Neue Autorität in multikulturellen Erziehungskontexten [1 ed.] 9783666408496, 9783525408490

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Neue Autorität in multikulturellen Erziehungskontexten [1 ed.]
 9783666408496, 9783525408490

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Angela Eberding

Neue Autorität in ­multikulturellen Erziehungskontexten

Leben.Lieben.Arbeiten

SYSTEMISCH BERATEN Herausgegeben von Jochen Schweitzer und Arist von Schlippe

Angela Eberding

Neue Autorität in multikulturellen Erziehungskontexten Mit 5 Abbildungen

Vandenhoeck & Ruprecht

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über https://dnb.de abrufbar. © 2020, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Theaterstraße 13, D-37073 Göttingen Alle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages. Umschlagabbildung: Luciano Mortula – LGM/shutterstock.com Satz: SchwabScantechnik, Göttingen Vandenhoeck & Ruprecht Verlage | www.vandenhoeck-ruprecht-verlage.com ISSN 2625-6088 ISBN 978-3-666-40849-6

Inhalt

Zu dieser Buchreihe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7 Vorwort von Arist von Schlippe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9 Einleitendes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12

I Der Kontext 1 Kultur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17 2 Stereotype . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21 3 Umgang mit Sprachbarrieren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25 4 Haltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 29 4.1 Systemische Haltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 29 4.2 Haltung als Basis interkultureller Kompetenz . . . . . . . . . . . . 32 4.3 Haltung in der Neuen Autorität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 35 II Die systemische Beratung 5 Joining . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 54 6 Genogramm . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 59 7 Auftragsklärung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 61 8 Zirkuläres Fragen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .62 9 Spracharme und symbolisch-handlungsorientierte Methoden .63 9.1 Landkarten und Bilder . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 63 9.2 Papier und Stift . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 65 9.3 Zeitlinie und andere körperorientierte Methoden . . . . . . . . 67 9.4 Familienbrett . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 71 9.5 Kleine Skulpturen und Skulpturelemente . . . . . . . . . . . . . . . 72 10 Fazit und Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 79 III Am Ende Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 84 Die Autorin . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 87

Zu dieser Buchreihe

Die Reihe »Leben. Lieben. Arbeiten: systemisch beraten« befasst sich mit Herausforderungen menschlicher Existenz und deren Bewältigung. In ihr geht es um Themen, an denen Menschen wachsen oder zerbrechen, zueinanderfinden oder sich entzweien und bei denen Menschen sich gegenseitig unterstützen oder einander das Leben schwermachen können. Manche dieser Herausforderungen (Leben.) haben mit unserer biologischen Existenz, unserem gelebten Leben zu tun, mit Geburt und Tod, Krankheit und Gesundheit, Schicksal und Lebensführung. Andere (Lieben.) betreffen unsere intimen Beziehungen, deren Anfang und deren Ende, Liebe und Hass, Fürsorge und Vernachlässigung, Bindung und Freiheit. Wiederum andere Herausforderungen (Arbeiten.) behandeln planvolle Tätigkeiten, zumeist in Organisationen, wo es um Erwerbsarbeit und ehrenamtliche Arbeit geht, um Struktur und Chaos, um Aufstieg und Abstieg, um Freud und Leid menschlicher Zusammenarbeit in ihren vielen Facetten. Die Bände dieser Reihe beleuchten anschaulich und kompakt derartige ausgewählte Kontexte, in denen systemische Praxis hilfreich ist. Sie richten sich an Personen, die in ihrer Beratungstätigkeit mit jeweils spezifischen Herausforderungen konfrontiert sind, können aber auch für Betroffene hilfreich sein. Sie bieten Mittel zum Verständnis von Kontexten und geben Werkzeuge zu deren Bearbeitung an die Hand. Sie sind knapp, klar und gut verständlich geschrieben,

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allgemeine Überlegungen werden mit konkreten Fallbeispielen veranschaulicht und mögliche Wege »vom Problem zu Lösungen« werden skizziert. Auf unter 100 Buchseiten, mit etwas Glück an einem langen Abend oder einem kurzen Wochenende zu lesen, bieten sie zu dem jeweiligen lebensweltlichen Thema einen schnellen Überblick. Die Buchreihe schließt an unsere Lehrbücher der systemischen Therapie und Beratung an. Unsere Bücher zum systemischen Grundlagenwissen (1996/2012) und zum störungsspezifischen Wissen 8

(2006) fanden und finden weiterhin einen großen Leserkreis. Die aktuelle Reihe erkundet nun das kontextspezifische Wissen der systemischen Beratung. Es passt zu der unendlichen Vielfalt möglicher Kontexte, in denen sich »Leben. Lieben. Arbeiten« vollzieht, dass hier praxisbezogene kritische Analysen gesellschaftlicher Rahmenbedingungen ebenso willkommen sind wie Anregungen für individuelle und für kollektive Lösungswege. Um klinisch relevante Störungen, um systemische Theoriekonzepte und um spezifische beraterische Techniken geht es in diesen Bänden (nur) insoweit, als sie zum Verständnis und zur Bearbeitung der jeweiligen Herausforderungen bedeutsam sind. Wir laden Sie als Leserin und Leser ein, uns bei diesen Exkursionen zu begleiten. Jochen Schweitzer und Arist von Schlippe

Vorwort

Es ist nun schon mehr als zwanzig Jahre her, dass ich Haim Omer kennenlernte und mit ihm seine Idee, Haltung und Praxis des gewaltlosen Widerstands auf die Beratungsarbeit mit Eltern zu übertragen. Ich freue mich, die nach wie vor steigende Resonanz auf diese Überlegungen zu erleben. Sie fallen offenbar bei Menschen auf frucht­ baren Boden, die in irgendeiner Form mit Hilflosigkeit konfrontiert sind – und das sind viele! Ging es anfangs vor allem um Eltern, die sich vor ihren Kindern fürchteten, weitete sich der Ansatz später aus: von der Verbesserung der Zusammenarbeit von Elternhaus und Schule, über die Unterstützung geschlagener Frauen bis hin zu ganz anderen Bereichen, etwa Führung und Management. Ganz offenbar bieten die Haltung und die sich daraus ableitenden Methoden des gewaltlosen Widerstands die Chance, der Falle des Entweder-oder zwischen der ständigen Steigerung explosiver Spannung oder nicht endender Nachgiebigkeit zu entkommen. Das neue Bild von Autorität erleben bis heute viele als befreiend. Es ist ein Bild, das nicht die Vorstellung der »Stärke der Faust« vermittelt, sondern die der »Stärke des Ankers«, der freundlichen Beharrlichkeit. Es geht um die Suche nach einer Form von verbindender Autorität, die auf Beziehung setzt und nicht auf Durchsetzung von Positionen. Viele Eltern in unserem Kulturkreis sind erleichtert, sich damit in ihrer Elternrolle neu erfinden zu können. Es b­ ietet sich ein dritter Weg an zwischen Nachgiebigkeit auf der einen und über-

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kommenen Elternbildern auf der anderen Seite. Und dieser dritte Weg ist offenbar auch für Führungskräfte, Beratende und viele andere ähnlich attraktiv. Doch wie verhält es sich mit Menschen, die aus anderen kulturellen Kontexten nach Deutschland kommen? Die Frage, wie ein anderes Verständnis von Autorität von ihnen aufgenommen wird und wie es ihnen auf eine angemessene Weise nahegebracht werden kann, wurde bislang nur selten gestellt. Und so schließt dieses Buch 10

angesichts einer großen Zahl von ratsuchenden Menschen aus anderen Kulturkreisen, die sich in den Sprechzimmern von Erziehungsberatungsstellen, Elternsprechtagen, Behörden und medizinisch-­ psychologischen Praxen wiederfinden, eine wichtige Lücke. Es fordert dazu auf, interkulturelle Kompetenz zu entwickeln – ein durchaus ehrgeiziges Vorhaben. Denn die Unterscheidung zwischen dem deutschen Kulturkreis und »anderen« ist ja nur scheinbar einfach. Tatsächlich sind diese anderen ja in sich vielfältig facettiert, sehr unterschiedlich und oft ist viel Hintergrundwissen erforderlich, um angemessene Zugänge zu Personen zu finden, man denke nur an die Frage, in welchen Kulturen es passt, dem anderen – und dann auch noch differenziert nach männlichem oder weiblichen Geschlecht – zur Begrüßung die Hand zu geben und wann nicht. Kultursensibilität – und dazu lädt dieses Buch ein – bedeutet nun aber nicht, dass Beraterinnen und Berater sich intensiv in jedem Einzelfall über die jeweiligen Herkunftsländer informieren müssen, ehe die Arbeit beginnen kann. Vielmehr geht es darum, ein Bewusstsein dafür zu entwickeln, dass unterschiedliche Kulturen ganz unterschiedliche Kulturstandards mit sich führen, dass Kultur zentral ist, um zu verstehen, wie jemand auf die Welt schaut, und dass sie in vieler Hinsicht – und natürlich besonders im persönlichen, f­ amiliären Nahbereich – prägend ist. Mit diesem Bewusstsein lässt sich ein fragender Zugang des Nichtwissens verbinden, einer, der nicht von der

Selbstverständlichkeit eines gemeinsam geteilten Weltbildes ausgeht, sondern der neugierig und offen dafür ist, dass die Dinge mit einer anderen kulturellen Brille auch ganz anders aussehen können. Zugleich gehen Beratende in ein Gespräch ja durchaus mit der Idee hinein, dass der Ansatz der Gewaltlosigkeit auch für ein Elternpaar oder eine Familie mit Migrationshintergrund eine Chance darstellen kann, der Hilflosigkeit zu entkommen, ständige, oft gewalttätige häusliche Auseinandersetzungen zu vermeiden und die mit ihnen einhergehende Erosion der Familienbeziehungen aufzuhalten. Die Kunst besteht hier darin, im Wissen um die Bedeutung von Kultur fragend und einladend zugleich tätig zu sein. Es geht darum, Menschen, die etwa aus Kulturen mit traditionell-autoritären Erziehungsstilen stammen, einzuladen, etwas auszuprobieren, ohne es ihnen überzustülpen. Sie brauchen den Respekt vor ihren Kulturstandards, um von dort aus Neuland betreten zu können. Die vielen Fallbeispiele in diesem mit großer Sachkenntnis und Erfahrung geschriebenen Buch zeigen, dass all die zu lösenden praktischen und methodischen Probleme eine stabile und tragfähige Basis brauchen und das ist die beraterische Haltung. Lassen Sie sich als Leserin und Leser dazu einladen, aufbauend auf dieser Haltung die Methoden der gewaltlosen Beratungsarbeit kennenzulernen, das Wissen um den Umgang mit Kulturdifferenz zu erweitern und damit die Erfahrung zu machen, dass ein neugierig-fragender Zugang zu einer anderen Kultur neue Räume öffnet, und zwar nicht nur für die Betroffenen, sondern auch ganz konkret für das eigene Leben. Arist von Schlippe

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Einleitendes

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In dieser Buchreihe geht es um hilfreiche systemische Praxis, in diesem Band um interkulturelle beraterische Settings. Unter beiden Aspekten betrachtet, spielt Sprache eine wichtige Rolle, denn sie schafft Wirklichkeiten: Wenn ein verlassener, gekränkter, gedemütigter Mann seine Partnerin und seine Kinder tötet, nennen wir das – abhängig von der ihm zugeschriebenen kulturellen Herkunft – »Familientragödie« oder »Ehrenmord«. Was für einen Unterschied machen die beiden Begriffe in unserem Kopfkino! Mir ist es aufgrund meiner Erfahrungen ein Anliegen, sorgfältig mit Worten umzugehen. So mag ich das Wort »man« nicht verwenden. Hinter diesem Wort kann Mann wie Frau die Verantwortung für das eigene Verhalten wunderbar verstecken. Denn gemeint ist meist »ich« oder »wir«. Auch habe ich früh gelernt, dass niemand seine oder ihre Diagnose »ist«. Ich danke hier meinen ehemaligen Kollegen1 im Kinderhospital Osnabrück, für die es weder einen »Diabetiker« noch eine »Asthmatikerin« gibt. Und ich danke meinem Lehrtherapeuten Arist von Schlippe (1999), der eindrücklich berichtet, was es heißt, »der Wurm von Zimmer 23« zu sein (statt der Patient auf Zimmer 23 mit dem entzündeten Blinddarm). Genauso wenig »ist« niemand sein oder ihr Verhalten, niemand »ist« verhaltensauffällig, auch wenn er oder sie sich in bestimmten 1 Die Formulierungen in diesem Buch wechseln willkürlich zwischen weiblicher und männlicher Form. Gemeint sind immer beide Geschlechter.

Kontexten auffällig verhält. Und auch ein gewalttätiger Mensch »ist« neben seinem Verhalten noch vieles andere. Für mich »ist« auch niemand ein Flüchtling oder eine Migrantin, denn ich möchte keinen Menschen auf die Art seiner Zuwanderung in unser Land reduzieren. In interkulturellen Settings, also mit mehr als einer Sprache zu leben, zu lieben und zu arbeiten, war und ist für mich eine Herausforderung und gleichzeitig eine Bereicherung. Ich durfte im Rahmen meiner Promotion ein Jahr in der Türkei leben und die Sprache erlernen. Meine systemische Familientherapie-Ausbildung habe ich bei Arist von Schlippe, Gesa Jürgens und Mohammed El Hachimi mit dem Schwerpunkt »Umgang mit multikulturellen Systemen« absolviert. In meinen beruflichen Kontexten (in Krankenhäusern sowie im Rahmen von Supervisionen und Fortbildungen) waren und sind interkulturelle Begegnungen mein Alltag – ich habe Aufträge in der Schweiz, in Liechtenstein und in Österreich. Ich lebe in Nuenen, einem kleinen Dorf bei Eindhoven, mit meinem niederländischen Mann und schlage mich mit den Gemeinheiten und Feinheiten der niederländischen Sprache herum. Mit diesem Buch möchte ich die Leserinnen und Leser zu Auseinandersetzungen mit Kultur, Sprache, Werten, stereotypen Bildern (mit den eigenen, anderen oder sogar völlig fremden) einladen und zu einer systemischen Haltung zu all dem. Ich werde das Modell der »Neuen Autorität« (s. hierzu z. B. Omer und von Schlippe, 2002, 2004, 2010; Lemme u. Körner, 2018; Körner et al., 2019) kurz vorstellen, da es eine gewaltfreie Alternative zur traditionellen patri­archalischen Autorität bietet und zwischen der eher relational-kollektivistischen Orientierung »der orientalischen« und der eher individualistischen Orientierung der »westlichen Welt« angesiedelt ist (Hofstede, 2001). Im Anschluss beschreibe ich spezifische ­Interventionen für multikulturelle Kontexte und verdeutliche das bisher Gesagte an zahlreichen Beispielen.

Der Kontext

Wer in pädagogischen, psychologischen oder therapeutischen Settings im deutschsprachigen Raum arbeitet, trifft zwangsläufig häufig auf Familien und damit auf Menschen aus verschiedenen Generationen mit entweder eigenen Migrationserfahrungen oder entsprechenden Erfahrungen in ihren Herkunftsfamilien. Diese Personen verfügen sowohl über eine (mehr oder weniger stabile) deutschsprachige kulturelle Wurzel als auch über mindestens eine (mehr oder weniger stabile) weitere aus ihrer Herkunftsfamilie. Seit 1945 wanderten in das

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Territorium der jetzigen Bundesrepublik deutlich über 20 Millionen Menschen ein (Hegemann u. Oestereich, 2018, S. 51). Davon waren ca. 12 Millionen nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs aus den ehemaligen deutschen Ostgebieten geflohen, ca. viereinhalb Millionen Spätaussiedler und ca. vier Millionen angeworbene Arbeitskräfte (damals »Gastarbeiter« genannt). Seit 1990 ist ca. anderthalb Millionen Menschen Asyl gewährt worden, etwa fünfzig Prozent der Anträge wurden positiv entschieden (Oltmer, 2015; Feld, Doerr, Hirsch u. Christoph Sajons, 2017). Nach neuesten Zahlen des Statistischen Bundesamtes hat etwa ein Viertel der Deutschen ausländische Wurzeln (»Jeder Vierte in Deutschland hat Migrationshintergrund«, 2019). In Deutschland haben wir also viel Erfahrung mit Integration – mit gelungener wie problematischer, im gesellschaftlichen Alltag wie in institutionellen, medizinischen, pädagogischen und therapeutischen Settings. Professionelle, die in interkulturellen Erziehungskontexten systemisch beraten, kennen auch misslungene Kooperationen. Nicht selten werden kulturelle Missverständnisse dafür verantwortlich gemacht. Aber was unterscheidet die Beratung in monokulturellen von der in interkulturellen Kontexten? Zentral ist meines Erachtens, dass die Werte, Normen, Rituale, Erziehungsvorstellungen, Familienbilder, Geschichten, in denen wir uns bewegen, in monokulturellen Settings oft ähnlicher sind und es eher eine gemeinsame Sprache gibt, d. h. eine Übereinkunft darüber besteht, was mit welchem

Ausdruck gemeint ist. Unterschiedliche Werte und Sprachen können als lästige oder auch als unlösbare Hürde in der Beratung angesehen werden. Die Beratenden können sie aber auch als Herausforderung annehmen und als Bereicherung erleben. Mein Anliegen ist es, die Neugierde auf die Herausforderung zu stärken und systemische Haltungen und Methoden zu beschreiben, die eine interkulturelle Kooperation erleichtern.

