen „formellen Privatheit“, d. h. in dem Willen des einzelnen Patienten, zu erblicken.215 Simpel gestaltet sich vor diesem Hintergrund die Einordnung von solchen Offenbarungsbefugnissen und -pflichten, die ohne Rücksicht auf den Willen des Patienten, Belange der Allgemeinheit oder anderer Personen schützen sollen – wie etwa die Offenbarungspflichten des Infektionsschutzgesetzes. Selbst wenn dem Arzt eine derartige „Befugnis“ zur Seite steht, wird eine Geheimnisoffenbarung gegen den Willen des Patienten zu einer Rechtsgutsverletzung führen. Derartige Offenbarungsbefugnisse und -pflichten können daher nur ausnahmsweise das durch die Rechtsgutsverletzung indizierte Unrecht ausschließen. Sie gehören als Rechtfertigungsgründe der Rechtswidrigkeitsebene an. Nicht derart eindeutig lässt sich dagegen die Frage beantworten, ob die Schweigepflichtentbindung die Tatbestandsmäßigkeit oder die Widerrechtlichkeit der ärztlichen Geheimnisoffenbarung ausschließt. Vertreter derjenigen Ansicht, die den Geheimhaltungswillen als konstitutives Element des Tatbestandsmerkmals des Geheimnisses verstehen, meinen eine Schweigepflichtentbindung sei ein tatbestandsauschließendes Einverständnis. Sie begründen dies damit, dass die Schweigepflichtentbindung das Tatbestandsmerkmal des Geheimnisses entfallen ließe.216 Allerdings erscheint die Anknüpfung an das Merkmal des Geheimnisses zur Begründung eines tatbestandausschließenden Einverständnisses bei näherer Betrachtung verfehlt.217 Ein Patient kann sehr wohl differenziert und partiell auf die Geheimhaltung eines bestimmten Geheimnisses verzichten.218 Willigt der Patient in die Weitergabe einer Information nur insoweit ein, als sie in einem festgelegten Umfang und nur mit bestimmten Personen geteilt werden darf, wird man dieser Information wohl kaum ihre generelle Geheimniseigenschaft aberkennen können.219 Entspricht der Arzt dem Wunsch des Patienten und teilt die Information mit den benannten Personen, wird diese Tatsache immer noch „als Geheimnis“ weitergegeben. Weiterhin liegt ein tatbestandsausschließendes Einverständnis im rechtstechnischen Sinne erst dann vor, wenn die vom Tatbestand beschriebene Handlung oder Angriffsart 214  Kunze,

Das Merkmal „unbefugt“, S. 56. erstes Kapitel E. I. 5. 216  Welzel, Strafrecht S. 336; Theuner, Die ärztliche Schweigepflicht, S. 163 ff. 217  Tobinsky, Strafbarkeit des Arztes, S. 148 ff. 218  Schünemann, in: LK-StGB, § 203 Rn. 93; ebenso Tobinsky, Strafbarkeit des Arztes, S.  148 ff. 219  Tobinsky, Strafbarkeit des Arztes, S. 149. 215  s.

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2. Kap.: Umfang und Grenzen der ärztlichen Schweigepflicht

nach dem Wortlaut oder Telos der Vorschrift ein Handeln gegen den Willen des Rechtsgutsinhabers verlangt.220 Demnach kann ein tatbestandsausschließendes Einverständnis nur an das Merkmal des „unbefugten Offenbarens“ anknüpfen.221 Die Wortbedeutung der Tathandlung der „Offenbarung“ legt an sich noch nicht nahe, dass eine Geheimnisoffenbarung nur gegen den Willen des Rechtsgutsinhabers möglich ist. Denn im Gegensatz zu anderen Tathandlungen, – wie etwa dem „Eindringen“ oder „Wegnehmen“ – beinhaltet ein „Offenbaren“ nicht notwendigerweise eine Überwindung des Willens des Opfers.222 Allerdings ergibt eine schutzgutorientierte Betrachtung des § 203 StGB, dass eine Geheimnisoffenbarung mit Zustimmung des Rechtsgutsinhabers bereits kein tatbestandliches Unrecht verwirklichen kann.223 Der Straftatbestand des § 203 Abs. 1 Nr. 1 StGB soll den freien Willen des Einzelnen schützen und sicherstellen, dass dieser über Geheimnisse selbstbestimmt verfügen kann.224 Stimmt der Patient der Offenbarung eines Geheimnisses zu, kann sein Wille nicht durch die Tatbestandshandlung der Offenbarung verletzt werden.225 Das Merkmal des Offenbarens beinhaltet somit nach dem Sinn und Zweck der Norm ein Handeln gegen den Willen des Rechtsgutsinhabers. Eine Schweigepflichtentbindung stellt dem Grundsatz nach folglich ein tatbestandsausschließendes Einverständnis dar. Nichtsdestotrotz teilen Jescheck / Weigend und Rogall eine gegenläufige Ansicht zu der Wirkung einer Schweigepflichtentbindung.226 Sie meinen, dass selbst eine Geheimnisoffenbarung mit Zustimmung des Rechtsgutsträgers eine Rechtsgutsverletzung bewirke. Infolge der Offenbarung erleide der Rechtsgutsträger – unabhängig von einer Schweigepflichtentbindung – einen Interessenverlust, da er in seiner sozialen Wertigkeit herabgesetzt werde.227 Zur Veranschaulichung wählen Jescheck / Weigend das Beispiel der ärzt­ lichen Offenbarung einer psychischen Störung des Patienten.228 Die Zustim220  Vgl. Fischer, vor §  32 Rn. 3b; Jakobs, AT, Abschn. 7 Rn. 104; Lenckner / Sternberg-Lieben, in: Schönke / Schröder, vor § 32 Rn. 31; Wessels / Beulke / Satzger, AT, Rn. 543; Tobinsky, Strafbarkeit des Arztes, S. 150; Heinrich, AT, Rn.  441 ff. 221  Muschallik, Die Befreiung, S. 90; Tobinsky, Strafbarkeit des Arztes, S. 150; ähnlich Sieber, in: FS Eser, S. 1155, 1162. 222  Tobinsky, Strafbarkeit des Arztes, S. 150; ähnlich Sieber, in: FS Eser, S. 1155, 1162. 223  Altenhain, in: Matt / Renzikowski, § 203 Rn. 33 ff.; Cierniak / Pohlit, in: MüKoStGB, § 203 Rn. 54 ff.; Lenckner / Eisele, in: Schönke / Schröder, § 203 Rn. 22; Kunze, Das Merkmal „unbefugt“, S. 156. 224  s. erstes Kapitel E. I. 5., 6. u. 7. 225  Tobinsky, Strafbarkeit des Arztes, S. 150; Sieber, in: FS Eser, S. 1155, 1162. 226  Jescheck / Weigend, AT, S.  373 f.; Rogall, NStZ 1983 1, 6. 227  Jescheck / Weigend, AT, S.  373 f.; Rogall, NStZ 1983 1, 6.



B. Durchbrechungen der Schweigepflicht123

mung des Patienten könne in solchen Fällen nur das Unrecht der eingetretenen Rechtsgutsverletzung – in Form der herabgesetzten sozialen Wertigkeit – ausschließen und habe daher als rechtfertigende Einwilligung zu gelten.229 Allerdings vermag diese Ansicht nur zu überzeugen, wenn das Schutzgut des § 203 Abs. 1 Nr. 1 StGB nach der Interessentheorie zu bestimmen wäre und die Schweigepflicht allein die „materielle Privatheit“ – das Interesse an der Darstellung – schützen würde. Dass dem so nicht ist, wurde bereits im ersten Kapitel dargelegt.230 Weiterhin gerät diese Sichtweise an ihre Grenzen, wenn die beschriebenen Verluste gerade nicht eintreten. So ist unklar, ob die unrechtsbegründende Rechtsgutsverletzung nach dieser Ansicht in einem Fall bejaht werden kann, in dem die betreffende Information von ihrem Inhalt her gar nicht geeignet ist die soziale Wertigkeit des Patienten herabzusetzen. Ein durch § 203 Abs. 1 Nr. 1 StGB geschütztes Geheimnis muss nämlich gerade nicht zwingenderweise peinliche oder sozialschädliche Tatsachen zum Inhalt haben231, wie etwa die psychische Störung des Patienten, die von Jescheck / Weigend für ihren Beispielsfall gewählt wurde. Dies unterscheidet den strafrechtlichen Geheimnisschutz von den Beleidigungsdelikten, deren Tathandlungen eine herabsetzende Wirkung haben. Die Beleidigungsdelikte sollen den Rechtsgutsträger vor einer Herabsetzung der Ehre schützen.232 Der Geheimnisschutz des § 203 StGB geht jedoch weiter. Nach absolut herrschender Ansicht soll selbst die Offenbarung des Patientennamens eine Schweigepflichtverletzung des Arztes darstellen.233 Zu diesem Ergebnis dürfte die vorgebrachte Ansicht aber nur schwer kommen, da die Offenbarung des Namens an sich wohl noch nicht die soziale Wertigkeit des Patienten herabsetzt und somit auch zu keiner Rechtsgutsverletzung führen dürfte. Welches Rechtsgut durch einen Bruch der Schweigepflicht verletzt wird, ist vielmehr nach der überzeugen228  Jescheck / Weigend,

AT, S.  373 f. AT, S.  373 f.; Rogall, NStZ 1983 1, 6. 230  s. erstes Kapitel E. I. 5., 6. u. 7. 231  BGH NJW 2000, 1426, 1427; OLG Oldenburg NJW 1982, 2615, 2616; Spickhoff, in: Spickhoff, Medizinrecht, § 205 Rn. 2; Gaidzik, in: NK-MedR, § 203 Rn. 3; Braun, in: Roxin / Schroth, HdB Medizinstrafrecht, S. 231; Weidemann, in: BeckOKStGB, § 203 Rn. 5. 232  Obgleich selbst bei den Beleidigungsdelikten differenziert wird, ob die Zustimmung den beleidigenden Charakter der Tathandlung entfallen lässt: vgl. Kühl, in: Lackner / Kühl, § 185 Rn. 12; Lenckner / Eisele, in: Schönke / Schröder, § 185 Rn. 15. 233  BGH NJW 2000, 1426, 1427; OLG Oldenburg NJW 1982, 2615, 2616; Erlinger / Warntjen / Bock, in: MAH Strafverteidigung, § 50 Rn. 130; Spickhoff, in: Spickhoff, Medizinrecht, § 205 Rn. 2; Gaidzik, in: NK-MedR, § 203 Rn. 3; Braun, in: Roxin / Schroth, HdB Medizinstrafrecht, S. 231; Weidemann, in: BeckOK-StGB, § 203 Rn. 5; Kühne, NJW 1977, 1478, 1479; Duttge, iurratio 2016, 1, 2. 229  Jescheck / Weigend,

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2. Kap.: Umfang und Grenzen der ärztlichen Schweigepflicht

den Willenstheorie zu bestimmen.234 Die Tathandlung des unbefugten Offenbarens erfordert demnach ein Handeln entgegen dem Willen des Patienten. Eine Geheimnisoffenbarung mit Zustimmung des Patienten kann keine Rechtsgutsverletzung bewirken und führt somit zum Tatbestandsausschluss.235 Gleichwohl widerspräche es dem Normzweck des § 203 Abs. 1 Nr. 1 StGB, an die Wirksamkeit der Schweigepflichtentbindung die üblichen Voraussetzungen eines tatbestandsauschließenden Einverständnisses zu stellen.236 Zu einer effektiven Umsetzung des informationellen Selbstbestimmungsrechts gehört, dass der Entscheidungsakt des Patienten volle Beachtung erlangt und der Patient diesen Entscheidungsakt im Bewusstsein der Konsequenzen seiner Erklärung ausübt. Dies kann das rein faktisch wirkende tatbestandsauschließende Einverständnis nicht leisten. Denn hiernach wären Willensmängel des Patienten für die tatbestandsausschließende Wirkung irrelevant. Ebenso müsste der Patient seinen Verzicht auf die Geheimhaltung nicht gegenüber dem Arzt erklären.237 Dass die üblichen Voraussetzungen des tatbestandsauschließenden Einverständnisses nicht zu § 203 StGB passen, stellt sich aber keinesfalls als Problem dar. Denn es besteht keine Notwendigkeit für die Schweigepflichtentbindung an diesen Voraussetzungen festzuhalten.238 Abgesehen davon, dass die herkömmliche Unterscheidung von Einverständnis und Einwilligung schon nicht kritiklos geblieben ist,239 ist anerkannt, dass sich die Anforderungen an die Wirksamkeit eines tatbestandausschließenden Einverständnis nicht verallgemeinern lassen, sondern sich nach den Besonderheiten und dem Schutzgut des einzelnen Tatbestandes richten.240 So wird etwa für die Wirksamkeit eines tatbestandsauschließenden Einverständnisses in ver234  s.

erstes Kapitel E. I. 5., 6. u. 7. zust.: OLG Köln NJW 1962, 686, 687 f.; Cierniak / Pohlit, in: MüKoStGB, § 203 Rn. 54 ff.; Altenhain, in: Matt / Renzikowski, § 203 Rn. 33 ff.; Lenckner / Eisele, in: Schönke / Schröder, § 203 Rn. 22; Theuner, Die ärztliche Schweigepflicht, S.  165 ff.; Tobinsky, Strafbarkeit des Arztes, S. 151 ff.; Kunze, Das Merkmal „unbefugt“, S. 156; Sieber, in: FS Eser, S. 1155, 1162. 236  Theuner, Die ärztliche Schweigepflicht, S. 164; Tobinsky, Strafbarkeit des Arztes, S.  150 ff.; Altenhain, in: Matt / Renzikowski, § 203 Rn. 33 ff.; ebenso wohl Roxin, AT I, § 13 Rn. 82. 237  Theuner, Die ärztliche Schweigepflicht, S. 165. 238  Lenckner / Sternberg-Lieben, in: Schönke / Schröder, vor § 32 Rn. 32a; Cierniak / Pohlit, in: MüKo-StGB, § 203 Rn. 58 ff. 239  Vgl. Schlehofer, in: MüKo-StGB, vor § 32 Rn. 124 ff.; Schroth, in: FS Volk, S. 719, 720 ff. m.w. Nachw.; Wessels / Beulke / Satzger, AT, Rn.  540 f.; s. a. Weigend, ZStW 98 (1986), 44, 61. 240  Vgl. Jescheck / Weigend, AT, S. 374; Jakobs, AT, Abschn. 7 Rn. 106 ff.; Theuner, Die ärztliche Schweigepflicht, S. 165 ff.; Tobinsky, Strafbarkeit des Arztes, 235  I. E.



B. Durchbrechungen der Schweigepflicht125

mögenswertbeeinträchtigende Delikte nicht nur gefordert, dass der Zustimmende die Fähigkeit zur natürlichen Willensbildung besitzt, sondern dass er zivilrechtlich geschäftsfähig ist.241 Daher sind für die Wirksamkeit des Einverständnisses im Rahmen von § 203 Abs. 1 Nr. 1 StGB abweichende Anforderungen aufzustellen, um eine effektive Ausübung des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung sicherzustellen. Zunächst kann das Recht auf informationelle Selbstbestimmung nur ausgeübt werden, wenn der Patient aufgrund eines „informed consent“ seinen Willen bilden kann und er sich im Klaren ist, für was er seine Zustimmung erklärt.242 Geht es um die Preisgabe von Privatgeheimnissen, muss der Patient aufgrund seiner Einsichts- und Urteilsfähigkeit in der Lage sein, die Bedeutung und Tragweite seiner Entscheidung zu ermessen. Weiterhin wird das Selbstbestimmungsrecht des Patienten erst dann gewahrt, wenn der Arzt aufgrund einer ausdrücklich oder konkludent erklärten Entscheidung des Patienten agiert. Eine rein innerlich erklärte Zustimmung kann daher nicht für den Ausschluss des Tatbestandes reichen. Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass sich die Wirksamkeitsvoraussetzungen, die nach dem Schutzweck der Norm an ein tatbestandausschließendes Einverständnis im Rahmen von § 203 StGB zu stellen sind, mit den Anforderungen decken, die üblicherweise einer rechtfertigenden Einwilligung auferlegt werden.243 Angesichts dieses Ergebnisses verwundert auch nicht, dass der korrekten Einordnung der Schweigepflichtentbindung in der Literatur teilweise wenig Aufmerksamkeit geschenkt wird und sie meist unkommentiert im Einklang mit der Rechtsprechung als rechtfertigende Einwilligung charakterisiert wird.244 Richtigerweise stellt die Schweigepflichtentbindung aber ein tatbestandsausschließendes Einverständnis mit den Wirksamkeitsvoraussetzungen einer rechtfertigenden Einwilligung dar.245 S. 152; Lenckner / Sternberg-Lieben, in: Schönke / Schröder, vor § 32 Rn. 32a; Roxin, AT I, § 13 Rn. 82 ff. 241  Lenckner / Sternberg-Lieben, in: Schönke / Schröder, vor § 32 Rn. 32a; Roxin, AT I, § 13 Rn. 83. 242  Theuner, Die ärztliche Schweigepflicht, S. 165; Tobinsky, Strafbarkeit des Arztes, S.  153 ff.; Cierniak / Pohlit, in: MüKo-StGB, § 203 Rn. 58 ff. 243  Cierniak / Pohlit, in: MüKo-StGB, § 203 Rn. 58 f. 244  Vgl. Vitkas, Grenzen ärztlicher Schweigepflicht, S.  45  ff.; Eichelbrönner, Grenzen der Schweigepflicht, S. 95 ff.; Deschl, Berufsgeheimnis, S. 46; Höflich, Die ärztliche Schweigepflicht, S. 92 ff.; Bosch, JURA 2013,780, 789; Kawelovski, Kriminalistik 2015, 388, 389; Ulsenheimer, Arztstrafrecht, I § 8 Rn.  373 ff.; Kraatz, Arztstrafrecht, Rn. 245; Popp, in: AnwK-StGB, § 203 Rn. 42; Heger, in: Lackner / Kühl, § 203 Rn. 18 ff. 245  Theuner, Die ärztliche Schweigepflicht, S. 165; Tobinsky, Strafbarkeit des Arztes, S.  153 ff.; Altenhain, in: Matt / Renzikowski, § 203 Rn. 33 ff.; Lenckner / Eisele, in: Schönke / Schröder, § 203 Rn. 21, 72.

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2. Kap.: Umfang und Grenzen der ärztlichen Schweigepflicht

b) Ergebnis zur Einordnung Dem Merkmal „unbefugt“ muss demnach eine „Doppelfunktion“ attestiert werden.246 Die Entbindung von der Schweigepflicht ist als ein tatbestandsausschließendes Einverständnis zu verstehen – an das jedoch die Wirksamkeitsvoraussetzungen einer rechtfertigenden Einwilligung gestellt werden.247 Anderweitige Offenbarungsbefugnisse und -pflichten sind hingegen als Rechtfertigungsgründe zu werten. 3. Verhältnis der „Befugnisse“ untereinander Ferner ist zu klären, ob die verschiedenen Offenbarungsbefugnisse und -pflichten und die Schweigepflichtentbindung nebeneinander überhaupt anwendbar sind oder miteinander konkurrieren. Hierzu kann bereits festgehalten werden, dass der verschwiegenheitsverpflichtete Arzt gemäß dem individualistischen Schutzgutverständnis von § 203 Abs. 1 Nr. 1 StGB vorwiegend und zu allererst die Möglichkeit einer Schweigepflichtentbindung in Betracht zu ziehen und anzutreiben hat. Entspricht eine Geheimnisoffenbarung dem erklärten Willen des Rechtsgutsträgers, kann diese bereits keine Rechtsgutsverletzung darstellen, selbst wenn andere Rechtfertigungsgründe die konkrete Geheimnisoffenbarung rechtfertigen sollten. Daher wird in der folgenden Untersuchung zunächst darauf einzugehen sein, wann eine ärztliche Geheimnisoffenbarung zur Verhinderung und Aufdeckung von Straftaten als von dem Willen des Patienten abgedeckt zu werten ist. Sollte keine Schweigepflichtentbindung vorliegen, gilt der Grundsatz, dass alle Rechtfertigungsgründe, die auf den in Rede stehenden Sachverhalt zutreffen, unabhängig voneinander und somit nebeneinander anwendbar sind.248 246  OLG Köln NJW 1962, 686, 687 f.; Lenckner / Eisele, in: Schönke / Schröder, § 203 Rn. 21, 72; Tsambikakis, FAKomm-MedR, § 203 StGB Rn. 43; Altenhain, in: Matt / Renzikowski, § 203 Rn. 33 ff.; Gössel / Dölling, BT 1, § 37 Rn. 152; Weidemann, in: BeckOK-StGB, § 203 Rn. 33 ff.; Cierniak / Pohlit, in: MüKo-StGB, § 203 Rn. 54; M. Jakobs, JR 1982, 359; Maurach / Schroeder / Maiwald, BT 1, § 29 III Rn. 45; Kunze, Das Merkmal „unbefugt“, S. 156; Theuner, Die ärztliche Schweigepflicht, S. 165; Tobinsky, Strafbarkeit des Arztes, S. 153 ff.; Muschallik, Die Befreiung, S. 49, 90. Im Folgenden wird daher auch die Terminologie der rechtfertigenden Einwilligung verwendet. 247  Theuner, Die ärztliche Schweigepflicht, S. 165; Tobinsky, Strafbarkeit des Arztes, S.  153 ff.; Altenhain, in: Matt / Renzikowski, § 203 Rn. 33 ff.; Lenckner / Eisele, in: Schönke / Schröder, § 203 Rn. 21, 72. 248  Jakobs, AT, Abschn. 11 Rn. 16; Warda, in: FS Maurach, S. 143, 149 ff.; Roxin, AT I, § 14 Rn. 45; Lenckner / Sternberg-Lieben, in: Schönke / Schröder, vor § 32 Rn. 28a.



B. Durchbrechungen der Schweigepflicht127

Eine Ausnahme von der parallelen Anwendbarkeit ist jedoch in Fällen zu machen, in denen eine Spezialität eines Rechtfertigungsgrundes vorliegt.249 Die Frage nach dem Verhältnis und der Spezialität der einzelnen Rechtfertigungsgründe untereinander stellt sich allerdings nur, wenn die konkrete Offenbarung im Einzelfall durch mehrere Erlaubnistatbestände oder Pflichten des Arztes abgedeckt sein sollte und das Unrecht nicht nur exklusiv durch einen Rechtfertigungsgrund ausgeschlossen wird.250 Daher ist im Folgenden ebenfalls zu untersuchen, ob überhaupt mehrere Rechtfertigungsgründe zur initiativen Aufdeckung und Verhinderung von Straftaten greifen, wenn diese Offenbarung nicht dem Willen des Patienten entspricht.

II. Offenbarung im tatsächlichen und mutmaßlichen Willen des Patienten Um dem Selbstbestimmungsrecht des Patienten gerecht zu werden, sollte sich ein Arzt zunächst stets um eine Entbindung von seiner Schweigepflicht bemühen, wenn er die Straftat, die gegen seinen Patienten begangen wurde, Strafverfolgungsbehörden, der Polizei oder Jugendämtern offenbaren möchte. 1. Schweigepflichtentbindung Obgleich die Schweigepflichtentbindung ein tatbestandausschließendes Einverständnis in die Weitergabe des Geheimnisses darstellt, sind an ihre Wirksamkeit, wie bereits zuvor dargelegt, identische Anforderungen wie an eine rechtfertigende Einwilligung zu stellen.251 Erste Voraussetzung für die Wirksamkeit der Schweigepflichtentbindung ist demnach, dass der Erklärende zur Disposition über den strafrechtlichen Schutz befugt ist. Nach den bisherigen Erkenntnissen steht dies dem Patienten zu – auch für Drittgeheimnisse.252 Zudem muss der Patient fähig sein, den Arzt von der Schweigepflicht zu entbinden. Bei volljährigen Patienten ist ohne gegenteilige Anhaltspunkte von einer solchen Fähigkeit auszugehen.253 249  Jakobs, AT, Abschn. 11 Rn. 17; J. Schmitz, Rechtfertigender Notstand, S. 99; Warda, in: FS Maurach, S. 143, 149 ff., 170; Engländer, in: Matt / Renzikowski, vor § 32 Rn. 12. 250  Warda, in: FS Maurach, S. 143, 144. 251  s. zweites Kapitel B. I. 2. 252  s. zweites Kapitel A. II. 4. 253  Knauf, Mutmaßliche Einwilligung, S. 30; Göbel, Einwilligung S. 76. Zur Situation von Patienten, die diese Fähigkeit missen s. zweites Kapitel B. II. 3.

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2. Kap.: Umfang und Grenzen der ärztlichen Schweigepflicht

Weiterhin muss die Schweigepflichtentbindung gegenüber dem Arzt erklärt werden. Die Erklärung an sich bedarf keiner besonderen Form. Grundsätzlich kann sowohl ausdrücklich als auch konkludent durch schlüssiges Verhalten getätigt werden.254 Gleichwohl ist bei der Annahme einer konkludenten Schweigepflichtentbindung „Zurückhaltung geboten“.255 Bei dem Erklärenden dürfen keine Willensmängel vorliegen, d. h. der Patient muss grundsätzlich wissen auf was er verzichtet und sich über die Reichweite und Konsequenzen dieser Erklärung im Klaren sein.256 Desto gewichtiger die Folgen des Verzichts sind, umso weniger wird man davon ausgehen können, dass dieser durch eine schlüssig erklärte Zustimmung abdeckt ist.257 Gerade die Einschaltung von Strafverfolgungsbehörde, Polizei oder Jugendamt setzt mitunter Prozesse in Gang, über die das Straftatopfer nur noch bedingt verfügen kann. Aufgrund der damit verbundenen, teils irreversiblen Folgen, wird der Arzt seine Geheimnisoffenbarung in solchen Fällen grundsätzlich nur auf eine ausdrückliche Zustimmung des Straftatopfers stützen dürfen, um nicht in den Bereich des bedingten Vorsatzes zu einer unbefugten Geheimnisoffenbarung zu gelangen.258 Schließlich darf der Arzt mit seiner Geheimnisoffenbarung nicht die inhaltliche Reichweite der konkreten Schweigepflichtentbindung überschreiten. Eine Schweigepflichtentbindung kann nämlich nicht nur universell, sondern auch partiell mit personellen und sachlichen Beschränkungen erklärt werden.259 Stimmt etwa ein Vergewaltigungsopfer der Beachrichtung der Angehörigen zu, ist der Arzt nur gegenüber den benannten Angehörigen von seiner Schweigepflicht entbunden. Polizei oder Strafverfolgungsbehörden einzuschalten, würde in einem solchen Fall immer noch eine tatbestandliche Geheimnisoffenbarung darstellen. Zusammenfassend lässt sich folgendes zur Schweigepflichtentbindung konstatieren: Der Arzt ist zum Zwecke der initiativen Straftataufklärung und 254  Vgl. OLG Hamm MedR 1995, 328, 329; OLG München NJW 1993, 797, 798; Gaidzik, in: NK-MedR, § 203 Rn. 11; Fischer, § 203 Rn. 33; Schünemann, in: LK-StGB, § 203 Rn. 106; Cierniak / Pohlit, in: MüKo-StGB, § 203 Rn. 61; Theuner, Die ärztliche Schweigepflicht, S. 164 ff. 255  Cierniak / Pohlit, in: MüKo-StGB, § 203 Rn. 62; Kargl, in: NK-StGB, § 203 Rn. 58; vgl. BGH NJW 1992, 2348, 2349; Sieber, in: FS Eser, S. 1157, 1172 f. 256  Hübner, Umfang und Grenzen, S. 92; Sauter, Das Berufsgeheimnis, S. 167; Cierniak / Pohlit, in: MüKo-StGB, §  203 Rn.  59; Lenckner / Eisele, in: Schönke / Schröder, § 203 Rn. 24. 257  Vgl. Hübner, Umfang und Grenzen, S. 93 ff.; „Zurückhaltung geboten“ laut: Cierniak / Pohlit, in: MüKo-StGB, § 203 Rn. 62; Kargl, in: NK-StGB, § 203 Rn. 58. 258  Vgl. Lenckner / Eisele, in: Schönke / Schröder, § 203 Rn. 24c. 259  BGHSt 38, 369, 371, OLG Frankfurt a. M. NStZ-RR 2005, 237; Lenckner / Eisele, in: Schönke / Schröder, § 203 Rn. 24d; Schünemann, in: LK-StGB, § 203 Rn. 104, 108; Goedel, Pflichten und Berechtigungen, S. 86.



B. Durchbrechungen der Schweigepflicht129

-verhinderung von seiner Schweigepflicht tatbestandlich befreit, wenn sein volljähriger Patient ihm ausdrücklich gestattet, sein Wissen über die Straftat mit den Strafverfolgungsbehörden oder sonstigen Behörden zu teilen. 2. Mutmaßliche Einwilligung Wurde der Arzt weder ausdrücklich noch konkludent von seiner Schweigepflicht entbunden, besteht weiterhin die Möglichkeit auf den mutmaßlichen Willen des Patienten zurückzugreifen.260 Stimmt eine Geheimnisoffenbarung mit dem mutmaßlichen Patientenwillen überein, vermag dies jedoch nur das Unrecht des Schweigepflichtbruches zu beseitigen, nicht aber schon die Tatbestandsmäßigkeit auszuschließen.261 Denn der mutmaßliche Wille stellt kein Äquivalent, sondern nur ein Surrogat der tatsächlichen Zustimmung des Rechtsgutsträgers dar.262 Der Rechtfertigungsgrund der mutmaßlichen Einwilligung soll zwei Fallgruppen erfassen. Erstens sollen über die mutmaßliche Einwilligung Konstellationen zu lösen sein, in denen die Zustimmung des Betroffenen nicht rechtzeitig eingeholt werden kann, die Handlung aber seinen Interessen entspricht; zweitens soll die mutmaßliche Einwilligung zu einer Rechtfertigung aus mangelndem Interesse führen, wenn ohne weiteres davon ausgegangen werden kann, dass der Betroffene auf eine Befragung keinen Wert legt.263 Zur Rechtfertigung einer ärztlichen Geheimnisoffenbarung in den hier in Rede stehenden Sachverhalten kann die mutmaßliche Einwilligung demnach nur eine untergeordnete Rolle spielen.264 Denn die zweite Fallgruppe der mutmaßlichen Einwilligung ist bei Geheimnisoffenbarungen, die sensible Themen wie Viktimisierungen und Straftaten zum Inhalt haben, evident nicht einschlägig. Kein Arzt kann ohne weiteres davon ausgehen, dass der Patient auf die Einholung seiner Zustimmung keinen Wert legt, wenn es um die Einschaltung von Strafverfolgungsbehörden oder der Polizei geht. Wessels / Beulke / Satzger, AT, Rn.  570 ff. in: Schönke / Schröder, vor § 32 Rn. 32d; Lenckner / Eisele, in: Schönke / Schröder, § 203 Rn. 27; Cierniak / Pohlit, in: MüKo-StGB, § 203 Rn. 84; a. A. Hoyer, in: SK-StGB, vor § 32 Rn. 34. 262  Vgl. Lenckner / Sternberg-Lieben, in: Schönke / Schröder, vor § 32 Rn. 54; Rönnau, in: LK-StGB, vor § 32 Rn. 220, Roxin, AT I, § 18 Rn. 4; ders., in: FS Welzel, S. 447, 448  ff.; Tachezy, Mutmaßliche Einwilligung und Notkompetenz, S. 40. 263  Sieber, in: FS Eser, S. 1157, 1175; Kühl, in: Lackner / Kühl, vor § 32 Rn. 19; Lenckner / Sternberg-Lieben, in: Schönke / Schröder, vor § 32 Rn. 54. 264  Schünemann, in: LK-StGB, § 203 Rn. 130; Hübner, Umfang und Grenzen, S. 98. 260  Vgl.

261  Lenckner / Sternberg-Lieben,

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2. Kap.: Umfang und Grenzen der ärztlichen Schweigepflicht

Auf den mutmaßlichen Willen kann in den hier in Rede stehenden Sachverhalten folglich bloß abgestellt werden, wenn eine ausdrückliche oder stillschweigende Schweigepflichtentbindung faktisch nicht eingeholt werden kann.265 Es muss sich um einen Lebenssachverhalt handeln, in dem der Patient aus tatsächlichen Gründen, wie etwa infolge einer Bewusstlosigkeit, nicht in der Lage ist, eine Schweigepflichtentbindung zu erteilen. Ebenso ist an die mutmaßliche Einwilligung zu denken, wenn ein Patient die Fähigkeit zum freiverantwortlichen Handeln misst und keine Zeit zur Bestellung eines Betreuers verbleibt.266 Eine mutmaßliche Einwilligung kommt demnach für die Rechtfertigung eines Schweigepflichtbruchs gegenüber Strafverfolgungsbehörden oder gefahrabwehrenden Behörden nur in Ausnahmefällen – wenn der Patient etwa bewusstlos oder unfähig zum freiverantwortlichen Handeln ist und eine Eilsituation besteht – in Betracht.267 Wie jedoch der mutmaßliche Wille – einer etwa bewusstlosen Person – ermittelt werden soll, variiert je nach dogmatischem Verständnis über die rechtliche Natur dieses Rechtsinstituts.268 Früher wurde die mutmaßliche Einwilligung noch als Unterfall des rechtfertigenden Notstands verstanden.269 Demnach wäre im Zuge einer objektiven, intrapersonalen Abwägung zu ermitteln, woran der Rechtsgutsträger vernünftigerweise ein Interesse haben wird. Teilweise wurde in der mutmaßlichen Einwilligung aber auch eine Ausprägung der zivilrechtlichen berechtigten Geschäftsführung ohne Auftrag erblickt, wonach das objektiv Nützliche in Kombination mit dem mutmaßlich Gewollten eine Rechtfertigung bewirken sollte. Nach diesen 265  Vgl. BGH NJW 1983, 2627, 2629 ff.; BGH NZS 2013, 553, 554 f.; BayObLG NJW 1987, 1492 ff.; Rönnau, in: LK-StGB, vor § 32 Rn. 221; Vitkas, Grenzen ärztlicher Schweigepflicht, S. 73; Spickhoff, in: Spickhoff, Medizinrecht, § 203 Rn. 34 ff.; Fischer, § 203 Rn. 36; Braun, in: Roxin / Schroth, Hdb Medizinstrafrecht, S. 245; Cierniak / Pohlit, in: MüKo-StGB, § 203 Rn. 84; Warda, in: FS Maurach, S. 143, 168; Kern, NJW 1994, 756; Sommer / Tsambikakis, in: MAH MedR, § 3 Rn. 116; D. Bender, MedR 2002, 626, 629; Hübner, Umfang und Grenzen, S. 96; Höflich, Die ärztliche Schweigepflicht, S. 99; Ulsenheimer, Arztstrafrecht, I § 8 Rn. 375; Weidemann, in: BeckOK-StGB, § 203 Rn. 39; Brettel / Vogt, Ärztliche Begutachtung, S. 75; Tachezy, Mutmaßliche Einwilligung und Notkompetenz, S. 40; Spickhoff, in: Spickhoff, Medizinrecht, § 203 Rn. 36. Keine Anwendung bei Verstorbenen nach: Kargl, in: NK-StGB, § 203 Rn. 63; Popp, in: AnwK-StGB, § 203 Rn. 51. 266  s. zweites Kapitel B. IV. 2. b) aa) (2). 267  Vgl. BGH NZS 2013, 553, 554 f.; Sommer / Tsambikakis, in: MAH MedR, § 3 Rn. 116; D. Bender, MedR 2002, 626, 629; Hübner, Umfang und Grenzen, S. 96; Höflich, Die ärztliche Schweigepflicht, S. 99; Ulsenheimer, Arztstrafrecht, I § 8 Rn. 375; Weidemann, in: BeckOK-StGB, § 203 Rn. 39; Spickhoff, in: Spickhoff, Medizinrecht, § 203 Rn. 36. 268  Vgl. Tachezy, Mutmaßliche Einwilligung und Notkompetenz, S. 45 ff. 269  Welzel, Strafrecht, S. 92; Bockelmann, NJW 1961, 944, 949; vgl. J. Schmitz, Rechtfertigender Notstand, S.  78 ff.



B. Durchbrechungen der Schweigepflicht131

Verständnissen trat der subjektiv vermutete Wille des Rechtsgutsinhabers lediglich als zusätzliche Voraussetzung bzw. Korrektiv zu der objektiven Interessen- und Nutzenabwägung hinzu.270 Diese Ansichten gelten jedoch mittlerweile wegen ihrer Unvereinbarkeit mit dem Autonomieprinzip und der eigenständigen Rechtsnatur der mutmaßlichen Einwilligung zu Recht als überholt.271 Nach heutigem herrschendem Verständnis stellt die mutmaßliche Einwilligung als ein Surrogat der erteilten Einwilligung dar, weswegen der mutmaßliche Wille primär durch die individuellen Interessen, Wünsche, Bedürfnisse und Wertvorstellungen des Patienten zu bestimmen ist.272 Je weniger Indizien auf den subjektiven Willen vorhanden sind, desto mehr darf der mutmaßliche Wille nach dem Maßstab ergründet werden, wie sich ein verständiger Mensch in der jeweiligen Situation allgemein entscheiden würde – und damit zu einer Frage der Interessenabwägung werden.273 In Anbetracht der nach heutigem Verständnis geltenden Kriterien zur Bestimmung des mutmaßlichen Patientenwillens wird deutlich, dass der mutmaßlichen Einwilligung zur Rechtfertigung von ärztlichen Geheimnisoffenbarungen von Viktimisierungen gegenüber Strafverfolgungsbehörden, der Polizei oder sonstigen Stellen, eine weitaus geringere Relevanz zukommt, als dies teilweise dargestellt wird.274 Zunächst wird der Arzt nur in den seltensten Fällen Hinweise auf die subjektiven Präferenzen des Straftatopfers finden. Denn hierfür müsste entweder der Arzt bereits in der Vergangenheit eine Unterredung mit dem Patient zu diesem Thema geführt haben, oder aber die Angehörigen des Patienten – die der Arzt im Einzelfall durch eine mutmaßliche Einwilligung des Patienten gerechtfertigt informiert und befragt hat – müssten zu berichten wissen, dass sich der Patient für eine Strafverfolgung in einer solchen Lage prinzipiell ausgesprochen hat. Sollten solche Hinweise auf die subjektiven Präferenzen des Patienten fehlen, ist stark anzuzweifeln, dass pauschal von einer mutmaßlichen Einwilligung des Patienten in die Offenbarung seiner Viktimisierung gegenüber der Polizei oder anderen Stellen ausgegangen werden darf, wenn dies nicht 270  Rein objektive Bestimmung nach Goedel, Pflichten und Berechtigungen, S.  92 f. 271  J. Schmitz, Rechtfertigender Notstand, S. 78 ff.; Knauf, Mutmaßliche Einwilligung, S.  59 ff.; Braun, in: Roxin / Schroth Hdb Medstr, S. 245 m. w. N. 272  BGH NZS 2013, 553, 554; Kargl, in: NK-StGB, § 203 Rn. 61; Hübner, Umfang und Grenzen, S. 96 ff.; Huster / Rux, NWVBl. 2008, 455, 456; zur mutmaßlichen Einwilligung in ärztliche Heileingriffe: BGHSt 35, 2456, 249, BGH NJW 200, 886; Knauf, Mutmaßliche Einwilligung, S. 63 ff. 273  Vgl. BGHSt 40, 257, 263; OLG Naumburg NJW 2005, 2017, 2018 f.; Erb, in: MüKo-StGB, § 34 Rn. 37; Roxin, in: FS Welzel, S. 447, 464 ff. 274  Vgl. Landesärztekammer Berlin, Merkblatt zur ärztlichen Schweigepflicht, 2008, S. 6; Trube-Becker, Gewalt gegen das Kind, S. 129.

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2. Kap.: Umfang und Grenzen der ärztlichen Schweigepflicht

aus präventiven Gründen notwendig ist.275 Sollten dem Patienten im Einzelfall ohne Einschaltung von gefahrabwehrenden Behörden, wie der Polizei, weitere Straftaten drohen, wird das Selbsterhaltungsinteresse einer verständigen Person regelmäßig das Interesse an dem Erhalt des Geheimnisschutzes überwiegen und eine mutmaßliche Einwilligung vorliegen. Dies gilt freilich umso mehr, je gravierender die zu befürchtenden Straftaten sind. Hierfür müsste jedoch überhaupt davon auszugehen sein, dass weitere Straftaten bevorstehen. Fehlt es jedoch an solchen Anhaltspunkten wird man nicht im Allgemeinen davon ausgehen dürfen, dass sich ein verständiger Mensch nach einer Gewalt- oder Sexualstraftat aus rein repressiven Gründen für die Einschaltung der Strafverfolgungsbehörden entscheiden würde.276 Ein Strafverfahren kann dem Opfer zwar gewisse Vorteile – etwa in Form der Verarbeitung der Tat oder der Genugtuung – bieten. Ebenso kann der Strafprozess dem Verletzten finanzielle Vorteile bieten. So können dem Opfer durch ein Adhäsionsverfahren finanzielle Ansprüche gegen den Täter erwachsen.277 Und auch soziale Entschädigungsleistungen nach dem Opferentschädigungsgesetz (OEG) sind dem Verletzten zumindest de jure sicher, da der Versagungsgrund des § 2 Abs. 2 OEG nicht mehr greifen kann, wenn die Straftat aufgeklärt werden konnte.278 Gleichwohl stehen den Vorteilen der repressiven Strafverfolgung gravierende Nachteile und Risiken entgegen, die bei der Beurteilung des mutmaßlichen Willens eines Straftatopfers nur zu gern vergessen werden. Ein Strafverfahren birgt das Risiko einer sekundären Viktimisierung.279 Der Zeugenstatus des Opfers ist oft mit schwerwiegenden Belastungen verbunden, die im schlimmsten Fall den Verarbeitungsprozess der Tat zunichtemachen können.280 Die allgemein niedrige und verzögerte Bereitschaft zur Anzeige von Kontaktdelikten – d. h. Delikte mit unmittel275  So jedoch Landesärztekammer Berlin, Merkblatt zur ärztlichen Schweigepflicht S. 6, Trube-Becker, Gewalt gegen das Kind, S. 129; krit. ebenfalls Ulsenheimer, Arztstrafrecht, I § 8 Rn. 375. 276  So jedoch: Landesärztekammer Berlin, Merkblatt zur ärztlichen Schweigepflicht S. 6, Trube-Becker, Gewalt gegen das Kind, S. 129; krit. ebenfalls Ulsenheimer, Arztstrafrecht, I § 8 Rn. 375. 277  Vgl. Eder-Rieder, in: FS Gössel, S. 565, 569 ff. 278  Vgl. LSG Bayern, Urteil v. 30.04.2015  – L 15 VG 24 / 09 = BeckRS 2015, 72796; LSG Berlin-Brandenburg, Urteil v. 21.05.2014  – L 11 VG 25 / 12 = BeckRS 2014, 70456; Gelhausen, Entschädigungsrecht, Rn. 849 ff.; Gelhausen, in: Gelhausen / Weiner, OEG § 2 Rn. 56; Doering-Striening, in: Doering-Striening, HdB Opferrechte, § 3 Rn. 255 ff. Obgleich in der Praxis die restriktive Handhabung teilweise moniert wird. 279  Vgl. BSG, Urteil v. 18.10.1995  – 9 RVg 4 / 93 = BeckRS 1995, 30757381; Lachmann, MschrKrim 1988, 47, 56 ff. m.w. Nachw. 280  Vgl. BSG, Urteil v. 18.10.1995  – 9 RVg 4 / 93 = BeckRS 1995, 30757381; Lachmann, MschrKrim 1988, 47, 56 ff.; Herrmann / Dettmeyer / Banaschak / Thyen, Kindesmisshandlung, S. 296; ähnlich Gunder, Kinder im Strafverfahren, S. 120.



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barem körperlichem Kontakt zum Täter – legt sogar insgesamt nahe, dass sich die überwiegende Anzahl von Opfern von Gewalt- und Sexualdelikten nicht für die Einschaltung von Strafverfolgungsbehörden und Polizei entscheiden würde.281 Geht es um Sexualdelikte sind meist noch weniger Opfer bereit, die Tat anzuzeigen.282 Weiterhin ist nicht gesagt, dass das Wissen des Arztes eine Überführung und Verurteilung des Täters garantiert. Ein Prozess, der nicht in einer Verurteilung des Täters endet, kann die psychische Belastung für das Opfer sogar erhöhen.283 Bei der Beurteilung des mutmaßlichen Willens eines Straftatopfers – müssen darüber hinaus stets die Auswirkungen auf das soziale Umfeld des Betroffenen berücksichtigt werden. Ist der Täter ein Familienmitglied oder eine nahestehende Person droht dem Opfer eine Zerrüttung des sozialen Umfelds – und zwar unabhängig von dem Ausgang des Verfahrens, das mit der Einschaltung der Strafverfolgungsbehörden oder gefahrabwehrenden Behörden einhergeht. Diese Erwägungen bestätigen empirische Befragungen von Opfern. Die allgemeine Anzeigebereitschaft scheint demnach unabhängig vom Deliktstyp mit steigender persönlicher oder familiärer Verbundenheit von Opfer und Täter zu sinken;284 was die Annahme einer mutmaßlichen Einwilligung gerade im Bereich der häuslichen Gewalt sehr bedenklich erscheinen lässt. Demnach gilt, dass nicht generell davon ausgegangen werden darf, es entspreche dem mutmaßlichen Willen des Patienten, seine Viktimisierung – insbesondere im Bereich der häuslichen Gewalt und der Sexualdelikte – zur Kenntnis von Polizei und Strafverfolgungsbehörden zu bringen.285 Da die mutmaßliche Einwilligung nicht als Instrument der paternalistischen Zwangsfürsorge missbraucht werden darf, wird der Arzt eine initiative Straftataufklärung von Kontaktdelikten regelmäßig nicht mit einer mutmaßlichen Einwilligung des Patienten rechtfertigen können, es sei denn er weiß, 281  Vgl. Kriminalistisch-Kriminologische Forschungsstelle LKA NRW, 2 / 2006, 2.2. S. 4 ff.; nach einer Befragung von Kilchling, Opferinteressen, S. 212, erwogen 63,1 % der Opfer von Kontaktdelikten eine Anzeige; in nur etwa der Hälfte der Fälle (31,8 %) wurde sie jedoch tatsächlich erstattet. 282  Bei sexueller Gewalt und Belästigung besteht nach einer Untersuchung von Kilchling, Opferinteressen, S. 213 ff. mit 13,3 % eine besonders geringe Anzeigequote; vgl. Kriminalistisch-Kriminologische Forschungsstelle LKA NRW, 2 / 2006, 2.2.3 S. 7 ff.; vgl. ebenso: Brettel, in: Göppinger, Kriminologie, § 29 Rn. 37 u. Wetzels / Pfeiffer, Sexuelle Gewalt, S. 5 ff. 283  Vgl. Orth, SJR 2002, 313, 319 ff. 284  Kriminalistisch-Kriminologische Forschungsstelle LKA NRW, 2 / 2006, 2.2.3 S. 8 ff.; bei sexueller Gewalt vgl. Wetzels / Pfeiffer, Sexuelle Gewalt, S. 5 ff.; Schwind, Kriminologie, § 20 Rn. 9 f. 285  So jedoch Landesärztekammer Berlin, Merkblatt zur ärztlichen Schweigepflicht, 2008, S. 6; Trube-Becker, Gewalt gegen das Kind, S. 129.

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2. Kap.: Umfang und Grenzen der ärztlichen Schweigepflicht

dass dies dem subjektiven Willen des Patienten entspricht oder davon auszugehen ist, dass dem Patienten ohne Einschaltung einer gefahrenabwehrenden Behörde gravierende Straftaten drohen noch bevor der Patient selbst sein ausdrückliches Einverständnis erklären kann. 3. Schweigepflichtentbindung durch minderjährige oder unter Betreuung stehende Patienten Ist der in Rede stehende Patient des Arztes minderjährig, steht unter Betreuung oder leidet unter einer Krankheit, die seine Einsichts- und Urteilsfähigkeit beeinträchtigt, ergeben sich für den Arzt weitere Besonderheiten, wenn er sich von seiner Schweigepflicht befreien lassen will. Mittlerweile ist überwiegend anerkannt, dass es selbst minderjährigen, erkrankten und unter Betreuung stehenden Patienten im Einzelfall zustehen kann, eigenständig über den strafrechtlichen Schutz ihrer Rechtsgüter zu verfügen.286 Ausnahmen sollen hiervon nur gemacht werden, wenn eine minderjährige, erkrankte oder unter Betreuung stehende Person auf den Schutz von Vermögenswerten verzichten will – was auch den Verzicht auf die Geheimhaltung von Geschäftsgeheimnissen miteinschließt. Für solche Fälle soll eine wirksame Schweigepflichtentbindung eine Geschäftsfähigkeit nach zivilrechtlichen Maßgaben erfordern.287 Bei Geheimnissen, die Gewalt- und Sexualstraftaten zum Inhalt haben, handelt es sich allerdings nicht um Geschäftsgeheimnisse, sondern um Privatgeheimnisse. Der Verzicht auf den Schutz solcher persönlichen Geheimnisse stellt keine zivilrechtliche Willenserklärung dar und ist mangels geschäftsähnlichen Charakters auch nicht mit einer zivilrechtlichen Willenserklärung vergleichbar.288 Die zivilrechtlichen Vorschriften der §§ 104 ff. BGB sind weder direkt noch analog auf Konstellationen anwendbar, in denen der Arzt von seiner Schweigepflicht über ein solches Privatgeheimnis entbunden werden soll.289 Der minderjährige, er286  BayObLGZ 1985, 53, 56; Al. Bender, MedR 1997, 7, 16; Muschallik, Die Befreiung, S. 76; Heger, in: Lackner / Kühl, § 203 Rn. 18; Laufs, NJW 1979, 1230, 1233; Klein, RDG 2010, 172, 176; Schünemann, in: LK-StGB, § 203 Rn. 94; Cierniak / Pohlit, in: MüKo-StGB, § 203 Rn. 49; Diederichsen, in: FS Hirsch, S. 355, 360; Hasenburg, in: Ärztliche Schweigepflicht, S. 19, 23; a. A. Nebendahl, MedR 2009, 197, 204. 287  Kargl, in: NK-StGB, § 203 Rn. 53; Theuner, Die ärztliche Schweigepflicht, S. 165; Lenckner / Eisele, in: Schönke / Schröder, § 203 Rn. 24; a. A. Zipfs, Einwilligung, S. 41; vgl. Roxin, AT I, § 13 Rn. 83. 288  Vgl. Nebendahl, MedR 2009, 197, 199; Muschallik, Die Befreiung, S. 77; Zipfs, Einwilligung, S. 40; Knauf, Mutmaßliche Einwilligung, S. 15  ff.; Goedel, Pflichten und Berechtigungen, S. 82; a. A. Kl. Müller, in: jur. Problematik Medizin II, S. 75.



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krankte oder unter Betreuung stehende Patient muss vielmehr im konkreten Einzelfall fähig sein, die Bedeutung und Tragweite seines Verzichts ermessen können.290 Sollte eine solche Fähigkeit dem Patienten zukommen, bedeutet dies für den Arzt nicht nur, dass es allein auf die Schweigepflichtentbindung dieses Patienten ankommt, sondern auch, dass er die gesetzlichen Vertreter nicht ohne die Zustimmung des Patienten informieren darf.291 Denn bei ausreichender Einsichtsfähigkeit ist ausschließlich der Patient zur Verfügung über seinen Geheimnisschutz berufen.292 a) Bestimmung der Einwilligungsfähigkeit Durch welche Kriterien nun aber diese Fähigkeit bestimmt werden soll, ist nicht unumstritten. Ebenso wurde bisher weitestgehend offengelassen, ob die Kompetenz zur Verfügung über den Geheimnisschutz mit der Fähigkeit zur Einwilligung in den ärztlichen Heileingriff gleichläuft.293 Gleichwohl ließe eine generelle Synchronisierung der beiden Kompetenzen befürchten, dass die Eigenarten dieser verschiedenen Entscheidungen nicht genug berücksichtigt werden können.294 Eine Einwilligung in den ärztlichen Heileingriff betrifft das Rechtsgut der körperlichen Unversehrtheit, wohingegen die Schweigepflichtentbindung das informationelle Selbstbestimmungsrecht des Patienten betrifft. Weiterhin unterscheiden sich die jeweiligen Verfügungen in Reichweite und Schwere ihrer Folgen. In Literatur und Praxis finden sich Bemühungen, aus Gründen der Rechtssicherheit anhand von starren Kriterien festzulegen, wann ein Patient die notwendige Einsichts- und Urteilsfähigkeit für einen strafrechtlich 289  BayObLGZ 1985, 53, 56; vgl. Zipfs, Einwilligung, S. 40; Göbel, Einwilligung, S. 77 ff.; a. A. Kl. Müller, in: jur. Probl. Medizin S. 75. 290  Deutsch / Spickhoff, MedR, Rn. 942; Jescheck / Weigend, AT, S. 382; Roxin, AT I, § 13 Rn. 84 ff. 291  Kawelovski, Kriminalistik 2015, 388, 391; Muschallik, Die Befreiung, S. 77; Ulsenheimer, Arztstrafrecht, I § 1 Rn. 111; Cierniak / Pohlit, in: MüKo-StGB, § 203 Rn. 49; Hasenburg, in: Ärztliche Schweigepflicht, S. 19, 23. Zivilrechtliche Auskunftsansprüche können § 203 StGB nicht durchbrechen. Vielmehr droht dem Vertrag infolge eines Verstoßes gegen § 203 StGB wegen § 134 BGB die Nichtigkeit, vgl. Schröder, Auskunftsanspruch, S. 93 ff., 140. 292  BayObLGZ 1985, 53, 56; Kawelovski, Kriminalistik 2015, 388, 391; Kargl, in: NK-StGB, § 203 Rn. 52; Ulsenheimer, Arztstrafrecht, I § 1 Rn. 111; Diederichsen, in: FS Hirsch, S. 355, 360; Al. Bender, MedR 1997, 7, 16; Muschallik, Die Befreiung, S. 76; Heger, in: Lackner / Kühl, § 203 Rn. 18; Laufs, NJW 1979, 1230, 1233; Schünemann, in: LK-StGB, § 203 Rn. 94; Göbel, Einwilligung, S. 82; a. A. Nebendahl, MedR 2009, 197, 204. 293  Al. Bender, MedR 1997, 7, 16. 294  Al. Bender, MedR 1997, 7, 16.

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2. Kap.: Umfang und Grenzen der ärztlichen Schweigepflicht

wirksamen Verzicht besitzt.295 Was minderjährige Patienten anbelangt sollen feste Altersgrenzen eine Lösung bieten.296 So ist etwa einem Merkblatt der Landesärztekammer Baden-Württemberg zu entnehmen, ein Kind unter 14 Jahren sei stets unfähig, seinen Arzt von der Schweigepflicht zu entbinden.297 Derartige feste Altersgrenzen sind jedoch bedenklich, da sie einem Patienten, der das erforderte Alter noch nicht erreicht hat, die Ausübung seines Grundrechts auf informationelle Selbstbestimmung versagen, obwohl ihm für den konkreten Einzelfall bereits eine Grundrechtsmündigkeit zu attestieren sein könnte. Da sich derart pauschale Annahmen folglich nicht mit dem verfassungsrechtlichen Hintergrund des § 203 Abs. 1 Nr. 1 StGB vereinbaren lassen,298 sind feste Altersgrenzen oder andere starre Kriterien zur Bestimmung der Fähigkeit zur Erteilung der Schweigepflichtentbindung abzulehnen. Es ist vielmehr in jedem Einzelfall zu prüfen, ob der minderjährige, erkrankte oder unter Betreuung stehende Patient, nach seiner individuellen „geistigen und sittlichen Reife die Bedeutung und Tragweite des Eingriffs und seiner Gestattung zu ermessen vermag.“299 Amelungs „Drei-Stufen-Prüfung“300 bietet eine fassbare Konkretisierung zur Bestimmung dieser Fähigkeit.301 Demnach muss ein Verzichtender auf der ersten Stufe zunächst befähigt sein, Wertungen vorzunehmen, die sich mit seinem subjektiven Wertesystem decken.302 Dies bedeutet der Patient muss den Umständen und Faktoren, die durch die Geheimnisoffenbarung sowie die Geheimhaltung beeinflusst werden können – wie etwa Privatheit, Fa295  Nachfolgend zur Einwilligungsfähigkeit in ärztliche Heileingriffe: Rouka, Das Selbstbestimmungsrecht des Minderjährigen, S. 147; Knauer / Brose, Spickhoff, in: Medizinrecht, § 223 Rn. 57; Trockel, NJW 1972, 1493 ff.; Nebendahl, MedR 2009, 197, 199 ff. 296  Vgl. Nebendahl, MedR 2009, 197, 199 ff.; Wagner, SÄB 1981, 252, 253. 297  Landesärztekammer BW, Merkblatt zur ärztlichen Schweigepflicht, 2006, S. 1. 298  Vitkas, Grenzen ärztlicher Schweigepflicht, S. 54; Schröder, Auskunftsanspruch, S.  105 ff. 299  BGH NJW 1959, 811; BayObLGZ 1985, 53, 56; Muschallik, Die Befreiung, S. 76; Theuner, Die ärztliche Schweigepflicht, S. 165; Vitkas, Grenzen ärztlicher Schweigepflicht, S.  55 ff.; Lenckner / Eisele, in: Schönke / Schröder, § 203 Rn. 24; Schröder, Auskunftsanspruch, S. 116 ff.; zur Übertragbarkeit dieser Formel: BayObLGZ 1985, 53, 56; Al. Bender, MedR 1997, 7, 13; Vitkas, Grenzen ärztlicher Schweigepflicht, S. 56. 300  Amelung, ZStW 104 (1992), 525, 551 ff.; ders., R&P, 1995, 20 ff. 301  Knauf, Mutmaßliche Einwilligung, S. 27; Vitkas, Grenzen ärztlicher Schweigepflicht, S.  57 ff.; Reipschläger, Die Einwilligung Minderjähriger, S. 41 ff.; Schröder, Auskunftsanspruch, S.  105 ff.; Schroth, in: FS Volk, S. 719, 733 ff.; i. E. ähnlich: Stief, Einwilligungsfähigkeit, S. 164 u. Diederichsen, in: FS Hirsch, S. 355, 358. 302  Amelung, ZStW 104 (1992), 525, 551 ff.



B. Durchbrechungen der Schweigepflicht137

milie, Schutz vor weiteren Übergriffen, Verarbeitung der Tat, Genug­tuung, finanzieller Ausgleich – einen eigenen Wert zuschreiben können. Auf der zweiten Stufe muss der Patient die Fähigkeit besitzen, Tatsachen und Kausalverläufe zu erkennen.303 Da diese Fähigkeit vor allem intellektueller Natur ist, kommt dem Alter eines minderjährigen Patienten und der Krankheit bzw. dem körperlichen und geistigen Zustand eines erwachsenen Patienten freilich eine starke, indizielle Rolle zu.304 Erhebliches Gewicht kommen dabei aber auch Art, Umfang, Risiken und Folgen der konkret geplanten Geheimnisoffenbarung zu. Denn die Einwilligungsfähigkeit eines Patienten ist kein statischer, sondern ein dynamischer Zustand, der sich auf den konkreten Verzicht bezieht. Der minderjährige oder unter Betreuung stehende Patient muss folglich kognitiv erfassen können, welche möglichen Kausalverläufe die Offenbarung der konkreten Straftat gegenüber den Strafverfolgungsbehörden, der Polizei oder dem Jugendamt im Gegensatz zu der Geheimhaltung in Gang setzt und welche Risiken und Vorteile sich daraus ergeben. Hier fallen insbesondere Deliktsart, Wiederholungsgefahr, Beweislage und die Beziehung von Täter und Opfer ins Gewicht. Die Fähigkeit die von diesen Faktoren beeinflussten möglichen Kausalverläufe erkennen und abwägen zu können, wird bei minderjährigen Patienten umso eher anzunehmen sein, je näher sie sich an der Grenze zur Volljährigkeit befinden.305 Für Patienten, die unter Betreuung stehen, wird entscheidend sein, wie sehr ihre Erkrankung einen Verlust der Fähigkeit mit sich bringt, Tatsachen und Kausalverläufe richtig erfassen zu können. Auf der dritten und letzten Stufe muss der Patient fähig sein, gemäß seinen Wertungen und Erkenntnissen folgerichtig zu handeln.306 Wichtig ist hierbei die Widerspruchsfreiheit des Patientenhandelns allein anhand des subjektiven Wertesystems des Patienten zu messen. Es wäre ein Fehler anzunehmen, ein Patient besitze nicht die notwendige Reife zur Entscheidung über die Schweigepflichtentbindung, weil er eine objektiv unvernünftig anmutende Entscheidung treffen möchte.307 Das Selbstbestimmungsrecht gewährt ebenfalls die Freiheit, objektiv nachteilige und unvernünftige Entscheidungen zu treffen.308 Erkennt ein minderjähriges Opfer häuslicher Gewalt beispielsweise, dass es auch in Zukunft der Gewalt des Täters aus303  Amelung,

ZStW 104 (1992), 525, 553 ff.; ders. R&P, 1995, 20, 23 ff. den einzelnen Krankheiten und psychischen Störungen nach der ICD-10 vgl. Odenwald, Einwilligungsfähigkeit, S. 167 ff. 305  Kern, NJW 1994, 753, 755. 306  Amelung, ZStW 104 (1992), 525, 555 ff. 307  Vgl. Knauf, Mutmaßliche Einwilligung, S. 44 ff. 308  BGHSt 11, 111, 114; Knauf, Mutmaßliche Einwilligung S. 44 ff.; Schroth, in: FS Volk, S.  718 ff.; Roxin, AT I, § 13 Rn. 87. 304  Zu

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2. Kap.: Umfang und Grenzen der ärztlichen Schweigepflicht

gesetzt sein wird und wünscht es sich um jeden Preis ein gewaltfreies Aufwachsen ohne Gegenwart des Peinigers, wäre der Wunsch, eine gerichtlich verwertbar dokumentierte Tat geheim zu halten, grundsätzlich widersprüchlich. Diesem Minderjährigen dürfte – vorbehaltlich der Umstände des Einzelfalls – keine Entscheidung über die Schweigepflichtentbindung zugestanden werden. Anderes mag in einem Fall gelten, in dem sich etwa ein minderjähriges Opfer darüber im Klaren ist, dass es sich bei der Tat um eine einmalige Gewalttat eines Fremden handelte. Sieht es das Opfer als höchste Priorität an, das Bekanntwerden seiner Viktimisierung zu verhindern und legt keinen Wert die „Genugtuung“ oder Ansprüche aus einem Adhäsionsverfahren, kann in dem Wunsch der Geheimhaltung kein Widerspruch gefunden werden. In einem solchen Fall wird der Geheimhaltungswille des Opfers nicht aus dem Grund abgetan werden können, dass das Straftatopfer hierüber gar nicht entscheiden könne. Somit darf weder allen Patienten, die ihre Viktimisierung geheim halten wollen, die Fähigkeit zur Entscheidung über die Geheimhaltungsschutz abgesprochen werden, noch kann allen Patienten, die zum Zwecke der Straftataufklärung und -verfolgung der ärztlichen Geheimnisoffenbarung vermeintlich zustimmen, diese Fähigkeit zugestanden werden. In gewisser Weise obliegt dem Arzt sogar eine Pflicht zur Überprüfung und Feststellung dieser Fähigkeit, sobald sich ihm Anhaltspunkte für eine fehlende Urteilsund Einsichtsfähigkeit des Patienten auftun. Anderenfalls kann es sein, dass der Arzt bei einer Annahme der Urteils- und Einsichtsfähigkeit „ins Blaue hinein“ es billigend in Kauf nimmt, nicht wirksam von der Schweigepflicht befreit zu sein und somit bei der unbefugten Geheimnisoffenbarung mit Vorsatz handelt.309 b) Einwilligungsunfähiger Patient Sollte sich der in Rede stehende Patient nach den zuvor benannten Krite­rien als einwilligungsunfähig herausstellen, muss eine andere Person als Stellvertreter über die Schweigepflichtentbindung des Arztes entscheiden.310

309  In solchen Fällen kann nämlich wohl kaum von einem „ernsthaften“ Vertrauen auf eine wirksame Schweigepflichtentbindung gesprochen werden. Vgl. BGHSt 7, 363, 368 ff.; 36, 1, 10; BGH NJW 1988, 79, 80; NStZ 1984, 19. 310  Vgl. Kern, NJW 1994, 753; Jescheck / Weigend, AT, S. 382; Roxin, AT I, § 13 Rn.  92 ff.



B. Durchbrechungen der Schweigepflicht139

aa) Stellvertretende Entscheidung Ist das einwilligungsunfähige Straftatopfer ein minderjähriger Patient, sind grundsätzlich die Eltern gemäß §§ 1626, 1627, 1629 Abs. 1 S. 1, 2 BGB gemeinschaftlich zu der Vertretung des Kindes berufen.311 Bei unter Betreuung stehenden Person ist gemäß § 1902 BGB der Betreuer hierfür zuständig.312 Eine stellvertretende Entscheidung über die Schweigepflichtentbindung erfordert naturgemäß, dass die Vertreter über den zu entscheidenden Sachverhalt in Kenntnis gesetzt werden – was eine Kundgabe aller Einzelheiten der Viktimisierung und während der Untersuchung und Behandlung erlangten Erkenntnisse bedeutet. Die damit verbundene Eröffnung von Geheimnissen des Patienten stellt aber gleichwohl keinen tatbestandsmäßigen Schweigepflichtbruch des Arztes dar, da die Vertreter durch die gesetzliche Wertung der §§ 1629 Abs. 1, 1902 BGB keine „Dritten“ darstellen können, gegenüber denen eine Geheimnisoffenbarung in solchen Konstellationen tatbestandlich möglich ist.313 Folglich kann der Arzt die gesetzlichen Vertreter tatbestandslos über die Viktimisierung des einwilligungsunfähigen Patienten unterrichten und ihre Schweigepflichtentbindung erfragen. Diese Tatbestandlosigkeit der Geheimnisweitergabe gilt jedoch ausschließlich gegenüber den zur Vertretung berufenen Personen. Verlangt etwa die nicht personensorgeberechtigte Großmutter ohne Zustimmung der personensorgeberechtigten Eltern von dem Arzt Auskunft über den Gesundheitszustand ihres Enkels, da sie den Verdacht hegt, ihr Enkel werde von den Eltern misshandelt, verwirklicht eine Geheimniseröffnung ihr gegenüber den objektiven Tatbestand des § 203 Abs. 1 Nr. 1 StGB. Denn auch in einem solchen Fall sind allein die personensorgeberechtigten Eltern durch ihre Stellung als gesetzliche Vertreter als Personen zu werten, die keine „Dritten“ darstellen. Weiß der Arzt, dass die Großmutter ohne Zustimmung der Eltern handelt, bedarf die Geheimnisoffenbarung gegenüber der Großmutter in solchen Fällen einer Rechtfertigung. Hat ein erwachsener Patient noch keinen Betreuer, obwohl ihm aufgrund von einer Erkrankung die Fähigkeit fehlt, über die Geheimhaltung seiner Geheimnisse zu entscheiden, muss ihm grundsätzlich – wenn es die Situation zulässt – ein Betreuer bestellt werden. Dies sind nicht zwangsläufig 311  Veit, in: BeckOK-BGB, § 1629 Rn. 10  ff.; Huber, in: MüKo-BGB, § 1629 Rn.  1 ff. 312  Müller, in: BeckOK-BGB, § 1902 Rn. 1 ff.; Spickhoff, in: Spickhoff, MedR, BGB § 1902 Rn. 1 f.; Schwab, in: MüKo-BGB, § 1902 Rn. 1 ff. 313  Vgl. Spickhoff, in: Spickhoff, Medizinrecht, §  203 Rn. 39; Wolfslast, in: Rechtswissenschaft im Wandel, S. 361, 368.

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2. Kap.: Umfang und Grenzen der ärztlichen Schweigepflicht

seine nächsten Angehörigen.314 Auf ihre Entscheidung kommt es daher nicht an.315 Setzt der Arzt die nächsten Angehörigen über Geheimnisse des Patienten in Kenntnis, stellt auch dies eine tatbestandliche Geheimnisoffenbarung dar.316 bb) Vertretung konträr zu dem Patientenwohl Die zur Vertretung berufenen Personen haben in ihrer Entscheidung über die Schweigepflichtentbindung jedoch keinesfalls „freie Hand“. Obgleich ihnen ein gewisser „Spielraum“ zukommt, steht ihnen – im Gegensatz zu Patienten, die für sich selbst entscheiden – ein „Recht auf unvernünftige Entscheidungen“ gerade nicht zu.317 Die Vertreter sind in ihrer Entscheidung im Innenverhältnis nach §§ 1626 ff. bzw. §§ 1896 ff. BGB vielmehr treuhänderisch an das Wohl des Patienten gebunden.318 Konträr zu dem Wohl des Patienten werden sich die gesetzlichen Vertreter insbesondere dann verhalten, wenn sie selbst als Täter oder Mitwissende die Tat zu verantworten haben. Gerade in Fällen von Kindesmissbrauch und -misshandlung kommt nicht selten zumindest ein Elternteil als Täter oder Mitwissender in Betracht.319 Die Eltern bzw. der besagte Elternteil dürften in solchen Fällen wenig geneigt sein, den Arzt von der Schweigepflicht zu befreien, auch wenn dem Kind ohne Intervention weitere Übergriffe drohen. 314  Vgl. Schöch, in: Roxin / Schroth, Hdb Medizinstrafrecht, S. 64; Müller, in: BeckOK-BGB, § 1897 Rn. 4 ff.; Schwab, in: MüKo-BGB, § 1897 Rn. 1 ff.; Blei, PdW, AT, A. 121; Kern, NJW 1994, 753, 756. 315  Kern, NJW 1994, 753, 756; Blei, PdW, AT, A. 121. 316  Die in den meisten Fällen jedoch über die mutmaßliche Einwilligung gerechtfertigt sein wird. 317  Knauf, Mutmaßliche Einwilligung, S. 117. 318  Vgl. Schwab, in: MüKo-BGB, §  1901 Rn. 9; Müller, in: BeckOK-BGB, § 1901 Rn. 1 ff.; Veit, in: BeckOK-BGB, § 1627 Rn. 4; Erb, in: MüKo-StGB, § 34 Rn. 36; Kern, NJW 1994, 753, 759 ff. Das Wohl eines Patienten, der noch nie einwilligungsfähig war, muss primär anhand objektiver Kriterien ermittelt werden. Das Wohl einer Person, die bereits einmal einwilligungsfähig war, kann sich dagegen ebenso an subjektiven Präferenzen orientieren, die die betreffende Person zu einem früheren Zeitpunkt in einem noch selbstbestimmungsfähigen Zustand geäußert oder zum Ausdruck gebracht hat, vgl. Knauf, Mutmaßliche Einwilligung, S. 103 ff.; 111. 319  Kölmel, Kindesmisshandlung aus gerichtsmedizinischer Sicht, S.  8, 54; BMFSFJ, Gewalt gegen Mädchen und Jungen, S. 1; Mertens / Pankofer, Kindesmisshandlung, S.  57 ff.; Vitkas, Grenzen ärztlicher Schweigepflicht, S. 61; Rauch /  Weissenrieder, Rechtsmedizin 2004, 209, 211; Nixdorf, MSchrKrim 1982, 87, 89 ff.; Mertens / Pankofer, Kindesmisshandlung, S. 57 ff.; Herrmann / Dettmeyer / Banaschak / Thyen, Kindesmisshandlung, S. 114; H. Meyer, Klinisch-forensische Untersuchungen Hannover, S. 48, 90.



B. Durchbrechungen der Schweigepflicht141

Sollten die gesetzlichen Vertreter ihre Vertretungsbefugnis im Ergebnis im Einzelfall konträr zum Wohl des Patienten ausüben, sind ihre Erklärungen strafrechtlich – anders als im Zivilrecht320 – im Außenverhältnis unbeachtlich. Das in §§ 164 ff. BGB enthaltende zivilrechtliche Abstraktionsprinzip der Stellvertretung ist auf die strafrechtliche Zustimmung in die Offenbarung von Privatgeheimnissen mangels rechtsgeschäftlichen Charakters weder direkt noch analog anwendbar.321 Die konträr zum Wohl des Patienten verweigerte Schweigepflichtentbindung stellt für das strafrechtliche Berufsgeheimnis ein nullum dar, da keine gesetzliche Regelung existiert, die eine pflichtwidrig verweigerte Erklärung zu einer Erklärung umkehrt. Der Arzt bleibt folglich auch bei konträr zum Patientenwohl verweigerten Schweigepflichtentbindungen der Vertreter tatbestandlich an seine Schweigepflicht gebunden und muss eine Geheimnisoffenbarung auf anderweitige Befugnisse stützen. In medizinischer sowie juristischer Literatur finden sich Vorschläge, in derartigen Situationen auf die mutmaßliche Einwilligung des einwilligungsunfähigen Patienten zur Rechtfertigung der ärztlichen Geheimnisoffenbarung abzustellen.322 Dem muss jedoch zumindest im Hinblick auf konstitutionell einwilligungsunfähige Patienten stark widersprochen werden. Auf die mutmaßlichen Einwilligung von konstitutionell einwilligungsunfähigen Patienten – wie etwa Kleinkinder –, die noch nie eine Einwilligungsfähigkeit besaßen, zurückzugreifen wäre, wie Merkel zutreffend pointierte, nämlich nicht nur eine „blanke Spekulation, sondern schon eine begriffliche Unmöglichkeit.“323 Über einen Willen kann nur dann gemutmaßt werden, wenn der Rechtsgutsinhaber einen rechtlich wirksamen Verzichtswillen überhaupt bilden kann, diesen aber tatsächlich nicht vermag auszudrücken.324 Verhalten sich die Eltern als gesetzliche Vertreter in der Entscheidung über die Schweigepflichtentbindung konträr zum Kindeswohl, muss gemäß § 1666 Abs. 3 Nr. 5 BGB vielmehr das Familiengericht die Erklärung 320  Spickhoff,

in: Spickhoff, Medizinrecht, BGB § 1902 Rn. 1. Knauf, Mutmaßliche Einwilligung, S. 116 ff., 122; Nebendahl, MedR 2009, 197, 199; Muschallik, Die Befreiung, S. 77; Zipfs, Einwilligung, S. 40; Knauf, Mutmaßliche Einwilligung, S. 15 ff.; a. A. Kl. Müller, in: jur. Problematik Medizin II, S. 75. 322  So etwa Trube-Becker, Gewalt gegen das Kind, S. 129; Huster / Rux, NWVBl. 2008, 455, 456; wohl auch Vitkas, JR 2015, 353, 358; Stoppt Gewalt gegen Kinder, Leitfaden, S. 13. 323  Merkel, ZStW 107 (1995), 545, 564; ders., Früheuthanasie, S. 159; vgl. J. Schmitz, Rechtfertigender Notstand, S. 92. 324  Eichelbrönner, Grenzen der Schweigepflicht, S. 105; Knauf, Mutmaßliche Einwilligung, S. 68 ff.; a. A. Trube-Becker, Gewalt gegen das Kind, S. 129; Vitkas, JR 2015, 353, 358. 321  Vgl.

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2. Kap.: Umfang und Grenzen der ärztlichen Schweigepflicht

der Eltern ersetzen.325 Da die ärztliche Schweigepflicht aber auch gegenüber dem Familiengericht besteht,326 muss der Arzt den mit der Unterrichtung des Gerichts verbundenen Bruch seiner Schweigepflicht auf einen Rechtfertigungsgrund stützen. Etwas anderes mag jedoch gelten, wenn es um einen einwilligungsunfähigen Patienten geht, der zu einem früheren Zeitpunkt in einem noch selbstbestimmungsfähigen Zustand seine subjektiven Präferenzen zum Ausdruck gebracht hat. Im Gegensatz zu dem konstitutionell einwilligungsunfähigen Patienten, der noch nie einen rechtlich beachtlichen Verzicht bilden konnte, erscheint in solchen Konstellationen ein Rückgriff auf den mutmaßlichen Willen nicht gleichermaßen unmöglich.327 So finden sich in der „Kemptener-Entscheidung“ des BGH Erwägungen zu der mutmaßlichen Einwilligung einer einwilligungsunfähigen Alzheimerpatientin in den Abbruch lebenserhaltender Maßnahmen, obwohl für sie ein Betreuer (damals noch „Pfleger“) eingesetzt war.328 Demnach kann trotz eines bestellten Betreuers ausnahmsweise auf den mutmaßlichen Willen einer mittlerweile einwilligungsunfähigen Person abgestellt werden – und somit auch der Schweigepflichtbruch eines Arztes gegenüber Polizei oder Strafverfolgungsbehörden gerechtfertigt werden –, wenn genug Anhaltspunkte vorliegen, dass dies dem subjektiven Willen des Patienten entspricht. In den weit überwiegenden Fällen wird jedoch mangels solcher Anhaltspunkte dem Arzt nur die Möglichkeit bleiben das Betreuungsgericht über die Situation zu unterrichten. Den damit verbundenen Bruch der Schweigepflicht muss der Arzt ebenfalls auf einen anderweitigen Rechtfertigungsgrund stützen. 4. Fazit zur Geheimnisoffenbarung im Willen des Patienten Die Schweigepflichtentbindung ist als primäre Möglichkeit zur Durchbrechung der Verschwiegenheitspflicht anzusehen. Entbinden darf den Arzt von seiner Schweigepflicht grundsätzlich allein der Patient. Sollte der Patient aufgrund von Alter oder Krankheit konstitutionell einwilligungsunfähig sein, haben die gesetzlichen Vertreter über die Schweigepflichtentbindung zu entscheiden. Soweit wirksam auf die Geheimhaltung der Viktimisierung 325  Vgl. Olzen, in: MüKo-BGB, § 1666 Rn. 192  ff.; Vitkas, Grenzen ärztlicher Schweigepflicht, S. 61; Kreuzer, in: jur. Problematik Medizin II, S. 239; Reipschläger, Die Einwilligung Minderjähriger, S. 113, 172 ff.; Erb, in: MüKo-StGB, § 34 Rn. 36; Kern, in: Laufs / Kern, Handbuch des Arztrechts, § 50 Rn. 9; zum Verfahren s. Schwerdtfeger / Doering-Striening, in: Doering-Striening, HdB Opferrechte, § 6 Rn.  37 ff. 326  Vitkas, Grenzen ärztlicher Schweigepflicht, S. 63. 327  BGHSt 40, 257 ff. 328  BGHSt 40, 257 ff., 262; vgl. Knauf, Mutmaßliche Einwilligung, S. 139.