1 Kultur Die Kultur, in der wir aufwachsen, beeinflusst Werte, Rituale, Verhaltensnormen etc. Der Begriff »Kultur« wird in den unterschiedlichsten Zusammenhängen verwendet, z. B. für: Ȥ die Welt mit all ihrer Vielfalt, an die der Begriff »Weltkulturerbe« erinnert, Ȥ Kontinente – denken wir an die Vielfalt der afrikanischen, lateinamerikanischen, asiatischen Küchen und Rhythmen, Ȥ Länder – es gibt einen niederländischen Baustil und deutsche Pünktlichkeit, Ȥ religiöse Gemeinschaften und ihre Ausrichtungen – es gibt katholische Christen, sunnitische Muslime, orthodoxe Jüdinnen und liberale Hindus, Ȥ Dorf- und Stadtkulturen – der »Flachlandtiroler« am Rande der Nordsee ist ganz anders als die Tirolerin in den Bergen, Ȥ Geschlechter – wir kennen männliches Dominanzverhalten und weibliche Eitelkeit, einen Raum, in dem die Frauen essen, und einen für die Männer, Ȥ verschiedene Altersstufen – es gibt einen Kindertisch und einen, an dem die Erwachsenen essen, und es gibt eine Jugendkultur (nicht nur für Jugendliche) und Wohngemeinschaften für Alte,

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Ȥ nicht zuletzt meine (Kultur-)Tasche, die mir am Flughafen ausgeräumt wird, wenn ich die bestehenden Normen nicht einhalte. In Anlehnung an Falicov (1995) definiere ich Kultur als Summe von gemeinsamen Sichtweisen einer Gruppe oder Gesellschaft auf die unterschiedlichen Bereiche des Lebens in Abhängigkeit von den Lebenswirklichkeiten der betroffenen Menschen, von diesen gemacht und immer wieder verändert. Kultur ist damit keine »Ver-

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vielfältigungsmaschine« (Baumann, 1999), die das Denken, Fühlen und Handeln von Menschen determiniert, nur weil sie oder ihre Familien aus einer bestimmten Region dieser Welt stammen. Solche starren stereotypen Bilder von anderen behindern eine interkulturelle Haltung, einen Dialog in Gleichwertigkeit und verhindern passende Interventionen. Je nach Charakter, Lebensumständen und Persönlichkeit, Bildung, Zugang zur Macht und zu materiellen Ressourcen gelten die Werte meines Orientierungssystems für mich als mehr oder weniger bindend oder bereichernd oder auch einengend. Pirmoradi (2012) unterscheidet zwischen individualistischen und relationalen Selbstkonzepten als kulturell determinierte Orientierungen für Lebensstil und Verhaltensweisen. Das individualistische Selbstkonzept beschreibt er als ein im euro-amerikanischen Raum im Laufe der Industrialisierung und Urbanisierung entstandenes Konzept. Die Arbeitserfordernisse und -bedingungen führten zu einer erhöhten sozialen und beruflichen Mobilität sowie zu einer Reduktion der ökonomischen Zwänge und damit zur Freisetzung der Menschen aus den traditionellen sozialen Bindungen. Soziale Positionen und Berufe waren nicht mehr qua Geburt oder Geschlecht zugeschrieben, sondern konnten auf dem Arbeitsmarkt erworben werden. Die Vorstellung, dass alle Menschen an Recht und Würde gleich sind, führte zu einer Befreiung von der Willkür autokratischer Herrscher, zur Einführung von wohlfahrtsstaatlichen Leistun-

gen, zu einem Zugang zur Bildung für die breite Masse und zu einer größeren Gleichberechtigung von Frauen und Männern. Dies alles ermöglichte und beförderte eine Verselbstständigung des Einzelnen gegenüber traditionellen übergeordneten allgemeinen und sozialen Verhaltensweisen sowie Glaubensvorstellungen und damit eine individuelle Lebensführung. Die traditionelle Groß­familie hat sich durch die gesellschaftspolitischen und wissenschaftlich-­medizinischen Ver19

unterschiedliche Lebensentwürfe wie Singlehaushalte, kinderlose

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änderungen im letzten Jahrhundert zur bis vor Kurzem üblichen Kleinfamilie gewandelt und differenziert sich zur Zeit weiter in Paare, Ein-Eltern- und Patchwork-Familien aus (Peuckert, 2012). Proportional zur Pluralisierung der Lebensentwürfe sind handlungsleitende soziale Normen verloren gegangen. Die sich schnell ändernden Lebensbedingungen und Leitbilder ermöglichen individuelle Entscheidungen, fordern diese jedoch auch. Gleichzeitig existieren in anderen Teilen der Welt (und auch in einigen religiös und/oder bäuerlich geprägten Familien in Europa und Amerika) relationale Selbstkonzepte. Sie zeichnen sich nach Pirmoradi dadurch aus, dass ihre Werte und Verhaltensweisen sich nicht um persönliche Wünsche und Bedürfnisse organisieren, sondern um »andere bedeutungsvolle Instanzen und Beziehungs­konstellationen« (Pirmoradi, 2012, S. 82). Zentrale Bedeutung hat danach die »Harmonie des Netzwerkes« mit engen Beziehungen in sozialen Kontexten. Eine Person definiert und verwirklicht sich durch ihre soziale Rolle (z. B. geschlechts-, altersspezifisch) und Mitgliedschaft in Gruppen (z. B. Familie, Zunft, Religionsgemeinschaft). Dabei beeinflusst das Verhalten des Einzelnen immer auch das Gemeinschaftsleben. Pirmoradi macht dies am Beispiel der Partnerwahl deutlich. In Gesellschaften mit einem individuellen Selbstkonzept bedeutet die Gründung einer Familie einen exklusiven Neuanfang für ein Paar. In Gesellschaften mit einem relationalen Selbstkonzept bedeutet

sie darüber hinaus eine Ausdehnung der erweiterten Familie und ein zusätzliches Mosaikstück zum bereits bestehenden Beziehungskontext. Pirmoradi empfiehlt in diesem Zusammenhang, von einer »arrangierten Ehe« zu sprechen und nicht von einer »Zwangsehe« (Pirmoradi, 2012, S. 84). Ich stimme ihm dort zu, wo das Arrangement zu den gesellschaftlich geteilten Werten und Normen gehört und alle Beteiligten dem Konsens zugestimmt haben. Dort, wo die eines Individuums unter die Belange von Rollen und Gruppen mit

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großfamiliären Beziehungen und Patriarchen die Unterordnung 20

Gewalt erzwingen, kann aus meiner Sicht von Arrangements keine Rede mehr ein. Ich werde hierauf in Kapitel 4 näher eingehen. Kultur ist kontextabhängig und dynamisch (Hegemann u. Oestereich, 2018, S. 14 ff.), wie dieses Beispiel zeigt: »Vor zwei Generationen noch wurde das Zusammenleben unverheirateter Paare in westeuropäischen Gesellschaften als kulturell unpassend mit dem Begriff wilde Ehe abqualifiziert. Heute gilt diese Art des Paarlebens bei den 20- bis 30-Jährigen als Standard« (Hegemann u. Oestereich, 2018, S. 16). Ein weiteres Beispiel: Im Christentum war das intakte Jungfernhäutchen jahrhundertelang ein Ideal, weil Zeichen der sexuellen Unberührtheit, und eine wichtige Bedingung für eine E ­ heschließung. In einer Zeit ohne Vaterschaftstest schien die sexuelle Unberührtheit der Braut die Rechtmäßigkeit der Nachkommen und Erben zu garantieren. Seit der sexuellen Revolution, der Frauenemanzipation, der Möglichkeit, zu verhüten und eine Vaterschaft sehr einfach feststellen zu lassen, ist die Forderung einer sexuellen Unberührtheit im christlich geprägten Kulturraum größtenteils passé (auch wenn manche Familien aus anderen Kulturkreisen an diesen Traditionen noch festhalten). Werte, Normen und Regeln, die in relational organisierten Gesellschaften zum allgemein geteilten Kulturgut einer Gesellschaft oder

einer Gruppe gehörten, haben sich im Übergang zu bzw. in individualistisch organisierten Gesellschaften verändert oder sie sind verschwunden und durch andere ersetzt worden. Dies betrifft u. a. die Mehrheit der europäischen Länder. Globalisierungs- und weltweite Wanderungsprozesse sorgen gleichzeitig dafür, dass wir gezwungen werden, uns den relational organisierten Gesellschaftsformen und ihren Werten zu stellen. Im Beratungskontext gilt es, eine Form des schnell zu werten, was ja oft bedeutet, das Eigene für richtig zu hal-

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ten und das Fremde für falsch, Ambivalenzen zu erkennen und kon­

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Umgangs mit dem »Anderen« oder »Fremden« zu finden, nicht vor-

struktiv zu nutzen, um nach tragbaren Kompromissen zu suchen und dabei gleichzeitig Gewalt in jeder Form abzulehnen.

2 Stereotype Unser Denken und Handeln wird von Beschreibungen geleitet, die auf unserem Alltagswissen basieren. Anhand bestimmter Merkmale entstehen in unserem Kopf Vorstellungen, innere Bilder, die meistens stereotyp sind. Dafür können wir nichts. Es ist eine automatische, schnelle und nahezu unbewusst ablaufende Leistung unseres Gehirns mit dem Ziel, die unendlich vielen Reize unserer Umwelt zu bewältigen. Zu diesen inneren Bildern gehören auch Vorurteile: »Vorurteile ermöglichen eine schnelle und präzise Orientierung in einer komplexen sozialen Umwelt. Personen und Objekte lassen sich leicht kategorisieren und bewerten und man weiß schnell, woran man ist« (Thomas, 1996, S. 4; s. hierzu auch von Schlippe, El Hachimi u. Jürgens, 2013, S. 85 f.). Vorstellungen von Menschen, die uns etwa aufgrund ihrer Hautfarbe, Kleidung oder ihres Verhaltens fremd sind, beinhalten schnell stereotype Stigmatisierungen. Viele Menschen in unseren Breiten denken, sprechen und urteilen über die Afrikaner,

die Türkinnen, die Tschetschenen und die Marokkaner. In Afrika, der Türkei, Tschetschenien und Marokko wird es ebenfalls Ideen dazu geben, wie z. B. die Deutschen, die Iren, die Polen und die Griechen »sind«. Und in Vorarlberg fühlen sich die Menschen als Österreicher, aber eben auch als Vorarlberger, denn »[w]as Gott durch den Berg getrennt hat, das soll der Mensch nicht durch ein Loch verbinden« (Kopf, 2007; gemeint ist hier der Eisenbahntunnel, der Vorarlberg seit 1884 mit dem großen Rest von Österreich verbindet).

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Laut Wikipedia gibt es in Europa (inkl. Russland, Kasachstan und Türkei) 47 unabhängige Staaten, in denen 24 Amtssprachen und viele Dialekte gesprochen werden. Im Vergleich zum afrikanischen Kontinent ist die letzte Zahl vergleichsweise klein, denn dort gibt es 64 unabhängige Staaten, in denen ca. 1.978 Sprachen und unendlich viele Dialekte gesprochen werden (Wikipedia, Stichwort: »Liste der meistgesprochenen Sprachen«). In unserer Nähe wissen wir um die Verschiedenheit der kulturellen Werte, Normen und Dialekte, wir können sie leichter verstehen und unsere inneren Bilder weiter differenzieren, weil Vorurteile in tatsächlichen Begegnungen überprüft werden. Die englische Arbeitskollegin oder das türkische Teammitglied ist dann z. B. auf einmal nicht mehr so fremd. Je größer die räumliche, emotionale Distanz, desto schneller entstehen pauschale Abwertungen anderer Kulturen und Gebräuche. Es fehlt an Wissen über ferne Länder und Kulturen und an Kontaktpunkten zu Personen, die dort leben oder von dort stammen. Studienreisen nach Afghanistan und in den Sudan sind in Europa eher unüblich, um es etwas überspitzt auszudrücken, derart werden Vorurteile über ferne Länder nicht in der realen Begegnung hinterfragt und korrigiert. Sie bauen sich vielmehr auf und bleiben nebulös, da das Detailwissen oder überhaupt das Wissen über diese fernen Gegenden und die dort lebenden Menschen fehlt. So werden Menschen auf ihr Herkunftsland oder sogar auf ihren Herkunfts-

kontinent reduziert oder auf die Art ihrer Zuwanderung. Sie werden reduziert als Ausführende ihrer Kultur. Die eigene Fähigkeit, sich reflexiv und situativ zum eigenen kulturellen Wissen zu verhalten, wird ihnen qua dieser Kultur abgesprochen. Gleichzeitig kann nicht davon ausgegangen werden, dass durch das eigene individuelle Wissen und Einzelerfahrungen über kulturelle Werte und Einstellungen generell Rückschlüsse auf das Ver23

Jürgens: »Stellen Sie sich vor, Sie als Bayer, Berliner, Friese, Sachse,

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halten von anderen Menschen gezogen werden können. Zur Verdeutlichung ein Beispiel der Autoren von Schlippe, El Hachimi und Schwabe oder Westfale etc. würden in den USA (oder der Türkei) mit Paar-/Familienproblemen zu einem dortigen Therapeuten kommen und würden begrüßt mit: ›Hello, you are Germans. Well, I know the Germans. I have been in Heidelberg years ago.‹ Würden Sie nicht postwendend den Raum verlassen, es sei denn, Ihre Probleme sind außergewöhnlich gravierend?« (2013, S. 83). Nationale Stereotype sind ein internationales Phänomen, das ich, als Deutsche in der Türkei lebend, selbst erfahren habe. Ich war dort etwa einmal Faschistin, weil ja alle Deutschen Faschisten sind, und ich war für jeden Mann »zu haben«, weil ja alle westlichen Frauen mit fremden Männern ins Bett gehen.

Fallbeispiel, zum Ärgern2: Bei einer Fallbesprechung geht es um eine Familie, die zu spät zum vereinbarten Termin erschienen ist. Kollegin A.: »Klar, dass die zu spät kommen, sind ja auch Ausländer.« Kollegin B.: »Die Familie stammt aus Vietnam. Ich bin viel in Asien herumgereist und wenn ich eine zeitlich gut strukturierte Kultur kenne, dann ist es die vietna2 Die Namen innerhalb der Fallbeispiele wurden durchweg anonymisiert.

mesische.« Kollegin A.: »Dann sind die wohl über die Türkei geflogen, bevor sie hierhergekommen sind.«

Fremdzuschreibungen, die eine kulturelle Grundlage haben, werden als »Kulturalisierung« bezeichnet, das Verhalten einer Person wird dann mit der kulturellen Zugehörigkeit erklärt. Hinter Kulturalisierungen stehen meist unzulässige Verallgemeinerungen, die das eigene Denken und Verhalten scheinbar autorisieren. Das eigene

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Verhalten wird kulturalisiert, um es zu begründen (»Bei uns ist das so …«).

Fallbeispiel dazu: Die Tochter von Frau D. ist zwei Jahre alt. Im Alter von anderthalb Jahren wurde bei ihr eine Mukoviszidose diagnostiziert, die eine aufwendige Therapie nach sich zieht, gegen die sich kleine Kinder im Allgemeinen heftig wehren. Frau D. unterließ es oft, die therapeutischen Maßnahmen gegen den Protest ihrer Tochter durchzuführen. Sie begründete dies folgendermaßen: »In unserer Kultur sind die Frauen für weiche und die Männer für harte Erziehungsmaßnahmen verantwortlich. Ich habe keinen Mann und deshalb konnte die Therapie nicht regelmäßig durchgeführt werden.« Frau D. hat ihr Unvermögen, unangenehme Maßnahmen gegen den Willen ihrer Tochter durchzusetzen, kulturalisiert.

Voraussetzung für eine gelungene Beratung oder Therapie ist das Wissen der Professionellen um die dynamische Seite der Kultur sowie die Existenz stereotyper Bilder – eigener und beim Gegenüber –, denen man sich nur durch Selbstreflexion und Fragen annähern kann, nie durch Wertungen. Eine weitere Voraussetzung ist eine gute gemeinsame Sprachbasis. Darum geht es im folgenden Abschnitt.

3 Umgang mit Sprachbarrieren Im Idealfall beherrschen Beraterin und Klienten(-System) dieselbe Sprache annähernd gleich gut. Aber selbst dann kann es zu sprachlichen Missverständnissen kommen.

Ich wurde sprachlich im Rheinland und im Ruhrgebiet sozialisiert.

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Während meiner Promotion in Tübingen habe ich mir mein Stipen-

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Fallbeispiel, zum Schmunzeln:

dium manchmal mit einem Aushilfsjob in einem dortigen Krankenhaus aufgebessert. Eines Tages sollte ich einer alten Dame beim Waschen helfen. Sie wünschte sich, dass ich ihr »de Fiaß« wusch. Soweit beherrschte ich damals das Schwäbische, dass ich ihr ausgiebig die Füße wusch. Damit war sie aber offensichtlich nicht zufrieden. Sie bat mich noch zweimal, ihr »de Fiaß« zu waschen, dann zuckte sie resigniert die Schultern. Ich spürte die Irritation und bat die einheimische Kollegin um Unterstützung. Sie kam lachend aus dem Krankenzimmer und erklärte mir, dass im Schwäbischen »de Fiaß« bis zur Hüfte gehen.

Von Schlippe, El Hachimi und Jürgens nennen es eine zumindest »kühne Hypothese«, schon bereits bei zwei Menschen, die dieselbe Sprache sprechen, anzunehmen, dass sie jeweils das Gleiche meinen (2013, S. 53). Wie viel herausfordernder ist es dann, wenn es um zwei (oder mehr) Sprachen, Bedeutungen, Sprachbilder und mögliche Wirklichkeitskonstruktionen mit ihren kulturellen Mustern geht? Was ist eine »schlechte Mutter« in der einen oder anderen Kultur? Vielleicht eine Rabenmutter? Und wie verhält sich ein hilfloser oder verzweifelter Vater »richtig«, wenn sein Sohn sich oder andere durch sein Verhalten gefährdet?

Wenn es in professionellen Kontexten also um das Finden von gleichen Bedeutungen, Unterschieden, Annäherungen und Kompromissen zwischen und mit zwei Sprachen geht, kann dies als mühevoll empfunden werden oder aber auch zu einer spielerischen, humorvollen Kommunikation beitragen, die die Kooperation zwischen Beratungssystem und Ratsuchenden erhöht. Würde in Stellenausschreibungen regelhaft eine andere als die deutsche Muttersprache als Qualitätsmerkmal ausgeschrieben, wäre es auch

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leichter, eine andere Sprache als Beratungs- oder Therapiesprache anzubieten. Gibt es einen deutlichen Unterschied zwischen den (Deutsch-) Sprachkenntnissen von Beraterin und denjenigen des Klienten(-Systems), braucht es eine Sprachbrücke. Im Idealfall ist dies eine sprachund kulturkompetente Dolmetscherin (siehe hierzu ausführlich Oestereich u. Hegemann, 2018, S. 58 ff.; auch Pirmoradi, 2012, S. 156 ff.). Sie sollte nach folgenden Kriterien gewählt werden: Ȥ Fachkompetenz, Ȥ Geschlecht, Ȥ ethnische Herkunft, Ȥ (zugeschriebene) religiöse Zugehörigkeit. Eine gute Vor- und Nachbereitung des zu übersetzenden Gesprächs ist ebenso wichtig wie eine sorgfältige Wahl des Raumes sowie der Sitzordnung. Eine gedolmetschte Beratung kostet Zeit, bringt aber den Vorteil mit sich, dass die Beraterin während des Übersetzens Zeit und Ruhe hat, Gestik und Mimik im Beratungssystem zu beobachten. Gute Dolmetscherinnen kosten Geld. Die Investition lohnt sich aber, da Missverständnisse und Beratungsabbrüche vermieden werden können. Die Zusammenarbeit mit anderen Institutionen, die muttersprachliche Fachkräfte beschäftigen, ist sinnvoll. Integrationsbeauf-

tragte von Städten und Kommunen wissen meist, wo diese beschäftigt sind. Online-Dolmetscherdienste3 können eine Alternative sein. Sollten Verwandte oder Menschen aus dem Bekannten- oder Freundeskreis oder andere zufällig Anwesende zum Übersetzen he­ rangezogen werden, ist mit »Nebenwirkungen« zu rechnen. Je nach Komplexität und Fachsprache können der erforderliche Fachwortschatz und Fachkenntnisse fehlen. Zudem sind datenschutzrecht­liche Bestimmungen zu beachten sowie die Gefahr der Einflussnahme der bemerkt werden.

Fallbeispiel, gefährlich: Als Türkisch sprechende Familientherapeutin sollte ich in einer Kinderklinik kurzfristig ein Gespräch zwischen einem Arzt und einem Elternpaar übersetzen, deren Kind eine schwere Nierenerkrankung hatte und deshalb nun dialysiert werden sollte. Wegen einer anderen Aufgabe stand ich nicht sofort zur Verfügung. Als ich im Besprechungszimmer ankam, hatte der Arzt eine Putzfrau zum Übersetzen von der Station geholt. Sie war offensichtlich sowohl mit dem nötigen Fachwissen als auch mit ihrem Fachwortschatz überfordert. Sie übersetzte, dass das Kind eine »s¸ey-Komplikation« habe und deshalb jetzt eine »s¸ey-Behandlung« durchgeführt werden müsse. Die Eltern nickten, der Arzt dachte, er sei verstanden worden. »s¸ey« ist ein türkisches Füllwort und bedeutet so viel wie »Dings«. Die Eltern hatten also nur »Dings« mitgeteilt bekommen. Im anschließenden Gespräch fragten sie mich, was der Arzt gesagt habe. Sie hätten im Gespräch über die Putzfrau ihre Landsfrau nicht bloßstellen wollen

3 Siehe z. B. arztkonsultation.de/fluechtlinge-verstehen oder v­­ ideodolmetschen.de, Abruf jeweils 24.8.2019.

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dolmetschenden Person auf Gesprächsinhalte, die oft nicht einmal

und deshalb genickt, obwohl sie die übersetzte Erklärung nicht nachvollziehen konnten.

Fallbeispiel, harmlos: Ich war zufällig auf der Kinderstation. Die Krankenschwester bat einen Fünfjährigen, seiner Mutter in die türkische Muttersprache zu gen möge. Der Knirps, der keine Lust auf Zähneputzen hatte, über-

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übersetzen, dass sie morgen bitte eine Zahnbürste für ihn mitbrin28

setzte seiner Mutter, sie brauche keine Zahnbürste mitzubringen, die gebe es für alle Kinder auf der Station. Hätte ich nicht eingegriffen, hätte die Gefahr bestanden, dass die Krankenschwestern die Mutter für ignorant hielten, weil sie ihrem Kind keine Zahnbürste mitgebracht hätte, und die Mutter die Schwestern für ausländerfeindlich, da alle Kinder auf der Station eine Zahnbürste bekommen hätten, nur ihr Sohn nicht.

Ich möchte an dieser Stelle ausdrücklich vor Kindern als Sprach­ brücken bzw. -mittler warnen. Denn Dolmetschende sind keine Telefonleitungen. Wenn Menschen übersetzen, die dem Klientensystem bekannt sind, können wir – je nach Geschlecht, Nähe der Beziehung, Alter, Verwandtschaftsgrad etc. – Loyalitäten, Rivalitäten, Vorlieben, eigene Vorstellungen, Tabuisierungen, eigene Vorerfahrungen, Ängste und andere unvermutete Einflüsse erwarten. Nach professionell Dolmetschenden ist die zweitbeste Sprach­ brücke die Kompetenz der Beratenden selbst mit Hilfen von Wörter­ büchern, Zeichnungen – gern eigenen, aber auch solchen aus den ratsuchenden Systemen  –, Fotos, Landkarten und systemischen Methoden, die mit wenig Sprache auskommen (s. u.). Zu achten ist in jedem Fall auf eine langsame Sprechweise und einfache Sprache (Bundesministerium für Arbeit und Soziales, 2014). Ich verabrede

mit meinem Gegenüber Stoppzeichen, wenn ich doch wieder zu schnell rede. Bitte kein »tarzanca« benutzen. »Tarzanca« ist ein türkisches Wort und bedeutet »tarzanisch«: »Ich Putzfrau, du Patient«, »Du morgen früher kommen!« Sprache ist ein wichtiges Werkzeug im Beratungskontext. Trotzdem ist auch die beste gemeinsame Sprachbasis oder eine professionellste Dolmetscherin keine Garantie für eine gelungene professionelle Beziehung. Zentral dafür ist die Haltung der Therapeutinnen,

4 Haltung Ob wir die Beratung von Klienten oder Familien mit mehreren kulturellen Wurzeln als lästige oder unlösbare Aufgabe ansehen, als He­ rausforderung oder Bereicherung, hängt von unserer Haltung ab. Wie Pirmoradi (2012), von Schlippe, El Hachimi und Jürgens (2013) sowie Hegemann und Oestereich (2018) halte ich insbesondere eine systemische Haltung für hilfreich in der Beratung von Klientinnen und Familien mit Migrationsbiografien. Ich ergänze sie durch eine Haltung, die zur interkulturellen Kompetenz führt, sowie der Haltung, die der Neuen Autorität zugrunde liegt, da hier sowohl Aspekte einer relationalen wie auch einer individuellen Orientierung integriert sind.

4.1 Systemische Haltung Eine systemische Haltung sucht nach Beschreibungen von Wirklichkeiten, die Möglichkeitsräume erschließen oder erweitern (von Schlippe u. Schweitzer, 2013, S. 200). Dabei werden sowohl die Klientinnen, Familien als auch die zu begleitenden Systeme als Expertin-

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Berater, Pädagoginnen etc.

nen und Experten ihrer Lebenswirklichkeiten gesehen, und wir sehen uns als Experten und Expertinnen der Systeme, der Organisationen, in denen wir arbeiten. In interkulturellen Kontexten wird dies durch eine mögliche »Wertebrille« auf beiden Seiten erschwert, nach dem Motto: Was wir tun, denken oder empfinden, ist gut und richtig, das andere, Fremde ist schädlich und falsch.

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Beispiel, wissenswert: In polychron organisierten Gesellschaften (mehrere Dinge werden gleichzeitig erledigt, s. Wikipedia: Stichwort »Polychronismus«), wie in den meisten südeuropäischen oder -amerikanischen Ländern, ist die für eine Interaktion benötigte Zeit elastisch und wichtiger als ein Terminplan. Pünktlichkeit spielt eine untergeordnete Rolle. Menschen und Netzwerke stehen an erster Stelle. Ein Problem lässt sich über Beziehungen lösen. Unpünktlichkeit ist normal, nicht falsch und schon gar nicht arrogant. In zwischenmenschlichen Beziehungen ist die Interaktion wichtiger als die Einhaltung einer Uhrzeit. In monochron organisierten Gesellschaften (eine Aufgabe folgt nach der anderen), wie z. B. in Deutschland, gilt es, Zeit möglichst effizient zu nutzen, um zukunftsorientierte Ziele zu erreichen. Unpünktlichkeit wird zumindest als unhöflich angesehen, wenn nicht sogar als arrogant. Am verabredeten Ort pünktlich zu sein ist damit gut und richtig. Beziehungen werden nach der Uhr organisiert, Bedürfnisse sind der Interaktion untergeordnet.

Beispiel, wenn polychron auf monochron trifft: Ich habe viele Jahre in ausgesprochen monochronen Institutionen gearbeitet: in Krankenhäusern. Durch meine Sprachkenntnisse habe

ich viele Familien mit türkischer Muttersprache beraten. Die türkische Gesellschaft wird zu den polychronen Gesellschaften gezählt. Die türkische Sprache hat kein Wort für »Termin«. Die Menschen treffen (»bulus¸mak«) oder sehen (»görüs¸mekt«) sich. Für einen Termin kann das Wort »randevu« aus dem Französischen entlehnt werden, das übrigens erst im deutschsprachigen Raum das Anhängsel von Romantik und Erotik bekommen hat. Oft wird auch das deutsche Wort »termin« aus dem Deutschen entlehnt und den Regeln der

Wenn meine Klientinnen zu spät kamen, fragte ich sie zunächst nach dem Grund und dieser war oft einer jenseits einer kulturell bedingten Zeitvorstellung. Gründe waren das Fehlen eines Autos und der unpünktliche Nahverkehr, das Fehlen eines Parkplatzes in der Stadt, kleine Kinder zu Hause, die (Schicht-)Arbeitszeiten der Eltern etc. Auf all das haben wir wenig Einfluss. Dann erklärte ich meine Arbeitszeit mit einem Stundenplan, markierte das Zeitfenster, das ich für die Familie zur Verfügung hatte, und ärgerte mich nicht mehr, wenn sie es nicht ganz nutzte. Bei Gruppenschulungen fing ich mit einem (ent)spannenden Spiel an, das dann eben gegebenfalls leider verpasst wurde. Wenn es also darum geht, Arbeitsbündnisse in interkulturellen Erziehungs- oder Beratungskontexten systemisch zu gestalten, braucht es eine Haltung von respektvoller anteilnehmender Neugierde und engagierter Neutralität (Hegemann u. Oestereich, 2018, S. 24): Ȥ für das Gegenüber als Person und als System, Ȥ für Werte, Lebenserfahrung, Charakter, Geschlecht, Alter, Religionszugehörigkeit, sexuelle Orientierung, Herkunft etc. Es braucht die Bereitschaft, sich die Wertebrille des Gegenübers aufzusetzen (Hegemann u. Oestereich, 2018) und kulturelle Empathie

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türkischen Grammatik unterworfen: »terminim« für »mein Termin«.

zu verwirklichen (Pirmoradi, 2012). Darüber hinaus ist eine trag­ fähige professionelle Beziehung hilfreich, die jenseits der traditionellen Autorität Möglichkeiten aufzeigt, wie Erziehungsverantwortliche und Beraterinnen mit gewalttätigem oder destruktivem Verhalten von Kindern und Jugendlichen umgehen können.

4.2 Haltung als Basis interkultureller Kompetenz

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Die Basis interkultureller Kompetenz ist für mich eine Haltung, die getragen ist vom konstruktiven Umgang mit kultureller Vielfalt und verschiedenen Einstellungen, Werten, Normen, Glaubenssystemen und Lebensweisen. Ein wichtiger Faktor ist hierfür neben interkultureller Sensibilität auch die emotionale Kompetenz, die es ermöglicht, die Wirklichkeitskonstruktionen von Menschen mit anderen kulturellen Werten im eigenen Denken und Handeln zu berücksichtigen. Zentral ist nicht, ob etwas wahr oder falsch ist, sondern, »ob es im Kontext nützlich oder weniger nützlich, passend oder weniger passend« ist (Hegemann u. Oestereich, 2018, S. 40). Dabei sollte der Erfolg der Beratung von beiden Seiten als solcher empfunden werden.

Beispiel, zum Nachdenken: Als 2015 viele minderjährige Geflüchtete in Deutschland a­ nkamen, sah sich die Jugendhilfe vor einer großen Herausforderung. Viele Wohngemeinschaften wurden über Nacht »aus dem Boden gestampft«, ohne große Vorbereitung. Die zuständigen Sozialarbeiterinnen waren weder auf traumatisierte noch auf vor Krieg und Elend geflüchtete junge Menschen vorbereitet. In einer dieser Wohngruppen war ich als Supervisorin tätig. Zum Ärger der Professionellen gab es regelmäßig Auseinandersetzungen zwischen ihnen

und einzelnen Jugendlichen um Ausgehzeiten, insbesondere am Wochenende. Das Berufen auf Hausregeln und das Jugendschutzgesetz führte zu keinem Erfolg, die Erziehungsverantwortlichen waren hilflos. Nach einer Supervisionssitzung teilte das Team den jungen Männern Folgendes mit: »Wir möchten euch gerne darin unterstützen, dass eure Asylanträge Erfolg haben. Eine wichtige Vo­ raussetzung dafür ist, dass ihr keinen Kontakt mit der Polizei habt. 33

haben den Jugendschutzbeauftragten der Polizei für nächste Woche

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Wir wissen, dass auf eurer Flucht die Nacht oft sicherer war als der Tag. Jetzt seid ihr aber in Deutschland und aktuell in Sicherheit. Wir in unsere WG eingeladen. Er wird euch erklären, warum die Polizei in Deutschland nach 22:00 Uhr Jugendliche auf der Straße nach ihrem Ausweis fragt und unter 16-Jährige nach Hause begleiten wird. Ab sofort werden wir am Abend, sooft es uns möglich ist, ein interessantes Angebot für euch organisieren. Wir freuen uns, wenn ihr euch bei uns sicher und wohlfühlt.« Mit Unterstützung von Vereinen aus dem Stadtteil wurden Filme gezeigt, gemeinsam gespielt, gekocht und gegessen. Für die Betreuerinnen wie für die Jugendlichen wurden die Tage und Nächte ruhiger.

In Fortbildungen zum Thema »interkulturelle Kommunikation« werde ich immer wieder gebeten, den Teilnehmenden zu erklären, wie Menschen mit anderen kulturellen Wurzeln »ticken«. Sicher kann es hilfreich sein, einige allgemeine Regeln beispielsweise zu Höflichkeit zu kennen. Gilt ein Händeschütteln in den meisten »westlichen« Kulturen als höfliche Geste der Begrüßung, ist dies in vielen anderen Ländern der Welt unüblich, unhöflich oder kann sogar als grenzüberschreitend gewertet werden. Eine einfache Erklärung, wie Menschen aus anderen Ländern denken und handeln, würde jedoch sehr schnell zu Stereotypen (s. o.) führen.

Beispiel, in Anlehnung an Hegemann und Oestereich (2018, S. 18), weiter ausgeführt darüber, was man unter einer »kurdischen Frau« verstehen kann: Eine kurdische Frau kann eine traditionelle Frauenrolle leben und sich dem Mann unterordnen. Sie kann streng sunnitisch erzogen worden sein oder alevitisch, vielleicht ist sie aber auch Jesidin. Sie kann ein Kopftuch tragen, einen Hidschab oder keine Kopfbedeckung. Sie kann sich aus ihren religiösen und/oder Familientraditionen gelöst

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und in einer Großstadt studiert haben. Sie kann einen türkischen, irakischen, iranischen, syrischen oder deutschen Pass besitzen. Sie kann vor kurzer oder längerer Zeit aus ihrer Heimat geflüchtet und vor, während und/oder nach der Flucht traumatisiert worden sein. Oder sie kann seit Generationen in Deutschland leben und ist nur noch durch ihren Namen als Mensch mit kurdischen Wurzeln zu erkennen.