B. Durchbrechungen der Schweigepflicht143

gegenüber der Polizei, den Strafverfolgungsbehörden oder anderen Stellen verzichtet wurde, ist der Arzt tatbestandlich von seiner Schweigepflicht befreit.329 Kann eine Schweigepflichtentbindung aus tatsächlichen Gründen nicht erfragt werden, ist bei der Annahme einer mutmaßlichen Einwilligung zur Rechtfertigung des Schweigepflichtbruchs Vorsicht geboten. In keinem Fall sollte pauschalisiert angenommen werden, dass die Einschaltung von Polizei und Strafverfolgungsbehörden stets dem (mutmaßlichen) Willen eines Straftatopfers entspricht.330 Ist die Offenbarung der Viktimisierung nicht von dem Willen des Patienten oder dem seiner gesetzlichen Vertreter abgedeckt, müssen anderweitige Offenbarungspflichten oder -befugnisse greifen, damit der Schweigepflichtbruch des Arztes als rechtmäßig zu bewerten ist.

III. Offenbarungspflichten Offenbarungspflichten führen zu einer Rechtfertigung des ärztlichen Schweigepflichtbruches. Sie haben besondere Bedeutung in Fällen, in denen Patienten bzw. ihre gesetzlichen Vertreter den Arzt nicht von der Schweigepflicht entbinden wollen. Aber auch in Konstellationen, in denen der Arzt von der Schweigepflicht entbunden wurde und die Pflicht des § 203 StGB schon tatbestandlich gar nicht mehr besteht, spielen Offenbarungspflichten eine praktische Rolle. Infolge einer Schweigepflichtentbindung steht dem Arzt – außer als Zeuge vor Gericht – lediglich ein Wahlrecht zu, ob er sein Schweigen bricht oder nicht. Dies ändern Offenbarungspflichten, indem sie die Offenbarung obligatorisch machen. Strafbewerte Offenbarungspflichten können bei Nichtbefolgung sogar eine Strafbarkeit des Arztes begründen. Sie bilden damit das strafbewehrte Gegengewicht zu der strafrechtlichen Schweigepflicht des Arztes. Wie bereits im ersten Kapitel dargelegt, existieren zahlreiche, vor allem spezialgesetzliche Vorschriften, die nach ihrem Inhalt her spezifisch darauf ausgerichtet sind, den Arzt zu einer Geheimnisoffenbarung zu verpflichten. Gleichwohl sucht man unter ihnen vergebens nach einer gesetzlichen Offenbarungspflicht, die dem kurativ tätigen Arzt generell aufträgt, begangene Straftaten anzuzeigen.331 Früher fanden sich solche Pflichten noch in den 329  s.

zweites Kapitel B. I. 2. u. II. 1. zweites Kapitel B. II. 2. 331  Vgl. BGHSt 3, 65, 67; Kawelovski, Kriminalistik 2015, 388, 389; Grömig, BÄB 1968, 18, 22; vgl. auch May, in: FS Paarhammer, S. 951, 957; in den U.S.A. existieren hingegen sog. „reporting laws“ for child abuse and neglect. 330  s.

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2. Kap.: Umfang und Grenzen der ärztlichen Schweigepflicht

landesrechtlichen Meldegesetzen.332 Demnach hatten Ärzte von Krankenanstalten solche Personen polizeilich zu melden, deren Gesundheitszustände auf eine strafbare Handlung zurückzuführen sein könnten, wie etwa in Fällen von Hieb- oder Stichverletzungen.333 Diese Offenbarungspflichten wurden jedoch bereits in den späten 50er Jahren im Zuge der Neuregelungen der Meldeordnungen und -gesetze abgeschafft.334 Heutzutage ergibt sich eine Pflicht zur Offenbarung von gegen noch lebende Opfer gerichteten Straftaten allein aus §§ 138, 139 Abs. 3 S. 2 StGB. Der aus § 139 Abs. 3 S. 2 StGB zu ziehende Umkehrschluss verdeutlicht, dass diese Vorschrift auf die Offenbarung von Geheimnissen ausgerichtet und somit als berufsgeheimnisrechtliche Offenbarungspflicht für § 203 StGB anzuerkennen ist, die die Unbefugtheit einer Geheimnisweitergabe ausschließt. Weiterhin kann es sein, dass die ärztliche Pflicht über Straftaten Stillschweigen zu bewahren mit anderen allgemeinen (strafbewehrten) Pflichten in Konflikt gerät – wie etwa solchen, die aus den Straftatbeständen der §§ 258 Abs. 1, 13 Abs. 1; §§ 223 ff., 13 Abs. 1; § 323c StGB ergeben. In der berufsgeheimnisrechtlichen Literatur wird mehrheitlich schlichtweg angenommen, dass allgemeine, strafbewehrte Handlungspflichten, obgleich sie nicht speziell auf eine Geheimnisweitergabe ausgerichtet sind, die Schweigepflicht des Arztes durchbrechen können.335 Gleichwohl stehen sich mit § 203 StGB und den Vorschriften der Unterlassungsstrafbarkeiten im Konfliktfall lediglich zwei, sich widersprechende Vorschriften des StGB gegenüber, ohne dass das Gesetz klarstellt, welche den Vorrang genießt. In diesen Vorschriften deutet – im Gegensatz zu § 138, 139 Abs. 3 S. 2 StGB – zudem nichts darauf hin, dass sie als berufsgeheimnisrechtliche Offenbarungspflichten die Unbefugtheit einer Geheimnisoffenbarung ausschließen sollen, was die Frage aufwirft, auf welchem dogmatischen Wege derartige strafbewehrte Handlungspflichten die Schweigepflicht des § 203 Abs. 1 Nr. 1 StGB durchbrechen können. 332  Vgl. § 22 Abs. 3 der Landesverordnung über das Meldewesen, RheinlandPfalz, GVBl. 02.09.1949 Nr. 59, 441–452; Ermächtigung für den Erlass der landesrechtlichen Meldeordnungen war § 1 des Reichsgesetzes über das Pass-, das Ausländerpolizei- und das Meldewese v. 11.05.1937 (RGBl. I, 1937, 589); vgl. Goedel, Pflichten und Berechtigungen, S. 141 f. 333  Vgl. § 22 Abs. 3 der Landesverordnung über das Meldewesen, RheinlandPfalz, GVBl. 02.09.1949 Nr. 59, 441–452; Goedel, Pflichten und Berechtigungen, S.  141 f.; Kohlhaas, DMW 1963, 1800. 334  Vgl. BVerfG NJW 1972, 1123, 1124; Landesgesetz über das Meldewesen, Rheinland-Pfalz, von 24.07.1958, GVBl. 1958 Nr. 33, S. 129–132; Eichelbrönner, Grenzen der Schweigepflicht, S. 37; Kohlhaas, DMW 1963, 1800. 335  Vgl. Braun, in: Roxin / Schroth, Hdb Medizinstrafrecht, S. 250; Gaidzik, in: NK-MedR, StGB § 203 Rn. 8; Lenckner / Eisele, in: Schönke / Schröder, § 203 Rn. 29; Fischer, § 203 Rn. 37; Heger, in: Lackner / Kühl, § 203 Rn. 22; Theuner, Die ärzt­ liche Schweigepflicht, S. 233.



B. Durchbrechungen der Schweigepflicht145

Eine Möglichkeit, die es zu erwägen gilt, ist diesen Konflikt als Pflichtenkollision zu behandeln.336 Die Schweigepflicht und die jeweilige strafbewehrte Handlungspflicht wären demnach in ein Über-Unterordnungsverhältnis nach ihrer Wertigkeit einzuordnen. Bei näherer Betrachtung kann die Handhabung für die allgemeinen, nicht auf Geheimnisweitergabe ausgerichteten, strafbewehrten Pflichten der §§ 258 Abs. 1, 13 Abs. 1; §§ 223 ff., 13 Abs. 1; § 323c StGB jedoch nicht überzeugen. Strafbewehrte Handlungspflichten und Schweigepflicht lösen richtigerweise keine echte Pflichtenkollision aus, da sich durch diese Vorschriften eben gerade nicht zwei Handlungspflichten gegenüberstehen.337 Die Schweigepflicht gebietet regelmäßig kein Handeln des Arztes – abgesehen etwa davon Patientenunterlagen sicher vor fremden Blicken zu verwahren. Der Straftatbestand des § 203 StGB verlangt vielmehr die strafbare Handlung – das Teilen des Geheimnisses mit Dritten – zu unterlassen. Die Rechtfertigung eines Verstoßes gegen diese Unterlassungspflicht und der darauf beruhende aktive Eingriff in das informationelle Selbstbestimmungsrecht des Patienten sind folglich nicht über eine Pflichtenkollision zu lösen, sondern nach § 34 StGB zu beurteilen.338 Allerdings bedeutet dies nicht, dass es dem Arzt aufgrund von § 34 StGB stets freisteht, ob er sein Schweigen bricht. Eine obligatorische Durchbrechung seiner Schweigepflicht ergibt sich für den Arzt – wie Engländer bereits ausführte – dann, wenn eine solche (strafbewehrte) Handlungspflicht dem Arzt gebietet von seinem Handlungsrecht, das ihm der Erlaubnistatbestand § 34 StGB gewährt, Gebrauch zu machen.339 Die strafbewehrten Pflichten der §§ 258 Abs. 1, 13 Abs. 1, §§ 223 ff., 13 Abs. 1, § 323c StGB können demnach, vorbehaltlich der Voraussetzungen des rechtfertigenden Notstands, zu einer schweigepflichtdurchbrechenden Offenbarungspflicht des Arztes führen. Im Folgenden bleibt herauszuarbeiten, in welchen Situationen die erwähnten Offenbarungspflichten überhaupt einschlägig sind.

336  Zu § 138 StGB: Eichelbrönner, Grenzen der Schweigepflicht, S. 108; Frank, Strafgesetzbuch für das Deutsche Reich § 300 III. 2. a. 337  Roxin, AT I, § 16 Rn. 116 ff.; Engländer, MedR 2001, 143, 144. 338  Vgl. Erb, in: MüKo-StGB, § 34 Rn. 39; Röhl / Röhl, Allgemeine Rechtslehre, S. 157; Neumann, in: NK-StGB, § 34 Rn. 126; Roxin, AT I, § 16 Rn. 116 ff.; Wessels / Beulke / Satzger, AT, Rn. 1035; Kühl, in: Lackner / Kühl, § 34 Rn. 15; Lenckner / Sternberg-Lieben, in: Schönke / Schröder, vor § 32 Rn. 71 f.; Engländer, in: Matt / Renzikowski, § 34 Rn. 9. 339  Engländer, MedR 2001, 143, 144; s. a. Roxin, AT, § 16 Rn. 116.

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2. Kap.: Umfang und Grenzen der ärztlichen Schweigepflicht

1. §§ 138, 139 Abs. 3 S. 2 StGB Zunächst ist der Blick auf die einzige strafrechtliche Vorschrift zu lenken, die den Arzt – nach dem aus § 139 Abs. 3 S. 2 StGB zu ziehenden Umkehrschluss – ausdrücklich zur Offenbarung von Straftaten verpflichtet: § 138 StGB.340 Nach dieser Norm besteht für jedermann die strafbewehrte Pflicht enumerativ bestimmte, bevorstehende Delikte anzuzeigen.341 Der Begriff „Anzeige“ ist allerdings nicht dem des § 158 StPO gleichzusetzen.342 Die Vorschrift des § 138 StGB verlangt keine förmliche Strafanzeige, sondern eine Warnung, aufgrund der die Tatausführung oder der Taterfolg verhindert werden kann.343 Diese Warnung kann bei Straftaten, die sich ausschließlich gegen Individualrechtsgüter richten, sowohl gegenüber dem Bedrohten als auch gegenüber einer gefahrabwehrenden Behörde, wie etwa der Polizei, erfolgen.344 Dass diese Anzeigepflicht prinzipiell auch für den verschwiegenheitsverpflichteten Arzt gilt und nach ihrem Inhalt und Sinn und Zweck Geheimnisoffenbarungen verlangt, ergibt sich, wie bereits erwähnt, aus dem Umkehrschluss des § 139 Abs. 3 S. 2 StGB. Würde § 138 StGB keine der Schweigepflicht vorgehende Pflicht des verschwiegenheitsverpflichteten Arzt darstellen, wäre die Sonderreglung des § 139 Abs. 3 S. 2 StGB überflüssig. Dieser vom Gesetzgeber statuierte Vorrang gewährt der Anzeigepflicht im Falle einer Kollision über das in dem Tatbestand des § 203 StGB enthaltende Merkmal „unbefugt“ einen unmittelbaren Einfall und macht sie zur berufsgeheimnisrechtlichen Offenbarungspflicht.345 Dieses Ergebnis bestätigt zudem die Historie der strafbewehrten ärztlichen Schweigepflicht. Die älteste gesetzlich geregelte Durchbrechung der strafrechtlichen Schweigepflicht war in § 506 des Allgemeinen Preußischen Land340  Eichelbrönner, Grenzen der Schweigepflicht, S. 108; Theuner, Die ärztliche Schweigepflicht, S. 233; Grömig, BÄB 1968, 18, 21. 341  BGHSt 42, 86, 88; Heuchemer, in: BeckOK-StGB, § 138 Rn. 23 ff. 342  Hohmann, in: MüKo-StGB, § 138 Rn. 13. 343  Fischer, § 138 Rn. 22. 344  Hohmann, in: MüKo-StGB, §  138 Rn. 16; Hanack, in: LK-StGB, § 138 Rn. 28. 345  A. A. Westendorf, Pflicht zur Verhinderung, S. 241  ff. Westendorf sieht in § 203 und § 138 StGB eine Pflichtenkollision und bemüht sich die beiden Pflichten nach ihrer Wertigkeit in ein Über- Unterordnungsverhältnis einzuordnen. Allerdings liegt richtigerweise in diesen Fällen schon gar keine Pflichtenkollision vor (s. zweites Kapitel B. I. 1.) und darüber hinaus ist dies für § 138 StGB gar nicht nötig, da die Anzeigepflicht nach dem Umkehrschluss des § 139 Abs. 3 S. 2 StGB auf die Offenbarung von Geheimnissen ausgerichtet ist und daher über das in § 203 StGB enthaltene Merkmal „unbefugt“ als Rechtfertigungsgrund gilt (s. zweites Kapitel B. I. 1. u. 2.).



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rechts zu finden und diente wie § 138, 139 Abs. 3 S. 2 StGB der Verhütung von Straftaten.346 Gleichwohl wird die Anzeigepflicht des § 138 StGB in den hier untersuchten Konstellationen dem Arzt nur äußerst selten einen Bruch seiner Schweigepflicht gebieten.347 Denn der tatbestandliche Anwendungsbereich dieser Anzeigepflicht unterliegt weitreichenden Beschränkungen. Zudem bringt der Gesetzgeber mit der Tatbestandsausgestaltung des § 138 StGB zum Ausdruck, dass er dieser Pflicht einen restriktiven Ausnahmecharakter beimisst, der eine extensive Handhabung verbietet.348 a) Anzeigepflicht auslösende Notsituation Zunächst besteht die Anzeigepflicht des § 138 StGB tatbestandlich nur in Bezug auf bevorstehende Taten, die noch verhindert werden können.349 Der Arzt, der Straftatopfer untersucht und behandelt, wird derweil mit den Folgen einer bereits begangenen Tat konfrontiert. Da § 138 StGB nicht der repressiven Strafverfolgung dient,350 kann dem Arzt nur dann eine Anzeigepflicht obliegen, wenn er aufgrund der Eigenart der begangenen Straftat, aus Erzählungen des Patienten o. Ä. davon ausgeht, dass weitere konkrete Taten geplant sind oder ausgeführt werden und dies auch objektiv tatsächlich der Fall ist.351 Weiterhin ist nicht jedes deliktische Vorhaben anzeigepflichtig. Angezeigt werden müssen allein die in § 138 StGB abschließend aufgezählten, besonders schweren Straftaten, wie etwa Raub, Verschleppung, Mord oder Totschlag. Die Strafbarkeit eines Arztes wegen Nichtanzeige einer geplanten Straftat unterliegt darüber hinaus durch § 139 Abs. 3 S. 2 StGB noch weiteren Beschränkungen. Nach der Maßgabe von § 139 Abs. 3 S. 2 StGB sind Berufsgeheimnisträger, wie etwa Ärzte, zur Anzeige der meisten von § 138 StGB erfassten Taten „nicht verpflichtet“, wenn diese ihnen in ihrer besonderen Eigenschaft anvertraut worden sind und sie sich ernsthaft bemüht 346  Goedel,

Pflichten und Berechtigungen, S. 138. Eichelbrönner, Grenzen der Schweigepflicht, S. 108; Kohlhaas, Medizin und Recht, S. 47; s. a. Goedel, Pflichten und Berechtigungen, S. 135 f. 348  Hanack, in: LK-StGB, § 138 Rn. 5. 349  Fischer, § 138 Rn. 9; Gössel / Dölling, BT 1, § 58 Rn. 2; Hanack, in: LKStGB, § 138 Rn. 19. 350  BGHSt 42, 86, 88; Hohmann, in: MüKo-StGB, § 138 Rn. 1; Ostendorf, in: NK-StGB, § 138 Rn. 3; Fischer, § 138 Rn. 3; a. A. Eisele, BT I, Rn. 1501. 351  RGSt 60, 254, 255; Gössel / Dölling, BT 1, §  58 Rn. 3; Heuchemer, in: BeckOK-StGB, § 138 Rn. 11; Fischer, § 138 Rn. 9; Sternberg-Lieben, in: Schönke / Schröder, § 138 Rn. 8; Hanack, in: LK-StGB, § 138 Rn. 14 ff.; a. A. Maurach /  Schroeder / Maiwald, BT 2, § 98 Rn. 19; Hohmann, in: MüKo-StGB, § 138 Rn. 11 ff. 347  Ebenso:

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2. Kap.: Umfang und Grenzen der ärztlichen Schweigepflicht

haben die Tat anderweitig zu verhindern. Strafbar macht sich der Arzt trotz anderweitiger Bemühungen nur, wenn es sich bei der nichtangezeigten Tat gegen ein Individuum um einen Totschlag, Mord, erpresserischen Menschenraub oder eine Geiselnahme handelt. Über die genaue dogmatische Bedeutung und Wirkung dieser Vorschrift herrscht indes aber Uneinigkeit. Teilweise wird vertreten, Ärzte seien außer für die in § 139 Abs. 3 StGB aufgezählten Taten tatbestandlich gar nicht zur Anzeige verpflichtet.352 Andere sehen in dieser Regelung einen persönlichen Strafaufhebungsgrund353 oder einen typisierten Fall der schuldausschließenden Unzumutbarkeit.354 Mehrheitlich wird § 139 Abs. 3 S. 2 StGB jedoch als Rechtfertigungsgrund aufgefasst.355 Diese Auffassungen beziehen sich aber gleichwohl auf die Strafbarkeit des schweigenden Arztes wegen Nichtanzeige nach § 138 StGB. Für die Durchbrechung der Schweigepflicht des Arztes bleibt hingegen zu fragen, ob dem Arzt in den in § 138 StGB aufgezählten oder allein in den von § 139 Abs. 3 S. 2 StGB aufgezählten Konstellationen eine Offenbarungspflicht obliegen kann. Gleich welcher Auffassung man zur Wirkung des § 139 Abs. 3 S. 2 StGB für die Strafbarkeit nach § 138 StGB folgen möchte, muss für die Konzeption einer schweigepflichtdurchbrechenden Offenbarungspflicht doch einleuchten, dass es widersprüchlich wäre, wenn sich der Arzt etwa bei einer Nichtanzeige eines Raubes bei anderweitigen Bemühungen zur Verhinderung nicht nach §§ 138, 139 Abs. 3 S. 2 StGB strafbar machen würde, ihm aber gleichzeitig eine schweigepflichtdurchbrechende Offenbarungspflicht obliegen würde. Gerade wenn man mit der herrschenden Meinung § 139 Abs. 3 S. 2 StGB als Rechtsfertigungsgrund für den schweigenden, aber sich anderweitig um die Abwendung der Tat bemühenden Arzt verstehen will, kann dies für § 203 StGB nur bedeuten, dass der Arzt, der sich anderweitig um die Abwendung der Tat bemüht hat – was meist schon bei Einwirken auf den Patienten zwecks Schweigepflichtentbindung gegeben sein wird – keine Offenbarungspflicht, sondern eine fakulta­ tive Offenbarungsbefugnis zusteht.356 Eine obligatorische Offenbarungs352  Ostendorf, in: NK-StGB, § 138 Rn. 16; Kielwein, GA 1955, 225, 230; Schöne, Unterlassene Erfolgsabwendungen, S. 167. 353  Eisele, BT I, Rn. 1511. 354  Westendorf, Pflicht zur Verhinderung, S. 236  ff.; wohl auch Hilgendorf, in: Arzt / Weber / Heinrich / Hilgendorf, BT, § 46 Rn. 15 f. 355  Heuchemer, in: BeckOK-StGB, § 139 Rn. 11; Hohmann, in: MüKo-StGB, § 139 Rn. 15; Hanack, in: LK-StGB, § 139 Rn. 13, 31; Rudolphi / Stein, in: SKStGB, § 139 Rn. 3; Fischer, § 139 Rn. 7 f.; Kühl, in: Lackner / Kühl, § 139 Rn. 2; Dietmeier, in: Matt / Renzikowski, § 139 Rn. 5; Maurach / Schroeder / Maiwald, BT 2, § 98 Rn. 27. 356  Als „Wahlrecht“ bezeichnet v. Cierniak / Pohlit, in: MüKo-StGB, § 203 Rn. 89; ähnlich Goedel, Pflichten und Berechtigungen, S. 139.



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pflicht aus §§ 138, 139 Abs. 3 S. 2 StGB kann sich für den anderweitig um die Abwendung der Tat bemühenden Arzt demnach nur in den in § 139 Abs. 3 StGB bezeichneten Konstellationen – sprich vorwiegend in Fällen von konkret geplanten Tötungsdelikten – ergeben. Der Streit um die genaue Bedeutung von § 139 Abs. 3 S. 2 StGB relativiert sich im Ergebnis aber sowieso, da die „üblichen“ Gewalt- und Sexualdelikte, mit denen ein Arzt im Rahmen der Behandlung von Straftatopfern konfrontiert wird, schon nicht von der Anzeigepflicht des § 138 StGB, geschweige denn von § 139 Abs. 3 S. 2 StGB, erfasst werden. Teilweise wird genau diese restriktive Eigenschaft der Kataloge der §§ 138, 139 Abs. 3 S. 2 StGB und insbesondere die Tatsache, dass keine Anzeigepflicht für die Delikte der Kindesmisshandlung und des Kindesmissbrauchs besteht, als inakzeptabel empfunden,357 weswegen vereinzelt Bemühungen angestellt wurden, diese Delikte auf Umwegen doch zum Gegenstand der Anzeigepflicht zu machen. So wurde argumentiert, eine in der Vergangenheit liegende Kindesmisshandlung deute generell auf das Bevorstehen weiterer Kindesmisshandlungen mit Tötungstendenz hin.358 Demnach erwachse aus einer begangenen Kindesmisshandlung eine Anzeigepflicht nach §§ 138 Abs. 1 Nr. 5, 139 Abs. 3 S. 2 StGB.359 Ein solches Verständnis kann zutreffend allerdings nur als „Anleitung“ zur Umgehung des Gesetzes bezeichnet werden. Der abschließende und restriktive Charakter des Kataloges des § 138 StGB ergibt sich nicht nur aus dem Wortlaut der Vorschrift,360 sondern darüber hinaus aus der Historie der Norm. Der Gesetzgeber hat sich bis dato – trotz immer wiederkehrender Diskussionen – gegen eine Einführung einer strafbewehrten Anzeigepflicht von Kindesmisshandlungen und -missbräuchen entschieden.361 Dies zeigt sich historisch besonders deutlich an dem Ausgang von Reformbemühungen, die in den 60er Jahren infolge der gestiegenen gesellschaftlichen Sensibilisierung362 für das Thema der Kindes357  Igl, Schutz der sexuellen Selbstbestimmung, S. 166 ff.; Westendorf, Pflicht zur Verhinderung, S. 121; Kohlrausch / Lange, § 138 Anm. II. 358  Kohlrausch / Lange, § 138 Anm. II; vgl. Jung, SÄB 1981, 244, 247; krit.: Eichelbrönner, Grenzen der Schweigepflicht, S. 109. 359  Kohlrausch / Lange, § 138 Anm. II; krit.: Eichelbrönner, Grenzen der Schweigepflicht, S. 109. 360  Vgl. Sternberg-Lieben, in: Schönke / Schröder, § 138 Rn. 7. 361  Vgl. Eichelbrönner, Grenzen der Schweigepflicht, S. 110; Igl, Schutz der sexuellen Selbstbestimmung, S. 166 ff.; Köttgen, BÄB 1968, 134 ff.; Kohlhaas, DA 1968, 12; Herrmann / Dettmeyer / Banaschak / Thyen, Kindesmisshandlung, S. 9. 362  Vgl. Plenarprotokoll, Deutscher Bundestag 5. Wahlperiode, 100. Sitzung, 17.03.1967, 4623 ff.; Kölmel, Kindesmisshandlung aus gerichtsmedizinischer Sicht, S. 55; Kohlhaas, NJW 1967, 958, 959; ders., DA 1968, 12; Lamnek / Luedtke / Ottermann / Vogl, Tatort Familie, S. 133, 146; May, in: FS Paarhammer, S. 951.

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misshandlung aufkamen. Im Jahr 1962 stand der Entwurf eines § 186a StGB zur Debatte, der eine ärztliche Offenbarungsmöglichkeit zur Wahrnehmung „berechtigter Interessen“ beinhaltete.363 Nach diesem Entwurf sollte der Arzt Straftaten wie etwa Kindesmisshandlungen anzeigen dürfen, wenn die Geheimnisoffenbarung ein angemessenes Mittel zur Wahrnehmung von berechtigten öffentlichen oder privaten Interessen darstellt. Jedoch sah selbst dieser Entwurf keine ärztliche Offenbarungspflicht, sondern nur eine „Straffreiheit“ des Arztes vor.364 Durchgesetzt hat sich der Entwurf gleichwohl nie. Im weiteren Verlauf der rechtspolitischen Debatten über einen adäquaten Kinderschutz kamen immer wieder Forderungen auf, Straftaten gegen Kinder – insbesondere diejenigen, die dem sexuellen Missbrauch zuzuordnen sind – unter eine allgemeine Anzeigepflicht zu stellen.365 So schlugen die Fraktionen der SPD und der Grünen etwa im Jahr 2003 vor, den Katalog des § 138 Abs. 1 StGB um den Straftatbestand des sexuellen Kindesmissbrauches zu erweitern.366 Jedoch hat sich der Gesetzgeber auf Empfehlung des Rechtsausschusses bewusst gegen eine solche Ausweitung entschieden.367 Diese Entscheidung wurde jüngst erst wieder durch den Runden Tisch des Bundesfamilienministeriums zu dem Thema „Sexueller Kindesmissbrauch“ bekräftigt.368 In seinem Abschlussbericht sprach sich der Runde Tisch ausdrücklich gegen die Einführung einer solchen Anzeigepflicht aus.369 Es verträgt sich daher weder mit dem Wortlaut der Vorschrift noch mit dem Willen des Gesetzgebers aus §§ 138, 139 Abs. 3 S. 2 StGB eine generelle Pflicht zur Anzeige von Kindesmisshandlungen oder -missbräuchen abzuleiten.370 Eine Anzeigepflicht auslösende Notsituation i. S. d. § 138 Abs. 1 Nr. 5 StGB besteht folglich im Zusammenhang mit festgestellten Gewalt- und Sexualdelikten – und zwar auch solchen des Kindesmissbrauchs oder der Kindesmisshandlung – nur, wenn der Arzt glaubhaft erfahren hat, dass der Täter plant das Opfer im Zuge eines erneuten Angriffs zu töten. Nicht selten werden aber bereits Anhaltspunkte dafür fehlen, dass der Täter ernstlich 363  Entwurf eines Strafgesetzbuches (StGB) E 1962; BT-Drs. IV / 65O, 43, 340; Kölmel, Kindesmisshandlung aus gerichtsmedizinischer Sicht, S. 55; Goedel, Pflichten und Berechtigungen, S. 17. 364  Entwurf eines Strafgesetzbuches (StGB) E 1962; BT-Drs. IV / 65O, 43, 340. 365  Igl, Schutz der sexuellen Selbstbestimmung, S. 166 ff.; Einbeziehung von Sexualstraftaten de lege ferenda fordernd Westendorf, Pflicht zur Verhinderung, S. 121; Köttgen, BÄB 1968, 134, 137. 366  Vgl. BT-Drs. 15 / 1311, 23; Vitkas, Grenzen ärztlicher Schweigepflicht, S. 161. 367  Vgl. BT-Drs. 15 / 1311, 23; Vitkas, Grenzen ärztlicher Schweigepflicht, S. 161. 368  Vgl. BMFSFJ, Runder Tisch Sexueller Kindesmissbrauch, 2013, S. 24. 369  Vgl. BMFSFJ, Runder Tisch Sexueller Kindesmissbrauch, 2013, S. 24. 370  Gunder, Kinder im Strafverfahren, S. 119.



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plant, erneut Gewalt anzuwenden. Man kann zwar immer wieder lesen, die Wiederholung, die teilweise sogar Formen einer Ritualisierung annehmen kann, sei ein typisches Muster von Delikten der innerfamiliären Gewalt und solchen, die sich gegen Kinder richten.371 Gleichwohl darf man nicht dem Trugschluss erliegen, hiermit wäre eine Aussage über die konkrete Wiederholungsgefahr im Einzelfall getroffen. Es verträgt sich keineswegs mit dem restriktiven Ausnahmecharakter der §§ 138, 139 Abs. 3 S. 2 StGB von dem abstrakten Charakter eines Delikts auf ein konkretes Vorhaben im Einzelfall zu schließen.372 Und selbst wenn der Arzt glaubhaft erfahren haben sollte, dass der Täter weitere gewalttätige Übergriffe auf das Opfer plant, ist damit noch kein Tötungsvorhaben i. S. d. § 138 Abs. 1 Nr. 5 gegeben. Nicht jede wiederkehrende Form der häuslichen Gewalt, der Kindesmisshandlung oder des Kindesmissbrauchs wird einen tödlichen Ausgang finden, geschweige denn mit Tötungsvorsatz ausgeübt werden. Wegen der grundsätzlich anzunehmenden höheren Hemmschwelle zur Tötung eines Menschen, kann dem Gewalttäter nicht bei jeder Körperverletzung ein Tötungsvorsatz unterstellt werden.373 Fahrlässige Tötungen oder Körperverletzungen mit Todesfolge reichen für eine Anzeigepflicht nach dem Wortlaut des § 138 Abs. 1 Nr. 5 StGB indes gerade nicht aus.374 Um eine anzeigepflichtige Notsituation i. S. d. § 138 Abs. 1 Nr. 5 StGB auszulösen, muss das Tötungsvorhaben vielmehr im konkreten Einzelfall objektiv vorliegen und für den Arzt glaubhaft zu Tage treten.375 Entscheidend wird hierfür meist sein, was der Patient, ein Dritter und / oder Täter dem Arzt schildert und ob ein vergangenes Muster von wiederholten, lebensbedrohlichen Gewaltanwendungen des Täters gegen das Opfer besteht.376 b) Erforderlichkeit Darüber hinaus steht aber noch die grundsätzliche Frage im Raum, inwieweit eine Anzeige nach §§ 138, 139 Abs. 3 S. 2 StGB erforderlich ist und damit eine solche Pflicht tatbestandlich überhaupt bestehen kann, wenn allein der Patient durch das deliktische Vorhaben bedroht ist. Der Patient wird 371  Vgl. Eichelbrönner, Grenzen der Schweigepflicht, S. 109; Schleyer, MschrKrim 1958, 65, 76; Trube-Becker, Gewalt gegen das Kind, S. 137; Köttgen, BÄB 1968, 134, 137. 372  Eichelbrönner, Grenzen der Schweigepflicht, S. 109. 373  Vgl. BGH NJW 2006, 386, 387; NStZ 2001, 475, 476. 374  Vgl. Sternberg-Lieben, in: Schönke / Schröder, § 138 Rn. 7. 375  Vgl. Hohmann, in: MüKo-StGB, § 138 Rn. 6 ff. 376  Vgl. BGH NJW 2006, 386, 387.

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2. Kap.: Umfang und Grenzen der ärztlichen Schweigepflicht

in aller Regel bereits vor dem Arzt Kenntnis von dem Plan des Täters haben, da sein körperlicher Zustand und seine Schilderung die Erkenntnisquelle des Arztes über die bevorstehende Straftat bilden. Diese Konstellationen haben nichts mit jenen unproblematischen Sachverhalten gemein, in denen der Arzt aufgrund von Erzählungen des Patienten erfährt, dass ein Dritter in das Visier des Täters geraten ist oder der Patient dem Arzt gar berichtet, er selbst werde bald eine Tat i. S. d. § 138 StGB verüben. In solchen Fällen ist eine Warnung des Bedrohten oder eine Meldung gegenüber der Behörde zweifelsfrei erforderlich. Liegt der Fall aber etwa so, dass der Patient selbst der Bedrohte der zukünftigen Tat ist und von dem Vorhaben bereits weiß, kann eine Anzeige nach dem Sinn und Zweck des § 138 StGB grundsätzlich nicht mehr erforderlich sein.377 Der Straftatbestand soll die von den einzelnen deliktischen Vorhaben betroffenen Rechtsgüter dadurch schützen, dass aufgrund einer Warnung ein präventives Einschreiten gegen die Tat ermöglicht wird.378 Eine tatsächliche Verhinderung der Tat obliegt dem Anzeigepflichtigen nicht.379 Richtet sich das Vorhaben gegen Rechtsgüter eines Individuums reicht daher prinzipiell auch die Warnung dieser bedrohten Person.380 Der Gewarnte kann Sicherheitsvorkehrungen gegen den Angriff treffen oder sich selbst für die Einschaltung einer gefahrabwehrenden Behörde entscheiden. Weiß der Bedrohte aber von dem Vorhaben, ist er bereits „gewarnt“ und eine Handlungspflicht des Arztes scheidet nach zutreffender Ansicht bereits auf tatbestandlicher Ebene aus.381 Etwas anderes mag sich im Einzelfall aus dem Merkmal der „Rechtzeitigkeit“ der Anzeige ergeben – welches nicht nur zeitliche, sondern zugleich inhaltliche Anforderungen an die jeweilige Warnung stellt.382 Da der Straftatbestand des § 138 StGB letztendlich ein effektives Einschreiten geFischer, § 138 Rn. 14; Gössel / Dölling, BT 1, § 58 Rn. 4. 42, 86, 88; BGH, Urteil v. 19.05.2010  – 5 StR 464 / 09 =BeckRS 2010, 13557; Rudolphi, in: FS Roxin, S. 827, 830; Ostendorf, in: NK-StGB, § 138 Rn. 3; Westendorf, Pflicht zur Verhinderung, S. 112; Fischer, § 138 Rn. 3; a. A. Eisele, BT I, Rn. 1501. 379  Ostendorf, in: NK-StGB, § 138 Rn. 1; Rudolphi / Stein, in: SK-StGB, § 138 Rn. 3. 380  Hohmann, in: MüKo-StGB, §  138 Rn. 16; Hanack, in: LK-StGB, § 138 Rn. 28. 381  Jescheck / Weigend, AT, S. 616; Fischer, § 138 Rn. 14; Sternberg-Lieben, in: Schönke / Schröder, § 138 Rn. 2, 12; Hanack, in: LK-StGB, § 138 Rn. 22; a. A. Westendorf, Pflicht zur Verhinderung, S. 112 ff. 382  Rudolphi, in: FS Roxin, S. 827, 829 ff.; Strenberg-Lieben, in: Schönke / Schröder, § 138 Rn. 13; Hohmann, in: MüKo-StGB, § 138 Rn. 14 ff.; Rengier, BT II, § 52 Rn. 8. 377  Vgl.

378  BGHSt



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gen die zukünftige Tat ermöglichen will, muss der Arzt – obgleich der Bedrohte bereits gewarnt ist – ebenfalls eine Behörde einschalten, wenn der Bedrohte aus zeitlichen und tatsächlichen Gründen keine Vorsorge mehr gegen die Tat treffen kann.383 Ein solches Unvermögen ist bei einsichtsoder verteidigungsunfähigen Patienten – wie etwa Kindern oder schwer kranken Personen – anzunehmen.384 Hier bleibt eine Warnung nach dem Sinn und Zweck der Norm weiterhin erforderlich, da – auch bei Kenntnis des Bedrohten – noch niemand informiert ist, der effektiv gegen die Tat einschreiten kann.385 Bei einsichts- oder verteidigungsunfähigen Bedrohten, die einen gesetzlichen Vertreter haben, muss aber grundsätzlich ebenfalls eine Warnung des gesetzlichen Vertreters genügen.386 Die Personenfürsorgepflicht der gesetzlichen Vertreter bietet allgemein eine ausreichende Gewähr zur Abwendung der Tat.387 Demnach ist die Einschaltung der Polizei grundsätzlich nicht erforderlich, wenn die – soweit vorhandenen – gesetzlichen Vertreter bereits „gewarnt“ sind.388 Allerdings muss dieser Grundsatz enden, wenn die gesetzlichen Vertreter ihrer Personenfürsorgepflicht nicht nachkommen – d. h. sie die bevorstehende Tat nicht abwenden. Weigern sich die gesetzlichen Vertreter den Arzt zum Zwecke der Straftataufklärung und -verhinderung von der Schweigepflicht stellvertretend zu entbinden und sind sie auch sonst nicht geneigt, die Straftat abzuwenden, ist nach dem Sinn und Zweck der Norm noch niemand informiert, der effektiv gegen die Tat einschreiten kann. Hier verbietet sich eine teleologische Erweiterung des Adressatenkreises auf die gesetzlichen Vertreter. Eine Anzeige gegenüber der Behörde bleibt erforderlich. Handelt es sich bei dem Bedrohten jedoch um einen einsichts- oder verteidigungsfähigen Patienten – wovon bei Erwachsenen ohne gegenteilige Anhaltspunkte auszugehen ist – dürfte regelmäßig keine tatbestandliche Anzeigepflicht des Arztes anzunehmen sein, wenn der Patient von dem Vorhaben zu seinen Lasten bereits weiß. Gleichwohl ist zu erwähnen, dass bei bevorstehenden Taten i. S. d. § 138 Abs. 1 Nr. 5 StGB, sprich Tötungsdelikten, wegen der von der Rechtsprechung aus § 216 StGB gezogenen Wertungen teilweise andere Ergebnisse 383  Vgl. Strenberg-Lieben, in: Schönke / Schröder, § 138 Rn. 13; Rudolphi, in: FS Roxin, S. 827, 834. 384  Hanack, in: LK-StGB, § 138 Rn. 36. 385  Hanack, in: LK-StGB, § 138 Rn. 36. 386  Rudolphi / Stein, in: SK-StGB, § 138 Rn. 18; Hanack, in: LK-StGB, § 138 Rn. 33. 387  Rudolphi / Stein, in: SK-StGB, § 138 Rn. 18; Hanack, in: LK-StGB, § 138 Rn. 33. 388  Hanack, in: LK-StGB, § 138 Rn. 33.

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2. Kap.: Umfang und Grenzen der ärztlichen Schweigepflicht

vertreten werden.389 Gegenstand von Diskussionen war bisweilen vorwiegend die Frage, ob bei Suizidversuchen und in lebensgefährlichen Lagen nach § 323c StGB eine Pflicht zur Rettung erforderlich sein kann, obwohl der Hilfsbedürftige eine solche Hilfe gerade ablehnte.390 Das Hauptproblem an der Klärung dieser Frage, stellt der Umstand dar, dass der Rechtsprechung zu der Beachtlichkeit des Rettungsverzichts bei Lebensgefahren bisweilen eine klare Linie fehlt. So wurde der Sterbewille eines Suizidenten durch die Entscheidung des Großen Senats in Strafsachen wegen § 216 StGB prinzipiell als unbeachtlich bewertet.391 Gleichwohl hat der BGH in dem „Myom-Fall“ dem ärztlichen Behandlungsrecht auch bei Lebensgefahren eine klare Grenze durch das Selbstbestimmungsrecht des Patienten gesetzt.392 Anders entschied der BGH zu § 323c StGB bei einer Lebensgefahr in seinem obiter dictum im „Eileiterschwagerschafts-Fall“.393 Der Sterbewille wurde im „Wohngemeinschafts-Fall“ dagegen als beachtlich bewertet.394 Im „Wittig-Fall“ wurde die Respektierung des Patientenwillens zwar betont – gleichwohl der Sterbewille des Suizidenten pauschal für unbeachtlich erklärt.395 Die Rechtsprechung tendiert aber insgesamt dazu, bei ernst gemeinten Suizidversuchen im Einzelfall zumindest die Zumutbarkeit der Hilfeleistung zu verneinen,396 und in der Literatur wird wegen der allgemein gestiegenen Anerkennung des Selbstbestimmungsrechts darauf gehofft, dass sich die Rechtsprechung in ihrer Ansicht bald der herrschenden Literatur annähert397 und § 216 StGB in solchen Situationen nicht mehr pauschal über die Unbeachtlichkeit des Willens des Rechtsgutsinhabers entscheidet. Nichtsdestotrotz übernimmt Westendorf die aus § 216 StGB gezogene Wertung, die einigen Entscheidungen der Rechtsprechung zu entnehmen ist, und kommt zu dem Ergebnis, dass eine Anzeigepflicht gegenüber der Be389  Westendorf,

Pflicht zur Verhinderung, S. 112 ff. dem Verzicht sollen die Regeln der rechtfertigenden Einwilligung gelten, weswegen es i. E. ohne Belang ist, ob die Frage des Verzichts dogmatisch bereits auf der tatbestandlichen Ebene bei der Erforderlichkeit oder erst auf Ebene der allgemeinen Rechtswidrigkeitsprüfung eingeordnet wird, vgl. Schuhr, in: Spickhoff, Medizinrecht, § 323c Rn. 36. 391  BGHSt 6, 147, 153; vgl. Darstellung Eser, MedR 1985, 6 ff. 392  BGHSt 11, 111 ff.; vgl. Darstellung Eser, MedR 1985, 6 ff. 393  BGH NJW 1983, 350, 351 mit grds. zust. Anmerkung v. H. Lilie, NStZ 1983, 314 f.; ebenfalls zust. Wessels / Hettinger, BT 1, Rn. 1047. 394  BGH NStZ 1983, 117, 118; vgl. Darstellung Eser, MedR 1985, 6 ff. 395  BGH, MDR 1984, 858; krit. Eser, MedR 1985, 6, 11. 396  Vgl. BGHSt 13, 162, 169; BGH NStZ 1985, 119, 122; OLG München NJW 1987, 2940, 2945; BGHSt 32, 367, 377 ff. 397  Vgl. Wohlers / Gaede, in: NK-StGB, § 323c Rn. 5. 390  Bei



B. Durchbrechungen der Schweigepflicht155

hörde nach § 138 Abs. 1 Nr. 5 StGB selbst dann stets erforderlich sei, wenn der Bedrohte vor der bevorstehenden Tat bereits gewarnt sei. Dies ergebe sich daraus, dass der Einzelne über den Schutz seines bedrohten Lebens nicht verfügen könne.398 Diese Ansicht kann jedoch bei näherer Betrachtung nicht geteilt werden. Abgesehen davon, dass bereits hinterfragt werden muss, ob § 216 StGB in derartigen Konstellation überhaupt einen Unbeachtlichkeitsgrund für den Rettungsverzicht des Rechtsgutsinhabers bilden kann,399 da der Rechtsgutinhaber dem Anzeigepflichtigen gerade nicht seine Tötung gestatten will und damit eine ganz andere als die von § 216 StGB erfasste Situation vorliegt,400 muss der Übertragung einer solchen Wertung auf § 138 StGB sehr kritisch gegenübergetreten werden. Die Anzeigepflicht des § 138 StGB legt dem Anzeigepflichtigen nämlich keinesfalls eine Pflicht zur Verhinderung, sondern nur zur rechtzeitigen Warnung einer Person oder Behörde auf, die ihrerseits fähig und verantwortlich ist die Tat zu verhindern.401 Der mangelnde Wille des bereits gewarnten Bedrohten zur Verhinderung der Tat kann daher keine Frage eines Verzichts sein, bei der § 216 StGB als Schranke greift.402 Ein Verzicht auf den Schutz von § 138 StGB ist zwar durchaus möglich, wenn das deliktische Vorhaben allein Individualrechtsgüter des Einwilligenden bedroht, da § 138 StGB nach zutreffendem Verständnis allein diejenigen Rechtsgüter schützt, die durch die bevorstehende Katalogstraftat betroffen sind.403 Ein Verzicht auf den Schutz des § 138 StGB kann allerdings nur bedeuten, dass der Bedrohte, trotz seines Unvermögens zur Verhinderung der Tat, darauf verzichtet, dass der Arzt die Behörden informiert.404 Hat der Bedrohte aber bereits Kenntnis und ist tatsächlich in der Lage den Angriff abzuwehren, kann der Bedrohte auf den Schutz seines Lebens, den § 138 Abs. 1 Nr. 5 StGB ihm bietet, gar nicht mehr verzichten. 398  Westendorf,

Pflicht zur Verhinderung, S. 112 ff. zur Problematik bei dem interpersonalen Interessenkonflikt im Rahmen des § 34 StGB: Erb, in: MüKo-StGB, § 34 Rn. 35; Neumann, in: NK-StGB, § 34 Rn. 16; J. Schmitz, Rechtfertigender Notstand, S. 194 m.w.N u. zweites Kapitel B. IV. 2. b) aa) (2). 400  s. zu dem genauen Telos des § 216 StGB zweites Kapitel B. IV. 2. b) aa) (2). 401  Ostendorf, in: NK-StGB, § 138 Rn. 1; Rudolphi / Stein, in: SK-StGB, § 138 Rn. 3. 402  Vgl. Hanack, in: LK-StGB, § 138 Rn. 65; a. A. Westendorf, Pflicht zur Verhinderung, S.  113 ff. 403  BGHSt 42, 86, 88; Rudolphi, in: FS Roxin, S. 827, 830; Ostendorf, in: NKStGB, § 138 Rn. 3; Westendorf, Pflicht zur Verhinderung, S. 112; Fischer, § 138 Rn.  3; a. A. Eisele, BT I, Rn. 1501. 404  Vgl. Hanack, in: LK-StGB, § 138 Rn. 65; a. A. Westendorf, Pflicht zur Verhinderung, S.  112 ff. 399  Vgl.

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2. Kap.: Umfang und Grenzen der ärztlichen Schweigepflicht

Es entfällt richtigerweise Erforderlichkeit und damit die strafbewehrte Anzeigepflicht als solche.405 c) Ergebnis Zusammenfassend bleibt festzuhalten, dass es dem Arzt gemäß der strafbewehrten Anzeigepflicht des §§ 138, 139 Abs. 3 S. 2 StGB obliegen kann, sein Schweigen zur Verhinderung von Straftaten zu brechen. Die Relevanz dieser Offenbarungspflicht ist für die hier untersuchte Fallkonstellation gleichwohl gering. Eine Anzeigepflicht auslösende Notsituation liegt nur in äußersten Ausnahmefällen vor, in denen der Arzt von konkreten in § 138 StGB abschließend aufgelisteten Vorhaben oder Ausführungen glaubhaft erfahren hat. Falls sich der Arzt bemüht hat, die Tat anderweitig – wie etwa durch ein Einwirken auf den Patienten – abzuwenden, besteht die Offenbarungspflicht nur in den in § 139 Abs. 3 StGB aufgezählten Konstellationen. Die „üblichen“ Gewalt- und Sexualdelikte, mit denen der Arzt bei der Behandlung von Straftatopfern konfrontiert wird, werden weder von § 138 noch von § 139 StGB erfasst. Weiterhin entfällt die Handlungspflicht des Arztes regelmäßig selbst in solchen Fällen, in denen der Patient von einem in §§ 138, 139 Abs. 3 StGB anschließend aufgelisteten, besonderen Vorhaben bedroht wird. Der Patient wird in den meisten Fällen bereits vor dem Arzt über das Vorhaben zu seinen Lasten Bescheid wissen, weswegen eine Anzeigepflicht des Arztes mangels Erforderlichkeit grundsätzlich ausscheidet. Etwas anders gilt nur, wenn der Patient aus zeitlichen oder sonstigen tatsächlichen Gründen nicht oder nicht mehr in Lage ist, die Gefahr abzuwenden. Insbesondere, wenn vorsätzliche Tötungsdelikte gegen Kinder oder schwer kranke Personen geplant sind oder ausgeführt werden, muss der Arzt die gesetzlichen Vertreter oder die Behörden informieren. Bestehen für den Arzt Anhaltpunkte, dass die gesetzlichen Vertreter ihrer Personenfürsorgepflicht nicht nachkommen werden, muss eine gefahrabwehrende Behörde – sprich die Polizei – informiert werden.

405  A. A. Westendorf, Pflicht zur Verhinderung, S. 112 ff. In derartigen Konstellationen wird, wie die weitere Untersuchung zeigen wird, jedoch eine Offenbarungsbefugnis des Arztes eingreifen, s. zweites Kapitel IV. 2. b) aa) (2). Da nicht auszuschließen ist, dass sich ein Gericht bei einer Lebensgefahr der hier abgelehnten Gegenansicht anschließen wird, ist dem Arzt zu empfehlen, von dieser fakultativen Befugnis in solchen Fällen Gebrauch zu machen.



B. Durchbrechungen der Schweigepflicht157

2. Handlungspflichten aufgrund unechter Unterlassungsdelikte Als weiterreichende Offenbarungspflichten zur Aufklärung und Verhinderung von Straftaten kommen die unechten Unterlassensstrafbarkeiten der §§ 258, 13 Abs. 1; §§ 223 Abs. 1, 13 Abs. 1 bzw. §§ 223 Abs. 1, 27 Abs. 1, 13 Abs. 1 StGB in Betracht. Sollte sich aus diesen Vorschriften für den Arzt ein Handlungsgebot ergeben, müsste er von einem eventuellen Notstandsrecht zum Bruch seiner Schweigepflicht Gebrauch machen.406 a) §§ 258 Abs. 1, 13 Abs. 1 StGB Eine Pflicht zur Aufklärung von begangenen Straftaten könnte sich aus dem Straftatbestand der Strafvereitelung ergeben.407 Voraussetzung hierfür wäre, dass den Arzt eine Garantenpflicht zum Schutz des Rechtsguts von § 258 StGB – der Strafrechtspflege408 – trifft. Belange der Strafrechtspflege müssen allerdings nur solche Personen fördern, die hierzu rechtlich gehalten sind.409 Der kurativ tätige Arzt, der Straftatopfer behandelt, befindet sich in keinem Rechtsverhältnis, das ihm eine besondere Sorge gegenüber der Strafrechtspflege auferlegt.410 Er steht vielmehr in einem privatrechtlichen Verhältnis zu seinen Patienten, als Kammermitglied in einem öffentlich-rechtlichen Verhältnis zu seiner Berufskammer und zudem als Vertragsarzt in einem besonderen Verhältnis zu den Krankenkassen.411 Zur Mitwirkung an der Strafverfolgung ist er aber durch keines dieser Rechtsverhältnisse angehalten. Die alte Floskel, ein Arzt sei kein „Büttel der Polizei“412, erlangt an dieser 406  Vgl. Erb, in: MüKo-StGB, § 34 Rn. 39  ff.; Roxin, AT I, § 16 Rn. 116 ff.; Lenckner / Sternberg-Lieben, in: Schönke / Schröder, vor § 32 Rn. Rn. 71 f.; a. A. rechtfertigende Pflichtenkollision: Eichelbrönner, Grenzen der Schweigepflicht, S. 129; Vitkas, Grenzen ärztlicher Schweigepflicht, S. 150. 407  Eichelbrönner, Grenzen der Schweigepflicht, S. 127. 408  BGHSt 43, 82, 84; Cramer / Pascal, in: MüKo-StGB, § 258 Rn. 3; Stree / Hecker, in: Schönke / Schröder, § 258 Rn. 1. 409  BGHSt 43, 82, 84; Walter, in: LK-StGB, § 258 Rn. 87; Ruhmannseder, in: BeckOK-StGB, § 258 Rn. 13; Altenhain, in: NK-StGB, § 258 Rn. 43; Cramer / Pascal, in: MüKo-StGB, § 258 Rn. 16; Hoyer, in: SK-StGB, § 258 Rn. 32. 410  Walter, in: LK-StGB § 258 Rn. 106; etwas anderes gilt wenn der Arzt die Leichenschau übernimmt, vgl. Kaatsch / Thomsen, in: FS Schewe, S. 82 ff. 411  s. erstes Kapitel A., B. u. C. 412  Vgl. Mittelbach, MDR 1956, 565 ff.; Bockelmann, in: Ponsold, Lehrbuch der gerichtlichen Medizin, S. 17; Goedel, Pflichten und Berechtigungen, S. 147; Ulsenheimer, in: Der Sachverständige im Strafrecht, S. 3, 9; Krauß, ZStW 97 (1985), 81, 84; Theuner, Die ärztliche Schweigepflicht, S. 237; Geppert, in: FS Gössel, S. 303, 311.

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2. Kap.: Umfang und Grenzen der ärztlichen Schweigepflicht

Stelle wortwörtliche Bedeutung. Aus §§ 258, 13 Abs. 1 StGB ergibt sich keine Pflicht des kurativ tätigen Arztes zur Strafanzeige. b) §§ 223, 13 Abs. 1 bzw. §§ 223, 27 Abs. 1, 13 Abs. 1 StGB Ernsthaft diskutiert wird dagegen, ob dem Arzt als Garant die Verhinderung von zukünftigen Straftaten obliegt.413 Diese strafbewehrte Offenbarungspflicht könnte sich – je nachdem, wie man die Abgrenzung von Täterschaft und Teilnahme bei den unechten Unterlassungsdelikten verstehen möchte414 – aus §§ 223 ff., 13 Abs. 1 StGB oder aus §§ 223 ff., 27 Abs. 1, 13 Abs. 1 StGB ergeben. Denkbar sind ebenso fahrlässige Unterlassensstrafbarkeiten gemäß §§ 229, 13 Abs. 1 StGB und §§ 222, 13 Abs. 1 StGB. aa) Garantenstellung und -pflicht des behandelnden Arztes Allerdings können sich die vorbenannten Handlungspflichten des Arztes nur ergeben, soweit der behandelnde Arzt als ein Garant nach § 13 Abs. 1 StGB für die Verhinderung von Straftaten einzustehen hat. Garant der Allgemeinheit kann der kurativ tätige Arzt grundsätzlich nicht sein.415 Eine Garantenstellung kommt vielmehr aufgrund individueller Umstände gegenüber einzelnen Personen in Betracht. (1) Behandlungsverhältnis Der behandelnde Arzt nimmt zweifelsfrei eine Beschützergarantenstellung für das körperliche Wohl seines Patienten „kraft Übernahme der Behandlung“ ein.416 Diese Garantenstellung erfordert keinen zivilrechtlich wirksamen Behandlungsvertrag.417 Vielmehr genügt schon die faktische Behandlung des Patienten. Dem Arzt obliegt es demnach den Patienten nach den Regeln der ärztlichen Kunst zu behandeln und Leib und Leben des Patienten 413  So: Czerner, in: Rationalitäten des Kinderschutzes, S. 71; Jacobi / Dettmeyer / Banaschak / Brosig / Hermann, DÄB 2010, 231, 238; Fegert, DÄB 2010, 505. 414  Vgl. Haas, in: Matt / Renzikowski, § 13 Rn. 121 ff. 415  Geppert, in: FS Gössel, S. 303, 314; Goedel, Pflichten und Berechtigungen, S. 301 ff. Ausnahmen bilden solche Sachverhalte, in denen der Arzt eine Überwachungspflicht für einen gefährlichen Patienten innehält, vgl. BGH NStZ 2004, 151 f. 416  Vgl. OLG Frankfurt a. M. NJW 2000, 875, 876; Kühl, in: Lackner / Kühl, § 13 Rn. 9; Lipp, in: Laufs / Katzenmeier / Lipp, Arztrecht, IV. Rn. 4 ff.; Stree / Bosch, in: Schönke / Schröder, § 13 Rn. 28a; Jescheck / Weigend, AT, S. 623; Eichelbrönner, Grenzen der Schweigepflicht, S. 195; Freund, in: MüKo-StGB, § 13 Rn. 173. 417  Kühl, in: Lackner / Kühl, § 13 Rn. 9; Lipp, in: Laufs / Katzenmeier / Lipp, Arztrecht, IV. Rn. 4 ff.



B. Durchbrechungen der Schweigepflicht159

innerhalb des Behandlungsverhältnisses zu schützen.418 Diese besondere Fürsorge- und Obhutspflicht umfasst auch den Patient vor Straftaten zu bewahren bzw. an deren Aufklärung mitzuwirken, wenn sie dem Patienten während des Aufenthaltes in der Praxis oder Klinik widerfahren.419 Fraglich ist jedoch, ob sich die Garantenpflichten des Arztes auch auf Situationen beziehen, die nicht der Sphäre der medizinischen Behandlung angehören und sich sogar örtlich außerhalb der Arztpraxis ereignen. Gewalt- und Sexualstraftaten, die ein Dritter im privaten Bereich an dem Patienten verübt hat und verüben wird, sind gerade solche Gefahren, die sachlich außerhalb des medizinischen Behandlungsverhältnisses anzusiedeln sind. Daher ist fraglich, ob es zu der strafrechtlichen Garantenpflicht des Arztes gehören kann, den Patienten durch eine Offenbarung von Geheimnissen vor einer Gefährdung durch dritte Personen zu schützen. (a) Extensive Ansicht des OLG Frankfurt a. M. Eine sehr extensive Ansicht zur Reichweite von aus einem Behandlungsverhältnis stammenden Garantenpflichten vertritt das OLG Frankfurt a. M. in seinem viel beachteten „HIV-Fall“.420 Nach Ansicht des OLG Frankfurt a. M. war ein Arzt, der vermeintlich in Konformität mit der ärztlichen Schweigepflicht handelte und die HIV-Erkrankung eines Patienten dessen Lebensgefährtin, die ebenfalls Patientin des Arztes war, verschwieg, grundsätzlich für den Ersatz des materiellen Schadens und für Schmerzensgeld der mittlerweile infizierten Lebensgefährtin haftbar.421 Der Arzt sei als Garant für Leib und Leben verpflichtet auch solche körperlichen Gesundheitsgefahren abzuwenden, die der Patientin außerhalb der unmittelbaren Behandlung drohen – wie etwa die Ansteckung mit HIV.422 Nach der Auffassung des OLG Frankfurt a. M. wäre die mit einer Warnung verbundene Verletzung der ärztlichen Schweigepflicht durch das Notstandsrecht des § 34 StGB gerechtfertigt gewesen, weswegen der Arzt als Garant diesem 74, 350, 354; Lipp, in: Laufs / Katzenmeier / Lipp, Arztrecht, IV. Rn. 4 ff. BGH ZWH 2015, 329. 420  OLG Frankfurt a. M. Beschluß v. 8. 7. 1999 – 8 U 67 / 99 = NJW 2000, 875, f., VersR 2000, 320 ff.; zust.: Zieschang, in: LK-StGB, § 34 Rn. 68a; Spickhoff, NJW 2000, 848; Eichelbrönner, Grenzen der Schweigepflicht, S. 196 ff.; Jacobi / Dett­ meyer / Banaschak / Brosig / Herrmann, DÄB 2010, 231, 238; Landesärztekammer BW, Merkblatt zur ärztlichen Schweigepflicht, S. 3; ebenso wohl Mützel / Oehme /  Zinka / Helmreich / Schöpfer / Wingenfeld / Graw, Präsentation Gewaltopferschutzambulanz München, Folie 24. 421  Das LG Wiesbaden und das OLG Frankfurt haben die Prozesskostenhilfe i. E. jedoch versagt, weil die Klage aus anderen Gründen keine hinreichende Aussicht auf Erfolg hatte. 422  OLG Frankfurt a. M. VersR 2000, 320 ff. 418  RGSt 419  Vgl.

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2. Kap.: Umfang und Grenzen der ärztlichen Schweigepflicht

Erlaubnistatbestand zur Durchbrechung seiner Schweigepflicht hätte Folge leisten müssen.423 Der Entscheidung des OLG Frankfurt a. M. lässt sich entnehmen, dass der Arzt als Beschützergarant auch für den Schutz seiner Patienten vor solchen Gefahren verantwortlich sein soll, die in keinem unmittelbaren sachlichen und zeitlichen Zusammenhang mit der ärztlichen Leistung als solchen stehen. Gerade in der medizinischen Literatur finden sich Tendenzen diese Auffassung auf das hier in Rede stehende Problematik – dem Patienten droht Opfer einer Straftat zu werden – zu übertragen und von der ärztlichen Garantenpflicht demnach auch die Verhinderung von solchen Gesundheitsgefahren als umfasst anzusehen.424 (b) Restriktive Ansichten in der Literatur Allerdings widerspricht ein gewichtiger Teil der Literatur der extensiven Ansicht des OLG Frankfurts a. M.425 In ihren Augen können sich aus dem Behandlungsverhältnis keine derartig weitreichenden Garantenpflichten ergeben. Den Arzt treffe vielmehr nur eine beschränkte Einstandspflicht für solche Gefahren, die in einem sachlichen Zusammenhang mit der Behandlung als solcher stehen, nicht hingegen für solche Gefahren, die außerhalb der Behandlung liegen.426 Die Entscheidung des OLG Frankfurt a. M. wurde zudem stark dafür kritisiert, den Erlaubnistatbestand des rechtfertigenden Notstands zur Herleitung einer Garantenpflicht herangezogen zu haben.427 (c) Stellungnahme Bei der Diskussion über die Reichweite von ärztlichen Garantenpflichten darf man sich zunächst nicht von ergebnisorientierten Billigkeitserwägungen und moralischen Vorstellungen leiten lassen. Demjenigen Arzt, der seinen Patienten wissentlich nicht vor Schädigungen durch Dritte bewahrt, 423  OLG

Frankfurt a. M. VersR 2000, 320 ff. diese Richtung: Landesärztekammer BW, Merkblatt zur ärztlichen Schweigepflicht, S. 3.; Czerner, in: Rationalitäten des Kinderschutzes, S. 71; Jacobi / Dettmeyer / Banaschak / Brosig / Hermann, DÄB 2010, 231, 238; Fegert, DÄB 2010, 505. 425  A. Bender, VersR 2000, 322  ff.; Engländer, MedR 2001, 143 ff.; Parzeller / Bratzke, DÄB 2000, 2364  ff.; Wolfslast, NStZ 2001, 151  ff.; Wessels / Beulke / Satzger, AT, Rn. 1011; zuvor ebenfalls Kohlhaas, DA 1968, 12, 13. 426  A. Bender, VersR 2000, 322  ff.; Engländer, MedR 2001, 143 ff.; Parzeller / Bratzke, DÄB 2000, 2364 ff.; Wolfslast, NStZ 2001, 151 ff:, Wessels / Beulke / Satzger, AT, Rn. 1011. 427  Vgl. Wolfslast, NStZ 2001, 151 ff.; A. Bender, VersR 2000, 322 ff. 424  In



B. Durchbrechungen der Schweigepflicht161

obwohl er gerade Wiederherstellung und den Erhalt dessen Gesundheit gelobt, kann gewiss ein moralischer Vorwurf gemacht werden.428 Aber moralische Pflichten und Billigkeitserwägungen begründen noch lange keine strafbewehrte Garantenpflicht.429 Die Vorschrift des § 13 Abs. 1 StGB fordert vielmehr, dass der Täter für die Erfolgsabwendung „rechtlich“ einzustehen hat.430 Früher wurden strafrechtliche Einstandspflichten noch nach der formalen Rechtsquellenlehre, die auf Feuerbach zurückzuführen ist, aus Gesetz oder Vertrag – und damit vorwiegend aus dem Zivilrecht – abgeleitet.431 Allerdings ließ diese Konzeption Zweifel an der Legitimation der strafrechtlichen Garantenpflichten aufkommen, da sich die Übertragung von zivilrechtlichen Pflichten auf das Strafrecht nicht mit dem Verständnis über den Sinn und Zweck des Strafrechts und der Strafe als solcher verträgt.432 Daher besteht heute insoweit Einigkeit, dass strafrechtliche Garantenpflichten vielmehr (auch) auf materiellen Kriterien beruhen.433 Die neuere, herrschende Funktionenlehre, die auf Armin Kaufmann zurückgeht, differenziert hierzu zwischen Schutz- und Überwachungspflichten.434 Allerdings vermag diese Art der Unterscheidung mehr zu ordnen und zu systematisieren, als dass sie erklärt, aufgrund welcher materiellen Kriterien die einzelnen Pflichten entstehen.435 Die hinter den beiden Typen der Garantenpflichten stehenden materiellen Kriterien sind so zu verstehen, dass Überwachungspflichten tendenziell auf Erwägungen der Gefahrschaffung und des Herrschaftsbereichs basieren, wohingegen Schutzpflichten auf dem Vertrauensprinzip beruhen.436

428  Kein

„moralisches Entziehen“ möglich laut Jung, SÄB, 1981, 244, 248. in: Schönke / Schröder, § 13 Rn. 7; Engländer, MedR 2001, 143,

429  Stree / Bosch,

144.

430  Heuchemer,

in: BeckOK-StGB, § 13 Rn. 33 ff. Lehrbuch des peinlichen Rechts, § 24; RGSt 58, 130, 131 ff.; BGHSt 2, 150, 153. 432  Grünewald, Garantenpflichten im Strafrecht, S. 20; vgl. Wohlers / Gaede, in: NK-StGB, § 13 Rn. 30 ff. 433  Vgl. BGHSt 48, 77, 83; Fischer, § 13 Rn. 13; Grünewald, Garantenpflichten im Strafrecht, S. 20. 434  Kaufmann, Unterlassungsdelikte S.  283  ff.; Wessels / Beulke / Satzger, AT, Rn.  1005 ff.; Jescheck / Weigend, AT, S.  621 ff.; Wohlers / Gaede, in: NK-StGB, § 13 Rn.  32 ff.; Stree / Bosch, in: Schönke / Schröder, § 13 Rn. 9; Fischer, § 13 Rn. 14 ff. 435  Grünewald, Garantenpflichten im Strafrecht, S. 21, Jakobs, AT, Ab. 29 Rn. 27. 436  Wohlers / Gaede, in: NK-StGB, §  13 Rn.  34  ff.; Jescheck / Weigend, AT, S.  621 ff.; Wessels / Beulke / Satzger, AT, Rn. 1005 ff.; vgl. Grünewald, Garantenpflichten im Strafrecht, S. 22 ff. teilweise finden sich auch rein monistische Konzeptionen, die hier jedoch außer Acht gelassen werden. 431  Feuerbach,

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2. Kap.: Umfang und Grenzen der ärztlichen Schweigepflicht

Entscheidend ist daher, ob sich die vom OLG Frankfurt a. M. vorgebrachten Aspekte – das Notstandsrecht des Arztes und das Behandlungsverhältnis – nach diesen Kriterien zur Konzeption einer strafrechtlichen Garantenpflicht des Arztes zur Verhinderung von Straftaten Dritter ausreichen. Der Erlaubnistatbestand des rechtfertigenden Notstands erfüllt – für sich allein genommen – weder formale noch materielle Kriterien zur Konzeption einer strafrechtlichen Garantenpflicht. Ein rechtfertigender Notstand begründet als Erlaubnisnorm grundsätzlich nur ein Recht und keine Pflicht zum Handeln.437 Daher kann der Umstand, dass eine Schweigepflichtverletzung nach § 34 StGB gerechtfertigt wäre, weder eine Erwartung noch ein Vertrauen hervorrufen, dass der Arzt von dieser Erlaubnis Gebrauch machen und sein Schweigen brechen wird. Eine Pflicht zum Gebrauch dieses Rechtes kann sich nur ausnahmsweise dann ergeben, wenn der Arzt als Garant für Gefahrabwendung des Erhaltungsgutes einzustehen haben sollte.438 Damit wird klar, dass die viel kritisierten Ausführungen des OLG Frankfurts a. M. zu dem rechtfertigenden Notstand nur den dogmatischen Weg beschreiben, auf dem eine Garantenpflicht des Arztes die Schweigepflicht durchbrechen könnte, nicht aber selbst zur Begründung der Garantenpflicht taugen.439 Entscheidend ist daher allein, ob sich mit dem Behandlungsverhältnis eine strafrechtliche Garantenpflicht des Arztes zur Verhinderung von Straftaten Dritter durch Inanspruchnahme eines Notstandsrechts begründen lässt. Doch eine solche Konzeption ist bei genauer Betrachtung – trotz gegenteiliger Behauptung440 im Ergebnis nicht machbar.441 Selbst wenn man rein formale Kriterien für die Herleitung einer Garantenpflicht genügen lassen möchte und den zivilrechtlichen Behandlungsvertrag zwischen Arzt und Patient zur Konzeption heranzieht, lässt sich hieraus keine derartige Pflicht des Arztes herleiten. Die ärztlichen Hauptleistungspflichten aus dem Behandlungsvertrag beschränken sich nach §§ 630a ff. BGB allein auf die medizinischen Leistungen, die im spezifischen Zusammenhang mit der in437  Gaidzik, in: NK-MedR, StGB § 203 Rn. 13.; Engländer, MedR 2001, 143; Vitkas, Grenzen ärztlicher Schweigepflicht, S. 155; Parzeller / Bratzke, DÄB 2000, 2364 ff.; A. Bender, VersR 2000, 322, 323; Eichelbrönner, Grenzen der Schweigepflicht, S. 192. 438  Engländer, MedR 2001, 143, 144; Roxin, AT I, § 16 Rn. 116; Erb, in: MüKoStGB, § 34 Rn. 39; a. A. Gaidzik, in: NK-MedR, StGB § 203 Rn. 13. 439  Engländer, MedR 2001, 143. 440  OLG Frankfurt a. M. NJW 2000, 875, 876; zust.: Zieschang, in: LK-StGB, § 34 Rn. 68a; Spickhoff, NJW 2000, 848; Eichelbrönner, Grenzen der Schweigepflicht, S.  196 ff.; Landesärztekammer BW, Merkblatt zur ärztlichen Schweigepflicht, S. 3. 441  Engländer, MedR 2001, 143, 144.



B. Durchbrechungen der Schweigepflicht163

dividuellen Behandlung und Beratung des Patienten stehen.442 So ist der Arzt durch den Behandlungsvertrag verpflichtet, persönlich eine Anamnese und Untersuchung durchzuführen, Diagnosen zu stellen sowie den Patienten nach den Regeln der ärztlichen Kunst zu behandeln.443 Weiterhin wird es nach §§ 242, 241 Abs. 2 BGB zu den vertraglichen Nebenpflichten des Arztes gehören, sicherzustellen, dass dem Patienten keine sonstigen Schäden während der Behandlung widerfahren.444 Jedoch endet diese Pflicht, sobald der Patient diese ärztliche Sphäre verlässt.445 Der Arzt wird sich weder subjektiv noch aus Sicht eines objektiven Empfängers zu einer totalen Einstandspflicht für alle Lebenslagen des Patienten verpflichten wollen. Eine derartige Einstandspflicht widerspräche darüber hinaus wohl den Grundsätzen von Treu und Glauben, da der Arzt als Vertragspartei unangemessen belastet und überfordert werden würde.446 Der Behandlungsvertrag vermag somit im Rahmen einer formalen Konzeption keine derartig weite strafrechtliche Einstandspflicht des Arztes zu begründen. Desgleichen ergibt sich, wenn man versucht eine Konzeption der ärztlichen Garantenpflicht nach materiellen Kriterien anzustellen. Die Gesundheitsgefahren, die dem Patienten durch das deliktische Verhalten Dritter drohen, hat der Arzt weder selbst geschaffen noch fallen sie in den ärztlichen Herrschaftsbereich, weswegen eine Überwachungspflicht ausscheidet. Ebenso wenig lässt sich mit dem Behandlungsverhältnis eine Schutzpflicht aufgrund des Vertrauensprinzips begründen. Das Vertrauensprinzip greift zur Konzeption einer strafrechtlichen Garantenpflicht ein, wenn in Vertrauen auf die Zusage oder Präsenz einer Person anderweitige Sicherungsmaßnahmen unterblieben sind und deswegen das in Rede stehende Rechtsgut gefährdet wird.447 Durch die faktische Übernahme der medizinischen Behandlung schafft der Arzt aber keinen Anschein, aufgrund dessen der Patient oder andere Personen darauf vertrauen dürfen, dass der Arzt von nun an den Patienten vor allen Gesundheitsgefahren in allen Lebenslagen schützen wird und anderweitige Sicherungsmaßnahmen deswegen unterbleiben können. Auch wenn die körperlichen Folgen einer Gewalt- oder Sexualstraftat mög442  Vgl.

BGH NStZ 1983, 313, 314. Kern, in: Laufs / Kern, Handbuch des Arztrechts, 9. Kp.  § 45 ff.; Spickhoff, in: Spickhoff Medizinrecht, BGB § 630a Rn. 36 ff.; Bergmann / Middendorf, in: NK-MedR, BGB § 630a Rn. 60 ff.; Mansel, in: Jauernig, BGB, § 630a Rn. 4 ff. 444  Vgl. BGH ZWH 2015, 329. 445  Wolfslast, NStZ 2001, 151, 152. 446  Vgl. allg. zu § 242 BGB Mansel, in: Jauernig, BGB § 242 Rn. 3; Sutschet, in: BeckOK-BGB, § 242 Rn. 1, 30. 447  Jescheck / Weigend, AT, S. 623; Wessels / Beulke / Satzger, AT, Rn. 1011; Wohlers / Gaede, in: NK-StGB, § 13 Rn. 38 ff.; i. E. ähnlich Jakobs, AT, Ab. 29 Rn. 46 ff.; insb. gegen die Herrschaftskonstruktion Herzberg, Unterlassung, S. 193 ff. 443  Vgl.

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2. Kap.: Umfang und Grenzen der ärztlichen Schweigepflicht

licherweise Anlass für die Eingehung des Behandlungsverhältnisses sind, darf man nur darauf vertrauen, dass der Arzt versucht diese Gesundheitsschäden nach den Regeln der ärztlichen Kunst zu beheben. Niemand kann darauf vertrauen, dass der Arzt fortan die Rolle eines „Rundumbeschützers“ einnimmt. Von diesem Ergebnis sind selbst dann keine Ausnahmen zu machen, wenn es um unwissende, minderjährige oder unter Betreuung stehende Patienten geht. Zwar haben diese Personen regelmäßig nicht die Möglichkeit, sich selbst vor den ihnen drohenden drittverursachten Gefahren zu schützen – wie sich auch die Patientin in dem besagten „HIV-Fall“ vor der bevorstehenden Gesundheitsgefahr nicht selbst schützen konnte, da ihr die Infektion ihres Lebensgefährten unbekannt war. Allerdings schafft der Arzt mit der Übernahme eines typischen Behandlungsverhältnisses im Allgemeinen keinen Anhaltspunkt, aufgrund dessen die Patienten darauf vertrauen dürfen im privaten Lebensbereich Sicherungsmaßnahmen unterlassen zu können.448 Die Patientin in dem besagten Fall des OLG Frankfurt a. M. war sich vielmehr bewusst, dass sie in ihrem Privatleben selbst für den Schutz ihrer Gesundheit verantwortlich ist. Ihre HIV-Infektion ist das Ergebnis ihres Unterlassens von Sicherungsmaßnahmen im Vertrauen auf die Aufrichtigkeit des Sexualpartners und zugleich die strafrechtliche Verantwortung des Sexualpartners, nicht aber die des Arztes.449 Ebenso wenig erweckt der Arzt bei der Behandlung von minderjährigen und unter Betreuung stehenden Patienten den Anschein, dass er diese Patienten in allen Lebenslagen beschützen werde und Sicherungsmaßnahmen daher getrost unterlassen werden können. Für Lebenslagen, die nicht die medizinische Behandlung betreffen, müssen vielmehr die Personensorgeberechtigten dieser Patienten Sicherungsmaßnahmen treffen. Daher obliegt dem Arzt auch gegenüber minderjährigen, betreuten oder unwissenden Patienten keine strafrechtliche Einstandspflicht bezüglich solcher Gefahren, die außerhalb der medizinischen Behandlung liegen. Mag dieses Ergebnis auch auf den ersten Blick unbillig erscheinen, darf nicht außer Acht gelassen werden, dass der Arzt in dem „HIV-Fall“ die Lebensgefährtin sehr wohl hätte warnen dürfen, wenn er es denn gewollt hätte. Es besteht Einigkeit, dass der Erlaubnistatbestand des § 34 StGB für den Arzt zur Warnung der Lebensgefährtin eingegriffen hätte und sein Schweigepflichtbruch damit gerechtfertigt gewesen wäre.450 Können sich 448  Etwas anderes mag gelten, falls das Paar zusammen den Arzt für einem HIVTest und zur Beratung über Sicherheitsvorkehrungen gegen sexuell übertragbare Krankheiten aufgesucht hätte. 449  Ähnlich Illhardt, in: Ärztliche Schweigepflicht, S. 31, 38. 450  Vgl. Wessels / Beulke / Satzger, AT, Rn. 1011.



B. Durchbrechungen der Schweigepflicht165

Patienten in ihren privaten Lebensbereichen nicht selbst vor Gefahren schützen, wie etwa Kinder, betreute oder unwissende Personen, wird der Arzt den Patienten ggf. auf Grundlage des § 34 StGB durch einen Bruch seiner Schweigepflicht schützen dürfen.451 Bei der Konzeption einer strafrechtlichen Garantenpflicht geht es aber darum, ob sich der Arzt strafbar macht, wenn er diesen Schutz unterlässt. Dies muss bei genauer Untersuchung – wie bereits dargelegt – verneint werden. Die Konzeption einer derartigen Garantenpflicht aufgrund des Behandlungsverhältnisses ist weder nach formalen Kriterien noch nach materiellen Kriterien möglich. Folglich besteht aufgrund des Behandlungsverhältnisses keine Garantenpflicht des Arztes zur Einschaltung von Polizei oder anderen Behörden, wenn ein Dritter Straftaten zu Lasten des Patienten verüben wird. (2) § 4 Kinderschutz-Kooperationsgesetz (KKG) Seit dem im Jahr 2012 die Einführung des Kinderschutz-Kooperationsgesetzes (KKG) durch das Bundeskinderschutzgesetz (BKiSchG) bevorstand, wurde jedoch ebenfalls diskutiert, ob sich aus der Vorschrift des § 4 KKG eine strafrechtliche Garantenpflicht des Arztes zur Abwendung von gegen Minderjährige gerichteten Straftaten herleiten lässt.452 § 4 KKG gibt Berufsgeheimnisträgern, wie Ärzten, Interventionsmöglichkeiten zur Abwendung von Kinderwohlgefährdungen zur Hand. Eine dieser Interventionsmaßnahmen besteht nach § 4 Abs. 3 S. 1 KKG darin, dass Jugendamt zu informieren – mithin einen Schweigepflichtbruch gegenüber einer staatlichen Stelle zu begehen. Allerdings hat der Gesetzgeber diese Möglichkeit bewusst nur als Befugnis und nicht als Pflicht des Berufsgeheimnisträgers ausgestaltet, da befürchtet wurde, vernachlässigte, misshandelte oder missbrauchte Kinder würden anderenfalls gar nicht mehr zum Arzt gebracht werden.453 Daher lässt sich aus der in § 4 Abs. 3 S. 1 KKG reglementierten Interventionsmaßnahme keine Garantenpflicht des Arztes zur Anzeige oder Verhinderung von Straftaten gegen minderjährige Patienten herleiten.454 Die Vorschrift des § 4 KKG enthält jedoch auch Pflichten. Nach § 4 Abs. 1 KKG sollen Ärzte, die einen Fall der Kindeswohlgefährdung vermu451  s.

zweites Kapitel B. IV. 1. u. 2. Grenzen ärztlicher Schweigepflicht, S. 158  ff.; Kreße / Rabe, NJW 2009, 1789, 1791; Duttge, ZRP 2009, 159. 453  BT-Drs. 17 / 6256, 48; ebenso gegen eine Anzeigepflicht BMFSFJ, Runder Tisch Sexueller Kindesmissbrauch, 2013, S. 24. 454  Kreße / Rabe, NJW 2009, 1789, 1791. 452  Vitkas,

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2. Kap.: Umfang und Grenzen der ärztlichen Schweigepflicht

ten, die Situation mit dem betroffenen Kind und seinen Personensorgeberechtigen – sprich meist den Eltern – erörtern. Den Gesetzesmaterialen lässt sich entnehmen, dass der Gesetzgeber diese Soll-Vorschrift als eine Pflicht und nicht nur als ein Recht des Arztes versteht.455 Der Arzt ist somit durch § 4 Abs. 1 KKG intendiert verpflichtet, im Falle einer Kindeswohlgefährdung einzuschreiten und Erörterungsmaßnahmen zu erwägen.456 Diese Pflicht ist allerdings nicht frei von Missbilligung geblieben.457 Kritiker meinen, diese Vorschrift bürde Berufsgeheimnisträgern staatliche Aufgaben auf und umgehe die Zuständigkeiten der Jugendämter.458 Doch selbst wenn man diese Kritik außen vorlässt, bleibt stark anzuzweifeln, dass sich aus der Pflicht des § 4 Abs. 1 KKG eine strafrechtliche Garantenpflicht des Arztes für den Schutz von Leib und Leben des Kindes außerhalb der Behandlung konzeptionieren lässt. Eine einfachgesetzliche Handlungspflicht ist nämlich nicht mit einer strafrechtlichen Garantenpflicht i. S. v. § 13 Abs. 1 StGB gleichzusetzen.459 Für eine Garantenpflicht müsste der Arzt aufgrund von § 4 Abs. 1 KKG vielmehr rechtlich dafür einzustehen haben, dass das Kind nicht erneut Opfer von Straftaten wird. In seinem Normappell besagt § 4 Abs. 1 KGG aber allein, dass ein Erörterungsgespräch mit den Personensorgeberechtigen und dem Kind geführt werden soll. Aus dieser Soll-Vorschrift ergibt sich keine Handlungspflicht zum Bruch der Schweigepflicht gegenüber dem Jugendamt oder anderen Stellen. Diese Art der Intervention regelt, wie bereits dargestellt, vielmehr der dritte Absatz des § 4 KKG, der in seiner Rechtsfolge aber bewusst als eine bloße Befugnis ausgestaltet wurde.460 Diese gesetzgeberische Wertung darf nicht umgangen werden, indem aus § 4 Abs. 1 KKG eine strafrechtliche Garantenpflicht des Arztes zur Geheimnisoffenbarung gegenüber dem Jugendamt oder sonstigen Stellen hergeleitet wird.461 Die Norm § 4 KKG bestätigt darüber hinaus sogar auf zweifache Weise, dass das zuvor herausgearbeitete Ergebnis, dass dem Arzt kraft Übernahme der Behandlung gerade keine Garantenpflicht zur Abwendung von gegen den Patienten gerichteten Straftaten außerhalb der Behandlungssphäre ob455  BT-Drs. 17 / 6256, 19; ebenso Vitkas, Grenzen ärztlicher Schweigepflicht, S. 159. 456  Duttge, ZRP 2009, 159. 457  Kunkel, Bundeskinderschutzgesetz, S. 9. 458  Kunkel, Bundeskinderschutzgesetz, S. 9. 459  Vgl. Stree / Bosch, in: Schönke / Schröder, § 13 Rn. 7; Heuchemer, in: BeckOKStGB, § 13 Rn. 33 ff.; Grünewald, Garantenpflichten im Strafrecht, S. 20; Wohlers / Gaede, in: NK-StGB, § 13 Rn. 30 ff. 460  BT-Drs. 17 / 6256, 48. 461  BT-Drs. 17 / 6256, 48; ebenso gegen eine Anzeigepflicht BMFSFJ, Runder Tisch Sexueller Kindesmissbrauch, 2013, S. 24.



B. Durchbrechungen der Schweigepflicht167

liegt.462 Würde der Gesetzgeber davon ausgehen, dass der Arzt in solchen Konstellationen de lege lata bereits strafbewehrt zum Bruch seiner Schweigepflicht verpflichtet ist, wäre die Schaffung einer zusätzlichen Offenbarungsbefugnis in Gestalt des § 4 Abs. 3 S. 1 KKG nicht nur überflüssig, sondern zudem widersprüchlich. Des Weiteren macht die in § 4 Abs. 1 KKG normierte Pflicht zur Führung des Erörterungsgesprächs deutlich, dass den Arzt – entgegen der Auffassung des OLG Frankfurts a. M. – keine Einstandspflicht für das Wohl seines Patienten außerhalb der medizinischen Behandlung trifft. Der Arzt soll nach § 4 Abs. 1 KKG ein Erörterungsgespräch mit den Personensorgeberechtigten führen, da diese in den Augen des Gesetzgebers vorrangig für die Ergreifung von notwendigen Maßnahmen zur Abwendung der Kindeswohlgefährdung zuständig sind.463 Der Schutz des Kindes bleibt demnach trotz des Behandlungsverhältnisses zu dem Arzt primäre Aufgabe der sorgeberechtigten Personen und – soweit diese versagen – Aufgabe des Jugendamtes.464 Die Existenz eines ärztlichen Behandlungsverhältnisses kann daher Personensorgeberechtigten keinen Anlass dafür bieten, aufgrund des Vertrauensgrundsatzes Sicherungsmaßnahmen für das Kind im privaten Bereich zu unterlassen. Aus der Pflicht zur Durchführung eines Erörterungsgesprächs kann somit ebenfalls keine strafrechtliche Garantenpflicht des Arztes zur Geheimnisoffenbarung gegenüber dem Jugendamt oder sonstigen Behörden folgen.465 bb) Ergebnis zu Offenbarungspflichten aus unechten Unterlassensstrafbarkeiten Den Arzt trifft aus §§ 223 Abs. 1, 13 Abs. 1 StGB bzw. aus §§ 223 Abs. 1, 27 Abs. 1, 13 Abs. 1 StGB keine Pflicht durch einen Bruch seiner ärztlichen Schweigepflicht Straftaten außerhalb der Behandlungssphäre aufzudecken oder zu verhindern. Seine Verschwiegenheitspflicht bleibt durch diese Vorschriften grundsätzlich unberührt.

462  s.

zweites Kapitel B. III. 2. b) aa) (1). 17 / 6256, 29; Meysen / Eschelbach, Bundeskinderschutzgesetz, Kp. 3 Rn.  73 ff.; Vitkas, Grenzen ärztlicher Schweigepflicht, S. 86 ff. 464  Vgl. BT-Drs. 17 / 6256, 29; Meysen / Eschelbach, Bundeskinderschutzgesetz, Kp. 3 Rn. 73 ff.; Uhle, in: BeckOK-GG, Art. 6 Rn. 47, 60 ff.; Jeand’Heur, Schutzgebote zum Wohl des Kindes, S. 22, 79. 465  Vitkas, Grenzen ärztlicher Schweigepflicht, S. 160; a.  A. Kreße / Rabe, NJW 2009, 1789, 1791. 463  BT-Drs.

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2. Kap.: Umfang und Grenzen der ärztlichen Schweigepflicht

3. § 323c StGB Eine Handlungspflicht des Arztes zur Verhinderung von Straftaten könnte sich allerdings aus der in § 323c enthaltenen allgemeinen Pflicht zur Hilfeleistung ergeben.466 Der Straftatbestand des § 323c StGB beruht auf dem Prinzip der mitmenschlichen Solidarität, gemäß dem jederman zur erforderlichen und zumutbaren Hilfeleistung in bestimmten Notsituationen berufen ist.467 Damit die Pflicht zur Hilfeleistung in den hier zu untersuchenden Konstellation greift, müsste die Viktimisierung des Patienten eine Notsituation – sprich einen „Unglücksfall“ oder „gemeine Gefahr“ – i. S. d. § 323c StGB darstellen. Als ein Unglücksfall gilt jedes plötzliche äußere Ereignis, das eine unmittelbare Gefahr eines erheblichen Schadens für andere Menschen bringt.468 Unmittelbar bevorstehende – nicht hingegen abgeschlossene – Gewalt- und Sexualstraftaten erfüllen demnach grundsätzlich das Merkmal eines Unglücksfalls.469 Folglich kann auch diese Offenbarungspflicht – wenn überhaupt – nur dem präventiven Schutz des Patienten vor weiteren Straftaten dienen. Aus welcher Perspektive aber beurteilt werden soll, ob eine Gewalt- oder Sexualstraftat unmittelbar bevorsteht, ist umstritten. Genauer gesagt herrscht Streit darüber, aus welcher Perspektive die Tatsachen und Umstände, die die Grundlage für die Prognose bilden, beurteilt werden sollen.470 Die Rechtsprechung tendiert zu einer objektivierten ex ante Beurteilung.471 In der Literatur wird aber auch eine ausschließliche ex post Betrachtung als sinnvoll erachtet.472 Gleich auf welche Perspektive man abstellen möchte, wird die Annahme eines Unglücksfalls für den Arzt nicht selten Probleme bereiten. Denn die Feststellung, dass der Patient bereits Opfer einer Straftat wurde, darf nicht automatisch zu der Annahme verleiten, weitere Straftaten 466  Eichelbrönner,

Grenzen der Schweigepflicht, S. 127. 2, 296, 298; Wessels / Hettinger, BT 1, Rn. 1042; Rengier, BT II, § 42 Rn. 1; Gössel / Dölling, BT 1, § 56 Rn. 1. 468  BGHSt 6, 147, 152; BGH NJW 1983, 350, 352; Küper / Zopfs, BT, Rn. 515; Wessels / Hettinger, BT 1, Rn. 1044; Rengier, BT II, § 42 Rn. 3. 469  BGHSt 3, 65; 57, 42, 48; Küper / Zopfs, BT, Rn. 515; Kreuzer, in: jur. Problematik Medizin II, S. 228; Renzikowski, in: Matt / Renzikowski, § 323c Rn. 8; Wohlers / Geade, in: NK-StGB, § 323c Rn. 4. 470  Freund, in: MüKo-StGB, §  323c Rn.  29  ff.; Küper / Zopfs, BT, Rn.  518; Stein / Rudolphi, in: SK-StGB, § 323c Rn. 5a. 471  BGHSt 14, 213, 216; 16, 200, 203; 32, 367, 381; zust. Fischer, § 323c Rn. 9; Schuhr, in: Spickhoff, Medizinrecht, § 323c Rn. 15. 472  Küper / Zopfs, BT, Rn. 519; Wohlers / Gaede, in: NK-StGB, § 323c Rn. 7; Wessels / Hettinger, BT 1, Rn. 1044; Rengier, BT II, § 42 Rn. 4. 467  BGHSt



B. Durchbrechungen der Schweigepflicht169

stünden unmittelbar bevor und deswegen sei ein Unglücksfall gegeben. Zwar besteht bezüglich bestimmter Delikte – wie etwa die der Kindesmisshandlung oder des -missbrauchs – ein verbreiteter Kosens, dass ihre Wiederholung geradezu typisch sei473 und deswegen eine Art „Dauergefahr“ von weiteren Taten bestehe.474 Jedoch kann von einer allgemeinen Dauergefahr nicht auf ein unmittelbares Bevorstehen im konkreten Einzelfall geschlossen werden.475 Empirische Studien belegen vielmehr, dass es für die Wahrscheinlichkeit der Wiederholung der Tat – insbesondere im Bereich des Missbrauchs – stets auf die Umstände des Einzelfalls – wie Tätertypologie, Deliktsart, Opfer-Täter-Beziehung, Alter u. Ä. – ankommt.476 Dem Arzt müssen folglich konkrete, einzelfallbezogene Anhaltspunkte vorliegen, dass eine weitere Sexual- oder Gewaltstraftat unmittelbar bevorsteht. Des Weiteren sind grundsätzliche Zweifel daran zu hegen, ob der Straftatbestand des § 323c StGB dem verschwiegenheitsverpflichteten Arzt überhaupt eine Pflicht zur Einschaltung von Polizei oder sonstigen staatlichen Stellen auferlegen kann. Denn diese konkrete Hilfeleistungspflicht – in Form der Anzeige der Straftat – würde sich genau mit der Handlungspflicht des § 138 StGB decken. Bei der Suche nach berufsgeheimnisrechtlichen Offenbarungspflichten des Arztes geht es nämlich gerade nicht um die Frage, ob der Arzt einem verletzten Opfer von Gewalttaten durch eine medizinische Behandlung Hilfeleisten muss oder ob er, wie es § 139 Abs. 3 S. 2 StGB verlangt, versucht auf andere Weise die Tat zu verhindern, sondern darum, ob aus § 323c StGB ebenfalls eine Pflicht zur Anzeige von bevorstehenden Straftaten gegenüber staatlichen Stellen, wie etwa dem Jugendamt oder der Polizei, folgt. Diese Art der Hilfeleistung könnte nämlich speziell durch § 138 StGB reglementiert sein, weswegen ein Rückgriff auf die allgemeine Hilfeleistungspflicht verwehrt wäre. Auf den ersten Blick scheint zwischen § 138 StGB und § 323c StGB aufgrund der folgenden Überlegungen für den Fall der Anzeige von Straftaten ein Subordinationsverhältnis zu bestehen, aus dem der Straftatbestand des § 138 StGB als speziellere Norm hervorgeht:477 Zunächst decken sich die Vorschriften in ihren Schutzrichtungen.478 Beide Normen schützen diejenigen Rechtsgüter, die durch den verbrecherischen 473  Vitkas, JR 2015, 353, 355; KG MedR 2013, 787 ff.; Köttgen, BÄB 1968, 134, 137; Bundesärztekammer, BÄB 1968, 17, 18. 474  KG MedR 2013, 787 ff.; wohl auch Cierniak / Pohlit, in: MüKo-StGB, § 203 Rn. 88; Kargl, in: NK-StGB, § 203 Rn. 66. 475  So auch Eichelbrönner, Grenzen der Schweigepflicht, S. 109. 476  Vgl. Elz, Legalbewährung, S. 67  ff.; Beier / Bosinski / Loewit, Sexualmedizin, S.  437 ff., 500 ff. 477  Vgl. Klug, ZStW 68 (1956), 399, 405 ff.; Gropengießer, JURA 2000, 262, 263; Wohlers / Gaede, in: NK-StGB, § 323c Rn. 16; Canaris, Methodenlehre, S. 88 f. 478  Westendorf, Pflicht zur Verhinderung, S. 119 ff.

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2. Kap.: Umfang und Grenzen der ärztlichen Schweigepflicht

Angriff bzw. den Unglücksfall bedroht werden.479 Weiterhin scheinen alle Lebenssachverhalte, die eine Anzeigepflicht nach § 138 Abs. 1 StGB auslösen, ebenfalls eine Hilfeleistungspflicht nach § 323c StGB zu begründen.480 Im Gegensatz dazu wird aber nicht jede Notsituation, die eine Hilfeleistungspflicht nach § 323c StGB auslöst, ebenfalls eine Anzeigepflicht nach § 138 StGB begründen. Infolge dieses Subordinationsverhältnis wären grundsätzlich die Voraussetzungen einer Spezialität des § 138 StGB zu bejahen.481 Westendorf wendet gegen eine Spezialität des § 138 StGB allerdings ein, dass die Anzeigepflicht des § 138 StGB zeitlich bereits vor dem Eintritt eines Unglückfalls i. S. d. § 323c StGB greife und deswegen nicht jede Notsituation i. S. d. § 138 StGB eine des § 323c StGB sei.482 Für die sich überschneidenden Regelungsbereiche läge folglich eine Interferenz483 vor, weswegen lediglich eine Subsidiarität des § 323c StGB anzunehmen sei.484 Nach Westendorf soll sich demnach ein doppelter Schutz gegen schwere Straftaten ergeben: Einerseits durch die Anzeigepflicht des § 138 StGB und andererseits durch die subsidiäre Hilfeleistungspflicht des § 323c StGB. Bei minderschweren unmittelbar bevorstehenden Straftaten treffe einen jeden hingegen die allgemeine Hilfeleistungspflicht nach § 323c StGB. Der Einwand von Westendorf – dass zeitlich nicht jede Notsituation i. S. d. § 138 StGB eine des § 323c StGB sei und damit die Voraussetzungen einer Subordination nicht vorliegen – ist nur schwer von der Hand zu weisen. Allerdings kann sich auch bei interferierenden Normen aus teleologischen Gesichtspunkten der Vorrang einer Norm ergeben, der sogar so weit gehen kann, dass einzelne Lebenssachverhalte allein in den Anwendungsbereich einer Norm fallen, selbst wenn die Voraussetzungen der anderen interferierenden Norm vorliegen sollten.485 Und ein solcher Vorrang von §§ 138, 479  Westendorf, Pflicht zur Verhinderung, S. 119 ff.; vgl. zu § 323c StGB: BGH NStZ 1983, 117, 118; Freund, in: MüKo-StGB, § 323c Rn. 2; von Heintschel-Heinegg, in: BeckOK-StGB, § 323c Rn. 1 ff.; Kühl, in: Lackner / Kühl, § 323c Rn. 1; Schuhr, in: Spickhoff, Medizinrecht, § 323c Rn. 1; Eichelbrönner, Grenzen der Schweigepflicht, S. 131; vgl. zu § 138 StGB: BGHSt 42, 86, 88; Rudolphi, in: FS Roxin, S. 827, 830; Ostendorf, in: NK-StGB, § 138 Rn. 3; Westendorf, Pflicht zur Verhinderung, S. 112; Fischer, § 138 Rn. 3. 480  A. A. Westendorf, Pflicht zur Verhinderung, S. 119 ff. 481  Vgl. Klug, ZStW 68 (1956), 399, 405 ff.; Gropengießer, JURA 2000, 262, 263 ff. 482  Westendorf, Pflicht zur Verhinderung, S. 119 ff. 483  Vgl. Klug, ZStW 68 (1956), 399, 405 ff.; Gropengießer, JURA 2000, 262, 263 ff.; Canaris, Methodenlehre, S. 89. 484  Westendorf, Pflicht zur Verhinderung, S. 119 ff. 485  Vgl. Warda, in: FS Maurach, S. 143, 166, 170; Schmitz, Rechtfertigender Notstand S.  108 ff.; Gropengießer, JURA 2000, 262, 263 ff.



B. Durchbrechungen der Schweigepflicht171

139 Abs. 3 S. 2 StGB ist gerade für jenen Lebenssachverhalt anzunehmen, in dem ein Arzt einer Hilfeleistungspflicht durch Anzeige einer Straftat nachkommen soll. Der Gesetzgeber hat die Pflicht zur Anzeige von Straften in § 138 StGB explizit auf bestimmte Katalogtaten beschränkt und unter restriktive Voraussetzungen gestellt. Wie Vitkas und Eichelbrönner bereits ausführten, würde eine aus § 323c StGB abgeleitete ärztliche Anzeigepflicht die Wertungen des Gesetzgebers zu den §§ 138, 139 Abs. 3 S. 2 StGB unterlaufen.486 Daher kann eine sich nicht aus §§ 138, 139 Abs. 3 S. 2 StGB ergebende Pflicht zur Anzeige einer bevorstehenden Straftat, dem Arzt nicht durch die „Hintertür“ des § 323c StGB auferlegt werden.487 Dies gilt auch für Straftaten des Kindesmissbrauchs oder der Kindesmisshandlung.488 Denn der Gesetzgeber hat sich trotz aller Forderungen und Debatten, bewusst gegen die Ausweiterung des Katalogs des § 138 StGB um die Straftaten der Kindesmisshandlung und des Kindesmissbrauchs entschieden.489 Folglich obliegt dem schweigepflichtigen Arzt bei schweren geplanten Straftaten eine Pflicht zur Anzeige nach § 138 StGB sowie eine Pflicht zur Hilfeleistung durch anderweitiges Eingreifen – wie etwa die Durchführung von Schutz- oder Rettungsmaßnahmen – nach § 323c StGB. Bei weniger schweren Straftaten ist der Arzt weder durch § 138 StGB noch durch § 323c zur Anzeige der Tat verpflichtet.490 4. Fazit zu den Offenbarungspflichten Aus dem Erörterten folgt, dass der Arzt zu einer Offenbarung von Straftaten entgegen dem Willen des Patienten de lege lata nur äußerst selten verpflichtet ist. Eine auf §§ 258 Abs. 1, 13 Abs. 1 basierende Offenbarungspflicht zur Aufklärung von begangenen Straften scheidet aus, da der kurativ tätige Arzt kein Garant für die Belange der Strafrechtspflege ist. Ärztliche 486  Eichelbrönner, Grenzen der Schweigepflicht, S. 131 ff.; Vitkas, Grenzen ärztlicher Schweigepflicht, S. 165; D. Bender / Schreiber, in: Ethische Grundlagen der Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie, S. 162; vgl. zur Privilegierung von Ehegatten BGHSt 11, 135, 138. 487  Vitkas, Grenzen ärztlicher Schweigepflicht, S. 165 ff.; Eichelbrönner, Grenzen der Schweigepflicht, S. 131 ff. Die Entscheidung BGHSt 39,164 steht dem nicht entgegen, da der Sachverhalt der dieser Entscheidung zu Grunde lag schon ein ganz anderer war. In jenem Fall war unaufklärbar, ob der Täter sich in strafbarer Weise an der Straftat beteiligt hatte. 488  Vitkas, Grenzen ärztlicher Schweigepflicht, S. 161. 489  BT-Drs. 15 / 1311, S. 23; Vitkas, Grenzen ärztlicher Schweigepflicht, S. 161; Einbeziehung von Sexualstraftaten de lege ferenda fordernd Westendorf, Pflicht zur Verhinderung, S. 121. 490  Vitkas, Grenzen ärztlicher Schweigepflicht, S. 166; vgl. BGHSt 57, 42, 49.

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2. Kap.: Umfang und Grenzen der ärztlichen Schweigepflicht

Offenbarungspflichten im Zusammenhang mit der initiativen Anzeige und Aufklärung von Straftaten gegen lebende Opfer können allgemein nur bestehen, wenn hierfür präventive Gründe eingreifen, d. h. eine bevorstehende Straftat und die damit verbundenen Gefahren noch abzuwenden sind. Im Zusammenhang mit Straftaten existiert keine Rechtspflicht, die dem kurativ tätigen Arzt generell aufträgt, begangene Straftaten aus repressiven Gründen anzuzeigen. Jedoch obliegen dem Arzt auch zu präventiven Zwecken nur sehr beschränkte Offenbarungspflichten. Der Arzt ist zwar ein Garant für Leib und Leben des Patienten im Zusammenhang mit der Behandlung; jedoch ergibt sich aus dieser Garantenstellung grundsätzlich keine Offenbarungspflicht, wenn es um bevorstehende Straftaten geht, die dem Patienten außerhalb der Behandlungssphäre drohen. Ebenso scheidet eine ärztliche Offenbarungspflicht von bevorstehenden Straftaten nach § 323c StGB aus, da anderenfalls die Wertungen der §§ 138, 139 Abs. 3 S. 2 StGB umgangen werden würden. Im Ergebnis besteht eine ärztliche Offenbarungspflicht zur Verhinderung von Straftaten nur nach den Vorschriften der §§ 138, 139 Abs. 3 S. 2 StGB, wenn der Arzt glaubhaft erfahren hat, dass eine Person durch eine besonders schweren Tat, wie etwa ein Tötungsvorhaben, bedroht wird und diese Person hiervon selbst noch keine Kenntnis hat oder aber Kenntnis hat, jedoch nicht (mehr) in der Lage ist die Straftat zu verhindern. Von bereits begangenen Taten darf allerdings nicht pauschalisierend auf das Bevorstehen eines konkreten Vorhabens geschlossen werden. Es müssen vielmehr greifbare Anhaltspunkte für das Vorhaben oder die Ausführung von solchen Taten vorliegen. Eine weiterreichende Offenbarungspflicht kann sich bei genauerer Überprüfung de lege lata auch nicht zum Schutz von selbstbestimmungsunfähigen Patienten ergeben. Handelt es sich bei dem (zukünftigen) Straftatopfer, um eine Person, der noch keine volle Autonomie zukommt, wie etwa einem Kind, sind die gesetzlichen Vertreter berufen, stellvertretend über die Schweigepflichtentbindung des Arztes zu entscheiden. Selbst wenn sich die gesetzlichen Vertreter in der Frage der Einschaltung von Polizei oder anderen Behörden konträr zum Wohl des Patienten entscheiden sollten, ergibt sich hieraus noch keine Pflicht des Arztes zum Bruch seiner Schweigepflicht, solange es nicht um eine Straftat i. S. d. §§ 138, 139 Abs. 3 S. 2 StGB geht. Die Anzeigepflicht des § 138 StGB besteht nach dem Wortlaut der Vorschrift und dem Willen des Gesetzgebers ausschließlich in Fällen der abschließend aufgelisteten Straftaten, wie etwa Mord oder Totschlag. Andere Delikte, wie etwa Kindesmisshandlung oder -missbrauch, werden von der Anzeigepflicht des § 138 StGB nicht erfasst. Ebenso wenig kann dem Arzt durch die „Hintertür“ der in § 323c enthaltenen allgemeinen Hilfeleistungs-



B. Durchbrechungen der Schweigepflicht173

pflicht eine Anzeige solcher Straftaten auferlegt werden, da dies den Willen des Gesetzgebers zur restriktiven Handhabung von Anzeigepflichten umgehen würde. Weiterhin besteht keine strafrechtliche Garantenpflicht des Arztes zur Abwendung von Gefahren, die dem minderjährigen oder anderen nicht autonomen Patienten außerhalb der Behandlungssphäre drohen. Dass insbesondere Fälle von Kindesmisshandlung und -missbrauch keine Offenbarungspflicht des Arztes auslösen, bestätigt die gesetzgeberische Wertung, die hinter der Vorschrift des § 4 KKG steht. Der Gesetzgeber hat diese Norm jüngst geschaffen, um genau in solchen Situationen eine Intervention von Berufsgeheimnisträgern zu erleichtern. Die schweigepflichtdurchbrechende Interventionsmöglichkeit des § 4 Abs. 3 S. 1 KKG wurde aber wohl bemerkt bewusst als eine spezialgesetzliche Offenbarungsbefugnis ausgestaltet, die gerade keine Pflicht des Arztes zur Offenbarung beinhaltet. Daraus folgt, dass der Arzt zur Offenbarung von Straftaten gegenüber gefahrabwehrenden Behörden grundsätzlich nur dann verpflichtet ist, wenn gegen eine Person Tat i. S. d. §§ 138, 139 Abs. 3 StGB geplant ist oder ausgeführt wird und die bedrohte Person hiervon selbst noch keine Kenntnis hat oder aber Kenntnis hat, jedoch nicht (mehr) in der Lage ist die Straftat zu verhindern.

IV. Offenbarungsbefugnisse Eine weiterreichende – gleichwohl aber nicht obligatorische – Durchbrechung der ärztlichen Schweigepflicht zur Aufdeckung und Verhinderung von Straftaten bieten Offenbarungsbefugnisse. Liegen die Voraussetzungen solcher Befugnisse vor, liegt es im Ermessen des einzelnen Arztes, ob er sein Schweigen bricht. 1. Die Kinderschutzgesetze Unter den potentiellen Offenbarungsbefugnissen weisen, wie bereits dargestellt,491 die Vorschriften der Kinderschutzgesetze eine große Relevanz auf, wenn der Arzt Straftaten offenbaren möchte, die sich gegen Minderjährige richten.492 Das Bundeskinderschutzgesetz (BKiSchG) trat 2012 in Kraft und reformierte vor allem sozialgesetzliche Vorschriften zur Kinder- und Jugendhilfe, führte aber auch das bereits angesprochene Kinderschutz-Kooperationsgesetz (KKG) ein. Ziel des Kinderschutz-Kooperationsgesetzes ist es das Wohl von 491  s.

erstes Kapitel C. III. Grenzen ärztlicher Schweigepflicht, S. 75.

492  Vitkas,

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2. Kap.: Umfang und Grenzen der ärztlichen Schweigepflicht

Kindern und Jugendlichen zu schützen.493 Gefährdendem Verhalten der Eltern oder eines Dritten gegenüber dem Kind – wie etwa Misshandlungen, Missbräuchen oder Vernachlässigungen – entgegenzuwirken, zählt daher ebenfalls zu den Zielen des Gesetzes. Zur Umsetzung dieser Anliegen reicht das Kinderschutz-Kooperationsgesetz solchen Berufsgeheimnisträgern Interventionsmaßnahmen zur Hand, die wegen ihrer Nähe zu Kindern und Jugendlichen typischerweise Fälle von Kindeswohlgefährdungen erkennen können.494 So gestattet die Vorschrift des § 4 Abs. 3 S. 1 KKG Ärzten und anderen Berufsgeheimnisträgern Informationen über Kindeswohlgefährdungen an das Jugendamt zu übermitteln.495 Diese Vorschrift soll einerseits den Informationsfluss für den verwaltungsrechtlichen Kinder- und Jugendschutz verbessern; andererseits aber auch als ein Rechtfertigungsgrund für die Geheimnisoffenbarung eines schweigepflichtigen Berufsgeheimnisträgers fungieren.496 Vor Schaffung einer derartigen Spezialnorm konnten ärztliche Geheimnisoffenbarungen zur Abwendung von Kindeswohlgefährdungen nur über den strafrechtlichen Erlaubnistatbestand des § 34 StGB gerechtfertigt wer493  BT-Drs. 17 / 6256, 1 ff.; Czerner, in: Rationalitäten des Kinderschutzes, S. 67; Maywald, FPR 2012, 199; Schwerdtfeger / Doering-Striening, in: Doering-Striening, HdB Opferrechte, § 6 Rn. 104 ff. 494  Czerner, in: Rationalitäten des Kinderschutzes, S. 67. 495  Auszug aus § 4 KKG: (1)  Werden 1. Ärztinnen oder Ärzten, Hebammen oder Entbindungspflegern oder Angehörigen eines anderen Heilberufes, der für die Berufsausübung oder die Führung der Berufsbezeichnung eine staatlich geregelte Ausbildung erfordert, (…) in Ausübung ihrer beruflichen Tätigkeit gewichtige Anhaltspunkte für die Gefährdung des Wohls eines Kindes oder eines Jugendlichen bekannt, so sollen sie mit dem Kind oder Jugendlichen und den Personensorgeberechtigten die Situation erörtern und, soweit erforderlich, bei den Personensorgeberechtigten auf die Inanspruchnahme von Hilfen hinwirken, soweit hierdurch der wirksame Schutz des Kindes oder des Jugendlichen nicht in Frage gestellt wird. (2)  Die Personen nach Absatz 1 haben zur Einschätzung der Kindeswohlgefährdung gegenüber dem Träger der öffentlichen Jugendhilfe Anspruch auf Beratung durch eine insoweit erfahrene Fachkraft. Sie sind zu diesem Zweck befugt, dieser Person die dafür erforderlichen Daten zu übermitteln; vor einer Übermittlung der Daten sind diese zu pseudonymisieren. (3) Scheidet eine Abwendung der Gefährdung nach Absatz 1 aus oder ist ein Vorgehen nach Absatz 1 erfolglos und halten die in Absatz 1 genannten Personen ein Tätigwerden des Jugendamtes für erforderlich, um eine Gefährdung des Wohls eines Kindes oder eines Jugendlichen abzuwenden, so sind sie befugt, das Jugendamt zu informieren; hierauf sind die Betroffenen vorab hinzuweisen, es sei denn, dass damit der wirksame Schutz des Kindes oder des Jugendlichen in Frage gestellt wird. Zu diesem Zweck sind die Personen nach Satz 1 befugt, dem Jugendamt die erforderlichen Daten mitzuteilen. 496  Maywald, FPR 2012, 199, 200; als „janusköpfige“ Vorschrift bezeichnet dies Kunkel, Bundeskinderschutzgesetz, S. 9; krit. Duttge, iurratio 2016, 1.



B. Durchbrechungen der Schweigepflicht175

den.497 Für die Handlungssicherheit der Berufsgeheimnisträger wurde es jedoch als hinderlich angesehen, dass hiernach in jedem Einzelfall eine Interessen- und Güterabwägung vorgenommen werden musste.498 Daher entschied sich der Gesetzgeber das Abwägungsergebnis für den Fall einer Kindeswohlgefährdung durch § 4 Abs. 3 S. 1 KKG spezialgesetzlich vorzugeben.499 Zwar existierten auch vor Einführung des bundesgesetzlichen § 4 KKG bereits ähnliche landesrechtliche Offenbarungsbefugnisse und -pflichten. Allerdings divergierten die Vorschriften der Länder in ihren Voraussetzungen und Rechtsfolgen.500 So waren Ärzte etwa durch das bayrische Gesundheitsdienst- und Verbraucherschutzgesetz zu einer Offenbarung von Kindeswohlgefährdungen verpflichtet501, nach dem rheinland-pfälzischen Landesgesetz zum Schutz von Kindeswohl und Kindergesundheit hingegen nur befugt.502 Diese Ungleichheit wurde durch die bundesgesetzliche Offenbarungsbefugnis für die in § 4 KKG aufgezählten Berufsgeheimnisträger beseitigt.503 Wegen Art. 31 GG gelten die unterschiedlichen landesrechtlichen Offenbarungsbefugnisse und -pflichten für Ärzte nicht mehr neben der Offenbarungsbefugnis des § 4 Abs. 3 S. 1 KKG.504 Der Gesetzgeber hat mit § 4 Abs. 3 S. 1 KKG einen bundesweiten Erlaubnistatbestand geschaffen, der den ärztlichen Bruch der Schweigepflicht – nach einer vertypisierten Güter- und Interessenwägung i. S. d. § 34 StGB – für die spezielle Fallkonstellation der Kindeswohlgefährdung rechtfertigt.505 497  Vgl. KG Berlin MedR 2013, 791 ff.; KG Berlin MedR 2013, 787 ff.; Wagner, SÄB 1981, 252, 253; Rauch / Weissenrieder, Rechtsmedizin 2004, 209, 217. 498  Vgl. BT-Drs. 17 / 6256, 20; Czerner, in: Rationalitäten des Kinderschutzes, S. 67. 499  Vgl. BT-Drs. 17 / 6256, 20; Czerner, in: Rationalitäten des Kinderschutzes, S. 67. 500  Meysen / Eschelbach, Bundeskinderschutzgesetz, Kp. 1 Rn.  15  ff., Kp. 3 Rn.  55 ff.; Harderthauer, ZRP 2009, 159. 501  Vgl. Art. 14 des bayrischen Gesundheitsdienst und Verbraucherschutzgesetzes (GVDG). 502  Vgl. § 12 des rheinland-pfälzischen Landesgesetzes zum Schutz von Kindeswohl und Kindergesundheit. 503  BT-Drs. 17 / 6256, 1, 8, 19; Vitkas, Grenzen ärztlicher Schweigepflicht, S. 75; Meysen, in: FK-SGB VIII, Anh. § 8b Rn. 84. 504  Meysen / Eschelbach, Bundeskinderschutzgesetz, Kp. 3 Rn. 64 ff.; Meysen, in: FK-SGB VIII, Anh. § 8b Rn. 84; Kliemann / Fegert, ZRP 2011, 112; Vitkas, Grenzen ärztlicher Schweigepflicht, S. 101 ff.; Röhl / Röhl, Allgemeine Rechtslehre, S. 585. Mehr als unglücklich gewählt erscheinen daher die Ausführungen von Banaschak / Madea, in: Madea, Rechtsmedizin, S. 487 ff., die neben der bundesgesetzlichen Vorschrift für die Offenbarung von Kindeswohlgefährdungen, den Arzt stets auch auf seine Rechte und Pflichten nach der landesrechtlichen Vorschrift verweisen wollen. 505  BT-Drs. 17 / 6256, S. 20; Kliemann / Fegert, ZRP 2011, 110, 112; Czerner, in: Rationalitäten des Kinderschutzes, S. 71 f.

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2. Kap.: Umfang und Grenzen der ärztlichen Schweigepflicht

Im Folgenden bleibt darzulegen, unter welchen Voraussetzungen diese Offenbarungsbefugnis eingreift. a) Voraussetzungen des § 4 Abs. 3 S. 1 KKG aa) Anwendungsbereich Zunächst ist die Offenbarungsbefugnis des § 4 Abs. 3 S. 1 KKG allein auf Fälle anwendbar, in denen ein Kind oder ein Jugendlicher gefährdet wird. Zur Bestimmung, welche Person ein Kind und welche einen Jugendlichen darstellt, bieten sich die Begriffsbestimmungen des SGB VIII an, da das KKG zusammen mit der Reform dieser Vorschriften erlassen wurde und im sachlichen Zusammenhang mit der Kinder- und Jugendhilfe steht.506 Gemäß der Definition des § 7 Abs. 1 SGB VIII ist ein Kind eine Person unter 14 Jahren, ein Jugendlicher hingegen eine Person im Alter zwischen 14 und 18 Jahren. Der Begriff des Kindes wird aber auch als Überbegriff für jede Person verwendet, die noch nicht 18 Jahre alt ist.507 Die Geheimnisoffenbarung nach § 4 Abs. 3 S. 1 KKG kommt für den Arzt demnach nur in Betracht, wenn es um die Gefährdung einer noch nicht volljährigen Person geht.508 bb) Ausgeschiedene oder erfolglose „erste Stufe“ nach § 4 Abs. 1 KKG Weiterhin greift die Offenbarungsbefugnis des § 4 Abs. 3 S. 1 KKG gegenüber dem Jugendamt nur ein, wenn eine „Abwendung der Gefährdung“ durch § 4 Abs. 1 KKG „ausscheidet“ oder „erfolglos“ ist. Die Vorschrift des § 4 KKG sieht folglich ein „Zwei-Stufen-System“ der Intervention vor.509 Sobald gewichtige Anhaltspunkte für eine Kindeswohlgefährdung vorliegen, sollen sich die Berufsgeheimnisträger gemäß § 4 Abs. 1 KKG mit den betroffenen Kind und ihren Personensorgeberechtigten beraten und ihnen geeignete Hilfen zur Abwendung der Kindeswohlgefährdung anbieten.510 Erst wenn diese erste Stufe zur Abwendung der Kindeswohlgefährdung erfolglos war – weil 506  Vgl. Vitkas, Grenzen ärztlicher Schweigepflicht, S. 88; Meysen, in: FK-SGB VIII, Anh. § 8b Rn. 82; BT-Drs. 17 / 6256, S. 1 ff. 507  Vgl. Olzen, in: MüKo-BGB, §  1666 Rn. 39; Vitkas, Grenzen ärztlicher Schweigepflicht, S. 88. 508  Diese Terminologie soll im Folgenden ebenfalls gelten. 509  BT-Drs. 17 / 6256, S. 19; Meysen, in: FK-SGB VIII, Anh. § 8b Rn. 92 ff.; teilweise aber auch als „Drei-stufiges-Verfahren“ verstanden vgl. Kunkel, Bundeskinderschutzgesetz, S. 11. 510  Vitkas, Grenzen ärztlicher Schweigepflicht, S. 86  ff.; Kunkel, Bundeskinderschutzgesetz, S.  9 ff.; Meysen / Eschelbach, Bundeskinderschutzgesetz, Kp. 3 Rn. 73 ff.



B. Durchbrechungen der Schweigepflicht177

etwa die Beratung gescheitert ist oder sich als aussichtslos erweist – greift die Offenbarungsbefugnis des § 4 Abs. 3 S. 1 KKG als zweite Stufe der Intervention ein. Dieses zweistufige System soll sicherstellen, dass die personensorgeberechtigten Eltern zunächst selbst in Ausübung ihres Grundrechts aus Art. 6 Abs. 2 S. 1 GG die Kindeswohlgefährdung beseitigen können.511 Darüber hinaus dient das Erörterungsgespräch aber auch dazu, dass der Arzt Informationen für die auf der zweiten Interventionsstufe erforderliche Gefahrenprognose sammeln kann. Dieses „Zwei-Stufen-System“ des § 4 KKG ähnelt sehr demjenigen Vorgehen, das durch die §§ 8a ff. SGB VIII dem Jugendamt vorgegeben wird. Gemäß § 8a SGB VIII obliegt dem Jugendamt eine Ermittlungspflicht, sobald gewichtige Anhaltspunkte für eine Kindeswohlgefährdung vorliegen.512 Erst nachdem sich die Anhaltspunkte auf eine Gefährdung des Kindes / Jugendlichen durch die Ermittlungen erhärtet haben, muss und darf das Jugendamt weitere Maßnahmen treffen.513 (1) G  ewichtige Anhaltspunkte für die Gefährdung des Wohls eines Kindes oder eines Jugendlichen Für die erste Stufe der Intervention müssen dem Arzt „gewichtige Anhaltspunkte“ für die Gefährdung des Wohls eines Kindes oder eines Jugendlichen bekannt geworden sein. Der Begriff des Kindeswohls bzw. der Kindeswohlgefährdung spielt ebenfalls innerhalb der §§ 8a ff. SGB VIII, des § 1666 BGB aber auch in Art. 6 Abs. 2 S. 2 GG eine zentrale Rolle. Ausgefüllt wird dieses Merkmal nicht mittels einer „sozialwissenschaftlichen Anschauung im Sinne einer prospektiven bestmöglichen Entwicklung“ für das Kind, sondern durch ein eine „defensiv-abwehrrechtlich Betrachtung“.514 Eine Kindeswohlgefährdung liegt demnach vor, wenn eine gegenwärtige oder zumindest unmittelbar bevorstehende Gefahr für die Kindesentwicklung abzusehen ist, die bei ihrer Fortdauer eine erhebliche Schädigung des körperlichen und geistigen oder seelischen Wohls des Kindes mit ziem­licher Sicherheit voraussehen lässt.515 Das Merkmal der Kindeswohlgefährdung 511  BT-Drs. 17 / 6256, S. 29; Meysen / Eschelbach, Bundeskinderschutzgesetz, Kp. 3 Rn. 73 ff.; Vitkas, Grenzen ärztlicher Schweigepflicht, S. 86 ff. 512  Vgl. Tillmanns, in: MüKo-BGB, SGB VIII § 8a Rn. 3 ff.; Schwerdtfeger / Doe­ ring-Striening, in: Doering-Striening, HdB Opferrechte, § 6 Rn. 91 ff. 513  Vgl. Tillmanns, in: MüKo-BGB, SGB VIII §  8a Rn. 3  ff.; Winkler, in: BeckOK-SozR, SGB VIII § 8a Rn. 6. 514  Vgl. Jeand’Heur, Schutzgebote zum Wohl des Kindes, S. 107; Höynck / Haug, in: Rationalitäten des Kinderschutzes, S. 20 ff.; Brettel, ZJJ 2012, 352; ders., in: Jugend ohne Rettungsschirm, S. 461, 462. 515  BVerfG NJW 2010, 2333, 2334  ff.; BGH NJW 2005, 672, 673; Veit, in: BeckOK-BGB, § 1666 Rn. 7; Olzen, in: MüKo-BGB, § 1666 Rn. 48 ff.; vgl. Winkler,

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2. Kap.: Umfang und Grenzen der ärztlichen Schweigepflicht

erfordert somit letztlich eine prognostische Gefahrenbeurteilung.516 Allerdings muss der Arzt auf der ersten Interventionsstufe des § 4 Abs. 1 KKG noch keine umfassende Risikoabschätzung vornehmen. Es reichen bereits „gewichtige Anhaltspunkte“ für die Gefährdung des Wohls eines Kindes oder eines Jugendlichen, damit die Erörterungspflicht des § 4 Abs. 1 KKG greift. Das Merkmal der „gewichtigen Anhaltspunkte“ findet sich ebenfalls in der Vorschrift des § 8a SGB VIII, die von der Ermittlungspflicht des Jugendamts bei gewichtigen Anhaltspunkten für eine Kindeswohlgefährdung handelt.517 Da die gewichtigen Anhaltspunkte erst die Pflicht zur weiteren Ermittlung und Prognose auslösen, werden an dieses Merkmal keine hohen Anforderungen gestellt.518 Als „Anhaltspunkte“ gelten alle möglichen Tatsachen, die keine bloßen Vermutungen darstellen.519 „Gewichtig“ sollen diese Anhaltspunkte bereits sein, wenn nach den bekannten Tatsachen eine Gefährdung des Wohles des Kindes / Jugendlichen nicht von vornherein ausgeschlossen werden kann.520 Feststehen muss die Gefährdung somit auf der ersten Stufe des § 4 KKG nicht. Bereits nicht abwegig erscheinende und auf Tatsachen basierende Hinweise lösen grundsätzlich eine Erörterungspflicht des Arztes aus. (2) Bekanntgeworden in Ausübung der beruflichen Tätigkeit Die gewichtigen Anhaltspunkte für die Kindeswohlgefährdung müssen dem Arzt laut § 4 Abs. 1 KKG weiterhin „in Ausübung seiner beruflichen Tätigkeit bekanntgeworden“ sein. Diese Voraussetzung stimmt teilweise mit dem Tatbestand des § 203 Abs. 1 Nr. 1 StGB überein, der fordert, dass das in: BeckOK-SozR, SGB VIII § 8a Rn. 3; Tillmanns, in: MüKo-BGB, SGB VIII § 8a Rn. 3; Wiesner, in: Wiesner, SGB VIII § 8a Rn. 13a; a. A. Bringewat, ZKJ 2011, 278, 279; Meysen, in: FK-SGB VIII, Anh. § 8b Rn. 92. 516  Vgl. BayOLG FamRZ 1996, 1031; OLG Hamm FamRZ 2006, 359; OLG Köln FamRZ 2006, 877; Höynck / Haug, in: Rationalitäten des Kinderschutzes, S. 32; Meysen, in: FK-SGB VIII, § 8a Rn. 22; Wiesner, in: Wiesner, SGB VIII, § 8a Rn. 13b; Olzen, in: MüKo-BGB, § 1666 Rn. 48; Brettel, in: Jugend ohne Rettungsschirm, S. 461. 517  Winkler, in: BeckOK-SozR, SGB VIII § 8a Rn. 1; Wiesner, in: Wiesner, SGB VIII § 8a Rn. 14 ff.; Meysen, in: FK-SGB VIII, § 8a Rn. 15; Höynck / Haug, in: Rationalitäten des Kinderschutzes, S. 34. 518  Vgl. Meysen, in: FK-SGB VIII, Anh. § 8b Rn. 93; Winkler, in: BeckOK-SozR, SGB VIII § 8a Rn. 2; Höynck / Haug, in: Rationalitäten des Kinderschutzes, S. 34 f. 519  Meysen, in: FK-SGB VIII, Anh. § 8b Rn. 93; Winkler, in: BeckOK-SozR, SGB VIII § 8a Rn. 1; Wiesner, in: Wiesner, SGB VIII § 8a Rn. 14 ff. 520  Winkler, in: BeckOK-SozR, SGB VIII § 8a Rn. 2; Wiesner, in: Wiesner, SGB VIII § 8a Rn. 14 ff.



B. Durchbrechungen der Schweigepflicht179

Geheimnis dem Täter „als Arzt anvertraut worden oder sonst bekanntgeworden ist.“ Wie bereits dargestellt wurde, herrscht im Rahmen des § 203 StGB ein extensives Verständnis darüber, welche Geheimnisse dem Arzt „als Arzt“ bekanntwerden.521 Dieses Merkmal ist erfüllt, sobald der Arzt in seiner berufstypischen Funktion von einem Geheimnis in irgendeiner Weise – sprich durch mündliche, schriftliche oder konkludente Mitteilungen, aber auch durch Selbstwahrnehmungen – Kenntnis erlangt.522 Dies wird auch für § 4 KKG gelten müssen.523 An dieser Voraussetzung wird es folglich nur fehlen, falls gar kein funktionaler Zusammenhang zwischen der beruflichen Tätigkeit des Arztes und der Wahrnehmung der gewichtigen Anhaltspunkte für eine Kindeswohlgefährdung besteht.524 Diese Voraussetzung weist im Ergebnis aber sowieso nur eine geringe Relevanz für § 4 Abs. 1 KKG als Teil des Erlaubnistatbestandes des § 4 Abs. 3 S. 1 KKG für die Rechtfertigung der ärztlichen Schweigepflichtverletzung auf. Sollte es an diesem Merkmal fehlen, weil dem Arzt eine Kindeswohlgefährdung beispielswiese „als Privatperson“ bekannt wurde, ist die Offenbarung (strafrechtlich) schon gar nicht verboten.525 Denn ein Arzt, der eine Kindeswohlgefährdung „als eine Privatperson“ wahrnimmt, unterliegt bezüglich dieser Tatsachen tatbestandlich schon nicht der Schweigepflicht des § 203 Abs. 1 Nr. 1 StGB.526 Eines Erlaubnistatbestandes bedarf es zur rechtmäßigen Geheimnisweitergabe in diesen Fällen gar nicht. Einem Arzt, der bzgl. Geheimnissen im Zusammenhang mit einer Kindeswohlgefährdung der strafrechtlichen Schweigepflicht unterliegt, sind diese ebenso i. S. d. § 4 KKG bekanntgeworden. (3) A  usscheiden oder Erfolglosigkeit der anderweitigen Abwendung der Gefährdung Liegen die besagten Voraussetzungen der ersten Interventionsstufe des § 4 KKG vor, hat der Arzt grundsätzlich ein Erörterungsgespräch mit dem Kind und dessen Personensorgeberechtigten über die Kindeswohlgefährdung zu führen.527 Eine Ausnahme sieht § 4 Abs. 1 KKG für solche Fälle vor, in 521  s.

zweites Kapitel II. 2. zweites Kapitel II. 2. 523  Vitkas, Grenzen ärztlicher Schweigepflicht, S. 85. 524  Meysen, in: FK-SGB VIII, Anh. § 8b Rn. 94; Vitkas, Grenzen ärztlicher Schweigepflicht, S. 85. 525  Vgl. Vitkas, Grenzen ärztlicher Schweigepflicht, S. 85 ff. 526  s. zweites Kapitel II. 2. 527  Meysen, in: FK-SGB VIII, Anh. § 8b Rn. 95. 522  s.

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2. Kap.: Umfang und Grenzen der ärztlichen Schweigepflicht

denen eine Erörterung „ausscheidet“, weil diese den Schutz des Kindes bzw. Jugendlichen womöglich kontradiktieren würde.528 Diese Regelung soll wohl insbesondere Fällen des sexuellen Missbrauchs und solchen Sachverhalten gerecht werden, in denen es nicht um eine Vernachlässigung geht, sondern in denen die Personensorgeberechtigten selbst als aktive Täter in Betracht kommen.529 In derartigen Konstellationen kann nicht ausgeschlossen werden, dass die Personensorgeberechtigten infolge einer Konfrontation mit den Vorwürfen den Druck auf das Kind erhöhen oder womöglich sogar zu Verdeckungsstraftaten hingerissen werden.530 Liegt ein solcher Ausnahmefall nicht vor, greift die Offenbarungsbefugnis des § 4 Abs. 3 S. 1 KKG nur ein, falls die erste Interventionsstufe nach § 4 Abs. 1 KKG „erfolglos“ war – d. h. sich die gewichtigen Anhaltspunkte für eine Kindeswohlgefährdung in dem Gespräch nicht beseitigen ließen, sich die Personensorgeberechtigten uneinsichtig zeigten und keine Hilfe annehmen wollten oder das Gespräch in sonstiger Weise zur Abwendung der Kindeswohlgefährdung gescheitert ist.531 cc) Kindeswohlgefährdung Neben dem Ausscheiden oder der Erfolgslosigkeit der ersten Interventionsstufe verlangt die Offenbarungsbefugnis des § 4 Abs. 3 S. 1 KKG eine „Gefährdung des Wohls des Kindes oder Jugendlichen“. Eine solche Kindeswohlgefährdung liegt – wie bereits dargelegt – nach einhelliger Definition vor, wenn eine gegenwärtige oder zumindest unmittelbar bevorstehende Gefahr für die Kindesentwicklung abzusehen ist, die bei ihrer Fortdauer eine erhebliche Schädigung des körperlichen, geistigen oder seelischen Wohls des Kindes mit ziemlicher Sicherheit voraussehen lässt.532 (1) Der drohende Schaden Das zukünftige Ereignis, das die Kindeswohlgefährdung maßgebend bestimmt, ist eine Schädigung des körperlichen, geistigen oder seelischen 528  Meysen / Eschelbach, 529  Meysen / Eschelbach,

Bundeskinderschutzgesetz, K. 3 Rn. 79. Bundeskinderschutzgesetz, K. 3 Rn. 79; vgl. Meysen, in:

FK-SGB VIII, § 8a Rn. 31. 530  Vitkas, Grenzen ärztlicher Schweigepflicht, S. 87; Meysen / Eschelbach, Bundeskinderschutzgesetz, Kp. 3 Rn. 79; vgl. Meysen, in: FK-SGB VIII, § 8a Rn. 31, Anh. § 8b Rn. 98. 531  Meysen, in: FK-SGB VIII, Anh. § 8b Rn. 104 ff. 532  BVerfG NJW 2010, 2333, 2334 ff.; BGH NJW 2005, 672, 673; OLG Karlsruhe NJW 2009, 3521 ff.; Veit, in: BeckOK-BGB, § 1666 Rn. 7; Olzen, in: MüKoBGB, § 1666 Rn. 48 ff.; Albert, Innerfamiliäre Gewalt, S. 150.



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Kindeswohls. Der zu befürchtende Schaden muss vor dem Hintergrund des elterlichen Erziehungsrechts nach Art. 6 Abs. 2 GG stets eine gewisse Erheblichkeitsschwelle überschreiten.533 Der Staat darf – trotz seines Wächteramtes – nicht wegen jeder Nachlässigkeit in das Erziehungsrecht der Eltern eingreifen, weswegen seine gesetzlich geschaffenen Befugnisse ebenso ein Überschreiten dieser Erheblichkeitsschwelle fordern müssen.534 Wann diese Schwelle überschritten ist, wurde bereits vor Einführung des § 4 Abs. 3 S. 1 KKG im Rahmen der Interessenabwägung des § 34 StGB diskutiert. Die Frage bleibt auch mit Einführung des § 4 Abs. 3 S. 1 KKG unbeantwortet, da die Vorschrift keine Vorgaben zur Lösung dieser Problematik macht. Zur Lösung dieser Frage wird vorwiegend auf die Art der Gewalt abgestellt. Sexueller Missbrauch und sexuelle Gewalt sollen die Erheblichkeitsschwelle stets überschreiten.535 Bei körperlichen Misshandlungen sei dies hingegen nicht derart einfach zu beantworten. So wollen Lenckner / Eisele sowie Bender allein körperliche Misshandlungen von „einiger Erheblichkeit“ ausreichen lassen.536 Allerdings darf aus diesen Ausführungen nicht geschlossen werden, dass „leichte“ körperliche Misshandlungen, wie etwa Ohrfeigen, nie zu einer Offenbarungsbefugnis des Arztes führen können.537 Die veraltete Anschauung, nach der Körperstrafen zu Erziehungszwecken nicht als Kindeswohlgefährdungen galten,538 ist nicht mehr haltbar.539 Gemäß § 1631 Abs. 2 BGB hat jedes Kind ein Recht auf eine gewaltfreie Erziehung, was ebenfalls auf die Bestimmung der Erheblichkeitsschwelle der Kindeswohl­ gefährdung ausstrahlen muss.540 Daraus folgt zwar noch nicht, dass jede Form der Gewalt eine Kindeswohlgefährdung darstellt, allerdings ist die Schwelle der Kindeswohlgefährdung mittlerweile niedriger anzuset533  EGMR FamRZ 2008, 1319, 1320 – M.S. / Deutschland; BVerfG FamRZ 2010, 713; OLG Saarbrücken FamRZ 2010, 1746. 534  Vgl. BT-Drs. 17 / 6256, S. 15; Olzen, in: MüKo-BGB, §  1666 Rn.  50; Höynck / Haug, in: Rationalitäten des Kinderschutzes, S. 24, 29; Brettel, ZJJ 2012, 352. 535  Vgl. Vitkas, Grenzen ärztlicher Schweigepflicht, S. 81; Olzen, in: MüKo-BGB, § 1666 Rn. 61. 536  D. Bender, MedR 2002, 626, 630; Lenckner / Eisele, in: Schönke / Schröder, § 203 Rn. 31a. 537  Vgl. Albert, Innerfamiliäre Gewalt, S. 151; Vitkas, Grenzen ärztlicher Schweigepflicht, S.  81 ff. 538  Scherer, ZfJ 1999, 86, 90. 539  Höynck / Haug, in: Rationalitäten des Kinderschutzes, S. 20; Olzen, in: MüKoBGB, § 1666 Rn. 58; Mertens / Pankofer, Kindesmisshandlung, S. 54. 540  Olzen, in: MüKo-BGB, § 1666 Rn. 58; Vitkas, Grenzen ärztlicher Schweigepflicht, S.  82 ff.; Mertens / Pankofer, Kindesmisshandlung, S. 54.

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2. Kap.: Umfang und Grenzen der ärztlichen Schweigepflicht

zen.541 Zudem kann auch die einfache, aber ständig wiederkehrende und daher traumatisierende körperliche Gewalt das Risiko von schweren psychischen und physischen Folgen für das Kind bergen.542 Insoweit kann die Erheblichkeitsschwelle der Kindeswohlgefährdung im Einzelfall auch durch niedrigeschwellige Misshandlungen überschritten sein, wenn für das Kind bzw. den Jugendlichen infolge dieser Gewalt eine schwere Schädigung des geistigen oder seelischen Wohls befürchtet werden muss.543 (2) Prognose des Arztes Obgleich § 4 Abs. 3 S. 1 KKG von einer „Gefährdung“ spricht – und somit zeitlich bereits vor einer Gefahr eingreift – besteht das Merkmal der Kindeswohlgefährdung per Definition aus den Grundkomponenten der zuvor beschriebenen, abzuwehrenden, erheblichen Schädigung des Kindes und der Wahrscheinlichkeit ihres Eintritts.544 Dies löst grundsätzlich das Erfordernis einer prognostischen Gefahrbestimmung aus.545 (a) Erforderlichkeit einer Prognose Prognoseurteile stellen aber nicht selten ein schwieriges Unterfangen dar. Als Wahrscheinlichkeitsurteile tragen sie eine immanente Ungewissheit in sich.546 Vitkas möchte wohl daher die Voraussetzungen der Offenbarungsbefugnis des § 4 Abs. 3 S. 1 KKG so verstehen, dass der Arzt von der schwierigen Aufgabe der Prognose weitestgehend befreit wird.547 In seinen Augen verlange die Offenbarungsbefugnis des § 4 Abs. 3 S. 1 KKG keine 541  Olzen, in: MüKo-BGB, § 1666 Rn. 58; Mertens / Pankofer, Kindesmisshandlung, S. 54. 542  Schäfer, in: Spitzer / Gabe, Kindesmisshandlung, S. 119 ff.; Brettel, in: Göppinger, Kriminologie, § 28 Rn. 52 ff.; Albert, Innerfamiliäre Gewalt, S. 111 ff. u. S. 151 m. w. N.; ebenso Vitkas, Grenzen ärztlicher Schweigepflicht, S. 84. 543  Vgl. Vitkas, Grenzen ärztlicher Schweigepflicht, S. 81 ff. 544  Vgl. Wiesner, in: Wiesner, SGB VIII § 8a Rn. 13b; Olzen, in: MüKo-BGB, § 1666 Rn. 48 ff.; Kunkel, Bundeskinderschutzgesetz, S. 11; Brettel, in: Jugend ohne Rettungsschirm, S. 461, 462. 545  Vgl. BayObLG FamRZ 1996, 1031; OLG Hamm FamRZ 2006, 359; OLG Köln FamRZ 2006, 877; Meysen, in: FK-SGB VIII, § 8a Rn. 22; Wiesner, in: Wiesner, SGB VIII § 8a Rn. 13b; Olzen, in: MüKo-BGB, § 1666 Rn. 48. 546  Vgl. Schüler, Zweifel über Rechtfertigungslage, S. 57; Perron, in: Schönke / Schröder, § 34 Rn. 13; Brettel, in: Jugend ohne Rettungsschirm, S. 461. 547  Vitkas, JR 2015, 353, 356; ähnlich Banaschak / Madea, in: Madea, Rechtsmedizin, S. 493, die bereits die Einschaltung des Jugendamtes bei einem Verdacht und noch vor der Diagnose einer Kindesmisshandlung und Abhaltung des Erörterungsgespräches empfehlen.



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prognostische Gefahrbestimmung durch den Arzt, da „Anhaltspunkte“ für eine Kindeswohlgefährdung ausreichen würden.548 Dieser Auffassung kann jedoch nicht zugestimmt werden.549 Der Passus der „gewichtigen Anhaltspunkte“ findet sich ausschließlich in dem ersten Absatz von § 4 KKG, der die Führung des Erörterungsgesprächs als erste Interventionsstufe regelt. Für die zweite Interventionsstufe verlangt § 4 Abs. 3 S. 1 KKG hingegen eine „Gefährdung des Wohls eines Kindes oder eines Jugendlichen“. Dass diese semantische Divergenz kein Zufall ist, sondern auf einer gesetzgeberischen Absicht beruht, lässt sich den Gesetzesmaterialen zu dem KKG entnehmen.550 Mit steigender Interventionsstufe sollten höhere Voraussetzungen an die Interventionslage gestellt werden.551 Ein solches Verständnis liegt gleichermaßen den sozialgesetzlichen Vorgaben des Kinderund Jugendschutzes zu Grunde, wie die Maßgaben der §§ 8a ff. SGB VIII zeigen. Die Vorschrift des § 8a SGB VIII beschreibt die erste Interventionsstufe des Jugendamtes zur Abwendung von Kindeswohlgefährdungen.552 Demnach trifft das Jugendamt eine Ermittlungspflicht, sobald ihm „gewichtige Anhaltspunkte“ auf eine Kindeswohlgefährdung vorliegen.553 Erst nachdem sich die Anhaltspunkte durch die Ermittlungen zur Annahme einer Kindeswohlgefährdung verdichtet haben, darf und muss das Jugendamt weitere Maßnahmen als nachfolgende Interventionsstufen treffen.554 Darüber hinaus ergibt sich aus dem allgemeinen Verhältnismäßigkeitsgrundsatz, an Maßnahmen mit gesteigerter Eingriffsintensität höhere Voraussetzungen zu stellen.555 Der Arzt wird durch § 4 Abs. 3 S. 1 KKG befugt mittels der Offenbarung von Geheimnissen gegenüber dem Jugendamt in den verfassungsrechtlich geschützten Geheimnisschutz des Patienten und in das Persönlichkeit- und Erziehungsrecht der Eltern einzugreifen. Damit dieser – im Vergleich zum Erörterungsgespräch – gesteigerte Eingriff verhältnismäßig ist, muss eine Kindeswohlgefährdung vorliegen, was von dem Arzt eine Feststellung der vorhandenen Umstände und eine darauf basierende Prognose erfordert.

548  Vitkas,

JR 2015, 353, 356. Kunkel, Bundeskinderschutzgesetz, S. 11, der die Gefährdungseinschätzung als zweite Stufe eines dreistufigen Verfahrens verstehen will. 550  BT-Drs. 17 / 6256, 19. 551  BT-Drs. 17 / 6256, 19. 552  Vgl. Meysen, in: FK-SGB VIII, § 8a Rn. 55 u. dortige Übersicht. 553  Winkler, in: BeckOK-SozR, SGB VIII § 8a Rn. 10 ff.; Meysen, in: FK-SGB VIII, § 8a Rn. 55 u. dortige Übersicht; Tillmanns, in: MüKo-BGB, SGB VIII § 8a Rn.  3 ff.; Wiesner, in: Wiesner, SGB VIII § 8a Rn. 13c. 554  Vgl. Tillmanns, in: MüKo-BGB, SGB VIII § 8a Rn. 3 ff. 555  Vgl. Huster / Rux, in: BeckOK-GG, Art. 20 Rn. 192 ff. 549  Ebenso

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2. Kap.: Umfang und Grenzen der ärztlichen Schweigepflicht

(b) Beurteilungsperspektive Aus welcher Perspektive aber eine solche Gefährdung beurteilt werden soll, ist damit noch nicht geklärt. Im Allgemeinen Teil des Strafrechts gehört die Beurteilung einer Gefahr wohl zu einer der problematischsten, aber gleichwohl ungeklärtesten Fragen.556 Die Rechtsprechung beschäftigte sich bisweilen mit ärztlichen Einschätzungen von Kindeswohlgefährdungen vorwiegend unter den zivilrechtlichen Aspekten von Schadensersatzforderungen, die gestellt wurden nachdem Ärzte fälschlicherweise solche Gefährdungen annahmen und die Polizei bzw. das Jugendamt einschalteten. Das LG München etwa verurteilte die Trägerin eines Krankenhauses zur Leistung von Schadensersatz, da ihre Ärzte aufgrund von Hämatomen das Jugendamt einschalteten; die Verletzungen des Kindes unter Einhaltung des ärztlichen Standards jedoch als „Spielunfall“ hätten bewertet werden müssen.557 Über einen anderen Fall, in dem Ärzte die Polizei aufgrund der Annahme einer Kindeswohlgefährdung einschalteten, hatte das KG Berlin zu urteilen. In diesem Fall ließen die Symptome eines „SchüttelTrauma-Syndroms“558 die medizinisch vertretbare Diagnose einer Kindesmisshandlung zu, obwohl sich im Nachhinein herausstellte, dass die Symptome nicht von einer Misshandlung herrührten.559 Die Ärzte wurden in diesem Fall nicht für schadenersatzpflichtig befunden. Man darf jedoch nicht darüber hinwegsehen, dass für die Zivilgerichte jeweils entscheidend war, ob die Ärzte die Verletzung der Persönlichkeitsrechte von Eltern und Kind nach den zivilrechtlichen Maßstäben des § 276 BGB zu verschulden hatten.560 Deswegen stellten die Gerichte maßgebend darauf ab, ob die Diagnose der Misshandlung und die darauf basierende Annahme einer Kindeswohlgefährdung den ärztlichen Sorgfaltsmaßstäben standhielten. Ein solcher Maßstab kann für § 4 Abs. 3 S. 1 KKG in seiner Funktion als strafrechtlicher Erlaubnistatbestand für den Ausschluss des Unrechts einer vorsätzlichen Straftat aber nicht ohne weiteres gelten.561 Das Strafrecht 556  Vgl. Roxin, AT I, § 16 Rn. 14; Kretschmer, JURA 2005, 662 ff.; insbesondere auf den Fall der ärztlichen Schweigepflicht eingehend Schaffstein, in: FS Bruns, S. 89, 90. 557  LG München Rechtsmedizin 2009, 239 ff. 558  Vgl. Dettmeyer / Schütz / Verhoff, Rechtsmedizin, S. 136; Herrmann / Dettmeyer / Banaschak / Thyen, Kindesmisshandlung, S. 32 ff.; Banaschak / Madea, in: Madea, Rechtsmedizin, S. 496; Jacobi / Dettmeyer / Banaschak / Brosig / Herrmann, DÄB 2010, 231, 234 f. 559  KG Berlin MedR 2013, 787, 789. 560  Vgl. Deutsch, in: Spickhoff, Medizinrecht, BGB § 276 Rn. 1 ff.; Spindler, in: BeckOK-BGB, § 823 Rn. 21. 561  So jedoch Vitkas, JR 2015, 353, 356.



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unterscheidet für die unrechtsausschließende Wirkung des Erlaubnistatbestands sehr wohl zwischen vorliegenden Rechtfertigungslagen und solchen, die sich der Täter nur einbildet.562 Eine lediglich – wenn auch ohne Sorgfaltspflichtverstoß unvermeidbar – irrtümlich vorgestellte Möglichkeit eines Schadenseintritts ist strafrechtlich als Erlaubnistatbestandsirrtum zu behandeln.563 Insoweit ist für § 4 Abs. 3 S. 1 KKG in seiner Funktion als Rechtsfertigungsgrund eine Auseinandersetzung mit dem Maßstab der Gefährdungsbeurteilung unumgänglich. Für die Gefahrbestimmung im Rahmen des strafrechtlichen Erlaubnistatbestandes des § 34 StGB besteht zumindest Konsens darüber, dass die eigentliche Prognose über den zukünftigen Verlauf der Dinge ex ante – d. h. aus der Situation des Notstandstäters – beurteilt werden muss.564 Ferner scheint Einigkeit darüber zu herrschen, dass hierbei nicht allein auf die subjektive Vorstellung des Notstandtäters abgestellt werden darf, sondern eine objektivierte Beurteilung notwendig ist.565 Über die weiteren Details herrscht jedoch Uneinigkeit. So ist die Frage, welcher objektive Maßstab anstelle eines rein subjektiven Maßstabs bei der Prognose anzusetzen ist, Gegenstand von Diskussionen.566 Das Meinungsspektrum reicht von dem Maßstab eines verständigen Beobachters aus dem Verkehrskreis des Täters567, über den eines sachkundigen Beobachters568 bis hin zu einem Maßstab, der sich aus dem gesamten menschlichen Erfahrungswissen569 ergeben soll. Darüber hinaus besteht Uneinigkeit, ob die Tatsachenfeststellungen, die die Grundlage für die Verlaufsprognose bilden, von dem Prognoseurteil als solchem getrennt wer562  Vgl. BGHSt 3, 105, 106 f.; 31, 264, 286 ff.; 45, 219, 224 ff.; Erb, in: MüKoStGB, § 34 Rn. 64; Perron, in: Schönke / Schröder, § 34 Rn. 13; Neumann, in: NKStGB, § 34 Rn. 50; Fischer, § 34 Rn. 4; Heinrich, AT, Rn.  323 ff. 563  Vgl. BGHSt 3, 105, 106 ff.; Sternberg-Lieben / Schuster, in: Schönke / Schröder, § 16 Rn. 14 ff.; Kudlich, in: BeckOK-StGB, § 16 Rn. 21 ff. 564  Vgl. Perron, in: Schönke / Schröder, § 34 Rn. 13; Erb, in: MüKo-StGB, § 32 Rn. 68; Günther, in: SK-StGB, § 34 Rn. 21; Schaffstein, in: FS Bruns, S. 89, 92; Schüler, Zweifel über Rechtfertigungslage, S. 58; Roxin, AT I, § 16 Rn. 15; Wessels / Beulke / Satzger, AT, Rn. 452. 565  Roxin, AT I, § 16 Rn. 15; Schaffstein, in: FS Bruns, S. 89, 93; Dimitratos, Begriffsmerkmal der Gefahr, S. 80 ff.; Blei, AT, § 44 III 3. 566  Verständiger Beobachter aus dem Verkehrskreis: Schaffstein, in: FS Bruns, S. 89 ff.; verständiger Beobachter unter Einbeziehung des Sonderwissens: Jakobs, AT, Abschn. 13 Rn. 13; auf Sachkundigen Beobachter abstellend: Perron, in: Schönke / Schröder, § 34 Rn. 14. 567  Schaffstein, in: FS Bruns, S. 89 ff. 568  BayObLG NJW 1995, 1623, 1624; Perron, in: Schönke / Schröder, § 34 Rn. 14; Kühl, in: Lackner / Kühl, § 34 Rn. 2; Roxin, AT I, § 16 Rn. 18; Jakobs, AT, Abschn. 13. Rn. 13. 569  Erb, in: MüKo-StGB, § 34 Rn. 68; Blei, AT, § 44 III 3.

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den und einer strengeren Beurteilung – insbesondere einer nachträglichen ex post-Überprüfung – unterliegen sollen.570 Die herrschende Meinung lehnt eine solche getrennte Betrachtung ab und tendiert insgesamt zu einer einheitlichen ex ante Beurteilung der Gefahr anhand des Maßstabes eines objektiven Dritten mit Wissen und Fähigkeiten des Notstandtäters.571 Ohne auf diesen Streit in aller Tiefe eingehen zu wollen, erscheint für einen strafrechtlichen Erlaubnistatbestand, der Eingriffe in Rechtsgüter gestattet, doch insgesamt eine möglichst objektive Beurteilung des Gefahrenbegriffs vorzugswürdig – allein schon um eine echte Gefahr von einer Putativgefahr abgrenzen zu können.572 Dies hat für § 4 Abs. 3 S. 1 KKG in seiner Funktion als strafrechtlicher Erlaubnistatbestand grundsätzlich ebenfalls zu gelten. Daher gebietet sich – entgegen der zu § 34 StGB herrschenden Meinung – eine getrennte Beurteilung der Tatsachenfeststellungen, die die Grundlage für die Prognose bilden, und der Verlaufsprognose als solcher.573 Auf Ebene der Tatsachenfeststellungen müssen ex post zumindest objektive Umstände vorhanden sein, an die ein Gefahrurteil überhaupt anknüpfen kann. Sind solche Umstände nicht gegeben, kann eine irrtümliche Vorstellung einer Schädigung schon gar keine Gefährdung begründen – mag diese Fehlvorstellung auch noch so unvermeidbar sein.574 Im Zusammenhang mit der Prognose der Schädigung des Kindeswohls sind folgende Umstände von Bedeutung: Art, Lokation und Ausmaß der bereits vorhandenen Verletzungen oder pathologischen Zustände, Aussagen und Verhalten des Kindes, Aussagen und Verhalten der Eltern oder anderer Personen aus dem Kindesumfeld sowie Erkenntnisse aus der Ablauf- und Familienanamnese.575 570  Für eine ex post Beurteilung der Prognosegrundlage: Erb, in: MüKo-StGB, § 34 Rn. 65; Engländer, in: Matt / Renzikowski, § 34 Rn. 12; Neumann, in: NKStGB, § 34 Rn. 47 ff.; Günther, in: SK-StGB, § 34 Rn. 21; Perron, in: Schönke / Schröder, § 34 Rn. 13; krit.: Kretschmer, JURA 2005, 662, 663 f.; Dimitratos, Begriffsmerkmal der Gefahr, S. 147 ff.; Roxin, AT I, § 16 Rn. 18; Jakobs, AT, Abschn. 13. Rn. 13. 571  BGHSt 48, 255, 258; Jakobs, AT, Abschn. 13. Rn. 13; Kretschmer, JURA 2005, 662, 663 f., Wessels / Beulke / Satzger, AT, Rn. 452; Momsen, in: BeckOK-StGB, § 34 Rn. 4; Freund, AT, § 3 Rn. 55; Heinrich, AT, Rn. 406. 572  Erb, in: MüKo-StGB, § 34 Rn. 65; Engländer, in: Matt / Renzikowski, § 34 Rn. 12; Neumann, in: NK-StGB, § 34 Rn. 45. 573  Erb, in: MüKo-StGB, § 34 Rn. 65; Engländer, in: Matt / Renzikowski, § 34 Rn. 12; Neumann, in: NK-StGB, § 34 Rn. 47 f., 50; Perron, in: Schönke / Schröder, § 34 Rn. 13; Günther, in: SK-StGB, § 34 Rn. 21; krit.: Dimitratos, Begriffsmerkmal der Gefahr, S. 147 ff.; Jakobs, AT, Abschn. 13. Rn. 13; Roxin, AT I, § 16 Rn. 18. 574  Vgl. Neumann, in: NK-StGB, § 34 Rn. 45; wohl auch Kargl, in: NK-StGB, § 203 Rn. 49. 575  BMFSFJ, Handbuch Kindeswohlgefährdung, Punkt 2; AWMF-Leitlinie Nr. 071 / 003, S. 2, 6 ff.; Behme / Schmude, Der geschützte Raum, S. 37 ff.; Mertens /  Pankofer, Kindesmisshandlung, S. 34 ff.



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Mit der Anamnese und Befunderhebung endet für den Arzt jedoch noch nicht die Bildung der Grundlage für das anschließende Prognoseurteil. Der Arzt wird die einzelnen Befunde und Tatsachen einer Gesamtbewertung unterziehen und eine Diagnose anstellen, ob das Kind misshandelt, missbraucht oder vernachlässigt wurde.576 Ob eine solche Diagnose ebenfalls einer ex post Überprüfung standhalten muss, oder ob es reicht, dass ein sachkundiger Beobachter oder gar ein objektiver Dritter mit Wissen und Fähigkeiten des Arztes aufgrund der vorliegenden Tatsachen in der Situation des Arztes die in Rede stehende Diagnose gestellt hätte, lässt sich auf den ersten Blick nur schwer beantworten. Die unterschiedlichen Beurteilungen wirken sich vor allem auf solche Fälle aus, die wie der des KG Berlin gelagert sind. In diesem Fall wies das Kind ex post betrachtet Symptome auf, die typischerweise nach einer Kindesmisshandlung durch kräftiges Schütteln auftreten.577 Dennoch stellte sich im Nachhinein heraus, dass die Diagnose der Kindesmisshandlung falsch war, da das Kind gar nicht misshandelt wurde.578 Die Verlaufsprognose über zukünftige Schädigungen des Kindes durch weitere Kindesmisshandlungen basierte somit auf einer unzutreffenden Diagnose, trotz ex post vorhandener Anknüpfungspunkte. Will man die Frage nach der in solchen Konstellationen anzusetzenden Beurteilungsperspektive für Diagnosen beantworten, muss man sich zunächst vor Augen führen, welche schwerwiegenden Folgen die Einschaltung des Jugendamtes aufgrund von unzutreffenden Diagnosen mit sich bringen kann. Nicht nur wird der Geheimnisschutz des Kindes verletzt, die Eltern sehen sich meist einer Art „Inquisition“ des Jugendamtes ausgesetzt.579 Regelmäßig wird das Kind durch eine staatliche Inobhutnahme den Eltern entzogen, was für Eltern und Kind ein schwer traumatisches Erlebnis darstellt.580 Die Auswirkungen solcher Eingriffe vermag exemplarisch das Schicksal der Eltern zu belegen, über deren Schadensersatzforderung das LG München zu urteilen hatte. Die Eltern erlitten infolge der Maßnahmen des Jugendamtes, die allein aufgrund der von den Ärzten vorschnellen und fälschlich gestellten Diagnose der Kindesmisshandlung ergingen, akute Belastungsstörungen, die mehrere 576  Vgl. Dettmeyer / Schütz / Verhoff, Rechtsmedizin, S. 132; Stoppt Gewalt gegen Kinder, Leitfaden, S. 29; Herrmann / Dettmeyer / Banaschak / Thyen, Kindesmisshandlung, S.  73 ff.; Rose, Kindesmisshandlungen, S. 71 ff.; Behme / Schmude, Der geschützte Raum, S. 45 ff.; KG Berlin MedR 2013, 787 ff., LG München Rechtsmedizin 2009, 239, 240; Kühl, AT, § 8 Rn. 52. 577  Vgl. KG Berlin MedR 2013, 787 ff. 578  Vgl. KG Berlin MedR 2013, 787 ff. 579  Vgl. Meysen, in: FK-SGB VIII, Anh. § 8b Rn. 106; LG München Rechtsmedizin 2009, 239, 240. 580  Vgl. LG München Rechtsmedizin 2009, 239, 240.