Interkulturelle Kompetenz in beraterischen Settings bedeutet, Unterschiede wahrzunehmen, nach Bedeutungen und Zielen zu fragen, die Leistung von Wanderung, Flucht und Auseinandersetzung mit der Herkunfts- und der jetzigen Lebenskultur zu würdigen, Rituale und Werte zu akzeptieren, auch wenn sie fremd sind, solange sie nicht schaden. Interkulturelle Kompetenz heißt aber auch, zu wissen, wie wir selbst »ticken«: Was sind unsere stereotypen Bilder? Lassen wir uns dadurch leiten oder können wir damit »spielen« (s. u.)? Wie gehen wir mit alltäglichen oder strukturellen Diskriminierungen um – unseren eigenen, den institutionellen, unter denen wir arbeiten, gesellschaftlichen etc.? Mit einer interkulturellen Haltung erkläre ich meinem Gegenüber, wie wir denken und handeln, welche Regeln bei uns warum wichtig sind. Interkulturelle Kompetenz beinhaltet für mich keineswegs die Haltung von grenzenloser Toleranz. Da, wo mit kulturellen Werten gewalttätiges Verhalten z. B. in der Erziehung oder bei der Partner-

wahl begründet wird, braucht es den Schutz der Betroffenen. Das »Gesetz zur Ächtung von Gewalt in der Erziehung« wurde am 6. Juli 2000 vom Deutschen Bundestag (übrigens gegen die Stimmen der CDU/CSU-Fraktion) verabschiedet. Damit hat jedes in Deutsch-

land lebende Kind seit immerhin 19 Jahren ein Recht auf gewaltfreie Erziehung.

Geschlechterrollen werden in gleichem Maße von kulturellen Werten beeinflusst wie Elternrollen. Sich über die Werte der Personen, die mit »fremden« kulturellen Wurzeln bei uns leben, erhaben zu fühlen, erlebe ich als nicht angemessen. Wie heißt es noch so schön in »Das Lied von der Glocke« von Friedrich Schiller (1799): »Und drinnen waltet die züchtige Hausfrau«. In meiner frühen Kindheit galt es noch als unmännlich, wenn Väter einen Kinderwagen schoben. Mein Vater konnte seine Familie allein ernähren, meine Mutter war Hausfrau. Und hätte meine Mutter arbeiten wollen, hätte sie dafür bis 1977 seine Erlaubnis benötigt. Ein eigenes Bankkonto durfte sie ohne die Erlaubnis ihres Mannes erst ab 1962 eröffnen. Die Prügelstrafe war zu dieser Zeit in vielen Familien genauso üblich wie in Heimen, kirchlichen Einrichtungen und Schulen. In der DDR gab es in Schulen bis 1949 ein Züchtigungsrecht für Lehrkräfte, in der BRD bis 1973. Das gesetzlich verbriefte Recht des Mannes auf die körperliche Züchtigung seiner Frau wurde 1927 abgeschafft – das war noch nicht einmal vor hundert Jahren. Auch heute ist in einigen europäischen Ländern die Prügelstrafe in der Familie noch immer erlaubt z. B. in der Schweiz, in Großbritannien, Belgien, Frankreich und Italien. Wie fern sind uns diese »traditionell-patriarchalischen Werte«?

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4.3 Haltung in der Neuen Autorität

In Westeuropa wurden Ende der 1960er, Mitte der 1970er Jahre Konzepte von »Antiautoritärer Erziehung« als Gegenreaktion auf die traditionelle Autorität entwickelt. Heute überwiegt ein permissiver Erziehungsstil, wir sprechen von »Helikoptermüttern« und »Schneepflugeltern« (die wie ein Schneepflug ihren Kindern alle Unannehmlichkeiten aus dem Weg räumen). Kinder wachsen und gedeihen unter den verschiedensten Erziehungsstilen und oft auch »trotz« dieser, solange sie nicht massiv beschädigt werden. Wenn Schaden

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entsteht, braucht es eine Alternative. Zugewanderte Eltern sind meist in relationalen Gesellschaften und unter traditionell-autoritären Erziehungsstilen aufgewachsen. In wenigen der Herkunftsländer (oder der ihrer Eltern) existieren rechtliche Züchtigungsverbote, in der Türkei beispielsweise in der Schule, nicht aber in der Familie. Das Leben in einem Land mit anderen (gesetzlichen) Regeln und vielen neuen Anforderungen kann in Familien zu einer Destabilisierung führen, befördert dadurch, dass die Kinder sich meist schneller anpassen, die neue Sprache schneller lernen, oft für die Eltern übersetzen und damit viel Macht bekommen. Es besteht die Gefahr, dass Eltern in ihrer Einschätzung, was in der Erziehung richtig und was falsch ist, massiv verunsichert werden. So können sie meinen, dass sie gefährdende oder gewalttätige Verhaltensweisen ihrer Kinder hinnehmen müssen, wenn sie selbst keine Gewalt mehr anwenden dürfen oder (viel harmloser) sie versuchen, mit ihren Kindern Deutsch zu sprechen, obwohl sie die Fremdsprache noch nicht gut beherrschen, weil die Erzieherin oder der Lehrer meinen, Polnisch oder Arabisch als weitere Sprache sei (anders als z. B. Englisch oder Französisch) für Kinder schädlich. Dadurch können Eltern Schwierigkeiten bekommen, ihre Vorstellungen angemessen umzusetzen, insbesondere wenn sie immer wieder Stereotypen und entwertenden Zuschreibungen ausgesetzt sind (von Schlippe et al., 2013). Zeigen ihre Kinder dann ungewünschte Verhaltens­

weisen, erlebe ich meist zwei verschiedene elterliche Reaktionen. Die erste greift auf bekannte Erziehungsmuster zurück, was zu Eskalation und letztendlich familiärer Gewalt führen kann: Auf unerwünschte Verhaltensweisen reagieren die Eltern mit Strafen. Wenn sich die Verhaltensweisen nicht ändern bzw. die Kinder und Jugendlichen ebenfalls mit gewalttätigen und/oder destruktiven Verhaltensweisen reagieren, müssen die Strafen eben härter werden, also noch mehr Eskalationsschleifen wirken jedoch oft nicht wie gewünscht, und

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die Gewalt geht weiter. Wenn Eltern keine Gewalt in ihrer Erzie-

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wehtun, in der Hoffnung der Abschreckung. Solche symmetrischen

hung anwenden wollen oder dürfen, weichen sie mitunter aus Verun­ sicherung zurück, setzen ihren Kindern keine Grenzen mehr – z. B., weil sie sich nicht trauen, ihre klaren Vorstellungen so durchzusetzen, wie sie es in der Heimat getan hätten – und gehen deshalb in komplementäre Eskalationsmuster, die zweite mögliche elterliche Reaktion. Dann gibt es auf einmal keine Regeln mehr. Das führt jedoch nur in seltenen Fällen dazu, dass die Kinder und Jugendlichen ihre destruktiven Verhaltensweisen einstellen. Beide hier dargestellten elterlichen Reaktionsweisen mit ihren spezifischen Eskalationsmustern – (unwirksame) symmetrisch und komplementär – bewirken elterliche Ohnmacht und sind ein Ausdruck von ihr. Die Möglichkeit, in diesen Situationen sowohl systemisch als auch nach dem Konzept des Gewaltlosen Widerstands (das im Folgenden noch ausführlich beschrieben wird) zu arbeiten, beschreibe ich anhand von zwei ausführlicheren Fallbeispielen (Omar und Sorina).

Fallbeispiel einer symmetrischen Eskalation: Der 13-jährige Omar kommt unregelmäßig in die Schule und erzählt schließlich, er werde zu Hause von seinem Vater geschlagen.

Die Schule informiert das Jugendamt. Bei einem anschließenden gemeinsamen Gespräch in der Schule berichten die aus Marokko stammenden Eltern, ihr Sohn sitze bis spät in der Nacht am Computer und stehe morgens oft nicht auf. Auch vernachlässige er seine Kontakte zu Freunden und gehe nicht mehr zum Fußballtraining. Sie hätten schon viel probiert, hätten auf Anraten von Freunden elektronische Sperren eingerichtet, die Omar umgangen habe, die Geräte weggeschlossen und Omar am Morgen freundlich, unfreundlich

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oder mit Lärm geweckt. Alles habe zu laut eskalierenden Konflikten geführt und nicht geholfen. Schließlich habe der Vater (Herr T.) sich nicht anders zu helfen gewusst und dem Sohn mit Gewalt den Computer am Abend weggenommen. Dabei sei es zu einer Rangelei gekommen und er habe Omar geschlagen. Ihm sei nichts anderes übrig geblieben. Er wolle schließlich, dass sein Sohn die Schule besuche, eine gute Ausbildung mache und eines Tages nicht so hart arbeiten müsse wie er selbst. Das Jugendamt empfiehlt die ambulante Begleitung durch eine aufsuchende Familienberatung. Eine Sozialarbeiterin mit marokkanischen Wurzeln erklärt den Eltern genau, was die Aufgabe eines solchen Beratungsprozesses ist. Die Eltern stimmen zögerlich zu (zum weiteren Verlauf des Falls s. u.).

Fallbeispiel einer komplementären Eskalation: Die 15-jährige Sorina lebt in einer Mädchenwohngemeinschaft. Ihre Eltern stammen aus Rumänien. Die Mutter war als Kind mit den Eltern migriert, ihr Vater nach der Eheschließung mit Sorinas Mutter zugezogen. Diese sei eine »moderne« und kluge Frau gewesen, habe als medizinische Fachangestellte gearbeitet und besser Deutsch gesprochen als ihr Mann. Die Familie M. habe in einem multikulturellen Stadtteil einer Kleinstadt gelebt. Sorina und ihr drei

Jahre jüngerer Bruder seien Mitglieder in Sportvereinen gewesen. Als Sorina 12 Jahre alt war, sei die Mutter an einer Krebserkrankung gestorben. Der Vater habe kurz darauf eine entfernte Verwandte aus seiner Heimatstadt geheiratet, da er mit seiner Schichtarbeit als Maurer und zwei jungen Kindern überfordert gewesen sei. Danach sei das Leben für Sorina zunehmend schwieriger geworden. Die Stiefmutter habe verlangt, dass sie im Haushalt helfe und die neuund zu Treffen mit ihren Freundinnen gedurft. Es habe zunehmend

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mehr Streit zwischen Sorina und der Stiefmutter gegeben. Der Vater

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geborene Halbschwester versorge. Sie habe nicht mehr zum Sport

habe sich auf die Seite seiner Frau gestellt und begonnen, Sorina Kleidervorschriften zu machen. Sorina versuchte, sich dem familiären Druck zu entziehen. Sie traf sich mit ihren Freundinnen am Nachmittag bis in den Abend, zunehmend auch während der Schulzeit, und schloss sich später einer Clique an, die sich bis in die Nacht hinein an bestimmten Plätzen aufhielt. Die Schule informierte den Vater. Der schien erstaunt und erschrocken. Seine Tochter habe morgens das Haus verlassen, sei am Nachmittag zurückgekommen und müsse dann abends das Haus noch einmal heimlich verlassen haben. Die Situation änderte sich nicht. Die Schule informierte das Jugendamt. Eine sozialpädagogische Familienhilfe wurde eingesetzt. Die Situation änderte sich nicht. Sorina wurde in der MädchenWG untergebracht. In einem ersten Gespräch zwischen Vater und Mitarbeiterinnen der WG berichtete der Vater, er habe der Fremdunterbringung aus Verzweiflung zugestimmt und weil sie zeitlich begrenzt geplant sei. Er wolle Ruhe haben in der Familie. Er müsse seine neue Frau und seine anderen Kinder schützen. Er wisse nicht mehr, wie er Sorina davor bewahren könne, sich weiter in »gefährlichen Kreisen« zu bewegen. Er habe ihr angedroht, sie zu schlagen, wie er es aus seiner Erziehung kenne. Darauf habe sie ihm gedroht, zum Jugendamt zu gehen, dann werde sie aus der Familie geholt,

was sie sowieso beabsichtige. Das habe er nicht gewollt. Er habe sich so hilflos gefühlt, dass er nichts mehr getan habe (zum weiteren Verlauf des Falls s. u.).

Beide Erziehungsansätze können der Eltern-Kind-Beziehung schaden, mit beiden Verhaltensweisen verlieren Eltern ihren Platz, ihre elterliche Präsenz. Auf Basis einer interkulturell kompetenten Haltung hat sich – aus meiner Erfahrung – ein Coaching nach dem

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Modell der Neuen Autorität als hilfreich erwiesen (z. B. Omer u. von Schlippe, 2002, 2004, 2010; Omer u. Lebowitz, 2012; Omer, 2015; Ollefs, 2017; Lemme u. Körner, 2018; Körner et al., 2019). Es bietet eine (gewaltlose) Alternative zur traditionellen Autorität wie auch zur »Laissez-faire-Erziehung«. Da, wo auf destruktives Verhalten von Kindern und Jugendlichen entweder mit Gewalt oder mit Ohnmacht reagiert wird, wirkt die Neue Autorität durch Beziehung. Die Erziehungsverantwortlichen werden angeleitet, zwischen der Person eines Kindes und seinen destruktiven Verhaltensweisen zu unterscheiden. So kann die Beziehung zu den Kindern durch Beziehungs­ gesten gestärkt und gleichzeitig gewaltlos Widerstand geleistet werden gegen gewalttätiges Verhalten. Die Neue Autorität leistet in interkulturellen Kontexten einen wichtigen und konstruktiven Beitrag, da sie sich auf die positiven Aspekte sowohl der relationalen als auch der individualistischen Werte­orientierung bezieht. So werden die individuellen Bedürfnisse und Wünsche der Jugendlichen (hier am Beispiel von Sorina und Omar) gesehen und berücksichtigt. Die elterliche Verantwortung und die Eingebundenheit in familiäre sowie institutionelle Netzwerke werden gestärkt, die Eltern können ohne Gewalt schützen. Die elterliche Ohnmacht wird verringert.

So geht es im Fallbeispiel von Omar weiter: Omars Eltern werden von einer Mitarbeiterin und einem Mitarbeiter einer Praxis für aufsuchende Familienberatung darin begleitet, das Verhalten ihres Sohnes nicht mehr hinzunehmen, ohne dabei Gewalt anzuwenden (s. hierzu Kapitel II, Abschnitt 4 über zirkuläres Fragen). Sie werden dabei unterstützt, ihrem Sohn folgende Mitteilung zu machen: »Omar, wir sind nicht mehr damit einverstanden, aus dem Bett kommst, um in die Schule zu gehen. Wir haben uns

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Unterstützung in der Praxis gesucht und werden darüber die Lehr-

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dass du nachts so lange am Computer sitzt und morgens nicht

kräfte informieren. Das tun wir, weil wir uns um deinen Schulerfolg Sorgen machen. Wir wissen, wie klug du bist, und wir haben dich sehr lieb. Das zeigen wir dir, indem wir dich abwechselnd jeden Morgen mit deinem Lieblingstee aus Marokko wecken. Wir haben schon mit deinen Großeltern telefoniert. Sie wünschen sich einen Enkel, der die Schule gut abschließt, und werden diese Woche ein Paket mit Tee losschicken.« So suchen sich die Eltern Unterstützung, auch in ihrer Herkunftsfamilie. Sie akzeptieren gleichzeitig, dass sie Omar nicht kontrollieren und auch nicht verändern können, wohl aber ihr eigenes Verhalten. Der Vater fühlt sich weniger hilflos, er kann wieder handeln, ohne Gewalt anzuwenden. Omar zeigt sich erstaunt über die Reaktion seiner Eltern und erfreut über das Interesse in der Familie. Er steht ein paar Tage auf, um in die Schule zu gehen. Nach einem Wochenende, an dem er wieder viel gespielt hat, bleibt er aber im Bett. Den Tee ignoriert er. Die Eltern zeigen sich enttäuscht und überlegen, die Beratung abzubrechen, da sie ihrer Ansicht nach nicht hilft.

Interkulturelle Tauglichkeit erhält das Konzept der Neuen Autorität, wenn sie nach möglichen Ressourcen, Verhaltensweisen sowie Bündnispartnern aus allen bekannten Kulturen fragt:

Nach einigem Nachdenken entscheiden sich Omars Eltern, die Beratung doch fortzusetzen. Auch in ihrer Heimat würden sie nicht nach einem gescheiterten Versuch aufgeben. Sie kennen das Sprichwort: »Es gibt Kinder, die brauchen ein ganzes Dorf, um groß zu werden.« Es wird gemeinsam überlegt, wer ins »Dorf« von Omar gehören könnte, wer alles noch Interesse daran hat, dass er seine Fähigkeiten nutzt, in die Schule geht und darüber hinaus wieder mehr am soziaJungen und sein Spiel sehr schätzt. Dieser wird zur nächsten Sitzung

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len Leben teilnimmt. Den Eltern fällt der Fußballtrainer ein, der den 42

eingeladen. Dort erklärt er sich bereit, Omar vor jedem Training und Spiel anzurufen oder eine Nachricht zu schicken, um ihn einzuladen und ihm deutlich zu machen, dass er fehlt. Vorher besucht er die Familie und erklärt Omar, was er warum ab sofort tun wird. Omar ist wieder erstaunt und erfreut zugleich. Er nimmt wieder am Training teil und ist danach so müde, dass er früh ins Bett geht und am nächsten Morgen problemlos aufsteht, um in die Schule zu gehen. An Tagen ohne Training spielt er weiterhin abends lange am Rechner und steht danach oft nicht auf. Ermutigt durch den Teilerfolg wird mit den Eltern überlegt, wer noch »ins Dorf gehört«. Der Vater nennt seinen Bruder, Omars Onkel, der in einer weiter entfernten Stadt in Deutschland wohnt. Er ruft ihn an und erklärt seine Sorge und seine bisherigen Erfolge. Der Bruder ist erstaunt und erfreut. Er erklärt sich gerne zum »Dorfmitglied«. Es wird ein Besuch am Wochenende vereinbart. Die »Männer« treffen sich zur familiären Teezeremonie. Der Onkel erklärt seinem Neffen, dass er die Sorgen seines Bruders teile und auch die Wertschätzung für Omar. Er freue sich, dass der Junge jetzt regelmäßiger in die Schule gehe. Es werden folgende Schritte vereinbart: Der Onkel ruft ab sofort jeden Nachmittag an, um zu fragen, wie der Vormittag gelaufen ist und was Omar am Nachmittag und am Abend vorhat. Er werde sich über jeden Tag freuen, den Omar zur Schule geht. Er bietet Omar an, sein nächstes

Schulpraktikum in seiner Autowerkstatt zu machen, da dieser vorhat, ebenfalls Automechaniker zu werden. Omars Vater verbringt Zeit mit ihm vor dem Computer und lässt sich die Spiele zeigen, seine Mutter bringt ihm am Abend um 21:00 Uhr Datteln mit Milch – eine seiner Lieblingssüßspeisen – ins Zimmer, um ihn ans Zubettgehen zu erinnern. Computerzeiten werden gemeinsam festgelegt, am Wochenende mehr als in der Woche. Für die Wochenenden werden regelmäßig videogestützte Telefonkonferenzen mit verschiedenen

Die Eltern von Omar bleiben beharrlich und in ihrem Verhalten transparent. Die Präsenz der Erwachsenen in Omars Leben wird erhöht. Netzwerke und Beziehungsgesten werden kulturtypisch gestaltet. Über den Einsatz von modernen Kommunikationstechnologien sind Familienmitglieder, die an unterschiedlichen Orten wohnen, im Kontakt und unterstützen sich gegenseitig (Borcsa, 2019). So kann der Onkel das Verhalten des Vaters autorisieren. Die Erwachsenen bleiben handlungsfähig und gewaltlos. Die Beziehungen in der Familie verbessern sich, das destruktive Verhalten von Omar tritt immer seltener auf (zum weiteren Verlauf s. u.).

So geht es im Fallbeispiel von Sorina weiter: Sorina hat sich das Leben in der Mädchen-WG anders vorgestellt. Zwar ist sie ihre Stiefmutter und deren »mittelalterliche Erziehungsvorstellungen« (Originalton Sorina) los, Regeln des alltäglichen Zusammenlebens, Zubettgehzeiten und Schulbesuch (in einer nun neuen Schule) bestehen aber auch in der WG. Ihre Freundinnen und ihre Geschwister kann sie nur noch am Wochenende sehen. Sie hat jedoch schnell Anschluss an eine Volleyballmannschaft im Ort gefunden. In ihren Gefühlen ist Sorina ambivalent, am liebsten würde sie

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Familienmitgliedern vereinbart.

in eine eigene Wohnung ziehen, wofür sie jedoch mit 15 Jahren zu jung ist. Als »B-Lösung« bevorzugt sie, in die Familie zurückzukehren. So wird ihre Rückkehr geplant. Es wird ein Gespräch mit Herrn M. und seiner zweiten Frau, der Leiterin der WG, der Bezugsbetreuerin von Sorina und einer Dolmetscherin geführt (Details s. u. unter »Joining«, S. 54 ff.). Das gemeinsame Ziel von allen ist, dass Sorina in wenigen Jahren auf eigenen Beinen steht, eine Berufsausbildung abschließt und die Möglichkeit hat, eine eigene Familie zu gründen.

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Es wird überlegt, was die Erwachsenen tun können, um sie dabei zu unterstützen und gleichzeitig für ein harmonisches Zusammenleben der Familienmitglieder zu sorgen. Dabei geht es zentral um Fragen wie: Was ist ein guter Vater, eine gute Stiefmutter, eine gute Tochter? Welche gesellschaftlichen, kulturellen und persönlichen Erwartungen und Einstellungen existieren in der Familie? Welche tragbaren Kompromisse gibt es? Wer kann, darf, muss welche Kompromisse hinnehmen? (Zum weiteren Verlauf s. u.)

In dem Fallbeispiel mit Sorina übernehmen die Erziehungsverantwortlichen ihre Verantwortung für ein gutes Zusammenleben. Die Werte der Stiefmutter, die erst kurz in Deutschland lebt, werden gleichrangig verhandelt wie die des Vaters, der hier schon lange wohnt, und die von Sorina, die hier geboren wurde. Die Eltern werden als Expertin und Experte ihrer Lebenssituation gesehen, ihnen wird eine gute Absicht unterstellt. Herr M. will die Mitglieder seiner Familie schützen und Sorina vor schlechten Einflüssen bewahren. Frau M. wünscht sich ein harmonisches Familienleben. Durch die Suche nach tragbaren Kompromissen wird eine »tragische Sicht« (s. hierzu Omer, Alon u. von Schlippe, 2007, S. 65 ff.; Lemme u. Körner, 2018, S. 76 ff.) eingeführt, die – trotz des zunächst vielleicht entmutigend wirkenden Begriffs – ein Bild bietet, das einer eskalativen Einstellung entgegengesetzt ist. Hierbei wird davon ausgegangen,

dass Leiden zur menschlichen Existenz gehört, nicht abwendbar ist und – zumindest vorübergehend – hingenommen werden muss. Statt »ein für alle Mal« nach der »großen Lösung« zu verlangen, geht es darum, nach kleinen Schritten zu suchen, die Situation zu verbessern. In diesem Fall wird das Leid der Eltern anerkannt, sie werden ermutigt, es auszuhalten und kleine Verbesserungen anzustreben. Niemand – und damit auch die Eltern nicht – hat Kontrolle über das Verhalten eines anderen Menschen, sondern nur über das eigene –

In einem weiteren Elterngespräch werden mit den Eltern die vier Körbe (Omer u. von Schlippe, 2004; explizite Beschreibung bei Lemme u. Körner, 2018, S. 232 ff.) für die Verhaltensweisen von Sorina »gepackt«. Begonnen wird mit dem weißen Bewahrungskorb, in den die Verhaltensweisen und Umstände gepackt werden, die geschätzt werden und bleiben sollen. Hier kann der »Vaterstolz« von Herrn M. strahlen und auch Frau M. fallen viele positive Dinge ein, die ihr erst deutlich geworden sind, seit Sorina nicht mehr zu Hause wohnt. Der Korb wird zur Freude aller Beteiligten sehr voll. In die anderen drei Körbe werden die Verhaltensweisen gepackt, die nicht mehr akzeptiert werden: in den grünen Akzeptanzkorb diejenigen, die die Eltern zwar als ärgerlich erleben, über die sie aber großzügig hinwegschauen und die sie damit doch akzeptieren können (z. B. benutzte Teetassen in Sorinas Zimmer). Es sind vielfach Verhaltensweisen, die dem Jugendalter zugestanden werden, bei denen es zwar schön wäre, es wäre anders, aber: »Was soll’s, wir regen uns darüber nicht auf!« In den gelben »Kompromisskorb« kommen diejenigen Verhaltensweisen, die die Eltern auf Dauer inakzeptabel finden, die aber derzeit nicht so dringlich sind, dass sie unmittel­baren Einsatz erfordern. Es erfordert eine längere Debatte, bis Frau M. bereit ist, die beleidigenden Worte von Sorina ihr ­gegenüber als

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und das ist schon schwer genug.

»zurzeit noch hinzunehmen« akzeptiert. Sie macht deutlich, wie sehr sie sich verletzt und gekränkt fühlt, sowohl aufgrund ihrer persön­ lichen Erfahrung als auch ihrer kulturellen Wertvorstellungen, innerhalb derer die Beleidigung von älteren Menschen und insbesondere von Müttern nicht hinzunehmen ist. Die Sozialarbeiterin bringt den Gefühlen von Frau M. Verständnis entgegen. Sie macht deutlich, dass dieses Verhalten von Sorina eigentlich nicht hinzunehmen 46

gefüllt sei, also hoffentlich bald. Herr M. schaltet sich ein. Er könne

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sei. Es werde sofort im roten Korb landen, wenn dieser nicht mehr seine Frau verstehen. In der Heimat würden solche Beleidigungen bestraft. Er wisse aber, dass Jugendliche in Deutschland oftmals Ältere, auch ihre Eltern, beleidigen, und diese würden das nicht so schlimm finden. Er würde es inzwischen auch nicht mehr als so schlimm empfinden. Auf seiner Seele sei inzwischen ein wenig Hornhaut gewachsen. Dadurch gebe es weniger Streit. Die Sozialarbeiterin schätzt dies wert und fragt ihn, ob er eine Idee habe, wie er seine Frau unterstützen könne, damit sie nicht mehr so unter den Beleidigungen leiden müsse. Er: »Ich kann sie trösten.« Alle sind sich einig, dass Trostpflaster manchmal auch so gut sind wie Hornhaut, und überlegen gemeinsam, wodurch sich Frau M. getröstet fühlt, und ihnen fällt viel ein. Frau M. ist aber noch nicht zufrieden. Das erlaube Sorina trotzdem, sie zu beleidigen. Die Sozial­arbeiterin fragt Herrn M., ob er eine Idee habe, wie in seiner Heimat mit Verhaltensweisen umgegangen werde, die kränken und trotzdem zeitweise hinzunehmen sind. Er erzählt folgende Geschichte: »Als ich ein junger Mann war, galt es in meinem Dorf als Beleidigung für Ältere, wenn Jüngere in ihrer Gegenwart rauchten. Wenn ich Freunde zu Besuch hatte und mein Vater merkte, dass wir gerne rauchen wollten, ist er manchmal zu den Tieren gegangen und erst wiedergekommen, nachdem wir geraucht hatten, und hat dann gelüftet. Vielleicht kann meine Frau ja auch nach draußen gehen,

wenn Sorina böse Worte sagt, und danach lüften.« Diese Geschichte wird gemeinsam weitergesponnen und Herr M. teilt seiner Tochter beim nächsten Treffen mit, dass er nicht damit einverstanden sei, dass sie ihre Stiefmutter beleidige und dass alle später gemeinsam überlegen würden, wie dies aufhören könne. Bis dahin werde seine Frau den Raum verlassen, wenn Sorina anfange sie zu kränken, und danach lüften, um die Luft von bösen Gedanken zu reinigen. Damit 47

haltensweisen (maximal zwei), die für die Eltern völlig inakzeptabel

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können die Beleidigungen auch für Frau M. (vorerst) in den gelben Korb gepackt werden. In den roten Limit-Korb kommen die Versind, weil Sorina damit sich selbst und anderen schadet, und die damit einer sofortigen Aktivität der Eltern bedürfen. In diesem Korb sammeln die Eltern die Schulabstinenz und das nächtliche Aufhalten von Sorina an unsicheren Plätzen. Gemeinsam wird über erste Ideen nachgedacht, was die Erwachsenen tun können, um ihren Widerstand gegen diese Verhaltensweisen zu zeigen.

Durch die Vier-Körbe-Übung werden den Eltern die Ressourcen und die positiven Seiten von Sorina deutlich. Ihre Haltung gegenüber dem Mädchen ändert sich spürbar, insbesondere bei Frau M. Gleichzeitig differenzieren die Eltern in einem gemeinsamen Prozess, was sie in welchem Maße stört. Dies ermöglicht, mit ihnen zu erarbeiten, dass nicht auf alle Verhaltensweisen (sofort) reagiert werden muss, aber auch, auf welche (zwei) Verhaltensweisen wie reagiert werden kann. Die Entlastung und Erleichterung der Eltern ist hier genauso spürbar wie ihr gestärktes Wirgefühl. Im selben Zeitraum packt Sorina die vier Körbe gemeinsam mit ihrer Bezugsbetreuerin unter folgenden Fragestellungen: Was hält mich in meiner Familie, weshalb möchte ich wieder ­zurückkommen (weißer Korb) und welche Regeln machen mir das Leben hier schwer bzw.

treiben mich weg? In den weißen Bewahrungskorb kann Sorina nach ihrer Erfahrung in der WG einiges packen, z. B. das Zusammenleben mit Vater und Geschwistern, Freundinnen und Schule in der Nähe, das leckere Essen ihrer Stiefmutter, ihr schönes Zimmer. In den grünen Akzeptanzkorb packt sie z. B. das Gemecker ihrer Stiefmutter über ihr unordentliches Zimmer und ihren Umgang mit ihrer Wäsche. In den gelben Kompromisskorb verortet sie etwa die Kleidungsvorschriften. In den roten Limit-Korb ordnet sie die

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»mittelalterlichen Ausgehregeln« insbesondere am Wochenende und die vielen Aufgaben bei der Kinderbetreuung und Haushaltsaufgaben ein, die ihr zu wenig Zeit lassen für Sport und Kontakt mit den Freundinnen.

Auch Sorina kann mit dieser Methode viel positiver auf ihr Familienleben schauen, Kompromisse benennen und deutlich machen, was ihr das Leben schwer macht. In einer emotional sehr bewegenden Sitzung stellen sich die Eltern und Sorina die Körbe gegenseitig vor. Es wird besprochen, dass die Rückkehr des Mädchens in die Familie im nächsten HPG (Hilfeplangespräch gemeinsam mit dem zuständigen Mitarbeiter des Jugendamtes) geplant werde. Zur Vorbereitung wird in einem weiteren Gespräch mit den Eltern von der in Neuer Autorität geschulten Sozialarbeiterin das Modell der Wachsamen Sorge (Omer, 2015; Lemme u. Körner, 2018) vorgestellt. Es wird in einem Beispiel verdeutlicht: Ein Elternteil geht mit einem vierjährigen Kind zum Spielplatz. Es kann lesen oder eine Nachricht auf dem Smartphone verfassen, wenn das Kind ruhig spielt. Ein Teil der Aufmerksamkeit gehört aber immer dem Kind. Es wird im Sand einen »Kuchen backen« oder eine Burg bauen und um Bewunderung oder um etwas zum Trinken bitten, es braucht dann

Aufmerksamkeit. Deshalb könne Vater oder Mutter auf dem Spielplatz auch keinen Film anschauen oder laute Musik über Kopfhörer hören. Sollte nun ein anderes gleichaltriges Kind in den Sandkasten klettern und würde es zu einem Streit kommen, müsste der Elternteil die Dinge, die er in der Hand hat, weglegen, zum Sandkasten gehen und nachschauen sowie fragen, was los ist. Omer (2015) bezeichnet dies als die Stufe 2 der Wachsamen Sorge: fokussierte sachen teilen, nicht mit Sand werfen …) oder abzulenken (für beide

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eine Kirsche …) und die Kinder wieder beginnen, friedlich mitein-

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Aufmerksamkeit. Wenn es reicht, an die Regeln zu erinnern (Spiel-

ander zu spielen, kann Vater oder Mutter wieder auf die Stufe 1 der Wachsamen Sorge zurückkehren. Sollte der Streit aber eskalieren und sollten die Kinder beginnen, sich Sand ins Gesicht zu werfen oder mit dem Spielzeug zu schlagen, braucht es auf der Stufe 3 der Wachsamen Sorge einseitige Schutzmaßnahmen. Im Beispiel des Spielplatzes wird etwa der verantwortliche Elternteil sein Kind aus dem Sandkasten holen, es neben sich setzen, trösten oder ermahnen, ihm etwas vorsingen oder mit ihm auf die Rutsche gehen. Die Eltern von Sorina übertragen das erzählte Beispiel auf ihre Situation. Sie nehmen sich vor, auf der Stufe 1, der offenen Aufmerksamkeit, einen regelmäßigen Kontakt zur Schulsozialarbeiterin zu halten, die Sorina und die Eltern gleichermaßen schätzen. Sie möchten wissen, dass ihre Tochter die Schule regelmäßig besucht. Sie wollen ein Fest geben, wenn Sorina wieder zu Hause wohnt, und die Freundinnen dazu einladen, um sie kennenzulernen. Sie wollen im Jugendamt nach Unterstützung durch einen Erziehungsbeistand fragen, mit dem Ziel, dass ihre Tochter Unterstützung bei schulischen Herausforderungen und einer sinnvollen (auch sportlichen) Freizeitgestaltung bekommen kann. Wenn Schwierigkeiten auftreten sollten, wollen die Eltern auf die Stufe 2 der Wachsamen Sorge, die fokussierte

Aufmerksamkeit, wechseln. Sie nehmen sich in einem solchen Fall vor, den Kontakt zu den Eltern der Freundinnen aufzunehmen, die Ausgehregelungen noch einmal mit Sorina zu besprechen und gegebenenfalls zu verändern sowie die Schulsozialarbeiterin und den Erziehungsbeistand über die wachsende Sorge zu informieren. Sollten die Verhaltensweisen von Sorina ihr selbst dann weiter schaden, planen sie, die Eltern der Freundinnen in Kenntnis zu setzen, wenn Sorina zur abgesprochenen Zeit nicht zu Hause ist. Der Vater möchte

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dann mit anderen unterstützenden Personen die Plätze aufsuchen, an denen sich seine Tochter vermutlich aufhält. Diese Überlegungen wollen sie Sorina im HPG transparent machen und verdeutlichen, dass sie sich bei den Ausgehregeln an das deutsche Jugendschutzgesetz halten. Sorina werde ihre kleine Schwester nur noch in abgesprochenen Ausnahmefällen betreuen. Damit sich Sorina in ihrem Zimmer ganz wohl und zuhause fühlen könne, begänne der Vater in naher Zukunft, das Zimmer seiner Tochter zu renovieren.