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2. Kap.: Umfang und Grenzen der ärztlichen Schweigepflicht

Tage stationärer Behandlung bedurften.581 Angesichts solcher Auswirkungen ist weiter zu bedenken, dass § 4 Abs. 3 S. 1 KKG in seiner Funktion als strafrechtlicher Erlaubnistatbestand den Personen, in deren Rechtsgüter eingegriffen wird, eine Duldungspflicht auferlegt. Daher scheint grundsätzlich ein möglichst strenger und objektiver Maßstab für Diagnosen angemessen. Gleichwohl soll § 4 Abs. 3 S. 1 KKG den Schutz von gefährdeten Kindern und Jugendlichen effektiv umsetzen und den Informationsfluss zwischen Arzt und Jugendamt erleichtern.582 Zu strenge Maßstäbe würden diesen Zweck kontradiktieren. Der Gesetzgeber scheint in dem empfindlichen Bereich der Beurteilung einer Kindeswohlgefährdung insgesamt um einen sachverständigen Standard bemüht zu sein, wie sich an den Vorschriften § 4 Abs. 2 KKG und § 8b SGB VIII zeigt. Nach § 4 Abs. 2 KKG und § 8b SGB VIII können sich Ärzte bei der Einschätzung einer Kindeswohlgefährdung von Fachkräften, wie speziell ausgebildeten Personen oder Mitarbeitern des Jugendamtes, beraten lassen.583 Daher erscheint es angemessen, die Diagnose einer Misshandlung, eines Missbrauchs oder einer Vernachlässigung nur dann als Grundlage für die Verlaufsprognose weiterer Schädigungen ausreichen zu lassen, wenn die jeweilige Diagnose ebenfalls ein Fachmann in der Situation des in Rede stehenden Arztes gestellt hätte.584 Dem steht auch nicht entgegen, dass ein nicht forensisch spezialisierter Arzt naturgemäß Irrtümern unterliegen und daher Fehldiagnosen stellen kann. Ein in dieser Weise irrender Arzt unterliegt bei der Geheimnisweitergabe an das Jugendamt einem Erlaubnistatbestandsirrtum und verwirklicht nach herrschender Auffassung kein vorsätzliches Unrecht.585 Diesem Arzt droht – mangels Strafbarkeit des fahrlässigen Geheimnisbruches – insgesamt keine Strafe. Durch dieses Ergebnis relativiert sich der Meinungsstreit über die Beurteilung der Gefahr zwar bereits; es ist aber gleichwohl sachgerechter derartige Konstellation als Erlaubnistatbestandsirrtümer zu behandeln,586 anstatt sie unter den Erlaubnistatbestand des § 4 Abs. 3 S. 1 KKG zu subsumieren. Da die Interventionsmaßnahme des § 4 Abs. 3 S. 1 KKG nur präventiv und nicht repressiv wirken soll, gehört zu dem Merkmal der Kindeswohl581  Vgl.

LG München Rechtsmedizin 2009, 239, 240. 17 / 6256, S. 1, 19 ff.; Czerner, in: Rationalitäten des Kinderschutzes, S. 67; Maywald, FPR 2012, 199, 200; Kunkel, Bundeskinderschutzgesetz, S. 9. 583  Meysen, in: FK-SGB VIII, Anh. § 8b Rn. 106; Winkler, in: BeckOK-SozR, SGB VIII § 8a Rn. 7. 584  Ähnlich BayObLG NJW 1995, 1623, 1624; Meysen, in: FK-SGB VIII, Anh. § 8b Rn. 106; so i. E. auch LG München Rechtsmedizin 2009, 239 ff.; für § 34 StGB vgl. Kühl, in: Lackner / Kühl, § 34 Rn. 2. 585  BGH NJW 1952, 1023; BGHSt 31, 264, 286 ff.; 45, 219, 224 ff.; Kudlich, in: BeckOK-StGB, § 16 Rn. 24. 586  So auch Kargl, in: NK-StGB, § 203 Rn. 49. 582  BT-Drs.



B. Durchbrechungen der Schweigepflicht189

gefährdung weiterhin, dass der Arzt aufgrund der zuvor beschriebenen Tatsachenfeststellungen und Diagnose letztendlich eine Verlaufsprognose anstellt, ob dem Kind auch zukünftig erhebliche Schäden drohen. Diese Prognose ist denknotwendig zukunftsorientiert, weswegen für die Verlaufsabschätzung eine ex ante Perspektive ausschlaggebend ist.587 Für die Frage nach dem in dieser Situation einzuhaltenden Maßstab, erscheint es ein weiteres Mal angebracht darauf abzustellen, ob eine sachverständige Person – wie etwa ein speziell ausgebildeter Mitarbeiter des Jugendamtes – in der Situation und mit dem Sonderwissen des Arztes ebenfalls eine weitere Schädigung des Kindes für wahrscheinlich gehalten hätte.588 Absolut feststehen muss die bevorstehende Schädigung des Kindes damit jedoch in keinem Fall.589 An den Grad der Wahrscheinlichkeit sind – wie im Rahmen des § 34 StGB – umso geringere Anforderungen zu stellen, je größer und gewichtiger der drohende Schaden für das Kind / den Jugendlichen ist.590 In gewissem Maße erlaubt die Bestimmung der Kindeswohlgefährdung damit auch Zweifel und Ungewissheiten.591 Festzuhalten bleibt demnach, dass der Arzt von der prognostischen Gefahrbestimmung – trotz gegenteiliger Behauptungen – nicht befreit ist. Der Erlaubnistatbestand des § 4 Abs. 3 S. 1 KKG erfordert, dass der Arzt ein fachmännisch vertretbares Prognoseurteil über die Schädigung des Kindes aufgrund von ex post vorliegender Anhaltspunkte und einer fachmännisch gestellten Diagnose fällt. (c) E  inzelne Fallgruppen der Prognose einer Kindeswohlgefährdung Ausgehend von diesem abstrakten Maßstab zur Bestimmung einer Kindeswohlgefährdung ist auf die einzelnen Fallgruppen, die einem Arzt im Zusammenhang mit Straftaten gegen Minderjährige begegnen können, konkret einzugehen.

Schüler, Zweifel über Rechtfertigungslage, S. 58. Meysen, in: FK-SGB VIII, Anh. § 8b Rn. 106; i. E. ebenso LG München Rechtsmedizin 2009, 239, 240; ebenso für § 34 StGB Kühl, in: Lackner / Kühl, § 34 Rn. 2; Neumann, in: NK-StGB, § 34 Rn. 51. 589  Tillmanns, in: MüKo-BGB, SGB VIII § 8a Rn. 3. 590  Vgl. Olzen, in: MüKo-BGB, § 1666 Rn. 48; Erb, in: MüKo-StGB, § 34 Rn. 71; Roxin, AT I, § 16 Rn. 14; Schaffstein, in: FS Bruns, S. 89, 104 ff. 591  Vgl. Schüler, Zweifel über Rechtfertigungslage, S. 77. 587  Vgl.

588  Ähnlich

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2. Kap.: Umfang und Grenzen der ärztlichen Schweigepflicht

(aa) Misshandlung Eine große Relevanz für die Prognose einer Kindeswohlgefährdung hat, wie bereits angesprochen, die Diagnose einer Kindesmisshandlung. Als eine Kindesmisshandlung gilt die nicht zufällige, gewaltsame, körperliche Schädigung eines Kindes.592 Diese Schädigung kann gleich mehrere Straftatbestände – von der Körperverletzung bis hin zum (versuchten) Totschlag und Mord – verwirklichen. Insbesondere der Straftatbestand des § 225 StGB erlangt hier Bedeutung.593 Für die Diagnose einer Misshandlung spielen körperliche Befunde eine besondere Rolle. Bestimmte, schon rein äußerlich erkennbare, Verletzungsbilder weisen auf das Vorliegen einer körperlichen Misshandlung hin.594 Eine hohe Aussagekraft besitzen geformte Hautverletzungen, wie etwa Bisswunden, geformte Hämatomabdrücke, die von Händen, Gürteln o. Ä. stammen, genauso wie geformte Verbrennungen, die dem Kind beispielsweise durch ein Bügeleisen beigebracht wurden.595 Ebenso lassen gewisse radiologische Befunde bereits Rückschlüsse auf eine Fremdeinwirkung zu.596 Zwar müssen auch solche Verletzungen stets mit den Verlaufsangaben und den Umständen des Einzelfalls in Kontext gesetzt werden, jedoch weisen sie bereits stark auf eine Misshandlung des Kindes hin.597 Bei weniger aussagekräftigen Verletzungsbildern ist die Diagnose einer Kindermisshandlung erschwert. So bilden etwa Hämatome, die gemäß ihrer Form und Lokation ebenfalls von ­einem Sturz stammen könnten, für sich allein genommen noch keine ausreichende Grundlage für die Annahme einer Kindesmisshandlung.598 Verstri592  Vgl. AWMF-Leitlinie Nr. 071 / 003, S. 1; Banaschak / Madea, in: Madea, Rechtsmedizin, S. 487. 593  Banaschak / Madea, in: Madea, Rechtsmedizin, S. 487 ff. 594  Vgl. Dettmeyer / Schütz / Verhoff, Rechtsmedizin, S. 132; Herrmann / Dettmeyer / Banaschak / Thyen, Kindesmisshandlung, S.  52 ff.; Rose, Kindesmisshandlungen, S.  5 ff. 595  Vgl. Dettmeyer / Schütz / Verhoff, Rechtsmedizin, S. 132; Herrmann / Dettmeyer / Banaschak / Thyen, Kindesmisshandlung, S. 52 ff.; Rose, Kindesmisshandlungen, S. 5 ff.; AWMF-Leitlinie Nr. 071 / 003, S. 9; Stoppt Gewalt gegen Kinder, Leitfaden, S.  19 ff. 596  Vgl. AWMF-Leitlinie Nr. 071 / 003, S. 8 f.; Dettmeyer / Schütz / Verhoff, Rechtsmedizin, S. 132.; Herrmann / Dettmeyer / Banaschak / Thyen, Kindesmisshandlung, S.  73 ff.; Rose, Kindesmisshandlungen, S. 71 ff.; Behme / Schmude, Der geschützte Raum, S. 45 ff.; Stoppt Gewalt gegen Kinder, Leitfaden, S. 20 f. 597  Vgl. Dettmeyer / Schütz / Verhoff, Rechtsmedizin, S. 132; Behme / Schmude, Der geschützte Raum, S. 45  ff.; Herrmann / Dettmeyer / Banaschak / Thyen, Kindesmisshandlung, S.  73 ff.; Rose, Kindesmisshandlungen, S. 71 ff. 598  Vgl. LG München Rechtsmedizin 2009, 239 ff.; Herrmann / Dettmeyer / Banaschak / Thyen, Kindesmisshandlung, S.  20 ff.



B. Durchbrechungen der Schweigepflicht191

cken sich die Personensorgeberechtigten aber im Rahmen des Erörte­ rungsgesprächs zur Erklärung der Hämatome in Widersprüche oder besteht eine unaufgeklärte Historie solcher Verletzungen, können sich diese Umstände zur Diagnose einer Kindesmisshandlung verdichten.599 Aus folgenden Gesamtumständen kann in Kombination mit medizinischen Befunden ein forensisch vertretbarer Schluss auf eine Kindesmisshandlung gezogen werden: Der behauptete Geschehensablauf und der Verletzungsbefund decken sich nicht, es werden über den eigentlichen Vorstellungsgrund hinaus weitere Verletzungen gefunden, die Aussagen zum Geschehen wechseln und bleiben vage, der behauptete Unfallhergang ist untypisch für das Alter des Kindes und / oder der Arztbesuch erfolgt zeitlich verzögert.600 Für die Annahme einer Kindeswohlgefährdung i. S. d. § 4 Abs. 3 S. 1 KKG muss des Weiteren prognostiziert werden, dass die festgestellte Kindesmisshandlung kein Einzelfall war, sondern dem Kind wahrscheinlich weitere Schädigungen drohen. Für den Arzt wird hierbei grundsätzlich relevant sein, wie das Erörterungsgespräch mit dem Kind und den Personensorgeberechtigten verläuft. Hat der Arzt allerdings die Personensorgeberechtigten als Täter im Verdacht und unterlässt er deshalb die Durchführung des Erörterungsgesprächs, wird für die Verlaufsprognose vorwiegend ausschlaggebend sein, ob die Personensorgeberechtigten mit dem Kind bereits mehrere Ärzte bzw. Kliniken aufgesucht haben, verheilte Verletzungen auf ein Muster von wiederholten Misshandlung hindeuten, es in der Vergangenheit bereits stationäre Aufenthalte wegen Verletzungen oder unspezifischer Störungen – wie etwa Nahrungsverweigerung – gegeben hat, es eine Häufung von „Unfällen“ gab und ob eine auffällige Sozial- bzw. Familienanamnese von häuslicher Gewalt, Misshandlungen und Alkohol- und Drogenmissbrauch besteht.601 Bestimmte Sonderformen der Kindesmisshandlungen, wie das „Schütteltrauma-Syndrom“602 oder das „Münchhausen-Stellvertreter-Syndrom“, können im Einzelfall aber auch schon für sich allein genommen eine Kindeswohlgefährdung begründen, ohne dass dem Arzt besondere Anhaltspunkte für eine Wiederholungsgefahr vorliegen müssen. Das „Schütteltrauma-Syndrom“ beschreibt eine typische Verletzungskombination nach grobem SchütHerrmann / Dettmeyer / Banaschak / Thyen, Kindesmisshandlung, S. 20 ff. Auflistung der Umstände v. Dettmeyer / Schütz / Verhoff, Rechtsmedizin, S. 132. 601  Vgl. Dettmeyer / Schütz / Verhoff, Rechtsmedizin, S.  132; Rose, Kindesmisshandlungen, S. 2; Menzel / Heinemann / Püschel / Seifert, Rechtsmedizin 2013, 29, 30 ff.; AWMF-Leitlinie Nr. 071 / 003, S. 2 ff.; D. Bender / Schreiber, in: Ethische Grundlagen der Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie, S. 165. 602  Vgl. KG Berlin MedR 2013, 787  ff.; Vitkas, JR 2015, 353, 356; AWMFLeitlinie Nr. 071 / 003, S. 1. 599  Vgl.

600  Übernommene

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2. Kap.: Umfang und Grenzen der ärztlichen Schweigepflicht

teln des Kindes und betrifft vorwiegend Säuglinge im „Hauptschreialter“.603 Nicht selten ist diese Misshandlung der Ausdruck einer generellen Überforderung der Personensorgeberechtigten, obgleich die Schwere dieser Misshandlung den Tätern ersichtlich sein muss.604 Die Letalität bei den misshandelten Kindern ist signifikant.605 Überlebende tragen häufig schwere neurologische Folgeschäden davon.606 Wegen der potentiellen Schadensintensität, die dem Kind im Falle einer Wiederholung droht, reicht schon eine relativ geringe Wahrscheinlichkeit einer weiteren Misshandlung dieser Art zur Annahme einer Kindeswohlgefährdung aus.607 Bei dem sogenannten „Münchhausen-Stellvertreter-Syndrom“ ruft meist die Mutter die betreffenden Krankheitssymptome des Kindes durch Manipulation hervor.608 Da die Täterin in der Regel an einer Persönlichkeitsstörung leidet, aufgrund derer sie das Kind wiederholt schädigt, um für sich Aufmerksamkeit zu generieren, besteht meist ein stetiges Risiko für das Wohl des Kindes.609 Auch diese Sonderform der Kindesmisshandlung kann lebensbedrohlich sein, da Intoxikationen oder das sogenannte „Anersticken“ typische Verhaltensmuster der Täterinnen sind.610 Eine Kindeswohlgefährdung i. S. d. § 4 Abs. 3 S. 1 KKG liegt demnach regelmäßig vor, wenn eine Kindesmisshandlung aufgrund des „Schütteltrauma-Syndroms“ oder aufgrund des „Münchhausen-Stellvertreter-Syndroms“ fachmännisch diagnostiziert wurde.611 603  Vgl. Dettmeyer / Schütz / Verhoff, Rechtsmedizin, S. 136; Herrmann / Dettmeyer / Banaschak / Thyen, Kindesmisshandlung, S. 32 ff.; Banaschak / Madea, in: Madea, Rechtsmedizin, S. 496; Jacobi / Dettmeyer / Banaschak / Brosig / Herrmann, DÄB 2010, 231, 234 f. 604  Vgl. Dettmeyer / Schütz / Verhoff, Rechtsmedizin, S. 136; Trube-Becker, Gewalt gegen das Kind, S. 157. 605  AWMF-Leitlinie Nr. 071 / 003, S. 8; Herrmann / Dettmeyer / Banaschak / Thyen, Kindesmisshandlung, S. 31; Dettmeyer / Schütz / Verhoff, Rechtsmedizin, S. 136. Banaschak / Madea, in: Madea, Rechtsmedizin, S. 499 ff. 606  AWMF-Leitlinie Nr. 071 / 003, S. 8; Dettmeyer / Schütz / Verhoff, Rechtsmedizin, S. 136; Jacobi / Dettmeyer / Banaschak / Brosig / Herrmann, DÄB 2010, 231, 235. 607  Entsprechend den allgemeinen Maßstäben im Notstand, vgl. dazu Erb, in: MüKo-StGB, § 34 Rn. 71; Roxin, AT I, § 16 Rn. 14. 608  Vgl. AWMF-Leitlinie Nr. 071 / 003, S. 10; Lorenc, Münchhausen-by-proxySyndrom. S.  39 ff.; Herrmann / Dettmeyer / Banaschak / Thyen, Kindesmisshandlung, S.  97 f.; Jacobi / Dettmeyer / Banaschak / Brosig / Herrmann, DÄB 2010, 231, 235  f. jeweils m. w. N. 609  Vgl. Lorenc, Münchhausen-by-proxy-Syndrom, S.  42; Herrmann / Dettmeyer / Banaschak / Thyen, Kindesmisshandlung, S. 97; Banaschak / Madea, in: Madea, Rechtsmedizin, S. 516; Dettmeyer / Schütz / Verhoff, Rechtsmedizin, S. 138. 610  Herrmann / Dettmeyer / Banaschak / Thyen, Kindesmisshandlung, S.  101 ff.; Banaschak / Madea, in: Madea, Rechtsmedizin, S. 518; AWMF-Leitlinie Nr. 071 / 003, S.  10 f.; Jacobi / Dettmeyer / Banaschak / Brosig / Herrmann, DÄB 2010, 231, 235 f.



B. Durchbrechungen der Schweigepflicht193

(bb) Missbrauch Eine Kindeswohlgefährdung kann sich ebenso aus der Diagnose eines Missbrauchs ergeben. Was alles unter den Überbegriff des sexuellen Missbrauchs fallen soll, ist umstritten.612 Im Kern scheint aber Einigkeit zu bestehen, dass ein sexueller Missbrauch vorliegt, wenn Kinder oder Jugendliche zu sexuellen Aktivitäten genötigt oder in sie einbezogen werden.613 Je nach Fallkonstellation kann der Missbrauch die Straftatbestände der §§ 173, 174, 176, 180, 182 StGB erfüllen.614 Die Tat muss dabei nicht immer als Kontaktdelikt ergehen. Auch das Präsentieren von pornographischem Material kann als eine sogenannte „Hands off Tat“ einen sexuellen Missbrauch darstellen.615 Im Gegensatz zur Kindesmisshandlung gibt es weder für den akuten Missbrauch noch für seine Langzeitfolgen einheitliche „Missbrauchs­syndrome“.616 Es existieren jedoch einige psychopathologische Symptome, die auf einen Missbrauch hindeuten können – aber nicht zwingend müssen.617 Als solche gelten Auffälligkeiten in der Interaktion, Angstzustände, Störungen der NäheDistanz-Relation, altersinadäquate Ängste bei körperlichen Untersuchungen und sexualisiertes Verhalten.618 Gleichwohl können solche Verhaltensmuster nur den Anfangsverdacht auf einen Missbrauch begründen.619 Erforderlich ist und bleibt stets eine umfassende Anamnese.620 Eine höhere Aussagekraft für einen körperbezogenen Missbrauch besitzen körperliche Befunde, insbesondere solche in der Anogenitalregion und gewisse Geschlechtskrankheiten.621 KG Berlin MedR 2013, 787 ff.; Vitkas, JR 2015, 353, 356. Brettel, in: Göppinger, Kriminologie, § 29 Rn. 52 ff.; Wenninger, Langzeitfolgen sexuellen Kindesmissbrauchs, S. 1 ff. 613  Herrmann / Dettmeyer / Banaschak / Thyen, Kindesmisshandlung, S. 115; vgl. auch BMFSFJ, Runder Tisch Kindesmisshandlung, 2013, S. 11 ff.; vgl. Brettel, in: Göppinger, Kriminologie, § 29 Rn. 52 ff.; Wenninger, Langzeitfolgen sexuellen Kindesmissbrauchs, S.  1 ff. 614  Banaschak / Madea, in: Madea, Rechtsmedizin, S. 506. 615  Frommel, in: NK-StGB, §  176 Rn. 17  ff.; Banaschak / Madea, in: Madea, Rechtsmedizin, S. 506. 616  Dettmeyer / Schütz / Verhoff, Rechtsmedizin, S.  140; Beier / Bosinski / Loewit, Sexualmedizin, S.  558 f.; Schwerdtfeger / Doering-Striening, in: Doering-Striening, HdB Opferrechte, § 6 Rn. 59. 617  Vgl. Brettel, in: Göppinger, Kriminologie, § 29 Rn. 63; Stoppt Gewalt gegen Kinder, Leitfaden, S. 24, 26; Schwerdtfeger / Doering-Striening, in: Doering-Striening, HdB Opferrechte, § 6 Rn. 60. 618  Dettmeyer / Schütz / Verhoff, Rechtsmedizin, S. 141. 619  Vgl. Brettel, in: Göppinger, Kriminologie, § 29 Rn. 63. 620  Banaschak / Madea, in: Madea, Rechtsmedizin, S.  506  ff.; AWMF-Leitlinie Nr. 071 / 003, S. 8. 621  AWMF-Leitlinie Nr. 071 / 003, S. 12 f.; Dettmeyer / Schütz / Verhoff, Rechtsmedizin, S. 142; Herrmann / Dettmeyer / Banaschak / Thyen, Kindesmisshandlung, S. 157 ff.; 611  Anders 612  Vgl.

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2. Kap.: Umfang und Grenzen der ärztlichen Schweigepflicht

Einen sexuellen Missbrauch zu diagnostizieren wird meist die größere Herausforderung für den Arzt im Zusammenhang mit der Annahme einer Kindeswohlgefährdung darstellen. Denn sobald der Missbrauch erst einmal diagnostiziert wurde, darf prognostisch regelmäßig eine zukünftige Schädigung des Kindeswohls angenommen werden – wenn es sich nicht gerade um eine einmalige Tat eines Fremden ohne Bezug zu dem Umfeld des Kindes handelt. Zwar wird man von einer Missbrauchstat nicht ohne Weiteres auf eine generelle Wiederholungsgefahr schließen dürfen, da es auch bei diesen Delikten stets auf die Umstände des Einzelfalls – wie Tätertypologie, Deliktsart, Opfer-Täter-Beziehung, Alter u.Ä. – ankommt.622 Gleichwohl wird wegen der hohen Schadensintensität, die dem Kind im Falle weiterer Missbräuche für das körperliche Wohl und die gesamte Entwicklung droht,623 auch schon eine relativ geringe Wahrscheinlichkeit weiterer Missbräuche ausreichen, um eine Kindeswohlgefährdung zu begründen. Ist das Kind Opfer eines intrafamiliären Missbrauchs geworden, kommt es für die Annahme einer Kindeswohlgefährdung meist noch nicht einmal darauf an, ob das Kind erneut missbraucht werden wird. Die Atmosphäre in einer „Missbrauchsfamilie“ ist für die Verarbeitung der Viktimisierung und die weitere Entwicklung des missbrauchten Kindes meist so schädlich,624 dass dies bereits eine Kindeswohlgefährdung begründet. Teilweise kann der Arzt aber auch anhand von körperlichen Befunden eine Wiederholung des Missbrauchs prognostizieren. Sollte der Arzt einen chronischen Missbrauch feststellen können,625 vermag dieses Muster der Vergangenheit bereits eine Wiederholungsgefahr und damit eine Kindeswohlgefährdung zu begründen.626

Banaschak / Madea, in: Madea, Rechtsmedizin, S. 506 ff.; Schwerdtfeger / DoeringStriening, in: Doering-Striening, HdB Opferrechte, § 6 Rn. 63. 622  Vgl. Beier / Bosinski / Loewit, Sexualmedizin, S. 500 ff. u. 509 ff.; Elz, Legalbewährung, S.  67 ff.; Frommel, in: NK-StGB, § 176 Rn. 8. 623  Brettel, in: Göppinger, Kriminologie, § 29 Rn. 61 ff.; Beier / Bosinski / Loewit, Sexualmedizin, S.  558 ff.; Bange / Deegener, Sexueller Missbrauch, S. 180 ff.; TrubeBecker, Gewalt gegen das Kind, S. 151 f.; Wenninger, Langzeitfolgen sexuellen Kindesmissbrauchs, S.  12 ff.; Renzikowski, in: MüKo-StGB, § 176 Rn. 10. 624  Vgl. Brettel, in: Göppinger, Kriminologie, § 29 Rn. 64; Beier / Bosinski / Loewit, Sexualmedizin, S. 561 ff. 625  Dettmeyer / Schütz / Verhoff, Rechtsmedizin, S. 142. 626  Allg. kann sich eine Gefährdung aus wiederholten Vorfällen in der Vergangenheit ergeben, vgl. OLG Brandenburg FamRZ 2009, 2100 f.; Veit, in: BeckOK-BGB, § 1666 Rn. 8.



B. Durchbrechungen der Schweigepflicht195

(cc) Vernachlässigung Eine Vernachlässigung des Kindes durch unzureichende Sorge der Personensorgeberechtigten kann ebenfalls zur Annahme einer Kindeswohlgefährdung führen. Auftreten kann die Vernachlässigung sowohl körperlich als auch emotional.627 Strafrechtlich relevant sind hierunter jedoch nur derart grobe Verletzungen der Erziehung- oder Fürsorgepflicht, durch die für das Kind eine Gefährdung i. S. d. § 171 StGB oder eine Beeinträchtigung i. S. d. § 225 StGB entsteht.628 Unter dem Aspekt des Kinderschutzes, der schädliche Einflüsse auf die Entwicklung eines Kindes insgesamt verhindern will,629 können jedoch auch emotionale und leichtere Formen der körperlichen Vernachlässigung relevant sein und daher eine Offenbarungsbefugnis des Arztes nach § 4 Abs. 3 S. 1 KKG begründen.630 Es ist jedoch stets darauf achten, dass die zukünftigen Schäden die bereits beschriebene Erheblichkeitsschwelle zur Annahme einer Kindeswohlgefährdung überschreiten.631 Keinesfalls darf das persönliche Idealbild von elterlicher Fürsorge als Maßstab dafür herhalten, welche Behandlung als ausreichend und welche als Vernachlässigung zu bewerten ist. Zeichen einer erheblichen Vernachlässigung sind etwa die sogenannte nichtorganische „Gedeihstörung“, körperliche Folgen von Fehl- und Mangelernährung, eine übergreifende Verwahrlosung oder das sogenannte „Deprivationssyndrom“.632 Die Prognose einer fortlaufenden Schädigung wird für den Arzt bei einer diagnostizierten Vernachlässigung dagegen nur selten Probleme bereiten. Der durch eine Vernachlässigung hervorgerufene Zustand – wie etwa die Unterernährung – tritt nicht plötzlich ein, sondern ist das Ergebnis einer kontinuierlichen Verletzung der Fürsorgepflicht. Daher kann grundsätzlich davon ausgegangen werden, dass die hilfeablehnenden Personensorgeberechtigten das Kind weiter vernachlässigen werden, wenn nicht interveniert wird.633 627  AWMF-Leitlinie Nr. 071 / 003, S. 1 f.; Herrmann / Dettmeyer / Banaschak / Thyen, Kindesmisshandlung, S. 179; Rose, Kindesmisshandlungen, S. 92 ff. 628  Vgl. Eschelbach, in: BeckOK-StGB, §  225 Rn.  21  ff.; Heuchemer, in: BeckOK-StGB, § 171 Rn. 10 ff. 629  Czerner, in: Rationalitäten des Kinderschutzes, S. 67; Winkler, in: BeckOKSozR, SGB VIII § 8a vor Rn. 1. 630  Vgl. Dettenborn, FPR 2010, 447, 448 ff. 631  s. zweites Kapitel B. I. 1. a) cc) (1). 632  Rose, Kindesmisshandlungen, S. 94 ff.; AWMF-Leitlinie Nr. 071 / 003, S. 2, 7 f. 633  Allgemein kann sich eine Gefährdung aus wiederholten Vorfällen in der Vergangenheit ergeben, vgl. OLG Brandenburg FamRZ 2009, 2100; Veit, in: BeckOKBGB, § 1666 Rn. 8. Ausnahmen ergeben sich selbstverständlich, wenn sich die Eltern in dem Erörterungsgespräch einsichtig zeigen und Hilfe annehmen.

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2. Kap.: Umfang und Grenzen der ärztlichen Schweigepflicht

(d) Beratung durch Fachkräfte Um derartige Diagnosen – einschließlich ihrer Differenzialdiagnosen – korrekt stellen und auf ihrer Basis eine Kindeswohlgefährdung richtig einschätzen zu können, wird der nicht speziell ausgebildete Arzt meist auf eine interdisziplinäre Beratung angewiesen sein. Diese Notwendigkeit hat der Gesetzgeber mit § 4 Abs. 2 KKG und § 8b SGB VIII anerkannt.634 Nach diesen Vorschriften steht es dem Berufsgeheimnisträger zu, Fachkräfte zur Einschätzung der Kindeswohlgefährdung hinzuzuziehen. Als eine solche Fachkraft gelten Personen, die besondere Qualifikationen zu dem Thema Kinderschutz erhalten haben.635 Unter einer Fachkraft will der Gesetzgeber aber auch andere Experten, außerhalb der Kinder- und Jugendhilfe, verstehen.636 Für den Arzt kann es überaus sinnvoll sein, einen Rechtsmediziner oder sonstigen Facharzt bereits zur Stellung seiner Diagnose hinzuzuziehen, um die Grundlage für die weitere Verlaufsprognose korrekt erfassen zu können.637 Der Austausch zwischen Arzt und Fachkraft darf laut § 4 Abs. 2 KKG nur in pseudonymisierter Form geschehen. Wegen des Erfordernisses der Pseudonymisierung stellt § 4 Abs. 2 KKG keine Offenbarungsbefugnis i. S. d. § 203 Abs. 1 StGB dar. Denn ein pseudonymisierter Austausch verwirklicht gemäß den bisherigen Erkenntnissen keine tatbestandliche Geheimnisoffenbarung und bedarf daher keines Rechtfertigungsgrundes.638 Streng genommen ist § 4 Abs. 2 KKG aus berufsgeheimnisrechtlicher Sicht sogar unvollständig, da nicht nur der pseudonymisierte Austausch nach § 203 StGB stets zulässig ist, sondern ebenso der anonymisierte.639 dd) Erforderlichkeit der Informationsweitergabe Die Offenbarungsbefugnis des § 4 Abs. 3 S. 1 KKG fordert weiterhin, dass der Arzt ein Tätigwerden des Jugendamtes überhaupt für „erforderlich“ hält. Diese Anforderung reicht dem Arzt einen nicht unerheblichen Beurteilungsspielraum zur Hand. Denn das Gesetz stellt hier ausdrücklich auf die subjektive Einschätzung des Arztes ab.640 Im Gegensatz zu dem Rechtferti17 / 6256, S. 19, 22; Meysen, in: FK-SGB VIII, Anh. § 8b Rn. 83. in: FK-SGB VIII, § 8b Rn. 2; Schwerdtfeger / Doering-Striening, in: Doering-Striening, HdB Opferrechte, § 6 Rn. 93. 636  Meysen, in: FK-SGB VIII, § 8b Rn. 1; BT-Drs. 17 / 6256, 22. 637  AWMF-Leitlinie Nr. 071 / 003, S. 3; Stoppt Gewalt gegen Kinder, Leitfaden, S. 29. 638  s. zweites Kapitel A. III. 639  Ebenso krit. Kunkel, Bundeskinderschutzgesetz, S. 12. 634  BT-Drs.

635  Meysen,



B. Durchbrechungen der Schweigepflicht197

gungsgrund des § 34 StGB – an den § 4 Abs. 3 S. 1 KKG eigentlich angelehnt ist – kommt es nicht auf eine objektivierte Erforderlichkeit der Geheimnisoffenbarung an. Der Gesetzgeber überlässt dem Arzt hiermit einen Freiraum zur Beurteilung der Erforderlichkeit der Informationsweitergabe, der – ähnlich wie die Beurteilung der Indikation eines Schwangerschaftsabbruches nach § 218a Abs. 2 StGB –641 gerichtlich nicht vollständig überprüfbar ist.642 b) Rechtsfolgen Liegen die zuvor beschriebenen Voraussetzungen vor, gewährt § 4 Abs. 3 S. 1 KKG dem Arzt eine Befugnis zur Offenbarung. Diese fakultative Ausgestaltung der Rechtsfolgen beruht auf einer bewussten Entscheidung des Gesetzgebers, da befürchtet wurde eine Mitteilungspflicht habe zur Folge, dass gerade diejenigen Kinder, die medizinische Hilfe am Nötigsten haben, nur noch zögerlich oder gar nicht mehr von ihren Eltern zum Arzt gebracht werden.643 Es ist daher nicht möglich diese Befugnis in eine Offenbarungspflicht umzudeuten. Die Befugnis des § 4 Abs. 3 S. 1 KKG gestattet ausdrücklich und ausschließlich die Weitergabe von Informationen an das Jugendamt. Teilweise wird vertreten, § 4 Abs. 3 S. 1 KKG sei ebenfalls analog zur Weitergabe von Informationen an die Polizei oder das Familiengericht anzuwenden, wenn das Jugendamt nicht erreicht werden sollte.644 Allerdings muss einer solchen Analogie widersprochen werden. Der beschränkte Adressatenkreis der Offenbarungsbefugnis des § 4 Abs. 3 S. 1 KKG ist nicht als eine unbewusste Regelungslücke des Gesetzgebers zu verstehen.645 In der Begründung des Bundeskinderschutzgesetzes ist nachzulesen, dass das Jugendamt von dem Gesetzgeber für den Schutz von Kindern und Jugendlichen als zuständig und kompetent angesehen wird.646 Die Handlungsbefugnisse des 640  Meysen, in: FK-SGB VIII, Anh. § 8b Rn. 106; Vitkas, Grenzen ärztlicher Schweigepflicht, S.  88 ff. 641  BGHSt 38, 144, 152  ff.; Eschelbach, in: BeckOK-StGB, § 218a Rn. 22 ff.; Knauer / Brose, in: Spickhoff, Medizinrecht, StGB § 219 Rn. 21; Kühl, in: Lackner / Kühl, § 218a Rn. 10. 642  Vitkas, Grenzen ärztlicher Schweigepflicht, S. 88  ff.; vgl. BGHSt 38, 144, 152 ff. 643  BT-Drs. 17 / 6256, S. 15, 16, 19, 48. 644  So Vitkas, Grenzen ärztlicher Schweigepflicht, S. 107 ff. 645  Vgl. zu den Voraussetzungen einer Analogie: Canaris, Methodenlehre, S.  202 ff.; Röhl / Röhl, Allgemeine Rechtlehre, S. 633 ff.; Pawlowski, Methodenlehre, Rn.  461 ff.; von Heintschel-Heinegg, in: BeckOK-StGB, § 1 Rn. 12. 646  BT-Drs. 17 / 6256, 15, 16, 19.

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2. Kap.: Umfang und Grenzen der ärztlichen Schweigepflicht

Jugendamtes seien speziell darauf ausgerichtet, das Wohl des Kindes in Ausübung des staatlichen Wächteramts zu sichern, dabei aber das elterliche Grundrecht aus Art. 6 Abs. 2 GG zu berücksichtigen.647 Vor diesem Hintergrund kann der beschränkte Adressatenkreis des § 4 Abs. 3 S. 1 KKG nicht als unbewusste oder gar verfassungswidrige Regelungslücke angesehen werden.648 Sollte das Jugendamt im Einzelfall tatsächlich nicht erreichbar sein oder eine drängende Notsituation bestehen, kommt eine Rechtfertigung der ärztlichen Geheimnisoffenbarung gegenüber der Polizei, dem Familiengericht oder sonstigen Stellen vielmehr über den rechtfertigen Notstand nach § 34 StGB in Betracht. c) Beschränkte Anwendung gegen den Willen des Kindes bzw. Jugendlichen Fraglich ist jedoch, ob die Befugnis des § 4 Abs. 3 S. 1 KKG voll gelten darf, wenn das konkret gefährdete Kind bzw. insbesondere der Jugendliche im Einzelfall eine Offenbarung – auch wenn sie objektiv seinem Wohl dient – gerade verhindern will. Dem minderjährigen Patienten würde durch die Informationsweitergabe unter Aufopferung seines Geheimnisschutzes ein Schutz aufgedrängt werden, gegen den er sich in Ausübung seines Selbstbestimmungsrechts gerade entschieden hat. Derartig gelagerte Situationen werden im Rahmen § 34 StGB unter den Überbegriffen der „intrapersonalen“ bzw. der „internen Interessenkollision“ diskutiert und eine Rechtfertigung durch den Erlaubnistatbestand wird von der herrschenden Ansicht gerade mit der Begründung verneint,649 dass das Selbstbestimmungsrecht eines Menschen nicht durch eine objektive Abwägung seiner Interessen umgangen werden dürfe.650 647  Vgl. Meysen / Eschelbach, Bundeskinderschutzgesetz, K. 3 Rn. 93; vgl. Ka. Müller, FPR 2009, 561. 648  Vgl. zu den Voraussetzungen einer Analogie: Canaris, Methodenlehre, S.  202 ff.; Röhl / Röhl, Allgemeine Rechtlehre, S. 633 ff.; Pawlowski, Methodenlehre, Rn.  461 ff.; von Heintschel-Heinegg, in: BeckOK-StGB, § 1 Rn. 12. 649  Neumann, in: NK-StGB, § 34 Rn. 14 und 32; Roxin, AT I, § 16 Rn. 101; Erb, in: MüKo-StGB, § 34 Rn. § 32 ff.; ders., JuS 2010, 17, 19 ff.; Freund, AT, § 3 Rn. 50; Unanwendbarkeit von § 34 StGB für den intrapersonalen Interessenkonflikt im Falle eines Behandlungsabbruch ebenfalls angenommen v. BGHSt 55, 191, 197 ff.; anders hingegen BGHSt 42, 301, 305. 650  Vgl. BGHSt 55, 191, 197 ff.; J. Schmitz, Rechtfertigender Notstand, S.  181 ff.; Knauf, Mutmaßliche Einwilligung, S. 89; Zieschlang, in: LK-StGB, § 34 Rn. 52; Gropp, JR 1996, 478, 479; Erb, MüKo-StGB, § 34 Rn. § 32 ff.; ders., JuS 2010, 17, 19 ff.; Neumann, in: NK-StGB § 34 Rn. 14; Roxin, AT I, § 16 Rn. 101; s. zweites Kapitel B. IV. 2. b) aa) (1).



B. Durchbrechungen der Schweigepflicht199

Selbstverständlich kann ein solcher Konflikt im Rahmen von § 4 KKG nur entstehen, falls der in Rede stehende Patient überhaupt zu selbstbestimmten Entscheidungen in der Lage ist und sein entgegenstehender Wille demzufolge rechtlich zu beachten ist. Hierzu muss der minderjährige Patient von der Gefährdung wissen, die Situation richtig einschätzen und nach seiner Urteils- und Einsichtsfähigkeit in der Lage sein, Art und Umfang des Risikos, das mit einer ausbleibenden oder erfolgenden Einschaltung des Jugendamtes einhergeht, zu ermessen. Da letztere Voraussetzung an die Einwilligungsfähigkeit des Minderjährigen bezüglich seiner körperlichen, geistigen und seelischen Interessen anknüpft, wird der entgegenstehende Wille eines Kindes / Jugendlichen gewiss hohe Hürden nehmen müssen, um beachtlich zu sein. Insbesondere Kinder, d. h. Patienten unter 14 Jahren, werden für eine solche Entscheidung wohl nur selten die notwendigen kog­ nitiven Fähigkeiten aufweisen.651 Aber auch Jugendliche werden sich wohl regelmäßig widersprüchlich zu den eigenen Erkenntnissen und Wertevorstellungen verhalten, wenn sie die bevorstehende erhebliche Schädigung des eigenen geistigen, seelischen oder körperlichen Wohls durch eine Geheimnisoffenbarung nicht abwenden wollen. Es ist jedoch nicht auszuschließen, dass einem Jugendlichen – insbesondere wenn er sich am Rande der Volljährigkeit befindet – die notwendige Reife und Einsichtsfähigkeit zur subjektiven Präferenzsetzung bezüglich seines Geheimnisschutzes und seines geistigen, seelischen und körperlichen Wohles zugesprochen werden muss.652 Ob § 4 Abs. 3 S. 1 KKG zu einer Geheimnisoffenbarung gegen den Willen eines solchen Jugendlichen führen darf, erscheint sehr fraglich.653 aa) Wortlaut und Gesetzesmaterialien Die Vorschrift des § 4 KKG enthält keine Vorgaben für den Umgang mit dieser Situation. Auch den Gesetzesmaterialien ist nicht zu entnehmen, dass sich der Gesetzgeber mit dieser Problematik auseinandergesetzt hätte. Der Gesetzgeber schien bei Schaffung des § 4 KKG sogar das illusorische „Idealbild“ vor Augen gehabt zu haben, dass alle Beteiligten mit der Informationsweitergabe an das Jugendamt einverstanden sind.654 Jedoch wäre in solchen Fällen eine besondere rechtfertigende Offenbarungsbefugnis nicht vonnöten und darüber hinaus gar nicht anwendbar. Denn eine Geheimnisoffenbarung mit Zustimmung des Rechtsgutsträgers – bzw. im Falle seiner 651  s.

zweites Kapitel B. II. 3. a). Fällen der Lebensgefahr s. zweites Kapitel B. IV. 2. b) aa) (1). 653  Vitkas, Grenzen ärztlicher Schweigepflicht, S. 93 ff.; a.  A. Kliemann / Fegert, ZRP 2011, 110, 112. 654  Meysen / Eschelbach, Bundeskinderschutzgesetz, Kp. 3 Rn. 89. 652  Zu

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2. Kap.: Umfang und Grenzen der ärztlichen Schweigepflicht

fehlenden Einsichts- und Urteilsfähigkeit mit Zustimmung der gesetzlichen Vertreter – stellt nach den bisherigen Erkenntnissen schon kein tatbestandsmäßiges Verhalten i. S. v. § 203 StGB dar.655 Somit kann § 4 Abs. 3 S. 1 KKG als strafrechtlicher Erlaubnistatbestand nur zur Anwendung kommen, wenn gerade keine wirksame Zustimmung in die Geheimnisoffenbarung vorliegt. Darüber hinaus lässt sich aus den Gesetzesmaterialien zu dem ersten Absatz des § 4 KKG ableiten, dass der Gesetzgeber bei Schaffung der Vorschrift allein die Situation des einwilligungsunfähigen Kindes bedacht hat, dessen entgegenstehender Willen unbeachtlich ist. Gemäß der Vorschrift des § 4 Abs. 1 KKG soll der Arzt mit den Personensorgeberechtigten die Gefährdung des Kindes bzw. Jugendlichen erörtern. In den Gesetzesmaterialien wird kein Wort dazu verloren, dass § 4 Abs. 1 KKG hierfür gegebenenfalls als ein strafrechtlicher Erlaubnistatbestand für den Arzt wirken muss.656 Vielmehr wird ausschließlich § 4 Abs. 3 S. 1 KKG als strafrechtlicher Erlaubnistatbestand des Berufsgeheimnisträgers dargestellt. Die Pflicht nach § 4 Abs. 1 KKG wird sogar als Bestandteil der ärztlichen Aufklärungspflicht gegenüber den Personensorgeberechtigten verstanden.657 Dies kann jedoch ausschließlich auf die Situation eines einwilligungsunfähigen Patienten zutreffen. Geht es um einwilligungsfähige minderjährige Patienten besteht infolge von § 134 BGB i. V. m. § 203 Abs. 1 Nr. 1 StGB gar kein zivilrechtlicher Auskunftsanspruch der personensorgeberechtigten Eltern gegenüber den Arzt.658 Ihr Auskunftsanspruch findet seine Grenze in der Offenbarung gegen den Willen eines einwilligungsfähigen Geheimnisberechtigten.659 Die vereinzelt vertretene Gegenauffassung, die die Offenbarung von Geheimnissen eines Minderjährigen gegenüber den Eltern generell nicht als tatbestandliches Verhalten i. S. d. § 203 StGB werten will,660 verträgt sich nicht mit dem verfassungsrechtlichen Hintergrund des strafrechtlichen Geheimnisschutzes.661 Denn auch ein minderjähriger Patient ist Träger des Grundrechts von Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG und hat damit grundsätzlich ein 655  s.

zweites Kapitel B. II. 1. u. 3. BT-Drs. 17 / 6256, S. 19 ff. 657  Vgl. BT-Drs. 17 / 6256, S. 19. 658  Vgl. OLG Hamburg NJW-RR 1995, 1028, 1029; Schröder, Auskunftsanspruch der Eltern, S. 93 ff.; vgl. Ulsenheimer, Arztstrafrecht, I § 1 Rn. 111; A. Bender, MedR 1997, 7 ff.; s. auch AG Hamburg, Urteil v. 09.07.2013  – 7c C 16 / 13 = BeckRS 2013, 12943. 659  Schröder, Auskunftsanspruch der Eltern, S. 93 ff.; A. Bender, MedR 1997, 7, 11 ff. 660  Vgl. Wolfslast, in: Rechtswissenschaft im Wandel, S. 367  ff.; Rouka, Das Selbstbestimmungsrecht des Minderjährigen, S. 154. 661  A. Bender, MedR 1997, 7, 11 ff. 656  Vgl.



B. Durchbrechungen der Schweigepflicht201

Recht auf Schutz seiner Privatgeheimnisse – auch gegenüber den Eltern. Will der minderjährige – aber entscheidungskompetente – Patient die Unterrichtung der Eltern verhindern, stellt sich die Weitergabe von Geheimnissen an die Eltern als tatbestandsmäßig dar. Die Eltern können in solchen Fällen gerade nicht aus dem Kreis der „Dritten“ herausgenommen werden, gegenüber denen eine Geheimnisoffenbarung tatbestandlich überhaupt verwirklicht werden kann.662 Daher bricht ein Arzt seine Schweigepflicht, wenn er den Eltern unbekannte Geheimnisse entgegen dem Willen des minderjährigen, aber einwilligungsfähigen Patienten offenbart.663 Sollte die Vorschrift des § 4 KKG insgesamt auch auf die Situation eines einwilligungsfähigen Patienten anzuwenden sein, müsste § 4 Abs. 1 KKG folglich einen strafrechtlichen Erlaubnistatbestand darstellen, da der Arzt anderenfalls bei Durchführung des Erörterungsgesprächs gegen den Willen des Patienten Unrecht i. S. d. § 203 Abs. 1 Nr. 1 StGB verwirklicht. Denn mit der Erörterung der Kindeswohlgefährdung nach § 4 Abs. 1 KKG geht die Offenbarung von Geheimnissen des Kindes bzw. Jugendlichen gegenüber den Personensorgeberechtigten einher, da die Personensorgeberechtigten, selbst wenn sie eigens die Gefahr geschaffen haben, hierdurch naturgemäß ihnen noch unbekannte (insbesondere medizinische) Tatsachen über das Kind bzw. den Jugendlichen erfahren können. Allerdings wird § 4 Abs. 1 KKG gerade nicht als berufsgeheimnisrechtliche Offenbarungspflicht des Arztes verstanden, sondern soll nach dem Willen des Gesetzgebers vielmehr dazu dienen, die Verhältnismäßigkeit des Eingriffs in das elterliche Erziehungsrecht zu gewährleisten.664 Dieses Verständnis trifft nur auf die Situation von einwilligungsunfähigen Kindern zu, deren Eltern es zusteht, stellvertretend in Heileingriffe einzuwilligen und den Arzt von der Schweigepflicht über die Geheimnisses des Kindes zu entbinden. Der Gesetzgeber hat folglich bei Schaffung des § 4 KKG strafrechtlich insgesamt nur die Situation von einwilligungsunfähigen Kindern und Jugendlichen bedacht. bb) Telos Weiterhin kann es nicht dem Sinn und Zweck der Norm entsprechen, das Selbstbestimmungsrecht einer – gleich ob volljährigen oder minderjährigen – autonomen Person zu verletzten.665 Wünscht eine zur Selbstbestimmung fähige Person, obwohl sie wissentlich einer Gefahr oder einem Angriff 662  s.

hierzu zweites Kapitel A. III. u. B. II. 3. b). Ulsenheimer, Arztstrafrecht, I § 1 Rn. 111; Schröder, Auskunftsanspruch der Eltern, S. 93 ff. 664  Vgl. BT-Drs. 17 / 6256, S. 19 ff. 665  Ebenso: Vitkas, Grenzen ärztlicher Schweigepflicht, S. 93 ff. 663  Vgl.

202

2. Kap.: Umfang und Grenzen der ärztlichen Schweigepflicht

ausgesetzt ist, keinen Schutz, so kann ihr nicht unter Aufopferung ihrer eigenen Rechtsgüter ein solcher Schutz fremdbestimmt aufgedrängt werden. Denn das Selbstbestimmungsrecht aus Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG beinhaltet ebenfalls den für Dritte unvernünftig anmutenden Verzicht auf den Schutz von Rechtsgütern und Interessen.666 Die Fähigkeit zur Ausübung des Selbstbestimmungsrechts ist weder grundrechtlich noch strafrechtlich an feste Altersgrenzen gebunden, sondern eine Frage des Einzelfalles.667 Daher wird man einem minderjährigen Patienten nicht per se die Ausübung seines Selbstbestimmungsrechts versagen können, nur weil er nicht volljährig ist.668 Ein solcher Eingriff in das Selbstbestimmungsrecht des Jugendlichen kann auch nicht mit dem in Art. 6 Abs. 2 S. 2 GG verankerten Wächteramt des Staates gerechtfertigt werden. Der Staat darf sein Wächteramt nur subsidiär als eine „Ausfallbürgschaft“ ausüben, wenn die Eltern bei der Wahrnehmung ihres Erziehungsrechts nach Art. 6 Abs. 2 S. 1 GG versagen.669 Das staatliche Wächteramt bezieht sich somit im Umfang nur auf das, was den Eltern nach ihrem Erziehungsrecht zusteht.670 Die Eltern haben ihr Erziehungsrecht treuhänderisch zu Gunsten des Kindes auszuüben.671 Mit abnehmender Pflege- und Schutzbedürftigkeit sowie zunehmender Selbstbestimmungsfähigkeit eines Kindes werden rechtliche Erziehungsbefugnisse der Eltern immer weiter zurückgedrängt, bis sie mit der Volljährigkeit des Kindes endgültig erlöschen.672 Mit zunehmender Fähigkeit zur Ausübung der Grundrechte schmälert sich folglich das treuhänderisch auszuübende Erziehungsrecht der Eltern, wie auch die einfachgesetzliche Konkretisierung des § 1626 Abs. 2 BGB zu verstehen gibt.673 Insbesondere Jugendlichen steht es mit fortentwickelter kognitiver Fähigkeit und persönlicher Reife zu, selbstständige Entscheidungen in einzelnen 666  BGHSt 11, 111, 114; Knauf, Mutmaßliche Einwilligung S. 44 ff.; Schroth, in: FS Volk, S.  718 ff.; Roxin, AT I, § 13 Rn. 87. 667  BGH NJW 1959, 811; Deutsch / Spickhoff, MedR, Rn. 942; Jescheck / Weigend, AT, S. 382; Schröder, Auskunftsanspruch der Eltern, S. 116 ff. 668  Vgl. Ulsenheimer, Arztstrafrecht, I § 1 Rn. 108 ff. 669  Uhle, in: BeckOK-GG, Art. 6 Rn. 47, 60 ff.; Jeand’Heur, Schutzgebote zum Wohl des Kindes, S. 22, 79. 670  Uhle, in: BeckOK-GG, Art. 6 Rn. 47, 60 ff. 671  Badura, in: Maunz / Dürig, Art. 6 Rn. 95 ff., 114; Stief, Einwilligungsfähigkeit, S. 116. 672  BVerfGE 59, 360, 387; Badura, in: Maunz / Düring, Art. 6 Rn. 109, 114 ff.; Stief, Einwilligungsfähigkeit, S. 116; vgl. OLG Hamburg NJW-RR 1995, 1028, 1029. 673  Vgl. Kern, NJW 1994, 753, 755; Höynck / Haug, in: Rationalitäten des Kinderschutzes, S. 26; Diederichsen, in: FS Hirsch, S. 355, 359.



B. Durchbrechungen der Schweigepflicht203

Handlungs- und Regelungsbereichen zu treffen.674 Vereinzelt können Jugendliche demnach sogar den Inhalt ganzer medizinischer Behandlungsverhältnisse selbstständig bestimmen.675 Soweit der Minderjährige aufgrund seiner natürlichen Einsichts- und Urteilsfähigkeit die Bedeutung und Tragweite eines bestimmten ärztlichen Heileingriffes vollständig ermessen kann, ist nach zutreffender Auffassung allein die Zustimmung des Jugendlichen tragend (vorbehaltlich spezialgesetzlicher Regelungen, wie etwa § 40 Abs. 4 des Arzneimittelgesetzes).676 Die Einwilligung der Eltern wird nicht benötigt.677 Eine Einholung der elterlichen Einwilligung und die damit verbundene Unterrichtung können in solchen Fällen sogar einen strafbaren Schweigepflichtbruch des Arztes zu Lasten des Jugendlichen verwirklichen.678 Denn ein Jugendlicher kann aufgrund seiner natürlichen Einsichts- und Urteilsfähigkeit ebenfalls selbstständig über den Schutz seiner Privatgeheimnisse entscheiden.679 Da das staatliche Wächteramt als akzessorische „Ausfallbürgschaft“ sachlich auf das Erziehungsrecht der Eltern bezogen ist, schmälert sich folglich der Umfang des Wächteramtes mit abnehmenden Erziehungsrecht der Eltern bei wachsenden Fähigkeiten des Kindes bzw. Jugendlichen. Einfachgesetzliche Vorschriften, die den staatlichen Schutzauftrag umsetzten, wie die Vorgaben des SGB VIII oder die des § 4 KKG, müssen daher möglichst unter Schonung der Grundrechte des Kindes bzw. Jugendlichen zur Anwendung gelangen.680 Demnach darf die Offenbarungsbefugnis des § 4 Abs. 3 S. 1 KKG keine aufgedrängte Informationsweitergabe gegen den Willen eines einsichtsfähigen, minderjährigen Patienten bewirken – obgleich solche Fälle gewiss Seltenheitscharakter haben werden. 674  BVerfGE 59, 360, 387; vgl. OLG Hamburg NJW-RR 1995, 1028, 1029; Göbel, Einwilligung, S. 82. 675  BayObLGZ 1985, 53, 56. 676  Ulsenheimer, Arztstrafrecht, I § 1 Rn. 111; Kern, NJW 1994, 753, 755; Trockel, NJW 1972, 1493, 1496; Blei, PdW, AT, A. 115; a. A. Nebendahl, MedR 2009, 197, 198 ff. Der Rechtsprechung fehlt zu diesem Thema bisweilen eine klare Linie, vgl. BGH NJW 1959, 811 ff.; BGH NJW 2007, 217 ff. 677  BayObLGZ 1985, 53, 56; Ulsenheimer, Arztstrafrecht, I § 1 Rn. 111; Göbel, Einwilligung, S. 82; Blei, PdW, AT, A. 115. 678  Ulsenheimer, Arztstrafrecht, I § 1 Rn. 111; Hasenburg, in: Ärztliche Schweigepflicht, S. 19, 23. 679  Vgl. Deutsch / Spickhoff, MedR, Rn.  942; Jescheck / Weigend, AT, S. 382; Schröder, Auskunftsanspruch der Eltern, S. 93 ff.; Klein, RDG 2010, 172, 176; vgl. Ulsenheimer, Arztstrafrecht, I § 1 Rn. 111; OLG Hamburg NJW-RR 1995, 1028, 1029; A. Bender, MedR 1997, 7 ff. 680  Vgl. Höynck / Haug, in: Rationalitäten des Kinderschutzes, S. 30 ff.

204

2. Kap.: Umfang und Grenzen der ärztlichen Schweigepflicht

d) Ergebnis Zusammenfassend lässt sich zu der Offenbarungsbefugnis des § 4 Abs. 3 S. 1 KKG festhalten, dass ein Arzt seine Schweigepflicht gegenüber dem Jugendamt brechen darf, wenn eine Kindeswohlgefährdung vorliegt und die Einschaltung des Jugendamts seiner Einschätzung nach erforderlich ist. Zuvor muss er jedoch grundsätzlich ein Erörterungsgespräch mit den Personensorgeberechtigten und dem Kind / Jugendlichen geführt haben, es sei denn es war zu befürchten, dass eine derartige Konfrontation dem Kind / Jugendlichen schadet. Liegen die benannten Voraussetzungen der Offenbarungsbefugnis vor, bleibt es die persönliche Entscheidung des Arztes, ob er sein Schweigen gegenüber dem Jugendamt bricht oder nicht. Wenn er sich für einen Schweigepflichtbruch entscheidet, darf die Geheimnisoffenbarung aufgrund von § 4 Abs. 3 S. 1 KKG allerdings ausschließlich gegenüber dem Jugendamt erfolgen. Möchte der Arzt andere Stellen, wie etwa das Familiengericht oder die Polizei in Kenntnis setzen, bedarf es eines anderweitigen Rechtfertigungsgrundes. Weiterhin gilt zu beachten, dass die Geheimnisoffenbarung nicht entgegen dem Willen eines selbstbestimmungsfähigen Patienten vollzogen wird. Sollte ein Jugendlicher im Einzelfall die Fähigkeit besitzen, selbstständig über den Schutz seiner Geheimnisse und den Schutz seines körperlichen, geistigen und seelischen Wohls bestimmen zu können, darf sowohl die Erörterung mit den Personenberechtigten als auch die Informationsweitergabe an das Jugendamt nicht entgegen dem Willen dieses Patienten geschehen. 2. Der rechtfertigende Notstand, § 34 StGB Der Konflikt, dass der Arzt aufgrund der bisher beschriebenen sehr restriktiven Durchbrechung seiner Schweigepflicht im Zusammenhang mit Straftaten oft „sehenden Auges“ Unrecht geschehen lassen müsste, soll vorwiegend durch den Erlaubnistatbestand des § 34 StGB relativiert werden. Nicht wenige Autoren erblicken in § 34 StGB unter den verschiedenen berufsgeheimnisrechtlichen Offenbarungsbefugnissen und -pflichten die zentrale Vorschrift zur Aufdeckung und Verhinderung von Straftaten.681 Nicht selten wird diese Feststellung jedoch mit missverständlichen Ausführungen 681  I. E. auf § 34 StGB als „Korrektiv“ verweisend Klein, RDG 2010, 172, 175; ähnlich i. E.: D. Bender, MedR 2002, 626, 630; Kawelovski, Kriminalistik 2015, 388, 389; Banaschak / Gerlach / Seifert / Bockholdt / Graß, Rechtmedizin 2014, 405, 407; Wagner, SÄB 1981, 252, 253; Rauch / Weissenrieder, Rechtsmedizin, 2004, 209, 217.



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versehen, wie etwa, dass dem Arzt durch § 34 eine „freie Entscheidung“ über seine Geheimnisoffenbarung zustehe.682 Derartige Aussagen dürfen nicht darüber hinwegtäuschen, dass das tatbestandliche Eingreifen des Erlaubnistatbestandes des § 34 StGB nicht der ärztlichen Disposition, sondern ausschließlich den Gegebenheiten des Sachverhalts unterliegt.683 Eine freie Entscheidung steht dem Arzt erst zu, wenn der Erlaubnistatbestand des § 34 StGB in der betreffenden Situation greift. Daher kann § 34 StGB nicht pauschal zu einer „Generallösung“ erhoben werden, um die ärztliche Schweigepflicht zu durchbrechen, sobald irgendeine Straftat im Raum steht. Die folgenden Ausführungen werden vielmehr aufzeigen, dass auch bei dieser Offenbarungsbefugnis eine differenzierte Betrachtung angebracht ist. a) Anwendungsbereich Der rechtfertigende Notstand kann schon nicht für alle Geheimnisoffenbarungen mit strafrechtlich relevantem Inhalt zur Anwendung kommen. Geht es um Straftaten gegen Kinder und Jugendliche ist die Offenbarungsbefugnis des § 4 Abs. 3 S. 1 KKG regelmäßig als lex specials für die ärztliche Geheimnisoffenbarung anzusehen.684 Der Erlaubnistatbestand des § 4 Abs. 3 S. 1 KKG enthält eine vertypisierte Güter- und Interessenabwägung i. S. d. § 34 StGB, die auf den speziellen Fall einer Kindeswohlgefährdung zugeschnitten ist.685 Jeder Anwendungsfall des § 4 Abs. 3 S. 1 KKG stellt zugleich einen Fall des rechtfertigenden Notstandes nach § 34 StGB dar; aber nicht jeder vom rechtfertigenden Notstand umfasste Sachverhalt wird von dem Erlaubnistatbestand des § 4 Abs. 3 S. 1 KKG erfasst. Dieses Verhältnis der Subordination legt bereits eine Spezialität des § 4 Abs. 3 S. 1 KKG nahe,686 die durch die teleologische und historische Auslegung der Norm bestätigt wird. Die Offenbarungsbefugnis des § 4 Abs. 3 S. 1 KKG soll nach dem Willen des Gesetzgebers das Recht über die Offenlegung von Kindeswohlgefährdungen gegenüber dem Jugendamt vereinheitlichen und dem Berufsgeheimnisträger durch den Wegfall der von § 34 StGB geforder682  Tube-Becker, Gewalt gegen das Kind, S. 133; als Gewissensentscheidung bezeichnet dies Flor, JR 1953, 368, 370; „ethische Abwägung“ laut DGGG / DGPFG, in: Ärztliches Praxishandbuch Gewalt, S. 72. 683  Eichelbrönner, Grenzen der Schweigepflicht, S. 166. 684  Vitkas, Grenzen ärztlicher Schweigepflicht, S. 103; vgl. Röhl / Röhl, Allgemeine Rechtslehre, S. 585. 685  BT-Drs. 17 / 6256, S. 20; Kliemann / Fegert, ZRP 2011, 110, 112; Czerner, in: Rationalitäten des Kinderschutzes, S. 71 f. 686  Vgl. Klug, ZStW 68 (1956), 399, 405 ff.; Gropengießer, JURA 2000, 262, 263; Wohlers / Gaede, in: NK-StGB, § 323c Rn. 16; Canaris; Methodenlehre, S. 89.

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2. Kap.: Umfang und Grenzen der ärztlichen Schweigepflicht

ten, einzelfallbezogenen Interessenabwägung Rechtssicherheit bieten.687 Daher muss die Offenbarungsbefugnis des § 4 Abs. 3 S. 1 KKG für Konstellationen, in denen aufgrund von Straftaten anzunehmende Kindeswohlgefährdungen gegenüber dem Jugendamt aufgedeckt werden sollen, als speziellere Regelung angesehen werden. Ein Rückgriff auf den Rechtfertigungsgrund des § 34 StGB ist folglich verwehrt.688 Sollte das Jugendamt jedoch nicht erreichbar sein und besteht eine Situation, die Gefahr im Verzug befürchten lässt, kann der Arzt die Offenbarung einer Kindeswohlgefährdung gegenüber den Familiengerichten oder der Polizei ebenfalls auf § 34 StGB stützen, wenn die Voraussetzungen dieses Erlaubnistatbestandes vorliegen. Folglich kann § 34 StGB auch in Fällen der Kindeswohlgefährdung trotz der Sonderregelung des § 4 Abs. 3 S. 1 KKG in Ausnahmefällen zu einem eigenen Anwendungsbereich gelangen. Ansonsten ist an § 34 StGB zur Rechtfertigung einer Geheimnisoffenbarung zu denken, wenn für einen volljährigen Patienten oder andere Personen eine Gefahr besteht. b) Voraussetzungen Sollte § 34 StGB anwendbar sein, ist hiernach ein Schweigepflichtbruch des Arztes gerechtfertigt, wenn die Offenbarung eines Geheimnisses zur Abwehr einer konkreten Gefahr für ein wesentlich höherrangiges Rechtsgut erforderlich und angemessen ist. Demnach muss zu allererst eine Notstandslage – sprich eine gegenwärtige Gefahr für ein geschütztes Rechtsgut – bestehen.689 Durch Gewalt- und Sexualstraftaten – seien sie abgeschlossen oder noch bevorstehend – werden gleich mehrere Rechtsgüter und Interessen tangiert. So ist zunächst selbstverständlich an die betroffenen Individualrechtsgüter des verletzten Patienten zu denken. Weiterhin können durch bevorstehende Taten, die sich gegen weitere, potentielle Opfer richten, auch Individualrechtsgüter dritter Personen tangiert sein. Zuletzt beeinträchtigen Straftaten aber auch Belange der Allgemeinheit. Die Allgemeinheit hat sowohl ein repressives Interesse an Strafverfolgung begangener Straftaten als auch ein präventives Interesse an der Verhinderung von weiteren Straftaten. Gleichwohl bleibt zu hinterfragen, ob all diese Belange und Interessen notstandsfähige Erhaltungsgüter darstellen. Weiterhin darf nicht außer Acht gelassen werden, dass der Arzt seine Schweigepflicht im Rahmen eines Notstandes nur schadenspräventiv 17 / 6256, S. 20; Kliemann / Fegert, ZRP 2011, 110, 112. Grenzen ärztlicher Schweigepflicht, S. 103. 689  Eichelbrönner, Grenzen der Schweigepflicht, S. 174; vgl. Erb, in: MüKoStGB, § 34 Rn. 21. 687  BT-Drs. 688  Vitkas,



B. Durchbrechungen der Schweigepflicht207

brechen darf. Denn eine Notstandslage und somit eine Rechtfertigung der Geheimnisoffenbarung durch § 34 StGB können nur in solchen Fällen bestehen, in denen auf Grund bestimmter Risikofaktoren eine bestimmte Wahrscheinlichkeit für den Eintritt eines zukünftigen Schadens besteht.690 aa) Gefahr für den Patienten Individualrechtsgüter des Patienten, die von Gewalt- und Sexualstraftaten tangiert werden – wie etwa Leib, Leben und die sexuelle Selbstbestimmungsfreiheit –, stellen zweifelsfrei notstandsfähige Erhaltungsgüter im Sinne von § 34 StGB dar.691 Entscheidend für das Vorliegen einer Notstandslage wird daher die Frage sein, ob eine gegenwärtige Gefahr für diese Rechtsgüter besteht. Gegenwärtig ist eine Gefahr dann, wenn ein Zustand gegeben ist, dessen Weiterentwicklung den Eintritt oder die Intensivierung eines Schadens befürchten lässt, wenn keine Abhilfe erfolgt.692 Im Gegensatz zur Gegenwärtigkeit im Sinne der Notwehr erfasst die Notstandslage damit zwar mehr Risikosachverhalte, da nicht nur die „Augenblicksgefahr“, sondern auch „Dauergefahren“ ein Einschreiten rechtfertigen können.693 Bei Straftaten, die in der Vergangenheit liegen und abgeschlossen sind, ist der Schaden an den betroffenen Individualrechtsgütern des Opfers aber bereits eingetreten, sodass grundsätzlich keine notstandsfähige Gefahr mehr für diese Rechtsgüter des Patienten gegeben ist.694 Für den Patienten kann demnach regelmäßig nur dann eine Notstandslage bestehen, wenn aufgrund der Eigenart der begangenen Straftat und den Umständen des Einzelfalles auf eine Wiederholungsgefahr geschlossen werden kann – dem Patienten also weitere Angriffe drohen.695 Sollte eine Wiederholungsgefahr nicht angenommen werden, kann die in der Vergangenheit liegende Straftat nur in Ausnahmefällen eine Notstandslage für Individualrechtsgüter des Patienten auslösen. Denkbar ist etwa, dass der Arzt prognostiziert, dass der Patient ohne Aufarbeitung der begangenen Tat im Rahmen eines Strafprozesses psychische Schäden erleiden wird bzw. sich diese vertiefen werden.696 Erb, in: MüKo-StGB, § 34 Rn. 60. Zieschang, in: LK-StGB, § 34 Rn. 22; Roxin, AT I, § 16 Rn. 12. 692  BGH NStZ 1988, 554; Freund, AT, § 3 Rn. 51. 693  Erb, in: MüKo-StGB, § 34 Rn. 78; Roxin, AT I, § 16 Rn. 21; Kühl, in: Lackner / Kühl, § 34 Rn. 2; ders., AT, § 8 Rn. 65; zu § 35: BGH NJW 1979, 2053, 2054; Freund, AT, § 3 Rn. 52; Heinrich, AT, Rn. 413. 694  D. Bender / Schreiber, in: Ethische Grundlagen der Kinder- und Jugendpsychia­ trie und Psychotherapie, S. 165. 695  D. Bender / Schreiber, in: Ethische Grundlagen der Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie, S. 164 ff. 696  Ähnlich BayObLG NJW 1995, 1623 ff. 690  Vgl

691  Vgl.

208

2. Kap.: Umfang und Grenzen der ärztlichen Schweigepflicht

Im Zusammenhang mit der Feststellung einer Wiederholungsgefahr wird die Gefahrenprognose als solche jedoch nicht selten Probleme bereiten, da es an konkreten Anhaltspunkten fehlen wird, dass der Täter erneut zuschlagen wird. Um dieses Problem zu umgehen, wurde vereinzelt vorgeschlagen, spezialgesetzlich vermutete Fallgruppen von Wiederholungsgefahren auf den strafrechtlichen Erlaubnistatbestand des § 34 StGB zu übertragen.697 Eine solche gesetzliche Vermutung findet sich für Straftaten im Bereich häuslicher Gewalt in dem Gewaltschutzgesetz (GewSchG). Nach § 1 Abs. 1 S. 1 GewSchG ist zu unterstellen, dass in den Fällen, in denen es bereits zu häuslichen Gewalttaten gekommen ist, weitere Taten folgen werden, wenn nicht die Umstände des Einzelfalls gegen eine solche Vermutung sprechen.698 Vitkas meint diese gesetzliche Vermutung könne ebenfalls auf die Gefahrprognose im Rahmen des strafrechtlichen Notstandsrechts übertragen werden, wenn der Arzt eine Straftat aus dem Bereich der häuslichen Gewalt zur Anzeige bringen möchte.699 Jedoch erscheint eine Übertragung von außerstrafrechtlichen Vermutungen auf den strafrechtlichen Erlaubnistatbestand des § 34 StGB problematisch. Die Maßnahmen des Gewaltschutzgesetzes ergehen grundsätzlich aufgrund eines Antrags des Gefährdeten und eines zivilrechtlichen Verfahrens vor dem Familiengerichts.700 Die Voraussetzungen und das Verfahren zum Erlass dieser Maßnahmen divergieren somit komplett von der Gefahrenabwehr, die der rechtfertigende Notstand nach § 34 StGB bietet. Im Gegensatz zu den Vorschriften des Gewaltschutzgesetzes, dient § 34 StGB nicht der zivilrechtlichen Durchsetzung von Ansprüchen, sondern als ein Erlaubnistatbestand zur Rechtfertigung eines an sich strafbaren Verhaltens des Bürgers – in diesem Fall des Arztes. Die Gefahrprognose im Rahmen des strafrechtlichen Notstandsrechts kann daher nicht anhand zivilrechtlicher Vermutungen, sondern ausschließlich anhand einer konkreten, einzelfallbezogenen Beurteilung erfolgen. Dies erfordert zunächst eine Feststellung der für die Verlaufsprognose relevanten Umstände des Einzelfalls. Als solche Umstände kommen – wie im Rahmen von § 4 KKG – Art und Ausmaß der Verletzungen, Erkenntnisse aus der Verlaufs- und Beziehungsanamnese und Krankengeschichte sowie das 697  Vitkas,

Grenzen ärztlicher Schweigepflicht, S. 112. Brandenburg NJW-RR 2006, 220 ff.; Krüger, in: MüKo-BGB, GewSchG § 1 Rn. 21; Vitkas, Grenzen ärztlicher Schweigepflicht, S. 112; Reinken, in: BeckOK-BGB, GewSchG § 1 Rn. 19; Hilbricht, in: Doering-Striening, HdB Opferrechte, § 7 Rn. 44. 699  Vitkas, Grenzen ärztlicher Schweigepflicht, S. 112. 700  Krüger, in: MüKo-BGB, GewSchG § 1 Rn. 8 ff.; Reinken, in: BeckOK-BGB, GewSchG § 1 Rn. 30; Freytag, in: Erbs / Kohlhaas, GewSchG § 1 Rn. 1 ff.; Albert, Innerfamiliäre Gewalt, S. 170 ff.; s. zu den Details Hilbricht, in: Doering-Striening, HdB Opferrechte, § 7 Rn. 86 ff. 698  OLG



B. Durchbrechungen der Schweigepflicht209

Verhalten und die Aussagen des Patienten, eines Dritten und des (potentiellen) Täters in Betracht.701 Die Feststellung dieser Umstände muss einer objektiven ex post Überprüfung standhalten.702 Eine Diagnose, dass der verletzte Patient Opfer einer Gewalt- oder Sexualstrafstraftat wurde, muss – wie im Rahmen des § 4 Abs. 3 S. 1 KKG – hingegen der Beurteilung eines Fachmannes in der Situation des Arztes entsprechen.703 Die anschließend auf den Umständen des Einzelfalls und der gestellten Diagnose basierende Verlaufsprognose ist zwangsläufig aus der ex ante Perspektive des Arztes zu beurteilen.704 Insbesondere kann die Feststellung eines bereits erkennbaren Wiederholungsmuster einen starken Einfluss auf die Prognose von weiteren Taten haben.705 Wie wahrscheinlich weitere Straftaten zu Lasten des Patienten aus der Perspektive des Arztes erscheinen müssen, variiert je nach der zu befürchtenden Schwere der Tat und den damit verbundenen Schäden.706 Versichert beispielsweise ein Opfer häuslicher Gewalt seinem Arzt, dass es sich bei der Tat um einen bisher einmaligen Gewaltausbruch des Täters handelte, lassen die Verletzungen aber nach ihrer Art und ihrem Ausmaß her vermuten, dass ein erneuter Gewaltausbruch des Täters einen tödlichen Ausgang für das Opfer haben könnte, begründet auch diese relativ geringe Wahrscheinlichkeit der Wiederholung grundsätzlich eine Gefahr i. S. d. § 34 StGB. (1) Problem der internen bzw. intrapersonalen Interessenskollision Allerdings entsteht ein schwerwiegender Widerspruch, wenn durch die Geheimnisoffenbarung allein Rechtsgüter des Patienten gerettet werden sollen. Der Arzt würde in dieser Konstellation als Notstandstäter aktiv in das Rechtsgut des Patienten auf informationelle Selbstbestimmung eingreifen, um andere objektiv überwiegende Rechtsgüter des Patienten im Rahmen einer „Zwangsfürsorge“ zu erhalten. Dieses Problem der „internen“ bzw. „intrapersonalen Interessenkollision“, das mit einem solchen Bruch der Schweigepflicht einhergeht, wurde von der berufsgeheimnisrechtlichen Literatur bisweilen eher stiefmütterlich behandelt oder ganz übersehen.707 Hahn / Blätter, in: Ärztliches Praxishandbuch Gewalt, S. 40 ff. Erb, in: MüKo-StGB, § 34 Rn. 65; Engländer, in: Matt / Renzikowski, § 34 Rn. 12; Neumann, in: NK-StGB, § 34 Rn. 47 ff.; ebenso in diese Richtung BayObLG NJW 1995, 1623, 1624; s. zweites Kapitel B. IV. 1. a) cc) (2) (b). 703  s. zweites Kapitel B. IV. 1. a) cc) (2) (b). 704  Vgl. Schüler, Zweifel über Rechtfertigungslage, S. 58. 705  KG Berlin MedR 2013, 787, 789. 706  Vgl. Erb, in: MüKo-StGB, § 34 Rn. 71; Roxin, AT I, § 16 Rn. 14; Schaffstein, in: FS Bruns, S. 89, 104 ff. 707  Der Aspekt der möglichen internen Interessenkollision fehlt etwa bei: Hahn / Blätter, in: Ärztliches Praxishandbuch Gewalt, S. 30; Cierniak / Pohlit, in: 701  Vgl. 702  Vgl.