Hier wird mit den Eltern ein Krisenszenario mit konkreten (gewaltfreien) eigenen Verhaltensweisen besprochen. Dabei wird die berechtigte Sorge des Vaters um das Wohlergehen seiner Tochter berücksichtigt. Seine Hilflosigkeit schwindet, er hat die Idee, dass er handeln kann (und wenn es hilfreich ist, gemeinsam mit seiner Frau und/ oder anderen Menschen eines Netzwerkes). Die Verhaltensweisen, mit denen der Vater nicht einverstanden ist, und sein eigenes Verhalten sind transparent. Durch Beziehungsgesten (Fest, Renovieren des Zimmers) macht er deutlich, wie sehr er seine Tochter liebt. Auf Sorinas Bedürfnisse nach Autonomie wird Rücksicht genommen. Mit einer interkulturell kompetenten Haltung sowie einer, die auf dem Konzept der Neuen Autorität basiert, kann eine Beratung oder Begleitung von Familien mit Migrationsbiografien gelingen.

Dabei müssen Beraterinnen oder andere Professionelle fremde Wertvorstellungen nicht teilen, es darf ihnen auch schwerfallen, sich hi­nein­zu­versetzen. Sich zur Begrüßung nicht die Hand zu geben, mag zunächst fremd oder sogar unhöflich wirken, macht aber auch deutlich, dass unsere »westliche« Art der Begrüßung nur eine von vielen verschiedenen ist. Es mag uns im ersten Moment erstaunen, dass Männer und Frauen manchmal in verschiedenen Räumen essen. »Normal« für uns ist, dass Kinder und Erwachsene manchmal an Zusammenleben braucht gemeinsam getragene Werte und Normen, die – solange sie nicht Machtmissbrauch und Gewalt legitimieren – zunächst anders sind und nicht besser oder schlechter. Oft werden wir uns unserer eigenen kulturellen Standards erst bewusst, wenn wir erleben, dass es Menschen gibt, die es anders machen. Eine Seminarteilnehmerin sagte in der Schlussrunde einer Fortbildung: »Vor dem Seminar dachte ich, nur die anderen hätten Kultur …« Interkulturelle Kompetenz ermöglicht es, im Kennenlernen anderer Standards das Handlungsspektrum und die Problemlösestrategien zu erweitern. Das ist jedoch nicht beliebig. Mit der Haltung der Neuen Autorität werden positive Gründe für das (elterliche) Handeln unterstellt und wohlwollend anerkannt, solange niemand Schaden erleidet. Da, wo aber Schaden entsteht (z. B. durch gewalttätiges Verhalten in der Erziehung), kann nach Alternativen gesucht werden, die weder traditionell autoritär noch hilflos zurückweichend sind. Dabei werden sowohl relationale als auch individualistische Wertvorstellungen berücksichtigt.

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verschiedenen Tischen essen.

Die systemische Beratung

Ziel einer systemischen Beratung ist, Möglichkeitsräume und Hand­­lungsperspektiven zu erweitern. Im interkulturellen Kontext erweist sich systemisches Denken und Handeln als besonders hilfreich. Es ermöglicht, subjektiv als richtig empfundene Lebensumstände und deren Beschreibungen als individuell und kulturell gefärbte Wirklichkeitskonstruktionen zu sehen und sich darüber auszutauschen. Einige besonders geeignete Methoden für den interkulturellen Kontext beschreibe ich im Folgenden anhand von

Beratung

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Beispielen.

5 Joining Grundlage für eine tragfähige professionelle Beziehung ist ein ausführliches Joining mit der Intention, durch eine gute Kontaktaufnahme und gegenseitigen Informationsaustausch Vertrauen aufzubauen (s. hierzu auch von Schlippe u. Schweitzer, 2013, S. 225 ff.; von Schlippe et al., 2013, S. 75 ff.). Respektvoll und mit anteilnehmender Neugierde gestellte Anfangsfragen können Aufregung und Befürchtungen vor der eigentlichen Auftrags- und Problemklärung verringern, z. B.: Ȥ Wie sind Sie hierhergekommen? Ȥ Hatten Sie Mühe, einen Parkplatz zu finden? Ȥ In welche Schule gehst du? Ȥ Sind Sie berufstätig? Wo? Arbeiten Sie in Schichten? Ȥ … Ein leichter Einstieg gelingt oft über die Namen. Ich frage immer nach der Aussprache des Namens in der Muttersprache. Indem ich den Namen nicht automatisch so ausspreche, wie es in der deutschen Phonetik wäre, mache ich deutlich, dass ich an meinem Gegenüber

als Individuum mit allen seinen Wurzeln interessiert bin. Manchmal gelingt es mir schnell, die Namen korrekt auszusprechen, insbesondere wenn sie aus der Türkei stammen.

Beispiele zur Aussprache türkischer Namen: Frau Cam praxis stellt sich mir als Frau Kam vor. Auf ihrem Namensschild steht

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»Cam«. Ich frage sie, warum sie sich selbst nicht mit der korrekten

Beratung

Die türkischstämmige Mitarbeiterin am Eingangstresen einer Arzt-

türkischen Aussprache ihres Namens (Dscham) vorstellt. Sie antwortet: »Ich arbeite nun schon Jahre hier und viele Patienten kommen regelmäßig. Die ersten Jahre habe ich sie immer auf die richtige Aussprache hingewiesen, manchmal wöchentlich. Es war umsonst. Die meisten Deutschen bemühen sich da kein bisschen. Inzwischen habe ich es aufgegeben. Ich heiße hier sowieso so.« Yıldız Die fünfjährige Yıldız wird in der Kinderklinik wegen einer chronischen Erkrankung behandelt. Ich spreche sie im ersten Gespräch mit der korrekten Aussprache ihres Namens an. Sie verbessert mich. Ich müsse sie Jildiz nennen. Alle Deutschen würden sie so nennen, und ich sei Deutsche. Nur die Menschen aus der Türkei würden Yıldız zu ihr sagen.

Kleiner Exkurs: Für nicht Türkisch sprechende Leserinnen möchte ich hier ein paar Tipps zur korrekten Aussprache geben. Dank Atatürk, der als erster Präsident der Republik Türkei im Jahr 1929 das geschriebene Türkisch von arabischer Schrift auf das lateinische Alphabet umstellte, hat jeder Buchstabe im Türkischen dieselbe Aussprache wie im Deutschen, Ausnahmen:

Ȥ C (ohne Haken) wird wie dsch ausgesprochen, also wie in »Dschungel«. Ȥ Ç (mit Haken) wird wie tsch ausgesprochen, also wie in »Tschechoslowakei«. Ȥ E wird wie ein kurzes Ä gesprochen, wie in »Eltern«. Ȥ Ziemlich ungewohnt ist das »ğ« wie in Erdoğan. Es wird am ehesten wie ein Dehnungs-h gesprochen. Es gibt viele türkische Fußballspieler, oder »Yasemin Karakaşoğlu«, Professorin für

Beratung

Nachnamen, die auf -oğlu enden (Beispiel »Hakan Çalhanoğlu«, 56

Interkulturelle Bildung an der Universität Bremen). Es bedeutet »-sohn«, wie im Skandinavischen, z. B. in »Larson«. Ȥ Es gibt ein »i« (mit Punkt) und es wird wie das deutsche i, aber immer kurz ausgesprochen, also wie »immer« und İstanbul hat auch auf dem großen I einen Punkt. Ȥ Das »ı« (ohne Punkt) wird wie ein kurzes E gesprochen, wie in »gekommen«, Rakı also »Rake« und nicht »Raki«. Ȥ O wird immer kurz gesprochen, wie in »Omma« im Ruhrgebietsslang. Ȥ S (ohne Haken) wird stimmlos ausgesprochen, wie in Fass, auch im Anlaut (Selam). Ȥ Ş (mit Haken) wird wie sch ausgesprochen, wie in »Schlüssel«, der Name »Şahin« also »Schahin«. Ȥ Das U wird immer kurz gesprochen, wie in »Kuckuck«. Ȥ Das Y wird wie das deutsche J ausgesprochen, also wie in »Jahr«. Ȥ Ein Z wird weich gesprochen, wie im Englischen oder Niederländischen, also wie in »Sahne«. Ich empfehle, alle Klientinnen zu fragen, wie deren Name in ihrer Muttersprache ausgesprochen wird, und es als Nichtmuttersprachlerin dann wenigstens zu versuchen, richtig zu akzentuieren. Wenn dies nicht klappt, kann das gemeinsame Lachen über solche Versu-

che eine erste kleine Brücke zur professionellen Beziehung bilden. So ist für mich als »Ruhrgebietspflanze« jedes r eine echte Herausforderung. Ich habe gelernt, »Wuast« und »Maatin« zu sagen. Ich versuche, es trotzdem für »Omar« zu rollen. Und auch das arabische ‫( ﻉ‬Ain, Umschrift a, i, u) ist so gar nicht mein Freund. Die dafür notwendigen Muskeln im Kehlkopf habe ich nicht ausgebildet. Ich versuche trotzdem, »Aisha« korrekt auszusprechen, und wir lachen darüber. 57

schen Ursprungs) genauso »Stern« wie Yıldız (Name türkischen

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Eine andere Beziehungsbrücke kann die Frage nach der Bedeutung von einem Namen sein. So bedeutet Stella (als Name lateiniUrsprungs). Und ich hieß in der Türkei »Melek« (»Engel«, türkischer Mädchenname, als arabischer Name »Malak«). Und wenn die kleine Klientin im nächsten Gespräch »Sternchen« genannt wird, wird sie sich wahrscheinlich genauso darüber freuen wie ich mich über »Melek«. Ich stehe oft und gern vor einer großen Weltkarte und suche den Herkunftsort meiner Klientinnen, deren Eltern oder Großeltern. Wie groß oder klein die Länder doch sein können! Dorf oder Stadt, Berge, Steppe, Insel …? Wo ist die nächste Großstadt? Wann waren Sie zuletzt dort? Es gibt so viele Möglichkeiten, hierüber in Kontakt zu treten und Informationen zu gewinnen. In einer Rehabilitationsklinik, in der ich gearbeitet habe, hing eine Weltkarte im Eingangsbereich mit Klebepunkten von familiären Herkunftsorten der jeweiligen Mitarbeiter und der Patientinnen. Statt »Sie sprechen aber gut Deutsch!« empfehle ich die Frage: »Außer Deutsch, welche Sprache(n) sprechen Sie noch? Und diese ebenso gut, besser oder schlechter als Deutsch?« Denn: Warum sollte ein Murat, der in einem deutschsprachigen Land aufgewachsen und zur Schule gegangen ist, einen Beruf erlernt hat, in einem Sportverein aktiv ist etc., nicht ebenso gut diese Sprache beherrschen wie ich, nur weil sein Name anders klingt? Ich frage auch gern: »Wie begrü-

ßen Sie sich in Ihrer Herkunftskultur?« Der bei uns übliche Handschlag ist weltweit eine eher seltene Geste. Die Frage »Wie möchten Sie von mir begrüßt werden?« bewahrt vor Irritationen einer ausgestreckten und nicht gedrückten Hand sowie vor der Unterstellung von Unhöflichkeit. Fragen nach der Migrationsgeschichte stelle ich mit Vorsicht. Sie können wichtige Informationen beinhalten, z. B.: Wer war zuerst hier, 58

oder weiteres Heimatland? Wer ist freiwillig ausgewandert, wer nicht

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wer ist in Deutschland, Österreich etc. geboren, wer hat ein anderes gefragt, mitgenommen oder geschickt worden? Wer musste warum gehen oder kommen? Fragen nach Fluchtgeschichten sollten im Joining vermieden werden. Sie benötigen ein großes Vertrauen und Kenntnisse über mögliche Traumafolgen. Auch können sie zu einer Retraumatisierung bei Klientinnen oder zur Sekundärtraumatisierung beim Berater führen (Jegodtka u. Luitjens, 2016). Zur übersichtlichen Darstellung des Familiensystems zeichne ich ein Genogramm (S. 59 ff.). Informationsaustausch bedeutet, nicht nur über die Themen der Ratsuchenden zu sprechen, sondern auch über die eigene Institution und Rolle. Auch hier können Fragen unterstützen. Beispiele für Fragen zu bekannten Institutionen wie z. B. Schule: Ȥ Welche Erfahrungen haben Sie bislang mit Schule gemacht, als Schülerin, als Elternteil, in diesem Land, in einem anderen Land? Ȥ Welche Erfahrungen haben Sie bisher in unserer Schule gemacht? Weitere Informationen zu der eigenen Person sollten gegeben werden, z. B. zu: Ȥ Funktion und Aufgaben (z. B. als Stufenleiterin oder Schul­ sozialarbeiter), Ȥ gewünschter/geplanter Zusammenarbeit mit der Familie, Ȥ wann und wie ich arbeite/wir arbeiten.

Beispiele zu eher unbekannten Institutionen, wie z. B. Jugendwohngruppen, zu geben, hilft den Klientinnen, die Situation zu verstehen. Fragen bringen Leerstellen ans Tageslicht, die mit Informationen gefüllt werden sollten: Ȥ Kennen Sie die Institution, in der sich Ihr Kind jetzt befindet? Was wissen Sie genau? Was möchten Sie von mir genau wissen? Ȥ Haben Sie bereits Erfahrungen damit gemacht? Hier, oder im Herkunftsland? Die Beratenden sollten weitere Informationen geben z. B. zu: Ȥ Freiwilligkeit und Kontrollfunktion des Beratungsangebots bzw. der Maßnahme, Ȥ Beratungsangebot oder Maßnahme, Ȥ Ziel, Aufgaben der Mitarbeiter, Ȥ Teamzusammensetzung, Ȥ gewünschter/geplanter Zusammenarbeit mit der Familie, Ȥ wann und wie ich arbeite/wir arbeiten.

6 Genogramm Ausgesprochen hilfreich in der Beratung von Familien mit Migrationsbiografien ist meines Erachtens das Genogramm als bildliche Darstellung einer Familie über mindestens drei Generationen (von Schlippe u. Schweitzer, 2013, S. 228 ff.; Hegemann u. Oestereich, 2018, S. 78; speziell für gewandete Familien Borcsa, 2019, S. 47 ff.).

Beispiele für das Arbeiten mit einem Genogramm: Ich leite das Genogramm mit dem Satz ein: »Ich möchte Sie und Ihre Familie gern näher kennenlernen und wissen, wer zu Ihnen

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gehört.« Dann erkläre ich kurz die wichtigsten Symbole: Rechtecke für die männlichen, Kreise für die weiblichen Familienmitglieder. Alle weiteren Symbole erläutere ich beim Zeichnen. Ich vermerke im Genogramm Namen und Alter aller Personen, auch für mich als Gedächtnisstütze. Darüber hinaus: – Verwandtschaftsgrade, womit ich bei türkischsprachigen Familien mit einem Fingerzeig die Tante als »hala« (väterlicherseits) von der »teyze« (mütterlicherseits) und der »yenge« (angehei-

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ratet) unterscheiden kann und dasselbe für den »amca« (väter­ licherseits), »dayı« (mütterlicherseits) und »enis¸te« (angeheiratet); – Partnerschaften, Eheschließungen, Trennungen; – Todesfälle; – Wohn- und Herkunftsorte (nach Ländern); – Zusammenwohnen oder -leben in einer Wohnung oder in einem Haus; – Zeitpunkt und Art der Einwanderung; – Sprachkenntnisse; – Berufe, Positionen, Schule, Klasse; – Symptome, Krankheiten. Aber auch: – Art der Beziehung: Nähe, Distanz, Streit etc., – besondere Eigenschaften.

Um alles klar zu erfassen, brauche ich Stifte in verschiedenen Farben und eine erklärende Legende. Das Zeichnen eines Genogramms ist für die Familien interessant, da es immer wieder passiert, dass dadurch Zusammenhänge deutlich oder Informationen bekannt werden, die für einzelne Familienmitglieder neu sind. Genogrammarbeit ist für den Beratungsprozess wichtig, weil sie Informationen festhält, die im Team oder in der

Supervision in kurzer Zeit vermittelt werden können, Zusammenhänge verdeutlicht und die Hypothesenbildung fördert.

7 Auftragsklärung In der Beratung zielt die Auftragsklärung darauf ab, Erwartungen abzuklären und stereotypen Bildern auf die Schliche zu kommen. turellen Kontexten, könnten wie folgt lauten: Ȥ Wer hat Sie zu mir geschickt? Ȥ Was ist Ihr Anliegen? Ȥ Was erwarten Sie jetzt hier? Was kann ich für Sie tun? Ȥ Was ist unser gemeinsames Ziel für Ihr Kind, Ihre Familie? Ȥ Um dies zu erreichen, was, denken Sie, ist dabei meine/unsere Aufgabe, was Ihre? Ȥ Wie können wir gut zusammenarbeiten? Ȥ Was haben Sie bisher versucht? Was davon ist gut und nicht gut gelungen? Ȥ Gesetzt den Fall, Sie wären in Ihrem Herkunftsland/im Herkunftsland Ihrer Eltern, wen würden Sie dort um Rat fragen? Was wäre dort die Aufgabe des Beraters? Was wäre Ihre Aufgabe als Eltern, als Familie? (vgl. S. 62 ff. unter »Zirkuläres Fragen«.) Sollten die Übereinstimmungen von Erwartungen und Aufgaben gering sein, gilt es, ein Bündnis zwischen Professionellen und Eltern zu schaffen. Dazu gehört die grundsätzliche Unterstellung, dass alle Eltern das Beste für ihre Kinder wollen. Es ist die Aufgabe der Pädagoginnen und Berater, für eine gute professionelle Beziehung zu den Eltern zu sorgen, denn Eltern und professionelle Erziehungsverantwortliche in der Schule und in anderen pädagogischen Einrichtun-

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Beratung

Beispiele für Fragen zur Auftragsklärung, nicht nur in interkul-

gen sind Repräsentanten eines Netzwerkes, das an einem positiven Umgang miteinander und an der Entwicklung von konstruktiven Lösungen in schwierigen Situationen interessiert ist (Steinkellner u. Ofner, 2017, S. 57).