210

2. Kap.: Umfang und Grenzen der ärztlichen Schweigepflicht

Gleichwohl bedarf diese Thematik einer vertieften Auseinandersetzung, da eine uneingeschränkte Anwendung des Erlaubnistatbestandes des § 34 StGB das Selbstbestimmungsrecht des Patienten unterlaufen und dem Patienten die Pflicht zur Duldung einer Zwangsfürsorge aufgelegen würde. Der objektivierte Maßstab der in § 34 StGB enthaltenden Interessenabwägung verträgt sich nicht mit der Autonomie eines Menschen, da die Frage, welche der eigenen Interessen überwiegt, keine objektive sondern eine subjektive Präferenzentscheidung ist.708 In der Diskussion um die rechtliche Handhabung dieses Problems des Allgemeinen Teils des Strafrechts besteht zumindest ein grundlegender Konsens, dass in derartigen Fällen prinzipiell nur eine Rechtfertigung über die ausdrückliche Einwilligung und die mutmaßliche Einwilligung in Betracht kommt – obgleich § 34 StGB als interferierender Erlaubnistatbestand normalerweise neben diesen Rechtfertigungsgründen zur Anwendung kommen kann.709 Der Weg zu diesem Ergebnis wird allerdings unterschiedlich beschritten. Teilweise wird vertreten, die selbstbestimmte Präferenz des Rechtsgutsinhabers sei innerhalb der tatbestandlichen Voraussetzungen des rechtfertigenden Notstandes zu berücksichtigen.710 Dies soll entweder dadurch geschehen, dass die Zustimmung des Rechtsgutsinhabers zu den Voraussetzungen des Notstandes als zusätzliches Erfordernis hinzutritt oder dem Willen des Rechtsgutinhabers innerhalb der Interessenabwägung ein derartiges Gewicht zugesprochen wird, dass es zu keinem Notstandsrecht gegen den Willen des Betroffen kommen kann.711 Eine andere Ansicht geht hingegen davon aus, die gesamte Anwendung von § 34 StGB scheide in Fällen der internen Interessenkollision vom Grundsatz her aus, da die individuelle Entscheidung des Rechtsgutsinhabers vorgehe.712 Die MüKo-StGB, § 203 Rn. 86; Schlund, in: Laufs / Kern, HdB Arztrecht, Kp.  12 § 71 Rn. 64; D. Bender / Schreiber, in: Ethische Grundlagen der Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie, S. 164 f.; ergebnisfeststellend: Vitkas, Grenzen ärztlicher Schweigepflicht, S.  113 ff.; Theuner, Die ärztliche Schweigepflicht, S. 267; Eichelbrönner, Grenzen der Schweigepflicht, S. 196; Lenckner / Eisele, in: Schönke / Schröder, § 203 Rn. 32; Muschallik, Die Befreiung, S. 87. 708  Neumann, in: NK-StGB, § 34 Rn. 14 ff., 32; ders., in: FS Herzberg, S. 575, 582. 709  BGHSt 55, 191, 197 ff.; Kühl, AT, § 8 Rn. 35; J. Schmitz, Rechtfertigender Notstand, S.  181 ff.; Knauf, Mutmaßliche Einwilligung, S. 89; Zieschlang, in: LKStGB, § 34 Rn. 25, 52; Gropp, JR 1996, 478, 479; Erb, MüKo-StGB, § 34 Rn. § 32 ff.; ders., JuS 2010, 17, 19 ff.; Neumann, in: NK-StGB § 34 Rn. 14; Roxin, AT I, § 16 Rn. 101. 710  Zieschlang, in: LK-StGB, § 34 Rn. 25, 52; Gropp, JR 1996, 478, 479. 711  Zieschlang, in: LK-StGB, § 34 Rn. 52; Gropp, JR 1996, 478, 479. 712  Erb, MüKo-StGB, § 34 Rn. § 32 ff.; ders., JuS 2010, 17, 19 ff.; Neumann, in: NK-StGB § 34 Rn. 14; Roxin, AT I, § 16 Rn. 101; Unanwendbarkeit von § 34 StGB für den intrapersonalen Interessenkonflikt im Falle eines Behandlungsabbruch ebenfalls angenommen BGHSt 55, 191, 197 ff.; anders hingegen BGHSt 42, 301, 305.



B. Durchbrechungen der Schweigepflicht211

unterschiedlichen Ansichten rühren vorwiegend daher, ob der Rechtfertigungsgrund des § 34 StGB als Ausdruck eines rein formalen Abwägungsprinzips, als Ausdruck eines utilitaristischen Prinzips oder als Ausdruck des Solidaritätsprinzips verstanden wird.713 Insbesondere Vertreter solcher Begründungsansätze, die das Notstandsrecht mit dem Solidaritätsprinzip erklären, gelangen zu einem generellen Ausschluss des rechtfertigenden Notstands im Falle einer intrapersonalen Interessenkollision,714 „da sich niemand selbst eine Solidarität schuldet“.715 Entscheidend bleibt jedoch die Frage, unter welchen Voraussetzungen die subjektive Präferenzentscheidung des Rechtsgutträgers im Falle der internen Interessenkollision zu beachten ist – d. h. welche tatsächlichen und rechtlichen Anforderungen an den Willen des Rechtsgutsinhabers gestellt werden – und welche Ausnahmen sich daraus für die oben benannten Grundsätze ergeben. Nach einer Auffassung soll ein wirksamer Verzicht auf die Gefahrenabwehr mit den Voraussetzungen der rechtfertigenden Einwilligung korrespondieren.716 Der Gefährdete müsse sich demnach nicht nur über die tatsächlichen Umstände und die Konsequenzen seines Verzichts im Klaren sein; ihm müsste es darüber hinaus rechtlich zustehen, über die betroffenen Rechtsgüter verfügen zu dürfen.717 Nach dieser Auffassung ergeben sich sowohl rechtsgutsbezogene als auch willensbezogene Unbeachtlichkeitsgründe für den entgegenstehenden Willen des in Gefahr geratenen.718 Eine andere Auffassung will dagegen nicht derart hohe Anforderungen an die Beachtlichkeit des entgegenstehenden Willens im Rahmen des § 34 StGB stellen.719 Eine allgemeine Befugnis, über das im Ergebnis beeinträchtigte Rechtsgut zu disponieren, sei nicht erforderlich.720 Es reiche vielmehr, dass Gefährdete sich über die tatsächlichen Umstände und die Konsequenzen seines Verzichts im Klaren sei. Engländer, GA 2010, 15 ff. JuS 2010, 17, 20; ders. in: FS Schünemann, S. 337, 342; J. Schmitz, Rechtfertigender Notstand, S. 176. 715  Erb, JuS 2010, 17, 20; ders. in: FS Schünemann, S. 337, 344. 716  Zieschlang, in: LK-StGB, § 34 Rn. 59; Roxin, AT I, § 13 Rn. 37; J. Schmitz, Rechtfertigender Notstand, S. 56; wohl ebenso Vitkas, Grenzen ärztlicher Schweigepflicht, S. 95. 717  Zieschlang, in: LK-StGB, § 34 Rn. 59; Roxin, AT I, § 13 Rn. 37; J. Schmitz, Rechtfertigender Notstand, S. 56. 718  Vgl. BGH NStZ 1983, 313, 314; J. Schmitz, Rechtfertigender Notstand, S. 33; Roxin, AT I, § 16 Rn. 101 f. 719  Erb, in: MüKo-StGB, § 34 Rn. 32 ff.; Neumann, in: NK-StGB, § 34 Rn. 16 ff.; Engländer, GA 2010, 15, 25; ders., in: Matt / Renzikowski, § 34 Rn. 42; Theuner, Die ärztliche Schweigepflicht, S. 276 ff. 720  Erb, in: MüKo-StGB, § 34 Rn. 32 ff.; Neumann, in: NK-StGB, § 34 Rn. 16 ff.; Engländer, GA 2010, 15, 25; ders., in: Matt / Renzikowski, § 34 Rn. 42; Theuner, Die ärztliche Schweigepflicht, S. 276 ff. 713  Vgl.

714  Erb,

212

2. Kap.: Umfang und Grenzen der ärztlichen Schweigepflicht

Zu übereinstimmenden Ergebnissen gelangen diese Meinungen etwa in einem Sachverhalt, in dem ein einwilligungsfähiges Opfer von nichtlebensbedrohlicher häuslicher Gewalt den Arzt nicht zur Aufklärung und Verhinderung weiterer Straftaten von der Schweigepflicht entbinden will. Das Opfer bringt mit der Verweigerung der Schweigepflichtentbindung zumindest konkludent zum Ausdruck, dass nach seinen persönlichen Präferenzmaßstäben die Interessen der Geheimhaltung die Abwendung weiterer Körperverletzungen überwiegen. Alle dargestellten Meinungen würden hier zu dem Ergebnis kommen, dass der Arzt eine Offenbarung zur Verhinderung von weiteren Straftaten gerade nicht auf § 34 StGB stützen kann, da die subjektive Präferenzentscheidung des gefährdeten Opfers nicht umgangen werden darf. Ebenso einheitlich wäre nach allen Meinungen ein Fall zu behandeln, in dem sich der gesetzliche Vertreter eines konstitutionell einwilligungsunfähigen Patienten konträr zum Wohl des Patienten gegen die Schweigepflichtentbindung zur Aufklärung und Verhinderung von weiteren Straftaten entschieden hat. Da dem gesetzlichen Vertreter im Rahmen seiner treuhänderischen Fürsorge „kein Recht auf unvernünftige Entscheidungen“ zusteht, ist der entgegenstehende Wille des gesetzlichen Vertreters unbeachtlich.721 Der Arzt kann in solchen Fällen eine Geheimnisoffenbarung – vorbehaltlich des lex specialis § 4 Abs. 3 S. 1 KKG für die Offenbarung einer Kindeswohlgefährdung gegenüber dem Jugendamt – auf § 34 StGB stützen, wenn er das Familiengericht oder die Polizei informieren möchte.722 (2) Besonderheiten bei einer Lebensgefahr Die Ansichten kommen allerdings zu divergierenden Ergebnissen, wenn es um die Abwendung von Gefahren geht, die das Rechtsgut Leben betreffen oder sich jenseits der Grenzen des § 228 StGB bewegen. Denn in diesen Fällen stellt sich die Frage, ob der Verzicht des Patienten auf Rettung aus rechtsgutsbezogenen Gründen unbeachtlich ist. Dies wurde bislang vorwiegend für Sachverhalte diskutiert, in denen Patienten lebensnotwendige medizinische Behandlungen ablehnten oder Personen Suizidhandlungen vornahmen und fraglich war, ob der Arzt die jeweilige Person auch gegen ihren Willen retten darf bzw. muss.723 Lenkt 721  Vgl. Erb, in: MüKo-StGB, § 34 Rn. 36; Kern, NJW 1994, 753, 759 ff.; s. hierzu: drittes Kapitel II. 3. b) bb). 722  Vgl. im Zusammenhang mit der Einwilligung in eine medizinische Heilbehandlung Erb, in: MüKo-StGB, § 34 Rn. 36; Neumann, in: NK-StGB, § 34 Rn. 15. 723  Vgl. Blei, PdW, AT, A. 122; Tachezy, Mutmaßliche Einwilligung und Notkompetenz, S. 71 ff. Die Pflicht zur Behandlung kann nur bestehen, wenn der damit verbundene Eingriff in die körperliche Integrität gerechtfertigt werden kann. Das



B. Durchbrechungen der Schweigepflicht213

man den Blick auf Konstellationen, in denen der Arzt lebensbedrohliche Straftaten gegen den Patienten durch Einschaltung der Polizei verhindern will – der Patient den Arzt jedoch zu diesem Zweck gerade nicht von der Schweigepflicht entbindet – könnten derartige, rechtsgutsbezogene Unbeachtlichkeitsgründe ebenfalls eine Rolle bei der Behandlung des intrapersonalen Interessenkonflikts spielen. So ist es nicht nur möglich, dass ein Zeuge Jehovas aufgrund seines Glaubens eine lebensnotwendige Bluttransfusion ablehnt;724 ebenso kann es sein, dass ein Opfer häuslicher Gewalt, lieber das Risiko von lebensgefährlichen Straftaten eingeht, als einen geliebten Menschen zu verlassen oder ihn einer Strafverfolgung auszusetzen und den Arzt deswegen in keinem Fall von der Schweigepflicht gegenüber gefahrabwehrenden Behörden befreien will. In solchen Fällen müsste selbstverständlich zunächst feststehen, dass die Entscheidung des Patienten nicht auf eine mangelnde Fähigkeit zu freiverantwortlichem Handeln hinweist und somit einen willensbezogenen Grund für die Unbeachtlichkeit des Patientenwillens bietet. So kann es sein, dass der Patient trotz Einwirkung seitens des Arztes über das Ausmaß der ihm drohenden Gefahr irrt oder sich der Konsequenzen seiner Entscheidung nicht im Klaren ist. Insbesondere ein Opfer häuslicher Gewalt kann aus emotionalen Gründen leicht „Opfer“ seines eigenen Trugschlusses werden, wenn es meint, der Täter von ständig wiederkehrender, extremer und bereits lebensbedrohlicher Gewalt, werde „aus Liebe“ letztendlich keine todbringenden Handlungen vornehmen. Hier irrt der Patient über das tatsächliche Ausmaß, der ihm drohenden Gefahr. Ist der Patient demnach zum freiverantwortlichen Handeln nicht fähig, kann er seine Rettung durch eine Geheimnisoffenbarung wirksam weder gestatten noch verweigern.725 Ein Rückgriff auf die mutmaßliche Einwilligung ist hier möglich, da gerade bei lebensbedrohlichen Straftaten das Interesse an der Selbsterhaltung im Vergleich zu dem Interesse an der Abwehr des weniger schwerwiegenden Eingriffes in das informationelle Selbstbestimmungsrecht überwiegen wird.726 Allerdings beinhaltet das Selbstbestimmungsrecht, wie bereits ausgeführt, auch die Freiheit zu unvernünftigen – selbst lebensgefährdenden – EntscheiOLG München MedR 2003, 174, 176 ff.; zust. Ulsenheimer, in: FS Eser, S. 1225, 1238, behandelt diesen Fall als Pflichtenkollision. 724  Über diesen Fall hatte das OLG München MedR 2003, 174 ff. = NJW-RR 2002, 811 ff. zu entscheiden. 725  Vgl. zu Suizidkonstellationen Erb, in: FS Schünemann, S. 337, 347; Engländer, Nothilfe, S. 143. 726  Vgl. zu Suizidkonstellationen Erb, in: FS Schünemann, S. 337, 347; s. zweites Kapitel B. II. 2.

214

2. Kap.: Umfang und Grenzen der ärztlichen Schweigepflicht

dungen.727 Dies belegt exemplarisch ein Fall des BGH aus dem Jahr 1983.728 In diesem Fall wurde der Wille einer 21-jährigen, die ihre lebensbedrohliche Eileiterschwangerschaft geheim halten und unbehandelt lassen wollte, nicht schon wegen einer mangelnden Fähigkeit zum freiverantwortlichen Handeln als unbeachtlich abgetan.729 Die Entscheidung eines Patienten eine Lebensgefahr nicht durch andere abwenden zu lassen, kann daher nicht per se einen willensbezogenen Unbeachtlichkeitsgrund darstellen. Sollte sich ein Patient ausnahmsweise im vollen Bewusstsein, allen Ernstes und mit voller Einsichts- und Urteilsfähigkeit gegen die Abwendung von lebensbedrohlichen Straftaten durch eine ärztliche Geheimnisoffenbarung entscheiden, sind vielmehr rechtsgutsbezogene Unbeachtlichkeitsgründe maßgebend dafür, ob die ärztliche Einschaltung der Polizei zu Gunsten des Patienten durch § 34 StGB gerechtfertigt werden kann. (a) Ansicht der herrschenden Meinung Die herrschende Meinung entnimmt, insbesondere wenn es um die Pflicht zur Lebensrettung nach § 323c StGB geht – obgleich nicht immer konsequent – der Vorschrift des § 216 StGB einen rechtsgutsbezogen Unbeachtlichkeitsgrund für den Rettungsverzicht des Gefährdeten.730 Aus der Wertung des § 216 StGB ergäbe sich, dass der Verzicht des Rechtsgutsinhabers auf den Schutz seines Lebens prinzipiell unbeachtlich ist.731 Ob sich aus dieser Wertung ebenfalls im Rahmen von § 34 StGB rechtsgutbezogene Gründe für die Unbeachtlichkeit des entgegenstehenden Willens des gefährdeten Rechtsgutsinhabers ergeben, ist damit unmittelbar zwar 727  Vgl. BGHSt 11, 111, 114; Knauf, Mutmaßliche Einwilligung S.  44  ff.; Schroth, in: FS Volk, S. 718 ff.; Roxin, AT I, § 13 Rn. 87. 728  Vgl. BGH NJW 1983, 350, 351 = NStZ 1983, 313, 314. 729  Vgl. BGH NJW 1983, 350, 351 = NStZ 1983, 313, 314. 730  Der Rspr. fehlt hierzu eine klare Linie. So wurde der Sterbewille eines Suizidenten durch die Entscheidung des Großen Senats in Strafsachen (BGHSt 6, 147, 153) als unbeachtlich bewertet. Gleichwohl hat der BGH in dem „Myom-Fall“ (BGHSt 11, 111 ff.) dem ärztlichen Behandlungsrecht auch bei Lebensgefahren eine klare Grenze durch das Selbstbestimmungsrecht des Patienten gesetzt. Anders entschied der BGH zu § 323c StGB bei einer Lebensgefahr in seinem obiter dictum im „Eileiterschwagerschafts-Fall“ (BGH NJW 1983, 350, 351 mit grds. zust. Anmerkung v. H. Lilie, NStZ 1983, 314 f.). Der Sterbewille eines Suizidenten wurde im „Wohngemeinschafts-Fall“ (BGH NStZ 1983, 117, 118) dagegen als beachtlich bewertet. Im „Wittig-Fall“ (BGH, MDR 1984, 858) wurde die Respektierung des Patientenwillens zwar betont – gleichwohl der Sterbewille des Suizidenten für pauschal unbeachtlich erklärt, krit. Eser, MedR 1985, 6, 11. 731  Vitkas, Grenzen ärztlicher Schweigepflicht, S. 95; Westendorf, Pflicht zur Verhinderung, S. 113; Schröder, Auskunftsanspruch, S. 133.



B. Durchbrechungen der Schweigepflicht215

noch nicht gesagt. Gleichwohl kann eine Pflicht zur Rettung (i. S. v. § 323c StGB) durch einen aktiven Eingriff in eine Rechtsphäre, die etwa mit einer medizinischen Zwangsbehandlung verbunden ist, nur bestehen, wenn diese rechtlich (durch § 34 StGB) zulässig ist.732 Weiterhin führte der BGH in einer Entscheidung zur Nothilfe aus, dass eine Zwangsverteidigung nur unzulässig ist, „soweit es sich um die Verletzung solcher Rechtsgüter handelt, über die der Angegriffene zu verfügen berechtigt und fähig ist.“733 Daher ist es nicht inkonsequent, wenn eine beachtliche Meinung im Schrifttum den Rettungsverzicht im Falle einer Lebensgefahr ebenfalls im Rahmen des § 34 StGB als unbeachtlich ansieht und diese als wohl herrschende Meinung angesehen wird.734 Nach diesem Verständnis kann der rechtfertigende Notstand zur Lebensrettung trotz entgegenstehenden Willens des Rechtsgutsinhabers zur Anwendung kommen. (b) Ansicht der in der Literatur vertretenen Gegenmeinung Gleichwohl wird in der Literatur die Validität der vorgetragenen rechtsgutsbezogenen Unbeachtlichkeitsgründe hinterfragt. So findet sich eine beachtliche Anzahl von Stimmen, die meinen § 216 StGB sei von seinem Normzweck her zur Bestimmung der Grenzen von § 34 StGB – insbesondere im Hinblick auf eine Zwangsrettung eines Suizidenten oder eines behandlungsablehnenden Patienten – gar nicht anwendbar.735 Der genaue Telos dieser Vorschrift ist unaufhörlicher Gegenstand reger Diskussionen.736 Ursprünglich hat sich der Gesetzgeber bei Schaffung von § 216 StGB wohl vor allem von religiösen Motiven zum Schutz des „gottgegebenen Lebens“ leiten lassen737 und auch heutzutage sind Ansätze verbreitet, die die Norm mit einer scheinbar naturrechtlichen „Unantastbarkeit und Unveräußerlichkeit des Lebens“ begründen wollen.738 Andere wollen 732  Erb,

in: FS Schünemann, S. 337, 347. 5, 245, 247 f. Hervorhebung vgl. Engländer, Nothilfe, S. 117. 734  So Zieschlang, in: LK-StGB, § 34 Rn. 25, 59; Roxin, AT I, § 13 Rn. 37 u. § 16 Rn. 102; Vitkas, Grenzen ärztlicher Schweigepflicht, S. 95; Schröder, Auskunftsanspruch, S. 133. 735  Merkel, in: FS Schroeder, S. 297, 309 ff.; Engländer, GA 2010, 15, 25; Neumann, in: NK-StGB, § 34 Rn. 16 ff.; Erb, in: MüKo-StGB, § 34 Rn. 35.; J. Schmitz, Rechtfertigender Notstand, S. 131. 736  s. nur Schroeder, ZStW 106 (1994), 565, 567 ff. 737  Vgl. Jakobs, in: FS Kaufmann, S. 459, 467 f.; J. Schmitz, Rechtfertigender Notstand, S. 187. 738  In diese Richtung: BGH NStZ 1985, 119, 221; Rengier, BT II, § 6 Rn. 1; Wessels / Hettinger, BT  I, Rn. 2; Maurach / Schroeder / Maiwald, BT  I, § 1 Rn. 5; vgl. J. Schmitz, Rechtfertigender Notstand, S. 188. 733  BGHSt

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2. Kap.: Umfang und Grenzen der ärztlichen Schweigepflicht

das einwilligungsresistente Lebensrecht hingegen aus den Grundrechten des Rechtsgutsträgers ableiten. Einerseits wird in Anlehnung an Kants Widersprüchlichkeitsargumentation darauf abgestellt, dass sich der Rechtsgutsinhaber durch die Verfügung über sein Lebensrecht selbst zum Objekt mache und die Verfügung daher gegen die Menschenwürde aus Art. 1 Abs. 1 S. 1 GG verstoße.739 Anderseits soll sich die Unveräußerlichkeit des Lebens direkt aus Art. 2 Abs. 2 S. 1 1 Alt. GG ergeben.740 Gegen diese Begründungsansätze wird jedoch – nicht zu Unrecht – eingewendet, dass hiernach nicht nur die Fremdtötung, sondern auch die Selbsttötung einen Verstoß gegen die eigenen Rechte darstellen müsste.741 Überzeugenderweise seien die Maßgaben des § 216 StGB sowie die des § 228 StGB in Bezug auf die Individualrechtsgüter des Betroffenen daher als Formen des Paternalismus des Staates zu verstehen.742 Als Paternalismus versteht sich allgemein die Freiheitseinschränkung einer Person zu ihren Gunsten aber gegen ihren aktuellen Willen.743 Dabei werden die Formen des „direkten“ und „indirekten“ Paternalismus unterschieden. Diese Unterscheidung, die maßgeblich durch die Arbeiten von angelsächsischen Philosophen angetrieben wurde,744 schlägt sich mittlerweile auch im modernen deutschen Strafrecht nieder und ist ausschlaggebend für die Frage, ob paternalistische Eingriffe mittels strafrechtlicher Vorschriften zulässig sind.745 Im Strafrecht bedeutet ein direkter Paternalismus die Pönalisierung eines rein selbstschädigenden Verhaltens, wie etwa die Bestrafung des versuchten Suizides. Ein solcher Paternalismus gilt grundsätzlich als unzulässig.746 Bei einem indirekten und unter gewissen Voraussetzungen zulässigen Paternalismus übt 739  Wilms / Jäger, ZRP 1988, 41, 44; vgl. Seelmann, in: in: Hirsch / Neumann / Seelmann, Paternalismus, S. 241, 243; vgl. J. Schmitz, Rechtfertigender Notstand, S. 188. 740  Safferling, in: Matt / Renzikowski, § 216 Rn. 2; Schroeder, ZStW 106 (1994), 565, 573 f. vgl. J. Schmitz, Rechtfertigender Notstand, S. 188. 741  J. Schmitz, Rechtfertigender Notstand, S. 189. 742  J. Schmitz, Rechtfertigender Notstand, S. 189; Jakobs, in: FS Kaufmann, S.  459, 467 f.; von Hirsch / Neumann, in: Hirsch / Neumann / Seelmann, Paternalismus, S. 71; Neumann, in: FS Herzberg, S. 575, 582. 743  Birnbacher, in: Hirsch / Neumann / Seelmann, Paternalismus, S. 9, 12; Vossenkuhl, in: Hirsch / Neumann / Seelmann, Paternalismus, S. 275, 277 f. 744  Wie etwa die v. John Stuart Mill u. Joel Feinberg. 745  Vgl. Birnbacher, in: Hirsch / Neumann / Seelmann, Paternalismus, S. 9, 19 ff.; von Hirsch, in: Hirsch / Neumann / Seelmann, Paternalismus, S. 57, 61 ff.; Erb, in: FS Schünemann, S. 337; Schünemann, in: Hirsch / Neumann / Seelmann, Paternalismus, S. 221. Des Weiteren wird, zurückgehend auf Feinberg, zwischen weichem und hartem Paternalismus unterschieden, vgl. Seiterle, iurratio 2016, 4, 5. 746  Birnbacher, in: Hirsch / Neumann / Seelmann, Paternalismus, S. 9, 19; Erb, in: FS Schünemann, S. 337; von Hirsch, in: Hirsch / Neumann / Seelmann, Paternalismus, S. 57, 65.



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das Strafrecht hingegen keinen direkten strafrechtlichen Zwang auf den Rechtsgutsinhaber aus, sondern pönalisiert ein fremdschädigendes Verhalten eines Dritten und macht es zudem einwilligungsresistent.747 In den Maßgaben der § 228 und § 216 StGB ist genau eine solche Form des indirekten, strafrechtlichen Paternalismus zu erblicken, da sie die Autonomie des Rechtsgutsträgers zum eigenen Schutz dahingehend einschränken, dass eine Tötung oder eine lebensgefährdende Körperverletzung durch einen anderen nicht strafbefreiend erlaubt werden kann.748 Die Vorschrift des § 216 StGB verwehrt dem Rechtsgutinhaber demnach lediglich die Möglichkeit in seine Tötung durch fremde Hand rechtfertigend einzuwilligen.749 Vor diesem Hintergrund liegt die Annahme nicht fern, die Norm des § 216 StGB könne nach ihrem Sinn und Zweck in Konstellationen nicht eingreifen, in denen der Arzt das Leben des Patienten durch einen zwangsweisen Heileingriff retten will. Denn hier geht es nicht darum, dem Arzt eine Tötung zu gestatten, sondern ihn zu einer zwangsweisen Rettung des Patientenlebens zu befugen. Folglich könne dem Patienten keine Pflicht zur Duldung einer medizinischen Zwangsbehandlung über § 34 StGB auferlegt werden.750 (c) Anwendung auf Geheimnisoffenbarungen Entscheidend ist nun, was nach den vorgebrachten Ansichten für Situa­ tionen zu gelten hat, in denen ein Patient durch Aufopferung seines Geheimnisschutzes vor lebensgefährlichen Straftaten zwangsweise gerettet werden soll. Da die herrschende Meinung aufgrund von § 216 StGB von einer prinzipiellen Unbeachtlichkeit eines entgegenstehenden Rettungswillens im Falle einer Lebensgefahr ausgeht, dürfte § 34 StGB hiernach auch zur Rechtfertigung von Geheimnisoffenbarung zur Anwendung kommen. In einer einzelfallbezogenen Interessenabwägung müsste man sodann – im Gegensatz zu Fällen der medizinischen Zwangsbehandlung – nahezu ausnahmslos zu dem Ergebnis kommen, dass die Rettung des Lebens dem Erhalt des Geheimnisschutzes vorgeht und der ärztliche Bruch der Schweigepflicht durch § 34 747  Birnbacher, in: Hirsch / Neumann / Seelmann, Paternalismus, S. 9, 18; von Hirsch, in: Hirsch / Neumann / Seelmann, Paternalismus, S. 57 f.; von Hirsch / Neumann, in: Hirsch / Neumann / Seelmann, Paternalismus, S. 71; vgl. zu der Zulässigkeit des indirekten Paternalismus: Birnbacher, in: Hirsch / Neumann / Seelmann, Paternalismus, S. 9, 19 ff. 748  Vgl. Hoerster, NJW 1986, 1786, 1789 ff.; Jakobs, in: FS Kaufmann, S. 459, 467 f.; Birnbacher, in: Hirsch / Neumann / Seelmann, Paternalismus, S. 9, 19 ff. 749  Merkel, Früheuthanasie, S. 418. 750  Erb, in: MüKo-StGB, § 34 Rn. 35; Neumann, in: NK-StGB, § 34 Rn. 16; J.  Schmitz, Rechtfertigender Notstand, S.  194 m. w. N.

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2. Kap.: Umfang und Grenzen der ärztlichen Schweigepflicht

StGB gerechtfertigt ist. Denn eine Zwangsrettung durch eine Geheimnisoffenbarung, die mit einem Eingriff in das informationelle Selbstbestimmungsrecht verbunden ist, stellt im Gegensatz zu einer Zwangsrettung durch medizinische Behandlung, die mit einem Eingriff in die körperliche Integrität einhergeht, keinen besonders scharfen und schwerwiegenden Zwang dar. Der Schutz des Lebens würde den Geheimnisschutz wesentlich überwiegen. Die herrschende Meinung müsste folglich zu dem Ergebnis kommen, dass der Arzt den Willen des Patienten missachten und die Polizei oder andere gefahrabwehrende Behörden unter einem Bruch seiner Schweigepflicht einschalten darf, wenn dies erforderlich ist, um lebensbedrohliche Gefahren für den Patienten abzuwehren.751 Fraglich ist jedoch, was in diesen Fällen nach der Leseart der in der Literatur vertretenen Gegenmeinung zu gelten hat. Theuner übernimmt die zur medizinischen Zwangsbehandlung vorgebrachte Argumentation für ärztliche Geheimnisoffenbarungen und kommt zu dem Ergebnis, dass sich ein Schweigepflichtbruch – auch bei Lebensgefahren – mit § 34 StGB im Fall einer reinen intrapersonalen Interessenkollision nicht rechtfertigen lässt.752 Gleichwohl stellen die Aufopferung des Geheimnisschutzes und der damit verbundene Eingriff in das informationelle Selbstbestimmungsrecht im Vergleich zu der medizinischen Zwangshandlung, die mit einem Eingriff in die körperliche Integrität verbunden ist, weniger schwerwiegende Belastungen für den Patienten dar, was die Frage aufwirft, ob § 34 StGB in diesen Konstellationen nicht doch zur Rechtfertigung des Schweigepflichtbruchs führen kann. Solche Erwägungen können jedoch nur durchschlagen, wenn der entgegenstehende Wille und die durch eine Rettung entstehenden Nutzen und Nachteile des Rechtsgutsinhabers bei einer intrapersonalen Interessenkollision Gegenstände eines Abwägungsvorgangs sein dürfen und der rechtfertigende Notstand aufgrund des Prinzips, auf dem er beruht, nicht von vornherein auf solche Vorgänge unanwendbar ist. Über das Prinzip, auf dem der Notstand beruhen soll, wurde so viel nachgedacht und gestritten,753 dass Roxin die Suche nach einer einheitlichen Grundlage des Notstands sogar als „unmögliches Unterfangen“ bezeichnet.754 An dieser Stelle kann dieser Streit nicht grundlegend aufgegriffen 751  So Vitkas, Grenzen ärztlicher Schweigepflicht, S. 95; Goedel, Pflichten und Berechtigungen, S. 320 f.; ebenso Schröder, Auskunftsanspruch, S. 133 bzgl. der Information der Eltern eines minderjährigen aber einsichtsfähigen Patienten. 752  Theuner, Die ärztliche Schweigepflicht, S. 277  f.; i. E. ebenso, wenn auch nicht auf das Problem der Lebensgefahr eingehend, Eichelbrönner, Grenzen der Schweigepflicht, S.  195 f. 753  Vgl. nur Kühl, AT, § 8 Rn. 7 ff.; Pawlik, Notstand, S. 18 ff.; Küper, JZ 2005, 105, 108 f.; K. Schumann, Prozessuale Verteidigung, S. 242 ff. 754  Roxin, AT I, § 16 Rn. 11; vgl. J. Schmitz, Rechtfertigender Notstand, S. 172.



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und das „unmögliche Unterfangen“ fortgesetzt werden. Es soll hier vielmehr die Feststellung genügen, dass der Notstand grundsätzlich auch auf dem Solidaritätsprinzip beruhen muss, da diejenigen Legitimationsversuche, die auf dem Abwägungsprinzip oder dem utilitaristischen Prinzip beruhen, nach einem liberalen Rechtsverständnis mehr das Anwendungsverfahren der Interessenabwägung beschreiben, als sie die Frage nach der Legitimation des sich aus dem Notstandsrecht ergebenden Eingriffsrechts beantworten können.755 Lenkt man den Blick von dem Notstandstäter auf denjenigen, in dessen Rechtsgut zur Rettung eines wesentlich überwiegenden Rechtsguts eingriffen wird, lässt sich dessen Pflicht zur Duldung dieses Eingriffs in seinen abgegrenzten Rechtsgüterbereich bei einem aggressiven Notstand nur damit erklären, dass er hierzu aufgrund der mitmenschlichen Solidarität verpflichtet ist.756 Nach Kühl soll diese Pflicht moralische Wurzeln haben und mit dem Gebot der Nächstenliebe zu vergleichen sein.757 Die Mehrheit leitet die Solidaritätspflicht dagegen aus einer Art Versicherungsmodell und damit aus rationalen und eigennützigen Interessen jedes Einzelnen ab.758 Als Gegenleistung für die Beschränkung von Freiheiten erhalte der Inhaber des Eingriffsguts die Versicherung, dass er zu gegebener Zeit und Lage ebenfalls auf die Solidarität anderer vertrauen darf. Hält man den Rettungsverzicht des Patienten bei einer Lebensgefahr nach der Leseart der in der Literatur vertretenen Ansicht nicht wegen § 216 StGB für unbeachtlich, kann § 34 StGB unter strenger Beachtung des Solidaritätsprinzips zur Rettung von Individualrechtsgütern des Patienten nicht zur Anwendung kommen, da sich der autonome Patient – unabhängig von der Schwere des Eingriffes und einer Kosten-Nutzen-Abwägung – selbst keine Solidarität schuldet.759 Denn sowohl die altruistische Nächstenliebe als auch das gegenseitige Versicherungsmodell kann nur dort bestehen, wo mehrere Personen aufeinandertreffen. Eine Zwangsrettung des Patientenlebens zu Gunsten des Patienten durch eine über § 34 StGB gerechtfertigte Geheimnisoffenbarung müsste hiernach ausscheiden.

755  K.

Schumann, Prozessuale Verteidigung, S. 282 ff. Erb, in: MüKo-StGB, § 34 Rn. 2; ders. in: FS Schünemann, S. 337, 341; Küper, JZ 2005, 105, 107; K. Schumann, Prozessuale Verteidigung, S. 282 ff.; Neumann, in: FS Herzberg, S. 575, 581; Renzikowski, Notstand, S. 197 ff.; Frisch, GA 2016, 121, 123; Frister, in: FS Rudolphi, S. 45, 48. 757  Kühl, in: FS Hirsch, S. 259 ff. Auf das „Gefühl der Zusammengehörigkeit“ stellt Frisch, GA 2016, 121, 136 ab. 758  Engländer, Nothilfe, S. 93 ff.; Renzikowski, Notstand, S. 197 f.; krit. Pawlik, Notstand, S.  66 ff. 759  Theuner, Die ärztliche Schweigepflicht, S. 277 f.; vgl. J. Schmitz, Rechtfertigender Notstand, S. 33 ff. 756  Vgl.

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2. Kap.: Umfang und Grenzen der ärztlichen Schweigepflicht

Gleichwohl sei angemerkt, dass sich diese scheinbar gravierende Divergenz zwischen den Ergebnissen der beiden Ansichten letztendlich weitestgehend relativiert, da in den Augen der mehrheitlichen Vertreter der Literatur in Situationen, die Tötungsdelikte zum Inhalt haben, ebenfalls Rechtgüter der Allgemeinheit tangiert sind760 und eine Anwendung von § 34 StGB aufgrund dessen möglich wird. Der intrapersonale Interessenkonflikt und die prinzipielle Unanwendbarkeit des § 34 StGB wären demnach in Fällen eines dem Patienten drohenden Tötungsdelikts überwunden. Wie Merkel aufgezeigt hat, existieren bei Tötungshandlungen zwei mögliche Anknüpfungspunkte zur Begründung von tangierten, kollektiven Rechtsgütern.761 Einerseits kann man versuchen, ein Rechtsgut der Allgemeinheit an den Rechtsgütern des einzelnen Rechtsgutsträgers zu konstruieren. So kommt Amelung im Zuge einer staatsutilitaristischen Betrachtung zu dem Schluss, eine Tötung sei „sozialschädlich“ für den Bestand des Staates.762 Ähnliches findet sich in den Ausführungen von Weigend, denen zu entnehmen ist, dass das Leben und die Gesundheit des Einzelnen Grundvoraussetzung der funktionierenden Gemeinschaft seien.763 Problematisch an solchen Bestandsschutzargumenten ist jedoch, dass sie letztendlich zu einer Umkehrung des liberalen Rechtsverständnisses führen,764 da der Einzelne demnach seine Rechtsgüter zu Gunsten der Allgemeinheit innehaben würde. 760  Vgl. Ingelfinger, Grenzbereiche des Tötungsverbotes, S. 181  ff.; Otto, Gutachten 56. DJT, S. 54; Erb, in: MüKo-StGB, § 34 Rn. 35; ders. in: FS Schünemann, S. 337, 345; Herzberg, NJW 1996, 3043, 3047; Neumann, in: NK-StGB, § 34 Rn. 35; ders., in: FS Herzberg, S. 575, 582; Hirsch, in: FS Lackner, S. 597, 612; Murmann, Selbstverantwortung, S.  517  ff.; Göbel, Einwilligung im Strafrecht, S.  41 ff.; Schmidt-Jortzig, ZRP, 2014, 62; a. A. Engländer, Grenzen der Nothilfe, S. 139; Jakobs, in: FS Kaufmann, S. 459, 468 f.; Schmitz, Rechtfertigender Notstand, S.  44 ff.; Schroeder, ZStW 106 (1994), 565, 567 f.; Hoerster, NJW 1986, 1786, 1792; Seiterle, iurratio 2016, 4, 6. Das Tötungstabu wird in der Strafrechtslehre als kollektives Rechtsgut im Rahmen des § 34 StGB zurzeit vor allem ins Spiel gebracht, wenn es darum geht, dem Selbstbestimmungsrecht des Rechtsgutsinhabers eine weiterreichende Geltung zukommen zulassen als dies die Einwilligung oder die mutmaßliche Einwilligung ermöglichen, wie etwa im Fall der aktiven Sterbehilfe. Vgl. Neumann, in: FS Herzberg, S. 575, 582 ff.; ders., in: NK-StGB, § 34, Rn. 37; Erb, in: FS Schünemann, S. 337, 345. Hier sei im Rahmen des § 34 StGB das beeinträchtigte Tötungstabu der Rechtsgemeinschaft gegen den Sterbewunsch und die Interessen des einzelnen Rechtsgutsinhabers abzuwägen. Erkennt man in solchen Konstellationen das Tötungstabu als kollektives Rechtsgut an, muss man es konsequenterweise auch als notstandsfähiges kollektives Rechtsgut anerkennen, wenn sich eine Person etwa durch eine verweigerte Aufopferung ihres Geheimhaltungsschutzes der Gefahr aussetzt, von einer anderen Person getötet zu werden. 761  Merkel, Früheuthanasie, S. 414 ff.; vgl. Engländer, Nothilfe, S. 132. 762  Amelung, Rechtsgüterschutz, S. 388. 763  Weigend, ZStW 98 (1986), 44, 66; Jescheck / Weigend, AT, S. 379. 764  Engländer, Nothilfe, S. 133; krit. ebenfalls Merkel, Früheuthanasie, S. 416 f.



B. Durchbrechungen der Schweigepflicht221

Überzeugen können nur solche Ansätze, die durch eine bestimmte Handlungsweise Belange der Allgemeinheit berührt sehen.765 Weit verbreitet ist die Ansicht, die Tötung eines andern Menschen verstoße, wie es Herzberg formulierte, gegen das „Tötungstabu“ der Allgemeinheit.766 Gleichwohl ist diese Ansicht nicht frei von Kritik geblieben. So wird bestritten, dass ein Tötungstabu überhaupt existieren könne, wenn im Krieg oder in Notwehr Menschen nach dem geltenden Recht getötet werden dürfen.767 Als Grundproblem für die Auseinandersetzung mit dem Tötungstabu stellt sich dabei bereits die Tatsache heraus, dass die deutsche Sprache keinen dem Tabu entsprechenden Ausdruck parat hält. Der Begriff stammt aus der polynesischen Religion und wurde als Mittel zur Umsetzung von religiösen Zielen verwendet.768 Freud versuchte einen diesem Sinn und Zweck entsprechenden deutschen Begriff mit der „heiligen Scheu“ zu bedienen.769 Heutzutage liegt die Funktion eines Tabus nach einer weltlichen Anschauung darin durch ein Verbot zentrale Gesellschaftswerte zu sichern.770 Insoweit bezeichnet ein Tabu ein Verbot, das der Gesellschaft entspringt. Der Argumentation von Kritikern – es könne wegen der rechtlichen existierenden Ausnahmen kein Tötungstabu geben – kann folglich damit begegnet werden, dass das Tötungstabu trotz der gesetzlich erlaubten Ausnahmefälle unbeschränkt bestehen kann, da ein Tabu zunächst nur der gesellschaftlichen Normebene entspringt.771 Das Recht konturiere dagegen allein denjenigen Bereich, in dem eine Verletzung des Tötungstabus ausnahmsweise erlaubt ist, wie etwa im Fall der Notwehr. Gleichwohl lässt sich nicht die gesamte an der Figur des Tötungstabus geübte Kritik derart einfach überwinden. Da ein Tabu zunächst nur auf die Absicherung von gesellschaftlichen Werten abzielt, müssen die Interessen an dem Erhalt von gesellschaftlichen Werten ausgefüllt und beschrieben werden, um sie als Rechtsgut erfassen zu können.772 Diese Problematik wird aber weitestgehend gebannt, wenn man nicht den Fokus von dem 765  Merkel,

Früheuthanasie, S. 416 f. NJW 1996, 3043, 3047; Neumann, in: FS Herzberg, S. 575, 582 ff.; ders. in: NK-StGB, § 34, Rn. 37; Otto, Gutachten 56. DJT, S. 54; ähnlich Roxin, AT § 13 Rn. 37. 767  Engländer, Nothilfe, S. 136; J. Schmitz, Rechtfertigender Notstand, S. 45. 768  Raack, in: FS Bienwald, S. 227, 229; Brockhaus, „Tabu“; H. Kraft, in: Mertens, Handbuch psychoanalytischer Grundbegriffe, S. 938. 769  H. Kraft, in: Mertens, Handbuch psychoanalytischer Grundbegriffe, S. 938 ff. 770  Raack, in: FS Bienwald, S. 227, 229  ff.; H. Kraft, in: Mertens, Handbuch psychoanalytischer Grundbegriffe, S. 938 ff. 771  Murmann, Selbstverantwortung, S.  519; Raack, in: FS Bienwald, S. 227, 229 ff.; H. Kraft, in: Mertens, Handbuch psychoanalytischer Grundbegriffe, S. 938 ff. 772  Merkel, Früheuthanasie, S. 417; Murmann, Selbstverantwortung, S. 522 ff. 766  Herzberg,

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2. Kap.: Umfang und Grenzen der ärztlichen Schweigepflicht

Wort „Tabu“ auf die Gründe lenkt, die die Aufrechterhaltung des Tötungsverbots zu einem zentralen Gesellschaftswert machen. Teilweise werden diese Gründe in der öffentlichen Ordnung und dem sozialen Frieden gesucht.773 Überwiegend wird das öffentliche Interesse an der Aufrechterhaltung des Tötungsverbots jedoch damit begründet, dass der Respekt vor dem Leben und damit der allgemeine Lebensschutz abgesichert werden sollen.774 Bei einer Durchbrechung des Tötungsverbots drohe ein „Dammbruch“, der den Respekt für das Leben insgesamt in Frage stellt. Obgleich die empirische Validität dieser Argumentation wieder nicht unbestritten ist,775 kann letzterer Begründungsansatz dazu führen, dass das „Verbot“ bzw. „Tabu“ der Tötung im Rahmen von § 34 StGB als notstandsfähiges kollektives Rechtsgut anzuerkennen ist,776 da es hiernach letztendlich nicht nur auf kollektive Interessen, sondern auf fassbare, rechtlich geschützte Werte zurückzuführen ist. Nach der in der Literatur mehrheitlich vertretenen Ansicht handelt es sich demnach bei Konstellationen, in denen es gilt Tötungshandlungen zu verhindern, nicht um einen rein intrapersonalen Interessenkonflikt des zukünftigen Opfers. Der Anwendbarkeit des rechtfertigenden Notstands stehen folglich keine Probleme entgegen, weswegen das beeinträchtigte Tötungstabu der Rechtsgemeinschaft in solchen Konstellationen gegen den Willen und die Interessen des einzelnen Rechtsgutsinhabers abzuwägen ist.777 Das Allgemeininteresse an der Durchsetzung des Tötungstabus wird hierbei regelmäßig unterliegen, wenn es um den Willen und die Interessen eines Suizidenten im Falle eines freiverantwortlichen und durchdachten „Bilanzsuizides“ geht.778 Die Dinge liegen jedoch in den hier zu untersuchenden 773  Göbel, Einwilligung im Strafrecht, S. 41  ff.; ähnlich Schmidt-Jortzig, ZRP, 2014, 62; Raack, in: FS Bienwald, S. 227, 229; Herzberg, NJW 1996, 3043, 3047. 774  Hirsch, in: FS Welzel, S. 755, 779; ders., in: FS Lackner, S. 597, 612; Roxin, AT I, § 2 Rn. 33 u. § 13 Rn. 37; Ingelfinger, Grenzbereiche des Tötungsverbotes, S. 181 ff. Auf die Beeinträchtigung der „Orientierungskompetenz“ als Motivbündel allgemeinen abstellend Seelmann, in: Hirsch / Neumann / Seelmann, Paternalismus, S.  241, 250 ff. 775  Engländer, Nothilfe, S. 137. 776  Vgl. Ingelfinger, Grenzbereiche des Tötungsverbotes, S.  181  ff.; Erb, in: MüKo-StGB, § 34 Rn. 35; ders., in: FS Schünemann, S. 337, 345; Herzberg, NJW 1996, 3043, 3047; Neumann, in: NK-StGB, § 34 Rn. 35; ders., in: FS Herzberg, S. 575, 582; Hirsch, in: FS Lackner, S. 597, 612; Murmann, Selbstverantwortung, S.  517 ff.; Göbel, Einwilligung im Strafrecht, S. 41 ff.; Schmidt-Jortzig, ZRP, 2014, 62; a. A. Engländer, Grenzen der Nothilfe, S. 139; Jakobs, in: FS Kaufmann, S. 459, 468 f.; Schmitz, Rechtfertigender Notstand, S. 44 ff.; Schroeder, ZStW 106 (1994), 565, 567 f.; Hoerster, NJW 1986, 1786, 1792. 777  Vgl. Neumann, in: FS Herzberg, S. 575, 582 ff.; ders., in: NK-StGB, § 34, Rn. 37; Erb, in: FS Schünemann, S. 337, 345.



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Konstellationen anders, da es um Sachverhalte geht, in denen der Patient regelmäßig gar keinen Todeswunsch hegt – wie etwa ein Opfer von wiederkehrender häuslichen Gewalt durch die Verheimlichung und ausbleibende Verhinderung der Taten zwar das Risiko für sein Leben hinnimmt, aber dennoch hofft, dass lebensgefährliche Verletzungen ausbleiben werden. Der Patient will das Risiko für sein Leben nur deswegen hinnehmen, weil er sich durch das Verschweigen der Tat Vorteile bzw. die Vermeidung von Nachteilen erhofft. So kann sich ein Opfer häuslicher Gewalt aus finanziellen oder emotionalen Gründen gegen eine polizeiliche Verhinderung der Tat und die damit einhergehende Strafverfolgung des Täters entscheiden.779 Das Opfer wird aber dennoch auf das Ausbleiben der Tötung hoffen und somit gerade keinen Todeswunsch hegen. Folglich stehen die Interessen der Allgemeinheit an der Durchsetzung des Tötungstabus den Interessen einer Person gegenüber, die gerade keinen Todeswunsch hegt. Weiterhin wiegt der Eingriff in das informationelle Selbstbestimmungsrecht des Patienten zur Durchsetzung des Tötungstabus nicht so schwer, wie der Eingriff, der etwa mit einer medizinischen Zwangshandlung verbunden ist. Daher können die Interessen der Allgemeinheit an der Durchsetzung des Tötungstabus in Fällen, in denen eine Person nur das Risiko ihrer Tötung hinnimmt, die Geheimhaltungsinteressen wesentlich überwiegen. (d) Fazit Damit gilt, dass der Arzt sowohl nach der herrschenden Ansicht als auch nach der Ansicht der mehrheitlichen Vertreter der Gegenansicht sein Schweigen – auch gegen den Willen des Patienten – brechen darf, wenn die Verletzung seiner Schweigepflicht das erforderliche und angemessene Mittel zur Verhinderung von lebensgefährlichen Straftaten darstellt. (3) Zwischenergebnis Zusammenfassend bleibt für Sachverhalte, in denen eine Gefahr von weiteren gegen den Patienten gerichteten Straftaten besteht, festzuhalten, dass der Arzt einen Bruch seiner Schweigepflicht grundsätzlich nicht darauf stützen kann, dass die Geheimnisoffenbarung den objektiv überwiegenden 778  Vgl. Erb, in: MüKo-StGB, § 34 Rn. 35. ders., in: FS Schünemann, S. 337, 345; Herzberg, NJW 1996, 3043, 3047; Neumann, in: NK-StGB, § 34 Rn. 35; a. A. Engländer, Grenzen der Nothilfe, S. 139. 779  Kriminalistisch-Kriminologische Forschungsstelle LKA NRW, 2 / 2006, 2.2.3 S. 8 ff.; bei sexueller Gewalt vgl. Wetzels / Pfeiffer, Sexuelle Gewalt, S. 5 ff.; Schwind, Kriminologie, § 20 Rn. 9 f.

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2. Kap.: Umfang und Grenzen der ärztlichen Schweigepflicht

Interessen des Patienten entspricht, wenn dieser Patient selbstbestimmungsfähig ist und die Offenbarung gerade nicht der Präferenz des Patienten entspricht.780 Geht es allein um die Rettung des Patienten, ist eine notstandsrechtliche Rechtfertigung des ärztlichen Schweigepflichtbruchs nur denkbar, wenn dieser zur Abwendung einer gegen das Leben des Patienten gerichteten Straftat erforderlich ist. Anderenfalls kommt eine nach § 34 StGB gerechtfertigte Geheimnisoffenbarung nur in Betracht, wenn eine Gefahr für externe Rechtsgüter – d. h. solchen, die nicht der Sphäre des einwilligungsfähigen Patienten entstammen – besteht. bb) Gefahr für Individualrechtsgüter Dritter An eine solche externe Interessenskollision ist zu denken, wenn die Offenbarung der Straftat zum Erhalt von wesentlich überwiegenden Individualrechtsgütern dritter Personen erforderlich und angemessen ist. (1) Gefahr für weitere potentielle Opfer Externe Individualrechtsgüter können zunächst dadurch tangiert sein, dass Dritte gefährdet sind, zukünftige Opfer des Täters zu werden. Eine solche Notstandslage ist jedoch nur gegeben, wenn eine Wiederholungsgefahr besteht und zugleich davon auszugehen ist, dass der Täter nicht ausschließlich gegen den Patienten vorgeht. Derartige Feststellungen dürften – „abgesehen von Szenarien, die gemeingefährliche Täter und Serienstraftäter beinhalten“ – Seltenheitscharakter haben.781 Sollte eine solche Gefahr jedoch ausnahmsweise bestehen, ist das Problem der internen Interessenkollision überwunden. Vorbehaltlich der weiteren Voraussetzungen des Notstands kann in solchen Fällen die ärztliche Informationsweitergabe an die Polizei über § 34 StGB gerechtfertigt werden. Besondere Relevanz wird in solchen Konstellationen der Voraussetzung der Erforderlichkeit zukommen. Nach diesem Merkmal muss der Arzt mit seiner konkreten Geheimnisoffenbarung die mildeste unter den alternativen Möglichkeiten zur Rettung der zukünftigen Opfer gewählt haben.782 Aus 780  Lenckner / Eisele, in: Schönke / Schröder, § 203 Rn. 32; a. A. für den Fall der Lebensgefahr Vitkas, Grenzen ärztlicher Schweigepflicht, S. 95. 781  Eichelbrönner, Grenzen der Schweigepflicht, S. 187. 782  Vgl. Kühl, AT, § 8 Rn. 75 ff.; Erb, in: MüKo-StGB, § 34 Rn. 93 ff.; Momsen, in: BeckOK-StGB, § 34 Rn. 7; Neumann, in: NK-StGB, § 34 Rn. 58 ff.; Kühl, in: Lackner / Kühl, § 34 Rn. 3; Perron, in: Schönke / Schröder, § 34 Rn. 20; Eichelbrönner, Grenzen der Schweigepflicht, S. 187.



B. Durchbrechungen der Schweigepflicht225

diesem Erfordernis ergibt sich, dass der Arzt in der Regel erfolglos versucht haben muss, auf den Patienten einzuwirken, bevor er seine Schweigepflicht bricht.783 Denn das Recht des Patienten auf Geheimnisschutz wird am meisten geschont, wenn der Patient freiwillig die Straftat und das Vorhaben des Täters bei der Polizei meldet, um dem Vorgehen des Täters schadenspräventiv entgegenzuwirken. Ein warnender Hinweis gegenüber dem zukünftigen Opfer würde im Vergleich zu der Geheimnisoffenbarung gegenüber der Polizei ebenfalls einem milderen Eingriff in das Recht des Patienten auf Geheimnisschutz darstellen. Allerdings wird diese mildere Rettungsmöglichkeit mangels Erfolgsversprechen regelmäßig ausscheiden, da sich der Kreis von potentiellen Opfern eines gemeingefährlichen Täters oder Serientäters kaum eingrenzen lässt.784 Die Einschaltung der Polizei wird in diesen Fällen wohl regelmäßig als erforderlich anzusehen sein, wenn der Arzt den Patienten nicht von einer Anzeige überzeugen konnte. Sollten diese Voraussetzungen erfüllt sein, wird die Güter- und Interessenabwägung dagegen keine Probleme bereiten. Obgleich die Interessen des Patienten an der Geheimhaltung seiner Viktimisierung von einigem Gewicht sind, werden die Interessen am Erhalt von Leib und Leben und / oder der sexuellen Selbstbestimmungsfreiheit dritter Personen wesentlich überwiegen. Der Grundsatz, dass der ärztliche Geheimhaltungsschutz bei einer konkreten Gefahr für die Gesundheit einer dritten Person zurücktreten muss, ist zahlreichen Entscheidungen der Rechtsprechung zu entnehmen. So urteilte der BGH, dass der Schutz von Leib und Leben von Verkehrsteilnehmern, den Geheimhaltungsschutz einer verkehrsuntauglichen Patientin, die nicht auf eine weitere Teilnahme am Straßenverkehr verzichten wollte, als wesentlich überwiegend anzusehen sei.785 Ebenso urteile das OLG München, dass der Geheimhaltungsschutz des Patienten zurückzutreten habe, wenn von ihm eine akute Ansteckungsgefahr von Hepatitis ausgeht.786 Desgleichen ergibt sich aus dem vieldiskutierten „HIV-Fall“ des OLG Frankfurt a. M.787 Obgleich die herrschende Literatur die Konzeption der ärztlichen Garantenstellung durch das OLG Frankfurt a. M., wie bereist dargestellt, zu Recht ablehnt, besteht Einigkeit, dass dem Arzt ein Notstandsrecht zukam, die Lebensgefährtin vor der HIV-Infektion des Patienten zu warnen.788 Den vorgebrachten Entscheidungen ist zwar gemein, dass das informationelle Selbstbestimmungsrecht Kühl, AT, § 8 Rn. 92. Grenzen der Schweigepflicht, S. 187. 785  BGH NJW 1968, 2288, 2290; zust. Geppert, in: FS Gössel, S. 303, 311. 786  OLG München, Urteil v. 18.12.1997  – 1U 5625 / 95 = BeckRS 2015, 01302. 787  Vgl. OLG Frankfurt a.  M. NJW 2000, 875, 876; A. Bender, VersR 2000, 322 ff.; Engländer, MedR 2001, 143 ff.; Parzeller / Bratzke, DÄB 2000, 2364 ff.; Wolfslast, NStZ 2001, 151 ff.; Wessels / Beulke / Satzger, AT, Rn. 1011. 788  s. zweites Kapitel B. III. 2. b) aa). 783  Vgl.

784  Eichelbrönner,

226

2. Kap.: Umfang und Grenzen der ärztlichen Schweigepflicht

des jeweiligen Patienten noch weniger schützenswert erschien, weil in dem Patienten selbst die Quelle der Gefahr zu erblicken war – was gerade nicht auf die Situation eines von einem Serientäter oder gemeingefährlichen Täter viktimisierten Patienten zutrifft. Gleichwohl überwiegen die Rechtsgüter Leib und Leben und / oder sexuelle Selbstbestimmungsfreiheit bereits in der abstrakten Wertigkeit den Geheimhaltungsschutz des Patienten, auch wenn der Patient die Gefahr nicht selbst geschaffen hat. Demnach ist festzuhalten, dass der Arzt sein Schweigen brechen darf, wenn Dritte in Gefahr schweben Opfer einer Gewalt- oder Sexualstraftat zu werden und sich der Patient uneinsichtig zeigt, weitere Taten durch eine Einschaltung der Polizei zu verhindern.789 (2) Gefahr für den Arzt Als externe Individualrechtsgüter, die durch ein Verschweigen der Tat tangiert werden, kommen prinzipiell ebenfalls Rechtsgüter des zur Verschwiegenheit verpflichteten Arztes in Betracht.790 Insbesondere im Zusammenhang mit medizinischen Zwangsbehandlungen finden sich in Literatur und Rechtsprechung Ansätze, nach denen eine zwangsweise Hilfeleistung des Arztes wegen seiner eigenen ärztlichen Rechte und Pflichten zu rechtfertigen sei.791 So argumentierte das OLG München in einem Fall, in dem ein Zeuge Jehovas eine lebensnotwendige Bluttransfusion ablehnte, der Arzt sei durch die ärztliche Standesethik, seine Berufspflicht sowie sein Gewissen verpflichtet, seinem Patienten zu helfen.792 Ihm könne daher nicht zugemutet werden durch die Pflicht zur Respektierung des Patientenwillens einem sinnlosen Sterben seines Patienten tatenlos zuzusehen.793 Derartige 789  Vgl. OLG München, Urteil v. 18.12.1997  –1U 5625 / 95 = BeckRS 2015, 01302; Schünemann, in: LK-StGB, § 203 Rn. 139; Goedel, Pflichten und Berechtigungen, S.  318 f. 790  Vgl. Lenckner / Eisele, in: Schönke / Schröder, § 203 Rn. 33; Kargl, in: NKStGB, § 203 Rn. 70; Hoyer, in: SK‑StGB, vor § 201 Rn. 16 und § 203 Rn. 89; Schünemann, in: LK-StGB, § 203 Rn. 131 ff.; D. Bender / Schreiber, in: ethische Grundlagen in der Kinder- und Jugendpsychatrie, S. 164; Vitkas, Grenzen ärztlicher Schweigepflicht, S. 105; Eichelbrönner, Grenzen der Schweigepflicht, S.  168; D. Bender, MedR 2002, 626, 629; Rüpke, NJW 2002, 2835, 2836. 791  Ulsenheimer, in: FS Eser, S. 1225, 1235 ff., 1238; OLG München MedR 2003, 174 ff. = NJW-RR 2002, 811 ff.; vgl. J. Schmitz, Rechtfertigender Notstand, S. 48 ff. 792  Ulsenheimer, in: FS Eser, S. 1225, 1238; auf die Berufspflichten ebenfalls bei der Geheimnisoffenbarung abstellend Eichelbrönner, Grenzen der Schweigepflicht, S. 195. 793  So OLG München MedR 2003, 174, 176 ff.; zust. Ulsenheimer, in: FS Eser, S. 1225, 1238; krit. Uhlenbruck, NJW 2003, 1710, 1711; Erb, in: MüKo-StGB, § 34 Rn. 41.



B. Durchbrechungen der Schweigepflicht227

Situationen seien als rechtfertigende Pflichtenkollisionen zu behandeln, deren jeweilige Auflösung dem Gewissen des Arztes unterliege.794 Die von dieser Ansicht vorgebrachte Argumentation, dem Arzt könne nicht zugemutet werden einem sinnlosen Streben tatenlos zuzusehen,795 ließe sich ebenfalls auf die Situation desjenigen Arztes übertragen, der durch eine Einhaltung seiner Schweigepflicht „sehenden Auges“ weiteres Unrecht geschehen lassen muss. Allerdings vermag diese Ansicht aus mehreren Gründen nicht zu überzeugen. Zunächst greifen die Regeln der Pflichtenkollision für eine Zwangsrettung, gleich ob durch medizinische Behandlung oder durch Geheimnisoffenbarung, gar nicht.796 Die rechtfertigende Pflichtenkollision bezieht sich richtigerweise ausschließlich auf die Rechtfertigung eines Unterlassens.797 Die Rechtfertigung einer Rettungshandlung, die aktiv in eine fremde Rechtssphäre eingreift – wie die Offenbarung von Patientengeheimnissen aktiv in das informationelle Selbstbestimmungsrecht des Patienten eingreift – ist außerhalb von spezialgesetzlichen Offenbarungspflichten ausschließlich nach § 34 StGB zu beurteilen.798 Und im Rahmen von § 34 StGB können Standesethik, Berufspflicht und Gewissen des Arztes einen Geheimnisbruch zur Zwangsrettung des Patienten nicht rechtfertigen. So ist bereits nicht ersichtlich wie ärztliche Standesethik und Berufspflichten den Arzt zu einem Handeln entgegen dem Willen des Patienten bestimmen können. Bis zum Ende des 19. Jahrhunderts war das Verhältnis von Patient und Arzt zwar vorwiegend paternalistisch ausgestaltet, was sich an dem medizinethischen Grundsatz „salus aegroti suprema lex“ nur zu gut zeigt.799 Jedoch ist ein solches Verständnis von der ärztlichen Ethik veraltet und überholt. Die medizinische Ethik vollzog eine Entwicklung, infolge derer sich das ärztliche Handeln mittlerweile nicht mehr an den Maßstäben des Paternalismus, sondern an der Autonomie des Patienten zu orientieren hat.800 Dieses veränderte Verständ794  Ulsenheimer,

178.

795  Vgl.

in: FS Eser, S. 1225, 1238; OLG München MedR 2003, 174,

OLG München MedR 2003, 174, 176 ff., 178. in: NK-StGB, § 34 Rn. 35a. 797  Erb, in: MüKo-StGB, § 34 Rn. 41; Neumann, in: NK-StGB, § 34 Rn. 126; Rönnau, in: LK-StGB, vor § 32 Rn. 115; Engländer, in: Matt / Renzikowski, § 34 Rn. 9; Roxin, AT I, § 16 Rn. 116 ff. 798  Vgl. Neumann, in: NK-StGB, § 34 Rn. 126; Roxin, AT I, § 16 Rn. 116  ff.; Roxin, AT I, § 16 Rn. 116 ff.; Wessels / Beulke / Satzger, AT, Rn. 1035; Kühl, in: Lackner / Kühl, § 34 Rn. 15; Lenckner / Sternberg-Lieben, in: Schönke / Schröder, vor § 32 Rn.  71 f.; Röhl / Röhl, Allgemeine Rechtslehre, S. 157. 799  Seiterle, iurratio 2016, 4. 800  Vgl. Reiter-Theil, in: Ethik und Medizin, S. 353, 354; Höfling, in: Verbesserung des Menschen, S. 119 ff.; Katzenmeier, in: Laufs / Katzenmeier / Lipp, Arztrecht, 796  Neumann,

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2. Kap.: Umfang und Grenzen der ärztlichen Schweigepflicht

nis beeinflusste ebenfalls die rechtlichen Rahmenbedingungen und die Maßgaben des ärztlichen Handelns.801 Das Selbstbestimmungsrecht des Patienten soll mittlerweile den Ausgangspunkt für das gesamte Medizinrecht bilden,802 was ebenfalls für das ärztliche Berufsrecht gilt. Heutzutage gilt „salus et voluntas aegroti suprema lex“ wodurch der Wille zum gleichwertigen Gesetz für das ärztliche Handeln wird, und der „salus“ prinzipiell nicht dem „voluntas“ einer autonomen Person vorgehen kann. Dies vermag insbesondere die Bewertung der Sterbehilfe zu belegen.803 So heißt es in den von der Bundesärztekammer zur ärztlichen Sterbebegleitung verabschiedeten Grundätzen, dass der Arzt den aktuell geäußerten Willen des angemessen aufgeklärten Patienten respektieren muss, selbst wenn dieser Wille den aus ärztlicher Sicht gebotenen Diagnose- und Therapiemaßnahmen widerspricht.804 Folglich kann sich aus dem ärztlichen Berufsrecht und der Standesethik kein Gebot zum Handeln entgegen dem Willen des autonomen Patienten ergeben. Ebenso wenig dürfen „Gewissenbisse“ des Arztes zu einer vom Patienten unerwünschten Rettung führen. Das Gewissen kann im Rahmen von § 34 StGB sowieso schon nur sehr beschränkt als notstandsfähiges Individualrechtsgut anerkannt werden, da dem Notstandstäter andernfalls eine sittliche Handlungshoheit zukommen würde.805 Weiterhin geht es im Kern, wenn der Arzt meint, sein Gewissen verpflichte ihn zu einer Zwangsrettung des Patienten, wieder allein darum, zwangsweise in die Rechtsphären des Patienten zu dessen eigenem Wohl einzugreifen. Die eigenen Rechtsgüter und Interessen können dem Patienten aber gerade keine Solidaritätspflicht dahingehend auferlegen, dass er Eingriffe in seinen strafrechtlich geschützten Geheimnisschutz zu erdulden hat.806 Andernfalls würde das Selbstbestimmungsrecht des Patienten nicht die Rechte und Pflichten des Arztes begrenzen, sondern das Selbstbestimmungsrecht würde durch das Gewissen des Arztes beschränkt werden.807 V. Rn.  5 f.; Eser, ZStW 97 (1985), 1, 17 ff.; Vossenkuhl, in: Roxin / Schroth, HdB Medizinstrafrecht, S. 4. 801  Vossenkuhl, in: Roxin / Schroth, HdB Medizinstrafrecht, S. 4; Katzenmeier, Laufs / Katzenmeier / Lipp, Arztrecht, V. Rn. 5 f.; Eser, ZStW 97 (1985), 1, 17 ff. 802  Kraatz, Arztstrafrecht, Rn. 5; Seiterle, iurratio 2016, 4. 803  Putz, medstra 2015, S. 19, 21 ff. 804  Vgl. Bundesärztekammer, DÄB 2001, 346, 347. 805  Vgl. Fischer, § 34 Rn. 6; Erb, in: MüKo-StGB, § 34 Rn. 55. 806  Vgl. Neumann, in: NK-StGB, § 34 Rn. 35a, 126; Erb, in: MüKo-StGB, § 34 Fn. 59. 807  Vgl. BGHSt 11, 111, 114; Erb, in: MüKo-StGB, § 34 Fn. 59; Neumann, in: NK-StGB, § 34 Rn. 35a; J. Schmitz, Rechtfertigender Notstand, S.  48 ff.; Eser MedR 1985, 6, 15; Uhlenbruck, NJW 2003, 1710, 1711.



B. Durchbrechungen der Schweigepflicht229

Demnach scheiden kollidierende berufsrechtliche, ethische und sich aus dem Gewissen des Arztes ergebende Pflichten zur Rechtfertigung des Schweigepflichtbruches aus.808 cc) Gefahr für kollektive Rechtsgüter Externe Interessenskollisionen können ebenso dadurch entstehen, dass durch ein Verschweigen der Straftat Rechtsgüter der Allgemeinheit in Gefahr geraten.809 Obgleich aus dem Wortlaut des § 34 StGB, der bei der Notstandshilfe die Abwendung der Gefahr „von einem anderen“ voraussetzt, und dem Prinzip der Solidarität, auf dem das Notstandsrecht beruht, scheinbar abzuleiten ist, dass der rechtfertigende Notstand vorwiegend auf den Schutz individueller Rechtsgüter zugeschnitten ist, werden Rechtsgüter der Allgemeinheit von der herrschenden Meinung als notstandsfähig anerkannt.810 Denn der beispielhaften Aufzählung von Leben, Leib, Freiheit, Ehre und Eigentum kommt kein abschließender Charakter zu. Eine Berücksichtigung von kollektiven Rechtsgütern ist somit grundsätzlich möglich.811 Gleichwohl ist bei der Annahme von notstandsfähigen kollektiven Rechtsgütern, die sich nicht auf individuelle Rechtsgüter zurückführen lassen und nur unkonkrete Allgemeininteressen beschreiben, Vorsicht walten zu lassen.812 Diese vorsichtige Handhabung gebietet sich gerade in den hier in Rede stehenden Situationen, da anderenfalls zu befürchten ist, dass dem Patienten, dem Straftaten drohen, über die Konstruktion von „kollektiven Scheinrechtsgütern“ auf Umwegen doch eine Zwangsfürsorge entgegen 808  Vgl. BGHSt 11, 111, 114; Neumann, in: NK-StGB, § 34 Rn. 35a; J. Schmitz, Rechtfertigender Notstand, S. 48 ff. 809  BGH NJW 2011, 1077, 1078; Cierniak / Pohlit, in: MüKo-StGB, §  203 Rn. 88. 810  RGSt 62, 35, 46 ff.; BGH NStZ 1988, 558, 559; Erb, in: MüKo-StGB, § 34 Rn. 59; Zieschang, in: LK-StGB, § 34 Rn. 23; Fischer, § 34 Rn. 5; Roxin, AT I, § 16 Rn.  13; a. A. Günther, in: SK-StGB, § 34 Rn. 23; Engländer, in: Matt / Renzikowski, § 34 Rn. 17; Hübner, Umfang und Grenzen, S. 103; einschränkend Neumann, in: NK-StGB, § 34 Rn. 22. 811  RGSt 62, 35, 46 ff.; BGH NStZ 1988, 558, 559; Erb, in: MüKo-StGB, § 34 Rn. 59; Zieschang, in: LK-StGB, § 34 Rn. 23; Fischer, § 34 Rn. 5; Roxin, AT I, § 16 Rn.  13; a. A. Engländer, in: Matt / Renzikowski, § 34 Rn. 17; Hübner, Umfang und Grenzen, S. 103; einschränkend: Neumann, in: NK-StGB, § 34 Rn. 22. 812  Vgl. Zieschang, in: LK-StGB, § 34 Rn. 23; Neumann, in: NK-StGB, § 34 Rn. 30; Kühl, AT, § 8 Rn. 31; Schünemann, in: Hirsch / Neumann / Seelmann, Paternalismus, S. 221, 231.

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2. Kap.: Umfang und Grenzen der ärztlichen Schweigepflicht

seiner Autonomie auferlegt wird.813 Das Verhältnis von Kollektivinteressen und Geheimhaltungsschutz im Zusammenhang mit Straftaten ist darüber hinaus seit langem Gegenstand von Diskussionen.814 So stritten sich Juristen bereits vor über 100 Jahren anlässlich der „Moabiter Unruhen“, die extreme gewalttätige Auseinandersetzungen von streikenden Arbeitern, der Polizei und Streikbrechern im Berliner Stadtteil Moabit zum Gegenstand hatten, über berufsgeheimnisrechtliche Durchbrechungen zu Gunsten der Strafverfolgung.815 Und auch heute wird darüber gestritten, ob überhaupt und in welchem Umfang das Allgemeininteresse an der Verhinderung und Verfolgung von Straftaten einen ärztlichen Bruch der Schweigepflicht nach § 34 StGB rechtfertigen kann.816 (1) Durch bevorstehende Straftaten Geht es um die Verhinderung von Straftaten, stellt sich die notstandsrechtliche Lage relativ simpel dar. So sind selbstverständlich Rechtsgüter der Allgemeinheit gefährdet, wenn anzunehmen ist, dass der Täter ohne Einschaltung von Polizei oder anderen gefahrabwehrenden Behörden Straftaten anerkannte Rechtsgüter der Allgemeinheit, wie etwa die Sicherheit des Straßenverkehrs,817 schädigen wird. Sollte die Geheimnisoffenbarung erforderlich sein, darf der Arzt durch § 34 StGB sein Schweigen gerechtfertigt brechen. Geht es jedoch um Straftaten, die sich augenscheinlich nur gegen Individualrechtsgüter eines selbstbestimmungsfähigen Patienten richten, wie etwa weitere tätige Übergriffe eines gewalttätigen Familienmitglieds, können 813  Zum Einsatz von Kollektivinteressen im Strafrecht als Legitimationsstrategie Schünemann, in: Hirsch / Neumann / Seelmann, Paternalismus, S. 221, 231; Neumann, in: NK-StGB, § 34 Rn. 30. 814  Vgl. Ebermayer, JW 1910, 199 f.; ders., JZ 1910, 1219 f.; Roth, JW 1910, 130 ff.; Eichelbrönner, Grenzen der Schweigepflicht, S. 174 ff.; Theuner, Die ärzt­ liche Schweigepflicht, S. 264 ff. 815  Vgl. Ebermayer, JW 1910, 199 f.; ders. JZ 1910, 1219 f.; Roth, JW 1910, 130 ff.; Eichelbrönner, Grenzen der Schweigepflicht, S. 174 ff.; Theuner, Die ärzt­ liche Schweigepflicht, S. 264 ff.; Wiebel, Das Berufsgeheimnis, S. 93. 816  Verneinend: Kargl, in: NK-StGB, §  203 Rn. 66; Theuner, Die ärztliche Schweigepflicht, S.  264 ff.; Ulsenheimer, Arztstrafrecht, I § 8 Rn. 376; wohl auch Eichelbrönner, Grenzen der Schweigepflicht, S. 174 ff.; bejahend in Abhängigkeit zu der Schwere des Tatvorwurfes Lenckner / Eisele, in: Schönke / Schröder, § 203 Rn. 31a; generell bejahend wohl D. Bender / Schreiber, in: Ethische Grundlagen der Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie, S. 165. 817  Anerkanntermaßen ein notstandsfähiges Rechtsgut, vgl. BGH NJW 1968, 2288, 2290; Geppert, in: FS Gössel, S. 303, 311; Perron, in: Schönke / Schröder, § 34 Rn. 10.



B. Durchbrechungen der Schweigepflicht231

Rechtsgüter der Allgemeinheit wohl kaum tangiert sein. Sieht man durch solche bevorstehende Straftaten ein kollektives Rechtsgut etwa in Gestalt der „Volksgesundheit“ tangiert, hätte man ein „kollektives Scheinrechtsgut“ kreiert, um die Autonomie des Patienten zu umgehen.818 Denn die Frage, welche unter den widerstreitenden, eigenen Individualinteressen überwiegt, ist die individuelle Entscheidung des Patienten und darf auch nicht durch die Bildung von kollektiven Rechtsgütern, die angeblich durch eine Verletzung des Individualrechtsgutes verletzt werden, über § 34 StGB aufgelöst werden.819 Etwas anderes gilt jedoch – wie bereits dargestellt – nach einer weit verbreiteten Ansicht, wenn dem Patienten Tötungsdelikte drohen.820 Durch die drohende Tötung eines andern Menschen, sieht eine beachtliche Anzahl von Vertretern der Literatur das Tötungstabu und damit ein kollektives Rechtsgut in Gefahr.821 Demnach liegt auch bei einer Straftat, die allein dem Patienten bevorsteht, eine externe Interessenkollision vor, wenn es sich bei der Straftat um ein Tötungsdelikt handelt. (2) Durch begangene Straftaten Besonders schwer zu beantworten ist dagegen die Frage, ob § 34 StGB den Arzt zu Gunsten von repressiven Strafverfolgungsinteressen zu einem Schweigepflichtbruch befugt; sprich der Arzt eine begangene Straftat, von der keine Wiederholungsgefahr ausgeht, allein zur Durchsetzung des staatlichen Strafanspruchs anzeigen darf. Teilweise wird schlichtweg angenommen, staatliche Strafverfolgungsinteressen stellten ein notstandsfähiges Rechtsgut dar822 und würden den Arzt 818  Zum Einsatz von Kollektivinteressen und „Scheinrechtsgütern“ im Strafrecht als Legitimationsstrategie von direktem Paternalismus, s. Schünemann, in: Hirsch / Neumann / Seelmann, Paternalismus, S. 221, 231. 819  s. zweites Kapitel B. IV. 2. b) aa) (1); vgl. Höfling, in: Die Verbesserung des Menschen, S. 119, 124, 126. 820  s. zweites Kapitel B. IV. 2. b) aa) (2). 821  Vgl. Ingelfinger, Grenzbereiche des Tötungsverbotes, S. 181 ff.; Otto, Gutachten 56. DJT, S. 54; Erb, in: MüKo-StGB, § 34 Rn. 35; ders., in: FS Schünemann, S. 337, 345; Herzberg, NJW 1996, 3043, 3047; Neumann, in: NK-StGB, § 34 Rn. 35; ders., in: FS Herzberg, S. 575, 582; Hirsch, in: FS Lackner, S. 597, 612; Murmann, Selbstverantwortung, S.  517  ff.; Göbel, Einwilligung im Strafrecht, S.  41 ff.; Schmidt-Jortzig, ZRP, 2014, 62; a. A. Engländer, Grenzen der Nothilfe, S. 139; Jakobs, in: FS Kaufmann, S. 459, 468 f.; Schmitz, Rechtfertigender Notstand, S.  44 ff.; Schroeder, ZStW 106 (1994), 565, 567 f.; Hoerster, NJW 1986, 1786, 1792. 822  Perron, in: Schönke / Schröder, § 34 Rn. 11; ähnlich bzgl. der „Rechtspflege“ Zieschang, in: LK-StGB, § 34 Rn. 23; Lenckner / Eisele, in: Schönke / Schröder, § 203 Rn. 31a.

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2. Kap.: Umfang und Grenzen der ärztlichen Schweigepflicht

in Extremfällen zu einem Schweigepflichtbruch befugen.823 Dieser Auflassung treten jedoch nicht wenige entgegen, die meinen, staatliche Strafverfolgungsinteressen seien per se schon nicht notstandsfähig.824 Die Mehrheit der berufsgeheimnisrechtlichen Literatur entscheidet sich derweil nicht ausdrücklich für oder gegen die Notstandsfähigkeit dieser Interessen, kommt aber zu dem Ergebnis, dass der Arzt sein Schweigen allein zu Gunsten von repressiven Strafverfolgungsinteressen im Ergebnis nicht brechen darf.825 So hegt etwa Michalowski Zweifel daran, dass der staatliche Strafanspruch ein notstandsfähiges Rechtsgut ist, verweist aber darauf, dass repressive Strafverfolgungsinteressen zumindest in der Interessen- und Güterabwägung des § 34 StGB den Geheimhaltungsschutz nicht wesentlich überwiegen könnten.826 Rein repressive Strafverfolgungsinteressen – losgelöst von jedwedem präventiven Schutz – können aber schon kein notstandsfähiges Rechtsgut bilden. Obgleich § 258 StGB – unabhängig vom jeweiligen Rechtsgut der Vortat – die deutsche Strafrechtspflege zu einem strafrechtlich geschützten Rechtsgut erhebt,827 stehen der Anerkennung des staatlichen Strafanspruchs als notstandsfähiges Rechtsgut unausräumbare Probleme entgegen. Im Gegensatz zu anderen anerkannten notstandsfähigen Rechtsgütern der Allgemeinheit, wie etwa der Sicherheit des Straßenverkehrs, fungiert das rein repressive Strafverfolgungsinteresse nicht als Kollektiv für den Schutz mehrerer individueller Interessen und Rechtsgüter. In Anbetracht der von dem Notstandsrecht geforderten Gefahrenlage scheint es deswegen geradezu unmöglich auszumachen, welcher konkrete Schaden durch das Verschweigen einer Straftat, von der keine Wiederholungsgefahr ausgeht, entstehen 823  Lenckner / Eisele, in: Schönke / Schröder, § 203 Rn. 31a; Schlund, in: Laufs / Kern, HdB Arztrecht, Kp. 12 § 71 Rn. 39; Goedel, Pflichten und Berechtigungen, S. 335 f.; ebenso wohl D. Bender / Schreiber, in: Ethische Grundlagen der Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie, S. 165. 824  Hübner, Umfang und Grenzen, S. 103; Engländer, in: Matt / Renzikowski, § 34 Rn. 17; Günther, in: SK-StGB, § 34 Rn. 23; Neumann, in: NK-StGB, § 34 Rn. 31; Haffke, GA 1973, 65 ff.; Gunder, Kinder im Strafverfahren, S. 120. 825  Kawelovski, Kriminalistik 2015, 388, 389; Vitkas, Grenzen ärztlicher Schweigepflicht, S. 114; Ulsenheimer, Arztstrafrecht, I §  8 Rn.  376; Braun, in: Roxin / Schroth, Hdb Medizinstrafrecht, S. 248; Theuner, Die ärztliche Schweigepflicht, 265; Michalowski, ZStW 109 (1997), 519, 530 ff.; Schünemann, in: LKStGB, § 203 Rn. 141; Jung, SÄB 1981, 244, 248, Hoyer, in: SK-StGB, § 203 Rn. 85; Duttge, iurratio 2016, 1, 2 f.; i. E. ähnlich Grömig, BÄB 1968, 18, 21. 826  Michalowski, ZStW 109 (1997), 519, 530; wohl auch, aber i. E. unklar Eichelbrönner, Grenzen der Schweigepflicht, S. 174 ff. 827  Vgl. BGHSt 43, 82, 84; Cramer / Pascal, in: MüKo-StGB, § 258 Rn. 3; Altenhain, in: NK-StGB, § 258 Rn. 3 f.; Lüderssen / Jahn, in: LR-StPO, vor § 137 Rn. 133c; Stree / Hecker, in: Schönke / Schröder, § 258 Rn. 1.



B. Durchbrechungen der Schweigepflicht233

soll.828 Versuche die Notstandsfähigkeit von repressiven Strafverfolgungsinteressen damit zu erklären, dass ein jeder Bürger sowie die Gemeinschaft „ein Interesse daran hat, einen Verbrecher der Gerechtigkeit zu überantworten“829, gehen insoweit fehl, als dass hiermit bei einem Verschweigen der Tat allein ein vages verletztes Interesse und noch kein konkreter Schaden an einem Rechtsgut beschrieben wird. Ein weiteres Problem stellt der Umstand dar, dass nicht ersichtlich ist, wie dem staatlichen Strafanspruch in einer Interessenabwägung im Rahmen des § 34 StGB eine Wertigkeit zugeschrieben werden soll. Der Vorschlag von Lenckner / Eisele, das Gewicht des staatlichen Strafanspruchs anhand des Ausmaßes und der Schwere der begangenen Straftat zu messen, erscheint in Anbetracht der ärztlichen Zeugnisverweigerungsrechts kaum überzeugend.830 Das in § 53 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 StPO normierte ärztliche Zeugnisverweigerungsrecht ist als Ergebnis einer gesetzgeberischen Abwägung in der Frage zu verstehen, ob das repressive Strafverfolgungsinteresse den Geheimhaltungsschutz überwiegen kann.831 Würde der Gesetzgeber davon ausgehen, dass das repressive Strafverfolgungsinteresse den Geheimnisschutz in Abhängigkeit von der Schwere des Tatvorwurfs überwiegen könne, hätte er § 53 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 StPO mit Ausnahmeregelungen versehen, nach denen sich der Arzt in Verfahren wegen besonders schwereren Straftaten doch nicht auf sein Zeugnisverweigerungsrecht berufen kann.832 Dem Arzt steht sein Zeugnisverweigerungsrecht jedoch unabhängig von der Schwere des Tatvorwurfes zu.833 Des Weiteren würde die Anerkennung des repressiven Strafverfolgungsinteresses als notstandsfähiges Rechtsgut gerade in den hier in Rede stehenden Situationen paradoxerweise dazu führen können, dass der Arzt im Einzelfall eine originäre Aufgabe von staatlichen Stellen durch Begehung einer Tat fördern dürfte, die der Staat mit § 203 StGB materiell-rechtlich verhindern will.834 Der Arzt würde sich gerade in 828  Haffke,

GA 1973, 65, 69. Pflichten und Berechtigungen, S. 333; ähnlich Eichelbrönner, Grenzen der Schweigepflicht, S. 175, der das „allgemeine Interesse an der funktionsfähigen und wirkungsvollen Strafrechtspflege als notstandsfähigen Wert“ beschreibt. 830  Kit. ebenfalls Theuner, Die ärztliche Schweigepflicht, S. 265. 831  Vgl. BVerfGE 33, 367, 378; Michalowski, ZStW 109 (1997), 519, 531; Eichelbrönner, Grenzen der Schweigepflicht, S. 176; Erb, in: FS Roxin, S. 1103, 1108; Duttge, iurratio 2016, 1, 2 f. 832  Michalowski, ZStW 109 (1997), 519, 531; Eichelbrönner, Grenzen der Schweigepflicht, S. 176. 833  Michalowski, ZStW 109 (1997), 519, 531; Eichelbrönner, Grenzen der Schweigepflicht, S. 176. 834  Theuner, Die ärztliche Schweigepflicht, S.  265; Michalowski, ZStW 109 (1997), 519, 531; Eichelbrönner, Grenzen der Schweigepflicht, S. 176. 829  Goedel,

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2. Kap.: Umfang und Grenzen der ärztlichen Schweigepflicht

die berüchtigte Rolle des „Büttels der Polizei“835 begeben, die der Gesetzgeber ihm in Anbetracht von § 53 Abs. 1 Nr. 3 StPO gerade nicht zuschreiben will. Bei dem repressiven Strafverfolgungsinteresse handelt es sich folglich um ein nicht näher konkretisierbares Allgemeininteresse von derart „schwer fassbaren Größen“,836 dass bereits eine Anerkennung als notstandsfähiges Rechtsgut überzeugenderweise abzulehnen ist. c) Ergebnis zu § 34 StGB Der strafrechtliche Erlaubnistatbestand des § 34 StGB gewährt bei Vorliegen seiner Voraussetzungen dem Arzt eine fakultative Offenbarungsbefugnis zum Bruch seiner Schweigepflicht.837 Diese Befugnis darf aber nicht zu der Annahme verleiten, es stehe ebenfalls in dem Ermessen des Arztes, über das Vorliegen der Notstandsvoraussetzungen zu entscheiden. Die vorangegangene Untersuchung hat vielmehr aufgezeigt, dass § 34 StGB eine weitaus geringere Bedeutung für die Rechtfertigung der ärztliche Aufdeckung und Verhinderung von Straftaten hat, als dies teilweise dargestellt wird. Geht es um einen einwilligungsfähigen Patienten – gleich ob minderjährig oder volljährig – kommt eine Rechtfertigung des Geheimnisbruches gegen den Willen dieses Patienten grundsätzlich nur in Betracht, wenn eine externe Interessenskollision besteht. Der Erlaubnistatbestand des § 34 StGB darf nicht dazu benutzt werden, einem selbstbestimmungsfähigen Patienten die Pflicht zur Duldung einer paternalistischen Zwangsfürsorge aufzuerlegen. Ebenso wenig können das Gewissen des Arztes oder repressive Strafverfolgungsinteressen einen Schweigepflichtbruch des Arztes rechtfertigen. Allein in Ausnahmefällen, in denen durch ein Verschweigen der Tat Schäden für Individualrechtsgüter Dritter drohen, oder der Patient in Gefahr schwebt Opfer einer Tötungshandlung zu werden, steht dem Arzt ein Notstandsrecht zum Bruch der Schweigepflicht zu. Geht es um Straftaten gegen Minderjährige, geht die Entscheidung der gesetzlichen Vertreter über die Schweigepflichtentbindung dem Erlaubnistatbestand des § 34 StGB vor. Eine Ausnahme gilt zwar, wenn die gesetzlichen Vertreter ihr Vertretungsrecht konträr zum Kindeswohl ausüben oder zu 835  Vgl. Mittelbach, MDR 1956, 565 ff.; Bockelmann, in: Ponsold, Lehrbuch der gerichtlichen Medizin, S. 17; Goedel, Pflichten und Berechtigungen, S. 147; Ulsenheimer, in: Der Sachverständige im Strafrecht, S. 3, 9; Krauß, ZStW 97 (1985), 81, 84; Theuner, Die ärztliche Schweigepflicht, S. 237; Geppert, in: FS Gössel, S. 303, 311. 836  Haffke, GA 1973, 65, 69. 837  Vgl. Geppert, in: FS Gössel, S. 303, 312.



B. Durchbrechungen der Schweigepflicht235

befürchten ist, dass sie infolge bei einer Konfrontation mit diesem Verdacht dem Kind schaden werden. Gleichwohl sperrt die spezialgesetzliche Offenbarungsbefugnis des § 4 Abs. 3 S. 1 KKG den allgemeinen Rechtfertigungsgrund des § 34 StGB für die meisten Sachverhalte, in denen Kindern oder Jugendlichen weitere Schädigungen drohen. Der Erlaubnistatbestand des § 34 StGB kann zur Offenbarung einer Kindeswohlgefährdung nur zur Anwendung kommen, wenn das nach § 4 Abs. 3 S. 1 KKG zu informierende Jugendamt nicht erreichbar ist oder Gefahr im Verzug besteht und deswegen das Familiengericht oder die Polizei eingeschaltet werden muss. Geht es um andere konstitutionell einwilligungsunfähige Patienten – wie etwa unter Betreuung stehende Personen – geht die Entscheidung des gesetzlichen Vertreters über die Schweigepflichtentbindung ebenfalls § 34 StGB vor. Sollten sich die gesetzlichen Vertreter konträr zum Wohl des unter Betreuung stehenden Patienten verhalten, kann die ärztliche Geheimnisoffenbarung gegenüber dem Betreuungsgericht – oder bei Gefahr im Verzug gegenüber der Polizei – durch § 34 StGB gerechtfertigt werden, falls nicht sogar auf den mutmaßlichen Willen des Patienten abgestellt werden kann. Für alle Fallgruppen ist jedoch stets zu beachten, dass der konkrete Bruch der Schweigepflicht erforderlich – sprich das mildeste der alternativen Mittel – sein muss. Dies bedeutet, der Arzt muss vor der Verletzung seiner Schweigepflicht nach Möglichkeit versucht haben, den Patienten bzw. seine gesetzlichen Vertreter von einer Anzeige oder einer Schweigepflichtentbindung zu überzeugen. Ein sofortiger Bruch der Schweigepflicht ohne ein zuvor gescheitertes Ersuchen wird nur in Ausnahmefällen gerechtfertigt sein.

V. Zusammenfassung und Bewertung der Offenbarungsbefugnisse und -pflichten Nach Durchsicht der verschiedenen ärztlichen Offenbarungsbefugnisse und -pflichten lässt sich festhalten, dass „sicherheits- und ordnungspolitische Gründe“ per se nicht ausreichen, um eine ärztliche Unterstützung von staatlicher Ermittlungsarbeit zu rechtfertigen.838 Es wäre ein Fehler anzunehmen, es sei eine reine Gewissensentscheidung des Arztes, Geheimnisse zu Zwecken der Straftatverfolgung oder -verhinderung zu offenbaren.839 Ebenso wenig darf die Feststellung, dass ein Arzt in einem konkreten Fall 838  Eichelbrönner,

Grenzen der Schweigepflicht, S. 176 ff. diese Richtung jedoch Kl. Schmidt, Ärztliche Schweigepflicht und Sozialdatenschutz, S. 80. 839  In

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2. Kap.: Umfang und Grenzen der ärztlichen Schweigepflicht

zur Einschaltung von Behörden oder sonstigen Stellen nicht verpflichtet ist, zu der fälschlichen Annahme verleiten, dass er hierzu wohl aber berechtigt sei. Von fehlenden Pflichten darf keinesfalls auf eine Berechtigung geschlossen werden. Erkennt ein Arzt, dass sein Patient Opfer einer Straftat wurde, sind sowohl seine Pflichten als auch seine Befugnisse durch einen Bruch der Schweigepflicht die begangene Straftat aufzudecken oder eine weitere zu verhindern sehr limitiert. Eine allgemeine Plicht zur Anzeige von Straftaten ist dem deutschen Rechtssystem fremd.840 Zu Gunsten von repressiven Strafverfolgungszwecke existieren für den kurativ tätigen Arzt keine allgemeinen Offenbarungspflichten oder -befugnisse.841 Eine Durchbrechung der ärztlichen Schweigepflicht ist allein in solchen Fällen denkbar, in denen (weiteren) Straftaten oder Schäden präventiv entgegengewirkt werden kann. Bei dieser schadenspräventiven Durchbrechung der Schweigepflicht ist zunächst zu unterscheiden, ob allein dem Patient ein Schaden droht oder ob auch Dritte Opfer eines (erneuten) Angriffs werden können. Schweben Dritte in Gefahr, Opfer einer Straftat zu werden, stellt sich die berufsgeheimnisrechtliche Lage des Arztes relativ simpel dar. Hat der Arzt glaubhaft erfahren, dass jemand plant, gegen Dritte eine besonders schwere, von §§ 138, 139 Abs. 3 S. 2 StGB erfasste Tat zu begehen, ist der Arzt zur Anzeige dieser Tat gegenüber dem Bedrohten oder einer gefahrabwehrenden Behörde, sprich der Polizei, verpflichtet. Darüber hinaus kann § 34 StGB einen Bruch der ärztlichen Schweigepflicht auch dann rechtfertigen, wenn Dritten weniger schwere, nicht von § 138 StGB erfasste Straftaten oder Schäden drohen. Gilt es jedoch allein den Patienten vor weiteren Schäden zu bewahren, ist danach zu differenzieren, ob der Patient über seinen Geheimhaltungsschutz und seine durch die zu befürchtenden Schäden tangierten Rechtsgüter selbstbestimmt verfügen kann. Ist der Patient zu selbstbestimmten Entscheidungen fähig, bestehen gegen seinen Willen de lege lata nur sehr beschränkte Durchbrechungen der ärztlichen Schweigepflicht. Eine Pflicht des Arztes zur Einschaltung der Polizei besteht nach §§ 138, 139 Abs. 3 S. 2 StGB ausschließlich dann, wenn der Patient von der gegen ihn geplanten Tat entweder noch keine Kenntnis hat oder aus zeitlichen oder tatsächlichen Gründen nicht in der Lage ist den Übergriff abzuwehren. Weiß der Patient aber von der bevorstehenden Tat und kann diese theoretisch noch abwenden, will dies aber nicht, besteht keine Offenbarungspflicht des Arztes nach 840  Vgl. BGHSt 3, 65, 67; May, in: FS Paarhammer, S. 951, 957; Kohlhaas, DA 1968, 12, 14; ders., DMW 1963, 1800; Grömig, BÄB 1968, 18, 21. 841  s. zu den Ausnahmen für bestimmte Sonderfälle: erstes Kapitel C. III. u. zweites Kapitel B. IV. 2. b) cc) (1).



B. Durchbrechungen der Schweigepflicht237

§§ 138, 139 Abs. 3 S. 2 StGB.842 Anderweitige Offenbarungspflichten greifen in solchen Situationen ebenfalls nicht ein. Dem Arzt obliegt grundsätzlich keine Garantenpflicht zur Abwendung von außerhalb der Behandlung liegenden Gefahren.843 Ebenso scheidet eine Offenbarungspflicht gegenüber staatlichen Stellen nach § 323c StGB aus.844 Der Erlaubnistatbestand des § 34 StGB rechtfertigt einen Bruch der Schweigepflicht in solchen Fällen nur ausnahmsweise, da der rechtfertigende Notstand nicht zur Auflösung eines intrapersonalen Interessenkonfliktes entgegen der Entscheidung einer selbstbestimmungsfähigen Person benutzt werden darf. Eine Ausnahme liegt nur vor, wenn dem Patienten lebensbedrohliche Straftaten drohen.845 Obgleich dieses Ergebnis, insbesondere für den Bereich der häuslichen Gewalt, auf Widerstand stoßen mag, da der Arzt eine der wenigen Kontaktpersonen solcher meist schweigenden Opfer ist, welche die körperlichen Folgen solcher Taten erkennen können, muss an diesem Ergebnis aus rechtlicher Sicht festgehalten werden. Es liegt allein in der Kompetenz des betroffenen Patienten, die Vor- und Nachteile abzuwägen, die auf der einen Seite mit der Einschaltung von Polizei oder sonstigen Stellen und auf der anderen Seite mit der Geheimhaltung der Tat einhergehen. Gewiss kann dieser Vorgang am Ende Entscheidungen hervorbringen, die für viele Außenstehende objektiv unvernünftig anmuten. Aber dies rechtfertigt noch lange nicht, dem Patienten mittels ärztlicher Offenbarungsbefugnisse und -pflichten einen „Schutz vor sich selbst“ aufzuerlegen. Das Grundrecht auf freie Selbstbestimmung verhindert in seiner Schutz- und Abwehrfunktion die äußere Beeinträchtigung der autonomen Selbstentfaltung und -bestimmung.846 Zu der autonomen Selbstentfaltung und -bestimmung gehört ebenfalls die Freiheit für sich selbst „unvernünftige“ Entscheidungen zu treffen.847 Ärztliche Offenbarungsbefugnisse und -pflichten für solche Konstellationen „aus dem Boden zu stampfen“, obwohl es hierfür keine gesetzliche Grundlage und keinen Rückhalt im Gesetz gibt, würde nicht nur zu einem ungerechtfertigtem Eingriff in den Geheimnisschutz, sondern auch zu einem ungerechtfertigten Eingriff in das Grundrecht auf freie Selbstbestimmung führen.

842  s.

zweites Kapitel B. III. 1. b). zweites Kapitel B. III. 2. b) aa). 844  s. zweites Kapitel B. III. 3. 845  s. zweites Kapitel B. IV. 2. b) cc) (2). 846  Vgl. Höfling, in: Verbesserung des Menschen, S.  191, 120; Zuck, in: Quaas / Zuck, Medizinrecht, § 2 Rn. 35 ff.; Di Fabio, in: Maunz / Dürig, Art. 2 Rn.  132 ff. 847  Vgl. BGHSt 11, 111, 114; Knauf, Mutmaßliche Einwilligung S. 44 ff.; Schroth, in: FS Volk, S. 718 ff.; Roxin, AT I, § 13 Rn. 87. 843  s.

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2. Kap.: Umfang und Grenzen der ärztlichen Schweigepflicht

Etwas anderes gilt freilich, wenn der Patient (noch) nicht fähig ist, sein Recht auf Selbstbestimmung auszuüben – wie dies bei Kindern oder unter Betreuung stehenden Patienten häufig der Fall ist.848 Über die Preisgabe von Geheimnissen einwilligungsunfähiger Patienten entscheiden grundsätzlich die gesetzlichen Vertreter. Weigern sich diese den Arzt zwecks Aufklärung und Verhinderung (weiterer) Straftaten von der Schweigepflicht zu entbinden, oder unterlässt es der Arzt, sie zu befragen, weil er die gesetz­ lichen Vertreter als Verantwortliche für die Tat in Verdacht hat, können sich anderweitige Durchbrechungen der ärztlichen Schweigepflicht ergeben. Auf die mutmaßliche Einwilligung des kindlichen, einwilligungsunfähigen Straftatopfers wird der Arzt in solchen Fällen nicht zurückgreifen können – wohl aber auf die eines einwilligungsunfähigen Patienten, der zu einem früheren Zeitpunkt einen rechtlich beachtlichen Willen bilden konnte. Eine Offen­ barungspflicht obliegt dem Arzt, wenn gegen den einwilligungsunfähigen Patienten eine Tat i. S. d. §§ 138, 139 Abs. 3 S. 2 StGB geplant ist oder ausgeführt wird und der informierte gesetzliche Vertreter keine ausreichende Gewähr für die Verhinderung der Tat bietet. Eine weiterreichende Pflicht des Arztes zur Verhinderung und Anzeige von außerhalb der Behandlungssphäre liegenden, gegen den einwilligungsunfähigen kindlichen oder unter Betreuung stehenden Patienten gerichteten Straftaten besteht allerdings nicht. Obwohl dieses Ergebnis auf den ersten Blick befremdlich erscheinen mag, da sich kindliche oder unter Betreuung stehende Patienten nicht oder nur schwer weitere Angriffe verhindern können, darf hiervon angesichts der Systematik des Gesetzes und des gesetzgeberischen Willens nicht abgerückt werden. Im Laufe der Zeit wurde immer wieder gefordert, gewisse Straftaten – wie etwa Kindesmisshandlungen und -missbräuche – zur verbesserten Bekämpfung einer Anzeigepflicht zu unterwerfen. Der deutsche Gesetzgeber entschied sich jedoch trotz allen rechtspolitischen Forderungen gegen die Einführung einer solchen Pflicht.849 Und dies mit gutem Grund. Denn eine ärztliche Offenbarungspflicht hätte in vielen Fällen zur Folge, dass Eltern aus Angst vor Strafverfolgung oder falscher Verdächtigung ihr verletztes Kind nur noch zögerlich oder gar nicht mehr zum Arzt bringen würden.850 Dem verletzten Kind würde durch den Entzug der medizinischen Hilfe mehr geschadet als geholfen werden. Es kann weder dem Interesse des betroffenen Kindes noch dem der Allgemeinheit entsprechen, dass durch rechtliche OfHöfling, in: Verbesserung des Menschen, S. 191, 125. zweites Kapitel B. III. 1. a). 850  Vgl. BT-Drs. 15 / 1311, 23; BT-Drs. 17 / 6256, S. 15, 16, 19, 48; Kohlhaas, NJW 1967, 958, 959; ders., DA 1968, 12, 13; Vitkas, Grenzen ärztlicher Schweigepflicht, S. 161; BMFSFJ, Runder Tisch Sexueller Kindesmissbrauch, 2013, S. 24. 848  Vgl. 849  s.



B. Durchbrechungen der Schweigepflicht239

fenbarungspflichten eine Scheu zur Inanspruchnahme von medizinisch benötigten Leistungen erzeugt wird.851 Gerade vor diesem Hintergrund entschied sich der Gesetzgeber mit § 4 Abs. 3 S. 1 KKG dazu, ausschließlich eine ärztliche Befugnis zur Offenbarung von Kindeswohlgefährdungen gegenüber dem Jugendamt zu schaffen. Sollte das Jugendamt nicht erreichbar sein, kann der Arzt bei Gefahr im Verzug nach § 34 StGB das Familiengericht oder die Polizei einschalten, um eine Schädigung des Kindes abzuwenden. Der Erlaubnistatbestand des § 34 StGB berechtigt den Arzt ebenfalls zur Abwendung einer Gefahr für anderweitig einwilligungsunfähige Patienten, wie etwa unter Betreuung stehende oder besonders erkrankte Personen.

VI. Irrtümer und Zweifel des Arztes Die vorausgegangene Untersuchung hat aufgezeigt, in welchen Situationen und unter welchen Voraussetzungen die Schweigepflicht eines Arztes zur Verhinderung von (weiteren) Straftaten durchbrochen ist. In der Lebenswirklichkeit wird jedoch nicht selten das Problem auftreten, dass der Arzt nicht genau weiß, ob eine bestimmte situative Fallgruppe und die damit zusammenhängenden Voraussetzungen überhaupt objektiv gegeben sind. Die Feststellung der aufgezeigten Merkmale der einzelnen Offenbarungsbefugnisse und -pflichten kann sich als sehr schwierig erweisen und ist daher anfällig für Zweifel und Irrtümer des Arztes. Bereits das Vorliegen einer wirksamen Schweigepflichtentbindung ist möglicher Gegenstand einer ärztlichen Fehlvorstellung. So kann der Arzt etwa fälschlicherweise annehmen, sein minderjähriger Patient besitze die notwendige Urteils- und Einsichtsfähigkeit, um ihn eigenständig von der Schweigepflicht zu entbinden. Weiterhin ist denkbar, dass ein Arzt irrigerweise davon ausgeht, der Patient vermisse die erforderlichen Fähigkeiten, und deswegen zu Unrecht die gesetzlichen Vertreter über die Patientengeheimnisse in Kenntnis setzt, um auf Grund der von ihnen (objektiv unwirksam) erteilten Schweigepflichtentbindung zu handeln. Im ersten Fall irrt der Arzt über das Vorliegen einer wirksamen Schweigepflichtentbindung. Bricht er aufgrund dieser vermeintlich wirksamen Zustimmung des Patienten sein Schweigen, irrt der Arzt über die Tatbestandsmäßigkeit seiner Geheimnisoffenbarung.852 Der Arzt handelt gemäß § 16 Abs. 1 StGB bei dem Schweigepflichtbruch ohne Vorsatz.853 In dem zweiten 851  Grömig, BÄB 1968, 18, 21; Kohlhaas, NJW 1967, 958, 959; ders., DA 1968, 12, 13. 852  s. zweites Kapitel I. 2. a). 853  Cierniak / Pohlit, in: MüKo-StGB, § 203 Rn. 82; Weidemann, in: BeckOKStGB, § 203 Rn. 46; Muschallik, Die Befreiung, S. 91.

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2. Kap.: Umfang und Grenzen der ärztlichen Schweigepflicht

Beispielsfall liegen gleich zwei Geheimnisoffenbarungen des Arztes vor, falls der Arzt der vermeintlich wirksamen Schweigepflichtentbindung der gesetzlichen Vertreter Folge leistet. Zum einen ist in der Unterrichtung der gesetzlichen Vertreter eine Geheimnisoffenbarung zu erblicken; zum anderen stellt die darauffolgende Geheimnisoffenbarung aufgrund der vermeintlich wirksamen Schweigepflichtentbindung der gesetzlichen Vertreter einen Schweigepflichtbruch dar. Bei beiden Schweigepflichtbrüchen handelt der Arzt vorsatzlos. Geht der Arzt irrig davon aus, sein Patient besitze nicht die notwendige Urteils- und Einsichtsfähigkeit, um über seine Geheimnisse selbst zu verfügen, gehören die gesetzlichen Vertreter als Personenfürsorgeberechtigte nach seiner Vorstellung nicht zu dem Kreis der „Dritten“, gegenüber denen eine Geheimnisoffenbarung tatbestandlich überhaupt möglich ist.854 Und auch bei der zweiten Geheimnisoffenbarung unterliegt der Arzt einem Tatbestandsirrtum, da er glaubt, eine wirksame Schweigepflichtentbindung der zuständigen gesetzlichen Vertreter liege vor. Demnach lässt sich festhalten, dass Irrtümer über die Unwirksamkeit der Schweigepflichtentbindung grundsätzlich zur Tatbestandslosigkeit führen, da der Arzt in solchen Fällen keinen Vorsatz zu einem unbefugten Handeln aufweist. Da der Straftatbestand des § 203 StGB als reines Vorsatzdelikt ausgestaltet ist und eine Strafbarkeit wegen fahrlässiger Geheimnisoffenbarung nicht in Betracht kommt, führen solche Fehlvorstellungen grundsätzlich selbst dann zu einer Straffreiheit, wenn der Arzt seinen Irrtum hätte erkennen müssen. Allerdings ist die Grenze dieses Grundsatzes erreicht, wenn der Arzt seinen Irrtum nicht nur fahrlässig verkennt, sondern selbst Zweifel über die Wirksamkeit der Schweigepflichtentbindung hegt und bei einem Handeln die Unbefugtheit seiner Geheimnisoffenbarung billigend in Kauf nimmt. Denn ein bedingter Vorsatz reicht für die Verwirklichung des § 203 StGB aus.855 Unterliegt der Arzt einer Fehlvorstellung über eine sonstige rechtfertigende Pflicht oder Befugnis zur Geheimnisoffenbarung, ist zwischen dem Erlaubnistatbestandsirrtum und dem indirekten Verbotsirrtum zu unterscheiden. Irrt der Arzt über die Reichweite einer Offenbarungsbefugnis bzw. -pflicht oder gar über die Existenz einer solchen Norm, liegt ein indirekter Verbotsirrtum nach § 17 StGB vor. Als ein solcher Irrtum stellt sich etwa die fehlerhafte Annahme des Arztes dar, er dürfe jede ihm bekanntgewordene Straftat – auch ohne Wiederholungsgefahr – der Polizei melden. Die Schuld des Arztes entfällt aufgrund solcher Fehlvorstellungen nur, wenn der Irrtum für ihn unvermeidbar ist und er deswegen ohne Unrechtsbewusstsein bei der 854  s.

zweites Kapitel B. II. 3. b). in: Schönke / Schröder, § 203 Rn. 71; Kargl, in: NK-StGB, § 203 Rn. 48; vgl. BGHSt 36, 1, 9 f.; 51, 18, 23; BGH NStZ 2014, 35; Jescheck / Weigend, AT, S.  299 f.; Wessels / Beulke / Satzger, AT, Rn. 333. 855  Lenckner / Eisele,



B. Durchbrechungen der Schweigepflicht241

Geheimnisoffenbarung handelt. Ein unvermeidbarer Irrtum unterliegt indes hohen Anforderungen.856 Der Arzt darf trotz der ihm nach den Umständen, seiner Persönlichkeit sowie seinem Beruf zuzumutenden Anspannung seines Gewissens und Ausschöpfung von Erkenntnisquellen nicht fähig sein, seinen Irrtum zu erkennen.857 Zur Einhaltung seiner Schweigepflicht und Überprüfung der rechtlichen Grenzen von Offenbarungsbefugnissen und -pflichten wird dem Arzt aber Einiges zuzumuten sein. Denn die Schweigepflicht ergibt sich für ihn nicht nur aus dem Strafrecht, sondern auch aus dem Zivilrecht und Berufsrecht.858 Der genaue Umfang und die Grenzen der ärztlichen Schweigepflicht sind deswegen immer wiederkehrender Gegenstand juristischer und medizinischer Fachliteratur.859 Zugegebenermaßen lässt die rechtliche Auseinandersetzung mit ärztlichen Offenbarungsbefugnissen und -pflichten im Zusammenhang mit Straftaten, insbesondere in der medizinischen Fachliteratur, zu wünschen übrig.860 Teilweise kursieren sogar berufsgeheimnisrechtliche Empfehlungen, die rechtlich schlichtweg nicht haltbar sind. Insoweit ist eine gewisse Verunsicherung und Fehlinformation des Arztes bezüglich dieses Themas nachvollziehbar. Gleichwohl wird der Arzt – abgesehen von Eilsituationen – gehalten sein, sich rechtlichen Rat über die genaue Reichweite und die Existenz seiner Offenbarungsbefugnisse und -pflichten einzuholen.861 Unvermeidbar wird ein solcher Irrtum daher letztendlich nur selten sein. Betrifft die Fehlvorstellung des Arztes hingegen die Voraussetzungen des Eingreifens einer Offenbarungsbefugnis bzw. -pflicht im Einzelfall, so ist hierin ein Erlaubnistatbestandsirrtum zu erblicken. Nach der herrschenden Meinung führt dieser Irrtum zum Entfallen der Rechtswidrigkeit der Vor856  BGHSt 4, 236, 243; 9, 164, 172, 21, 18, 20; Sternberg-Lieben / Schuster, in: Schönke / Schröder, § 17 Rn. 13 ff.; Neumann, JuS 1993, 793, 797. 857  BGHSt 4, 236, 243; 9, 164, 172, 21, 18, 20. 858  s. erstes Kapitel A. I. u. B. 859  Vgl. exemplarisch: D. Bender / Schreiber, in: Ethische Grundlagen der Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie, S. 155 ff.; Rimpel, SÄB 1980, 353 ff. Landesärztekammer Berlin, Merkblatt, Die ärztliche Schweigepflicht; Landesärztekammer Baden-Württemberg, Merkblatt zur ärztlichen Schweigepflicht; Bundesärztekammer, DÄB 2014, 963 ff.; Michalowski, ZStW 109 (1997), 520 ff.; Eichelbrönner, Grenzen der Schweigepflicht; Vitkas, Grenzen der Schweigepflicht. 860  Unglücklich ist etwa die Darstellung von Banaschak / Madea, in: Madea, Rechtsmedizin, S. 487 ff., die neben der bundesgesetzlichen Vorschrift des § 4 KKG den Arzt trotz Art. 31 GG stets auch auf seine Rechte und Pflichten nach der landesrechtlichen Vorschrift verweisen wollen. Problematisch ist ebenfalls bei dieser Thematik nicht auf den Aspekt und die rechtlichen Konsequenzen der möglichen internen Interessenkollision einzugehen, wie etwa Hahn / Blätter, in: Ärztliches Praxishandbuch Gewalt, S. 30 f. 861  BayObLG NJW 1995, 1623, 1624.

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2. Kap.: Umfang und Grenzen der ärztlichen Schweigepflicht

satztat, da infolge eines solchen Irrtums kein vorsätzliches Unrecht verwirklicht werden kann.862 In Betracht kommt allein eine Bestrafung wegen eines Fahrlässigkeitsdeliktes. Da eine fahrlässige Verletzung der Schweigepflicht nach §§ 203, 15 StGB, wie gesagt, jedoch nicht strafbar ist, resultiert die irrtümliche Annahme des Vorliegens einer Offenbarungsbefugnis oder -pflicht damit grundsätzlich in einer Straffreiheit des Arztes. Diskutiert wird in diesem Zusammenhang aber gleichwohl, ob der Rechtsanwender – hier der Arzt – stets versuchen muss, Fehlbewertungen durch pflichtgemäßes Überprüfen der Rechtfertigungslage von vornherein zu verhindern.863 Die ältere Rechtsprechung bejahte eine solche besondere Prüfungspflicht insbesondere für Fälle des übergesetzlichen Notstandes.864 Die herrschende Literatur trat dieser Auffassung jedoch seit je her zu Recht entgegen.865 Denn dem Täter wird man aus dem Umstand, dass er die Rechtfertigungslage hätte besser überprüfen können, kein vorsätzliches Handlungsunrecht stricken dürfen. Ein solcher Vorwurf würde nämlich dem Vorwurf entsprechen, der dem Täter aufgrund eines Sorgfaltspflichtverstoßes bei einer Fahrlässigkeitstat gemacht wird.866 Das Festhalten an einer Prüfungspflicht hätte zudem das absurde Ergebnis zur Folge, dass ein Arzt, der einer solchen Prüfungspflicht nicht nachkommt, selbst dann wegen einer vorsätzlichen Tat zu bestrafen wäre, wenn die Voraussetzungen der Rechtfertigungslage objektiv vorgelegen haben und er in Kenntnis dieser Lage handelte.867 Demnach bleibt es dabei, dass der Arzt, der seine Geheimnisoffenbarung aufgrund eines Erlaubnistatbestandsirrtums für nicht rechtswidrig hält, kein vorsätzliches Unrecht verwirklicht. Hierfür muss der Arzt allerdings einer definitiven Fehlvorstellung unterliegen und darf nicht nur an den Voraussetzungen für das Eingreifen der Offenbarungsbefugnis oder -pflicht zweifeln. Nach der herrschenden Ansicht reicht nämlich grundsätzlich auch ein bedingtes Unrechtsbewusstsein für eine Strafbarkeit aus.868 Lässt es der Arzt mit seinen Zweifeln an dem 862  BGH NJW 1952, 1023; BGHSt 31, 264, 286 ff.; 45, 219, 224 ff.; 49, 34, 44; Kudlich, in: BeckOK-StGB, § 16 Rn. 24. 863  Vgl. Schüler, Zweifel über Rechtfertigungslage, S. 86 ff.; Blei, AT, § 44 V; Tachezy, Mutmaßliche Einwilligung und Notkompetenz, S. 65 ff. 864  RGSt 62, 137, 138; 63, 215, 227; 64, 101, 104; BGHSt 2, 111, 114 f.; zust. Blei, AT, § 44 V. 865  Erb, in: MüKo-StGB, § 34 Rn. 202; Schüler, Zweifel über Rechtfertigungslage, S.  92 ff.; Jakobs, AT, Abschn. 11 Rn. 24  ff.; Wessels / Beulke / Satzger, AT, Rn. 477; Jescheck / Weigend, AT, S. 330, Roxin, AT I, § 14 Rn. 83 f.; Zieschang, in: LK-StGB, § 34 Rn. 77; Lenckner / Sternberg-Lieben, in: Schönke / Schröder, vor §§ 32 Rn. 18; Knauf, Mutmaßliche Einwilligung, S. 76 ff. 866  Roxin, AT I, § 14 Rn. 84; Lenckner / Sternberg-Lieben, in: Schönke / Schröder, vor §§ 32 Rn. 18; Knauf, Mutmaßliche Einwilligung, S. 76. 867  Schüler, Zweifel über Rechtfertigungslage, S. 94.



B. Durchbrechungen der Schweigepflicht243

Eingreifen der Offenbarungsbefugnis oder -pflicht auf die Widerrechtlichkeit der Geheimnisoffenbarung ankommen, handelt er vorsätzlichrechtswidrig.869 Bei der Beurteilung von Offenbarungsbefugnissen und -pflichten, deren Eingreifen von einem Wahrscheinlichkeitsurteil abhängt, wird der Arzt jedoch dadurch entlastet, dass die Voraussetzungen der Rechtfertigungsgründe trotz eines gewissen Grades an Unsicherheiten erfüllt sein können.870 So besteht der Rechtfertigungsgrund der mutmaßlichen Einwilligung aus einem Wahrscheinlichkeitsurteil über das Übereinstimmen mit dem Willen des Betroffen.871 Ebenso erfordert das Merkmal der Gefahr bzw. Gefährdung, das in § 4 Abs. 3 S. 1 KKG und § 34 StGB zu finden ist, ein Prognoseurteil.872 Unsicherheiten des Arztes, etwa dahingehend, ob der in Rede stehende Patient am Ende tatsächlich erneut Opfer ein weiteren Übergriffs werden wird, stehen dem Eingreifen von § 4 Abs. 3 S. 1 KKG und § 34 StGB daher gar nicht entgegen, wenn die potentiellen Schäden entsprechend hoch sind und ein weiteres Abwarten die Rettungschancen minimieren würde.873 Wahrscheinlichkeitshaltige Rechtfertigungsgründe können somit auch den Schweigepflichtbruch eines zweifelnden Arztes rechtfertigen, soweit der Arzt trotz seiner Zweifel subjektiv von solchen Wahrscheinlichkeiten ausgeht, die von dem erlaubten Anteil an Unsicherheit abgedeckt sind.874

868  BGHSt 4, 1, 4; BGH NStZ 1996, 236, 237; Heuchemer, in: BeckOK-StGB, § 17 Rn. 11; Sternberg-Lieben / Schuster, in: Schönke / Schröder, § 17 Rn. 5a; Fischer, § 17 Rn. 5; Jescheck / Weigend, AT, S. 454 f. Teilweise wird in solchen Fällen eine entsprechende Anwendung des § 17 StGB, aber auch eine Strafmilderung oder Straflosigkeit unter dem Gesichtspunkt der Unzumutbarkeit vorgeschlagen vgl. Roxin, AT I, § 21 Rn. 34; Neumann, in: NK-StGB, § 17 Rn. 33 f.; ders., JuS 1993, 793, 795 f.; Warda, in: FS Welzel, S. 409, 504 ff.; Leite, GA 2012, 688, 696 ff.; Vogel, in: LKStGB, § 17 Rn. 28; ebenso anderer Lösungsansatz bei Frister, in: FS Rudolphi, S.  45, 52 ff. 869  Vgl. BGHSt 4, 1, 4; BGH NStZ 1996, 236, 237; Sternberg-Lieben / Schuster, in: Schönke / Schröder, § 17 Rn. 5a. 870  Vgl. Roxin, AT I, § 14 Rn. 90 ff. 871  BGH NZS 2013, 553, 554 f.; Roxin, AT I, § 14 Rn. 88; Wessels / Beulke / Satzger, AT, Rn. 571; Tachezy, Mutmaßliche Einwilligung und Notkompetenz, S. 66 f. 872  Vgl. Schüler, Zweifel über Rechtfertigungslage, S. 58; Roxin, AT I, § 14 Rn. 88; Erb, in: MüKo-StGB, § 34 Rn. 81. 873  Vgl. Schüler, Zweifel über Rechtfertigungslage, S. 57 ff.; Roxin, AT I, § 14 Rn.  88 f. 874  Vgl. Schüler, Zweifel über Rechtfertigungslage, S. 94; Tachezy, Mutmaßliche Einwilligung und Notkompetenz, S. 67; Frister, in: FS Rudolphi, S. 45, 50.

Drittes Kapitel

Die besondere Situation der Forensischen Ambulanzen Nachdem zuvor untersucht und herausgearbeitet wurde, wie es sich mit der Schweigepflicht eines kurativ tätigen Arztes in Bezug auf die Verhinderung und Aufklärung von Straftaten verhält, ist im Folgenden auf die besondere Situation der Forensischen Ambulanzen einzugehen. Das Augenmerk soll dabei vorwiegend auf der Mainzer Ambulanz liegen, da diese eine der ältesten1 und meist frequentierten2 unter den Einrichtungen dieser Art darstellt.

A. Begrifflichkeit, Tätigkeitsbereich und Abgrenzung von anderen Einrichtungen Bereits das Erfassen von Begrifflichkeit und Tätigkeitsbereich der Forensischen Ambulanzen bereitet Schwierigkeiten. So ist der Begriff der „Foren1  Erste Untersuchungszahlen von Gewaltopfern in Mainz sind ab dem Jahr 2002 festgehalten worden. Rechtlich institutionalisiert wurde die Forensische Ambulanz in Mainz im Jahre 2007, vgl. Anlage: Auszug aus der Präsentation der Behördenleitertagung zur Forensischen Ambulanz, Folie 19. Gleichwohl gilt das Hamburger Projekt allgemein als Vorreiter in diesem Bereich, vgl. Wilsdorf, HÄB 2003, 560; Laudon, Strafakte.de, Gewaltopferambulanzen, v. 19.08.2013. Die Rechtsmedizinische Untersuchungsstelle in Hamburg startete seine Modellprojekt-Phase im Jahr 2003, vgl. Seifert / Heinemann, in: Modellprojekt, S. 27. In Münster existiert die Einrichtung der sogenannten Rechtmedizinischen Ambulanz seit 2008 (Schriftliche Auskunft der Rechtsmedizinischen Ambulanz des Universitätsklinikums Münster auf Anfrage). Das Münchener Klinikum eröffnete 2010 die Einrichtung der Gewaltopferambulanz und 2011 die der Kinderschutzambulanz (vgl. Mützel / Oehme / Zinka / Helmreich / Schöpfer /  Wingenfeld / Graw, Präsentation Gewaltopferschutz-ambulanz Mün­chen Präsentation der Opferschutzambulanz München, Folie 4). 2  550 Untersuchungsanfragen / -aufträge gingen 2009 bei der Forensischen Ambulanz in Mainz ein (vgl. Anlage: Auszug aus der Präsentation der Behördenleitertagung zur Forensischen Ambulanz, Folie 19). Zum Vergleich: zwischen dem 17.05.2010 und dem 06.06.2011 hatte die „Schutzambulanz“ Fulda mit 141 Personen Kontakt (vgl. Blättner / Krüger / Grewe, Schutzambulanz Fulda, S. 10). Die Münchner Gewaltopferambulanz untersucht laut eigenen Angaben auf Nachfrage pro Jahr ca. 60–70 Kinder und Jugendliche und 40–50 Erwachsene. Obgleich sich die Datenquellen der unterschiedlichen Ambulanzen aufgrund der unterschiedlichen Erhebungsverfahren und der unterschiedlichen Angebotsspektren nur bedingt miteinander vergleichen lassen.



A. Begrifflichkeit, Tätigkeitsbereich und Abgrenzung245

sischen Ambulanz“, wie ihn die Mainzer Ambulanz verwendet, schon keine feststehende Bezeichnung. Als „Forensische Ambulanz“ wird ebenfalls eine in § 68a Abs. 7, 8 und § 68b Abs. 2 S. 3 StGB beschriebene Einrichtung des Maßregel- und Strafvollzugs sowie der Führungsaufsicht bezeichnet. Wenn auch namensgleich, darf diese Art der Einrichtung nicht mit den hier zu untersuchenden Forensischen Ambulanzen verwechselt werden. Forensische Ambulanzen im Sinne der § 68a Abs. 7 und § 68b Abs. 2 S. 3 StGB fungieren als Untersuchungs-, Behandlungs- und Kontrolleinrichtungen für potentiell gefährliche Straftäter.3 Die hier in Rede stehenden Forensischen Ambulanzen verstehen sich dagegen als eine forensische und beratende Anlaufstelle für Straftatopfer und kurativ tätige Ärzte. Eine einheitliche Bezeichnung für diese auf Opferschutz ausgerichteten Einrichtungen hat sich bis dato noch nicht durchgesetzt. Andere Universitätskliniken führen ihre Ambulanzen unter Namen wie „Gewaltopferambulanz“ oder „Schutzambulanz“. Ebenso wenig ergibt sich der Tätigkeitsbereich der Forensischen Ambulanzen aus rechtlichen Bestimmungen. Es existieren weder Gesetze noch Satzungen, die die Aufgaben und Kompetenzen dieser Einrichtungen reglementieren.4 Die einzelnen Ambulanzen weisen sich ihre Aufgaben vielmehr selbst mittels eines individuellen, meist nicht-verschriftlichten Konzeptes zu. Die Konzepte der verschiedenen Ambulanzen scheinen jedoch weitestgehend übereinzustimmen und auf einem homogenen Grundverständnis zu basieren.5 Denn allen Forensischen Ambulanzen ist gemein, dass sie sich als eine Beratungs-, und Anlaufstelle verstehen, die Straftatopfern sowie kurativ tätigen Ärzten zur Verfügung steht.6 Das Hauptaugenmerk liegt dabei auf dem Ziel, Opfern von Gewalt- und Sexualstraftaten eine informelle, meist kostenlose aber gleichwohl gerichtsverwertbare Dokumentation der Verletzungsfolgen sowie Erfassung und Asservierung von Beweisstücken und Tatspuren zu bieten.7 Diese forensische Befunderhebung und -dokumentation ermöglicht es, 3  Groß, in: MüKo-StGB, § 68a Rn. 8  f.; Heuchemer, in: BeckOK-StGB, § 68a Rn. 8a; Stree / Kinzig, in: Schönke / Schröder, § 68a Rn. 10a; Landtag Rheinland-Pfalz Plenarprotokoll, 15 / 58, S. 3589. 4  Nach Angaben der Forensischen Ambulanzen in Hamburg, Mainz, München, Münster bestehen keine Satzungen. 5  Vgl. Banaschak / Gerlach / Seifert / Bockholdt / Graß, Rechtsmedizin 2014, 405; Graß / Rothschild, Rechtsmedizin 2004, 188; Seifert / Anders / Schröer / Gehl / Heinemann / Püschel, Rechtsmedizin 2004, 182; Mützel / Helmreich / Schick / Saß / Schöpfer, Rechtsmedizin 2014, 200; Stoppt Gewalt gegen Kinder, Leitfaden, S. 28. 6  Vgl. Banaschak / Gerlach / Seifert / Bockholdt / Graß, Rechtsmedizin 2014, 405; Graß / Rothschild, Rechtsmedizin 2004, 188; Seifert / Anders / Schröer / Gehl / Heinemann / Püschel, Rechtsmedizin 2004, 182. 7  Vgl. Blättner / Krüger / Grewe, Schutzambulanz Fulda, S. 7 f.; Seifert / Heinemann, in: Modellprojekt, S. 23 ff.; Banaschak / Gerlach / Seifert / Bockholdt / Graß, Rechtsme-

246

3. Kap.: Die besondere Situation der Forensischen Ambulanzen

dass ein rechtsmedizinisches Gutachten selbst dann noch angefertigt werden kann, wenn sich das Opfer erst Monate oder Jahre nach der Tat zu einem rechtlichen Vorgehen gegen den Täter entschließt. Derartige Befunderhebungen und -dokumentationen stellen geradezu klassische rechtsmedizinische Tätigkeiten dar. Die Disziplin der Rechtsmedizin befasst sich mit der Entwicklung, Anwendung und Beurteilung medizinischer und naturwissenschaftlicher Kenntnisse für die Rechtspflege.8 Der Umstand, dass die Forensischen Ambulanzen die Befunderhebung und -dokumentation an lebenden Personen durchführen, ändert an der Zugehörigkeit dieser Tätigkeit zur rechtsmedizinischen Disziplin nichts. Obgleich die Leichenöffnung, auch Obduktion genannt, in der Öffentlichkeit nicht selten als einzige oder primäre Tätigkeit der Rechtsmedizin wahrgenommen wird, erschöpft sich hierin keineswegs ihr Aufgabenfeld.9 Der hohe Anteil von Obduktionen in der Gesamttätigkeit der Rechtsmedizin erklärt sich vielmehr dadurch, dass nach der StPO eine Leichenöffnung – wobei einer der durchführenden Ärzten entweder ein Gerichtsarzt oder ein Leiter bzw. ein von ihm beauftragter Arzt eines öffentlichen gerichtsmedizinischen Instituts sein muss – auf Antrag der Staatsanwaltschaft von einem Richter üblicherweise angeordnet wird, sobald eine strafbare Handlung als Todesursache nicht von vornherein ausgeschlossen werden kann.10 Die Disziplin der dizin 2014, 405; Graß / Rothschild, Rechtsmedizin 2004, 188; Stoppt Gewalt gegen Kinder, Leitfaden, S. 28; Flyer der Gewaltopferambulanz Münster: http: / / klinikum. uni-muenster.de / fileadmin / ukminternet / daten / institute / rechtsmedizin / Gewalt-op ferambulanz_A5_K1.pdf (05.02.16); Handout der Schutzambulanz Fulda http: / /  schutzambulanz-fulda. de / wp-content / uploads / 140820_Schutzambulanz. pdf (05.02. 16); Website der Gewaltopferambulanz in Leipzig: http: / / www. gegen-gewalt-leipzig. de / ?Hilfsangebote:Opfer:Rechtsmedizin (05.02.16). 8  Madea / Wiegand / Mußhoff, in: Madea, Rechtsmedizin, S.  4; R. Becker / Wecker, ZKJ 2011, 452, 453; Gerchow, in: FS Schmidt-Leichner, S. 67; Duden, Wörterbuch medizinischer Fachbegriffe, „Rechtsmedizin“; Definition des 30. Gebiet der Weiterbildungsordnung für die Ärztinnen und Ärzte in Rheinland-Pfalz. Das Fachgebiet der Rechtsmedizin darf nicht mit der Pathologie verwechselt werden, auch wenn diese Disziplinen im allgemeinen Sprachgebrauch oft gleichgesetzt werden. Die Pathologie gilt als medizinische Disziplin, die durch die Morphologie bezogene Beurteilung von Untersuchungsgut oder durch Obduktion mit der Erkennung von Krankheiten, ihrer Entstehung und ihrer Ursachen befasst und damit zugleich der Beratung und Unterstützung der in der Behandlung tätigen Ärzte dient (vgl. Definition des 23. Gebiet Pathologie der Weiterbildungsordnung für die Ärztinnen und Ärzte in Rheinland-Pfalz; Frahm / Kellner / Krams / Mawrin, Pathologie, S. 19; Duden, Wörterbuch medizinischer Fachbegriffe, „Pathologie“). 9  Seifert / Andres / Schröer / Gehl / Heinemann / Püschel, Rechtsmedizin 2004, 182, 186; Madea / Wiegand / Mußhoff, in: Madea, Rechtsmedizin, S. 5; Taupitz, MedR 1999, 95. 10  Vgl. Pfeiffer, StPO § 87 Rn. 1; Senge, in: KK, § 87 Rn. 4  ff.; Rogall, in: SK-StPO, § 87 Rn. 18; Kl. Müller, Der Sachverständige, Rn. 134. Dies bedeutet



A. Begrifflichkeit, Tätigkeitsbereich und Abgrenzung247

Rechtsmedizin beschäftigt sich darüber hinaus aber noch mit weiteren Aufgaben. Ein spezielles Aufgabenfeld, das sich ausschließlich mit der Anwendung von rechtsmedizinischen Fertigkeiten auf lebende Personen befasst, ist die sogenannte Klinische Rechtsmedizin.11 Dieser rechtsmedizinische Tätigkeitsbereich beinhaltet vor allem die Untersuchung und Begutachtung von (potentiellen) Tatopfern und Tätern. Eine kurative Behandlung gehört der Disziplin der Klinischen Rechtsmedizin jedoch nicht an. Tatverdächtige werden von den Rechtsmedizinern auf ihre Fahrtüchtigkeit, Schuld-, Gewahrsams-, Haft- und Verhandlungsfähigkeit untersucht und begutachtet.12 Straftatopfer werden in der Klinischen Rechtsmedizin hingegen meist auf Spuren der Tat untersucht, um diese zu sicheren und die Befunde einer anschließenden Begutachtung zu unterziehen.13 Die Forensischen Ambulanzen haben sich mit ihrer Angebotsstruktur auf die forensische Untersuchung von Straftatopfern beschränkt und spezialisiert. Ihre Tätigkeit entspricht somit einem Teilbereich der Klinischen Rechtsmedizin. Neuartig ist jedoch, dass diese forensische Untersuchung der Gewalt- und Sexualopfer ohne Beteiligung der Justiz erfolgt.14 Zwar ist die Beauftragung von Rechtsmedizinern nicht ausschließlich dem Staat vorbehalten – so werden Rechtsmediziner unter anderem von Versicherungen zur Klärung von Unfallhergängen oder von Privatpersonen für Vaterschaftsfeststellungen beauftragt.15 Nichtsdestotrotz wird die Rechtsmedizin zur Aufklärung von strafrechtlichen Sachverhalten klassischerweise von der Justiz beauftragt.16 Die rechtsmedizinische Untersuchung eines Straftatopfers ergeht hierbei meist die Notwendigkeit der Hinzuziehung eines rechtsmedizinischen Instituts einer Universitätsklinik, vgl. Madea / Wiegand / Mußhoff, in: Madea, Rechtsmedizin, S. 7. Unter einem Gerichtsarzt versteht man im Gegensatz zu einem Rechtsmediziner streng genommen einen Amtsarzt, seinen Stellvertreter oder einen mit der Gerichtsarzttätigkeit beauftragten Arzt, der dem Gesundheitsamt als haupt- oder nebenamt­ licher Arzt eingegliedert ist oder über die erforderlichen Fachkenntnisse verfügt. Der Begriff wird jedoch informell auch als Überbegriff für einen Facharzt für Rechtsmedizin bzw. ein an einem Institut für Rechtsmedizin tätigen Arzt verwendet, vgl. Ma­ dea / Tag / Pollak / Zollinger, in: Madea, Die ärztliche Leichenschau, S. 61. 11  Dettmeyer / Schütz / Verhoff, Rechtsmedizin, S. 117; Pollak, in: Grassberger /  Yen / Türk, Klinisch-forensische Medizin, S. 4; Graß / Rothschild, Rechtsmedizin 2004, 188. 12  Dettmeyer / Schütz / Verhoff, Rechtsmedizin, S.  117 ff.; Pollak, in: Grassberger /  Yen / Türk, Klinisch-forensische Medizin, S. 4. 13  Dettmeyer / Schütz / Verhoff, Rechtsmedizin, S.  117 ff.; Pollak, in: Grassberger /  Yen / Türk, Klinisch-forensische Medizin, S. 4. 14  Graß / Rothschild, Rechtsmedizin 2004, 188. 15  R. Becker / Wecker, ZKJ 2011, 452, 453; vgl. Madea / Wiegand / Mußhoff, in: Madea, Rechtsmedizin, S. 4. 16  Vgl. Dettmeyer, in Grassberger / Yen / Türk, Klinisch-forensische Medizin, S. 34, 39.

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3. Kap.: Die besondere Situation der Forensischen Ambulanzen

meist nach Maßgabe des § 81c StPO.17 Die Forensischen Ambulanzen erheben und dokumentierten die Befunde jedoch – trotz ihrer Beweiserheblichkeit – ohne Partizipation der Strafverfolgungsbehörden oder der Gerichte.18 Das Straftatopfer soll sich auch nach der forensischen Befunddokumentation und -erhebung frei entscheiden können, ob es die Tat bei den Strafverfolgungsbehörden überhaupt anzeigen will. Neuartig ist zudem, dass die Forensischen Ambulanzen Beratungs- und Öffentlichkeitsarbeiten ausführen, welche sich ebenfalls von der klassischen Disziplin der Klinischen Rechtsmedizin unterscheiden. So können Straftatopfer bei den Forensischen Ambulanzen meist ein interdisziplinäres Beratungsangebot im Hinblick auf weiterführende medizinische und psychosoziale Betreuung in Anspruch nehmen.19 Ferner richten sich die Forensischen Ambulanzen mit einem konsiliarischen Beratungsangebot an kurativ tätige Ärzte, um ihnen bei der forensischen Befunderhebung, -dokumentation und -bewertung zu helfen.20 Weiterhin verstehen es die Forensischen Ambulanzen als ihre Aufgabe durch Informationsveranstaltungen und Herausgabe von Informationsmaterial Ärzte, Kliniken und sonstige Einrichtungen für die Anzeichen von Sexual- und Gewaltstraftaten zu sensibilisieren. Demnach bleibt festzuhalten, dass die Forensischen Ambulanzen – obgleich sie in ihrer Tätigkeit Schnittpunkte zur Disziplin der Klinischen Rechtsmedizin aufweisen, eigene, neuartige Aufgabenfelder an sich gezogen haben.

B. Organisation der Forensischen Ambulanz am Beispiel Mainz Organisatorisch gehören die meisten Forensischen Ambulanzen einem rechtsmedizinischen Institut einer Universitätsklinik an.21 So auch die Forensische Ambulanz in Mainz. Als Teil des Instituts für Rechtsmedizin 17  Vgl. Kl. Müller, Der Sachverständige, Rn. 607  ff.; Ulrich, Der gerichtliche Sachverständige, Rn.  431 ff.; Senge, in: KK, § 81c Rn. 1 ff. Kernbach-Wighton et al, in: Madea, Rechtsmedizin, S. 480. 18  Graß / Rothschild, Rechtsmedizin 2004, 188. 19  Seifert / Andres / Schröer / Gehl / Heinemann / Püschel, Rechtsmedizin 2004, 182, 183. 20  Todt / Maciuga / Debertin, Rechtsmedizin 2014, 401, 402. 21  Ausnahme: „Schutzambulanz“ Fulda, die jedoch in Kooperation mit einem rechtsmedizinischen Institut und unter Trägerschaft des hessischen Ministeriums für Soziales und Integration und des Landkreises Fulda steht, vgl. Blättner / Krüger / Grewe, Schutzambulanz Fulda, S. 7 f.; Handout der Schutzambulanz Fulda http: / / schutzambulanz-fulda. de / wp-content / uploads / 140820_Schutzambulanz. pdf (05.02.16).



C. Recht der Tätigkeit der Forensischen Ambulanzen249

gehört sie seit 2009 dem Universitätsklinikum der Johannes GutenbergUniversität an, welches sich in Trägerschaft des Landes Rheinland-Pfalz befindet.22 Der Forensischen Ambulanz kommt in dieser Organisationsform keinerlei Selbstständigkeit zu. Dies gilt bereits in Bezug auf ihr Personal. Die in der Forensischen Ambulanz tätigen Rechtsmediziner und Mitarbeiter sind ebenfalls in dem Institut für Rechtsmedizin tätig.23 Des Weiteren vertritt der Direktor des rechtsmedizinischen Instituts die Forensische Ambulanz nach außen24 und bestimmt den Inhalt ihrer Tätigkeit.25 Die Forensische Ambulanz ist zudem keiner separaten Aufsicht des Klinikvorstandes unterworfen, sondern unterliegt ausschließlich im Rahmen der Gesamttätigkeit des Instituts für Rechtsmedizin der Kontrolle des Universitätsklinikums.26 Die Forensischen Ambulanzen bilden somit meist einen rechtlich und organisatorisch unselbstständigen Teil eines Instituts für Rechtsmedizin. Ihre Tätigkeit unterscheidet sich jedoch von den Aufgaben, die der Rechtsmedizin typischerweise im Zusammenhang mit der Untersuchung von Straftatopfern zukommen.

C. Recht der Tätigkeit der Forensischen Ambulanzen Wie die beschriebene „zwitterhafte“ Stellung der Forensischen Ambulanzen rechtlich zu bewerten ist, ist alles andere als klar; weswegen im Folgenden zu ergründen gilt, welches Recht für die Tätigkeit der Forensischen Ambulanzen – insbesondere bei der Erfassung, Dokumentation und Sicherung der Tatspuren – einschlägig ist.

22  Im Jahr 2009 wurde dem sog. „Integrationsmodell“ folgend der universitäre Fachbereich Medizin (dem auch die Rechtsmedizin und die Forensische Ambulanz angehörten) mit dem Klinikum zu der Körperschaft „Universitätsklinikum der Johannes Gutenberg-Universität“ zusammengeführt; vgl. Plenarprotokoll, Landtag Rheinland-Pfalz 15 / 49, S. 2998; § 1 des Universitätsklinik Mainz Gesetzes (UMG); Houben, Rechtsformen des Universitätsklinikums, S. 109; Wissenschaftsrat, Empfehlungen zur Struktur der Hochschulmedizin, Drs. 4104 / 99, S. 114. 23  Auskunft der Forensischen Ambulanz in Mainz durch Prof. Dr. Dr. Urban; so auch in anderen Ambulanzen: vgl. Banaschak / Gerlach / Seifert / Bockholdt / Graß, Rechtmedizin 2014, 405; Wilsdorf, HÄB 2003, 560. 24  Auskunft der Forensischen Ambulanz in Mainz durch Prof. Dr. Dr. Urban. 25  Auskunft der Forensischen Ambulanz in Mainz durch Prof. Dr. Dr. Urban. 26  Auskunft der Forensischen Ambulanz in Mainz durch Prof. Dr. Dr. Urban; vgl. Houben, Rechtsformen des Universitätsklinikums, S. 110.

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3. Kap.: Die besondere Situation der Forensischen Ambulanzen

I. Strafprozessrecht und Justizvergütungsund -Entschädigungsgesetz Wie bereits angesprochen, werden Rechtsmediziner bei der Befunddokumentation und -erhebung von Tatspuren normalerweise als Sachverständige für die Justiz tätig. Ihre Beauftragung erfolgt im Ermittlungsverfahren – in Fällen ohne Richtervorbehalt – durch die Staatsanwaltschaft oder Polizei oder im späteren gerichtlichen Verfahren durch das Gericht nach §§ 73 ff. StPO.27 Zu den Aufgaben eines rechtsmedizinischen Sachverständigen kann dabei zählen, die fehlende Sachkunde der Justiz abstrakt auszugleichen, einen konkreten Sachverhalt zu bewerten oder gar eine bestimmte Befundtatsache erst zu ermitteln.28 Hierbei halten die Rechtsmediziner bestimmte Rechte inne, sind aber auch gegenüber ihrem Auftraggeber verpflichtet.29 Ihre Sachverständigentätigkeit richtet sich nach den einschlägigen Vorschriften der StPO – bei der Untersuchung von Straftatopfern nach § 81c StPO – und wird nach dem Justizvergütungs- und -entschädigungsgesetz (JVEG) vergütet.30 Die Frage die es zu beantworten gilt ist jedoch, wie eine Person zu einem Sachverständigen im Sinne der StPO wird. Teilweise wird zur Abgrenzung zu dem Beweismittel des Zeugens darauf abgestellt, dass der Sachverständige im Gegensatz zu einem Zeugen „austauschbar“ sei.31 Dieses Kriterium kann aber eben nur die beiden Arten der personalen Beweismittel voneinander abgrenzen. Es vermag nicht zu erklären, infolge welcher konstitutiven Voraussetzungen eine Person zum Sachverständigen wird. Hierfür bietet sich vielmehr an, auf die Beauftragung als konstitutives Kriterium abzustellen.32 27  Senge, in: KK, § 73 Rn. 1; Monka, in: BeckOK-StPO, § 73 Rn. 1; Pfeiffer, StPO, § 73 Rn. 1; a. A. Krause, LR-StPO, vor § 73 Rn. 2. 28  Kühne, Strafprozessrecht, Rn. 857; Trück, in: MüKo-StPO, § 72 Rn. 3; Kl. Müller, Der Sachverständige, Rn. 5 ff.; Ulsenheimer, in: Der Sachverständige im Strafrecht, S. 3, 4; Tag, in: Madea, Rechtsmedizin, S. 24; Toepel, Sachverständigenbeweis, S.  371 ff.; Eisenberg, Beweisrecht der StPO, Rn. 1500 ff.; Krause, LR-StPO, vor § 72 Rn.  9 f.; Senge, in: KK, vor § 72 Rn. 1 f., Gerchow, in: FS Schmidt-Leichner, S. 67. 29  Vgl. BGHSt 3, 27, 28; 7, 238, 239; 9, 292, 293; 13, 1, 4; Kl. Müller, Der Sachverständige, Rn. 3; Kühne, Strafprozessrecht, Rn. 856; Ulsenheimer, in: Der Sachverständige im Strafrecht, S. 3, 9; Ulrich, Der gerichtliche Sachverständige, Rn. 2, Rn. 334 ff.; krit. gegenüber dem Begriff des Gehilfen: Schreiber, in: AK-StPO, vor § 72 Rn. 1; Eisenberg, Beweisrecht der StPO, Rn. 1566 ff.; Beier / Bosinski / Loewit, Sexualmedizin, S. 506. 30  Binz, in: Binz / Dörndorfer, JVEG § 1 Rn. 5; Heberer, Das ärztliche Berufsund Standesrecht, S. 396; R. Becker / Wecker, ZKJ 2011, 452, 455. 31  Senge, in: KK, vor § 72 Rn. 7. 32  Vgl. BGH NStZ 2011, 356, 357; Beulke, Strafprozessrecht, Rn. 197; Kühne, Strafprozessrecht, Rn. 858; Trück, in: MüKo-StPO, § 72 Rn. 21; Toepel, Sachver-



C. Recht der Tätigkeit der Forensischen Ambulanzen251

Dieser fehlt den Rechtsmedizinern der Forensischen Ambulanzen zum Zeitpunkt der Untersuchung der Gewalt- und Sexualstraftatopfer. Obgleich die Forensischen Ambulanzen meist einem rechtsmedizinischen Institut angehören und in ihr dieselben Rechtsmediziner tätig sind, die üblicherweise im Auftrag des Gerichts handeln, kann ohne konkreten Auftrag keine Sachverständigeneigenschaft der Rechtsmediziner bei Wahrnehmung der damit verbundenen Geheimnisse vorliegen. Ebenso wenig können die Rechtsmediziner rückwirkend für den Zeitpunkt der Untersuchung zu Sachverständigen werden, falls die Justiz die gesicherten Befundtatsachen in einem späteren Strafprozess gegen den Beschuldigten einführt. Soll der Rechtsmediziner der Forensischen Ambulanz in einem späteren Verfahren eine über seine getroffenen Feststellungen aussagen und wird anschließend vom Gericht aufgefordert sich gutachterlich zu äußern, wird er ab diesem Moment zum Sachverständigen.33 In Bezug auf die getroffenen Feststellungen bleibt er aber gleichwohl lediglich sachverständiger Zeuge.34 Die Vorschriften der Strafprozessordnung über den Sachverständigen können folglich nicht auf die forensische Tätigkeit zum Zeitpunkt der Untersuchung Anwendung finden. Eine nachträgliche Billigung einer forensischen Befunderhebung und -do­ kumentation kann ebenso wenig einen Anspruch auf Vergütung nach dem JVEG begründen. Da der Justizhaushalt nur aufgrund einer zumindest mittelbaren Beteiligung der zuständigen Stellen belastet werden soll, müssen die zuständigen Behörden oder Gerichte bereits zum Zeitpunkt der Kostenentstehung aktiv beteiligt sein.35 Somit unterscheidet sich die Befunderhebung und -dokumentation der Forensischen Ambulanzen rechtlich von der Tätigkeit, die die Rechtsmedizin klassischerweise im Zusammenhang mit der Aufklärung von Straftaten ausübt.

ständigenbeweis, S.  265 ff.; Schmitt, in: Meyer-Goßner / Schmitt, § 85 Rn. 3; Rogall, in: SK-StPO, § 85 Rn. 11 ff.; Ulrich, Der gerichtliche Sachverständige, Rn. 16 ff.; Kl. Müller, Der Sachverständige, Rn. 507c ff. 33  BGH NStZ 1985, 182; Ulrich, Der gerichtliche Sachverständige, Rn.  30; Krause, in: LR-StPO, § 85 Rn. 2; Tag, in: Madea, Rechtsmedizin, S. 20. 34  Vgl. Ulrich, Der gerichtliche Sachverständige, Rn. 30; Krause, in: LR-StPO, § 85 Rn. 2; Tag, in: Madea, Rechtsmedizin, S. 20; Beulke, Strafprozessrecht, Rn. 197. 35  BVerfG, Beschluss v. 29. 03. 2007 -2 BvR 189 / 07 = BeckRS 2007, 22770; Binz, in: Binz / Dörndorfer, JVEG § 1 Rn. 14; BT-Drs. 15 / 1971, S. 178; vgl. Weglage, Die Vergütung, S. 39 ff.; Der Verurteilte kann aber ggf. die Kosten und Aufwendungen, die durch das (vorprozessuale) Privatgutachten dem Nebenkläger oder Privatkläger als notwendige Auslagen oder Kosten nach §§ 471 f. StPO erstatten müssen; vgl. Kl. Müller, Der Sachverständige, Rn. 1033 ff.

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3. Kap.: Die besondere Situation der Forensischen Ambulanzen

II. Sozialrecht Weiterhin muss festgestellt werden, dass die Leistungen der Forensischen Ambulanz keine Sozialleistungen darstellen, auf die ein Straftatopfer einen sozialrechtlichen Anspruch haben kann. Dies unterscheidet die Tätigkeit der Forensischen Ambulanzen rechtlich von der eines kurativ tätigen (Vertrags-) Arztes. Zunächst besteht kein krankenversicherungsrechtlicher Anspruch der Straftatopfer auf die Leistungen der Forensischen Ambulanzen. Auf welche medizinische Leistungen ein gesetzlich Krankenversicherter Anspruch hat, ist durch das fünfte Sozialgesetzbuch (SGB V) reglementiert.36 Zentrale Voraussetzung für solche Leistungen ist das Vorliegen einer „Krankheit“ bei dem Versicherungsnehmer.37 Als ein solcher Versicherungsfall gilt dabei ein „rechtswidriger Körper- und Geisteszustand, der ärztlicher Behandlung bedarf oder – zugleich oder ausschließlich – eine Arbeitsunfähigkeit zur Folge hat.“38 Bei Opfern von Gewalt- oder Sexualstraftaten bestehen zwar infolge der physischen und psychischen Tatauswirkungen regelmäßig rechtswidrige Körper- und Geisteszustände, womit in aller Regel der Versicherungsfall der „Krankheit“ i. S. d. SGB V gegeben sein wird. Gleichwohl kann ein krankenversicherungsrechtlicher Anspruch allein solche Leistungen umfassen, die nach §§ 27 ff. SGB V auf die Behandlung der Krankheit gerichtet sind.39 Die Forensischen Ambulanzen behandeln indes gerade keine „Krankheiten“ der sie aufsuchenden Opfer, da sie im Rahmen ihrer rechtsmedizinischen Tätigkeit keine kurativen Aufgaben wahrnehmen.40 Die Tätigkeit der Forensischen Ambulanzen entspricht somit – abgesehen davon, dass die Rechtsmediziner der Forensischen Ambulanzen als Vertragsärzte oder die Ambulanzen als solche zur Versorgung zugelassen sein müssten – nicht den Leistungen, auf die ein gesetzlich Krankenversicherter einen Anspruch hat. Ebenso wenig kann aus dem sozialen Entschädigungsrecht ein Anspruch auf forensische Leistungen erwachsen. Opfern von Gewalttaten stehen nach dem Opferentschädigungsgesetz zwar grundsätzlich Leistungen aus dem sozialen Entschädigungsrecht zu.41 Jedoch bedienen diese Entschädigungs36  Eichenhofer,

Sozialrecht, Rn. 361. Sozialrecht, Rn. 367. 38  BSG NZS 2009, 95, 96; BSG NJW 1988, 1550, 1551; Lang, in: Becker /  Kingreen, SGB V § 27 Rn. 14; Nebendahl, in: Spickhoff, Medizinrecht, SGB V § 27 Rn.  12 ff.; Brettel / Vogt, Ärztliche Begutachtung, S. 50. 39  Nebendahl, in: Spickhoff, Medizinrecht, SGB V § 27 Rn. 27 ff. 40  s. drittes Kapitel A. 41  Vgl. Gelhausen, Entschädigungsrecht Rn. 709 ff.; Doering-Striening, in: Doe­ ring-Striening, HdB Opferrechte, § 3 Rn. 49 ff., Rn. 116 ff.; Brettel / Vogt, Ärztliche Begutachtung, S. 181; Brettel / Bartsch, MedSach 2014, 263, 264. 37  Eichenhofer,



C. Recht der Tätigkeit der Forensischen Ambulanzen253

leistungen im Wesentlichen die Wiederherstellung von Gesundheit und Lebensstandard des Opfers.42 Die Ansprüche auf ärztliche Leistungen beschränken sich darauf, die gesundheitlichen Beeinträchtigungen, die durch die Straftaten entstanden sind, zu beheben oder zu mindern.43 Dies umfasst kurative, nicht aber rechtsmedizinische Tätigkeiten eines Arztes. Somit können in den rechtsmedizinischen Untersuchungs- und Beratungstätigkeiten der Forensischen Ambulanzen keine Leistungen erblickt werden, auf die das Straftatopfer einen sozialrechtlichen Anspruch haben könnte.

III. Recht der Sozialen Dienstleistungen Die Befunddokumentationen und -erhebungen eines Großteiles der Forensischen Ambulanzen stellen jedoch sogenannte „Soziale Dienstleistungen“ dar. Als solche gelten allgemein Hilfsleistungen, die für Personen in besonderen Lebenslagen erbracht werden, ohne dass von dem Leistungsempfänger eine Gegenleistung gefordert werden würde.44 Diejenigen Ambulanzen, die, wie etwa die Mainzer Ambulanz, ihre speziellen forensischen Leistungen kostenfrei anbieten, erbringen folglich Soziale Dienstleistungen für Personen, die sich in einer besonderen Lebenslage infolge einer Viktimisierung befinden. Das Recht von Sozialen Dienstleistungen ist üblicherweise durch ein Dreiecksverhältnis gekennzeichnet.45 In diesem befinden sich ein freier oder privatwirtschaftlicher Leistungserbringer, ein bürgerlicher Leistungsempfänger sowie ein staatlicher Leistungsträger. Klassischerweise steht dem bürgerlichen Leistungsempfänger ein rechtlicher Anspruch gegen den staatlichen Leistungsträger auf die in Rede stehenden Sozialleistungen zu, wie etwa ein sozialgesetzlicher Anspruch auf Pflegeleistungen. Der staatliche Kostenträger, der die Leistungen eigentlich selbst verrichten müsste, lässt diese aber durch Private – wie etwa private Pflegedienste – verrichten, weil sich diese Option als effizienter, kostengünstiger oder sonst vorteilhaft erweist.46 Die Leistungserbringer werden zur Verrichtung der Sozialen Dienstleistungen von dem jeweiligen staatlichen Leistungsträger meist öffentlich-rechtlich beauftragt oder durch Verträge verpflichtet.47 Das Rechtsverhältnis zwischen § 9 ff. BVG; Gelhausen, Entschädigungsrecht, Rn. 717 ff. MAH Sozialrecht, Teil J § 35 Rn. 103 ff.; Doering-Striening, in: Doering-Striening, HdB Opferrechte, § 3 Rn. 261 ff.; Gelhausen, Entschädigungsrecht, Rn.  717 ff. 44  Cremer / Goldschmidt / Höfer, Soziale Dienstleistungen, S. 7 ff. 45  Vgl. Cremer / Goldschmidt / Höfer, Soziale Dienstleistungen, S. 98 ff. 46  Cremer / Goldschmidt / Höfer, Soziale Dienstleistungen, S.  98 ff. 47  Cremer / Goldschmidt / Höfer, Soziale Dienstleistungen, S. 115 ff. 42  Vgl.