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Die systemische Methode des zirkulären Fragens bezweckt nicht nur

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8 Zirkuläres Fragen

einen Informationsgewinn, sondern dient auch der Aktivierung von Ressourcen und dem Öffnen von Lösungsstrategien und Wirklichkeitskonstruktionen (von Schlippe u. Schweitzer, 2012, S. 251 ff.). Im interkulturellen Beratungskontext ermöglicht dies, nach kulturellen Gemeinsamkeiten sowie Unterschieden zu fragen, Unterstützung und Ressourcen aus allen bekannten kulturellen Wurzeln zu ziehen (s. hierzu ausführlich und mit vielen Beispielen Eberding u. Fellacher, 2019, S. 501–514).

Fallbeispiel, noch einmal die Eltern von Omar T.: Die Gesprächssequenz beginnt mit einer zirkulären Frage der Beraterin an den Vater: »Gesetzt den Fall, Sie würden noch in Marokko leben und Ihr Sohn würde nicht in die Schule gehen, was würden Sie tun?« Herr T.: »Ich würde ihn schlagen.« – »Wenn Sie etwas anderes tun würden, was wäre das?« – »Hm, ich würde wahrscheinlich mit meinem Vater und meinem Bruder reden.« – »Frau T., was, glauben Sie, würden die beiden Männer ihrem Sohn bzw. Bruder antworten?« – »Sie würden mit Omar reden und ihm sagen, dass er in die Schule gehen soll.« – »Würden sie das tun, um Ihren Mann zu unterstützen?« – »Ja!« – »Würden sie das auch tun, um Omar zu zeigen, dass er ihnen wichtig ist?« – »Ja!« – »Herr T., Ihr Bruder

lebt in einer weit entfernten Stadt in Deutschland und Ihr Vater in Marokko. Wenn sie Sie trotzdem unterstützen würden, wie würden sie das tun?« – »Sie würden wahrscheinlich mit Omar telefonieren und mein Bruder würde uns vielleicht auch besuchen kommen, um mit Omar zu reden.« – »Und was würden die beiden tun, um Omar zu zeigen, dass er ihnen wichtig ist?« – »Sie würden mit ihm marokkanischen Tee trinken, mit unserer Zeremonie. Das mag er gerne. 63

legen, wie wir es anstellen können, dass Ihr Bruder und Ihr Vater Sie

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Und mein Bruder würde Omar vielleicht mit in seine Autowerkstatt nehmen und ihm etwas zeigen.« – »Ich würde gerne mit Ihnen überunterstützen können. Sind Sie damit einverstanden?« – »Ja, gerne!«

9 Spracharme und symbolischhandlungsorientierte Methoden Die systemische Beratung verfügt über eine ganze Reihe von Interventionen, die erlebnisorientiert sind, mit wenig Sprache auskommen und sich deshalb besonders gut für interkulturelle Beratungssettings eignen. Hierzu zählen: Landkarten und Bilder, Papier und Stift, Zeitlinie und andere körperorientierte Methoden, Familienbrett, kleine Skulpturen und Skulpturelemente.

9.1 Landkarten und Bilder Der Sinn einer Weltkarte im Beratungszimmer oder an einem zentralen Ort einer Institution wurde bereits erwähnt. Auch Fotos von Familienangehörigen und vom früheren Heimatort beleben die Beratung. Sie können positive Erinnerungen wachrufen, Trauerarbeit befördern sowie bei der Suche nach Ressourcen und möglichen

unterstützenden Personen genutzt werden. Sie können Veränderungen verdeutlichen, an überwundene Schwierigkeiten erinnern und zu empathischer Wertschätzung genutzt werden (s. hierzu Borcsa, 2019). Körperschemata und Piktogramme vereinfachen das Mitteilen von Beschwerden und Schmerzen. Hilfreich sind ebenfalls Karten mit Gesichtern, die unterschiedliche Emotionen zeigen (­Abbildung 1). Diese können vielfältig benutzt werden: im Gespräch, neben einer Zeitlinie und einem Zuversichtsbarometer (vgl. S. 67 ff., S. 69 ff.).

Beratung

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Abbildung 1: Beispiel für Karten, die unterschiedliche Emotionen zeigen (Quelle: Bachmann u. Steuber, 2010, S. 119)

9.2 Papier und Stift Malen und Zeichnen brauchen wenig Sprache. Das Genogramm ist ein Beispiel dafür. Analog zur Soziogrammarbeit kann mithilfe eines »Unterstützerplanes« nach hilfreichen Personen gefahndet werden (Abbildung 2).

Unterstützerplan Familie

Berufliches Umfeld

Bekannte, Freunde, …

Innenkreis:

Jene Personen, die mir am nächsten stehen, die ich als erstes ansprechen möchte, von denen ich erwarte, dass sie loyal mir gegenüber sind

2. Kreis:

Personen, von denen ich denke, dass sie interessiert daran sind, mein Anliegen zu unterstützen und sich dazu einzubringen

Außenkreis:

Personen, die nicht so nah dran sind, im Bedarfsfall aber wichtige Ressourcen sein können

Abbildung 2: Beispiel für einen Unterstützerplan (Quelle: Lemme u. Eberding, unveröffentlicht)

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Fallbeispiel, gehen wir noch einmal zu den Eltern von Sorina M.: Die zuständige Mitarbeiterin des Jugendamtes möchte mit den Eltern nach unterstützenden Personen für die Familie suchen. Sie hat den Unterstützerkreis auf ein großes Blatt Papier gemalt, viele kleine »Püppchen« aus einer Spielesammlung herausgesucht und kleine Zettelchen für Namen vorbereitet. Zuerst werden mit den Eltern finden als Professionelle: Sorinas Bezugsbetreuerin aus der WG, die

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mögliche Unterstützer und Unterstützerinnen gesucht. Die Eltern 66

Mitarbeiterin des Jugendamtes, die Schulsozialarbeiterin und einen Lehrer sowie die Sporttrainerin, vielleicht auch noch eine Sozial­pä­ dagogische Familienhilfe (SPFH), die schon einmal in der Familie war. Unterstützende Verwandte, die die Eltern nennen, sind der Vater von Frau M., eine ihrer Schwestern, die auch in Deutschland lebt, und ihre Großmutter, bei der sie teilweise aufgewachsen ist, die Eltern von Herrn M. und die Mutter seiner verstorbenen Frau sowie vielleicht auch eine Cousine von Sorina, die noch in Rumänien wohnt. Für den Bereich Freunde, Bekannte etc. eruieren sie einen Arbeitskollegen von Herrn M., der ebenfalls in zweiter Ehe verheiratet ist und mit dem er sich über die jeweiligen familiären Schwierigkeiten immer mal wieder austauscht, eine Freundin von Frau M., die sie im Rahmen der Geburtsvorbereitung kennengelernt hat, und eine weitere, die sie aus ihrer Schulzeit in der Heimat kennt. Die Eltern suchen sich Spielpüppchen für diese Personen, die auf Namensschilder befestigt und auf eine Position auf dem Unterstützerkreis platziert werden. Die Anordnung wird fotografiert und im weiteren Verlauf der Beratung und Begleitung immer wieder benutzt bei Fragen wie: – Wer kann uns wo und wie helfen? – Wie sprechen wir diese Person an? – Wie halten wir Kontakt?

Der Unterstützerplan verändert sich im Beratungsprozess parallel zu den Erfahrungen: – Diese Person war doch nicht so hilfreich. Wir platzieren sie weiter im Außenkreis. – Es ist noch jemand, z. B. eine Nachhilfelehrerin für Sorina, hinzugekommen. Wo steht die? – Die Bezugsbetreuerin aus der WG steht nicht mehr zur Verfügung. Brauchen wir jemanden anderes? Die Methode des Unterstützerplans erweist sich als ausgesprochen hilfreich, um immer wieder entstehende Gefühle von Hilflosigkeit zu überwinden.

9.3 Zeitlinie und andere körperorientierte Methoden Zeitlinien ermöglichen das Erzählen von Geschichten mit wenig Sprache (Grabbe, 2003). Die Zeitachse wird beispielsweise als Seil durch den Raum gelegt. An ihr wird ein Punkt für die Gegenwart, für das Jetzt, markiert und von da aus können die Vergangenheit und die Zukunft angeschaut und abgegangen werden. Wichtige Zeitpunkte können (z. B. durch Symbole) markiert werden. »Gefühlskarten« (vgl. S. 64, Abbildung 1) helfen dabei, Gemütszustände zu beschreiben.

Fallbeispiel, noch einmal die Eltern von Sorina M. (verkürzt): Als die Rückkehr von Sorina in die Familie geplant wird, findet im Jugendamt ein Gespräch mit den Eltern, der zuständigen Mitarbeiterin des Jugendamtes und der Bezugsbetreuerin aus der MädchenWG statt. Es werden zwei Seile in den Raum gelegt, eines für die

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Zeitlinie von Frau M. und eines für ihren Mann. Frau M. beginnt mit der Zeitlinienarbeit und es wird deutlich, dass sie wie Sorina ihre Mutter früh verloren hat und als ältestes von vier Kindern die Schule abbrechen musste, um den Haushalt und ihre Geschwister (mithilfe ihrer Großmutter) zu versorgen. In der Zeitlinie von Herrn M. werden die erste Eheschließung und die Geburt der beiden Kinder sowie der Beginn der Erkrankung und der Tod seiner ersten Frau vermerkt. Beiden Elternteilen wird von den Fachkräften viel Wertschät-

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zung entgegengebracht für die in der Vergangenheit bewältigten Schwierigkeiten. Für den Zeitpunkt der Eheschließung werden die Zeitlinien zusammengelegt. Die Geburt des gemeinsamen Kindes wird markiert, der erste Kontakt mit dem Jugendamt, die Zeit, in der die SPFH in der Familie war, der Zeitpunkt, als Sorina in die WG gezogen ist, zuletzt das Jetzt. Der gemeinsame Zeitstrang wird weitergelegt. Für den Auszug von Sorina in ein selbstständiges Leben wird ein Punkt in der Zukunft festgelegt und den Eltern wird deutlich, dass ihr Eltern- und Eheleben danach weitergeht. Gemeinsam wird überlegt, welche wichtigen Ereignisse es wohl noch zwischen dem Jetzt und dem Auszug von Sorina geben könnte. Ihre Rückkehr in den elterlichen Haushalt und der Zeitpunkt des Festes werden markiert und der Vater entschließt sich, bis dahin Sorinas Zimmer zu renovieren. Der Schulabschluss des Mädchens wird gekennzeichnet und es ist allen klar, dass die Zeit dazwischen Herausforderungen bereithalten wird. Es wird nach möglichen unterstützenden Personen gesucht (vgl. S. 66). Alle Überlegungen und Planungen fließen in das Hilfeplangespräch ein.

Eine andere hilfreiche körperorientierte Methode, mit der ich gerne arbeite, ist das »Zuversichtsbarometer«.

Fallbeispiel Farid Der 15-jährige Farid (aus der WG, die ich in Abschnitt 4.1 bereits kurz erwähnt habe) gehört zu den Jugendlichen, die häufig sehr spät in der Nacht in die WG zurückkommen. Entsprechend oft verschläft er am Morgen und verpasst die ersten Stunden in der Schule, manchmal auch den ganzen Tag. Die Bezugsbetreuerin stellt Farid in einer Supervision vor, da sie (und ihr Team) keine Idee mehr hat, Alle bisherigen Versuche (Gespräche, Weckversuche, Strafen) hätten

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keine nachhaltigen Erfolge gezeigt. Nach der Supervision arbeitet

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wie Farid zu motivieren ist, die Schule regelmäßig zu besuchen.

sie mit dem Jugendlichen und dem Zuversichtsbarometer. Sie lädt Farid ein, mit ihr auf eine Zeitreise zu gehen, und legt fünf rechte und fünf linke Füße (laminierte DIN-A4-Bilder) als Weg auf den Boden (s. Abbildung 3).

10. Schritt: 9. Schritt: 8. Schritt: 7. Schritt: 6. Schritt: 5. Schritt: 4. Schritt: 3. Schritt: 2. Schritt: 1. Schritt:

Abbildung 3: Beispiel für ein Zuversichtsbarometer (Quelle: Eberding u. PINA – Praxis und Innovation Neue Autorität)

Mit Farid zusammen definieren sie den zehnten Schritt als Ziel. In zwei Jahren und drei Monaten, wenn er 18 Jahre alt und volljährig ist, wo möchte er dann sein? Wie wird sein Leben dann aussehen? Was ist sein Ziel? Farid wird gebeten, sich auf die Zehn zu stellen, sich das genau vorzustellen und zu beschreiben. Seine Vision: Er zieht dann in eine eigene Wohnung, hat eine Ausbildungsstelle, wo er schon so viel Geld verdient, dass er eine kleine Summe nach Hause schicken kann. Am Wochenende geht er so lange aus, wie er will. Die Pädagogin

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lässt sich dies in allen Farben beschreiben, wer alles stolz auf ihn ist, wie gut es ist, ein so wunderbares Ziel erreicht zu haben etc. Sie dreht mit dem Jugendlichen ein »positives Kopfkino«, und dies über mindestens zehn Minuten. Dann fragt sie Farid, wo er seiner Meinung nach im Moment steht. Welche Schritte hat er schon getan auf dem Weg zum Ziel? Er stellt sich auf die Vier. Die Betreuerin möchte diese vier Schritte genau kennenlernen und geht mit Farid auf die Eins. Für ihn war die Flucht der erste große Schritt, der zweite die Ankunft im Erstaufnahmeheim in Deutschland, der dritte die Ankunft in der WG und der vierte sein Einleben dort. Die Pädagogin erklärt ihm, dass er ihrer Meinung nach schon einen Schritt weiter sei. Er sei fast ein Jahr in die Schule gegangen und habe – aus ihrer Sicht – für die kurze Zeit bereits sehr gut Deutsch gelernt. Farid kann mitgehen. Es wird wertgeschätzt, dass er schon den halben Weg gegangen ist. Jetzt werden Symbole für die unterstützenden Personen (Familie, Fluchthelfer, andere Geflüchtete, gesetzlicher Betreuer, Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der WG, Mitbewohner, Schulsozialarbeiterin, Rechtsanwalt etc.) gesucht und neben die einzelnen Schritte gestellt. Farid ist erstaunt, wie viele ihn bisher unterstützt haben und zurzeit noch unterstützen. Zuletzt wird gemeinsam überlegt, was der nächste sinnvolle Schritt ist und was oder wen es dafür braucht. Für Farid sind das Deutschkenntnisse, damit er später sein wichtiges Zwischenziel – einen Schulabschluss – schafft. Um das zu erreichen, will er regelmä-

ßig in die Schule gehen. Alle Schritte werden auf einem Arbeitsblatt notiert und fotografiert. Dies unterstützt seine Eigen­motivation, mit der es ihm leichter fällt, am Abend rechtzeitig ins Bett zu gehen, um genügend Ruhe zu bekommen für seinen nächsten Schritt.

Mit Figuren oder anderen Symbolen können Bilder von Familien

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oder anderen Systemen visualisiert werden (z. B. Schwing u. ­Fryszer,

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9.4 Familienbrett

2017). Hier gibt es vielfältige Möglichkeiten und Variationen (Abbildung 4). Ich arbeite gerne mit kleinen (in Marokko hergestellten) Holzklötzen oder – falls diese gerade nicht verfügbar sind – auch mit Gläsern, Flaschen, Tellern oder was ich sonst so auf dem Tisch oder im Raum finde. Ich kann diese auf ein Mühlebrett stellen, auf ein Tablett, auf den Tisch oder den Boden. Ein Kollege von mir arbeitet im Raum mit einfachen und bis zu einem Meter hohen Holzfiguren, eine Kollegin mit Plastiktieren oder Gummibärchen.

Abbildung 4: Beispiel für ein Familienbrett (Foto: Eberding)

Ich kann die Gegenwart, die Vergangenheit und eine schöne oder furchtbare Zukunft stellen lassen, Wünsche und Träume. Ich kann verschiedene Familienmitglieder ein System anordnen lassen und beobachten, wie sie zusammenarbeiten und sich einigen. Ich kann sie auch unterschiedliche Bilder stellen lassen und mit den Unterschieden arbeiten. Es können Symbole und Plätze für nicht ­anwesende und verstorbene Familienmitglieder oder andere wichtige Personen weniger wirksam oder wichtig sein können. Wenn Familien in ihrer

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gewählt werden und auch für kulturelle Wurzeln, die mehr oder 72

Muttersprache miteinander arbeiten, kann ich sie in ihrer Kommunikation und in ihrem Tun beobachten und nach Beendigung der Arbeit meine Beobachtungen zur Diskussion stellen. Diese Arbeit mit dem Familienbrett braucht nur wenig Sprache.