43  Petri-Kramer,

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3. Kap.: Die besondere Situation der Forensischen Ambulanzen

Leistungserbringer und staatlichem Leistungsträger ist daher meist öffentlich-rechtlicher Natur. Die bürgerlichen Leistungsempfänger können die Sozialen Dienstleistungen hingegen im Rahmen eines privatrechtlichen Verhältnisses zu dem Leistungserbringer frei wählen und in Anspruch nehmen.48 Die Sozialen Dienstleistungen der Forensischen Ambulanzen weichen von diesem klassischen Bild zwar ein wenig ab, ordnen sich aber dennoch in dieses rechtliche Dreiecksverhältnis ein. Ein Unterschied besteht zunächst darin, dass es sich bei den Forensischen Ambulanzen nicht um freie und privatwirtschaftliche Erbringer von Sozialleistungen handelt. Die Forensischen Ambulanzen befinden sich meist in staatlicher Trägerschaft, wie sich etwa die Mainzer Ambulanz in staatlicher Trägerschaft des Landes Rheinland-Pfalz befindet.49 Aber auch eine Stelle in staatlicher Trägerschaft kann ein Erbringer von Sozialen Dienstleistungen sein.50 Eine weitere Besonderheit besteht darin, dass Straftatopfer, die die Sozialen Dienstleistungen der Forensischen Ambulanzen annehmen, wie zuvor aufgezeigt, keinen sozialrechtlichen Anspruch auf derartige rechtsmedizinische Untersuchungen und Beratungen haben.51 Es existiert somit kein staatlicher Träger, der zur Erbringung solcher Leistungen verpflichtet wäre und die Forensischen Ambulanzen an seiner Stelle zur Leistungserbringung beauftragen könnte. Gleichwohl steht es einem jeden Bundesland zu, im Rahmen des sozialpolitischen Gestaltungsspielraums Soziale Dienstleistungen, die es für wichtig erachtet, projektbezogen oder institutionell zu fördern.52 Das Land Rheinland-Pfalz hat sich seit dem Jahr 2007 wiederholt für eine finanzielle Förderung der Forensischen Ambulanz in Mainz entschieden.53 Diese Förderung erfolgt dabei projektbezogen, d. h. sie dient nicht dem rechtsmedizinischen Institut als solchem, sondern bezieht sich auf das inhaltliche, zeitliche sowie kostenmäßig umrissene Projekt der Forensischen Ambulanz. Die Projektförderung des Landes soll somit die Forensische Ambulanz in ihrer sich selbst gegebenen Aufgabe als Anlaufstelle für Straftatopfer sowie als Beratungsstelle für Opfer und kurativ tätige Ärzte 48  Cremer / Goldschmidt / Höfer,

Soziale Dienstleistungen, S.  115 ff. § 1 ff. des rheinland-pfälzischen Landesgesetzes über die Errichtung der Universitätsmedizin der Johannes Gutenberg-Universität Mainz (UMG). 50  Schlenker, Soziale Einrichtungen, S. 7 ff. 51  s. drittes Kapitel C. II. 52  Halfar, Finanzierung soz. Dienste, S. 44 ff.; Cremer / Goldschmidt / Höfer, Soziale Dienstleistungen, S. 104. 53  Plenarprotokoll, Landtag Rheinland-Pfalz 15 / 44, S. 2608; ebenso erfolgt die Finanzierung in Hamburg aus dem Landeshaushalt aufgrund eines Beschlusses der Bürgerschaft der Freien Hansestadt Hamburg, vgl. Plenarprotokoll, 18 / 89, S. 4761 auf Petitum der Drs.  18 / 6274, ebenso in Bayern, vgl. Mützel / Helmreich / Schick /  Saß / Schöpfer, Rechtsmedizin 2014, 200. 49  Vgl.



C. Recht der Tätigkeit der Forensischen Ambulanzen255

unterstützen und bestätigen.54 Formelle Voraussetzungen für eine solche Förderung sind gemäß §§ 23, 44 der Landeshaushaltsordnung ein Antragsverfahren und ein darauffolgender Bewilligungsbescheid des Haushaltgebers.55 Der Bewilligungsbescheid gewährt der Forensischen Ambulanz zweckgebundene Zuwendungen, jedoch keinen Anspruch auf fortlaufende Förderung. Nach Erschöpfung der finanziellen Mittel muss eine weitere Förderung erneut beantragt werden. Der jeweilige Bewilligungsbescheid enthält regelmäßig Nebenbestimmungen, Auskünfte über Widerrufsvorbehalte, Befristungen, Zuwendungsbedingungen und Auflagenvorbehalte.56 So wird der Erbringer der Sozialen Dienstleistung in der Regel verpflichtet durch Verwendungsnachweise darzulegen, inwieweit der Zweck der Zuwendung eingehalten und erreicht wurde.57 Darüber hinaus werden der Forensischen Ambulanz durch eine solche Förderung jedoch keine weiteren besonderen Pflichten auferlegt, da es sich eben nicht um eine öffentlichrechtliche Beauftragung oder vertragliche Beziehung handelt.58 Die Tätigkeit der Forensischen Ambulanzen, die ihre Leistungen kostenfrei anbieten und von ihrem Land gefördert werden, erfolgt sich somit innerhalb eines rechtlichen Dreiecksverhältnisses. Das Verhältnis zwischen Kostenträger (Land) und Leistungserbringer (Forensischer Ambulanz) ist infolge des begünstigenden Verwaltungsakts öffentlich-rechtlicher Natur, wohingegen der Leistungsempfänger („Patient“ bzw. Proband) die Soziale Dienstleistung privatrechtlich frei bei dem Leistungserbringer (Forensische Ambulanz) in Anspruch nehmen kann.59

IV. Zivilrecht Das Rechtsverhältnis der Forensischen Ambulanzen zu den sie aufsuchenden Personen ist ausschließlich privatrechtlicher Natur. Diejenigen Forensischen Ambulanzen, die ihre Untersuchung und Beratung kostenfrei als Soziale Dienstleistungen anbieten, stehen in einem privatrechtlichen Verhältnis zu den Leistungsempfängern, ebenso wie diejenigen Forensischen Ambulanzen, die sich ihre Tätigkeit von den Straftatopfern vergüten lassen.60 54  Vgl. Plenarprotokoll, Landtag Rheinland-Pfalz 15 / 44, S. 2608; Stoppt Gewalt gegen Kinder, Leitfaden, S. 28. 55  Halfar, Finanzierung soz. Dienste, S. 47 ff. 56  Halfar, Finanzierung soz. Dienste, S. 56. 57  Halfar, Finanzierung soz. Dienste, S. 56. 58  Halfar, Finanzierung soz. Dienste, S. 56. 59  Cremer / Goldschmidt / Höfer, Soziale Dienstleistungen, S. 98 ff. 60  Die Rechtsmediziner können keine eigens kalkulierten Preise verlangen, sondern sind gezwungen sich ihre außerhalb der gesetzlichen Krankenversicherung

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3. Kap.: Die besondere Situation der Forensischen Ambulanzen

Verträge, die ärztliche Leistungen zum Inhalt haben, stellen grundsätzlich einen Sondertypus des Dienstleistungsvertrages dar, welcher seit 2013 expliziert durch die §§ 630a ff. BGB als Behandlungsvertrag reglementiert wird.61 Da die Forensischen Ambulanzen jedoch keine erfolgsunabhängige Heilbehandlung, sondern eine forensische Befunddokumentation und -erhebung versprechen, können ihre Leistungen ebenso Inhalt eines Werkvertrags sein.62 Allerdings macht die Einordnung als Werk- oder Dienstleistungsvertrag für den Aspekt der Rechtsnatur der Tätigkeit der Forensischen Ambulanzen keinen Unterschied, da in beiden Vertragstypen zivilrechtliche Schuldverhältnisse zu erblicken sind – wenn denn ein Vertrag wirksam geschlossen wurde. Die Mainzer Ambulanz, die ihre Untersuchung und Beratung kostenlos als Soziale Dienstleistungen anbietet, verzichtet auf eine förmliche Beauftragung durch einen schriftlichen Vertragsschluss.63 Gleichwohl wird es regelmäßig zu einem zivilrechtlichen Vertragsabschluss kommen. Ein Vertrag kann infolge konkludent erklärter, korrespondierender Willenserklärungen auch ohne Beachtung von Förmlichkeiten stillschweigend geschlossen werden.64 Ebenso vermag eine Unentgeltlichkeit einer Leistung nicht per se ihre Rechtsgeschäftlichkeit auszuschließen,65 da unentgeltliche Behandlungs- sowie Werkverträge infolge des dispositiven Charakters der §§ 630a Abs. 1, 612 i. V. m. § 630b und § 632 BGB gesetzlich zulässig sind.66 Für die Beurteilung eines Vertragsschlusses kommt es somit nicht allein auf die wirtschaftliche Uneigennützigkeit oder Eigennützigkeit an. Entscheidend ist vielmehr, ob in dem Verhalten der Rechtsmediziner und ihrer Patienten bzw. Probanden nach §§ 133, 157 BGB Willenserklärungen mit Rechtsbindungsliegenden Leistungen nach der Gebührenordnung für Ärzte (GOÄ) vergüten zu lassen. Vgl. Spickhoff, Medizinrecht, GOÄ § 1 Rn. 2, 15; Miebach, in: Uleer / Miebach / Patt, Abrechnung von Arzt- und Krankenhausleistungen, Rn. 1 f.; Mansel, in: Jauernig, § 630 a Rn. 11; Kraatz, Arztstrafrecht Rn. 14; Heberer, Das ärztliche Berufs- und Standesrecht S. 160. Doch auch in diesen Fällen kann dem Straftatopfer eine finanzielle Belastung erspart bleiben, da etwa der Weiße Ring e. V. zu diesem Zweck sogenannte „Opferhilfschecks“ ausstellt, vgl. https: / / www.weisser-ring.de / in ternet / opferhilfe / hilfescheck-fuer-eine-rechtsmedizinische-untersuchung / index.html (05.02.16). 61  Katzenmeier, NJW 2013, 817; Mansel, in: Jauernig, BGB § 630a Rn. 1 ff. 62  Vgl. Voit, in: BeckOK-BGB, § 631 Rn. 11e; Bergmann / Middendorf, in: NKMedR, BGB § 630a Rn. 1 ff.; BT-Drs. 17 / 10488, S. 17; Mansel, in: Jauernig, BGB § 630a Rn. 2; Katzenmeier, NJW 2013, 817, 818. 63  Auskunft der Forensischen Ambulanz in Mainz durch Prof. Dr. Dr. Urban. 64  Vgl. OLG Köln NJW-RR 1995, 366; Busche, in: MüKo-BGB, § 147 Rn. 4; Bergmann / Middendorf, in: NK-MedR, BGB § 630a Rn. 12 ff. 65  Vgl. Häublein, in: MüKo-BGB, § 598 Rn. 2; Gehrlein / Sutschet, in: BeckOKBGB, § 311 Rn. 10; Heberer, Das ärztliche Berufs- und Standesrecht, S. 160. 66  Mansel, in: Jauernig, BGB § 630a Rn. 11.



C. Recht der Tätigkeit der Forensischen Ambulanzen257

willen zu erblicken sind.67 Bei ärztlichen Leistungen, die im Zusammenhang mit kurativen Heilbehandlungen stehen, wird im Allgemeinen angenommen, dass die Beteiligten mit erkennbarem Rechtsbindungswillen handeln.68 Die Begründung hierfür lautet, dass der Patient ein erkennbares Interesse daran habe, den Arzt vertraglich zu einer Heilbehandlung ohne gesundheitsschädliche Nachlässigkeiten zu verpflichten.69 Obgleich die Rechtsmediziner der Forensischen Ambulanzen rechtsmedizinische Untersuchungen und somit keine Heilbehandlungen durchführen, ist dieser Ansatz zur Begründung des Rechtsbindungswillens ebenfalls auf ihre Tätigkeit übertragbar. Denn fehlerhafte forensische Untersuchungen können ebenfalls in Interessensverletzungen des Probanden resultieren. Ein Straftatopfer, das die Forensische Ambulanz aufsucht, wird ein erkennbares Interesse aufweisen, die Rechtsme­ diziner zu einer Untersuchung nach den Regeln der ärztlichen Kunst vertraglich zu verpflichten, allein schon um körperliche Verletzungen zu vermeiden oder um im Fall von Verletzungen vertragliche Schadensersatzforderungen geltend machen zu können und nicht auf das nachteilige Deliktsrecht verwiesen zu werden. Das Straftatopfer hat darüber hinaus aber auch ein erkennbares Interesse, dass die Rechtsmediziner der Forensischen Ambulanz verpflichtet sind, die Dokumentation, Sicherung und Asservierung der Tatspuren in einer Art und Weise vorzunehmen, die eine spätere Beweisverwertung zulässt, da das Aufsuchen der Forensischen Ambulanz in Bezug auf die forensische Untersuchung anderenfalls sinnlos wäre. Somit wird – trotz fehlender Gegenleistungspflicht und fehlendem förmlichen Vertragsschluss – grundsätzlich von einem Vertragsschluss zwischen Proband und (den Rechtsmedizinern) der Forensischen Ambulanz auszugehen sein.70

67  Vgl. BGH NJW 1956, 1313; Busche, in: MüKo-BGB, § 241 Rn. 7 f.; Eckert, in: BeckOK-BGB, § 145 Rn. 35 ff. 68  Kern, in: Laufs / Kern, HdB Arztrecht, Kp.  8 § 40 Rn. 1; Bergmann / Middendorf, in: NK-MedR, BGB § 630a Rn. 12. 69  Kern, in: Laufs / Kern, HdB Arztrecht, Kp.  8 § 40 Rn. 13. 70  Die Vertragsparteieigenschaft richtet sich bei ambulanten Krankenhausverträgen grundsätzlich nach den Umständen des Einzelfalls, wobei bei Verträgen außerhalb der kassenärztlichen Versorgung in der Regel der liquidierungsberechtigte Arzt Vertragspartner wird, vgl. Kraatz, Arztstrafrecht, Rn. 20; Bergmann / Middendorf, in: NK-MedR, BGB § 630a Rn. 24 ff. Wer auf Seiten der Forensischen Ambulanz Vertragspartner wird, kann derweil dahinstehen, da es für die Untersuchung des strafrechtlichen Berufsgeheimnisses nur von Bedeutung sein kann, ob überhaupt eine besondere (zivilrechtliche) Beziehung zu dem Patienten besteht. Ob die Rechtsmediziner der Forensischen Ambulanz zu der Einhaltung der zivilrechtlichen Verpflichtungen unmittelbar aus eigenen Verträgen mit dem Patienten oder mittelbar verpflichtet sind, ist für die Beantwortung der hier aufgeworfenen berufsgeheimnisrechtlichen Fragen irrelevant.

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3. Kap.: Die besondere Situation der Forensischen Ambulanzen

Probleme hinsichtlich des Zustandekommens eines wirksamen Vertrages können sich dagegen vielmehr aufgrund der Tatsache ergeben, dass minderjährige Straftatopfer einen Großteil der Probanden der Forensischen Ambulanzen ausmachen.71 Minderjährige gelten gemäß §§ 104 ff. BGB als nicht oder nur beschränkt geschäftsfähig, was zu der Frage führt, unter welchen Umständen solche Personen wirksame Willenserklärungen abgeben und mithin Verträge schließen können.72 Folgende vier Konstellationen sind zu unterscheiden: Der Minderjährige kann erstens mit beiden Eltern als gesetzlichen Vertretern, zweitens mit nur einem Elternteil als gesetzlichem Vertreter, drittens alleine oder viertens mit einer nichtpersonensorgeberechtigten Begleitperson bei der Forensischen Ambulanz erscheinen. Bringen die Eltern ihr Kind gemeinsam zum Arzt, entsteht in der Regel in Ausübung der elterlichen Sorge nach § 1626 BGB ein Vertrag zwischen den Eltern und dem Arzt, aus dem das Kind nach § 328 BGB berechtigt wird.73 Dies ergibt sich daraus, dass die elterliche Personensorge gemäß § 1626 BGB ebenfalls die Pflicht zur medizinischen Versorgung des Kindes umfasst.74 Demnach sind Arztverträge grundsätzlich als eigene Verträge der Elternteile zur Erfüllung ihrer elterlichen Pflichten und nicht als Verträge des Kindes zu qualifizieren.75 Nur in Ausnahmefällen kommt über die Stellvertretung nach §§ 1626, 1629 Abs. 1 BGB ein Vertrag im Namen des Kindes zustande, sodass das Kind selbst Vertragspartner des Arztes wird. Dieser Grundsatz muss auch für den Vertragsschluss mit der Forensischen Ambulanz gelten. Die Pflicht zur elterlichen Personensorge umfasst ebenso die Wahrnehmung von (straf-)prozessualen Rechten, wie etwa die Einwilligung in die Entnahme von Blutproben oder das Stellen von Strafanträgen.76 Die sachverwandte Veranlassung von beweissichernden Handlungen für spätere (Straf-)Verfahren – wie dies durch die Inanspruchnahme der Forensischen Ambulanz geschieht – ist demnach ebenfalls der elterlichen Perso71  Vgl. Anlage: Auszug aus der Präsentation der Behördenleitertagung zur Forensischen Ambulanz, Folie 2; Mützel / Oehme / Zinka / Helmreich / Schöpfer / Wingenfeld / Graw, Präsentation der Gewaltopferschutzambulanz München, Folie 19. 72  Die Frage der wirksamen Einwilligung in den ärztlichen Heileingriff ist von der Frage des wirksamen Abschlusses eines Behandlung / Arztvertrags zu trennen, vgl. BGH NJW 1959, 811; Heberer, Das ärztliche Berufs- und Standesrecht S. 168; Huber, in: MüKo-BGB, § 1626 Rn. 38. 73  Müller-Glöge, in: MüKo-BGB, §  611 Rn. 88; Lipp, in: Laufs / Katzenmeier / Lipp, Arztrecht, III. Rn. 15; Kraatz, Arztstrafrecht, Rn. 12; D. Bender / Schreiber, in: Ethische Grundlagen der Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie, S. 157. 74  Veit, in: BeckOK-BGB, § 1626 Rn. 24 ff. 75  Veit, in: BeckOK-BGB, § 1626 Rn. 24 ff. 76  Huber, in: MüKo-BGB, §  1626 Rn. 34; Veit, in: BeckOK-BGB, § 1626 Rn.  23 ff.



C. Recht der Tätigkeit der Forensischen Ambulanzen259

nensorgepflicht zuzuordnen. Folglich ist davon auszugehen, dass in Ausübung der elterlichen Sorge nach § 1626 BGB ein Vertrag zwischen den Eltern und der Forensischen Ambulanz zu Gunsten des Kindes zustande kommt. Erscheint allein ein Elternteil mit dem Kind bei der Forensischen Ambulanz, wird der anwesende Elternteil gemäß dem zuvor beschriebenen Grundsatz der Personensorge nicht das Kind zur Vertragspartei machen wollen, sondern sich entweder allein verpflichten oder alternativ den mitsorgeberechtigten, nicht anwesenden Elternteil vertraglich mitverpflichten wollen.77 Sucht das minderjährige Straftatopfer die Forensischen Ambulanz allein auf, so hängt das Zustandekommen eines Vertrags grundsätzlich von den Vorgaben der §§ 104 ff. BGB ab. Ein wirksamer Vertragsabschluss bedarf demnach grundsätzlich der elterlichen Zustimmung.78 Diese notwendige Beteiligung der Eltern stellt sich jedoch gerade im Bereich der häuslichen Gewalt- und Sexualdelikte als problematisch dar, falls die Eltern oder ein Elternteil selbst dem Täterkreis angehören oder die Tat aus sonstigen Gründen verheimlichen wollen.79 Diejenigen Forensischen Ambulanzen, die ihre Leistungen kostenfrei anbieten, umgehen dieses Problem weitestgehend. Durch den Wegfall einer Vergütungspflicht stellt sich der Vertrag als „lediglich rechtlich vorteilhaftes“ oder zumindest „neutrales“ Rechtsgeschäft für den Minderjährigen dar, wodurch jedenfalls dem beschränkt geschäftsfähigen Straftatopfer ein selbstständiger Vertragsabschluss ermöglicht wird.80 Weiterhin ist es möglich, dass eine nichtpersonensorgeberechtigte Begleitperson mit dem Kind bei der Forensischen Ambulanz erscheint und einen Vertrag mit der Forensischen Ambulanz zur Sicherung und Bewertung von an dem Körper des Kindes befindlichen Spuren abschließt. So könnte beispielsweise die Großmutter, die den Verdacht hegt, ihr Enkel werde von seinen Eltern misshandelt, mit ihrem Enkel die Forensische Ambulanz aufsuchen. In zivilrechtlicher Hinsicht ist demnach für die Arbeit der Forensischen Ambulanzen festzuzuhalten, dass die Forensischen Ambulanzen und die sie 77  Die Mitverpflichtung des nicht anwesenden Elternteils kann sich aus §§ 164 ff. BGB, bei Eheleuten aus § 1357 BGB oder bei eingetragenen Lebenspartnerschaften aus § 8 Abs. 2 LPartG entsprechend § 1357 BGB, ergeben, vgl. Lipp, in: Laufs / Katzenmeier / Lipp, Arztrecht, III. Rn. 17. 78  Ferner sind Konstellationen denkbar, in denen der Minderjährige als Bote der gesetzlichen Vertreter auftritt, um einen Vertrag für die gesetzlichen Vertreter abzuschließen. 79  Vgl. Kölmel, Kindesmisshandlung aus gerichtsmedizinischer Sicht, S. 8, 54; BMFSFJ, BMFSFJ, Gewalt gegen Mädchen und Jungen, S. 1; Mertens / Pankofer, Kindesmisshandlung, S.  57 ff.; Rauch / Weissenrieder, Rechtsmedizin 2004, 209, 211. 80  Wendtland, in: BeckOK-BGB, § 107 Rn. 8 f.

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3. Kap.: Die besondere Situation der Forensischen Ambulanzen

aufsuchenden Straftatopfer (bzw. ihre gesetzlichen Stellvertreter oder Begleitpersonen) – auch ohne Gegenleistungspflicht und ohne förmlichen Ver­ tragsabschluss – regelmäßig wirksame Verträge abschließen. Dieses privatrechtliche Vertragsverhältnis hat berufsgeheimnisrechtlich zur Folge, dass den Rechtsmedizinern zumindest eine zivilrechtliche Nebenpflicht zur Verschwiegenheit obliegt.81 Der Ausschluss einer Vergütung hat keine Auswirkungen auf den rechtsgeschäftlichen Charakter der Leistung, ist jedoch aus mehreren Gründen sinnvoll. Zum einen kann dies die Hemmschwelle zur Inanspruchnahme von Hilfe senken; zum anderen umgeht dies die Problematik eines wirksamen Vertragsabschlusses mit beschränkt geschäftsfähigen Straftatopfern, die ohne gesetzliche Vertreter die Ambulanz aufsuchen.

V. Ergebnis Lässt man die Ergebnisse der vorangegangenen allgemeinen Untersuchungen Revue passieren, lassen sich die Forensischen Ambulanzen wie folgt beschreiben: Die meisten Forensischen Ambulanzen gehören einem rechtsmedizinischen Institut an und weisen auch in ihrer Tätigkeit Schnittmengen zur Disziplin der Klinischen Rechtsmedizin auf. Gleichwohl unterscheidet sich ihre Tätigkeit sowohl in inhaltlicher als auch in rechtlicher Hinsicht davon, wie die Rechtsmedizin traditionell diese Aufgaben wahrnimmt. Der gewichtigste Unterschied liegt darin, dass die Rechtsmediziner der Forensischen Ambulanzen die sie aufsuchenden Straftatopfer ohne Auftrag der Justiz untersuchen. Daher scheidet eine Vergütung ihrer Tätigkeit über das JVEG sowie eine Anwendung der strafprozessualen Vorschriften aus. Die Untersuchungs- und Beratungsleistungen der Forensischen Ambulanzen stellen mangels kurativem Charakter auch keine Sozialleistungen dar, auf die das Opfer einer Gewalt- oder Sexualstraftat einen sozialrechtlichen Anspruch hat. Dies unterscheidet die Tätigkeit der Forensischen Ambulanzen von der eines kurativ tätigen (Vertrags-)Arztes. Diejenigen Forensischen Ambulanzen, die ihre Untersuchung und Beratung aufgrund einer finanziellen Förderung des Landes kostenlos anbieten können, befinden sich in einem rechtlichen Dreiecksverhältnis der Sozialen Dienstleistungen. Das Land fördert die Forensische Ambulanz aufgrund einer öffentlich-rechtlichen Bewilligung finanziell, wohingegen die Straftatopfer die Sozialen Dienstleistungen privatrechtlich frei mit der Forensischen Ambulanz vereinbaren können. Diejenigen Forensischen Ambulanzen, die sich ihre Tätigkeit vergüten lassen, verrichten keine Sozialen Dienstleistungen. Sie unterhalten allein ein zivilrechtliches Verhältnis zu den sie aufsuchenden Personen. 81  s.

erstes Kapitel B.



D. Berufsgeheimnisrechtliche Sonderprobleme261

D. Berufsgeheimnisrechtliche Sonderprobleme der Forensischen Ambulanzen Im Hinblick auf ärztliche Schweigepflicht werfen die Eigenarten dieser neuartigen Einrichtungen gleich drei berufsgeheimnisrechtliche Sonderprobleme bzw. Fragen auf. Die erste Frage betrifft die Schweigepflicht der Rechtsmediziner und Mitarbeiter der Forensischen Ambulanzen. Aufgrund ihrer besonderen Tätigkeit und Organisation ist zunächst zu untersuchen, ob die Rechtsmediziner der Forensischen Ambulanzen im vollen Umfang der Schweigepflicht unterliegen und ob ihnen besondere Offenbarungspflichten zur Aufklärung von Straftaten obliegen, die einen kurativ tätigen Arzt nicht treffen. Die zweite berufsgeheimnisrechtliche Frage stellt sich in Fällen, in denen eine dritte Person ein nichtvollgeschäftsfähiges Straftatopfer zur Forensischen Ambulanz bringt, um eine forensische Untersuchung mit anschließender Auskunft zu bewirken. Sollten die Rechtsmediziner und Mitarbeiter der Forensischen Ambulanzen in vollem Umfang der strafrechtlichen Schweigepflicht unterliegen, könnten derartige Auskünfte nicht nur einen strafbewehrten Bruch der Schweigepflicht darstellen, sondern dem gesamten Vertragsverhältnis samt dem Auskunftsanspruch könnte aufgrund von § 134 BGB i. V. m. § 203 Abs. 1 Nr. 1 StGB die Nichtigkeit drohen. Das letzte Sonderproblem betrifft das konsiliarische Beratungsangebot der Forensischen Ambulanzen. Nimmt ein kurativ tätiger Arzt, der ein Straftatopfer medizinisch versorgt, das Beratungsangebot einer Forensischen Ambulanz zur allgemeinen Beratung sowie zur Anleitung für eine forensisch korrekte Befunddokumentation und -erhebung in Anspruch, ist fraglich, ob und wie sich dieses Vorgehen mit der Schweigepflicht des kurativ tätigen Arztes verträgt.

I. Schweigepflicht der Rechtsmediziner und Mitarbeiter der Forensischen Ambulanzen Widmet man sich der Beantwortung der ersten berufsgeheimnisrechtlichen Frage, könnte man recht schnell dem Eindruck erliegen, den Rechtsmedizinern der Forensischen Ambulanzen würde zweifelsfrei eine umfassende ärztliche Schweigepflicht obliegen. Meist versichern die Ambulanzen auf ihren Webseiten und mit ihren sonstigen Mitteln der Außendarstellung, dass ihre Rechtsmediziner und Mitarbeiter Untersuchungen vertraulich behandeln.82 82  Vgl. etwa Flyer der Gewaltopferambulanz Münster http: / / klinikum.uni-muens ter.de / fileadmin / ukminternet / daten / institute / rechtsmedizin / Gewaltopferambulanz_

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3. Kap.: Die besondere Situation der Forensischen Ambulanzen

Den Rechtsmedizinern obliegt zudem eine zivilrechtliche Schweigepflicht, da sie – wie zuvor festgestellt – in der Regel mit den sie aufsuchenden Straftatopfern einen zivilrechtlichen Vertrag abschließen, der die Verschwiegenheit als vertragliche Nebenpflicht enthält.83 Ebenso verpflichten die Berufsordnungen der Landesärztekammern die Rechtsmediziner als Kammermitglieder zur Verschwiegenheit.84 Gemäß den Erkenntnissen des ersten Kapitels ist mit den zivilrechtlichen und berufsrechtlichen Pflichten, aber noch keine zwingende Aussage über strafrechtlich bewehrte Pflichten getroffen.85 Ob eine Person der strafrechtlichen Verschwiegenheitspflicht unterliegt, entscheidet sich danach, ob sie dem begrenzten Kreis der tauglichen Täter des § 203 StGB angehört. Das Selbstverständnis der Forensischen Ambulanzen ist hierfür irrelevant, da eine Selbstverpflichtung unter den Anwendungsbereich einer strafrechtlichen Norm keine Auswirkungen hat.86 Demzufolge bleibt zu klären, ob die Rechtsmediziner der Forensischen Ambulanz in ihrer spezifischen Tätigkeit als Anlaufstelle für Straftatopfer als „Ärzte“ i. S. d. § 203 Abs. 1 Nr. 1 StGB zu verstehen sind und somit strafrechtlich zur Verschwiegenheit verpflichtet sind. 1. Kreis der Verpflichteten: Taugliche Täter des § 203 Abs. 1 Nr. 1 StGB Die Schweigepflicht des § 203 Abs. 1 Nr. 1 StGB trifft ausschließlich einen „Arzt, Zahnarzt, Tierarzt, Apotheker oder Angehörigen eines anderen Heilberufs, der für die Berufsausübung oder die Führung der Berufsbezeichnung eine staatlich geregelte Ausbildung erfordert“, wobei die „Gleichstellungsklausel“ des § 203 Abs. 3 S. 2 StGB die Schweigepflicht auf das Hilfs- und Lehrpersonal erweitert. Sowohl die Schweigepflicht der Rechtsmediziner als auch die ihrer Mitarbeiter hängt demzufolge maßgebend davon ab, ob in den Rechtsmedizinern der Forensischen Ambulanz „Ärzte“ i. S. d. § 203 Abs. 1 Nr. 1 StGB zu erblicken sind und ihnen die fremden Geheimnisse während der Untersuchung und Beratung auch „als Ärzte“ anvertraut oder bekannt werden.87 A5_K1.pdf (05.02.16); Handout der Schutzambulanz Fulda http: / / schutzambulanzfulda. de / wp-content / uploads / 140820_Schutzambulanz. pdf (05.02.16); Webseite der Gewaltopferambulanz in Leipzig: http: / / www.gegen-gewalt-leipzig.de / ?Hilfsangebo te:Opfer:Rechtsmedizin (05.02.16). 83  Vgl. Gaidzik / Weimer / Huster, in: Huster / Kaltenborn, Krankenhausrecht, § 13 Rn.  4 ff.; Heberer, Das ärztliche Berufs- und Standesrecht, S. 313; Kl. Schmidt, Ärztliche Schweigepflicht und Sozialdatenschutz, S. 15. 84  s. erstes Kapitel A. I. 85  s. erstes Kapitel A. III. u. B. 86  Vgl. Beckemper, in: BeckOK-StGB, § 22 Rn. 66 ff.



D. Berufsgeheimnisrechtliche Sonderprobleme263

Das Tätermerkmal des „Arztes“ wird durch § 203 Abs. 1 Nr. 1 StGB nicht näher bestimmt, weswegen sich verschiedene Auffassungen dazu entwickelt haben, welche Anforderungen an das Arztmerkmal zu stellen sind und wann eine solche Person „als Arzt“ ein Geheimnis wahrnimmt. a) Materielle Arztbegriffe Teilweise wird versucht, die strafrechtliche Schweigepflicht eines Arztes von materiellen Kriterien abhängig zu machen. Auch die Anhänger dieser sogenannten „materiellen Arztbegriffe“ gehen davon aus, dass die Tätereigenschaft des Arztes zunächst eine formale staatliche Zulassung zur ärztlichen Berufsausübung voraussetzt. Allerdings könne ein zugelassener Arzt nur dann „als Arzt“ Geheimnisse wahrnehmen, wenn weitere deskriptive Voraussetzungen erfüllt sind. In den Augen einiger Vertreter muss die ärztliche Tätigkeit hierfür auf eine kurative Heilbehandlung abzielen.88 Andere Vertreter machen hingegen eine Vertrauensbeziehung zwischen Arzt und Patient zur deskriptiven Voraussetzung der ärztlichen Schweigepflicht.89 Es verwundert nicht, dass diejenigen Stimmen, die ein Vertrauen zwischen Arzt und Patient zur Voraussetzung der tatbestandlichen Schweigepflicht machen wollen, ebenfalls das Schutzgut der Schweigepflicht durch die individualistische Vertrauenstheorie oder die soziale Theorie erklärt sehen wollen.90 Der Ursprung dieses Ansatzes liegt in einer Zeit, in der der Wortlaut des damaligen § 300 a. F. noch ausschließlich von „anvertrauten“ Geheimnissen sprach.91 Seitdem dem Tatbestand auch die „sonst bekanntgewordenen“ Geheimnisse hinzukamen, wird dieser Arztbegriff für die materiell-rechtliche Schweigepflicht des § 203 Abs. 1 Nr. 1 StGB in seiner Reinform kaum noch vertreten.92 Allerdings erfreut er sich weiterhin steti87  Vgl. Theuner, Die ärztliche Schweigepflicht, S.  104; Lenckner / Eisele, in: Schönke / Schröder, § 203 Rn. 42. 88  Arloth, MedR 1986, 295, 296; Stut, Das ärztliche Geheimnis und seine Wahrung, S. 4; Hackel, Schweigepflicht bei Gerichtsmedizinern, S. 45. 89  RGSt 61, 285, 386; 66, 273, 275; Kierski, DÄB 1956, 621, 622; Deschl, Berufsgeheimnis, S. 27; Ulrich, Der gerichtliche Sachverständige, Rn. 191; Hackel, Schweigepflicht bei Gerichtsmedizinern, S. 33 ff.; Eb. Schmidt, Der Arzt im Strafrecht, S. 3, 32 ff. 90  Vgl. Kierski, DÄB 1956, 621, 622; Deschl, Berufsgeheimnis, S. 27; Ulrich, Der gerichtliche Sachverständige, Rn. 191; Hackel, Schweigepflicht bei Gerichtsmedizinern, S.  33 ff. 91  Vgl. Frank, Das Strafgesetzbuch für das Deutsche Reich, § 300 II. 92  Vgl. BGHSt 38, 369, 370 f.; OLG Köln NJW 2000, 3656, 3657; Braun, in: Roxin / Schroth, HdB Medizinstrafrecht, S. 238; Bosch, JURA 2013,780, 783; Kraatz, Arztstrafrecht Rn. 238; Tsambikakis, in: FAKomm-MedR, § 203 StGB Rn. 36.

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3. Kap.: Die besondere Situation der Forensischen Ambulanzen

ger Beliebtheit für das in § 53 Abs. 1 Nr. 3 StPO normierte ärztliche Zeugnisverweigerungsrecht.93 b) Berufsrechtsbezogene Arztbegriffe Die überwiegende Mehrheit will das Arztmerkmal des § 203 StGB hingegen ausschließlich durch das ärztliche Berufsrecht im weiteren Sinne – streng genommen durch das ärztliche Zulassungsrecht – bestimmt wissen. aa) Formaler berufsrechtsbezogener Arztbegriff Herrschend ist der sogenannte „formale berufsgezogene Arztbegriff“.94 Das strafrechtliche Tätermerkmal des Arztes soll demnach normativ durch das Zulassungsrecht ausgefüllt werden. Ein jeder sei ein „Arzt“, der nach §§ 2 Abs. 5, 3 BÄO i. V. m. § 35 ÄAppO eine staatliche Zulassung zur Ausübung eines ärztlichen Berufes oder nach § 10 BÄÖ eine vorübergehende Zulassung erhalten hat. Geheimnisse nehme der zugelassene Arzt „als Arzt“ wahr, sobald er in seiner berufstypischen Funktion auftritt.95 bb) Faktischer berufsrechtsbezogener Arztbegriff Allerdings ist der formal berufsrechtsbezogene Arztbegriff der herrschenden Meinung einer ernst zu nehmenden Kritik von Anhängern des sogenannten „faktischen berufsrechtsbezogenen Arztbegriffs“ ausgesetzt.96 Sie werfen dem formal berufsrechtsbezogenen Arztbegriff vor, dass sein berufsrechtsakzessorischer Geheimnisschutz versage, falls der Täter nur vortäuscht ein zugelassener Arzt zu sein.97 Eine nicht unerhebliche Meinung im 93  Vgl. LG Berlin NStZ 1999, 86; Stucke, Schweigepflicht bei Drittgeheimnissen, S. 170; Senge, in: KK, § 53 Rn. 19; Ignor / Bertheau, in: LR-StPO, § 53 Rn. 37; Krause, in: LR-StPO, § 76 Rn. 2. 94  BGH NJW 1993, 803, 804; Kohlhaas, GA 1958, 65, 66; Lenckner / Eisele, in: Schönke / Schröder, § 203 Rn. 35; Schünemann, in: LK-StGB, § 203 Rn. 61; Kraatz, Arztstrafrecht, Rn. 233; Krauß, ZStW 97 (1985), 81, 88; Hilgers, Schweigepflicht und Zeugnisverweigerungsrecht, S. 1 f.; Sauter, Das Berufsgeheimnis, S. 77; Fischer, § 203 Rn. 12; Hoyer, in: SK-StGB, § 203 Rn. 40; Schlund, JR 1977, 265, 266; Maurach / Schroeder / Maiwald, BT 1,§ 29 III Rn. 30. 95  BGH NStZ 1993, 142; OLG Köln NJW 2000, 3656, 3657; OLG Hamburg NJW 1962, 689, 691; Cierniak / Pohlit, in: MüKo-StGB, § 203 Rn. 40; Sauter, Das Berufsgeheimnis, S. 77; Losert, Bruch der Schweigepflicht, S. 40; Höflich, Die ärztliche Schweigepflicht, S. 41; Sommer / Tsambikakis, in: MAH MedR, § 3 Rn. 112. 96  Theuner, Die ärztliche Schweigepflicht, S. 106; Muschallik, Die Befreiung, S.  42 ff.



D. Berufsgeheimnisrechtliche Sonderprobleme265

Schrifttum will den Arztbegriff daher nicht berufsrechtsakzessorisch, sondern rein faktisch verstehen.98 Für die Schweigepflicht des § 203 Abs. 1 Nr. 1 StGB soll die deskriptive Tatsachenfeststellung reichen, dass der Täter die berufliche Funktion unter Inanspruchnahme der ärztlichen Berufsbezeichnung faktisch ausübt und ihm hierdurch Geheimnisse anvertraut oder bekannt werden.99 c) Arztbegriffe und der ärztliche Sachverständige Allerdings gelten nach fast allen Auffassungen berufsgeheimnisrechtliche Ausnahmen, wenn es um Ärzte geht, die als Sachverständige tätig werden.100 Da die Rechtsmediziner der Forensischen Ambulanzen üblicherweise als Sachverständige tätig werden, ist im Folgenden herauszuarbeiten, an welchen Punkten nach den einzelnen Auffassungen dogmatisch genau anzusetzen ist, um zu einer solchen Ausnahme zu kommen. Anhänger der „materiellen Arztbegriffe“ müssen sich hierbei nur an ihre eigens aufgestellten Kriterien halten, um zu einer Verneinung der Schweigepflicht eines ärztlichen Sachverständigen zu gelangen. Denn der ärztlichen Sachverständigentätigkeit fehlt es sowohl an einem kurativen Charakter als auch meist an einem freiwilligen Vertrauensverhältnisses zwischen Proband und Arzt.101 Nach diesen Auffassungen erfährt ein medizinischer Sachverständiger Geheimnisse von einem Probanden nicht „als Arzt“. Die berufsgeheimnisrechtliche Ausnahme für den ärztlichen Sachverständigen ergibt 97  Theuner, Die ärztliche Schweigepflicht, S. 106; Muschallik, Die Befreiung, S.  42 ff. 98  Tsambikakis, in: FAKomm-MedR, §  203 StGB Rn. 9; Cierniak / Pohlit, in: MüKo-StGB, § 203 Rn. 28; Eichelbrönner, Grenzen der Schweigepflicht, S. 44; Theuner, Die ärztliche Schweigepflicht, S. 106; Bockelmann, in: Ponsold, Lehrbuch der Gerichtlichen Medizin, S. 12; Braun, in: Roxin / Schroth, HdB Medizinstrafrecht, S. 227; Kühne, JZ 1981, 647. 99  Tsambikakis, in: FAKomm-MedR, §  203 StGB Rn. 9; Cierniak / Pohlit, in: MüKo-StGB, § 203 Rn. 28; Eichelbrönner, Grenzen der Schweigepflicht, S. 44; Theuner, Die ärztliche Schweigepflicht, S. 106; Bockelmann, in: Ponsold, Lehrbuch der Gerichtlichen Medizin, S. 12; Braun, in: Roxin / Schroth, HdB Medizinstrafrecht, S. 227; Kühne, JZ 1981, 647. 100  Vgl. BGH NStZ 2002, 214, 215; NJW 1964, 449, 451; Percic, in: MüKoStPO, § 53 Rn. 25; Cierniak / Pohlit, in: MüKo-StGB, § 203 Rn. 71; Kl. Müller, Der Sachverständige, Rn. 385; Bockelmann, in: Ponsold, Lehrbuch der Gerichtlichen Medizin, S. 14; Tag, in: Madea, Rechtsmedizin, S. 29. 101  RGSt 61, 285, 386; 66, 273, 275; LG Berlin NStZ 1999, 86; Krause, in: LR-StPO, § 76 Rn. 2 f.; Eb. Schmidt, der Arzt im Strafrecht, S. 3, 32 ff.; Senge, in: KK, § 53 Rn. 19, nur in Bezug auf Befundtatsachen Kuhns, Das gesamte Recht der Heilberufe, S. 781; krit. Krauß, ZStW 97 (1985), 81, 87; Bartsch, Ärztliche Schweigepflicht, S.  41 ff.

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3. Kap.: Die besondere Situation der Forensischen Ambulanzen

sich demnach daraus, dass der ärztliche Sachverständige tatbestandlich schon nicht der Schweigepflicht unterliegt. Nach den „berufsrechtsbezogenen Arztbegriffen“ gestaltet sich die Herleitung der berufsgeheimnisrechtlichen Ausnahme eines ärztlichen Sachverständigen dagegen nicht derart simpel. Die Vertreter dieses Arztbegriffes sind sich aber insoweit einig, dass sich ein ärztlicher Sachverständiger gegenüber seinem Auftraggeber (zumindest in Bezug auf Befundtatsachen)102 nicht auf sein Berufsgeheimnis berufen kann.103 Begründung und dogmatischer Weg zu diesem Ergebnis fallen jedoch unterschiedlich aus.104 Eine Möglichkeit, die insbesondere von Kühne bevorzugt wird, ist es, auf eine angebliche „Rollendualität“ des ärztlichen Sachverständigen abzustellen.105 Anhänger dieses Ansatzes meinen, ein Arzt nehme Befundtatsachen, die der Erfüllung des Auftrags dienen, nicht in der „Rolle des Arztes“, sondern in der „Rolle des Sachverständigen“ wahr. Der innere Zusammenhang zwischen ärztlicher Tätigkeit und Geheimniswahrnehmung sei folglich zu verneinen.106 Zusatztatsachen würden hingegen in der „Rolle eines Arztes“ wahrgenommen werden und unterlägen somit dem Schutz des § 203 Abs. 1 Nr. 1 StGB.107 Die Mehrheit der Vertreter des berufsrechtsbezogenen Arztbegriffes will dagegen die berufsgeheimnisrechtliche Ausnahme für ärztliche Sachverständige nicht mittels einer Verneinung des inneren Zusammenhangs zwischen ärztlicher Tätigkeit und Geheimniswahrnehmung erreichen.108 Zu 102  Vgl. BGHSt 13, 1, 3; 22, 268, 271; BGH, NStZ-RR 2009, 15; Krekeler / Werner, in: AnwK-StPO, § 76 Rn. 3; Rogall, in: SK-StPO, § 53 Rn. 116; Krause, in: LR-StPO, § 76 Rn. 2; Krauß, ZStW 97 (1985), 81, 96 ff.; Fischer, § 203 Rn. 40; Cierniak / Pohlit, in: MüKo-StGB, § 203 Rn. 71 f. 103  BGH NJW 1964, 449, 451; BGHSt 38, 369, 370; Cierniak / Pohlit, in: MüKoStGB, § 203 Rn. 71; Kohlhaas, Medizin und Recht, S. 31 f.; Theuner, Die ärztliche Schweigepflicht, S.  241 f.; Goedel, Pflichten und Berechtigungen des Arztes, S.  247 ff.; Krauß, ZStW 97 (1985), 81, 96 ff.; Neubeck, in: KMR, § 76 Rn. 2. 104  Detaillierte Darstellung der Ansätze bei Rogall, in: SK-StPO, § 53 Rn. 110 ff. u. Krauß, ZStW 97 (1985), 81 ff. 105  Kühne, in: AK-StPO, § 53 Rn. 14; ders., JZ 1981, 647, 649; ebenso für Amtsärzte ders., NJW 1977, 1478, 1482; W. Kraft, Ermittlungstätigkeit des Sachverständigen, S. 25; Kl. Müller, Der Sachverständige, Rn. 385 f.; krit. Schünemann, in: LK-StGB, § 203 Rn. 125. 106  W. Kraft, Ermittlungstätigkeit des Sachverständigen, S. 25; Kühne, in: AKStPO, § 53 Rn. 14; ders., JZ 1981, 647, 649. 107  Krit. Theuner, Die ärztliche Schweigepflicht, S. 241; Dencker, NStZ 1982, 460; Schünemann, in: LK-StGB, § 203 Rn. 125. 108  BGHSt 38, 369, 370 f.; BGH MedR 2002, 309; Kargl, in: NK-StGB, § 203 Rn. 73; Krauß, ZStW 97 (1985), 81, 92; anders noch die auf der Vertrauenstheorie



D. Berufsgeheimnisrechtliche Sonderprobleme267

Recht wenden sie ein, dass der Geheimniswahrnehmung eines ärztlichen Sachverständigen der funktionale Zusammenhang zur ärztlichen Eigenschaft schon rein denklogisch nicht abgesprochen werden könne.109 Denn die spezifische Berufsrolle und die formale Zulassung des Arztes sind gerade die Gründe dafür, dass der konkrete Arzt als Sachverständiger beauftragt wurde.110 Was der ärztliche Sachverständige von dem Probanden erfährt, nimmt er demzufolge in Ausübung seines ärztlichen Berufes wahr, weswegen der Arzt bezüglich aller Befund- und Zusatztatsachen tatbestandlich der Schweigepflicht unterliegt. Im Ergebnis soll sich der ärztliche Sachverständige aber gegenüber dem Auftraggeber und im Rahmen des Verfahrens, für das er beauftragt wurde, dennoch nicht auf seine Schweigepflicht berufen können. Der Weg zu diesem Ergebnis wird wiederum unterschiedlich beschritten. Einige wollen die Schweigepflicht des ärztlichen Sachverständigen sachlich limitiert für den Auftrag und personell limitiert gegenüber dem Auftraggeber partiell unanwendbar wissen.111 Die Mehrheit gelangt zu diesem Ergebnis dogmatisch mittels einer partiellen Offenbarungspflicht des ärztlichen Sachverständigen gegenüber dem Auftraggeber und im Rahmen des Auftrags.112 Diese spezielle Offenbarungspflicht ergebe sich aus der Sachverständigenbeauftragung nach §§ 75, 77 StPO sowie aus der gesetzlichen Duldungspflicht des Probanden und dem darin normierten Vorrang des staatlichen Interesses an der Aufklärung des Sachverhaltes.113

basierenden Arztbegriffe: Eb. Schmidt, Der Arzt im Strafrecht, S. 3, 32 ff.; RGSt 61, 285, 386; 66, 273, 275. 109  BGHSt 38, 369, 370; Kargl, in: NK-StGB, § 203 Rn. 73; Krauß, ZStW 97 (1985), 81, 92 f.; krit.: Krause, in: LR-StPO, § 76 Rn. 3. 110  Kargl, in: NK-StGB, § 203 Rn. 73; Krauß, ZStW 97 (1985), 81, 92 f.; Muschallik, Die Befreiung, S. 60; krit.: Krause, in: LR-StPO, § 76 Rn. 3. 111  Wohl Braun, in: Roxin / Schroth, HdB Medizinstrafrecht, S. 238; Kohlhaas, Medizin und Recht, S. 43 f. 112  BGH MedR 2002, 309; OLG Frankfurt a. M. NStZ-RR 2005, 235 f.; Kargl, in: NK-StGB, § 203 Rn. 73; Heger, in: Lackner / Kühl, § 203 Rn. 23; Cierniak / Pohlit, in: MüKo-StGB, § 203 Rn. 71; Bartsch, Ärztliche Schweigepflicht, S. 44 f.; Fischer, § 203 Rn. 40; Krauß, ZStW 97 (1985), 81, 96 ff.; Schünemann, in: LK-StGB, § 203 Rn. 125; Rogall, in: SK-StPO, § 53 Rn. 115; Theuner, Die ärztliche Schweigepflicht, S. 24; Timm, Grenzen der Schweigepflicht, S. 142 ff.; Goedel, Pflichten und Berechtigungen, S. 247 ff.; zu § 383 I Nr. 5 ZPO s. BGH NJW 1964, 449, 451. 113  BGH MedR 2002, 309; OLG Frankfurt a. M. NStZ-RR 2005, 235; Kargl, in: NK-StGB, § 203 Rn. 73; Heger, Lackner / Kühl, § 203 Rn. 23; Cierniak / Pohlit, in: MüKo-StGB, § 203 Rn. 71; Fischer, § 203 Rn. 40; Krauß, ZStW 97 (1985), 81, 96 ff.; Schünemann, in: LK-StGB, § 203 Rn. 125; Rogall, in: SK-StPO, § 53 Rn. 115.

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3. Kap.: Die besondere Situation der Forensischen Ambulanzen

d) Anwendung auf die Rechtsmediziner der Forensischen Ambulanzen Wendet man die verschiedenen Arztbegriffe und ihre Ausnahmen auf die Rechtsmediziner der Forensischen Ambulanzen an, ergibt sich kein einheitliches Bild zu ihrer Schweigepflicht i. S. v. § 203 Abs. 1 Nr. 1 StGB. aa) Berufsrechtsbezogene Arztbegriffe Nach den berufsrechtsbezogenen Arztbegriffen – gleich ob formal oder faktisch – wäre die strafrechtliche Verschwiegenheitspflicht der Rechtsmediziner der Forensischen Ambulanzen grundsätzlich zu bejahen. Bei der Rechtsmedizin handelt es sich um ein offizielles Weiterbildungsgebiet der Landesärztekammern, das gemäß der Bundesärzteordnung ausschließlich zugelassenen Ärzten offensteht.114 Folglich erfüllen die Rechtsmediziner der Forensischen Ambulanzen den formal berufsrechtsbezogenen Arztbegriff.115 Weiterhin tragen die Rechtsmediziner an den rechtsmedizinischen Instituten üblicherweise die Bezeichnung „Arzt“.116 Sie treten den Probanden folglich unter Inanspruchnahme der Bezeichnung des Arztes und funktional „als Ärzte“ gegenüber. Grundsätzlich besteht damit eine Schweigepflicht der Rechtsmediziner der Forensischen Ambulanzen nach beiden berufsrechtsbezogenen Arztbegriffen. Eine Ausnahme wäre nach den berufsrechtsbezogenen Arztbegriffen nur zu machen, falls die Rechtsmediziner der Forensischen Ambulanzen aufgrund ihrer Zugehörigkeit zu den rechtsmedizinischen Instituten und der damit üblicherweise verbundenen Sachverständigentätigkeit ebenfalls als Sachverständige zu werten wären. Die berufsrechtsbezogenen Arztbegriffe knüpfen ihre berufsgeheimnisrechtlichen Ausnahmen an die konkrete Sachverständigeneigenschaft des Mediziners. Eine Rollendualität, infolge derer die Schweigepflicht des medizinischen Sachverständigen zu verneinen wäre, kann nur existieren, wenn der Arzt bei der Geheimniswahrnehmung bereits die „zweite Rolle“ des Sachverständigen verkörpert. Ebenso ist die Sachverständigeneigenschaft notwendig, um eine partielle Unanwendbarkeit bzw. Offenbarungspflicht gegenüber dem Auftraggeber zu generieren. Es ist nach 114  Vgl. § 4 und Nr. 30 der Weiterbildungsordnung für die Ärztinnen und Ärzte in Rheinland-Pfalz; Taupitz, MedR 1999, 95; Heberer, Das ärztliche Berufs- und Standesrecht, S. 126; R. Becker / Wecker, ZKJ 2011, 452, 453. 115  Laufs, NJW 1980, 1315, 1319; Wagner, SÄB 1981, 252 ff. 116  Die Bezeichnung als „Arzt“ oder „Ärztin“ an Instituten der Rechtsmedizin ist üblich; vgl. http: / / www. rechtsmedizin. med. uni-muenchen. de / institut / mitarbei ter / index. html (05.02.16).



D. Berufsgeheimnisrechtliche Sonderprobleme269

keiner der Varianten des berufsrechtsbezogenen Arztbegriffes so, dass ein Arzt, der üblicherweise als Sachverständiger tätig wird, nicht mehr von der Pflicht des § 203 Abs. 1 Nr. 1 StGB und dem Recht des § 53 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 StPO erfasst wird. Nach den berufsbezogenen Arztbegriffen können sich für die strafbewehrte Schweigepflicht der Rechtsmediziner der Forensischen Ambulanzen demnach nur dann Beschränkungen ergeben, falls die Ärzte ihre spezifische Untersuchungs- und Beratungstätigkeit bereits als Sachverständige ausüben. Konstitutiv und zwingend erforderlich für eine Sachverständigeneigenschaft ist jedoch – wie bereits angesprochen – ein Auftrag der Staatsanwaltschaft bzw. des Gerichts.117 Die Befunderhebung und -dokumentation der Forensischen Ambulanzen zum Zeitpunkt der Untersuchung der Straftatopfer erfolgen derweil – wie bereits dargestellt – ohne richterlichen und ohne besonderen gesetzlichen Auftrag. Mangels Sachverständigeneigenschaft zum Zeitpunkt der Wahrnehmung der Geheimnisse besteht nach keiner Variante des berufsrechtsbezogenen Arztbegriffes ein Anknüpfungspunkt, um von der Schweigepflicht der Rechtsmediziner der Forensischen Ambulanzen eine Ausnahme zu begründen. Zum Zeitpunkt der Geheimniswahrnehmung bei der Untersuchung und Beratung von Straftatopfern besteht kein Sachverständigenauftrag, der eine Rollendualität, partielle Unanwendbarkeit der Schweigepflicht oder Offenbarungspflicht begründen könnte. bb) Materielle Arztbegriffe Nach den materiellen Arztbegriffen zeichnet sich jedoch teilweise ein anderes Bild von der Schweigepflicht der Rechtsmediziner ab. Keine Unterschiede dürften sich nach derjenigen Meinung ergeben, die das strafrechtliche Berufsgeheimnis des Arztes von dem materiellen Kriterium eines Vertrauensverhältnisses abhängig machen will. Der Tätigkeit der Forensischen Ambulanz liegt kein Fremdauftrag zu Grunde,118 der einer freiwilligen Vertrauensbeziehung zwischen Rechtsmediziner und Proband entgegenstehen könnte. Die Straftatopfer suchen die Forensischen Ambulanzen freiwillig auf, was bereits für ein Vertrauensverhältnis spricht. Weiterhin 117  Vgl. BGH NStZ 2011, 356, 357; Kühne, Strafprozessrecht, Rn. 858; Trück, in: MüKo-StPO, § 72 Rn. 21; Toepel, Sachverständigenbeweis, S. 265 ff.; Schmitt, in: Meyer-Goßner / Schmitt, § 85 Rn. 3; Rogall, in: SK-StPO, § 85 Rn. 8, 11 ff.; Ulrich, Der gerichtliche Sachverständige, Rn. 16 ff.; Kl. Müller, Der Sachverständige, Rn.  507c ff.; Pfeiffer, StPO § 73 Rn. 2; Eisenberg, Beweisrecht der StPO, Rn. 1510; Krause, in: LR-StPO, § 85 Rn. 14. 118  s. drittes Kapitel A. u. C. I.

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3. Kap.: Die besondere Situation der Forensischen Ambulanzen

schließen die Straftatopfer regelmäßig einen Vertrag mit den Rechtsmedizinern der Forensischen Ambulanzen ab.119 Aufgrund dieser Verträge dürfen die Straftatopfer darauf vertrauen, dass die Rechtsmediziner die Leistungen zu ihren Gunsten und nicht für einen anderen Auftraggeber erbringen. Das Verhältnis von Forensischen Ambulanzen und ihren Leistungsempfängern erfüllt folglich die Anforderungen des restriktiven, materiellen Arztbegriffes, der ein Vertrauensverhältnis für das strafrechtliche Berufsgeheimnis fordert. Anders verhält es sich hingegen, wenn man die Forensischen Ambulanzen im Lichte desjenigen materiellen Arztbegriffs betrachtet, der eine Behandlung von krankhaften Zuständen voraussetzt.120 Demnach wären die Rechtsmediziner der Forensischen Ambulanzen – angesichts der Erkenntnisse dieses Kapitels – nicht als schweigepflichtig i. S. d. § 203 Abs. 1 Nr. 1 StGB anzuerkennen. Obgleich die Forensischen Ambulanzen auf dem Gebiet der „Klinischen Rechtsmedizin“ tätig sind und sich mit lebenden Personen befassen, führen ihre Rechtsmediziner keine kurativen Tätigkeiten aus. Die Arbeit der Rechtsmediziner besteht vielmehr aus dem forensischen Sichern, Bewerten und Asservieren von Tatspuren.121 Für eine eventuell erforderliche Heilbehandlung wird das Straftatopfer an den ursprünglich behandelnden Arzt oder an einen Facharzt „verwiesen“.122 Dass der Tätigkeit der Forensischen Ambulanzen kein kurativer Charakter zukommt, bestätigt ebenfalls der Umstand, dass die Leistungen der Ambulanzen – selbst im Falle einer vertragsärztlichen Zulassung – einem Krankenversicherten sozialgesetzlich nicht zuständen.123 Mangels kurativer Tätigkeit dürften die Rechtsmediziner in den Augen der Anhänger dieses Arztbegriffes nicht der Schweigepflicht des § 203 Abs. 1 Nr. 1 StGB unterliegen. cc) Stellungnahme Dem materiellen Arztbegriff, nach dem das strafrechtliche Berufsgeheimnis von dem kurativen Charakter der ärztlichen Tätigkeit abhängen soll, stehen erhebliche Bedenken entgegen. Letztendlich läuft dieses Verständnis Gefahr, die Gesamttätigkeit des ärztlichen Wirkens und zugleich den strafrechtlichen Geheimhaltungsschutz des § 203 StGB künstlich aufzuspal119  s.

drittes Kapitel C. IV. MedR 1986, 295, 296; Stut, Das ärztliche Geheimnis und seine Wahrung, S. 4; Hackel, Schweigepflicht bei Gerichtsmedizinern, S. 45. 121  s. drittes Kapitel A. 122  Diese Verweisungen stellen keine förmlichen Überweisungen i. S. d. Vertragsarztrechts der gesetzlichen Krankenversicherung dar, da es sich, wie bereits dargestellt, bei den Rechtsmedizinern der Forensischen Ambulanzen um keine Vertragsärzte der Krankenkassen handelt. 123  s. drittes Kapitel C. II. 120  Arloth,



D. Berufsgeheimnisrechtliche Sonderprobleme271

ten.124 Dem ärztlichen Wirken gehören naturgemäß auch Beratungen, Eingriffe sowie Vorsorgeuntersuchungen ohne indizierte Behandlungsbedürftigkeit an. So gilt es doch ernsthaft zu hinterfragen, ob beispielsweise ein Dermatologe, der einem Patienten ein Muttermal aus rein ästhetischen Gründen entfernt, nur deswegen nicht der Schweigepflicht unterliegen soll, weil er hierdurch keine „Behandlung eines krankhaften Zustandes“ vollzieht? Eine Verneinung des Geheimnisschutzes stünde im Widerspruch zu der bereits dargelegten Viktimodogmatik des § 203 Abs. 1 StGB125, da sich der Patient, der das unästhetische Muttermal sachgerecht entfernt bekommen möchte, ebenfalls „zwangsweise“ in die Hände eines Arztes begeben muss.126 Die Notwendigkeit der gesetzgeberischen „Rückgabe“ des informationellen Selbstbestimmungsrechts besteht viktimodogmatisch auch gegenüber diesem Patienten. Gleiches gilt für Personen, die die Forensische Ambulanz aufsuchen. Die Straftatopfer sind zwar nicht gesundheitlich von dem forensischen Sachverstand der Rechtsmediziner abhängig und suchen die Forensische Ambulanz freiwillig auf. Gleichwohl besteht eine Abhängigkeit zu den Rechtsmedizinern in der Weise, als die Straftatopfer zur gerichtlich verwertbaren Befunddokumentation und -erhebung ohne sofortige Entscheidung über eine Strafanzeige auf den Sachverstand und das Können der Rechtsmediziner angewiesen sind. Diese Personen verdienen als Kehrseite ihrer „zwangsweisen“ Beziehung zu der Forensischen Ambulanz einen strafrechtlichen Geheimnisschutz in Gestalt des § 203 Abs. 1 Nr. 1 StGB. Weiterhin ist dem Telos, der dem materiellen Arztbegriff zu Grunde liegt, zu widersprechen. Die Schweigepflicht von einem kurativen Charakter der ärztlichen Tätigkeit abhängig zu machen, kann nur Folge einer sozialen oder modifizierten Schutzgutauffassung zu § 203 Abs. 1 Nr. 1 StGB sein. Denn nur wenn die Gesundheitsversorgung und die Funktionsfähigkeit des Sozialstaates durch das von § 203 Abs. 1 Nr. 1 StGB gesicherte Vertrauen der Allgemeinheit geschützt werden sollen, macht es Sinn, allein solche Ärzte strafrechtlich zur Verschwiegenheit zu verpflichten, die durch Heilbehandlungen zur Funktionsfähigkeit der Gesundheitsversorgung beitragen und somit das Vertrauen der Allgemeinheit genießen müssen.127 Die sozialen und modifizierten Theorien zu § 203 Abs. 1 Nr. 1 StGB sind jedoch – wie bereits im ersten Kapitel dargelegt – wegen des rein individualistischen Schutzzwecks der Norm allesamt abzulehnen.128 Der materielle Arztbegriff krit.: Theuner, Die ärztliche Schweigepflicht, S. 214. Kapitel E. I. 5. c) cc). Kapitel E. I. 5. c) cc). Kapitel E. I. 2. Kapitel E. I. 5.

124  Ebenfalls 125  s.

erstes 126  s. erstes 127  s. erstes 128  s. erstes

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3. Kap.: Die besondere Situation der Forensischen Ambulanzen

kann für Rechtsmediziner der Forensischen Ambulanzen somit keinen Dispens von ihrer Verschwiegenheitsverpflichtung nach § 203 Abs. 1 Nr. 1 StGB begründen. e) Ergebnis Die Rechtsmediziner der Forensischen Ambulanzen unterliegen folglich – gleich „klassischen“ Ärzten – der ärztlichen Schweigepflicht des § 203 Abs. 1 Nr. 1 StGB. Ihre Mitarbeiter sind gemäß der „Gleichstellungsklausel“ des § 203 Abs. 3 S. 2 StGB ebenfalls zur Verschwiegenheit verpflichtet. 2. Besondere Aufklärungs- und Auskunftspflichten der Forensischen Ambulanzen Gleichwohl bleibt im Folgenden zu untersuchen, ob die Rechtsmediziner und Mitarbeiter der Forensischen Ambulanzen infolge der Organisation und Besonderheiten dieser neuartigen Einrichtungen besonders verpflichtet sind an der repressiven Straftatverfolgung oder der präventiven Straftatverhinderung mitzuwirken. Auf der Suche nach solchen Offenbarungspflichten muss man sich die zuvor herausgearbeiteten allgemeinen Anforderungen an eine Durchbrechung der Schweigepflicht erneut vor Augen führen.129 Wegen des verfassungsrechtlichen Hintergrundes des strafrechtlichen Geheimnisschutzes gilt, dass nur solche außerstrafrechtlichen Vorgaben die Schweigepflicht des § 203 StGB durchbrechen können, die erstens von formeller Gesetzesqualität sind und zweitens einen speziellen Charakter aufweisen, der inhaltlich auf die Offenbarung von Geheimnissen ausgerichtet ist.130 a) §§ 258 Abs. 1, 13 Abs. 1 StGB Zunächst ist zu untersuchen, ob die Rechtsmediziner wegen ihrer typischerweise zur Justiz bestehenden Nähe nach §§ 258 Abs. 1, 13 Abs. 1 StGB zur Offenbarung von Straftaten im besonderen Maße verpflichtet sind. Eine strafbewehrte Handlungspflicht des Arztes nach §§ 258 Abs. 1, 13 Abs. 1 StGB wäre – wenn sie denn besteht – fähig, die strafrechtliche Schweigepflicht des § 203 StGB zu durchbrechen.131 129  s.

zweites Kapitel B. I. 1 u. III. NStZ 1983, 1, 7; Eichelbrönner, Grenzen der Schweigepflicht, S.  168 ff.; D. Bender, MedR 2002, 626, 629; s. zweites Kapitel B. I. 1. 131  s. zweites Kapitel B. I. 1. 130  Rogall,



D. Berufsgeheimnisrechtliche Sonderprobleme273

Grundvoraussetzung einer solchen Offenbarungspflicht ist, dass den Rechtsmedizinern der Forensischen Ambulanzen eine Garantenpflicht zum Schutze des Rechtsguts von § 258 StGB – der Strafrechtspflege132 – obliegt und sie dafür zu sorgen haben, dass Straftäter ihrer Bestrafung unterworfen werden.133 Für den kurativ tätigen Arzt muss eine solche Pflicht nach den bisherigen Erkenntnissen verneint werden.134 Denn der kurativ tätige Arzt ist – wie eine Privatperson – in keiner Weise rechtlich gehalten, Belange der Strafrechtspflege zu fördern.135 Nun bestehen aber zwischen kurativ tätigen Ärzten und den Ärzten der Forensischen Ambulanzen nach den bisherigen Erkenntnissen erhebliche Unterschiede. So werden Rechtsmediziner üblicherweise als Sachverständige für die Justiz tätig. Nach der wohl herrschenden Meinung sollen Personen, die, wie Zeugen oder ärztliche Sachverständige, als Beweismittel dienen, Garantenpflichten zur Straftataufklärung obliegen.136 Ein unberechtigt schweigender, ärztlicher Sachverständiger kann sich in den Augen der Vertreter dieser Auffassung daher sehr wohl der Strafvereitelung durch Unterlassen strafbar machen. Damit gleiches für die Rechtsmediziner der Forensischen Ambulanzen gilt, müssten diese aber zum Zeitpunkt des Schweigens Sachverständige sein. Wie bereits dargelegt wurde, ist der Sachverständigenauftrag konstitutives Element für die Sachverständigeneigenschaft.137 Der Status eines Sachverständigen ist zeitlich und sachlich auf die Dauer und den Umfang des konkreten Auftrags beschränkt.138 Die Tatsache, dass die Rechtsmediziner üblicherweise als Sachverständige tätig werden, macht sie nicht per se zu Sachverständigen. Die Rechtsmediziner der Forensischen Ambulanzen weisen zum Zeitpunkt der Untersuchung und Beratung der Straftatopfer nicht den Status eines Sachverständigen auf, der ihnen eine Garantenpflicht zur Förderung von 132  BGHSt 43, 82, 84; Cramer / Pascal, in: MüKo-StGB, § 258 Rn. 3; Stree / Hecker, in: Schönke / Schröder, § 258 Rn. 1. 133  Vgl. BGH NStZ 1997, 597  ff.; Cramer / Pascal, in: MüKo-StGB, § 258 Rn. 16; Stree / Hecker, in: Schönke / Schröder, § 258 Rn. 17; Hoyer, in: SK-StGB, § 258 Rn. 32; Walter, in: LK-StGB, § 258 Rn. 87. 134  s. zweites Kapitel B. III. 2. a). 135  BGHSt 43, 82, 84; Ruhmannseder, in: BeckOK-StGB, § 258 Rn. 13. 136  OLG Frankfurt a. M. StraFo 1998, 237; OLG Zweibrücken wistra 1993, 231; OLG Köln NStZ-RR 2010, 146; LG Ravensburg NStZ-RR 2008, 177, 178; Hoyer, in: SK-StGB, § 258 Rn. 32; Stree / Hecker, in: Schönke / Schröder, § 258 Rn. 17; Altenhain, in: NK-StGB, § 258 Rn. 46; Dietmeier, in: Matt / Renzikowski, § 258 Rn. 22; a. A. LG Itzehoe NStZ-RR 2010, 10, 11; Rengier, BT I, § 21 Rn. 15; Cramer / Pascal, in: MüKo-StGB, § 258 Rn. 22. 137  s. drittes Kapitel C. I. u. D. I. 1. d) aa). 138  Vgl. Ulrich, Der gerichtliche Sachverständige, Rn. 30; Krause, in: LR-StPO, § 85 Rn. 2; Tag, in: Madea, Rechtsmedizin, S. 20.

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3. Kap.: Die besondere Situation der Forensischen Ambulanzen

Strafrechtsbelangen auferlegen könnte. Dieses Ergebnis wird darüber hinaus von der Tatsache untermauert, dass die Kosten der Leistungen der Forensischen Ambulanzen grundsätzlich von den Personen zu tragen sind, die sie aufsuchen – wenn keine Förderung der Sozialen Dienstleistung durch ein Land besteht – und nicht von der Justiz.139 Nur weil die Ärzte einer Forensischen Ambulanz einem Institut der Rechtsmedizin zugehörig sind, können sie nicht als „Hilfspersonen der Strafverfolgungsbehörden“ angesehen werden. Ihnen obliegt keine Pflicht zur Aufklärung begangener Straftaten nach §§ 258 Abs. 1, 13 Abs. 1 StGB. b) Weisungen und Direktionen Je nach Beschäftigungsverhältnis und rechtlicher Organisation des Klinikums unterliegen die Mitarbeiter und Rechtsmediziner einer Forensischen Ambulanz der Direktion bzw. Weisung eines Dienstherren oder Arbeitgebers. Verselbstständigte Hochschulkliniken können selbst den Dienstherrn des beamteten Personals darstellen – wie dies etwa für das Klinikum in Mainz der Fall ist.140 Fehlt dem Klinikum eine Dienstherreneigenschaft, bleibt für das beamtete nichtwissenschaftliche Personal sowie das wissenschaftliche Personal das Land bzw. die Hochschule oder die Trägerstiftung der Dienstherr.141 Für nichtwissenschaftliches, nichtbeamtetes Personal besitzen die Hochschulkliniken eine Arbeitgeberfunktion.142 Insbesondere für beamtete Ärzte wurde früher angenommen, dass sie Geheimnisse gar nicht selbst, sondern nur „in Vertretung“ ihrer Behörde wahrnehmen würden,143 weswegen innerhalb des internen Dienstverkehrs einer Behörde tatbestandlich keine Schweigepflicht gelte.144 Gleichwohl soll dies nach gegenwärtiger Rechtsauffassung nicht mehr gelten, wenn der Berufsgeheimnisträger nicht nur durch § 203 Abs. 2 sondern auch durch Abs. 1 zur Verschwiegenheit verpflichtet ist. Die Schweigepflicht eines Arztes soll grundsätzlich auch gegenüber seinem Dienstherren oder Arbeitgeber gelten.145 Denn Arbeitgeber oder Dienstherren können teleologisch 139  s.

drittes Kapitel C. III. u. IV. Becker, Recht der Hochschulmedizin, Universitätsklinikums, S. 110. 141  S. Becker, Recht der Hochschulmedizin, Universitätsklinikums, S. 110. 142  S. Becker, Recht der Hochschulmedizin, Universitätsklinikums, S. 110. 143  Eb. Schmidt, Arzt im Strafrecht, S. 32 ff.; 621, 624. 144  Vgl. Sieber, in: FS Eser, S. 1155, 1162. 140  S.

S. 137; Houben, Rechtsformen des S. 137; Houben, Rechtsformen des S. 137; Houben, Rechtsformen des differenzierend Kierski, DÄB 1956,



D. Berufsgeheimnisrechtliche Sonderprobleme275

keinesfalls nicht als „Dritte“ gewertet werden, gegenüber denen eine Geheimnisoffenbarung tatbestandlich unmöglich wäre.146 Dies muss insbesondere für die Arbeitgeber oder Dienstherren der Rechtsmediziner der Forensischen Ambulanzen gelten. Diese stehen weder dem einzelnen Probanden derart nahe, dass sie etwa den gesetzlichen Vertretern eines einwilligungsunfähigen Probanden gleichzusetzen wären; noch sind sie in die konkrete Tätigkeit der Forensischen Ambulanzen funktional eingebunden. Sie haben daher als Dritte zu gelten, gegenüber denen die ärztliche Schweigepflicht durch eine Geheimnisoffenbarung in tatbestandlicher Weise gebrochen werden kann. Weiterhin treten die Rechtsmediziner der Forensischen Ambulanzen bei den besonderen auf Opferschutz ausgerichteten Untersuchungs- und Beratungssituationen keineswegs als „Vertreter“ der Universitätsklinik auf. Zwischen ihnen und den sie aufsuchenden Probanden besteht gemäß den bisherigen Erkenntnissen der Untersuchung vielmehr ein Vertrauensverhältnis aufgrund dessen die Rechtsmediziner „als Ärzte“ der Probanden auftreten.147 Ebenso wenig kann davon ausgegangen werden, dass ein Straftatopfer die Rechtsmediziner stillschweigend von der Schweigepflicht gegenüber den Dienstherren oder Arbeitgebern entbindet, weil eine Geheimnisweiterage an den Dienstherren oder Arbeitgeber einen typischen Vorgang darstellt, mit dem das Straftatopfer rechnet und diesem daher bei Inanspruchnahme der Leistungen konkludent zustimmt.148 Für das Straftatopfer ist nämlich nicht ersichtlich, dass der Dienstherr oder Arbeitgeber an seinen Geheimnissen, außer zu Zwecken der Effizienz- und Arbeitskontrolle, ein berechtigtes Interesse haben könnte.149 Der Nachweis von Arbeit und Effizienz kann mittels anonymisierter oder pseudonymisierter Daten erbracht werden.150 Eine Geheimnisoffenbarung ist hierfür nicht notwendig. Fraglich ist aber gleichwohl, ob in einem hierarchischen Betrieb oder einer Behörde anderweitige Offenbarungsbefugnisse oder -pflichten die Schweigepflicht der Ärzte durchbrechen. Früher wurde noch angenommen, die erteilte Direktion des Arbeitsgebers oder Weisung des Dienstherrn, Patientengeheimnisse zu offenbaren, durchbreche die ärztliche Schweigepflicht 145  Vgl. OVG Lüneburg NJW 1975, 2263 f.; Kühne, NJW 1977, 1478; Heger, in: Lackner / Kühl, § 203 Rn. 21; Schünemann, in: LK-StGB, § 203 Rn. 150, 154. Gleichwohl können in diesen Konstellationen Offenbarungsbefugnisse und -pflichten eingreifen. 146  Vgl. Kreuzer, NJW 1975, 2232, 2234; Kühne, NJW 1977, 1478. 147  Drittes Kapitel A. u. D. I. 1. d). 148  Vgl. Kreuzer, NJW 1975, 2232, 2234. 149  Vgl. Kühne, NJW 1977, 1478, 1480. 150  Vgl. Kühne, NJW 1977, 1478, 1480.

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3. Kap.: Die besondere Situation der Forensischen Ambulanzen

und rechtfertige den damit verwirklichten Schweigepflichtbruch.151 Diese Auffassung findet heutzutage aber keinen Konsens mehr, da eine Direktion oder Weisung anerkanntermaßen nicht über Recht oder Unrecht einer Handlung entscheiden kann.152 Das Weisungsrecht eines Dienstherrn, sowie das Direktionsrecht des Arbeitgebers basieren wegen ihrer Kodifizierung in § 35 BeamtStG und § 611 BGB auf formellen Gesetzen und entsprechen somit zwar einer der Anforderungen, die eine außerstrafrechtliche Offenbarungspflicht für eine Durchbrechung von § 203 Abs. 1 Nr. 1 StGB erfüllen muss.153 Es fehlt ihnen jedoch an der notwendigen Spezialität, um § 203 StGB zu durchbrechen.154 Die Normen § 35 BeamtStG und § 611 BGB sind ihrem Inhalt nach nicht darauf ausgerichtet, die strafrechtliche Offenbarung von Geheimnissen zu rechtfertigen. Daher kann weder eine Direktion noch eine Weisung die strafrechtliche Schweigepflicht des Rechtsmediziners oder Mitarbeiters einer Forensischen Ambulanz durchbrechen. Aus denselben Gründen vermögen auch die Weisungen von Aufsichtsbehörden oder Trägern von Forensischen Ambulanzen nicht einen Schweigepflichtbruch zu rechtfertigen.155 Die ärztliche Schweigepflicht kann demnach als „hierarchie-­ fest“ bezeichnet werden.156 c) Aufgrund der Finanzierung der Sozialen Dienstleistungen Ein Großteil der Forensischen Ambulanzen wird, wie bereits dargestellt, zur Erbringung ihrer Sozialen Dienstleistungen finanziell von einem Land gefördert.157 Aus der finanziellen Förderung werden jedoch naturgemäß keine Pflichten erwachsen, die den strafrechtlichen Geheimhaltungsschutz zu Gunsten der Straftatopfer suspendieren. Die Länder fördern die Forensischen Ambulanzen aufgrund eines Antrags der jeweiligen Ambulanz sowie eines darauffolgenden Bewilligungsbescheides des Haushaltsgebers.158 In ihrem Antrag stellt sich die Forensische Ambulanz gemäß ihrem selbstgege151  Vgl. Goedel, Pflichten und Berechtigungen, S. 110; Kl. Schmidt, Ärztliche Schweigepflicht und Sozialdatenschutz, S. 76; Kreuzer, NJW 1975, 2232, 2234 ff. 152  Goedel, Pflichten und Berechtigungen, S. 110 ff.; Kühne, NJW 1977, 1478, 1480. 153  s. zweites Kapitel B. I 1. 154  Kreuzer, NJW 1975, 2232, 2234  ff.; Kühne, NJW 1977, 1478, 1480; Muschallik, Die Befreiung, S. 55 ff. 155  Fleschutz, in: Heberer, Arzt und Recht, S. 251; Kreuzer, NJW 1975, 2232, 2234 ff.; M. Jakobs, JR 1982, 359, 360. 156  Fleschutz, in: Heberer, Arzt und Recht, S. 251; Kreuzer, NJW 1975, 2232, 2234 ff.; M. Jakobs, JR 1982, 359, 360. 157  s. drittes Kapitel C. III. 158  Halfar, Finanzierung soz. Dienste, S. 47 ff.



D. Berufsgeheimnisrechtliche Sonderprobleme277

benen Konzept als eine Anlaufstelle für Straftatopfer dar, die das jeweilige Straftatopfer über die Verwendung der gesicherten Spuren und rechtsmedizinischen Befunde entscheiden lässt.159 Mit Bewilligung der projektbezogenen Förderung erkennt der Landtag diese rein opferbegünstigende Aufgabe an und will gerade diese fördern. Der jeweilige Zuwendungsbescheid wird daher naturgemäß in keiner Kontradiktion zu den Grundzügen des beschriebenen Projekts stehen, indem der Forensischen Ambulanz etwa entgegen dem Willen des Straftatopfers eine Pflicht zur Anzeige von Straftaten auferlegt werden würde.160 Gleichwohl wird der Bewilligungsbescheid regelmäßig Nebenbestimmungen, Befristungen, Zuwendungsbedingungen und Auflagenvorbehalte enthalten.161 Typischerweise wird der Erbringer von geförderten Sozialen Dienstleistungen verpflichtet, mittels eines Verwendungsnachweises darzulegen, inwieweit der Zweck der Zuwendungen eingehalten und erreicht wurde.162 Allerdings kann auch die Pflicht zur Erstellung eines Verwendungsnachweises keinen Geheimnisbruch der Rechtsmediziner rechtfertigen. Denn einer solchen Bestimmung fehlt es als Teil eines Verwaltungsaktes an der formellen Gesetzesqualität, die erforderlich wäre, um die strafrechtliche Schweigepflicht des § 203 StGB durchbrechen zu können.163 Dies bedeutet, dass die Forensischen Ambulanzen bei Erstellung eines Verwendungsnachweises darauf achten müssen, keine Geheimnisse – insbesondere Namen – ihrer Patienten zu offenbaren. Dies kann nur mittels einer umfassenden Anonymisierung oder Pseudonymisierung geschehen.164 d) § 161 Abs. 1 S. 1 StPO Die organisatorische Zugehörigkeit der Forensischen Ambulanzen zu den rechtsmedizinischen Instituten bewirkt regelmäßig, dass die jeweilige Forensische Ambulanz als eine „öffentliche Behörde“ im Sinne der StPO anzusehen ist. Den strafprozessualen Behördenbegriff erfüllen alle in öffentlicher Trägerschaft befindlichen Stellen, die nach dem öffentlichen Recht eingerichtet und mit der Erfüllung öffentlicher Aufgaben betraut sind.165 159  Vgl. Plenarprotokoll, Landtag Rheinland-Pfalz 15 / 44, S. 2608; Plenarprotokoll, Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg 18 / 89, S. 4761; Mützel / Helmreich / Schick / Saß / Schöpfer, Rechtsmedizin 2014, 200. 160  RLP MinBl. 2003, Nr. 2, S. 22 ff.; vgl. Teil I Anlage 3 im Vollzug der Landeshaushaltsordnung (VV-LHO) zu § 44 Abs. 1 LHO. 161  Halfar, Finanzierung soz. Dienste, S. 56. 162  Halfar, Finanzierung soz. Dienste, S. 56. 163  s. zweites Kapitel B. I. 1. 164  s. zweites Kapitel A. III. 165  Erb, in: LR-StPO, § 161 Rn. 9; Pfeiffer, StPO § 256 Rn. 2; Engelstätter, in: BeckOK-StPO, RiStBV 68 Rn. 2; Griesbaum, in: KK, § 161 Rn. 2.

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3. Kap.: Die besondere Situation der Forensischen Ambulanzen

Daher gelten rechtsmedizinische Institute an Universitätskliniken – und damit wohl auch die ihr zugehörigen Forensischen Ambulanzen – als Behörden.166 Als eine solche Behörde wäre die Forensische Ambulanz nach § 161 Abs. 1 S. 1 StPO grundsätzlich verpflichtet, einem Auskunftsverlangen der Staatsanwaltschaft nachzukommen.167 Das Bestehen einer solchen Auskunftspflicht wäre vor allem für solche Fälle relevant, in denen die Ermittlungsbehörde bereits durch andere Quellen Hinweise auf eine Straftat erhalten hat und weiß, dass das in Rede stehende Opfer die Forensische Ambulanz aufgesucht hat. Für die Ermittlungsarbeit wären die während der Untersuchung und Beratung in der Forensischen Ambulanz gewonnen die Erkenntnisse von großer Bedeutung.168 Allerdings gilt das Auskunftsrecht der Staatsanwaltschaft nicht schrankenlos. Es wird vielmehr durch geheimnisschützende Vorschriften, wie § 35 Abs. 1 SGB I, § 88 TKG, § 39 PostG, aber auch durch Zeugnisverweigerungsrechte, wie § 53 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 StPO, begrenzt.169 Die Rechtsmediziner und ihre Gehilfen unterliegen gemäß den bisherigen Erkenntnissen der materiellen Schweigepflicht des § 203 Abs. 1 Nr. 1 StGB.170 Das ärztliche Zeugnisverweigerungsrecht nach § 53 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 StPO soll aber – obgleich es das prozessuale Korrelat bildet – in den Augen der herrschenden Meinung zu dieser materiellen Pflicht nicht deckungsgleich sein.171 Dies ist wohl auch der Grund dafür, dass eine beachtliche Anzahl von Kommentatoren entgegen der zu § 203 StGB herrschenden Meinung172 für § 53 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 an der Vertrauenstheorie festhält und meint, ein ärztliches Zeug166  Vgl. BGH, NStZ-RR 2001, 257, 262; BGH NStZ 1984, 231; OLG Karlsruhe NJW 1973, 1426; LG Berlin, NJW 1999, 878, 879; Tag, in: Madea, Rechtsmedizin, S. 22; Ganter, in: BeckOK-StPO, § 256 Rn. 9; Engelstätter, in: BeckOK-StPO, RiStBV 68 Rn. 2. 167  Selbst wenn es sich bei der Forensischen Ambulanz um keine Behörde im Sinne der StPO handelt, kann durch eine Zeugenvernehmung Auskunft verlangt werden. Vgl. LG Frankfurt a. M. NJW 1954, 688; Patzak, in: BeckOK-StPO, § 161 Rn. 9. 168  Vgl. M. Jakobs, JR 1982, 359. 169  Vgl. LG Frankfurt a. M. NJW 1954, 688, 690; OLG Karlsruhe NJW 1986, 145, 146; Erb, in: LR-StPO, § 161 Rn. 9, 14 ff.; Griesbaum, in: KK, § 161 Rn. 7 ff.; Patzak, in: BeckOK-StPO, § 161 Rn. 9; M. Jakobs, JR 1982, 359 ff.; Kröger, ZfJ 1993, 21, 22 f.; Gunder, Kinder im Strafverfahren, S. 115; Gössel / Dölling, BT 1, § 37 Rn. 161. 170  s. drittes Kapitel D. I. 1. 171  BGHSt 9, 60, 61; Huber, in: BeckOK-StPO, § 53 Rn. 4 ff.; Pfeiffer, StPO, § 53 Rn. 2; krit. u. für einen deckungsgleichen Schutzzweck: Rogall, in: SK-StPO, § 53 Rn. 2; Muschallik, Die Befreiung, S. 100 ff., 106; Steinberg-Copek, Berufsgeheimnis, S.  50 ff. 172  OLG Köln NJW 2000, 3656, 3657; Braun, in: Roxin / Schroth, HdB Medizinstrafrecht, S. 238; Bosch, JURA 2013,780, 783; Kraatz, Arztstrafrecht Rn. 238; Tsambikakis, in: FAKomm-MedR, § 203 StGB Rn. 36.



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nisverweigerungsrecht scheide aus, wenn zwischen dem Arzt und dem Patienten bzw. Probanden kein Vertrauensverhältnis besteht.173 Doch selbst wenn man an dieser fragwürdigen Voraussetzung festhalten möchte, muss man für die Rechtsmediziner der Forensischen Ambulanzen zu dem Schluss kommen, dass ihnen ein strafprozessuales Zeugnisverweigerungsrecht zusteht. Denn gemäß den bisherigen Erkenntnissen besteht zwischen den Rechtsmedizinern und den sie freiwillig aufsuchenden Straftatopfern gerade ein solches Vertrauensverhältnis.174 Somit sind die Rechtsmediziner der Forensischen Ambulanzen nicht nur durch § 203 Abs. 1 Nr. 1 StGB zum Schweigen verpflichtet, sondern auch durch § 53 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 StPO zur Verweigerung des Zeugnisses berechtigt. Um sich nicht nach § 203 Abs. 1 Nr. 1 StGB strafbar zu machen, müssen sie einem Auskunftsverlangen der Staatsanwaltschaft ihr Zeugnisverweigerungsrecht entgegenhalten, solange das Straftatopfer sie nicht von ihrer Schweigepflicht befreit hat oder eine anderweitige im zweiten Kapitel beschriebene Offenbarungsbefugnis oder -pflicht eingreift. Das in § 161 Abs. 1 S. 1 StPO normierte Auskunftsrecht der Staatsanwaltschaft kann für sich allein genommen jedenfalls nicht ihre Pflicht zur Verschwiegenheit durchbrechen. Ebenso wenig vermögen anderweitige auf dem allgemeinen Amtshilfegrundsatz beruhende Auskunftsrechte die Schweigepflicht der Rechtsmediziner der Forensischen Ambulanz zu durchbrechen. Den allgemeinen Rechts- und Amtshilfevorschriften fehlt der spezielle Charakter, der für eine Durchbrechung der strafbewehrten Schweigepflicht erforderlich wäre.175 Das ärztliche Berufsgeheimnis kann daher mit den Worten von Rogall als „amtshilfefest“ charakterisiert werden.176 3. Ergebnis Die erste berufsgeheimnisrechtliche Frage im Zusammenhang mit den Forensischen Ambulanzen lässt sich demnach wie folgt beantworten: Rechtsmediziner und Mitarbeiter der Forensischen Ambulanzen unterliegen umfassend der Schweigepflicht, genau wie ein kurativ tätiger Arzt. Ihnen obliegen keine besonderen Aufklärungs- oder Auskunftspflichten, die über das hinausgehen, wozu ein kurativ tätiger Arzt im Zusammenhang mit der Aufklärung und Verhinderung von Straftaten verpflichtet oder berechtigt 173  Vgl. Pfeiffer, StPO, § 53 Rn. 3; Senge, in: KK, § 53 Rn. 19, Krause, in: LR-StPO, § 76 Rn. 2; Ignor / Bertheau, in: LR-StPO, § 53 Rn. 37. 174  s. drittes Kapitel A. u. C. III. u. IV. u. D. I. 1. d) bb). 175  Rogall, NStZ 1983, 1, 7; Popp, in: AnwK-StGB, § 203 Rn. 56, Kröger, ZfJ 1993, 21, 22; Gunder, Kinder im Strafverfahren, S. 115; Schünemann, in: LK-StGB, § 203 Rn. 152. 176  Rogall, NStZ 1983, 1, 7.

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3. Kap.: Die besondere Situation der Forensischen Ambulanzen

ist.177 Hierzu kann auf die vorherigen Ausführungen sowie auf den berufsgeheimnisrechtlichen Leitfaden, der im Anschluss an die Zusammenfassung dieser Arbeit angesiedelt ist, verwiesen werden.178

II. Vereinbarkeit der Schweigepflicht mit Auskunftsansprüchen Da die Rechtsmediziner und ihre Mitarbeiter gemäß den gewonnen Erkenntnissen umfassend der strafrechtlichen Schweigepflicht unterliegen, gilt es die zweite berufsgeheimnisrechtliche Sonderproblematik, nämlich wie sich die Schweigepflicht mit Auskunftsansprüchen von Dritten vereinbaren lässt, zu beleuchten. Diese Frage stellt sich zwangsläufig, sobald eine Person einen Vertrag mit der Forensischen Ambulanz zur Erhebung, Sicherung und Bewertung von an dem Körper einer anderen Person befindlichen Befundtatsachen abschließt, wie etwa eine Großmutter, die zur Klärung des Verdachts, ihr Enkel werde von seinen Eltern misshandelt, mit ihrem Enkel die Forensische Ambulanz aufsucht. Ein in diesem Kontext geschlossenes Vertragsverhältnis wird naturgemäß – zumindest konkludent – darauf ausgerichtet sein, dass dem Vertragspartner ein Auskunftsanspruch über die Ergebnisse und Erkenntnisse aus der forensischen Untersuchung des Straftatopfers zukommt. Diese Auskunft kann sich auch auf noch unbekannte Tatsachen und somit Geheimnisse des Probanden beziehen und damit eine Geheimnisoffenbarung i. S. d. § 203 Abs. 1 Nr. 1 StGB verwirklichen.179 Da der Straftatbestand des § 203 StGB anerkanntermaßen als Verbotsgesetz i. S. d. § 134 BGB anzusehen ist,180 steht aufgrund einer derartigen Auskunft nicht nur ein möglicher strafbarer Schweigepflichtbruch im Raum, dem Vertragsverhältnis zwischen Forensischer Ambulanz und Auftraggeber könnte darüber hinaus aufgrund von § 134 BGB i. V. m. § 203 Abs. 1 Nr. 1 StGB die Nichtigkeit drohen.181 Ent177  Zu dem genauen Umfang und Grenzen ihres Berufsgeheimnisses: s. Berufsgeheimnisrechtlicher Leitfaden im Anschluss an die Zusammenfassung der Ergebnisse dieser Arbeit. 178  s. Zusammenfassung der Ergebnisse. 179  s. zu den Details: zweites Kapitel A. II. u. III. 180  Vgl. BGH NJW 1991, 2955, 2956; NJW 1992, 737, 738; AG Hamburg, Urteil v. 09.07.2013 AZ 7CC1613 7 c C 16 / 13 = BeckRS 2013, 12943; Wendtland, in: BeckOK-BGB, § 134 Rn. 25; Armbrüster, in: MüKo-BGB, § 134 Rn. 54  f.; Deutsch / Spickhoff, MedR, Rn. 937; Schröder, Ankunftsanspruch, S. 93, 140; Kraatz, NStZ-RR 2014, 65, 66. 181  Vgl. BGH NJW 1991, 2955, 2956; NJW 1992, 737, 738; AG Hamburg, Urteil v. 09.07.2013 AZ 7CC1613 7 c C 16 / 13 = BeckRS 2013, 12943; Deutsch /  Spickhoff, MedR, Rn. 937; Schröder, Ankunftsanspruch, S. 93, 140; Kraatz, NStZ-



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halten medizinische Behandlungsverträge Auskunftsklauseln, die gegen § 203 Abs. 1 Nr. 1 StGB verstoßen, wird allgemein angenommen, dass hieraus eine Teilnichtigkeit in Bezug auf die Auskunftsklausel folgt.182 Gutachterverträge, wozu die Verträge der Forensischen Ambulanz wohl ebenfalls zu zählen wären, sollen bei einem Verstoß gegen § 203 Abs. 1 Nr. 1 StGB dagegen insgesamt als nichtig zu bewerten sein.183 Entscheidend dafür, ob Auskunftsansprüche im Zusammenhang mit den forensischen Untersuchungen überhaupt zu einem Verstoß gegen § 203 Abs. 1 Nr. 1 StGB führen, ist zunächst die Fähigkeit des Probanden nach den im zweiten Kapitel ausgeführten für das Strafrecht geltenden Kriterien184 über die Freigabe seiner Geheimnisse eigenständig entscheiden zu können. Sollte der Proband die notwendige Einsichts- und Urteilsfähigkeit besitzen, ist in dem Umstand, dass der Vertragspartner als Begleitperson nach seinem Willen bei Inanspruchnahme der Leistungen Forensischen Ambulanz anwesend sein soll, bereits eine konkludent erteilte Schweigepflichtentbindung zu erkennen. Die Auskunft und die damit einhergehende Offenbarung von Geheimnissen des Probanden gegenüber der Vertragspartei – gleich ob personensorgeberechtigt oder nicht – verstößt in derartigen Konstellationen nicht gegen § 203 Abs. 1 Nr. 1 StGB, weswegen dem Vertrag auch keine Nichtigkeit droht. Anders verhält es sich jedoch, wenn der Proband nicht fähig ist, eigenständig über seinen konkreten Geheimnisschutz im Zusammenhang mit seiner Viktimisierung zu verfügen, wie dies insbesondere bei Kleinkindern der Fall ist. Zur Vertretung des Kindes sind in solchen Fällen grundsätzlich die Eltern gemäß §§ 1626, 1627, 1629 Abs. 1 S. 1, 2 BGB gemeinschaftlich berufen.185 Bei unter Betreuung stehenden Person ist gemäß § 1902 BGB der Betreuer hierfür zuständig.186 Aufgrund dieser gesetzlichen Befugnis und Pflicht können die gesetzlichen Vertreter aus telelogischen Gesichtspunkten im Rahmen von § 203 StGB nicht als „Dritte“ gewertet werden, gegenüber denen ein Schweigepflichtbruch überhaupt tatbestandlich beganRR 2014, 65, 66; vgl. zum genauen Umfang der Nichtigkeit Schröder, Ankunftsanspruch, S. 138 ff., 140. 182  Schröder, Ankunftsanspruch, S. 138 ff., 140; vgl. allg. hierzu Wendtland, in: BeckOK-BGB, § 134 Rn. 21. 183  Schröder, Ankunftsanspruch, S. 138 ff., 140; s. a. Cierniak / Pohlit, in: MüKoStGB, § 203 Rn. 80. 184  s. zweites Kapitel B. II. 3. a). 185  Veit, in: BeckOK-BGB, § 1629 Rn. 10  ff.; Huber, in: MüKo-BGB, § 1629 Rn.  1 ff. 186  Müller, in: BeckOK-BGB, § 1902 Rn. 1 ff.; Spickhoff, in: Spickhoff, MedR, BGB § 1902 Rn. 1 f.; Schwab, in: MüKo-BGB, § 1902 Rn. 1 ff.

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3. Kap.: Die besondere Situation der Forensischen Ambulanzen

gen werden kann.187 Der Rechtsmediziner kann die Untersuchung des Probanden daher ohne Probleme in Anwesenheit der gesetzlich zur Vertretung berufenen Personen durchführen und kann diesen Personen darüber hinaus umfassend Rede und Antwort über die Ergebnisse und Erkenntnisse aus der forensischen Untersuchung des Probanden stehen, ohne dass er hierdurch seine Schweigepflicht bricht. Ein Vertrag, der einen Auskunftsanspruch eines gesetzlichen Vertreters bezüglich der Geheimnisse des einwilligungsunfähigen Probanden enthält, ist folglich nicht wegen § 134 BGB i. V. m. § 203 Abs. 1 Nr. 1 StGB nichtig. Problematisch wird es, wenn einer nichtpersonensorgeberechtigten Begleitperson als Vertragspartei ein Auskunftsanspruch zukommen soll, wie etwa in dem Beispielsfall von der Großmutter, die ihren von den Eltern misshandelt geglaubten Enkel zur Forensischen Ambulanz bringt. Hier lässt sich die Befürchtung eines strafrechtlichen Verstoßes gegen § 203 Abs. 1 Nr. 1 StGB sowie die einer Nichtigkeit des gesamten Vertrages nicht derart einfach aus der Welt schaffen. Nichtpersonensorgeberechtigte Personen können teleologisch keineswegs aus dem Kreis der „Dritten“ herausgenommen werden.188 Gibt der Rechtsmediziner der nichtpersonensorgeberechtigten Person ohne Zustimmung der gesetzlichen Vertreter Auskunft über ihr noch unbekannte Tatsachen, verwirklicht dies einen tatbestandlichen Schweigepflichtbruch. Auf die mutmaßliche Einwilligung der gesetzlichen Vertreter kann in diesen Fällen allenfalls dann zurückgegriffen werden, wenn eine Ausnahmesituation vorliegt, in der die Sicherung der Spuren dem mutmaßlichen Willen der Eltern entspricht und zudem eine Einholung der elterlichen Zustimmung faktisch unmöglich ist, bevor sich die Spuren an dem Körper des Probanden verflüchtigen. In den meisten Fällen wird die mutmaßliche Einwilligung jedoch nicht einschlägig sein, da die gesetzlichen Vertreter wohl regelmäßig relativ einfach zu befragen wären und auch nicht ohne Weiteres davon ausgegangen werden kann, dass sie bei derart sensiblen Themen auf die Befragung verzichten würden.189 Sollten die gesetzlichen Vertreter selbst unter Verdacht stehen, den Probanden misshandelt oder missbraucht zu haben, wird man darüber hinaus schon gar nicht davon ausgehen dürfen, dass eine forensische UnterSpickhoff, in: Spickhoff, Medizinrecht, § 203 Rn. 39. zweites Kapitel B. II. 3. aa). 189  Vgl. zu der mutmaßlichen Einwilligung: BGH NJW 1983, 2627, 2629 ff.; BGH NZS 2013, 553, 554 f.; BayObLG NJW 1987, 1492 ff.; Rönnau, in: LK-StGB, vor § 32 Rn. 221; Vitkas, Grenzen ärztlicher Schweigepflicht, S. 73; Spickhoff, in: Spickhoff, Medizinrecht, § 203 Rn. 34 ff.; Fischer, § 203 Rn. 36; Braun, in: Roxin / Schroth, Hdb Medizinstrafrecht, S. 245; Ulsenheimer, Arztstrafrecht, I § 8 Rn. 375; Cierniak / Pohlit, in: MüKo-StGB, § 203 Rn. 84; D. Bender, MedR 2002, 626, 629; Warda, in: FS Maurach, S. 143, 168; Kern, NJW 1994, 756; Sommer / Tsambikakis, in: MAH MedR, § 3 Rn. 116. 187  Vgl. 188  s.



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suchung den subjektiven Interessen der gesetzlichen Vertreter entspricht. Ebenso wenig darf – wie bereits dargestellt – auf die mutmaßliche Einwilligung des einwilligungsunfähigen Probanden zurückgegriffen werden, wenn dieser, wie etwa ein Kleinkind, noch nie fähig war einen rechtlich beachtlichen Verzicht zu bilden.190 Gleichwohl wird die Auskunft in vielen Fällen anderweitig gerechtfertigt sein. Die nichtpersonensorgeberechtigte Begleitperson sowie die Rechtsmediziner werden in derartigen Sachverhalten auf die Einholung des Einverständnisses der Eltern regelmäßig nicht aus Bequemlichkeit verzichten, sondern weil es sich um Sachverhalte handelt, in denen zu befürchten ist, dass zumindest ein Elternteil als Täter oder Mitwisser der Kindesmisshandlung oder des Kindesmissbrauchs in Betracht kommt und die Einholung der elterlichen Zustimmung und die damit einhergehende Konfrontation mit dem Verdacht für das Kind nachteilige Folgen haben könnte. Begleitperson und Rechtsmediziner handeln somit aufgrund einer Notstandslage, wenn bereits vor der rechtsmedizinischen Untersuchung objektive Umstände auf eine Misshandlung oder einen Missbrauch unter Beteiligung der Eltern hindeuten. Die mit der Auskunft einhergehende Geheimnisoffenbarung wird in derartigen Situation regelmäßig durch § 34 StGB gerechtfertigt sein. Im Rahmen dieser hierbei erforderlichen Interessenabwägung gilt das zuvor ausgeführte.191 So mag der unter Verdacht stehende gesetzliche Vertreter, der zur stellvertretenden Entscheidung über den Geheimhaltungsschutz berufen ist, zwar ein starkes Geheimhaltungsinteresse aufweisen. Da er jedoch seine Vertretungsbefugnis ausschließlich treuhänderisch zu Gunsten des Kindes ausüben darf, ist die objektive Interessenabwägung aus der Perspektive des Kindes zu führen. Die Problematik des zuvor ausgeführten intrapersonalen Interessenkonflikts ist dadurch überwunden, dass das Kind noch nicht zur Selbstbestimmung fähig ist und eine objektiven Abwägung der kindeseigenen Interessen damit ohne Verstoß gegen das Autonomieprinzip vorgenommen werden kann. Die Auskunft an die besorgte Großmutter aus dem Beispielsfall stellt den denkbar schonendsten Eingriff in den Geheimnisschutz des einwilligungsunfähigen Probanden zur Abwendung seiner Gefährdung dar und das Interesse an der Feststellung der Straftaten und der Abwendung weiterer Misshandlungen und Missbräuche überwiegt in der objektiven Abwägung das Interesse an dem Erhalt des Geheimhaltungsschutzes gegenüber der Begleitperson wesentlich.192 Ein Verstoß gegen 190  Vgl. Merkel, ZStW 107 (1995), 545, 564; ders., Früheuthanasie, S. 159; J.  Schmitz, Rechtfertigender Notstand, S. 92; s. zweites Kapitel B. II. 3. b) bb). 191  Vgl. im Detail zu den Voraussetzungen des rechtfertigenden Notstandes als Offenbarungsbefugnis: zweites Kapitel B. IV. 2. 192  Vgl. im Detail zu den Voraussetzungen des rechtfertigenden Notstandes als Offenbarungsbefugnis: zweites Kapitel B. IV. 2.

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3. Kap.: Die besondere Situation der Forensischen Ambulanzen

§ 203 Abs. 1 Nr. 1 StGB liegt in einer derartigen Auskunft nicht vor. Selbst nichtpersonensorgeberechtigten Personen können somit ausnahmsweise wirksame Verträge zur forensischen Untersuchung des Straftatopfers und anschließenden Auskunft abschließen. Demnach bleibt festzuhalten, dass sich Auskunftsansprüche mit der Schweigepflicht der Rechtsmediziner der Forensischen Ambulanzen vereinbaren lassen, wenn folgende Grundsätze beachtet werden: Kann der Proband dank seiner natürlichen Einsichts- und Urteilsfähigkeit selbstständig über die Preisgabe seiner Geheimnisse verfügen, entscheidet er über die Zulässigkeit von Auskünften gegenüber anderen Personen. Ist nach seinem Willen eine Begleitperson bei der Untersuchung und Beratung anwesend kann hierin sein konkludent erteiltes Einverständnis in die Auskunft erblickt werden. Fehlt es dem Probanden an einer solchen Fähigkeit, ist die Auskunft gegenüber den personensorgeberechtigten Personen zulässig. Bringt aber eine nichtpersonensorgeberechtigte Person einen einwilligungsunfähigen Probanden zu der Forensischen Ambulanz und soll Auskunft über die forensische Untersuchung erhalten, ist im Hinblick auf eine Strafbarkeit wegen § 203 Abs. 1 Nr. 1 StGB als auch auf die zivilrechtliche Wirksamkeit des Vertrages wegen § 134 i. V. m. § 203 Abs. 1 Nr. 1 StGB Vorsicht geboten. Prinzipiell erfordert eine solche Auskunft die Zustimmung der gesetzlichen Vertreter. Ausnahmen von diesem Grundsatz bestehen aber gleichwohl, wenn die ausdrückliche Zustimmung der gesetzlichen Vertreter faktisch nicht eingeholt werden kann, bevor sich die Spuren an dem Körper des Probanden verflüchtigen, oder die Einholung der ausdrücklichen Zustimmung den Probanden in weitere Gefahr bringen würde, da die gesetzlichen Vertreter selbst unter Verdacht stehen die Taten begangen zu haben und zu befürchten ist, dass sie infolge einer Konfrontation mit dem Verdacht den Probanden dem Einflussbereich anderer Personen entziehen und den Druck auf den Probanden erhöhen werden.

III. Das Konsiliarische Beratungsangebot der Forensischen Ambulanzen Das letzte berufsgeheimnisrechtliche Problemfeld, das einer besonderen Beachtung bedarf, ist das konsiliarische Beratungsangebot der Forensischen Ambulanzen. Die Rechtsmediziner der Forensischen Ambulanzen bieten Ärzten, denen das spezielle Fachwissen zur forensischen Befunddokumentation oder auch zur Bewertung der Befunde fehlt, eine umfassende Beratung an.193 Dieses Angebot wird tatsächlich auch rege in Anspruch genom193  Todt / Maciuga / Debertin, Rechtsmedizin 2014, 399, 401  ff.; Püschel, HÄBl 2014, 15.



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men. Die Forensischen Ambulanzen gelangen zu einem erheblichen Teil ihrer Fälle über derartige konsiliarische Anfragen von behandelnden Ärzten.194 1. Geheimnisoffenbarung zwischen Berufsgeheimnisträgern Berufsgeheimnisrechtlich stellt sich die Frage, ob die Inanspruchnahme des beschriebenen Beratungsangebots der Forensischen Ambulanzen eine straftatbestandliche Geheimnisoffenbarung des anfragenden Arztes darstellt und deswegen einer besonderen Befugnis bedarf. Dem Grundsätzlich nach kann eine tatbestandliche Geheimnisoffenbarung i. S. v. § 203 StGB durch eine Geheimnispreisgabe gegenüber jeder unwissenden Person, und damit auch gegenüber anderen Ärzten, wie Rechtsmedizinern, verwirklicht werden.195 Gleichwohl finden sich in der berufsgeheimnisrechtlichen Literatur Ansätze, die dieses weitreichende Verständnis einschränken wollen.196 Ausnahmen sollen insbesondere dann gelten, wenn es um den Geheimnisaustausch zwischen mehreren Verschwiegenheitsverpflichteten geht, da der moderne arbeitsteilige Medizinalltag diesen zu einer praktischen Notwendigkeit macht.197 Da sowohl behandelnde Ärzte als auch die Rechtsmediziner der Forensischen Ambulanzen gemäß den bisherigen Erkenntnissen Verschwiegenheitsverpflichtete i.  S.  d. § 203 Abs. 1 StGB darstellen,198 gilt es vor diesem Hintergrund zu klären, ob eine Inanspruchnahme des konsiliarischen Beratungsangebots als ein tatbestandliches Offenbaren oder nicht vielmehr als ein tatbestandloser Austausch unter Ärzten aufgefasst werden muss. a) Restriktiver Ansatz zur Offenbarung zwischen Ärzten Nach einem sehr restriktiven Ansatz soll der fachlich notwendige Austausch zwischen mehreren Berufsgeheimnisverpflichteten keine Schweigepflichtverletzung darstellen.199 Grundlage für eine derartige Ansicht bieten solche Schutzgutverständnisse, die den Sinn und Zweck des strafrechtlichen Banaschak / Gerlach / Seifert / Bockholdt / Graß, Rechtsmedizin 2014, 405. zweites Kapitel A. III. 196  Müller, MDR 1971, 970, 971; Gönner, Die Schweigepflicht des Arztes, S. 62, 63; wohl auch Höflich, Die ärztliche Schweigepflicht, S. 67; ähnlich auch Kuhns, Das gesamte Recht der Heilberufe, S. 778; vgl. Sieber, in: FS Eser, S. 1157, 1161. 197  Kohlhaas, Medizin und Recht, S. 22; Grömig, NJW 1970, 1209 ff.; Tobinsky, Strafbarkeit des Arztes, S. 72 ff.; Just, in: Ärztliche Schweigepflicht, S. 15 ff. 198  s. zweites Kapitel A. I. u. drittes Kapitel D. I. d). 199  Müller, MDR 1971, 970, 971; Gönner, Die Schweigepflicht des Arztes, S. 62, 63; wohl auch Höflich, Die ärztliche Schweigepflicht, S. 67; ähnlich auch Kuhns, Das gesamte Recht der Heilberufe, S. 778, der eine Offenbarung zwischen 194  Vgl. 195  s.

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3. Kap.: Die besondere Situation der Forensischen Ambulanzen

Geheimnisschutzes entweder in den objektiven Interessen des Patienten,200 in den Interessen des Gesundheitssystems oder aber auch in den beruflichen Interessen des Arztes201 suchen. Nach einem solchen Verständnis kann sich der kurativ tätige Arzt ohne Bedenken mit den Rechtsmedizinern der Forensischen Ambulanzen austauschen, da er ihnen gegenüber gar nicht der Schweigepflicht unterliegt. b) Differenzierender Ansatz Im Schrifttum verbreitet ist ebenfalls ein differenzierender Ansatz. Demnach soll es für die Möglichkeit einer tatbestandlichen Geheimnisoffenbarung darauf ankommen, zwischen welchen Berufsgeheimnisträgern ein Geheimnisaustausch stattfindet.202 Die zur Aufrechterhaltung der arbeitsteiligen Funktionen notwendige Geheimnisweitergabe an „berufsmäßig tätige Gehilfen und Kollegen“ soll kein tatbestandliches Offenbaren verwirklichen.203 Denn alle unmittelbar zur Behandlung berufenen Arzthelfer, Ärzte und sonstige Hilfskräfte eines Behandlungsteams, gehörten bereits dem „Kreis der zum Wissen Berufenen“ an, womit ihnen gegenüber keine Schweigepflicht bestehen könne.204 Ein Geheimnisaustausch mit außerhalb dieses Kreises befindlichen Personen – obgleich sie ebenfalls berufsgeheimnisverpflichtet sein mögen – soll hingegen eine Geheimnisoffenbarung darstellen.205 behandelnden Ärzten nur dann als unbefugt ansehen will, wenn der Patient sich aktiv gegen die Weitergabe seiner Geheimnisse ausspricht. 200  Langkeit, NStZ 1994, 6, 7; obgleich i. E. differenzierend. 201  Tobinsky, Strafbarkeit des Artes, S. 99  ff. gelangt zu diesem Ergebnis über eine verfassungskonforme Auslegung von § 203 StGB im Lichte von Art. 12 GG. 202  Braun, in: Roxin / Schroth, HdB Medizinstrafrecht, S. 238; Cierniak / Pohlit, in: MüKo-StGB, § 203 Rn. 49; Heger, Lackner / Kühl, § 203 Rn. 17; Höflich, Die ärztliche Schweigepflicht, S. 67; Langkeit, NStZ 1994, 6, 7; Ulsenheimer, Arztstrafrecht, I § 8 Rn. 370, 373b; Hilgendorf, in: Arzt / Weber / Heinrich / Hilgendorf, BT, § 8 Rn. 33; ähnlich Fischer, § 203 Rn. 30b; Hübner, Umfang und Grenzen, S. 75; Just, in: Ärztliche Schweigepflicht, S. 15 f. 203  Tobinsky, Strafbarkeit des Arztes, S. 75 ff., 125; Goedel, Pflichten und Berechtigungen, S.  78 f.; Schlund, JR 1977, 267; wohl ebenfalls: Küper / Zopfs, BT, Rn. 256; Gropp, JR 1996, 478, 479 u. Sieber, in: FS Eser, S. 1155, 1164 ff. 204  Hübner, Umfang und Grenzen, S. 95; Eb. Schmidt, Der Arzt im Strafrecht, S. 16; Schlund, JR 1977, 265, 267; Spickhoff, in: Spickhoff, Medizinrecht, § 203 III Rn. 22, 29; Ulsenheimer, Arztstrafrecht, I § 8 Rn. 373; Langkeit, NStZ 1994, 6, 7; Cierniak / Pohlit, in: MüKo-StGB, § 203 Rn. 50; Lenckner / Eisele, in: Schönke / Schröder, § 203 Rn. 19; i. E. ebenso: BGH NJW 1974, 602; Gössel / Dölling, BT 1, § 37 Rn.  146 ff. 205  BayOLG NStZ 1995, 187; Cierniak / Pohlit, in: MüKo-StGB, § 203 Rn. 49; Kohlhaas, Medizin und Recht, S. 22; Muschallik, Die Befreiung, S. 48; Eser, ZStW 97 (1985), 1, 43.



D. Berufsgeheimnisrechtliche Sonderprobleme287

Die Rechtsmediziner der Forensischen Ambulanz müssten nach diesem Ansatz als Personen gezählt werden, die sich außerhalb des beschriebenen Kreises bewegen, da sie nicht dem Behandlungsteam des behandelnden Arztes angehören. Die Weitergabe von Patientengeheimnissen im Rahmen des konsiliarischen Beratungsangebots stellt nach diesem Ansatz eine tatbestandliche Geheimnisoffenbarung des behandelnden Arztes dar. c) Extensiver Ansatz Die herrschende Ansicht will den tatbestandlichen Schutz vor einer Geheimnisoffenbarung möglichst extensiv verstehen.206 Der praktischen Notwendigkeit eines Austausches könne sachgerechter durch eine im Einzelfall (stillschweigend) erklärte Schweigepflichtentbindung nachgekommen werden, als durch eine generelle Verneinung der Schweigepflicht zwischen mehreren Verschwiegenheitsverpflichteten.207 Eine tatbestandliche Geheimnisoffenbarung des Arztes liege sowohl bei einem Austausch mit den in § 203 Abs. 3 StGB bezeichneten Personen als auch bei einem Austausch im Rahmen einer konsiliarischen Beratung vor.208 Nach diesem extensiven Verständnis stellt jede Geheimnisweitergabe im Rahmen der konsiliarischen Beratung mit einer Forensischen Ambulanz eine tatbestandliche Geheimnisoffenbarung des behandelnden Arztes dar. d) Stellungnahme Den Gesetzesbegründungen lässt sich nicht entnehmen, zu welcher Ansicht der Gesetzgeber tendiert.209 Der Gesetzgeber vermied es sogar ganz und gar auf die Frage einzugehen, ob ein Schweigepflichtbruch durch die Geheimnisweitergabe an andere Berufsgeheimnisträger möglich ist.210

206  BayObLG NJW 1995, 1623; OVG Lüneburg NJW 1975, 2263, 2264; OLG Stuttgart NJW 1987, 1490, 1491; Roßnagel, NJW 1989, 2303, 2306; Eser, ZStW 97 (1985), 1, 43; Kuhlmann, JZ 1974, 670, 671; Fischer, § 203 Rn. 30b; Grömig, NJW 1970, 1209, 1211 ff.; Chen, Ärztliche Schweigepflicht, S. 174 f.; ähnlich: Kl. Müller, in: jur. Problematik Medizin Bd. II, S. 89; Schlund, in: Laufs / Kern, HdB Arztrecht, Kp. 12 § 71 Rn. 1 ff., s. a. für § 203 I Nr. 6 BGH NJW 2010, 2509, 2510 f. 207  Heger, in: Lackner / Kühl, § 203 Rn. 18; Schlund, in: Laufs / Kern, HdB Arztrecht, Kp. 12 § 71 Rn. 1 ff.; Schumacher, Das ärztliche Berufsgeheimnis, S. 77; Theuner, Die ärztliche Schweigepflicht, S. 185; Lenckner / Eisele, in: Schönke / Schröder, § 203 Rn. 21. 208  Theuner, Die ärztliche Schweigepflicht, S. 185. 209  BT-Drs. 7 / 550, 236; Tobinsky, Strafbarkeit des Arztes, S. 83. 210  BT-Drs. 7 / 550, 236.

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3. Kap.: Die besondere Situation der Forensischen Ambulanzen

Systematisch könnte für die Beantwortung dieser Frage die Vorschrift des § 203 Abs. 3 S. 2 StGB von Bedeutung sein. Der sogenannte „Gehilfenabsatz“ erweitert die ärztliche Schweigepflicht auf die berufsmäßig tätigen Gehilfen und Auszubildenden des Arztes. Hinter dieser Vorschrift steht die gesetzgeberische Anerkennung, dass ein Arzt im arbeitsteiligen Medizinalltag notwendigerweise weitere Personen, wie etwa seine Arzthelfer, in die vertrauliche Arzt-Patienten-Beziehung miteinbeziehen muss.211 Nun ließe sich hieraus theoretisch ebenfalls der Schluss ziehen, die Geltung dieses Anerkenntnis müsse für den gesamten fachlich notwenigen Austausch ausgeweitet werden. Allerdings ist ein solches Verständnis nicht zwingend. Der „Gehilfenabsatz“ spricht ausschließlich von berufsmäßig tätigen Gehilfen und Personen, die bei dem Arzt zur Vorbereitung auf den Beruf tätig sind, weswegen § 203 Abs. 3 S. 2 StGB e contrario so verstanden werden muss, dass die Notwendigkeit der Geheimnisweitergabe anerkanntermaßen nur gegenüber diesen Personen besteht. Darüber hinaus muss aus der gesetzgeberischen Anerkenntnis, dass ein Arzt notwendigerweise einen Geheimnisaustausch mit den Personen des § 203 Abs. 3 S. 2 StGB betreibt, nicht zwingenderweise folgen, dass dieser Austausch keine tatbestandliche Offenbarung i. S. d. § 203 Abs. 1 Nr. 1 StGB darstellt. Die Zulässigkeit dieses notwendigen Austausches könnte ebenso gut über das in § 203 StGB enthaltene Merkmal „unbefugt“ zu erreichen sein. Der Sinn und Zweck des § 203 Abs. 1 Nr. 1 StGB spricht sogar dafür, dass ein Geheimnisaustausch zwischen Verschwiegenheitsverpflichteten – trotz praktischer Notwendigkeit – eine tatbestandliche Geheimnisoffenbarung darstellt. Nach der überzeugenden Willenstheorie bezweckt § 203 Abs. 1 Nr. 1 StGB die „formelle Privatheit“ des jeweiligen Patienten, Klienten oder Probanden zu schützen.212 Dieser Person muss im Rahmen ihres informationellen Selbstbestimmungsrechts grundsätzlich die Freiheit blieben, in jedem Einzelfall zu entscheiden, mit welcher Person der Arzt welches Geheimnis teilen darf.213 Zu dieser Entscheidungsfreiheit kann man jedoch nur gelangen, wenn das tatbestandliche Offenbaren möglichst extensiv verstanden wird. Würde der zwischenärztliche Geheimnisaustausch schon keine tatbestandliche Offenbarung darstellen, könnte der Patient die Weitergabe seiner Geheimisse nie verhindern. Folglich verbietet sich eine generelle Restriktion des Merkmals des tatbestandlichen Offenbarens. Der praktischen Notwendigkeit des zwischenärztlichen Geheimnisaustausches kann vielmehr mittels der Möglichkeit der Schweigepflichtent211  Vgl. Kargl, in: NK-StGB, § 203 Rn. 38 ff.; Spickhoff, in: Spickhoff, Medizinrecht, § 203 Rn. 21 ff.; s. a. Kort, NStZ 2011, 193, 194 f. 212  s. erstes Kapitel E. I. 5. u. II. 213  Theuner, Die ärztliche Schweigepflicht, S. 185.



D. Berufsgeheimnisrechtliche Sonderprobleme289

bindung nachgekommen werden.214 Einem jeden Arzt steht es frei, sich zum Zwecke einer konsiliarischen Beratung – trotz eines extensiven Verständnisses von der tatbestandlichen Geheimnisoffenbarung – von seinem Patienten von seiner Schweigepflicht befreien zu lassen. Geht es um den notwendigen Geheimnisaustausch mit unmittelbar zur Behandlung berufenen Arzthelfern, Ärzten und sonstige Hilfskräften innerhalb eines Behandlungsteams, wird der Arzt sogar von einer konkludenten Schweigepflichtentbindung des Patienten ausgehen dürfen.215 Dieser Aspekt betrifft jedoch die Frage, ob der Arzt bei der konkreten Geheimnisoffenbarung „unbefugt“ oder „befugt“ handelte, nicht aber ob überhaupt eine Geheimnisoffenbarung vorliegt.216 Ein strafrechtsübergreifender Vergleich unterstützt dieses Ergebnis. Berufsrechtlich sind Ärzte gemäß § 9 Abs. 4 der MBO untereinander von der Schweigepflicht ebenfalls nur insoweit befreit, als ein Einverständnis des Patienten vorliegt oder anzunehmen ist.217 Obgleich das ärztliche Berufsrecht keinen zwingenden Einfluss auf das Strafrecht hat,218 vermag diese berufsrechtliche Maßgabe zumindest eine extensive Auslegung des straftatbestandlichen Offenbarens zu bestärken. Eine ähnliche Maßgabe enthält das Datenschutzgesetz. Die Übermittlung von Patientendaten – auch von Arzt zu Arzt – ist gemäß § 4 Abs. 1 BDSG datenschutzrechtlich nur dann zulässig, wenn sie durch eine gesetzliche Vorschrift oder durch die Einwilligung des Patienten legitimiert ist.219 Gleichmaßen bekräftigten die Vorschriften zur Weitergabe von Sozialdaten ein extensives Verständnis von dem straftatbestandlichen Merkmal des Offenbarens.220 Für die Funktion des Systems der Sozialleistungen besteht – gleichermaßen wie für die Funktion der arbeitsteiligen Medizin – eine grundsätzliche Notwendigkeit des Daten- bzw. Informationsaustausches. Daher gestatten die Vorschriften der §§ 67d ff. SGB X die Übermittlung von Sozialdaten, wenn etwa die übermittelnde Stelle ihre gesetzlichen Aufgaben 214  Ulsenheimer, Arztstrafrecht, I § 8 Rn. 373; Theuner, Die ärztliche Schweigepflicht, S. 185. 215  Ulsenheimer, Arztstrafrecht, I § 8 Rn. 373; Muschallik, Die Befreiung, S. 64; Theuner, Die ärztliche Schweigepflicht, S. 185. 216  Eser, ZStW 97 (1985), 1, 43; Kreuzer, NJW 1975, 2232, 2235. 217  Lippert, in: Ratzel / Lippert, MBO § 9 Rn. 27 ff.; Theuner, Die ärztliche Schweigepflicht, S. 184. 218  s. erstes Kapitel A. III. 219  Bundesärztekammer, DÄB 2014, 963, 967; die Übermittlung stellt nach § 3 IV BDSG eine datenschutzrechtliche Form der Verarbeitung dar. 220  Kl. Schmidt, Ärztliche Schweigepflicht und Sozialdatenschutz, S. 160; Theuner, Die ärztliche Schweigepflicht, S. 187.

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3. Kap.: Die besondere Situation der Forensischen Ambulanzen

nur durch einen Austausch dieser Daten erfüllen kann.221 Nichtsdestotrotz gilt für die Übermittlung von medizinischen Sozialdaten die Sonderregelung des § 76 SGB X.222 Nach dieser Vorschrift ist eine Weitergabe von medizinischen Sozialdaten – trotz Erforderlichkeit – grundsätzlich nur zulässig, wenn für diese Weitergabe eine Durchbrechung der strafrechtlichen Schweigepflicht vorliegen würde.223 Die Notwendigkeit bzw. Erforderlichkeit einer Datenübermittlung vermag somit nicht den besonderen strafrechtlichen Geheimhaltungsschutz auszuhebeln. Die gleiche Ratio liegt der Vorschrift des § 73 Abs. 1b SGB V für den Austausch von Patientendaten zwischen dem Hausarzt und weiteren Ärzten zu Grunde.224 Um eine solche Weitergabe zu ermöglichen setzt die Vorschrift des § 73 Abs. 1b SGB V nicht die zwischenärztliche Schweigepflicht außer Kraft; sie verlangt vielmehr eine schriftliche Einwilligung des Patienten.225 Ähnliches lässt sich der für den Kinderschutz geschaffenen Vorschrift § 4 KKG entnehmen. Ärzten steht es nach § 4 Abs. 2 KKG zu, eine Fachkraft zur Einschätzung der Kindeswohlgefährdung hinzuzuziehen. Folglich erkannte der Gesetzgeber auch in diesem Bereich die Notwendigkeit eines interdisziplinären Austauschs an.226 Gleichwohl hat der Gesetzgeber festgelegt, dass auch dieser Austausch nur in pseudonymisierter Form – mithin ohne Offenbarung des Privatgeheimnisses227 – geschehen darf. Den verschiedenen gesetzlichen Maßgaben lässt sich der Grundsatz entnehmen, dass die Notwendigkeit eines Informationsaustausches dem Gesetzgeber nicht ausreicht, um den Schutz des informationellen Selbstbestimmungsrechts einer generellen Restriktion zu unterwerfen. Selbst eine notwendige Weitergabe von medizinischen Geheimnissen und Daten bedarf stets einer besonderen Befugnis.228

221  Wache, in: Erbs / Kohlhaas, SGB X § 67d Rn. 1; Gunder, Kinder im Strafverfahren, S. 116. 222  Bieresborn, in: v. Wulffen / Schütze, SGB X § 76 Rn. 2 ff.; Mörsberger, in: Wiesner, SGB X § 76 Rn. 1; Gunder, Kinder im Strafverfahren, S. 116 f. 223  Kl. Schmidt, Ärztliche Schweigepflicht und Sozialdatenschutz, S.  125  ff.; S. 160; Wache, in: Erbs / Kohlhaas, SGB X § 76 Rn. 1 ff.; Bieresborn, in: v. Wulffen / Schütze, SGB X § 76 Rn. 2 ff.; Mörsberger, in: Wiesner, SGB X § 76 Rn. 1; Gunder, Kinder im Strafverfahren, S. 116 f. 224  Warner, in: BeckOK-SozR, SGB V § 73 Rn. 16 f.; Hess, in: KassKom, SGB V § 73 Rn. 9. 225  Nebendahl, in: Spickhoff, Medizinrecht, SGB V § 73 Rn. 7; Hess, in: KassKom, SGB V § 73 Rn. 9. 226  s. zweites Kapitel B. IV. 1. a) cc) (2) (d). 227  s. zweites Kapitel A. III. 228  Theuner, Die ärztliche Schweigepflicht, S. 187.



D. Berufsgeheimnisrechtliche Sonderprobleme291

Demzufolge gilt auch zwischen mehreren Verschwiegenheitsverpflichteten die strafrechtliche Schweigepflicht nach § 203 Abs. 1 Nr. 1 StGB. Gibt der behandelnde Arzt innerhalb der konsiliarischen Beratung mit einer Forensischen Ambulanz Geheimnisse seines Patienten weiter, ist hierin eine tatbestandliche Geheimnisoffenbarung zu erblicken. Sollte diese Offenbarung nicht dem Willen des Patienten entsprechen oder durch einen Rechtfertigungsgrund abgedeckt sein, stellt sich das Verhalten des Arztes als eine tatbestandliche und rechtswidrige Handlung i. S. d. § 203 Abs. 1 Nr. 1 StGB dar. 2. Geheimnisoffenbarung bei Pseudonymisierung und Anonymisierung Allerdings kann der behandelnde Arzt das konsiliarische Beratungsangebot einer Forensischen Ambulanz auch ohne Schweigepflichtentbindung oder Rechtfertigungsgrund in Anspruch nehmen, soweit er den Fall mit den Rechtsmedizinern anonymisiert oder pseudonymisiert erörtert. Kommt es zu keiner Individualisierung, können die Geheimnisse keiner Person zugeordnet werden, weswegen diese Privatgeheimnisse tatbestandlich nicht als offenbart gelten.229 Der behandelnde Arzt hat folglich stets die Möglichkeit die Forensische Ambulanz abstrakt zu seinen Fall zu befragen; muss jedoch darauf achten keine Identitätsmerkmale oder Tatsachen preiszugegeben, die auf die Person des Opfers oder Täters schließen lassen können.230 Die im Rahmen einer konsiliarischen Beratung übermittelten Unterlagen und Lichtbilder sollten insbesondere keinerlei Gesichtsmerkmale, Namen, Anschriften o. Ä. erkennen lassen.231 Sobald die Beratung zwischen dem behandelnden Arzt und dem Rechtsmediziner der Forensischen Ambulanz jedoch die anonymisierte oder pseudonymisierte Form verlässt, liegt eine tatbestandliche Offenbarung vor, die einer Befugnis bedarf. 3. Ergebnis Folglich ist die dritte und letzte der aufgeworfenen berufsgeheimnisrechtlichen Fragen im Zusammenhang mit der Tätigkeit der Forensischen Ambulanzen wie folgt zu beantworten: Die ärztliche Schweigepflicht des § 203 229  Grömig, NJW 1970, 1209, 1211; Theuner, Die ärztliche Schweigepflicht, S.  186 f.; Kargl, in: NK-StGB, § 203 Rn. 19; Lenckner / Eisele, in: Schönke / Schröder, § 203 Rn. 19; Weidemann, in: BeckOK-StGB, § 203 Rn. 31. 230  s. zweites Kapitel A. III. 231  Kohlhaas, Medizin und Recht, S. 24.

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3. Kap.: Die besondere Situation der Forensischen Ambulanzen

Abs. 1 Nr. 1 StGB gilt auch zwischen den Rechtsmedizinern einer Forensischen Ambulanz und kurativ tätigen Ärzten. Will ein kurativ tätiger Arzt das konsiliarische Beratungsangebot einer Forensischen Ambulanz in Anspruch nehmen, so verwirklicht dieser zwischenärztliche Austausch nur in anonymisierter oder pseudonymisierter Form nicht die tatbestandliche Geheimnisoffenbarung i. S. v. § 203 Abs. 1 Nr. 1 StGB.232 Anderenfalls muss sich der Arzt von seiner Schweigepflicht befreien lassen oder aufgrund einer – im zweiten Kapitel dargestellten – Offenbarungsbefugnis handeln,233 um sich nicht nach § 203 Abs. 1 Nr. 1 StGB strafbar zu machen.234

232  s.

zweites Kapitel A. III. Rechtfertigungsgrund zur Geheimnisoffenbarung in Rahmen einer konsiliarischen Beratung kommt bei einwilligungsfähigen Patienten wohl kaum in Betracht. Da es in solchen Fällen darum geht, feststellen zu können, ob der Patient überhaupt Opfer einer strafbaren Handlung wurde – und somit letztendlich der Schutz von Patienteninteressen im Raum steht – dürfte eine Rechtfertigung gegen den Willen des Pateinten aufgrund des intrapersonalen Interessenkonfliktes meist schon ausscheiden (s. o.). Eine Rechtfertigung durch § 34 StGB kommt aber in Betracht, wenn es sich um einen einwilligungsunfähigen Patienten handelt und der Arzt sich nicht sicher ist, ob er durch eine Fremdeinwirkung geschädigt wurde und ob die Personensorgeberechtigten den Patienten geschädigt haben. Jedoch ist kaum ein Fall vorstellbar, in dem der Arzt zur Determination einer deliktischen Fremdeinwirkung die Identität von Patient und Täter bei der konsiliarischen Beratung preisgeben muss. Meist wird eine Übersendung von anonymen Bilden, Blutroben, Röntgenaufnahmen, etc. für eine konsiliarische Beratung ausreichen. Ein Bruch der Schweigepflicht wird daher meist schon gar nicht im Sinne des § 34 StGB „erforderlich“ sein. 234  Zu dem genauen Umfang und Grenzen ihres Berufsgeheimnisses: s. Berufsgeheimnisrechtlicher Leitfaden im Anschluss an die Zusammenfassung der Ergebnisse dieser Arbeit. 233  Ein

Zusammenfassung der Ergebnisse Die gewonnenen Erkenntnisse zu Umfang und Grenzen des ärztlichen Berufsgeheimnisses in Bezug auf die initiative Verhinderung und Aufklärung von Straftaten lassen sich in folgenden zwölf Punkten zusammenfassen: 1. Das Berufsgeheimnis des kurativ tätigen Arztes und des Rechtsmediziners ergibt sich nicht nur aus dem Strafrecht, sondern aus verschiedenen Regelwerken und Gesetzen. Die strafrechtliche Normierung des ärztlichen Berufsgeheimnisses ist die entscheidende, wenn es um die Thematik der initiativen Verhinderung und Aufklärung von Straftaten durch Einschaltung von Strafverfolgungsbehörden oder anderen staatlichen Stellen geht. 2.  Die Frage nach den ärztlichen Befugnissen und Pflichten zur initiativen Verhinderung und Aufklärung von Straftaten entscheidet sich in solchen Fällen vorwiegend an der materiell-rechtlichen Schweigepflicht des § 203 Abs. 1 Nr. 1 StGB und den Durchbrechungen dieser Pflicht. 3.  Die materiell-rechtliche Schweigepflicht des § 203 Abs. 1 Nr. 1 StGB bezweckt gemäß der vorzugswürdigen Willenstheorie den Schutz der „formellen Privatheit“ des Patienten. Der Wille und das informationelle Selbstbestimmungsrecht des Patienten sollen durch die ärztliche Diskretion geachtet werden. Der strafrechtliche Geheimhaltungsschutz ist als verfassungsrechtliche Konkretisierung des Grundrechts auf informationelle Selbstbestimmung der Art. 2 Abs. 1 GG i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG innerhalb der Sonderbeziehung zu dem jeweiligen Berufsgeheimnisträger anzusehen. 4. Ein jeder, der zur ärztlichen Berufsausübung zugelassen ist und in diesem Zusammenhang Geheimnisse erfährt, unterliegt der Verschwiegenheitspflicht. Dies gilt auch für die Rechtsmediziner der Forensischen Ambulanzen, obwohl sie im Zusammenhang mit Straftaten üblicherweise als Sachverständige für die Justiz tätig werden und keine Heilbehandlungen durchführen. Die Gehilfen und Auszubildenden eines kurativ tätigen Arztes sowie die der Forensischen Ambulanzen unterliegen gemäß der „Gleichstellungsklausel“ des § 203 Abs. 3 S. 2 StGB ebenfalls der Schweigepflicht. 5. Straftaten und alle damit zusammenhängenden Tatsachen unterfallen dem gegenständlichen Geheimhaltungsschutz, solange noch nicht ein unüberschaubarer oder unkontrollierbarer Kreis von Mitwissenden besteht. Der Umstand, dass ein Geheimnis Straftaten zum Inhalt hat, führt nicht

294

Zusammenfassung der Ergebnisse

dazu, dass es angesichts entgegenstehender Aufklärungsinteressen aus dem gegenständlichen Bereich des Geheimhaltungsschutzes fällt. 6. Der Arzt bricht seine Schweigepflicht, wenn er Dritten – wie etwa Mitarbeitern der Strafverfolgungsbehörden, des Jugendamts oder der Polizei – Geheimnisse offenbart, die diesen noch unbekannt waren. Eine anonymisierte oder pseudonymisierte Weitergabe von Privatgeheimnissen, die weder einen unmittelbaren noch mittelbaren Schluss auf die Identität des Patienten und Geheimnisbetroffenen zulässt, stellt hingegen kein tatbestandliches Verhalten dar und ist daher stets zulässig. 7. Dem in § 203 StGB enthaltenen Merkmal „unbefugt“ kommt eine Doppelfunktion zu. Eine mit Zustimmung des Rechtsgutsinhabers erfolgte Geheimnisoffenbarung kann bereits kein straftatbestandliches Unrecht verwirklichen. Andere Offenbarungsbefugnisse und -pflichten haben hingegen eine rechtfertigende Wirkung. Als Offenbarungsbefugnisse und -pflichten kommen strafbewehrte Handlungspflichten des Arztes sowie allgemeine strafrechtliche Rechtfertigungsgründe in Betracht. Aber auch außerstrafrechtliche Vorschriften können durch das Merkmal „unbefugt“ als Rechtfertigungsgründe für eine Geheimnisoffenbarung des Arztes gelten, wenn sie von formeller Gesetzesqualität sind und nach ihrem Inhalt auf eine Geheimnisweitergabe ausgerichtet sind. Ethische sowie dem Gewissen entspringende Pflichten können die strafbewehrte Pflicht zur Verschwiegenheit nicht durchbrechen. 8. Die Schweigepflichtentbindung hat grundsätzlich die Wirkung eines tatbestandausschließenden Einverständnisses. Allerdings sind an ihre Wirksamkeit wegen des Schutzzwecks des § 203 Abs. 1 Nr. 1 StGB die Anforderungen einer rechtfertigenden Einwilligung zu stellen. 9. Eine Pflicht des Arztes zur initiativen Aufklärung und Verhinderung von Straftaten besteht nur beschränkt. Es existiert keinerlei Rechtspflicht, die den kurativ tätigen Arzt im Allgemeinen dazu bestimmt, an der repressiven Straftataufklärung aktiv mitzuwirken. Der Offenbarungspflicht der §§ 138, 139 Abs. 3 S. 2 StGB liegen rein präventive Zwecke zu Grunde. Gemäß diesen Vorschriften muss der Arzt seine Schweigepflicht durch Einschaltung der Polizei oder einer anderen gefahrenabwehrenden Behörde brechen, wenn zu seiner Kenntnis eine in dem Katalog § 138 StGB aufgezählte Tat geplant oder ausgeführt wird und das zukünftige Opfer hiervon selbst noch keine Kenntnis hat oder aber trotz Kenntnis aus tatsächlichen Gründen nicht (mehr) in der Lage ist, die Straftat selbst zu verhindern. Hat der Arzt versucht die Tat anderweitig zu verhindern, besteht die Offenbarungspflicht nur, wenn es um eine Tat i. S. d. § 139 Abs. 3 StGB geht.



Zusammenfassung der Ergebnisse295

10.  Gegen den Willen des Patienten besteht nur in Ausnahmefällen eine Offenbarungsbefugnis des Arztes. Im Zusammenhang mit Straftaten ist der allgemeine strafrechtliche Rechtfertigungsgrund des § 34 StGB, aber auch die außerstrafrechtliche Vorschrift § 4 Abs. 3 S. 1 des Kinderschutzgesetztes (KKG) relevant. Liegen die Voraussetzungen dieser Befugnisse vor, liegt es im Ermessen des einzelnen Arztes, ob er sein Schweigen bricht. Die Offenbarungsbefugnis des § 4 Abs. 3 S. 1 KKG stellt eine lex specialis Vorschrift dar und geht dem rechtfertigenden Notstand daher grundsätzlich vor, wenn Straftaten gegen einen Minderjährigen eine Kindeswohlgefährdung erkennen lassen. Sowohl § 4 Abs. 3 S. 1 KKG als auch § 34 StGB dürfen jedoch nicht zur Auflösung eines intrapersonalen Interessenkonflikts einer selbstbestimmungsfähigen Person benutzt werden. Weder das ärztliche Gewissen, noch die Berufspflichten oder die repressiven Strafverfolgungsinteressen begründen ein Notstandsrecht des Arztes zur Offenbarung von Straftaten. Allein in Ausnahmefällen, in denen es sich bei dem Gefährdeten um eine einwilligungsunfähige Person handelt und sich die gesetzlichen Vertreter konträr zum Wohl dieser Personen verhalten, eine Gefahr für Individualrechtsgüter Dritter besteht oder der einwilligungsfähige Patienten gefährdet ist, Opfer eines Tötungsdelikts zu werden, steht dem Arzt ein Notstandsrecht zum Bruch seiner Schweigepflicht gegenüber gefahrabwehrenden Behörden zu. 11. Für die Rechtsmediziner der Forensischen Ambulanzen ergeben sich – trotz der gegebenen Besonderheiten in Tätigkeit, Organisation, Zugehörigkeit und Finanzierung – keine speziellen Pflichten und Befugnisse zur Aufklärung oder Verhinderung von Straftaten. 12. Es besteht kein Grund diese de lege lata eingeschränkte Durchbrechung der ärztlichen Schweigepflicht zugunsten der initiativen Verhinderung und Aufklärung von Straftaten auszuweiten. Die gegenwärtige Rechtslage steht im Einklang mit dem Selbstbestimmungsrecht des Patienten und der Vermeidung einer paternalistischen Zwangsfürsorge. Hat sich ein selbstbestimmungsfähiger Patient entschieden, den Arzt nicht von der Schweigepflicht zu entbinden, muss dieser Wille respektiert werden. Etwas anderes hat nur zu gelten, wenn der Patient nicht selbstbestimmungsfähig ist oder wesentlich überwiegende Interessen Dritter oder der Allgemeinheit durch die Entscheidung des Patienten tangiert werden. Berufsgeheimnisrechtlicher Leitfaden Aus den Erkenntnissen dieser Arbeit ergibt sich für den kurativ tätigen Arzt, der feststellt, dass sein Patient Opfer einer Straftat wurde, aber auch für den Rechtsmediziner der Forensischen Ambulanz, der Opfer von Ge-

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Zusammenfassung der Ergebnisse

walt- und Sexualstraftaten forensisch untersucht, folgender berufsgeheimnisrechtlicher Leitfaden: Zunächst sollte der Arzt davon ausgehen, dass alle Tatsachen und Umstände, die während der Untersuchung und Behandlung des Straftatopfers zu seiner Kenntnis gelangen, der Schweigepflicht unterfallen. Der Arzt kann stets pseudonymisiert oder anonymisiert über den in Rede stehenden Fall sprechen, ohne dabei gegen seine Schweigepflicht zu verstoßen. Hierbei sollte jedoch darauf geachtet werden, dass durch die Informationsweitergabe weder die Identität des Patienten noch die anderer Beteiligter preisgegeben wird. Insbesondere der kurativ tätige Arzt, der das konsiliarische Beratungsangebot einer Forensischen Ambulanz in Anspruch nehmen möchte, sollte seinen Fall rein anonymisiert oder pseudonymisiert mit den Rechtsmedizinern besprechen, wenn er hierfür noch nicht wirksam von der Schweigepflicht entbunden wurde. Diejenigen Forensischen Ambulanzen, die finanziell von einem Land gefördert werden und einen Nachweis für die Verwendung der staatlichen Mittel erbringen müssen, sollten ebenfalls von der Möglichkeit der Anonymisierung und Pseudonymisierung von Daten Gebrauch machen. Geht es jedoch um die Aufklärung und Verhinderung von Straftaten durch die Einschaltung von Staatsanwaltschaft, Polizei, Jugendamt oder Gericht ist naturgemäß eine namentliche Benennung der beteiligten Personen notwendig. Eine solche Informationsweitergabe bringt stets die Offenbarung von Privatgeheimnissen mit sich. Für die Zulässigkeit einer derartigen Geheimnisoffenbarung hat der Arzt zu unterscheiden, ob der in Rede stehende Patient über seinen konkreten Geheimhaltungsschutz und den Schutz der durch die Straftat beeinträchtigen Interessen selbst bestimmen kann, oder nicht. Dies hängt davon ab, ob der Patient aufgrund seiner natürlichen Einsichts- und Urteilsfähigkeit ermessen kann, welche Bedeutung und Tragweite seine Entscheidung haben würde, den Arzt zwecks Straftataufklärung und -verhinderung von der Schweigepflicht zu entbinden. Bei volljährigen Patienten kann ohne gegenteilige Anhaltspunkte von einer solchen Fähigkeit ausgegangen werden. Ist der Patient minderjährig, steht unter Betreuung oder befindet sich in einem Zustand, der diese Fähigkeit beeinträchtigen kann, sollte sich der Arzt vergewissern, dass dem Patienten diese Fähigkeit zukommt.

I. Selbstbestimmungsfähiger Patient Bei einem im Einzelfall selbstbestimmungsfähigen Patienten muss der Arzt vorrangig versuchen, den Patienten von einer Anzeige der Tat und / oder einer Schweigepflichtentbindung zu überzeugen. Gegebenenfalls vorhandene gesetzliche Vertreter dürfen noch nicht einmal ohne Zustimmung des



Zusammenfassung der Ergebnisse297

Patienten nach einer Schweigepflichtentbindung gefragt werden, da die damit notwendigerweise verbundene Unterrichtung der gesetzlichen Vertreter über ihnen noch unbekannte Tatsachen einen tatbestandlichen Bruch der Schweigepflicht darstellen würde. Der Arzt sollte sich für die Befreiung von seiner Schweigepflicht nicht auf ein vermeintlich schlüssiges Verhalten, sondern allein auf ausdrückliche Erklärungen des Patienten verlassen, wenn es um die Anzeige und Meldung von Straftaten geht. Weiterhin sollte sich der Arzt genau vergewissern, welche Geheimnisse mit welchen Personen bzw. Behörden in welchem Umfang nach dem Willen des Patienten geteilt werden dürfen. Bleibt das Ersuchen auf Schweigepflichtentbindung erfolglos, kommt es auf die Umstände des Einzelfalls – insbesondere wem zukünftig welche Schäden ohne eine Intervention drohen – an. Niemals darf der Arzt allein zu Zwecken der repressiven Strafverfolgung Geheimnisse offenbaren. Die Pflichten und Befugnisse zur Aufklärung und Verhinderung von Straftaten sind in solchen Konstellationen gefahrabwehrender Natur. Eine strafbewehrte Pflicht zur Anzeige von Straftaten besteht nur, wenn der Arzt erfahren hat, dass eine Tat im Sinne der §§ 138, 139 Abs. 3 StGB konkret geplant oder ausgeführt wird und weder der Bedrohte noch eine gefahrabwehrende Behörde darüber informiert ist. Ist allein der Patient von dem Vorhaben bedroht und weiß er von dieser Gefahr, muss der Arzt nach den Erkenntnissen dieser Arbeit die Tat nur dann der Polizei melden, wenn der wissende Patient die Tat aus zeitlichen und anderen tatsächlichen Gründen nicht mehr verhindern kann. Weiß der Patient aber bereits von dem Vorhaben und könnte das Vorhaben noch verhindern, wenn er wollte – will dies aber nicht – besteht nach den Erkenntnissen dieser Untersuchung keine Offenbarungspflicht des Arztes zur Anzeige der Tat. Der Arzt kann zudem im Einzelfall zu einem Bruch der Schweigepflicht befugt sein. Handelt es sich bei dem Angreifer des Patienten um einen gemeingefährlichen Täter, Serientäter oder Täter der bereits weitere Opfer im Visier hat und wahrscheinlich Leib und Leben oder sonstige Rechtsgüter Dritter gefährden wird, darf der Arzt auch gegen den Willen des Patienten sein Schweigen brechen und die Polizei einschalten. Geht der Arzt hingegen davon aus, dass allein der Patient erneutes Opfer von Angriffen des Täters werden wird, darf er die Polizei nur dann gegen den Willen des Patienten einschalten, wenn wahrscheinlich ist, dass der Patient anderenfalls getötet wird. Bei letzterer Fallgruppe ist dem Arzt i. E. sogar zu empfehlen von der Offenbarungsbefugnis Gebrauch zu machen, da nicht auszuschließen ist, dass Gerichte trotz des entgegenstehenden Patientenwillens wegen § 216 StGB eine Anzeige i. S. d. § 138 Abs. 1 Nr. 5 StGB für erforderlich halten.

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Zusammenfassung der Ergebnisse

II. Selbstbestimmungsunfähiger Patient Anders stellen sich für den Arzt seine Pflichten und Rechte dar, wenn sich herausstellt, dass der in Rede stehende Patient aufgrund von Alter oder Krankheit nicht fähig ist, über seinen Geheimnisschutz autonom zu verfügen. Keinesfalls sollte der Arzt jedoch davon ausgehen, dass er jede Straftat, die an einem Kind oder einem unter Betreuung stehenden Patienten verübt wurde, anzeigen darf. Die gesetzlichen Vertreter sind zur stellvertretenden Entscheidung über den Geheimnisschutz eines solchen Patienten berufen. Ist das Straftatopfer ein minderjähriger Patient, sind hierfür grundsätzlich die Eltern gemäß §§ 1626, 1627, 1629 Abs. 1 BGB gemeinschaftlich zuständig. Bei einer betreuten Person ist es gemäß § 1902 BGB der Betreuer. Der Arzt sollte die gesetzlichen Vertreter prinzipiell über die Situation in Kenntnis setzen und sie fragen, wie sie mit der Viktimisierung des Patienten umgehen wollen. Jedoch kann der Arzt hiervon absehen, wenn er befürchtet, dass die gesetzlichen Vertreter die Straftaten selbst begangen oder geschehen lassen haben und den Druck auf das Opfer infolge einer Konfrontation mit dem Verdacht erhöhen werden. Die anderweitigen Rechte und Pflichten des Arztes zur Aufklärung und Verhinderung von Straftaten – auch ohne Schweigepflichtentbindung durch die gesetzlichen Vertreter – richten sich wieder vorwiegend danach, welche Schäden es zu verhindern gilt. Zum Schutz dritter Personen muss der Arzt sein Schweigen brechen, wenn eine besonders schwerwiegende Tat nach §§ 138, 139 Abs. 3 S. 2 StGB geplant wurde oder ausgeführt wird. Darüber hinaus darf der Arzt nach § 34 StGB stets die Polizei einschalten, wenn er davon ausgeht, dass der Angreifer wahrscheinlich Dritte schädigen wird und sich die gesetzlichen Vertreter uneinsichtig zeigen zur Abwendung dieser Gefahr selbst Anzeige zu erstatten. Geht es jedoch um den Schutz des einwilligungsunfähigen Patienten, obliegt dem Arzt dann eine strafbewehrte Anzeigepflicht, wenn er glaubhaft erfahren hat, dass gegen den einwilligungsunfähigen Patienten eine Tat i. S. d. §§ 138, 139 Abs. 3 S. 2 StGB ausgeübt werden soll und die gesetzlichen Vertreter darüber noch keine Kenntnis haben. In diesem Fall muss der Arzt entweder die gesetzlichen Vertreter oder die Polizei informieren. Wissen die gesetzlichen Vertreter bereits von dem Vorhaben, ist der Arzt nur dann verpflichtet, eine gefahrabwehrende Behörde, wie etwa die Polizei, einzuschalten, wenn er davon ausgeht, dass die gesetzlichen Vertreter die Tat nicht verhindern können oder wollen. In anderen Konstellationen ist der Arzt nach den Erkenntnissen dieser Arbeit nicht zum Bruch seiner Schweigepflicht verpflichtet.



Zusammenfassung der Ergebnisse299

Der Arzt wird aber zum Schutz des einwilligungsunfähigen Patienten sein Schweigen regelmäßig brechen dürfen. Geht es um Straftaten, die Kindern und Jugendlichen drohen, befugt die außerstrafrechtliche Offenbarungsbefugnis des § 4 Abs. 3 S. 1 KKG den Arzt grundsätzlich zur Geheimnisoffenbarung gegenüber dem Jugendamt. Der Arzt darf die Kindeswohlgefährdung prinzipiell nur gegenüber dem Jugendamt offenbaren. Das Familiengericht oder die Polizei darf der Arzt zum Schutz des Kindes oder Jugendlichen nach § 34 StGB einschalten, falls das eigentlich zu informierende Jugendamt nicht erreichbar sein sollte oder eine unverzügliche Gefahrenabwehr Not tut. Geht es hingegen um den Schutz von volljährigen Patienten, die nicht selbständig über ihren Geheimnisschutz verfügen können, darf der Arzt das Betreuungsgericht anrufen, wenn die gesetzlichen Vertreter ihr Stellvertretungsrecht in der Frage der Schweigepflichtentbindung konträr zum Wohl des Patienten ausüben. Besteht die Befürchtung, dass das Betreuungsgericht nicht schnell genug entscheiden wird – insbesondere wenn dem Patienten weitere Straftaten unmittelbar drohen – oder hat der Patient keinen Betreuer, darf der Arzt auch direkt die Polizei einschalten. Letztendlich sollte sich ein Arzt, der sich fragt, ob er zur Aufklärung von begangenen sowie zur Verhinderung von weiteren Straftaten durch Einschaltung der Strafverfolgungsbehörden, der Polizei, des Jugendamtes oder eines Gerichts berechtigt oder sogar verpflichtet ist, auf zwei einfache Grundsätze besinnen. Prinzipiell entscheidet allein der Patient über die Preisgabe seiner Geheimnisse – auch wenn es um Straftaten geht. Ausnahmen sind hiervon nur zu machen, falls erstens: der Patient diese Entscheidung nicht treffen kann, zweites: der Patient in Gefahr schwebt, Opfer eines Tötungsdelikts zu werden oder drittens: andere Personen in Gefahr schweben verletzt zu werden. Alles andere würde zu einem angemaßten Paternalismus führen, der sich weder im Rahmen des geltenden Rechts noch des medizinethischen Grundsatzes „Salus et voluntas aegroti suprema lex“ bewegt.

Anlage 600

500

400

300

200

100

0

2002

2003

2004

2005

2006

2007

2008

2009

Quelle: Behördenleitertragung von Prof. Dr. Dr. Urban

Entwicklung der Untersuchungsanfragen/-aufträge

400 350 300 Entwicklung der Untersuchungsanfragen/-aufträge Quelle: Behördenleitertagung von Prof. Dr. Dr. Urban 250

200 150 100

2009

50

2008 2007

0 Kinder

Jugendliche

2006 Erwachsene

Quelle: Behördenleitertragung von Prof. Dr. Dr. Urban

Altersverteilung bei Opfern häusliche Gewalt

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Stichwortverzeichnis Arztbegriffe  78, 90, 263 Behandlungsvertrag  33, 256 Berufsrecht  27, 30, 55 Datenschutz  36, 109 Drittgeheimnis  92 –– echtes Drittgeheimnis  92 –– Geheimnisherrschaft  98 –– Tatbestandliche Erfassung  92 –– unechtes Drittgeheimnis  97 Forensische Ambulanzen  244 –– Begriff  245 –– Finanzierung  253, 276 –– konsiliarisches Beratungsangebot  284 –– Offenbarungsbefugnisse und -pflichten  272 –– Organsiation  248 –– Sachverständigeneigenschaft der Rechtsmediziner  250 –– Schweigepflicht der Rechtsmediziner und Mitarbeiter  261 –– Soziale Dienstleistungen  253 –– sozialrechtliche Aspekte  252 –– Tätigkeit  244 –– zivilrechtliche Aspekte  255 Geheimnis  79 –– Geheimhaltungsinteresse  85 –– Geheimhaltungswille  88 –– Geheimsein  83 –– normatives Begriffselement  85 –– Tatsachen  81 Geheimnisoffenbarung  107 –– Anonymisierung und Pseudonymisierung  108, 291

–– zwischenärztliche Schweigepflicht  285 Historie der ärztlichen Schweigepflicht  54 intrapersonale Interessenkollision  198, 209 Kinderschutzgesetze  44, 165, 173 Offenbarungsbefugnisse und -pflichten –– Anforderungen  115 –– Einordnung in den dreigliedrigen Deliktsaufbau  116 –– Garantenstellung und -pflicht des behandelnden Arztes  158 –– Irrtümer und Zweifel  239 –– Kindeswohlgefährdungen  174 –– Lehre der Sozialadäquanz  113 –– Pflicht zur Anzeige von Straftaten  146 –– Pflichtenkollision  145 –– prognostische Gefahrbestimmung  182, 208 –– repressive Strafverfolgungsinteressen  231 –– Schweigepflichtentbindung  127 –– sittliche Durchbrechungen  112 –– Strafvereitelung durch Unterlassen  157 –– Unterlassene Hilfeleistung  168 –– zur Abwehr einer konkreten Gefahr  206 Schutzzweck des § 203 Abs. 1 Nr. 1 StGB –– berufsbezogene Ansätze  52 –– individualistischen Theorien  49

332 Stichwortverzeichnis –– informationelles Selbstbestimmungsrecht  67 –– Interessentheorie  50, 73 –– modifizierte individualistische Theorie  53 –– Sonderbeziehung  76 –– soziale Theorie  51 –– Vertrauenstheorie  49, 72

–– Willenstheorie  50, 73 Sonderdeliktscharakter  64 Sozialgeheimnis  38 strafrechtliches Berufsgeheimnis  47 Viktimodogmatik  64, 76 Zulassungsrecht  29, 30