9.5 Kleine Skulpturen und Skulpturelemente In interkulturellen Settings hat es sich für mich bewährt, mit kleinen Skulpturen zu arbeiten, um einen spracharmen Blick auf das System zu erhalten oder zu spiegeln, auch um Emotionen zu verdeutlichen, Strukturen zu verstehen und nach neuen Handlungs­optionen zu suchen. »Die auf diese Weise geschaffene Repräsentation der Familienbeziehungen geschieht ohne Rückgriff auf die Sprache und wird daher meist schnell verstanden« (von Schlippe u. S­ chweitzer, 2013, S. 280). Daher ist das Stellen von Skulpturelementen mein ständiger Begleiter in der Beratung. Auch hier wird mit Stellvertreterpositionen gearbeitet. Es können Nähe, Distanz und Hierarchien deutlich werden. Personen können auf ein Podest gestellt sein oder sich am Boden ganz klein machen. Durch Zu- oder Abwenden, Hin- oder Wegschauen können Beziehungen, durch Gestik und Mimik Gefühle dargestellt werden, auch Abgrenzungen, Einladungen oder Gleich-

gültigkeit (ausführlich s. Schwing u. Fryszer, 2017, S. 175 ff.). Wie beim Familienbrett werden Beziehungen sichtbar und verstorbene oder nicht anwesende wichtige Personen bekommen ihren Platz. Dies kann mit den im Prozess anwesenden Personen durchgespielt werden (von Schlippe u. Schweitzer, 2012, S. 200). Sollten jedoch nicht genügend Personen anwesend sein, dürfen als Repräsentanten auch Stühle, Zettel mit Namen, Fotos oder andere Symbole gewählt darin, dass sie direkte Rückmeldung geben können, wie es ihnen geht

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und was passieren müsste, damit es ihnen besser geht. Das alles ist

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werden. Der Vorteil in Skulpturen mit konkreten Personen besteht

hilfreich, um Ideen zu kreieren für neue Handlungsoptionen. Und: Es geht vorrangig ums Spüren und Erleben und nicht ums Reden. Ich möchte dies an zwei Beispielen beschreiben.

Fallbeispiel, Familienberatung im Krankenhaus: Frau A. stellt ihre siebenjährige Tochter Meral in der pädiatrischen Tagesklinik wegen ihrer Adipositas vor. Nach ärztlicher Untersuchung und Gesprächen mit der Ernährungsberaterin berichtet Frau A. mir in einem Einzelgespräch, sie habe nicht viel Neues erfahren. Das Problem liege nicht bei ihr. Vielmehr sei sie auf ihre Mutter angewiesen, die Meral nach der Schule versorge, bis sie von der Arbeit nach Hause komme. Diese koche mittags fette türkische Speisen und versorge Meral ständig mit Unmengen von Lebensmitteln. Ich lade daraufhin auch die Großmutter zum nächsten Gespräch ein. Im Joining erzählt diese, sie sei unter ärmlichen Verhältnissen in der Türkei aufgewachsen und habe dort manchmal hungern müssen. Ihre Enkeltochter solle es jetzt besser haben. Sie halte auch eine kleine »Speckschicht« für »schlechte Zeiten« für gut. Außerdem sei Meral ihr einziges Enkelkind, ihr »Lebereckchen« (»cig ˘erimin kös¸esi«, ein türkischer Kosename, im Sinn übersetzt: »mein Liebling«, »mein

Herzchen«). Ich schätze die liebevolle großmütterliche Haltung wert, auch ihre eigenen Erfahrungen, die dazu führten, dass sie Meral mit Essen verwöhnt. Gleichzeitig zeige ich Wertschätzung für die Sorge der Mutter um die Gesundheit ihrer Tochter. Ich frage die beiden, ob ich ihnen etwas Besonderes zeigen dürfe, und bitte dann eine der Krankenschwestern um Unterstützung, die weiß, worum es geht. Nun zeige ich folgendes Skulpturenelement: Stellvertretend für Meral stelle ich

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die Kollegin als »Meral« zwischen Großmutter und Mutter. Diese haben unterschiedliche Vorstellungen davon, was für Meral gut ist. Sie nehmen jeweils eine Hand von »Meral« und versuchen, sie in ihre Richtung zu ziehen. Nach wenigen Sekunden unterbreche ich und frage die Mutter, wie es ihr ergangen ist. Sie antwortet: »Nicht gut, ich möchte nicht so an Meral ziehen. Aber wenn ich es nicht tue, dann ›gewinnt‹ meine Mutter und Meral wird immer dicker.« Ich stelle der Großmutter dieselbe Frage. Sie antwortet: »Ich möchte auch nicht so an Meral ziehen. Aber meine Tochter ist viel zu streng und sie will mir verbieten, meine Enkelin zu verwöhnen. Und dann liebt sie mich nicht mehr. Das will ich nicht.« Nun frage ich »Meral«, wie es ihr ergangen ist. Sie antwortet: »Schrecklich! Meine Arme tun mir jetzt noch weh. Egal, auf wen ich höre, es ist falsch. Und immer streiten sie miteinander. Dabei habe ich doch meine Mama und meine Oma lieb.« Die beiden reagieren betroffen. Sie können sich vorstellen, dass es Meral so oder so ähnlich geht. Ich bitte alle drei Protagonistinnen, ihre Rollen abzuschütteln und sich wieder zu setzen. Im Auswertungsgespräch schätze ich noch einmal die Sorge der Mutter wert und mache deutlich, in welchem Maße die Großmutter durch ihre Migration mit dazu beigetragen hat, dass ihre Lieben nicht mehr hungern müssen. Ich betone, dass es das Recht von Großeltern ist, ihre Enkelkinder zu verwöhnen, jedoch auf eine Art, mit der sie nicht schaden, und mit »Dingen«, die besonders sind.

Süßigkeiten waren in der Kindheit der Großmutter in der Türkei sicherlich etwas Besonderes, heute in Deutschland gibt es sie aber im Überfluss, und der schadet Meral. Wir überlegen gemeinsam, womit die Großmutter ihre Enkeltochter verwöhnen kann. Es entsteht ein angenehmes und fröhliches Gespräch zwischen Frau A. und ihrer Mutter mit Ideen wie: Bauchtanz, Spitzen häkeln und Kochen beibringen, Fotos schauen, Musik hören, miteinander Zeit verbringen (die Frau A. zu wenig hat), Spazierengehen, Meral ins Schwimmbad

Mit wenig Sprache kann hier eine Lösung gefunden werden, die es der Mutter ermöglicht, ihre Tochter bei der Übergewichtsreduktion zu unterstützen, ohne die Unterstützung ihrer eigenen Mutter zu verlieren, und die es der Großmutter ermöglicht, ihre Enkelin zu verwöhnen, ohne ihr zu schaden und ohne den guten Kontakt zu ihrer Tochter aufs Spiel zu setzen. Meral selbst wird von dieser Lösung ebenfalls profitieren.

Fallbeispiel Ali, Sozialarbeit in der Schule (mit gelingendem Bündnis): In einer Supervision von Schulsozialarbeiterinnen stellt ein Pädagoge folgenden Fall dar: Eine Lehrerin hat ihn gebeten, mit Familie M. Kontakt aufzunehmen. Es geht um den elfjährigen Ali, das jüngste von vier Kindern. Schon bald nach Beginn des Schuljahres sei aufgefallen, dass Ali seine Hausaufgaben unregelmäßig mache und nicht immer seine benötigten Hefte und Bücher bei sich habe. Die Klassenlehrerin habe die Eltern angerufen und gebeten, dass diese darauf achten. Das habe nichts geändert. Im Gegenteil, der Junge habe begonnen, den Unterricht mit allerlei Faxen zu stören. Sie habe daraufhin die Eltern zu einem Gespräch eingeladen und den Verlauf

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begleiten, zuhören.

geschildert. Diese hätten wenig Reaktion gezeigt und am Ende habe der Vater gesagt, Ali sei zu Hause ein liebes Kind, das auf die Eltern und auf andere Erwachsene höre. Wenn er nicht auf die Lehrerin höre, sei das deren Problem. Diese habe nach dem Gespräch das Gefühl gehabt, die Eltern nicht erreicht zu haben, das Verhalten von Ali sei eher auffälliger geworden. Nun sei sie auf den Schul­ sozialarbeiter zugekommen, damit er noch einmal mit mehr Zeit mit den Eltern rede, um ihnen deutlich zu machen, was ihre elterlichen

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Aufgaben seien. Der Sozialarbeiter fragt in der Supervision, was sein nächster Schritt sein könne, da er sich nicht als den verlängerten Arm der Lehrerin sehen und die Eltern zurechtweisen möchte. 1. Ich stelle ein Skulpturelement, der Sozialarbeiter schaut zu: Er sucht aus dem Kreis seiner Kolleginnen eine stellvertretende Person für die Lehrerin, den Vater und für Ali. Ich stelle die Personen in ein Dreieck. »Vater« und »Lehrerin« stehen sich dabei gegenüber, schauen sich an und zeigen beide mit Gestik (ausgestreckter Finger) und der Mimik: »SIE sind schuld am Verhalten von Ali in der Schule!« »Ali« (der Stellvertreter) schaut zu. Ich frage ihn, ob er sein Verhalten verändern werde. Er antwortet: »Nein, die Lehrerin und mein Vater sind miteinander beschäftigt. Keiner sieht mich. Ich kann tun und lassen, was ich will. Und außerdem mag ich es nicht, wenn meine Eltern schlecht über die Lehrerin reden, und ich finde es ganz schrecklich, wenn die Lehrerin schlecht über meine Eltern redet.« Nachdem ich dem »Vater« unterstellt habe, dass er seinen Sohn liebt und das Beste für ihn möchte, unterstelle ich der »Lehrerin«, dass sie Ali mag und ihn begleiten möchte, damit er seinen bestmöglichen Schulabschluss erreichen kann. Beide stimmen zu. Ich frage die »Lehrerin«, was – vor dem professionellen Hintergrund ihrer Verantwortung für die Gestaltung von Elterngesprächen –

notwendig ist, um einen guten Umgang mit den destruktiven Verhaltensweisen von Ali zu finden. Sie nimmt den Anklagefinger und -blick zurück. Der »Vater« tut dies fast zeitgleich auch. Ein kleines Lächeln erscheint auf beiden Gesichtern. Ich bitte die »Lehrerin«, den »Vater« zu fragen, ob sie gemeinsam auf Ali und seine Verhaltensweisen in der Schule schauen können, um nach der jeweiligen Verantwortung zu suchen. Diese Frage falle ihr rin« zu »Ali« umdrehen. Von mir befragt, antworten beide, es

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gehe ihnen nun besser. »Ali«, nach seiner Befindlichkeit befragt,

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nun leicht, antwortet sie. Nun können sich »Vater« und »Lehre-

antwortet, es gehe auch ihm besser. Zwar sei er jetzt im Fokus der Erwachsenen, was ihm schon ein wenig Unbehagen mache. Das sei aber auszuhalten, weil er angelächelt werde. Und dass die Erwachsenen nun nicht mehr streiten, erleichtere ihn sehr. Wir planen in der Supervision das weitere Vorgehen. Der Schulsozialarbeiter äußert sich überzeugt davon, dass eine solche Arbeit tatsächlich ein guter Einstieg in ein Eltern-Lehrerin-Bündnis sein kann. 2. In einem gemeinsamen Gespräch mit der Lehrerin und einer anderen Kollegin stellt der Schulsozialarbeiter das Skulptur­ element (wie in der Supervision vorbereitet) zunächst mit den beiden Kolleginnen und sich selbst. Dabei bittet er die Lehrerin, sich als Stellvertreterin für den Vater zur Verfügung zu stellen. Die Lehrerin erkennt im Laufe dieser Arbeit sowohl ihre Verantwortung als auch die Freude an einer Bündnisarbeit mithilfe dieser kleinen »Skulptur«. Der Sozialarbeiter lädt die Eltern zu einem Gespräch ein. Er betont dabei, dass die Schule an einer guten Zusammenarbeit mit den Eltern ebenso interessiert sei wie an einem guten Fortkommen von

Ali in der Schule. Am Gespräch nehmen neben ihm noch eine Kollegin, die Lehrerin und die Eltern teil. 3. Auch jetzt leitet er die »Skulptur« an. Seine Kollegin geht in die Rolle von Ali, der Vater und die Lehrerin stehen für sich selbst. Das Ergebnis (verkürzt): In einem gemeinsamen Gespräch mit Lehrerin und Eltern wird Ali mitgeteilt, dass sich alle ein wenig Sorgen

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machten, weil er seine Hausaufgaben unregelmäßig erledige und in letzter Zeit nicht mehr so gut aufpasse in der Schule. Die Erwachsenen würden nun gemeinsam danach suchen, was oder wer ihn unterstützen könne, damit er seine »Schätze« auch in der Schule nutzen könne. Der Vater teilt seinem Sohn mit, dass er das tue, weil es sein Ziel sei, dass es Ali später genauso gut oder sogar besser gehen solle als ihm selbst heute. Ali nimmt danach an einer Gruppe in der Schule teil, wo er seine Hausaufgaben erledigen kann. Ein älterer Schüler der Schule, der ebenfalls türkischstämmige Eltern hat, übernimmt eine »Patenschaft«. Die Lehrerin berichtet den Eltern zunächst wöchentlich, was in der Schule gut gelaufen ist und was noch etwas besser werden könnte. Ali stört nur noch vereinzelt, seine Schulnoten verbessern sich, die Eltern nehmen regelmäßig an Klassenversammlungen und Schulveranstaltungen teil.

Mit wenig Sprache ist hier ein Lehrerin-Eltern-Bündnis geglückt, von dem alle Beteiligten profitieren. Familien solche und andere symbolisch-handlungsorientierte Methoden vorzuschlagen, erfordert Mut. Damit im systemischen Sinne in interkulturellen Settings erfolgreich zu arbeiten, erfordert eine gute professionelle Beziehung durch die im Kontext beschriebenen Haltungen der Beraterinnen oder Betreuer auf der Basis eines ausführlichen Joinings.

10 Fazit und Ausblick Systemische Beratung, gepaart mit interkultureller Kompetenz, bietet Haltungen und Methoden, die konstruktives Arbeiten ermöglichen, wenn Berater und Klientensystem über unterschiedliche kulturelle Wurzeln verfügen. Alle Beteiligten profitieren, solange sie sich über die Ziele der Beratung einig sind und die Schritte dahin konstruktiv 79

strategien, die Berater können wertschätzen und sich in ihrer Arbeit

Beratung

und im Einvernehmen entwickelt werden können: Die Klientinnen (-Systeme) fühlen sich wertgeschätzt und entwickeln neue Lösungserfolgreich erleben. Wenn jedoch Gedanken kommen oder Sätze fallen wie »Die verstehen mich/uns sowieso nicht«, »Verstehen die denn gar nichts?«, »Bei uns ist das eben so!« wird Ohnmacht deutlich, Kooperation und professionelle Beziehung werden schwierig oder gar unmöglich. Spätestens hier können Haltung und Methoden der Neuen Autorität die Ohnmacht verringern und die (professionellen) Beziehungen wieder stärken, wie in den Fallvignetten gezeigt. Als besonders hilfreich habe ich die Kombination (systemische Beratung, interkulturelle Kompetenz und Neue Autorität) in der ambulanten und stationären Jugendhilfe erlebt. Weitergebildete Beraterinnen und Sozialarbeiter waren in der Lage, Bündnisse auch mit den Eltern zu schmieden, die in Vorberichten als schwierig oder sogar »beratungsresistent« beschrieben wurden. Mit ihnen und mit den Jugendlichen konnten gemeinsame Ziele erarbeitet und gewaltfreie kreative Strategien entwickelt werden, um die Ziele zu erreichen. Dasselbe gilt für Pflegeeltern, die geflüchtete Jugendliche oder solche aus – teilweise schon lange in Deutschland lebenden – Familien mit Migrationsbiografien aufgenommen haben. In Fallsupervisionen durfte ich diese Prozesse begleiten und beobachtete dort, wie sich Hilflosigkeit im Team in kreatives, lustvolles und erfolgreiches Arbeiten wandeln kann.

Deutschland ist ein Einwanderungsland. Trotzdem ist das The­ ma »interkulturelle Kompetenz« noch lange nicht i­ntegraler Be­­ standteil jeder Berufsausbildung, zu deren Alltag die Kommunikation mit anderen Menschen gehört. Das gilt für Kaufleute, Führungskräfte, Ärztinnen und insbesondere für Lehrpersonen,

Therapeutinnen,

Berater

und

Sozialarbeiterinnen.

Das Thema »Neue Autorität« ist ein noch junges in Europa. Haim geladen von Arist von Schlippe ans Institut für Familientherapie

Beratung

Omer hat es 1999 zum ersten Mal in Deutschland vorgestellt, ein80

Weinheim. Ich hatte damals das Glück, dabei zu sein. Durch die gemeinsame Arbeit und die vielen gemeinsamen Veröffentlichungen ist immer mehr systemisches Denken in das Konzept der Neuen Autorität geflossen. Ich würde mir wünschen, dass mehr und mehr Menschen, die in interkulturellen Settings leben, lieben und arbeiten, die Kombination dieser Konzepte und Haltungen entdecken und gewinnbringend einsetzen. Wir könnten zeigen, dass dadurch Konflikte und Gewalt im Zusammenleben in unserem Land ebenso abnehmen wie Hilflosigkeit und Ohnmacht.

Am Ende

Literatur

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Die Autorin Dr. phil. Angela Eberding (Nuenen, NL), Diplom-Pädagogin, sys­temische Familientherapeutin (Schwer­punkt: Umgang mit multikulturellen Systemen), Supervisorin (IFW, SG), Trau87

Er­­fahrungen in der Beratung von

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mapädagogin, systemischer Eltern­ coach, verfügt über langjährige Familien mit und ohne Migrationsbiografien aus ihren Tätigkeiten in einer Kinder- und Jugendpsychiatrie und in Kinderkliniken. Sie ist in eigener Praxis tätig und als Supervisorin und Dozentin in Deutschland, Österreich, Liechtenstein und der Schweiz unterwegs zu Themen wie interkulturelle Kommunikation, systemische Traumapädagogik, Neue Autorität. Sie gibt Inhouse-Fortbildungen in verschiedenen Einrichtungen der Jugendhilfe und ist Dozentin bei PINA – Praxis und Innovation – Neue Autorität (www.angela-eberding.de und www.pina.at).